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UNIVERSITY OF CALIFORNIA

SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER

LIBRARY

^ALBRECHT VON GRiEFE'8 ARCHIV

FÜR

OPHTHALMOLOGIE,

HERAUSGEGEBEN

VON

PROF. TH. LEBER Prof. H. SATTLER

IN HEIDELBERG IN LEIPZIG

UND

PROF. H. SNELLEN

IN UTRECHT.

SIEBENUNDDREISSIGSTER BAND

ABTHEILUNG III. MIT 5 FIGUREN IM TEXT UND 9 TAFELN.

LEIPZIG

VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 18^1

lahaltfi-Verzeicliiiiss

zu Band XXXVII, 3. Abtheiiung.

Ausgegebeu am 2S. October 1891.

Seite

I. lieber Ermüdung und Erholung des Sehorgans. Von Ewald Heringr, Professor der Physiologie an der

deutschen Universität Prag 1 36

II. £hrlich*s Methylenblaumethode und ihre Anwendung auf das Auge. Von' Dr. Friedr. Hoseh in Basel. (Mittheilung aus dem normal-anatomischen Institut in Basel.) Mit Taf. I— II, Fig. 1-^8 37-54

III. Weitere Grössensch&tzungen im Gesichtsfeld. Von *t>r. R. Fischer, Augenarzt in Leipzig. Mit 1 Text- figur 55—85

IV. Ueber die Abflusswege des Humor aqueus. Experi- mentelle und anatomische Untersuchungen von Dr. Carlo Staderini, Privatdocenten an der Königl. üniversit&t Siena. (Aus dem Laboratorium des Prof.

H. Sattler in Prag.) Mit Taf. III, Fig, 1 3 . . 86—124 V. Ueber das Vorkommen von Riesenzellen und eitriger Exsudation in der Umgebung des intraocularen Cysti- cercus. Von Dr. Aagust Wagenmann, Privat- docenten und erstem Assistenten der Universit&ts-

Augenklinik zu Heidelberg 125—142

VI. Zur Anatomie der Pinguecula. Von Prof. E, Fachs

in Wien. Mit Taf. IV und V, Fig. 1 16 . . . 143-191 VII. Beitrftge zur Entstehungsgeschichte der angeborenen Missbildungen des Auges. Von Dr. G. BlndfleiBeb, Assistenzarzt an der Universit&ts- Augenklinik zu Heidelberg. Mit Taf. VI— VIII und 4 Figuren im Text 192-252

1231

IV Inhalt.

Seite

yill. Eine eigenthümliche oberflächliche Neubildung der Cornea. Von Dr. Eduard Zirm, I. Assistenten an der I. Augenklinik in Wien. Mit Taf. IX, Fig. 1—3 253—260 IX. Eine Bemerkung über den Helligkeitssinn, veran- lasst durch die Abhandlung TreiteKs in den letzten Heften dieses Archivs. Von J. BJerrum in Kopen- hagen 261—262

X. Anmerkung zu meiner in der II. Abtheilung dieses Bandes veröffentlichten Mittheilung „lieber Sehner- ven Veränderung bei hochgradiger Sclerose der Ge- hirn arterien^S Von Dr. St. Bernheimer, Privat- docenten in Heidelberg 263 264

Ueber Ermttdimg und Erholung des Sehorgans.

Von

Ewald Hering,

Professor der Physiologie

an der deutschen Universit&t Prag.

Nach einer noch hente von Helmholtz, A. Fick u. A. vertretenen Ansicht über Ermüdung des Sehorganes müsste dasselbe, da es bei offenem Auge fortwährend und zwar aach von den schwarz erscheinenden Theilen des Gesichts- feldes mehr oder weniger Licht empfängt, in seiner ganzen Ausbreitung ununterbrochen ermüdet werden, so lange es nicht gänzlich verfinstert ist Denn dass auch die schwarz erscheinenden Dinge noch hinreichendes Licht aussenden, um zu „ermüden^, soll daraus hervorgehen, dass wenn man ein schwarzes Object (Papier, Tuch, Sammet) auf einen fast vollkommen licbtfreien Grund legt, z.B. einen schwar- zen Streifen über ein grösseres Loch im Deckel eines tiefen mit schwarzem Sammet ausgekleideten Kastens brückt und den Streifen einige Zeit fixirt, nachher beim Blicken auf eine graue oder weisse Fläche ein deutliches negatives Nach- bild des Streifens sichtbar wird. Ein solches Nachbild aber soll stets die Folge der Ermüdung sein. Hiernach könnte das Auge aus der fortwährenden Ermüdung gar nicht her- auskommen; denn wo wir auch hinblicken, immer müsste es ermüdet werden, und die einzige Abwechslung bestände darin, dass die Ermüdung bald langsamer bald schneller

▼. Graefe's ArcUr fflr Ophthalmologie. XXXVII. 3. 1

2 E. Hering.

fortschritte. Anderseits ist es eine bekannte Tfaatsache, dass wir des Abends nicht merklich schlechter sehen als des Morgens, und dass dies auch dann noch der Fall ist^ wenn dem Tage eine in hellen Räumen durchwachte Nacht und ein neuer schlafloser Morgen folgt Also einerseits fortwährende Ermüdung und zwar eine so schnell vor sich gehende, dass schon nach einer wenige Secunden währen- den Fixirung eines weissen Objects auf dunklem Grunde sich die Folgen der „Ermüdung*' durch ein deutliches nega- tives Nachbild yerrathen, und anderseits trotz solcher fort- währenden raschen Ermüdung keine merkliche Beeinträch- tigung des Sehens selbst bei tagelanger Belichtung der Netzhaut.

Dieser Widerspruch fiel Eugen Fick und A. Gür- ber^) auf und sie suchten nach einer Lösung desselben. Negatiye Nachbilder entstehen im Allgemeinen nur dann, wenn das Auge ruhig gehalten wird; beim gewöhnlichen Sehen aber ist das Auge fast fortwährend in Bewegung. Hiermit schien ihnen die Lösung des Räthsels gegeben: nur die Netzhaut des sozusagen künstlich festgehaltenen Auges ermüdet, die Netzhaut des in natürlicher Weise be- wegten Auges aber ermüdet nicht. Ganz in üebereinstim- mung hiermit fanden sie die von Helmholtz u, A. aufge- stellte Ansicht, dass Augonbewegungen die Nachbilder d. h. die Folgen der Ermüdung wieder zum Verschwinden brin- gen sollen. In den Bewegungen schien also der Grund der Unermüdlichkeit des in gewöhnlicher Weise benutzten, näm- lich mehr oder minder bewegten Auges zu liegen. Diese Bewegungen sollen in irgend einer noch näher zu unter- suchenden Weise den Blut- oder Lymphstrom befördern und ihm dasjenige Ausmaass geben, welches nöthig ist, die Ermüdungstoffe der Netzhaut immer in zureichender Weise fortzuschaffen und neue Nährstoffe zuzuführen. Halten wir

^) Ueber Erholung der Netzhaut: Dies. Arch. XXXVI, 2, S. 246.

üeber Ermüdang and Erholung des Sehorgans. 3

das Auge ruhig, so yerlangsamt sich sogleich die Strömung» und infolge dessen ent^ckebi sich Ermüdung und negative Nachbilder.

So ungefähr folgerten Fick und Gürber, und schon der erste Versuch, den sie zur Prüfung ihrer Hypothese anstellten, schien ihnen dieselbe durchaus zu bestätigen. Sie fixirten einen Buchstaben einer Druckseite so lange, bis sich das Blatt mit einem „NebeP^ überzog, blickten dann rasch nach einem daneben liegenden, sogar noch hel- ler beleuchteten weissen Blatte und kehrten sofort mit dem Blicke wieder zu dem zuvor fixirten Buchstaben zurück: „der Nebel :war verschwunden^', obwohl, wie sie hervorheben, die Netzhautstellen, welche das Bild der Druckseite em- pfangen hatten, während der Abschweifung des Blickes so- gar von hellerem Weiss getroffen worden waren imd also nadi der Rückkehr des Blickes zum früheren Orte noch stärker „ermüdet^ sein mussten, ak wenn die Fixirung des Buchstabens ununterbrochen fortgedauert hätte. Durch die Augenbewegung und die dadurch gesteigerte Saftbewegung war, so schien es, der Nebel gleichsam „weggewischt'' worden.

In ganz anderer Weise habe ich seinerzeit^) die That- sache zu erklären versucht, dass das Sehorgan trotz lange anhaltendem Gebrauche functionsfähig bleibt, und noch vor Kurzem') habe ich auseinandergesetzt, dass die Augenbe- wegungen als solche keinen nachweisbaren Einfluss auf den Verlauf der Nachbilder haben und dieselben nicht zum Ver- schwinden zu bringen vermögen, wie dies auch Plateau und Aubert angegeben haben. Somit erwächst mir die Aufgabe, für meine ältere Auffassung gegenüber der neuen einzutreten, was ich thun will, indem ich zuerst die Haupt- versuche von Fiok und Gürber erörtere und zweckent-

^) Zur Lehre vom Lichtsinn. Sitzungsberichte der Wiener Aca- demie 1872—1874.

*) Zeitschrift fflr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. L Bd. S. 20—23.

4 £. Hering.

entsprechende Abänderungen derselben beschreibe, weiterhin aus älteren hierher gehörigen Erfahrungen Einiges mit- theile und endlich jene Erklärung der ünermüdlichkeit des Sehorgans kurz entwickle, welche sich aus der von mir vertretenen Theorie des Lichtsinns ergiebt.

Fiok und Gürber's Hauptversuche.

Wenn man auf einem bedruckten Blatte einen bestimm- ten Punkt eines Buchstabens unter Vermeidung des Lid- schlages fest fixirt, so bemerkt man bald, dass die Buch- staben an Schwärze verlieren. Der minder Geübte verdecke mit einem unbedruckten Blatte von gleicher Weisse die eine Hälfte des bedruckten und fixire einen bestimmten Punkt eines Buchstabens in der Nähe der Grenzlinie des unbedruckten. Zieht er nach 10—20 Secunden das weisse Blatt weg, ohne die Augen irgend zu verschieben, so wer- den ihm die zuvor verdeckt gewesenen Buchstaben merk- lich schwärzer und, besonders bei sehr kleiner Schrift, auch deutlicher erscheinen, als die übrigen, schon länger sicht- bar gewesenen, lieber der unbedeckt gewesenen Hälfte des Blattes scheint ein leichter Nebel zu liegen, weil Grund und Buchstaben nicht mehr so auffallend in ihrer Hellig- keit verschieden sind und sich minder scharf von einander abheben.

Bei längerer Dauer des Fixirens zeigt sich dann in mehr oder minder schneller Wiederholung ein Aufleuchten heller Ränder an einer Seite der Buchstaben, bald nach rechts, bald nach links, nach oben oder unten von den Buchstaben. Dies ist die bekannte Folge jener unwillkür- lichen kleinen Augenbewegungen, welche auch beim soge- nannten festen Fixiren stets mehr oder weniger vorhanden sind, aber anfangs nicht merklich werden, theils weil sie

Ueber ErmaduDg und Erholung des Sehorgan .

noch kleiner und seltener siDd, theils weil sie sich eben erst durch das Aufleuchten der Ränder verrathen, welches eine längere Fixation zur Voraussetzung hat Letzteres er- kennt num wieder am besten, wenn man z. B. die rechte Hälfte der Seite mit dem weissen Blatte yerdeckt, dann so lange fixirt« bis das Aufleuchten sich zeigt, und nun das Blatt wegzieht, ohne die Fixirung zu unterbrechen: die nun sichtbar gewordenen Buchstaben zeigen zunächst keine Spur von Aufleuchten, während dasselbe an den schon vorher sichtbar gewesenen immer deutlicher wird.

Dieses sich gleichsam ruckweise wiederholende Auf- leuchten heller Säume bringt nun eine immer mehr wach- sende Unruhe in das Gesichtsfeld, die Buchstaben und die hellen Säume scheinen wohl auch kleine Bewegungen zu machen, als ob sie schwankten. In dem Maasse als das Aufleuchten deutlicher wird, verliert auch das zwischen den Buchstaben liegende Weiss des Grundes merklich an Hellig- keit und erscheint neben den hellweissen Säumen mehr grauweiss. Man hat bei alledem das Gefühl einer Art Blendung, wozu sich ein lästiges Gefühl von Druck, Span- nung xmd Wärme in den Augen gesellt. Es hängt von der Stimmung des Sehorgans und von der Beleuchtung ab, ob die beschriebenen Erscheinungen sich mehr oder minder rasch entwickeln. Auch ist man zum festen Fixiren bald mehr bald weniger befähigt.

Ich sagte oben, dass man einen bestimmten Punkt eines Buchstabens fixiren, nicht bloss einen Buchstaben überhaupt ins Auge fassen solle. Denn wenn man den Blickpunkt innerhalb desselben Buchstabens immer wieder wechselt, so ist es nicht möglich, das ganze beschriebene Phänomen so schnell und deutlich sich entwickeln zu sehen.

Hat man einen Punkt so lange fixirt, bis die Buch- staben deutlich an Schwärze verloren haben und verlegt sodann den Blickpunkt durch eine entsprechend kleine Au- genbewegung zwischen zwei Zeilen, so erscheinen die Buch-

6 E. Hering.

Stäben plötzlich wieder schwarz, weil ihre Bilder auf Netz- hautstellen rücken, auf denen sich zuvor der weisse Grund abbildete; auch kann man dabei mehr oder minder deut- lich die helleren Nachbilder der zuvor fixirten Buchstaben sehen. Jedenfalls verschwindet sofort der scheinbare Nebel, der sich über den Buchstaben auszubreiten begonnen hatte. . Verlegt man nach entsprechend langer Fizirung eines Punk- tes der einen Zeile den Blickpunkt auf die nächst untere oder obere Zeile, so sieht man deutlich, dass schwärzere und mehr graue Buchstaben bezw. Buchstabentheile in re- gelloser Folge nebeneinander liegen, weil die Nachbilder der Buchstaben der erst fixirten Zeile sich nur mit einzel- nen Theilen der Bachstaben der neu fixirten Zeile decken. Man hat jetzt nicht mehr den Eindruck eines über der Schrift liegenden Nebels, sondern den eines schlechten Druckes mit ungleichmässig geschwärzten Buchstaben.

Hat man einen Punkt eines bedruckten Blattes so lange fixirt, bis sich der „Nebel" zeigt, und nähert dann, unter Vermeidung jeder anderweiten Verschiebung des Blattes, dasselbe dem Auge, während man denselben Punkt unverän- dert weiter fixirt, so werden die Buchstaben wieder schwär- zer; ihre Netzhautbilder vergrössem sich und rücken theil- weise oder ganz auf andere Theile der Netzhaut. Analoges findet statt, wenn man das Blatt vom Auge entfernt.

Alle bis hierher beschriebenen Thatsachen sind nur weitere Belege für die alte Erfahrung, dass beim anhalten- den Fixiren einer Fläche, welche kleine dunkle Felder auf hellerem Grunde zeigt, die dunklen Felder sich allmählich aufhellen, während der Grund zugleich an Helligkeit ver- liert, und dass nachher jede Verschiebung, Vergrösserung oder Verkleinerung des Netzhautbildcs der dunklen Felder dieselben theilweise oder gänzlich wieder dunkler, den Grund theilweise wieder heller erscheinen lässt Wer diese Erscheinungen noch nicht genauer aus eigner Erfahrung kennt, wird übrigens gut thun, dieselben zunächst unter

lieber Ermüdang und Erholung des Sehorgans. 7

einfacheren Bedingungen zu beobachten, wofür im IL Ab- schnitte einige Beispiele angeführt sind.

Wenn E. Fick bei Lampenlicht einen Buchstaben nur 10 20 Secunden fixirte, sah er bereits die ganze Blatt- seite sich mit einem Nebel überziehen. Warf er dann den Blick plötzlich auf ein neben der Druckseite liegendes weis- ses Blatt und kehrte sofort wieder zu dem ,,fixirten Buch- staben" zurück, so war der Nebel verschwunden. Nach mei- nen eigenen Beobachtungen ist hier streng zu unterschei- den der Eindruck, den man erhält, sobald der Blick in die Nähe des wieder zu fixirenden Punktes gelangt ist, ohne denselben doch bereits wieder erfasst zu haben, und der Eindruck, welchen man hat, sobald der Blick wieder genau die alte Lage eingenommen hat. Auch wenn man die Au- genbewegung möglichst rasch ausführt, erfolgt doch der letzte Theil derselben relativ langsam. Sobald nämlich bei der raschen Rückkehr des Blickes der Buchstabe oder viel- mehr Punkt, den man wieder zu fixiren hat, in Sicht kommt, bremst man gleichsam die Bewegung, um mit dem Blicke nicht daneben zu treffen, und erst in diesem Momente kann man sich von dem Aussehen der Schrift wieder eine ge- wisse Rechenschaft geben. Die Schrift bildet sich jetzt noch nicht wieder genau auf denselben NetzhautsteUen ab und kann schon deshalb nicht so matt erscheinen, wie unmittel- bar vor der Bew^ung; erst wenn der Blick wirklich den anfänglichen Fixationspunkt wieder erfasst hat, ist das Aus- sehen der Schrift maassgebend. Nun ist richtig, dass jetzt die Buchstaben wieder schwärzer, minder nebelig erschei- nen als vor Beginn der Bewegung; fixirt man aber jetzt weiter, so verlieren sie viel schneller, als bei der ersten Fixation, wieder an Schwärze und der „Nebel** stellt sich viel eher ein, als damals. Das ist um so mehr der Fall, je weniger Zeit die Bewegung in Anspruch genommen hat. Es ist also offenbar von der ersten Fixirung her noch eine Aenderung zurückgeblieben, d.h. die Nachbilder der Buch-

8 £. Hering.

Stäben sind während der Bewegung nicht ganz verschwun- den. War die erste Fixirung eine längere gewesen, so be- merkt man auch nach Ablauf der Bewegung sofort, dass die Schrift keineswegs so schwarz und scharf erscheint, wie beim Beginne des ganzes Versuches. Aber auch wenn die Fixirung nur 10 bis 20 Secunden dauerte, kann man den nach der Bewegung zurückbleibenden Rest von „Ermüdung^ leicht nachweisen, wenn man zuvor wieder die eine Hälfte der Druckseite mit einem Blatt von gleicher Weisse be- deckt und einen Punkt in unmittelbarer Nähe seiner Grenz- linie fixirt hat. Zieht man das Blatt weg, sobald der Blick nach Ablauf der Bewegung wieder zum anfänglichen Fixa- tionspunkte zurückgekehrt ist, so sieht man deutlich, dass die Buchstaben der bedeckt gewesenen Seite schwärzer er- scheinen, als die wie mit einem leichten Nebel bedeckten der anderen Seite. Fehlt die Möglichkeit dieser Yerglei- chung, so kann man allerdings unter Umständen zu der irrthümlichen Meinung kommen, die Buchstaben sähen nach Ablauf wieder genau ebenso aus, wie beim Beginne des Versuches. Die Augenbewegung ist also unter den ange- gebenen Bedingungen zwar im Stande, den „Nebel" zu ver- mindern, nicht aber ihn ganz zu beseitigen. Es ist selbst- verständlich, dass die Verminderung des Nebels um so merk- licher sein muss, je länger die Abschweifung des Blickes gedauert hat; ich bedurfte zur Ausfuhrung der Bewegung höchstens eine Secunde.

Es ist nun zu untersuchen, ob eine solche vorüber- gehende Abschweifung des Blickes vielleicht nur dann ge- nügt, die Nachwirkung der Fixirung gänzlich zu beseitigen, wenn man der letzteren eine kürzere Dauer, z.B. von nur 5 Secunden giebt. Stellte ich den Versuch unter solchen Umständen an, so sah ich gleichwohl nach der Rückkehr des Blickes zum Fixationspunkte und nach Entfernung des erwähnten weissen Blattes immer noch einen ganz deut- lichen Unterschied beider Hälften der Druckseite in dem-

lieber Ermadung and Erholung des Sehorgans. 9

selben Sinne wie nach längerer Fixirung. Ja ich konnte die Dauer der Fixirung noch weiter abkürzen, ohne dass die Augenbewegung im Stande gewesen wäre, die Nachwir- kung einer solchen Fixirung gänzlich aufzuheben. Da je- doch schon bei einer Dauer der letzteren von 5 Secunden möglicherweise dem Einen oder Anderen der Unterschied beider Hälften der Druckseite nicht so merklich ist, wie mir, so empfehle ich folgenden Versuch.

Nach einer Fixirung von fünf Secimden führe man eine Augenbewegung aus, fixire dann wieder fünf Secunden, mache wieder eine Augenbewegung, fixire nochmals fünf Secunden u. s, f. Wenn jetzt jede einzelne Augenbewegung die Nachwirkung der vorhergegangenen Fixirung vollstän- dig wieder beseitigt, so können keine Reste der einzelnen Nadhwirkungen zurückbleiben und sich also auch nicht so- zusagen summiren. Ist aber das Gegentheil der Fall, so wird sich trotz der eingeschalteten Augenbewegungen doch das eingangs beschriebene Ermüdungsphänomen entwickelu, wenn auch langsamer, als wenn die Fixirung nicht durch Augenbewegungen unterbrochen worden wäre. Letzteres ist nun in der That der Fall und zwar in ganz deutlicher Weise.

Man fixire also einen bestimmten Punkt der Druck- seite, indem man nach dem Tacte eines Secundenpendels von 0 bis 5 zählt, blicke dann auf ein daneben liegendes weisses Blatt und kehre sofort zum anfänglich fixirten Punkte zurück, was im Laufe einer Secunde möglich ist, so dass der Blick mit dem Pendelschlag 6 wieder auf dem bezüglichen Punkte liegt. Nun fixire man weiter bis zum Pendelschlag 11, führe wieder die Bewegung aus, fixire nochmak bis zum Pendelschlage 17 u.8. f. Bald entwickelt sich dann das beschriebene Phänomen, es zeigt sich allmä- lig der „Nebel'' und selbst bis zum beschriebenen Auf- leuchten der Bandscheine kann es kommen. Bis zu dem- selben Grade, wie bei ununterbrochener Fixirung lässt sich

10 K Hering.

das ErmüduDgspbänomen nicht entwickeln, weil es mit der Zeit immer langsamer zunimmt und schliesslich jene Grenze erreicht, wo der kleine Zuwachs an „Ermüdung^* während der Fixation durch die nachfolgende Verschiebung der Netzhautbilder bei der Augenbewegung wieder aufgehoben wird.

Selbst wenn ich bei solchen Versuchen die Augenbe- wegung jede zweite Secunde wiederhole, so dass das Auge abwechselnd eine Secunde fixirt und eine Secunde bewegt ist, bin ich nicht im Stande, ein deutliches Mattwerden, also das Auftreten eines leichten „Nebels** zu yerhüten, was sich besonders dann ganz deutlich zeigt, wenn ich wieder die halbe Blattseite mit einem gleichweissen Blatte verdecke und z.B. nach einer 20 Secunden dauernden Versuchsreihe, also nach Einschaltung yon 10 Augenbewegungen das weisse Blatt unmittelbar nach Ablauf der zehnten Bewegung weg- ziehe. Bei so häufig unterbrochener Fixirung kommt es freilich nicht zu den höheren Graden des Phänomens, d.b. zum Aufleuchten Ton Randscheinen.

Nachdem wir so den Einfluss der Augenbewegungen auf das beschriebene Phänomen genauer kennen gelernt haben, kommen wir zu der Frage, ob es die Augenbewe- gung an sich ist, welche die Folgen der Fixirung zu einem Theile wieder ruckgängig macht, oder ob es lediglich die Unterbrechung der Fixirung und die während der Unter* brechung yeränderte Belichtung der Netzhaut ist, oder ob vielleicht beide Umstände in demselben Sinne wirken. Wäh- rend der Blick vom fixirten Punkte weg nach dem neben- liegenden weissen Blatte abschweift, treten an die Netzhaut- stellen, auf welchen zuvor die Buchstaben dauernd abge- bildet waren, in rascher Folge die Bilder anderer Buch- staben, hierauf kurze Zeit hindurch die gleichmässige Be- lichtung seitens des weissen Blattes, endlich bei der Rück- kehr des Blickes abermals die rasch abwechselnden Bilder von Buchstaben. Diese ganze Folge von Eindrücken lässt

Ueber £rmadang und Erholung des Sehorgans. 11

sich auch herstellen , wenn wir das Auge ganz unyerrüekt festhalten, dagegen das bedruckte Blatt unter dem fest- stehenden Blicke rasch zur Seite schieben, das weisse Blatt an seine Stelle treten lassen und sofort das bedruckte Blatt wieder in die alte Lage zurückschieben. Diese Bewegung der Blätter haben wir beiläufig mit derselben Geschwindig* keit auszufuhren, mit welcher zuvor die Blickbewegung voll- zogen wurde. Ich erreichte dies Alles in folgender ein- facher Weise.

Auf eine kleine ebene Papptafel wurde ein bedrucktes und ein weisses Blatt aufgeklebt, so dass ersteres die rechte, letzteres die linke Hälfte der Pappe bedeckte. An der Schmalseite eines dicht neben einem Fenster stehenden hohen Schrankes war eine lange, sehr dünne Latte aus hartem Holze so aufgehängt, dass sie um einen durch ihr oberes Endstück gehenden Drahtstift als Axe hin und her- pendeln konnte. Am unteren Endstück der Latte wurde die Papptafel befestigt Dieselbe trug nach rechts hin einen Fortsatz, an welchem man sie fassen und auf der Wand des Schrankes als Unterlage nach rechts und wieder in die Mittellage zurückschieben konnte. Eine Verschiebung nach links war durch eine Hemmung unmöglich gemacht Dicht über der Pappe war eine grosse Glasscheibe so an der Schrankwand befestigt, dass die Papptafel bei ihren Bewe- gungen dicht unter dem Glase hinglitt Die Hinterfläche der Glastafel trug einen kleinen schwarzen Punkt, welcher der Mitte des bedruckten Blattes entsprach, wenn die Papp- tafel sich in der Mittellage befand und also die Latte senk- recht herabhing. Fizirte ich diesen Punkt und verschob sodann die Pappe unter der Glastafel soweit nach rechts, bis die Mitte des unbedruckten Blattes unter den fixirten Punkt zu liegen kam, so verschoben sich die Bilder auf der Netzhaut in ganz analoger Weise, wie wenn ich die Papptafel unbewegt liess und den Blick von der Mitte des bedruckten zur Mitte des unbedruckten Blattes bewegte.

12 E. Hering.

Ich stellte nun zunächst fest, wieviel Zeit eine rasche Bewegung meines Blickes von der Mitte des einen Blattes zur Mitte des anderen und wieder zurück in Anspruch nahm. Es stellte sich heraus, dass ich zu zwanzig solchen Hin* und Herbewegungen b.eiläufig zwanzig Secunden brauchte so dass auf jede einzelne etwa eine Secunde entfiel. So* dann wiederholte ich zuerst mit Benützung des Secunden- pendels die oben beschriebenen Versuche, indem ich wie dort die Papptafel unbewegt liess, z. B. 20 Secunden fixirte und dann die Augenbewegung ausführte, oder indem ich eine längere Fixation während jeder sechsten Secunde durch eine Augenbewegung unterbrach u. s. f. Sodaim wiederholte ich genau die analogen Versuche mit völlig unbewegten Augen, indem ich nach einer Fixirung von 20 Secunden die Papptafel während der nächsten Secunde nach rechts und wieder zurückschob, oder bei ununterbrochener Fixi« rung in jeder sechsten Secunde eine Bewegung der Papp- tafel ausführte.

Wenn man bei diesen Versuchen während der Bewe- gung der Papptafel seine Aufmerksamkeit nicht vorwiegend auf den schwarzen Punkt der Glastafel richtet, sondern zu viel auf die Buchstaben achtet, so erfolgt leicht eine unge- wollte Augenbewegung, indem die bewegten Buchstaben den Blick gleichsam nachziehen; man lernt aber sehr bald die Augen trotz der Bewegung der Tafel festzuhalten. Nach jeder Hin- und Herbewegung der Tafel kommt dieselbe wieder ganz genau in die anfängliche Lage und die Buch- staben bilden sich wieder genau auf denselben Netzhaut- stelleu ab, wie vor der Bewegung.

Bei diesen Versuchen zeigte sich, dass es für die Entwickelung und den Verlauf der sogenannten Er- müdungserscheinungen ganz gleichgültig ist, ob man die Tafel unbewegt lässt und die Augen be- wegt oder umgekehrt: dass also nicht die Augen- bewegung als solche, sondern lediglich die durch

üeber Ermüdung und Erbolang des Sehorgans. 13

diese Bewegung veränderte Belichtung der Netz* haut die Nachwirkungen der Fixirung zum Theil wieder beseitigt.

Hat man den Punkt auf der Glastafel so lange fixirt, bis sich der „NeheP entwickelt hat, und verschiebt dann die Papp- tafel ein wenig, während die Augen jenen Punkt weiter fixiren, 80 sieht man die Buchstaben theilweise wieder schwärzer wer- den, wie dies oben als Folge einer entsprechend kleinen Yer- Bchiebung des Blickpunktes beschrieben wurde. Hemmt man bei der beschriebenen Hin- und Herbewegung der Tafel ihre Bewegung beim Rückgange ein wenig, sobald sie der Anfangs- lage bereits nahe ist, so erscheinen ebenfalls die Buchstaben theilweise schwärzer als unmittelbar nachher, wenn die Papp- tafel wieder genau in die alte Lage gekommen ist und die Ketzhautbilder der Buchstaben wieder genau auf dieselben Stellen fallen. Auch hier verhält sich Alles ebenso, wie wenn man nach einer der beschriebenen Blickbewegungen die Bewe- gung zu hemmen beginnt, noch ehe der Blick den anfänglichen Fixationspunkt wieder erfasst hat.

Die Yermuthung Fick's und Gürber's, dass die Au- genbewegungen als solche eine »JErmüdung^^ des Auges wie- der zu beseitigen vermögen, hat sich also bei genauerer Untersuchung des von ihnen beschriebenen Phänomens als nicht begründet erwiesen. Ganz ebenso verhält es sich mit dem Lidschlage, welchem die Genannten eine ähnliche Rolle zuschreiben, wie den Bewegungen des Augapfels. Auch hier lässt sich leicht zeigen, dass der Lidschlag, weil er dem Auge eine kurz vorübergehende Erholung gewährt, die „Ermüdung** zwar ein wenig zu verzögern, aber durchaus nicht zu beseitigen vermag.

„Man fixire, sagt E. Fick, einen Buchstaben, bis die ganze Blattseite trübe erscheint; nun blinzle man; der Nebel ist verschwunden! Freilich kehrt er bei fortgesetztem Fixiren bald wieder, weit schneller als wenn man ihn durch eine Au- genbewegung ausgelöscht hätte. Immerhin ist der Yersuch voll- kommen überzeugend, da kurzes Yerschieben eines schwarzen Schirmes vor die fixirte Blattseite den Nebel nicht auslöscht. Von einem Homhautnebel kann hierbei gar nicht die Rede

14 £. Hering.

sein, da man den fraglichen Nebel durch Angenbewegong noch gründlicher wegwischen kann als durch Lidschlag. Es ist also klar, dass der Lidschlag, ähnlich wie die Augenbewegnngen, im Stande ist, die ermüdende Netzhaut zu erholen/^

Wenn ich einen bestimmten Punkt eines Buchstabens fixire und nach dem Schlage eines Secundenpendels jede fünfte Secunde einen Lidschlag ausführe, so entwickelt sich mir nicht nur der beschriebene Nebel , sondern ich sehe nach etwa 60 Secunden auch das Aufleuchten der hellen Säume ganz deutlich. Blicke ich dann nach einer ganz homogenen weissen Fläche, so sehe ich deutlich die hellen negativen Nachbilder der Buchstaben, wenn sie auch nicht so scharf sind, dass ich die Schrift im Nachbilde lesen kaim. Bei grösserer Schrift gelingt mir übrigens auch letzteres sehr leicht. Die Entwickelung des „Nebels", des Aufleuch- tens und der Nachbilder erfolgt freilich merklich langsamer, als beim Fixiren ohne Lidschlag.

Bedecke ich die Hälfte des bedruckten Blattes wieder mit einem gleichweissen Blatte und fixire einen Punkt eines am Rande dieses Blattes gelegenen Buchstabens, mache dann jede Secunde einen Lidschlag und ziehe nach zehn Secunden das weisse Blatt weg, so sehe ich ganz unver- kennbar, dass auf der unbedeckt gewesenen Blatthälfte die Schrift trüber erscheint, als auf der anderen. Setze ich einen solchen Versuch 20 30 Secunden fort, so ist der „Nebel" auf der imbedeckt gewesenen Seite natürlich ent- sprechend deutlicher.

Dies Alles beweist zur Genüge, dass sich die Folgen der „Ermüdung", wenn sie nicht sehr geringfügige sind, durch Lidschlag nicht beseitigen lassen. Lisbesondere ist dies nach einer Fixirungsdauer von 20 Secunden auch nicht entfernt möglicL Nur wenn man nach Entstehung eines deutlichen „Nebels" den Lidschlag so vollzieht, dass der Blick nach Ablauf desselben nicht wieder genau auf den- selben Punkt des fixirt gewesenen Buchstabens fallt oder

Ueber Ermüdung und Erholung des Sehorgans. 15

gar neben den letzteren oder auf einen anderen Buchstaben zu liegen kommt, verschwindet der „Nebel^S weil sich jetzt die Buchstaben nicht wieder genau auf denselben Netzhaut- steilen abbilden, wie dies oben bereits erörtert wurde. Jeder Lidschlag verschiebt auch den Augapfel ein wenig, wie man sich leicht mit Hülfe der negativen Nachbilder überzeugen kann (s. u.).

Dass auch die Accommodationsbewegungen nidit, wie Fick und Gürber meinen, die Folgen der „Ermüdung** zu beseitigen vormögen, wird weiter unten ausführlich gezeigt werden.

IL

Bm&chere Versuche zum Beweise der Unabhängigkeit der Nachbilder von Augenbewegungen.

Schon bei meinen ersten Untersuchungen über den Raumsinn und die Bewegungen des Auges habe ich mich vielfach der Nachbilder als eines methodischen Hülfsmittels bedient und mich davon überzeugen können, dass weder Augenbewegungen noch Accommodation, insoweit sie nicht von Veränderungen der Netzhautbelichtung begleitet sind, auf die Nachbilder einen merklichen Einfluss haben. Später habe ich die Entstehung und den Verlauf der negativen Nachbilder eingehend untersucht und dabei wieder zahl- reiche hierhergehörige Erfahrungen gemacht. Mir schien daher die vorliegende Frage längst entschieden. Gleichwohl fiihlte ich mich verpflichtet, auch an den von Fick und Gürber gewählten Beispielen zu zeigen, dass der Verlauf der sogenannten Ermüdungserscheinungen von den Bewe- gungen des Auges unabhängig ist.

Ich wiU noch einige Versuche auswählen, welche dies in einfadherer Weise und noch eindringlicher darthun, als die oben erörterten.

16 K Hering.

Bringt man auf einer ganz ebenen und mögliehst ho- mogenen weissen Fläche einen dunklen Fleck an, z. B. eine kleine Scheibe dünnen mattschwarzen Papiers, und fixirt einen Punkt derselben, so übernimmt die schwarze Scheibe dieselbe Rolle wie bei den Versuchen von Fick und Gar- be r die schwarzen Buchstaben, nur lassen sich die Folgen der Fixirung jetzt viel leichter beobachten; auch bleibt das Netzhautbild der Scheibe beim Fixiren trotz kleinen unwill- kürlichen Augenbewegungen nahezu auf derselben Netz- hautstelle, während die schmalen Striche der kleinen Buch- staben leicht auf vorher weissbeleuchtete Netzhautstellen verschoben werden.

Fixire ich 10 bis 20 Secunden lang einen Punkt der Scheibe, wie dies Fick mit den Buchstaben that, richte dann schnell den Blick auf eine erheblich abseits liegende Stelle, führe ihn aber sofort wieder in die Nähe der Scheibe zurück und fixire einen in der Nähe derselben schon vor- her markirten Punkt des weissen Grundes, so sehe ich jetzt im Umkreise des Punktes das deutliche helle Nachbild der Scheibe. Die Augenbewegung hat also dasselbe nicht zum Verschwinden gebracht, auch wenn sie ebenso gross oder noch grösser war, als bei den eingangs beschriebenen Ver- suchen. Das Nachbild hat seine bestimmte Dauer; inner- halb derselben kann ich die beschriebene Augenbewegung beliebig oft, z. B. zehnmal wiederholen und doch sehe ich nach der letzten Rückkehr des Blickes und sobald derselbe wieder den erwähnten Punkt fixirt, immer noch das Nach- bild, wenn auch schwach und minder deutlich. Zehn Au- genbewegungen konnten also das Nachbild ebenfalls nicht auslöschen. Fixire ich die Scheibe nur fünf Secunden und führe dann eine Augenbewegung aus, so sehe ich doch wie- der das Nachbild. Ganz analoge Versuche lassen sich mit einer weissen Scheibe auf schwarzem Grunde und mit einer grauen auf weissem oder schwarzen Grunde ausfuhren. Je grösser der Helligkeitsunterschied zwischen der Scheibe und

Ueber Ermüdung und Erholung des Sehorgans. 17

dem Grande ist und je länger die Fixirung dauert, desto dauerhafter ist nachher das Nachbild, möge man nun Au- genbewegungen ausführen oder nicht.

Auch die Entstehung eines deutlichen Nachbildes lässt sich durch Augenbewegungen nicht hindern. Fixire ich einen bestimmten Punkt der schwarzen Scheibe auf weissem Grunde nach dem Tacte eines Secundenpendels eine Secunde lang, mache nach dem zweiten Pendelschlage rasch eine Augenbewegung in dem von Fick gewählten Ausmaasse, fixire wieder während der dritten Secunde, mache nach dem vierten Pendelschlage abermals eine Bewegung u. s. f. bis etwa zum zwanzigsten Pendelschlage, so sehe ich, wenn ich nunmehr einen Punkt der weissen Fläche fixire, ein deutliches helles Nachbild, dessen allmälige Entwicke- lung ich übrigens noch während des Versuchs sehr gut be- merke, weil es sich schon nach wenigen Pendelschlägen immer in dem Momente zeigt, wo der rasch seitwärts ab- gelenkte Blick anhält, um zur Scheibe zurückzukehren.

In den ersten Paragraphen meiner Mittheilungen „zur Lehre vom Lichtsinn'' habe ich eine Reihe yon Erscheinuii- gen besprochen, welche man an Nachbildern im geschlosse- nen und verdunkelten Auge beobachtet. Ich hatte bei sol- chen Versuchen reiche Gelegenheit festzustellen, dass Au- genbewegungen den gesetzmässigen Verlauf dieser Nach- bilder gar nicht merklich beeinflussen. Auch habe ich zahl- reiche Versuche in einem Zimmer angestellt, welches voll- ständig verdunkelt werden konnte, nachdem ich mir das Nachbild erzeugt hatte. Hier hatte ich den Vortheil, die Augenbewegungen bei ebenfalls offenen Augen ausführen zu können. Nie war es mir möglich, ein irgend deutliches Nachbild durch Augenbewegungen, auch wenn sie ungewöhn- lich gross und lebhaft waren, zum Verschwinden zu brin- gen. Wenn man freilich eine Bewegung gerade dann aus- führt, wenn das Nachbild ganz von selbst im Verschwinden begriffen ist, so kann es zufällig während der Bewegung

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18 K Hering.

YoUeuds verschwindon. Doch kehrt es wieder, wenn dieses Verschwinden nach dem Gesetze des Nachbildverlaufs nicht sein letztes Verschwinden war ^). Möglich, dass für Manche ein äusserst schwaches Nachbild unbemerklich wird, wenn ihre Aufmerksamkeit wegen der auszuführenden Bewegung getheilt ist, aber dies hätte mit der hier vorliegenden Frage nichts zu thun.

E. Fick sagt, „dass es sich bei geschlossenem Auge in der Regel um positive Nachbilder handle^S und dass er das Erlöschen durch Augenbewegungen nur von negativea Nachbildern behaupte. Aber es steht doch ganz im Be- lieben des Experimentirenden, sich entweder positive oder negative Nachbilder zu erzeugen. Gesunde Augen erhalten von jedem hellen Objecto auf dunklem Grunde (oder um- gekehrt), wenn sie es 10, 20 oder 30 Secunden fixiren, in dem verdunkelten Auge ein negatives Nachbild, vorausge- setzt, dass die Helligkeit des Objectes oder Grundes keine leuchtende war, wie z.B. die einer Flamme oder Lampen- glocke, in welchem Falle auch deutliche positive Phasen des Nachbildes auftreten. An den ersterwähnten Nachbildern aber erfordert es sogar besondere Aufmerksamkeit wahrzu- nehmen, dass das negative Nachbild nach längerem Beste- hen nicht bloss vorübergehend verschwindet, sondern dass sich zwischen sein Verschwinden und eventuelles Wieder- erscheinen eine schwache positive Phase einschiebt, die frei- lich oft genug überhaupt nicht merklich wird. Im Obigen habe ich immer nur von negativen Nachbildern gesprochen, weil Fick und Gürber nur solche im Sinne hatten.

') Interessant ist bei solchen Versuchen die geringe scheinbare Ortsver&nderung, welche das Nachbild erfährt, selbst wenn man sehr ausgiebige Augenbewegungen macht; man erh&lt bei starken Blick- wendungen den Eindruck, als läge der vermeintlich fizirte Punkt des dunklen Gesichtsfeldes viel weiter seitwärts als das der Netzhaut- mitte entsprechende Nachbild.

Ueber ErmQdang und Erholung des Sehorgans. IQ

Schon Aubert^) hat bemerkt, dass wenn er sich das Nachbild mehrerer Quadrate auf andersfarbigem Grunde erzeugt hatte, die Nachbilder der einzelnen Quadrate nicht gleichzeitig verschwanden bezw. wieder auftauchten, was eben- falls zeigt, dass das Verschwinden nicht auf Augenbewegungen zurückzuführen ist, weil ja sonst diese Bewegung alle Nachbil- der, die nicht allzu energisch sind, zugleich „wegwischen^* würde. Ein nur theilweises Verschwinden und Wiederauftauchen eines Nachbildes oder Nachbildercomplexes ist überhaupt etwas sehr Gewöhnliches. Ich habe dasselbe auch willkürlich in folgender Weise herbeigeführt: Neben einen schwarzen Punkt auf einer weissen Fläche legte ich z. B. in 5 mm Abstand vom Punkte einen centimeterbreiten kurzen Streifen von schwarzem Papier und fixirte den schwarzen Punkt zehn Secunden. Mit Beginn der elften Secunde brachte ich schnell einen ganz gleichen Streifen auf die andere Seite des immer- fort fixirten Punktes, so dass der Streifen von letzterem ebenfalls um 5 mm abseits und dem ersten parallel lag. Nach weiteren 10 Secunden entfernte ich rasch den ersten Streifen und fixirte dann den Punkt noch 10 Secunden weiter. So kamen also auf jeden Streifen 20 Secunden Ex- positionszeit, aber beide Expositionszeiten waren um 10 Se- cunden gegeneinander verschoben. Infolgedessen liefen nun auch die verschiedenen Phasen beider Nachbilder nicht gleichzeitig ab, gleichviel ob ich nachher die Augen ge- schlossen oder auf eine homogene Fläche gerichtet hatte. Solche Versuche lehren nun aufs Eindringlichste die Un- richtigkeit der Ansicht von Helmholtz, dass das vorüber- gehende Verschwinden der Nachbilder auf Augenbewegun- gen oder anderen Zufälligkeiten beruhe und also keine ge- setzmässige, im Wesen der Nachbilder selbst begründete Erscheinung sei, weil jedes der beiden Nachbilder für sich und ganz unabhängig von den Augenbewegungen seine ver-

>) Physiologie der Netzhaut S. 375.

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20 £• Hering.

schiedenen Phasen durchläuft. Mit Hülfe kleiner mechani- scher Kunstgriffe lassen sich solche Versuche, die auch in anderen Beziehungen sehr belehrend sind, auf ganz exacte Weise ausfuhren.

Die Ansicht, dass Nachbilder durch Augenbewegungen zum Verschwinden gebracht werden können, ist offenbar dadurch entstanden, dass bei Blickbewegungen mit offenen Augen und in einem mit allerlei Unterscheidbaren erfüllten Gesichtsfelde ein zuvor erzeugtes Nachbild immer nur dann gesehen wird, wenn der Blick eben still hält, und dass es dabei jedesmal von neuem zu entstehen scheint. Dies würde freilich nicht für, sondern nur gegen £. F ick 's Hypothese angeführt werden können. Denn dass das Nachbild nach einer Augenbewegung wieder gesehen w^ird, beweist, dass die sogen. Ermüdungserscheinungen durch die Bewegmig nicht beseitigt w^erden können.

Der Vorgang bei einer Bewegung der offenen Augen ist gewöhnlich folgender: Ein mehr oder minder indirect gesehenes Object zieht unwillkürlich imsere Aufmerksam- keit auf sich oder wird von vorn herein willkürlich zum Gegenstande derselben gemacht. Hierdurch wird dieses zu- nächst indirect gesehene Object zum Zielpunkte einer Be- wegung der Augen, welche sozusagen ganz von selbst der Ortsveränderung der Aufmerksamkeit folgen. Die Bewegung selbst erfolgt sehr rasch und sozusagen in einem Sprunge. Entsprechend rasch gleiten die Netzhautbilder über die Netzhaut, viel zu rasch, um eine Unterscheidung der be- züglichen Objecte zu gestatten. Thatsächlich unterscheidet man dieselben nur vor Beginn und gegen Ende oder nach Ende der Bewegung, im indirecten oder directen Sehen. Giebt man sich Mühe, die zwischen dem Ausgangs- und Endpunkt einer Blickbahn gelegenen Dinge zu unterschei- den, so hat das lediglich zur Folge, dass man statt eines grossen Blicksprungs eine Reihe kleinerer ausführt. Hier- von überzeugt mau sich sehr leicht, wenn man sich ein

üeber Ermüdung and Erholang des Sehorgans. 21

kleines sehr deutliches Nachbild auf der Stelle des directen Sehens erzeugt. Ich bin nicht im Stande, den Blick mit einer beliebigen, ganz gleichmässigen Langsamkeit über eine bedruckte oder auch unbedruckte Seite hin wegzuführen; immer geht der Blick sprungweise vorwärts^).

Eine langsamere und doch stetige Bewegung der Augen lässt sich nur dadurch erzielen, dass man den eben fixirten Punkt langsam und stetig verschiebt, wobei die Augen getreu der Ortsänderung des fixirten Objectes folgen, oder dadurch, dass man während man einen Punkt fixirt, den Kopf langsam wendet oder im Räume verschiebt. In beiden Fällen darfen die Bewegungen nicht zu rasch sein, weil sonst wieder ruck- weise erfolgende Augenbewegungen eintreten. Ein dauerhaftes Nachbild gestattet auch hier, das Verhalten der Augen fort- während zu controliren.

Da wie gesagt beim gewöhnlichen Gebrauche der Au- gen jeder Blickbewegung eine Ortsveränderung der Auf- merksamkeit vorangeht, indem dieselbe von der Stelle des directen Sehens abgewendet und einer excentrischen Stelle zugewendet wird, so befindet sich auch ein auf der Stelle des directen Sehens liegendes Netzhautbild unmittelbar vor und während der schnellen Blick- bewegung gar nicht da, wo eben die Aufmerksam- keit ist, und erst mit Schluss der Bewegung fällt der Ort des Nachbildes wieder mit dem Orte der Aufmerksamkeit zusammen.

*) Wenn ich meine Gesichtslinien symmetrisch oder nach links convergiren lasse und dann die Augen sich selbst überlasse, so glei- ten sie langsam bis zu einem gewissen Grade nach rechts, wie ich an der ganz gleichmässigen Bewegung des erwähnten Nachbildes erkenne. Sobald ich aber willkürlich in diese Spontanbewegung eingreife, sie z. B. zu beschleunigen oder zu verlangsamen suche, wird sie wieder eine sprunghafte. Uebrigens tritt jene Spontanbewe- guDg ausschliesslich in der genannten Richtung auf und ist wahr- scheinlich in meiner Kopfhaltung beim Lesen und Schreiben und dem dadurch bedingten unsymmetrischen Gebrauche des motorischen Apparates begründet.

22 E. Hering.

Dazu kommt nun, dass wenn die Blickbahn keine ab- solut gleichartige ist, sondern allerlei ünterscheidbares ent- hält, die Belichtung der dem Nachbilde entsprechenden Netzhautstelle rasche Aenderungen erleidet, welche noth- wendig das Nachbild alteriren müssen, und nach Ablauf der Blickbewegung eine wenn auch noch so kurze Zeit nach- wirken. Dass besonders ein schwaches Nachbild leiden muss, wenn sich über seine Netzhautstelle eine ganze Reihe an- derer Netzhautbilder hinwegschiebt und wären es auch nur die Bilder der Ungleichartigkeiten (des Kornes oder der Faseruug) oder der Knickungen eines weissen oder schwar- zen Papiers, ist eigentlich selbstyerständlich.

Es lässt sich leicht durch den Versuch zeigen, wie die Wahrnehmimg von Nachbildern durch darüber hinwegglei- tende andere Netzhautbilder gestört wird. Ich lege z. B. eine kleine schwarze Scheibe auf eine horizontale Glasplatte, welche im Abstände von ^2 ^ ^^ ^^^^ einer Tischplatte befestigt ist. In einiger Entfernung von der schwarzen Scheibe befindet sich auf dem Glase ein schwarzer Punkt. Nachdem ich die Mitte der kleinen Scheibe einige Zeit fixirt habe, während unter der Glasplatte ein weisses Blatt liegt, fixire ich den schwarzen Punkt und sehe jetzt das negative Nachbild der Scheibe als helleren Kreisfleck. Dann schiebe ich ein bedrucktes Blatt unter die Glasplatte und bewege es hin und her, während ich den Punkt unverän- dert fortfixire. Hierbei kann man nun oft genug sehen, wie das Nachbild, besonders wenn es schon verblasst ist, während der Bewegung des bedruckten Blattes verschwin- det und erst wieder auftaucht, sobald man das Blatt ruhig hält. Da bei alledem eine Augenbewegung nicht stattfindet, so kann hier das zeitweilige Verschwinden des Nachbildes nur durch die wechselnde Belichtung der Netzhaut veran- lasst worden sein. Ein schwaches Nachbild wird, wie sich leicht zeigen lässt, schon merklich alterirt, wenn seine Um- gebung und zwar sogar in ziemlicher Entfernung vom Nach-

lieber firmadong und Erholung des Sehorgans. 23

bilde eine yeräuderte Belichtung erfährt. Dies hat seinen Grund in der Wechselwirkung der Sehfeldstellen und zum Theile auch darin, dass die AugeDmedien nicht ganz homo- gen sind und daher immer mehr oder weniger Licht von der Bahn abirrt^ die wir ihm theoretisch zuschreiben. Die- ses abirrende Licht trifft eine Netzhautstelle um so reich« licher, je näher sie einem hellen Netzhautbilde liegt

Alle hier aufgezählten Fehlerquellen lassen sich nur dann ToUständig ausschliessen, wenn man nach Erzeugung des Nachbildes die Augen Tollständig verdunkelt und dann die Augenbewegungen ausführt.

Hat man ein kleines Feld auf hellerem oder dunklerem Grande anhaltend fixirt und wendet dann den Blick auf einen Punkt des Grundes, so vergeht eine gewisse wenn auch kurze Zeit, ehe das negative Nachbild seine grösste Deutlichkeit er- langt hat. Dies ist jedoch keineswegs die Folge der inzwischen erfolgten Augenbewegnng. Jedes negative Nachbild bedarf nach dem Verschwinden des Vorbildes eine gewisse Zeit zu seiner vollen Entwickelang. Man überzeugt sich hiervon, wenn man nach der Fixirung des kleinen Feldes dasselbe von der Fläche des Grandes verschwinden lässt, ohne die Augen irgend zu be- wegen, was sich mit Hülfe besonderer Vorrichtungen in der exactesten Weise erreichen lässt.

Ich komme zur Besprechung des Einflusses, welchen der Lidschlag auf die Entwickelung eines Nachbildes oder auf den weiteren Verlauf eines bereits entwickelten hat. Man fixire den weiss markirten Mittelpunkt einer kleinen schwarzen Scheibe von etwa 2 cm Durchmesser auf weissem Grunde 20 Secunden, entferne dann die schwarze Scheibe mit einer Pincette und merke sich die Beschaffenheit des jetzt auf dem weissen Grunde erscheinenden negativen Nach- bildes. Hierauf beschäftige man die Augen einige Zeit an- derweit in gewöhnlicher Weise und wiederhole denselben Versuch, mache aber bei jedem Schlage eines Secunden- pendels einen Lidschlag, im Ganzen also zwanzig, und be- obachte wieder das Nachbild. Man wird es gleichwohl ganz

24 £. Hering.

gut entwickelt finden. Hierauf wiederhole man nach ent- sprechender Pause den Versuch nochmals, mache aber jede Secunde zwei Lidschläge, also zusammen 40; abermals wird man ein deutliches Nachbild sehen. Ich kann sogar bei solchen Versuchen drei Lidschläge in jeder Secunde machen, ohne dadurch die Entwickelung eines Nachbildes verhindern zu können. Natürlich ist das Nachbild um so weniger ener- gisch, je häufiger die Lidschläge waren, aber ich sehe es, wenn ich z. B. zwanzig Lidschläge während einer zehn Se- cunden dauernden Fixirung gemacht habe, nachher länger als zehn Secunden ganz deutlich.

Man kann auch vergleichende Versuche mit beiden Augen zugleich machen, indem man die Lider des einen Auges mit zwei gespreizten Fingern festhält, so dass der Wille und die Innervation zu beiderseitigem Lidschlage nur am einen Auge Lidschluss bewirkt, während das an- dere dauernd oflfen bleibt Man legt einen etwa centimeter- breiten schwarzen Streifen in der Medianebene des Kopfes auf ein weisses Blatt und zeichnet rechts und links davon ein kleines schwarzes Kreuz auf das weisse Papier in je einem Abstände von 5 mm vom Streifen und so, dass beide Kreuze einander ganz gleich und ihre Schenkel parallel sind. Hierauf stellt man die linke Gesichtslinie auf die Mitte des linken, die rechte auf die des rechten Kreuzes ein, so dass beide binocular verschmelzen. Man sieht jetzt ein einfaches Kreuz und rechts und links davon einen schwarzen Streifen^). Die Mitte des Kreuzes fixirt man nun z.B. zwanzig Secunden und macht jede Secunde einen Lidschlag, der aber wie gesagt nur am einen Auge zum Lidschluss führt. Nachher fixirt man einen markirten Punkt der weissen Fläche und beobachtet das Nachbild. Jeder

^) Wenn ich den Versuch mit gekreuzten Gesichtslinien an- stellte, so verschob sich das Auge, dessen Lider ich festhielt, bei jedem Lidschlage viel stärker, als bei der oben beschriebenen Ver- suchsweise.

üeber £rmüdaiig und Erholaog des Sehorgans. 25

Streifen hat ein deutliches Nachbild erzeugt, doch ist das des periodisch verdeckt gewesenen Auges Ton geringerer Eindringlichkeit bezw. Dauer. Der Versuch eignet sich nur für Geübtere.

Es ist also unter irgend günstigen Umständen, wie sie z. B. das Fixiren kleiner schwarzer Felder auf weissem Grunde bietet, nicht möglich, das Entstehen des Nachbildes durch periodisch wiederkehrenden Lidschlag zu verhindern. Ebensowenig ist es möglich, ein bereits deutUch entwickel- tes Nachbild durch Lidschläge wieder zu beseitigen. Man fixire einen schwarzen Streifen auf weissem Grunde 10 bis 20 Secunden, fixire dann einen Punkt des. weissen Grundes und versuche, das Nachbild durch Lidschläge zu vernichten: man wird zwar bei jedem Lidschlage eine momentane Aen- derung des Nachbildes sehen, aber das Nachbild bleibt. Dasselbe ist der Fall bei dem Nachbilde eines kleinen weis- sen Feldes auf schwarzem Grunde. Nach einer Fixirungs- dauer von nur fünf Secunden konnte ich ein Nachbild noch nach 15 Secunden sehen, obwohl ich inzwischen 30 Lid- schläge ausgeführt hatte.

Einen gewissen Einfiuss muss freilich der Lidschlag auf das Nachbild haben, nämlich denselben, den eine perio- disch wiederkehrende Verdunkelung des Auges von gleicher Dauer wie beim Lidschlage auch haben würde. Deshalb ist es auch hier am besten, die Versuche in einem Zimmer anzustellen, welches sich unmittelbar nach Erzeugung des Nachbildes vollständig verdunkeln lässt. Hier kann man blinzeln, so viel man will, ohne dass das Nachbild irgendwie anders verläuft als ohne jeden Lidschlag.

Auch den Einäuss der Accommodation, welche nach Fick und Gürber ebenfalls die negativen Nachbilder be- seitigen soll, untersucht man am besten in einem solchen Zimmer oder bei geschlossenen und überdies verdeckten Augen. Freilich ist dazu nöthig, dass man auch bei ver- dunkelten Augen im Stande ist, abwechselnd für seinen

26 £• Hering.

Nahepunkt und seinen Fempunkt einzustellen. In der That hat eine schnelle maximale Accommodation für die Nähe bei mir einen , allerdings äusserst schwachen aber doch eben noch bemerklichen Einfluss auf das Aussehen des deutlich entwickelten Nachbildes; aber die spur weise Hel- ligkoitsänderung, welche ich am Nachbilde beobachten kann, verschwindet sofort wieder und beeinfiusst nicht irgend merklich die Dauer des Nachbildes. Auch im übrigen Seh- felde, besonders nach seiner Peripherie hin, beobachte ich dabei äusserst schwache Helligkeitsänderungen ^). Da sich unter den angegebenen Umständen mit der Accommodation für die Nähe stets eine Einwärtsdrehung der Augen ver- bindet, so ist der Versuch zwiefach beweisend. Habe ich mir in einem Auge das Nachbild eines kleinen schwarzen Feldes auf weissem Grunde erzeugt, fixire dann einen Punkt der weissen Fläche und accommodire unter dauernder Be- obachtung des Nachbildes maximal für die Nähe, wobei das andere Auge immer geschlossen bleibt, so bemerke ich, abgesehen von den kleinen, dabei unvermeidlichen Ortsän- derungen des Nachbildes nur eine schwache vorübergehende Helligkeitsabnahme des ganzen Gesichtsfeldes, welche natür- lich auch Einfluss auf das Nachbild nimmt, ohne dasselbe jedoch wesentlich zu ändern. Sobald ich dann wieder für die Entfernung des Papieres accommodire, erscheint mir das Nachbild nach wie vor in derselben Deutlichkeit. Die schwache Helligkeitsänderung des ganzen Gesichtsfeldes ist die Folge der raschen und starken Verengerung meiner Pu- pille bei der starken Accommodationsanstrengung für die Nähe. Auch bei geschlossenen, aber gegen die Fenster ge- richteten Augen sehe ich bei jeder starken Accommodation für die Nähe eine deutliche Helligkeitsminderung des Seh-

^) Dabei setze ich ein nicht längere Zeit für Dunkel adaptirtes Auge voraus; denn in einen solchen können starke Accommodations- Änderungen oder Augenhewegangen sehr deutliche Erscheinungen herbeifahren.

Ueber Ermadong und Erholung des Sehorgans. 27

feldes infolge der Pupillen Verengerung, umgekehrt wieder Aufhellung beim Nachlassen der Accommodationsanstrengung. Das Nachbild kann dabei schwache Helligkeits- und Far- beuänderungen, unter Umständen auch Veränderungen der Schärfe seines Umrisses zeigen. Diese Aenderungen hier näher zu beschreiben, erscheint überflüssig, weil der Ge- sammtverlauf des Nachbildes durch diese Accommodations- änderungen nicht irgend merklich geändert wird und ein Torher deutliches Nachbild auch nachher deutlich bleibt. Eine merkliche Abschwächung oder gar Verschwinden des Nachbildes ist nachher nie zu beobachten, falls nicht das Nachbild ohnedies schon äusserst schwach bezw. im Ver- schwinden begriffen war. Massige Accommodationsänderun- gen haben auf die Nachbilder wie auf das ganze Sehfeld überhaupt keinen Einfluss, weil sie nicht, wie die maximale Accommodation die Netzhaut mechauisch reizen.

Fixirt man, nachdem man sich ein deutliches negatives Nachbild erzeugt hat, einen markirten Punkt auf einer mög- lichst homogenen und ganz ebenen Fläche und nähert die- selbe dem Gesichte, so wird das Nachbild scheinbar kleiner, entfernt man die Fläche, so wird es grösser. Obgleich man dabei abwechselnd für die Nähe und Feme accommodirt, ändert sich doch dabei nichts Wesentliches an der Deut- lichkeit des Nachbildes, wenn man nur dafür sorgt, dass die Beleuchtung der Fläche eine ganz gleichmässige bleibt. Noch bequemer ist es, das Gesicht der Fläche näher und wieder femer zu bringen. Jedenfalls ist es nicht möglich, ein gut entwickeltes Nachbild auf diese Weise dauernd ver- schwinden zu machen oder auch nur seine Dauer irgend wesentlich abzukürzen, auch wenn man die Versuche ohne besondere Vorsorge für eine möglichst gleichbleibende Be- lichtung der Netzhaut anstellt.

Da meine Accommodationsbreite bereits sehr abgenom- men hat und man hierin, wenngleich kaum mit Recht, den ^ Grand für das negative Ergebniss obiger Versuche suchen

28 E. Hering.

könnte, so bat ich Herrn Dr. Sachs dieselben zu wieder- holen. Auch er fand keinen Einfluss der Accommodation auf den Verlauf der negativen Nachbilder.

III. Erklärung der Unermüdlichkeit des Sehorgans.

Wir können das psychische und das somatische Seh- feld unterscheiden. Das erstere besteht in jedem Augen- blick aus der Gesammtheit der räumlich ausgedehnten Ge- sichtsempfindungen; das letztere wird von den Netzhäuten, den Sehnerven und den zugehörigen Himtheilen gebildet Wer sich dasselbe derart aus Einzeltheilen zusammengesetzt denken will, dass jeder derselben von der Netzhaut bis ins Gehirn reicht, darf nie vergessen, dass das somatische Seh- feld ein in sich zusammenhängendes organisches Ganzes ist und dass funktionelle Aenderung eines Theiles zugleich Aenderungen in allen übrigen und besonders den nächsfc- benachbarten Theilen hervorruft, und jeder Reiz nicht nur direct auf den betroflfenen Theil, sondern indirect auch auf alle übrigen wirken kann. Die jeweiligen Zustände die- ses somatischen Sehfeldes bestimmen den jeweiligen Inhalt des psychischen Sehfeldes.

Insoweit nur die farblosen Gesichtsempfindungen in Betracht kommen, lassen sich die wechselnden Zustände des somatischen Sehfeldes in folgende drei Gruppen bringen:

1. Der Zustand des Gleichgewichtes zwischen Verbrauch und Ersatz, zwischen Dissimilirung und Assimilirung der lebendigen Substanz: D = A. Hierbei ändert sich trotz fortwährendem Stoffwechsel die Beschaffenheit der lebendigen Substanz nicht.

2. Die Zustände, bei welchen der Verbrauch den gleich- zeitigen Ersatz mehr oder weniger überwiegt: D > A. Diese Zustände habe ich als die der absteigenden Aenderung bezeichnet.

Ueber Ermüdung and Erholong des Sehorgans. 29

3. Die Zustände» bei welchen der Ersatz den gleichzei- tigen Verbrauch überwiegt: A>>D. Dies sind die Zu- stände der aufsteigenden Aenderung.

Wie man sieht, könnte man die absteigende Aenderung auch als ermüdende, die aufsteigende als erholende Aenderung bezeichnen.

Dem durch die Formel D = A bezeichneten Zustande im somatischen Sehfelde entspricht im psychischen eine Empfindung, welche ich als neutrales Grau bezeichnet habe, d. i. eine Empfindung Ton bestimmter massiger Helligkeit oder, wenn man so will, Dunkelheit. Den Zuständen der absteigenden Aenderung (D >> A) entsprechen alle (farb- losen) Empfindungen, welche heller, den Zuständen aufstei- gender Aenderung (A >> D) alle, welche dunkler sind als jenes neutrale Grau. Je grösser die Geschwindigkeit der ab- steigenden Aenderung, desto heller ist die Empfindung, desto mehr nähert sie sich dem hellsten Weiss; je geschwinder die aufsteigende Aenderung, desto dunkler ist die Empfin- dung, desto näher dem* tiefsten Schwarz.

Hiernach ist also jedes hellere Grau oder Weiss (als Empfindung genommen) das psychische Symptom einer ab- steigenden Aenderung im entsprechenden Theile des soma- tischen Sehfeldes, ein Zeichen dafür, dass der Verbrauch den Ersatz überwiegt imd dass der betroffene Theil ermü- det Umgekehrt ist jedes dunklere Grau ein Zeichen da- für, dass der Wiederersatz den gleichzeitigen Verbrauch überwiegt, dass der betroffene Theil aufsteigender Aen- derung begriffen ist und sich also erholt. Beides gilt um so mehr, je heller ersteren Falls die graue oder weisse, je dunkler letzteren FaUs die graue oder schwarze Empfin- dung ist.

Nach dieser Auffassung kann eine Ermüdung und entsprechende Abnahme der Erregbarkeit für Licht an denjenigen Stellen des somatischen Sehfeldes,

30 £• Hering.

welche uns eben ein dunkleres Grau, ein Grau- schwarz oder Schwarz empfinden lassen, gar nicht in Frage kommen; vielmehr sind eben diese Em- pfindungen ein Zeichen dafür, dass die bezüglichen Theile in der Erholung begriffen sind und dass ihre Erregbarkeit für Licht im Wachsen ist.

Fixirt man also, wie dies E. Fick^) that, ein kleines, schwarzes Feld auf noch schwärzerem Grunde, so wird das nachher bemerkliche Nachbild nicht dadurch verursacht, dass das schwache Licht des kleinen schwarzen Feldes auf den betroflfenen Theil ermüdend gewirkt, sondern dadurch, dass dieser Theil sich minder geschwind und deshalb we- niger erholt hat, als die dem umgebenden, noch lichtschwär cheren Grunde entsprechenden Theile, daher schliesslich die Erregbarkeit der letzteren grösser ist, als die des erste- ren. In diesem Falle wäre also das Nachbild viel- mehr als eine Erholungserscheinung aufzufassen, nicht aber, wie Helmholtz*), E. Fick und Gürber dies thun, als eine Ermüdungserscheinung.

Die absteigende oder ermüdende Aenderung macht den betroffenen Theil mehr und mehr unterwerthig, wie ich es genannt habe; durch aufsteigende Aenderung wird er wieder mehr und mehr auf jenes Maass der Werthigkeit zurückgeführt, welches ihm nach langdauemdem Schutze des Auges vor jedem Lichte eigen ist. Jede absteigende Aenderung mindert die Disposition des unterwerthig gewor- denen Theiles zur Dissimilirung und steigert seine Dispo- sition zur Assimilirung, setzt demgemäss die Erregbarkeit durch Licht herab und erzeugt ein Streben nach aufstei- gender Aenderung. Mit wachsender Dauer eines gleich- massig fortwirkenden Lichtreizes, welcher zunächst eine heller graue oder weisse Empfindung hervorruft, nimmt des- halb die Geschwindigkeit der absteigenden Aenderung ab

*) 1. c. S. 245. «) Physiolog. Optik S. 365.

Ueber Ermüdnog and Erholung des Sehorgans. 31

und sinkt schliesslich auf Null, sobald der durch das Licht bedingte Anreiz zur absteigenden Aenderung soweit abge- nommen und das Streben nach aufsteigender Aenderung soweit zugenommen hat, dass beide sich das Gleichgewicht halten und A wieder gleich D geworden ist. Nunmehr ver- harrt der betroffene Theil auf der bis dahin erreichten Stufe der Unterwerthigkeit und ändert sich nicht weiter trotz Fortdauer des Lichtreizes. So schützt sich das Organ selbst vor Erschöpfung. Die anfänglich hell- graue oder weisse Empfindung ist dabei ganz allmälig in die des neutralen Grau übergegangen und der betroffene Theil ist jetzt vollständig für den noch stetig fortwirken- den Lichtreiz adaptirt. Tritt jetzt an die Stelle dieses Lichtreizes ein schwächerer, so ist der durch ihn gegebene Anreiz zu absteigender Aenderung zu schwach, um dem Streben des unterwerthig gewordenen Theiles nach aufstei- gender Aenderung das Gleichgewicht zu halten und es er- folgt somit eine aufsteigende Aenderung und entsprechend eine Empfindung, welche dunkler ist, als das zuletzt em- pfundene neutrale Grau. Wirkt sodann der genannte schwä- chere Lichtreiz andauernd fort, so mindert sich infolge der aufsteigenden Aenderung die Unterwerthigkeit des betrof- fenen Theiles, die Erregbarkeit für Licht nimmt wieder zu und das Streben nach aufsteigender Aenderung ab, bis abermals D gleich A und die Empfindung wieder neutral grau geworden ist. Der betroffene Theil ist wieder voll- ständig, aber jetzt für einen schwächeren Lichtreiz adaptirt.

Fixirt man ununterbrochen einen Punkt eines mit hel- len und dunklen Dingen erfüllten Gesichtsfeldes, so sieht man deutlich, wie die hellen immer mehr an Helligkeit verlieren, die dunklen aber sich aufhellen, obwohl auch sie fortwährend Licht ins Auge senden.

Jeder Adaptationstufe entspricht ein bestimmter Grad von Unterwerthigkeit; unterwerthig sein und adaptirt sein ist dasselbe. Für jeden bestimmten Grad der Unterwerthig-

32 £. Hering.

keit oder Adaptation giebt es eine bestimmte objective Helligkeit, welche eben stark genug ist, die Dissimilirung mit der Assimilirung im Gleichgewicht zu erhalten. Es ist dies also diejenige objective Helligkeit, welche an der be- züglichen Stelle des somatischen Sehfeldes jetzt als neutra- les Grau empfunden wird, und welche um so grösser ist, je unterwerthiger und deshalb weniger erregbar der bezüg- liche Theil ist. Jede grössere objective Helligkeit giebt hier eine hellere, jede kleinere eine dunklere Empfindung, als die neutral graue Empfindung.

Nach dieser Auffassung giebt es eigentlich nur eine Adaptation für verschiedene Grade objectiver Helligkeit; was wir Adaptation für Dunkel nennen, ist nur ein Herab- gehen von einer höheren auf immer niedrigere Stufen der Adaptation, und das lange Zeit vor jedem Lichtreize ge- schützt gewesene Sehorgan, welches man jetzt vollkommen adaptirt nennt, ist nach obiger Auffassung gar nicht adap- tirt, denn es ist gar nicht mehr unterwerthig, sondern voll- ständig erholt

Nach einer solchen vollkommenen Erholung des soma- tischen Sehfeldes ist das psychische keineswegs schwarz, zeigt aber allerdings auch nicht ein gleichmässig ausgebrei- tetes Grau, vielmehr ist es stellenweise heller, stellenweise dunkler als dieses, und auch an derselben Stelle wechselt hellere und dunklere Empfindung. Durch innere Ursachen wird das auf dem Maximum seiner Erregbarkeit (für dissi- milirend wirkende Beize) befindliche somatische Sehfeld bald hier bald dort aus dem Gleichgewichtszustand zwischen D und A herausgebracht, um bald nachher durch eigene Kraft in denselben zurückzukehren^). Auch beim Sehen während des Tages wechselt der Adaptationszustand der

^) In anschaulicher Weise hat A über t die „Lichtempfindungen*' beschrieben, welche er nach l&ngerem Aufenthalte in einem absolut finsteren Zimmer hatte. Physiologie der Netzhaut S. 333.

Ueber Ermüdung und Erholung des Sehorgans. 33

einzelnen Theile des Sehfeldes fortwährend und ist an ver- schiedenen Stellen desselben gleichzeitig ein verschiedener; aber durchschnittlich sind alle Theile unterwerthig und also mehr oder weniger adaptirt. Fixiren wir einige Zeit ein kleines Feld auf einem Grunde von anderer Helligkeit oder Dunkelheit, so befindet sich nachher der dem kleinen Felde entsprechende Theil des somatischen Sehfeldes auf einer anderen Adaptationsstufe, als der dem Grunde ent- sprechende Theil, demgemäss ist auch die Erregbarkeit bei- der Theile eine verschiedene, und wir sehen deshalb ein negatives Nachbild, sobald wir auf eine Fläche von gleich- massiger Helligkeit blicken. Insofern beruhen alle solche negative Nachbilder auf Verschiedenheiten der localen Adap- tation.

Eine eingehende Erklärung der negativen Nachbilder lässt sich ohne Erörterung der Wechselwirkung der Einzel- theile des somatischen Sehfeldes nicht geben ^). Hier galt es nur zu zeigen, wie die negativen Nachbilder nicht einseitiger Weise nur als Ermüdungserscheinungen, sondern zu einem grossen Theile als Erholungs- erscheinungen aufzufassen sind, wie der Verlauf die- ser Erscheinungen von Augenbewegungen, Lidschlag und Accommodation im Wesentlichen ganz unabhängig ist, und wie die innerhalb weiter Grenzen bestehende „Unermüd- lichheit" des Sehorganes im Wesentlichen auf einer Art Selbststeuerung des Stoffwechsels in der lebendigen Sub- stanz des somatischen Sehfeldes beruht. Eine eigentliche Ermüdung oder vielmehr Uebermüdung kann hiernach nur eintreten, wenn der Lichtreiz ein übermässiger und die Be- dingungen der Assimilirung, z.B. durch vorübergehende Er- schöpfung des Materials zur Assimilirung, gestört sind.

^) So bleibt die obige Auseinandersetzung z. B. die Erklärung der Thatsache schuldig, dass negative Nachbilder des verdunkelten Auges heller sein können, als die neutralgraue Empfindung, was sich aus der erwähnten Wechselwirkung leicht erklären lässt.

T, Graefe'8 Archiv für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 3

34 £• Hering.

Man hat der im Obigen vertretenen Theorie des Licht- sinns den Vorwurf gemacht, dass sie nichts darüber aassage, inwieweit die besprochenen Erscheinungen auf Zuständen und Vorgängen der Netzhaut oder der cerebralen Theile des Seh- organes beruhen. Man kann sich freilich die durch das Licht im Sehorgane ausgelösten Ereignisse in eine ganze Kette von Vorgängen zerlegt denken, deren Anfangsglied die Umsetzung der Aetherbewegung in sogenannte Nervenerregung, deren End- glied irgend welcher Vorgang in der Hirnrinde ist. Da wir aber über jedes einzelne Glied dieser Kette so viel wie nichts wissen, so ist es erspriesslicher, von der Gliederung der Kette zunächst abzusehen und dieselbe als ein Ganzes zu nehmen, von dessen Zuständen die Gesichtsempfindungen bedingt sind. Verbrauch und Ersatz, Dissimilirung und Assimilirung können wir nach dem jetzigen Stande unseres biologischen Wissens jeder lebendigen Substanz zuschreiben, folglich auch jedem Gliede der Kette von lebendigen Substanzen, welche das mor- phologische Substrat der erwähnten Kette von Ereignissen im Sehorgane bilden. Denken wir uns die ins Bewusstsein tre- tende Empfindung nur geknüpft an das, was im centralen End- gliede jener Kette geschieht, welches wir dann ausschliesslich als psychophysische Substanz des Sehorgans auffassen, so müsste doch das Geschehen in dieser Substanz in gesetzmässiger Ab- hängigkeit von dem gedacht werden, was in den andern Glie- dern der Kette geschieht, und die Empfindung stände zu den Ereignissen jedes einzelnen Gliedes in gesetzmässiger Beziehung. Wollen wir aber die Empfindung auffassen als den summari- schen psychischen Ausdruck aller gleichzeitig in der ganzen Kette stattfindenden Vorgänge, so wäre doch wieder eine ge- setzmässige Beziehung zwischen der Empfindung und dieser Summe physischer Ereignisse anzunehmen. Die oben entwickelte Hypothese verträgt sich mit beiden Auffassungen. Was von einer Theorie des Lichtsinns zunächst gefordert werden muss, ist, dass sie uns eine Mannigfaltigkeit von Vorgängen oder Zu- ständen im somatischen Sehfelde aufzeigt, welche sich mit der Mannigfaltigkeit der Empfindungen im psychischen Sehfelde deckt, und dass sie uns die Möglichkeit bietet, aus dem cau- salen und gesetzmässigen Zusammenhange der physischen Vor- gänge oder Zustände den Verlauf der Empfindungen theore- tisch zu entwickeln oder, wie man sagt, zu erklären. Diese Forderung sucht obige Hypothese zu erfüllen und hat sie be- reits in weitem Umfange erfüllt. Aber jeden einzelnen der

Ueber Ermadung and Erholung des Sehorgana. 35

angenommenen Vorgänge im somatischen Sehfelde noch genauer in Hinsicht auf die oben erwähnte Gliederung des nervösen Sehorganes zu analysiren, dies mass sie vorerst der Zukunft ftberlassen.

Wenn ich mich nach allem Gesagten der Hypothese von Fick und Gürber nicht anschliessen kann, so halte ich es doch für dankenswerth, dass sie die Frage nach der Bedeutung der Augenbewegungen für den Säftestrom des Auges aufgeworfen haben. Dafür, dass Muskelbewegungen den Strom des Blutes und der Lymphe in den bezüglichen Organen fördernd beeinflussen, lassen sich bekanntlich viele Beispiele anführen, und sehr verschiedenartig sind die zum Theil näher bekannten Einrichtungen, welche diese Förde- rung vermitteln. Dass also auch die Bewegungen des Aug- apfels bezw. der Lider für den Säftestrom im Auge irgend- wie förderlich sind, Hesse sich nach Analogie wahrschein- lich finden. Wenn mit der Thätigkeit des Sehorganes ein erhöhter Stoffwechsel in der Netzhaut verbunden ist, so wird wohl auch hier wie anderwärts dafür gesorgt sein, dass dem gesteigerten Chemismus auch ein gesteigerter me- chanischer Stoffwechsel entspricht, und es ist gewiss dan- kenswerth den hierzu dienenden Einrichtungen nachzufor- schen. Die experimentelle Physiologie bietet ausser den von Fick und Gürber angeführten Wegen noch andere, welche vielleicht director zum Ziele führen könnten.

Die Hypothese der Genannten aber schiesst über das Ziel hinaus. Denn weitab von der eben erörterten, an un- sere physiologischen Erfahrungen anschliessendßn Auffassung liegt die Annahme, dass „Augenbewegungeu und Accommo- dation die Netzhaut gleichsam ausquetschen", dass hier- durch ein die Netzhautermüdung bedingendes Stoffwechsel- erzeugniss ausgepresst und so die Funktionstüchtigkeit so- fort wieder hergestellt wird. Schon der Gedanke, dass ein von Wasser durchträuktes Gebilde, welches zwischen anderen

3*

36 £• Heriog, lieber Ermadong und Erfaolang des Sehorgans.

obenfaUs wasserdurcbtränkten Geweben eingeschlossen ist, dnrch eine Augenbewegung ausgepresst werden soll, ist be- fremdend, mag man sich die Auspressung auch noch so zart vorstellen. Denn es wäre wohl physikalisch verständ- lich, dass ein gesteigerter Druck im Glaskörper, welchen Fick und Gürber zur Erklärung herbeiziehen, irgendwie den Säftestrom in der Netzhaut ändert, aber nicht wohl denkbar ist unter den gegebenen Verhältnissen ein Aus- quetschen der Netzhaut. Man kann z. B. einen mit Wasser getränkten Schwamm nicht auspressen, wenn man ihn zu- vor in eine mit Flüssigkeit gefüllte Blase eingeschlossen hat Vielleicht aber haben Fick und Gürber im Grunde mehr die Vorstellung einer Art Auswaschung oder Durch- spülung der Netzhaut gehabt. Günstigstenfalls könnte es sich, soviel ich sehe, doch nur um eine durch die Augen- bewegung bewirkte höchst massige Beschleunigung eines stetig fliessenden Saftstromes, nicht aber um eine gleichsam stossweise erfolgende Auspressung oder Durchspülung han- deln. Durch das Verhalten der negativen Nachbilder und der sogen. Ermüdungserscheinungen überhaupt liesse sich aber eine solche Annahme am allerwenigsten begründen, weil, wie die angeführten Thatsachen lehren, dieser Verlauf durch die Augenbewegungen als solche nicht merklich be- einilusst wird.

Ehrlich's Methylenblaumethode und ihre Anwendung auf das Auge.

Von

Dr. Friedr. Hosch in Basel.

(Mittheiluiig aus dem normal-anatomischen Institut in Basel.)

Hierzu Tafel I— II, Fig. 1-8.

Zur Darstellung der peripheren Nervenenden stand uns bis Yor Kurzem eigentlich nur die im Jahre 1866 von Cohnheim eingeführte Vergoldungsmethode zu Gebote. Wenn dieselbe seither auch wesentlich verbessert und ver- vollkonmmet worden ist ich erwähne nur die Namen Ranvier und Löwitt , so wird doch Jeder, der sich etwas eingehender damit beschäftigt hat, zugeben müssen, dass trotzdem diese Methode von capriciösester Natur ist, recht oft fehlschlägt und noch häufiger unerklärliche Arte- fakte liefert.

Wir haben daher allen Grund, Professor Ehrlich in Berlin dankbar zu sein, dass er uns im Jahre 1886 in der Deutschen medic. Wochenschrift ein neues Verfahren die Nervenendigungen zu färben, gelehrt hat, das bei einiger Technik stets gelingt und das namentlich nicht, wie die Goldmethode, nebenbei noch alle möglichen Dinge mit tin- girt Auf gewisse Uebelstände, die leider auch diesem Ver- fahren anhaften, an deren Vermeidung aber, wie ich gleich bemerken will, schon mit grossem Erfolg gearbeitet worden,

38 Fr. Hosch.

werde ich später zu reden kommen. Da die Methode in unserer Fachliteratur meines Wissens noch gar nicht Er- wähnung gefunden hat, so will ich erst die Technik, wie sie ursprünglich von Ehrlich empfohlen und seither recht glücklich ausgebildet worden ist, etwas eingehender schildern.

Wenn man einem lebenden Frosch oder einem frisch getödteten Säugethier oder Vogel (bei letzteren, überhaupt Warmblütern, wirkt Methylenblau als heftiges, rasch töd- tendes Gift) eine gesättigte Lösung von Methylenblau (in physiologischer Kochsalzlösung) in das Gefässsystem injicirt, so färben sich zunächst sämmtliche Organe, deren Gefässe vom Farbstoff erreicht werden, intensiv blau. Bald aber beginnen die gefärbten Theile blässer zu werden und haben nach kurzer Zeit, oft schon nach wenigen Minuten, jede Spur einer Blaufärbung wieder verloren.

Bringt man nun ein Stückchen eines Organs, das vor- her gefärbt war, unter das Mikroskop, so beobachtet man, wie unter dem Einflüsse der Luft (es darf also kein Deck- glas aufgelegt werden) die letzten Spuren von Farbstoff die Gefässe verlassen, und mit ganz allmäliger Steigerung eine blaue Tinction der umgebenden Nervenelemente eintritt, „zuerst der Nervenfibrillen, der Nervenendapparate, der Nervenzellenfortsätze und der Zellen selbst, darauf der nack- ten Achsencylinder und marklosen Nervenfasern, der Ran- vier'sehen Kreuze und der Theilungsstellen der markhal- tigen Fasern. Am schwierigsten färben sich die markhal- tigen Nervenfasern, wahrscheinlich weil die Markscheide dem Methylenblau den Zutritt zu den Achsencylindern er- schwert" (Dogiel).

Der Anblick ist für den, dem er zum ersten Male zu Theil wird, im höchsten Grade überraschend, und man be- greift wohl, dass ein Mann wie G. Retzius, die Ehrlich- sche Erfindung für „eine der bedeutungsvollsten Errungen- schaften der neuesten histologischen Technik, wenn nicht geradezu für die vornehmste derselben" erklärt.

£hrlich*s Methylenblaamethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 39

Es mag hier am Platze sein, einige Worte über den Chemismus, der bei dem beschriebenen Vorgang in Action tritt, oder wenigstens wie derselbe von dem Erfinder auf- gefasst wird, zu sagen.

Zunächst konnte Ehrlich durch mühsame Gontroll- versuche sich davon überzeugen, dass das salzsaure Methy- lenblau, als dessen Formel

C6 H3 NCCHs),

/ \

N S

\ /

C6H3 N(CH3),C1

anzusehen ist, seine nervenfärbende Eigenschaft dem Ein- tritt des Schwefels in dieselbe verdankt und dass sie mit Elimination des letzteren dahinfällt.

Von Seite der Gewebe müssen nach der Ansicht von Ehrlich zum Gelingen der Nervenfärbung drei Bedingun- gen erfüllt sein:

1) müssen dieselben gefässhaltig sein;

2) müssen die betreffenden Nervenfasern mit Sauer- stoff gesättigt sein;

3) müssen sie alkalisch reagiren.

Sein Schüler Aronsohn führt dies in seiner Disserta- tion weiter aus: „Das Methylenblau ist ein sogen, küpen- bildender Farbstoff. Durch reducirende (resp. Sauerstoff entziehende) Agentien wird er verhältnissmässig leicht, in- dem zwei H-Atome aufgenommen werden, zu Leukomethy- lenblau reducirt, welcher Körper sich bei Luftzutritt wie- der von selbst in sein blaues Oxydationsproduct verwandelt. Während des Lebens sind die Nerven so gut mit 0 ver- sorgt, dass sie das von ihnen aufgenommene Methylenblau nicht zu reduciren vermögen. Nach dem Tode des Thieres werden dieselben wie fast alle übrigen blau gefärbten Ele-

40 Fr. Bosch.

mente farblos, d. h. nachdem die Zufuhr der natürlichen Sauerstoffspender aufgehört hat, wachsen die Sauerstoff an- ziehenden Affinitäten des Protoplasma derart, dass sie den 0 jetzt dem Methylenblau zu entziehen im Stande sind. Jedoch nehmen die farblosen Gewebe, in specie die Nerven, wenn sie zumal in dünnen Schichten der Luft aus- gesetzt werden, ihre ursprüngliche blaue Farbe wieder an.**

Dieser Process der secundären Oxydation, wie Aron- söhn den beschriebenen Vorgang nennt, wird nun von an- deren Beobachtern (Schwalbe, Feist) in Abrede gestellt Sie wollen nichts davon wissen, dass die betreffenden Ner- ven schon einmal gefärbt gewesen seien und durch Mangel an 0 schon intra vitam oder erst beim Tode ihre Farbe wieder verloren hätten, sondern nehmen einfach an, dass die Blautinction unter dem Einflüsse des atmosphärischen Sauerstoffs, zusammen mit gewissen chemischen oder physi- kalischen Veränderungen, welche die Gewebe beim Abster- ben erleiden, eintritt.

Ich will mich bei diesem noch streitigen Punkte nicht länger aufhalten. Da ich nur am todten Thier experimen- lirt habe, kann ich mir ein bestimmtes Urtheil in dieser Hinsicht nicht erlauben.

Wie Dogiel gezeigt hat, kann man ein ähnliches Re- sultat, wie durch Infusion des blauen Farbstoffes in das Blutgefässsystem, auch erreichen, wenn man die zu färben- den Gewebe auf dem Objectträger mit verdünnter Methy- lenblaulösung behandelt, bei freiem Zutritt der Luft. Unter seinen Augen sieht man bald, schon nach 5 10 Minuten, die vorhandenen Nerven sich färben, anfangs sehr schwach, allmälig aber wird die Färbung eine stärkere, bis nach Verlauf einer gewissen Zeit, alle eingelagerten Nervenele- mente in der gleichen Reihenfolge wie bei der Injection tingirt sind. Allerdings färben sich hierbei, im Gegensatz zu letzterer, noch allerlei Zellen und bilden sich etwas stö- rende Niederschläge, so dass sich das Resultat doch nicht

EhrlicVs Methylenblaamethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 41

ganz dem bei der Injection erhaltenen an die Seite stellen lasst.

Wie bereits angedeutet, hat auch diese Methode, so trefflich sie sonst ist, gewisse Uebelstände und Mängel an sich. Einer der unangenehmsten ist, dass die Färbung sehr vergänglich ist Nach kurzer Zeit, oft schon nach 10 Mi- nuten, beginnen die tingirten Theile abzublassen, und sehr bald ist von dem so schönen Bilde nichts mehr übrig ge- blieben; ein hellblauer Saum umrandet noch das Präparat, und auch dieser ist binnen Kurzem verschwunden.

Es ist sehr begreiflich, dass man alle Anstrengungen gemacht hat, die mit solcher Mühe erhaltenen Präparate zu retten oder die Färbung derselben wenigstens so lange zu fixiren, dass sie gezeichnet und genügend durchstudirt werden können. In diesem Bestreben haben sich nament- lich Prof. Arnstein in Kasan und seine Schüler Smirnow und Dogiel, grosse Verdienste erworben. Zunächst wurde hierzu eine einprocentwässerige Lösung von Jodkalium ver- wendet, in welcher metallisches Jod bis zur Sättigung ge- löst ist. Mit dieser Lösung wird am besten das Blutgefass- system durchspült Dann werden die Gewebsstücke aus- geschnitten, 6 12 Stunden in die Jodlösung gelegt und ausgewässert Jetzt heben sich die früher blassen Nerven in schwarzbrauner oder grauer Farbe auf dem fast farb- losen Grunde ab. Noch bessere Resultate erhielt dann Smirnow mit einer Lösung von Hoyer'schem Pikrokar- min, als dessen fixirendes Agens von Dogiel das pikrin- saure Ammoniak erkannt wurde. Seither wird wohl nur noch das letztere in concentrirter wässeriger Lösung ^r Fixirung benützt und giebt recht schöne Resultate. Das Methylenblau wird in Form eines feinkörnigen, violetten Niederschlags gefallt, zugleich aber das Grundgewebe durch- sichtig gemacht und somit ermöglicht, auch relativ dicke Häutchen und Gewebsstücke noch in toto zu untersuchen. Zudem wird durch das pikrinsaure Ammoniak das Gewebe

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gelockert und zum Zerzupfen sehr geeignet. Ich habe alle mir bekannt gewordenen Fixirmittel durchprobirt, bin aber stets gerne wieder zum pikrinsauren Ammoniak zurückge- kehrt.

Weniger glücklich ist man bis jetzt gewesen mit den Versuchen, die Methylenblaupräparate zu härten oder sonst wie zum Schneiden geeignet zu machen. Nach meinen schmerzlichen Erfahrungen zieht schon die geringste Spur von Alkohol, Aether oder ätherischen Oelen den Farbstoff in rapidester Weise aus. Auch Versuche, die Präparate in Kl ebs' sehen Glycerinleim einzuschliessen, sind mir bis da- hin total missglückt, da dieselben die zum Flüssigmachen des Leims nöthige Temperatur absolut nicht ertrugen. Eben- sowenig führte mich der von Feist empfohlene Einschluss in Gummiglycerin (nach Joliet) zu einem nennenswerthen Resultate. Entweder war die Einschlussmasse zu weich und erlaubte dann nur sehr dicke Schnitte, oder sie wurde rasch so hart, dass sie gar nicht mehr geschnitten werden konnte. Ein grosser Uebelstand ist dabei auch, dass man das Messer stark mit Glycerin befeuchten muss. Dass auch Andere beim Schneiden auf ganz besondere Schwierigkeiten gestossen sind, beweist mir die Thatsache, dass alle Em- pfehlungen in dieser Hinsicht durchweg höchst ungenau redigirt sind. Meiner Ansicht nach verdient einstweilen nur das Schneiden der frisch gefärbten Präparate mit dem Ge- friermikrotom und nachheriges Fixiren mit pikrinsaurem Ammoniak wirkliches Vertrauen. Leider bekommt man da- bei aber wohl nur ziemlich dicke Schnitte, die das Erken- nen feinerer Einzelnheiten und die Anwendung stärkerer Vergrösserungen nicht zulassen.

Ich habe nun, auf Anregung von Herrn Prof. Koll- man, welchem ich für seine Unterstützung hiermit bestens danke, es unternommen zu untersuchen, welche Resultate die so viel versprechende neue Methode am Auge zu Tage zu fördern im Stande sei. Die Versuche wurden ausschliess-

Ehrliches Methylenblaumethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 43

lieh am albinotisclien Kaninchen vorgenommen und bezogen sich in erster Linie auf die Cornea und Iris. Die Retina, welche schon von Dogiel selbst eine eingehende Bearbei- tung erfahren hat, wurde nur nebenbei berücksichtigt.

Bei der Injection des Farbstoffes in das Blutgefäss- system verfuhr ich folgendermaassen: Zunächst wird das Thier zu Tode chloroformirt, dann rasch die Bauchhöhle eröffiiet und eines der grossen Gefässe in derselben zur möglichsten Entleerung des Circulationsapparates durch- schnitten. Nun werden Aorta ascendens und Art. pulmo- nalis zusammen unmittelbar über dem Herzen umschnürt und die Canüle mit der kopfwärts gerichteten Spitze in einen Schlitz der Aorta thoracica eingebunden.

Anfangs machte ich die Injectionen mit einer gewöhn- lichen Injectionsspritze und kalter gesättigter Methylenblau- lösung, kam aber nur ausnahmsweise und nur zum Theil zum gewünschten Ziele. Gewöhnlich stiess der Kolben der Spritze schon auf starken Widerstand, noch ehe die Blau- färbung der Ohren und des übrigen Kopfes genügend ein- getreten war. Wurde dann die Injection forcirt, so zeigte bald die da und dort austretende Farblösung an, dass un- liebsame Rupturen eingetreten seien und damit das Experi- ment fehlgeschlagen habe.

Da Herr Prof. Kollmann der Ansicht war, dass an diesem Missgeschick nur ein hochgradiger Gefässkrampf Schuld sein könne, so habe ich mir mittelst Trichter und Gummischlauch einen gdnz einfachen Injectionsapparat für Constanten Druck zusammengestellt und die Injectionsflüs- sigkeit jeweilen im Wasserbade auf Bluttemperatur erwärmt. Damit waren jene Uebelstände sofort beseitigt, und die In- jectionen geschehen jetzt mit einer Sicherheit und Schnel- ligkeit, wie man sie nicht besser wünschen kann. Schon nach Abflnss von wenigen Cubikcentimetem der Farblösung färben sich die Ohren intensiv blau, bald auch die Schnauze und der übrige Kopf. Nach wenigen Minuten ist die Con-

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juDctiva und bald auch die Iris dunkelblau gefärbt. In letzterer treten zuerst vier Gefasse in Form von dicken blauen Strängen auf, die aber unter der allgemeinen Bläu- ung in kurzer Zeit wieder verschwinden.

Nach meiner Erfahrung ist es am Platze, damit auch die feinen Gefasse sich füllen und die Färbung der Nerven bis in die Peripherie genügend sei, mit der Infusion noch etwas fortzufahren. Allerdings werden auf diese Weise die an Gefässen besonders reichen Theile, wie Cborioidea und Ciliarkörper, wegen der reichlichen Farbstoffextravasate, für die spätere Untersuchung nahezu unbrauchbar. Dafür hat man aber, wie erwähnt, den Vortheil, dass die Fär- bung der für den gewünschten Zweck wichtigen Parthieen eine um so intensivere ist und bleibt.

Die Dauer der Injectionen überschreitet selten fünf Minuten, seit ich dieselben in der beschriebenen Weise vor- zunehmen pflege.

Nach kurzer Zeit blassen die blau gefärbten Theile wieder ab. Nur an den der Luft ausgesetzten Stellen, wie im Bereich der Lidspalte, bleibt die Färbung länger be- stehen.

Alle Beobachter geben den Bath, das injicirte Thier eine Zeit lang liegen zu lassen und erst dann die zu unter- suchenden Gewebsstücke auszuschneiden und unter freiem Zutritt der Luft, also ohne Deckglas auf den Object- träger zu bringen. Wie lange man warten soll, darüber finden sich aber fast überall andere Angaben, welche zwi- schen Vi und drei, sogar noch mehr Stunden schwanken.

Ich habe nun aus meinen Versuchen den Eindruck ge- wonnen, als könne, vorausgesetzt, dass die Färbung eine genügende war, die Untersuchung vorgenommen werden, sobald die Abblassung eingetreten ist und damit der Farb- stoff die Blutgefässe verlassen hat. Aehnlich wie bei den Objectträgerfärbungen sehen wir jetzt, unter dem Einflüsse des atmosphärischen Sauerstoffis, vor unseren Augen die

Ehrliches Methylenblaamethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 45

feinsten Ausbreitungen des Achsencylinders ganz allmälig sich blau färben und können ganz sicher den Zeitpunkt bestimmen, von welchem an die Färbung nicht mehr weiter schreiten, sondern zurückgehen wird. Dies ist der Moment, wo es sich darum handelt, dem so vergänglichen Bilde Dauer zu geben, resp. dasselbe zu fixiren.

Es ist dies ohne Zweifel der heikelste Theil des gan- zen Versuchs, was schon aus den zum Theil sehr unbe- stimmten, zum Theil sehr differenten Angaben der Autoren hierüber zu ersehen ist. Ich habe oben erwähnt, dass ich nach mehrfachen Proben mit anderen Fixirmitteln stets wieder zur gesättigten Lösung des pikrinsauren Ammoniaks zurückgekehrt bin. Ueber die Dauer seiner Einwirkung be- stimmte Regeln aufstellen zu wollen, scheint mir ganz un- statthaft; sie ist eben für jeden einzelnen Fall wieder eine andere, ohne dass sich eine bestimmte Erklärung dafür auf- finden liesse. Nach einiger Uebung, aber auch nach man- cher Enttäuschung bringt man es jedoch dahin, mit ziem- licher Sicherheit den Moment zu bestimmen, in welchem die Fixation eine genügende ist und unterbrochen werden darf. Durch das pikrinsaure Ammoniak wird das Methylen- blau in Form eines feinkörnigen violetten Niederschlags ge- fällt; doch bedarf dies an verschiedenen Stellen des glei- chen Präparates einer verschieden langen Einwirkung des- selben. Man hat also einfach abzuwarten, bis alles, was vorher blau war, entschieden violett geworden ist. Auf diese Weise habe ich Präparate bekommen, die nun schon 5—6 Monate alt sind und alle Details noch so vollkommen zeigen'), wie unmittelbar nach der Fixirung, während an- dere, bei denen ich die Fixirung zu früh unterbrochen, allmälig vollständig abgeblasst sind.

^) Leider bin ich gezwungen, die obige Angabe, aus der man schliessen könnte, die Präparate hätten nunmehr eine unbegrenzte Haltbarkeit gewonnen, etwas zu modificiren. Die ältesten derselben, welche aus der ersten Hälfte des November 1890 stammen, und noch

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Die fixirten Präparate werden am besten in Glycerin aufbewahrt. Einige Autoren empfehlen diesem etwas pikrin- saures Ammoniak zuzusetzen. Mir scheinen die gut fixirten Präparate ohne solches hübscher und ebenso haltbar zu sein. Um diejenigen Präparate, welche aufbe- wahrt werden sollen, pflege ich einen Rand von Klebs'schen Glycerinleim zu ziehen.

Was zunächst die Cornea anbelangt, so sieht man durch das Methylenblau sofort viele Zellen deutlich gefärbt. Ich hebe diesen Umstand besonders hervor, weil er zeigt, dass nicht bloss Nervenfasern und Nervenzellen gefärbt werden. Es ist wahrscheinlich das specifische Protoplasma dieser Zellen, das ähnlich wie die Achsencylinder reagirt. Nach der Fixirung mit pikrinsaurem Ammoniak werden noch mehr Homhautzellen, vielleicht alle, deutlich. Hier- nach wäre also eine Angabo Arnstein's zu modificireu, der an den Zellen vor der Fixirung keine Färbung wahr- nahm.

Die Grundsubstanz der Cornea bleibt nach- wie vor- her ungefärbt, wodurch das Präparat äusserst durchsichtig wird und sämmtliche Nervenverzweigungen sich deutlichst verfolgen lassen, zum Unterschiede von der Goldbehand- lung, bei der auch das Grundgewebe stark sich färbt, wes- halb sie für Flächenpräparate nur bei dünnen Hornhäuten oder bei Zerzupfung in Lamellen sich eignet

Die mit Methylenblau erhaltenen Flächenpräparate stim- men ziemlich genau mit der Beschreibung, welche Ran vier und Schwalbe geben. Die am Rande eintretenden, sofort marklos werdenden, aus dicht gedrängten feinen und mit zarten Varicositäten versehenen Fibrillen bestehenden Ner- ven verlaufen, nach Art der Aeste eines Baumes wiederholt

am 30. Mai d. J. der schweizerischen Aerzte-Yersammlung in ihrer ganzen Schönheit gezeigt werden konnten, beginnen nun auch in ihren zartesten Parthieen abzublassen und werden wohl bald ganz unbrauchbar geworden sein.

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dichotomisch sich theilend und reichlich unter einander anastomosirend, gegen die Hornhautmitte hin, um dort den Basalplexus zu bilden. An den Theiluugsstellen kommt je- weilen eine Verbreiterung zu Stande; die bisher dicht an- einander liegenden Axencylinderfibrillen weichen auseinan- der und durchkreuzen sich auf das Mannigfachste nach allen Richtungen hin. In diese Knotenpunkte sind fast regelmässig längliche Kerne eingelagert, welchen His die Bedeutung von Ganglienzellen beilegte, während Hoyer u. A. m. sie wohl mit Recht nur als Bestandtheile der die Fibrillen vereinigenden Neuroglia betrachten (Figur 1).

Nach dem Durchtritt durch den Knoten sammeln sich die Fibrillen zu entsprechend verjüngten Stämmchen, indem sie sich innigst aneinander lagern, um beim nächsten Kno- tenpunkte wieder in gleicher Weise auseinander zu gehen und sich von Neuem zu durchflechten. Dieser Vorgang wiederholt sich mehrmals, während das Nervenästchen in radiärer Richtung der Homhautmitte zustrebt und auf die- sem Wege sowohl mit den benachbarten Zweigen als auch mit den zwischen den vorderen Schichten der Hornhaut eintretenden Aestchen Verbindungen eingeht.

Die Anastomosen, welche die einzelnen Nervenstämm- chen unter sich bilden, sind sehr verschieden, bald etwas steif, ähnlich den Zweigen eines Baumes, bald feine, leicht gebogene Bälkchen bildend. Ein sehr zierliches Bild er- giebt sich, wenn ein solches Bälkchen spiralig um ein dicke- res Aestchen sich herumwindet. Nicht selten wird die Ver- bindung auch durch eine einzige Fibrille besorgt, und zwar meist nicht auf dem kürzesten Wege, sondern die Faser strebt erst in einem Bogen gegen die Hornhautmitte, um dann ganz plötzlich unter einem fast rechten Winkel gegen die Anastomose sich zu wenden. So entstehen die zierlich- sten und mannigfaltigsten Bilder, die um so mehr frap- piren, weil sie sich so deutlich von dem farblosen Grunde abheben. Fig. 2 mag einen ungefähren Begriff geben von

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der Mannigfkltigkeit und dem Reichthum der in einem ein- zigen Gesichtsfelde enthaltenen Nervenverzweigungen.

In einem Präparate fand sich eine besonders auffal- lende Anastomosenbildung vor; unmittelbar aus einem Kno- ten tritt ein stark gekörnter Strang hervor, der nach kur- zem Verlauf ganz plötzlich in eine olivenförmige, ebenfalls gekörnte und sehr dunkel gefärbte Anschwellung ausläuft. Aus dieser Anschwellung geht nun ein feiner Faden hervor, welcher in bogenförmigem Verlaufe mit einer ähnlichen olivenförmigen Anschwellung sich verbindet, die aus einem anderen Knoten des Grundplexus sich entwickelt (Fig. 3). Ob wir es hier mit einer normalen oder pathologischen Bildung vielleicht den Resten einer früheren Verletzung zu thun haben, konnte ich bis jetzt nicht eruiren. Auf letzteres scheint mir einigermaassen der Umstand zu deu- ten, dass diese Bildung sich eben nur in einer einzigen Cornea, wenn auch mehrfach, vorfand.

Einen Uebergang der Stromanerven in das Protoplasma der Hornhautzellen und Endigung in den Nerven derselben, wie es namentlich von Lavdowski behauptet und auf das Deutlichste gezeichnet wird, vermochte ich ebenso wenig nachzuweisen als die meisten anderen Beobachter. Da, wo eine solche innigere Beziehung zu den Hornhautzellen vor- handen schien, konnte bei genauerer Untersuchung oder Anwendung stärkerer Vergrösserung jeweilen constatirt wer- den, dass die betreffenden Nervenfasern sich bloss den Rän- dern der Zellen oder ihrer Oberfläche anlegten oder über sie hinwegliefen.

Für diese Beobachtung eignen sich die so durchsich- tigen Methylenblaupräparate ganz ausgezeichnet, während dagegen die Frage, ob die Nervenfasern zu ihrer Ausbrei- tung vorzugsweise die Saftkanälchen benutzen, wie behaup- tet wird, mittelst derselben sich kaum entscheiden lässt. Immerhin wird wohl Hoyer Recht haben, wenn er annimmt, dass sie mit Vorliebe diese vorgebildeten Wege wählen,

£]urlich*B Methyl^oblaamethode und ihre Anwendung a. d. Ange. 49

weil ihnen eben dort am wenigsten Hindernisse entgegen«' treten, gleichwie anch die Wanderzellen bei entzündlichen Zustanden yorzugsweise nach dem vom Protoplasma erfüll- ten Lückensystem sich zu drängen pflegen.

Vom Hauptgeflecht trennen sich mehr weniger lange Fäden, welche senkrecht oder schräg nach vom verlaufen, als rami perforantes die Basalmembran durchbohren und unter dem vorderen Epithel den subepithelialen Plexus bilden. Von diesem sieht man wiederum nach allen Rich- tungen eine Unmasse von feinsten, mit Varicositäten ver- sehenen Fibrillen abgehen, welche meist auf lange Strecken ganz geradlinig, zuweilen auch in verschiedenen Richtungen sich schlängelnd verlaufen, sich auch verzweigen und mit anderen Fibrillen kreuzen und verbinden. Geht man die- sen feinen Fädchen bis ans Ende nach, wozu man nicht selten einen grossen Theil des Präparates durchsuchen muss, so findet man, dass sie mit kleinen Knöpfchen, ähnlich den im Verlaufe des Fadens vorhandenen varicösen Anschwel- lungen, zuweilen auch mit einer schaufelformigen Verbrei- terung — scheinbar frei enden (Fig. 4).

Um hierüber ins Klare zu kommen, sind feine senk- rechte Durchschnitte unerlässlich. Da nun aber die Methy- lenblaupräparate, wie mitgetheilt, hierfür nicht zu verwen- den sind, habe ich Kaninchenhomhäute nach der Vorschrift Ranvier's mit Gold behandelt, in Alkohol gehärtet und in Paraffin eingebettet. Es ergab sich nun des Unzweifel- haftesten, dass die Fäden bis zu den oberflächlichen Pflaster- zellen des Epithels hinaufsteigen und dort mit einer knopf- förmigen Anschwellung enden (Fig. 5). Hoyer erklärt zwar sowohl diese knopfartigen Verdickungen an den Enden, als auch die Varicositäten im Verlaufe der Fibrillen sämmtlich für Knnstprodukte, welche theils durch unvollkommene und ungleichmässige, theils durch zu intensive Goldwirkung er- zeugt sein sollen. An besonders gelungenen Präparaten, wie Fig. 5, sind die „Endknöpfchen", obschon sie keinerlei

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weitete Structur erkennen lassen, jedoch Ton so diarakte- ristischem Aussehen und bilden so sehr das natürliche Ende der Nervenfaser, dass man sie nur mit Zwang für Arte« üakte halten würde. Ich meines Theils stehe nicht an, in ihnen die Endorgane der sensiblen Hornhautnerven zu er- kennen. Damit ist wohl die jüngst von Brand (Arch. für Augenheilk. XIX) aufgestellte Behauptung, dass die Rami perforantes die letzten Endigungen der Hornhautnerven seien, und dass bei keiner Thierspecies das Nervenendorgan „über das Hornhautstroma hinaus^' rage, widerlegt

Der Nervenreichthum ist an den Methylenblaupräparar ten ohne Zweifel noch grösser als an den Goldpräparaten, so gross, dass, wenn man nicht so leicht die directe Be- ziehung der feinsten Fibrillen zu sicher als solche erkenn- baren Nervenfasern nachzuweisen vermöchte, man an der nervösen Natur derselben oft zweifeln könnte. Wir müssen uns eben angewöhnen mit Hilfe der Ehrlich'schen farfin«- dung in den Geweben viel mehr Nervenfasern aufzufinden, als wir nach den bisher gebräuchlichen Methoden darin zu vermuthen gewohnt waren. Bei der Cornea kann uns übri- gens die beschriebene reiche Vertheilung der Nervenverzwei- gungen nicht so sehr wundem, wenn wir an die physiolo- gische Aufgabe dieser Membran denken, welche bei voll- ständiger Durchsichtigkeit eine möglichst ausgebildete Sen- sibilität, vielleicht sogar eine directe Reizbarkeit den Licht- strahlen gegenüber verlangt

Auch bei der Iris zeigt sich die Methode von grossem Vortheil gegenüber anderen. Da die Regenbogenhaut des albinotischen Kaninchens viel zu dick ist, um in toto aus- gebreitet gute üebersichtsbilder über den ganzen Verlauf der Nerven bis zu ihren Endigungen zu geben, so muss man gewöhnlich durch feine Flächeuschnitte oder Abreissen von einzelnen Fetzen sich Auskunft über deren Verbreitung zu verschaffen suchen. Bei der Methylenblaumethode, wo durch die Procedur der Fizirung das Grundgewebe, wie

ElirlicVB Methylenblaomethode und ihre Anwendung a. d. Auge. 51

wir schon bei der Cornea gesehen haben, ganz durchsichtig wird, sehen wir sämmtliche Nerven Verzweigungen in über- sichtlichster Weise auf farblosem Grunde. Es fallt auch hier zunächst der ungeheure Nervenreichthum auf, wie er durch keine andere Methode auch nur annähernd dargestellt wird.

Zweifellos die beste Beschreibung der Nervenverthei« lung in der Iris der Säugethiere, speciell des Kaninchens, verdanken wir AI. Meyer (Archiv für mikr. Anat 1879, S. 324). Er unterscheidet motorische Nerven, die in der Gegend des Sphincter meist aus nackten Fibrillenbündeln bestehen; sensible Nerven, deren Endapparate an der vor- deren Oberfläche der Iris ein engmaschiges Netz bilden; und endlich vasomotorische Nerven, welche in sämmtlichen Schichten der Iris verbreitet sind.

Unsere Methyleublaupräparate ergeben nun zunächst, dass die markhaltigen Nerven in der Ciliargegend zwei durch reichliche Anastomosen verbundene circuläre Plexus bilden, von denen der eine etwas tiefer liegt, als der andere. Von diesen aus streben korkzieherartig gewundene mark- haltige Nervenfasern in radiärer Richtung eine innigere Beziehung zum Verlauf der Gefässe ist mir nicht aufge- üedlen nach dem äusseren Sphincterrande zu, wo sie sich wiederum zu einem, aus arkadenformigen Windungen bestehenden Ringgeflecht gruppiren. Erst von da gehen vorwiegend marklose Fasern in das Gewebe des Sphincter ab, um hier ein überaus reiches Netz von feinen, pnnktir- ten Fäden zu bilden. Ob dieses das eigentliche Terminal- organ bildet, demnach als Endnetz aufzufassen ist, oder ob die feinen Fasern noch in einer intimeren Beziehung zu den glatten Muskelfasern und deren Kernen stehen, konnte ich an den hierfür nur allzudurchsichtigen Präparaten bis jetzt nicht herausfinden (Fig. 6).

Selbstverständlich habe ich mein Augenmerk ganz be- sonders auf das Vorhandensein von Nervenzellen gerichtet. Verschiedene Beobachtungen deuten unzweideutig darauf

52 Fr. Hosch.

hin, dass solche secundäre nervöse Centren als Vermittler zwischen Muskeln und Nerven in der Iris enthalten sein müssen. So namentlich die von Brown-Sequard gefun- dene Thatsache, dass die Pupille der ausgeschnittenen Iris noch durch Lichteinwirkung sich verengert; femer der Um- stand, dass sowohl Mydriatica als Myotica, local applicirt, auch nach Durchschneidung des Ganglionciliare (Hensen und Völckers) und sogar am enucleirten Auge (de Ruyter) ihre Wirkung nicht versagen.

Und doch ist heute die Frage, ob in der Regenbogen- haut des Säugethieres Ganglienzellen sich vorfinden oder nicht, noch eine vollständig offene. Während ältere Beob- achter (Arnold, Faber) solche in der Iris gesehen zu ha- ben meinen, stellen die meisten neueren Autoren (Pause, Iwanoff, Fürst, Meyer, Schwalbe) deren Vorkommen in Abrede. Nur in der Regenbogenhaut des Menschen be- obachtete AI. Meyer an Zupfpräparaten Zellen, die in Be- zug auf Grösse, Zahl der Fortsätze, kömiges Protoplasma und bläschenförmigen Kern den Ganglienzellen sehr ähn- lich sahen, jedoch keinen Zusammenhang mit Nervenfasern erkennen liessen. Das Fehlen von Ganglienzellen in der Iris aller anderen Thiere glaubt er aus der Thatsache er- klären zu müssen, dass solche in die Stämme der Ciliar- nerven vor ihrem Eintritt in die Iris eingeschaltet sind.

Ich finde nun in dem beschriebenen nervösen Netz der Sphincterzone und an der äusseren Grenze derselben da und dort spindelförmige oder dreieckige. Kern und Kern- körperchen enthaltende Zellen eingeschaltet, die zwar etwas klein sind (12— löju), aber meist ganz den Ganglienzellen entsprechen und lange, aus punktirten Linien zusammen- gesetzte Fortsätze aussenden. In einzelnen Fällen (Fig. 7) konnte ich auch ganz sicher einen Zusammenhang des einen oder andem Ausläufers mit markhaltigen Nervenfasem nach- weisen. Ich stehe daher nicht an, diese Gebilde als die postulirten Nervenzellen aufzufassen.

£hrlich*8 Methylenblaamethode und ihre Anwendong a. d. Auge. 53

Sehr schön ist an einzelnen stärker gefärbten Präpa- raten das über die ganze Vorderfläche der Iris ausgebrei- tete, aus feinsten, kernlosen, punktirten Fädchen bestehende Maschen werk dargestellt, welches nach Alex. Meyer dem Endapparat der sensibeln Nerven entsprechen soll.

An den Arterien sieht man nicht selten die Muskel- kerne der Media violett gefärbt und das Gefäss in Form einer unterbrochenen Spirale umgeben. Sehr zierlich ist das Bild namentlich an den Stelleu, wo das Gefäss blut- leer ist Dort treten dann auch die feinen Fäden des um- spinnenden Nervenplexus deutlicher hervor, in welchem das Gefäss wie in einem grobmaschigen Garne aufgehängt er- scheint.

Ueber meine bisherigen Beobachtungen an der Retina kann ich sehr rasch hinweggehen. Es macht sich hier eben namentlich der Mangel an genügend feinen Durchschnitten im höchsten Grade fühlbar. An Flächenpräparaten findet man vor Allem sehr schön gefärbt die multipolaren Gang- lienzellen mit ihren Ausläufern (Figur 8), welche sich zu einem sehr eleganten, flächenförmig ausgebreiteten Netz- werk feiner varicöser Fibrillen gruppiren. Auch die Ele- mente der Kömerschichten nehmen die Färbung an, wäh- rend die eigentlichen Sehzellen, die Stäbchen und Zapfen, durch das Methylenblau nie tingirt zu werden scheinen.

Das ist in groben Zügen, was mir die Ehrlich 'sehe Methode bis jetzt am Kaninchenauge ergeben hat. Dieselbe ist bei weiterer Vervollkommnung in der angedeuteten Richtung ohne Zweifel dazu berufen, noch manches Räth- sel auf dem Gebiete der Anatomie des Nervensystems zu lösen. Jedenfalls aber dürfen wir sie heute schon als eine höchst willkommene Ergänzung zu den bisher gebräuch- lichen, in mancher Hinsicht so unzuverlässigen Metallim- prägnationen betrachten.

54 Fr. HoBch, Ehrlich's MethjlenblAiimethode etc.

Figurenerklärung.

Tafel I— n.

Fig. 1. Knotenpunkt aas dem Basalplezns mit dichotomiBcher Thei- luDg, mit zwei Kernen (Leitz Obj. 7. Gam. Inc. Vergr. ca. 600. Daneben dieselbe Stelle in 40facher Vergröss.). Wegen der grösseren Deutlichkeit sind viele Fibrillen weg- gelassen. Man sieht eine grosse Anzahl derselben sich thei- len und nach beiden Seiten hin einen Faden abgeben.

Fig. 2. Uebersicht der in einem einzigen Gesichtsfelde sichtbaren NervenTerzweigangen. Leitz Oc. 3. Obj. 3. Tubus einge- schoben.

Fig. 3. Spindelförmige Verdickung an einer Anastomose zwischen zwei Nervenstftmmchen der Cornea, a] Leitz Obj. 3. Garn, lue. b) Leitz Obj. 7. Garn. lue.

Fig. 4. Knotenpunkt aus dem subepithelialen Plexus, von welchem zahlreiche Fibrillen ausgehen, die sich zum Theil dicho- tomisch theilen, zum Theil aber weite Strecken hinweg- laufen und mit kleinen Knöpfchen enden. Leitz Obj. 3. Gam. lue.

Fig. ö. Knopfförmige Nerrenendigung im vorderen Homhautepithel (Endknöpfchen). Goldpräparat nach Ran vi er. Leitz Obj. 7. Gam. lue.

Fig. 6. Uebersichtsbild über die Verbreitungs weise der motorischen Nerven in der Iris. Leitz Oc. 3. Obj. 3. Ans technischen GrOnden musste eine grosse Anzahl der in Wirklichkeit vorhandenen Verzweigungen, namentlich im Sphinctertheil, weggelassen werden.

Fig. 7. Nervenzelle aus der Sphincterzone der Iris, mit dem einen ihrer Fortsfttze in eine markhaltige Nervenfaser übergehend.

Fig. 8. Multipolare Ganglienzellen aus der Retina. Leitz Obj. 7. Gam. lue.

Sftmmtliche Pr&parate sind, wo nichts Anderes angegeben, gewonnen

durch Ii\jection der ges&ttigten Methylenblaulösung in das Blutgef&ss-

system und nachherige Fiximng mit pikrinsaurem Ammoniak.

Weitere Grössenschätzimgen im Gesichtsfeld.

Von

Dr. R. Fischer, Augenarzt in Leipzig.

In meinem ersten Aufsatz über die Grössenschätzungen Im ebenen Gesichtsfeld war ich zu der Vermuthung gelangt, dass man die Fehler der Längenmessungen vielleicht auf die scheinbare Sehfeldzusammenziehung und so das Augen- maass selbst auf die Eenntniss des Abstandes aller Sehfeld- punkte vom Fixirpunkt zurückführen darf^). Ob ein sol- cher Zusammenhang thatsächlich besteht, können naturge- mäss meine eigenen Untersuchungen allein nicht entscheiden. Die Versuchsergebnisse, über die ich jetzt berichten werde, sollen daher auch nicht als weitere Beweismittel dienen. Sie scheinen mir aber die Schlussfolgerung zu gestatten, dass jene „einheitliche" Art zu messen, falls sie wirklich existirt, nicht nur bei den bereits besprochenen Längen- Schätzungen, sondern wohl auch bei der Beurtheilung an- derer Grössenyerhältnisse im ebenen Gesichtsfeld Verwen- dung findet

«) T. Graefe'8 Archiv für Ophthalm. XXXVII, 1, S. 97. Nicht SU yergessen ist die YoraoBsetzung, die ich dort gemacht habe: die Entfemongen zweier Punkte Yom Fixirpunkt können vielleicht nur dann unmittelbar mit einander verglichen werden, wenn die beiden Punkte ein und demselben Sehfeldradius angehören. Demnach ist es eigentlich die Eenntniss von der relativen Lage der Punkte eines Sehfeldiadius, auf der das Augenmaass beruhen würde.

56 R. Fischer.

Veigleiohiing von Winkeln.

Zu den Winkelmessungen, die ich vor einigen Jahren unmittelbar nach den a. a. 0. beschriebenen Versuchen vor- genommen habe, bediente ich mich wie dort der senkrech- ten, schwarzen Tafel. Ich zeichnete auf ihr einen Kreis von 36 cm Durchmesser auf und gab der Kreislinie eine möglichst genaue Gradeintheilung; das obere Ende des senk- rechten Durchmessers wurde mit 0^ bezeichnet und dann rechts herum in der Richtung der Uhrzeigerbewegung fort- gezählt. Die Winkel stellte ich anfangs durch Fädchen dar, die im Mittelpunkt des Kreises aus einer feinen Oeff- nung hervortraten und deren freie Enden ausserhalb des Kreisbogens leicht auf der Tafel befestigt werden konnten. Meist verwendete ich aber längere Fädchen in der Weise, dass sie sich im Kreismittelpunkt einfach kreuzten und mit beiden Enden ausserhalb des Kreises auf der Vorderfläche der Tafel angeheftet wurden. So hatte ich allerdings ausser den zu beurtheilenden Winkeln stets noch ihre Scheitel- winkel im Gesichtsfeld. Diese beeinträchtigten aber die Untersuchung in keiner Weise, jedenfalls nicht nach einiger Einübung, und sie ermöglichten zugleich eine grössere Ab- wechselung, da ich jetzt im Stande war, auf einen Versuch mit den einen Winkeln immer sofort einen Versuch mit den anderen folgen zu lassen.

Wenn ich nun mit beiden Augen untersuchen wollte, so brachte ich den Mittelpunkt des Kreises auf 18 cm Ab- stand in die Höhe der Augen, gegenüber der Mittellinie. In den Versuchen mit einem Auge dagegen wurde die Lage des Auges in gleicher Entfernung durch ein vor der Tafel befestigtes Zahnbrett, Visirzeichen u. s. w, genauer be- stimmt, in der Weise, dass die Tafel von der Hauptblick- linie stets im Kreismittelpunkt, im Scheitel der zu verglei-

Weitere Grössenschätzungen im Gesichtsfeld. 57

chenden Winkel senkrecht getroffen werden konnte. Das Visirzeichen war leicht beweglich; wenn es den Winkeln zu nahe kam oder sonst störte, wurde es allemal nach An- nahme der richtigen Augenstellung augenblicklich entfernt. Mit diesen Vorkehrungen habe ich eine grosse Zahl von Winkelmessungen ausgeführt und zwar bestand die Aufgabe hauptsächlich darin, einen Winkel nach dem Au- genmaass zu halbiren. Dem Winkel wurden dabei die yer- schiedensten Lagen um den Ereismittelpunkt herum und die yerschiedensten Grössen gegeben. In den folgenden Tabellen bezeichnet die erste wagrechte Zahlenreihe die Grösse der geforderten Winkelhälften und die erste senk- rechte Reihe die geforderte Lage des halbirenden Halb- messers. Die übrigen Zahlen geben den beobachteten con- stanten Fehler (= CF) an, d. h. die Mittelwerthe der Ab- weichungen der eingestellten Halbirungslinie von der rich- tigen Lage, jedoch die Mittelwerthe nicht in absoluten Zah- len, sondern in Procenten der wirklichen Hälften, jedesmal mit einem Vorzeichen, dessen Bedeutung keiner Erklärung bedarf. Nach jeder Einstellung des scheinbar halbirenden Sdienkels wurde dessen Abweichung von der geforderten Lage an der Gradeiotheilung abgelesen, ausserdem aber, soweit sie nicht ganze Grade betrug, an dem Bareisbogen noch linear gemessen; erst die Mittelwerthe rechnete ich ToHständig in Grade um. Der hierdurch eingeführte Fehler ist jedoch verschwindend klein, namentlich auch gegenüber etwaigen Ungenauigkeiten der Gradeintheilung und des Ab- messens, die in CF mit enthalten sein mögen.

1) CF der Winkelhalbirungen im Sehfeld des rechten Auges. Gesichtslinie im Scheitel der Winkel senkrecht zur Sehfeldebene; Primärlage des Auges. Je 40 Versuche, für 10 <^ und 15 <> nur je 20.

58

B. Flacher.

10»

15»

20«

30»

45»

60«

76«

-4,17

-2,96

2,15

+ 1,79

+ 1,78

+ 2,80

+ 2,92

+ 2,69

10«

4,83

5,19

4,62

2,31

-1,58

1,18

+ 1.92

+ 8,56

20«

3,98

2,61

2,15

2,05

0,82

0,99

+ 1,33

+ 8.64

30»

1,16

0,97

+ 1,64

+ 8,44

+ 4,79

+ 1,78

+ 2,63

+ 4,06

40« 50«

+ 0,97 + 0,99

+ 2,40

+ 2,78

+ 1,10

+ 5.03 + 9,17

+ 6,17 + 6,68

.+ 6,89

+ 8,66

+ 3,80

60«

+ 1,83

+ 3,14

+ 5,96

+ 8,81

+ 4,18

+ 4,11

70*

+ 3,83

+ 2,72

+ 6,85

+ 9,47

+ 8,42

+ 6,00

+ 4,60

80«

+ 5,44

+ 1,67

+ 6,93

+ 6,98

90»

+ 4,25

+ 3,64

+ 3,01

+ 7,50

+ 7,28 +5,64

+ 5,76

+ 5,84

100

+ 5,66

+ 6,74

+ 6,86

+ 6,93

+ 4,74

[+6,02

110«

+ 4,98

+ 6,19

+ 6,86

+ 6,93

+ 4,41

120«

+ 4,82

+ 4,22

"""

+ 6,25

+ 8,27

+ 6,19

+ 6,62

130« 140«

+ 7,05

+ 4,44

+ 4,09 + 2,66

+ 3,58

+ 7,52 + 7,08

+ 8.50 + 5,62J

►+ 6,46

+ 4,62

+ 3.53

150«

+ 6,06

+ 4,46

+ 3,41

+ 6,02

+ 8,59

+ 2.65

160«

+ 4,90

+ 6,85

+ 5,60

+ 6,46

+ 8,08

+ 3,24

+ 1.52

170«

+ 8,81

+ 5,61

+ 7,59

+ 6.68

+ 6,90

+ 2,56

+ 1,89

180«

+ 4,63

+ 7,61

+ 5,17

+ 5,83

+ 5.38

+ 4.70

+ 2,69

+ 2.20

190«

+ 4,64

+ 2,07

+ 3,31

+ 1,10

+ 0,84

+ 0,59

+ 0,78

200«

+ 3,93

+ 3.16

+ 1,29

0,83

1,01

2,61

0.48

210«

+ 1,32

+ 2,56

-2,65

3,27

3.91

-3,90

-2,69

220« 230«

+ 0,69 1,54

+ 0,43 -0,96J

0,16

8,64

3,29

3,99 -4,73

6.72

4,16

3,76

240«

0,57

-1,61

3,52

4,98

-5,13

-4.86

250« 260«

3,85

2,63

1,36

2,76

-6,05 -7,57

6,73

6,90

5,68

6,76

8,18

270«

-3,41

3,14

3,28

9,95

7,69

-6,60

6,22

4,72

280« 290«

-4,67 7,03

2.06

2,04

9,18

7,99

7,42

9,91

-8,59

f-6,65j

[—3,94

300«

-6,09

2,12

-8,78

9,33

4,80|— 2,16

310« 320«

5,87

6,52

1,64 -2,66

3,50

5,76

8,10

7,80 -4,42

3,54 1,76

-3,14

+ 0,12

330«

-4,90

3,02

-1,68

1,88

+ 2,32

+ 1,13

+ 1,30

340«

-3,83

-4,49

+ 2,70

+ 2,63

+ 5,42

+ 1,79

+ 1,43

350«

-4,42

4,06

-4,12

+ 6,85

+ 6.12

+ 6,25

+ 2,33

+ 2,19

Weitere GrösseoBch&tzaiigeii im Gesichtsfeld.

59

2) CF der Winkelhalbirungen im Sehfeld des linken Auges. Versachsanordnung wie in 1). Je 40 Einstellungen, für 10* nur je 20.

10»

20» 30»

45«

60»

75«

0*

+ 5,01

+ 3,91

+ 2,54

+ 3,72

+ 2,10

+ 3,66

+ 4,85

10«

+ 4,88

+ 2,77

+ 3,51

+ 4,28

+ 0,92

+ 4,13

20»

+ 2,20

+ 3,16

30«

+ 1,74

+ 4,16

40« 50«

+ 4,04

+ 4,68 + 4,62

"~"

+ 5,70

■~~

+ 2,34

90*

+ 435

+ 3,77

+ 7,66

+ 8,21

+ 6,64

+ 5,01

+ 3,41

135»

+ 4,07

+ 5,34

..

150*

+ 1,87

+ 1,86

+ 3,10

leo«

2,17

1,53

-0.41

+ 2,81

+ 2,66

+ 1,81

+ 1,24

170«

-4,26

3,29

-2,05

0,44

0,62

+ 0,80

0,73

180»

8,60

2,10

5,00

2,66

-1,94

-1,26

-0,79

igo«»

4,66

-4,06

220» 230»

3,66

4,58 -4,87

6,58

3,64

270*

5,09

4,28

- 8,31

-9,03

-6.37

-5,55

-4,12

315«

3,57

-4,91

-0,47

330*

-3,12

2,20

2,86

-1,23

+ 0,81

0,95

+ 0,66

340*

+ 1,21

+ 1.42

+ 1,89

+ 1,03

+ 0,90

+ 0,90

+ 1,94

^50»

+ M1

+ 439

+ 3,21

+ 3,19

+ 2,90

+ 2,23

+ 3,45

Was lehrt nun die Zahlenmenge der beiden Tabellen? Wiewohl GF eigentlich so wenig constant ist, dass ich mich über die Regelmässigkeit der Ergebnisse fast wun- dern möchte» so scheint mir doch eins sicher zu sein:' Wenn der halbirende Halbmesser wagrecht oder auch nur annä- hernd wagrecht lag, so hatte die Einstellung stets den Er- folg, dass die obere Winkelhälfte grösser wurde als die untere. Das gilt für das rechte wie für das linke Auge und jedesmal für beide Sehfeldhälften. Es gilt femer ebenso Tollkommen für das Blickfeld, gleichviel ob ich mit einem Auge Ton der Primärlage aus oder mit beiden Augen unter-

GO R- Fischer.

suchte. Diese Art der Winkelmessung erinnert aber deut- lich genug an die Halbiruug senkrechter Längen: auch da habe ich immer die untere Hälfte überschätzt, die obere zu gross gemacht Sollte eine solche Aehnlichkeit nur Zu- fall sein? Es sieht doch ganz so aus^ als ob ich die Winkel mit Hülfe desselben Maassstabes» nach gewissen linearen Abständen ihrer Schenkel (Sehnen? ^) beurtheilt hätte. Ge- nau senkrechte Lage der Abstände wäre hierzu keineswegs erforderlich; nach mehreren Versuchsreihen aus der Zeit, wo ich Strecken zu halbiren begann, lege ich selbst an Linien von 45^ Neigung noch ungefähr den senkrechten Maassstab an.

Auf Grund der Längenschätzungen müssten dann bei 0^- und 180^-Lage des halbirenden Schenkels die äusseren Winkelhälften kleiner ausfallen als die inneren. So geschah es aber lediglich im Sehfeld des rechten Auges in der 0^- Lage und selbst da nur bei den grösseren Winkeln. In- dessen lässt ja die Anwendung des ursprünglichen Maas- ses (der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung) verschiedene Möglichkeiten zu und gerade für wagrechte Strecken um so eher, als hier, sobald mit beiden Augen gemessen wird, die Maassstäbe der beiden Sehfelder in Widerspruch mit einander gerathen*). Habe ich mich doch selbst einmal in

') An die Tangenten ist kaum zu denken. Der Unterschied der scheinbar richtigen Winkelh&lften w&chst annfthemd proportional der Winkelgrösse ; ebenso verh&lt sich allenfalls der Unterschied der Sehnen, aber ganz und gar nicht der der Tangenten.

') Nach dieser Ausdrucksweise könnte es scheinen, als ob ich den Maassstab der ein&ugigen Sehfelder als ursprünglich gegeben betrachten und daraus erst die Messungen mit beiden Augen ab* leiten wollte. Der Unterschied in der Beständigkeit des senkrech- .ten und des wagrechten Maassstabes l&sst sich aber wohl verstehen, wenn man davon ausgeht, dass wir die Entfernung der Sehfeldpunkte vom Fixirpunkt kennen lernen, während wir mit beiden Augen die Gegenstände unserer Umgebung sehen. Der senkrechte Abstand eines Punktes von der Yisirebene hat hierbei für beide Augen den-

Weitere Qrössensch&tzungen im Gesichtsfeld. 61

einer Anzahl von Streckenhalbirungen nicht wie gewöhn- lich nach dem Maassstab der inneren Sehfeldhälfte allein gerichtet, sondern anscheinend nach dem der inneren und äusseren zusammen. Dass ich bei den (meisten) Winkel- messungen in derselben Weise verfahre, erscheint mir so- nach nicht als eine rein willkürliche Annahme. Zudem ist die Annahme nur für den Fall nöthig, dass die zu verglei- chenden Abstände nicht meridional verlaufen, nicht im Fixirpunkt zusammenstossen, also nur für die Versuche mit Fixation des Scheitels der Winkelhälften. Liess ich nach einer Einstellung den Blick nicht mehr auf dem Scheitel- punkt, sondern auf einer anderen Stelle der Halbirungs- linie ruhen oder über den Winkel hin wandern, so bemerkte ich, gewisse Winkel des rechten Sehfeldes ausgenommen, sofort die Unrichtigkeit der Halbirung und war nun viel- mehr geneigt, unter Benutzung des gewöhnlichen Maass- stabes, den entgegengesetzten Fehler zu begehen. Natür- lich erschien mir diese neue Halbirung wieder durchaus fehlerhaft, sowie ich mit dem Blick in die Nähe des Schei- telpunktes kam. So war im Blickfeld die Beurtheilung nie- mals eindeutig. Und ich hatte es fast in der Gewalt, einen positiven oder negativen oder gar keinen CF hervorzubrin- gen. Nur wurden bei einem Wechsel der Versuchsbedin- gungen die ersten Einstellungen der neuen Reihe durch die vorherigen Versuche deutlich beeinflusst, insofern als ihre Fehler Zwischenstufen zwischen denen der beiden Rei- hen hildeten. Am wenigsten zeigte sich eine derartige Ein- wirkung an den kleinen nach oben sich öffnenden Winkeln des rechten Gesichtsfeldes. Hier war auch dementsprechend, wenn der Fixirpunkt seinen Ort änderte, der Fehler der

selben Gesichtswinkel. Dagegen wird die wagrechte Entfernung von den zur Yisirebene senkrechten Meridianen oft von dem einen Auge unter ganz anderem Winkel als von dem zweiten gesehen. Fttr senkrechte Strecken wird sich deshalb ein festeres Maass ausbilden können als für wagrechte.

62

R. Fischer.

Halbirung am auffälligsten. Die grossen Winkel gleicher Lage dagegen wurden im Blickfeld des rechten Auges ge- nau so wie bei Fixirung des Scheitels, d. h. beidemal an- scheinend nach dem gewöhnlichen Maassstab für wagrechte Strecken beurtheilt. Sie zeichnen sich also vor allen an- deren durch die Uebereinstimmung des Sehfeldes mit dem Blickfeld aus, eine Thatsache, die, wie mir scheint, nicht unwichtig ist für die Halbirungen von 180^

Diese richtete ich nach dem schon yon den kleineren Winkeln her geläufigen Verfahren ein. Es war ein Winkel yon 180^, ein Durchmesser des Kreises auf der Tafel ge« geben und ein Halbmesser wurde nach dem Augenmaass so gedreht, dass er den Winkel in scheinbar gleiche Ab- schnitte, rechte Winkel theilte. Den Halbmesser ersetzte ich jedoch meist, ebenso wie bei den übrigen Winkeln, durch einen Durchmesser. Natürlich beachtete ich trotzdem immer nur den einen Winkel yon 180^, d. h. ich suchte nicht etwa ein rechtwinkliges Kreuz herzustellen, sondern eben nur zwei Nebenwinkel einander gleich zu machen. Tabelle 3) enthält die Abweichungen des halbirenden Halb- messers yon der richtigen Lage wie sonst in Procenten der wirklichen Hälften. Ich habe aber eine etwas ungewöhn- liche Anordnung der Zahlen gewählt; es kam mir darauf an, die Fehlerreihen der yier Quadranten unmittelbar neben einander zu stellen und so ihre Vergleichung zu erleichtern.

3) CF der Halbirungen eines Winkels yon 180® im Sehfeld des rechten Auges. Versuchsanordnung wie in 1). Je 80 Einstellungen.

Lage des halbirenden Halbmessers

Zugehöriger constanter Fehler

I

II

III

IV

I

II

III

IV

90»

860»

270»

+ 1.30

1,32

+ 1.30

-1,23

10»

100»

350»

260»

+ 1,51

-l,5ö

+ 1,51

-1,56

20»

110»

340»

250»

+ 2,16

2,01

+ 1,99

2,72

30*

120»

330»

240»

+ 2,12

1,99

+ 2,25

2,73

40»

130»

320»

230»

+ 2,22

-1,98

+ 2,26

2.13

Weitere GrGssensch&tzungen im Gesichtsfeld.

63

Fortsetzung yon 3).

La«

e des halbirenden Halbmessers

Zugehöriger constanter Fehler

I

II

III

IV

I

II

III

IV

50»

140«

310«

220»

+ 1,74

-1,34

+ 2,05

-1,29

60«

150»

300»

210»

+ 0,96

-0,66

+ 1,34

0,58

70*

160*

290*

200«

-0,63

+ 0,59

-0,26

+ 0,28

80*

170»

280*

190*

1,35

+ 1,15

-0,58

+ 0,89

90*

180«

270«

180

-1,32

+ 1,27

-1,23

+ 1,27

Wären dies meine einzigen Winkelmessungen, so würde es schwer halten, in ihnen das ursprüngliche Maass aller Grössenschätzungen wiederzuerkennen. Anders liegen aber die Verhältnisse, nachdem die Versuche mit den kleineren Winkeln vorausgegangen sind. Wenn dort die Annahme zulässig war, dass CF durch die scheinbare Sehfeldzusam- menziehung bedingt wurde, so ist sie es wahrscheinlich auch hier. Denn die Versuchsergebnisse hier schliessen sich, soweit es möglich ist, eng an jene an.

Fassen wir zunächst die vier Hauptrichtungen des hal- birenden Schenkels, d.h. seine Lage bei 0®, 90 ^ 180^ und 270® näher ins Auge. In diesen Fällen ist CF für die Halbirung von 180^ von derselben Art wie für die von 150® (im Sehfeld des rechten Auges) mit Ausnahme der 90® -Lage: für letztere lautet er in 3) gerade entgegenge- setzt dem in 1). Der Unterschied erklärt sich jedoch dar- aus, dass es sich ja nunmehr um Winkel von 90®, um Nebenwinkel handelt. Die Halbirungen von 150® in der einen Hauptrichtung der Halbirungslinie können kaum auf die Halbirungen in einer anderen Hauptrichtung einwirken. Anders hier. Wenn der senkrechte Durchmesser gegeben und der Halbmesser 270® einzustellen ist, so wird CF = 1,3 ®/o, der innere obere Quadrant fallt grösser, der in- nere untere kleiner aus als ein Rechter. Die gleiche Grösse behalten die beiden Winkel, falls der gegebene Durchmes- ser wagrecht liegt und nun die oberen oder unteren 180® halbirt werden« Dabei ist natürlich der äussere obere Qua-

64

R. Fischer.

drant kleiner als ein Rechter, der äussere untere grösser. Dass dann die unmittelbare Vergleichung der beiden äus- seren Quadranten genau denselben Erfolg hat, dass sonach bei 90^-Lage CF = l>3®/o wird, erscheint mir fast noth- wendig.

Mit dem CF der vier Hauptrichtungen ist weiterhin schon ungefähr der Fehler der Zwischenstellungen gegeben, da man wohl jedesmal auf einen allmählichen Uebergang

♦ua,

iUO

,+ui

+0Ä +127 +IJS

rechnen darf. Demgemäss beschränkt sich die Aehnlich- keit mit den früheren Messungen auf die linke Hälfte des (rechten) Sehfeldes. Die Uebergänge sind aber noch von ganz besonderer Art. Der leichteren Uebersicht wegen wiederhole ich hier Tabelle 3) in Form einer Stemfigur: jeder halbirende Halbmesser trägt seinen CF.

Zuerst stimmen nun die oberen Quadranten insofern mit den unteren überein, als der CF jedes halbirenden Halbmessers des unteren Quadranten in annähernd gleicher Grösse, nur mit anderem Vorzeichen im oberen Quadranten

Weitere Grössensch&tzangen im Gesichtsfeld. 65

bei demjenigen Halbmesser wiederkehrt, der um 90^ Ton dem ersteren entfernt ist Daraus folgt, dass ein scheinbar rechter Winkel der rechten und ebenso der linken Hälfte des Sehfeldes eine unabänderliche Grösse besitzt und immer mit demselben Fehler eingestellt wird, gleichviel mit wel- chem seiner beiden Nebenwinkel er zu yergleichcn ist. Z. B. erhalte ich einen richtigen rechten Winkel 205^-295^ so- wohl wenn ich L 115^-205^-295® halbire, als auch durch Halbimng des L 205 « - 295 « - 25 ^ Oder nehmen wir L 230^-320®: dieser lässt sich einmal mit L140®-230^ einmal mit 320*^-50® vergleichen; in beiden Fällen wird

er grösser als ein Rechter, nach 3) um ^— %•

Diese Uebereinstimmung zweier Quadranten erstreckt ^ich jedoch nur auf die rechte oder linke Hälfte des Seh- feldes, sie reicht nicht über den senkrechten Durchmesser liinaus. Ein scheinbar rechter Winkel, der den beiden Seh- ieldhälften zugleich angehört, z. B. L320®-50^ hat des- halb nicht mehr einen ein für alle Mal feststehenden Werth, sondern er nimmt zwei verschiedene Grössen an, je nach- dem ich ihn gegen den einen oder den anderen seiner bei- den Nebenwinkel abschätze. Gleichwohl bestehen nahe Be- ziehungen zwischen den beiden Sehfeldhälften. Beim ersten Blick auf die Tabelle oder Figur erscheinen sie symmetrisch zu einander, da in gleichen Abständen von einem senk- rechten Halbmesser ungefähr gleiche Fehler mit gleichen Vorzeichen verzeichnet sind. Die Symmetrie ist aber nur eine scheinbare. Denn das gleiche Vorzeichen bedeutet ja auf der einen Seite Annäherung an den senkrechten Halb- messer, auf der anderen Entfernung von ihm. Deutlicher tritt ein Zusammenhang hervor, wenn ich die rechte (oder linke) Hälfte so um den wagrechten Halbmesser als Achse drehe, dass der Halbmesser 10® mit dem Halbmesser 170^ 20® mit 160* U.S. f. den Platz vertauscht. Dann würde die Uebereinstimmung, die wir zwischen Unten und Oben fan-

T. Gnofe'fl Archir für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 5

66 K. Fischer.

den, auch für Rechts und Links und somit rings im Kreise hemm gelten; thatsächlich ist dies nur fiir die vier Haupt- richtungen der FalL Klar wird die gegenseitige Beziehung aber erst durch folgendes.

Die wirkliche Grösse eines scheinbar rechten Winkels, d^ einen senkrechten Halbmesser einschliesst, ist, wie ge- sagt, eine doppelte und richtet sich danach, welcher seiner beiden Nebenwinkel zur Vergleichung herangezogen wird. Diese beiden Nebenwinkel nun, die natürlich Scheitelwinkel mit einander bilden, unterli^en nicht etwa ähnlichen Schwan- kungen, sie besitzen vielmehr als scheinbar rechte Winkel fest bestimmte Werthe, da allemal der eine von ihnen ganz in der linken, der andere ganz in der rechten Sehfeldhälfte liegt Der Wechsel in der Beurtheilung des zuerst genann- ten Winkels erfordert deshalb die Annahme, dass die bei- den Scheitelwinkel, obwohl beide scheinbar =s 90 ^ ungleich gross sind und so ist es in der That. Sie wechseln je- doch nicht beliebig, sondern der Winkel der linken, inne- ren Sehfeldhälfte ist stets grösser als sein in der rechten, äusseren Hälfte liegender Scheitelwinkel. Der Unterschied hat den höchsten Grad bei den Winkeln, die sich gerade nach rechts und nach links öfifnen, [__ 45®-135ö und L 225«- 315^, und er nimmt allmählich ab, je mehr sich die Win- kel von dieser Lage entfernen, bis er schliesslich verschwin- det, wenn sie von senkrechten und wagrechten Halbmessern gebildet werden. Tabelle 3 a enthält in I neben der Lage eines scheinbar rechten Winkels in der linken Sehfeldhälfte dessen wirkliche Grösse, wie sie sich nach den beiden in 3) mitgetheilten Vergleichungeu berechnet (der Einfachheit wegen % beibehalten), und in H die entsprechenden Zah- len für die Scheitelwinkel. Wie viel die Winkel unter I grösser sind als die unter II, besagt die letzte Reihe.

3 a) Scheinbar rechte Winkel im Sehfeld des rechten Auges.

Weitere GrössenBch&tzangen im Gesichtsfeld. 67

I um

Winkellage, Wirkliche WinkeUage, Wirkliche I > II

ann&henid Grösse ann&hemd Grösse

180»— 270* 90« l,25Vo 0»— 90« 90« l,81Vo

190«— 280« 90« 0,73,, lO«— 100« 90« 1,53 0,80

200«- 290« 90« 0,27,, 20«- 110« 90« 2,08,, 1,81

210«— 300« 90« + 0,96,, 30«— 120« 90« 2,06,, 3,02

220*— 310« 90« + 1,67 40« 130« 90« 2,10 3,77

230«- 320« 90« + 2,19,, 50«— 140« 90« 1,54,, 3,73

240«— 330« 90« + 2,49 60«— löO« 90« 0,81 3,30

250« 340« 90« + 2.36 70« 160« 90« + 0,61 1,75

260«— 350« 90« + 1,53,, 80«— 170« 90« + 1,25 0,28

270«— 360« 90« + 1,26,; 90«— 180« 90« + 1,29

Die scheinbar Fechten Winkel der inneren Sehfeid- hälfte sind also am meisten, wenn sie gerade nach in* nen zu liegen, grösser als ihre Scheitelwinkel, gleich- falls scheinbar rechte Winkel, in der äusseren Hälfte. Sollte sich hierin nicht wiederum die Einwirkung meines Maasses Terrathen? Durch letzteres wäre dann doch das eigenthüm- hohe Verhalten des GF in den Uebergängen von der einen Hauptrichtung zur anderen des Näheren bedingt. Dem Zu- fall verdanken jedenfalls die Zahlenreihen in 3) ihre Regel- mässigkeit nicht. Dafür scheinen mir auch die Erfahrun- gen zu sprechen, die ich mit den Versuchen, ein recht- winkliges Kreuz herzustellen, gemacht habe. Ich konnte die Aufgabe mit dem rechten Auge nur dann lösen, wenn die beiden sich kreuzenden Durchmesser senkrecht und wag- recht verliefen oder höchstens bis 10® davon abwichen. Und der Fehler war in diesem Falle gerade so*) wie bei Halbimng von ISO®, z. B. einmal im Mittel aus 80 Ver- suchen CF = -}- 1,20® oder =-|- l,33®/o für den senkrech- ten Durchmesser. In allen übrigen Lagen war das Kreuz nicht eindeutig. Es erschien entweder nur das eine oder nur das andere Winkelpaar richtig, niemals alle vier. Diese

*) Dies Yerhftltniss blieb aach in sp&teren Tersuchen bestehen, in denen CF andere Werthe annahm.

5*

68

R. Fischer.

Mehrdeutigkeit eines rechtwinkligen Kreuzes habe ich frei- lich erst erkannt, nachdem ich die Halbirungen von 180® beendet hatte. In früheren Versuchen, die noch den aller- ersten Winkelmessungen voraufgingen, stand ich den Befun- den rathlos gegenüber, da sie bald sehr schön zusammen- passten, bald einander widersprachen und da es doch nicht den Eindruck machte, als ob nur die Unbestimmtheit den Wechsel verschuldete. Die genannten Schwierigkeiten wären wohl weggeblieben, wenn die Form der Uebergänge des CF, wie ich sie für die Halbirungen von 180® im Seh- feld des rechten Auges beschrieben habe, nur durch zufäl- lige Schwankungen entstanden und nicht vielmehr eine streng gesetzmässige wäre. Dieselbe Form treffen wir aus- serdem im Sehfeld des linken Auges wieder an.

4) CF der Halbirungen eines Winkels von 180® im Sehfeld des linken Auges. Je 40 Versuche.

Lag

e des halbirenden

Halbmessers

Zugehöriger constanter Fehler

I

II

III

IV

I

II

III

IV

90«

360«

270«

+ 1,44

-M2

+ 1,44

-1,42

10«

100«

350«

260«

+ 1.71

-1,74

+ 1,76

1,86

20»

110«

340«

250«

+ 2,22

2,16

+ 2,48

2,52

30«

120«

330«

240«

+ 2,40

-1,90

+ 2,79

2,77

40«

130«

320«

230«

+ 2,50

-1,53

+ 2,20

-2,28

50«

140«

310«

220«

+ 1,28

0,21

+ 1.10

-0,46

60«

150«

300«

210«

-0,40

+ 0,25

0,25

+ 0,29

70«

160«

290«

200«

1,23

+ 1,17

0,76

+ 0,90

80«

170«

280«

190«

i -1,26

+ 1,24

-1,17

+ 1,16

90«

180«

270«

180«

I -1,42

+ 1,44

-1,42

+ 1,44

Tabelle 4) deckt sich fast vollständig mit 3). Nur ist der Ort der richtigen Halbirung durchweg der Quadranten- mitte etwas näher gerückt. Die Bedeutung dieses Befun- des erhellt aus Tabelle 4a, die ich aus 4) in gleicher Weise abgeleitet habe wie 3 a aus 3).

Weitere Grössensch&tzangen im Gesichtsfeld. 69

4 a) Scheinbar rechte Winkel im Sehfeld des linken Auges.

I II III

Winkellage, Wirkliche Winkellage, Wirkliche ann&hernd Grösse annähernd Grösse I > II

180«— 270« 90» M3Vo O«— 90« 90« l,437o

190»— 280« 90« 1,16,, 10«— 100« 90« 1,72,, 0,56

200«— 290« 90« 0,82 20«— 110« 90« 2,19 1,37

210«- 300« 90« 0,27,, 30« 120« 90« 2,15,, 1,88

220«— 310« 90« + 0,78,, 40«— 130« 90« 2,01,, 2,79

230«— 320« 90« + 2,24,, 50«— 140« 90« 0,74,, 2,98

240«— 330« 90« + 2,78,, 60«— 150« 90« + 0,32,, 2,46

250«— 340« 90« + 2,50,, 70« 160« 90« + 1,20,, 1,30

260«— 350« 90« + 1,81,, 80«— 170« 90« + 1,25 0,56

270«— 360« 90« + 1,43 90«— 180« 90« + 1,43

Es sind sonach die scheinbar rechten Winkel der lin- ken Hälfte des Sehfeldes hier ebenfalls grösser als ihre Scheitelwinkel in der rechten, jedoch nicht so viel wie im Sehfeld des rechten Auges und damit hängt eben die Verschiebung des Punktes, wo CF = 0, zusammen. Im Uebrigen stimmen die beiden Sehfelder vollkommen über- ein. — Hierdurch schliessen sich, so scheint es, die Hal- birungen von 180® wiederum möglichst eng an die der kleineren Winkel, insbesondere an die von 150^ an. Denn bei letzteren weichen die Sehfelder nur wenig von einander ab, nämlich nur insofern, als der Halbmesser 180® rechts einen positiven, links einen negativen *CB' aufweist; in den drei anderen Hauptrichtungen besteht kein Unterschied zwischen rechts und links. Ist aber ebenso bei Verglei- chung rechter Winkel in der 0®-, 90®- und 270®-Lage CF rechts und links der gleiche, so muss er es auch für die 180® -Lage sein, weil ja nunmehr der CF der einen Hauptrichtung von dem der anderen abhängt.

Allein eigentlich wäre man wohl berechtigt, zwischen den beiden Sehfeldern Symmetrie zu erwarten. Die sym- metrische Vertheilung der Fehler (Vorzeichen) würde sich

70 R- Fischer.

übrigens genau so gut wie die nicht symmetrische aus den bei den kleineren Winkeln gewonnenen Ergebnissen her- leiten lassen: Tabelle 4) hat nur in zwei Hauptrichtungen denselben CF wie 2); natürlich bleibt es so, wenn in 4) die Vorzeichen durchweg abgeändert werden und nun 4) und 3) symmetrisch erscheinen. Eine solche Aenderung Imtte zudem den Vortheil, dass dann im linken Sehfeld ebenso wie im rechten das Grössenverhältniss zwischen den scheinbar rechten Winkeln der inneren Hälfte und ihren Scheitelwinkeln in der äusseren dem gewöhnlichen Maass- stab für Innen und Aussen entsprechen würde. Das linke Auge verräth denn auch hier und da Neigung zu „symme- trischen" Einstellungen; namentlich kommt der unterdrückte negative Fehler des linksseitigen Halbmessers 180^, und schliesslich des senkrechten Durchmessers überhaupt, öfters wieder zum Vorschein ein Verhalten, das offenbar schon bei den kleineren Winkeln dadurch angebahnt ist, dass der CF der senkrechten Halbirungslinien dort, besonders im linken Gesichtsfeld, eine doppelte Form annehmen kann.

Spätere Halbirungen von 180^ in den vier Hauptrich- tungen ergaben zuweilen einen grösseren CF als die oben mitgetheilten, häufiger noch einen kleineren; z. B. betrug er nach je 80 Einstellungen der beiden senkrechten Halb- messer im rechten Sehfeld 0,91 ®/o, im linken 0,90 ^/q. Ebenso wurde in der Regel im Blickfeld jedes Auges CF etwas niedriger, so einmal für die senkrechten Halbmesser zusam- men = + 0,76®/o und +0,78<>/o. Das Gleiche gilt für die Halbirungen und die Einstellungen eines rechtwinkligen Kreuzes mit beiden Augen; bei ersteren war z. B. CF = -|-0,6ö®/o, bei letzteren die Abweichung des senkrechten Durchmessers = + 0,59« oder in »/o von 90® = 0,66 % ein zweites Mal == + 0,83« = 0,92%. Solche Schwan- kungen des CF haben nichts überraschendes; in den an- deren Versuchen war es ja ähnlich. Bedeutungsvoll erscheint mir dagegen die Beobachtung, dass CF des Halbmessers

Weitere GröaseDsch&tEODgen im Gesichtsfeld. 71

180^ bei den Halbirnngen von 180^ im Blickfeld des lin- ken Auges an manchen Tagen nicht mehr das positive Vor- zeichen hatte, wie zu derselben Zeit im Sehfeld ') und wie sonst gewöhnlich, sondern das entgegengesetzte» ohne seine Grösse wesentlich zu ändern. Ebenso fand ich dann den negativen Fehler bei den Einstellungen eines senkrecht stehenden rechtwinkligen Kreuzes mit dem linken Auge, freilich nur selten. Häufiger schien aber die Symmetrie wieder in den Versuchen mit beiden Augen hervorzutreten; denn hier wurde wiederholt für den Halbmesser 180^ CF = 0, ebenso für das rechtwinklige Kreuz.

Aehnlich verhielt sich GF, wenn ich nicht mehr rechte Winkel beurtheilte, sondern den Durchmesser 0^-180^ nach dem Augenmaass in senkrechte Lage zu bringen suchte. Der scheinbar senkrechte Meridian zeigte, ebenso wie die senkrechten Halbmesser in den Halbirungen von 180® und offenbar aus demselben Grunde (also mittelbar wegen der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung), eine Drehung nach redits und es war z. B. nach 200 Versuchen im rechten Sehfeld CF = +l,17^ im linken = + 0,970; im Blickfeld wurde er wohl immer etwas kleiner, aber links manchmal, bei gleicher Grösse, sogar negativ, bei den Messungen mit beiden Augen endlich stets klein, mit positivem Vorzeichen, a. B. = + 0,34^ zuweilen auch = 0.

In einem Falle kehrte aber jener negative Fehler des linken Gesichtsfeldes und so die Symmetrie zwischen links und rechts regelmässig wieder, nämlich da, wo zu dem

*) Dann richteten sich die Versuche im Sehfeld stets eine Zeit lang nach den unmittelbar Torausgehenden Einstellungen im Blick- feld, und umgekehrt. Auch die Messungen mit beiden Augen hatten zum Theil verschiedene Ergebnisse, je nachdem Yorher im linken oder rechten Blickfeld untersucht worden war. Aehnliches sahen wir bei den kleineren Winkeln, als festgestellt wurde, dass GF der senkrechten Halbirungslinien dort ebenfalls bald positiv, bald nega- tiv sein kann.

72 R. Fischer.

scheinbar senkrechten Meridian des rechten Sehfeldes die Decklinie im linken gesucht wurde. Letztere war um eben- soviel nach links gedreht als ersterer nach rechts und bil- dete mit ihm einen nach oben offenen Winkel, der nach zahlreichen Versuchen im Durchschnitt 2,31 ^ also noch einmal so gross war als nach 3) CF des Halbmessers 0^ bei den Halbirungen von 180®; nach unten verlängert wür- den sich übrigens die Decklinien, wenn ich aufrecht stehe, gerade auf dem Fussboden schneiden.

Diese Lage der Decklinien führte freilich zu Wider- sprüchen. Die scheinbar wagrechten Meridiane beider Seh- felder verliefen, wenigstens allemal nach längerer Dauer der Untersuchung, auch wirklich wagrecht. Zu ihnen stand nun zwar der scheinbar senkrechte Meridian des rechten Sehfeldes rechtwinklig, aber nicht auch dessen Decklinie. Drehte ich diese, bis die Winkel = 90® erschienen, so war sie zu jenem absolut parallel, aber natürlich nicht mehr Decklinie. Ueberhaupt gelang es zur Zeit jener Versuche nicht, auf diese Weise ein rechtwinkliges Kreuz herzustellen, solange das ebene Gesichtsfeld streng festgehalten wurde.

So suchte sich die Symmetrie der beiden Gesichtsfel- der immer wieder geltend zu machen. Gleichwohl blieb sie nach allem eine sehr unvollkommene. In den meisten Fällen richteten sich anscheinend die Messungen im linken Gesichtsfeld und die mit beiden Augen zeitweise oder regel- mässig nach denen des rechten Auges. Hiermit hängt ver- muthlich eine Erscheinung zusammen, die ich bei den Ein- stellungen der scheinbar senkrechten Decklinien (beide Au- gen in der Primärlage), aber auch sonst noch in stereo- skopischen Versuchen bemerkt habe: das binoculare Sam- melbild befand sich häufig nicht gegenüber der Mittellinie, sondern gerade vor dem rechten Auge. Diese Bevorzugung des rechten Auges ist vielleicht aus einem einseitigen Ge- brauch desselben hervorgegangen. Obwohl meine Augen bei gleicher Kurzsichtigkeit gleich leistungsfähig sind, so

Weitere Grössen sch&tzungen im Gesichtsfeld. 78

benutze ich doch seit langem das rechte weit mehr als das linke, zum Mikroskopiren, beim Gebrauch eines Vergrösse- mngsglases, oft auch zur Augenspiegeluntersuchung, wenig- stens im umgekehrten Bilde, femer z. B. selbst in den Ver- suchen über die Grössenschätzungen, die mich geraume Zeit beschäftigt haben u. s. w. Dann wäre die beschriebene Asym- metrie der Gesichtsfelder eine erworbene; von den beiden Messungsarten des linken Auges wäre die eine, die „sym- metrische'S durch die andere, nicht symmetrische, eben we- gen deren Uebereinstimmung mit der Messungsart des rech- ten Auges, in vielen Beziehungen (vielleicht nicht für immer?) verdrängt Dass bei den kleineren Winkeln (TabeUe 1 und 2) die Symmetrie der beiden Sehfelder zum Theil gestört er- schien, war übrigens ebenfalls, wenn auch in anderer Weise, die Folge einer Bevorzugung des rechten Auges.

Ob bei Anderen eine ähnliche Asymmetrie vorkommt, ist mir nicht bekannt. Mehrere Untersucher berichten, dass bei ihnen die symmetrisch liegenden scheinbar senkrechten Decklinien mit den scheinbar senkrechten Meridianen oder doch mit den auf einer Wagrechten scheinbar senkrecht stehenden Meridianen zusammenfallen. Und der Winkel, imter dem sich erstere schneiden, beträgt etwa so viel wie bei mir oder noch mehr, öfters auch weniger, ja er kann = 0 werden. Der zuletzt genannte Befund wie überhaupt der Wechsel der Winkelgrösse würde an sich noch keines- w^s gegen die aus meinen Darlegungen zu ziehende Schluss- folgerung sprechen, dass die fehlerhafte Lage der schein- bar senkrechten Meridiane u.s.w., wo sie vorhanden, (sym- metrisch oder nicht) eben doch durch die Art der Ausmes- sung des einäugigen Gesichtsfeldes und somit schliesslich durch die scheinbare Sehfeldzusammenziehung bedingt sein könnte. Ist der Fehler =0, so wäre z.B. daran zu den- ken, ob nicht in diesem Falle die Sehfeldzusammenziehung in allen Richtungen gleich stark nach der Peripherie hin zunimmt u.s.f.

74 R- Fischer.

Weitere einschlägige Versuche sind meines Wissens nur noch in geringer Zahl veröffentlicht worden. Helm- holtz^) stellte mit dem rechten Auge ein rechtwinkliges Kreuz, das nach meinen Bezeichnungen von den Durchmessern 342«- 162« und 720-252» gebildet wurde, vollkommen richtig ein, mit dem linken Auge dagegen ein symmetrisch zu jenem liegendes Kreuz, d. h. die Durchmes- ser 18<^-198» und 108<>-288^ am fehlerhaftesten erschien das Kreuz, nachdem er es um 45« weiter gedreht hatte. Wie ein Blick auf meine Halbirungen von 180 « lehrt, könnte sich bei mir das Kreuz unter Umständen in fast gleichen Lagen ebenso verhalten. Die Möglichkeit ist ge- geben; der Fehler hängt nur davon ab, welches Winkel- l)aar ich berücksichtigen will.

Femer spricht Helmholtz auch von der Vergleichung kleinerer Winkel. Wenn er durch den Scheitel eines Win- kels von 30« bis 45«, dessen einer Schenkel wagrecht lag, eine dritte, der Senkrechten nähere Linie so zog, dass der zweite Winkel dem ersten gleich zu sein schien, so fiel der zweite zu gross aus und betrug z. B. statt 30« über 34« (d. h. CF > 13 «/oO; ob er mit dem rechten oder mit dem linken Auge untersuchte imd ob sich der Winkel nach rechts oder nach links öffnete, war gleichgültig. Diesen Versuchen entsprechen wahrscheinlich meine eigenen Hal- birungen eines Winkels von 60« bei 60«- und 300 «-Lage des halbirenden Schenkels (wohl nicht die bei 120«- und 240«-Lage?) sowie die Halbirungen von 90« bei 45«- und 315 «-Lage und sie waren auch mit einem ähnlichen Fehler verbunden. Dass mein GF niemals die beträcht- liche Höhe erreichte wie der von Helmholtz, kann Zufall sein, rührt aber vielleicht von der Verschiedenheit der Auf- gaben her. Ich habe wiederholt die Winkelvergleichungen so wie Helmholtz vorgenonunen, indem ich nicht den

>) Helmholtz, Handbach der physiol. Optik. 1. Aufl. i 28.

Weitere GröBsenschiltzangen im Gesichtsfeld. 75

mittelsten der drei gewöhnlich vorhandenen Halbmesser, sondern einen der beiden anderen nach dem Augenmaass einstellte, indem ich also nicht halbirte, sondern einem Winkel von 10, 20 oder 30® einen zweiten, anliegenden gleich zu machen suchte. Der CF, der hierbei nachgewie- sen werden konnte, wich nun, allerdings nur für die nach redits oder links offenen Winkel, in regelmässiger Form von dem der Halbirungen ab. Wenn z. B. L.90<^-110® gegeben und der Schenkel 70® in die geforderte Lage zu bringen war oder wenn umgekehrt 70® und 90® von An- fang an vorhanden waren und der Schenkel 110® gesucht vmrde, so bestätigte sich zwar allemal die Erfahrung, dass der untere Winkel kleiner blieb als der obere, aber im ersten Fall war der Unterschied der Winkel bedeutender als nach Halbirung eines [__ 70®- 110®, im zweiten Fall da- gegen geringer. Der gesuchte Winkel nahm immer einen grösseren Werth an, als der Einfluss der Ueberschätzung des unteren Winkels verlangte. Schon wogen dieser Be- einträchtigung des CF wird man sich besser der Halbirun- gen als der blossen Vergleichungen bedienen, wenn es gilt, die Art der Winkelmessung zu erforschen. Was mich aber von vornherein veranlasste, von letzteren abzusehen und mich in allen meinen Versuchen auf jene zu beschränken, war die Rücksicht auf die weit grössere Bestimmtheit der Halbirungen. Der niedrigere Grad ihres mittleren variablen Fehlers (=YF) ermöglichte es, so liess sich voraussehen, mit einer geringeren Zahl von Versuchen zu einem Urtheil über CF zu gelangen. Freilich war VF der Halbirungen immer noch ziemlich stark; er hatte, wenn wir ihn wie bei den Längenmessungen in Procenten der wirklichen Hälften ausdrücken, folgende Werthe:

Ib) VF der Winkelhalbirungen im Sehfeld des rech- ten Auges. Je 40 Versuche, für 10® und 15® nur je 20.

76

R. Fischer.

5».

10»

15»

20»

30»

45»

60»

75»

2,76

2,22

2,29

1,90

1,24

0,94

1,19

1,17

10«

2,63

2,77

2,86

2,59

1,77

2,05

1,26

1,55

20»

3,27

2,42

2,22

2.37

2,77

2,74

1,81

1,46

30»

4,20

2,37

2,44

2,38

2,72

2,09

2,06

1,33

40» 50»

4,24 3,80

2,96 3,01

2,92

2,64 2,40

1,95 2,47

[ ^'^ J

1,98

1,48

60»

3,98

3,84

2,35

1,95

2,06

1,50

70»

4,34

2,55

2,69

2,79

2,35

1,70

1,44

80»

4,38

2,51

2,77

3,15

90»

2,86

3,69

2,36

2,14

2,30

1,69

1,38

1,51

100»

3,86

2,99

1,99

1,66

1,81

1,37

110»

3,70

2,27

___

2,34

2,07

1,87

120»

3,57

2,21

3,32

2,16

1,24

1,58

130» 140»

3,32 5,29

2,06 2,34

2,41

3,02 2,56

1,78 2,03

[2,12

1,21

1,62

150»

4,62

1,97

2,74

1,62

2,06

2,00

160»

3,14

2,85

2,42

2,55

1,75

1,48

1,96

170»

3,26

2,82

2,12

1,68

1,56

1,38

1,73

180»!

2,92

2,88

1,90

1,79

IM

1,25

0,94

1,09

190»

2,81

2,24

2,73

1,49

1,54

1,50

1,49

200»

3,59

2,70

2,73

3,23

1,84

1,11

1,55

210»

3,52

2,12

2,47

2,13

2,60

2,44

1,85

220» 230»

4,71 4,22

3,25 2,64

^2,62

2,83 2,52

2,49 2,44

2,74

1,80

1,40

240»

3,78

3,07

2,03

1,98

.

1,87

1,57

250»

3,51

2,04

2,11

2,16

•2,17

1,71

1,27

260»

3,38

2,68

2,31

1,83

270»

2,91

2,48

2,41

2,24

1,54

2,31

1,36

1,29

280»,

3,39

2,87

2,96

1,65

1,48

1,86

290»

4,90

2,50

2,40

2,44

2,43

300»

4,46

3,10

2,51

1,53

1,76

1,84

310» 320»

3,07 4.11

2,32 2,61

2,24

2,59 1,93

2,38 1,96

3,05 3,04

1,93

^ 1,67

330»

5,37

2,88

1,86

2,10

1,36

2,52

1,59

340»

4,77

2,46

2,57

1,87

1,64

1,78

1,73

350»

3,49

2,90

2,69

2,51

1,40

2,05

1,88

1,61

Mitte

1 3,78

2,66

2,45

2,44

2,07

2,11

1,67

1,55

Weitere GröBBenschfttzungen im Gesichtsfeld.

77

2b) VF der Winkelhalbirungen im Sehfeld des linken Auges. Je 40 Versuche, für 10® nur je 20.

10«

20«

30«

45«

60«

75«

2,37

1,53

1,58

1,52

1,43

1,32

1,14

10»

2,89

1,63

1,78

2,50

2,05

1,29

20»

2,31

2,85

30«

2,45

2,47

40« 50«

4,67

2,19 3,20

•""

2,18

z

^_

1,72

90«

3,44

2,65

2,99

1,38

1,12

1,27

1,07

135«

3,28

2,38

150«

4,19

2,00

1,31

160«

3,47

1,93

1,76

2,08

1,62

1,68

1,01

170«

4,13

2,47

2,40

1,89

1,45

1,29 1,10

180«

2,62

1,71

1,64

1,24

1,35

1,19 0,88

190«

2,86

2,79

_ , _

220« 230«

4,34

2,61 2,41

__

1,91

"~

~~

[l,35

270«

3,24

3,06

2,50

1,42

1,73

1,33

1,38

315«

3,61

2,77

1,70

330«

4,69

2,42

3,63

2,17

2,33

2,04

1,33

340«

2,72

1,77

2,40

1,95

1,36

1,79

1,12

350«

4,27

2,07

1,75

1,84

2,03

1,13

1,03

Mittel

3,56

2,41

2,19

1,94

1,82

1,43

1,24

Wir finden hier die verschiedensten Grössen des VF vertreten. So weit die Versuche ein und denselben Winkel betreffen, sind die Schwankungen regellos, unabhängig von <ler Lage des Winkels und wahrscheinlich nur zufällige. Berechnet man aber aus ihnen für jeden Winkel das Mittel, wie ich es am Schluss der Tabellen gethan habe, so wer- den, anscheinend gesetzmässige Unterschiede dieser Durch- schnittswerthe sichtbar: erstens ist jede Zahl aus dem lin- ken Sehfeld etwas niedriger als die entsprechende Zahl aus dem rechten und zweitens nimmt in beiden Sehfeldern VF (in %) ab, wenn die Winkelgrösse wächst. Weder das eine, noch das andere lässt sich etwa auf den Einfluss der Uebung

78 R- Fischer.

zurückführen. Zwar habe ich mit dem linken Auge einen Winkel immer erst halbirt, wenn ich die Versuche betreffs desselben Winkels im rechten Sehfeld beendet hatte, und ich habe auch die Untersuchungen der Winkelgrösse nach auf einander folgen lassen. -Indessen geschah letzteres nicht ausnahmslos: im linken Sehfeld bestimmte ich die schein- baren Hälfben = 30® erst am Schluss der sämmtlichen Yer- gleicbuDgen, d. h. nach lö^j und doch passt VF vollkom- men in die Reihe zwischen 20® und 45® und nicht hinter 75®; femer waren die Messungen des kleinsten Winkels, die weitaus den grössten VF aufweisen, in beiden Sehfeldern die allerletzten, sie folgten erst auf 30® im linken Sehfeld. Eine Mitwirkung der Uebung will ich freilich nicht ganz ausschliessen. Denn diese machte sich sonst öfters auffäl- lig bemerkbar. Aber in der Hauptsache muss es einen an- deren Grund haben, dass das linke Auge etwas bestimmter zu urtheilen scheint als das rechte und dass meine Winkel- halbirungen im Sehfeld nicht dem psychophysischen Gesetz gehorchen.

Was den letzteren, wichtigeren Punkt anlangt, so könnte man noch versuchen, den absoluten variablen Fehler v in zwei Theile zu zerlegen, von denen der eine, a, für alle Winkel Wj, w, u. s. f. dieselbe absolute Grösse, der andere» r, dieselbe relative Grösse besitzt, so dass

l)v = a + r und 2)^ = -^ = ^

' Wj W, W3

Diese Bedingungen wären noch am ersten erfüllt, wenn a = 0,l® gewählt wird. Denn dann würde r in ^j^ der ge- forderten Winkelhälften betragen

für Vi L=- 5* 10« 15» 20« 30« 45« 60« 75« rechts 1,78 1,66 1,78 1,94 1,74 1,89 1,50 1,42 ®/<, links 1,56 1,41 1,69 1,61 1,60 1,26 1,11®/^

Allein gegen das Ende der beiden Reihen hin tritt doch wieder eine unzweifelhafte Abnahme zu Tage. Und noch

Weitere Grössensch&tzungen im Gesichtsfeld.

79

weiter würde die relative Zahl für r sinken, wo es sich tun Halbirangen von 180^ handelt. Dies geht aus den Tabellen 3b und 4b hervor.

3b) VF der Halbirungen von 180« im Sehfeld des rechten Auges. Je 80 Versuche. VF (nicht etwa r) in % von 90«. HH = Lage des halbirenden Halbmessers.

HH

1 VF

HH

VF

HH

VF

HH

VF

0,29

90«

0,36

180«

0,25

270«

0,21

10»

0,37

100«

0,44

190«

0,36

280«

0,43

20»

0,53

110«

0,61

200«

0,72

290«

0,58

30«

0,60

120«

0,56

210«

0,73

300«

0,63

40«

0,69

130«

0,66

220«

0,53

310«

0,60

50«

0,72

140«

0,73

230«

0,57

320«

0,64

60«

0,67

150«

0,74

240«

0,58

330«

0,63

70»

0,71

160«

0,56

250«

0,53

340«

0,67

80*

0,53

170«

0,36

260«

0,33

350«

0,36

Mittel aus allen 2880 Versuchen: VF« 0,53 «/o.

4b) VF der Halbirungen von 180« im Sehfeld des linken Auges. Je 40 Versuche. VF in «/^ von 90«. HH = Lage des halbirenden Halbmessers.

HH

VF

HH

VF

HH

1 r

VF

HH

VF

0,22

90«

0,23

180«

0,23 1

270«

0,19

10«

0,37

100«

0,31

190«

0,31

280«

0,34

20«

0,54

110«

0,45

200«

0,39

290«

0,56

30«

0,62

120«

0,52

210«

0,64

300«

0,64

40«

0,55

130«

0,49

220«

0,57

310«

0,58

50«

0,62

140«

0,59

230«

0,47

320«

0,73

60«

0,69

160«

0,92

240«

0,70

330«

0,67

70«

0,63

160«

0,62

250«

0,61

340«

0,59

80«

0,48

170«

0,35

260«

0,41

350«

039

Mittel aas allen 1440 Versachen: VF 0,60 «/o.

Die Tabellen lassen ausserdem erkennen, was sonst höch- stens angedeutet war, dass sich die vier Hauptrichtungen durch grosse Bestimmtheit der Einstellungen auszeichnen»

80

R. Fischer.

dass VF dort nur etwa halb so viel beträgt als im Mittel aus allen Versuchen zusammen. Auch noch in den benach- barten Lagen bleibt er weit unter dem Durchschnitt Der Grund hierfür kann nicht zweifelhaft sein. Nur dann, wenn die Schenkel der scheinbar rechten Winkel genau oder an- nähernd in den vier Hauptrichtungen verlaufen, herrscht ja scheinbare Uebereinstimmung zwischen sämmtlichen vier Quadranten.

Zum Schlüsse einige Bemerkungen über den VF der Messungen, die ich sonst noch erwähnt habe. Im Blickfeld stellt sich VF gewöhnlich viel niedriger als im Sehfeld. Als Beispiel führe ich die beiden folgenden Tabellen an. Sie beziehen sich allerdings nur auf den Fall, dass der hal- birende Halbmesser einer der vier Hauptrichtungen ange- hört; die Zwischenstellungen liefern aber nur wenig höhere Werthe.

VF der Winkelhalbirungen im Blickfeld des rechten Auges, in ^Jq der Winkelhälften. Je 40 Versuche.

10«

15«

20«

30«

45«

60«

75«

90«

180«

270«

0,80 0,73 0,94 0,60

0,67 0,75 0,66 0,65

0,84 1,37 0,92 0,98

0,63 0,79 0,62 0,75

0,58 0,93 0,61 1.01

0,65 0,77 0,70 0,73

0,50 0,70 0,56 0,59

Mittel

0,77

0,68

1,03

0,70

0,78

0,71

0,59

Mittel aas allen 1120 Versuchen: VF=»0,75«/o.

VF der Winkelhalbirungen im Blickfeld des linken Auges, in ^o der Winkelhälften. Je 40 Versuche.

10«

20«

30«

45«

60«

"75«

90«

180«

270«

0,80 1,25 0,73 0,83

0,88 0,79 1,00 0,94

0,76 0,61 0,62 0,69

0,75 0,72 0,69 0,85

0,62 0,48 0,59 0,62

0,72 0,38 0,52 0,41

Mittel

0,90

0,90

0,67

0,75

0,58

0,51

Mittel aas allen 960 Versachen: VF=«0,72«/o.

Weitere Grössenschfttzoiigeii im Gesichtsfeld.

81

Im Sehfeld war VF zwei- bis dreimal so gross, ein Unter- schied, wie wir ihn bei den Längenmessungen auch nicht annähernd angetroffen haben. Wie aus den beiden Ta- bellen weiterhin zu entnehmen ist, darf das psychophysische Gesetz auf die Versuche im Blickfeld allenfalls angewendet werden. Allein für die Winkelhälften = 75 ^ sinkt VF doch jedesmal am tiefsten und eine yollkommene Ausnahme bil- den — gleichfalls nur senkrechte und wagrechte Lage des halbirenden Schenkels vorausgesetzt die Halbirungen ▼on 180^ mit VF = 0,17 «/o und die von W mit VF = 1,27 ^Iq. Genau so verhält sich VF bei den Winkelmessun- gen mit beiden Augen:

VF der Winkelhalbirungen mit beiden Augen im Blick- feld, in ®/o der Winkelhälften. Je 40 Versuche.

||ioo

150

20«

30«

45«

60«

75«

90«

0*

90«

180*

270«

' 0.87 0,77 0,64 0,53

0,84 0,91 0,78 0,91

0,79 1,14 0,47 0,95

0,73 1,09 0,56 0,98

0,86 1,32 0,82 0,93

0,66 0,97 0,69 1,04

0,51 0,69 0,67 0,74

0,14 0,17 0,12 0.14

Mittel

0,70

0,86

0,84

0,84

0.98

0,84

0,65

0,14

Mittel aus aUen 1120 Versuchen für 10«— 75«: VF=-0,81«/o.

Die Einstellungen eines rechtwinkligen, senkrecht stehenden Kreuzes ferner haben ungefähr denselben VF wie die ent- entsprechenden Halbirungen von 180*^. Bei anderer Lage des Kreuzes kann aber VF mehr oder weniger wachsen, und etwa doppelt so gross wird er in den Versuchen über den scheinbar senkrechten Meridian: ich fand im Mittel aus je 200 Einzelwerthen :

1) im Sehfeld rechts links

2) im Blickfeld 3) mit beiden rechts links Augen

VF = 0,4680 0,4360 0,319^ 0,336« 0,206« oder in % von 90«

= 0,52«/o 0,48 «/o 0,35 «/o 0,37 «/o 0,23 «/o

▼. Qnefe's AtcUt fOr Ophthalmologie. XXXYII. 3. 6

82 R. Fischer.

Die Fehler der drei Äbtheilungen stehen zu einander in dem Yerhältniss von 4:3:2. Links ist VF nicht kleiner als rechts; der geringe, aber regelmässige Unterschied, der in Tabelle Ib und 2b nachgewiesen wurde, tritt sonst nir- gends wieder deutlich zu Tage.

Nach 100 Einstellungen der scheinbar senkrechten Deck- linien endlich war im Durchschnitt VF = 0,22^.

IL Scheinbar gerade Linien des Sehfeldes.

Wenn wir grösste Kreise des kuglig gedachten Seh- feldes mit Hülfe der Richtungslinien auf eine Ebene pro- jiciren, auf der die Gesichtslinie senkrecht steht, so bilden die Projectionen gerade Linien. Diese erscheinen uns je- doch nicht in allen Fällen geradlinig. So bleiben, Primär- lage des Auges vorausgesetzt, zwar diejenigen Projectionen grösster Kreise auch für das Äugenmaass unverändert ge- radlinig, die durch den Fixirpunkt gehen, d. h. die Meri- diane. Alle übrigen aber erleiden scheinbar eine Krüm- mung und werden concav gegen den Fixirpunkt. Für diese Scheinkrümmung liesse sich wohl eine befriedigende Er- klärung finden. Legt man durch den Fixirpunkt eine Pa- rallele zu der Projection eines beliebigen grössten Kreises, so wird die gegenseitige Entfernung der beiden Linien, die überall gleiche Grösse hat, doch nicht überall unter dem- selben Gesichtswinkel gesehen; der Winkel ist am Fixir- punkt am grössten und nimmt von da nach beiden Seiten hin mehr und mehr ab. In Folge dessen müsste eben die nicht meridionale Gerade concav erscheinen, und dieselbe Vorstellung könnte für den Fall, dass der parallele Meri- dian fehlt, beibehalten werden. Als feststehend ist dabei freilich angenommen, dass die Meridiane, die ja durch ihre Lage bevorzugt sind und die der Wirklichkeit entsprechend

Weitere Grössensch&tzangen im Gesichtsfeld. 83

als geradlinig angesehen werden, den Ausgangspunkt für das UrÜieil über die Richtung anderer Linien abgeben.

Umgekehrt liegt hiemach die Frage nahe, ob nicht die Parallelkreise zu einem Meridian oder besser ihre Pro- jectionen scheinbar ungekrümmte Linien des ebenen Seh- feldes bei Priroärstellung des Auges sind. Denn da der Ab- stand zwischen Meridian und Parallelkreis natürlich durch- weg denselben Gesichtswinkel hat, so würden die beiden Projectionen einander parallel und somit die des Parallel- kreises ebenfalls geradlinig erscheinen, wiewohl sie im Bo- gen, convex gegen den Fixirpunkt, verläuft. Hierüber habe ich in letzter Zeit, wo ich bereits an einen Zusammenhang zwischen der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung und den Fehlern des Augenmaasses dachte, einige Versuche ange- steUt

An einer senkrechten, schwarzen Tafel war in geringer Entfernung (6® bis 8^) von einem weissen Punkt, den ich mit dem rechten Auge, bei Primärlage desselben und mit rechtwinklig zur Tafel gerichteter Gesichtslinie, auf 18 cm Abstand fixirte, eine gerade Linie ac oder vielmehr nur ihre Endpunkte a und c angebracht und in der Mitte zwi- schen a und c wurde dann ein dritter Punkt b so lange hin und her geschoben, bis er mit jenen in einer Geraden zu liegen schien. Die Einstellungen erfolgten sehr unsicher, doch stimmten die Mittel werthe darin überein, dass b zu nahe an den Fixirpunkt herangerückt wurde, dass sich also die scheinbar gerade Linie abc in Wirklichkeit convex ge- -gen den Fixirpunkt krümmte. Und nach der Berechnung war die Krümmung etwas stärker als die der Projection eines „Parallelkreises'% nicht nur oben und aussen, wo sie den höchsten Grad zu erreichen schien, sondern auch unten und innen. Denkt man sich einen Meridian parallel zu der scheinbaren Geraden abc, so wäre demnach der Ge- sichtswinkel des Zwischenraumes zwischen den beiden Linien nicht überall gleich gross, sondern am Fixirpunkt am klein-

84 R- Fischer.

sten und peripheriewärts wachsend. Ganz so würde sich aber (nach Archiv für Ophthabnol. XXXVU, 1, S. 135 ft) der Einfluss der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung äus- sern, von der ja auch die Gradunterschiede in den einzeln nen Sehfeldgegenden, wiewohl nur andeutungsweise, hervor- treten.

Es ist jedoch hervorzuheben, dass während dieser Un- tersuchungen im Sehfeld, von den Bandbezirken abgesehen» neben dem Fizirpunkt nur noch die drei Punkte a, b und c vorhanden waren. Eine ausgezogene Linie hätte wahr- scheinlich, nach einigen Versuchen zu schliessen, eine we- niger fehlerhafte Beurtheilung erfahren als die durch drei Punkte markirte Linie abc. Noch weniger wird sich das eigentliche Maass der Grössenschätzungen geltend machen können, wenn die Linien zusammengesetzten Formen ange- hören. Endlich trägt vielleicht eine beträchtliche Länge der Linien ebenfalls dazu bei, die ursprüngliche, falsche Auffassung mehr und mehr richtig zu stellen; bei mir hatte ac nur eine Ausdehnung von 18® bis 25®. Deshalb wun- dert es mich nicht, dass ich z. B. die Projectionen von Richtkreisen des Blickfeldes, aus denen die Helmholtz- sche Schachbrettfigur ^) besteht, doch als gerade Linien (nebenbei körperlich) zu sehen vermag. Ferner dürfen die Versuche, in denen die Richtkreise u. s. w. selbst, z. B. am Gycloskop von Donders, zur Verwendung kamen, kaum ohne weiteres mit denen, die sich auf die Projectionen im ebenen Sehfeld beziehen, verglichen werden, da sich die Auslegung ein und desselben Netzhautbildes hier wohl ver- schieden gestalten kann.

Alles dies reicht freilich meiner Meinung nach noch nicht hin, um die Ansicht, nach der die Richtlinien die scheinbar geraden Linien des Sehfeldes sein sollen, zu wi- derlegen. Namentlich haben meine eigenen Versuche be-

>) HelmholtE, Handbuch der physiol. Optik. 1. Aufl. § 28.

Weitere Grössensch&tzaogen im Gesichtsfeld. 85

schränkten Wertb, da sie gering an Zahl sind und da ich mich nur wenig eingeübt hatte. Gleichwohl scheint es mir nicht mehr allzugewagt, wenn ich die Täuschungen über die kürzesten Abstände zwischen je zwei Sehfeldpunkten ebenso mit der scheinbaren Sehfeldzusammenziehung in Zu- sammenhang bringe wie die Fehler der Längenschätzungen und die der Vergleichung von Winkeln (darunter die Ab- weichung der scheinbar senkrechten Meridiane). Dann wären wenigstens alle Fehler des Augenmaasses, so verschieden- artig sie aussehen, auf einen einzigen zurückgeführt.

TJeber die Abflnsswege des Humor aqnens.

ExperimenteUe und anatomische Untersachungen

von

Dr. Carlo Staderini, Privatdocenten an der Königl. Universität Siena.

(Aas dem Laboratorium des Professor H. Sattler in Prag.)

Hierzu Tafel III, Fig. 1-3.

In früherer Zeit herrschte bekanntlich über den Ab- fluss des Humor aqueus fast allgemein die Anschauung» dass derselbe aus der vorderen Kammer in die Hornhaut eindringe und, nachdem er diese in ihrer ganzen Dicke durchsetzt, an ihrer vorderen Fläche aus zahlreichen klein- sten Poren zum Vorschein komme.

Im Jahre 1870 hat Schwalbe^), ohne die Frage nach der Durchlässigkeit der Cornea zu berühren, in einer aus- führlichen, höchst bemerkenswerthen Arbeit die anatomi- schen Verhältnisse des Kammerwinkels beim Menschen und bei verschiedenen Säugethieren einer eingehenden Unter- suchung unterzogen und auf Grund von Injectionen von Berliner Blau in die vordere Kammer die höchst auffallige Thatsache angegeben, dass auf diesem Wege sich nicht nur das Lückensystem des Fontana'schen Raumes, sondern auch

') Untersuchungen aber die Lymphbahnen des Auges und ihre Begrenzungen: Archiv fQr mikrosk. Anat VI, S. 261. 1870.

Ueber die AbfluBswege des Homor aqueus. 87

der Schlemm'sche Canal und von diesem aus die den Horn- hautrand umgebenden sderalen Yenennetze füllen lassen, und die Masse endlich durch die vorderen Ciliarvenen ab- fliesse, dass also die vordere Kammer in offener Communica- tion mit den Blutgefässen stehe. Ferner gelangte Schwalbe auch zu der Anschauung, dass der Schlemm'sche Canal beim Menschen kein Blutsinus sei, sondern, ebenso wie das Lücken- system am Iriswinkel, zum lymphatischen Apparate gerech- net werden müsse.

Schwalbe's Auffassung schloss sich Waldeyer*) rück- haltslos an und erwähnt, dass es auch ihm regelmässig ge- lungen sei, durch Injection von der vorderen Kammer aus den Schlemm'schen Canal, selbst bei geringem Drucke, zu füllen. Ebenso stimmt er auch darin Schwalbe bei, dass bei gut gelungenen Injectionen von den Arterien aus eine Füllung des Schlemm'schen Canals nicht eintrete, sowie dass er Blutkörperchen in diesem Canale niemals habe nachweisen können. Die nahe liegende Frage nach dem Vorhandensein von Klappenvorrichtungen wurde von beiden Forschem übereinstimmend dahin beantwortet, dass solche wohl existiren dürften, dass es aber nicht gelungen sei, Klappen nachzuweisen.

Dieser Annahme einer offenen Verbindung der vor- deren Augenkammer mit dem Venensysteme trat Leber in seiner berühmt gewordenen Arbeit im XIX. Bande die- ses Archivs entschieden entgegen auf Grund ausschlagge- bender Versuche, welche zum Theile schon aus dem Jahre 1863 stammten, dann 1870, gemeinsam mit Riesenfeld, wiederholt aufgenommen^) und seitdem mit constantem Er- folge wiederholt und beträchtlich erweitert wurden. Durch diese Versuche wurde einerseits die wichtige Thatsache end-

') Handbuch der ges. Augenheilkunde yon A. Graefe und Th. Saemisch, S. 230. 1874.

*) Zar Frage über die TransfaBionsf&higkeit der Cornea und die Regorption aus der vorderen Angenkammer. Inaug.-Diss. Berlin 1871.

88 C. Staderini.

gültig festgestellt, dass die Hornhaut im normalen Zustande selbst bei bedeutend gesteigertem Druck keine Flüssigkeit hindurchtreten lässt, und andererseits die Frage der Com- munication der vorderen Augenkammer mit dem Blutge- fasssysteme dahin entschieden, dass zwar wässerige Flüssig- keiten, welche gelöste Stoffe enthalten, vermöge des Druck- unterschieds zwischen der vorderen Kammer und den 6e- fässen des Plexus venosus ciliaris durch Filtration in die letzteren übertreten und durch dieselben abfliessen können, eine Substanz hingegen, welche, wie das Berliner Blau, durch den Salzgehalt des Kammerwassers geföUt wird, nicht hin- durchzudringen vermag, dass also eine offene Verbindung der vorderen Augenkammer mit den Blutgefässen nicht existirt. Durdi geeignete Versuche hat es Leber in hohem Grade wahrscheinlich gemacht, dass auch während des Le- bens der Humor aqueus vorzugsweise auf dem Wege der Filtration in die Venen des Plexus venosus ciliaris die vor- dere Kammer verlasse.

Diese Ergebnisse sind, soweit sie die Kammerinjectio- nen an ausgeschnittenen Augen betreffen, einige Jahre spä- ter von Königstein*) bestätigt worden. Auch hat dieser Forscher die von Schwalbe und Waldeyer gegen die Blutgefassnatur des Schlemm'schen Canals vorgebrachten Einwürfe zurückgewiesen, indem er zeigte, dass sich der- selbe sehr sicher von den Blutgefässen aus ohne Anwen- dung von starkem Druck injiciren lasse, wenn der intra- oculäre Druck stärker herabgesetzt war oder die vordere Kammer vorher eröffiiet wurde, dass dabei aber niemals Injectionsmasse in die vordere Kammer austrat, wie dies Schwalbe unter den erwähnten Voraussetzungen beobach- tet zu haben angiebt^). Auch brachte er die Thatsache wieder in Erinnerung, dass wiederholt Blut in diesem Ca-

») Dieses Archiv XXVI, 2, S. 139. 1880. «) 1. c. S. 313.

lieber die Abflusswege des Humor aqueus. 89

nale angetroffen wurde. Dass die Rouget-Leber'sche Auf- Cassong des Schlemm'sdien Canals als venösen Gefässplexus zu Recht besteht, wurde von Königstein ebenfalls bestä- tigt und ist übrigens schon von Leber selbst im Jahre 1876 eingehend begründet worden. Auch Angelucci giebt an, dass er durch Injectionen von der Arteria sowohl, als von der Vena ophthalmica aus vollständige Füllung des Schlemm'schen Canals erhielt, ohne dass eine Spur des inji- drten Materials in das Maschenwerk des Fontana'schen Raumes eindrang. Dagegen sieht er die Füllung des Schlemm* sehen Canals bei Injectionen in die Yorderkammer als ein Kunstprodukt an *). Eine offene Communication der vor- deren Kammer mit den vorderen Ciliarvenen sei als aus- geschlossen zu betrachten. Uebrigens gehe schon aus der Entvnckelung und Structur dieser Theile hervor, dass eine solche Communication a priori undenkbar sei.

Inzwischen hat auch Heisrath*), der bekanntlich in Bezug auf das Ergebniss der Vorderkammerinjectionen zu einer entgegengesetzten Anschauung gekommen ist, den Schlemm'schen Canal als einen Anhang des Yenensystems, als venösen Gefässplexus anerkannt^). Selbst Schwalbe giebt in seiner letzten Mittheilung über den in Frage ste- henden Gegenstand^) zu, dass der Schlemm'sche Canal ein den perforirenden Aesten der vorderen Ciliarvenen seitlich angesetzter Recessus des Yenensystems sei, glaubt aber, dass derselbe bei normaler Circulation vollständig blutleer sei und bleibt in allem Uebrigen bei seiner früheren An- schauung bestehen, dass die vordere Kammer in offener Communication mit dem Yenensystem stehe. Theils auf eigene, neuere Yersuche mit Berliner Blau, Alkannin-Ter-

*) lieber Entwicklung und Bau des vorderen XJvealtractus der Vertebraten: Archiv far mikrosk. Anat. XIX. 1881. *) Dieses Archiv XXVI, 1, S. 202. 1880. *) 1. c. S. 235; InaQg.-Diss. S. 34. *) Lehrb. der Anatomie der Sinnesorgane. Erlangen 1887. S. 176.

90 C. Staderini.

pentin und Asphalt -Chloroform sich stützend , theils auf Heisrath sich berufend, sagt er: JLeber's, Eönigstein'a und Anderer negative Angaben können also meinen und Heisrath's positiven Erfolgen gegenüber nichts beweisen. Ich wüsste sonst nicht» wie man dann überhaupt noch auf die Resultate von Injectionen, die mit aller Vorsicht ange- stellt sind, Werth legen könnte^ ^). Heisrath hat sogar, was besonders merkwürdig ist, behauptet, dass selbst Sus- pensionsflüssigkeiten, in Wasser aufgeschwemmter Zinnober und Blut verschiedener Thiere „ohne erhebliche Schwierig- keiten von der vorderen Augenkammer in die Scleralvenen übertreten, ebenso an todten, wie an lebendigen Augen***). Auch Calori*) ist durch Injectionen von körnigen Farb- stoffen, Zinnober oder basisch essigsaurem Blei, in Fisch- leim vertheilt, welche er theils von den Blutgefässen (Caro- tis, Jugularis), theils von der vorderen Kammer aus an Au- gen von todten Thieren (kleinen Schafen, Pferden u, s. w.) und von menschlichen Leichen vornahm, zu Resultaten ge- langt, aus welchen er eine offene Communication zwischen der vorderen Kammer und den vorderen Ciliarvenen ver- mittelst des Fontana'schen und Schlemm'schen Canals be- weisen zu können glaubte. Er fügt übrigens bei, dass hierzu ein verhältnissmässig starker Druck erforderlich sei; denn ohne einen solchen würde durch die Injection in die vor- dere Kammer zwar der Fontana'sche Canal erfüllt, aber die Masse dringe nicht in die Venen selbst vor. Während des Lebens werde dieser Druck durch Muskelcontraction ge- leistet. Calberla^), welcher zum Studium der Resorp-

*) 1. c. S. 178.

«) 1. c. S. 217; Inaug.-Difls. S. 16.

') De* resaltamenti ottenuti iniettando i canali di Fontana e di Petit e la camera anteriore dell* occhio umano e dei mammiferi domestici. Memoria dell* istituto delle scienze mediche di Bologna. Serie 3 a, T. V, pag. 34. 1874.

^) Ein Beitrag zur Kenntniss der Resorptionswege des Humor aqueos. Pflüger^a Arch. IX, S. 468. 1874.

Heber die Abflosswege des Humor aqueus. 91

tdoDSwege des Humor aqueus frisches Blut eines gleichen Thieres» das durch Zinnoberinjection in die Jugularvene ge- tödtet worden war, in die vordere Kammer injicirte» fand die Zinnoberkörnchen in den Gefassen und im Stroma der Iris und des Ciliarkörpers bis zur Ora serrata, in den 6e- websliicken des Fontana'schen Raumes und im Circulus venosus. Andere Forscher, welche körnige Farbstoffe in Wasser oder ^/^procentiger Kochsalzlösung suspendirt in die vordere Kammer injidrten, Brugsch^) und Morf*) konn- ten sich dagegen mit Bestimmtheit überzeugen, dass Färb- stoffkömchen in das Lumen der Blutgefässe nicht eindrin- gen. Während die beiden genannten Forscher nach dieser Richtung übereinstimmten, gehen ihre Ansichten auseinan- der in Bezug auf eine andere Frage, welche auf dem Wege der Kammerinjection mit nicht diffusiblen Substanzen, oder besser noch mit feinst vertheilten körnigen Farbstoffen einer Lösung zugeführt werden könnte, nämlich die Frage nach dem Zusammenhang der vorderen Kammer mit abführenden Lymphwegen. Dass ein solcher Zusammenhang mit eigent- hchen Lymphgefässen nicht existiren könne, geht wohl schon aus den bis jetzt vorliegenden Resultaten der Yorderkam- merinjection mit Bestimmtheit hervor und ist derselbe bei Berücksichtigung der Natur und Bestimmung der vorderen Augenkammer als ein sehr wesentlicher Factor für die Strahlenbrechung im Auge, von vorn herein höchst wahr- scheinlich, wie dies bereits Leber*) in klarer Weise zum Ausdruck gebracht hat. Es könnte sich also nur darum handeln, nachzuweisen, ob nicht feine Lymphspalten exis- tirten, welche, mit der vorderen Kammer in offener Ver-

^) üeber die Resorption körniger Farbstoffe aus der vorderen Aagenkammer. Dieses Archiv XXIII, 3, S. 255—287. 1877.

') Experimentelle Beitrage zur Lehre von den Abflusswegen der vorderen Augenkammer. Inaug. - Dissert der Züricher Universit&t Winterthur 1888.

») 1. c. S. 110.

92 C. SUderini.

bindung stehend, dem Hamor aqueus neben dem Hanpt- abfloss durch Filtration in die Venen des Circulus yenosus ciliaris als Abzagsbahnen dienen könnten.

Brugsch, welcher auf Leber's Anregung zum Zweck der Erforschung abführender Lymphwege Tusche und Zinn- oberaufschwemmungen in die vordere Kammer von Kanin- chen injicirte, fand zahlreiche, pigmenthaltige Wanderzellen regellos im Stroma der Iris und der Ciliarfortsätze zer- streut und in den Maschen des Ligamentum pectinatum, sowie auch mit Farbstoffkömehen gefüllte lymphoide Zellen Gefässen entlang, welche in der Gegend des Fontana'schen Raumes beginnend, in der Sclera eine Strecke weit zu ver- folgen waren, spricht sich aber in seinen Schlussfolgerungen ungemein vorsichtig aus und Mit sich nach seinen Ergeb- nissen noch nicht für berechtigt, „perivasculäre Lücken*^ an den Scleralgefässen in der Nachbarschaft des Ligamentum pectinatum als directe Abflusswege des Kammerwassers an- zusprechen. Morf dagegen, ein Schüler Haab's, welcher sich zu seinen unter stricter Antisepsis vorgenonmienen Li- jectionen einer Emulsion feinst geriebenen Zinnobers be- diente, glaubte beim Kaninchen einen Lymphcanal gefunden zu haben, welcher, aus dem Fontana'schen Räume entsprin- gend, bis etwa zur Grenze zwischen innerem und mittlerem Drittel der Sclera etwas nach hinten verlaufe und hier in zwei Arme sich theilend, einerseits mit dem Perichorioideal- raum, andererseits mit den subconjunctivalen Venen in Verbindung trete.

Es treten also, wie wir sehen, in den Resultaten, welche die Kammerinjectionen mit nicht diffusiblen und kömigen Farbstoffen in der Hand verschiedener Forscher ergeben, beziehungsweise in der Deutung, welche dieselben von die- sen letzteren erfahren haben, noch immer so einschneidende Widersprüche zu Tage, dass es nicht überflüssig erscheint, die Injectionsversuche von der vorderen Augenkammer aus einer neuerlichen Bearbeitung zu unterziehen, einerseits um

lieber die Abflusswege des Humor aqueus. 93

den Ursachen auf die Spur zu kommen, welche den in so auffalliger Weise hervortretenden Widersprüchen in den Er- gebnissen zu Grunde liegen möchten, und andererseits, um wo möglich die Frage nach der Existenz etwaiger gebahn- ter, spaltförmiger, abführender Lymphwege einer Lösung zuzuführen.

Von Versuchen mit diffusionsfähigen Stoffen, wie sie seit Knies (1875) und Ehrlich (1882) mit Vorliebe zum Studium der FlOssigkeitsströmung im Auge von verschiedenen Forschern in Verwendung gezogen worden sind, musste zur Entscheidung der vorgelegten Frage aus nahe liegenden Gründen principiell Abstand genommen werden. So interessant auch diese Ver- suche an und fttr sich sind und so branchbar ihre Ergebnisse namentlich jene mit Fluorescin bei vorsichtigster Ver- werthung und Deutung sich erweisen mögen, so haben sie doch vielfach unter sich Widersprechendes zu Tage gefördert und dazu beigetragen, die Anschauungen eher zu verwirren, als zu klären, indem die Forscher nicht immer zwischen Diffusion und Filtration streng unterschieden und ans den Wegen, welche der Diffusionsstrom nahm, wenn lebhaft diffundirende Substan- zen den flüssigen Augenmedien oder dem Blut einverleibt wur- den, auf die normale Flüssig|j;eitsströmung im Auge schlössen. Ist ja doch gerade, um nur Eines hervorzuheben, selbst diejenige Thatsache, welche man nach Leber 's Arbeiten als unanfecht- bar sicher gestellt annehmen zu dürfen glaubte, die Thatsache der Undurchlässigkeit der lebenden Cornea für das Kammer- wasser auf Grund der Ferrocyankalium- Versuche von Knies*) in Abrede gestellt worden*).

') Virchow*8 Archiv LXV, 8. 409, sub 6.

') Durch die Güte meines verehrten Gollegen, Herrn Geheim- rath Prof. His ist mir eine von der Baseler medicinischen Fakult&t im Jahre 1871 gekrönte Preisschrift des Stud. med. Karl Merian in die H&nde gekommen» welche sich mit „Untersuchungen der Lymphwege des Auges*^ beschäftigt Die Drucklegung der Arbeit, welche eine Anzahl beachtenswerther Versuchsergebnisse enth&lt, ist durch den vorzeitigen Tod des Verfassers nicht zu Stande ge- kommen; sie wurde aber jetzt, so weit sie noch ein allgemeineres Interesse in Anspruch nehmen kann, von Herrn Geheimrath His im Arch. fOr Anatomie und Physiologie Anatomische Abtheilung zur Veröffentlichung gebracht.

94 C. Staderini.

Die folgenden Untersuchungen wurden auf Anregung und unter Leitung des Herrn Professor Sattler in dessen Laboratorium an der Prager Augenklinik begonnen, zum grössten Theile durchgeführt und abgeschlossen. Ich be- nütze die Gelegenheit, um ihm für seine Anleitung und Unterstützung, für die vielen Rathschläge und das Wohl- wollen, welches er stets meiner Arbeit entgegenbrachte, den innigsten Dank auszusprechen. Einen Theil der Unter- suchungen nahm ich in Turin vor im Laboratorium des Herrn Professor Reymond, dem ich ebenfalls zu Dank verpflichtet bin dafür, dass er in liberalster Weise die Mittel seines Instituts mir zur Verfugung stellte.

Ich bediente mich zu meinen Versuchen einer gewöhn- lichen, gut gearbeiteten Pravaz'schen Spritze mit scharfer, feiner Canüle und benützte als Injectionsmaterial vorwie-

Da Karl Merlan auch eine grössere Zahl von Yorderkammer- injectionen vorgenommen hat, so glaahe ich, im Interesse der YoU- st&adigkeit des historischen Ueberblicks, welcher den eigenen Yer- suchen Dr. Staderini's vorausgeschickt ist, die betreffenden Stel- len hier anführen zu sollen.

„Die Nachprüfung der Yersuche Schwalbe*s hat ein grössten- theils negatives Resultat ergeben. Ich stellte lojectionen an an Au- gen von Menschen, Schweinen, Ochsen, K&lbem, Ziegen und Kanin- chen. Etwa nur in einem Zehntel der Fälle und zwar nur an Schweinsauge», trat Füllung der Yenen ein und nur, wenn unter starkem Druck mit der Hand injicirt wurde. Yerfuhr ich bei den Ii^jectionen mit constantem Druck nach Schwalbe's Yorschrift, so erreichte ich nie das gewünschte Resultat; ebenso wenig in vielen Fallen bei Injectionen aus freier Hand"

„W&re die Operation in technischer Hinsicht nicht gar so ein- fach, so würde ich geneigt sein, das Misslingen meiner Ungeschick- lichkeit zuzuschreiben. Auch den angewendeten Injectionsmassen kann wohl keine Schuld beigemessen werden. Yorzugsweise kam das sogen. Richardsons Blau in Anwendung, eine F&Uung von rothem Blutlaugensalz durch Eisensulfat, verdünnt mit Weingeist und Glycerin.**

„In den wenigen F&llen, in denen ich 8chwalbe*8 Resultat erzielte, entsprach der anatomische Befund auf Meridionalschnitten

lieber die Abflusswege des Humor aqueus. 95

gend feinkörnige Substanzen (Tusche, Zinnober), zum Theil aber auch nicht difiusible Flüssigkeiten (Berliner Blau, As- phaltchloroform). Die ersteren schienen sich mir zur Lö- sung der vorgelegten Aufgaben besser zu empfehlen, weil man die Injection am lebenden Thiere yornehmen, die all- mähliche Elimination der Eömchenmassen während des Le- bens beobachten, und deren Verbreitung in den die vor- dere Kammer umschliessenden Geweben nach dem Tode des Versuchsthieres mit Hilfe des Mikroskops feststellen kann.

Um gut brauchbare Resultate zu erlangen, musste vor Allem darauf Rücksicht genommen werden, Substanzen von feinstem Korn und möglichst geringem specifischem Ge- wichte zu benützen, damit die Körnchen von den schwäch- sten Strömungen leicht mitgeführt werden und in den fein- sten Spalten fortbewegt werden konnten. Ich wählte Tusche

völlig der Beschreibung und der leider sehr schematisch gehaltenen Abbildung, welche dieser Forscher giebt. Nicht nur der ganze Fon- tana'sche Raum, sondern auch ein schmaler Gewebsstreifen , innen vom Ciliarmuskel ) der sich weit nach hinten in den Giliarkörper erstreckte, zeigte sich so dicht mit Masse erfdllt, dass das eigent- liche Gewebe yöllig davon verdeckt war. Ebenso folgten die vom Schlemm*8chen Canal nach aussen verlaufenden Gef&sse der Be- schreibung Schwalbe*s/'

„Dagegen war an den Augen, welche keine Yenenbildung dar- boten, die Masse nur in das grobmaschige Gewebe des Fontana'schen Raumes gedrungen; das kleinmaschige Gewebe und der Schlemm- sche Canal waren bei allen untersuchten Augen unerreicht geblieben.*'

Verfasser discutirt nun die Möglichkeit von Zerreissungen und sagt schliesslich : „Immerhin mag so viel sicher sein, dass die Sache trotz der Arbeit Schwalbe*s noch keineswegs zu beweiskräftiger Klarheit gediehen ist. Ich für meinen Theil w&re bis auf Weiteres eher geneigt, die vordere Kammer nach der alten Auffassung zu be- trachten als einen Raum ohne directen Abfluss in Gef&sse, dessen Inhalt sich durch Filtration theils in die Blutge- fässe, theils auf die vordere Homhautfl&che ergiesse" (die letz- tere Anschauung bekanntlich durch Leber endgültig widerlegt). Leipzig. H. Sattler.

96 C. Suderini.

und Zinnober Ton der besten Qualität» welche käuflich zu bekommen war.

Für die Tuscheinjectionen wurden albinotische, für Zinnober andere Kaninchen verwendet

Um zu vermeiden, dass die operativen Eingriffe von Entzündung oder Eiterung gefolgt würden » liess ich mir angelegen sein, bei allen Versuchen die Regehi der streng- sten Antisepsis zu befolgen. Sowohl Tusche wie Zinnober, in physiologischer Kochsalzlösung suspendirt, wurden durch viertelstündiges Kochen sterilisirt. Einigemale benützte ich zum Verreiben eine ganz schwache Sublimatlösung (1 zu 10,000). Die Desinfection der Hände, der Instrumente und des Operationsfeldes wurde auf das sorgfältigste nach den Normen der modernen Chirurgie durchgeführt.

Die Tuscheaufschwemmung musste immer ziemlich dick genommen werden, weil es sonst vorkam, dass sie unmittel- bar nach der Injection wieder aus der vorderen Kammer durch die kleine Hornhautstichwunde abfloss. Bei den Zinn- oberinjectionen liess sich dieser letztere Uebelstand dadurch leicht vermeiden, dass ich die Zinnoberkörnchen in der mit der wässerigen Aufschwemmung gefüllten Spritze sich ab- setzen liess, dann das Wasser, das über dem Sediment stand,' herausspritzte und nun den Rest, d. i. den Bodensatz des Zinnobers in die vordere Kammer injicirte. Wenn der Zinnober genügend fein ist, gelingt es leicht, die Canüle durchgängig zu erhalten.

Stets wurde in Aethemarcose operirt. Die Canüle wurde immer von der temporalen Seite, ca. 2 mm vom Horn- hautrande entfernt, in die Cornea eingestochen und parallel mit der Irisfläche bis zur Gegend der Pupillenmitte in die Kammer vorgeschoben. Manchmal floss Kammerwasser so- fort zwischen Nadel und Hornhautsubstanz ab. Einigemale wurde es mit der Spritze, welche zu diesem Zwecke nur zum Theile mit der Injectionsmasse gefüllt worden war, langsam aspirirt. Im ersteren Falle konnte ich dann so-

Ueber die Abflusswege des Humor aqueus. 97

fort in den frei werdenden Kammerraum den Inhalt der Spritze injiciren, wobei ich immer darauf Acht hatte, den Raum nicht ganz auszufüllen, um eine* künstliche Druck- erhöhung im Auge möglichst zu vermeiden. Zuletzt wurde die Canüle ganz langsam zurückgezogen.

Die Tusche blieb in der Regel in jenem Theile der vorderen Kammer liegen, in welchen sie bei der Injectiou gelangt war und zwar auch dann, wenn das Kammerwasser wieder die ganze Kammer füllte. Dom Eingriffe folgte nie- mals ein irgend bemerkenswerther Reizzustand, Syueichieeu kamen nicht zur Beobachtung, das Auge zeigte keinerlei gesteigerte Empfindlichkeit, und behielt in der ganzen Zeit nach der Injection seine normale Spannung. Auf der Ober- fläche der Iris beobachtete man, soweit dieselbe von Tusche- masse bedeckt blieb, sehr bald ein äusserst feines fibrinö- ses Exsudathäutchen, welches die Tusche umschloss, so dass letztere wie von einem zartesten Schleier eingehüllt erschien. Von dem der Injection folgenden Tage an zeigte das Ex- sudat eine allmähliche Yolumabnahme, welche in gleichem Maa^se an der ganzen Oberfläche der angesammelten Tusche sich vollzog.

Am schönsten konnte man die Yolumabnahme der in- jicirten Tuschemasse an einem grossen albinotischen Ka- ninchen beobachten, welchem in die vordere Kammer des linken Auges soviel Tusche injicirt worden war, dass die zwei oberen Dritttheile derselben davon eingenommen waren, so zwar, dass nach oben hin der Winkel zwischen Iris und Hornhaut ausgefüllt und die Pupille bis nahe zu ihrem unteren Rande davon bedeckt erschien. Am folgenden Tage schon war ein kleiner Theil des Pupillargebietes frei; die- ses freie Gebiet vergrösserte sich noch in den nächsten Tagen, während die Tuschemasse auch an ihrer übrigen Peripherie, insbesondere entsprechend dem Kammerwinkel, immer mehr abnahm. Am fünften Tage war der Winkel vollständig frei und nur in der Mitte des oberen Segmentes

T. Onefe'8 ArchiT für Ophthalmologie. XXXYII. S. 7

98 C. Staderini.

der vorderen Kammer war ein kleiner Tuscherest von etwa Linsengrösse übrig. In den folgenden Tagen schwand auch dieser Rest, indem- er ooncentrisch kleiner und kleiner wurde, während an der Peripherie der vorderen Kammer, entspre* chend dem Ligamentum »pectinatum, ein feiner, schwarzer Streifen sich bemerkbar machte, welcher offenbar aus Tusche- kömchen bestand, die von dieser Masse losgelöst und in den Maschen des Ligamentum pectinatum abgelagert wor- den waren. Nachdem sich inzwischen das zarte fibrinöse Exsudat vollständig resorbirt hatte, gewann die Lris allmäh- lich wieder ihr normales Aussehen mit Ausnahme derjeni- gen Stellen ihrer Oberfläche, welche in directer Berührung mit der Tusche gestanden hatten. Dort hatte dieselbe eine grauliche Farbe angenommen und erschien da und dort, insbesondere am Pupillarrande, von dunkleren oder geradezu schwarzen Flecken wie gesprenkelt.

Wie wir also gesehen haben, nimmt die Volumvermin- derung der injicirten Masse in demjenigen Theile der vor- deren Kammer ihren Anfang, welcher der Pupillaröffnung entspricht und schreitet von hier allmählich nach den Sei- ten bis zum Kammerwinkel hin fort. Dieser letztere wird dann frei, noch bevor der letzte Rest der Tuschemasse die vordere Kammer verlassen hat. In jenen Fällen, in wel- chen die Tusche den grössten Theil der vorderen Kammer einnahm und das ganze Pupillargebiet bedeckte, konnte man beobachten, dass entsprechend der Pupille eine cen- trale, rundliche Lücke in der Masse auftrat, so dass bald das ganze Pupillargebiet frei und offen dalag. Eine der- artige Fortbewegung der in die vordere Kammer injicirten kömigen Masse aus dem Pupillargebiete heraus hat auch Brugsch*) beobachtet. Er schildert den Eindmck, indem er sagt: die Lücke im Pupillargebiete sehe aus „wie mit dem Locheisen ausgehauen, so dass es den Anschein habe,

») 1. c. S. 260.

Ueber die Abflusswege des Hamor aqueus. 99

als ob das aas der hinteren Kammer in die vordere ein- fliessende Kammerwasser den Verschluss gewaltsam zur Seite gedrängt hättet In der That weist die eben mitge- theilte Beobachtung wohl in unzweideutiger Weise darauf hin, dass eine Strömung aus der- hinteren Kammer in die vordere durch die capiiläre Spalte am Pupillarrande wirk- lich stattfindet, wie sie auf Grund klinischer Thatsachen laoge schon angenommen^), in neuerer Zeit aber mit Be- rufung auf die Resultate der Ferrocyankalium- und Fluores- cemversuche von einigen Forschern in Abrede gestellt wor- den ist.

In demselben Grade als die in die Kammer injicirte Tuschemasse im Centrum und in der Peripherie sich ver- kleinerte, nahm auch ihre Dicke ab. Hatte sie ursprüng- lich mit der Descemet'schen Membran in Berührung ge- standen, so konnte man bei focaler Beleuchtung sehr gut beobachten, wie sie sich von dieser allmählich loslöste, immer dünner wurde und endlich auf der Iris wie ein über dieselbe gebreiteter, ungleichmässig dichter Schleier haften blieb.

So weist also schon die makroskopische Beobachtung darauf hin, dass eine Aufnahme corpusculärer Inhaltsmas- sen aus der vorderen Kammer zum Theile wenigstens durch die vordere Irisfläche erfolgt. Bei Gelegenheit der Schil- derung des mikroskopischen Befundes werden wir auf die- sen Punkt noch einmal zurückkommen.

Die Injectionen mit Zinnober gaben viel weniger brauchbare Resultate. Unmittelbar nach der Injection senk- ten sich die rothen Kömchen nach dem Gesetze der Schwere gegen die tiefste Stelle des Iriswinkels hin. Ein reidi- hcheres fibrinöses Exsudat umhüllte sie und überzog auch die Irisoberfläche. Ihre Aufsaugung erfolgte äusserst lang- sam. Bei der mikroskopischen Untersuchung erhielt ich

^) Yergl. auch Leber 1. c. S. 88 und 89.

7*

100 C. Staderini.

Ergebnisse, welche denen bei der Tuscheinjection im All- gemeinen conform waren. Die Tusche ist aber wegen der ausserordentlichen Feinheit ihres Korns und ihres geringen specifischen Gewichtes, vermöge welcher Eigenschaften sich ihre Körnchen nicht, wie die des Zinnobers oder anderer Niederschläge in der Flüssigkeit zu Boden senken, sondern in derselben suspendirt bleiben, weit mehr geeignet, selbst von schwachen Strömungen fortgeführt zu werden und überall dahin zu gelangen, wo die Flüssigkeit selbst auf gebahnten ^ Wegen eindringt. Um unnöthige Wiederholung zu vermei- den, wollen wir daher bloss die Beobachtungen, welche durch Tuscheinjection am albinotischen Kaninchen gemacht worden sind, ausfuhrlicher mittheilen.

Die frisch enucleirten Augen wurden in Müller'scher Lösung oder in Picrinsalpetersäure gehärtet, in bekannter Weise in toto mit Cochenille -Alaun gefärbt, in Celloidin eingebettet und in möglichst feine Schnitte zerlegt. Dieses Verfahren gab die besten Resultate, da die schwarzen Körn- chen sich sehr deutlich vom Grunde abheben und anderer- seits, indem für eine möglichst vollständige Durchtränkung der Präparate mit der Einbettungsmasse Sorge getragen wurde, eine Verschleppung der Körnchen durch die Messer- fuhrung ziemlich sicher ausgeschlossen war.

Bei der mikroskopischen Untersuchung fällt zunächst auf, dass die injicirte Tuschemasse in ein zartes netzförmi- ges Fibringerinnsel eingeschlossen erscheint, welches die- selbe an der vorderen Irisfläche und manchmal auch im Pupillargebiete an der vorderen Linsenkapsel fixirt hält In den Maschen dieses feinfadigen fibrinösen Exsudates finden sich im Ganzen nur spärliche Leukocyten, meist ziemlich weit von einander entfernt. Etwas zahlreicher sind sie an der Oberfläche des Goagulums. Zum Theile enthal- ten sie schwarze Körnchen in ihrem Zellleibe, zum Theile sind sie ganz frei davon und es treten die Kerne scharf und deutlich hervor.

lieber die Abfiosswege des Humor aqueus. 101

So waren die Verhältnisse am Tage der Injection und am folgenden Tage. Uebrigens blieb das eben erwähnte Verhältniss der Leukocyten zur Tuschemasse, sowie zum Fibringerinnsel auch in der nächsten Zeit ziemlich constant.

Wenn einmal zwei oder drei Tage nach der Injection verstrichen sind, so überzeugt man sich, dass die peripheren Theile der Masse schon nicht mehr bis zum Kammerwinkel reichen. Jedoch findet man dann, namentlich an denjeni- ,gen Stellen, welche dem Reste der injicirten Masse noch am nächsten liegen, viele schwarze Kömchen in den Maschen des Ligamentum pectinatum eingelagert und den Fontana- schen Raum einnehmend. Einige von ihnen sind in Lymph- Zellen eingelagert, viele liegen frei; am zahlreichsten sind sie da, wo die Maschen am dichtesten sind; in der Regel erstrecken sie sich nicht über die Grenzen des Fontana- schen Raumes hinaus; nur bei solchen Kaninchen, bei denen eine reichliche Injection gemacht worden war, enthalten die benachbarten Endothelzellen der Descemet'schen Membran einige schwarze Kömchen.

Bevor wir in der Beschreibung der Befunde weiter gehen, möchte ich nochmals besonders hervorheben, dass in der vorderen Kammer ebensowie im Fontana- schen Räume und in den anderen, im Folgenden besonders zu bezeichnenden Theilen nur ein klei- ner Bruchtheil der Körnchen in weissen Blutkör- perchen eingeschlossen war, und bei weitem die Mehrzahl derselben frei lag. Es stimmt dies nicht mit der Beschreibung von Brugsch; dieser fand, dass die Kömchen in der vorderen Kammer alle in Leukocyten ein- geschlossen waren, welch' letztere jene auf den von ihnen beschrittenen Bahnen fortführten, und dass wenigstens spä- terhin, freier Farbstoff überhaupt nicht mehr vorkomme.

Die Ursache dieser Verschiedenheit zwischen unseren Ergebnissen und denen von Brugsch wird uns klar, wenn wir uns die Versuchsanordnung dieses Forschers verge-

102 C. Staderini.

genwärtigen. Dieselbe dürfte von Torne herein yiel mehr geeignet sein, die anatomisch- physiologischen Verhältnisse des operirten Auges zu stören, als der Ton uns befolgte Vorgang. Brugsch luxirte nämlich zunächst den Bulbus und injicirte dann, nach Abfluss des Kamnierwassers soyiel Zinnober oder Tusche, ,,bis das Auge gut oder prall gefüllt schien^'. Von besonderen antiseptischen Gautelen wird nichts erwähnt Auf einen solchen Eingriff trat immer eine ge- wisse Reaction ein, Hyperämie der Iris und des episcleralen Gewebes, manchmal auch Chemosis. Zuweilen wurde die Iris verletzt und es kam zu heftigerer Entzündung. Das fibrinöse Exsudat, das sich in der vorderen Kammer bil- dete, war reichlich und compact, so dass es Brugsch als „Schwarte*' bezeichnete. Diese Schwarte schwand im spä- teren Verlaufe nicht, sondern erschien im Gegentheil nach zwei bis vier Wochen in ein faseriges Gewebe umgewan- delt, welches vollkommen den Charakter von Bindegewebe hatte, mit nicht gerade zahlreichen, endothelartigen Zellen und mehr oder weniger reichlichem Pigment. Die Schwarte haftete der Iris so innig an, dass eine scharfe Grenze zwi- schen beiden nicht mehr zu erkennen war*).

Bei den von mir in der oben erwähnten Weise operir- ten Augen war eine derartige Reaction niemals zu beob- achten. Das fibrinöse Exsudat war in der Regel so dünn, dass man es oft nur bei seitlicher Beleuchtung wahrnehmen konnte und schwand im weiteren Verlaufe ganz. Bei dem Fehlen der entzündlichen Reaction versteht es sich leicht, dass es in unseren Fällen nur zu einer geringen Auswan- derung von Leukocyten in die vordere Kammer kam. So ist auch in der That in meinen zahlreichen Schnitten die Menge der fortgeiiihrten, freien Körnchen sehr wesentlich grösser, als jene der in Leukocyten eingeschlossenen. Bei der Feinheit der Schnitte und der Anwendung guter Apo-

') 1. c. S. 269 unten.

Ueber die Abflusswege des Humor aqueus. 103

chromat-Objective (Zeiss) war es in der Regel nicht schwer, hierüber ein sicheres Urtheil zu gewinnen. Wenn irgend ein Zweifel bestand, so wurde homogene Immersion Ap. 1,40, Brw. 2,0 mm zu Hilfe genommen.

Ausser im Fontana'schen Räume ist eine Anzahl Körn- chen, zum grossen Theile frei, zum Theil auch in Leuko- cyten eingeschlossen, in dem angrenzenden Gewebe zu fin- den, in der Sclera nächst der Comeosceralgrenze, im Cor- pus ciliare und in der Iris. Die Anordnung, in welcher sich die Körnchen in diesen verschiedenen Theilen finden, erfordert eine genauere Beschreibung, welche gesondert er- folgen soll.

Vom Fontana'schen Räume aus gelangt die Tusche zum Theil in das Gewebe der Lederhaut, und scheint hier längs der Wand einiger Gefässe des Leber'schen Plexus fortgeführt zu werden, welche zumeist in unmittelbarer Nachbarschaft des Fontana'schen Raumes, dicht an der Innenseite der Sclerotica verlaufen, dann in das Gewebe, der letzteren weiter eindringen und sie schräg von vorn und innen nach rückwärts und aussen durchsetzen, während sie gleichzeitig unter einander und mit anderen Zweigen in Verbindung treten (siehe Fig. 1). So kommt es, dass die schwarzen Körnchen, welche jene Gefässe begleiten, an einzelnen Schnitten in continuirlichem Zusammenhange mit jenen angetroffen werden, welche im Fontana'schen Räume selbst angehäuft sind. Sie erscheinen zumeist frei, zum Theil in Lymphzellen eingeschlossen um die Wand der Blut- gefässe gelegen, so zwar, dass sie sich auf Querschnitten zuweilen als ein vollständiger Kranz um das Lumen herum darstellen. Eigentliche perivasculäre Scheiden lassen sich zwar hier allerdings nicht nachweisen; aber offenbar be- finden sich um die Gefässe herum Spalträume, welche mit dem Kammerwinkel in offener Communication stehen. An einzelnen Stellen, wo die Blutgefässe in Capillaren über- gehen, scheint es, dass eine kleine Zahl von Körnchen in

104 C. Staderini.

das Protoplasma der Endothelzellen, welche das Lumen dieser kleinen Gefässe auskleiden, eingedrungen und sich hauptsächlich um den Kern derselben gelagert hat. Inner- halb des Gefässlumens selbst habe ich niemals eine Spur von Tusche nachweisen können, wohl schon deshalb nicht, weil Kömchen, die etwa hierher gelangt waren, sofort durch den Blutstrom hätten weiter gefuhrt werden müssen.

Einige spärliche Kömchen finden sich da und dort längs einer feinen, fadenförmigen Bahn, welche von der Scheide eines der obengenannten Gefässe schräg sich ab- zweigend in der Sclerotica sich verliert, ohne weiter dem Verlaufe eines Blutgefässes zu folgen. Andere, ähnlich an- geordnete Körnchen findet man auf mikroskopischen Schnit- ten auch völlig unabhängig von den Verzweigungen des Venenplexus. Ich glaube die Thatsache am richtigsten durch die Annahme zu deuten, dass die Tuschekörnchen, nachdem sie in die Spalträume um die erwähnten Blutgefässe ge- ,langt sind, von hier aus in die Saftbahnen der Sclera über- gehen, die mit jenen in Verbindung stehen.

In manchen Schnitten waren innerhalb dieser scleralen Bahnen überhaupt keine Wanderzellen zu finden. Bei der Feinheit der Schnitte und der Güte der optischen Hilfs- mittel, welche mir im Labbratorium des Herrn Professor Sattler zur Verfügung standen, konnte ich mich sehr be- stimmt überzeugen, dass die Körnchen meist isolirt, jedes für sich erkennbar, der zarten Contour der Gefässwand folgend, der letzteren äusserlich anlagen. Die Kerne der Adventitiazellen traten deutlich hervor und bisweilen waren Kömchen um dieselben etwas dichter angehäuft.

Niemals konnte ich die Tusche im Scleralgewebe weiter als 5 6 mm vom Hornhautrande entfernt nachweisen. Aus der Anordnung der Tuschekörnchen im Scleralgewebe dürfte zu entnehmen sein, dass der Strom, durch welchen sie da- hin gelangt waren, schräg nach aussen gegen das episcle- rale Gewebe zu gerichtet ist.

Ueber die Abflusswege des Hamor aqueus. 105

In der Zarückweisung der Annahme eines Eindringens von Taschekömehen in das Lumen von Blutgefässen stehen wir in voller Uebereinstimmung mit Brugsch und glauben wohl mit Bestimmtheit die auf Grund ungenügender Prä- parate oder Anwendung zu starken Druckes oder nicht ge- nügend frischer Augen aufgestellte Behauptung zurückwei- sen zu können, dass Körnchenmassen in die Blutgefässe eindringen (Calberla, Heisrath, Calori).

Aber auch bezüglich des von Morf beschriebenen Lymphcanales gelang es mir nicht, irgend etwas zu finden, was auf die Existenz eines solchen hindeuten würde. Der- selbe hat nach Morf 's Zeichnung ganz den Verlauf, wel- cher den Blutgefässen in dieser Gegend zukommt, wie wir uns selbst überzeugen konnten durch Injectionen mit neu- traler Karmin-Gelatine in eine der tiefen Jugularvenen des Kaninchens. Es gelang dann stets, die Füllung von Ge- fässverzweigungen zu constatiren, deren Verlauf genau über- einstimmte mit jenem, den Morf 's Lymphcanal nehmen . sollte. Ein gleiches Ergebniss erhielt ich, wenn das Thier unmittelbar nach dem Tode einige Zeit lang an den Hin- terbeinen aufgehängt wurde. Es fanden sich dann immer die obengenannten Gefasszweige, welche dem Leb er 'sehen Plexus und dessen Ausläufern entsprechen, mit Blut gefüllt, und ich konnte feststellen, dass keines derselben in directer Verbindung mit dem Fontana'schen Räume steht, in wel- chen niemals eine Spur von Blut eingedrungen war. Auf die Un Wahrscheinlichkeit, dass die vordere Kammer mit einem so weiten Lymphcanale in offener Verbindung stände, haben wir schon oben mit Berufung auf Leber's Aus- einandersetzung hingewiesen.

Auch Brugsch^) hat in der unmittelbaren Umgebung von Scleralgefassen, welche den in Rede stehenden Gefäss- zweigen entsprechen, mit Farbstoff gefüllte Lymphzellen an-

») 1. c. S. 278.

106 C. Staderini.

getroffen und auch eiüzelne Adventitiazellen pigmentirt ge- funden. Er hat sich aber mit Recht enthalten, aus diesem Befunde auf eine Verbindung spaltformiger Bahnen in der Comeoscleralgrenze mit dem Kammerraum zu schliessen, weil er bei den oben besprocheneu Umständen, unter denen er seine Versuche angestellt hat, nidht ausschliessen konnte, dass die pigmenthaltigen Wanderzellen nicht aus der Kam- mer, sondern von der Iris oder dem Ciliarkörper aus in die Spalträume der Sclera eingewandert seien.

Mehr oder weniger zahlreiche schwarze Kömchen findet man auch im Corpus ciliare, wohin sie vom Fontana- schen Räume aus gelangt sind. Im Allgemeinen erscheinen sie regellos da und dort zerstreut und lassen keine be- stinmite Anordnung, keinerlei Beziehung zum anatomischen Bau der Gewebe erkennen, in welche sie "eingelagert sind. Nur in einzehicn, wenigen Präparaten fiel es auf, dass an manchen Stellen die Tuschekörnchen deutlich in zwei paral- lelen Fäden angeordnet sind, welche einem Blutgefässe ent- lang verlaufen. Beachtenswerth ist der Umstand, dass die grössere Menge der Tusche im Ciliarkörper sich an der Basis der Ciliarfortsätze findet und zwar im Allgemeinen in einer Linie, welche die directe Verlängerung des hin- teren Endes des Fontana'schen Raumes darstellt. Gegen die Spitze der Processus ciliares nimmt die Zahl der Körnchen allmählich ab, so dass in den letzteren nur mehr ganz we- nige nachzuweisen sind.

Die Tusche erscheint im Ciliarkörper, wie gewöhnlich theils frei, theils in Leukocytcn eingeschlossen, im Binde- gewebe zwischen den Muskelbündeln und Blutgefässen. Die spärlichen Körnchen in den Ciliarfortsätzen liegen zum grössten Theile frei, ohne Beziehung zu irgend einem Zell- kern, in Reihen hintereinander, oder aber an Kerne' von endothelialem Charakter angeschmiegt oder endlich in ver- einzelte Wanderzellen eingeschlossen. Niemals fand sich eine 'Spur von Tusche im Lumen von Blutgefässen, noch

üeber die Abflasswege des Humor aqueos. 107

auch in den die Ciliarfortsätze überkleidenden Epithel- zellen.

Weiter nach rückwärts lassen sich Tuschekörnchen ver- folgen bis zürn Uebergange des Ciliarkörpers in die Cho- rioidea; in deren vorderstem Abschnitte, nächst der Ora serrata sind sie jedoch nur mehr ganz vereinzelt anzutreffen. Das eine oder andere Körnchen ist zuweilen auch noch im vordersten Theile des Perichorioidealraumes nachzuweisen.

Wenn wir nun zur genaueren Untersuchung der Iris übergehen, so fällt vor allem auf, dass die vordere Zell- schicht derselben (das Irisendothel) in ihrem Protoplasma sehr reich ist an schwarzen Körnchen, und zwar finden sich dieselben mit einer gewissen Regelmässigkeit um den Kern einer jeden Zelle herum angeordnet. In manchen ist der- selbe vollständig von Tuschekömehen umschlossen, in an- deren nur zum Theile. Dieses Verhalten ist besonders deut- lich zu erkennen an Schnitten, welche die Iris in etwas schräger Richtung von vorn nach hinten getroffen haben. In grösster Klarheit tritt das Bild an Flächenpräparaten der Iris hervor (siehe Fig. 2). In einzelnen Zellen ist das Protoplasma so vollständig von Tuschekörnchen erfüllt, dass die ganze Zelle wie eine einzige schwarze polygonale Masse aussieht, in deren Mitte sich -der scharf begrenzte Kern abhebt. In anderen Zellen findet man nur wenige Köm- chen um den Kern herum gelagert, während die Zellen- peripherie nahezu vollständig frei bleibt. Auch die Inter- cellttlarsubstanz des Irisendothels zeigte sich reichlich von Kömchen durchsetzt in Präparaten, welche von demjenigen Theile der Iris stammten, der zur Zeit der Tödtung des Thieres noch in Berühmng mit dem Reste der in die vor- dere Kammer injicirten Masse stand; da wo die letztere zum Theile schon verschwunden war, fanden sich die Köm- chen nur spärlich in der Intercellularsubstanz. Hier sowohl wie in den Endothelzellen selbst fehlte die Tusche vollstän- dig an den Strecken, wo die Irisoberfläche nicht in unmii-

108 G- Staderini.

telbarem Contact mit der injicirten Masse gestanden hatte. Diese Yorscbiedenheit widerlegt zur Genüge den etwaigen Einwand, dass es sich um natürliches Pigment der Iris ge- handelt haben könnte. Uebrigens haben wir uns stets durch die mikroskopische Untersuchung des ganzen Auges ver- sichert, dass wir es in der That mit vollständig albinoti- schen Kaninchen zu thun hatten.

Bisweilen hat man Gelegenheit, eine ähnliche Anord- nung der Körnchen auch im Endothel der Descemet- schen Membran zu beobachten, wenn nämlich die inji- cirte Masse einen grösseren Theil der Kammer ausfüllte. Jedoch war dies bei weitem nicht immer der Fall; in der Regel schien das Descemet'sche Endothel an der Aufnahme von Tuschekömehen sich nicht zu betheiligen.

Die Ursache des verschiedenen Grades der Pigmen- tirung des Endothels der Iris und des Zellbelages der Des- cemet'schen Membran kann sicherlich nicht in einer ver- schiedenen Fähigkeit dieser Zellen, Farbstoffkömehen auf- zunehmen, gesucht werden. Wenn wir uns aber erinnern an das, was schon bei Beschreibung unserer Beobachtungen am lebenden Thiere gesagt worden ist, dass die Tuschemasse sich bald* von der hinteren Hornhaut wand ablöste und ge- gen die Irisoberfläche hin sich zurückzog, indem der Strom des Humor aqueus augenscheinlich die Tendenz hat, die in die Kammer injicirte Tuschemasse gegen die Oberfläche der Ins hinzudrängen, so werden wir verstehen, dass die Endo- thelzellen der Iris ungleich leichter in die Lage konmien müssen, die Körnchen in sich aufzunehmen, als die Zellen des Homhautendothels, welche schon bald den Contact mit der Farbstoffmasse verlieren. Ueber die Art und Weise, wie man sich den Vorgang der Pigmentimng an Endothel- zellen vorzustellen habe, hat Brugsch durchaus zutreffende Bemerkungen gemacht*).

*) 1. c. S. 267 unten.

Ueber die Abflasswege des Humor aqaeus. 109

Iq die Substanz der Hornhaut selbst drang niemals ein schwarzes Körnchen ein, so weit die Descemet'sche Membran nidit verletzt worden war. An der Eintrittsstelle der Canüle konnte man, wie wohl zu erwarten stand, häufig ein Eindringen von Tusche in die Homhautsubstanz beob- achten.

Auch Morf *) giebt an, dass der in die vordere Kam- mer injicirte kömige Farbstoff durch die unversehrte Des- cemet'sche Membran niemals in die Hornhaut eindringt. Dagegen fand er, dass die Zinnoberkörnchen in den Kitt- leisten zwischen den Endothelzellen zusammenhängende, zier- liche Bändchen bildeten, die ein feines Netzwerk um die Zellen herum darstellten, während die letzteren selbst keine Kömchen enthielten. Von dem Verhalten des Iris -Endo- thels spricht er nicht.

Auffallend ist, dass Brugsch im directen Gegensatze zu Morf ausdrücklich angiebt, dass die Farbstoffkörnchen stets im Inneren der Endothelzellen und niemals in den Interstitien gelegen waren *). Der Grund für diese Ver- schiedenheit der Befunde dürfte wohl darin zu suchen sein, dass Morf mit in Wasser angeriebenem Zinnober arbeitete, während Brugsch die Pigmentirung von Endothelien nur bei Tuscheinjectionen beobachtete^).

Im Stroma der Iris, welches beim Kaninchen aus einem weitmaschigen Netze sich durchkreuzender Bindege- websfibriUenbündel besteht*), finden sich Tuschekörnchen, mehr oder weniger reichlich, theils regellos in den Lücken vertheilt, meist aber in Reihen eines hinter dem anderen mid zwar vorwiegend in einer Anordnung, welche von vom nach hinten und gleichzeitig, in verschiedenem Grade ge- neigt, nach der Irisperipherie zu gerichtet erscheint (siehe Figg. 1 und 3).

In völlig gelungenen, reactionslos verlaufenden Fällen

') 1. c. S. 28. *) 1. c. S. 281. •) 1. c. S. 266.

*) Michel, Ueber Iris und Iritis. Dieses Arch. XXVII, 2, S. 195.

110 C. SUderinL

findet man in diesem Stratum der Iris nur selten eine Wanderzelle mit Tnschekömchen beladen. Die genaue Un- tersuchung unserer Präparate mit guten apochromatischen Systemen und homogener Immersion liess mit Sicherheit constatiren, dass in der That fast alle Kömchen frei sind. Der Widerspruch mit den Befunden von Brugsch erklärt sich leicht, wenn wir uns erinnern, dass seine Injectionen von nicht unbeträchtlicher Reaction mit starker Leukocy- tenauswanderung gefolgt war. Von den fixen Zellen, welche den Bindegewebsfibrillenbündeln dieser Schicht anliegen oder in den Lücken ausgespannt erscheinen, zeigen einige wenige eine Anzahl Tuschekömehen und zwar in yerschiedenem Abstände vom Zellkerne in sich aufgespeichert.

In ganz analoger Weise findet man den Farbstoff in der Mittelschicht des Irisstromas (der eigentlichen Gefass- schicht) vertheilt. Die Körnchen liegen in dem lockeren Bindegewebe zwischen den Gefässen und Nerven in Lücken, welche mit denen der vorderen Schicht ein zusammenhän- gendes Lacunensystem darstelleil : zum Theile folgen sie dem Verlaufe von Blutgefässen, arteriellen sowohl als venösen, indem sie in die Interfibrillärräume der Adventitia gelangt sind. Sie sind zum grössten Theil frei, vorwiegend in Reihen geordnet. Von den spärlich vorhandenen Lymphzellen sind einige tuschebeladen. Auch die fixen Zellen des bindege- webigen Stromas und der Gefässadventitia findet man stel- lenweise pigmenthaltig.

Je mehr man bei der Durchmustemng der Schnitte nach den hinteren Schichten der Iris fortschreitet, um so spärlicher trifft man Tuschekömehen. Ganz vereinzelte sind noch bis zur hinteren Begrenzungsschicht gelangt; einge- drungen in dieselbe ist keines.

Am Pupillartheil der Iris ist Tusche in grösster Menge angesammelt und sieht man namentlich in den Zwischen- räumen zwischen den Faserbündeln des Sphincter pupillae Tuschekörachen reichlich abgelagert.

üeber die Abflusswege des Humor aqueus. Hl

Wir haben schon bei der Beobachtung am lebenden Thiere gesehen, dass die Iris nur an den Stellen , wo sie mit der injicirten Masse länger in Berührung geblieben ist« eine grauliche oder schwärzliche Färbung angenommen hat, die am Pupillarrande am intensivsten war, während die übrigen Partieen der Iris allmählich wieder ihr normales Aussehen erlangten. Dem entsprechend fanden wir auch die Pigmentirung der Endothelschicht der Iris nur an jenen Stellen mehr oder weniger stark ausgeprägt, wo zur Zeit der TÖdtung des Thieres die Tuschemasse mit derselben noch in directem Gontact stand. Einen ganz analogen Be- fund erweist nun auch das Stroma der Iris. Die Tusche- körnchen finden sich nämlich in grösster Zahl nur in den- jenigen Theilen desselben, welche der Anhäufung von In- jectionsmasse in der vorderen Augenkammer entsprechen und am reichlichsten, wie erwähnt, im Bereiche des Sphincters.

Air diese Thatsachen deuten entschieden darauf hin, dass der Iris die Fähigkeit zukommt, corpusculäre Massen von ihrer vorderen Oberfläche aus sich einzuverleiben. Im Stroma der Iris selbst scheint der Lymphstrom eine schräge Richtung von vorn nach hinten und aussen (peripherwärts) zu nehmen. Bezüglich der Art und Weise, wie die Tuschekörnchen in die Endothelzellen der Iris gelangen, wurde schon oben angedeutet, dass Brugsch's Annahme die meiste Wahrscheinlichkeit für sich hat, däss nämlich dieselben durch den in der vorderen Kammer herrschenden Druck in die zarten Zellleiber des Endothels hineingepresst werden.

Ueber den Vorgang des Eintretens der Körnchen in das Stroma der Iris selbst, lässt sich nach unseren Präpa- raten eine bestimmte Angabe nicht machen. Dass die von Fuchs an der vorderen Irisfläche eingehend beschriebenen Krypten ^) hieran sehr wesentlich betheiligt sind, lässt sich

>) DieBBB Archiv XXXI, 3, S. 39.

112 C. SUderini.

wohl kaum bezweifeln. Dieselben sind bekanntlich vorwie- gend im Pupillartheil der Iris gelegen. Bei der Aufnahme sowohl, als namentlich beim weiteren Transport spielen die Bewegungen der Iris, wobei ihre Laeunen abwechselnd er- weitert und verengert werden, unfraglich eine wichtige Rolle. Dass bei reizlosem Verlaufe nicht die Wanderzellen das wesentliche Transportmittel körniger Farbsto£fe dar- stellen, ist durch unsere Versuche wohl sicher gestellt. Es wäre auch nicht wohl einzusehen, wie die nicht selten an- zutreffende, regelmässige Anordnung in fadenförmigen Rei- hen durch nachträgliche Ablagerung aus Leukocyten sollte zu Stande kommen können.

Wichtig in Bezug auf die Frage des Resorptionsmodus corpusculärer Substanzen aus der vorderen Augenkammer und insbesondei^ der Fähigkeit der Iris, solche Substanzen in sich aufzunehmen, sind Versuche mit Atropin und Physostigmin, wodurch es gelingt, diese Aufnahmsfähig- keit künstlich zu steigern oder herabzusetzen.

Ich träufelte einem grossen albinotischen Kaninchen einige Tropfen einer halbprocentigen Lösung von Atropin ins rechte und eine ebensolche von Eserin ins linke Auge. Darauf machte ich, wie oben genauer beschrieben, unter strengster Antisepsis und in schonendster Weise eine Tusche- injection in die vordere Kammer eines jeden Auges unter möglichst gleichen Verhältnissen, noch besonders darauf achtend, dass die Kammer nur zu zwei Dritttheilen mit Tusche gefüllt wurde.

Nach sieben Stunden bemerkte ich an dem mit Atro- pin behandelten Auge, dass die injicirte Masse, wie gewöhn- lich, in einen Fibrinschleier eingehüllt war, aber sonst kei- nerlei bemerkenswerthe Veränderung aufwies. Im Eserin- auge hingegen hatte die ebenfalls in ein zartes, fibrinöses Exsudat eingeschlossene Injectionsmasse an Volum abge- nommen und erschien im tiefsten Theile der Kammer eine mit freiem Auge eben wahrnehmbare, kleine Menge Tusche

üeber die Abflusswege des Hamor aqaeaa. 113

im Iriswinkel angesammelt, welche ca. 2 mm von der vor der Pupille und dem Pupillartheile der Iris liegenden Haupt- masse getrennt war.

Neunzehn Stunden nach der Injection erschien die in- jicirte Masse bereits auf die Hälfte ihres ursprünglichen Volums vermindert und in ihrer Mitte hatte sich entspre- chend der PupillaröfiEhung die schon früher beschriebene, scharf begrenzte Lücke gebildet Die Tuscheansammlung am tiefsten Theile des Kammerwinkels hatte etwas zuge- nommen, erreichte aber kaum eine Höhe von 2 mm.

In dem mit Atropin behandelten Auge war das Vo- lumen der injidrten Masse auch nach neunzehn Stunden nur wenig vermindert. Eine centrale Lücke hatte sich noch nicht zu bilden angefangen.

Jetzt wurden beide Bulbi enucleirt und zur Vorberei- tung für die mikroskopische Untersuchung in ganz gleicher Weise behandelt.

An dem atropinisirten Auge sah man nun die Tusche- masse in einem netzförmigen, fibrinösen Exsudat eingeschlos- sen, den grössten Theil der vorderen Kammer füllend. In dem Maschenwerk des Fibrinnetzes lagen nur einige wenige Leukocyten; ihre Zahl war eine so geringe, dass man in einem feinen Meridionalschnitte nicht mehr als 8 bis 10 zahlte. Von diesen enthielten nur wenige schwarze Körn- chen in ihrem Zellleib, grösstentheils waren sie von Körn- chen völlig frei. In den Endothelzellen und der vorderen Begrenzungsschicht der Iris, sowie im Stroma zwischen den grösseren Gefassen waren Tuschekömehen reichlich vorhan- den und zeigten die oben näher beschriebene Anordnung. Reichlicher als sonst wo traf man dieselben am Pupillar- rande. Die Trabekel des Irisstromas erschienen etwas dich- ter und dem entsprechend die Lacunen etwas kleiner als gewöhnlich. Besonders war dies gegen die hinteren Partieen der Iris der Fall; hier fanden sich auch nur mehr wenige Kömchen. Die letzteren waren wieder reichlicher anzu-

▼. Gnefe'B Archiv für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 8

114 C. StaderinL

treffen im Fontana'schen Räume, im Corpus ciliare imd aQ der Comeosderalgrenze.

Etwas abweichend von dem geschilderten Befände im Atropinange war der Befand in dem Auge, in welches man Eserin getränfeit hatte. Innerhalb der kleinen Tnsdie- menge, die sich noch im Fibrinnetzwerk eingeschlossen fand, waren nnr wenige Lenkocyten enthalten; dagegen hatte sich an der hinteren, der Iris zugekehrten Seite der Masse eine kleine Lenkoc^tenanhäufang gebildet, welche schon mit freiem Auge an mit Cochenille- Alaun gefärbten Schnitten zu bemerken war, indem sie einen rundlichen Herd Yon nicht ganz einem halben Millimeter Durchmesser darstellte. Durch das Mikroskop konnte man sich überzeugen, dass all' diese Lenkocyten yon Tuschekömehen frei waren. In der Iris selbst waren die Kömchen ausser im Endothel, in bekannter Anordnung in alle Theile des Stromas einge- drungen bis an die hintere Begrenzungsmembran, wo sie noch in ziemlich grosser Anzahl anzutreffen waren. Die Kömchen lagen fast alle frei in den Gewebslücken, häufig in fadenförmigen Reihen geordnet. Wanderzellen fanden sich nur in ganz spärlicher Zahl in der Iris und nur we- nige Yon ihnen hatten Kömchen in ihrem Protoplasma. Der Fontana'sche Raum, der Ciliarkörper und die Comeo- sderalgrenze enthielten zahlreiche Tuschekömehen, in der weitaus überwiegenden Mehrzahl frei. Die communiciren- den Gewebslücken des, Irisstromas erschienen weiter, als im Atropinange. Dasselbe gilt Yom Balkenwerk des Fontana- schen Raumes. AU' diese Umstände weisen auf eine er- leichterte Wegsamkeit der der Resorption dienenden Bah- nen und lassen es verstehen, wie die Abführung der inji- cirten Masse in dem mit Eserin behandelten Auge so yiel rascher zu Stande kam, als in dem anderen. Zu gleicher Zeit liefern diese Versuche aber auch einen weiteren Be- weis dafür, dass den Lenkocyten keine wesentliche Rolle an der Abfuhr kömiger Substanzen aus der vorderen Kam-

üeber die Abfltuswege des Humor aqueus. 115

mer zukommt grösste Feinheit des Korns und yöUig reidosen Verlauf selbstverständlich vorausgesetzt ; denn abgesehen davon, dass auch bei diesen Versuchen der di- recte Augenschein von einer nennenswerthen Betheiligung von Wanderzellen nichts erkennen liess, wäre nicht einzu- sehen, wie das Atropin und Eserin einen so verschiedenen Einfluss auf die Emigration, Beweglichkeit und Wander- fähigkeit der Leukocyten ausüben sollten, wie er bei der Verschiedenheit der geschilderten Resultate angenommen werden müsste.

Andere Versuche mit Atropin und Eserin an kleineren albinqtischen Kaninchen ergaben im Grossen und Ganzen dieselben Resultate.

Die Versuche, die Deutschmann vor einer Reihe von Jahren mit defibrinirtem Blute angestellt hatte, welches er in die vordere Augenkammer von Kaninchen injicirte, führ- ten zu ähnlichen Ergebnissen in Bezug auf den wichtigen Antheil, welcher der Iris zukommt an der Resorption der corpusculären Elemente desselben^). Auch überzeugte er sich, dass durch Einträufeln von Eserin die Resorption ganz beträchtlich beschleunigt wurde.

Andere Forscher haben angegeben, dass die in die vor- dere Kammer ii^icirten Massen mehr oder weniger weit über die von uns angegebenen Grenzen hinaus vordringen können. So hat Ulrich^) bei seinen letzten Versuchen gefanden, dass die unter dem Druck einer Wassersäule von 60 cm in die vor- dere Kammer injicirte Tuscheaufschwenmiung, als nach etwa einer Stande der Versuch unterbrochen wurde, nicht bloss in den Fontana'schen Raum und das nach hinten anschliessende Gewebe gedrungen war, sondern auch zwischen die Fasern des vorderen Zonulablattes, so dass eine partielle, circuläre Tusche- färbung noch am Linsenäquator sich vorfand. Bei diesen Ver- sachen ist jedoch die Injection in die vordere Kammer unter einem Drucke ausgeführt worden, welcher den normalen Kam-

») Dieses Archiv XXIV, 2, S. 223. 1878. *) Archiv für Aagenheilk. XX, S. 280. 1889.

116 C. Staderini.

merdrnck mehr oder weniger beträchtlich überstieg (in Ulrich' s Yersuch nahezu um das Doppelte) and somit wohl im Stande war, die Masse auch auf Wegen fortzutreiben, welche unter gewöhnlichen Umständen der Resorption und dem Abflüsse nicht dienen. Bei meinen Versuchen Hess ich zuerst das Eammer- wasser langsam abfliessen und füllte dann die Kammer nur zu etwa zwei Drittel mit der ziemlich consistenten Tuscheauf- schwemmung. Beim langsamen Zurückziehen der feinen Ca- nüle wurde darauf geachtet, dass die Kammer sich nicht wie- der entleerte. Dadurch wurden Druckschwankungen bei un- seren Versuchen auf ein möglichst geringes Maass reducirt.

Die Richtigkeit des Gesagten ergab sich aus solchen Ver- suchen, wo sich entgegen der sonstigen Gepflogenheit die vor- dere Kammer vollständig mit Tusche füllte, indem ich etwas kräftiger als gewöhnlich auf den Stempel der Spritze drückte. Dann fand ich Tuschekömehen auch hinter der Iris, wo sie für gewöhnlich nie angetroffen wurden.

Wir haben auch eine Anzahl von Yersnchen vorge- nommen mit Injectionen von löslichem Berliner Blau und zehnprocentigem Asphalt-Chloroform in die vor- dere Kanmier, welche geeignet sind, einerseits die im Voran- gehenden dargelegten Thatsachen zu bestätigen und ande- rerseits uns ein ürtheil zu verschaffen über den Wider- spruch, der in den Resultaten der verschiedenen Forscher, welche nicht diffusible Flüssigkeiten in die vordere Kam- mer injicirten, zu Tage tritt

Bei einer durch Aether narkotisirten Katze wurde durch die Hornhaut eines jeden Auges je eine Ganüle einer Pravaz'sche Spritze in die vordere Kammer eingestochen. Nachdem das Kanmierwasser langsam abgeflossen war, inji- cirte ich in die eine und andere Kammer gerade so viel einer zehnprocentigen Auflösung von Asphalt in Chloroform, dass die vordere Kammer eben damit angefüllt wurde. Ich unterbrach die Injection, sobald der Asphalt den Kammer- winkel erreicht hatte und am Spritzenstempel eine leichte Drucksteigerung wahrnehmbar wurde. Ich liess die Canüle in der Hornhaut etwa 20 Minuten lang und tödtete das

üeber die Abflusswege des Humor aqueus. 117

Thier nach einer halben Stunde. Die Bulbi kamen zur Härtung in Alkohol und wurden bei der mikroskopischen Untersuchung mit denjenigen Vorsichtsmaassregeln behan- delt, welche nothwendig waren, um eine Lösung des As- phalts zu vermeiden. Ich fand nun, dass die Injections- masse überall in die Mäschenräume des Fontana'schen Ga- nais eingedrungen war; aber die Blutgefässe, welche in der Comeoscleralgrenze unmittelbar am Fontana'schen Räume gelegen sind, enthielten ebensowenig, als die anderen 6e- fasse in dessen Umgebung die geringste Spur von Asphalt in ihrem Lumen. Nur rings um die Wandung von einigen jener venösen Gefasse, welche dicht am Rande des Fontana- schen Raumes in der Comeoscleralgrenze verlaufen, zeigten sich Andeutungen von Asphalt.

Bei einer zweiten Katze injicirte ich unmittelbar nach der Tödtung durch Aetherinhalation in oben beschriebener Weise Asphalt in die vordere Kammer des einen in situ gelassenen Auges. Das andere wurde zuerst enudeirt und dann erst injicirt. Sobald bei diesem letzteren die Span- nung eine der normalen ungefähr entsprechende Höhe er- reicht hatte, wurde die Injection unterbrochen, die Caniile aber stecken gelassen. Als die Spannung nach Ablauf we- niger Minuten wieder gesunken war, spritzte ich noch ein- mal so viel Asphalt ein, bis der Druck die frühere Höhe wieder erreicht hatte. Und dies wiederholte ich noch ein drittes Mal.

Bei der mikroskopischen Untersuchung des ersten, in situ injicirten Auges zeigte sich, dass der Asphalt den Fon- tana'schen Raum erfüllte und dass ausserdem feinste, mehr- fach unterbrochene schwarze Streifen entlang von venösen Blutgefässen zu verfolgen waren, welche unmittelbar an der Aussenwand des Fontana'schen Raumes in der Comeoscleral- grenze gelegen sind. Im Inneren der Gefässe war nichts, was auf ein Eindringen von Asphalt in das Lumen der- selben hindeuten könnte, wahrzunehmen.

118 C. StaderinL

Am anderen nach der Enucleation injidrten Auge hin- gegen £euid idi, dass Asphalt in die Blutgefässe am Comeo- sderaliande eingedrungen war und das Lumen derselben mehr oder weniger ToUständig erfüllte. Die suboonjuncti- ▼alen Gefasse enthielten bloss Blutkörperchen und keine Spuren Ton Asphalt mehr. Andere in derselben Weise aus- geführte Versuche, sowie auch die Injection von löslichem Berliner Blau in die vordere Kammer eines in der Orbita belassenen Katzenauges unmittelbar nach dem Tode des Thieres ergaben völlig übereinstimmende Resultate.

So lange also die Blutcirculation in den Gefassen der Ciomeoscleralgrenze im Gange war, drang die Injections- masse unter dem in Anwendung gebrachten Drucke nur spurenweise in die daselbst befindlichen, mit dem Fontana- schen Baume in Verbindung stehenden und dann den Blut- gefässen dieser Gegend folgenden Spalträume ein. In viel ausgedehnterem Maasse war dies der Fall, wenn diese Blut- gefässe nach dem Tode leer oder nur unvollständig gefüllt waren. Bestände irgend eine offene Gommunication mit dem Lumen der letzteren, so würde ohne jeden Zweifel die leicht bewegliche Flüssigkeit in dasselbe eingedrungen sein und die Gefasse gefüllt haben, statt in den viel grösseren Widerstand darbietenden, engen Spalträumen nach aussen von der Gefässwand sich fortzubewegen. Bei der letzten Kategorie von Versuchen endlich, wo erst nach der Enu- cleation die Kammereinspritzung in der angegebenen Weise ausgeführt wurde, genügte schon der bei der Injection an- gewendete Druck, um an einer Stelle eine Zerreissung der dünnen Gefässwand herbeizuführen, worauf die Masse das Lumen erfüllte, ohne mehr in den circumvasalen Spalträu- men sich zu verbreiten.

Fassen wir nun die Thatsachen zusammen, welche wir in Bezug auf die Herkunft und den Abfluss des Kammer- wassers und die Resorption corpusculärer Elemente aus dem Kammerraume nach dem gegenwärtigen Stande unserer

Ueber die AbfluBswege des Humor aqaeus. 119

KenntDisse auszosprechen uns für berechtigt halten» so wären diese ungefähr in folgenden Sätzen zu formuliren.

1) Das Kammerwasser stammt aus der hinteren Kammer und tritt am Pupillarrande in* die vordere Kammer ein.

Die mitgetheilten Ergebnisse unserer Versuche gestatten uns allerdings nur den Schluss, dass eine Secretion von Kammerwasser von der vorderen Irisfläche aus (Schick) oder eine Durchquerung der Iris durch einen Flüssigkeits* Strom (Ulrich) nicht statt hat, ja dass die Vorderfläche der Iris an der Secretion des Kammerwassers überhaupt nicht betheiligt ist und ferner, dass der Weg, den der Hu- mor aqueus einschlägt, um in die vordere Kammer zu ge- langen, in der capillären Spalte zwischen dem Pupillarrand der Iris und der vorderen Linsenkapsel zu suchen ist. Aber es genügen diese Thatsachen, um, zusammengehalten mit den schon von Leber angeführten, bekannten klinischen Erfahrungen aus der Pathologie des Auges ^), den obigen Satz auszusprechen').

1) Dieses Archi? XIX.

*) Auf einen Umstand, der mir bezfiglich der Frage nach dem Orte der Secretion des Kammerwassers noch nicht genügende Be- rQcksichtigimg gefanden zu haben scheint, möchte ich hier noch die Aofinerksamkeit der Leser hinlenken, aof den Umstand n&mlich, dass das Kammerwasser nicht als ein einfaches Transsudat aus dem Blntplasma, als eine Art Lymphe anfgefasst werden kann, sondern dass es sich am ein wirkliches Secretionsprodukt handelt. Man vergleiche nur die chemische Zusammensetzung des Blutserums, der Geweblymphe und des Kammerwassers, um sofort einzusehen, dass wir in dem letzteren nur FlOssigkeit Tor uns haben, in welcher die Eiweisskörper und sonstige organische feste Substanzen nahezu voll- •t&ndig fehlen. Deutschmann, der das Kammerwasser aus dem Auge eines noch lebenden Rindes untersucht hat, fand nicht wäg- bare Mengen Ton Ei weiss (dieses Archiv XXVII, 2, S. 297). Da die Eiweissmenge des Kammerwassers nach dem Tode zunimmt, so sind die Angaben anderer Autoren, welche dasselbe den Augen ge- tödteter Thiere entnahmen (so auch Michel und Wagner, dieses

120 C. SUderinL

^ 2) Langsam und gleiclimässig erfolgt die Strö- mung des Kammerwassers Ton der Papille in ra- diärer Richtung nach dem Kammerwinkel zu. Ströme, ^eren Theilchen sich diyergirend überkreuzen", oder „Wir- belphanomene^ kommen hierbei niemals zu Stande.

3) Im Fontana'schen Canale finden sich die- jenigen anatomischen Einrichtungen und physika- lischen Bedingungen, welche den Abfluss Ton Hu- mor aqueus durch Filtration in venöse Blutgefässe an der Corneoscleralgrenze ermöglichen und unter normalen Verhältnissen in ausreichendem Maasse sicher- stellen. Eine offene Verbindung zwischen Kammerraum und Blutgefasssystem existirt ganz bestimmt nicht

Archiv XXXII, 2, S. 173), bezflglich des Eiweissgehaltes zu hoch aoBgefallen. Ein solches, in qualitativer und quantitativer Bezie- hung von der Zosammensetzong der Lymphe abweichendes Trans- Budat ist aber ein wahres Secret und wird nur durch Vermittlung besonderer Zellen, Zellen epithelialer Natur geliefert, welchen die Fähigkeit zukommt, ganz bestimmte Stoffe ans dem Transsudate zurQckzuhalten, bezw. eigenartige, specifische Stoffe zu bilden. Für eine derartige elective Wirkung, welche die fOr die dioptrischen Zwecke unerl&ssliche Constanz der Zusammensetzung der flQssigen Augenmedien garantirt, können wir nur den doppelten epithelialen Ueberzug der hinteren Irisfl&che und des Ciliarkörpers in Anspruch nehmen. An albinotischen Thieren hat man Gelegenheit, diesen Zellbelag auf das Schönste wahrzunehmen (vergl. Figg. 1 und 2 der der vorliegenden Abhandlung beigegebenen Tafel) und die interes- santen Veränderungen eben dieser Zellen in Augen von diabetischen Individuen mit Cataracta, welche wir durch die Beschreibungen von Becker, Kamocki und Deutschmann kennen gelernt haben und die ich selbst in zwei Fällen in verschiedenen Graden der Ausbil- dung in exquisiter Weise zu constatiren Gelegenheit hatte, liefern uns ein Beispiel für auffälligere, pathologische Störungen eben die- ses secemirenden Epithels.

Es würde somit den beiden Blättern der Netzhaut nach vom von der Ora serrata, welche schon in anatomischer Beziehung einen eigenartigen Bau aufweisen, indem ihre Elemente den epithelialen Character der ursprünglichen Anlage dauernd erhalten haben,

lieber die Abflusswege des Humor aqueus. 121

Es ist schon in den einleitenden Bemerkungen daran erinnert worden, dass der Schlemm'sche Canal beim Men- schen einen Anhang zam Yenensystem der Gomeoscleral- grenze darstellt, innerhalb dessen in Folge der ziemlich beträchtlichen Erweiterung des Gesammtquerschnittes der venösen Blutbahn der Druck ein verhältnissmässig niedriger sein muss. Dazu kommt noch, dass, wie Straub sehr rich- tig hervorgehoben hat^), die hintere (innere) Wand des Schlemm'schen Canals, welche zugleich den äussersten An- theil jenes Platten- und Balkensystems darstellt, an das der

w&hrend dieselben, abgesehen von einer Absorption des durch die Sclera einfallenden Lichtes, der Funktion des Sehens nicht mehr zu dienen haben, eine andere, fttr die Oeconomie des Auges höchst wichtige Funktion zukommen, n&mlich die, der Secreüon der flüs- sigen Augenmedien vorzustehen. Dass die Thätigkeit dieser Zellen auch vom Nervensystem beeinflusst werde, ist in hohem Grade wahr- scheinlich, jedoch erst experimentell zu erweisen.

Beim Nachsuchen in der Literatur fand ich, dass Boucheron schon im Jahre 1883 in der Soci^t^ fran^aise d'ophtalmologie einen ähnlichen Gedanken ausgesprochen hat; er ist zur Bezeichnung sei- ner Anschauung um einen Namen nicht verlegen und spricht von einem Epith^lium aquipare et vitr^ipare des proc6s ciliaires. In einer der Acad^mie des sciences am 7. März 1889 vorgelegten Mit- theilung verallgemeinert Boucheron seine Anschauung, indem er darznthun versucht, dass das terminale Neuroepithelium der Sinnes- organe überall von einem secretorischen Epithel begleitet sei, wel- ches mit dem ersteren histogenetisch denselben Ursprung habe. In demselben Jahre machte auch Nicati eine vorläufige Mittheilung ftber denselben Gegenstand (Hecueil d*ophtalmol. Nr. 7. S. 385) und spricht geradezu von einem appareil glandulaire dans l'oeil des mammif^res. Die ausführliche Bearbeitung, deren letzter Abschnitt (Archives d*Ophtalmologie, T. XI, S. 24 und 152, 1891) mir unmit- telbar vor Absendnng dieser Arbeit in die Hand gekommen ist, ent- hält viele schätzenswerthe Beobachtungen und Gedanken, bedarf aber, namentiich in ihrem physiologischen Theile gar sehr einer gründlichen Nachprüfung und es werden manche Schlussfolgerungen eine Einschränkung und Correction erfahren müssen.

H. Sattler.

*) Dieses Archiv XXXV, 2, S. 67.

122 C. Staderini

Cilianniiskel sich ansetzt, durch den letzteren gespannt er- halten, dadnrdi die Yenenwand dem im Augeninneren herr- schenden Drucke entzogen und so es möglich gemacht wird, dass der Blutdruck in der Vene stets unter dem intra- oculären Drucke bleibt

4) Während ein o£fener Lymphcanal, welcher vom Fon- tana'schen Räume seinen Ursprung nähme (Morf), ganz bestimmt nicht existirt, können wir nach unseren Befun- den nicht mehr bezweifeln, dass vom Fontana'schen Räume ausgehend feine Spalten in das Gewebe der Sclera hineinführen, welche zum Theile dem Verlaufe der tieferen Venen an der Gomeosderalgrenze folgen (ohne dass man von perivasculären Lymphscheiden zu sprechen Berechtigung hätte), zum Theile von hier aus im Gewebs- spaltensystem der Sclera sich verlieren. Aehnliche Spalten fuhren vom Fontana'schen Räume aus in das bindegewe» bige Stroma des Giliarkörpers und der Iriswurzel, folgen aber hier keinen Gefässbahnen.

Dass diesen spaltformigen Bahnen unter normalen Ver- hältnissen eine wesentliche Bedeutung für den Abfluss des Kammerwassers zukomme, wird man wohl sicher nicht be- haupten können. Sie mögen jedoch immerhin bei manchen pathologischen Zuständen, so z. B. bei der Resorption pa- thologischer Inhaltsmassen aus der vorderen Kammer eine gewisse Rolle zu spielen berufen sein.

5) Dass eine Betheiligung der Iris an der Re- sorption corpusculärer Elemente aus der vorderen Kammer stattfindet, ist nach den Resultaten der Injec- tion von kömigen Farbstoffen und von Blut (Deutsch- mann) in die vordere Augenkammer lebender Thiere ganz und gar nicht zu bezweifeln.

Eine andere Frage ist, wie weit die Iris auch unter gewöhnlichen Verhältnissen, beim Fehlen fremder Inhalts- raassen in der vorderen Kammer an der Resorption von

üeber die Abflosswege des Humor aqaeus. 123

Humor aqaeus sich betheiligt Leber spricht der Iris aller- dings einen gewissen Antheil an der Resorption Yon Kam- merwasser zu ^). Doch möchte ich auf den zu Gunsten die- ser Ansicht von Leber angeführten Versuch, dass bei Gar- mininjectionen in die vordere Kammer nicht nur die Yor- keren Ciliarvenen gefüllt erschienen, sondern auch rothe Flüssigkeit aus den Venae yorticosae auslief, kein sehr grosses Gewicht legen, da der Versuch nur am exstiipirten Auge vorgenommen werden konnte.

Der anatomische Bau der vorderen Schicht des Lris- gewebes ist einer resorbirenden Thätigkeit zweifellos günstig und es ist nicht unwahrscheinlich, dass, wie schon oben bemerkt, durch die Bewegungen der Iris auch die die Re- sorption fordernden physikalischen Bedingungen hergestellt werden.

6) Physostigmin befördert, Atropin verzögert die Resorption aus der vorderen Augenkammer in ganz erheblichem Grade.

Prag, Anfang März 1891.

Erklärung der Abbildungen. Tafel m.

Fig. 1. Kammerwinkel eincB albinotischen Kaninchenaages nach Tnscheiigection in die vordere Kammer.

Die Oefitesverzweigong an der Comeoscleralgrenze ist aas mehreren Schnitten combinirt und die Taschekörnchen in den Lücken des Fontana*8chen Raumes sind der Klarheit der Zeichnung halber weggelassen. Im Uebrigen ist die Figur wie die beiden folgenden genau nach der Natur gezeichnet.

*) 1. c. B. 106 u. 124 und Handb. der gesammten Augenheilk. von A. Graefe und Saemisch, Bd. n, 2. Th., S. 383.

124 G. Staderini, üeber die AbfloBSwege des Humor aqaeos.

Fig. 2. Ein Theil des Endothelh&atchens der Iris Yon einer Stelle nahe dem Pupillarrande, wo die Iris schwarz gesprenkelt er- schien. Homog. Immers. -y^*

Fig. 3. Ein kleines Stflck der Iris anweit des Sphinctertheiles der- selben, aus einem Aage, in welches yor der Taschei^jection

Eserin eingeträufelt worden war. Apochrom. Obj. q'ss'ap *

Gompensat. Ocul. 8.

Ueber das Vorkommeu von Eiesenzellen

und eitriger Exsudation in der Umgebung des

intraocnlaren Cysticercus.

Von

Dr. August Wagenmann,

Privatdocenten und entern ABsistenten der üniyersit&ts- Augenklinik

zu Heidelberg.

Im XXXV. Bande dieses Archivs hat yon Schröder^) einen merkwürdigen Fall eines zum Theil resorbirten und in eine anscheinend tuberculöse Neubildung eingeschlosse- nen Cysticercus subretinaUs mitgetheilt. Bei einem 23jähri- gen Mann war spontan Abnahme des Sehvermögens aufge- treten. Wegen Zunahme der Augenerkrankung begab sich der Patient ca. ein halbes Jahr nach Beginn der Sehstö- rung in die St Petersburger Augenheilanstalt, wo bei der Aufnahme das Bild einer Iridochorioiditis mit intraocularer Tumorbildung constatirt wurde, die nach erfolglos versuch- ter Inunctionscur für tuberculös gehalten wurde. Das Auge wurde deshalb enucleirt. Bei der von Dr. Westphalen in Dorpat vorgenommenen anatomischen Untersuchung des enu- deirten Auges fand sich im hinteren Bulbusabschnitt unter der abgelösten Netzhaut eine aus Bindegewebe und Granu- lationsgewebe bestehende Geschwulst, in der zahlreiche Rie- senzellen und epitheloide Zellen vorkamen. Ausserdem wur-

») T. Graefe'fl Archiv für Ophthalm. XXXV, 3, S. 97.

126 A. Wafemuuin.

den in dem einem sditaren Toberkel ähnlichen Tomor Reste einer Chitinmembran, Haken nnd Sangnäpfe angetroffen» Gebilde, die ohne Zweifel einem abgestorbenen nnd in einer Art Resorption befindlichen Cystioercas angehörten.

Die Untersnchnng anf Tnberkelbacillen war Yollkommen n^atiy, ein Umstand, der anf die Härtung des Auges in MüUer'scher Flässigkeit bezogen wurde. Auch der Aus- gangspunkt des yenneintlichen Tuberkels liess sich anato- misch nicht sicher bestimmen.

Hinterher wurde noch das Resultat einer einige Mo- nate Yorher stattgehabten Untersuchung des Patienten durch einen Rigaer Augenarzt bekannt, bei der mit grosser Wahr- scheinlichkeit die Diagnose auf Cysticercus gestellt wor- den war.

Ein Jahr nach der Enudeation erkrankte der bis da- hin Yollkommen gesunde Mann, der inzwischen eine Anstel- lung ak Diener in einem Hospital gefunden hatte, an einer acuten Phthisis pulmonum, die bald darauf seinen Tod im Gefolge hatte.

Bei der Epikrise des Falles neigt y. Schröder mit ziemlicher Gewissheit der Ansicht zu, dass eine Coincidenz von Tuberculose und Entozoon vorliege und zwar in der Weise, dass das von dem Cysticercus hervorgerufene Granu- lationsgewebe in Folge des bereits bestandenen Allgemein- loidens einen tuberculösen Charakter angenommen habe. Und weiter stellt v. Schröder zwischen der tuberculösen Neubildung und der Resorption des Cysticercus den Causal- nexus auf, dass den in Folge der Tuberculose massenhaft aufgetretenen Riesenzellen, denen eine resorbirende Thätig- keit zukomme, die Chitinmembran des Blasenwurms nicht habe widerstehen können, und dass deshalb der Cysticercus abgestorben sei. v. Schröder stützt sich bei seiner Schluss- folgerung darauf, dass noch niemals Riesenzellen in der Umgebung eines Cysticercus gefunden, und dass noch nie- mals ein ähnliches Gewebe als Bett des Entozoons beob-

üeber das Vorkommen von RieBenzellen etc. 127

achtet sei Zur Annahme einer latenten Toberculose hält er sich durch die ein Jahr später angetretene Phthisis pul- monum berechtigt

Ich wnrde durch die v. Schröder'sche Mittheilung damals daran erinnert, dass ich im Jahre 1887 ein Auge mit einem intraocularen Cysticercus zu untersuchen Gelegen- heit gehabt hatte, in dem in der Umgebung des Entozoons Riesenzellen neben eitriger Ezsudation und Bildung Yon Grannlationsgewebe sich hatten nachweisen lassen. Ich halte die kurze Mittheilung des genannten Befundes als Beitrag zur Beantwortung der auch für die Erklärung des v. Schrö- der'sehen Falles wichtigen Frage, ob man die entzündlichen Veränderungen, besonders das Auftreten yon Riesenzellen, Granulationsgewebe und vor aUem von Eiterbildung ohne weiteres auf das Entozoon zurückführen kann, oder ob man eine Complication mit mikrobischer Infection annehmen muss, für nicht uninteressant

Zudem hat sich das Vorkommen von Riesenzellen bei der in Rede stehenden Erkrankung, auf das schon vor län- geren Jahren von Weiss, Fuchs und de Vincentiis hin- gewiesen ist, offenbar der allgemeinen Eenntniss entzogen.

Auch von anderer Seite ist inzwischen die v. Schrö- der'sche Angabe, dass bisher niemals Riesenzellen in der Umgebung des intraocularen Cysticercus beobachtet worden seien, beanstandet.

Hirschberg ^) hat im Centralblatt für Augenheilkunde beim Referiren des v. Schröder'schen Falles in einer Note angegeben, dass Riesenzellen auch bei sonst völlig gesunden Menschen an der Innenfläche des Cysticercusnestes ange- troffen würden, und an einer anderen Stelle*) fügte der- selbe Autor in einer Note hinzu, dass sich Riesenzellen regelmässig in der Organkapsel um den Cysticercus fänden. Ob dieses letztere sich wirklich bestätigt, können erst wei-

») Centralbl. für Augenbellk. 1889, 8. 319. «) Ibid. 8. 382.

128 A. Wagenmann.

tere Untersuchungen feststellen. Hirschberg selbst wird erst in späterer Zeit auf den Befund aufioaerksam geworden sein, da in den mehrÜGichen anatomischen Publicationen ^) über intraoculare Gysticerken, die wir ihm yerdanken, der- selbe nicht erwähnt ist. Die ersten Mittheilungen über das Vorkommen von Riesenzellen in der Umgebung von Cysti- cerken stammen aus dem Jahre 1877 und beziehen sich auf einen intraocularen und zwei subconjunctivale Gysti- cerken. Weiss ^) fand dieselben in dem Bett des Blasen- wurms in einem von Hirscherg enucleirten Auge; Fuchs*) und de Vincentiis ^) sahen sie bei subconjunctiyal sitzen- den Entozoen. Was die letzteren betrifft, so fand der Be- fund Bestätigung durch Manfredi^), während die Zellen in anderen Fällen trotz genauen Suchens nicht nachgewie- sen werden konnten, wie Makoki^) imd de Vincentiis^) mittheilten.

Für die intraocularen Cysticerken ist eine weitere, neuerdings erfolgte Bestätigung, die aus der Eönigsberger Klinik stammt und in einer Dissertation von Dolina^) nie- dergelegt ist, anzuführen. Dolina hat zwei Fälle yon intra- ocularem Blasenwurm anatomisch untersucht und in dem ersten der beiden Fälle Riesenzellen gefunden. Im Uebri- gen stimmen die pathologisch-anatomischen Veränderungen der beiden Bulbi in der Hauptsache mit den früher be-

>) Virchow'B Arch. XLIV, S. 276. Arch. f. AugenheUk. I, 2. Ibid. II, 2. Archiv für Ophthalm. XXII, 4, S. 126. Archiv für Augenheilk. IX, 1879. Yergl. Hirschberg: Cysticercas im Auge, Artikel in Eulenbarg*8 Encyclopädie der gesammten Heil- kunde. 2. Aufl.

») V. Oraefe's Archiv fOr Ophthalm. XXHI, 4, S. 16.

>) Elin. MonaUbl. für Augenheilk. XY, S. 396.

*) Movimento Med. Chir. Napoli 1877.

^) Un caso di cisticerco sotto coigunctivale etc. Torino 1884.

<) Klin. Monatsbl. für AngenheUk. XXI, S. 829.

') Annali di ottalm. XVH. Fase. 5-6, S. 61.

'') Inaug.-Dissert. Königsberg 1889.

Ueber das Vorkommen von Biesenzellen etc. 129

kannten überein, denen sich auch das von mir untersuchte Auge im Wesentlichen anschliesst. Auf einige seltenere Ein- zelheiten, die auch Doli na zum Theil fand, werde ich bei der Beschreibung zurückkommen. *

Das von mir untersuchte Auge ist von Dr. Hessberg in Essen im Jahre 1885 enudeirt und von seinem dama- ligen Assistenten, Herrn Dr. Bansohoff, mit nach Göttingen gebracht worden. Herr Dr. Ransohoff hatte während sei- ner Assistentenzeit in Göttingen das Auge zu untersuchen angefangen und bei seinem Fortgehen mir übergeben. Bei- den Herren bin ich durch die Ueberlassung des Präparates und die Mittheilung der klinischen Notizen zu grossem Dank verpflichtet.

Krankengesohichte.

Die Patientin, von der das Auge stammt, kam zuerst am 21. December 1884 in Behandlang des Herrn Dr. Hessberg. Nach einem drei Jahre zuvor erfolgten Schlaganfall, der zu einer L&hmung der linken Körperseite geführt hatte, war am rechten Auge eine Abnahme der Sehschärfe aufgetreten. Ein Augenarzt hatte damals eine Netzhauterkrankung, wahrschein- lich eine Ablösung die Patientin nannte es eine Lähmung der Netzhaut diagnosticirt. Die Frau stellte sich jetzt vor, weil das Auge seit acht Tagen schmerzhaft geworden war. Es fand sich eine starke Giliarinjection, bedeutende Irisverfärbnng mit Yascularisation der Iris und eine totale Verwachsung der Papille; aus der Tiefe bekam man einen gelben Reflex. Absolute Amaurose.

Die Patientin stellte sich erst am 16. Jan. 1885 wieder vor, da sie wegen eines fieberhaften Gastricismus bettlägerig gewesen war. Auge tief iiyicirt, Iris stark verfärbt, an einer Stelle des Oiliarkörpers auf Druck so heftige Schmerzen, dass ein Ohnmachtsanfall erfolgt. Das linke Auge war bis auf mark- haltige Nervenfasern in der Retina stets normal. Wegen fort- dauernder Iridocyclitis dolorosa wurde das Auge im April 1885 enucleirt, worauf sich die Patientin überaus schnell erholte. Anhaltspunkte für Tuberculose lagen nicht vor.

Die anatomische Untersuchung bestätigt die vorher aufge- stellte Yermathung, dass ein intraocalarer Cysticercus vorliege.

T. Graefe's Arcbir für Ophthalmoloide. XXXVII. 3. 9

130 A. Wagenmann.

Es findet sich in dem Ange ein fast den ganzen hinteren Bnl- bnsranm einnehmendes Entozoon, das zn einer hochgradigen, darch entzündliche Processe veranlassten Destmction der in- neren Angenhänte geführt hat Der Durchmesser der Blase beträgt in der horizontalen Achse ca. 13 mm, in der sagittalen 11 mm, der in der Blase steckende Halstheil hat eine Länge Von 4 mm und eine Breite von 2 3 mm. Der Bulbus ist iu toto ein wenig verkleinert und misst im sagittalen und fron- talen Durchmesser 24 mm. Das Grössenverhältniss des Blasen- wurms ist ein ansehnliches, wird aber von einigen bisher mit^ getheilten Befunden übertroffen. So hat. Hirschberg ^) zwei Fälle von Cysticercus untersucht, von denen der eine 15 mm und der andere 14 mm Länge besass. Die Blase ist in meinem Fall nicht ganz kugelförmig, sondern zeigt mehrfache Einsen- kungen und Abschnärungen, die jedenfalls dadurch entstanden sind, dass die Umhällungsschicht, die im Laufe der Zeit eine gewisse Festigkeit erlangt hat, einer gleichmässigen Ausdehnung des Entozoons Widerstand entgegengesetzt hat. Der Innen- fläche der Chitinmembran liegt eine ziemlich dicke Schicht von detritusartiger Beschaffenheit auf, in der man vielfach ver-^ zweigte stark lichtbrechende Fasern und Bänder, sowie zahl- reiche stark lichtbrechehde Kügekhen, kleine, Farbstoff lebhaft aufnehmende, rundliche, kernähnliche Gebilde und schliesslich * auch geschichtete Ealkconcremente erkennen kann. Daneben kommen auch opake, gelblich gefärbte Detritusmassen vor, in denen ich vereinzelte Haken nachweisen konnte.

Die Cysticercusblase ist eingebettet in eine dicke Schicht neugebildeten Bindegewebes, das zum Theil feinfaserig, sclero- sirt und arm an Gewebskemen, zum Theil noch jüngeren Da- tums ist und den Charakter von kern- und gefössreichem Gra- nulationsgewebe besitzt. Die Veränderung des hinteren Bulbus- abschnittes und besonders der Retina ist so hochgradig, dass man nur mit Mühe bestimmen kann, ob der Blasenwnrm vor oder hinter der Netzhaut liegt Nach den Schnitten, in denen die Papille vorhanden ist, zu urtheilen, scheint das Entozoon vor der Retina zu liegen, da man von der Papille aus Gewebs- züge, die der bindegewebig destruirten Netzhaut zu entsprechen scheinen, sich hinter die BlasdB erstrecken sieht Auch in der Aequatorialgegend des Bulbus erkennt man noch -hinter der

') Virchow's Archiv XLIV.

Archiv für Augenheilkunde I, 2.

Ueber das Yorkommen von Riesenzellen etc. 131

Blase Andentungen von necrotischer und bindegewebig degene- rirter Netzhaut, an anderen Stellen freilich fehlt die Membran vollständig. Wo der Blasenwurm die Retina perforirt hat, l&sst sich natürlich nicht mehr entscheiden, doch wird er, wie aus dem klinischen Verlauf erhellt, anfangs jedenfalls subretinal gesessen haben.

Der Opticus ist vollkommen atrophisch und stark mit Bindegewebe und Eiterkörperchen durchsetzt. Weit besser als die Netzhaut ist die Aderhaut im hinteren Bulbusabschnitt noch zu erkennen. Dieselbe ist überall hochgradig verändert, viel- fach atrophisch, vielfach bedeutend gewuchert und verdickt mit reichlicher Neubildung von Gefässen, deren Wände mehrfach stark sclerosirt sind. An anderen Stellen freilich ist die Cho- rioidea nicht mehr als solche abzugrenzen, sondern vollständig in dem neugebildeten Gewebe untergegangen. An einer circum- scripten Stelle findet sich in ihr ein kleines Knochenstückchen, ein Befund, der aus solchen Augen längst^) bekannt ist.

Im vorderen Bulbustheil sind Retina und Aderhaut etwas besser erhalten, wenn auch besonders die erstere stark binde- gewebig verändert und in Granulationsgewebe eingeschlossen von der Aderhaut abgelöst ist. Es findet sich nach vom von der Kapsel des Blasenwurms noch ein schmaler, dem Glaskör- per entsprechender Raum, der von der Linse begrenzt wird und von bindegewebigem, gefässhaltigem Granulationsgewebe vollkommen ausgefüllt ist. Das Gewebe ist in starker Schrum- pfung begriffen, deren Folgen sich an den angrenzenden Thei- len erkennen lassen. Ich komme darauf noch zurück.

Das die Blase einhüllende und umgebende Gewebe ist überall von Eiterkörperchen durchsetzt. Am dichtesten ist die eitrige Infiltration in der nächsten Umgebung des Entozoons und streckenweise so dicht, dass die Ghitinmembran unmittel- bar an eine ziemlich dicke Eiterschicht grenzt, in der man kein Zwischengewebe zwischen den Eiterkörperchen erkennt. Weiter ab von der Blase ist die Ansammlung von Eiterkörper- chen nur fleckweise dichter, im Uebrigen massig stark, diffus vertheilt und nach der Peripherie zu abnehmend. Bemorkens- werth ist, dass an einer Stelle des hinteren Augenpols die Entzündung auf die Sclera übergegriffen hat Durch Schwund

') 0. Becker, Atlas der patholog. Topographie des Auges. S&misch, Klin. Monatsbl. für Augenheilk. VIIl, S. 170, Dolina, Inaug.-Dlssert. Königsberg 1889.

9*

132 A. Wagenmann.

der Netzhaut und Aderhaut liegt daselbst die neugebildete, eitrig durchsetzte Kapsel der Innenfläche der Sclera unmittel- bar auf. Das Scleralgewebe ist aufgelockert, eitrig infiltrirt und macht mehr&ch einen necrotischen Eindruck. Dolina beobachtete in seinem zweiten Fall ein ähnliches Uebergreifen der Entzündung auf die Sclera.

In der an die Chitinmembran stossenden Zone findet sich nun ferner meist in Eiter eingeschlossen eine beträchtliche Anzahl zum Theil auffallend grosser Riesenzellen mit körni- gem Protoplasma und zahlreichen Kernen, die nur in verein- zelten Zellen mehr randständig, im übrigen regellos orientirt sind. Mit einer Stelle der Oberfläche berühren die Zellen ge- wöhnlich die Glashaut

Der Ton dem Cysticercus nach Torn liegende Abschnitt des Auges bietet die Zeichen einer plastischen, zur Schwarten- bildung führenden, nicht eitrigen Iridocyclitis. Die Iris ist verdickt, sehr zellenreich, mit der vorderen Linsenkapsel ver- wachsen; der Kammerwinkel vertieft, die Pupille durch ein plastisches Exsudat verlegt. Der Ciliarkörper ist infiltrirt, auf seiner Innenseite mit schwartigen Massen bedeckt. Er ist bis auf seinen vorderen Ansatzpunkt an der Comeoscleralgrenze von der Sclera weit abgelöst und nach innen gezogen; das subciliare und subchorioideale Gewebe ist dadurch stark aufge- lockert, mit weiten Hohlräumen, die geronnene Eiweisssubstanz, Lymphzellen, rothe Blutkörperchen und neugebildetes gefilss- haltiges Bindegewebe enthalten, durchsetzt. Die die Innenfläche des Corpus ciliare überziehenden schwartigen Neubildungen ge- hen nach innen und vorn in das den Glaskörperraum ausfül- lende, ähnlieh beschaffene Granulationsgewebe über und ver- schmelzen nach hinten zu mit dem Cysticercusbett. Auch dei* vordere Theil der Aderhaut ist durch Zug von innen her ab- gelöst.

Beachtenswerth ist, dass dicht hinter der Pars ciliaris retinae die schwartigen Auflagerungen von dem Pigmentepithel abgezogen sind und zu der Bildung eines ringförmigen, ziem- lich grossen, stellenweise 1 2 mm breiten Hohlraums Veran- lassung gegeben haben, der mit geronnener Eiweisssubstanz aus- gefüllt ist. Die Wand der Cyste wird mehrfach vollständig von Pigmentepithel ausgekleidet. Die Retina, die hier als ein bindegewebiger Strang zu erkennen ist, hat dem Zug auch fol- gen müssen und ist nach innen gezogen.

Ohne Zweifel ist die Entstehung dieses ringförmigen Hohl-

Ueber das Yorkommen Ton Riesenzellen etc. 133

ranmes durch den von innen her wirkenden Zag des schmni- pfenden Orannlationsgewebes zn erklären. Einen analogen Be- fand hat Dolina in seinem zweiten Fall beschrieben.

An der Linse findet sich ein grosser Yorderkapselstaar von gewöhnlichem Aassehen and ausserdem eine Reihe von Yer&nderangen, die mit Sicherheit eine intra vitam bestandene Cataract annehmen lassen. Das Linsenepithel reicht fast bis zum hinteren Pol and ist auf der Hinterkapsel vielfach ge- wuchert Der Kembogen ist anregelmässig und zeigt eine un- vollkommene Faserbildung. Bläschenzellen und Eiweisskugeln liegen in der Corticalis za Gruppen beisammen, und daneben kommen zahlreiche kleine Spalten und Lücken, die mit Detri- tns angefüllt sind, vor.

Mehrfache nach verschiedenen Methoden vorgenommene Schnittförbangen auf Tuberkelbadllen blieben resultatlos, ebenso die wiederholt ausgeführten Schnittförbungen auf Kokken. Die Untersuchung auf Kokken war durch das Yorkommen von Zer- fallsproducten der Zellkerne erschwert, die sich ebenfalls als kleinste Etlgelchen darstellten, aber durch ihr ungleiches Ka- liber nnd ihre meist unregelmässige, eckige Form von Mikro- organismen unterschieden. Unzweifelhafte Kokken habe ich nirgends au£zufinden vermocht

Die Producte der entzündlichen Processe des beschrie- benen Auges sind mannigfacher Natur und bestehen im Wesentlichsten in einer ausgedehnten Neubildung eines zum Theil in Bindegewebe umgewandelten Granulationsgewebes, femer in Eiterbildung, die in der nächsten Umgebung des Entozoons am hochgradigsten ist und nach der Peripherie zu abnimmt, und schliesslich in der Bildung von Riesen- zellen, die der Ghitinmembran anliegen.

Meines Erachtens kann kein Zweifel bestehen, dass das Entozoon als solches im Stande ist, eine Entzündung im Auge hervorzurufen, die die genannten pathologisch- anatomischen Veränderungen im Gefolge hat Der Cysti- cercus und seine Stoffwechselproducte müssen fiir die mensch- lichen Gewebe entzündungserregende Eigenschaften besitzen.

Was nun das Vorkommen von Riesenzellen in der Um- gebung der Blase anlangt, so kann schon durch den wieder-

134 A. Wagenmann.

holten, übereinstimmenden Nachweis derselben als gesichert gelten, dass sie dorch den Cysticercus hervorgerufen wer- den. Es scheint übrigens für ihr Auftreten Bedingung zu sein, dass schon eine Abkapselung der Blase eingetreten ist Der Befund hat jetzt nichts befremdendes mehr, da es als feststehende Thatsache gelten kann, dass die mannig- fachsten Fremdkörper, ohne dass Mikroorganismen mit im Spiele sind, zum Entstehen von Riesenzellen die Veranlas- sung geben können. Ich selbst habe zu den bekannten Erfahrungen einen neuen Fall von pseudotuberkulöser Ent- zündung durch Raupenhaare hervorgerufen hinzugefügt und habe femer Gelegenheit gehabt, die Bedeutung der Riesen- zellen zur Resorption necrotischer Massen am Kaninchen- augc nach Cauterisation der Papille experimentell zu ver- folgen.

Da also jetzt als gesichert angesehen werden kann, dass der Cysticercus zur Bildung von Riesenzellen Anlass giebt, so wird man der Annahme einer Complication mit bacillärer Tuberkulose, wie es der v. Schröder'sche Fall zu fordern schien, skeptischer gegenüber stehen. Die Mög- lichkeit, dass in einem Auge, in dem durch den Cysticercus ein entzündlicher Zustand ein Locus ininoris resistentiae geschaffen und unterhalten wird, sich zufallig im Blut circulirende Tuberkelbacillen niederlassen und durch ihr Wachsthum das Krankheitsbild compliciren, ist a priori ja zuzugeben und steht in vollem Einklang mit den patholo- gischen Erfahrungen z.B. der Chirurgie. Zumal wenn der Patient an anderweitiger Tuberkulose litte, hätte die An- nahme dieser Complication durchaus nichts unzulässiges. Man muss aber, um diese Complication beweisen zu können, noch andere Kriterien als das Vorkommen von Riesenzellen und Granulationsgewebe, die beide durch den Cysticercus allein ebenfalls hervorgerufen werden können, postuliren, sei es den Nachweis von Tuberkelbacillen, sei es die mit positivem Erfolg angestellte Ueberimpfung.

Ueber das Vorkommen von Kiesenzellen etc. I35

In dem v. Schröder'schen Fall schien die Annahme, dass eine tuberkulöse Entzündung hinzugetreten sei, durch manche Umstände begründet. Mir ist es höchst zweifel- haft, ob wirklich eine derartige Goincidenz der Processe Torlag. Der Nachweis von Tuberkelbadllen fiel negati? aus, was freilich auf die Härtung in MüUer'scher Flüssigkeit bezogen wurde. Ich möchte aber glauben, dass, wenn in dem betre£fenden Auge eine bacilläre Tuberkulose hinzu- getreten wäre, man sicher auch Bacillen gefunden haben würde, da der Process erst kurze Zeit bestanden haben konnte, und da der Gehalt an Bacillen, wie man aus dem zahlreichen Vorkommen der Riesenzellen schliessen kann, ein reichlicher hätte sein müssen. Wenn auch die Mül- ler'sche Flüssigkeit die Färbbarkeit der Bacillen herab- setzt, so haben mich doch wiederholte, eigene Untersuchun- gen von tuberkulösen Augen, die Jahre lang in Müller- scher Flüssigkeit gelegen haben, gelehrt, dass man trotz- dem Bacillen nachweisen kann, so lange man nur ein Auge vor sidi hat, in dem der tuberkulöse Process noch im flori- den Stadium sich befand, was hier jedenfalls der Fall war.

Der Umstand ferner, dass in dem y. Schröder'schen Fall der Patient ein Jahr später an acuter Phthisis pul- moniuu zu Grunde ging, scheint in der That die Annahme einer Complication mit Tuberkulöse nahezulegen. Aber man darf vielleicht auch darauf kein allzugrosses Gewicht legen, da hervorgehoben wird, dass der Mann bis zu seiner acuten Erkrankung vollkommen gesund war, und da ^dererseits ang^eben wird, dass er nach der Operation Diener in einem Hospital geworden ist. Es wäre ja denkbar, dass der bis dahin völlig gesunde Mann sich dort erst eine In- fection zugezogen hätte. Ungewöhnlich bleibt, dass der Cysticercus in dem Auge abgestorben und zum Theil resor- birt war. Dieses Verhalten führt v. Schröder auf die An- nahme des Causalnezus, dass den in Folge der Tuberkulose massenhaft aufgetretenen Riesenzellen, denen eine resor-

136 A. Wagenmann.

birende Eigenschaft zukomme, die Blase nicht habe wider- stehen können. Ich glaube, dass das Zusammentreffen von dem Auftreten massenhafter Riesenzellen und dem Abge- storbensein des Entozoons in anderer Weise erklärt wer- den könnte, wenn man das post hoc und das propter hoc vertauschte, und wenn man annähme, dass der Cysticercus, wie es auch sonst im Körper vorkonmit, und wie es auch im Auge schon beobachtet wurde, spontan abgestorben wäre. Der Cysticercus ist nicht abgestorben, weil durch den tuber- kulösen Process viele Riesenzellen aufgetreten sind, sondern die Riesenzellen sind besonders massenhaft vorhanden, weil der abgestorbene Cysticercus zu resorbiren war.

Ich möchte aus den genannten Gründen Bedenken trar gen, in dem v. Sehr öd er 'sehen Fall eine Complication mit bacillärer Tuberkulose ohne weiteres anzunehmen, möchte vielmehr glauben, dass der Cysticercus spontan abgestorben ist und dadurch eine reichliche Wucherung von Riesen- zellen und Granulationsgewebe veranlasst hat, die zu einer Art Resorption desselben führten. Immerhin bleibt der Fall höchst merkwürdig und interessant und ist bisher in seiner Art ein Unicum.

Aehnlich wie mit der Annahme einer Complication des Erankheitsprocesses mit Tuberkelbacillen steht es auch mit der Annahme der Niederlassung von Kokken in solchen Augen. Ich glaube, dass der Cysticercus allein im Stande ist, verschieden intensive Entzündung hervorzurufen und auch die Bildung von Eiter zu veranlassen. Dass der Cysti- cercus überhaupt entzündungserregend wirke, ist stets all- gemein angenommen; fraglich war nur geworden, ob man nicht für die selteneren Fälle, in denen später ein entschie- den eitriger Charakter zu bemerken war, eine Complication mit Mikroorganismen postuliren und nach ihr suchen sollte, zumal ja lange Zeit die Ansicht herrschte, dass es keine Eiterung ohne Kokken gäbe. Es handelt sich aber meines Erachtens bei den eitrigen Fällen nur um einen höheren

Ueber das Vorkommen Ton Riesenzellen etc. 137

Grad der Entzündung, die jedes Entozoon hervorzurafen im Stande ist. Anatomisch kann man schwerlich die Grenze ziehen, wo man eine eitrige Entzündnng annehmen soll, da eine Auswanderung von Eiterkörperchen auch bei weniger hochgradiger Entzündung nie fehlt, und da andererseits in den Fällen, in denen man mehr eitriges Exsudat findet, auch daneben Veränderungen geringgradiger Entzündung vorhanden sind. Sowie der Cysticercus im Auge auftritt, macht sich seine entzündungserregende Eigenschaft geltend, als deren erstes Zeichen anfanglich nur die Glaskörpertrü- bungen zu erkennen sind. Bekanntlich kann das Entozoon längere Zeit relativ gut vertragen werden, aber schliesslich fuhrt es stets zu einer Destruction des Auges durch schlei- chende Iridochorioiditis. Die Acuität des entzündlichen Pro- cesses nimmt mit der Dauer seines Verweilens entschieden stetig zu und ist von einer geringen Ezsudation in den Glaskörper bis zu einer plastischen Iridochorioiditis mit Bildung von Granulationsgewebe dauernd progressiv. In allen Stadien kann man gewisse Grade von eitriger Infil- tration nachweisen, und es ist bisher noch kein Fall anar tomisch untersucht, in dem die Infiltration der Membranen ganz gefehlt hätte. Es ist nun kein allzugrosser Schritt weiter, dass eine Schicht reinen Eiters auftritt, oder dass mehr Eiterkörperchen in die vordere Kammer gelangen und sich als Hypopyon absetzen. Zudem möchte ich hervor- heben, dass in den Fällen, die einen mehr eitrigen Cha- rakter zur Schau trugen, die Eiterbildung stets eine im ge- wissen Sinne beschränkte zu nennen war. Eine progressive Eiterung etwa mit Ausgang in Panophthalmitis purulenta ist dabei nie beobachtet Und femer kommt es, was Le- ber^) ausdrücklich hervorhob, nur dann zu eitriger Exsu- dation, wenn der Cysticercus schon einige Zeit im Auge verweilt hat.

') v. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXXII, 2, 8. 281.

138 A. Wagenmann.

Man wird also, wie ich glaube, dem Cysticercus die Eigenschaft zusprechen müssen, bei längerem Verbleiben im Auge die Entzündung so zu steigern, dass die eitrige Infiltration in seiner Umgebung eine überaus dichte wird. Ich stehe mit meiner Erklärung auf dem Standpunkt, den Leber schon im Jahre 1881 auf dem internationalen medi- cinischen Congress in London^) vertreten hat, indem er darauf hinwies, dass man in Anbetracht der unter den ob* waltenden Verhältnissen wenig wahrscheinlichen Microbien- betheiligung zu der Annahme kommen müsse, dass die Entozoen selbst eine entzündungserregende Substanz abson- dern.

Der Erklärung des constant progressiven Charakters der Entzündung kann man nur vermuthungsweise näher treten. Als Ursache dafür würde man vor allem zwei Punkte anführen können, erstens, dass die schädlichen Substanzen mit dem Wachsthum des Entozoons in grösserer Masse pro- ducirt werden, und zweitens, dass dieselben bei längerem Verweilen des Wurms im Auge in höherer Concentration einwirken werden, da die Diffundirbarkeit der Gewebe durch die entzündlichen Processe wohl abnimmt. Wenn das Ento- zoon z.B. in den Glaskörper eines intacten Auges gelangt, 80 werden bei gleichbleibender Production der schädlichen Stoffe anfangs dieselben viel weniger intensiv auf die Ge- webe einwirken können, da sie sich in den normalen Ge- weben gleichmässig nach allen Seiten verbreiten und fort- geführt werden. Es wird daher anfangs das entzündung&- erregende Agens nur eine geringe Concentration besitzen, was in der anfänglich nur geringfügigen exsudativen Ent- zündung zum Ausdruck kommt. Sowie aber die Entzün- dung einsetzt, wird auch die Vertheilung und Abfuhr des Agens erschwert, und je mehr sie zunimmt, desto conoen- trirter wird die schädliche Substanz im Auge festgehalten.

^) Transact. of the intern, med. Congr. YII. Ses. London 1881.

Ueber das Vorkommen von Biesenzellen etc. 139

Es mus8 also, wie ioh yermüthe, Hand in Hand mit der Zunahme der Entzündung eine Abnahme des Diffusions- coef&cienten der Gewebe und damit eine Zunahme der Gon- Centration der schädlichen Stoffe stattfinden, als deren Folge wieder eine Steigerung der Entzündung eintritt, die in der nächsten Umgebung des Entozoons am stärksten sein wird und nach der Peripherie abnimmt. Dass der Cysticercus durch Diffusion gewisser Stoffe reizend wirkt, beweisen die frühzeitig auftretenden Glaskörpertrübungen und Glaskör^ perverdichtungen, sowie die zuweilen zu beobachtende früh- zeitige Reizung der Iris bei weit entferntem Sitz. Die bei Cysticercus typische membranöse und coulissenartige, oft deutlich geschichtete Form der Glaskörpertrübungen scheint mir dafür zu sprechen, dass ein nach allen Seiten gleich- massig wirkender Beiz von der Blase ausgeht

Vorwiegend wohl aus den beiden genannten Gründen liessen sich die Zunahme der Entzündung mit der Dauer des Verbleibens im Auge erklären. Als drittes wäre noch möglich, dass die Stoffe zu verschiedener Zeit eine yerschie- dene chemische Zusammensetzung besässen, was auch leicht yerständlich wäre schon aus dem Grund, weil die Emäh- rungsbedingungen des Entozoons, sowie die Entzündung ein- getreten ist, sich ja auch ändern.

Dass die Entzündung übrigens nicht immer einen eitri- gen Charakter annimmt, kann unter anderem daran liegen, dass die Augen, bevor das Stadium erreicht ist, entfernt werden, sowie daran, dass die irritative Beschaffenheit des Entozoons später wieder abnimmt, da es bekanntlich viel- fach in einen Zustand von Inactivität verfällt, in dem es nur eine vita minima führt, auf deren Erklärung ich mich hier nicht weiter einlassen will.

Für die Annahme, dass der Cysticercus als solcher die Entzündungen im Auge, deren Grad wechseln kann, hervor- ruft, spricht, wie mehrfach, besonders von Leber, hervor- gehoben wurde, der Umstand, dass die Entzündung nach

140 A. Wagenmann.

aseptisch gelungener Extraction des Entozoons spontan zu- rückgeht, und femer der Umstand, dass bisher noch nie- mals eine sympathische Entzündung am anderen Auge be- obachtet worden ist Wenn Dolina^) als einzige Beobach- tung einer sympathischen Ophthalmie den Jacobson'schen Fall*) anfuhrt, so ist dem entgegen zu halten, dass es sich dabei kaum um eine solche gehandelt haben -wird, da Ja- cobson nur von einer cfympathischen Amblyopie spricht^ woraus auf eine sympathische Reizung und nicht auf eine sympathische Entzündung zu schliessen ist

Der von mir mitgetheilte Fall, bei dem der Cysticercus über drei Jahre in dem Auge verweilt hatte, gehört klinisch wie anatomisch entschieden zu den Fällen, in denen eine eitrige Entzündung hinzutritt, da anatomisch neben Pro- ducten einer mehr plastischen, granulirenden Entzündung auch rein eitrige Exsudatschichten in der nächsten Umge- bung der Blase vorhanden sind. Schon die anatomische Lage der Entzündungsproducte spricht für die angegebene Auf- fassung des Processes. Von dem klinischen Erankheitsbild sind die äusserst lebhaften entzündlichen Symptome, die starke Druckempfindlichkeit der Ciliargegend und der gelbe Reflex aus der Tiefe beachtenswert.

Mikroorganismen in dem Auge nachzuweisen, gelang mir nicht Dieses negative Resultat, sowie das Vorkommen der Riesenzellen in dem Eiter bestärken mich in der An- nahme, dass in dem von mir untersuchten Auge die allei- nige, unmittelbare Wirkung des Entozoons sich geltend ge- macht hat, und dass sämmtliche entzündlichen Processe und Producte allein auf die entzündungserregende Eigen- schaft desselben zurückzuführen sind. Auf der andere^ Seite ist die Möglichkeit nicht abzustreiten, dass in einem

") 1. c.

«) V. Graefe's Archiv fOr Opbtbalm. XI, 2, S. 162.

Ueber das Vorkommen von Riesenzellen etc. 141

derartig erkrankten Auge eine eitrige Entzündung, die durch später eingewanderte Mikrobien veranlasst wird, das Krank- heitsbild complicirt. Und zwar müsste man sich, wie Le- ber ausführte, vorstellen, dass zufällig im Blut circulirende Kokken sich in dem geschädigten Gewebe niederliessen. Soll man eine solche Complication annehmen, so müssen die Kokken unzweifelhaft nachgewiesen werden. Das blosse Vorhandensein von Eiter genügt keineswegs, auf eine mi- krobische Natur der Entzündung zurückzugreifen.

Anders läge allerdings die Frage, wenn in einem Fall von intraocularem Cysticercus keine im gewissen Sinn be- schränkte, sondern eine progressive Eiterung aufträte, oder wenn eine Eiterung sofort nach dem Eindringen des Ento- zoons ins Auge einsetzte, oder wenn beides der Fall wäre. Dann würde man mit vollem Recht an eine mikrobische Pathogenese denken müssen. Ein derartiger Fall ist aber bisher noch nicht beobachtet worden.

Von den bisherigen Untersuchungen auf Mikroorganis- men in dem Exsudat um den Cysticercus liegen zwei posi- tive Befunde vor. Baumgarten ^) konnte in einem nach vergeblich versuchter Eztraction enucleirten Auge in dem die Cyste umgebenden Granulationsgewebe Mikroorganismen in geringer Zahl nachweisen, während sie in der Narbe nicht zu finden waren. Doch ist dieser Befund für die An- nahme einer endogenen Infection nicht beweiskräftig, da der Bulbus erö£Enet war, und dabei Kokken in die Tiefe gekommen sein konnten. Die andere Beobachtung rührt von Deutschmann*) her, der weissen und gelben Staphy- lococcus pyogenes aus dem einen intraocularen Cysticercus umgebenden, gelblich infiltrirten Gewebe züchtete. Leber*) spricht sich in seiner Arbeit über „Cysticercusextraction und Cysticercusentzündung^ über diese vereinzelte Beobachtung

») Archiv für Augenheilk. XV, 3.

'} Neuritis optica. Jena 1887. Ophthalm. suigrator 1889. S. 93.

■) V. Graefe's Arch. für Ophthalm. XXXII, 2, S. 281.

142 A. Wagenmann, Ueber das Vorkommen von Riesenzellen etc.

dahin aus, dass er sie, bis weitere Erfahrungen vorliegen, mit Reserve aufnehmen möchte, weil die anatomische Un- tersuchung des den Cysticercus einhüjlenden Gewebes in diesem Fall nur Bindegewebsproliferation und nichts von Eiter nachweissen liess. Gesetzt auch, die Deutschmann- sehe Beobachtung wäre unanfechtbar und richtig, so ist mir doch sehr fraglich, ob dieses Zusammentreffen von Cysticercus und Kokkeninfection häufiger vorkommt und so- gar durchaus unwahrscheinlich im Hinblick darauf, dass auch sonst solche endogene Eiterungen, soweit es sich nicht um offenkundige Metastasen bei infectiösen Processen im Körper handelt, trotz der mannigfachen chronischen Pro- cesse, die sich im Auge abspielen, so gut wie nie beobach- tet sind. Weshalb sollte der intraoculare Cysticercus eine Ausnahme machen?

Zur Anatomie der Pinguecula.

Ton

Professor E. Fuchs in Wien.

Hierzu Taf. IV und V, Fig. 1-16.

Durch eifriges Sammeln im Secirsaale war ich alhnälig zu einer Anzahl von Augäpfeln gelangt, welche mit typi- schen Fliigelfellen in verschiedenen Stadien der Entwicke- lang behaftet waren. Dieses werthvolle Material veranlasste mich zur genaueren anatomischen Untersuchung des Flügel- fells, mit welcher eine eingehende klinische Beobachtung der vorkommenden Fälle Hand in Hand ging. Aus beiden Arten der Untersuchung gewann ich bald die Ueberzeugung, dass das Flügelfell aus der Pinguecula sich entwickle und dass eine genaue Kenntniss dieser die unerlässliche Grund- lage für das Yerständniss des Flügelfelles bilde. Ich schicke deshalb den später zu veröffentlichen Studien über das Flügelfell die vorliegenden Untersuchungen über die Pin- guecula voraus.

Die Pinguecula oder der Lidspaltenfleck hat bis in die jüngste Zeit keine eingehende Bearbeitung erfahren. Die meisten Autoren äussern sich daher nur ganz kurz über dessen histologische Beschaffenheit. Weller*) war nach Saemisch der erste, welcher nachwies, dass dem Lidspal-

^) Die Krankheiten des menschlichen Auges. Berlin 1822. S. 132.

144 £. Fuchs.

tenflecke nicht die EntwickeluDg von Fettgewebe zu Grunde liege, wie man dies bis dahin geglaubt hatte. Saemisch^) fügt hinzu, dass man bei der Pinguecula eine Verdickung des Epithels, eine Bindegewebsentwickelung in der submu- cösen Schichte und endlich Obliteration eines Theiles der Blutgefässe beobachte. Die nachfolgenden Autoren, welche sich über die histologische Beschaffenheit der Pinguecula äussern, betonen bald mehr die Verdickung des Epithels (Robin, Alt), bald mehr die Vermehrung und Verdichtung des unterliegenden Bindegewebes (Seitz, Wedl und Bock). Von anderweitigen Veränderungen erwähnen die beiden zu- letzt genannten Autoren*) auch die Bildung Ton Körnchen gelben Pigments. Michel') sagt, dass „auch eine Zunahme der elastischen Fasern vorhanden sein und di^ Tunica pro- pria mit einer coUoiden Substanz infiltrirt sein soll".

Ausführliche Befunde liegen aus der jüngsten Zeit von Vassaux und von Gallenga vor. Vassaux^) fand, wie auch schon vor ihm Wedl und Bock angegeben hatten, nicht eine Verdickung, sondern eine Verdünnung der Epi- thelschichtc, welche theilweise verhornt war. Die Schleim- haut selbst war in ihren mittleren und tiefen Schichten von einer hell durchscheinenden, feinkörnigen Substanz in- filtrirt, welche von colloider Beschaffenheit war, ohne die chemischen Eigenschaften der amyloiden Substanz zu zeigen.

Gallenga'^) giebt zunächst, im Gegensatze zu Sae- misch, aber entsprechend den thatsächlichen Verhältnissen, an, dass die Pinguecula auf der nasalen Seite häufiger und besser entwickelt sei als 'auf der temporalen. Zur histolo-

^) Handbach der Augenheilkande , herausgeg. yon Graefe und Saemisch. IV. Band. S. 145.

*) Wedl und Bock, pathologische Anatomie des Auges. S. 59.

') Lehrbuch der Augenheilkunde. 1890. S. 196.

«) Comptes rendus de la Soci^t^ de Biologie 1886. S. 432.

^) Giomale della R. Accademia di Medicina. Torino 1888, Nr. 4 und 5.

Zar Anatomie der Pingaecola. 145

gischen Untersachung dienten Stückchen von Bindehaut mit Pinguecula, welche aus dem Bindehautsacke lebender Pa- tienten excidirt worden waren. Nach diesen Untersuchun- gen findet Gallenga das Epithel über der Pinguecula ver- dickt» oft aufs drei- bis yierfache seiner normalen Dicke, und in den oberflächlichen Schichten verhornt Die tieferen Zellenlagen des Epithels enthalten regelmässig gelbliches Pigment» welchem hauptsächlich die Farbe der Pinguecula zuzuschreiben ist Allerdings kommt auch im darunterlie- genden Bindegewebe zuweilen etwas gelbes Pigment vor, doch im Verhältnisse zum epithelialen Pigment stets in untergeordneter Menge. Unter dem Epithel folgen feine Bindegewebsfasern, welche sich mit einer stark welligen, manchmal geradezu papillären Oberfläche gegen das Epithel abgrenzen. Die Blutgefässe und Kerne sind in diesem Ge- webe spärlich, elastische Fasern dagegen reichlich vorhan- den; desgleichen finden sich auch locale Anhäufungen von Rundzellen. Etwa in der Mitte der Oberfläche der Pingue- cula befindet sich eine Oeffnung, welche in einen Ganal führt. Derselbe verläuft ungefähr parallel der Oberfläche der Bindehaut und ist von Pflasterepithel ausgekleidet. Er wird nach der Tiefe hin weiter und hatte in einem Falle die Lfänge von 6 7 mm.

Meine eigenen Untersuchungen über die Pinguecula haben mich zu Ergebnissen gefährt, welche zum guten Theile von den soeben mitgetheilten Angaben abweichen. Der Lid- spaltenfleck gehört zu den senilen Veränderungen des Au- ges, ist aber in Bezug auf sein Vorkommen noch grösseren Schwankungen unterworfen als die meisten anderen senilen Veränderungen des Augapfels. Man vermisst ihn oft bei sehr bejahrten Individuen oder findet ihn bei verhältniss- mässig jungen. Der ausgebildeten gelben Pinguecula geht eine Verdickung der Bindehaut an derselben Stelle voraus, welche schon jaJirelang vorhanden ist, ohne bemerkt zu werden, weil sie ungefärbt und daher nicht sichtbar ist

T. Gnefe's Axchir fOr Ophthalmologie. XXXVII. 3. 10

146 E. Fachs.

Das jüngste Individuum, bei welchem ich diese Verdickung feststellen konnte, war ein fünfzehnjähriger Junge. Derselbe hatte am linken Auge durch eine kleine Verletzung eine ausgedehnte blutige Suffusion der Conjunctiva bulbi be- kommen. Auf dem dunklen Roth der subconjunctivalen Ecchymose hob sich nun eine dreieckige weissliche Ver- dickung der Bindehaut nächst dem inneren Hornhaut* rande aufs deutlichste ab, wie man dies ja bei der fertigen Pinguecula unter ähnlichen Verhältnissen so oft sieht. Am anderen Auge, wo ohne Zweifel dieselbe Verdickung der Bindehaut bereits vorhanden war, aber der rothe Grund fehlte, war dieselbe weder mit freiem Auge, noch mit der Lupe aufzufinden. Es scheint also, dass die Veränderun- gen der Bindehaut im Bezirke der Lidspalte, welche mit der Bildung der Pinguecula endigen, in manchen Fällen schon sehr frühzeitig beginnen.

Die Pinguecula ist fast immer am inneren Homhaut- rande grösser und deutlicher als am äusseren. Nicht selten trifft man Fälle, wo überhaupt nur am inneren Hornhaut- rande der Lidspaltenfleck nachzuweisen ist, indem er sich am äusseren Hornhautrande noch nicht hinreichend ent- wickelt hat, um makroskopisch erkennbar zu sein. Ich hebe diesen Umstand hervor mit Rücksicht auf das Flügelfell, von welchem wir wissen, dass es sich stets zuerst am inne- ren Homhautrande entwickelt, und erst später, wenn über- haupt, ein solches auch an der äusseren Seite der Horn- haut sich bildet Fälle, wo der Lidspaltenfleck an der äusseren Seite der Hornhaut stärker entwickelt ist als an der inneren, kommen zwar vor, sind aber selten.

Die Pinguecula bildet ein Dreieck, dessen Basis sich dem Homhautrande anschmiegt Die Lage des Dreieckes entspricht mehr der unteren als der oberen Hälfte der Hornhaut; es wird durch den horizontalen Meridian der Hornhaut nicht halbirt, sondern liegt zum grössten Theile unterhalb dieses Meridians, nur zum kleineren Theile ober-

Zur Anatomie der Pinguecnla. 147

halb desselben (Tafel IV, Fig. 1). Es giebt Fälle, wo eine Pinguecula so weit nach abwärts gerückt ist, dass sie den unteren Homhautrand zu beiden Seiten flankirt. Auch bei höherer Lage der Pinguecula verlängert sich die Basis derselben sehr häufig noch beträchtlich entlang dem un- teren Hornhautrande, ja es kann sich längs dieses Randes eine gelbliche Verdickung der Bindehaut von der Pingue- cula der inneren bis zur Pinguecula der äusseren Seite hinüberziehen und diese beiden in Verbindung setzen (Fig.l). Man findet dann die ganze untere Hälfte der Hornhaut von entarteter, d. h. gelblicher und verdickter Bindehaut begrenzt. Längs des oberen Hornhautrandes habe ich eine ähnliche Veränderung der Bindehaut niemals gesehen. Dieselbe Lagerung zur Hornhaut und zu deren horizon- talem Meridian, wie sie der Pinguecula zukommt, findet sich auch beim Flügelfell, und bei der gürtelförmigen (bandför- migen) Hornhauttrübung. In allen drei Fällen hat sie die- selbe Ursache, indem sie nämlich dem Lidspaltenbezirke des Bulbus entspricht. Die Weite der Lidspalte und deren Lage zum Bulbus bleiben nicht immer gleich. Sie sind an- ders bei ruhig geöffnetem Auge und wieder anders, wenn wir z. B. gegen Sturm und Regen gehen. Im letzteren Falle kneifen wir die Lider, um den Bulbus zu schützen, so weit zusammen, als es angeht, ohne das Sehen zu hindern. Wir ziehen das obere Lid so weit herab, dass sein freier Rand ungefähr dem oberen Rande der Pupille entspricht, und wir heben das untere Lid, so dass es den unteren Rand der Hornhaut bedeckt. Bei dieser Gestaltung der Lidspalte bleibt zu beiden Seiten der Hornhaut nur ein kleiner drei- eckiger Bezirk der Bulbusbindehaut von den Lidern unbe- deckt, welcher mehr der unteren Hälfte der Hornhaut ent- spricht und in welchem sich eben der Lidspaltenfleck ent- wickelt Dieser wird ja ohne Zweifel durch Unbilden der Witterung, durch Rauch, Staub u. s. w. verursacht, welche die Bindehaut des Augapfels treffen, und er bildet sich da-

10*

148 E. Fachs.

her nur in jenem Bezirke der Bindehaut, welcher diesen Schädlichkeiten unter allen Umständen ausgesetzt bleibt

Der Lidspaltenfleck überschreitet seinen gewöhnlichen Standort nicht selten dadurch, dass er sich weiter in den Limbus erstreckt und denselben gleichsam ein wenig in die durchsichtige Hornhaut hinein vordrängt Der Limbus ist an dieser Stelle verdickt gewulstet, von gallertartig durch- scheinendem Aussehen oder von denselben gelben Fleckchen eingenommen, welche die Pinguecula selbst zusammensetzen. Solche Fälle bilden den Uebergang zum Flügelfell und wer- den deshalb gleichzeitig mit diesem genauer erörtert werden.

Betrachten wir nun die Pinguecula im Ganzen genauer, entweder am Lebenden mit einer starken Lupe, oder am Präparate bei schwacher Yergrösserung, z. B. unter einem Präparir-Mikroskope. Die Fig. 1 zeigt ein solches Präparat, welches man herstellt, indem man die Bindehaut des Bul- bus abpräparirt und in Gljcerin auf einem grossen Object- träger ausbreitet Man bemerkt dass die Pinguecula nicht gleichmässig gelb ist sondern aus einer grösseren Zahl gel- ber Fleckchen sich zusstfnmensetzt. Dieselben sind von un- regelmässiger Form, nicht scharf abgegrenzt und hängen vielfach untereinander zusammen, während sie andererseits wieder durch helle Zwischenräume von einander getrennt sind. Nur ausnahmsweise sieht man auch einzelne isolirte, scharf begrenzte runde Fleckchen (Fig. 1 bei a). Sehr häufig sind die grössten und dunkelsten Flecken an den beiden langen Seiten des Dreiecks, welches die Pinguecula bildet gelegen, so dass die mittleren Theile der Pinguecula dün- ner und heller erschemen. Die gelbgraue Verdickung, welche sich zuweilen als Fortsetzung der Pinguecula am unteren Homhautrande findet, lässt gewöhnlich eine deutliche rar diäre Streifung erkennen, indem sich die Verdickung der Bindehaut vorzüglich an die grösseren Blutgefässe hält welche in radiärer Richtung dem Limbus zustreben. Beim Abpräpariren der Bindehaut von der Sdera behufs

Zar Anatomie der Pingaecula. 149

Herstellung eines solchto Präparates überzeugt man sich, dass die gelben Flecken der Pinguecula kleinen Läppchen von abgeplatteter Form entsprechen. Dieselben liegen unter der Bindehaut, haften aber deren unterer Fläche innig au, so dass der grösste Theil derselben beim Abpräpariren der Bindehaut dieser folgt, während einige wenige, tiefer gelegene Läppchen auf der Sdera zurückbleiben.

Zum genaueren Studium der Pinguecula wurden so- wohl Flächenpräparate als Schnitte benützt. Die erstereu stellte ich her, indem ich die Bindehaut eines Bulbus, wel- cher eine deutliche Pinguecula besass, im Ganzen abpräpa- rirte. Dieselbe wurde dann in toto mit Hämatoxylin stark gefärbt und dann in salzsäurehaltigem Alkohol so weit wie- der entfärbt, dass eine im Ganzen schwache Färbung bei guter Differenzirung zurückblieb. Dies gestattete zunächst, an der ausgebreiteten Bindehaut die Pinguecula im Ganzen zu studiren^). Wenn dies geschehen war, wurden die ein- zelnen Schichten der Bindehaut, die Läppchen der Pingue- cula u. s. w. durch Präparation isolirt, weiter zerzupft und mit yerschiedenen Reagentien und Tinctionsmitteln behan- delt, um ihre feinere Structur zu erkennen. Diese Art der Untersuchung wurde dann durch das Studium von Schnit- ten ergänzt, welche in meridionaler Richtung durch die Pinguecula gefuhrt wurden. Ich benützte hierzu nicht ab- getragene Stücke der Bindehaut (excidirte Lidspaltenflecke), sondern die Bindehaut im Zusammenhang mit der unter- liegenden Sclera, so dass die natürliche Lagerung der Tbeile

*) Zu diesem Zwecke moss vorher das Bindebaatepithel abge- schabt werden, weil dasselbe sich sehr stark tingirt und daher die tieferen Schichten yerballt. Die etwas umständliche und mQbsame Entfernong des Epithels kann man sich sehr erleichtern, wenn man das frische Auge Yorher fttr mehrere Tage in verdOnntem Alkohol (1 Theil Alkohol auf 2 TheUe Wasser) legt, wodurch eine Macera- tion des Epithels eintritt, ohne dass das übrige Gewebe zerfallen wttrde.

150 E- Fuchs.

erhalten blieb. Es wurde der die Pinguecula tragende Tbeil des vorderen Bulbusabschnittes in Celloidin eingebettet und in Serienscbnitte zerlegt, welche nach verschiedenen Metho- den gefärbt wurden. Für die Anfertigung der Schnittprä- parate bin ich den Herren Dr. Müller und Dr. Berard zu Danke verpflichtet, für die Abbildungen zu dieser Arbeit dem Assistenten meiner Klinik, Herrn Dr. Salzmann. Die Zahl der genau durchgearbeiteten Lidspaltenflecke beträgt über zwanzig.

Betrachten wir zuerst die Ergebnisse, welche die Iso- lirung der einzelnen Theile der Pinguecula durch Zerzupfen lieferte. Dieselbe liess als die wichtigsten Veränderungen der Bindehaut erkennen: die Ablagerung einer amorphen hyalinen Substanz, die hyaline Degeneration der Bindege- websfasern in der Bindehaut und in der Sclera, die Ent- Wickelung und Yergrösserung elastischer Fasern und end- lich die Bildung von Concrementen.

1. Ablagerung einer amorphen hyalinen Sub- stanz. Dieselbe scheidet sich hauptsächlich in den ober- flächlichen Schichten der Bindehaut aus, und zwar zuerst in Form feinster Körnchen (Fig. 2 a). Dieselben liegen nicht innerhalb der Gewebszellen, sondern frei auf den Binde- gewebsfasern (Fig. 2d), so dass diese wie von einer Schichte feinen Staubes bedeckt aussehen. Später werden die Köm- chen grösser, so dass man ihre Form besser zu erkennen vermag; dieselbe ist unregelmässig eckig (Fig. 2b, Fig. 3a). Die grösseren Kömchen backen dann untereinander zusam- men, so dass Schollen entstehen, welche aber noch deut- lich ihren Zusammenhang aus einzelnen kleinen Kömchen erkennen lassen (Fig. 2 c). Diese Schollen hegen in einer Schichte nebeneinander und bilden so an vielen Stellen eine grössere zusammenhängende Lage. Dieselbe erscheint, von der Fläche betrachtet, von hellen Linien durchzogen, welche nichts anderes sind als schmale Zwischenräume, welche die einzelnen Schollen trennen und sich wie Sprünge

Zar Anatomie der Pinguecula. 151

ausnehmen. Es ist auch ganz wohl möglich, dass es sich hier wirklich um Sprünge handelt, welche durch die Präpara-* tion in der wahrscheinlich ziemlich starren Masse hervor- gebracht worden sind. Solche Conglomerate amorpher Sub- stanz, welche übrigens in keiner Weise scharf begrenzt sind, entsprechen zum Theile jenen unregelmässigen, untereinan- der zusammenhängenden, gelben oder gelbgrauen Fleckchen, welche man schon am lebenden Auge in der Pinguecula bemerkt. Auch die gelbliche Infiltration, welche sich in manchen Greisenaugen von der Pinguecula längs des un- teren Homhautrandes hinzieht, beruht auf der Gegenwart einer Schichte, welche aus solchen feinen amorphen Schol- len besteht. Ueber den grösseren, zum Limbus ziehenden Gelassen, ist diese Schichte unterbrochen oder wenigstens dünner, zu den Seiten der Gefässe aber desto mächtiger, woraus sich das radiär gestreifte Aussehen jener gelblichen Infiltration erklärt^ wie es in Fig. 1 bemerkbar ist.

Die eben besprochene amorphe Substanz ist weniger durchscheinend, als das Gewebe der Bindehaut, in welchem sie liegt. Die yon ihr gebildeten Läppchen heben sich da- her durch ihre dunklere Farbe in den Präparaten hervor und zwar sowohl in den frischen, als auch in den durch Gljcerin oder Balsam aufgehellten. Die amorphe Substanz zeigt im ungefärbten Zustande einen matten Glanz; sie ist sehr resistent gegen chemische Beagentien, so dass weder Säuren (selbst starke Mineralsäuren) noch Alkalien (Kali- lauge, Ammoniak) sie verändern; auch löst sie sich weder in Aether noch in Chloroform. Sie besitzt ein ziemlich grosses Tinctionsvermögen, besonders für manche Farbstoffe. Alauncarmin färbt sie stärker als das übrige Gewebe, die Kerne ausgenommen. Durch Eosin und durch Weigert- sches Säurefuchsin wird sie stark roth tingirt. Hämatoxylin allein mit nachheriger Differenzirung durch salzsäurehalti- gen Alkohol färbt die feinsten staubartigen Körnchen nur wenig, die grösseren dagegen viel stärker und die grössten

152 E. Fachs.

Schollen, welche schon im Begriffe sind, sich in Concre- mente umzuwandeln (wovon später), werden intensiv blau. Bei combinirterEosin-Hämatoxylinfarbung werden die amor- phen Massen schön roth oder rothbraun gefärbt, während die Kerne blau sind. Die Weigert'sche Hämatozylinfär- bung verleiht den Schollen je nach ihrer Mächtigkeit einen graubraunen bis rothbraunen, ziemlich hellen Ton. Bei der von Weigert angegebenen Färbung mit Gentianaviolett ^) bleibt diese Substanz bald ungefärbt, bald wird sie schwach- blau. Mit Jodjodkali nimmt sie einen gelblichen Ton an wie das übrige Gewebe und auch mit Methylviolett erhält man nicht die für Amjloidsubstanzen charakteristische rothe Farbe.

Ich habe das Verhalten der amorphen Substanz gegen Reagentien und Färbemittel so eingehend beschrieben, um darzuthun, dass dieselbe ziemlich vollständig dem von V. Recklinghausen ^) beschriebenen Hyalin entspricht. Ich werde zu Ende dieser Arbeit nochmals darauf zurück- kommen, um es besser zu begründen, will aber schon jetzt diese Substanz kurzweg als hyaline bezeichnen. Desgleichen werde ich unter dem Namen der hyalinen Degeneration einige andere Veränderungen in der Pinguecula beschrei- ben, welche zur Bildung ähnlicher Substanzen fuhren.

In der hyalinen, zwischen den Bindegewebsfasern der Mucosa abgelagerten Substanz bilden sich nun Concre- mente festerer Art Dieselben entstehen durch Zusammen- backen der einzelnen Krümel und zeigen daher, so lange sie noch jung sind, deutlich ihre Zusammensetzung aus ein- zelnen unregelmässigen Stückchen; auch haben sie dem ent- sprechend unregelmässige, eckige Gontouren (Fig. 3, b und c). Später wird die Vereinigung der einzelnen Krümel eine so innige, dass die Concremente ein homogenes, durchschei- nendes Aussehen gewinnen; ihre Gontouren runden sich ab

') Fortschritte der Medicin. 1887. S. 228.

*) Handbach der allgeiAeinen Pathologie. 1883. S. 408.

Zur Anatomie der Pinguecula. 153

und ihre Oberfläche ist nun nicht mehr kantig und eckig, sondern maolbeerartig oder zuletzt selbst ziemlich glatt (Fig. 3d). An Schnitten durch die Pinguecula habe ich zuweilen Goncremente angetroffen, welche eine halbmond- förmige Gestalt besassen (Fig. 14 bei d). Dieselben schmieg- ten sich Lücken im Gewebe an, welche manchmal von einer kernhaltigen Membran ausgekleidet waren und demnach Gefasslumina zu sein schienen. Die Goncremente finden sich in allen Grössen vor. Manche derselben erreichen solche Dimensionen (über 0,1 mm), dass sie in den Präpa- raten bereits mit freiem Auge erkennbar sind. Derartig grosse Goncremente können, wenn sie sehr oberflächlich liegen, gegen das Epithel der Bindehaut andringen und dasselbe stellenweise zum Schwinden bringen.

Die Goncremente haben an imgefärbten Präparaten ein grünliches, matt schimmerndes Aussehen. Ihr Verhalten gegen Reagentien und Farbstoffe gleicht dem Verhalten der hyalinen Substanz, aus der sie hervorgegangen sind, nur dass sie sich im Ganzen noch intensiver färben. So wer- den sie durch einfaches Hämatozylin dunkelblau statt hell- blau, durch Weigert'sches Hämatoxylin schwarz statt braun wie die hyaline Substanz. Nur die kleinen Goncremente färben sich durch und durch. Bei den grösseren sind nur die Bandtheile tingirt, die centralen Theile dagegen meist ungefärbt Man könnte denken, dass die inneren Schichten der grossen Goncremente deshalb ungefärbt bleiben, weil die Farbstofflösung ins Innere der Goncremente nicht ge- hörig einzudringen vermag. Diese Erklärung ist jedoch nicht stichhaltig, denn man beobachtet dasselbe Verhalten der Goncremente auch an feinen Schnitten, in welchen auch die Goncremente entzwei geschnitten und daher auch ihre centralen Theile der Farbstofflösung zugänglich gemacht sind. Man muss also wohl annehmen, dass die innersten, ältesten Theile der Goncremente eine weitere Umwandlung erfahren haben, welche sie so schwer färbbar macht.

154 E. Fuchs.

Die grossen Goncremente unterscheiden sich noch in einem Punkte vom tinctoriellen Verhalten der hyalinen Sub- stanz. Sie werden nämlich durch Jodjodkalilösung zuweilen dunkelbraunrothy mahagonyfarben und diese Färbung wird nach Zusatz von Schwefelsäure noch intensiver. Dieses Ver- halten konmit jedoch nur den grössten und ältesten unter den Concrementen zu, welche demnach den Amjloidsubstan- zen sich nähern; die kleineren Goncremente färben sich mit der Jodjodkalilösung nicht anders als das übrige Gewebe. Methylviolett lässt alle Goncremente, grosse wie kleine, un- gefärbt ^).

^) Goncremente gleicher Art wie die in der Pinguecula vorkom- menden, bedingen jene Trübung der Hornhaut, welche Arcus senilia heisst. Es führt also in der Hornhaut die Senescenz des Gewebes zu denselben Bildungen, wie in der Bindehaut Deshalb sei es ge- stattet, aber den Arcus senilis, welcher nicht in den Rahmen dieser Arbeit gehört, hier einige Worte zu verlieren. Die grOnlich schil- lernden, rundlichen Goncremente, welche denselben bilden, liegen zum grössten Theile unmittelbar unter der Bowman*schen Membran (Fig. 4, bbi). Man findet deren von den kleinsten, eben sichtbaren bis zur Grösse von 0,03 mm, zumeist in einfacher Lage unter der Bowmann'schen Membran aneinander gereiht. Die grösseren Gon- cremente haben sich durch Andrängen an die hintere Fl&che der Bowman*schen Membran eine Art Nische in dieselbe gegraben, die grössten unter ihnen verdünnen die Membran sehr erheblich und drängen sie etwas empor. Nicht aber bloss unmittelbar unterhalb der Bowman'schen Membran finden sich die Goncremente: es giebt auch solche, welche beträchtlich tiefer, mitten zwischen den La- mellen der Hornhaut liegen (Fig. 4d). In einigen Fällen habe ich sogar nur hier grössere Gruppen von Goncrementen gefunden, wäh- rend unmittelbar unter der Bowman'schen Membram keine vorhan- den waren. Andererseits giebt es Goncremente, welche innerhalb der Bowman'schen Membran selbst oder sogar über ihr sich befinden. Im ersteren Falle sieht die Membran, wenn die Goncremente sehr fein sind, wie bestäubt aus (Figur 4 bei b^), doch kann sie auch grössere Goncremente einschliessen. Im zweiten Falle sind die Gon- cremente zwischen den untersten Zellen des Homhantepithels ein- gebettet. Nirgends ist eine Beziehung der Goncremente zu den Zel- len des Homhautgewebes wahrzunehmen ; die hyaline Substanz wird

Zur Anatomie der Pinguecula. 155

2. Die hyaline Degeneration der Bindegewebs- fasern betrifft vor allem das lockere subconjunctivale Binde- gewebe. Die Fasern desselben zeigen als erste Veränderung eine Verdickung und ein mehr homogenes » durchscheinen- des Aussehen, während der der Faser anliegende Kern un- verändert bleibt (Fig. 5 a). Die so degenerirten Fasern fär- ben sich viel stärker mit den verschiedenen Tinctionsmit- teln. Die Fasern wachsen indessen nicht bloss in die Dicke, sondern auch in die Länge, und da ihre Endpunkte dabei nicht weiter auseinander rücken, so folgt daraus, dass die Fasern aus ihrem gestreckten Verlaufe inuner mehr in einen welligen und endlich in einen vielfach gewundenen über- gehen, Man sieht dieselbe Faser in mehreren Windungen übereinandergelogt (Fig. 5 b und c). Eine Gruppe derarti- ger Fasern sieht wie ein Gonvolut von Darmschlingen aus (Fig. 6a). Dort, wo die Veränderungen so weit gediehen sind, scheinen die Kerne des Bindegewebes an Zahl bedeu- tend abgenonunen zu haben (Fig. 5b), doch ist dies nur scheinbar, indem durch Verdickung der Fasern ihre Kerne weiter auseinander gerückt sind; Zeichen von Absterben der Kerne sind nirgends zu sehen.

Die hyaline Degeneration der subconjunctivalen Binde- gewebsfasern ist meist nicht sehr weit oder gleichmässig über grosse Strecken verbreitet, sondern tritt in der Regel nur an umschriebenen Stellen auf. Es kann daselbst zur Bildung kleiner, umschriebener Läppchen kommen. Indem nämlich eine Anzahl neben einander liegender Fasern degenerirt, bildet sich aus denselben ein grösseres Klümpchen von

hier, geradeso wie die gelben Schollen der Pinguecula, frei auf die Oberfläche der Bindegewebsfasern (hier Homhautlamellen) ausge- schieden. Die Concremente in der Hornhaut geben dieselben Reac- tionen wie die Concremente in der Pinguecula. Ich möchte nur noch hervorheben, dass dieselben weder durch Aether noch durch Chloroform irgend eine Veränderung erfahren, dass sie also sicher nicht Fett sind, wie allgemein angenommen wird.

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durchscheinendem Aussehen. Gewöhnlich findet man meh- rere dieser Elümpchen von verschiedener Grösse an einem gemeinschaftlichen Stiele hängend (Fig. 6). Die grössten Elümpchen erreichen einen Durchmesser von mehr als 0,5 mm und sind demnach schon mit freiem Auge sichtbar. Einige der Läppchen, aus welchen sich die Pinguecula zusammen- setzt, entsprechen solchen Convoluten degenerirter Binde- gewebsfasern; dieselben sind schon bei Lupeübetrachtung daran zu erkennen, dass sie von runder Form und scharf begrenzt sind (Fig. la).

Wenn man die Bindehaut von der Sclera abzieht und dann von der unteren Fläche der Bindehaut eines dieser Läppchen isolirt, so zeigt dasselbe, bei stärkerer Yergrösse- rung betrachtet, folgende Einzelheiten: Das Läppchen liegt Yollkommen scharf abgegrenzt in dem umgebenden Gewebe, welches aus lockeren Bindegewebsfasern und reichlichen elastischen Fasern besteht (Fig. 6). Die scharfe Begren- zung geschieht durch ein zartes, mit Kernen besetztes Häut- chen, welches die Läppchen allseitig überzieht und auf den Stiel des Läppchens übergeht (Fig. 6 bei c). Dasselbe ist ein Endothelhäutchen, welches man an solchen Stellen, wo die Oberfläche des Läppchens Einbuchtungen zeigt, sehr schön isolirt sehen ksinn (Figur 6 b). Es geht aus jenen Endothelhäutchen hervor, welche im normalen Bindege- webe die einzelnen Bündel von Fasern bald in mehr, bald in weniger vollständiger Weise einzuscheiden pflegen (Fig. 5d).

Der Inhalt der Läppchen besteht aus den verdickten und vielfach gewundenen Bindegewebsfasern, welche der Oberfläche des Läppchens ein Aussehen verleihen wie die Oberfläche des Gehirns oder wie ein Convolut von Darm- schlingen. Ausserdem erkennt man mit voller Deutlichkeit die normal aussehenden Kerne der Bindegewebsfasern. Die grösseren Läppchen setzen sich zumeist aus mehreren klei- nen, innig aneinander geschmiegten Läppchen zusammen

Zur Anatomie der Pinguecala. 157

(z. B. in Fig. 6 das Läppchen bei b aus zwei, das Läppchen bei d aus drei kleineren Läppchen). Die grösseren Läpp- chen zeigen oft statt der anregelmässig durcheinander ge- wundenen Fasern eine mehr regelmässige ooncentrische An- ordnung derselben. Dies ist namentlich an der Oberfläche der Läppchen, unmittelbar unter der Kapsel der Fall (Fig. 6d) und ist wahrscheinlish dadurch herbeigeführt, dass hier durch den Druck, der innerhalb der Kapsel besteht, die dicken Fasern kugelschalenartig abgeplattet worden sind.

Sehr oft sitzen die Läppchen auf einem Stiele (Fig. 6e). Derselbe zeigt in der Regel deutliche Längsstreifung mit spärlichen Kernen, als ob er aus Bindegewebsfasern be- stände, welche auch in geringem Maasse hyalin entartet sind. Nicht selten ist der Stiel durch elastische Fasern, welche ihn spiralig umwinden, stellenweise eingeschnürt, oder er ist im Ganzen spiralig gedreht. Einem solchen Stiele sitzen gewöhnlich mehrere Läppchen auf, grössere und kleinere, zuweilen in regelmässiger Anordnung, wie die Beeren an den Zweigen oder wie die Glomeruli an den Nierengefässen. Ich möchte deshalb auch diese Stiele für hyalin degenerirte Gefässe (kleine Arterien) halten, obwohl ich in keinem Falle im Stande war, ganz unzweifelhaft den Zusammenhang derselben mit noch deutlich erkennbaren Blutgefässen darzuthun.

In den hyalin degenerirten Bindegewebsfasern geht noch eine weitere Veränderung vor sich, welche auch zur Bildung von Concrementen führen kann. Es entstehen nämlich in der gleichmässig hyalinen Substanz der gequol- lenen Fasern feine, das Licht stark brechende Körnchen oder Krümel, welche sich stärker als die hyaline Substanz selbst tingiren. Diese Körnung tritt in der Regel erst auf, wenn die entarteten Bindegewebsfasern einen beträchtlichen Umfang erreicht haben und sie ist auch dann keine gleich- massige, sondern zeigt sich an einigen Stellen in stärkerem Maasse, während sie an anderen wieder ganz fehlt (Fig. 5b).

158 E. Fuchs.

Durch Zusammenbacken der Krümel zu grösseren Schollen entstehen dann gelbgrün schillernde Concremente. Dieselben erreichen jedoch, so viel ich gesehen habe, niemals die Grösse und Festigkeit derjenigen, welche sich aus den amor- phen gelben Massen entwickeln.

Die chemischen Eigenschaften des hyalin degenerirten Bindegewebes und der daraus hervorgegangen Concremente stimmen mit jenen überein, welche die amorphe gelbe Sub- stanz zeigte, nämlich starke Tinctionsfahigkeit und grosse Resistenz gegen Säuren und Alkalien.

In der Nähe jener Stellen, wo die hyaline Degenera- tion des Bindegewebes Platz gegriffen hat, bemerkt man auch hie und da hyaline Entartung an den kleineren Ge- fässen der Bindehaut. Die Wandung derselben ist dicker, homogen, von glasigem Aussehen und bei einigen ganz klei- nen Gefässchen bietet der ganze Querschnitt dieses Aus- sehen dar, ohne dass ein Lumen zu sehen wäre, so dass sie also als obliterirt anzusehen sind.

3. Die hyaline Degeneration der Scleralfasern. Diese scheint verhältnissmässig selten vorzukommen, da ich sie nur in einem von den untersuchten Fällen angetroffen habe. Die Entartung betraf einzelne Fasern in den ober- flächlichen Lagen der Sclera und zwar hauptsächlich solche Fasern, welche in den meridional geführten Schnitten senk- recht getroffen waren, also circulär (concentrisch mit der Hornhaut) verlaufen (Figur 7 b), Diese Faserbündel zei- gen, zuerst nur an umschriebenen Stellen ihres Quer- schnittes, vermehrten Glanz und erhöhte Durchsichtigkeit und treten namentlich an den gefärbten Präparaten durch ihre stärkere Tinction hervor (Fig. 7 c). Diese Veränderung breitet sich allmälig aus, so dass endlich ein grösseres Bün- del quer getroffener Fasern zu einer homogenen, durch- scheinenden Masse zusammengebacken ist, welche wachs- artig glänzt und einen gelbgrünen Schimmer hat. Man sieht dann zwischen den längsverlaufenden Scleralfasern

Zur Anatomie der Pingaecola. 159

solche gelbgrtin glänzende, wohl abgegrenzte Schollen liegen, welche die Längsfasem auseinanderdrängen (Fig. 7d).

Diese Art der Degeneration unterscheidet sich einiger- maassen von derjenigen, welche ich an den conjunctivalen Bindegewebsfasern beobachtet habe. Letztere quellen nur auf, ohne ihre Selbstständigkeit, ihre scharfe Begrenzung, ihre Kerne zu verlieren. Die Scleralfasem gehen dagegen, wie dies bei der hyalinen Degeneration sonst die Regel ist, vollständig zu Grunde, indem sie ihre Kerne verlieren und mit den benachbarten Fasern zu einer homogenen, hyalinen Masse zusammenbacken. Die Rolle, welche die Degenera- tion der Scleralfasem bei der Pinguecula spielt, ist jeden- falls eine sehr untergeordnete, denn erstens fehlt sie in den meisten Fällen und zweitens scheint sie keine grösseren Dimensionen anzunehmen. Sie stellt meiner Ansicht nach eine Art seniler Degeneration der Sclera dar, welche des- halb gleichzeitig mit der Pinguecula, als einer senilen Ver- änderung der Bindehaut, sich finden kann, ohne mit dieser in unmittelbarem Zusammenhange zu stehen.

4. Entwickelung und Hypertrophie von elasti- schen Fasern. Im normalen Zustande enthält die eigent- liche Mucosa der Bindehaut nur wenige elastische Fasern, während das subconjunctivale Gewebe sehr reichlich damit versehen ist. Dieselben sind äusserst zarte Fäden, welche in ziemlich gestrecktem Verlaufe nach allen Richtungen hin ziehen und sich unter den verschiedensten Winkeln überkreuzen. In jenem Theile der Bindehaut nun, wo sich der Lidspaltenfleck entwickelt, nimmt sowohl die Zahl als das Galiber der elastischen Fasern zu. Auch findet man statt des regellosen Verlaufes derselben oft eine gewisse Regehnässigkeit der Anordnung, so dass z. B. eine Anzahl elastischer Fasern auf grössere Strecken hin parallel ver- laufen (Fig. 8 bei a), ja es kann sich eine grosse Zahl von Fasern zu einem dicken Strange vereinigen. Die überwie- gende Zahl von Fasern hat eine zum Homhautraude radiäre

160 E- Fuchs.

Richtung angenommen. Man findet zuweilen Stellen, wo eine ganze Schichte der Bindehaut durch dichtgedrängte, vom Homhautrande nadi der Peripherie verlaufende ela- stische Fasern gebildet wird.

Ausser der Vermehrung der Zahl und des Volumens geht noch eine andere Veränderung in den elastischen Fa- sern vor sich. Dieselben sind jetzt nicht mehr gestreckt, sondern gewellt oder lockig und zwar desto mehr, je dicker sie sind. Diese oft enorme Schlängelung dürfte wohl zum grössten Theile dadurch bedingt sein, dass das Wachsthum der elastischen Fasern nicht bloss nach der Dicke, sondern auch nach der Länge erfolgt. Da nun die Fasern zu lang geworden sind, müssen sie sich spiralig drehen. Es könnte aber auch sein, dass der wellige oder spiralige Verlauf der stärkeren Fasern durch besondere Ungleichmässigkeiten im Wachsthume derselben verursacht wäre. In diesem Falle würden die Faserenden sich geradezu nähern müssen, wenn die Faser aus dem gestreckten Verlaufe in den spiraligen übergeht und es könnte dadurch eine Verkürzung der gan- zen Bindehaut hervorgebracht werden. In der That weisen einige Umstände, auf welche ich noch später zurückkommen werde, darauf hin, dass thatsächlich mit der Pinguecula auch eine Schrumpfung der Bindehaut im Siime einer Ver- minderung ihrer Oberfläche verbunden ist

An einzelnen Stellen, wo die elastischen Fasern beson- ders dicht liegen, kommt es zur Bildung ganzer Knäuel dicht verworrener Fasern (Fig. 9 und 10). Dieselben lösen sich an ihren Rändern in die einzelnen Fasern auf, welche nach allen Richtungen hin auseinander laufen. Wenn aber die Durchflechtung besonders innig und dicht ist, so entstehen wohl abgegrenzte und abgerundete Läppchen, welche aus einem dichten Faserfilze bestehen. Fig. 9 zeigt ein Bruchstück eines solchen Läppchens, das an der einen Seite noch die scharfe Begrenzung zeigt, welche dadurch entsteht, dass hier die Fasern nicht frei auslaufen, sondern

Zar Anatomie der Pinguecula. 161

umbiegen und in den Knäuel zurückkehren. Die andere Hälfte des Knäuels ist durch Zerzupfen in das Gewirre elasti- scher Fasern aufgelöst, welche es zusammensetzen. Man sieht, dass Fasern von allen Durchmessern an der Bildung dieses üjiäuels Antheil genommen haben. Andere Läppchen da- gegen bestehen aus mehr gleichartigen Fasern, aus lauter dicken (Fig. 10) oder lauter dünnen. Letzteres ist das häu- figere; namentlich findet man oft Läppchen, welche aus einem Gewirre so feiner Fasern bestehen, dass man zunächst glaubt, eine amorphe kömige Masse vor sich zu sehen, bis man durch Zerzupfen die Fäserchen an einzelnen Stellen isolirt und dadurch zur Anschauung bringt.

Die grösseren Knäuel elastischer Fasern sind schon mit freiem Auge und noch besser bei Lupenbetrachtung als dunklere Fleckchen in der Bindehaut zu erkennen. Ein Theil der Läppchen, aus welchen sich die Pinguecula zu- sammensetzt, entspricht solchen Faserknäueln.

Nebst den mehr gleichmässig über die Bindehaut ver- theilten elastischen Fasern und nebst den aus Fasern ge- ' bildeten Läppchen lässt sich noch eine dritte Art des Vor- kommens elastischer Fasern constatiren. Dieselbe besteht darin, dass zerstreut im subconjunctivalen Gewebe kleine Gruppen von lose durcheinander geschlungenen, stark ver- grösserten elastischen Fasern liegen (Fig. 14 f). In diesen Gruppen finden sich die dicksten elastischen Fasern, welche überhaupt in der Pinguecula vorkommen, nämlich solche von einem Durchmesser über 0,03 mm. So dicke Fasern liegen allerdings niemals in grösserer Menge beisammen, sondern man findet gewöhnlich nur eine oder zwei colossal dicke Fasern inmitten einer Gruppe von dünneren liegen. Die elastischen Fasern zeigen, sobald sie einmal sehr gross geworden sind, nicht mehr die glatte, scharfe Begren- zung und das homogene Aussehen der dünnen Fasern. Sie werden vielmehr an den Rändern unregelmässig, wie schar- tig oder angenagt, indem sich kleine Bruchstücke von ihnen

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abgebröckelt haben (Fig. lla,a). Viele von den dickeren Fasern lassen, namentlich bei Hämatoxylinfarbung, einen mächtigen, dunklen, centralen Strang erkennen, welcher von einer weniger gefärbten, sich abbröckelnden Hülle einge- scheidet ist (Fig. 11, b, b). Andere Fasern wieder besitzen eine deutliche Längsstreif ung, welche besonders nach Be- handlung mit Essigsäure scharf hervortritt, doch auch ohne diese oft zu sehen ist (Fig. 12).

Hypertrophische elastische Fasern finden sich aber nicht bloss in der Bindehaut, sondern auch im episcleralen Ge- webe, sowie in der Sclera selbst (Fig. 14 zeigt bei 6 ela- stische Fasern im episcleralen Gewebe und bei 7 elastische Fasern in der Sclera selbst). In der Sclera setzt das feste Gewebe der Bildung von grösseren Knäueln ein unüber- steigbares Hindemiss entgegen. Die elastischen Fasern lie- gen daher entweder einzeln oder nur zu zweien oder dreien beisammen zwischen den Scleralfasern und sind gleich die- sen radiär zum Hornhautrande gerichtet. Sie heben sich Yon den Scleralfasern sofort durch ihre starke Schlängelung hervor, welche sie einer zierlichen Haarlocke vergleichbar macht (Fig. 13a). Die hypertrophischen elastischen Fa- sern finden sich immer nur in den äusseren Lagen der Sclera und zwar hauptsächlich etwas weiter vom Rande der Hornhaut entfernt; zuweilen kann man sie bis in die Seh- nen des äusseren oder inneren geraden Augenmuskels ver- folgen. Nur ausnahmsweise habe ich derartige Fasern nahe dem Rande der Hornhaut, ja fast schon in dieser selbst ge- sehen.

Die elastischen Fasern verfallen später einer hyalinen Degeneration, wodurch es zum Zerfalle der Fasern und zur Bildung von Concrementen kommt. Diese Entartung lässt sich am besten bei den elastischen Fasern in der Sclera verfolgen. Dieselben schwellen immer mehr an, und zwar nicht die ganze Faser gleichmassig, sondern die mittleren Theile mehr als die Enden (Fig. 13 b). Gleichzeitig werden

Zar Anatomie der Pinguecula. 163

die Fasern infolge ihres langen Wacbsthums immer mehr spiralig gewunden und die einzelnen Windungen legen sich als dicke Wülste aneinander. Dabei nimmt die Faser mehr und mehr ein gleichmässig durchscheinendes, matt glänzen- des Aussehen und eine gelbgrüne Farbe an, wie sie der hyalinen Degeneration zukommt. Endlich zerfällt die Faser in eine Anzahl von unregelmässigen Bruchstücken von gleich wachsartiger, gelbgrüner Beschaffenheit (Fig. 13c). An den hypertrophischen elastischen Fasern der Bindehaut be- reitet sich der Zerfall, wie schon oben beschrieben, so vor, dass die Fasern wie angenagt aussehen; dann zerbröckeln sie immer mehr und verwandeln sich schliesslich in ein Häufchen unregelmässiger Bruchstücke (Fig. 11c, Fig. 14 f).*

In der Regel zerfallen die elastischen Fasern der Binde- haut und der Sclera erst, nachdem sie eine bedeutende Grösse erreicht haben, doch sieht man ausnahmsweise auch wohl inmitten einer Gruppe ziemlich feiner Fasern schon Concremente, welche aus dem Zerfalle solcher Fasern her- vorgegangen sind. In einem Falle fand ich die oberfläch- liche Schichte der Sclera und selbst die angrenzenden Rand- theile der Hornhaut dicht durchsetzt von kleinen, rund- lichen, matt glänzenden Bröckeln, welche sich durch ihre Reactionen als die Abkömmlinge zerfallener elastischer Fa- sern kundgaben, während doch diese selbst kaum mehr vorhanden waren. Nur mit Mühe gelang es an einzelnen Stellen, solche eben noch im Zerfalle begriffenen Fasern nachzuweisen. In solchen Fällen also, wo die Fasern, kaum gebildet, auch schon in kleine, runde Bröckel zerfallen, könnte man leicht zur irrigen Annahme einer Fettinfiltra- tion der Sclera verleitet werden, wie z.B. Coccius sie be- schrieben hat. Die gehörige Anwendung von Reagentien und Färbemitteln wird einen solchen Irrthum vermeiden lassen.

Die Concremente, welche aus den elastischen Fasern der Bindehaut und der Sclera entstehen, erreichen in der

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Regel weder die Zahl noch die Grösse jener Concremente, welche sich in der amorphen hyalinen Substanz bilden. Auch werden sie nicht so abgerundet und.ktigelformig, son- dern verrathen sich in der Regel noch lange durch ihre Form als Bruchstücke grösserer Fasern.

Die elastischen Fasern und die aus ihnen hervorgehen- den Concremente verhalten sich gegen Reagentien und Färbe- mittel im Allgemeinen so, wie die bisher beschriebenen hyalin degenerirten Gewebe. Die Fasern färben sich um so intensiver, je grösser sie sind, ohne Zweifel deshalb, weil dann die hyaline Entartung in ihnen weiter vorgeschritten ist. Es ist daher sehr leicht, die elastischen Fasern durch Tinction im Gewebe deutlich hervortreten zu lassen. Am besten eignet sich hierzu die Weigert' sehe Hämatozylin- färbung, durch welche die grösseren Fasern schwarz werden. Eine sehr schöne Differenzirung giebt %uch Picrocarmin sowie Fuchsin. Ersteres färbt die Fasern gelb im Gegen- satze zur rothen Färbung des übrigen Gewebes. Säure- fuchsin mit nachheriger Entfärbung durch schwefelsäure- haltigen Alkohol lässt die elastischen Fasern schön dunkel- roth in dem sonst entfärbten, gelblichen Gewebe hervor- treten. Die besonders grossen, bereits der Degeneration anheimfallenden elastischen Fasern sowie die Concremente, welche aus deren Zerfall hervorgehen, geben dagegen in der Säure ihre rothe Farbe wieder ab*).

^) An den hypertrophischen Fasern der Sclera habe ich aus- nahmsweise folgende zwei Färbungen beobachtet: Jo4Jodkali, wel- ches die meisten dieser Fasern nicht anders als das übrige Gewebe f&rbte, liess einige sehr dicke altere Fasern dunkelbrannroth wer- den und dieselbe Farbe hatten auch die ans solchen Fasern hervor- gegangenen Schollen. Dies würde also einen üebergang der hyalin degenerirten Fasern in Amyloid anzeigen und dem entsprechen, was wir einigemale an den grösseren Concrementen gesehen haben, welche aus der amorphen hyalinen Substanz her?orgegangen sind. Die Wei- gert*8che F&rbung mit Gentianaviolett liess einmal die Fasern dicke sowie feine schön blau gefärbt in der vollständig farblosen

Zar Anatomie der Pingaecala. 165

Wir finden also bei der Pinguecula Veränderungen so- wohl an den Bindegewebsfasern, als auch an den elastischen Fasern, welche alle in letzter Linie zur Bildung von amor- phen Schollen, von Goncrementen fuhren können. Diese Ver- änderungen sind theils AiSua über die ganze Gegend ver- breitet, welche die Pinguecula einnimmt, theils umschrie- bener Art Zu den ersteren gehört z. B. die Vermehrung und Hypertrophie der elastischen Fasern in der Bindehaut und in der Sdera, vielleicht auch die hyaline Degeneration der Scleralfasem. Es ist wohl möglich, ja wahrscheinlich, dass sich diese Processe nicht ausschliesslich auf jene Stel- len beschränken, wo makroskopisch die Pinguecula zu sehen ist, sondern dass es sich hier um senile Veränderungen han- delt» welche in geringerem Grade auch an anderen Stellen des vorderen Augapfelabschnittes vorkommen können.

Zu den umschriebenen Veränderungen gehört die Bildung von Läppchen, welche unter der Bindehaut sich befinden; diese sind es, welche der makroskopisch sichtbaren Pingue- cula vor Allem zu Grunde liegen.. Diese Läppchen, welche schon mit der Lupe gut erkennbar sind, können von dreierlei histologischer Beschafifenheit sein: Sie bestdien entweder aus Schollen amorpher hyaliner Substanz, oder es sind Con-

Umgebung hervortreten. Diese Färbung nach Weigert würde an- zeigen, dass die fOr elastische Fasern angesehenen Gebilde nicht solche, sondern eigenthamlich geformtes Fibrin sind. Dagegen muss ich vor allem bemerken, dass ich nnz&hlige Male die Entstehung der dicken elastischen Fasern aus den dOnnen, noch normal aus- sehenden durch alle üebergangsstadien verfolgen konnte, so dass ich unmöglich daran glauben kann, dass es nur Fibringerinnungen seien. Zweitens muss ich hervorheben, dass ich unter vielen Prä- paraten diese Färbung nur ein einzigesmal erhielt. Endlich ist die Weigert*8che Färbung, obwohl ein sehr werthvolles Verfahren, doch noch nicht so genau gekannt, dass man völlig sicher sein könnte, dass nur Fibrin und Mikroorganismen sich dabei färben, wie Wei- gert angiebt, und nicht unter besonderen Umständen vielleicht noch andere Substanzen.

166 E. Fuchs.

Volute hyalin degenerirter Bindegewebsfasern oder endlich es sind Knäuel elastischer Fasern. Welches ist nun das Ver- hältnis und die gegenseitige Lagerung dieser drei Arten von Läppchen? Die meisten Läppchen sind solche, welche entweder aus amorpher hyaliner Substanz oder aus elasti- schen Fasern bestehen; in dem einen Falle von Pinguecula überwiegt die eine, in einem anderen Falle die andere Art. Diese Läppchen sind von unregelmässiger Form, nicht scharf begrenzt und mit den benachbarten Läppchen zusammen- hängend. Sie sind, wie schon eingangs erwähnt wurde, sehr häufig am grössten und am dichtesten gelagert längs des oberen und unteren Randes der Pinguecula, während in dem dazwischen eingeschlossenen Areale die Läppchen kleiner sind. Diejenigen Läppchen, welche aus hyalinen Bindegewebsfasern bestehen, sind im Vergleiche zu den beiden anderen Arten in viel geringerer Zahl .vorhanden ja sie fehlen oft ganz. Man erkennt sie schon bei Betrach- tung mit der Lupe an ihrer regelmässigen rundlichen Form und scharfen Abgrenzung. (Fig. la), welche bei den anderen Läppchen niemals so ausgeprägt vorkommt.

Die Gruppen sehr grosser elastischer Fasern, welche auf S. 161 erwähnt wurden, sind makroskopisch nicht als deutliche Läppchen zu erkennen. Man findet sie nicht in jeder Pinguecula; wenn sie vorhanden sind, liegen sie vor- zugsweise entlang dem oberen oder unteren Rande der Pinguecula.

Die bis jetzt gemachten Angaben über die histologische Beschaffenheit des Lidspaltenfleckes ergaben sich aus der Untersuchung der abpräparirten Pinguecula und aus der Isolirung und Färbung ihrer einzelnen Theile. Das so ge- wonnene Bild wird durch die Untersuchung von Schnitten vervollständigt, welche in meridionaler Richtung durch die Pinguecula gelegt sind. Man sieht an denselben, dass an der Stelle der Pinguecula die Oberfläche der Bindehaut

Zur Anatomie der Pingaecula. 167

uneben, hügelig oder wellig ist (Fig. 14). In derselben Aus- dehnung besteht nicht selten eine ganz seichte Delle in der Oberfläche der Sclera zur Aufnahme der Pinguecula. An den Schnitten kann man folgende Schichten unterscheiden: 1) Das Epithel Dasselbe überzieht überall die Ober- fläche der Pinguecula, jedoch in ungleichmässiger Weise. Es ist auf der Höhe der welligen Erhebungen viel dünner als in den dazwischen gelegenen Thälern, so dass es die oberflächlichen Unebenheiten der Pinguecula einigermaassen ausgleicht (Fig. 14). Ohne Zweifel ist das Epithel auf der Kuppe der Erhöhungen zwischen diesen und den Lidern

einem stärkeren Drucke ausgesetzt als in den Vertie- fungen, und ist deshalb* an den ersteren Stellen auf eine dünne Lage reducirt An den vertieften Stellen besteht das Epithel zunächst aus einer untersten einfachen Lage von Basalzellen (Fig. 15 a). Dieselben haben einen kleinen, aber sehr stark färbbaren Kern und so wenig Protoplasma, dass es manchmal aussieht, als ob man bloss eine Reihe von Kernen vor sich hätte. Auf die Basalzellen folgen mehrere Lagen polygonaler oder unregelmässig runder Zellen, welche sich durch einen grösseren, aber blasseren Kern und nament- lich durch einen grösseren Protoplasmaleib vor den Basal- zellen auszeichnen (Fig. 15 b). In der obersten Lage (c) sind diese Zellen zuweilen ganz schöne grosse Cylinderzellen.

Wenn man von den Vertiefungen auf die Erhöhungen übergeht, so verändert sich nicht bloss die Zahl der Zellen, sondern auch deren Form; die Zellen platten sich immer mehr ab. Die Abflachung betrifft zuerst nur die oberfläch- lichsten Zellen, später aber auch die Basalzellen. Man findet daher die Kuppe der Erhöhungen nur von einer ganz dünnen Epithelschichte überzogen, ja zuweilen ist hier das Epithel auf eine zweifache Lage abgeplatteter Zellen redu- cirt (welche auf dem Querschnitte spindelförmig aussehen, wie in Fig. 16). Das Epithel der Bindehaut ist also entgegen den Behauptungen der Autoren über der Pin-

168 E. Fache.

guecula weder im Ganzen verdickt noch verdünnt Es hat viehnehr in den Einsenkungen ungefähr seine normale Dicke, während es auf der Höhe der Hügel bedeutend verdünnt ist. Nur wo die Pinguecula eine ganz gleichmässige Er-> hebung bildet» was zuweilen vorkommt, ist auch das Epi- thel in grösserer Ausdehnung gleichmässig verdünnt.

^ Das Epithel über der Pinguecula soll nach Gallenga Pigment enthalten, welches in den tieferen Lagen des Epi- thels sitzt und die gelbe Farbe der Pinguecula bedingt. Wedl und Bock haben auch in der Pinguecula selbst (welche sie aus derbem Bindegewebe bestehen lassen)« schmutzig«gelbe Pigmentkörnchen gesehen. Dem gegenüber muss ich sagen, dass das Pigment in der Pinguecula eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Von allen Fällen von Pinguecula, welche ich in Serienschnitte zerlegte, habe ich nur bei zweien Pigment im Epithel nachweisen können. Dasselbe lag in Form feiner gelber oder brauner Körnchen in den Basalzellen des Epithels. Es fand sich nur an ein-- zelnen Stellen und in so geringer Menge, dass es nur durch eine genaue Durchmusterung aller Schnitte mit stärkerer Yergrösserung entdeckt werden konnte. Unterhalb des Epi- thels, in der Bindehaut oder in dem Gewebe der Pingue- cula selbst habe ich dagegen in keinem einzigen dieser Fälle Pigment gefunden. Damit will ich durchaus nicht in Abrede stellen, dass ausnahmsweise in der Pinguecula reich- liches Pigment vorkommen kann. Das Epithel der Binde- haut enthält am Limbus und in dessen Nachbarschaft häufig Pigment, namentlich bei brünetten Personen. Man erkennt bei diesen nicht selten schon mit freiem Auge kleine braune Flecken am Limbus, durch Pigmentanhäufung bedingt. Bei einem solchen Lidividuum habe ich auch einmal die Binde- haut über der Pinguecula braun gefleckt gesehen, so dass diese besonders dunkel aussah. Ich habe diese Pinguecula excidirt und geschnitten. Dieselbe zeigte in der That eine reichliche Pigmentirung des Epithels, dessen Basalzellen

Zur Anatomie der Pinguecula. 169

überall zahlreiche Pigmentkömchen in ihrem Protoplasma enthielten« An einzelnen Stellen, welche den makroskopisch sichtbaren bratmen Flecken entsprachen , reichte die Pig- mentimng bis in die obersten Zellenlagen. Auch das Stroma der Bindehaut enthielt Pigment^ jedoch nur in Form ganz vereinzelter kleiner Häufchen von Pigmentkörnchen, welche keinen Einfluss auf die Farbe der Pinguecula im Ganzen haben konnten. Eine so starke Pigmentirung der Pingue- cula mag in den südlichen Ländern, wo die Menschen im Allgemeinen stärker pigmentirt sind, häufiger vorkommen, woraus sich Gallenga's Angaben erklären; bei uns aber muss dies als Ausnahmsfall angesehen werden. Wir können somit als Regel aufstellen, dass die gelbe Färbung der Pin- guecula nicht durch Pigment bedingt ist, sondern durch die gelbliche Farbe der abgelagerten hyalinen Massen ver^- schiedener Art, sowie die Concremente.

Yassaux und Gallenga geben an, dass das Epithel über der Pinguecula oberflächliche Yerhomung zeige. Ich habe nur in zwei Fällen gesehen, dass über einem Theile der Pinguecula die oberflächlichsten Epithelzellen besonders stark a'bgeplattet waren, während die Zellengrenzen sowie die Kerne theils weniger deutlich, theils'ganz verschwun- den waren und die . Zellen im Ganzen mit Carmin oder Hämatoxylin sich weniger färbten. Es machte mir den Eindruck, als ob diese Stellen vielleicht einem jener trocken aussehenden Flecken entsprächen, welche man nicht selten im Bereiche der Pinguecula 'sieht

In zwei Fällen habe ich stellenweise an den Epithel- zellen jene Veränderung gefunden, welche zuerst von de Vincentius als coUoide Degeneration an den Zellen des Hornhautepithels beschrieben wurde ^). Die Epithelzellen sind vergrössert, rund, von mehr homogener Beschaffenheit, und sehen gleichsam wie blasig aufgetrieben aus. Der Kern

0 Contribuzione all* anatomia patologica dell* occhio. Napoli 1873. S. 18 (Estratto del Movimento Medico-chirurgico).

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liegt in Form eines schmalen Halbmondes ganz an der Peripherie der Zelle und zwar stets an jener Seite, welche der Tiefe zugewendet ist Diese Veränderung betrifft alle Zellen gleichmässig, mit Ausnahme der Basalzellen und etwa noch der unmittelbar darauffolgenden Zellenreihe.

Gleichfalls als ausnahmsweisen Befund erwähne ich das Vorkommen von Concrementen, wie sie der Pinguecula eigen- thümlich sind, im Epithel. Dieselben sind nicht im Epithel selbst entstanden, sondern in den oberflächlichsten Schichten der Bindehaut. Durch Usur der unmittelbar unter dem Epi- thel liegenden Bindegewebslage gelangten sie in das Epithel. Einmal sah ich sogar das Epithel über einem grossen Goncre- mente fehlen: es wäre daher wohl denkbar, dass auf solche Weise manchmal Goncremente ganz ausgestossen würden.

Gallenga beschreibt in der Pinguecula einen von der Oberfläche in die Tiefe gehenden Ganal, welcher als Blind- sack endigt (siehe Seite 145). Ich habe hauptsächlich zu dem Zwecke, diesen Canal zu finden, die Methode der Se- rienschnitte beim Schneiden der Pinguecula angewendet, so dass er mir in den Fällen, welche ich untersuchte, sicher nicht entgangen wäre, wenn er vorhanden gewesen wäre. Trotzdem habe ich niemals auch nur eine Andeutung die- ses Ganales finden können. Derselbe ist also entweder ein seltenes Vorkommniss, so dass er in den von mir unter- suchten Fällen zufalliger Weise nicht existirte, oder er ist ein Artefact. Gallenga hat nur abgetragene Bindehaut- stückchen mit Pinguecula histologisch untersucht. Da ist es wohl möglich, dass durch Schrumpfung dieser Stückchen in den Erhärtungsflüssigkeiten Unebenheiten der Oberfläche entstehen, welche an Querschnitten selbst als grössere Ein- stülpungen imponiren können, die aber am lebenden Auge nicht vorhanden waren. Auf ähnliche Weise erklärt sich vielleicht auch die von Gallenga beschriebene papilläre Beschaffenheit der Bindehautoberfläche über der Pingue- cula, welche ich gleichfalls niemals habe sehen können.

Zur Anatomie der Pinguecula. 171

In zwei Fällen von Pingnecala wurden im Epithel der Bindehaut Körper gefunden, welche für Psorospermien an- gesehen werden müssen. Die kleinsten derselben maassen kaum 0,006mm im Durchmesser, während die grössten bis zu 0,025mm heranwuchsen. Sie waren hell, stark lichtbrechend, rund, scharf begrenzt und zwar von einem doppelten Contour. Einige ent^ hielten eine grosse Zahl kleiner Krümel, oder einige wenige unregelmässig geformte grössere Bröckel, andere dagegen ein bis drei kornartige Körper, welche zuweilen noch einen Nu- cleolus hatten. Die Psorospermien und ihr Inhalt hatten im ungefärbten Zustande einen grünlichen Schimmer und färbten sich mit den verschiedenen Tinctionsmitteln gar nicht oder nur sehr schwach. Bei den kleinsten von ihnen war es leicht fest- zustellen, dass sie sich im Protoplasma einer Epithelzelle ent- wickelten, deren Kern dadurch immer mehr zur Seite gedrängt wurde. Bei den grösseren Psorospermien, welche die Zelle vollständig erfüllten, war deren Lage innerhalb der Zelle nicht mehr deutlich zu erkennen, wenn auch der plattgedrückte und der Peripherie des Körperchens anliegende Zellkern noch dar- auf hinwies. In weit grösserer Menge fand ich diese Kör- per in einem Falle von Pterygiunl und zwar im Epithel jener Einstülpungen, welche sich oft ziemlich weit unter das Ptery- gium erstrecken. Hier mögen im Ganzen mehrere Hundert solcher Körper vorhanden gewesen sein. Dieselben Körper hat kürzlich einer meiner Schüler, Herr Dr. Wintersteiner, bei der Untersuchung eines Stückchens Bindehaut gefunden, wel- ches ich einmal excidirt hatte, weil sich ein schwarzer Pig- mentfleck in demselben entwickelte. Auch in diesem Falle la- gen die Körperchen in den Epithelzellen, welche Einstülpungen auskleideten, die von der Oberfläche in die Tiefe sich erstreck- ten. Ich halte die Psorospermien in diesen Fällen für zubil- lige Befunde, welche mit der Pinguecula oder dem Pterygium weiter nichts zu thun haben und führe sie nur deshalb an, weil meines Wissens in der menschlichen Bindehaut bisher keine Psorospermien gesehen worden sind. In anderen Theilen des menschlichen Körpers hat man sie dagegen öfter nachge- wiesen, so namentlich im Molluscum contagiosum cBollinger u. A.) und anderen kleinen Geschwülsten der Haut (Darier), bei der Paget'schen Krankheit der Brustwarze (Darier), in der Leber (G übler und Leuckart), in pleuritischen Exsudaten (Künstler und Pitres) u.s. w.

172 E. Fuchs.

2) Als zweite Schichte folgt eine Bindegewebslage. Dieselbe liegt unmittelbar unter dem Epithel und ist nichts anderes als das Bindegewebe der Bindehaut selbst, die eigentliche Mucosa. Dieselbe zeigt etwas weiter vom Hom- hautrande entfernt noch ihre normale Beschaffenheit» näm- lich die Zusammensetzung aus welligem Bindegewebe mit ziemlich reichlichen Kernen und Gefassen. Nahe dem Hom- hautrande dagegen, auf der Höhe der Pinguecula, ist diese Schichte durch den Druck, welchen die unterliegende Pin- guecula ausübt, verändert Die Bindegewebsfasern sind innig aneinander gepresst, so dass ein sehr dichtes Gewebe ent- steht, welches nur mehr eine ganz zarte Streifung zeigt; die Blutgefässe sind gänzlich, die Kerne bis auf einige wenige daraus verschwunden. Die Dicke dieser Schichte ist ver- schieden, da sie oft auf der Kuppe der Hügel dünner ist als in den Vertiefungen. Sie kann so dünn und so homo- gen werden, dass man eine structurlose Basalmembran des Epithels vor sich zu haben glaubt (Fig. 14, 2); stollenweise kann sie sogar ganz fehlen.

Am Homhautrande setzt sich die zweite Schichte in die oberflächL'chsten Lamellen der Hornhaut fort. Bald sind es mehr, bald weniger von diesen Lamellen, welche so in die Bindehaut übergehen, aber immer lässt sich ein solcher Uebergang unzweifelhaft feststellen (Fig. 14 bei e). Der- selbe springt sogar an den Präparaten mit Pinguecula be- sonders deutlich in die Augen, weil sich diese zwischen Bindehaut und Sclera einlagert und bei ihrem Vordringen gegen die Hornhaut die Bindehaut mehr und mehr Von der Unterlage abhebt, gleichsam in natürlicher Weise abprä- parirt Die oberflächlichsten Homhautlamellen gehören da- her anatomisch nicht zur Sclera, sondern zur Conjunctiva, wenigstens was die Randtheile der Hornhaut anlangt^).

*) Nach Schwalbe (Lehrbuch der Anatomie der SinneBorgane, S. 149), existirt diese Pars conjuncüvalis corneae nur am Rande der Hornhaut, bis zum Beginne der Bowman*8chen Membran, welche

Zur Anatomie der Pingaecala. 173

Bemerkenswerth ist die Beschaffenheit der Oberfläche der zweiten Schichte. Dieselbe zeigt zunächst flache, hügel- förmige Erhebungen, indem sie durch die darunter liegen- den Läppchen der Pinguecula in unregelmässiger Weise empoi^ehoben wird (z. B. in Fig. 14 bei 2). Ausserdem be- stehen aber nicht selten Unebenheiten, welche wie Fal- tungen der Oberfläche aussehen (Fig. 14, bei a). Es scheint als ob die Bindehaut durch einen unter ihr wirkenden Zug nach dem Homhautrande hin zusammengeschoben würde, 80 dass sich ihre Oberfläche in Fallen legt. Auf einen glei- chen Zug gegen den Hornhautrand hin deutet der Um- stand, dass der Rand der Pinguecula öfter gegen den Hom- hautrand gleichsam andringt und denselben überlagert. Da- bei werden die obersten Lamellen der Hornhaut, welche die Fortsetzung der zweiten Schichte bilden, von der Un- terlage, abgedrängt und mit in die Bedeckung der Pingue- cula einbezogen (Fig. 14 bei e). Ich hebe diesen Umstand hauptsächlich deshalb hervor, weil das Hinüberwachsen der Pinguecula auf die Hornhaut mit der Bildung des Flügel- felles zusammenhängt.

3) Die nun folgende Schichte besteht aus länglichen Lappen (Fig. 14, 3), welche theils gegen das Nachbarge- webe gut abgegrenzt sind am besten* gegen die zweite Schichte hin an anderen Stellen dagegen in die folgen- den Schichten allmälig übergeheiL Es sind die Läppchen, welche die Pinguecula selbst bilden, im Querschnitte ge- sehen. Die ganze Schichte hat bei schwacher Vergrösse- rung ein dichtes und ziemlich homogenes Aussehen. Blut- gefässe finden sich fast gar nicht in ihr und auch die Kerne

Schwalbe zum seienden TheUe der Hornhaut rech^et. Waldeyer dagegen sieht das vordere Homhantepithel, die Bowman'sche Mem- bran und die oberflächlichsten Lamellen der Hornhaut in der gan- zen Ausdehnung der letzteren als den conjunctivalen TheU der Horn- haut an (Handbuch der Augenheilkunde von Graefe-Saemisch, I. Band, S. 170).

174 E. Fuchs.

sind sehr spärlich und fast nur an den Rändern der Läppchen vorhanden. Diese letzteren zeigen sich auf den Querschnitten aus zwei Bestandtheilen zusammengesetzt. Der erste sind Fasern, welche in verschiedenen Richtungen sich durchkreuzen, hauptsächlich aber der Oberfläche der Bindehaut ungefähr parallel verlaufen; der zweite sind sehr kleine Felder, theils rundlich, theils unregelmässig polygo- nal, welche zwischen den Fasern eingeschlosseii sind. Die Fasern entsprechen den meridional verlaufenden Fasern der Bindehaut. Die Bedeutung der kleinen Felder wird klar, wenn man dieselben an sehr feinen Schnitten durch Zer- zupfen isolirt Die kleinsten rundlichen Felder sind Quer- schnitte von Bindegewebsfasern, welche in circulärer Rich- tung ziehen und daher an den meridional geführten Schnit- ten quer getroffen sind. Die meisten Felder aber, welche etwas grösser und polygonal sind, entsprechen Schollen der amorphen hyalinen Substanz, welche frei zwischen den Binde- gewebsfasern lagert (siehe S. 150). An anderen Präpa- raten ist die feinere Structur dieser Lappen, welche die dritte Schichte zusammensetzen, etwas anders; man erkennt schon an den Schnitten, dass es sich um Querschnitte von stark gewundenen, elastischen Fasern verschiedener Grösse handelt. Dies ist dann der Fall, wenn der Schnitt eines jener Läppchen getroffen hat, welche aus elastischen Fa- sern bestehen.

Die dritte Schichte ist es also, welche der Pinguecula selbst entspricht Sie bedingt die eigentliche Verdickung der Bindehaut an dieser Stelle; die ungleichmässigen Dimen- sionen der Läppchen, aus welchen diese Schichte besteht, verursachen die Unebenheit der Oberfläche, welche die bei- den vorderen Schichten zeigen.

Die dritte Schichte ist der Hauptsitz der Concremente. Je nach dem Falle, den man vor sich hat, findet man darin bald nur wenige, bald viele und von bedeutender Grösse. Die kleinsten Concremente erscheinen in den ungefärbten

Zar Anatomie der Pinguecula. 175

Schnitten als stark lichtbrechende, grünlich schillernde Krü- mel Dieselben liegen gewöhnlich gruppenweise beisammen (Fig. 14 unter b) und bilden oft eine der Bindehautober- fläche ungefähr parallele Lage. Die grösseren Cohcremente fallen sofort in die Augen und können oft schon mit freiem Auge in den Schnitten wahrgenommen werden (Figur 14 unter c und d). Die Concremente entwickeln sich in jenen Theilen der Läppchen, welche der Oberfläche der Binde- haut zugewendet sind, in grösserer Anzahl als in den tiefen. Ausserdem scheinen sie aber auch die Neigung zu besitzen, nach der Oberfläche zu wandern, denn man sieht sie nicht selten die Grenzen der dritten Schichte durchbrechen und in die zweite Schichte, ja selbst in das Epithel gelangen.

4) Unter der eben beschriebenen Schichte folgen die hyalinen Bindegewebsfasern (Fig. 14,4). Die Art ihrer Anordnung ist zweifach. Dieselben liegen entweder als eine nicht scharf abgegrenzte Schichte auf grössere Strecken hin ausgebreitet. Sie haben einen ziemlich geradlinigen Ver- lauf, fallen aber durch ihre bedeutende Dicke, ihr homo- genes Aussehen und ihre verschiedene Tinction sofort zwi- schen den normalen Bindegewebsfasern auf. Die zweite Art der Anordnung besteht darin, dass man Querschnitte von Läppchen sieht, welche aus gewundenen und mehrfach zu- sammengelegten hyalinen Fasern bestehen (Fig. 14,4, Fig. 5) und von Endothelhäutchen eingeschlossen werden. Es sind die auf S. 156 beschriebenen rundlichen und wohl abge- grenzten Läppchen (Figur 6). In den hyalin degenerirten Bindegewebsfasern kann man sehr häufig das Auftreten von kleinen krümeligen Goncrementen constatiren.

Die Läppchen der Pinguecula entwickeln sich vorzugs- weise unterhalb der eigentlichen Mucosa im subconjuncti- valen Bindegewebe, welches sie verdrängen, so dass von demselben nur eine dünne Lage übrig bleibt (Fig. 14, 5). Die auf die Läppchen folgende

5) Schichte wird daher von diesem lockeren sub-

176 E. Fuchs.

conjunctivalen Zellgewebe gebildet. Dasselbe lässt hie und da bereits den Beginn jener Veränderungen erkennen, aus welchen sich später die Läppchen entwickeln. So sieht man an einzelnen Stellen zwischen den Bindegewebsfasern sehr feine Krümel, welche einer beginnenden Ausscheidung amorpher hyaliner Substanz entsprechen. Viel mehr als diese springen jedoch die zahlreichen vergrösserten elastischen Fasern in die Augen. Dieselben bilden hier noch nicht grosse Läppchen, sondern liegen zumeist in kleineren Grup- pen lose beisammen. Es giebt solche Gruppen, deren Fa- sern alle ziemlich das gleiche Caliber haben; dann könnte man Teranlasst sein, diese für Pilzrasen anzusehen, wozu auch das glänzende, grünlich schillernde Aussehen dieser Fasern im ungefärbten Zustande, ihre Resistenz gegen Rea- gentien u. s. w. verleiten könnte. Zumeist jedoch sind die Gruppen aus Fasern von ungleicher, oft sehr bedeutender Stärke gebildet; die auf S. 161 erwähnten Gruppen beson- ders didcer Fasern haben hier im subconjunctivalen Binde- gewebe ihren Sitz (Fig. 14 f). Die grössten Fasern findet man in mehrere Bruchstücke zerfallen. Die Verbreitung dieser elastischen Fasern im subconjunctivalen Bindegewebe erstreckt sich ziemlich weit über die Grenzen der eigent- lichen Pinguecula hinaus. Das Gleiche gilt für das nun folgende

6) episclerale Bindegewebe (Fig. 14 £p). Auch die- ses enthält sehr oft vergrösserte elastische Fasern (Fig. 14,6), welche man selbst noch weit entfernt vom Homhautrande antri£Pt. Zur Bildung grosser Gruppen von elastischen Fa- sern kommt es jedoch hier nicht und ebenso wenig errei- chen sie hier jene bedeutende Grösse, wie im subconjunc- tivalen Bindegewebe. Das lockere episclerale Bindegewebe geht ohne scharfe Grenze in die

7) Sclera über (Fig. 14S). Diese ist in ihren ober- flächlichen Lagen gleichfalls oft der Sitz von vergrösserten elastischen Fasern, welche man zuweilen bis in die ober-

Zur Anatomie der Pinguecula. 177

flächlichen Schichten der Sehne des Rectus internus oder extemos verfolgen kann (Fig. 14, 7). Auch die auf S. 158 beschriebene hyaline Degeneration der Scleralfasern selbst muss hier erwähnt werden.

Das hier entworfene histologische Bild der Pinguecula ist das Ergebniss einer grossen Anzahl von mikroskopischen Befunden. Es ist aus denselben zusammengefasst und da- her nothwendig etwas schematisirt. Man darf deshalb nicht erwarten, in jedem Schnitte, den man durch eine beliebige Pinguecula fuhrt, alle beschriebenen Veränderungen wohl ausgeprägt anzutreffen und ebensowenig sind die hier an- geführten Schichten alle vorhanden oder scharf von einan- der abgegrenzt

Es bandelt sich also bei der Pinguecula um eine histo- logische Veränderung der Bindehaut, welche man als De- generation bezeichnen muss. Dieselbe äussert sich als Ab- lagerung freien Hyalins und als hyaline Entartung der phy- siologischen Gewebselemente (Bindegewebs- und elastische Fasern). Die Ursache dieser Veränderung ist zweifach, näm- lich die Senescenz des Gewebes verbunden mit der dauern- den Einwirkung äusserer Schädlichkeiten. Wir wollen uns zuerst mit der Bildung des Hyalins und mit dessen Eigen- schaften im Allgemeinen beschäftigen und dann sehen, ob dasselbe auch an anderen Orten des Körpers unter ähnlichen Bedingungen entsteht, wie sie bei der Pinguecula gege- ben sind.

Das Hyalin wurde zuerst von Recklinghausen ^) aus der grossen Gruppe der coUoiden Substanzen ausgeschieden. Es hat Aehnlichkeit mit dem Amyloid, indem es gleich die- sem ein unlöslicher Eiweisskörper ist, welcher bei Ernäh- rungsstörungen im Gewebe abgeschieden wird. Die charak- teristischen Eigenschaften des Hyalins sind nach Reckling-

') Handbuch der allgem. Pathologie 1883, S. 405.

T. Oraefe'B Archiv fOr Ophthidinologie. XXXVII. 3. 12

178 £• FacbB.

hausen: 1) eine homogene Beschaffenheit und grosses Licht- brechungSYormögen; 2) grosse Widerstandsfähigkeit gegen Reagentien, wie starke Säuren und Alkalien und endlich 3) starke Tinctionsfähigkeit. »^Karmin, Pikrokarmin, weni- ger das Hämatoxylin, namentlich Eosin und das säurebe- ständige Fuchsin tingiren das Hyalin in auffällig starkem Grade/' Das Hyalin findet sich in den verschiedensten Organen und als Folge der Terschiedensten Processe, so dass man wohl zweifeln möchte, ob es sich hier wirklich immer um dieselbe Substanz handelt „Es ist vielmehr noch Ungewisses sagt Recklinghausen, „ob nicht Zusammen- setzungen, Mischungen verschiedener Körper vorliegen und ob die geschilderte Substanz in allen Fällen identisch ist/^ Das Hyalin ist mit dem Fibrin verwandt und Fibrin kann höchstwahrscheinlich in Hyalin übergehen. Weigert^) geht noch weiter und meint, dass das meiste von dem, was Recklinghausen als Hyalin beschrieben hatte,' nichts an- deres sei als geronnenes Fibrin. Zum Nachweise des Fi- brins hat Weigert eine Färbungsmethode mit Gentianavio- lett angegeben, welche charakteristisch für Fibrin sein soll. Die von Recklinghausen für das Hyalin geforderten Eigenschaften treffen zum grÖssten Theile für die patholo- gisch veränderten Gewebsbestandtheile der Pinguecula zu* Die amorphen Schollen, die degenerirten Bindegewebsfasern und die vergrösserten elastischen Fasern, endlich die Con- cremente verschiedenen Ursprunges zeichnen sich durch homogene Beschaffenheit, starken Glanz und grosse Wider- standsfähigkeit gegen Säuren und Alkalien aus, welche die- selben nicht zu verändern vermögen. Was das Verhalten gegen Tinctionsmittel anlangt, so sagt Recklinghausen vom Pikrokarmin nicht, ob das Hyalin dadurch roth oder gelb gefärbt wird. Ich kann dies dahin ergänzen, dass die

^) Kritische und ergänzende Bemerkungen zur Coagalations- necrose mit Berficksichügnng der Hyalinbildung. Deutsche medic Wochenschrift 1885, Nr. 44, S. 747.

Zur Anatomie der Pinguecula. 179

hyalin degenerirten Theile damit schön gelb werden im Gegensatze zu dem umgebenden roth gefärbten Oewebe. Vom Hämatoxylin meint Recklinghausen, dass es das Hyalin nicht stark färbe; dem gegenüber haben wir gese- hen, dass in der Pinguecula die hyalin degenerirten Theile zum Theil sehr intensiv gefärbt werden, wie z.B. vergrös- serte elastische Fasern und Goncremente verschiedener Art. Am intensivsten ist jedoch die Färbung mittelst der Wei- gert'schen Hämatoxylinmethode, welche Recklinghausen noch nicht erwähnt Was endlich das von Recklinghau- sen besonders hervorgehobene Säurefuchsin betrifft, so habe ich dasselbe so angewendet, dass ich die in wässeriger Säurefuchsinlösung gefärbten Schnitte in schwefelsäurehal- tigem Alkohol wieder entfärbte. Dabei bleiben die Kerne roth, während alles übrige Gewebe einen blassgelben oder bräunlichen Ton annimmt Gleich den Kernen, treten in solchen Präparaten die feinen elastischen Fasern in der Bindehaut und Sclera, sowie die kleineren Goncremente durch ihre dunkelrothe Farbe sofort hervor; dasselbe gilt für die degenerirenden Bindegewebsfasern der Sclera. Die ganz dicken, schon zerfallenden elastischen Fasern haben dagegen ihre rothe Farbe abgegeben und erscheinen leicht bräunlich. Dieselbe lichte Farbe konunt den völlig dege- nerirten und in amorphe Schollen verwandelten Bindege- websfasern der Sclera zu und auch die ganz grossen Gon- cremente in der Pinguecula (sowie auch im Arcus senilis) sind nur mehr an ihren Rändern roth gefärbt Es scheint also, dass die hyalinen Produkte, wenn sie älter werden, nun weiteren Veränderungen unterliegen, wodurch ihre Färb- barkeit wieder abnimmt. Die hyalin degenerirten Binde- gewebsfasern der Bindehaut zeigen jedoch schon vom An- fange an dieses Verhalten gegen Säurefuchsin, welches sie bei Zusatz einer Säure wieder fahren lassen und stimmen somit in dieser Beziehung mit den Zerfallsprodukten der anderen hyalin degenerirten Elemente überein. Analoge

12*

180 E. Fuchs.

Tinctionseffecte erhält man, wenn man mit einem Gemenge von gewöhnlicher alkoholischer Fnchsinlösung und von Me- ihylgrün färbt und die Schnitte dann in Alkohol entfärbt.

Die tinctoriellen Eigenschaften der degenerirten Ele- mente der Pinguecula stimmen also, wenn auch nicht in jedem einzelnen Punkte, so doch im Allgemeinen mit den von Recklinghausen aufgestellten Sätzen überein. Dass die Uebereinstimmung keine vollkommene ist, darf uns nicht Wunder nehmen, da ja nach Recklinghausen selbst die Reactionen des Hyalins in gewissem Grade variabel sind. Was die Weigert'sche Behauptung anlangt, dass das Hya- lin zumeist nichts anderes als geronnenes Fibrin sei, so kann ich dieselbe für die Pinguecula nicht bestätigen. Ge- rade die von Weigert selbst angegebene Methode der Fi- brinfarbung liess die degenerirten Gewebselemente der Pin- guecula stets ungefärbt, wenn ich einen einzigen, auf S. 164 angeführten Fall ausnehme.

Das Hyalin steht dem Amyloid nahe und kann eigent- lich nur dadurch mit Sicherheit von demselben unterschie- den werden, dass es dessen charakteristische Reactionen mit Jod und Methylviolett nicht giebt Wenn man aber zuweilen hyaline Substanzen findet, welche diese Reactionen zum Theil und gleichsam angedeutet zeigen, so muss man annehmen, dass man es mit Substanzen zu thun habe, welche auf dem Wege der Umwandlung des Hyalins in Amyloid sich befinden. Recklinghausen hat zuerst die Behaup- tung autgestellt, dass das Hyalin wahrscheinlich eine Vor- stufe des Amyloids sei. Diese Ansicht wurde durch die Be* obachtungen anderer Forscher bestätigt, welche die directe Umwandlung des Hyalins in Amyloid nachwiesen^). Für die Bindehaut selbst wurde der Uebergang hyalin entarteten Gewebes in Amyloidmassen durch Rählmann in einem

') Die einschl&gige Literatur findet sich angegeben bei Yos- siuB: Ueber Amyloiddegeneration der Conjunctira. Ziegler*8 Bei- tr&ge zur pathologischen Anatomie, IT. Band, 1889, S. 340.

Zur Anatomie der Pinguecala. 181

Falle von Amyloiddegeneratioa der Bindehaut dargethan^). Ich habe in der Pinguecula in keinem einzigen Falle wirk- liches Amyloid finden können, welches sich mit Jodlösung braunroth und dann mit Schwefelsäure feuerroth, violett oder blau gefärbt hätte, oder welches durch Methylviolett roth geworden wäre. Dagegen zeigten die ganz grossen Concremente auf die Behandlung mit Jodlösung allerdings zuweilen eine dunkel-braunrothe Farbe (Mahagonyfarbe) im Gegensatze zu dem hellgelb gefärbten umgebenden Gewebe, und diese Färbung wurde auf Zusatz von Schwefelsäure noch intensiver. Die gleiche Farbenreaction wurde einige- mal bei sehr grossen elastischen Fasern und den aus ihnen hervorgegangenen Concrementen beobachtet. Diese Reactiou kommt nun dem reinen Hyalin nicht zu, welches sich durch Jodlösung nicht anders sds das übrige Gewebe färbt Es ist also wohl berechtigt, in diesen letzten Produkten der hyalinen Degeneration bereits den Uebergang in echtes Amyloid zu sehen.

In Bezug auf die Art der Bildung des Hyalins sagt Recklinghausen, dass dasselbe der Hauptsache nach in dem Protoplasma der Zellen sich bilde, möglicherweise erst unter Aufnahme von Eiweisskörpern, welche die Zellen aus dem Blute entnehmen. Bei diesem Processe gehen aber die Zellen selbst zu Grunde; sie verlieren ihre Abgrenzung, schweissen mit benachbarten Zellen zusammen und die Zell- kerne verchwinden. Derselben Ansicht ist Weigert. Er sieht das Hyalin als geronnenes Fibrin an', welches das Zellprotoplasma aus dem Blute aufgenommen hat und wel- ches dann innerhalb der Zellen geradeso gerinnt wie bei der Blutgerinnung; die Zelle selbst stirbt dabei ab (Coagu- lationsnecrose). Es ist also auch nach Weigert mit der hyalinen Degeneration nothwendig ein Untergang der Zellen

^) Zar Lehre der Amyloiddegeneration der Bindehaat. Archiv für Aagenheilkaode, X. Band, S. 129.

182 £• Fachs.

Terbanden, welcher sich durch das Verschwinden der Zell- keme und durch das Zusammenbacken benachbarter Zellen zu amorphen Massen kundgiebt

Beide Autoren sind somit darin einig, dass das Hyalin im Zellprotoplasma selbst entstehe und dass die Zelle da- bei als solche zu Grunde gehe. Wie verhalt sich dies bei der Pinguecula? Was zunächst die Entstehung des Hyalins anbelangt, so sind es allerdingB, in Uebereinstimmung mit Recklinghausen und Weigert, die zelligen Elemente selbst, welche degeneriren. Die Bindegewebsfasern der Binde- haut und der Sdera, sowie die elastischen Fasern ver- grössem sich und nehmen hyaline Beschaffenheit an. Da- neben kommt aber auch eine Ausscheidung freien Hyalins zwischen die zelligen Elemente vor, welche letztere dabei unverändert bleiben. Dies ist der Fall bezüglich der amor- phen hyalinen Schollen, welche zwischen den Bindegewebs- fasern der Bindehaut abgelagert werden und bezüglich der Concremente, welche den Arcus senilis bilden. Letzterer gehört zwar nicht zur Pinguecula, stimmt jedoch in gene- tischer und histologischer Beziehung so sehr mit gewissen Bildungen in letzterer überein, dass er hier auch mit an- geführt werden muss. Weder die amorphen Massen in der Bindehaut, noch die Concremente des Arcus senilis sind etwa aus hyalin zerfallenen zelligen Elementen hervorge- gangen, sondern liegen frei zwischen den unversehrten Fä- ssern der Bindehaut und der Hornhaut.

In Bezug auf den zweiten Punkt, den Untergang der hyalin entarteten Zellen, sehen wir das gleiche in der Pinguecula. Die vergrösserten elastischen Fasern zerfallen, sobald sie ein gewisses Volumen erreicht haben, in form- lose Bruchstücke; noch schneller tritt der Zerfall in ein- zelne Schollen bei den entarteten Bindegewebsfasern der Sclera ein. Was aber die hyalin degenerirteh Bindegewebs- fasern der Bindehaut anlangt, so habe ich einen wirklichen Zerfall derselben auch bei weit gediehener Degeneration

Zur Anatomie der Pinguecula. 183

nicht sehen können. In den Läppchen, welche aus derarti- gen Zusammengelegten Fasern gebildet sind (Fig. 6), haben sich die Fasern wohl auf das Vielfache ihres Volumens ver- dickt, aber dennoch sind die Contouren jeder einzelnen Fa- ser scharf und ihre Kerne wohl erhalten.

Es verhalten sich also sowohl in Bezug auf den Ent- stehungsort des Hyalins als in Bezug auf die Folgen der Entartung nicht alle Qewebselemente der Pinguecula gleich; wir sehen Hyalin innerhalb und ausserhalb der Zellen ent- stehen; wir sehen diese dabei zu Grunde gehen oder be- stehen bleiben. Ich möchte darum nicht glauben, dass sich in der Pinguecula mehrere völlig von einander verschiedene Processe absi)ielen. Dagegen spricht die Gleichartigkeit der Aotiologie, sowie der Endprodukte der Entartung. Ich meine vielmehr, dass der Process der Hyalinbildung nicht immer genau derselbe ist, sowie auch die dadurch gebildete Substanz, das Hyalin, nicht immer genau dieselben Reao* tionen zeigt. Man beobachtet ja Aehnliches auch in Bezug auf die Bildung des Amyloids. Eine Reihe von Beobach- tern behauptet die Entstehung desselben im Zellprotoplasma, während andere, nicht weniger geübte Untersucher behaup- ten, dass der amyloide Process nie von den Gewebszellen ausgehe, sondern sich stets auf die Zwischensubstanz be- schränke. Es ist daher wohl sehr wahrscheinlich, dass so- wohl das Eine wie das Andere stattfinde, eine Ansicht, wel- cher auch Recklinghausen beipflichtet^). Wenn dies nun für das Amyloid richtig ist, warum soll dies nicht auch für das Hyalin möglich sein, welches doch dem Amyloid so nahe steht. Ich halte also an dem fest, was aus den Prä- paraten der Pinguecula hervorgeht, dass nämlich hier das Hyalin sowohl innerhalb der Zellen ab auch ausserhalb derselben gebildet wird.

Die Bildung des Hyalins in der Pinguecula ist die Folge der combinirten Wirkung der Senescenz des Gewe-

>) 1. c. S. 401.

184 E. Fuchs.

bes und der äusseren Schädlichkeiten. Ich werde mich be- mühen, zu zeigen, dass dieselben Factoren sowohl im Augo als auch in anderen Körpertheilen zu gleichen Bildungen führen können.

Was zunächst dieSenescenz anlangt, so bietet gerade das Auge zahlreiche Beispiele, dass infolge derselben Hya- linbildung auftritt. Ich erinnere zunächst an den oben er- wähnten Arcus senilis. Ausserdem betrifft die Hyalinbil- düng Tor allem die Glashäute: Descemet'sche Membran, Glashaut der Aderhaut und des Giliarkörpers, Linsenkapsel. Diese Membranen zeigen sowohl eine diffuse Verdickung, als auch umschriebene Auflagerungen, wie z. B. die drusigen Auswüchse der Descemet'schen Membran und der Glashaut der Chorioidea, welche von Recklinghausen geradezu als Paradigmata der hyalinen Degeneration angeführt wer- den. Zu den senilen Veränderungien gehört femer die Ver- dickung der Stützfasern der Netzhaut (Kuhns) und die hyaline Entartung des Bindegewebes der Ciliarfortsätze ^),

>) Frau Dr. Kerschbaumer sagt (Arch. für Ophth. XXXIV, 3, S. 24) : ,,In manchen Fällen nimmt das Bindegewebe der Ciliarfort* Sätze einen homogenen Charakter an und man findet dann, dass die Ciliarfortsätze sowie der Bindegewebssaum zwischen diesen und dem Musculus ciliaris zum Theil seltener ganz aus einem homo- genen hyalinartigen Bindegewebe besteht." Ich kann diese Angabe dahin ergänzen, dass man eine hyaUne Entartung des Bindegewebes der Ciliarfortsätze stets an bestimmten Stellen besonders ausgeprägt findet. Die äussersten Spitzen der Ciliarfortsätze werden nämlich durch secundäre Erhebungen gebildet, welche durch einen schmä- leren Isthmus mit der Hauptmasse des Ciliarfortsatzes zusammen- hängen. Das Bindegewebe dieses Isthmus ist es nun, welches vor Allem die hyaline Degeneration zeigt und zwar sind es wieder haupt- sächlich die in demselben central verlaufenden Bindegewebsbfindel, während die peripheren, unmittelbar unter der Glasmembran liegen- den davon verschont bleiben. Ferner sieht man die hyaline Ent- artung auch in den weiter rückwärts sich anschUessenden, kleineren secundären Erhebungen, welche den Firsten der Ciliarfortsätze auf- sitzen.

Zur Anatomie der Pinguecula. 185

sowie der Gefasswandungen in denselben (Kerschbaumer); endlich auch, bei seniler Cataract, die Abscheidung hyaliner Kugeln (der Morgagni'schen Kugeln) aus den Linsenfasem. Auch im Sehnerrenkopfe kommen zuweilen hyaline Massen vor. Von hyaliner Degeneration in anderen Körpertheilen als Folge einfacher Senesoenz führe ich hier nur die. Beob- achtung von J. Neumann über die senilen Veränderungen der Haut an^). Derselbe fand, dass in der Haut von Grei-; sen die Faserbündel der Cutis durch glasartige Verquellung ganz homogen geworden sind.

Wenn nun auch die Senescenz des Bindehautgewebes eine der Ursachen der Pinguecula ist, so ist sie doch nicht die einzige. Es müsste sich dann diese Degeneration in gleichmässiger Weise rings um die Hornhaut erstrecken. Beim Arcus senilis ist dies thatsächlich der Fall Da die Pinguecula' sich aber nur im Lidspaltenbezirke entwickelt, so muss den äusseren Schädlichkeiten, welchen dieser Bezirk ausgesetzt ist, eine Rolle hierbei zugeschrieben wer- den. Ich sehe dieselben als die veranlassende Ursache an, während die senile Beschaffenheit des Gewebes die prädis- ponirende Ursache darstellt, welche für die Einwirkung der äusseren Schädlichkeiten den Boden vorbereitet. Dieses be- steht vielleicht in der Verlangsamung des Stoffwechsels in den alternden Geweben, wodurch die Abscheidung eines un- löslichen Ei Weisskörpers, wie das Hyalin es ist, begünstigt werden muss. Das Auge selbst bietet noch andere Bei- spiele, welche zeigen, dass in Geweben mit herabgesetzter Ernährung durch äussere Schädlichkeiten hyaline Ablage- rungen entstehen. Das auffälligste Beispiel dieser Art ist die bandförmige oder gürtelförmige Hornhauttrübung. Dieselbe befällt in der Begel solche Augen, welche durch Glaucom oder Iridocyclitis erblindet sind, welche also eine

^) Ueber die senilen Yerftnderangen der Haut des Menschen: Bericht der Wiener Academie der Wissensch., 59. Band, 1. Abth., 1869, S. 47.

180 £• FochB.

schwere Schädigang ihrer Emähmng erfahren haben. Dass diese auch die Hornhaut betrifft, wird bewiesen durch die Trübung und Unempfindlichkeit derselben, durch die gele» gentlidie bläschenförmige Abhebung des Epithels u. s. w. Wenn die gürtelförmige Hornhauttrübung ausnahmsweise sonst gesunde Augen befallt, so handelt es sich stets um Personen im oder nahe dem Oreisenalter. In diesen Augen $klso, welche entweder durch Krankheit oder Senesoenz we- niger widerstandsfähig geworden sind, entwickelt sich die gürtelförmige Hornhauttrübung, und zwar in einem Bezirke der Hornhaut, welcher seiner Lage nach der Pinguecula entspricht Sowie diese nicht im horizontalen Meridian des Auges, sondern etwas tiefer liegt, so zieht auch die gürtel- förmige Hornhauttrübung stets unter der Mitte der Pupille vorbei und entspricht genau der Lage der Lidspalte bei zugekniffenen Augen. Es ist daher kein Zweifel, dass sie in jenem Theile der Hornhaut sich entwickelt, welcher am andauerndsten der Einwirkung der Kälte, des Windes, Stau- bes u. s. w. ausgesetzt ist. In der gürtelförmigen Hornhaut- trübung findet man nebst Verkalkungen auch hyaline Gon- cremente. Ooldzieher^) hat dieselben zuerst als CoUoid- häufen beschrieben, ohne deren chemische Reactionen näher anzuführen. Ausführlicher besdiäftigt sich Bock') mit der gürtelförmigen Hornhauttrübung und erwähnt neben Ver- kalkungen auch Concremente colloider Beschaffenheit. Er nennt nämlich jene Concremente so, welche sich zum Un- terschiede von den Verkalkungen unter der Einwirkung von starken Säuren nicht verändern. Manche der von Bock beschriebenen Concremente erinnern nach seiner Beschrei- bung ganz an die grösseren Concremente der Pinguecula. Sie haben einen hellen Schimmer, der bisweilen ins Grün- liche oder Bläuliche übergeht Meist haben sich ihre Rän-

*) Centralbl. far Augenheilkonde heraosgeg. von Hirschberg. 1879. S. 2.

*) Zar Kenntniss der bandförmigen Homhanttrabung. Wien 1887.

Zur Anatomie der Pinguecula. 187

der mit den Anilinfarben stark inhibirt, während die eigent- liche Substanz ungefärbt bleibt (vergl. S. 153 dieser Ar- beit). Ich selbst besitze ältere Präparate von einem Auge mit gürtelförmiger Hornhauttrübung, welches die gleichen hyalinen Concremente zeigt

Länger bekannt als bei der gürtelförmigen Hornhaut- trübung sind die hyalinen Concremente in alten Homhaut- narben. Wir wissen, dass diese mit der Zeit oft eine gelb- liche Farbe annehmen, namentlich an solchen Stellen, welche besonders der Luft ausgesetzt sind, wie z. B. die hervor- ragendsten Theile eines Hornhautstaphyloms. Wir haben also auch hier die beiden Bedingungen, herabgesetzten Sto£F- wechsel und äussere Schädlichkeiten, vereinigt. Diese gel- ben Flecken wurden früher in der Regel als Fettbildung angesehen. Saemisch^) giebt aber schon eine Abbildung, welche zeigt, dass an solchen Stellen sowohl im Epithel als im Stroma der Hornhaut stark lichtbrechende Massen liegen, welche nicht Fett, sondern „wohl coUoider Natur" sind. Genauer werden solche Cgncremente in alten Hom- hautnarben von Wedl und Bock^) beschrieben. „Sie sind glatt, von homogener Beschaffenheit, starker Reflexion, oval, ellipsoidisch, nierenformig, höckerig, von verschiedener Grösse, farblos oder bei Aufnahme von Farbstoffen gelblich, gelb- röthlich oder bräunlich, resistent gegen das schneidende Messer, zeigen keine amyloide Reaction, widerstehen kalten Säuren und Alkalien, wenigstens bis auf eine gewisse Zeit." Aehnliche Concremente fand Beselin') in einem Hornhaut-

^) Handbuch der Augenheilkunde, herausgeg. von Graefe und Baemisch, lY. Band, S. 206.

>) Pathologische Anatomie des Auges. Wien 1886. S. 43.

*) Amyloid in der Cornea eines staphylomatösen Auges. Archiv für Augenheilkunde, XVI. Band, 1886, S. 130. Die von Beselin beschriebenen Concremente worden durch Jod mahagonybraun ge- i&rbt. Beselin h&lt sich auf Orund dieser einzigen Reaction fOr berechtigt, dieselben für Amyloid zu erklären. Ich möchte nicht so weit gehen, sondern glauben, dass es sich um Hyalin handelte, wel-

188 E. Fuchs.

fitaphylom« Ich selbst besitze Präparate von Hornhautnar* ben, welche makroskopisch jene gelbe Färbung zeigten und unter dem Mikroskope die hyalinen Concremente in den oberflächlichen Lagen der Hornhaut erkennen liessen. Das Gleiche gilt von einem Falle, von welchem Herr Dr. Czer- mak, Assistent au meiner Klinik, Präparate anfertigte^).

Hyaline Ablagerungen sind auch noch bei anderen pathologischen Processen in der Hornhaut beobachtet wor- den, namentlich nach Verletzungen. Diese Fälle sind jedoch sowohl ätiologisch als in Bezug auf den mikroskopischen Befund so sehr von den bis jetzt betrachteten verschieden, dass ich mich nicht näher darauf einlasse. Ich verweise auf Yossius^), welcher das bis jetzt darüber Bekannte anführt.

Die Pinguecula besteht also in einer Verdick- ung der Bindehaut, an welcher eine hyaline Ent-

ches im Begriff stand, sich in Amyloid umzuwandeln, welcher Pro«- cess wahrscheinlich sehr langsam vor sich geht. Dass ähnliche Massen auch in der Pinguecula vorkommen , wurde auf S. 154 be- sprochen. Schiele (Archiv für Augenheilkunde, XIX. Bd., S. 277), sieht alle Massen, welche sich mit Jodlösung mahagonybraun färben, ohne die weiteren Amyloidreactionen zu geben, fttr Olycogen an. Er h&lt daher auch die von Beselin beschriebenen Concremente für Glycogen. Beselin verwahrt sich gegen diese Auffassung (Arch. für Augenheilk., XX. Band, S. 90) und ich möchte dasselbe thun bezaglich jener Concremente in der Pinguecula, welche durch Jod mahagonybraun werden. Es geht nicht an, dieselben als Glycogen anzusehen, denn erstens sind dieselben nicht wie Glycogen zähflüs- sig, sondern starr und brüchig und zweitens lösen sie sich nicht wie Glycogen in Glycerin oder Wasser auf. Ich habe manche Binde- häute mit Pinguecula viele Monate lang in grösseren Mengen von Glycerin aufbewahrt, ohne dass die Concremente in demselben die geringste Veränderung erfahren hätten.

^) Die Concremente gaben in diesem FaUe einerseits die Reac- tion des Hyalins, andererseits aber auch die Blaufärbung mit Gen- tianaviolett nach der von Weigert für das Fibrin angegebenen Methode.

») Archiv für Ophthalm. XXXV, 2, 8. 207.

Zur Anatomie der Pinguecula. 189

artung der Gewebselemente, sowie die Ablagerung freien Hyalins wesentlichen Antheil hat. Die Ur- sachen dieser Entartung sind die senilen Verän- derungen des Gewebes zusammen mit dem Einflüsse äusserer Schädlichkeiten. Dieselben Bedingungen führen auch in der Hornhaut zu ähnlicher hyaliner Entartung (Arcus senilis, gürtelförmige Hornhaut- trübung, gelbe Flecken in Hornhautnarben). Eine andere wichtige Veränderung der Bindehaut an der Stelle der Pinguecula besteht in der ausserordent- lichen Vermehrung und Vergrösserung der elasti- schen Fasern, für welche ich aber keine Analogie, sei es im Auge, sei es an anderen Organen anzu- bringen vermag.

Erklärung der Zeichnungen. Tafel rv und V.

Fig. 1. Yergr. 1:3. Scieralbindehaut mit Pinguecula, ab- pr&parirt und ausgebreitet. Es befindet sich eine grössere Pinguecula an der inneren, eine kleinere an der äusseren Seite der Hornhaut, welche am unteren Homhautrande zusammen- hängen. Bei a einige isolirte, scharf begrenzte L&ppchen, aus hyalinem Bindegewebe bestehend.

Fig. 2. Yergr. 1:280. Amorphe hyaline Substanz, a in feinen, staubartigen Partikelchen, h in etwas grösseren Körnchen, e zu Schollen zusammengebacken auf den Bindegewebsfasern d liegend.

Fig. 3. Vergr. 1 :2ö0. a kleine Schollen hyaliner Substanz, h und c junge Concremente, welche noch deutlich die Zusammen- setzung ans einzelnen Schollen erkennen lassen, d ein grösse- res und älteres Goncrement.

Fig. 4. Yergr. 1 : 500. Arcus senilis, a Homhautepithel, an einer Stelle zwischen den untersten Zellen ein Goncrement ein- schliessend, h h^ Bowman'sche Membran, welche bei h von grösseren Concrementen an ihrer hinteren Fläche usurirt ist,

190 £. Fuchs.

bei bj in Folge der Gegenwart feiner Ck>ncremente wie be* staubt aussieht, cc Stroma der Hornhaut, d ein awischen den Homhautlamellen liegendes Goncrement

Fig. 5. Yergr. 1:350. Hyalin degenerirte Bindegewebsfasern aus dem subconjunctivalen Bindegewebe.- a Bindegewebsfasern im Beginne der Verdickung &, c stark verdickte, hyaline Fa- sern, S förmig zusammengelegt; bei b körnige Trübung der hyalinen Substanz, d Endothelh&utchen mit Kernen.

Fig. 6. Yergr. 1:42. Läppchen» hyalinen Bindegewebes, im lockeren subcoigunctivalen Bindegewebe gelegen. Die grösse- ren L&ppchen sind aus mehreren kleinen zusammengesetzt, z. Bl das L&ppchen a aus zwei kleineren. Bei b sieht man das die L&ppchen umhüllende Endothelh&utchen, welches bei c auf den Stiel des L&ppchens übergeht. Bei d zeig^ die an der Peripherie des L&ppchens gelegenen Bindegewebs- fasern concentrische Lagerung, e gemeinschaftlicher Stil der L&ppchen.

Fig. 7. Yergr. 1:450. Hyalin, entarte te Scleralfasern. a Meridionale Scleralfasern, b quer geschnittene, circul&re Scle- ralfasern, c beginnende hyaline Degeneration derselben, d grös- sere hyaline Scholle.

Fig. 8. Yergr. 1:300. Elastische Fasern in der Bindehaut; a mehrere bereits etwas verdickte Fasern parallel verlaufend.

Fig. 9. Yergr. 1:300. L&ppchen, aus elastischen Fasern bestehend. Auf der einen Seite hat das L&ppchen seine natürliche scharfe Begrenzung, auf der anderen ist das Faser- gewirre durch Zerzupfen aufgelöst

Fig. 10. Yergr. 1:300. L&ppchen, aus dickeren elastischen Fasern von ziemlich gleichem Galiber bestehend.

Fig. 11. 1:300. Yerdickte elastische Fasern, in ZerÜEill be- griffen, a a Fasern, welche wie angenagt aussehen, b b Fa- sern, welche aus einem, stark tingirten, centralen Strange und aus einer schw&cher gefärbten mantelartigen Hülle bestehen, g&nzlich zerfallene Fasern.

Fig. 12. Yergr. 1:560. Grosse elastische Faser mit L&ngs- streifung.

Fig. 13. Yergr. 1 : 500. Elastische Fasern in der Sclera. aaa spiralig gewundene Fasern, b sehr verdickte und hyalin entartete Faser, welche an dem einen Ende in einzelne Bruch- stücke e zerfällt.

Zar Anatomie der Plnguecala. igi

Fig. 14. Yergr. 1:120. Meridionaler Schnitt darch eine Pin- guecula. JE Epithel der Bindehaut, B Bindehaut, Ep Epi- sclerales Bindegewehe, S Sclera, E^ Epithel der Cornea, C Cornea. 1 Epithel, 2 verdichtete Bindehaut, 3 L&ppchen der Pinguecula, 4 hyaline Bindegewehsfasem, 5 lockeres sub- conjunctivales Gewebe, 6 episclerales Gewebe mit elastischen Fasern, 7 elastische Fasern in der Sclera. Bei a Faltung der Bindehautoberfl&che, durch das Epithel ausgeglichen, unter b kleine Concremente, unter c ein grösseres, unter d ein halbmondförmiges Concrement, welches neben sich ein offenes Lumen hat, e Uebergang der Bindehaut in die obersten Lagen der Hornhaut, f grosse elastische Fasern,. theil weise zerfallen.

Fig« 15. Yergr. 1:300. Epithel in den Einsenkungen der Ober- fläche der Pinguecula, a niedrige Basalzellen, h mittlere poly- gonale Zellen, c oberste cubische Zellen.

Fig. 16. Yergr. 1:300. Epithel auf den Erhebungen der Ober- fläche der Pinguecula.

Beiträge zur Entstehnngsgescliichte der angeborenen Missbildongen des Anges.

Von

Dr. 6. Rindfleisch, Assistenzarzt an der Unlversit&ts-Augenklinik zu Heidelberg.

Hierzu Tafel VI— VUI und 4 Figuren im Text,

I.

Ein Fall von beiderseitigem Idkrophthalmos mit

oystisoher Eotasia posterior«

Die Frage nach der Entstehung des Mikrophthalmus hat durch eine Reihe hervorragender Arbeiten besonders in der neuesten Zeit eine wesentliche Förderung erfahren, jedoch geht aus der noch immer herrschenden Verschieden- heit ihrer Beantwortung immittelbar hervor, dass sie noch keineswegs als endgültig gelöst zu betrachten ist. Auch wenn wir darauf verzichten, für den uncomplicirten Mi- krophthalmus, der ja in mehreren Fällen sicher beob- achtet, aber von den Autoren selbst gar nicht oder doch nur unbefriedigend gedeutet worden ist (Anm. ^ *) eine

{}) Falchi (Mikroft. congenito: Annali di OtUlmoL XIII. S. 213), beschreibt einen Mikrophthalmus ohne Colobom und knüpft daran die auffallende Behauptung: „Che il maggior numero di mikrof- talmo congenito fu osservato senza presentare coloboma della coroi- dea e dell* iride, della retina e del nervo ottico." Eine befrie- digende Erklärung für das Zustandekommen solcher Fälle giebt er nicht.

Beitr. z. EnUtehongsgesch. der angeb. MUsbildungen des Auges. 193

Erklärung zu suchen, so stösst die Erforschung der ge- wöhnlichen Formen von Zwergbildung des Auges, d. h. derjenigen, welche mit Colobom bezw. hinterer Ectasie ge- ringeren oder höheren Grades verbunden sind, noch immer auf manches Räthselhafte. Es dürfte daher ein neuer Fall von beiderseitigem Mikrophthalmus um so mehr das Inter- esse der Fachgenossen verdienen, als derselbe nicht nur einem verhältnissmässig jungen menschlichen Fötus ent- stammt, und mit einem ungewöhnlich hohen Grade und einer seltenen Form von Ectasia posterior complicirt ist, sondern auch bezüglich seiner Entstehungsweise auf ein bis jetzt noch wenig berücksichtigtes Moment zurückge- führt werden muss.

Ich verdanke das vorliegende Object der Güte meines Onkels, des Professors E. Bindfleisch za Würzbarg, welcher zufällig Gelegenheit hatte, einen in vielfacher Hinsicht höchst eigentbümlichen Foetns zu erlangen, dessen übrige ausführliche Beschreibung er sich vorbehalten hat, während er mir die Un- tersuchung der Augen überliess. Soweit das Sectionsprotocoll für den Oculisten von speciellem Interesse ist, soweit es also den Kopf betrifft^ sei es hier in Kürze vorausgeschickt:

„Der Umfang des fast kugligen Kopfes betrug 41 cm. doch fand sich ein Erguss von Blut zwischen Haut und Galea, Der Umfang des Schädels betrug nur 32 cm. Die Entwicke-

(*) C. Hess (Zur Pathogenese des Mikrophthalmus: dieses Arch. XXXIV, 3, S. 147), welcher die erste genauere histologische Be- schreibung eines reinen Falles von Mikrophthalmus giebt, sagt be- züglich der Genese desselben: „Für eine Erklärung fehlt uns vor der Hand jeder Anhaltspunkt.'*

(') Fr. Martin (Ueber Mikrophthalmus: Inaug.-Diss. Erlangen 1888), meint im Anschluss an die Beschreibung zweier wohlgebildeter Augen, welche nur durch ihre Kleinheit abnorm waren, man müsse für solche Fälle eine „verminderte Bildungsenergie'* annehmen, und

(^) W. V. Grolman (Ueb. Mikrophthahnus und Cataracta conge- nita vasculosa: dieses Archiv XXXY, 3, S. 187) gesteht zu, dass für seinen Bulbus, welcher gleichfalls einen Mikrophthalmus ohne Colo- bom repr&sentirt, „die Frage, ob ein Entzündungsproduct oder eine Hemmung$bildung vorliegt, nicht mit Sicherheit zu entscheiden ist."

T. Onefe's Archiv Ar Ophthalmologie. XXXVII. 3. 13

194 G. Rindfleisch.

lang des Gehirns erwies sich in allen Theilen durch eine hy- drocephalische Flüssigkeitsansammlang gestört, welche sich am Yentrikelsjstem und durch den grossen Hirnspalt einen Weg an die äussere Oberfläche der Hemisphären gebahnt und das Kleinhirn in eine hühnereigrosse Blase verwandelt hat. Wäh- rend nun die letztere sich mit ihrer Oberfläche innig an die Schädelkapsel anlegte, erschienen die Hemisphären des Gehirns durch einen subarachnoidalen Flüssigkeitserguss von der Schä- delfläche abgedrängt. Zu dem Hydrocephalus internus hatte sich also ein Hydrocephalus externus gesellt. Durch diese Cu- mulation centrifrugaler Druckkräfte ist der Schädel aufs stärkste ausgedehnt. Die Ossification hat zwar an den normalen Ossi- flcationspunkten begonnen, ist aber überall weit im Rückstande geblieben.

Alle Unebenheiten der Schädelbasis: Sattellehne, Kanten der Keilbeinflügel sind durch den abnormen Druck des Schä- delinneren fast nivellirt. Die Orbitaldecken sind nicht convex nach oben, sondern leicht concav nach unten gebogen; kurz, der ganze Schädelraum strebt der Form einer inwendig glatten Kugel zu, so dass über den Bestand eines mächtigen Binnendruckes als einzige Ursache der ganzen Yei^ änderung kein Zweifel bestehen kann/^

Da der 6 7 Monate alte Foetus vor der künstlich eingeleiteten Geburt nach Angabe der Mutter bereits drei Wochen keine Lebenszeichen von sich gegeben hatte und sein Aussehen nach der Entbindung ein längeres Verweilen in Utero in leblosem Zustande bestätigte, liessen die fei- neren histologischen Details der mikroskopischen Präparate des Auges naturgemäss manches zu wünschen übrig. Immer- hin konnte alles Wesentliche der merkwürdigen keratolo- gischen Bildung genügend klar zur Anschauung gebracht werden.

In situ fiel am Foetus, der vom Scheitel bis zum Steiss- bein 35 cm maass, zunächst die Enge der Lidspalten auf. Die Länge derselben betrug 9 mm, nach beiden temporalen Seiten hin setzten sie sich in eine Hautfalte fort, welche, genau horizontal ziehend, das Gebiet des ausgedehnten Hirn- schädels von dem des Gesichtsschädels trennte. Die Lider,

fieitr. z. Entstehangsgesch. der angeb. Missbildangen des Auges. 195

welche, von aussen gesehen, tief eingezogen waren, kenn- zeichneten sich, von der Innenseite betrachtet, als zwei schmale, quere Leisten. Die vorderen Lidränder, sowohl die oberen, als die unteren trugen je eine Reihe feiner Ci- Uen; auch waren die Augenbrauen bereits angedeutet. Durch ausgiebiges Auseinanderziehen der nur leicht verklebten Lidränder konnte man links den weit in der Orbita zurück- gelegenen sehr kleinen Augapfel gewahren; der Inhalt der rechten Orbita war, als ich den Foetus zu Gesicht bekam, bereits in toto herausgenommen und zur Herstellung eini- ger wohlgelungener Horizontalschnitte verwendet worden.

Das linke Orbitaldach, welches, wie schon oben erwähnt, leicht convex in die Augenhöhle hineinragte, trug ich ab: Eis maass vom Foramen opticum bis zur vorderen Kante ca. 20 mm, die Orbita war hier 12 mm breit und 9,5 mm hoch.

Die rechte Augenhöhle bot dieselben Form- und Grös- senverhältnisse dar.

Nach Herausnahme des ganzen Orbitalinhaltes, liess sich eine gute Ausbildung der gesammten Augenmuskulatur nachweisen. Zur genaueren Betrachtung der Form des Bul- bus befreite ich ihn von sämmtlichen Adnexis und härtete ihn so in allmälig verstärktem Alkohol, zumal mir über die histologische Structur der Muskeln und des peribulbäreu Gewebes die vom anderen Auge vorliegenden Schnitte ge- nügenden Aufschluss zu geben geeignet waren.

Das so frei präparirte Gebilde abgesehen von einem längeren Stück des Sehnerven ^ misst in der längsten sagittalen Axe 14 mm, in seiner grössten queren Axe 11mm, der grösste verticale Durchmesser beträgt 8 mm. Es lassen sich an ihm zwei Anschwellungen unterscheiden, deren vordere als der eigentliche Augapfel, deren hintere als ein Anhängsel dieses imponirt (vergl. Fig. la).

Von der nasalen Seite aus betrachtet, kann man deut- lich die Grenzen des Anhangsgebildes nach oben hin ver-

13*

196 G. Rindfleisch.

folgen, indem von ihm hier die Fortsetzung des Sehnerven nach dem Bulbus zu durch eine seichte Furche getrennt ist (vergl. Fig. 1 a bei f). An der gegenüberli^enden, also temporalen Seite ist diese Furche kaum angedeutet Die obere Seite des Bulbus ist vom Sehnerven bis zum Forniz conjunctivae hin abgeflacht bezw. leicht concav; auch die untere Fläche ist nur ganz flach gewölbt, während die bei- den Seitentheile sehr stark convex herausgekrümmt sind, so dass das ganze Gebilde etwa die Form einer in der Richtung von oben nach unten zusammengedrückten Birne wiedergiebt *).

Ueber die gröbere Zusammensetzung des Augeninneren giebt ein durch den grössten verticalen Meridian gelegter Halbirungsschnitt, welcher den Sehnerven da dieser etwas nach innen von der grössten sagittalen Längsaxe abweicht nur am Rande gestreift hat (vergl. Fig. 2, Vergr. 4:1) Aufschluss. Die oben leicht concav begrenzte Sclera ist vom (bei a) staphylomähnlich hervorgebuchtet und fällt auf der Vorderseite des Bulbus steil und etwas nach hinten geneigt gegen die Cornea ab. Die Dicke der Sclera be- trägt auf ihrer horizontalen Strecke 0,7 mm, im Bereiche der Ectasie hingegen nur 0,4 0,6 mm. Auf der Unterfläche des Bulbus ist die Lederhaut mehr bestrebt, diesem eine kugelige Gestalt zu verleihen, doch schliesst sie ihn nicht vollständig ab, sondern lässt in seiner Hinterwand eine weite Lücke frei, durch welche eine offene Communication des Augapfels mit einem hinter ihm liegenden Räume her- gestellt wird. Die äusseret Schichten des unteren Sderal- theils weichen (bei b) von dem aufsteigenden Scleralbogen

^) Es scheint mir nicht überflüssig zu bemerken, dass die be- schriebene Einziehung nach der Form, in welcher sie beim Pr&pa- riren des Bulbus hervortrat, nicht das Product einer nachtr&glichen Schrumpfung durch Alkohol vorstellen kann, wie überhaupt eine erhebliche alkoholische Schrumpfung am Bulbus mit Sicherheit aus- zuschliessen war.

Beitr. z. EntstehmigsgeBch. der angeb. Missbilduogen des Auges. 197

ab, um sackartig jenen retrobulbären Raum zu umschlies« sen, welcher auf der Schnittfläche eine si^ittale Ausdeh- nung von ca. 6 mm, vorn eine Höhe von 3 mm aufweist, wäh- rend er sich nach hinten zu verjüngt, bis er blasenartig unter dem Sehnerven (bei c) endet Nach vom zu bildet er unten noch einen niedrigen Nebenraum, mit mehreren Ausbuchtungen, welcher von dem aufsteigenden Scleralbogen und den sich abzweigenden äusseren Schichten der Leder- haut begrenzt wird. Sowohl der eigentliche Bulbus, als auch die Cyste sind mit Netzhaut erfüllt« Die von der Gystenwand umschlossene Netzhaut stellt eine Aussackung der secundären Augenblase nach hinten und unten dar.

Die hier vorliegenden Cystenbildungeu bei Mikrophthalmie, welche von van Dayse(^) mit dem Namen „Colobome enkyst^" und „Kyste colobomatenx^' belegt wurden, sind nicht all zu selten zur Beobachtung gekommen, wenn auch nur spärliches histologisches Material darüber vorliegt. £wetzky(^) hat allein 21 FäUe von „Colobomcysten^^ zusammengestellt und bringt ebenso, wie nach ihm H. Virchow(^), Lang(®), Rubinski(^) und C. HessC*^), weitere Mittheilungen hierüber. Besonders möchte ich an dieser Stelle den von C. Hess neuerdings bei einem mit Mikrophthalmus behafteten Kaninchen beobachteten Fall hervorheben, weil er abgesehen von einer etwas aus- gedehnteren ColobombilduDg im vorderen Bulbusabschnitte in mancher Beziehung eine auffallende Uebereinstimmung mit

(*) Van Duyse, Cryptophthalmos 1889.

{^) Ewetzky, Beitrag zur Kenntniss der Colobomcysten. Inaug.« Dlssert. Dorpat 1886.

C) H. Yircbow, Ein Fall von angeborenem Hydrocephalus in- ternus zugleich ein Beitrag zur Mikrocephalenfrage : Aus der Fest* Schrift für A. v. Kölliker. Leipzig 1887.

(") W. Lang, The Royal London Ophthalmie Hospital Reports. Vol. XII. Part IV. 1889.

\^^ Rubinski, Beitrag zur Lehre von den aDgeborenen Cysten des unteren Augenlides mit Mikrophthalmus (Colobomcysten). Inang.- Dissert. Königsberg 1890.

<'®) C. Hess, Weitere Untersuchungen über angeborene Missbil- dungen des Auges: dieses Archiv XXXII, 1, S. 135.

198 G. Rindfleisch.

den meinigen bietet. Auch hier befindet sich am hinteren, un- teren Bulbusabschnitte eine ausgedehnte Ectasie. „Die Grenze zwischen der ectatischen hinteren und der vorderen Bulbus- partie wird durch eine seichte etwas hinter dem Aequator rings um das Auge zu verfolgende Furche angedeutet Der grösste Theil der Ectasie liegt direct nach unten vom Sehner- ven. Die Länge des Auges von der Cornea bis zum Scheitel der Ausbuchtung gemessen, beträgt 19 mm, davon entfallen 9 auf die ectatische Partie. Auch hier zeigt sich nach Eröff* nung des Auges im horizontalen Meridian, dass die Ausdeh- nung am hinteren Pole im Wesentlichen gebildet ist durch eine cjstenartige Höhle, welche in der Sclera gele- gen ist und nur durch eine kleine kreisrunde Oeff- nung mit dem Bulbusinneren in Verbindung steht

Einen so ausgesprochenen Fall von blasenartiger Hervor- treibung der Netzhaut in der ganzen Ausdehnung der Scleral- ectasie wie den meinigen, vermag ich hingegen in der oculisti- schen Literatur bis jetzt nicht zu finden. Ob die von Arlt(^^) und Wal Im an nC^*) beobachteten Divertikelbildungen der Netz- ^haut hierhergehörig sind, möchte ich unentschieden lassen. Man kann jedoch den von Kundrat(^^) im Jahre 1855 in der K. K. Gesellschaft der Wiener Aerzte demonstrirten Fall von bei- derseitigem Mikrophthalmus mit einer grossen und mehreren kleinen Cysten als geringeren Grad des von mir beobach- teten Falles auffassen, denn am linken Auge ragte auch hier in eine kleine Cyste unterhalb des Sehnerveneintrittes gefal- tete Retina hinein. Auch bietet eine gewisse Aehnlichkeit mit meinem Falle der von G. Hess (') beschriebene Mikroph- thalmus mit Einwucherung der Netzhaut in eine zwischen der Gegend des Opticus und der nach hinten dislocirten Linse be- findliche „ampuUenförmige Yorbuchtung der Sclera'*.

Anlangend die übrigen Theile des Bulbus lässt sich schon makroskopisch die Cornea durch ihre blaugraue Farbe von der Sclera diflferenziren. Die Linse weist eine beträcht- liche relative Grösse auf. Ihre Breite beträgt 4,75 mm, ihre

(") V. Arlt, Die Krankheiten des Auges. Bd. II. S. 219.

(<*) Wallmann, Zeitschr. der Gesellschaft der Wiener Aerzte. 1858. S. 445.

(>*) Kundrat, Wiener medlc. Presse, Nr. 6, Nr. 51 n. 52 citirt nach dem Jahresbericht aber die Leistungen etc. Jahrg. 1885.

Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 199

Dicke 4 mm; man kann an ihr einen dunkelbraunen Kern und eine graue Binde letztere etwa 0,4 mm dick» unterscheiden (vergl. Fig. 2). Die vordere Kammer ist aus- gebildet, aber seicht. Vorn über der Linse hat sich durch die erwähnte Vorwölbung der Sclera ein Hohlraum gebil- det, dessen Wandung Yon Aderhaut ausgekleidet ist; letz- tere hat sich aber an der Stelle der stärksten Krümmung etwas abgehoben, lieber den Verlauf des Sehnervenstran- ges giebt der betreffende Durchschnitt noch keinen genü- genden Aufschluss, dodi lässt das continuirliche Uebergehen der Cyste in die äussere Umhüllung des Opticus vermuthen, dass dieselbe an der Bildung ihrer Wand nicht unbethei- ligt ist

Von beiden Bulbushälften wurden nach weiterer Här- tung in absolutem Alkohol und Einbettung in Celloidin yer- ticale Meridionalschnitte paraUel der beschriebenen Schnitt- fläche angelegt und eine fortlaufende Serie nach Färbung Yomehmlich mit Eosin -Hämotoxylin der mikroskopischen Betrachtung unterworfen.

Die histologische Structur der Bindehaut bietet nichts Bemerkenswerthes. Die etwas stark gewölbte Hornhaut zeigt im Centrum einen Dickendurchmesser von genau 1 mm, um nach der Peripherie hin dünner zu werden; ihre Höhe beträgt etwa 3,5 mm, ihre Breite 4 mm. Das Epithel be- steht nirgends aus mehr als drei übereinander liegenden Zellschichten; an den meisten Stellen findet sich sogar nur eine einzige Lage cubischer Zellen, welche von einem nie- drigen Pflasterepithel überzogen ist. Die Schichten der Grundsubstanz zeigen in der oberen Hornhauthälfte auf dem Durchschnitt einen mehr welligen, in der unteren einen gestreckteren Verlauf. Die Dicke der bereits hervortreten- den Descemet'schen Haut mit ihrem Epithelbelage schätze ich auf 2 Sfi, Die Lfederhaut ist in der oberen Bulbus- wand stärker entwickelt, als in der unteren. Ihr Bau ist im Allgemeinen, abgesehen von starkem Kernreichthum, ein

200 0. Rindfleisch.

normaler zu nennen. In dem ectatischen Gebiete sind ihre inneren Lamellen gelockert und gefältelt (vgl. Fig. 3 bei 1), während sie auf der Höhe der Convexität straff gespannt erscheinen. An dieser Stelle ist die Aderhaut, welche im Uebrigen der inneren Scleralwand dicht anliegt, derselben nicht gefolgt, sondern hat sich von ihr abgehoben. Das die Lücke zwischen beiden Häuten ausfüllende Gewebe setzt sich aus netzartig verzweigten Fasern mit zahlreichen Kernen zusammen und repräsentirt die auseinander gezo- gene Suprachorioidea (vergl. Fig. 3 bei m).

Nach hinten setzt sich das seiende Bulbusdach, ohne seine Structur auffallend zu ändern, in. die Duralscheide des Opticus fort. Bis zur Mitte ihrer sagittalen Ausdeh- nung verlaufen die Sderallamellen in stark welliger Rich- tung, während sie weiter nach hinten zu mehr gerade ge- richtet sind. Die den Boden des Bulbus bildende Sclera zeigt einen gleichniässigeren lamellären Bau. Der Kem- reichthum der Sclera ist allenthalben gleich stark ausge- sprochen. Durch Vergleichung der Serienschnitte ergiebt sich, dass die Oeffnung in der Hinterwand des Bulbus um weniges nach innen von seiner sagittalen Mittelaxe begin- nend, hauptsächlich in der temporalen Hälfte liegt und nach dieser Seite hin von 2 bis zu 4 mm an Höhe zunimmt^ indem der aufsteigende Scleralbogen an der nasalen Seite ein viel höherer ist als an der temporalen (vgl. Fig. 3 bei e und 4 bei c). Die quere Weite der ganzen Oeffnung beträgt ca. 3 mm. Die oberflächlichsten Lamellen des Scleralbo- dens, welche von dem aufsteigenden Scleralbogen abzwei- gend in sagittaler Richtung weiter ziehen, um zur Bildung der Wand des retrobulbären Raumes beizutragen, sollen weiter unten Erwähnung finden. Die vordere Kammer ist flach, aber vollkommen ausgebildet^).

^) In Figur 3 erscheint sie durch leichtes Yerschobensein der Linse nach hinten etwas tiefer, als sie vermuthlich vor der Pr&pa- ration war.

Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 201

Die Iris stellt einen allseitig geschlossenen Ringwulst von OTalem Querschnitt dar. Eine Golobombildung ist dem- nach mit Sicherheit auszuschliessen. Die Breite des Ringes, welcher nach unten und aussen etwas geringere Entwicke- lung erüediren hat> als an den anderen Seiten, schwankt zwischen 0,3 und 0,4 mm. Die Iris dürfte also als in ihrer Ausbildung zurückgeblieben zu bezeichnen sein; die pigmen* tirte und unpigmentirte Schichte ist etwa von gleicher Stärke. Ein Sphincter ist noch nicht nachweisbar. Die Pupillar- membran ist auf einzelnen Schnitten angedeutet, doch scheint sie vom nicht geschlossen zu sein. Das Corpus ciliare bie- tet eine kräftige Muskulatur und auffallenden Kernreich- thum. Die Cüiarfortsätze sind stark ausgebildet, sehr lang und blutreich. Sie zeigen eine ausgeprägte Verlaufsrich- tung nach dem Innern des Bulbus zu. Die ziemlich gefäss- reiche Aderhaut reicht oben und seitlich bis zur Gegend der hinteren Oeffnung in normaler Ausbildung; weiter nach hinten zu, also iin Gebiete des retrobulbären Raumes, geht sie ganz allmälig in eine gefässhaltige innere Schicht der Sdera über (vergl. Fig. 3 bei n). Am Boden des Bulbus findet sich lateral von der Mitte ein deutlich hervortreten- des Golobom dieser Membran (vergl. Fig. 4 bei b, schema- tisch), welches von emporsteigenden Gefässchen und locke- rem Mesodermgewebe ausgefüllt ist. Dieses Golobom er- streckt sich nach vom bis gegen den Giliarkörper, ohne dass dieser sich an der Spaltbildung betheiligt. Uebrigens enthält die Aderhaut schon einige leicht pigmentirte Stern- zellen. Eine Suprachorioidea (vgl. Fig. 3 bei p) tritt au der unteren Bulbushälfte mehr als an der oberen hervor. Eine Glaslamelle ist überall nachweisbar, wenn auch strecken- weise nur schwach angedeutet.

Die vollkommen normal entwickelte Linse zeigt in der Gegend des hinteren Pols eine Schicht ovoider, heller bläs- chenförmiger Gebilde, welche ich um so mehr auf catarac- töse bezw. cadaveröse Ursachen zurückführen möchte, als

202 Gt. Kindfleisch.

sich hier und da am hinteren Pole Continuitätstrennnngen der Linsenoberfläche Yorfindcn. Die Linse ist bis auf ihre Vorderfläche von der gefässhaltigen Kapsel umschlossen. Das äussere Blatt der secundären Augenblase erstreckt sich, abgesehen vom Colobomgebiete, wo es ToUkommen fehlt, unten bis an die Baibusöffnung heran als wohlausgebildetes Pigmentepithel. Oben lässt sich dasselbe, wenn auch nicht mehr in der gleichen Ausbildung wie innerhalb des eigent- lichen Bulbus, noch bis zum Eintritt des Sehnerven hin (vergl. Fig. 3 bei b) yerfolgen. Es ist hier in der Gegend der stärksten Einsenkung des Scleraldaches streckenweise durch ein seröses Exsudat abgehoben (vergL Fig. 3 bei a). Unten verliert es von der Kante des aufsteigenden Scle- ralbogens ab (vergl. Fig. 3 bei e) sein Pigment, doch sind die constituirenden Elemente des äusseren Augenblasenblat- tes auch hier noch bis zum Sehnerven verfolgbar, wenn si» auch auf diesem Wege erhebliche Veränderungen erfahren haben. Das innere Blatt der secundären Augenblase also die Netzhaut im engeren Sinne hat sich fast voll* kommen vom Pigmcntblatte abgehoben und gefaltet. Sie steht mit diesem nur am Sehnerveneintritt (vergl. Fig. 3 bei b und b*) und am Ciliarkörper ^) in Verbindung. Oben ist die vorderste Strecke der Netzhaut mit der gefässhalti- gen Linsenkapsel verklebt und zieht auf dieser entlang bis in die Gegend des hinteren Linsenpols, wo sie am Ansätze der Centralarterienverzweigung (vgl. Fig. 3 bei d) umbiegt, um von da zum Sehnerven hinzuziehen. Der untere Theil der Retina liegt der Linsenkapsel weniger dicht an, dage- gen werden von ihm vorwiegend die zahlreichen Falten und Fältchen geliefeit, welche das Bulbusinnere fast vollkommen

^) Am Pr&parat war durch die erw&hnte YerschiebuDg der Linse Dach hinten der Ansatz der Retina am Cillarkörper abgerissen, doch konnte die Ansatzstelle (vergL Fig. 3 bei c und c') mikroskopisch sicher nachgewiesen werden; deshalb wurde in Figur 3 diese Ter- bindang durch Punktlinien angedeutet.

Beitr. z. Entstehangsgesch. der angeb. Mifisbildangen des Auges. 203

ausfüllen (yergl. auch Fig. 2). Dächte man sich diese Fal- tungen ausgeglichen, so vrürde die Netzhaut eines weit grösseren Bulbus bedürfen, um in ihm eine normale Lage annehmen zu können. Gentralwärts zieht die Netzhaut über den Rand des aufsteigenden Scleralbogens hinweg, um in der nasalen Hälfte des Bulbus sich direct dem Sehnerven- eintritt zuzuwenden, während sie sich in der temporalen Hälfte in ihrer hintersten Strecke gegen den Boden des retrobulbären Raumes hinabsenkt.

Histologisch hat die intrabulbäre Netzhaut, welche durchschnittlich eine Dicke von 0,2 mm besitzt, bereits einen hohen Grad der Ausbildung erlangt. Man erkennt an ihr Ton innen nach aussen betrachtet:

1) Eine Membrana limitans interna, oder vielmehr eine scharfe lineare Abgrenzung;

2) eine helle Schicht, welche die kegelförmigen Enden der Stützfasem mit einzelnen dazwischen gelagerten Ker- nen und darüber in einem reticulären Fasergewebe eine einfache Reihe grösserer Kerne enthält;

3) zwei deutliche Kömerschichten, durch eine helle Zwischenkömerschicht getrennt;

4) eine Membrana limitans externa und

5) jenseit derselben in Zerfall begriffene Stäbchen und Zapfen, ein Zustand, der jedenfalls als cadaveröser aufzu- fassen ist, da der Fötus längere Zeit vor der Geburt abge- storben war.

Der von der abgelösten Netzhaut umschlossene Binnen- raum enthält wenig Glaskörpersubstanz. Vom hinteren Linsenpole zieht centralwärts ein strangartiges aus äusserst feinen Fibrillen bestehendes Gebilde, mit zahlreichen Zell- kernen, welches in seiner Axe die Arteria centralis retinae (vergL Fig. 3 bei d) birgt, die sich hier verzweigt.

Eine höchst eigenthümliche Zusammensetzung bietet der retrobulbäre Raum, welcher seinem Aussehen nach eine gewisse Aehnlichkeit mit der in der Pathologie als „Hernie"

204 6. BindfleiBclL

bezeichneten Erscheinung bietet, wenn sich auch bei Be- rücksichtigang des Umstandes» dass sich im Torliegenden Falle streng genommen keine präformirte oder neugeschaf« fene Lücke in der Bolboswand (welche den Inhalt heraustre- ten liess) TorfSEUidy dieser Vergleich nicht nach allen Rieh« tungen hin durchfuhren lässt Die „Bruchpforte'' wird Tom vom unteren Rand der Gommunicationsöffiiung zwi- schen Bulbus und retrobulbären Raum (vgl. Fig. 3 bei e) seit- lich Ton einer ins Innere des Raumes vorspringenden hori- zontalen Falte der Sdera (yergl. Fig. la), hinten von einer ähnlichen Einziehung des Sderalgewebes unter dem Seh- nerveneintritt (vergL Fig. 3 bei b^) b^renzt. Der ^»Bruch- sack" wird theils Ton einem nach innen zu straff gespann- ten, aussen mehr oder weniger lockeren mesodermalen Ge- webe gebildet (vgL Fig. von 3f bis f ^), theils von dem mehr- fach erwähnten aufsteigenden hinteren Sderalbogen. Den „Bruchiuhalf' repräsentirt eine blasenartige Ausstülpung der secundären Augenblase dicht an der Eintrittsstelle des Sehnerven. Diese Ausstülpung ist vorwiegend in temporal- und abwärtsfuhrender Richtung erfolgt, so dass ein an ihrem Beginne vertical angelegter Sagittalschnitt noch ein gutes Stück ihrer medialen Wand von der Fläche trifft (vgl. Fig. 3 bei g). Nach vom zu bildet diese Netzhautblase mehrere weit vorspringende Aussackungen bis gegen den Aequator des eigentlichen Bulbus hin, welche von einander durch einspringende bindegewebige Zapfen (vgl. Fig. 3 bei o^ o'o^) getrennt werden; doch communiciren sie, wie eine Reihe von Schnitten beweist (vergl. Fig. 4 bei a), nicht nur unter sich, sondern auch mit dem Hauptraume des Bruchsackes. Schon bei schwacher Vergrösserung lässt sich mit Leichtig- keit constatiren, dass sich innerhalb des Bruchsackes das innere Blatt der secundären Augenblase die Netzhaut (Figur 3 bei i) vom äusseren Blatte, dem Pigment- epithelblatte (vergl. Figur 3 bei h) , welch letzteres dem Bruchsacke anliegt, auf eine weite Strecke abgehoben hat»

Beitr. z. Entstehongsgesch. der angeb. MissbildoDgen des Aages. 205

während beide Blätter sich vom am Beginn der kleineren Ausstülpungen (vgl. Fig. 3 bei k) wiederum vereinigen, um weiterhin ungetrennt in diese einzutreten.

Was nun die feineren histologischen Details dieses gan- zen Gebietes anbetrifiFt, so sind diese in dem Theile, wel- cher rückwärts von der vorderen Vereinigung beider Netz- hautlamellen liegt, ziemlich einfacher Natur, während sie nach vorn von dieser Stelle als äusserst vervnckelt bezeich- net werden müssen. Der Opticus, welcher zuerst den binde- gewebigen Augenstiel durchlaufen hatte und von diesem seiner Duralscheide fest umschlossen wird, der aber nun wegen der Ausstülpung der Augenblase dicht am proximalen Ende scheibenförmig von oben in den retrobulbären Baum eintritt (vgl. Fig. 3 bei g), besteht aus vielfach sich durch- flechtenden Fasern mit ovalen meist quergestellten Kernen. Deutliche Markscheiden Hessen sich mit Hilfe der Weigert- scheu Methode nicht darin nachweisen. Ganz allmälig geht das Sehnervengewebe auf die Netzhaut über, auch das Pig- mentblatt zeigt da, wo es noch dem inneren Blatt anliegt (vgl. Fig. 3 bei b^) keine scharfe Grenze gegen den Opticus hin. Oben (vgl. Fig. 3 bei b) ist sein Anfang schärfer aus- geprägt Dort wo die beiden Blätter von einander getrennt liegen (Fig. 3 bei k bis b^), ist die Netzhaut nur 0,1 mm dick, also etwa halb so dick, als die im Bulbus befindliche und zeigt auch eine geringere Differenzirung als diese. Immerhin lässt sich an ihrer Innenseite (vergL Fig. 5 mi) eine Art Membrana limitans interna erkennen, auf welche nach aussen hin zunächst eine hauptsächlich aus Stützfasem und einzelnen Kernen bestehende Schicht (vergl. Fig. 5e) folgt, weiterhin aber längliche Kemmassen (vgl. Fig. 5d) hierauf solche von mehr rundlicher Gestalt (vgl. Fig. 5 c) sich anschliessen; auch ist eine deutliche Membrana limi- tans externa (vgl. Fig. 5me) mit aufgelag^ten körneligen Massen wohl Rudimente von Stäbchen und Zapfen nachweisbar. Das Pigmentepithelblatt bildet eine gleich-

206 O. Rindfleisch.

massige innere Auskleidung der aus lockerem kemreicben Bindegewebe bestehenden Wand des Bruchsackes (Fig. 5f). Es setzt sich aus mehreren Lagen grosser Epithelzellen zu- 8ammen> welche nach der Wandung zu länglich oval bis spindelig gespaltet sind (vergl. Fig. 5 a), während sie nach innen mehr cubisch und rundlich erscheinen (vgl. Fig. 5 b). Stellenweise sind die Zellen stark pigmentirt oder es liegt freies Pigment zwischen ihnen und zwar entsprechen solche Stellen genau dem Verlaufe kleiner Gefasschen, welche im Allgemeinen spärlich vorhanden, hier die Gystenwandung durchziehen (vergl. Fig. 5 bei g).

Es ist eine solche Membran von der Mehrzahl der Autoren in übereinstimmender Weise als innerer Ueberzug von Golobomen, Colobomcysten u. s. w. geschildert, wenn auch gewöhnlich anders gedeutet worden (siehe Anmerkgn.). Eine Eigenthümlichkeit bietet jedoch das vorliegende Prä- parat insofern, als hier die Zellenschicht nach aussen hin in ihrer ganzen Ausdehnung durch eine deutliche homogene Membran (vergl. Fig. 5 bei m) begrenzt wird. Wir haben hier demnach eine „Glasmembram der Chorioidea'' vor uns, ohne dass letztere auch nur im geringsten angedeutet wäre; ein Umstand, welcher die Entstehung der Glasmembran aus dem Pigmentepithel der Netzhaut wenigstens für unseren Fall ausser Zweifel setzt.

Anm. So fand Stellwag v. Carion(^*) die innere Wand der Scleralectasie bei Mikrophthalmus „von einem mehr weniger aagenfölligen Ueberzug eines flockigen von sparsamem Pigment- gehalt bald lichter bald dankeler braun gefärbten Gewebes^^ aus- gekleidet

Nach HaaseC^^) bestand die Struetur der Membran, welche die Innenseite eines Coloboms überzog, „ans Bindegewebsbttn- deln, in denen einzelne lange spindelförmige Zellen, sowie Kerne

('*) Stellwag V. Gar ion, Die Ophthalmologie Yom naturwissen- schaftlichen Standpunkte aus betrachtet. Bd. II, 1, S. 35. 1855.

('^) Haase, Zur patholog. Anatomie des Goloboma iridis etc. Dieses Archiv XVI, S. 118. 1870.

Beitr. z. Entstehaogsgesch. der angeb. MisBbildangen des Aages. 207

und lymphkörperartige Zellen in grosser Anzahl vorhanden sind. Anch fand er „hier und da amorphe Pigmentmoleküle in dem Gewebe eingebettet*\

Nach Manz(^^) zeigte das Häutchen, welches die Verbin- dung zwischen den Colobomrändern übernimmt, aussen zunächst eine dünne Schicht von fibrillärem Bindegewebe, dann folgte Plattenepithel, theils mit Pigment, dann Blutgefilsse und end- lich Netzhautfiragmente.

TalkoC^"^) fand in einer bei Mikrophthalmus bestehenden doch nach dem Verfasser mit diesem nicht zusammenhän- genden — serösen Cyste unter dem unteren Augenlid die in- nere Fläche mit gespitztem cylindrischem £pithelium ausgekleidet, die Substanz der Wand bestand aus netzartigem Bindegewebe.

Dor(^*) thut eines von Chandeloux untersuchten Falles von Colobomcyste Erwähnung, welcher „a demontrö la pr^sence d*un sarcome fasciculaire k cellules füsiformes d^velopp^ au milieu du tissu cellulaire^

In dem von Kundrat(*^) in der Gesellschaft der Wiener Aerzte demonstrirten Falle von beiderseitigem Mikrophthalmus zeigte die Cyste aussen faseriges Gewebe, innen gliomatöse Aus- kleidung.

Ausführliche histologische Untersuchungen der die Cysten- wandungen zusammensetzenden Elemente liegen endlich von Ewetzky(«), Lang(«), Rubinski (^) und C. He8s(^^) vor.

Nach Ewetzky besteht die Wand der Colobomcyste aus einem scieralen und einem retinalen Theile. Nicht allein ergiebt die Beschreibung und Zeichnung derselben vollkommen analoge Verhältnisse, wie die von mir geschilderten, sondern es geht auch aus den beigefügten Zeichnungen unzweideutig hervor, dass eine ähnliche homogene Schicht zwischen beiden vorhanden war, wie ich sie oben hervorhob und als Glasmem- bran bezeichnete.

Lang fand die innere Wand einer ähnlichen Cyste mit

{}*) Manz, Anatomische Untersuchungen eines Coloboma iridis et chonoideae: Zehenders klin. Monatsbl. f. A. XIV, S. 1. 1876.

(") Talko, Ein Fall von Mikrophthalmus mit angeborenen se- rösen Cysten unter den Unteren Augenlidern: Zehender's klinische MonatsbL f. A. 1877, S. 137.

(<") Dor, Revue gönärale d'Ophtalmologie 1882, S. 82.

208 0, Bindfleisch.

feinen sich verzweigenden Zellen mit zarten Fortsätzen ausge- kleidet.

Rubinski unterscheidet auch an der Cystenwand eine innere aus kemreichem Fasergewebe mit spindeligen langfase- rige Ausläufer tragenden Zellen bestehende Schicht und eine äussere faserige. Mehr als seine Beschreibungen haben seine Abbildungen mit den meinigen Aehnlichkeit.

Schliesslich sei hier noch die kürzlich yon C. Hess (^^) veröffentlichte Arbeit hervorgehoben. £r stellt darin vier Fälle mit angeborener hinterer Ectasie verschiedenen Grades zusam- men, die sich sämmtlich durch vollkommenes Fehlen der Cho- rioidea im ectatischen Gebiete, durch allmäliges Aufhören des äusseren Blattes der secundären Augenblase mit plötzlichem Verlust des Pigmentes (wo solches vorhanden war) am Rande des Goloboms und durch Ausgekleidetsein der £ctasie selbst mit einer Membran charakterisiren, welche nach der Beschrei- bung der meinigen ähnlich ist, doch wird sie vom Verfasser als modificirte Netzhaut aufgefasst. Dagegen betrachtet H a a b ( ^ ^), der ein Colobom von zwei retinalen Lamellen ausgekleidet fand, die äussere, welche eine ähnliche Structur, wie die oben be- schriebenen aufwies, als äusseres Blatt der secundären Augen- blase, welches an den Bändern in das innere übergeht

Thalberg(*®), welcher ein Colobom von einem Kinde mit Mikrophthalmus beschreibt, sagt bezüglich des Pigmentepithels: „Es lässt sich im Colobom noch eine kleine Strecke weit als einfache Lage pigmentirter Zellen verfolgen, geht dann durch Theilung in eine mehrfache Schicht nicht pigmentirter etwas kleinerer Zellen mit überwiegend ovalen Kernen über.^^ Auch fand er am Colobomrande stellenweise „zwischen Pigmentepithel und Sclera^' eine „der Bowman'schen gleiche Membran^^

Ich halte bei meinen Befanden einen Zweifel über die Deutung der Auskleidungsmembran als äusseres Blatt der secundären Augenblase für absolut ausgeschlossen.

Das Beschränktsein der Pigmentirung auf nur wenige Stellen führe ich, wie gesagt, auf die geringe Zahl der Ge- fässe in der Wand des Bruchsackes zurück.

('^ Ha ab, Beiträge zu den angeborenen Fehlem des Auges: Dieses Archiv XXIV, 2, S. 257.

(■^ Thalberg, Zar pathol. Anatomie des Coloboma chorioideae et iridis congenitum: Aixh. f Augenheük. XIII, 1, S. 81.

Eeitr. z. Entstehuagsgesch. der angeb. MissbildaDgen des Auges. 209

lu der vorderen Hälfte der Cyste dem Gebiete des mehrfach getheüten Rocessus , sind die Verhältnisse äusserst verwickelte. Mit Bestimmtheit lässt sich nur Fol- gendes darüber sagen: Es finden sich hier 3 4 kleine langgestreckte Hohlräume, welche nach hinten zu in einen etwas grösseren (vergl. Fig. 4 bei a) und durch diesen in den Hohlraum des Bruchsackes münden. Sämmtliche Hohl* räume sind nach aussen von mesodermalem kemreichem Ge- webe umschlossen, welches an einzelnen Stellen, besonders an der Aussenseite des Bulbus, den Charakter des Scleral- gewebes trägt, an anderen vielfach von Kömermassen durch- setzt ist, welche offenbar der Netzhaut entstammen, an noch anderen zahlreiche elastische Fasern aufweist, vorwiegend jedoch findet sich ein charakteristisches Narbengewebe von langen aus Spindelzellen bestehenden Strängen und kurzen Bindegewebsfasern mit langen grossen Kernen. Ge- fasse sind in sehr verschiedener Menge vorhanden; hier und da sind sie prall mit Blut gefüllt. Die Innenwandung jedes einzelnen Recessus ist mit Netzhautgewebe ausgeklei- det, welches hier mehr den Charakter des Pigmentepithels, dort mehr den einer differenzirten oder modifizirten Retina trägt, im Allgemeinen aber sich durch eine ganz enorme Faltung auszeichnet. Die Fältchen, welche bisweilen auf dem Durchschnitt als eine Kette von grossen und kleinen Ringen erscheinen und bald die äussere bald die innere Retinalschicht nach innen kehren, sind vielfach miteinander verklebt und zusammengewachsen; mitunter enthalten sie freie Blutkörperchen und an zwei Stellen (vgl. Fig. 3 bei q) Haufen von eigenthümlichen scholligen Gebilden, welche bei Zusatz von Schwefelsäure zu schönen Drusen von fei- nen Spiessen auskrystallisiren, ohne Gas zu entwickeln, also jedenfalls als Concremente von phosphorsaurem Kalk auf- zufassen sind. Der Glaskörper, welcher sehr stark ge- schrumpft die Mitte des Bruchsackes durchzieht, sendet Ausläufer in jeden einzelnen Recessus, die aus feinsten

T. Gnef6*8 ArchiT fOr Ophthalmologie. XXXVII. 8. 14

210 0. Rindfleiseb.

mit Rundzellen durchsetzten Fibrillen bestehend, auch nur genau die Mittelaxe der Hohlräume einnehmen, also offen- bar in sich selbst zusammengezogen und geschrumpft sind.

Im Allgemeinen erinnert der obige Befand an den frflber citirten Arlt'schen Fall, bei welchem sich in ein Divertikel der Netzhaut am Boden des Bulbus eine Ausstülpung des Glas- körpers erstreckte, und bei welchem Verfasser erwähnt, dass sich im Grunde des Recessus alle Formbestandtheile der Netz- haut mikroskopisch nachweisen Hessen, aber „wie auseinander- gezogen und schütter''.

Aus den mir zu Gebote stehenden Horizontalschnitten des rechten Bulbus konnte ich mit Sicherheit entnehmen» dass im Wesentlichen dieselben Verhältnisse vorlagen, wie ich sie am linken geschildert habe. Auch dort liegt hinter dem Bulbus, welcher das Bild des Mikrophthalmus bietet» ein weites blasenartiges Gebilde, dessen Wandung eine Fort- setzung der äusseren Scleralschichten darstellt und welches nach vorne zu mit dem Bulbus durch eine in dessen Hin- terwand befindliche Lücke in offener Communication steht Auch dort ist die Netzhaut abgehoben, stark gefaltet und lässt ein ausgedehntes Divertikel gleichsam in den cysti- schen Raum hineinquellen. Derselbe ist innen von der glei- chen Epithelmembran, wie am anderen Auge überzogen. Um Wiederholungen zu vermeiden, sei nur kurz zur Er- gänzung aus dem vorliegenden Befunde erwähnt, dass die Betrachtung der histologischen Verhältnisse der Augenmus- keln eine sehr gute Entwickolung ihrer Elemente ergaK Die kräftigen Muskelbäuche setzen sich mit starken Sehnen an die Sclera an; nach hinten zu wird die Wand des Bruch- sackes streckenweise nur von Muskelfasern gebildet, indem die scleralen Schichten auf ein Minimum reducirt sind. Ein Hauptunterschied zwischen dem vorher beschriebenen und diesem Auge besteht jedoch darin, dass hier das Colobom sich viel weiter nach vom erstreckt und den ganzen Ciliar- körper mit einbegreifk. Ein Horizontalschnitt, welcher vom den untersten Theil der Linse (vergl, Fig. 6L), hinten den

Beitr. z. Entstehongsgesch. der angeb. Missbildongen des Aages. 211

Uebergang des äusseren Blattes der Augenblase in das in- nere Blatt (vergl. Fig. 6 bei a und a') getroffen hat, zeigt diese Verhältnisse aufs klarste, weshalb ich ihn in zehn- facher Vergrösserung beifüge.

An solchen Horizontalschnitten, welche die Liinse in etwas weiterer Entfernung vom Centrum getroffen haben, fiel mir das Bild eines zweiten, hinteren Kernbogens auf (vergl. Fig. 7 a a'). Derselbe liegt genau im hinteren Linsenpol in einer Ausdehnung von 2 mm. Seine Enden sind an beiden Seiten vom vorderen Kernbogen etwa 1,5 mm entfernt. Letzterer ist gleichfalls auf demselben Schnitte deutlich zu sehen. Ich möchte diesen zweiten Kembogen als dem Randtheile der proximalen nach vorn pilzförmig vorwachsenden Fasermassen zugehörig auffassen, doch ist es immerhin auffällig, dass diese Kerne bei der weit ent- wickelten Linse noch so proximal gelegen sind.

Da ich eine ähnliche Zeichnung in der Literatur nicht finde, habe ich einen der beschriebenen Schnitte in 15facher Yergrösserang halbschematisch an meine Zeichnungen angereiht.

Kurz gefasst würde also die Untersuchung der beiden Augen des hydrocephalischen ca. sieben Monate alten Foe- tus Folgendes ergeben haben:

Durch Hydrocephalus platt gedrückte Augenhöhlen. Dieselben enthalten Gebilde von entsprechender Gesanunt- form, bestehend aus je einem platt gedrückten mikroph- thalmischen Bulbus mit cystischem Anhangsgebilde, welches mit jenem durch eine weite Oeffnung communizirt. Der Bulbus enthält eine rudimentäre Iris, ein Aderhaut -Colo- bom, totale Netzhautablösung und starke Faltung dieser Membran. Das Anhangsgebilde besteht aus einem cysti- schen Raum, welcher eine bruchähnliche Ausstülpung der Netzhaut umschliesst. Dieselbe erstreckt sich nach vorn in mehrere diverticalartige Räume, deren Wandungen aus Nar- bengewebe bestehen, welches auch NetzhautelementQ ent- hält. An dem einen Auge findet sich auch ein Golobom

14*

212 O. RiiidfleiBch.

des Corpus ciliare und ein eigenthümlicher zweiter Kern- bogen der Linse.

Die Frage> wie im vorliegenden Falle das Zustande- kommen der Cyste und das damit offenbar im Zusammen- bang stehende Zurückbleiben der Bulbi in ihrer Entwicke- lung zu erklären sei, dürfte sich kaum mit voller Bestimmt- heit beantworten lassen, immerhin scheint mir der vorste- hende Befund folgende Erklärung ziemlich nahe zu legen: Der hydrocephalische Process hatte nicht nur die Basis des Schädels nahezu nivellirt, sondern hatte auch auf die Orbi- taldächer einen so starken Druck ausgeübt, dass diese sich convex in die Augenhöhle hineinwölbten. Dass die hier- durch hervorgerufene Gestaltveränderung der Orbita nicht ohne wesentlichen Einfluss auf die Form des Bulbus und sein weiteres Wachsthum bleiben konnte, liegt auf der Hand. Die gute Ausbildung fast aller Theile des vorderen Augen- abschnittes rechtfertigt die Annahme, dass der Bulbus bis zum Eintritt des schädigenden Momentes eine ganz normale Entwickelung durchgemacht hatte. Die secundäre Augen- blase hatte sich vollkommen oder doch bis auf eine sehr kleine der Linse zunächst gelegene Strecke geschlossen. Das Mesoderm hatte sie continuirlich umhüllt und so dem Aug- apfel einen vollkommenen äusseren Abschluss verliehen. Die Linse war dem Alter entsprechend ausgebildet; Iris und Corpus ciliare waren normal angelegt. Der Binnenraum der Augenblase war vermuthlich ganz mit jungem Glaskör- per erfüllt (vergl. Schema I, S. 213). Als nun der gewal- tige Druck des Schädelinhaltes auf das Orbitaldach erfolgte und vermittelst desselben den Bulbus von oben her com- primirte, mussten sich dessen Wände bei Einengung des Raumes in verticaler Richtung, in horizontaler Richtung ausweiten. Die Folge davon war eine Dehnung des Scleral- bodens und vermuthlich auch eine Erweiterung bezw. eine Wiedereröffnung des frisch geschlossenen Augenblasenspal- tes an dieser Stelle. In diesen Spalt konnten Gefassver-

Beitr. zur Entstehongsgesch. etc.

zweigungen von den inneren Schichten der Sclera unbehin- dert einwachsen, ohne hier eine eigentliche Aderhaut zu bilden. Wir finden also am Boden des Bulbus ein kleines aus Scleralgewebe bestehen- des Gebiet, welches nach in- nen zu einige zarte Gefäss- sprossen trägt und welches von den Rändern der secun- dären Augenblasenspalte be- grenzt ist also eine Art Retinal- bez w. Pigmentepithel- Colobom. Doch noch an- dere Folgen hatte die erhöhte Spannung, unter welche der Glaskörper gesetzt war. Es wurden diejenigen Gebiete der Sclera, welche noch bis kurz vor der Geburt am dünnsten zu sein pflegen^), ausgebuchtet. Auf diese Weise entstand eine Art Scleralstaphylom vorn über dem Hornhautrande (vgl. Schema II, III, IV). Hinten unterhalb der Eintritts- stelle des Sehnerven kam als begünstigender Factor für eine Ectasirung zu der gerin- geren Wandstärke der Sclera noch der Umstand hinzu, dass das Gewebe hier einer aus-

213

») Vgl. Kölliker'8 Entwicke- langsgeschichte. 2. Aufl. S. 476.

^ Sclera. •- Chorioidea^ Tigmentepühel.

Reitneu.

Corpusviircnm .

214 G. RindfleiBch.

gesprochenen Entzündung anheimgefaUen war. Es bleibt dahin gestellt, ob dieser Entzündongsprocess bereits Torber bestanden hatte, oder ob wie es mir wahrscheinlicher ist bei der diesem Fotos Termnthlich innewohnenden Disposition znr Entzündung seiner Gewebe, es nur eines geringen Anstosses (wie in diesem Falle der besonders star- ken Spannung) zum Ausbruch einer entzündlichen Local- erkrankung bedurfte. War so das fehlerhafte Wachsthum der Augenanlage einmal eingeleitet, so konnte bei weiterer Einwirkung der schädigenden Kräfte die Ausbildung der eigenthümUchen Verhältnisse, wie wir sie jetzt vor uns ha- ben, nicht ausbleiben: die Fortdauer des Druckes tou oben bei reichlicher Absonderung der Glaskörperflüssigkeit (dank der guten Entwickelung der Ciliarfortsätze und des Haupt- gebietes der Aderhaut), der kräftige Wachsthumstrieb der Netzhaut, die Wucherung des Mesoderms, welches alle Lücken auszufüllen und aussen auf das Gebiet immer neue Gewebs- lamellen abzulagern bemüht war, yomehmlich aber die Ten- denz zeigte, den eigentlichen Bulbus hinten abzuschliessen, wirkten hierbei als bestimmende Momente. Im Bulbusraum wuchs die Netzhaut unbekümmert um die Engigkeit des ihr zu Gebote stehenden Raumes stetig weiter. Sie musste sich daher in Falten legen, welche sich stellenweise weit von der Sclera abhoben, stellenweise gegen sie andrängten und sich selbst ineinander zwängten (vergl. Schema IV). Was noch an flüssigem Glaskörper im Bulbusraume vorhanden war, oder neu abgesondert wurde, musste nach hinten aus- weichen. Die Gewebsbestandtheile wurden in Form eines Stranges aus feinsten Fibrillen um die Arteria centralis zu- sammengepresst. Während die hemienartige Ausweitung im retrobulbären Räume immer grössere Ausdehnung annahm, blieb naturgemäss der Augapfel im Wachsthum zurück. Der ciliare Theil der Uvea gelangte unten zu geringerer Entwickelung als oben, was wohl auf das Colobom der Ader- haut in dieser Gegend zurückzuführen ist. Die Netzhaut-

Beitar. z. Entstehungsgescli. der angeb. Missbildungen des Auges. 215

ectasie fand jedoch endlich auch eine Grenze ihrer Aus- dehnungy nachdem sie den ganzen dreieckigen retrobulbären Raum ausgefüllt und eine Ausstülpung bis gegen den Aequa- tor des Bulbusbodens getrieben hatte (vergl. Schema lY). Aussen wurde sie von einer dünnen Scleralschicht umgeben^ die stellenweise fast Yollkommen geschwunden sein mochte, aber wohl durch neue Mesodermauflagorungen verstärkt wurde. Am rechten Auge wurde die Augenblasen-Ausstül- pung hier und da nur Yon den Augenmuskeln überdeckt. Dadurch, dass der Druck des Orbitaldaches noch immer zu wirken fortfuhr, wurde späterhin die vordere Ausstül- pung des Bruchsackes zwischen Scleral- und Orbitalboden zusammengedrückt, doch gab sie ebensowenig wie das ihr entgegenwachsende Mesodermgewebe ihr Wachsthum auf. So legte sie sich in Faltungen, zwischen welche das Meso- derm lange Zapfen bildete. Mitunter durchbrach wohl auch Mesodermgewebe das Gefuge der Netzhaut, wodurch ein buntes Durcheinander von retinalen und bindegewebigen Elementen entstand. Hochgradige Circulationsstörungen konnten natürlich bei der Compression dieses ganzen Ge- bietes nicht ausbleiben. So fanden wir einige Gefasse prall gefüllt, und konnten freie Blutkörperchen in den Netzhaut- falten nachweisen. Andere Stellen waren ganz ausser Er- nährung gesetzt, daher lagerten sich Kalkmassen daselbst ab (vergl. Fig. 3 bei q). An noch anderen Stellen fanden entzündliche Yerklebungen zwischen den Netzhautfalten statt. Das endliche Resultat der ganzen Vorgänge war eine aus- gedehnte Narbenbildung im Umkreis der vorderen Ausstül- pung, wie sich bei der mikroskopischen Untersuchung un- zweideutig ergiebt.

Manz (^^) giebt eine eingehende histologische Schilderung eines Gewebes, welches ein Colobom ausfüllt Er bezeichnet dieses selbst als „Narbengewebe^S Dasselbe enthielt „ein bun- tes Gemisch von Gewebselementen und -fragmenten, Blutgefässe, fibrilläres Bindegewebe, Pigmentepithelien, sowie Netzhautfrag- mente, welche letztere oft sehr gut differenzirt waren." Auch

216 G. Rindfleisch.

eine structurlose Membran, „die wohl als Fortsetzung der Limi- tans gedeutet werden kann^% fand sich als oberer Abschluss der Narbe ähnlich, wie auch ich sie im Gebiete der Ausbuch- tungen an Stellen, wo das Pigmentepithel frei auf die Sclera zu liegen kommt, nachweisen kann.

Wenn ich hinsichtlich der Recessusbildung im vorde- ren Theile der Cyste im Gegensatz zu Manz (^*, '*) von einer Hineinziehung der Netzhaut in das Narbengewebe ab- sehe und dafür im Anschluss an v. Hof fmann(*'), Hahn('*X Van Duyse (") und Arlt(**^) in erster Linie lediglich eine vis a tergo den intraocularen Druck, in zwei- ter Linie aber, ähnlich wie Kundrat ("*) einen Ausstül- pungsprocess des Netzhautgewebes in das Mesoderm und eine Einwucherung des letzteren in die Netzhautfalten ver- antwortlich mache, so muss ich doch Manz vollkommen beistimmen, wenn er (*^) betont, „dass ein solcher Druck eine gewisse Entwickelung des Glaskörpers voraussetzt«. Zugegeben auch, dass sich in den Präparaten eine nur ge- ringe Menge Glaskörpergewebe nachweisen lässt, so scheint mir doch die gute Entwickelung der Uvea dafiir zu spre- chen, dass dasselbe intra vitam ausreichend vorhanden» wenn auch sehr wasserreich war, späterbin aber eine be- deutende zum Theil präparatorische Schrumpfung erfuhr. Schon die bauchige Form der Cyste, wie ihrer Ausbuch- tungen lässt kaum eine andere Deutung zu und widerspricht

('<) Manz, Jahresber. über die Leistongen und Fortschritte etc. 1878. S. 202.

('*) V. Hoffmann, lieber ein Colobom der Innern Augenhfiate. Inaug.-Dlss. Bonn 1871.

(*') Hahn, lieber das Colobom der innem Augenh&ute. Inaug.- Dlss. Bonn 1876.

{**) Van Duyse, Le Colobome de FOeul etc. Annales d*Ocu« listiques T. 86. S. 144.

{^'^) Arlt, Anzeiger der k. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien» Nr. 17 (citirt nach den Jahresberichten).

(") Kundrat, Wiener medic. Presse Nr. 17 und Nr. 6 (citirt nach den Jahresberichten).

Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 217

der Annahme einer Zerrung der Retina nach der Narbe hin anfs entschiedenste.

Wenn ich oben hervorhob, dass mehrere Autoren, wie besonders Talko(^'), Dor("), Kundrat(^ö), Ewetzky(«), Lang(®), Rubinski (®) und Hess (^®) als inneren Ueber- zug ectatischer Bulbusgebiete eine der yon mir beschriebe- nen sehr ähnliche Membran vorfanden, aber sie nicht als Pigmentblatt der secundären Augenblase deuteten, so will ich damit keineswegs die Richtigkeit ihrer Befunde in Frage ziehen. Wäre in meinen Fällen der hintere Theil der se- cundären Augenblase nach dem Schlüsse weniger ausgebildet gewesen, als ich es annehmen musste, so hätte sich recht wohl die Vcrschlussstelle selbst derartig dehnen können, dass wir nur eine einzige Membran in der Ectasie vorge- funden hätten, welche seitlich in die beiden Lamellen über- gegangen wäre.

Das Vorhandensein eines Hydrocephalus bei Mikrophthal- mus mit Cyste ist bereits beobachtet worden: Wenn auch die- ser von Hans YirchowC^) veröfifentlichte Fall noch nicht histo- logisch näher beschrieben worden ist, so haben doch die von Bernheimer vorgenommenen Untersuchungen zur Genüge er- geben, dass dieser Fall als ein Parallelfall zu dem meinigen aufgefasst werden kann, abgesehen davon, dass hier eine Netz- hautausbnchtung ausznschliessen war und der Gausalznsammen- hang von Virchow anders erklärt wird. Es sei mir daher ge- stattet, ihn kurz zu recapituliren: „Es handelt sich hier um ein sechs Wochen altes Kind, welches mit Hydrocephalus inter- nus zur Obdnction gekommen war und an welchem doppelsei- tiger Mikrophthalmus vorlag. Die Lidspalte mass rechts 12, links 13 mm, der Eingang in die rechte Orbita war 14 mm hoch und 20,5 mm breit, der in die linke 13 mm hoch und 20 mm breit. Die Axe des linken Auges betrag 12 mm, der Pupillardarchmesser 4 mm. An der lateralen Seite des lin- ken Sehnerven befand sich ein 6 mm langer rundlicher Kör- per „scheinbar eine mit klarer Flüssigkeit gefüllte Blase^S Am rechten Auge lässt sich von einer Augenaxe nicht reden, da sich das Auge am hinteren Pol in einen dicken Stiel fort- setzt. Der Opticus besteht nur aus Scheide mit einem Geföss.

218 0. RindfleisclL

„Für den von mir beschriebenen Fall", sagt Yirchow wörtlich, „ist es Yon der grössten Wichtigkeit, dass eine Parallelstömng am Auge vorhanden war. Mass man daraus schliessen, dass die Hirnstörung schon im Gange war, als die Augenblase noch mit der Hirnblase in Verbindung stand, also im Stadium der primären Augenblase? Die Bejahung dieser Frage folgt noch nicht aus der Thatsache, dass Hirn und Auge von parallellen Störungen betroffen sind, denn warum sollte nicht der Kampf zwischen Ectoderm und Mesoderm an beiden Stellen entbren- nen? Aber die erwähnten Cysten fallen hier sehr ins Gewicht, die Grösse derselben ist oben geschildert. Da die Wand dieser Cyste, in der sich FaserzQge des Nervus opticus durch Meso- dermgewebe zersprengt, in der sich pigmentirtes epithelartiges Gewebe findet, vom Charakter des Pigmentepithels der Netz- haut, Bestandtheile enthält, die denen der Augenblase ähnlich sehen, so ist daraus eine Stütze für die Anschauung gegeben, dass die Augenblase, schon während sie noch in offe- ner Verbindung mit der Hirnblase war, unter einem Processe zu leiden hatte, der zu einer Abspaltung ihrer Be- standtheile führte. Indessen man wird gewiss eine Betrachtung sehr vorsichtig aufnehmen, welche die Störung in eine so frühe Zeit zurückverlegt. Würde man jedoch sichere Beweise dafür haben, dass sie so Mhe beginnt, dann würde man bekannt ge- worden sein mit einem das Mesoderm treffenden krankhaften Processe der seltsamsten Art, denn dieser Process lässt dem Gehirn, welches er in so frühem Stadium angreift, doch die Möglichkeit, sich zu einem hohen Grade von Vollkommenheit heranzuentwickeln."

Für meinen Fall kann ich mich der Annahme Vir- chow's, wie sie früher auch Kundrat (^•) vertrat, dass die Missbilduug der Augen zu einer Zeit, zu welcher die Augenblase noch in oflfener Communication mit dem Gehirn stand, eingeleitet wurde, nicht gänzlich verschliessen, da auch hier die sowohl im Gehirn wie im Auge vorhandene Entzündung für eine Fortleitung des Processes vom Gehirn aufs Auge zu sprechen scheint. Immerhin geht wohl aus meinen Befunden mit Bestimmtheit hervor, dass der Hydro- cephalus durch Druck auf die Orbita an sich mechanisch oinen Mikrophthalmus mit cystischer Ectasia posterior zu

Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. l^sbildangen des Auges. 219

erzeugen im Stande ist. Der intrabolbäre Entzündungsvor- gang fördert zwar das Zustandekommen der Missbildung nicht unbeträchtlich 9 doch ist er wahrscheinlich erst als secundärer durch den Druck zum Ausbruch gekommener aufzufassen.

Ob solche mechanische Ursachen häufiger zur Mikroph- thalmie führen I als zur Zeit noch angenommen wird, ob vielleicht die Mehrzahl aller intrauterin entstandener Ecta- sien ähnlich zu erklären ist, kann sich erst dann zeigen, wenn ein grösseres Obductionsmaterial Yon mikrophthalmi- schen Föten, als bis jetzt noch Yorliegen, zur Untersuchung gekommen ist.

Zum Schluss sei es mir gestattet, Herrn Prof. Leber für die Unterstützung, welche er mir bei Abfassung dieser Arbeit zu Theil werden Hess, meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen.

Erklärung der Figuren auf Tafel VI.

Fig. la. Linker Mikrophthalmus in natürlicher Grösse von der nasalen Seite gesehen (h Bulbus, c Cyste » „Bruchsack**, f Einziehung der Wandung).

Fig. Ib. Derselbe Yon unten gesehen.

Fig. 2. Derselbe in Tiennaliger Vergrösserung ungeÄhr in der sagittalen Mittelaxe yertical durchschnitten (a Scleralectasie, b Recessus, darüber der aufsteigende hintere Scleralbogen, d bindegewebiger Stiel, den Opticus enthaltend).

Fig. 3. Aehnlicher Verticalschnitt wie der vorige, etwas weiter nasal durchgelegt, so dass er die Innenwand der blasenartigen Netzhautectasie noch bei g von der Fl&che triflft. Ver- grösserung 12 : 1. Der hintere Theil des Scleraldaches so- wie die Linse sind zum Theil schematisch gehalten desglei- chen sind Gontinult&tstrennungen innerhalb der Netzhaut durch punktirte Linien verbunden worden. Die Linse ist etwas nach hinten dislociert.

a durch seröses Exsudat streckenweise abgehobenes Pig- mentepithel.

220 6. Kindfleisch!

6 oberer Anfang des Pigmentepithels scharf begrenzt.

h^ onterer Anfang etwas schrftg getroffen, hier allm&lig io das innere Blatt der secand&ren Augenblase übergehend.

c oberer Giliaransatz der Netzhaut.

c^ unterer Giliaransatz derselben.

d Verzweigung der Centralarterie am hinteren Linsenpol,, umgeben yon 61askö.rpergewebe.

e obere Kante des aufsteigenden hinteren Scleralbogens Eingangsstelle in den retrobulbären Raum.

f Stelle der weitesten Ausbuchtung der Ectasie nach vom.

P Stelle der weitesten Ausbuchtung derselben nach hinten»

g scheibenartig verbreiterte Eintrittstelle des Sehnerven.

h mesodermale Wand der Cyste, nach innen zu vom Pig- mentepithelblatt ausgekleidet.

% inneres Blatt der ausgestülpten Augenblase.

k Uebergangsstelle beider Blätter und Beginn des Recessus.

l Gelockerte innere Lamellen der Scleralectasie.

m Suprachorioidealer Raum zwischen der Ectasie und der abgehobenen Chorioidea.

n allmäliger Uebergang der Aderhaut in die gefässreiche innere Schicht der Sclera.

o' 0* 0* vorspringende vorwiegend aus Narbengewebe be- stehende Leisten des Mesoderms, welche die Ausstül- pungen der Retina gegeneinander abgrenzen.

p untere Suprachorioidea.

q Kalkablagerungen innerhalb der Netzhautfalten.

Fig. 4. Schematischer Durchschnitt, etwas temporal von dem vorigen gelegt. Vergr. 5:1, um die Communication sämmtlicher Aus- stülpungen der Cyste zu demonstriren.

a Vorraum zu den kleineren Ausstülpungen.

Höhe des aufsteigenden Scleralbogens.

h Colobomgebiet.

Fig. 5. Stück aus der Cyste etwa in der Gegend von t auf Fig. 3. Vergrösserung 200 : 1.

a äussere, h innere Zelllage des Pigmentblattes, c die Netzhaut.

me Membrana limitans externa, mi Membr. limit. interna, m Glaslamelle der Chorioidea.

g Gefäss, welches zum pigmentirten Gebiete des Pigment- epithels hinzieht. h Eiweissgerinnsel, t Glaskörper.

Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. MiBabildungen des Auges. 221

Fig. 6. Horizontalschnitt vom rechten Bulbus, welcher die Linse L unten noch getroffen hat zur Demonstration des Cillar- körper-Coloboms.

% inneres Blatt, e äusseres Blatt der secund&ren Augenblase.

a und a Uebergang beider.

Fig. 7. Etwas schematischer Horizontalschnitt durch die Linse des

rechten Auges zur Demonstration des hinteren Kembogens

a^-a {b und b' Torderer Kembogen). Yergrösserung 15 : 1.

IL

Zur pathologisohen Anatomie und Genese des angeborenen Irismangels.

Wenn es noch im zweiten Decennium unseres Jahr- hunderts geschehen konnte, dass eine Commissioa der Societe du Cercle Medical zu Paris ihr Urtheil über einen der ersten sicher beobachteten Fälle von Irideremie (yon Alex- ander Morison (4) zu London) dahin abgab, es sei nur eine »^angeborene Mydriasis^^ für Irismangel gehalten wor- den, und wenn auch im Laufe der nächsten Jahre die von KHnko8ch(l), Baratta (2), D8ondi(3) und Poenitz(5) publizirten Fälle erst ganz allmälig allgemeine Anerkennung fanden, so darf uns das um so weniger Wunder nehmen, als wir noch heute, nachdem die Veröffentlichungen über diese eigenthümliche Missbildung bereits eine stattliche Zahl erreicht haben, über das Wesen des angeborenen Irisman- gels keineswegs yöUig im Klaren sind und eine in jeder Hinsicht befriedigende Erklärung für ihre Entstehungs- weise zur 2ieit noch nicht gegeben ist.

An Versuchen dazu fehlt es freilich keineswegs und so rathlos, wie Klinkosch (1), der im Jahre 1766 als höchst wunderbare Thatsache von der Mutter einer mit Irideremie behafteten Missgeburt berichtet: „durante gravi- ditate nullis affecta injuriis nullaque perversa imaginationis vi correpta fuit", stehen wir jetzt der Frage nach der Ge-

222 (i- Budfleiach.

nese der Irideremie nicht mehr gegenüber. Schon im Jahre 1829 tritt ▼. Ammon (9) der bis dahin heirschendeD Meckel-Behr'schen Anschanong entgegen» welche an- nimmt, dass beim Zerstreonngsprocess der Pupillarmembran die Iris zugleich mit zerstört werde, y. Ammon betont» dass man, falls obige Ansicht richtig sei, wahrscheinlich öfters weniger yollständige Zerstörungen der Iris finden und den Process selbst noch nach der Geburt beobachten müsse man habe ab Ursache vielmehr eine ^ildungs- hemmung^' anzunehmen. Während v. Ammon an dieser Stelle durchblicken lässt, dass solche Bildungshemmung mit der Colobombildung in der Aderhaut zusammenzubringen sei, glaubt F. Arnold (11) die Bildungsfehler an der Iris überhaupt nicht in so enge Beziehung zur Aderhaut setzen zu dürfen. „Fehlen^, so sagt er, „die vorderen und langen Ciliargefässe alle, oder einzelne, so wird dadurch gänzlicher oder theilweiser Mangel der Blendung erzeugt''; eine An- schauung, welcher sich später auch Seiler und Jäger (16) anschlössen.

Andere Erklärungen, wie die von Prael (14), welcher meint, dass die Iris bei ihrer Entwickelung mit derjenigen des übrigen Auges und der hierbei ausgesprochenen Präva- lenz der Linse nicht Schritt halten konnte, die von Himly (17) stammende, dass ein zu geringer Bildungstrieb in der frühesten Periode der Augenentwickelung vorgelegen habe und die Sichel' sehe (24), welche eine „MydriasiB conjenial'', eine „dilatation conjeniale extreme de la pupille'' annimmt, seien hier nur beiläufig erwähnt, da sie sich nicht auf ana- tomische Thatsachen stützen.

v; Ammon (25) geht bei der Erklärung von seinen eigenen Erfahrungen über die Entwickelungsgeschichte des menschlichen Auges aus: Nach ihm nimmt die Natur bei der Bildung der Iris gleichsam „einen neuen Anlauf". Wird dieses verhindert, so bleibt das Auge ohne Iris, und es entsteht der totale Irismangel (Irideremia totalis); be-

Beitr. z. Entstehond^gesch. der angeb, Missbildungen des Aages. 223

ginnt dagegen die Irisbildung ungestört und circulär und steht das Wachsthum dann still, so sehen wir den partiel- len Irismangel. Dasselbe wird dann stattfinden, wenn die Iris nicht circulär beginnt, sondern wenn nur an einzelnen Stellen des Chorioidealrandes dieselbe in Form einzelner Lappen hervorwächst Jene ersten beiden Fälle werden den Bildungshemmungen beizuzählen sein, der letztere ge- hört in das Qebiet der ursprünglich pathologischen Bil- dungsrichtung.

Die verschiedenen Erklärungsweisen der späteren Au- toren lassen sich kurz in zwei Gruppen zusammenfassen:

Entweder wird angenommen, dass die von der Natur angelegte Iris in ihrer weiteren Entwickelung aufgehalten, oder, dass die in der Entwickelung bereits weiter fortge- schrittene durch einen krankhaften Process nachträglich wieder zerstört wurde.

Die Anhänger der ,3ildung8hemmung^' sind bei wettern die zahlreicheren, wenn auch nur ausnahmsweise bestimm- tere Vermuthungen über die Art und Weise, wie eine solche zu Stande kommen soll, laut geworden sind. Die einzige wirklich ansprechende Erklärung giebt Manz (37), indem er sagt: „Nehmen wir an, es bestände länger als gewöhn- lich ein besonders fester Zusammenhang zwischen Linse und vorderer Wand der Bulbuskapsel, wie es für einzelne angeborene Staarformen als wahrscheinlichste Ursache an- genommen werden muss, so wird ein Verwachsen der Iris nicht möglich sein, oder, wenn jene Verbindung an einzel- nen Stellen weniger fest ist, eben auch nur an diesen er- folgen können." .,Wir können also die Irideremie immer- hin für eine Hemmungsbildung nehmen, indem wir die Ur- sache für diese Hemmung in die Linse verlegen."

Für ein Zustandekommen der Irideremie dui-ch Zer- störung des bereits weiter ausgebildeten Organes tritt Brun- huber (39) ein. Er macht als Ursache des Schwundes einen gesteigerten intraocularen Druck verantwortlich.

224 O. RindfleiBch.

Vossius (49) nimmt in emem Falle von partieller Irideremie Hemmungsbildung und fötale Erkrankung zu- gleich an, doch lässt er sich auf die Frage, inwiefern hier- durch die Missbildung hervorgerufen sei, nicht näher ein.

Eine eigenartige Erklärung giebt endlich de Bene- detti (55). Er glaubt in einem Fehler der Entwickelung der Retina die Ursache der Irideremie suchen zu müssen. Es wäre dadurch der Rand der Augenblase zu langsam vorgewachsen und infolge dessen das die Iris bildende Ge- webe noch nicht in genügender Stärke vorhanden gewesen, als der Aufsaugungsprocess vorn schon begonnen hätte.

Um ein bestimmtes Urtheil über die Genese des Iris- maugels zu gewinnen, wäre selbstverständlich in erster Linie eine Berücksichtigung der anatomischen Erfahrungen be- züglich dieser Missbildung erforderlich. Leider aber sind wir zur Zeit an solchen noch auffallend arm.

Abgesehen von einer höchst unvollkommenen Unter- suchung des bereits oben erwähnten irislosen Fötus, bei welchem von Klinkosch ein „oculus speciem hydatidis praegrandis praeferens'' ohne Ghorioidea, ohne Retina, ohne Muskeln etc. gefunden wurde, welcher also als ganz ab- normes Monstrum betrachtet werden muss, liegen soviel ich aus der mir zugänglichen in- und ausländischen Lite- ratur zu ersehen vermochte , bis jetzt acht anatomische Beobachtungen vor und von diesen können nach unseren heutigen Anschauungen über mikroskopische Technik eigent- lich nur drei als histologische bezeichnet werden. Bevor ich auf meine eigenen Untersuchungen eingehe, sei es mir gestattet, dieses bis zur Zeit vorhandenen anatomischen Materiales kurz zu gedenken.

Der erste anatomi/ach untersuchte Fall von Irideremie wird von v. Ammon (9) im Jahre 1829 erwähnt. Er sagt daselbst: „Ich bin der Meinung, dass sich der vollständige Man- gel der Iris ohne Zergliederung der Augen nicht erweisen lässt, vielmehr wurde wenigstens in einem Falle, wo

Beitr. z. Entstehund^gesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 225

die äussere Betrachtung Mangel vermuthen Hess, ein kleiner die Iris vorstellender Rand gefunden [von Ra- dius].

Im Jahre 1858 werden diesem bis dahin einzigen Falle von F. A. V. Ammon (25) vier weitere angereiht.

2. Sein erster betraf einen etwa siebenmonatlichen, todtge- borenen menschlichen Fötus, welcher halb in Fäulniss überge- gangen war und wohl mehrere Wochen lang abgestorben im Uterus gelegen hatte. Das rechte Auge war so matsch und zusammengefallen, dass sich keine Membran mehr genau er- kennen Hess. Das linke Auge war dagegen besser erhalten, normal geformt und normal gross. Der Glaskörper war theil- weise verflüssigt, von seinem Gewebe war nur ein compacter häutiger Klumpen zwischen Linse und Netzhaut zu sehen. Zwischen Glaskörper und Netzhaut war ein Zusammenhang nicht mehr sichtbar. Von der Netzhaut wird eine intensiv gelbe Färbung der ganzen hinteren Ausbreitung ähnlich der Farbe der Macula lutea erwähnt. Nach oben war ein Theil des Fötalspaltes der Netzhaut vorhanden. Er war schmal und kurz. Ausserdem fanden sich sehr viele fötale Retinalfalten vor, die alle von der blinden Stelle aus gegen den Ciliartheil hin gelagert waren. An den faltenfreien Stellen erschien die Retina heller; sie war ausserdem undurchsichtig. Der Ciliar- theil der Retina war sehr dünn, frei fluctuirend. Die Chorioi- dea lag der Sclera fest an; letztere war hier und dort eckig. Die innere Fläche der Chorioidea Hess ein braunrothes zimmet- farbiges Pigment sehen. Dasselbe war nach dem Ciliartheil zu sehr sparsam, lag aber nach dem Augengrund hin in grös- serer Menge. Hier und dort war es gelöst und bildete an einzelnen Stellen grössere Haufen. Die Ciliarfortsätze waren dürftig; sie lagen in einem nicht ganz regelmässigen Kreise. Dieser war hier und dort ausgezackt, mehr eckig als rund, aber ganz geschlossen. Die Ciliarfortsätze waren kurz, dünn aber schwärzlich pigmentirt, es lag ein First glatt neben dem anderen. Ausdehnungen derselben fehlten. Der ganze Ciliar- körper war niedrig, dürftig, schmal. In dem eben beschriebe- nen, geschlossenen Ciliarkörper der Chorioidea lag die Linse sammt Kapsel, auf deren hinterer Wand hier und dort einzelne Stücke des Glaskörperstromas fluctuirten. Sie war sammt der Kapsel etwas getrübt; sie war in ihrer Peripherie nicht ganz rund, hatte hier und dort an ihrem Rande kleine Einkerbun-

▼. Graefe'8 Archiy fUr Ophthalmologie. XXXVII. 3. 15

226 O. Rindfleisch.

gen, mit ihrer vorderen Fläche lag sie dicht an der hinte- ren Wand der etwas trüben Cornea. Es fand sich, nachdem die Linse ans ihrer Lage innerhalb des Ciliarkörpers hervor- gehoben war, keine Iris vor. Es war weder auf der vorderen noch hinteren Seite des Ciliarkörpers noch innerhalb dessen geschlossenen Ringes irgend eine Spur oder ein Saum von Iris- gewebe wahrzunehmen. Ebensowenig konnte man etwas von einer Pupillarmembran gewahren. Es hatte sich auch kein Tensor chorioideae gebildet Die äussere Fläche des geschlos- senen Chorioidealringes also der Ciliarrand der Chorioidea, lag unmittelbar an der Sclera da an, wo diese in die Cornea flber- ging. Die getrQbte etwas röthliche Cornea erschien mehr oblong als rund und war sehr flach; die Descemet'sche Membran war etwas gefaltet und endigte vor dem Cornealrande in einer sanft verschwimmenden Linie.

3. Bei dem zweiten von v. Ammon anatomisch untersuch- ten Fall handelte es sich um das linke Auge eines fast aus- getragenen Kalbes. Bei diesem wurden Sclera und Glaskörper als normal bezeichnet. Die Netzhaut war am Ciliartheil plump und an der Uebergangsstelle in die Corona ciliaris namentlich nach unten aufgelockert. Die Chorioidea war im vorderen Seg- mente schwach pigmentirt. Das Corpus ciliare endigte sich nach unten in eine starke spitze Ausbiegung und verlor sich dort in eine Ausbuchtung der Chorioidea- und Sclera -Ueber- bleibsel des fötalen Scieral- und Chorioidealspaltes. Die Falten der Ciliarfortsätze waren nach unten dicht gedrängt und alle stark pigmentirt. Von einer Iris fehlte jede Spur. Das Cor- pus ciliare lag vom auf der Sclerocornealverelnigung. Die hintere Fläche der sehr flachen Cornea war normal etwas läng- lich. Ein ausgebildeter Tensor chorioideae war am Ciliartheil der Chorioidea nicht vorhanden, sondern nur ein weisser schma^ 1er ringförmiger Streif, der am äusseren Ciliartheil der Cho- rioidea liegend diesen mit der Sclera verband. Der in dem hinteren Segment des zerschnittenen Bulbus liegen gebliebene Proportionen grosse, hellweisse Glaskörper sammt Linse zeigte eine vollkommene Ausbildung, nur dass die Corona ciliaris in der Richtung des Coloboma corporis ciliaris etwas klaffte, nicht am Linsenkapselrand geschlossen war, dadurch nach unten hin eine pyramidale Gestalt hatte und dann in eine Rapbe des Glaskörpers überging, die nicht tief war und sich am Rande des Glaskörpers verlor. Die Linse sammt Kapsel hatten eine runde Gestalt

Beitr. z. Entstehuogsgesch. der aogeb. Missbildungen des Auges. 227

Während bei diesen beiden Fällen von completer Iri- deremie das Linsensystem frei von jedem Bildangsfehler war, verhielt sich dies anders nach v. Ammon's Untersnchnngen an solchen Kalbsaugen, an denen eine angeborene Yerkttm- mernng der Iris vorgefunden wurde.

4. Bei einem fast ausgetragenen Kalbe, dessen rechtes Auge normal war, lag das linke tiefer in der Orbita als gewöhnlich. Es war kleiner als das rechte und seine Form globoser. Die Cornea erschien flach, die Iris war sehr schmal, aber in ihrem ganzen Zirkel gleichmässig breit, bläulich gefärbt, die Pupille gross. Tiefer als gewöhnlich lag hinter der Iris eine trttbe Linse, die bei der Lupenuntersuchung sehr deutlich, weniger deutlich bei der Untersuchung mit blossem Auge auf der vor- deren Fläche eine Dreitheilung zeigte.

Bei der anatomischen Untersuchung des vorderen Segmen- tes des Bulbus constatirte v. Ammon eine schmale dunkel pig- mentirte Uvea kurze Giliarfortsätze. Die Iris und der vor- dere Theil der durchschnittenen Chorioidea lagen der Cornea nahe. Die Sclera war dünn, die Chorioidea, an welcher ein Chorioidealtensor zu sehen war, lag ihr sehr dicht an. Das hintere Segment des Bulbus enthielt den Glaskörper sammt der Linse, die fest in demselben gelegen war. Die Corona ciliaris erschien in ihren einzelnen Theilen verwirrt und bildete hier und dort Falten. Unmittelbar von der Corona ciliaris aus senkte sich die vordere Kapselwand einwärts und bildete die- selbe mehr eine Concavität, als eine Convexität. Sie war da- bei wie der ganze Linsenkörper getrübt und hing mit der vor- deren Fläche des Linsenkörpers zusammen. Man sah auf die- sem eine dreieckige Figur, nach hinten zu war derselbe beu- telförmig ausgedehnt und rund auslaufend. Der Glaskörper war trübe, flach; er hatte im Wasser liegend keine Wölbung, nach hinten war er mehr schalenförmig gestaltet als kugelför- mig und hing mit der Netzhaut durch viele Falten innig zusam- men. Die vordere und hintere Kapselwand hafteten der Linse fest an.

5. Endlich fand v. Ammon an einem linken sehr flachen ausgetragenen fötalen Schöpsauge eine unten sehr schmale, oben breite Iris mit einer ins Pupillargebiet vorspringenden Zunge. Hinter der Iris ziemlich tief lag ein weisser runder Körper, der auf der vorderen Fläche eine trianguläre Zeichnung hatte. Die vordere Fläche selbst hatte eine concave Gestalt. Der

15*

228 6. Rihdfleiscli.

Linsenkörper selbst war länglich und undurchsichtig. Er sass im Glaskörper durch eine regelmässige Corona ciliaris festge- halten. Dieser war sehr flach, entbehrte jedes Turgors und war mit der Netzhaut zusammenhängend. Eine nähere Struc- turuntersuchung wurde weder an dieser noch an der anderen Linse vorgenommen.

6. Die erste mikroskopische Untersuchung eines angebore- nen Irismangels verdanken wir H. Pagenstecher (29), wel- cher darüber in der zweiten Sitzung der Ophthalmologischen Gesellschaft zu Heidelberg am 5. September 1871 Folgendes berichtete: „Vom Corpus ciliare an Stelle des Ligamentum pec- tinatum zieht sich nach vorn ein kleiner, sich etwas zuspitzen- der pigment- und gefässhaltiger Fortsatz. Er erstreckt sich in eine gabelige Theilung der Descemet'schen Membran und ist auf diese Weise fest mit der Cornea verwachsen. Der die innere Fläche dieses Fortsatzes begrenzende Theil der Desce- met'schen Membran trägt das Homhautepithel und setzt sich auf das Corpus ciliare fort Der übrige Theil der Descemet- schen Membran verliert sich in dem Gewebe an Stelle des Ligamentum pectinatum.'^

Erst das letzte Decennium hat zwei genaue makro- und mikroskopische Untersuchungen aufzuweisen. Die erstere von beiden wurde von de Benedetti (55) in den Annali d'Ottalmologia im Jahre 1886, die zweite und letzte von Lembeck (64) zu Halle im Jahre 1890 veröflfentlicht. Wir werden auf die wesentlichsten Punkte dieser beiden inter- essanten Abhandlungen weiter unten wiederholt hinweisen müssen, weshalb ich es unterlasse, dieselben einer genaue- ren vorherigen Besprechung zu unterziehen.

Eigene Untersuchung.

Das mir vorliegende Präparat wurde mir von Herrn Dr. Eichhorn, Augenarzt in Dessau, freundlichst überlas- sen. Da die Patientin, welcher das Auge entstammt, erst kurz vor ihrem Tode und in einem geistig wie körperlich stark reducirten Zustande dem genannten Specialisten zum ersten Male zu Gesicht kam, wurden sowohl die anamnesti-

Beitr. z. Entstehongsgesch. der angeb. Missbilduogen des Auges. 229

sehen Erhebungen, wie die Aufnahme des Status über ihr Augenleiden wesentlich erschwert, doch gelang es noch Fol- gendes festzustellen:

„Frau Schwertfeger, 51 Jahre alt, befindet sich seit Ende November 1890 wegen eines schweren Magen -Carcinoms im Kreiskrankenhaase zu Dessau. Anamnese mangelhaft, da die geistigen Functionen der Patientin gelitten zu haben schei- nen, und Angehörige nicht vorhanden sind. Doch behauptet sie wiederholt, schon in frühester Kindheit so schlecht gesehen zu haben, wie jetzt; nur in ihr vollständig bekannten Räamen habe sie sich ohne Führung bewegen können.

Eine genaue Sehprüfung ist wegen mangelnder Aufmerk- samkeit unmöglich: Links werden Finger etwa in Im Entfer- nung, rechts nur dicht vor dem Auge gezählt. Die Prüfung des Gesichtsfeldes gelingt nicht.

Es besteht beiderseits Nystagmus horizontalis.

Die Grösse der Bulbi scheint normal zu sein.

Die Spannung ist beiderseits gleich.

Die Hornhaut zeigt beiderseits einen breiten Arcus se- nilis, 80 dasB ihr Areal verkleinert erscheint

Auch der centrale Theil der Cornea ist durch verwaschene, grauweiss durchscheinende Flecke ziemlich stark getrübt. Am linken Auge, woselbst die Hornhauttrübung nicht ganz so dicht, wie am rechten Auge ist, lässt sich von einer Iris nichts nach- weisen. Am rechten Auge schien es bei focaler Beleuchtung bisweilen so, als ob ein ganz schmaler Saum vorhanden sei.

Die Linse ist am linken Auge total getrübt, anscheinend geschrumpft und verkalkt und nach oben innen dislocirt; rechts besteht nur Cataracta corticalis posterior sowie polaris anterior. Ihre Lage lässt sich nicht genau bestimmen. Sie scheint jedoch auch nach oben dislocirt zu sein.

Die ophthalmoskopische Untersuchung war durch den Nystagmus und die Trübungen sehr erschwert, jedoch war sicher beiderseits ausgedehnte Chorioiditis (grössere helle Flecke mit Pigmentschollen) zu erkennen.

Die Papille liess sich rechts nicht erkennen, links er- schien sie blass.

Leider wurde nach dem Tode der Patientin im Januar 1891 nur das rechte Auge, in Abwesenheit des Herrn Dr. Eichhorn enucleirt und diesem in Müller'scher Flüssigkeit

230 ^' Rindfleisch.

übergeben, das linke war wegen inzwischen erfolgter Beerdi- gung der Patientin nicht mehr zu erlangen gewesen.

Trotz der Kürze des obigen klinischen Befundes dürfte derselbe doch fast alles Wissenswerthe enthalten.

Die meisten der oben erwähnten Symptome sind bei fast sämmtlicheu klinischen Untersuchungen über Irideremie 80 häufig zur Beobachtung gekommen, dass sie als typische Begleiterscheinungen dieser Missbildung hier nicht ausführ- licher erörtert werden sollen. So hat man die Beidersei- tigkeit des Auftretens, den Nystagmus, die Amblyopie, die Hornhauttrübungen hauptsächlich in der Peripherie, die vor- wiegend an beiden Polen auftretenden Linsentrübungen iu der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von angeborenem Irismangel gefunden und beschrieben. Auch die Dislocatiou der cataractösen Linse scheint als typisch aufgefasst wer* den zu müssen. Denn wir finden dieselbe von einer grossen Zahl der Autoren erwähnt, so von Baratta (2), Ruete(20), Gutbier (13), Jäger (16), Prael (14), Müller (21), Hjort (31), Jany (32), Klein (38), Samelsohn (40), V. Becker (47), Vossius (49), Ottava (52), Van Duyse (50), Eales (53), Schröter (28), Herbet-Page (36), tawrentjeff (54), De Benedetti (55), Harlan (48), Hirschberg (59), Lembeck (64) u. A. und zwar hatte diese Verschiebung in der Regel nach oben stattgefunden, bezw. war die Linse nur oben fixirt. Von Ruete, Gut- bier, Rau, Jäger, Schröter und Lawrentjeff wird zu- gleich erwähnt, dass die Linse mehr oder weniger dicht an die Hinterfläche der Hornhaut herangerückt war.

Ein viel zu geringes Gewicht scheint mir jedoch bis- her auf die bei Irideremie sich abspielenden oder über*' standenen entzündlichen Vorgänge gelegt worden zu sein. Eine grössere Anzahl von Autoren nimmt auf dieselbe über- haupt keine Rücksicht, andere erwähnen solche nur ganz beiläufig, nur wenige heben besonders hervor, dass sie die- selben vermisst oder vorgefunden haben.

Beitr. z. Entstehungsgesclu der angeb. Missbildongen des Auges. 231

In Anbetracht der grossen Bedeutung der Entzündun- gen für die Genese des angeborenen Irismangels glaube ich kurz auf eine Beihe einschlägiger klinischer Beobach* tungen, welche in der Literatur der Irideremie niedergelegt worden sind, eingehen zu müssen.

Von den bereits erwähnten Trübungen der Hornhaut und Linse, deren entzündlicher Ursprung noch nicht allge- mein anerkannt wird, will ich hierbei Yorläufig absehen.

An der Sclera finden sich Erscheinungen, welche auf eine Entzündung dieser Haut hindeuten, mehrfach erwähnt. So von Behr (7), welcher sie bei einem irislosen Kinde bläulich fand; dasselbe berichtet Gutbier (13) von einem achtzehnjährigen Mädchen. Bei einem 21jährigen Mädchen, welche „an häufig wiederkehrenden Ophthalmieen^^ litt, „deren eine das linke Auge zerstört und Totalstaphylom zur Folge gehabt hatte'S fand Henzschel (8) „die Sdero- tica sehr dünn, so dass die Ghorioidea an mehreren Stellen durchschimmerte'S was auch Brunhuber (39) bei einem irislosen Knaben beobachten konnte. Und Lembeck (64) beschreibt eine hydrophthalmische Entartung des Bulbus. Den Glaskörper fand Baratta (2) in dem erwähnten Falle, desgleichen E. Müller (21) und Eales (53) ver- flüssigt. Auch Manz (37) erwähnt, dass er gelegentlich der Extraction einer Katarakt bei einem irislosen Manne Glaskörpenrerflüssigungen vorgefunden habe. Trübungen des Glaskörpers hatte vielleicht Henzschel (8) bei einem 13jährigen Mädchen vor sich gehabt, bei welchem im lin- ken Auge „eine dreieckige weissblaue Trübung" sichtbar war, „die ihren Sitz in der Linse haben durfte, obgleich sie tiefer zu liegen schien" und Harlan (48) konnte flottirende Glaskörpertrübungen in einem irislosen Auge be- stimmt nachweisen. Ein Gleiches berichtet Lembeck (64) und De Benedetti (55).

Man wird wohl annehmen dürfen, dass Glaskörperver- änderungen viel häufiger vorhanden gewesen sind, dass je-

232 G. Rindfleisch.

doch ihr Nachweis w^en der r^elmässig bestehenden Tni- bangen der brechenden Medien äusserst schwierig oder ganz unmöglich war. Einen Beweis dafür bietet der eben er- wähnte Fall Yon Manzy bei welchem sich vor der Extrac- tion ausser einer leichten Beweglichkeit des unteren Lin- senrandes keine Anzeichen einer Verflüssigung des Glaskör- pers Yorfanden.

Veränderungen im Fundus Oculi finden wir aus naheliegenden Gründen erst nach Ruete's Zeit, dann aber auch wiederholt herrorgehoben. So berichten K Müller (21), Brunhuber (39) und v. Becker (47) von Netz- hautablösungen. Pathologische SehneryenezcaTatio- nen erwähnen Klein (38), Brunhuber (39), Samelsohn (40), Hirschberg (59) und Lembeck (64). Was endlich die Aderhautveränderungen anbetrifft, so scheinen diese ziemlich häufig zu sein.

So fand E. Müller (21) nur noch „in geringem Ab- stände Yon der Comealgrenze einige hellgraue Flecke als letzte Andeutung der Chorioidea". Rudel (26) wies in einem Falle Pigmentarmuth derselben nach, in einem ande- ren Falle giebt er den Augenhintergrund als „YÖllig degene- rirt'' au. De Montmeja (30) constatirte ein kleines „Golo- bome de la choroide'S welches keilförmig mit der Spitze nach der Macula gerichtet war, Adler (34) Rarification des Chorioidealpigmentes, Brunhuber (39) „Yereinzelte grössere und kleinere Flecke zum Theil schwarz mit scharf umschrie- benen, atrophischen Rändern, zum Theil gelblich weiss und weniger deutlich begrenzt, im Ganzen ziemlich pigmentarm'^ Samelsohn (40) und Wurst (42) machten die letztere Be- merkung gleichfalls. Auch Herbet-Page (36) und Har- lan (48) sahen „atrophische Flecke '^ in dieser Membran, Felser (57) fand eine „schwache Entwickelung der Gefäss- haut" und Grünsberg (63) vergleicht sie bei einer par- tiellen Irideremie einer „albinotischen'S

Es bietet also die in meinem Falle klinisch nachge-

Beitr. z. Entstehongsgesch. der angeb. Missbildangen des Auges. 233

wi^ene Chorioiditis disseminata nur einen weiteren Beleg für das häufige Vorkommen einer Entzündung der Uvea.

Makroskopischer Befund des rechten Bulbus.

Bereits während der Härtung in Moller'scher Flüssigkeit trat im Aeqnator des Bulbus eine leichte Einziehung auf^ welche sich während der weiteren Behandlung mit (allmälig verstärk- tem) Alkohol zu einer tiefen Ringfurche ausprägte. Uebrigens boten die Form- und Grössenverhältnisse des Augapfels nichts Auffallendes dar, ausser im Bereiche der Hornhaut (Fig. 1).

Dieselbe zeigt von aussen betrachtet ein quer-elliptisches Areal (Diameter verticalis: ca. 10 mm, Diameter horizontalis: ca. 11,5 mm). Die getrübte Randzone geht unmerklich in die Sclera über, weshalb die Hornhautgrenze auch nicht so genau zu bestimmen ist. Die Wölbung der Hornhaut ist im Cen- trum leicht abgeplattet; hierselbst erscheint auch das Gewebe diffus getrübt. Ausserdem fällt eine höchst eigenthümliche Zeichnung, die vermuthlich auf die Hinterfläche der Descemeti zu localisiren ist, auf. Dieselbe stellt einen nach aussen sich gabelnden dunkeln Strich dar, bezw. zwei kleinere und eine grössere nahe am Centrum der Hornhaut radiär zusanmienlau- fende etwas unregelmässig zackige Linien (Tafel Yil, Fig. 1).

Die Halbirung des gehärteten Auges erfolgte im grössten verticalen Meridian, wobei besondere Sorgfalt auf die Erhal- tung der Linse in ihrer Lage verwendet wurde. Es ergab sich jedoch, dass dies nicht ganz zu ermöglichen war, weil eine festere Anheftung der Linse nur oben und etwas nach innen vorhanden war, so dass sie im Uebrigen frei in der vorderen Kammer schlotterte.

Die Hornhaut erscheint auf dem Durchschnitt nahe am Centrum dünner als in der Peripherie. Die Entfernung der beiden Hornhautränder von einander beträgt 10,5 mm, die Höhe des von der Cornea gebildeten Bogens 2,75 mm Am Rande greift der weissliche Scleralbord ziemlich weit nach vorn über. Die Innenseite der Hornhaut zeigt zahlreiche radiär nach dem Centrum zusammenlaufende Falten. Man bemerkt jetzt die von aussen sichtbar gewesene schwarze Strichzeichnung deutlicher. Sie liegt thatsächlich auf der Descendeti, der Yereinigungspunkt der drei Striche dürfte vom Mittelpunkte der Hornhaut etwas nach oben und innen abweichen.

Die Sclera ist in der vorderen Bulbushälfte auffallend

234 0. Rindfleisch.

dünn. Sie setzt sich scharf gegen die Cornea ab (ausser an der Aossenseite), so dass zwischen beiden Membranen eine Ring- farche entsteht, welche von einem kleinen Irismdimente theil- weise überbrückt wird (Taf. VII, Fig. 2 R u. R^).

Am Aequator zeigt die Lederhant eine ringförmige £in- Senkung, welche oben tiefer als unten erscheint. Im hinteren Bnlbusabschnitte ist die Sclera von nahezu normaler Dicke.

Von der Iris ist ein ganz schmaler Saum vorhanden; oben ist derselbe vielleicht etwas breiter als unten. Hier liegt er der erwähnten Sclerocomealfürche dichter an.

Der Ciliarmuskel bietet eine platte Gestalt und scheint unten breiter aber niedriger zu sein als oben. Die Ciliarfort- Sätze sind ziemlich normal entwickelt.

Die Aderhaut ist nur unten vom Giliarkörper bis zum Aequator leicht abgehoben.

Die Netzhaut hat sich ausserdem oben vom Opticus bis zum Aequator von der hier dicht der Sclera aufliegenden Ader- haut entfernt. Man kann die Retinalgef&sse deutlich verfolgen. Die Maculagegend kennzeichnet sich als heller, querovaler Wall.

Der Sehnerv hat eine centrale physiologische Excavation.

Die Linse, welche, wie* erwähnt, nur oben und etwas nach innen fixirt ist und übrigens frei im vorderen Bulbusab- schnitt liegt, giebt jetzt über die Stellung, welche sie vor der Enucleation eingenommen hatte, keine ganz sichere Auskunft mehr. Nur bei genauester Lupenbetrachtung wird uns hier- über ein gewisser Aufschluss gegeben. An der nasalen Hälfte des Bulbus bemerkt man nämlich, wie feine, schleierartige Fa- sermassen vom unteren Giliarkörper her, theils nach vom gegen das Homhautcentrum, theils nach hinten in den Glaskörper ziehen. Zwischen beiden so gebildeten Schenkeln liegt eine Excavation, welche genau der Form des Linsenäquators ent- spricht (Fig. 2 bei k). Doch noch eine andere Eigenthümlich- keit weist darauf hin, dass die Linse vor der Enucleation zu irgend einer Zeit der Hinterfläche der Hornhaut angelegen hat. Sie zeigt auf ihrer Yorderfläche genau dieselben radiären Fal- tungen, welche in grosser Zahl nach dem Gentrum hin zusam- menlaufen, wie wir sie an der Descemet'schen Membran vor- fanden, von denen es sich recht gut denken lässt, dass jedes- mal eine Einsenkung auf der Descemeti einer Erhöhung auf der Linse entsprochen hat und umgekehrt, so dass sie dicht aufeinander gepasst hatten. Die Linse zeigt eine abgeplattete Form. Sie ist auf dem Durchmesser 11 mm breit bei einer

Beitr. z. Entatehongsgesch. der angeb. Missbildangen des Auges. 235

Dicke von 3,25 mm. Die Rinde ist grauweiss, am hinteren Pole weist sie eine kleine nabeiförmige Verdickung auf, wäh- rend sie anf ihrer Yorderfläche, besonders in der Gegend des vorderen Pols aufgeblättert und zerfallen ist. In der Gorticalis liegen nahe am Aequator mehrere feine weisse „Reiterchen^\

Der Glaskörper hat sich in toto abgelöst und im vorderen Bnlbusabschnitte hinter der Linse dicht zusammengeballt, mit welcher er fest verklebt erscheint.

Nach Einbettung beider Bulbnshälften in Celloidin wür- den mit dem Becker 'sehen Mikrotom von der äusseren Hälfte Serienschnitte (von zumeist 20^ Dicke) in verticaler Richtung, von der nasalen Hälfte theils solche in gleicher, theils an der Stelle, wo die Linse fixirt war in schräg- meridionaler nach dem Gentram der Linse hinzielender Richtung angefertigt Die Färbung fand vorwiegend mit Eosin-Hämatoxylin statt.

Mikroskopischer Befund.

Die Hornhaut, welche, wie bereits oben erwähnt, auf dem Durchschnitt einen in der Gegend des Scheitels etwas abge- flachten Bogen beschreibt, weist in dieser Gegend nur einen Dickendurchmesser von 0,4 mm (Fig. 2 s) au^ während derselbe nach der Peripherie zn bis gegen 0,9 mm anwächst, um im Gebiete der Ringfurche, welches histologisch eine der Sclera ähnliche Beschaffenheit bietet, plötzlich wieder auf 0,5 mm herabzusinken. Mehrere leichte Einziehungen an der Innen- fläche der Cornea entsprechen den makroskopisch beobachteten radiären Faltungen, eine bezw. zwei tiefere mit Pigment ge- füllte (Fig. 2F) der änsserlich sichtbaren dreistrahligen Figur. Das Epithel ist nirgends von ganz normalem Aussehen. Nur an wenigen Stellen wird es von drei Obereinanderliegenden Zellschichten gebildet und nur an solchen wird eine Art Basal- zeUenschicht, deren Elemente höchstens eine cubische Gestalt zeigen, angedeutet; die überwiegende Mehrzahl der Epithel- zellen ist auffallend abgeflacht, so dass ihre Gestalt etwa der- jenigen der oberflächlichsten Schichten einer normalen Horn- haut entsprechen würde. Dieselben ziehen zumeist nur als eine dünne Lage über die Oberfläche der Hornhaut hin; ja im mit^ leren Drittel derselben hören sie unter Homogenisirung ihres Protoplasmas und Schwinden ihres Kernes allmälig überhaupt auf, so dass ein weites Gebiet der Hornhautoberfläche epithel- frei wird. Die Bowman'sche Membran zeigt sich gerade in

236 0. Rindfleisch.

dieser Gegend auffallend verändert Sie hebt sich hier von den zonächst anter ihr liegenden Parenchymschichten, welche wie hyalin gequollen und fast zellenfrei erscheinen, kaum merk* lieh ab und trägt an ihrer Oberfläche mehrere kleine halb- kugelförmige Verdickungen, welche sich von den an anderen Glashäuten beobachteten Drusen in keiner Weise unterscheiden. Diese Drusen der Bowman'schen Membran sind nicht sehr zahlreich, treten aber stellenweise recht scharf hervor (Fig. 3Dr). Nach dem Hornhautrande zu lässt sich besagte Membran noch streckenweise als sehr schmales helles Band unter dem Epithel nachweisen; dann aber setzt sie sich in immer feiner werden- den mehrfach übereinander liegenden Lamellen fort, welche von langen Beihen platter, spindeliger und runder Zellen durchwach- sen sind (Taf. VIII, Fig. 4 Bm) und geht so in die nächsten Paren- chymschichten allmälig über. Vom Parenchyme selbst war der eigenthümlichen Quellung der obersten Schichten im mittleren Drittel der Hornhaut bereits Erwähnung gethan. Sie hat offen- bar intra vitam die leichte diffuse Trübung des Hornhautcen- trums hervorgerufen. Die ausgedehnte periphere Trübungszone, welche oben mit dem vielleicht nicht recht zutreffenden Namen des „Arcus senilis^^ bezeichnet wurde, verdankt ihre Beschaffen- heit in erster Linie einer auffallend weit nach der Homhaut- mitte vorgeschobenen Grenze zwischen Gonjunctiva bulbi und Epithel der Hornhaut. Das lockere kernreiche Episcleralgewebe greift in der oberen Bulbushälfte 2 mm, in der unteren 1,6 mm weit vom Iriswinkel an gerechnet auf die Hornhaut über, in- dem es sich central wärts allmälig verjüngt (Fig. 4 Es), doch schieben sich in seiner Fortsetzung noch eine weite Strecke zahlreiche Rund- und Spindelzellen zwischen die oberen Paren- chymschichten, sowie zwischen diese und das Epithel. In der unteren Bulbushälfte ist dieses zellig infiltrirte Gebiet auch stark vascularisirt, so dass hier ein dem Pannus gleichendes Bild entsteht. Eine Verfettung der Hornhautzellen konnte we- gen der Aether-Alkohol-Behandlung mit Osmiumsäure nicht mehr festgestellt werden. Die Descemet'sche Membran ist gut ent- wickelt und vollkommen iutact, desgleichen ihr Endothel. Letz- teres ist allenthalben mit Pigmentkörnchen versetzt An einer tieferen Einsenkung der hinteren Hornhautwand (Fig. 2F) la- gert, wie schon der makroskopische Befund zeigte, ein gewal- tiger Haufen freier Pigmentkörner. Nach dem Rande zu wird der Endothel-Ueberzug allmälig sehr flach und kemarm. Die Sclera ist nur in der Nähe des Sehnerven -Eintrittes von

Beitr. z. Entetehongsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 237

normaler Dicke. Am Aeqaator ist sie auf 0,3 mm, gegen den Homhantrand hin auf 0,4 mm verdünnt. Die erwähnte Ein- ziehung am Aequator ist an der Stelle der stärksten Ver- dünnung (Fig. 2E) an der oberen Bulbuswand am meisten aus- gesprochen. In histologischer Beziehung bietet die Lederhaut nichts Bemerkenswerthes, ausser in der Gegend des unteren Giliarkörperansatzes. Hier ist sie durch eine etwa 1,5 mm breite dem Homhautrande concentrisch gerichtete Perforation in ihrem Verlaufe unterbrochen (Fig; 4P). Dieselbe durch- dringt, wie eine grössere Reihe von Schnitten ergiebt, sämmt- liche meridionalen Lamellen der Sclera und macht erst an den circulären Faserbflndeln des Scleralwulstes Halt. Auf ihrem Verlaufe kreuzt sie eine spaltförmige Fortsetzung des Circulus venosus ciliaris (Fig. 4 Cv), dessen Lumen dadurch in offener Communication mit der Oberfläche dos Bulbus stehen würde, wenn nicht die Rupturstelle selbst von einer dicht gedrängten Masse spindeliger mit ihren Kernen senkrecht zum Verlaufe der Sclerallamellen gestellter Zellen erfüllt wäre. Der sehr langgestreckte spaltförmige Raum des Schlemm'schen Canals selbst enthält viele freie Pigmentkömer. Auch sind einzelne Pigmentkörnchen an verschiedenen Stellen der Perforations- öfPnung nachzuweisen. Ebenso ist das kemreiche Plattenwerk der inneren Wand des Schlemm'schen Canals mit solchen durch- setzt.

Ein Eammerwinkel hat sich nur in der oberen Bulbus- hälfte ausgebildet Jedoch liegt die Iris der Hornhaut hier so nahe, dass derselbe sehr spitz erscheint und ein eigentliches Ligamentum pectinatum nicht hervortritt, wenigstens sind die Zwischenräume zwischen den Lamellen der Descemet'schen Mem- bran so dicht zusammengedrängt, dass sie nur ganz schmale Spaltlücken darstellen. Dieselben sind bis zum Beginn der Descemeti hin von Pigment massen durchzogen, die sich nur durch ihre parallele Anordnung vom Pigmentnetze des Iris- stromas unterscheiden. Ein fortlaufender Endothelbelag von der Descemeti auf die Vorderfläche der Iris lässt sich nicht nachweisen. In der unteren Hälfte des Bulbus ezistirt nur ein scheinbarer Eammerwinkel, thatsächlich liegt die Iris in ihrem ciliaren Theile der Hornhaut so dicht an, daas nur noch ein enger spaltförmiger Raum die Lage desselben andeutet (Fig. 4 Kw). Eine scharfe Begrenzung nach innen in Gestalt eines Endothelflberzuges fehlt auch hier, und an der Stelle, wo die Iris sich von der Hornhaut abwendet und nach dem Innern

238 G. Rindfleisch.

des Bulbus gerichtet ist, ragen Ausläufer sternförmig verzweig- ter Pigmentzellen zum TheU frei in das Lumen der Yorderen Kammer hinein. Der Baum zwischen Iris und Hornhaut ist ausser mit freien Pigmentkömehen mit einem Gerinnsel erfüllt, welches zu einem breiten Strang zusammengeballt schräg nach vom gegen die Hornhaut zieht Es enthält einzelne Rund- zellen (Fig. 4Z).

Der Giliarkörper ist schwach entwickelt und niedrig, so dass sein grösster Dickendurchmesser in der oberen Hälfte des Bulbus 0,8, in der unteren nur 0,6 mm beträgt Die schmächtigen Muskelbündel sind stark aufgelockert, die circu- lären und meridionalen in normaler Weise yertheilt Auch hier ist der Pigmentgehalt ein auffallend grosser; am stärksten prägt er sich in der inneren bindegewebigen Grenzschicht aus, doch ziehen von hier zahlreiche Pigmentzüge nach vom zwischen die Muskelbündel, die sie förmlich umspinnen. Die Giliarfortsätze zeigen im Vergleich zum Güiarkörper eine sehr gute Entwicke- lung; die grössten steigen bis zu einer Höhe von 0,6 mm an. Sie bieten eine Gesammtoberfläche dar, welche an Ausdehnung kaum hinter der eines normalen Auges zurückbleiben dürfte. Ihrer histologischen Stmctur nach zeigen sie keine bemerkens- werthen Eigenthümlichkeiten. Auffallend ist jedoch der Um- stand, dass sämmtliche Giliarfortsätze deutlich nach hinten gerichtet sind.

Von der Iris ist ein Rudiment in Gestalt eines schmalen Ringes vorhanden. Auf dem Durchschnitt ragt dieser Ring oben als 0,9, unten als 0,5 mm langer Zapfen in den zwischen Gomea und Linse beflndlichen Raum hervor. Jedoch ergiebt sich bei genauerer Besichtigung, dass dieser Zapfen noch nicht die ganze Iris darstellt Der ciliare Theil derselben liegt viel- mehr — wie bereits oben erwähnt war der Hornhaut so dicht an, dass hier der Eammerwinkel nahezu oder vollkommen aufgehoben, das Ligamentum pectinatum platt gedrückt erscheint Rechnet man das nicht mit zur Bildung einer vorderen Kam- mer beitragende Stück zur Iris hinzu, so würde dieselbe oben noch fast einen Saum von 1 mm, unten einen solchen von 0,7 mm repräsentiren. An den breiteren Theilen ist die Iris am Giliaransatze 0,4 mm, an den schmäleren 0,5 mm dick. Ueberhaupt ist der Irisdurchschnitt oben mehr schlank und mehr einem normalen, wenn auch embryonalen, gleichend (Fig. 2 J), während er unten nur einen kurzen unförmigen Stumpf dar- stellt (Fig. 2J^). Der letztere zeigt nahe am Giliaransatze an

Beitr. z. EntstehongsgeBch. der angeb. Missbildongen des Aages. 239

der Innenseite eine tiefe, nach der Perforationsstelle der Sciera hin gerichtete Einziehung (Fig. 4E), während eine solche oben an der entsprechenden Stelle nnr schwach angedeutet ist. Das Gewebe der Iris zeichnet sich durch einen grossen Pigment- reichthum aus, welcher gegen die Yorderfläche dermaassen aus- gesprochen ist, dass dieselbe von einem gleichmässig braunen Saum begrenzt wird. Ausserdem ist der uveale Theil der Iris reich an Kernen und dickwandigen Gefässen, doch ausserordent- lich arm an Muskelfasern. Ein Sphincter pupillae fehlt vollkommen. Der retinale Theil der Iris ist gut entwickelt Sein Dickendurchmesser beträgt durchschnittlich 0,05 mm. Er reicht bis gegen den vorderen Saum des Pupillarrandes, doch hebt sich auch hier das schwarze Pigment von dem angren- zenden bräunlichen Pigment auf der Vorderseite der Regen- bogenhaut scharf ab.

Die Zonula Zinnii hat, wie die mikroskopische Unter- suchung mit Bestimmtheit ergiebt, intra vitam der Linse aller- seits angehaftet, doch scheinen ihre Fasern eine zu grosse Länge und Nachgiebigkeit besessen zu haben, um die Linse fest in ihrer normalen Lage zu erhalten. Oben war die Be- festigung offenbar eine bessere, als unten. Die Zonulafasern sind hier auch zahlreicher und kräftiger. Wir sehen bei schwacher Yergrösserung, wie dieselben oben in gewöhnlicher Weise als Fortsetzung der Membrana hyaloidea über die hin- teren Ciliarfortsätze nach vom ziehen und sich an der Kapsel inseriren. Dabei nehmen sie einen welligen Verlauf, weil die Linse bei der Halbirung sich leicht nach oben verschoben hat, also die Entfernung ihres Aequators von der Ora serrata ver- ringert worden ist (Fig. 2Z). Diese leichte Verschiebung der Linse hat aber an der unteren Hälfte zur Sprengung der Kap- sel geführt. Während diese an der Zonula haften geblieben ist, hat sich der Aequator der Linse ein Stück von ihr entfernt. Der Durchschnitt zeigt uns also hier einen genau die Form des Linsenäquators wiedergebenden Kapselbogen, welcher mit- telst der gespannten Zonula an der Ora serrata bezw. Mem- brana hyaloidea fixirt ist (vergl. Fig. 2K und Fig. 4K). Aus dem Vorstehenden bestätigt sich, wenn man zugleich die Länge der Zonula berücksichtigt, die Annahme, dass die Linse wahr- scheinlich gelockert der Hornhaut nahe gelegen hat. Ein Be- weis für diese Annahme wird auch durch das Verhalten der hinteren Linsenkapsel erbracht, worauf wir sogleich eingehen werden.

240 ^' Rindfleisch.

Die Linse, deren leichte (artificielle) Verschiebung nach hinten oben bereits hervorgehoben war, entspricht in ihren Di- mensionen genau den makroskopisch gefundenen Maassen. Die Kapsel nmschliesst sie abgesehen von der artificiellen Zer- reissung vom am Pol und hinten etwa in der Mitte zwischen Pol und Aequator continuirlich. Hinten ist sie auf&Ilend stark gefaltet und hebt sich genau am hinteren Pole halbkugel- förmig empor (Fig. 2 Cp), nach dem Aequator zu und auf der Yorderfläche der Linse ist die Faltung geringer; zugleich er- reicht die Kapsel hier zwischen Aequator und Pol ihre grösste Dicke, um noch weiter centralwärts zuerst zwei Lamellen er- kennen zu lassen und sich genau am vorderen Pole derartig zu verändern, dass hier mehrere feine Lamellen durch lange Züge von Zellen getrennt die Stelle der Kapsel vertreten. Eine continuirliche Lage von Kapselepithel als innere Begrenzung dieses Gebietes konnte ich nicht mit Sicherheit nachweisen, während der Epithelbelag an der ganzen übrigen Yorderfläche und am Aequator der Linse bis zum Kembogen hin ununter- brochen vorhanden ist

Eine Umwandlung von Epithelzellen in Bläschenzellen war nicht zu sehen, wohl aber lagen mehrfach bläschenförmige Bäume hinter den langgestreckten Epithelzellen, die sich scharf von ihnen abgrenzten. Im ganzen Yerlauf der vorderen Lin- senfläche finden sich zerstreute Häufchen von Pigmentkömem abgelagert

Die Corticalis ist am vorderen Linsenpol in einem Ge- biete, welches breitkegelförmig der Kapsel anliegt, einem Zer- störungsprocess anheimgefallen. Die Basis dieses kegelförmigen Herdes beträgt etwa 0,5 mm im Durchmesser. Die Spitze ist gegen das Centrum der Linse gerichtet (Fig. 2 Ca). Am Rande erscheinen die Linsenfasem der Rinde in weiter Ausdehnung zerklüftet, während im Innern sich auch bei stärkerer Yer- grösserung nur Massen von grösseren und kleineren schlecht gefärbten Schollen nachweisen lassen. Yon anderen morpho- logischen Bestandtheilen finden sich nur gegen die Kapsel zu einzelne in Zerfall begriffene Epithelzellen. Yom Kembogen nach hinten treten unter allmäligem Zerfall der LinsenfisMem zahlreiche Morgagni*sche Kugeln auf, welche näher dem hin- teren Pole einer homogenen durchschnittlich 0,1 mm dicken Schiebt Platz machen. Dort, wo sich am hinteren Pole selbst die Kapsel halbkugelförmig emporgewölbt hatte, ist sie beson-

Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildangen des Auges. 241

ders dick, mit der Kapsel eng verschmolzen, nach innen zu aber zerfidlen, in Schollen und in einzelne Kugeln aufgelöst

Die makroskopisch beobachteten feinen weissen „Reiter- chen^^ documentiren sich mikroskopisch als Spaltlücken zwischen den Linsenfasern nahe am Kern, welche mit äusserst feinkör- nigen durch das Hftmatoxylin dunkelblau gefärbten Massen er- füllt sind.

Der Kern selbst bietet histologisch nichts Bemerkenswerthes.

Der Grlaskörper mit seiner Hyaloidea ist nach vorn hin bis über den Aequator hinaus vollkommen von der Retina ab- gelöst, von hier ab aber mit dieser Membran fest verwachsen. Seinen zusammengeballten Massen sind hinten geringe Mengen geronnenen serösen Exudates aufgelagert. Die Glaskörper- fibrillen sind von sehr welligem Verlaufe. Zellige Bestandtheile sind nur spärlich dazwischen vertreten.

Die Aderhaut ist von der Stelle der ringförmigen Ein- senkung der Bulbuswand bis zur Ora serrata hin leicht von der Sclera abgehoben (Fig. 2£, E^). Diese Abhebung ist je- doch offenbar nur mechaniBch durch den Druck eben jener Scleralfalte hervorgerufen. Histologisch betrachtet bietet diese Membran in der Mehrzahl der Schnitte von der Eintrittsstelle des Sehnerven bis zum Aequator ziemlich normales Verhalten. Nur erscheinen die Wände einzelner kleinerer Arterien bis- weilen auffallend verdickt und wie hyalin gequollen. Auch ist die Vertheilung des Pigmentes im Stroma eine sehr unregel- mässige. Die Suprachorioidea hat sich entsprechend der Ab- hebung der Aderhaut gelockert und fällt gleichfalls durch ihren Pigmentreichthum auf. Nahe an der Ora serrata treten aus- gedehnte Veränderungen des ganzen inneren Ueberzuges der Sclera hervor. Die Geflisse der Chorioidea sind hier nur in äusserst geringer Zahl, meist jedoch überhaupt nicht mehr nach- weisbar. An ihrer Stelle durchziehen nur einige homogene Stränge das pigmentarme hier und da von Gonglomeraten von Rundzellen durchsetzte Aderhautgewebe, welches letztere in der Mitte des Herdes nur noch schwach angedeutet und von der Suprachorioidea kaum zu unterscheiden ist.

Die Glasmembran erscheint hier unterbrochen, so dass die Elemente der Retina unmittelbar in die Aderhaut übergehen. Die hochgradigsten Voränderungen hat jedoch das Pigment- epithel erfahren. Dasselbe haftet im übrigen Bulbus, an den Stellen, wo sich die Netzhaut abgehoben hat, der Basalmem- bran der Chorioidea an. Seine Armuth an Pigmentkörnem

T. Graefc*8 Archir für Ophthalmologie. XXXVII. 3. 16

242 6. Rindfleisch.

steht im auf&Uenden Gegensatze zu der starken Pigmentirung im Uvealtractns. Stellenweise liegen auch nahe am Opticus Herdchen, in denen die Pigmentschicht nur aas einer Reihe von blan gefärbten Epithelzellen besteht, die der Pigmentköm- chen fast ganz entbehren. Innerhalb des oben erwähnten Er- kranknngsherdes ist die Pigmentepithelschicht gänzlich ge- schwanden, während ihre Zellen sich am Rande desselben zu dicken, braunschwarzen Klumpen zusammengeballt haben.

Die Netzhaut ist in diesem Gebiete verdünnt und ist mit der atrophischen Aderhaut eine innige Verbindung eingegangen. Sie setzt sich aus langen sich vielfach kreuzenden Fasern zu- sammen und enthält zahlreiche Kerne. Von einer typischen Schichtung ist nicht mehr die Rede. Erst in weiterer Ent- fernung vom Erkrankungsherde treten wieder zwei Kömer- schichten der Netzhaut hervor, jedoch sind die bindegewebigen Elemente noch bei weitem vorwiegend. Zugleich lagern nahe am Herde zahlreiche freie Pigmentkörnchen im Gewebe der- selben, während solche im Innern des erkrankten Gebietes nur äusserst spärlich nachzuweisen sind. Der Glaskörper haftet hier der Netzhaut fest an. Wo die Netzhaut nicht mit der Aderhaut verklebt ist, liegt zwischen dem der Aderhaut anlie- genden Pigmentepithel und der Retina überall eine dichte Masse feinkörniger Substanz, welche die theUs abgelösten, theils cadaverös zerfallenen Stäbchen und Zapfen, sowie freies Pigment enthält Der Cylinderepithel-Ueberzug der Ora ser- rata zeigt in der Nähe der atrophischen Retinapartie cystische Degeneration seiner Zellen. Dieselben stellen zumeist grosse ovoide Blasen dar, welche an ihrem dem Glaskörper zugewen- deten Ende wenig färbbares Protoplasma mit einem Kern führen. Zwischen den Zellcontouren lagern gleichfalls Reihen feiner Pigmentkörner.

Der Sehnerv bietet abgesehen von der tiefen centralen physiologischen Excavation nichts Bemerkenswerthes.

Epikrise.

Kurz zusammongefasst würde die vorstehende anato- mische Untersuchung Folgendes ergeben haben:

Geringe Verdünnung der Sclera im vorderen Bulbus- abschnitte. Perforationsnarbe derselben nahe am unte- ren Sclerocomeal-Rande. Faltung und stellenweise Ver-

Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Aages. 243

dünnung der Hornhaut mit theilweisem Epithelverlust und weitem Uebergreifen der Episclera nach dem Centrum hin.

Drusen der Bowman'schen Membran. Dreistrahlige Pigmentzeichnung auf der Descemet'schen Membran. Rudimentäre Entwickelung der Iris. Fehlen des Sphinc- ter pupillae. Geringe Ausbildung des Ciliarmuskels. Richtung der Ciliarfortsätze nach hinten. Cystische De- generation des Cylinderepithels der Ora serrata. Chorioi- ditis. — Glaskörper- Abhebung und Verflüssigung. An- deutung einer früher stattgehabten Dislocation nach vorn.

Ectopie nach oben und innen. Cataracta polaris anterior und posterior.

Es stimmen mit diesem Befunde die Ergebnisse der von De Benedetti (55) und Lembeck (64) angestellten histologischen Untersuchungen im Wesentlichen überein. So hebt De Benedetti die verschiedene Dicke der Cornea an verschiedenen Stellen, sowie ihre geringe Differencirung von der Sclera hervor. Auch beschreibt er eine spornartige Hervorragung an der Innenseite der Hornhaut von der Höhe eines Comealdurchmessers. Die auffallende Aehnlichkeit seiner Zeichnung mit einer im Atlas von Wedl und Bock (Tafel III, Figur 15) abgebildeten perforirenden Homhaut- narbe, welche einen langen in die vordere Kammer ragen- den Gewebszapfen darstellt, legt die Vermuthung nahe, dass es sich in De Benedetti's Fall auch um eine Hornhaut- perforation gehandelt hat. Lembeck erwähnt an der Cor- nea eine circumscripte centrale Trübung und berichtet, dass in der ganzen Ausdehnung unter der Bowman'schen Mem- bran zarte Gefässchen verliefen; femer war die Hornhaut konisch vorgewölbt An der Sclera werden Erscheinungen erwähnt, welche auf Verfettung des Gewebes hindeuten.

Einen vollkommenen Mangel der Iris konnten auch diese beiden Autoren nicht nachweisen, obschon ihre Be- funde klinisch imzweifelhaft als totale Irideremie aufgefasst werden mussten. Ein sicherer Fall von vollkommenem Man- ie*

244 0. Rindfleisch.

gel der Regenbogenhaut ist also auch durch die neuesten Untersuchungen nicht erbracht worden.

De Benedetti's sowohl, wie Lembeck's Untersu- chungen haben in Uebereinstimmung mit Pagenstecher's (29) früheren Veröffentlichungen ein Hineinwachsen der Iris oder eines Theiles derselben zwischen die Lamellen der Descemetischen Membran ergeben. Wenn sich auch meine Befunde kaum erheblich von den ihrigen unterscheiden dürften, so schien es mir doch zu viel gesagt, wenn ich die wenigen Pigmentzüge, die sich in meinen Präparaten zwi- schen das Ligamentum pectinatum nach vorn erstrecken (Figur 4 bei Kw z), als Fortsetzung der Iris ansprechen wollte. Der gänzliche Mangel von Muskelfasern in der ru- dimentären Iris wird Ton DeBenedetti gleichfalls betont, während Lembeck hierauf nicht eingeht. Wenn ich nach meinen Befunden als höchst wahrscheinlich annehmen musste, dass die vordere Kammer wenigstens zeitweilig aufgehoben war, so liefert De Benedetti den Beweis hierfür, indem er Stücke der Linsenkapsel mit der Hinterfläche der Horn- haut fest verwachsen fand. Das Corpus ciliare sahen beide Autoren gleich mir schwach entwickelt; und De Benedetti hat ausserdem gleich mir die Ciliarfortsätze nach hinten gerichtet gefunden. Die Zonula Zinnii wird übereinstim- mend als ziemlich normal erkannt, nur beschreibt De Be- nedetti eine geringe Stärke ihrer Fasern im unteren Au- genabschnitt, wie auch ich constatirt habe und hebt gleich Lembeck und mir eine Loslösung derselben von der Lin- senkapsel hervor, die aber wohl überall als artificiell auf- zufassen ist. Die Linsenkapsel selbst war in allen Fällen verdünnt, gefaltet und zum Theil wohl auch zerrissen. Be- züglich der cataractösen Veränderungen in der Linse treten nur geringe Abweichungen an den Befunden auf. Der Glas- körper war bei allen theilweise verflüssigt und abgehoben. Die Aderhaut und das Pigmentepithel fand auch De Bene- detti verändert und atrophisch, während Lembeck diese

Beitr. z. Entstehangsgesch. der angeb. Missbildongen des Auges. 245

Membranen als normal bezeichnet; doch beschreibt er einen zwischen Ora serrata nnd Ciliarkörper befindlichen Herd atrophischer Netzhaut mit Anhäufung und Wucherung des Pigmentepithels am Bande desselben. Der Sehnervenein- tritt war in Lembeck's Fall und in dem einen Falle von DeBenedetti glaucomatös, im anderen Falle des letzteren, wie in dem meinigen, nur tief physiologisch excavirt

Als besondere Eigenthümlichkeiten wies der von mir untersuchte Bulbus Drusen an der Bowman'schen Membran, sowie eine eigenthümliche Zeichnung der Descemeti auf. Die ersteren sind meines Wissens noch nicht beobachtet worden, während der merkwürdige, von aussen sichtbare Dreistrahl Ton v. Ammon (25) wiederholt an Patienten ge- sehen und beschrieben wurde, sowie auch hierhergehörige anatomische Untersuchungen des gleichen Autors an Thieren vorliegen. Wie bereits oben berichtet wurde, ergab sich nun, dass die Zeichnung durch eine eigenthümliche Ver- änderung an der vorderen Linsenfläche (Hemiphakie v. Am- mon's) bedingt war, während ich bei den hochgradigen secundären Veränderungen an der vorderen Linsenfläche einen gleichen Nachweis zu liefern ausser Stande war; doch drängt die eigenthümliche Configuration der Pigmentabla- gerung auf der Hornhaut, welche eine auffallende Ueberein - Stimmung mit der Form des Linsenstems aufweist, zu der Annahme, dass die Linsenbildung irgend welchen Einfluss auf die Entstehung jener ausgeübt haben muss.

Mögen sich auch im Einzelnen mancherlei Verschieden- heiten hinsichtlich der histologischen Beobachtungen über Irideremie finden, so lässt sich doch im Allgemeinen sagen, dass überall deutliche Folgeerscheinungen von hochgradigen Entzündungsvorgängen des Augapfels vorlagen, eine That- sache, welche wohl geeignet sein dürfte, uns einer Deutung des Zustandekommens dieser Missbildung näher zu bringen:

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt hatte sich die Iris offenbar normal entwickelt. Dann trat irgend ein hemmen-

246 G. Rindfleisch.

des Moment ein, welches man mit De Benedetti auf eine mangelnde vis a tergo die zu geringe Entwickelung der secundären Augenblase oder mit Manz in dem Wider- stand der vorliegenden Linse suchen könnte. Gegen die erstere Möglichkeit spricht die normale Entwickelung der übrigen Augenblase speciell der Retina; auf die zweite Mög- lichkeit scheint der vorliegende Befund hingegen ganz ent- schieden hinzuweisen. Schon bei oberflächlicher Betrach- tung des Bulbusdurchschnittes muss es uns auffallen, dass der Sclerooomealrand an seiner Hinterseite eine Ringfurche zeigt (Fig. 2R und R^), die ihrer Grösse nach genau der dahinter liegenden Iris entspricht, so dass es den Eindruck macht, als habe diese in der Furche gelegen und habe sich erst später daraus nach hinten emporgehoben. Zudem giebt die Vorderfläche der Linse, soweit sich dies nach dem ca- taractösen Zerfall noch nachweisen lässt, ziemlich genau die Form der Homhauthinterfläche wieder, und die langen ge- lockerten Fasern der Zonula lassen recht gut die Möglich- keit einer Dislocation der Linse zu. Wir werden also nach unserem Befunde dazu gedrängt, ein Anliegen der Linse an der Hornhaut während der Ausbildung der Iris als sehr wahrscheinlich anzunehmen. Während aber Manz bei sei- ner Erklärung für die Genese der Irideremie die Frage unbeantwortet lässt» weshalb sich die Iris nicht rechtzeitig abgeschnürt haben soll, sind wir nach unseren Präparaten in der Lage, den zeitweiligen Zusammenhang zwischen Linse und Hornhaut zu erklären. Eine intrauterine Entzündung hatte höchstwahrscheinlich nicht nur zur Erkrankung des Glaskörpers und der Aderhaut geführt, sondern hatte sich auch auf den vorderen Bulbusabschnitt erstreckt und hier die beschriebene Perforation an der Sclerocornealgrenze her- beigeführt. Diese hatte die vordere Kammer in offene Ver- bindung mit der Oberfläche des Auges gesetzt. Das Kam- merwasser musste also abfliessen und die Linse gegen die Hornhaut angedrängt werden. Dass sich durch entzünd-

Beitr. z. Entstehungsgesch. der angeb. Missbildungen des Auges. 247

liehe Exsudate auch eine Yerklebung ausbildete, ist kaum zu bezweifeln. Die eben angelegte Iris drängte sich nun wahrscheinlich zwischen Linse und Hornhaut vor, doch reichte ihre Kraft nur dazu aus, einen Eindruck auf der weichen fötalen Hornhaut zu hinterlassen und einzelne Fa- sern ihres Gewebes in das Ligamentum pectinatum hinein- zuschieben, nicht aber dazu die Verbindung der Linse zu lösen. Erst ganz allmälig wird sich dann vermuthlich die Perforation durch Narbengowebe geschlossen haben und durch zunehmende Absonderung des Kammerwassers die Kammer wieder hergestellt worden sein, worauf sich die im Wachsthum nicht weiter fortgeschrittene Iris mit abhob; doch war das Auge jetzt schon fast völlig ausgebildet, so dass auch die Regenbogenhaut keinen Wachsthumstrieb mehr zeigte. Für die Entstehung der Cataract lassen sich ent- zündliche und Ernährungsstörungen im Allgemeinen, die Berührung mit der Hornhaut und die Lockerung der Zo- nula im Besonderen verantwortlich machen; die letztere mag auch wohl die Veranlassung dazu gewesen sein, dass die Ciliarfortsätze nicht durch die Fasern der Zonula in einer nach vorn gestreckten Richtung gehalten wurden, son- dern nach hinten und senkrecht emporwachsen konnten. Schwer zu erklären dürfte jedoch die eigenthümliche Zeich- nung auf der Hinterfläche der Hornhaut sein. Denkbar wäre allenfalls, dass die Linse, wähend sie der Hornhaut anlag, entsprechend dem in Ausbildung begriffenen „Sterne*^ eine leichte dreistrahlige Einkerbung ihrer Vorderfläche be- sessen hatte, wie dies v. Ammon in den oben erwähnten Fällen bei Thieren beobachtet hat. Hierdurch würde dann wohl zwischen ihr und der Hornhaut ein schmaler dreistrahliger Spaltraum gebildet, in welchem sich das durch die Entzündung der Gefässhaut frei gewordene und im Kammerwasser suspendirte Pigment ablagern konnte.

248 6- Rindfleisch.

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252 O. BindflelBcb, Beiträge nr Entstehmigageschichte etc.

Erklärung der Figuren auf Tafel vn und vm, zu dem Falle Ton angeborenem Irismangel gehörig.

Fig. 1. Bulbiu Ton vorn gesehen in natürlicher Grösse (halbsche- matisch).

Fig. 2. Sagittalschnitt dnrch denselben Bulbus in filnfifacher Ter- grOsserong.

S Leicht abgeplattetes Gebiet der Homhantoberfl&che.

F £inziehangen an der Hinterflache.

R und B^ Ringforche der Homhant

J und J^ Iris-Radiment

K Abgelöstes Stack der Linsenkapsel.

Ca Cataracta polaris anterior.

Cp Cataracta polaris posterior.

E nnd E^ Einriehongen des Bulbus.

Fig. 3. Gegend der Drasen der Descemetischen Membran in sechs- hundertfacher Yergrösserang. Dr Drasen. E Epithel.

BM Bowman*8chen Membran. P Parenchym der Homhaat

Fig. 4. Schnitt ans dem Perforationsgebiet der Hornhaut in rierzig- facher Yergrösserang.

Es Epithelschicht der Hornhaut.

O Gefikss.

Mit dem Circ. venosus in Yerbindung stehende vordere

Cillanrene. P Perforationsstelle der Sclera, Kio Kammerwinkel.

Z Gerinnsel zwischen Iris und Homhaat E Eiiudehung der Iris. K Abgelöste Linsenkapsel.

Eine eigenthflmliche oberflächliche Nenbildnng der Cornea.

Von

Dr. Eduard Zirm, I. Assistenten an der I. Augenklinik in Wien.

ffierza Taf. IX, Fig. 1—3.

Der folgende Fall scheint mir sowohl in Bezug auf den Krankheitsrerlauf, als auch die Eigenartigkeit des Erank- heitsbildes und des histologischen BeAindes genügend inter- essante Details zu enthalten, welche seine Mittheilung recht- fertigen.

Die 15jährige Marie B. stellte sich am 8. April d. J. im klinischen Ambulatorium vor, von Herrn Regierungsrath Dr. Illing in Troppau gesendet.

Sie ist ein fttr ihr Alter ziemlich gut entwickeltes, etwas blasses Mädchen. Es bestehen keine geschwollenen Lymphdrü- sen, die Zähne sind gut gebildet; es sind überhaupt keinerlei Merkmale irgend welcher Erkrankung vorhanden, bis auf den Befund auf dem linken Auge.

Dasselbe ist ohne Ii^ection; nach abwärts vom Centrum der Hornhaut besteht eine im Umkreise runde, etwa Unsen- grosse Trübung, welche das Hornhautniveau um etwa einen Millimeter überragt und eine exquisit sulzig durchschei- nende graue Farbe darbietet. Ihr entsprechend ist die Ober- fläche sehr uneben. Innerhalb dieser trüben Auflagerung treten etwa zwanzig stecknadelstichgrosse etwas hellere und saturirtere Punkte hervor, die sich weder mit der Hartnack'schen Eugel- lupe, noch mit der Zehender'schen binoculären Lupe weiter

254 £• Zirm.

zerlegen lassen. Sie besitzen keine ganz scharfen Orenzen. Es hat nicht den Anschein, als ob diese trabe Schicht sich tiefer in das Gomealgefüge hinein erstreckte. Ihr oberer steiler and etwas gewnlsteter Rand ist scharf gegen das umgebende un- veränderte Comealgewebe abgegrenzt. Gegen den unteren Lim- bus ist die Orenze weniger markirt Die Begrenzungslinie zeigt mehrfache Ein- und Ausbiegungen. Gefösse lassen sich auch mit der Lupe nicht wahrnehmen. Die untere Homhaut- hälfte ist ein wenig vorgewölbt Der untere Limbus ist etwas aufgeworfen und von kleinen hellgrauen nicht scharf umgrenz- ten Knötchen durchsetzt. Sowohl durch ihre Erhebung über das Hornhautniveau, als auch durch ihren steilen scharfionarkir- ten Rand macht die Wucherung auf den ersten Anblick einen neoplasmaartigen Eindruck.

Die vordere Kammer ist deutlich vertieft, die Regenbogen- haut verfärbt und aufgelockert, insbesondere im äusseren un- teren Quadranten. Die Pupille ist etwas weiter, reagirt träge. Die Tension etwas vermehrt, die Sclera ftihlt sich rigider an und ist im vordersten Abschnitt etwas bläulich durchscheinend. Der Augenhintergrund ist normal, es besteht keine Excavation der Papille.

Das rechte Auge ist normal.

Interessant ist die Vorgeschichte dieses Falles, welche ich den sehr genauen Mittheilungen des Herrn Regiernngsrathes Dr. lUing verdanke, welcher die Kranke seit October 1889 beobachtet hat Ich will jene mit Illing's eigenen Worten hier wiedergeben.

„Die Erkrankung des Auges soll am 27. September 1889 plötzlich unter Thränenfluss und heftigen Schmerzen begonnen haben. Als ich am 20. October die Kranke sah, machte es den Eindruck eines entzündeten herpetischen Knotens. Am 12. Januar 1890, als sie wieder zur Untersuchung kam, zeigte sich an der Stelle der jetzigen Wucherung eine Trübung der Cornea und ein auf dieselbe hinziehendes Oefässbündel. Man sagte mir damals, es dürfte das Ganze eine Anätzung durch Calomel sein (?), das von einem Gollegen in den- unteren Binde- hautsack inspergirt worden war. Die gleich anfangs wahr- nehmbare leichte Elevation der trüben Stelle über dem be- nachbarten Comealgewebe wurde immer deutlicher, so dass das Ganze eine opake Auflagerung mit ungleichmässig zackigen Rändern bei scharfer Abgrenzung gegen die Umgebung dai^

Eine eigenthümliche oberflächliche Neabildang der Cornea. 255

stellte. Sehr häufig schössen am Bande oder aach auf der Fläche der trüben Partie wasserhelle vom abgehobenen Epithel gebildete Blasen auf, die ich theils zerstörte, theils Ton selbst bersten liess. Die dadorch entstandenen Exfolia- tionen Hessen immer durchsichtiges Comealgewebe durch- schimmern. Die Trübung bot nie das Aussehen einer Narbe, sondern immer das einer rauhen opaken Wucherung, die ich zweimal mit der glühenden Platinnadel zerstörte, worauf durch einige Zeit eine Beduction der Trübung auftrat, um immer wieder sich anzubilden. Langsam, sehr langsam kroch dieselbe gegen die Pupille zu. Erst seit Januar bemerkte ich, dass sich die untere Hälfte der Cornea mehr vorwölbte, die Kammer tiefer, die Iris gelockerter wurde "•

Am 8. April 1891 wurde auf der Klinik die hervorra* gende Partie in mehreren Stückchen mit dem Oraefe'schen Staarmesser abgetragen, hierauf die ganze Stelle mit einem scharfen Löffel abgeschabt Verband.

Am darauffolgenden Tage war der Augapfel kaum injicirt; an der Stelle der Auflagerung bestand eine geglättete, leicht graue Trübung, welche nicht mehr prominirte. Der gegen die Pupille gelegene Band war wie zuvor scharf abgegrenzt und ein wenig vorragend. Den unteren Homhautrand überschritt ein zartes oberflächliches Gefäss.

Nach der Bückkehr der Patientin in ihre Heimath hatte sich nach der brieflichen Mittheilung des Herrn Dr. Illing am inneren Bande der abgeschabten Stelle neuerdings eine grosse Blase gebildet, die bald wieder verschwand.

Während der ganzen über 1^, jährigen Krankheitsdauer hatte die Kranke innerlich reichlich Leberthran und Eisen ge- nommen; am kranken Auge waren Atropin, Calomel, Präcipi- tatssalbe, Opiumtinctur, Ferrum candens, Eserin jeweilig in Anwendung gezogen worden Alles ohne ersichtlichen Erfolg.

Die excidirten Gewebsstückchen wurden der mikrosko- pischen Untersuchung unterzogen.

Aus dem einen Stückchen wurde sofort ein Präparat auf Tuberkelbacillen angefertigt, mit negativem Besultat; ein anderes zu einem frischen Zupfpräparat verwendet, die übrigen sogleich in Müller'scher Flüssigkeit durch vier Tage erhärtet, nach sorgfältiger Ausspülung in destillirtem Wasser in Alkohol nachgehärtet Die gehärteten Stückchen wurden theils in Grenacher's Hämatoxylin, theils in Cochenillealaun in toto ge- erbt und in Celloidin, andere in Paraffin eingebettet zu Serien-

256 E. Zirm.

scbnitten yerarbeitet. Das Zupfpräparat ergab eine grosse Menge meist junger Epithelzellen.

Die Schnitte zeigen eine nngleichmässig dicke Lage der Epithelzellen. Fast überall ist die Mächtigkeit des Epithel- zellenlagers grösser als bei der normalen Cornea. Es schwankt dieselbe zwischen 83 /ei (6 8 fache Zellenlage) und 250 fi (18 20 fache Zellenschicht). Das Epithel senkt sich mit bald breiteren, bald schmäleren Zapfen in das darunter be- findliche Gewebe hinein (Figur 1,3). Diese Epithelzapfen sind immer von rundlicher und vollkommen scharfer Umgrenzung. In Bezug auf ihre Form gleichen die einzelnen Epithelien toII- kommen denen der normalen Hornhaut In den tieferen Schich- ten finden sich cylindrische bis cubische Zellen, die oberfläch- lichen sind platt und stärker verhornt An jenen Schnitten, wo das Epithel in sehr zahlreichen Lagen aufgeschichtet ist, hat die Mehrzahl der Zellen eine runde bis ovale Form. Aber nicht allein in der Form von Zapfen senkt sich das Epithel in seine Unterlage ein, sondern wo ^iele Zellschichten über- einander liegen, entstehen auch Höcker, welche den Contour der Oberfläche überragen. Nirgends sieht man deutliche Stachelzellen.

Während eine grosse Zahl der Epithelzellen von dem Aus- sehen normaler Homhautepithelien nicht abweicht, zeigen an- dere eine trübe Beschaffenheit ihres Protoplamas und oft unmittelbar am Kern kleine rundliche Hohlräume, welche dem einen Pol des letzteren kappenförmig aufsitzen (Figur 2, bei b). Ja sogar innerhalb der grossen Zellkerne sind mitunter helle rundliche Fleckchen bemerkbar, die den Eindruck kleiner Bläschen machen.

Noch aufüBÜlender ist eine sehr erhebliche Erweiterung der Intercellularräume auf sämmtlichen Schnitten. Die- selben treten als ziemlich breite helle, farblos gebliebene Linien zwischen den Zellen aller Schichten hervor. Dadurch entsteht ein sehr in die Augen fallendes, die einzelnen Zellen einschlies- sendes, zusammenhängendes Netzwerk; an vielen Stellen sind die Maschen desselben zu grösseren rundlichen oder elliptischen Lücken erweitert (Figur 1). Schräge Schnitte zeigen an der basalen Seite der untersten Zellen eine honig- wabenartige Anhäufung dieser Substanz, indem diese die Basen der Zellen hier eierbecherartig nmgiebt (Fig. 2, bei c).

Unter der obersten Zellschicht erweitem sich auf fast allen Schnitten die zwischen den Zellen gelegenen Spalten zu

Eine eigenthümlicbe oberflächliche Neubildang der Cornea. 257

cystoiden Räamen. Die über denselben gelegenen Zellen sind ganz besonders stark abgeplattet und in die Länge aas- gezogen. Die grösseren dieser Hohlräume sind offenbar durch das Zusammenfliessen mehrerer kleinerer zu einem Bläschen entstanden. Zuweilen ist auch durch eine in die Länge gezo- gene platte Zelle ein solcher Hohlraum noch in zwei Kam- mern getheilt (Figur 1). Auch zwischen tieferen Zellschichten finden sich derartige Hohlräume. Auf den Schnitten sind die- selben eingesunken, leer, indem sie als Ueberrest der hier im Leben angesammelten Flüssigkeit eine aus derselben bei der Härtung ausgefällte feingranulirte Masse enthalten, welche der Innenwand des Bläschens anhaftet. Dieselbe feine Körnung zeigt auch stellenweise die Intercellularsubstanz der tieferen Zellschichten.

Die so beschaffenen Zellschichten sitzen unmittelbar auf einem feinfaserigen Gewebe auf, das eine sehr unregel- mässige Oberfläche gegen das Epithel zu besitzt. Die in das- selbe eindringenden Epithelzapfen werdeü von concentrischen Faserbflndeln umgeben. An den übrigen Stellen ist der Ver- lauf der Fasern viel unregelmässiger; in vielfach wellenförmi- gen Zü^en laufen sie durcheinander. Die Grenzen gegenüber den untersten Epithelien sind überall vollkommen scharf. Ziemlich spärliche spindelförmige und ovale Zellen mit gros- sen Kernen durchsetzen dieses Gewebe; die längeren Axen der Zellen sind im Sinne der Faserung gerichtet.

Nirgends sind Gefässe sichtbar.

Mehrfach bestehen Nester von dicht aneinander grup- pirten runden Zellen dicht unter der Epithelschicht (Fig. 3, bei a).

Nirgends ist auch nur eine Spur der Bowman' sehen Haut zu entdecken, indem überall das Epithel unmittelbar an die Bindegewebsschicht grenzt Während die letztere an man- chen Stellen eine ziemlich feste Structur zeigt, erscheint sie an anderen als ein lockeres Gefüge. Das Gewebe erscheint hier wie canalisirt, indem es von feinen hellen Spalten durch- zogen wird, die im Sinne der Faserung verlaufen und als ein netzartiges System von hellen zusammenhängenden Linien zwischen den Faserzügen deutlich hervortreten. Die- selben anastomosiren mit den Intercellularspalten der tiefen Epithelienschichten.

Leider enthält keiner der Schnitte den Uebergang ins normale Cornealgewebe.

T. Graefe'8 Archly fDr Ophthalmologie. XXXVII. 3. 17

258 £• Zinn.

Es besteht demnach die neagebfldete Schicht ans zweier- lei Elementen, hypertrophirtem kernarmem Bindege- webe nnd über dessen höckeriger Oberfläche in mehr oder weniger zahlreichen Schichten hinüberziehendem, mannig- fache Veränderungen aufweisendem Epithel Auffallend ist in beiden Antheilea das zwischen den Faserzfigen einer- seits, den Zellen anderseits sich erstreckende System yon feinem Spalten, die an den Präparaten zum Theil leer, zum Theil yon den coagulirten Besten der hier im Leben Angesammelten Flüssigkeit erfüllt eu sein scheinen. Dies giebt dem Ga&zoi den Charakter eines ödematösen Ge- füge s. Diese Vermehrung der Zwischensubstanz zwischen den Epithelzellen führte in den obersten Schichten häufig zur Blasenbildung, weil eben hier die Gewebsspannung die geringste ist. Vielleicht darf auch die VacuolenlMldiiag in einzelnen trüberen Zellen als eine Theilerscheinnng des Oedems der ganzen Epitheldedce gedeutet werden.

Durch diese anatomischen Verhältnisse ist die Erklä- rung gegeben für die Entstehung der während des Krank- heitsverlaufes so häufig zur Beobachtung gekomm^ien epi- thelialen, oft sehr umfangreichen Blasen, sowie für das sul- zig durchscheinende Aussehen der ganzen Neubildung.

Die Veränderungen des Epithels stehen hierbei offen- bar im Vordergrund.

Die innerhalb der Trübung bemerkbar gewesenen hel- len Punkte sind wohl durch die Rundzellenhaufen unter- halb des Epithels veranlasst worden, vielleicht auch durch die stellenweise höckerartige Verdickung der Epithelschicht.

Ob es sich bei dem ganzen Prooesse um ein reines Oedem handelt oder um eine Verflüssigung der Interoellu- larsubstanz lässt sich wohl nicht entscheiden.

Ebenso stosst die Beantwortung der Frage, was von der Entstehungsart der ganzen Bildung zu halten sei, auf Schwierigkeiten.

Der über mehr als l^s Jahre sich erstreckende Ver-

Eine eigentkümliche oberfläckliche Neabüdung der Ck)rnea. 259

lauf, das gaaae Erankheitsbild, insbesondere die Prominenz der Wucherung üb^ die Homhautfläche und Aer steil ab- fallende scharf umsdmebene Band sprediBi für den Cha- rakter der Auflagerung im Sinne einer unter d^oa Epithel durch allmäliges Wachsthum entstandenen Neubil- dung, etwa als das Product einer chronischen Ent- zündung.

Eine wesentliche Rolle spielt hierbei jedenfalls das Epithel

Um dies unzweifelhaft zu erweisen, müssten die Schnitte den Uebergaaig in das normale Gornealgewebe erkennen lassen. Die tiefsten Partien desselben schliessen aber überall mit dem laserigen Oewebe ab, weil nur dünne Plättchen für die histologische Untersuchung vorhanden waren.

Dennoch muss auch noch eine zweite Möglichkeit der Entstehung in Erwägung gezogen werden, dass die bespro- chene Wucherung nämlich nach vorausgegangener geschwü- riger Zerstörung von Gornealgewebe einschliesslich der Mem- brana Bowmani aus jenes ^bstituirendem Narbengewebe hervorgegangen sei

Indess berichtet Herr Dr. Illing ausdrücklich, dass niemals ein Homhautgeschwür bestanden hat.

Nebst diesem und den oben angegebenen Momenten spricht auch der histologische Befund mehr gegen letztere Annahme.

Das Bindegewebe in dem in Rede stehenden Processe ist feinfaseriger, lockerer, der Verlauf der Faserzüge um die Epithelgrenzen ist ein anderer, als man dies bei Hom- hautnarben gewöhnlich sieht.

Auch die geschilderten Veränderungen im Epithel sind, die Beobachtungen Gzermak's ausgenommen, in Homhaut- narben nicht beobachtet worden. Die Veränderungen, die Gzermak in den vor Hornhautfisteln gelegenen Partieen des Epithels beschrieben hat^), haben zwar mit dem obigen

*) Siehe dieses Archiv XXXVI, 2, S. 163 u. f.

17*

260 £• Zinn, Eine eigenthümllche oberflächliche Neabildung etc.

Zustande der Epithelieu eiue gewisse Aehnlichkeit, sind je- doch zweifellos Ton ganz anderer Bedeutung, indem sie dort durch eine Art von Filtration von Kammerwasser aus dem beschriebenen, hinter dem Epithel gelegenen cystoiden Hohlräume des Fistelganges entstanden sein dürften.

Der Mangel von Gefassen scheint mir mit dem über- aus langsamen Wachsthum der Neubildung im Einklänge zu stehen. Es ist ja ganz gut denkbar, dass ein so lang- sam fortschreitender Process im Gegensatze zu mehr acu- ten, in kürzerer Frist verlaufenden ebenso wie die physio- logischen Vorgänge der normalen Cornea nicht der directen Vermittlung von Blutgefässen bedarf.

Zum Schlüsse will ich noch anführen, dass ich einen ähnlichen Befund in der Literatur nicht habe auffinden können.

Erklärung der Figuren auf Tafel IX.

Fig. 1. Ocular 4, Objectiv 8, Hartnack, senkrechter Schnitt.

Fig. 2.

Ocular 4, Objectiv 7, Hartnack,

schiefer Schnitt darch das eingerollte Epithel.

Fig. 3. Ocular 4, Objectiv 7, Hartnack, flacher Schnitt, zur Homhautfläche parallel.

Eine Bemerkung über den Helligkeitssinn,

veranlasst durch die Abhandlung Treitel's in den letzten Heften dieses Archivs.

Von J. Bjerrum in Kopenhagen.

In einer interessanten Abhandlung in den letzten Ab- theilungen dieses Archivs hat Herr Dr. Treitel ein Paar frühere Arbeiten von mir, namentlich eine im XXX. Bande (1884) dieses Archivs aufgenommene, besprochen.

Es wäre für mich Veranlassung, einige Bemerkungen zu machen mit Bücksicht auf Treitel's Auffassung und Besprechung mehrerer meiner Aeusserungen, aber nur einen einzelnen, bedeutenderen Punkt werde ich hier berühren.

Herr Treitel prädsirt. mehrmals, u. a. am Schlüsse seiner Abhandlung, dass „die Unterschiedsempfindlichkeit bei jeder Art der Amblyopie herabgesetzt wird"

Dies ist sowohl richtig als nicht richtig. Es kommt darauf an, wie man die Unterschiedsempfindlichkeit unter- sucht Benutzt man Objecte mit verhältnissmässig grossem Gesichtswinkel, wie bei meinen, von Treitel besprochenen Untersuchungen, dann ist der citirte' Satz nicht richtig; dann kann die Unterschiedsempfindlichkeit trotz nicht un- bedeutender Amblyopie sich normal zeigen, und kann ande- rerseits in anderen Fällen trotz normaler Sehschärfe herab- gesetzt sein. Wird die Untersuchung dagegen bei hinläng- lich kleinem Gesichtswinkel unternommen, dann zeigt sich die Unterschiedsempfindlichkeit, wenn die Sehschärfe herab- gesetzt ist, immer kleiner als normal. Diese Verhältnisse habe ich näher discutirt und durch Krankengeschichten er- läutert in einer Abhandlung, die im Anfange 1888 erschie- nen ist (Bemerkungen über Herabsetzung der Sehschärfe

262 J- Bjerram, Eine Bemerkung über den Helligkeitssinn.

nebst klinischen Beobachtungen über das Verhältniss zwi* sehen Sehschärfe, Helligkeitssinn und Farbensinn, Nord, ophthalm. tidsakrift» L Bd.), die aber Herrn Treitel offen- bar nur in vielleicht weniger guten Referaten zu- gänglich gewesen ist. Ich spreche da aus: „Die Bestim- mung der Sehschärfe bei erworbenen Sehleiden ist an und für sich zugleich eine Bestimmung davon, ob der Hellig- keitssinn bei minimalem Gesichtswinkel normal sei oder nicht"

Büdcsichtlich des VerhältnisseB zwisohen der Reiz- schwelle und der UnterschiedBschweUe ist der Unterschied zwischen Treitel und mir, so viel ich sdien kann, im Wesentlichen rein formeller Natur (von dem Einflüsse der Anwendung von Objecten mit verschiedenem Gesichtswinkel auf unsere Resultate abgesehen). Eben ich habe immer die Definition des Lichtsinnes als die Fähigkeit HelU^criten zu unterscheiden scharf festgehalten (habe darmn auch das Wort Helligkeitssinn dem Worte Lichtsinn vorgezogen)» und ich halte es freilich für berechtigt, von einem Indivi- duum, dessen Reizschwelle vergrössert ist, zu sagen, dass seine Fähigkeit schwache Helligkeiten zu unterscheiden herabgesetzt ist; um so mehr als gewiss nicht allein seine Reizschwelle, sondern immer auch sdne Untersdiiedsschwelle bei gewissen, fiber der R^schwelle liegenden, kleinen Hel- ligkeiten vergrössert ist Ich name die Reizschwelle ver^ grössert, falls sie sich nach viertel- bis einstündiger Adap- tation wesentlidi grösser zeigt als die eines Normalen nach derselben Adaptationszeit. Ob diese Vergrösserung der Reizschwelle allein auf einer Störung des Adaptationspro- cesses oder (zugleich) auf etwas Anderem beruhe, ist eine Frage für sich, deren Beantwortung die Richtigkeit meiner» von Treitel angegriffenen Aeusserungeii über Reizschwelle und Unterschiedsschwelle nicht verändern kann; zwischen Störung des Helligkeitssinnes und Störung der Adaptation giebt es keinen l(^schen Gegensatz.

Anmerkung

zn meiner in der IL Abtheilung dieses Bandes

TeröffentUchten Mittheilung

„Ueber SehnerTenveränderung bei hochgradiger

Sclerose der Gehirnarterien".

Von

Dr. St. Bernheimer, Privatdocenten in Heidelberg.

Nachträglich erfahre ich, dass ich bei Durchsicht der Literatur, in J. Michel's Arbeit „Das Verhalten des Auges bei Störungen im Girculationsgebiet der Carotis^' (Beiträge zur Ophth., als Festgabe für Fr. Horner, 1881) auf Seite 50 die kurze Erwähnung zweier Fälle leider übersehen habe, wovon besonders einer in gewissem Sinne mit meiner Beob- achtung Aehnlichkeit hat. Freilich handelt es sich dabei um keine Formveränderung (Zweitheilung) des Sehnerven, ohne eigentliche Beeinträchtigung seiner histologischen Be- schaffenheit, sondern in dem einen Falle um eine „ca. ein Drittel der Breite des Querschnittes'' einnehmende, binde- gewebige Atrophie des Sehnerven, bedingt durch ein klei- nes sacciformes Aneurysma der linken Carotis interna. Trotz- dem soll während des Lebens keine Sehstörung bekannt geworden sein.

Bei dem anderen an dieser Stelle erwähnten und in diesem Archiv XXIII, 2, S. 220 veröffentlichten Falle hatte

264 St. Bernheimer, Anmerkung.

das doppelseitige Aneurysma der Car. int. eine gleichfalls doppelseitige Stauungspapille hervorgerufen.

Ich wollte nicht versäumen, diese beiden Beobachtun- gen Michel's, welche mit den meinigen gewiss nicht iden- tisch sind, aber wegen des ähnlichen ätiologischen Momen- tes doch, hierher gehören, nachträglich zu erwähnen.

Druck Ton POschel & Trepte In Leipdg.

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ALBRECHT VON GRiEFE'8 ARCHIV

FÜR

OPHTHALMOLOGIE

HERAUSGEGEBEN

VON

PROF. TH. LEBER Prof. H. SATTLER

IN HEIDELBERG IN LEIPZIG

UND

PROF. H. SNELLEN

IN UTRECHT.

SIEBENUNDDREISSIGSTER BAND

ABTHBILUNG IV. MIT 0 FIGUREN IM TEXT UND 6 TAFELN.

LEIPZIG

VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1891.

Inhalts-Verzeichniss

zu Band XXXVII, 4. Abtheilung.

Ausgegeben am 31. December 1891.

Seite I. Zur pathologischen Anatomie und Pathogenese des

Gentralstaars. Von Dr. Otto Sehinner, Privat-

docent und poliklin. Assistent an der Universit&ts-

Augenklinik zu Königsberg. (Aus dem Laboratorium

der Universitäts- Augenklinik zu Königsberg i. Pr.)

Mit Taf. I und II, Fig. 1—6 1—25

II. Beitr&ge zur Kenntniss der Cataracta zonularis. Von

Dr. Bernhard Bah, k. und k. Regimentsarzt in

Wien. (Aus der II. Universit&ts- Augenklinik des

Prof. Fuchs in Wien) 26—38

III. Ueber die Pseudocolobome der Iris. Von Dr. Konrad Rumschewitseh in Kiew 39—70

IV. Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese, com- plicirt mit partieller doppelseitiger Oculomotorius- lähmung. Von Professor Dr. Pflttger in Bern. Mit

6 Textfiguren 71—101

V. Zur Lymphombildung in der Orbita. Von Dr. Th. Axenfeld, I. Assistent an der Universitäts -Augen- klinik in Marburg. Mit Taf. III, Fig. I— IV . . 102—124 VI. Beitrag zur Differentiadiagnose der tuberculösen und gliomatösen Erkrankungen des Auges. Von Dr. J. Jung in Heidelberg. Mit Taf. IV, Fig. 1—8 . . 125—158

IV Inhalt.

Seite VII. Experimentelle Untersuchungen über die Entstehung

der in letzter Zeit bekannt gewordenen Trübungen der Hornhaut nach Staareztraction. Von Dr. Carl Mellinger, Privatdocent an der Universität Basel. (Mittheilung aus dem Laboratorium der ophthalmol. Klinik des Herrn Prof. Schiess-Gemuseus) . . 159 188 VIII. Pathologisch-anatomische Untersuchungen über die Zündhütchenverletzungen des menschlichen Auges. Von Dr. Kostenitsch aus St. Petersburg. Aus dem Laboratorium der Universitäts-Augenklinik zu Hei- delberg. Mit Taf. V, Fig. 1 12 189—278

Scbluss des XXXYII. Bandes.

Zur pathologischen Anatomie nnd Pathogenese des Ceiitralstaars.

Von

Dr. Otto Schirmer,

Privatdocent und poliklinischer Assistent an der

Universitäts- Augenklinik zu Königsberg.

(Aus dem Laboratorium der Univers. -Augenklinik zu Königsberg i. Pr.)

Hierzu Taf. I und II, Fig. 1—6.

Seit meinen Untersuchungen über den histologischen Bau der Zonularcataract ^) hatte ich gesucht, auch vom congenitalen Centralstaar Präparate zu erhalten. Denn zur Entscheidung der Frage, ob er meiner damaligen Vermu- thung gemäss, seiner Entstehung nach ein vollständiges Anar logon des Schichtstaars darstelle, ist vor Allem eine Kennt- niss seiner Structur erforderlich; aber der von Becker*) 1883 aufgestellte Satz: „Eine mit den vervollkommneten Behelfen der neuesten Zeit angestellte (mikroskopische) Un- tersuchung eines Centrallinsenstaares existirt nicht", hat meines Wissens auch heute noch Gültigkeit. Ein glück- licher Zufall fügte es, dass in der hiesigen Universitäts- Augenklinik kurz nach einander fünf Centralstaare zur Ex- traction kamen, welche mir durch die Güte meines verehr-

^) Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Schichtstaars. Archiv für Opbthalm. XXXV, 3, S. 147 und Nachtrag zur patholog. Anatomie. Dass. XXXVI, 1, S. 185.

') Zur Anatomie der kranken und gesunden Linse. Wiesbaden 1883. S. 120.

T. Oraefe'8 Archiv fOr Ophthalmologie. XXXVII. 4. 1

2 0. Schirmer.

ten Lehrers, des Herrn Professor v. Hippel zur Unter- suchung überlassen wurden.

Ehe ich aber auf die einzelnen Fälle näher eingehe, muss ich den Begriff „congenitaler Centralstaar'S den ich der Arbeit vorangestellt habe, etwas näher definiren. Die Abgrenzung desselben gegen den Schichtstaar stösst auf grössere Schwierigkeiten, die mir in den Lehrbüchern der Augenheilkunde nicht einheitlich gelöst erscheinen. Ich sehe dabei vollständig ab vom Graefe'schen „congenitalen harten Kemstaar'' ^) , über den mir jede eigene Erfahrung fehlt.

Die meisten »Autoren (Tetzer, Schmidt-Rimpler, Knies, Michel, Vossius, Fuchs) geben als Charakteristi- cum für den Schichtstaar an, dass er in der Mitte durch- scheinender sei, als in den peripheren Theilen auch A. v. Graefe') führt dies an, die getrübte Schicht habe Linsenform und sei von massiger Grösse, während der con- genitale Kemstaar oder Centrallinsenstaar (stationärer Kern- staar) als kleine, kuglige, intensiv weisse Trübung be- schrieben wird, die im durchfallenden Licht gleichmässig undurchsichtig erscheint. Nur Becker^) macht darauf auf- merksam, dass es auch Zonularcataracte geben könne, bei welchen die getrübte Schicht so dick ist, dass sie kein rothes Licht durchlässt, die also als undurchsichtige Scheibe erscheinen, und dass es deshalb klinisch unmöglich sein könne, einen Centralstaar von einem sehr dichten Schicht- staar zu unterscheiden. Da anatomische Untersuchungen völlig fehlen, hält er „den Nachweis für das Bestehen eines stationären Kernstaars zwar nicht für geliefert, aber auch nicht die Unmöglichkeit des Gegentheils für erwiesen.^^ Und Knies^) ist der Ansicht, dass die gleiche Emährungs-

1) Bericht der Heidelberger Ophthalmol. Gesellsch. 1879. S. 25. «) V. Graefe's Archiv für Ophthalm. I, 2, S. 237. ') Handb. v. Graefe-Saemisch, Bd. Va, Cap. VII, S. 240, 1877. *) Gmndriss der Augenheilkunde 1888. S. 282.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 3

störang nach der Zeit ihrer Einwirkung Kernstaar oder Schichtstaar erzeuge, woraus folgt, dass beide ohne scharfe Grenze in einander übergehen. Dies ist gerade die Ansicht, die auch mir schon längst vorschwebt und die ich vor drei Jahren zuerst ausgesprochen habe. Man sieht gar nicht 80 selten Staare, die durchaus die Grösse und das Aus- sehen eines Schichtstaars haben, auch unter denselben ätio- logischen Bedingungen vorkommen, dabei aber absolut un- durchsichtig sind und auch bei focaler Beleuchtung eine ganz gleichmässige Trübung zeigen. Berechtigt uns das letzte Merkmal allein, sie den Schichtstaaren gegenüber und auf eine Stufe mit den kleinen, kugligen Centralstaaren zu stellen? Ich glaube es nicht. Dagegen sprechen beson- ders die doppelten Schichtstaare, bei welchen sehr häufig die. innere Staarzone absolut undurchsichtig, die äussere völlig durchsichtig ist, und die beiden Zonen können doch nur als analoge Bildungen aufgefasst werden. Noch mehr spricht dagegen, dass man zuweilen in der Lage ist, einen anfangs durchscheinenden Schichtstaar sich allmälig mehr und mehr trüben zu sehen, bis er völlig undurchsichtig ge- worden ist Die folgenden Untersuchungen werden von anatomischer Seite her den gleichen Nachweis liefern.

Fall I und II.

Das Dienstmädchen Emma Porassini, 41 Jahre alt, sieht seit frühester Jagend so schlecht, dass sie nicht hat lesen ler- nen können; Abends sah sie stets besser, als am Tage. Seit zwei bis drei Jahren soll das Sehvermögen, das bis dahin noch zo ganz groben Arbeiten hinreichte, sich allmälig noch weiter verschlechtert haben.

Im Uebrigen ist Patientin stets gesund gewesen; nur in ihren zwanziger Jahren, nach einem Sturz ins Wasser, litt sie längere Zeit an epileptischen Krämpfen. Ob sie auch in der Jagend an Krämpfen gelitten hat, weiss sie nicht sicher anzu- geben. Die Zähne sind normal gebaut

Die am 7. Febr. 1891 hier vorgenommene Untersachong ergiebt beiderseits folgenden Befund: Aeusseres Auge noimal;

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Zur patholog. Anatomie and Pathogenese des Centralstaars. 5

in Glycerin. Zupfpräparate herzustellen ist bei der Klebrig- keit der Linse unmöglich. Die Anfertigung bestand wie auch in den folgenden Fällen darin, mit einer Nadel kleine Parti- kelchen aus dem Linsenquerschnitt herauszunehmen, auf einen Objectträger zu streichen und eventuell noch mit dem Deck- glas etwas platt zu drücken; doch sieht man an dicken Prä- paraten mehr, als an dünnen.

Aus den verschiedensten Stellen des Kerns entnommene Bröckelchen zeigen als gemeinsamen Befund Linsenfasern mit gezähnelten Contonren, zwischen welchen kleinste Tröpfchen liegen, die vielfach zu grösseren Yacuolen sich vereinigen; doch so, dass man in dem grobkörnigen Inhalt derselben jene Tröpf- chen^) wiedererkennt. Im Innern des Kerns sind dieselben spärlicher, in der peripheren Trübungszone so massenhaft, dass vielfach die Fasercontouren durch sie verdeckt sind. Auch an dieser Linse glaube ich mich wieder überzeugt zu haben, dass der grösste Theil der Tröpfchen zwischen 'den Fasern liegt, doch kann ich auch jetzt nicht eine solche Lagerung mit Sicher- heit für alle behaupten.

Der Best dieser Linsenhälfte wird in Alkohol von stei- gender Goncentration, bei 60 ^/q angefangen, gehärtet, ebenso wie die andere Hälfte in Celloidin eingebettet und mit dem Mikrotom in Schnitte zerlegt; die gleiche Methode habe ich auch bei den übrigen Linsen angewandt und werde sie deshalb nicht bei jedem Fall von neuem schildern. Das makroskopische Bild recht dicker in Glycerin eingelegter Schnitte ist dasselbe wie an dem frisch halbirten Präparat. Unter dem Mikroskop findet man, abgesehen von den zerquetschten und lange arte- ficielle Spalten aufweisenden periphersten Schichten den gan- zen Schnitt von rundlichen und ovalen Tröpfchen durchsetzt. Genau wie ich es beim Schichtstaar beschrieben hatte^ sind sie •am zahlreichsten und kleinsten 0,002 0,005 mm in der getrübten Schicht und nehmen gegen das Gentrum des Kerns an Grösse zu 0,025 0,035 mm, an Zahl ab. Doch sind es sowohl hier, wie in der äussersten Zone noch erheblich mehr, als in den von mir untersachten Schichtstaaren, und es

^) Ich werde in dieser Abhandlung für die fraglichen Gebilde auBSchliesslich den Namen „Tröpfchen" gebrauchen, nicht mehr Ya- cuolen, da ich mich überzeugt zu haben glaube, dass sie einen höheren Brecfaungsindex besitzen, als ihre Umgebung. Yergl. auch Becker: Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse. S. 48.

6 0. Schirmer.

erklärt sich jedenfalls hierdurch das leichte trübe Aassehen des Kerns. Ueberhaupt gleichen sie in jeder Beziehung Aussehen, Lagerung und Farbenreactionen der früher von mir gegebenen Beschreibung so genau, dass ich einfach auf jene Stelle^) verweisen kann. Femer bot die Linse eine Eigenthflmlichkeit, die ich schon bei dem im „Nachtrag zur pathologischen Anatomie des Schichtstaars'^ beschriebenen Fall gefunden hatte (siehe dort die Abbildung), nämlich stellenweise recht erhebliche Verstärkung der Staartrübung im Aequator. Hier wie dort fand ich als anatomisches Substrat dafür eine beträchtliche Verstärkung der Staarschicht durch massenhafte kleinste Tröpfchen, welche^ die Fasercontouren völlig verdecken.

Faserkeme konnte ich in dieser Linse nicht nachweisen.

Die Linse des linken Auges hat einen Durchmesser von 8 Vi mm, eine Dicke von 3 mm. An dicken, ungeförbten Schnit- ten (Fig. 1) sieht man makroskopisch ohne weiteres die deutr liehe und völlig scharfe Grenze der durchsichtigen Gorticalis gegen den getrübten Kern, dessen Längsdurchmesser 5^/4, die Dicke 2^/4 mm beträgt. Auch hier hebt sich die peripherste Zone als intensiv trüber, 0,6 mm breiter King gegen das klarere Centrum ab. Sie ist also scharf nach beiden Seiten hin be- grenzt, wie man es beim Schieb tstaar zu sehen gewohnt ist

Interessant war die Keaction der Schnitte gegen Häma- toxylin (nach Delafield) und Garmin. Mit ersterem tingirte sich, während die Gorticalis fast ungefärbt blieb, der Kern und der Trübungsring gleichmässig blau, nur die oben erwähnte Verstärkung der Staarschicht nahm einen intensiv blaurothen Ton an. Auf Garmin reagirt der Schnitt gerade umgekehrt; nur die Kandschicht wird geförbt. Die getrübte Gorticalis es hatte intra vitam nach unten eine Gorticaltrübung bestanden

verhielt sich genau wie die durchsichtige. Es bestand also ein einschneidender Unterschied zwischen den Linsenschichten, welche zur Zeit der Entstehung des Schichtstaars schon gebil- det waren und den nachträglich entstandenen, mochten sie ge- trübt sein oder nicht.

Die mikroskopische Untersuchung ergiebt ein völlig glei- ches Aussehen des getrübten Kerns (Fig. 3), wie am rechten Auge, gleiche Grösse, Zahl und Lagerung der Tröpfchen. Die Wirkung der Maturation am rechten Auge hatte sich also auf die Corticalschichten beschränkt. Auch die Verstärkung

') v. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXXV, 3, S. 151—153.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 7

der änssersten Schicht hier und da durch massenhaft eingela* gerte Tröpfchen findet sich. Gegen die Corticalis ist die Tröpf- chenzone (Fig. 5) auch mikroskopisch völlig scharf abgesetzt und es entspricht der Grenze zwischen beiden genau die Grenze der Uämatoxylintinction. Die Corticalschichten selbst zeigen, abgesehen von den änssersten bei der Extraction gequetschten Parthieen durchaus normale Fasern mit glatten Oontouren, wie an Zupfpräparaten leicht zu sehen. Ihre Kerne sind normal, näher der Staarschicht zeigen sie die bekannten Degenerations- formen; in dieser selbst konnte ich sie nicht mehr mit Sicher- heit auffinden. In der hinteren Corticalis findet sich ein der Hinterkapsel paralleler Zug länglicher schmaler LtLcken (Fig. 3d), der beiderseits gegen den Aequator hin verschwindet. Er macht durchaus nicht den Eindruck eines Kunstproductes und ich halte ihn deshalb für einen unvollständigen Schicht- staar, der wegen des Kemstaars in vivo nicht diagnosticirbar gewesen war.

Die im unteren Quadranten der Linse gesehene Cortical- trübung besteht, soweit an Schnitten zu entscheiden, aus einem Zerfall der Fasern. Zwischen und in denselben sind dichte Mengen von Detritus abgelagert, der die Fasercontouren beson- ders näher dem Rande nur mit Mohe erkennen lässt. Vielfach ist er in längKchen Spalten befindlich, nirgend finden sich die rundlichen, scharf begrenzten Tröpfchen der Staarzone. Zupf- präparate bestätigen im Ganzen diese Auffassung und zeigen ausserdem, dass die Fasern gewellte Contouren haben, durch- aus verschieden von den gezähnelten des Kerns; sie sehen fer- ner längsgerunzelt aus und sind viel bröcklicher, als die an- deren Corticalpartieen.

Fall III.

Ernst Schwarz, sechs Jahre alt, hat gesunde Eltern und Geschwister. Er selbst ist ausgesprochen idiotisch. Körperlich ist er stets gesund gewesen und auch jetzt ergiebt die objec- tive Untersuchung ausser exquisit rhachitischen Zähnen keine Abnormitäten. Die graue Färbung der Pupillen wurde gleich bei der Geburt bemerkt.

Am 20. Mai 1891 wird folgender Befund erhoben: Beiderseits lebhafter Nystagmus, rechts Colobom nach in- nen unten, zarter Nachstaar nach Discision mit folgender Ex- traction. Y mit -|-12D, Fingerzählen in 3 m, soweit bei der

8 0. Schirmer.

Beschränktheit des Knaben zu constatiren. Links altes, arte- ficielles Colobom nach innen unten; Linse so stark geschrumpft, dass ihr Rand mitten im Colobom sichtbar ist. Völlig durch- sichtige Corticalis, im Centrum eine zarte, 3 mm grosse, grau- weisse Trübung, aus deren Mitte eine kleinere intensiv gelb- lich weisse durchschimmert. Der Rand des Centralstaars ist nicht ganz kreisförmig. V mit + 4 D = Fingerzählen in 2 m.

21. Mai 1891. Links Extraction durch das alte Colobom. Nacb dem Schnitt wird mit dem Löffel eingegangen und die Entbindung in der Kapsel versucht. Letztere platzt jedoch und es wird der Staar, umgeben von einer Schicht durchsich- tiger Corticalis entbunden. Der nicht sehr grosse Rest der- selben muss der Resorption überlassen werden, da zugleich corpus vitreum vorftUt Normale Heilung.

Am 12. Juni 1891 ist links ein klares, centrales Pupil- largebiet vorhanden, durch welches der normale Fundus sicht- bar ist V mit + 10 D = Fingerzählen in 5 m.

Die frisch untersuchten Corticalschichten zeigen normale Fasern mit glatten Contouren und durchsichtigem Inhalt An Präparaten aus der Kernregion finden sich dieselben Tröpfchen, wie in der Linse Porassini, aber in solchen Massen, dass die Fasercontouren an den meisten Stellen völlig verdeckt werden; doch lässt sich mit einiger Mühe sicher constatiren, dass es sich um einen Faserzerfall nicht handelt Wo ihre Contouren deutlicher hervortreten, sieht man, dass sie unregelmässig aus- gebuchtet und gewellt sind, nicht so fein gezähnelt, wie im Fall Porassini.

Der Rest des Linsenrudiments, der 5^/2 mm lang und 3^/2 mm dick ist, wird eingebettet und zerschnitten.

Auf dicken, ungefärbt in Glycerin eingelegten Schnitten sieht man ohne weiteres im Centrum, umgeben von der durch- sichtigen Corticalis eine intensive Trübung von Linsenform. Bei genauerer Betrachtung findet man sie umgeben von einem zarten, schmalen Schleier und erst auf diesen folgen die Cor- ticalschichten. Die Hämatoxylinförbung trennt auch hier wie- der scharf die getrübten Schichten von den ungetrübten. Erstere haben die Färbung angenommen und zwar der Kern nur wenig mehr, als der umgebende Schleier; die Corticalschichten sind völlig ungefärbt geblieben.

Unter dem Mikroskop erkennt man als Grundlage der intensiveren, centralen Trübung, was schon die frischen Präpa- rate ergeben hatten, massenhafte, kleinste Tröpfchen 0,002

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 9

bis 0,005 mm , welche die Faseranordnung fast völlig ver- decken. In der ganzen Ausdehnung der Trübung finde ich sie gleichmässig vertheilt, eine Abnahme ihrer Zahl dem Centrum zu ist nicht zu constatiren. Die Längsausdehnung dieser Par- thie beträgt 2^/^ mm, Dicke l^g mm. Sie ist umgeben und ischarf abgesetzt gegen eine Zone, welche die normale Faser- anordnung deutlich erkennen lässt, die aber zahlreiche, ziem- lich grosse 0,015 0,025 mm rundliche, mit grobkörni- ger Masse gefüllte Lücken zwischen den Fasern enthält. An dieser Parthie ist deutlich ein dem Schichtstaar analoges Ver- halten zu beobachten, das auch im Fall lY wiederkehrt: die Zahl der Lücken nimmt nach der Peripherie hin merklich zu, obwohl nicht so stark, dass man von einem trüben Ring sprechen könnte. Wieder mit scharfer Grenze folgen jetzt die normalen €orticalschichten, deren Fasern theils normale, theils degene- rirende Kerne enthalten.

Die Vereinigung des anatomischen Befundes mit dem kli- nischen ist nicht schwer. Der aus der Tiefe vorleuchtende, intensiv gelblich weisse Schein wurde durch das centrale Ge- biet stärkster Tröpfchenanhäufung bedingt, während diezarte^ umgebende Trübung, wie auch die Grössen Verhältnisse bewei- sen, der ringförmigen Region normaler Fasern mit grossen detritusgefüUten Lücken entspricht. Es handelt sich also um einen durch und durch gleichmässigen Centralstaar, der in geringer Entfernung von einem Schichtstaar umgeben wird.

Fall IV.

Georg Naujoks, fünfzig Jahre alt, stammt von gesunden Eltern; seine rechten Geschwister sind in früher Jugend an einer ihm unbekannten Krankheit gestorben, seine einzige Stief- schwester sieht seit frühester Jugend nur in nächster Nähe einigermaassen gut Ob dies auf Myopie oder auf eine Affec- tion der brechenden Medien zu beziehen ist, war nicht zu eruiren.

Patient selbst will nie an Krämpfen gelitten haben. Er sieht seit frühester Jugend nur so viel, dass er sich zur Noth allein führen konnte, Abends nicht besser, als am Tage und auf beiden Augen gleich schlecht. Im zwanzigsten Lebensjahr wurde er auf beiden Augen iridectomirt und er sah nach der Operation beiderseits etwas besser. In diesem Zustande hat sich das linke Auge lange Jahre erhalten, nur in allerletzter

10 0. Schirmer.

Zeit soll sich der Yisas etwas verschlechtert haben; das rechte Auge ist einige Jahre später vollständig erblindet.

Am 10. Mai 1891 wird folgender Befand notirt:

Beiderseits lebhafter Nystagmus horizontalis, beiderseits ausgesprochener Microphthalmns, beiderseits arteficielles Colo- bom nach innen nnten, in dessen Mitte man den Rand der stark geschrumpften Linse sieht. Am linken Ange ist die Cor- ticalis derselben völlig durchsichtig mit Ausnahme einer unten innen gelegenen, zarten Trübung. Man kann durch dieselbe leicht eine centrale Linsentrübung erkennen, die auffeilend weit hinter der Irisebene zu liegen scheint. Dieselbe sondert sich in eine intensiv gelblichweisse, kleinere, centrale Parthie und eine etwas vor derselben gelegene 3 mm grosse, durch- scheinende, weissliche Scheibe, welche den Rand der ersten Trabung überall überragt. Beide waren ringsum völlig scharf begrenzt, ihr Contour nicht genau kreisförmig, sondern an ver- schiedenen Stellen etwas ausgebuchtet. Vom Augenbintergrund ist kein deutliches Bild zu erhalten, obwohl man durch den Randtheil der Linse und neben demselben rothes Licht be- kommt. Es besteht eine ausgedehnte zarte Hornhauttrübung. Visus = Fingerzählen in 2 ^/g m.

Rechts ist der Befund ein ganz ähnlicher; es besteht aber absolute Amaurose in Folge hochgradiger Chorioretinitis.

Am 22. Mai 1891 wird am linken Auge eine Discision gemacht Sehr geringe Quellung und langsame Trübung der benachbarten Corticalschichten. Da dieselbe nach einigen Wochen nicht nur nicht weitergeht, sondern sich wieder aufzuhellen be- ginnt, wird am

10. Juni 1891 die Linsenextraction durch das alte Colo- bom gemacht. Nach Extraction eines grossen Kapselstückes wird der Löffel eingeführt und mit ihm der getrübte Kern sammt einer Schicht Corticalis geholt; der Rest wird grössten- theils durch Streichen entfernt.

Am 8. Juli haben sich die Corticalreste völlig resorbirt, so dass das Pupillargebiet bis auf die Hinterkapsel klar ge- worden ist. Auf derselben befindet sich central ein intensiv weisser, kleiner Hinterkapselstaar, der schon kurz nach der Extraction bemerkt worden war; ebenso erscheinen heller grau- lich zwei längs der Colobomschenkel von ihm ausgehende Flü- gel. Visus mit -f- 12 D = Fingerzählen in 3 m. Es wird die Kapselverdickung unter geringem Glaskörperverlust extrahirt

Zar patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaara. H

15. Juli. Normale Heilung. Grosse klare Stellen im Pu- pillargebiet. Die frisch unter dem Mikroskop ausgebreitete Kapsel lässt erkennen, dass es sich um einen ausgedehnten Eapselstaar handelt, in welchen zahlreiche Pigmentkörnchen eingelagert sind. An einer circumscripten, rundlichen Stelle findet sich, ihm aufgelagert eine Gruppe höchst eigenthümlicher, kurzer, cylindrischer Gebilde, die ganz unregelmässig kreuz und quer liegen. Sie erinnern an stark verdickte Linsenfasern, welche in ihrem Innern grosse Mengen kleiner und grösserer Eiweisströpfchen bergen und dadurch einen ganz unregelmässir gen Contour bekommen haben. Diese circumscripte Stelle ent- spricht ihrer Lage und ihrem makroskopischen Aussehen nach der in vivo gesehenen, weissen, centralen Trübung. Ich glaube deshalb, jene eigenthtlmlichen Gebilde sind Reste des Linsen- centrums, welches, wie die Untersuchung der Cataract zeigen wird, der Hinterkapsel adhärirte, sind bei der Extraction an ihr haften geblieben und jetzt durch das Kammerwasser so eigenthümlich verändert. Die Kapsel wurde jetzt gefärbt, ein- gebettet und geschnitten. Die Untersuchung von Sagittalschnit- ten ergiebt, dass zwischen den eben erwähnten Resten und der Hinterkapsel echtes, unpigmentirtes Kapselstaargewebe liegt Die beiden Flügel waren ebenfalls echter Kapselstaar, der stark pigmentirt war, jedenfalls von der Iris aus^). Hieraus folgt, dass sie erst nach der Extraction entstanden sind, da in den ge- schlossenen Kapselsack unmöglich Pigmentkörnchen eindringen können. Es war also nur die centrale, unpigmentirte Parthie des Kapselstaars schon vor der Extraction gebildet

Die extrahirte Linse wird frisch halbirt; sie zeigt auf dem Durchschnitt eine fast kugliche, intensive Trübung 1 ^j^ mm breit und 1 mm dick , welche unmittelbar an den hinteren Pol des extrahirten Stückes grenzt (Fig. 2); es macht den Ein- druck, als ob der cataractöse Kern gerade nach hinten ver- schoben wäre. Diese Trübung ist umgeben von einer zweiten Staarschicht, welche in der vorderen Parthie ein durchsichtiger Zwischenraum von der ersterwähnten Trübung trennt, während sie sich an der Seite unmittelbar an sie anlegt und nach hin- ten ganz verschwindet Abbildung 2 giebt von diesen Yerhältr nissen ein besseres Bild, als es eine genauere Beschreibung könnte.

') Vgl. meine Untersuchungen über die Betheiligung der Iris bei Bildung von Kapselnarben: Arch. für Ophth. XXXY, 1. S. 237.

12 0. Schirmer.

Aus der eiuen Hälfte werden frische Präparate gefertigt nnd i9 Glycerin oder ohne Znsatzflüssigkeit untersucht. Der Kern zeigt dieselben Bilder, wie ich sie bei Fall Schwarz von der centralen Trübung erhalten hatte. Auch hier haben trotz des Alters des Patienten die Fasern einen uuregelmässig aus- gebnchteten Contour, keine so feine Zähnelung, wie im Fall Porassini. Die Corticalschichten enthalten zum Theil normale Fasern, zum Theil sind sie mit massenhaftem Detritus durchsetzt und scheinen in Zerfall begriffen. Letztere Veränderung ist jedenfalls auf Rechnung der vorausgegangenen Discision zu setzen.

Die andere Hälfte wird eingebettet und geschnitten. Die mikroskopische Untersuchung derselben giebt die Erklärung für die auffallende Lage des Centralstaars. Es ist in der That der ganze Kern nach hinten dislocirt. Die vorderen Cortical- schichten sind besonders dick, die hinteren sehr dünn und enden schon eine Strecke xor dem hinteren Pol, so dass hier der Kern ganz frei liegt. Besonders lehrreich und besonders beweisend für dies Verhalten ist die Beobachtung der äqua- torialen Umbiegungsstellen der Fasern. Dieselben liegen nicht, wie in der normalen Linse in einer wenig nach hinten ausge- bogenen, durch den Wirbel gehenden Ebene, sondern die letz- tere hat nur peripher ihre normale Lage; je älter die Fasern sind, je centraler sie liegen, um so weiter nach hinten rückt die Umbiegungsstelle und grenzt schliesslich unmittelbar an den Kernäquator. Eine durch sämmtliche Umbiegungsstellen gelegte Ebene würde hier also sehr stark trichterförmig nach hinten ausgebuchtet sein, als ob der in ihrem Centrum gelegene Kern einen Zug nach hinten an ihr ausgeübt hätte. Die hintere Oberfläche des Kerns liegt, wie schon gesagt, central völlig frei, nur von einem Eiweissgerinnsel bedeckt und hier haben die Fasern keine zur Linsenoberfläche concentrische Lage, sondern sie stehen senkrecht oder fast senkrecht auf dieser und sind hier in einer gezackten Linie durchrissen, aus welcher zahl- reiche Spitzen vorstehen (Figur 6). Dies in Verbindung mit dem Befund der hinteren Polarcataract giebt die Erklärung für die Lage des Kerns. Es bestand eine Adhäsion der älte- sten Fasern an den Hinterkapselstaar, welche den Kern hier fest hielt und den neu sich bildenden Schichten ein unüber- windliches Hinderniss entgegenstellte, so dass nur ihre vordere Hälfte sich normal ausbilden konnte.

Zur patholog. Anatomie und Patbogenese des Centralstaan. 13

Im Uebrigen ergiebt die Untersuchung der Schnitte (Fig. 4) nichts, was man nicht schon aus den Znpfpräparaten in Ver- bindung mit der Betrachtung des Linsenquerschnitts hätte er- schliessen können. Die centrale Trübung ist, wie im Fall Schwarz, in ihrer ganzen Ausdehnung gleichmässig, auch die Grösse der sie bedingenden Tröpfchen 0,002 0,007 mm bleibt annähernd die gleiche; nur nach vorn finden sich einige grössere Lücken mit grobkörniger Masse gefüllt. Der sie um- gebende Schichtstaar weist in der makroskopisch sichtbaren, trüben Schicht die gleichen kleinen Tröpfchen, zum Thcil in grösseren Hohlräumen yereinigt, in grosser Menge auf. Die anscheinend klare Zone zwischen ihm und der centralen Trü- bung ist mit ähnlichen, aber spärlicher gesäeten Gebilden be- setzt. — Die Corticalfasern haben in der einen Hälfte norma- les Aussehen, die äusseren Schichten glatte Contouren, die in- neren Lagen leichte Zacken und Zähnchen, welche als Alters- erscheinnng, nicht als Folge der Discision aufzufassen sind. Auf der anderen Seite, jedenfalls der Seite der Discisionswnnde sind die Fasern in vollem Zerfall begriffen; ihre Contouren sind grob gewellt, es liegt viel Detritus zwischen ihnen und sie sind, wie man beim Zerzupfen sieht, ausserordentlich bröck- lige — Mit Hämatozylin hat sich die ganze Linse gleichmässig blau tingirt, vielleicht die zerfallenden Corticalschichten etwas blasser; der Inhalt der grösseren Lücken um die centrale Trü- bung dagegen hat einen intensiv blaurothen Ton angenommen.

Fall V.

Ernst Heinrich, 14 Jahre alt, hat sich zuerst als sieben- jähriger Knabe am 14. October 1884 in hiesiger Klinik vor- gestellt. Damals wurde am rechten Auge ein Schichtstaar con- statirt; derselbe war massig gross, scharf begrenzt und in der Mitte durchleuchtbar. Y = Fingerzählen in 1 m. Das linke Auge war nicht cataractös. Der Patient hatte als Kind an Rhachitis gelitten und es fanden sich auch damals noch Ver- änderungen an den Rippenknorpeln und die charakteristische Zahnanomalie.

Es wird rechts nach aussen unten iridectomirt. Keine Besserung des Sehvermögens.

Am 7. Juli 1891 stellt sich der Knabe wieder hier vor. Es besteht jetzt, noch inlmer einseitig, ein doppelter Schicht- staar, dessen innere Zone, völlig undurchsichtig ist, also nach

14 0. Schirmer.

gewöhnlicher Nomenclatar ein Kemstaar genannt zn werden verdient. Die Linse ist massig geschrumpft; die durchsichtigen Corticales sind kaum 1 mm dick; die äussere, nicht sehr opake Staarzone hat einen Durchmesser von 7^/, mm, die innere von 4^/2 mm. Beide sind scharf nach aussen begrenzt, ihr Contour aber nicht kreisförmig, sondern mehrfach gewellt und ausge- buchtet. Es werden nur Handbewegungen erkannt.

Am 8. Juli 1891 wird durch das alte Colobom die Linse extrahirt, nachdem ein Kapselstück herausgerissen ist. Die Ent- bindung so ziemlich der ganzen Linse erfolgt ohne Glaskörper- verlust auf sanften Druck.

Die Gataract, die ganz ausserordentlich weich ist, wird vorsichtig frisch halbirt und die eine Hälfte sofort in 60 ^/o Alkohol gelegt, die andere frisch zur Untersuchung benutzt. Auf dem Querschnitt erkennt man ohne Weiteres die Trflbnngs- ringe und, was von Wichtigkeit ist, man sieht sofort, dass das Centrum völlig klar und durchsichtig ist. Es hat sich also nicht um einen Kemstaar gehandelt trotz der Undurchsichtig- keit der inneren Zone.

An frisch gefertigten Präparaten sieht man die schon mehrfach beschriebenen Veränderungen, Tröpfchen zwischen den Fasern, deren Zahl und Grösse verschieden ist nach der Stelle, von welcher das Präparat genommen wurde. Sie sind sehr zahlreich in Partikelchen, die den Trübungsschichten entstam- men, spärlicher in der durchsichtigen Zone zwischen diesen und noch mehr im Kerne. Die Fasern sind flberall glatt oder, wo viele Tröpfchen liegen, gewellt und mit kleinen Buckeln versehen, nirgends gezähnelt.

Die zur Härtung bestimmte Hälfte ist in 60 ^/q Alkohol noch weicher und bröckliger geworden, so dass beim Heraus- nehmen ein grosses Stück abbricht. Es scheint deshalb besser, bei sehr weichen Staaren gleich mit einer stärkeren Goncen- tration, etwa 7b ^Iq Alkohol zu beginnen; Müller'sche Flüssig- keit bringt so weiche Gataracte oft noch mehr zum Zerfall. Der übrig gebliebene Rest wird eingebettet und geschnitten; er enthält an einer Stelle noch beide Staarschichten und den grössten Theil des Kerns. Dicke, ungefärbt in Glycerin ein- gelegte Schnitte lassen die beiden Trübungszonen durch einen klaren Zwischenraum getrennt und den klaren Kern erkennen. Unter dem Mikroskop findet man beide aus zahlreichen, zwi- schen den Fasern gelegenen Tröpfchen gebildet, welche in der inneren Staarzone erheblich zahlreicher und kleiner 0,0015

Zur patholog. Anatomie und Pathogeuese des Centralstaars. 15

bis 0,003 mm sind, als in der äusseren 0,006 0,015. Nach aussen haben die Ringe eine scharfe Grenze, wäh- rend nach innen die Zahl der Tröpfchen mehr allmälig ab- nimmt Der Kern weist die für Schichtstaar charakteristischen Yeränderungen in geringer Anzahl auf; in ^er Zone zwischen beiden Staarschichten sind sie etwas zahlreicher. Ein bemer- kenswerthes Verhalten gegen Hämatozylin trat bei dieser Linse nicht hervor.

Dieser Fall ist bemerkenswerth, einmal durch seine Einseitigkeit und dadurch, dass die Trübung der inneren Staarschicht im Laufe der Beobachtung, erheblich intensi- ver geworden ist, der ursprünglich durchleuchtbare „Schicbt- fitaar*' zu einem undurchsichtigen „Kemstaar^S dann aber auch, weil die Entstehung der äusseren Staarzone in relativ später Zeit ausser Frage steht. Sie hat sich erst nach dem siebenten Lebensjahr des Patienten gebildet und zwar wiederum einseitig; das ursprünglich gesunde Auge blieb auch jetzt verschont.

Wegen der Seltenheit solcher Beobachtungen möchte ich hier noch eine völlig analoge anführen, die ebenfalls dieser Tage hier zur Beobachtung kam.

Fall VL

Anna 'Drusch, 17 Jahre alt, stellt sich mit doppeltem Schichtstaar des rechten Auges vor. Die äussere Zone, ausser- ordentlich zart und durchscheinend, aber an keiner Stelle de- fect, umgiebt in geringer Distanz eine 6 mm grosse Scheibe, die völlig undurchsichtig ist Die Patientin hat in der Jugend an Krämpfen gelitten, ihre Zähne zeigen die von Horner be- schriebene, bekannte Anomalie. Vor zwölf Jahren war am gleichen Auge in hiesiger Klinik ein besonders grosser, ein- facher Schichtstaar constatirt worden, wie die noch vorhandene Krankengeschichte beweist. Hier hatte sich also nicht nur die äussere Zone seitdem gebildet, auch die innere war, während sie sich verkleinerte, opaker, undurchsichtig geworden. Damals wurde das linke Auge discidirt es zeigt jetzt noch einen zarten Nachstaar mit S=^/|o, das rechte iridectomirt.

16 0. Schirmer.

Ea könnte nahe liegen, die Bildung der äasseren Zone mit der Iridectomie in beiden Fällen in Zusammenhang zu bringen und dadurch diese Operation bei Schichtstaar zu discreditiren die Entstehung schichtstaarähnlicher Trü* bungen durch äi/ssere Einflüsse ist ja durch Beobachtungen von V. Graefe^), Becker*) und mir') ausser Frage ge- stellt — und diese Erklärung liegt um so näher, als bei Ernst Heinrich am iridectomirten Auge allein die neue Trübungsschicht sich bildete. Man darf aber nicht ver- gessen, dass der Schichtstaar hier von vornherein einseitig gewesen war; die besonderen Verhältnisse, welche die Bil- dung der inneren Staarzone am linken Auge verhindert hatten, mögen wohl auch das zweite Mal noch in Kraft ge- wesen sein. Direct ausgeschlossen werden kann diese Aetiologie im dritten Fall, wo ich eine solche späte Ent- stehung der äusseren Staarzone beobachtete, bei Fall 2 meiner ersten Arbeit über Schichtstaar'). Die Patientin war rechts im Juni 1882, links im Mai 1883 wegen ein- fachen Schichtstaars iridectomirt. Die äussere Zone fand sich erst, als sie sich im Mai 1891, vierzehn Jahre alt| wieder vorstellte. Soll die Operation schuld sein, so muss sich die Trübung doch im Anschluss an sie bilden. Hier aber wurde sie zehn Monate nach der ersten Iridectomie noch nicht gefunden, und nach der zweiten bildete sie sich doppelseitig. Ich muss deshalb bei meiner damals ausge- sprochenen Anschauung bleiben, dass es sich in solchen Fäl- len um eine Wiederholung des für die innere Staarschicht ursächlichen Moments handelt, dass dasselbe noch lange Jahre nach der Geburt in Action treten könne.

>) Notiz über Schichtstaar: Archiv für Ophthalm. II, 1, S. 273. 1856.

') "Cataracta capsularis centralis anterior mit Gatar. nuclearis. Bericht über die Augenklinik der Wiener Universität 1863 --1865. S. 96. Wien 1867.

•) Archiv für Ophthalm. XXXV, 3, S. 171.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 17

Ueberblicken wir noch einmal die Resultate der mikros- kopischen Untersuchung, so haben wir in Fall I und II Staare vor uns, welche man klinisch am richtigsten als undurchsichtigen Schichtstaar bezeichnen würde. Sie ge- hören zu jenen Formen, welche Becker im Auge hatte, als er schrieb, die Untersuchung in vivo könne keine Ent- scheidung geben, ob es sich um besonders dichte Schicht- staare oder um Kornstaare handle. Die anatomische Unter- suchung hat hier einen anfangs vielleicht etwas überraschen- den Aufschluss gegeben; es handelt sich um beides zugleich, um eine zweifellose Zonularcataract mit zarter Kerntrübung. An durchsichtige Corticalschichten schliesst sich in schrof- fem Uebergang ein ovaläres Band kleinster Tröpfchen, wel- che beträchtlich kleiner sind, als ich es bisher bei Schicht- staar gesehen habe^), aber bei gleicher Breite des Staar- bandes ausserordentlich zahlreich und bedingen eben hier- durch die Undurchsichtigkeit der Cataractzone. Gegen die- selbe ist makroskopisch scharf abgesetzt der Kern; er ent- hält grössere, aber spärlichere Lücken mit grobkörniger Masse gefüllt, welche vom Centrum nach der Peripherie an Zahl zu-, an Grösse abnehmen, so dass mikroskopisch ein Uebergang in die Staarschicht statt hat. Seine Fasern sind noch hinreichend normal, um die physiologische Altersver- änderung — die Patientin war 41 Jahre alt die Aus- bildung von Zähncheu und Zacken zu erleiden. Es sind diese Kern Veränderungen, welche den bei Schichtstaar ge- fundenen völlig analog sind, so zahlreich, dass sie in der halbirten Linse den Kern zart getrübt erscheinen lassen konnten. Ob aber sie es sind, die intra vitam die Cataract undurchsichtig machten, ist mir zum mindesten sehr zwei- felhaft. Ich glaube eher die besonders stark getrübte Staar- schicht Hess uns den Kern überhaupt nicht durchscheinen.

') Vergl. Abbildung 3 dieser Arbeit mit Abbildung 6 und 7 in „Zur patholog. Anatomie** etc.: dieses Archiv XXXV, 3, Tafel X.

T. Gnefe's Archiv für OphÜialmologie. XXXVII. 4. 2

18 0. Schirmer.

Nach der mikroskopischen Untersuchung würde man diesen Kerustaar zu bezeichnen haben, als einen Schicht- staar, bei dem die ursächliche Schädlichkeit besonders in- tensiv gewirkt hat, so dass nicht nur die Staarschicht, son- dern auch die Kernveränderungen ungewöhnlich stark aus- gesprochen sind.

Im Fall V haben wir anatomisch das typische Bild eines doppelton Schichtstaars, zwei concentrische, nach aus- sen scharf abgesetzte Trübungsringe mit makroskopisch kla- rem Zwischenraum und klarem Kern. Was hier in vivo die innere Staarzone undurchsichtig erscheinen liess, kann neben der durch die zarte äussere Staarschicht bedingten Trübung nur ihre eigene Intensität gewesen sein. Von einem Kernstaar, an den man wegen der ündurchsichtig- keit der inneren Zone hätte denken sollen, ist also auch hier nichts vorhanden.

Im Fall III und IV haben wir Formen, welche kli- nisch das typische Bild eines Centrallinsenstaars aufweisen: kleine sehr intensive, centrale Trübungen, hier beidemale von einer zweiten, weniger stark getrübten Schicht um- geben. Letztere hatte eine mehr scheibenförmige Gestalt, aber an der centralen Parthie, besonders im Falle Naujoks, war die von den Autoren postulirte, kugelförmige Gestalt in die Augen springend. Interessant ist, dass sich beide Staare trotz der Gleichheit der anatomischen Veränderun- gen auf ganz verschiedener ätiologischer Basis gebildet hat- ten, in Fall III bei einem rhachi tischen Individuum, in Fall IV unter Bedingungen, welche Arlt*) und Tetzer*) als die gewöhnlichen für den Centrallinsenstaar hinstellen, nämlich verbunden mit congenitalen Anomalieen, hier in einem mikrophthalmischen Auge.

Das anatomische Substrat der Eerntrübung bestand in kleinsten Tröpfchen, welche die ganze centrale Linsenpar-

') Krankheiten des Auges. Bd. II, S. 250. Prag 1854,

*) Compendiam der Angenheilk. 4. Aufl. S. 282. Wien 1887.

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 19

thie in solcher Menge durchsetzen, dass die Fasercontouren nur schwierig zu erkennen sind. Sie sind in der ganzen getrübten Parthie gleichmässig vertheilt, nach aussen hören sie in einer scharfen Grenze auf. Die Fasern sind stark alterirt, in der mannigfachsten Weise vorgebuckelt und aus- gebuchtet; die physiologischen Altersveränderuugen waren im Falle Naujoks trotz der öl Jahre des Patienten nicht zur Entwicklung gekommen. In beiden Fällen ist die cen- trale Trübung von einem typischen Schichtstaar umgeben. Aehnliche Tröpfchen, wie im Centinim, finden sich zahlreich in einer Faserschicht, die im Fall Schwarz concentrisch zur Linsenoberfläche liegt, im Fall IV durch die Verschiebung der einzelnen Schichten eine etwas unregelmässige Anord- nung zeigt. Der. Zwischenraum zwischen dieser Zone und der centralen Trübung enthält spärliche Veränderungen, wie ich sie auch in den Fällen von doppelter Zonularcata- ract zwischen beiden Staarschichten gefunden hatte. Wir haben also in beiden Fällen, eingefasst von einem Schicht- staar, einen Centrallinsenstaar, eine gleichmässige, intensive Trübung des Linsencentrums, deren anatomischer Bau durch- aus den Veränderungen der Staarzone bei Zonularcataract analog ist.

Auch im Falle Naujoks ist es ein Centralstaar trotz der auffallenden Lage der Trübung. Die anatomische Un- tersuchung hat ergeben, dass auch hier die ältesten Lin- senschichten von dem cataractösen Processe betrofifen sind und dass ihre Dislocation nach hinten durch Verwachsung mit einem Hinterkapselstaar zu erklären ist. Es ist dies ein Vorgang, analog dem beim Spindelstaar supponirten; auch letzterer findet sich ja gerade in Verbindung mit Schichtstaaren. Zur Ausziehung der abnormen Adhäsion zu einem Faden ist es nicht gekommen, da dieselbe nur einseitig, nur an der Hinterkapsel bestand; es wurde also kein genügender Zug an ihr durch das Auseinanderweichen der Kapselblätter ausgeübt; und die hinteren Faserenden»

2*

20 0. Schirmer.

welche sich zwischen Centralstaar und Hinterkapsel dräng- ten, waren augenscheinlich nicht im Stande, die breite Ad- häsion zu dehnen, was bei schmäleren Verbindungen mög- lich zu sein scheint, wie der Fall der Margarethe E. zeigt, den Knies ^) anführt.

Die anatomische Ursache der centralen Staartrübung ist so völlig identisch der Trübung in der Schichtstaarzone, dass man unwillkürlich eine Ursache für die beiden For- men, eine Entstehungsweise annehmen möchte. Aber nicht nur die anatomische Aehnlichkeit weist darauf hin, es ist bekannt, dass beide auf gleicher ätiologischer Basis vorkom- men können auf die gegentheilige Ansicht Schnabers komme ich später zurück , sich häufig bei mehreren Gliedern derselben Familie finden und schliesslich, wie auch diese Fälle beweisen, in einer Linse neben einander vor- ,kommen können. Es fragt sich jetzt, ist es möglich, bei gleicher Entstehungsweise die vorhandenen Differenzen un- gezwungen zu erklären, die kleinere, kuglige Form und die intensivere, totale Trübung der Centralstaare gegenüber der ovalären Trübungszone und den geringen Kernverän- derungen des Schichtstaars, und die stets fötale Entstehung des einen gegenüber der theils intra-, theils extrauterinen Bildung des anderen I Das ist nun in der That sehr wohl möglich.

Die Entstehung des Schichtstaars hatte ich im An- schluss an die Horner'sche Theorie so dargestellt, dass eine vorübergehend einwirkende Schädlichkeit in der gan- zen, zur Zeit vorhandenen Linse Tröpfchen erzeugt, die in den jüngsten, lebensfrischen Schichten so massenhaft auf- treten, dass eine klinisch nachweisbare Trübung entsteht, in den älteren, weniger am Stoffwechsel betheiligten Fasern nur minimale, makroskopisch nicht wahrnehmbare Verän- derungen erzeugt. Die später gebildeten Fasern sollten

') Ueber den Spindelstaar und die Accommodation bei dem- selben: Archiv für Ophthalm. XXIII, 1, S. 217,

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 21

sich in normaler Transparenz anfügen. So erklärt sich zwanglos die linsenförmige Gestalt des Schichtstaars, die intensive Trübung nur einer Schicht und die geringen Kern- Veränderungen. Nun ist aber in sehr früher fötaler Periode die Linse nicht nur kleiner, sondern auch sehr viel kug- liger gestaltet, als um die Zeit der Geburt. Ein sehr früh gebildeter Schichtstaar wird deshalb nicht nur kleiner, son- dern auch kugliger sein müssen, als ein im extrauterinen Leben entstandener. In so früher Periode sind die Fasern noch durch die ganze Linse gleichmässig lebend, noch gleichmässig der Ernährung bedürftig, es giebt noch keine gealterten, geschrumpften, vom Stofifwechsel ganz oder doch fast ganz ausgeschlossenen Fasern. Die gleiche Schädlich- keit, welche in späterer Zeit nur die jüngsten Schichten intensiv trübt, in den centraler gelegenen, vom Stoffwechsel schon mehr ausgeschlossenen nur geringe Veränderungen hervorruft, wird hier die ganze Linse gleichmässig trüben müssen; sie ruft eine fötale Totalcataract hervor, aus wel- cher allmälig durch Anlagerung neuer, durchsichtiger Schich- ten ein Centrallinsenstaar wird.

Die Theorie der Pathogenese der Zonularcataract kann also ohne Weiteres auf den Gentralstaar ausgedehnt wer- den. Ich kann mich für beide derselben Worte bedienen: Irgend eine Schädlichkeit, deren Wesen uns noch unbe- kannt ist, wahrscheinlich eine Störung in der Ernährung der Linse, ruft sowohl in den zur Zeit ihrer Einwirkung schon gebildeten, wie in den während dieser Zeit entste- henden Linsenschichten Veränderungen hervor: sie erzeugt Tröpfchen, die anfangs vielleicht in den Fasern liegen und erst später, wenn die Faser schrumpft, herausgepresst wer- den, vielleicht aber auch von Anfang an zwischen densel- ben liegen. Nur die zur Zeit der Schädigung noch völlig lebenskräftigen, noch mitten im Stoffwechsel stehenden Fa- sern enthalten solche Mengen Tröpfchen, dass eine klinisch wahrnehmbare Trübung entsteht; die älteren Fasern wer-

22 ' 0. Schirmer.

den nach Maassgabe ihrer geringeren Betheiligung am Stoff- wechsel weniger alterirt. Die Ursache der Staarbildung pflegt ziemlich plötzlich aufzuhören, wie die scharfe Grenze der Trübung nach aussen beweist. Die später gebildeten Fasern sind völlig normal und durchsichtig.

Je nach der Zeit, in welcher die Schädlichkeit ein- wirkte und nach ihrer Intensität wird sie eine ganze Reihe verschiedener Staarformen erzeugen können, an deren bei- den £nden einerseits die kleinen, kugligen, weissen Central- staare, andrerseits die auf wenige benachbarte Faserschich- ten beschränkten, zarten, grossen, fast ganz durchsichtigen ' Zonularcataracte stehen. Erstere sind durch eine erheb- lichere und vor Allem durch eine sehr frühe Ernährungs- störung bedingt Ceutralstaare sind nach allgemeiner An- sicht stets angeboren , letztere durch eine geringgradige und relativ späte Störung Schichtstaare pflegen um die Zeit der Geburt, ab6t wahrscheinlich häufiger extrauterin, zu entstehen; in wie spätem Alter sie sich noch bilden können, zeigen die oben angeführten Fälle von doppeltem Schichtstaar. Zwischen diesen beiden Staarformen stehen jene grösseren Cataracte, welche die Configuration eines Schichtstaars zeigen, dabei aber völlig undurchsichtig sind. Sie zählt man, wie Fall I, II und V beweisen, richtiger zu den Schichtstaaren, da die Undurchsichtigkeit durch eine besonders starke Ausbildung der Staarschicht bedingt ist.

Eine gleiche Pathogenese der beiden Staarformen be- weist zwar nichts dafür, dass sie auch eine gleiche Ursache haben, aber soweit von einander verschieden, wie Schnabel behauptet, scheinen sie mir doch nicht zu sein. Schna- bel^) hält dafür, dass Kemstaare sowohl, wie Punktstaare und congenitale Totalstaare durch abnorme Eeimesbeschaf- fenheit, Schichtstaar durch Störungen im intra- und extrau-

*) Vortrag, gehalten in der Sitzung des Vereins der Aerzte Steiermarks am 24. Novbr. 1890 (Referat im Centralbl. ftlr Augen- heilkunde. April 1891).

Zur patholog. Anatomie und Pathogenese dea Centralstaars. 23

terinen Leben zu Stande kommen. Als Beweis führt er an, dass Kemstaar häufig bei Geschwistern oder in verschiede- den Generationen derselben Familie gesehen wird, Schicht- staar niemals! Dagegen bemerkt Hirschberg in einer Note zum Referat, dass er Grossmutter, Mutter und Kind am Schieb tstaar operirt habe; auch ich sah die gleiche Form bei Mutter und Sohn und ähnliches haben gewiss viele Ophthalmologen gesehen. Dagegen ist femer die von Knies*) beschriebene Spindelstaarfamilie anzuführen, drei Brüder mit Centralstaar und einfachem oder doppeltem Schichtstaar. Da auch bei den drei Schwestern dieser Brü- der, bei ihrer Mutter und mütterlichem Grossvater Linsen- anomalieen vorhanden waren, spricht dieser Fall durchaus für eine Entstehung durch abnorme Keimesbeschaffenheit. Es scheint mir allerdings, dass durch ein solches Vorkom- men bei einer Anzahl von Gliedern derselben Familie eine abnorme Beschaffenheit des Linsenkeims noch nicht erwie- sen ist, sondern die Annahme hat, meine ich, gleiche Be- rechtigung, dass nur eine AUgemeindyskrasie (rhachitische Disposition?) im Keim vererbt wird, und die Linsenanomalic secundär durch diese herbeigeführt. Es ist zweifellos, dass sich der Centralstaar besonders häufig mit anderen conge- nitalen Anomalieen des Auges verbindet, ebenso zweifellos aber kommt er mitunter auf derselben Basis, wie der Schicht- staar vor, wie der oben angeführte Fall Schwarz beweist. Ich glaube deshalb, der Schnabel 'sehe Satz kann in der Allgemeinheit, wie ihn der Autor ausspricht, nicht aufrecht erhalten werden, sondern Schichtstaar wie Centralstaar können verschiedene Ursachen haben, beide sowohl ab- norme Keimesbeschaffenheit, wie auch nicht ererbte intra- oder extrauterine Störungen.

Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass die hier abgehandelte Staarform den Namen „Kernstaar",

*) loc. cit.

24 0. Schirmer.

mit dem sie vielfach belegt wird, mit Unrecht führt. Es handelt sich nicht um eine Trübung des Kerns; ein Kern ist zur Zeit ihrer Entstehung überhaupt noch nicht gebil- det, sondern entsteht erst später, und einer vorzeitigen Kembildung ist die centrale Trübung gewiss nicht gleich- zusetzen. Ich möchte für diese Form den Namen vorschla- gen, welchen Becker sowohl in seiner Monographie im Sammelwerk von Graefe-Saemisch, wie in dem Werke: „Zur Anatomie der gesunden und kranken Linse^' gebraucht^ nämlich Centrallinsenstaar oder kürzer Centralstaar. Wenn man sich gewöhnt, wie es ja jetzt schon meistens geschieht, den Namen Gentralkapselstaar ganz aufzugeben und dafür vorderer, resp. hinterer Polarstaar zu sagen, würde jede Ver- wechslung ausgeschlossen sein und der Name „Centralstaar" bliebe reservirt für Trübungen des Centrums der Linse, für kleine, kuglige, intensiv weisse oder gelbliche, undurchsich- tige, central gelegene, angeborene Trübungen. Als Schicht- staar sollte man meiner Ansicht nach alle grösseren, schei- benförmigen, mehr opak gi*aulichen Staare bezeichnen, gleich- gültig ob sie durchsichtig sind oder nicht. Denn auch im letzteren Fall haben wir es mit einem Schichtstaar zu thun, dessen Staarschicht so dick oder so getrübt ist, dass sie kein Licht durchlässt. Eine scharfe Grenze zwischen bei- den Formen zu ziehen, ist natürlich unmöglich, weil sie allmälig in einander übergehen. Ob der congenitale, harte Kernstaar A. Graefe's*) seinen Namen mit Recht trägt, kann hier unerörtert bleiben, da derselbe überhaupt nicht in die hier geschilderte Gruppe zu gehören scheint.

*) Bericht der Heidelberger Ophthalm. Qesellsch. 1879. S. 25.

Zar patholog. Anatomie und Pathogenese des Centralstaars. 25

Figuren-Erklärung auf Tafel I und n.

Fig. 1 und 2.

Die Linsen von Fall II und lY in sechsfacher Vergrösserung nach ungefärbten Glycerinpräparaten gezeichnet.

In beiden Figuren bedeutet a die centrale Parthie, h die Schicht- staarzone, c die Corticalis.

Fig. 3 und 4.

Dieselben Linsen in 20 f acher Vergrösserung gezeichnet unter Benutzung verschiedener Objective. Die Buchstabenbezeichnung ist dieselbe, wie in den Figuren 1 und 2. d in Fig. 3 ist die nur in der hinteren H&lfte vorhandene Zone eines zweiten Schichtstaars. In Figur 4 bedeutet c^ die normalen Corticalschichten, c, die in Folge der Discision zerfallenen.

In beiden Zeichnungen sind sämmtliche Lücken im Yerh&ltniss zur ganzen Linse viel zu gross gezeichnet. Es geschah dies, um auch die kleineren derselben als Kreise wiedergeben zu können.

Fig. 6. Aus der Staarschicht von Fall II. Yergr. 505.

Fig. 6. a die hintere Parthie des Centralstaars von Fall IV, b das an- grenzende Eiweissgerinnsel. Yergr. 505.

Beiträge znr Kenntniss der Cataracta zonidaris.

Von

Dr. Bernhard Dub, k. und k. Regimentsarzt in Wien.

(Aus der II. üniversit&ts- Augenklinik des Prof. Fuchs in Wien.)

Durch Becker, Wecker, Critchett, Leber u. A. ist es nachgewiesen, dass die Cataracta perinuclearis sowohl angeboren, als auch post partum entstanden vorkommt. Die meisten Autoren neigen der Ansicht zu, dass die Zahl der angeborenen Schichtiataare eine ziemlich beschränkte ist gegenüber den später auftretenden Formen und identi- fiziren die Entstehungszeit derselben mit der des Auftre- tens von Krämpfen. Um diesen Fragen näherzutreten, ins- besondere zu dem Zwecke, um womöglich aus der Grösse der Cataracta perinuclearis auf die Zeit ihres Entstehens rückzuschliessen, unternahm ich es auf Anregung meines hochverehrten Lehrers, Herrn Professor Fuchs, die wäh- rend meiner allerdings kurzen Thätigkeit auf dessen Klinik vorkommenden Fälle dieser Staarform, „des Kinder- staars" zu beobachten.

Die Untersuchungen, welche ich anstellte, waren von zweierlei Art. Erstens maass ich so sorgfältig, als es mir möglich war, die äquatorialen Durchmesser jener Fälle von Schichtstaar, welche während meines Aufenthaltes an der Klinik zur Beobachtung gelangten. Zweitens unternahm

. Beiträge zur Kenntniss der Cataracta zonularis. 27

ich es, die Dimensionen der Krystalllinse im Kindesalter zu bestimmen. Ich beabsichtigte, durch Vergleichung dieser mit den Dimensionen der Schichtstaare Anhaltspunkte zu gewinnen über die Zeit, zu welcher die Linsentrübung ent- standen sein mochte. Wenn es nun auch, wie später ge- zeigt werden wird, nicht möglich war, zu einer ganz prä- cisen Beantwortung dieser Frage zu gelangen, so glaube ich doch, dass schon die Messungen an sich nicht ohne Werth sind, da bis jetzt nur ganz vereinzelte Angaben hierüber vorliegen.

I. Messungen an Schichtstaaren.

Soweit mir die Literatur zugänglich war, habe ich daselbst nur vereinzelte, gelegentliche Angaben über die Grössenverhältnisse der Cataracta zonularis gefunden. So ei'wähnt Schirmer (Archiv für Ophthalm. 1889, 3), dass der Durchmesser eines Schichtstaars bei einem 33jährigen Manne 6 mm betrug, ferner erwähnt er einen solchen von 5 b^l^mm bei einem funQährigen Knaben; Beselin fand eine 5 mm grosse Zonulartrübung, Michel giebt in seinem Lehrbuch an, dass die Grösse zwischen 4 und 8 mm schwanke, Wecker constatirte in dem bekannten Falle seines neun- jährigen Mädchens 4,5 5 mm. Nirgends aber ist eine Methode angegeben, wie die Trübungen gemessen wurden oder zu messen wären.

Nach mannigfachen Versuchen, insbesondere mit dem von Weiss angegebenen Apparat zur Messung der Objecte des Augenhintergrundes, dessen vorwiegendste Bestandtheile ein Prisma und ein Maasstäfelchen sind, gelangte ich zu einer Methode, die mir wegen ihrer Raschheit, Einfachheit und Zuverlässigkeit als die beste erschien. Sie fusst eigent- lich darauf, dass ich das Prisma jenes Apparates durch mein freiwilliges Schielen ersetzte.

28 B. Dub.

Nach Homatropinisirung des zu untersuchenden, bei- spielsweise des linken Auges, beleuchte ich dasselbe mit dem vor mein rechtes Auge gesetzten Spiegel und halte mein linkes Auge vorerst geschlossen. An der linken Schlä- fenseite des Patienten, etwas hinter dem äusseren Augen- winkel desselben, also so viel als möglich in derselben Ebene mit der getrübten Linse, brachte ich ein nach gan- zen und halben Millimetern eingetheiltes Täfelchen an. Nun öffne ich mein linkes Auge, schiele nach innen und schaffe mir dadurch ein gleichnamiges, beleuchtetes Doppelbild des untersuchten linken Auges, welches ich nach dem Grade des Schielens bis zu einer gewissen Entfernung auf das Maasstäfelchen projiziren kann. Nun habe ich die beleuch- tete Trübung auf dem Täfelchen, umgeben von hellem Roth und bin im Stande, da ja dieses und die Linse so ziem- lich in derselben Ebene liegen, mit Hülfe der Millimeter- eintheilung die Trübung direct zu messen. Natürlich ge- lang mir dies nicht am ersten Tage, es dauerte ziemlich lange, bevor ich im Stande war, gleichzeitig die Trübungs- grenzen und die Theilstriche der Eintheilung zu fixiren. Anfangs half ich mir damit, die einzelnen Theilstriche des Täfelchens in verschiedenen Farben anzubringen, lun ge- wissermassen Ruhepunkte für das Auge zu haben; später war das nicht mehr nothwendig. Ln Schielen erlangte ich schliesslich eine solche Fertigkeit, dass ich in dem Mo- mente, wo ich das linke Auge öffnete, sofort, ohne dass es der geringsten, mir zum Bewusstsein kommenden Anstren- gung bedurfte, das beleuchtete Doppelbild auf dem Täfel- chen saL Ohne besondere Anstrengung konnte ich dann für mehrere Minuten in dieser Stellung verharren und wenn ich schliesslich ermüdete, so genügte es, das linke Auge einige Secunden zu schliessen, um von Netfem fortfahren zu können. Es braucht nicht besonders erwähnt zu wer- den, dass ich in analoger Weise bei der Untersuchung des rechten Auges des Patienten vorging, indem ich den Spiegel

Beiträge zur Eenntniss der Cataracta zonularis.

29

Yor mein linkes Auge setzte. Das Maasstäfelchen fixirte ich in der gewünschten Stellung durch einen um den Kopf des Patienten gelegten Draht.

Um so genau als möglich vorzugehen, maass ich auf diese Weise jede Trübung wohl zehnmal. Die grösste Dif- ferenz bei solchen Messungen betrug einmal nicht ganz */j mm, sonst war die Fehlergrenze immer geringer. Durch Addirung der jedesmal gefundenen Grössen und Entnahme des arithmetischen Mittels glaube ich zu verlässlichen Re- sultaten gekommen zu sein.

Nun blieb noch die Vergrösserung der hinter der Cor- nea liegenden Objecto durch diese zu berücksichtigen. Nach Helmholtz beträgt die Vergrösserung durch die Cornea */7 *); die um ^/^ reduzirten Grössen der trüben Schichte, also die wahren Grössen der Cataracta perinuclearis waren:

Nr.

Alter

:Trr-=

Aequatorialdurch-

in Jahren

messer in mm

1

11

4,4

2

16

4,6

3

8

4,7

4

13

4,8

5

11

4,8

6

10

5,0

7

10

5.2

8

24

5.2

9

18

5,5

10

9

5,6

Wir werden später die gefundenen Grössen zu verwerthen haben. In diesen zehn Fällen waren die Verhältnisse in beiden Augen vollkommen gleich; auch nicht die kleinste Differenz der Zonularcataract an beiden Augen war zu con- statiren. In fünfen unserer Fälle wurde bestimmt das Vor- kommen von Krämpfen im jugendlichen Lebensalter ange- geben; der präzise Zeitpunkt des Eintretens derselben

^) Physiologische Optik, 2. Aufl., S. 126.

30 B. Dub

wurde in zwei Fällen mit Ablauf des ersten Lebensjahres constatirt; in den anderen drei Fällen, bei denen Krämpfe ebenfalls angegeben wurden, wurde das Alter mit '/4 bis 3 Jahren angegeben. Ausgesprochene Zeichen von Rhachitis fanden sich bei dreien unserer Fälle und zwar betrafen sie lediglich die Zähne; die oberen Schneide- und Eckzähne zeigten die bekannten, horizontalen Schmelzwülste und die Plumpheit der Zahnform.

In keinem unserer Fälle war in der Familie des Be- treffenden das Vorkommen von Cataracta zonularis oder auch nur einer ähnlichen pathologischen Form zu consta- tiren. Schädelanomalieen bot keiner unserer Fälle. Unge- nügende geistige Entwicklung war in einem Falle zu con- statiren, in dessen Familie noch drei, ärztlicherseits als Idioten bezeichnete Angehörige leben. Sämmtliche Fälle bis auf einen, unten näher zu beschreibenden, boten das charakteristische Bild der Cataracta perinuclearis. Es zeigte sich, dass die diffuse Trübung, die, in der Mitte am wenig- sten saturirt, bei normaler Pupille das ganze Pupillargebiet einnahm, nach Anwendung von Atropin nicht bis zum Ae- quator der Linse reichte, sondern dass sie von einer voll- kommen klaren Corticalzone umgeben war. Reiterchen fan- den sich in 7 von unseren 10 Fällen vor. In dem einen oben angedeuteten Falle war nebst der Perinuclearis eine deutliche Nuclearis zu constatiren. In der Mitte der Linse, dem Kern entsprechend, befand sich eine intensiv weisse, knopfförmige Trübung; von derselben gingen, entsprechend der Sternfigur der Linse, drei lineare Trübungen ab nach aussen oben, innen oben, und unten, welche an ihrem Ende eine stccknadelkopfgrossc, knoi)fförmige Verdickung zeigten. Der Refractionszustand bei vieren unserer Fälle war der normale, fünf zeigten myopische, einer hypermetropische Refraction.

Beiträge znr Eenntniss der Cataracta zonularis. 31

n.

Messungen von kindlichen Linsen.

Was die Messungen von Linsen betrifft, so konnte ich in der Literatur, abgesehen von gelegentlichen und durch- schnittlichen Zahlenangaben nur eine grössere Zusammen- stellung von Priestley Smith: „On the growth of the crystalline lens" in den Opthalmologikal Transact. Vol. III, Sess. 82 83, finden. Smith misst aber nur Linsen von Zwanzigjährigen aufwärts, womit mir also nicht gedient sein konnte. Ferner fand ich in einem Artikel: „Abuor- malities of the zonule of Zinn" in „The Royal London op- thalmic Hospital Reports*' Vol. XIII, Part I, Decbr. 1890, einige Angaben über Linsengrössen im fötalen Leben von Treacher Collins. Wir kommen unten bei der Verglei- chung der gefundenen Grössen auf beide Autoren zu sprechen.

Durch die freundliche Zuvorkommenheit des Hrn. Pro- ^ sectors am St. Annakinderhospitale Dr. Kolisko, dem ich an dieser Stelle meinen besten Dank sage, war es mir mög- lich, an 33 Kinderleichen die Linsen messen zu können. Da es nicht anging, die Leichen zu entstellen, war ich ge- nöthigt, den Bulbus nach Herausnahme des Gehirns und Wegnahme des Orbitaldaches von hinten zu eröffnen und so die Linse herauszubefördern. Es wurden nur vollkom- men intacte Linsen gemessen. Dieselben wurden unmittel- bar nach der Herausnahme in ein Gefäss mit reinem Ter- pentinöl gegeben und die Messung längstens eine Stunde nachher, meist unmittelbar darauf, vorgenommen. Die Her- ausnahme der Linsen geschah längstens 20 Stunden nach dem Tode.

Priestley Smith maass die Linsen mit dem Zirkel so genau, dass er sie bis auf Hundertstel von Millimetern bestimmte. Mir gelang es nicht, auf diesem Wege zu be- friedigenden Resultaten zu kommen. Die Fehlergrenze war bei dieser Methode wegen der Nachgiebigkeit der Linsen

32 B. Dub.

eine zu grosse. Treacher Collins maass an den in Mül- ler'scher Flüssigkeit gehärteten und durchschnittenen Bulbi die Linse in situ. Ich ging auf folgende Art vor. Ich be- nutzte ein einfaches Präparirmikroskop mit dem Ocular 10 und eine Mikrometereintheilung aus dem Ocular eines Zeiss- schen Mikroskops. Eine Gittereintheilung stand* mir leider nicht zu Gebote. Die Linse wurde aus dem Terpentinöl vorsichtig herausgenommen, mit Fliesspapier vom Oele be- freit und nun auf diese Millimetereintheilung gelegt Diese kam nun auf die Glasplatte des Mikroskops. Ferner be- nutzte ich dazu ein Fadenkreuz aus Menschenhaaren. So konnte ich den Aequatorialdurchmesser auf Zehntel von Millimetern ablesen. Ich maass nun jede Linse in ver- schiedenen Richtungen und zu wiederholten Malen imd nahm dann die Differenzen zwischen den einzelnen Messungen betrugen nie mehr als ^/^^mm , von sämmtlichen gefun- denen Zahlen das arithmetische Mittel. Behufs Messung des Sagittaldurchmessers der Linsen legte ich dieselben auf eine Glasplatte von bekannter Dicke, maass mit dem Zirkel die Dicke der Linse sammt der Glasplatte so genau als möglich und zog von der gefundenen Zahl die Dicke der Platte ab. Die Fehlergrenze betrug bis */io mm.

Ich verhehle mir nicht, dass die so gefundenen Durch- messer nicht Anspruch auf vollständige Genauigkeit der Wiedergabe der Linsengrössen beim Lebenden machen kön- nen. Denn abgesehen von der wohl nicht in Betracht kom- menden Grössenveränderung der Linse in den ersten zwan- zig Stunden nach dem Tode ist nicht zu vergessen, dass ja die Linse in vivo durch die Zonula eine Abflachung er- leidet, die bei der Messung nicht berücksichtigt werden kann. Andrerseits erleidet die herausgenommene Linse durch das Auflegen auf die Glasplatte ebenfalls eine nicht unbe- trächtliche Zunahme des Aequatorial- auf Kosten des Sagit- taldurchmessers, so dass sich diese beiden Fehlerquellen zum Theile compensiren dürften.

Beiträge zur Eenntniss der Cataracta zonularls.

33

Mein Material war in Bezug auf das Alter der Kinder leider einseitig. Nur drei Kinder standen in einem Alter von unter einem Jahre, 19 in einem Alter von ein bis zwei Jahren, vier waren zwei bis drei Jahre alt, vier standen zwischen dem dritten und vierton Jahre, je eins war 5^/jj, 7 und 12 Jahre alt. Immerhin ist es insofern günstig, als die meisten Fälle das Alter von ein bis zwei Jahren hatten, jenes Alter, das der landläufigen Ansicht nach die meiste Vorliebe für das Auftreten der Krämpfe, also auch der Cataracta perinuclearis, haben soll.

Die Resultate dieser Messungen lege ich in Folgendem dar; ich notirte aus naheliegenden Gründen auch die Kör- pergrösse der Kinder.

Nr.

Alter

Körper- llnge

Aequatorial - Durchmesser

Saglttal - Durchmesser

Grösse Max. Min. Mittel

Grösse

Max.

Min. Mittel

1

10 Mon.

52

6,8 j

2,2

2

11 »

50

8,0

•8,0

6,8

7,46

2,4

2,8

2,2

2,46

3

11

60

7,6

2,8

1

4

12

62

7,8

2,6

5

12

66

6,9

2.5

6

13

62

7,6

2.5

7

13

74

8,0

2,6 j

8

IV4 Jahr

84

8,0

2.9

9

IV4 ,,

64

8,1

2,6 '

10

IV4

62.

8,0 1

2,8 !

11

IV,

82

8,0 1

2,6 1

12

IV,

70

8,1

2,5

13

iVi

65

8,3

8,3

6,9

7,87

2,6

2,9

2,2

2,57

14

IV, »

64

7,5

2,2

15

IV.

68

8,0

2.4

16

IV, n

74

8,2

2,6

17

IV,

76

7,4

2.6

18

IV, ,.

74

7,8

2,5

19

1V4

62

7,8

2,8

20

1V4 M

72

8,1

2,6

21

174

71

8,1

2,6

22 !l-/4

66

7,9

2,4

T. Graefe's Archiv fttr Ophthalmologie. XXXVII. 4.

34

B. Dnb.

Nr.

Alter

Körper- Ubige

Grösse

Max.

Min.

Mittel

Grösse

Hu.

Min."

Mittel

23

2 Jahr

76

8,2

2,6

24

2

82

8,4

>8,4

7,9

8,2

2,5

[3,0

2,5

2,72

2b

2

78

7,9

2,8

26

2V. S

68

8.3

3,0

27

3

70

8,6

1

2,8

1

28

3Vi n

86

8,6

}8,6

8,2

8,46

2,9

[2,9

2,8

2,83

29

3V,

80

8,2

)

2.8

)

30

4

84

7,8

3,1

31

5V.

100

8,4

8,2

32

7

85

8,2

2,9

33

12

129

8,8

8,4

Aus diesen Messungen geht hervor, dass der Aequa- torial- Durchmesser *der Linse nicht ganz genau proportional dem Alter ist. Wir sehen z. B. im Falle 2 einen Aequa- torial- Durchmesser von 8 mm bei einem 11 Monate alten Kinde und im Falle 30 einen Durchmesser von 7,8 mm bei einem vierjährigen Kinde. Immerhin ergeben die Durch- schnittswerthe naturgemäss, dass die Linsengrösse mit dem Alter wächst. So zeigt es sich, dass der durchschnittliche Aequatorial- Durchmesser bei den 3 Kindern unter einem Jahre 7,46, bei 19 Kindern von 1 2 Jahren 7,87, bei 4 Kindern von 2 3 Jahren 8,20, bei 3 Kindern von 3 bis 4 Jahren 8,46 mm gross ist. Aber auch die sagittalen Durchmesser steigen in denselben Fpochen: 2,46 . . . 2,57 . . 2,72 . . . 2,83 mm.

Was die Beziehung der Körperlänge zur Linsengrösse anlangt, so finden wir, dass ihr Yerhältniss zu letzterer ein viel innigeres ist, als zwischen Alter und Linsengrösse. Der Körpergrösse

von 50 60 cm entspricht ein Aequator.-Durchm. von 7,4 60 70 7,82

» 70 80 „. 8,04

80 90 99 » 99 8,17

90-100

8,40

Beiträge zur Kenntniss der Cataracta zonularis.

35

Man wird aho mit viel mehr Berechtigung aus der Körper- lange, als aus dem Alter einen Schluss auf die Linsengrösse machen dürfen. Dies gilt natürlich nur für die Linsen jenes Lebensalters, mit dem wir es hier zu thun haben; im späteren Alter, gegen das Ende des Wachsthums und darüber hinaus dürfte wohl die Körperlänge zu Gunsten des Alters wenig mehr in Betracht kommen, wie ja auch Priestley Smith in seinen Messungen nur das Alter und nidit die Körperlänge berücksichtigt.

Der Uebersicht halber wollen wir noch die Messungs- resultate von Priestley Smith, Treacher CoUins und die meinigen nebeneinanderstellen.

j

Alter 1

Aequatorial-

SagitUl-

1

Durchmesser

a) Collins.

1

4 Monate

3,3

2,8

5

4,0

3,5

6

»

4,6

3,8

1

7

»

5,0

4

^

9

»>

5,75

4>2

b) M<

nne Messan

gen.

9—12 Monate

7,46

2,46

1— 2 Jahre

7,87

2,67

2— 3

»>

8,2

2,72

3-4

w

8,46

2,83

4- 5

»

7,8

3,1

5- 6

»»

8,4

3,2

7

8,2

2,9

12

8,8

3,6

c) P

rießtley Sm

ith.

20—29 Jahre

8,67

30—39

»»

8,90

40-49

9,09

.

50-59

9,44

60—69

9,49

70-79

9,64

80

-89

9,62

36 B. ^ttb.

Aus dieser Zusammenstellung ist zu ersehen, wie auf- fallend rasch im Yerhältuiss zum extrauterinen Leben die Linse im fötalen Zustande wächst. Aus den gefundenen Grössen der sagittalen Durchmesser geht hervor, dass die Form der Linse im frühesten Alter einer Kugel ziemlich ähnlich ist und dass im späteren Alter eine Abflachung derselben eintritt. Die äquatorialen Durchmesser der föta- len Linsen stehen, wie sich aus den Durchschnitts werthen ergiebt, zu den sagittalen in einem Verhältniss von 1,22:1, während das Verhältniss zwischen beiden Durchmessern bei den Linsen meiner Messungen 2,8 : 1 beträgt.

Wir kommen zum Schlüsse. Nach der Ansicht der meisten Autoren entsteht die Cataracta perinuclearis post partum und zwar meist zwischen erstem bis zweitem Le- bensjahre, (worauf auch die klinischen Erscheinungen, Rha- chitis, Krämpfe, hinzudeuten scheinen) und betreflfen die periphersten Schichten der Linse. Nach meinen Untersu- chungen möchte man glauben, dass eins von beiden nicht möglich sei. Entweder wird angenommen, dass die Trü- bung post partum, etwa im ersten bis zweiten Lebensjahre entstanden ist dann könnte es nicht richtig sein, dass es die periphersten Schichten sind, die betroffen werden. Denn im ersten bis zweiten Lebensjahre beträgt der Aequa- torial-Durchmesser Minimum 6,8 mm. Es müsste also auch die Trübung, falls sie wirklich die periphersten Schichten beträfe, diesen Durchmesser haben, während die grösste Cataracta perinuclearis unserer Serie nur einen Durchmes- ser von 5,6 mm besitzt. Oder zweitens, es werden die peri- pheren Schichten betroffen, wobei es dann nicht möglich scheint, dass die Cataract erst im ersten bis zweiten Le- bensjahr entsteht. Denn aus den Messungen geht hervor, dass unsere grösste Cataract einen Durchmesser von 5,6 mm hat, während der kleinste Linsendurchmesser im ersten Le- bensjahr schon 6,8 mm beträgt. Darnach würde es also

Beiträge zur Kenntniss der Cataracta zonularis. 37

scheinen, dass die Cataiuct in einer Epoche ihren Ursprung habe, wo die Linse nicht mehr als 5,6 mm Durchmesser hat. Da wir als Durchschnittswerth für die letzten drei Monate des ersten Lebensjahres einen Aequatorial-Durchmesser von 7,46 gefunden haben, so müssten unsere Cat. perin. in einer relativ früheren Zeit, also im fötalen Leben entstanden sein. Die hier ausgeführte Schlussfolgerung ist aber nicht ohne Weiteres richtig, denn sie lässt einen Umstand ausser Acht, dass nämlich beim Wachsthum der Linse die älteren, centralen Theile mit ihrer Verdichtung auch eine Volums- abnahme erfahren. Wie gross ist dieselbe? Die Durchmes- ser der von mir gemessenen Schichtstaare schwanken zwi- schen 4,4 mm und 5,6 mm; der äquatoriale Durchmesser der ganzen Linse beträgt im ersten und zweiten Lebens- jahre durchschnittlich 8 mm. Angenommen, dass die Schicht- staare in diesem Lebensalter entstehen und zwar in den periphersten Schichten der Linse, so müssten diese eine Abnahme ihres äquatorialen Durchmessers erfahren, welche zwischen 2V2 und 3^2 nim schwankt, also eine Verkleine- rung um ein Drittel und mehr. Wir besitzen leider bis heute noch nicht einmal eine annähernde Schätzung der mit dem Wachsthum der Linsen einhergehenden Schrumpfung ihrer centralen Theile. Die Ermittelung dieser Schrumpf- ung wäre eine dankbare Aufgabe und gerade die Cataracta perinuclearis könnte die Hand zur Lösung derselben bieten. Wenn man einen Fall von Schichtstaar in recht frühem Lebensalter zur Beobachtung bekäme, könnte man in grös- seren Pausen sorgfältige Messungen von dessen Durchmes- ser ausfuhren und so die allmälige Verkleinerung desselben nachweisen. Obwohl wir aber bis jetzt derartige Anhalts- punkte über die Schrumpfung der centralen Linsentheile nicht besitzen, scheint es mir doch, als ob die oben postu- lirte Verkleinerung um ein Drittel und mehr (bis fast um die Hälfte) zu bedeutend wäre, um der Wirklichkeit zu entsprechen. Ist dies so, dann müssen wenigstens die klei-

38 B. Dub, Beiträge zur Kenntniss der Cataracta zonularis.

neren Schichtstaare in Bezug auf ihre Entstehung in ein früheres Lebensalter, als man gewöhnlich annimmt, verlegt werden, sei es in die ersten Lebensmonate, sei es selbst in die letzte Zeit des Fötallebens.

Die andere mögliche Supposition, es trete die Trübung im ersten bis zweiteu Lebensjahre auf, betreffe aber nicht die periphersten Schichteu, ist wohl abzuweisen. Alle Au- toren stimmen darin überein, dass es die periphersten Schich- ten sind, die allein oder vorwiegend von der Ernährungs- störung betroffen werden. Es wäre ja auch den natürlichen Verhältnissen vollkommen widersprechend, dass die älteren Linsenschichten, also die compacteren, widerstandsfähigeren, auf den Lisult, den die Linse durch die Ernährungsstörung leidet, reagiren, die jüngeren Schichten dagegen widerstands- fähiger sein und integer bleiben sollten. Es ist übrigens von Schirmer direct nachgewiesen, dass es nur vorzugs- weise die peripheren Schichten sind, die unter den Er- nährungsstörungen leiden, dass diese Störungen aber auch auf die inneren Schichten einen merklichen Einfluss aus- üben, nur dass eben wegen der geringeren Widerstands- fähigkeit der jüngsten, periphersten Schichten die Trübung daselbst als Autwort auf die Insulte mehr ins Auge fällt.

Schirmer spricht übrigens auch die Ansicht aus, dass die Perinuclearcataracte weitaus häufiger, als man bisher annimmt, intrauterin entstehen und wenn nach der Geburt regelmässig eine ophthalmologische Untersuchung vorgenom- men würde, würden viele Cataracta perinuclearis, die man nachher als später entstanden anspricht, als angeboren er- kannt werden. Seit den Ausführungen von Kassowitz ist es ja auch unzweifelhaft, dass die Rbachitis ungemein häufig in den letzten Monaten der fötalen Entwickelung beginnt.

Es erübrigt mir nun noch, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Fuchs, für die Zuweisung dieser Arbeit und für seine Unterstützung meinen tiefgefühlten Dank auszu- sprechen.

Ueber die Pseudocolobome der Iris.

Von

Dr. Konrad Rumschewitsch in Kiew.

Wie bekannt, hat v. Ammon zuerst die Entstehung der Aderhaut- und Iris-Colobome durch eine unregelmässige Verwachsung der fötalen Augenspalte erklärt. Späterhin veränderten sich die Anschauungen über die fötale Augen- spalte bedeutend und jetzt kann ausschliesslich von einer Augenspalte im Bereiche der secundären Augenblase, d. h. der Netzhaut und der mit der letzteren in genetischer Ver- bindung stehenden Schicht des Pigmentepithels die Rede sein. Nichts destoweniger ist die Anschauung im Wesent- lichen dieselbe geblieben und die Theorie v. Ammon 's wird gegenwärtig fast von Allen angenommen, am genaue- sten ist sie von Prof. Manz in seiner Arbeit über die Miss- bildungen des menschlichen Auges entwickelt worden. Im Handbuche von Graefe und Saemisch auf S. 65 sagt er, dass zwar in der früheren Literatur Colobome, die sich ausser dem Bereiche des unteren Segmentes befanden, er- wähnt werden, dass aber diese Fälle nicht genau genug untersucht sind. In der That sind die Colobome, welche sich ausser dem Bereiche des unteren Segmentes befinden, so selten, dass Schlüter (Beitrag z. Iris- und Chor.-Colo- bom, Rostock 1874) in den 104 von ihm gesammelten Fäl- len das Colobom ausschliesslich immer im unteren Seg-

40 K. Ramschewitsch.

mente vorfand. P lange hat in der von ihm unlängst publi- cirten Arbeit (Beitrag zur Genese des congenitalen seit- lichen Iriscoloboms, Archiv für Augenheilk. XXI, 2, 1890) mit seinem Falle zugleich acht Fälle von Pseudocolobomen gesammelt. In der That sind sie aber viel zahlreicher, wenn man diejenigen Fälle in Betracht zieht, welche unter der Benennung Diplo- und Polycorip beschrieben worden sind und von denen viele ganz identisch mit den von Plange gesammelten Fällen sind und zugleich nichts Pathologisches darstellen. Zur Vollkommenheit des Bildes will ich hier alle in der Literatur bekannten Fälle, einschliesslich der von Plange beschriebenen acht Fälle, anfuhren.

Erster Fall. Eine genaue Beschreibung des ersten hierher gehörigen Falles gehört Dubois (Ann. d'oculistique T. XLI, 18ö9). Bei einem 20 Jahre alten Bauer waren im , linken Auge um eine überaus kleine, aber ganz regelmässige Pupille herum sechzehn accessorische Pupillen in Form von radialgerichteten Spalten gelagert. Ueber den Zustand der Chorioidea wird nichts er- wähnt.

Zweiter Fall. Quaglino (Ann. dl Ottalmologia II, S. 209, nach Na- ge Ts Jahresber.). Nach oben und aussen gelegenes Iriscolobom, dessen Grösse fast einem Drittel der oberen Hälfte der Iris gleich kam, und das von der Pupille durch einen dünnen Ge- websstreifen getrennt war.

Dritter Fall. Bayer (Acrztlicher Bericht des Krankenhauses in Prag, S. 50, 1879. Nach NageTs Jahresbericht) beobachtete einen grossen angeborenen, nach aussen gelegenen Defect in der Iris bei einem 38jährigen Manne. Auch war die übrige Iris un- regelmässig entwickelt, ihr innerer Ring fehlte gänzlich.

Vierter und fünfter Fall, v. Mittelstadt (Arch. f. Augenheilk. XI, S. 423, 1880) hat zwei Fälle unter dem Namen Pseudocolobom der Iris be-

Ueber die Pseudocolobome der Iris. 41

schrieben. Im ersten fand er bei einer 44 Jahre alten Frau an der linken Iris einen Streifen, welcher sich nach innen von einer unbedeutenden Ausbuchtung der Iris hinzog und neben dem Giliarrande mit einer dreieckigen Erweiterung endigte. Zu diesem Streifen conüuirten radiale Streifen der vorderen Irisfläche. Im zweiten Falle war im linken Auge ein volles Iriscolobom gerade nach innen vorhanden. Die ganze nasale Hälfte der Iris war sehr dann und schien unregelmässig. In der Chorioidea wurde ein Defect vorgefunden in Form eines nach innen und unten gerichteteten Ovals, von der Grösse von zwei und der Breite von einem halben Papillendurchmesser. Die rechte Iris hatte eine etwas andere Farbe-, gerade nach innen in der Richtung des horizontalen Durchmessers war in der Iris eine unvollkommene Spalte zu sehen, in deren Grunde graues Gewebe vorhanden war.

Sechster Fall.

Im Jahre 1881 habe ich unter der Benennung doppelter Pupille (Medycyna und Revue g^n^rale d'ophtalmologie p. 253, 1882) folgenden Fall beschrieben. 62 Jahre alter Mann. Im linken Auge war die fast ganz runde Pupille stark nach unten verschoben. Im äusseren oberen Segmente war . eine zweite Pupille zu, bemerken (eine vollkommene Oeffnung), von läng- licher Form, welche von der gewöhnlichen Pupille durch einen dünnen Gewebsstreifen getrennt war. Eine klar ausgeprägte Zickzacklinie zog nach innen, parallel dem Pupillarrande; in der temporalen Hälfte hingegen entfernte sie sich von dem letzteren und ging nachher in einen dünnen Streifen über, welcher die accessorische Pupille kreuzte. Weder in der Cho- rioidea noch im Nervus opticus war eine Spalte vorhanden.

Siebenter und achter Fall.

Makrocki (Archiv für Augenheilk. XIV, 1, 1882) hat folgende zwei Fälle beschrieben. Bei einem 16 Jahre alten Mädchen war ein Colobom der rechten Iris nach aussen vor- handen, welches nicht bis zum Giliarrande reichte; in der na- salen Hälfte der Iris waren regelmässige radiale Falten vor- handen, welche in der temporalen Hälfte ganz fehlten. Bei focaler Beleuchtung konnte man mehrere radialziehende schwarze Streifen bemerken. Im zweiten Falle war bei einem 77 Jahre alten Manne das Colobom der linken Iris gerade nach innen

42 K. Ramschewitsch.

gerichtet. Seine Ränder und sein Verhältniss zur vorderen Irisfläche waren dieselben wie bei einem gewöhnlichen Colo- bom *).

Neunter Fall.

Magnus beobachtete an einem linken Auge zwei Ins- colobome, das eine nach innen, das andere nach unten. In der Chorioidea war wahrscheinlich keine Spalte vorhanden.

Zehnter Fall.

Im Jahre 1884 habe ich einen Fall von Polycorie bei einem 21 Jahre alten Mann beschrieben (Revue g^n6rale d'oph- talm. Mai). An der rechten Iris ist in einer Entfernung von 1 mm vom Pupillarrande eine Zickzacklinie zu bemerken, welche sich nach oben und unten hinzieht und die Pupillarzone der Iris von der ciliaren trennt. Nach aussen hin nimmt sie eine gerade Richtung an und vereinigt sich später mit dem Pupil- larrande, entfernt sich aber gleich wieder von dem letzteren und vereinigt sich nachher mit der Zickzacklinie der unteren Hälfte der Iris. Nach innen und oben vereinigt sich die ge* rade Linie, welche eine Fortsetzung der Zickzacklinie bildet, mit dem Pupillarrande in einer Gegend welche unweit vom horizontalen ^Durchmesser gelegen ist. Vom Pupillarrande ge- hen strahlenartig zur Zickzacklinie nach oben fünf und nach unten sechs Ausläufer, zwischen denen, der Zickzacklinie und dem den Pupillarrand begrenzenden Streifen, vollkommene De- fecte des Irisgewebes zu bemerken sind, welche um die gewöhn- liche Pupille herum noch neun accessorische Pupillen bilden. In der Chorioidea ist keine Spalte vorhanden; neben der Pa- pille des Nervus opticus ündet sich ein Bündel markhaltiger Nervenfasern.

^) Hierher gehören auch zwei Fälle von Mooren, die aber zu kurz beschrieben sind (Fünf Lustren ophtbalm. Thätlgkeit. Wies- baden 1882. S. 290). Derselbe fand einmal zwei Spalten im oberen Irissegmente, die so breit waren, dass man den rotben Augengrund durch alle drei Pupillen gleichzeitig bemerken konnte. In einem anderen Falle fand sich, bei einem kleinen Kinde, im oberen äus- seren Irisabschnitt eine accessorische ovale Pupille, von der norma- len durch dicke Gewebsstreifen abgegrenzt, die nach Mooren Ueber- reste der Pupillarmembran waren.

lieber die Pseudocolobome der Iris. 43

Elfter Fall. Simi (BoU. d'ocul. VI. 1884, citirt nach einem kurzen Referate im Recueil d'ophtalm.). Bei einem 11jährigen Kran- ken war im unteren äusseren Augensegment eine accessorische Pupille vorhanden, die eine Halbmondform besass; in radialer Richtung kreuzten dieselbe zwei feine Fäserchon.

Zwölfter Fall. Unter der Benennung doppelte Pupille habe ich (Medy- cyna 1885; Recueil d'ophtalm. 1887, S. 319) folgenden Fall beschrieben. Bei einer 20 Jahre alten Frau war im linken Auge, in einer Entfernung von 1 2 mm vom Pupillarrande, eine dunkelbraune Zickzacklinie zu bemerken. Die hellbraune Pupillarzone der Iris bestand aus sehr feinen radialen Falten. In der äusseren Ciliarzone hatten die Falten auch eine radiale Richtung, waren aber viel dicker. Die accessorische Pupille heuernd sich im Bereiche des unteren äusseren Segmentes, hatte eine Eiform und war von der wirklichen Pupille durch einen Gewebsstreifen von der Breite von 1 mm getrennt. Ein feiner Streifen kreuzte die accessorische Pupille in der Richtung ihres Längsdurchmessers.

Dreizehnter Fall. Franke (Centralbl. für prakt. Augenheilk. 1885, S. 101) hat bei einer 60 Jahre alten Frau im linken Auge ein Iris- colobom nach aussen von unregelmässiger Form beobachtet; es fehlte das hintere Pigmentblatt der Iris. In der Gegend des Defectes wai: die Iris wie atrophirt; radiale Furchen fehlten in der ganzen äusseren Irishälfte. Die Grösse des Defectes betrug fast die der halben Pupille.

Vierzehnter Fall. V. Reuss (Ophthalm. Mittheilungen, II. Abth., Wien 1886). Bei einer alten Frau fand sich in der Iris des linken Auges ein Defect nach inn^n und oben und zu gleicher Zeit im Au- gengrunde ein nach innen und unten gerichteter Conus. Das Auge war astigmatisch und der Radius der schwächsten Brech- ung entsprach der Axe des Defectes.

. Fünfzehnter Fall. Schiess-Gemuseus (Klin. Monatsblätter 1887, Januar). Bei einem sieben Jahre alten Kinde fanden sich zugleich mit

44 K. Bamschewitsch.

Defecten des Rachens, der Lippen, der Nase nnd der beiden Augenlider (mit Dermoiden der Hornhantränder) anch Golobome der beiden Indes nach oben und innen. Im linken Auge war das Golobom kleiner, im rechten reichte es fast bis zum Hom- hautrande. Ausserdem zogen im rechten Auge vom Pupillar- rande ins Gebiet der Pupille Fäserchen (Ueberbleibsel der Pu- pillarmembran) hinein.

Sechzehnter Fall £. Bock (AUgem. Wiener media Zeitung, 1888). Die Cornea von grossem Umfange. Angeborene Spalte beider Re- genbogenhäute nach oben und aussen, im rechten Auge grösser als im linken. Ausserdem war im unteren Theile, neben dem Pupillarrande, eine Art von Ausbuchtung zu bemerken, von der rechten Seite ging die Ausbuchtung in einen dunklen Streifen über. Die Linien auf der vorderen Irisflächo vereinigten sich, statt in radialer Richtung zu ziehen, nach unten hin. Eine Spalte in der Chorioidea war nicht vorhanden, dagegen Coni nach unten, eine Chorioditis centralis, Glaskörpertrübungen und PigmentablageruDgen auf der vorderen Kapsel.

Siebzehnter Fall. Nuel (Ann. d'oculistique 1888, D6cbr.) Eine einseitige Spalte im linken Auge, die sich auf die Iris, die Chorioidea und den Nerv, optic. verbreitete und nach aussen gelegen war.

Achtzehnter Fall. De Lapersonne (Arch. d'ophtalm. Bd. YIII, 2). Eine doppelseitige Spalte in der Iris, welche nach oben gerichtet war. Im entsprechenden Gebiete waren auch Reste einer Rand- keratitis zugegen. Ausserdem war ein entzündlicher Process um den N. opticus und neben dem gelben Fleck vorhanden.

Neunzehnter Fall. Manz (VII. Penod. iuternat Ophthalm.-Congress. Bericht v. Otto Becker und Hess. Wiesbaden 1888. S. 460.) Bei einem 40 Jahre alten Manne war im linken Auge eine Iris- spalte vorhanden, die nach aussen gerichtet war und fast bis zum Ciliarrande reichte, ausserdem war noch eine kleinere zu- gegen, die nach unten gerichtet war. Beide Spalten wurden vom Ciliarrande durch eine Brücke getrennt; die untere war nach hinten von einer dünnen Schicht, vermuthlich der Membr.

Ueber die Psoudocolobome der Iris. 45

Bnicfaü, bedeckt. Die Zeichnung der vorderen Irisfläche neben dem Colobom erschien verändert. Bei Untersuchung der Iris mittelst der Lupe fand Manz an vielen Stellen der Vorder- fläche ein Auseinandergehen der radialen Fasern. Weder in der Chorioidea noch im Ciliarkörper war eine Spalte vorhanden. Die ersten Nachrichten über diesen Fall waren von dem Autor schon auf der Naturforscher- Versammlung in Strassburg im Jahre 1884 mitgetheilt worden, auf dem VII. Congress hat er auch über die Resultate der anatomischen Untersuchung dieses Falles berichtet. Am wichtigsten ist der Umstand, dass die ganze Chorioidea sehr dünn erschien, besonders in ihren tiefen Schichten; dieser Umstand erklärt, nach der Meinung des Autors, die schwache Entwickelung des Irisstromas. Ge- wöhnliche Entzündungserscheinungen waren gar nicht vorhanden.

Zwanzigster Fall. Im Jahre 1889 habe ich an Baudry folgende Beobach- tung mitgetheilt (Baudry, Essai sur la polycorie. Paris 1889). 24 Jahre alter Mann.. Im rechten Auge gehen von einer schwarzen Linie, welche auf dem braunen Grund der Iris ge- legen und fast 1mm vom Pupillarrande entfernt . ist^ Strahlen zur Peripherie der Iris. Die Pupillarzone enthält radiale Li- nien, die Ciliarzone sieht glatt aus. In der oberen Irishälfte, in einer Entfernung von 0,5 mm vom Pupillarrande, sind vier kleine Oeffnungen, accessorische Pupillen, zu bemerken.

Einundzwanzigster und zweiundzwanzigster Fall. Baudry (1. c.) hat unter der Benennung Triplo- und Diplocorie zwei eigene Fälle beschrieben. Im ersten Falle waren bei einem achtjährigen Knaben im rechten Auge, ausser einer normalen Pupille im oberen äusseren Irissegmente, hinter der Zickzacklinie zwei Oeffnungen zugegen, von denen die nn- terc eine längliche Form besass, mit einem Längsdurchmesser von 1 mm, und dem Ciliarrande näher gerückt war. Der Au- gengrund war ganz normal. Im zweiten Falle war im oberen Irissegmente des linken Auges, bei einem 35 Jahr alten Manne, eine accessorische Oeffnung (1 mm gross) zu bemerken. Sie war nach oben auf 1,5 mm von der Zickzacklinie entfernt. Der Augengrund war ganz normal.

Dreiundzwanzigster Fall. P lange (Archiv für Augenheilkunde XXI, 2). 44 Jahre alter Mann. Im rechten Auge ist die Pupille in der Richtung

46 K. Biunschewitech.

nach anssen ausgezogen, wodurch sie birnförmig erscheint An ihrem spitzen Ende geht der Pigmentsaum in einen radiär ge- richteten Streifen Ober, welcher in einer Entfernung yon 1 mm in einen wirklichen Defect, von spindelförmigem Aussehen, ttber- geht. Die Länge des Defectes ist 2 mm, er reicht fast bis zum Homhautrande. Auf der vorderen Irisfläche sind in ihrer äusseren Hälfte anstatt radialer, unregelmässige hellere Linien zu bemerken, die Zickzacklinie ist an der dem Streifen ent- sprechenden Stelle unterbrochen. Auf der yorderen Linsen- kapsel sind Ablagerungen zugegen. Im linken Auge zieht yoü der nach innen ausgezogenen Pupille ebenfEills nach innen ein pigmentirter Streifen, ein Defect in der Iris ist aber nicht isth gegen. Auf der vorderen Linsenkapsel sind ebenfalls Ablage- rungen zu bemerken, ausserdem findet sich am zugespitzten Ende der Pupille ein weissliches Knötchen, welches vom hin- teren Irisblatte ausgehend, in das Pupillargebiet vorspringt Kach der Mitte der Pupille zu trägt dasselbe eine feine Schlinge, die bei den Augenbewegungen flottirt Nach der Meinung des Autors war in beiden Augen eine und dieselbe Anomalie vor- handen, nämlich ein Brückencolobom, nur mit dem Unterschiede, dass die Colobomschenkel im linken Auge späterhin völlig ver- wachsen waren, während es am rechten nur zur Entstehung einer breiten Brücke zwischen ihnen kam. Die Ablagerungen auf der Kapsel und die Bildungen am Pupillarrande zählt er zu Resten der Pupillarmembran.

Vierundzwanzigster, fünfundzwanzigster und secbsundzwanzigster Fall.

Pollak (Archiv für AugenheUk. XXII, S. 286) hat drei Fälle von Pseudocolobomen beschrieben, von welchen die zwei ersten von Fuchs beobachtet worden sind.

50 Jahre alte Frau. Vollkommenes Colobom der linken Iris, nach innen und oben gerichtet, die Pupille selbst ist in derselben Richtung verschoben. Das Colobom reicht bis zum Ciliarrande. Die Zickzacklinie nähert sich allmälig dem Rande des Coloboms und verschwindet alsdann in einer Entfernung vom Ciliarrande.

Bei einer 76 Jahre alten Frau erschien die Pupille in der Form eines verticalen Ovals (seine Ränder waren mit Aus- nalune einer Stelle mit der Kapsel verwachsen), dessen oberer Rand einen nach unten gerichteten Vorsprung bildete. Im Be-

lieber die Pseudocolobome der Iris. 47

reiche des oberen Segmenibs waren die vorderen Irisschichten wie atrophirt In beiden Fällen konnte man den Zustand des Angengrnndes wegen zu gleicher Zeit vorhandener Linsentrü- bungen nicht bestimmen.

32 Jahre alte Frau. Das linke Ange war ein wenig klei- ner als das rechte. Das untere äussere Drittel dieses Auges war von einem Dermoid eingenommen. Demselben entsprechend war im oberen Lide ein unbedeutendes Colobom vorhanden. Nur die temporale Hälfte der Pupille erschien schwarz, die nasale Hälfte war von einer weissen Membran Oberzogen oder richtiger snbstitnirt, die ihren Anfang hinter der Pupille nahm und, nach Erreichung des Niveaus der letzteren und des nasa- len Pupillarrandes, sich in einen weissen Streifen verwandelte, welcher längs der Irisoberfläche bis zum Giliarrande reichte und noch einen Ausläufer abgab, der nach oben und innen gerichtet war. Die Zickzacklinie war nur in der temporalen Hälfte der Iris zu bemerken, welche dunkelbraun gefärbt war. In der nasalen Hälfte war diese Linie nicht vorhanden, die Iris hatte eine gleichförmige Oberfläche und war ockergelb ver- färbt Der Augengrund normal. An der Stirn war in der Rich- tung zur Fissura supraorbitalis ein mit Haaren bewachsener Streifen zu bemerken, der 2 cm lang und 0,5 cm breit war.

Den vorhergehenden Fällen kann ich noch zwei eigene Beobachtungen anreihen.

Siebenundzwanzigster Fall

St. P., 34 Jahre alter Mann, von starkem, ganz regelmäs- sigem Körperbau. Das rechte Auge zeigt durchaus keine Ver- änderungen. Am linken Auge ist die Lidspalte etwas schmäler al» am rechten. Die Cornea bat die Form eines Ovals, dessen horizontale Axe 14 mm beträgt, die verticale 11mm. Bei seit- licher Beleuchtung kann man sich leicht davon überzeugen, dass die Cornea eine durchaus nicht kugelige, sondern unregel- mässige Form besitzt. Bei der Untersuchung mittelst eines Kera- toseops erhalten wir eine Abbildung in der Form eines starke gezogenen Ovals. S= *%oo- Ein Cylinderglas + */i4 mit ver- ticaler Axe steigert die Sehschärfe auf ^^I^q. Die Iris ist von hellblauer Farbe, die in der temporalen Hälfte in eine grün- liche fibergeht. Auf der vorderen Irisfläche ist eine gut aus- geprägte Zickzacklinie zu meiken, welche 1 mm vom Pupillar- rande entfernt ist In der nasalen Hälfte der Iris bildet sie

48 K. Rumschewitsch.

einen halben Stern mit fünf Strahlen, welche fast bis zam Ciliar- rande reichen. Die .Pupille befindet sich eigentlich in der na- salen Irishälfte, hat eine rande Form, ihr Durchmesser ist bei gewöhnlicher Beleuchtung 4 mm gross; die Reaction auf Licht ist normal. In der Richtung des horizontalen Durchmessers ist in der Iris eine Spalte zu sehen, die nach aussen gerichtet ist und fast bis zum Ciliarrande reicht. Die Spalte ist eiför- mig, ihre Länge beträgt 6 mm, die grösste Breite in der Mitte 2 mm. Diese Spalte ist vollkommen, nur unweit vom Ciliar- rande wird sie in schräger Richtung von einem dünnen 6e- websstreifen gekreuzt. Der Ciliarrand und die Ränder des Coloboms sind von einem schwarzen Streifen umgeben, der durch eine Einbiegung des Pigmentepithels nach vom gebildet wird. Ich habe schon erwähnt, dass die Zickzacklinie nur in der nasalen Hälfte der Iris zu bemerken ist; in der temporalen Hälfte ist diese Linie unterbrochen, nach oben hin endet sie in der Spitze des durch den oberen Colobomrand gebildeten Winkels, nach unten hin reicht sie gerade bis zum Colobomrand, in einer Entfernung von 1 mm vom Ciliarrande. In der tem- poralen Irishälfte sind die radialen Linien schwächer entwickele In der Linse, dem Glaskörper, der Retina und der Chorioidea sind keine Veränderungen zugegen und die Spalte ist anbe- dingt vom Ciliarrande der Iris begrenzt

Achtundzwanzigster Fall. 50 Jahre alter Bauer von ganz regelmässigem Körperbau. Im rechten Aage ist ein reifer Staar vorhanden, die Lichtem- pfindung ist ganz regelmässig, anfangs war das Sehvermögen dieses Auges ganz genügend, anderweitige Veränderungen könnt« ich in diesem Auge durchaus nicht vorfinden. Das linke Auge gleicht dem erstem Anscheine nach ganz einem nach der Me- thode von Graefe operirten Auge. Die Augenlider und die Bindehaut sind normal, die Form der Hornhaut regelmässig, ihr Durchmesser 13,5 mm. Die Iris ist von brauner Farbe; in einer Entfernung von 1 mm vom Ciliarrande ist an ihr eine fast regelmässig bogenartige Linie zu bemerken, welche den pupillaren Theil vom ciliaren trennt. Im ciliaren Theile gehen die nicht besonders scharf ausgeprägten verticalen Linien in radialer Richtung auseinander. Die Pupille bat bei gewöhn- licher Beleuehtung einen Durchmesser von 3 mm. Die in der Iris befindliehe Spalte ist gerade nach oben gerichtet; sie ver- breitert sich allmälig nach oben und erreicht unmittelbar am

lieber die Pseudocolobome der Iris. 49

Giliarrande eine Breite von 5 mm. Diese Spalte |st eine voll- kommene, reicht aber nur bis zum Giliarrande, da sie weder im Bereiche des Giliarkörpers, noch der Ghorioidea nachzuwei- sen ist Dagegen ist die obere Hälfte der Sehnervenpapille von einer Sichel umgeben, an die sich ein Pigmentring an- schliesst Auf der glänzendweissen Sichel sind einige Pigment- flecke vorhanden. Nach der Richtung der Gefässe zu urtheilen, ist im Bereiche der Sichel eine starke Vertiefung zugegen, ausserdem entspringt die Art nasalis superior nicht vom Gen- trum, sondern von dem oberen Bande der Papille. Im Ucbrigen sind weder am Augengrund, noch in den brechenden Medien irgendwelche Veränderungen zugegen. Nach der Aussage des Kranken war das Sehvermögen dieses Auges immer sehr un- genügend. Strabismus divergens, S = ^/jq^, Gesichtsfeld nor- mal. Ein Glas sphär. + ^/^j und cyl. -f- ^j^^ mit verticaler Axe steigert die Sehschärfe auf *°/ioo-

Bei der Beschreibung der Fälle von Diplo- und Poly- corie in meinen obenerwähnten Aufsätzen hatte ich eine ganz eigenartige Entwickelungsanomalie im Auge. Es ist hervorzuheben, was ich früher nicht erwähnt habe, dass so- wohl in meinen, als in den von Anderen beschriebenen und oben angeführten Fällen die accessorischen Pupillen gänzlich der Muskelfasern entbehrten. Sie hatten aus diesem Grunde um so weniger etwas gemein, weder mit den Brücken- colobomen des unteren Segmentes, noch mit Resten der Pupillarmembran. Ganz anders ist Baudry in der oben citirten Arbeit verfahren. Er hat nicht nur den Begriff der Polycorie verallgemeinert, indem er auch die erworbene Polycorie dazu rechnete, sondern er hat auch die sogen, persistirende Pupillarmembran (so z. B. den classischen Fall, der von Alfred Graefe beschrieben worden ist) und die Brückencolobome der Iris herbeigezogen; so ist z. B. die von ihm angeführte XL Beobachtung (Fano's Fall) eine Anomalie, die man ohne Zweifel zu den einfachen fadenför- migen Resten der Pupillarmembran zählen mus& Franke hingegen betrachtet in seinem Artikel nur die angeborene Form als eine wahre Polycorie und unterscheidet sie streng

T. Gniefe'8 AtcUt tVa Ophthalmologie. XXXVII. 1. 4

50 K. Rumschewitsch.

von der Mehrzahl der Pupille, die durch andere Ursachen bedingt ist. Er hat neunzehn Fälle von Polycorie gesam- melt, die er in zwei Kategorien theilt. Zur ersten Kate- gorie rechnet er (11 Fälle) die einfachen Defecte im Iris- gewebe und erklärt sie durch die von Manz gefundene un- vollkommene Entwickelung der Chorioidea, unter Betheili- gung einer unregelmässigen Entwickelung oder eines unre- gelmässigen Verschwindens der Pupillarmembran. Zur zwei- ten Kategorie rechnet er die Fälle von Iridodialysis hier- her gehört auch seine eigene Beobachtung. Jeder Fall ist von dem Autor einer strengen Kritik unterworfen worden. Die Genese der zu den beiden Kategorien gerechneten Er- scheinungen ist natürlich ganz verschieden und meiner An- sicht nach ist es am besten, um allen Missverständnissen vorzubeugen, sich ganz von der empirischen Benennung der Diplo- und Polycorie loszusagen. Alsdann bleiben ausser den Brückencolobomen und der Persistenz der Pupillarmem* bran noch zwei grosse Kategorien von accessorischen Oefif- nungen in der Iris, nämlich die Pseudocolobome und die congenitalen Iridodialysen, die ich selbst mehrere Male an- nähernd in der von Franke beschriebenen Form beobachtet habe. Die multiplen angeborenen Iridodialysen, z. B. in der Art des von Mittendorf (Trans, americ ophthalm. Soa 1884) beschriebenen Falles gehören zu den selten- sten Anomalien.

Weiter bleiben noch diejenigen Fälle übrig, in welchen keine accessorische Pupillen, sondern mehrere Qeffnungeu in der Iris bei vollkommener Abwesenheit der gewöhn- lichen Pupille bemerkt werden. Ich bin vollkommen mit der Meinung von Franke einverstanden, dass wir bis jetzt nur einen genau beschriebenen Fall dieser Art haben, nämlich den Fall von Higgens (The Lancet 1885, S. 524).

Weiter haben wir noch zwei ganz eigenartige Beob- achtungen. Tourtual (citirt von Desmarres, Traite d. mal. d. yeux 1885, T. II, S. 460) hat eine Pupille in der

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der HwTiiitut r»td aa. £Lbz«5^ reir^tsie Trsr^ir:^«! Kr.\oTlU die ganz in der R.d.tii^ dtt^jes^gea ilrrldu^iis $t\r^:tMÄ waren, in ir*rl'.iesn Eci aiaÄ die Spdklte befAnJ, Im txsh- ten Auge fand er lot ^i-e Trübung viiaoh iir.ten^» äIv»^ aiic^ in der BicLtimg des Sp^tendoicbmess^rs. In dic^vM) beiden Fallen können wir eine angebon^ce Anon»lii\ äWv keine Büdnngsanomalie anerkennen.

Ich gehe jetzt dazn über, einige allgemeine Fol^oruu- gen ans dem Vorhergebenden zu ziehen. Die Anoinj^lio >ä?u' in beiden Augen zugleich vorhanden in 4 Fällen, im rechten Auge allein in ü im linken Auge allein in IG

*) Die Beobachtung ist mitgetheilt von Tourtual in MttUor*» Arch. 1846, T. IV und reproducirt von Corna«, I>oa abuormhOh cong^niales des yeux et de leurs annexes. Lausanne 1H48, S. Htf

4*

52 K. Rumschewitsch.

In welchem Auge in den Fällen von Quagliuo und Bayer die Anomalie zugegen war, ist mir unbekannt JedenMls wiederholt sich auch für die atypischen Colobome der Iris die für die Teratologie des Auges allbekannte Thatsache, dass das linke Auge den Anomalien viel öfter unterworfen ist. Ausserdem hatten wir in sechs Fällen mehr sds eine Spalte im Auge; im Falle von Dubois waren ihrer sedi* zehn vorhanden. Eine analoge Erscheinung ist von mir schon früher (Przeglad lek. 1886) für das centrale Colobom beschrieben, es waren nämlich in einem Falle in der Cho- rioidea zwei Colobome vorhanden, von denen das eine cen- tral gelegen, das andere nach oben gerichtet war. Am hau* figsten waren die Spalten vom Pupillarrande durch Brücken getrennt.

Die atypischen Colobome hatten eine Richtung:

nach oben und unten in 1 Falle,

zugleich nach allen Richtungen 1

nach innen „6 Fällen,

nach oben und innen „3

nach aussen „2

nach aussen und unten . . . . 6

nach oben „6

nach oben und aussen „3

Fast in allen Fällen wurden vollständige Colobome bemerkt, d.h. vollkommene Spalten. Wenn übrigens in dieser Hin* sieht Verschiedenheiten vorkommen, so sind sie jedenfalls nicht von grosser Bedeutung. In dieser Hinsicht finden wir ebenfalls eine grosse Verschiedenheit bei den Colobo- men des unteren Segmentes vor, als Beispiel will ich einen Fall von Chorioidealcolobom, der von Pause (Archiv für Ophthalm. XXIV, 2) anatomisch untersucht worden ist, an- führen, in welchem das klinische Bild eines Coloboms nur durch eine locale Leuoosis der Pigmentschicht bedingt war. Was die anderen zu gleicher Zeit an den Augen gefunde- nen Veränderungen anbetrifft, so hatten wir in einem Falle

Ueber die Fseadocolobome der Iris. 53

nach derselben Seite gerichtete Golobome der Chorioidea und des Nervus opticus, in drei Fällen angeborene Coni neben der Papille (v. Reuss, Bock und mein zweiter Fall), in einem Falle ein Chorioidealcolobom (der zweite Fall von Mittelstadt), in zwei Fällen entzündliche Veränderungen in der Chorioidea (De Lapersonne und Bock). Ausser- dem waren im Falle von Bock auf der Linsenkapsel bei- der Augen kleine Ablagerungen von brauner Farbe vj^rhan- den, im Falle von Schiess-Gemuseus Fasern, die ins Be- reich der Pupille vom Pupillarrande derselben hinzogen; im Falle von P lange Ablagerungen auf der vorderen Linsen- kapsel beider Augen, in Gestalt von grauweissen Punkten und im linken Auge ausserdem noch ein Knopf, der von der hinteren Irisoberfläche stammte und in eine bewegliche Masche, die im Bereiche der Pupille gelagert war, überging. Wie im ersten so auch im letzten Falle nehmen die Auto- ren ohne alle Bedenken Reste einer Pupillarmembran an. Mooren nimmt in seinem zweiten Falle ebenfalls Reste der Pupillarmembran an, seine Beschreibung ist aber zu kurz, um so mehr, als die anzunehmenden Reste sich in der mittleren Zone der Iris befinden müssten. Endlich waren unbedingt in allen Fällen, wo nur die Aufmerksam- keit darauf gerichtet war, nicht nur in den unmittelbar an das Colobom grenzenden Iristheilen, sondern auch in den entfernteren Gegenden, sogar in der ganzen entsprechenden Irishälfte, starke Veränderungen vorhanden, die Zeichnung der vorderen Irishälfte war nämlich stark von der norma- len verschieden, man kann sogar behaupten, dass die ent- sprechende Irishälfte immer wie atrophirt erschien, und in meinem ersten Falle konnte man sogar eine stark ausge- sprochene Farbenveränderung bemerken.

Jetzt wollen wir zur Erklärung der Entstehung der betreffenden Anomalie übergehen. Der Theorie v. Am- mon's über die Entstehung des Coloboms des unteren Seg-

54 K. Rumschewitsch.

mentes widersprach lange Zeit Niemand; im Gegentheil be- stätigten alle späteren Untersuchungen und klinischen Be- obachtungen diese Theorie und constatirten eine vollkom- mene Abwesenheit der Elemente der Wandungen der secun- dären Augenblase im Bereiche dos Coloboms. Ausserdem wurden Colobome ausserhalb des unteren Segmentes wäh- rend sehr langer Zeit auch von Niemandem genauer be- schrieben, deshalb sprach sich Manz in seiner Arbeit über die Missbildungen des Auges unbedingt für die Theorie y. Ammon's aus. Uebrigens fand er bald selbst (Elin. Monatsblätter 1876) im Bereiche eines Chorioidealcoloboms Elemente der Retina vor, erklärte aber ihre Anwesenheit dadurch, dass sie aus den benachbarten Theilen hineinge- zogen worden seien. Ausserdem zeigten die Beobachtungen von Haab (Archiv für Ophthalm. XXIV, 1), dass im Be- reiche des Coloboms nur die Chorioidea allein fehlte, dass die Retina unmittelbar an der Sclera anlag und dass, ob- gleich die Schichten der erstcreu sehr unregelmässig ange- ordnet waren, von den Elementen, die sich aus der secun- dären Augenblase entwickeln, nur das Pigmentepithel fehlte. Haab behauptet schliesslich, dass „die Theorie vom Offen- bleiben, verspäteten oder bloss partiellen Schluss der Fötal- spalte für die Genese des Coloboms nicht festgehalten wer- den könne, sondern dass andere Ursachen aufgesucht wer- den müssen, die vermuthlich in der Gefassentwickelung innerhalb der werdenden Chorioidea liegen (S. 271)."

Dies war der erste Angriff gegen die allgemein ange- nommene Theorie. Entschiedener trat ihr im Jahre 1881 Deutschmann entgegen (Klin. Monatsbl. für Augenheilk.). Seiner Meinung nach stellen im Allgemeinen alle sogenann- ten Hemmungsbildungen nur Folgen von entzündlichen Pro- cessen vor, welche im Fötalleben verlaufen; insbesondere soll das Chorioidealcolobom als Ausgang einer Sclerochorio- retinitis intrauterina anzusehen sein. Höltzke (Arch. für Augenheilkunde XII, 2), Thalberg (ebend. XIII, 1) und

Ueber die Pseudocolobome der Iris. 55

Da Gama Pinto (ebend. XIII, 1) wollten durch anato- mische Untersuchungen mit Colobomen behaftete Augen die Richtigkeit der Anschauungen von Deutschmann bestäti- gen. Im Anschlüsse an die Beschreibung einiger Fälle von Entwickelungsanomalien des Auges (Centralblatt für prakt. Augenheilk. 1882, Mai und Revue generale d'ophtalm. 1884, Nr. 5) habe ich schon meine Meinung über die Theorie von Deutschmann ausgesprochen. Die ganze Theorie ist a^^f Untersuchungen der Augen von Kaninchen gegründet, die von Eltern mit künstlich erzeugten Störungen der Augen abstammten; im Falle von Höltzke hatten wir es gleich- zeitig mit einem Mikrophthalmus zu thun; im Falle von Da Gama Pinto war ein entzündlicher Process des Ciliar- körpers vorhanden. Ich halte es für gewagt auf Grund solcher und ähnlicher Fälle eine Theorie aufzustellen. In der That ist auch die Theorie von Deutschmann in jetzi- ger Zeit von allen Entwickelungsanomalien nur zur Erklä- rung der Entstehung des centralen Coloboms anwendbar. Die Erklärung der Entstehungsweise dieser Anomalie durch unvollkommene Schliessung der Augenspalte ist schon immer grossen Schwierigkeiten begegnet So hat Schmidt-Rimp- 1er schon im Jahre 1880 (Archiv f. Ophthalm. XXVI, 2, S. 234) die Meinung ausgesprochen, dass die centralen Colo- bome nichts mit der Augenspalte zu thun haben; dieselbe Meinung habe ich auch in meiner Monographie über das centrale Colobom ausgesprochen (Przeglyd lek. 1886). Die späteren Beobachter, van Duyse (Ann. d'ocul. 1886, Sept., Oct. und 1887 Aoüt) und Silex (Archiv für Augenheilk. XVIII, 3) leiten das centrale Colobom auch nicht von der Augenspalte ab und sprechen sich eher für die Theorie von Deutschmann aus. Ich kann aber einen Fall von Dor nicht verschweigen (Revue generale d'ophtalm. 1888), in welchem in beiden Augen ganz symmetrisch gelegene ma- culare Colobome vorhanden waren und noch dazu bei einem Mikrocephalus, ein klarer Beweis für die Hemmungsbildung!

56 K. Rumschewitscb.

Nicht für die Theorie y. Ammon's sprechen ebenfalls die Untersuchungen von Vossius (Archiv für Ophthalm. XXIX, 4), nach welchen beim Fötus der Augapfel sich um 90® um die Axe dreht. Wenn eine solche Drehung wirk- lich stattfindet und ausserdem das Colobom des unteren Segmentes wirklich durch eine imvoUkommene Schliessung der Augenspalte entsteht, so müssten die Colobome am häu- figsten nach aussen und unten gerichtet sein, oder man müsste zulassen, dass in diesen Fällen die normale Drehung um die Axe nicht stattgefunden hätte, dabei hätten wir aber eine anomale Richtung der Retinalgefässe, auf diesen Umstand hat aber bis jetzt noch Niemand aufmerksam, ge- macht.

Uebrigens könnte die Theorie v. Ammon's noch mehr durch die Fälle der sogenannten seitlichen Colobome be- stritten werden. Diese Fälle waren schon v. Ammon be- kannt, er erklärte sie aber dadurch, dass im Auge zwei Spalten sein könnten, von denen die eine normal, die an- dere pathologisch sei. Die eine von ihnen könne später verwachsen, die andere offen bleiben und die Entstehung einer Spalte in einer atypischen Richtung veranlassen. Zu dieser Erklärung verführte ihn der Umstand, dass es ihm einmal gelang (wenn auch beim Hühnchen) zwei Spalten zu sehen, von denen die zweite nach oben gerichtet war. Dank den neuen, durch die Entwickelungsgeschichte gewon- nenen Thatsachen, erwies sich diese Erklärung als ganz ungenügend; die Theorie v. Ammon's wurde aber von Manz gerettet, indem er einen fundamentalen Unterschied annahm zwischen den normalen Colobomen, denen des un- teren Segmentes, welche ungeachtet der von Manchen er- hobenen Einwände eine völlig genügende Erklärung in der Theorie v. Ammon's finden und den anomalen (seitlichen) Colobomen. Was die Fälle von Mittelstadt anbetrifft, so sagt er (Jahresbericht für 1880, S. 205), dass die unregel- mässigen Iriscolobome durch eine unregelmässige Entwicke-

Ueber die Pseudocolobome der Iris. 57

lung der Iris bedingt sein können während der Entwicke- lungsperiode, wenn die Augenspalte schon längst geschlos- sen ist. Dabei können, seiner Meinung nach, die unregel- mässige Entwickelung oder das unregelmässige Verschwin- den der Pupillarmembran eine* wichtige Rolle spielen.

Makrocki bestreitet die von y. Ammon vorgeschlagene Erklärung der seitlichen Colobome durch abnorme Richtung der Fötalspalte und bemerkt mit Recht, dass es unmöglich ist, beim Fötus eine unregelmässige Lage der Augenspalte zu beweisen. Was die Fälle von Makrocki und Magnus anbetrifft, so macht Manz wieder darauf aufmerksam, dass durchaus nicht alle Fälle von Colobomen des Auges und selbst von Iriscolobomen in Abhängigkeit von der fötalen Augenspalte gebracht werden müssen. Auf der Versamm- lung zu Strassburg im Jahre 1884 hat Manz noch stren- ger die Idee durchgeführt, dass es nothwendig sei, die ty- pischen Iriscolobome (im Bereiche des unteren Segmentes) von den atypischen (im Bereiche der anderen Segmente gelegenen) zu unterscheiden und hat diese Idee in einer ganz bestimmten Form auf dem VII. Internat. Ophthalm. Congress im Jahre 1888 (Bericht von 0. Becker und W. Hess) ausgesprochen. Anfangs bemühte er sich, wie er selbst sagt, die Theorie der Hemmungsbildung zu verthei- digen; er behauptete nämlich, dass die unregelmässige Ent- Wickelung oder die Persistenz des Stieles des Glaskörpers, wenn man sich so ausdrücken kann, den Verschluss der Spalte verhindert oder bis zu einer späteren Periode zurück- hält, wodurch ja das typische Colobom entsteht. Er warnt vor der Verführung durch die Entzündungstheorie und ver- wirft sie ohne Weiteres für die Colobome der Linse und des Lides. In seinem Falle von atypischem Colobom konnte er durchaus keine gewöhnlichen Entzündungserscheinungen vorfinden. Wenn wir, bemerkt er (S. 466), die doppelte Anlage d^ Iris, deren retinale und chorioideale Platte in Betracht ziehen, so ist eben doch letztere als der Boden

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anzusehen, aus dem die vordere Paiiie der Iris hervor- wächst, wobei allerdings auch die Pupillarmembran mit in Frage kommt. Immerhin ist leicht verständlich, dass aus einer atrophischen Chorioidea nur eine kümmerliche durch- löcherte Iris hervorgeht. Solche Irisdefecte haben also mit der Fötalspalte nichts zu schaffen, sie mögen deshalb Pseudo- colobome heissen.

Bock verwirft für seinen Fall die Annahme einer Hemmungsbildung im Gebiete der Augenspalte; er nimmt an, dass bei gewissen Umständen die Entwickelung eines ganzen Irisgewebes nicht zu Stande kommen könne und dass in seinem Falle als Ursache ein unregelmässiges Ver- halten der Pupillarmembran annehmbar erscheine, das man nicht genauer bestimmen könne, obgleich eine veränderte Ernährung im Bereiche gewisser Gofassbezirke vorauszu- setzen sei. De Lapersoune macht darauf aufmerksam, dass die Iris sich erst zu der Zeit entwickelt, wo die Fö- talspalte schon geschlossen ist, so dass man deshalb das Iriscolobom nicht in Verbindung mit der Spalte bringen könne. Seiner Meinung nach entwickelt sich das Colobom an der Stelle, wo in Folge eines entzündlichen Zustandes der Chorioidea eine Ernährungsstörung stattfindet. Als Aus- druck einer ungenügenden Ernährung erscheinen seiner Mei- nung nach die Flecke auf der Cornea, die in seinem Falle bemerkt wurden, wie auch bei den Colobomen im Bereiche des unteren Segmentes. Ich erlaube mir hier zu bemerken, dass sie im letzteren Falle zu den grössten Seltenheiten gehören.

Plange bemerkt ganz richtig, dass die Drehung des Fötalauges um die Axe nur die nach aussen gelegenen Co- lobome erklären kann. Er ist auch nicht mit der Theorie von Deutschmann einverstanden, da unter den ihm bekann- ten Fällen entzündliche Veränderungen des Auges nur in einem Falle vorhanden waren (Bock). Weiter müsste, sei- ner Meinung nach, ein entzündlicher Process mehr tiefere

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Veränderungen hinterlassen. Wie Manz, unterscheidet auch Plange die typischen, wirklichen Colobome (des unteren Segmentes) von den atypischen, seitlichen, und wie Bock, so schreibt auch er der Pupillarmembran die ansehnlichste Rolle bei der Entstehung der Anomalie zu. Er behauptet, dass in 50 ®/o der ihm bekannten Fseudocolobome Reste der Membran zugegen waren, während sie beim normalen Colobom sehr selten vorkommen. Die Richtigkeit seiner Meinung bestätigt er durch folgende Topographie des vor- deren Abschnittes des fötalen Auges zur Zeit des ersten Entstehens der Iris. ,3ekanntlich steht der vordere freie Rand der secundären Augenblase zur Zeit, wo die Iris aus demselben hervorzuwachsen beginnt, ungefähr auf der Höhe des Linsenäquators. Die Linse ist in einen Gefäss- sack eingeschlossen, dessen hintere Hälfte aus der Veräste- lung der Art hyaloidea entstanden, dessen vorderer Theil aus dem vordersten Abschnitte des Gefässlagers der Kopf- platten hervorgegangen ist. Nun beginnt die Iris in ihrer doppelten Anlage aus dem vorderen Umschlagstheil der secundären Augenblase und aus dem vor diesem gelegenen Abschnitt der Kopfplatten mit Betheiligung der peripheren Theile der vorderen Hälfte des Linsengefässsackes sich zu entwickeln. Beim normalen Wachsthum schiebt nun die Iris, sich zwischen Hornhaut und Linse hineindrängend, die vordere Seite des Linsensackos vor sich her und schnürt sie ringförmig ein. Auf diese Weise wird sie dann in einen vor der Iris gelegenen Abschnitt, die sogen, eigentliche Pupillarmembran und in einen hinter derselben befindlichen, die Membrana capsulo-pupillaris, abgetheilt. Wenn man nun annimmt, dass in dieser vorderen Hälfte des Linsen- sackes die Iris auf besondere Widerstände stösst, die ihr normales Wachsthum hindern, so hat der Zusammenhang zwischen der Anomalie der Pupillarmembran und der Iris- missbildung in ätiologischer Hinsicht eine Erklärung gefun- den. Derartige Hemmnisse können nun sowohl abnorm ent-

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wickelte Gefasse sein, als in Verwachsungen des Gefass- sackes mit der Linsenkapsel bestehen. Auf ersteres lassen die fadenförmigen Reste, auf letzteres die Auflagerungen auf der vorderen Kapsel schliessen/' Der von Manz be- schriebenen Dünnheit der Gefösshaut schreibt Plange nur eine unwesentliche Bedeutung zu. Gegen die Thatsacho, dass bei Anwesenheit von Resten der Pupillarmembran seit- liche Colobome sehr selten vorkommen, bemerkt Plange, dass erstens die Veränderungen in der Pupillarmembran so unbedeutend sein können, dass sie noch nicht den regel- mässigen Wuchs der Iris beeinflussen; weiter, dass die Per- sistenz der Membran ebenfalls durch eine unvollkommene Resorption derselben beeinflusst sein könne, welche seiner Meinung nach zu der Zeit beginnt, wenn die Iris schon längst gebildet ist. Diese Theorie, wenn sie nur auf That- sachen gegründet wäre, würde in der That sehr leicht die Entstehung der seitlichen Colobome erklären, unabhängig von dem Gebiete ihres Vorkommens. Plange meint, dass, wenn man nur, abgesehen von den Colobomen des imteren Segmentes, fiir die übrigen Missbildungen der Iris ein ähn- liches Verhältniss zur Pupillarmembran finden könnte, für die Erklärung dieser es möglich wäre, sich mit einer Theo- rie zu begnügen, welche, ohne die Verhältnisse im Gebiete der Augenspalte zu berühren, nur mit den Verhältnissen im Bereiche der Pupillarmembran zu thun hätte.

Im vorliegenden Artikel habe ich eine viel grössere Zahl hierhergehöriger Beobachtungen angeführt, als. in den früheren Arbeiten, somit erhalten auch die daraus gezoge- nen Schlüsse eine grössere Sicherheit. Jedenfalls muss man bei der Erklärung der Entstehung der in Rede stehenden Anomalie: 1) die Entzündungstheorie, 2) die Theorie der Di*ehung des fötalen Auges um seine Axe und 3) die Theorie einer getrennten, oder unregelmässigen Entwickelung des fötalen Auges berücksichtigen.

Ueber die Fseudocolobome der Iris. 61

1) Bei der Sntzündungstheorie brauchen wir uns nicht lange aufzuhalten. Die Sache ist die, dass von den acht- undzwanzig Fällen nur in zweien mehr oder weniger aus- gesprochene entzündliche Processe im Auge erwähnt wer- den; im Falle von Bock wurden entzündliche Erscheinun- gen in der Gefasshaut (und in dem Glaskörper) und Pig- mentablagerungen auf der Linsenkapsel gefunden; im Falle von de Lapersonne in der Gefasshaut, und in dem dem Colobom entsprochenden Abschnitt der Hornhaut. Aber auch in diesen Fällen fanden die entzündlichen Processe in so entfernten Theileu statt, dass sie in der Iris durch- aus keine so starken Veränderungen hervorrufen konnten, um einen so ansehnlichen Defect ihrer Substanz zu veruiv Sachen.

2) Auf Grund der Untersuchungen von Voss ins könn- ten wir annehmen, dass die Spalte anfangs an der normalen Stelle gebildet war und erst späterhin, bei der Drehung des Augapfels nach aussen, im Bereiche des unteren äus- seren Segmentes auftrat In diesem letzteren Falle könnten wir aber die Entstehung der Anomalie höchstens in sieben Fällen erklären, in einem mit der Richtung nach aussen und unten und in sechs gerade nach aussen; die übrigen einundzwanzig Beobachtungen würden unerklärt bleiben.

3) Es bleibt also nur übrig, die Erklärung der Ent- stehung der Anomalie in einer unregelmässigen Entwicke- lung des Auges beim Fötus zu suchen. Plange schreibt eine entscheidende Bedeutung der Pupillarmembran zu, ich möchte aber zuerst die Frage stellen, was es denn für Beste der Membran waren, .die zu gleicher Zeit mit der in Rede stehenden Anomalie beobachtet wurden. Im Falle von Bock waren nur Ablagerungen auf der Kapsel zugegen, welche man, bei der Abwesenheit von Fasern, schwerlich für Reste der Pupillarmembran annehmen kann. In den Fällen von Schiess-Gemuseus und Plange waren diese Reste zu wenig ausgesprochen. Weiter wurden in den mei-

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sten der in diesem Artikel beschriebenen Fälle durchaus keine Reste der Membran beobachtet, also waren streng gesagt nur in zweien von den achtundzwanzig Fällen Reste der Membran vorhanden und dieser Umstand lässt es schon an und für sich nicht zu, in diesem Falle der Pupillarmem- bran irgend welchen Einfluss zuzuschreiben.

Bei der Beschreibung mehrerer Fälle von Entwicke- lungsanomalien des Auges, bemühte ich mich schon mehr- mals, sie auf Grund meiner eigenen Untersuchungen über die Entwickelung des Auges zu erklären. Ich erlaube mir daher hier etwas ausführlicher die Resultate meiner Unter- suchungen über die Entwickelung der Pupillarmembran und Iris anzuführen, die in meiner 1878 in Kiew in russischer Sprache unter dem Titel „Zur Entwickelungsgeschichte des Auges" erschienenen Arbeit mitgetheilt worden ist Die- selben stehen mit den von Lieberkühn, Hans Virchow, Königstein u. A. erhaltenen Ergebnissen in Einklang.

Nach Abschnürung der Linse, zu der Zeit, wenn zwi- schen den Wandungen derselben noch ein ziemlich grosser Hohlraum bleibt, ist sie schon von allen Seiten von einem vollkommen entwickelten Gefassnetz umgeben. Es ist nicht schwer, sich davon zu überzeugen, dass von seinem hin- teren Abschnitt nach vorn hin Aeste ziehen, die über den vorderen Rand der Blase umbiegen und sich mit dem Blutgefasssystem verbinden, welches nach aussen die secun- däre Augenblase umgiebt Die vor der Linse gelegenen Stämmchen hingegen stehen hauptsächlich mit dem circu- lären Gefäss in Verbindung, welches neben dem Rande der secundären Augenblase gelegen ist In dieser Periode iGndet auch der Anfang der Differenzirung der Linsenkapsel des vom Glaskörper und der Iris statt Während der Entwicke- lung der Iris verlängert sich allmälig der vordere Theil des hinteren Abschnittes des Netzes und in dieser Periode ist dasselbe zuerst von J. Müller unter der Benennung Membr. Capsula pupillaris beschrieben worden. Ein wenig später

lieber die Pseudocolobome der Iris. 63

wird es schon leichter, sich davon zu überzeugen, dass die stärkeren Aeste des vorderen Abschnittes der gefasshaltigen Kapsel von dem Gefässkranz abstammen, welcher schon zur Zeit der Einstülpung der Linse bemerkt wird. Während der Entwickelungsperiode, wenn die Spitze der dreieckigen Anlage der Iris nach innen und vorn gedrungen ist, kann man sich leicht davon überzeugen, dass sie eine unmittel- bare Fortsetzung der Anlage der letzteren bildet. Indem die gröberen Gefasse vom circulären Stamm zum Centrum der Membran ziehen, verlaufen die anderen, zahlreicheren und feineren, längs der hinteren Oberfläche der Anlage und bilden den venösen Antheil. Bestimmtere Bilder erhalten wir bei Untersuchung der Iris in situ. Zu Ende der ersten Hälfte der Entwickelungsperiode konnte ich dreizehn ziem« lieh grobe Stämmchen zählen, die zum Centrum der Mem- bran hinzogen; sie stammten vom circulären Gefass und erwiesen sich als arterielle Gefässe. Die Lage der Gefasse in der Membran und ihre Verästelung ist viel leichter bei mehr erwachsenen Embryonen zu untersuchen. Vom circu- lären Gefäss dem Circulus iridis arteriosus major entspringen gewöhnlich 13 15, auch mehr, ziemlich grobe Gefasse. Der Dicke nach zeichnen sich besonders vier von ihnen aus; sie entstehen gewöhnlich unweit der Theilungs- stelle der beiden langen hinteren Ciliararterien oder sogar noch im Bereiche der Theilungsstelle selbst. Die Stämm- chen ziehen gewöhnlich eine grosse Strecke weit hin, ohne sich zu theilen und geben erst näher dem Centrum A est- chen ab, welche nach beiden Seiten umbiegen; neben dem inneren Ende bilden die Verästelungen einen ganzen Ge- fässfächer. In einer Entfernung von fast 1 mm vom äus- seren Rande der Membran treten zu der letzteren Stämm- chen der sogenannten Capsulo-Pupillarmembran, die sich mit den feinen Gefässen der Pupillarmembran verbinden und mit ihnen zusammen eine grosse Anzahl (mehr als 76) von radial ziehenden feinen Stämmchen bilden; sie dringen

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weiter, indem sie ihre Richtung bewahren, in die Iris und den Ciliarkörper und bleiben in ihnen auf immer. Ako ist die arterielle Blutcirculation der Pupillarmembran ganz un- abhängig von der Art. centralis. Beide Systeme haben nur gemeinschaftliche venöse Wege und da mit der Pupillar- membran sich zugleich auch die Iris entwickelt, so ist es klar, dass diese Wege gleich von Anfang an eine den künf- tigen Venen entsprechende Anordnung annehmen.

Schon seit J. Müller ist es bekannt, dass das Ver- schwinden der Pupillarmembran mit der Periode der Oeff- nung der Lider zusammenfallt Bei Hunden und Katzen kann man sie noch am 9. 10. Tage nach der Geburt vor- finden, obgleich ihre Gefässe schon längst obliterirt sind. Zugleich mit der Pupillarmembran verschwindet auch das Gefasssystem des Glaskörpers, obgleich der Hauptstamm bei den Wiederkäuern noch lange Zeit nach der Geburt verbleibt. In beiden Fällen liegt der Grund des Verschwin- dens in der Entstehung neuer Gefässverbindungen. Es ist schon längst bekannt, dass die Gefässe der Netzhaut sich verhältnissmässig spät entwickeln. Zu derselben Zeit, wenn sie schon vollkommen entwickelt sind, vorschwindet das Netz, welches die Linse umgiebt Etwas ganz Analoges beobachten wir auch bei der Pupillarmembran. In der frü- hesten Eutwickelungsperiode sieht man ihre Gefässe die Irisanlage nur durchziehen, ohne Verästelungen abzugeben. Das Gapillametz der Iris entwickelt sich bei den Säuge- thieren, die mit geöffneten Lidern zur Welt kommen, erst zu Ende des Fötallebens, bei denen hingegen, die blind geboren werden, erst nach der Geburt. Das Capillarnetz verbindet unter einander die Stämmchen selbst, mittelst deren die Blutcirculation in der Pupillarmembran stattfand. Also wird in beiden Fällen das Verschwinden des fötalen vorderen und hinteren intraocularen Gefasssystems durch die Entwickelung neuer Wege für das Blut erklärt

Das schon oben erwähnte Blutgefäss, welches neben

lieber die Pseudocolobome der Iris. 65

dem Rande der secundären Augenblase, nicht nur gleich nach deren Entstehung, sondern auch während der Ein- stülpung der Linse bemerkt wird, ist nichts anderes als der Girculas iridis arteriosus major. Je nachdem sich der Äu- genblasenrand mehr nach Yom hinüberbiegt, rückt der Cir- culus arteriosus in ebenderselben Richtung und ein wenig nach innen. Wegen zu geringen Materials an Menschen- embryonen, besonders der frühesten Entwickelungsperioden, benutzte ich auch die Embryonen der Säugethiere. Bei einem Schafembryo yon 2,3 cm kann man sehen, dass zwi- schen dem vorderen Augenblasenrande imd dem Hornblatte das Gewebe der Kopfplatten sich y erschmälert, zwischen dem Hornblatte und der Linse ein Dreieck bildet, das mit der Spitze nach hinten gerichtet ist; diese Spitze geht in den Glaskörper, der vordere innere Winkel in die Anlage der Hornhaut selbst und der Pupillarmembran über. Im Gentrum des Dreiecks liegt der querdurchschnittene Circu- lus iridis major, von einem Haufen kleiner Zellen umringt; während die in der Peripherie gelegenen Zellen grösser sind und stem- oder spindelförmig erscheinen, gehen die central gelegenen kleinen runden Zellen in die runden Zellen des vorderen Theils des die Augenblase umge- benden Kopfplattengewebes über. Später hebt der vor- dere Theil der Augenblase, indem er dünner wird und zugleich nach innen und vorn rückt, den hinteren Win- kel des Dreieckes und dreht ihn nach innen. Zugleich dringen in die anfangs structurlose Hornhaut zahlreiche Elemente, welche fixe Zellen derselben bilden und zu der- selben Zeit, sogar noch früher, wird sie ganz von der Pu- pillarmembran getrennt. Bei einem Fötus von der Länge von 4,5 cm ist die Iris schon stark an den vorderen Pol gerückt Der Epithelrand der Descemet'schen Membran reicht fast bis zum Blasenrande, späterhin gehen seine Zel- len auf die vordere Oberfläche der Irisanlage über, so dass die letztere gleich von Anfang an von der Hornhaut durch

▼. Graefe'i ArchiT Ar Ophthalmologie. XXXVII. 4. 5

66 K. Ramschewitsch.

einen schmalen, spaltenartigen Raum getrennt ist. In denl Theile des Kopfplattengewebes, welcher den vorderen Theil der Augenblase umringt, kann man deutlich zwei Schichten unterscheiden: die äussere macht die Fortsetzung der Horn- haut aus, ihre Elemente erscheinen auf Schnitten spindel- förmig; das ist die Anlage der Sclera und der Conjunctiva bulbi. Die innere Schicht ist eine unmittelbare Fortsetzung der Irisanlage und besteht aus kleineren und runden Zellen; nach hinten hin wird sie feiner und geht unbemerkt in dem Gewebstheile der Eopfplatten verloren, aus dem sich die Gefässhaut entwickelt. Das äussere Blatt der Augen- blase wird nach vorn hin viel flacher und besteht aus meh- reren Schichten von Zellen, welche alle schon pigmentirt sind; das innere Blatt wird hingegen nach dem Rande hin immer dünner. Die Grenzmembran des Glaskörpers biegt über den Rand der Blase und geht in die Anlage der spä- teren Lamiua elastica chorioideae über. Der vordere, feiner gewordene Thoil der Augenblase ist von dem hinteren durch eine kleine Einbiegung getrennt, von diesem nach vorn hin wird die Netzhaut nicht dififerenzirt. Bald wird in der An- lage des Ciliarkörpers, die aus dem mittleren Blatt entstan- den ist, in deren Mitte ein heller Streifen sichtbar die Anlage des Fontana'schen Raumes. Während der späteren Entwickeluugsperiode rückt der vordere Augenblasenrand weiter nach vorn, obgleich er noch immer sehr weit vom Rande der Pupillarmembran entfernt ist; der äussere Rand des Endothels der Descemet'schen Haut befindet sich noch immer hinter dem Augenblasenrande.

Späterhin rückt der vordere Augenblasenrand viel schnel- ler nach innen, so dass er bei Schafsembryonen von 9 cm sich schon in der Gegend der Spitze der Irisanlage befindet, welche aus dem mittleren Blatt entstanden ist. Dieser Rand erscheint auf Schnitten in der Form eines Knopfes oder Hakens. Bald verwächst er mit dem benachbarten Gewebe der Kopfplatten, trennt sich später beim weiteren Wachs-

Ueber die Pseadocolobome der Iris. 67

tfaum von der für die Iris und die Pupillannembran gemein* samen Anlage und wächst mit dem letzteren zusammen in der Richtung nach Torn gegen die hintere gefasslose Schicht Der verdickte Augenblasenrand bildet, indem er die abge- trabte hintere Schicht umringt, zusammen mit der letz- teren den Pupillarrand. Die übrig gebliebene vordere Schicht der früheren gemeinsamen Anlage ist nur der allerperiphe- rischste Theil der Pupillarmembran. Uebrigens geht diese Zertheilung der Schichten gewöhnlich nur bis zu jener Stelle, wo sich später der Circulus arteriosus minor ent- wickelt.

Was nun weiter die Frage anbetrifft, von wo der erste Anstoss zur Entwickelung der Iris und des Ciliarkörpers kommt, so ist es augenscheinlich, dass anfangs die Haupt- rolle dem mittleren Keimblatte zufällt. Nicht nur bei Säuge- thieren, sondern auch bei Vögeln bildet die erste Anlage der Iris, der Circulus iridis major und der ihn umringende Zellenhaufen, und das Wachsthum dieser Anlage eilt dem Vorrücken * des Augenblasenrandes voraus. Zu derselben Zeit wird das Gewebe der Kopfplatten im Bereiche der künftigen Ciliarfortsätze zum Centrum des Auges hin dicker. Beide Blasenwandungen rücken anfangs auf der entsprechen- den Stelle nur ein wenig nach innen und bilden später eine circuläre quere Falte; es ist klar, dass ihre Rolle da- bei eine gänzlich passive bleibt Späterhin verwächst der Augenblasenrand mit dem Rande der Irisanlage, die aus dem mittleren Keimblatte stammt, seine Falte aber mit dem Glaskörper. Nur von dieser Zeit an wachsen die bei- den Bestandtheile der Iris, die Platte des mittleren Keim- blattes und die hintere Pigmentschicht, zusammen und zu- gleich wird die Faltenbildung eine stärkere. Diese letztere wird am einfachsten durch eine Fixirung des vorderen Au- genblasentheils an beiden erwähnten Verwachsungsstellen erklärt Weiter ist es augenscheinlich, dass der ganze £nt- wickelungsprocess der Iris unabhängig vom Processe der

68 K- Rumsche witsch.

Differenzirung der eigentlicheu Gefässhaut zu Stande kommt Die Hauptrolle gehört im Anfange dem Giro, iridis arterio- 8U8, der Yon den hinteren langen Ciliararterien gebildet wird, der Girculus iridis minor nimmt hingegen gar keinen Antheil an der Entwickelung der Iris und entwickelt sich viel später. Gemeinschaftlich sind für die Regenbogenhaut und die eigentliche Gefässhaut im Anfange nur die venösen Blutbahnen.

Ich erlaube mir daran zu erinnern, dass selbst bei Per- sistenz grösserer Reste der Pupillarmembran (und solcher Fälle sind während der letzten 15 20 Jahre und dazu sehr genau beschriebener an 150 gesammelt) in keinem das gleichzeitige Vorhandensein eines seitlichen Iriscoloboms erwähnt wird. Wenn wir nun die oben angeführten That- sachen hinsichtlich der Entwickelung der Pupillarmembran und der Iris ins Augenmerk nehmen, so können wir uns nicht wohl vorstellen, auf welche Weise der Verbleib von Resten dieser Membran oder eine unregelmässige Entwicke- lung derselben während einer gewissen Periode, die Ent- stehung einer atypischen Spalte in der Iris beeinflussen könne. Wir haben doch gesehen, dass bei der Bildung des Pupillarrandes und der inneren (pupillaren) Zone der Iris, die Pupillarmembran durchaus keinen Antheil nimmt, dass der Pupillarrand nur als Resultat der Verwachsung beider ursprünglichen Anlagen der Iris erscheint Plange spricht die Meinung auä, dass die sogenannte Persistenz von Resten der Pupillarmembran durch eine ungenügende Resorption der letzteren bedingt werde, welche erst dann stattfinde, wenn die Iris schon längst entwickelt ist und dass also bei Abwesenheit solcher Reste bei Erwachsenen man noch nicht behaupten könne, dass ihre Entwickelung beim Fötus zu einer gewissen Zeit nicht unregelmässig geschehen sei. Jedenfalls ist diese Meinung nicht auf Thatsachen gegründet. Schon früher habe ich auf Grund dreier Fälle von Per-

Ueber die Pseudocolobome der Iris. 69

sistenz der Pupillarmembran (Denkschrift der Warschauer medic Gesellschaft 1882) die Meinung ausgesprochen, dass die sogenannte Persistenz der letzteren bei Erwachsenen durch eine atypische Entwickelung der Membran selbst beim Foetus bedingt werde. Die anatomische Untersuchung zweier Fälle, die von van Duyse (Ann. d'ocuL 1886, Janv.- Fevr.) und von mir (Archiv für Augenheilk. XX, S. 314) herrührt, haben die Richtigkeit meiner Meinung bewiesen und zu jetziger Zeit haben wir das volle Recht zu sagen, dass in Fällen von sogenannter Persistenz der Pupillar- membran die Diflferenzirung der für die letztere bestimm- ten Elemente des mittleren Keimblattes nach dem der Iris eigenen Typus geschieht. Was nun die rückgängige Ent- wickelung der Membran anbetrifft, so ist, meiner Meinung nach, gar keine Nothwendigkeit vorhanden, zur mechani- schen Theorie zu greifen, zu der Theorie der Gontractionen der Irismuskeln, da wir dieselben weder unmittelbar beob- achten, noch die sie bedingenden Ursachen angeben können. Es ist viel leichter, das Verschwinden der Membran durch die Entwickelung eines der Iris selbst eigenen Blutgefass- systems zu erklären, welches für das Blut nähere Wege schafft Die Entstehung dieses Systems findet in allen Fäl- len statt, die normal entwickelte Membran kann also in allen Fällen der Rückbildung unterliegen.

Also geben weder die Casuistik der unregelmässigen Iriscolobome, noch die Bedingungen der Entwickelung und des Verschwindens der Pupillarmembran irgend einen Grund ab, ihr eine ansehnliche Rolle bei der Entstehung der in Rede stehenden Anomalie zuzuschreiben. Manz hat in sei- nem Falle eine ungewöhnliche Dünnheit der Gefässhaut be- wiesen und die Meinung ausgesprochen, „dass aus einer atrophischen Chorioidea nur eine kümmerliche Iris hervor- gehe^. Es ist aber, wie aus dem Obenerwähnten über die Entwickelung der Iris hervorgeht, ganz augenscheinlich, dass die letztere durchaus nicht aus der Chorioidea hervor-

70 K. Rumschewitsch, Ueber die Psendocolobome der Iris.

wächst, sondern sich ganz unabhängig von derselben ent- wickelt. Wir können allenfalls eine sehr schwache Ent- wickelung eines Theiles der ganzen Masse der Kopfplatten zulassen; so oft wir ferner bei der anatomischen Untersu- chung pathologischer Regenbogenhäute eine überaus ausge- sprochene Atrophie des Stroma vorfinden, so kommen doch Gewebsverluste, die auch nur eine Schicht des Gewebes einnehmen, sehr selten vor. Jedenfalls kann aber eine un- genügende Anzahl von Elementen der Kopfplatten in der Irisanlage eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Ano- malie spielen.

Den wichtigsten Grund aber bei ihrer Entwickelung müssen wir, meiner Meinung nach, in den Bedingungen des obenerwähnten Yerwachsens beider Irisplatten, nämlich der Wandung der Augenblase und des Kopfplattengewebes suchen. Diese Verwachsung geschieht nicht nur bei Säugethieren, sondern auch bei Vögeln auf eine ganz gleiche Art. Im Anfange verwachsen beide Platten neben dem Pupillarrande, und dann schreitet der Process weiter zur Peripherie hin fort. Wenn aber an einer gewissen Stelle die Verwachsung nicht zu Stande kommt, so kann leicht eine Rarefaction des Gewebes stattfinden, wobei wir als Endresultat entweder ein Fehlen der Bindegewebsschicht an einer gewissen Stelle, oder eine Bildung einer oder mehrerer vollständiger Oeff- nungen in der Iris erhalten. In beiden Fällen kann eine ungenügende Anzahl von Elementen des Kopfplattengewebes dazu wesentlich beitragen. Auf diese Art kann sich die Anomalie an jeder beliebigen Stelle der Iris entwickeln, ohne jeglichen Antheil von Seiten der Fötalaugenspalte.

Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese,

complicirt mit

partieller doppelseitiger Ocnlomotorinslähmnng.

Von

Prof. Dr. Pflüger in Bern.

Mit 6 Textfiguren.

Der Fall, welcher den Gegenstand dieser Mittheilung bildet, fand bereits kurze Erwähnung in meiner Arbeit über die Erkrankungen des Sehorgans im Gefolge der In- fluenza in No. 27 der Berliner klinischen Wochenschrift vom vorigen Jahre.

Die grosse Seltenheit des Falles, sowie das nicht un- erhebliche diagnostische Interesse, welches sich an denselben knüpft, mag ein genaueres Eingehen auf denselben recht- fertigen.

Ferdinand Arn in Dotzigen, 30 Jahre alt, erkrankte am 3. Jan. 1890 an Influenza unter Frost, Fieber, heftigen Kopf- und Gliederschmerzen. Nach dreitägigem Krankenlager nahm A., so gut es ging, seine Arbeit wieder auf; am 17. Januar wurde er ohne auffällige Nebenerscheinungen, während er beim Dreschen beschäftigt war, plötzlich von Doppelsehen befallen. Patient, ein kräftig gebauter, abgesehen von den Nachwehcu der Influenza sonst ganz gesunder Mensch, stellte sich am 20. März zum ersten Male in der Poliklinik vor.

Patient fällt bei der ersten Erscheinung durch seine eigen- thümliche Kopfhaltung auf; er trägt das Gesicht nach vorn gesenkt und um die sagittale Axe etwas nach rechts geneigt.

72 Pflüger.

Bei aufgerichtetem Kopfe wird das unsichere Benehmen des Patienten noch unsicherer.

Bei der binoculären Sehprüfung in der Nähe machte Pa- tient gleich aufmerksam, dass er nur lesen könne, wenn er das Buch hochhalte, dass beim Senken des Buches in die gewöhn- liche Lesehaltnng die Buchstaben durcheinandergehen.

Wird das Buch über die Horizontale erhoben und die oben angegebene Prädilectiönsstellung des Kopfes nicht beeinträch- tigt, so wird die feinste Schrift etwas langsam suchend gelesen.

Monoculär liest das rechte Auge S = 0,3 in 35 22 cm^ näher aber nicht; das linke Auge bedarf aber -|- 2 sph., um denselben Druck noch in 22 cm deutlich sehen zu können. Mikropsie auf dem linken Auge. Der Homhautastigmatismua betrug rechts 0,75 D Axe | , links 0,5 D Axe | . Beide Augen sind emmetrop und haben eine Sehschärfe von 1,35 1,5.

Das linke Auge steht in quantitativ wechselnder Conver- genz. Bei der Prüfung der Aussenbewegung blieb es an&ng- lieh in der Mitte oder nicht weit davon nach aussen stehen und machte nystagmusartige Zuckungen.

Ebenfalls sind die Aussenbewegungen des rechten Auges mangelhaft und führen bei starken Willensimpulsen zu nystag- musartigen Bewegungen. Zuerst dachte ich an eine doppel- seitige Abducensparese, links stärker als rechts, bis ein ge- naueres Aufinerken mich lehrte, dass der Grad der Convergenz mit der Verschiebung der Blickrichtung in der Yerticalen sich gewaltig änderte.

Wird das Fixationsobject median von unten nach oben über die Horizontale geführt, so vermindert sich die Conver- genz, um zuletzt zu verschwinden. In dieser Höhenlage wir- ken die beiden Abducentes normal und waren in den Grenz- stellungen die nystagmusartigen Bewegungen verschwunden. Beim Senken der Blickebene stellte sich die Convergenz wieder ein, anfangs langsam und in schwankendem Grade, zuletzt aber mit einem Ruck in prägnanter Weise. Das Phänomen war mit mathematischer Sicherheit immer wieder hervorzurufen.

Die Diagnose schien anfangs nicht schwierig. £s mnsste sich augenscheinlich um das Nachlassen einer abducirenden Kraft handeln, die namentlich bei gesenkter Blickebene ihre Wirkung entfaltet, um die Parese des linken Trochlearis; we- nigstens Hessen sich die oben angeführten Erscheinungen am besten durch diese Annahme erklären.

Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese.

73

Zu dieser Diagnose stimmten aber nicht eine Reihe an- derer Symptome, vor allem der Umstand, dass bei gerader Kopfhaltung nicht nar in der Wirkungssphäre des linken Troch- learis, sondern im ganzen Blickfelde Doppelbilder vorhanden waren, die Schwindel auslösten. Es drängte zum Schlüsse, dass neben eventuellen Gontracturen der Antagonisten des linken Trochlearia noch weitere Störungen in der Muskelthätigkeit vorliegen mussten.

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Fig. 1.

Die Beobachtung der directen Beweglichkeitsbeschränkung war nicht angethan, den verworrenen Fall klar zu legen.

Das genaue Studium der Doppelbilder versprach einzig sichere Wegleitung zur Diagnose. Zu diesem Behufe wurde Patient einige Tage in die Klinik aufgenommen.

Fig. 1 giebt den Befund der Doppelbilder vom 10. April, aufgenommen mit dem Hirschberg'schen Blickfeldmesser in 1 m Entfernung.

74 Pflüger.

In der Medianebene folgendes Verhalten der Doppelbilder: Beim Blick

20^ nach oben homonym, gleich hoch, 5^ abstehend,

gerade nach vorn l^vertical, lO^seitHch,

20° nach unten 18°

Die Gleichnamigkeit der Doppelbilder mit zunehmender Seiten- distanz von oben nach unten konnten im Sinne einer linkssei- tigen Trochlearisparese gedeutet werden, nicht aber der leichte Hochstand des linken Bildes, welch letzterer eher fUr Affection des rechten Trochlearis gesprochen hätte. Mit letzterer An- nahme hinwieder schien sich nicht zu vereinigen das Verhalten der Convergenzstellung, die bei der Blicksenkung auf dem lin- ken Auge auftrat.

Die Doppelbilder bei Seitenwendung der Blickebene schie- nen anfänglich die Situation eher zu verhüllen als zu lichten.

Bei der Seitenwendung um 30° nach links waren die Er- gebnisse ähnliche wie in der Medianebene. Beim Blick 20 ° n. oben Doppelbilder homonym, 7 ° Seitendist., 1 ° Höhendist., horizontal 13°

20° n. unten 18° 10°

Der Seitenabstand hatte also oben und in der Horizontalen, der Höhenabstand in der ganzen seitlichen Blickebene und zwar erheblich zugenommen; also auch beim Blicke nach oben links. Der Höhenabstand bedeutete auch hier Hochstand des linken homonymen Doppelbildes, resp. Tiefstand des rechten, war da- h^r wieder nicht mit einer linkseitigen, wohl aber mit einer rechtseitigen Trochlearisparese in Einklang zu bringen.

Die Seitenwendung der Blickebene um 30° nach rechts führte zu überraschenden Resultaten, die in richtiger Würdi- gung die Diagnose mit ergeben mussten. Beim Blick 20° n. oben Doppelbilder homonym, Seitendist., Höhendist., horizontal

20° n. unten 15°

Die Analogie mit dem Verhalten des Doppelbildes bei Seiten- wendung nach links ist eine grosse; dieselben sind gleichnamig, zeigen von oben nach unten zunehmende Seitendistanz und ebenso wachsenden Höhenabstand. Der Seitenabstand ist durch- wegs etwas geringer, der Höhenabstand in den zwei unteren Blicklagen erheblich kleiner, in der obersten etwas grösser als bei Seitenwendung nach links. Der Seitenabstand ist auch ge- ringer als in der Medianebene, der Höhenabstand dagegen grösser.

Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 75

Der Höhenabstand aber und dies ist im vorliegenden Falle das Wichtige, das Ausschlaggebende bedeutet hier einen Hochstand des rechten Bildes resp. einen Tie&tand des linken Bildes.

Dieser Tieüstand des linken Bildes rettete sicher die Diag« nose der linksseitigen Trochlearisparese, welche von Anfang an das ganze Symptomenbild zu beherrschen schien.

Der Tiefstand des rechten Bildes in der Medianebene und bei der Seitenwendung der Blickebene nach links forderte aber ebenso unerbittlich die Annahme einer rechtseitigen Troch- learisparese. Mit logischer Nothwendigkeit wurde ich ge- zwungen, eine doppelseitige Trochlearisparese zu diag- nosticiren, eine Affection, von der mir nicht bekannt war, dass sie bisher mit Sicherheit diagnosticirt worden sei.

Die linksseitige Abducensparese, an die ich anfänglich ge- dacht, hätte höchstens die Zunahme des Seitenabstandes von rechts nach links erklärt, die Veränderungen des Höhenabstan- des aber unverstanden gelassen. An der Mitbetheiligung des rechten Abducens, welche durch die nystagmusartigen Zuckun- gen bei Seitenwendung nach rechts nahegelegt worden war, konnte noch weniger festgehalten werden.

Die Diagnose „doppelseitige Trochlearisparese" einmal ge- sichert, galt es noch, die genauere Probe an die einzelnen Doppelbilderstellung anzulegen. Diese Probe bot wenig Schwie- rigkeiten mehr, besonders nachdem nachträglich meiner Diag- nose die meisterhaften Auseinandersetzungen L. Mauthner's über alle möglichen beobachte^n und nicht beobachteten son- dern nur theoretisch construirten Combinationcn von Augen- muskellähmungen in seiner bekannten „Diagnostik und Therapie der Augenmuskellähmungen^^ zu Hülfe gekommen waren.

Die Doppelbilder im ganzen Blickfelde, also auch in der ganzen oberen Hälfte desselben, erklärten sich allerdings nicht einfach aus der Lähmung der beiden Obliqui superiores; hier- für musste zum mindesten noch die Annahme der Contractu r der Antagonisten herangezogen werden.

Das Verhalten der Doppelbilder in der Medianebene setzt ferner voraus, dass eine ungleich starke Lähmung der homokleten Muskeln vorlag.

Welcher der beiden Trochleares war nun der stärker affi- cirte?

Mauthner sagt treffend (S. 619): „An jenem Auge, des- sen Bild bei Lähmung eines Hebers d. h. eines homokleten

76 Pfloger.

Heberpaares höher, bei Lähmung eines Senkers resp. eines homokleten Senkerpaares tiefer steht, ist die Läh- mung mehr entwickelt; die Diagnose der doppelseitigen Läh- mung, sowie die Dififerentialdiagnose des gelähmten Paares ruht aber auch in diesem Falle auf dem Verhalten der Doppelbilder in den Diagonalstellungen/^

Im vorliegenden Falle war der rechte Trochlearis der stärker erkrankte, denn

1) steht das Bild des rechten Auges median nach vom und nach unten tiefer als das des Partners, allerdings bloss um 1^ resp. 2^; nach oben stehen sie horizontal nebeneinander.

2) ist in derjenigen Diagonalstellung, welche der maxima- len Senkerwirkung des rechten Trochlearis entspricht, also bei der Seitenwendung nach links, in der mittleren und unteren Blickrichtung der Höhenabstand, resp. der Tiefstand des rech- ten Bildes grösser als der entsprechende Tiefstand des linken Bildes in der rechten Diagonalstellung, welche mit der maxi- malen Senkerwirkung des linken Trochlearis coincidirt, d. h. wieder nur in der zweiten und dritten Höhenlage des Blicks. Der Unterschied in den resp.. Tiefständen der Doppelbilder zu Gunsten des rechten Trochlearis beträgt in den beiden erwähn- ten Höhenlagen je 6^.

Eine Ausnahme macht sich geltend für die beiden oberen Diagonalstellungen, indem beim Blick nach links oben das rechte Bild einen Tiefstand von 1^, beim Blick nach rechts oben das linke Bild einen Tiefstand von 3^ aufweist. Diese scheinbar gegen das Gesetz verstossende Ausnahmsstellung des Doppelbildes bietet vorläufige Schwierigkeiten dem Erklä- rungsversuch.

Der Seitenabstand der Doppelbilder überwiegt bei Seiten- wendung der Blickebene nach links in allen drei Höhenlagen denjenigen bei der Seitenwendung nach rechts und zwar um 4^ und (2<>).

Bei der Schwierigkeit, welche mir die Diagnose anfäng- lich bereitet hatte und bei der absoluten Seltenheit des FaUes kam ich der Aufforderung Mauthner*s (l. c. S. 622) gerne nach, die von Nagel (Archiv für Ophthalm. XXVH, 1, S. 243) zur feineren Diagnostik complicirter Lähmungen der Heber und Senker, namentlich homokleter Muskelpaare, empfohlene Methode zu benutzen und die bei den Seitenneigungen des Kopfes auftretenden Raddrehungen zu studiren. In der Disser- tation von Dr. Halm: „Beiträge zur Symptomatologie der

Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 77

Trochlearisl&hmung, Tübingen 1888^^ hat Nagel weitere Bei- träge zur Aüsbildang dieser Methode liefern lassen.

Mit dem Rectas superior bewirkt der Obliquus superior die Raddrehung des Auges in medialer, der Rectns inferior mit dem Obliquus inferior die Raddrehung in temporaler Rich- tung bei stillestehender Blicklinie, vorausgesetzt, dass die nach der Richtung entgegengesetzte Wirkung jedes Muskelpaares auf Höhen- und Seitenstellung quantitativ gleich gross ist

Dass die von Hunter 1786 zuerst behauptete und dann von Huck (1838) vertheidigte, von Donders bestrittene Rol- lung der Augen um die Blicklinie bei der Neigung des Kopfes znr Schulter in gewissem Maasse doch existirt, hat 1869 Ja- val an seinem eigenen astigmatischen Auge nachgewiesen da- durch, dass bei Senkung des Kopfes der corrigirende Cylinder gedreht werden musste.

Nagel zeigte 1871, dass die der richtigen Localisirnng der Sehobjecte dienenden äquilibrirenden Rollbewegungen der Augen bei bewusster seitlicher Abweichung des Kopfes aus der Normalstellung durch Drehung in der Hals- und Lendenwirbel- säule ca. ^j^ der Kopfneigung betrage. Andere schätzten die- sen Werth auf ^/g bis '/iq.

Wird der Kopf z. B. um 30 36® zur linken Schulter geneigt, so wird unter normalen Verhältnissen durch das Zu- sammenwirken des Rectus superior und Obliquus superior der verticale Meridian des linken Auges um 5 medianwärts zurückgedreht, während auf dem rechten Auge des Rectus in- ferior mit dem Obliquns inferior den verticalen Meridian um denselben Winkel temporalwärts rollt, wodurch der Parallismus der Meridiane aufrecht erhalten wird.

Bei Parese des linken Obliquus superior fällt zunächst die Rückwärtsdrehung des verticalen Meridianes zu gering aus. Die Folge davon muss sein eine stärkere Divergenz der Meridiane und eine stärkere Gonvergenz der Doppelbilder.

Ferner wird dem Rectus superior in seiner Höhen- und* Innenwirkung das Gleichgewicht nicht gehalten. Das Auge weicht nach innen oben, das Bild nach unten aussen ab. Bei Neigung des Kopfes nach der Schulter werden im Interesse der physiologischen Raddrehungen grössere Anforderungen an die Leistungen des Trochlearis der nämlichen Seite gestellt nnd müssen daher bei Parese dieses Muskels die Symptome derselben, wesentlich der Tiefstand der homonymen Doppel - bilder auffälliger werden.

78 Pflüger.

Diese physiologischen Raddrehangen und die sie auslösen- den Kräfte beanspruchen möglicherweise eine grössere prak- tische Bedeutung, als wir bisher anzunehmen gewohnt sind, in- dem sie sich unter die von Stilling über die Entwickeluag der Myopie aufgestellten Gesichtspunkte reihen.

Um die Einwirkung der Eopfneigung und der durch sie ausgelösten Raddrehung auf unseren complicirten Fall doppel- seitiger Trochlearisparese analysiren zu können, wird es zweck- mässig sein, zuvor uns die von Halm in seiner Dissertation studirteu und zusammengestellten Resultate ttber den Einfluss dieses experimentellen Factors auf die einfacher gestalteten Verhältnisse der einseitigen Trochlearislähmung zu vergegen- wärtigen.

Halm sagt^):

„Bei Herabneigung des Kopfes nach Seite des kranken Auges erfolgt Ablenkung des kranken Auges nach oben und etwas nach innen, und Abweichung des verticalen Meridians nach aussen.

Alle diese Ablenkungen nehmen zu mit der Stärke der Herabneigung des Kopfes zur Schulter.

Das Doppelbild des kranken Auges steht tiefer, bei ganz leichter Neigung gleichnamig, bei stärkerer gekreuzt und nach innen geneigt.

Der Höhenabstand der Doppelbilder nimmt mit der Kopf- neigung erst zu, jenseits 45^ ab bis zu Null.

Der Seitenabstand der gekreuzten Doppelbilder nimmt mit der Kopfneigung zu.

Die Schiefheit wechselt nicht bedeutend.

Das Hinzutreten secundärer Contractur des Obliquus in- ferior zur Trochlearislähmung bedingt:

bei Kopfneigung nach Seite des kranken Auges vermehr- ten Höhenabstand, Schiefheit und gekreuzten Stand der Dop- pelbilder, •

auch bei Kopfneigung nach der gesunden Seite, falls die Secundärcontractur des Obliquus inferior stark ist, Auftreten von Doppelbildern."

Halm erinnert (S. 281 und 282) an den Versuch, durch Vorsetzen eines Prismas mit der Kante nach unten aussen sich

*) Mittheilungen aus der ophthalmiatrischen Klinik in Tabingen II, S. 293 und 294.

£iii Fall Yon doppelseitiger TrochleariBparese etc. 79

Doppelbilder hervorzurufen, wie sie für Trochlearisparese cha- rakteristisch sind und damit bewaffnet die Stellungsverändernng derselben bei Eopfneignng zu verfolgen.

Diesen Versuch möchte ich hier etwas vollstftndiger be- handeln. Setze ich mir ein Prisma mit der Basis nach oben und 20^ nach innen vor das rechte Auge und neige den Kopf nach rechts, so wird die Seitendistanz der Doppelbilder abneh- men, bis sie ungefähr bei Seitenwendung 20^ NuU geworden ist, d.h. die Bilder vertical übereinander stehen; in dieser Stel- lung wirkt eben das Prisma mit der Basis gerade nach oben, bis dahin nimmt nothwendig der Höhenabstand zu.

Wird der Kopf weiter nach rechts geneigt, so wird die Stellung der Doppelbilder eine gekreuzte und ihr Seitenahstand wächst bis zur Kopfheigung von 110®; hier stehen die Bilder horizontal nebeneinander. In diesem Quadranten von 20® bis 110® geht der Höhenabstand vom Maximum auf Null zurück. In dieser letzten Stellung wirkt eben das Prisma mit der Basis vertical nach aussen.

Wird der Kopf aber nach links geneigt, so nimmt die Höhendistanz continuirlich ab, die Seitendistanz ebenso zu, bis beim Neigungswinkel von 70® jene Null, diese maximal gewor- den ist. Hier wirkt eben das Prisma mit der Basis vertical nach innen.

Analog ist zu erwarten, dass bei Trochlearisparese, auch ohne ausserordentliche Gontractur der Antagonisten, bei Kopf- neigung nach der gesunden Seite eine Veränderung der Bilder- stellung, wenigstens beim Blick in der vorzüglichsten Wirkungs- richtung des betroffenen Trochlearis zu Stande kommen sollte.

Ist dies der Fall, so leuchtet ein, dass bei doppelseitiger Trochlearisparese die Verhältnisse eine derart complicirte Ge- stalt gewinnen, dass ein genaues quantitatives Abwägen der einzelnen mitwirkenden Potenzen stellenweise recht schwierig bis unmöglich werden kann.

Dazu kommt in unserem Falle allerdings die von Halm für das Auftreten von Doppelbildern auch bei Kopfneigung nach der gesunden Seite geforderte starke Secundär-Gontractur der Antagonisten, die so stark ist, dass kein Punkt im ganzen Blickfeld bei verticaler Kopfhaitang frei von Doppelbildern ist

Aber noch eine ganze Reihe anderer Factoren geseUeü sich hinzu, um die Bilderstellung zu compliciren und ihre Er- klärung zu erschweren. Dieselben sind:

80

Pfiager.

1) Der Obliquus inferior kann nicht als einziger und aas- schliesslicher Antagonist des Obliqans superior betrachtet werden.

2) Der angleiche Grad der Affection auf beiden Seiten.

3) Die Secandär-Contractor auf dem linken Auge, auf dem weniger kranken oder relativ gesnnden Auge, wenn mit dem rechten Auge das Untersuchnngsobject fixirt wird.

4) Die Einwirkung der physiologischen Meridianstellong bei den diagonalen Blickrichtungen.

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fi y DoppeibUdy des linktn Au^es bei ncuh Unks geneigtem Kopf. .♦--•- n " - horizontal gehaltenem Kopf.

Fig. 2.

5) Kleine Fehler in der Kopfhaltung, wie sie bei klinischen Untersuchungen mit dem besten Willen nicht zu vermeiden sind.

6) Kleine Beobachtungsfehler von Seite des Patienten. Figur 2 demonstrirt das Verhalten der Doppelbilder bei Nei- gung des Kopfes nach der linken Schulter am 10. April, Fig. 3 dasjenige bei Neigung des Kopfes nach der rechten Schulter am gleichen Tage. Figg. 4 und 5 veranschaulichen die ent- sprechenden Verhältnisse vom 3. Mai.

Ein Fall Ton doppelseitiger Trochlearisparese etc.

81

Um die zusammengehörigen Bilder von den übrigen aus« scheiden zu können, sind die Bilder fQr die Blickrichtung in der Horizontalebene in Ermangelung von Farbendruck etwas anders in der Ausftthrung gehalten als diejenigen für die ge- hobenen und gesenkten Blickrichtungen. Das Kreuz ist heU, der gestrichene Kreis doppelt contourirt.

Die horizontal gestrichenen Kreise bezeichnen die Bilder des linken Auges bei normaler Kopfhaltung, die schief gestriche-

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Flg. 3.

nen Kreise die Bilder des linken Auges bei Seitenwendung des Kopfes um ca. 35^ sowohl nach der linken als nach der rech- ten Schulter.

Die Bilder des rechten Auges sind als fix zu betrachten, indem der Patient angehalten worden ist, das Centrum des Hirschberg'schen Blickfeldmessers bei jeder Untersuchung mit dem rechten Auge zu fixiren.

T. Onefe*s Arcbir ftr OphÜuümologic. XXXVII. 4. 6

82 Pflüger.

Die Kreuze bedeuten die Bilder des quasi als fix zu den- kenden rechten Auges bei normaler Kopfhaltung soi^ohl, als bei Kopfneigung nach links und nach rechts.

Ausdrücklich hervorzuheben ist, dass bei den complicirten Erscheinungen auf die quantitativen Veränderungen in der Gon- vergenz der Doppelbilder nicht messend Achtung gegeben wurde, weil schon zur präciscn Gonstatirung der übrigen Verhältnisse der vollständige Intellect des Patienten nöthig war und weil, wie Halm bestätigt, die Schiefheit der Doppelbilder bei seit- licher Kopfneigung wenig wechselt.

Die Untersuchung des Einflusses seitlicher Kopfneigung auf die Stellung der Doppelbilder im vorliegenden Falle von doppelseitiger Trochlearisparese hofft ein gewisses Interesse zu finden, weil dieser Fall der erste genaue studirte Fall dieser Art ist und weil der Einfluss der seitlichen Kopfneigung auf Augenmuskellähmungen überhaupt noch wenig geprüft ist

Um in die Darstellung mehr Uebersicht zu bringen, lasse ich die in den Figuren niedergelegten Resultate, in Tabellen umgeschrieben, hier folgen.

Die als unbeweglich gedachte Stellung des dem rechten Auge angehörenden Doppelbildes wird als Nullpunkt ange- nommen.

Die Erhebung des beweglichen dem linken Auge zugehöri- gen Bildes über dem Nullpunkt wird mit 4~9 ^^^ Tiefstand desselben unter diesem Punkt mit bezeichnet.

Der seitliche Abstand des beweglichen Bildes erhält das Vorzeichen -j-? so lange dasselbe gleichnamig ist, nach links liegt, das Vorzeichen , wenn es über den Nullpunkt nach rechts gerückt ist, sich gekreuzt hat.

Die drei Höhenrichtungen des Blickes werden durch ara- bische Ziffern bestimmt und zwar die Richtung nach oben durch 1, die in der Horizontalen durch 2 und die nach unten durch 3 und zwar sowohl in der Medianebene als in den beiden Seitenstellungen.

Wie aus den beiden Tabellen 1 und 2 (S. 83) hervor- geht, geben die drei ersten verticalen Zahlenreihen die Werthe für die Scitenabständo der Doppelbilder bei verticaler und seit- lich geneigter Kopfhaltung sowie ihre Differenzen, die drei letzten Golonnen die Werthe für die Höhenabstände der Dop- pelbilder bei verticaler und seitlich geneigter Kopfhaltung nebst ihren Differenzen.

Ein Fall Ton doppelseitiger Trochlearisparese etc.

83

Tabelle 1. StelloDg der Doppelbilder bei Kopfneigang nach links um ca. 35 ^

10. April.

Seitenabstand Höhenabstand

Kopf Kopf

BUek- iMitmic

▼ertieml 35P n. 1.

DIff. I.T..»)

yertioa

35Pn. l.

Diff. 1. T

nach (1.

+ 7 - 1

8

+ 1

- 1

2

links h.

+ 13(14) + 2

11

+ 9

7

16

L. 3.

+ 18(16) + 6

-12

+ 10

9

19

3(1

+ 4(5) 0

4

0

11

-11

a ■•§ {2.

+ 9 +4

5

+ 1

-14

15

Sja.

+ 18 +13

- 6

+ 2

-14

16

nach |1.

+ 3 +6

+ 3

3

23

-20

rechts h.

+ 7 +7

0

3

-22

19

R. te.

+ 15(16) +12

- 3

- 4(3)

19

15

Tabelle 2.

Stellung der Doppelbilder bei Kopfneigung nach rechts.

10. April.

Seitenabstand Höhenabstand

Kopf Kopf

Bllfik-

rlchtung

nMh (1.

links h.

L. 3.

Ttrticd 38»n.r.

+ V +2

+ 13(14) + 3

+ 18(16)+ 3

Differenx

5

10

13

vertical

+ 1 + 9 + 9(10)

350 n.T.

+ 14 + 23

+ 27

Difbrens

+ 13 + 14 + 18

a]3.

+ 4(5) + 9 + 18

+ 3 + 4 + 7

1

- 5 -11

ü

+ 1

+ 2

+ 11 + 12

+ 14

+ 11 + 12

nach (l.

rechte |2.

R. 3.

+ 3 0 + 7 +2 + 16(15) + 3

- 3

- 5 -13

2

3

3(4)

0 + 1

+ 7

+ 2 + 4 + 10(11)

») Diff. 1. V. Differenz der Abstände bei links geneigtem vnd

bei yerticalem Kopf.

6*

84 Pflüger.

Was lehren uns Tabelle 1 und 2?

Die Reihen 1 und 4 geben in Zahlen Ausdruck fttr die Diagnose der doppelseitigen Trochlearisparese mit stär- kerer Erkrankung der rechten Seite Inhalt der Taf. 1 7. Einzig räthselhaft an dieser Diagnose bleibt die Thatsache, dass beim Blick nach rechts oben der Höhenabstand grösser ist als beim Blick nach links oben.

Die kleinen Schwankungen in diesen beiden Reihen, welche durch die eingeklammerten Zahlen ihren Ausdruck finden, be- weisen nur, dass bei den verschiedenen Beobachtungen es nicht immer gelungen ist, den Kopf gleich einzustellen, was bei einer klinischen Beobachtung ganz natQrlich ist.

Die übrigen Colonnen erfordern für jede Tabelle eine ge- sonderte Analyse.

Die Verschiebung der Doppelbilder in Folge Kopf- neigung nach links, am 10. April beobachtet, giebt Tab. 1.

Die Eopfneigung nach links bedingt, wie oben auseinan- dergesetzt, eine physiologische controlirende Raddrehung nach rechts. Diese vollzieht sich auf dem linken Auge mit Hülfe des Rectus superior und der Trochlearis, auf dem rechten mit Hülfe des Rectus inferior und des Obliquus inferior. An diese vier Muskeln werden durch die Eopfneigung nach links grös- sere Anforderungen gestellt als bei verticaler Kopfhaltung.

Ist nun der linke Trochlearis paretisch, so müssen noth- wendig die durch ihn hervorgerufenen Ausfallserscheinungen grösser werden beim Uebergang von der verticalen in die links- geneigte Kopfstellung.

Die 2. und 5. Colonne müssen also zeigen, in wie weit die Symptome der linksseitigen Trochlearisparese bei Kopfiieigung nach links mehr hervortreten und dadurch diejenigen der rechts- seitigen zu compensiren oder gar zu übercompensiren vermögen.

Die 2. Reihe weist nach, dass der Seitenabstand posi- tiv geblieben ist mit Ausnahme der Blickrichtung gerade nach oben (M. 1), wo sie 0 geworden und beim Blick nach oben links (L. 1), wo sie 1 beträgt. Diese Stellung ist aber unter allen die einzige, wo Kreuzung der Doppelbilder zu Stande ge- kommen ist, während die Kreuzung, wie sie sonst bei einseitiger Trochlearisparese auftritt, nicht zur Geltung kommen konnte, sondern aufgewogen wurde durch die der rechtsseitigen Troch- learisparese zugehörigen Gleichnamigkeit der Doppelbilder.

Deutlicher als die 2. lässt die 3. Zahlenreihe den Effect der Linksneigung auf den Seitenabstand der Doppelbilder her-

Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 85

Tortreten, sie giebt die Differenzen der Seitenabstände bei auf- recbtem und linksgeneigtem Kopfe.

Diese Differenzen sind am grössten bei der Blickriebtang nach links und zwar links oben (L. 1) gleich einsetzend mit 8®, bis zur Horizontalen auf 11^ steigend, um nach unten nur noch um 1^ zuzunehmen.

In der Medianebene sind die Differenzen ähnlich nur klei- ner, oben mit beginnend, bis zur Horizontalen auf anwachsend, um weiter unten gleich zu bleiben.

Bei Blickwendung nach rechts hingegen tritt uns die ab- norme Erscheinung entgegen, dass nach unten allein der Sei- tenabstand kleiner geworden ist, in der Horizontalen gleich ge- blieben ist, nach oben dagegen in positivem Sinne sich geän- dert hat, eine Erscheinung, die vor der Hand räthselhaft bleibt, weil sie in beiden Tabellen sonst keine Analogie findet und weil gerade beim Blick nach rechts oben die physiologische Stellung der Meridiane eine rechtsgeneigte ist.

Der Einfluss der Kopfneigung nach links und der durch sie ausgelösten Raddrehung nach rechts auf die Seitenabstände der Doppelbilder ist in der Adductionsstellung des linken Au- ges am geringsten, in der Abductionsstellung am grössten. Die Seitenabstände nehmen von oben nach unten zu und zwar we- sentlich in der oberen Blickfeldhälfte.

Während die Veränderung des Höhenabstandes der Dop- pelbilder in Folge von einseitiger Trochlearisparese bei Verän- derung der Blickrichtung aber unveränderter Kopfhaltung seit A. v. Graefes Arbeiten eine abgeklärte war, ist eis mit der- jenigen des Seitenabstandes weniger der Fall gewesen.

Halm hat nachgewiesen, dass entgegen den bisherigen Anschauungen, der Seitenabstand bei der Adduction ein wenig zunimmt Es ist zu erwarten, dass die Analyse der Höhen- libstände eine durchsichtigere werden sollte.

In der Primärstellung der Augen bildet die Muskelebene der Obliqni mit der Augenaxe einen Winkel von 36 40^; hier wird die Senkwirkung eine mittlere sein, um bei Abduc- tion bis 50 und 55^ bis zum Minimum abzunehmen und bei der Adduction um 35 40^ bis zu ihrem Maximum anzuwachsen.

Bei doppelseitiger Trochlearisparese kann die Symmetrie nur gestört werden durch ungleich starkes Erkranken beider Seiten.

Die Diplopie greift auch ohne Contractur des Antagonisten links und rechts über die Horizontale hinüber; aber nur Con- tractur der Antagonisten oder Combination mit anderen Läh-

86 Pflager.

mungen, eventuell beide Momente zusammen können das Auf- treten derselben im ganzen Blickfeld erklftren.

Bei diesen Complicationen und unter Beröcksichtigung der oben angefahrten aggravirenden Momente darf es nicht wun- dem, wenn gleichwohl die Veränderung der Höhendistanz unter dem Einfluss der Eopfneigung da und dort der Erklärung Schwierigkeiten bieten wird.

Während die 4. Colonne für die aufrechte Kopfhaltung einen Hochstand des linken Bildes für L. und M. als untrOg- liches Zeichen der rechtsseitigen Trochlearisparese ergeben hatte und nur für B. einen Tiefstand desselben als ebenso sicheres Zeichen der linksseitigen schwächeren analogen Affec- tion, so zeigt bei Eopfneigung nach links die 5. Reihe durch- wegs einen Tiefstand des linken Bildes.

Der durch die physiologische Raddrehung stärker in An- spruch genommene linke Trochlearis tritt in seiner Wirkung auf den Höhenabstand so mächtig hervor, dass er den entgegengesetz- ten Einfluss seines Partners auf der ganzen Linie flbercompensirt

Eine noch deutlichere Anschauung dieser vollen Wirkung als die 5. Colonne giebt die Differenzreihe 6:

Jede der drei Seitenwendungen des Blickes bietet aber noch ihre bemerkenswerthen Besonderheiten. Während beim Blick nach links oben die Differenz nur 2^ beträgt, steigt sie beim Durchgang durch die obere Blickfeldhälfte zur Horizon- talen auf 16^, und nimmt von da an nach links unten nur noch um zu.

Bei Blickrichtung M. 1 senkt sich das linke Bild schon um 11<>, bei M. 2 um 15®, bei M. 3 um 16?. Hier also be- deutende Anfangsdifferenz und geringe Zunahme nach unten besonders in der unteren Blickfeldhälfte.

Bei Seitenwendung nach rechts, wo die Adductionsstellung des linken Auges die grösste Höhendifferenz auslöst, nimmt im Gegensatz zu L, und M. diese Differenz von oben nach unten ab.

Den reinsten Typus stellen die Abstände in der Median- ebene dar, wo das geringe Anwachsen derselben nach unten, besonders in der unteren Blickfeldhälfte auffällig erscheint.

Der geringe Höhenabstand nach links oben lässt sich, zum Theil wenigstens, auf die physiologische Stellung der verticalen Meridiane in den Diagonalstellungen zurückfahren.

Beim Blick nach links oben stehen die verticalen Meri- diane parallel nach oben links geneigt. Die Kopfneigung nach links verlangt daher eine geringere rückläufige Raddrebong

£in Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 87

beim Blick nach links oben als gerade nach oben. Die phy- siologische Meridianstelluug kommt daher der Wirkung des linken Trochlearis entgegen, entlastet denselben partiell, wäh- rend beim Blick nach links unten die physiologische Meridian- stellung nach rechts oben eine erhöhte Action des linken Troch- learis erfordert.

Das Gesetz der physiologischen Meridianstellung muss seine Wirkung auch bei den diametralen Blickrichtungen nach rechts geltend machen. Beim Blick nach rechts oben stehen die senk- rechten Meridiane parallel nach rechts oben, beim Blick nach rechts unten dagegen parallel nach links oben. Daher werden im ersten Falle grössere Anforderungen an den linken Troch- learis gestellt als beim Blick gerade nach oben, im zweiten Falle entsprechend geringere. Dieses Moment dürfte zum TLeil die seltsame Beobachtung erklären, dass in der Blickrichtung nach rechts die Höhendistanz von oben nach unten abnimmt; es erweist sich hier wirksamer als der Effect der Blicksenkung.

Die Yergleichung der Höhenabstände bei den drei Blick- richtungen nach unten (L. 3 19, M. 3 16, R. 3 15) scheint ebenfalls den Einfluss der physiologischen Meridianstel- lung auf die Action des Trochlearis zu bestätigen.

Die Verschiebung der Doppelbilder in Folge Kopf- neigung nach rechts, am 10. April beobachtet, giebt Tab. 2.

Bei Kopfneigung nach rechts sollte man gegcnQber der Kopfheigung nach links symmetrisches Verhalten erwarten, aller- dings mit dem Unterschiede, dass der stärker afficirten rech- ten Seite hochgradigere Verschiebungen entsprächen.

Es ist vorauszusehen, dass die oben angeführten Compli- cationen auch hier die typischen Erscheinungen beeinträchtigen und zum Theil verschleiern werden. Die Beobachtung bestätigt diese Annahme vollauf und zwar in dem Grade, dass für alle Vor- kommnisse eine genügende Erklärung nicht gegeben werden kann.

Die Seitenabstände zeigen bei Kopfneigung nach rechts vielfach ein entgegengesetztes Verhalten zu dem bei Kopfnei- gung nach links. Sie sind in der Adductionsstellung grösser, in der Abductionsstellung kleiner als in der Medianebene; sie nehmen ausnahmslos von oben nach unten zu und zwar für M. und R. mehr in der unteren als in der oberen Blickfeldhälfte. Der Grund für diese Asymmetrie ist nicht ersichtlich.

Ein Einfluss der physiologischen Meridianstellung ist hier so wenig wie in den Seitenverschiebongen bei Kopfneigung nach links zu erkennen.

88 Pßttger.

Die Analyse der Höhenabstäude wird voraussichtlich anch hier die fruchtbarere sein.

Während bei der Kopfneigang nach links das linke homo- nyme Doppelbild nach unten sich verschob, muss bei Eopfnei- gung nach rechts das rechte Bild nach unten ausweichen, resp. das linke Bild nach oben, wenn das rechte Auge stets den Fixirpunkt festgehalten hat.

Sicher zu erwarten steht a priori jedenfalls soviel, dass trotz aller Complicationen die für die Bildverschiebung mäch- tigsten Factoren sich geltend machen werden, dass z. B. in den- jenigen Momenten, in welchen der rechte Trochlearis nicht nur wegen der Eopfneigung nach rechts, sondern auch wegen der Blickrichtung nach links für die Höhendistanz am meisten in Anspruch genommen wird, sein Leistungsdefect am deutlichsten zu Tage treten muss.

Diese Erwartung wird nicht Lttgen gestraft. Beim Blick nach links, in der Addnctionsstellung des rechten Auges finden sich die grössten Verschiebungen: +^3® +1^^ +18 ^ ^*^- rend beim Blick nach rechts die Verschiebungen bloss -f- 2®, -f- 4^ -f~ 10^ betragen und in der Medianebene mittlere Werthe aufweisen.

Die grosse Verschiebung -f- 13^ in L. 1 und die geringe Zunahme derselben bis -f- 18^ in L. 3 geben der Deutung Raum, dass auch hier die physiologische Meridianstellung in den diagonalen Blickrichtungen ihren Einflnss übt, allerdings lange nicht in dem Maasse, wie in der correspondirenden Blick- richtung rechts und Kopfneigung links, wo sie sogar den Effect der Senkwirkung überstieg.

Die Werthe für M. 2 und M. 3 sind kleiner als die corre- spondirenden bei Eopfneigung nach links, während M. 1 für beide Kopfneigungen 11^ beträgt

Am allerauffölligsten (und nicht leicht verständlich) ver- halten sich die Werthe für R. bei Kopfneigung rechts zu den correspondirenden Werthen von L. bei Kopfheigung links. Wäh- rend R. 1 und L. 1 mit 2^ einander das Gleichgewicht halten, so bleibt R. 2 um 12<> hinter L. 2 und R. 3 um 9^ hinter L. 3 zurück. Es hängt dieser scheinbar viel zu geringe Functiona- defect des rechten Trochlearis, für welchen die Untersuchung bei verticalem Kopf eine stärkere Lähmung diagnosticiren Hess, vielleicht von dem Umstände ab, dass aus irgend einem Grunde die Antagonisten des Trochlearis weniger contrahirt gewesen seien.

Ein Fall Yon doppelseitiger Trochlearisparese etc. 89

Die Tabellen 1 und 2 ergeben also das unerwartete Re- sultat, dass, während die Relationen in jeder einzelnen meist correspondiren, die absoluten Werthe in Tab. 2 fast durcb- gehends geringere, dass bei Eopfheigung nach Seite des stärker afficirten Trochlearis die Verschiebungen geringere werden.

Das scheinbar paradoxe Verhalten der Doppelbilder bei Eopfheigung rechts und links besonders mit Bezug auf ihre Höhendistanz tritt sehr prägnant hervor, wenn ich aus Tab. 1 und 2 die mittleren Werthe f&r die Seiten- und Höhenabstände der Doppelbilder berechne und zwar a) für die drei Blick- höhenlagen, b) für die drei Blickseitenrichtungen.

Tabelle 3.

Mittlere Werthe der Seiten- und Höhenabstände der

Doppelbilder für die drei verschiedenen Kopfhaltungen

nebst ihren Differenzen in Graden.

a) in den drei Blickhöhenlagen.

Seitenabstände Kopfhaltung

TBlt.

36« 1.

38» r.

D. T. 1.

D. T. r.

1.

+ 4,7(5)

+ 1.7

+ 1,7

3

3

2.

+ 9,7(10)

+ 4^

+ 3

-5,4

- 6,7

3.

+ 17 (16,3)

+ 10,3

+ 4,3

-6,7

12,7

|(1±|±-«) 10,4

+ 5,4

+ 3

5

- 7,5

1-2.

+ 5

+ 2,6

+ 1,3

-2,4

- 3,7

2—3.

+ 7,3

+ 6

+ 1,3

-1,4

- 6

1-3.

+ 12,3

+ 8,6 Höhenal

+ 2,6 bst&nde

-3,8

- 9,7

Kopfhaltung

T«rt.

3S*1.

36» r.

D. T. 1.

D. T. r.

1.

-0,7

-11,7

+ 8,8

—11

+ 8,7

2.

+ 2,3

14,3

+ 12

16,6

+ 9,3

3.

+ 2,7

-14

+ 16

16,7

+ 13.8

«-f-^l^-^+1.4

13,3

+ 12,8

-14,5

+ 10,4

1—2.

+ 3

- 2,6

+ 3,7

- 5,6

+ 0,6

2-3.

+ 0,4

+ 0,3

+ 4

0,1

+ 4

1-3.

+ 3,4

- 2,3

+ 7,7

- 5,7

+ 4,6

90 Pfloger.

Zu dieser auf den ersten Blick etwas eigenthOmlichen Zahlenzusammenstellung bin ich gekommen in der Hoffnung, -die beobachteten Asymmetrien verstehen zu lernen, nachdem ich mich mit Hypothesen verschiedener Art abgemttht hatte.

Die Seite nabstände nehmen für alle Kopfhaltungen von oben nach unten im positiven Sinne zu, daher die YerUndung der dem linken Auge entsprechenden Bildpunkte eine Linie bildet, von oben rechts nach unten links verlaufend und ^ner Geraden nahe kommend, während die Bilder des rechten Au- ges naturgemäss in der Yerticalen liegen.

Die Zunahme des Seitenabstandes von oben nach unten ist am grössten far die verticale Kopfhaltung, wo dieselbe (1 3) 4- 12,3^ beträgt, am kleinsten bei Kopfneigung nach rechts (mit) 2,6^; der Kopfneigung links entspricht der mitt- lere Werth 8,60.

Die Kopfneigung wirkt also dem homonymen Auseinander- weichen der Doppelbilder entgegen und zwar in der ersten Blickhöhenlage beiderseits gleich viel 3 o, während dieser hemmende Einfluss in der dritten Lage für Kopfneigung nach rechts fast doppelt so gross ist als für Kopfneigung nach links, 12,70 gegen —6,7«.

. Der Einfluss der Senkung der Blickebene ist für die ver- ticale Kopfhaltung, wie zu erwarten war, in der oberen Blick- feldhälfte (50) kleiner als derjenige in der unteren (7,3 O). Bei Kopfneigung links zeigt sich ein analoges Verhalten, 2,6^ in der oberen gegen 6^ in der unteren Blickfeldhälfte, während jener Einfluss bei Kopfneigung rechts oben und unten gleich viel, 1,30 ausmacht.

Die Höhenabstände nehmen von oben nach unten zu, bei Kopfhaltung vertical und rechts in positivem, bei Kopfhal- tung links in negativem Sinne. Bei der letzteren kommt eine kleine Ausnahme vor* in Lage 2 findet sich ein Durchschnitts- tiefstand des linken Bildes von 14,3^ in Lage 3, eine solche von 140 in Folge der oben besprochenen abnormen Er- scheinung, dass bei Blickrichtung rechts die Höhendifferenzen von oben nach unten abnehmen.

Bei verticaler Kopfhaltung spricht der Tiefstand des lin- ken Bildes in Lage 1 (0,7 O) nicht für stärkere Affection des rechten Trochlearis, um so mehr aber der Hochstand derselben in Lage 2 und 3, sowie der durchschnittliche Hochstand sämmt- licher drei Lagen von 1,40* Der Tie&tand in Lage 1 muss nothwendig durch einen anderen Factor bedingt sein.

Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 91

Die Ycränderang des Höhenabstaudes unter dem Einfluss der Kopüneigang ist eine sehr erhebliche und ans oben ange- führten Grftnden durchsichtigere und massgebendere als die des ßeitenabstandes.

Die Kopfheigung links übt, wie die Difforenzreihen be- weisen, einen grösseren Einfluss aus als die Kopftaeigung rechts und zwar in allen Lagen; die durchschnittliche Höhenverschie- bnng aller 3 Lagen beträgt für jene 14,5^, für diese 10,4^.

Die Blicksenkung verändert den Höhenabstand bei verti- caler Kopfhaltung im Ganzen um + 3,4® stärkere Wirkung des rechten Trochlearis, bei Kopfneigung links um 2,3®, rechts um 7,7®, und zwar übt sie den Haupteinfluss bei der ersten Kopfhaltung wesentlich, in der zweiten ausschliesslich in der oberen, bei der dritten etwas mehr in der unteren Blickfeld- häiae.

Die Differenzreihen ergeben bei Kopfneigung links für 4en Durchgang durch die obere Blickfeldhälfte (1 2) eine negative Verschiebung von 5,6®, für den Durchgang durch die untere Blickfeldhälfte (2 3) keine (nennenswerthe) Höhenver- änderung. Umgekehrt zeigen sie bei Kopfneigung rechts in der oberen Blickfeldhälfte (1 2) eine positive Verschiebung von bloss 0,6®, in der unteren Blickfeldhälfte (2 3) dagegen eine solche von 4®.

Hier kommt offenbar der bisherige Factor x in Rechnung, dessen Wirkung sich in der oberen Blickfoldhälfte mit derjeni- gen des linken Trochlearis zu addiren, von der des rechten Trochlearis zu subtrahiron scheint und in der unteren Blick- feldhälfte eher ein umgekehrtes Verhalten documentirt. Es dürfte sich um Mitaffection eines Hebers des rechten Auges handeln, eine Annahme, welche auch das Verhalten des Höhen- abstandes für den Blick gerade nach oben und nach rechts oben bei verticalem Kopf erklären würde. Da das abnorme Verhalten beim Blick nach rechts oben, in der Richtung der grössten Heberwirkung dos rechten Obliquus inferior vorzüglich in Erscheinung tritt, so ist es ferner wahrscheinlich, dass die Mitaffection gerade diesen der beiden Heber betrifft.

Die Parese des Obliquus inferior dezter ist im Stande, auch die übrigen, scheinbar unregehnässigen den Typus der doppelseitigen Trochlearislähmung mit stärkerer Affection der rechten Seite etwas verschleiernden und störenden Doppelbilder theilweise wenigstens zu erklären.

92 Pflüger.

So erscheint jetzt die Abnahme der Höhendistanz von oben nach unten beim Blick nach rechts nnd Kopfhaltung links in einem anderen Licht und mnss die Wirkung der physiolo- gischen Mcridianstellung hierfür nicht mehr über Gebühr in Anspruch genommen werden.

Femer finden die geringen Höhendistanzen bei Eopfhei- gung nach rechts gegenüber denjenigen bei Kopfneigung nach links ihre befriedigende Motivirung.

Das antagonistische Verhalten beider Augen bezüglich der Seitenabstände in Adduction und Abduction bei den verschie- denen Kopfneigungen ist wahrscheinlich ebenfalls auf diese selt- same Complication zurückzuführen.

Die nachträgliche Diagnose der Parese des Obliquus in- ferior dexter war das praktische Resultat der Zahlencombina- tion (in Tab. 3), die genaue Betrachtung der Tab. 1 und 2 hätte zwar zu demselben Schlüsse führen dürfen.

Die mittleren Werthe der Seiten- und Höhenab- stände in den drei Blickrichtungen sind geeignet, diese Diagnose zu unterstützen, führen aber weniger direct zu der- selben.

Tabelle 4.

Mittlere Werthe der Seiten- und Höhenabstände

der Doppelbilder für die drei verschiedenen Kopfhaltungen

nebst ihren Differenzen in Graden.

b) in den drei Blickrichtungen.

Seitenabstände Kopfhaltung

Tert.

35« 1.

35» r.

D. T. I.

D. T. r.

L.

+ 12,7

+ 2,3

+ 2,7

10,4

10,0

M.

+ 10,3

+ 6,7

+ 4.7

- 4,6

- 5,6

R.

+ 8,7

+ 8,3

+ 1,7

- 0,4

7

S 3

+ 10,6

+ M

+ 3,1

- 5,2

- 7,5

L.-M.

- 2,4

+ 3,4

+ 2

+ 5,8

+ M

R.-M.

1,6

+ 2,6

-3

+ 4.2

- 1,4

L.-R. 4 +6 +1 -flO 4-3

Ein Fall yoii doppelseitiger Troclilearisparese etc. 93

Höhen

itbst&nde

Kopfhaltang

Tert.

518» I.

36» r.

V. 1. T.

D. r. T.

L.

+ 6,7

- 5,7

+ 21,3

- 12,3

+ 16

M.

+ 1

13

+ 12

14

+ 11.3

R.

- 3,3

-21,8

+ 2,7

-18

+ 5,7

S 3

+ 1,5

13,3

+ 12

15

+ 10,7

L-M.

- 5,7

- 7.8

- 9,3

+ 1,7

- 3,7

R.-M.

- 4,3

- 8,8

- 9,3

+ 4

5,6

L.-R.

10

-15,6

18,6

+ 5,7

- 9,3

Die Tabelle 4 ergiebt keine ganz neuen Gesicbtspankte ; solche sind auch nicht zu erwarten, falls die ans Tabelle 3 gefolgerten Schlüsse richtig sind.

Die Seitenabstände nehmen bei verticaler Kopfstel- lang Yon L. nach R. ohne grosse Sprünge ab, etwas mehr von L. bis M. als von M. bis B., was für stärkere Affection des rechten Auges spricht, wenn dem Trochlearis eine grössere Seitenwirkung in der Adductionsstellung zugesprochen wird.

Die Kopfneigung links Torbindet sich mit grösserem Seitenabstand als die rechts; ihre Wirkung nimmt, wie voraus- zusehen, von L .nach R., von der Abduction zur Adduction des linken Auges zu und zwar mehr von L. bis M. als von M. bis R.

Die Eopfneigung rechts hat den geringsten Seiten- abstand; derselbe ist in der Mitte am grössten, hinter dem entsprechenden Werth für Linksneigung um 1^ zurückstehend. In der Adduction des rechten Auges beträgt er bloss 2,7^ gegenüber dem correspondirenden Abstand von 8,3^ bei Links- neigung. In der Abduction ist die Seitenverschiebung wieder geringer als in der Adduction. Während für L die Differenz links vertical fast gleich derjenigen rechts verticaj ist, so be- trägt für R. in der Abductionsstellung des rechten Auges die erstere bloss 0,4 ^ die letztere 7®.

Die Höhenabstände sind bei verticalem Kopf positiv für L. und M., negativ für R., im Mittel -f ^9^^; <^er Hoch- stand des linken Bildes für L. überwiegt den Tiefstand des- selben für M., daher übertrifft auch der Grad der Affection des rechten Trochlearis den des linken.

Die Kopfneigung links ist durchwegs mit Tiefistand des linken Bildes, die Kopfneigung rechts mit Hochstand desselben

94

Pflfiger.

verknüpft und zwar hat die KopfaeigiiDg links eine wesentlich grössere Einwirkung anf die Höhenverschiebung, eine mittlere von 15^ gegenüber derjenigen nach rechts, die auf 10,7® sich beziffert, was seinen ausreichenden Grund in der Lähmung des rechten unteren Obliquus findet

Die geringeren Seiten- und Höhenabstände in den drei Blickseitenstellungen in Folge Kopfheigung rechts gegenüber deijenigen nach links namentlich bei Blickstellung rechts (R.)

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•«* -^ DoppMild des Unkerv Auges ,- bei h^rbumtalgehoJiervenvKbpf, p ßt ; links gendglenvKopf.

Fig. 4.

beweisen wiederum, dass die Ausfallswirkung des rechten Troch- learis, welche bei verticalem Kopfe prävalirt, bei Kopfheigung rechts durch die Ausfallswirkung einer seiner Antagonisten theilweise compensirt wird.

Die geringen Seiten- und Höhenabstände in der Blicksei* tenstellung rechts bei rechtsgeneigtem Kopf erklären auch die spontane Kopfhaltung des Patienten nach rechts; durch dieselbe war es ihm möglich, nach rechts oben einfieich zu sehen und

£in Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc.

95

zu lesen. Dass aber das Lesen nur durch Erhebung des Buches über die Horizontale ermöglicht wurde, macht wahrscheinlich, dass die Parese des Obliquus inferior dexter geringgradiger war als die des Obliquus superior dexter. Die stärkere Wirkung des in Adduction befindlichen Trochlearis sinister, unterstützt durch die hier in Anspruch genommene Hebewirkung d6s pare- tischen Obliq. infer. dexter, ist aequilibrirt durch die verstärkte Wirkung des Trochlearis dexter in Folge der Rechtsneigung.

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Fig. 6.

Am 3. Mai stellt sich Patient wieder vor mit der Angabe, dass sein Leiden noch nicht gehoben, aber wesentlich gebessert sei, dass er viel weniger doppelt sehe. Die Kopfhaltung war eine sichtlich normalere.

Eine Controluntersuchung der Doppelbilder war angesichts der eigenthümlichen Complication der doppelseitigen Troch- learislähmung recht erwünscht; ihre Resultate sind in Fig. 4 ^nd 5, sowie in Tabelle 5 (S. 96) niedergelegt

96

Pflager.

Tabelle 5. Stellang der Doppelbilder am 3. Mai.

Blickrichtung

Links k. 3.

Median

Hechts i2.

Median

Rechts

a) bei Eopfheigang nach links.

Seitenabst&nde Kopf

rert.

+ 4 + 7(6) + 12

350 i. D. 1. T. + 2 2 + 3 - 4

+ 7-5

Höhenabst&nde Kopf

▼eit. 38» 1. D. 1. ▼. + 1—3 4

+ 6 4 —10 + 8 4 —12

0 +4+4

+ 4(2) +3-1 + 16(15). +11 5

0

+ 7(6) + 14(12)

+ 4+4 + 12 +5 + 19 +5

0

+ 1

+ 1

0 3

b) bei Kopfneigang nach rechts.

Tert. 86» r. D. r. v. Tert.

+ 3 +6+3 +1

+ 6(7) +8+2 +6

+ 12(14) +8-4 +8

0

+ 2(4) + 15(16)

|1. 0

{2. +6(7) 3. +12(14)

+ 2+2 + 12 +10

+ 7+2

+ +

0 0

2—4 9—3

0

+ 1 + 1

0

3

2

4

4

7

-11

12

4

0

+ 1 + 2

4

5

8

11

9

36» r. D.r.T.

+ 12 +11

+ 19 +13

+ 21 +13

+ 8+8

+ 14 +-18

+ 17 +16

0

+ 4 + 4

Entsprechend der Angabe des Patienten Ober subjective Besserung sind die Entfernungen der Doppelbilder in den meisten F&llen kleiner geworden. Sowohl die Abstände nach der Seite als in der Höhe bilden eine hflbsche Parallele zu denen vom 10. April; flberall dieselben Vorzeichen und ähnliche Relationen in den Werthen; nur die absoluten Werthe sind kleiner ge- worden.

Hier kann ich mich begnügen, auf die Yergleichung der correspondirenden Tafeln und Tabellen hinzuweisen. Hervor-

Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparose etc. 97

beben will icb nur, dass die Doppelbilder bei verticalem Kopf auch jetzt noch für stärkere Affection des rechten Trochlearis sprechen, dass ferner der eigenthttmliche Höhenabstand beim Blick nach rechts oben, welche zur Annahme einer Mitbethei- lignng der Obliquus inferior geführt hat, weggefallen ist, dass also diese Complication von ihrem Einflnss eingebüsst, sich eben- falls zum Theii znrackgebildet hat. Hingegen persistirt bei Eopfneignng links nnd Blickrichtung rechts die Abnahme der Höhenabweichung der Doppelbilder von oben nach unten; die Zahlen sind durchwegs kleinere geworden.

Die Diagnose „doppelseitige Trochlearislähmung'^ ist nach dem Bisherigen im vorliegenden Falle als eine gesicherte zu betrachten, die Complication mit Parese des Obliquus inferior dexter als eine sehr wahrscheinliche.

Auf meinen Appel stellte sich Arn am 13. Januar 1891, also ein gutes Jahr nach der Erkrankung, wieder zur Controle mit der Angabe gesund zu sein.

Die genauere Untersuchung ergab aber, dass im ganzen Blickfeld Einfachsehen existirte mit einziger Aasnahme der Richtung links oben; hier erscheinen homonyme Doppelbilder mit Hochstand des rechten Bildes. Bei Erhebung des Blickes um 30^ und Seitenwendnng um 30^ betrug der Seiten- und der Höhenabstand der Doppelbilder je 5^ (siehe Taf. YI). Wird das Fixationsobject in gleicher Höhe von links nach rechts ge- führt, nehmen beide Abstände successive ab, um bei 14^ ganz zu verschwinden und dem Einfachsehen Platz zu machen.

Es musste sich um Parese eines Hebers des rechten Auges handeln, um die Residuen der Parese seines Obliquus inferior.

Das klinische Bild bestätigte als einfacher gewordenes Ex- periment in unerwartet befriedigender Weise die oben aus den Tabellen gefolgerte Wahrscheiulichkeitsdiagnose.

Wenn man das Object von oben links, wo gewöhnlich ein- zig doppelt gesehen wurde, rasch nach rechts und rechts unten führte, so konnte man für einen Augenblick die Doppelbilder über einen grösseren Theil des Blickfeldes quasi herüberziehen, aber nur für einen Augenblick.

Bei Eopfneigung links erscheinen Doppelbilder in einem grösseren Theil des Blickfeldes, im oberen linken Quadranten bis zum Centrum und über dasselbe hinunter.

Mit dem Grad der Linksneignng nehmen die Höhendistan- zen zu, die Seitendistanzen ab bis zur Kreuzung.

▼. Graefe's Archiv fQr Ophthalmologie. XXXVII. 4. 7

98

PflQger.

In Figar 6 sind die Doppelbilder dargestellt für den ge- wöhnlichen Grad der Linksneigung und für eine Fizirlinie you oben links nach dem Centrum. Die in der Tafel ausgezogenen Höhen- und Seitendistanzen zeigen von links oben nach dem Centrum zu eine consequente Abnahme der ersteren und eine ebenso consequente Zunahme der letzteren.

Es kann dieses Verhalten kaum anders als für die resti- rende Parese des Obliquus inferior dexter gedeutet werden.

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bei aufrccJUem Kopf*.

_ -. . bei. rechts gefuigUjii Kopf. bei links gaicigterfi Kopf.

Fig. 6.

Durch die Linksneigung des Kopfes müssen die Meridiane eine controlirende Rückwärtsbeweguug von links nach rechts aus- führen, eine Leistung, welche auf dem rechten Auge dem Obli- quus inferior zukommt, auf dem linken Auge dem Trochlearis, welcher hier aber ausser Rechnung fällt.

In Folge Rechtsneigung des Kopfes entstehen Dop- pelbilder beim Blick nach oben in der Art, dass links oben erst einfach gesehen wird und beim Verschieben des Objectes von oben links nach rechts die Doppelbilder erst seitlich aus-

Ein Fall Yon doppelseitiger Trocblearisparese etc. 99

einanderweichen mit anfangs unmerklichem Hochstand des rech- ten Bildes; weiter nach rechts nimmt die Höhenabweichung all- mälig zu, während die Seitenabweichung sich nicht deutlich verändert.

Da bei der Rechtsneigung der rechte Obliquus inferior zur physiologischen Raddrehung nicht nöthig ist*, wohl aber der rechte Obliquus superior, so liegt die Annahme nahe, dass die- ser letztere hier zu stark wirkt, weil ihm der Obliquus inferior zu wenig Widerstand leistet.

Trotzdem die Doppelbilder schon am 3. Mai 1890 ein partielles Zurückgehen der Parese des Obliquus inferior sup- poniren liessen, so ist ein Ueberrest derselben als einziges Merkmal der bisher noch nicht beobachteten Lähmungsform am 13. Januar 1891 zu beobachten gewesen.

Die Frage nach der Localisation dieser seltenen Läh- mungsform verlangt noch eine Ergänzung der Krankengeschichte, einen Nachtrag über weitere Störungen in der Innervation von Augenmuskeln bei unserem Patienten.

Eingangs ist mitgetheilt worden, dass Arn bei der ersten Vorstellung noch Anomalien der Accommodation darbot und zwar: Einschränkung der Accommodation um ca. 2,5 D. auf dem rechten Auge, um 4,5 D. auf dem linken Auge mit Mikropsie auf diesem letzteren.

Keine Erwähnung fand bisher das Verhalten der Pu- pillen. Beide Pupillen sind myo tisch; die rechte misst bei mittlerer Tagesbeleuchtung 2 mm, die linke 3 mm.

Die Lichtreaction ist auf beiden Augen erhalten, so- wohl die directe als die consensuelle, aber auf ein Minimum reducirt, so dass es längere genaue Beobachtung erforderte, um dieselbe sicher zu constatiren.

Die Reaction auf Convergenz ist auf beiden Pupillen deut- licher als die Lichtreaction, aber doch ausserordentlich subnormal.

Am 3. Mai zeigten die Pupillen ein analoges Verhalten bezüglich ihrer Reactionsfähigkeit und ihrer gegenseitigen rela- tiven Grösse; sie schienen beide etwas weiter geworden zu sein. Die Accommodation hatte beiderseits um etwa 0,5 D. zugenommen.

Am 12. Januar 1891 hatte die rechte Pupille eine Weite von 2,75 mm, die linke eine solche von 4 mm; Accommodation rechts um 1 D links um 2 D grösser als bei der ersten Unter- suchung, Lichtreaction direct und consensnell noch immer sehr

7*

100 Pflüger.

schwach. Aaf eine minimale Contraction bei Lichteinfall folgt prompt eine dentlichere Erweiterung, so dass bei unscharfer Beobachtung nur letztere in die Augen fällt.

Im klinischen Bilde unseres Falles reihen sich also an die Parese der beiden Trochlearis und des Obliquus inferior dexter:

1) Myosis beiderseits, rechts stärker als links.

2) Herabgesetzte Pupillarreaction auf Licht beiderseits, direct sowohl als consensuel.

3) Herabgesetzte Pupillarreaction auf Convergenz.

4) Accommodationsparese, links stärker als rechts.

Die grössere Parese der Accommodation verbindet sich also auf demselben Auge mit der geringeren Myosis, mit der geringeren Reizung des Sphincter iridis.

Diese vier Gomplicationen machen die Localisation in der Kemregion, im vordersten Abschnitt des Oculomotoriuskem wahrscheinlich. Da nach dem Schema von Kahler und Pick der Kern des Obliquus inferior in dem hintersten Abschnitt der lateralen Kerngruppen im Oculomotoriuskem gelegen ist, so verlangt unser Fall allerdings die Annahme, dass die zwi- schen diesem und den vordersten Kernen der interioren Augen- muskeln gelegenen Kerne von der Affection übersprungen wor- den seien.

Die Erkrankung der beiden Trochleares in der Region ihrer Kerne, die sich unmittelbar an die Oculomotorinskeme nach hinten anschliessen, liegt nun näher als diejenige an ihrer Verflechtungsstelle im Velum medulläre anticum. Ich lasse da- mit die Localisation im Yelum medulläre anticum, welche ich in meiner ersten Mittheilung über diesen Fall supponirt hatte, fallen, weil dieselbe eine Erkrankung zweier gesonderter Herde voraussetzt, die weiter auseinanderliegen als der vorderste und hinterste Abschnitt des Oculomotorius-Trochleariskernes.

Die Deutung, welche das Schema des Oculomotoriuskemes nach Per Ha (Archiv für Ophthalm. XXXV, 4, S. 297) durch Knies Centrale Störungen der willkürlichen Augenmuskeln (Archiv für Augenheilk. XXIII, 1, 19 u. f.) erfahren hat, erleichtert die Localisation des in Frage stehenden Processes in die Kernregion wesentlich.

Die Erkrankung hatte den vorderen seitlichen Kern (1) von Darkewitsch und den Edinger-Westphal'schen Kern (3) auf beiden Seiten ergriffen; während sie rechts hier stehen

Ein Fall von doppelseitiger Trochlearisparese etc. 101

geblieben, hatte sie sich links, über die tiefen ventralen Kerne 6 und 7 für den Rectas internus und den Rectus inferior weg- setzend, in den dorsalen Kern (5) für den Obliquus inferior und von da in der Continuität zum Trochleariskern (9) fort- gesetzt.

Die Aneinanderrückung der functionell zusammengehören- den Obliqui durch Knies scheint eine glückliche, durch diesen Fall wahrscheinlich gemachte Aenderung in der Anordnung der Oculomotoriuskeme zu sein.

Der Umstand, dass Perlia nur von Kern 5 des Oculo- motoriuskemes gekreuzten Ursprung der Wurzelfasem nach- weisen konnte, hat Knies in der Meinung bestärkt, dass dies der Kern des Obliquus inferior sei, der, wie der Trochlearis, bei der Auswärtswendung des gegenüberliegenden Auges bethei- ligt ist

In der Literatur findet sich eine einzige aphoristisch ge- haltene und mit aller Reserve hingestellte Notiz über doppel- seitige Trochlearisparese, mitgQtheilt von Dr. Ernst Remak (Neurolog. Centralbl. 1888, S. 5).

Znr Lymphombildung in der Orbita.

Von

Dr. TL Axenfeld, I. Assistent an der ÜDiversit&tB-Angenklinlk in Marburg.

Hierzu Taf. III, Fig. I— IV.

Ausser einem von ihm selbst beschriebenen „Lympho- sarcom^^) fuhrt Berlin im Handbuch von Graefe-Sae- misch (1880, Abtheilung ,,Orbita'*) aus dei* grossen Litera- ratur der Tumoren nur zwei von Lawson veröffentlichte primäre Orbitallymphome an, ausserdem ein von Förster beschriebenes Lymphangiom. Ein ebensolches hat später Wiessner*) mitgetheilt Vielleicht ist auch, wie unten noch besprochen werden soll, der Becker-Arnold'sche und der Bern heimer 'sehe Fall zu den primären Orbital- lymphomen zu rechnen; dagegen dürfte der lymphoide Ur- sprung von Tumoren, wie sie SchoebeF) beschreibt» zweifel- haft sein. Auch auf der Grundlage von Allgemeinerkran- kungen, die an sich zur Bildung derartiger Neoplasmen nei- gen, sind Orbitallymphome bekanntlich ein seltenes Vor- kommniss.

Obwohl nun, abgesehen von der in ophthalmologischen Kreisen wenig beachteten Mittheilung von Gallasch, Le- ber und nach ihm Osterwald das Vorkommen doppelsei-

>) Zehender*B Monatsblatt XVI.

*) V. Graefe*8 Archiv für Ophthalm. XXII, 2. 1886.

*) Centralbl. fflr Augenheilk. 1886, Sept.-Oct.

Zar Lymphombildung in der Orbita. 103

tiger orbitaler Lymphome auf leukaemischer Basis unzwei- felhaft nachgewiesen haben, so vermisst man doch in den sonst publicirten ähnlichen Fällen vielfach genauere An- gaben über das Verhalten der übrigen Organe , zumal des Blutes. Ich lasse deshalb eine kurze Zusammenstellung der sämmtlichen hierhergehörigen Mittheilungen, die ich finden tonnte, folgen, da eine Uebersicht sonst schwer möglich ist Ich schicke voraus, dass der an erster Stelle citirte Förster'sche Fall, den Becker und Arnold als dem ihren, vermuthlich auf constitutioneller Anomalie beruhenden, gleich- artig anfuhren, nicht pathologisch-anatomisch untersucht, und seine Natur als Lymphom um so unsicherer ist, als möglicherweise Lues vorlag.

[1) Förster, 1866, Zehenders Monatshefte: Symmetri- scher Tumor an der Thränendrüse. Exophthalmus. Durch Jodkaliumsalbe gebeilt. Keine Eörperuntersuchung. (Sy- philis?))

2) Becker und Arnold, Heidelberg 1872: v. Graefe's Arch. f. Ophth.: Doppelseitiges symmetrisches Lymph- adenom in der Gegend der Thränendrüse. Exophthalmus. Sonst keinerlei Symptome. Durch Exstirpation dauernde Hei- lung (10 Jahre lang beobachtet).

3) F. Gallasch: Ein seltener Befund bei Leukämie im Eindesalter. Jahrb. für Einderheilk. 1875. 4VtJäbriger Knabe. Lymphome am Hals, Leber- und Milzschwellung. Con- juDCtival- und Retinalhaemorrhagien, Petechien, bds. grosse Thränendrttsentumoren, Exophthalmus. Autopsie: mas- senhafte lymphoide Infiltration, Drfisengewebe nicht betheiligt.

4) Th. Leber, 1878: v. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXIY, S. 295, Leukaemie. bds. Retinitis haemorrhagica, Albuminurie. Zunehmende Hyperopie bei doppelseitigem Exoph- thalmus infolge zahlreicher Orbitaltumoren. Exitus letalis, keine allgemeine Autopsie. Mikroskopischer Befand in den Orbitaitumoren: massenhafte Lymphzellen.

5) Chauvel, 1877, Gazette hebdomadaire Nr. 23: links- seitige sehr grosse Geschwulst an der Thränendrüse. Lymi^ome am Hals. Eeine Blutantersochung. Autopsie: Leber- and Milztnmor. Lidtumor aus Lymphkömem bestehend. Enochen- mark nicht nntersucht

104 Th. Axenfeld.

6) Osterwald, 1881, v. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXYII, 3, S. 203: Beobachtung ans der Leber'schen Klinik in Rötungen: Vieijähriger Knabe. Lenkaemie. Doppelsei- tige Orbitaltumoren, flache Auftreibung der Schläfengegend. Exophthalmus. Mund, Nase, Speicheldrflsen frei. „Mikrokokken in der Milz und im Blut.^' Tumoren aus kleinen Rundzellen bestehend. „Leukaemische Tumoren entstehen vermuthlich aus ausgewanderten weissen Blutkörperchen.^^ Durch Confluiren mehrerer Tumoren hier und da lymphadenoider Bau. „An der infectiösen Natur der Leukämie ist nicht mehr zu zweifeln.*^

7) Reymond (Annali di Ottahnologia 1883, S. 337): Linfomi voluminosi delle due orbite ed al davanti delle due orecchie, con degenerazione amiloidea dei soll elementi linfoidi.

Milzvergrösserung, Schwellung der Parotiden, Hals- und Axilardrüsen, doppelseitiger Tumor an der Thränen- drüse. Blut nicht untersucht Exstirpation der Orbitaltumoren, die mikroskopisch aus Lymphzellen mit reticulärem Stroma bestehen und central amyloide Entartung zeigen. Uebrige Drü- sengeschwülste auf Jodkalium kleiner. Angeblich dauernde Heilung (?).

8) Gayet, Die symmetrischen Orbitaltumoren und ihre charakteristischen Symptome: Archives d'Ophtalmologie 1886, Janvier-F6vrier.

70jähriger Mann; bds. Exophthalmus, zuerst rechts, nach zwei Jahren links. Keine Körpemntersuchung! Exitus letalis infolge von Pleuritis. Bei der Autopsie Milz, Leber etc. nicht untersucht! Mikroskopisch: Orbitaltumoren = Lymph- adenome; Rundzelleninfiltration von Fettgewebe, Opticus, Mus- keln, Gefässwandungen (bei letzteren mit Verengerung des Lumens und nur im Innern der Geschwülste).

9) E. Delens, ObserTation de tumeurs lymphad^niques des deux orbites: Archives d'Ophtalmologie 1886, Mars-Avril.

5öjähriger Mann, bisher gesund. Multiple Geschwülste in Lidern und Orbita, Exophthalmus. Die grössten Ge- schwülste sitzen an der Thränendrüse. Lymphome am Hals, Ellenbogen, Tonsillen, Pharynx. Ueber dem knöchernen Gau- men durch eine tiefe Rinne getrennt beiderseits eine höckrige, wulstige Geschwulst Lenkaemie. Unter einem starken Cho- leraanfall völliger Schwund der Orbital- und Gaumentumoren, erhebliche Reduction der übrigen Lymphome. Patient entzieht sich weiterer Beobachtung.

Zur Lymphombilduüg in der Orbita. 105

10) Bernheimer, Ueber Lymphadenome der Orbita: 20. ophthalmologische Yersammlung in Heidelberg.

40 jähriger Mann, völlig gesund. Seit zwei Jahren sym- metrischer Exophthalmus. Multiple haselnuss- bis wallnuss- grosse Geschwülste, die durch Stränge mit dem tieferliegenden Gewebe der Orbita zusammenzuhängeit scheinen. Exstirpation. Mikroskopischer Befund: Lymphadenom. „Einziger analoger Fall der Becker-Arnold'sche."

11) Guaita, Bericht über den zwölften italienischen Oph- thalmologen-Congress in Pisa 1890 (Centralblatt für praktische Augenheilkunde XIV, S. 557): Zwei Fälle von diffusem Lymphom der Conjunctiva.

Ein Bauer von 52 Jahren zeigte diese neue Form der Conjunctivitis. Derselbe ist frei von Syphilis und jeder an- deren constitutionellen Erkrankung (!?), seit zehn Jahren hat er Lymphdrttsenschwellungen, seit zwei Jahren Schwellung der Lider des rechten, seit zehn Monaten des linken Auges. Gegen- wärtig sind die Lymphdrüsen am Hals, Kopf, Achseln, Leisten vergrössert, es besteht Milztumor. Das Blut enthält weni- ger rothe und mehr weisse Blutkörperchen als normal. Die Augen können kaum etwas geöffnet werden, beim Umstül- pen der Lider blutete die Conjunctiva leicht, die übrigens glatt und blass und hauptsächlich in den Uebergangsfalten stark ver- dickt ist. Kleine exstirpirte Stückchen zeigen reichliche Lymph- zelleninfiltration, keine Spur von Amyloid. Unter Gebrauch von Jodkalium bis 6,0 g täglich und starker Massage der Lider auf untergelegtem Spatel trat Besserung ein.

Ein zweiter ähnlicher Fall bei einem marantischen alten Manne.

Der Fall Chauvel erscheint bezüglich seiner Aetio- logie am zweifelhaftesten. Die einseitige Ausbildung einer colossalen Orbitalgeschwulst, längst bevor irgend welche Veränderungen am Lymphapparat nachgewiesen wurden, legt den Verdacht nahe, dass doch vielleicht eine primäre bösartige Neubildung mit Metastasenbildung, und nicht eine constitutionelle Anomalie vorlag, zumal alle Anzeichen für eine solche fehlen. Der mikroskopische Befund von „Lymph- kömern" in dem Orbitaltumor ist nicht beweisend, da kleinzellige Sarkome von Lymphomen an der Art der Zellen

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allein oft nicht unterschieden werden können. Wenigstens wage ich diesen Fall nicht in bestimmtem Sinne zu ver- werthen. Bei dem Gay et' sehen bleibt es zweifelhaft, ob es sich um eine ähnliche Affection wie bei Leber etc. oder um primäre orbitale Lymphome handelt.

Sehen wir von den Mittheilungen von Becker- Arnold, Reymond und Bernheimer zunächst ab, so bleiben ihrer Aetiologie nach völlig klargestellt die Fälle von Gallasch, Leber, Leber- Osterwald, Dolens und Guaita. In ihnen wurde zweifellos Leukaemie festgestellt. Ich bin nun, Dank der Freundlichkeit meines hochverehrten Chefs, Herrn Professor Dr. Uhthoff, in der Lage, eine Beobachtung an- zureihen, die vielerlei Aehnliches bietet, aber doch wohl in mancher Hinsicht besonderes Interesse verdient.

KrankengeBOhiohte.

Ein Bruder des 62 Jabre alten, aas sonst gesunder Fa- milie stammehden Oekonomen P. ist vor 28 Jahren an einer Blutung gestorben, die im Verlauf einer lienalen Leukämie sich einstellte (nach der Aussage des behandelnden Arztes, Herrn Professors von Heusinger). Patient selbst ist wegen „kleiner scrophulöser Lymphdrüsen am Halse^ militärfrei ge- worden. Er erklärt mit Bestimmtheit, dass im Februar 1890, wo er sich wegen beginnender Augenbeschwerden zum ersten Male vorstellte, die Drflsen, Ober deren Grösse er sich zu orien- tiren pflegte, gegen damals nicht vergrössert gewesen seien. Bezüglich der Augensymptome berichtet er, dass vor 1 Monat nach einem InfluenzaanfaJl, in den schon längere Zeit geschwol- lenen Lidern sich kleine Knötchen gebildet hätten. Bei der ersten Untersuchung fand Herr Geheimrath Schmidt-Rimpler, mein früherer hochverehrter Chef, der mir die Benutzung seiner da- mals gemachten Notizen freundlichst gestattet hat, in allen vier, etwas verdickten Lidern kleine prominente subconjnnctivale Knötchen, die alten Chalazien glichen. Eins derselben sass in der Gegend der linken Thränendrüse. Exstirpation auf Wonsch des ängstlichen Patienten, von der Coi^unctiva aus. Die Knöt- chen liessen sich leicht ausschälen, ihre mikroskopische Unter- suchung ergab Anhäufung kleiner Rundzellen in der Submu-

Zur Lymphombildang in der Orbita. 107

Gosa, in ihrer Umgebang kapselartig angeordnetes Bindegewebe. Diagnose: Lymphom. Bereits bei der Entlassung, d. h. nach drei Wochen fanden sich wieder neae kleine Tamoren an an- deren Stellen. Nach zwei Monaten neue heftige Aagenbeschwer- den, Beginn des Exophthalmus. Gleichzeitig Verstopfung der Nase, Schlingbeschwerden, Trockenheit im Munde, starke Schwel- lung der bis dahin erbsengrossen Halslymphome, Abnahme des Allgemeinbefindens. Anamnestisch verdient noch Erwähnung, dass im August 1890 Patient mit einer Wagendeichsel einen heftigen Schlag in die linke Leistenbeuge bekam; in zwei Ta- gen habe sich darauf ein grosser, anfangs schmerzhafter Kno- ten gebildet, der nach Aufhören der entzündlichen Erschei- nungen sich nicht wieder verkleinert habe. Wiederaufnahme in die Klinik September 1890.

Stat praes.

Kleiner, kräftig gebauter Mann, nur massig gut genährt; Hautfarbe mit Ausnahme des Gesichts gelblich blass. Knochen normal geformt, nicht aufgetrieben oder schmerzhaft. Nerven- system intakt, desgl. Gor und Tract respir. Arterienrohr etwas starr und geschlängelt Blut normal nach Menge und Form seiner Bestandtheile. Urogenitalapparat normal, im TJrin nichts Pathologisches.

Die oberen seitlichen Halstheile sind stark rundlich ver- dickt, während die Partieen oberhalb der Clavicula nicht ge- schwollen sind. In der Submaxillargegend bis zum Ohre hinauf und nach unten bis ca. zum unteren Rande des Larynx rei- chend, die Mitte freilassend, beiderseits ein Packet dicker, sehr harter, glatter Tumoren von rundlicher Form, verschieblich. Praeauriculardrttse und Parotis ebenfalls hart verdickt, Schlä- fengegend bds. flach buckeiförmig aufgetrieben. Die Geschwulst scheint hier unter der Fascia temporalis zu liegen, ist nicht deutlich auf Consistenz und Grenze palpabel, nicht deutlich verschieblich. Occipitaldrfise und mehrei^e Drüsen in der Nacken- haut ebenfalls derb verdickt. In der Wangenhaut oberhalb der Mundwinkel zwei vertikal gerichtete bohnenförmige harte, verschiebliche Tumoren fühlbar, aber nicht sichtbar.

Nasenrücken etwas eingesunken. Schleimhaut der Nase von dem vorderen Ende der Conchien bis in den Nasenrachen- raum hinein stark verdickt, roth, von harter Consistenz. Es gelingt nichts durch die Nase zu athmen. Boden der Mund- höhle, auch die Glandula subungualis verdickt, derb. Schleim-

108 Th. Axenfeld.

haut des harten and weichen Gaumens polsterartig, Tonsillen geschwollen, hyperämisch, Pharynx ohne erhebliche Veränderung. Die ganze Schleimhaut der Mund- Rachenhöhle ist auch an Stellen, die nicht der Athmungslnft ausgesetzt sind, auffallend trocken; die Zunge mit zahlreichen Schüppchen belegt. Dicht unter der Wangenschleimhaut, doch nicht mit ihr verwachsen^ fühlt man bds. etwa in der Gegend des ersten Praemolarzahnes ziemlich dünne, strangartig nach oben gehende harte Tumoren. In der rechten Leistenbeuge sind mehrere massig grosse Lymphome fühlbar. Links beginnt ca. 4 cm nach aussen vom Gimbernat'schen Band eine vom Lig. Poupartii über 15 cm nach unten reichende, fast kindskopf grosse, derbe, glatte an- nähernd cylindrische Geschwulst von über 6 cm Durchmesser, glatter Oberfläche, nur wenig verschieblich, theilweise wohl wegen Adhäsionen am Lig. Poup., zum Theil auch, weil sie mit tiefgelegenen, unter das Ligament reichenden Lymphtumo- ren in ziemlich fester Verbindung steht, welch letztere in das kleine Becken sich fortzusetzen scheinen.

Augen: Bds. geradeausgerichteter Exophthalmus mit all- seitiger Einschränkung der activen und passiven Beweglichkeit, paukenförmige Vortreibung der Lider, die nicht, wie sonst bei Protrusion, weit geöffnet, sondern fast geschlossen und auffal- lend unbeweglich sind. Dadurch erhält das Aussehen des Pa- tienten etwas ganz Eigenartiges. In der cyanotischen Lidhaut mehrere deutlich erweiterte Venen. Lider im ganzen geschwol- len, von praller, aber elastischer Consistenz, nicht ödematös. Vielmehr scheint die Verdickung, abgesehen von der durch den Exophthalmus veranlassten Ausdehnung auf einer ziemlich dif- fusen Infiltration zu beruhen, innerhalb deren sich mehrfache circumscripte, harte, etwas verschiebliche Tumoren in wechselnder Tiefe palpieren lassen. An einzelnen Stellen sind leichte Vor- treibungen der Lidhaut auch sicBtbar. Die Schwellung ist am stärksten am rechten Unterlid. Hier haben die Tumoren einen eigenthümlich strangartigen Charakter, hängen zum Theil mit- einander zusammen. Sie liegen meist nahe dem knöchernen Orbitalrand und laufen diesem theils parallel, theils reichen sie nach hinten über denselben hinaus. Bei tiefem Eindrücken, das dem Patienten Schmerzen macht, hat man das Gefühl, als ob weit hinten in der Orbita ebensolche Geschwülste lägen.

Ectropionirt man, so zeigt sich die Gonjunctiva im Allge- meinen massig injicirt, etwas geschwollen. An sämmtlichen Li-

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dem sieht man die Narben früherer Operationen. Ausserdem zeigt die Schleimhaut mehrere theils rundliche, theils unregel- mässige Yortreibungen, die durch Knoten von wechselnder Con- sistenz bedingt sind, welche oberflächlich liegen oder mehr iu die Tiefe gehen.

Einige der Geschwülste sind unter der intakten Schleim- haut verschieblich, bei der Bildung anderer dagegen scheint sich die letztere selbst zu betheiligen. Wenigstens ist sie mit ihnen verwachsen und zeigt ein durchscheinend grangelbliches, glasiges, sehr eigenthümlich speckiges Aussehen, ist verdickt, etwas höckrig, und hebt sich durch die Prominenz und helle Färbung von der umgebenden hyperämischen Conjunctiva scharf ab. Die ganze linke obere Uebergangsfalte ist in dieser Weise verändert, ähnlich einem colossalen sulzigen Trachomwulst, ebenso ein Theil der analogen Stelle rechts, sowie kleinere inselartigo Parthieen der Tarsalschleimhaut der Unterlider. Nirgends jedoch ist das Epithel ulcerirt. Die Grösse der von der Schleimhaut aus bemerkbaren Geschwülste schwankt zwi- schen Linsen- und Haselnussgrösse; in der Gegend des inneren Lidwinkels ragen sie zwischen die Lidspalte vor, die zwar ganz geschlossen, aber nur mühsam und unvollkommen geöffnet wer- den kann.

Die grösste Geschwulst sitzt links unter der äusseren Hälfte des Orbitaldaches in der Gegend der Thränendrüse, am besten von der Lidhaut aus palpabel, anscheinend weit in die Orbita hineinreichend, etwas verschieblich.

Bulbi normal. Bds. H in 1,0, r. S = */i„ 1. S = «/jg.

Diagnose: Pseudoleukämie (Malignes Lymphom, Hodgkin'sche Krankheit, Ad^nie.)

Da bei dieser die Operation nicht wie bei Leukämie con- traindicirt war, wurde ex indicatione symptomatica die Exstir- pation der grössten Geschwülste mit Schonung der Bulbi vor- genommen. Auch von der linken Thränendrüse brauchte nur ein kleines Stück entfernt zu werden. Die Tumoren Hessen sich leicht ausschälen, zeigten ziemlich derb elastische Consis- tenz; frisch durchschnitten erschien einer von ihnen graugelb- lich, etwas durchscheinend, an einigen Stellen mehr gallertig. Kein Gewebssaft.

Zupfpräparat: Massenhafte einkernige kleine Rundzellen, eingelagert in ein grossalveoläres, ziemlich stark fasriges Binde- gewebe. Kein deutlich reticnläres Stroma. Umgebendes Binde-

110 Th. Axenfeld.

gewebe kapselartig angeordnet, von Randzellen durchsetzt, zum Theil hämorrhagisch.

Die Mehrzahl der Tumoren wurden in Mttller'sche Fltts- sigkeit, die speckige Uebergangsfalte in Flemming'sche Lösung gelegt

Glatte Heilung mit symptomatisch gutem Erfolg. Nach acht Tagen wurde mit Darreichung von Sol. Fowl. begonnen, drei- mal tägl. zwei Tropfen bis dreimal tägl. zehn Tropfen ansteigend.

Eine controllirende Untersuchung der Nasen-Mund-Rachen- höhle, die Herr Prof. Barth vorzunehmen die Freundlichkeit hatte, ergab:

„In beiden Nasengängen starke sehr derbe Schwellung der gesammten Schleimhaut und Hyperämie. Die Schleimhaut des harten Gaumens ist zu beiden Seiten wie ein Kissen gewulstet, so dass die Mittellinie eine Rinne bildet. Die gleiche Ver- dickung und massige Hyperämie findet sich am weichen Gau- men (auch hier die Mittellinie weniger betheiligt). Geringe Schwellung der Uvula. Stimmbänder auch geröthet und ver- dickt, machen aber die respiratorischen und phonatorischon Bewegungen ziemlich gut mit.

Wahrscheinlichkeitsdiagnose (bei alleiniger Berücksichti- gung dieser Symptome): Rhinosclerom.

20. Octbr. Neben der Excisionsnarbe beginnt sich an der linken oberen Uebergangsfalte die Schleimhaut in der beschrie- benen speckigen Weise zu verändern.

(Aus dieser Zeit stammen die beiden, übrigens nicht re- touchirten Photographieen Figg. I und II, die trotz Entfernung der grössten Geschwülste auch an den Augen die Verhältnisse noch gut erkennen lassen.)

23. Octbr.* Entlassen. Patient soll täglich dreimal acht Tropfen nehmen von Sol. Fowl., Aq. amygd. aa.

10. Novbr. Ueberall auffallende BesseruDg, Rückgang der Tumoren, die kleiner, aber nicht wesentlich weicher sind. Lider weniger gespannt, Beweglichkeit der Bulbi ausgiebiger. Patient vermag durch die Nase etwas Luft einzuziehen, Allgemein- befinden besser.

17. December. Erhebliche Rückbildung der Tumoren und diffusen Schwellung allerwärts, so dass wieder annähernd nor- male Configuration besteht. Kein Exophthalmus mehr. In den Lidern Reste der Tumoren, am rechten Unterlid noch jetzt eigenthümlich strangartig. Bds. E, S=%. Milz und Leber nicht vergrössert.

Zur Lymphombüdang in der Orbita. 111

Blntantersuchung: Weisse Blutkörperchen gegen das letzte Mal ein wenig, aber nicht entfernt lenkämisch vermehrt. Sie zeigen im Allgemeinen mittlere Grösse, mehrfachen Kern, sind zam Theil in Zerfall begriffen, defect. Das Trockenprä- parat (Eosin-Hämatoxylin) zeigt, dass es sich am geringe Yer- mehrnng hauptsächlich der mittelgrossen polynnclearen Zellen handelt; anter ihnen vereinzelte eosinophile, Lymphocyten und andere einkernige weisse Blutkörperchen sind sehr spärlich. Von einer Degeneration ist hier nichts deutliches zu erkennen.

29. Jan. 1891. Patient hat in den letzten drei Wochen eigenmächtig das Arsen ausgesetzt, nur ab und zu ein paar Tropfen genommen.

Objectiv: Deutliche Zunahme der Tumoren, fast überall, besonders am rechten Unterlid und am Halse.

Bds. 8 = ^/9 Mayerhausensche Zahlen. Ophthalmoskop, nihil, Beweglichkeit der Bulbi wieder etwas mehr behindert. An den übrigen Organen keine Veränderung. Urin normal.

Blut: Trockenpräparat (Eosin Hämatoxylin): Ausser geringen Grössendifferenzen der r. Bl. nichts Abnormes. W. BL nicht vermehrt, weniger zahlreich als am 17. Dezember.

Frisches Präparat:

Weisse Blutkörperchen nicht vermehrt, normal; rothe Bl. im Allgemeinen normal, doch nicht selten kleinere, Vi Va ^^ gross wie die übrigen, von meist runden Contouren, einige un- regelmässig, ganz selten kappenförmig. Ausserdem zahlreiche Blutplättchen. Zwischen diesen normalen Blutelementen zeigen sich, allerdings nur mühsam bei starker Yergrösserung sichtbar und deshalb vielleicht bei den früheren Blutuntersuchungen nicht bemerkt, einzelne kleinste, intensiv glänzende Partikel von leb- hafter Bewegung. Die Bewegung ist eigenthümlich zitternd, oscil- lirend, ihre Geschwindigkeit ungefähr so, dass sie bei Ocular I und Objectiv VlI in fünf Minuten das halbe Gesichtsfeld durch- eilen. £ine stärkere Strömung ist im Präparat nicht vorhan- den, alle übrigen Gebilde liegen völlig ruhig. (Auch bei Unter- suchung im hängenden Tropfen blieb die Bewegung unverändert.) Die Bewegung ist in der Kichtung ganz wechselnd. Bald um- kreisen sie langsam ein rothes Blutkörperchen, sich von ihm ab und zu entfernend, dann wieder so dicht herantretend, dass das Blutkörperchen selbst in Bewegung geräth; bald gehen sie geradlinig, ohne sich an die festen Elemente zu kehren, bald gehen sie in Zickzacklinie zwischen ihnen her, stets aber be-

112 Th. Axenfeld.

hält die Bewegung den eigenthümlich seitlich vibrirenden Cha- rakter. An einer anderen Stelle erscheint ein biscuitartiges Gebilde, etwa wie zwei Hefepilze oder ein grosser Diplokokkus aussehend; dasselbe scheint aus zwei aneinanderliegenden Klümp- chen zu bestehen, seine Bewegung erfolgt in der Richtung der Längsaxe, nur ab und zu etwas schräg, mitunter rückwärts. ^/4 Stunde nach der Entnahme des Bluttropfens werden seine Bewegungen lebhafter, die Contouren erscheinen nicht mehr so glatt, die Anordnung der beiden Theile nicht mehr ganz gerad- linig, sondern kommaartig. Plötzlich, ziemlich weit entfernt von einem rothen Blutkörperchen, sistirt seine scheinbar actiye Bewegung, dann fährt es, wie passiv angezogen, schnell und auf dem kürzesten Wege mit der breiten Seite auf das rothe Blutkörperchen zu, bleibt ca. 10 Secunden ruhig dicht an dem- selben liegen, dann beginnen, aber erheblich heftiger, lebhafter die Eigenbewegungen von neuem, während die rothen Blutkör- perchen bereits beginnenden Zerfall zeigen. Leider wurde das Gebilde aus dem Gesichtsfeld verloren.

An einer anderen Stelle findet sich ein ebensolches; die beiden Theile bilden zusammen eine leicht gebogene Linie; die Biegung wechselt oft dem Grade nach, bei Vorwärtsbewe- gungen, die schneller aber sonst ebenso wie die oben beschrie- benen erfolgen, tritt häufig eine stark winklige Knickung an der Verbindungsstelle ein, die Bewegung erhält dadurch etwas schlangenartiges. Noch mehrere ähnliche Gebilde, theils ein- fach, theils doppelt, in der Grösse ein wenig verschieden, fan- den sich, unter ihnen ein grösseres und ein kleineres, anschei- nend ganz getrennt und um den Durchmesser eines rothen Blutkörperchens von einander entfernt, die trotz deutlicher oscillirender Eigenbewegungen stets dieselbe Richtung und un- gefähr auch die Entfernung beibehielten; sie schienen offenbar wie durch ein Gummiband verbunden, doch gelang es nicht, von dem vermutheten Bindeglied etwas Deutliches zu sehen.

Die noch eine halbe Stunde lang fortgesetzte Beobachtung Hess noch mehrere gleichartige Gebilde entdecken, unter ihnen vier ypsilonförmig aneinander liegende; feinere Details waren auch bei der stärksten Vergrösserung an den winzigen Theil- chen nicht zu erkennen. Mit dem völligen Zerfall der rothen Blutkörperchen wurden sie ganz undeutlich. Im Ganzen habe ich damals ihrer 13 gesehen. Bei einer am 4. Februar 1891 in Gegenwart von Herrn Professor Marchand angestellten nochmaligen Untersuchung fanden sich die beschriebenen Par-

Zar Lymphombildang in der Orbita. 113

tikelchen ansserordentlich massenhaft; am Abend desselben Tar ges, als Patient im hiesigen ärztlichen Verein vorgestellt wurde, konnte nach langem Snchen nur ein einziges aufgefunden und demonstrirt werden. Im Trockenpräparat haben die Gebilde sich nicht deutlich darstellen lassen. Bei Erwärmung auf 50^ stellen sie ihre Bewegung nicht ein, werden im Gegentheil lebhafter. Treibt man die Erwärmung noch höher, so sind sie von den Zeffallsprodukten der rothen Blutkörper- chen nicht zu unterscheiden.

Auf der Kückreise nach Hause bekam Fat. eine „acute Nierenentzündung^^ die ihn längere Zeit ans Bett fesselte und mit dem Arsen nicht zusammenhängen kann, da er seit drei Wochen keines mehr genommen hatte. Er stellte sich erst am 8. Juni wieder vor wegen colossaler Vergrösserung aller Ge- schwülste.

Neue waren nicht hinzugetreten, speciell die Milz unver- ändert." Die rechte Augenspalte ist ganz, die linke beinahe geschlossen. Mächtige Verdickung der Lider. In der beson- ders über dem harten Gaumen enorm verdickten, ganz trocke- nen Mundschleimhaut einige eingetrocknete Ulcerationen. Blut: unverändert, enthält in massiger Menge die oben beschriebenen Gebilde. Urin: hochgestellt etwas trübe, sauer, spec. Gewicht 1018; massige Mengen Albumen; mit Tromm er 'scher Probe Andeutung einer Keduction, kein Aceton. Sediment: Einzelne kurze hyaline, zum Theil mit Fetttröpfchen besetzte Cylinder; beträchtliche Zahl von einkernigen kleinen Kundzellen (wohl diffuses Lymphom der Niere). Patient nahm jetzt die Arsen- medication' wieder auf.

10. Aug. Deutlicher, wenngleich nicht sehr bedeutender Rückgang der Tumoren.

Seitdem ist der Zustand mit geringen Aenderungen un- verändert geblieben; ein wesentlicher Fortschritt der Krankheit ist noch nicht eingetreten. Am 5. Septbr. Herpes zoster im vierten linken Intercostalraum ohne nachweisbare Ursache. Das Blut zeigt nach wie vor keine Leukocytose, dagegen in wech- selnder Menge die kleinen Gebilde.

Histologische Untersuchung.

Die in Müller'scher Flüssigkeit eingelegten Tumoren wur- den nach Härtung mit Alkohol in Celloidin eingebettet.

Die nach Ziehl-Nelsen angestellte Untersuchung auf

T. Qnefe'8 Archiv fDr Ophthalmologie. XXXVn. 4. 8

114 Th. Axenfeld.

Tuberkelbacillen, wie solche Waetzold^) gefunden hat, ebenso die auf andere Mikroorganismen vermittelst der Gramm'schen und der ff 1er 'sehen Methode, welche an zahlreichen Schnit- ten aus verschiedenen Theilen der Tumoren vorgenommen wurde, fiel negativ aus.

Die in ungefärbtem und gefärbtem Zustande untersuchten Schnitte ergaben allenthalben kleine, dichtgedrängte Rundzellen mit grossem, intensiv sich färbenden Kern und deutlichen Eem- körperchen. Grössere mehrkemige und Riesenzellen (Lang- hans'), Ribbert^) fanden sich gar nicht, ebensowenig die oft beim malignen Lymphom im Gegensatz zur Leukämie beschrie- benen spindelförmigen Zellen. Nirgends Verfettung, Yerkäsung oder amyloide Degeneration, dagegen in und neben den Tu- moren zahlreiche frische und alte Hämorrhagien, kömiges Blut- pigment, auch einzelne Hämatoidinkrystalle. Das Pigment liegt zum Theil in den Zellen, besonders den im Bereich der Neu- bildung gelegenen Drüsenzellen.

Das Stroma der Tumoren ist sehr wechselnd an Mächtig- keit und Form. Ein Theil von ihnen besteht eigentlich nur aus Zellen, ist sehr gefilssarm, die Gefässe sehr dünnwandig. In anderen Tumoren und auch an verschiedenen Stellen ein und derselben Geschwulst sind wieder stärkere Faserzüge, meist strangartig mit normalwandigen Geissen, an anderen Stellen besteht ein fast alveoläres Stroma, wieder an anderen ist die Zeichnung des Fettgewebes noch deutlich^). Eigentlich reticu- läres Bindegewebe ist nur äusserst spärlich vorhanden, es scheint sich vielmehr um eine atypische Zelleninfiltration der verschiedenen Gewebe zu handeln. Es sind daher auch alle Schichten der Conjunctiva und des Orbitalgewebes Sitz der Neubildungen, nur das eigentliche Epithel zeigt abgesehen von der excidirten Uebergangsfalte ganz normales Verhalten. Die Mehrzahl der excidirten Stücke liegen in der Submucosa, zwei kleinere Geschwülste und die grösste dicht an der Thränen- drüse. Das Gewebe der letzteren zeigt sich bei den beiden kleineren Tumoren in der Weise afficirt, dass in dem einen Fall ein ganzes Läppchen, sonst normal, von allen Seiten durch dichtgedrängte Zellen eingeschlossen ist, in dem anderen da-

') Novemberheft des Gentralblattes für klinische Medicin 1890. «) Virchow's Archiv 54, S. 509. 1872. •) Virchow's Archiv 102, S. 452. 1885. *) 8. u. den Fall von 0x1 ey.

Zur Lymphombildang in der Orbita. 115

gegen das interacinöse Gewebe selbst dicht infiltrirt erscheint^;. Die Acini sind hier theils zusammengedrückt, erscheinen klei- ner, theils auseinander gezogen, schlanchförmig, die Drüsen- zellen abgeflacht. Auch hier sind die letzteren vielfach mit kömigem Pigment dicht besetzt, zeigen aber sonst keine we- sentliche Veränderung, wenn man nicht in dem geschilderten Verhalten den Beginn einer Compressionsatrophie sehen will. Der grosse Tumor zeigt sich nirgends mit der Thränendrüse verbunden; er unterscheidet sich von den übrigen Neubildungen dadurch, dass er eine Anzahl rundlicher, sehr dichter, ziem- lich concentrischer Zellanhäufungen erkennen lässt, die durch ihre Aehnlichkeit mit Follikeln dem Ganzen mehr das Aus- sehen eines Lymphadenoms verleihen.

Die Begrenzung der Tumoren ist durch kapselartige An- ordnung des umgebenden Gewebes meist glatt, rundlich, an einigen Stellen dagegen nicht scharf.

Die excidirte Uebergangsfalte (vgl. Fig. III, mit Abb^- schem Zeichenapparat angefertigt) zeigt bezüglich der eigent- lichen Geschwulstmasse nichts Besonderes. Doch geht letztere ohne scharfe Grenze und nur durch die Zellart differenzirbar in das Epithel über. Dasselbe zeigt keine wesentliche Vermehrung seiner Schichten und nur wenige Eerntheilungsfiguren, ist aber, wie dasjenige einer katarrhalischen Schleimhaut reichlich mit Wanderzellen durchsetzt, die den Geschwulstzellen gleichen, aber nach der Oberfläche hin meist mehrkemig werden. Ausser- dem erscheinen die Epithelzellen, abgesehen von etwas unregel- mässiger Form wohl infolge von Compression durch die Ge- schwulst, in grösserer Zahl eigenthümlich gequollen, um das zwei- bis dreifache vergrös'sert, rundlich oder oval, in unge- färbtem Zustand stark lichtbrechend. In einem Theil dieser kugligen Gebilde erscheint der Kern, noch deutlich tingirbar, zu einem schmalen Saum an die Wand gedrängt, andere zeigen keinen Kern mehr, in wieder anderen liegen ein oder auch mehrere Rundzellen. Die beschriebenen Zellen liegen nicht nur, wie gewöhnliche Becherzelleu an der Oberfläche, sondern sogar am zahlreichsten in der Basalschicht, ihr Inhalt färbt sich intensiv, besonders mit Hämatoxylin und Methylenblau. Es handelt sich demnach um ein diffuses Lymphom des

') Vergl. Berlin, Lymphosarcom : Zchender*8 Monatsbl. XVI, Gallasch (s. o.)

s*

116 Th. Axenfeld.

adenoiden Gewebes der Mucosa mit colloider oder hyaliner Degeneration des Epithels (Recklinghausen, Deutsche Chir. 2. u. 3. Lief.). Letztere erklärt auch das eigen- artig glasige Aussehen.

Es sei noch erwähnt, dass in dem die eigentlichen Ge- schwülste umgebenden freien Gewebe, besonders der Submucosa, sich neben ganz unregelmässigen Zellanhäufungen vielfach be- ginnende strangartige, reihenweise Ansammlung von Lymph- zellen fanden, wohl entlang den Lymphspalten ziehend. Sie stellen vermnthlich den Beginn der eigenthümlichen strangarti- gen Verdickungen (vergl. Krankengeschichte) dar. Ausserdem aber fanden sich in verschiedenster Abstufung beginnende Zellan- häufungen auch im Anschluss an Blutgefässe. Letztere zeigten an solchen Stellen ein normal weites bluthaltiges Lumen, in dessem Innern die weissen kernhaltigen Elemente vermehrt waren und dessen Wandung und nächste Umgebung mit sol- chen, und zwar überall einkernigen Zellen dicht besetzt war (vergl. Figur III). Eine Verbreitung etwa entlang den Ge- lassen, lymphscheidenartig (wie sie z.B. Birch-Hirschfeld^) in Milz und Leber beschreibt, so dass eigenthfimlich verzweigte Figuren entstehen) ist nicht nachzuweisen. Die Zellen sitzen vielmehr ganz circumscript an verschiedenen Stellen.

Der beschriebene Fall reiht sich anatomisch den oben referirten Beobachtungen an, er ist nur, wie es scheint, der erste publicirte Beweis dafür, dass auch die Pseudoleukä- mie zu derartigen Augenveränderungen führen kann. Wenig- stens ist es mir nicht gelungen, unter den bereits nach vielen Hunderten zählenden Verö£fentlichungen über das ma- ligne Lymphom eine analoge Mittheilung zu finden. Auch in den darüber handelnden Monographieen geschieht einer Be- theiligung des Orbitalinhaltes nirgends Erwähnung. Doch findet sich bei Knies') die Angabe, dass die Retina in einigen Fällen ähnliche Veränderungen wie bei Leukämie geboten. Ich habe nichts Näheres darüber ermittebi kön- nen; Apoplexien und Retinitis würden übrigens bei der

') Eulenburg*8 Encyclopädie 1876, Abtheilong „Lymphom*'. ') Eulenburg *8 Encyclopädie 1886, Abth. „Pseudoleukämie*'.

Zur Lymphombildung Iq der Orbita. 117

schliesslich eintretenden Anämie und der häufigen Bethei- ligung der Nieren nichts Ungewöhnliches sein.

Dem Herrn Collegen von Büngener, Privatdocenten der Chirurgie in Marburg, verdanke ich die Kenntniss dreier Fälle, bei deren zwei es sich zweifellos um Pseudoleukämie handelte, und die, allerdings in anderer Weise, die Orbita betheiligten. Ich lasse ein kurzes Referat folgen.

Oxley, M. G. B. „Gase of lymphadenoma in a boy aged six years, affecting the kidneys, liver, längs and brain." Brit. med. Joum. March 4. 187.

Sechsjäbriger Knabe. Ausser den Allgemeinsymptomen rechtsseitiger Exophthalmus, welcher 1^/, Jahr nach Be- ginn der Krankheit entstand, nachdem schon vorher Abnahme des Visus und Mydriasis beobachtet war. Nach vorübergehender Besserung trat bald Amaurose und Chemosis der Conjunctiva bulbi ein, so dass letztere zwischen den Lidern hervorragte. Sechs Tage nach Eintritt der Amaurose exitus letalis. Die Augenerscheinungen verliefen sehr rapide. Die Autopsie ergab ausser einer ausgedehnten subperiostalen Blutung über dem rechten Frontalbein am ganzen Gehirn und der Basis cere- bri in der Arachnoidea miliare und grössere Lymph- tnmoren. Vom am rechten Felsenbein und der Orbita war der Knochen erweicht, Hess sich mit dem Messer schneiden. Unter dem so perforirten Dach fand sich itn der Au- genhöhle eine weiche weisse Masse, die das Auge vorwärts drückte und mit den intracraniellen Ge- schwülsten in Verbindung stand. Der Nervus opticus ging mitten durch die Geschwulst. Mikroskopischer Befund: „runde Zellen, grosse runde sich stark färbende Kerne, die ganze Zelle füllend.'' (Eine beigegebene Abbildung von einem Schnitt durch den retrobulbären Tumor lässt deutlich die Zeichnung des orbi- talen Fettgewebes erkennen.)

Powell, K. D. „Lymphosarcoma or lymphadenoma of the anterior mediastinum.'' Transact of the pathol. Soc. XXI.

20 Jahre alter Graveur. Ausgedehnte lymphatische Neu- bildung im vorderen Mediastinum mit Betheiligung der Hals- drüsen, der Lunge und Pleura. In der letzten Zeit ante exi- tum ausser den übrigen Erscheinungen Hervortreten beider Augäpfel bei weitgeöffneten Lidern. Autopsie: Grosser fast das ganze vordere Mittelfell einnehmender Tumor von derber,

118 Th. Axenfeld.

granweiBser Beschaffenheit. Halsdrfisen heiderseits vergrössert und in der linken Lunge and Pleura secundäre Knötchen. (Die Section des Cranium und der Orbitae wurde nicht gemacht) Mikroskopischer Befund: zahlreiche lymphatische Elemente in deutlich reticulärem Stroma mit 1 oder 2 Kernen. (Die Natur dieses Falles ist nicht ganz sicher; es kann sich auch um einen malignen Mediastinaltumor gehandelt haben.)

Tomasi-Crudeli, Corrado. Sopra un caso di linfoma periostale diffuse, senza leucaemia. Mit zwei Tafeln. Estratto del Giornale la Kivista clinica, aprile.

(Jahresbücher von Virchow-Hirsch 1871, I, S. 178.)

„Ein 19jähriger durch Onanie heruntergekommener Bursche bot die Erscheinungen von Hydro -Olligaemie mit intra- und pericraniellem Oedem ohne Vermehrung der weissen Blutkör- perchen. Eine leichte Yergrösserung der Milz Hess sich auf eine vor einigen Monaten durchgemachte Intermittens zurück- führen.

Die Obduction ergab Abmagerung, sehr blasse Haut, Oedem der Gesichts- und Kopfhaut, Penis klein, Praeputium verlän- gert. Die ganze Oberfläche des Craniums ist in ein gleich- massig grauweisses, weiches Gewebe verwandelt, welches alle Schichten unter dem Panniculus adiposus, also auch die Mus- keln bis auf die Knochen einnimmt. Die Dicke dieser Schicht ist verschieden. Die äussere compacte Schicht der Schädel- knochen fehlt, die Markräume der DipIo6 sind erweitert und von röthlichen Fortsätzen der periostalen Wucherung ausge- füllt. Aehnlich verhält sich die Innenfläche des Schädels, in- dem von der Dura mater flache, grauröthliche Vegetationen in die Diploe eindringen. Der Schwund des Knochens ist am schönsten am unteren Theil der Frontoparietalnaht, wo die Vegetationen der Dura mater und des Pericraniums ein Con- tinuum bilden. Ebensolche Vegetationen finden sich auf der äusseren Seite der Dura mater der Basis cranii, setzen sich durch die Fissura orbitalis superior in die Augen- höhlen fort, welche dadurch erheblich verengert sind.''

Aehnliche Veränderungen fanden sich an fast sämmüichen anderen Knochen und Gelenken neben ausgedehnter Lymph- drüsenhyperplasie. Die mikroskopische Untersuchung bestätigte die Diagnose des malignen Lymphoms.

In allen drei Fällen handelt es sich um ein Hinein- wuchern von Geschwulstmassen in die Augenhöhle aus dem

Zur Lymphombildang in der Orbita. 119

Cavurn cranii; es bleibt demnach» soweit mir bekannt, unser Fall, bei dem in allen Theilen der Orbita selbst und in den Lidern, wie es scheint, im Beginn der Krankheit sich massenhafte Tumoren pseudoleukämischer Art bildeten, bis jetzt einzigartig, wenn man wenigstens die Auffassung theilt, dass die Leukämie und das maligne Lymphom scharf zu unterscheidende Krankheiten sind, was bekanntlich vielfach bestritten wird ^). Vielleicht ist es angebracht, darauf hin- zuweisen, dass abgesehen von den sonst angegebenen klini- schen und anatomischen Differenzen auch therapeutisch sich beide Affectionen unterscheiden. Ich habe in der einschlä- gigen Literatur, soweit sie mir zur Verfügung stand, nir- gends eine Angabe gefunden, dass Arsenik auf Leukämie einen wesentlichen Einfluss ausgeübt hätte, obwohl seine Anwendung in den Lehrbüchern wenigstens versuchsweise empfohlen wird. Freilich ist das Ausbleiben einer deut- lichen Arsenikwirkung, wie dies ja auch bei Pseudoleukä- mie oft geschieht, nicht di£ferentiell diagnostisch zu ver- werthen.

Es ist allerdings sehr auffallend, dass der Bruder un- seres Patienten seiner Zeit an wirklicher Leukämie zu Grunde ging. Doch wage ich weder hieraus, noch, wie dies sonst geschehen, aus der scrophulösen Anlage des Patienten einen Schluss zu ziehen. Die Ansichten über die Ursache der Pseudoleukämie sind ja noch sehr getheilt, und es scheint bei Durchmusterung der Literatur, spec. grösserer statistischer Tabellen*) allerdings, als ob sie noch völlig dunkel sei. Dies wird auch von zahlreichen Autoren direct

^) Vgl. Knies und Birch-Hirschfeld in Eulenburg, letzterer auch in Gerhardts Kinderkrankheiten, Art. Pseudoleuk&mie 1883, Mosler im Ziemssen'schen Handbuch 1883, Virchow, GeschwOlBte II, S. 508, StrQmpell, Lehrbuch 1887, Billroth, Allg. Chirurgie 1887 u. a.

*) z.B. Gowers, Artikel „Hodgkin*8 Disease in Reynold*8 Syst. of Med. y, S. 306.

120 Th. Axenfeld.

behauptet. Speciell von der Scrophulose sagt Billroth ^) mit seiner grossen Erfahrung, dass sie nicht disponire. Bemerkenswerth scheint dagegen die bestimmte Angabe des Patienten, dass der grosse Tumor in der linken Leisten- beuge sich an ein Trauma angeschlossen hat. Es ist eine solche Entwickelung nicht ganz ohne Analogen. Von Wilks, Morax, Mosler, Ponfick*) sind Fälle beschrieben, in denen nach einer sehr heftigen Contusion der Milzgegend sich in kürzester Zeit grosse Milzkuchen bildeten, zu denen sich bald die übrigen Symptome lienaler Leukämie gesell- ten, Mursick^) giebt sogar an, dass nach Läsion grosser Knochen, z. B. einer Amputation medulläre Leukämie auf- trat. Analog könnte ja auch Contusion einer Lymphdrüse wirken, insbesondere wenn, wie viele anzunehmen geneigt sind, es sich bei der Pseudoleukämie und Leukämie um Infectionskrankheiten handelt. Ist es doch allbekannt, dass durch ein Trauma eines Gelenkes ein Locus minoris resis- tentiae für Tuberkulose gesetzt wird.

Gewiss kommen dem malignen Lymphom mehr oder weniger alle Eigenschaften bösartiger Geschwülste zu. Und doch passt vieles nicht zu einer Geschwulst im gewöhn- lichen Sinne des Wortes. Ohne die für die Infectiosität der Ps. angeführten Ansichten zu referiren, möchte ich nur darauf hinweisen, dass auch Bilder, wie die im subconjunc- tivalen Gewebe gesehenen in derselben eine geeignete Er- klärung fänden. Es unterscheidet sich der Vorgang (vgl. Figur III) histologisch durch nichts von einer chronischen, nicht zur Eiterung führenden Entzündung. Im Innern, der Wandung und nächsten Umgebung eines Gefässes Anhäu- fung einkerniger Rundzellen, ohne dass sonst eine Vermeh- rung derselben im Blute nachweisbar ist, das imponirt nicht als Geschwulstmetastase, sondern eher als die Folge einer

') Lehrbach 1886.

') nach Knies, Pseadoleukämie im Eolenburg.

*) New- York Med. Rec. 2, 1868, March.

Zur Lymphombildttog in der Orbita. 121

^Gefassalteration'^ Dass es sich nicht etwa um eine reac- üve Entzündong in der Umgebung des Tumors, durch des- sen Wachsthum hervorgerufen, handelt, geht aus dem regel- losen Sitz der beschriebenen Stellen und dem ganz norma- len Verhalten des sonstigen benachbarten Gewebes hervor. Vielmehr dürften sie als Anfangsstadium neuer Tumoren erscheinen und sind geeignet, die vielfach behauptete Aus- wanderung pseudoleukämischer Geschwulstzellen zu illus- triren, wie sie z. B. auch von Birch-Hirschfeld^) für sogen. Lymphommetastasen beschrieben wird. Ein zwin- gender Beweis für die schon oft vermuthete Infectiosität der Ps. ist bisher allerdings nicht erbracht.

Auch in unserm Fall haben sich Mikroorganismen we- der durch die Färbemethoden noch durch den Agar-Cultur- versuch nachweisen lassen, welch letzterer mit einem steril entnommenen Geschwulsttheil vorgenommen wurde und aerob wie anaerob völlig negativ ausfiel Es liegt auch keine Berechtigung vor, den Befund im frischen Blut so 2u deuten. Freilich erinnern die Partikelchen sehr an die von Klebs') bei Scorbut und fieberhaften Anaemien be- schriebenen Flagellaten, auf welche auch Osterwald^) bereits verweist. Aehnliches ist von Frankenhäuser^) bei essentieller Anaemie, von Marchand ^) während eines Intermittensanfalles beobachtet. Doch macht letzterer Au- tor bereits auf die Aehnlichkeit mit Zerfallsprodukten auf- merksam. Obwohl die von uns gesehenen Gebilde nicht, wie die Klebs' sehen, bei 45^ ihre Bewegung einstellten, stimmen sie dem Ausseben, der Art und der Schnelligkeit ihrer Bewegung mit jenen genau überein und der Umstand, dass mit Hülfe unserer jetzigen Untersuchungsmethoden

') Artikel Lymphom Im Eulenburg.

*) Artikel ,,Flagellaten'' im Eulenburg.

•) 1. c.

^) Centralblatt der medic. Wissensch. Wien 1884.

*) Virchow's Archiv Bd. 88, S. 104.

122 Th. Axenfeld.

sich nichts von ihnen nachweisen liess, könnte nicht yöllig. beweisen, da die biologischen Bedingungen der Flagellaten auch dem Botaniker und Zoologen noch vielfach unbekannt sind; selbst ihre systematische Stellung ist noch nicht sicher bestimmt. Trotzdem ist die Auffassung der fraglichen Ge- bilde als Infectionserreger unstatthaft. Es gelingt, in je- dem normalen frischen Blutpräparat durch Erhitzen auf circa 60^ Zerfallsprodukte zu scha£fen, die sich von den beschriebenen durch nichts dem Ansehen nach unter- scheiden, und deren lebhafte Bewegung man ohne Wei- teres nie für rein passiv, durch Molekularströmung, Wärme u. s. w. bedingt halten würde. Bedenkt man femer, dass bei ganz verschiedenen Krankheiten diese Gebilde beobach- tet wurden (ich selbst habe sie bald darauf bei einer lienalen Leukämie gesehen), ohne dass wir bis jetzt Unter- schiede bestimmter Art feststellen können, so erscheint ihre specifische Natur vorläufig unerwiesen. Aber auch ange- nommen, es handle sich um Zerfallsprodukte, so würde ihr Nachweis intra vitam und bei gewöhnlicher Temperatur immerhin von Interesse sein. Es sei noch erwähnt, dass die beobachteten Gebilde mit den eigentlichen Plasmodien, der Malaria keine Aehnlichkeit haben.

Die eigenartige sclerotische Veränderung der Mund-, Rachen-, Nasenhöhlenschleimhaut ist wohl auch als eine difiuse Lymphombildung, freilich submucoeser Art aufzu- fassen. Diese diffuse Lymphombildung wird von Olli vier und Ran vier ^) für Niere und Leber genauer beschrieben, von Guaita') für die Mucosa de» Conjunctiva. Hier hat sie mit einer flächenhaft sulzigen Trachomeinlagerung ent- schiedene Aehnlichkeit. Immerhin bleibt das difiFuse Lym- phom der Schleimhäute sehr selten, und ist nicht zu ver- wechseln mit der Beobachtung, dass in solchen, z. B. den

>) Observations poor servir ä rhistoire de la leucocythaemie. Soc. de biol. 1886. «) 1. c.

Zur Lymphombildnog in der Orbita. 123

Hamwegen^) der Magenschleimhaut etc. zahlreiche miliare Knötchen sich bilden, die confioiren können.

Die von Mosler') als Pharyngitis leucaemica beschrie- bene Mundafifection hat mit dem diffusen Lymphom gar keine Aehnlichkeit, sondern gleicht mehr dem Scorbut

Von Frankreich aus sollen, wie Knies mittheilt, einige Fälle You Ps. mitgetheilt sein, in denen die Exstirpation der zuerst erkrankten Drüsen dauernde Heilung brachte. Etwas Näheres habe ich über diese Fälle nicht erfahren können, und ich weiss daher nicht, ob sie etwas Anderes darstellen, als die schon öfters gemachte Beobachtung, dass nach Exstirpation sogen, solitärer maligner Lymphome kein Recidiv eintrat. Es handelte sich hier wahrscheinlich um wirkliches Sarcom der Lymphdrüse. Darüber aber schei- nen die meisten Autoren einig zu sein, dass bei ausgespro- chener constitutioneller Anomalie, d. h. multiplem Auftreten der Tumoren speciell an ganz verschiedenen Stellen eine Operation nur symptomatischen Nutzen schaffen kann. So war es auch in unserem Falle, wenn wir die orbitalen Ge- schwülste als die ersten ansehen. Jedenfalls wird der Au- genarzt nur ganz selten in diese Lage kommen, da im All- gemeinen Orbitallymphome sich erst bilden werden, nach* dem die weit mehr disponirten anderen Körpertheile er- griffen sind, wie dies auch mit Ausnahme des Becker- Arnold' sehen Falles von doppelseitigem Lymphadenom in allen anderen einschlägigen Beobachtungen geschehen ist Das ist vielleicht auch ein Grund, den letzteren, bei dem nach der Exstirpation dauernde Heilung blieb (zehn Jahre lang beobachtet), trotz des symmetrischen Auftretens für einen allerdings sehr ungewöhnlichen Fall von primärer symmetrischer Geschwulstbildung^ ohne Allgemeinerkran- kung zu halten, nicht, wie die Autoren es thun, fUr eine constitutionelle Anomalie. Ist doch das doppelseitige und

') Roth, yirchow*8 Archiv 54, Heft 1 und 2. •; 1. c.

124 Th. Axenfeld, Zur Lymphombiidiing in der Orbita.

multiple Auftreten von Orbitalgeschwülsten anderer Art sicher nachgewiesen, die nicht auf Allgemeinerkrankung be- ruhen^), obwohl Gay et derartige Fälle nicht hat finden können. Ist demnach bei alleinigem Sitz multipler Tumo- ren in der Orbita die Operation noch gerechtfertigt» so ist sie abgesehen von symptomatischer Indication bei einer Be- theiligimg anderer Körperregionen contraindicirty zumal bei Leukämie, wo bekanntlich gefahrliche Blutungen erfolgen können. Jedenfalls wird ein symmetrischer Orbitaltumor, wie schon öfters hervorgehoben worden ist, die Untersu- chung des übrigen Körpers und besonders des Blutes drin- gend indiciren, damit der Patient nicht nutzlosen opera- tiven Eingri£fen ausgesetzt wird, sondern möglichst bald in den geeigneten Fällen Arsen erhält, wiewohl auch von diesem eine dauernde Heilung nicht zu erwarten ist.

*) Alexander, Doppelseitiges plexiformes Sarcom der Thr&nen- drQse. Elin. Monatsbl. für Augenheilk. 1874, S. 164.

Schmidt-Rimpler, Lehrbach 1890. Doppelseitiges Sarcom.

Maklakoff, Doppelseitiges Aneurysma. Annalen der chirorg. Gesellsch. in Moskau 1875.

Beitrag zur Differentialdiagnose der tnbercnlösen nnd gliomatösen Erkrankungen des Anges.

Von

Dr. J. Jung in Heidelberg.

Hierzu Taf. IV, Fig. 1—8.

Mit dem klinischen Verlaufe und der Diagnose des Gliomes der Retina hat sich die Ophthahnologie schon seit langer Zeit in eingehendster Weise beschäftigt. Trotzdem giebt es auch heute noch Fälle, welche wegen der Vieldeu- tigkeit ihrer Symptome der Diagnose die grössten Schwierig- keiten entgegensetzen oder dieselbe sogar bis zur anatomischen Untersuchung unmöglich machen. Zu den Erkrankungen, welche wie das Gliom das Bild des amaurotischen Katzen- auges machen und mit ihm verwechselt werden können, gehören die eitrige Glaskörperinfiltration und die eitrige Iridochorioiditis, sei sie metastatischen Ursprunges oder die Folge einer Cerebrospinalmeningitis oder eines übersehenen Traumas, und die einfache Cyclitis mit nachfolgender Schrum- pfung des Glaskörpers und fibröser Entartung der abge- lösten Netzhaut. Besonders erwähnenswerth ist aber wegen der Yerhältnissmässigen Häufigkeit ihres Vorkommens die chronische Tuberculose der Ghorioidea. Ich möchte mir nun erlauben, im Folgenden je einen hierher gehörigen Fall Yon chronischer Tuberculose der Ghorioidea und von Gliom der Retina näher mitzutheilen. Beide Fälle sind

126 J. Jung.

Beispiele dafür, wie durch gewisse CompUcationen die kli- nische Diagnose geradezu unmöglich gemacht werden kann, und bilden gleichsam ein Gegenstück zu einander. Bei dem Falle von Tuberculose veranlasste eine bei der Enucleation gefundene Verdickung des Opticus, im Gegensatz zu der ursprünglichen, richtigen Auffassung, ein Gliom zu vermu- then; in dem Falle von Gliom wurde dagegen wegen eines hypopjonähnlichen Absatzes in der vorderen Kammer eher an eine tuberculose Affection gedacht.

Diese Fälle sind früher in Göttingen von Herrn Prof. Leber beobachtet und kürzlich von mir anatomisch unter- sucht worden. Meinem hochverehrten Lehrer erlaube ich mir an dieser Stelle für die Ueberweisung derselben zur Bearbeitung und für die reiche Unterstützung, welche er mir dabei zu Theil werden liess, ebenso auch Herrn Privat- docenten Dr. Wagenmann, welcher mir mit seiner Hülfe öfters zur Seite stand, meinen besten Dank auszusprechen.

L Fall.

ChromBohe Taberoulose der Aderhant mit Uebergang auf den Sehnerven.

Emma Schulze, 3 Jahre alt, aas Heckenbeck bei Ganders- heim.

Status praesens: 2. Decbr. 1885. Vor drei Monaten rechts Augenentzündung mit starker Injection, mehrere Wochen lang. Auge etwas weich, starke Ausdehnung der vorderen Ci- liarvenen, Pupille anregelmässig durch hintere Synechien, zarte partielle Papillarmembran, gelblicher Reflex aas dem Glaskör- perraam, ziemlich nahe hinter der Linse gelegen, flach, ohne Buckel und ohne sichtbare Netzhautgefässe. Iris atrophisch, von hinten her an verschiedenen Stellen zu durchleuchten.

16. Dec. 1885. Rechts trotz Atropin Papille enger; von dem Reflex aus der Tiefe wenig za sehen. Injection besteht fort Keine besondere Druckempfindlichkeit Auge etwas weich.

Diagnose: Ausgänge von Iridochorioiditis, vermuthlich tubercalöser Natar, vielleicht aach intraocalarer Tumor.

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 127

18. December 1885. Enucleatio balbi. Beim Darch- flchneiden des Sehnerven stösst man auf einen Widerstand, der von einer Verdickung desselben herrtthrt. Nach Herausnahme des Auges zeigt sich der Querschnitt des Sehnerven stark ver- dickt und grau, so dass sich der Verdacht auf intraocularen Tumor zu bestätigen scheint. Deshalb wird vom Opticus noch ein möglichst grosses Stttck resecirt, dessen centrales Ende aber noch immer verändert erscheint. Die Orbita wird jetzt zum grössten Theile ausgeräumt, ohne darin sonst etwas Krank- haftes zu finden. Zuletzt wird noch ein kleines Stückchen Op* ticns nahe dem Foramen opticum herausgeholt, das zwar nicht verdickt ist, aber auch keine normale Färbung zu besitzen scheint.

Irrigation mit Sublimat 1 : 5000 und Drainage, Conjuncti- valnaht.

5. Mai 1886. Die Wundheilung zieht sich ziemlich lange hin bei im Ganzen nur massiger Schwellung des Orbital- gewebes und bald ziemlich geringer Absonderung. Sie ist nach etwa 5 bis 6 Wochen beendet, ohne dass das gefOrch- tete Localrecidiv eingetreten ist Während des ganzen Ver- laufes der Wundheilung und auch nach Abschluss desselben besteht Fieber ohne alle sonstigen Erscheinungen, insbesondere auch ohne cerebrale Symptome. Auch sonst sind lange Zeit keine objectiven Veränderungen nachzuweisen, auch kein Husten. Das Fieber hat stark remittirenden Typus; während des gross« ten Theiles des Tages befindet sich das Kind wohl, spielt und nimmt gentigend Nahrung zu sich. Vorübergehend tritt für kurze Zeit vollständiger Nachlass, auch einige Male ein bedeu- tendes Absinken des Fiebers ein, was aber immer wiederkehrt, in der letzten Zeit mit sehr hohen Abendtemperaturen. Erst vor Kurzem ergab die physikalischo Untersuchung vorbreiteten Katarrh über beiden Lungen, vom rechts oben höheren und etwas tympanitischen Schall, vermuthlich Caverne. Auch jetzt nicht mehr als ab und zu ein leichtes Hüsteln. Orbitalwunde längst geheilt, Lider tief eingesunken, auch jetzt noch, über 4Vs Monate nach der Operation, keine Spur von Recidiv.

Die Beobachtung konnte jetzt leider nicht weiter fortge- setzt werden, da das Kind auf Wunsch der Eltern nach Hause entlassen werden musste. Eine spätere Erkundigung wegen des weiteren Geschickes der kleinen Patientin ergab, dass dieselbe am 4. Juli 1886 gestorben ist; sie habe „auch die letzten Tage sehr starke, an vier Stunden anhaltende Fieberanfälle gehabtes

128 J. Jung-

Makroskopischer Böfund (Fig. 1). Nach der Härtung wird der Balbus durch einen Horizontalschnitt in eine grössere untere und kleinere obere Hälfte so getheilt, dass der Schnitt noch den Nervus opticus trifft.

Die Grössenverhältnisse des kindlichen Bulbus sind nor- mal: sagittaler Durchschnitt 19 mm, transversaler 20 mm.

Makroskopisch lassen sich an der Cornea, der Linse und dem temporalen Theil der Sclera keine Veränderungen erken- nen. Nasal ist die Sclera verdickt.

Die Iris, auf deren Yorderfläche eine dünne Exsudatschicht liegt, und das Corpus ciliare am Uebergang zur Chorioidea sind verdickt. Die vordere Kammer ist von normaler Tiefe und exsudatfrei, dagegJBn füllt die hintere Kammer ein grau- liches Exsudat aus.

Die Chorioidea der nasalen Seite ist überall stark, zum Theil geschwulstartig, verdickt. Ihre vordere Hälfte besitzt eine Dicke von ca. 1 mm, hat eine graue Farbe, in welche einzelne kleine, weisse Knötchen eingelagert sind, und ist von der Sclera leicht abgehoben. Der so entstandene Zwischen- raum wird von der aufgelockerten Suprachorioidea eingenom- men. An der Aussenfläche ist dieser mehr gleichmässig ver- dickte Abschnitt durch die eingelagerten Knötchen wellig. Die hintere Hälfte der Chorioidea ist ganz in einen der Sclera flach aufisitzenden, rundlichen Geschwulstknoten aufgegangen, welcher sich bis über die Axe des Bulbus hinüber nach dem Glaskörperraum zu entwickelt hat In Folge dessen ist es zu einer totalen Netzhautablösung gekommen; die Netzhaut liegt, in zahlreiche Windungen gefaltet und stark verdickt (0,5 mm) in dem vorderen Abschnitt des Glaskörperraumes und ist mit dem Tumor, soweit sie ihm aufliegt, verwachsen. Der Tumor ist ganz über den Sehnerveneintritt hinübergewachsen, nimmt die Papille ein und ist gegen den die Sclera durchsetzenden Theil des Opticus nicht deutlich abgegrenzt. Hierdurch ist auch die Abgangsstelle der Retina ganz in die Geschwulstmasse aufgegangen und der hintere Abschnitt dieser Membran an der Oberfläche des Tumors überhaupt nicht sicher zu erkennen. Erst in der Gegend des Aequators des Auges kommen am vor- deren Theil des Tumors die beiden Blätter der abgelösten Re- tina zum Vorschein. Sie verlaufen zunächst mehrfach gefaltet, dicht an einander liegend, nach vorn gegen die Hinterfläche der Linse, worauf das eine Blatt, wie erwähnt, die vordere Fläche des Geschwulstknotens überzieht und sich zur Ora ser-

Beitrag zur Bifferentialdiagnose etc. 129

rata hinbegiebt. Das Verhalten des von der temporalen Seite abgelösten Blattes ist nicht ganz sicher zu beurtheileu, doch macht es den Eindruck, als ob es nach einer Reihe von Win- dungen sich verlöre und nicht zu seinem richtigen Ansatz an der Ora serrata hingelangte. Der nach der Axe des Bulbns gerichtete, hintere Theil 'des Geschwulstknotens ist von einer ganz dünnen gelblichen Schicht bedeckt, die vom in eine käsig aussehende Partie des Tumors tibergeht und nicht aus der l^etzhaut hervorgegangen zu sein scheint.

Der Tumor hat einen sagittalen Durchmesser von 8 mm, einen grössten transversalen von 10 mm. Seine Schnittfläche ist völlig glatt und zeigt im gehärteten Zustand eine grünliche Farbe, in welche sich grössere und kleinere gelblich gefärbte Partieen eingesetzt finden.

An der temporalen Seite ist die Chorioidea ebenfalls stark, aber gleichmässig verdickt und in ihrer ganzen Circnmferenz von der Sclera abgehoben. Wie auf der anderen Seite, sieht man in dem so entstandenen Zwischenraum die Fasern der aufgelockerten Membrana suprachorioidea. In die grau gefärbte Chorioidea sind einzelne weisse Knötchen und hellere Partieen eingesetzt.

Der Pigmentsaum der Chorioidea ist an der nasalen Seite nur im Bereich. der vorderen Hälfte, an der temporalen Seite überall vorhanden. Jedoch ist er beiderseits verbreitert und aufgelockert und in der Gegend der Ora serrata unterbrochen. An der Stelle der Unterbrechung hängt die verdickte Chorioidea mit einer zwischen der Linse und der abgelösten Retina be- findlichen Masse zusammen, welche dasselbe Aussehen wie der Tumor hat.

Im subretinalen Räume liegt eine grauweisse Exsudatmasse, welche durch die Härtung geronnen ist und von einzelnen hel- leren Membranen durchzogen wird.

Der die Sclera durchsetzende Theil des Opticus ist ver- dickt und, wie erwähnt, nicht von dem Tumor abzugrenzen.

Mikroskopischer Befund des Bulbus.

Einbettung in Celloidin, Färbung der mit dem Mikrotom hergestellten Schnitte in Hämatoxylin-Eosin.

Die Cornea, deren Structur sonst normal ist, zeigt stellen- weise einen grösseren Eemreichthum. An einer Stelle findet sich eine umschriebene zellige Infiltration in den tiefsten Hom- hautschichten. Die Kerne sind theils länglich oder bisquitför-

T. Gnefe's AitMr für Ophthalmologie. XXXYII. 4. 9

130 J- Jnng.

mig, theiis rundlich; die letzteren sind zugleich dunkler gefärbt als die ersteren; die Form der Zellen ist nicht deutlich er- kennbar. An dieser Stelle ist die Zahl der Kerne des Endo- thels der Descemetischen Membran etwas grösser als normal.

An der Corneoscleralgrenze der nasalen Seite des Bul- bus, also der dem Tumor entsprechenden Seite, fand sich in verschiedenen Präparaten dicht unter dem Comealepithel ein kleines circumscriptes Knötchen (Figg. 2 und 3), welches die untersten Epithellagen zum Schwund gebracht hat Dasselbe besteht hauptsächlich aus kleinen Zellen mit rundlichen Kernen, welche anscheinend Leukocyten angehören, und enthält im Cen- trum eine Riesenzelle, um welche sich epithelioide Zellen grup- piren. Also ist dieses Knötchen als ein kleiner miliarer Tu- berkel anzusehen.

Die ziemlich stark zellig infiltrirte Iris ist durch eine Schicht von zellenreichem, Gefässe uiid Pigment führendem Bindegewebe, das die ganze hintere Kammer einnimmt, mit der vorderen Linsenkapsel verklebt; dasselbe Gewebe bedeckt auch in dtlnner Schicht die ganze vordere Linsenkapsel im Bereich der Pupille. An der Pars ciliaris der Iris auf der tem- poralen Bulbusseite findet sich ein kleines, nach der vor- deren Kammer vorspringendes, circumscriptes Knötchen. Wäh- rend sich dasselbe an der Peripherie aus Rundzellen zusam- mensetzt, besteht es im Gentrum aus epithelioiden Zellen und ist offenbar ein in der Entwickelung begriffener, miliarer Tu- berkel. Ein zweites, gleichartiges Knötchen findet sich mehr nach der Mitte und nach der hinteren Fläche der Iris zu ge- lagert. Dasselbe ist zum Theil schon in käsiger Degeneration begriffen, denn stellenweise ist die Kemfärbung mangelhaft

Der Pigmentbelag der Iris ist stark gewuchert und auf- gelockert. Die Pigmentzellen durchsetzen in reichlicher Menge und in unregelmässigen Formen das die Hinterfläche der Iris deckende Bindegewebe, zum Theil auch das angrenzende Ge- webe der Iris selbst. Von einem Theil des Pigmentes lässt sich nicht nachweisen, ob es an Zellen gebunden ist. Auf der Yorderfläche der Iris und der Pupillarmembran liegt ein aus feinen Fibrinfäden gebildetes Exsudat, in dessen Maschenwerk vereinzelte Leukocyten, daneben Endothelien und rothe Blut- körperchen liegen.

Die Peripherie der Iris ist auf der temporalen Seite des Bulbus retrahirt, die vordere Kammer übrigens von normaler Tiefe; die hintere Kammer ist von einem sehr zellenreichen,

Beitrag zur Bifferentialdiagnos'e etc. 131

schwartigen, pigmenthaltigen Gewehe, das schon ohen erwähnt ist, ausgefüllt. Um den Linsenäquator und zwischen einzelnen Ciliarfortsätzen findet sich ein weniger zellenreiches, aus Fi- hrinl&den gebildetes Exsudat.

Die Linse ist an ihrem vorderen Pol unverändert. Am hinteren Pol ist die Linsenkapsel stark gefaltet und sind die Linsenfasern auseinandergezerrt. Die entstandenen Zwischen- räume sind von £i weiss und Myelinkugeln erfüllt, daneben finden sich zahlreiche Kerne gewucherter Linsenfasern, das Linsenepithel setzt sich in unregelmässiger Weise weit auf die Hinterfläche der Linse fort.

Das Corpus ciliare, dessen intermuskuläre Bindegewebs- Züge verbreitert sind, ist stark zellig infiltrirt und am Ueber- gang zur Chorioidea verdickt, besonders auf der Seite des Tu- mors. Auch die Processus ciliares zeigen eine reiche Durch- setzung mit Rundzellen. Das Gylinderepithel der Pars ciliaris retinae ist zum Theil in seiner einschichtigen Lage erhalten, zum Theil unregelmässig gewuchert, so dass man von einer Lage nicht mehr reden kann.

Im Corpus ciliare der temporalen Seite findet sich dicht hinter dem Ursprung der Processus ciliares und unter dem Pigmentbelag ein circumscriptes, stark nach dem Glaskörper- raum prominirendes Knötchen. Dasselbe setzt sich aus Kund- zellen und epithelioiden Elementen zusammen und führt in seinem Centrum einige Riesenzellen. Der Pigmentbelag ist an dieser Stelle stark aufgelockert, hier und da unterbrochen, auch ist hier das einschichtige Gylinderepithel bis zum voll« ständigen Verschwinden seiner Structur in unregelmässiger Weise gewuchert. Ein zweites, zwei Riesenzellen enthaltendes Knötchen findet sich etwas weiter nach hinten. Dasselbe hat den Pigmentbelag und das einschichtige Gylinderepithel völlig durchbrochen und zerstört Zu diesem Knötchen lässt sich ein von der Chorioidea herkommendes Geföss verfolgen.

Auf derselben Seite ist ein Theil des Processus ciliaris ganz in der* tuberkulösen Wucherung aufgegangen. Stellen- weise ist er verkäst und führt Riesenzellen. Das einschichtige Gylinderepithel und der Pigmentbelag sind hier zum Theil er- halten, zum Theil geschwunden. An solchen Stellen ist der Pigmentbelag noch durch eine stärkere Pigmentanhäufnng an- gedeutet.

Am Corpus ciliare der temporalen Seite, an der Stelle, wo die tuberkulöse Wucherung den Pigmentbelag durchbrochen

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132 . J. Jung.

hat und in den Glaskörperraom hineinreicht, findet sich ein langgestrecktes, kenlenförmiges, concentrisch geschichtetes Ge- bilde in das Granulationsgewebe eingeschlossen. Dasselbe hat sich mit Eosin ziemlich intensiv geförbt und ist an der einen Seite eine kurze Strecke mit Pigment bekleidet Da dasselbe sich nur in einem Präparat fand, war seine Bedeutung und Genese nicht näher zu ermitteln.

Die Chorioidea der temporalen Seite ist stark und ziem- lich gleichmässig verdickt und von dicht gedrängten, confluiren- den Tuberkelknötchen durchsetzt. Nur in den äusseren Schich- ten finden sich noch grössere Gefässe, in den inneren Schich- ten ist nichts von Gelassen zu sehen. Die Glasmembran ist fast vollständig erhalten, und nur in der Gegend der Ora ser- rata unterbrochen. Hier hängt die tuberkulöse Wucherung der Chorioidea mit einer im Glaskörperraum befindlichen tuberku- lösen Masse zusammen, und sind hier die Enden der durch- brochenen Glasmembran nach dem Glaskörperraum zu leicht umgeschlagen. In den äusseren Schichten ist die veränderte Chorioidea sehr zellenreich, in den inneren sehr zellenann. Wo die Zellen am dichtesten liegen, sind es durchgehends Bundzellen, wo die Zellenanhäufung etwas weniger dicht ist, finden sich neben den Rundzellen auch mehr spindelförmige und epithelioide Zellen. Die innerste, an die Glaslamelle gren- zende Schicht der Chorioidea zeigt eine eigenthOmliche, gegen die Oberfläche der Membran senkrecht gerichtete Streifung; ihre Dicke ist etwas ungleich, indem sie in die Zwischenräume der sonst dicht aneinander liegenden Tuberkelknötchen von innen her etwas eindringt. Auch die spärlichen, in dieser Schicht eingelagerten Zellen zeigen eine entsprechende Verlän- gerung in radiärer Richtung. Die Tuberkelknötchen enthalten in der ganzen Chorioidea vielfach verkäste Stellen und zahl- reiche Riesenzellen. Die Riesenzellen, welche stets sehr viele, meist wandständige Kerne enthalten, fuhren öfters Pigment, offenbar Stromapigment Die Zusammensetzung des verdickten Gewebes der Chorioidea aus aneinander gereihten, von ange- häuften Rnndzellen umgebenen Knötchen, tritt besonders bei schwacher YergröBserung deutlich hervor.

Die Chorioidea der nasalen Seite bietet dieselben Ver- hältnisse, wie die der temporalen, nur finden sich in den äus- seren Schichten viel weniger Gefässe und scheinen die ver- kästen Stellen etwas zahlreicher zu sein. Die Glaslamelle ist ebenso, wie auf der anderen Seite, an der Ora serrata unter-

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 133

brechen und es gebt hier die tuberkulös yerftnderte Chorioidea in die Wachemng im Glaskörperranm über. Dann ist die Glas- membran nur eine Strecke weit nach hinten vorhanden and leicht gefältelt. In den hintersten Abschnitten fehlt sie voll- ständig. Hier geht die Chorioidea in dem schon oben beschrie- benen, nach dem Glaskörperraum sich vorwölbenden, grossen Tuberkelknoten auf. Derselbe besteht aus einem sehr zellen- reichen Gewebe mit vielen verkästen Stellen. Die verkästen Stellen enthalten meistens Riesenzellen, welche überhaupt sehr zahlreich sind, und befinden sich in verschiedenen Stadien der Yerkäsnng; bald findet man noch Reste degenerirter Kerne als kleine blaue Körnchen, bald fehlen dieselben, öfters liegen viele Zellen, welche sich nur schlecht gefärbt haben und offenbar im Zustand beginnender Nekrose sind, in einer grösseren Gruppe zusammen. Die Zellen des grossen Tuberkelknotens sind Rund- zellen, epithelioide und spindelförmige Zellen und Riesenzellen. Wo die Zellenanhäufang sehr dicht ist, finden sich fast nur Rundzellen, wo sie lockerer ist, fast nur spindelförmige Zellen. Letztere lassen öfters eine Anordnung in Zügen erkennen.

Wie oben bemerkt, hat sich der Tumor auf den Nervus opticus fortgesetzt und hat auch den Subvaginalraum mit tuber- kulösem Gewebe ausgefüllt; denn auch hier findet man Riesen- zellen und verkäste Stellen. Die Bindegewebszüge der Lamina •cribrosa sind verdickt und die Nervenfasern völlig zu Grunde gegangen.

Die Züge der Membrana suprachorioidea sind beiderseits stark aufgelockert, temporal mehr als nasal.

Die im vorderen Glaskörperraum liegende Masse, welche schon makroskopisch dem Tumor ähnlich erschien und an der Ora serrata beiderseits mit der veränderten Chorioidea zusam- menhängt, erweist sich bei der mikroskopischen Untersuchung auch als tuberkulös; denn es finden sich Riesenzellen, aber fast nirgends Yerkäsung. Um die Linse herum ist diese Masse zellenärmer, ist fibrillär und enthält einzelne Rund- und epi- thelioide Zellen.

Die abgelöste Retina, welche nicht mehr mit der Papille zu- sammenhängt, zeigt ein höchst eigenthflmliches und ungewöhn- liches Verhalten. Sie ist völlig nekrotisch, lässt von ihrer Struktur fast nichts mehr erkennen und ist in eine mit Eosin röthlich gefiLrbte, blass feinkörnige Masse verwandelt Dass es wirklich die veränderte Retina ist, ergiebt sich jedoch schon aus dem makroskopischen Befunde, dem Auftreten einer viel-

134 J. Jnng.

fach gefalteten Membran von entsprechender Dicke and den topographischen Verhältnissen einer abgelösten Netzhaut; auch erkennt man bei genauerem Zusehen an manchen Stellen noch Andeutung der histologischen Elemente und der Schichtung der Retina, aber ohne Hämatoxylinförbung. Hier und da finden sich zwar Stellen der Betina von zerstreut liegenden, mit Hä- matoxylin gefärbten Kernen durchsetzt, diese sind aber ganz deutlich als von aussen her eingedrungenen zelligen Elementen angehörig zu erkennen. An verschiedenen Stellen finden sich eigenthOmliche, rundliche Gebilde mit dunklerem Centrum und hellerer Peripherie von concentrischer Schichtung. Diese Ge- bilde sind degenerirte Gefässe. Das dunklere Centrum ist ver- änderter Gefässinhalt und das hellere die Gefässwandung; denn bei weniger weit fortgeschrittener Degeneration konnte man im Centrum noch Blutkörperchen erkennen.

Das Pigmentopithel ist allenthalben als solches zu Grunde gegangen. An seiner Stelle findet sich eine Schicht feiner, anscheinend bindegewebiger Fibrillen von vorwiegend der Ober- fläche der Chorioidea parallelem Verlauf die weiter nach dem subretinalen Baume in ein lockeres Netzwerk gleicher Fasern übergeht. In diese Schicht sind feine Pigmentmolekttle und rundliche oder unregelmässig gestaltete pigmenthaltige Zellen eingelagert Gleiche Pigmentzellen oder Klümpchen erstrecken sich auch in die angrenzende verdickte Chorioidea mehr oder minder weit hinein.

Der subretinale Raum ist theilweise von dem schon er- wähnten Netz feiner Fibrillen eingenommen, welche stellen- weise nach Art der Bindegewebsfibrillen zu Zügen oder Bün- deln parallel verlaufender Fasern angeordnet sind. In den Maschen sind Leukocyten in massiger Anzahl eingelagert, be- sonders an der inneren Grenze des Netzwerkes.

Die Sclera ist zellenreicher als normal, aber noch an kei» ner Stelle ist die tuberkulöse Wucherung in ihr Gewebe ein- gedrungen.

Tuberkelbacillen wurden, zwar nur vereinzelt, in der Cho- rioidea der temporalen Seite, der nasalen Seite und im Tumor nachgewiesen; sie lagen in Biesen- und in Bundzellen. Bemer- kenswerth ist, dass an einer Stelle der nekrotischen Betina sehr viele Bacillen gefunden wurden und dass man darin unter anderem eine Gruppe von nicht weniger als zehn Bacillen antraf.

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 135

Makroskopischer Befund dos Opticus. Das unmit- telbar vom Bulbus stammende, 3 mm lange Stttck des Opticus hat sammt Scheide einen Querdurchmesser von 5 mm; davon entfallen auf den eigentlichen Opticusquerschnitt, dessen Dicke ziemlich normal ist, SVs mm, so dass die bei der Enuclea- tion bemerkte Verdickung des Opticus hauptsächlich auf Rech- nung der Scheide zu setzen ist. Diese hat an einer Seite ^/g mm, an der entgegengesetzten 1 mm Dicke. Entsprechend dieser Seite findet man an der Peripherie des festgefügten und grauen Opticusquerschnittes ein kleines, mehr gelbliches Knöt- chen, welches sich in die Scheide vorbuchtet An Querschnit- ten, welche etwas centraler gelegen sind, zeigen sich mehjere solcher, wenn auch weniger hervortretender Knötchen mitten in der Opticussubstanz. Das nachträglich resecirte Stück des Opticus bietet, abgesehen von Knötchen gleicher Art, dieselben makroskopischen Verhältnisse.

Mikroskopischer Befund. An den mit Hämatoxylin- Eosin gefärbten Schnitten des dem Bulbus benachbarten Stückes fällt auf den ersten Blick der bedeutende Reichthum an Ker- nen, welche bei schwacher Vergrösserung in eine mit Eosin gefärbte, homogene Grundsubstanz eingesetzt scheinen, in die Augen. Die Zahl der Kerne nimmt an mehr centralwärts ge- legenen Schnitten etwas, ab. Bei stärkerer Vergrösserung wird zwischen den Bindegewebszügen, in den Feldern, welche den Querschnitten der Nervenbündel entsprechen, ein feines, meist sehr dichtes Netzwerk sichtbar; nur um die Centralgefässe und die unten näher zu beschreibenden Knötchen ist dasselbe lockerer und in seiner Structur deutlicher zu erkennen. Das Netzwerk wird durch die Protoplasmafortsätze von Zellen gebildet, wel- chen die oben erwähnten Kerne angehören; doch lässt sich nicht entscheiden, ob die Fortsätze direct unter einander zu- sammenhängen oder sich nur aneinander legen. In den Maschen dieses Netzwerkes liegen öfters feine Kömchen, welche nach dem Gehirn zu an Zahl zunehmen. An Präparaten, die nach Weigert's Methode gefärbt sind, erscheinen sie farblos und sind als die letzten Reste der degenerirten Nervenfasern anzu- sehen.

Die bindegewebigen Balken des Opticus sind an Stellen, die ans grösserer Nähe vom Bulbus herrühren, nur schwer zu erkennen, dagegen treten sie an mehr centralwärts gelegenen Schnitten deutlich hervor. Dies ist dadurch bedingt, dass an den peripheren Schnitten die Balken viel weniger und sehr

136 J. Jung.

enge Gefässe führen und daher dichter erscheinen, nnd dass das Gefttge des Netzwerks ein sehr inniges ist In Folge dessen ist die Differenz in der Stmctur und Färbung zwischen Binde- gewebsbalken und degenerirter Nervensnbstanz nur gering.

In das Gewebe des atrophischen Opticus sind an verschie- denen Stellen kleine Knötchen eingesetzt Von diesen treten an mehr peripheren Schnitten besonders drei Knötchen hervor (Fig. 4to), welche dicht unter der Piaischeide liegen und zu- gleich mit einem in dieser Scheide selbst sitzenden Knötchen (Figur 4 t p) die makroskopisch sichtbare Tuberkeleinlagerung darstellen. Zwei von den Knötchen führen Riesenzellen, eines ist durch seinen grossen Zellenreichthum ausgezeichnet. Auch an mehr centralen Schnitten sind solche Knötchen, öfters fünf auf einem Querschnitt, theils mit, theils ohne Riesenzellen, zu sehen; einige liegen unter der Scheide, andere mitten in der Substanz des Opticus. Ausgesprochene Yerkäsung zeigte keines dieser Knötchen.

In allen drei Scheiden des Opticus, welche sich durch einen grossen Kemreichthum auszeichnen, und zwar besonders der Arachnoidealscheide, findet man dieselben Knötchen (Fig. 4 ts). So hat sich ein grösseres, schon oben erwähntes Knötchen in der Piaischeide localisirt und deren Bindegewebszüge aus- einander gedrängt In seinem Gentnyn zeigt dieses Knötchen beginnende Yerkäsung; dann folgt nach aussen eine Zone von grossen Zellen mit langen, spindelförmigen Kernen, welche sich mit Hämatoxylin schwach gefärbt haben und radiär aufgestellt sind. Zwischen diesen Kernen liegen auch solche von mehr runder Form, auch findet sich hier eine Riesenzelle mit vielen Kernen. Weiter nach aussen liegen Zellen mit mehr runden und spindelförmigen Kernen durcheinander. An einer Seite der Peripherie herrschen Zellen vor, welche nach dem Aus- sehen und der Form ihrer Kerne Rundzellen gleichen.

Die Duralscheide lässt in diesem Bereich auch einige Knöt- chen mit Riesenzellen erkennen (Fig. 4 ts).

In die Arachnoidealscheide sind ebenfalls an verschiede- nen Stellen Knötchen eingesetzt und haben die Fasern dieser Scheide auseinander gedrängt Zum Theil enthalten diese Knöt- chen Riesenzellcn.

Die einzelnen Knötchen, sowohl diejenigen im Opticus, als auch die in den Scheiden, muss man für in verschiedenen Stadien der Entwickelung begriffene miliare Tuberkel halten. Dieses geht daraus hervor, dass sich in zahlreichen Knötchen

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. ^ 137

lüesenzellen, in einem Yerkäsang findet and dass sich die Knötchen in einem Opticus entwickelt haben, wo die Tuber- kulose der Chorioidea den die Sclera durchsetzenden Theil des Opticus vollständig ergriffen hat In den frühesten Stadien setzen sich die Knötchen aus Zellen zusammen, welche der Form ihrer Kerne nach am meisten Rundzellen gleichen. Da-, zwischen finden sich einzelne Zellen mit mehr ovalen oder spindelförmigen Kernen. In den älteren Knötchen haben die Zellen meist einen grossen ovalen oder runden Kern, welcher sich mit Hämatoxylin nicht so intensiv geförbt hat, wie in jün- geren Knötchen; öfters finden sich auch Riesenzellen mit zahl- reichen, theils wandständigen, theils die ganze Zelle ausfüllen- den Kernen und feinen Protoplasmafortsätzen, welche sich oft weit in das umgebende Gewebe verfolgen lassen. Die übrigen Zellen der Tuberkelknötchen haben auch feine Fortsätze, welche ein Netzwerk bilden. In den Maschen desselben liegen zuweilen Zellen mit grossem Kern und spärlichem Protoplasma; diese Kerne gleichen vollkommen denjenigen der Zellen mit Fort- sätzen. Von den Fortsätzen selbst Hess sich nicht sagen, ob sie direct zusammenhängen oder sich einfach aneinander legen. Dort, wo Yerkäsung eingetreten ist, kann man noch die Zell- contouren erkennen, aber nichts von Fortsätzen und einem Netzwerk. An der Peripherie der verkästen Zone haben sich manche Kerne mit Hämatoxylin entweder nur ganz schwach oder in ihren einzelnen Theilen verschieden stark gefärbt.

In dem nachträglich resecirten Stück des Opticus findet sich auch eine weit fortgeschrittene Atrophie, doch lassen sich an nach Weigert's Methode gefärbten Schnitten noch einzelne erhaltene Nervenfasern nachweisen. In der atrophischen Ner- vensubstanz ist auch das feine Netzwerk mit Kernen, wie oben beschrieben, sichtbar, aber nichts von Tuberkelknötchen nach- zuweisen.

Nach dem vorliegenden anatomischen Befunde kann es keinem Zweifel unterliegen, dass wir es mit einer chro- nischen Tuberkulose der Chorioidea zu thun haben, welche sich nach vom auf (Corpus ciliare und Iris, nach hinten auf den Sehnerv fortgesetzt hat. Bekanntlich tritt diese Erkrankung der Chorioidea unter zwei Formen auf: ent- weder ist die Chorioidea in eine circumscripte Tumorbil- dung aufgegangen oder sie ist in mehr oder minder grosser

138 J. Jung.

Ausdehnimg gleichmässig verdickt. Der vorliegende Fall ist eine Gombination dieser beiden Formen; denn im hin- teren nasalen Abschnitt des Bulbus findet sich an Stelle der Chorioidea ein grosser Geschwulstknoten, welcher einen Bau zeigt, wie er schon öfters für den conglobirten Tuber- kel der Chorioidea beschrieben worden ist. Im Uebrigen ist die Chorioidea gleichmässig verdickt. Hier stimmt der mikroskopische Befund in auffälliger Weise mit einem frü- her von Wagenmann beschriebenen Fall überein, wo sich nur eine gleichmässige Verdickung der Aderhaut fand^).

Bemerkenswerth ist in unserem Falle das Vorkommen von pigmenthaltigen Riesenzellen. Bei chronischer Tuberkulose der Aderhaut sind dieselben anscheinend noch nicht beobach- tet, dagegen fand sie D in kl er in einem Falle von acuter Mi- liartuberkulose der Chorioidea*) und thut derselben folgen- dermaassen Erwähnung: „In ihrer Form und Grösse, in der Anordnung ihrer Kerne, der meist central beginnenden Zell- nekrose unterscheiden sie sich zwar in nichts von Riesen- zellen in Tuberkeln anderer Organe; eines aber besitzen sie, was nach der mir zugänglichen Literatur zu urtheilen, nur in der Lunge bis jetzt nachgewiesen worden ist: näm- lich Pigmenf Eine ähnliche Beobachtung hat jedoch schon früher Weiss^) bei Iristuberkulose gemacht. Weiss schreibt: „In der Mitte mancher dieser Riesenzellen sieht man in auffallender Weise einen dunkelen Ring, resp. eine dunkele Scheibe, die aus zahlreichen, feinen, braunrothen Pigment- kömchen gebildet wird."

Das Verhalten der Glasmembran und der Sclera zu der Tumorbildung weicht in unserem Falle von den frühe- ren Beobachtungen ab. In der Regel erweist sich die Glas- membran gegen die tuberkulöse Wucherung viel widerstands- fähiger als die Sclera; letztere wird bisweilen schon voa

>) V. 6raefe*8 Archiv für Ophthalm. XXXIV, 4, S. 172 ff.

•) Ebenda XXXV, 4, S. 323.

*) Ebenda XXIII, 4, S. 149 Anmerk.

Beitrag znr Differentialdiagnose etc. 139

der Neubildung zu einer Zeit durchbrochen, wo diese noch keine bedeutende Grösse erreicht hat Diesen Umstand be- tonte zuerst Haab^): „Sie (die Glasmembran) besitzt offen- bar trotz ihrer Dünnheit eine bedeutende Widerstandskraft» grösser als die Sclera» eine bekannte Eigenschaft dieser sogen, elastischen Membranen/^ Ebenso hebt Manz')'die „grosse Widerstandskraft^^ der Glaslamelle hervor: dieselbe durchzog als „ein schmaler scharfgezeichneter Streifen den Tumor'S sie besass nur verschiedene kleine Lücken. Aehn« lieh spricht sich Schäfer^) aus. In unserem Falle besteht gerade das umgekehrte Verhalten. Die Glasmembran ist im Bereich des Tumors völlig zu Grunde gegangen und zeigt in der Gegend der Ora serrata beiderseits eine aus- gedehnte Perforationsöffnung, durch welche die tuberkulöse Wucherung in den Glaskörperraum eingedrungen ist, die Sclera hingegen ist ganz intakt.

Die Nekrose der Retina ist wohl durch eine specifische Einwirkung der Tuberkelbacillen, welche sich an einzelnen Stellen viel zahlreicher als in der Chorioidea fanden, zu Stande gekommen; denn das Bild, wie es hier die Retina gewährt, stimmt nicht mit dem Befund nach Durchschnei- dung der Gentralgefässe oder Embolie der Centralarterie überein, und so ist ausgeschlossen, dass die Lostrennung der Retina von der Papille die Ursache der Nekrose sei. Die Verdickung ist ohne Zweifel durch nachträgliche Im- bibition mit Flüssigkeit zu Stande gekommen.

Die vorliegende Chorioidealtuberkulose hat sich, wie schon erwähnt, nach zwei^Richtungen fortgepflanzt Dass sie sich nach vom auf Ciliarkörper und Iris fortgesetzt, ist schon häufiger beobachtet worden, und etwas ganz Natür- liches; denn die Tuberkulose des Auges hat, wie Wagen-

') V. Graefe*8 Archiv fQr Ophthalm. XXV, 4, S. 231.

*) Zehender, klin. MonatsbUtter für Aagenheilk. XIX, 8. 26.

') Ebenda XXII, S. 830.

140 J. Jung.

mann^) betont, das Bestreben sich in der Richtung des Saftstromes des Auges d. i. nach vorn fortzusetzen. Ein Uebergreifen einer Chorioidealtuberkulose auf den Opticus und ein Fortschreiten auf den extraoculären Theil desselben ist ungewöhnlich und, wie es scheint, bis jetzt noch nicht beobachtet. Zwar wird im Centralbl. für Augenheilkunde 1888, S. 346 ein von Seccati beobachteter „Fall von aus- gebreiteter Tuberkulose des hinteren Auges, speciell in Cho- rioidea und Nervus opticus" kurz referirt, aber da mir lei- der das Original (Giomale della. B. Accademia di Med. To- rino 1888, Yol. L) nicht zugänglich war, so liess sich nicht entscheiden, wie weit der Nervus opticus ergriffen war. Sonst hat man nur beobachtet, dass die Tuberkulose auf das intraoculare Ende des Opticus übergriff und nicht die Lamina cribrosa überschritt. In dem ersten Falle von chroni- scher Chorioidealtuberkulose beim Menschen, welchen Man- fred i') veröffentlichte, fand sieh eine stielartige Verlänge- rung des intrabulbären Endes des Sehnerven, in welcher sich eine reiche Infiltration von Rundzellen und miliare Knötchen mit Riesenzellen fanden. Ausdrücklich wird aber angegeben, dass der Nerv jenseits der Lamina cribrosa ge- sund gewesen sei. Brailey^) beschreibt einen Befund vom Auge eines Kindes, der wohl tuberkulöser Natur ist, wenn auch die mikroskopische Beschreibung zu wünschen übrig lässt und der Nachweis der Bacillen vermisst wird; für Tuberkulose spricht auch, dass die Mutter des Kindes an Lungenphthise gestorben war. Der erbsengrosse Tumor sitzt im Bereiche der Papille und angrenzenden Chorioidea, ent- hält Riesenzellen und Yerkäsung, dabei buchtet er die La- mina cribrosa nach rückwärts, aber „in den Nerv jenseits

>) V. Graefe's Archiv fQr Ophthalm. XXXII, 4, S. 229. *) Annali di Ottalmologia ano. lY, S. 291. *) TransactioDS of the Ophthalm. Societ. of the United Kingdom, Vol. in, S. 130.

Beitrag zur Differential diagnose etc. 141

dieser erstreckt er sich nicht hinein'^ Ferner fand Wa- genmann^) „einen grossen Tuberkel, der in der Chorioidea dicht neben dem Opticuseintritt, nach innen davon, seine Lage hatte und sich nach der Mittellinie zu in den Opti- cus hineinerstreckte; er grenzte dicht an die Centralgefässe des Opticus, die Fasern auseinander drängend." Kurz er- wähnen will ich, dass Weiss in dem oben citirten Fall von Iristuberkulose kleine Knötchen mit Riesenzellen und Verkäsung sowohl im Sehnervenkopf, wie auch in dem Sehnerven während seines Verlaufes durch den Sclerotical- kanal gesehen hat'). Ueberhaupt hat man eine tuberku- löse Erkrankung des extraocularen Abschnittes des Sehner- ven bis jetzt nur bei Tuberkulose in der Schädelhöhle ge- funden. Eingehend theilt Sattler^), welcher die bis da- hin gemachten Beobachtungen anfuhrt, einen Fall mit, wo sich nach Tuberkulose des Chiasma eine ausgedehnte, bis zur Papille reichende, tumorartige Verdickung des Sehner- ven tuberkulöser Natur entwickelt hatte. Michel*) war der erste, welcher bei Meningitis tuberculosa miliare Tu- berkeln in den Opticusscheiden fand. Deutschmann ^) er- zeugte bei Kaninchen experimentell tuberkulöse Meningitis; dabei kam es auch zu Tuberkulose der Opticusscheiden, welche am Foramen sclerae begann und „centrifugal und centripetal" weiterschritt In einem Falle erreichte im Ver- lauf von fünf Monaten die Tuberkulose das Foramen opti- cum. Hierdurch ist in Verbindung mit unserer Beobach- timg die, wenn auch sehr entfernte Möglichkeit näher ge- rückt, dass beim Menschen eine Tuberkulose vom Auge aus einmal bis in die Schädelhöhle gelangt; es ist aber dabei

») V-. Graefe'8 Archiv für Ophthalm. XXXIV, 4, S. 178. ■) 1. c. S. 151.

•) V. Graefe'8 Archiv XXIV, 3, S. 127 ff. *) Archiv für klin. Medicin XXII, S. 448, citirt nach Ziegler, Lehrb. der patholog. Anatomie.

''} V. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXVII, 1, S. 233 ff.

142 J- J'mg.

zu bedenken, dass beim Kaninchen viel kleinere Entfernun- gen zurückzulegen sind.

Was die Entwickelung der Chorioidealtuberkulose in unserem Falle angeht, so spricht yieles dafür, dass wir es mit einer secundäxen Erkrankung zu thun haben. Von einem bis zur Enudeation versteckt gebliebenen Herd ist vermuth- lich die ganze Chorioidea ziemlich gleichzeitig mit Tuber- kelbadllen überschwemmt worden; denn bald nachher mach- ten sich die ersten objectiven Symptome einer Lungen- phthise bemerkbar. Der miliare Tuberkel an der Comeo- sderalgrenze verdankt wohl auch seine Entstehung einer Infection von Seiten der Blutbahn. Dass die Bacillen von der erkrankten Chorioidea stammten, ist nicht wahrschein- lich; der Tuberkel hat sich nämlich nicht dort localisirt, wo die vorderen Ciliarvenen durch die Sclera treten, son- dern in der Gegend des Bandschlingennetzes. Zu Gunsten der endogenen Infection spricht ausser der Localisation der Umstand, dass ein Kind von dem Alter der Patientin nicht zu expectoriren pflegt und dass ausdrücklich in der Kran- kengeschichte angegeben wird, es sei kein Husten vorhan- den gewesen.

n. Fall.

Olioma retinae mit hypopyonShnlicher gliomatöBer Wucherung in der vorderen Augenkammer,

Emma Mähler, 4 Jahre alt, aus Oberscheden.

17. Mai 1885. Die Ej'ankengeschichte fehlt leider; in den klinischen Bttchem ist nar vermerkt: Rechts eitrige Iritis vermuthlich tuberkulöser Natur mit kleinen gelblichen Knöt- chen und mit ein Drittel der vorderen Kammer einnehmendem Hypopyon.

'3. Juni 1885. Rechts Jridectomie nach oben, mit Linear- messer, in Chloroformnarcose. Nach Anlegung des Schnittes entleert sich das Hypopyon sowie die gelblichen Knötchen mit dem Kammerwasser. Breites Colobom.

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. I43

12. Jani 1885. Iridectomie geheilt Grüngelber Schein «ns der Tiefe. Verdacht auf Glaskörperinfiltration. Iridectomie- narbe cystoid aufgetrieben, daher heute Enucleatio bulbi.

Beim Versuch den Bulbus hervorzuziehen platzt derselbe an der Iridectomienarbe und es entleert sich grünlich -gelbe Flüssigkeit. Der Opticus lässt sich schwer durchschneiden und erweist sich nach der Herausnahme des Bulbus stark verdickt, offenbar gliomatös entartet. Nachträglich wird mit Mühe noch ein grosses Stück Opticus bis zum Foramen opticum hin exci- dirt, das ebenfalls gliomatös entartet ist.

Die sofort vorgenommene Section des Bulbus ergiebt in der That eine von der völlig abgelösten Eetina ausgegangene Ge- «chwulstbildung, die auf den Opticus übergegriffen hatte.

23. Juni 1885. Heilung durch abendliche Temperaturstei- gerung in der ersten Zeit etwas gestört, zugleich Lidschwel- lung und Secretion; Entfernung der Nähte und Anlegung eines Drainrohres in die Orbita, worauf bald Nachlass der Erschei- nungen. Wunde ist geheilt, keine cerebralen Symptome. Kind entlassen, soll alle acht Tage vorgestellt werden.

7. August 1885. Kommt erst heute mit grossem Orbital- recidiv. Eine nochmalige Operation wurde nicht vorgenommen.

Herr Dr. Schulte in Hannov. Münden hatte die Freund- lichkeit, sich nach dem weiteren Schicksal des Kindes zu er- kundigen und theilte mit, dass dasselbe am 27. Novbr. 1885 gestorben sei. Näheres über den Tod des Kindes, ob es ärzt- lich in der letzten Zeit behandelt worden war etc., konnte er nicht in Erfahrung bringen. Bis Mutter des Kindes sei im Sommer 1885 an Schwindsucht gestorben; ebenso eine Schwester der Mutter; der Vater sei Potator, gegenwärtig geisteskrank.

Makroskopischer Befund des vorher frisch im hori- zontalen Meridian eröffneten, nachher in MüUer'scher Flüssig- keit gehärteten Bulbus.

An dem Durchschnitt des Bulbus, welcher durch die Här- tung leicht deformirt ist und im sagittalen Durchmesser 22^/2mm, im transversalen 19 mm misst, fäUt zunächst auf^ dass die Netz- haut von der Aderhaut abgelöst und in eine Tumormasse über- gegangen ist, welche den grössten Theil des von ihr einge- schlossenen Glaskörperraums ausfüllt. Nach hinten hängt die Tumormasse mit dem Opticus zusammen, von dessen intraocu- larem Ende sie sich nicht abgrenzen lässt. Man erkennt noch eben, dass der hintere Theil der Tumormasse aus den beiden

144 J- Jung.

Blättern der abgelösten Retina hervorgegangen ist, welche enorm verdickt nnd gewuchert bis zum völligen Verschwinden dea Glaskörperranms aneinander gelegt sind. Weiter nach vom nimmt die Dicke der Retina allmälig wieder ab; man sieht beide Blätter anseinanderweichen nnd in der Dicke von 2 bia

3 mm nach ihrem Ansatz an der Ora serrata hinziehen. Eine Fortsetzung der Tumormasse überzieht in dOnner Schicht noch die Innenfljlche des Ciliarkörpers nnd der Ciliarfortsätze und setzt sich auf der nasalen Seite auch noch auf die hintere Iris- flache fort. Die Oberfläche des Tumors ist leicht höckerig und brüchig, und nur in den vorderen, weniger verdickten Theilen der Retina in der oberen Bulbushälfte mehr glatt. Auf dem Durchschnitt ist die Wucherung in den vordersten Partieen gelblich, in den hintersten grau geförbt Ausserdem tritt in der Mitte des Durchschnittes eine bräunliche Fleckung hervor^ welche, wie die mikroskopische Untersuchung ergiebt, theib durch hämorrhagische Infiltration, theils durch starke Ausdeh- nung der Gefässe bedingt ist; einzelne pigmentirte Stellen finden sich weiter hinten an der Aussenfläche der Wucherung, offenbar von anhängendem Pigmentepithel herrührend.

Der subretinale Raum ist leer und durchschnittlich 2 bis

4 mm breit.

Die Chorioidea lässt keine Veränderungen erkennen. Zwar ist sie an der eingebetteten Bulbushälfte etwas von der Sclera abgelöst, dies ist aber offenbar als Eunstprodukt zu betrachten. Ebenso ist das Corpus ciliare mit Ausnahme der temporalen Ciliarfortsätze, welche etwas schwächer entwickelt sind, intact Nasal liegt zwischen. Corpus ciliare und Sclera eine geringe Menge geronnenen eiweisshaltigen Exsudates.

Der pupillare Theil der Iris, welche sich in toto nach der vorderen Kammer vorbuchtet, ist nach hinten gezogen, ihr ciliarer Rand zeigt auf der nasalen Seite eine kleine knotige Verdickung, durch welche der Kammerwinkel verengt wird. Ausserdem ist in den letzteren, besonders auf der temporalen Seite, gelblich weiss gefärbtes Exsudat eingelagert, welches sich eine Strecke weit auf die hintere Homhautfläche fortsetzt

Die Linse ist beim Anfischneiden aus ihrer Kapsel heraus- gefallen und nur zur Hälfte erhalten. Ueber ihr Verhalten im frischen Zustand ist leider nichts notirt.

Die Cornea ist an der Stelle der Iridectomienarbe von einem kleinen Knoten, anscheinend nach aussen gewucherter

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 145

Tamormasse durchsetzt. Sonst ist sie ebenso wie die Sclera normal.

Der in der Nähe des Bulbus stark verdickte Opticus misst hier auf dem Querschnitt 5^« mm, woTon 4^/, mm auf die Op- ticussubstanz nebst innerer Scheide entfallen. Man unterschei- det hier auf dem Querschnitt eine grau geförbte und eine gelb gefilrbte Hälfte, woYon die letztere bei Lupenvergrösserung tioch die Eintheilung in kleine Felder erkennen lässt, welche den Querschnitten der Nervenbündel entsprechen, während die andere Hälfte eine gleichmässige graue Farbe darbietet. Der weiter central gelegene Theil des Nerven ist nur wenig ver- dickt und zeigt auf dem Durchschnitt eine mehr gleichmässige gelbliche Färbung.

Mikroskopischer Befund.

Einbettung der unteren Bulbushälfte; Färbung der Schnitte mit Hämatoxylin- Eosin.

Der Tumor ist eine äusserst zellenreiche Geschwulst, welche nirgends etwas von Intercellularsubstanz erkennen lässt, und sich theils mit Hämatoxylin, theils nur mit Eosin geförbt hat. Die mit Hämatoxylin gefärbten Geschwulstelemente sind, wie man an nicht zu dicht gefügten Partieen erkennen kann, Zellen mit einem runden Kern und einem schmalen Proto- plasmasaum. Die Zellkerne sind von sehr variabler Grösse, meistens übertreffen sie an Volumen die Körner der Kömer- schiebt An Zupfpräparaten zeigt das Protoplasma eine geringe Menge kurzer Fortsätze. Was die Hämatoxylinfärbung angeht, so ist die Intensität derselben sehr verschieden. Noch unver- änderte Zellen förben sich nebst ihren Kernen stark mit Hä- matoxylin; bei anderen nimmt die Färbbarkeit in Folge mehr oder minder weitgediehener nekrotischer Degeneration in ent- sprechendem Grade an Intensität ab, und schliesslich ist die Zelle in ein blasses Gebilde verwandelt, welches eine krüme^ lige Masse und den nicht mehr deutlich hervortretenden Kern einschliesst. Manche Zellen färben sich mit Eosin, enthalten aber noch eine Menge von blauen Körnchen, als Rest der Chromatinsubstanz des Kernes. Schliesslich färbt sich die ganze Zelle nur mit Eosin.

Charakteristisch ist für das mikroskopische Aussehen der Geschwulst neben dem Reichthum an Gelassen und Hämorrha- gien die Beziehung der Zellen zu den Gefässen. Viel- fach wird ein Gefäss mit stark verdickter Wandung von einem

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Mantel von blau gefärbten Zellen nmschlossen; dann folgt eine Zone, wo blau gefärbte und roth ge&rbte Zellen zwischen einander liegen nnd weiter nach aaasen liegen fast nur bloss mit Eosin gefärbte Zellen. So kommt der lappige Ban zn Stande, welcher eine charakteristische Eigenthttmlichkeit des Netzhaat- glioms in nicht zn weit vorgeschrittenen Fällen darstellt

Bemerkenswertbe Veränderungen bieten die Oefässe im Bereiche der mit Hämatoxylin gefärbten Partieen. Hier besteht ein Missverh&ltniss zwischen Wandung und Lumen. Die Wand zeigt eine enorme Yerdickung, an deren Znstande- kommen alle drei GefiLsshäute, besonders die Intima, betheiligt sind, und es finden sich alle Uebergänge von dem stets sehr engen Lumen bis zur völligen Obliteration. Besitzt das Geftss noch ein Lumen, so sieht man auf dem Querschnitt eine äus- sere, concentrische Schicht, dann kommt eine Zone mit zahl- reichen, theils runden, theils länglichen Kernen. Sie wird durch das Endothel, bei welchen Kern an Kern liegt, von dem meist Blut, bisweilen Fibrin enthaltenden Lumen abgegrenzt. Wenn das vorliegende Gefäss eine Arterie ist, so werden diese bei- den Schichten der Gefässwand durch die Tunica elastica ge- trennt. Bei vollständiger Obliteration findet man ein rundes Gebilde, welches in seinem Centrum eine mehr oder weniger grosse Zahl von Kernen enthält; diese werden von der oben beschriebenen concentrischen Zellenschicht umschlossen. Gerade an vielen kleinen Gefässen hat sich der Process der Oblitera- tion vollzogen. Die stark verdickte Wand und das enge Lu- men sieht man auch an den Centralgefössen im intraocularen Ende des Opticus.

Bei anderen Gefässen ist die Wandung nicht verdickt, das Lumen vorhanden, aber nicht mehr scharf begrenzt. Die Ge- fösswand hat sich intensiv mit Eosin geförbt und erscheint nekrotisch. Oft führt sie zwischen ihren Lamellen Blutkörper- chen, oft ist sie völlig durchbrochen und das Blut ergiesst sich in das umliegende Gewebe.

An denjenigen Partieen der Geschwulst, wo nur mit Eosin gefärbte Zellen liegen, findet man strotzend gefüllte Gefllsse mit weitem Lumen und dünner Wand. Diese erscheint als schmaler, homogener Saum, welcher oft keine Kerne und kei- nen Endothelbelag mehr erkennen lässt. Bisweilen ist die Wand auf eine schmale helle Linie reducirt oder an einer Stelle ganz unterbrochen, so dass Blutkörperchen und Ge- schwulstzellen unmittelbar aneinander grenzen.

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 147

Mitten im Tamor sind Reste der degenerirten Retina ein* geschlossen, die an ihrer Schicht ang zu erkennen sind. Von nervösen Elementen ist nichts darin erhalten; man bemerkt hauptsächlich Partieen, die der Faserschicht anzugehören schei- nen; stellenweise ist auch noch die unversehrte Limitans in- terna zu erkennen, auch finden sich Zellen mit dunkelbraunem Pigment, als Reste des Pigmentepithels. Der Ausgangspunkt der Geschwulst in der Retina ist nirgends -mehr zu erkennen; auch der nur wenig verdickte Theil derselben ist vollständig degenerirt und zum grössten Theil nekrotisch.

Die Ghorioidea ist in ihrer Struktur noch wohl erhalten. An keiner Stelle hat sich noch Geschwulstmasse in ihr ent- wickelt, sie ist leicht zellig infiltrirt und stellenweise sind die Gefilsse etwas erweitert Das Pigmentepithel sitzt grössten- theils der Glasmembran der Aderhaut auf, zum Theil ist es v(m ihr abgelöst und an einer Stelle mit dem Tumor ver- wachsen. Dort wo die Glasmembran vom Pigmentepithel ent- blösst ist, sind der Innenfläche einzelne Geschwulstzellen und eine feinkörnige Masse aufgelagert Dem Pigmentepithel der nasalen Seite, welches seinen Zusammenhang mit der Glasmem- bran bewahrt hat, sitzen eigenthümliche, kolbige oder halbkuge- lige Gebilde auf, welche meistens nur eine, bisweilen zwei oder drei Zellen überdecken. Sie haben sich mit Eosin ge- förbt und sind fein gekörnelt, stimmen aber nicht in ihrem Aussehen mit nekrotischen Gliomzellen überein. Nur ganz ver- einzelt sind dem Pigmentepithel auch einkernige, pigmentlose Rundzellen aufgelagert Ueber die Genese und Bedeutung der kolbigen Gebilde, ob sie vielleicht vom Pigmentepithel oder sonst woher stammten, war nichts Bestimmtes zu eruiren.

Die Membrana suprachorioidea ist aufgelockert In ihren Maschen finden sich einzelne isolirte Gliomzellen und feinkör- nige Masse.

An dem Corpus ciliare ist nur eine geringe zellige Infil- tration zu bemerken. Die Pars ciliaris retinae ist theils er- halten, theils eammt Pigmentbelag abgehoben, theils ihre Ele- mente in die Länge gewuchert.

Die Iris ist von Rundzellen stark durchsetzt. Ihr ciliarer Theil ist auf der nasalen Seite von einem kleinen Geschwulst- knoten eingenommen, welcher bis an die hintere Irisfläche reicht Zwischen den Zellen desselben liegen Pigmentzellen des Irisstroma zerstreut Einzelne Gliomzellen sind schon in das Ligamentum pectinatum eingedrungen und haben sich um

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den Girculas venosas aDgesammelt Der Pigmentbelag der Iris ist auf der temporalen Seite stark atrophirt, die Zellen gross- tentheils in Auflösung begriffen und die Pigmentkörnchen in der Umgebung zerstreut; nasal ist er erhalten und nur an einer Stelle nach Art einer Cyste, in welcher ein feines Fibrinnetz und einige Pigmentzellen liegen, abgehoben.

Die Innenfläche das Ciliarkörpers und die Ciliarfortsätze sind Yon einer dicken Schicht von jungen Gliomzellen über- zogen, die in geringer Menge sich auch auf die Hinterfl&che der Iris fortsetzen.

Im Eammerwinkel haben sich beiderseits Zellen angesam- melt, welche vollkommen mit den Zellen des Tumors überein- stimmen und auf der temporalen Seite schon im Begriffe sind, in Form eines Zapfens in das Gewebe der Iriswurzel einzu- dringen. Vereinzelt liegen auch Gliomherde der Descemeti- schen Membran auf, deren Endothel an einer solchen Stelle fehlt und in der Umgebung des Herdes abgehoben ist

Die Linse war, wie oben angegeben wurde, beim Auf- schneiden herausgefallen. Beste der Linsenkapsel, welche theil- weise yon Epithel bekleidet sind, liegen in Windungen gefaltet hinter der Pupille und siud von einer feinkörnigen Masse und Gliomzellen umgeben. An der Linse, welche besonders einge- bettet und geschnitten wurde, sind die Fasern an der hinteren Fläche auseinander gezerrt In den Spalten liegen Eiweisa- kugeln, an anderen Stellen ausserdem noch zertrümmerte Lin- senfasern, Gliomzellen und eine feinkörnige Masse. Einzelne Spalten finden sich nahe dem Aequator an der vorderen Fläche.

Die Cornea ist in den oberen Schichten kernreicher als normal und vascularisirt. Das Epithel ist in der Randzone verdickt und besonders die cylindrischen Zellen sind zahlrei- cher und stärker entwickelt Der Zusammenhang der Zellen ist gelockert und im mittleren Bezirk theils nur die oberen Schichten, an anderen Stellen das ganze Epithel abgestossen, was aber vielleicht nur Folge der Präparation ist.

Die Sclera ist normal.

Mit Rücksicht auf die intra vitam beobachteten entzünd- lichen Erscheinungen wurde im Exsudat der vorderen Kammer und im Tumor mit den üblichen Färbungsmethoden nach Tu- berkelbacillen und Kokken, aber erfolglos, gesucht

Die Bindegewebsbalken der Lamina cribrosa sind stark verdickt. In den durch sie gebildeten Maschen liegen in Fomf von verästelten Figuren Gruppen von intensiv blau gefärbten

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 149

Gliomzellen. Die Wand der Centralgefässe ist wie schon oben erwähnt, stark yerdickt

An dem stark verdickten peripherischen Theil des Opti- cnsstammes (vergL Fig. 5) erweist sich die eine Hälfte, welche für das blosse Ange eine gleichmässig graae Farbe dargeboten hatte, zum grössten Theil atrophisch und durch einen ausser- ordentlichen Kemreichthnm ausgezeichnet. Die Kerne liegen besonders in den Maschen der verdickten und dicht zusammen- gedrängten Bindegewebsbalken. Nur an der Peripherie dieser Hälfte und um die Centralgefässe herum liegen innerhalb der Maschen, also den atrophischen Nervenbündeln entsprechend, Gruppen von intensiv blau gefärbten Gliomzellen.

Die andere Hälfte des Opticusquerschnittes, die für das blosse Auge gelblich gefärbt war und die Abtheilung in ge- trennte Bündel hatte erkennen lassen, ist hochgradig gliomatös degenerirt. Die Zellen sind hier nur mit Eosin färbbar, also nekrotisch und nehmen dicht aneinander gedrängt die Stelle der früheren Nervenbündel ein; die von ihnen gebildeten Fel- der werden dahec von den dazwischen noch wohl erhaltenen Bindegewebsbalken getrennt, wodurch das erwähnte Aussehen für das blosse Auge bedingt ist; nur einzelnie Gliomzellen sind in die Bindegewebsbalken eingebettet. Auffallend ist der Ge- gensatz zwischen den Bindegewebsbalken und den Gefässen dieser beiden Theile des Opticus. Auf der Seite, wo der Nerv gliomatös entartet ist, sind die Balken nicht verdickt und die Gefässe, im Gegensatz zur anderen Seite, wo fast nichts von Gefässen zu sehen ist, stark erweitert. Die Scheiden sind von Geschwulstwucherung frei.

An Schnitten, welche etwas entfernter vom Bulbus genom- men sind (Fig. 6 und 7), hat sich die Gliomwucherung mehr um die Centralgefässe gruppirt und wird von einer Randzone atrophischer Sehnervensubstanz eingeschlossen. Die Gliomzellen nehmen auch hier zum grössten Theil die Stelle der Nerven- bündel ein; sie haben sich hier mit Hämatoxylin gefärbt und liegen dicht gedrängt in rundlich gestalteten oder mehr in die Länge gestreckten Feldern, welche durch die Bindegewebsbal- ken getrennt werden. Ein Theil der Bindegewebsbalken ist zu Grunde gegangen, so dass die Gruppen conflniren. Nur stellenweise, besonders in der Umgebung der Centralgefässe, hat die Gliomwucherung auch die Bindegewebsbalken ergriffen. Die Anordnung der Zellen ist hier insofern eigenthümlich, als die Zellen kettenförmig, Zelle an Zelle aneinander gereiht, liegen.

150 J. Jung.

Die atrophische Randzone ist sehr kernreich, aher ohne Ver- dickung der Bindegewebshalken. Hier and da findet man anch in ihr an Stelle der Nervenfasern beginnende Gliomwndienmg, aber die Gliomzellen liegen noch nicht so dicht gedrängt, wie es in der Mitte des Querschnittes der Fall ist. Der centrale Theil des Opticnsstttckes (Fig. 8) ist vollständig gliomatös ver* ändert. Von den Bindegewebshalken finden sich nur noch Reste, doch - ist noch eine Andeutung der früheren Eintheilnng des Opticusquerschnittes in getrennte Felder vorhanden, indem die Gliomzellen sich vielfach in runden oder länglichen Figuren dicht gruppirt haben.

Wenn auch der vorstehende Fall von Netzhautgliom vielfach mit den früher gemachten Beobachtungen überein- stimmt, verdient er doch, besonders wegen des Verhaltens der Gefässe, noch eine nähere Besprechung. Veränderungen der Gefässwand bei Gliom erwähnt zuerst Baumgarten^}; er spricht von „Gefässen, die von einer deutlich verdickten, glasig durchscheinenden Scheide umgeben 'waren, und von hyalin entarteten Gefässen^'; da er sehr ähnliche Beobach- tungen bei anderweitigen Erkrankungen der Retina (Reti- nitis pigmentosa, Retinitis albuminurica) machen konnte, so liess er dahingestellt, ob dieselben in genetischem Zusam- menhang mit der Gliombildung standen oder einen mehr zufälligen Befund darstellten. Eingehend beschäftigt sidi Da Gama Pinto') mit den Gefässveränderungen bei dem Netzhautgliom; er beobachtete namentlich an Arterien eine so starke Verdickung der Gefässwand, dass sie das Dop- pelte des Gefässlumens betrug. Später wandelte sich das Gefäss in Folge der Degeneration in „ein sehr breites, ring- förmiges, ziemlich glänzendes Band um, mit einem leicht faserigen, welligen oder homogenen Bau und Resten von in Zerfall begriffenen Kernen. Garmin und Eosin färbten das Gefäss noch ziemlich lebhaft'^ War aber der zugehörige

') V. 6raefe*s Archiv fQr Ophtbalm. XXII, 8, S. 211 u. 214. ') Da Gama Pinto, Untarsach. Ober intraocalare Tumoren. S. 63 ff.

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 151

GUomlappen TÖllig degenerirt, so Hess sich die Stelle des früheren Gefässes als ein heller Fleck erkennen, umgeben von einer etwas stärker gefärbten, feinkörnigen Masse. Grol- man^) hat ebenfalls eine starke Verdickung der Gefäss- Wandung nicht selten wahrgenommen, eine Umwandlung in ein vollständig homogenes Band konnte er jedoch nirgends finden. Aehnliche Beobachtungen wie Pinto machte Be- chert*): „Die Gefässwand war sehr erheblich verdickt. Au einigen Gefässen sah man noch eine lamelläre Struktur der Wand, dabei waren die Kerne ganz abgeblasst, an anderen war hingegen die ganze äussere Wand homogen, an einigen nur eine partielle Streifung zu erkennen/* Das Lumen des Gefässes war entweder leer oder enthielt Endothelreste und verblasste Blutkörperchen. Diese Gefässwandverdickungen hat auch Eisenlohr^) in seinen beiden Fällen sehr häufig beobachtet. Recapituliren wir kurz unseren Befund, so fin- den wir eine starke Verdickung der Gefässwand, welche durch eine Betheiligung aller drei Gefässhäute, besonders aber der Intima, zu Stande kommt und welche zu einer hochgradigen Verengerung des Lumens und schliesslich zur Obliteration desselben fuhrt. Im Centrum des obliterirten Gefässes finden sich zahlreiche tinctionsfähige Kerne der gewucherten Intima, welche von einer concentrischen Zel- lenschicht, wie oben beschrieben, umschlossen werden. Es ist also hier das Bild, wie wir es bei einer hyperplastischen Vasculitis bezieh, bei einer Endarteriitis und Endophlebitis obliterans haben. Querschnittsbilder, wie sie Pinto und Bochert beschreiben, nämlich ringförmige, ziemlich glän- zende Bänder von homogenem oder welligem Bau, konnten wir nicht beobachten, und gerade an den vollständig nekro- tischen Stellen fanden sich weite Gefässe mit dfinner Wandung.

>) V. 6raefe*8 Archiv fttr Ophthalm. XXXIII, 2, S. 65. ') Bochert, Untersuchungen über das Netzhaatgliom. Inaug.- Dissert. Königsberg 1888.

■) yirchow*8 Archiv für pathol. Anatomie, 123. Bd., S. 448.

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Bezüglich des Fortscbreitens des Glioms im Sehnerven hatte y. Graefe^) als Unterschied gegenüber dem Ader- hautsarcom hervorgehoben, dass die Wucherung von Anfang an die Substanz des Nerven einnimmt, während die Scheide sich anfanglich nur in einer indifferenteren Weise verdickt, dass dagegen bei Aderhautsarcomen die Degeneration zu- nächst der Scheide folgt Die starke Verdickung, welche der Sehnervenstamm dabei erfahren kann, war schon den älteren Autoren bekannt und ist auch von Hirschberg*) und von Knappt) beschrieben und abgebildet. Th. Le- ber^) giebt an, dass die Wucherung dabei vorzugsweise dem Mark des Nerven folge, während die Scheiden und das bindegewebige Balkenwerk anfangs unbetheiligt bleiben und nur eine entsprechende Dehnung und Atrophie er- fahren; die Nervenfasern gehen dabei in der gliomatösen Wucherung rasch zu Grunde; erst später treten auch Se- cundärgeschwülste der Sehnervenscheide auf. Dieselbe Art der Verbreitung hatte schon vorher Delafield^) in einem Falle beobachtet, während Rindfleisch*) und Knappt) die erste Wucherung von Gliomzellen in den Bindegewebs- balken des Sehnervenstammes angetroffen haben. Da Gama Pinto ®), welcher bei Untersuchung eines grösseren Ma- terials diese Verhältnisse zu prüfen bemüht war, berichtet, dass die erste Gliomwucherung des Sehnerven stets im interstitiellen Gewebe beginne; „in fünf Fällen war zu glei- cher Zeit der Zwischenscheidenraum und die arachnoidale Scheide reichlich infiltrirt und von Gliomnestem besetzt;

>) V. Graefe'8 Archiv für Ophthalm. XIV, 2, S. 132 (1868).

*) Der Markschwamm der Netzhaut. Berlin 1869.

') Die intraocularen Geschwalste. Karlsruhe 1868.

«) Graefe-Saemisch's Handbuch, Bd. Y, S. 724.

'^) Archiv fOr Augen- und Ohrenheilk., Bd. ü, 1, S. 176 (1871).

•) Zehender's Monatsbl. 1863, S. 346.

») Loc. cit. S. 66—67.

•) Loc. cit. S. 82—83.

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 153

zwei davon zeigten eine enorme Erweiterung und Invasion des Scheidenraumes mit verbältnissmässig geringer Infiltra- tion des Nervenstammes/' Die Durchsicht der speciellen Befunde scheint aber einen so allgemeinen Ausspruch nicht ganz zu rechtfertigen. Von fünf Fällen, die hier allein in Betracht kommen, fällt einer (Fall 11) weg, weil es sich dabei offenbar um Tuberkulose und nicht um Gliom han- delt. Ferner heisst es im Fall 4: „Der Sehnervenkopf ist vollständig in Geschwulstoiasse verwandelt . . . Nach rück- wärts von der Lamina cribrosa wird das Gewebe stroma- reicher, was zweifelsohne den noch nicht degenerirten Bin- degewebsbalken zuzuschreiben ist . . . Es liess sich . . . feststellen, dass der Sehnerv seiner sämmtlichen nervösen Elemente beraubt ist/' Es bleiben also nur drei Fälle, bei denen aber der Beschreibung nach gleichzeitig auch eine Gliominfiltration der Nervenbündel stattgefunden zu haben scheint In unserem Falle begann die Wucherung an der Stelle der Nervenbündel, und nahm hauptsächlich in ihnen ihren Fortgang, doch waren auch die Bindegewebsbalken stellenweise davon ergriffen. In der atrophischen Hälfte des Opticus lagen Nester intensiv blau gefärbter Gliom- zellen nicht an Stelle der Bindegewebsbalken, sondern der Nervensubstanz und die Scheiden waren intact, in der glio- matösen Hälfte waren die Bindegewebsbalken wohl erhalten, wenn auch verschmälert An den mehr centralwärts gele- genen Schnitten konnte man deutlich erkennen, dass an der Grenze zwischen Gliomwucherung und atrophischer Randzone die Gliomzellen sich zuerst an Stelle der Nerven- fasern entwickelten. Auch die Eintheilung der gliomatös degenerirten Partie in 'rundliche und polygonale Felder, welche durch Bindegewebsbalken getrennt werden, zeigt, dass sich in unserem Fall das Gliom zuerst an der Stelle der Nervenfaserbündel entwickelt hat

Nach den mitgetheilten Beobachtungen muss man also annehmen, dass beide Fortpflanzungsarten des Glioms im

154 J- Jon«-

Sehnerven vorkommen; welche die häufigere ist, wird erst durch weitere Untersuchungen festzustellen sein.

Durch die mikroskopische Untersuchung wurde auch das intra vitam beobachtete scheinbare Hypopyon aufge- klärt; die Annahme desselben erwies sich als Täuschung; wir haben es nicht mit Eiterzellen zu thun, sondern mit freien Gliomzellen, welche sich in der vorderen Kammer angesammelt haben. Da die Ghorioidea und das Corpus ciliare noch intact sind, während an der Innenfläche des letzteren eine schon für das blosse Auge erkennbare Gliom- Wucherung aufgetreten ist, darf wohl angenommen werden, dass ein Transport von Elementen der Wucherung den Weg durch die Pupille genommen hat und dass auf die gleiche Art auch die gliomatöse Affection der Iriswurzel entstan- den ist.

Wegen der Schwierigkeiten, welche die beiden mitge- theilten Fälle der Diagnose bereiteten, haben sie auch ein nicht geringes klinisches Interesse. Im ersten Falle lagen keine sicheren Anhaltspunkte für die Diagnose einer Tu- berkulose der Ghorioidea vor. Nach dem objectiven Be- funde schien die Annahme einer schleichenden Iridochorioi- ditis gerechtfertigt, die möglicherweise tuberkulösen Ur- sprungs sein konnte, obwohl sich keine Zeichen dav<m &n- den. An ein Gliom der Netzhaut wurde deshalb zunädist nicht gedacht^ weil der Process mit entzündlichen Erschei- nungen begonnen haben sollte. Erst bei der Enucleation entstand durch die Verdickung des Opticus der Verdacht^ dass es sich trotzdem um ein Gliom handeln möchta Die anatomische Untersuchung hat aber gezeigt, dass dies ein Irrthum war und dass selbst eine so starke Verdickung des Sehnerven, wie sie hier vorkam, durch Tuberkulose bedingt sein kann, also nicht unbedingt für die Annahme eines Glioms spricht. Bei dem zweiten Falle wurden das schein- bare Hjpopyon und der gelbe Reflex, welcher nach der Iridectomie im Glaskörper sichtbar wurde und von Gliom

Beitrag zur DifferentUIdiagnose etc. 155

herrührte, für Produkte einer eitrigen Entzündnng gehalten. Die Knötchen auf der Iria und die Thatsache, dass die Mutter des Kindes an „Schwindsucht'' litt, was bei der klinischen Untersuchung bekannt war, Hessen an einen tu- berkulösen Ursprung des Processes denken. Dass die freien Gliomzellen für Hypopyon gehalten wurden, ist ein verzeih- licher Irrthum. Diese Beobachtung lässt daran denken, dass auch sonst vielleicht das Auftreten von Hypopyon bei Gliom eine ähnliche Bedeutung hatte, wie in dem interes- santen Falle, den v. Grolman aus der v. HippeTschen Klinik in Giessen mitgetheilt hat^).

Handelt es sich um die Differentialdiagnose zwischen GUom und Tuberkulose, so ist natürlich grosses Grewicht auf eine möglichst genaue Untersuchung des übrigen Kör- pers zu legen. Lässt dieselbe nicht, wie in unserem ersten Falle im Stich und finden sich sonstige Zeichen von Tuber- kulose, so spricht dieses sehr zu Gunsten einer tuberkulö- sen Erkrankung des Auges. Auch die Anamnese und Fa- miliengeschichte kann ^lan, wenn auch nur mit Vorsicht» wie unser zweiter Fall zeigt, verwerthen. In weit vorge- schrittenen Fällen dürften Gehimsymptome nur wenig Be- deutung haben, da dieselben sowohl von einer Gliommeta- stase im Gehirn, als auch von tuberkulösen Affectionen in der Schädelhöhle herrühren könnten.

Unter den Symptomen, welche für Gliom sprechen, führt Vetsch') Ectasie der Cornea an. Da diese aber ein Ausdruck des erhöhten Druckes und der Ectasie des Bul- bus überhaupt ist und sich Drucksteigerung zuweilen aadi bei tuberkulöser Chorioiditis findet, so ist nicht ausgeschlos- sen, dass sich diese Veränderung auch im letzteren Falle entwickelt; sie kann daher nicht für Gliom beweisend sein.

*) V. Grolman, Beitrag zur Kenntniss der Netzhautgliome. V. Graefe's Archiv für Ophthalm. XXXIII, 2, S. 47-72 (1887). *) Archiv fttr Aogenheilkande XI, S. 419.

156 J. Jung.

So schreibt Brailey^) von dem oben citirten Fall von Tu- berkulose: ^Bei der Geburt glaubten die Eltern, dass das rechte Auge etwas kleiner sei, jedoch ist es während der letzten drei Monate schnell grösser geworden. Jetzt ist im Vergleich mit dem allgemeinen Wachsthum des Bulbus eine unverhältnissmässige Vergrösserung der Cornea vorhanden.^ Unter diesen Umständen wird es auch heute noch Fälle geben, wo uns die klinische Diagnose im Stiche lässt und wo erst die anatomische Untersuchung, entscheiden wird, ob ein Gliom der Retina oder eine Tuberkulose der Chorioidea vorliegt Die Annahme einer Combination von Gliom und Tuberkulose hat sehr wenig Wahrscheinlichkeit für sich und ist nur in einem Falle von Pinto') ange- nommen worden. Da aber die Richtigkeit dieser Annahme bald bezweifelt wurde ^), haben wir die in der hiesigen Augenklinik vorhandenen Präparate einer näheren Durch- sicht unterzogen. Der Befund stinmite an der Chorioidea, welche diffus verdickt war, mit dem gewöhnlichen Bilde der Tuberkulose überein. Es fanden sich epithelioide Zel- len und sehr zahlreiche Riesenzellen; das Vorkommen von Tuberkelbacillen war schon von Pinto constatirt worden. Die Wucherung im Glaskörperraum hat nichts Charakteri- stisches für den Bau eines Glioms und ist sehr gefassarm. Auch liess sich weder makroskopisch noch mikroskopisch constatiren, dass die Geschwulstbildung ihren Ursprung aus der Retina genommen hätte, und es ist dies um so imwahr- scheinlicher, weil angegeben wird, die Retina sei atrophisch gewesen. Der nach der Operation beobachtete klinische Verlauf spricht ebensowenig für ein Gliom. Der Sehnerv war, besonders im Subvaginalraum, dicht mit Rundzellen

») 1. c. S. 129.

*) daGamaPinto, Untersuchungen über intraoculare Tumoren, Fall 11, S. 40 und S. 70.

') Michel im Jahresb. über Leistungen und Fortschr. im Ge- biete der Ophthalm. 1886. S. 119.

Beitrag zur Differentialdiagnose etc. 157

infiltrirt, welche für Gliomzellen gehalten wurden. Wenn es sich aber um Gliomwucherung gehandelt hätte, so würde gewiss sehr bald ein Recidi? eingetreten sein und das Kind wäre nicht erst nach beinahe zwei Jahren an cerebralen Erscheinungen gestorben, die in der Annahme einer intra- craniellen Tuberkulose sehr wohl ihre Erklärung finden.

158 J- JuBff» BeilrAg Kur DiffureatUldiagnoae etc.

Erklärung der Figuren auf TafU IV.

Fig. 1. untere BalbashUfte von Fall 1: <^ Chorloidea, p Perfora- tioasOffaong der Gladamelle Hnd des Pigmentepitheb; t Tumor der Chorioidea; r abgelöste und gefaltete Retina; 8 subretinaler Raum; o Optlcuseintritt.

Fig. 2. Uebersicbtsbild^on dem miliaren TuberkeH an der Corneo- Bcleralgrenze.

Fig. 3. Dieser Tuberkel bei starker Yergrösserung ; r Riesenzelle, e Gornealepitliel.

Fig. 4. üebersichtsbild von dem tuberkulös ver&nderten Opticus von Fall 1: to Tuberkel in der Opticussubstanz, ts Tuber- kel der Duralscbeide; tp Tuberkel der Piaischeide; r Rie- senzellen.

Fig. 5. Dicht vom Bulbus stammender Schnitt des gllomatös er- krankten Opticus von Fall 2: 8 Scheide, a atrophischer Theil des Opticus, f Nester frischer, mit H&matoxylin ge- färbter Gliomzellen an Stelle der Nervenfasern; g gllomatös entarteter Theil, mit nekrotischen, nicht mehr mit Hftma- toxylin gef&rbten Zellen.

Fig. 6. Etwas entfernter vom Bulbus gelegener Schnitt des glloma- tös erkrankten Opticus von Fall 2: 8 Scheide, a atrophi- scher, g gllomatös entarteter Theil des Sehnerven. Die übrigen Verhältnisse ergeben sich aus dem Vergleich mit Fig. 7.

Fig. 7. Der mittlere Theil desselben Schnittes bei st&rkerer Ver- grösserung: ar Querschnitt der Art. centr. retin. v Vena centr. retin. schräg durchschnitten, b Bindegewebsbalken. n gliomatös infiltrirte Nervenfaserbflndel.

Fig. 8. Querschnitt durch eine mehr central gelegene Stelle des Opticus, aus der Gegend, wo die Centralarterie in densel- ben eintritt

Experimentelle Untersaehnngen

tl)er die Entstehimg der in letzter Zeit bekannt

gewordenen Trübungen der Homhant nach

Staarextraction.

Von

Dr. Carl Mellinger, PriTatdocent an der Universität Basel.

(Mittheilong aus dem Laboratorium der ophthalmologischen Klinik des Herrn Professor Schiess-Gemusens.)

Seit Ausführung der Staarextraction sind hie und da bleibende Hornhauttrübungen nach dieser Operation zur Beobachtung gekommen. Dieselben fanden meist ihre Er- klärung in einer vorausgegangenen eitrigen Infection der Hornhaut oder langem Aufgehobensein der Kammer und der Entstehung vorderer Synechien. Nicht lange nach der Einführung des Cocains in die operative Augenheilkunde wurde von verschiedenen Kliniken über eine neue, bisher unbekannte, bleibende Hornhauttrübung nach Extraction berichtet. Dieselbe entstand an einem reizlosen Auge und ist ihre Ursache bis zum heutigen Tage ein streitiger Punkt geblieben.

Die nachfolgende Abhandlung versucht die Entstehung dieser neuen Hornhauttrübung zu erklären und damit ihre Vermeidung möglich zu machen.

Aus der Graefe 'sehen Klinik in Halle kamen durch die Mittheilungen von Dr. Bunge die ersten Berichte

160 C. Mellinger.

über schädliche Wirkung des Cocains auf die Hornhaut^). Es wurden während des Cocainisirens entstehende kreisrunde Epitheldefecte beobachtet. Zweimal machte diese Compli- cation das Hinausschieben einer Operation (Extraction) noth- wendig. Doch heilten diese Epitheldefecte ohne jeden Nach- theil für die Transparenz der Hornhaut wieder aus.

Von weit grösserer Bedeutung war die Mittheilung von sechs Fällen von parenchymatöser Trübung der Hörn* haut nach Staarextraction. Bunge beschreibt diese Trü- bung als am achten Tage nach der Operation nur schwach sichtbar, dann aber an Intensität von Woche zu Woche zunehmend, so dass schliesslich der Patient nicht besser sah als vor der Operation. Die Trübung hatte den Cha- rakter einer bleibenden. Bei einer Frau, welche im Februar operirt worden war, sah Bunge im Juni die Hornhaut über dem Colobom noch gleich einem Milchglas getrübt Bunge beschreibt diese Trübung als aus verticalen grauen Streifen bestehend. Er vergleicht sie mit der nach Extrac* tion häufig zur Beobachtung kommenden sogen, „streifigen Keratitis'' mit dem Unterschied, dass mehr und breitere Streifen auftreten. Die Hornhautoberfläche über der Trü- bung war uneben. Bunge schrieb diese Veränderung der Anwendung von Cocain zu.

Diese Mittheilung aus der Graefe'schen Klinik veran- lasste zahlreiche Veröffentlichungen über die Erfahrungen anderer Kliniker. Die Ansicht über die Ursache der Ent- stehung wurde eine getheilte und die Trübung selbst auch in einer etwas anderen Form beobachtet. Hirschberg*) und Wicherkiewicz^) hatten bei einer grossen Anzahl

') Dr. Bange, Ueber schädliche Wirkungen des Cocains auf die Hornhaut. Klin. Monatsbl. für Augenheilk. 1885, S. 402.

>) Hirschherg, Centralbl. f. prakt Augenheilk. 1885, S. 316.

•) Wicherkiewicz, Ueber schädliche Wirkungen des Cocains. Centralbl. für prakt. Augenheilk. 1885, S. 368.

Experimentelle üntersachungen etc. 161

von Operirten trotz ausgiebiger Anwendung von Cocain nichts Aehnliches beobachtet

Wicherkiewicz führt einen Fall von Extraction an, bei welchem aus Irrthum mit einer Sublimatlösung von 1 : 1000 irrigirt wurde, nach Cocainisirung mit 8 ®/o Lösung. Nach einigen Tagen sah die ganze Vorderfläche der Horn- haut gleichmässig opak aus. Nach sechs Wochen war die Hornhauttrübung noch nicht ganz verschwunden. Da sich diese Operation einzig durch Anwendung einer starken Su- blimatlösung von den anderen gut verlaufenen unterschied, glaubte Wicherkiewicz das Sublimat als Ursache der Horn- hauttrübung annehmen zu müssen.

Pflüger^) beschreibt bei einem 68jährigen decrepiden Manne, eine nach Extraction unter Cocain auftretende strei- fige, parenchymatöse Hornhauttrübung, die identisch scheint mit den von Bunge beobachteten Fällen. Die Trübung hellte sich nur sehr langsam auf. Leichtere Fälle von so- genannten Cocaintrübungen der Hornhaut sah Pflüger in 2 3 Wochen sich zurückbilden. Bei einem weiteren Fall trat die Trübung vom Schnittrand aus in die Hornhaut ein, hierbei handelte es sich mehr um eine wolkige die ganze Hornhaut einnehmende Trübung. Pflüger betont, dass er diese Cocaintrübungen nur nach Cataractextractionen und die schweren Fälle nur bei schlecht genährten, früh ge- alterten Patienten gesehen habe. Nur einmal konnte er bei einer breiten antiphlogistischen Iridectomie die gleiche Trübung beobachten. Er schliesst daraus, dass grosso Horn- hautwunde und schlechte Ernährung die Entstehung der Cocaintrübung begünstigen.

Gelegentlich einer Discussion über streifige Keratitis auf der Versammlung der Ophthalmologen in Heidelberg

^) Pflüger, Pathologische und physiologische Wirkungen des Cocain. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1886, S. 169.

T. Qnefe'8 Archiv fQr Ophthalmologie. XXXVn. 4. H

162 G. Mellinger.

1887 *) brachte Wicherkiewicz auch die sogen. Gocain- keratitis zur Sprache. Er hatte in den letzten Jahren drei- mal stationäre Trübungen der Hornhaut nach Eztraction beobachtet, welche er unmittelbar der Cocainwirkung zu- schreibt. Den schädlichen Einfluss dieses Mittels sucht er darin, dass es den intraocularen Druck zu stark und für längere Zeit herabsetze, wodurch eine genaue Adaptation der Wundränder verhindert wurde.

Ed. Meyer fügt hier die interessante Beobachtung bei, dass er mehrmals nach Injection von Eserin und Pilo- carpin mit schwacher Sublimatlösung in die vordere Kam- mer, eine sehr gesättigte Trübung der ganzen Hornhaut gesehen habe. Diese Trübung war so dicht, dass Iris und Pupille während mehrerer Tage unsichtbar waren. Sie ver- schwand dann im Laufe einer Woche, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Ob wir dem Cocain oder dem Sublimat diese Horn- hauttrübung zuzuschreiben haben, darüber gingen noch die Ansichten am internationalen Ophthalmologen- Congress in Heidelberg 1888*) auseinander. Bei der Discussion über Staarextraction kamen auch die Störungen im Verlauf der Heilung zur Sprache, Laqueur sprach von durch das Co- cain hervorgerufenen Trübungen der Hornhaut, die in der Regel vorübergehen, aber auch zu bleibenden werden kön- nen. Knapp hingegen erwähnte eigen thümUche Symptome der Sublimatreaction beim Ausspülen der vorderen Kammer sogar mit Lösungen von 1 : 10,000. Er fand, dass Ein- spritzungen von geringen Mengen einer schwachen Subli- matlösung in die vordere Kammer des menschlichen Auges vorübergehende Schmerzen, grössere Mengen hingegen lang anhaltende, heftige Schmerzen machen und zu einer dich-

'] Bericht über die XIX. Versammliing der Opbthalmolog. Ge- sellschaft. Heidelberg 1887.

*) Siebenter periodischer intemation. Ophthalmologen-Congress. Von Otto Becker nnd Wilhelm Hess. Heidelberg 1888.

Experimentelle Untersuchangen etc. 163

ten aus polygonalen Feldern bestehenden Hornhauttrübung führen, die so intensiv sein kann, dass man bei schiefer Beleuchtung kaum die Pupille hindurchsieht In einzelnen Fällen ging diese Trübung gänzlich zurück, in anderen blie- ben mehr oder weniger getrübte Stellen bestehen. Bei einem alten Manne, bei welchem nach der Extraction die Horn- haut stark trichterförmig einsank, spritzte Knapp soviel einer Sublimatlösung von 1 : 10,000 in die vordere Kam- mer, dass die Hornhaut sich hob und das Auge gefüllt wie gewöhnlich aussah. Patient hatte die ersten sieben Stun- den nach der Operation lebhafte Schmerzen. 24 Stunden nachher war die ganze Hornhaut streifig, diffus und poly- gonal fleckig getrübt. Diese Hornhaut hellte sich später nur wenig auf. Auch bei zu reichlicher Berieselung des Auges während der Extraction mit Sublimat 1 : 5000 sah Knapp zuweilen milchige Hornhauttrübung, die sich nicht in allen Fällen zurückbildete. Diese Mittheilungen von Knapp sprechen wieder mehr für die Schuld des Sublimat. Würdinger*) suchte durch Thierversuche die durch Cocain eintretenden Hornhautveränderungen zu erklären. Er fand, dass fortgesetzte Cocainisirung eines Kaninchen- auges beim Offenstehen der Lidspalte zu Unebenheiten im Epithelüberzug der Hornhaut führe und zur Verdünnung des Homhautparenchyms. Bei geschlossenem Auge sah er weniger Unebenheiten und dieselben auf die Lidspaltenzone beschränkt. Er hält diese Veränderungen durch die Ab- dunstung an der Hornhautoberfläche dos offenstehenden Auges und durch lymphatische Anämie bedingt. Sowohl durch Einbringung von Fluorescin als auch Methylenblau in den Conjunctivalsack cocainisirter Augen, zeigte sich, dass das Cocain die Epithelzellen durchlässig macht und Färbung fast des ganzen Parenchyms eintritt, was Wür-

^) Würdinger, Experimentelle nnd aDatomische Untersuchun- gen über die Wirkungen des Cocains auf die Hornhaut Münchner medic. Wochenschrift 1886.

164 C. Mellinger.

dinger daraus erklärt, dass das Cocain sowohl Epithel- schicht als auch Parenchym saftarm mache.

Ferner sucht er experimentell die Frage zu beantwor- ten, ob Cocain allein oder in Verbindung mit Sublimat an der Hornhautveränderung Schuld sei. Nur beim Offenhal- ten der Lidspalte während des Cocainisirens, sieht er nach Ausspülung mit antiseptischen Lösungen vorübergehende Trübungen der Hornhaut, die, wie es scheint, sich haupt- sächlich auf das Epithel beschränken.

Würdinger glaubt nach diesen Versuchen, dass weder Cocain noch Sublimat, Salicylsäure, Borsäure etc. in der gebräuchlichen Concentration schädlich auf die Hornhaut wirken. Andererseits sagt er, dass diese Antiseptica so gut wie andere Flüssigkeiten in das Homhautgewebe eindrin- gen können nach ausgiebiger Cocainisirung. Bei geschlos- sener Lidspalte oder Schutz des Auges vor Vertrocknung durch Ueberschwemmung mit destillirtem Wasser und un- gehindertem Lidschlag treten die Veränderungen in viel geringerer Weise oder gar nicht auf.

Zur experimentellen Untersuchung der von Bunge be- schriebenen parenchymatösen Hornhauttrübung wird von Würdinger das eine Auge eines Kaninchens mit ö^/^ Co- cainlösung anästhesirt; hierauf an beiden Augen mit dem Schmalmesser in die Hornhaut eine etwas ausgedehntere Function und Contrapunction wie beim Beginn des Lap- penschnittes angelegt, der Lappen jedoch nicht ausgeschnit- ten, der Conjunctivalsack mit Sublimatlösung 1 : 5000 aus- gespült und die Lidspalte durch Naht geschlossen. Zwei Tage nachher wird das Thier getödtet und die Bulbi enu- cleirt.

Die mikroskopische Untersuchung zeigte auf beiden Augen die streifige Keratitis in der Umgebung des Schnit- tes. Bei dem cocainisirten Auge war die Quellung der Cor- nealgrundsubstanz und die Auseinanderdrängung der Horn- hautlamellen viel bedeutender. Würdinger fasst die Hörn-

Experimentelle Untersuchungen etc. 165

hauttrübung am cocainisirten operirten Äuge nur als einen höheren Grad desselben Processes am nicht cocainisirten Auge auf und glaubt, dass Sublimat bei der parenchyma- tösen Hornhauttrübung nur bedingt in Betracht komme. Als Ursache des Entstehens beschuldigt er die durch das Cocain hervorgerufene Durchlässigkeit des Cornealepithels und eine Lympharmuth des Parenchyms. Die von ihm be- obachteten Fälle von derartiger streifiger Keratitis bei Ca- taractoperirten konnten durch Guttaperchasublimatverbände vollkommen geheilt werden.

Eversbusch*) unterstützt die Ansicht von Würdin- ge r. Er schreibt die Trübung einem Contact des Sublimats mit dem Lymphspaltensystem der Hornhaut zu, und hält den rein comealen Schnitt für von Bedeutung beim Zu- standekommen der Trübung. Trotz der prophylactischen Maassregeln von Würdinger beobachtete Eversbusch einmal, nach Ausspülung der vorderen Kammer mit Subli- mat 1:10,000 eine bleibende Hornhauttrübung.

Wicherkiewicz*) neigt sich in seinem neuesten Jah- resbericht wieder mehr der Ansicht zu, dass das Cocain die Ursache der Trübung sei. Er sagt, seit er nur zwei- mal eine ö^/^ige Cocainlösung in Pausen von fünf Minuten vor der Extraction einträufele, habe er niemals mehr eine stationäre Trübung zu beklagen gehabt.

Auch an der Baseler ophthalmologischen Klinik wur- den diese parenchymatösen Hornhauttrübungen nach Extrac- tion beobachtet. Einige hellten sich nach einiger Zeit wie- der auf, andere hingegen beeinträchtigten durch bleibende Hornhauttrübungen das Sehvermögen bedeutend. Ebenso- wenig wie Pflüger und Knapp sahen wir regelmässig die von Bunge beschriebene streifige Form. Die Trübungen

^) Eversbusch, üeber die Anwendung der Antimycotica in der Augenheilkunde. Centralbl. f. prakt. Augenheilk., XIV. Jahrg., S. 65.

*) XII. Jahresbericht der Augenheilanstalt für Arme in Posen für das Jahr 1889 von Dr. B. Wicherkiewicz, S. 37.

166 C. Mellinger.

waren häufig mehr diffus grau, bis milchig weiss. Bei con- stanter Irrigation des Wundgebietes mit Sublimat 1 : 5000 und massiger Cocainisirung mit 2 % Lösung kamen doch diese schweren Veränderungen der Hornhaut vor. Von einer Eintrocknung konnte hier keine Rede sein. Die Ausspü- lungen der vorderen Kammer mittelst der Undine wurden mit Borsäurelösung vorgenommen. Der Verband nach der Operation ist hier schon lange ein Guttapercha- Sublimat- Verband, wie ihn Würdinger als therapeutisches Mittel gegen diese Hornhauttrübungen empfiehlt, doch konnte er bei unseren Fällen die Entstehung der Trübung nicht ver- hindern. Selbst wochenlanges Eataplasmiren bei vorhan- dener, frischer Trübung war von kaum bemerkenswerthem Erfolg begleitet Es geht schon daraus hervor, dass die hier beobachteten Hornhauttrübungen mit der von Wür- dinger mit Erfolg behandelten Keratitis nicht überein- stimmen. Sie erinnern ihrer Hartnäckigkeit nach mehr an die von Bunge, Pflüger und Knapp beschriebenen Fälle. Die Hauptpunkte aus den Krankengeschichten der hier zur Beobachtung gekommenen Fälle von dieser neuen blei- benden Hornhauttrübung sind folgende:

I. Fall.

G. Jean, 75 Jahre.

Eintritt: 8. Octbr., Austritt: 6. Novbr. 1885.

Anamnestisch ausser den gewöhnlichen Angaben Aber Ab- nahme des Sehvermögens nichts von Bedeutung.

Status praes. Kräftiger Mann. Beiderseits leichter Con- junctivalcatarrh. R. Corticalcataract. S = *~^/iooo- Proj. gut L. Cataract incip. S=**/goQ.

Die Urinuntersuchung, welche an der hiesigen Klinik regel- mässig bei allen Staarkranken vorgenommen wird, ergiebt kein Eiweiss, dagegen bei der Trommer 'sehen Probe viel Zucker. Spec. Gewicht 1042. Patient war sich seiner Zuckerkrankheit nicht bewusst.

9. Octbr. R. Extraction. Cocainanästhesie mit 2% Lö- sung. Schnitt in der Corneoscleralgrenze. Z&he Kapsel. Bei

Experimentelle ünterBuchungen etc. 167

der Entbindung der Linse bleibt ziemlich viel Corticalis zurück. Hochgradiger HornhautcoUaps, wesshalb die Entfernung der Corticalreste ziemlich schwierig und der DayieTsche Löffel mehrfach eingeführt werden muss. Einzelne feine Corticalreste bleiben zurück, sonst Pupille schwarz. Verband.

11. Octbr. Verbandwechsel. Ausser leichtem Oedem der Coiü* bulbi und streifiger Trübung der Hornhaut nichts Ab- normes. 13. Oct Hornhaut mehr diffus getrübt. 16. Oct. Horn- haut wolkig parenchymatös getrübt 17. Oct. Tag über kein Verband, Kataplasmen und Atropin. Diese Therapie wird fortgesetzt bis zum Austritt am 6. Nov. Das Auge wird nun gut geöffnet. Bulbus leicht oberflächlich injicirt. Cornea stark streifig und wolkig parenchymatös getrübt. Kam- mer gut. Pupille ziemlich weit. Nur wenig Licht vom Augen- hintergrund dxingt durch die Hornhauttrübung, keine Details sichtbar. 8=^^200 ^ ^^fi' Zuckergehalt des Urins etwaa geringer. Spec. Gewicht 1035. Die Trübung besteht trotz ver- schiedener therapeutischer Versuche bis zum heutigen Tage unverändert fort.

IL Fall.

K. Serafine, 65 Jahre.

Eintritt 13. März, Austritt 3. Mai 1885.

Anamnestisch seit einigen Jahren hie und da Thränen der Augen, sonst nichts von Bedeutung.

Status praes. Etwas blasse aber kräftige Frau. L. Cataracta lenticularis. S=*/iooo- Pr^J- i^^- R. Cataracta incip. S=*®/2oo- Urin normal.

19. März. L. Extraction unter 2^/^ Cocainanästhesie. Grosser ganz in die Hornhaut fallender Schnitt. Ziemliche Lappenhöhe. Leichte Entbindung des grossen Kerns. Ziemlich viel Corticalis bleibt zurück, die nur theilweise durch Streichen entfernt werden kann. Verband.

21. März. Verbandwechsel: Cornea diffus trüb, mas- sige bulbäre Ii^ection. 26. März Trübung hat eher zugenom- men. Tagverband wird weggelassen. Kataplasmen, Atropin. Diese Therapie wird fortgesetzt bis zum 3. Mai ohne eine wesent- liche Besserung zu erzielen. Fat. wird entlassen mit paren- chymatös' grau weiss getrübter Hornhaut und einem S. von ^^^ V>oo H ^^fi' ^^^^ spätere Anwendung von aufhellenden Mitteln vorzugsweise ungt. flav. blieb erfolglos. Poliklinisch

168 C. Mellinger.

wird am 14. Juni der gleiche Zustand wie beim Anstritt ge- funden S = */joo H14,0.

III. Fail. S. Regina, 72 Jahre.

Eintritt 23. April, Austritt 2. Juni 1888.

Anamnestisch nichts besonderes.

Status praes. Kräftige Frau. Beiderseits leichter Ca- tarrh. L. bei flacher Kammer. Cataracta lenticularis S= */iooo» Proj. gut. R. nichts Abnormes. S=l. Urin normal.

24. April. L. Extraction. 2^/^ Cocainanästhesie. Mittel- grosser Schnitt in der Hornhaut, nach innen die Scleralgrenze erreichend, starke störende Blutung. Leichte Entbindung der Linse. Corticalis mit der Undine entfernt. Verband.

30. April. Verbandwechsel: Kammer flach. Etwas Con- junctivalödem. Pupille eng. Leicht diffus getrübte Hornhaut. Atropin. 1. Mai ziemlich starke diffuse Hornhauttrübung, die bis zum 6. Mai immer mehr zunimmt. Auf Chamillen und später Kataplasmen tritt eine leichte Besserung ein, doch be- steht beim Austritt am 2. Juni noch eine diffuse parenchy- matöse blaue Cornealtr Übung und in Folge davon ein Visus von ^-^1^00 H11,0.

Poliklinisch: 11. Juni. S = ^^j^q^ H 11,0. Hornhaut etwas heller.

IV. Fall. R. Theobald, 67 Jahre.

Eintritt 23. Mai, Austritt 21. Juni 1888.

Die Anamnese ergiebt nichts besonderes.

Status praes. Massig kräftiges Individuum. Beiderseits etwas Catarrh und Cataracta lenticularis, sonst nichts Abnormes.

R. S = */2ooi L- S=®/iooo- Beiderseits Proj. gut.

29. Mai. L. Extraction ohne Iridectomie. Ziemlich grosser Schnitt im Comeoscleralrand. Starker CoUaps der Horn- haut. Mühevolle Entbindung des grossen Kerns. Zurückblei- bende Corticalis wird mit dem Löffel herausgestrichen. Pupille ganz schwarz. Verband.

1. Juni. Verbandwechsel: Starke mehr diffuse paren- chymatöse Hornhauttrübung. Sonst gut. Behandlung mit Cha- millen und Atropin.

Am 21. Juni ist bei der Entlassung in Folge der nur unbedeutend gebesserten Hornhauttrübung S = ^^/soo ^ ^^fi-

Experimentelle üntersuchangen etc. 169

V. Fall.

R. Jean, 18 Jahre.

Eintritt 2. Juni, Austritt 23. Juni 1888.

Anamnestisch wird nichts von Bedeutung angegeben.

Stat. praes. Decrepider Mann. Beiderseits leichter Ca- tarrh. R Cataracta lenticularis S='~*/ioooi Cataracta nuclearis S=^~^/,ooo- Beiderseits Proj. gut

5. Juni. R. Extraction. Ziemlich grossen Schnitt im Comeoscleralrand, mittelbreite Iridectomie. Wegen plötzlichem Aufwärtssehen schwierige Entbindung des Linsenkerns. Es bleibt Corticalis zurück, die durch Streichen entfernt wird. Verband.

L. Extraction ohne Iridectomie. Grosser Schnitt in der Hornhaut nach unten. Nach . Eröffnung der Kapsel tritt eine Luftblase in die vordere Kammer. Glatte Entbindung des flachen Kerns. Die Kammer wird reichlich mit der Undine aus- gespritzt.

R. Auge: Verlauf normal. Hornhaut bleibt klar. Beim Austritt noch Reste von Corticalis. S= Vio H 11,0.

L. Auge: Beim ersten Verbandwechsel am 8. Juni dif- fuse parenchymatöse Hornhauttrübung. Behandlung wie bei den früheren Fällen mit feuchter Wärme und Atropin. Am 22. Juni bei der Entlassung diffuse parenchymatöse Hornhaut- trübung etwas geringer. S=^®/goo H 10,0.

Poliklinisch: 30. Juli. Oberer Theil der Hornhaut auf- gehellt, unterer noch stark getrübt S = ^^I^qq H11,0.

VL Fall.

St. Francisca, 74 Jahre.

Eintritt 21. Sept., Austritt 21. Decbr. 1888.

Wurde links vor drei Jahren extrahirt und mit S=^/io H 12,0 entlassen. Anamnestisch sonst nichts von Bedeutung.

Status praes. Ziemlich rüstige Pat. Beiderseits leichter chronischer Conjunctivalcatarrh.

R. Cataracta lenticularis. S = ^Ij^qqq. Proj. gut

L. Hornhaut klar. Kammer tief. Breites Colobom nach oben. Nachstaar. S==Vio H 12,0.

25. Sept R. Extraction ohne Iridectomie. Anaesthesie mit 2 ^Iq Cocain, wie bei allen anderen Fällen. Schnitt im Cor- neoscleralrand. Hochgradiger CoUaps, trotzdem leichte Entbin-

170 C. Mellinger.

dang des Linsensystems. Corticalmassen werden theils mit dem DavieTBchen Löffel, theils mit der Undine herausbefbrdert Keine Tendenz zum Irisvorfall. Verband.

26. Sept. Patientin war Nachts sehr unmhig. Klagt Aber Schmerzen. Verbandwechsel: Kammer noch ganz aufge- hoben. Hornhaut getrübt Wenig Reizung. Verband.

27. Sept Streifige parenchymatöse Hornhauttrfl- bung. Behandlung mit Chamillen und Atropin.

16. Novbr. S=**/2oo H 12,0.

•24. Nov. Trübung bisher ziemlich gleich stark geblieben. Von jetzt an täglich drei Minuten Massage der Hornhaut

1. Decbr. S = ^^/goo H 12,0.

21. Dec. Die streifige und wolkige parenchymatöse Horn- hauttrübung ist eher noch etwas stärker geworden. S=**/2oo H 12,0. Fat. wird mit Jodjodkaliumtropfen entlassen

Poliklinisch: 26. Septbr. 1889. Trübung besteht fort S = 8/200 H 12,0.

18. Dec. Trübung hat eher noch zugenommen. S= %oo9 H 12,0.

26. März 1890. Hornhaut noch durchweg parenchymatös getrübt. Oberer Theil mehr streifig, unterer mehr wolkig. Von unten her an zwei Stellen tiefe Vascularisation. S = ^/soo> H 12,0.

Diese sechs Fälle zeigen mit Ausnahme der Hornhaut- trübung so wenig übereinstimmendes, dass sich aus ihnen auf die Ursache der Trübung nicht schliessen lässt. Eben- sowenig spricht irgend etwas für eine besondere Disposition der Patienten zu dieser Trübung. Am meisten finden wir noch das Auftreten von HornhautcoUaps und schwierige Entbindung der Linse erwähnt Gerade dieses letztere und das häufige Eingehen mit Instrumenten in die vordere Kam- mer könnte als Ursache der Trübung in unseren Fällen an- gesehen werden. Bei der bereits oben erwähnten Discus- sion über die Streifenkeratitis ^) nach Operationen, die der vor der ophthalmologischen Gesellschaft 1887 in Heidelberg gehaltene Vortrag von Laqueur hervorrief, wurde für die Entstehung dieser Hornhauttrübung speciell das mechanische

») 1. c. S. 162, Note 1.

Experimentelle üntersucliungeii etc. 171

Moment der Gontusion betont Sattler, Leber und Becker haben ausser der streifigen auch eine circumscripte diffuse Trübung gesehen, sie verschwindet entweder mehr oder we- niger rasch oder hinterlässt eine bleibend getrübte Stelle. Als Ursache dieser circumscripten, diffusen Hornhauttrübung wird nach den Versuchen von Leber und Wagenmann eine mechanische Verletzung des Endothels angenommen.

Unsere Hornhauttrübungen in den sechs angeführten Fällen müssen jedoch eine andere Ursache haben. Dafür spricht erstens ihre gleichmässige Ausdehnung über einen grösseren Theil der Hornhaut, zweitens der Umstand, dass wir solche Hornhauttrübungen in früheren Serien von Ca- taractoperationen nicht gekannt; obwohl in denselben bei den gleichen Manipulationen die gleichen mechanischen Schädlichkeiten eingewirkt hatten. Ganz besonders spricht drittens gegen die mechanische Ursache unserer Trübung, dass in den folgenden Operationsserien nach Weglassung der Sublimatlösung als Irrigationsflüssigkeit nie mehr etwas Aehnliches beobachtet worden ist.

Der Diabetes des ersten Falles mag denselben als nicht ganz rein erscheinen lassen. An eine Vertrocknung der Homhautoberfläche während der Operation, wie sie Wür- dinger gesehen, konnte bei der constanten Irrigation nicht gedacht werden.

Das Cocain allein schien uns auch nicht der wahr- scheinliche Urheber der Trübung zu sein. Besonders wenn wir an die unvergleichlich reichlicheren Cocaineinträufelun- gen bei Pterygiumoperationen, Iridectomieen und besonders bei Herausnahme von Fremdkörpern aus der Hornhaut dachten, die ohne schädlichen Einfiuss auf die Cornea ge- schehen können.

Der Sublimat, der hier schon längere Zeit vor Anwen- dung des Cocains, wenn auch nicht zur constanten Irriga- tion, so doch zur häufigen Ueberspülung des Operations- gebietes in Lösung von 1 : 5000 verwendet wurde, ohne

172 C. Mellinger.

dass vorher ähnliche Trübungen auftraten, schien uns auch nicht schuldig.

Auffallend erschien auch uns, dass wir die Trübungen nur bei Cataractextractionen sahen, während bei anderen Operationen nie etwas Aehnliches beobachtet wurde. Es musste also der Zustand, in welchem das Auge sich befand, zur Zeit wenn es in Berührung kam mit Sublimat oder Co- cain oder mit beiden zusammen für die Entstehung der Trübung von Bedeutung sein.

Die Eröffnung der vorderen Kammer allein konnte es nicht sein, sonst hätten wir bei Iridectomieen Aehnliches sehen müssen. Die weitere Eröffnung der vorderen Kam- mer bei Extraction, die grössere Möglichkeit des Eintretens von Flüssigkeit in dieselbe nach der Linsenentbindung, hat- ten hier noch in Betracht zu kommen. Die Wahrschein- lichkeit, diese Fragen auf klinischem Wege zu lösen, war eine sehr geringe. Ich folgte daher gerne der Aufforderung meines verehrten Lehrers, Herrn Prof. Schiess-Gemuseus, den Gegenstand einer experimentellen Untersuchung zu unterziehen.

Die Fragen, welche wir uns zu stellen hatten, waren folgende:

1) Welchen Einfluss hat das Cocain allein oder in Verbindung mit Sublimat auf die unverletzte Hornhaut?

2) Wie ist der Einfluss bei eröffneter vorderer Kammer?

3) Wie verhält sich die Hornhaut bei kürzerem Aufenthalt und beim Zurückbleiben dieser Flüssig- keiten in der vorderen Kammer?

Experimenteller Theil.

1) Welchen Einfluss hat das Cocain allein oder in Verbindung mit Sublimat auf die unverletzte Hornhaut.

Experimentelle Üntersuchangen etc. 173

Durch zahlreiche Versuche am Kaninchen wurde das TOD Würdinger angegebene Verhalten des Hornhautepi- thels beim Cocainisiren^ bei offener und geschlossener Lid- sgalte bestätigt gefunden. Wir sahen besonders schön mit der Westien'schen Lupe die bei offengehaltenem Auge auftretenden Unebenheiten des Hornhautepithels. Bei der Prüfung der Sensibilität fiel uns bei den meisten Fällen auf, dass die leichte Berührung mit der Sonde einen oft mehrere Minuten lang bestehenbleibenden Eindruck im Epi- thel der Hornhaut zurückliess.

Auch die Durchlässigkeit des Epithels der cocainisir- ten Hornhaut für leicht diffundirende Farbstoffe konnte mit Uranin constatirt werden.

Cocainisirt man bei einem Kaninchen das eine Auge und bringt dann in den Gonjunctivalsack beider einen Trop- fen einer 207oig6i^ Uraninlösung, so sieht man schon nach wenigen Secunden die Hornhaut des cocainisirten Auges sich grün färben und nach einer Minute hat sich die Farbe dem grössten Theil des Parenchyms mitgetheilt; während die Hornhaut des anderen Auges unverändert bleibt.

Ausgiebige Sublimatirrigation (1 : 5000) nach reich- licher Cocainisirung konnte nur vorübergehende, hauchige Trübung der obersten Epithelschicht hervorrufen.

Es wurde hierbei beobachtet, dass langanhaltende Su- blimatirrigation eine ziemlich starke mehrere Tage anhaltende catarrhalische Reaction der Kaninchenconjunctiva hervorruft.

Alle in dieser Hinsicht^ angestellte Versuche ergaben in Bezug auf die nach Extraction auftretende parenchyma- töse Hornhauttrübung das zu erwartende negative Resultat. Wir können hier nur die von Würdinger angeführten Co- cainveränderungen des Epithels der Hornhaut bestätigen.

Es scheint uns noch von Literesse hier zu erwähnen, dass die Veränderungen, welche das Cocain an den Epi- thelzellen der Hornhaut hervorruft, sich sehr leicht an der Froschhornhaut unter dem Mikroskop beobachten lassen.

174 C. Melllnger.

2) Wie ist der Einfluss des Cocains allein oder in Verbindung mit Sublimat auf die Hornhaut bei eröffneter vorderer Kammer.

Nach dem zu erwartenden negativen Resultat der ersten Versuchsreihe, hatten wir zu unserer zweiten Frage über- zugehen und die Versuche bei eröffneter vorderer Kammer, die Würdinger bereits vorgenommen, zu wiederholen. Bei diesen Versuchen wurde in der cocainisirten Hornhaut dem oberen Pupillarrand gegenüber ein etwas über 1 mm langer Schnitt angelegt und nach Abfluss des Kammerwassers so** wohl bei offengehaltener als auch sich selbst überlassener Lidspalte während einer Stunde alle 5 Minuten ein Tropfen einer 2 ^/oigen Cocainlösung auf die Hornhaut und die Schnittstelle gebracht

Ausser den bekannten von Würdinger nachgewiese- nen Epithelveränderungen und hie und da einer leichten bläulichen Färbung und Quellung der Wundlippen konnte keine weitere Veränderung der Hornhaut beobachtet wer- den. Die Hornhäute waren des anderen Tages wieder voll- kommen glatt und unverändert in ihrer Transparenz, die Schnittränder zeigten manchmal eine schmale vorüber- gehende Trübung.

Die Versuche wurden sodann combinirt mit Sublimat- irrigation. Nach ausgiebiger Cocainisirung und Anlegung des Schnittes wurde, ähnlich wie bei der Staaroperation, eine Irrigation des Auges mit einer Sublimatlösung von 1 : 5000 während zehn Minuten vorgenommen. Bei einzel- nen Versuchen geschah von Zeit zu Zeit während der Irri- gation ein Lüften des Wundrandes und das etwa wieder angesammelte Kammerwasser floss ab.

Ausser dem bereits oben beschriebenen und für die Kaninchenconjunctiva» wie es scheint, charakteristischen Reiz- zustand nach längerem Contact mit Sublimatlösung, wurde die Hornhaut fast regelmässig oberflächlich hauchig getrübt gefunden. Die oberflächliche Trübung war nach ein bis zwei

Experimentelle üotenachungen etc. 175

Tagen wieder YoUständig verschwunden. Eine der gesuch- ten Trübung gleichende Veränderung konnte nicht erzeugt werden.

3) Wie verhält sich die Hornhaut bei kürzerem Aufenthalt und beim Zurückbleiben dieser Flüssig- keiten in der vorderen Kammer.

Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine grosse Reihe von Versuchen am Kaninchen gemacht. Da ein be- stimmter Theil dieser Versuche ein positives Resultat brachte, halte ich es für angezeigt, die für die Beantwortung un- serer Frage wichtigen Versuche aus dem ProtocoU mitzu- theilen. Die Versuche tragen die Protocollnummer.

Die erste Versuchsreihe handelt über das Ver- halten der Hornhaut bei kürzerem Aufenthalt von Cocain in der vorderen Kammer.

Versuch HI.

Weisses Kaninchen. Linkes Auge. Hornhaut intact. 10 Uhr 30 Min. 1 gtt. 2 % Cocain, 10 Uhr 35 und 10 Uhr 39 Min. dasselbe. Nun wird ein 1 ^/^ mm langer Lappenschnitt in der Hornhaut dem oberen Pupillarrand gegenüber angelegt. 10 Uhr 40 Min. wird die abgeschliffene, stumpfe Canüle einer Pravatz- spritze durch die Wunde bis über den oberen Pupillarrand hinaus in die vordere Kammer eingeführt. Durch langsames Vorschieben des Stempels der Spritze werden mehrere Theil- striche einer 2®/Qigen Cocainlösung in die vordere Kammer gebracht. Das Cocain fliesst durch die klaffende Wunde wie- der ab. 10 Uhr 50 Min. Hornhantepithel zeigt die durch das Cocain hervorgerufenen Unebenheiten; Pupille wird bei der wieder etwas vorhandenen flachen Kammer weit. 11 Uhr 5 Min. Bei schiefer Beleuchtung deutliche Auflockerung und Uneben- heit des Hornhautepithels besonders in der Lidspaltenzone. Pupille weit. 11 Uhr 30 Min. Epithelveränderungen nehmen ab. Papille bleibt weit. Am folgenden Tag: Auge reizlos, Horn- haut klar.

Alle in der gleichen Weise angestellten Versuche gaben das gleiche Resultat.

176 0. Mellinger.

Zweite Versuchsreihe über das Verhalten der Hornhaut bei kürzerem Aufenthalt einer Sublimat- lösung 1:5000 in -der vorderen Kammer.

Diese Versuche wurden mit und ohne Gocainanästhesie vorgenommen, stets mit dem gleichen Resultat

Als Beispiel gelte:

Versuch XV.

Weisses Kaninchen. Linkes Aag& Intacte Hornhaut

21. März. 11 Uhr 25 Min. In der Hornhaut wird dem oberen PapiUarrand gegenüber ein kleiner Lappenschnitt ge- macht Kammerwasser läuft ab. Hierauf wird die Pravatz'sche Spritze mit stumpfer Ganüle bis zum unteren Pupillarrand ein- geführt und langsam eine halbe Spritze Sublimatlösung (1 zu 5000) eingespritzt. Die eingespritzte Flüssigkeit läuft neben der Ganüle durch den Schnitt wieder ab, die Kammer füllt sich nicht. Die Pupille wird eng.

22. März. Auge reizlos. Homhautoberfläche sieht leicht kömig aus. Obere und mittlere Partie der Hornhaut bis zum unteren Pupillarrand sind bläulich, parenchymatös getrübt Pupille frei, reagirt auf Licht Sensibilität ist in der ge- trübten Hornhautpartie herabgesetzt.

23. März. Parenchymatöse Trübung noch intensiver. Iris durch dieselbe nur sehr undeutlich sichtbar. Sensibilität in der Trübung herabgesetzt. Berührung der getrübten Stelle mit einer stumpfen Sonde erzengt einige Zeit bestehenbleibende Eindrücke.

24. März. Trübung etwas weniger intensiv. Sonst stat id.

26. März. Nor noch ganz leichte, hauchige, parenchymatöse Trübung der Hornhaut Sensibilität noch deutlich herabgesetzt in der getrübten Partie. Epitheleindrücke lassen sich noch mit der Sonde wie am 23. März hervorrufen.

27. März. Nur in der Nähe der geschlossenen Wunde noch etwas parenchymatöse Trübung. Sensibilität gut. In der früher getrübten Stelle lassen sich noch mit dem Sondenkopf Epitheleindrücke hervorrufen, doch verschwinden dieselben viel rascher als zwei Tage vorher.

28. März. Hornhaut bis auf die Schnittnarbe klar. Sen- sibilität gut. Es lassen sich keine Epitheleindrücke mehr her- vorrufen. Pupille reagirt auf Licht. Auge reizlos.

Experimentelle Untersnchungeo etc. 177

Eine grosse Anzahl solcher Versuche brachte uns stets das gleiche Resultat. Die Dauer der parenchymatösen Trü- bung schwankte zwischen drei bis sechs Tagen. Stets hellte sich die Hornhaut wieder vollkommen bis auf die kleine Schnittnarbe auf. Vorhergehende Gocainanästhesie blieb ohne nachweisbaren Einfluss auf die Entstehung und die Dauer der Trübung. Wurde vorher die vordere Kammer mit Cocain ausgespült und dann eine Sublimatausspülung folgen gelassen oder zum Ausspülen ein Gemisch von glei- chen Theilen der gewöhnlichen Cocain- lud Sublimatlösun- gen benutzt, so trat das gleiche Resultat auf. Es entstand die oben beschriebene, durch Sublimat allein schon hervor- gerufene parenchymatöse Trübung der Hornhaut; aber mit dem bemerkenswerthen Unterschied, dass sie einige Tage länger (bis zehn Tage) bestehen blieb, als wenn Sublimat allein durch die vordere Kammer geflossen war.

Durch diese Versuche war bewiesen, dass der Subli- mat allein, wenn er sich auch nur vorübergehend in der vorderen Kammer in der Verdünnung von 1 : 5000 befindet, eine vorübergehende, parenchymatöse Trübung der Kanin- chenhornhaut hervorruft, ähnlich der in letzter Zeit beim Menschen nach Staaroperationen beobachteten Corneatrübung.

Wir hatten die Ausspülung der vorderen Kammer in diesen Versuchen vorgenommen, um den Verhältnissen, unter denen sich ein Auge während der Staaroperation verbun- den mit Irrigation befindet, möglichst nahe zu kommen. Der niedere Druck, unter dem das Auge nach der weiten Eröffnung* der vorderen Kammer und besonders nach der Entbindung der Linse sich befindet, lässt die Irrigations- flüssigkeit in die vordere Kammer leicht eintreten. Es kann sogar vorkommen bei stark herabgesetztem Druck, der nicht so selten mit Anwendung des Cocains beobachtet wird, dass Irrigationsflüssigkeit nach vollendeter Operation in der vor- deren Kammer zurückbleibt. Unsere oben angeführten Ver- suche entsprechen dieser letzteren Möglichkeit nicht. Die

▼. Gnefe'B AtcUt mr Ophthalmologie. XXXVII. 4. 12

178 C. Mellinger.

vordere Kammer entleerte sich nach Einbringung der Su- blimatlösung stets wieder ganz und konnte desshalb auch nur die Wirkung von vorübergehend in der vorderen Kam- mer anwesender Sublimatlösung zur Beobachtung kommen. Es blieb daher noch zu untersuchen, welchen Einfluss kleine, in der vorderen Kammer zurückbleibende Mengen von Su- blimatlösung auf die Hornhaut ausüben.

Von dem zunächst liegenden Versuch zur Beantwor- tung dieser Frage, der Staarextraction am Thier, wurde aus naheliegenden Gründen abgesehen. Die Infectionsge- fahr ist hierbei eine zu grosse und reine Versuchsresultate mehr vom Zufall abhängig.

Es wurde desshalb mit der Discissionsnadel eine feine Oeffnung in der Hornhaut gemacht, durch die sich nur beim Lüften der Wunde die vordere Kammer vollständig entleerte. Durch eine solche Oefihung eingespritzte kleine Mengen der Sublimatlösung bleiben in der vorderen Kam- mer zurück, wovon man sich durch eine gefärbte Lösung überzeugen kann. In dieser Weise ausgeführte Versuche gaben das gesuchte Resultat: die weisslich- graue, pa- renchymatöse bleibende Hornhauttrübung.

Der folgende aus der HL Versuchsreihe herausgegrif- fene Versuch mag als Muster gelten.

Versuch XL

Gelbbraunes Kaninchen. Becbtes Auge. Intacte Hornhaut. Dunkelpigmentirte Iris.

13 Febr. 1890. Cocainanästhesie. Perforation der Horn- haut dem oberen inneren Papillarrand gegenüber. Nach Abfloss des Kammerwassers Einspritzung eines Theilstriches der Subli- raatlösung 1:5000 mittelst der Pravatz'schen Spritze; die Lö- sung bleibt nach Entfernung der Spritze in der vorderen Kam- mer zurttck. Die Papille wird eng. Das Thier scbliesst das Aage.

14. Febr. Auge reizlos wird gut geöffnet. Obere Horn- hauthälfte blau parenchymatös getrübt. Die Trübung besteht aus feinen Streifen und polygonalen Flecken. Pupille

ExperimenteUe Untersachungen etc. 179

eng, reagirt anf Licht Sensibilität in der getrübten Partie herabgesetzt. Der Sondenknopf erzeugt* kurze Zeit besteheli- bleibende EindrQcke in dem Hornhautepithel der getrübten Stelle.

Bis zum 17. Febr. hat die Trübung derart an Intensität zugenommen, dass die Pupille nur noch schwach sichtbar ist. Die Trübung nimmt nun fast die ganze Hornhaut ein. Das Auge bleibt reizlos und wird gut geöffnet

Bis 26. Febr. bleibt der Zustand der gleiche; von da an hellt sich die Trübung in den peripheren Theilen der Horn- haut auf, während die mehr central und nach oben gelegene, zuerst getrübte Partie sich noch intensiver trübt.

12. März. Oberer Theil der Hornhaut bleibt intensiv grau- blau getrübt, untere und zeitliche Theile haben sich aufgehellt. Sensibilität nur noch wenig herabgesetzt Epitheleindrücke las- sen sich in der getrübten Partie mit der Sonde noch hervor- rufen, doch verschwinden sie sehr rasch.

25. April. Bei reizlosem Auge besteht die Trübung in dem oberen Theil der Hornhaut fort Sie geht vom oberen Hornhautrand zungenförmig bis über die Pupille und nimmt fast ein Dritttheil der Hornhaut ein. Ihre Farbe wird mehr milchig weiss und ihre Durchsichtigkeit dadurch noch geringer. Die Sensibilität ist in der getrübten Stelle nicht mehr herab- gesetzt Epitheleindrücke lassen sich keine mehr hervorrufen. Die Oberfläche über der parenchymatösen Trübung ist glänzend wie die übrige Hornhaut

Als der Bulbus nach sechzehn Monaten zum Zwecke der mikroskopischen Untersuchung nach Tödtung des Thieres herausgenommen wurde, war diese zungenförmige parenchymatöse Hornhauttrübung noch in gleicher Stärke vorhanden.

Aus diesen Versuchen geht hervor, dass Sublimat in die vordere Kammer des Kaninchenauges gebracht, eine parenchymatöse Hornhauttrübung erzeugt, die der beim Men- schen beobachteten ähnlich ist

Das Bestehenbleiben dieser Trübung hängt davon ab, wie lange Sublimat von der bei Augenoperationen üblichen Concentration in der vorderen Kammer anwesend war. Bleibt eine kleine Menge in der Kammer zurück, so ent- steht eine viel intensivere und ausgedehntere Hornhaut- trübung, die zu einer bleibenden werden kann.

12»

180 C. Mellinger.

Das Entstehen dieser parenchymatösen Hornhauttrü- bung ist vollkommen unabhängig Yon der Grösse der Per- forationswunde der Cornea. Dass die Wunde überhaupt mit der Entstehung dieser Hornhauttrübung nichts zu thun hat, dafür spricht vor Allem, dass die Trübung ganz gleich entsteht, wenn man die Perforationsöffnung in den Scleral- falz verlegt und durch eine sclerale Oeffimng Sublimat- lösung in die vordere Kammer bringt,

Nach den klinischen Erfahrungen war es noch von Interesse zu wissen, welche Rolle das Cocain bei der Ent- stehung dieser Trübung spielt. .Wie wir oben gesehen ha- ben, ist es im Stande, eine schwache Sublimattrübung, wenn es gleichzeitig mit dem Sublimat eingewirkt hat, in ihrem Bestehen zu verlängern.

Versuche mit Einbringung von Cocainlösung in die vordere Kammer fielen in so weit negativ aus, als keine Hornhauttrübung entstand.

Aus Versuchen von Würdinger ist uns bekannt, dass das Epithel der cocainisirten Hornhaut für im Con- junctivalsack befindliche Flüssigkeiten leichter durchgängig wird (siehe Seite 163).

Bei Staaroperationen, besonders bei solchen mit Iri- dectomie, kommt häufig noch nach vollendetem Lappen- schnitt, zum Zweck der schmerzlosen Irisausschneidung Co- cain zur Anwendung. Dasselbe muss dann in die vordere Kammer eindringen wenn es wirken soll.

Es war daher die Frage naheliegend: Wie wirkt das Cocain auf das Endothef der Hornhaut?

Zur Beantwortung derselben wurde folgender Versuch gemacht:

Bei einem Kaninchen wird beiderseits mit einer breiten Discissionsnadel die Hornbant perforirt. Hierauf in. das eine Auge mit der Pravatz'schen Spritze ein bis zwei Tropfen einer 2^/oigen Cocainlösung eingebracht. Das Kaninchen erhält so- dann eine Injection von Fluorescinlösung unter die Rückenhaut.

Experimentelle üntersachungen etc. 181

Nach 20 25 Minuten zeigt sich das Fluorescin beiderseits in der vorderen Kammer und färbt den Humor aqueus grttn. Auf der cocainisirten Seite wird aber nicht nur das Kammerwasser, sondern auch der grösste Theil der Hornhaut parenchymatös, diffus grün geförbt.

Die Grünfärbung des Parenchyms ist bei diesem Ver- such viel intensiver, als beim Eindringen des Fluorescins vom Epithel aus. Das andere nicht cocainisirte Auge zeigt nur in der nächsten Umgebung der Perforations- öfifnung einen schmalen grün gefärbten Hof, während die übrige Hornhaut vollkommen klar bleibt.

Dass es hier wirklich das Cocainum muriaticum in der Lösung ist, welches das Epithel oder Endothel durch- gängig macht und nicht das Aqua destillata beweisen ent- sprechende ControUversuche, die von uns mehrfach ausg^ führt wurden. Sie zeigten erstens, dass Aqua dost, allein nicht im Stande ist, eine solche Durchlässigkeit des Epi- thels zu erzeugen, wie die Cocainlösung; zweitens, dass Cocain in einhalbprocentiger Kochsalzlösung ganz gleich auf Epithel und Endothel einwirkt, wie in der gewöhnlichen wässerigen. Es muss also das Cocainum muriaticum die Eigenschaft besitzen, sowohl Epithel als auch Endothel der Hornhaut für Flüssigkeiten durchgängig zu machen.

Aus unseren Versuchen geht demnach hervor, dass so- wohl das Cocain als auch der Sublimat in der gebräuch- lichen Lösung das Endothel der Hornhaut verändern müs- sen. Die Sublimattrübung tritt auf, wenn wir die Cornea gar nicht verletzt haben, sondern scleral die Lösung in die vordere Kammer bringen. Die Sublimatlösung kann dem- nach auf keinem anderen Weg von der vorderen Kammer aus in die Hornhaut eindringen als durch das Endothel. Um dieses zu können, muss sie aber eine Veränderung im Endothel hervorrufen. Denn wie Leber ^) nachgewiesen

*) Th. Leber, Stadien über den FlasBigkeitswechsel im Auge. Oraefe*8 Archiv XIX, S. 162.

182 C. Mellinger.

hat» schützt das intacte Endothel am lebenden Auge das Parenchym der Hornhaut vor dem Eindringen des Kammer- wassers. Nuel und CorniP) zeigen in ihrer anatomischen Arbeit über das Endothel der vorderen Kammer, dass vom Kammerwasser diflferente Flüssigkeiten (destillirtes Wasser und Sublimatlösungen) das Endothel abtödten und zur Ab- stossung bringen, wodurch das Parenchym in directe Com- munication mit dem Inhalt der vorderen Kammer tritt. Nach unserem Fluorescinversuch hat auch das Cocain eine das Endothel durchlässig machende Wirkung.

Durch das Gelingen dieser Versuche sind die Fragen, die wir uns gestellt, beantwortet und können wir für die Kaninchenhornhaut und ihr Verhalten zu Sublimat und Co- cain folgende Sätze aufstellen:

1) Sublimatlösung in der Concentration von 1:5000 erzeugt bei vorübergehender Anwesenheit in der vorderen Kammer eine kürzere Zeit anhal- tende, parenchymatöse Hornhauttrübung. Bleibt jedoch etwas Sublimatflüssigkeit in der vorderen Kammer zurück, so entsteht eine intensive lang an- dauernde oder bleibende parenchymatöse Trübung.

2) Das Cocain allein macht keine Hornhauttrü- bung. Dagegen unterstützt seine Anwesenheit in der vorderen Kammer die Entstehung der Subli- mattrübung. Und zwar einmal dadurch, dass es das Endothel für Flüssigkeit, die sich in der vor- deren Kammer befindet, durchgängig macht und so das Parenchym der Einwirkung dieser Flüssig- keit aussetzt; ferner dadurch, dass es den intra- ocularen Druck herabsetzt, das Auftreten von Horn- hautcollaps befördert und so das Eindringen und

') De rendoth^lium de la chambre ent^rieure de Toeil, parti- culiärement de celui de la com^e, par les D»* J. F. Nuel, profesaeor et Fem. Cornil, assistent. Archives d*ophtalmologie. T. X. 309.

Experimentelle Untersuchungen etc. 183

Zurückbleiben von Sublimatlösung in der vorderen Kammer erleichtert.

Für die Identität dieser beim Kaninchen erzeugten parenchymatösen Sublimattrübung der Hornhaut, mit der beim Menschen nach Staarextraction beobachteten, spricht vor Allem die Art, wie sie experimentell hervorgerufen wurde und ihr Aussehen. Vergleichen wir die genaue Be- schreibung der parenchymatösen Hornhauttrübung nach Staarextraction, wie sie die ausfuhrliche Krankengeschichte der hier beobachteten Fälle enthält, mit einer durch Su- blimat experimentell erzeugten parenchymatösen Keratitis beim Kaninchen, so finden wir die gleichen Symptome.

Das Auge ist reizlos. Die Perforationswunde ist am zweiten, dritten Tag in der gewöhnlichen Art vascularisirt. Es besteht keine Lichtscheu. Die Hornhaut ist blau-grau, parenchymatös getrübt. Das Epithel uneben. Die Trübung besteht aus Wolken, polygonalen Feldern und Streifen. Ist die Trübung nicht zu intensiv, so sieht man ausser einer normalen vorderen Kammer, die Iris und eine auf Licht gut reagirende Pupille. Die Sensibilität in der getrübten Stelle ist stark herabgesetzt bis aufgehoben. Das zur Prü- fung benutzte Sondenende hinterlässt in der Hornhautober- fiäche einen Eindruck, der langsam wieder verschwindet, wie bei Hautödem. Die Möglichkeit, solche Eindrücke her- vorzurufen, schwindet mit dem Alter der Trübung und es kehrt dementsprechend die Sensibilität zurück. Alle unver- ändert bestehenbleibende Hornhauttrübungen derart zeigen glänzendes Epithel, in dem sich keine Eindrücke hervor- rufen lassen und wieder hergestellte Sensibilität.

Dass es sich bei der Sublimatkeratitis anfangs um eine Quellungstrübung handelt, wie sie Leber ^) nach Abkratzung des Endothels erhalten, dafür spricht die ge- nauere Untersuchung so getrübter Kaninchenhornhäute.

*) 1. c. S. 181.

184 G. Mellinger.

Schneiden wir eine Hornhaut mit theilweiser frischer Su- blimatkeratitis aus, so finden wir dieselbe in der getrübten Partie zwei- bis dreimal so dick als in der transparenten. Auch der Querschnitt zeigt uns das gleiche Verhältniss. Dieses Homhautödem beruht auf einer Ausdehnung des Saftkanalsystems, was sich besonders gut durch die Leb er- sehe Blaufärbung ^) an frisch ausgeschnittenen ganzen Hornhäuten nachweisen lässt Während bei' einer so behan- delten normalen Hornhaut das Saftkanalsystem in den bekannten Knochenkörperchen ähnlichen, schlanken Figuren sich präseutirt, die durch haarfeine Ausläufer untereinander in Verbindung stehen, erscheinen bei der Sublim^tkeratitis diese Figuren bedeutend vergrössert, auf Kosten ihrer ecki- gen Form, sie liegen näher aneinander, verdrängen die Zwischensubstanz, die haarfeinen Anasthomosen sind plumpe breite Verbindungen geworden.

Auch an Querschnitten so getrübter und in Müller- scher FJüssigkeit gehärteter Hornhäute sehen wir eine sehr auffallende, wahrscheinlich nur scheinbare Proliferation der Homhautkörperchen. Die mit kemfärbendem Hämatoxylin- Alaun behandelten Schnitte zeigten unveränderte Trans- parenz der Homhautgrundsubstanz, dagegen massenhaft sichtbare in jeder Dimension vergrösserte Homhautkörper- chen. Einwanderung von Zellen aus der Nachbarschaft, wie wir sie sonst massenhaft bei joder eigentlichen Entzündung der Hornhaut sehen, war nie in bemerkenswerther Weise nachzuweisen. Die Erscheinung der Proliferation der Hom- hautkörperchen war um so auffallender, je jünger die Trü- bung war und besonders deutlich an Hornhäuten, die am dritten oder vierten Tag nach Erzeugung der Trübung in die Härtungsflüssigkeit gekommen waren. Wir glauben nicht, dass es sich hier um eine wahre Vermehrung der Homhautkörperchen handelt, sondem dass das eingetretene

*) mit Ferrum Bulf. Ferridcyankaliam.

Experimentelle Untersuchungen etc. 185

Oedem, das die einzelnen Hornhautkörperchen vergrössert, sie auch in mehr Schichten gleichzeitig sichtbar macht So dass dnrch einen Schnitt nicht nur mehr dieser Gebilde getro£fen werden, sondern auch im Schnitt selbst tieferlie- gende deutlicher siditbar werden. Es mag auch manche im Querschnitt getroffene, ausgedehnte Anastomose das Bild der Vermehrung der Hornhautkörperchen noch vervollstän- digen.

Das Endothel fehlt bei der frischen Trübung. Es er- setzt sich in den ersten acht Tagen und gleichzeitig damit tritt bei der vorübergehenden Form der Sublimattrübung die Aufhellung der Hornhaut ein. Bei der bleibenden Form der parenchymatösen Sublimatkeratitis stellte sich das En- dothel ebenfalls her, jedoch ohne eine Besserung der Trans- parenz an der getrübten Stelle zur Folge zu haben.

Das mikroskopische Bild einer bleibenden Sublimat- trübung der Hornhaut ist ein ganz anderes als das eiber frischen. Zwischen einer acht und sechzehn Monate alten Trübung derart besteht keine nennenswerthe Differenz. Die Veränderung ist nach dieser Zeit eine stationäre geworden. An Querschnitten in Müller'scher Flüssigkeit gehärteter Präparate zeigt die Hornhaut an der getrübten Stelle keine Verdickung mehr. Das Epithel über der Trübung ist von normalem Aussehen. Die Hornhautkörperchen sind zahlreicher sichtbar als in dem transparenten Theil einer solchen Cornea. Dagegen zeigen sie nicht mehr die gleich- massige Aufblähung wie bei den feinsten Sublimattrübun- gen. Sie sind schlank, aber nicht gestreckt wie in der nor- malen Hornhaut, sondern leicht geschlängelt. Diese Schlän- gelung der Hornhautkörperchen bringt eine wellenförmige Vorlagerung der Homhautfibrillen mit sich, ähnlich dem Befund, den Gallenga^) bei der angeborenen Hornhaut- trübung beschrieben hat Die Structur der Homhautgrund-

*) C. Gallen ga, Salla Struttura dello scleroftalmo congenito. Borna 1890.

186 C. MelUnger.

Substanz erinnert mehr an das scerale Gewebe. Die Mem- brana Descemeti und das Endothel zeigen keine Verände- rung. Es ist offenbar die Verlagerung der Hornhautfibril- len, welche die Trübung verursacht.

Pathologisch-anatomisch können wir uns die Yorüber- gehende und bleibende Trübung der Hornhaut nach Subli- matinjection in die vordere Kammer in folgender Weise erklären:

Die vorübergehende Sublimatkeratitis beruht auf einer Quellung der Lymphspaltensysteme der Hornhaut. Durch Verlust des Endothels hat sich die Hornhaut mit Kanmierwasser und etwas Sublimat imbibirt. Die Aufhel- lung geschieht durch Neubildung des Endothels und da- durch entstehenden natürlichen Schutz des Parenchyms ge- gen das Eindringen der Kammerflüssigkeit.

Die bleibende Trübung nach Sublimatkeratitis ent- steht dann, wenn Sublimatlösung nach Zerstörung des En- dothels direct in Berührung kommt mit dem Parenchym. Das erste Stadium ist dann wieder die einfache Quellungs- trübung der Hornhaut. Dieselbe hellt sich jedoch nach Wiederherstellung des Endothels nicht mehr auf, weil das direct und längere Zeit mit Sublimatlösung in Gontact gewe- sene Lymphspaltensystem des Homhautparenchyms schrumpft und so zu einer bleibenden Verlagerung der Homhaut- fibrilleu fuhrt.

Es ist auch für uns von praktischem Interesse zu wis- sen, durch welche Flüssigkeit wir die Sublimatlösung 1 zu 5000 ersetzen können.

Versuche nach dieser Richtung hin zeigten, dass auch schwache Sublimatlösungen 1 : 10,000 und 1 : 15,000 in die vordere Kammer des Kaninchenauges gebracht, die vorüber- gehende Form der parenchymatösen Hornhauttrübung er- zeugen.

3 ^/o Borsäurelösung und Va ^/o Kochsalzlösung konnten dagegen ohne jeden Nachtheil für die Hornhaut in beliebi-

Experimentelle Untersachangen etc. 187

gen Quantitäten in die vordere Kammer injicirt werden. Die Borsäurelösung wurde, weil sie das Endothel nicht an- greift, Ton Nuel und CorniP) zur Ausspülung der vor- deren Kammer neben der physiologischen Kochsalzlösung allenfalls noch für zulässig erklärt.

Auch gleichzeitige Anwendung von Cocain mit Bor- säure- oder Kochsalzlösung in der vorderen Kammer, konnte keine nachtheilige Wii'kung dieser Mittel hervorrufen.'

Für die Unschädlichkeit der Borsäurelösung, auch in Verbindung mit Cocain sprechen die letzten 100 Staarope- rationen an der hiesigen ophthalmologischen Klinik. Die- selben wurden ausschliesslich unter Borsäureirrigation aus- geführt und alle Ausspülungen der vorderen Kammer mit Borsäurelösung vorgenommen; seither ist diese parenchy- matöse Hornhauttrübung nicht mehr aufgetreten.

Es ist nicht nur die Sublimatlösung, sondern es sind auch, wie uns Versuche gezeigt haben, eine Reihe anderer Flüssigkeiten, z.B. Aqua destillata, schwache Säuren, Alko- hol, die in die vordere Kammer des Kaninchens injicirt parenchymatöse Trübung der Hornhaut von verschiede- ner Dauer hervorrufen. Es liegt auf der Hand, dass wie destillirtes Wasser auch Lösungen medicamontöser Stoffe wirken werden, die statt mit physiologischer Chlomatrium- lösung nur mit destillirtem Wasser bereitet sind.

Die erst kürzlich von Schmidt-Rimpler*) zur Des- infection bei Augenoperationen und Augenverletzungen em- pfohlene Aqua chlorata, erzeugt in die vordere Kammer des Kaninchens gebracht, ebenfalls eine bleibende parenchy- matöse Hornhauttrübung und zwar von noch grösserer In- tensität als die Sublimattrübung. Bei längerer Einwirkung in der vorderen Kammer hat die Aqua chlor, ausser der Hom-

») 1. c. S. 182.

*) Aqua chlorata, zur Desinfection bei Aagenoperationen und Augenverletzungen von H. Schmidt-Rimpler. Deutsche medic. Wochenschrift 1891, Nr. 3.

188 C. Mellinger, ExperimenteUe Untersachongen etc.

bauttrübung noch partielle Atrophie der Iris und Linsen- kapseltrübongen zur Folge. Wir können nach diesen Yer- sucbsresultaten von der Anwendung der Aqua chlorata bei erö&eter yorderer Kammer nur warnen.

Diese Versuche zeigen, dass wir bei Eröffnung der vorderen Kammer mit besonderer Vorsicht Yorzugehen ha- ben, um das Endothel nicht zu verletzen, auf dessen Wich- tigkeit für die Transparenz der Hornhaut Leber ^) zuerst aufmerksam gemacht hat In unserer antiseptischen .Zeit kommt ausser dem früher schon vorhandenen mechanischen Moment noch das weit schlimmere chemische hinzu. Wäh- rend ein eingeführtes trockenes Instrument nur eine circnm- scripte Verletzung des Endothels machen kann, kann ein Tropfen einer antiseptischen Lösung eine ausgedehnte Zer- störung dieser Schutzmembran der Hornhaut hervorrufen. Wie leicht kann schon durch ein, aus einer antiseptischen Lösung genommenes nass eingeführtes Instrument, eine ge- nügende Menge einer das Endothel zerstörenden Flüssigkeit in die vordere Kanmier kommen.

Es ist von Wichtigkeit, in einer Zeit, in der manche Ophthalmologen sich nicht mehr scheuen, beliebig oft mit Instrumenten in die vordere Kammer einzugehen, antisep- tische Ausspülungen dieses Hohlraums vorzunehmen und Medicamente in denselben zu injiciren, darauf aufmerksam zu machen, dass schon mechanische Verletzungen des Endo- thels für die Transparenz der Hornhaut nicht gleichgültig sind und dass es von der grössten Wichtigkeit ist, was für eine Flüssigkeit wir in die vordere Kammer bringen.

») 1. c. S. 181.

Pathologisch-anatomische Untersnchimgeii flber die Zftndhfttchenverletzimgeii des mensch- lichen Anges.

Von

Dr. Kostenitsch aus St. Petersburg.

Aus dem Laboratorium der Uniyersit&ts-Aagenklinik zu Heidelberg.

Hierzu Taf. V, Fig. 1 12.

In seiner umfangreichen Schrift ^Die Entstehung der Entzündung und die Wirkung der entziindungerregenden Schädlichkeiten^ hat Prof. Th. Leber ^) eine Reihe von Versuchen und Beobachtungen über die Wirkung yon me- tallischen Fremdkörpern auf das Auge des Kaninchens mit- getheilt, bei welchen durch Erhitzen sterilisirte Drähte oder sonstige Stücke verschiedener Metalle, unter anderen von Eisen, Blei und Kupfer, in die vordere Kammer und in den Glaskörper des Auges eingeführt wurden.

Die Folgen, welche das Verweilen dieser Fremdkörper im Auge nach sich zieht, wurden von ihm ophthalmosko- pisch und pathologisch -anatomisch, sowie auch auf chemi- schem Wege verfolgt. Es ergab sich dabei, dass die ge- nannten Metalle nach ihrer Einführung in das Auge sich

>) Tb. Leber, Die Entstebang der EntzQndong und die Wir- kung der entzündungerregenden Scbädllcbkeiten nacb vorzugsweise am Auge angestellten Untersuchungen. Leipzig 1891. AbBcbnittXYII, XVIII und XIX.

190 Eostenitech.

in geringer Menge in den Augenflüssigkeiten lösen und dass das Gewebe des Glaskörpers durch den Einfluss dieser Liö- sungen eine Schrumpfung erleidet, welche eine Zugwirkung auf di6 mit dem Glaskörper in Verbindung stehende Netz- haut ausübt und eine acute Ablösung und Zerreissung die- ser Membran hervorruft, die zugleich mit einer eigenthüm- lichen Form von Atrophie derselben verbunden ist.

Von den genannten Metallen zeichnet sich das Kupfer noch dadurch aus, dass es im Auge des Kaninchens in der Regel eine sehr ausgesprochene, aber locale eitrige Entzün- dung in seiner Umgebung hervorruft, wobei, in Abhängigkeit von dem Sitze des Fremdkörpers, sehr merkwürdige Ver- schiedenheiten des Grades der Wirkung vorkommen. Diese Beobachtungen fuhren zu der Annahme, dass eine ausge- sprochene eitrige Entzündung nur dann zu Stande kommt, wenn der Fremdkörper direct mit gefasshaltigen Theilen in Berührung ist und wenn seine chemische Wirkung auf die Gewebe nicht durch stärkeren Eiweissgehalt des umgeben- den Mediums abgeschwächt wird (vergl. S. 245).

Bei Einführung eines Kupferdrahtes in den Glaskörper kommt es überdies zur Entstehung von atrophischer De- generation, ausgedehnter Necrose und oft von Ablösung der Netzhaut (vergl. S. 259).

Auch beim menschlichen Auge hat Prof. Leber das Vorkommen aseptischer Eiterung nach Eindringen von Kup- ferstückchen nachgewiesen, ohne jedoch über die dabei vor- kommenden Veränderungen eingehende Mittheilungen zu machen (vergl. S. 271).

Auf seinen Vorschlag habe ich mich daher im Labora- torium der Heidelberger Universitäts-Augenklinik mit den Folgen der Zündhütchenverletzung menschlicher Augen be- schäftigt, um zu erforschen, ob auch hier ähnliche Vor- gänge wie bei den erwähnten Thierversuchen auftreten. Es stand mir zu diesen Untersuchungen ein bedeutendes Ma- terial zur Verfügung und ich kann als Ergebniss derselben

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 191

Yorausschicken, dass die beim menschlichen Auge gefunde- nen Veränderungen in allen wesentlichen Punkten mit den beim Thierversuch beobachteten übereinstimmen. Ich gehe jetzt zur Mittheilung meiner Beobachtungen über.

I. Fall.

Heinrich Wacker.

R. A. Verletzung durch ein Zündhütchen am 15. Decbr. 1876. Enucleatio bnlbi am 18. December 1876 von Dr. Just in Zittau.

Anatomische Untersuchung. Makroskopischer Befund.

Das Auge war in Mtüler'scher Flüssigkeit geh&rtet und in horizontaler Richtung oberhalb der Comealwunde durch- schnitten. Die untere grössere Hälfte wurde in Celloidin ein- gebettet und in Horizontalschnitte zerlegt.

Im nasalen Theil der Cornea befindet sich neben dem Limbus eine 2 mm grosse Wunde. Die weitere Untersuchung ergiebt Folgendes.

Der Fremdkörper hat die Sclerocomealgrenze in senk- rechter Richtung durchschlagen und den Ansatz der Iris von den Ciliarfortsätzen abgetrennt. Der peripherische Rand der Iris ist in die Wunde hineingezogen und ragt noch ein Wenig ' über die Oberfläche hervor. Die vorgefallene Iris füllt den Wundkanal gerade aus, ist an der Oberfläche etwas aufgelockert und ihr Pigmentbelag theilweise atrophisch. Die Linse ist vollständig von der Zonula gelöst und luxirt, indem ihr late- raler Rand nach hinten und aussen, ihr nasaler nach vorn und innen gerichtet ist

Der Weg, den der Fremdkörper weiterhin genommen hat, wird bezeichnet durch einen den Glaskörper schräg durch- setzenden Hohlraum, der grossentheils mit Blatextravasat er- füllt und von verdichtetem Glaskörpergewebe begrenzt ist. Derselbe beginnt vorn auf der medialen Seite in der Nähe der äusseren Wunde als ein schmaler Kanal, zieht schräg an der zur Seite geschobenen Linse vorbei und erweitert sich nach hinten zu einem grossen Raum, der sich bis zur Papille und dem temporalen Theil der Netzhaut erstreckt. Der Fremd- körper hat die an die Papille angrenzende Netzhaut direct verletzt. An Schnitten, die von nahe oberhalb der Papille

192 KoBtenitsch.

genommen sind, zeigt die Netzhaat einen weit klaffenden Riss, in dessen Umgebung sie dnrch eine Fortsetzung des ihre Innen- fläche deckenden Extravasates eine Strecke weit von der Ader- haut abgehoben und leicht gefaltet ist An Schnitten, welche durch den Sehnerveneintritt gehen, erscheint die Substanz der Papille von Blutextravasat durchsetzt und zerstört, der Ansatz der Retina abgetrennt und gleichfalls eine Strecke weit durch Bluterguss abgehoben. Der Fremdkörper findet sich aber an dieser Stelle nicht, sondern im unteren Theil des Auges, auf der temporalen Seite, weiter nach vorn. Es liegt hier ein röhrenförmig zusammengebogener, 3 mm langer und 1 ^2 nun breiter Zündhütchensplitter auf der Innenfläche des Corpus ciliare und vorderen Theils der Netzhaut, von einer gelblich- grauen Exsudatschicht eingehüllt und von einer kleinen Blutung umgeben. Die Netzhaut zeigt an dieser Stelle gleichfalls eine, von Exsudat ausgefüllte Perforation. Es ist wohl anzunehmen, dass der Fremdkörper zunächst den Glaskörperraum schräg durchflogen und nach Verletzung der Gegend der Papille sich mehr nach unten gesenkt hat

Abgesehen von der Stelle der directen Verletzung, wo die Netzhaut durch Bluterguss abgehoben ist, zeigt sich die letztere in ihrer ganzen Ausdehnung durch eiweisshaltiges Exsudat von der Aderhaut abgelöst, und zwar auf der nasalen Seite stärker, mit einer ziemlich weit nach innen vorspringenden Falte, auf der temporalen Seite ziemlich seicht und nur mit einigen ganz leichten Fältchen.

Die Chorioidea ist im vordersten Abschnitt leicht von der Sclera abgehoben und das suprachorioidale Gewebe auf- gelockert; ihr hinterer, der Sclera anliegender Theil ist etwas verdickt

Mikroskopische Untersuchung.

Der Glaskörper erscheint, soweit er nicht durch die Blutung verdrängt ist, stärker fibrillär und ist von einem Fibrin- netz, mehr oder weniger veränderten rothen Blutkörperchen und zahlreichen Eiterkörperchen durchsetzt Letztere liegen in dem kleinen Zwischenraum zwischen dem vorderen Theil der Netzhaut und der Pars eil. einerseits und dem Fremd- körper andrerseits dicht an einander und bilden namentlich unterhalb des letzteren einen dichten, opaken Heerd. Im Be- reich dieser Stelle bemerkt man eine Strecke weit eine dünne, stark gefaltete Membran, welche wohl für die Membr. hyaloidea

Pathologisch-anatomische üntersnchungen etc. 193

zn halten ist. In dem hinteren Abschnitt des Anges ist anf der Seite der Blutung der Glaskörper von der Netzhaut be- deutend abgehoben und hat zum Theil die Membr. hvaloidea mit sich gezogen. In dem zwischen den beiden Membranen entstandenen Raum befindet sich eine feinkörnige Eiweissmasse mit Fibrinfasern, vereinzelten rothen Blutkörperchen und zahl- reichen Eiterzellen.

Die Papille ist stark mit Eiterkörperchen infiltrirt, ihr innerer Theil, wie schon bemerkt, von einer Blutung durch- setzt und theilweise zerstört. Auch der markhaltige Theil des Sehnerven ist reich an Kernen, von denen aber nur ein Theil Leukocyten anzugehören scheint.

Die bald mehr, bald minder abgelöste Netzhaut ist in ihrer ganzen Ausdehnung stark mit Eiterzellen infiltrirt. Die Uebergangsstelle der Papille in die Netzhaut ist dicht von rothen Blutkörperchen durchsetzt und ihr Gewebe dadurch bis auf einzelne Capillaren und Reste der Nervenfaserschicht voll- ständig verdrängt-, die Retina ist erst in einigem Abstand vom Sehnervenrande aJs solche zu erkennen; dazwischen sieht man nur die Stäbchenschicht als ein mehrfach gefaltetes, von zahl- reichen Kernen durchsetztes Band das haemorrhagisch infiltrirte Gewebe durchziehen. An den abrigen Stellen der Retina sind ihre Schichten zu unterscheiden, aber die Nervenfaserschicht tritt undeutlich und körnig hervor; die Kerne der Nerven- zellen sind stellenweise schwach mit Haematoxylin gefärbt und die Körnerschichten etwas aufgelockert Die Elemente der Stäbchenschicht sind in dem hinteren Abschnitte der Netzhaut etwas gequollen, aber doch gut erhalten; in ihrem übrigen Theil ist die Stäbchenschicht theils durch kleine bläschenförmige Räume, theils in fortlaufenden steilen Falten von der äusseren Körnerschicht getrennt Zwischen beiden Schichten befinden sich Eiweisströpfchen, Detritus des inneren Theils der Zapfen, welche, wie auch die Stäbchen, durch Quellung verändert sind. Im äusseren Theil der Stäbchenschicht sieht man hie und da Eiterkörperchen.

In der Mac. lutea, an manchen Stellen des hinteren Theils der Netzhaut und in ihrem vorderen Theile, an der Stelle, welche der Lage des Fremdkörpers entspricht, bemerkt man einige Blutaustritte.

Das Cylinderepithel der Pars eil. ret ist in der Gegend des Fremdkörpers, abgesehen von der schon erwähnten eitrigen

T. Qraefe'0 Archiv itkr Ophthalmologie. XXXVU. 4. 13

194 Kostenitsch.

Infiltration, local stark gewnchert. Dasselbe ist hier zugleich vom Orbicnlus ciliaris abgehoben und der dadurch gebildete Baum von einem dichten Fibrinnetz, zahlreichen Eiterkörperchen, rothen Blutkörperchen, Pigmentkörnem und isolirten Zellen des gelockerten Pigmentepithels eingenommen. An den ttbrigen Stellen des Auges zeigt das Epithel der Pars ciL ret eine sehr unbedeutende Wucherung und ist ziemlich stark mit Eiter- zeUen infiltnrt

Das Pigmentepithel der Retina ist neben der Papille in geringer Ausdehnung geschwunden, weiterhin auf der Seite der Verletzung eine Strecke weit die Zellen flacher, verbreitert, zum Theil auch mehrfach tlbereinander liegend. Auch ist das Epithel hier stellenweise durch etwas Blut mit einzelnen Eiter- zellen von der Chorioidea abgehoben, weiterhin aber wenig verändert Dagegen findet sich fast durchweg zwischen ihm und der Stäbchenschicht eine dickere Schicht veränderten Blutes mit Eiterzellen. Noch mehr nach vom finden sich Zeichen von Wucherung, die Zellen sind unregelmässiger gestaltet^ kolbig und mit grösseren Fortsätzen versehen, besonders im Bereich der Pars eil. retinae. An jenem Theile des Auges, welcher der Lage des Fremdkörpers entspricht, sind die Zellen des Pigmentepithels stärker gelockert, von mehr rundlicher Gestalt und in zwei und mehreren Reihen über einander gelagert und in das benachbarte Gewebe infiltrirt

Im Subretinalraume ist eine geronnene, feinkörnige Eiweissmasse vorhanden, deren hinterer Theil ein Blutextra- vasat, eine geringe Menge von Eiterkörperchen und Fibrin- fasem einschliesst.

Die Gefässe der Chorioidea sind erweitert; die Venen sind theilweise mit Blut, theilweise mit geronnener Eiweisa- masse gefüllt, zeigen auch zahlreiche Leukocyten.

Die Aderhaut und das Corpus ciliare sind, theils mehr, theils weniger stark, mit Eiterzellen infiltrirt. Eine kleine Menge der letzteren ist auch in dem fibrinösen Exsudat, welches sich zwischen den Blättern der Suprachorioidea in der vorderen Augenhälfte befindet, eingeschlossen.

Die Linsenkapsel ist unverletzt, zwischen ihr und der Linsensubstanz finden sich hie und da Eiweisstropfen. An der Aussenfläche der Hinterkapsel liegt eine fast continuirliche dünne Schicht von Eiterzellen.

Die Iris ist unbedeutend mit Eiterzellen infiltrirt; ihre Gef&sse sind etwas erweitert. An ihrer vorderen Fläche liegen

Pathologisch-anatomisclie Untenachaogen etc. 195

EiterzeUen vereinzelt oder in Gruppen. Das Stratum pig. iridis ist verdickt. Der durch den Fremdkörper verletzte peri- phere Theil der Iris ist, wie schon angegeben, in die Cornea!^ wunde eingeklenmit nüd stark von Zellen durchsetzt An der Hornhantwunde adhaerirt mit von Fibrin und Blutkörperchen infiltrirte Glaskörpersubstanz.

In der vorderen Augenkammer ist eine geronnene, feinkörnige Eiweissmasse mit einer geringen Menge Fibrin enthalten.

Die Ränder der Hornhantwunde sind erheblich verdickt, in den erweiterten Saftkanälchen der angrenzenden Hornhaut- aubstanz sind Eiterkörperchen enthalten.

Neben dem Schlemm'schen Kanal finden sich ziemlich viel Eiterkörperchen; gleiche Zellen sind auch in grosser Zahl in der Adventitia der erweiterten GefUsse der Conj. bulbi an- gehäuft, nur in geringer Menge dagegen in der Adventitia der Sderalgeftsse.

IL Fall. Andreas Schumacher, 11 Jahre alt, ans Neunkirchen. St B. d. Heid. Augenkl. 1885, Nr. 251. Am 26. Juni 1885 Verletzung des R. Auges durch ein Zflndhatchenstück.

Status praes. am 29. Juni 1885. Auge sehrroth, druck- empfindlich. An der Cornea, etwas nach aussen von der Mitte, eine horizontale, 2 mm grosse lineare Wunde mit weisslichen, etwas aufgeworfenen Rändern. Fast die ganze Cornea leicht getrabt und gestichelt Kammerwasser trübe. Iris grOnlich verfärbt, glanzlos, aufgelockert. Am Pupillenrande, der Comeal- wunde gegentlber, ein etwa 2Vs ^^ grosser Defect Kapsel verletzt. Linsenmasse getrübt, gequollen. Kein rothes Licht zu sehen. T. nicht wesentlich verändert.

0. d. S = l. Projection falsch. 0. s. Sss%

30. Juni 1885. Enucleatio bulbi dextri in Narcose.

8. Juli 1885. Stumpf gut verheilt

Anatomische Untersuchung. Das Auge, nach Härtung in MüUer'scher Flüssigkeit, in horizontaler Richtung, etwas oberhalb des Sehnerveneintritts und der Comeal?runde, halbirt; beide Hälften in Celloidin eingebettet und geschnitten.

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Makroskopischer .Befund. Die Wunde durchsetzt die Hornhaut an einer lateral von ihrer Mitte gelegenen Stelle nahezu senkrecht, nur wenig schräg nach aussen gerichtet; die Wundränder sind durch Quellung fast um das Doppelte verdickt.

Der Fremdkörper hat den lateralen Theil der Iris ab- gerissen, so dass nur ein kleiner Rest davon übrig ist und den entsprechenden Randtheil der Linse durchsetzt Quellende Linsensubstanz ist hier aus der weit klaffenden Kapsel bis zur Hornhautwunde vorgedrungen und füllt den lateralen Theil der vorderen Kammer aus. Der Durchschnitt der Linse ist nn- regelmässig gestaltet, da ein grosser Theil ihrer Substanz schon verloren gegangen ist. Der Fremdkörper sitzt hinter dem Aequator des Auges auf der lateralen Seite des Augengrundes, in eitriges Exsudat gehüllt und von Blutextravasat und Falten abgelöster Netzhaut umgeben. Derselbe erweist sich als ein eckiges Zündhtttchenstück von 2^/, mm Länge und 2 mm Breite. Er hat also das Auge ziemlich gerade von vom nach hinten durchflogen und ist an der hinteren Bulbuswand stecken ge- blieben.

Wo der Fremdkörper liegt, ist die Retina durchrissen und die Ränder etwa 3 mm aus einander gewichen. Die Lücke ist theils von Exsudat, theils von Blut eingenommen und die umgebenden Theile der Retina durch eine Fortsetzung des Extravasates eine Strecke weit von der Aderhaut abgelöst Gleich nach einwärts davon findet sich der den Fremdkörper bergende Abscess, der nicht mehr als circa 3 mm grössten Durchmessers besitzt Nach dem hinteren Pol des Auges zu folgen noch einige, massig weit nach innen vorspringende Falten, hinter denen sich theils Blut, theils klares Exsudat befindet Der grösste Theil der Netzhaut, insbesondere die nasale Hälfte und der vordere Theil der temporalen, liegt der Chorioidea an. An Schnitten, welche durch den Sehnerven- eintritt gelegt sind, ist die Stelle des Fremdkörpers noch mit- getroffen. Die Netzhautfalten sind hier viel geringer als weiter oben und bleiben ca. 6 mm vom Sehnervenrande ent- fernt Die Retina, wie auch der Aderhauttractus, erscheint für das blosse Auge nicht merklich verdickt, nur an der Stelle des Fremdkörpers zeigt der letztere eine beträchtliche Ver- dickung.

Der Glaskörper ist in der Umgebung des Abscesses in geringer Ausdehnung stärker verdichtet An dem Durch- schnitt des gehärteten Auges erschien er nicht geschrumpft, von

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 197

gelblich graner Farbe und von membranartigen Streifen durch- setzt, welche beiderseits von der Pars ciliaris retinae nach hinten zogen und auf der nasalen Seite weisslich, auf der temporalen bräunlich gefärbt waren. An den Celloidinschnitten ist der Glaskörper vom hinteren Theil des Augengrundes, be- sonders auf der nasalen Seite, abgehoben und nimmt vorzugs- weise den temporalen Theil des Raumes ein. Etwas nach einwärts und vorn von dem Fremdkörper findet sich in der Olaskörpersubstanz ein kleines Blutextravasat

Mikroskopische Untersuchung. An der Stelle, wo der Fremdkörper stecken geblieben ist, sieht man die beiden Enden der durchrissenen Netzhaut weit aus einander gerückt and den einen Rand leicht nach aussen umgeklappt. Die Chorioidea zeigt hier gleichfalls einen, jedoch viel weniger klaffenden Riss. Ihre Glaslamelle ist durchrissen und in der inneren Schicht ihres Stromas ein mit Blut gefüllter kleiner Defect vorhanden, auch scheinen die Wände einer grossen Yene durch den Fremdkörper verletzt zu sein. Die Ränder der Lacke sind durch haemorrhagische Infiltration um das vielfache verdickt und das suprachorioideale Gewebe noch eine ziemliche Strecke weit von Blut durchsetzt. Die Lücke zwischen den Membranen ist hauptsächlich von Blut ausgefüllt; nach einwärts, gegen das Innere des Auges, kommen aber dazwischen immer zahlreichere Eiterkörperchen, bis zu der den Fremd- körper einschliessenden, dichten Eiterinfiltration hin. Des- gleichen treten in der verdickten Chorioidea, zunächst in deren innerster Schicht, weiterhin auch im übrigen Theil ihrer Dicke, mit der Entfernung vom Wundrande immer zahlreichere, dicht gedrängte Eiterzellen auf, die erst in grösserem Abstand von der Wunde sich allmählich wieder verlieren. Die Chorio- capillaris tritt in dem infiltrirten Gewebe der Wundränder auffallend stark entwickelt hervor. Auch die übrigen Gefässe der Chorioidea sind erweitert, ihre Wände, namentlich das Endothel^ verdickt. An den Kernen der kleinen Venen und Capillaren findet man oft alle Stadien der Karyokinese. In den Lumina der Venen bemerkt man ihren Wänden anliegende Leukocyten und veränderte rothe Blutkörperchen, die an gut mit Eosin gefärbten Schnitten gelb aussehen, wie wenn sie mit Pikrinsäure gefärbt wären.

Die neben den Arterien befindlichen Ganglienzellen zeigen mangelhafte Kemfärbung.

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Abgesehen von Leakocyten trifft man im Gewebe der Aderhaat einzelne grössere ZeUen mit einem mnden Kern und mit groben, durch Haematoxylin deatlich geftrbten Kömdien^ die keine Mikroorganismen zu sein scheinen, anch an mit Anilinflarben tingirten Praeparaten vermisst worden. Eine dichte Ansammlang von Eiterzellen schiebt sich von d^r Riss- stelle ans zwischen Betina nnd Chorioidea vor und deckt den Blntergnss von innen her.

Die Retina zeigt neben der Bissstelle besonders die Stäbchenschicht hochgradig degenorirt; die übrigen Schichten, namentlich die Faserschicht, sind von vereinzelten Eiterkörper^ chen durchsetzt, deren Menge eine Strecke weit mit der Ent- fernung von der Wunde zunimmt Diese Schichten zeigen hier auch eine ausgesprochene Atrophie der nervösen Elemente. Die Körner der Körnerschichten sind gelockert und vermindert, besonders die der äusseren Kömerschicht; ihre Chromatin- substanz ist theilweise verloren, die Kerne der Ganglienzellen schwach gefärbt. Die Gefässe sind erweitert, das Endothel verdickt und zeigt, wie das der Aderhautgefässe, Theilungs- figuren. Die in den Venen enthaltenen rothen Blutkörperchen haben die gleiche gelbe Färbung wie in der Chorioidea.

Der Fremdkörper ist, wie schon erwähnt, von einer massig grossen Blutung umhollt, welche bis in die Rissstelle der Augenhäute hineinreicht. Er ist fast auf allen Seiten unmittelbar von dicht gedrängten Eiterkörperchen umgeben^ nur auf seiner Innern Seite liegen rothe Blutkörperchen mit einer kleinen Zahl von Eiterzellen vermischt Die Kerne der Eiterkörperchen zeigen oft Vakuolen, zum Theil auch deutlich ausgesprochene Nekrose. In der Blutung, welche sich zwischen dem Fremdkörper und den Rändern der zerrissenen Augenhäute befindet , sind auch Eiterkörperchen , blutkörperchenhaltige Zellen, Fettkömchenzellen, ein dichtes Fibrinnetz und abge- fallene Pigmentepithelzellen eingeschlossen. In der Lflcke, in welcher der Fremdkörper lag, finden sich geschrumpfte rothe Blutkörperchen von gelblich-brauner oder ganz gelber Farbe. Letztere Färbung wird auch in dem, den Fremdkörper um- gebenden Eisudat beobachtet.

Die abrige Chorioidea, entfernt von der Rissstelle, ist, abgesehen von Ausdehnung ihrer Gefässe, ziemlich normal. Die rothen Blutkörperchen zeigen hier, wie auch im Ciliar- körper, trotz Eosinfärbung, die gleiche gelbe Farbe wie in der Retina.

Patholoc^sch-anatomische üntersachongen etc. 199

Die Sehnervenpapille ist etwas ödematös nnd ihre Nervenbündel sehen trüb und schwachkömig ans. Die Geiässe des Nervns opticas sind erweitert nnd ihr Endothel verdickt, in den Lnmina der Arterie nnd Vene sind Blutkörperchen von gelblicher Farbe zn sehen. Im markhaltigen Theile des Nervus opticas ist das Lumen der Vena oentr. retinae mit geronnener Eiweissmasse ausgefüllt, in welcher stark veränderte Blut^ körperchen und einige Leukocyten eingeschlossen sind-, letztere sind auch neben den Gewissen nnd um eine kleine Vertiefung der Papille in grosser Zahl angehäuft, besonders zahlreich in ihrer nasalen Hftlfte.

Die Netzhaut, welche in der Gegend des Fremdkörpers und nach vom von ihm fast in der ganzen temporalen Hälfte des Auges bedeutend mit Eiter infiltrirt ist, lässt in der Umgebung der Papille und in der nasalen Hälfte fast keine Eiterkörperchen erkennen. Ihre Stützfasem sind etwas verlängert und getrübt, besonders die neben der Papille, wo die Molecular- und Zwischenkömerschicht dicker als normal sind; um die Papille und nach aussen von ihr fast bis zum Risse der Netzhaut, einschliesslich der Gegend der Macula lutea, ist die Zwischenkörnerschicht besonders dick. Die Fovea centralis war wegen der Faltung der Netzhaut nicht auf den Schnitten zu erhalten gewesen. In den Lücken zwischen den Fasern dieser Schicht sind isolirte Leukocyten, mit Detritus von rothen Blutkörperchen gefüllte Zellen, Fettkörner, und etwas näher dem Bisse der Netzhaut, noch kleine Gruppen von Blutkörperchen zu sehen. Die Stäbchenschicht sieht in der Gegend des Fremdkörpers kömig aus; die Zapfen sind ge- quollen; der äussere Theil des Innengliedes ist körnig; das Aussenglied nicht zu sehen. Die Zapfenfasern sind in der Zwischenkömerschicht zwischen der Papille und dem Kiss der Retina varikös verdickt In der übrigen Ausdehnung der temporalen Hälfte der Netzhaut ist die Stäbchenscbicht gut erhalten; die Köraerschichten sind besonders in der Gegend des Fremdkörpers aufgelockert; ein bedeutender Theil der Chromatinsubstanz ihrer Körner ist verschwunden, nur in dem vordersten Theile der Netzhaut hat sich die äussere Römer- Schicht verhältnissmässig gut erhalten. Die Nervenzellen der gangliösen Schicht haben sich in der Macula lutea ziemlich gut conservirt; in der übrigen Ausdehnung der beschriebenen Hälfte sind sie stellenweise verdickt, ihr Protoplasma bald kömig, bald trüb und homogen, ihre Eeme schwach mit Haematoxylin

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gefärbt; letzteres ist auch an den Nervenzellen der inneren Eömerschicht za beobachten* Die Schicht der Nervenfasern sieht schwachkömig aus.

Id der nasalen Hälfte der Netzhaut ist die Stäbchen- nnd die äussere Kömerschicht ziemlich gut erhalten, letztere ist nur in geringer Ausdehnung neben der Papille aufgelockert und ihre Körner mit wenig Chromatinsubstanz versehen, die übrigen Schichten zeigen dieselben Veränderungen wie auf der temporalen Seite, nur weniger ausgesprochen.

Die Gefässe der Netzhaut sind erweitert, ihr Endothel gequollen, in der Adventitia der Venen ist eine kleine Menge von Eiterkörperchen zu sehen.

Die Pars ciliaris retinae ist bis zu den Ciliarfort- sätzen fast normal, nur mit Ausnahme einer kleinen Infiltration mit Eiterzellen, die hauptsächlich die temporale Hälfte der Netzhaut betrifft. Die Cylinderzelleu der Pars ciliaris retinae, welche die Ciliarfortsätze bedecken, sind stellenweise gequollen und enthalten Pigmentkörner. Das Stratum pigmenti der Pars eil. retinae ist verdickt, besonders an den Ciliarfortsätzen.

Auch das Pigmentepithel der Netzhaut ist in der temporalen Hälfte des Auges verdickt und besonders stark in der Gegend des Fremdkörpers, seine Kerne von wenig Pigment umgeben.

Der Glaskörper war, wie schon oben erwähnt, anfangs nicht geschrumpft, wohl aber nach eintägigem Liegen der beiden Hälften des Auges in Celloidin, und ist jetzt in der unteren Hälfte des Auges bedeutend nach vorn zusammen- gezogen; auf der temporalen Seite liegt er noch dem Fremd- körper an; in der oberen, viel kleineren Hälfte des Auges ist er nur wenig von der Netzhaut getrennt

Bei der mikroskopischen Untersuchung erscheint der Glas- körper fibrillär verändert, von einem Fibrinnetz durchsetzt, unbedeutend mit Eiterkörperchen infiltrirt und das hauptsächlich nur auf der temporalen Hälfte, in der Gegend zwischen dem Fremdkörper und den Ciliarfortsätzen, so wie auch in dem hintern Theile, welcher eine Strecke weit von der Membrana hyaloidea tlberzogen ist. Auf der hinteren Fläche dieser Membran, welche stellenweise von der Netzhaut abgehoben ist, liegt geronnene Eiweissmasse mit kleinen Gruppen von Eiter- körperchen und Fibrinfasern; an einer Stelle ist sie zerrissen und in die Lücke ragt etwas von der geronnenen Eiweissmasse

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hinein, die sich im hinteren Theile des Olaskörperraumes be- findet. In dieser Masse sind ausser Fibrinfiuem und Gruppen von Eiterkörperchen in der Vertiefung der Papille und in einiger Entfernung nach innen zu auch Fibrillenbttndel des Glaskörpers zu sehen. Die innere Fläche bildet neben der Ora serrata auf beiden Seiten eine kleine Einbiegung nach innen; die Fibrillenbündel des Glaskörpers liegen mit den verdickten Fasern der Zonula Zinnii der Ora serrata an und machen den Eindruck, als ob sie den vordem Theil der Netzhaut nach innen ins Auge ziehen, wesshalb sie im Begriffe steht, in einer Falte abgehoben zn werden.

Etwas nach vorn von dem Fremdkörper ist im Corpus vitreum eine kleine Blutung zu sehen, während im Zwischen- raum zwischen dem verletzten lateralen Rand der Linse und der Pars eil retinae sich ein Netz von geldrollenartig ange- ordneten rothen Blutkörperchen befindet Neben den Ciliar- fortsätzen sind die rothen Blutkörperchen in Gruppen geordnet und gelb gefärbt

Der Subretinalraum ist in der Gegend des Fremd- körpers ziemlich breit, nach vom von letzterem eng und enthält Blut, ein dichtes Fibrinnetz, Eiterkörperchen, Phagocyten und isolirte Zellen des RetinaepiÜiels, sowie auch geronnene Eiweiss- masse, die in dem hinteren Theile dieses Baumes homogen, im vorderen feinkörnig ist. In der übrigen Ausdehnung liegt die Netzhaut der Chorioidea an und nur in der nasalen Hälfte befindet sich auf einer beschränkten Stelle zwischen diesen beiden Häuten ein sehr enger, wahrscheinlich künstlich hervor- gebrachter Subretinalraum.

Die Enden der etwas verdickten und am temporalen Rande zerrissenen Linsenkapsel sind umgeklappt, (manchmal spiralförmig), und fast bis zur Mitte der Linse zurückgezogen, wodurch deren temporale, stark gequollene Hälfte frei liegt; in ihrer Peripherie ist letztere schwach mit Leukocyten infil- trirt. Die Fasern der Linse sind kömig und gequollen; ein Theil derselben ist in die vordere Kammer hineingelangt und reicht, von Fibrinnetzen umgeben, bis zur Comealwunde hin. Der übrige Theil der Linse enthält zwischen den Fasern ausser einzelnen Eiterkörperchen grosse Eiweisstropfen, viel fettartige Tröpfchen und auch Fettkörachenzellen.

Die Iris zeigt, wie schon angegeben, an der der Comeal- wunde entsprechenden Stelle einen Defect. Ihr übrig geblie- bener peripherer Theil ist etwas nach hinten umgebogen und

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mit dem Randtheil der Iris und den Giliarfortaäizen verwachseiL Auf einigen Schnitten war ein Stflckchen der Iris im Glas- körper zn treffen. Die Crefltese der Iris sind erweitert, die Wände der Arterien etwas verdickt and deren Endothel ge- quollen. In den Kernen des letzteren, sowie der der Yenen und der Gapillaren sind oft Bilder von Karyokinese zn treffen, in den Lumina der Geftsse rothe Blutkörperchen von gelber Farbe. Das Stratum pigmenti iridis ist verdickt, seine hintere Fläche auf dem Querschnitt wellenförmig, besonders in dem peripheren Theile der Iris. Die Zellen des Endothels sind vesiculär verändert. In der vorderen Kammer sieht man kömigen Detritus, Fibrinfasern und isolirte Leukocyten, welche am Boden der vordem Kammer in grosser Menge an- gehäuft sind.

Die äusseren Schichten des Plattenepithels der Horn- haut sind stark verdickt, ihre Kerne mangelhaft mit Haemat- oxylin gefärbt und die Zellen vacuolär degenerirt Die Wund- ränder der Hornhaut sind durch Quellung etwa bis zum Doppelten verdickt. Die Ränder der Bowman'schen und Descemet'schen Membran stehen ziemlich weit aus einander, dazwischen ist die fibrilläre Grundsubstanz bis zur gegenseitigen Berührung der Bänder vorgequollen und ihr Gewebe gelockert Das Epithel hat sich in dünner Schicht über die Stelle hin fortgesetzt und zieht sich auch eine Strecke weit in den Wundkanal hineiiL Nur an der Innenfläche klaffen die Wundränder noch etwas und es ist ein Fibringerinnsel mit zahlreichen Leukocyten in die Lücke eingelagert. Das Gewebe der Wundränder ist nicht eitrig infiltrirt und enthält nur ganz vereinzelte Leukocyten. Das Endothel zeigt an vielen Zellen stark über die Oberfläche hervorragende Bläschen. Die Gefässe des Homhautrandes sind erweitert und klaffen; sie enthalten zum Theil rothe Blut- körperchen, zum Theil grosse Eiweisstropfen.

IIL Fall.

Althaus, Mann.

R. A. Zündhütchenverletzung am 24. December 1875. Enucleatio bulbi am 28. December 1875 von Dr. Just in Zittau.

Anatomische Untersuchung. Makroskopischer Befund. Beide Hälften des durch den Sehnerven halbirten

Pathologisch-anatomiBche Untersaclmngen etc. 203

Aoges wnrden in Müller'Bcber Flüssigkeit gebftrtet nnd nach Einbettang in Celloidin geschnitten.

Die Homhant zeigt aof dem Durchschnitt eine etwas lateralwärts Ton der Mitte gelegene Wunde. Die Iris ist nach der Wunde hingezogen und durch Exsudat damit verklebt An einigen Schnitten findet sich nahe dem Pupillenrande eine Lücke, durch welche ein Stückchen der Iris vom übrigen Theil abgetrennt ist; an anderen Schnitten fehlt dieses Stück völlig.

Die vordere Linsenkapsel zeigt eine klaffende Lücke, welche das ganze Pupillargebiet einnimmt Die Pupille ist weit und sammt der Yorderfläche der Iris von einer Schicht locker geronnenen, granlichen Exsudates bedeckt, das an anderen Schnitten die vordere Kammer nahezu ganz ausfüllt Der an die Pupille grenzende Theil der Linse ist zerklüftet; ihre hintere Fläche zeigt einen Substanzverlust und die hintere Kapsel fehlt zum grössten TheiL

Die Netzhaut ist in dem vorderen Abschnitte des Auges von der Chorioidea etwas abgelöst und bildet am Aequator bulbi kleine Falten, während sie im hinteren Abschnitt der Aderhaut anliegt. Nach unten, besonders auf der temporalen Seite, ist die Faltung stärker nnd wohl für praeexistirend zu halten, während sonst die Abhebung grossentheils für Wirkung der Praeparation zu halten ist Die Retina ist zugleich im hinteren Abschnitt, besonders auf der temporalen Seite, durch eine Auflagerungsschicht stark verdickt.

Die gleichfiills verdickte Aderhaut ist, besonders vorn, einschliesslich des Ciliarkörpers, von der Sclera abgehoben und die Suprachorioidea aufgelockert, was nach unten hin zunimmt

In der Höhe des Sehnerven ist der Glaskörperranm grösstentheils leer und die Retina und Linse nur von einer dünnen Schicht von Glaskörpersubstanz überzogen, während der Glaskörper weiter nach oben nicht geschrumpft ist; in der nntem Hälfte nimmt er dagegen den vorderen Theil seines Raumes ein.

Anf den dicht unter der Linse geführten Schnitten der unteren Augenhälfte befindet sich im vordersten Theüe des Glaskörpers eine geringe Menge einer bräunlich-gelben Maroe, welche von vom den Cüiarfortsätzen, von den Seiten aber der Pars cU. ret anliegt Diese Masse zeigt in ihrer Mitte eme paraUel zum Aequator gerichtete Lücke von 4 mm Länge; aut anderen Schnitten, welche noch niedriger geführt ^!|f*®\J*^" schwindet diese Lücke wieder, nnd es treten an ihrer Stelle

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zwei andere Lücken auf, eine grössere, neben der inneren Fläche der Pars eil. retinae der nasalen Seite, and eine kleinere, l^j^mm nach innen von der Pars eil. retinae der temporalen Seite; die Entfemnng dieser Locken von einander betiilgt etwas mehr als 4 mm. Der Fremdkörper wnrde nicht gefunden; aber die Anwesenheit der erwähnten Lücken, sowie ein leicht bräunlicher Ton der Eitermasse berechtigen mit Sicherheit zu der Annahme, dass der Fremdkörper ein bogen- förmig gekrümmtes Eupferstück von ca. 4 mm Länge darstellte, dessen Enden in den kleinen, in der Masse befindlichen Lücken eingelagert waren, während seine Mitte die grosse Lücke einnahm; er war vermuthlich aus dem frisch halbirten Auge herausgenommen worden, wobei die Linse und der Glaskörper der unteren Augenhälfte verletzt wurden.

Mikroskopische Untersuchung. Der nach vom zu- sammengezogene Glaskörper der unteren Augenhälfte ist stärker fibrillär, von einem Fibrinnetz durchsetzt und ziemlich stark mit Eiterkörperchen infiltrirt, ausserdem findet man darin rothe Blutkörperchen und körnigen Detritus. Die Kerne der Glas- körperzellen sind schwach mit Haematoxylin gefärbt. Die oben beschriebene bräunlich-gelbe Masse, in welcher der Fremdkörper eingebettet war, besteht aus dicht an einander liegenden Eiter- körperchen. Auf der Netzhaut finden sich in der Gegend der Papille Reste des fibrillär veränderten Glaskörpers und der Membrana hyaloidea.

In der oberen Augenhälfte ist der Glaskörper gleichfalls fibrillär verändert und von einem Fibrinnetz durchsetzt; sein hinterer, schwach mit Eiterzellen infiltrirter Theil ist von der Betina etwas abgehoben und hat die Memb. hyaloidea mit sich gezogen, in welcher nur stellenweise kleine Defekte vor- handen sind; der vordere Theil ist dagegen ziemlich stark mit Eiter infiltrirt In dem Baume zwischen dem abgehobenen Glaskörper und der Retina, wie auch auf der innem Fläche der letzteren findet sich in der unteren Augenhälfte eine ge- ronnene, feinkörnige, stellenweise mit Fibrinfasern durchsetzte Eiweissmasse, in welcher bald isolirte, bald dicht neben einander liegende, bald in Beihen oder Gruppen geordnete Eiter- körperchen eingelagert sind. Die letzteren bilden zwischen dem äusseren Papillenrand und dem Aequator bulbi einen Streifen von fast 1 mm Dicke, welcher makroskopisch den Eindruck macht, als wäre die Netzhaut verdickt, was schon oben erwähnt wurde.

PatholQgisch-anatomische Untersuchungen etc. 205

Die obere Hälfte der Netzhaut ist nur wenig mit Eiter- zellen infiltrirt; ausgesprochener ist die eitrige Infiltration in der unteren Hälfte und besonders stark in dem Theil des Auges, welcher der Lage des Fremdkörpers entspricht.

Das Gewebe der Papille ist schwach mit Eiterkörperchen infiltrirt; eine beträchtliche Anhäufung derselben findet sich dagegen in der Adventitia der stark mit Blut gefüllten Gefässe. Auch ist die Papille, sowie die Innenfläche der Netzhaut, von einem dicken, reichlich mit Eiterzellen infiltrirten Fibrinnetz tiberzogen. Die Nervenfasern der Papille, wie auch die Faser- schicht der Retina, treten nicht deutlich hervor, während das retikuläre Stfltzgewebe stärker als normal entwickelt ist.

Die Kerne sänmitlicher Schichten der Netzhaut sind schwach gefärbt. Ganz ungefärbt geblieben, offenbar nekrotisch, sind die Körner der äusseren Körnerschicht, zwischen denen vereinzelte Eiterzellen mit gut gefärbten Kernen sich um so mehr hervorheben; etwas besser, wenn auch ebenfalls schwach gefärbt sind die inneren Körner, von denen nur manche, zumal an der inneren Grenze, eine normale Färbung behalten haben. Auch die Kerne der Nervenzellen sind schwach gefärbt. Die Körner beider Körnerschichten liegen dicht an einander und neben der Ora serrata fliessen sie zu einer Schicht zusammen.

Die Stäbchenschicht ist körnig, aber doch gut erhalten; ihre Elemente liegen dicht an einander. Neben dem temporalen Papillenrande, die Gegend der Mac. lut. einschliessend, bildet diese und die äussere Kömerschicht auf dem Querschnitt papillenartige J^hebungen. An derselben Stelle befinden sich in der Zwischenkömerschicht ziemlich grosse Lücken, welche von einander durch die verdickten und mit rothen Blut- körperchen durchsetzten Stützfasem getrennt sind. In diesen Lücken findet sich eine feinkörnige Masse, Fibrinfasem, einzelne Eiterkörperchen, wie auch isolirte Körner der äusseren Körner- schicht und sehr schwer unterscheidbare rothe Blutkörperchen.

Auf Schnitten von der Mitte des Auges sind ähnliche Lücken neben der Ora serrata zu beobachten, bald in der äusseren, bald in der inneren Kömerschicht, oftmals auch in der ganzen Dicke der Netzhaut In. diesen Lücken sieht man eine feinkörnige Masse und Eiterkörperchen.

Die Lumina der Retinagefässe sind verengt; in der Ad- ventitia der Venen sind Leukocyten und Eiterkörperchen, manchmal in beträchtlicher Menge anzutreffen.

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Das Pigmentepiihel der Retina liegt im vorderen Theil der Ghorioidea, im hinteren bald dieser, bald der Retina an und ist von den Membranen oft durch eine dünne Eiweiss- Schicht getrennt Die Kerne sind schwach gefärbt, Wnchemngs- erscheinnngen nicht zu erkennen.

Die Pars dl. retinae ist ziemlich stark mit Eiter infiltrirt, besonders im unteren Theil, in der Gegend des Fremdkörpers, wo ihr Gewebe zwischen den Eiterzellen kaum mehr zu er- kennen ist Das Pigmentepithel ist gelockert und die Zellen in die umgebende Zellenmasse eingestreut

Auf der inneren Fläche des Corpus ciliare bildet das Pigmentepithel papillenartige Erhebungen. Im Torderen Ab- schnitt des Auges ist die Netzhaut leicht abgehoben durch eine feinkörnige Eiweissmasse, in welcher stellenweise Gruppen von Eiterkörperchen, Fibrinfasem und isolirte Zellen desißetina- epithels, manchmal mit Eemtheilung, eingeschlossen sind. In dem hinteren Abschnitt ist der Subretinalraum sehr eng.

Die Aderhaut ist, wie schon erwähnt wurde, verdickt und aufgelockert, besonders in ihrem hinteren Theile. Dire Ge- fasse sind stark erweitert, die Gapillaren und Venen stellen- weise mit Blut gefüllt; in den Lumina der letzteren sieht man Leukocjten, sehr selten auch Fibrinfasern. In der vorderen Augenhälfte ist zwischen den Blättern der Suprachorioidea fibrinöses Exsudat vorhanden. In dem Theil des Auges, welcher der Lage des Fremdkörpers entspricht, ist die Chori- oidea schwach, das Corpus eil. aber ziemlich stark mit Eiter- körperchen infiltrirt; letztere sind sonst nur im Corpus eil. zu sehen.

Die Fasern der Zonula Zinnii erscheinen verdickt und von der Linsenkapsel abgerissen, die letztere ist, wie schon bemerkt, vom und hinten durchrissen. Die dem Eapselriss anliegenden Linsenfasem sind gequollen und zwischen ihnen ist eine geringe Menge von Eiterkörperchen eingelagert.

Die Gefässe der Iris sind erweitert, ihr Gewebe ist massig mit Eiterzellen infiltrirt; zahlreichere Eiterkörperchen liegen auf der vorderen Fläche der Iris, im Eammerwinkel nnd in ein diQ vordere Kammer einnehmendes Fibrinnetz eingebettet. Auch an der Hinterfläche der Iris, der gegenüberliegenden Linsenkapsel und zwischen den Ciliarfortsätzen sind Eiter« körperchen abgelagert. Das Pigmentepithel der Iris ist ver- dickt, seine hintere Fläche sieht auf dem Querschnitt zackig ans, besonders im peripheren Theile der Iris. Ein Theil des

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 207

temporalen Pnpillenrandes ist durch den Fremdkörper ab* gerissen.

Die Gefftsse der Goig. bolbi sind erweitert, die Venen mit Blut gefüllt, in ihrer Adyentitia ist eine massige Menge von Eiterkörperchen vorhanden, auch das Gewebe zum Theil von Eiterzellen und FibrinfiUlen durchsetzt

IV. Fall.

Friedrich Volkmann, 8 Jahre alt, aus Hassloch (Pfalz).

St. B. d. Heidelb. Augenkl. 1889. Nr. 165.

Am 28. April 1889 Verletzung des linken Auges durch einen Ztlndhütchensplitter.

L. A. Keine Lichtscheu, keine vermehrte Thränensecre- tion. Gonj. bulbi et palp. massig injicirt Giliarinjection, Gomea im Ganzen klar, nach oben aussen, am Limbus beginnend, eine horizontal verlaufende, etwa 2 mm lange, sich in 2 Theile spaltende, grauweisse Narbe. Kammer normal tief. Atropin- mydriasis. Iris, im Ganzen von normaler Farbe, zeigt ent- sprechend der Risswnnde der Gomea, aber etwas tiefer unten, eine kleine Perforation an der Peripherie, die den Sphinkter nicht erreicht. Das umgebende Gewebe ist graublau verfärbt; die Iris selbst hier etwas breiter. Der im Uebrigen normale Augenhintergrund geht nach unten innen mit scharfer Grenze in eine blendendweisse Membran über, die nach aussen die Mittellinie ein wenig überschreitet, auf derselben keine Geisse.

(Ablatio Retinae?) T. normal. Kein Schmerz. £.8=^/55. Gesichtsfeld nicht merklich beschränkt.

R. Auge normal.

14. Mai. Enucleation des 1. Auges in Ghloroformnarkose. Glatter Veriauf.

22. Mai 1889. Geheilt. Entlassen.

Anatomische Untersuchung. Makroskopischer Befund.

Nach H&rtung in MüUer'scher Flüssigkeit wurde das Unke Auge in horizontaler Richtung etwas unterhalb des Sehnerven- eintritts durchschnitten, die beiden Hälften in Celloidin ein- gebettet und in Schnitte zerlegt.

Der vordere Theil des Auges zeigt für das blosse Auge keine sehr auffallenden Veränderungen. An Schnitten, die durch die Mitte der Linse hindurch gegangen sind, ist die

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Hornhantnarbe nicht zu sehen, wohl aber noch eine Verletzung des lateralen Abschnittes der Iris, deren peripherer Randtheil verdünnt und nach hinten gebogen ist nnd seinen Pigmentbelag verloren hat. Die Linse hat hier normale Form und Grösse.

Der Qlaskörper, welcher seinen ganzen Raum einnimmt, ist von hellgelber Farbe mit membranartigen Streifen, welche besonders deutlich neben der Pars eil. ret. auf beiden Seiten hervortreten.

Die Netzhaut liegt im Ganzen der Aderhaut an, nur in der unteren Hälfte zeigt sich im hinteren Umfang eine massig nach innen vorspringende Falte.

Die Aderhaut liegt überall der Sclera an.

Im untersten Theil des Glaskörpers findet sich ein 3 mm langer, 1 '/, mm breiter Zündhütchensplitter, von einer geringen Menge gelblich -brauner Masse umgeben. Mit seiner Längs- richtung liegt er parallel zum Aequator bulbi, etwas nach, innen vom verticalen Meridian des Auges. Das obere Ende des Fremdkörpers ist auf Schnitten von dem hinteren Theil d^r Retina etwa 4 mm, das untere Ende 1 '/g mm entfernt Dasselbe berührte die Netzhaut nicht, was sich daraus ergiebt, dass ein kleines Segment der unteren Augenhälfte abgeschnitten worden war, ohne dass der Fremdkörper zu Tage trat.

Die gelblich-braune Masse, welche den Zündhütchensplitter rings umgiebt, hebt sich ziemlich scharf vom Glaskörper ab und liegt nur in der Höhe des unteren Fremdkörperendes dem hinteren Theile der Netzhaut an. Vom mittleren Theile des Fremdkörpers aus zieht sich von dieser Masse ein ziem- lich breiter, nicht scharf abgegrenzter Fortsatz nach dem na- salen Theil der Ora serrata hin.

Im Gelloidin ist der Glaskörper etwas geschrumpft und liegt im oberen Theile der unteren Augenhälfte nur vorne der Netzhaut an; an den übrigen Stellen ist er 2mm von ihr ent- fernt. Ganz nach unten, der Lage des Splitters entsprechend, ist der Glaskörper etwas mehr von der Netzhaut abgehoben; die letztere ist hier im hintern Umfang etwas stärker gefaltet als oben und nebst der Aderhaut nicht unerheblich verdickt. In der oberen Augenhälfte ist der Glaskörper nur auf der Höhe des N. opt, nach innen von ihm, in geringer Ausdehnung ca. 1mm weit von der Netzhaut abgehoben.

Mikroskopische Untersuchung. Die den Fremd- körper umschliessende gelbliche Masse und der oben erwähnte

Pathologisch-anatomiBche Untersachaogan etc. 209

streifenfönnige Fortsatz derselben stellen nichts anderes dar, als einen nrnschriebenen Glaskörperabscess. Die peripherischen Schichten desselben bestehen durchweg aas nekrotischen Rund- zellen, deren Kerne nur durch Eosin gefärbt sind; je näher dem Fremdkörper, um so grösser wird die Zahl der durch ihre Haematoxylinf&rbung hervortretenden Kerne, die zuletzt ziemlich dicht gedr&ngt liegen; man UDterscheidet dabei mul- tiple, kleine, stärker gefärbte und grössere, einzelne, blasser tingirte, die auch etwas grösseren Rundzollen angehören. Zwischen diesen Zellen liegen zahlreiche rothe Blutkörperchen.

Der übrige Glaskörper ist fibrillär yerändert und von einem Fibrinnetz durchsetzt, aber nur in der unteren Augen- häfte schwach mit Eiterkörperchen infiltrirt, und dieses haupt- sächlich neben der Pars eil. ret, wie auch in seinem hinteren Theile, welcher von der Netzhaut abgehoben ist. In dem Raum zwischen dem abgehobenen Glaskörper und der Netzhaut befindet sich eine blass-körnige Eiweissmasse, welche bald auf der hinteren Fläche des Glaskörpers, bald auf der Innern Seite der Retina aufgelagert ist In dem, der Lage des Fremdkörpers entsprechenden Abschnitte des Auges sind in dieser Eiweissmasse noch Gruppen von Eiterkörperchen vor- handen, welche öfters der Retina anliegen.

Die Fasern der Zonula Zinnii sind verdickt und leicht bis zur Ora serrata zu verfolgen.

Die Sehnervenpapille ist beträchtlich geschwollen, ihr Gewebe ödematös und gelockert, die Neuroglia etwas stärker entwickelt An der Oberfläche zeigt sie eine umschriebene Stelle stärkerer Proliferation des Stützgewebes. Die Gefässe sind erweitert, ihre Adventitia reichlich mit Leukocyten in- filtrirt, das übrige Gewebe nur wenig.

Auch die Netzhaut ist, namentlich in der Nähe der Papille etwas verdickt und ihr Gewebe gelockert, welcher Zustand in abnehmendem Grade sich bis nach vom verfolgen lässt. Die Verdickung erstreckt sich auf alle Schichten, be- sonders aber auf die Stäbchenschicht und Zwischenkörnerschicht. Die Elemente der Stäbchenschicht sind mehr oder minder stark verlängert und verdünnt, ihre Enden oft umgebogen und schräg zur Oberfläche verlaufend; zwischen ihnen treten Lücken auf, durch welche eine bündelweise Aneinanderlagerung be- dingt wird. In der Umgebung der Papille ist die Structur der Stäbchenschicht undeutlich, körnig und nach der Fovea centralis

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hin nimmt ihre Dicke erheblich ab, an einer Stelle schwindet sie sogar völlig. Die Zwischenkömerschicht ist besonders in der Nähe der Papille stark ans einander gezogen nnd gelockert; die äusseren Körner senkrecht oval, wie in die Läi^ge ge- zogen; die Elemente beider Kömerschichten weniger dicht beisammen liegend als in der Norm; alle zelligen Gebilde haben sich schwach mit Hämatoxylin gefärbt, was aber vielleicht der Erhärtungsflüssigkeit zuzuschreiben ist Die Venen der Netzhaut sind erweitert, in ihrer Adventitia Lenkocyten ein- gelagert. Letztere finden sich überall auch in geringer Menge im Gewebe der Nervenfaserschicht. Die Hyaloidea ist in grosser Ausdehnung durch feinkörnige Eiweissmasse von der Innenfläche der Netzhaut etwas abgehoben, stellenweise finden sich in dem Zwischenraum auch Leukocyten. Das Pigmentepithel ist wenig verändert. Im unteren Theil des Auges ist dagegen die Netz- haut, besonders die Faserschicht, reichlicher von Eiterkörperchen infiltrirt und in der Gegend des den Fremdkörper umgebenden Abscesses vollständig degenerirt und in ein dicht mit Eiter- körperchen und Pigmentzellen durchsetztes Gewebe verwandelt, das nichts von der normalen Structur mehr erkennen lässt. Es ist möglich, dass hier der Fremdkörper einen Riss der Netzhaut bewirkt hatte, doch kann auch die Structur durch den Entzündungsprocess verloren gegangen selb, da der Ueber- gang in den erhalten gebliebenen Theil der Netzhaut ganz allmälig erfolgt. Man sieht hier stellenweise auch neugebildetes Bindegewebe zu der stark mit Eiterzellen infiltrirten Chorioidea hinüberziehen. Wo die Netzhaut abgehoben ist, ist der Zwischenraum von körniger Eiweissmasse, eitrig-fibrinösem Exsudat und abgelösten Zellen des Pigmentepithels ausgefüllt. Auch sonst ist im unteren Abschnitt des Auges das Pigment- epithel stellenweise unregelmässig, einzelne Zellen durch Exsudat abgehoben, andere scheinen zerfallen und die Pigmentkömehen in der Umgebung zerstreut.

Die Gefässe der Iris sind erweitert, das Gewebe auf der Seite der Verletzung von zahlreichen rundlichen und poly- morphen Pigmentzellen durchsetzt. In dem Defect der Iris sind Fibrinfasern, isolirte Zellen des zerfallenen Stratum pigm. iridis und rayelinähnliche Tropfen von verschiedener Grösse zu sehen; letztere werden auch in dem Winkel zwischen der Iris und den Ciliarfortsätzen angetrofifen. An den übrigen Stellen ist das Pigraentepithel der Iris verdickt und die Zellen bilden auf seiner hinteren Fläche zackige Vorsprünge.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 211

In der vorderen Kammer finden sich verschieden ge- staltete Fibrinnetze nnd veränderte rothe Blutkörperchen. Das Endothel ist vesiculär verändert, desgleichen in ausgesprochenem Grade die obere Schicht des Epithels der Hornhaut.

An der Linsenkapsel wurde keine Verletzung gefunden ; die Linse zeigt Veränderungen wie bei beginnender Cataract.

V. Fall.

Claudepierre (Ohne Krankengeschichte).

Einähriger Knabe. Enucleation wegen Verletzung durch einen Zündhütchensplitter.

R. Auge gut in MüUer'scher Flüssigkeit gehärtet, im horizontalen Meridian durch den Sehnerveneintritt halbirt, beide Hälften in Celloidin geschnitten.

Makroskopischer Befund. Durchmesser des Auges in sagittaler und aequatorialer Richtung 23 mm. In der Cornea, etwas nach innen von ihrer Mitte, eine vertikale, fast 1^/, mm lange Narbe. Die vordere Kammer ist seicht; der Pupillarrand der Iris ist mit der Narbe verwachsen; die Linse ist stark verkleinert, anregelmässig gestaltet und theilweise resorbirt. Die Aderhaut ist verdickt, besonders im äusseren und hinteren Theil des Auges; in dem letzteren liegt sie der Sclera an, während sie in ihrer übrigen Ausdehnung bis auf 2 3 mm von ihr abgehoben ist. Die Retina liegt im äusseren und inneren-hinteren Theil der Aderhaut an, in ihrer übrigen Ausdehnung ist sie von ihr etwas über 1 mm weit abgelöst. Der Nervus opticus zeigt normale Färbung, ist aber etwas dünner, als normal und hat an der Sclera nur 2 mm im Durchmesser (ohne äussere Scheide).

Eine dunkelgraue Masse nimmt den ganzen Glaskörperraum ein. In der unteren Hälfte des Auges, unmittelbar hinter der Mitte der Linse ist in dieser Masse ein stecknadelkopfgrosser Fleck von dunkelbrauner Farbe zu sehen, welcher nur an 10—12 Schnitten zu treffen ist (Figur 1, d). Ein etwas grösserer Fleck von ähnlicher Farbe, aber nicht so deutlich hervortretend, ist im äusseren Theil dieser Masse neben dem Aequator bulbi, nicht weit von der Netzhaut zu beobachten.

4 mm nach hinten von dem letzterwähnten Fleck findet sich auf der lateralen Seite der Netzhaut eine Verdickung, wahrscheinlich die Folge einer Verletzung, welche in der Höhe

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212 Kostenitsch.

des Nervus opt. anfilngt, parallel mit dem Aequator bulbi nach unten zieht und in der Gegend des unteren Theils des Fremd- körpers verschwindet (Fig. 1 r).

Nach unten von dem mehr erwähnten Fleck, 1 mm nach innen von der Netzhaut und unmittelbar nach unten von dem Sehnerveneintritt, lag der Fremdkörper^ ein Ztlndhfltchenstflck von 3 mm Länge und 2 mm Breite, mit seiner Längsausdehnung und seiner Fläche parallel zum Aequator bulbi gerichtet (Fig. If).

Ein Theil der oben beschriebenen Masse, welcher dem Fremdkörper anliegt, zeigt eine gelblich-braune Färbung, die nach unten, unterhalb des Fremdkörpers, bis dicht an den Grund des Auges, einen fast braunschwarzen Ton anninunt

Etwas nach vorne von dem Aequator bulbi sieht man auf der ganzen nasalen Seite eine kleine Falte der Retina; auf der temporalen Seite finden sich dagegen keine Falten, mit Ausnahme der noch zu erwähnenden Fältchen nach oben und nach unten von dem Risse der Retina.

Die Schnitte zeigen bei Behandlung mit gelbem Blut- laugensalz und Salpetersäure in der dem Fremdkörper anliegen- den Masse, sowie in dem, hinter der Linse befindlichen Fleck, eine deutliche röthliche Färbung.

Mikroskopische Untersuchung. Der vermuthete Riss an der Stelle der Verdickung in dein äusseren hinteren Theil der Netzhaut wurde bei der mikroskopischen Unter- suchung vollständig bestätigt. Der Zwischenraum zwischen den Rändern der zerrissenen Retina ist von zellenreichem Granu- lationsgewebe ausgefällt, das in seinen äusseren Schichten zahl- reiche Pigmentzellen einschliesst; in den mittleren Schichten sind rothe Blutkörperchen und Detritus derselben eingelag^l und die inneren Schichten besonders dicht von Leukocyten durchsetzt, welche auch in dichter Menge in die innere Schicht der Retina an den Rissenden tibergehen. Dieses Gewebe er- streckt sich auch in den Subretinalraum hinein, wo es an den Schnitten, welche oberhalb des Fremdkörpers gefallen sind, als ein schmaler Streifen nach vorne zieht und sich, ohne die Ora serrata zu erreichen, allmälig verliert. Das Pigment- epithel zeigt hier sehr hochgradige Veränderungen. An der äusseren Fläche der Narbe und in deren Gewebe eingebettet finden sich zwei kleine, ganz isolirte Trümmer der äusseren Körnerschicht.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 213

Auf den Schnitten, welche der Lage des Fremdkörpers entsprechen, ist die Narbe breit, das neugebildete Gewebe im Subretinalranme zieht hier zwischen Retina und Chorioidea auch eine Strecke weit nach hinten.

Gleich nach hinten von der Narbe bildet die Retina kleine, mikroskopische Falten, in welchen man die veränderte Stabchenschicht, die äussere Eömerschicht und stellenweise auch in Gruppen oder in eine schmale Reihe geordnete Körner der inneren Kömerschicht unterscheidet Die äussere Eömer- schicht bildet in den Falten, wie auch auf eine kleine Ent- fernung nach hinten von ihnen, Htlgel, deren Spitzen die Stäbchenschicht auseinander schieben und in den Subretinal- räum hineinragen. Zwischen je zwei an einander liegenden Hügeln findet sich eine Einsenkung, welche mit veränderten Stäbchen und Zapfen gefallt ist, während diese an den Spitzen der Hügel nicht vorhanden sind.

Das vordere Ende der zerrissenen Retina, welches stellen- weise nur aus der veränderten Stäbchenschicht und einer schmalen Reihe von Körnern der äusseren Körnerschicht be- steht, ist nach aussen in den Subretinalraum umgeklappt und durch Bindegewebe fixirt; manchmal sind in diesem Ende feine Falten zu beobachten, in welchen die äussere Körnerschicht sich verschmälert, oder kleine Hügel bildet. Die innere Körnerschicht ist nur als schmaler Streif in einiger Entfernung von den Falten zu unterscheiden. An der Stelle der übrigen Schichten der Retina findet sich auf beiden Seiten von der Narbe nur ein dicht mit Eiterkörperchen und Pigmentzellen durchsetztes Gewebe, das kaum etwas von der normalen Structur erkennen lässt

Die beschriebenen Veränderungen der Netzhaut finden sich nicht nur nach vorne und hinten von der Narbe, sondern auch nach unten und nach oben, hier aber nur in geringer Aus- dehnung; auf Schnitten von der oberen Hälfte des Auges ist unmittelbar oberhalb des N. opt die innere Körnerschicht schon in ihrer ganzen Ausdehnung zu sehen und etwas höher auch schon die übrigen Schichten der Retina zu unterscheiden. Nach unten von der Narbe sieht man die Stäbchenschicht und die äussere Eömerschicht; die übrigen Schichten sind aber fast auf der ganzen temporalen Seite der Netzhaut nicht zu unterscheiden, da sie hier mit einer beträchtlichen Menge von Eiterkörperchen durchsetzt sind, zwischen welchen hie und da Körner der inneren Körnerschicht, MüUer'sche Fasern und

214 Kostenitsch.

einzelne Nervenzellen hervortreten. In der übrigen Ausdehnung der Retina sind ihre Schichten, von der Zwischenkörnerschicht anfangend, mit Eiterkörperchen infiltrirt und sehen etwas körnig aus. Die Kerne der Nervenzellen sind mangelhaft mit Haematozylin gefärbt Die Infiltration ist auf der temporalen Seite ausgesprochener als auf der nasalen.

Auf der temporalen Seite der Retina und neben der Papille sind Yacuolen in den Körnern der beiden Kömer- schichten zu beobachten. In einer gewissen Ausdehnung nach hinten von der Ora serrata ist die Stäbchenschicht in beiden Hälften des Auges in Eiweisskügelchen von verschiedener Grösse zerfallen. Dieser Zerfall erstreckt sich auf der tempo- ralen Seite mehr nach hinten als auf der nasalen. An allen übrigen Stellen ist die Stäbchenschicht gequollen.

Die Gefässe der Retina sind erweitert und mit Blut ge- füllt, neben ihnen befinden sich viel Eiterkörperchen.

Die Papille des Nerv. opt. ist geschwollen und ihr Ge- webe, besonders neben den erweiterten Gefässen, mit Eiter- körperchen infiltrirt. Die letzteren sind auch in ihrem cen- tralen Grübchen angehäuft, zwischen ihnen befinden sich Fibrinfasern. Die Nervenfaserbündel sind gut erhalten, aber etwas kömig.

Das Epithel der Netzhaut ist, besonders an ihrem vorderen Theil, gewuchert; es gelang mir aber nicht, Kemtheilungen zu finden.

Die Pars eil. ret. zeigt eine geringe Wucherung und ist mit Eiterkörperchen infiltrirt. Die Infiltration ist auf der temporalen Seite und in der unteren Hälfte des Auges aus- gesprochener als in der oberen. Nach dem Grunde der unteren Hälfte des Auges hin ninmit die Infiltration so stark zu, be- sonders auf der temporalen Seite, dass man mit grosser Mühe die Zellen dieser Schicht unterscheiden kann.

Das Stratum pigmenti part. eil. ret. ist verdickt und an der Ora serrata gewuchert, wo seine Zellen Kemtheilungen zeigen. Stellenweise bildet es keilförmige Yorsprünge, welche sich in die Pars eil. ret hinein erstrecken. Zwischen den Zellen des gewucherten Strat. pigm., wie auch zwischen ihm und der Pars eil. ret selbst sind in kleinen Lücken Eiter- körperchen enthalten.

Der Glaskörperraum war vor dem Einschliessen des Auges in Celloidin, wie schon oben erwähnt, vollständig mit einer dunkelgrauen Masse ausgefüllt In Celloidin ist sie aber ge-

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 215

Bchrampft und in zwei ungleiche Theile getheilt, einen vorderen grösseren und einen hinteren kleineren, zwischen welchen sieh eine Lficke findet (Fig. 1).

Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigt sich, dass diese Theile sich wesentlich von einander unterscheiden. Der vordere Theil ist ziemlich stark mit Eiterkörperchen und mit einem Fibrinnetz infiltrirt. Die Infiltration ist auf der tempo- ralen Seite, neben dem Giiiarkörper und in der unteren Hälfte des Auges ausgesprochener als in der oberen, besonders in der Gegend des Fremdkörpers und hinter der Linse, neben welchen das Fibrinnetz sehr dicht ist. Dem vorderen Theil hängt die Membrana hjaloidea an, welche viele feine, zackige Falten bildet und nicht weit vom temporalen Ende der Retina an nach der nasalen Seite hin zieht, um in einiger Entfernung abgerissen aufzuhören, indem der übrige Theil an der Innen- fläche der Retina sitzen geblieben ist. Vom Ende der Membr. hyaloidea bis znr Ora serrata befinden sich auf der nasalen Seite in Reiben geordnete oder isolirte Eiterkörperchen, welche die Grenze des vorderen Theils der Masse darstellen. Nach hinten liegen der Membr. hyaloidea Stückchen der Masse an, in welchen keine Eiterkörperchen nnd kein Fibrinnetz zu beobachten sind. In der ganzen unteren Hälfte des Anges, in der Gegend des Fremdkörpers, nnd an der Stelle, welche hinten von dem Fremdkörper, aussen von der Retina nnd vorne von dem temporalen Theil des Corpus ciliare begrenzt ist, wie auch neben dem nasalen Theil des Corp. eil., sind deutlich Fibrillen des Glaskörpers zu sehen. In der oberen Hälfte des Auges sind sie dagegen sehr wenig ausgesprochen und nur an einer kleinen Zahl nach oben von dem N. opt. geführter Schnitte und zwar ausschliesslich neben dem Corp. eil, auf beiden Seiten zu beobachten.

Der hintere, viel kleinere Theil der Masse liegt im hinteren Augenabschnitt unmittelbar der Narbe und der Retina an. Er ist amorph und enthält nur spärliche Fibrinfasern, neben der Retina auch in Gruppen geordnete Eiterkörperchen, manchmal von beträchtlicher Grösse und zwischen ihnen mit Eosin gefärbte EiweisskOgelchen.

Es ist klar, dass der vordere Theil der beschriebenen Masse den veränderten und in Schrumpfung begriffenen Glas- körper, der hintere Theil dagegen eiweisshaltiges Exsudat dar- stellt (Fig. 1 g. e).

216 Kostenitoch.

An Schnitten, welche durch die Papille gelegt sind, ist der Glaskörper mit der Membrana hyaloidea weniger weit von der Netzhaut abgehoben und man sieht noch einen schmalen Fortsatz der Glaskörpersubstanz, mit Eiterzellen und Fibrin- fäden infiltrirt, nach dem Grunde der centralen Grube hin- ziehen.

Die Zonula Zinnii ist verdickt; ihre Fasern kann man mit schwacher Yergrösserung leicht fast bis zu der Ora serrata verfolgen.

Dicht am hinteren Pol der Linse befindet sich, wie schon oben erwähnt, ein kleiner, dunkelbrauner Fleck. Bei der mi- kroskopischen Untersuchung zeigt sich, dass er aus zwei Heer- den dichter eitriger Infiltration besteht Der eine ist auf dem Durchschnitt mandelförmig und wird vorn von der hinteren Linsenkapsel begrenzt, welche in seiner Mitte zerrissen ist; seine hintere Fläche ist gleichfalls scharf begrenzt, wie wenn die Hyaloidea durch die Eitereinlagerung eine Strecke weit von der Linsenkapsel abgehoben wäre. In der angrenzenden Schicht des Glaskörpers liegen die Eiterzellen mit in die Länge gezogenen Kernen in mehreren Reihen hinter einander, offenbar zwischen die Fibrillenzüge des Glaskörpergerüstes ein- gebettet. Weiterhin folgt eine mehr gleichmässige Anhäufung von Eiterzellen, die sich ohne scharfe Grenze in die Umgebung verliert und dem hinteren der beiden dunklen Flecke entspricht.

In der Masse, welche dem Fremdkörper anliegt, wie auch auf der entsprechenden Stelle in der oberen Hälfte des Auges, findet sich eine beträchtliche Anhäufung von Eiterkörperchen und zwischen ihnen sehr viel Detritus. Auf dem Niveau des unteren Endes des Fremdkörpers vermehrt sich die Zahl der Eiterkörperchen und unterhalb desselben bilden sie einen grossen, in der Mitte fast undurchsichtigen Fleck. Ueberall zwischen den Eiterkörperchen, wo sie nicht dicht an einander anliegen, sieht man Fettkörnchenzellen und Fibrinnetze.

Die Netzhaut ist überall von der Aderhaut etwas abge- hoben, nur auf einer kleinen Stelle in dem hinteren inneren Theil des Auges liegt sie ihr an. Der schmale Subretinal- raum ist mit einer geronnenen Masse angefüllt, welche nur in der Gegend der Narbe homogen ist und neben den Eiterkörperchen eine unbedeutende Menge Fibrinfasem enthält; an den übrigen Stellen sieht sie feinkörnig aus. Auf der temporalen Seite enthält sie ausser Eiterkörperchen noch rothe Blutkörperchen, isolirte Zellen des Retinaepithels, Zellen mit Pigmentkömem

Pathologisch-aoatomiBche Untenuchnngen etc. 217

and Blutkörperchen oder Zellen, die einen grösseren Fetttropfen enthalten; auf der nasalen Seite sind nur Eiterkörperchen in kleiner Zahl darin zu treffen. In der ganzen unteren Hälfte des Auges ist zwischen der Narhe und der Ora serrata ein bedeutender Bluterguss Torhanden, welcher den ganzen schmalen Subretinalraum einnimmt

Die etwas verdickte vordere Linsenkapsel ist an man- chen Schnitten zweimal, an anderen einmal durchrissen, mit klaffenden Rändern, auf denen Wucherungen des Kapselepithels aufliegen, der ttbrige Theil ist gefaltet; die hintere Kapsel fehlt an manchen Schnitten in noch grösserer Ausdehnung.

Die Linse ist grossen theils resorbirt; zwischen ihren ge- quollenen Fasern liegen grössere Eiweissmassen und kleine, deutlich mit Eosin gefärbte Tröpfchen. Im hinteren Theil der Linse sind ihre Fasern in dtlnne, mehr oder weniger lange, in dem vorderen in kurze Stückchen zerfallen; neben letzteren befinden sich viele ziemlich grosse Zellen mit körnigem Inhalt, der sich eben so gut, wie die Fasersttlckchen, mit Eosin färbt; zwischen den zerfallenen Fasern sind Eiterkörperchen vor- handen.

An einer Stelle fand ich eine Zelle mit excentrisch ge- legenem Kerne, welche inmitten von Fettkörnchen ein mit Eosin geförbtes Eiweisskttgelchen enthielt (Fig. 2E).

Die Gefässe der Chorioidea sind erweitert und mit Blut gefällt, ihr Gewebe auf der ganzen temporalen Seite, wie auch das des Orbiculus ciliaris beider Seiten, ist sehr stark mit Eiter infiltrirt; in ihrer fibrigen Ausdehnung ist die Infiltration wenig ausgesprochen.

Die Gefässe der Iris sind etwas erweitert; ihr Gewebe ist unbedeutend mit Eiterkörperchen infiltrirt; die Infiltration ist ausgesprochener neben dem ziemlich stark verdickten Strsr tum pigmenti, dessen Zellen in unregelroässiger Weise ge- wuchert sind und cylindrische und verkehrt kegelförmige Gestalten angenommen haben, wodurch die hintere Fläche zackig aussieht Der Pupillenrand ist entweder, wie schon bemerkt, mit dem einen Ende der Homhautnarbe verwachsen, oder glatt durch den Fremdkörper abgeschnitten.

Die vordere Augenkammer ist mit geronnener Eiweiss- roasse ausgefällt, welche Fibrinfasem und Eiterzellen enthält, die letzteren befinden sich in kleinen Gruppen auf der Membr. Descemeti und in den Winkeln der Kammer. Gleich nach aussen von der grossen Gomealnarbe ist noch eine zweite,

218 Kostenitsch.

feine, perforirende Narbe vorhanden, die nur an wenigen Schnitten zu finden ist, daher nur eine geringe Ansdchnnng besitzen kann.

In der Sclera finden sich neben den Gefössen, besonders in der Gegend des Muse, eil., wie auch zwischen seinen Fasern, Eiterkörperchen, welche sich auch um den Schlemm'schen Ganal angehäuft haben.

In der Coi^. bulbi sind zahlreiche Leukocyten vorhanden.

Das Vorhandensein zweier neben einander liegender per- forirender Narben der Cornea muss auf .eine doppelte Ver- letzung bezogen werden, da nach der gegenseitigen Lage der Narben und der Richtung, die der im Auge gefundene Fremd- körper genommen hatte, nicht daran zu denken ist, dass der- selbe Fremdkörper die Hornhaut zweimal verletzt habe. Es bleibt also nur die Alternative, dass die kleinere Narbe schon früher bestanden habe, oder dass das Auge gleichzeitig von zwei Fremdkörpern von verschiedener Grösse verletzt wurde. Letztere Annahme hat die grössere Wahrscheinlichkeit f&r sich, weil sie zugleich erlaubt, die Entstehung der Veränderungen am hinteren Linsenpol zu erklären, wo sich neben einem klei- nen Eapselriss ein ganz umschriebener Fleck von eitriger Infiltration fand, der bräunlich gefärbt jwar und in welchem die Anwesenheit von Kupfer auf chemischem Wege bewiesen wurde. Die Erwartung, an dieser Stelle einen Zündhütchen- splitter zu finden, erfüllte sich nicht, da die ganze Gegend in Schnitte zerlegt wurde, ohne auf einen Fremdkörper zu stossen; es ist auch nicht möglich anzunehmen, dass der weiter hinten gefundene Fremdkörper anfangs an dieser Stelle gelegen habe, da er von da aus durch die Schwere nicht an seinen jetzigen Sitz gelangen konnte. Nimmt man hinzu, dass an einigen Schnitten deutlich zwei getrennte Lücken der vorderen Liusen- kapsel gefunden wurden, und dass auch die kleine Zerreissung der hinteren Kapsel getrennt war von der viel grösseren Lücke, die der zweite im Auge gefundene Fremdkörper in der hin- teren Kapsel bewirkt hatte, so muss wohl angenommen werden, dass neben dem letzteren noch ein ganz kleiner Fremdkörper in das Auge eindrang und bis zum hinteren Pol der Linse gelangte, entweder nur ein Partikelchen der Zündmasse, oder ein feinstes Kupferstückchen, das dem anatomischen Nachweis entging, vermnthlich, weil es schon vorher in den Augenflflssig- keiten sich gelöst hatte. Der andere Splitter durchdrang die Linse und den Glaskörper und erzengte vermuthlich direct

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 219

den oben beschriebenen Riss der Retina. Es spricht hierfür, dass der vordere Rand der zerrissenen Retina nach dem Snb- retinalraum hin umgeklappt ist und dass auf der Seite des letzteren der Narbe eine Gruppe freiliegender Edmer der Aosseren Eörnerschicht anliegt; femer das Vorhandensein einer bedeutenden Blutung im Subretinalraume und die Abwesenheit Ton Falten im vorderen Theil der Retina, ohne welche ein spontaner Riss von solcher Grdsse unbegreiflich ist

Der Fremdkörper wird einige Zeit lang neben dem Risse gelegen haben, sp&ter senkte er sich etwas nach unten und vom und wurde vielleicht auch in derselben Richtung durch die Schrampfung des Glaskörpers weiter verschoben, die durch die chemische Wirkung des Kupfers hervorgerufen wurde. Später wurde dann der Riss der Retina durch Bindegewebe verschlossen.

VI. Fall.

Joseph Zeckert, 16 Jahre alt, aus Mackersdorf in Pr.

L. Auge, 5 Wochen nach einer Zttndhütchenverletzung von Dr. Just in Zittau am 10. October 1887 enucleirt.

Der Bulbus war nach Härtung in Mttller'scher Flüssigkeit etwas oberhalb des Sehnerveneintrittes in horizontaler Richtung durchschnitten, der Sehnerv bei der Enucleation knapp am Auge abgetrennt An der unteren Bulbushälfte bemerkt man auf der temporalen Seite im Limbus corneae eine kleine ver- tiefte Narbe (Fig. 3, n). Beide Hälften wurden nach Einbettung in Celloidin mit dem Mikrotom geschnitten.

Makroskopischer Befund. Trotz sorgfältigem Suchen wurde an den Mikrotomschnitten keine deutliche Perforations- stelle der Augenwand gefunden. Es fand sich nur an der soeben bezeichneten Stelle der Sclerocomealgrenze auf der lateralen Seite ein oberflächlicher Spalt, durch welchen der Ansatz der Bindehaut in schräg nach der Peripherie gehender Richtung vom Scleralrande abgetrennt wurde; an einigen Schnitten sah man auch die angrenzende Schicht der Sdera von etwas ausgetretenem Blut durchsetzt; nirgends aber konnte man eine Narbe durch die Dicke der Sclera und die Aderhaut hindurch verfolgen. Doch muss die Perforation an dieser Stelle erfolgt sein, weil hier eine erhebliche Verletzung des Linsen- randes vorliegt; auch ist nirgends anders die Spur von einer

220 KoBtenitsch.

Eingangsstelle des Fremdkörpers zn finden. Der laterale Rand der linse erscheint abgestumpft und der angrenzende Tbeil ihrer hinteren Fläche eingekerbt; die Linsensnbstanz ist hier gelblich-weiss getrttbt and an der hinteren Fiftche gegen den Olaskörperranm vorgequollen, während die vordere Fläche und der nasale Rand für das blosse Auge nicht verändert erscheinen. Die Pupille ist weit und die vordere Linsenkapsel in ihrem Bereich von einer zarten Exsudatschicht bedeckt

Die Netzhaut ist vollständig trichterförmig abgeUVst und verdickt; ihre beiden Blätter verlaufen ziemlich gestreckt, nur in viele feine Fäitchen gelegt (Fig. 3, 4).

Der Glaskörperraum ist, besonders im vorderen Ab- schnitt, von eitriger Infiltration eingenommen; in ihrer Mitte befindet sich eine kleine Blutung.

Der Subretinalraum ist mit geronnener Eiweissmasse erfüllt; nur hinten neben dem Sehnerveneintritt ist der von der abgelösten Netzhaut gebildete Winkel auf der lateralen Seite von eitrigem Exsudat ausgefüllt. In der Aequatorialgegend sitzt auf der temporalen Seite an der Aussenfläche der Retina ein hanfkomgrosses, scharf begrenztes Eiterknötchen.

Die Chorioidea ist im Allgemeinen zart und, mit Aus- nahme des hintersten Abschnittes, überall von der Sclera ab- gehoben, auf der nasalen Seite ziemlich weit, auf der tempo- ralen nur wenig; die Suprachorioidea aufgelockert. Die Ab- hebung erstreckt sich bis auf den leicht verdickten Ciliarkörper. Nur hinten, lateral vom Sehnerveneintritt, wo das soeben er- wähnte eitrige Exsudat sich befindet, liegt die Chorioidea der Sclera an und ist ziemlich stark verdickt

Als sich die Schnitte von der unteren Hälfte des Auges dem N. opt näherten, fand sich in dem mehr erwähnten eitrigen Exsudat neben dem Sehnerveneintritt im subretina- len Raum der Fremdkörper eingebettet und das Exsudat in seiner Umgebung gelblich-braun verfärbt. Sein hinteres Ende lag zwischen den Rändern der hier zerrissenen Retina, 2 mm nach vorn vom temporalen Rande der Papille; sein vorderes, etwas nach unten gebogenes Ende war in den Glas- körperraum eingelagert Der vorsichtig extrahirte Fremdkörper stellt ein rinnenförmig gekrümmtes Zündhütchenstück dar von 4 mm Länge und 2 mm Breite.

Mikroskopische Untersuchung. Die mikroskopische Untersuchung bestätigte, dass die beiden Blätter der abgelösten

Pathologisch-anatomische Untersachoiigen etc. 221

Retina am Sehner?eiieintritt zum Theil durchrissen waren; zwischen ihnen und der Papille findet sich nur eitrig infiltrirtes Bindegewebe, das sich noch eine kleine Strecke weit auf der Chorioidea hinzieht und die Eitermasse von hinten her umgibt An einer Stelle geht dieses Gewebe ohne scharfe Grenze in das der hier eitrig infiltrirten Chorioidea über, so dass wohl auch eine kleine Verletzung dieser Membran stattgefunden hat. In der Umgebung dieser Stelle haben die Arterien der Chorioidea stark verdickte Wandungen und ihr Lumen ist theilweise verengt. In ihrer übrigen Ausdehnung ist die Chorioidea nur wenig verdickt, ihre Gestose sind erweitert; die Yenen theilweise mit Blut gefüllt, in den Lumina und in der Adventitia der Venen ist nur in der temporalen Hälfte eine unbedeutende Menge Leukocyten zu sehen. Erst in der Nähe dee Ciliarkörpers tritt eine ausgesprochenere eitrige Infiltration der Chorioidea auf.

Der markhaltige Theil des Sehnerven ist dünn, die Mark- substanz kömig, im Zerfall begriffen, zugleich kernreicher als normal und mit deutlicher hervortretendem Reticnlum. Die Papillensubstanz ist kemreich und von zahlreichen Leukocyten durchsetzt Die Wände der Arterien sind verdickt, die Venen mit Blut gefallt, in ihre Adventitia sind manchmal Gruppen von Eiter^ellen eingelagert

Die abgelöste Netzhaut ist in viele, bald feine, bald gröbere Falten gelegt, ziemlich stark mit Eiterkörperchen infiltrirt, besonders in ihrer temporalen Hälfte ihr Stützgewebe hypertrophirt, die nervösen Elemente zum Theil in Atrophie begriffen; an beiden Flächen ist eitriges Exsudat aufgelagert. Besonders stark und unregelmässig gewuchert ist die Nerven- faserschicht, in der auch die eitrige Infiltration am meisten ausgesprochen ist Von der Stäbchenschicht sind in der Gegend des Fremdkörpers nur noch Beste vorhanden, weiterhin sind ihre Elemente gequollen, zum Theil im Zerfall begriffen und die Aussenglieder streckenweise verlorengegangen. Die Körner^ schichten sind sehr unregelmässig gefaltet, die Elemente zum Theil gelockert, in den Körnern zuweilen Vacuolen zu be- obachten.

Die Venen der Netzhaut sind erweitert und mit Blut gefüllt; die Wände der Arterien verdickt und im hinteren Abschnitt der Netzhaut ist eine ausgesprochene Endoarteriitis zu sehen.

222 Kostenitscb.

Das Pigmentepithel liegt der Chorioidea an, ist etwas verdickt and fehlt, wie schon angedeutet, an der verdickten Stelle der Chorioidea neben dem Sebnerveneintritt.

Die Pars ciliaris retinae ist stark gewuchert, mit Eiterkörperchen infiltrirt und grösstentheils in der sie deckenden Bindegewebsproliferation untergegangen. Das Pigmentepithel der Pars ciliaris ist sehr stark verändert, die Zellen gewuchert, gelockert und deformirt, stellenweise auch in das angrenzende Bindegewebe bis zu bedeutender Tiefe infiltrirt.

Das oben erwähnte Eiterknötchen an der Aussenfläche der Netzhaut besteht aus dicht mit Eiterzellen infiltrirtem Ge- webe, dessen Gefttge in der Mitte etwas lockerer ist, und geht nach den Seiten hin ohne scharfe Grenze in das eitrig infil- trirte Gewebe der Netzhaut Ober, muss also wohl durch lokale Vereiterung der Netzhaut entstanden sein (Fig. 3, 4 d'). Auch an einer anderen Stelle ist die Retina so dicht von Eiter- zellen infiltrirt, dass ihre Schichtung ganz verloren gegangen ist, jedoch hier ohne erhebliche Dickenzunahme.

Die eitrige Infiltration des Glaskörpers nimmt ziemlich den ganzen Raum desselben ein und erstreckt sich nach vom bis an die hintere Linsenkapsel und an die auf der temporalen Seite aus deren Riss hervorquellende Linsensubstanz heran. Nasalwärts ist sie durch eine der Hinterkapsel aufliegende dünne Bindegewebschicht von dieser getrennt Dieselbe hängt mit dem neugebildeten gefässhaltigen Bindegewebe zusammen, welches auf beiden Seiten den zwischen Giliarfortsätzen und Ora serrata gelegenen Theil des Glaskörperraumes einnimmt und sich noch eine Strecke weit auf die Innenfläche der ab- gelösten Netzhaut als schmaler Streifen fortsetzt.

Weiter nach hinten ist die Hyaloidea durch zellenarmes Exsudat von der Innenfläche der Netzhaut abgehoben, und auf der Glaskörperseite von einer dünnen Schicht eitrigen Exsudates bedeckt, während der Aussenseite Fettkörnchenzellen aufgelagert sind. Auch nach innen von der abgelösten Hyaloidea folgt zu- nächst geronnene Eiweissmasse, in welcher Fettkörnchenzellen neben zerstreuten Eiterkörperchen und Fibriunetzcn einge- schlossen sind. Der übrige auf der Zeichnung (Fig. 3, 4 g) schwarz gefärbte Theil des Glaskörpers ist mit sehr dicht an- einander liegenden Eiterkörperchen infiltrirt, deren Kerne bald gut, bald schwach mit Haematoxylin gefärbt sind, im letzteren Falle treten ihre Konturen nicht deutlich hervor. Ausserdem werden noch in kleine Gruppen geordnete Eiterkörperchen

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 223

mit stark gefärbten Kernen, in denen oft Yacnolen za sehen sind, beobachtet. In dem beschriebenen Theile des Glaskörpers trifft man noch kömigen Detritus, zerfallene rothe Blut- körperchen und nach hinten von dem Linsenrand eine be- deutende Anhäufung von Zellen, die Fettkörner enthalten.

Der Subretinalraum ist mit geronnener Eiweissmasse ausgefüllt, in welcher zahlreiche isolirte Eiterkörperchen, wie auch stellenweise Fibrinfasern und Fettkömchenzellen gefunden werden. Der hintere Theil des Subretinalraumes enthält auf der temporalen Seite, wie schon angeführt wurde, den in eitriges Exsudat eingebetteten Fremdkörper und zwischen dem- selben und der verdickten Stelle der Ghorioidea, so wie auch nach aussen von der Papille, eine bedeutende Anhäufung von neugebildetem Bindegewebe, in welcher isolirte Zellen des Retinaepithels, Pigmentkörner und Pigment enthaltende Zellen sich befinden.

Die Linsenkapsel zeigt am temporalen Rande eine grosse Lücke, die bis auf die hintere Fläche hinüberreicht. Die Hinterkapsel ist gefaltet, in der Nähe des Risses erheblich verdickt und der Rand nach aussen aufgerollt; aus der Riss- stelle drängt sich quellende und aufgefaserte Linsenmasse hervor.

Zwischen die Linsentrümmer ist eitriges Exsudat einge- lagert, auch sind Eiterzellen noch breiter in die Linse hinein zwischen die Fasern in reichlicher Menge infiltrirt; ausser mehrkernigen Eiterkörperchen mit stark gefärbten Kernen finden sich zwischen den Linsenfasern auch zahlreiche Zellen mit einem einzigen grösseren, schwach gefärbten Kern.

Das Gewebe des Giliarkörpers ist gelockert, stärker fibrillär und im hinteren Theil ziemlich dicht mit Eiterzellen infiltrirt.

Auf der vorderen Iris fläche und im Kammerwinkcl sind zahlreiche Eiterzellen abgelagert, auch das Gewebe der Iris ist stellenweise davon durchsetzt. Auf der vorderen Linsen- kapsel liegt eine Schicht faserigen Bindegewebes mit zahlreichen, ein- und aufgelagerten Leukocjten, die zum Theil Pigment- körnchen enthalten. Dies Gewebe setzt sich in grösserer Dicke auf die Hinterfläche der Iris fort und nimmt auf der ver- letzten, lateralen Seite die ganze hintere Kammer bis zu den Ciliarfortsätzen ein; auf der nasalen Seite findet sich ein gleiches Gewebe nur zwischen Linsenrand und Ciliarfortsätzen, von wo es sich noch eine Strecke weit auf die hintere Linsen- fiäche fortsetzt.

224 Kostenitsch.

Die Gefässe der Conjanctiva bulbi sind erweitert und ihr Gewebe mehr oder minder reichlich mit Lenkocyten infiltrirt.

VII. Fall.

Wolf (Soldat).

11. Novbr. 1867. Vor fünf Wochen Verletzung des rech- ten Auges durch ein Zündhütchenstflck. Aus der Tiefe des Auges gelber Reflex bei durchsichtiger Linse.

Klinische Diagnose (Prof. A. v. Graefe). Eitrige Glaskörperinfiltration, wahrscheinlich totale Netzhautablösung, eitrige Netzhautinfiltration; wahrscheinlich partielle eitrige Cho- rioiditis. Enucleatio bulbi.

Anatomischer Befund (Prof. Th. Leber). Durch- messer des frischen Auges von vorn nach hinten 21 mm, horiz. Durchmesser 21 mm. Auge weich, phthisisch. Horn- haut durchsichtig. Pupille nach einer am inneren unteren Homhautrande befindlichen Narbe verzogen. Auge frisch er- öffnet Die Retina scheint anliegend und, soweit sich bei der Besichtigung erkennen lässt, zart und durchsichtig. Linse klar. Unmittelbar hinter der Linse, nach innen zu, eine dichte gelblich-weisse Masse, von welcher sich bis zu der gegenflber- liegonden Stelle am Sehnerveneintritt ähnliche Massen hinziehen.

Ein ZOndhfitchenstück ist in der Masse eingebettet, dicht hinter der Linse; die nächste Umgebung der Masse zeigt eine bräunliche Färbung. Sehnervenquerschnitt von normaler, weisser Färbung, aber dünner als normal, etwas unregelmässig dreieckig, dicht an der Sclera nur 2^/^ 2^/^ mm im Durchmesser be- tragend (ohne äussere Scheide).

Nach Härtung in Mttller'scher Flüssigkeit fand sich, dass die Retina trichterförmig abgelöst war; der Hals des Trichters entspricht dem Eintritt des N. opt. und der breite Theil dem Corpus ciliare.

Leider stand mir nur die mangelhaft erhaltene untere Hälfte dieses Auges zur Verfügung, welche in Celloidin ein- geschlossen und in horizontaler Richtung durch den Sehnerven- eintritt in Schnitte zerlegt wurde.

Gleich nach unten von dem Eintritt des N. opticus er- reichen die Schnitte die Stelle, wo das obere Ende des Zünd- hütchenstückes gelegen hatte; dieses selbst war vorher vor-

Pathologisch-anatomische Untersachangen etc. 225

sichtig heraasgezogen und der Raum, in welchem es lag, mit Gelloidin ausgefallt worden.

Der Zündhütchensplitter, von 6 mm im Durchmesser, stellt den Boden eines der früher beim Militär gebrauchten Zünd- hütchen dar. Derselbe lag gleich hinter der Linse, mit seiner Fläche parallel zum Aequator des Auges gerichtet. Der late- rale Rand des Splitters entsprach der Mitte des hinteren Theils der Linse, der mediale lag etwas nach hinten von der Ora serrata des nasalen Theils der Retina, von letzterer aber immerhin noch entfernt.

Eine weisslich-graue Masse nimm( den ganzen vorderen Glaskörperraum ein und umgiebt das Zündhütchenstück. Nur in der unmittelbaren Umgebung des letzteren ist diese Masse fast undurchsichtig und stellt einen ziemlich breiten Streifen von schwarzbrauner Farbe dar. Weiter nach hinten giebt sie auf beiden Seiten zwei in convergirender Richtung verlaufende Fortsätze ab; ein breiterer verläuft auf der inneren Fläche der nasalen Hälfte der Retina und verliert sich weiter hinten an einer ihrer Falten; der andere, schmälere, geht in einigem Abstand von der Retina von vorn-aussen nach hinten-innen und verliert sich, alhnälig dünner werdend, an der Retina etwas nach innen von der Axe des Auges. Die soeben be- schriebenen Streifen sind Durchschnitte von flächenartigen Zügen verdichteten Glaskdrpergewebes. Ihre hinteren Enden erreichen einander nicht, sondern bleiben 1 mm weit von ein- ander entfernt (Fig. 5).

In dem hinteren Theile des Auges, fast auf seiner sagit- talen Axe, in gleichem Niveau mit dem N. opticus, fängt ein Riss der Retina an, welcher nach unten zieht. Die Ränder der Rissstelle sind nach innen umgeschlagen (Fig. 5 r). Die so entstandene Lücke, die oben 2 2^/2mm weit ist, verkleinert sich allmälig nach unten, bis die Ränder der zerrissenen Retina sich wieder berühren. An den Schnitten, welche dem unteren Theil des Fremdkörpers entsprechen, ist keine Spur eines Risses zu bemerken. Auf denselben Schnitten nimmt die oben beschriebene Masse den vorderen Theil des Glaskörperraums ein; auf der nasalen Seite erstreckt sie sich an der inneren Fläche der Retina weiter nach hinten, als auf der tempo- ralen Seite.

Die Ader haut ist verdickt; im hinteren Theile des Auges liegt sie der Sclera, im vorderen der Retina an; in der ganzen übrigen Ausdehnung ist sie von beiden getrennt

▼. Oraefe'8 Arcbiv fOr Ophtlialmologie. XXXVII. 4. 15

226 KoBtenitsch.

Auf den Schnitten entstand in der Masse, welche un- mittelbar den Fremdkörper nmgiebt, durch gelbes Blntlangen- salz und Salpetersäure eine ganz schwache röthliche Färbung.

Mikroskopische Untersuchung. In Folge der mangel- haften Conservirung des Auges haben leider die Schnitte, welche durch den N. opt. geführt sind, die Netzhaut nur in geringer Ausdehnung in der Umgebung der Papille getroffen, an welcher Stelle die Retina kleine Falten bildete, weiterhin fehlt die Retina an diesen Schnitten zum grössten TheiL

Die Veränderungen der Retina neben der Papille unter- scheiden sich kaum von denen, welche man an ihrem hinteren Theil nach unten vom Eintritt des N. opt. zwischen den Rissen findet, und welche ich weiter unten beschreiben werde, so dass ich, um Wiederholungen zu yermeiden, hier nicht weiter darauf eingehen will.

Das Stützgewebe der Papille ist hypertrophirt, die Nervenfasern sind etwas kömig, aber noch deutlich zu sehen; die Wandungen der Oefässe etwas verdickt, im Lumen der Venen ziemlich zahlreiche Leukocyten der Wand anliegend, an einigen Venen in der Adventitia eine dichte Anhäufung von Leukocyten; an der Uebergangsstelle in die Retina er- scheinen die Ge&sse erweitert. In der Papille und umgeben- den Retina zahlreiche mit Haematoidinkörnchen gefüllte Zellen eingelagert.

Da die Netzhaut nach unten vom Sehnerveneintritt in der nasalen und temporalen Seite des Auges, von dem Riss gerechnet, nicht gleiche Veränderungen zeigt, so werde ich zunächst ihre nasale Seite beschreiben.

An der Stelle, wo die oben beschriebenen Züge verdich- teten Glaskörpers im Augengrunde sich einander bis auf einen kleinen Abstand genähert haben, ist die mit deren beiden Enden zusammenhängende Netzhaut stärker nach einwärts ge- zogen und in eine grosse Zahl von kleinen Fältchen gelegt. An der am weitesten nach innen vorspringenden Stelle dieser Gegend zeigt die Netzhaut eine zweite, fast nur mikroskopisch erkennbare Lücke.

Die zerrissenen, etwas nach innen umgeklappten Ränder sind nur wenig aus einander gezogen und durch neugebildetes Bindegewebe vereinigt. Nach unten ist dieser Riss fast auf allen Schnitten zu sehen, auf welchen auch der erstere zu sehen ist. (Fig. 5r'.)

Pathologisch-aDatomische Untersuchungen etc. 227

Der im hinteren Abschnitt des Auges, zwischen den beiden Rissen gelegene Theil der Netzhaut zeigt folgende Ver- änderungen :

Die äussere Körnerschicht ist verdünnt und von et- was ungleicher Dicke; ihr Durchschnitt erscheint meistentheils stark wellig, indem sie in zahlreiche, mehr oder minder tiefe Fältchen gelegt ist, in welche sich schmale Einsenkungen der Aussenfläche def Retina hineinziehen; ihr Durchschnitt erhält hierdurch ein festonartiges Aussehen; an einigen Stellen ver- schmälert sich die Schicht so stark, dass sie nur 1 2 Reihen von Körnern zeigt, auch erscheint ihr Gewebe gelockert Die innere Körnerschicht ist in diesem Theil, wie auch nach vorne von dem zweiten Riss in der Gegend der Falten, welche ihm anliegen, beträchtlich dicker als die äussere und als normal. Sie ist gleichfalls aufgelockert und ihre Elemente aus einander gewichen. Ihre äussere Fläche zeigt papillenähn- liche Vorsprflnge, welche in die Falten der äusseren Körner- schicht hineinragen, aber etwas breiter und abgerundeter sind, als die letzteren (Fig. 6.) Von ihren Enden aus ziehen in der Zwischenkörnerschicht Büschel verlängerter Sttttzfasern in die Tiefe der Falten der äusseren Körnerschicht hinein. Ihre innere Fläche verläuft im Ganzen ziemlich eben und bietet gegen die Molecularschicht hin nur einige leichte Biegungen dar. Wo die äussere Körnerschicht keine Falten zeigt, ver- läuft auch ihre äussere Fläche gerade. In der Tiefe der Falten, besonders neben dem zweiten Riss, verschmälert sie sich stellenweise stark. Weiter nach vorn, zwischen den Falten in der Gegend des zweiten Risses und dem vorderen Ende der Netzhaut, verläuft die Membran glatt; die beiden Kömerschichten sind annähernd eben, aber ebenfalls aufgelockert und von etwas ungleicher Dicke, wobei bald die innere, bald die äussere Körnerschicht etwas mehr verdünnt erscheint. Im vordersten Theil der Retina treten wieder Falten auf; dieselben sind fein und liegen dicht an einander; ihre Zwischen- räume sind schmal und tief. Die innere Körnerschicht er- scheint in diesem Theil stellenweise verdickt, besonders wo sie sich in die Falten einsenkt.

Die Fasern des Stützgewebes der beiden Körnerschichten, sowie der Zwischenkörnerschicht, sind im hinteren Theil der Retina zwischen den beiden Rissen und im vorderen, be- sonders neben der Ora serrata, beträchtlich verlängert und

15*

228 Kostenitoch.

hypertrophisch; desgleichen in noch höherem Grade die der Faserschicht, weniger der Ganglienzellenschicht.

Das Gewehe dieser Schichten ist von zahlreichen ovalen Kernen durchsetzt, welche der Neuroglia anzugehören scheinen. Die Ganglienzellen sind zum Theil noch gut erhalten, aher ihre Kerne mitunter mangelhaft gefärbt. Die übrigen Schichten der beschriebenen Seite der Retina sind etwas aufgelockert und kömig; in der Faserschicht und Ganglien- zellenschicht finden sich, wie schon von der Papille angegeben wurde, um die erweiterten Venen reichliche Anhäufungen von mehrkernigen Leukocyten, die auch in grosser Menge in deren Lumen zu bemerken sind. Da und dort trifft man auch Hae- matoidinkörnchen enthaltende Zellen, desgleichen auch an der Innenfläche der Retina. Die Membrana limitans interna ver- läuft leicht wellig und ist stellenweise etwas von der Faser- schicht abgehoben.

Die Stäbchenschicht ist in der ganzen Ausdehnung der Retina hochgradig verändert, nirgends sind ihre Elemente mehr unversehrt erhalten; an ihrer Stelle finden sich meist nur Eiweisskugeln verschiedener Grösse, hie und da noch ge- quollene und in die Länge gezogene Reste der Zapfen, auch einzelne Kerne dazwischen; im vorderen nasalen Theil, in den Einsenkungen und Vorspcüngen der Falten, findet sich an ihrer Stelle ein Fasernetz vor, welches sich deutlich mit Eosin färbt und vielleicht aus einer Wucherung der Enden der Neu- roglia hervorgegangen ist.

In der temporalen Hälfte der Retina, aber nur in ihrem vorderen Theil, sind einige nicht besonders tiefe wellen- förmige Falten zu sehen. Die beiden Körnerschichten dieser Hälfte sind von fast normaler Dicke. Die äussere Körner- schicht zeigt in einer gewissen Ausdehnung in der Umgebung des Risses feine faltenartige Einsenkungen, in deren Vor- sprüngen die Stützfasern stellenweise verlängert sind. Die übrigen Schichten bieten auf dieser Seite dieselben Ver- änderungen wie auf der nasalen Seite der Retina.

Die beiden nach innen umgeklappten Ränder des grossen Risses der Retina sind durch eine zarte Schicht neugebildeten Gewebes in ihrer Lage fixirt.

Auf den Schnitten, welche dem unteren Theil des Fremd- körpers entsprechen, wo keine Risse vorhanden sind, zeigt die Retina in ihrem hinteren temporalen Theil keine Falteti, während auf der nasalen Seite viele ziemlich grosse zacken-

PathologiBch-anatomische Untennchangen etc^ 229

artige Falten auftreten. Neben der Ora serrata dieser Seite sind die StQtzfasem stark verlängert und an einzelnen Stellen zu Bündeln gruppirt. Diese Bflndel sind mit Körnern der inneren Kömerschicht durchsetzt und schieben sich in die Spitzen der Falten hinein; ganz in der Nähe der Ora serrata bilden die Fasern und die Faserbündel in den äusseren Schichten der Retina ein Netz, in dessen Maschen^ wie auch zwischen den Fasern der übrigen Schichten der Retina, welche hier sehr stark verdickt ist. Kömer zerstreut liegen; die Schichten der Netzhaut sind als solche hier fast nicht zu erkennen.

Nach hinten von der eben beschriebenen Stelle, stellt sich die Retina in einer gewissen Ausdehnung als ein schmaler Streif dar, in welchem die äussere Kömerschicht und Reste der Stäbchenschicht noch zu unterscheiden sind; an der Stelle der übrigen Schichten finden sich isolirte Gruppen von Körnern der inneren Kömerschicht, Nervenfasern und Keme der Nervenzellen, femer hie und da Eiterkörperchen, pigment- haltige Zellen und Pigmentklümpchen.

Die Pars ciliaris retinae ist auf der nasalen Seite, entsprechend der Nähe des Fremdkörpers, bis zu den Ciliar- fortsätzen stark gewuchert, desgleichen auf der temporalen Seite; das Maximum der Wuchemng erreicht sie an der Ora serrata. Die ovalen Kerne der vergrösserten cylindrischen Zellen zeigen sich oft getheilt, zwischen denselben sind Eiter- körperchen zu sehen; auf den Ciliarfortsätzen ist das Epithel unbedeutend verdickt. Auch das Stratum pigmenti der Pars eil. ret. ist verdickt, und stellenweise stark gewuchert; in seinen Zellen ist Kemtheilung zu sehen. Die pigmentirten Zellen entsenden lange Fortsätze zwischen die Elemente der gewucherten Pars ciliaris hinein, andere sind schon weiter nach innen vorgedrungen, so dass die ganze Dicke der Pars ciliaris in von aussen nach innen abnehmender Menge von Pigmentzellen durchsetzt ist Selbst der angrenzende, binde- gewebig umgewandelte Theil des Glaskörpers enthält zahlreiche mit gleich gefärbtem Pigment erfüllte Zellen, theils von rund- licher, theils spindelförmiger Gestalt

Das Retinaepithel ist aufgequollen; an verschiedenen Stellen, besonders in dem hinteren Theil neben dem N. opt. und im vorderen Theil der nasalen Seite, ist eine deutliche Wucherung und Kemtheilung daran zu sehen (Fig. 7). Die Zellen liegen stellenweise in zwei oder selbst drei Reihen

230 KoBtenitscb.

über einander, haben anregelmässige, kolbige Formen und sind mitunter pigmentlos. An Präparaten, die mit Fuchsin und sogar an solchen, die mit Haematoxylin geförbt sind, sind oft an Earyokinesis erinnernde Bilder zu beobachten.

Im Subretinalraum, welcher durch die Einwirkung der härtenden Reagentien vergrössert ist, befindet «ich eine körnige Masse, in welcher hie und da isolirte Zellen des Retina- epithels liegen. Neben der veränderten Stäbchenschicht findet sich noch eine beträchtliche Menge homogener EiweisskOgelchen von verschiedener Grösse (Zerfall der Stäbchenschicht), isolirte Eiterkörperchen, stellenweise auch viele veränderte rothe Blutkörperchen. Im vorderen Theil des Subretinalraumes, d. h. neben der Ora serrata der beiden Seiten finden sich viele Pigmentzellen gewöhnlicher Grösse, dann etwas grössere Zellen mit 2 4 Kernen; im nasalen Theile sind, aber selten, sehr grosse Zellen zu beobachten, in welchen sich bis 12 gut mit Haematoxylin förbbare Kerne finden (Fig. 8). Ausser den be- schriebenen Zellen findet sich noch hier ein Fibrinnetz und junge Bindegewebszellen«

Die oben beschriebene gelblich-weisse Masse, welche sich in dem Glaskörperraum befindet und den Fremdkörper umgiebt, ist nichts anderes als geschrumpfter und mit eitrigem Exsudat durchsetzter Glaskörper.

In den von dem Fremdkörper entfernteren Theilen be- steht das Exsudat aus dicht gedrängten Eiterkörperchen mit gut gefärbten Kernen; näher dem Fremdkörper bemerkt man aber zunächst nur eine kömige Masse, in welche mehr zer- streute Eiterzellen mit gut gefärbten Kernen eingelagert sind; bei genauerer Einstellung erkennt man aber, dass die ganze Masse aus dicht an einander liegenden Rundzellen besteht, deren Kerne keine Färbung mehr angenommen haben und offenbar als nekrotische Leukocyten zu betrachten sind. In noch grösserer Entfernung von dem Fremdkörper nimmt die Menge der Eiterzcllon wieder ab und es tritt an ihrer Stelle körnig krümelige, amorphe Substanz auf. Nur dicht an der Hinterfläche der Linse ist wieder eine Schicht von dichter gedrängten Eiterzellen angelagert. In den übrigen Theilen des Glaskörpers finden sich ausser dem körnigen Detritus auch rothe Blutkörperchen, die bald gut erhalten, bald in Klümp- chen zusammengehäuft sind, bald grobe Körner darstellen; ferner feine Fibrinnetze, glänzende Kömchen, Pigmentzellen mit Kcrntheilungen und Zellen, etwas grösser als Eiterkörperchen,

Pathologisch-anatomische üntersachungen etc. 231

die mit haematogenem Pigment oder mit Fettkörnern erfüllt Bind; in letzterem Falle ist der Kern znr Peripherie ge- schoben.

An einigen Stellen im vorderen Theil des Glaskörpers dieht man grosse Zellen, welche haematogenes Pigment und viele Kerne enthalten (Fig. 9).

Im hintersten TheU des Exsudates finden sich junge Binde- gewebsfasern, Capillaren und viele ziemlich grosse Zellen mit eosingefärbten groben Kömern, welche weder nach ihrem Aus- sehen, noch nach ihrer Färbung von Detritus der rothen Blut- körperchen zu unterscheiden sind (Fig. 10).

In der Nähe der gewucherten Pars eil. ret. sind auf beiden Seiten neugebildete Bindegewebsfasern und Capillaren vorhanden. Die letzteren sind auf der nasalen Seite mit Leukocjten angefüllt, zwischen diesen sieht man nur selten einzelne mit eosinophilem Inhalt gefüllte Zellen gleicher Grösse. Einige von diesen Capillaren sind nach der den Fremdkörper umgebenden Gewebsschicht hingerichtet.

Der in der zuletzt beschriebenen Weise veränderte, hintere Theil des Glaskörpers stellt auf dem Durchschnitt, wie oben beschrieben wurde, nach hinten convergirende Züge dar, von denen der auf der nasalen Seite der Retina anliegt, während der auf der temporalen Seite sich von derselben auf ziemlich weiten Abstand zurückgezogen hat Die Aussenfläche erscheint mikroskopisch sehr scharf begrenzt, obwohl die Limitans grösstentheils auf der Retina sitzen geblieben ist; in die Grenzschicht sind in fortlaufender Reihe grössere Rundzellen eingelagert, die rothe Blutkörper oder Zerfallsproducte der- selben einschliessen, und die in der Nähe der Netzhautperfo- ration besonders reichlich vorhanden sind. Auf der inneren Fläche der nasalen Hälfte der Retina zwischen ihr und dem Exsudat und ihre Falten überziehend findet sich in der Um- gebung der grossen Perforation eine Schicht von neugebildetem Bindegewebe. Auf dem gegenüber liegenden Theil der Aussen- fläche des Glaskörpers haftet ein ähnlicher Bindegewebsstreifen von geringer Ausdehnung, der offenbar früher auf der Retina festsass und bei der Zurückziehung des Glaskörpers an diesem sitzen blieb; auch neben der Papille finden sich Bindegewebs- fasern im Glaskörper, welche mit denen der Papille zusammen- hängen.

Die oben beschriebene dunkelbraune Substanz, welche in continuirlicher Schicht den Fremdkörper umgiebt, besteht aus

232 KoBteniteoh.

einer Menge von sehr dicht neben einander liegenden Eiter- körperchen nnd körnigem Detritus. Der letztere bildet in dem hinteren Theil dieser Schicht eine zusammenhängende Kruste, in der man mit grosser Mühe die Gonturen der Form- elemente unterscheiden kann, aus welcher aber zahlreiche mit Haematozylin gefärbte grobe Körner hervorragen. Diese Kömer sind wahrscheinlich die Kerne von zerfallenen Eiterkörperchen. In der Peripherie ist diese Schicht etwas heller und lässt in ihrer Masse Zellen, die grobe Fettkörner enthalten, unter- scheiden. Ausserdem sind manchmal kleine Zellen mit eosin- ophilem Inhalt zu sehen. Noch weiter nach der Peripherie, in der Richtung zur Linse, findet sich, zwischen dieser Schicht und der Linsenkapsel, ein Bündel neugebildeten Bindegewebes, welches in der Gestalt von isolirten Fasern am äusseren Theile der Schicht anfängt, nach vorne zieht und auf der hinteren Seite der Linse sich nach der Narbe hinbegiebt. Das eben beschriebene Bündel ist an den Schnitten, welche dem unteren Theil des Fremdkörpers entsprechen, stärker entwickelt Auf der Seite der Verletzung ist die ganze Gegend stark zellig in- filtrirt und von der Zonula Zinni nur an einigen Schnitten etwas zu erkennen; auf der anderen Seite ist die Zonula deutlich sichtbar und ihr Ansatz an die Kapsel abgerissen, ob vielleicht erst beim Aufschneiden des Auges, ist nicht sicher zu entscheiden. Ihre Fasern sind verdickt und sind nur in dem oberen Theil der temporalen Hälfte leicht bis zur Ora serrata zu verfolgen; an den übrigen Stellen sind sie durch Bindegewebsfasern maskirt.

In dem Exsudat aus der Umgebung des Fremdkörpers habe ich an einem Praeparat eine Gruppe von Zellen mit eigenartigem Inhalt beobachtet. Dieselben waren rund oder oval, eine derselben auch mit einem Fortsatz versehen (Fig. 11). Ihre Kerne lagen an der Peripherie und waren von einer ge- ringen Menge feinkörnigen Protoplasmas umgeben; der übrige Theil der Zelle war mit dicht gewirrten feinen Fasern oder mit Faserstückchen verschiedener Grösse und Dicke durchsetzt. Nach dem Aussehen und der Färbung mit Eosin waren diese Fasern identisch mit den zerfallenen Linsenfasern, welche sich in dem Exsudat hinter der Linse befanden.

Die Linsenkapsel ist fast in ihrer ganzen Ausdehnung verdickt; an den Rändern der Linse, besonders auf der nasalen Seite, sind ihre Zellen vermehrt, obgleich keine Kemtheilung zu sehen ist. An einer kleinen Zahl von über dem Fremd-

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 233

körper geführten Schnitten ist die Linsenkapsel an ihrer hinteren Fläche verletzt.

Die nach hinten in das Exsudat hineinragende Gorticalis ist in Stocke und dfinne Fasern zerfallen, zwischen welchen sich viel kömiger Detritus, rothe Blutkörperchen, wenige Eiter- körperchen und amorphe Eiweissmasse befinden. Dieselbe Masse liegt in den Lücken zwischen den Linsenfasern im hinteren ThiBile der Linse, wo die Kapsel unverletzt ist und in ihrem vorderen Theile nahe der Peripherie.

Die Gefässe der Chorioidea sind stark erweitert und zum Theil mit Blut gefüllt. Das Gewebe ist nicht mit Eiterkörper- chen infiltrirt, nur im Lumen der kleinen Venen treten auf- ÜEÜlend zahlreiche Leukocyten hervor. Im Ciliarkörper sind Eiterkörperchen vorhanden.

Die Lamina elastica ist verdickt. Hie und da bemerkt man eine flache, hügelige Excrescenz an der Innenfläche der Aderhaut, die aus gefässhaltigem Gewebe besteht, welches die Glashaut durchwuchert hat.

An der Innenfläche der Ghoriocapillaris sieht man stellen- weise die Zellen des Retinaepithels nach innen emporgehoben durch kleine Gebilde aus concentrisch geschichteter, homogener Substanz, welche sich deutlich mit Eosin färbt. Solche Gebilde sind auch in dem N. opt. und in dem Stratum pigmenti der Pars eil. ret. auf der nasalen Seite zu treffen. Zwischen die- sem Stratum und dem Epithel der Pars eil. ret befindet sich an einem Präparat ein ziemlich grosses, einem gequollenen Stärkekom ähnliches Gebilde mit anliegenden Pigmentzellen, welches offenbar aus dem Stratum pigmenti hierher gelangt ist. Diese Gebilde sind wohl nichts anderes, als die bekannten Drusen der Glaslamelle.

Die Gefässe der Iris sind etwas erweitert; ihr Gewebe ist mit isolirten Eiterkörperchen infiltrirt, aber neben dem verdickten und gewucherten Stratum pigmenti iridis sind stellenweise Gruppen von Eiterkörperchen zu beobachten; ihr hinterer Theil, durch den Fremdkörper von den Ciliarfortsätzen abgetrennt, ist in die Narbe eingezogen; an einer kleinen Zahl dieser Stelle entsprechender Schnitte findet sich in der hinteren Kammer ein Bündel neugebildeten Bindegewebes, wel- ches der Linsenkapsel anliegt.

Die vordere Augenkammer enthält eine geringe Menge feinkörnig geronnenen eiweisshaltigen Exsudates, isolirte Eiter- zellen, pigmenthaltige Zellen und veränderte rothe Blutkörperchen.

236 Kostenitsch.

Die Linsenkapsel ist verdickt, ihre Kerne vermehrt, ihr vorderer and hinterer Theil zerrissen.

Die Linse wnrde bei dem Durchdringen des Fremd« körpers in zwei Theile zertheilt, zwischen welchen viele Gortioal- trttmmer und einzelne Eiterkörperchen lagern. Die Lage der Fremdkörperspitze ist iu der Linse durch die zerrissene Kapsel und das Vorhandensein einer geringen Zahl von Eiterkörperchen zu erkennen. Gequollene Linsenfasern sind nur an den Rändern wahrzunehmen, an den übrigen Stellen befindet sich Eiweissmasse mit Eiweisskügelchen und Vakuolen mit fettr körnigem Inhalt In der vorderen Kammer finden sich spftriiche rothe Blutkörperchen und viele Eiterzellen, letztere sind be- sonders zahlreich neben der verdickten Memb. Descemeti und an der vorderen Fläche der Iris und fallen die ganze PupiUe aus; zwischen den Eiterkörperchen ist ein zartes Fibrinnets und Fettkömer wahrzunehmen; sehr häufig kommen grosse Zellen mit vielen Kernen vor. Diese Zellen sind mit Fett- körnem oder mit haematogenem Pigment, manchmal mit rothen Blutkörperchen gefallt

IX. Fall.

Herr Ferdinand M., 27 J., Direktor einer Schiessbaum- wollefabrik.

28. Juli 1882. Vor 17 Tagen L. Verletzung durch die Explosion einer Ladung von Schiessbaumwolle und Pulver. Kleine perforirende Narbe am äusseren Theil des oberen Lides, gerade gegenüber kleine Scleralnarbe. Ausgedehnte Glaskörperblutung, kleines bewegliches Körperchen im Glas- körper, das sich rasch hin und her bewegt. Iris grün, keine Injection. Bewegungen der Hand wahrgenommen. Lichtschein nicht allemiederste Lampe. Projection unsicher.

Prognose ungünstig gestellt Verband. Soll in 4 6 Wochen wiederkommen.

9. Sept 1882. Leichte Ciliariiyection, Iris grünlich. Oph- thalmoskopisch der ganze Glaskörper von flockig-membranösen Trübungen durchsetzt, darauf ein kleines helles Körperchen. Ob Netzhautablösung fraglich. Bei focaler Beleuchtung nach unten noch Rest von rothgefärbtem Extravasat Bewegungen eines hellen Gegenstandes wahrgenommen. Lichtschein fast niederste Lampe. Vor einiger Zeit Schmerzen im Auge, die nach Atropin nachliessen. Enucleation noch verschoben.

PatboIogisch-aDatomiscbe Untersuchungen etc. 237

20. September. In der letzten Zeit wieder lebhafte £ntr sttndung mit Druckempfindlichkeit in der Giliargegend. Heute starke Ciliarinjection, Iris grttn, Glaskörper von eitrigen Flocken durchsetzt, die hin und her flottiren. Rest einer Blutung nach unten. Ein heller gelber Gegenstand fliegt besonders au£- üallend im Glaskörper hin und her. Umschriebene Druck- empfindlichkeit. Lichtschein nicht niedrigste Lampe. Pro^ jection nur nach oben und aussen. Aufgenommen.

22. September. Nach Breiumschlägen und Calomel int. heute Injection entschieden geringer. Pupille weit, regelmässig rund, obwohl Pat in der letzten Zeit kein Atropin bekommen hat. Medien unverändert, keine Druckempfindlichkeit. Licht- schein niedrigste Lampe. Projection nahezu sicher.

23. September. Heute wieder stärkere Injection, Pro- jection unsicher. Enucleation.

Das durch einen Meridionalschnitt eröffnete Auge zeigt im Innern, anhaftend an der Chorioidea, ca. 4 mm hinter dem Ansatz des M. rect. extemus, einen in eitriges Exsudat ein- gebetteten harten Körper, der sich, herausgenommen, als ein zusammengebogenes Stflckchen Kupferblech von 1 ^^ mm Länge, % mm Breite und ^/g mm Dicke erweist Auge in Müller^sche Flüssigkeit gelegt. (Op. v. Dr. Deutschmann.)

29. September 1882. Heilung normal.

R. M. 0,5D. S = *«/2o. 0. normal. Entlassen.

Sectionsbefund. Der Bulbus war frisch im horizon- talen Meridian etwas winklig durchschnitten und ist durch die Härtung leicht verbogen. Sehnerv auf dem Durchschnitt dttnn, aber anscheinend markhaltig, misst dicht am Auge ohne Scheide nur ca. 3^4 mm, die äussere Scheide ist schlaff, das inter- stitielle Gewebe etwas stärker entwickelt

An der Hornhaut bemerkt man neben dem innem-obern Rande einen ca. 1 mm langen weisslichen Strich, leicht ge- bogen, ca. 1 ^/s mm vom Rande entfernt, vielleicht eine kleine Narbe. Ausserdem finden sich am innern obem Rand 8 regel- mässig neben einander liegende, radial gerichtete, weisslicbe Striche von ca. 1 mm Länge , die vom Rande aus gleichmässig in die Hornhaut hineinziehen und deutlich über die Oberfläche hervorragen.

Die Linse ist nicht regelmässig durchschnitten. Ihrgrösster Theil befindet sich an der oberen Hälfte und ragt etwas ttber die Schnittfläche vor. Sie hat in dieser Hälfte eine regel-

238 Kosteoitsch.

massige Form, ihr Kern erscheint mehr gelblich, heller; an der untern Boibnshälfte ist ihr medialer Theil aus der Kapsel herausgefallen, doch handelt es sich hier nur um Präparations- wirkungen, da nach dem Ergebniss der Untersuchung im Leben die Linse ungetrübt war.

An der Iris nichts Abnormes zu bemerken, vordere Kam- mer leer.

Ciliarfortsätze scheinen etwas verdickt.

Der Glaskörper ist in der untern Hälfte zu einer ver- dichteten Masse zusammengezogen, welche den Raum vor der Härtung wohl noch ziemlich ausfüllte, sich aber schon etwas von der Retina abgehoben hat und hinten mit einer feinen Spitze endigt, die an der Papille sich ansetzt, aber bei leichtem Zug mit der Pincette davon abreisst.

Jetzt ist der Glaskörper zusammengezogen und überzieht als eine weiche, von gelblichen Streifen durchsetzte Masse den unteren Abschnitt der Retina, während der grössere, mittlere Theil des Raumes von dem nach unten gesunkenen Glaskörper frei ist In der oberen Bulbushälfte ist die Glaskörperablösung viel weiter gediehen; die Verbindung mit der Papille ist hier durchschnitten, der grösste Theil des Glaskörperraumes leer und der Glaskörper zu einer Schicht von etwa Q mm Dicke zusammengezogen, welche den Raum hinter den Ciliarfortsätzen und der Linse einnimmt.

Der Zündhütchensplitter war, wie bemerkt, schon vorher aus dem Auge herausgenommen worden. Die Eingangsstelle war für das blosse Auge nicht zu erkennen.

Die beiden Hälften des Auges wurden bis zum 3. Mai 1891 in Müller'scher Flüssigkeit aufbewahrt und dann in Cel- loidin eingebettet und geschnitten.

Mikroskopische Untersuchung. Erst an den Cel- loidinschnitten lässt sich der Gang des Fremdkörpers im Auge erkennen. Derselbe hatte, wie oben bemerkt, das obere Lid durchbohrt, dann die Augenwand auf der lateralen Seite, am hinteren Ende des Ciliarkörpers, ungefüiir im horizontalen Meridian durchschlagen und den seitlichen Theil des Glas- körperraums durchflogen, um in der Aequatorialgegend des Auges etwas weiter nach unten, in den Augenhäuten, stecken zu bleiben.

An der Eingangsstelle tritt die Narbe der Sclera wenig hervor, ihr Gewebe ist von schrägen Bindegewebszttgen mit

Pathologiscli-anatomische Untersuchungen etc. 239

einzelnen Gef&ssen durchsetzt; dagegen ist der Ciliarkörper nebst Pars ciliaris retinae weit vom vorderen Ende der Ghori- oidea abgetrennt und die Lücke von einer dicken Schicht neu- gebildeten Bindegewebes ausgefüllt, das mit der Chorioidea und der hier ganz atrophirten Retina verwachsen ist.

An der Stelle des Fremdkörpers findet sich eine geheilte Zerreissung der Chorioidea und Retina, offenbar durch directe Verletzung von innen her entstanden; die Ränder beider Mem- branen sind weit aus einander gewichen und durch eine dicke Bindegewebeschicht wieder verwachsen, die auch innig mit der Sclera zusammenhängt, so dass vielleicht auch diese Membran 4urch den Fremdkörper verletzt worden war.

Die Enden der zerrissenen Retina sind ein wenig nach aussen umgeklappt. Von den Elementen der Netzhaut sind in ihnen nur mangelhaft gefärbte Reste der Eömerschichten zu sehen.

Nach innen grenzt an das Narbengewebe die eitrig- infiltrirte Partie des Glaskörpers an, in welche der Fremd- körper eingeschlossen war.

Der N. opt. ist dünn, sein Sttttzgewebe etwas hyper- trophirt. Die markhaltigen Fasern erscheinen körnig, zwischen den Faserbündeln findet sich eine kleine Menge von Leuko- cyten. Die marklosen Fasern der Papille zeigen beginnende Atrophie. Die Wände der Gefässe sind verdickt, ihre Lumina verengt und mit Blut gefallt.

Die Netzhaut ist in ihrer ganzen Ausdehnung etwas dünner als normal, ihre Stützfasern sind nur in der Zwischen- kömerschicht, nach aussen von der Papille und auf einer be- schränkten Stelle nach hinten von dem Netzhautriss, verlängert und hypertrophirt.

Im hinteren Abschnitt des Auges sind alle Schichten der Retina sichtbar. Die Elemente der Nervenfaserschicht treten aber, besonders in der Papille, weniger deutlich hervor als in der Norm; die Nervenzellen sind stellenweise von Vacuolen eingenommen und haben sich fast gar nicht durch Haematoxylin gefärbt. Auch die beiden Kömerschichten haben grösstentheils ihre Tinctionsfähigkeit eingebüsst. Nur einzelne Körner der inneren Kömerschicht sind noch ziemlich gut, die übrigen aber schwach und unregelmässig mit Haematoxylin gefärbt; die äussere Körnerschicht ist in grosser Ausdehnung schwach, und nur stellenweise gut tingirt; stärker gefärbte Abschnitte wechseln ab mit schwach geerbten und manchmal ist im Querschnitt mitten in einer gut mit Haematoxylin gefärbten Partie ein dünner

240 Eostenitsch.

Streifen ganz ungefärbter Körner za sehen. Dieser Streifen durchsetzt bald beide Eömerschichten, bald bloss die innere und den inneren Theil der äusseren Kömerschicht. Die Stäbchenschicht ist in diesem Augenabschnitt durch ziemlich grosse Lücken in Bündel zertheilt; ihre Elemente sind trübe, kömig und stellenweise im Begriff, in Eiweisskttgelchen zu zerfallen.

Die GefäSBWände der Retina sind verdickt, ihre Lumina verengt; in den Yenenlumina finden sich zuweilen zahlreiche Leukocyten.

Im vordem Abschnitt der Retina finden sich nur noch Reste der Stäbchenschicht; die Körner beider Kömerschichten sind gleichfalls mangelhaft gefärbt, besonders in der temporalen Seite, wo nur einzelne Körner Färbung angenommen haben; die inneren Schichten sind fieut nicht zu unterscheiden.

Die Pars ciL ret ist von fast normaler Dicke, die Kerne ihres Cylinderepithels sind nur neben der Ora serrata gut mit Haematoxylin gefärbt, an den übrigen Stellen sind diese Keme zum Theil gut, zum Theil schwach gefilrbt; auf der temporalen Seite der unteren Augenhälfte sind sie völlig farblos, oder ganz verschwunden; die Cylinderzellen selbst sind verlängert und etwas gelockert. Das Stratum pigmenti der Pars eil. ret. ist auf der temporalen Augenhälfte unbedeutend gewuchert

Das Retinaepithel zeigt im hinteren Abschnitt, ab- gesehen von schwacher Färbung der Keme, keine auffallenden Veränderungen. Weiter nach vorn zeigen die Zellen stellen- weise stärker entwickelte Fortsätze, an andem Stellen sind sie leicht von der Aderhaut abgehoben und theilweise atxophirt.

Der Glaskörper ist leicht verdichtet; er enthält reich- lichen Detritus rother Blutkörperchen; letztere haben sich stellenweise zu Klümpchen angehäuft; an andem Stellen sind sie reihenweise in das Glaskörpergewebe eingelagert; ausserdem finden sich noch kömiger Detritus, sehr wenig Fibrinfasern und nur wenige Leukocyten, dafür aber oft Pigmentkörner enthaltende spindelförmige Zellen und viele Phagocyten. Auf der inneren Fläche der Retina befindet sich etwas feinkömige Eiweissmasse.

Der Fremdkörper war mit dem ihn umgebenden Exsudat aus dem Glaskörper entfernt, so dass an seiner Stelle nur sehr wenig Eiter zurückblieb.

Pathologisch-aDatoinische Untersuchungen etc. 241

In dem seichten Subretinalraume der unteren Augen- hälfto findet sich feinkörnige Eiweissmasse , grobkörniger Detritus, isolirte Zellen des Retinaepithels und Phagocyten. In der oberen Augenhälfte existirt ein Subretinalraum nur auf der temporalen Seite in der Gegend des Retinarisses.

Die Aderhaut ist etwas verdickt; die Venen erweitert und stellenweise mit Blut angefdUt, in ihren Lumina sind manchmal Leukocyten anzutreffen. Die Wände der Arterien sind verdickt^ neben ihnen ist oft im hinteren Theile der Chorioidea eine Anhäufung von sternförmigen Pigmentzellen zu beobachten.

In dem hinteren Theile der Iris und neben dem Schlemm'schen Kanal findet sich eine unbedeutende Menge von Eiterkörperchen.

Die Wände der Arterien sind verdickt Das Pigment- epithel der Iris ist hypertrophirt, seine hintere Fläche stellen- weise von zackigem Aussehen und die Zellen mehr oder minder kolbig verlängert und gewuchert.

Die Epithelzellen der äussersten Schichten der Cornea sind trüb und ihre Kerne haben sich gar nicht gefärbt Auch die Kerne der tieferen Zellschichten haben zum Theil ihre Tinctionsföhigkeit verloren; so sind an Schnitten aus der Gegend des horizontalen Meridians in den Seitentheilen der Cornea kleine Abschnitte des Epithels zu sehen, dessen Kerne theils gar nicht, theils schwach mit Haematoxylin gefärbt sind. In der Nähe des Randes sieht man auch kleine Defecte des Epithels oder Stellen, wo nur die Schicht des Cylinderepithels mit kaum sichtbaren Kernen erhalten ist In den tiefsten Schichten der Homhautgrundsubstanz sind auch die Kerne der Homhautkörperchen mangelhaft oder gar nicht geförbt und dasselbe Verhalten tritt an dem Endothel der hinteren Horn- hautfläche hervor. Dass die mangelnde Kernfärbung nicht der Wirkung der ErhärtungsflUssigkeit zuzuschreiben ist, geht schon aus dem Umstände hervor, dass diese Veränderung nicht gleich- massig verbreitet ist, wird aber auch dadurch bewiesen, dass die Kerne der neben dem Hornhautrande vorkommenden Binde- hautgefässe ganz gut gefärbt sind.

Eine an den Schnitten gefundene Zerreissung der Linsenkapsel ist wahrscheinlich erst beim Aufschneiden des Auges entstanden. Sonst i^t noch zu bemerken, dass auch die Kerne der Kapselzellen in der Gegend des Aequators auf der

T. Qra^fe'fl Archlr Itir Ophthalmologie XXXVII. 4. 16

242 Kostenitsch.

dem Sitz des Fremdkörpers entsprechenden Seite keine elective Färbung durch Haematozylin angenommen haben.

In der Conjunctiva bulbi findet sich besonders in der oberen Bulbushälfte eine bedeutende Anhäufung Ton Leukocyten in der Umgebung der Gefässe.

X. Fall.

Wilhelm Sultan, 13 Jahre, aus Bebra.

19. Juni 1882. Vor 11 Monaten Zttndhütchenverletzung des linken Auges mit darauffolgender schwerer Entzündung, die ihren Ausgang in Phthisis bulbi nahm. Am r. Auge leichte BAndkeratitis, ohne Spur von Iritis beiE und S= '^/jo* (Die Entzündung wird nicht als sympathische angesehen.)

L. Enucleatio bulbi.

Section. Der enucleirte Bulbus ist sehr klein und ge- schrumpft, kaum über haselnussgross. Auf dem meridionalen Durchschnitt erscheint die Linse verloren; der Glaskörperraum vollständig ausgefüllt von einer Masse, die vom weich und graulich, hinten gegen den Sehnerveneintritt hin gelblich gefärbt und von derber, fibröser Consistenz ist. In derselben ist nirgends etwas von Fremdkörper zu finden. Dagegen bemerkt man neben dem Sehnerveneintritt eine pfefferkomgrosse gelbe Verdickung der Aderhaut, aus welcher sich beim Einschneiden ein kleines Tröpfchen Eiter entleert, worauf sich ein unregelmässig gestal- tetes, ca. 2 mm grosses, plattes Zündhütchenstück ausziehen lässt

Mikroskopischer Befund. Der Zündhütchensplitter drang in das Auge durch die Cornea, ein wenig nach innen von der Mitte, riss ein Stückchen des Pupillenrandes der Iris ab, verursachte eine Zerreissung der Retina und Chorioidea und blieb in der Sciera nach aussen und unten vom Sehnerven- eintritt stecken.

Der kleine Raum, in welchem sich der Fremdkörper be- fand, enthält eitriges Exsudat und neugebildetes Bindegewebe, welches sich durch den Riss der Chorioidea in bedeutender Menge in den Subretinalraum hineinzieht, wo in ihm ein kleines Stückchen neugebildeter Enochensubstanz eingebettet ist; zwi- schen dem Bindegewebe und dem Retinaepithel finden sich hie und da grosse zellenähnliche Gebilde mit kleinen, schwach mit Haematoxylin gefärbten Kernen.

Die Aderhaut ist mit Eiter infiltrirt, besonders reichlich in der Gegend des Risses und neben der Ora serrata auf

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 243

beiden Seiten; ihre Gefässwände sind verdickt; die Lumina sind noch ziemlich weit. Der Ciliarmuskel ist sichtlich hyper- troph irt.

Der N. opt. ist dünn; die Wände seiner Gefässe sind verdickt, die Lumina verengt. In der äusseren Hälfte desselben ist Myelinsubstanz nicht sichtbar, in der inneren ist sie zer- fallen; die Nervenfasern sind im markhaltigen, wie marklosen Theile körnig und schwer zu unterscheiden. Die ganze Papille, insbesondere die äussere Hälfte, enthält Pigmentkörner.

Die Retina ist in der bindegewebigen Wucherung, die den Glaskörperraum einnimmt, grösstentheils untergegangen; nur stellenweise erhält mau noch Theile von ihr zu Gesicht, die eine hochgradige Verdickung durch Wucherung des Stütz- gewebes sowie Atrophie der nervösen Elemente darbieten.

Man findet stark gelockerte Reste der Körnerschichten, wie auch verlängerte und hypertrophirte Stützfasern, zwischen ihnen aber ziemlich grosse Lücken.

Das Retinaepithel ist mehr oder minder verändert, die Zellen zum Theil zerfallen, an anderen Stellen gewuchert. In der Gegend der Aderhautnarbe ist das Pigment in reich- licher Menge in das Gewebe infiltrirt. Nach dem Ciliarkörper hin findet sich eine zunehmende Wucherung des Pigment- epithels, welche im Bereich der Pars eil. ret. einen sehr hohen Grad erreicht, so dass hier eine ziemlich dicke Schicht netz- förmig verbundener Züge von Pigmentzellen die Innenfläche des Ciliarkörpcrs überzieht. Es ist eine erhebliche Wucherung des Epithels und des Strat pig. der Pars eil. ret wahrnehm- bar. Der fibrillär veränderte Glaskörper nimmt den vor- deren Theil des kleinen Augenraumes ein. Die Iris ist mit Eiterzellen infiltrirt, * die Wände ihrer Gefässe sind verdickt, die Geülsslumina vorengt. An der vorderen Fläche bildet die Iris Falten. Das Stratum pig. iridis ist stark gewuchert. Die vordere Kammer ist sehr eng und von einer dünnen Schicht eines faserigen Gewebes ausgefüllt, welches sich von dem der Cornea nicht unterscheidet; zwischen dieser Schicht und der Hornhaut findet sich auf der einen Seite die in ungemein zahlreiche Falten gelegte und in zwei Blättern über einander liegende Membr. Descemeti, die von der Perforationsnarbe aus auf der anderen Seite theils vollständig, theils nur eine Strecke weit zu verfolgen ist Das neugebildcte Bindegewebe hängt direct mit dem Gewebe der Perforationsnarbe zusammen und setzt sich nach hinten in die dadurch völlig verschlossene

16*

244 Kostenitsch.

Pupillo fort In die Narbe ist ein abgetrenntes Stück der Iris eingeschlossen.

Etwas nach hinten von der normalen Stelle der Linse bemerkt man neugebildete Enochensubstanz, welche auf den Schnitten das Bild eines dQnnen, abgeflachten Halbringes zeigte dessen Inneres von neogebildetem Bindegowebe und Capillaren eingenommen wird.

XL Fall

Robert Seh., ca. 24 J. alt.

Nach brieflichem Bericht von Prof. Alf. Graefe vom 19. Juni 1870 erlitt Patient Ende des Jahres 1868 eine Verletzung des rechten Auges durch die Explosion eines Zündhütchens. Er glaubte nicht wesentlich verletzt zu sein und wurde darin durch die Untersuchung eines Augenarztes noch weiter bestärkt. Indessen fand Prof. Graefe am 20. Jan. 1869, wo sich der Patient ihm zuerst vorstellte, folgenden Zustand :

R. Im inneren oberen Quadranten der Iris eine kleine Perforation, beim Ophthalmoskopiren leuchtend. Beim Blick nach oben aussen eine leichte haemorragische Verfärbung des AugengrundeS; wahrscheinlich in den äussersten Chorioidal- schichten liegend. Linse und Glaskörper klar, an der Retina nichts Abnormes. An der bezeichneten Stelle befindet sich yielieicht das Fragment des Zündhütchens oder ein Krümelchen des Residuums der explodirenden Materie.

Sehschärfe = 1, aber Flimmern, leichte Schmerzen, Un- deutlichkeit des excentrischen Sehens nach unten innen. So blieb der Zustand bis Februar 1870. Die Intensität des Reizungszustandes wechselte, doch kam es nicht zu aus- gesprochenen Entzündungszuständen, auch blieb das linke Augo unbetheiligt Um diese Zeit (Febr. 1870) trat plötzlich die heftigste Irritation auf, Lichterscheinungen vor beiden Augen, doppelseitiger Blepharospasmus, Neigung zu Convulsionen.

Ende Februar Enucleatio bulbi dextri. Darauf Nachlass der Sehmerzen, jedoch noch Zunahme der Lichterscheinungen vor dem gesunden Auge. Funktionell und ophthalmoskopisch ist das 1. Auge noch völlig normal, doch dauern die Licht- erscheinungen noch immer in hohem Grade fort Schmerz- haftigkeit auf der rechten Seite ist nicht vorhanden, auch am linken Auge kein Schmerz bei Druck. Nach einem später er-

PathoIogisch-aDatomische Untersuchungen etc. 245

Laltenen ärztlichen Bericht dauerten die Lichterscheinungen an dem fehlenden Auge noch wochenlang, an dem erhalteneu dagegen über ein Jahr lang an, auch blieb das letztere zu Conjunctivitis disponirt. Doch konnte der Patient nachher seine Studien beendigen und ciue erfolgreiche Beamtenlaufbahn machen, zu deren Aufgabe er später nur durch die Folge- zustände eines schweren Ulcus ventriculi veranlasst wurde. Das frisch in Müller'sche Flüssigkeit gelegte enucleirtc Auge wurde Herrn Prof. Leber mit obigem Bericht am 19. Juni 1870 durch Herrn Prof. Alf. Graefe tibersandt, welcher gütigst die Erlaubniss zur Veröffentlichung des Falles crtheilt hat. Ueber das Ergebniss der damals von ihm vorgenommenen Untersuchung wurde mir von Herrn Prof. Leber folgender Bericht übergeben:

Anatomische Untersuchung. Bulbus leicht myopisch gebaut Bei sorgfältiger Präparation der Sclera lässt sich im hinteren Abschnitt nichts von einer perforirenden Verletzung erkennen, dagegen sieht man deutlich eine kleine lineare Narbe der Hornhaut nahe deren innerem oberen Rande. Sehnerv auf dem Durchschnitt von normaler Dicke und Färbung.

Bulbus im horiz. Meridian durchschnitten. Glaskörper von normaler Consistenz. An der unteren Hälfte des Auges be- merkt man, ein wenig nach innen vom vertikalen Meridian, in der Gegend der Ora serrata, eine gelblichweisse Glas- körpertrübung, die fest an der Innenfläche der Augenhäute aufsitzt und den Fremdkörper einzuschliessen scheint. Nach aussen oben von der Papille ist vorläufig keine Anomalie der Chorioidea zu bemerken; dagegen ist die Papille etwas prominent und die angrenzende Partie der Netzhaut auf der temporalen Seite bis zur Gegend der Macula lutea hin durch Faltung ziemlich stark verdickt. Der Ciliarmuskel zeigt die für myopischen Bau charakteristische Verlängerung in meri- dionaler Richtung und Abstumpfung seines inneren Winkels, welche auch durch die mikroskopische Untersuchung nachher bestätigt wird.

Der vermuthlich den Fremdkörper bergende Theil der Angenwand wurde herausgeschnitten und näher untersucht.

Die Glaskörperverdichtnng erweist sich als umschriebeue eitrige Infiltration, welche dicht nach vorn von der Ora serrata ein kleines Kupferstückchen einschliesst, und hinter der die Pars ciliaris retinae eine sehr starke umschriebene Verdickung auf- weist. Der Fremdkörper ist nur */4 mm lang und ^l^^mm

216 Ko8tenitoch.

breit, und sowohl durch die Farbe und den Metallglanz, als durch chemische Reaction als Kupfer zu erweisen. Er sitzt fest der Innenfläche der stark gewucherten Pars ciliaris retinae auf und ist gegen den Glaskörper zn von einer kleinen Eiter- ansammlung umgeben, die sich aber schon in geringer Ent- fernung von ihm allmälig verliert und nur mit einzelnen Streifen noch etwas weiter in den Glaskörper ausstrahlt

Dickendurchschnitte durch die Augenhäute von der be- treffenden Stelle ergeben Folgendes. Die Pars ciliaria retinae ist dicht nach vorn von der Ora serrata sehr stark gewuchert, ihre Zellen enorm verlängert und hypertrophirt, die Zwischenräume mit Eiterzelien infiltrirt. Der Fremdkörper liegt in einer kleinen Höhlung auf der Höhe dieser Wucherung,, rings umgeben von dichter eitriger Infiltration, die sich noch eine Strecke weit in abnehmendem Grade auf den benachbarten Glaskörper ausdehnt, welcher zugleich verdichtet und von Fibrinnetzen durchzogen ist. Die Eiterzellen sind durchweg gut gefärbt, nur die in der unmittelbaren Umgebung des Fremdkörpers haben etwas schwächere Färbung angenommen.

Der grösste Theil des Glaskörpers ist normal. Das Pigmentepithel ist an der Stelle des Fremdkörpers ge- wuchert^ seine Zellen gelockert und in das Gewebe der Pars ciliaris retinae infiltrirt. An der eitrigen Infiltration betheiligt sich auch das Corpus ciliare bis in den vordersten Theil der Chorioidea, doch nehmen alle Veränderungen schon in geringer Entfernung von dem Fremdkörper rasch ab und ver- lieren sich grossentheils vollständig. Die Verdickung der Pars ciliaris hört schon hinter den Ciliarfortsätzen auf, auch ist der Ciliarkörper und die Chorioidea, abgesehen von der näheren Umgebung des Fremdkörpers, frei von entzündlichen Verände- rungen. Nach vorn erstreckt sich die eitrige Infiltration, dem Sitz des Fremdkörpers entsprechend, bis in das Gewebe der Iris, auch sind besonders im Kammerwinkel zahlreiche Leukocyten eingelagert Der an die beschriebene Stelle grenzende vordere Theil der Netzhaut ist stark verändert; das Stützgewebe der Faserschicht gewuchert, die Stäbchen- schicht von den übrigen Schichten abgehoben und degenerirt, die Lücke von einem Fibrinnetz eingenommen, auch der an- grenzende Glaskörper noch stark infiltrirt Die übrige Netz- haut ist dagegen ziemlich gut erhalten, die Stäbchenschicht zeigt Vacuolen ihrer Elemente, die aber vielleicht nur auf mangelhafter Erhärtung beruhen, desgleichen auch die Ganglien-

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 247

Zellen; etwas grössere Lücken finden sich zwischen den Ele- menten der inneren Eörnerschicht An der Macula lutea findet sich die Yermnthlich erst postmortal entstandene Faltenbildnng.

Dagegen zeigt die Sehneryenpapille, abgesehen von der für Myopie charakteristischen Hinüberziehung des nasalen Aderhautrandes und einer physiologischen Excavation, eine Schwellung ihres Gewebes, welche nur eine massige Zunahme der Prominenz, aber eine sehr ausgesprochene seitliche Ver- drängung des Ansatzes der Retina zur Folge hat. Die Schwel- lung ist durch seröse Durchtränkung und partielle Wucherung des Stützgewebes, zum grössten Theil aber durch eine sehr verbreitete spindelförmig- varicöse Verdickung der marklosen Nervenfasern (wie bei Betinitis albuminurica) bedingt.

Die übrigen Netzhautschichten, welche erst in einiger Entfernung von der Papille beginnen, lassen auch hier nicht viel Abnormes erkennen, ausser dass die Stäbchenschicht stellen- weise leicht gefaltet ist. Das Pigmentepithel reicht auf beiden Seiten bis zum Papillenrande, die Zellen sind aber hier dünn und pigmentarm. An der Iris ist eine ausgesprochene Verdickung und Wucherung des Pigmentepithels zu bemerken. Die Linse ist unverletzt.

XIL Fall.

Moritz Aisberg. R. A. Verletzung durch einen Zünd- hütchensplitter. Enucleation am 21. Nov. 1870 (ohne Kranken- geschichte).

Anatomische Untersuchung. Makroskopischer Befund. Das Auge wurde in horizontaler Richtung, etwas über dem Sehnerveneintritt durchschnitten und in Müller'scher Flüssigkeit gehärtet Am inneren unteren Theil der Cornea bemerkt man neben dem Limbus eine Narbe.

Die Retina ist in ihrer ganzen Ausdehnung von der Chorioidea abgelöst und hinter der Linse in eine Menge feiner Falten gelegt.

In dem Glaskörperraum befindet sich eine grauliche Ei- weissmasse, welche in dünner Schicht die innere Fläche der Retina auf beiden Seiten bedeckt. Ein gegen 2 mm langer und 1 mm breiter Zündhütchensplitter liegt in gleicher Höhe wie der N. opt, 1 mm nach hinten von der Mitte der Linse. Beide Hälften des Auges wurden in Celloidin eingebettet und geschnitten. Auf

248

Kostenitsch.

den Schnitten, welche durch den N. opt gelegt sind, befindet sich in der temporalen Hälfte der Retina ein Biss (Fig. 12 r). Die Enden der zerrissenen Retina ziehen sich als zwei parallele Streifen nach vorne und verlieren sich in den Retinalfalten, welche sich hinter der Linse befinden. Die Papille ist m das Innere des Auges etwas eingezogen. Auf den Schnitten, welche unterhalb des Fremdkörpers durchgelegt sind, wie auch auf denen vom oberen Theil des Auges, ist die abgelöste Retina einer mit Luft ge- füllten und hinter der Linse abgebundenen Blase ähnlich.

Mikroskopische Untersuchung. Die Linsenkapsel ist verdickt und im hinteren Theil auf der der Lage des Fremdkörpers entsprechenden Stelle zerrissen. Der Epithelbelag hat sich auf die Hinterkapsel fortgesetzt und an der Stelle des Risses findet sich eine umschriebene stärkere Wucherung der Zellen. Die neben dem Kapselrisse liegenden Linsen- parthien sind unbedeutend mit Eiterkörperchen infiltrirt Hinter der Linse zieht sich zwischen den Ciliarfortsätzen und dem Corpus ciliare auf beiden Seiten ein breiter Streif von neu- gebildetem Bindegewebe herüber, durch welchen, wie schon ma- kroskopisch bemerkbar ist, nicht nur die Ciliarfortsätze, sondern auch der Ciliarmuskel nach einwärts gezogen werden. Vom hinteren Theil dieses Streifens, mit welchem die Falten der

Tabelle Tension in allen Fällen nicht erhöht. Der Glas-

Nr.

Name

Wacker

s e

im

e

s g.

^ :

R.

3 Tage

auf J3:lVa|Comea, Innen-, fl&che

des Ciliar- körp. und des vorder- sten Theils

der Retina

Iris,

', Retina

i in der

I Gegend

der Papille

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc.

249

Retina in Zusammenhang stehen, geht ein Faserbandel aus, welches die Stelle, wo der Fremdkörper lag, einkapselt In dieser Kapsel befinden sich feinkörniger Detritus, Pigment- und Fettkömchen, rothe Blutkörperchen, ziemlich grosse Zellen, die theils Fettkömer, theils hämatogenes Pigment enthalten und viele Eiterkörperchen.

Die Retina in den Falten und auch in der ganzen ttbrigen Ausdehnung ist sehr schmal und es lassen sich in ihr schwach geftrbte und stark veränderte Kömerschichten, wie auch an einigen Stellen Reste der Stftbchenschicht unter- scheiden. Ihre innem Schichten sind kaum zu unterscheiden. An der inneren Fläche der Netzhaut zieht sich ein dünnes Bündel von Bindegewebsfasern hin.

Die Zellen des Retinaepithels zeigen oft Kemtheilungen.

In der oben beschriebenen graulichen Eiweissmasse sind kömiger Detritus, rothe Blutkörperchen und eine grosse An- zahl von postmortal gewachsenen Pilzen zu sehen, letztere befinden sich auch in dem Subretinalraume. Aus diesem Befunde, wie auch aus anderen Zeichen ergiebt sich, dass das durchschnittene Auge eine Zeit lang ohne MflUer'sche Flüssig- keit geblieben und eingetrocknet war, weshalb ich nicht weiter anf die Beschreibung dieses Auges eingehen will.

Tabelle, körper fibrillär verändert und mit Fibrin durchsetzt

AbUtaoDg

der

Reün*

Eitrige Infiltration des Glaskörpen und der Angenh&ut«

Die hauptslchlichen pathologiichen Veittnderungen im Aage

total,

nicht

tief

Im Glaskörp., in der Papille, Retina, Pars ciliar., im Gi' liarkörper, in der Ader- haut und Gonj. bulbi sUrk oder ziem- lich stark; in der Iris unbedeutend.

Die Uebergangsstelle der Papille in die Netz- haut ist dicht von rothen Blutkörperchen durch- setzt, ihr Gewebe dadurch bis anf einzelne Gapillaren und Reste der Nervenfaserschicht vollständig verdrängt; die Retina ist erst in einigem Abstand vom Sehnervenrande als solche zu erkennen, dazwischen sieht man nur die veränderte Stäbchenschicht. Die Nervenfaser- schicht ist kömig; die Nervenzellen stellen- weise nekrotisch, die Kömerschichten etwas auf|^elockert. Die Elemente der Stäbchen- schicht sind durch Quellung verändert. Das

250

KosteniUcb.

Nr.

Name

11

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I

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II.

Schumacher

R.

4 Tage

im Glas- körper Deben der Retina

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I

00 s

Cornea, Irifi,

Linse,

Retina, Cho-

rioidea

be- deatend

Fatbologisch-anatonüache Untersochangen etc.

251

AWOfung

dar

Betlna

Eitrige Infiltxatton de« Glukörpen and der Augenh&ute

Die hauptsftchlichen pathologischen Verilnderangen im Auge

Gylinderepithel der Pars eil. ret in der Ge- gend des Fremdkörpers local stark gewuchert, an den übrigen Stellen zeigt dieses Epithel eine sehr unbedeutende Wucherung. Das Pig- mentepithel der Retina zeigt im unteren, der Lage des Fremdkörpers entsprechenden Theile des Auges eine bedeutende Wucherung, an anderen Stellen bemerkt man nur Spuren der- selben.

partieU

Im Glaskör- per, in der Papille un- bedeutend,

in der Retina auf der tem- por. H&lfte und in der Gegend des Fremdkör- pers bedeu- tend, in der Ghorioidea

in der Gegend des Fremd- körp. ziem- Uch stark, in der Pars eil. schwach,

in der nasalen H&lfte der Retina fast keine.

Die Wundr&nder der Hornhaut sind durch Quel- lung fast um das Doppelte verdickt. Die Lin- senmasse getrabt, gequollen. Die Retina ist neben der Rissstelle, besonders die Stäbchen- schicht hochgradig degenerirt; die übrigen Schichten zeigen hier auch eine ausgesprochene Atrophie der nervösen Elemente. Die Kömer- schichten sind gelockert, ein bedeutender Theil der Ghromatinsubstanz ihrer Körner ist ver- schwunden; die Kerne der Ganglienzellen schwach gefärbt. Die St&bchenschicht in der Gegend des Fremdkörpers körnig; die Zapfen gequollen. Im übrigen Theil der temporalen Hälfte ist die Stabchenschicht gut erhalten, die Körnwschichten aufgelockert, ein Theil der Ghromatinsubstanz ihrer Körner ist ver- loren, nur in dem vordersten Theile der Netz- haut hat sich die äussere Kömerschicht ver- hältnissmässig gut erhalten. Die Nervenzellen sind in der Mac. lutea ziemlich gut erhalten, an den übrigen Stellen sind diese Zellen ne- krotisch ; die Nervenfaserschicht sieht schwach körnig aus. In der nasalen Hälfte sind die Stäbchen- und die äussere Kömerschicht bis auf die nächste Umgebung der Papille gut erhalten, die übrigen Schichten zeigen diesel- ben Veränderungen wie in der temporalen Hälfte, nur weniger ausgesprochen. Die Stütz- fasern der Retina sind etwas verlängert und getrübt, besonders neben der Papille, wo die Molecular- und Zwischenkörnerschicht dicker als normal sind. Die Sehnervenpapille ist etwas ödematös und ihre Nervenbündel trüb und schwach körnig. Das Pigmentepithel der Retina, der Pars eil. und der Iris ist verdickt

252

KoBtenitsch.

Nr.

Name

ll I s

6 "o

III.

Althaas, Mann

R

4 Tage

Giliär- körper

wahr schein- lich 4.

Cornea,

Iris,

Linse

nnbe deutend

I

IV.

Yolkmann L.

16 Tage

imAb-

scesse des

Olas-

körp. im

unter- sten

Theil des

Auges

3:1V.

Cornea, Iris

Nur in der un- teren Augen- hälfte unbe- deutend

PaihologiBch-anatomische Untenuchnngen etc.

253

Abltenng

der

Retina

Eitrige InlUtratlon des GUskftrpera und der Aagenhftute

Die lurapteftchlicben pathologiacfaen Verfinderungen im Ange

im vor-

dereD

Aagen-

abschn.

leicht

Im Glaskör- per, BetiDa und Ciliar-

körp. der un- teren H&lfte and in der

Pars eil. ziem- lich stark;

in der Papille, Ghorioidea und anderen Stellen der

übrigen Augenh&ute unbedeutend

oder schwach.

Die Nervenfasern der Papille und der Faser- Bchicht der Retina treten nicht deutlich her- vor; das reticul&re Statzgewebe ist st&rker als normal entwickelt. Die Elemente der Netz- haut sämmtlicber Schichten sind nekrotisch. Die Körner beider Körnerschichten neben der Ora serrata fliessen zu einer Schicht zusam- men. Die St&bchenschicht ist kömig, aber noch gut erhalten; neben dem temporalen Pa- pillenrande einschliesslich der Gegend disrMac. lutea bilden diese und die äussere Kömer- schicht auf dem Querschnitt papillenartige Er- hebungen. Das Pigmentepithel der Pars eil. ret. ist gelockert und bildet auf der inneren Fl&che des Giliarkörpers papillenartige Er- hebungen. Das Pigmentepithel der Iris ist verdickt. Die Suprachorioidea ist aufgelockert.

partiell

Im Glaskörp. nur in der

unter. H&lfte schwach, in der Papille und der Ner- venfasersch.

Qberall wenig, im unteren Theile des Auges dage- gen in der Retina, be- sonders der Faserschicht reichlich.

Die Sehnervenpapille ist betr&chtlich geschwol- len, ihr Gewebe ödematös und gelockert, die Neuroglia etwas st&rker entwickelt; an der Oberfl&che zeigt sie eine umschriebene Stelle stärkerer Proliferation des StQtzgewebes. Die Netzhaut ist, namentlich in der N&he der Pa- pille etwas verdickt und ihr Gewebe gelockert, welcher Zustand in abnehmendem Grade sich bis nach vorn verfolgen l&sst. Die Verdickung erstreckt sich auf alle Schichten, besonders aber auf die St&bchen- und Zwischenkörner- schicht Die Elemente der St&bchenschicht sind verl&ngert und verdünnt, zwischen ihnen treten Lücken auf. In der Umgebung der Papille ist die Structur dieser Schicht undeut- lich, kömig und nach der Fovea cent. hin. nimmt ihre Dicke erheblich ab, an einer Stelle schwindet sie sogar völlig. Die Zwischenkör- nenichicht ist besonders in der N&he der Pa- pille stark gelockert; die Äusseren Körner senkrecht oval, wie in die L&nge gezogen ; die Elemente beider Köraerschichten weniger dicht beisammen liegend als in der Norm. In der Gegend des den Fremdkörper umgebenden Abscesses ist die Netzhaut vollständig dege- nerirt und in ein dicht mit Eiter- und I^g- mentzellen durchsetztes Gewebe verwandelt.

254

Kostenitsch.

Nr.

Name

"I

Claodepierre

im Glas- körper neben

der Retina

3:2

Cornea,

Iris, Linse, Retina

be- deutend

aber

nicht bis zu

dem Aequat

bulbi

VI.

Zeckert

5 Woch.

in der Retina neben der Pa- pille

4:2

Limbns, Cornea, Linse, Retina, Chorioi- dea

stark

Pathologiscb-anatomische Untersuchangen etc.

255

Ablösung

der

Retioa

Eitrige Infiltration des

der Augenblute

Die hauptsScfalichen patbologlacbeo Verftoderungen im Auge

Das Pigmentepithel der Iris ist verdickt. Das Endothel der vorderen Kammer vesiculftr ver- ändert, desgleichen in ausgesprochenem Grade die obere Schicht des Epithels der Hornhaut. Die Linsenkapsel unverletzt, die Linse zeigt Veränderungen wie bei beginnender Gataract.

partiell

Im Glaskör- per ziemlich stark; Inder Ghorioidea, Retina und der Pars eil. der tempor. Hälfte und imGiliarkör- per stark; in der Papille,

Iris, Gonj. b., Ghorioidea, Retina, Pars eil. der na- salen H&lfte bedeutend.

Die Retina neben der Rissstelle stark degene- rirt, von ihren Schichten unterscheidet man die veränderte Stäbchenschicht, die verdannte und aufgelockerte äussere Kömerschicht und stellenweise auch in Gruppen oder in eine schmale Reihe geordnete Kömer der inneren Körnersch., an der Stelle der übrigen Schich- ten der Retina kann man kaum etwas von der normalen Structur erkennen. Diese Ver- änderungen finden sich auch in der Gegend der Rissstelle und haben sich besonders nach unten von der Narbe verbreitet. In der übri- gen Ausdehnung der Retina sehen ihre Schich- ten körnig aus, die Kerne der Nervenzellen sind mangelhaft mit Haematoxylin gefärbt; auf der temporalen Seite und neben der Papille bemerkt man Vacuolen in den Körne'm der beiden Kömerschichten ; die Stäbchenschicht ist im vorderen Angenabschnitte zerfallen , im hinteren gequollen. Die Papille ist geschwol- len, ihre Nervenfaserbündel sind etwas kömig. Das Retinaepithel ist besonders an ihrem vor- deren Theil gewuchert. Die Pars eil. retinae zeigt eine geringe Wucherung. Das Stratum pig. der Pars eil. und der Iris ist verdickt und gewuchert.

total

Im Glaskör- per, in der

Retina und in der Ghorioi- dea in der Gegend der Verletzung stark; Inder Papille, im Giliarkörper, in der Pars

In der Gegend der Verletzung der Ghorioidea haben ihre Arterien stark verdickte Wandun- dungen, ihr Lumen ist theilweise verengt. Der markhaltige Theil des Sehnerven ist dünn, die Marksubstanz körnig, im Zerfall begriffen, zugleich kernreicher als normal und mit deutlicher hervortretendem Reticulum. Die PapUlensubstanz ist kernreich; die Wände der Arterien sind verdickt Das Stützge- webe der Retina ist hypertrophirt, die ner- vösen Elemente zum Theil in Atrophie be-

256

Kostenitach.

Nr.

Name

1

f|::

>U4

Grösse des

Fremdkörpers

in mm

h

5 <

>

Schrumpfung

des Glaskörpers

1^

1

i 1

1

1

i

VII.

Wolf

R.

5

Woch.

Hinter

der Linse

und

der

Ora serrata

6

Limbus corneae,

Iris. Linsen- kapsel

stark

zwei spon- tane Risse

Pathologisch-anatomiache Uotenachungen etc.

257

Ablöeong

der

Retiiia

Eitrige Infiltration des Obwkörpers und der Aogenhftate

eil., am &a8- seren Rand der Linse, in der Cooj. bulbi bedeu- tend; in der Iris unbe- dentend.

Die haupteftcblicben patbologiachen Verfinderungen im Auge

griffen. Besonders stark und unregelm&ssig gewuchert, ist die Nervenfaserschicht. Von der St&bchenschicht sind in der Gegend des Fremdkörpers nur Reste vorhanden, weiterhin sind ihre Elemente gequollen, zum Theil im Zerfall begriffen. Die Elemente der Körner- schichten sind theils gelockert, in den Kör- nern zuweilen Yacuolen zu beobachten; die W&nde der Arterien verdickt und im hinteren Abschnitt der Netzhaut ausgesprochene Endo- arteritis. Das Retinaepithel ist etwas verdickt. Die Pars eil. ist stark gewuchert. Das Pig- mentepithel der Pars eil. ret. ist sehr stark verändert und gewuchert; an der Aussenfl&che der Netzhaut ein durch locale Vereiterung entstandenes Knötchen. Die Hinterkapsel ist in der N&he des Risses erheblich verdickt. Zwischen die Linsentrümmer ist eitriges Ex- sudat eingelagert, auch sind Eiterzellen noch weiter in die Linse hinein zwischen die Fa- sern in reichlicher Menge infiltrirt. Das Ge- webe des Ciliarkörpers ist gelockert und stär- ker fibrill&r.

total

Im Glaskör- per, in der Gegend des Fremdkörp. stark, Reste

in der Retina, Chorloidea,

im Ciliarkör- per, in der Iris.

Zwei spontane Risse im hinteren Theile der Netzhaut mit nach innen umgeklappten Rän- dern; zwischen beiden Rissen ist die äussere Kömerschicht verdünnt und aufgelockert, ihr Durchschnitt stark wellig, die innere Körner-> schiebt verdickt und aufgelockert. Das Stütz- gewebe der Retina in diesem Theile und in der Nähe des Fremdkörpers stark verlängert und hypertrophirt, gleich nach hinten von dieser letzteren gewucherten Stelle eine par- tielle atrophische Degeneration der Retina. Die beiden Kömerschichten überall aufge- lockert, die inneren Schichten kömig, die Kerne der Nervenzellen mangelhaft gefllrbt; die Stäbchenschicht ist hochgradig verändert, das Retinaepithel gewuchert. Das Stützgewebe der Papille hypertrophirt, die Nervenfasern etwas körnig. Die Pars eil. ret. stark ge- wuchert. Die Linsenkapsel verdickt, an der hinteren Fläche verletzt, ihre Zellen vermehrt. Das Strat. pig. iridis verdickt und gewuchert.

T. Oraefe'B Archlr flkr Ophthalmologie. XXXVII. 4.

17

258

Eostenitsch.

Nr.

Name

Im ^1

^1

5 <

VIII;

Jahne

!L,

IX.

Director M.

L.

fast

Corpus

7

ciliare

Woch.

fast

im

lOVi

Glas-

Woch.

körper

neben

der

Retina

1 1

3:2

Cornea, | stark ; Iris, I Linse. .

1V,:V. Vs mm Dicke

Sclera, Ciliar- körper, Retina, Chorioi- dea.

In der unteren Hälfte etwas, in der oberen bedeu- tend

X.

Sultan

L.

11 Monat.

Sclera nach aussen von der Papille

2:2

Cornea,

Iris, Linse?

stark

_ I

PathologiBch-anfttomische Untenucbnogen etc.

259

AbUtaang der

Betina

Eitrige Inflltration des Qlask&jrpera und der AugeDhftnte

total

Wie bei Nr. VII.

Die hauptsächlichen pathologischen Verftnderungen im Auge

Wie bei Nr. YII, ausserdem ist die Pars eil. retinae sammt einem Theil des Stratum pig- menti steUen weise von ihrer Unterlage abge- hoben.

partiell

Im Glaskör- per nur in der Gegend des Fremd- körpers; in

der Iris, neben dem

Scblemm*8ch. Ganal unbe- deutend; im Nervus opt. Leukocyten.

Die Enden der durch den Fremdkörper zerris- senen Retina enthalten nur mangelhaft ge- färbte Reste der Körnerschichten. Der Ner- vus optic. ist dann, sein Stützgewebe etwas hypertrophirt. Die markhaltigen Fasern kör- nig, die marklosen der Papille zeigen begin- nende Atrophie; die Wände der Gef&sse des Nerv. opt. und der Retina sind verdickt, ihre Lumina verengt. Die Netzhaut ist überall etwas dünner als normal, ihre Stützfasern sind nur in der Zwischenkörnerschicht nach aus- sen von der Papille und auf einer beschränk- ten Stelle neben dem Netzhautrisse verlän- gert und hypertrophirt. Im hinteren Augen- abschnitte treten die Elemente der Nerven- faserschicht weniger deutlich hervor, als in der Norm; die Nervenzellen sind stellenweise von Yacuolen eingenommen und haben sich fast gar nicht durch Haematoxylin gefärbt; auch die beiden Kömerschichten haben grössten- theils ihre Tinctionsfähigkeit eingebüsst; die Elemente der Stäbchenschicht sind trübe, kör- nig und stellenweise im Begriff, in Eiweiss- kügelchen zu zerfallen. Im vorderen Augen- abschnitt finden sich nur Reste der Stäbchen- schicht; die Körner der beiden Körnerschich- ten sind mangelhaft gefärbt, besonders in der temporalen Seite, wo nur einzelne Körner Fär- bung angenommen haben ; die inneren Schich- ten sind fast nicht zu unterscheiden. Das Pig- mentepithel der Retina, sowie die Pars eil. ret. zum Theil atrophisch, zum Theil nekro- tisch, die Cylinderzellen sind verlängert und etwas gelockert. Das Pigmentepithel der Iris ist hypertrophirt.

total

In der Ader haut in der Gegend der Verletzung

I und neben

Die Retina ist in der bindegewebigen Wuche- rung gross tentheils untergegangen, nur stel- lenweise erhält man noch Theile von ihr zu Gesicht, die eine hochgradige Verdickung durch Wucherung des Stützgewebes und Atro-

17*

260

Kostenitsch.

Nr.

Name

iU

•"3 sS ^

I

8 _

n

|3

XI. Robert Seh.

R

XII.

1 Jahr and

2 Mon.

Corpus ciliare

'U'-y,

Cornea, keine Iris.

Aisberg IR.

Hinter

der Linse

Cornea,

Iris, Linsen- kapsel.

stark

Ein spon- taner Riss

Patholo^Bch-anatomische Untennchnngen etc.

261

Ablteong

der

Betlna

Eitrige Inflltration de« OlaskOrpers und der Angenhlute

Die hauptaichllchen pathologischeii Verftoderungen Im Auge

der Ora ser- rata reichlich

phie der nervösen Elemente darbieten, man findet nur stark gelockerte Beste der Körner- schichten. In der äusseren H&lfte des Nerv, opt. atrophische Degeneration, in der inneren beginnende Atrophie. Die Zellen des Retina- epithels sind stellenweise zerfallen, stellen- weise gewuchert, nach dem Giliarkörper hin findet sich eine zunehmende Wucherung des Pigmentepithels, welche im Bereich der Pars eil. retinae einen sehr hohen Grad erreicht. Etwas nach hinten von der normalen Stelle der Linse findet sich nengebildete Knochen- substanz. Das Stratum pigm. iridis ist stark gewuchert.

keine

Im Glaskör- per und im Giliarkörper in der näch- sten Umge- bung des Fremdkörp.

Die der Lage des Fremdkörpers entsprechende Pars eil. ret. ist sehr stark gewuchert und eitrig infiltrirt, ihre Zellen enorm verlängert und hypertrophirt; das Pigmentepithel ist an der Stelle gewuchert, seine Zellen in das Ge- webe der Pars eil infiltrirt. Der an die be- schriebene Stelle grenzende vordere Theil der Netzhaut ist stark verändert, das StQtzgewebe der Faserscbicht gewuchert, die Stäbchen- schicht von den Übrigen Schichten abgehoben und degenerirt, die übrige Netzhaut ist dage- gen ziemlich gut erhalten. Die Sehnerven- papille zeigt eine Schwellung ihres Gewebes, welche nur eine massige Zunahme der Pro- minenz, aber eine sehr ausgesprochene seit- liche Verdrängung des Ansatzes der Betina zur Folge hat. Die Schwellung ist durch se- röse Durchtränkung und partielle Wucherung des Stützgewebes, zum grössten Theil aber durch eine sehr verbreitete spindelförmig- varicöse Verdickung der marklosen Nerven- fasern (wie bei Retinitis albuminurica) bedingt. Der dem Fremdkörper anliegende Theil des Glaskörpers ist verdickt und von Fibrinnetzen durchzogen, der übrige normal. An der Iris ist eine ausgesprochene Verdickung und Wuche- rung des Pigmentepithels zu bemerken.

Nur um den Atrophische Degeneration der Retina. Die Lin- Fremdkörper senkapsel verdickt, zeigt in ihrer ganzen Aus- herum. dehnung einen Epithelbelag.

total

262 Kostenitsch.

Ehe ich zur Zusammenstellang der Ergebnisse der hier mitgetheilten Untersuchungen über Zündhfitchenverletzungen des menschlichen Auges übergehe, habe ich noch zu er- wähnen, dass ich zwar bei Mittheilung der Befunde nur in wenigen Fällen die Untersuchung auf Vorhandensein von Mikroorganismen und die chemische Prüfung auf einen Gehalt der Gewebe an Kupfer angeführt habe, dass aber diese Untersuchungen auch in allen übrigen Fällen vorge- nommen worden sind, wo ihrer nicht besonders Erwähnung geschehen ist.

Jedes Auge wurde in bacteriologischer Hinsicht genau untersucht und mit besonderer Sorgfalt diejenigen Augen, in welchen die eitrige Entzündung sehr ausgesprochen war. Die letzteren wurden wiederholt untersucht und dabei jedes Mal von einem Auge 6 8 Schnitte, theils mit Fuchsin oder mit Methyl violett, theils nach Löffler oder Gram gefärbt.

Bei den 20 von mir untersuchten, durch Zündhütchen verletzten Augen ist es mir nur an einem gelungen, Bac- terien nachzuweisen; dieser Fall wurde aber von mir unter obige Beschreibungen nicht aufgenommen. Ebenso wurde jedes Auge mit gelbem Blutlaugensalz und Salpeter- oder Salzsäure auf Kupfer untersucht. Zu diesem Zwecke wur- den Schnitte durch das den Fremdkörper umgebende eitrige Exsudat, so wie auch von dem Fremdkörper abgezogene Stückchen desselben mit den erwähnten Reagentien be- handelt, wobei diese Theile eine mehr oder weniger deut- liche Reaction auf Kupfer darboten.

In zwei Fällen wurde gleich nach dem Eintritt der Kupferreaction diese durch eine Blaufärbung maskirt, woraus man auf die Gegenwart von Eisen schliessen muss. Bei genauerer Untersuchung ergab sich, dass die Ent- stehung von Berlinerblau bei Einwirkung dieser Reagentien in haematogenes Pigment einschliessenden Zellen auftrat^

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 263

welche in beiden Fällen zahlreich vertreten waren. Unge* achtet einer genauen Untersuchung der Zellen, die sich in dem den Fremdkörper umgebenden Exsudat befanden, gelang es mir nicht Schwefelkupfer darin nachzuweisen; doch wurde in 2 Fällen (2, 4) eine geringe Menge davon neben dem Exsudat beobachtet.

Bei Behandlung der in angesäuertem Wasser aufbe- wahrten Schnitte mit Schwefelwasserstoff bildete sich ein Niederschlag von Schwefelkupfer und zwar am häufigsten (in den Fällen 1, 2, 3, 4, 8) im Glaskörper und in dem Celloidin, welches die Lücken der Schnitte ausfüllte.

In 2 Fällen (2, 4) bot der schwach mit Eiterkörper- chen infiltrirte Glaskörper, sowie auch die veränderten rothen Blutkörperchen an einigen Stellen eine gelbe Fär- bung dar. Diese Färbung rührt muthmasslich, entweder von Kupferoxydulhydrat, oder von einer organischen Kupferver- bindung her; da das Gebiet der organischen Kupferver- bindung noch wenig durchforscht ist, so ist es nicht mög- lich, zu entscheiden, mit welcher wir es in den vorliegen-^ den Fällen zu thun haben.

In einem Präparate, wo der Ganada-Balsam eingetrocknet war, entstand neben der Scleralnarbe unter dem Einfluss der Luft eine grüne Färbung, die von einer kohlensauren Kupferverbindung herzurühren schien.

Fast in allen von mir untersuchten Fällen zeigte eben- so, wie in den von Prof. Leber angestellten Experimental- untersuchungen an Thieren das den Fremdkörper umgebende eitrige Exsudat eine bräunliche Farbe. Diese Färbung des Exsudates rührt nach der Ansicht Prof. Leber's von Schwefel- kupfer her, dessen Bildung durch den Schwefelgehalt des Eiweiss bedingt ist, und neben dem gleichzeitig etwas Kupfer- oxydul vorhanden sein kann (Loc. cit S. 248).

In allen Fällen wurde eine mehr oder weniger ausge- sprochene und verbreitete eitrige Entzündung beobachtet, die stets in der Umgebung des Fremdkörpers ihre grösste In-

264 Kostenitsch.

tensität besass und an welcher sich ausser der Retina auch die Chorioidea, der Giliarkörper und die Iris in mehr oder minder ausgesprochener Weise betheiligten.

Meine Befände bestätigen also vollkommen, dass die Gegenwart eines Fremdkörpers aus Kupfer auch am mensch- lichen Auge ohne Vorhandensein von Mikroorganismen eitrige Entzündung hervorruft, die auf die Entstehung löslicher Eupferverbindungen zurückzuführen ist Sie zeigen zugleich, dass diese aseptische Eiterung bei den Zündhütchenver- letzungen des menschlichen Auges in der weitaus über- wiegenden Mehrzahl der Fälle vorkommt und dass eitrige Entzündung durch gleichzeitiges Vorhandensein von Mikro- organismen dabei weit seltener, mehr nur ausnahmsweise, auftritt. Die durch Zündhütchenverletzungen im Auge her- vorgerufenen Veränderungen hängen, soweit man sich davon überzeugen kann, nicht nur von der Lage des Fremdkörpers, sondern auch von der Dauer seines Aufenthalts im Auge ab. Ich habe darum bei Beschreibung der Fälle mich in deren Anordnung von letzterem Gesichtspunkt leiten lassen. Der besseren Uebersicht wegen über die hauptsächlichsten Veränderungen der von mir untersuchten Augen habe ich eine Tabelle beigefügt.

Der Grad und die Ausdehnung der eitrigen Entzündung zeigte sich abhängig von der Lage des Fremdkörpers und von der Dauer seines Aufenthaltes im Auge; femer von dem Umstände, ob es neben dem, den Fremdkörper um- gebenden Exsudat noch zur Bildung von Bindegewebe kam, durch welches das Exsudat kapselartig umschlossen wurde; endlich auch von der Consistenz des dem Fremdkörper an- liegenden eitrigen Exsudates, wie solches schon von Prof. Leber bei seinen Versuchen mit Einführung von Eupfer- draht in die vordere Augenkammer des Kaninchens bewiesen wurde; er zeigte dabei, dass sich um den Fremdkörper aus dem veränderten und mit Eupferverbindungen durchtränkten Exsudat nach einiger Zeit eine Art Schale bilden kann.

Pathologiscli-anatomische üntenncliaiigen etc. 265

welche die weitere chemische Einwirkung des Fremdkörpers auf die Augenhäute verhindert, worauf der Entzündungs- process zur Rückbildung kommt (Loc. cit. S. 249).

Wenn der Fremdkörper neben dem Corpus ciliare sass, 80 war in den Fällen, wo der Process noch nicht lange dauerte, eine ziemlich starke eitrige Infiltration des Glaskörpers und der Netzhaut zu beobachten, während die anderen Augen- häute theils bedeutenden Antheil an der eitrigen Entzündung nahmen, theils nicht. In den Fällen, wo der Entzündungs- process schon längere Zeit bestanden hatte, bot das den Fremdkörper umgebende Exsudat das Aussehen einer dich- ten, schalenartigen Masse dar. An den übrigen Stellen des Glaskörpers und in den Augenhäuten waren nur hie und da Reste eitriger Infiltration zu sehen, augenscheinlich hatte sich der Process zurückgebildet. Aehnliches wurde in jenen Fällen beobachtet, wo der Fremdkörper auf der Innenfläche der Netzhaut oder in der Sclera sich befand. Obgleich letztere verhältnissmässig gefässarm ist, kann nichts destoweniger die eitrige Entzündung hier einen ziemlich hohen Grad erreichen^ da sich auch die Ghorioidea und die Retina, ehe es zur Ablösung dieser Membranen kommt, stark an dem Process betheiligen. Leider gelangte kein solcher Fall zur Untersuchung in einem Stadium, wo der Fremdkörper erst kurze Zeit in der Sclera gelegen hatte.

Das Verderblichste für das Auge ist, wie es scheint, die Lage des Fremdkörpers in der Netzhaut selbst, unweit der Papille, wie aus dem Fall 6 ersichtlich ist, wo der Entzündungsprocess fünf Wochen gedauert hatte und in dem Glaskörper Gruppen von Eiterkörperchen sich fanden, deren Kerne sehr gut die Haematoxylinfarbe angenommen hatten, woraus man auf ihr noch nicht langes Bestehen schliessen kann, und wo auch starke eitrige Infiltration und lokale Vereiterung der Netzhaut aufgetreten waren.

Bei der Lage des Zündhütchensplitters im Glaskörper hinter der Linse (12) befand sich das eitrige Exsudat nur

266 KoBtenitsch.

um den Fremdkörper herum und war mit einer Bindege* webskapsel umgeben; an den übrigen Stellen war Toa Exsudat nicht eine Spur zu finden.

Besonderes Interesse erregt der 4. Fall, in welchem sich der Fremdkörper im Glaskörper eingelagert fand, wa er 16 Tage lang yerblieben war. Ungeachtet eines so langea Verbleibens des Kupfers im Auge beschränkte sich die stärker ausgesprochene eitrige Infiltration des Glaskörpers, der Netz- haut und der Chorioidea auf die nächste Umgebung des Fremdkörpers und trotz der beginnenden Gataract, war die Sehschärfe noch ^/^q. Die Linsenkapsel war unverletzt» Dieser Fall ist mit einem von Prof. Leber beschriebenen Versuch fast identisch (Beobachtung 4 auf S. 266).

Es bestätigt sich somit auch beim Menschen die von Prof. Leber gemachte Erfahrung, dass die Intensität der durch das Kupfer im Auge bewirkten aseptischen eitrigen Entzündung von der Lage des Fremdkörpers abhängig ist

Ich gehe jetzt zur Beschreibung der übrigen durch das Kupfer in den verschiedenen Theilen des menschlichen Auges hervorgerufenen Veränderungen über.

Das Erste, worauf die Aufmerksamkeit gelenkt wird, sind die Veränderungen des Glaskörpers und die Ablösung der Netzhaut.

Unter der Einwirkung der chemischen Verbindungen des Kupfers gehen augenscheinlich die Veränderungen des Glaskörpers schnell vor sich. Der Glaskörper wird von ei- weisshaltiger Flüssigkeit durchtränkt, von reichlichen Fibrin- netzen durchsetzt und zeigt deutlichere Fibrillen. Letztere treten zuerst neben der Pars eil. ret, so wie im hintern Theile des Glaskörpers hervor. An diesen Stellen ist auch die eitrige Infiltration stärker ausgesprochen. Zufolge der Schrumpfung des fibrillär verdichteten Glaskörpers und seiner Zusammenziehung nach vom wird eiweisshaltige Flüssigkeit aus ihm ausgepresst, welche den hinteren Theil seines Räume» einnimmt

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 267

In den Fällen 2, 3, 5, 9, schrampfte der Glaskörper langsam und zog sieb in gleichem Masse nach vorn zu- sammen, was theils von der Lage des Fremdkörpers, tbeils vermuthlich auch davon herrührte, dass der Glaskörper in diesen Fällen mit der Papille fester als normal zusammen- hing, was daraus zu entnehmen ist, dass in der centralen Grube und neben derselben der Membrana hyaloidea etwas fibrilläres Glaskörpergewebe aufgelagert war.

Wie es scheint, befördert auch das Vorkommen grösserer Blutergüsse im Glaskörper die Schrumpfung des letzteren, wie in anderen Fällen klinisch von Prof. Leber und Dr. Nordenson^) nachgewiesen wurde.

Wenn die Schrumpfung und Zusammenziehung des Glaskörpers von vom noch nicht bis zum Aequator bulbi gelangt ist, dann ist am vorderen Theile der Netzhaut ent- weder keine oder nur Andeutung von Faltenbildung zu bemerken, eben so wenig ein spontaner Riss, oder eine Ab- lösung der Netzhaut. Dies hängt davon ab, dass der ge- schrumpfte Glaskörper noch keine Einwirkung auf den vorderen Theil der Netzhaut ausüben kann, worauf auch schon Nordenson hingewiesen hat (Loc. cit. S. 239 u. f.).

Sobald aber der Process der Schrumpfung nach vorn weiter geschritten ist, so wird in allen solchen Fällen eine totale Ablösung der Netzhaut beobachtet, und der Subretinal- raum ist stets von einer Eiweissmasse eingenommen, welche mit der in dem Glaskörperraume befindlichen identisch ist. Wenn die Retina durch den Fremdkörper eine Perforation erlitten hat, so trägt diese natürlich dazu bei, die Ent- stehung der Ablösung zu befördern, da sie ein freies Hinüber- treten der im Glaskörperraum enthaltenen Flüssigkeit in den Subretinalraum ermöglicht.

In zwei Fällen (7 u. 12) fanden sich Zerreissungen der Retina, welche nicht durch die directe Wirkung des

*) Dr. Nordenson, Die Netzhautablösang. Untersuchungen über deren patholog. Anat. u. Pathogenese. Wiesbaden 1887. S. 232.

268 Kostenitsch.

Fremdkörpers entstanden sein konnten, weil im ersten Falle der Fremdkörper durch den Limbus corneae ins Auge ge- drungen und hinter der Linse, gleich nach hinten von der Ora serrata, in der nasalen Seite des Glaskörpers, in be- trächtlicher Entfernung von der zerrissenen Partie der Re- tina liegen geblieben war, während er im zweiten Falle fast auf demselben Wege ins Auge drang und hinter der Mitte der Linse im Glaskörper liegen blieb. Da zudem die Richtung, in welcher der Fremdkörper in das Auge eindrang, gar nicht nach der Zerreissungsstelle der Retina hinzielte, so ist auch die Möglichkeit auszuschliessen , dass derselbe Anfangs bis zur Retina gelangt sei und sich später soweit nach vorn verschoben habe.

In beiden Fällen ist der Glaskörper stark geschrumpft und nimmt den vordersten Theil seines Raumes ein; die Retina ist in ihrer ganzen Ausdehnung von der Chorioidea abgelöst und zeigt in ihrem vorderen Theil keinen Riss, welcher durch den Fremdkörper hätte hervorgerufen sein können. Im 7. Falle sieht man im hinteren Augenabschnitte in der Retina zwei Risse, den einen nach aussen von der Papille, fast durch die optische Achse des Auges gehend, den andern nach innen und etwas nach unten, in einiger Entfernung von der Papille; im 12. Falle findet sich nur ein Riss, auf der lateralen Seite, in einiger Entfernung von der Papille. Die Ränder der zerrissenen Retina sind in beiden Fällen nach innen umgeklappt und durch neuge- bildetes Gewebe fixirt, welches im 12. Falle, mit neuge- bildetem, hinter der Linse eingelagertem Bindegewebe ver- wachsen ist. Zufolge der Schrumpfung dieses Gewebes sind die Rissränder stark nach vorn gezogen; unzweifelhaft hat sich dabei die Ablösung der Retina vergrössert Im Subre- tinal- und Glaskörperraum findet sich Eiweissmasse (Fig. 12).

Da nach dem Gesagten eine directe Verletzung der Retina in diesen Fällen nicht annehmbar ist, so muss es sich um spontane Netzhautrisse handeln, deren Entstehung

Pathologiscli-aiuitomiBche Untennchangen etc. 269

auf die Schrumpfung des Glaskörpersgewebes zurückzuführen ist, wobei die durch den Riss aus dem Glaskörperraum austretende eiweisshaltige Flüssigkeit die Ablösung der Netz- haut verursacht.

Die spontanen Netzbautrisse spielen, wie Prof. Leber gezeigt hat/ bei der Entstehung der Netzhautablösung des Menschen eine wichtige Rolle und ihr Vorkommen ist von ihm auch bei der experimentell erzeugten Netzhautablösung, nach Einführung von Fremdkörpern in das Corpus yitreum von Thieren, erwiesen worden (S. 229). Wie stark der geschrumpfte und nach vorn zusammengezogene Glaskörper auf den vorderen Theil der Netzhaut, die Pars eil. und den Giliarkörper einwirkt, zeigt der Fall 12, so wie auch die Fälle 6 und 8; bei letzterem ist die Pars eil. ret. sammt einem Theil des Stratum pigmenti stellenweise von ihrer Unterlage abgehoben und ins Innere des Auges hinein- gezogen. Die Ablösung der Pars eil. ret. habe ich auch noch in zwei weiteren Fällen von Zündhütchenverletzung des Auges (Leopold und Kessler) beobachtet, bei welchen die Extraction des Fremdkörpers versucht, aber misslungen war und welche deshalb an anderer Stelle Verwerthung finden sollen. Ich habe dieses Verhalten bei der Beschrei- bung des Falles 8 nicht erwähnt, da ich anfangs glaubte, dass die Loslösung der Pars eil. der Einwirkung der Rea- gentien zuzuschreiben sei. Der gleiche Befund in anderen Fällen und die ähnlichen Erfahrungen Nor denson's^) zeigen aber, dass die Ablösung der Pars eil. ret. und ihre Hinein- ziehung ins Innere des Auges nicht als Wirkung der Prae- paration aufzufassen ist. Auch auf Bindegewebsschrumpfung kann sie nicht allein bezogen werden, da Bindegewebsneu- bildung im Glaskörper des Falles Leopold vollständig fehlte; sie muss vielmehr hier von der Schrumpfung des mit der Pars eil. ret. in Verbindung stehenden Glaskörpers herrühren.

1) Nordenson, S. 243.

270 Eostenitech.

Auch bei den von Prof. Leber mitgetheilten Versuchen an Tbieren konnte die Zusammenziehung des Fibrins und des neugebildeten Bindegewebes nicht als einzige Ursache für die Schrumpfung des Glaskörpers gelten, vielmehr schien dabei auch noch eine chemische Veränderung des Glaskörper- gewebes mitzuwirken. Die Zusammenziehung des Fibrins und des Bindegewebes kann aber die schon vorher vorhandene Glaskörperschrumpfung unterstützen, und die Entstehung der Netzhautablösung begünstigen^).

Nach den Versuchen Prof. Leber's an Thieren ist auch ausgeschlossen, dass die Netzhautablösung nur von der Zugwirkung des schweren Fremdkörpers auf die Netzhaut herzuleiten ist^); die Untersuchungsergebnisse des 4. Falles bestätigen dies für das menschliche Auge; in diesem Falle lag der 3 mm lange, P/^ mm breite Zündhütchensplitter 16. Tage im Glaskörper in der unteren Hälfte des Auges, ohne dass es in der oberen Augenhälfte zur Entstehung von Schrumpfung des Glaskörpers und von Netzhautablösung kam, während diese Veränderungen in der unteren Hälfte, in der Umgebung des Fremdkörpers auftraten, wo von der Wirkung der Schwere keine Rede sein kann.

Aus dem Bisherigen ist ersichtlich, dass in durch Zünd- hütchen verletzten menschlichen Augen, sowie auch in den von Prof. Leber angestellten Thierversuchen, die Ablatio retinae durch die Veränderung des normalen Baues und und durch starke Schrumpfung des Glaskörpers hervorge- rufen ist.

Was die pathologischen Veränderungen der Netzhaut in den von mir untersuchten menschlichen Augen anlangt, so stimmen sie vollständig mit denen von Prof. Leber be- schriebenen überein. Auch die Netzhaut des menschlichen Auges ist unter der Einwirkung der chemischen Verbin-

^) Th. Leber, Die Entstehung der Entzündung etc. S. 235. «) Loc. cit. S. 230.

Pathologisch -anatomische Untersuchuogen etc. 271

düngen des Kupfers, atrophischer Degeneration und ausge- dehnter oder partieller Nekrose unterworfen.

In der unmittelbaren Umgebung eines auf oder in der Nähe der Retina gelegenen Fremdkörpers zeigte die Netz- haut mehr oder minder ausgesprochene atrophische Dege- neration, die sich bald auf alle Schichten, bald nur auf den inneren Theil derselben erstreckte. Dabei konnten die noch erhaltenen Kömer der Körnerschichten theilweise ziemlich gut, theilweise schwach gefärbt sein. In zwei Fällen (9 u. 12) hatte bei langer Dauer des Processes die atrophische Degeneration sich über die ganze Retina erstreckt; dabei wurde im letzteren dieser Fälle neben der Papille keine Hypertrophie des Stützgewebes der Netzhaut bemerkt. In diesem Stadium findet sich in der Nähe des Fremdkörpers, im Bereich der erwähnten localen atrophischen Degeneration der Netzhaut, ^ine ausgesprochene Wucherung des Stütz- gewebes der Retina.

Mehr oder minder ausgedehnte Nekrose der Retinal- elemente mit mangelnder Kernfärbung wurde schon in früheren Stadien beobachtet; sie erstreckte sich über alle Schichten der Netzhaut oder nur einen Theil derselben; nur in einem der Fälle (3) hatte sie alle Elemente fast in der gesammten Ausdehnung der Retina ergriffen. In späteren Stadien breitete sich die erwähnte Nekrose über die ganze Netzhaut aus und war in der Nervenzellenschicht stärker ausgesprochen, aber zuweilen auch in allen Schichten vor- handen. Eine Ausnahme von der Regel macht der von Prof. Leber untersuchte Fall 11, in welchem die Degene- ration der Retina bloss in der Nähe des Fremdkörpers stattfand, während diese Membran im Uebrigen sich ziem- lich gut erhalten hatte, was von den geringen Dimensionen des Fremdkörpers abhängt, wie nachfolgend eingehender besprochen werden soll.

Das Stützgewebe der Retina ist fast in allen Fällen in der Umgebung der Papille mehr oder minder hypertro-

272 KoBtenitsch.

phirt; in den späteren Stadien ist es in der ganzen Aus- dehnung der Netzbaut oder nur auf beschränkten Stellen hypertrophirt. Manchmal ist das Stützgewebe der Netzhaut im hinteren Augenabschnitte in der Zwischenkömerschicht und der äusseren Körnerschicht unregelmässig gewuchert, wodurch die äussere Fläche der letzteren und der Stäbchen- schicht ein wellenförmiges Aussehen erhält.

Bei längerer Dauer des Processes sieht man eine mehr oder weniger bedeutende Wucherung des Retinaepithels, der Pars eil. und in einem Falle (7) an manchen Stellen eine Wucherung der Radiärfasem der inneren Körnerschicht und, wie es scheint, zugleich eine Vermehrung ihrer Kerne.

Das Stützgewebe des Nerv. opt. ist schon in früheren Stadien stärker entwickelt als normal; in einigen Fällen ist, sowohl bei kürzerer Dauer als auch bei längerem Be- stehen des Entzündungsprocesses, die Papille geschwollen. Fast in allen Fällen war im Sehnerven schwach oder stark ausgesprochene Atrophie seiner Nervenfasern sichtbar; von besonderem Interesse ist der Fall 10, wo die Atrophie des Sehnerven in der der Lage des Fremdkörpers entsprechenden Hälfte weit stärker ausgesprochen war als in der andern. Bemerkenswerth ist noch die im 11. Falle nachgewiesene roseukranzförmige Schwellung der Nervenfasern der Papille, welche mit der von der Retinitis albuminurica bekannten Veränderung übereinstimmt.

Das Epithel des Stratum pigmenti iridis zeigt in den meisten Fällen eine Wucherung ähnlich der, welche von Kamotzky*) und von Deutsch mann •) in den Augen diabe- tischer Individuen beobachtet wurde.

Die Linse und ihre Kapsel erfahrt im menschlichen Auge dieselben Veränderungen, wie die von Prof. Leber

^) Eamotzky, Patholog. - anat. Untersach. von Aagen diabe- tischer Individuen. Arch. f. Augenheilk. 1887. S. 247.

') Deutschmann, Patholog. - anat. Untersuch, einiger Augen Yon Diabetikern etc. v. Graefe*s Arch. XXXIII. 2. 1887.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 273

bei den Thierversuchen beobachtet wurden. Die Linsen- kapsol war in vielen Fällen durch den Fremdkörper ver- letzt, in den späteren Stadien verdickt und ihre Zellen vermehrt; in einem Falle fand sich sogar ein Epithelbelag in ihrer ganzen Ausdehnung. Die eitrige Infiltration der Linse beschränkte sich stets auf die Gegend der Kapsel- verletzung und war in den meisten Fällen schwach aus- gesprochen, nur in einem Falle war sie bedeutender, was durch die Grösse der Kapsel Verletzung und durch eine stark ausgesprochene eitrige Infiltration des Glaskörpers bedingt war (5).. Die hier erwähnten Unterschiede in der Intensität der pathologischen Veränderungen der von mir untersuchten Augen hängen wahrscheinlich sowohl von der Lage und der Grösse des Fremdkörpers, als auch von der Bildung von mehr oder weniger löslichen Ver- bindungen des Kupfers ab.

Durch eine kürzlich veröffentlichte Arbeit von Prof. Adamük*) ist die Frage angeregt worden, ob eine Wieder- anlegung der Netzhaut und Wiederherstellung ihrer Funk- tionen bei Anwesenheit eines Zündhütchensplittors im Auge möglich ist? Adamük behauptet, dass im Allgemeinen die Ablösung der Netzhaut und insbesondere die trauma- tische, gar nicht selten und sehr leicht wieder zurückgehe, was z. B. nach Extraction der Cataract beobachtet werden könne.

Unter den drei von dem Autor angefühlten Fällen, in welchen die abgelöste Netzhaut wieder ihre normale Lage erhielt, ist einer, in welchem die Ablösung durch einen Zündhütchensplitter verursacht war. Es handelte sich um den ungewöhnlichen Fall einer doppelseitigen Netzhaut- ablösung, die an beiden Augen durch in sie eingedrungene und dort liegen gebliebene Zündhütchensplitter entstanden war. Am rechten Auge war die Ablösung partiell und

1) AdamQk, Zur Frage der NetzhautabMsnng. Ophth. Bote. Juli-October 1890. Kiew.

T. Gnefe'a Arcblr für Ophthalmologie. XXX VII. 4. IH

274 EoBtenitsch.

ging bald wieder zurück, ungeachtet der Anwesenheit des Splitters im Auge, wie sich aus mehrfachen im Laufe von 10 Jahren an dem Patienten angestellten Beobachtungen ergab. Die Sehschärfe hatte sich an diesem Auge auf ^%q erhalten. Am linken Auge blieb die Ablösung der Netz- haut bestehen und es kam später zur Entstehung Ton Cataracta).

In allen von mir selbst untersuchten Fällen beobachtete ich eine partielle oder totale Ablösung der Netzhaut; letztere fand sich, unabhängig von der Lage des Fremdkörpers, in allen Fällen, in welchen der Splitter sich längere Zeit im Auge befunden hatte; so lag z. B. im Falle 12 der Fremd- körper hinter der Linse, während er in anderen FäUen neben dem Giliarkörper, in der Sclera oder in der Retina lag; in allen diesen Fällen fand sich eine totale Ablösung der Netzhaut.

Wie aus der beigegebenen Tabelle ersichtlich, habe ich es allerdings fast immer mit Zündhütchensplittern von beträchtlicher Grösse zu thun gehabt. Bei geringer Grösse des Fremdkörpers kann es sich anders verhalten. So lag in einem von Prof. Leber untersuchten Falle (11) das '/^ mm lange und Vs ^^ breite Zündhütchenstück über ein Jahr lang im Giliarkörper und dennoch beschränkte sich die eitrige Entzündung auf diese Gegend und es fand sich keine Netzhautablösung; in einem andern von mir untersuchten Falle (9) lag das P/s mm lange und '/, mm breite Kupferstück 10 Wochen lang im Glaskörper neben der Betina und trotzdem war die Ablösung der Netzhaut nur eine partielle. Man kann daher voraussetzen, dass in dem von Prof. Adamük beschriebenen Falle der ins rechte Auge gedrungene Splitter sehr^klein war, und dass beim Eindringen desselben ins Auge eine Verletzung der

*) Nach dem Referat von Logetschnikow. Medicin. Rund- schau Ko. 12. 1891. Moskau.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen etc. 275

Netzhaut unter gleichzeitigem Auftreten eiuer Blutung entstand (wie das öfters vorkommt), welche eine par- tielle Ablösung der Netzhaut zur Folge hatte. Es ist möglich, dass nach Resorption der Blutung, die Netzhaut- ablösung verschwand, und der Fremdkörper bei seinen ge- ringen Dimensionen nur eine locale eitrige Entzündung bewirkte, welche aus den angegebenen Gründen später zurückging; wenn aber Prof. Adamük den Fremdkörper im Auge seines Patienten nicht gesehen hat, so ist es mir wahrscheinlicher, dass in diesem Falle der Ziindhütcheu- splitter die Augenwand nochmals durchbohrt und das Auge wieder verlassen hatte. Ich habe Gelegenheit gehabt, das Schwinden der unter solchen Verhältnissen entstan- denen partiellen Ablösung der Netzhaut in einem Falle mikroskopisch zu beobachten, wo der Zündhütchensplitter durch die Cornea ins Auge gedrungen war und nach Ver- letzung der Linse durch die Sclera im hinteren Augenab- schnitt hindurchgegangen war. Dieser Fall ist in der vor- liegenden Arbeit nicht zur Aufnahme gelaugt, da ich den- selben wegen der Complication mit Secundärglaucom einer besonderen Bearbeitung vorbehalten möchte.

Wenn aber ein Zündhütchensplitter von bedeutenderer Grösse ins Auge gelangt und darin bleibt, so muss früher oder später eine Schrumpfung des Glaskörpers und Zu- sammenziehung desselben nach vorn erfolgen, welche eine Ablösung der Netzhaut zur Folge haben wird; dass die Netzhaut sich in solchen Fällen wieder anlegt, ist nicht zu erwarten. Ebenso wenig lässt sich daran denken, dass bei anhaltendem Liegen des Kupfersplitters im Auge die Netzhautfunktionen wieder hergestellt werden können, denn die unvermeidliche Folge dieses langen Verbleibens des Splitters im Auge ist atrophische Degeneration und mehr oder minder ausgedehnte Nekrose der Retina.

Die durch meine Untersuchungen gewonnene Erfah- rung, dass in durch Zündhütchensplitter verletzten mensch-

18*

276 Kosteoitsch.

liehen Augen Mikroorganismen in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle fehlen, gibt das Recht, in solchen Fällen die conservative Behandlung des Auges zu ver- suchen, wie schon Prof. Leber mit Erfolg gethan hat. Die schweren Veränderungen der Netzhaut welche ich als Wirkung des Kupfers nachweisen konnte, deuten darauf hin, dass die möglichst baldige Entfernung des Fremdkör- pers geboten ist. Prof. Leb er ^), welcher schon lange die conservative Methode in geeigneten Fällen zur Anwendung bringt, hat in 5 Fällen durch Extraction des Fremdkörpers, trotz Vorhandensein von localer eitriger Entzündung, das Auge zu erhalten vermocht; in 2 Fällen ist es ihm sogar gelungen, massige und in einem Falle sehr befriedigende Sehschärfe zu erhalten. Er hat auch darauf hingewiesen, dass das den Fremdkörper umgebende eitrige Exsudat an der Innenfläche des Ciliarkörpers ohne Schaden zurückge- lassen werden kann, indem es sich allmählig in über- raschender Weise resorbirt.

Ich habe noch hinzuzufügen, dass die Leukocyten an der Resorption der gebildeten Entzüudungsproducte einen bedeutenden Antheil nehmen, indem sie alles mögliche todte organische Material, sogar zerfallene Linsenfaseni aufnehmen, worauf in den Fällen 5 und 7 (Fig. 10 und 11) hingewiesen worden ist. In einigen Fällen wurde das Vor- kommen sehr grosser Zellen mit vielen Kernen beobachtet (Fig. 8 und 9). In allen von mir untersuchten Fällen wurden in den Lumina der Venen der Chorioidea und zuweilen in denen der Iris und der Netzhaut, nur selten in den Arte- rien und Capillaren, zahlreiche mehrkernige Leukocyten be- obachtet, offenbar in Folge der chemischen Einwirkung des Kupfers auf die Blutgefässe und deren Inhalt, die eine Randstellung der weissen Blutkörperchen hervorrief.

*) Th. Leber, Loc. cit. S. 271.

Patbologisch-anatomiBche Untersuchungen etc. 277

Scblicssend ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Prof. Th. Leber für das Material, die darauf bezüglichen Notizen, und für die mir in Rath und That erwiesene Unter- stützung bei diesen Untersuchungen meinen innigsten Dank auszusprechen.

Tafelerklärung. Tafel V.

Fig. 1. Querschnitt aus der unteren Äugcnhälfte des V. Falles. R. A. f Lage des Fremdkörpers, r Riss der Retina. g Glaskörper. e £iweis8haltiges Exsudat. d Fleck von Eiterzellen, n Comealnarbe.

Fig. 2. Zelle aus der zerstörten Linse. Zeiss, F. IIL E EiweisskQgelchen. X; Fettkömchen.

Fig. 8. Querschnitt durch den Sehnerven des VI. Falles. L. A. B Abgelöste Retina, n Narbe.

d Eitriges Exsudat, in welchem der Fremdkörper lag. ä! Eiterknötchen (oberer Theil).

r Riss der Retina und zugleich die Lage des Fremdkörp. e Eiweissmasse. ch Verdickte Stelle der Chorioidea.

Fig. 4. Querschnitt etwas nach nnten von dem Sehnerveneintritt des VI. Falles. g Stark eitrig infiltrirter Glaskörper (wie Flg. 3). f Lage des vorderen Endes des Fremdkörpers, d' Eiterknötchen (wie Fig. 3) mittlerer Theil in Verbin- dung mit Retina. l Verletzung der Linse. (Fig. 3 und 4 mit Haematoxylin gefärbte Schnitte.)

278 EoBteniUch, Pathologisch-anatomisclie Untersuchungen etc.

Fig. 5. Querschnitt etwas nach unten von dem Sehnerveneintritt des VII. Falles. rr Zwei spontane Risse. iV Narbe. f Lage des Fremdkörpers.

Fig. G. £ine Partie der Retina zwischen den Rissen Fig. 5. Zeiss, A A. III. l Leukocyten. k Kerne der Neuroglia. m Membr. hyaloidea.

Fig. 7. Retinaepithel neben der Papille.

Fig. 8. Grosse Zelle aus dem vorderen Theile des Subretiualraumes. Ic Kerne. p Pigmeritkörner. z Pigmententhaltende Zelle.

Fig. 9. Grosse Zelle aus dem vordersten Theil des Glaskörpers. k Kerne. p Haematogenes Pigment.

Fig. 10. Zelle mit Detritus der rothen Blutkörperchen aus dem Glaskörper. d Detritus.

Fig. 11. 3 Zellen aus dem den Fremdkörper umgebenden Exsudat. a Fortsatz.

h Zerfallene Linsenfasern, c Protoplasma. (Fig. 7, 8, 9, 10, 11 vom VII. Falle. Zeiss, F. III.)

Fig. 12. Querschnitt des Auges vom XII. Falle, r Spontaner Riss der Retina. f Lage des Fremdkörpers. cc Neugebildetes Bindegewebe.

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