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ALEXANDER VON HUMBOLDT.

EINE WI88ENSGHAFELICHE BIO&MPHIE

IM VEREIN HIT

R. AV£-LALLEMANT, J.V.CARUS, A.DOVE, H.W. DO VE,

J.W.EWALD, A.H.R.GRISEBACH, J. LÖWENBERG,

O.PESCHEL, G. H. WIEDEMANN, W.WUNDT

BEABBEITET UND HERAUSOEaEBRN

KARL BRÜHNS,

PSOnCBSOB mVO DIRSOrOli^tR STKBIIWAIlTa IN LEIPZIG.

IN DREI BÄNDEN.

ERSTER BAND.

MIT EINEM PORTRAT HÜMBOLDT'S IM 27. LEBENSJAHRE.

S, LEIPZIG:

F. A. BROCK HAUS. 1872.

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Das Recht der Uebersetzung ist vorbehalten.

VORWORT.

Als Alexander von Humboldt am 6. Mai 1859 im 90. Jahre seines Lebens das Auge schloss, bezeugten die in zahlreichen Zeitschriften des In- und Auslandes erscheinenden Nachrufe und Nekrologe, Charakteristiken und Lebensskizzen, welch allge- meine Theilnahme man dem dahingeschiedenen Forscher vrid- mete, wie einmüthig seine universelle Bedeutung für die wissen- schaftlichen Fortschritte unsers Jahrhunderts anerkannt wurde.

Versuche, den Lebens- und Entwickelungsgang des grossen Mannes zu schildern, wai*en schon mehrfach gemacht worden. Das Skelet einer Biographie hatte Humboldt selbst für das Brockhaus'sche „Conversations- Lexikon" auf Ersuchen der Re- daction Anfang der fünfziger Jahre geliefert, ein Auszug davon erschien in . der zehnten Auflage dieses Werks , der ganze Artikel im achten Bande der Zeitschrift „Die Gegenwart" (1853); ein „biographisches Denkmal" war 1851, aber ohne Studium der Quellen und ohne Kenntniss der wissenschaft- lichen Objecte, von H. Klencke erschienen, ein „Humboldt-Buch" 1859 von W. F. A. Zimmermann; Bruchstücke aus dem Leben Humboldt's gab es vielfach. Aber nirgends war der Gelehrte im Gebiete seiner P'orschungen, nirgends der Mann der Wissen- schaft so wie er lebte und arbeitete dargestellt, und selbst das

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VI Vorwort.

1860 erschienene Werk von W. C. Wittwer: „Alexander von Hum- boldt. Sein wissenschaftliches Leben und Wirken", gibt im we- sentlichen nur das wieder, was bis dahin schon anderweitig gedruckt vorlag.

In der That bot auch die Bearbeitung einer Humboldt's würdigen und seine ganze Thätigkeit erschöpfenden Biographie grosse Schwierigkeiten. Selbst die Männer, welche ihm nahe gestanden, mussten sich sagen, dass sie nicht im Stande seien, die Thätigkeit dieses universalen Geistes in ihrem ganzen Umfange zu schildern. Zudem schienen alle Quellen unnahbar und hermetisch verschlossen. Humboldt selbst hatte „eine ängstliche Scheu vor Mittheilungen, welche irgendwie die Familie berühr- ten", er hasste, obwol er deren Nothwendigkeit für die Geschichte der Wissenschaften anerkannte, doch die Biographien und be- sonders die Lobreden. So schrieb er an Dr. Spiecker: „J'ai tant de fois refuse toute espece de participation a ma biographie ou ä Celle de mon frere, non-seulenient pour fournir des ma- teriaux litteraires, mais aussi pour revoir ce qui a ete redige pai* d'autres, que je ne puis en AUemagne agir autrement qu'en France et en Angleterre. J'ai l'horreur des biographies comme des Images de vieillards, dont on charge le soleil, quoi- que les unes et les autres puisscut etre une dure necessite dans rhistoire des sdences. La vie me parait de jour en jour moius douce, et j'ai besoin de toute Votre indulgence, mon digne ami, pour cette idiosyncrasie du vieillard. II y a meme un article dans mon testament pour empecher l'eloge a l'Institut apres ma mort." Der Artikel in seinem Testament, geschrieben am 10. Mai 1841 und niedergelegt im Stadtschlosse zu Potsdam,

Vorwort. Vn

lautet: „Ich bitte meine theuern Verwandten und meine Freunde, dafür zu sorgen, dass weder in der Staatszeitung noch in andern öffentlichen Blättern, auf die sie einigen Epiluss ausüben können, mein Leben beschrieben werde oder gar lo- bende Artikel erscheinen. Ich hinterlasse einen Brief an das Institut zu Paris, um ebenfalls die £ löge zu verbitten, welche jedem Associe etranger gehalten wird.^^ Als vollends un- mittelbar nach seinem Tode die nächsten Verwandten und Freunde eine „Bitte und Verwahrung gegen Veröffentlichung vertrauter Briefe" erliessen, da wurde jeder von dem Versuch einer quellenmässigen Darstellung von Humboldt's Leben zu- rückgeschreckt. Denn der innerste Mensch ganz so wie er ist zeigt sich erst in den vertraulichen Mittheilungen, die rasch zu Papier gebracht und nur den intimsten Freunden eröffnet werden ; eine Biographie ohne Benutzung des Briefwechsels und der sonstigen handschriftlichen Aufzeichnungen konnte gerade bei Humboldt ebenso wenig dem warmen Lebensbilde gleichen, wie eine kalte Marmorbüste dem lebendigen, aus Fleisch und Blut bestehenden Originale gleichzukommen vermag.

Indess, jene Verwahrung fand nur kurze Zeit Beachtung. Trotz alles oft schwer betrübenden Misbrauchs kann doch das sachliche Recht zur Veröffentlichung nachgelassener Briefe von Persönlichkeiten, deren Wirken der Nation und der Geschichte angehört, nicht stichhaltig bestritten werden.

Die erste Publication von Briefen Humboldt's, kaum ein Jahi* nach seinem Tode erschienen, stellte das Bild dvs Dahin- geschiedenen nicht von der Lichtseite dar, indem sie vorzugs- weise eine der schwachen Angewohnheiten biossiegte, von di*iien

VUI Vorwort.

auch grosse Mänuer sich nicht immer frei erhaltCD. Es wurden durch sie und mehr noch durch die krittelnden Zusätze Varn- bagen's, dieses geistreichen, aber verbitterten und mit der Welt unzufriedenen Mannes, Geheimnisse offenbart, die weder für die Oeffentlichkeit noch selbst zur Mittheilung im engen Kreise ge- eignet waren, obwol sich andererseits nicht leugnen lässt, dass die „Briefe Alexander vonHumboldt's an Vamhagen vonEnse" manche Thatsachen und manche Züge uns aufbewahrt haben, die wir in dem Gesammtbilde sehr ungern missen möchten. Humboldt hatte sie wol niedergeschrieben, um in die Gedanken eines klatschsüch- tigen Freundes einzugehen; jedenfalls sollten sie nur von diesem gelesen und dann dem Feuer überantwortet werden. Gegenüber dieser inhaltreichen und pikanten Sammlung wurde der kleinen tichrift : „Briefwechsel und Gespräche Alexander von Uumboldt's mit einem jungen Freunde aus den Jahren 1848 bis 1856^^ die in demselben Jahre (1860) erschien, nur geringe Aufmerksamkeit zutheil. Mehrere Jahre vergingen, bevor durch die Veröffent- lichung anderer Briefe, wie der von H. Berghaus und von De la Koquette herausgegebenen, wieder mehr die wissenschaftliche Seite in Humboldt's Leben hervortrat. Inzwischen hatten aber die kriegerischen Ereignisse der Jahre 1864 und 1866 in Deutsch- land das Interesse vorwiegend dem politischen Schauplatz zuge- lenkt, auf welchem Preussen, das engere Vaterland Humboldt'», die Führerschaft übernahm; und erst als der hundertjährige Geburtstag des grossen Naturforschers herannahte, begann die Theilnahme an seiner Person wieder zu wachsen.

Als ich auf der Naturforscherversammlung in Dresden am 18. Sept. 1868 einige einleitende Worte über die Fortschritte

/

/

Vorwort IX

der Naturwissenschaften und speciell der Astronomie zu sagen hatte, gedachte ich auch des bevorstehenden hundertjährigen Geburtstages Humboldts. Ich hob bei dieser Gelegenheit den Mangel einer erschöpfenden Biographie hervor, der um so be- dauerlicher sei, da die Zahl der Männer, die seinen persönlichen Umgang genossen und von den Eigenthümlichkeiten seines Wesens noch die frischesten Erinnerungen hätten, immer kleiner werde.

Seitdem ward im Jahrgang 1868 (Band 7) der geogra- phischen Zeitschrift „Le Globe^' eine sehr werthvoUe Sammlung Humboldt'scher Briefe an Marie Auguste Pictet veröffentlicht; ihr folgten im Jahre 1869 der „Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Graf Georg von Cancrin^S und die interessanten ,3riefe Humboldt's an Christian Carl Josias Freiherrn vonBunsen^S Vim vielen Akademien, geographischen Gesellschaften und an- dern Vereinen, nicht nur in Europa sondern auch in Amerika, wurden zur Feier des hundertjährigen Geburtstages Fest- und Gedächtnissreden veröffentlicht, unter denen nur die von Agassiz, Bastian, Dove, Ehrenberg hier namentlich genannt seien; auch die Zahl der kleinem Schriften über Humboldt, der populären Biographien u. s. w., die aus Anlass des Jubiläums ans Licht traten, war keine geringe.

Schon ein Jahr vorher hatte die Buchhandlung F. A. Brock- haus in Leipzig sich erboten, falls ich ein Werk über Humboldt herausgeben wolle, dasselbe in Verlag zu nehmen. Dadurch reifte in mir der Gedanke und der Entschluss, eine Anzahl Ge- lehrter zur Bearbeitung einer umfassenden, alle Seiten seiner Wirksamkeit schildernden Biographie Humboldt's zu vereinigen, und sein hundertjähriger (leburtstag schien mir der geeignetste

X Vorwort.

Zeitpunkt zum Beginn eines solchen literarischen Denkmals, um so mehr als man damals noch nicht daran dachte, dem hoch- verdienten Förderer der Wissenschaften ein Monument aus Erz in seiner Vaterstadt zu errichten.

Meine Freunde in Berlin gingen auf den Plan theilnahmvoU ein. Herr Professor Dr. W.Förster stellte mir den auf der berliner Sternwarte deponirten handschriftlichen Nachlass Humboldt's zur Verfügung und sagte auch sonst seine Mitwirkung an dem Un- ternehmen zu ; Humboldt's Nichte , die hochherzige Frau Minister von Bülow, gestattete die Benutzung der während der ameri- kanischen und asiatischen Reise geführten Tagebücher sowie aller von ihr aufbewahrten Briefe Humboldt's ; die Herren Pro- fessoren Geh. llegierungsrath Dove und Geh. Medicinalrath du Bois -Keymond erklärten sich zur Mitarbeiterschaft bereit.

Das Werk sollte in zwei Hauptabtheilungen erstens Humboldt'« äusseres Leben, zweitens seine Thätigkeit auf den verschiedenen Ge- bieten der Wissenschaft zur Darstellung bringen. Die erste Ab- theilung sollte in drei Abschnitten die Jugend , das Mannesalter, das Greisenalter Humboldt's behandeln , die zweite Abtheilung in acht Abschnitten den einzelnen naturwissenschaftlichen Discipli- nen, auf welche seine Forschungen sich erstreckt hatten, ge- widmet sein. Einige bisher noch nicht vervielfältigte Origiual- porträts sollten seine äussere Erscheinung in den verschiedenen Altersperioden vor Augen stellen.

Zum hundertjährigen Geburtstage wurde der Prospect aus- gegeben. Ich konnte ihn selbst der Astronomen Versammlung in Wien vc»rlegen, die zu Humboldt's Gedächtniss auf seinen Ge- burtstag angesetzt war, und bei der mir die ehrenvolle Aufgabe

Vorwort. XI

zafiel, der Verdienste Humboldt's um die Astronomie zu ge- denken.

Nach meiner Rückkehr von da ging ich ungesäumt an die Ausführung des Plans. Die Schilderung von Humboldt's Jugend^- und Reiseleben übernahm Herr Julius Löwenberg, der, seit vielen Jahren mit Studien über Humboldts Leben beschäftigt, im Be- sitz zahlreicher Documente, Briefe und anderer für die Biographie unentbehrlicher Materialien sich befindet; die Darstellung der Arbeitszeit in Paris und des Verkehrs mit den dortigen Ge- lehrten Herr Dr. R. Ave-Lallemant, welcher selbst mehrere Jahre in pariser wissenschaftlichen Kreisen verkehrt hat; und in Herrn Dr. Alfred Dove gewann ich einen Mitarbeiter, dessen Kenntniss der berliner Verhältnisse ihn vorzugsweise befähigte, Humboldt's letzte Lebensperiode seit seiner Uebersiedelung nach Berlin in authentischer, von allem Sagenhaften entkleideter Dar- stellung vorzuführen. So war für den eigentlich biographischen Tlieil gesorgt. Für den fachwissenschaftlichen Theil hatte ich mich der geschätzten Mitarbeiterschaft der Herren Geh. Regierungs- rath H. W. Dove und Professor J. W. Ewald in Berlin, Hofrath A. H. R. Grisebach in Göttingen, Professor J. V. Carus, Professor (). Peschel und Hofrath G. H. Wiedemann in Leipzig zu er- freuen. Hr. Geh. Rath du Bois - Reymond , welcher eine Dar- stellung von Humboldt's Thätigkeit auf dem Gebiete der Phy- siologie in Aussicht gestellt hatte , trat zu meinem grossen Be- dauern zurück; an seiner Stelle gelang es mir Herrn Professor W. Wundt in Heidelberg zu gewinnen.

ihre Majestät die Kaiserin und Königin Augusta unter- stützte den Herausgeber huldreichst durch Mittheilung unge-

XII Vorwort.

druckter Briefe Humboldt's; eine andere interessante Briefsamm- lung ist leider im Jahre 1848 ein Raub der Flammen geworden. Frau Minister von Bülow ergänzte Humboldt's Tagebücher noch mit 22 werth vollen Briefen von ihm : 19 an seinen Bruder Wilhelm, geschrieben auf der russischen Reise , 3 an seine Schwägerin.

Eine Reihe von über 80 Briefen, seit Humboldt's Weggang von Freiberg bis zum Jahre 1845 reichend, an seinen Jugend- freund den spätem Berghauptmann Freiesleben in Freiberg, überliess der Sohn desselben, Herr Geh. Finanzrath Freiesleben in Dresden, zur Benutzung; 13 Briefe an den Mathematiker Jacobi erhielt ich durch Herrn Professor Borchardt in Berlin, 80 an Lejeune-Dirichlet durch Herrn Professor Kronecker, 30 an Gauss durch Herrn Professor Schering in Göttingeu, 54 an Schumacher durch dessen Söhne in Valparaiso und Altona, 30 an den Geh. Oberbergrath Karsten von seinem Sohne Herrn Professor Karsten in Kiel, 11 an W. Struve und Fuss durch den gegenwär- tigen Director der pulkowaer Nikolai-Hauptsternwarte Herrn 0. von Struve, 330 an Encke von den Encke'schen Erben. Herr Ober- lehrer Dr. G. von Boguslawski übersandte mir 28 Briefe Hum- boldt's an seinen Vater, den verstorbenen Director der bres- lauer Sternwarte, Herr Hofrath Canis in Dresden 12 an seinen Vater, den verstorbenen königl. Leibarzt und Präsidenten der Leopoldinisch-Carolinischen Akademie, Herr Dr. H. Vogel 9 an den verstorbenen Schuldirector Vogel, den Vater des un- glücklichen Afrikareisenden. Einen reichen Schatz von über 50 Briefen verdanke ich Madame Richards-Gagiotti in Florenz, 19 Herrn Wirkl. Staatsrath von Mädler, früher Director der Sternwarte in Dorpat. Die Herren Professor Galle in Breslau,

Vorwort. XIII

Dr. Luther in Bilk, Oberbergrath Reich in Freiberg, Geh. Uofirath W. Weber in Göttingen, Akademiker Wild in Peters- burg, Dr. Focke in Bremen beschenkten mich mit einzehien, theils an sie selbst, theils an andere Gelehrte gerichteten Briefen. Einige Beiträge über Humboldt's wissenschaftliche Arbeiten lieferten mir Herr General Graf von Helraersen in St -Peters- burg, Herr Geh. Kanzleirath Paschen in Schwerin u. a. 16 Briefe Humboldt's aus der göttinger Studienzeit an seinen Universitäts- freund, den spätem Consistorialrath Wegener, erwarb ich von Herrn Oberlehrer Hermann in Köln, eine Serie von 61 Briefen an den verstorbenen Mathematiker Eisenstein von dem Gomite für ein Denkmal Humboldt's in Berlin.

Femer gelang es mir, Humboldt's nachgelassene Papiere, soviel sich davon in den Händen seines langjährigen Kammer- dieners Herrn Seifert befand, zu erstehen: 500 Briefe neuem Datums, meist aus den fünfziger Jahren, von fürstlichen Per- sonen, von Staatsmännem, Gelehrten und Künstlem, viele Kar- tenskizzen, viele an Humboldt geschickte Originalabhandlungen, Gedichte u. s. w. Auch verdanke ich Herrn Seifert die Mitthei- lung mehrerer Cabinetsordres , Einsicht in einige Privatbriefe und Angaben über persönliche Verhältnisse.

Ausser den vorstehend aufgeführten Schriftstücken wurden (*orresi)ondenzcn oder einzelne Briefe und Documente gespendet von den Herren Geh. Justizrath Friedländer in Berlin, Staatsrath von Hemnann in München, Geh. Oberbergrath von Carnall, Professor Rudolph Wagner in Göttiugen , Dr. Henry Lange in Berlin, von Römer auf Löthein bei Meissen , Geh. Justiz- rath von Loei>er, Gerichtsassessor Lehfeldt, von Frau Gold-

XIV Vorwort.

Schmidt geh, Kunth, Fräulein Schwenken in Langendemhach, und andern.

Die Herren Vorsteher der königlichen Archive in Berlin gewährten Einsicht in die Humboldt betreffenden Actenstücke und gaben bereitwilligst Auskunft auf mehrfache Anfragen, Herr Geh, Rath von Weber, Director des königlichen Staatsarchivs in Dresden, gestattete von einigen in dem Archiv befindlichen Hum- boldtiana Abschrift zu nehmen. Durch Herrn Professor Gneist in Berlin wurden 295 Briefe an Boeckh aus dem Nachlasse des letztem der Benutzung erschlossen. Herr Geh. Rath G. Rose er- gänzte die gedruckten Cancrin'schen Briefe durch eine Menge ungedruckter und einige wichtige Cabinetsordres ; die Herren Professoren Bellermann , Curtius , Dove u. a. gestatteten Ein- blick in die an sie gerichteten Briefe Humboldt's.

Allen denen , welche so durch ihre Gefälligkeit die Heraus- gabe der Biographie gefördert haben, sei hiermit der verbind- lichste Dank abgestattet.

Der dem ersten Bande als Motto vorangestellte Ausspruch Wilhelm von Ilumboldt's: „Wenn von Biographie die Rede ist, habe ich nun einmal den Begriff nur von historischer Wahr- heit", ist für das ganze Werk massgebend gewesen.

Namentlich hat es bei der Schilderung von Humboldt's Jugendleben der Verfasser als seine Aufgabe betrachtet, nicht sowol den bisherigen unbegi*ündeten, unrichtigen Darstellungen dieser Periode polemisch entgegenzutreten, als vielmehr seine wesentlich abweichende Darstellung durch Anfühnmg bisjetzt unbekannter echter Beweisstücke zu erhärten.

Dem zweiten Abschnitt, das Reiseleben in Amerika und

Vorwort. XV

Asien umfassend , liegen die von Humboldt selbst veröffentlichten, aber unvollendet gebliebenen Reisewerke zu Grunde, doch wurden auch seine nnr im Manuscript vorliegenden Tagebücher so wie zahlreiche gedruckte und ungedruckte Briefe jener Zeit sorg- faltig durchforscht Obwol die asiatische Reise zeitlich durch drei Jahrzehnte von der amerikanischen getrennt ist, schien es doch der Verwandtschaft des Stoffes wegen angemessen, beide in unmittelbarem Anschluss aneinander zu behandeln.

Auch der dritte Abschnitt, der über den achtzehnjährigen Aufenthalt in Paris und über die Ausarbeitung, Herstellung und Veröffentlichung des amerikanischen Reise werkes berichtet, ist tbeils nach gedruckt vorliegenden Quellen, theils nach unge- dmckten Handschriften und Briefen verfasst.

Für den vierten Abschnitt, die Schilderung von Humboldt'» Leben in Berlin seit seiner im Jahre 1827 erfolgten Uebersie- delung in die Heimat bis an seinen Tod, stand ein besonders reichhaltiges Material zu Gebote, daher hier rieles Neue mitge- tbeilt, vieles Irrige berichtigt werden konnte.

Die den fünften Abschnitt bildende bibliographische lle- bersicht über die Werke, Schriften und Abhandlungen Hum- boldt's wird als ein erster Versuch, in dieses bibliographische Chaos Licht und Ordnung zu bringen, allen denen willkommen MB, die auch über das Kleinste zuverlässigen literarischen Nachweis suchen.

Bei dem sechsten Abschnitt war es schwer, eine solche Ein- theQung zu treffen, dass in den acht Abhandlungen, deren jede einem andern Bearbeiter übertragen war, einerseits nicht etwa wesentliche Punkte übergangen , andererseits Wiederholungen

XVI Vorwort.

vermieden wurden. Die Namen der Verfasser bürgen für die sachgemässe und gründliche Behandlung des Stoffs.

Von den drei Porträts ist das im ersten Bande nach einem im Besitze der Frau Minister von Bülow befindlichen Pastell- gemälde aus dem Jahre 1796 gestochen, das bisher der Oeffent- lichkeit noch nicht übergeben war. Das im zweiten Bande, dessen Original mir ebenfalls von der Frau Minister von Bülow zur Verfügung gestellt ward, ist 1814 in Paris entstanden und da- durch interessant, dass Humboldt es selbst im Spiegel gezeichnet hat. Das Original des dritten, von Eduard Hildebrandt, der Humboldt innig befreundet war, in Oel gemalt, eins von den wenigen Porträts, die dieser geniale Künstler ausgeführt hat, befindet sich im Besitze des Herrn Seifert.

Es lag im Plane des Herausgebers, das Werk zu Ostern 1871 erscheinen zu lassen; die einjährige Verzögerung bedarf wol keiner weitern Entschuldigung als des Hinweises auf die weltgeschichtlichen Ereignisse vom Sommer 1870 bis Frühjahr 1 87 1 .

Möchte denn das vereinigte Streben der Verfasser, das Leben und Wirken Alexander von Humboldt's möglichst treu und vollständig der gegenwärtigen Generation vor Augen zu führen, durch eine freundliche Aufnahme ihres gemeinsamen Werkes belohnt werden !

In dieser Hoffnung übergebe ich dasselbe als ein geistiges Denkmal Humboldt's zu der hundertjährigen Jubelfeier seiner Geburt, bei der abermaligen Wiederkehr seines Todestages, allen Freunden humaner Geistesbildung, wie der Naturwissenschaften insbesondere.

Leipzig, den 6. Mai 1872.

Karl Bruhns.

Inhalt des ersten Bandes.

i.

Alexander von Humboldt. Seine Jugend und ersten

Mannesjabre.

Von Julias ^öwenberg.

1. Vaterhaus.

Bedeutsamkeit des Namens. Mythisches. Ahnen und Ael- tern. Tegel und Jugendjahre. Lehrer und Neigungen. Aufschwung der geographischen Entdeckungen. Anstrengung and Kränklichkeit. Vor dem Abgange zur Universität. Berliner Zustände 3

2. Akademische Studienjahre.

Die Tniversität Frankfurt. Kameralistische und philologische Studien. Der Winter 1788 in Berlin. Die Universität Göt- tingen. — Kleinere Reisen. „Beobachtungen über einige Ba- salte am Rhein". Reise mit Georg Forster. Die Handels- schule in Hamburg. „Entwurf meines kanftigen öffentlichen Lebens". Die Bergakademie in Freiberg ^

l\. Im Staatsdienst.

Assessor im Bergdepartement. Geist der VerwaltungscoUegien. Der Staatsdienst nur eine Durchgangsstation für grössere wissen- schaftliche Plane. Fränkisches Commissorium. Ernennung zum Oberbergmeister. Erweitertes Commissorium bis Januar 1793. Aufenthalt in Berlin. Flora Fribergensis. Reiz- versuche. — Eintritt in das fränkische Amt, Mai 1793. Zu- stände in Franken. Praktische Arbeiten. Wissenschaftliche Anerkennung. Freie Bergschulen. Ernennung zum Berg- rath, 1794. Commissorium in Südpreussen. Diplomatische Dienste bei MöUendorf. Wiederholte Anträge zur Direction der schlesischen oder westfälischen Berg- und Salzwerke. Ab- lehnung. — Schweizer Reise, 1796. Rf\ckkehr und praktische Thätigkeit Gefährliche Experimente. Einkehr in Berlin. Diplomatische Mission zu Moreau, 1796. Neue Anträge zum Staatsdienst Der Tod der Mutter 134

A. ▼. BinwoLcrr. I. h

XVIII Inhalt dos ersten Bandes.

4. In Jena und Weimar. j,^.^^

Weimar-jenaische Zustände. Goethe als Naturforscher; frühe An- erkennung Humboldt's; Widerstreben und Ergebung; Humboldt über Goethe; Verschiedenheil und Gleichartigkeit beider. Schiller's medicinische Studien ; Humboldt Mitarbeiter an den „Hören" ; der Rhodische Genius ; Schiller's hartes Urtheil ; Kör- ner^s Vermittelung ; Schiller*s Idealismus; Humboldt^s Empirismus und Formelwesen; Freundesrath und Bekenntniss; Lösung. Humboldt und die neue Naturphilosophie. Humboldt und Karl August; dessen Liebe zur Natur. Wiederholte Einkehr in Weimar und Jena. Ein Gedenkblatt 185

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. Preussische Zustände 1797. In Jena. In Dresden. In Wien. In Salzburg. In Paris. Nach Marseille und Toulon. Wan- derung in Spanien. In Madrid. Coruna 236

Rückblick 275

Beilagen.

1. Conrad Humboldt's erster Bericht während seiner Amtsthätigkeit 277

2. Das Wappen der Familie von Humboldt 279

3. Den Baronstitel betreffend 281

4. Die Geburtsstätte Alexander von Humboldt's 282

5. Das Leben im Humboldt'schen Hause 285

6. Des Jünglings Humboldt Ansichten über Wunder 286

7. Reise 1790 in England 290

8. Die freie Bergschule zu Stehen . 292

9. Alexander von Humboldt an General Moreau 299

10. Humboldts Pass bei seiner Abreise von Paris 1798 300

11. Don Mariano Luis de Urquyo 301

12. Zur Genealogie der Familie von Humboldt 302

IL

Alexander von Humboldt. Sein Reiseleben in Amerika

und Asien. Von Julius Löwenberg.

A. Reiseleben in Amerika.

1. Vorbemerkungen. Grösse der spanischen Colonien in Amerika. Verwaltungsgrimd- sätzc. Reisende vor Humboldt. Neue Ziele der Naturwis- senschaft. — Objectivität des Humboldt'schen Reisewerks. Biographischer Gesichtspunkt 307

Inhalt des ersten Bandes. XIX

2. Von Cornna bis Porto-Cabello.

Seite

I^andang aof Teneriffa. Der Pic. Der Drachenbaum. Reich- tbiim der Erscheinungen. » Landung und erster Aufenthalt in Cumana. Erste Eindrücke und Einrichtungen. Arbeiten. Nach Caripe und Carapana, zu den Missionen und zur Guacharo- höhle. Erstes Erdbeben, Stemschnuppenfall. Nach Ca- racas uid Porto-Cabello 313

3. Zum und auf dem Orenoco.

Zur Uebersicht. An Wilhelm von Humboldt : Wohlergehen , Müsse und Stoff zu Studien. Bonpland's Tüchtigkeit und Treue. NAchtliche Scene. An Willdenow : Die Herbarien. Dis- position für den Fall des Todes. Fraser's Schiffbruch. Pflanzenreichthum und Schwierigkeit ihrer Erhaltung. Be- schwerden. — „Die Tropen mein Element'*. Aufiiahme und Un- abhängigkeit. — Bonpland's Leistungen. Erinnerungen an Berlin. 330

4. Nach und von Cuba.

Abfahrt Ton Barcelona. Landung in Havana. Neue Reise - plane. Nachricht von Baudin. Von Batabano nach Carta- gena. Doppelte Gefahr. Turbaco. Fidalgo's Commission. 345

5. Nach Quito.

Neuer Reiseplan. Auf dem Magdaleuenstromc bis Honda. Santa Fe de Bogota, Umgebung. Ibague. Ueber den Quindiu- pass. Im Caucathale , Popayau. Die Paramos von Pasto. Ankunft in Quito 352

G. In und um Quito.

Stadt, Natur und Bewohner. Interesse an Bergbesteigungen. Dreimalige Besteigung des Pichincha. Auf dem Chimborazo. Pariser Briefe. Sendungen nach Europa. Nachricht von Baudin. Erhöhtes Selbstvertrauen. Freunde in Lima. Humboldt's Porträt in ChiUo 361

7. Von Quito nach Mexico.

Handschriftliche Ueberlieferuug. Karaibische und Inkasprache. Alte Cultur. Die Inkastrasse. Am Amazonenstrome und zurück über die Anden. Caxamarca. Anblick der Sttd- see. Tmxillo, Lima, Guajaquil. Der Guano als Düngstoff.— Acapulco. Die Humboldt-Strömung. An das Institut Na- tional 377

XX Inhalt des ersten Bandes.

8. In Mexico und den Vereinigten Staaten. Heimkehr.

Seite

Von Acapulco zur Hauptstadt. Studien zur Kenntniss Neuspaniens. Der Vicekönig Iturrigaray. Bergwerke von Moran und Gua- naxuato. Der Jorullo. Von und an Willdenow. Erinne- rungen einer Mexicanerin. Popocatepetl und Iztaccihuatl. Pyramide von Cholula. Chalapa, Cofre, Orizaba. Zweiter Aufenthalt in der Havana. -- Nach den Vereinigten Staaten. Bei Jefferson in Washington. Zur Heimat. In Bordeaux. Humboldt ein „Revenant". Begrüssungen der Freunde. . . . 385

9. In der Heimat.

Neue Zustände, alte Freunde. Verbindung mit Pictet. Plan zur Herausgabe des Reisewerks. Englische üebersetzung. Arbeiten mit 6ay-Lussac und Biot. An berliner Freunde. Nach und in Italien. Nach Deutschland. In Berlin. Ehren und Arbeiten. Briefe an alte Freunde. Preussens Fall. Humboldt ein Vermittler. Trost im Studium der Natur 400

B. Reiselehen in Asien.

1. Aeltere Plane.

Russische Anträge 1811. Verhandlungen mit von Rcnnenkampff. Vorstudien. Das proussische Project 1818. Munificenz Friedrich Wilholm's III. Weitere asiatische Studien. .... 424

2. Reise ins asiatische Russland.

Antrag und Verhandlungen. Von Berlin bis St. -Petersburg. In St.-Petersburg und Moskau. Reiseroute. Länge des zuriick- gelegten Weges. Persönliches. Diamanten im Ural. Rückreise und Ehrenbezeigungen 435

Beilagen.

1. Humboldts Pässe zur Reise in Amerika 453

2. Ein Verhaftsbefehl gegen Alexander von Humboldt 4(50

3. Chronologie der Reise in die Aequinoctialgegenden des Neuen

Continents (5. Juni 1799 bis 3. August 1804) 4G4

4. Kosten der Reise in Amerika 46G

5. Karl Ritter über Humboldts Reisen in Amerika 4G9

0. Aim6 Bonpland 472

I.

^imntitr nn j^itmiroIM.

Seine

Jugend und ersten Mannesjahre.

Von

Julius Löwenberg.

„Mai« surtoat, mon digne ami, (ait«s one biographi« et noD un tioge; fo voulant m'lionorrr vous ai<* feriM da tort. Je n'ai M d^j4 que trop loni dans le pabUc« et c«la irrite toi^oan."

Alexcmdtr von Humboldt an M. Aug. Pietet. (,,Le Globe. Journal geogr.'S VII, 177.)

,«Wenn von Biographie die Rede iat, habe ich nun einmal den Begriff nur von historischer Wahrheit/*

Wilhelm ton Humboldt, (.«Briefe an eine Frenndin'S 16. Dee. 18S8.)

A. ▼. HcVBOLDT. I.

1. Vaterhaus.

BedeoUamkeit des Namens. Mythisches. Ahnen und Aeltern. ~

Tegel nnd Jugendjahre. Lehrer und Neigungen. Aufschwung der

geographischen Entdeckungen. Anstrengung und Kränklichkeit Vor

dem Abgange zur üniTersit&t. Berliner Zustände.

Xiin Doppelgestirn leuchtet unter dem Namen Humboldt am Himmel der Wissenschaft und der gesammten Entwickelungs- geschichte der Neuzeit Denn man kann nicht von Alexander ▼on Humboldt reden, ohne auch zugleich seines altem Bru- ders Wilhelm von Humboldt zu gedenken, des Staatsmannes Ton perikleischer Hoheit des Sinnes und des noch grossem Sprachforschers und Kritikers. So wird mit dem Namen Hum- boldt das Metall einer Glocke angeschlagen, die sich fort und fort in vollem Schwünge bewegt, und der blosse Klang dieses Namens erweckt Anschauungen des reichsten Inhalts, der höch- sten Bestrebungen, der fmchtbarsten Leistungen in allen Ge- bieten des Gedankens und der menschlichen Forschung.

Die zeitherigen Biographen der gefeierten Träger des Na- mens Humboldt lassen sie von einem alt adelichen Geschlechte in Hinterpommem , aus dem Hause Zamenz oder Zemmenz im Fürstenthum Camin abstammen, das hier im neustettiner Kreise Güter in alt erblichem Besitze gehabt habe. Berghaus lisst ihre Ahnen schon „in frühen Zeiten, in dem Kampfe der Deutschen gegen die slawischen Völker, mit dem Flammberg

1*

4 !• Jagend und erste Mannesjahre.

fechten" ^ Pott* erklärt den Namen Humboldt etymologisch als gleichbedeutend „wie ein sagenhafter, ins Riegenmässige ausgezogener Hunne", französische Biographen lassen den Vater Wilhelm's und Alexander's von Humboldt so reich ge- wesen sein, dass er dem König sein ganzes Vermögen geliehen und die Kosten des Siebenjährigen Kriegs wesentlich tragen half ^ und endlich war es auch üblich geworden, den Namen Humboldt mit dem Barons- oder Freiherrntitel zu prädiciren.

Ob man das dioskureische Brüderpaar Wilhelm und Alexander von Humboldt dadurch zu «ehren glaubte und sonderlich geehrt hat, bleibe dahingestellt. Man wird indess weder die historische Wahrheit noch die schuldige Pietät ver- letzen, wenn man solchen Mythen, solchen und ähnlichen prü- fungslos bis auf die Druckfehler aber- und abermals abgeschrie- benen Fabeln nicht ohne weiteres beipflichtet.

Der Name Humboldt ist unzweifelhaft ein deutscher, und verhält sich zu Humbert, Humfried ebenso wie Sieboldt zu Siebert, Siegbert, Siegfried, wie Reimboldt zu Reimbert und Reimfried. Auf die Verschiedenheit der Schreibart der einzel- nen Silben, Hum, Hom, Harn, der Endsilbe bold, boldt, holt, polt, pold, kommt es nicht an, da sie selbst in einem und demselben Schriftstück über eine und dieselbe Person in verschiedener Schreibart vorkommen.

Die älteste und Hauptquelle zusammenhängender genea- logischer Nachrichten über die Familie Humboldt ist Krotie's „Allgemeines teutsches Adelslexikon" vom Jahre 1774. Aus ihr schöpften alle bisherigen Biographen. Ihr Inhalt lautet im wesentlichen :

„Humbold, eine altadehche Familie aus dem Hause Zem- menz in Hinterpommem. Erdmann Ludwig von Humbold war churfürstlich brandenburgischer Rath. Sein Sohn Conrad war

* Landbuch der Mark Brandenburg, III, 149.

^ Die Personennamen, S. 91.

' Spener'sche Zeitung, Nr. 214, Beilage vom 14. Sept. 1869.

1. Yaterhaos. (Ahnen und Aeltern.) 5

brandenbargischer Legationsrath auf einer Gesandtschaftsreise zu Paris, nachher königlich preussischer Rath und Amtshaupt- mann der Starostei Draheim und Sabin, starb 1723. Sein Sohn Hans Paul fing seine Kriegsdienste unter dem adelichen Cadettencorps in Kolberg an; 1706 ward ihm vor Turin als Kapitän der Fuss zerschossen; hierauf pensionirt, heirathete er 1713 die Tochter des königlich preussischen Generaladjutanten von Schweder, und starb 1740 auf seinem Gute Zeblin." .... Von seinen fanf Kindern ist Alexander Georg der Vater unsers Brüderpaars.

Diese Nachrichten können wesentlich berichtigt und er- weitert werden, wenn auch die altern classischen Gewährs- männer für die Geschichte des pommerschen Landes und Adels, Gundling, Casper Abel, Brüggemann, über die Familie von Humboldt und ihren angeblichen Grundbesitz nur dürftige Data enthalten. Gundling^ führt zwar unter dem Adel im nenstettiner Kreise „die Herren von Humboldt zu Zemmenz" auf, aber ohne irgendwelche weitere Bemerkung. Ebenso Casper Abel.' Brüggemann' erwähnt unter den adelichen Familien Pommerns der Humboldt nur in Bezug auf Gundling, auf einige Wappenbücher, und als nicht mehr in Pommern ansässig. Aus seinem mühsamen Werke ist zwar (Th. H, S. 754) Zamenz oder Zemmenz als ein Nebengut, ein Vorwerk des Ritterguts Juchow im nenstettiner Kreise zu erkennen, er erwähnt aber hierbei nicht, dass dieses Gut, ein altes von Kleist'sches Lehen, jemals in von Humboldfschem Besitze gewesen, nennt vielmehr 1744 wieder zwei Brüder von Kleist als Besitzer. Auch Klempin and Kratz ^ nennen in dem Abschnitte „Personalbesitzstand'' Zamenz, Juchow, Zeblin als von Kleist'sches Allodium, ohne einen

I Pommerscher AUas oder geographische Beschreibong des Herzog- thnins Pommern and des dasigen Adels (Potsdam 1724).

* Preossische Reichsgeographie (1735).

» Beschreibung von Pommern (Stettin 1779), I, cvi.

Matrikeln nnd Verzeichnisse der pommerschen Ritterschaft, S. 402, aiX>, (ilt>.

6 L Jagend und erste Mannesjahre.

Humboldt dabei zu erwähnen. Valentin König, Gauche, Vanslow, Hörschelmann, Bagmihl nennen in ihren genealo- gischen, heraldischen, adelshistorischen Werken die Humboldt nicht. Von Zedlitz, von Hellbach, von Ledebur reproduciren in ihren Adelslexicis mehr oder weniger Krone's Angaben.

Aber bleibt auch hiernach der alterbliche Grundbesitz und das Alter des Adels der Familie von Humboldt ziemlich uner- wiesen, so finden sich doch ausführliche und zuverlässige Nach- richten von mehrern Trägern dieses Namens, die zu den tüch- tigsten und biedersten Männern ihrer Zeit gehörten.

Ob Heinrich Humboldt, 1442 Kossät in Grunow im anger- münder Kreise, schon zu den Ahnen unserer Humboldt zu zählen , ist nicht festgestellt. ^ Sicher aber gehört zu ihnen Johann Humbolt, der während der schwersten Zeiten des Dreissigjährigen Kriegs gelebt hat und als Bürgermeister in Königsberg in der Neumark* am 11. Febr. 1G38 im 63. Le- bensjahre gestorben ist. Von seinem Sohne Clemens erzählt zunächst Georg Christ. Gutknecht, Prediger zu Hermsdorf und Wulkow, in seiner ungedruckten Chronik von 1400 1750', Blatt 96 verso:

„Der Churf. Brandbrg. Amtmann auf Neuhoflf starb 1650, 2. Janr., Clemens Humpolt, und ward mit seiner Tochter, so etliche Tage nachher erblasset, auf einem Todtenwagen nach Vircho abgeführt und in der Kirche begraben. Auf sein Be- gehren und der Wittwe Anhalten ward die Gedächtnisspredigt über 2. Tun. 4, e, in Stettin gedruckt. Er wollte zwar studiren, war auch schon 1 Jahr in Frankfuit, allein wegen der schwie- rigen Kriegszeiten, da sein Vater, Consul in Königsberg in der Neumark, durch vielfaltige Einquartierung, unerträgliches Con-

^ M&rkische Forschungen von dem Verein fdr die Gescliichte der Mark Brandenburg, IX, 330.

' Kehrherger, Chronik der Stadt Königsberg in der Neumark, (3. Ausgabe 1725), S. 13, 47, 63.

* CataL cod. mss. ad bist bor. pertin., Nr. 65 der königlichen Biblio- thek in Berlin.

1. Yaterbans. (Ahnen und Aeltern.) 7

tribuiren, unzählige Durchzüge, plttndern und rauben dergestalt «erviret, dass er zur Continuirung seiner Studien ihm keine somptos necessarios suppeditiren können, hat er nolens volens den Studiis valedidren müssen. Unterdessen hat er sich beym Stadt Syndico in Crossen 2 Jahr als Manuensis lassen gebrauchen, bis er nach und nach zum Amtmann recomman- diret worden. War fromm und mildthätig, die Predigten hat er mit sonderlicher Devotion angehört, alle und jede in ein Reinbüchlein zum fleissigsten aufgezeichnet und nicht eher zu Hause gespeiset, bis solche wieder aufs reine bracht, wie denn nach seinem Tode 5 unterschiedliche Bücher sehr nett und sauber eingen&ht gefunden, darin er von 5 Jahren die dispo- sitiones mit sonderUchen Fleiss geschrieben. Wenn er irgendwo den Kirchendienern dienen können, so war es seine höchste Lust und Freude, hat 3 Kirchen ein rühmliches legiret und zum bau und wiederanschafFimg der geraubten Glocken verehrt, war glimpflich, dienstfertig und bescheiden, hatte ein teutsches, treues Herz, hat für die Unterthanen Tag und Nacht gereiset, geschleppt und mit Fleiss dahin gesehen, dass ihnen kein Un- recht geschehe, darumb die begränzten Nachbarn ihm oft nach Leib und Leben getrachtet und Er manche Nacht geflohen und seinen Tod causirt, alt 45 jähr.''

Auch ist der Grabstein in der Kirche zu Virchow, im Kreise Drammburg, noch vorhanden ^ in dessen Mitte die Inschrift:

„Clemens Humpolt Koenigsbergomarchicus Ano 1605 die IX Octobris natus Serenissimi Electoris Brandenburgici prae- fectora Neuhoff P. M. praefectus vigilantissimus, fidelissimus in hoc mundi pelago fragili carina varia fortuna et tem- pestate inter Sirenes et Balenas aliquamdiu navigans et Christo duce atque rectore in hunc tranquillum portum per- Teniens animum Deo corpusque terrae reddens et gloriosam camis resurrectionem exspectans huic mundo dicit vale Ano 1650 Die 2 Januarii.''

* Nach einer Mittheüang des dortigen Pastors.

8 h Jagend nnd erste Biaanestjalure.

Zu beiden Seiten dieser Inschrift steht noch der Text der erwähnten Gedächtnisspredigt aus 2. Tim. 4, s s in deutscher Sprache mit dem Bemerken: „Gehalten und erklärt von Ehrw. Christiane Grützmachem, Pastorial hier Ano 1650 die 30 Ja- nuarii." In dem Kirchenbuche, das erst nach dem Dreissig- jährigen Kriege mit dem Jahre 1G49 beginnt, ist Clemens Hum- poldt, Amtmann, zweimal, ferner HeiT Zacharias Humpoldt \ und 1650, 1651 Jungfrau Elisabeth Humpolt als Taufzeugen ver- zeichnet.

Derselbe Clemens Humpolt und namentlich seine Erben werden ferner in den Jahren 1049—72 wol an zwölfmal in den neumärkischen Lehnsbriefen erwähnt, deren Copiahen sich in dem königlichen Staatsarchiv zu Berlin befinden. So in dem Consens d. d. Küstrin 2. Juni 1049, als er von Alexander von Dietert das Gut Rohrbeck für 1980 flor. pom. auf 12 Jahre cum pacto de retrovendendo gekauft hatte. In den Consensen d. d. Küstrin 3. Juni und 14. Oct. 1051 werden dem Erben des Clemens Humpolt von Philip Borck 1333 Thlr. auf seine Güter und respectivc 300 Thlr. auf das Gut StöflFeln (Stöven) versichert. Ferner werden in dem Consens d. d. Küstrin 4. Mai 1653 demselben genannten Erben von der Witwe George's von Beneckendorf auf ihrer Kinder Lehngut Petzenigk 1000 flor. pom. „zu ihres Gatten Begräbniss und Abfindung ihrer in sie hart dringenden Creditores*' versichert. Abgesehen von noch andern Erwähnungen, sei nur noch die Notiz eines aftigirten Zettels in Königes handschriftlichen „Collect, geneal."^ angeführt: „Clemens Humpoltz Erben werden 10. August 1664 in des Boreken zu Falkenberg Güter immitirt."

Es ist zu bedauern, dass die Kinder und Erben dieses Cle- mens Humpolt nirgends namentlich erwähnt werden. Man ist dadurch gezwungen, die später vereinzelt vorkommenden Träger

^ Ist wol derselbe, der in SpieJcer's „Geschichte von Frankfurt a. 0.", S. 200, als ein im April 1637 in Frankfurt commandirender Lieutenant genannt wird.

' In der königlichen Bibliothek zu Berlin, Bd. 39.

1. Vaterhaus. (Ahnen und Aeltem.) 9

des Namens Humboldt bei dem Versuche zur Darstellung einer zusammenhängenden Genealogie hypothetisch zu rangiren.^ So kommen in den angeführten Copialien der neumärkischen Lehns« briefe zu wiederholten malen vor :

Conrad Humboldt,

Hans Paul Humboldt,

Gottfried Humpolt^

Hans Jürgen Humpolt',

Christian Humbold*,

EUsabeth Humboldt, verwitwete von Drosedo*. Endlich erwähnt Köni^ noch

Johann Georg von Humboldt •, ohne jede Angabe eines verwandtschaftlichen Zusammenhangs.

' Vgl. die BcUage im Anhange.

' Gottfried Humpolt wird zunächst erwähnt, als er am 5. Juli 1651 dem Adam und Jobst von Boreken hypothekarisch auf ihre Lehen und Güter 100 Thlr. „in höchsten nöthen undt Zwar zu ihrer Mutter sehl. Begräbnns undt ihrer Schwester Dorothea von Boreken Ausstattung geliehen und Torgesetzt'^ Nächstdcm wird er erwähnt als Arrendator zu Guths- Jorf in Pfandcoutractcn d. d. Schiefelbein 23. Febr. 1656 , 19. Mai 1660 und Küstrin 8. Febr. 1658 u. a. m., als Vergeber von Darlehen.

* Von Hans Jürgen Humpolt erwähnt König, „Collect, geneal.", dass er 27. Oct. 1«J82 die Dispensation erhalten, seiner verstorbenen Frau Schwestertochter Catharina Ventzken eheHchen zu dürfen. ^

* Christian Humbold war Arrendator des Stadthofs zu Arenswalde, er erstritt 170i gegen Bürgor und Rath daselbst und in specie gegen Andreas Vogt und Job. George Guhler, beide Bürgermeister daselbst, ein obsiegendes Erkenntniss wegen Beeinträchtigung der Pachtrechte.

' Elisabeth Humboldt, die im Anfange des 18. Jahrhunderts lebte, wird in einem Lehnsbriefe d. d. Küstrin 16. Jan. 1700, als Witwe Franz Heinrich von Drosedo*8 mit ihren Kindern in den Pfandbesitz der Güter des Adam tod Güntersberg gesetzt.

* Johann Georg von Humboldt war nach Königes „Collect geneal.*^ der Sohn eines von Humboldt, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts gleichzeitig mit einem Fürsten Sappieha in Frankfurt a. 0. studirt hatte. Seine Verbindung mit einer Pastorstochter in Küstrin entzweite ihn mit der Familie und nöthigte ihn, als Architekt mit dem Fürsten, der ihm das Gut Lepon bei Grodno schenkte, nach Litauen zu gehen. £r verlicss aber die neue Heimat und starb 1758 zu Krakau. Johann Georg von Humboldt, geboren in Lepon 2. Juni 1752, war 1607 Migor beim Mineurcorps und

10 I. Jugend und erste Maonesjabre.

Nur von Conrad Humboldt ist es zweifellos, dass er ein Sohn des Clemens gewesen. Ein Zettel in Königes hand- Bchriftlichen „Collect, geneal.", Bd. 39, enthält die Notiz: „Cyriacus Günther von Rehebergk, Hauptmann zu Neuhoflf, empfiehlt seinen Stiefsohn Hombold, der^in fremde Länder gereist und Universitäten besucht, auch mit dem Legations- rath Schultetz(?) zweimal nach Moscau gereist ist, auf Ein- rathen des Ob. Präsidenten v. Schweder 1676 zur Quali- fication in Frankreich gewesen und sich mit des Churf. dies- seitigen Residenten Beeorks(?) Tochter eheUch eingelassen zu einer Bedienung, in welcher schon sein Vater gestan- den." — Eine zweite Notiz lautet: „1682, 11. März Bestellung des Conrad v. Humbolt zum Rath", dabei die Bemerkung: „die Concepte dieser Bestellung sind wohl zu betrachten, da es sichtbar ist, dass das Prädicat «v.o neuerdings hinzugefügt worden." Er selbst unterzeichnete in amtlichen Schriftstücken einfach Conrad Humboldt. Ueber seine Amtstüchtigkeit geben die Hofkammer -Acten im königlichen Ministerialarchiv, die Sta- rostei Draheim betreffend, ausführliche Auskunft. Er trat als ein energischer Mann mit unbeugsamer Strenge und Ausdauer der willkürlichen Anmassung der Nachbarn, namentlich der Man- teuflfel, entgegen. Er ist derselbe Conrad Humboldt, der in dem Lehnsbriefe d. d. Cüstrin 18. Oct. 1689 auch Hof- und Legations- rath genannt, und als Vormund der Brüder Philipp und Georg Mathias von Boreken erwähnt wird.*

Yicecommandant in Schweidnitz, und starb in Schurgast 16. Oct 1836, 85 Jahre alt. Sein Wappen ist das Humboldt^sche FamiUenwappen, seine Devise „Dens fortitudo mea^^ Näheres in: Alexander von Humboldt^ Ueber unterirdische Gasarten, S. 248, 370; von Colin, Vertraute Briefe über den preussischen Hof, Th. II, Brief 12, 13 ; Schmidt, Geschichte der Stadt Schweidnitz, II, 341. Alexander von Humboldt war daher im Irr- thum, sich und den Bruder Wilhelm als „lange die letzten ihres Namens" „il n*y a que mon fr^re et moi qui portons le nom de Humboldt*' zu bezeichnen. (Briefe von Alexander von Humboldt an Yamhagen, S. 113; Lettres d' Alexandre de Humboldt k M. Aug. Pictet, S. 181.) Eine Tochter Johann Georg von Humboldt's lebt noch in Berlin. ^ Vgl. die Beilage im Anhange.

1. YaterluMiB. (Ahnen und AeHern.) 11

^ Von Hans Paul Humboldt bemerkt König ausdrücklich, er sei ,,filius unicus" von dem draheimer Amtmann Conrad ge- wesen, und ergänzt die Nachrichten Krone's dadurch, dass er 1703 als Fähndrich zum Heiden'- und bald darauf zum Ganitze'- schen Regiment gekommen, und endlich als Kapitän, mit 8 Thlr. Pension monatlich, in der Gegend von Köslin gelebt habe. Von ihm hat sich auch noch das Immediatgesuch um die Renovirung, richtiger wol die Verleihung des Adels erhalten.^ Es lautet bachstäblich :

„AUerdurchlauchtigster, Grossmächtigster König, Allergnädigster Herr!

Nach geschehener Eingabe umb die confirmation des Adels zu erhalten, habe ich mich nach Stolp zum Platenschen Regiments- feldscherer begeben müssen, welcher nach einer 4 Wochen Bett- lagerung mir 1 paar Knochen, wie ein 16 ggr. Stück Gross aus der blessur geschnitten, so dass nunmehro im Stande bin nicht ?inen Fuss aufzusetzen. Alss ich aber dennach wegen meiner sieben Kinder die Sache gern zu Ende bringen wollte. So wünsche Ew. Königl. Majestät Allerhöchste Person ich allergehorsambst und allerunterthänigst , meinem vorigen gethanen petito AUer- gnädigst Gehör zu geben, den Adel aufs Neue zu ertheilen, auch das dabey gefügte Wappen zu conferiren. Ich getröste mich .Vllergnädigster Erhönmg und verbleibe bis an den letzten Bluts Tropffen in tiefster Submission

Ew. Königl. Majestät

Allerunterthänigster Stolpen 16. Mai 1738. Hans Paul Humboldt"

Hiemach scheint die anerkannte Adelsprädicirung nicht über das Jahr 1738 hinauszugehen, und wo sie früher vereinzelt vorkommt, nur conventionell gewesen zu sein wegen der hohen Stellung, die der Prädicirte einnahm. So war es auch noch

1 Im königlichen geheimen Staatsarchiv zu Berlin.

12 I* Jagend und erste Mannesjahre.

1830 zweifelhaft, ob Wilhelm und Alexander von Humboldt der Barons- oder Freiherrntitel gebühre.* Alexander von Humboldt selbst liebte weder Adels- noch Titelprädicirung ; der Unterschrift in seinen Briefen, namentlich in freundschaftlichen und wissen- schaftlichen, fehlte sie in der Regel. Nur widerwillig duldete er in der Dedication von Berghaus" Küstenkarte von Peru die „Excellenz", dagegen musste alle Titulatur der „Ordenshiero- glyphen", wie er seinen Brustschmuck nannte, ebenso der „Wirkliche Geh. Rath" unbedingt wegfallen.* Als er Pictet in Genf 1805 „Confessions" zu einer biographischen Skizze gab, die der englischen Uebersetzung seines amerikanischen Reisewerks vorgedruckt werden sollte, schrieb er ihm : „En par- lant de moi, j'aimerais Ic plus que vous dissiez simplement M. Humboldt, au plus M. Alexandre Humboldt. C'est plus anglais, car le de souvent repetö sonne bien mal ä l'oreille. Pour couserver les titres de uotre famille (car vous voyez que je traite votrc piece diploniatiquement) mettez une seul fois Frederic Alexandre baron de Humboldt, mais une fois seu- lement; car cela tient ä des principes que vous ne partagez pas enti^rcment (mais que mon frere et moi soutenons maJgre les changements des temps) que nous n'usons du titre que dans les cas les plus extraordinaires ; par consöquent jamais ä la tete d'un livre."'*

Von den Kindern Hans Paul Humboldt' s starben mehrere schon im Kindesalter, ihn überlebten nur vier Söhne und eine Tochter.*

^ Vgl. die Beilage im Anhange.

' Briefwechsel A. von Humboldt's mit Heinrich Berghaus, ü, 163. 285.

3 Lettres d'A. de Humboldt ä Mr. A. Pictet, S. 189.

* Ludwig Erdmann von Humboldt war Premierlieutenant im Husaren- regiment von Seydlitz und starb 1750. Paul Heinrich von Humboldt, geboren 16. Juni 1719, kam 1734 zu den Cadetten, ward 1735 Freicorporal bei M. Albrecht, 1741, bei Mollwitz am Fusse blessirt, Fähndrich, 1742 gefangen, 1743 Seconde-, 1751 Premierlieutenant, 1757 Stabskapitän, und erhielt 1761 den Abschied mit Majorsrang. Friedrich Wilhelm von Humboldt starb 1743 in Böhmen als Lieutenant im Regiment Fürst

1. Vaterhaus. (Ahnen nnd Aeltem.) 13

Einer seiner Söhne, Alexander Georg von Humboldt, ge- boren 1720 zu Zamenz in Pommern, ist der Vater unsers Brüderpaares Wilhelm und Alexander. Von ihm berichtet der Geograph Büsching^:

„Als er eine sehr gute Erziehung im väterlichen Hause genossen hatte, ging er 1736 in preussische Kriegsdienste, unter des Generallieutenaut von Platen Dragonerregiment. Ob er sich nun gleich in drei Kriegen zu seiner Ehre hervorthat, so hatte er doch keine hinlängliche Gelegenheit, seine Talente zu zeigen und dadurch emporzusteigen; daher verliess er diese Dienste 1762 als Major. Der König ernannte ihn 1764 zum Kammer- herm und setzte ihn an den Hof des Prinzen von Preussen. 1766 reizten ihn die vorzüglichen Eigenschaften der Frau Maria Elisabeth von Colomb, verwitweten Freifrau von Holl- wede, sich mit derselben zu vermählen; aus welcher Ehe zwei Söhne vorhanden sind. Schon 1769 legte er die Stelle am kronprinzlichen Hofe nieder, und lebte von dieser Zeit zwar ohne Amt, aber nicht ohne nützUche Thätigkeit. Seiue Güter in der Neumark hatte er verpachtet, aus seinem Wohnsitze Tegel suchte er aber zu machen, was durch Kunst daraus wer- den konnte, und der Augenschein lehrt, dass er ein Mann von Verstand und Geschmack gewesen ist. Für einen solchen haben ihn auch Hohe und Niedere im Umgange erkannt und deswegen hochgeachtet. Er war auch ein grosser Menschenfreund, leut- selig und wohlthätig. Sein Tod, welcher am 6. Jan. 1779 im 59. Jahre seines Alters erfolgte, ward daher von jedermann bedauert'' Die „Vossische Zeitung *' vom 9. Jan. klagt: ,^'icht nur die Edelsten des Staats, auch die Menschheit hat in ihm einen Freund und das Vaterland einen Patrioten verloren."

in Uebereinstimmung mit diesen preiswürdigen Eigenschaften ist auch das ehrenvolle Vertrauen, in welchem der Major von

Moritz. Dorothea Henriette von Humboldt .vermählte sich 1751 mit dem köidgl. preusaischen Major Bogislaw Gabriel von Schweder.

> Beschreibung seiner Heise von Berlin nach Kyritz (Leipzig 1780), S. 28.

14 !• Jugend und erste Muineqahre.

Humboldt bei dem Grossen Könige stand, mit dem er als Ad- jutant des Herzogs von Braunschweig in den schlimmsten Zeiten des Siebenjährigen Kriegs häufig persönlich communicirte. In einem Briefe über den Unfall Wedel's schreibt der König: „Ich habe an Humboldt alles gesagt, was man aus solcher Feme nur sagen kann.^^

Selbst seine Entfernung vom prinzlichen Hofe in Potsdam nach der ehelichen Katastrophe des königlichen Nachfolgers hat das ehrenvolle Vertrauen nicht geschmälert In einem Briefe des englischen Botschafters vom Jahre 1776 wird der Major von Humboldt als „ein Mann von einfachem Verstand und schö- nem Charakter" und als einer der ersten unter denjenigen be- zeichnet, die hofifen durften, unter der einstigen Regierung Friedrich Wilhelm's IL Minister zu werden. *

Auch zu den andern prinzlichen Höfen, namentlich zu dem des Prinzen Ferdinand, stand der Major in mancherlei Be- ziehung, in deren Folge er und noch seine Erben an der später sehr einträglich gewordenen General -Lotteriepacht und an der Blättermagazin -Entreprise (d. i. an der Pacht der Tabacks- regie) interessirten , die seit dem 1. Nov. 1766 von den Ministern Grafen Reuss und Eickstädt und dem Kammerherm Baron von Geuder übernommen worden war.

Der Major von Humboldt gründete, wie erwähnt, 1766 seinen Hausstand durch Vermählung mit der Witwe des kurz vorher ver- storbenen Hauptmanns Ernst von HoUwede, Tochter des Directors der ostfriesischen Kammer Johann Heinrich von Colomb, Cou- sine der spätem Fürstin von Blücher. Sie ist die eigentliche Begründerin des bedeutenden Grundbesitzes der Familie. Das Haus Jägerstrasse Nr. 22, die Geburtsstätte Alexander's, er- erbte sie 1764 von ihrer Mutter, das Gut Ringenwalde erbte sie von ihrem ersten Gatten, dem Hauptmann von HoU- wede, — das Schlösschen Tegel hatte schon von Hollwede in

* Briefe von Alexander von Humboldt an Vamhagen, S. 113. Briefe von Chaniisso, Gneisenau, Haugwitz, W. v. Humboldt u. a., I, 5.

1. YateriuHit. (Almen nnd Aeltem.) 15

Erbpacht, and es kam erst durch sie an den Major von Hum- boldt, — das Gut Falkenberg endlich kaufte sie 1791 von dem Oberstlieutenant von Lochow.

Ans der Ehe des Majors von Humboldt mit der verwitweten fOD HoUwede entsprossen eine Tochter, die schon früh starb, und die beiden Söhne:

Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand, geboren in Potsdam, 22. Juni 1767,

Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander, geboren in Ber- lin, 14. Sept 1769, in dem Hause Jägerstrasse Nr. 22.

In dem Geburtsjahre Alexander's wurden auch Napoleon, Corier, Chateaubriand, Canning, Wellington, Walter Scott ge- boren. ^ In der Stunde seiner Geburt culminirte Preussens grosster König in der Laufbahn seiner lorberreichen Siege, Lessing erleuchtete schon den Horizont des deutschen Geistes- lebens, Kant regelte die Denkgesetze der reinen Vernunft, und in dem zwanzigjährigen Goethe brauste schon der Sturm und Drang unserer classischen Literaturperiode. Das waren die leuch- tenden Sterne seines Horoskops.

Bei seiner am 19. Oct. 1769 von dem Hofprediger Sack ToUzogenen Taufe werden als Pathen genannt^:

Der Prinz von Preussen, nachmaliger König Friedrich

Wilhehn IL, der Prinz Heinrich von Preussen, der Erbprinz von Braunschweig, der Herzog Ferdinand von Brauuschweig, der Minister Graf von Finkenstein, der Minister Graf von Reuss,

' AUe diese grossen Kamen gingen in dem s&cularen Geburtsjahre tut lautlos Torfiber, w&hrend der Name Alexander von Humboldt gefeiert wurde, so weit die Sonne des hondertjährigen Tages seiner Geburt die Erdenwelt beleuchtete. Selbst wo man sich des grossen Imperators erin- nerte, erschien er nur als ein fltichtiges Meteor gegenüber der Sonne, die fort and fort leuchtet am Himmel der Wissenschaft und neuem Cultur.

' Taufbuch der berliner Domgemeindc, YH, 252.

16 I* Jagend und erste Mannesjahre.

der Generallieutenant und Minister von Wedeil, der Generallieutenant und Gouverneur von Bamin, die Gräfin von Wartensleben, die Ministerin von Massow, die Gräfin von Eickstädt, die Ministerin von Fürst, die Ministerin von Horst und der Minister von Dorville.

So war Alexander von Humboldt einer von den seltenen Erdensölmen, welchen, nacli des Dichters Worten:

.... die Götter, die gnädigen, vor der Geburt schon Liebteil, welchen als Kind Venus im Arme gewiegt, Welchem Phoebus die Augen, die Lippen Hermes gelöset Und das Siegel der Macht Zeus auf die Stime gedrückt

Geboren mit dem Vorzuge hohem Standes ist er ein Frei- herr im freiesten und edelsten Sinne des Worts, geadelt mehr noch durch Herz und Geist als durch die Geschlechtsregister seiner Ahnen.

Eine bemerkeuswerthe Laune des Zufalls ist es, dass die Mutter des „wissenschaftlichen Entdeckers von Amerika^', des Colomb des lü. Jahrhunderts, mit dem geographischen Entdecker des 15. Jahrhunderts den gleichen Namen führte. Sie stammte aus einer altadelicheu Familie von Colomb, die nach dem Wider- rufe des Edicts von Nantes aus Burgund nach der Mark ge- konnnen war. ^ Aber mehr noch als der Klang ihres hoch- berühmten Namens kamen ihre anderweitigen Vorzüge den Söhnen zugute. Denn abgesehen von ihrem administrativen Talente, „besass sie den Grad von Bildung, den ihre Zeit von den Frauen ihres Standes forderte, viel Welterfahrung, ein an- sehnliches Vermögen; beschränkte zuletzt alle ihre Wünsche und Bestrebungen darauf, ihren Sohn erster Ehe, der ihr oft

^ A, van HuwhoJdt, Kritische ÜJtersuchungen über die historische V*-*.' lung der geographischen und nautischen Kenntnisse im 14. und 15. Jahrhundort, deutsch von Idelcr, II, 277, Anni.

1. Yftterhatis. (Ahnen und Aeltem.) 17

Kummer verursachte, zu einem würdigen Leben zurückkehren, die beiden andern aber zu jeder geistigen und sittlichen Voll- kommenheit, welche für Menschen erreichbar ist, sich erheben zu sehen/^^ Ihr blieb daher auch nach dem frühen Tode des Gatten die Erziehung der Söhne vertrauensvoll überlassen, und die Verpflichtung hierzu wurde auf ihre Güter und Grundstücke hypothekarisch eingetragen. Es ist hierbei bemerkenswerth, dass diese Eintragung erst im Jahre 184ö auf einem dieser Grund- stücke von Amts wegen gelöscht wurde, weil, wie es in der ge- richtlichen Verfügung heisst, diese Verpflichtung „notorisch" längst erledigt sei. In der That ist wol nie eine Notorität so notorisch gewesen als bei diesem Privatacte.

Es mag für den biographischen Schriftsteller einen beson- dem Reiz haben, die Fäden nachzuweisen, welche den Menschen mit seinen frühesten Eindrücken verbinden; nachzuweisen, dass unt^ allen Einflüssen, welche seinen Charakter bestimmen, die der mütterlichen Natur die unmittelbarsten und wesent- Uchsten seien. Die Mutter der beiden Humboldt zählt aber wol nicht unter die Zahl derjenigen Frauen, aus deren eigenstem Wesen die Eigenthümlichkeit und die Grösse ihrer Söhne heraus- wuchs. Anfangs war es ihr Wunsch und ihr Vorsatz, die Söhne bald in die grosse Welt einzuführen, wo die einflussreichen Ver- bindungen mit dem Hofe ihnen glänzende Carrieren verhiessen, doch gern folgte sie Kunth's besserer Ueberzeugung ; und es ist ihr nachzurühmen, dass sie in der Wahl der Lehrer für ihre Sohne einen vorurtheilsfreien , edeln Sinn bewies, ob wol sie einem Stande angehörte, in dem damals bei der Erziehung der Sohne die Tanz-, Fecht- und Stallmeister die Hauptaufgaben m lösen hatten. Sie bewilligte gern den beträchtlichsten Geld- iofwand, um die besten Lehrer zu beschaffen und um mit den geist- und kenntnissreichsten Männern jener Zeit beständigen Umgang zu unterhalten.

* Kunth^B handschriftliche Autobiographie.

18 !• Jagend und erste Mannesjahre.

An keine der Besitzungen des Majors von Humboldt kniLpfen sich so zahlreiche Jugenderinnerungen, keine uraschliesst so viele Lebensphasen Wilhelm's und Alexander's von Humboldt, als das kleine Schlösschen Tegel.

Etwa zwei Stunden von Berlin, durch einen Kiefernwald von der Hauptstadt getrennt, liegt Dorf und Schloss Tegel an der Havel. Der Fluss breitet sich hier zu einem weiten, schönen See aus, mit mehrern Inseln und reichbewaldetem Ufer. An den hohen Hügeldämmen der einen Uferseite liegt das Schloss, während man südwärts von hier Stadt und Festung Spandaa erbhckt. Ursprünglich war das Schloss ein Jagdschlösschen des Grossen Kurfürsten und gehörte später zu dem Amte Schön- hausen.

Wie die tegeler Forst später unter dem Oberforstmeister von Burgsdorf die reichste Baumschule für exotische Holzarten wurde \ die 1786 über 500 verschiedene, meist nordamerikanische Baumarteu zählte, welche dann für die Verschönerung der kö- niglichen Gärten von Potsdam, Charlottenburg, Schönhausen verwendet wurden, so war auch an den geringen jährlichen Pachtzins von kaum 138 Thlr. für das Schlösschen und das zugehörige Land die Verpflichtung zum Seidenbau und zur Pflanzung von 100000 Maulbeerbäumen geknüpft. Seit 1738 machten die verschiedenen Pächter, Thielow, Moering, Imbert» Struwe, von Hollwede, erfolglose Versuche. Auch der Major von Humboldt verwandte schon indem ersten Jahre, 1766, etwa 1200 Thlr. an Maulbeerbäume und hat überhaupt zur Ver- besserung des Vorwerks mehr gethan als alle seine Vorgänger. Gleichwol wollten weder die Maulbeerbäume noch der Seiden- bau gedeihen, und man stand endlich 1770 von diesen Unter- nehmungen ganz ab. Dem Major von Humboldt wird besonders nachgerühmt, dass er das Schlösschen Tegel zu einem sehr an- genehmen Orte gemacht hat; „er legte schöne Spazierörter an,

* Lemhardi , Beschreibimg der preussischen Monarchie, III, 1, S. 746.

1. YaterhaoB. (Tegel.) 19

nicht nur im engländischen Geschmack, sondern auch im Wil- den, mehrerentheils aber in amerikanischen Bäumen ^^^

Das Humboldt'sche Haus war, wie in der Stadt, so auch in Tegel eine Stätte hohen gastlichen Verkehrs. Nicht selten hat selbst der königliche Thronfolger dem Major von Humboldt in Tegel die Ehre seines Besuchs erwiesen.

Auch Goethe war im Mai 1778 bei seiner einmaligen An- wesenheit in Berlin als Gast in Tegel eingekehrt Sein guter Genius führte den Dichter aus seinem Misbehagen in dem märkischen Athen zu Fuss über Schönhausen und Tegel nach Potsdam. Im tegelschen Schlosse hielt er Mittagsrast, als wäre er angezogen von dem geistigen Zauber der Stätte, auf der Wilhelm und Alexander, damals noch elf- und neunjährige Knaben einer ihm verwandten Generation, zu seinen Füssen spielten. Er verherrlichte bekanntlich den Ort im ersten Theil des ^^aust" durch die vielgedeuteten Verse des Proktophan- tasmisten Nikolai:

Verschwindet doch; wir haben ja aufgeklärt! Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel; Wir sind so klug, und dennoch spukt^s in Tegel!

Kur war der angebliche Spuk nicht in Schloss Tegel, sondern im Försterhause von Dorf Tegel von einem muthwilligen Jäger- barschen ins Werk gesetzt worden.

Was Tegel später geworden, als Wilhelm von Humboldt es za seinem Tusculum umgewandelt und mit Schätzen alter und neuer Kunst ausgeschmückt, gehört nicht hierher; aber er knüpfte gern auch seine frühesten Erinnerungen daran*: „Hier brachte ich meine Kindheit und einen Theil meiner Jugend zu ... . der Ort ist vorzüglich geschaffen, alle Reize zu zeigen, ' wdche grosse, schöne und mannichfaltige Bäume durch alle Wechsel der Jahreszeiten hindurch gewähren."

Als Alexander von Humboldt von Freiberg nach Berlin zu-

* Büsching, a. a. 0.

' Briefe an eine Freundin, S. 123, 156.

2

20 I- Jügptd nad ente Maime^ialire.

rückgekehrt war, beschrieb er ' dem Freande Freiesleben in sehr wehmüthiger StimmoDg den lieblicheD Ort. „Ilagel mit Wein- reben, die wir hier Berge nennen, grosse Pflanzungen von aus- ländischen Hölzern, Wiesen, die das Schloss nmgeben, and überraschende Aussichten auf die malerischen Ufer des Sees machen diesen Ort allerdings zu dem reizendsten Aufenthalte der hiesigen Gegend. Nehmen Sie dazu einen hohen Grad der Gemächlichkeit und des Wohllebens, der in unserm Hause herrscht, so werden Sie sich doppelt wundem, wenn ich Ihnen sage, dass ebendieser Ort, so oft ich ihn besuche, wehmüthige Empfindungen in mir erregt. Sie erinnern sich unserer Ge- spräche, als wir vom Milischauer nach Töplitz zurückkehrten, als Sie so viel Antheil an der Schilderung meiner Jugendjahre nahmen. Hier in Tegel habe ich den grossem Theil dieses traurigen Lebens zugebracht, unter Leuten, die mich liebten, mir wohlwollten, und mit denen ich mir doch in keiner Empfin- dung begegnete, in tausendfältigem Zwange, in entbehrender Einsamkeit, in Verhältnissen, wo ich zu steter Verstellung, Auf- opferungen u. s. w. gezwungen wurde. Wenn ich mich noch jetzt, da ich frei und ungestört hier lebe, hingeben will in den Genuss, den die reizende, anmuthsvolle Natur hier in so reichem Masse gewährt, so werde ich zurückgerufen durch die widrigsten Eindrücke, durch Erinnerungen au meine Kinderjahre, die selbst jeder leblose Gegenstand hier rege macht. So wehmüthig solche Erinnerungen aber auch sind, so interessant werden sie einem zugleich auch durch den Gedanken, dass gerade dieser Aufenthalt so viel zu der jetzigen Stimmung meines Charakters, zu der Richtung meines Geistes auf das Studium der Natur u. s. w. beitrug. Doch genug hiervon. Ich ermüde Sie durch Be- trachtungen über mich selbst."

Solche Klagen wiederholte Alexander, wenn er sich in trü- ber Gemüthsstinimung befand, mehrmals, und auch Wilhelm hat sie ausgesprochen. Sie beziehen sich wol besonders auf die

> Brief d. d. 5. Juni 1792.

1. Yaterhans. (Lehrer.) 21

Kränklichkeit der Mutter, die oft Abgeschlossenheit und Ein- samkeit in Tegel nöthig machte. Sie durften nicht verschwiegen werden; aber diese eine Stelle genüge, um darauf hinzuweisen, dass der seltenen Gunst des Schicksals auch manches Misver- hältniss zur Seite ging, welches indess von den edeln Naturen der Jünglinge schon früh erkannt und gemieden wurde.

Die Kinder- und ersten Jugendjahre verlebte Alexander von Humboldt in nie getrennter Gemeinschaft mit dem altem Bruder Wilhelm. Sie verflossen äusserlich so angenehm, wie es die Standes- und überaus günstigen Yermögensverhältnisse der Aeltem bedingten. Im Winter lebten sie im eigenen Hause in Berlin, und im Sommer abwechselnd in Ringenwaldc und grösstentheils in dem nahen Tegel. Hier finden wir auch den Jugendschriftsteller C a m p e als Lehrer im Humboldt'schen Hause, ehe er sich dem dessauischen Erziehungsinstitute unter Base- dow widmete.

Wilhelm von Humboldt schreibt hierüber aus Tegel im Dec. 1822 der Freundin Charlotte: „Campe war Hauslehrer im Hause meines Vaters, und es gibt noch eine Reihe grosser Bäume hier, die er gepflanzt hat. Ich habe bei ihm Lesen und Schreiben gelernt, und etwas Geschichte und Geographie nach damaliger Art, die Hauptstädte, die sogenannten sieben Wunder- werke der Welt u. s. w. Er hatte schon damals eine sehr glückliche, natürliche Gabe, den Kinderverstand lebendig anzu- regen." Ferner: „Mit Campe bin ich nicht im Irrthum. Er war wirklich Hauslehrer oder, wie man damals sagte, Hofmeister bei einem altern Stiefbruder (Hollwede), den ich hatte, einem Sohne meiner Mutter aus erster Ehe. Er hat mich aber (in meinem dritten Jahre) lesen und schreiben gelehrt. Er muss unser Haus etwa 1770 oder 1771 verlassen haben. Wie er von uns wegging, wurde er erst Prediger, verliess aber seine Stelle bald und trat mit Basedow im dessauischen Philanthropin zu- sammen. Seine Rei:5e nach Paris aber, auf der ich ihn beglei- tete. war im Jahre 17H9."

Alexander von Humboldt war demnach zur Zeit der Anwesen-

22 L Jagend und erste ManneB^ahre,

heit Campe's im Humboldt'schen Hause noch in den ersten Einderjahren. Es ist daher mehr als zweifelhaft, dass Campe auch sein Lehrer gewesen, und vollends, dass derselbe, wie so oft behauptet wurde, einen „nachhaltigen Einfluss',^ auf beide Brüder gehabt und „namentlich in Alexander den Grund zu dessen mächtigem Triebe zu Entdeckungsreisen in überseeische Länder gelegt habe".

Wahrlich, Alexander von Humboldt wäre der grösste Reisende geworden, wenn er auch Campe's „Robinson", dessen erste Aus- gabe 1780 erschienen war, nicht gelesen hätte.

Es mag immerhin auffallend erscheinen, die Geistesrich- tungen Campe's, der nächst Klopstock einer der ersten in Deutschland war, die sich mit Sprachwissenschaft, wenn auch zunächst nur mit der deutschen Sprache, beschäftigten, der die Gestalten kühner Reisenden und Weltums%ler der Kinderwelt vorführte, in Wilhelm und Alexander von Humboldt wiederzufinden. Es mag immerhin bemerkenswerth sein, dass Campe auf der erwähnten pariser Reise 1789 sich noch als hofmeisterlicher Mentor des altem Humboldt geberdet. Es ist aber ebenso gewiss, dass die verwandten Geistesrichtungen der beiden Hum- boldt in der grossartigsten, eigenthümlichsten ürsprünglichkeit vorhanden waren und sich schon früh selbständig entwickelten. Wie Campe's pädagogisches Talent damals, als man es liebte die vornehme Jugend nach Rousseau'scher Methode zu emili- siren, viel zu sehr überschätzt wurde, so überschätzte*man auch seinen Einfluss auf die beiden Humboldt über alle Massen. Alexander, der gern und dankbar seine Lehrer nennt, hat Campe nie als solchen genannt; er scherzte sogar über ihn.^

* „Campe hat ein Project, nach Amerika zu reisen", schreibt Hum- boldt an Sömmering (d. d. Hamburg 28. Januar 1791), „ob er es ausführt, ist noch ungewiss. Denken Sie Sich aber, Lieber, die Veranlassung, die er angibt; nicht etwa um die verständige Jugend mit einem Transport seiner Kinderbibliotheken, Robinsonaden u. s. w. zu beglücken, nicht um den Wilden seinen neuen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele zu predigen, nicht um das Tanzen in Philadelphia nach den Regeln der

1. YAterbaa& (Lehrer.) 23

Und bedarf es noch mehr, um nachzuweisen, dass Campe kein sonderliches Verdienst um die geistige Entwickelung der beiden Humboldt beizumessen sei, so höre man den Ausruf Georg Forster's * nach dem Besuche WilheUn von Humboldt's und Cam- pe s auf der Heimreise von Paris 1789: „Liebster Himmel, muss man nicht erstaunen, dass es in Deutschland noch Menschen gibt, wenn solche Männer wie Campe die Erzieher sindl"

Der erste, bisher noch nie genannte Lehrer Alexander von Humboldts war Johann Heinrich Siegismund Eoblanck, der als erster Prediger an der Louisenkirche in Berlin starb. Sein von seinem Enkel Geh. Sanitätsrath Dr. Koblauck noch auf- bewahrtes schriftliches curriculum vitae enthält die Notiz: ^Kaum hatte Koblanck 1773 die Universität Halle verlassen, als er einen Monat nachher im Hause des königlichen Majors and Kammerherrn von Humboldt in die Stelle des grossen Pä- dagogen Campe trat, um als Hauslehrer und Erzieher einen jungen Baron von HoUwede und die beiden Söhne des Herrn von Humboldt, Wilhelm und Alexander, zu bilden, die sich durch ihre Gelehrsamkeit und ihre Reisen der Welt rühmlichst be- kannt gemacht haben. Im Jahre 1775 wurde er zum Feld- prediger des königl. Infanterieregiments von Arnim berufen und am 20. Oct. d. J. in Potsdam ordinirt.^^ Koblanck hatte, wie die Familien tradition hinzufügt, Alexander von Humboldt lesen und schreiben gelehrt.

Der zweite, bisher ebenfalls noch nie genannte Lehrer Alexander's war Johann Clüsener, später Geh. Cabinetssecretär der Prinzessin Ferdinand und sonnenburgischer Ordens - Regie-

Keuschheit zu reguliren, nein, um die Verfassung des nordamerika- nischen Freistaats in der Nähe zu studiren, sie nach einem Jahre (denn 10 lange soll ihn Europa entbehren) der Alten Welt laut zu verkündigen, und BD Freiheit und Wahrheit über die Menschheit zu verbreiten. Ist je eine drolligere Idee in eines Menschen Kopf gekommen! Ich erwarte tiglich den Brief, worin Campe mir das Mitreisen anbietet.**

» Gtorg Försters Sämmtliche Schriften, VIII, 89. Vgl. auch Ä' roM Haumcr^ üeschichte der Pädagogik, II, 30^< j Schlosser, Ge- Khichte des lü. Jahrhunderte, III, 2; S. 1G3.

24 I* Jugend und erste Maimeijahre.

rungsrath, der noch 1828 in Berlin lebte. An ihn existirt noch ein eigenhändiger Brief des Kammerhcrm von Humboldt, d. d. Ringenwalde 25. Nov. 1776, unter der Adresse: „A Mon- sieur, Monsieur Clüsener, Gouverneur de Messieurs de Hum- boldt ä Schloss Tegel*'; und Kunth nennt ihn in seiner hand- schriftlichen Autobiographic ausdrücklich seinen Vorgänger im Humboldt'schen Hause.

Ein in der Pädagogik wenig berühmter Name, aber ein vortrefflicher und um die Erziehung und Bildung der beiden Humboldt dauernd verdienter Mann war der spätere Wirkliche Geh. Ober-Regierungsrath Kunth, der als zwanzigjähriger Jüng- ling im Jahre 1777 als Erzieher in das Humboldt'sche Haus kam. Wilhelm war damals 10, Alexander 8 Jahre alt.

Kunth, der Sohn des protestantischen Geistlichen in Baruth, besass schon früh treffliche Kenntnisse im Lateinischen, Fran- zösischen und Italienischen und eine äussere Bildung, die vol- lends seitdem der anstellige Knabe zu den musikahschen und dramatischen Unterhaltungen der gräflichen Schlossherrschaft; zugezogen wurde an Sicherheit und Gewandtheit im Verkehr der höhern Gesellschaftskreise ausserordentlich gewann. Da er auch auf der Universität sich mehr mit neuem Sprachen und schöner Literatur als mit dem theologischen Fachstudium be- schäftigte, wollte er sich um eine Stelle als Gesandtschafts- secretär bewerben, als er nach einer Vorstellung in der Familie des Majors von Humboldt zum Erzieher der Söhne desselben an die Stelle des Herrn Clüsener engagirt wurde. Er gefiel so sehr, dass man ihm alsbald auch einige wirthschaftliche Angelegen- heiten und Correspondenzen auftrug. Nicht selten musste er in Abwesenheit des Majors von Humboldt vornehme Personen em- pfangen, einmal den Herzog von Braunschweig, was wol ein Beweis für seine grosse Gewandtheit sein mag. * „Selten", sagt der berühmte Statistiker Staatsrath HoflFmann in Kunth's Ne- krolog* „dürfte der Erfolg wohlbegründete Erwartungen voll-

1 Kunth'8 handschriftliche Autobiographie. * Staatszeitung vom .3. Nov. 1829.

1. VAterhauB. (Lehrer.) 25

Ständiger bestätigt haben. Es war eine höhere Sorgfalt als die des treuen Lehrers, der nur eigene Kenntnisse auf den Geist der reichbegabten Schüler überträgt, welche den Erzieher unaufhörlich mit seinen Zöglingen verband/^

Kunth hat selbst den Zöglingen wahrscheinlich nur wenigen Unterricht ertheilt. Er war auch stets anspruchslos genug, sich nur geringen Antheil an der geistigen Höhe zuzuschreiben, welche sie später erreichten. Als Alexander von Humboldt, erzählt Hen- riette Herz >, im Winter von 1827 28 in Berlin vor einem ge- mischten Publikum dem Inhalt wie der Form nach bewunderns- werthe Vorträge hielt, und einmal die Blicke aller Zuhörer mehr als je von freudiger Befriedigung erstrahlten, flüsterte mir Kunth ios Ohr: „von mir hat er's wahrhaftig nicht!" und als man einst vor Wilhelm von Humboldt Kunth's ausgebreitete Geschichts- kenntniss, aber auch seine etwas peinliche Weitschweifigkeit erwähnte, sagte er: „das ist wahr, wenn man ihn Geschichte vortragen hörte, konnte man wünschen Adam zu sein, wo die Geschichte noch ganz kurz war." * Dass aber Kunth's Ansichten von Bürgerthum und Staatsleben, Humanität und allen freiheit- lichen Bestrebungen, dass sein Charakter Prototype der Zög- linge gewesen sein müssen, ersehen wir aus wenn auch spätem Aeusserungen, mit denen er dem Minister Stein in den retro- vcrsen Anscliauungen seiner letzten Jahre auf das entschiedenste entgegentrat. Kunth war eine Natur aus dem Stoffe treuer Ar- beiter und guter Beamten. Er hatte eine sehr klare Einsicht von den Bedingungen zur Belebung und Förderung der In- dustrie. Der Erhebung des Handwerkerstandes, der Beförderung von Handel und Gewerbe widmete er den liebevollsten, uner- müdlichen Fleiss. Er hat namentlich das Verdienst, gegen das Zunftwesen und dessen verrottete Zustände, für die Einführung der freiem Gewerbeordnung, für den Deutschen Zollverein, für den Freihandel, und überhaupt für die Verwirklichung der frei-

» Fürst, Henriette Herz, S. 14H.

' Aus Vamhagen's Nachloss. Briefe von Chamisso, Gncisenau, Hang- witx, W. von Uiunboldt u. a., I, 11.

26 !• Jagend und erste Manne^ahre.

«

sinnigern Gesetzgebung mit dem zähesten Eifer gewirkt zu haben. *

Eunth's pädagogisches Hauptverdienst bestand vorzugsweise in dem ebenso thätigen als wohlgeordneten Bestreben, alles, was Berlin an echten Bildungsmitteln besass, f&r die Entwicke- lung der Anlagen seiner Zöglinge, die nie eine öffentliche Schule besucht hatten, durch Privatunterricht, durch geselligen, freund- schaftlichen Verkehr fruchtbar zu machen. Das war die glück- lichste rationelle Methode für die Entwickelung der individuellen Begabung und Neigung, die schon früh in ihnen hervortrat.

Ueber den fortschreitenden Gang des Unterrichts ist keine Kunde erhalten, doch zeigte Alexander schon früh eine Vorliebe für naturgeschichtliche Gegenstände. Blumen und Pflanzen, Schmetterlinge und Käfer, Muscheln und Steine waren seine liebsten Spielsachen. Er vermehrte, ordnete und schachtelte seine Sammlungen mit so ausserordentUchem Eifer, dass er schon als Kind scherzweise der kleine Apotheker genannt wurde.

Den meisten Unterricht wird wol Ernst Gottfried Fischer gegeben haben, der Professor am Gymnasium des Grauen Klosters war, und dessen mathematische Schulbücher noch lange nach seinem Tode im Gebrauch blieben. In seinem hand- schriftlich noch erhaltenen Tagebuche vermerkt er: „Ich war genöthigt, ausser meinen nicht sparsamen Amtsarbeiten erwer- bende Nebenarbeiten zu treiben, die hauptsächUch in Privat- unterricht bestanden. Solche Erwerbsarbeiten sind dem eigenen Studium selten günstig, indessen war ich in den ersten Jahren glücklich genug, meine Kräfte nicht an stumpfe Flachköpfe ver- schwenden zu müssen. Der Unterricht eines Wilhelm und Alexander von Humboldt, eines Josef Mendelssohn gehört nicht zu den geistlosen Arbeiten, wozu Pflicht und Nothwendigkeit so oft den Schulmann nöthigt. Mit unendlichem Vergnügen erinnere ich mich der Stunden, die ich fast täglich, mehrere Jahre hintereinander, in dem Humboldt'schen Hause mit Unter-

* Pertz, Leben des Miüisters Freiherrn vom Stein, VI, 789 fg.

1. VaterhauB. (Lehrer.) 27

rieht im Lateinischen und Griechischen und in der Mathematik zubrachte, und der schönen Ahnungen, die mich damals, als ich sie iasste, nicht weniger ergötzten als jetzt der Anblick ihrer Erf&llung." Hierzu muss indess bemerkt werden, dass Alexan- der an dem Unteiricht im Griechischen nicht theilnahm, und dass er erst im Juni 1788, also erst nach dem ersten akade« mischen Semester, bei dem Candidaten S. S. Th. Bartholdi „im 19. Jahre noch extSva zu decliniren" begann.^

Auch Löffler, der später Professor in Frankfurt a. d. 0. und nachmals Ober-Consistorialrath in Gotha wurde, der frei- sinnige Verfasser einer Schrift über den Neuplatonismus der Kirchenväter, hat im Humboldt'schen Hause lateinischen und griechischen Unterricht gegeben.

Engel, Professor am Joachimsthal'schen Gymnasium und ästhetischer Beirath an der königüchen Theaterverwaltung, der Verfasser des „Philosophen für die Welt", hat den jugendlichen Geist mit jener bescheidenen, praktisch verständigen, menschen- freundlichen und liebenswürdigen Philosophie vertraut gemacht, in deren Vortrag er sich neben Garve und Mendelssohn aus- zeichnete. „In Engel", bemerkt Haym in der Biographie Wilhelm von Humboldts, „erschien die Aufklärung in den liebenswür- digsten Formen, der Verstand in transparenter, wohlthuender Klarheit, das Gefühl in correctem, elegantem Geschmack, beides in ästhetischer Form der Sprache. Seine Weisheit der Popular- philosophie athmete Freiheit und Grazie. Engel war so recht eigentlich der Philosoph für die Welt, und ohne Zweifel ein vortrefflicher Pädagog."

Von Dohm berichtet sein Biograph Gronau*, dass er, im Departement des Auswärtigen beschäftigt, im Jahre 1785 auf den Wunsch des Ministers von Schulenburg einem jungen Grafen von Arnim eine Reihe politisch- statistischer Vorträge

I Alexander yon Humboldt, Brief d. d. Berlin 9. Juni 1788 an den frankfurter Studiengenossen Wegener.

' Gronauy Chr. Wilh. v. Dohm, nach seinem WoUen und Handeln, S. 127.

28 I. Jagend and erste Mannesjahre.

gehalten habe. „Auch die Gebrüder von Humboldt, Wilhelm und Alexander, nahmen, nach dem Wunsche ihrer vortrefflichen Mutter, an diesen Vorlesungen theil, die ganz den Zuschnitt eines gewöhnlichen CoUegiums auf der Universität hatten und vom Herbst 1785 bis Juni 1786 dauerten." „Dohm selbst", erzählt Gronau, „bewahrte sein ganzes Leben hindurch die an- genehmsten Erinnerungen an dieses frühere Verhältniss mit seinen jugendlichen Zuhörern. Aber auch Alexander von Hum- boldt hatte ihn noch nach zwanzig Jahren, am Ende des Jahres 1806, in schöner, dankbarster Anhänglichkeit aufgesucht und widmete, um „seinem guten Lehrer", wie er Dohm stets nannte, ein kleines Vergnügen zu maclien, ihm ganz besonders einige Abend- und Morgenstunden, in denen er mit der ihm eigen- thümlichen Anmuth und Anspruchslosigkeit eine gedrängte Er- zählung von seinen Reisen in Amerika gab und dabei zur Erläuterung von den mitgebrachten Schätzen mancherlei vor- zeigte."

An den juristischen und staatsrechtlichen Vorträgen, die der Kammergerichtsrath Klein, der Mitredacteur des preussischen Allgemeinen Landrechts, Wilhelm von Humboldt gehalten, hat Alexander wahrscheinlich nicht theilgenommen. Aus dem Inte- resse jedoch, welches Moses Mendelssohn erwiesenermassen * an dem Studium Wilhelm's genommen hat, gewinnt auch die

* Ein sehr sorgfältig ausgearbeitetes Heft von fast 750 Quartseiten, mit einigen Briefen von Klein und Bemerkungen von Moses Mendelssohn „l\ber erzwungene Verträge", ist noch in der Privatbibliothek des Königs von Sachsen erhalten. Ein dabei befindlicher Brief Alexander von Hom- boldt^s lautet:

„Das Buch, ganz von der Hand meines Bruders geschrieben, enthält die Aufsätze, welche derselbe nach jeder Privatvorlesung des Kammer- gerichtsraths E. F. Klein über das Naturrecht selbst ausgearbeitet. Die meist lobenden, bisweilen widerlegenden Randbemerkungen sind von der Hand des Kammergerichtsraths Klein. Ich muss wünschen, dass dieses Manuscript, welches nicht zum Druck bestimmt war, in die Hände von Personen komme, die den philosophisch -juristischen Werth dieser Jugend- arbeit Wilhelm von Humboldt's zu schätzen wissen.

Berlin, im Febr. 1854."

1. Vaterhaus. (Lehrer.) 29

Tradition einige Wahrscheinlichkeit, dass er beiden Brüdern im Garten peripatetisch die „Morgenstunden^^ vorgetragen und in freandscbaftlichem Verkehr Lehren der Humanität und Weisheit gespendet habe. Unbestreitbar lässt sichdies von David Fried- linder, an den noch mehrere Briefe beider Brüder erhalten sind, nachweisen. Als David Friediänder am 25. Dec. 1834 sein Aoge geschlossen, sprachen Alexander und Wilhelm von Hum- boldt dem ältesten Sohne Benoni Friedländer ihre Gondolenz in folgenden Schriftstücken aus:

„Berlin, 27. Dec. 1834.

In den frühesten, dankbarsten Erinnerungen meiner

Jagend dämmert Ihres edeln, geistreichen Vaters angenehme Persönlichkeit bei mir auf. Sein Wohlwollen, dessen ich beson- ders im reichen Masse genoss, erhöht die Freude dieser Erin- nerung. Der Verewigte gehörte zu denen, die wohlthätig auf meine Bildung, auf die Richtung meiner Ideen und Gefühle ge- wirkt haben. Er war mit Engel der Freund unsers Hauses. Kenntniss des Alterthums, Liebe zur speculativen Philosophie, ein feines und sicheres Gefühl für poetische Schönheit, Fähig- keit durch die hohe Bildsamkeit unserer vaterländischen Sprache das schwierigste Problem der Uebertragungen aus dem heiligen Orient kraftvoll zu lösen, alle diese Gaben der Intelligenz waren in ihm mit den freiesten Ansichten über die Weltbegeben- heiten, die wir mit ihm verlebt, mit der wärmsten und edelsten Anhänglichkeit an seinen unterdrückten Volksstamm gepaart. Er hat ein langes, schönes, genussreiches Leben vollbracht in dem Kreise einer Familie, die seinen geistigen Werth zu schätzen wus^tt*. weil sie durch ihn und gleichartig gebildet war.

Empfangen Sie in diesem feierlichen Augenblicke njit allem Wohlwollen die erneuerte Versicherung der innigsten Anhäng- lichkeit und dankbaren Freundschaft.

Ihr

Alexander von Humboldt.^'

30 I* Jagend und erste Mannesjahre.

„Tegel, 2. Jan. 1835.

Ich hatte den Tod Ihres verehrten Vaters in meiner Zo- rückgezogenheit erst spät erfahren, und war eben im Begriff, Ew. Wohlgeboren meinen aufrichtigen und lebhaften Schmerz darüber zu äussern, als ich Ihren Brief erhielt. Wahrhaft wohl- thätig ist mir darin vorzüglich Ew. Wohlgeboren Versicherung gewesen, dass dem edeln Verstorbenen ein sanftes und schmerz- loses Hinscheiden zutheil geworden ist. Wenn sein Leben, wie Ew. Wohlgeboren bemerken, glücklich war, so war es in eben- dem Grade ehrenvoll und nützUch. Er hatte sich, und allein durch sein Verdienst und Talent, einen ganz eigenen Stand- punkt errungen, und wird diesen auch in spätem Andenken gewiss immer behaupten. Es hat mich ungemein gefreut, dass sich der Verewigte noch bisweilen mit meinem Bruder und mir beschäftigt hat. Uns wird gewiss iimner unvergesslich bleiben, wie er bildend auf uns beide eingewirkt hat. Durch das grosse Wohlwollen, das er uns schon in der frühesten Zeit schenkte, war er aufmunternd und anregend, sowie durch seinen hellen Verstand, seine fast nie unterbrochene Heiterkeit und seine be- ständige Richtung auf eine innere oder äussere nützliche Thätig- keit unterhaltend und belehrend für uns. Ueber mehrere wich- tige Punkte des Lebens und der Gesellschaft führte er uns firüh auf die richtigen, damals bei weitem noch nicht allgemein ge- theilten Ansichten. Ich kann Ew. Wohlgeboren nicht genug für die Güte danken, mit welcher Sie mir einige Nachrichten von seinen letzten Stunden haben geben wollen. Ich bitte Sie, mir die Fortdauer ihrer geneigten Gesinnungen zu schenken und gewiss zu sein, dass ich dieselben immer mit gleicher Auf- richtigkeit und Lebhaftigkeit vertrauensvoll erwidern werde. Ich verbleibe mit ausgezeichneter Hochachtung

Ew. Wohlgeboren ergebenster Wilhehn Humboldt"

Kunth nennt noch einen Meyer als Lehrer der beiden Humboldt; wahrscheinhch war dies der Mathematiker Meyer Hirsch, an dessen algebraischen und geometrischen Aufgaben

1. Yaterhans. (Lehrer.) 31

noch heute die Jugend ihren Geist bildet, und der damals auch einzehie Prinzen des Hofes unterrichtet hatte

Einen nur flüchtigen, doch nicht uninteressanten Streifblick über das Jugendleben Alexander von Humboldts gewährt auch Heim's Biographie von Kessler, In dem Tagebuche des be- rühmten Arztes heisst es unter dem 30. Juli 1781: „Nach Tegel geritten und bei der Frau Majorin von Humboldt zu Mittag gespeist; den jungen von Humboldts die 24 Klassen des Linn^'schen Pflanzensystems erklärt, welches der ältere sehr leicht fasste und die Namen gleich behielt/' Und am 19. Mai 1783: „Mit den tegelschen Freunden, dem Herrn Kunth und dessen berühmten Zöglingen nach Spandau geritten, die Special- rerue gründlich zu beschauen.''

Wilhelm von Humboldt war damals noch nicht 16, Alexan- der noch nicht 14 Jahre alt. Wir vermuthen daher in dem Prädicate der „berühmten'' Zöglinge eine Interpolation der Artigkeit späterer Zeit.

In neuem Sprachen war, nach Alexander von Humboldt's gelegentlicher Mittheilung, LeBaulddeNans, professeur royal et instituteur de la famille royale, der Lehrer. Er war Redac- teur der von dem Schauspieler Francheville gegründeten „Ga- zette litt^raire de Berlin", in der wir die erste literarische Arbeit Humboldt's nachweisen werden.

Auch in den schönen Künsten war Alexander mit bestem Erfolg unterrichtet worden &o findet sich in dem Kataloge der ersten Kunstausstellung der Berliner Akademie vom Jahre 1786 unter der Abtheilung Liebhaber: „Nr. 290, Herr von Hum- boldt der Jüngere : Die Freundschaft weint über der Asche eines Verstorbenen; mit schwarzer Kreide gezeichnet nach Angelika Kauflfmann."

Alexander von Humboldt's spätere botanische, zoologische, anatomische und naturhistorische Zeichnungen der mannich- facbsten Art, seine kartographischen Werke, seine landschaft- lichen Charakterbilder dürfen bei denen als bekannt voraus- gesetzt werden, die überhaupt seine wissenschaftlichen Leistungen

32 I- Jugend und erste Mannesjahre.

kennen. Weniger bekannt aber möchte es sein, dass er in spätem Jahren auch noch bei G^rard in Paris gezeichnet und gemalt hat, dass er die strengsten Studien nach dem Modell und dem Leben gemacht, und selbst im Porträtiren Vortreflf- liches geleistet hat. Ein lebensgrosses , in schwarzer Kreide gezeichnetes Brustbild, mit einem eigenhändigen Vermerk: „Alexander von Humboldt von mir im Spiegel. Paris 1814", gehört zu den besten Bildern, die von ihm vorhanden sind. Auch seinen treuen Mitarbeiter an seinen botanischen Werken, Professor Kunth, hat er in einer Bleizeichnung ganz vortreffich porträtirt.

Im Kupferstechen und Radiren ist der berühmte Chodo- wiecki sein Lehrer gewesen, und es haben sich noch verschie- dene Abdrücke von ihm radirter Platten erhalten, deren später näher gedacht werden wird.

Nur für Musik jeder Art war der Sinn beider Brüder fest verschlossen. Wilhelm war sie unerträglich, Alexander hielt sie für eine „calamit^ sociale". ^

So viel lässt sich mit Sicherheit über Alexander von Hum- boldts Jugendlehrer feststellen. Willdenow, obwol es oft be- hauptet wurde, gehört nicht in die Reihe derselben und hat erst später besonders anregend auf die Entwickelung seiner bota- nischen Studien eingewirkt. Humboldt selbst schreibt im Jahre 1806 über seinen Jugendunterricht an Pictet^:

„Jusqu'ä rage de seize ans, j'avais peu d'envie de m'occuper de Sciences. J'avais Tesprit inquiet et je voulus etre soldat(l) Mes parents d^sapprouverent ce goüt; je devais me vouer ä la finance, et n'ai jamais de ma vie eu occasion de faire un cours de botanique ou de chimie; presque toutes les sciences dont je m'occupe ä präsent, je les ai)pris par moi-mßme et tres-tard. Je n'avais pas entendu parier de letude des plantes jusqu'en

^ Anton Springer, Friedrich Christian Dahlmann (Leipzig 1870), S. 237.

* Lettres d' Alexandre de Humboldt h Marc August Pictet 1795—1824 in Le Globe, Journal g^ogr. de la Soc. de G6ogr. de Gen^ve (1868), VIII, 180. Vgl. auch Brockhaus^ Conversations-Lexikon, Art. Alexander von Humboldt.

1. Vaterhaus. (Neigungen.) 33

1788, je liai connaissance avec M. WiUdenow, du m6me ige que moi, et qui venait de publier alors sa Flore de Berlin. Soo charactöre doux et aimable me fit plus encore chörir la botanique. II ne me donna pas formellement des le^ons, mais je loi portal les plantes que je ramassai et qu'il d^termina. Je devins passionnö pour la botanique, sourtout pour les crypto- games. La vue des plantes exotiques, m6me säches dans les herbiers, remplissait mon Imagination des jouissances que doit offiir la v^etation des pays plus temp^rös. M. de Willdenow ^tant en liaison ^troite avec le Chevalier Thunberg, il en rece- vait souvent des plantes du Japon. Je ne pouvais les voir Sans que Tid^ ne se pr^senta de visiter ces contr^es.'*

Diese letzten Worte gewähren einen Blick in die fernen Tage, in welchen zuerst der Trieb zu grossen Reisen im Herzen des Knaben erwachte. Humboldt erinnerte gern an den Ur- sprung dieser frühzeitigen, sein späteres Leben so mächtig be- stimmenden Neigungen. So erzählt er ^ : „Ich hatte von meiner ersten Jugend an ein sehnliches Verlangen empfunden, in ent- fernte, von Europäern wenig besuchte Länder zu reisen. Dieser Drang charakterisirt einen Zeitraum unsers Lebens, in wel- chem uns dieses wie ein Horizont ohne Grenzen erscheint, wo nichts grossem Reiz für uns hat als Bilder physischer Fährlich- keiten und die starken Bewegungen der Seele. In einem Lande erwachsen, welches keinen unmittelbaren Verkehr mit den Colo- nien beider Indien unterhält, und nachher Bewohner von Ge- birgen, die, entfernt von den Küsten, durch ausgebreiteten Bergbau berühmt sind, fühlte ich in mir die lebhafte Leiden- schaft für das Meer und für lange Schiffahrten stets mächtiger sich entwickeln." Femer: „Die Betrachtung geographischer Karten, die Beschreibung der Reisenden, die ich gelesen, übten einen geheimen, unwiderstehUchen Zauber und setzten mich mit den entfemtesten Gegenden und Dingen in nahe Beziehung.

* Reise in die Aequinoctialgegenden des neuen ConÜnents, I, 47. Aosgabe Ton Hermann Hauff, I, 2. 3.

A. V. UtM»OLt>T. I. ^

34 I* Jugend und erste Mannesjahre.

Furcht und Schmerz setzten mich in Bewegung, wenn ich daran dachte, der Hoffnung entsagen zu müssen, die schönen Stern- bilder zu sehen, welche in der Nähe des Südpols leuchten."

In den „Ansichten der Natur" ^ heisst es: „In die Sehn- sucht nach dem AnbUck der Südsee vom hohen Rücken der Andeskette mischte sich das Interesse, mit welchem der Knabe schon auf die Erzählung von der kühnen Expedition des Vasco Nunez de Baiboa gelauscht." „Die Schilfufer des Kaspischen Meeres, da wo ich dasselbe zuerst an dem Mündungsdelta des Wolgastromes gesehen, sind gewiss nicht malerisch zu nennen; und doch war mir ihr erster Anblick um so freudiger, als mich in frühester Jugend auf Karten die Form des asiatischen Binnen- meeres angezogen hatte. Was so durch kindUche Eindrücke, was durch Zufälligkeiten der Lebensverhältnisse in uns erweckt wird, nimmt später eine ernstere Richtung an und wird oft ein Motiv wissenschaftlicher Arbeiten, weitführender Unter- nehmungen."

Und an einer Stelle im „Kosmos"^: „Kindliche Freude an der Form von Ländern und eingeschlossenen Meeren, wie sie auf Karten dargestellt sind^ der Hang nach dem AnbUck der süd- lichen Sternbilder, dessen unser Himmelsgewölbe entbehrt, Ab- bildungen von Palmen und libanotischen Cedern in einer Bilder- bibel können den frühesten Trieb nach Reisen in ferne Länder in die Seele pflanzen. Wäre es mir erlaubt, eigene Erinnerungen anzurufen, mich selbst zu befragen, was einer unvertilgbaren Sehnsucht nach der Tropengegend den ersten Anstoss gab, so müsste ich nennen: Georg Forster's Schilderungen der Südsee- Inseln; Gemälde von Hodges, die Gangesufer darstellend, im Hause von Warren Hastings zu London ; einen kolossalen Drachenbaum in einem alten Thurme des botanischen Gartens bei Beriin."

Die Jugendjahre Alexander von Humboldt's fielen auch

1 3. Ausgabe, U, 363. « U, 5.

1. Yaterhaiis. (Aufschwang der geographischen Entdeckungen.) 35

gerade in die Zeit, in welcher die mächtigsten Staaten wett- eiferten, die Kenntniss der Länder und Meere durch Entdeckungs- reisen zu vervollkommnen.

Die unglücklichen Unternehmungen von la Peyrouse und d'Entrecasteau, Bligh und Malaspina vermochten die Reise- und Entdeckungslust, welche Byron, Wallis, Garteret, Bougainville und Cook erweckt hatten, nicht zu schwächen. Die Beharrlich- keit, mit der Cook dreimal nacheinander (1768—1779) die australischen Meere durchforscht, hatte den Schleier der unbe- kannten Erdhälfte hinweggerissen und die ganze civilisirte Welt in Begeisterung entzündet. Cook's und seiner Begleiter Banks, Solander, Spamnann, der beiden Forster grosses Muster reizte zur Nachfolge und führte Yancouver, Flinders an die Küsten von Neuholland und Neuseeland.

Gleich grosser Eifer wie der Erforschung der Meere war auch der Erforschung der Coutinente zugewendet. Das nördliche Asien hatte Katharina durch die Reisen der St. Petersburger Akademiker Gmelin, Pallas, Georgi, Güldenstädt enthüllt, Thun- berg brachte Nachrichten vom östlichen Asien; und während die Asiatische Gesellschaft Indien, die britischen Ambassaden Tibet, China, Java erforschten, gaben Niebuhr, Volney, Choiseul- Gouffier, Lechevalier die lehrreichsten Aufschlüsse über die Na- tur, Geographie und Geschichte von Palästina, Syrien und Kleinasien. Ebenso hatten über Afrika, seit der Stiftung der Afrika-Association in London (1768), von Norden und Osten Sonnini, Niebuhr, Forskai, Hoest^ Poiret, Desfontaines, Volney, Bruce, Houghton, Homemann, von Westen Norris, Iseit, Golberry, Grandprö, von Süden Thunberg, Sparrmann, Pa- terson, Le Vaillant die wichtigsten Nachrichten verbreitet. Selbst an die hyperboräischen Küsten Nordamerikas hatte der Geist der Zeit in Heame und Mackenzie Entdecker und Erforscher hingeführt. Kurz man näherte sich eben mit schnellen Schritten dem Zeitpunkte, wo fast die ganze Erde dem europäischen Forschungsgeiste zugänglich werden sollte, und kaum geahnte Ereignisse wirkten dahin, in einem Menschenalter mehr Ent-

3*

36 !• Jagend and erste Mannesjahre.

deckungen zusammenzuhäufen, als seit drei Jahrhunderten ge- macht worden waren.

Und dieses erhöhte Interesse für geographische und natur- wissenschaftliche Belehrung brach mit einem Enthusiasmus durch, welcher auch der Sprache die prächtigsten Bilder, die glänzendsten Farben, und der darstellenden Prosa einen wunder- baren Aufschwung verlieh. Wir erinnern nur an Buffon's „fipoques de la nature" (1778), Bernardin de St. Pterre's „fitudes de la nature" (1784), „Paul et Virginie" (1788), an Playfaire, an Georg Forster.

Was wunder, wenn die Reiselust, der Wissens- und For- schungsdrang des Jünglings in stets erhöhter Begeisterung ent- brannte !

Unerwartet, an einer blos zufälligen Krankheit, starb der Major von Humboldt schon am 6. Jan. 1779, während er nach seinem sonstigen Gesundheitszustande noch lange hätte leben können. Vielleicht ist auch hierin eine günstige Fügung zu erken- nen, da der Vater, in hoher militärischer Stellung, wahrscheinlich minder duldsam gegen die standeswidrige Neigung der Söhne gewesen wäre. Die bisherigen äussern Verhältnisse derselben erfuhren keine Veränderung. Die Mutter behielt als natürliche Vormünderin ihrer Söhne die Fürsorge für das Vermögen der- selben, und so blieben die Knaben auch fernerweit unter der Obhut des mütterlichen Auges und unter der geistigen Pflege ihres damaligen Erziehers Kunth.

Doch war Alexander's körperlicher Zustand derart, dass seine geistigen Kräfte bei weitem nicht in so frühen Knabenjahren sich entwickelten wie die seines Bruders Wilhelm. Dieser sagt im Rückblick auf seinen Jugendunterricht von sich, „dass er schon früh der Begierde kaum widerstand, so viel nur immer und irgend möglich sehen, wissen und prüfen zu wollen und alles, was ihn umgab, in sein Eigenthum, in das Eigenthum seines Verstandes, zu verwandeln". Alexander musste dagegen die Resultate des gemeinschaftlichen Unterrichts mit grösserer Anstrengung erringen. Er war als Knabe keineswegs so kräftig

1. Vaterhaus. (Kr&nklichkeit.) 37

wie Wilhelm und litt an einer bis zur Schwäche gesteigerten Kränklichkeit Er selbst erzählte seinem freiberger Studien- genossen, dem nachmaligen Berghauptmann Freiesleben, „dass seine Erzieher in den ersten Jahren seiner Kindheit ganz daran verzweifelten, es würden sich je auch nur gewöhnliche Geistes- kräfte bei ihm entwickehi, dass erst in spätem Knabenjahren auf einmal das Licht in seinem Kopfe eingetreten ^^^

Georg Forster schrieb am 14. Juli 1790 an Heyne die in dieser Hinsicht höchst merkwürdigen Worte: „Herr von Hum- boldt, der sich Ihnen bestens empfiehlt, ist bei mir und hat sich die Reise hindurch ziemlich, jedoch nicht so gut als ich wünschte, gehalten. Er sagt zwar, dass er seit fünf Jahren immer krank sei und nur unmittelbar nach einer grossen Krank- heit sich etwas besser befinde, dann aber immer wieder schlechter würde, bis der Ausbruch einer neuen Krankheit ihn von neuem von dem Uebermass verdorbener Säfte auf einige Zeit befreit. Ich bin aber fest überzeugt, dass bei ihm der Körper leidet, weil der Geist zu thätig ist, und weil die logische Erziehung der Herren Berliner seinen Kopf gar zu sehr mitgenommen hat" Auch in einem spätem Briefe an Jacobi schreibt Forster am 6. Aug. 1791: „Alexander von Humboldt ist in Freyberg und fangt an mir abzusterben. Wilhelm ist längst todt für mich, er heirathet in Erfurt ein Fräulein von Dachröden und will in Steiner Stimmung aller öffentlichen Wirksamkeit entsagen, welches bei seinen Talenten zu bedauern ist. Alexander wird

* Die Geschichte zeigt, wie zum Tröste, mehrere Beispiele, wie die Knospen der schönsten geistigen Blüten oft verspätet, aber dann nm so plötzlicher zom herrlichsten Ausbruch kommen. Albertus Magnus, der deutsche Tielgelehrte Meister der Naturkenntniss im Mittelalter, war in seiner Kindheit von so blödem Verstände, dass er unflLhig schien, lesen za lernen; Newton's Genie war anfangs so verhüUt, dass seine Mutter ihn aas der Schule nahm und für die Landwirthschaft bestimmen wollte; Llnn^ sollte von seinem Vater aus gleichem Grunde zu einem Schuhmacher in die I^ehre gebracht werden; Moli^rr lernte erst im vierzehnten Jahre lesen. So schlimm stand es indess mit Alezander von Humboldt nicht

38 !• Jagend und erste Mannesjahre.

desto mehr wirken und treiben wollen, und hat den Körper nicht dazu." Noch 1795 klagt Humboldt in einem Briefe an Willdenow: „Du hast wol recht, auf mich zu zürnen, dass ich so selten schreibe. Aber wenn Du meine Verhältnisse kenntest, wie ich ewig umherziehe, den Winter bei drei Monate recht ernsthaft krank war, und alle meine wenige Müsse zusammen- halten muss, um zu studiren, so würdest Du mich entschuldigen, wenn auch nicht rechtfertigen." Selbst noch später in einem Briefe an von Moll vom 17. Sept. 1799 ist Kunth um seine Gesundheit besorgt. „Wenn seine Gesundheit", schreibt er, „unter dem Klima und den Beschwerlichkeiten der Reise nicht erliegt, was kann sich die Physik in ihrem weitesten Umfange von den Beobachtungen eines Mannes versprechen, der mit diesen Kenntnissen und diesem brennenden Eifer für Natur- kunde sich jahrelang in jener Ungeheuern Natur befindet."

Glücklicherweise ertragen indess nicht selten schwächere Naturen die Wechsel fremden Klimas und die Beschwerden der Reisen leichter als die robustesten Constitutionen.. So ertrug Irwin alle Beschwerden der thebaischen Wüste, während der athletische Ledyard schon in Kairo ein Raub des Klimas wurde; so überwand der scliwächliche Scetzen alle Beschwerden der Reisen in Syrien, Aegypten und Arabien, während sein starker, abgehärteter Begleiter Jacobson wegen klimatischer Beschwerden schon aus Smyrna heimkehren musste. Humboldt war, wie er erzählte, unter den Tropen wie in der polaren Zone immer so recht in seinem Element.

Die letzten Jahre vor ihrem Abgange zur Universität ver- lebten die Brüder mehr in Berlin^ß in Tegel. Denn nur hier konnten die Männer für den vefScmedenen Unterricht gewonnen und alle Mittel zur Vorbereitung für das akademische Leben benutzt werden. Wilhelm von Humboldt berichtet hierüber der „Freundin" (I, 164): „Sie wünschen zu wissen, wo ich die Jahre 1786 und die folgenden eigentlich lebte. Ich war in Berlin. Da wohnte meine Mutter im Winter, und auch im Sommer blieb ich in unserm Hause mit meinem jungem Bruder und

1. Yateriiaas. (Vor dem Abgänge zur üniyersit&t) 39

einem Iloftneister. Wir ritten gewöhnlich nur zum Sonntag nach Tegel. So lebte ich bis 1788 im Herbste. Dann ging ich auch mit meinem Bruder und demselben Hofmeister nach Frankfurt an der Oder, wo damals eine Universität war, bis Ostern 1789. Um diese Zeit ging ich mit meinem Hofmeister, aber ohne meinen Bruder, nach Göttingen. Da verliess mich mein Hofmeister; erst von diesem Augenblicke, vom 22. Jahre an, lebte ich allein, und so sahen Sie mich 1789 in Pyrmont. Ostern 1 790 folgte mir mein Bruder nach Göttingen."

So hatte Kunth in zehn Jahren die Erziehung seiner Zöglinge vollendet, ohne dass sie jemals ein Gymnasium oder irgendeine öffentliche Schule besucht hätten. Aber was auch Wirksamkeit im Reiche der Wissenschaften und im öffentlichen Leben, Rang unter den Geistern und Ehrenstellen im Staate seitdem in vierzig Jahren, bis zu Kunth's 1829 erfolgtem Tode, umwandeln inussten, seine alte Sorgfalt, die alte Treue, die alte Zuneigung für seine ehemaligen Zöglinge blieb unwandelbar.

Bereits im Jahre 1782 gewährte die mütterliche Dankbar- keit dem Erzieher „für die Treue, womit er die ganze Erziehung meiner beiden jungem Söhne besorgt hat", eine lebenslängliche jährliche Pension von 400 Thlrn. Gold, und bestätigte dieselbe neben andern Zuwendungen in ihrem Testamente als ein Ver- mächtniss. Kunth verblieb auch während seines ganzen Lebens der Verwalter des Vermögens Alexander's. Und wie er auch nach seinem Eintritt in den Staatsdienst noch neun Jahre, bis zum Tode der Frau von Humboldt im Jahre 1796, ihr Haus- und Tischgenosse geblieben, so ist auch seine Grabstätte im Park des Familienschlosses in Tegel in der Nähe der Ruhe- stätte der Familie von Humboldt angeordnet worden.

So waren die Jahre der Kindheit und ersten Jugend Alexander von Humboldts verlaufen. Er hatte nicht mit der ^gewöhnlichen Misere eines in Armuth und diLrftigen Verhält- nissen aufstrebenden Talents zu kämpfen. Dass er aber trotz der hoben Stellung:? der Familie, der aristokratischen Geburt, rut2 der mauuichfachen Reize der Zerstreuung bei sorgenlosem

40 !• Jagend und erste Manneejahre.

Wohlstande, dass er inmitten der verführerischen Lockungen eines heitern, behaglichen Lebensgenusses dennoch schon als Kind und in frühester Jugend in Liebe zum Wissen, zum Guten und Schönen entbrannt und, trotz bedenklicher Körperschwäche, in ausdauerndem Fleisse unwandelbar ausgeharrt, das zeigt von seiner gottgesegneten angeborenen Eigenart.

Ehe wir unserm Brüderpaar auf die Universität folgen, muss noch der damaligen Zustände Berlins gedacht werden, wie sie den historischen Hintergrund zu ihren Lichtgestalten bilden.

Das hehre Bild des grossen Königs leuchtete zwar noch durch die Kindheits- und ersten Jugendjahre Wilhelm's und Alexander's von Humboldt. Alexander gehörte noch, wie er selbst bei der hundertjährigen Jubelfeier der Thronbesteigung des grossen Königs es aussprach^: „zu dem alten Geschlecht, welchem noch aus eigener, jugendlicher Anschauung das Bild des grossen Monarchen vor die Seele tritt." Allein wenn auch in Berlin, namentlich seit der Lessing -Mendelssohn'schen Zeit, eine aufgeklärte Denkweise in religiösen, bürgerlichen, wissen- schaftlichen, künstlerischen und zum Theil auch in politischen Dingen sich auszubreiten begann, wenn auch Biester und Nikolai schon seit 1759 in den „Literaturbriefen" eine scharfe Kritik gegen die hofiartige französische Muse begonnen hatten, so waren doch diese Pulsschläge eines höhern Lebens noch so schwach und intermittirend, sie zeigten sich nur so sporadisch und isolirt, dass von einer allgemeinen höhern Affection durch dasselbe füglich noch nicht die Rede sein kann. Und wie die Zahl der „Aufklärer", so waren auch die heimischen geselligen Kreise, in denen sie ihr Licht leuchten lassen konnten, nur klein und beschränkt. Im ganzen trieb der junge Aufwuchs mehr ins Stroh als ins Korn. Nicht Berlin, Königsberg, wo Kant lehrte, wurde die Vaterstadt des neuen deutschen Geistes.

Augsburger „Allgemeine Zeitung" yom 9. Juni 1840, Beüage.

!• Vaterhaus. (Berliner Zastftnde.) 41

Am Hofe des grossen Königs bildete nur eine kleine An- zahl von Fremden, meist Franzosen, die mit ihm alt geworden, die Gesellschaft des Fürsten. Hier goutirte man die scharfen Speisen der französischen Köche, die frivole Philosophie Vol- taire's, die frechen Paradoxen de la Metterie's und blieb ohne alle Theilnahme an der Bewegung des deutschen Geistes. Auch die Kreise des Prinzen Heinrich, die sich durch blendenden Geist and sarkastischen Witz in der geselligen Unterhaltung auszeichneten, waren für junge Männer mehr verführerisch und konnten die bessern unter ihnen nicht fesseln. ^

Den hohen Civil- und Militärbeamten, von denen die meisten dem Adel angehörten, ging jede geistreiche und an- regende Geselligkeit ab. Der niedere Beamtenstand war bei geringem Einkommen mit Amtsarbeiten überhäuft, und die Ge- schäfts- und Familiennoth drückte jede geistige Erhebung nieder. Der reichere Kaufmannsstand zeichnete sich nur durch den Luxus aus, in dem die Kinder erzogen wurden, aber von wahrer Bildung war kaum der äusserste Firnis erstrebt worden. Selbst die Männer der eigentlichen Wissenschaft blieben zurückgezogen in dem engen Kreise ihrer Familien und kamen höchstens, wie die Priester samothrazischer Geheimnisse, in dem „Montagsclub" zusammen, wo die Anwesenheit von Frauen und Fremden eine Profanation ihrer hohen Offenbarungen gewesen wäre.

Hierzu kam noch, dass die militärischen, administrativen und politischen Ideen des Königs der lebenden Welt immer fremder geworden, dass selbst seine gepriesenen Humanitäts- principien in eine neue Phase getreten waren, welche die früher weniger gefühlte Strenge der Regierungsweise jetzt als einen misliebigen, harten Zwang erscheinen Hess. Kurz, man fühlte sich in einer Atmosphäre, in der alle Zustände einer grossen Zeit in Agonie lagen.

Daher machte auch Berlin auf Georg Forster den unbe- haglichsten Eindruck. „Ich kam", schreibt Forster* am 23. April

' Perti, Leben des Ministers Freiherm vom Stein, I, 21. ' SAmmüiche Schriften (Leipzig, 1843), YII, 112.

42 L Jugend nnd erste Mannesjahre.

1779 an Jacobi, „Ausgangs Januar nach Berlin. Ich hatte mich in meinen mitgebrachten Begriffen von dieser grossen Stadt sehr geiiTt. Ich fand das Aeusserliche viel schöner, das Inner- liche viel schwärzer. Berlin ist gewiss eine der schönsten Städte in Europa. Aber die Einwohner! Gastfreiheit und geschmackvoller Genuss des Lebens ausgeartet in Ueppigkeit, Prasserei, ich möchte fast sagen Gefrässigkeit ; freie, aufgeklärte Denkungsart in freche Ausgelassenheit und zügellose Frei- geisterei. Und dann die vernünftigen, klugen Geistlichen, die aus der Fülle ihrer Tugend und moralischen Vollkommenheit Religion von Unverstand säubern und dem gemeinen Menschen- verstände ganz begreiflich machon wollen! Ich erwartete Männer ganz ausserordentlicher Art, reiner, edler, von Gott mit seinem hellen Lichte erleuchtet, einfilltig und demüthig wie Kinder. Und siehe, da fand ich Menschen wie andere; und was das Aergste war, ich fand den Stolz und den Dünkel der Weisen und Schriftgelehrten .... weiter brauche ich nichts zu sagen. Die französischen Akademiker? Lassen Sie mich den

Staub von meinen Füssen schütteln und weiter gjehen

Während der fünf Wochen habe ich wenigstens in 50—60 ver- schiedenen Häusern Mittag- und Abendbrot gegessen und jederzeit dieselben Geschichten abfeiern, dieselben Fragen hören und beantworten, kurz tausend müssigen Leuten die Zeit ver- treiben müssen, Perrükenstöcken , die sich unter ihren Nach- barn ein Ansehen geben wollen, als wüssten sie wunder wieviel, und deswegen zehn Fragen in einem Athem thun und wieder von neuem anfangen, ehe die erste abgefertigt ist, um nur vom Ueberfluss und der schnellen Folge ihrer Ideen (sie seien so albern wie sie wollen) den Nase und Maul aufsperrenden Zu- hörern das bischen saft- und kraftlose Gehirn einzunehmen

die sind's, die mich fast zu Tode gequält haben, und dergleichen

Seccatori hat Berlin vorräthig An das schöne Geschlecht

mag ich gar nicht denken. War es je irgendwo allgemein ver- derbt, so ist es in Berlin, wo Eigenliebe, d. i. Koketterie, zu Hause ist wie in Paris, wo der Ton der guten Gesellschaft auf

1. Yaterhaos. (Berliner Zust&nde.) 43

eben solche fade, abgeschmackte Witzelei und Complimente und auf das unaufhörliche Ersinnen der sogenannten „jolis riens^' gestimmt ist, wo gar nichts gedacht und, ausser der grössten Wollust, gar nichts gefühlt wird. und dies von dem fürst- lichen Cirkel bis zum bürgerlichen herab." ....

Freilich war Forster in Berlin durch seine persönlichen Vorhältnisse, durch die Bittgesuche im Interesse seines Vaters, in der unbehaglichsten, peinlichsten Lage, indem er sich, wie er in demselben Briefe sagt, „in gar zu viele, gar zu verschie- dene Leute schicken und sich gar zu oft Gewalt anthun musste", am nur seines Vaters Sache kein Hinderniss in den Weg zu legen, und weil „die Berliner durchaus diese Biegsamkeit des Charakters von einem Fremden fordern, wodurch der Mensch so leicht zum Schurken und Spitzbuben wird".

Aber auch Goethe, der um dieselbe Zeit, im Mai 1778, in der Nähe seines Fürsten als Gast am berliner Hofe weilte, misfiel sich höchlichst unter der „verdorbenen Brut", wo er ^von dem grossen Könige seine eigenen Lumpenhunde schlecht reden hörte".

Und kaum hatte König Friedrich sein Auge geschlossen i\l. Aug. 1786), als vollends mit der Aufklärung gebrochen wurde, als alle Elemente der Verderbniss, alle Auswüchse bor- nirter ßureaupolitik, übermüthiger Kasernenpatriotismus, po- htisclie und kirchliche Ueberwachung des Lebens, pietistische Heuchelei und betrügerischer Mysticismus, lUuminaten-, Adepten- und Maitressenwirthschaft, Censur- und Geistesdruck mit über- dreister Effronterie hervortraten und jedes freiere, edlere Be- streben abstumpften und abplatteten.

König Friedrich Wilhelm IL wollte zwar ein deutscher Fürst sein und deutsche Sprache lieben und fördern. Oeffent- liche Gebäude erhielten, statt der üblichen lateinischen, nun- mehr deutsche Inschriften, und die Kammerherren und die I>amen des Hofes begrüssten sich wieder mit einem schlichten •leubichen „Guten Morgen". In auffalligem Gegensatze mit der frühem Sitte besuchte der König und der Hof regelmässig die

44 I* Jugend und erste Mannesjahre.

Kirche, und hörte bald den relormirten Prediger Sack im Dom, bald den lutherischen Prediger Zöllner in der Marienkirche, ja selbst den Bischof von Kulm in der katholischen Kirche, die französischen Prediger Ancillon, Erman, Dupasquet, Reclam und besonders häufig den Prediger Ambrosius in der kleinen Spittel- kirche, die in der vornehmen Welt bald so sehr Mode wurde, dass die Spittelfrauen keinen Platz fanden. Der kirchlichen Frömmigkeit ging indess, wie allbekannt, eine sehr weltliche Liederlichkeit zur Seite, namentlich waren aus dem „galanten Sachsen", von dem verrufenen Hofe König August's, die ver- führerischen Sirenen, liederliche Frauen, an den Hof Friedrich Wilhelm's gekommen und mit ihnen die Mode subalterner He- tärenthums.

Auch aus dieser Zeit hinterliess Georg Forster eine seharf- geätzte Schilderung der berliner Zustände und Personen. Am IG. März 1788 schreibt er an Sömmering^: „Die allmächtigen Leute, wie Du sie nennst, habe ich nicht sprechen, noch weniger sondiren können, ohne meinen Charakter als rechtschaffener Mann zu verleugnen. Hätte ich in ihnen Leute gefunden, die, wie Cicero's Auguren, über ihre eigene Geheimnisskrämerei lachen, so wäre es möglich gewesen mich mit ihnen einzulassen. Aber heucheln und etwas hoch und ehrwürdig nennen, was ich nie dafür halten kann, das ist mir unmöglich." Nach einer scharfen Charakteristik von Wöllner, Bischofswerder, Theden u. a. sagt er: „Was lässt sich von solchen Menschen erwarten?"

Und nicht blos Fremde, selbst Einheimische schildern die damaligen Zustände Berlins als höchst unerfreulich und be- drückend. Der bereits erwähnte Lehrer der beiden Humboldt, Professor Fischer, schreibt am 27. Oct. 1788 an den damals berühmtesten Mathematiker, Johann Friedrich PfaflFin Helmstädt: „In Berlin hat sich freilich seit Ihrer Abreise leider! leider! gar vieles sonderbar geändert. Indessen hoffe ich immer, dass die dadurch veranlasste Gärung der Gemüther am Ende der guten

Wagner^ Leben und Wirken Sömmering's, I, 266.

1. Yaterhaos. (Berliner Zust&nde.) 45

Sache der Aafklärung, alles Gegendrucks ungeachtet, mehr helfen als schaden wird; denn sie nöthigt alle Freunde der Wahrheit, die Hände nicht in den Schos zu legen. Die ecclesia trinmphans oder triumphare cupiens hat doch, bei aller ihrer Macht, gewaltigen Gegendruck zu überwältigen und sieht sich M^ar bei wichtigen Schritten, die sie vorhat, bisweilen besiegt, wie z. B. bei einem Polizeiedict , die Religion betreffend, das dem Religionsedict womöglich die Krone aufsetzen sollte. Auch etil neues Edict zur Einschränkung der Pressfreiheit ist, wie man als zuverlässig berichtet, kürzlich vom ganzen Staatsrath einstimmig bis auf zwei Minister verworfen worden.^ Indessen ist es noch immer eine Frage, ob dieser Sieg im Grunde ein Sieg der Wahrheit sei. Denn es gibt Leute, welche behaupten wollen, dass manche Leute, die viel thun können oder eigentlich getban haben, eigentlich doch wol nur durch Finanzgründe mochten bestimmt worden sein, als z. B. wenn die Bauern des Sonntags nicht tanzen dürfen, so fällt der Musikpacht

weg, u. dgl Silberschlag ^ hat kürzlich in der Akademie

der Wissenschaften Vorlesungen über die Sonne gehalten. Das Resoltat seiner vermuthlich unwidersprechlichen Gründe ist kürzlich dieses: Die Sonne ist ein wirkUches wahres Küchen- feaer, and die Flecken derselben sind Rauchwolken und grosse Rassbaufen; consequeuter: wo Küchenfeuer ist, müssen Braten sein, nämlich die Gottlosen, Deisten, Naturalisten und Atheisten, and der Teufel ist der Koch, der sie am Bratspiesse umwendet." Aerger noch war es der Akademie ein Jahr zuvor ergangen. In demselben Jahre, in dem Humboldt die Universität Frank- furt bezog, 1787, hatte Seniler derselben seine Entdeckung ein- gesandt, dass das Gold sich in einem gewissen flüchtigen Salze e»euge, wenn man es feucht und warm halte. Klaproth prüfte

* Das Religionsedict datirt vom \K Juli 1788, das Censuredict vom \^. Dcc. 1788.

* Johann Esaias Silberschlag war erster Prediger an der Dreifaltig- keittkirche. Oberconsistorialrath und königlicher Geh. Oberbaurat h.

46 I* Jugend und erste Mannesjahre.

dies Salz im Auftrag der Akademie, und fand in der That ein Goldblättchen darin, das Semler's Bedienter hineingesteckt hatte, um seinen gläubigen Herrn bei seinen Arbeiten zu erfreuen.

So war die sittliche und geistige Atmosphäre Berlins, als die beiden Humboldt in das Jünglingsalter traten und für die Einflüsse derselben am empfänglichsten sein konnten. Welchen Reiz, welche Anregung konnten solche Verhältnisse für ihre be- gabten Naturen haben? Was konnten ihnen, die schon die Ahnungen einer neuen Geisteswelt in sich trugen, selbst die sogenannten höhergebildeten Kreise bieten, in denen Lessing noch als Neuerer und Freigeist verpönt war?

Nur eine kleine Zahl, die aus der Lessing'schen und Kant'- sehen Schule hervorging, erhielt die Oriflamme eines hohem Geisteslebens. Zu ihr gehörten Engel, Biester, Sack, Teller, Spalding, Meier -Otto, Mendelssohn, David Friedländer, Marcus Herz, Zöllner und wenige andere. Was aber diesen Kreisen einen besondern Reiz gab, das waren die Frauen, die in ihnen walteten. Wir erinnern nur an die Töchter Mendelssohn's, an die rehgiös- romantische Dorothea Schlegel und ihre Schwester Henriette Mendelssohn, die Erzieherin der unglücklichen Her- zogin von Praslin, an Fräulein von Briest, nachherige Frau von Rochow und dann Frau von Fouque, an Henriette Herz, die Freundin Schleiermacher's und der beiden Humboldt, an ihre Schwester Brenna, an die sibyUinische Rahel, die Frau mit aristotelischer, haarspaltender Geistesschärfe.

Wie später RaheFs Gesellschaftskreise ein historisches Ele- ment der berliner Bildung wurden, so zog der jüdische Arzt Marcus Herz, gewöhnhch der Professor oder (waldeckischer) Hofrath prädicirt, ein Schüler und eifriger Anhänger Kant's, bereits seit dem Anfange der achtziger Jahre durch philo- sophische und physikalische Vorträge, die er in seinem Hause hielt, ein gewähltes Publikum zu sich. Namentlich waren die physikalischen Vorträge, wegen der für ihre Zeit vortrefflichen Experimente, die dabei angestellt wurden, sehr besucht.

1. Yaterhaus. (Berliner Zust&nde.) 47

Diese Vorlesungen zogen im Jahre 1785 auch die beiden Humboldt in das Herz'sche üaus. Die nächste Veranlassung war die Berathung wegen eines Blitzableiters, der in Tegel an- gebracht werden sollte, einer Vorrichtung, die damals in Berlin noch eine ziemlich seltene Erscheinung war. ^

Wilhelm und Alexander von Humboldt traten bald nach der ersten Bekanntschaft in den engem Kreis des Herz'schen Hauses. Alexander namentlich nennt in spätem Briefen mit grosser Uerzenswärme Herz seinen „väterlichen Freund^', sei- nen ,,theuem Lehrer ^S dem er mit der Scheu eines dankbaren Schülers von seinen Arbeiten berichtet, während der schönen, geistreichen Frau nicht selten „schrecklich lange Briefe'' in englischer Sprache geschrieben wurden, um ihre Zufriedenheit mit seinem Fleisse zu verdienen. In dem Herz'schen Hause fanden sich die Humboldt auch mit dem schon durch den ge- meinschafUicheu Unterricht bei Fischer befreundeten Brüdern Joseph und Nathan Mendelssohn zusammen, ebenso mit Veit und dem jungen Mediciner Beer, mit dem sie in ein sehr inniges Freundschaftsverhältniss traten.

Von früher Jugend mit allen Elementen der höhern Bil- dung umgeben, waren die beiden achtzehn- und sechzehnjährigen Brüder, wie Henriette Herz berichtet, „schon damals von feiner Sitte, lebendig, geistreich, kurz durchaus Uebens würdig und von umfassendem Wissen". Dem Interesse für das Schöne mochte sich freilich auch einiges für die Schönen hinzugesellt haben. Henriette Herz war die gefeiertste Schönheit Berlins. ,,Wer den Gensdarmenmarkt und Madame Herz nicht gesehen, hat Berün nicht gesehen'', war ein sprichwörtlich gewordener Ausilnick der Huldigung, die ihr gezollt wurde. Wie weit diese Huldigung sich bei Wilhelm von Humboldt verstiegen, bekunden

' Die erbteu Blitzableiter iu Herliu wurden 1777 an der königlichen Monürungskauumer und der Kaserne de» von PfueFhchen Kegiuifnts am kopniker Tbore nach den Angaben des Professon» Sulzer und Geb. Rathb Gerhard errichtet.

48 ' I* Jugend und erste Mannesjalure.

seine in Varnhagen's Nachlass mitgetheilten Briefe aus den nächsten Universitätsjahren. ^

Alexander war namentlich in der Zeit vor seinem Abgange zur Universität graziöser Tänzer, er lehrte der Herz die neue Menuette a la Reine und hatte in Herzensangelegenheiten, oft selbst im Widerspruch mit der Meinung aller andern, einen ganz besondern Scharfblick. Auch andere Frauenerinnerungen aus der spätem Zeit *, als Wilhelm von Humboldt in Jena lebte, wo Alexander öfter bei ihm einsprach, schildern ihn, „den Na- turforscher, den Diplomaten, den witzigen, stets mit Elektrisir- masclünen und galvanischen Säulen in Verbindung^S als „einen liebenswürdigen, hübschen Mann und unbezweifelt als den schö- nern der beiden Brüder".

Es muss hier auch darauf hingewiesen und ausdrücklich hervorgehoben werden, dass ein grosser Theil der Männer und Frauen, die hier genannt wurden, Juden und Jüdinnen waren. Es darf ferner an die schon anderweit vielfach ausgesprochene Thatsache erinnert werden, dass das jüdische Element schon früh einen bedeutenden Bestandtheil in dem berliner Geistes- leben bildete, und dass namentlich in der Zeit, von der hier die Rede ist, die Aufklärung, die von Lessing ausgegangen, sich vorzugsweise in jüdischen Kreisen concentrirte.

Henriette Herz erklärt durch den Mund ihres Biographen, wie damals im Gegensatz zu den christlichen bürgerlichen Krei- sen, wo aus vielen Gründen Geist und Behaglichkeit nicht ein- kehren konnten, die jüdischen Kreise immer mehr gesucht wurden.

Während die Männer sich strengen philosophischen Dis- ciplinen widmeten, wandten sich die Frauen mit autodidaktischer Naivetät, mit dem Feuereifer orientalischen Naturells der schö- nen Literatur zu, die ihre jugendlichen Herzen in tumultuarische Bewegung, in einen Radicalismus gegen alles Pedantische und Veraltete brachte. Man las die französischen, englischen,

* Frau Ilgen, die Gattin des berühmten Directors von Schulpforta, in LaubCy Moderne Charaktere, I, 366.

1. Yaterhaus. (Berliner Zustände.) 49

italienischen Classiker, man bewunderte die Grösse Goethe's, schwärmte mit Werther, jubelte mit Schiller, und vor allem Tergötterte man Lessing.

Und wie Lessing die Literatur von allem conventionellen Herkommen, allen überlieferten Satzungen befreit hatte, so wollte dies junge Geschlecht auch aus dem Leben selbst alles leere Herkommen, alle todte Formenstrenge entfernen.

Auch Alexander von Humboldt schien sich in solchen Kreisen sehr wohl zu fühlen. So erzählt Henriette Herz:

„Wenn Alexander von Humboldt in jenen Jahren einer gemeinschaftlichen Freundin und mir von dem seiner Familie gehörenden Schlosse Tegel aus schrieb, datirte er die Briefe gewöhnlich: «Schloss Langweil». Freilich that er dies meist nur in solchen Briefen, welche er in hebräischen Schriftzügen schrieb, denn in diesen hatte ich ihm und seinem Bruder Wil- helm den ersten Unterricht ertheilt, den später ein anderer auf sehr erfolgreiche Weise fortsetzte, und sie schrieben sie trefflich. In Briefen, deren Inhalt jedem zugänglich gewesen wäre, kund- zugeben, man unterhalte sich besser in Gesellschaft jüdischer Frauen als auf dem Schlosse der Ahnen , war damals f\Xv einen jungen Edelmann doch nicht ganz unbedenklich.'^

A. V. HOHBOLDT. I.

2.

Akademische Studiexijalire.

Die Universität Frankfurt. Kameralistische und philologische Studien. Der Winter 1788 in Berlin. Die Universität Göttingen. Kleinere Reisen. ,, Beobachtungen über einige Basalte am Rhein* ^ Reise mit Georg Forster. Die Handelsschule in Hamburg. „Entwurf meines künftigen öffentlichen Lebens**. Die Bergakademie in Freiberg.

An ein und demselben Tage, am 1. Oct. 1787, unter dem Rectorate des Professors der Theologie Johann Isaak Ludwig Caussc, wurden beide Brüder, Wilhelm und Alexander von Hum- boldt, auf der alraa Viadrina, der damaligen Universität Frank- furt a. 0., immatrikulirt. Die Inscriptionsworte Alexander's, der vierzehn Tage vorher das achtzehnte Lebensjahr zurückgelegt hatte, lauten im Album:

„Heüricus Fridericus Alexander ab Humboldt, Berolinensis, Cameralium Studiosus, pater mens jam mortuus est, mater adhuc vivit; domicilium Berolini."

Bei der Wahl der Universität Frankfurt hatte, obwol ihr einsichtsvoller, treubewährter Erzieher Kunth sie begleitete, doch die Rücksicht auf die Nähe des mütterlichen Auges und der Umstand, dass die Jünglinge in dem Hause ihres ehe- maligen Lehrers, des Professors Löflfler, aufgenommen werden konnten, den Ausschlag gegeben. Im übrigen hatte die Univer- sität, wie sehr sie auch von dem märkischen und pommerschen Adel besucht wurde, einen empfindlichen Mangel an wissen-

2. Akademische Studieigahre. (Universität Frankfurt.) 51

schaftlichen Hülfsanstalten, kein Naturaliencabinet, keine Anato- mie, kein Observatorium, keinen botanischen Garten, keine bedeutende Bibliothek, nur Eine, mangelhafte Buchhandlung und eine schlechte Druckerei.

Alexander von Humboldt sollte nach dem Wunsche der Mutter Cameralia studiren und sich 2um Eintritt in den Staats- dienst ausbilden.

Die Cameralwissenschaften standen damals noch auf einer der niedrigsten Stufen. Ihre Inhaltslosigkeit wurde sprichwört- lich dadurch bezeichnet, dass man von einem Menschen, der nichts lernte, zu sagen pflegte: „Er studirt Cameralia." Beck- mann, der berühmteste Lehrer der Staatsökonomie in Göt- tingen, präsentirte bei seinem HauptcoUegium den jungen Ca- meralisten noch Herbarien von Erbsen, Zwiebeln, Rettig, Rüben and den gewöhnlichsten Gemüsen. Nicht viel instructiver waren auch seine CoUegia und Demonstrationen über Mineralogie, Technologie und Waarenkunde. „Man lehrt", klagt Leopold Krug* noch im Jahre 1805, „den Anschlag einer Branntwein- brennerei, Theerhütte, einer Grützmühle machen, man lehrt, wie viele Fäden Leinwand und Taiffet im Aufzuge und Einschlag haben müssen, man lehrt, wie Käse gemacht und Eisen ge- schmolzen wird, wie man Raupen und Maikäfer vertreibt; aber man bat noch keine Ahnung von hohem staatswissenschaftlichen Principien." Noch im Jahre 1813 musste eine preussische Mini- sterialverfügung vom 27. Sept. verordnen : „die Studirenden von dem unglücklichen Wahne abzuhalten, als erfordere das Studium der Cameralwissenschaften einen minder angestrengten Gebrauch der intellectuellen Kräfte als das der Theologie, Medizin, Juris- prudenz ^.

Dem in hohem Alter im Jahre 1865 in Berlin verstorbenen Consistorialrath Marot, der nur ein Jahr später als Humboldt, von 1788 90, in Frankfurt studirt hatte, verdankt der

^ Betrachtungen über den Nationalreichthum des preussischen Staats 1805), I, Vorrede 8. 5.

4*

52 !• Jugend und erste Mannesjahre.

Verfasser folgende Schilderung der damaligen Zustände der Universität :

„Sie war nicht gerade blühend, genügte aber doch billigen Anforderungen, sodass jeder, der nur wollte, gute Studien machen konnte. Sie zählte damals etwa 200 250 Studenten. Der Ton, wenn er auch im einzelnen manches zu wünschen übrig liess, war im ganzen gesittet, sodass selten Exeesse vorkamen. Es studirten zwar mehrere Wohlhabende dort, doch war der grösste Theil unbemittelt und schon deswegen genöthigt, sich in Rück- sicht der Vergnügungen zu beschränken. Was die Professoren betrifft, so herrschte unter ihnen, so verschieden sie waren, Eintracht. Von den Theologen trug Causse theologische Lite- raturgeschichte ziemlich gut vor; er war ein alter Mann, streng orthodox. Menzel und Eisner hatten gute Kenntnisse, gehörten der gemässigten Partei an, hatten aber nicht genug Anregendes in ihrem Vortrage. Steinbart war Rationalist und fast zu frei, hatte aber einen guten Vortrag. Ebenso gehörte Löffler zu den Rationalisten, trug aber Exegese, Kirchengcschichte und theologische Literaturgeschichte ausgezeichnet vor. Leider ver- liess er 1788 zu Michaeli Frankfurt und wurde Ober-Consisto- rialrath in Gotha. In der juristischen Facultät waren der alte Geheimrath Daries, Madihn, Reitemeier und zuletzt Pimer. Daries war gründlich, aber nach alter Art, doch waren seine CoUegien am stärksten besucht. Madihn, der die Hefte seines verstorbenen Bruders, der früher Professor in Frankfurt gewesen, vortrug, war lebhaft im Vortrag und anregend. Reitemeier war ein gelehrter Mann und gründücher Jurist von trockenem Vor- trage. Pirner, der sich eben habilitirt hatte, gewann durch seinen Vortrag ungemein. Später kam Meister, durch den sich die Universität hob, weil er kenntnissreich, angenehm und klar im Vortrage war. Cameralia und Naturgeschichte trug Bo- rowski, ein Bruder des nachherigen Bischofs in Königsberg, trefflich vor. Von Medicinern war Hartmann ein alter biederer Mann, der von den Studenten gelobt wurde, Otto ein guter Anatom und Botaniker. Sectionen kamen selten vor^ wenn nicht

2. Akademische Stadiei^'ahre. (Universität Frankfurt) 53

ein Professor oder Arzt die Studiosen zur Privatobduction hin- zuzog. Behrends war als Professor und Arzt ausgezeichnet und hielt im eigentlichsten Sinne die medicinische Facultät aufrecht. Von den Philosophen war der schon genannte Daries Carte- sianer, gelehrt, systematisch streng, konnte sich aber in die Kanfschen Ideen nicht hineinfinden, obgleich er achtungsvoll Ton Kant sprach und vieles in dessen System billigte. Stein- bart lehrte Logik und Metaphysik, erstere nach seinem Lehr- buch, letztere nach Baumgärtner. Er war ein Naturphilosoph, bei dem alles auf der Oberfläche blieb; dabei war aber sein Vortrag fliessend, angenehm und überall verständlich. Auch hier war der Mediciner Behrends ausgezeichnet. Er las Logik und Metaphysik nach Plattner's „Aphorismen", wobei er auf die andern Systeme Rücksicht nahm und auch in die Kant'schen, damals sich erhebenden Ideen einging. Ein Muster des Vor- trags, * ruhig, würdig, tief eingehend und überall anregend. Ma- thematiker waren Wünsch und Huth. Erstcrer ein Mann, der sich selbst gebildet hatte, tiefe mathematische Kenntnisse be- sass und in der Physik ziemlich gut experimentirte; aber es fehlte ihm gänzlich die Gabe eines leichten und fasslichen Vor- trags. Diese Gabe hatte lluth, bei dem deshalb in der That etwas zu lernen war. Er trug die Mathematik so vor, wie sie vorgetragen werden muss wenn sie anziehend werden soll Schneider lehrte Philologica, später auch Naturgeschichte. Als Philolog hatte er einen europäischen Ruf, leider nicht als Docent Er nahm es zu leicht, und die Studirenden standen zu tief unter ihm. Wenn er dazu aufgelegt war, konnte man viel von ihm lernen, aber die damaligen Studenten hatten zu wenig Neigung zur Philologie, und er legte es auch nicht darauf an, sie dafür zu interessiren. Hausen lehrte Geschichte, ziemlich anziehend, aber sorglos in einem Ilanswursttone ; dazu kam noch, dass er das k nicht aussprechen konnte. Die UniversitätsbibUothek, die unter Oberaufsicht des Professors Hausen und zweier Stu- denten als Assistenten stand, und die in demselben Locale der Aula befindUche Westermann'schc Bibliothek, unter Aufsicht

54 !• Jagend und erste Mannesjahre.

eines Lehrers der Friedrichsscbule, waren Sonnabend und Mitt- woch Nachmittag geöffnet. Sic wurden nur von einigen Stu- denten besucht, die auch nur wenige Bücher entliehen, da Hausen zu viel Umstände machte. Beide Bibliotheken waren arm an neuesten Werken, da sie zu wenig Geld hatten, um solche anzuschaffen/'

Aus dieser Schilderung, die auch den jetzt in Breslau be- findlichen Universitätsacten entspricht, ersehen wir, dass unter den Professoren keiner war, der auf irgendeine Wissenschaft einen belebenden, nachhaltigen Einfluss geübt hätte. Bemerkens- werth ist allenfalls Schneider, der sich später als griechisch- deutscher Lexikograph, Löffler, der sich durch sein Werk über den Neuplatonismus der Kirchenväter auszeichnete. Otto, der üebersetzer und Bearbeiter von Buflfon's Naturgeschichte, kam erst später nach Frankfurt.

Ueber den Studiengang der beiden Humboldt war im gan- zen wenig zu ermitteln. Sie haben meist Privatissima und nur wenige öflFentliche CoUegia gehört, was ihren Fähigkeiten, ihrem Eifer, ihrer bisherigen Studien weise in Berlin am besten ent- sprach. Hier waren sie daran gewöhnt worden, ein wissen- schaftliches Pensum in 6 8 Wochen erschöpfend zu absolvireu, was der damalige Universitätsschlendrian kaum in einem ganzen Semester mühsam zu Stande brachte. Daher schreibt Wilhelm von Humboldt an Henriette Herz ^ : „Dass ich auf Weihnachten nach Berlin käme, geht nicht an, meine Liebe. Kunth wird, soviel ich absehen kann, auch nicht hinreisen, und allein, das würde ich schwerlich durchsetzen, üebrigens gehen auch, da wir nur wenig öffentliche CoUegia hören, unsere Arbeiten selbst in den Ferien immer fort." Hierher gehören auch noch an- dere Aeusserungen * : „Beinahe wünschte ich mir meines Bru- ders Temperament. Er hat zwar Langeweile hier, aber im

1 Ans dem Nachlasse Vamhagen's. Briefe von Chamisso, Gneisenau, Haagwitz, W. von Humboldt u. s. w., I, 72. 79.

« A. a. 0., I, 57.

2. Akademisdie Stadieigahre. (Uniyersität Frankfurt.) 55

Grunde ist er doch recht vergnügt. Er läuft viel herum, moquirt sich, und so immer fort. Aber traurig ist er gar nicht. Er sagt auch selbst, er hätte in Berlin auch nicht mehr Vergnügen ge- habt Sie müssen aber nicht denken, dass er darum alle seine Zeit so veiiäuft. Er ist doch recht fleissig dabei und thut manches recht Gute, üebrigenö leben wir beide noch wie sonst miteinander. Wir sind uns sehr gut, aber selten einig. Unser Charakter ist zu verschieden/^ Als Wilhelm schon in Göttingen lebte, während Alexander noch in Berlin zurückgeblieben war, schrieb er an die Herz * : „üeberhaupt verkennen ihn die Leute, vorzüglich wenn sie mich in Talent und Kenntnissen so weit über ihn setzen. Talent hat er weit mehr wie ich, und Kennt- nisse — abgerechnet dass er jünger ist ebenso viel, nur in andern Fächern. Er hat sich zwar oft gegen mich über Dich moquirt, aber theils um mich zu ärgern, theils weil er sich über jeden moquirt Gegen jeden andern hat er Dich mit einem ihm sonst ungewöhnhchen Eifer vertheidigt. Er hat mir einen der possierlichsten Briefe geschrieben, die Du Dir denken kannst Der Anfang ist griechisch, das Mittel lateinisch, und das Ende deutsch. Hebräische Schrift kommt auch darin vor. Von Dir schreibt er griechisch, damit es Kunth nicht verstehen soll." Endlich schreibt er ihr am 14. Febr. 1789: „Die Nachrichten von mon frfere freuen mich Er ist wahrlich ein wackerer Junge, der einmal viel Nutzen stiften wird. Sein Herz, so boshaft es manchmal scheint, ist doch im Grunde sehr gut Sein Haupt- fehler ist nur Eitelkeit und Sucht zu glänzen. Die Ursache aber ist, weil er nie ein starkes Interesse des Herzens gehabt hat."

Diese Züge, die Wilhelm von Humboldt von Alexander ent- worfen, werden vervollständigt durch eigene handschriftliche Briefe an berliner Freunde. Zu diesen gehörten der Studiosus medicinae Beer, der Hausgenosse des Hofraths Herz, der sich neben den roedidnischen Berufsstudien auch philosophischen Disciplinen widmete und später als praktischer Arzt in Glogau starb, und

> A. a. 0., I, d8.

56 L Jugend und erste Maunesjahre.

David Friedländer, von dem schon S. 29 die Rede war. Nach vierzehntägiger Trennung schreibt er an Beer: „Gern hätte ich eher aus Ihrem Hause Nachricht gehabt, gern hätte ich eher mein Versprechen, Ihnen zu schreiben, erfüllt, wenn ich nicht immer durch tausend kleine Abhaltungen wäre daran gehindert worden. Jetzt aber, da unsere erste Emrichtung gemacht ist, jetzt, mein Bester, kann mich nichts von dem angenehmen Ge- schäft zurückhalten, mich mit Ihnen einmal wieder zu unter- halten. Freilich sind Briefe nur ein schlechter Ersatz für die Freuden eines nähern Umgangs, freilich ist die Erinnerung an einen abwesenden Freund immer mit einem gewissen Schmerz verknüpft Aber selbst in diesem Schmerz der Sehnsucht liegt eine so angenehme Empfindung verborgen, dass man, auch ohne Empfindelei, gern demselben nachhängt. Erwarten Sie für heute nicht viel mehr als diese wenigen Zeilen von mir. Mit jeder Secunde fürchte ich, dass die Glocke drei schlagen wird, um uns in ein juristisches Collegium zu rufen; alles, was ich Ihnen geschwind sagen kann, ist, dass wir alle gesund und, quantum fieri potest, vergnügt leben. In wenig Tagen ein Mehreres! Grüssen Sie doch den lieben Hofrath, seine vortreffliche Frau, die Veiten, die Levi, Herrn Friedländer und wen sie sonst noch sehen, der sich meiner erinnert."

Interessanter ist der folgende Brief aus dem Nov. 1787.

„Haben Sie tausend, tausend Dank, mein Bester, für den lie- ben gütigen Brief, mit dem Sie mich neuhch erfreut haben. Zwar hatte ich wohl Lust, mich darüber mit Ihnen ein wenig zu zan- ken, dass Sie meinen Entschuldigungen so wenig Glauben bei- messen, aber von solchen Dingen will ich nicht den StoflF meines Briefes hernehmen. Ihre Güte macht mich hoflfen, dass Sie sich mein langes (unverschuldetes) Stillschweigen allenfalls durch eine Nachlässigkeit, gewiss aber nicht durch Mangel an Freundschaft von meiner Seite erklären können. Der jetzige Messverkehr zieht viele Berliner hierher, unter denen mir Friedländer der interessanteste gewesen ist. Von ihm haben wir erfahren, dass Sie noch alle gesund sind und sich bisweilen Ihrer abwesenden

2. Akademische Stadiei\jahre. (Universität Frankfurt.) 57

Freunde erinnern. Möchten wir Sie doch überführen können, wie manche misvergnügte Stunde uns der Gedanke an Sie und ao die andern guten Menschen, deren Umgang wir mit Ihnen genossen, versüsst hat! Wie es mir hier gefallt, ob ich meine jetzige Lage als Student der ehemaligen in Berlin vorziehe, sind Fragen, die mir zwar täglich vorgelegt werden, die sich aber weder mit gut oder schlecht, noch mit ja oder nein beantworten lassen. Die Freuden eines freundschaftlichen Umgangs, die wir hier m vollem Masse gemessen, abgerechnet, würde Frankfurt freilich für uns ein trauriger Ort sein. Doch mit einem wenig Philosophie wird man bald gewahr, dass der Mensch für jeden Erdenstrich, also auch für die frostigen Ufer der Oder, geboren ist Was könnte die Königin der Wissenschaften (die übrigens hier eben nicht ihren Tempel hat) für einen edlem Zweck er- reichen, als den Menschen zufrieden zu stellen! (Habe mich vor Dinen wollen in schönen Worten sehen l^sen, habe aber nicht reussirt.)

„Die Anzalil der hiesigen Studenten ist sehr klein. Sie be- lauft sich gegenwärtig auf etwa 220—230, worunter man nur acht Mediciner zählt. Demohngeachtet werden auf keiner deut- schen Universität so viele Doctoren der Arzneigelahrtheit ge- macht als eben hier. Während der ersten fünf Wochen unsers hiesigen Aufenthalts haben nicht weniger denn fünf, worunter nur ein Ausländer war, «ad summos in Medicina honores legi- time obtinendos » disputirt. Bei einer so grossen Concurrenz von Aerzten muss man wirklich eine gute Waare zu Markte bringen, um Abnehmer zu finden. Alles strömt in Frankfurt zusammen, um sich doctoriren zu lassen, weil das Disputiren, wenn man es so nennen darf, nirgends leichter ist als hier. Der Präses muss nicht blos die Disputation schreiben, sondern sie auch im eigentlichen Verstände vertheidigcn. Die Respondenten, die ge- wöhnlich nicht sechs Worte zusammenhängend lateinisch reden können, thun als wenn sie die Einwürfe der Opponenten gar nicht angingen. Sie lesen ihre Complimente oder Anreden ab, und hören geduldig zu, wie sich der Präses herumstreitet. Da

58 I- Jugend und erste Mannesjahre.

man aber ein guter Arzt sein kann, ohne lateinisch zu sprechen, so will ich nicht leugnen, dass unter den neuen Doctoren nicht oft geschickte Männer sein mögen. Wenn wir wieder nach Berlin zurtlckkehren, denke ich Ihnen, mein Bester, einen guten Vorrath von Disputationen mitzubringen, die gewiss ihren Werth haben, da sie fast alle von dem Professor Hartmann herrühren. Dieser ist eigentlich Lehrer der Pathologie, Therapie, Chemie und materiae medicae, macht aber, seitdem Meier in Berlin ist, die ganze medicinische Facultät aus. Er ist dabei ein profunder Philolog und ein angenehmer lateinischer Dichter. Doch so und vielleicht schon zu viel von dieser Materie. Empfehlen Sie mich, meinen Bruder und Herrn Kunth an den lieben Hofrath und seine vortreffliche Frau. Versichern Sie der letztem, dass ich es nicht eher wagen würde, an sie zu schreiben, bis ich völlige Absolution von ihr erhielte, das heisst, bis sie mich wissen liesse, dass sie mir nicht „ein wenig böse'S sondern wol gar „ein wenig gut" wäre. Dann soll sie einen schrecklichen eng- lischen Brief von mir erhalten. Grüssen Sie noch die Veit, die Levi und das Ganze meiner Bekannten. Ganz der Ihrige.

A. V. Humboldt, der Jüngere."

Der Briefwechsel mit diesem Freunde scheint ziemlich lebhaft gewesen zu sein und wurde auch noch nach der Heim- kehr aus Amerika nicht ganz aufgegeben. Hieran knüpfen sich folgende Schreiben von beiden Brüdern und Kunth an David Friedländer, als er durch einen Todesfall in der Familie zu schneller Heimkehr von Frankfurt veranlasst wurde. Alle drei Briefe sind auf Einem Quartbogen und von demselben Datum, Frankfurt, 19. Dec. 1787; sie constatiren den innigen Verkehr, der zwischen den Genannten stattgefunden.

Wilhelm von Humboldt beginnt:

„So unerwartet und aus mehr als einer Ursache schmerz- lich mir Ihr schneller Abschied von Frankfurt gewesen ist, ebenso unerwartet, aber und das gleichfalls aus mehr als einer Ursache erfreulich ist mir Ihr gütiger Brief gewesen. Zwar dürfte ich mit Recht dieses Beweises Ihres Andenkens

2. Akademische Stadieigahre. (Universit&t Frankfurt.) 59

hoffen; aber wenn ein gewisses Zweifeln bei einem gewissen Grade der Liebe so natürlich sein soll, warum nicht auch bei einem gewissen Grade der Freundschaft? Ich will Sie nicht an den Verlost erinnern, den Sie erlitten haben und den Ihr Herz gewiss tief empfanden hat; aber soll ich Ihnen auch nicht sa- gen, wie sehr ich mich freue, Sie wieder aufgerichtet und heiter zo sehen? Dass ich mich dagegen wegen dieser allerdings ein wenig verspäteten Antwort nicht entschuldige, das können Sie eher fflr ein Zeichen meiner Bescheidenheit als eines Mangels ao gutem Ton (denn ich bin ja erst zwei Monate in Frankfurt) annehmen« Muss es denn aber doch entschuldigt sein, nun so

bin ich's ja durch die viele Arbeit, die ich habe, genug. Sagen Sie dies aber Engeln nicht. Seine Freundschaft vertraute mir schon seit langer Zeit die Oberaufsicht über die ganze Gelehr- samkeit unsers Landes an; wenn er nun von dem steigenden Fleiss hört, der auch nicht einmal zur Antwort auf einen so gütigen Brief in so langer Zeit ein paar Minuten finden lässt, so wird er nicht mehr wissen, wozu er mich bestimmen soll, und aufs wenigste einen Posten für mich schaffen müssen. Lieber sagen Sie ihm so etwas, das etwa nach dem Gegentheil aussieht. Dann wird er erkennen, dass ich ihn noch sehr brauche, und mir desto gewisser, wenn ich wieder in Berlin bin, der alte natürliche Freund sein. Um der guten Absicht willen können Sie schon einmal etwas wider Ihren Charakter thun. Vergessen Sie aber auch nicht, ihm dann desto mehr von meiner an wandelbaren, dankbaren Liebe gegen ihn zu sagen; so machen Sie durch eine grosse Wahrheit eine kleine Unwahr- heit wieder gut Die «Mysterien» und Guibert habe ich erhalten and arstere gelesen. Haben Sie herzlichen Dank dafür. Mein Urtheil, wenn Ihnen daran liegt, mündlich. Denn jetzt habe ich nar so viel Platz, dass ich mich Ihnen und Ihres Hauses freund- schaftlichem Andenken empfehlen kann. Den übrigen Bogen hat mein Bruder und Herr Eunth in Beschlag genommen. Leben Sie recht wohl, theuerster Freund.

W. Humboldt"

60 I- Jugend und erste Mannesjahre.

Alexander von Humboldt fahrt sodann fort: „Das jüngste Geschöpf in der Familie zu sein, hat einen Nachtheil für mich, der sich leider bis zu diesem Briefe äussert. Wäre mir die erste Seite auf diesem Papier zutheil geworden, so hätten Sie, mein Bester, wie es in der unabsehbaren Stufen- leiter der Dinge (in der wirklichen Welt oder nur in den Köpfen der Philosophen?) geht, von dem Schlechtem zum Bessern fort- steigen können. Aber mir, eben als wäre das Fehlerhafte mei- ner Schreibart nicht auffallend genug, einen traurigen Mittelplatz zu geben, mich zu einem unseligen Schlagschatten zu gebrauchen, der die nebenstehenden Gegenstände heben soll, das ist ebenso unerlaubt, als wenn Sie mir zu meiner satirischen Blumenlese Glück wünschen. (Gern wollte ich dergleichen Sammlungen entbehren, würde einem nicht hier der Beitrag oft von allen Seiten aufgedrungen.) Wie unangenehm mir Ihre schnelle Ab- reise und noch mehr die traurige Veranlassung dazu gewesen, sage ich Ihnen nicht, da ich von Ihrer Freundschaft hoflFcn darf, dass Sie mir dergleichen Empfindungen zutrauen. Mit Verlangen sehe ich der künftigen Messe entgegen, weil dann einer meiner wärmsten Wünsche in Erfüllung geht, der Wunsch, Ihnen münd- lich zu sagen, wie über alles schätzbar mir Ihre Liebe und Ihr Andenken ist. Empfehlen Sie mich Ihrem ganzen Hause, und seien Sie versichert, dass der hiesige Aufenthalt, von welcher Seite Sie ihn angreifen mögen, mir nur als ein noth wendiges üebel erträglich ist. Ganz der Ihrige

Humboldt der Jüngere.

N. S. Die lyrische Unordnung, welche in diesem Briefe herrscht, schreiben Sie diesesmal nicht mir, sondern Herrn Kunth zu, der hinter mir steht und mich zum schnellern Schrei- ben ermahnt. Ich möchte lieber ein Dummkopf als ein unordent- liches Genie heissmi. . . . ^ji/«: ^\^h) \/ay'/c ^A) ^'; j^g^V

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> D. h.: Leben Sie noch einmal wohl, und schliessen Sie mich in das Gebet Rabbi Hillers ein! In dieser jüdischen Currentschrift hatte

2. Akademische Studieigahre. (Universität Frankfurt) 61

Kunth endlich scblicsst:

^t aller Bescheidenheit, womit sich meine Herren Vor- gänger, jeder in seiner Art, so viel wissen, haben sie mir doch eioen so kleinen Raum auf diesem Blatte gelassen, dass es mit meiner Zeit und mit der Lust, die ich habe, Ihnen zu schrei- ben, in einem sehr unrichtigen Verhältniss steht. Dass Sie da- bei vielleicht gewonnen, geht mich nichts an. Indess muss ich mich doch schon nach der Decke strecken, und ich bin zufrie- den, wenn Sie nicht ganz verkennen, dass dieses Strecken nicht ganz unverdienstlich ist, da man doch die Freiheit hat, ein zweites Blatt zu nehmen. Hier haben Sie eine Quittung in forma probatisäma für unsem Engel. Hat er auch jetzt noch Zweifel, nun so zahle ich künftige Messe das Kapital zurück. Für die Zinsen aber müssen Sie sich schon das Vergnügen an- rechnen lassen, was Urnen der lustige Streit gemacht hat. Ich d^ike, auf die Art sollen Sie nicht verlieren. Der üeber- bringer dieses ist Herr Albinus, den Sie vielleicht schon hier auf einem Spaziergange kennen gelernt haben. Es ist der Gesell- schafler des jungen Grafen Dohna und ist ein herzensbraver Mann. Er nutzt die jetzigen Weihnachtsferien, um Berlin zu sehen. Können Sie dazu beitragen, dass er seinen Zweck er- reicht und einen desto angenehmem Aufenthalt hat, so thun Sie es doch ich will nicht sagen weil ich Sie darum bitte, son- dern weil er's so sehr verdient. Ein paar Zeilen, wenn sie auch wieder nur von Engel handeln, können Sie ihm auch wol an mich zurückgeben. Denn bis zum Wiedersehen ist es leider noch sehr lange hin. Kunth.**

Von den akademischen Freunden unsers Brüderpaares sind za nennen: Graf Alexander von Dohna- Schlobitten, der von 1786 88 in Frankfurt studirt hatte und in derselben Zeit, 1808, preussischer Staatsminister war, als Wilhelm von Humboldt

Henriette Herz beide Brüder untcrriclitet (s. S. 49). Rabbi Hillel, der fkli durch Weisheit und Milde auszeichnete, hatte in schOner Humanität aadi für Ungläubige ein gutes Wort frommer Fürbitte.

62 I- Jugend mid erste Maanajakre.

das Ministeriam far Coltas and Unterricht übernahm. Auch mit dem Begleiter des jungen Grafen, einem wohhmterrichteten und strebsamen jungen Manne, Albinos, waren sie in freund- schaftlichen Verkehr getreten. Vor aDen aber hatte sich Alexander von Humboldt dem jungen Theologen Wegener an- geschlossen, der 1837 in Züllichau als Superintend^t ge- storben ist Noch erhaltene Briefe Humboldt's aus den Jahren 1788— -90 an denselben sind der Ausdruck der innigsten, sdiwärmerischen Hingebung. Sie sind Zeugnisse i&r den Adel und die Innigkeit der Jüngling^seele, für den Eifer nach Kennt- nissen und Wissen, und werfen heile Streiflichter auf damalige Zustande und Personen, deren Reflex auch unsere Tage be- leuchtet. In diesen Briefen, die eine ergid>ige Qudle fär die Darstellung der nächsten zwei Jahre sind, werden auch noch Metzner, Keverberg, Herzberg, Bertram, Sartorius, Wickert als Freunde erwähnt, über die aber Näheres nicht zu ermitteln war. „Könnte ich so froh in die Zukunft sehen, als ich in die Vergangenheit sehe", schreibt Humboldt aus Berlin dem Freunde. „Die glücklichen Tage in Frankfurt sind vorbei. Immer denke ich mit Rührung an diesen Ort zurück. So mit- einander verbunden werden wir nimmermehr sein. Doch wer weiss, welche Freuden unserer harren. . . . Gott gebe das Beste, und nichts löse das Band zweier Freunde, die mehr als Brüder sich sind." und später wieder: „Wie schnell ist mir der vorige Winter vorübergeeilt, wie lang wird mir dieser. Gott ! wie fröh- lich haben wir bei Deinem alten zerrissenen Stuhle am Ofen so manche Stunde verplaudert Kein Tag verging, wo wir uns nicht ein- oder zweimal sahen. Wie ist jetzt schon alles ver- schlagen, wo sind unsere alten Freunde! Albinus in Schlesien, Metzner und Du in der Neumark, Herzberg in Halle, ich in Berlin und bald noch weiter 1"

Wenn indess die Universität Franldurt hinreichen mochte, Beamte ftLr die damaligen Bedürftiisse des Staatsdienstes vor- zubereiten, und somit den nächsten Zweck zu erftlllen, welchen

9. Akademische Stndieigahre. (Winter 1788 in Berlin.) 63

wahrscheinlich Frau Majorin von Humboldt bei der Wahl dieser Universität für ihre Söhne g^abt hatte: für die Befriedigung des Wissensdrangs der beiden Brüder bot sie kein Genüge. Und so ging Wilhehn bereits Ostern 1788 auf die Georgia Angnsta nach Göttingen, und Alexander einstweilen wieder zu- rück nach Berlin.

In seiner kurzen Autobiographie ^ sagt Alexander von Hum- boldt, er habe den nächsten Sommer und Winter wieder in Berlin zugebracht, „um Technologie, auf das Fabrikwesen an- gewandt, zu Studiren, und nun erst, seinem fleissigem Bruder nachstrebend, sich ernsthafter mit der griechischen Sprache zu beschäftigen. In dieser Zeit schloss Humboldt sich mit warmer Freundschaft an den jungen, aber schon berühmten Botaniker Willdenow an und zeigte besondere Vorliebe für das Studium der Kryptogamen.^' Nichtsdestoweniger war Humboldt auch damals noch mit Frankfurt in Verbindung geblieben, er sprach nicht selten dort wieder vor, wahrscheinlich angezogen von Reitemeier, der gerade damals seine gekrönte Preisschrift „Ge- schichte des Bergbaues und Hüttenwesens bei den alten Völkern" vollendet hatte, seine „Analecta ad historiam rei metall. veterum" herausgab und höchst wahrscheinlich auch den Studiosus Hum- boldt für das Studium in diesem Zweige der classischen Philo- logie interessirt hatte. Denn derart sind ja die kleinen Abhand- hmgen „Ueber den Basalt der altem und neuern Schriftsteller*^ „Ueber den Syenit der Alten" „Ueber den Basalt des Plinius und den Säulenstein des Strabo", die einen wesentlichen Theil seiner nächsten Schrift „Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein", ausmachen.

Auch aus dieser Zeit lässt sich über den Gang seiner Stu- dien nichts Ausführliches feststellen. Emzelnes geht indess aus den Briefen an den frankfurter Freund Wegener hervor. So berichtet er ihm anfangs Mai, dass er bei einem Candidaten S. S. Th. Bartholdi Unterricht im Griechischen habe und sich

Brockhaus* Conversations- Lexikon (10. Aufl.)} Gegenwart (18Ö8), Bd. S.

64 I* Jugend und erste Mannesjahre.

„noch mit den Propheten und Ottern * in der ersten Declination herumbalge". Aber schon am 9. Juni schrieb er ihm, um wegen eines Declinationsfehlers seine grammatische Ehre zu retten, einen förmlichen griechischen Brief, ohne Accente, aber mit dem Vorwort: „Freilich muss ich fürchten, dass Du von dem allen, was ich schreibe, nicht eine Silbe verstehst, aber dann möchte ich sagen, wie Cervantes den Sancho reden lässt: «Ihr versteht mich nicht, gestrenger Herr? Schadet nichts! Gott der All- wissende versteht mich.» Und nun meine Probe, und einen Freund wie Du zum Richter!"

Das berliner Neugriechisch lautete buchstäblich:

A5eX9o^ A5eX9o x^^'p^t'^-

ESuvotfXTjv «K TCpoxepov aot Ypa|x|jLaTa Ypa9etv ^ap «x et^ov Xs5«'>tov, (jLexa efjiö a8eX9ö aTcoxopiQCJea* ijpOTTjaa tov 9tXov EvysXov, oTt TOV Xs^txov auTö Savstfei, aXX' aTceveucjs 8ta nqv aiTiav cxi vöv TCoXXaxt^ nXaTova ava-yivGOicef Yjponrjaa sfjiov 8t5aaxaXov (eXvep, oTi TauTOv STCoiee, xai exeivoa tov Xe^xov auTou e5c»ce.

Nuv TcoXXaxia aoi ypaijxi) xai TcXeovaxia ch [jLe|xvo[jLai. Tov 9iXoTaTov Me^vepov Tcapa efjiou x^^^^^ xeXeuu* epuTae exeivov, et eTt |xs|jLV6et Tiva ayai'a tcots euxovTO. Me^vepoc, oti y) e^sTaata SV xuoTptva tjSt] stsXtqS^, euxofjisvoa yjv eyo, OTt ttjv IXXevtav YXoaav)v eiSov, eßBXY]aa|xir)v* tcoi v»v exa^e^ofxevl xoxetvo^ 7)87) tov 6pov ifi9a7caaTa (?), xat eye) ToXatTcopaTttToa xat 8uaTuxiQ<y eta Cti (locxpav aTceifJLil

Und dann heisst es wieder deutsch weiter: „So viel und vielleicht schon zu viel für heute, mein Bester. Aus den wenigen Zeilen, die ich ohne Lehrer aufgesetzt habe (daher die Fehler mir allein zur Last fallen), magst Du meine Fortschritte in der griechischen Sprache beurtheilen. An Lust und Fleiss fehlt es bis jetzt noch nicht. Könnte ich nur meiner Neigung folgen, und hätte diese nicht immer mit der leidigen Einschränkung

JIpO^T^Tl^Cy iX^Öva.

2. Akademische Studicnjabro. (Winter 1788 in Berlin.) 65

des innern Sinnes, mit einem Nichts, das doch wie ein grosses Etwas wirkt, zu kämpfen, o so müsste ich dieses wichtige Studium hingst schon weiter getrieben haben. Je mehr ich ftber die griechische Sprache nachdenke, desto mehr werde ich in meiner vorgefassten Meinung bestätigt, dass sie die Grund- hige aller gelehrten Kenntnisse sei. Freilich war es schlimm genug für mich, ein Haus auf blossem Sande ausgeführt zu sehen. Aber ein so leichtes Haus als das meinige lässt sich leicht untermauenu und darum gereut es mich nicht, im neun- zehnten Jahre noch extSva zu decliniren.

,, Engel setzte mir vorgestern vortrefflich auseinander, wie wir in Philosophie, Aufklärung, Geschmack, Künsten u. s. w. um mehrere Jahrhunderte weiter sein würden, wenn die abend- ländische Kirche in dem mächtigen Streite der Bischöfe nicht (ks Uebergewicht behalten und dadurch römische statt grie- chische Literatur, die Coi)ien statt der Originale, eine mittel- mässige Sprache für die ausgebildetste, volikonnnenste Sprache eingeführt hätte. Wie viel Gutes müsste von Rom aus gestiftet werden, um alles das wieder gut zu machen, was man dem römischen Bischof zu danken hat!"

Das Thema „Ueber das Rcnlc^n mit andern Zungen im Neuen Testament", welches Freund Wegener zu seinem Examen bear- beiten wollte, gab Humboldt Veranlassung, sich aucli über diese theologische Materie epistolarisch zu äussern. Wie auch der Werth dieser Aeussenmgen immerhin sei, es ist jedenfalls von hohem Interesse, auch hierin die Vielseitigkeit seiner Bildung, die philosophische Methode sehier Gedankencombination, „die logische Erziehung der Herren Berliner" kennen zu lernen. Um aber unsere Darstellung hier nicht zu sehr zu unterbrechen, ist das Wichtigste seiner Ausführungen im Anhange mitgetheilt.

Wie Humboldt während dieses berliner Aufenthalts Botanik studirt hat, darüber ist seine» Aeusserung an Pictet bereits früher (S. 32) mitgetheilt worden. Ausführlicher schreibt er indess dem Freunde in Frankfurt:

4. V. llcasoLbY. I. 5

66 ^ Jugend und erste Mannesj&hre.

,^en 25. Febr. (1789.) Eben komme ich von einem einsamen Spaziergange aus dem Thiergarten zurück, wo lieh Moose und Flechten und Schwämme suchte, deren Sommer jetzt gekommen ist. Wie traurig , so allein herumzuwandem ! Doch hat auch, von einer andern Seite betrachtet, dies Einsame in der Beschäftigung mit der Natur etwas Anziehendes. So ganz im Genuss der reinsten, unschul- digsten Freude, von Tausenden von Geschöpfen umringt, die sich (seliger Gedanke der Leibniz'schen Philosophie 1) ihres Daseins freuen, das Herz zu dem erheben, der, wie Petrarca sagt, amuove le stelle e loro viaggio torto, e da vita alle erbe a i musci alle pietre » (sie) .... Solche Betrachtungen, lieber Bru- der, versetzen einen immer in eine süsse Schwermuthl Mein Freund Willdenow ist noch der einzige, der dieses mit mir em- pfindet. Aber seine und meine Geschäfte hindern uns, oft Hand in Hand in den grossen Tempel der Natur zu treten. Solltest Du glauben, dass unter den andern 145000 Menschen in Berlin kaum vier zu zählen sind, die diesen Theil der Naturlehre auch nur zu ihrem Nebenstudium, nur zur Erholung cultivirten. Und wie viele sollte nicht ihr Beruf darauf leiten, Aerzte und vor allen das elende Kameralistenvolk. Je mehr die Menschenzahl und mit ihr der Preis der Lebensmittel steigen, je mehr die Völker die Last zerrütteter Finanzen fühlen müssen, desto mehr sollte man darauf sinnen, neue Nahrungsquellen gegen den von allen Seiten einreissenden Mangel zu eröflfnen. Wie viele, un- übersehbar viele Kräfte liegen in der Natur ungenutzt, deren Entwickelung Tausenden von Menschen Nahrung oder Beschäf- tigung geben könnte. Viele Producte, die wir von fernen Welt- theilen holen, treten wir in unserm Lande mit Füssen, bis nach vielen Jahrzehnten ein Zufall sie entdeckt, ein anderer die Entdeckung vergräbt oder, was seltener der Fall ist, aus- breitet. Die meisten Menschen betrachten die Botanik als eine Wissenschaft, die für Nichtärzte nur zum Vergnügen oder allen- falls (ein Nutzen, der selbst wenigen erst einleuchtet) zur sub- jectiven Bildung des Verstandes dient. Ich halte sie für eins

3. Akademische Stndieigahre. (Winter 1788 in Berlin.) 67

von den Studien, von denen sich die menschliche Gesellschaft am meisten zu versprechen hat. Welch ein schiefes Urtheil, zu meinen, dass die paar Pflanzen, welche wir bauen (ich sage, ein paar gegen die 20000, welche unseiii Erdball bedecken), alle Kräfte enthalten, die die gütige Natur zur Befriedigung unserer Bedürfnisse in das Pflanzenreich legte. Ueberall sehe ich den menschlichen Verstand in einerlei Irrthümern versenkt, überall glaubt er die Wahrheit gefunden zu haben und wähnt, dass ihm nichts zu verbessern, zu entdecken übrigbleibe. Er scheut die Untersuchung, weil er denkt, dass schon alles untersucht sei. So in der Religion, so in der Politik, so überall wo der gemeine Haufen sein Wesen treibt. Was ich von der Botanik gesagt habe, gründet sich aber nicht blos auf Schlüsse a priori. Nein, die grossen Entdeckungen, die ich selbst in den Schriften der ältesten Pflanzenkenner vergraben finde, und die in neuem Zeiten von gelehrten Chemikern oder Technologen geprüft wor- den sind, haben diese Betrachtungen in mir veranlasst. Was helfen alle Entdeckungen, wenn es kein Mittel gibt, sie exo- terisch zu machen. Doch Verzeihung, lieber Bruder, dass ich Dir mit Sachen, die Dich weniger interessireu können, Lange- weile mache. Mir sind sie darum so wichtig, weil ich an einem Werke über die gesammten Kräfte der Pflanzen (mit Ausschluss der Heilkräfte) sammle, ein Werk, das wegen des vielen Nach- SQchens and der tiefen botanischen Eenntniss bei weitem meine Kräfte übersteigt, und zu dem ich mehrere Menschen mit mir zu vereinigen strebe. So lange arbeite ich daran zu meinem eigenen Vergnügen und stosse oft auf Dinge, bei denen ich (trivial zu reden) Nase und Ohren aufsperre. Von diesen und andern Planen künftig ein mehreres. Nur fürchte nicht, dass ich sogleich als Autor aufstehen werde. Davor denke ich mich in den ersten zehn Jahren zu hüten, ich müsste denn glauben, etwas sehr Neues oder Wichtiges entdeckt zu haben."

Und bald darauf schreibt er wieder: „Dass Du Botanik in Erholungsstunden treiben willst, freut mich unendlich. In Dei- ner Einsamkeit wirst Du kein anziehenderes Studium finden,

6*

68 I* Jugend und erste Mannesjahre.

das Dir reinere und wohlfeilere Freuden gewährte. Die Pflan- zen (ohne Empfindelei zu reden) werden unsere Freunde, unter denen uns einige werther als andere sind. Auf jedem einsamen Spaziergange wandelt man wie mitten unter seinen Bekannten. Welche Freude, wenn man auf einmal viele seiner Lieblinge zusammen findet. Unbedeutende Gegenden erhalten Interesse für uns, weil wir hier zuerst eine Pflanze entdeckten, die uns noch unbekannt war, weil wir dort die Blume vermissen, die vor kurzem noch blühte. Die Botanik ist eine edle Beschäf- tigung für Geistliche. Auch war ein englischer Priester Ray (Rains) einer der grössten Ph} tosophen der Vorzeit. Der grosse Jacquin in Wien, der durch seine botanischen Reisen in Jamaica und Südamerika berühmt ist, hat in seinem 70. Jahre ein Com- pendium der Botanik geliefert, ein herrliches, vollendetes Werk. Ich wage es, lieber Bruder, Dir ein Exemplar davon zum An- denken anzubieten. Wenn Du es nur erhältst wenn die Bäume grünen, denn in der Stube die Anfangsgründe der Botanik zu Studiren, ohne unmittelbare Vergleichung mit der Natur, ist ein trockenes, hyperlangweiliges Studium.''

Dieser damals bei ihm vorherrschenden Liebe für die Bo- tanik ist auch seine erste, fast ganz unbekannte, literarische Arbeit zu verdanken, eine französische anonyme Abhandlung „Sur le Bohon-Upas par un jeune Gentilhomme de Berlin".* Humboldt selbst hatte sie vergessen, und erst als ihm seine eigenen Citate (CrelVs „Chem. Ann." [1795J, II, 106, Anm.; in seinen „Unterirdischen Gasarten", S. o7G, Anm.; in seinen „Reizversuchen", II, 141, Anm.) vorgelegt wurden, in denen er sich auf diese Abhandlung ausdrücklich als auf die seinige be- zieht, erinnerte er sich derselben mit dem Bemerken, sie sei eine Uebersetzung von Tliunherg's Abhandlung „De arbore Macas- sariensi", ein Exercitium zur Uebung im Französischen gewesen bei seinem Lehrer Mr. Le Bauld de Nans. Die zahlreichen

» Gazette Ht6r. de Berlin, feuüles No. 1270 et 1271 du 5 et 12 Jan- ▼ier 1789.

2. Akademische Studieigahre. (Winter 1788 in Berlin.) 69

Anmerkungen zeigen indess schon eine sehr grosse Belescnheit und jene scharfe Beobachtung, durch die sich seine spätem Arbeiten in so seltenem Grade auszeichnen. '

Ueberraschend ist es, zu eifahren, dass der junge Kame- ralist bei dem Propst und Consistorialrath Zöllner Technologie hörte. Nachdem er Zöllners theologische Fähigkeiten und Ver- dienste dem Freunde Wegener geschildert, schreibt er: „Es ist (das kannst Du jedem dreist ins Gesicht sagen) eine derbe Lüge, zu sprechen, Zöllner wisse von allen Dingen nur etwas. Bei einem technologischen Collegium (das, wie Zöllner es liest, wohl die 100 Dukaten werth ist die es kostet, und welches so mannichfaltige mechanische, hydraulische, botanische, physika- lische, chemische, medicinischc , mineralogische u. s. w. Kennt- nisse erfordert) habe ich seine Wissenschaft ziemlich beiirtheilen können. Biester sagte neulich ganz wahr von ihm : «Was weiss denn der Zöllner nicht!» Seine medicinischen Kenntnisse sind so gross, dass er ehemals stark willens war auf der Anatomie ordentlich zu cursiren. Das weiss ich von hiesigen Medicinern."

Die zeichnende Kunst wurde im weitesten Sinne geübt. Neben dem freien Handzeichnen auch das Plan-, Linear- und Maschinenzeichnen und die Radirkunst. Wir besitzen selbst in einigen Exemplaren zwei Köpfe von etwa 10 auf 7 Zoll Höhe und Breite. Der eine, mit der Schrift am untern Rande: ^phael pinx." und „A. v. Humboldt fec. aqua forti 1788"; es ist der Kopf eines Schülers aus der Schule von Athen, und zwar des Schülers zur äussersten Linken in der rechten un- tersten Gruppe. Der zweite ist ein bärtiges männliches Brust- bild in faltenreicher Gewandung mit Turban und der Schrift: JRembrand pinx." und „A. v. Humboldt fec. aqua forti 1788". Fremde Nachhülfe ist liier vielfach erkennbar, auch haben beide Köpfe keinen besondern Kunst werth, aber immerhin als Jugendarbeit Humboldfs ein unbestreitbares Interesse. Dass

I Meytrbeer^s Afrikanenn hat durch den Manzanillabaum auch diesen rpagbanm wieder in Erinnerung gebracht.

70 I- Jngend und erste Mannefljahre.

Humboldt sich im Sommer 1788 eifrig im Radiren geübt, be- weist folgendes Billet:

„An den jungen Herrn Friedlaender d. altem. Hierbei ein Bild.

Ihr Herr Vater (d. i. David Friedlaender) hatte mir vor wenigen Tagen versprochen, mir die Apostelköpfe von. Michel Angelo zum Nachradiren zu leihen. Da ich soeben vom jungen Mendelssohn erfahre, dass er bereits nach Frankfurt abgereist ist, so wende ich mich an Sie, mein Bester, um Sie zu bitten, mir das Kupfer so bald als möglich zu schicken. Der Spinoza von Oeser, den ich bereits copirt habe, folgt mit dem gehor- samsten Danke zurück. Empfehlen Sie mich Ihrer verehrungs- werthen Frau Mutter und Ihrer ganzen übrigen mir so schätz- baren Famihe. Sagen Sie ersterer, dass ich künftigen Montag nach Frankfurt reite und dass ich mir ein besonderes Ver- gnügen daraus machen würde, Ihre etwaige Befehle dahin aus- zurichten. Leben Sie wohl, mein Bester!

Den 10. JuH 1788. A. v. Humboldt der jüngere."

Mathematik, namentlich angewandte Mathematik, wurde bei dem bereits genannten Mathematiker Fischer eifrigst studirt So war jetzt sein Fleiss vorzugsweise den Realwissenschaften zugewandt. Und indem er von dem Bruder in Göttingen schreibt: „Er wird sich todtstudiren, er hat jetzt alle Werke von Kant gelesen und lebt und webt in seinem System", fügt er ausdrückUch hinzu: „Ich denke viel von ihm zu lernen. Denn jetzt habe ich nicht Zeit, an so etwas zu denken. Zu sehr mit individuellen Gegenständen beschäftigt, muss ich die Speculation an den Nagel hängen.^'

So versagte er sich auch, die kunstästhetischen Vorträge von Moritz zu hören, die damals Berlin in ästhetische Gärung versetzt hatten, und berichtet im März 1789 an Wegener: „Moritz hat sein Collegium in den Zunniem der Kunstakademie seit ungefähr drei Wochen mit ungeheuerm Applausus angefangen. Er hat wol 15 20 der angesehensten Damen zu Zuhörerinnen.

2. Akademische Stadieigahre. (Winter 1788 in Berlin.) 71

Der Minister Heinitz, Graf Neale und die meisten Leute vom Hofe versäumen keine Stunde. Das Collegium ist gewiss das glänzendste, was in Deutschland gelesen wird. Ich hörte ihn einmal. Sein Vortrag ist edel, fliessend und nur zu rednerisch. Aber die Materialien! Welch ein grosses Gemisch von glän- zenden Irrthümem höre nur: «Ein Wesen geht in

das andere über, eine niedere Organisation wird von der hohem verschlungen und veredelt. Das Thier frisst die Pflanze, der Mensch das Thier. So wird die Pflanze erst Thier, dann Mensch Id Bei diesen Worten sagte ein Hofmarschall: «11 est sublime Welch ein Gemisch von Materialismus und Monado- logie. Ein wahres Monadenfressen! Dann: «Die Natur schuf den Menschen, um durch ihn ihre eigene Vollkommenheit zu beobachten. 9 Aber neben allem diesen viel Scharfsinniges, wahre Aufblitze des Genies. So wenig mir Moritzens Grund- sätze über das Schöne gefallen, so hört' ich ihn doch gern. Seine Beredsamkeit ist hinreissend, und seine glänzendste Epoche jetzt da."

Bei der lebhaften Correspondenz zwischen Humboldt und Wegener konnten auch die Vorkommnisse der Residenz nicht verschwiegen werden, zumal wenn sie von bedeutsamen cultur- historischem Interesse waren. So berichtet er:

„Montag den 29. Sept. (1789.)

Vorgestern war ganz Berlin auf den Beinen. Blanchard steigen ta sehen, verdiente wirklich die 2 Thlr., die es mich kostete. Der Anblick einer so grossen, 26 Fuss breiten Ma- schine, eines Mannes, der durch seine übermenschliche Kühnheit es wagte, über den Ocean zu gehen, der majestätische Gang des Balls, und am meisten der Gedanke an den Fortschritt der menschlichen Cultur, die nun schon das dritte Element sich anterwarf, alles dies macht einen grossen, herzerhebenden Ein- dmck. Den Ball konnte man über eine halbe Stunde schweben sehen. Er fiel hinter Französisch -Buchhohs nieder. Der Fall* schirm mit den Hunden that herrlichen Effect. Er soll 16 Minuten

72 !• Jugend und erste Mannesjahre.

gefallen sein. Doch das wird alles wol in die Zeitung kommen. Blancliard selbst ist gar nicht so arg als man ihn macht. Ich habe mit ihm bei Herzens gegessen. Prahlen thut er wenig, und von der Physik hat er, wie. mich Herz versichert, gar keine üble Kenntnisse. Eitel ist er freilich. Aber wer wäre es nicht an seiner Stelle geworden! Dass er spielt, drei Frauen hat, sind platte Lügen, die man aber in Berlin überall glaubt. Musste sich der Philosoph Mirabeau dies doch auch bei uns gefallen lassen! Madame Blanchard ist eine feine, recht an- ständige Frau, die ich genau kenne. Ihr Mann ist mehr denn zuviel beschenkt worden, vom Könige (eine Tabati^re mit Brillanten und 40) Friedrichdor) bis auf den kleinsten unserer Prinzen." * . . . .

Allerdings hatte keine Entdeckung, welche man der Wissen- schaft verdankte, seit Menschengedenken das Publikum so auf- geregt wie die Erfindung des Luftballons. Man erwartete von dieser neuen Erfindung für Wissenschaft und Praxis, Verkehr und Leben die grösste Ausbeute, und alle Welt nahm schwär- merischen Anthcil. Blanchard war der angestaunte Held des Tages. Der damalige Exerzierplatz vor dem Brandenburger Thor war der Schauplatz der Production, 2000 Mann der Gar- nison hielten ringsum Wache. Der ganze Hof war erschienen. Die Königin und die Prinzessinnen trugen Hüte a la Blanchard, in Form eines Luftballons, rechts hing ein Fallschirm, links eine Gondel mit Fahne. Der Segler der Lüfte wurde in sechs- spännigem königlichem Wagen von dem Orte, wo er niederkam, eingeholt, von den Wachen mit höchsten militärischen Ehren salutirt, im Theater mit Applaus empfangen und vom Könige ausgezeichnet. Ausser den reichen Geschenken von selten des Hofes hatte er eine Einnahme von 12000 Thh'n.

1 So ausserordentlicher Muniticenz erfreute sich auch der engUsche Arzt Dr. Brown, der damals den Prinzen die Pocken impfte. Er erhielt ein eigenhändiges Dankschreiben des Königs, den Geheimerathstitel, lebens- länglich ein Jahrgehalt von 600 und ein Geschenk von 10000 Thlm. Vgl. Berliner Kalender für das Jahr 1847.

2. Akademische Studiei^ahrc. (Winter 1788 in Berlin.) 73

Das letzte Blatt des vorstehenden Briefes ist, wie es scheint, absichtlich zerrissen; der kleine Ueberrest zeigt, dass vonWöU- ner und seinem Edict die liede gewesen. Glücklicher ist in eincui andern Briefe folgende Stelle erhalten: „Seitdem Zöllner im Consistorium sitzt, habe ich gleichsam auch ein Ohr darin. Von den Debatten über das Examen der Candidaten wirst Du wol schon gehört haben. Du mit Deinen Kenntnissen brauchst gar nicht Angst darüber zu haben, aber für Menschen wie Al- banus, Köhler, Schüz, Israel u. s. w. ist mir bange. Zuerst brachte WöUner blos in Vorschlag, dass man durchaus lateinisch exa- miniren sollte (dies ist die Hauptveränderung). Wer nicht lateinisch reden kann, soll abgewiesen werden. Ferner will WöUner allemal beim Examen gegenwärtig sein, was er bis- jetzt (der Eifer wird sich bald legen 1) wirklich gethan hat. Beides finde ich sehr übel! Viele Menschen können viel La- teinisch wissen und doch gar nicht reden, et vice versa. Was braucht ein Landprediger lateinisch sprechen zu können ? Muss es den Examinatoren nicht mehr darauf ankommen, den ge- sunden Menschenverstand des künftigen Predigers beurtheilen ZQ können, als seine ganze christliche Terminologie (denn mehr ist der ganze Bettel von Dogmatik doch nicht) ihm abzufragen? Jeder Candidat ist furchtsam, nur wenige werden lateinisch raisonniren können! Also Definitionen, Eintheilungen . . . wird man ihm abfragen. . . . Femer hatte Wöllner in Vorschlag gebracht, jeden, der nicht Hebräisch könnte, geradezu abzu- weisen. Dieses ist gottlob! daliin gemildert worden, dass das Nichtwissen des Hebräischen nur bei einem sonst schon schlecht bestandenen Candidaten ein Abweisungsgrund mehr sein sollte, wobei es geblieben. Endlich soll ein neues, leider! allgemeines Reglement für alle Unterconsistorien abgefasst werden, das allen Examinatoren zur Norm dienen soll. Es wird vorgeschrieben werden, was und wie examinirt werden soll. Dies Reglement wird Zöllner abfassen, daher es wol (falls es angenommen wird) mild genug sein wird. Gottlob, dass es nicht Silberschlag in

74 I. Jagend and erste Mannesjahre.

die Hände gefallen ist. Ich hoflfe zu Gott, ^^V\^3 xfc^

Von der Handhabung der Censur berichtet er : „ünger hat vorgestern 10 Thlr. Strafe gegeben, weil er ein kleines Hoch- zeitcarmen ohne Censur gedruckt. Neulich (zur Vermählung der Gräfin Lottum) wollte man mir nicht zwei der unschuldig- sten Zeilen ein einziges mal auf ein Paar Strumpfbänder* drucken, wenn die Strumpfbänder nicht dem Eammergericht zur Censur vorgelegt würden. Das ist mir selbst arrivirt 1 ! ! 1 ! Was man Dir von WöUner's Ungnade erzählt, sind eitel Lügen. Hier lässt man ihn des Tages zweunal in Grace und Disgrace kommen. Er scheint nichts zu fürchten zu haben.''

Der letzte Brief von Berlin aus, der Abschiedsbrief an Wegener, ist vom März 1789.

«

Liebster Bruder!

Wie soll ich, wie kann ich Dir das Vergnügen schildern, welches mir Dein Brief gewährt hat! Je länger ich Dich kenne, desto theurer wirst Du meinem Herzen, je weiter ich mich von Dir entferne, desto stärker wird meine Sehnsucht nach Dir. Die glücklichen Tage in Frankfurt sind entflohen. So froh kehren sie nie wieder zurück. Doch meine innige Liebe, meine Freundschaft zu Dir soll unsterblich sein, wie die Seele, die sie empfindet! Ich kehre jetzt in meine vorige Laufbahn zurück. Mein akademisches Leben beginnt von neuem. Aber meine ganze Lage ist verändert. Ich bin bereit, den ersten Schritt in die Welt zu thun, ungeleitet und ein freies Wesen. Ich freue mich dieses Zustandes, so mislich er zu sein scheint. Lange genug gewohnt, wie ein Kind am Gängelbande geführt zu wer- den, harrt der Mensch, die gebundenen Kräfte nach eigener Willkür in Thätigkeit zu setzen und, sich selbst überlassen, der eigene Schöpfer seines Glücks oder Unglücks zu werden. Aber

1 D. h. dass bei Zöllner nicht wieder die Politik sich darein mischen wird! > Ein damals übliches Hochzeitsgeschenk.

2. Akademische Studienjahre. (Winter 1788 in Berlin.) 75

icH sehe mit bescheidener Zuversicht diesem Zustande entgegen. So eingeschränkt meine Lage war, habe ich doch mannichfaltige üelegenheit gehabt, die Menschen um mich her zu beobachten. Keine starke Leidenschaft wird mich hinreissen. Ernsthafte Geschäfte, und am meisten das Studium der Natur, werden mich von der Sinnlichkeit zurückhalten. Du kennst mich, lieber Wegener, unter allen meinen Freunden am besten. Du magst es selbst beurtheilen, ob Du mich stark genug hältst, allein auf dem schlQpfrigen Pfade des Lebens zu wandeln. Wie glücklich, unausspreclilich glücklich würde ich sein, wenn ein Freund wie Du mir zur Seite ginge. Göttingen ist für mich ein wüstes Land. Bekannte finde ich dort genug. Mein Bruder, Dohna, Stieglitz, Meklenburg, Bing und eheu! me miserum! Kever- bcrg quod Dii avertant malum 1 sind alles Leute, mit denen ich nicht harmonire. Ich zweifle nicht, dass unter 800 Menschen nicht ein paar sein sollten, denen ich meine Freundschaft schen- ken könnte, aber wie lange dauert es oft, ehe man sich findet. Kannten wir uns nicht ein Vierteljahr, ehe wir fühlten wie sehr whr für einander geschaifen sind? Und ohne Freund welch ein Leben! Und wo ist der Freund, den ich Dir in meinem Herzen gleichsetzen könnte!

„Meine Reise ist auf den 8. April angesetzt. Sie geht über Magdeburg, Helmstädt, Braunschweig und Nordheim. Ohner- acbtet ich in allen diesen Orten mich aufhalten, besonders in Brannschweig , wo ich an den Hof gehen muss, so weiss ich doch nicht bestimmt, ob ich Dir von der Reise werde schreiben können. Auf jeden Fall soll es in Göttingen mein erstes Ge- schäft sein. Dir von meiner Ankunft Nachricht zu geben.'^

Es gehörte zn den Eigenthümlichkeiten der damaligen Zeit, bedentende Persönlichkeiten mit grösserer Hingebung aufzu- suchen, als dies in unsem Tagen gebräuchlich ist. Das war auch Hnmboldt's Absicht auf der Reise nach Göttingen. Und so schliesse sich hier die Empfehlung an, mit der Professor Fiscber Humboldt auf seinem Wege zur Universität Göt- tingen bei dem damals berühmtesten deutschen Mathematiker

76 !• Jugend und erste Mannesjahre.

Johann Friedrich Pfaff, Professor an der damaligen Univei*sität Helmstädt, einführte.*

„Der Ueberbringer dieses Briefes", schreibt Fischer am 5. April 1789, „ist Herr von Humboldt, der jüngere von zweien Brüdern, an deren Unterricht in der Mathematik und in den alten Sprachen ich seit mehreren Jahren einen nicht unbeträcht- lichen Antheil gehabt habe. Vielleicht erinnern Sie sich, diesen Namen in Berlin von mir schon gehört zu haben. Der ältere Bruder ist schon in Göttingen, und der jüngere folgt ihm jetzt dahin nach. Er wünscht Ihre Bekanntschaft zu machen, und ich hoffe, dass auch Ihnen diese Bekanntschaft nicht unange- nehm sein wird. Beide Brüder haben vortreffliche Anlagen von selten des Kopfes und Herzens, und dabei haben sie eine vor- treffliche, nicht modische Erziehung genossen. Dieser jüngere ist eigentlich Kameralist und hat sich in den dahin gehörigen Fächern schon jetzt sehr gute Kenntnisse erworben. Hätte er sich mit Mathematik allein oder auch nur hauptsächlich beschäf- tigen können, so bin ich überzeugt, dass ich einen sehr guten Mathematiker aus ihm hätte bilden können. Doch hoffe ich, dass er mit den mathematischen Kenntnissen, die er wirklich besitzt, sich überall im Praktischen wird zurechtfinden können. Ich verliere an ihm nicht nur einen guten Schüler, sondern auch einen Freund, dessen Umgang ich vermissen werde." ....

Wie sehr diese neue Bekanntschaft beiderseitig befriedigte, ist aus einem sehr vertrauensvollen Briefe zu ersehen, den Humboldt schon in den ersten Wochen seines Aufenthalts in Göttingen, am 11. Mai 1789, an Pfaff gerichtet hat.^ Der Brief enthält interessante Notizen über einige seiner Studien, die hier, obwol die chronolo- gische Darstellung dadurch etwas gestört wird, folgen mögen :

„Für Ihren Brief an Kästner bin ich Ihnen sehr verbindlich. Ihre Güte lässt mich nur fürchten, Sie möchten bei ihm grössere Erwartungen erregen, als ich mit meinen emgeschränkten Kennt-

' Sammlung von Briefen, gewechselt zwischen Johann Friedrich Pfaff u. 8. w., herausgegeben von Dr. Karl Pfaif (Leipzig 1853), S. 170. > Ebendaselbst S. 231.

2. Akademische Studienjahre. (Reise nach Göttingen.) 77

Hissen und Kräften leisten kann. Kästner hat mich überaus gütig aufgenommen. Ich habe ihn mehrmals besucht, und sein Umgang ist mir sehr lehrreich. Wer wollte bei so einem wahr- haft grossen Manne sich an das Aeussere stossen.

„Da ich bcsthnmt bin, meinem Vaterlande im Fabrikfache zu dienen, so kann ich die Mathematik nur als Hülfswissenschaft treiben. Leider erfordert jenes sonst überaus angenehme Fach so viele andere botanische, mineralogische, chemische und sta- tistische Kenntnisse, dass man alle seine Kräfte zusammennehmen muss, um auch nur etwas Mittelmässiges zu leisten. Doch bleibt mathematisches Studium, besonders mechanisches, die Hauptbasis davon. Was ist aber Mechanik ohne höhere Ana- lysis? Wer mit dem Maschinenwesen in den Manufacturen und beim Bergbau nur ein wenig bekannt ist, wird bald aus deren Anwendung, bald aus dem Mangel gewisser Einrichtungen die Vortheile der höhern Mechanik, den Schaden, den Unkunde darin bringt, einsehen lernen. Die Boulton'sche Dunstmaschine und die llöirsche Wassersäulenmaschine sind, däucht mich, die besten Apologien der theoretischen Mechanik, wenn so etwas noch einer Apologie bedürfte. Bei meinen so geringen mathe- matischen Kenntnissen habe ich genug erfahren, wie wichtig jenes Studium dem Kameralisten sei. So viel Zeit ich meinen andern Beschäftigungen entziehen kann, widme ich der Mathe- matik und besonders der Analysis des Unendlichen, worin ich noch grosse Lücken bei mir verspüre. Ich arbeite daher den Tempelhof durch, den ich schon in Berlin anfing. Dabei aber übe ich mich immer im Maschinenzeichnen und im Erfinden eigener Zusammensetzungen. So weit ich von der Eitelkeit entfernt bin, zu glauben dass ich etwas Neues entdecken werde, so haben mir diese Uebungen doch viel genützt, weil man dabei so viel über die Mittel raisonniren muss, gewisse Zwecke zu er- reichen. Ich habe oft mit Fischer herzUch gelacht, wenn er anfangs meine Angaben anstaunte und hernach fand, dass durch die vielen Verbindungen Kraft und Last an einem Punkte an- gebracht waren und sich hemmten.

78 I- Jugend und erste Mannesjahre.

„Doch indem ich mich gegen alle mechanischen Erfindungen sträube, muss ich nur aufrichtig gestehen, dass ich in einem andern Theile der Mathematik auf eine Entdeckung ausg^angen bin, in der ich (wann ist ein junger Mensch wol unzufrieden mit sich selbst?) mir Genüge geleistet habe. So unartig es auch ist, den Anfang meiner Correspondenz mit Ihnen, ver- ehrungswürdiger Freund, mit einem so weitschichtigen Briefe zu machen, so will ich mich doch vorläufig etwas näher er- klären. Die Sache liegt mir zu sehr am Herzen. Bei meinen kleinen analytischen Arbeiten empfand ich einmal sehr lebhaft die Unbequemlichkeit, dass man in Gleichungen, wo Summen und Factoren vorkommen, nicht den ganzen Werth durch Lo- garithmen darstellen kann. Ich dachte über die Möglichkeit nach, dem Uebel abzuhelfen, und fand zwei Wege, entweder alle Summen und Differenzen zweier Grössen in Producte zu verwandeln, oder eine Art Logarithmen zu finden, mit denen man wirklich addiren und subtrahiren könnte."

Humboldt gibt weitere Andeutungen über beide Methoden und bittet um Erlaubniss, sein Logarithmensystem ausführlicher vorlegen zu dürfen. Mögen nun immerhin beide Methoden zur Lösung des Problems, welches erst 20 Jahre später Gauss gelöst hat, verfehlt gewesen sein, so geht doch aus dieser Mit- theilung hervor, dass Alexander von Humboldt auch in der Mathematik schon grössere Einsicht erworben und sich schwie- rigere Aufgaben gestellt hatte, als man von einem Studiosus cameralium, der eben in das zweite akademische Semester ein- treten wollte, zu erwarten pflegt.

Ueber die Reise nach Göttingen schreibt er an Wegener:

„Ich glaube, wir reisten den 10. April von Berlin ab. In Magdeburg brachte ich fünf vergnügte Tage zu. La Roche, ein Freund von mir, ein Mensch, bei dem es der Natur einmal ge- fallen hat, eine schöne Seele mit einer schönen, reizenden Ge- stalt zu verbinden, war auch da. Welche glückUchen Stunden hatten wir an den Ufern der Elbe, in einsamen Spazier-

2. Akademifche Studienjahre. (Reise nach Göttingen.) 79

gangen ! ^ Von Magdeburg aus bereiste ich die Salzwerke

von Schönebeck, Grossensalza und Prosen, auch in Sachsen die neue Colonie von Hermhutem, Gnadau. So gross auch meine Erwartungen davon waren, so fand ich sie doch übeitroflfen. Die Bauart der Häuser, ihre Reinlichkeit, die Sorge für ihre Erhaltung, die Armenpflege, die Industrie der Einwohner, alles, die ganze Einrichtung der Colonie ist ein Ideal eines kleinen wohlgeordneten Staats. Göttingen, eine Universität, i. e. Ver- Qunfthaus (wo die Vernunft zu holen ist, sollte sie bilUg woh- nen), wo vielleicht sechsmal Physik gelesen wird, hat selbst aul' seiner Bibliothek gar keinen Abieiter und Gnadau, eine Co- lonie abergläubischer Schwärmer, hat deren ftlnf, obgleich die ganze Stadt nur aus etlichen zwanzig Häusern besteht III Und dazu ist ein Abieiter auf der Kirche/'

In Helmstädt interessirten ihn die damals weitberühmten mannichfaltigen Sanmilungen des Professors Beireis, der wegen seiner vielseitigen Kenntnisse und seiner Absonderlichkeiten der Adept von Helmstädt genannt wurde. „Beireis weiss selbst nicht, was er alles hat. Er geht ordentlich in seinem Hause auf Ent- deckungen aus. Jetzt liest er täglich 16 Stunden (wie mich Crell selbst versichert) über alle Theile menschlicher Erkenntniss. Er spricht alle europäischen Sprachen, Aegyptisch, Chmesisch, Japanisch und die Sprache einiger Völker am Ganges. Er hat mir aus einem japanischen Buche gleich deutsch vorgelesen. Viele zweifeln, ob er Hebräisch kenne! Kurz, es ist einer der sonderbarsten Menschen, der die tiefsten Kenntnisse der Chemie and Numismatik mit der Charlatanerie des ärgsten Taschen- spielers verbindet Hundert kleine Züge von ihm, die ich ge- sammelt, lassen sich besser mündlich erzählen. Er lässt Korn wachsen, kennt einen Baum, der Manschetten trägt, schläft nie und sagt alle Augenblick, aer habe sechs Wochen darüber nachgedacht, ohne zu essen und zu trinken».

> Es folgen sehr günstige Urtheile über Gurlitt in Kloster Bergen, Fmike in Braonschweig und andere Gelehrte in Helmst&dt, und ausserdem persönliche Nachrichten, die hier nicht zur Sache gehören.

80 I- Jugend und erste MaimesiJikre.

^Von Helmstädt aus machte ich eine Excorsion nach Harbke, wo die älteste und grösste Anpflanzung von amerikanischen Bäumen in Europa ist. Die Bäume sehen hier ans als wären sie wild, und die klafterdicken Cedem kommen am Harz so gut als auf dem Libanon fort, wo jetzt so nur noch wenige sind. In Braunschweig führte ich ein sehr unruhiges lieben, da ich die grosse Welt besuchte, und der Hof (der übrigens hier sehr

unterhaltend gegen andere Höfe ist) viel Zeit wegnahm

Die freie Art, mit der man am Hofe, besonders bei der ver- witweten Herzogin, sich über gewisse Veränderungen in Berlin erklärte, gefiel mir sehr. Die braunschweigischen Gelehrten sah ich alle. Man findet ausser Göttingen und Berlin wol nicht leicht so viele zusammen, besonders die Patriarchen der deutschen Literatur, Geliert's Freunde, den alten Gärtner, Schmidt, Ebert, Jerusalem, Eschenburg, Campe semper idem

„Wilhehn, der Dich herzlich grüsst, kam mir über Han- nover nach Braunschweig entgegen. Jetzt sind wir einsam hier in Göttingen. Die Coliegia haben heute angefangen. Vorigen Sonntag war Dankfest für die Genesung des Königs, viel Anstalt zur Freude und eben darum keine. I) Eine Predigt von Lass. Gott, welche Predigt! He}'ne sagte, Lass habe dem lieben Gott wie ein Betteljunge gedankt ! 2) Cour bei den englischen Prinzen. Viel Gedränge. 3) Ball. Viel Lie<ler auf die Prinzen, die mit vielem Gebrüll abgesungen wurden. Die Prinzen schrien tapfer mit. Alle Studenten, und also auch die Prinzen, hatten Schil- der, wo darauf stand: «Heil dem Könige!» 0 Narrheit!!"

Am 25. April 1789 schrieb sich Alexander von Humboldt sub Nr. 48 in das Matrikclbuch der göttinger Studentenschaft:

„Fridericus Alexander ab Humboldt, BeroUnensis juris Stu- diosus, ex academia Viadrina".

Es war in demselben Jahre, in dem die Französische Revolution ausbrach, und sicher erleuchtete der Blitz dieses Gewitters auch den Gesichtskreis unserer Humboldt Wil- helm ging sofort mit Campe nach Paris, „um der Leichenfeier

2. Akademische Studienjahre. (Universität Göttingen.) Sl

des französischen Despotismus beizuwohnen^^ während Alexander es vorzog, erst ein Jahr später mit Georg Forster einen Ausflug zu machen. Humboldt's Wohnung war Weenderstrasse Nr. 82 in demselben Hause und bei denselben Wirthsleuten, bei <lenen anrh der junge Graf, spätere Fürst Mettemich wohnte.

Von den 812 Studirenden waren Theologen 210, Juristen 405, Mediciner 104, Philosophen (d. h. Mathematiker, Philologen, Oekonomen, Historiker, Aesthetiker) 93. Unter den Commili- tonen befanden sich zwei königliche Prinzen aus England : Ernst August, der nachmalige König von Hannover, und Adolf Fried- rich '; femer vierzehn Grafen, von denen später am bekanntesten wurden: von Broglie und »St. Simon aus .Paris, von Einsiedel aus Sachsen, von Meerfeldt aus Westfalen, von Metternich. Als Berliner sind in das Matrikelbuch eingetragen : die Juristen von Dankelmann, von Grollmann, von Hagen, von Schiaden, von Stein, Gillet, Jordan; die Theologen Chodowiecki und Stosch; Uhden als Studiosus philosophiae, und Bing als Stu- diosus medicinae. Als zeitgenössische Commilitonen sind fer- ner bemerkenswerth : von Vincke aus Osnabrück, von Nagler aus Onolzbach, von Kamptz aus Mecklenburg, die bekanntlich später die höchsten Staatsämter in Preu.ssen bekleideten. Auch der Friese Oltmanns, der spätere verdienstvolle Bearbeiter der astronomischen Theile von Humboldts amerikanischem Reise- werke, der Mineralog van Geuns aus Groningen, der Reise- gefährte Humboldt's nach dem Niederrhein und England, waren seine gleichzeitigen Studiengenossen.

Die Universität Göttingen stand gerade damals in der Blüte ihres wissenschaftlichen Ruhmes. Er knüpfte sich zunächst an die Cultur der clas.sischen Philologie- und der Staatswissen- schaften, die hier zuerst mit ihrem Lebenselement, mit Publi-

* ,9 J'y re^us les marques les plus gracieuses de bonte de la pari des priores anglais, dont le gouverneur, le g^neral Malortie, etait personnelle- ineiit attaoh^ a uotrc famille, et avait bieu voulu se charger de nous surf eiller.*' Alexander von Humboldt an Pictet in „Le ülobe", VII, 18L

. r. UCUMQLDI. 1. (3

H2 ^- «Tugend und erste Mannesjalire.

cität, umgeben wurde. Eben hierin entsprang die Quelle der hohen Bedeutung, welche Göttingen für die Entwickelung des deutschen Geistes gewonnen hat.

Denn ob auch Ernst Brandes, seit 1791 Referent in üni- vcrsitätssachen, rühmen zu dürfen glaubte: „in Göttingen wären weder Wolfianer noch ungestüme Reformatoren der Theologie, weder Brownianer oder andere Sektirer in der Medicin und in den Naturwissenschaften noch irgendein metaphysischer Prophet angestellt gewesen"; und war auch später sein pjnfiuss nur die factische Ausführung seines angstvollen Stossseufzers: „Gott behüte uns, dass die Philosophie der Zeit Modestudium in Göttingen werde'': so hatte trotz alledem diese Hochschule gerade damals, als Alexander von Humboldt hierher kam, den gefeiertesten Ruf unter allen deutschen Universitäten. Denn Leipzig und Halle hatten ihre Celebrität bereits verloren, und die Glanzperiode von Jena begann erst einige Jahre später.

In Göttingen hatte Heyne die Philologie, die bis dahin nur Sprachstudium gewesen, zu einer Alterthumswissenschaft, und diese zu humaner Anwendung im Leben unigestaltet Neben Gat- terer und Spittler hatte Schlözer der Geschichte neue Gestalt und neuen Inhalt gegeben, indem er Politik in sie hineintrug und Erfindungen, Fortschritte der Cultur, der Verfassung und Gesetz- gebung über den Wechsel der Throne, der Dynastien und krie- gerischer Ereignisse setzte. Sein „Göttinger Journal", sein „Briefwechsel", sein „Staatsanzeiger" wurden nicht blos die wichtigsten historischen Registraturen, sie wurden das publi- cistische Obertribunal, welches einst selbst Maria Theresia bei ihren Entschlüssen mit dem Bedenken zurückhielt: „Was wird aber der Schlözer da^u sagen?" In der Jurisprudenz florirte neben Runde und Martens die „gelehrte Eleganz", die Gebauer von Leipzig hierher verpflanzt hatte. Und wie Pütter als gefeiertester Lehrer des deutsclien Rechts, zog der jugendliche Hugo, der 1789 Professor wurde, als Begründer der neuen systematischen Rechtsschule allgemeine Aufmerksam- keit auf sich.

2. Akademische Studienjahre. (Universität Göttingen.) 83

Vor allem aber war Göttingen die Hochschule der mathe- matischen, naturhistorischen und medicinischen Wissenschaft. Diese hatte ja auch mit den revolutionären Freiheitsphiloso- phemen, mit der eiteln Metaphysik nichts gemein und suchte nur das für das Leben Anwendbare und Nützliche zu erforschen und zu erproben. Kästner und Lichtenberg zeichneten sich durch die Wissenschaftlichkeit ihrer mathematischen und phy- sikalischen Vorträge nicht minder aus wie durch ihren das- sischen Witz und Humor. Lichtenberg experimentirte in seinen Vorlesungen über angewandte Mathematik, Theorie der Erde, Meteorologie, Elektricität und Physik mit einem physikalischen Apparate, der einer der vortreflFlichsten jener Zeit war. Als Chemiker ist Gmelin zu nennen, der durch seine „Geschichte der Chemie", wie Osiander als Geburtshelfer und Raritätensammler, bis auf den heutigen Tag einen ehrenvollen Ruf bewahrt. Der be- deutendste unter den Gelehrten war Blumenbach, „der durch seine W^erke und das belebende Wort übendl die Liebe zur vergleichen- den Anatomie, Physiologie und gesammten Naturkunde angefacht und wie ein heiliges Feuer länger als ein halbes Jahrhundert sorgsam gepflegt hat". * Er war der erste, der in Deutschland die Naturgeschichte, welche die Humanisten bisher nur als einen Unterricht^sgegenstand für Kinder betrachtet hatten, zu Ehren brachte und ihren Zusammenhang als Wissenschaft mit Men- schen- und Weltgeschichte nachwies. Seine Werke sind fast in alle europäischen Sprachen übersetzt worden. Er hatte die ver- gleichende Anatomie als Lehrfach begründet, und schon lange vor Cuvier, seit 1785, trug er dieselbe als eigene Disciplin in einem vollständigen Cursus vor.

Als Alexander von Humboldt in Göttingen eintraf, fand er seinen Bruder bereits in befi-eundetem Verkehr mit den Koryphäen der Gelehrsamkeit, und sich selbst mit der zuvorkommendsten

' Alexander roti Humboldts Rede bei Eröffnung der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in BerHn am 18. Sept. 1828, S. 6.

6*

84 I- Jugend und erste Manuesjahre.

Aufnahme sehnlichst erwartet. Er trat alsbald in nähern Um- gang mit Heyne und den andern Celebritäten. Gleichwol mochte anfangs das steife, ungesellige Göttingen einen lebendigen Ver- kehr nicht aufkonnnen lassen, wie er selbst in dem im Auszuge bereits mitgetheilten Briefe an Pfatf es ausspricht. Das verlor sich indess bald. Er besuchte wie Wilhelm das i)hilologische Seminar, er hörte Archäologie bei Heyne in dem grossen Biblio- theksaale, mit Abgüssen von Antiken und mit Kupferwerken um- ringt, er hörte bei Spittler Geschichte der neuesten Welthändel, bei Lichtenberg ein Privatissinuim über Licht, Feuer und Elek- tricität, bei Beckmann Oekonomie und bei Heyne die Iliade, wo an 50 Zuhörer waren. Die grossen CoUegia waren alle mit 2—300 Studenten besetzt. „Heyne", schreibt er dem Freunde Wegener, „ist unstreitig der hellste Kopf und in gewissen Fächern der gelehrteste in Göttingen. Sein Vortrag ist holperig und stot- terig, aber äusserst pliiloso])hisch und in der Ideenfolge zu- sammenhängend."

Eine Schilderung der Professoren, „obwol er in dieser Poi- kile grosser Männer nicht alle gleich kennt", ist ein wahres Cabinetstück von Witz und lernst, von vielseitiger Menschen- und Sachkenntniss des noch nicht zwanzigjährigen Jünglings und ein Beweis, dass er mehr noch als durch formellen Un- terricht durch den ausgesuchtesten gesellschaftlichen Verkehr die Weihe früher Geistesreife erworben hatte. Doch müssen wir uns hier auf nur einige seiner Schilderungen beschränken:

.... „Heyne ist der Mann, dem unser Jahrhundert gewiss am meisten verdankt: religiöse Aufklärung durch eigene Lehren und Bildung junger Volkslehrer, Liberalität im Denken, Anfang einer gelehrten Archäologie und erste Verbindung des Aesthe- tischen mit dem Philologischen. Dennoch hat Heyne noch nie ein Compendium geschrieben, ohnerachtet er über 12 Collegien liest: römische und griechische Literatur, Archäologie, die Tra- giker, Aristophanes, Homer, Virgil, Horaz, Plautus und Cicero, griechische und römische Antiquitäten. Diese CoUegia folgen alle in gewisser Reihe aufeinander, weil sie ursprünglich fürs

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2. Akademische Studienjahre. (UniversitÄt Göttingen.) 85

Seminar und dann für solche sind, die, wie mein Bruder, sich zum Seminar halten. Heyne's Hefte sind so weitläufig und ge- nau ausgearbeitet, dass man sie hier für 3 5 Louisdor kauft. Köppen's Conimentar zu Homer ist in der That nichts als ein gestohlenes Heft von Heyne. Heyne erhielt das Seminar an des grossen Gesner's Stelle. Wen kann man in Deutschland ihm zum Nachfolger geben? Schütz, den Heyne schon bei sei- nem Leben hierherziehen wollte, ist unthätig und durch die Literaturzeitung gebunden.

„Das Seminar ist im herrlichsten Flor. Es sind drei Menschen darin, Mathiä, Kries und Woltmann, die an aus- •gebreiteter Gelehrsamkeit in Deutschland wol künftig nicht viele ihresgleichen finden werden. Man muss liier in Göt- tingen erstaunen, wie die Menschen so schnell zu solcher IMldung gelangen können. Mathitä, innigst vertraut mit der Kantischen Philosophie, voll neuerer italienischer, englischer und spanischer Literatur, ist ein Grieche, wie ausser Wolf wol keiner unter Heyne's Schülern gewesen ist. Die Seminaristen sind mein angenehmster und lehireichster Umgang. Mit Wolt- mann, der ein bewunderungswürdiges Talent zur deutschen, ja selbst giiechischen Dichtkunst hat, bin ich täglich zusammen. Es ist ein trefflicher Mensch von Charakter, an den mich manche auflfallende Aehnlichkeit mit Dir gezogen hat. Er ist von dem jüngsten Stollberg erzogen, liat den sonderbaren Enthusiasmus für die Alten von ihm eingesogen und wird sich gewiss einmal auszeichnen. Ich bin täglich abends von 9 11 Uhr mit ihm zusammen, wo wir den Plautus und Petron lesen. Es ist der guttingische methodus vivendi, nicht früher auszugehen, denn alles hat hier einen aflfectirten Fleiss.

„Spittler. Ich höre bei ihm neueste Gescliichte, ein feiner Kt»pf mit einem prächtigen Vortrage, der für die meisten Men- Mrhen das Ideal der hi'^chsten Beredsamkeit ist. Für mich ist er zu schwülstig. Völker sind a reissende Ströme», das preussischc Haus "eine alte Eiche, unter deren Schatten sich der freiheit- liel>ende Deutsche hinwirft». Seine 1 )ai'stellung der Geschichte,

jft

g6 I* Jugend und erste Mannesjahre.

seine Aneinanderkettung der Begebenheiten ist meisterhaft. Schade, dass er nicht Kircliengeschichte liest, er läse sie ge- wiss besser als der wegen seiner Freimüthigkeit schätzbare Plank.

„Kästner's Vortrag ist undeutlich, da er keine Zähne hat. Er ist immer witzig, belacht sich aber selbst immer vorher, so- dass man den Witz selten versteht. Dafür ist er, wenn man ihn oft belacht, auch von Zeit zu Zeit so artig, den dritten zu belachen, wenn man auch gar nichts Witziges gesagt hat. Ein grosser Fehler unserer Akademie ist der geringe Eifer für Mathe- matik, der hier herrscht. Kästner ist dabei der gutmüthigste, gefälligste Mensch, den man sehen kann. Ich bin viel bei ihm. Er kann es nicht lassen, beissend zu sein, fühlt aber selbst solche Gewissensbisse darüber, dass er stets um Verzeihung bittet.

„Eben habe ich bei Less in der Moral hospitirt. Etwas Elenderes habe ich nie gehört. Er hat viel Aehnliches mit Fromm in Frankfurt an Charakter, Sprache und Gedanken. Nur ist Fromm noch l)eredt gegen ihn. Er sprach davon, ob es einem Christen erlaubt sei, ins a Lotto de Genova» (so nennt er unsere Zaiilenlotterie) zu setzen. Heisst das nicht casuistish die Moral vortragen? El)enso kann man fragen: darf ein Christ rOml)re spielen oder Schach

„Unsere englischen Prinzen müssen täghch 1 2 Stunden dieses Gewäsch hören. Die unglücklichen Kinder! Dabei müs- sen sie jede Stunde ausarlxyten und von Less corrigiren lassen. So will es die elende englische Orthodoxie."

Daini schreibt er von sich und dem Bruder:

„Ich lebe hier ganz der Philologie. Wenn ich noch ein paar Jahre hier bleil)e, denke ich mich, so sauer es mir wird, in die giiechische Literatur gut hineinzuarbeiten. Meinem Bru- der hat der hiesige Aufenthalt trefflich genützt. Du glaubst nicht, mit welchem Sinne man hier alles zu betrachten anfangt. Mein Bruder hat sich hier und am Rhein durch seinen vertrauten Briefwechsel mit Forster und «Tacobi (der vielleicht bald etwas

2. Akadeinischu Stuuicujahre. (Universität Göttingen.) 87

davon herausgibt) viel Namen gemacht. Ich muss gestchen, dass ich seine jetzige Bildung, seine ausgebreitete Gelehrsamkeit selbst zu bewundern anfange. Heyne hat von ihm gesagt, er habe lange keinen so treflFlichen Philologen aus seiner Schule entlassen. Nimm dazu seine schönen juristischen, historischen und politischen Kenntnisse, seine tiefe Einsicht in das Kantische System (worüber mir Ilehberg selbst sein Erstaunen l)ezeigte), seine italienische, französische und enghsche Sprachkenntniss und Du musst gestehen, dass Du wenige seinesgleichen kennst, die nicht ex professo sind.

„Wenn Du bald eine kleine philologische Schrift in Göt- tingen herauskommen siehst, wo auf dem Titel steht: «Mit Zu- sätzen und herausgegeben von Heyne», so denke, sie sei von mir. Es ist ein Versuch über den Webestuhl der Lateiner und Griechen. Das Opus ist gar wundergelehrt sodass es mich selbst anekelt. Ich habe die Entdeckung gemacht, dass der Webestuhl der Alten gerade der Hautelissestuhl sei, den die Saracenen nach Frankreich gebracht haben. Das lässt sich aus Kupfern aus Herculanum, aus dem Onomastikon des Pollux, aus dem Isidor, aus den vaticanisrhen MSS des Virgil, aus dem Homer u. s. w. erweisen. Der Beweis ist sehr lang. Heyne hat viel Freude darül)er. Was scapt(s^ pedcii^ radius^ ivifii- hulum u. s. w. gewesen sei, wird nun alles leicht "

Eine Nachschrift berichtet, dass ei* von Göttingen aus meh- ixMC Reisen ins Hessische und durch Niedersachsen gemacht habe und acht Tage in Tyrniont gewesen sei, wo er täg- lich mit Jacobi, Rehberg, Moser, Markard, Eschenburg, Mau- villon u. a., ,, leider aber auch mit 7—8 Prinzen", zusammen- gewesen sei.

Von der antiquarischen Arbeit ül»er die Weberei schreibt er auch Ende des Jahres 179.'5 an Sönnnering, dass sie eine All von Connnentar zum Onomastikon des Pollux sein werde, die ihn von seinen gewöhnlichen Arbeiten weit fortführe. End- lich hatte sie Wilhelm von Humboldt am S.März 1794 Friedrich

88 1- Jugend uiul crsle Mauncsjakrc.

August Wolf zur Durchsicht geschickt. Bei dieser Gelegenheit schrieb Alexander':

„P^s ist freilich viel gewagt, Ihnen die Durchsicht solch einer jugendlichen Arbeit zuzumuthen. Was ich nur wünschte, hat Wilhelm gleich als Bitte ausgedrückt. Das mag er verant- worten. Auch glaube ich nicht sowol den Radius (xspxt^:), viel- mehr den Pecteii (^avwv), der bisweilen sogar mit Plectnim verglichen wird, und was die neuern Commentatoren bald mit Radius verwechseln, bald gar durch Lade! übersetzen, deutlich er- klären zu können. Der Pecten scheint so .^ r^:^^

ausgesehen zu haben. Weiui Wel)ereien ^^ ^

bei ihren stehenden !!(yToi(;, ])esonders l)eim XtTov appa9iQ(; um den Stuhl herumgingen und d(Mi Radius (ein blosser Stab mit um- wickelten Fäden) sackartig eintlochten, so ergriffen sie den Pecten und schlugen den Einschlag damit zusammen. Da sich historisch erweisen lässt, dass die Hautelissewe})erei (welche unter Karl Mai'tell durch die Sarazenen nach Spanien kam) ein Vaterland mit der altgriechischen liat, da der Pecten noch jetzt im Orient so aussieht, und sich alles, was Pollux vom Weben sagt, nach dieser Hypothese fasslich erklärt, so ist sie wenigstens wahr- scheinlich.*'

Schliesslich fügt Wilhehn dem Briefe hinzu: „Mein Bruder hat noch Mumienleinwand untersucht, die er auch beschreiben wird."

Humboldt nennt die Arbeit über die Weliereieu der Griechen seinen ersten literarischen Versuch^, was mit Rücksicht auf die bereits S. 68 erwähnte Abhandlung „Sur le Bohon-Upas'* modi- ficirt werden muss. Leider ist die Arbeit selbst verloren ge- gangen.

Bei allem Eifer füi* philologische und antiquarische Studien wurde die Liebe für naturhistorische Disciplinen durch Unter-

1 Wühtbn von Humboldt, Gesammelte Werke, V, 103. 106. * Brockhaus^ Conversations-Lexikon, 10. Auflage, Artikel: Alexander von Humboldt.

2. ^Vkadcmischc Studienjahre. (Uuiversitiit Göttiiigeü.) 89

rieht und Verkehr mit Blumenbach, Beckmann, Lichtenberg u. s. w. gehegt und gepflegt. Dass namentlich Blumenbach ihn angezogen und einen besondern Einfluss auf ihn ausgeübt habe, würde man ohne weiteres annehmen können, wenn nicht, auch der Beweis dafür darin läge, dass er einer der ersten war, dem Humboldt von seinen Versuchen über die gereizte Muskel- und Nerven- faser briefliche Mittlieilungen gemacht, die alsbald in Grens' ,.Neuem Journal der Physik" erschienen.

Göttingen war überdies damals der Mittelpunkt aller Be- strrbungen in der neuern commentirenden und vergleichenden Geographie. Wie Heyne die alte Geographie im allgemeinen, Michaelis speciell die des Heiligen Landes, so ordnete und be- leuchtete Blumenbach alle neuein naturhistorischen Entdeckungen und bearbeitete gerade während der Anwesenheit Humboldt's Bruce's Reisen zu den Nilquellen. Und auch unter der Jüngern Generation war ein reges wissenschaftliches Leben. So stiftete Humboldt im Verein mit Seetzen, Link, Meyer, van Gcuns, Deimann, Kries, Kels, Schrader, Hofmanu im Jahre 1789 die physikalische Gesellschaft * , die bei den reichen Hülfsmitteln, welche die vortreflfliche Bibliothek, das ethnographische Museum, das Naturaliencabinet darboten, bald zu fruchtbringender Thätig- keit empor^'uchs.

Nach längerm Schweigen schreibt Humboldt am 10. Jan. 1790 aus Göttingen an Wegener:

„Ich war seit dem 24. Sept. nicht mehr hi Göttingen. Ich machte während unserer Ferien mit einem Herrn van Geuns iius Holland, der sich durch kleine botanische Schriften bekannt gemacht hat, eine naturhistorische Reise über Kassel, Marburg, Giessen, Frankfuil a. M., Darmstadt, die Bergstrasse herunter nach Heidelberg, Speier, Bruchsal, Philipps])urg, Mannheim, Vlzei, Mörsfeld ins vogesische (^uecksilbergebirgo, von da nach Mainz (wo wir acht Tage im Hause bei Forster waren), dami zu Wasser den Rhein herab von Mainz bis Bonn, dann zu

' Seetzeu'g Reihen, lierausgegebeii von Kruse, I, ö.

90 I* Jugend uud erste Manuesjahre.

Lande nach Köln, iJüsseldorf (eigentlich Penipelfort, wo wir acht Tage bei Jacobi wohnten), von da über Duisburg, Münster, Warendorf, Rittberg, Paderborn, Kassel zurück nach Göttingen. Von dieser wunderschönen Reise darf ich Dir nichts sagen, weil sie hundertmal beschrieben ist, und weil ich wegen Mannich- faltigkeit der Gegenstände nirgends anzufangen weiss. ^ Dein Ikief wurde mir nach Mannheim nachgeschickt, wo ich drei glückliche Tage zubrachte in dem prächtigen botanischen Gai-ten des Regierungsraths Medicus.

„Unter den vielen Zerstreuungen der Reise, die bald zu Fuss, bald zu Wagen gemacht wurde, und auf der wir immer mit Steinciii und Pflanzen zu packen hatten, war es nicht gut möglich, an Dich zu sclneiben. Es gehört bei mir eine eigene Stinnnung dazu, an Freunde zu schreiben. Sie lässt sich nicht herbeilocken, und käme sie noch so spät, so müsste ich sie abwarten. Meine Reise war im Anfang des November geendigt. Die Zeit seit meiner Zurückkunft bis jetzt war ein Gewebe von Widerwärtigkeiten. Eine Menge von Collegien (ich habe deren sechs) nehmen einen grossen Theil des Tages hin. Die Biblio- thek, die ich noch zu meinei* philologischen Arbeit über die Wel)ereien l)rauche, kann ich nur des Sonntags benutzen. Ich habe ausdrückliche Erlaubniss von Heyne, mich da einschliessen zu lassen. Dringende Nel)enarbeiten nehmen ohnehin Zeit weg.

' In dem Nachlasso des JJotiinikcrs Kunth bol'and sich noch Humboldt's Ilandexcniphir von Linm\ „Systenia phmtarum scc. class. ordd. genn. vX sp. Kdit. nova cnr. J. RcichanV' (I voll, in 1 Bd., Krancf. 177!>— «». 8.), sehr hitercssant für die ersten lleisen und Studien Humboldt 'S durch die häutig darin vorkommenden Angaben (an 4 - 5(M)) idier Ort und Zeit, wo er die Ptianzen gefunden, und Bemerkungen aus mündlichem Verkehr mit Forster, Banks, AVilldenow, Sieveking u. a., wie: Banks horto suo mihi monstravit 1790; vidi in monte Mamtor versus the ax-cAge Jun. 1790; legi prope Helgoland 1790; vidi in Hand)urg 1701; prope Cuxhaven, Do- ver, 1790; am Ilarz 17H9; prope Tolberg 179'>; apud Calais 1790; prope Wittenberg 1790; i)raest. spec. vidi in Harbke 1789 et in liorto Kewensl 1790; legi prope Ostonde et Calais 1700; praest. spec. e Virginia v. in herb. Sievcking etc. etc.

2. .Vkademischc Studieujalirc. (Universität Göttiugen.) 91

z. B. einiger Aiitheil, den ich an dem Züricher „Botanischen Magazin'' nehme, wo im letzten Stück eine lateinische Abhand- lung von mir steht. * Meine lleisejouniale sollten ausgearbeitet werden. Forster forderte von mir eine mineralogische Beschrei- bung der unkler Basalte fttr den folgenden Theil seiner kleinen Schriften, in dem auch von meinem Bruder ein vortrefflicher Aufsatz über den Einfluss des Theismus, Atheismus und Skep- ticismus auf die Sitten der Menschen erscheinen wird. Diese Beschreibung wuchs am Ende so an, dass sie jetzt wahrschein- lich bald wird besonders gedruckt werden. Glaube nicht, lieber Bruder, dass ich mit meinen vielen Geschäften renommiren will. Unterliegen braucht' ich freilich der Last nicht, aber für meine Correspondenz blieb mir in der That sehr weni|i: Zeit übrig, l>esonders wenn Du bedenkst, dass ich bestimmt alle Woche ein- auch wol zweimal an meine Mutter oder Kunth schreiben niuss.

„Wilhelm, der mit Campe in Paris j^ewesen war, aus Frank- reich in Mainz einkehrte, dort drei Wochen beim jungen Forster im Hause lebte, dann nach der Schweiz über Zürich, Schaff"- hausen, Kostnitz, Bern, den grindelwalder Gletscher, den St. Gotthard, Lausanne, Geneve hinein- und über Neufchätel und Basel herausging, wieder 14 Tage in Mainz lebte und durch Sachsen nach Berlin reiste, dieser Wilhelm, der mich eine so ^•handliche Periode bauen lässt, wollte mich in Gotha sprechen. Ich ritt im Anfange des December in einem scheusslichen Wet- ter und bei noch scheussHchern Wegen im Eichsfelde allein hin. Die Beschwerden der Reise waren leicht zu überstehen, um einen Bruder wiederzusehen, welcher Augenzeuge von so merk- würdigen Begebenheiten gewesen war. Wir wohnten zwei Tage bei Löffler im Hause. Es war mir viel wertli, mich mit ihm s<» uanz in die frankfurter Verhältnisse zurückzudenken. Was sind alle Empfindungen, die die todte Natur einflösst, gegen die

* Obscrvatio critica de Elymi Hystric. charactcre, in r^tei-i, ,, Magazin für Botanik, I71H>*S St. 7, S. .%, St. \K S. 32.

1)2 Jugend und erste Mannesjahrc.

Fiinpfiiidungcii der Freundschaft, gej^cn das Gefühl, von guten Menschen geHebt zu werden "

Die anonyme Schrift „Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein" (Jkaunschweig 1790) ist das Resultat dieser Reise des 21jährigen Jünglings, nicht, wie gewöhnlich behauptet wird, der spätem Reise mit Forster nach dem Nieder- rhein; und es muss hierbei ausdrückhch hervorgehoben werden, dass Humboldt zur Zeit noch Autodidakt in der Mineralogie und Geographie war. ^ Zunächst waren es zwei kleine Abhand- lungen, „Vom Wasser im Basalte" und „Ueber die metallischen Streifen im unkeler Basalte", in CrelVs „Chemische Annalen". In dem Abschnitt „Zerstreute Bemerkungen ü])er den Basalt der altern und neuern Schriftsteller", welcher den eigenen ,,Beobachtungen" vorangeht, wird zunächst mit einem grossen Aufwand philolo- gischer Studien und in einer Methode, die sich später zu der herrliclisten Blüte Humboldt'schen Geistes entwickelte, dargethan, (lass kein Grund in den Classikern vorhanden sei, den Basalt des PHnius mit dem Syenites, Basanites, Lapis lydius und Lapis aetbiopicus zu verwecliseln, dass man nicht, wie bisher, apo- diktisch behaupten dürfe, dass unser Basalt der des Plinius sei, dass man nicht entscheiden könne, welchen Stein Plinius Basalt nennt, dass der vermeintliche Basalt des Strabo Granit sei, endlich dass es völlig ungewiss sei, ob die beiden Stellen bei Plinius und Strabo aufeinander Bezug haben. Und hieran schhesst sich noch eine L'ntersuchung über den Lapis heraclius der Alten.

In den „P»eobachtungen" selbst zeichnete sich Humboldt durch seltenes Beol>achtungstalent, durch klare Darstellung und

' „Icli nelimr mir dW l'rcilioit ", stliroibt Huinboldt etwas später au Freieslcben , „IJuieii meine kleine Schritt über die Basalte zu schicken, die wälircnd meiner Abwesenlieit in Kurland (mit vieh'u Druckfehlern) erschienen ist. fch schrieb sie /u einer Zeit, vor der ich nie eines mine- ralogischen Unterrichts genossen Jiatte, und ich würde es nie gewagt ha- ben, sie drucken zu hissen, winm mich niclit besondere Verhältnisse dazu bewogen hätten."

2. Akademische Studienjahre. (Universität Göttiiigen.) 93

umfassende Kenntiiiss der Literatur sehr beiiierkl»ar aus. üud wir sehen ihn hier nicht l)los als Mineralogen und Geologen, sondern auch als Botaniker. Er vergleicht die Pflanzen, die er hier am Rhein auf Basalt findet, mit denen, die er bereits friüier auf dem Basalt des Meissners gefunden hatte, und unterzieht die Beobachtungen seiner Vorgänger, CoUini's, de Luc's, einer eingehenden Kritik. „Alles", sagt Forster, „was ich von unsem vermeintHchen Vulkanen am Rhein mit wenigen Worten berühre, findet sich in den beiden Quartanten des Dr. Nose und in den zusammengedrängten Beobachtungen unsers scharfsinnigen Freun- des Alexander von Humboldt bestätigt.'' Allerdings verwandte er seinen Scharfsinn noch dazu, um den Irrthum der damaligen Schule, die herrschende Theorie von dem neptunischen Ursprung des Basalts, aufrecht zu erhalten; und seine Arbeit wai* auch von so nachlialtiger Wirkung, dass man noch lange sich auf dieselbe zu Gunsten des Neptunismus berief, als er selbst bereits sich für den Vulkanismus erklärt hatte.

Auf welcher Stufe sich aber damals theilweise die Ansichten über den Basalt und die geognostische Wissenschaft überhaupt l^efunden hatten, sehen wir am frappantesten aus einer Streit- schrift des gelehrten mecklenburgischen Ilofraths und Professors Witte * in Rostock. Derselbe erklärte die ägyptischen Pyramiden für die Reste eines vulkanischen Ausbruchs, „die sich mit einer gewissen feierlichen Langsamkeit emporgedrängt", die Hiero- glyphen an ihnen für krystallinische IHldungen,- den Mörissee für den eingestürzten Krater eines erloschenen Vulkans, den Brunnen in der grossen Pyranjide für ein Luftloch eines Vul- kans, den Sarkophag des Cheops für zwei Lavastücke, die vor ihrer gänzlichen Erkältung, „wie ein paar Zwieback", über- einander gelagert, die sargartige Gestalt angenommen haben i>ollen etc. Selbst die Reste von Persepohs, Balbek, Palmyra, der Jupitertempel zu Girgenti auf Sicilien, die beiden Paläste

' Ueber den Ursprung der Pyramiden in Aegypten und die Ruinen >oa Persepohs (Leipzig 178^).

04 I. Jugend und erste Manuesjalire.

der Incas von Peru bei Lacatagua und Älkunkanjar sollten na- türliche Basaltjnuppen und Lavaflüsse sein.

Nicht minder abenteuerlich glaubte damals der Abt Giraud- Soulavie ^ den psychischen und sittlichen Einfluss nachweisen zu können, welchen die mineralogische Beschaffenheit des Bodens auf den Charakter seiner Bewohner ausübe. „Die Bewohner basaltischer Gegenden'^ sagte er, „sind schwer zu regieren, auf- rührerisch, irreligiös. Die Basalte erscheinen als ein lang ver- kanntes Befi>rdeiiingsmittel zur schnellen Ausbreitung der Re- formation." — Huml)oldt, der später den Einfluss der Natur- verhältnisse des Grund und Bodens auf die Bewohner so vortrefllich gewürdigt hat, sagte schon damals: „Ich darf kaum fürchten, misverstanden zu werden, als wolle ich den allgemeinen Einfluss der physikalischen Beschaffenheit eines Landes auf die Sitten der Menschen leugnen. Bergbewohner sind allerdings von den Bewohnern flacher Küsten verschieden; aber im einzelnen zu bestimmen, wie Granit, Porphyr, Thonschiefer, Basalt u. s. w. auf den Charakter wirken, das heisst, die Grenzen unsers Wis- sens muth willig überschreiten", ein Beweis, wie vorsichtig schon der Jüngling in seinen Betrachtungen war und wie fern von der Sucht zu glänzenden Aeusserungen.

Die letzte Zeit des Aufenthalts in Göttingen, das er im März 1790 verliess, verlief ohne bemerkenswerthe Vorgänge. Humboldt bewahrte stets liebevolle Erinnerungen an den geisti- gen Gewinn, der ihm hier geboten wurde, und so sprach er auch bei der Säcularfeier der Georgia Augusta im September 1837, nach fast einem halben Jahrhundert, dankbar das Be- kcnntniss aus, dass er auf dieser Hochschule den edlem Theil seiner Bildung empfangen.

In Göttingen, im Heyn«'schen Hause, war ihm auch der hellste Stern seiner Jugend aufgegangen. Hier hatte er Georg Forstor, den Schwiegersohn Heyne's, kennen gelernt, welcher

^ Histoire nat. de la France mcrid., II, 455.

2. Akademische Studienjahre, (riiiversität Göttingen.) *)5

mit seinen Neigungen und Wünschen am meisten sympathisirte, und der auf seine Studien, seine Phantasie und den grossen Plan seiner ganzen Lebensthätigkeit den entscheidendsten Ein- fluss haben musste. In Georg Forster sehen wir in gewissem Sinne das Vorbild Alexander von Humboldt's.

Georji Forster, damals 30 Jahre alt und nur 15 Jahre älter als Humboldt, hatte bereits Oook auf seiner zweiten Reise um die Welt begleitet und dieselbe meisterliaft beschrieben. Er hatte alle Zweige der Naturkunde mit Einschluss der Physik und Chemie studirt, zeichnete vortrefflich Pflanzen und Thiere, besass vorzügliche Kenntnisse in der Philosophie, Literatur und den schönen Künsten, und widmete sich mit aller Kraft seines Geistes und der Neigung seines Herzens vorzugsweise der Geogra- phie, Geschichte und Politik ; er schrieb Lateinisch und verstand Griechisch, er sprach und schrieb mit Leichtigkeit Französisch und Englisch, er las Holländisch und Italienisch, und auch die schwedische, si)anische, portugiesische, russische und polnische Sprache waren ihm nicht fremd. Und bei alledem war er ein geistvoller, bescheidener, liebenswürdiger Gesellschafter. Forster war Meister in jener Naturschilderung, die den Künstler nicht weniger begeistert als sie den Forscher belehrt, die, erhebend durch dichterischen Schwung, entzückend durch malerischen Schmuck, dennoch nur die reinste Wahrheit vor die Seele fühlt. Und mehr noch als die reicheFülle sachliclierBelehrung, als der entzückende Zauber künstlerischer Darstellung, erquickt noch heute in seinem unül>ertroffenen Reiseberichte die vollendete Menschlichkeit, die sein vorzügliches Augenmerk auf die Men- schen selbst richtete, auf ihre Anlagen, Sitten und Zustände, die ihn mit einem weichen und Uebevollen Verständniss den Kern des Menschen unter Federn und Tätowirungen erfassen und unter jeder Gestalt, in jeder Lage das Recht der Ver- nunft aufsuchen und erkennen liess.

An der Grenze eines eigennützigen, piratischen Zeitalters der grossen Entdeckungen auf unserm Erdball stellte er zuerst

96 I. Jugend und erste Mauuesjahrc.

die Bedeutsamkeit rein geistiger Interessen und friedlicher Zwecke in das hellste Lieht. Besonnene Forschung führte er an die Stelle abenteuerlicher Unternehmungslust, statt nach Schätzen des Mammon suchte er nach Befriedigung des Wissensdranges. Natur- und Staatenkunde, Geschichte, Philosophie, alle exacten und moralischen Wissenschaften waren ihm in ihrer Vereinigung die alleinigen Factoren sittlicher Veredlung. Von Förster hat die Welt reisen und l)eschreil)en gelernt in dem fruchtbarsten Sinne des Worts.

Humboldt gedenkt seiner häufig in dankbarer Anerkennung und Verehrung. Er nennt ihn „Philosophe aimable", und noch auf der Sonnenhöhe seines Ruhmes, im „Kosmos "^ nennt er ihn seinen „l)erühmten Lehrer und Freund, dessen Namen ich nie ohne das hmigste Dankgefühl ausspreche", und bezeichnet ihn als den Schriftsteller, welcher in unserer vaterländischen Lite- ratur am kräftigsten und am gelungensten die Richtung der neuern Reisebeschreibungen, im Gegensatz zu der dramatischen des Mittelalters, eröffnet hat. „Durch ihn l)egann eine neue Aera wissenschafthclier Reisen, deren Zweck vergleichende Völker- und Länderkunde ist. Mit einem feinen ästhetischen Gefühl begabt, in sich l)ewahrend die lel)ensfrischen Bilder, welche auf Tahiti und andern damals glücklichern Eilanden der Südsee seine Phantasie erfüllt hatten, schilderte Georg Forster Zuerst mit Anmuth die wechselnden Vegetationsstufen, die klimatischen Verhältnisse, die Nahrungsstoflfe in Beziehung auf die Gesittung <ler Menschen nach Verschiedenheit ihrer ursprünglichen Wohn- sitze und ihrer Abstammung. Alles, was der Ansicht einer exotischen Natur Wahrheit, Individualität und Anschaulichkeit gewähren kann, findet sich in seinen Werken vereint. Nicht etwa blos in seiner trefflichen Beschreibung der zweiten Reise des Kapitäns Cook, mehr noch in den kleinen Schriften liegt der Keim zu vielem Grossen, das die spätere Zeit zur Reife gebracht hat."

> Bd. 11, 65. T2.

2. Akadeiniscbr Studienjahre. (Reise mit 6. Forster.) 97

Zu keinem Erwerbe gedrängt, von den Ehren der hohem Stände nicht angezogen, von keinem falschen Ehrgeiz getrieben, hatte Alexander von Humboldt in der Unabhängigkeit seiner I^ge hinlängliche Müsse und Mittel, seinen Lieblingsstudien zu leben, seine Reiselust zu befriedigen, seinen Geist durch An- schauungen der Natur anzuregen und durch Beobachtungen zu den tiefsten Forschungen vorzubereiten

Schon während der vorerwähnten Einkehr bei Forster in Mainz war für das nächste Fiühjahr eine gemeinschaftliche Reise nach dem KiedeiThein, Holland, Belgien, England und Frankreich verabredet worden; denn auch in Forster war die alte Reiselust wieder wach geworden. Er hoffte in England für seinen Vater zu wirken und für sich neue Anregungen zu ge^ winnen zur Erdbeschreibung, zur Naturgeschichte, zur Kunst. Wie viel versprach vollends Frankreich, wo seit einem Jahre die politische Neugestaltung im Schwünge war!

So erschien Humboldt, wie von einer inneni Mission ge- trieben, im Frilhjahr 1790 bei Georg Forster, um sich ihm und dem jungen göttinger Freunde van Geuns zu der Reise nach dem Niederrhein, Holland, England und Frankreich anzuschhessen. Ks war, als sollte er unter der erweckenden Anleitung des Welt- umseglers eine Vorschule zu seinen grossen Weltfahrten durch- machen, die an Umfang und Vielseitigkeit der Erforschung alles was bisher geschehen überflügelten.

Der Aufenthalt bei Forster in Mainz währte nicht lange. Noch am 20. März schrieb Forster an Heyne, dass er Humboldt in einigen Tagen erwarte, und schon der erste Reisebericht datirt: Boppard den 24. März.

Forster hat diese Reise in dem classischen Werke „An- sichten vom Nieden-hein" beschrieben, doch ist es bedauenis- werth, dass von Humboldt nur sehr wenig vorhanden ist, was flie Eindrücke und Resultate, die er auf dieser Reise gewonnen, erkennen liesse. Dass er aber ausführliche Tagebücher geführt, das beweist ein noch erhaltenes Heft derselben, mit der Auf- schrift: „Reise 1790. England.^'

. V. Ut«JOLI>T. I. 7

98 I. Jugend und erste Mannesjalire.

Die Fahrt ging deu Rheinstrom hinab höchst vergnügt; und wenn trüber Himmel der bekannten Gegend keinen Reiz verlieh, las man eine Reise nach Borneo und labte die Phantasie* an jenen glühenden Farben und jenem gewaltigen Pflanzenwuchse des heissen Erdstrichs, von denen die winterliche Gegend des Rheingaues nichts hatte.

Wo ein Forster der Führer ist, da finden Natur und Kunst und Gewerbe, Politik und Kirche, Vergangenheit und Gegenwart eingehende Beachtung, da bleibt kehie literarische Notabilität. keine öffentliche und private Anlage, kein Institut, keine Fabrik, kein künstliches Instrument, da bleiben keine Docks, keine Grubenwerke keine botanischen Gärten und 01)servatorien un- besucht, unerörtert

Vor allem interessirt hier eine Betrachtung Forster's. Es war im Dome zu Köln. Nachdem er die bewältigende Erhaben- heit des Baues geschildert, fahrt er fort: „Meine Aufmerksam- keit hatte einen wichtigem Gegenstand: einen Mann von der beweglichsten Phantasie und vom zartesten Sinne, der zum ersten male in diesen Kreuzgängen den Eindmck des Grossen in der gothischen Bauart empfand und bei dem Anblick des mehr als hundert Fuss hohen Chors vor Entzücken wie ver- steinert war. 0, es war köstlich in diesem klaren An- schauen die Grösse des Tempels noch einmal, gleichsam im Widerschein, zu erblicken! Gegen das Ende unsers Aufenthalte weckte die Dunkelheit in den leeren, einsamen, von unsern Tritten widerhallenden Gewölben, zwischen den Gräbern der Kurfürsten, Bischöfe und Ritter, die da in Stein gehauen he- gen, manches schaurige Bild der Vorzeit in seiner Seele. In allem Ernste, mit seiner Reizbarkeit und dem in neuen Bilder- schöpfungen rastlos thätigen Geiste möchte ich die Nacht dort nicht einsam durchwachen. ... Ich eilte mit ihm liinaus ins Freie, und sobald wir unsern Gasthof erreicht hatten, erwachte die beneidenswerthe Laune, womit er, durchdrungen vom Genuss der lieblichen Natur, schon auf der ganzen Fahrt von Koblenz her die einförmigen Stunden uns verkürzt hatte."

2. Akadcmischo Studienjahre. (Reise mit 6. Forster.) 99

Dieser Mann war Alexander von Humboldt.

Dann bemerkt Forster weiter: „Noch kann ich mir den grossen Zweifel nicht lösen, ob es befriedigender sei, Bilder des Wirklichen unmittelbar aus der umgebenden Weite zu schöpfen, oder sie von zahllosen Anschauungen bereits überallher gesam- melt, erlesen, geordnet, zusammengesetzt, zu schönem Ganzen vereinigt aus einer reichen Menschenseele, unserm Wesen schon melir angeeignet, in uns übergehen zu lassen? Reides hat sei- nen eigenthümlichen Werth, und beidos haben wir seit unserer Abreise schon reichlich gekostet. Lebendiger wirkt die un- mittelbare Gegenwart der beseelten Natur; tief und scharf be- stimmt und alle Verhältnisse erschöpfend graben sich die Bilder des Daseins, das unabhängig von dem Menschen ohne sein Zu- thun ist und war und sein wird, ins Gedächtniss ein. Dagegen gesellen sich von einer menschhchen Organisation aufgefasst die mannichfaltigsten Formen aus allen Welttheilen zugleich, aus der Vergangenheit und darf ich es sagen? aus der Zukunft zum ( fegen wärtigen und verweben sich mit ihm zu einem die Wirklichkeit nachahmenden Drama."

So sah Forster in des Domes geweihter Stätte mit pro- phetischem Blicke Humboldt's spätere Bedeutsamkeit voraus, als wollte er seine Weltbestimmung mit weitem Aufgaben auf ihn übertragen.

Von Humboldt haben sich aus der Zeit dieser Reise zwei Briefe an Wegener erhalten. In dem ersten (Castelton, im hohen lN*ak, Derbyshire, den 15. Juni 171H)) heisst es:

„Freilich sollte ich Dich um Verzeihung bitten, dass Du seit drei (Hier vier Monaten nicht eine Silbe von mir geholt, da&s ich selbst den Continent verlassen, ohne Dir, meinem war- men alten Freunde, dem ich die frohesten Stunden meines jugendlichen Alters verdanke, etwas davon zu melden. Aber wer so wenig anklagt, so ungern zürnt als Du, von dem ist leicht Verzeihung zu erhalten. Deinen letzten Brief bekam ich führend meiner letzten Krankheit, einem argen Schleimfieber

7*

100 I. Jugend lind erste Mannesjahre.

(febris Gottingensis), das mich einige Wochen nach den Masern überfiel, und an dessen Folgen, einer starken Nervenschwäche, ich noch lange leiden werde. Ich war damals ausser Stande, Dir zu antworten, so viel Freude mir auch dieser Brief

machte Herzlichen Dank, mein Bester, dass ich Dich noch

so ganz wiedererkenne, so offen, so brav, so edel, so unverderbt, als Dich nur die siegende Venmnft gegen die AngriflFe des dog- matischen Glaubens erhalten konnte. Fürchte nicht, dass ich einen Stand beschimpfen will, der, wenn er gleich eine Plage der ganzen Menschheit gewesen ist, doch die höchste Beför- derung menschlicher Glückseligkeit zum Zweck hat

Man muss dem Bösea in der Welt weniger zürnen, wenn man bedenkt, dass es Veranlassung gibt, dagegen anzukämpfen und das Gute desto mehr zu befördern. Je mehr Du Aberglauben, Verstellung, Scheinheiligkeit, und wie die geistlichen Tugenden heissen, durch Deine Mitbrüder predigen hörst, desto grösserer Reiz für Dich, gegen sie anzustehen. Dein letzter Brief enthält darüber eine schöne Stelle, so ganz den Ausdruck wahrer Em- pfindungen. Ja, mein Bester, ich freue mich, gerade Dich mit Deinem Eifer nach Untersuchung, mit Deiner Liebe zum Wah- ren, mit Deiner Behutsamkeit, mit Deiner Kunde heimischer und christlicher Mythen in diesen Verhältnissen zu sehen, wenngleich

manche Aufopferung Deinem Herzen schmerzhaft sein wird

Dogmatischer Theisnms ist in meinen Augen weit gefahrlicher als alle Albernheiten positiver Glaubenslehren, und wenn er auch das Schwert in der Scheide lässt, so begeht er doch geistigen Todtschlag an der Vernunft. Nichts ist unerträg- licher als die klugen Fürsten, die andern Menschen vordenken wollen. In eben dem Lichte erscheinen mir die berliner Sophisten. Was war auch natürlicher, als von der gebotenen christlichen Glaubcnsformel auf solche Abweichung zu fallen. Statt Luther Leibnitz, denkt man, so ist dem Uebel abgeholfen. Und das nennt man Denkfreiheit! Wir wandern in der Finster-

niss alle Ich bin sehr abgespannt, sehr ermüdet, denn ich

habe den grössten Theil des Tages unter der Erde in Peakshole,

8. Akademische 8tudiei\jahre. (Reise mit G. Forster.) 101

Eldenholc, Poolsholc in Bergwerken zugebraclit. Dass man in diesen Gebirgen gespannt sein kann, mag Dir Moritzens Reise sagen.'^

Nur wenige Tage später gibt er weitere Nachrichten von seiner Reise:

„Oxford, den 20. Juni 1790.

Neues über England, mein Bester, erwartest Du nicht von mir. Ueber ein so bereistes Land ist es schwer, etwas Neues zu sagen; aber individuelle Eindrücke, die theilte ich Dir gern mit, wenn ich Zeit und Ruhe hätte, etwas Vernünftiges zu schreiben. Desto mehr Stotf behalten wir zu künftigen Ge- sprächen. Forster, mein Reisegefilhrte, wird unsere Reise be- schreiben. Ich habe die Beschreibung stückweise gelesen. Sie ist schön geschrieben. Ich glaube», sie wird Aufsehen in der Welt machen. Seine Urtheile aber halte ja nicht für die mei- nigen. Wir haben sehr verschiedene Gesichtspunkte, die Sachen zu betrachten. Wir konnten diese Reise zu keiner glücklichem Zeit machen als gerade jetzt. Wir sind alle einzelnen belgischen Provinzen durchzogen, haben den Ilauptauftritten dort, der Ge- fangennahme des Generals van der Mersch, der Flucht des Her- zogs von Arember^', dem Bruche zwischen Bral)ant und Flandern, ja selbst dem Aufruhr in Lille beigewohnt. Forster's Name, der allgemeines Interesse erweckt, Empfehlungen u. s. w. verschaff- ten uns überall Zugang zu den handelnden Pei^sonen. Im Haag, in Amsterdam, in Leyden wurden die Höflichkeiten, die man ihm aufdrängte, beinahe lästig. Und nun vollends hier in Eng- land: Hasting s Process, Spanischer Krieg, Musik in Westminster, neue Parkmentswahlen \ Exhibitionen aller Malerakademien und die unnennbaren Schätze für Naturgeschichte und Physik. Seit vierzehn Tagen haben wir eine schöne Reise in das Innere

* Auch den Sitzungen des Parlaments wolintc er bei. Noch als Greis erinnerte er sich in einer Unterhaltung mit Taylor, „Edmiuid Burke, Pitt, Sheridan aUe in derselben Nacht dort reden gehört zu haben".

102 I. Jugeud und erste Maimcsjahre.

von England über Reading, Bath, Bristol, Glocester, Birmingham nach Buxton, Castelton und Matlock ins Gebirge, von da nach Derby, Stratford (Shakespeare'« Geburtsort), Blenheim nach Oxford gemacht, wo wir nun schon drei Tage shid. Doch wie kann Dich das Register unserer Excursionen unterhalten, Dein Hauptinteresse ist «!:ewiss auf mich selbst gerichtet, und ich kann Dich versichern, dass ich niclit nur eine sehr angenehme, sondern auch sehr nützliche und lehrreiche Reise gemacht habe. Unsere Rückreise über Paris, die wir in einigen Wochen an- treten, wird nicht viel mehr als Durchreise sein. Wir werden nur wenige Tage dort bleiben, und Forster's Urlaub von 3V« Monaten wird dann schon a])gelaufen sein. Von Mainz aus gehe ich wahrscheinHch gleich nach Hamburg auf Büscheus Handlungsinstitut, also von der Universität auf Reisen, und von da ins Gymnasium. In Hamburg werde ich wol bis zum künf- tigen Fiiihjahr bleiben, und dann nach BerUn kommen. Dass ich Dir mein Buch („Mineralogische Beo])achtungen über einige Basalte u. s. w.") nocli nicht geschickt habe, wirst Du mir ver- zeihen, ich habe es selbst noch nicht gesehen. An meinen phy- sischen Kräften fühle icli seit dem Winter Abnahme. Wie widrig dies in meiner Lage ist, wo Anstrengung so unvermeid- lich ist, kannst Du leicht einselien. Die Reise hat mir fi^ilich geholfen, a])er nicht so viel als ich holfte. Da mein Aufenthalt in Frankreich und am Rhein ungewiss ist, so schreibe mir nicht eher, bis ich Dir wieder schreibe. A]»er ich bitte Dich, liebster, theurer Wegener, ich bitte Dich mit aller der Wärme, die Du an mii' kennst, vergiss unserer brüderlichen Lielie und unserer Freundschaft nicht. Du l)ist mir unendlich viel, mehr als ich Dir je werden kann. Ich habe nun die berühmtesten Plätze in Deutschland, Holland und England gesehen aber, bei Gott! ich war nie so glücklich als auf Steinbait's Lehnstuhle.

Alexander.*'

Das vorerwähnte Fragment des Tagebuches, „Reise 1790. England", gibt vortreffliches Zeugniss von der staunenswerthen

2. Akademische Studiciyahre. (Reise mit G. Forster.) 1U3

Yielseitigkeit des Jugendlichen Reisenden. Es enthält minera- logische, botanische, landwirthschaftliche, gewerbliche, technische, cultarhistorij^che Beobachtungen und Notizen so verschiedenen Inhalts, dass ein Auszug derselben nur als Beilage im Anhange die passende Stelle finden kann.

Die Ereignisse in Frankreich lockten die Reisenden, den Rückweg über Paris zu nehmen, wo noch alles den besten Fort- gang versprach. Der allgemeine Enthusiasmus auf dem Mars- felde, unter den Zubereitungen zu dem grossen Nationalfeste, so rein und edel alle Volksklassen durchströmend, war für die Freunde der Humanität und der Freiheit erhebend. Doch beschränkte sich der Aufenthalt nur auf wenige Tage, und be- reits am 11. Juli waren Forster und Humboldt wieder in Mainz.

Humboldt bezeichnete diese Reise stets als ein besonderes Glück. Es kann in der That für einen Jünger der Wissenschaft kein grösseres (ilück geben als die (ielegenheit, einen wahrhaft grossen, schöpferischen Meister bei seinen Conceptionen zu be- lauschen. Da wird auch der Kälteste erwärmt und entzündet, der Nüchternste begeistert, und selbst der Bescheidenste fühlt sich gehoben durch die Empfiingniss der fruchtbaren Elemente, auf welche die Macht des Wissens als Spende herausströmt. „Diese Begleitung", sagt Humboldt, „das Wohlwollen von Sir Joseph Banks, eine grosse, plötzlich erwachende Leidenschaft für das Seewesen und den Besuch ferner tropischer Länder äusserten den belebendsten Eintluss auf Entschlüsse, die nach dem Tode der Mutter einst zur Ausführung kommen sollten."

Humboldt hat für Forster, „dessen edles, gefühlvolles immer helfendes Leben kein glückhches sein sollte", nicht nur ein ehrenvolles, sondern auch dankbares Andenken bewahrt. Es ist unbekannt geblieben, dass die deutsche bei Cotta 1815 32 in sechs Bänden erschienene Uebersetzung von Humboldts „Voyage aux regions equinoxiales", die „Reise in die Aequinoctialgegenden des neuen Continents'' von Frau Therese Forster, der nachmaligen Gattin Huber's, herrührte, und dass diese Arbeit ihr nur ver- trauensvoll überlassen wurde, um ihrer ökonomischen Bedräng-

104 I. Jugend und erste Mannesjahre.

niss abzuhelfen, trotzdem die Uebersetzung sehr oft arge Mis- verständnisse hat und gänzlich verfehlt blieb.

Noch in seinem letzten Lebensjahre* schrieb Humboldt an Heinrich König, als dieser ihm sein Werk: „Georg Forster in Haus und Welt" zugesandt hatte: „Wie soll ich Ilmen, ver- ehrter Mann, warm genug dafür danken, dass Sie dem freund- lichen Rathe, welcher Ihnen von dem edelu, freisinnigen Gross- herzog in Wilhelmsthal gegeben wurde, gefolgt sind ! Sie haben eine geistreiche, lebensfrische, physiognomisch wahre, unpar- teiische Biographie meines verewigten Freundes geliefert Sie haben mich zwei lange Nächte beschäftigt, da ich Ihr schönes, mit Gemüthlichkeit und freiem, unverhaltenem Scharfblick ge- schriebenes Werk Seite für Seite gelesen. Ich habe viel glück- liche, aber auch viel trübe Eindrücke empfangen. Seit dreissig Jahren kenne ich fast nur nächtliche Müsse. Ich habe ein halbes Jahrhundert zugebracht, wohin mich auch immer ein unruhiges, vielbewegtes Leben geführt hat, mir selbst und an- dern zu sagen, was ich meinem Lehrer und Freunde Georg Forster in Verallgemeinerung der Naturansicht, Bestärkung und Entwickelung von dem, was lange vor jener glücklichen Ver- traulichkeit in mir aufdämmerte, verdanke. In diesen Nächten, trübe gestimmt bei den jetzt schneller hinschwindenden Kräften, wurde lebhafter in mir die Erinnerung an die sonderbaren Aehn- lichkeiten und Contraste der Lebensbezichungen mit Forst er: gleiche Richtung politischer Meinungen, keineswegs durch Forster erzeugt, sondern viel älter und nur genährt; erster Anblick des Meeres an der Seite des Weltumseglers, zu einer Zeit, wo noch keine Hoffnung war, dass auch ich schon zwölf Jahre später die Südsee beschiflfen würde; mein Aufenthalt in London, als noch Cook's Witwe lebte und Sir Joseph Banks mich, den 21jährigen Jüngling, liebgewann; in meiner sibirischen Expe- dition betrat ich ^ie Ufer der Samara, von wo der alte Forster den so seltsam verwilderten Weizen an Linne nach Upsala

» Am 28. Juli 1858.

2. Akademische Studieujahre. (Heise rail G. Förster.) 105

schickte, ich 1829, Reinhold Forster mit Georg, als Kuabeiv 1765, vier Jahre, ehe ich geboren war; ich wurde unter Kaiser Alexander durch Graf Rumanzoff 1812 zu einer grossen natur- historischen Reise durch Innerasien eingeladen, wie Georg Forster unter der Kaiserin Katharina zu der wissenschaftlichen Weltumsegelung durch den Flottenkapitäu Mulowski; ähnliche Täuschung in den süssesten Hoffnungen, beide male Verhin- derung der Expedition durch Kriege gegen Franzosen und Türken ! Wie haben Sie mich angeregt durch Ihr theueres Ge- schenk, alte Erinnerungen aufzufrischen, zu beleben ! Ihr ganzes sechstes Buch ist meisterhaft, aber wehmüthig; am wehmüthig- sten sind für mich gewesen Thl. II, S. 251, Z. 8 10 von unten', und doch waren sie geboten! Mit dem erneuerten Ausdrucke innigen Dankes und freundschaftlicher Hochachtung Ew. Wohl- geboren gehorsamster A. von Humboldt."

Der Aufenthalt im Forster'schen Hause währte bis Ende Juli. In dieser Zeit wurde er auch mit Sömmering befreundet, mit dem er als])ald in lebhaften Briefverkehr trat, und sein be- rühmtes Werk, „Versuche über die gereizte Muskel- und Nerven- fai>er*', ist „dem grossen Zergliedorer Sömmering in dankbarer Ver- ehrung und Liebe gewidmet". Auch war es schon im Forster'schen Hause, wo er sich dem damals berühmtesten Mineralogen und Bergwerkskundigen Werner in Freiberg in folgenden! Briefe empfahl :

„Mainz, 25. JuK 1790.

Wohlgeborener Herr, Hochzuverehrender Herr Inspector!

Ich wage es, Ew. Wohlgeboren eine kleine Schrift zu über- reichen, in der ich einen Theil meiner Beobachtungen über die rheinischen Basaltkuppen vorgetragen habe. So wenig ich

* Die Stelle betrifft Für8ter'> Theilnahme an den Berathimgen über das Verfahren gegen Bürger und Beamte in Mainz, die den neuen Bürger- eid bis znm iii\ März nicht leisten würden, während er selbst schon den 25. März die verhängnissvolle Reise nach Baris antrat.

106 !• Jugend und erste Mannesjahre.

mir schmeicheln darf, dass dieser jugendliche Versuch Ihren Beifall erlangen wird, so freue ich mich doch der Gelegenheit, Ihnen, als dem glückUchen Rcstaurateur der Oryktognosie, zu- gleich meine Empfindungen der innigsten Verehrung an den Tag zu legen. Ich gehöre leider nicht zu denen, welche Ihres mündUchen Unterrichts geniessen und unter Ihrer Leitung die Fossilien in ihren Lagerstätten beobachten konnten. Widrige Verhältnisse haben mich bisjetzt noch abgehalten, das vortreflf- Kche Institut zu Freiberg zu besuchen. Vielleicht glückt es mir noch künftig, mich zu Ihren Schülern zu gesellen. Soviel es mir meine Kräfte erlaubten, habe ich indess gesucht, mich in Ihr System einzuarbeiten, mir Ihre Ideen, Ihre Sprache zu eigen zu machen. Wieweit mir dies gelungen, mögen Ew. Wohlgeborcn selbst beurtheilen.

„Auf meiner Reise nach England, von der ich eben jetzt zurückkomme, habe ich die rheinischen Gebirge wieder durch- wandert. Ich fand nichts,^ was die Voraussetzung ehemaliger Vulkane uothwendig machte, hingegen ü])erall Gründe für den neptunistischen Ursprung der l^nsalte. Ihre Idee eines ehemals über die Erdfläche allgemein verl)reiteten Basaltlagers wurde mir nie wahrscheinlicher und einleuchtender als bei Linz und Unkel, wo ich auf den höclisten Kuppen liorizontalc Schichten sah. Viele unserer vaterländischen Mineralogen werden mir diese Geständnisse sehr verargen und meine Schrift (wenn sie nicht ganz vergessen bleibt) einer harten Kritik unterwerfen. Aber diese Betrachtungen sollen, wenigstens wünsche ich dass es mein steter Vorsatz bleibe, mich nie ablialten zu sagen, was ich für wahr erkenne. Ich habe lange in einer berufenen vulkanischen Gegend gelebt, ich habe die hannoverischen, hessi- schen, rheinischen und zweibrückischen Gebirge zu Fuss fleissig besucht aber ich kann micli nicht zu einer Hypothese be- kennen, die Herr de Luc in seinen geognostischen Gedichten (Lettres physiques et morales) so reizend ausschmückt.

„Ew. Wohlgeboren thun für die Mineralogie, was Linne für die Botanik that. Sie haben uns durch Ihr Werk über die

2. Akademische Studieigahre. (Heise mit G. Förster.) 107

äussern Kenuzeicheu der Fossilien und durch Ihre zerstreuten Abhandlungen eine Philosophia mineralogica geschenkt. Der Kanon ist da, die Sprachverwirrung ist gehoben, die Regeln, nach denen man Gattungen und Abänderungen machen soll, festgesetzt, möchten Sie doch bald das Werk vollenden und uns ein eigenes System aufbauen.

„Ich weiss es, wie wenig meine Stimme gegen die Auffor- derungen so vieler grosser und berühmter Männer gilt. Aber ich hoffe, Sie werden diesen raschen Ausdruck der Empfindung gütigst verzeihen.

„Ich darf nicht hoffen, von Ihnen gekannt zu sein. Meine kleinen botanischen Versuche sind zu unwichtig, und ob ich gleich einer der frühesten war von denen, die sich bei Ihrer letzten Anwesenheit in Göttingen an Sie drängten, so ist Ihnen mein Name doch gewiss entfallen. Ich ersuche Ew. Wohlgeboren fÄr diesen Brief sowol als für die mineralogische Schrift um gü- tige Nachsicht. Ich bin noch sehr jung, und in so vielen Kennt- nissen ich auch zurück bin, so habe ich doch wenigstens das Gefühl meiner Schwäche und regen Eifer, sie zu vermeiden. Ich schUesse mit der Versicherung der vollkommensten Hoch- achtung und vollkonmicnsten Verehrung u. s. w.

„Ich gehe morgen von hier nach Hamburg. Sollten mich Ew. Wohlgeboren mit einer Antwort beglücken wollen, so ist meine Adresse: An Herrn von Humboldt in Hamburg, abzugeben beim Professor Busch."

Bei Humboldts Abreise von Mainz (Ende Juli 171K)) gab ihm Forster ' folgende Enqifehlun^ an Johannes von Müller, den er in Kassel aufsuchen wollte.

„Je Vous ccris pour Vous prescnter Mr. de Humboldt, le cadet, mon compagnon de voyage, un jeune homme remph de ronnoissances et d'une rare maturite de jugement. II est verse

' G. Fon^ta'b Saiiniitlichc ScIiritUMi, VUl. \22.

108 I* Jugend und erste Mannesjahre.

dans presque tous les geures de litterature ; mais sa carriere par- ticuliere est celle des finances et de l'economie politique. Vous lui trouverez lä-dessus, si Vous avez le temps de lui donncr quelques moments d'entretien, les v^ritables principes, affermis par une riche moisson d'observations et par une suite de tra- vaux assidus. L'etude des fabriques et des manufactures Cut une partie de ses connoissances; il y a fait des progrfes consi- d^rables. Ajoutez ä cela que tout cet edifice de connoissances p?ratiques ou immediatement applicables aux besoins des etats modernes, est appuye sur uu cxcellent fond de litterature grecque et romaine et de Philosophie, dont il a cueiUi les fleurs sans en n^gliger les parties les plus austeres. En un mot, je crois pouvoir me justifier aupres de Vous, en Vous adressant un horame qui merite d'etre connu et surtout qui mdrite de Vous connoitre. II va ä Hambourg et de il retournera a Ber- lin " In der That eine seltene Empfehlung für einen

zwanzigjährigen jungen Mann!.

Humboldt ging nach Hamburg auf die Handelsakademie von Busch und Ebeling, um ein CoUegium über den Geldumlauf zu hören, das Buchhalten zu erlernen und von den Comptoir- geschäften genaue Kenntniss zu nehmen. Erfüllt von den frischen Eindrücken, die Forster's Schilderungen, die der Besuch Englands und seiner Häfen auf ihn gemacht hatten, mochte ihm auch Hamburg, als erster Seehafen Deutschlands, von an- ziehendem Interesse gewesen sein.

Die Handelsakademie in Hamburg stand in der That schon damals in hohem Rufe, richtigere staatsökonomische Lehren zu fördern, und es ist unbestrittene Thatsache, dass sie damals den Studirenden der Kameralwissenschaften das gewährte, was diese auf Universitäten meist vergebens zu erlernen suchten. Ausser- dem hatte Busch auch noch als Jurist und Mathematiker einen weitverbreiteten Ruf. Daher wurde die Akademie auch von jungen Männern bezogen, die sich dem Fache der höhern Ver- waltung widmeten.

2. Akademische Studienjahre. (Handelsakademie zu Hamburg.) 109

Wie gross der Zusamnienfluss von Fremden auf der ham- burger Handelsakademie gewesen, ersehen wir daraus, dass schon unter den ersten 159 Schülern, welche 1767 78 die Anstalt besucht hatten, 25 Engländer, G Franzosen, 3 Dänen, 4 Holländer, 2 Italiener, 8 Russen, 6 Schweden, 14 Schottländer, 2 Polen, 2 Portugiesen, 3 Spanier, 1 Norweger, 1 Amerikaner sich befanden, und die Anstalt hatte seitdem alljährlich noch immer mehr zugenommen.

Der Zusammenfluss so vieler jungen Leute aus den ver- schiedensten Theilen von Europa gab, nach Humboldts eigener Aeusserung, auf diesem Institute die günstigste Gelegenheit zur Uebung in den verschiedenen lebenden Sprachen. Wahrschein- Uch um in bequemster Weise sich im Englischen üben zu kön- nen, wohnte Humboldt mit einem jungen Engländer, John Gille, zusammen, den er 1798 in Barcelona wiederfand als wohl- habenden Besitzer des noch heute dort blühenden Handels- hauses seines Namens. Nach einem vollen halben Jahrhundert erinnerte er sich noch des Jugendfreundes und der gastlichen Aufnahme, die er bei ihm in Barcelona gefunden hatte, durch die dankbare und edle Thcilnahme, welche er einem 1848 in Berlin verstorbenen Verwandten desselben erwies. Andere Stu- diengenossen waren Speckter, der Vater des durch seine Illustra- tionen zu Hey 's Fabeln wohlbekannten Otto Speckter; Watten- bach, der Vater des bekannten heidelberger Historikers; Mac-Lean, dessen Name in der danziger Kaufmannschaft mit besten Ehren genannt wird; Böthhng, ein reicher Russe aus Petersburg, mit einer Jahresrente von 4000(.> Rubeln, der auch einige Zeit mit Humboldt in einem Zinnner wohnte, und sich ihm später auf der grossen Reise anschliessen wollte.

Ueber seine Studien und seine Lebensweise in Hamburg gibt eine Stelle aus einem Briefe an Sömmering vom 28. Jan. 1791 den besten Aufschluss: „. . . . Ich lebe in Hamburg zufrie- den, aber nicht froh, weniger froh selbst als in Göttingen, wo der Umgang von ein oder zwei Freunden und die Nähe moos- bewachsener Berge mich für die Einf<')rmigkeit meiner Lage

HO t- Jugend und erste Mannesjahre.

entschädigten. Zufiieden, das heisst durch Ueberlegung zu- frieden, bin ich überall, wo ich meinen Zwecken näher komme. Ich lerne auf der hiesigen Handelsakademie und durch Büschens Umgang sehr \iel. Alles Mercantilische war mir neu, und ich liebe es, weil ich es für nützlich lialto. Eigentliche CoUegia höre ich wenig, desto lleissiger suche ich für mich zu sein. Ebeling's grosse Bibliothek kommt mir schön zu statten. Phi- lologie, Reisebeschreibungen, Geschichtsbücher besitzt Ebeling, alles Mathematische und Physikalische Busch, und das Natur- historische Reimarus sehr vollständig. Denken Sie sich nun den freiesten Gebrauch aller dieser Hülfsmittel, ein enges Zim- mer in einem einsamen Garten, keine Störung als eine Glocke, die zum Mittag- und Al)endessen läutet und Sie müssen gestehen, mein Lieber, dass man in Hamburg, trotz Göttingen, Studiren kann. Mineralogie und Botanik (beide aus Büchern!!) füllen meine Nebenstunden aus. Dazu habe ich angefangen Dänisch und Schwedisch zu lernen, weil die Gelegenheit dazu hier sehr bequem ist. Ein sieben oder acht Monate ist so ein Leben erträglich, aber nach diesen sehnt man sich auch nach einem freiem Wirkungskreise. An Umgang, nämlich Zusammen- e^sen nennt man hier Umgang, fehlt es mir bei dem allen nicht. Ich bin in allen Cirkeln, in den !)ürgerlichen und adelichen, die sich nach der löblichen indianischen Methode kastenmässig von einander getrennt haben. Da aber hier alles Karten spielt, so besuche ich keine Gesellschaft vor dem Abendessen, wo dann der physische Genuss freilich sehr gross ist. So \iel man am Rhein auch immer über Adelstolz klagen mag, so möchte ich doch behaupten, dass der Uebermuth des hiesigen Bentinck'schen (nicht Schimmelmann'schen) Cirkels jenen weit übertriflft. Die Vernunft unserer westlichen Nachbarn wird dieses Jahrhundert überleben, aber Deutschland wird noch lange anstaunen, prü- fen, vorbereiten und den entscheidenden Augenblick ver- säumen."

In nachhaltiger Anregung vom göttinger Geiste las Humboldt mit einigen Commilitonen das Buch des Phnius über die Malerei,

2. Akademische Studieivjahre. (Handelsakademie zu Hamburg.) 1 1 1

und setzte bei dieser Gelegenheit die hamburger Philologie in ungewohnte Bewegung. Im hohen Grade bemerkenswerth ist aber seine mit grossem Eifer betriebene Liebhaberei, bei stürmischem Wetter sich in die El])e hinausfahren zu lassen, um den Wellen- schlag zu beobachten und zu messen.

Noch in spätem Greisenalter bewahrte er die heitersten Erinnerungen an jene hamburger Zeit und namentlich an die geselligen Kreise im Sieveking'schen Hause. Wie der reiche Handelsherr zu den ausgezeichnetsten Männern der Stadt ge- hörte, die ansehnUchsten Aemter bekleidete und in wahrhaft grossartigen Verhältnissen mit den politischen und gelehrten Notabilitäten stand, so war auch seine Frau, eine Enkelin des seinerzeit berühmten Reimarus, des Verfassers der von Les- sing herausgegebenen „Wolfenbüttler Fragmente", und Tochter des Mannes, der sich durch seine Schriften über den Blitz- ableiter, über die Triebe der Thiere und überhaupt in den Naturwissenschaften einen guten Ruf erworben, eine vortreif- liche, durch und durch gebildete Dame. Ihr Haus war der Sammelplatz der besten Gesellschaft. Hier lernte Humboldt Claudius, Voss, die Stolberge aus dem nahen Holstein kennen, und namentlich mochte die Bekanntschaft mit Voght von hohem Interesse für ihn sein, dem Besitzer der grossen Gartenanlagen in Flottbeck, die sich durch den Reichthum der seltensten Pflan- zen auszeichneten.

Mit Forster war Humboldt geraume Zeit in lebhaftem brief- lichem Verkehr geblieben. Am 2G. Sept. 17W schrieb Forster an Jacobi: „Die Humboldts sind beide wohl, aber beide auf einer ganz verschiedenen Art. Der älteste ist Legationsrath und zugleich Beisitzer am Kammergericht in Beriin, wo er sei- nen Probecursus macht. Wenn sein Jahr herum ist, will er sich in Halberstadt anstellen lassen und wahrscheinhch hei- ratben. Der jüngere ist bei Busch in Hamburg, studirt das Praktische des Comptoirwesens, morphondirt sich unter allen den trefflichen Köpfen in Hamburg, hat Christian Stolberg be- sucht und ist voll seines Lobes, geht zuweilen aus, um Moose

112 I* Jugend und erste Mannesjalire.

ZU sammeln, die im Winter blühen, und schreibt possirliche Briefe voll Laune, Gutmüthigkeit und Empfindsamkeit." Diese Briefe sind von den Erben Forster's später, in den dreissiger Jahren, umboldt wiedergegeben und von ihm vernichtet worden. Je bedauernswerther ihr Verlust ist, um so erfreulicher ist die Erhaltung mehrerer andern aus dieser Zeit, da sie geeignet sind, einiges Licht auf seine damaligen Studien und Verhält- nisse zu werfen. Sie mögen hier ifi chronologischer Reihe fol- gen, da sie sich ohne Weiteres selbst erläutern.

An Se. Excellenz den Minister von Heinitz in Berlin.

„Hambourg, le 10 Sept. 1790. Monsieur,

J'ose me flatter que votre Excellence voudra bien pardon- ner la libert^ que je prens en lui offrant les premiers fruits de nies etudes („Beobachtungen über einige Basalte u. s. w."). Je n'ambitionne point la gloire, de me ranger parmi les savans mineralogistes de ma patrie, j'ai eu de grands modeles devant les yeux, mais il faut un pinceau hardi pour attraper le stile de ces maitres. L'indulgence a et^ de tout temps le partage des hommes grands et vertueux. Permettez-moi, Monsieur, de vous demander la vötre. Je suis tres-jeune encore, je connais fort bien le peu de connaissances que je possede, mais je tacherai par un travail plus assidu, de me rendre utile ä ma patrie et de meriter un jour les faveurs de votre Excellence.

„Daignez agreer le temoignage du respectueux attachement avec lequel je ne cesserai jamais d'ötre, etc."

An Freund Wegener.

„Hamburg, 23. Sept. 1790.

EndUch einmal wieder ein paar Worte zu Dir, mein Guter! Böse bist Du mir nicht, nein, Wilhelm, das kann unter uns nicht sein 1 Ich habe Dir lange nicht geschrieben, aber Du weisst ja, dass dies öftere oder seltenere Schreiben kein Thermometer der

2. Akademische Studienjahre'. (Huudelsakadcmic zu Hamburg.) H}^

Freundschaft unter uns ist. Du kennst meine wanne, innige Anhänglichkeit an Dich, Du weisst wie viel ich Dir, Lieber, ver- danke — unter uns kann keine Trennung sein.

„Meinen Brief aus London hast Du doch richtig erhalten? Du erwartetest vielleicht mehrere aus London, aber wisse, dass Du ausser unserm Hause mit Willdenow der einzige warst, an den ich schrieb. Denk' wie ich seit dreiviertel Jahren umher- jj;eschleudert bin. Seitdem ich aus Frankreich zurückkam, war ich vier Wochen in Mainz, dann in Aschaffenburg, dann im Vogelsgebirge und in der Rhön. ^ Ueber Göttingen und Han- nover reiste ich hierher. Ich lebe als Zögling auf der Handels- akademie bei Professor Busch, sehe nichts als Zahlen- und Comptoirbücher vor mir und muss meine Pflanzen und Steine vergessen. Kaum war ich fünf Tage in Hamburg, so sah ich Naturalien aus der Insel Helgoland. Die Begier, sie selbst zu haben, ergriff mich. Ich schiflFte mich ein und machte in acht Tagen eine sehr stürmische Seereise von 45 Meilen. Jetzt muss ich mich an dem Anblick der Schiffe im Hafen begnügen, denn wie ich wieder das Element befahre .... Werden meine Wünsche erfüllt, so gehe ich in anderthalb Jahren wieder nach England. Ich kann nun mit unendlichem Agrement dort leben.

* Näheres über diesen Theil der Heise ergibt folgende Stene des oben S. 101) bereits citirtcn Briefes an Söromering vom 28. Jan. 1791. Dieselbe heisst: .Jch verliess Aschatfenburg (das mir MüUer's geistvolle Unterhal- tung und Gallizin'S ungekünstelte Gutmüthigkeit in der That sehr, sehr lieb gemacht hatten) mit dem festen Entschlüsse, Ihnen, sobald ich Ham- burg erreicht liaben würde, so manches auszuschütten, wovon mein Herz damals schon voll war. Ich glaubte so manches beobachtet zu haben, woraus ich frohe Aussichten für die Zukunft ahnte, und ich glaubte dies alles noch einmal inniger und froher zu geniesseu, wenn ich es einem t beilnehmenden Freunde mittheilte. Kiue unglückliche Tour, die ich bald zu F'nss, bald zu Wagen, in dem unfreundlichsten Wetter, durch das Vogelsgebirge und einen Theil der Hhön machte, knüpfte bald eine neue fvedankenreihc an jene an. Die g(*sammclten Mineralien sollten geordnet, manche kleine Beobachtung (Sie wissen wol, was man in meinem Alter lür einen Werth auf sei etwas legt !) aufgezeichnet werden." ....

A. V. Hi:iiiioLi>T . I. ^

114 !• Jugend und erste Mannesjahre.

„Gott! was habe ich alles gesehen, seitdem ich Berlin ver- liess. In wie verschiedene Lagen bin ich gekommen, wie viele interessante Menschen hab' ich kennen gelernt. Ich lebe hier nicht fröhlich, aber zufrieden. Ich habe an Bildung \ie\ ge- wonnen; ich fing an mit mir selbst zufriedener zu werden, ich war in Göttingen sehr fleissig aber um so tiefer führ ich, was noch alles übrig ist. Meine Gesundheit hat sehr gelitten, wenn sie gleich durch die Reise mit Forster wieder etwas ge- wann. Auch hier bin ich so beschäftigt, dass ich mich nicht schonen kann. Es ist ein Treiben in mir, dass ich oft denke, ich verliere mein bischen Verstand. Und doch ist' das Trei- ben so nothwendig, um rastlos nach guten Zwecken hinzu- wirken.

„Mein Buch über die Basalte schicke ich Dir hier. Du thust mir einen Gefallen, wenn Du die erste Hälfte lesen willst, sie ist ganz philologisch. Die andere ist langweilig für Dich, ob sie gleich wegen einiger Paradoxen ein mir erwünschtes Aufsehen gemacht hat. In dem „Hamburger Correspondent" steht ein unverschämtes Lob des Buches. Du kannst wol den- ken, dass es mich aus dieser unlautern Posaune nicht freuen kann. Aber die Veranlassung sollst Du wissen. Busch (dessen Institut im Sinken ist) will gern in alle Winde ausschreien, welches gelehrte Menschenvolk er aus der Ferne kriegt. Par interetn Die Recension in den „Göttinger Anzeigen" hat mich wirklich gefreut. Wenn Du hier und da mit meinem Buche unzufrieden bist, so bedenke, dass ich es ohne alle philologische Hülfe schrieb (Heyne munterte mich blos dazu auf, sah das MS aber nie an), dass ich fünf Collegia täglich dabei hatte und zweimal gefährlich krank war.

„Nimm diesmal mit diesem desultorischen Briefe vorlieb. Das nächste mal mehr. Schreibe mir bald. Mein Herz freut sich immer, wenn ich an Dich denke. Ich bin mit brüderlicher Liebe und dankbarer Verehrung

Dein Humboldt."

2. Akailenüsche Studicujahro. (Handelsakademie 2u Hamburg.) 115

An Werner in Freiherg.

„Hamburg, Handelsakademie, 13. Dec. 1790.

Wohlgcborener Herr, Hochzu verehrender Herr Inspector!

Ew. Wohlgeboren werden gütigst verzeihen, dass ich, ohne das Glück zu haben, von Ihnen genauer gekannt zu sein, mir die Freiheit nehme, an Sie zu schreiben und Sie gar mit einer Anfrage zu belästigen. Der Zweck, den ich beabsichtige, der heisse Wunsch, unter Ihrer Leitung an Bildung und Kennt- nissen zuzunehmen, wird mich gewiss vor Ihrem Herzen recht- fertigen.

„Es sind nun fast zwei Jahre, seitdem ich mich mit Mine- ralogie beschäftige. Mein Aufenthalt in Göttingen, meine bota- nischen Wanderungen in deutschen Gebirgen, meine angenehme, aber viel zu schnelle Reise durch den Peak von Derbyshire (in Begleitung Ihres Freundes Georg Forster) erweckten meinen Eifer für dieses Studium immer mehr. Ich las so viel, als es mir meine Müsse erlaubte, mineralogische Schriften, war, soviel ich konnte, auf Naturgegenstände aufmerksam und kam immer mehr zu dem Bewusstsein, dass ich bis auf diesen Augenblick vielerlei, aber wenig Zusammenhängendes und Gründliches ge- lernt habe. Die grosse Begierde, nach Freiberg zu gehen und Ihr Schüler zu werden, lag schon lange in mir, aber äussere Verhältnisse machten es bisher unmöglich. Jetzt sind die Schwierigkeiten gehoben. Da ich eben wegen des juristisch- kameralistischen Cursus schon zwei Universitäten, und wegen der merkantilischen Kenntnisse das hiesige Handelsinstitut be- sucht habe, so bleibt mir noch ein halbes Jahr (der Sommer 1791) zu meiner Vorbereitung zu einem bürgerlichen Amte übrig. Ich sehe leider! nur zu gut ein, wie wenig sechs Mo- nate hinreichend sind, um alle die Ideen einzusammeln, die einem Bergmanne nothwendig sind. Aber ich will mich doch Heber mit wenigem begnügen, als dies Glück ganz einbüssen, des vortrefflichen Unterrichts von Ew. Wohlgeboren zu geniessen.

8*

116 I- Jugend und erste Mannesjahre.

Ich hoffe, da es an gutem Willen mir nicht fehlt, mit männ- lichem Eifer zu arbeiten und auch in sechs Monaten viel, recht vieles zu lernen.

„Ich verlasse das hiesige Handelsinstitut auf Ostern und könnte wenig Wochen darauf mich in Freiberg einfinden. Ich bin so frei, demnach bei Ew. AVohlgeboren anzufragen, ob ich Ihnen auf ein halbes Jahr willkommen sein werde, und ob ich mit einem Bedienten in dem Gebäude der Bergakademie eine Wohnung erhalten darf, oder dieselbe mir in der Stadt bestellen muss. Sie würden mich innigst verbinden, wenn Sie mich bald mit ein paar Zeilen Autwort beehren wollten. Icli würde den Oberbergrath liosenstiehl oder Hrn. Assessor Karsten ersucht haben, für mich an Ew. Wohigeboren zu schreiben, wenn ich nicht geglaubt liätte, dass ich den kürzern Weg wagen dürfte.

„Nehmen Sie indess die Versicherung meiner grössten Verehrung und Hochachtung, mit welcher ich ewig sein werde u. s. w.''

Aus dem schon melirfach erwähnten Briefe vom 28. Jan. 1791 an Sömmering:

„So weit schrieb ich diesen Brief vor etwa drei Wochen; ich wurde einige Tage nachher krank und wollte ilm nicht un- vollendet abschicken.

„Heute lege ich diesem hingen Briefe eine Zeichnung von einer sogenannten versteinerten Kinderhand bei, welche in rie- gelsdorfer Schiefer gefunden wurde. Die Phalangen zeigen hin- länglich, dass die Tatze keinem menschlichen Geschöpfe angehört hat. Vielleicht wissen Sie näher zu bestimmen, was es sei, etwa eine Otter V Das wäre nicht unpassend. Denn ^JOLachter vom Tage liegt in Riegelsdorf ein mächtiges Lager verkiester Fische, und zwar gekrümmter. Vei-sichern Sie Forster doch meiner innigsten Hochachtung und sagen Sie ihm, dass ich die Versuche mit dem Phosphoresciren der Kartoffeln nachgemacht, vielfaltig wiederholt habe, und dass es mir mit dem Leuchten

2. Akademische Studienjahre. (Handelsakademie zu Hamburg.) 117

geglückt habe. Wenn wir die Entdeckung von Fourcroy, dass viele Pflanzen Eiweissniateric enthalten, den thierischen Leim der Cerealien, das flüclitige Alkali der Tetradydinamisten (das Leuchten der Kartoffeln, das sich beim Rindfleisch und Lachs ja auch findet) zusammennehmen, so kommen wir den Ueber- einstimmungen zwisclien Thier und Pflanze immer näher. Noch eine Frage, mein Bester! Wo lese ich wol etwas Aus- führliches über die Entstehung der thierischen Knochen, die doch wahrer Kalkstein mit Phosphorsüure gesättigt, Wcmersche unkr)'stallisirte Apatiten. Icli möchte gern wissen, woher die Kalkerde bei der wenigen Nahrung des Kindes entsteht."

Aus derselben Zeit sind auch einige Bri(»fe an Dr. Girtanner, den Humboldt in London kennen gelernt hatte, vorhanden. In einem dieser Briefe ist die Rede von einem unzarten Misver- ständniss mit Usteri, dem liedacteur des „Magazin für Botanik"; aus einem anch-ni ersieht man, dass Humboldt Ende April Ham- burg zu verlassen, dann auf ein paar Wochen nach Berlin zu gehen gedadite, um seine Mutter und seinen „trefflichen" Bru- der zu besuclien, der S<Mnmer aber sclion für Freiberg be- stimmt sei.

Dem Historiker Wattenbach in Heidelberg ist die Verötfent- lichung * einiger Briefe Humbohlt's aus dieser Zeit an den Vater desselben zu venhinken. Derselbe, ein Verwandter von Busch, war dessen Amanuensis und h'bte mit Humboldt in dessen Hause. Dies<» Briefe enthalten mehrere Namen seiner damaligen Freunde, sie zeigen die Wärme und Lebhaftigkeit, mit der Humboldt das Andenken an jene Zeit und die freundschaftlichen Beziehungen, die damals entstanden waren, noch lange festhielt Sie zeigen auch die „possirliche Laune", deren Forster gedenkt; und die anspruchslose Liebenswürdigkeit, die sich darin kundgibt, lässt ganz vergessen, welches bedeutende üebergewicht Humboldt schon damals seinen Genossen geg(»nüber empfinden musste.

» Prenwißche Jalirbüclior, XVI. i:«»— 14s.

118 I. Jugend und erste Mannesjahre.

Das erste Briefchen, datirt „Escheburg, heute", wahrschein- lich Ende April 1791, lautet:

„Das ist eine Briefstellerei ! Erst an Böthlingk, nun an Sie, lieber Wattenbach. BöthUngk wird Ihnen sagen, dass ich nun doch mit van der Leyen zusammen reise. Ausser dem PunschlöflFel, sehe ich, dass der Tugendhafte auch 18 Louisdor bei sich hat. Schulden drücken, also will ich mein Gewissen entladen. Hier sind die 3 £ zurück. Geben Sie sie Busch und Böthlingk. Ich habe so viel Gold, dass ich mir Nase, Mund und Ohren vergolden lassen kann. Grüssen Sie Speckter und unsorn lieben Kranken. Ist das nicht Exactitudeü

Humboldt."

Der nächste Brief datirt bereits „Berlin, 7. Mai 1791": „Ich habe", schreibt Humboldt, „seit mehreren Tagen einen dicken Backen, wahrscheinUch aus Erkältung. Ein Flussfieber quält mich dabei das ist der einzige Grund, warum ich so lange an niemand geschrieben. Sagen Sie das an Madame Busch, den Professor und Ebeling! Ich denke, man wird mich entschuldigen. Man weiss ja wol, dass ich sonst weder unge- fällig, nocli untheilnehmend bin. Für Ihren Brief vom 2G. herz- lichen Dank, heber Wattenbach! Sie haben mir recht viel Freude damit gemacht. Schreiben Sie mir ja, so oft Sie wollen und können, vorzüglich von sich selbst und Uirer Lage, Ihrer Bildung. Ich antworte gewiss sclmell und ausführlich. Sie wissen ja wol, dass ich Sie liebe. Das ist allein, was Menschen an Menschen geben können. Machen Sie, dass meine Bücher bald geschickt werden, sie mögen kosten was es wolle. Ich brauche sie. Die Ausfuhrliste schicken Sie auf der Post. Mein Bruder ist wieder hier, und ich bin im ganzen recht froh. Grüssen Sie Mac-Lean, Speckter und Hülsenbeck, vor allen un- sem guten, guten Böthlingk. Ihr Humboldt."

Der mehrwöchentliche Aufenthalt in Berlin, von Ende April bis 11. Juni, beschäftigte Humboldt mit seinem Lieblings- studium, der Botanik, einzelnen Arbeiten im Laboratorium

2. Akademische ^tudicigahre. (Bergakademie zu Freiberg.) 119

bei Hennbstüdt, vor allem aber mit mineralogischen Vorstudien zur Vorbereitung für den Besuch der Bergakademie in Freiberg.

Wahrscheinlich mehr aus höflicher Courtoisie als aus Ab- hängigkeit und Notliwendigkeit, erbat Humboldt von dem Chef des Berg- und Hüttendepartements, dem Minister von Heinitz, hierzu die Erlaubniss. Das Gesuch lautet':

„Berlin, 14. Mai 1791.

Hochwohlgeborener Freiherr, Hochgebietender Herr Staatsminister!

Das unumschränkte Vertrauen, wozu mich der allgemein verehrte Charakter Ew. Excellenz und die vorzügliche Gewogen- heit verpflichtet, mit der Sie meine kleine mineralogische Schrift über die Steinarten der Alten und die rheinischen Basalte auf- jjjenommen haben, beides lässt mich hoffen, dass Ew. Excellenz der Kühnheit verzeihen werden, mit der ich es wage, Ihnen den Entwurf meines künftigen öffentlichen Lebens hier- durch ehrerbietigst vorzulejzen.

„Ich stehe jetzt in dem Alter, in dem ich wünschen muss in einen bestimmten Wirkungskreis zu treten, und durch die geringen Kräfte, die ich in mir fühle, meinem Vaterlande nütz- lich zu werden. Entschiedene Neigung zur Mineralogie, zur Salz- und Bergwerkskunde, und noch mehr die schmeichelhafte Hoffnung, dereinst vielleicht zur Ausführung der grossen und wohlthätigen Plane mitzuwirken, durch welche Ew. Excellenz seit einer langen Reihe von Jahren unserm Staate bald neue Quellen des Nationalreichthums eröffnen, bald die schon ge- fundenen nach den philosophischen, für immer gleichen Prin- cipien der Staatswirthschaft benutzen lehren. Diese Gründe veranlassen den Wunsch, unter Ew. Excellenz nähern Befehlen in Hochdero verschie<lenen Departements mich vollends aus- bilden zu dürfen.

* Das Original befindet sich in den Acten des könighcheu Ober-Berg« (lepartements in Berlin.

120 ^- Jugend uiiil ciätc Manue&jahrc.

„Meine bisherigen Studien waren auf die ökonouiiscben und die Finanzwissenschaften im allgemeinen gerichtet, welche ich bei meinem Aufenthalt in Frankfurt a. 0. und Göttingeu, bei meinen Reisen durch Deutschland, die Niederlande, Holland und England, und bei meiner Anwesenheit in Hamburg als Haupt- zwecke verfolgte. Um den Plan meiner wissenschaftlichen Bil- dung zu vollenden und mir reellere und zugleich praktische Kenntnisse vom Bergbau und den dazu nöthigen Maschinen zu erwerben, wünsche ich noch ein halbes Jahr auf der Berg- akademie zu Freiberg zu leben. Es würde indess eine sehr frohe und beruhigende Aussicht für mich sein, wenn mein künf- tiges Schicksal, bevor ich zur Ausführung dieses Planes sclireite, etwas näher bestinmit werden könnte. Ich wage daher die unterthänigste Bitte an Ew. Excellenz,

dass Sie über mich disponireu, mir nach meiner Zurück- kunft den Zutritt zu den Vorträgen in Hoclidero Depar- tements zu verstatten und mich allenfalls schon jetzt bei der Bergwerks- und Httttenadministration anstellen zu lassen geruhen wollen. „Ich bin mit der vollkommensten Ehrerbietung

Ew. Excellenz

unterthäuiger A. von Humboldt."

Bereits nach vierzehn Tagen, schon am 31. desselben Mo- nats, erhielt Alexander von Humboldt in den schmeichelhaftesten Ausdrücken den Bescheid: „dass Se. Excellenz die Kenntnisse sowol, welche Herr von Humboldt sich theils schon erworben, theils noch während seines Aufenthalts in Freiberg zu erwerben gedenke, als auch den Eifer, womit er sich zu den Geschäften der Staatsverwaltung anbiete, sehr gern bei den verschiedenen Bochdemselben anvertrauten Departements benutzen würden, und geben ihm daher die vorläufige Zusicherung, dass er sofort nach seiner Rückkehr aus Freiberg im nächsten Winter nicht nur zu den Vorträgen des Salz- und Bergwerks- und des west-

2. Akadeuiischc Studienjahre. (Bergakademie zu Freiberg.) 121

fälischcn Provinzialdeparteiuents zugelassen, soudcrn auch, «um (las Detail des Federdienstes» näher kennen zu lernen, bei der Bergwerks- und Hütten- wie auch bei der Haupt-Torfadniini- stration als Assessor cum voto angestellt werden solle. Zugleich wurde ihm noch eröffnet, dass wenn er im nächsten Frühjahr die Salzwerke zu Schönebeck und Halle besichtigt und deren Betrieb genauer kennen gelernt haben würde, er sodann einige auswärtige Salinen bereisen sollte."

Die Reise nach Freiberg führte über Dresden. Hier ver- lebte Humboldt in der Familie des kursächsischen Kriegs- secretärs Neumann mehrere überaus glückliche, heitere Tage. „Seit den zwei oder dritthalb Jahren, die ich, meiner eigenen I^eitung überlassen, umherirre", schreibt er demselben aus Frei- berg, „weiss ich mir kaum einige Tage zu entsinnen, in denen ich des intellectuellen und ästhetischen Genusses so viel hatte, als Sie, mein Guter, und die Ihrigen mir schenkten. Wenn man für Liebe und hingebende Freundschaft danken könnte, so würde ich Ihnen danken, aber der schönste, reinste Dank, der Ihrer guten Seele werth ist, liegt in der tiefen Fülle der Empfindung." Dann sagt er wieder: „Wenn es ein froher Anblick ist, in der leblosen Natur den Einklang des Mannichfaltigen zu betrachten, wieviel wohlthätiger ist der Genuss, gute Menschen, in den engsten Banden der Liebe vereint, nach Einem Ziele geistiger Vollkommenheit streben, ja diesem Ziele schon nahe zu sehen! Diesen Genuss verschaflFen Sie und Ihre Familie."

Die 176G gegründete Bergakademie in der sächsischen Stadt Freiberg stand damals durch Werner's Ruf im höchsten Ansehen. Werner galt als der gefeieilste Mineralog und Begründer dieser Wisseimchaft. Keiner konnte sich mit ihm als Oryktognosten tneasen, und selbst Linne besass nie eine grössere Autorität in der Botanik als Wenier in der Oryktognosie. Durch ihn hatten die Neptunisten in dem uralten Streite über die Entstehungs- und Bildungsgescliichte der Erde den entschiedenen Sieg über die Valkanisten rnnngen. Sein*» Antorität, die sich auf die

122 I* Jugend und erste Mannesjahre.

unmittelbare Anschauung im Erzgebirge stützte, verdrängte die Lehre von der Erhebung der Gebirge, obwol für diese anderwärts die sprechendsten Zeugnisse zu Tage lagen. Dass er dies konnte, beweist die entscheidende Bedeutung der von ihm in die Wissen- schaft eingeführten BegriflFe. Es ging auch hier, wie so oft in den Wissenschaften: man nmsste erst alle Consequenzen eines einseitigen Systems erschöpfen, ehe man wieder umkehrte und das Wahre fand. So bedurften selbst seine begabtesten Schü- ler, neben dem Genie, der umfassendsten Naturanschauung in andern Erdtheilen, um den Bann zu lösen, in welchen das Wort des Meisters sie geschlagen.

„Werner", sagt Ale^^ander von Humboldt* noch drei Jahr- zehnte nach der Zeit, von der hier die Rede ist, „Werner, das geognostische Wissen schaffend, erkannte mit bewundernswerthem Scharfsinn alle Beziehungen, die bei Betrachtung des Unabhän- gigen der Formationen aus dem Gebiete der Ur-, Uebergangs- und Flötzzeit beachtet werden müssen. FjY lehrte, was man zu beobachten habe, was man wissen müsse; er hat in Gegenden, deren Untersuchung ihm nicht vergönnt gewesen, einen Theil der Entdeckungen vorbereitet; er hat, möchte man sagen, einen Theil der Entdeckungen vorgefühlt, mit denen die Geognosie nach ihm bereichert worden. Da die Formationen unabhängig sind von dem Wechselnden der Breite und von klimatischem Einwirken und Erscheinungen, so kann irgendein sehr be- schränkter Raum der Weltveste, eine Gegend von wenigen Qua- dratmeilen Ausdehnung, in welcher die Natur viele Formationen vereinigt hat, gleich dem wahrhaften Mikrokosmos alter Philo- sophen, im Geiste eines bewährten Beobachters sehr richtige Gedanken wecken über die Grundwahrheiten der Geognosie. So waren die meisten der frühern Ansichten Wenier's, selbst jene, die der berühmte Mann schon vor dem Jahre 1790 erfasst

^ „Essai geognostiquo sur le gisement des roches dans les deux hemisph^res**, deutsch von Leonhard: Geognostischer Versuch über die Lagerung der Gebirgsarten in beiden Erdhälften (1823), S. 67.

2. Akademiäche Studienjahre. (Bergakademie zu Freiberg.) 123

hatte, von einer Richtigkeit, welche noch fortwährend Bewun- derung erweckt."

Aus allen Enden der Welt, aus Schweden, Dänemark, Russ- land, Polen, Siebenbürgen, Italien, England, Frankreich, Spanien, aus Indien und Amerika kamen die Mineralogen, Geognosten, Bergleute nach Freiberg. Alexander von Humboldt trat am 14. Juni 1791 als ihr 357. Schüler m die Akademie ein. Ihm war der Ruf eines „interessanten jungen Gelehrten" schon voran- gegangen, und seine Beobachtungen über die rheinischen Basalte hatten ihm bei Werner die zuvorkommendste Aufnahme bereitet.

Gleich am ersten Tage nach seiner Ankunft, am 15. Juni, begann er unter Führung des Bergakademisten Karl Freiesleben, der ihm von Werner auf seinen Befahrungen und bergmännischen Touren als Führer beigegeben wurde, mit der Anfahrt auf den „Kurprinz" seine bergmännischen Studien, und die Gegenstände fesselten ihn so sehr, dass beide schon in der nächsten Woche eine Wanderung in das böhmische Mittelgebirge unternahmen, von der das „Bergmännische Journal" ^ die Resultate enthält.

Humboldt hatte nicht, wie es von Hause aus sein Wunsch war, in Werner s nächster Nähe, im Gebäude der Akademie, son- dern in der jetzt durch eine Gedenktafel bezeichneten Beletage des Eckhauses der Burg- und Weingasse eine Privatwohnung* l)ezogen. Nach mehrfachen Aeusserungen schien ihm Werner's PersönUchkeit nicht eben die anziehendste und liebenswürdigste, während er sich im Freieslebenschen Hause wie ein gehebter Angehöriger der Familie fühlte, wo man in sorgsamster Zunei- •^ung bemüht war, seine Bestrebungen aufs eifrigste zu fördern. Vor allen aber war es Karl Freiesleben, der nur zwei Jahre jünger war als er selbst, dem er sich in liebevollster Hingebung anschloss. Es wäre schon früher als eine Eigenart Humboldt's hervorzuheben gewesen, dass er überall sich zu Einem auser- wählten Freunde mit aller Macht seiner Empfindung zuzuwenden

' 171)2, Bd. I.

» Schcrer, Theorie und Praxis (Freiberg lH(i7), S. 14:).

124 I* Jugend und erste Manuesjalire.

pflegte, so in Berlin zu Beer und später zu Willdenow, in Frankfurt zu Wegener, in Hamburg zu Wattenbach, dass auch er, wie der edle Bruder, gern in sentimentaler Freundschaft und Briefwechselei zu schwelgen pflegte, die an die schwärmerische Empfindungsweise, an den überschwenglichen Gefühlscultus des Hainbundes erinnert, für den wir kalte Epigonen kein Ver- ständniss mehr haben. Von allen diesen Freunden aber hat keiner einen so bestimmenden und nachhaltigen Einfluss auf ihn ausgeübt als der junge Freiesleben, der ihm bei den berg- männischen Fachstudien mit Rath und begeisterter Theilnahmc unablässig zur Seite ging. Es darf mit Bestimmtheit behauptet werden, dass Humboldt für die Bildung seines Geistes in dieser Richtung keinem einzigen der freiberger Lehrer sich so innig und so dauernd verpflichtet gefühlt hat als dem jungen Freies- leben. Zeugniss dessen ist eine lange, zusammenhängende Reihe von Briefen Humboldt's an ihn aus den Jaluen 1792 99, wäh- rend vereinzelte noch bis in die spätesten Lebensjahre reichen. Unter den akademischen Lehrern und ihren Vorträgen sind die nachstehenden hervorzuheben. Werm^r las Bergbaukunst, Orykto- gnosie, Geognosie, Eisenhüttenkunde, und leitete „Elaboratorien" schriftlicher bergmännischer Aufsätze. Oharpentier trug einzelne Zweige des Bergbaues, namentlich Maschinenlehre, vor, war aber seit 1784 von seinem Schüler Lempe ersetzt worden, der reine und angewandte mathematische» Disciplinen las : Köhler las Berg- recht, Klotzsch Probirkunst, Freiesleben, der Vater des jugend- lichen Freundes Humboldts, lehrte praktische Markscheidekunst. Ein eigentlicher Lehrstuhl der Chemie wurde erst 1794 von Lampadius eingenommen.

Bei so mannichfacher Gelegenheit zu gründlichen Fachstudien konnte Humboldt dem dresdener Freunde berichten: „Ich lebe hier in Freiberg sehr, sehr zufrieden, wenngleich einsam. Ich kann alle die wissenschaftlichen Zwecke erfüllen, die mich her- gezogen. Meine freiUch sehr gehäuften Arbeiten liaben gleich nach meiner Ankunft angefangen. Ich bringe fast alle Morgen von 7—12 Uhr in den Gruben zu, den Nachmittag habe ich

2. Akademische Studienjahre. (Bergakademie zu Freiberg.) 12o

Unterricht, und den Abend jage ich Moose, wie es Forster nannte. Werner hat unendlich viel Gefälligkeit für mich; die freundliche Aufnahme in Charpentier's Hause danke ich auch Ihnen, mein Bester."

Unter Werner und Charpentier und in vertrautem Umgange mit ihnen studirte Humboldt mit wahrhafter Begeisterung die wissenschaftliehen und praktischen Theile der Bergwerkskunde. Seine „Flora subterranea Fribergensis" bezeugt den Umfang der Wanderungen, die er mit Freiesleben, nach Werner's Vorschrift, in dem weiten Labyrinth jener Grubenbaue unternommen hatte, getrieben von dem Enthusiasmus, den der Bergbau jungen und heitern Gemüthern einzuttössen pflegt.

Aber auch von ihm selbst ging schon damals manche An- regung zu separaten Studien aus. Da die Chemie hier noch keinen besondern Lehrstuhl hatte, so wirkte er besonders (in freundschaftlichem Verein mit Franz Baader aus München, der bereits drei Jahre in Freiberg war und sich durch Recensionen und seine Sclirift über den Wärmestoft* bekannt gemacht hatte) auf das Studium der Werke französischer Chemiker, Guyton de Morveau, Fourcroy, Lavoisier und BerthoUet, hin. Und während er in den Ungeheuern unterirdischen Gängen die schärfste Auf- merksamkeit dem Studium der Fossile widmete, fasste er zu- gleich die glückliche Idee, die Vegetation der Unterwelt, in die kein Tageslicht dringt, an das Geisteslicht seiner Forschung emporzuziehen. Seine „Versuche und Beobachtungen über die grüne Farbe unterirdischer Vegetabilien'\ die in seinem „kleinen unterirdischen Garten* von keinem Sonnenstrahl, sondern höch- stens von dem dürftigen, unwirksamen Scheine des Grubenhchts getroflfen wurden, schliessen sich zunächst an die Arbeiten von Bonnet, Priestley, lugenhouss und Sennebier über den Ein- fluss des Sonnenlichts auf die vegetabilische Organisation an und waren die erste Vorarbeit zu seinem umfassenden pflanzeuphysio- logischen Werke, der „Flora subterranea Fribergensis". Humboldt erklarte die Erscheinung, dass die Vegetation auch im tiefsten Dunkel grüne Farbe in allen Tönen zeigt, welche damals noch als

126 I* Jugend und cr&te Mannesjahre.

eine sehr auffällige betrachtet wurde, durch die starke Entbindung des Sauerstoffs, auf welche der Lichtstoff, die Basen der Stickluft und des entzündbaren Gases von wesentlichem Einfluss sind. Er bittet aber, mit dem anspruchslosen Wahrheitstriebe, der ihn schon damals auf das ehrenvollste charakterisirt, die bei- gebrachten Thatsachen mit seiner Meinung nicht zu verwech- seln. „Videmus euim", sagt er mit den oft wenig beachteten Worten Spinoza's, „omnes rationes, quibus natura explicari so- let, modos esse tantummodo imaginandi, nee nullius rei naturam, sed tantum imaginationis constitutionem indicare."

Ueber seine literarischen Arbeiten meldet er in einem Briefe, den er kurz vor dem Abgange von Freiberg, am 18. Febr. 1792, an Wattenbach schrieb:

„Wenn nicht die wenigen Briefe, die ich in meiner jetzigen I^age zu schreiben im Stande bin, alle mit Entschuldigungen an- fingen, so würde ich auch Ihnen, mein guter, lieber Wattenbach, gern welche machen. Aber so bin ich des ewigen Klagens über Zeitmangel wirklich müde. Unendlich leid thut es mir in der That, dass ich Ihnen auf Ihren so vertraulichen und liebevollen Brief vom 14. Nov. noch immer nicht geantwortet habe. Aber wenn sie meine Lage kennten, so würden Sie und Hülsenbeck und alle meine Freunde mich entschuldigen. Denken Sie nur, dass ich in den neun Monaten, die ich hier war, gut ein 150 Meilen zu Fuss und Wagen durch Böhmen, Thüringen, Mansfeld u. s. w. gereist, dass ich regelmässig alle Tage von G-~12 Uhr anfahre (wobei das auf die Grube gehen oft 1 2 Stunden dauert und im Schnee sehr beschwerlich ist), dass ich ein 5—6 CoUegia auf den Nachmittag zusammengedrängt habe und sprechen Sie mir dann selbst mein Urtheil. Es war noch keine Zeit meines Lebens, in der ich so beschäftigt war als hier. Meine Gesund- heit hat sehr gelitten, ob ich gleich nicht einmal krank war. Dennoch bin ich im ganzen sehr froh. Ich treibe ein Metier, das man, um es zu lieben, nur leidenschaftlich treiben kann, ich habe an Kenntnissen unendlich gewonnen, und ich arbeitete nie mit der Leichtigkeit als jetzt.

2. Akademische Studiei^jahrc. (Bergakademie zu Freiberg.) 127

„Doch immer und immer von mir! Sie waren krank, armer Mensch! Ich wusste es durch Mac-Lean. Ich habe Sie herzlich bedauert. Das Kranksein ist kein Unglück, aber die Einförmig- keit des Lebens, das Beklagtwerden von andern ist unerträgb'ch. Pepin und Metzer aus Embden haben der Akademie durch ihren Tod wol keinen Dienst erwiesen. Sprechen Sie doch mal da- von, dass der hiesige Berghauptmann von Heynitz vielleicht seinen Sohn zu Busch schicken werde. Der Vater munkelt da- von, ich zweifle aber doch, dass es geschieht. Indess reden Sic immer davon. Madame wird viel Freude über die blosse HoflF- nung haben. Was Sie mir von Giseke und Flottbeck erzählten, hat mich unendlich amusirt. Bitten Sie doch Gille um seine Adresse nach Amsterdam. Ich bin Ihnen, glaub' ich, Geld schuldig, weiss aber nicht wie viel. Auch das Geld für Arendt muss ich schicken. Ich thue beides von Berlin aus, wo ich in acht Tagen sein werde, weil von hier das Porto so theuer ist. Buthlingk's Brief hat mir viel Freude gemacht. Ich liebe den Menschen unendlich. Er ist gewiss nicht so kalt als er sich zu sein zwingt. Ich halte ihn für überaus gut und rein. Wo ist denn Losh? Sie müssen mir eine ganze Liste und historiam der Schicksale aller Akademiker schreiben. Sagen Sie mir doch etwas über sich, Ihre jetzige Art zu studiren, Ihre Aussichten. Sie wissen, wie innigen Antheil ich daran nehme. Ich bin so von aller Correspondenz durch meine Schuld abgerissen, dass ich seit sechs Monaten keine Zeile von Forster sah. Wo ist denn Speckter in der Schweiz? An Ilülsenbeck schäme ich mich zu schreiben. Wofür muss der Mensch mich halten ! Kr schreibt mir einen überaus freundschaftlichen, herzlichen Brief, bittet mich um einen sehr geringfügigen Dienst und ich, ich antworte auf dies alles nicht. Indess habe ich doch theils selbst, theils durch meinen Bruder für den Hrn. Christ. Mund Schritte gethan, aber durch die Nachlässigkeit des Kammergerichtsraths Klein nichts seitdem von der Lage der Sachen gehört. Suchen Sie dies alles bei dem guten Ilülsenbeck gutzumachen. Sie hal- ten mich beide ja wol für keinen ungefälligen Menschen, am

128 I- Jugend und erste Mannesjalirc

wenigsten gegen Freunde, denen icli so manchen frohen Augen- blick als Ihnen beiden verdanke. Von Berlin ans schreibe ich gleich an Hülsenbeck.

„Nun eine kleine Bitte. Wollten Sie wol beiliegendes Stück an Brodhagen geben, ihm einige Schmeicheleien an den Hals werfen und ihm zu verstehen geben, dass ich eine Reccnsion davon in den Zeitungen wünschte. Sie wissen das schon zu machen ohne mir (meiner hohen Person) etwas zu vergeben. Zum schriftstellerischen Handwerk gehört Läuten, darum halte ich etwas auf Recensionen. Brodhagen kann die Veranlassung davon nehmen, dass das Journal gleichsam von neuem anfangt, da es ehemals Hr. Köhler allein , jetzt aber seit diesem Januar mit Hrn. Hofifmann zusammen herausgibt.

„Ich habe schrecklich unter den Druckern gelebt. Denken Sie nur, theils schon gedruckt, theils noch ungedruckt: Für das «Botanische Magazin»:

1 ) Ueber die Bewegung der Staubfäden der Parnassia palustris.

2) Ueber eine zwiefache Prolification der Cardamine pratensis. ii) Diss. de planus subterraneis Fribergensibus.

Für Gren's «Journal der Physik»: Versuche über die grüne Farbe unterirdischer Vegetabilien.

Für Crell's «Annalen»: Tafel über die wärmeleitende Kraft der Körper, nach Maier'schen Formeln berechnet.

„Lesen Sie allenfalls in meinen Aufsätzen meine «Theorie der Verdunstung» und meine «Versuche über die Zerlegung des Kochsalzes». Beide sind neu.

„So viel entdeckt und beobachtet! Nos poma natamus!

Humboldt.''

Humboldt's Studiengenossen waren unter andern die spätem Meister der Wissenschaft Leopold von Buch, der Däne Esmark (starb 1840 als Professor der Mineralogie in Christiania), der Portugiese Andrada, der Spanier del Rio, den er zwölf Jahre später als Lehrer im Collegio de Mineria in Mexico traf.

2. Akademische Studieiijahre. (Bergakademie zu Freiberg.) 129

Seinen Abgang von der Akademie feierten die Freunde ani 26. Febr. in solenner Weise, auch durch zwei poetische Hul- digungen, eine in deutscher und eine in lateinischer Sprache. Das lateinische Gedicht hatte den Titel:

„Suavissimo suo Friederico Alexandro de Humboldt abeunti ex acadeniia Fribergensi a. d. VH. cal. Mart. a 1792 s. p. d. Joannes Gotthelf Fischerus."

Fischer war es auch, der Humboldt's „Aphorismi ex doctrina physio- logiae chemicae plantarum'^ deutsch übersetzt hatte. Er trat später zu der Familie Wilhelm von Humboldts in engere Verbindung und starb, geadelt unter dem Namen Fischer von Waldheim, als russi- scher Staatsrath und Director des botanischen Gartens in Moskau.

Das deutsche Gedicht war überschrieben:

„Dem Herrn von Humboldt bei seinem Abschied von der Bergakademie zu Fnnberg gewidmet, den 26. Febr. 1792," und lautete:

Sie, deren holdem, doch zugleich so mächtigem Reize Du längst gehuldigt hast, und deren feinste Spur Mit immer gleichem, nie gestilltem Geize Du aufzusuchen strebst und sie durch Wald und Flur, Durch Berg und Felsen hin begleitest die Natur: Sie, die au allen ihren Schätzen Dir Antheil nicht allein verhiess. Nein, sondern selbst Dich nehmen liess, Um Deinen Geist zu nähren, zu ergötzen, lim, sie betrachtend, zu erhöhn Und dann entzückt zu ihrem Quell zu gehn. In ihren ewigen Gesetzen Den Schöpfer dieses AUs zu sehn: Sie lenkte Deine regen Schritte Auch her zu uns, und in der Mitte So vieler, die ein Zweck vereint. Da schenktest Du Dich uns zum Freund.

Dein Aulcnthalt, tUr wen von beiden Er vortheilhafter war: dass hier Dein Wissen sich Erweiterte dass, stolz auf Deine Freundschaft, Dich Den Unsrigen die Liebe nennt dürft' die wol hier entscheiden V Sie ist parteiisch täuscht sie sich?

A. T. HniBOLIlT. I. 9

130 !• Jugend und erste Mannesjahre.

Gewiss *mcht! Doch wenn es auch Täuschung wäre,

So bäten wir bei dieser Zähre,

Die mehr als kalte Worte spricht,

So bäten wir, o Edler, störe

Die so beglückende, die süsse Täuschung nicht!

Du scheidest ach, mit nassem Blicke Ruft sich noch spät der selige Genuss Der Freundschaft oft in unsre Brust zurücke. Und segnet Deinen Abschiedskuss ! Dich nennt schon jetzt in fernen Zonen Der Forscher der Natur, o HUMBOLDT, achtungsvoll; Doch auch in unsrer Brust soll stets Dein Name wohnen, Und ewig bringt sie Dir der reinsten Freundschaft Zoll!

Böhme. * von Schlottheim. ®

Börner. - von Seckendorf. ^

von Buch.' Z. M. Sieghardt.

Graf von Einsiedel. * Soymanow.

Freiesleben. * Volmar.

Hofimann. * von Zehmen.

Monsky. ^ von Zehmen.

Eine gemüthvoUe Erinnerung an jene Zeit sprach Humboldt in dem Briefe vom 8. Febr. 1847 aus, in dem er dem Freunde Fischer zu dessen fünfzigjährigem Doctorjubiläum gratulirte*^:

* Starb 1815 als Bergmeister zu .Tohanngeorgenstadt.

* Starb 1805 als Bergmeister im Hennebergischen.

' Starb 1853 in Berlin als ältester Bergreferendar, wie er sich selbst scherzhaft prädicirte, da er sehr bald aus dem Staatsdienst getreten war.

* Starb 1833 als Berghauptmann in Schlesien.

* Starb 1846 als Berghauptmann in Freiberg.

* Starb 1824 als Silberbrenner in Freiberg.

^ Starb 1794 als Bergamtsauditor zu Annaborg.

^ Starb als Kammerpräsident zu Gotha.

^ Starb 1823 in Amerika als plastisch -mimischer Künstler unter dem Namen Patrick Peale.

(Denkschrift zum hundertjährigen Jubiläum der königl. sächsischen Bergakademie zu Freiberg, S. 233 fg.)

Seance extraord. de la societe imp^r. des naturalistes de Moscou du 22 F^vr. 1847 ä Toccasion du jubile semi - seculaire de S. Exe. Mr. Fischer de Waldheim, p. 7.

2. Akademische Studienjahre. (Bergakademie zu Freiberg.) 131

„Empfangen Sie von mir, der ich das Glück habe, mit unserni schon dahingeschiedenen Freiesleben am frühesten Ihr schönes Talent und die Anniuth Ihres Charakters erkannt zu haben, em- pfangen Sie meinen herzlichsten, innigsten Glückwunsch. Geden- ken Sie an den Garten hinter def Kirche in Freiberg, an den Aufenthalt in Dresden mit Reinhard von Haften, an Paris, wo Sie Caroline von Humboldt unterrichteten, an die hohe Achtung, die Ihnen mein Bruder und Cuvier zollten, Erinnerungen der Schattenwelt, aber mir rührend und theuer!"

In dem Gratulationsbriefe zur Feier der hundertjährigen Wiederkehr von Werner's Geburtstag, am 25. Sept. 1850, sprach Humboldt das dankbare Bekenntniss aus: dass er einen wich- tigen Theil seiner Bildung und die Richtung seiner Bestrebungen dem umfassenden, ordnenden Geiste Wemer's verdanke; dass die Verherrlichung seines Namens und seines in neuerer Zeit oft verkannten Wirkens ihm stets am Herzen läge; dass er sich ausschliesslich mehrere Jahre dem praktischen Bergbau gewid- met; dass er sich gern rühme, das Amt eines Oberbergmeisters im fränkischen Fichtelgebirge bekleidet zu haben; dass seine frohesten Jugenderinnerungen sich an das knüpfen, was er der trefflichen Anstalt, der freiberger Bergakademie verdanke, die so wesentlich, besonders zu Werner's glänzender Epoche, auf das übrige Europa wie auf das spanische und portugiesische Amerika eingewirkt; und endlich, was er dem aufmunternden Wohlwollen sächsischer Berg])eamter, dem belehrenden Um' gange seines Mitschülers und Mitarbeiters Karl Freiesleben schuldig sei.

In Freiberg hat Humboldt seine akademischen Studienjalire beschlossen. Es war aber weder Mineralogie noch Bergbau, weder Botanik noch Physik noch Chemie, was ihn ausschliess- lich beschäftigt hatte; es waren vielmehr die Bedingungen des organischen Lebens überhaupt, die er schon damals zu ergiiin- den suchte, selbst in dem tiefsten, lichtlosen Schachte der Berg- werke. Die Gesetze der Pflanzenreizung, das rasche Keimen der Samen unter verdünnter oxydirter Salzsäure, die Bewegung der

9*

132 I* Jugend und erste Mannesjahre.

Staubfäden der Parnassia palustris, das Entsteben der grünen Farbe in tiefster Finsterniss waren nur Vorstudien zu seinen spätem, umfassenden Arbeiten.

Humbüldt's edle, rein menschliche Persönlichkeit in jener Zeit tritt aus folgenden Documcnten bezeichnend hervor:

Acht Tage nach seiner Einkehr in Freiberg, am 23. Juni, schrieb er dem Freunde Neumann in Dresden folgende Selbst- charakteristik :

„Sie haben mich, lieber Neumann, gesehen wie ich mich meinen Freunden gern zeige. Wärme und Offenheit des Cha- rakters sind die einzigen Vorzüge, die ich zu haben glaube. Diese haben mir Jacobi's und unsers Forsters Freundschaft ge- wonnen ; da ich ihnen auch die Ihrige verdanke, so sind sie mir dreifach heilig. In meinen Urtheilen bin ich schnell und unvor- sichtig, das müssen Sie meiner Jugend und den sonderbaren Verhältnissen meiner bisherigen Bildung verzeihen. Moralische Erscheinungen wirken unaufhaltsam auf mich ein, Lebhaftigkeit der Phantasie verwirrt mich, kurz es kann Ihnen und Ihrer Gattin nicht entgangen sein, wie noch alles unvollendet und unentwickelt in mir liegt."

Bei Hmnboldt's Abgange von Freiberg gibt sein damaliger Herzens- und Studienfreund, der spätere Bergrath Freiesleben, folgendes Charakterbild von ihniM

„Die hervorstechenden Züge seines liebenswürdigen Charak- ters sind: eine ganz unendliche Gutmüthigkeit; wohlwollende und wohlthiitige, zuvorkommende, uneigennützige Gefälligkeit; war- mes Gefühl für Freundschaft und Natur; Anspruchslosigkeit, Einfachheit und Offenheit in seinem ganzen Wesen; immer lebendige und unterhaltende Mittheilungsgabe; heitere, humo- ristische, mitunter wol auch schalkhafte Laune. Diese Züge, die ihm in spätem Jahren dazu halfen, wilde und rohe Men-

^ Aus dem frühem Leben Alexander von Humboldt^s in den „Zeit- genossen" (Leipzig, F. A. Brockhaus), dritte Reihe, II, 1, S. G7.

2. Akademische Studienjahre. (Bergakademie zu Freiberg.) 133

sehen, unter denen er sich jahrelang aufhielt, zahm und sich geneigt zu machen, in der gesitteten Welt aber allenthalben, wo er auftrat, Bewunderung und Antheil zu erregen, diese Züge erwarben ihm schon in Freiberg allgemeine Liebe und Ergebenheit. Er wollte jedem wohl und wusste jeden Umgang sich unterhaltend und nützlich zumachen; nur gegen inhumane Roheit, jede Art von Insolenz, Ungerechtigkeit oder Härte konnte er erzürnt und heftig, sowie gegen Sentimentalität, oder, wie er es nannte, «Breiigkeit des Gemüths», und Pedanterie konnte er ungeduldig werden."

3.

Im Staatsdienst.

Assessor im Bergdepartement. Geist der Verwaltimgscollegieii. Der Staatsdienst nur eine Durchgangsstation für grössere wissenschaftliche Plane. Fränkisches Commissorium. Ernennung zum Oberbergmeister. Erweitertes Commissorium bis Januar 171)3. Aufenthalt in Berlin. Flora Fribergensis. Reiz versuche. Eintritt in das fränkische Amt, Mai 1793. Zustände in Franken. -»- Praktische Arbeiten. Wissen- schaftliche Anerkennung. Freie Bcrgschulen. Ernennung zum Berg- rath, 1794. Comnllssorium in Siidpreussen. Diplomatische Dienste bei Möllendorf. Wiederholte Anträge zur Dircction der schlesischen oder westfälischen Berg- und Salzwerke. Ablehnung. Schweizer Reise 1795. Rückkehr und praktische Thätigkeit. Gefährliche Experimente. Ein- kehr in Berlin. Diplomatische Mission zu Moreau, 179(]. Neue Anträge zum Staatsdienst. Der Tod der Mutter.

Kaum dreiviertel Jahr, vom 14. Juni 1791 bis zum 26. Febr. 1792, hatte der Aufenthalt Alexander von Humboldt's auf der Bergakademie in Freiberg gedauert, doch reichte diese kurze Frist zu seiner Ausbildung für die damahgen Forderungen des bergmännischen Staatsdienstes vollkommen aus. Am 26. Febr. hatten die freiburger Commilitonen seinen Abschied von der Akademie gefeiert, und bereits drei Tage darauf, den 29. Febr., verfügte ein Ministerialrescript in Berlin,

„dass Se. Maj beschlossen, die Kenntnisse, welche

der Alexander von Humboldt in den Fächern der Mathematik, Physik, Naturgeschichte, Chemie, Technologie, Bergwerks-,

3. Im Staatsdienst. (Bergassessor.) 135

Hütten- und Handclskunde sich theoretisch und praktisch erworben, bei Allerhöchstihren Berg- und Mttendiensten zu benutzen, und denselben zu dem Ende bei der Bergwerks- und Hüttenadministration als Assessor cum voto anstellen. Allerhöchstdieselben lassen daher solches dem pp. bekannt machen und in Gnaden befehlen, den Assessor von Humboldt nach abgelegtem Amtseide in das Gollegium einzuführen und, damit derselbe sich in den verschiedenen vorkommenden Feder- arbeiten und der Dienstverfassung genau bekannt mache, ohne Zutheilung eines speciellen Departements vorerst mit Rech- nungssachen und mit dem Correferat bei einzelnen Betriebs- branchen der verschiedenen Hüttenwerke und der rüdersdorfer Kalkbrüche zu beschäftigen/^

Unter demselben Datum wurde femer der Geh. Oberberg- rath Wehling angewiesen: „Herrn von Humboldt bei der Ma- schinerie der Hüttenwerke und der desfalls anzuordnenden Kräfte, desgleichen bei Schmelzversuchen und anzustellenden chemischen Proben, ferner bei dem Betrieb der Kalk- und Gyps- brüche und Brennereien, sonderlich in Ansehung des Bohrens und Schiessens bei jenen, zum Correferenten zu ernennen, auch zu den vorkommenden Berechnungen und Recherchen der Etablissements in den Distrikten der Bergwerks- und Hütten- administration mit zu gebrauchen und übrigens ihn auch un- serer Haupt-Torfadministration als Assessor cum voto zu in- troduciren."

Werfen wir nunmehr einen wenn auch nur flüchtigen Blick auf die damaUge Beamten- und Verwaltungspraxis.

In den Verwaltungscoliegien waren die gewöhnlichen Uebel- stände der Bureaukratie, Papierthätigkeit und Schlendrian im reichsten Masse vorhanden. Die Subalternen trugen in Fron- arbeiten eine unüberwindliche Menge sogenanntes schätzbares Material zusammen, je nach der Laune und dem verkehrten Sinne der Vorgesetzten. Wissenschaftliche Bildung der Beamten war eine seltene Ausnahme, Theilnahme an der Literatur ihnen so

136 I* Jugend und erste Mannesjahre.

gut wie verboten. Der spätere Präsident von Hippel wagte nicht unter eigenem Namen zu schreiben. Einem Verwaltungscandi- daten, der als Examenarbeit die Frage : ob Beschäftigung mit den Wissenschaften sich für den Beamtenstand passe? bedingt bejaht hatte, gab der versitzende Examinator den schönen Aufsatz mit dem Bedeuten zurück, dass solche Meinungen ganz unstatthaft seien. Von dem Minister Grafen von Hagen pflegte Stein zu erzählen, dass, als seine Unterbeamten ilim einst an seinem Ge- burtstage feierlich gratulirt hatten, sie sehr freundlich von ihm empfangen worden waren; als sie aber aucli den gedruckten Glückwunsch überreichen wollten, entgegnete ihnen der Minister ziemlich hart: „Sie wissen, ich lese nichts Gedrucktes; geben Sie mir das schriftlich!" Auch die tüchtigsten Beamten und Staatsmänner verfielen in literarische und wissenscliaftliche Stag- nation. Selbst Stein hatte, nach einer Mittheiluug des Oberprä- sidenten von Schön * an den Oberburggrafen von Brünneck, bis 1808 von Goethe noch nichts gelesen.

Diese und eine Menge anderer Uebelstände waren auch Kunth nicht entgangen.* Er kannte die Opfer an Sorgen, Kosten und Gesundheit, die ein gewissenhafter Beamter bringen müsse, um bei einem Provinzial-, Justiz- oder Verwaltungscol- legio mit 26 oder 28 Jahren zu einer Besoldung von 600 Thlrn., und nach 30 40 Jahren beständiger Anstrengung und Ab- hängigkeit zu einer von 1500 1800 Thlrn. zu gelangen. „Wie viele Fabrikanten und Handwerker kenne ich", sagt er, „die in Hinsicht auf äussere Freiheit und Geldvortheil das Anerbieten eines Tausches mit den einträgUchsten Ministerialrathsstellen belächeln würden ! " Seit den WöUner'schen Edicten, seit der Misverwaltung eines Görne, Stiiiensee u. s. w. war der grösste Theil des Beamtenthums in eine bis dahin ganz unerhörte Cor- ruption und Depravation versunken. In schmerzlicher Erkenntniss dieser Zustände äusserte (1793) der damals noch jugendliche

> In einem vertrauten Briefe. Ms. » Stein'8 Leben von Pertg, VI, 75.

3. Im Staatsdienst. (Geist der Verwaltuugscollegien.) 137

spätere Oberpräsident von Vincke : „Wenn ich bei vollkonnnener Tüchtigkeit, dem Vaterlande zu dienen, doch zu einem Amte nicht kommen könnte ohne vorher Rosenkreuzer, Geisterseher, Adept, Heuchler, Schleicher, Intriguant zu werden, dann will ich lieber Kaufmann werden, um doch der Unvernunft des Vor- urtheils und des Eigennutzes zu entgehen."

Bedenkt man ^ferner, dass auch Wilhelm von Humboldt, in praktischer Erfahrung dieser Ausstände, damals kaum andert- halb Jalire im Staatsdienste aushielt und denselben aus freien Stücken verliess, so darf man wol annehmen, dass Alexander von Humboldts Eifer, sich dem Staatsdienste zu widmen, in andenn Sinne zu verstehen sei als dem, gewöhnliche Beamten- carriere zu machen. Der Staatsdienst war ihm vielmehr von Hause aus nur ein Durchgangsstadium für den Dienst der Wissenschaft. Daher denn auch die bisher unerhörte Aus- nahmestellung, die er, wie sich zeigen wird, als Beamter den höchsten Vorgesetzten gegenüber einnahm, daher seine rück- sichtslosen Urtheile über Personen und Zustände, daher seine Gleichgültigkeit, wo nicht ironische Geringschätzung aller An- erkennung, Beförderung und ehrenvollster Anträge.

Das Departement, in welches Humboldt eintrat, machte eine ruhmvolle und glückliche Ausnahme von allen andern Col- legien. Heinitz, der Minister dieses Departements, war einer der vortrefflichsten Männer seiner Zeit. Wahrhaft religiöser Sinn, ernstes anhaltendes Streben sein Inneres zu veredeln, Entfernung von aller Selbstsucht, Empfänglichkeit für alles Edle und Schöne, unerschöpfliches Wohlwollen und Milde, fort- dauerndes Bemühen, nur verdienstvolle, tüchtige Männer anzu- stellen, ihren Verdiensten gerecht zu werden und junge Leute aus- zubilden, waren di(^ Ilauptzüge dieses vortrefflichen Charakters. Er hatte im braunschweig-hannö verschen Dienste die Harzberg- werke in Blüte gebracht, später, 1700, im Sächsischen die Bergakademie zu Freiberg gegründet. Seit 1777 war es das preussische Bergwerks- und Hüttenwesen, welches er aus seinem damaligen Nichts zu erheben bemüht war.

138 !• Jagend und erste Mannesjahre.

So waren die Zustände, als Alexander von Humboldt im 22. Lebensjahre in den öflfentlichen Staatsdienst trat. Die Pforten der Staatsehren thaten sich weit vor ihm auf, er wurde, ohne dass man eine Prüfung von ihm verlangte, mit hohen Erwar- tungen und in zuvorkommendster Weise empfangen.

Seine Briefe an befreundete frühere Studiengenossen, na- mentlich an Freiesleben, sowie einige in den preussischen und bairischen Archiven noch erhaltene Actenstücke sind der be- redteste Ausdruck seiner damaligen Stimmung und geben den besten Anhalt für die Darstellung des Verlaufs seiner Beamten- thätigkeit. Schon am 2. März 1792 schrieb er von Berlin aus an Freiesleben:

„Eher zu schreiben war mir nicht möglich, da nur Dienstags und Sonnabends hier Posten nach Sachsen abgehen, und ich Montags nachts so spät ankam, dass das Posthaus schon ver- schlossen war Wie lange ich hier bleibe, ist noch völlig

ungewiss. In wenigen Tagen muss es sich bestimmen. Mein Memoire über das Salzwesen, meine Literaria haben viel Effect gethan. Der Minister hat mich mit den ausgezeichnetsten Lob- sprüchen belegt. Alles scheint sich zu empressiren, mir gefallig zu sein. Ich sehe das Ding wie den Ausgang eines Schach- spiels, i. e. ziemlich gleichgültig an. Durch den vielen unver- dienten Weihrauch leiden endlich die Geruchswerkzeuge!"

Nur wenige Tage später, am 7. März, schreibt er dem- selben Freunde: „Gestern habe ich mein Patent als Berg- assessor cum voto beim Berg- und Hüttendepartement erhalten. Ich habe mich ordentlich geschämt, dass ich eine Freude über diese Elendigkeit hatte, üebrigens habe ich mit keinem Schritte diese Anstellung gesucht. Es ist sehr unbillig (denn meine literarischen Verdienste geben doch weder Erz noch Aufschlags- wasser, die letztern noch allenfalls), mich gleich zum Assessor zu machen, da es eine Schar uralter Eleven und Cadets u. s. w. gibt. Ich habe dies hier öflfentlich geäussert, aber zur Antwort erhalten, dass ich bei dem hiesigen Departement ja keinem

8. Im Staatsdienst. (Bergassessor.) 139

Menschen vorgezogen würde, und das ist auch wahr. Künf- tige Woche werde ich vereidet und introducirt. Doch bleibe ich gewiss nicht lange in Berlin, wie ich mir auch ausdrückUch ausgebeten, da Berlin ebenso füglich der Sitz eines Admiralitäts- ais Bergcollegiuras sein könnte. Zuerst wird mich mein Weg wol nach Halle, Rothenburg u. s. w. führen; wohin von da? das alles will der Minister erst entscheiden. Graf Rheden gab mir bei meinem ersten Besuche zu verstehen, er glaube, ich habe zu kleinlich praktisch studirt, das Technische müsse beim Alten bleiben, ein Mann von meinem Stande sei nicht zum Geschwomen geboren. Mich hat das auch nicht im geringsten gekränkt. Ich sagte ihm, ich glaube, in dem genauen Studium des Technischen hege alles, allgemeine Revieranstalten wirken wenig. Ich schreibe Ihnen diese Elendigkeit blos als ein beleh- rendes Stück zur Lebensphilosophie. Eben der Mann, der alles wissenschaftUche Studium hasst, macht mir nun den Vorwurf, dass ich als praktischer Bergmann studirt habe. Das ist con- sequent! Jetzt ist Rheden überaus artig und gefallig gegen mich. Er hat einen schwächlichen Körper und vieles muss man darauf schreiben. Karsten hat sich zu seinem Vortheil sehr geändert. Ich traue ihm viel Gutmüthigkeit zu, und gegen mich ist er unendlich bescheiden. Er spricht anders als er Briefe und Bücher schreibt. Vor Ihnen hat er gewaltige Ehrfurcht. Ich sehe ihn nicht viel, am meisten Willdenow, weil mich Bo- tanik über alles interessirt. Er hat mich erst den Werth mei- ner Flora Fribergensis recht fühlen lassen. Er findet alles neu, überaus merkwürdig, und hat mich sehr zu einer sorgfältigem Ausgabe ermuntert.**

Etwa sechs Wochen si)äter, den ID. Mai, schreibt er dem- selben Freunde: „Ich lebe gesund und arbeite des Nachts sehr viel. Mein Dienst macht mir bisjetzt wenig zu thun. Mein Schicksal ist noch immer nicht aufgeklärt. Hier bleibe ich ge- wiss nicht, wahrscheinlich gehe ich zuerst nach Thüringen und dann nach Westfalen. Denn mit praktischem Bergbau will ich (! ) zu thun haben."

140 I* Jugend und erste Mannesjahre.

Und so schrieb er dem Freunde schon am 4. Juni 1792: „Ich gehe auf fünf bis sechs Tage nacli Linum, wo die grosse Torfstechcrei, nach Zehdenick, wo ein hoher Ofen, und nach Rheinsberg, wo ich Auftrag habe einen Fayenceofen zu unter- suchen. Das sind bergmännische Beschäftigungen!! Aber es wird bald besser. Es freut mich unendlich, und ich muss es Ihnen in diesen sechs Zeilen noch melden: ich gehe vielleicht schon in drei Wochen nach Baireuth , nach dem Fichtelgebirge. Ich habe den ehrenvollen Auftrag, die natürliche Beschaffenheit beider Markgrafenthümer geognostisch und bergmännisch zu untersuchen. Es sind mir fürs erste nur acht Wochen aus- gesetzt, um blos alles zu bereisen und dem Minister eine all- gemeine üebersicht zu geben. Was dann erfolgt, ob ich ganz dableibe (und Berghauptmann!! werde) oder nach Schlesien gehe, ist jetzt ganz ungewiss. Mich freut es sehr, ich sehe ein neues Gebirge, vielerlei Bergbau, und komme in Ihre Nähe, lieber Freiberg hinzureisen ist mir unmöglich. Ich muss über Erfurt und Saalfeld. Der Weg wird mir vorgeschrieben irreparabile fatum!"!

In der That datirt denn auch der nächste Brief: „Grafen- thal, den 11. Juli 1792." Es heisst darin:

„Ich bin so müde, lieber Herzens -Freiesleben, von allem Gehen, Grubenbefahren und Berichtschreiben, dass ich mich kaum noch erhalten kann. Aber doch muss ich Ihnen schrei- ben, dass ich wohl bin, muss mir die letzten Augenblicke der

* Humboldt's amtliche Thätigkeit erstreckte sich auch auf die königl. Porzellanmanufiaktur, wo er sich für die Aufstellung der ersten Dampf- maschine oder „Feuermaschine ^S ^i^ sie damals hiess, sehr lebhaft in- teressirte. Er erinnerte sich oft dieser seiner „vorogygischen" Thätigkeit. „Ich erzähle gern", schrieb er noch am 12. Oct. 1857 dem Inhaber der grossen Porzcllanfabrik zu Herend bei Ycszprim in Ungarn, „dass ich im 22. Jahre gemeinschaftlich mit dem grossen Chemiker Klapproth bei dem technischen Betriebe der königl. berliner Porzellanfabrik angestellt war, dass ich noch Versuche über das sogenannte RoUen der Porzellanerden gemacht habe."

3. Im Staatsdienst. (Fränkisches Commissorium.) 141

Nacht noch erheitern durch das lebhafte Andenken« an Sie und

ach! an die fröhlichen Stunden, die wir verlebten aWo

ich war?»

„Fragen Sie, wo ich nicht war. Ich war zuletzt in Saal- feld, Kuhnsdorf u. s. w. Unnennbare Freude habe ich gehabt und mich getummelt. Denken Sie nur: in einem Tage bin ich von Saalfeld zu Fuss hin und her gelaufen und habe in der schreckUchen Hitze von morgens 4 Uhr bis abends 6 Uhr be- fahren: den Pelikan, Frisch -Glück, Unverhoffte Freude, den Eisenien Johannes, den Dunkeln. Den einen Fuss habe ich mir wirklich arg durchgelaufen, aber er wird schon heilen. Wie drängt sich so vieles, was ich Sie fragen, Ihnen erzählen möchte ! Aber ich will nur auswerfen, worüber wir künftig correspondiren

müssen So viel für heute. Morgen geht's von hier nach

Naila."

Der Zeit nach knüpft sich erst hieran die amtliche Anzeige des Ministers von Ileinitz an den Minister von Hardenberg wegen des schon oben erwähnten Commissoriums Humboldt\s in den fränkischen Fürstenthümern, d. d. Berlin, 23. Juli 1792.

Heinitz wollte nach einer Brunnenkur in Karlsbad den Zu- stand der fränkischen Berg- und Hüttenanstalten, der Porzellan- inanufaktur und die Sabcwcrke zu Gerabronn kennen lernen, um nöthige Meliorationen vorzunehmen. Er hatte daher be- schlossen, Herrn von Humboldt, von dessen ausgebreiteten und soliden Kenntnissen er den Minister von Hardenberg bei seiner Anwesenheit in BerUn schon unterhalten, vorauszuschicken, mit dem Auftrage, die hauptsächhchsten Etablissements zu besich- tigen, und ihm auf der Rückreise in Baireuth über den jetzigen Zustand einen vorläufigen Bericht zu erstatten.

„In der Hoffnung, dass Ew. Excellenz dieser Idee Dero Beifall schenken und zu deren Ausführung geneigtest mitwirken werden, ersuche ich Dieselbe ganz ergebenst um baldbeliebigc Ausfertigung einer offenen Ordre an die Bergwerks-, Hütten- und llammerbesitzer im Fürstenthum Baireuth, dem Herrn Assessor von Humboldt einen freien Zutritt zu ihren Etablisse*

142 I- Jugend und erste Mannesjahre.

ments und .zu deren Besichtigung in ihrem ganzen Detail zu verstatten, und seine etwaigen Fragen über deren Betrieb und Haushalt und über den Debit ihrer Producte ohne Rückhalt zu beantworten; desgleichen um eine beliebige Anzeige derjenigen Etablissements, die für die dortige Provinzialindustrie das meiste Interesse haben ."

Und so geschah es.

Minister von Heinitz kam gegen Ende August nach Bai- reuth, und Humboldt berichtete, er habe die Zeit dazu ange- wandt, theils die Grubenbaue in den verschiedenen Bergämtern zu befahren und sowol das Verhalten der Gebirge überhaupt, als vornehmlich das der erzführenden Lagerstätten insbesondere, zu untersuchen, theils statistische und ökonomische Nachrichten über den vormaligen Betrieb sämmtlicher Berg- und Hüttenwerke zu sammeln. Sodann verbreitete er sich über die Natur der frän- kischen Gebirge im allgemeinen, und im besondem über die Zu- stände der drei Bergämter Wunsiedel, Goldkronach und Naila, ihre Entwickelung und ihren Verfall, über die Mittel zu einem schwung- haftem Betriebe des Bergbaues, vornehmUch zur Vervollkomm- nung des Abbaues, der Zimmerung und Förderung, kurz über alles, was irgendwie mit der Natur der Technik und Admini- stration des Betriebs dieser Berg- und Hüttenwerke zusanmien- hing. Und über seine eigentUche Aufgabe hinausgehend, erörterte er noch in Separatbeilagen die Natur des Eisens, die Entstehung der Schwefelsäure bei der Alaun- und Vitriolfabrikation, sprach er sich über die Salinen zu Gerabronn und Schwäbisch -Hall, über die Porzellanfabrik zu Bruckberg, über das Vitriolwerk am Schwefelloch bei Gräfenthal u. s. w. aus.

Schon der vorläufige mündliche Bericht erwarb ihm die bei- falligste Zufriedenheit der beiden Minister, und als er ihn später in einem Umfange von fast 150 Bogen schriftlich einreichte, ward ausdrücklich anerkannt: „dass der pp. von Humboldt durch denselben nicht nur einen abermaligen Beweis seiner rühmlichen, unermüdlichen Thätigkeit abgelegt, sondern auch durch diese mit sehr weiser, richtiger Einsicht die Mittel dargelegt habe,

3. Im Staatsdienst. (Ernennung zum Oberbergmeister.) 143

wie durch richtige Anwendung bewährter wissenschafthcher und haushälterischer Kenntnisse der Bergbau nebst dem Hütten- und Salinenwesen in den fränkischen Fürstenthümem in grossen Flor gebracht werden und eine grössere Ausdehnung erhalten könnte," und verfügt, dass der Bericht „unter sämmtlichen Membris des Departements zur genauen Eenntnissnahme circu- liren solle."

Die Folgen so allseitiger ehrenvoller Anerkennung traten auch sofort ein.

Schon am 27. Aug. schrieb Humboldt dem Freunde: „Nur zwei frohe Worte, lieber Junge, die ich Ihnen aber unter der Bedingung sage, dass Sie sie fein in sich verschliessen müssen. Ich bin gestern zum königlichen Oberbergmeister in den beiden fränkischen Herzogthümem ernannt worden. Ich habe mit meinem Grubenbericht so viel Ehre eingelegt, dass ich die alleinige Direction des praktischen Bergbaues in den drei Bergämtern Naila, Wunsiedel und Goldkronach erhalten habe. Alle meine Wünsche, guter Freiesleben, sind nun erfüllt. Ich werde nun ganz dem praktischen Bergbau und der Mine- ralogie leben. Ich wohne auf dem hohen Gebirge in Stehen und Arzberg, zweien Dörfern im Fichtelgebirge, die hiesigen Lagerstätten sind unendlich interessant, und ich bleibe Ihnen

nahe, kann Sie des Jahres ein- und mehrere male sehen.

Ich taumele vor Freuden. Im Herbst

sehe ich Sie wahrscheinlich nicht, wol aber im Frühjahr oder Winter in Leipzig. Für meine Gesundheit seien Sie unbesorgt, ich werde mich gewiss schonen, und der Geschäfte sind nur anfangs viele. Ich endige damit, Ihnen zu sagen, dass ich auch diese Freuden Ihnen verdanke, das fühle ich nur zu sehr. Was habe ich durch Sie nicht alles gelernt, guter Freiesleben! Vor einem Jahre fragte ich Sie, was ein Gesenk wäre, und jetzt bin ich Oberbergmeister. Das geht wunderlich zu. Es ist unver- schämt von mir, die Stelle zu übernehmen. Ich habe sie aber nicht gesuclit, habe Gegenvoi-stellungen gemacht, man ist in mich gedrungen, und der Gedanke in Ihrer Nähe zu leben hat

144 !• Jugend und erste Mannesjahrc.

in mir obgesiegt. Und denken Sie, wie viel ich hier zulernen werde! Keiner unserer Plane ist dadurch gestört. Der Minister Heinitz hat dem Minister Hardenberg gesagt, dass er mich nur auf ehi bis zwei Jahre entbehren könnte (! ), hat mich selbst versichert, dass meine Reiseprojecte nicht gestört sein sollten ( ! ! ). Ich denke also, guter Herzens-Freiesleben, Sie freuen sich mit mii\"

Noch während der Anwesenheit Heinitz' in Baireuth, also etwa ein halbes Jahr nach dem Eintritt in den Staatsdienst, wurde Humboldt Oberbergmeister in den fränkischen Fürsten- thümern. Bezeichnender aber als die blosse Thatsache dieser schnellen Beförderung ist die Art und Weise der dieselbe be- treffenden Verhandlung der beiden Minister.

xlm 6. Sept. schrieb Hardenberg an Heinitz: „Ew. Excellenz haben bei Bereisung und Besichtigung der Berg- und Hüttenwerke in dem Fürstenthum Baireuth selbst bemerkt, dass viele derselben einer grossen, die mehrsten aber einiger Verbesserung fähig sind, wenn deren Bau und Betrieb von einem völlig sachkundigen Manne geleitet würden und unter dessen specieller Aufsicht ständen. Ein solcher Mann ist uns durchaus erforderlich, wenn anders das Berg- und Hüttenwesen zu demjenigen Flor gelangen soll, auf welchen es unleugbar zu bringen sein wird. Da es hier an einem solchen Subject fehlt, der Herr Bergassessor von Humboldt aber durch die ausgebrei- teten Kenntnisse, welche er sowol überhaupt besitzt als auch bei Bereisung der hiesigen Berg- und Hüttenwerke sich beson- ders auf unserm Local erworben hat, vorzüglich geschickt dazu sein würde, den Bergbau in Aufnahme zu bringen: so ersuche ich Ew. Excellenz ergebenst, ihm gefälligst zu erlauben, dass er die Stelle eines O.berbergmeisters im Baireuthischen auf einige Jahre annehmen dürfe. Von seinen Talenten und seinem Eifer lässt sich die gewünschte Erfüllung des Zweckes allerdings er- warten. Ew. Excellenz werden mich zum grössten Danke ver- pflichten, wenn Sie meine ganz ergebenste Bitte um die

3. Im Staatsdienst (Oberbergmeister). 145

Erlaubniss zur Annahme der gedachten Oberbergmeisterstelle geneigtest stattfinden lassen wollen. In diesem Falle werden Ew. Excellenz die Geneigtheit haben, den Herrn von Humboldt, sobald es die Umstände und die ihm jetzt noch aufgetra- genen Geschäfte erlauben, an seinen neuen Posten abgehen zu lassen.^'

Schon an demselben Tage antwortete Heinitz durchaus zu- stimmend, mit der für Humboldt schmeichelhaften Beschrän- kung: „Nur bitte ich, zugleich dem Herrn von Humboldt zu erlauben, dass er dem königlichen Bergwerks- und Hütten- departement des Generaldirectorii in Berlin, mit welchem er auch während seiner hiesigen Anstellung in Verbindung bleibt, von den hiesigen Fortschritten und gemachten Verbesserungen, sowie von seinen femern geognostischen Bemerkungen von Zeit zu Zeit Nachricht ertheile, und stelle übrigens Ew. Excellenz erleuchtetem Ermessen ganz ergebenst anheira, ob Dieselben nicht gerathen finden, die Salzbohrversuche in hiesiger Provinz, die Vitriol- und Alaunhütte zu Crailsheim und die Porzellan- fabrik zu Bruckberg durch den Herrn von Humboldt theils leiten, theils von Zeit zu Zeit in Rücksicht ihres innem Betriebs untersuchen zu lassen, wie ich denn hoffe, dass seine Bereit- willigkeit in Mittheilung der mannichfaltigen Kenntnisse vom Maschinenbau und Betrieb, die er besitzt, auch den verschie- denen Fabriken in Schwabach und Fürth zu Statten kommen wird. Die Aufträge zu einer Reise nach Baiem und Schlesien und zur Anstellung mehrerer Versuche über Salzgradirung und Salzfindung werden den Herrn von Humboldt noch bis in den März künftigen Jahres beschäftigen, alsdann aber kann er die von Ew. Excellenz ihm zugedachte Stelle unverzüglich an- treten."

Sofort wurde Humboldt seine Ernennung zum Oberberg- meister amtlich notificirt, und es verdient bemerkt zu werden, dass in dem bei den Acten befindlichen Concept dieses Schrift- stückes einzelne Worte von Humboldt's eigener Handschrift vor-

A. T. HOMBOLDT. L 10

146 I* Jugend und erste Mannesjahre.

kommen. Von einer Bestimmung des Gehalts ist zwar nirgends die Rede, es steht aber anderweitig fest, dass dasselbe 400 Thlr. nicht überstieg.

In heiterster Stimmung schreibt er noch an demselben Tage, am 6. Sept. 1792, ausführlich an Freiesleben und „schüttet vor dem Freunde sein ganzes Herz aus^^ Die Ereignisse der letzten zwei Monate ziehen wie in einem Zauberspiegel vor ihm vorüber, seine Phantasie ist bei den angenehmsten Eindrücken der Gegen- wart mit den reizendsten Planen für die Zukunft erfüllt: er werde mit dem Freunde zusammen arbeiten, zusammen reisen. Vor allem sind es Versicherungen zärtlichster Freundschaft und innigster Dankbarkeit für vielfache Belehrung. „Wie süss ist mir der Gedanke, Ihnen, guter herzenslieber Freiesleben, das alles zu verdanken. Es ist mir als wenn ich dadurch mehr an Sie geknüpft würde, als trüge ich gleichsam etwas mit mir herum, was Sie angebaut und gepflegt haben. Antworten Sie mir ja* mit keiner Silbe hierauf. Ich kann leicht errathen, was Ihre Bescheidenheit Ihnen einflössen wird, aber lassen Sie mir meine Gefühle, denn in ihnen lebe ich unaussprechlich glücklich."

Mitten in den laufenden neuen Tagesarbeiten trat auch be- reits die Neigung zu historischen Untersuchungen bei ihm her- vor. „Zu dem allen", schreibt er, „schaffte ich mir recht alte, alte Bergwerksgeschichten an. Sie wissen, wie sehr ich daran hänge. Ich habe mir drei Koffer Bergwerksacten aus dem 16. Jahrhundert aus dem Archive der Festung Plassenburg kommen lassen, die ich, da sie Generalbefahrungen enthalten, ex officio lesen muss. Beim schlackigen Herbstwetter in der rauhen Gegend wird das eine herrliche Lektüre sein. Da ich schon jetzt einen Plan entworfen habe, wie der künftige Gruben- bau auf der Fürstenzeche zu Goldkronach (wo wir auf den Spiessglanzflächen einen Goldanbruch haben) vorzurichten sei, so muss ich mich ganz in die alte Geschichte dieses schon 1421 erlegenen Grubengebäudes einstudiren. Ich bin schon so glück- lich gewesen, einem StoUflügel auf die Spur zu kommen, den

3. Im Staatsdienst. (Erweitertes Commissoriam.) 147

man bisher nicht ahnte. Für meine Gesundheit, guter Freies- leben, seien Sie nicht bange. Ich bin den Sommer über überaus wohl gewesen. Meine Ueblichkeiten nehmen ab. Ich verdanke, wie ich Ihnen in Freiberg schon oft sagte, meine Genesung blos meinem bergmännischen Metier; und so geiahrlich Ihnen auch mein tägliches Anfahren in Freiberg schien, so bin ich doch fiberzeugt, dass es mir sehr nützlich für meinen Körper ge- wesen ist."

Humboldt hatte in der That Grund genug sich glücklich zu fühlen. Beide Minister würdigten seine Leistungen und Be- strebungen in vollem Masse. Er fand im Staatsdienste keine Be- schränkung seiner Neigungen und Plane, vielmehr die ehrenvollsten Aufträge, die seine Reiselust befriedigten. Schon während der Anwesenheit des Ministers von Heinitz in Baireuth wurde das bisherige fränkische Commissorium noch dahin erweitert, dass er behufs Untersuchung der Steinsalzgruben und Siedevorrichtungen Oberbaiem, Salzburg, das österreichische Salzkammergut, Galizien und Oberschlesien bereisen sollte. Die Diätenliquidation ist ein zuverlässiger Wegweiser für den Verfolg seiner hierdurch veran- lassten sogenannten Dienstreisen, die vom Juni 1792 bis Ende Ja- nuar 1793 dauerten und sich in fünf grössere Touren gruppiren.

1) Reise nach den fränkischen Fürstenthümem , 26. Juni bis 12. Juli.

2) Bereisung der fränkischen Fürstenthümer, 12. Juli bis 23. Sept.

3) Reise nach München, den bairischen Salinen, 23. Sept bis 9. Nov.

4) Reise von Wien nach Tamowitz und Wiehczka, 9. Nov. bis 15. Dec.

5) Reise von Wieliczka nach und in Schlesien, bis Ende Januar 1793.

Von der sehr detaillirten Liquidation dieser Reisen, die bis auf Pfennig und Kreuzer die Post-, Bier-, Schmier-, Chaussee-^ Mauth- und Visitationsgelder angibt, sei nur bemerkt, dass alle

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148 !• Jugend und erste Maonesjahre.

Reisespesen für 183 Tage nur 698 Thlr. 16 Ggr. betrugen, in welcher Summe die persönlichen Diäten mit 2 Thlr. pro Tag einbegriffen sind.

Wiederum sind es Briefe an Freiesleben, die Näheres aus dem Verlaufe dieser Reisen mittheilen. So schreibt Hum- boldt aus Trauenstein im Salzburgischen am 4. Oct. 1792: .... „Ich bin übrigens sehr gesund, aber weniger vergnügt als ich es in dieser hyperinteressanten Gegend sein sollte. Denn das Wetter ist scheusslich, alles mit Schnee bedeckt und der Untersuchung entzogen. Ich gehe von hier nach Reichen- hall (in die Saline), Hallein, Berchtesgaden, Passau, und von da etwa bis zum 16. Oct. nach Wien. Die Gegend hier ist gött- lich. Ich glaubte noch nie zuvor ein Gebirge gesehen zu haben, so ist hier alles anders. Lauter Alpengebirge, Pyramiden auf Pyramiden gehäuft. Die Appenzeller (?) Alpen liegen vor mir als könnte ich sie mit Händen greifen. Das, guter Freiesleben, mtlssen wir noch zusammen sehen. Es kostet Ihnen blos eine Ferienreise. In drei bis vier Tagen sind Sie bei mir in Bai- reuth, und in fünf bis sechs Tagen sind wir hier. Es braucht hin und zurück von Leipzig aus eine Müsse von nur vier bis fftnf Wochen höchstens."

Von Wien aus schreibt Humboldt am 2. Nov.: „Ich kam erst den 27. Oct. in Wien an. Trotz des vielen Schnees und der grossen Anstrengung habe ich doch eine ungemein interes- sante Reise durch die salzburger, berchtesgadener und öster- reichischen Alpen gemacht, den Kessenberg(?), Hallein, Berchtes- gaden u. s. w., wo überall Steinsalz ist, befahren und einen überaus lehrreichen Aufenthalt in Reichenhall gehabt. Auf der dortigen Saline war ich zwölf Tage ganz allein mit dem Salinen- director von Claiss. Diesen Mann halte ich jetzt unter allen theoretischen und praktischen Halurgen offenbar für den ersten. Er besitzt grosse physikalische und mathematische Kenntnisse, war sieben Jahre in England, arbeitete viel mit Franklin, war lange in Frankreich, besitzt ein Steinsalzwerk in Savoyen, Schwefelsäurefabriken in Winterthur, und hat die Direction aller

3. Im Staatsdienst. (Erweitertes Commissoriam.) 149

bairischen Salinen. Ich habe vom Morgen bis in die Nacht nur immer gefragt, und ich weiss keinen Menschen, von dem ich durch Umgang so viel gelernt Dieser Mann schrieb mir au» freien Stücken, dass er meine Abhandlung für das Beste halte^ was über Salinen geschrieben sei. Ich sehe das Ding nun erst richtiger an, und der Druck wird bis auf den Herbst verschoben. Ich habe viele neue Materialien von Claiss dazu erhalten, be* konmie auch noch ungedruckte Manuscripte von Franklin über Feuereinrichtungen, und vervollkommene meine Karte über den Zusammenhang aller Sahsquellen in Deutschland. Von dieser Karte, glaube ich, wissen Sie noch nichts. Sie ist aus einem Aufsatze entstanden, der meinem baireuther Berichte angehängt ist: «Ueber die auf Salzsole abzutreibenden Bohrlöcher». Die Hauptidee ist die, dass das fränkische, schwäbische und thü- ringische Flötzgebirge einerlei Hauptschichtung hat, dass sie durch ein fünf bis sechs Stunden streichendes Thal zwischen dem thüringer Waldgebirge und dem isolirten Harzgebirge (zwischen Eisenach und Osterode) zusammenhängen, dass alle fränkische und schwäbische Sole auch im obem Gipse fliesst, dass alle Salinen in Deutschland in einer gewissen Richtung liegen, dass man Linien auf der Karte ziehen kann, nach denen von Meile zu Meile Salzquellen zu finden sind, dass diese Salzströme dem allgemeinen Abhänge des deutschen Bodens folgen, von Südwesten nach Nordosten, und sich um die uranfanglichen Gebirge, d. h. so- weit diese vom Flötzgebirge nicht bedeckt herausstehen, herum- schlängeln/^

Noch in späten Jahren bedauerte Freiesleben, dass die hier erwähnte Karte über die deutschen Salzzüge und die Abhand- lung über die auf Salzsole niederzubringenden Bohrlöcher nicht gedruckt worden und verloren gegangen sind.

Der letzte von den wenigen über diese Reise noch erhal- tenen Briefen ist datirt: Buchwald, den 14. Jan. 1793.

„Ich war", schreibt Humboldt, „drei Wochen in Breslau und die übrige Zeit im Riesengebirge, in Waidenburg, Kupferberg.

150 !• Jugend und erste Mannesjahre.

Nirgends mehr als einen bis zwei Tage, bis in die späte Nacht lAraid, um wenigstens die wichtigsten Grubengebäude zu sehen, bei grimmiger Kälte, ohne Möglichkeit Ihnen zu schreiben. In Breslau habe ich drei Wochen beim Grafen Rheden gewohnt. Wenn ich je arbeitsam war, so war ich es dort. Ich habe meinen zwanzig Bogen langen Bericht über die Salinen von Trauenstein und Reichenhall gemacht imd einundzwanzig grosse Blatt Royalpapier Zeichnungen dazu angefertigt. Das Zeichnen hat mich überhaupt dieses Jahr mehr als sonst beschäftigt Ich treibe es unablässig fort, besonders das eigentliche Planzeichnen, was ich der Situation wegen sehr wichtig finde. Jetzt bin ich mit Graf Rheden auf Gebirgsrecherchen begriflfen, bin gestern hier in Buchwald, auf seinem Gute (am Fusse der Schneekoppe), zu Schlitten angekommen, und reise morgen recta via mit ihm nach Berlin.'^

Während des Aufenthalts in Breslau wurde Humboldt Mit- glied der Kaiserl. Leopoldinisch - Karolinischen Akademie der Naturforscher, und zwar in besonders ehrenvoller Weise. Die Statuten der Akademie erfordern nämlich als Vorbedingung zur Aufnahme eines Mitglieds, dass dieses bereits den Doctorgrad einer Universität erlangt habe. Da indess der Präsident zu jeder Stunde auf jeder Universität des Heiligen Römischen Reichs eine Facultätssitzung einladen konnte, um einen von ihm prä- sentirten Candidaten unter seinem Vorsitze zu prüfen und die- sem sodann unter kaiserlicher Autorität, „examine rite superato", das Doctordiplom zuzustellen, so schritt der damalige Präsident von Schreber, der, wie es scheint, schon im Jahre 1793 die künf- tigen Leistungen dieses designirten Mitglieds prophetisch voraus- sah, ohne allen Umschweif am 20. Juni zur Aufnahme desselben. Sie geschah mit der Ansprache:

„Esto igitur, ex merito, nunc quoque noster! Esto Academiae Caesareae Naturae Curiosorum decus et aug- mentum, macte virtute Tua et industria, et accipe, in Signum nostri Ordinis, cui Te nunc adscribo, ex antiqua

3. Im Staatsdienst. (Berlin 1793.) 151

nostra consuetudine cognomen Timaeus Locrensis, quo collegam amicissimum Te hodie primum salutamus.^ *

In Berlin währte der Aufenthalt bis Ende April, und diese Zeit wurde neben amtlichen Arbeiten über das Salinenwesen vorzugsweise der Herausgabe der „Flora Fribergensis" sowie che- mischen und galvanischen Experimenten an Pflanzen und Thieren zugewendet. Auch arbeitete er in Hermbstädt's Laboratorium an Versuchen über den Wachsgehalt der Schwämme.*

Von Berlin aus schreibt er am 9. Febr. 1793 an Watten- bach: „Seit dem Juni habe ich wieder an 600 Meilen zurück- gelegt und war nirgends lange an einem Orte Ich bin

seit vierzehn Tagen in Berlin, bleibe bis in den April ruhig hier, lasse meine längst angekündigte „Flora Fribergensis^^ drucken, und begebe mich im April aufs fränkische Fichtel- gebirge, denn ich bin Oberbergmeister der fränkischen Fürsten- thümer geworden. Den Sommer war ich in Schwaben, Baiem, Tirol, Wien, Mähren, Schlesien, und zuletzt komme ich wegen der Steinsalzwerke aus Polen. So ist der Mensch ein wan- derndes Geschöpf; aber froh sieht er sich immer wieder nach denen um, die ihm einst nahe verbunden waren, und erinnert sich dankbar der Freuden des geselligen Umgangs." ....

' Der Beiname Timaeus weist sehr schmeichelhaft auf den Philo- sophen aus der pythagoräischen Schule, von dem in Plato^s gleichnamigem Dialog die Rede ist, hin, der an Ahkunft und Vermögen zu den ersten Borgern in Locri gehört, die höchsten Aemter und Ehrenstellen daselbst bekleidet hatte und ein Werk -ztpX ^vxac x6a{Jiov )ca\ 9vacuc, das noch Torhanden, geschrieben haben soU. Nach 62 Jahren, im Jahre 1855, erneuerte der damalige Präsident der Akademie Nees von Esenbeck die Huldigung dieses Ehrendenkmals. Welchen Werth übrigens Humboldt auf dergleichen Ehrenbezeigungen legte, sehen wir aus einer sp&tem Aeusserung an Bonpland in einem Briefe, Rome, le 10 Juin 1805 : „Si tous Toulez, je vous ferai recevoir ici aux Arcades. Cela vous coütera 40Frs., et on vous donne un nom grec et une cabane en Grdce ou en Asie Mineure. Je m'appelle Megastöne d'Eph^se, et j'ai une terre tout pr^s du temple de Diane . . . . '* I)e Ja Roquette, Humboldt, correspondance etc., I, 179.

* Aphorism. ex doctr. physiol. ehem. plant. Deutsch von Fischer, S. 109.

152 !• Jogend und erste Manne^jahre.

Drei Tage später, am 12. Febr., schreibt er an Girtaner: ,Jhrer politischen Laufbahn, die von der meinigen zu entfernt ist, bin ich wenig gefolgt, so viel Sensation sie auch im ganzen südlichen Deutschland erregt, aber Ihre chemisch-physiologischen -Entdeckungen haben mich über alles interessirt. Ihrem Aufsatz : „Sur le principe de Tirritabilit^", für den gute Köpfe wie Söm- mering, Scherer, Planck, Herz gern fechten, verdanke ich die Veranlassung, mich ernstlich mit dem antiphlogistischen System, oder vielmehr mit den antiphlogistischen Wahrheiten bekannt zu machen. Ich fing sogleich an selbst zu experimentiren, habe seit zwei Jahren mit grösster mir möglichster Anstrengung alles studirt, was siel nur irgend darauf bezieht, und bin von dem Oxygen als Princip der Lebenskraft (trotz des noch so räthsel- haften, gewiss nicht magnetischen oder elektrischen galvanischen Fluidums) ebenso überzeugt, als Sie es waren da Sie mir in Green Park zuerst davon erzählten. Das Wichtigste aber, was Sie seitdem für mich geleistet haben, und wofür ich nicht um- hin kann Ihnen bald öffentlich meine ganze Hochachtung zu zollen, ist der Abschnitt über die Vegetation in Ihren «An- fangsgründen der antiphlogistischen Chemie. . . . Alle meine Müsse ist jetzt der Chemie und zwar der chemischen Pfianzen- physiologie gewidmet, wozu ich mit guten Apparaten versehen bin. Sie soll es auch künftig sein. Ich habe eine Reihe von Versuchen über das Wachsen und Keimen der Pflanzen in ver- schiedenen Substanzen angestellt, von denen man behauptet, dass sie unwirthbar wären." Diese Versuche sind in klei- nen Abhandlungen in Greu's, Crell's, Usteri's, de Lametherie's Journalen erschienen und werden später in der bibliographi- schen üebersicht der Arbeiten Humboldt's namhaft aufgeführt werden.

Im April ging Humboldt auf mehrere Tage nach Schöne- beck, um Bauten für das Salinenwesen anzuordnen, kehrte dann nach Berlin zuiück, und trat im Mai, nach vollendetem Druck der „Flora Fribergensis", die Reise nach Franken an. In Er- furt besuchte er seinen Bruder und dessen Familie.

3. Im Staatsdienst (Baireath.) 153

Von dort aus schreibt er am 26. Mai 1793 dem Freundcf^ Freiesleben :

„Ich gehe diese Nacht von hier nach Baireuth ab. Ich trete einen praktisch bergmännischen Dienst an, in dem ich vor zwei Jahren von Ihnen noch lernte was ein Spatgang sei. . . Ich besitze einen Grad von Süffisance, und ich gestehe es gern selbst, aber ich kenne meine innere Energie, ich weiss, dass ich das, was ich ganz will, nicht am schlechtesten ausführe.'^ Und doch überkommt ihn wieder bescheidener Zweifel: „Von einem Bergrath, von einem Berghauptmann^S sagt er, „verlangt man wenig, man ist an Unwissende gewöhnt; aber ein Bergmeister I Doch es muss sein.^^

Um uns seine Stellung und Wirksamkeit in Franken zu vergegenwärtigen, muss, wenn auch nur in Kürze, der dortigen staatlichen Verhältnisse gedacht und an die Männer erinnert werden, die gleichzeitig mit ihm ihr Talent und ihre Thätigkeit daselbst entwickelten.

Hardenberg, der schon 1790, kurz vor der preussischen Acquisition der Markgrafschaft Anspach-Baireuth, aus den braun- schweigischen in die markgräflichen Dienste getreten war, erhielt im folgenden Jahre, am 2. Dec. 1791, bei Uebemahme des Landes durch Preussen, die selbständige Verwaltung desselben, in einer Weise wie um dieselbe Zeit Graf von Hoym Schlesien und bald darauf auch die neuen polnischen Provinzen verwaltete. Während aber Hoym nach Südpreussen nur Creaturen seiner persönUchen Gunst zog, während er statt Ordnung und Rechtssinn nur Verwir- rung, Unredlichkeit und Selbstsucht ins Land brachte, und so die Erbitterung der Einwohner in brausende Gährung versetzte, berief Hardenberg anfangs nur zwei preussische Beamte hierher, den Ge- heimsecretär Koch und den Bibliothekar Albrecht, und beobach- tete stets die rücksichtsvollste Schonung und weiseste Umsicht bei Einführung der neuen Verwaltungsformen. Und wenn er auch später mehrere Beamte aus den altem Provinzen heranzog, so geschah dies doch stets mit sorgfältiger Auswahl der Würdig- sten. Dem Namen Alexander von Humboldts schliessen sich die

154 L Jagend und erste Mannesjahre.

Namen Langermann's , des Staatsraths Hänlein, der spätem Mmister Schuckmann, Nagler, Altenstein an ; die beiden letztem arbeiteten hier noch als Assessoren. An der Spitze des Berg- departements stand bis dahin der Oberbergrath Tomesi, ein ge- müthlicher aber für sein Amt unfähiger Mann, der, nach einem Beisebriefe des damaligen Würzburger Studiosus Ludwig Tieck, zugleich Director des Gast- und des Irrenhauses war. ^

Am 10. Juni 1793 schreibt Humboldt an Freiesleben: „Ich komme eben aus der Grabe. Ich bin zwei Meilen ge- ritten und an drei Stunden auf der Fürstenzeche gefahren, wundem Sie sich also nicht, liebster Freiesleben, wenn ich Ihnen einen verworrenen Brief schreibe. Mit dem Bergbau geht alles schneller als ich dachte. Die vorläufige Organisation ist fast zu Stande: das Oberbergamt eröffnet, der Etat der Bergbau- Hülfskasse angefertigt, und nun geht es auf die einzelnen Bei^- ämter los. Ich bin seit wenigen Tagen hier, um den einge- stellten Bau auf der Fürstenzeche, der Sibaldszeche bei Langen- dorf (auf Steinkohlen) u. s. w. vorzurichten. Das allgemeine Vertrauen, das der gemeine Bergmann mir überall zeigt, macht mir meine Arbeit lieb, denn sonst ist meine Lage sonderbar genug; ich thue eigentlich Dienste als Geschworener, nicht als Oberbergmeister. Von meinen Vorrichtungen schreibe ich Ihnen jetzt nichts. Die Hitze ist unerträglich, und die Grabenwetter matt."

Und am 19. Juli fahrt er fort: „Ich habe in der grossen Hitze ganz allein in fünf Tagen 32 Meilen geritten. Es kam darauf an, eine neue Erzstrasse zu besichtigen, und wahrscheinlich ist der ganze Bettel umsonst Aus diesem Tone möchten Sie glauben, guter Freiesleben, dass ich übler Laune wäre. Nein, gewiss nicht. Ich bin seit vier Tagen ruhig in Stehen, also auf nailaer Revier, fahre täglich von 47^ 10 Uhr, imd es geht alles ziemlich schnell vorwärts. Das Vertrauen der Menschen habe ich, man glaubt dass ich acht Beine und vier

* Aus Yamhagen^s Nachlass. Briefe von Chamisso, Gneisenau u. a., 1, 204.

3. Im Staatsdienst. (Freie Bergschale.) 155

Hände habe, und das ist bei meiner Lage unter so faulen Offi- cianten schon sehr gut."

Bei alledem war sein wohlwollendes Gemüth auch für die Erziehung und Belehrung der jungem wie der altern Bergleute mit grosser Hingebung thätig. Die vielgepriesenen Bestrebungen unserer Tage, die niedem Volksklassen, Handwerker und Arbeiter zu belehren, Humboldt hatte sie schon damals, obwol in An- spruch genommen von den verschiedensten wissenschaftlichen Forschungen und amtlichen Dienstarbeiten, aus eigenen Mitteln und mit eigener Anstrengung für die Bergleute seines Reviers ins Leben gerufen. Als er auf das nailaer Revier kam, fand er, wie er klagte, überall crasseste Unwissenheit unter dem niedem Berg- volk, Vomrtheile vom Schürfen, von Witterung, Unkenntniss der bekanntesten Erze u. s. w. Er errichtete daher und unterhielt, ohne vorherige amtliche Anfrage, mit Hülfe des jungen von ihm be- soldeten Steigers Spörl, im Winter 1793 in dem Bergstadtchen Stehen eine bergmännische Freischule. Es war dies eine That humanster Yolksfreundlichkeit und pädagogischen Scharfblicks. Der Unterricht beschränkte sich anfangs auf die Nachmittags- und Abendstunden am Mittwoch und Sonnabend, der Reiz des- selben war indess bei Lehrern und Lernenden so gross, dass er bald bis Nachts 11 Uhr fortgesetzt wurde.

Es ist daher auch erklärlich, wamm Stehen dem Andenken Humboldt's so werth geworden, dass er noch in spätem Jahren sagen konnte: „Stehen hat einen so wesenüichen Einfluss auf meine Denkart gehabt, ich habe so grosse Plane dort geschmie- det, mich dort so meinen Gefühlen überlassen, dass ich mich vor dem Eindruck fürchte, den es, wenn ich es wiedersehe, auf mich machen wird. Ich war dort, besonders im Winter 1794 und im Herbst 1793, in einem immerwährenden Zustande der Spannung, dass ich des Abends nie die Bauernhäuser am Spitz- berg, in Nebel gehüllt und einzeln erleuchtet, sehen konnte, ohne mich der Thränen zu enthalten. Diesseit des Meeres finde ich wol nie so einen Ort wieder!"

Erst am 13. März 1794 erstattete Humboldt dem Minister

156 !• Jagend and erste Mannesjahre.

YonHeinitz Bericht ^ über die von ihm gegründete freie Bergschule; alsbald wurde auch in Wunsiedel eine solche Freischule errichtet, und beide haben sich mit gutem Erfolg lange Jahre erhalten.

Und wie für die geistigen, sorgte er auch für die mate- riellen Interessen. Einen Beweis seiner uneigennützigen Fürsorge für die Unterbeamten gibt folgende Stelle aus einem spätem Briefe vom 21. Mai 1795 an den Minister von Heinitz. Dieser hatte ihm eine Geldgratification zugewiesen, Humboldt lehnte die Annahme ab: „Je ne Tai pas m^ritä jusque ici. Ge serait me faire accuser d'un int^rSt p^cuniaire qui m'est ^tranger, .... je dois supplier tres-humblement V. Exe. de disposer de ce fonds pour Fan 1795—96. Les Birnbaum, les Barrisch sont plus dignes que moi. L'autre priere que j'ose Vous faire, m'in- täresse d'avantage. J'ai appel6 le jeune Sievert de Wettin comme Geschworener ä Arzberg. C'est par lui seul que les mines ont gagn^. II a plus fait que moi. II s'est (....? un- leserlich), on ne peut d'avantage. Je ne connais personne, qui soit si excellent pour la recherche g^ognostique et pour la partie pratique en m^me tems. II est bon g^ometre, bon des- sinateur, exp^riment^ pour la charpente des mines et pour la

fonde V. Exe. connait la misere, qui regne ici en sujet

des pensions. J'avais ecrit a Mr. Veitheim pour le prier de ne pas Tabandonner tout ä fait, . . . . il me le promit, mais helas! il a quitt^, et je dois incommoder Y. Exe. de ma tr^s bumble prifere ....*' In gleicher Weise wird zu öfterm die wärmste Fürbitte für Andere von ihm eingelegt.

Die „Flora Fribergensis" hatte inzwischen ehren- und ruhm- volle Anerkennung gefunden, Gelehrte und Fürsten wetteiferten in der Kundgebung ihrer Werthschätzung. Der Kurfürst von Sachsen ehrte den Verfasser durch Uebersendung einer „unend- lich grossen goldenen Medaille*^ und durch einen Brief „pour ser- vir de t^moignage publique pour le plaisir que votre ouvrage m'a caus^.^^ Der schwedische Botaniker Vahl krönte den jugend-

* S. die Beilage im Anhang.

3. Im Staatsdienst. (Praktische Tb&tigkeit.) 157

liehen Verfasser mit einer ganzen Species eines prachtvollen ost- indischen Lorbers, den er ihm zu Ehren „Laurifolia Humboldtia^ benannte, „in honorem botanici ezimii F. A. Humboldt, auctoris praestantissimae Florae Fribergensis", Huldigungen, die sich bekanntlich später unzähligemal wiederholten.^

So war das Jahr 1793 unter mannichfaltiger Thätigkeit zu Ende gegangen, und schon am 20. Jan. 1794 konnte Hum- boldt, nach einigen Klagen über den vorgefundenen Zustand der Bergwerke, dem freiberger Freunde berichten:

„Im allgemeinen geht es aber mit dem Bergbau überhaupt jetzt schnell vorwärts. In Goldkronach bin ich glücklicher als ich je wagen durfte zu glauben. Die neuaufgefundenen Acten aus dem 16. Jahrhundert, die ich mit der grössten Mühe stu- dire, haben mich ganz orientirt. Alle, die vor mir die Direction des dasigen Grubenbaues hatten, waren irre, weil ihnen diese Quellen fehlten. Seit acht Jahren hatte man mit 14000 Fl. Zubusse kaum 3000 Ctr. gefördert; ich schaffte in diesem einen Jahre allein mit neun Mann 2500 Ctr. Golderze, die kaum 700 Fl. kosten. Nach kleinem Versuchen, amalgamiren sie sich gut. Die vorjährige Bergwerkscommission, die berliner Berg- leute!, versicherten dem Minister Hardenberg, ein Centner Gold- erz sei kaum 3 Kreuzer werth, und ich bringe ihn dies Jahr schon auf 24 Kreuzer. Sie sehen, guter Junge, dass ich ruhm- redig werde. Aber ich rede auch nur so zu Ihnen. Unser nai- laer Revier geht so schnell vorwärts, wie Kammsdorf rückwärts. Sie fördern 8—9000 Seidel Eisenstein, wir 15000 Seidel. Ihre Gruben sind mit fünf bis sechs Mann, unsere jetzt mit zwanzig.

' Kritische Würdigung der Arbeiten Humboldt^s ist hier nicht die Aufgabe, historisch aber ist zu erw&hnen, dass M. Mayer in der berliner Akademie der Wissenschaften zweimal über die „Flora Fribergensis^' sehr ausführlichen Bericht erstattete. Gleich im Anfange desselben heisst es TOn dem Verfasser des Werks : „Yers^ dans toutes les ^udes pr^Uminaires et succursales, muni d^une Erudition rare, il laisse bien loin derri^re lui, dte les Premiers pas qu'il fait dans la carri^re litt^raire, la foule de nos naia- ralistes." Histoire de TAcad. roy. des Sciences etc. 1794 et 1795, pag.ll— S6.

158 I* Jugend und erste Maanesjahre.

ja eine mit vierzig Mann belegt Ueberhaupt liefern wir dies Jahr für 163000 Fl. Eisen, für 28000 Fl. Vitriol, überhaupt Kobalt, Zinn, Spiessglanz, Kupfer, Fahlerz, Alaun für 300000 Fl. Das ist mit kaum 350 Bergleuten gewiss genug. Im stebener Revier habe ich den Friedrich-Wilhelm-StoUen endlich angesetzt, ich war den ganzen Sommer mit den Vorbereitungen beschäftigt. Ich habe einen sehr künstlichen Anschlag zu 20000 Fl. darüber gefertigt, in dem alles bis auf die Spundnägel berechnet ist, ein opus operatum, das ich Ihnen einmal schicken muss. Zugleich auch eine Geschichte des neuesten stebener Kupferbergbaues. Die Kupferanbrüche stehen überhaupt jetzt besser, und ich bin gewiss, mit dem Friedrich-Wilhelm-Stollen (der auch schiffbar gemacht werden kann) künftig wieder eiur 2 3000 Ctr. Gar- kupfer zu liefern. Doch genug der Prahlerei." *

In dieser eifrigen Thätigkeit liess er sich auch durch ein drei Wochen anhaltendes tägliches Fieber nicht stören, das er sich durch zu häufige Reisen und Nässe der Gruben im rauhen Fichtelgebirge zugezogen hatte. „Sie schelten gewiss darüber mit mir, guter Junge", schrieb er weiter, „aber wie soll ich mein Amt versehen, ohne mich dem auszusetzen? Sie fragen, ob ich Arbeiten unter der Feder habe. 0 ja, und wie gewöhnlich vielerlei. Diejenige, die mich am meisten beschäftigt («Versuche über den Nerven- und Muskelreiz o) ist zu schwierig, um sie Ihnen ganz zu detailliren. Ausserdem arbeite ich noch an etwas Grossem, Geognostischem, nämlich an einem Buche, für das ich noch keinen Titel weiss. Vielleicht «Resultate meiner Beobach- tungen» oder aResultate meiner Reisen in und ausserhalb

^ Als Anhalt zur Yergleichong sei hier die Stelle angeführt aus Heinitz^ „Abhandlang über die Producte des Mineralreichs in den königl. preussischen Staaten*' (Berlin 1786), S. 110, in der von den Markgraf- Bchaften Anspach und Baireuth die Rede ist: „Ehemals wurde auch Gold und Kupfer mit Yortheil gebaut. Man hat aber diesen Bergbau liegen lassen, weil man glaubte aus dem unmittelbaren Verkauf des Holzes grossem Nutzen zu ziehen. Dermalen befinden sich in beiden Markgraf- schaften 13 Hohöfen, welche in einer Campagne von 39 Wochen 60840 Ctr. ▼orzQglich gutes Roheisen liefern."

3. Im Staatfldientl. (Wissenschafüiehe Arbeiten.) 159

Deutschlands». Meine Idee, lieber Freiesleben, ist dabei die: Die vortrefflichen Floren und geognostischen Beschreibungen ganzßr Gegenden sind nur Yehicula, um einzelne Beobachtungen in die Welt zu bringen; sie enthalten immer viel Alltägliches, das (um die mineralogische Geographie auszufüllen) denn doch nicht genau genug ist. Meine schnellen Reisen machen es mir ebenso unmöglich vollständige Floren, als geognostische Be- schreibungen zu liefern. Ich hebe also in kurzen Aphorismen von sechs bis acht Zeilen nur das Neue heraus, als folgende Rubriken : Granit in Kugeb, ich fand neue zu 6 Fuss im Durch- messer; Granit geschichtet, ist überall das alte Ausgehende des Granits, Compassbeobachtungen über sein Fallen ; relatives Alter des fränkischen und böhmischen Syenits ; Alaunschiefer im Man- delstein Sie sehen das Manuscript gewiss, ehe es heraus- kommt. So rhapsodisch dies aber aussieht, so bemühe ich mich doch, jedes einzelne wie eine Monographie genau auszuarbeiten.

„Weil Sie aber wissen, dass ich noch immer so toll bin, mehr als drei Bücher zugleich zu schreiben, so gebe ich auch in Erlangen auf Schreber's Veranlassung eine splendide „Flora subterranea" in Folio mit illustrirten Kupfern heraus. Ich habe viele neue Lichenes dazu entdeckt. Auch an einer „Geschichte der Weberei der Alten" habe ich gearbeitet. Ich arbeite näm- lich alles, wie ich gerade Lust und Müsse habe, so aus, dass es fast zugleich, vielleicht künftigen Winter, wird erscheinen können." Beide letztgenannte Arbeiten sind indess nicht er- schienen.

Selbstverständlich haben trotz dieser vielseitigen wissen- schaftlichen Thätigkeit die Amtsarbeiten nicht gelitten. „Ich bin unendlich beschäftigt", schreibt er am 2. April 1794 an Freiesleben, „da ich auf drei Monate dies Land verlasse und doch alles so einrichten soll, dass alles ohne mich geht. Ich war vom 17. bis 26. Febr. im goldkronacher Revier, vom 26. Febr. bis 13. März im kaulsdorfer (und in Jena), vom 15. bis 26. März im nailaer, und vom 26. bis 31. im wunsiedeler Revier. Heisst das nicht, sich tummeln? Ich bin im Kopfe wie zer-

160 I* Jagend and erste Manne^ahre.

rissen vod allem, das ich besorgen soll, Bergbau, Bank, Manu- factur, Politik .... doch geht es gut mit dem Bergbau

„Ich bin versetzt als Bergrath nach Berlin, wahrscheinlich mit 1500 Thlm. Gehalt (hier habe ich 400), soll nur wenige Monate in Berlin bleiben und dann wahrscheinlich die Direction in Westfalen oder Rothenburg übernehmen mit 2 3000 Thlm. Ich sage Dir alles, guter Karl, ich schlage aus , gehe jetzt blos nach der Ostseeküste und dem polnischen Gebirge auf ein Commissorium und kehre hierher als Oberbergmeister zurück. Meine alten Plane bleiben dieselben: ich nehme in zwei Jahren den Abschied und gehe nach Russland, Sibirien oder sonst wohin."

Das neue Commissorium hatte halurgische Zwecke und führte ihn über Kolberg, Thom in die neuen südpreussischen Landes- theile nach dem linken Weichselufer in die Gegend von Slonsk, Nieszawa, Racionzek, Woliszewo, Ciechoczinek (das in aller- neuester Zeit als Solbad in Aufnahme gekommen), dann west- wärts über Lenczic, Inowraclaw, Strzelno (wo namhafte Salpeter- siedereien waren), Gnesen, Posen, Glogau, Prag, Eger und zu- rück nach Baireuth. Ausführliche Berichte über Kolberg, über Bohrversuche bei Ciechoczinek, datirt von Goldkronach Ende Juni 1794, sind noch erhalten.

Bald nach der Heimkehr riefen ihn unerwartet politische Ereignisse zu diplomatischen Verhandlungen nach dem Rheine, zur Armee zwischen Munzemheim, Mainz und Wesel, ab, die ihn vier Monate, bis zum October 1794, fesselten.

Die Hoffnung einer erfolgreichen Wirksamkeit in der aus- wärtigen Politik hatte nämlich den Minister von Hardenberg im Juni 1794 nach Frankfurt a. M. in das Hauptquartier des Königs geführt, der an dem Kriege mit Frankreich persönlich theilnahm. Je bedenklicher Hardenberges Ankunft im königlichen Hoflager sein musste, da er ohne Befehl hierzu auf eigene Verantwortlich- keit kam, und je unerfreulicher der damalige Zustand der An- gelegenheiten bekanntlich war, um so ehrenvoller erscheint für Humboldt die Auszeichnung, dass der AUnister, der damals den

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3. Im Staatsdienst (Diplomatische Dienste.) 161

Bruch des haager Subsidienvertrags herbeiführte, ihn zu seiner nächsten, vertrautesten Begleitung gewählt hatte. Bereits am 21. Oct. ging das Heer über den Bhein zurück, und der baseler Separatfriede war vorbereitet.

In welcher Weise Humboldt hierbei thätig gewesen, wissen wir zwar nicht, wir besitzen indess folgendes Fragment aus einem Briefe vom 10. Sept. 1794 aus dem Hauptquartier bei Ueden in Brabant:

„Nie war mein Leben abwechselnder als jetzt. Ich bin lange aus meinem Fache herausgerissen gewesen, mit Arbeiten, welche mit den diplomatischen Aufträgen des Ministers von Hardenberg Zusammenhängen, belastet, meist mit dem Feld- marschall von Möllendorf, seinem Hauptquartier gefolgt, jetzt auf Befehl hier im Lager. Ich gehe von Ueden den 14. nach der Grafschaft Altenkirchen, um dort die Generalbefahrungen zu halten, und von da ins Lager bei Kreuznach und Frankfurt zurück. So geht es immer fort; froh war ich wenig, aber doch auch zu zerstreut, und das beständige Reisen in mineralogisch interessante Gegenden hat mir zu meinem Buche über Schich- tung und Lagerung viel geholfen. Ich weiss nun genau, wie im ganzen westlichen Deutschland alles aufgesetzt ist, habe mit- unter viele Gruben befahren, Gänge beschrieben, und denke im Winter recht ordentlich an einem grossen mineralogischen Werke, einer Art geognostischer Ansicht von Deutschland, zu arbeiten."

Unter so wechselvollen und angestrengten Arbeiten ging ihm am 3. Febr. 1795 folgende Berufung zu:

„Es entstehen wahrscheinlich bald Veränderungen in dem combinirten Berg- und Salzdepartement des Generaldirectorü, deren eine in Abberufung des königl. Geh. Finanzraths Grafen von Rheden aus Schlesien und dessen Fixirung in Berlin be- stehen wird, um von hier aus die verschiedenen Hauptberg- bezirke jährlich zu bereisen und unter seiner Oberaufsicht und Leitung die verschiedenen Betriebsgegenstände im Departement zu bearbeiten.

A. ▼. UOMBOLDT. I. 11

162 I* Jugend und erste Mannesjahre.

,,SchlesieQ bedarf also alsdann eines Mannes, der mit prak- tischen Berg- und Hüttenbetriebskenntnissen gründliche Theorie verbindet, und der sich wegen beider schon allgemeine Achtung verdient hat.

„Ew. Hochwohlgeboren sind dieser Mann, und ich hoflfe, dass die Aussicht, in den so mannichfaltigen Partien von Schle- sien wirksam zu werden, diese Wirksamkeit auf das benachbarte damit verbundene Südpreussen zu verbreiten und durch Direc- tionsarbeiten im Oberbergamte nicht daran gehindert zu werden, Ew. Hochwohlgeboren nicht unangenehm sein wird. Lassen Sie nüch also bald erfahren, dass Sie diesen Ruf gern annehmen, und bestimmen Sie zugleich die Zeit, wann Sie demselben folgen können. Ob Sie den Charakter eines Oberbergmeisters beibe- halten, oder einen andern annehmen wollen, ist Nebensache, so- wie auch die Feststellung einer angemessenen Besoldung keine Schwierigkeit hat. Ich erwarte Ihre Antwort mit Verlangen und habe die Ehre, mit ausgezeichneter Hochachtung zu sein

Berlin, 3. Febr. 1795. I. A.:

Rosenstiel."

So ehrenvoll dieser Antrag auch war, Humboldt lehnte ihn ab. In seiner Erwiderung sagt er:

„Ich stehe im Begriflf meine hiesige Lage gänzlich zu ver- ändern und fast alle öffentlichen Verhältnisse aufzugeben. Ich hatte die Ehre, Ew. Excellenz schon vor Jahren meinen früh ge- fassten Plan, mich durch praktisch-bergmännische Geschäfte zu einer Reise auf unser Metier vorzubereiten, gehorsamst vorzu- legen. Diesem, nach meiner innem Ueberzeugung für die Ge- birgskunde und allgemeine Physik nicht ganz unwichtigen Zwecke wünsche ich jetzt näher zu treten, und je mehr ich die traurige Erfahrung habe, dass mein Körper durch frühe Anstrengung früher altern werde als ich sonst mich schmeichelte, desto mehr eile ich, meine noch jugendlichen Kräfte diesem Plane aufzu- opfern. So interessant es daher auch bei meinem nicht sehr reichlichen Auskommen für mich wäre, meine äussern Verhält-

3. Im SUatsdienst (Neue Amtsanträge.) 163

nisse zu verbessern, so unmoralisch wäre es doch gehandelt, eine neue Lage einzugehen, um dieselbe früh wieder zu ver- lassen.

„Unter solchen Umständen muss ich daher die mir von Ew. Ezcellenz gnädigst angetragene Stelle eines Oberbergmeisters von Schlesien gehorsamst ablehnen und mir die Fortdauer Ihrer verehrungswerthen Gewogenheit unterthänigst ausbitten. Das dankbare Andenken an Ew. Excellenz, sowie der Gedanke, dass ich die hiesige mir von vielen Seiten lehrreiche Lage sammt dem grössten Theile meiner bergmännischen Bildung Ew. Ex- cellenz verdanke dieser Gedanke wird mich stets beleben.

„Nur gegen den tiefen Kenner und erhabenen Beschützer der Wissenschaften durfte ich es wagen offen zu reden. Nur bei Ew. Excellenz darf ich nicht fürchten, die Sprache der Schlaffheit und Unthätigkeit geführt zu haben. Sie denken zu gross, um sich nicht auf einen Augenblick auch in meii^en Stand- punkt zu versetzen.

„In der gewissen Hoffnung, durch diesen Brief Ew. Excellenz Gnade noch nicht ganz oder doch nicht auf immer verscherzt zu haben, ersterbe ich u. s. w.

Steindorf am Fichtelberge, 27. Febr. 1795. Humboldt."

Nichtsdestoweniger wurde am 7. April 1795 der Antrag in fast dringUcher Weise erneuert

„Ihre Kränklichkeit^^, heisst es in demselben, „betrübt mich, sie ist allerdings eine Folge von körperlichen und geistigen An- strengungen und von den häufigen Veränderungen der Witterung und Nahrung während Ihrer letzten Reisen. Wenn Sie aber Ihrem Körper einige Erholung gönnen, ihn gegen Verkältung schützen, die allzu grosse Mannichfaltigkeit in Ihren Geschäften unterbrechen und dem Geiste Ruhepunkte zeigen werden, so muss Ihre gänzliche Wiederherstellung die Folge davon sein.

„Bei dieser Hoffnung würde mich die Ausführung Ihres Entschlusses, fast alle öffentlichen Verhältnisse aufgeben zu wollen, noch mehr betrüben. Warum wollen Sie Ihre schönen

164 I- Jagend und erste Manne^ahre.

praktischen Kenntnisse nicht dem Vaterlande und den neuen Etablissements, welche bei deren Anwendung gedeihen würden, widmen; warum lieber dem Reisen, den Wissenschaften als der Provinz Schlesien oder Westfalen nützlich werden? Hier wird freilich Ihr Wirkungskreis beschränkter als dort, aber er wird sicherer sein, und Sie werden die Früchte von Ihrer Thätigkeit selbst zu ernten die Freude haben, welches bei blossen Beschäf- tigungen für das Reich der Wissenschaften höchst selten der Fall ist

„Indem aber Ew. Wohlgeboren sich einer der gedachten beiden Provinzen und der darin befindlichen Berg-, Hütten-, Salzwerk- und Fabrikanstalten widmen, können und werden Sie zugleich sich den Wissenschaften nützlich machen, Erfahrungen für diese sammeln, Beobachtungen zu bestätigen, oder Wider- legung von aufgestellten Theorien theils selbst machen, theils andere darzustellen veranlassen, und so das Ideal des gemein- nützigen Mannes erreichen.

„Ich hoffe daher, dass Sie nach Ihrer Wiederherstellung entweder die Direction der westfälischen Berg-, Salzwerk- und Fabrikanstalten übernehmen, oder sich für Schlesien, das der Aufsicht und Leitung eines Mannes von Ihren Kenntnissen und Ihrer Thätigkeit bedarf, entscheiden werden.

„Während Ihrer Reise nach ItaUen, welche Sie, wie ich höre, im jetzigen Frühjahr und bevorstehenden Sommer an- stellen wollen, werden Sie sich ganz erholen, und im nächsten Herbst zu meiner Freude eine der angebotenen Stellen antreten können. In der Folge findet sich zu Reisen in andere Ge- genden auch wieder Zeit und Anlass, und so kann nach und nach Ihr Wunsch zur Einsammlung neuer Kenntnisse befriedigt werden.

,Jch habe u. s. w. Rosenstiel.

(Namens Exe. von Heinitz)."

Noch ist auch ein Cabinetsschreiben an Hardenberg vom l«Mai 1795 erhalten, in dem es heisst: „Ferner will ich Eurem

3. Im Staatsdienst (Schweizer Reise 1795.) 165

Vorschlage gemäss den bisherigen Oberbergmeister von Hum- boldt zum Wirklichen Oberbergrath ernennen, und zwar mit Bei- behaltung seines jetzigen Gehalts, und Ihr könnt denselben bei Euerm Departement in Bergwerks-, Manufactur- und Commerz- sachen vortragen lassen und zu Commissionen gebrauchen, da- gegen aber ihm zugleich zu seinen vorhabenden auswärtigen Reisen den Urlaub nach Umständen ertheilen. Ich hoffe, dass der von Humboldt auf diese Weise femer sehr nützlich sein werde, da ich weiss, dass er äusserst fleissig ist und sich applicirt."

So schmeichelhaft und so verlockend diese Anträge für jeden andern gewesen wären, für Humboldt hatten sie keinen Reiz. Sein Vorsatz stand unabänderlich fest, den Staatsdienst zu verlassen und die lang gehegten Plane grosser überseeischer Reisen für wissenschaftliche Zwecke auszuführen. Ein Brief aus dieser Zeit an Freiesleben gibt nähern Aufschluss über diese Plane.

„Ich glaube jetzt nicht gemeine Kenntnisse -als praktischer Bergmann zu besitzen. Ob ich nach Verlauf von vier bis sechs Reisejahren nicht einmal wieder in Dienste sei es in säch- sische, österreichische, russische oder spanische trete (mein Ruf als Bergmann muss sich indess ja wol vermehren), will ich nicht bestimmen.

„Nun, guter brüderlich geliebter Freiesleben, habe ich vor im Juli (1795) bis October oder November nach der Schweiz zu gehen, den Winter in Deutschland zuzubringen, und im Frühjahr 96 nach Schweden und Norwegen abzugehen. Nach Schweden besonders wegen Lappland, botanices causa, und es ist gar keine Gefahr dabei. Einer meiner innigsten herzlichsten Wünsche, guter Karl, wäre nun, Sie mitzunehmen, und zwar nicht blos nach der Schweiz, sondern auch nach Schweden. Ich halte Sie auf beiden Reisen ganz frei (1000 Tblr. stehen zur Disposition) ich hänge dabei ganz, ganz von Ihnen ab. Ihre Wünsche sollen Befehle für mich sein, und es soll Sie nicht gereuen, mit mir gegangen zu sein. . . . Die schweizer Reise, die wir durch Tirol

166 L Jugend und erste Manne^'ahre.

und Salzburg zurück machen, hat noch etwas Besonderes, was, ich hoffe, Ihnen nicht anstössig sein soll. Sie müssen sich gefallen lassen, Sie zu dreien mit noch einem Menschen zu machen, den Sie nicht kennen. Ich wiU ihn Ihnen genau be- schreiben" ....

Dieser dritte war ein Lieutenant Reinhard von Haften aus dem Westfälischen, der im Grevenitz'schen Infanterieregiment in Baireuth garnisonirte, ein junger Mann von anmuthigster Sitte, schöner Bildung, edelra Charakter und wissenschaftlichem Stre- ben. Humboldt war ihm auf das innigste befreundet, wohnte oft mit ihm zusammen und schreibt ganze Seiten voll schwär- merischer Hingebung zu seinem Lobe.

Endlich heisst es von demselben: „Ich lernte ihn auch in Augenblicken kennen, wo ich ihn handeln sah, wo er für mich handelte, .... Verhältnisse, die in der bürgerlichen Gesellschaft nicht wichtiger sein können, daher meine Dankbarkeit, meine . . . ."

Die nächsten von einer discreten Hand vernichteten Zeilen haben wahrscheinlich das Bekenntniss enthalten, von dem nach einer ausführlichen und bestimmten Mittheilung des Botanikers Kunth stattgehabten Herzensverhältniss zwischen Humboldt und der Schwester des Freundes von Haften, das, obwol Jahrzehnte in edler Treue gepflegt, doch nicht zu dem Ziele gewünschter Vereinigung geführt hat.

Dieser scheue Hinweis auf eine Seite des innern sub- jectiven Lebens Humboldt's ist kein dreistes Biossstellen eines tiefinnersten Geheimnisses des Herzens, er soll vielmehr nur einen neuen Lichtstrahl zur Beleuchtung der rein menschlichen Persönlichkeit des seltenen Mannes hinzufügen. Humboldt stand nicht ausserhalb des Naturgesetzes normaler menschlicher Em- pfindung ; allein der unabweisbare Trieb zu vieljährigen, gefahr- vollen Reisen, die Nothwendigkeit steter Bereitschaft zum Wechsel des Aufenthalts, die ganze rückhaltlose Hingebung an die Wissen- schaft forderten von ihm die schwere Resignation auf das Wohl- geftthl an einem festen häusUchen Herde, auf das Glück zärtlicher

3. Im Staatsdienst. (Schweizer Bdse 1795.) 167

Familienbande. Das waren die Opfer des Herzens, die Hum- boldt der Wissenschaft brachte.

Die warme Stimmung Humboldts ergoss sich auch in eine schwärmerische Apostrophe an Freund Freiesleben, die aber plötzlich unterbrochen wird durch die Aeusserung: „Haften, der mir über die Schulter sieht, fragt mich eben mit Erstaunen, wie es noch möglich sei uns noch immer Sie zu nennen. Ich konnte es ihm auch nicht erklären und sagte am Ende, Sie seien schuld. Lassen Sie uns wirklich die Sache aufgeben, wir werden uns zwar darum nicht brüderlicher" .... und das traute Du tritt denn auch in aller Folge an die Stelle des bis- herigen Sie.

Von Haften hatte Urlaub erhalten. Die nächsten Briefe wiederholen die Einladung an Freiesleben zur Mitreise, und die Tour wird endlich festgestellt: über München, Innsbruck, Hall, Treviso nach Venedig (wo Haften zu Gefallen vierzehn Tage verweilt werden soll), dann über Vicenza, Verona nach Mailand, über den Lago Maggiore nach der Schweiz auf den St.-Gott- hard, Schaffhausen, um den Zusammenhang des tiroler, Italiener und schweizer Alpengebirges zu sehen. „Diese Reise richte ich mehr für Haften ein als für mich; er ist, wie Du weisst, ein Mensch, dem ich Dankbarkeit schuldig bin, ich muss also lieber etwas blos Wissenschaftliches nachholen, um in der ersten Zeit meiner Reise ganz ihm und seiner Freude zu leben. Nun fragt sich's, wo und wann ich Dich finde."

In einem langem Briefe an den Minister von Heinitz, datirt Schwarzenbach am Walde, 29. Mai 1795, berichtet er ausführ- lich über die Resultate seiner amtlichen und wissenschaftlichen Thätigkeit, erinnert an die Nothwendigkeit der Ernennung seines Nachfolgers, und theilt seine nächsten Reiseplane mit alles zwar in Form höflichster Ergebenheit, aber doch in vollem Bewusstsein seiner Unabhängigkeit und seiner unabänderlichen Vorsätze.

Auch in weitere Freundeskreise war übrigens damals der Ruf von Humboldts Leistungen in seiner amtlichen Stellung

16Ö Jagend und erste Mannesjahre.

und von seinen umfassenden Reiseplanen gedrungen. Um diese Zeit, am 15. Juni 1795, schrieb David Veit aus Jena an I^aheH: „Dieser Alexander ist Oberbergrath geworden, hat in Baireuth solche Anstalten mit äusserst geringen Kosten getroffen und mit so schrecklicher Redlichkeit und Verstand, dass die Berg- werke jetzt in einem Jahre so viel als sonst in vierzehn brin- gen, und ein simpler Bergverständiger nun erhalten kann, was er geschaffen hat. Er nimmt durchaus kein Gehalt, darum kann er fort, wird den nächsten Sommer in der Schweiz sein und künftigen Sommer nach Lappland oder Ungarn reisen zum Behufe seiner vorhabenden Entdeckungen.^'

Am 17. Juli 1795 wurde endlich die Reise angetreten. „Ich reise noch heute", schreibt er dem „lieben Bruder und Gevatter" Willdenow, der ihm die Geburt seines Söhnchens angezeigt und als Pathen zur Taufe eingeladen hatte, „ich reise noch heute von hier nach Venedig, durch Tirol, über Vicenza, das euga- neische Gebirge nach Mailand und der Schweiz." Der Brief ist seinem wesentlichen Inhalt nach ein Gratulationsschreiben und zeigt Humboldt auch bei Gelegenheit solcher „menschlichen Dinge". „Ich kann Dir nicht sagen", schreibt er, „mit welcher innigen Theilnahme ich Deine beiden Briefe gelesen habe. Es gibt nun noch einen Menschen in der Welt, den ich so innig liebe, der meinem Herzen so nahe liegt als Du. Wie innig freue ich mich über die Erfüllung Deiner sehnlichsten Wünsche, Wie ganz kann ich mich in Deine Lage und in die freudigen Empfindungen Deiner liebenswürdigen Gattin versetzen. So bist Du denn Vater, sie eine edle, zärtliche Mutter. Und wie kann ich es Euch genugsam danken, dass Ihr den armen Freund in der Unterwelt des rauhen Fichtelgebirges an Eurem Glücke theilnehmen lasst. Und noch dazu ein Junge I ein gesundes, starkes Kind 1 . . . . Im Winter hoffe ich den Knaben in meinen Armen zu halten und Euch zu umarmen."

^ Vam?Mgen, Galerie yon Charakteren aas RahePs Umgang, I, 51.

8. Im Staatsdienst (Schweizer Reise 1795.) 169

rr Bereits den 28. Juli schreibt Humboldt von Triest aus an Freiesleben: „Du weisst, guter lieber Karl, der Zweck meiner Heise ist, den Zusammenhang der tiroler, venetischen (montes euganei), lombardischen und schweizer Alpen zu untersuchen. Danach ist alles eingerichtet. Auch sammle ich Pflanzen, ich bin also teschäftigt genug. Ich habe des Neuen in Tirol nnd hier im venetianischen Gebirge so unendlich viel gesehen, dass ich Dich ganz auf mein Journal ich schreibe sehr gewissenhaft auf und auf mein gedrucktes Buch über Lagerung verweisen

muss '* Dabei werden auch noch Andeutungen zu einer

Heise nach Ungarn und Griechenland g^eben. „Und wie in- teressant ist vollends der Abstand der tiroler Wildniss, wo ich vorgestern noch im Schnee watete, von der italienischen Ebene bei Bolzano und Solmino, wo Feigenbäume im Freien stehen und italische Lüfte wehen 1^^ Mit noch grösserm Entzücken beschreibt er einen langem Aufenthalt in Venedig, von wo er am 9. Aug. weiter ging über Padua, die Euganeen, Yicenza, Verona, Parma, Milano, um am 1. Sept. in der Schweiz anzu- langen und am 20. in der „Krone'' in Schafifhausen Freund Freiesleben zu erwarten.

Von Schafifhausen aus, von wo Herr von Haften, dessen Urlaub abgelaufen war, nach Baireuth zurückkehrte, ging vom 20. Sept bis Anfangs November die Beise in Begleitung Freies- leben's durch den Jura, die schweizer und savoyer Alpen; de Luc, Pictet, Saussure und viele andere Notabilitäten der Wissen- schaft wurden aufgesucht zu gegenseitiger befruchtender An- regung.

„Auf allen diesen Reisen", erzählt Freiesleben*, „waren es hauptsachlich die Lagerungsverhältnisse der Gebirge und die Pflan- zenwelt, die ihn beschäftigten. Aber auch kein anderer Gegenstand, der auf Physik der Erde, Atmosphäre und Naturgeschichte Ein- fluss haben konnte, lag ausser seinem Bereich. Und wenn ich

1 Aas dem frühem Leben Alexander von Homboldt's in „Zeitgenoasen** (in. Reihe, 1, S. 71; Leipzig 1828).

170 I* Jagend und erste Manneqahre.

bedenke, dass wir binnen sieben bis acht Wochen, meist zu Fuss, die Gebirge von Schafifhausen, Zürich und Bern bis über das Chamounithal hinaus, und endlich von Altdorf über den Gotthard bis Airolo besuchten, so freue ich mich noch der guten Benutzung unserer Zeit, welche überhaupt Humboldt meisterhaft versteht. Sein Eifer für die Wissenschaften und seine beispiel- lose Arbeitsamkeit hat ihn von früher Jugend an angetrieben jeden Augenblick nützlich oder lehrreich zu verwenden. Selbst seine nächtUche Ruhe beschränkte sich immer nur auf wenige Stunden."

Auf dem Heimwege ging Humboldt nach Rastatt, wo gerade der Gongress tagte, der alle Aufinerksamkeit auf sich zog, we- niger freilich um die Diplomaten als um den französischen Mineralogen Faujas aufzusuchen. „Gewiss", berichtet der sati- rische Diplomat jener weltordnenden Assembl^e, Hr. von Lang, „gewiss hatte Humboldt in den Stürmen des Meeres nie solchen Schrecken gehabt, wie der Graf Goerz, der preussische Minister pleuipotentiarius an dem Reichsfriedenspacificationsver- handlungstractate, an seiner Tafel ausgestanden, als Hr. von Humboldt, der Geladene, eine ganze Stunde später und dazu erhitzt, in Reisefrack und Stiefeln, von einer Besichtigung der badischen Berge unter die diplomatischen Gottheiten eintrat Doch wussten der Herr Graf dieselben bald au fait zu setzen durch die leise, achselzuckend geflüsterte Entschuldigung: «'s ist ein Gelehrter.»"*

Nach der Heimkehr im November 1795 blieb Humboldt bis zum Frühjahr 1796 wieder auf dem Gebirge, praktisch be- schäftigt in Stehen, Lauenstein, Goldkronach und Arzberg bei Wunsiedel, und unter mancherlei unangenehmen und heitern Störungen (eine der letztem war ein grosser Ball, den er aus Veranlassung der Vermählung des Freundes von Haften im alten Schlosse geben musste) „regneten vom Minister die ver- schiedensten Arbeiten in Hülle und Fülle herab", die ihn mit

* Ritter von Lang, Memoiren, I, 329.

3. Im Staatsdienst. (Neue Werke.) 171

Herrn von Schuckmann sogar auf vierzehn Tage nach Ansbach riefen. Hierzu kamen auch noch beunruhigende Nachrichten von der schmerzhaften, unheilbaren Krankheit der Mutter.

Bei alledem arbeitete er unablässig an zwei weitläufigen, ganz verschiedenen Werken, an einem geognostischen und an einem physiologischen.

Ueber den Inhalt des ersten Werks geben ungedruckte Briefe Aufschluss. „Ich arbeite", schreibt Humboldt an Wer- ner in Freiberg, „ich arbeite ununterbrochen an einem grossen geognostischen Werke, das unter dem Titel «Ueber die Con- struction des Erdkörpers im mittlem Europa, besonders über Schichtung und Lagerung der Gebirgsmassen » erscheinen soll. Ich denke darin im Grossen die Lagerungsverhältnisse vom Leuchtthurm bei Genua bis Warschau und Segeberg (?), und von dem Ardennenwalde und Chalons bis Oi?oco(?) zu schil- dern. Ich werde beweisen, dass das Streichen und Fallen der Gebirge sich nicht auf Richtung und Abfall der Gebirge, sondern auf etwas weit Grösseres bezieht, dass alle umfangUchen Gebirge in der grossen europäischen Gebirgskette, die ich von Savoyen bis Tirol zu Fuss durchstrichen bin, das Hauptstreichen R. 3 4 und Fallen gegen Mittemacht und Abend, alle Flötz- gebirge dasselbe Streichen und Fallen gegen Mittag und Morgen haben. Ich sammle seit drei Jahren Beobachtungen zu diesem Werke, und es ist nicht Trägheit, sondern der Wunsch etwas nicht Schlechtes zu liefern, wenn das Publikum von dem allen noch nichts sah.'^

Auch an den Minister von Heinitz schreibt er Aehnliches am 3. Febr. 1796: „Je suis parvenu ä fixer un Systeme gän^ral sur Tinclinaison des couchcs vers Thorizon et sur la super- Position des couches. C'est un phenom^ne bien surprenant, qui a ^chappe jusqu'ici ä nos physiciens observateurs. Ce sera dans le cours de cet ete, que mon ouvrage sera public et que je me croirais recompensö richement pour tant de courses ä pied, tant de fatigues si cet cssay d*etablir des loix en g^gnosie pouvait m^riter le suflfrage de V. E." ....

172 I* Jagend und erste Manne^ahre.

Das Werk ist indess nie erschienen, doch sind die Vor- arbeiten dazu in dem spätem Werke: „Essai g^ognostique siir le gisement des roches dans les deux h^misph^res" (deutsch von Leonhard: „Versuch über die Lagerung der Gebirgsarten") ver- wendet worden.

Das zweite Werk, an dem er arbeitete, hiess : „Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier- und Pflanzen- welt". Schon 1792, während seines ersten Aufenthalts in Wien, war Humboldt mit Galvani's und Volta's Entdeckungen bekannt geworden ' ; er verfolgte seitdem den Streit der Physiker über die Natur und die Ursachen der animalischen Electricität , machte wiederholte Versuche und Gegenversuche, beschränkte sich aber nicht blos auf das bisherige Lieblingsparadigma der Natur- forscher, den Frosch, sondern experimentirte an seinem eigenen Leibe und zwar mit solcher Aufopferung, dass seine Nerven eine nachhaltige Zerrüttung erlitten. Zahlreiche Briefe, ge- druckte und ungedruckte, an Blumenbach ^, Sömmering, Herz, Reil, Girtaner, Willdenow, Marc Aug. Pictet, van Mons, Fourcroy, Loder u. a., sowie einzelne Abhandlungen in Gren's, Crell's, Millin's u. a. Zeitschriften enthalten fortlaufende Berichte über die von ihm angestellten Beobachtungen und über den Fortschritt seines Werks.

„Ich muss Ihnen", schreibt er im Juni 1795 an Blumen- bach, „hier nur eines Versuchs erwähnen. Ich Hess mir zwei Blasenpflaster auf den Rücken anlegen, den Muse, trapez. und deltoid. bedeckend, jedes von der Grösse eines Laubthalers. Ich selbst lag dabei flach auf den Bauch ausgestreckt Als die Blasen aufgeschnitten waren, . fühlte ich bei der Berührung mit Zink und Silber ein heftiges schmerzhaftes Pochen, ja der

1 Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, Vorrede, S. 3.

^ „Blumenbach^S schreibt Humboldt an Freiesleben, „macht vielleicht Anmerkungen zu dem Buche. Er ist so erpicht darauf, dass er schon vorher Uebersetzungen an Banks nach London geschickt hat."

3. Im Staatsdienst (Reizyersuche.) 173

Muse, cucullar. schwoll mächtig auf, sodass sich seine Zuckungen aufwärts bis ans Hinterhauptbein und die Stachelfortsätze des Büd:enwirbelbeins fortsetzten. Eine Berührung mit Silber gab mir drei bis vier einfache Schläge, die ich deutlich unterschied. Frösche hüpften auf meinem Rücken, wenn ihr Nerv auch gar nicht den Zink unmittelbar berührte, einen halben Zoll von demselben ablag und nur vom Silber getroffen wurde. Meine Wunde diente zum Leiter, und dann empfand ich nichts dabei. Meine rechte Schulter war bisher am meisten gereizt. Sie schmerzte heftig, und die durch Reiz häufiger herbeigelockte lymphatische seröse Feuchtigkeit war roth gefärbt und, wie bei bösartigen Geschwüren, so scharf geworden, dass sie, wohin sie den Rücken herablief, denselben in Striemen entzündete. Das Phänomen war zu auffaUend, um es nicht zu wiederholen. Die Wunde meiner linken Schulter war noch mit ungefärbter Feuchtigkeit gefüllt. Ich liess mich auch dort mit Metallen stärker reizen, und in vier Minuten waren heftiger Schmerz, Entzündung, Röthe und Striemen da. Der Rücken sah, rein abgewaschen, mehrere Stunden wie der eines Gassenläufers aus.^'

Nach der Rückkehr aus Italien und der Schweiz, December 1795, wurden auf Anregung Volta's und Scarpa's, die er in Pavia und am Comcrsee aufgesucht, die altem Versuche wieder- holt und durch neue erweitert.

So berichtet er: „Herr Dr. Schallem experimentirte wol dreiviertel Stunden lang auf meinem Rücken. Kaum ging das nicht wenig schmerzhafte Geschäft, Galvanisiren der Wunde auf meinem Rücken mittels Zink und Silber, an, so quoll die seröse Feuchtigkeit häufiger heraus, sie wurde sichtbar dunkler gefärbt, und in wenigen Secunden entzündete sie in ihrem Laufe den Rücken in blutrothen Striemen. Ich versuchte aus Unvorsichtig- keit die entzündeten Stellen mit kaltem Wasser zu waschen, sie nahmen aber, unter unsem Augen, an Intensität der Farbe und Grösse so gewaltsam zu, dass diese Erscheinung dem Arzte und mir selbst bedenklich wurde und wir den Rücken, ob- gleich ohne grossen Erfolg, mit lauwarmer Milch bestrichen.

174 I- Jugend and erste Mannesjahre.

So war denn das Experiment unwiderruflich an mir selbst bestätigt."

Ebenso wurden auch an mehrem Handwunden und in der Kinnbackenhöble eines ausgezogenen Zabns wiederholte Ver- suche angestellt; der Versuch, es bis zur Abstumpfung der ge- reizten Nerven zu bringen , gelang indess nicht, da der Schmerz allzu sehr zunahm.

Es ist nach Plan und Eintheilung unsers Werks in diesem Abschnitt nicht der Ort, die wissenschaftlichen Arbeiten Hum- boldts eingehend zu besprechen; wohl aber mussten wenigstens einige Thatsachen angeführt werden, die seinen persönlichen Heroismus und seine aufopfernde treue Hingebung im Dienste wissenschaftlicher Forschung bekunden. In diesem Sinne schliesse sich hieran noch ein anderer Beweis, mit welchem Opfermuthe er sich ihrem Dienste geweiht hat.

Die schlagenden Wetter, die schädlichen Gasarten und eine Menge anderer Ursachen machen bekanntlich den Aufenthalt in den Gruben höchst gefahrlich. Verheerender noch als plötzlich tödtende Explosionen sind die langsamen, schleichenden Uebel, wie Asthma, Knochenkrankheiten, Bleichsucht, Drüsenverhärtung, Lähmung, Ausschläge, denen die Bergleute infolge ihrer unter- irdischen Arbeit zur Beute werden. Humboldt hatte zwar einen grossen Genuss, durch neue Entdeckungen die Grenzen unsers Wissens zu erweitem, „aber eine weit menschlichere und grössere Freude daran, etwas zu erfinden, das mit der Erhaltung einer arbeitsamen Menschenklasse in Verbindung steht".

Ausgerüstet mit allem Rüstzeug der damaligen Wissenschaft, machte er „jahrelang mit grosser Aufopferung und Anstrengung" chemische Analysen der einzelnen Grubenwetter, untersuchte ihre besondem Localursachen, und wurde so der Schöpfer einer neuen unterirdischen Meteorologie. Diese Arbeiten leiteten ihn auf die Erfindung einer Bespirations- oder Athmungsmasciüne und vier in Construction und Anwendung verschiedener Lampen.

Die Respirationsmaschine sollte das Einathmen irrespirabler Gasarten verhindern und athembare Luft dem Arbeiter zuführen ;

3. Im Staatsdienst. (Gefährliche Experimente.) 175

die Lampen sollten auch in den bösesten Grubenwettern bren- nen ohne die Gase zu entzünden. Sie waren die Vorläufer von Davis' späterer Erfindung und wurden, wie zum Theil auch die Respirationsmascbine, mehrfach benutzt. Aber die Versuche zur Erprobung dieser Erfindungen waren oft mit grossen Gefahren ver- banden. Wir führen nur einen solchen Versuch an, der am 13. Oct. 1796 in dem bemecker Alaunwerke gemacht wurde. „Die Wetter im Querschlage daselbst", erzählt Humboldt, „waren noch so matt, dass sie jedes Geleuchte, wie Wasser, auslöschten. Kaum brannte die Armlampe als eine der wirksamsten noch darin fort ; dagegen die Ringlampe ebenso hell als in der reinsten Tages- luft fortloderte. Um zu versuchen, ob es nicht möglich sein sollte die Flamme zu verlöschen, kroch ich durch einen Ein- schnitt durch, der in die Blende des verschlagenen Orts gemacht war, um sie nicht immer ganz aufreissen zu dürfen. Ich fuhr allein. Die Wetter waren mit Stickluft und Kohlensäure so überladen, dass ich Papier und Licht auch nicht eine einzige Secunde an meiner Wetterlampe anzünden konnte. Ich gelangte sechs bis acht Lachter über die Gegend hinüber, wo noch Reste des verbrannten Schwefels lagen, und stand schon mitten im faulen Holze, als meine Ringlampe noch immer wie am Tage brannte. Ich setzte sie nieder, um das Brennen in der untersten Schicht zu beobachten ; aber das Gemenge von gekohltem Wasser- stoffgas benahm mir plötzlich alle Besinnung. Ich wurde müde und sank endlich ohnmächtig neben der Lampe hin. Zum Glück soll ich noch kurz vorher den Steiger Bauer gerufen haben. Dieser und Herr Killinger eilten' mir zu Hülfe und zogen mich schnell rücklings bei den Füssen heraus, dass ich bald in der reinem Grubenluft wieder zu mir kam. Ich hatte indess die Freude, beim Erwachen meine Lampe noch brennen zu sehen."

So hatte Humboldt an sich selbst erfahren, wie irrespirabel Gasarten sein können, in denen seine Lampen noch hell fort- brannten. —

Die Krankheit der Frau Majorin von Humboldt rief beide

176 I- Jugend und erste Mannesjahre.

Söhne Mitte Februar des Jahres 1796 nach Berlin. Alexander von Humboldt verlebte hier über sechs Wochen in so schwer- müthiger Stimmung, dass er am 26. März sogar sein Testa- ment beim Stadtgericht niederlegte.^ „Das Schicksal meiner armen Mutter", schreibt er an Freiesleben, „ist schrecklich. Sie leidet fürchterlich am Brustkrebs, und es ist nicht blos keine Rettung, auch nicht einmal Linderung möglich. Ich glaube, dass sie gegen den Herbst stirbt, und werde daher den Sommer ununterbrochen in Baireuth sein."

Am 16. April nach Baireuth zurückgekehrt, fesselte ihn ein Kessel- und Schleimfieber mehrere Wochen ans Bett; und kaum hatte er nach erfolgter Genesung die Arbeiten über die unter- irdischen Gase, die Respirationsmaschine, die Reizversuche (für die der Buchhändler Decker in Berlin 3 Friedrichsdor pro Bogen zahlte*) wieder aufgenommen, als im Juli abermals diplomatische Aufträge in dem neu ausgebrochenen Kriege alle wissenschaft- liche Beschäftigung für längere Zeit unterbrachen.

Der plötzliche Einfall der Franzosen unter Moreau in das Herzogthum Würtembcrg und die Flucht des Herzogs erregten in Preussen die Besorgniss, dass die fürstlich hohenloheschen Länder, in denen Mirabeau 1791 eine Emigrantenlegion errichtet

^ Diese Notiz findet sich in Bd. V der Tagebücher.

* Die „Versuche (iber die gereizte Muskel- und Nervenfaser" er- schienen bei Rottmann, dem Schwiegersohne Decker's. Letzterer war damals auch Besitzer der Rottmaun'schen Yerlagshandlung. Es ist nicht ohne Interesse, hier an einige Schriftstellerhonorare der damaligen Zeit zu erinnern. Geliert erhielt für seine Fabeln 30 Gulden, Lessing für seine „Minna von Barnhelm" gar nichts. Goethe und Merck liessen den „Götz von Berlichingen" auf gemeinsame Kosten drucken und hatten das Papier noch nicht bezahlt, als Goethe's Name schon sehr berühmt war; für die „Stella" bot Mylius in Berlin 20 Thaler, und für eine Ausgabe seiner Schriften in 4 Bänden, die Himburg in Berlin nachgedruckt hatte, bekam Goethe ein Kaffee- und Theeservice von berliner Porcellan. Auch Schiller musste, weil kein Verleger es wagen wollte, für die „Räuber" ein Honorar von 50 Gulden zu zahlen, das Werk auf eigene Kosten herstellen. Dr. Aug. Potthast, Geschichte der Familie von Decker und ihrer Königl. Geh. Ober-Hofbuchdruckerei (z. Z. noch im Druck), S. 293, Anm. 222.

3. Im StaaUdienst (Diploinatifiche Missibn 1796.) 177

hatte, jetzt aus Rache dafftr von dem vordringenden InvasionS'* heere Plünderung und sonstige Unbill erfahren könnten. Man hofEle indess, in Rücksicht auf die freundschaftlichen Verhält'* nisse seit dem Baseler Frieden die bedrohten Länder als preussische Enclaven zu schützen, die Neutralität derselben, sowie der fränkischen Fürstenthümer, zur Geltung zu bringen, uBd Humboldt erhielt unerwartet den Auftrag zu den bezüglichem diplomatischen Verhandlungen. In seiner gewohnten Einfachheit kam er sich hierbei merkwürdig genug vor^, und die we* nigen noch erhaltenen Briefe aus jener Zeit geben köst- liche Schilderungen von Personen imd Zuständen. So schreibt er dem Amtsgenossen in Franken, Freiherm von Schuckmann, aus Idgelfingen, 17. Juli:

„Je suis devenue une personnc tres-importante, et si je finis par avoir le ^audorben du Prince d'Oeringen, qui arrive CD ce moment, je marcherai bientöt sur mes propres ^paules« Helas! on m'a furieusement trompe. Je croyais £tre ici du conseil des sages d'Ansbac, mais non! on veut opposer @ff(^tofi^igIett aux armes des Fran^ais. Jamais je n'ai vu tant de fausses d^marches, tant de bfitises, tänt d'ordres et de contre* ordres k la fois. Cela me donne de nouveau de Tamertume, et il me faudra une gäle tres-decid^e pour m'en d^faire. £tant une personne de tant de cons^quence, il est tres-naturel que j'ai peu de loisir. Ainsi je vous ne detaillerai le fait qu'en 3 mots. A buon intenditore poche parole. Nous avons negocie avec la noble cit^ de Nuremberg, cela nous a ennuy^. Nous avons voulu n^oder avec FOrdre Teutonique; Thomme de bois n'^tait pas ä Mergentheim. Nous avons voulu n^gocier avec lePape d'Eichstaedt; les Papes n'entendent pas raison. Mais il nous fallait absolument nieder. He bien! le p^re ^ternel fait arriver lesFrangais. Voilä nos gens. Notre bonheur est fait. C'est avec eux que nous entrerons en n^gociations. Cette marche est tres-naturelle. On poursuit le

> „Je pars avec 1 bas oüficicr des housars, 2 carabins et 1 trompette pour atteadre ä Ingelfingen le moment de rendre Tisite au g^n^ral Moreao. Les ambassadears chinois feront tomber les mares de Jericho!"

A. T. Hdüboldt. I. 12

178 * L. Jugend und erste Mannesjahre.

gibier jusqu'ä ce qu'on en trouve, et on s'en ferait de cire s'il n^y en avait pas. On veut donc envoyer une personne tres-habüe au G^n^ral Moreau pour faire respecter la neutralitö des prov. de Franconie et du pays de Hohenloh. Cette personne trbS'haMe pourra avoir de Tesprit comme quatre, je crois quMl vaudrait mieux qu'elle eu les bras comme 2d000. Mais voilä de mes pauvres id^es de Bayreuth! Mr. de Hardenberg a voulu en- voyer d'abord le Sr. W., parce que c'est un homme pleln d'^nergie et de caractere. Comme les Frangais aiment beaucoup les tableaux, il aurait mSme pu en präsenter des siens ou (si vous voulez) le portrait de Mad. de H. Mais, sie Dii non voluere. Le Prince Hohenloh a eu la malheureuse idee de parier contre ce Sr. W. et de me proposer. M'y voilä pris. On mande la cbose au Roi, Sans me dire mot. Et le moyen de m'y refuser?" ....

Vierzehn Tage später, am 2. August, schreibt er, ebenfalls aus Ingelfingen, an Freiesleben:

„Ich bin von der französischen Armee zurück im hiesigen Hauptquartier des Fürsten von Hohenlohe. Ich habe so viele Dinge getrieben, welche meiner Natur und Denkart schnur- stracks entgegenlaufen, dass es mir Bedürfniss und Freude zu- gleich ist, an Dich, guter Karl, zu schreiben. Ich bin zwölf Tage lang verhandelnd in Schwaben mit einem Husarencom- tnando umhergezogen. Der glückliche Ausgang dieses Geschäfts, seine Wichtigkeit für die Ruhe so vieler Menschen, welche nun ihren Wohnort nicht zu verlassen brauchen, hat mir manche Empfindung befriedigter Eitelkeit gewährt. Dagegen ist es andererseits ein widriger Anblick, die Deutschen vor den Fran- zosen im Innern des Reichs kriechen, Deutschland über soge- nannte Friedensschlüsse regelmässig schwatzen zu hören, dass einem weh ums Herz wird.

„Ich hoffe in wenigen Wochen mich ganz los zu machen, um nach Berlin zurückzukehren. Die sächsischen Truppen sind von den Franzosen sehr geachtet. Der General Moreau sagte mir oft in seinem Hauptquartier zu Schorndorf: «Les Saxons sont de tris-braves troupes. Ils ne sont pas nos ennemis, ils n^ont

3. Im Staatsdienst (Diplomatische Mission 17%.) 179

aucun tort que celui de suivre la politique imperiale. Nous les l&cberions si Jamals j'en aurais fait prisonniers« J'esp^re que r£lecteur fera bientöt la paix.9 Die Sachsen sind mit Harden- berges Betragen sehr zufrieden gewesen, da er sie mit Brot, Fourrage und Geld verseben hat. Der Durchmarsch und das wenige, was wir haben thun können, hat mich unendlich ge- freut Du weisst, wie sehr ich Dein Vaterland, dem ich so vieles danke, liebe. Ich will indess Deine Geduld, guter Karl, nicht mit Politik ermüden, nur ein paar Beobachtungen muss ich Dir hier mittbeilen.

„Ich habe aufs neue Gelegenheit gehabt, die grosse Bildung des Gefühls und des Ausdrucks zu bewundem, zu der im grossen sich noch kein europäisches Volk ausser den Franzosen erhoben hat. Ich redete mit einer gemeinen Schildwache, die man uns zum Ehrenposten gegeben, über die Grausamkeit der Kaiser- lichen, welche oft Gefangene niedermachten. Ich sagte, «Mais convenez, citoyen, que ccpendant ils sont bons soldats.» «Sol- dats», antwortete der Bursche (er war kaum 20 Jahre alt und starrte vor Dr. . .) «non, citoyen, on ne peut pas fetre soldat, sans ötre homme. Ces gens-la n'ont pas le principe de Fhumanit^» Ist das nicht wie aus einer Tragödie von Racine, und in welches deutschen Soldaten Mund kommt solch ein Ausdruck 1* Eine andere Bemerkung war die, die Menschen haben wirklich etwas Altrepublikanisches. Sie verachten die jetzige Verfassung en detail, aber der allgemeine Begriff Republik wird nie ohne Em<^ phase und sichtbare Erhebung ausgesprochen. Die Rheinarmee freut sich über die Fortschritte des Bonaparte in Italien «par- te que unc r^publique doit suivre un plan vaste». Es geht den Menschen wie Wilhelm Meister, der bei jeder Gauklerbude an Veredlung der Menschheit dachte.

„Der General Desaix gehört zu den merkwürdigsten und liebenswürdigsten Menschen, die ich je sah. Er hat einen Kopf

1 Welche Umkehr des Verhältnisses im Bildongsstande des französi- schen und des deutschen Soldaten, im Humanit&tsgeftlhl der beiden Nationen Oberhaupt hat sich vollzogen, seit Humboldt diese Worte niederschrieb I

12*

180 ^r. Jugend und erste Mftnneijahre.

wie Crom well, aber mehr GutmOithigkeit. Seine Tbaten sprechen für sein militärisches Talent. Dabei hat er etwas Sanftes, Me- lancholisches in seinem Wesen, das bei äusserer Wildheit sehr anzieht Er kennt genau die antiphlogistische Chemie und hatte eine vage Idee von meiner Bettungslampe acomme une invention allemande annonc^e ä Tlnstitut national» wahrscheinlich durch Dolomieu, der vor kurzem ein Memoire von mir, «Exp^rience 8ur Tinfluence du gaz acide mur oxygene sur la fibre animale» im Institut vorgetragen hat. Ich zeigte der Generalität die Zeich- nung meiner neuen Lampe und ihren Nutzen für den Kriegsdienst Diese Sache und Desaix' Neigung zur Chemie knüpften mich an ihn und wurden mir in meinem Geschäft sehr nützlich.

„In Stuttgart sah ich das Exercice de TA^rostal. Der Ge- neral Reynier stieg damit in die Höhe, er bot mir an, mich mitzunehmen, aber leider war es zu spät, und ich konnte die Husaren, die ich mit hatte, nicht warten lassen. Jede Spur von Furcht muss bei der Ansicht versehwinden, und ich werde es zeitlebens beklagen, dass mir dieses Glück entging.^* '

1 General St.-Cyr hatte mit einem solchen Conte'scken Luftballon ((Ballon captif) monatelang den Feind recognoscirt, während Moreau zu :aagen pflegte: „Moi, je pr^f^re Ic chemiii des änes."

Es ist hier auch der Ort, an eine Aeusserung Humboldt^s in seiner Auto- biographie in Brockhaus^ „Conversations- Lexikon" zu erinnern, die als verba magistri prüfungslos nachgeschrieben wird. Humboldt sagt dort: General Desaix, der schon damals, vierzehn Monate vor dem Frieden vom Campo-Formio, mit Bonaparte's ägyptischen Planen bekannt war, habe ihn mehrmals aufgefordert, nicht die Tropenländer des neuen Continents zu besuchen, sondern sich einer französischen Expedition nach dem Orient «nzuschUessen. Das touloner Geschwader ging erst am 30. Flor6al des Ji^hres TL (d. i. 19. Mai 1798) unter Segel. Die Expedition war bekannt- lich ein tiefes Geheinmiss. Selbst General Kleber hatte Toulon verlassen ohne zu wissen, welcher Kampfplatz ihm bestimmt war. Es ist daher schwer zu erklären, wie Desaix schon im Juli 1796 Humboldt zur Theil- nahmcan 3onaparte^s ägyptischer Expedition einladen konnte, und wie et gekommen, dass später, zur- Zeit des Abgangs der Expedition, als aach Hmabeldt in Paris äSch zu einer Reise nach Aegypten vorbereitete, der ^frohen Einladimg von keiner Seite wieder gedacht wurde. Man vergleiche iradiiiocfa weiter unten: Humb(^dl^s Aufenthalt in Paris.

3. Im Siaatadienst. (Neae AaMge:) 1^1

Nach der Heimkehr beschäftigten ihn seit dem Herbst 1796 wieder ganz verschiedene Arbeiten zu gleichisr Zeit, nameiitUeh Untersachungen über unterirdische Meteorologie. Aus Veran* lassung dieser Arbeit hatte er auch Verhandlungen angeknüpft zu internationaler Errichtung eudiometrischer Stationen, eine Idee, die indess in den turbulentep Kriegszeiten keinen Eingang finden konnte. Seitdem er die polarischen Serpentinfelsen bei Gefirees entdeckt hatte, widmete er sich eifrig dem Studium des Erdmagnetismus, indem er gleichzeitig mehrere kleine Abhand- lungen über dieses Thema in verschiedenen Zeitschriften er- scheinen liess. Er wollte damit weitere Untersuchungen anregen und meinte, „es sei doch gut, so eine Bombe unter die Men- schen zu werfen, die sie anreizt zu arbeiten ^S

Inmier mehr trat indess der Entschluss bei ihm in den Vor- dergrund, den Staatsdienst zu verlassen, um dem wachsenden' Verlangen nach grossem Reisen Befriedigung zu gewähren. Schon nahm er sich fest vor, im Mai des nächsten Jahres nach Italien zu gehen, „meine Mutter mag todt oder lebendig sein^^ Der Minister hoffte zwar noch, ihn wenigstens für die spätere Zeit dadurch zu fesseln, dass er ihm die Beibehaltung des bis- herigen Gehalts anbot. Hierüber schreibt aber Humboldt an den Freiherm von Schuckmann:

„In des Ministers Vorschlag wegen Beibehattsng meines Gehalts werde ich nicht willigen können. Ich brfolge sonst gern den Rath der Freunde, fühle, dass ich nicht reich genug bm, um auch eine kleinere Zulage gern zu entbehren, fühle (aus Eitelkeit), dass Fürsten auch für Menschen meines ScUags etwas thun können, aber ich depke mich immer in die individuelle Lage, in der ich stehe, hinein. Je mehr man die sittlichen Handlungen anderer richtet, desto strenger musa man selbst die Gesetze der Sittlichkeit befolgen. Das Verdienst, die Freundsdiaft eines Ministers nicht gemisbraucht zu haben, ist ja das einzige Verdienst, welches ich in diesem Lande zurück- lasse. Dazu sind die Kassen hier sehr arm, denn ich glaubet dass ein Land arm zu nennen ist, in dem Vorsteher angesehene^

l'S2 ^* Jugend und erste Mannesjahre.

Schulen, also die wichtigsten Werkzeuge des Staats, mit 70—90 FL Gehalt und fünf bis sechs Kindern darben. Kr. und H. werden das Geld unter sich theilen. Handeln andere schlecht, so darf ich es darum nicht. Doch was erwähne ich gegen Sie, mein Guter, solche Gründe, Sie, der Sie nur aus Liebe zu mir von Ideen abweichen, in denen wir gewiss ganz uns begegnen."

Inmitten so eifriger Arbeiten, so mannichfacher weitgrei- fender Plane, kam die Nachricht von dem Tode der Mutter, der am 19. Nov. 1796 in Berlin erfolgt war. „Vorbereitet war ich längst darauf. Betroffen hat es mich nicht, aber beruhigt, da sie so wenig litt. Sie war nur einen Tag krank, hatte nur einen Tag heftigere Schmerzen als sonst Sie verschied sanft. Du weisst, mein Guter, dass mein Herz von der Seite nicht ^pfindlich getroffen werden konnte, wir waren uns von jeher fremd; aber wen hätte das unselige endlose Leiden der Ver- schiedenen nicht rühren sollen 1"^ Auch an Willdenow schreibt Humboldt: „Der Tod meiner unglücklichen Mutter ist also end- lich doch auch eingetroffen. Menschlichkeit allein liess ihn heranwünschen."

Die Nachricht mochte auch nach Jena, wo Wilhelm von Hum- boldt damals wohnte, nicht unerwartet gekommen sein, da Schiller l)ereits im Juni an Goethe geschrieben hatte, Humboldts Mutter werde sterben, und das halte ihn wahrscheinlich in Berlin zurück.

Zur ehrenden Charakteristik der Frau Majorin von Hum- holdt sei angeführt: In ihrem Testament hatte sie 500 Thlr. bestimmt, welche unablöslich auf das Gut Falkenberg zur ersten Stelle mit 4 Proc. Zinsen versichert wurden, auf ewige Zeiten zur Unterhaltung des Kirchthurms und ihrer Grabstätte in Fal- kenberg, mit der Massgabe, durch die zu ersparenden Zinsen dies Kapital bis auf 1000 Thlr. zu erhöhen und alsdann dessen Zinsen, nach Abzug der Unterhaltungskosten, wieder zu einem

^ Alexander von Humboldt an Freiesleben, d. d. Baireuth, 25.' Nov. 1796.

8. Im Staatsdienst (Tod dejr_ Mutter.) IgS

Kapital von 500 Tblrn. zu sammeln. Von diesem dritten Ka- pital von ^500 Tblrn. sollten die Zinsea diem Scbulhalter 2U Falkenberg als eine Gebaltszulage zufliesscn, die abermaligen Ersparnisse jener 1000 Tblr. aber überbaupt zur Verbesserung der dortigen Schule, der zweckmässigen Einrichtung des Schul* hauses, Anschafifung nützlicher Schulbücher verwendet, hierüber auch genaue Rechnung geführt werden. Die beständige Aufsicht über diese noch bestehende Stiftung wurde dem Provinzialcon- sistorium übertragen. r

Der Tod der Mutter bildete einen Wendepunkt in dem Leben Humboldts. Er befreite ihn von dem Zwange kindlicher Pflicht, der bis dahin manchen seiner grossen Lebensplane durchkreuz hatte, er löste die Bande, die ihn an die Heimat knüpften, und gab ihm die reichsten Mittel zur Ausführung der lang gehegten, weit ausgesponnenen Bciseplane, zur Befriedigung seiner brennenden Sehnsucht nach den Tropen. Wie fiaco entsagte er dem Staats»- dicnste, um fortan nur der Wissenschaft zu leben. . >

Einer der letzten Briefe, die Humboldt noch in Baireuth schrieb, war an Willdenow vom 20. Dec 1796 gerichtet Er gibt eine gute Uebersicht seiner Thätigkeit in diesem Jahre. '

„Ohnerachtet mich meine iSendung zu dem französischen Ge^ neral und mein Aufenthalt bei der Armee im Juli und August sehr gestört hat, so habe ich doch den Sommer viel zu Stande gebracht. Mein grosses physikalisches Werk über den Muskelreiz und chemischen Process des Lebens ist fast vollendet Es ent- hält an 4000 Versuche und auch viel über Pflanzenphysiologie

Im Winter gebe ich einen Theii chemischer Abhandlungen heraus, die fertig liegen: Versuche über den LichtstrahP und das Stick- gas; Verwandlung der Morcheln in Talg durch Behandlung mit Salpetersäure; ein neu erfundenes Barometer, das sich auf ein neues Princip gründet, und mit dem hier schon sehr glückliche Messungen gemacht sind; Arbeiten über den Phosphor als

> ,Jch halte sie für die feinsten chemischen Versuche, die ich ge- macht.*^ Alexander von Hamboldt an Freiesleben.

184 I^ Jugend and erste Maonesjahre.

>£ndiometer; über zwei neue Qasarten, oxygenirte Kohlensäuife und Azoture de Phosphore oxyd^. .... In Genf wird ein fran- zöaiaches Werk von mir gedruckt, «Lettres physiques ä Mr. Pictet» \ das sind Memoiren, die ich einzeln dem Nationalinstitut geschickt, und die dieses einzeln zum Druck befördert hat. Ueber Respiration der Pflanzen habe ich diesen Sommer viel experimentirt. . . . .

„Du siehst hieraus, mein lieber Willdenow, dass ich zwar weniger schreibselig bin als andere, aber gewiss nicht un- .fleissiger. Mache nur, dass das gute Pathchen schnell heran- wachse, damit ich es nach Indien mitnehmen kann. Meine Beise ist unerschütterlich gewiss. Ich präparire mich noch emige Jahre und sammle Instrumente, ein bis anderthalb Jahr bleibe ich in Italien, um mich mit Vulkanen genau bekannt zu machen, dann geht es über Paris nach England, wo ich leicht ^kuch wieder ein Jahr bleiben könnte (denn ich eile schlechter- dings nicht, um recht präparirt anzukommen), und dann mit englischem Schiffe nach Westindien.

„Erlebe ich das Ende dieser Plane nicht, nun so habe ich wenigstens thätig begonnen und die Lage benutzt, in die mich glückliche Verhältnisse gesetzt haben . . . .'^

' Ist nicht erschienen.

4.

In Jena und Weimar.

Weimar -jenaische Zost&nde. Goethe als KataHbrscher; frOhe A^er* kennong Homboldt's; Widentreben and Ergebung; Hnmboldt aber Goethe; Verschiedenheit und Gleichartigkeit beider. Sehiller's medicinische Stodien; Humboldt Mitarbeiter an den „Hören*'; der rhodische Genius; Sehiller's hartes Urtheil; Kömer's Yermittelung; Sehiller's Idealismus; Homboldt^s Empirismus und Formelwesen; Freundesrath undBekenntniss; Losung. Humboldt und die neue Naturphilosophie. Humboldt und Karl August; dessen Liebe zur Natur. Wiederholte Einkehr in Weimar

und Jena. Ein Gedenkblatt.

Unsere Darstellung hat bereits die Zeit überschritten, in welcher Alexander von Humboldt auch mit den Koryphäen des weimar-jenaischen Kreises in Verkehr getreten war. Wenn wir nunmehr sein Verhältniss zu diesen einer eingehenden Erörterung fär angemessen erachten, so bedarf das wol, Deutschen gegen- über, keiner besondem Rechtfertigung.

Am Hofe zu Weimar hatte ein neues Leben begonnen, seitdem Anna Amalia, früh verwitwet, 1772 Wieland, der kurz vorher seinen „Goldenen Spiegel^ herausgegeben, als Erzieher ihrer beiden Söhne Karl August und Konstantin dahin berief. Mit Wieland kam der erste Stamm des deutschen Musenhains nach Weimar.

Die jungen Fürstensöhne, namentlich Karl August, erwuchsen und erstarkten als reichbegabte kräftige JüngUnge, und Wieland's

186 I* Jugend und erste Mannesjahre.

prophetisches Wort an Jacobi: „Wenn der Himmel unsem jun- gen Fürsten und ein paar gute Freunde, die er hat, leben lässt^ so sollen Sie in sechs Jahren a dato einen kleinen Hof sehen, der verdienen soll, dass man von allen Enden der Welt komme ihn zu seheu,^' ging schnell in Erfüllung. Seit Goethe's Ankunft am Hofe Karl August's, im November 1775, flatterten von den Zinnen Weimars die lustigsten Fahnen. Wer in Kunst oder Wissenschaft erfahren, war am Hofe zu Weimar ein willkom- mener Gast, wer ein Liebling oder Freund der Musen, war hier der freundlichsten Aufnahme gewiss. „Das Bethlehem in Juda wird nicht leer, die Weisen besuchen es", schreibt Herder an Knebel 11. Sept. 1784.

Und wie in Weimar die classische Poesie sich zur höchsten Blute entfaltete , so regten sich gleichzeitig in dem nahen Jena seit dem Anfange der achtziger Jahre kräftige Bestrebungen eines frischen wissenschaftlichen Lebens. Vor allen war es Schiller, der hier, seit 1789 Professor der Geschichte, eine Revo- lution des deutschen Geistes hervorrief.

So standen Weimar und Jena in dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts einzig da. Selbst Berlin hat in seiner spätem, doch so bedeutungs- und einflussreichen Zeit nie jenen Reiz und Aufschwung des frischen rein geistigen Blühens und Wirkens gehabt, als der war, der damals in Weimar und Jena alle Herzen und Geister bewegte. Berlin glich fast zu allen Zeiten mit seinen isolirten grossen Persönlichkeiten einem Polynesien des Geisteslebens. Keine Brücke gesellschaftlichen Verkehrs verband die unfruchtbare Getrenntheit. Ganz anders in Wei- mar. Fürst imd Gelehrte, Dichter und Staatsmann lebten hier ein gemeinsames, sich gegenseitig befruchtendes Dasein. Und diese gegenseitige Befruchtung war keine Treibhauspflanze des fürstUchen Salons, sie rankte fort bis in das Studirzimmer des Gelehrten, das Dachstübchen des sinnenden Dichters, bis in das Boudoir geistreicher, seelenvoller Frauen. Weimar und Jena waren eine geistige Familie. Wenn in Weimar der Flügelschlag der Poesie ermattete, gab Jenas Wissenschaft neue Kräftigung;

4. In Jena and Weimar. (Weimar -jenaische Zost&nde.) 187

und wenn in Jena die Formen der gelehrten Republik beengten, gab zu Weimar Poesie und Kunst dem Geiste freien Auf- schwung.

Wilhelm von Humboldt hatte bereits im Winter des Jahres 1789 in Weimar, wo die beiden Schwestern Charlotte und Ka- roline von Lengefeld weilten und wohin Schiller fast jede Woche von Jena kam, mit diesen edeln Menschen ein Freundschafts- bündniss geschlossen, und seitdem Schiller sich mit Charlotte von Lengefeld (20. Febr. 1790) und Wilhelm von Humboldt mit Karolinc von Dacheröden, der Freundin von beiden Schwestern, (im Juli 1791) vermählt hatte, folgten, nach den W^orten der Frau von Wolzogen, „die heitern Tage des ersten Zusammenlebens jener beiden Paare in Jena."

Den heitern Tagen folgten die glücklichsten Jahre, als Wil- helm von Humboldt, um sich dem Drange nach allseitiger wissenschaftlicher Durchbildung ganz widmen zu können, den kaum angetretenen preussischen Staatsdienst wieder aufgegeben und sich im Frühjahr 1794 nach Jena übersiedelt hatte. Er trat mit seiner ästhetischen Kritik zwischen Schiller und Goethe. Geist entzündete sich am Geiste, „die Dichterseelen strahlten ineinander". Tiefsinnige Speculation ward mit der anmuthigen Hülle edelster Spracbform umkleidet, und täglich wurde neuer Aufschwung zu den höchsten Problemen des Lebens und der Kunst gewonnen.

Durch dieses Verhältniss des Bruders war auch Alexander von Humboldt, damals schon Oberbergmeister, den Freunden desselben nahe getreten. Wie Schiller zn Wilhelm, so fühlte sich Goethe zu Alexander von Humboldt hingezogen.

Es sei uns vergönnt, an einige wenn auch bekannte Mo- mente in Goethe's Entwickelung zu erinnern, die eine solche Hinneigung nothwendig hei*vomifen mussten.

In Goethe lebte schon früh ein tiefes Naturgefühl und ein Forschungstrieb nach Erkenntniss der Natur, ihrer Erscheinungen und ihrer Gesetze. Dieses von Jugend auf in ihm thätigen Triebes erwähnt er wiederholt selbst, so in den Versen:

188 !• Jugend und erste Maone^ahre.

„Freudig war vor vielen Jahren Eifrig 80 der Oeist bestrebt^ Zu erforschen, zu erfahren, Wie Natur im Schaffen lebt"

Bereits in seinen ersten poetischen Ergüssen finden sich Spuren seiner Liebe zur Naturbetrachtung. Während des Aufenthalts in Strasburg 1770 studirte er mit Vorliebe natur- wissenschaftliche Disciplinen. Er hörte Chemie und Anatomie, nahm theil an dem klinischen Unterricht Lobenstdn's am Krankenbette und selbst an einem Cursus über Geburtshfllfe. Gleich nach seinem Eintritt in die weimarischen Verhältnisse fand er als Beamter bei der Praxis der Feld- und Forst- cultur die äussere Veranlassung, die ihn zur Botanik fahrte, während Merck ihn fast gleichzeitig zur Osteologie und verglei- chenden Anatomie leitete. Und seitdem die ilmenauer Berg- werke wieder gangbar gemacht werden sollten, wurde namentlich das Studium der Mineralogie Lieblings- und Modewissenschafib in Weimar. „Alles ^S erzählt Böttiger ^ „mineralogisirte, selbst die Damen des Hofes fanden in den Steinen einen hohen Sinn und legten sich Cabinete an." Goethe selbst legte einen ganz besondem Werth auf seine natui*wissenschaftlichen Studien, „Ich habe", sagt er in spätem Jahren, „einen grossen Theil meines Lebens den Naturwissenschaften gewidmet, zu . denen mich schon früh eine leidenschaftliche Liebe gezogen. Nicht durch blosse Inspiration, sondern durch stille, unermüdete und behanliche Arbeit bin ich zu den Resultaten meiner Forschungen gekommen." In seinem mineralogischen Eifer war ihm „kein Berg zu hoch, kein Schacht zu tief, kein Stollen zu niedrig und keine Höhle labyrinthisch genug . . . ." Böhmen, Karlsbad vor allen, hatte seinen forschenden Geist mächtig angezogen.

„Was ich dort gelebt, genossen, Was mir all dorther entsprossen, Welche Freude, welche Eenntniss, War' ein allzn lang Gest&ndniss/*

^ Literarische Zustände und Zeitgenossen, I, 22.

4. In Jena und Weimar. (Goethe als Natdrfoncher.) 189

Und wie die Pflanzen-, Thier- und ßteinwelt interessirten ihn auch Luft und Wolken, Licht und Farbe.

60 hatten den Dichterfürsten, nach Alexander von Hum- boldf s Worten \ „die grossen Schöpfungen dichterischer Phan- tasie nicht abgehalten, den Forscherblick in alle Tiefen des Naturlebens zu tauchen^'.

Bereits 1786 hatte Goethe über das Zwischenkieferbein, 1790 die „Metamorphose der Pflanzen^', und 1791 und 1792 die ersten Beiträge zur Optik geschrieben, die Vorläufer der spä- tem „Farbenlehre^'.

Um diese Zeit etwa kam Alexander von Humboldt in seine Nähe. Goethe, erzählt Steffens ^ der jüngere Dichter meist abhold von sich fem hielt, zog gern jüngere Naturforscher zu sich heran. Seine Neigung zu naturhistorischen Studien war denn auch die geistige Wahlverwandtschaft, die starke Attrae- tionskraft, die ihn unwiderstehlich zu Alexander von Humboldt hinzog, an dessen Versuchen über den galvanischen Reiz auf die Muskel- und Nervenfaser er sich lebhaft betheiligte.* Nadi Eckermann, hat er es ausdrücklich als von der grössten Wichtigkeit für sich anerkannt, dass die Brüder von Humboldt in jugendlichstem, frischestem Streben unter seinen Augen auf- zutreten begannen, als er selbst bereits an der Welt müde zu werden anfing. „Was ich Fichte, Schelling, Hegel, den Gebrfi- dem Humboldt und Schlegel schuldig gewordenes sagt er, „möchte künftig dankbar zu entwickeln sein, wenn es mir ver- gönnt wäre, jene fttr mich so bedeutende Epoche, das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts, von meinem Stand- punkte aus, wo nicht darzustellen, doch anzudeuten, zu ent- werfen."

^ Rede bei der Eröffiiang der Versammiimg der Naturforscher und Aerzte in Berlin 1828.

« Steffens, Was ich erlebte, IV, 101.

* A, von Humboldt, Versuche über die gereizte Muskel- und Nerven- teer, I, 76. 77.

190 I* Jugend und erste Manne^ahre.

In den wenigen zerstreuten Andeutungen, die Goethe über die beiden Humboldt gegeben, spricht er in der That mehr von naturwissenschaftlichen Arbeiten, von anatomischen und gal- vanischen Untersuchungen und seiner theilnehmenden Thätigkeit an denselben als von irgendwelchen andern Studien. So ver- merkt er in den „Tages- und Jahresheften" im Jahre 1794:

„Alexander von Humboldt, längst erwartet, von Baireuth an- kommend, nöthigte uns ins Allgemeinere der Naturwissenschaft. Sein älterer Bruder, gleichfalls in Jena gegenwärtig, ein klares Interesse nach allen Seiten hin richtend, theilte Streben, Forschen und Unterricht. Zu bemerken ist, dass Hofrath Loder eben die Bänderlehre las, den höchst wichtigen Theil der Anatomie; denn was vermittelt wol mehr Muskeln und Knochen als die Bänder? Und doch ward durch eine besondere Verrücktheit der medici- nischen Jugend gerade dieserTheil vernachlässigt. Wir Genannten, mit Freund Meyer, wandelten des Morgens im tiefsten Schnee, um in einem fast leeren anatomischen Auditorium diese wichtige Verknüpfung aufs Deutlichste nach den genauesten Präparaten vorgetragen zu sehen."

Und 1795 fügt er hinzu:

„Ganz abgelenkt (von der bildenden Kunst) und zur Na- turbetrachtung zurückgeführt ward ich, als gegen das Ende des Jahres die beiden Gebrüder von Humboldt in Jena erschienen. Sie nahmen beiderseits in diesem Augenblick an Naturwissen- schaften grossen Antheil, und ich konnte mich nicht enthalten, meine Ideen über vergleichende Anatomie und deren metho- dische Behandlung im Gespräch mitzutheilen. Da man meine Darstellungen zusammenhängend und ziemlich vollständig er- achtete, ward ich dringend aufgefordert, sie zu Papier zu brin- gen, welches ich auch sogleich befolgte, indem ich an Max Jacobi das Grundschema einer vergleichenden Knochenlehre, gegenwärtig wie es mir war, dictirte, den Freunden Genüge that, und mir selbst einen Anhaltepunkt gewann, woran ich meine weitem Betrachtungen knüpfen konnte. Alexander

4. In Jena und Weimar. (Goethe über Humboldt.) 191

YOD Humboldts Einwirkungen verlangen besonders behandelt zu werden. Seine Gegenwart in Jena fordert die vergleichende Anatomie; er und sein älterer Bruder bewegen mich, das vor- handene allgemeine Schema zu dictiren. Bei seinem Aufenthalt in Baireuth ist mein briefliches Verhältniss zu ihm sehr inter- essant^ — Leider ist von diesen Briefen noch nichts bekannt geworden.

Fast mit denselben Worten gedenkt Goethe auch in den Nachträgen zur „Osteologie'^ der damaUgen Zuspräche beider Brüder: „So benutzte ich viele Zeit, bis im Jahre 1795 die Gebrüder von Humboldt, die mir schon oft als Dioskuren auf meinem Lebenswege geleuchtet, einen langem Aufenthalt in Jena beliebten. Ich trug die Angelegenheiten meines Typus so oft und zudringlich vor, dass man, beinahe ungeduldig, zuletzt verlangte, ich solle das in Schriften verfassen, was mir im Geiste, Sinn und Gedächtniss so lebendig vorschwebte.'^

Noch einmal kommt Goethe auf beide Humboldt zurück, als er im Jahre 1797 das reiche Leben hervorhebt, das damals in Jena vereint war : „Die Gebrüder von Humboldt waren gegen- wärtig, und alles der Natur Angehörige kam philosophisch und wissenschaftlich zur Sprache. Mein osteologischer Typus von 1795 gab nun Veranlassung, die öffentliche Sammlung sowie meine eigene rationeller zu betrachten und zu benutzen. Ich schematisirte die Metamorphose der Insekten, die ich seit meh- rem Jahren nicht aus den Augen liess. Die Krause'schen Zeichnungen der Harzfelsen geben Anlass zu geologischen Be- trachtungen. Galvanische Versuche werden durch Humboldt angestellt."

In einem Briefe an Schiller schreibt Goethe (26. April 1797) nach einem Besuche Alexander von Humboldts in Weimar: „Mit Humboldt habe ich die Zeit sehr angenehm und nützlich zugebracht; meine naturhistorischen Arbeiten sind durch seine Gegenwart aus ihrem Winterschlafe geweckt worden."

So sehen wir schon damals Alexander von Humboldts Be- deutsamkeit von Goethe in hohem Grade gewürdigt, und diese

192 L Jugend und erste Maimmahre.

Würdigong steigerte sich fort und fort bis in die letzten Tage seines Lebens.

Nur dem spätem Vulkanisten Humboldt war der Neptunist Goethe gram gewesen. Gleichsam als Beleg, dass es auch dem universalsten Geiste nicht vergönnt sei alles zu umfassen, wurde Goethe durch die grossen Wahrnehmungen in der Geologie, durch den Vulkanismus der neuem Wissenschaft nicht von seiner veralteten Theorie abgebracht. Höchstens gestattete er ihm Gel- tung in Aeussemngen Mephisto's. Dass aber die beiden Xehien

161. Schöpfung durch Feuer.

Arme basaltische S&ulen! Ihr solltet dem Feuer gehören, und doch sah euch kein Mensch je aus dem Feuer entstehn

163. Kurze Freude.

Endlich zog man sie wieder ins alte Wasser herunter, und es löscht sich nun bald dieser entzündete Streit

sich auf Alexander von Humboldt beziehen, wie Boas und Saupe nach altern Vorgängem annehmen, muss auf das Bestimmteste bestritten werden. Humboldt war damals noch entschieden Neptunist, wie in seinen „Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rheines Erst auf amerikanischem Boden ist er Vulkanist geworden.

Goethe's ganze Natur war auch so organisirt, dass er an Werner's neptunistischer Ansicht festhalten musste, nach der alles sich in langen Intervallen urweltlicher Katastrophen ruhig aus der „Lebensfeuchte^^ gebildet. Er sagt : „Die Consequenz der übereinander geschichteten Massen zu studiren, verwandte ich mehrere Jahre meines Lebens. Diesen Ansichten war die Wemer'sche Lehre günstig und ich hielt mich zu derselben, wenn ich schon recht gut zu fühlen glaubte, dass sie manche Probleme unaufgelöst liegen liess."

Im zweiten Theile des „Faust", in der Controverse zwischen Thaies und Anaxagoras, hebt Goethe das uralte Schisma zwi- schen Neptunisten und Vulkanisten hervor, symbolisirt damit die

4. In Jena und Weimar. (Goethe und Humboldt.) 193

wissenschaftliche Bewegung seiner eigenen Zeit, und gibt na- mentlich in dem Gespräche zwischen Faust und Mepliisto zu Anfang des vierten Actes deutlich zu erkennen, welche von beiden Naturansichten seiner Individualität am meisten zusage. Die Natur,

v^i6 bildet regelnd jegliche Gestalt Und selbst im Grossen ist es nicht Gewalt. Als die Natur sich in sich selbst gegründet, Da hat sie rein den Erdball abgerundet, Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht, Die Hügel dann bequem hinabgebildet, Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet: Da grünt^s und wächst's, und um sich zu erfreuen Bedarf sie nicht der tollen Strudeleien/*

Goethe war kein Freund von tollen Strudeleien, wie er auch in seinem eigenen Lebenskreise alles fem hielt, was ihn aus seinem ruhigen Gleichgewicht hätte bringen können. Fast unheimlich erschien ihm das dämonische Aufsteigen der plu- tonischen Mächte aus der Tiefe, wodurch im Grunde alles Ge- birge nichts ist als eine ungeheuere Schädelstätte untergegangener Schöpfungen :

„B&ß&lt} der schwarze Teufelsmoor, Aus tiefster Hölle bricht hervor, Zerspaltet Fels, Gestein und Erden, Omega muss zum Alpha werden: Und so war* denn die liebe Welt Geognostisch auf den Kopf gestellt!"

Noch diabolischer spottet Mephisto der vulkanischen He* bungstheorie :

mAIs Gott der Herr ich weiss auch wohl warum Uns aus der Luft in tiefste Tiefen bannte. Da wo centralisch glühend, um und um, fan ewig Feuer flammend sich durchbrannte, Wir fanden uns bei aUzu grosser Hellung In sehr gedrängter, unbequemer SteUung.

. T. HCMBOLDT. I. 13

194 I. Jv^mä «nd erHa Manne^ahre.

Die Teufel fingen s&mmtlich an zu husten.

Von oben und von unten auszupusten;

Die Hölle schwoll von Schwefelstank und S&ure:

Das gab ein Gas! das ging ins Ungeheure,

Sodass gar bald der Länder flache Kruste,

So dick sie war, zerkrachend bersten musste.

Nun haben wir's an einem andern Zipfel:

Was ehmals Grund war, ist nun Gipfel.

Sie gründen auch hierauf die rechten Lehren,

Das Unterste ins Oberste zu kehren/*

Humboldt hatte die Beziehung dieser Verse auf sich wohl verstanden, und Hm. von Kobell, dem Dichter der „Urzeit", für seine Vorliebe für die Erhebungstheorie noch in einem späten Briefe vom 24. Jan. 1857 besonders gedankt, weil er „in dem zweiten, heiter endenden Gesänge seines Gedichts „Die Urzeit ^^ ein wenig Rache geübt hat wegen der schlechten Behandlung, die er (Humboldt) im zweiten Theile des Faust erfahren habe".

Goethe's Widerwillen gegen die moderne Hebnngstheorie des Vulkanismus macht ihn selbst zu einem Vulkan, der Feuer und Flamme speit. „Die Sache mag sein wie sie will, so muss geschrieben stehen, dass ich diese vermaledeite Polter- kammer der neuen Weltschöpfung verfluche! „Gute, tüchtige, kühne Köpfe putzen durch Wahrscheinlichkeit sich eine solche Meinung heraus; sie machen sich Anhänger und Schüler, eine solche Masse gewinnt eine literarische Gewalt, man stei- gert die Meinung, übertreibt sie, und führt sie mit einer ge- wissen leidenschaftlichen Bewegung durch Das heisst man

alsdann: allgemeine Uebereinstimmung der Forscher." Un- zweifelhaft ist auch Alexander von Humboldt zu diesen „guten, tüchtigen, kühnen Köpfen" gezählt.

Und als vollends nach Wemer's Tode (1817) nicht blos eine jüngere Generation, sondern auch die altem Anhänger der freiberger neptunistischen Schule sich der modernen vulkanischen Ansicht zuwandten, da wurde sein „Abscheu vor gewaltsamen Erklärungen, die man mit reichlichen Erdbeben, Vulkanen,

4. In Jena and VtioMur. (€k>et]i« ind Humboldt.) 195

Wasserfluten uud andern titanischen Ereignissen geltaid zu machen suchte, Temiehrt/* Er ist von der neuen wissenschaft- lichen Revolution schmerzlich ergriffen.

„Wie man die Könige verletzt, Wird der Granit auch abgesetzt; Und Gneis, der Sohn, ist nun Papa! Auch dessen Untergang ist nah; Denn Pluto's Gabel drohet schon Dem Urgrund Revolution."

Und so sprach er endlich mit stolzer Resignation das wider* strebende Gefühl eines alten Mannes ans, der sein ganzes wohl» geordnetes Fachwerk gewohnter Vorstdiungen von der jtLngem Generation auf den Kopf gestellt sieht:

,,Kaum wendet der edle Werner den RQcken, Zerstört man das poseidaonische Reich. Wenn aUe sich vor Hepbästos backen. Ich kann es nicht sogleich. Ich weiss nur in der Folge zu schätzen; Schon hab^ ich manches Credo verpasst. Mir sind sie alle gleich verhasst, Neue Götter und Götzen.*'

Ohne Zweifel niuss auch Alexander von Humboldt zu diesen Göttern gezählt werden, denn er und Leopold von Buch waren die titanischen Zerstörer des poseidaonischen Reichs. Goethe, berichtet auch Kanzler von Müller ^ kritisirte bitter die letzte Humboldt'sche Vorlesung über Vulkane (1824). „Dieser Freund", sagte er, „hat eigentlich nie höhere Methode gehabt, blos viel gesunden Verstand, viel Eifer und Beharrlichkeit Im Aesthe- tischen mag jeder noch allenfalls glauben und fühlen wie er will, aber in den Naturwissenschaften ist das Falsche und Ab- surde rein unerträglich." So grollte er auch später (1828) •: „Wenn Alexander von Humboldt und die andern Plutonisten

* Burckhardt, Goethe's Unterhaltungen mit dem Kanzler von MoUer (Stuttgart 1870), S. 56.

A. a. 0., S. 124.

13*

196 I* Jagend und erste Manne^ahre.

mir's zu toll machen, werde ich sie schändlich blamiren; schon zimmere ich Xenien genug im stillen gegen sie; die Nachwelt soll wissen, dass doch wenigstens ein gescheiter Mann in un- serm Zeitalter gelebt hat, der jene Absurditäten durchschaute.'^

Die Zeit milderte indess seinen Eifer. So schrieb er am 8. Juü 1829 an Yamhagen>: „Die Wissenschaften (Geologie, Geographie, Oryktognosie) , mit denen wir uns beschäftigen, rücken unverhältnissmässig vor, manchmal gründlich, oft über- eilt und modisch. Da dürfen wir denn nicht unmittelbar nach- rücken, weil wir keine Zeit mehr haben, auf irgendeine Weise leichtsinnig in die Irre zu gehen.^' Noch milder schreibt er an Carus*: „Wenn ich das neue Fortschreiten der Naturwissen- schaften betrachte, so komme ich mir vor wie ein Wanderer, der bei der Morgendämmerung gegen Osten ging, das heran- wachsende Licht mit Freuden anschaute und die Erscheinung des grossen Feuerballs mit Sehnsucht erwartete, aber auch bei dem Hervortreten desselben die Augen wegwenden mussite, welche den gewünschten, gehoflften Glanz nicht ertragen konnten."

Endlich beugte sich der Dichterheros, trotz aller stolzen Worte, doch vor dem Naturforscher. Am tiefen Spätabend seines Lebens, am 5. Oct. 1831, schreibt er an Zelter':

„Ich habe die zwei Bände aFragmens de Geologie et de Cli- matologie Asiatiques, par Alexandre de Humboldt » erhalten und durchgesehen; dabei habe ich eine wundersame Bemerkung ge- macht, die ich mittheilen will. Das ausserordentliche Talent dieses ausserordentlichen Mannes äussert sich in seinem mündlichen Vortrage, und, genau besehen, jeder mündliche Vortrag will überreden und den Zuhörer glauben machen, er überzeuge ihn. Wenige Menschen sind fähig, überzeugt zu werden; überreden lassen sich die meisten, und so sind die Abhandlungen, die uns hier vorgelegt werden, wahrhafte Reden, mit grosser Facilität

* Paulus, Geisterrevue, S. 390.

^ Carus, Goethe zu dessen näherm Verständnisse (1843), S. 34.

* Briefwechsel zwischen Goethe and Zelter, YI, 308.

4. In Jena und Weimar. (Goethe und Humboldt) 197

vorgetragen, sodass man sich zuletzt einbilden möchte, man begreife das Unmögliche. Dass sich die Himalayagebirge auf 25000 Fuss ans dem Boden gehoben, und doch so starr und stolz als wäre nichts geschehen in den Himmel ragen, steht ausser den Grenzen meines Kopfes, in den düstern Begionea wo die Transsubstantiation haust, und mein Cerebraisystem müsste ganz umorganisirt werden was doch schade w&re wenn sich Räume für diese Wunder finden sollten.

„Nun aber gibt es doch Geister, die zu solchen Glaubens« artikeln Fächer haben, neben sonst ganz vemanftigen Locula- menten ; ich begreife es nicht, vernehme es aber doch alle Tage. Muss man denn aber alles begreifen? Ich wiederhole: unser Welteroberer ist vielleicht der grösste Redekünstler. Da seinem Ungeheuern Gedächtniss alle Facta gegenwärtig sind, so weiss er sie mit der grössten Geschicklichkeit und Kühnheit zu brau- chen und zu nützen. Wer aber von Metier ist, sieht ziemlich klar, wo das Schwache sich am Starken hinanrankt, und das Starke gar nicht übel nimmt, sich etwas bekleidet, verziert und gemildert zu sehen.

„Und so ist es denn von grosser Wirkung, dass em solches Paradoxon mit Kunst und Energie vorgetragen; deswegen auch schon viele unserer wackersten Naturforscher sich einbilden^ üe könnten das Unmögliche denken. Dagegen erscheine ich ihnen als der hartnäckigste Häresiarch, worin uns Gott gnädig- lieh erhalten und bestätigen wolle. Selal^'

Mit noch mehr Anerkennung schrieb Goethe an Wilhelm von Humboldt am 1. Dec. 1831^:

„Ihrem Herrn Bruder, für den ich keinen Beinamen finde, bin ich für einige Stunden ofiener, freundlicher Unterhaltung höchlichst dankbar geworden. Denn obgleich seine Ansicht, die geologischen Gegenstände aufzunehmen und danach zu operirenv meinem Cerebraisystem ganz unmöglich wird, so habe ich mit

' ScMesier, Leben Wilhelm von Hnmboldt's.

198 ^ Jugend imd erste Maane^^^hre.

wahrem Antheil und Bewunderung gesehen, wie dasjenige, wovon ich mich nicht überzeugen kann, bei ihm folgerecht zusammen* hängt und mit der Ungeheuern Menge seiner EemitniBse ineins greift, wo es dann durch seinen unschätzbaren Charakter zu* sammengehalten wird/^

Auch aus frühem Zeiten finden sich noch ähnlidie Aeiisse* rungen bewundernder Anerkennung. In den ^Wahlverwandt- fichaften"* schreibt Ottiiie in ihr Tagebuch: „Nur der Natur* forscher ist verehrungswerth, der uns das Fremdeste, Seltsamste Biit seiner Localität, mit aller Nachbarschaft, jedesmal in dem «eigensten Elemente zu schildern und darzustellen weiss. Wie gern möchte ich nur einmal Humboldt erzählen hören.'^ in den „Maximen und Reflexionen^^ heisst es: „Die ausserordent* lieben Männer des 16. und 17. Jahrhunderts waren selbst Aka- demien, wie Humboldt zu unsem Zeiten.'' In dem „Brief- wechsel mit Knebel '^ * wird Humboldt „ein reiches cornu copiafe, das seine Gaben mit Liberalität mittheilt,'' genannt.

Eckermann erzählt', er habe Goethe in einer sehr hei- tern, aufgeregten Stimmung gefunden, derselbe sei ihm freudig mit den Worten entgegengetreten:

„Alexander von Humboldt ist diesen Morgen einige Stunden bei mir gewesen: was ist das für ein Mann! Ich kenne ihn so lange, und doch bin ich von neuem über ihn in Erstaunen. Man kann sagen^ er hat an Kenntnissen und lebendigem Wissen nicht seinesgleichen. Und eine Vielseitigkeit, wie sie mir gleichfalls noch nicht vorgekommen ist! Wohin man rührt, er ist überall zu Hause und tiberschüttet uns mit geistigen Schätzen. Er gleicht einem Brunnen mit vielen Röhren, wo man überall nur Gefasse unterzuhalten braucht und wo es uns immer er- quicklich und unerschöpflich entgegenströmt Er wird einige Tage hier bleiben, und ich fühle schon, es wird mir sein als hätte ich Jahre verlebt"

» n, c. 7. I, 243.

> Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens : Montag 26. Dec. 1826.

4. In Jena und Weimar. (Qoethe und Oimboldt.) 199

Aufiallend und unerklärlich ist es wenn nicht die Er- klärung in dem noch zu Weimar verwahrten Nachlass des Dichters zu finden wäre dass Goethe keiner einzigen Verhandlung über seine eigenen botanischen und optischen Arbeiten mit Humboldt erwähnt, obwol er, wie schon bemerkt, bereits im Anfange der neunziger Jahre sich eifrig mit diesen Studien beschäftigt hatte.

Dass Humboldt aber seinerseits Goethe als Botaniker hochge- schätzt, sehen wir daraus, dass er ihm den zuerst erschiBnenen Theil seines amerikanischen Reisewerks, die Jdeen zu einer Geo- graphie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde derTropenlindei^, mit einem sinnvollen, von Thorwaldsen gezeichneten Widmungs- blatte der Genius der Poesie, ein lorberbekränzter ApoU, Ittftet den Schleier der Isis, zu deren Füssen ein Buch liegt mit der Aufschrift: „Metamorphose der Pflanzen^' zugeeignet bat, durch welches angedeutet werden sollte, dass es auch dem Dichter gelingen könne den Schleier der Natur zu heben. Goethe^ fand sich hochgeehrt „durch dieses ihm auf so bedeu- tende Weise gewidmete gehaltvolle Werk^' und bemerkt dazu: ^Aus frühester und immer erneuerter Freundschaft für den edeln Verfasser, und durch diesen neuesten so schmeichelhaften Anklang aufgerufen'', sei er mit solchem Eifer an das Studium des Werks geeilt, dass er, da die zugehörige bildliche Dar^ Stellung noch nicht vollendet war, selbst ein dem Texte ent- sprechendes „landschaftliches Bild'' zeichnete und diese Arbeit, „eine symbolische Landschaft", dem Freunde widmete, dem er sie, wie er sagte, schuldig geworden war.*

Als Humboldt Goethe die „Idee zur Physiognomik der Ge- wächse^' am 6. Juni 1816 zusandte, zu einer Zeit wo Goethe durch den Tod seiner Gattin betrübt war, antwortete dieser am 12. Juni mit folgenden Versen:

* Jahres- und Tageshefte.

* Dieses Blatt erschien zuerst 1813 mit einigen Seiten Text im 41. Bande der „Geographischen Ephemeriden^S später in einer Separat- ausgabe in Folio und ist auch in Paris nachgestochen worden, während das Blatt von Thorwaldsen sehr selten ist.

200 I* Jagend und erste Mannesjalure.

„An Trauertagen Gelangte zu mir Dein herrlich Heft, Es schien zu sagen: Ermanne dich zu fröhlichem Geschäft; Die Welt in allen Zonen grünt und blüht Nach ewigen beweglichen Gesetzen: Das wusstest du ja sonst zu schätzen. Erheitre so durch mich dein schwer bedrängt Gemüthl*'

Humboldt hat iodess in Goethe nicht blos den Botanikor, sondern auch den Optiker, den Osteologen anerkannt Er hat dessen Naturschilderungen neben denen Forster's, Buffon's, Ber- nardin de St.-Pierre's als von unnachahmlicher Wahrheit be- zeichnet und sehr oft seine naturwissenschaftlichen Aphorismen angeführt. Endlich gipfelt seine Anerkennung in den herrlichen Schlusswoiten der Abhandlung über dichterische Naturbeschrei- bung im „Kosmos" * : „Wo ist das südlichere Volk, welches uns nicht den grossen Meister der Dichtung beneiden sollte, dessen Werke alle ein tiefes Gefühl der Natur durchdringt: in den f Leiden des jungen Werther» wie in den Erinnerungen ans Italien, in der aMetamorphose der Gewächse» wie in seinen vermischten Gedichten? Wer hat beredter seine Zeitgenossen angeregt, « des Weltalls heilige Räthsel zu lösen», das Bündniss zu erneuern, welches im Jugendalter der Menschheit Philosophie, Physik und Dichtung mit Einem Bande umschlang? Wer hat mächtiger hingezogen in das ihm geistig heimische Land, wo

«Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte stiU und hoch der liOrber steht»?"

Und doch waren beide Männer, die einander so hohe An- erkennung zollten, in dem innersten Wesen ihrer Liebe zur Natur diametral vei-schieden. In Goethe lebte vor allem ein angeborenes liebevolles Gefühl für die Natur und ihre Erschei- nungen, ein subjcctives Verständniss, ein empfangliches Gemüth für die Eindrücke des Waltens der Naturkräfte, während er.

> Kosmos, II, 75.

4. In Jena nnd Weimar. (Schiller nnd Humboldt) 201

Fdnd aller objectiven exacten Forschung, der „physiko -mathe- matischen Gilde'* recht herzlich gram war. Erst später machte sich der Drang zur Forschung, zur wissenschaftlichen Erkenntniss geltend, und er hat dann durch einzelne Entdeckungen, wie durch klare Entwickelung allgemeiner Gesichtspunkte und Methoden, Bedeutendes geleistet. Er fand endlich in der Natur die Wechsel* Wirkung von Gesetz und Thatsache, welche ihn befähigte vom Einzehien zum Typischen aufzusteigen, im Besondem das Allge- meine, im Kleinen das Grosse, im Theile das Ganze anzuschauen.

Dem gerade entgegen trat in Humboldt schon frOh und vor allem vorherrschend der Drang nach objectiver, wissenschaftlicher Erkenntniss hervor. Er war der scrupulöseste Empiriker, der nur Thatsachen beobachtete und zusammenstellte, der sich we- der auf gewagte Hypothesen noch sonst auf Dinge einliess, die ausserhalb der Erfahrung lagen. Er war, nach Schiller's hartem Wort, „der nackte schneidende Verstand, der die Natur schamlos ausgemessen haben wilP', „ohne Einbildungskraft, ohne süsse Wehmuth, ohne sentimentales Interesse.^' Dass er aber den- noch, bei aller nüchternen Beobachtung, sich auch zu hoher dichterischer Darstellung emporschwingen konnte, das hat er be- wiesen in den „Ansichten der Natur^S in manchen Schilderungen seines amerikanischen Reiseberichts, in einzelnen Abschnitten des Kosmos''.

Gemeinsam war Goethe und ihm das Heimischsein in allen Gebieten der Naturforschung, die Universalität des Wissens und vor allem die Erkenntniss von der Einheit in der Natur als einem kosmischen Ganzen.

Mit Schiller musste Alexander von Humboldt schon wegen der frühem medicinischen Studien desselben mancheriei Berüh- rungspunkte haben. Allerdings ist von dem, was Schiller als praktischer Arzt geleistet hat, wenig bekannt, und das we- nige nicht allzu ruhmvoll. Seine ärztlichen Functionen haben sich mehr durch Kühnheit als durch Glück ausgezeichnet Aber wenn auch Schiller als praktischer Arzt weder Glück noch

202 L Jugend und erste Manne^hre.

Befriedigung für seine individuelle Neigung fand, so hatte er sich doch bei seinen fnihem medicinisdien Studien den achwie- rigsten Problemen dieser Disdplin mit Vorliebe sigewandt ,,Ueber die Philosophie der Physiologie" war das selbstgew&htte Thema einer Arbeit des achtzehi^jährigen Jünglings, ^Ueber den Zusammenhang der thierischen Natur des Menadien mit seiner geistigen" der Inhalt seiner medidnischen Dissertations* Schrift, die er 1780 in öffentlichem Redeacte vertheidigte. Aach noch in spätem Jahren bewahrte er ein theilnahmvoUes Interes« für naturhistorische und physikalische Studien ; so freute er sich in der Hoffnung, mit dem Chemiker Professor Qöttling in Jena zusammen ein Haus zu bewohnen und an dessen chemiachei Operationen theilnehmen zu können.

Diese Neigung musste in dem persönlichen Verkehr mit Alexander von Humboldt erneute und erhöhte Anregung fiaduL Humboldt war zu öftem malen auf mehrere Tage im Schi- ler'schen Hause eingekehrt Schiller ^^, erzählt er in der Vorrede zu den „Ansichten der Natur ^S „unterhielt sidi, in jugendlicher Erinnerung an seine medicinischen Studien, wih« rend meines langen Aufenthalts in Jena gern mit mir über physiologische Gegenstände. Meine Arbeit über die Stimmang der gereizten Muskel- und Nervenfaser durch Berührung sdt chemisch verschiedenen Stoffen gab oft unsern Gesprächen eile ernstere Richtung."

Auch Freiesleben erinnerte sich noch sehr lehrreicher Abende im Schiller'schen Hause, wo die beiden Humboldt und Goethe sich mit grossem Interesse über Anatomie und ihre zoologisdien Präparate unterhielten.

So war denn auch Alexander von Humboldt einer der ersten, und zwar der einzige Naturforscher, den Schiller zur Mitwirkung an seiner neuen Zeitschrift „Die Hören'' dnlud. Ein günstiges Geschick hat uns die Antwort Humboldts auf diese Einladung SchiUer's erhalten. Sie kam aus dem kriegerischen Fddlager des Generals von MöUendorf und ist datirt:

4. In Jena und Weimar. (Schiller und Humboldt.) 203

„Ganton Quartier Flörsheim, den 6. Aug. 1794.

„Wie soll ich mich bei Ihnen entschuldigen, verehrungs- werther Freund, über die Verzögerung meiner Antwort! Wenn ich seit langer Zeit meine Eitelkeit, und doch eine Eitelkeit edler Art, lebhaft geschmeichelt fand, so war es damals als Sie mich ehduden, mit Ihnen verbunden an der Ausbreitung philo- sophischer Ideen zu arbeiten. Ich ging bisher so einsam und unbemerkt meinen literarischen Weg einher, dass ich kaum ahnen durfte jemandes Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Wie sollte ich mich vollends der Ihrigen weilh halten?

„Rastloses Umhertreiben mit dem Minister von Hardenberg, an den mein Schicksal und meine Neigung mich bisjetzt noch gebunden haben, hinderte mich, wie ich wünschte, Sie in Jena zu sehen. Jetzt hat mich mein Unstern gar hierher geführt, wo ich diplomatische, mir fremde Geschäfte treibe und meist der Armee des Feldmarschalls folge. Dieser Unruhe allein schreiben Sie mein langes Stillschweigen, ihr das Unzusammen* bftngende dieser Zeilen zul Vielleicht glückt es mir, mich bald ganz loszumachen und einer grossen Arbeit, die ich mir vor- gesetzt und die ich mit Anstrengung verfolge, ganz zu leben.

„Nie habe ich von einem literarischen Unternehmen mehr erwartet als von dem Ihrigen, wo grosse Kräfte eine grosse Wirkung hoffen lassen. Es freut mich unendlich, dass Sie die Naturkunde aus Ihrem Plane nicht ausschliessen. See ardua vetustis novitatenh dare, omnibus naturam et naturae suae omfiia.^ Wie man die Naturgeschichte bisher trieb, wo man nur an den Unterschieden der Form klebte, die Physiognomik von Pflanzen und Thieren studirte, Lehre von den Kennzeichen, Erkennungslehre, mit der heiligen Wissenschaft selbst verwech- selte, 80 lange konnte unsere Pflanzenkunde z. B. kaum ein Objeet des Nachdenkens speculativer Menschen sein. Aber Sie fühlen mit mir, dass etwas Höheres zu suchen, dass es wieder- zufinden ist ; denn Aristoteles und PUnius, der den ästhetischen

1 Piinii hitt. nat. praef., §. 15.

204 I* Jugend und erste ManneGJalire.

Sinn des Menschen und dessen Ausbildung in der Kunstliebe mit in die Naturbeschreibung zog, diese Alten hatten gewiss weitere Gesichtspunkte als unsere elenden Registratoren der Natur. Die allgemeine Harmonie in der Form, das Problem, ob es eine ursprüngliche Pflanzenform gibt, die sich in tausenderlei Abstufungen darstellt, die Vertheilung dieser Formen über den Erdboden; die verschiedenen Eindrücke der Fröhlichkeit and Melancholie, welche die Pflanzenwelt im sinnlichen Menschen hervorbringt ; der Contrast zwischen der todten unbewegten Fels* masse, selbst der unorganisch scheinenden Baumst&mme und der belebten Pflanzendecke, die gleichsam das Gerippe mit mil- derndem Fleische sanft bekleidet; Geschichte und Geographie der Pflanzen oder historische Darstellung der allgemeinen Ans* breitung der Kräuter über den Erdboden, ein unbearbeiteter Theil der allgemeinen Weltgeschichte; Aufsuchung der ältesten Vegetation in ihren Grabmälern (Versteinerungen, Steinkohleni Torf u. s. w.); alimähliche Bewohnbarkeit des Erdbodens; Wan* derungen und Züge der Pflanzen, der geselligen imd isoliiten; Karten darüber, welche Pflanzen gewissen Völkern gefolgt sind; allgemeine Geschichte des Ackerbaues; Vergleichung der colti- virten Pflanzen mit den Hausthieren, Ursprung beider; Ausar- tungen: welche Pflanzen fester, welche loser an das Gesett gleichmässiger Form gebunden sind, Verwilderung gezähmter Pflanzen (so amerikanische, persische Pflanzen, wild von Tayo bis Oby); allgemeine Verwirrungen in der Pflanzengeographie durch Colonisationen das scheinen mir Objecte, die des Nachdenkens werth und fast ganz unberührt sind. Ich be* schäftige mich ununterbrochen mit ihnen, aber das Geräusch im Zimmer um mich her hindert mich, mich ordentlich zu ent- wickeln. Ich sehe, dass ich einiges sogar albern ausgedrftdit habe, doch hoffe ich, dass Sie im ganzen fühlen, was ich meioe.^

^ Es ist von hohem Interesse, diese Andeutungen mit dem Prospect zur Geographie der Pflanzen zu vergleichen in Berghaus* „Hertha", Bd. VII,. „Geogr. Zeitung", S. 52—60, und Humboldt-Berghaus' Briefwechsel, I, 63.

4. In Jena und Weimar. (Schiller und Humboldt) 205

„Sollte ich im Stande sein, Ihnen, verehrungswerther Freund, über diese Gegenstände in der Folge einige Probestücke schicken zu können, so würde mich Ihr Beifall allerdings unaussprechlich glücklich machen; aber welch ein Abstand würde zmschen mei- nen Arbeiten und denen Ihrer andern Mitarbeiter seini

„Leben Sie indess wohl, so glücklich als Sie es bei der Klarheit Ihres Selbst nothwendig sein müssen. Erneuern Sie Ihrer liebenswürdigen Gattin mein Andenken, und grüssen Sie meinen Bruder Wilhebn, dem ich lange nicht geschrieben.

Ihr gehorsamster Humboldt."

Schiller, erfreut über diese Zusage, schreibt am 12. Sept 1794 an Kömer: „Jacobi aus Düsseldorf hat sich nun auch er* klart, an den «Hören» zu arbeiten. Von Humboldt's Bruder (Alexander von Humboldt), der preussischer Oberbergmeister ist, haben wir über Philosophie des Naturreichs sehr gute Auf- sätze zu erwarten. Er ist jetzt in Deutschland gewiss der vor- züglichste in diesem Fache und übertrifft an Kopf vielleicht noch seinen Bruder, der gewiss sehr vorzüglich ist."

Aus einem nur wenige Monate spätem Briefe Humboldt's, d. d. Goldkronach im Fichtelgebirge, 12. Nov. 1794, an Pfaff in Helmstädt, ersehen wir, dass er sich damals sehr eifrig mit die- sem Zweige des botanischen Studiums beschäftigte. „Ich arbeite'', schreibt er, „an einem bisher unbekannten Theile der allgemeinen Weltgeschichte. Das Buch soll in zwanzig Jahren unter dem Titel: aldeen zu einer künftigen Geschichte und Geographie der Pflanzen, oder historische Nachricht von der allmählichen Aus- breitung der Gewächse über den Erdboden und ihren allge- meinsten geognostischen Verhältnissen», erscheinen.'^ -^ Auch am spätem Briefen ^ zwischen Theodor Kömer und seinem Vater (Dresden, 22. Nov. 1811 und Wien, 15. Jan. 1812) ersehen wir,

» Äd. Wolff, Th. Köraer's Gesammelte Werke (BerUn, G. Merteni), IV, 206. 220.

206 I* Jagend und erste Mannetjalures

dass Humboldt im Jahre 1797 einen Kasten mit Manucripten und Voraibttten zu diesem Werke als „Catalecta pbytokfiaif* und „Physik der Welt" in Dresden bei Kömer zurttdcgdasseB hatte. Oleichwol behandelte Hnmboldt's Beitrag zu den ^Horoi^ kein botanisches, sondern ein physiologisches Thema a«s der vitalen Chemie in Form einer erdichteten Erzähhmg.

Was ist Leben, Lebenskraft?

Diese Frage tönte seit uralter Zeit wie ein räthselhaftet Mysterium durch alle Jahrhunderte. Naturforscher und Philo- sophen, Materialisten und Spiritualisten aller Zeiten haben in der verschiedensten Weise den Vorgang des Lebens zu erklären versucht. Der rastlose Trieb des Menschen, die geheimniss- vollen Bedingungen des Lebens zu erkennen und auch im Bilde zu veranschaulichen, schuf die symbolisirenden Dichtungen des Alterthums, die alchemistischen Träume des Mittelalters, die Philosopheme und Theorien der spätem Zeit. Der griechische Götterjüngling, der geheimnissvoll mit dem Finger auf den zum Schweigen geschlossenen Mund deutet, der Enormen, der Ar- chäus van Helmont's waren solche dichterische Symbole, solche philosophische Personificationen einer von der Materie getrennten, ausser ihr befindlichen Kraft, welche die chaotische Masse be- herrschen sollte. Proteusartig folgten einander diese Phantome, bis die neuere Chemie, bis Galvani's und Volta's Entdeckungen die Frage von neuem anregten und zur Lösung derselben aufriefen.

Humboldt, in jugendlicher Fülle eines glänzenden Talents, war der erste, der diese Frage vom Standpunkte der Chemie aufifasste.^ Bereits 1793 hatte er in den „Aphorismen aus der chemischen Physiologie der Pflanzen*' die Lebenskraft als die* jenige „innere^* Kraft erklärt, welche die Bande der chemischen Verwandtschaft auflöst und die freie Verbindung in den Körpern hindert. Aber in dem jugendlichen Humboldt lebte auch ein schöner Theil von der poetischen Bildnerkraft des Platonischen Geistes, und, angeweht von dem Zauber des weimar-jenaischen

Du BoiS'Reymond, Untersuchangen über die thierische Elektricität, 1, 75.

4. In Jen» «id fMatr. (Der xlMiütcli« Geniiis.) S07

Dtehterkreises, „in dem man diditeriscbe Eiiiklddimg wissan achtfWchcr Wahrheiten liebte"*, drängte ee ihn nv Syroboli- aining und Persomfication dessen, was wissenschaftSdi nodi em angelöstes Problem war. So diefatete er als Hormbeitrag die Erzählung: „Die Lebenskraft oder der rtaodiacbe Oenins".^

Zwei Qemälde, deren Ursprung man nicht kamrte, waren (um in Kürze den Inhalt der Erzählnng wiederzugeben) in der KuBsthalle zu Sjrakns ein Gegenstand mannichfacher kritischer Deutung. In dem emen strebt eine Gruppe von Jünglingen und Mädchen, mit leidenschaftlichem Ausdruck von Sehnsucht und Kummer, sich gegenseitig zu umarmen, aber über ihnen schwebt ein Genius man nannte ihn den rbodischen, weil man glaubte, die Gmnälde stammten von Rhodus her *- mit einem Schmetter* ling auf der Schulter, mit hochgeschwungener lodernder Fackel, und scheint gebieterisch vor der Umarmung zu warnen. Das andere Bild zeigt denselben Genius ohne Schmetterling, mit er^* loscbener gesenkter Fackel und gesenktem Haupte, aber Jüng- linge und Mädchen stürzen mit dem Ausdruck leidenschaftlicher Befriedigung sehnsüchtigen Verlangens in mannichfacher Umar- mung unter ihm zusammen.

Die einen unter den Auslegern hielten nun den Hmi\un für den Ausdruck geistiger Liebe, die den GenuHH Nlnnllchitr Fmii« den verbietet; andere sahen das Symbol der Herrschaft difi^nf» nunft über die Begierden darin. Nur der preise VniUfpMUpmppH Epicharmus erkannte in den Gemälden das IMM tim l^iAmun and das des Todes, wie sie die Wissenschaft der pyttiaKorätMfbm Schule sich dachte. „Hier im rhodiscben Oenitis, Im Aui^mk seiner jugendlichen Stärke, im Schmetterling auf sHiMff MifhMH#r, im Herrscberblidc seines Auges^ lässt Hiimb^iMt Am Natur- philosopben seine Schüler belehren, „erkennen wir da# Hfmhttl der Lä>enskraft, wie sie jeden Keim der organiscb«rfi Hi^mptmn beseelt Die irdischen Elemente zu seinen VUtmm streiNfi lijMi'U' sam ihrer eigenen Begierde zu folgen und sich milMnm^mt m

» Tgl. ük, „Die Nator**, Jahrg. 1S56, Nr. ib.

208 !• Jugend und erste Haimefljahre.

mischen. Befehlend droht ihnen der Genius mit aufgehobener, hochlodemder Fackel und zwingt sie, ihrer alten Rechte anem- gedenk, seinem Gesetz zu folgen. - Dort in dem zweiten Bilde ist der Schmetterling entschwebt, die Fackel erloschen, das Haupt des Jünglings gesenkt. Die Lebenskraft ist erstorbou Hier ist das Bild des Todes. Es reichen sich Jünglinge und Mädchen fröhlich die Hände, es treten die irdischen, chemisch verwandten Stofife in ihre Rechte ein. Der Fesseln entbunden, folgen sie wild ihren geselligen Trieben. Der Tag des Todes wird ihnen ein bräutlicher Tag chemisch verwandter Vermählung.^

Der Naturphilosoph Epicharnus sprach Humboldts eigenste Meinung aus. Die Erzählung war eine poetische Huldigung, die der Naturforscher nach den wissenschaftlichen Ansichten der Zeit dem Dichter darbrachte. Nicht in den rhodischen Eunststätten, sondern iu den Hörsälen der medicinischen Schulen, in den Lehrbüchern der Physiologie zu der damaligen Zeit Humboldt's ist der Ursprung und das Yerständniss dieser orphischen Dich- tung zu suchen.

Aber vor der wissenschaftlichen Forschung musste die sym- bolisirende Dichtung schwinden. Sie trug den Keim der Zer- störung in sich, weil sie ein wissenschaftliches Problem lösen wollte. Probleme werden aber nicht von dem Dichter, sondern von dem Forscher gelöst. So musste denn auch alsbald in Humboldt der Dichter dem Forscher weichen.

Die Horendichtung war im Juni 1795 erschienen, und schon am 14. Dec. desselben Jahres schrieb Humboldt an Freiesleben: „Ich habe eine neue, unumstössliche Definition der Lebenskraft gefun4en, auf die ich viel halte, und glaube jetzt die alte Defi- nition zu widerlegen." Diese Wandlung wissenschaftlicher An- sicht steigerte sich in bedenklicher Hast. Am 9. Febr. 1796 schrieb er demselben Freunde: „Ich glaube nun bald den gor- dischen Knoten des Lebensprocesses zu lösen " „Das sind

die Grundzüge meiner neuen Physiologie." Noch im December desselben Jahres schickte er an van Mons eine Abhandlung : „Sur le proc^d^ chimique de la vitalit^", und 1797 erklärte er

4. In Jena und Weimar. (Der rhodische Genius.) 209

in seiuem berühmten Werke „Versuche über den Kerven- und Moskelreiz^^: ^Nachdenken und fortgesetzte Studien in dem Gebiete der Physiologie und Chemie haben meinen frühem Glau- ben an eigene sogenannte Lebenskräfte tief erschüttert. Ich nenne seitdem nicht mehr eigene Kräfte, was vielleicht nur durch das Zusammenwirken einzelner , längst bekannter Stofife und ihrer materiellen Kräfte bewirkt wird. Die Schwierigkeit, die Lebenserscheinungen des Organismus auf physikalische und chemische Gesetze befriedigend zurückzuführen, liegt grössten- theils, und fast wie bei der Vorherverkündigung meteorologischer Processe im Luftmeere, in der Complication der Erscheinungen, in der Vielzahl gleichzeitig wirkender Kräfte wie der Bedingungen ihrer Thätigkeit."

Aber auch diese Ansicht gab er nachmals auf: „Ich nenne anorganisch die Körper, deren Theile nach den Gesetzen che- mischer Affinität gemischt sind; organisch die Körper, deren willkürlich getrennte Theile nach der Trennung, unter den vorigen äussern Verhältnissen, ihren Mischungszustaud ändern. Im Organismus beherrscht also ein geheimes Gesetz alle Theile; er besteht nur, indem alle seine Theile wechselseitig Mittel und Zweck des Ganzen sind. Ob man aber auch mit diesen Defi- nitionen einen Hund aus dem Ofenloche ziehen kann, ist eine andere Frage."*

So schwanden vor dem wissenschaftlichen Bemühen um Erkenntniss der Natur die Träume symbolisirender Mythen und dichterischer Allegorien. Das der Lebenskraft dem „Mädchen für alles", wie du Bois-Reymond sie nennt zugeschriebene Gebiet von Erscheinungen schrumpfte immer mehr zusammen, und gegenwärtig ist schon das blosse Wort in der Wissenschaft misliebig geworden.

Für unsere Betrachtung bleibt indess „Der rliodische Ge- nius" ein beredtes Denkmal von Humbold t's Zuneigung zu

^ Briefwechsel und Gespräche Alexander von Humboldt's mit einem jungen Freunde (Berlin 1861), S. 35.

A. T. HlMBOLDT. I. 14

210 Jagend und erste Manneqahre.

Schiller. Sie veranlasste ihn auch, noch als er auf der Höhe seines Ruhmes stand, diese Jugendarbeit, „für die Schiller eine Vorlidi>e hatte'*, in den letzten Ausgaben der „Ansichten der Natur*' wieder abdrucken zu lassen.

Uebrigens scheint die Erzählung eben kein gltlckiicher Bei- trag fär die „Hören** gewesen zu sein; das Verständniss der- selben Uieb mystisch und deutungsreich, wie die syrakusischen Bilder selbst. Wir haben wenigstens aus jener Zeit kein ein- ziges eingehendes Urtheil darüber- gefunden. A. W. Schlegel sagt in der „Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung** 1796, Nr. 6: „Die Erzählung enthält eine trefifende Allegorie über einen Gegenstand aus der Naturwissenschaft, für die man nur^ selten sinnreiche Einkleidung erfand, während man die Lehren der Moral mit den plattesten überhäufte. Der kleine Aufsatz ist gefallig, blühend geschrieben; das Ende lässt eine sanfte Rührung zurück.** Selbst Wilhelm von Humboldt^ mag oder kann der „Freundin** zu näherm Verständniss nichts weiter sagen als : „Die Entwickelung einer physiologischen Idee ist der Zweck des ganzen Aufsatzes. Man liebte in der Zeit, in welcher derselbe geschrieben ist, mehr als man jetzt thun würde, solche halbdichterische Einkleidungen ernsthafter Wahrheiten.** Wär- mere Worte schrieb Gustav von Brinckmann am 27. Juni 1795 an Rahel*, die sich damals in Karlsbad befand: „Wenn sich irgendeine aHore» nach Böhmen verlaufen sollte, so versäumen Sie ja nicht, in dem neuesten Stück einen Auf- satz zu lesen, welcher «Die Lebenskraft oder der rhodische Genius» heisst. Er hat einen tiefen Sinn und ist, wie mir deucht, sehr schön geschrieben. Und nun wissen Sie, dass es von Humboldt ist; aber von dem Ersten! das heisst von dem Zweiten; denn so ein Mensch wie dieser existirt nun offenbar nicht mehr. Er hat dem Herz einen Brief voll fixer Luft und Lebenskraft und Nervenfluidum geschrieben, dass einem alle

1 Briefe an eine Freundin, II, 39.

* Dieser Brief ist nirgends gedruckt, er fiuid sich abschriftlich als Mittheilung von Yamhagen in Humboldt^s Nachlass.

4. In Jena und Weimar. (Sehiller^ hartes ürtheil.) 211

Last Tergeht, alle Lebenskraft erlischt und alle Nerven sittern solche Gelehrsamkeit P*

SchiUer's Urtheil über den „rhodischen Genius*^ war liemlich abfällig und hat sich nur in eiier sdir kurzen, gelegentlicheil Aeueserung erhalten. In den Verhandlungen mit Goethe* über die ,,Xenien^^ schreibt er, er lese eben eine Reoension der „Hören ^ von Beichardt in dessen Journal „Deutschland^, „wo derselbe sich schrecklich emancipirt hat Die Aufsätze von Fichte und Woltmann sind beide in einem weitläufigen Anssuge mit* getheilt und als musterhaft vorgestellt. Das fünfte Stück, das schlechteste von allen, ist als das interessanteste vorgestellt; Vossens Gedichte, der «rhodische Genius» von Humboldt sehr herausgestrichen, und was des Zeugs mehr ist^ -* £a fällt dies um so mehr auf, da Rdchardt's* Urtheil ^ sich auf das kurze Wort beschränkt: „Humboldt's Aufsatz ist ein Meisterstück des Vortrags/^ Schiller, könnte man sagen, schrieb seine Aeusserung eben in der gereizten Xenienstimmung, in der er „Pfähle in das Fleisch der Coliegen'^ trieb, und in der ihn selbst ihr richtiges Urtheil „ordentlich verdross, weil eine Dummheit weniger zu rügen war*^ Aber diese Stimmung war längst vorüber, als er sein Urtheil über Alexander von Hum- boldt noch in härtester Weise verschärfte.

Als nämlich die beiden Humboldt im Sommer 1797 sich in Dresden aufhielten, schrieb Kömer an Schiller am 17. Juli: „Alexander von Humboldt ist mir ehrwürd^ durch den Eifer^ mit dem er sein Fach betreibt Für den Umgang ist mir Wil- helm geniessbarer, weil er mehr Ruhe und Gutmüthigkeit hat Alexander hat etwas Hastiges und Bitteres, das man bei Män- nern von grosser Thätigkeit häufig findet. Wilhelm ist mir sehr lieb geworden, und ich habe mit ihm viele Berührungs- punkte."

Hierauf antwortete Schiller am 6. Aug. 1797 : „Es hat mich

' Briefwecbsel zwischen Schiller und Goethe, II, 4. * Beichardt, DeuUchland (Berlin 1796), I, 8. 9.

14*

212 !• Jagend and erste Mannesjahre.

erfreut zu hören, dass Du Dir im Umgange mit Humboldt (Wilhelm) so wohl gefallen hast. Zum Umgange ist er auch 80 recht eigentlich qualificirt. Er hat ein seltenes reines In- teresse an der Sache, weckt jede schlummernde Idee, nöthigt einen zur schärfsten Bestimmtheit, verwahrt dabei vor der Ein- seitigkeit und vergilt jede Mühe, die man anwendet, um sich deutlich zu machen, durch die seltene Geschicklichkeit, die Gre- danken des andern aufzufassen und zu prüfen. So wohlthätig er aber auch für jeden ist, der einen gewissen Gedankenreich- thum mitzutheiien hat, so wohlthätig, ja so höchst nothwendig ist es auch für ihn, von aussen ins Spiel gesetzt zu werden und zu der scharfen Schneide seiner intellectuellen Kräfte einen Stofif zu bekommen; denn er kann nie bilden, immer nur schei- den und combiniren. Es fehlt ihm zu sehr an einer ruhigen und anspruchslosen Empfänglichkeit, die sich dem Gegenstande hingibt; er ist gleich zu activ und dringt nur zu unruhig auf bestimmte Resultate. Doch Du kennst ihn genug und wirst hierin wahrscheinlich meiner Meinung sein. . . . Ueber Alexander habe ich kein rechtes Urtheil; ich fürchte aber, trotz aller seiner Talente und seiner rastlosen Thätigkeit wird er in seiner Wissenschaft nie etwas Grosses leisten. Eine zu kleine, un- ruhige Eitelkeit beseelt noch sein ganzes Wirken.* Ich kann ihm keinen Funken eines reinen, objectiven Interesses abmerken, und wie sonderbar es auch klingen mag, so finde ich in ihm, bei allem Ungeheuern Reichthum des Stofifes, eine Dürftigkeit des Sinnes, die bei dem Gegenstande, den er be- handelt, das schlimmste Uebel ist. Es ist der nackte, schnei- dende Verstand, der die Natur, die immer unfasslich und in allen ihren Punkten ehrwürdig und unergründlich ist, schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit, die ich nicht

^ Diese Worte, sowie die gesperrt gedruckten auf der folgenden Seite, fehlen in dem Briefwechsel zwischen Schiller und Kömer und sind hier zum ersten male nach der im Original vorliegenden Handschrift wiedergegeben.

4. In Jena und Weimar, (Eörner's Yenmttelung.) 213

begreife, seine Formeln, die oft nur leere Worte und immer nur enge Begrifife sind, zu ihrem Maasstabe macht Kurz, mir scheint er für seinen Gegenstand ein viel zu grobes Organ-, und dabei ein viel zu beschränkter Verstandesmensch zu sein. Er hat keine Einbildungskraft, und so fehlt ihm nach meinem Urtheil das nothwendigste Vermögen zu seiner Wissenschaft, denn die Natur muss angeschaut und empftLuden werden in ihren einzelnsten Erscheinungen wie in ihren höchsten Gesetzen. Alexander imponirt sehr vielen und gewinnt im Vergleich mit seinem Bruder meistens, weil er ein Maul hat und sich gel-* tend machen kann. Aber ich kann sie dem absoluten Werthe nach gar nicht miteinander vergleichen, so viel achtungswür- diger ist mir Wilhelm."^

Schon in seinem nächsten Briefe vom 25. Aug. tritt der feinfühlende Kömer berichtigend und mildernd Schiller entgegen. „Dein Urtheil über Alexander von Humboldt scheint mir doch fast zu streng. Sein Buch über die Nerven habe ich zwar nicht gelesen, und kenne ihn nur aus dem Gespräch. Aber gesetzt dass es ihm auch an Einbildungskraft fehlt, um die Natur zu empfinden, so kann er doch, däucht mich, für die Wissenschaft vieles leisten. Sein Bestreben, alles zu messen und zu anato- miren, gehört zur scharfen Beobachtung, und ohne diese gibt es keine brauchbaren Materialien für den Naturforscher. Als Mathematiker ist es ihm auch nicht zu verdenken, dass er Maass und Zahl auf alles anwendet, was in seinem Wirkungskreise liegt. Indessen sucht er doch die zerstreuten Materialien zu

' Selten ist wol Ton einem erhabenen Geiste über einen aof andern Gebiete grossen Mann ein so irriges nnd herbes Urtheil gefUlt worden. Kor Fichte möchte Aehnliches von Goethe erfahren haben, als er wegen Termeinten Atheismus 1799 seiner Professur in Jena entsetzt wurde. Damals schrieb Goethe an Schlosser: ,,Fichte's thörichte Anmassung hat ihn aus einer Existenz hinausgeworfen, die er auf dem weiten Erdenninde nicht wiederfinden wird. Ich fürchte, dass er für sich und die Welt ver- loren ist** Und Fichte erlebte seitdem in Berlin seine fruchtbarste, g^ priesene Wirksamkeit!

214 ^ Jugend und erste Uftimei^ahre.

einem Ganzen zu ordnen, achtet die Hypothesen, die seinen Blick erweitem, und wird dadurch zu neuen Fragen an die Natur veranlasst. Dass die Empftnglicfakeit s^er Thäti^eit nicht das Gleichgewicht hält, will ich wol glauben. Meaachen dieser Art sänd immer in ihrem Wirkungskreise zu beschäftigtt als dass sie von dem, was ausserhalb vorgeht, grosse NoUx nehmen sollten. Dies gibt ihnen den Anschein von Härte und Herzlosigkeit.'' ^

Hiemach könnte eine Schutzrede für Humboldt von unserer Seite überflüssig erscheinen, zumal fast jedes tadelnde Wort des Dichters eigentlich eine lobende Anerkennung des Naturforschers ist. Aber unwillkürlich sucht man nach einer besser begründeten Lösung dieser Strenge, und wir glauben sie in dem Entwickelungs- gange und in der Geistesrichtung beider Männer zu finden. Schiller's Fordemng an den Naturforscher, dass er Einbildungs- kraft bei seiner Wissenschaft haben, dass er die Natur an- schauen und empfinden solle, spricht das Vorgefühl jener Natur- phtfosophie aus, welche kurz darauf von Jena ausging und in

1 Humboldt selbst glaubte sich auch noch später gegen solche und ähnliche Vorwürfe vertheidigen zu müssen. So schrieb er an Pictet am 3. Jan. 1806:

„Yoas pourrez me justifier d^un reproche. On dit souvent en soci6t^ que je m^occupe de trop de choses It la fois, de botanique, d^astronomie, d^anatomie compar6e. Je r^ponds : peut-on d^fendre k rhomme d^avoir le d^sir de savoir, d^embrasser tout ce qui Tenvironne? On ne peut pas k la fois ^crire des ^l^ments de chimie et d^astronomie ; mais on peut faire k la fois des obeervations tr^s-exactes de distances lunaires et d^absorption de gaz. Pour un voyageur, la vari^t^ des connaissances est indispensable. Et que Ton examine si, dans les petits essa^s que j'ai fait des diff^rentes Inrmiiches, je n^ai pas €t^ enti^rement k la chosc; si je n^ai pas eu (voyez ■Mm mtooire avec Oay-Lussac; mon ouyrage sor les nerfs, ezp6rieno€8 ^e 4 ans) si je n^ai pas eu la constance de poursuivre le mhne objet Et pour ayoir des vues g^n^ales, pour concevoir la liaison de tous les l^nom^nes, Uaison que noos nommons Nature, il faut d^abord connaUre les parties, et puls les r^onir organiquement sous nn mtoe point de vae. Mes Yoyages perp^uels ont ausai beaucoup contriba^ k m^^parpiUer aur tant d^objets.*^ („Le Globe, Joum. g^ogr. de la soc. de Gen^ye'S 1868, VU, 8, 177.)

4. In Jena und Weimar. (Schiller'a Idealismus.) 215

Scbelling, Hegel, Stefifens ihre Hohenpriester hatte. Da waltete eine Fülle des Sinnes, Gemüth, Empfindung und Einbildungskraft Aber gerade diese Naturphilosophie hat es überzeugend dargethao, dass Einbildungskraft nicht in die Naturforschung gehört, dass nirgends die phantasievolle, aprioristische Anschauung gefähr* lieber und verderblicher ist als in dem Gebiete der Natur- wisseisckaften, deren Gesetze in all ihrer Schärfe un4 Ränheit ohne einen Hauch subjectiver Empfindung erfasst und dar- gestellt werden müssen.

Das Urtheil SchiUer's reflectirt das Bild seiner eigenen innersten Eigenthümlichkeit, der Denkweise des Dichters, von dem er in dithyrambischer Begeisterung singt:

Ihm gaben die Götter das reine Gemath, Wo die Welt sich, die ewige, spiegelt; Er hat alles gesehn, was auf Erden geschieht. Und was uns die Zukunft Tersiegelt; Er sass in der Götter urältestem Rath Und behorchte der Dinge geheimste Saat.

So leicht wie dem Dichter wird es aber dem Naturforscher nicht. Und wie an dieser Stelle findet sich auch in zahlreichen andern Stellen der Gedichte die Geistesrichtung Schiller's aus- geprägt, nach der jenes Urtheil zu bemessen ist. Seine poetische, idealistische Individualität fühlte sich von der ver- geistigenden Naturanschauung mehr als von der streng wissen- schaftlichen angesprochen. Jene belebt und beseelt die Natur mit göttlichen Wesen voll Heiterkeit und Grazie; die Wissen- schaft dagegen verscheucht die himmlischen Gestalten, ent- geistigt die Welt und bietet nur Zahl und Gesetz, Schranke und Entsagung. Den schärfsten Ausdruck gibt er dieser Auf* fassung in den „Göttern Griechenland s^^

Und doch befriedigte ihn selbst die lebensvolle Natur- anschauuiig der Griechen auch noch nicht. In der Abhand- lung „Ueber nai\e und sentimentale Dichtung" bemerkt er zum Schlüsse: „Es muss befremden, dass man so wenig

216 !• Jogend und erste Mannesjahre.

Spuren vou dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neuern an Naturscenen und Naturcharakteren hangen können, bei den Griechen antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung derselben, aber mit nicht mehr Herzensantheil, als er es in der Beschreibmig eines Gewandes, eines Schildes, einer Rüstung ist. Die Natur scheint mehr seinen Verstand als sein moralisches Gefühl za interessiren ; er hängt nicht mit Innigkeit und süsser Wehmath an derselben wie die Neuern."

So sehen wir, dass dem Dichter selbst da wo er sich in der abstracten Denkform der Philosophie bewegte, wenn es galt, die letzten Gründe der Schönheit und des Sittengesetzes zu er- kennen, alles Schöne und Grosse doch noch immer und haupt- sächlich Angelegenheit des Herzens blieb. Er begnügte sich nicht, mit den Augen zu sehen, mit den Ohren zu hören, mit dem Geiste zu denken; sein Herz musste überströmen von reinster, edelster, göttlicher Empfindung.

Wie Schiller die Natur liebte? Er sagt es selbst:

Wie einst mit flehendem Verlangen Pygmalion den Stein umschloss, Bis in des Marmors kalte Wangen Empfindung glühend sich ergoss: So schlang ich mich mit Liebesarmen Um die Natur, mit Jugendlust, Bis sie zu athmcn, zu erwarmen Begann an meiner Dichterbrust.

Daher auch seine Mahnung: „Trittst du heraus zur Natur aus deinem künstlichen Kreise, steht sie vor dir in ihrer grossen Ruhe, ihrer kindlichen Schönheit, Unschuld und Einfalt, dann verweile bei diesem Bilde, pflege dieses Gefühl, es ist einer herrlichsten Menschheit würdig. Nimm sie in dich auf und strebe ihren unendlichen Vorzug mit deinem eigenen unend- lichen Prärogative zu vermählen und aus beiden das Göttliche zu erzeugen/^ Hierzu kommt noch, dass Maass und Zahl überhaupt dem dichterischen Gemüth als das unerfreulichste Skelet jeder

4. In Jena und Weimar. (Schiller's Idealismas.) 217

Creatur und jedes Kunstwerks erscheint. Die Mathematik wohnt in keiner Dichterseele. Wie die Bienen ohne Maass- und Zahlen- kunde ihre Zellen bauen und es dem Mathematiker Qberlassen» zu demonstriren , dass ihre Form die allerverständigste and zweckmässigste sei : so schafiFt der Dichter in höherer Eingebung wohlklingende Verse und überlässt es dem Sprachgelehrten, die Gresetze, die Theorie der Metrik nach Maass und Zahl zu bilden, die ihm selbst oft bewusstlos aus der Seele strömt.

Selbst Goethe, der nach eigenem Geständniss die Mathe- matik höher schätzte als irgendeiner, weil sie gerade das leistete, was ihm zu bewirken völlig versagt war, polemisirte gegen „die gesammte physiko- mathematische Gilde '^

Das ist eine Ton den alten Sünden, Sie meinen, Rechnen, das sei Erfinden, Und weil ihre Wissenschaft exact. So sei keiner von ihnen yertrakt

Und an einer andern Stelle im Faust:

Daran erkenn* ich den gelehrten Herrn! Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfem; Was ihr nicht üasst, das fehlt euch ganz und gar; Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr; Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht; Was ihr nicht münzt, das meint ihr, gelte nicht.

In Schiller lebte eine grenzenlose Subjectivitit, eine ideale Welt, welche die Thatsachen der Erfahrung als Ballast von sich zu werfen und mit den Schwingen eines Cherub dem Lichte zuzufliegen suchte, in dem die Dinge sich in ihre Ideen verloren. Daher fand er auch in der ganzen ihn umgebenden Wirklichkeit nie das vollständig Congruirende zu seinen Ideen.

Die Wirklichkeit mit ihren Schranken Umlagert den gebundenen Geist, Sie stürzt die Schöpfung der Gedanken, Der Dichtung schöner Flor zerreisst

Diese Subjectivität, noch vertieft durch die Kanfsche Philosophie, fasste alles, Natur und Geschichte, Genflsse und

218 I* Jugend und erste Manne^jahre.

Wünsche des Menschen, nur als Sinnbilder auf. „Nur durch das, was wir ihr leihen, reizt und entzttckt uns die Natur. Die Anmuth, in die sie sich kleidet, ist nur der Widerschein der mnem Anmuth in der Seele ihres Beschauers, und grossmüthig kftssen wir den Spiegel, der uns mit unserm eigenen Bilde flberrascht.'^

Gewinnen wir so aus der Betrachtung der Geistesart Schillers schon eine allgemeine Erklärung für sein Urtheil über die naturwissenschaftliche Forschungsweise Humboldt's, so ist es wahrscheinlich, dass auch eine specielle, naheliegende Veranlassung zu der befremdlichen Härte vorhanden war. Hum* boldt hatte nämlich wenige Wochen zuvor in Jena an seinen „Versuchen über die gereizte Muskel- und Nervenfaser" gear- beitet, die im „rhodischen Genius ^^ gegebene Erklärung der Lebenskraft mit grösster Bestimmtheit als eine irrige wider- rufen, und dadurch das bisherige Vertrauen zu seinen For- schungen in bedenklicher Weise erschüttert (s. o. S. 208. 209).

Um diese Zeit, am 18. April 1797, schrieb Humboldt, wäh- rend eines flüchtigen Besuchs bei Goethe in Weimar, an Freies- leben: „Ich lebe nun schon seit dem 1. März in Jena ganz mit meinem Buche, chemischen Versuchen und Anatomie beschäftigt Ich bin wol eigentlich in ein Studentenleben zurückgetreten, denn meine Sphäre ist eng und ganz auf mich selbst einge- schränkt Da ich mich zu einer westindischen Reise jetzt sehr ernsthaft vorbereite, und mich dort vorzüglich mit den orga- nischen Kräften abzugeben gedenke, so ist Anatomie jetzt mein Hauptstudium. Ich höre bei Loder ein Privatissimum, präpar rire selbst täglich zwei Stunden am Cadaver, und bin so täglich sechs bis sieben Stunden auf dem anatomischen Theater. Den Rest meiner Müsse wende ich auf ein grosses physiologisches Werk vom Muskelreiz, von dem jetzt zur Ostermesse der erste Band ä 32 Bogen erscheint, und von dem schon am zweiten Bande gedruckt wird. Ich habe jetzt die Freude, dass hier in Jena schon viele Menschen mit meinen Versuchen über Btinunung der Lebenskraft durch chemische Mittel, über das

4. In Jena und Weimar. (Homboldt^s Empiritmiu und Formelwesen.) 219

Geben und Vernichten der Reizbarkeit mit Glück beschäftigt sind. Man fängt sich an zu überzeugen, dass diese Versuche einmal die Grundlage der praktischen Heilkunde werden können, und dass ich dadurch eine neue Wissenschaft (vitale Chemie) begründen kann.''

In dem erwähnten neuen Werke drückte Humboldt die verschiedenen Verbindungen der metallischen Leiter und der feuchten Zwischenlagen durch Substituirung von Buchstaben aus, wie in algebraischen Formeln. Er legte auf diese Zeichen- oder Formelsprache einen ganz besondem Werth und sagt^: „Weder das aufmerksamste Lesen meiner Arbeit, noch die Be trachtung der Figuren machen es möglich, jene Fülle von That- Sachen mit einem Blicke zu umfassen. Es schien 'mir daher wichtig, eine Methode zu erfinden, welche diesem Mangel ab- hülfe. Die Bequemlichkeit, welche die Mathematik darbietet, durch analytische Zeichen viele Sätze in wenigen Zeilen darzu- stellen, reizte mich zu dem Versuche, die Abänderungen des galvanischen Apparats, bei dem fast alles auf der kettenförmigen Aneinanderreihung der Stoffe beruht, durch eine ähnliche Zeichen- sprache auszudrücken.'' Er bezeichnete demgemäss alle metalli- scbe und kohlenhaltige Substanzen, welche phlogistische Processe erregen, durch den Buchstaben P, und zwar so, dass homogene Metalle, wie zwei Goldstäbe, durch PP, heterogene aber, wie Gold und Zink, durch Pp ausgedrückt wurden, während Hh (humida) in gleicher Weise feuchte Leiter bezeichneten. Die

Formel

Pp P

bedeutet demnach, dass ein heterogenes Metall oder Kohle mit zwei homogenen Metallen verbunden sei;

Pp Pp

dass vier metallene oder kohlenhaltige Substanzen mit abwech- selnden Gliedern eine geschlossene Kette bilden;

* Versuche über die gereizte Muskel- und Kenreofaser, I, 90.

220 I* Jugend und erste Manneejalure.

Nerv. PH Pp HP dass zwei Punkte des Nerven durch eine Kette verbunden sind, in der mehrere Metalle mit feuchten Theilen abwechsehi und in der unter allen Metallen nur ein heterogenes ist

Solchen Formeln setzte er auch noch die Zeichen + und vor, je nachdem ausgedrückt werden sollte, dass Muskel- bewegungen eingetreten oder ausgeblieben, femer* die Zeichen > und < , je nachdem positive oder negative Erschei- nungen unterschieden werden sollten.

Höchst wahrscheinlich waren es eben diese „Formeln"^ welche „das sentimentalische Interesse'S den „Herzensantheil'S „das moralische Gefühl", „die Innigkeit", „die süsse Wehmuth" Schiller's an den Naturcharakteren verletzt haben, zumal gerade in der Zeit, in welcher er über sich selbst das Geständniss ab- legt: „Es begegnet mir gern, dass ich zu rasch urtheile," wäh- rend andererseits Humboldt gegen solche „Breiigkeit des Ge- müths" ungeduldig werden konnte.^

War es ja eben eine ganz besonders glückliche Eigenthüm- lichkeit seiner Methode, Tbatsachen durch solche Formeln zu veranschaulichen und dem Gedächtniss leicht fass- und haftbar zu machen. Auch in der Geognosie wandte Humboldt neben der bildlich-pasigraphischen diese algorithmisch - algebraische Sprache an. Und bedarf es noch ein Wort für ihre praktische Nützlichkeit, so sei nur erinnert an die Begrenzung der Ver- breitungszonen der Flora und Fauna, an die graphische Dar- stellung thermischer, meteorologischer, magnetischer Verhält- nisse, die schon in Schulbüchern unvermeidlich geworden.

Ueber die Nothwendigkeit und den Werth streng empi- rischer Studien weise der Naturwissenschaften, zumal bei ihrem

^ „Schiller's Urtheil über Humboldt", sagt auch Palleske an der be- treffenden Stelle in „SchiUer^s Leben", „gründet sich hauptsächlich auf dessen Werk über die Muskelfaser", mit dem wunderlichen Hinzu- fügen: „worin, wie mich Sachverständige versichern, allerdings kein Funke des grossen Sinnes sein soll, welcher den Verfasser des «'Kosmos» unsterblich gemacht hat."

4. In Jena und Weimar. (Homboldt^s Empirismus anl FomielwMeiL) 221

damaligen Standpunkte, hat sich Humboldt häufig auf das ent- schiedenste ausgesprochen. Er folgte der Weisung Bacon's, den er in seinen damaligen Arbeiten häufig selbstredend anführt, dass man zunächst die Natur beobachten und möglichst viele Erfahrungen sammeln mtlsse. Seine Methode war, „nur That- Sachen zusammenzustellen und sich nie auf Dinge einzu- lassen, die wenigstens ausser der Grenze unserer bisherigen Erfahrung liegen/^

„Thatsachen", schreibt er im Jahre 1795 an Blumenbach, „Thatsachen stehen fest, wenn das flüchtig aufgeführte theo- retische Lehrgebäude längst eingestürzt ist. Ich habe die That- sachen stets von meinen Vermuthungen getrennt. Diese Art, Naturerscheinungen zu behandeln, scheint mir am fruchtbarsten und gründlichsten.^^ In gleichem Sinne schreibt er auch am 24. Januar 1796 aus Baireuth an Pictet in Genf: „Je congus Tid^ d'une physique du monde ; maisplus j'en sentis le besoin, et plus je vis que peu de fondements sont encore jetes pour un aussi vaste ^difice .... je me bornerai cependant a vous communiquer les faits qui ont ^chapp^ jusqu' ici aux naturalistes. Car de tout ce que la physique nous präsente, il n'y a de stable et de certain que les faits. Les th^ories, enfants de Topinion, sont variables comme elles. Ce sont les m^t^res du monde moral, rarement bicnfaisants, et plus souvent nuisibles aux progr^s intellectuels de Thumanite," *

Und trotz alledem hatte Humboldt gerade um dieselbe Zeit, als Schiller sein hartes Urtheil über ihn gesprochen, von dem Physiker Fourcroy in Paris einen nicht minder strengen Tadel aus entgegengesetzten Gründen erfahren, dass er nämlich zu wenig experimentire und zu viel in seine Experimente hinein- deute. Fast gleichzeitig mit Schiller schrieb Fourcroy über die epistolarische Abhandlung „Sur le proced^ chimique de la

' Mittin^ Magaz. encyclop., YI, 462; wieder abgedruckt m dt la BoquetU, Homboldt, correspondance etc., I, 4.

222 !• Jugend mid erste Manne^JAhrt«

yitalit^^ die Humboldt im December 1796 an van Mens in Brüssel adressirt hatte: ,^e penae que M. Humboldt va un peu trop vtte dans ses explications ; il est ä craindre qu'il ne soit Obligo de reculer; je crains quil n'admette trop d^hypo- th^s, qu'il ne multiplie point asses chaque exp^rienoe ayant d'en tirer une oonclusion/^

Sdiea wir nunmehr von dem Urtheil SchiUer's über die wissenschaftliche Forschungsweise Humboldts ab, so standen auch seine Aeusserungen über die persönlichen Eigenschaften desselben nicht vereinzelt

Bezeichnete doch selbst Wilhelm von Humboldt, wie wir oben (S. 55) gesehen, schon in frühern Jahren „Eitelkeit und Sucht zu glänzen^' als den Hauptfehler des Bruders. Nodi schwerer fallen die Worte Freiesleben's ins Gewicht Am 23. Dec. 1796 schrieb ihm derselbe aus Marienberg: „Nun, mein Humboldt, wage ich Dir im innigsten Vertrauen, in der Zuversicht Deiner edeln gütigen Seele, ein paar Worte zu sagen, die Du sogleich vernichten wirst, wie Du sie gelesen hast, und von denen auch ich vergesse, dass sie mir aus der Feder flössen, sobald ich sie nur niedei^geschrieben habe; nämlich, mache jene Bekanntmachungen doch ja mit der vor- sichtigen Zurückhaltung und mit der bescheidenen kalten Ernst- haftigkeit, die Dir so natürlich war. Ich fühle es, es ist von mir nicht delicat. Dir diese unangenehme Bitte vorzutragen, allein ich halte es für Pflicht, da ich weiss, dass einige Briefe von Dir sowol als mündliche Unterhaltungen, die Du in einigen grossen Städten, unter namhaften Gelehrten, in Betreff Deiner physiologischen Entdeckungen mit einiger Lebhaftigkeit und vielleicht mit enthusiastischer Yertheidigung einiger schar&in- nigen aber paradoxen Hypothesen vorgetragen haben magst, zu schiefen Urtheilen Anlass gegeben haben, denen Du um so mehr ausgesetzt sein wirst, da der Neid der Gelehrten auf Dich gewiss von Tage zu Tage mehr gespannt ist Verlange über beide Facta, die mich zu dieser treuherzigen Mittheilung (die

4. In Jena und Weimer. (FreundeBrath und Bekenntniss.) 223

leicht plump scheinen kann) bewogen, keine weitere Erklämng^ denn diese würde wdter nichts helfen und Erbitterung ^eran» lassen. Empfindlich kann es Dir aber gar nicht sein, da der- gestaltiger Tadel, der nur das Oeniemässige Deines Sdiarfsinns traf, immer noch für jeden andern beneidenswürdig bleiben würde."

Hierauf bezieht sich auch die Antwort Humboldt's, d. d. Baireuth, 26. Febr. 1797: „Für Deine schönen, genauen Ver- suche danke ich Dir öffentlich, aber für den brüderikhen Rath, den Du mir wegen meines Innern und meines Eindrucks auf andere gibst, dafür, guter Karl, sei Dir die sanfteste Rüh- rung meines dankbaren Herzens geweiht. Du hast sehr recht, und Dein Bath soll nicht verloren sein."

In der That fühlte Humboldt selbst sich von Eitelkeit nicht frei. Spricht er doch gleich im Anfange des Briefes an Schiller von seiner „Eitelkeit, die sich lebhaft geschmeichelt fand". Wiederholentlich gesteht er dem damaligen Amtsgenossen in Franken, dem spätem Minister von Schuckmann, seine „Autor- eitelkeit", und gibt ihm in einem Briefe (Jena, 14. Mai 1797) ein Bild seiner Thätigkeit, das in der Aehnlichkeit mit dem Urtheil Schiller's um so interessanter ist, weil es aus derselben Zeit herrührt als jenes.

„Sie kennen", schreibt er dem Freunde, „meine geschäfts- lose Geschäftigkeit, dies Treiben und Laufen, das mich immer beginnen und nie vollenden lässt Ich war nie so gespannt, so arbeitsam, so unternehmend als gerade hier. .... Ich bin recht eigentlich mit Lernen und Ordnen des Gelernten beschäf- tigt Ich muss gewaltig arbeiten, um mich so zu rüsten als ich es vorhabe; daher wundem Sie sich nicht, mein IJeber, wenn Sie ewig von neuen Arbeiten hören. Freilich kann ich nicht existiren ohne zu experimentiren, aber der eigentliche Zweck meines Treibens ist es jetzt nicht."

Auch dafür, dass Humboldt, wenn es ihm darauf ankam, „sich geltend machen konnte", lassen sich Beweise beibringen»

m

224 I- Jagend und erste Manne^ahre.

Gegen Fourcroy's oben angeführten Tadel replidrt er: „Ma premi^re jeunesse a ^t^ vou^e k T^tude de la botanique et de la g^ologie. Je m'occupois toujours de la contemplation de la nature meine. Toutes les personnes sous les yeox desqaelles je travaille, savent que je suis sans rel&che occupiS d'exp^riences chimiques. J'en ai fait r^cemment sur la mofette, dont Feffet auroit pu 6tre funeste ä ma sant^. Cela n'est pas, sans doute, le train de vie d'un homme qui ne se plait qu'ä agrandir le nombre des hypoth^ses brillantes."

Nicht minder hat er es geliebt von seinen Arbeiten Kennt- niss geben zu lassen, denn „zum schriftstellerischen Handwerk gehört Läuten", schrieb er an Wattenbach (s. o. S. 128). Aber aus allen seinen derartigen Aeusserungen lächelt die liebens- würdigste Selbstironisirung. „Nos poma natamusi" war sehr oft das Schlusswort, wenn er Freunden von der Wichtigkeit seiner Arbeiten berichtete. Eine „Carte de restaurateur** nennt er den Prospect seiner amerikanischen Reisewerke, und bekennt lächelnd an Pictet: „Je crois donc que la charlatanerie litt^raire s'est rencontrö ici avec l'utilit^ de la chose."^ Humboldt war auch schon in der Jugend zu gross, um eitel zu sein im ge- wöhnlichen Sinne des Worts. Wo er eitel scheint, wo er selbst einräumt es zu sein, ist ihm Eitelkeit nur ein Mittel, auf die Wichtigkeit der Sache hinzuweisen, die ihn beschäftigt.

Schiller hat in spätem Jahren manche seiner Urtheile und Aussprüche mit fast hofräthlichem Entsetzen zurückgewiesen. Zu diesen Urtheilen gehört sicherlich auch das über Alexander von Humboldt. Er erlebte noch die Heimkehr Humboldts aus Amerika, am 3. Aug. 1804, und die Huldigungen, die ihm allseitig erwiesen wurden. Das freundschaftliche Verhältniss zwischen den Lebenden, die hohe Würdigung, die Humboldt während seines langen Lebens dem früh geschiedenen Genius bewahrte, die Freundschaft, die er für die Angehörigen Schiller's im treuen

» Le Globe, VII, 162.

4. In Jena und Weimar. (Homboldt und die neue KatoipliiloBophie.) 225

Herzen trug, sind niemals, selbst damals nicht als ihm das Urtheil Schiller's vor dem Abdruck in dem Briefwechsel zwischen Schiller und Kömer vorgelegt wurde, auch nur von einem Flor flüchtiger Misstimmung getrübt worden. „Augenblickliche Wal- lungen^^ nannte er solche Urtheile, in die auch er in ge- reizter Stimmung oft verfallen sei. Und wie Kömer, im Sep- tember 1804, bei dem Gerüchte, Humboldt sei zum Präsidenten der berliner Akademie ernannt worden, davon gute Folgen für Schiller hoffte, so blieben auch für Schiller's Schwägerin, Karo- line von Wolzogen, bis in ihre spätesten Lebenstage die noch erhaltenen seelenvollen Briefe Alexander von Humboldts das schönste und trostreichste Begegniss.

Wie aber verhielt sich Humboldt, der Naturforscher, zu den modernen Naturphilosophen, die von Jena ausgingen?

Humboldt war bei aller Milde der Popularphilosophie Men- delssohn's und EngeFs doch in der Strenge Kantischer An- schauungs- und Denkregeln erwachsen. Eine principielle Spal- tung, wie sie jetzt Philosophie und Naturwissenschaften von- einander trennt, bestand damals nicht. Kant's Philosophie hatte nicht den Zweck, die Menge unserer Kenntnisse durch das reine Denken zu vermehren, denn ihr oberster Satz war, dass alle Erkenutniss der Wirklichkeit aus der Erfahrung geschöpft werden müsse; sie beabsichtigte nur, die Quellen unseres Wissens und den Grad seiner Berechtigung zu unter- suchen.

Auch Fichte, der von 1794 bis zum Atheismusstreit 1798 in Jena lehrte, befand sich, so fremd und schroff er auch der gemeinen Anschauungsweise der Welt entgegentrat, in keinem principiellen Gegensatze zu den Naturwissenschaften, vielmehr stimmt seine Darstellung der sinnlichen Wahmehmung auf das genaueste mit den Schlüssen überein, welche später die Physiologie der Sinnesorgane aus den Thatsachen der Erfahrung gezogen hat

A. V. Humboldt. I. 15

/-

226 I* Jugend und erste Mimiie^ahnd.

Schelling lehrte erst seit 1798 in Jena.^ In dem „System des tran3scendentalen Idealismus" fasst er die Grundzüge seiner Naturphilosophie kurz dabin zusammen : „Die nothwendige Ten- denz der Naturwissenschaft ist, von der Natur aufs Intelligente zu kommen. Dies und nichts anderes liegt dem Bestreben zu Grunde, in die Naturerscheinungen Theorie zu bringen. Die vollendete Theorie der Natur würde diejenige sein, kraft welcher die ganze Natur sich in eine Intelligenz auflöste. Die todten und bewusstlosen Producte der Natur sind nur mislungene Ver- suche der Natur, sich selbst zu reflectiren, die sogenannte todte Natur aber überhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phänomenen noch bewusstlos, obschon der intelligente Charakter durchblickt. Das höchste Ziel, sich selbst ganz Object zu wer- den, erreicht die Natur erst durch die höchste und letzte Re- flexion, welche nichts anderes als der Mensch, oder allgemeiner das ist, was wir Vernunft nennen, durch welche zuerst die Natur vollständig in sich selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird, dass die Natur ursprünglich identisch ist mit dem, was in uns als Intelligenz und Bewusstes erkannt wird. Wenn alle Philosophie darauf ausgehen muss, entweder aus der Natur eine Intelligenz, oder aus der Intelligenz eine Natur zu machen, so ist die Transscendentalphilosophie , welche diese letztere Aufgabe hat, die andere nothwendige Grundwissenschaft der Philosophie."

Diesier transscendentale Idealismus in der neuen Naturphilo- sophie hatte anfangs allerdings viel dazu beigetragen, dem bis- herigen rohen Empirismus ein Ziel zu setzen und die Natur- forscher an wirkliches Denken zu gewöhnen. Der Zwiespalt der Ansichten und Methoden schien sogar dem Fortschritt forder- lich, daher denn auch Schiller's Zuruf an die

' Seine „Ideen zu einer Philosophie der Natur" waren 1797 er- iblüenen. 1798 folgte „Die Weltseele, eine Hypothese der höhern Physik", 1799 „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie", 1800 „System des transscendentalen Idealismus".

4. In Jena and Weimar. (Humboldt and die neue Katarphilosophie.) 227

Naturforscher und Transscendentalphilosophen:

Feindschaft sei zwischen euch ! Noch kommt das Bündniss zu frühe. Wenn ihr im Suchen euch trennt, wird erst die Wahrheit erkannt;

Daher konnten auch noch nach der Rückkehr Humboldt's von seiner amerikanischen Reise Naturphilosophen und Natur- forscher gegenseitige Förderung von einander erwarten. Daher konnte auch noch Schelling von Würzburg aus im Januar 1805 an Humboldt schreiben^:

.... „Ich wage, Ihnen von Naturphilosophie zu sprechen, da mir versichert worden ist, dieser neue Gang der Philosophie, wodurch sie ihr altes Besitzthum, die Natur, wieder ergriffen hat, habe bereits auch Ihre Aufmerksamkeit erregt. Man hat sich in Deutschland gegen diese Sache wie noch immer gegen alles Neue benommen. Man hat sie erst misverstanden und verdreht und die gröbsten Yorurtheiie dagegen verbreitet. Man hat vorgegeben, die Naturphilosophie vei*schmähe die Erfahrung und hemme ihre Fortschritte, und dies zu gleicher Zeit als ein- zelne Naturforscher von den Ideen derselben den besten Ge- brauch zu ihren Experimenten machten und diese danach regulirten. Es hat bisjetzt in Deutschland von Seiten der em- pirischen Forscher an dem Manne gefehlt, der die Ansicht im ganzen und grossen aufgefasst und danach beurtheilt hätte^, Höchstens hatte man gegen einzelne Punkte, vielleicht mit Recht, Zweifel erhoben, aber diese können nichts im Total der Ansicht ändern, welche tiefer gegründet ist.

„Wenn ein Mann Ihres Geistes, von dieser Tiefe und Fülle der Erkenntniss, dass in ihm, wenn dies überhaupt möglich wäre, die Totalität derselben erreicht scheinen könnte, dessen Wissen nicht blos auf das jetzige und die nächst vorhergehenden Zeitalter eingeschränkt ist, der das Grosse verflossener Jahr- hunderte kennt und vom Geiste des Alterthums genährt ist wenn ein Geist von solcher Universalität diese neue Ansicht der.

1 Aus Schelling's Leben. In Briefen (Leipzig 1870), II, 47—60.

16*

228 !• Jagend und erste Mannesjahre.

Probe unterwerfen wollte, welche schnelle Entscheidung, welcher Gewinn für den menschlichen Geist 1

„Vernunft und Erfahrung können sich nie anders als blos scheinbar widerstreiten, und so habe ich das festeste Zutrauen, Sie werden in vielen Punkten die überraschendste Ueberein- Stimmung der Theorie mit der Erfahrung in der neuen Lehre nicht verkennen. Ihr Geist hat schon mitten im Zeitalter des Empirismus so mächtig über die Schranken der damaligen Physik hinausgestrebt, dass Ihnen die kühnern Ideen der jetzigen Ansicht wie Bekannte sein müssen und unmöglich fremd sein können. Wenn Sie, Ihrem Charakter als empirischer Natur- forscher getreu, mit weiser Enthaltsamkeit jenen Ideen in Ihren Werken keinen Eingang verstatten, als soweit sie sich durch Erfahrung bestätigen, so werden Sie deshalb ihren Werth jetzt nicht verkennen, nachdem sie die Sanction der Vernunft durch Philosophie erhalten haben.'^ ....

Hierauf konnte auch noch Humboldt, Paris, 1. Febr. 1805 erwidern :

.... „Herr W. hat Ihnen unstreitig gesagt, wie sehr ich mir anzueignen wünsche, was Sie durch Begründung einer Na- turphilosophie in den letzten Jahren Grosses und Schönes er- rungen haben. Was sollte auch in der That mehr meine Auf- merksamkeit auf sich ziehen als eine Revolution in denjenigen Wissenschaften, denen mein ganzes Leben gewidmet ist. Seit sechs Jahren von Europa abwesend, ohne Bücher, blos mit der Natur beschäftigt, ist mir eine unbefangenere Ansicht gewährt als manchem Physiker, dem durch die Sittenverderbniss, welche die literarischen Kriege nach sich ziehen, seine alten Meinungen lieber als das Object selbst, die Natur, geworden sind. Nein, ich halte die Revolution, welche Sie in den Naturwissenschaften veranlasst, für eine der schönsten Epochen dieser raschen Zeiten.

„Zwischen Chemismus und Erregungstheorie schwankend, habe ich stets geahnt, dass es noch etwas Besseres und Höheres

4. In Jena und Weimar. (Humboldt und die neue Naturphilosophie.) 229

geben müsse, auf das alles zurückgeführt werden könne, und dies Höhere verdanken wir nun Ihren Entdeckungen.

„Lassen Sie es sich aber nicht anfechten, dass diese Ent- deckungen, wie alles Wohlthätige in der Welt, vielen zum Gift geworden sind. Die Naturphilosophie kann den Fortschritten der empirischen Wissenschaften nie schädlich sein. Im Gegen- theil, sie führt das Entdeckte auf Principien zurück, wie sie zugleich neue Entdeckungen begründet. Steht dabei eine Men- schenklasse auf, welche es für bequemer hält, die Chemie durch die Kraft des Hirns zu treiben, als sich die Hände zu benetzen, so ist das weder Ihre Schuld, noch die der Naturphilosophie überhaupt Darf man die Analysis verschreien, weil unsere Müller oft bessere Maschinen bauen als die, welche der Mathe^ matiker berechnet hat? Nicht die Mathematik, nein, ihre vor- eilige unphilosophische Anwendung und die fehlenden Zwischen- glieder haben allein die Schuld. Hier haben Sie, vortrefflicher Mann, eine freimüthige Erklärung. Immer nach aussen stre- bend, fühlt doch niemand mehr als ich Bewunderung für das, was der Mensch aus seiner eigenen Tiefe und Fülle schöpft und hervorbringt." ....

So endlich konnte Humboldt noch im Jahre 1807 es öffent- lich aussprechen ^ : „Nicht völlig unbekannt mit dem Geiste des Schelling'schen Systems, bin ich weit von der Meinung entfernt, als könne das echte naturphilosophische Studium den empi- rischen Untersuchungen schaden, und als sollten Empiriker und Naturphilosophen als streitende Pole sich einander abstossen. Wenige Physiker haben lauter als ich über das Unbefriedigende der bisherigen Theorien und ihrer Bildersprache geklagt ; wenige haben so bestimmt ihren Unglauben an den specifischen Unter- schied der sogenannten Grundstoffe geäussert.^ Wer kann daher auch frohem und innigem Anthoil als ich an einem

' Vorrede zu den Ideen einer Geographie der Pflanzen, lY, 5. ' Versuche über die gereizte Muskel- und Nerrenfaser, I, 367. 422; II, 34. 40.

<230 I* Jugend und erste Mannesjahre.

System nehmen, das, die Atomistik untergrabend und von der auch von .mir einst befolgten einseitigen Vorstellungsart, alle Differenz der Materie auf blosse Differem^ der Raumerfüllung zurückzuführen, entfernt, helles Licht über Organismus, Wärme, magnetische und elektrische, der bisherigen Naturkunde so un- iBUgäpgliche Erscheinungen zu verbreiten versucht?"

Als aber nach Fichte's Tode, 1814, Schelling die Wissen- schaft des südlichen Deutschlands, Hegel die des nördlichen zu beherrschen anfingen, da glaubte die Philosophie die Resultate, 2U denen die Erfahrungswissenschaften schliesslich gelangen müasten, im voraus auch ohne Erfahrung, durch das reine Denken, aus der Idee des Absoluten, finden zu können. Sie zog das reine Denken der nüchternen empirischen Arbeit der Naturforschung vor. Es galt als Regel, nichts unerklärt zu lassen, nie das Nichtwissen zu gestehen; und so stellten sich denn, bei gänzlichem Mangel an Begriffen, Worte genug, aber -sehr zur Unzeit ein. Es entstand eine Chemie, bei der man sich die Hände nicht nass machte, eine Astronomie, bei der man nicht mass und nicJit rechnete. Selbst Männer von ent- schiedenem Verdienste sorgfältiger Beobachtung, Nees von Esen- beck, Oken, Döllinger, Walther, Schubert, Carus u. a., schlössen sich dieser Verirrung an. Die Blumenbach, Sömmering, Meckel, .Treviranus, Pfaff, Erman standen vereinsamt auf verlassenen Posten. Humboldt konnte dem Verfalle nicht wehren. Es war die bejammernswürdige Epoche, die er als „heitere Satur- nalien'V ^^^ »^^1 ^^ masque der tollsten Naturphilosophen ^^ bezeichnete. *

Auch zu dem Herzog Karl August war Humboldt in be- freundete Nähe getreten. Dem Fürsten waren Chemie, Botanik, Mineralogie, Zoologie, Meteorologie wohlbekannte Disciplinen. Von der Anatomie soll er nach dem wol etwas zu schmeichel- haften Urtheil des Anatomen Walther „mehr verstanden haben

1 Ä, tori' Humboldt^ Briefe an Vamhagen, S. 90.

4. In Jenft und Weimar. (Humboldt und K&rl Augost ) 231

als sein Professor Loder". * „Die Naturwissenschaft", si^hreibt Karl August an Knebel ^ „ist so menschlich, so wahr, dass ich jedem Glück wünsche, der sich ihr auch nur etwas ergibt. Sie fängt an leicht zu werden, sodass auch trägere Menschen gerfli ßich zu ihr einladen lassen. Sie ist so leicht wahr zu behan- deln, dass sie den Geschmack zum Unwahren überwinden kantl. Sie beweist und lehrt so bündig, dass das Grösste; das G^hein^ niss vollste, das Zauberhafteste so ordentlich einfach, öfientlich unmagisch zugeht ; sie muss doch endlich die armen unwissenden Menschen von dem Durste nach dem dunkeln Ausserordentlichen heilen, da sie ihnen zeigt, dass das Ausserordentliche ihnen so nahe, so deutlich, so unausserordentlich, so bestimmt nahe ist Ich bitte täglich meinen guten Genius, dass er auch mich von aller andern Art von Bemerken und Lernen abhalte, und mich immer auf dem ruhigen und bestimmten Wege leite.'^

Diese Einsicht und Theilnähme für naturwissenschaftliche Forschung wurzelte bei beiden Männern, Karl August und Hum- boldt, in einer Verwandtschaft des Geistes und Gemüths. Ein Beweis hierfür genüge.

Humboldt widmete bekanntlich in dem verhängnissscbweren Jahre 1808 seine „Ansichten der Natur*' „bedrängten Gemüthem, die sich herausgerettet aus der stüimischen Lebenswelle 'S auf dass sie ihm folgen mögen in das Dickicht der Wälder, durch anabsehbare Steppen, auf den hohen Rücken der Andeskette.

Dasselbe suchte und fand Karl August in dem Studium der Botanik. Als einst der Hofprediger Röhr über die eingehende Kenntniss des Fürsten seine Verwunderung aussprach, erwiderte er! „Ich will Ihnen sagen, mein lieber Röhr, wie ich dazu kam. Als im Jahre 1806 das grosse Unheil über unser Vater- land kam, und ich ringsum so viel Untreue, Verrath und Betrug sah, da bin ich an der Menschheit verzweifelt Und in meiner Verzweiflung hat mich allein die alte Liebe zur Natur

1 Wagner f Leben SömmeriDg's, n, 46. ' KnebeFs Literarischer Nachlass, I, 148.

232 I* Jugend und erste Mannesjahre.

aufrecht erhalten. Und da mich die Menschen anekelten, bin ich zu den Pflanzen gegangen und habe sie studirt, und habe mit den Blumen verkehrt, und die Blumen haben mich nie betrogen!"

Humboldt hatte in der That auch schon früh das Vertrauen des Fürsten in so hohem Masse erworben, dass 1797 auf seine Empfehlung Scherer als Bergrath nach Weimar berufen und zu weiterer Ausbildung in der technischen Chemie nach Eng- land geschickt wurde.

So oft Humboldt in Weimar einkehrte, war er dem Fürsten der willkommenste Gast, und so oft der Fürst am berliner Hofe weilte, war ihm Humboldt die erwünschteste Gesellschaft So war es denn auch eine freundliche Fügung, dass Karl August seine letzten Lebenstage am berliner Hofe in fast beständiger Gesellschaft mit Humboldt verlebt hat. „Auch hier in Berlin", schrieb Humboldt an Kanzler Müller \ „wollte er mich fast zu jeder Stunde um sich haben. Nie habe ich den grossen mensch- lichen Fürsten lebendiger, geistreicher, milder und an aller fer- nem Entwickelung des Volkslebens theilnehmender gesehen, als in den letzten Tagen, die wir ihn hier besassen. Ich sagte mehrmals zu meinen Freunden ahnungsvoll und beängstigt, dass diese Lebendigkeit, diese geheimnissvolle Klarheit des Geistes bei so viel körperlicher Schwäche mir ein schreckhaftes Phä- nomen sei. Er selbst oscillirte sichtbar zwischen Hoffnung der Genesung und Erwartung der grossen Katastrophe. Vierund- zwanzig Stunden vor derselben sass ich mit ihm in Potsdam mehrere Stunden allein auf dem Sofa. Er trank und schlief abwechselnd, stand auf, um an seine Gemahlin zu schreiben, dann schlief er wieder. Er war heiter, aber sehr erschöpft. In den Intervallen bedrängte er mich mit den schwierigsten Fragen der Physik, Astronomie, Meteorologie, Geognosie, über Durch- sichtigkeit eines Kometenkerns, über Mondatmosphäre, über die farbigen Doppelsterne, über Einfluss der Sonnenflecke auf Tem-

' Eckermann, Gespräche, III, 258.

4. In Jena ond Weimar. (Wiederholte Einkehr daselbst.) 233

peratur, Erscheinen der organischen Formen in der Urwelt, innere Erdwärme. Dann ging er desultorisch in religiöse Ge- spräche über. Er klagte über den einreissenden Pietismus und den Zusammenhang dieser Schwärmerei mit politischen Tendenzen zum Absolutismus und Niederschlagen aller freien Geistesregungen. «Dazu sind es unwahre Bursche», rief er aus, adie sich dadurch dem Fürsten angenehm zu machen glau- ben, um Stellen und Bänder zu erhalten. Mit der poetischen Vorliebe zum Mittelalter haben sie sich eingeschlichen.» Er schlief mitten in seiner und meiner Rede ein, wurde oft un- ruhig, und sagte dann, wegen seiner scheinbaren Unaufmerk- samkeit mild und freundlich um Verzeihung bittend : cSie sehen, Humboldt, es ist aus mit mir.u'^

Schon am nächsten Tage traf die Todesahnung ein. Der Fürst starb während der Heimreise auf dem Gestüte zu Graditz bei Torgau, am 14. Juni 1828, im 71. Altersjahre.

Jena und Weimar blieben Humboldt während seines ganzen langen Lebens Stätten, die ihn zu dankbarsten und erhebend- sten Erinnerungen stimmten. In Jena las er in der Versamm- lung der Naturforscher 183G einen der ersten Abschnitte des „Kosmos" „Ueber die Verschiedenheit des Naturgenusses und die wissenschaftliche Entwickelung der Wcltgesetze" und „Ueber zwei Besteigungen des Chimborazo". Noch in seinem 89. Lebens- jahre äusserte er: „Jena, das ich in seinem höchsten geistigen Glänze besuchte, um ernstere anatomisch -praktische Studien als Vorbereitung zu meiner vorweltlichen amerikanischen Expe- dition zu machen, und das fortwährend unter milden Fürsten eine wichtige Stelle in dem freier forschenden Deutschland ein- nimmt, ist mir durch Erinnerungen ein Lichtpunkt auf dem nur zu langen Lebenspfade geblieben." Er bedauerte, dass nur die l>eschleunigte Abnahme der körperlichen Kräfte ihn von der Jubelfeier der Universität, 1858, zurückhielt, „wohin ihn die liebsten, anregendsten Erinnerungen und die innigsten Dank- barkeitsgefühle hinziehen".

In dem eigenhändigen Schreiben des Grossherzogs Karl

234 I* Jugend und erste Mannesjalire.

Alexander vom 7. August 1857 an Humboldt ^ in dem er ihn zu den Festen der Grundsteinlegung für das Monument sdoes Gross Vaters Karl August, und der Enthüllung der Stataen Goethe's, Schiller's und Wieland's einladet, heisst es wortUch: „Sie sind so unzertrennbar von allem Grossen und Schönen des Vaterlands, so unzertrennbar von der Zeit, auf welche jene Namen hinweisen, dass ich mir jene Feste ohne Sie nicht denken kann."

So viel genüge für den Nachweis der lebendigen Zusammen- gehörigkeit Alexander von Humboldt's mit dem Kreise der Geistesheroen von Deutschlands classischer Literaturperiode.

Eins der sogenannten Dichterzimmer im Fürstenschlosse zn Weimar bewahrt ein Prachtalbum, welches die Prinzessin, jetzige Kaiserin und Königin Augusta von Preussen im Jahre 1849 dem Andenken an jene Zeit geweiht hat. Alexander von Humboldt gab darin seinem Andenken folgenden Ausdrück:

„Wie das Leben in der Natur den periodischen Wechsel üppigen Gedeihens und gehemmter Entwickelung darbietet, so wechseln auch die Geschicke im geistigen Leben der Mensch- heit. Bald stehen vereinzelt, durch Zeit und Raum geitrennt, die grossen Gestalten, welchen die spätere Nachwelt Bewun- derung zollt, bald zeigt uns die Geschichte dieselben aneinander- gedrängt, in befruchtender Nähe Licht und Wärme um sich verbreitend.

„Was diese ungleiche Vertheilung wohlthätiger Elemente, was ein gleichzeitiges Aufkeimen edler Geistesblüten begründet^ bleibt unserer Forschung fast gänzlich verhüllt. Zufall nennt es die frevelnde Menge. Es mahnt vielmehr die Erscheinung an jene ewigen Lichter der Himmelsräume, von denen die grossem bald einsam zerstreut, wie Sporaden im ungemessenen Meere, bald anmuthig in Gruppen vereinigt den frommen Sinn des Menschen anregen, ahnungsvoll ihn auf des Ewigen uner- kannten Weltplan, auf noch unergründete Weltgesetze hinleiten.

' Im Nachlass Alexander von HumboIdt^s.

4. In Jena und Weimar. (Albamblatt) 235

„Liegt aber das gleichzeitige Auftreten grosser Geister ausserhalb des Bereichs jeglicher irdischen Macht, so ist dem nicht so in der räumlichen Vereinigung und dem Zusammen- wirken der Kräfte. Es gewährt einen erhebenden Anblick, ein edles Herrschergeschlecht mehrere Generationen hindurch hoch- herzig von dem Gedanken beseelt zu sehen, durch jene An- näherung nicht blos den Ruhm der Heimat oder den eigenen Genuss des Lebens zu erhöhen, sondern auch durch eine der Annäherung innewohnende begeisternde Macht den schaffenden Genius zu einem kühnern Fluge anzuregen.

„Dem Andenken an einen solchen Einfluss auf Erweiterung und Verschönerung der freien Gedankenwelt, auf den Ausdruck zarter Empfindung, auf die Bereicherung der Sprache (eines Products des Geistes, in welchem der Volkscharakter, das Zeit- bedürfniss und die individuelle Färbung sich spiegeln) sind sinnig diese Blätter gewidmet Sic vergegenwärtigen, wie der künst- lerische Schmuck der umgebenden Räume, einen Glanzpunkt in der Geschichte des geistigen Lebens der Deutschen.'^

Und in diesem Glanzpunkte strahlt auch der Name Humboldt in doppelter Glorie.

5.

Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung.

Preussischc Zustände 17117. In Jena. In Dresden. In Wien. In Salzburg. In Paris. Nach Marseille. Marseille and Tonlon. Wanderung in Spanien. In Madrid. Corona.

Während der letzten Lebensjahre der Frau Majorin von Humboldt hatten sich alle Uebel der langen Misregierung des preussi sehen Staats zum höchsten Grade gesteigert. In der Coa- litionspolitik gegen Frankreich verkaufte man sich für Snbsidien- gelder abwechselnd an England und an Oesterreich, hielt zu keinem ehrlich, und vergeudete was man bekam. Der Baseler Friede erweiterte Frankreichs Grenzen bis zum Rhein, die Thei- lung Polens dehnte Russlands Grenze bis zur Weichsel aus. Ein- gekeilt zwischen beiden, trieb Preussen unaufhaltsam der Kata- strophe von Jena entgegen.

Im Innern führte die stete Finanznoth zu Härte, Ungerechtig- keiten und Habsucht, und dennoch sind bei den Säcularisaüonen in Westfalen, den Reunionen in Franken, den Confiscationen in den neuen polnischen Landestheilen die reichsten Güter an unwürdige Creaturen verschleudert worden. Die fremde Regie corrumpirte trotz harter Disciplin das Beamtenthum, ruhmlose Kriege demoralisirten das Heer. Unter theologischem Despotis- mus wucherte das Giftkraut officieller Frömmigkeit und Heuchelei, und die Häupter der Orthodoxie hielten bei Censur und Ten- denzprocessen ihre Hetzjagden auf heterodoxe Aeusserlichkeiten.

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (Preussische Zustände 1797.) 237

^ ' Die Schöpfer des grossen gesetzgeberischen Werks, des Allgemei- nen preussischen Landrechts, Klein, Garnier, Cocceji, standen ver- einsamt neben den Ministerien eines Goerne, Hoym, Struensee; die Theorie von Gesetz und Recht war machtlos neben der Praxis der Cabinetsjustiz. Trotz der Grundsätze vom Rechts- staat blieben Feudallasten, Adelsprivilegien, Ständeverschieden- heit unerschüttert.

Diese und ähnliche Zustände erzeugten in Literatur und Leben einen frivolen Skepticismus, der in Schlegel's „Lucinde", einer Verherrlichung der Leidenschaft, der Simultanliebe und Simultanehe, seinen üppigsten Auswuchs trieb.

Alle Bessern sahen mit Abscheu und Kummer auf solche Vorgänge. Auch Humboldt war der berliner Boden in allen Ab- stufungen der Gesellschaft längst im Innersten zuwider geworden. Schon 1795 sprach er, der jugendliche Bergrath, der hoffähige Sohn eines königlichen Kammerherrn, es aus ^ „dass Fürstennähe auch den geistreichsten Männern von ihrem Geiste und ihrer Freiheit raubte Schon damals war die berliner königliche Akademie der Wissenschaften das, was er sie etwas später nannte, „ein Siechenhaus'', „ein Hospital, in dem die Kranken besser schlafen als die Gesunden".^ Zu derselben Zeit, in der er mit eifrigster Anstrengung und Aufopferung dem Processe des Lebens und der Grundlage der praktischen Heilkunde nachspürte, trieben Quacksalber, Wunderdoctoren, Adepten und Magnetiseure im königlichen Krankenzimmer des Marmorpalais in Potsdam trü- gerische Heilkünste mit magnetischen Frauenhänden, jungen Katzen und Gedärmen ungeborener Kälber.

Was hätte Humboldt nunmehr nach dem Tode der Mutter in solcher Heimat noch länger zurückhalten können?

Nach kurzem Aufenthalt in Berlin, wohin die eingetretenen Familienverhältnisse ihn gerufen hatten, kehrte er nach Baireuth

' Im ,3hodi8chen Genius *^

* Bt \a Roquette, Humboldt, Correspondance etc., I, 184. („Le Olobe, Joorn. g^gr. etc.**, p. 179.)

^

238 I. Jagend und erste Maimeqahre.

zurück, um seine dortigen Amtsgeschäfte abzuschliessen , UHi schon am 1. März finden wir ihn in Jena bei dem Bruder, der ebenfalls von einer so mächtigen Reiselust beseelt war, dass er gegen Schiller den Plan aussprach, „nie einen festen Wohnort zu haben, sondern zwischen diesem und eigentlichen Beisen ein Mittel zu halten''. Und da auch Haftens nach Jena gekonunen, so waren die nächsten Freunde hier beisanmien.

Von der Thätigkeit Humboldts um diese Zeit ist bereits im Vorhergehenden die Rede gewesen. Auch findet eben jetzt der lebhafte persönliche Verkehr zwischen Goethe und den beiden Brüdern statt. Goethe besuchte den Jenaer Freundeskreis Ende Februar bis Anfang April und vollendete unter ihren Augen sein episches Gedicht „Hermann und Dorothea". Wilhelm von Humboldt geleitete ihn zurück, hielt in Weimar über die letzten Gesänge „ein genaues prosodisches Gericht", und versah sich dort mit zweckmässigen WerJ^en zur Vorbereitung auf die Reise nach Italien.

Um diese Zeit, am 14. Mai 1797, schrieb Alexander von Humboldt von Jena aus einen überlangen Brief an von Schuck- mann, voll Neuigkeiten, Berichten, Planen, kurz „einen Brief wie eine Zeitung^', aus dem schon früher einiges gelegentUch mitgetheilt wurde. In demselben heisst es femer: „Ich werde mich vom 1. Juni an noch einige Wochen in Dresden und Frei- berg authalten, um mich mit meinem grossen Sextanten (ich habe einen vierzehnzölligen) unter Köhler's Aufsicht mehr ein- zuarbeiten, und um von Werner zu lernen, „wie die Vulkane entstanden sind". Im Anfang September denke ich in Venedig zu sein, und werde dann den Winter wahrscheinlich in Neapel zubringen." ....

In Jena, schrieb er ferner, sei Geisteslähmung unter den Lehrern, aber Geistesthätigkeit unter den Jüngern Leuten. Er lebe daher nur mit diesen. Loder sei sehr kopflos, aber man lerne das Mechanische gut. Tags zuvor sei ein armer Ackers- mann samnit seiner Frau vom Gewitter erschlagen worden. Er habe den Mann selbst secirt und dabei erfahren, wie gewaltig die

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Jena.) 239

Knochen die Elektricität leiten. Das Hinterhauptbein sei vom Blitz wie von Schrotkörnern durchbohrt gewesen, und schon nach zwölf Stunden sei Fäulniss eingetreten. Zum Schlüsse heisst es :

„Goethe ist meist hier, er hat sein grosses Heldengedicht «Hermann und Dorothea» nun vollendet. Es gehört zu dem Schönsten, was er je geliefert, und zeigt ihn in der ganzen FfiUe seiner Jugend. In sechs Wochen war dies Meisterwerk begonnen und vollendet. Jetzt ist ein zweites schon unter der Feder. Sie werden erstaunen, wie im u Hermann» eine einfache Geschichte aus der Bürgerwelt homerisch behandelt ist und be- handelt werden konnte. Schiller arbeitet noch immer an seinem Trauerspiele «Wallenstein». Mein Bruder Wilhelm hat viele Chöre aus den Tragikern fertig, auch den ganzen «Agamemnon» des Aeschylus. Letzterer wird bald gedruckt werden. Sie sehen, mein Lieber, dass hier alles in gutem Zuge ist. Ich verlasse diesen Ort mit Wehmuth. Wo findet man alles so vereint wieder?"

Der nächste Plan war, mit der ganzen Familie und mit Haftens über Dresden und Wien nach Italien zu reisen. Hier wollte Alexander von Humboldt vor allem die Natur der vul- kanischen Erscheinungen studiren, und sodann allein über Aegypten nach Asien gehen. Wahrscheinlich wäre auch Jena bald verlassen worden, wenn nicht Wilhelm von Humboldts Gattin, nach der im Januar erfolgten Entbindung von dem zwei- ten Sohne Theodor, noch sehr leidend gewesen wäre, und hätte nicht dieser selbst an einem Anfall des kalten Fiebers gelitten, von dem auch die Kinder ergrififen wurden, sodass fast die ganze Familie erkrankt war. „Und doch", schreibt Schiller an Goethe am 14. April, „spricht mau noch immer von nahen grossen Reisen."

Schliesslich sei hier noch der brieflichen Abhandlung Hum- boldts an van Mons „Sur le proc^d^ chimique de la vitalit^" dacht, welche, wie schon S. 221 erwähnt, ihm von dem Physiker Fourcroy einen Vorwurf zuzog, der dem obenerwähnten von selten Schiller's gerade entgegengesetzt war, der aber nach einer

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240 I* Jugend und erste Mannesjahre«

langen, nicht ohne Empfindlichkeit geführten Correspondenz dadurch beigelegt wurde, dass Fourcroy schliesslich erklärte:

„Vos d^couvertes sur le Galvanisme sont le fruit de re- cherches trop exactes, elles doivent avoir une trop grande influence sur la physique animale, pour que j'aie pu en prendre une pareille opinion. Ainsi ce ne peut pas &tre de vos travaux, dont je fais le plus grand cas, et que je m^dite chaque jour avec un nouveau plaisir, que j'ai voulu parier dans ma lettre au citoyen van Mons. Soyez assur^ quo je prends trop les scru- tateurs infatigables de la nature les vrais interpretes de ses my stires, les v^ritables physiciens, en un mot, dans la liste desquels vous vous £tes dejä fait un nom si distinguä, pour avoir pu penser jamais ä calomnier vos efforts, ä d^courager votre zele, et ä vous confondre avec les dangereux inventeurs d'hypotheses."

Anfang Juni finden wir die ganze Familie von Humboldt und von Haften und auch Fischer, der inzwischen als Dr. me- dicinae promovirt, in Dresden zusammen. Während Wilhelm von Humboldt hier im Verkehr mit Körner, dem Freunde Schiller's, mit dem preussischen Gesandten Grafen von Kessler, mit dem Bibliothekar und Sprachforscher Adelung den Reiz neuer Bekanntschaften genoss, widmete sich Alexander, da er eben einen Hadley 'sehen Sextanten erworben hatte, mit dem Inspector des astronomischen und mathematischen Salons, Köh- ler, astronomischen, geodätischen, hypsometrischen Uebungen und meteorologischen Beobachtungen. Der fünfte Band seiner „Tage- bücher^^ enthält noch einzelne Blätter numerischer Details dieser Arbeiten in und um Dresden, Pillnitz, Königstein, Töplitz, Prag, und in Briefen aus Salzburg nennt er Köhler sehr verbindlich seinen Lehrer und Freund.^

Der Aufenthalt in Dresden scheint überhaupt für die spä- tem Reisen Humboldts von ungeahnt günstigen Erfolgen ge- wesen zu sein. In Dresden fand er nämlich die vorzügliche

AUgemeine geographische Ephemeriden, II, 267.

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Dresden.) 241

Sammlung spanischer und amerikanischer Mineralien des Frei- herm von Rackwitz. Hier mochte er auch Personen und Verhält- nisse kennen gelernt haben, durch die ihm später das Interesse des sächsischen Gesandten am spanischen Hofe, des Freiherm von Foreli, an seinen Unternehmungen gewonnen wurde.

Herrgen, damals Professor der Mineralogie in Madrid, rühmt in seinen Briefen an von Moll ^ wiederholentlich die schöne Mine- raliensammlung des Herrn von Rackwitz und den Eifer des Herrn von Foreli für die mineralogische Wissenschaft.

In dem Fragmente eines Briefes, in welchem Humboldt von Dresden aus dem Freunde Freiesleben seinen Besuch in Frei- berg ankündigt, tönen die Klänge seiner damaligen Seelen- Stimmung wider, die um so interessanter erscheinen, weil sie den innem Menschen und die schwere Fülle der Gedanken, Ahnungen und Plane andeuten, mit denen um jene Zeit sein Geist erfüllt war. „Auch die todte Natur um Freiberg", schreibt er dem Freunde, „bis auf die Bühnen auf der Himmelfahrt in- teressirt mich; aber ich habe ein so ängstliches Gefühl dabei, als werde ich dies alles unter andern Gesichtspunkten wieder- sehen, als würden die schönsten Bilder meiner Phantasie, dies alte bergmännische Leben, mir geraubt werden. Vor fünf Jah- ren sah ich fröhliche, freundliche Gesichter, es war ein schönes Gefühl, so allgemein befreundet zu sein; jetzt ist es eine neue Welt, und der alten bin ich ein complicirter, in sich gewickelter Mensch geworden, den sie nicht kennt." Hierzu bemerkt indess Freieslcben, dass die innige Bewegung, die Humboldt bei seinem Besuche empfunden, doch das Gefühl der freudigsten Rührung nicht verkennen liess.

Das Bedürfniss geselligen Verkehrs fand in dem Hause Kör- ner's, des Freundes Schiller's, und in der Familie des Kriegs- secretärs Neumann erheiternde Befriedigung. Auch bei Hofe waren beide Humboldt mit Ehren ausgezeichnet worden.

Ein Hauptgeschäft, das in Dresden geordnet wurde, war

1 von Moll, Mittheilongen aus seinem Briefwechsel, S. 315—322.

A. t. Humboldt. I. iQ

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die Theilang der Erbschaft die der treae Kanth mit Yäterlicber Fürsorge leitete. Es ist hier der Ort, die bisherigen, aach von Bergbaus' gemachten irrigen Angaben in Betreff des Gutes RingenwaMe zu berichtigen, als sei dasselbe ein ¥on Colomb'sdier Familienbesitz gewesen, und von Alezander von Humboldt 1802 während seiner amerikanischen Reise verkauft worden, um die Kosten derselben zu bestreiten. Vielmehr steht nach den Er- mittelungen des Appellationsgerichts-Präsidenten Simson* ur- kundlich fest, dass Ringen walde. im 16. Jahrhundert im Besitz der Familie von Schönebeck, von den letzten Descendenten der- selben 1763 an den Hauptmann von Hollwede veriuuift ward, und durch dessen Wittwe Elisabeth von Colomb in die Efinde ihres zweiten Gemahls Alexander Georg von Humboldt, des Vaters der beiden Brüder, überging. Dieser starb 1779 nnd ward erst in Ringen walde, später in Falkenberg beigesetzt; seine Erben aber verkauften schon 1793 das Gut an Hm. von Knobeb- dorf für 72000 Thlr., wovon 45000 Thhr. als eine bis 1803 unkünd- bare Hypothek auf dem Gute stehen blieben. Letztere ward nach dem Tode der Mutter 1796 von seinem Stiefbruder, dem Bitt- meister von Hollwede, und seinem Bruder Wilhelm an den da- maligen Oberbergrath Alexander von Humboldt cedirt, welcher bald darauf für die Zwecke seiner grossen Reisen vergeblich sich bemühte das Kapital zu erhalten. Das Gut Ringenwalde wech- selte seitdem rasch seine Besitzer, es ward zu immer höhenn Kaufpreise von Mitgliedern der Pamilien von Kleist (1796), von Reede (1801), Blell (1817) erworben und ging 1821 in den Besitz der Familie Koppen über.

Zu den 45000 Thlm. auf Ringenwalde kamen für Alexander von Humboldt noch hinzu: hypothekarisch auf Tegel 8000 Thlr, fer- ner diverse Werthpapiere und baares Geld, sodass seine Erbschaft sich in Sunmia auf 91475 Thlr. 4 Gr. belicf. Nach Abrechnung von

' Gcogr. hist.-stat. Landbuch der Mark Brandenbarg, III, 449. ' Mitgcthcilt bei dem Feste in Frankfurt a. 0. zur säcularen Feier des (leburtstags Alexander von Humboldt^s.

5. Gescheiterte Plane, endliche ErfQllang. (In Wien.) 243

6100 Thlr. Passiven vermerkte er zu Dresden in sein Tagebuch: ,,Mein baares, sicheres und zinsbares Vermögen beträgt am 16. Juni 1797 85375 Thlr. 4 Gr., davon jährlich gewisse Zinsen 3476 Thlr."

Der Aufenthalt in Dresden hatte sich durch einen neuen Fieberanfall dör Frau Wilhelm von Huraboldt's wider alle Plane verzögert. „Das wird eine schöne Reise werden", schreibt Schiller am 30. Juni an Goethe, „sie müssen jetzt schon über die Zeit liegen bleiben 1"

Endlich wurde Dresden Ende Juli 1797 verlassen. „Hum- boldts sind fort und grüssen herzlich", schreibt Schiller an Goethe am 30. Juli, und hieran schliessen sich die bereits S. 211 fg. mitgetheilten Briefe von Kömer und Schiller über Wilhelm und Alexander von Humboldt.

Die Theilnahme der Zurückgebliebenen folgte den Reisenden auch in weitere Feme über Prag nach Wien, wo sie sich anfangs recht gut gefielen. Während Wilhelm in Gesellschaft des jugend- lichen Philologen Bast die handschriftlichen Schätze der kaiser- lichen Bibliothek durchforschte, beschäftigte sich Alexander mit botanischen Studien, für die ihm Jacquin und van der Schott in den kaiserlichen Gärten von Schönbrunn die reichsten Herbarien und die seltenste Flora zu Gebote stellten.

Einige noch erhaltene Briefe Alexander's aus dieser Zeit schildern in verschiedenen Stimmungen die wiener gelehrten Zustände.

So schreibt er an Freiesleben (das Blatt hat kein Datum, scheint aber der erste Brief aus Wien gewesen zu sein): „Ich lebe hier mitten in Wien unendlich einsam, da ich viel und nicht ohne Glück arbeite. Der zweite Theil meines Werks (Reizversuche) ist nun fast volleudet, und über die andern Ar- beiten bin ich auch schon rasch her. Die Reise von Prag hier- her war ziemlich langweilig. So schön der Theil von Böhmen ist, den wir sahen, so einförmig und unwichtig ist der südliche. Oder war er es mir nur, weil ich ihn ohne Dich sahl Buch hat mir geschrieben, dass er »nach Italien gehen wird, um sich

16»

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244 !• Jugend und erste Mannesjahre.

dort zu bauten und in Aether zu kleiden». (Da kann er noch recht schön werden.) Wann er abgeht, wo ich ihn fände, das schreibt er nicht.

„Mein neues Buch und auch die alten werden hier sehr viel gelesen. In Schönbrunn bedient man sich auch mit Vortheil des Mittels der Oxygen- Salzsäure. Ich habe Bäume gesehen

aus 24jährigem Samen. Sonst ist alles hier . Man weiss

nicht einmal etwas vom Magnet, und der junge Jacquin, dem ich davon erzählte, hat noch nicht einmal das Interesse gehabt, ein Stück bei mir sehen zu wollen.

„Meine Grubenwetter, lieber Karl, erhalte ich doch hierher nach Wien in der Kärntnerstrasse Nr. 1224 erster Stock. * Ich bin bis 4. October gewiss hier. Ob ich von hier nach Italien gehe, ist jetzt wieder ungewiss; theils ist die Reise von hier aus verboten, theils Italien selbst noch sehr in Gärung. Der Win- ter, Haften's Kinder alles erregt Besorgniss. Mein Bruder geht wahrscheinlich auch nicht nach Rom, sondern von hier nach Paris. Er bleibt anderthalb Jahre in Frankreich und geht dann erst nach Italien. Ich bringe wahrscheinlich den Herbst und Winter in der Schweiz, Zürich oder Geneve, zu und gehe im April über Tirol nach Italien. Ich gewinne Müsse, viele, besonders neue Arbeiten zu vollenden, und hoffe gerade im Winter und Herbst (wo ich gewiss noch den Gotthard besuche) mein Buch über die Atmosphäre sehr zu bereichern.

„Der junge Böthlingk ist hier angekommen, und ist noch fest gesonnen mit mir nach Westindien zu gehen. Wir denken

* Es ist hiermit das Manuscript zu dem Werke „Ucber die unter- irdischen Gasarten" gemeint, das Frcieslcbcn rcvidiren sollte. Nach dem Empfange desselben schreibt Humboldt: „Mein Werk konnte ich kaum darin wiedererkennen. Du hast Dir mehr Mühe damit gegeben als die Sache verdiente, nicht blos Materialien geordnet, sondern viele neue dazu geschafft. Es wird mir nun ein Leichtes sein, ein Buch daraus zu machen, und ich möchte es Dir zueignen, wenn nicht zu viele Menschen um die Sache wüssten, imd Dir nicht etwas Besseres, meine «Geognosie», bestimmt wäre."

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Wien.) 245

Über Spanien und TeneriflFa die Reise anzutreten. Er hat 40000 Rubel Einkünfte."

Sehr ausführlich schreibt er an Professor Loder in Jena * : „In Wien brachte ich eine köstliche Zeit zu. Ich wohnte viele Wochen lang in Schönbrunn, und ohnerachtet meine Verbindungen und die besondere Freundschaft des Grafen Sauzau(?) (jetzt eine Art von Premierminister und kaum 34 Jahre altl) mich in den grossem Alltagscirkel hineinzwängten, so blieb mir doch Müsse genug, Frank's und Jacquin's Haus, wie die öffentlichen Institute zu geniessen. Ich habe das Klinikum mehrere Wochen lang besucht, blos um den alten (Job. Peter) Franck näher kennen zu lernen, und gestehe, dass selten ein Mann solchen Eindruck auf mich gemacht. Welche Klarheit der Ideen, Besonnenheit und Gründ- lichkeit bei dem sichtbarsten Aufblitzen des Genies 1 Dass es in jenem Klinikum so wüthig sthenisch hergehe (worüber halb Wien schreit), habe ich nicht gesehen. Franck hat meine Schwä- gerin behandelt, und selbst hier, wo gewiss alle Indication der Schwäche (von zu grossem Milchverluste) ist, auch hier ver- fuhr er nach der gemischten Methode, die Sie, mein Theurer und unser Hufeland gewiss gebilligt haben würden. Was mich an Franck noch besonders freute, war, dass er bei allen Un- arten des vornehmen Mannes doch so einfach in seiner Häus-

> Lodcr hatte an Humboldt das Honorar geschickt für einen Artikel „Ueber die Anwendung des galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde", der in seinem „Journal für Chirurgie, Geburtshülfe und ge- richtliche Arzneikunde", I, 441 471, abgedruckt war. Dies gab wahr- scheinlich die Veranlassung zu Humboldt's Briefe. Im Anfange desselben heisst es : „Sie schicken ein Honorar für ein paar Blätter, denen Sie einen ehrenvollen Platz in Ihrem Journale gegeben haben. Sie bezahlen trotz Hm. Cotta, wenn man mit seinen Hören getanzt; nur dass Ihre Hören den Tanz länger als die seinigen (denen man oft die Müdigkeit anmerkt) aus- halten werden. 15 Thlr. 15 Gr. für so ein paar Blätter nun, es ist das erste Geld, welches mir ein Journal einträgt; und Sie, mein Theurer, haben sich in dem Punkte der unerhörtesten Freigebigkeit nun schon so ein Denkmal bei mir gestiftet, dass ich mir eine ordentliche Freude daraoB mache, auch dies von Ihnen anzunehmen."

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246 !• Jugend und erste Mannesjahre.

lichkeit ist. Bis li Uhr ist er im Klinikum beschäftigt, von 11 2 Uhr fährt er umher, von 3—5 Uhr sieht er, (wie Tissot) auf seinem Kanapee ausgestreckt, Fürsten und Damen bei sich, und von 5 10 Uhr nachts besucht er wieder Kranke. Des Nachts und morgens vor 7 betreibt er seine Correspondenz. Ihnen freilich, der Sie auch zeigen was man arbeiten kann sollte ich diese Thätigkeit nicht anrühmcn. Geniessen kann man Franck daher nur in Zwischenzeiten, aber auch dann ist er immer gesammelt, immer empfanglich für physiologische und naturhistorische Unterhaltung. Doch genug von einem Manne, den Sie vielleicht persönlich kennen.

„Noch muss ich eines Mannes erwähnen, der ohne Vergleich das genialischste Wesen von ganz Wien ist, Professor Porth. Da er mit vielen ausländischen Thieren und Pflanzen, Statuen und Präparaten und Münzen, alles in Einem Zimmer, nahe bei dem botanischen Garten wohnt, so habe ich ihn oft besucht. Faulheit und Reichthum haben ihn wol allein abgehalten sehr berühmt zu werden, denn näher an Lieberkühn ist in Injectionen gewiss niemand gekommen. Welch eine Sammlung, und das alles in staubigen Kasten vergraben, indess so, dass weder die mikroskopischen Präparate, noch die Zeichnungen (die meister- haft danach gemacht sind) leiden. Je ne pense plus ä ces ba- lourdises (sagt der alte Maltheser), ue les louez pas, cela n'en vaut pas la peine. Ein Unglück ist es, dass der alte Mann so reich ist (2 300000 FL), daher ihm bei seinem Eigensinn auch nicht ein kleiner Fetzen präparirter Hautgcfässe abzulocken war, so viel Mühe ich mir auch gab. In Wien ist auch niemand so bekannt mit der neuern Chemie und den Fortschritten der Physiologie als er. Alles was an ihm und um ihn ist hat das sonderbare Gepräge seiner Empfindsamkeit. So trägt er eine W^este. mit Aermeln, die sich in Beinkleider und Strümpfe ver- längert. Er steckt darin wie in einem Futteral. Er isst nur einmal des Tages und zwar nachts um 10 Uhr, um sich nicht, wie er sagt, mit dem Essen im Leibe herumzutragen, was sehr ermüdend und lästig sei. Er lebt jetzt fast mit niemand als

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Wien.) 247

mit meinem Freunde, dem jungen van der Schott, Aufseher des botanischen Gartens in Wien. Auch besitzt er eine antike Statue des einen Sohnes der Niobe, welche ihm 15000 FI. ge- kostet hat. Sie steht in demselben Winkel, wo er chemische Experimente macht und Hühner ausbrütet. Er raffiuirt jetzt auf einen Hut, den er tragen wird und der, wenn man eine Schnur zieht, sich in einen Regenschirm von 3 Fuss Durch- messer verlängert. Kurz, es ist unmöglich, mehr Genie, Gelehr- samkeit, praktische Geschicklichkeit und an Tollheit grenzende Sonderbarkeit vereinigt zu sehen. Mit Beireis vergleicht man ihn mit Unrecht. Er hat gar keine Charlatanerie, ist sehr wahrheitsliebend und sehr bescheiden. Armen operirt er noch häufig und ohne Gehülfen den Staar."

Wilhelm von Humboldt reiste mit seiner Familie, mit Burgsdorf und dem Bildhauer Dyk am 11. Oct. über Mühchen, Schaflfhausen, Zürich, Basel nach Paris, wo man am 26. Nov. einzutreffen gedachte. Alexander's Vorhaben, mit Haftens die italienischen Kriegsunruhen in der Schweiz abzuwarten, erlitt eine Aenderung durch die Ankunft Leopold von Buch's in Wien.

Die Schilderung, die Humboldt in einem Briefe an Freiesleben von dem äussern Wesen des grossen Geognosten gibt, ist ein wahres Cabinetstück und für die Eigenart desselben auch noch in späten Jahren zutreffend geblieben. „Ich habe mich herzlich über ihn gefreut", schreibt er, „es ist ein trefflicher, genialer Mensch, der viel und richtig beobachtet; aber das ganze Wesen wie aus dem Monde. Mich däucht, das Alleinsein auf der Reise hat ihm schon wieder geschadet. Ich habe ihn zu einigen Menschen herumgeführt, aber meist ist es unglücklich abgelaufen. Ge- wöhnlich setzt er sich nach dem ersten Besuch die Brille auf und untersucht im äussersten Stubenwinkel die Sprünge im glacirten Ofen, auf die er ganz verpicht ist, oder er schleicht wie ein Igel an den Wänden umher und betrachtet die Simse. Uebrigens ist er unendlich interessant und liebenswürdig ein Schatz von Kenntnissen, mit denen er mir sehr nützlich wird. Er bleibt vierzehn Tage hier, geht dann über Ischl nach Salz-

248 I- Jugend und erste Mannesjahre. '

bürg, bleibt einige Wochen bei mir und will im Winter durch Tirol nach Italien."

; In demselben Briefe macht Humboldt dem Freunde noch die Mittheilung: „Ich habe (ein Geheimniss) hier die HoflF- uung, fast Zusicherung, einen herrlichen Reisegefährten zu er- halten, den jungen van der Schott, ein herrlicher junger Mann von grosser botanischer Gelehrsamkeit und edelm Charakter. Er ist botanischer Gärtner hier, der Kaiser wird ihn reisen lassen, und ich schliesse mich an diese Expedition an. Preise mich deshalb glücklich. Vorher graben wir aber noch das Gold am Katzensteine aus."

Da Bonaparte's Kriege in Italien vorläufig jede Aussicht zu einer wissenschaftlichen Reise in diesem Lande vereitelten, so entschloss sich Humboldt, mit Buch einen Winteraufenthalt in Salzburg zu nehmen, um dort und in Berchtesgaden im Verein mit ihm meteorologische Beobachtungen anzustellen. In den ersten Tagen des October 1797 brachen sie über Steiermark dahin auf.

Beide Männer waren einander ähnlich an Talent und Feuer- eifer für die Wissenschaft; beide konnten, in jeder Hinsicht un- abhängig, frei den Eingebungen ihres Genius folgen, und beide widmeten ihr Leben gleichen Studien, in denen schon ihre frühesten Arbeiten leuchtende Vorbilder gewesen.

Buch hat die Resultate seiner damaligen Arbeiten als ein geschlossenes Ganzes in seinen „Geognostischen Beobachtun- gen auf Reisen" veröffentlicht, während Humboldt, bedrängt von den Vorbereitungen zu grössern Unternehmungen, die sei- nigen nur in zerstreuten Correspondenzen niederlegte. Auch finden sich und wie hätte es bei ihren gemeinsamen Ar- beiten anders sein können! in dem Buch'schen Werke Frag- mente der Arbeiten Humboldt's, eine grosse Anzahl von Höhen- messungen zwischen Salzburg und Aussee, allgemeine Resultate aus meteorologischen Beobachtungen und eudiometrischen Ver- suchen, die um so wichtiger waren, „weil nicht so leicht die

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Salzburg.) 249

gute Lage des Beobachtungsortes sich wieder mit der Genauigkeit des Beobachters und der Mannichfaltigkeit der Versuche ver- einigen werden".

Aus dieser Zeit des Aufenthalts in Salzburg sind einige Briefe Humbeldt's an von Zach, den Director der seeberger Sternwarte bei Gotha, in den „Allgemeinen geographischen Ephe- meriden" mitgetheilt. Im Januar 1798 schreibt er*:

„Sie wollen, dass durch mich auch für geographische Orts- bestimmungen etwas geleistet werde. Sie fordern mich mit Wärme und Liebe dazu auf. Dieser elektrische Schlag hat mächtig auf mich gewirkt ! . . . . Ich bin auf meiner Reise bis Salzburg gekommen, wo ich die Wendung der Begebenheiten in Italien abwarte. Mittlerweile beschäftige ich mich, die Polhöhe dieser Stadt zu bestimmen. Ich habe einen zwölfzöUigen, aber leider überaus schweren Sextanten von Wright; brauchbar ist er allerdings, aber nur sehr beschwerlich zum Beobachten.

„Ich bleibe bis Anfangs April hier. Die Nähe der Alpen, in die ich Winterreisen mache, die tiefe Einsamkeit, in der ich hier studire, die grosse Bibliothek des Herrn Baron von Moll machen mir den Ort angenehm. Nächstens erscheint von mir eine „Untersuchung der Atmosphäre vom Winter 1798", von der ich glaube, dass sie mit der chemischen Genauigkeit unter- nommen worden ist und die sich nur ausführen lässt, wenn man, wie ich hier, in einem Garten wohnt und Tag und Nacht die Luft prüfen kann."

Er erzählt ferner, wie er mit Buch die Höhe des Geis- berges zu 453 Toisen über seinem Zimmer bestimmt, und auf dem Berge selbst Refractionsbeobachtungen hat anstellen wollen. Die Beobachtung einer Mondfinsterniss am 4. Dec, einer Stern- bedeckung am 28. Febr. hatte das schlechte Wetter verhindert; dagegen hatte er Breiten- und magnetische Declinationsbestim- mungen, auch Winkelmessungen zur Herstellung genauerer Karten

' Allgemeine geographische £phemeriden, I, 357.

250 I. Jagend und erste Maoneflijalire.

ausgeführt, sich mit pneumatischer Chemie beschäftigt, alle Tage die Dichtigkeit, Wärme, Feuchtigkeit, den Sauerstoffgehilt, die elektrische Ladung, die Menge der Kohlensäure oder fixen Luft gemessen, sodass er glaubte, etwas über Strahlenbrechang leisten zu können. In einem Briefe aus Berchtesgaden vom 17. ApriP schreibt er unter anderm: „Wenn Sie bedenken, wie entfernt diese Arbeiten von dem übrigen Kreise meiner che- mischen und physiologischen Beobachtungen liegen, so darf ich hotfen, einen nachsichtigen Richter in Ihnen zu finden. Glanben Sie indess nicht, dass ich im Vertrauen auf diese Nachsicbt flüchtige Beobachtungen für Sie aufzeichnen werde. Nein, ich suche wenige Punkte zu bestimmen, diese aber mit aller Ge- nauigkeit, deren ich und mein schwerer zwölfzölliger Sextant fähig sind. In dem ganzen südlichen Theile von Baiem ist kern einziger Ort astronomisch fest, daher fahren sie auf den Karten 5 6' nach allen Weltgegenden umher. Ich war mit der Polböhe dieser Orte vorzüglich beschäftigt, mit Salzburg, Bercbtoldsgaden und Reichenhall . . . ."

Bereits im November 1797 hatte ein reicher Engländer Humboldt den Vorschlag gemacht, ihn nach Oberägypten zu begleiten. Es war dies Lord Bristol, Bischof von Derby, trotz seines hohen Kirchenamts ein entschiedener Freigeist, bei einem jährlichen Einkommen von 60000 Pfund Sterling einer der fashionabelsten Welt- und Lebemänner und enthu- siastischer Freund der schönen Künste.* Er hatte schon früher Griechenland und die Küste lUyriens besucht, und sodann mehrere Jahre in Italien gelebt, wo er in Rom den Ar- chäologen und spätem berHner Hofrath Hirt kennen lernte. Sonderbar genug waren zu der ägyptischen Reise, die mit allen Reiseapparaten und wahrhaft fürstlichem Comfort aus- gerüstet wurde, ausser Humboldt, Hirt und dem Reisenden

» Ebend., II, 1G5.

^ Auch Goethe hat über den excentrischen Bischof einige scharfe Con- touren niederzuschreiben. Siehe „Sämmtliche Werke" (S*'.), XXI, 367.

^

5. Gescheiterte Plane, endliche ErfOllnng. (In Salzharg.) 251

Savary, der acht Jahre in Aegypten gelebt hatte, auch zwei Da- men, die Gräfin Dennis und die Gräfin Lichtenau, eingeladen. ^

Es muss indess ausdrücklich bemerkt werden, dass die Einladungen an Hirt und an die Gräfin Lichtenau schon im Monat März ergangen waren, und dass inzwischen die Verhältnisse der Gräfin infolge des Todes König Friedrich Wilhelm's IL, 16. Nov. 1797, sich so wesentlich geändert hatten, dass sie jetzt die Reise unmöglich mitmachen konnte. Hum- boldt erkannte übrigens sehr wohl das Befremdliche der Gesell- schaft Mylords. Er nannte ihn sehr oft „den alten tollen Lord^^ und schreibt an Pictet: „Vous pourrez peut-fetre blämer la so- d^t^ du noble lord; il est fantaste au plus haut degr^. Je ne Tavais vu qu'une fois, dans un de ces passages qu'il fit ä cheval depuis Pyrmont ä Naples. Je savais qu'il ^tait difficile ä vivre en paix avec lui. Mais voyageant ä mes propres frais, je garde mon ind^pendance et ne risque rien ; je pouvais le quitter quand il nie contrarierait trop. D'ailleurs, c'est un homme de g^nie, et il ne fallait pas n^gliger une occasion aussi belle. Je pourrais faire quelque chose pour la metöorologie. Je vous prie cepen- dant de ne pas donner de la publicite ä ce voyage."*

' „Kons aurons deax grands Spronari^S heisst es in dem ans Triest datirten Einladungsschreiben an Hirt, „avec des rames et des voiles. La Dennis et Mr. le Professeur Hirt seront dans le bateau de la ch^re Com- tesse. Mr. Savary, Tautear des charmantes lettres sur l'Egypte, sera dans le mien. Je menerai tr^s sürement deux ou trois peintres, tant pour les costumes comme pour les monumens et les helles vues, afin qae rien ne manque aux agr^ments de notre voyage.

„eher Hirt! ne voiU-t-il pas nn voyage digne de vos grandes con- noissanöes et de votre travail infatigable? Quels süperbes dessins ne feront pas mes peintres! quel magnifique ouvrage pour präsenter au public que notre voyage associ^!^^

In gleicher Weise schwärmte der Lord auch in den Briefen an die ch^re amie et adorable Comtesse de Lichtenau : Jamais un voyage ne sera plus complet tant pour Tame que pour le corps.^^ Freilich fügt er in einem ga- lanten Wortspiele die Bemerkung hinzu: „Quant aux femmes, il faut que Tons passiez pour la mienne, et que pour n'6tre pas viol^e, vous soyez Toil^e, et alors votre personne est plus sacrde que la mienne/*

» „Le Globe, Joum. g^ogr." VH, 153. 185.

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252 I- Jugend und erste Mannesjahre.

Obgleich Humboldts nächste Reiseplane und Wünsche nicht nach Gegenden gerichtet waren, die ausserhalb der Wendekreise liegen, so wollte er doch, da einmal der Vesuv und Aetna nicht zu erreichen waren, die Gelegenheit nicht unbenutzt lassen ein Land zu besuchen, das in den Annalen der Culturgeschichte so berühmt geworden. Er nahm den Vor- schlag an, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, dass es ihm freistehen solle, auf der Rückkehr von Alexandrien allein die Reise durch Syrien und Palästina fortzusetzen.

Er machte infolge dessen besondere Studien, die diesem Plane entsprachen, und hatte später den Vortheil davon, die ägyptischen Denkmale der Alten Welt mit den perua- nischen und mexicanischen der Neuen Welt vergleichen zu können.

In kurzer Zeit waren die Vorbereitungen zu der projectirten Reise so vollständig, dass Humboldt am 22. April 1798 von Berchtesgaden über Strasburg nach Paris ging, um noch einige gute Instrumente einzukaufen und von dem Bruder und dessen Familie Abschied zu nehmen.

Wenige Tage vor der Abreise aus Salzburg schrieb er an Freiesleben :

„. . . . Lord Bristol, ein alter Engländer mit 300000 Thlr. Einkünften, derselbe, der mit Fortis in Griechenland war, (halb toll, halb Genie), bietet mir an, mit ihm von Neapel aus nach Aegypten zu gehen. Er will sich im August einschiffen, hat ein eigenes Schiff, bewaffnete Leute, Maler, Bildhauer etc., Koch und Keller bei sich. Er will bis Syene nach Oberägypten hinauf. Die Reise solle mir nichts kosten. Im Frühjahr 1799 sind wir über Konstantinopcl und Wien zurück. So ein Aner- bieten war nicht auszuschlagen. Ich sagte es ihm zu und war entschlossen, Paris Ende Juni zu verlassen, um Bristol am 1. August in Neapel zu treffen. Nun aber heisst es allgemein, die Franzosen wollen selbst sich in Besitz von Aegypten setzen. Bristol wird dann als Engländer nicht hin können, und ob es

5. Gescheitertc Plane, endliche ErfCÜliing. (In Salzburg.) 253

für mich sicher sein wird, kann ich erst in Paris, wohin ich morgen abgehe, eutscheiden. So geht es mit unsern liebstlBn Planen I Dennoch habe ich noch eine Hoffnung zu dieser ägyptischen Reise. Bleibt zwischen Frankreich und der Türkei Friede, so mache ich sie allein von Marseille aus. Ich hänge sehr daran, da ich mich so lange schon mit dieser Lieblings- idee trage, und es eine so schöne Anwendung meiner Zwischen- zeit wäre."

Von seinen Arbeiten berichtet er: „Ich habe hier, wo ich kaum zwei Monate zu bleiben gedachte, nun fünf Monate ver- lebt in tiefer, einsiedlerischer Einsamkeit, aber arbeitsamer und glücklicher in Versuchen als je. In Zach's «Ephemeriden» siehst Du meine astronomische Arbeit, Polhöhen, trigonometrische Mes- sungen von Alpenketten u. s. w. Der zweite Theil meines Werkes ist seit Februar vollendet, ein geognostischer Aufsatz für MolPs «Jahrbücher», die Idee vom Erhärten der Gebirgsarten, ich lasse ihn noch einmal selbst abdrucken, die Einleitung zu Jngenhous' Schrift vom Dünger, und vieles über chemische Versuche. Die Schrift über Grubenwetter wird in Paris vollendet, sie hat hier sehr gewonnen. Ich habe mich blos deshalb in Berchtesgaden, Aussee, in Steiermark aufgehalten, um eine lange Suite eudio- metrischor Beobaclitungeu zu machen. Der chemische Theil gewinnt eine ganz neue Gestalt. Ich habe eine grosse Masse neuer Facta zusammen und schreibe jetzt ununterbrochen daran, weil durch das Befahren hiesiger Bergwerke meine Liebe zum praktischen Bergbau wieder erwacht ist."

Der letzte Brief ist an Ilofrath Eichstädt in Jena, den Heraus- geber der „Jenaer allgemeinen Litcraturzeitung", datirt Salzburg 19. April 1788, und lautet:

„Im Begriff übermorgen von hier aus meinem Bruder nach Paris zu folgen, erlauben Sie wol, dass ich mein Andenken noch einmal bei Ihnen erneuere. Fast fünf Monate habe ich hier in arbeitsamer Einsamkeit verlebt, da ich oft in einer Woche zwei- mal im BegritT war nach Italien abzugehen. Die politische

254 I* Jugend and erste Mannesjahre.

Wendung der Dinge ist aber so geworden, dass für jetzt die Alpen nicht zu passiren sind. Ich denke jetzt einige Sommer- monate in Paris und (da der leidige, alles störende SeelAieg meine westindische Reise aufzuschieben gebietet) den Winter im Orient zuzubringen. Alle Anstalten zu dieser levantischen Reise sind gemacht, aber schon höre ich von allen Seiten von einer Landung in Aegypten, die meinen Zweck ent- weder sehr befördern oder ganz vereiteln wird. Ich will mich gern überreden, dass alles, was jetzt geschieht, einst den Flor der Wissenschaften befördern wird. Ich selbst aber fühle mich in allem Thun so gehindert, dass ich täglich ein vierzig Jahre früher oder später gelebt zu haben wünsche. Eine traurige, der Menschenbildung nachtheilige Einförmigkeit wird über den ganzen Erdboden verbreitet. Völker, deren physische und mo- ralische Lage gewiss ein Bedürfniss nach sehr verschiedenartigen Regierungsformen erregen sollte, müssen von einem Directorium und zwei Räthen beherrscht werden, und die republikanischen Dragonaden sind ebenso empörend als die religiösen. Nur Eine Wohlthat, die Ausrottung des Feudalsystems und aller aristo- kratischen Vorurtheile, unter denen die ärmere und edlere Menschenklasse so lange geschmachtet, wird schon gegenwärtig genossen, und dieser Genuss wird bleiben, wenn auch monar- chische Verfassungen wieder ebenso allgemein werden, als es die republikanischen zu werden scheinen. Unter den mannich- faltigen, meist wehmüthigen Empfindungen, welche die Begeben- heiten des sinkenden Jahrhunderts in mir erregen, glaube ich meinen Zwecken getreu geblieben zu sein. Ich war anhaltend nie so fleissig und glücklich im Experimentiren als hier. Ich habe fünf Monate lang täglich den Luftkreis untersucht, und hoffe die Resultate dieser mühseligen Arbeit in Paris, also ehe ich mich einschiffe, auszuarbeiten. Auch mit dem Sextanten, für den Sie sich in Ihrem blühenden Garten einst interessirten, habe ich viele Punkte astronomisch bestimmt, wie Sie vielleicht in Zach's Journal gelesen haben.

„Die anliegende Nachricht haben Sie wol die Gewogenheit

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Paris.) 255

dem «Intelligenzblatt» einzuverleiben.' Ich boife dadurch vieler lästigen Correspondenz ein Ende zu machen. Ich kann doch nicht in ganz Deutschland umherreisen und jedem, der unge- schickte Hände hat, die Experimente vormachen.^^ ....

Wilhelm von Humboldt, der, wie schon erwähnt, vor dem Bruder nach Paris gegangen , war bald hier heimisch und mit den Celebritäten der Kunst und Wissenschaft befreundet gewor- den. Neben dem politischen erwachte auch ein neues geselliges Leben, zugleich gewannen die wissenschaftlichen Kreise ihre ge- bührende Geltung wieder. Das Humboldt'sche Haus war, nach dem Ausdruck seiner durch Liebenswürdigkeit und Geistes- gaben ausgezeichneten Gemahlin, ein point de raillement fär her- vorragende Deutsche, die damals in Paris lebten. Zu ihnen gehörten der edle Sonderling Graf Schlabrendorf, die jenenser und berliner Freunde Gustav von Brinckmann und Wilhelm von ßurgsdorf, der junge Dichter Ludwig Tieck, Schick u. v. a. Von Franzosen verkehrten hier die gefeierten Gelehrten Villoisin, Corai, St. Croix, du Theil, Chardon de la Rochette, die Maler David, Forestier.* Und wieder gab es auch keine distinguirte Ge- sellschaft in Paris, in der Humboldt nicht ein willkommener Gast gewesen wäre. Namentlich besuchte er gern Miliin, den Herausgeber des „Magazin encyclop^dique'S der alle Septidi ge- lehrte Gesellschaft bei sich empfing', und wo man auch schon der Ankunft Alexander von Humboldts erwartungsvoll entgegensah.

Ehe dieser aber Paris erreichte, fand die Eröffnung von Bo- naparte's Feldzug nach Aegypten statt, der in ganz ungewöhnlich

^ Zahlreiche Physiker meldeten ihm oft, dass ihnen seine Experimente nicht gelingen wollten. ,,Es ist eine wondersame Anforderung, in wenigen Tagen (oft Stunden) alle die Erscheinungen hervorrufen zu woUen, welche ein anderer hei fOnQ&hriger fortgesetzter Anstrengung an mehrem hun- dert ludinduen zu beobachten das GlQck hatte.* ^ Die «Nachricht» ist abgedruckt ,,Jen. allg. Literaturztg., Intelligenzblatt'S 1798, Nr. 79, Sp. 670.

' Vamhagen, Galerie von Bildnissen aus RahePs Umgang, 1, 143.

' Bertuchf AUgemeine geographische Ephemeriden, I, 686.

256 I- Jagend und erste Mannesjahre.

geheimnissvoller Weise vorbereitet worden war. „160 Personen", schreibt Lalande noch Ende April 1798 an von Zach*, „sind zu der grossen gelehrten Reise ernannt worden. Ich habe drei Astronomen in Vorschlag gebracht, Nouet, Quenet und den jun- gen Mecliain. Im Nothfalle stelle ich noch drei. Man hat auch Burckhardt den Antrag gemacht theilzunehmen, er bleibt indess bei uns, da wir ihn hier sehr gut brauchen."

Ausführlicher, aber gleichfalls noch in völliger Ungewiss- heit über Ziel und Zweck des Unternehmens berichtet Burck- hardt* am 30. April 1798 aus Paris: „Die Reise, von der ich letzthin geschrieben habe, ist noch immer ein Gcheimniss. Bisjetzt kennt man folgende Gelehrte, die dabei sein werden: Berthollet, Dolomieu, Saix, Conti, Samuel Renard, Reignaud,Costas, Geoflfroy, Le Blond, Quenet, Desgenettes, Dubois als Wundarzt, Delille der Botaniker, Thouin, Nouet als Astronom und der junge Mechain als sein Gehülfe. Prony hat zwölf Ingenieur- geographen und sechs Eleven aus der £cole polytechnique dazu gegeben. Berthollet, der Arzt Bonaparte's, ist Chef und Direc- tor des gelehrten Theils der Expedition, zu der auch die Alter- thumsforscher Denon, Joniard, Pouqueville, Rozier gehören. Prony gab seine Instrumente her, die übrigen wurden um jeden Preis gekauft oder amtlich abgefordert." Am 30. Floreal (19. Mai 1798) lichtete das Geschwader in Toulon die Anker. Bonaparte's Feldzug nach Aegypten war eröffnet.

Bald nach Humboldt's Ankunft in Paris traf auch die Nachricht ein, dass Lord Bristol in Mailand verhaftet worden sei, weil man glaubte, er wolle am Nil für England gegen Frank- reich agitiren. Humboldt musste daher die Reise nach Aegyp- ten, wie schmerzlich es ihm auch war, vorläufig aufgeben. Dies bildete den Anfang einer ganzen Reihe fehlgeschlagener HoflT- nungen, vereitelter Plane.

Ein glücklicher Zufall hatte ihn indessen gerade in den

> Ebend., I, 680. « Ebend., I, 687.

f). Gesclieitertc Plane, eiulliclie lü-iulluiii:. (In Tari^i i,>57

Tagen nach Paris geführt, in welchen Delambre die Grad- messuDg zwischen Melun und Lieursaint vollendete. Man war eben bei dem Schlussstück des nördlichen Theils der damals weltberühmten französischen Gradmessung , die sich von Dün- kirchen an der Nordsee durch ganz Frankreich bis nach Bar- celonar am Mittelmeer erstreckte und auf der Erde in gerader Linie eine Strecke von dritthalbhundert Lieues und am Himmel einen Meridianbogen von 9** 3' umfasste. Humboldt war bei den letzten Operationen zugegen und schreibt darüber voller Freude an von Zach^: „Heute am 15. Prairial (3. Juni 1798), morgens gegen 12 Uhr, wurde die grosse Messung der Basis zwischen Melun und Lieursaint vollendet, und heute noch eile ich Ihnen diese gewiss nicht unwichtige geographisch -astrono- mische Begebenheit zu melden. Ich habe mit Lalande und un- serm vortrefflichen Freunde Burckhardt zwei überaus fröhliche Tage bei Delambre zugebracht. Die Witterung, welche drei Dekaden lang die Messung der Grundlinie ununterbrochen be- günstigt hatte, war in den letzten Tagen nicht minder schön. Dazu fanden wir in Lieursaint Prony und den siebzigjährigen Weltumsegler Bougainville, der sehr lebhaft auf eine zweite Meeresfahrt denkt, auf welcher ihn sein fünfzehnjähriger Sohn

begleiten soll In zwölf bis vierzehn Tagen geht Delambre

mit seinen Gehülfen nach Perpignan ab, wo Mächain nun wol seine letzten fünf bis sechs Dreiecke vollendet haben wird, und wo die südliche Basis vor dem Winter zweimal hintereinander gemessen werden soll. Da ich mich im Herbst ohnedies in Marseille einschiffe, so werde ich wol Delambre's Einladung annehmen und vorher Perpignan berühren, um auch den dor- tigen Operationen beizuwohnen. Bis dahin werde ich selbst mit einem Lenoir'schen Kreise versehen sein."

Welche Anregung und Förderung Humboldt in Paris zutheil werden musste, das lässt sich mit Sicherheit ermessen, wenn man

> Ebend., II, 174.

A. V. Humboldt. I. 17

258 I- »Tugend und erste Mannesjahre.

einen auch nur flüchtigen Blick auf die damals dort hämischen wissenschaftlichen Zustände richtet.

Trotz des jähen Zusammenbruchs aller ethischen PrindpieD, trotz jener Blutscenen der Gewaltherrschaft, zu denen selbst die Akademie in Bochart von Saron, Lavoisier, La Rauchefoucauld, Malesherbes, Bailly, Condorcet ihre traurigen Opfer liefern musste, trotz des rohen, sardonischen Ausspruchs wahnwitziger Blutrichter: „Nous n'avons pas besoin de savans", war Paris dennoch am Ende des Jahrhunderts die Metropole aller exacten Wissenschaft. „Die Liebe zu den mathematischen Wissen- schaften", schreibt Lalande am 26. Jan. 1798 an von Zach\ „nimmt bei uns und unserer Armee tägUch zu. Die Folgen da- von haben sich in unsern letzten Feldzügen unverkennbar gezeigt. Bonapaite selbst ist ein mathematischer Kopf, und wenngleich nicht alle, die sich dieser Wissenschaft befleissigen, Gcometer sind wie Laplace, Lagrange, oder Helden wie Bo- naparte werden, so räumt sie doch in den Köpfen auf, und die Menschen werden das, was sie ohne diese Studien nie geworden wären. Unsere mathematischen Schulen sind gut und erreichen ihren wichtigen Zweck, mathematische Kenntnisse zu verbreiten. Bonaparte wohnt den Sitzungen unsers Nationalinstituts, dessen Mitglied er ist, sehr regelmässig bei." „Bonaparte", schreibt er ferner am 20. April 1798*-^, „nennt mich immer seinen Gross- papa, weil er ein Schüler von d'Agelet ist, und dieser mein Schüler gewesen war. Ich habe ihn gel)eten, beim Directorio dahin zu wirken, dass das Opernhaus, das neben der Bibliothek ist, wegen leicht möglicher Feuergefahr für die letztere, verlegt werde, dass Paulmy\s vortreffliche Bibliothek von 100000 Bän- den angekauft werde, dass Thulis in Marseille neue Instrumente und Gehaltzulage bekomme, und alles ist geschehen." Auch Burckhardt schreibt um diese Zeit': „Bonaparte zu sehen in

> Ebend., I, 346. « Ebend., I, 679. . « Ebend., I, 352 ; s. auch S. 227.

5. Gescheiterte Plane, endliche ErftUlimg. (In Paris.) 259

seiner ungekünstelten, nicht affectirten, sondern sehr natürlichen Bescheidenheit, die ihn unter allem ihm gespendeten Beifall aus- zeichnet, ist ein äusserst interessanter Anblick. Ich habe dieses Glück sehr oft im Nationalinstitut."

In Paris lebte damals der grosse Mathematiker Lagrange, der liebenswürdige und stets anregende Verfasser der „Ana- lytischen Mechanik" und der „Theorie der analytischen Func- tionen"; dort hatte Montucla die „Geschichte der Mathematik'' geschrieben, beschäftigte sich Delambre mit der „Geschichte der Astronomie", arbeiteten Borda, Monge, Fourier, Berthollet, Geoffroy de St-Hilaire, Larrey, Lalande, Cuvier (in dem- selben Jahre wie Humboldt zu Mömpelgard, welches damals zu Württemberg gehörte, geboren, ein Mitschüler Schiller's auf der Karlsschule), die Mineralogen Haüy, Brongniard, hell leuch- tende Sterne am Himmel der Wissenschaft.

Bedarf es mehr als dieser blossen Namen, so sei an die Riesenschritte erinnert, welche die Astronomie zu ihrer theore- tischen Vollendung machte. D'Alembert und Clairaut hatten die Theorie der Mondbewegungen und der planetarischen Störungen begründet, die Lehre von der Präcession war vervollständigt, die Figur der Erde durch Gradmessungen genauer bestimmt, die Aberration und Nutation von Bradley entdeckt und er- läutert worden; Dollond hatte das astronomische Fernrohr ausgeführt, Laplace schrieb seine bewundernswerthe „M6ca- nique Celeste". Mit der Astronomie hatte die allgemeine Mecha- nik, die Lehre von der Bewegung gleichen Schritt gehalten, während die Physik in der mathematischen Methode und in einer Menge neuer und verbesserter Werkzeuge die fordemdsten Hülfsmittel erwarb. Die Erscheinungen des Magnetismus, der Elektricität, des Galvanismus waren den sorgsamsten Beobach- tungen unterzogen worden und Gegenstand vielseitiger Unter- suchungen. In Botanik und Zoologie waren an Linn^'s und Buffon's Stelle Jussieu und Cuvier getreten. Die Chemie hatte seit Lavoisier ihre Glanzperiode begonnen. Kurz in allen Zweigen

17*

260 I- Jagend und erste Manne^ahre.

der Naturwissenschaft waren >Yissenschaftlichere Behandlung, exactere Methoden eingeführt worden.

Voll freudiger Erregung schrieb Humboldt am 22. Juni an Pictet^: „Je ne vous parle pas de Paris, ni de ma fa^on d'y vivre; vous connaissez mes penchants et mon activit^. Je vis avec tous les naturalistes , je travaille avec Vauquelin dans son laboratoire, j'ai fait quelques lectures ä llnsütut national; j'ai tout le droit possible de Taccueil qu'on me fait."*

Nicht minder wurde er von andern zu ihren Arbeiten hin- zugezogen. „Halle", schreibt Lalande', „hat dem National- institut einen grossen Bericht über den Galvanismus gemacht; von Humboldt ist unsern Commissarien sehr nützlich gewesen. Sie haben viele Versuche angestellt und viel gearbeitet."

Die erwähnten Vorträge Humboldt's behandelten* die Natur des Salpetergases und die Möglichkeit einer genauem Analyse der Atmosphäre : Arbeiten, zu denen in Salzburg die Materialien gesammelt worden, und durch welche die Unrichtigkeit der von Lavoisier gegebenen und überall nachgeschriebenen Bestim- mungen von der Sättigung des Salpetergases durch Sauerstoff dargethan werden sollte. Sie waren es, die später den jugend- lichen Gay-Lussac zu einer sehr scharfen Kritik veranlassten. Ehrenberg irrt^ wenn er schon an diesen Arbeiten „den eng befreundeten Gay-Lussac" theilnehmen lässt. Erst nach seiner

1 Le Globe, VII, 155.

' In einem Briefe an Dclambre, d. d. Lima, 25. Nov. 1802, schreibt Humboldt: „Dans les d^serts des plaincs de PApur, dans les bois dpais de Cassiqiiiare et de l'Orenoque, partout vos noms m'ont 6te prösens; et parcourant les diff^rentes epoques de ma vie errante, je me suis arret^ avec jouissance ä celle de Tan VI et de l'an VII je vivois au milieu de vous et les Laplace, Fourcroy, Vauquelin, Guyton, Chaptal, Jussieu, Desfontaines, Hall^, Lalande, Prony et vous surtout, &me g^n^reuse et sensible, dans les plaines de Lieursaint me comblaient de bontös." (An- nales du mus. d'hist. nat., an XII, II, 170.)

' Allgemeine geographische Ephemeriden, II, 172.

* Ebend., II, 176.

^ Gedächtnissrede auf Alexander von Humboldt, S. 18.

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllnng. (In Paris.) 261

Rückkehr aus Amerika lernte Humboldt den jungen Chemiker kennen, und von da ab erst datiren ihre gemeinschaftlichen Ar- beiten. * Diese und noch einige Abhandlungen* über verwandte Materien sind 1799, in einen Band gesammelt, im Druck erschienen.

In einem der letzten Briefe an Willdenow schreibt Humboldt über seine Aufnahme, seine Hoffnungen und Täuschungen: „In Paris wurde ich aufgenommen, wie ich es nie erwarten durfte. Der alte Bougainville projectirte eine neue Reise um die Welt, besonders nach dem Südpol. Er beredete mich ihm zu folgen, und da ich mich gerade damals mit magnetischen Untersuchungen beschäftigte, so leuchtete mir eine Reise nach dem Südpol mehr ein als nach Aegypten. Von diesen weitaussehenden Hoffnungen war ich voll, als auf einmal das Directorium den heroischen Entschluss fasst, nicht den 70jährigen Bougainville, sondern den Kapitän Baudin eine Reise um die Welt machen zu lassen. Kaum hörte ich von diesem Beschlüsse, als auch schon die Re- gierung mich einladen lässt, mich auf dem «Vulkan», einer der drei Corvetten der Expedition, einzuschiffen. Alle National- sammlungen wurden mir geöffnet, um von Instrumenten auszu- lesen was ich wollte. Bei der Wahl der Naturforscher, bei allem, was die Ausrüstung betraf, ward ich um Rath befragt. Viele meiner Freunde waren damit unzufrieden, mich den Ge- fahren einer fünQährigen Seereise ausgesetzt zu sehen; aber mein Entschluss stand eisern fest, und ich würde mich selbst

* Arago^s Sämmtliche Werke, III, 16 ; Gedächtnissrede aaf Gay-Lnssac.

' Versache über die chemische Zerlegung des Loflkreises und Ober einige andere Gegenstände der Katurlehre; Ueber die Entbindung dos WärmestofTs als geognostisches Phänomen betrachtet; Uebcr den tlinfluss des Chlors, der oxygenirten Kochsalzsäure auf das Keimen der Pflanzen und einige damit Terwandte Erscheinungen. Beide Abhandlungen erregten damals besonders Aufsehen. Femer erschien nach seiner Abreise 1799 eine Samm- lung Ton Abhandlungen theils rein wissenschaftlichen theils praktisch berg- männischen Inhalts, die Wilhelm tou Humboldt unter dem Titel: „Ueber die unterirdischen Gasarten und die Mittel ihren Nacbtheil zo Termindeni'\ mit einer Vorrede herausgab.

262 I- Jugend und erste BLumesjahre.

verachtet haben, wenn ich eine solche Gdegenheit nützlich zu sein versäumt hätte. ^ Die Schiflfe waren bemastet, Boagainville wollte mir seinen fünfzehnjährigen Sohn anvertrauen, damit er sich früh an die Gefahren des Seelebens gewöhne. Die Wahl unserer Gefährten war vortreflFlich, lauter junge, kenntnissvolle, kräftige Menschen. Wie scharf jeder den andern ins Auge fasste, wenn er ihn zum ersten male sah! Vorher einander fremd, uud daun auf so viele Jahre lang einander so nahe! Das erste Jahr sollten wir in Paraguay und im Patagonenlande, das zweite in Peru, Chili, Mexico und Califomien, das dritte im Südmeere, das vierte in Madagaskar und das fünfte in Guinea zubringen Welch ein unnennbarer Schmerz, als in vier- zehn Tagen alle, alle diese Hoffnungen scheiterten. Elende ^WOOOO Livres und der gefürchtete nahe Ausbruch des Kriegs waren die Ursachen. Mein persönlicher Einfluss bei Francis de Neufchateau, der mir sehr wohlwill, alle Triebfedern, die sonst in Bewegung gesetzt wurden, waren umsonst In Paris, das von dieser Reise voll gewesen war, glaubte man uns sdion abgesegelt. Das Directorium setzte durch einen zweiten Be-

schluss die Abreise bis zum künftigen Jahre aus.

„Eine solche Lage, ein solcher Schmerz lässt sich nur fühlen, aber Männer müssen handeln und sich nicht dem Schmerze überlassen. Ich fasste nun den Entschluss, der ägyptischen Armee auf dem Landwege, mit der Karavane die von Tripolis durch die Wüste Selimar nach Kairo geht, zu folgen. Ich gesellte einen der jungen Leute, der mit zur Reise um die Welt bestimmt war, Bonplaud, einen sehr guten Botanisten, den besten Schüler von Jussieu und Desfontaines,

' Humboldt hatte eigentlich wenig Zutrauen zu dem persönlichen Charakter des Kapitäns Bandin, der dem wiener Hofe Ursache zur Unzu- friedenheit gegeben hatte, als er beauftragt war, den jungen Botaniker van der Schott nach Brasilien überzuführen. Da er aber nicht hoffen konnte, aus eigenen Mitteln eine so umfassende Reise zu machen und einen so bedeutenden Theil der Erde zu sehen, so beschloss er, sich ihm auf gut Glück anzuschliessen.

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Marseille.) 263

mir zu. Er hat auf der Flotte gedient, ist sehr stämmig, muthig, gutmüthig und in der vergleichenden Anatomie ge- schickt. — Wir eilten nach Marseille, um von dort aus mit dem schwedischen Consul Skjöldebrand auf der Fregatte «Ja- ramas» nach Algier abzugehen, welche dem Dey von Algier Geschenke bringen sollte. Ich wollte den Winter in Algier und am Atlas zubringen, wo in der Provinz Konstantine nach Des- fontaines noch über 400 neue Pflanzenspecies zu finden sind. Von da wollte ich über Sufetula, Tunis, Tripolis mit der Kara- vane, welche nach Mekka geht, zu Bonaparte stossen."

Die Abreise von Paris nach Marseille verzögerte sich bis zum 20. Oct. 1798.^ Noch am 12. las Humboldt im Nationalinstitut ein Memoire über den Ackerbau, und als er geschlossen, richtete Jussieu an ihn kurze aber feine Abschiedsworte. Am schmerz- lichsten war der Abschied von Baudin, der die Trennung eine aufgelöste Ehe nannte. Sonst war Humboldt festen Muthes und in so heiterer Stimmung, dass er die profane Gesellschaft in der Diligence und an der Table -d'hote mit ergötzlichem Hu- mor in seinem Tagebuche illustrirte. Den 24. Oct. erreichte man Lyon, und von hier, die Rhone hinabfahrend, am 27. abends Marseille. Den ganzen Vormittag des nächsten Tags nahm das sehr peinliche Visiren des Passes* in Anspruch, wobei die Geschäfts- kenntniss des preussischen Consuls, eines Hm. Sauvages aus Prenzlau, sich nur auf die Namen aller Excellenzen beschränkte, die er aus dem Kalender treulichst auswendig gelernt hatte.

» Wilhelm von Humboldt schreibt aus Paris am 22. Oct. 1798 an F. A. Wolf: „Mein Bruder ist leider vorgestern (also am 20. Oct.) von hier abgereist. Seine Abreise hat mich unendlich geschmerzt. Wir hatten die letzten Monate hier in demselben Hause gewohnt, alle Mittag zusam- men gegessen, meist dieselben Gesellschaften besucht, kurz im eigent- lichsten Verstände miteinander gelebt, und nachdem wir so alles An- genehme des ungestörten Beisammenseins in vollem Masse genossen hatten, musste diese Trennung folgen, die noch dazu höchst wahrscheinlich nichts weniger als kurz sein dürfte." ( Wilhelm von HumholdVs Gesammelte Werke, V, 206.)

^ S. die Beilage.

2C4 I- Jugend und erste Muineqahre.

Die schwedische Fregatte war noch nicht angelangt, wurde aber stündlich erwartet. Man benutzte die Zwischenzeit, trotz mehr- facher Beschädigung einzelner Instrumente und sehr lastiger Hitze, zu reichen Herbarisationen an der Küste, wo namentlich viele Fucusarten gefunden wurden, zum Einsammeln and Zeich- nen von Krebsen uud Muscheln, zu magnetischen, meteorolo- gischen und astronomischen Beobachtungen, wobei der Director der Sternwarte, Hr. Thulis, einst Kaufmann in Kairo, ungeachtet mancher nicht eben anmuthender Eigenheiten, sich sehr gefUlig und zuvorkommend erwies.

Am 10. Nov. wurde ein dreitägiger Ausflug nachToulon unter- nommen. Die Stadt mit ihren 5000 Gefangenen machte kernen freundlichen Eindruck, doch wurde alles Sehenswerthe besucht, der schöne botanische Garten, das Arsenal, das Modellcabinet, das grosse Bassin, die innere und äussere Rhode, wo nächst dem Linienschiff „La Hardy" von 74 Kanonen vor allem die Fregatte „La Boudeuse^' interessirte, auf der Bougainville sdne Erdum- segelung ausgeführt hatte. „Sie wurde eben segelfertig gemacht^ heisst es im Tagebuche, „um einige Kauffahrteischiffe nach Marseille zu convoyiren, wohin sie in fünf Stunden zu segeln hoffte. Alle Mannschaft war auf dem Verdeck, alles regte sich und arbeitete au den Segeln. Es war mir so wohl und weit ums Herz, alles vorwärts gehen zu sehen. Als ich aber in die Kajüte hinabstieg, ein gi'osses geräumiges Zimmer, da fiel mir Biuidin's Reise schwer auf die Seele. Ich lag wol an zehn Minuten laug im Fenster und sah auf den hellen Spiegel Endlich vermisste man mich, aber ich hätte weinen mögen, als ich an die gescheiterten Plane dachte." Nach einem kurzen Besuch der Hyeren, „wo die goldenen Aepfel zu hunderten an den Zwergbäumen hingen", trafen Humboldt und Bonpland am 13. Nov. wieder in Marseille ein.

Zwei volle Monate, vom 27. Oct. bis Ende December, harrten sie hier vergeblich auf Gelegenheit, nach Afrika zu kommen. Die Koffer blieben gepackt, und täglich spähte man am Ufer nach dem ersehnten „Jaramas" aus. Endlich kam die

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5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Marseille.) 265

Nachricht, der „Jaramas^^ sei an der Küste Portugals unter- gegangen, die Mannschaft ertrunken. „Ich miethete", schreibt Humboldt, „durch alle diese Täuschungen nicht abgeschreckt, einen Ragusaner, der uns geradeswegs nach Tunis führen sollte. Allein die Municipalität in Marseille, wahrscheinlich schon un- terrichtet von den Stürmen, welche bald in der Berberei gegen alle Franzosen ausbrechen sollten, verweigerte die Pässe; und kaum war der Ragusaner aus dem Hafen, so erhob sich ein furchtbares Unwetter, das fast acht Tage lang anhielt, infolge dessen man zwischen Cette und Agele die Trümmer vieler ge- scheiterter Schiflfe sammelte. Auch kam alsbald die Nachricht, dass der Dey von Algier die Karavane nach Mekka nicht ab- gehen lassen wolle, damit sie nicht durch das von Christen ver- unreinigte Aegypten ziehe. So war denn alle Hoflfnung, in Kairo zur französischen Expedition zu stossen oder nach der Levante zu kommen, unhaltbar dahin.*'

Sollten nun auch noch die besten und schönsten Blüten- monate, Januar, Februar, März, harrend in Marseille zugebracht werden, wo sich inzwischen die vornehme Gesellschaft der Consuln, Diplomaten, Beamten und selbst der Gelehrten als eine der unsaubersten und gefährlichsten demaskirt hatte? Corsica, Sardinien, so reich auch hier die Pflanzenausbeute hätte sein können, versprachen den umfassendem Planen kein Genüge. Es blieb nichts übrig, als nach Spanien zu gehen und von hier aus im Frühjahr ein SchiflF nach Smyrna zu suchen. Am 15. Dec. beauftragte Humboldt an der Börse den Kaufmann Ellenberg, auf den ihm Fould in Paris 40000 Fr. angewiesen hatte, ihm Wechsel auf Spanien zu kaufen. Aber am Nach- mittag desselben Tages eröffnete ihm derselbe, dass er seit be- reits zehn Tagen von Fould Ordre habe, ihm keinen Sous aus- zuzahlen, und dass er nur aus DeUcatesse ihm die unangenehme Mittheilung so lange verschwiegen habe (s. auch S. 269).

Die Reise nach Spanien stand nichtsdestoweniger fest, und gegen Ende December 1798 verliessen Humboldt und Bonpland Marseille. Nach einer fast sechs Wochen dauernden

266 I- Jugend und erste Mannesjahre.

Wanderung, mit Pflanzensammeln, Ortsbestimmungen, Höhen- messungeu , meteorologischen , geognostischen , magnetischen Beobachtungen beschäftigt, gelangten sie Anfang Februar nach Madrid. Humboldt gedenkt dieser Wanderung in seinem Reise- werke nur mit wenigen Zeilen; um so willkommener sind einige sehr ausführliche Briefe aus jener Zeit, aus denen sich das biographisch Interessante entnehmen lässt.

„Ich reiste meist zu Fuss", schreibt er aus Aranjuez, 20. April 1799, an Wiildenow, „längs der Küste des Mittellän- dischen Meeres, über Cette, Montpellier, Narbonne, Perpignan, die Pyrenäen und Catalonien nach Valencia und Murcia, und von da durch die hohe Ebene von la Mancha hierher. In Montpellier brachte ich köstliche Tage in GhaptaFs Hause zu, und in Barcelona bei John Gille, einem Engländer, mit dem ich in Hamburg zusammen wohnte, und der jetzt in Spanien In- haber einer grossen Handlung ist. In den Thälern der Pyre- näen blühten die Erbsen, während der Canigou sein schnee- bedecktes Haupt daneben erhob. In Catalonien und Valencia ist das Land ein ewiger Garten, mit Cactus (Fackeldistel) und Agaven eiugefasst; Dattelpalmen, vierzig bis fünfzig Fuss hoch und mit Traubenfrüchten beladen, streben über alle Klöster empor. Der Acker scheint ein Wald von Ceratonien (Johannis- brotbäuraen), Oelbäumen und Orangen, deren viele Kronen wie unsere Birnbäume haben. In Valencia kosten acht Orangen 1 Peseta, etwa 6(?) GiiDSclien. Bei Balaguer und am Ausfluss des Ebro ist eine 10 Meilen lange Ebene mit Chamärops (Zwerg- palmen), Pistazien, zahllosen Erikaarien, Ziströslein und Felsen- rosen bewachsen. Die Heiden blühten, und mitten in der Wild- niss pflückten wir Narzissen und Jonkilien. Bei Cambrils ist Phoenix dactylifera (gemeine Palme) so verwildert, dass man zwanzig bis dreissig Stämme so dicht gruppirt sieht, dass kein Thier durchdringen kann. Da man weisse Palmblätter sehr in den Kirchen liebt, so sieht man in Valencia Dattelstämme, deren mittlerer Trieb mit einer Art konischer Mütze von Stipa tena- eissima (zähem Spartogras) überzogen ist, damit die jungen

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (Wanderung in Spanien.) 267

Blätter iui Finstern etiolirt werden. Das Bassin, in welchem die Stadt Valencia liegt, hat an Ueppigkeit der Vegetation seinesgleichen in Europa nicht. Man glaubt, nie Bäume und Blätter gesehen zu haben, wenn man diese Palmen, Granaten, Zeratonien, Mal wen u. s. w. sieht. In der Mitte des Januar stand das Thermometer im Schatten auf 18 Grad R Alle Blüten waren fast schon abgefallen.

„Von den Ruinen bei Tarragona, dem Berge bei Murviedro, oder dem Dianentempel des alten Sagunt, seinem Ungeheuern Amphitheater, dem Herculesthurm, von dem man die Thürme von Valencia aus einem Walde von Dattelpalmen hervorragen sieht und das Meer und das Cabo de CuUeras, von dem allen sage ich nichts. Ihr Armen, die Ihr Euch kaum erwär- men konntet, während ich mit triefender Stirn unter blühen- den Orangen und auf Aeckern umherlief, die, durch 1000 Kanäle bewässert, in einem Jahre fünf Ernten (Reiss, Weizen, Hanf, Erbsen und Baumwolle) tragen. Wie gern vergisst man bei dieser Ueppigkeit des Pflanzen Wuchses, bei dieser unbeschreib- lichen Schönheit der Menschenformen die Beschwerde des We- ges und die Wirthshäuser, in denen auch nicht einmal Brot zu haben ist. Und dann ist die Küste fast überall schön angebaut. In Catalonien herrscht eine Industrie, die der holländischen gleicht In allen Dörfern wird gewebt, Schiffbau getrieben u. s. w.; alles arbeitet. Der Acker- und Gartenbau ist vielleicht in Europa nirgends weiter gediehen als zwischen Castellon de la Plana und Valencia. Aber fünfzehn Meilen in das Innere des Landes hin- ein ist alles öde. Dieses Innere ist die Kuppe eines Gebirges, das 2—3000 Fuss hoch über dem Wasser stehen geblieben ist, als das Mittelmeer alles verschlang. Dieser Höhe verdankt Spanien sein Dasein, aber auch, die Küsten abgerechnet, seine Dürre und zum Theil seine Kälte. Bei Madrid leiden die Oel- bäume schon oft im Freien, und Orangen im Freien sind eine Seltenheit. Doch ich fange an zu beschreiben, was ich eigentlich nie thun will, da ich Bücher statt eines Briefes schicken müsste.

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268 I. Jugend und erste Mannesjahre.

„Wenn ich, mein brüderlichst geliebter Freund, seit Mar- seille auch keine Zeile an Dich geschrieben habe, so bin ich doch nicht minder thätig für Dich und Deine Freuden gewesen. Ich schlage eben eine Kiste mit 400 Pflanzen für Dich zu, und wenn Du sie durchgehst, so wirst Du Dich überzeugen, dass kaum ein Tag vergangen ist, an dem nicht in Wäldern, Wiesen und am Meeresufer Dein Andenken mir lebendig gewesen ist Ueberall habe ich für Dich gesammelt, und zwar nur für Dich, da ich selbst erst jenseit des Oceans mein eigenes Herbarium anfangen will."

Nicht minder ausführlich, obwol wesentlich ganz andern Inhalts, ist ein Brief an von Zach, Madrid, 23. Floreal des Jahres VH (12. Mai 1799)J

Humboldt berichtet darin, dass das Längenbureau in Paris ihm einen Lenoir'schen von Borda angegebenen Inclinationskom- pass überlassen; ein gleiches Instrument habe Nouet: und so würde man in Verbindung mit diesem, wenn die Ereignisse ihn selbst nicht genöthigt hätten die Reise nach Afrika aufzugeben, in kaum acht Monaten die magnetischen Constanten von der Meer- enge von Gibraltar bis zur Landenge von Suez kennen gelernt haben. Dann folgen ausführliche Mittheilungen über verschiedene Beob-

«

achtungsmethoden, magnetische Beobachtungen zu Paris, Nismes, Montpellier, Marseille, Perpignan, Gironne, Barcelona, Cambrils, Valencia, Madrid u. a. 0.; femer Längen- und Breitenbestim- mungen, meteorologische Beobachtungen, Höhenmessungen in Frankreich und Spanien u. dgl.

Dann heisst es wörtlich: „Obgleich die Gegenden, die ich durchstreifte, für astronomische Geographie nicht viel Merk- würdiges darbieten, wurden doch Sonne und Sterne erster Grösse so oft beobachtet als die Umstände es erlaubten. Im König- reich Valencia habe ich vom Auszischen des Pöbels viel leiden müssen, da ich damals die Erlaubniss der Regierung zu der- gleichen Arbeiten noch nicht hatte. Oft habe ich es schmerzlich

AUgemeine geographische Ephemeriden, lY, 146.

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (Wanderung in Spanien.) 269

enapfunden, die Sonne culminircn zu sehen, ohne meine Instru- mente auspacken zu dürfen. Ich war genöthigt die Mitte der Nacht zu erwarten und mich mit einem Sterne zweiter Grösse zu begnügen, der sich in meinem künstlichen Horizonte traurig darstellte. Am 19. Nivöse (8. Jan. 1799) stellte ich in Barcelona* auf derselben Terrasse des goldenen Brunnens Beobachtungen an, auf der Mechain beobachtet hatte. Vom 29. Nivöse (18. Jan.) bis 6. Pluviose (25. Jan.) wurde ein Abstecher nach dem Mont- serrat* unternommen, und zu Mattorel, Colbaton und im Kloster Sonne, Mond und Syrius beobachtet Zu Mattorel beobachtete ich auf freier Strasse, von etwa dreissig Zuschauem umgeben, die sich zuschrieen, dass ich den Mond anbete.^^

^ Es ist hier der Ort, eines Umstandes zu gedenken, der, ohwol er für die Reise Humboldt^s sehr förderlich gewesen, doch wenig bekannt geworden ist. Humboldt hatte nämlich von Barcelona aus Eunth beauf- tragt, ihm schleunigst einen Creditbrief auf ein solides Haus in Madrid zu schicken, aber einen unmittelbaren, nicht durch einen dritten, am aller- wenigsten durch einen der pariser Bankiers vermittelten, weil deren Credit durch die Caisse des courants erschüttert war, was ihn schon, ¥rie oben erwähnt, in Marseille in Verlegenheit gebracht hatte. Kunth verabredete das Geschäft mit einem berliner Hause gegen Unterlage preussischer Staatspapiere und jede befriedigende Sicherstellung. Aber statt des Credit- briefes kam die Erklärung, man könne sich in das Geschäft vor der Prü- fung des Pfandes nicht einlassen. Da erbot sich das Haus Mendelssohn und Friedländer sofort ohne Unterpfand und Bürgschaft für Hm. von Hum- boldt jede beliebige Summe an eins der ersten Häuser in Madrid, an den Marquis d'Iranda, in Firma Simon d'Arragora, anzuweisen. Der mehr als siebzigjährige Marquis hatte sich zwar persönlich schon aus dem Geschäft zurückgezogen, überhäufte aber Humboldt mit Wohlwollen und Liebe, ord- nete die finanziellen Einrichtungen seiner Beise auf das Beste und Un- eigennützigste, ohne die geringste Provision, und honorirte auch später seine Anweisungen. Humboldt schrieb am 4. April 1799 aus Madrid: „Le Marquis d^Iranda est un des hommes les plus distingu^s de l'Europe. II m'aime comme un p^re, il fait et fera tout pour moi." (Bie^^er, Neue Berliner Monatsschrift, VI, 193.)

' Ein Erlebniss auf dem Montserrat (wie der Einsiedler durch Rosen- kranz und Entschlossenheit einem armen Maulthiertreiber sein Maulthier rettet), das er dem Bruder beschrieben, ist in dessen Beschreibung des Mont- serrat enthalten. ( Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Werke, HI, 209.)

270 I- Jugend und erste Mannesjahre.

Die auf der Reise von Barcelona nach Valencia innütten von Wüsten, die sich über 30—40 Quadratmeilen erstrecken, in ein- zelnen Yentas und Hütten angestellten astronomischen Bestim- mungen waren für die spanische Geographie sehr wichtig. Sie wur- den feste Punkte in den Ungeheuern Ebenen, in denen man wie auf dem Ocean reist; beispielsweise sei nur erwähnt, dass da- mals die Lage Valencias, einer Stadt von 80000 Einwohnern, auf den besten Karten noch um zwei Minuten differirte. Am 14. Ventöse (4. März) begannen die Beobachtungen in Madrid, in dem Palaste des Herzogs von Infantado.

Der sehr lange Brief an von Zach schliesst mit den Worten: „Das ist das wenige, was ich Ihnen in diesem Augenblicke schicken kann. Nehmen Sie das wenige mit Nachsicht auf, und bedenken Sie, dass ich noch andere Arbeiten als Astronomie zu verfolgen habe."

Eine dieser Arbeiten war der Versuch, die ganze Iberische Halbinsel in der Richtung von Südost nach Nordwest, von der Küste des Mittelländischen Meeres bei Valencia bis zu den Küsten des Atlantischen Oceans in Galicien barometrisch zu messen und zu profiliren. Dieses Profil gab die erste An- schauung von einem Plateau, einem Hochlande. „Lalande^, sagt Humboldt, „hatte freilich schon 1776 aus einigen Baro- meterberechnungen des berühmten Reisenden und Mathematikers Don Jorge Juan geschlossen, dass Madrid 294 Toisen über der Meeresfläche erhaben sei, aber die Geographen hatten damals noch keine Kenntniss von dem Zusammenhange aller Hochebenen der Iberischen Halbinsel." Der neue leitende Gedanke dieser Arbeit ist später für die verticale Bodenkunde, für die plastische Geographie und die Kenntniss der verticalen Heimatszonen alles vegetabilischen und organischen Lebens von höchster Be- deutung geworden, doch ist hier nicht der Ort näher darauf einzugehen. ^

^ Die erste Bekanntmachung der hierher gehörigen hypsometrischen Resultate und Profile ist von Cawnilles, „Annales de histor. natural.^', 1, 86;

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Madrid.) 271

In Madrid fand Humboldt ganz unerwartet die Erfüllung seiner so lange und so sehnlich gehegten Wünsche. Hr. von Forell, der schon früher (S. 241) erwähnte sächsische Gesandte am madrider Hofe, der mit grossem Eifer wissenschaftliche Unternehmungen zu fördern suchte, erbot sich bereitwilligst, durch den damals sehr freisinnigen Minister Don Mariano Luis de Urquijo die Erlaubniss des Königs für Humboldt zu er- wirken, die spanischen Colonien in Amerika, natürlich auf seine eigenen Kosten, bereisen zu dürfen. Wir besitzen das kleine Octavblättchen , in dem der Minister dem Gesandten anzeigt, dass Se. Majestät der König Hrn. von Humboldt em- pfangen und ihm die gewünschte Erlaubniss zur Reise ertheilen wolle. Das Billet, noch nirgends gedruckt, lautet in der Uebersetzung :

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Mein Herrl

Der König hat gern die nöthige Erlaubniss ertheilt, dass Hr. von Humboldt nach Amerika überschiflFen möge, um seine bergmännischen Studien und andere nützliche Entdeckungen, die er sich zur Aufgabe gestellt, fortsetzen zu können. Zu diesem Zwecke wird das betreffende Bureau im Ministerio der Gnadenangelcgenheitcn und der Justiz augewiesen werden, ihm ohne weiteres einen Pass für ihn und seinen Diener auszu- fertigen. Er wird Ew. Exe. zugeschickt werden, sobald dies geschehen sein wird, und wollen Ew. Exe. den Herrn Reisenden nur noch befragen, nach welchem Theile von Amerika er sich zuerst zu wenden gedenkt, um ihm Empfehlungsschreiben an

sodann von LabordCy „Itinerairc descriptif de l^Espagnc 1808", I, cxiv; von neuem bearbeitet in der grossen Karte der spanischen Halbinsel von Donnet und Malo^ und in HumboldVs „Atlas göogr. et phys. du Nouv. Cont, PI. IIL; endlich erweitert in HumboldVs Abhandlung ,,Ueber die Gestalt und das Klima des Hochlandes in der Iberischen Halbinsel, ein Sendschrei- ben an Prof. Berghaus" (Hertha 1825, Bd. lY; und wieder abgedruckt im „Briefwechsel Alexander von Humboldt's mit Heinrich Berghaus", I, 18—48).

272 I- Jagend und erste Mannei^alire.

die Generale und Commandanten der verschiedenen Provinzen geben zu können.

„Hiermit empfehle ich mich zu Ew. Exe. fernerer Dispo- sition u. s. w.

Aranjuez, 15. März 1799.

Mariano Luis de Urquijo."'

Humboldt selbst berichtet: ,Jch wurde im März 1799 dem Hofe von Aranjuez vorgestellt. Der König würdigte mich einer gütigen Aufnahme. Ich setzte ihm die Gründe auseinander, um derentwillen ich eine Reise in die Neue Welt und nach den Philippinen machen wollte, und überreichte dem Staatssecretariat eine Abhandlung über diesen Gegenstand. * Der Chevalier dlJr- quijo unterstützte meine Bitte, und es gelang ihm, alle Hinder- nisse zu beseitigen. Das Verfahren dieses Ministers war um so grossmüthigcr, als ich in keinen persönlichen Verhältnissen mit ihm stand.* Nie wurde einem Reisenden unumschränktere Er- laubniss verwilligt, nie wurde ein Fremder mit mehr Zutrauen von der spanischen Regierung beehrt."

* Das Original lautet: „Mui Senor mio! £1 Hey ha concedido con gusto cl permiso ncccsario para qac Mr. Humbold pueda pasar ä Amcrici & continaar cl cstadio de miuas y demas utües dcscabrimientos qae 86 proponc. A este fin sc pasara cl* correspondientc Ofido al Ministerio de Gracia y Justicia para qae sc le de^ immcdiamcnte un Pasaportc para el y an criado. Lo pasare k manos de Y. S. luego que cste hecho, y paede y. S. pregantar al intcrcsado k que parte de la America sc propone pasar primero, para darle cartas de recommcndacion para los Generales y Com- maudantcs de las Respectivas Provincias.

Con cstc motivo mc ofrezco k la disposicion de V. S. y pido ä Dios qae su vida etc. Araujacz, 15 de Marzo de 1799.

Bl. m". de V. S. sa'mas atento Serv. S. Baron Forcll. Mariano Lais de Urqugo.

' Leider ist dieses Memoire nicht wiederaafgefunden worden; zuletzt hatte der früh verstorbene Forscher in den spanischen Archiven, Bergen- roth, Iloffhang es in den Archiven von Simancas za finden.

' Von einem Interesse des preassischen Envoy. Extraord. in Madrid, Kammerherm Grafen von Ehode, für Humboldt und sein Unternehmen war keine Spur aufzufinden.

5. Gescheiterte Plane, endliche Erfüllung. (In Coruüa.) 273

Madrid selbst bot noch mannichfache Gelegenheit zu Be- lehrung und nützlicher Information. Cavauillas, Director des bo- tanischen Gartens und mit Willdenow literarisch befreundet, Nee, der nebst Hänke als Botaniker Malaspina auf dessen Reise be- gleitet und eins der grössten Herbarien heimgebracht hatte, die man bis dahin in Europa gesehen, Don Casimir Ortega, Proust, Hergen, der Abbö Pourret, die gelehrten Herausgeber der „Flora von Peru", Ruiz und Pavon, alle öffneten aufs zuvorkommendste ihre reichen Sammlungen. Humboldt und Bonpland besichtigten mit hohem Interesse diese Erzeugnisse Amerikas, unter andern auch einen Theil der von Sesse, Mociiio und Cervantes ent- deckten mexicanischen Pflanzen, von denen sich Abbildungen im Museum der Naturgeschichte zu Madrid befanden. Aber wie lehrreich ein längerer Aufenthalt auch hätte sein können, „wir waren", erzählt Humboldt, „zu ungeduldig, uns die von dem Hofe bewilligte Erlaubniss zu Nutze zu machen, um unsere Abreise länger zu verschieben. Seit einem Jahre war ich so vielen Schwie- rigkeiten begegnet, dass ich mich nur mit Mühe von der endlichen Erfüllung meiner sehnlichsten Wünsche überzeugen konnte."

Mitte Mai verliessen die beiden Reisenden Madrid. Immer mit Höhenmessungen sich beschäftigend, gingen sie durch Alt- castilien, Leon und Galicien, über Villalpando, Astorga und Lugo, nach dem Hafen von Corufia, um sich dort in einem Postschiff nach Cuba einzuschiffen. Der Hafencommandant Don Raphael Clavijo rieth ihnen, die zunächst abgehende Corvette „Pizarro" zu benutzen, die zwar nicht schnell, aber glücklich zu segeln pflege. Er befahl dem Kapitän, bei Teneriffa so lange anzu- halten, dass die Reisenden Orotava besuchen und den Pic be- steigen könnten, und sofort wurden die Anstalten zur bequemen Einrichtung, besonders zur Unterbringung der zahlreichen Instru- mente getroffen. Nach zehn Tagen, am 4. Juni, bedeckte ein dichter Nebel den Horizont; er war ein Vorzeichen günstigen Windes und das Signal zur Abfahrt.

Die letzten Abschiedsgrüsse, welche Humboldt an die Freunde richtete, lauteten:

A. T. Hl'MIOLDT. I. 19

274 I* Jugend und erste Manne^ahre.

An Freiesleben.

„Coruna, 4. Juni 1799. „Welch ein Glück ist mir eröffnet! Mir schwindelt der Kopf vor Freude. Ich gehe ab mit der spanischen Fregatte „Pizarro** Wir landen auf den Canaren und an der Küste von Caracas in Südamerika. Welchen Schatz von Beobachtungen werde ich nun nicht zu meinem Werke über die Construction des Erd- körpers sammeln können! Von dort aus mehr. Der Mensch muss das Gute und Grosse wollen! Das Uebrige hängt vom Schicksal ab. In Mexico sehe ich sächsische Bergleute, del Rio. Wir sprechen von Freiberg! .... Mit inniger, herzlicher Dank- barkeit Dein Humboldt"

An von Moll.

„Coruiia, 5. Juni 1799.

„In wenigen Stunden segeln wir um das Cap Finisterre

Ich werde Pflanzen und Fossilien sammeln, mit vortrefiflichen Instrumenten astronomische Beobachtungen machen können ;

ich werde die Luft chemisch zerlegen Das alles ist aber

nicht Hauptzweck meiner Reise. Auf das Zusammenwirken der Kräfte, den Einfluss der unbelebten Schöpfung auf die belebte Thier- und Pflanzenwelt, auf diese Harmonie soUen stets meine Augen gerichtet sein! .... A. Humboldt."

An Willdenow.

„Coruna, 5. Juni 1799.

„Wenige Stunden vor meiner Abreise mit der Fregatte „Pizarro" muss ich noch einmal, mein Guter, mein Andenken in Dir zurückrufen. In fünf Tagen sind wir in den Canaren^ dann an der Küste von Caracas, wo der Kapitän Briefe abgibt^ und dann in La Trinidad auf Cuba. Umarme Deine Gattin, Deinen Kleinen, Hermes, und grüsse Zöllner, beide Klapproth^ Hermbstedt und wer meiner gedenkt. Ich hoffe, wir sehen uns gesund wieder. Dein Andenken begleitet mich.

„Der Mensch muss das Grosse und Gute wollenl'^

Rückblick.

Zwei Elemente sind es vorzugsweise, welche in ihrer Wechselwirkung grossen Männern das Gepräge und den Werth- stempel ihrer Eigenthümlichkeit aufdrücken: die angeborenen Naturanlagen und die äussern Verhältnisse, welche denselben entweder fordernd zur Seite stehen oder hindernd entgegen- treten. Aus dem Zusammenwirken dieser beiden Elemente ent- wickelt und vollendet sich das, was der Mensch in seiner Zeit und Umgebung wird und schafft.

Schon die ersten dreissig Lebensjahre Alexander von Hum- boldts offenbaren ein überreiches Mass der glücklichsten innem und äussern Gaben, eine seltene Vereinigung alles dessen, was das Leben verschönt, und was sonst nur vereinzelt den Menschen zutheil wird. Aber noch preisenswerther als alle diese Gaben erscheint in ihm der sittliche Trieb, der unermüdliche Fleiss, die beharrliche begeisterte Anstrengung, diese Güter des mensch- lichen Daseins zu pflegen und zu verwertheu im Dienste des Guten und Schönen, im Dienste der Erkenntniss und der Liebe zum Menschenthum.

Das Streben Humboldt's ging nicht nach Amt und Wür- den, noch weniger nach Reichthum und Genuss. Den Gang seiner Studien bestimmte auch nicht die Vorliebe für einzelne Zweige wissenscliaftlicher Forschung; was ihnen die Richtung gab, war der früh erkannte und nie gestillte Drang nach Er- kenntniss in allen Disciplinen der organischen und anorganischen Natur, nach Erkenntniss alles dessen, „was die Welt im Innersten zusammenhält, wie Alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem Andern wirkt und lebt."

18*

276 I* Jugend und erste Mannesjahre.

Der frühe glänzende Erfolg seiner Thätigkeit begründete sich nicht sowol auf die Sorgfalt und Fülle seiner Beobachtungen und Arbeiten oder auf die dabei angewandte mathematische, zerglie- dernde und systematisirende Methode, als vielmehr auf die ge- dankenreiche Corabination aller dieser Methoden, auf die Ver- bindung aller altem Anschauungen mit denen der Gegenwart.

Diese Eigenschaften waren die Quelle seines Gefühls einer Superiorität, die schon den akademischen Jüngling überall unter den gefeiertsten Männern in Wissenschaft und Kunst, in Staat und Leben als unter seinesgleichen sich bewegen und schon früh in voUer Mannesreife erscheinen Hess.

Man hat Humboldt in seinem Greisenalter ein Reservoir ge- nannt, in dem die Ströme alles Wissens zusammenflössen: schon in seinen ersten Mannesjahren muss man ihn einen Brennpunkt nennen, der eine Fülle geistigen Lichts und fruchtbringender Anregungen nach allen Richtungen ausstrahlte. Wie hätte er es vermocht, eine neue Beobachtung, eine neuentdeckte Wahrheit weiter zu verfolgen, ohne dass er sogleich Freunde und Ge- nossen herbeirief und mit sich fortriss, gemeinschaftlich mit ihm den neuen Weg zu betreten.

Und gross wie die Vorzüge seines Geistes waren auch die seines Herzens. Sie bestanden in einem bis zur Schwärmerei gesteigerten Gefühl der Freundschaft, das zu jedem Opfer be- reit war und ihm die Edelsten und Besten verband, in hohem Adel der Gesinnung, lebhaftem Interesse für Förderung des Guten und Wahren, freudiger Anerkennung jeglichen Verdienstes, unversiegbarem Wohlwollen, Leutseligkeit, anmuthender Grazie und Freiheit von allen kleinlichen Rücksichten.

Mit rastlosem Fleiss und unermüdlicher Arbeitskraft paarte sich in Alexander von Humboldt eine ideale, fast dichterische Begeisterung. Daher seine Devise:

„Der Mensch muss das Grosse und Gute wollen!"

Beilagen.

Zu Seite 10.

1. Conrad Hnmboldt*s erster Bericht während seiner Amts-

thätigkeit.'

Xra^eim, bcn 18. (28.) Sebr. 1685.

Xur(^(au(^ti9fter G^urfürp ©näbigfier $crr.

'Jtac^b^em ic^ laut gnäbigften rescripts sub dato Potsdam best 2G. Jannarii 1685 burc^ (Sure S^urf. !Z)ur(^lau(^ttg!eit ^off^Sammer« geric^t^rat^ unb $aubtntann ^u 3)ra^eim ben Don S^iDaUoiDdfi am 7. Febr. an be^ Derflorbenen Stuibtö^Sammer-Stat^d unb Stmbt^mand be^ Don $5tterd fieUe ^teftger Starostey bin SorgefieUet unb introdu- ciret »orben, fo ^abe, fo Diel bie n)enige 3^^^ meiner aniDefcu^eit ed i)att Qnla^tn tooUtn, in ben ^iefigen Slmbtö-Acten Qto, (E^urfr. 'iDurc^L jura »egen ber Starostejgren^en unb Regalien mir belaub ju mac^en^ Buförberfl angelegen fe^n lagen, 3""^^^^^ ^^^ Starostoygren^ ^{ac^ba^rett gen)o^net, be^ Serenberung ber Seambten, neuerungen unb gren^fheitig« feiten ju tentiren. SEßie ic^ benn 6n). (S^urf. X^urc^l. ^iemit untert^» nigft berichten mu§, n)ad gefialt in S^lfen^agen ober grogen '^ufd)e Son feiten ber Starostey ald auc^ Don Seiten ber '^o))ielen)d!en ober SRanus teuffei mit bcnen biö^ero hincinde gefc^e^enen Ser^anblungen fafi ein gan^ed ia^r eingehalten unb ^en beeben t^eilen bad $ol(fällen o^ne turbation exerciret loorben; 2(l§ aber om 1. Febr. ber bra^eimifc^c 9mbtdf(^reiber !£)aDib Dumble jum 33e^uff ber Starosteygebäube unb 3^ anbauung be« »Ufien fre^fi^eö in Ciashagen, fo Qto. S^urfl. !X)un^l. il^m in gnaben gef (Reutet ^at, einiget $ol^ in obgeba(^tem S^ltcn^gen

* Holkammer- Acten , die Starostci Drabeim betreffend, V, 451^456, im königL Ministerialarchiv zu Berlin.

278 I* Jugend und erste Mannesjahrc.

ober grogen $uf(^ abbauen laffen, ^aben bed 93ru^if(^en 9)knteuffe(d 6ebtente, bie bra^eimifc^en 9tvitt angefallen unb bem einen ein gefpannted 9io^r auf bie 93rufl gefettet, mit Setro^ung i^n tob 2u\ifit%tn, fofem tx jtc^ nic^t mitt i^nen abfinben unb bad gefälte $o($ ^interlaffen loürbe, n)orttber ber $auer ben SRannteuflifc^en fc^ü^en 12 li^bfc^. ober 8 gute grofc^en geben ntügen

Der Bericht erzählt noch von andern Gewaltthaten der Mann- teuffei, von den Verhandlungen mit ihnen, sucht ihre vermeinten An- sprüche zu widerlegen, und schliesst wie folgt:

Unb ba gebad)ter 3RanteuffeI unter anbern ertve^nte, bad i^r rec^t an ben $uf(^ t)on üerfc^iebenen Königen in $o^Ien gebilliget unb con- finoiret'tvorben, .... fagf iii, bog bem SRcc^tc, fo bie Starostey an bem $uf(^e ^att, bergleic^en ex Cancellaria regia burc^ fte bie 3Ran^ teuffein erhaltenen Documenta auf feincrtciwcife praejudiciren fönnten^ n)ei(. bie Starosteyen unb bero Regalien unb Annuitaeten bona Rei- publicae td'dxtn, tütlijt niifi auf anbete transferriret unb Seräugert luerben I5nnten, a(d cum unanimi Reipublicae consensu, bad nun fol^ iftn ber Republic consens bie üon SManteuffel loürben jemol« erhalten, ober produciren fönnen, 3^^iff«^^^ '^ f^^^- ©teile alfo Sto. G^urfl. ^Durd^l. in aUcruntert^ftnigteit an^eim, tvit xd) mxd) ^ur ^bkoenbung \oU ifjtx Einträge, nVobürc^ bem $auge !Drä^etm märtlic^ tonnte praejudi- ciret toerben, ^iemät^ft ju öcr^alten ^abe. Snjttjift^en ^offe, e^ toerben @n). ^^urfl. !X)ur(^(. gnäbigft genehm galten, \>a9, mnn bie SRannteuffel in obgebac^tem $uf(^e $o(^ fdUen^ ic^ fte ebenfalls loie ^iebet)or üon l^ieraud folc^ed 5ffterd gefc^e^en, ab))fänben, unb, ba fle gekoatt t^un, gekoalt mit getvatt juriidftreiben tage, abfonberlic^ ba mir berichtet tvirb bag bie 3RanteuffeI .... ben $uf(^ ober ^alfen^agen gen^lic^ üertoUflen nfollen, tdzidft9 aUe^ nac^ m5g(i(^Ieit ju üer^inbem ic^ meinen ^fltc^ten gemäg mxd) jeberjeit untert^änigfl befleißigen tocrbe, afö

Durc^laut^tigfler S^urfürfl, ©nöbigftcr $crr ®to. C^urfürfHi(^cu !Dur(^tau(^tig!eit

untert^änigfter unb ge^orfamfter Üntift donrab $omboIbt.

Die vieljährige Amtsverwaltung des energischen Mannes (er starb 1723) muss eine unerfreuliche, von Streit und Beschwerden bblftstigte gewesen sein. Eine Verfügung vom 16. Januar 1691 „9n 4^omboIbten in 3)ra^cim"^ rügt sogar sein Verfahren sehr stark:

» Ebend., VIII, 86.

Beilagen. 279

Q€ f)ai ftc^ Unfer ^atf) u. Surgric^ter ju 92eufiettin ber D. (Erocfoko gar ^öc^üc^ über Qnij^ U^ijtotTt, bag O^r o^n(ängfi gan^ getpaUfamer SBcifc feine Jurisdiction violiret unb einen feiner Unterfogen, einen atten betagten 9Rann aud feinem freien ritter ®ute vi et de facto lueg ne^« men unb in ^arte gefängnug merfen lagen umb foI(^erge|ta(t ba9 SJe- fenntnig einer !^eibeigenfc^aft unb ^auempfligt Don i^m ju erjtpingen. SEßie nun ertvä^nter t>. Srocfotp jugleic^ berichtet ^ bag bei ber Dor^in ongefe^t getpefenen ilommiffton biefed SRanned Sodfauffungdbrief üon benen Don (unleferli(^) exhibiret unb benen Commissariis alfo bie Cog- nition super statu überlaffen tvorben: ®o gereicht und Quer je^iged eigent^Umß(^ed 3$erfa^ren ju nidft geringem Wli^aütn, tvoUen and) biefed be^ ber Don neuem angeorbneten Commiffion juglei(^ mit unterfu(^en (äffen unb und bem 3)eftnben nai) ber 3)ea^ntung Dorbe^alten ^aben. Sf^x ^abt aber injtvifc^en ben inhaftirten aUfofortl^ bad gefängnug ju Derlagen unb auff freien t^ug ju fteßen unb (Su(^ aber ind j{ünfftige berg(ei(^cn proceduren gänjtic^ ju enthalten."

In einer Beschwerde sämmtlicher an Poltzien berechtigter von Crockow gegen ihn, Grenzstreitigkeiten betreflfend', heisst es:

9S3ir ^tten moQ miiufc^en mögen^ bag ed Stv. S^urf. Xnxifiauift gnäbigfl gefatten ^ätte^ und bed 9{at^d $umboIb'd Dermeinte Serantmor« tung gnäbigfl }u communiciren, aUennaagen bie Acta bejeugen^ mie Qr geiDO^nt if^, bie aQerungeräumte|ten (Sachen Sardiment unb absque fronte ju debitiren, meiere nac^ma^Id btt) ben unterfu(^ungen aüema^I fa(fc^ unb ungegrünbet befunben morben.

Indess gerade diese Beschwerden beweisen die anerkennens- werthe Tüchtigkeit des Mannes, der die Kraft und den Willen hatte, der willkürlichen Anmassung und Gewaltthätigkeit jener Zeit ent- gegenzuwirken.

Zu Seite 11.

2. Das Wappen der Familie von Homboldt

Das Wappen der Familie von Humboldt ist: In goldenem Schilde auf grünem Rasen ein grünender dicht belaubter Baum, nm-

* Am Rande ist bemerkt : „^n ^umbolbt toxxb, tote 34 "i^t anberi tot\%, IDu gef((rtcben." Das war der Ministerialstil an Hofkammer-Beamte. » Ebend., \1II, 146.

280 I- Jugend und erste Mannesjahre.

geben von drei silbernen sechsstrahligen Sternen, einem über der Krone des Baumes und je einem an den äussern Seiten des Stammes. Der Helm trägt einen offenen goldenen Adlersflug, zwischen dessen Flügeln ein geharnischter Ritter, in der Rechten ein Schwert schwin- gend und die Linke in die Seite setzend, aufwächst.

Die Beziehungen dieser heraldischen Symbole zum Leben und Wirken Alexander von Humboldt's sind anmuthig und sinnig ge- deutet in dem folgenden Gedicht von Karl Lehmann^:

Humboldt's Wappen.

Wie hast von echtem Adel Dein Wappen du geehrt! Wie hat sein schönes Zeichen Dich schönes Thun gelehrt!

Es prangten in dem Wappen Drei Sterne und ein Baum Du solltest dir gewinnen Den weiten Weltenraum:

Was oben, niederleuchtend, Am Himmel sich bewegt, Was unten, aufwärts strebend. Die Erde grünend trägt.

Das war des Wappens Mahnung, Die frühe dir erklang; Ihr galt dein Friedensfeldzug Dein ganzes Leben lang.

Ein Friedens - Alexander, Hast du ihn kühn vollbracht: Die Erde und den Himmel Dir unterthan gemacht.

Drum werfen grüne Bäume Den Schatten auf dein Grab ; Drum steigen goldne Sterne Darüber auf und ab.

Spener'sche Zeitung, 1869, Nr. 214.

BeiUgen. 281

Zu Seite 12.

3. Den Baronstitel betreffend.^

A.

An Sc. Durchlaucht den Herrn Fürsten zu Sayn -Wittgenstein, königl. Oberkammerherm und Wirkl. Geh. Staatsminister.

Die vor kurzem bei der Gelegenheit der Ordensverleihung an den Geh. Staatsminister von Humboldt, den Wirklichen Geh. Rath

von Humboldt, von diesen Rittern bei uns eingesandten, ihnen

zur Ausfüllung zugefertigten Schemata zum National veranlassten Zweifel darüber, wie sie in den Ordenslisten aufzuführen sein werden.

Die beiden Geh. Staatsminister von Humboldt und von Ompteda nennen sich Freiherren; dagegen haben die beiden andern genannten Ritter sich dieses Prädicat nicht beigelegt.

Ew. Durchlaucht bitten wir daher gehorsamst um hochgeneigte Benachrichtigung, ob allen diesen Rittern gedachtes Prädicat zu- kommt, oder ob dasselbe bei den beiden letztem nicht anzuführen sein wird.

Berlin, den 5. Nov. 1830.

Königl. General-Ordenscommission, von Buch.

B.

Berlin, den 10. Nov. 1830.

£w. Excellenz haben in dem geehrten Schreiben vom 5. d. M. inich benachrichtigt, dass der Geh. Staatsminister (Wilhelm) von Hum- boldt, ingleichen der in den Nationalen bei Gelegenheit der

ihnen gewordenen Ordensverleihungen das freiherrliche Prädicat sich beigelegt haben, während dies bei der nämlichen Gelegenheit von dem

Wirklichen Geh. Rath (Alexander) von Humboldt und dem

nicht geschehen ist

* Aus Acten im kOnigl. geheimen Staatsarchiv.

282 I* Jugend und erste Mannesjahrc.

Wenn Ew. Excellenz gleichzeitig anfragen, ob bei dieser vor- gekommenen Verschiedenheit den beiden Herren Staatsministem das freiherrliche Prädicat wirklich zukomme, so muss ich hierauf er- widern, dass dieses, soweit mir bekannt, nicht der Fall ist.

Was zuvörderst den Herrn Minister von Humboldt anbetrifft, so ist derselbe bei seiner Ernenaong zum Eammerherrn, laut Be- stallung vom 10. August 1802, ebenso wenig Freiherr genannt wor- den, als bei seiner Aecreditirung in Korn im nämlichen Jahre und in seiner Correspondenz mit dem Cabinetsministerium. Auch in dem Hof- und Staatshandbuche pro 1806 kommt der Herr Minister von Humboldt, gleich seinem Bruder, S. 1 und 386, ohne das frei- herrliche Prädicat vor; ebenso in der Urkunde vom 27. Aug. 1809, wodurch dem ältesten Sohne des Herrn Ministers die Annahme des von Dachröden^schen Namens und Wappens gestattet worden, geschieht des freiherrlichen Prädicats keine Erwähnung. Von einer spätem Verleihung desselben ist mir nichts bekannt, wenn ich auch weiss, dass den beiden Herren Gebrüdem von Humboldt das gedachte Prädicat im gewöhnlichen Leben und selbst in öffentlichen Aus- fertigungen oft beigelegt worden ist.

gez. von Wittgenstein.

Zu Seite 15.

4. Die Geburtsstätte Alexander von Hamboldt*s.

Als Gebui-tsort ist mitunter Ringenwalde, ohne irgendeine halt- bare Begründung, und auch Tegel angegeben worden. Die letztere An- gabe erhielt dadurch scheinbar ein besonderes Gewicht, dass Hum- boldt selbst eine briefliche Mittheilnng über Tegel an den berliner Stadtarchivar Fidicin mit den Worten schliesst: „Lachen Sie nicht über die pedantische Wichtigkeit, die ich auf meinen Geburts- ort lege."

Hiergegen muss bemerkt werden, dass sich sonst nirgends eine Angabe findet, Tegel sei der Geburtsort Alexander von Humboldt's gewesen. Dafür, dass er in Berlin geboren sei, sprechen folgende umstände :

1) Das Taufbuch der berliner Domgemeinde enthält Vol. VH, S. 252 den Vermerk, dass Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von

BeUagen. 283

Humboldt am 9. Oct. 1769 von dem Hofprediger Sack getauft worden. Wäre er nicht in Berlin, sondern an einem andern Orte geboren worden, so hätte nach Brauch und Bestimmung der fremde Geburtsort hierbei ausdrücklich angegeben sein müssen. Die Aus- lassung des Namens des Geburtsorts spricht gewohnheitsmässig und selbstverständlich für den Ort, zu dem die Kirche gehört, also für Berlin.

Und welche Gründe hätten wol obwalten können, das kaum drei Wochen alte Kind bei dem damals noch überaus beschwerlichen Wege die Reise von Tegel oder gar von Kingenwalde nach Berlin und wieder zurück machen zu lassen?

2) In allen wichtigsten Gerichts- und amtlichen Verhandlungen und Documenten, in Testamenten, Erbschaftsregulirungen um von andern zu schweigen wird ausdrücklich Berlin als der Geburtsort Alexander von Humboldt's angegeben.

3) Er selbst bat sonst nie und nirgends, selbst wo er sich mit scrupulösester Genauigkeit äusserte, Tegel, sondern immer Berlin als seinen Geburtsort angegeben, respective gelten lassen. Im „Kosmos", n, 128; III, 515, nennt er ausdrücklich Berlin seine Vaterstadt. Sicher war es nur ein Schreibfehler, wenn er in dem erwähnten Briefe an Fidicin nach weitläufig wiederholter Geschichte von Schloss Tegel schliesslich sagt: „Lachen Sie nicht über die pedantische Wich- tigkeit, die ich auf meinen Geburtsort lege", anstatt zu sagen: auf den Ort meiner Kindheit, oder auf einen Besitz meiner Familie.

4) Auch Wilhelm von Humboldt, der in seinen „Briefen an eine Freundin", Charlotte Diede, Tegel und alles Interessante, das sich an dieses sein Tusculum knüpfte, mit grosser Vorliebe aus- führlichst und wiederholentlich beschreibt, berichtet nicht, dass hier die Geburtsstätte des weltberühmten Bruders gewesen.

Wir knüpfen an diese Ausführungen noch einige actenmässige Data über den Besitzwechsel und den gestiegenen Werthpreis der Geburtsstätte Alexander von Humboldt's.

Am 25. Febr. 1739 erhielt Georg Christian Ziemler vom könig- lichen Hof -Bauamt den Grund und , Boden zu dem Hause, jetzt Jägerstrasse Nr. 22, zum Bebauen angewiesen. Schon am 15. Nov. 1746 verkaufte er durch aussergerichtlichen Vertrag den Neubau an den Director der ostfriesischen Kammer, Johann Heinrich von Colomb, für 4350 Thlr.

284 L Jugend und erste Manuesjahre.

Nach dessen Tode kam das Haus durch Erbvergleich vom 31. Jan. 1761 an seine hinterlassene Witwe Susanna von Colomb, geb. von Dnrham, und ihi-e minorennen Töchter Marie Elisabeth und Wil- helmine Anna, die nach dem Tode der Mutter aUeinige Besitzerin- nen wurden und zwei Brttder von Hollwede heiratheten, beide könig- liche Hauptleute in der Armee. Die älteste Tochter, Marie Elisa- beth, früh verwitwet, vermählte sich zum zweiten male mit dem königlichen Kammerhenn Major von Humboldt, der ausschliess- licher Besitzer des Hauses wurde, indem er es für 8000 Thlr. er- kaufte und den Antheil der jtlngern Frau von Hollwede durch Compensation regulirte.

Nach dem am G. Jan. 1779 erfolgten Tode des Majors von Humboldt kam der Besitz an die hinterlassene Witwe und deren zwei minorenne Söhne Wilhelm und Alexander von Humboldt, der- gestalt, dass der Mutter zwei Drittel, den Kindern ein Drittel gehörte.

Frau von Humboldt starb am 19. Nov. 1796, und bei der Erbtheilung erkaufte, 19. Mai 1797, der Geh. Ober-Finanzrath von Burghoff, „das Wohnhaus mit Hintergebäude, Hof und Garten", für 21000 Thlr., die sofort in brandenburgischem Silbercourant ausge- zahlt wurden.

Von ihm kaufte im Jahre 1803 der Justizrath Stech das Grund- sttick für 35200 Thlr. Nach dessen Tode übernahm es seine Witwe bei der Nachlassregulirung am 11. Dec. 1821 für 13000 Thlr. und verkaufte es 1824 an den Bankier Joseph Mendelssohn für 40000 Thlr. Dessen Erben verkauften es am 8. Jan. 1863 an den Kaufmann Houben für 92000 Thlr., und dieser am 6. März 1865 an Dr. Stroussberg für 140000 Thlr.

Dr. Stroussberg hat das Haus von Grund aus neu erbaut, und in der Fa^^ade des Quergebäudes im Hofe ein Medaillon- porträt Alexander von Humboldts in gebranntem Thon anbringen lassen. ^

^ Vgl. den ausführlichen Artikel von J. Löuotnbcrg in der National- Zeitung 1869, Nr. 409, vom 3. Sept., 2. Beilage.

Beilagen. 285

Zu Seite 39.

5. Das Leben im Hnmboldt'schen Hause.

Einen interessanten Einblick in das Leben im Humboldt^schen Hause gewährt uns Frau Karoline de la Motte Fouqu^, geb. von Briest.' Sie schreibt der Schwester im Januar 1785, dass sie bei Frau von Humboldt zu Mittag gewesen, und fahrt dann fort:

„Alles ist bei den Humboldts wie es war. In dem Hause än- dert sich nichts, weder die Menschen, noch die Art und Weise. Ihn werde ich zwar immer sehr da vermissen. Seine leichte, muntere Unterhaltung machte einen charmanten Contrast mit der leisen Ruhe und Gemessenheit seiner Frau. Diese, ich versichere Dich, sieht heute so aus, wie sie gestern aussah und morgen aussehen wird. Der Kopfputz vdc vor zehn Jahren und länger, immer glatt, fest, bescheiden! Dabei das blasse, feine Gesicht, auf dem nie eine Spur irgendeines Affects sichtbar wird, die sanfte Stimme, die kalte, ge- rade Begrüssung und die unerschütterliche Treue in allen ihren Ver- bindungen! Immer duldet sie den Schwager, seine Tochter, die alte Tante um sich; immer liegt der alte schnarchende Hund Belcastel auf dem Sofa; ihr Gleichmuth leidet weder durch Widerspruch, noch sonst durch häusliche Störungen. Man kann darauf schwören, wie man sie heute verlässt, so findet man nach Jahr und Tag die Familie im Innern und Aeussern wieder.

„Von den Söhnen kann ich Dir nur sagen, dass Wilhelm bei aller seiner Gelehrsamkeit nichts weniger als ein Pedant ist. Im Gegentheil hat er immer le mot pour rire, und dabei wird er im Hause wie der Engel der alten Verwandten geliebt. Es kann sein, dass Fräulein U. . . eine kleine Schwäche für den jungen Vetter hat, aber die Tante schwört auch bei ihm. Alexander ist eher un petit esprit malin. Uebrigens ausserordentlich talentvoll, er zeichnete, schon ehe er Unterricht nahm. Köpfe und I^ndschaften. In der Schlafstube der Mutter hängen alle diese Producte an den Wänden. Jetzt ist er in der gereiften Periode der aufwachsenden Galanterie gegen Damen. Er trägt zwei lange stählerne Uhrketten, tanzt, macht Conversation im Cabiiiet seiner Mutter, kurz, man sieht, er fängt an eine Rolle zu spielen. Er erinnert sehr an den Vater."

* Karoline Baronin de la Motte Fouque, geb. r. Briestj Der Schreib- tisch, oder alte und neue Zeit (Köln 1833), S. 6. 7.

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286 I- Jugend und erste Mannesjahre.

Zu*Seite 65.

6. Des Jünglings Humboldt Ansichten über Wunder.

„Schloss Tegel, den 15. Juni 1788."

Nachdem die in Betracht kommenden Begriffe: Welt, Kraft, Ursache, Wirkung, kurz definirt worden, heisst es weiter:

„Wunder können auf vierfache Weise widerlegt werden: a) in- dem man aus historischen Gründen die räthselhafte Wirkung, das Factum selbst, leugnet^; dann b) indem man zeigt, dass das Wunder überflüssig sei, indem die endlichen Kräfte der Natur hinreichend sind, die Wirkung hervorzubringen; c) dann indem man den Widerspruch rügt, in welchen uns jedes Wunder mit den Eigen- Schäften Gottes verwickelt, und d) indem man erweist, dass die Wirkung durch kein Wunder habe hervorgebracht werden können.

„Aber es ist nicht genug, diese Arten anzugeben, nach welchen ein Wunder widerlegt werden kann, sondern ich muss auch zeigen, dass nicht mehrere Beweisarten möglich sincf. Jedes Ding a, von dem ich vorgebe dass es wirklich ist, muss zwei Eigenschaften ha- ben: es muss wirklich, und es muss möglich sein. Denn was ist, darf keinen Widerspruch enthalten. Die Wirklichkeit von a kann geleugnet werden, indem ich entweder historisch beweise, a war nicht vorhanden erster Beweis! oder indem ich zeige, ein anderes Ding b war vorhanden, mit welchem a nicht zugleich bestehen kann zweiter Beweis! Kann ich darthun, dass c die Ursache von b war, so fällt a von selbst weg. Denn jedes Ding kann nur eine Ursache haben, a und c können nicht zugleich bestehen. Auch hat meine Vernunft keinen zureichenden Grund, das hypothetische a dem ge- wissem c vorzuziehen; c macht daher a überflüssig. Die Wirklich- keit von a kann ferner mittelbar geleugnet werden, indem ich die abstracto Möglichkeit davon widerlege. Die Möglichkeit eines Dinges ist entweder eine hypothetische oder eine absolute, a ist entweder darum unmöglich, weil es einem andern Dinge dritter Beweis ! oder darum, weil es sich selbst vierter Bfeweis! widerspricht.

„Diese Dilemmen enthalten, nach meiner schwachen Einsicht, alle Widerlegungsarten der Wunder in sich. Es kommt jetzt noch darauf

' Der Ausdruck bestreiten statt leugnen möchte wol hier und im Folgenden zutreffender sein.

Beilagen. 287

an, diese Dilemmen zu prüfen. Facta zn leugnen ist äusserst schwie- rig, zumal wenn die Begebenheiten sich in die Vorzeit verlieren AUe Wunder sind nicht so grob ausgesonnen als die, welche Damis und Philostratos von dem ApoUonins von Tyana erz&hlen. Unwahr- scheinlich, zweifelhaft kann man Erz&hlungen machen, die von keinem andern Schriftsteller bestätigt werden. Aber wer will denn Moses einer LOge beschuldigen, wenn er sagt, er sei trockenen Fusses durch das Rothe Meer gegangen? Die Exegese (deren Freund ich eben darum so sehr bin) gibt, deucht mich, das fasslichste Mittel an die Hand, sich dieser ersten Beweisart zu bedienen. Hat der Ge- schichtschreiber selbst nicht gewollt, dass der Ausdruck aGottes Sohno für den als ein a eingefleischter Gott» verstanden werde, so braucht es keiner andern Erklärung für das Geheimniss der Menschwerdung. Dabei fallen mir oft Spinoza's Worte ein: aPleraeque oriuntur con- troversiae quia homines alterius mentem male interpretantur, vel mentem suam non recte explicant.» In der zweiten Beweisart, Wun- der zu widerlegen, nämlich durch natürliche Erklärungen des Fac- tums, hat es bisher ebenfalls nur wenigen geglückt. Bei den soge- nannten physischen Wundererscheinungen, welche häufig wiederkehren, wird es dem Auge des Forschers eher noch leicht, den natürlichen Grund der Dinge aufzufinden. Aber bei Geschichten, deren Erzähler bald aus List, bald aus Leichtgläubigkeit alle Nebenumstände ver- schweigen, um das Factum in ein desto wunderbareres Licht zu stellen, wird es schwer, ich möchte sagen unmöglich, die Wahrheit zu entdecken. Nebensonnen, Feuermänner, Luftbilder, intermittirende Quellen und hundert andere Phänomene können erklärt werden. Bei wem werden aber die Barthischen Hypothesen nicht Ekel, nicht Ueber- druss erwecken? Ich bin weit davon entfernt, dem Untersuchungs- geiste und selbst der historischen Kritik Schranken zu setzen. Wer die wahre Ursache einer Erscheinung entziffert, wird sich ein Ver- dienst um die Wahrheit, d. h. um die Menschheit erwerben. Aber durch beständiges Erklären die Menschen zu gewöhnen, nur das für kein Wunder zu halten, was sie einsehen können, heisst der Wahr- heit schaden. Wir gewöhnen uns, wie Mendelssohn sagt, so an das Betasten und Fühlen, dass wir nur das als Wahrheit erkennen, was in die Sinne fällt. Daher halte ich im allgemeinen, das heisst, wo nicht Exegese und historische Kritik bessere Mittel an die Hand geben, die dritte Beweisart für die vorzüglichste. Wenn Gott als ein selbständiges Wesen unendlich weise ist, das heisst, wenn er die besten und kürzesten Mittel zu den besten Endzwecken wählt, wenn

288 I* Jugend und erste Manne^ahrc.

er nach seiner Allmacht kann was er will, ausführt was er, um menschlich zu reden, für das Beste erkennt, so gehören Wunder nicht in den Plan der Schöpfung, so ist diese mit allen Kräften ausgerüstet, welche die beabsichtigten Wirkungen erfordern.

„Wir Menschen haben gar sonderbare Begriflfe von der Erhaben- heit und Grösse. Die Idee, dass Gott eine unermessliche Welt aus dem Nichts hervorgerufen, dass er sie mit Kräften belebt hat, die schein- bar gegeneinander kämpfen und doch alle harmonisch wirken ist uns zu klein. Die Welt ist da, Ruhe ist für Gott undenkbar, wir wollen ihn in Thätigkeit setzen, und wir lassen ihn von Zeit za Zeit in das Uhrwerk eingreifen, um den Rädern einen neuen Schwung zu geben, oder um Wirkungen hervorzubringen, auf welche die Ma- schine nicht eingerichtet war. Wir schreiben dem Werke Unvoll- kommenheiten zu und glauben den Urheber dadurch vollkommen zu machen. Welche Inconseciuenz in unseni Urtheilen! So fasslich aber diese ganze Beweisart zu sein scheint, so gibt uns die Metaphysik doch noch einige Einwürfe an die Hand, welche allerdings beant- wortet zu werden verdienen.

„Erster Einwurf: aWie, wenn die endlichen Kräfte der Schöpfung nicht hinreichend waren, die beabsichtigte Wirkung hervorzubringen, sollte es dann der höchsten Weisheit nicht angemessen sein, statt der schwachen Kräfte der Natur selbst zu wirken?» Angemessen allerdings, antworte ich. Aber was ist denn den endlichen Kräften hervorzubringen unmöglich V Zweierlei: 1) das, was nicht beiein- ander bestehen kann, das absolut Unmögliche, und 2) das, was die endliche Kraft übersteigt. Das Unmögliche hervorzubringen: Denk- kraft mit der Materie, Bewegung mit dem Immateriellen, fünf Brote mit der Sättigung vieler Tausende, kurz widersprechende Dinge mit- einander zu verbinden, ist auch der Allmacht (d. h. nach den Vor- stellungen, die wir un» von Gott gebildet haben, und nach andern können wir doch einmal nicht urtheilen) unmöglich. (S. EngeVs Philo- sophen für die Welt, im ersten Theile das letzte Gespräch.) Es wäre eine sonderbare Vollkommenheit des Schöpfers, das Schwarze zugleich weiss, das Schöne zugleich hässlich, den Teufel zugleich unendlich klug und doch höchst böse zu machen. Sollte die Wirkung b aber blos alle endlichen Kräfte übersteigen, so müsste in der Wirkung mehr liegen als in den vorhandenen Ursachen, oder mit andern Worten, so müsste die Wirkung unendlich sein. Denn wäre sie noch endlich, so hätte Gott noch die Kraft in die Schöpfung gelegt haben können, um das Endliche b hervorzubringen. Ist b unendlich, so

Beilagen. 289

hat es überhaupt nicht, und also auch nicht von dem andern unend- lichen Dinge, Gott, (welches nach meiner Theorie überdies mit b zusammenfiele, denn alles Unendliche ist remoto spatio et tempore Eins), geschaffen werden können. So wenigstens löse ich mir die Schwierigkeiten.

„Zweiter Einwurf: a Zugegeben, dass Wunder bei einer andern Einrichtung der Welt auch von endlichen Kräften hätten hervor- gebracht werden können, so sind sie doch kürzere Mittel, wenn sie unmittelbar von Gott bewirkt werden, und schon darum der höchsten Weisheit angemessen.» Wenn wir die Weisheit Gottes in seiner Schöpfung bewundem sollen, antworte ich, können wir' die Wirkungen nur im Zusammenhange mit den endlichen Kräften der Natur be- trachten. Wollen wir Gott mit in die Schöpfung verflechten, so widerspräche es seiner Weisheit auch, dass er die Bäume, ehe sie Früchte tragen, blühen lässt, dass er den Menschen statt Brotes Korn wachsen lässt. Jede plötzliche Einwirkung ist wahrlich ein kürzerer Weg als die allmählichen Entwickelungen, das Uebergehen aus einem vorbereitenden Zustande in einen andern, als die langsame Wirkungsart endlicher Kräfte. Nach diesen Vorstellungen wäre die weiseste Welt eine wundervoUe, eine Menge von Kräften, von denen jede gehemmt wäre, auf denen, wie die Väter von den Evangelisten sagen, der heilige Geist immerdar, wie auf einer Laute, spielt!

„Dritter Einwurf: aüns schwachen Sterblichen, die wir mit den kurzsichtigen Augen die Welt anstaunen, mögen Wunder allerdings der höchsten Weisheit unwürdig scheinen; aber wie können wir, deren Los mangelhafte, eingeschränkte Erkenntniss war, wie kann das End- liche es wagen, das Unendliche zu beurtheilen, ihm Gesetze und un- wandelbare Regeln vorzuschreiben?» Nicht Gesetze, nicht Regeln, antworte ich, will ich der Gottheit vorschreiben. Aber ich sehe ein,, dass ein Gott ist, dass er allweise, allgütig, alhnächtig ist; und wenn eine räthselhafte Begebenheit sich ereignet, soll ich jede Untersuchung verwerfen, soll ich nicht fragen dürfen, wie stimmt diese Begebenheit mit den Vorstellungen überein, die ich mir gebildet habe?''

Ausführlicher weist er einen vierten Einwurf zurück, mit spe- cieller Beziehung auf das eigentliche Thema des Freundes, das biblische Wunder des „Redens mit andern Zungen". In seinen An- sichten über Entstehung der Sprache folgt er den Untersuchongeii Uerder's und Jerusalem's.

A. ▼. HmuobOT. L ^9

I

290 Jugend und erste Mannesjahre.

Zu Seite 103.

7. Reise 1790 in England.

Fragment aus einem Tagebuche wähi*end der Reise mit Forster. Aus der von Kadowitz'schen Autographensammlung, Nr. 6255, in der königlichen

Bibliothek zu Berlin-

Aus der Menge von Huraboldt's Notizen und Excerpten tlber Sommersetshire, Gloucestershire u. s. w. sei hier nur einiges hervor- gehoben als Beleg für die Vielseitigkeit seiner Beobachtungen:

„Wiltshire. Viele Tuchmanufacturen in Wiltshire, Glocester- shire und Sommersetshire, besonders um Bath in Trowbridge und Bradford. Die Schafe in diesen südwestlichen Grafschaften sind zweischürig, in Leicester-, Lincolm- und Warwickshire aber grössten- theils einschürig. Den hohen Preis der Wolle im Jahre 1790 schrieb man dem Steigen der Tuchmanufacturen zu. Die höchsten Preise waren: Welsh pro Pfund 1 s. 3 d., South down 1 s. 2 d., Norfolk 1 s. 1 d., West Country 8 d. half penny. (lieber die englische Schafzucht und über ihr Alter, da schon für die römischen Kaiser wollene Zeuge zu Winchester gemacht wurden, siehe D. Anderson, Report of the Comittee.) f)ie Färber drängen sich alle an den Avon, dessen reines Wasser zum Färben von vorzüglicher Güte ist. Es fehlt noch immer au genauen chemischen Untersuchungen über den Einfluss verschiedener Wasserarten beim Färben, Bierbranen. Es ist ebenso unverständig, den Vorzug des englischen Biers, der englischen Färberei dem englischen Wasser zuzuschreiben, als es vor- eilig ist, den Einfluss des Wassers der Atmosphäre bei so schweren chemischen Processen, da Gärungen, für die es keine Messer gibt, im Spiele sind, abzuleugnen.

„Chippenham war die Residenz Alfred's des Grossen, der 884 den Dänen Rochester und London entrissen. Ueberhaupt scheint da- mals der westliche Theil von England der angebautere gewesen zu sein. Jetzt hat sich die Cultur ganz gegen Osten gezogen. War das ältere Verhältniss nicht natürlicher, da die Einfahrt in den Bristol Channel bequemer als die in die Themse, da das westliche Engkmd an Ausfuhrproducten reicher, die Communication mit Irland näher,

Beilagen. 291

und Milford ein sicherer Hafen für die Flotte als Portsmouth ist? Allerdings. Aber das auswärtige Interesse gab allein eine entgegen- gesetzte Richtung. Der vlämische Handel machte die Schiffahrt im Kanäle lebhaft, das Comptoir der Hansa in London brachte diese Stadt empor, die englische Wolle ging nun von da aus, die unauf- hörlichen Zwistigkeiten mit Frankreich machten eine Flotte und also auch einen Hafen im Kanäle nothwendig; die Barbarei, in welcher Irland so spät noch lag, Hess den nattirlichen Handelsverkehr zwischen England und Irland nicht aufblühen

„Mattlock. Lieh, calcar.. Lieh, saxatil., Lieh, tartar. und Verruc. pertusa wachsen fast im ganzen nördlichen Europa wild, aber mau liest die patriotischen Schriften von Bamhoucney (Proc^d^s sur les teintures solides que nos vegetaux indig^nes communiquent aux laines etc. Paris 1786) und Hoffmann (De vario Lichenum usu. Erlangae 1786) und verschreibt noch immer Farbestoffe aus den Canaren, Capverdischen und Griechischen Inseln oder aus dem süd- lichen Frankreich, die unsere einheimischen Flechten darbieten könn- ten. Wir kaufen Lakmus von Holländern und Engländern und ver- gessen, dass diese ihn von L. saxat. machen, das bei uns jeder Baum^ jeder Pfahl, jeder Stein trägt. (S. von den Lakmusfabriken bei Leith in Schottland, zu der 200 Menschen sich mit dem Sammebi des Lieh, saxat. beschäftigen, Ferber, Neue Beiträge zur Mineral- geschichte, I, 455.) Unsere Unwissenheit geht sogar so weit, dass uns Jacobson noch vorlügen durfte, Lakmus werde aus Croton tinctor., aus dem Tournesol von Grand Gatargues, nicht aus Orseille (s. De- machy, Laborant im Grossen, II, 273) gemacht. (Technologisches Wörterbuch, II, 544.) Das kryptogamische Studium ist nicht so un- wichtig als man es gewöhnlich glaubt Bei einer guten Staatswirth- schaft muss auch das Steinmoos mit zu dem Nationalreichthum beitragen.

„Poole's hole. 560 Yards lang. Sie liegt im Südwesten von Buxton am Flüsschen Wye, gegen das hohe Kalkgebirge Ax-edge zu. Weil die Höhle eng ist, so bilden sich hier schönere Stalaktiten als die im Peak's hole. Die grössten sind der Flitch of Bacon und der Queen of Scot's pillar, den die unglückliche Maria während ihrer Ge- fangenschaft in Chatsworth besucht haben soll. Ein kleiner Bach fliesst aus der Höhle heraus. Auf dem Wege von Buxton bis zur Höhle fand ich häufig Saxifraga granulata und S. tridactylites. An

19*

292 !• Jugend uad erste Maone^jahre.

dem Eingänge der Höhle sah ich Viola montana, Alchemilla Yolgar. und Polypod. volg.

„Bei Poole's hole sind viel Kalkbrennereien im Freien; denn in England brennt man Kalk im Freien und Ziegel in konischen Oefen, gerade umgekehrt als in Deutschland/^

Zu Seite 156.

8. Die freie Bergschule zu Sieben.

Ganz gehorsamstes Promemoria, die Errichtung einer königlichen freien Bergschule zu Stehen be- treffend.^

Stehen, auf dem nailaer Revier, den 13. März 1794.

Wenn es gleich meine Pflicht gewesen wäre, Einem Hochlöblichen Ober-Bergdepartement der königlich obergebirgischen Kammer jedes bergmännische Unternehmen früher anzuzeigen, als es angefangen wird, so glaube ich doch in dem vorliegenden individuellen FaUe durch meine gute Absicht hinlänglich entschuldigt zu sein, den ent- gegengesetzten Weg eingeschlagen zu haben. Die einfache Erzfthlung des ganzen Vorgangs wird am ersten zu meiner Rechtfertigung dienen.

Solange ich dem praktischen Bergbau näher getreten bin, war es immer auffallend, wie wenig von obenherein auch mit dem schein- bar grössten Aufwände von Geld und Kräften auf das Ganze gewirkt wird. Der Grund davon ist leicht zu finden. Was können Anord- nungen, Befehle fruchten, wenn die Empfänglichkeit bei denen fehlt, die sie empfangen sollen! Es bleibt dann nur ein Ausweg übrig, den die meisten Administratoren wählen, der, die Zahl der Anfseher 80 zu vermehren, dass es fast so viele Officianten als Bergleute gibt, dass die Besoldungen den grössten Theil der Betriebskosten aus- machen, und dass die ganze Maschine unter der Friction der ver- vielfachten Theile erliegt. Das Mittel selbst wird dann zum Hin- demiss!

^ Aus den in München befindlichen Acten.

Beilagen. 293^

Der einfache Weg scheint auch hier der beste. Man vermehre die Receptivität des gemeinen Bergvolks, suche es nachdenkend und verständig, das heisst weder grübelnd noch gelehrt zu machen, bringe ihm richtige Ideen über die Gegenstände bei, die es zunächst um- geben, so wird es mehr zum Selbsthandeln gereizt, so wird die Tutel endlich aufhören, hinter die eine armselige Politik sich so gern verbirgt.

Der Werth der Erziehung des gemeinen Volks ist längst er- kannt. Die Gewalt, mit der man die Sache auf einmal hat angreifen wollen, und die abenteuerliche Ueberspannung, mit der man die vor- reifen Frtichte erwartete, haben die meisten Unternehmungen schei- tern gemacht. Ich hielt es ftlr besser, etwas zu leisten, als nichts zu versuchen weil man nicht alles leisten kann.

In einem Gebirge, wo so vielerlei Erze einbrechen, und wo die Bewohner oft aus Aberglauben und bergmännischer Unwissenheit durch thörichte Unternehmungen ihren Wohlstand untergraben, in einem solchen Gebirge ist es doppelt wichtig, deutliche und ver- nünftige Begriffe zu verbreiten. Noch im Herbst 1793 hat man in der Dürrenweid geschürft, wo der «Goldene Hirsch» (ein vierfttssiger Berggeist) weidete, bei Schanerstein auf Schwefelkies statt Gold- erze gebaut, tombackbraunen Glimmer bei Gfrees durchschmelzen wollen, und mir Eisenglimmer für Bleiglanz gebracht!! Wer, wie meine Anits^geschäfte mich dazu veranlassen, dem gemeinen Bergvolk näher tritt, wird über diese Beispiele nicht erstaunen. Es sind all- tägliche Erscheinungen.

Als ich im September vorigen Jahres nach Befahrung der Gru- ben nur einige Müsse hatte, fasste ich daher den Entschluss (und wemi ich auch selbst hätte den Unterricht geben sollen), schlechter- dings für den Winter eine Schule für gemeine Bergleute zu eröffnen. Wem ich meine Ideen mittheilte, rieth mir ab. Das Volk habe keine Lernbegierde, hiess es; die Vorurtheile schienen eingewurzelt, es sei kein Lehrer zu finden, den die Kinder verständen, u. s. w. Diese Einwendungen schreckten mich nicht ab, bewogen mich vielmehr, so- gleich die ganze Einrichtung vorläufig ans meinem Beutel als Privat- sache zu betreiben, bis ich Einem Hochlöblichen Ober-Bergdepartement der obergebirgischen Kammer Anzeige von einem guten Fortgange würde machen können.

Einen Lehrer für die Bergschule kommen zu lassen, war aus dreifachen Gründen unrathsam: einmal weil es einen Kostenaufwand machte, der für unsere jetzigen Fonds zu gross war, dann weil jede

294 I- Jugend und erste Mannesjahre.

fremde Mundart den Knaben hier schlechterdings unverständlich ist, und endlich drittens weil es nicht sowol auf Rechnen und Schreiben als auf Unterricht in der Gebirgskunde und inländischen Bergwerks- verfassung ankam, die ein Ausländer nicht local genug vorträgt. Es blieb also nichts übrig als sich nach einem Einheimischen umzusehen, der Lebhaftigkeit, Localkenntnisse und Lust genug hatte, im Lehren selbst noch zu lernen. Meine Wahl traf den jungen Schichtmeister Georg Heinrich Spörl, dessen Thätigkeit und Eifer, sich nützlich zu machen, ich bisher nicht genug rühmen kann. Ich besprach mich selbst täglich mit ihm über die Art des Unterrichts, fing gleich an eigene Anweisungen auszuarbeiten, gab ihm Bücher zu seiner eigenen Belehrung, und that alles was in meinen Kräften stand, meine Ab- sicht zu erreichen. Ich versprach ihm 30 Fl. Gehalt, 1 Simmer Korn, Holz und Licht, unter der Bedingung sie ihm aus eigenen Mitteln fortzuzahlen, im Fall das Institut die Allerhöchste Geneh- migung nicht empfinge.

Die freie königliche Bergschule ward Ende November 1793 er- öffnet. Ihre wesentliche Einrichtung besteht in folgenden Punkten, die ich aber gehorsamst bitte noch nicht in eine Norm oder In- struction zu bringen, da die grösste Behutsamkeit dabei nöthig ist, und da alles durch die Erfahrung noch modificirt werden muss, und eine Erziehungsanstalt nicht wie eine Kasse behandelt wer- den kann.

1) Der Zweck der königlichen Bergschule zu Stehen ist zwiefach :

a. das junge Bergvolk in dem nailaer Revier zu verständigen und brauchbaren Bergleuten auszubilden,

b. ihm von Kindheit an Liebe für unser Metier und bergmän- nisches Ehrgefühl einzuflössen.

2) Der erste Zweck wird dadurch erreicht, dass ihnen von allen physischen Gegenständen, mit denen sie als Bergleute zu thun haben, und von den Verhältnissen, in die sie als Bürger treten, die ein- fachsten und deutlichsten Begriffe beigebracht werden. Was das Praktische des Metiers betrifft, so müssen wol die Grtinde angegeben werden, warum man so oder so verfährt; das Verfahren selbst, die Handgriffe müssen aber schlechterdings kein Object der münd- lichen Unterweisung sein, weil dadurch der Sinn für das Praktische geschwächt wird und leicht die Meinung entsteht, man lerne in der Bergschule Zimmern, Bohren, Schiessen wie in der Grube. Letzteres ist ein Hauptpunkt in der Erziehung des gemeinen Bergvolks,

Beilagen. 295

3) Liebe znm Metier braucht nicht direct gepredigt zu werden. Man liebt jede Sache, die man nach Grtlnden kennt, die man mit Wichtigkeit behandeln sieht. Auch wirken die Absonderung der Bergjugend von den andern Kindern, öffentliche PrOfungen und Ge- schenke für die Fleissigen wohlth&tig genug auf das Ganze.

Die Zahl der BergschOler erstreckt sich gegenwärtig bereits auf etliche vierzig. Sie haben sich durch freiwillige Subscription dazu gemeldet, gewissermassen gedrängt Kein Knabe unter zwölf Jahren, 4er nicht vorher die Dorfschule besucht hat, wird als Bergschüler aufgenommen. Dagegen steht das Institut jedem Knecht und Lehr- häuer offen, und ich sehe mit Freuden Männer von 24 26 Jahren es fleissig besuchen. Ich habe bisher absichtlich allen Zwang ver- mieden, um die Sache nicht gehässig zu machen. Ktlnftig müssen die Steiger dafür einstehen, dass alle Bergjungen die Bergschule be- suchen, und das königliche Ober- Bergdepartement soll dann auch jährlich eine Liste der Schüler erhalten.

5) Um mit der Dorfschule in keine Collission zu kommen, und damit nicht die falsche Idee entstehe als mache die Bergschule jene entbehrlich, so wird dieselbe Mittwochs und Sonnabends Nachmittag gehalten, damit den armen Einwohnern die Kinder nicht der Arbeit entzogen werden (ein Haupthindemiss so mancher Schulanstalt), so ist die Bcrgschulc eine blosse Winterschule, die am 9. Nov. anfängt und bis in den Mai fortdauert.

6) Das verschiedene Alter und die verschiedenen Fähigkeiten der Bergjungen und Knechte haben Abtheilungen in zwei Klassen nothwendig gemacht. Der Unterricht für die Kleinem ist von 1 4 Uhr, für die Grossem von 6 9. Die Lernbegierde der letz- tern und der gute Wille des Lehrers ist bisher so gross gewesen, dass ich die Schule schon bis 1 1 Uhr nachts habe fortsetzen lassen, ohne irgendein Misvergnflgen zu bemerken.

7) Die Objecte des Unterrichts sind in diesem Institute mannich- faltiger als in andem Bergschulen.

a. Schön- und Rechtschreiben. Ich habe schon saubere Vor- schriften in Baireuth schreiben und auf Pappe ziehen lassen. Sie enthalten in kurzen Aphorismen alles, was ein gemeiner Bergmann zu wissen braucht, von Gebirgskunde, vom Compass, dem Vorkommen der Erze, den vaterländischen Gesetzen, Lan- desbeschreibung. Sie haben den Zweck, den Knaben nicht nur beim Schreiben nützlich und angenehm zu beschäftigen, sondern ihm etwas mit nach Haus zu geben, was er dort

296 !• Jugend und erste Mannesjahre.

wiederholen kann. Das letztere ist sehr wichtig, weil es noch schlechterdings kein Lehrbuch fttr gemeine Bergschulen gibt, und die vorhandenen unvollkommen und ohnedies zu theuer sind. Da es überaus schwer ist, solche Vorschriften zusammenzusetzen, so sind davon noch nicht so viele vor- handen als ich wünsche. Im Rechtschreiben werden die Knaben durch Dictiren geflbt.

b. Bergmännisches Rechnen alles in angewandten Zahlen und mit Beispielen aus nnserm Revier. Dazu etwas vom Compass, vom Streichen und Fallen, wie man bei Tag und sternheller Nacht den Norden sucht und die Stunden der Gänge aus dem Kopfe ohne Compass angibt; andere Aufgaben aus dem bürgerlichen Leben, die Breite der Breter aus dem Umfange des Blocks zu finden, den Inhalt eines Feldes nach Tagewerken abzuschreiten, u. s. w.

c. Allgemeine Kenntniss der Erde, besonders Gebirgslehre, von dem festen Boden, dem Meere, den Wolken, dem Ursprung der Flüsse und Grubenwasser, den Wettern, den Gebirgen welche keine Erze führen, von den Wünschelruthen, von den Lagerstätten der Erze, von Gängen, Flötzen und Stock, werken etc. Hierbei werden auch deutliche, von mir be- stimmte Muster der gemeinsten Erze und anderer nutzbarer Fossilien vorgezeigt. Sie sind wenigstens 6 8 Zoll lang- Ich habe sie theils aus Sachsen kommen lassen, theiis hier gesammelt.

d. Vaterländische Berggesetze und Observanz. Gewerkeverfas- sung in den fränkischen Fürstenthümern, Rechte und Pflichten gegen das Bergamt, Lehre vom Abtrag, Stollgerechtigkeit u,s.w. Nichts erscheint mir wichtiger als diese Kenntniss, um Einig- keit in einer Gegend herzustellen, wo Streitsucht nur eine Folge der Unwissenheit ist.

e. Geschichte des vaterländischen Bergbaues, welche Erze jetzt, welche sonst brachen, genaue Aufzählung der Oerter wo sie brachen. Producte des Bodens, Beschreibung des Fichtel- gebirges . . . ., dass es keine Salzquellen am Ochsenkopf gibt. Solche Notizen vermehren die Liebe zum Vaterlande, die überdies noch immer ein schöner Zug in dem Charakter der hiesigen Einwohner ist.

8) Alle vierzehn Tage werden die Schüler examinirt, was sie bisher haben lernen sollen. Ein öffentliches Examen wünsche ich

297

alle Jahre im Frttlgahr anzustellen, bei dem die fleissigen Knaben beschenkt würden mit einem Gmbenkittel, dem Noth- und Httlüs- büchlein n. s. w.

9) Bei einer Lehranstalt ist die Zweckmässigkeit der innem Einriebtang ein wesentliches Moment In dieser Hinsicht bin ich daher so sorgfältig als möglich gewesen. Die Kinder dürfen z. B. dem Lehrer nicht den Rücken zokdiren, sich nicht ansehen, u. dgl., alles dies stört die Aufmerksamkeit Die Bergschnle wird in dem sehr geräumigen, lichten Zimmer des Georg Heinrich Spoerl gehalten. Ich habe Bänke wie in den göttinger Auditorien vorrichten lassen, wo der Rücken der einen am Pult der andern ist. Zwischen zwei und zwei Knaben steckt immer ein Licht.

Da es schlechterdings kein I^ehrbuch gibt, welches für gemeine Bergjungen fasslich genug wäre um daraus zu unterrichten, so habe ich mich sogleich entschlossen, selbst Hand ans Werk zu legen und nach den sub 7 enthaltenen Sätzen fünferlei Anweisungen auszuar- beiten. So schwer ein solches Unternehmen ist, und so unvollkom- men ich CS auch ausführen würde, so hielt ich es doch für Pflicht, nichts unversucht zu lassen. Ich nehme mir die Freiheit, Einem Hochlöblichen königlichen Ober-Bergdepartement einige Proben mei- ner Arbeit vorzulegen mit der gehorsamsten Bitte, sie mir mit Be- merkungen zurückzuschicken:

1) Wie die Gänge fallen und streichen;

2) Von der Beschaffenheit unserer Erde überhaupt;

3) Wie die Erze brechen;

4) Proben meiner Vorschriften.

So ist dermalen die Lage des Instituts, das erst seit kaum vier Monaten existirt Es ist ein blosser roher Versuch. Auch habe ich es vielleicht mehr geschildert wie es sein sollte, als wie es auf dem Wege ist zu werden. Fünffacher Unterricht wird freilich schon er- theilt, aber noch nicht regelmässig, weil die Anweisungen noch feh- len, auch bei meinen andern Geschäften (so gern ich mich auch der Sache unterziehe) erst gegen den nächsten Winter fertig sein können. Bis dahin helfen wir uns durch Auszüge aus altem Schriften, aus Lampe's „Bergmännischem Rechenbuches dem „Freiberger bergmän- nischen Kalender**, Mitterpacher' 8 „Physikalischer Erdbeschreibung**, Gehhrs „Physikalischem Wörterbuch**, dem Artikel vom Bergbau, Bingclstädiy „Von der Zimmerung**, GmcUn's „Geschichte des deutschen Bergbaues** u. s. w.

298 I* Jagend und erste liaane^ahre.

Hält es Ein Hochlöbliches königliches Ober-Bergdepartement für rathsam, den Fortgang des Instituts auf königliche Kosten zu wagen, so übergebe ich diesen kleinen Anfang gern der öffentlichen Direc- tion. Bücher, Vorschriften, Fossilien fordere ich nicht wieder. Was ich gehorsamst erstattet bitte, sind blos:

14 Fl. 8 Kr. für Schreinerarbeit, 2 10 Bnchbinderarbeit, wofür die Belege accludirt sind. Bei den vielen Arbeiten, die der junge Schulmeister Spoerl bisher mit so vielen Knaben gehabt, ist eine Remuneration von jährlich 40 Fl. fränkisch und zwei Klaftern Brennholz gewiss sehr massig. Ich wage es daher, ganz gehorsamst darauf anzutragen:

dem Georg Heinrich Spoerl wegen seiner bisherigen rOhmlichst bewiesenen Thätigkeit den Titel „Lehrer bei der königlichai freien Bergschule zu Stehen^' beizulegen, und ihm alljährlich 40 Fl. fränkisch sammt zwei Klaftern Brennholz dergestalt zu decretiren, dass selbige ihm bereits für das verflossene Etatsjahr 1793—94 (laut Tit. VI. des nailaer Stacketats bis 1. Juli 1794) gezahlt werden.

Die sämmtlichen Kosten, welche die Bergschule im laufenden Etatsjahre verursacht, betragen demnach:

14 Fl. 8 Kr. für Schreinerarbeit, 2 10 für Buchbinderarbeit, 40 Besoldung für den Lehrer,

56 Fl. 18 Kr. und zwei Klafter Holz, wovon 50 Fl. laut Tit. \l, der Rest aus dem Fonds ad extraord. des Stücketat^ gezahlt werden können.

Noch möchte ich gehorsamst darauf antragen, dass dem Berg- schuUehrer Spoerl in dem Decreto gesagt würde:

man wolle seine förmliche Instruction noch bis zum Herbst ausgesetzt sein lassen, weil dann erst die Bergschule ihre TÖllige Einrichtung erhielte.

Humboldt.

Beilagen. 299

Zu Seite 180.

9. Alexander yon Humboldt an General Horeau.^

Monsieur le Gto^ral!

J'ose me flatter que Vous voudrez pardonner la libert^ que je prenne en Vous adressant ces lignes. Je sais combien Votre ioisir Vous doit ^tre eher, mais la bienveillance et la distinction, que Vous m'avcz fait Thonncur de me marquer k mon s^jour de Schorndorf, m'encouragent ä Vous parier avec franchise.

Vous savez, Monsieur le G^n^ral, que le bruit des armes a port6 bien des personnes ä abandonner leurs foyers. Ces m^mes personnes, voyant la discipline s^v^re que Vos troupes observent, se repentent de leur fuite et souhaitent de rentrer chez eux. Vous m'avez temoign6 Vous mßme combien Vous approuvez cette conduite et combien Vous aimez k soulager le sort des provinces, que le succes de Vos armes Vous fait traverser. La personne, pour laquelle j'osc interc6der aupres de Vous, Mr. Sapporta, a domicilii pen- dant 28 ans dans le pays de Beuxponts. II a ^tö anciennement au Service du feu Duc, et souhaite de rentrer avec sa fenune et ses en- fans dans sa possession de Schwarzenach. Le Prince de Hohenlohe- Ingelfingen aussi bien que Mr. de Hardenberg le connaissent tr^s particulierement, et j'aurais pu implorer leurs bons Offices aupres de Vous, mon Gi^n^ral, si je n'avais pas la vanit^, de recevoir moi-m^me cette petite marque de Vos bontös. Les barons d'Esbeck ont M dans la möme cat^gorie et sont rentrös dans le pays de Deuxponts. Oserais-je donc Vous prier, mon G^n^ral, de me faire par\enir quelques lignes sign^s simplement de Votre nom, moyennant les- 4iuelles Mr. Sapporta pourrait rentrer avec sa famiUe dans son canton.

Je devrais finir en Vous t^moignant de nouvcau ma reconnais- sance pour toutcs les civilitös dont Vous avez bien vouln me combler dans Votre Quartier gön^ral; mais je n*ose pas abuser de Votre

* Der folgende Brief ist ein ausdrucksvoller Beweis, in welchem An- sehen Humboldt bei dem feindlichen Feldherm stand*

300 I- Jugend und erste Manne^ahre.

loisir, et je me contente de Yous assurer des sentünens de la plus haute consid^ration avec laquelle j'ai Thonneur d'fitre,

Mr. le Greneral, Votre trös-humble et tr^obäissant serviteur

Humboldt, conseiller et directeur des mines du Roi de Prasse.

ä Ingelfingen, ce 31 de Juillet 1796.

J'ose Vous supplier de renyoyer la r^ponse avec le möme courrier.

Zu Seite 263.

10. Hnmboldt's Pass bei seiner Abreise von Paris 1798.

Nous Alphonse de Sandos Rollin, Chambellan de Sa Majestö le Roi de Prusse, et son Ministre Pl^ni- potentiaire pr^s la R^publique Fran^aise,

Prions et requ6rons tous ceux qui sont ä prier, de laisser passer sürement et librement

Mr. FredSric Alexandre de Humboldt, ConseiUer de 8. M. Ic Boi de Prusse au Departement des Mines, ne ä Berlin, dge de 28 ans, taille de 5 pieds 4 pouces, cJicveux hruns clair, yeux gris^ nez gros, bouche assee grande^, menton bien fait, front ouverty masqu6 de petite- veröle. Voyageant pour son instruction allant ä Marseille d; Alger

Sans permettre, ni souffrir qu'il lui soit donne aucun trouble ni em- pechement, mais au contrairc toute Tassistance dont il aura besoin. En foi de quoi nous lui avons d61i\T6 le present passeport, valable pour dix'huit mois, signe de notre main et scelle du sceau ordinaire de nos armes.

A Paris, le 24 Vendem. An VII (n, st.) Et leib Octobre 1798.

de Sandoz Bollin.^ Signature du Porteur: Frederic Alexandre de Humboldt.

^ Auf dem Couvert, in dem dieser Pass aufbewahrt vrird, befindet sich die Bemerkung von Humboldt's eigener Hand: „grosses Maul^ dicke Nase, aber menton bien fait".

' War früher Privatsecretär bei Friedrich II.

Beilagen. 301

Der Pass enthält bis zur Abreise von Marseille nicht weniger als 24 Visa: ein Beweis der Plackereien, denen Reisende unterworfen waren. Das wichtigste Yisom ist das erste, wegen der Unterschrift:

Le Minisire des relaüons exUrieures cerüfie la vMtäbU signature de M. de Sandos BoUin^ apptde ci-dessus. Paris le 26 rendSmiaire an 1 de la ripublique fran^ise.

Ch, Maur. Talleyrand.

Das letzte, fflnfandzwanzigste Visam datirt: Barcelona, 26. Jan. 1799, nnd ist gezeichnet vom preossischen Consol Holius.

Zn Seite 271.

IL Don Hariano Luis de Urqiujo.

„Ritter Urqo^o, ausgezeichnet durch Greisteskraft nnd Kenntnisse, sollte von der Inquisition gefangen gesetzt werden, als ihn Karl IL im Jahre 1792 zum ersten Staatssecretär ernannte. Infolge dessen änderte man das Verfahren, Hess ihn heimlich rufen und forderte nur einige Bussübungen. ^ (Selbst dem Friedensfflrsten ward noch 1796 ein In- quisitionsprocess zugedacht, weil er acht Jahre hindurch um Ostern nicht gebeichtet hatte.) Don Urqu^o war es, welcher 1799, wider alle Sitte Spaniens, dem Freiherm Alexander von Humboldt die Reise nach Amerika verstattete. Er wollte auch die Inquisition aufheben, drang aber damals nicht durch. Er war es, der Ferdinand YIL die Reise nach Bayonne widerrieth, und als sie dennoch geschah, Secre- tär der Junta von Bayonne wurde, wo seine Beredsamkeit vergebens den Kaiser Napoleon von den bekannten Massregeln gegen Spanien abzuhalten suchte."'

^ Llorente, Hist crit de Tlnquisition d'Espagne etc., 1817—18. lY, 105. 106.

> Fr. Koppen^ Vertraute Briefe über Bacher und Welt (Leipzig 1820), I, 236. 237.

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Sein

Eeiseleben in Amerika und Asien.

Von

Julius Löwenberg.

A. y. Humboldt. I.

20

A. Beiseleben in Amerika.

,.■• war, al* wtn ein« neu« Bonu» voll Li AI und WftrnM im Wiatm aber dtr HeiMu W»li »mporfftkun. um aof dl» AlU Wtlt wolü- thAU« raTflekvtutnüüMi."

OctHRUttr, Fwtrcd» bei d«r HnmboUtfcler, S. Avg. 1844.

1.

VorbemerkungexL

Grösse der spanischen Colonien in Amerika. Venfaltungsgmndsätze. Reisende vor Humboldt. Neue Ziele der Natorwissenscbaft. Ob- jectivität des Humboldt'schen Reisewerks. Biographischer GesicbtsponkU

Um You der Bedeutsamkeit der Reisen Alexander von Hum- boldts in Amerika eine klare Anschauung zu gewinnen, müssen wir aus unserer Zeit des leichten überseeischen Verkehrs, der Dampfschiffe, Eisenbahnen und Telegraphen uns zurückversetzen in jene Zeit mistrauischer Isollrung der Völker, spärlicher, lang- samer und unsicherer Transportmittel.

Spaniens amerikanische Colonien reichten am Ende des vo- rigen Jahrhunderts in ununterbrochenem Zusammenhange vom 38. Grade nördlicher bis fast zum 42. Grade südlicher Breite, von der nönilichsten Spitze Califomieus bis weit über die süd- lichste von Chili, eine Breitenerstreckung von über 1200 geo- graphischen Meilen ungemessener Flächenausdehnung. Sie um- fassten die gegenwärtigen Südstaaten der nordamerikanischen Union, Florida, Louisiana, Texas, Mexico, Californien, ganz Mittel- aroerika, die meisten westindischen Inseln, ganz Südamerika, ausser Brasilien, Patagonien und dem Feuerlande. Dieser Länder-

20*

308 n, A. Reiseleben in Amerika.

räum von so ungeheuerm Umfange, wie ihn niemals eine Herrschaft unter sich vereinigt hatte, war nur eine Colonie, ein Nebenland. Aber was Colonien für das Mutterland, für sich selbst und für die übrige Welt sein können, davon hatte man in Spanien keine Ahnung. Die Verwaltung bestand in der unumschränktesten MiUtärherrschaft, zu deren Stütze, wunderbar genug, eine Krieger- schar von 2000 Mann ausreichte. Das Handelssystem war ein im höchsten Grade drückendes Monopolwesen. Die gesammten Ein- und Ausfuhren waren auf nur zweimal jährhch hin- und hergehende Seekaravanen, auf zwei bis drei Häfen, Cadix und Sevilla, und auf wenige Märkte beschränkt. Für den Handels- verkehr eines Spaniers mit Fremden bestimmte das Gesetz Ver- mögensconfiscation, ja Todesstrafe. Wer statistische Notizen sammelte, Nachrichten über die Regierung verbreitete, hatte lebenslängliches Gefängniss zu erwarten. Für Fremde war der Zugang zu den Colonien hermetisch verschlossen. In einem Zeiträume von drei Jahrhunderten sind kaum sechs Reisen im Interesse der Wissenschaft zu nennen, die von Spaniern oder von Fremden, mit Eriaubniss der Regienmg, in den spanischen Colonien unternommen wurden. Sie hatten im wesentUchen nur den Zweck astronomischer Beobachtungen zu Ortsbestim- mungen und Verbesserung der Küstenkarten, bestenfalls brachten sie auch den Herbarien einiges „Heu" unbeschriebener Pflanzen, und den Museen getrocknete Thierhäute und Vogelbälge mit So die Reise von Francisco Dominguez 1577, von Feuill^e 1705, von Frezier 1712. Selbst die französischen Akademiker La Condamine, Bouguer und Godin, die spanischen Geometer Jorge Juan und Antonio Ulloa haben mit ihren gepriesenen geodätischen Arbeiten in Quito und Peru, mit La Condamine's Thalfahrt auf dem Amazonenstrome und Azara's spätem Ar- beiten in den La Plata-Gebieten zur Kenntniss Südamerikas im weitern Sinne doch nur sehr Massiges beigetragen. Fügt man alsdann noch Solano's misglückte Reise am obern Orenoco und Rio Meta 1754, auf der von 325 Personen nur 13 am Leben blieben, Requena's resultatlose Wanderungen zum Rio Napo und

1. Yorbemerkungexi. 309

Amazonenstrome, Löffling's HerbarisatioDen an der Küste von Cumana 1751, Pater Gili's fabulosen „Orenoco illustrato", Gau- lin's „Historia corographica de la nueva Andalusia'' und Dobritz- hofer's „Geschichte der Abipomer" hinzu, so hat man wol ziemlich alles aufgezählt, was bei dem eifersüchtigen Mistrauen der spanischen Regierung vor Humboldt zur wissenschaftlichen Erforschung von Südamerika geleistet worden war.

Bedarf es noch mehr, dieses Mistrauen zu kennzeichnen, so sei daran erinnert, dass den englischen Astronomen, die im Geburtsjahre Humboldt's den Durchgang der Venus vor der Sonnenscheibe an der Küste Califomiens beobachten wollten, die Landung nicht gestattet wurde, dass Malaspina seine Ver- dienste im Kerker büssen musste.

Heben wir zunächst die Gesichtspunkte hervor, welche Hum- boldt auf seiner Heise leiteten, und wodurch er der Begründer einer neuen Epoche wissenschaftlicher Reisen geworden ist. Während die frühem Reisenden sich lediglich als naive Neu- gierige verhalten hatten, die alles für gleich wichtig hielten, was sich ihnen darbot, möglichst vieles und möglichst bunt durch- einander sammelten, und mit epischer Ausführlichkeit ihre per- sönlichen Erlebnisse erzählten: machte Humboldt, alles Persön- liche geflissentlich vermeidend, die Gesammtbasis der Erdober- fläche, die gesammte Natur in der gegenseitigen Beziehung ihrer Erscheinungen und mit steter Vergleichung der verschiedenen Gegenden als ein Ganzes zum Gegenstand seines Studiums. Er begnügte sich nicht damit, die Länder, die er besuchte, in herkömmlicher Weise zu beschreiben ; es kam ihm vorzugsweise darauf an, Thatsachen zu einer Wissenschaft zu sammeln, die man vor ihm bald Physik, bald Theorie der Erde, bald physische Geographie genannt, die aber bis dahin kaum noch in schwachen Umrissen skizzirt worden war. Schon 1796 schrieb er an Pictet: „Je congue Tid^e d'une physique du monde" (s. S. 221). Die Verbindung der beobachteten Thatsachen stand ihm höher als das Forschen nach vereinzelten neuen; werthvoller als Entdeckung unbekannter Arten waren ihm Beobachtungen der geographischen

310 II} A. Reiieleben in Amerika.

Verhältnisse von Thieren und Pflanzen, aus denen eine uinftts- «ende üeberschau über ihre Verbreitung in der Ebene wie auf den verschiedenen Stufen ihrer verticalen Heimat sich gestalten lasst.

Dabei durfte natürlich das Studium der Einzelheiten und 4ie Detailbeobachtung nicht vernachlässigt werden. Denn „man schadet der Erweiterung der Wissenschaft, wenn man sich zu Allgemeinen Ideen erheben und doch die einzelnen Thatsachen nicht kennen lernen will*'. Durch Sammeln und Beobachten der verschiedenartigen Formen und Erscheinungen die Gesetze ihrer Verhältnisse zueinander im Zusammenhange erkennen und zu einem einheitlichen Ganzen verbinden: das ist die Aufgabe, welche sich Humboldt in der Naturwissenschaft gestellt hat. Seine auf dieses Ziel gerichteten Absichten hoffte er sicherer und vollständiger durch eine in das Innere des Continents ein- dringende Landreise zu erreichen als durch eine Seefahrt, auf der nur die Küstenränder berührt werden.

Und wie sein Genius ihn gerade in diejenigen Gegenden unserer Erde führte, wo die Natur ihre Erscheinungen und ihre Erzeugnisse der vergleichenden Wissenschaft am reichsten und augenfälligsten darbietet: so war er seinerseits ^\'ie nie ein Rei- sender vor ihm dazu befähigt und vorbereitet. Er hatte sich durch eifrigste, vielseitige Studien alle naturwissenschaftliche Erkenntniss seiner Zeit angeeignet, auf eigene Kosten mit den besten nautischen, astronomischen, physikalischen Instrumenten versehen und im Gebrauche derselben eingeübt.

Die von ihm veröffentlichten Resultate der amerikanischen Reise übertrafen bekanntlich die kühnsten Erwartungen : sie um- fassen siebzehn Foliobände, neun Quartbände und sieben Octav- bände. Aber zu bedauern ist, dass er den chronologischen Verlauf der Reise nicht vollständig, und in einzelnen Theilen die eigenen Foi'schungen nicht so zusammengestellt hat, dass man sogleich erkennen kann, was wir ihm und nur ihm allein zu verdanken haben. „Es gehörte zu seinem eigentlichen We- sen und seiner staunenswerthen Gelehrsamkeit und Belesenheit, dass er bei jedem Gegenstande, mit welchem er sich beschäf-

1. Yorbeoierkuiigeii. 311

tigte, das ganze vorhandene Material in seine Gewalt zu bring» suchte ; und da ihm alles zugleich dann durch die bewunderungs- würdige Stärke seines Gedächtnisses gegenwärtig blieb, so fand er überall Anknüpfungspunkte mit verwandten Gegenständen, Yergleichungen mit seinen eigenen Resultaten, Prüfungen und Unterstützungen für seine neuen Aufschlüsse, Ergänzungen bei einzelnen Punkten, die entweder von ihm nicht hatten aufgeklärt werden können, oder die bei dem übermässigen Drange des vielen Beobachtungswürdigen als minder wichtig früher von ihm beiseite gelassen waren und später bedeutender hervortraten. Der Wunsch nach Vollständigkeit überwältigte ihn so, dass er das von andern Entlehnte oder aus ihren Arbeiten Abgeleitete nicht so scharf von dem, was ihm allein zu verdanken war, sondeite, als für die reine Anerkennung seiner Verdienste dem Leser wünschenswerth gewesen wäre."^

Was hier von den Ortsbestimmungen, von einer Disciplin gesagt ist, gilt auch von den andern Disciplinen; doch möge man dies nicht also verstehen, als hätte Humboldt fremde Leistungen sich aneignen wollen. Keiner war in dieser Hinsicht selbstloser, keiner gerechter und edler gegen andere, keiner ist so nachdrücklich der irrigen Beilegung ihm nicht zukommender Verdienste entgegengetreten als Humboldt. Seine eigenen Lei- stungen würden in noch hellerem Lichte erscheinen, wenn das, was ihm selbst und allein gehört, ohne fremde Beimischung vorläge. Die Wissenschaft zwar hat keinen Nachtheil hiervon, wohl aber seine Biographie. Auch in der „Relation historique" („Reisen in die Aequinoctialgegenden des Neuen Continents''), der ursprünglichsten und reichsten Quelle für das biographische Material seines amerikanischen Reiselebens, tritt diese Eigen- thümlichkeit der Redaction in hohem Grade hervor ; zudem, was noch bedauerlicher ist, blieb das Werk unvollendet, es um- fasst nach Zeit und Raum nur ein Drittheil von Humboldt's

^ Encke, Alexander von Humboldt^s astronomische Ortsbestimmungen in den Monatsberichten der berliner Akademie der Wissenschaften, Oc- tober 1859, S. 639.

312 n, A. Reiseleben in Amerika.

Wanderungen auf dem Neuen Continent. Selbst die Tagebücher füllen diese Lücken nur spärlich aus. Denn heisst eine Stelle in denselben „von einer grossen, erhabenen Katar umgeben und lebhaft mit ihren bei jedem Schritte sich dar- bietenden Phänomenen beschäftigt, hat man wenig Lust, persön- liche Vorfalle und kleinliche Lebensbegebenheiten in seine Tage- bücher aufzunehmen/^ Und wenn auch der Reisende auf den Flussfahrten und Landreisen ein kurzes Tagebuch fährte, wenn er auch die Excursionen auf den Gipfel eines Vulkans oder eines andern merkwürdigen Berges meist an Ort und Stelle beschrieb, „so ward dies Tagebuch doch jedesmal unter- brochen, sobald ich mich in einer Stadt befand, oder durch andere Geschäfte an der Fortsetzung einer Arbeit verhindert wurde, welche alsdann nur ein untergeordnetes Interesse für mich hatte". ^

Hat aber Humboldt gleichwol gesagt: „Das Leben eines Gelehrten ist in seinen Bücheni zu suchen"^, so wollte er wol nur mit sinnreichem Wort die Zudringlichkeit von sich weisen, mit der industrielle Bücherfabrikanten ihn um bio- graphische Mittheilungen behelligten.

Wir sind glücklicherweise in der Lage, wie in dem vorher- gehenden so auch in diesem Abschnitte Briefe Humboldt's und zum Theil auch seine Tagebücher benutzen zu können, welche die persönlichen Erlebnisse und Eindrücke mit aller Wärme der ersten Empfindung schildern, somit walirhafte, nach dem Leben gezeichnete Contouren vor Augen stellen. Ein Auszug aus den „Reisen in die Aequinoctialgegenden", eine Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen während jener Reisen liegt nicht in dem Plane dieses Theils unseres Werks, nur Hum- boldt's Persönlichkeit im biographischen Sinne soll hier, mehr ala dies bisher geschehen, ans Licht gestellt werden.

^ Reise in die Aequinoctialgegenden des Neuen Continents, I, 33 (Tübingen 1815).

* KlenckCf Alexander von Humboldt, ein biographisches Denkmal^ Einleitung, S. 4.

2.

Von Coruna bis Porto -Cabello.

Landung auf Teneriffa. Der Pic. Der Drachenbaum. Reichthom der Erscheinungen. Landung und erster Aufenthalt in Cunuuia. Erste Eindrücke und Einrichtungen. Arbeiten. Nach Caripe und Carapana, zu den Missionen und zur Guacharohöhle. Erstes Erdbeben, Stem- schnuppenfall. Nach Caracas und Porto-Cabello.

Am 5. Juni 1799 lichtete der „Pizarro" im Hafen von Coruna die Anker, und nachmittags 2 Uhr war er unter Segel* „Unsere Augen", berichtet Humboldt, „blieben auf das Schloss S. -Antonio geheftet, wo damals der unglückliche Malaspina in Staatsgefangenschaft schmachtete.^ In dem Augenblicke, wo ich Europa verliess, um Länder zu besuchen, welche dieser berühmte Reisende mit so vielem Nutzen durchwandert hatte, hätte ich gewünscht, meine Gedanken mit einem weniger trau- rigen Gegenstande beschäftigen zu können.''

Die Fahrt lenkte sogleich zu jenen Meeresfluren, welche, nach den dichterischen Vorstellungen der Alten, die Inseln

^ Don Alexander Marchese de Malaspina, Brigadier bei der spanischen Marine, commandirte 1789 eine zu Entdeckungen bestimmte FlotiUe, nahm die Nordküste von Westamerika sehr sorgfältig auf und machte dann eine Reise zur Auffindung der nordwestlichen Durchfahrt, freUich ohne Erfolg. Zurückgekehrt, ward er 1795 als politisch verdikhtig verhaftet, und starb wahrscheinlich im Geflkngniss. von Zach, „Monatl. Corresp/S II, 390. 564.

314 Ily A. Beiseleben in Amerika.

der Seligen umspülen, wo die „See der Damen ^S überwölbt vom blauen Ijuftmeer der Passate, in der ruhigen, von zahl- losen Medusen zu einem Glutmeer erleuchteten äquatorialen Strömung dahinzieht. Gewiss eine Region, wie sie der Natur- forscher sich nicht ergiebiger wünschen kann.

Humboldt's erster Brief, an den Bruder geschrieben, be- richtet denn auch von den freudigsten Eindrücken:

„Puerto Orotava, am Fusse des Pic von Teneriffa, den 20. Juni 1799.

„Unendlich glücklich bin ich auf afrikanischem Boden an- gelangt, und hier von Kokospalmen und Pisangbüschen umgeben. Wir waren, bei sehr frischem Nordwestwinde, und mit dem Glücke, fast gar keinem Schiffe zu begegnen, schon am zehnten Tage an der Küste von Marokko; den 17. Juni auf Graciosa, wo wir landeten; und am 19. im Hafen von Santa-Cruz de Teneriffa.

„Unsere Gesellschaft war sehr gut; vorzüglich ein junger Canarier, D. Francesco Salcedo, der mich sehr liebgewann, unendlich zutraulich und lebendigen Geistes, wie alle Einwohner dieser glücklichen Insel. Ich habe sehr viele Beobachtungen, besonders astronomische und chemische (über Luftgüte, Tempe- ratur des Meerwassers u. s. w.), gemacht. Die Nächte waren prächtig; eine Mondhelle in diesem reinen, milden Himmel, dass man auf den Sextanten lesen konnte; und die südlichen Ge- stirne, der Centaur und Wolf! Welche Nacht 1 Wir fischten das sehr wenig bekannte Thier Dagysa, ebenda wo Banks es entdeckte, und ein neues Pflanzengenus, eine weinblätterige, grüne Pflanze (kein Fucus) aus 50 Toisen Tiefe. Das Meer leuchtete alle Abend. Bei Madeira kamen uns Vögel entgegen, die sich vertraulich zu uns gesellten und tagelang mit uns schifften.

„Wir landeten in Graciosa, um Nachricht zu haben ob englische Fregatten vor Teneriffa kreuzten; man sagte nein. Wir verfolgten unsern Weg und kamen glücklich an, ohne ein Schiff zu sehen. Wie? ist unbegreiflich; denn eine Stunde nach

2. Von Corufia bis Porto -Cabello. (Besteigung des Plc von Teneriffa.) 315

uns erschienen sechs englische Fregatten vor dem Hafen. Von nun an ist bis Westindien nichts mehr von ihnen zu fürchten. Meine Gesundheit ist vortrefiflich , und mit Bonpland bin ich äusserst zufrieden. Schon in Teneriffa haben wir erfahren, welche Gastfreundschaft in allen Colonien herrscht. Alles be- wirthet uns, mit und ohne Empfehlung, blos um Nachrichten aus Europa zu haben : und der königliche Passeport thut Wun- der. In Santa -Cruz wohnten wir bei dem General Armiaga; hier (in Puerto Orotava) in einem englischen Hause, bei dem Kaufmann John CoUegan, wo Cook, Banks und Lord Macartney auch wohnten. Man kann sich nicht vorstellen, welche Aisance und welche Bildung der Weiber in diesen Häusern ist."

Dann heisst es weiter:

„Den 23. Juni abends.

„Gestern Nacht kam ich vom Pic zurück. Welch ein An- blick! welch ein Genussl Wir waren bis tief im Krater, viel- leicht weiter als irgendein Naturforscher. Ueberhaupt waren alle, ausser Borda und Mason, nur am letzten Kegel. Gefahr ist wenig dabei, aber Fatigue von Hitze und Kälte; im Krater brannten die Schwefeldämpfe Löcher in unsere Kleider, und die Hände erstarrten bei 2 Grad R.

„Gott, welche Empfindung auf dieser Höhe von 11600 Fuss! Die dunkelblaue Himmelsdecke über sich; alte Lavaströme zu den Füssen; um sich dieser Schauplatz der Verheerung; drei Quadratmeilen Bimsstein, umkränzt von Lorberwäldem, dann tiefer hinab Weingärten, zwischen denen Pisangbüsche sich bis ans Meer erstrecken; zierliche Dörfer am Ufer, das Meer und alle sieben Inseln, von denen Palma und Gran Ganaria sehr hohe Vulkane haben, wie eine Landkarte unter unsl

Der Krater, in dem wir waren, gibt nur Schwefeldämpfe; die Erde ist 70 Grad R. heiss. An den Seiten brechen die Laven aus. Auch sind dort die kleinen Krater, wie die, welche vor zwei Jahren die ganze Insel erleuchteten. Man hörte da- mals zwei Monate lang ein unterirdisches Kanonenfeucr, und

316 n, A. Reiseleben in Amerika.

häusergrosse Steine wurden 4000 Fuss hoch in die Luft ge- schleudert. Ich habe hier sehr wichtige mineralogische Beob- achtungen gemacht. Der Pic ist ein Basaltberg, auf welchem Porphyrschiefer und Obsidianporphyr aufgesetzt ist. In ihm wüthet Feuer und Wasser. Ueberall sah ich Wasserdämpfe ausbrechen. Fast alle Laven sind geschmolzener Basalt Der Bimsstein ist aus dem Obsidianporphyr entstanden; ich habe Stücke, die beides noch halb sind.

„Vor dem Krater, unter Steinen, die man «la Estancia de los Ingleses» nennt, am Fusse eines Lavastroms, brachten wir eine Nacht im Freien zu, 1200 Toisen über dem Meere. Um 2 Uhr nachts setzten wir uns schon in Marsch nach dem letzten Kegel. Der Himmel war vollkommen sternenhell und der Mond schien sanft; aber so sollte es nicht bleiben. Der Sturm fing an heftig um den Gipfel zu brausen, wir mussten uns fest an den Kranz des Kraters anklammern. Donnerähnlich tobte die Luft in den Klüften, und eine Wolkenhülle schied uns von der belebten Welt. Wir klommen den Kegel hinan, einsam über den Dünsten, einsam wie ein Schiff auf dem Meere. Dieser schnelle Uebergang von der schönen heitern Mondhelle zu der Finsterniss und Oede des Nebels machte einen rührenden Eindruck.

„Nachschrift. In der Villa Orotava ist ein Drachenblut- baum (Dracaena draco), 45 Fuss im Umfang. Vor 400 Jahren, zu den Zeiten der Guancho's, war er schon so dick als jetzt.* Fast mit Thränen reise ich ab; ich möchte mich hier ansiedeln: und bin doch kaum vom europäischen Boden weg. Könntest Du diese Fluren sehen, diese tausendjährigen Wälder von Lorberbäumen , diese Trauben, diese Rosen 1 Mit Aprikosen

* Dieser Dracbenblutbaum, den Humboldt in den „Ansichten der Xa- tur" ausführlich schildert, verlor im Jahre 1819 durch einen Orkan die Hälfte seiner Krone. Sein hohler Stamm ward dann im untern Theile durch Mauerwerk gestützt, welches Bignonien und andere Schlingpflanzen verdeckten, aber der obere Theil ward immer morscher, und am 2. Jan. 1868 hat ihn der Sturm vollständig gebrochen.

2. Von Corafia bis Porto-Cabello. (Landung in Cumana.) 317

mästet man hier die Schweine. Alle Strassen wimmeln von Kamelen.

,^ben, den 25., (Juni), segeln wir ab.^'

Ausführlicheres noch enthält ein Brief an Delametherie, der vom dritten Tage nach der Landung auf Cumana, vom 30 Mes- sidor Vn (18. Juli 1799) datirt ist. Aus demselben geht her- vor, dass hier schon die Arbeiten über das Leuchten, die Strö- mungen und die Temperatur des Meeres sowie die vielen andern Forschungen begonnen wurden , welche hohe Probleme der Wis- senschaft zu lösen versuchten.

Nach einer Meeresfahrt von neunzehn Tagen erblickte Hum- boldt am 13. Juli die hohen Küsten von Tabago und Trinidad, und am 16. Juli erreichte er glücklich den Hafen von Cumana. Wohl war die Fahrt bis dahin eine glückliche zu nennen, denn Humboldt war nicht seekrank geworden, und auch eine auf dem Schiffe ausgebrochene typhöse Krankheit hatte ihn verschont, aber Veranlassung gegeben, dass man von dem ursprünglichen Ziele der Reise abwich und, statt auf Cuba oder an der Küste von Mexico, in dem nächsten Hafen an der Nordküste des südlichen Festlandes, in Cumana, ans Land ging.

Gleich am Tage* der Landung schreibt er dem Bruder:

„Cumana* in Südamerika, den 16. Juli 1799.

„Mit eben dem Glück, guter Bruder, mit dem wir im An- gesicht der Engländer in Teneriffa angekommen sind, haben wir unsere Seereise vollendet. Ich habe viel auf dem Wege gear- beitet, besonders astronomische Beobachtungen gemacht. Wir

* Die Briefe Humboldt^s sind meist tagebuchartig geschrieben. Das Datum bezeichnet nur den Anfang oder den Schluss derselben.

^ Cumana, schon 1521 gegründet, war längst fttr den Handel sehr wichtig geworden. Dennoch fand man den Namen noch nicht auf der grossen Karte des mexicanischen Meerbusens von Martin Suares, er fehlte selbst noch auf der Karte, die Arrowsmith 1804 herausgegeben, ebenso wie die Namen von La Guayra und Caracas.

318 H) A. Reiseleben in Ameriks.

bleiben einige Monate in Caracas; wir sind hier eimnal in dem göttlichsten und vollsten Lande. Wunderbare Pflanzen; Zitter- aale, Tiger, Armadille, Affen, Papageien; und viele, viele echte, halbwilde Indianer, eine sehr schöne und interessante Men- schenrasse.

„Cumana ist, wegen der nahen Schneegebirge, der kühlste und gesundeste Aufenthalt in Amerika ein Klima wie in Mexico und, obgleich von Jacquin besucht, noch einer der unbekannte- sten Theile der Welt, wenn man nur etwas in das Innere der Gebirge geht. Was uns, ausser dem Zauber einer solchen Natur (wir haben seit gestern auch noch nicht ein einziges Pflanzes- oder Thierproduct aus Europa gesehen) vollends bestimmt, uns hier in Cumana, zwei Tagereisen von Caracas zu Wasser, auf- zuhalten, ist die Nachricht, dass eben in diesen Tagen englische Kriegsschiffe in dieser Gegend kreuzen. Von hier bis nach Havana haben wir nur eine Reise von acht bis zehn Tagen, und, da alle europäischen Convoyen hier landen, Gelegenheit genug, ausser den Privatgelegenheiten. Ueberdies ist gerade auf Cuba bis September und October die Hitze am bösesten. Diese Zeit bringen wir hier in der Kühle und in gesunderer Luft hin; man darf hier sogar nachts im Freien schlafen.

„Ein alter Marinecommissar mit einer Negerin und zwei Negern, der lange in Paris, Domingo und den Philippinen war, hält sich ebenfalls hier auf. Wir haben für 20 Piaster monat- lich ein ganz neues, freundliches Haus gemiethet, nebst zwei Negerinnen, von denen eine kocht. An Essen fehlt es hier nicht; leider nur existirt jetzt nichts Mehl-, Brot- oder Zwieback- ähnliches. Die Stadt ist noch halb in Schutt vergraben; denn dasselbe Erdbeben von Quito, das berühmte von 1797, hat auch Cumana umgestürzt. Diese Stadt liegt an einem Meerbusen^ schön wie der von Toulon, hinter einem Amphitheater 5 8000 Fuss hoher und dick mit Wald bewachsener Berge. Alle Häuser sind von weissem Sinabaum- und Atlasholz gebaut. Längs dem Flüsschen (Rio de Cumana), etwa wie die Saale bei Jena, liegen sieben Klöster und Plantagen, die wahren englischen Gärtea

2. Von Conma bis Forto-Cabello. (Erster Aufenthalt in Camana.) 319

gleichen. Ausser der Stadt wohnen die Kupferindianer, von denen die Männer fast alle nackt gehen; die Hütten sind von Bambusrohr, mit Kokosblättem gedeckt. Ich ging in eine. Die Mutter sass mit den Kindern, statt auf Stahlen, auf Ko- rallenstämmen, die das Meer auswirft; jedes hatte Kokosschalen, statt der Teller, vor sich, aus denen sie Fische assen. Die Plan- tagen sind alle offen, man geht frei ein und aus. In den meisten Hausem stehen selbst nachts die Thttren offen, so gutmüthig ist hier das Volk. Auch sind hier mehr echte Indianer als Neger.

„Welche Bäume! Kokospabnen, 50— -60 Fuss hoch; Poindana pulcherrima, mit fusshohem Strausse der pracht- vollsten hochrothen Blüten; Pisange, und eine Schar von Bäu- men mit Ungeheuern Blättern und handgrossen, wohlriechenden Blüten, von denen wir nichts kennen. Denke nur, dass dieses Land so unbekannt ist, dass ein neues Genus, welches Mutis (s. Cavanilles icones, tom. 4) erst vor zwei Jahren publicirte, ein 60 Fuss hoher weitschattiger Baum ist. Wir waren so glücklich, diese prachtvolle Pflanze (sie hatte zolllange Staub- faden) gestern schon zu finden. Wie gross also die Zahl klei- nerer Pflanzen, die der Beobachtung noch entzogen sind? Und welche Farben der Vögel, der Fische, selbst der Krebse (him- melblau und gelb)!

„Wie die Narren laufen wir bisjetzt umher; in den ersten drei Tagen können wir nichts bestimmen, da man immer einen Gegenstand wegwirft, um einen andern zu ergreifen. Bonpland versichert, dass er von Sinnen kommen werde, wenn die Wun- der nicht bald aufhören. Aber schöner noch, als diese Wunder im einzelnen, ist der Eindruck, den das Granze dieser kraft- vollen, üppigen und doch dabei so leichten, erheiternden, milden Pflanzennatur macht. Ich fühle es, dass ich hier sehr glücklich sein werde, und dass diese Eindrücke mich auch künftig noch oft erheitern werden.

„Wie lange ich hier bleibe, weiss ich nicht, ich glaube, hier und in Caracas an drei Monate; viellacht aber auch viel

320 n, A. Reiseleben in Amerika.

länger. Man muss geniessen was man nahe hat. Wahrschein- lich mache ich, wenn der Winter künftigen Monat hier aufhört, und die wärmste und milssigste Zeit eintritt, eine Reise an die Mündung des Orenoco, Bocca del Drago (Drachenmaul) genannt, wohin von hier ein sicherer und gebahnter Weg geht. Wir sind diese Bocca vorbeigesegelt: ein fürchterliches Wasserschauspiel t Nachts den 4. Juli sah ich zum erstenmal das ganze südliche Kreuz vollkommen deutlich.

„Nachschrift. Wegen der heissen Zone fürchte nichts. Ich bin doch fast nun schon vier Wochen unter den Wende- kreisen, und ich Idde gar nichts davon. Das Thermometer steht ewig auf 20— ä2 Grad, nicht höher. Aber abends, an der Küste von Cayenne, habe ich bei 15 Grad gefroren. So ist es denn nirgends in dieser Welt recht warm.

„Verfolge meine Reise auf der Karte. Den 5. Juni ab von Coruna; den 17. nach Graciosa; den 19. bis 25. in Teneriffa, dann heftigen Ostwind und Regenschauer; den 5. und 6. Juli längs der brasihanischen Küste; den 14. zwischen Tabago und Granada durch: den 15. im Kanal zwischen Margaritta und Südamerika; den 16. morgens im Hafen von Cumana."

Dieser erste Aufenthalt Humboldt's in Cumana währte vom 16. Juli bis zum 28. Nov. 1799. Seine Briefe von da sind be- sonders ausführlich und von sehr mannichfaltigem Inhalt Kürze im Auszuge derselben ist daher um so mehr geboten. Zunächst sei der folgende Brief an von Zach mitgetheilt :

„Cumana, den 1. Sept. 1799.

„Eine spanische Brigantine aus Cadix, die seit heute Mor- gen hier vor Anker gekommen ist, verschafft mir die angenehme Gelegenheit; Ihnen ein Lebenszeichen von mir zu geben und einige Nachrichten von meinen Arbeiten mitzutheilen. Ich muss dieses um so eiliger thun, da ich eben im Begriff bin, morgen eine Reise in das Innere des Landes, in die Gebirge von Caripe und Carapana anzutreten, wo, erst vor vier Tagen, elf sehr

2. Von Coruna bis Porto-Cabello. (Cumana). 321

heftige Erderschütterungen waren. Von da werde ich mich in das Innere von Paria, in die Missionsanstalten der Kapuziner be- geben, wo Pflanzen, Berge, Felsen, besonders aber die Menschen, friedliche Indianer und Karaiben, die interessantesten Gegen- stände sind, die sich einem Naturforscher darbieten können.

„Hier bin ich nun seit zwei Monaten in einem andern Welt- theile, in Terra firma von Südamerika, und geniesse mit meinem Reisegefährten Bonpland, einem unermüdlichen Naturforscher, der vollkommensten Gesundheit. Wir haben schon eine grosse Menge Pflanzen, Insekten, Muscheln gesammelt; ich habe viel gezeichnet und mich auch vorzüglich mit Zerlegung der Luft beschäftigt.

„Ich beschäftige mich jetzt sehr mit dem Problem, warum die Strahlenbrechung in dem heissen Erdgtirtel geringer als bei uns ist. Die Hitze kann nicht allein die Ursache hier- von sein. Die Ilygrometrie spielt dabei eine grosse Rolle, und ich glaube, dass die grosse Feuchtigkeit dieses Erdstrichs die Strahlenbrechung vermindert.

„Zur See hat mich auch die Temperatur des Oceans und tlessen specitische Schwere viel beschäftigt, welche ich mit einer vortrefflichen DoUond'schen Wage bestimmt habe. Franklin's und Jonathan William's Idee, mit dem Thermometer zu son- diren, ist ein ebenso sinnreicher als glücklicher Gedanke, und wird mit der Zeit für die Schiffahrt sehr wichtig werden. Ich habe viele Versuche zu Schiffe mit dem Hadley'schen Spiegelsextanten angestellt. Ich habe einen achtzölligen von Ramsden mit silber- nem Linibus, worauf die unmittelbare Theilung von 20 zu 20 Se- cunden geht. Daim habe ich einen Sextanten von Troughton von zwei Zoll, den ich nur den Sextanten ä Tabatifere nenne: es ist unglaublich, was man mit diesem kleinen Instrumentchen ausrichten kann. Einzelne Sonnenhöben damit genommen, wenn die Sonne durch den ersten Vertical geht, geben die Zeitbestim- mung bis auf zwei oder drei Secunden genau. Wenn diese Genauigkeit Zufall ist, so muss man doch bekennen, dass diese Zufalle sich sehr häufig ereignen.

A. Y. UUMBOLDT. I. 21

322 ^h ^' Hciseleben in Amerika.

„Ich habe ein ordentUches astronomisches Tagebuch gehal- ten und, so oft die Witterung und Meeresstille es erlaubten, Breiten- und Längenbestimmungen des Schififs oder der Lan- dungsplätze gemacht, die Neigung der Magnetnadel auf dem neuen Borda'schen Instrumente beobachtet, welches eine Sicher- heit von 20 Minuten in der Beobachtung gewährt Hier theile ich Ihnen meine damit zur See angestellten Beobachtungen mit

„Mein Chronometer von Louis Berthoud Nr. 27, der viel auf Reisen gewesen ist, und dessen Genauigkeit Borda wol kannte, hat seinen sehr gleichförmigen Gang beibehalten.

„In der That, es gehört himmlische Geduld dazu, um bei einer solchen Hitze astronomische Beobachtungen mit Genauig- keit und con amore anzustellen! Sic sehen inzwischen, dass mir diese drückende Hitze dennoch nichts von meiner Thätig- keit benommen hat

„Wie soll ich Ihnen aber die Reinheit, ^ie Schönheit und die Pracht unsers hiesigen Himmels beschreiben, wo ich oft beim Schein der Venus den Vernier meines kleinen Sextanten mit der Loupe ablese! Die Venus spielt hier die Rolle eines Mondes. Sie hat grosse und leuchtende Höfe von 2 Grad im Durch- messer, mit den schönsten Regenbogenfarben, selbst wenn die Luft vollkommen rein und der Himmel ganz blau ist. Ich glaube, dass gerade hier der gestirnte Himmel das schönste und prächtigste Schauspiel gewährt. Denn weiter nach dem Aequator(?) (Süden) hin verliert man schon die schönen nördlichen Gestirne aus dem Gesicht. Indessen hat auch der südliche Sternen- himmel seine eigene Schönheit. Der Schütze, die südliche Krone, das südUche Kreuz, der südliche Triangel, der Altar haben doch auch sehr schöne Sterne; und der Centaur kann mit seiner prächtigen Sterngruppe es mit unserm Orion wol aufnehmen, den ich hier auf einer Höhe beobachte, die mich gewaltig ächzen und schwitzen macht.

„Eine andere sehr merkwürdige und wunderbare Erschei- nung, welche ich gleich den zweiten Tag nach meiner An-

.1

2. Von Corußa bis Porto-Cabello. (Cumana.) 323

kunft beobachtet habe, sind die atmosphärischen Ebben und Fhitcn.

„Grüssen Sie herzlich unsern Freund Blumenbach. 0 wie oft denke ich an ihn, wenn ich die merkwürdigen Schätze der Natur vor mir ausgebreitet sehe. Sagen Sie ihm, dass dife Geologie dieses Landes äusserst interessant ist. Berge von Schiste micacö, von Basalt, von Gips, von Gemmasalz. Viel Schwefel und Petroleum, welches mit grosser Gewalt aus sehr kleinen OeflFnungen hervorquillt, die auch unter dem Wasser Luft ausspeien und wahrscheinlich die Ursache der sehr häu- figen Erdbeben sind. Die ganze hiesige Stadt liegt unter dem Schutt. Das grosse Erdbeben von Cumana war das Signal zu jenem von Quito im Jahre 1797, wo 16000 Seelen umkamen, und wo der Vulkan Tunguragua mehr warmes Wasser und Koth (terrc pateuse) als Ijava auswarf. Also ein Vulkan, durch welchen die Natur die Neptunisten mit den Vulkanisten aus- söhnen und vereinigen will!

„Wir sind hier von Tigern und Krokodilen (Alligatoren) umgeben, die sich gar nicht geniren, auch nicht ekel sind und einen weissen oder schwarzen Mann für einen gleich guten Bissen halten. Sie geben auch an Grösse den afrikanischen Kaubthieren nichts nach. Und welches Pflanzenreich! wahre organisirte Kolosse. Ein Ceiba, aus dem man vier Canots macht!

„Melden Sie doch auch dem Hofrath Blumenbach, dass in dieser Provinz Neuandalusien ein Mann lebt, der so viel Milch hat, dass er, da seine Frau ihr Kind nicht selbst stillen kann, dasselbe seit fünf Monaten ganz allein nährt. Seine Milch un- terscheidet sich auch nicht im geringsten von Frauenmilch. Die Böcke der Alten gaben auch Milch.

„Nehmen Sie das, was ich Ihnen schicke, gütig auf, und haben Sie besonders Nachsicht mit meinen astronomischen Ar- beiten. Bedenken Sie, dass dies nur ein Nebenzweck meiner Reise ist, dass ich ein Anfanger in der Astronomie bin und erst seit zwei Jahren mit Instrumenten umzugehen gelernt

91

324 ^1 ^' licisclebcn in Amerika.

habe; dass ich diese Reise auf eigene Kosten unternommen habe, und dass eine solche von einem einzelnen, nichts weniger als reichen Particulier zum eigenen Vergnügen und Unterricht unternommene Expedition gar nicht mit solchen verglichen wer- den darf, welche auf Befehl und Kosten von Regierungen könig- lich ausgerüstet und wozu ganze Gesellschafton von Gelehrten vereinigt werden, um Untersuchungen in allen Fächern der Wissenschaften anzustellen. Freilich hätte ich mir, um etwas Grosses in der Astronomie und Geographie auszurichten, unsem Freund Burckhardt zum Reisegefährten gewünscht, allein da hätte er auch mit grössern und bessem Instrumenten wie die meinigen verschen werden müssen.

„Wundem Sie sich nicht, wenn mehrere meiner Briefe Wiederholungen enthalten werden. Da man hierzulande rech- net, dass von vier Briefen, die man nach Europa schickt, drei verloren gehen, so muss man das, was man seinen Freun- den bekannt machen will, öfter wiederholen."

„Cumana, den 17. Nov. 1799.

„Ich öffne diesen Brief wieder, weil ich es nicht gewagt habe ihn der Brigantine von Cadix mitzugeben, und weil wir den spanischen Courier erwarteten. Wir haben aber zwei Mo- nate vergeblich auf ihn gewartet; endlich ist er angekommen, und ich eile Ihnen noch einige Nachrichten mitzutheilen. Ich bin eben von einer sehr beschwerlichen, aber über alle Massen interessanten Reise ins Innere von Paria zurückgekommen. Wir waren in den hohen Cordilleren von Tumiriquiri, von CocoUar und von Guanaguana, welche von Chaymas- und Guaraunos- indianern bewohnt werden. Wir haben herrliche und vergnügte Tage im Kapuzinerkloster Caripe, im Mittelpunkte der Mis- sionen, zugebracht. Wir haben die berühmte Höhle von Gua- charo durchlaufen, welche von Millionen Nachtvögeln bewohnt wird (eine neue Gattung von Caprimulgus, Ziegenmelker). Nichts gleicht dem majestätischen Eingange dieser Höhle, die durch Palmen, Pothos, Ypomeen u. s. w. beschattet wird.

2. Von Corufia bis Porto-Cabello. (Ciimana.) 325

„Wir haben seit unscrm hiesigen Aufenthalte in dieser Provinz über IßOO Pflanzen getrocknet, gegen 600 grössten- theils neue, unbekannte und kryptogamische beschrieben, und die schönsten Muscheln und Insekten gesammelt. Ich habe mehr als 60 Zeichnungen von Pflanzen und überdies die Ana- tomia comparata der Seemuscheln gemacht. Wir haben den Berthoud'schen Chronometer, den Ramsden- und Troughton'schen Sextanten bis jenseit des Guarapiche mit uns geführt. Ich habe die Länge und Breite von mehr als fünfzehn Ortschaften bestimmt, welche einst zu Fixpunkten einer Karte vom Innern des Landes werden dienen können. Ich habe mit dem Baro- meter die Cordilleren gemessen. Der höchste Theil ist Kalk- stein und hat nur eine Höhe von 2244 Varas Castillanas = 5)76 franz. Toisen. Aber mehr gegen Westen, nach Avila zu, gibt es Berge gegen 1600 Toisen hoch, welche diese Cordilleren mit denen von Sta.-Martha und Quito verbinden.

„Ungeachtet der drückenden und fast unerträglichen Hitze in diesem Monat habe ich dennoch den 28. Oct. die Sonnen- iinstemiss beobachtet. Denselben Tag habe ich correspondirende Sonnenhöhen mit dem Bird'schen Quadranten genommen, die ich Ihnen, wenn Sie meine Rechnungen durchsehen und berich- tigen wollen, hierher setze

„Ich habe mir aber bei diesen Beobachtungen das Gesicht so verbrannt, dass ich zwei Tage das Bett hüten und zu Arz- neien Zuflucht nehmen musste. Die Augen leiden gewaltig und wenlen durch das kalksteinige und schneeweisse Terrain ganz zu Grunde gerichtet. Das den Sonnenstrahlen ausgesetzte Me- tall der Instrumente erhitzt sich bis 41 Grad R.

„Wenn Sie einen Blick auf mein letztes Werk, «Die unter- irdische Meteorologie», geworfen haben, so werden Sie bemerkf' haben, dass die Temperatur des Innern unsers Erdballll'>I^ill' höchst interessantes Problem ist. Hier, unter 10*" det 6r^, ist diese Temperatur in einer Tiefe von 340 Toisetri»^i^j*•J»y»«y Meine meteorologischen Instrumente sind 'ttlh''(feiml>de^'<tttitt0rl Nationalstemwarte verglichen und dat-dttf (Tl^tTüdil^iWOVMtü'f^IWMi

326 n, A. Reiseleben in Amerika.

Meeresspiegel steigt der Thermometer im Schatten in der wärm- sten Jahreszeit nicht über 26'' ß., es ist fast immer 19 22**. Auch haben wir alle Tage zwei Stunden nach der Culminatiun der Sonne, wenn die Hitze ihr Maximum -«erreicht hat, ein Ge- witter, und neun Stunden lang Blitzen und Wetterleuchten. Ein wahrhaft vulkanisches Klima!

„Wir haben hier den 4. Nov. ein sehr heftiges Erdbeben gehabt. Zum Glück hat es keinen sehr grossen Schaden an- gerichtet. Ich habe mit Verwunderung bemerkt, dass sich die magnetische Neigung während dieses Ereignisses um l,i^ ver- mindert hat. Es sind noch einige Erdstösse nachgefolgt, und den 12. Nov. haben wir ein wahres Feuerwerk gehabt. Grosse Feuerbällo haben von 2 5 Uhr des Morgens unaufhörlich den Luftkreis durchkreuzt; sie warfen Feuerbüschel von 2 Grad im Durchmesser. Der östliche Theil der Provinz Neuandalusien ist mit kleinen feuerspeienden Bergen ganz angefüllt. Sie wer- fen warmes Wasser, Schwefel, Hydrogene sulphureux und Pe- troleum aus.

„Ich reise morgen zur See nach Laguayra ab und bleibe bis in den Januar zu Caracas. Von da gehe ich in das Innere des Landes nach dem Apurc, Rio Negro, Orenoco bis über An- gostura, und komme wieder hierher, um mich nach der Havana einzuschiffen.'^ ....

In dem obenerwähnten Erdbeben am 4. Nov. erfuhr Hum- boldt zum ersten mal den aufregenden Eindruck dieses bewälti- genden Naturereignisses ; gleichwol äussert er : „der Mensch ge- wöhnt sich an die Schwankungen des Bodens, wie der Schiffer an die Stösse, die das Fahrzeug von den Wellen erhält". Das andere Schauspiel, in der Nacht vom 11. zum 12. Nov., war der in der Wissenschaft berühmt gewordene Sternschnuppenregen.

Am 18. Nov. verliessen die Reisenden Cumana, und nach viertägiger Küsteilfiahrt landete Humboldt am 21. Nov. in Laguayra, dem Vorhafen von Caracas, der Residenz des Gc- nenJgouvemeurs, welcher Ort durch das schreckliche Erdbeben

2. Von Corafta bis Porto-Cabello. (Caracas). 327

von 1812 eine traurige Berühmtheit erlangt hat Bonpland war schon in Neubarcelona ans Land gegangen, um auf dem Wege Pflanzen zu sammeln, während Humboldt das Schiff nicht vcrlicss, damit die Instrumente nicht ohne Aufsicht blieben.

Da die Regenzeif eingetreten war, machte man zwei und einen halben Monat (vom 21. Nov. 1799 bis 7. Febr. 1800) Station in Caracas. Humboldts Tagebücher führen bittere Kla- gen über die währenddem herrschende ungünstige Witterung. „Wir haben 27 Nächte durchwacht, um die Ein- und Austritte der Jupitertrabanten zu beobachten, aber alle unsere Mühe war vergebens." Auch die Nacht zum 1. Jan. durchwachten sie am Fusse des Sina, „trotz der uns bevorstehenden neunzehnstün- digen ermüdenden Fussrcise, die am folgenden Tage unternom- men werden sollte", und ebenfalls ohne den Zweck zu erreichen. Diese Fussreise traten sie am 2. Jan. an. Sie erklommen die bisher noch nie erstiegene Silla de Caracas bis zum 81(X) Fuss hohen Gipfel und erforschten den Charakter des Gebirges. So- dann besuchten sie die fruchtbaren, besonders an Cacaopflan- zungen reichen Thälcr von Aragua und des Tui, die Berge von lios Tequos, die warmen Quellen von Mariara und Trinchera, die nördlichen Ufer des romantischen Valenciasees, wo sie den milch- gebenden Kuhbaum entdeckten, und gingen über Nueva Valencia, die Berggruppe von Higucrote, durch eine pittoreske Landschaft mit herrlichster Vegetation nach Porto -Cabello, „einem der prächtigsten und wunderbarsten Häfen'', dem westlichsten Punkte ihrer Wanderung.

Voll Dankgefühl schrieb Humboldt kurz vor der Abreise von Caracas, am 3. Febr. 1800, an Baron von Forell * :

„Vous savez tres-bien ä qui je dois ma Situation actuelle et a qui le public devra de la reconnaissance iiour le peu (rutilite qui pourra resulter de mon voyage aux Indes. Tandis que je traversais le vaste Ocean qui s^pare le monde agitö du Pacitique, quand je foulais les cötes sauvages du Guarapiche, et

I

IH la Boquettet Uumboldt. Correspond. scientif. et UUer., I, 8S^.

328 n? -^' Reiseloben in Amerika.

quand je penetrais dans rintericur des antiques bosquets qui couvrent les vallees du Tumiriquiri, j'avais toujours presente ä mes yeux la figure de mon bon ami. L^homme naquit pour etre reconnaissant ; et le physicien, pendaiit quMl etudic les lois de la nature, est le plus cxact a s'y conformer." ....

Dann fährt er fort: „Plus nous nous internons dans les missions Chaymas, plus nous nous felicitons de n'etre i)oint all^s ä la Havane; comment etait-il possible d'etix) si pres de la cote de Paria, des nierveilles de rOrönoque, de rimniense Cordillere qui depuis Quito court ä TEst jusqu'ä Carupana, de la niajestueuse Vegetation que Jacquin esquissa dans ses oßuvres, et abandonner ces remarquables objets dans Tespace de trois jours que le courrier s'arrete ä Cumana Arriv6s ä la Ha- vane ou ii Caracas, nous aurions rencontr6 de tous cöt^s des traces de la culture europeenne; mais dans le golfe de Cariaco, dont les Indiens sauvages des lagunes (Guaraunos del arco) se trouvent ä une quinzaine de lieues, tout annonce Tempire de la nature. Ni les tigres, ni les crocodiles, ui les singes ui£mes ue sont pas epouvantes de la vue de riiomme; les arbres les plus precieux, les gayeas, les caobas, les palos du bresil et cam- peche, et une infinite d'autros, arrivent jusqu'ä la cöte nieme, et par leurs ramcaux entrelaces enipechent souvent de i)enetrer. Les airs sont peuples d'oiseaux rares et brillauts. Depuis le boa qui engloutit un cheval, jusqu'au colibri qui s'agite dans le calice des tieurs, tout annonce ici la grandeur, la puissance et

la douceur de la nature Nous parlons deja Tespagnol avec

assez de facilite pour suivre une conversation, et j'adniire dans les habitants de ces pays eloignes cette loyaute et cette pro- bite (hombria de bicn), qui dans tous les temps ont etö parti- culieres ä la nation espagnole. II est ccrtain que les lumieres n'ont pas fait encore de grands progres; mais en revanche les moDurs se conservent plus pures. Nous avons rencontre ä qua- rante lieues de la cöte, dans les montagnes de Guanaguana, des habitations dont les proprietaires ignoraieut jusqu'ä Texistence de ma patrie. Mais, comment pourrai-je peindre avec exactitude

2. Von Coruöa bis Porto- Cabello. (Abreise von Caracas.) 329

Fhospitalit^ cordialc avec laquelle ils nous ont trait^s. Apres etrc restcs quatre jours sculemcnt dans leur sociöte, ils se se- paraient de nous comme si nous avions 6t6 liös toute la vie avec eux. Chaquc jour les colonies cspagnoles mc plaisent (lavantage; et si j'ai le bonhcur de retourner en Europa, je nie rappelerai avec intcrSt et plaisir les jours que j'y ui passes." ....

Nach kurzem Aufenthalt, 27. Febr. bis 1. März 1800, wurde Porto -Cabello wieder verlassen, und nun begann die Ent- deckungsreise nach dem Innern des Festlandes, zum Orenoco.

3.

Zum und auf dem Orenoco.

Zur üebersicht. An Wilhelm von Humboldt: Wohlergehen, Müsse und Stoff zu Studien. Bonpland's Tüchtigkeit und Treue. Nächtliche Scene. An Willdenow: Die Herbarien. Disposition für den Fall des Todes. Fraser's Schiffbruch. Pflanzenreichthum und Schwierigkeit ihrer Erhal- tung. Beschwerden. „Die Tropen mein Element." Aufnahme und Unab- hängigkeit. Bonpland's Leistungen. Erinnerungen an Berlin.

Humboldt hatte sich für seine weitern Forschungen als nächste Aufgabe gestellt, das Flusssystem des Orenoco und dessen vielbezweifelte Verbindung mit dem Amazonenstrome zu erforschen.

Die Reise führte, um sie in Kürze anzugeben, in einer Fusswanderung von Porto-Cabello über Neuvalencia, 27. Febr. 1800, längs dem Südufer des gleichnamigen Sees südwärts durch die Llanos von Caracas, über Calabozo, 14. bis 24 März, nach San.-Femando am Apure, 27. bis 30. März. Von hier fuhr man auf elendem landesüblichen Kahne, einer Pirogue, den Apure ostwärts bis zu seiner Mündung in den Orenoco bei Cabruta, und dann den Orenoco aufwärts über die Wassei'falle von Atures und Maypures bis Sau-Fernando am Einfluss des Atabapo in den Orenoco, 23. April. Auf dem Atabapo fuhr man dann weiter südwärts bis zur Mündung der kleinen Flüsschen Temi und

3. Zum und auf dem Orenoco. (Zur üebersicht) 331

Tuamini bis San- Antonio de Javita, 1. Mai, und dem wegen seiner Schlangen berüchtigten Monte Pimichin, der Wasserscheide zwi- schen dem Orenoco und Amazonas. Drei Tage lang trugen die Indianer die Pirogue über diesen Trageplatz zum Rio Negro, auf dem die Fahrt immer südwärts bis zur brasilianischen Grenze, bis San-Carlos ging; dieser südlichste Punkt der Reise, unter nördl. Br., wurde am 7. Mai erreicht. Am Rio Negro ent- lang gelangte man oberhalb San-Carlos an die Mündung des Casiquiare und fuhr auf demselben nordöstlich den 20. Mai wieder in den Orenoco ein. Damit war die Verbindung des Orenoco und des Amazonenstromes unbestreitbar nachgewiesen. Der äusserste Punkt, der den Orenoco aufwärts, am 21. Mai, berührt wurde, war Esmeralda, gegenüber dem Berge Duida.

Am 23. Mai 1800 schickte man sich zur Rückreise an. Man fuhr von Esmeralda aus den Orenoco stromabwärts, besah am 31. Mai die Höhle von Atoruipe, die Gräberstätte der aus- gestorbenen Aturen, und kam am 15. Juni nach S.- Thomas d'Angostura, der Hauptstadt von Guayana. Hier ward bis zum 10. Juli gerastet; dann ging es zu Fuss nordwärts durch die Llanos von Barcelona. Die Ankunft in Barcelona erfolgte am 23. Juli; sie war das Ende einer Reise, die, 375 geographische Meilen lang und nur durch unbewohnte Wildnisse führend, als überaus wichtiges Resultat die erste, auf astronomische Bestim- mungen gegründete Kenntniss von der Bifurcation des Orenoco geliefert hatte.

Auch in Barcelona wurde längere Rast gehalten. Von da begab sich Humboldt am 1. Sept wieder nach Gumana, in das befreundete Haus des Don Vincente Emperan, des Gouverneurs dieser Provinz.

Die brieflichen Berichte Humboldts von dieser Reise treten natürlich an Vollständigkeit in wissenschaftlicher und anderer Hinsicht vor dem ausführlichen Reisebericht, wie er ihn in sei- nem Werke veröffentlicht hat, weit zurück, haben aber den un- schätzbaren Vorzug, dass sie die Eindrücke frischer, wärmer, individueller wiedergeben und die Persönlichkeit Humboldts im

332 II, A. Reiseleben in Amerika.

Vordergrunde erscheinen lassen. Wir können indessen der ge- gebenen Raumökonomie wegen von einer grössern Anzahl nur zwei Briefe, und auch diese nur auszugsweise mittheilen.

An Wilhelm von Humboldt.

„Cumana in Südamerika, den 17. Oct. 1800.

„Ich kann Dir nicht genug wiederholen, wie sehr glücklich ich mich fühle in diesem Theile der Welt, in welchem ich mich schon so an das Klima gewöhnt habe, dass es mir vorkommt als wenn ich gar nicht in Europa gewohnt hätte.

„Es gibt vielleicht kein Land in der ganzen Welt, wo man angenehmer und inihiger leben könnte als in den spanischen Colonien, in denen ich nunmehr seit 15 Monaten herumreise. Das Klima ist sehr gesund; die Hitze fängt erst gegen 9 Uhr morgens an und dauert nur bis 7 Uhr abends. Die Nächte und die Morgen sind viel frischer als in Europa. Die Natur ist reich, mannichfaltig, gross und über allen Ausdruck majestätisch. Die Einwohner sind sanft, gut und gesprächig, sorglos und un- wissend zwar, aber einfach und ohne Ansprüche.

„Keine Lage könnte zum Studiren und zum Untersuchen vortheilhafter sein als die, in der ich mich befinde. Die Zer- streuungen, welche in cultivirten Ländern aus dem gesellschaft- lichen Unjigange entstehen, ziehen mich hier nicht ab; dagegen bietet mir die Natur unaufhörlich neue und interessante Gegen- stände dar. Das Einzige, was man in dieser Einsamkeit bedauern könnte, ist, dass man mit den Fortschritten der Auf- klärung und Wissenschaften in Europa unbekannt bleibt und der Vortheile beraubt ist, welche aus dem Ideenaustausch ent- springen.

„Das Studium der verschiedenen Menschenrassen, die unter- einander vermischt sind, der Indianer und besonders der Wilden, ist allein hinlänglich, den Beobachter vollauf zu beschäftigen. Unter den Bewohnern dieses Landes, die aus Europa stammen,

3. Zum und auf dem Orenoco. (An Wilhelm von Humboldt.) 333

mag ich mich vorzugsweise mit den Colonisten unterhalten, die auf dem Lande wohnen. Bei diesen hat sich noch ganz die alte Einfalt der spanischen Sitten aus dem 15. Jahrhundert er- halten, und man findet unter ihnen oft Züge von Menschlichkeit und Grundsätze einer wahren Philosophie, die man unter den Nationen, die wir cultivirt nennen, zuweilen vergebens sucht.

„Es wird mir daher schwer werden, diese Gegend zu ver- lassen und die reichem, mehr bevölkerten Colonien zu bereisen. Freilich findet man dort mehr Hülfsmittel, sich zu unterrichten, allein man stösst öfter auf Menschen, welche, mit schönen phi- losophischen Redensarten im Munde, doch die ersten Grundsätze der Philosophie durch ihre Handlungen verleugnen, mit dem Raynal in der Hand ihre Sklaven mishandeln, mit Enthusias- mus von den wichtigsten Angelegenheiten der Freiheit reden und die Kinder ihrer Neger einige Monate nach der Geburt wie Kälber verkaufen. Welche Wüste würde nicht einem Um- gange mit solchen Philosophen vorzuziehen seini"

Nach ausführlicher Schilderung der Orenocoreise fährt er fort:

„Mein Freund Bonpland ist von den Folgen unserer Strei- fereien viel mehr angegriffen worden als ich. Er bekam nach unserer Ankunft in Guayana Erbrechen und ein Fieber, das mir die ernsteste Besorgniss für ihn einflösste. Wahrscheinlich war dies die üble Wirkung der Nahrung, an die wir nicht gewöhnt waren. Da ich sah, dass er in der Stadt (Angostura^) nicht

' Die von Kadowitz'sche Autographensammlung in der königl. Biblio- thek zu Berlin enthält eine noch sehr rohe, aber in Zeichnung und Schrift saubere und sehr deutliche Kartenskizze vom Orenoco, von Humboldt ge- zeichnet, mit dem Vermerk: „Mein erster Versuch, die am Orenoco und Casiquiare gemachten astronomischen Beobachtungen graphisch zu be- nutzen. Ich habe das Blatt gezeichnet in Santo Thome del Angostora im Junius 1800, während Bonpland an einem Nervenfieber tödtlich krank lag. Ich gebe Ihnen das Blatt, um zu beweisen, dass meine ünleserlichkeit nicht ein Urlaster ist.

Berlin 1842. AI. Humboldt"

334 n, A. Reiselebcn in Amerika.

wieder genesen könnte, brachte ich ihn auf das Landhaus mei- nes Freundes, des Dr. Felix Farreras, 4 Meilen vom Orenoco, in ein etwas höher liegendes und ziemlich frisches Thal. In diesem tropischen Klima gibt es kein geschwinderes Genesungs- mittel als Veränderung der Luft.

„Ich kann Dir meine Unruhe nicht beschreiben, in der ich während seiner Krankheit war. Niemals würde ich einen so treuen, thätigen und muthigen Freund wieder gefunden haben. Auf unserer Reise, wo wir unter den Indianern und in den mit Krokodilen, Schlangen und Tigern angefilUten Wüsten von Ge- fahren umringt waren, hat er erstaunliche Beweise von Muth und Resignation gegeben. Nie werde ich seine grossmüthige Anhänglichkeit an mich vergessen, die er mir in einem Sturme, der uns am 6. April 1800 mitten auf dem Orenoco überfiel, gegeben hat. Unsere Pirogue war schon zwei Drittel mit Wasser angefüllt, die Indianer sprangen bereits ins Wasser, um schwim- mend das Ufer zu erreichen; nur mein grossmtithiger Freund bheb treu an meiner Seite und bat mich, ihrem Beispiel zu folgen und mich auf seinem Rücken von ihm schwimmend durch die Fluten tragen zu lassen.

„Das Schicksal wollte nicht, dass wir in dieser Wüste um- kommen sollten, wo 10 Meilen im Umkreise kein Mensch weder unsern Untergang noch die geringste Spur von uns würde ent- deckt haben. Unsere Lage war wahrhaft schrecklich; das Ufer war über eine halbe Meile von uns entfernt, und eine Menge Krokodile Hessen sich mit halbem Körper über dem Wasser sehen. Selbst wenn wir der Wuth der Wellen und der Ge- frässigkeit der Krokodile entgangen und an das Land gekom- men wären, würden wir daselbst vom Hunger oder von Tigern verzehrt worden sein. Denn die Wälder sind an diesen Ufern so dicht, so mit Lianen durchschlungen, dass es schlechterdings unmöglich ist darin fortzukommen. Der robusteste Mensch würde mit dem Beil in der Hand in zwanzig Tagen kaum eine französische Meile zurücklegen. Der Fluss selbst ist so wenig befahren, dass kaum in zwei Monaten ein indianisches Canot

3. Zum und auf dem Orenoco. (An Willdenow.) 335

hier vorbeikommt. In diesem allergefahrlichsten und bedenk- lichsten Augenblicke schwellte ein Windstoss das Segel unsers Schiffchens und rettete uns auf eine unbegreifliche Weise Wir verloren nur einige Bücher und einige Lebensmittel.

„Wie glücklich fühlten wir uns, als wir nun des Abends, nachdem wir ans Land gekommen und ausgestiegen waren, mit- einander auf dem Lande sassen und unsere Abendmahlzeit hiel-^ ten, da keiner von unserer Gesellschaft fehlte. Die Nacht war dunkel, und der Mond kam nur auf Augenblicke durch die vom Winde gejagten Wolken zum Vorschein. Der Mönch, der bei uns war, richtete sich mit seinem Gebet an den heiligen Fran- ciscus und an die heilige Jungfrau. Die andern alle waren in tiefen Gedanken, gerührt und mit der Zukunft beschäftigt

„Wir waren von den grossen Wasserfällen, die wir passiren sollten, noch zwei Tagereisen im Norden (?) entfernt, wir hatten noch mehr als 700 Meilen in unserer Pirogue zu machen, die, wie wir eben sahen, nur ein schwaches Fahrzeug war. Welche Sorge! Die Unruhe dauerte indess nur die eine Nacht. Der folgende Tag war sehr schön, und die Ruhe und Heiterkeit, welche sich über die ganze Natur verbreitete, kehrte auch in unsere Seelen zurück. Wir begegneten des Vormittags einer FamiUe Karaiben, die von der Mündung des Orenoco kam, um Schildkröteneier zu suchen, und die diese gefahrvolle Reise doch mehr zum Vergnügen und aus Liebe zur Jagd als aus Noth- wendigkeit unternommen hatte. Diese Gesellschaft liess uns vollends alle unsere Widerwärtigkeiten vergessen."

Ein Brief an Willdenow lautet:

„Havana, den 21. Febr. 180L

„Mein brüderlichst geliebter Freund 1

„Ungewiss, ob diese Zeilen nicht, wie so manche andere, die ich aus dieser Tropenwelt an Dich gerichtet, verloren gehen, schränke ich mich blos auf die Bitte ein, die ich zu thun habe. Auf einer Reise um die Welt, zu einer Zeit, wo das Meer von

336 U, A. Reiscleben in Amerika.

Baubgesindel wimmelt, wo neutrale Pässe so wenig als neutrale Schiffe respectirt werden, beschäftigt mich nichts so ängstUcb als die Rettung meiner Manuscriptc und Herbarien. Es ist sehr ungewiss, fast unwahrscheinlich, dass wir beide, Bonpland und ich, lebendig über die Philippinen und das Gap der guten Hoffnung zurückkehren. Wie traurig wäre es in dieser Lage, die Früchte seiner Arbeiten verloren gehen zu sehen!

„Um dies zu vermeiden, haben wir von unsern Pflanzen- beschreibungen (zwei Bände enthalten heute 1400 Species blos seltene und neue) Abschrift genommen. Ein Manuscript be- halten wir bei uns, die Copie senden wir theilweise durch die französischen Yiceconsuln nach Frankreich, an Bonpland's Bru- der nach La Rochelle. Die Pflanzen haben wir in drei Samm- lungen vertheilt, da wir Doubletten und Tripletten von allen haben. Ein Herbarium in kleinem Format schleppen wir mit uns um die Welt, um zu vergleichen. Ein zweites (Bonpland gehörig, mit dem ich natürlich all^s theile) ist bereits nach Frankreich abgegangen, und das dritte (in zwei Kisten mit Kryptogamen und Gräsern, 1600 verschiedene Species enthal- tend, meistens aus den unbekannten Theilen der Parimc und Guayana zwischen dem Rio Negi'o und Bresil, wo wir voriges Frühjahr waren), sende ich heute durch Mr. John Fräser über Charleston nach London. Durch Vervielfältigung vennindem wir die Gefahr.

„Meine Idee ist, da meine Reise so viele Gegenstände um- fasst, welche unmöglich denselben Leser interessiren können, die Beobachtungen in verschiedenen Theilen dem Publikum vor- zulegen, als z, B. eine eigentliche Reise, physisch-moralisch, blos die allgemeinen Verhältnisse schildernd, das was jeden gebil- deten Menschen interessirt, Charakter der indianischen Völker- schaften, Sprachen, Sitten, Handel der Colonien, Städte, Ansicht des Landes, Ackerbau, Höhen der Berge, blos Resultate, Meteo- rologie. — Dann in besondern Bänden: 1) Construction des Erd- körpers, Geognosie; 2) Astronomische Beobachtungen, Latituden und Longituden, Jupiter's Beobachtungen, Ref ractionen ; . . . .

3. Zum und auf dem Orenoco. (An Willdenow). 337

3) Physik und Chemie : Versuche über die chemische Beschaffen- heit des Luftkreises, Hygrometrie, Elektricität, barometrische,

pathologische Beobachtungen, Irritabilität 4) Beschreibung

von neuen Species Affen, Krokodilen, Vögeln, Insekten . . . . Anatomie der Seegewürme .... 5) Das botanische Werk ge- meinschaftlich mit Bonpland, und zwar nicht blos nova genera und species, sondern, nach Folge des Linn^'schen Systems, Be- schreibung, Aufzählung aller Species, über die wir mehr als an- dere gesehen, wie ich hoffe an 5—6000 Species, denn in Ma- nilla, Ceylon wird die Beute sehr, sehr gross sein. Dies, mein Guter, ist mein Plan im allgemeinen.^

„Sterbe ich, so wird Delambre meine astronomischen, Freies- leben oder Buch meine geognostischen, Scheerer meine physika- lischen und chemischen, Blumenbach meine zoologischen Mana- scripte, und Du, mein Guter, (so hoffe ich) meine botanischen unter Bonpland's und meinem Namen ediren. Mein Bruder wird jedem die Manuscripte zukommen lassen.

„Ich bleibe meinem alten Versprechen getreu, dass alle, alle in dieser Reise gesammelten mir gehörigen Pflanzen Dein sind. Ich will nie etwas besitzen. Nur muss ich Dich bitten, da ich mir nach meiner Zurückkunft die Publication vorbehalte, mein Herbarium vor dieser Publication oder vor meinem Tode nicht Deiner Sammlung einzuverleiben.

„Die zwei Kisten (1600 Species), welche ich heute Hm. Fräser anvertraue, habe ich nicht unmittelbar nach Hamburg adressiren wollen, nicht blos weil kein spanisches Schiff in neutrale Häfen einläuft, sondern weil ich nicht weiss, ob Du es selbst nicht für sicherer hältst, die Eisten bei Fräser bis zum Frieden stehen zu lassen Ich habe Ursache zu glauben, dass meine Pflan- zen bei diesem Manne wohl aufgehoben sind, da ich ihm meh- rere sehr wesentliche Dienste geleistet.

„Du erinnerst Dich, mein Guter, aus Walter's «Flora Caro- linensi», dass dieser Hr. Fräser vier botanische Reisen in Labrador

^ Der Plan ist nicht eingehalten worden.

A. V. Humboldt. I. 22

338 n, A. Reiseleben in Amerika.

und Canada theils als Botanist, theils als Gärtner und Samen- händler gemacht hat. Seit 1799 ist er auf einer f&nften solchen Reise am Ohio, in Kentucky und Tennessee begriffen, einer jetzt sehr gangbaren Gegend, denn in vier Wochen schickt man Güter zu Wasser und zu Lande, von Philadelphia über Fort Pitt, den Ohio und den Mississippi, nach New-Orleans. Unbekannt mit der Schwie- rigkeit, ohne Erlaubniss des Königs von Spanien in die Golonien einzudringen, kam Fräser nach Havana, um hier Pflanzen zu sammeln. Er litt Schiffbruch, brachte drei unglücklicHe Tage auf einer Sandbank, 10 Meilen von der Küste zu, wurde endlich von Fischern von Matanzas gerettet, und kam von allem entblösst hier an. Sein Name und sein Gewerbe waren genug, um mir ihn zu empfehlen. Ich nahm ihn in mein Haus auf, unterstützte ihn mit Geld und mit allem, was er bedurfte, und verschaffte ihm durch meine Verbindungen die Erlaubniss, die Insel Cuba zu bereisen, die er ohne den Unfall des Schiffbruchs schwerlich erhalten haben würde. Ich darf hoffen, dass er und sein sehr liebenswürdiger Sohn alles aufl)ieten werden, um mir gefällig zu sein. Ich habe dem Vater vorgeschlagen, den Sohn in meine Expedition aufzunehmen und ihn mit nach Mexico zu nehmen, aber der junge Mensch fürchtet die Spanier, deren Sprache er nicht versteht, und eilt nach London zurück, um seine in Ken- tucky gesammelten Pflanzen zu beschreiben.

„Ich gehe von hier über Mexico und Califomien nach Aca- pulco, um dort mit dem Kapitän Baudin die Reise um die Welt zu vollenden.^

„Ich habe Dir gesagt, mein Lieber, (verzeih mein elendes Deutsch, da ich seit zwei Jahren ewig spanisch und französisch spreche), dass ich meine Pflanzen nach meiner Rückkunft selbst zu publiciren denke. Solltest Du indess in den zwei Kisten, welche Fräser Dir einhändigen kann, neue Species entdecken, die Deine Aufmerksamkeit besonders auf sich ziehen, so steht es natürlich ganz in Deinem Willen, einzelne derselben, nur

^ Auch dieser Plan wurde bekanntlich aufgegeben.

3. Zum and auf dem Orenoco. (An Willdenow.) 339

nicht viele und alle, in Deine vortreflFliche Ausgabe der Species einzuschalten. Im Gegentheil, es wird uns (Bonpland und mir) sogar eine besondere Ehre sein, von Dir in so einem Werke erwähnt zu werden. Ich sage mit Fleiss, nur nicht viele und alle, weil es unmöglich ist, nach trockenen Exemplaren so gut zu beschreiben als nach dem, was wir in der Natur selbst auf- gezeichnet

„Ich glaube mit Bonpland sehr genaue Diagnosen nieder- geschrieben zu haben, wir wagen es aber doch nicht zu be- stimmen, wieviel neue Genera wir besitzen. An Palmen und Gräsern, an Melastomen, Piper, Malpighia, Cortex Angosturae, die ein neues, von Cinchona verschiedenes Genus ist, an Cipora Auble Caesalpina, sind wir sehr, sehr reich! ....

„Ich bin fest entschlossen, während der fünf bis sechs Jahre, die meine Reise dauern wird, der Versuchung zu widerstehen, irgendetwas zu publicircn. Ich bin gewiss, dass zwei Drittel unserer neuen Genera und Species, wenn wir nach Europa zu- rückkehren, als uralt erkannt werden. Aber die Wissenschaft gewinnt immer in so entlegenen Ländern durch Aufzeichnung neuer nach der Natur gemachter Beschreibungen.

„Welch einen Schatz von Pflanzen in dem wunderbaren, mit undurchdringlichen Wäldern erfüllten, von so vielen neuen Affen- arten bewohnten Lande zwischen dem Orenoco und dem Ama- zonenstrome, in welchem ich 1400 (sie) geographische Meilen zu- rückgelegt habe I Kaum ein Zehntel von dem, was wir gesehen, habe ich gesammelt. Ich bin nun völlig von dem überzeugt, was ich in England noch nicht glaubte, obwol ich es schon aus Kuiz, Pavon, Nees und Henken's Herbarien ahnte, ich bin, sage ich, jetzt überzeugt, dass wir nicht drei Fünftel aller vorhan- denen Pflanzenspecies kennen! Welche wundersamen Früchte, von denen wir, als wir vom Aequator zurückkamen, eine grosse Kiste voll nach Madrid und nach Frankreich gesandt haben! Welch einen Anblick gewährt die Palmenwelt in den undurch- dringlichen Wäldern am Rio negro! ....

„Aber ach, mit Thränen fast öffnen wir unsere Pflanzen-

92*

340 n, A. Reiseleben in AmeriluL

kisten I Unsere Herbarien haben dasselbe Schicksal , über das bereits Sparmann, Banks, Swartz und Jacquin geklagt habea. Die unermessliche Nässe des amerikanischen Kliinas, die Geffl- heit der Vegetation, in der es so schwer ist, alte ausgewachsoie Blätter zu finden, haben über ein Drittel unserer Sammlangen verdorben. Täglich finden wir neue Insekten, welche Papi^e und Pflanzen zerstören. Kampher, Terpentin, Theer, verpichte Breter, Aufhängen der Kisten in freier Luft, alle in Europa er- sonnenen Künste scheitern hier, und unsere Geduld ermüdet Ist man vollends drei bis vier Monate abwesend, so erkennt man sein Herbarium kaum wieder. Von acht Exemplaren mnss man fünf wegwerfen, zumal in der Guayana, dem Dorado und dem Amazonenlandc, wo wir täglich im Regen schwammen.

„Vier Monate hindurch schliefen wir in Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Tigern (die hier selbst Canots an- fallen), nichts geniessend als Reis, Ameisen, Manioc, Pisang, Orenocowasser und bisweilen Affen. Von Mondavaca bis zum Vulkan Duida, von den Grenzen von Quito bis Surinam hin, Strecken von 8000 Quadratmeilei^ in denen kein Indianer, son- dern nichts als Affen und Schlangen anzutreffen sind, haben wir, an Händen und Gesicht von Mosquitostichen geschwollen, durchstrichen.

„In der Guayana, wo man wegen der Mosquiten, die die Luft verfinstern, Kopf und Hände stets verdeckt haben muss, ist es fast unmöglich, am Tageslicht zu schreiben; man kann die Feder nicht ruhig halten, so wüthend schmerzt das Gift der Insekten. Alle unsere Arbeit musste daher beim Feuer, in einer indianischen Hütte, vorgenommen werden, wo kein Sonnenstrahl eindringt, imd in welcher man auf dem Bauche kriechen muss. Hier aber erstickt man wieder vor Rauch, wenn man auch we- niger von den Mosquitos leidet. In Maypures retteten wir uns mit den Indianern mitten in den Wasserfall, wo der Strom rasend tobt, wo aber der Schaum die Insekten vertreibt. In Iligucrote gräbt man sicli nachts in den Sand, sodass blos der Kopf hervorragt und der ganze Leib mit 3 4 Zoll Erde bedeckt

3. Zum und auf dem Orenoco. (An Willdenow.) 341

bleibt. Man hält es für eine Fabel, wenn man es nicht sieht. Sonderbar ist es, dass da, wo die schwarzen Gewässer, eigent- lich die kaffeebraunen Flüsse (Atabapo, Guainia u. s. w.), an- fangen, weder Mosquiten noch Krokodile gefunden werden.

„Aber dagegen auch welcher Genuss in diesen majestätischen Palmen Wäldern, wo man so viele und unabhängige indianische Völkerschaften, und bei diesen einen Rest peruanischer Cultur antrifft. Nationen, die ihren Acker wohl bestellen, Gastfreund- schaft ausüben, sanft und menschlich scheinen, wie die Ota- heiter, aber auch wie diese Anthropophagen sind. Ueberall, überall im freien Südamerika (ich rede von dem Theile südlich von den Katarakten des Orenoco, wo ausser fünf bis sechs Fran- ciscanermönchen kein Christenmensch vor uns eindrang) fanden wir in den Hütten die entsetzlichen Spuren des Menschen- fressens ! !

„Meine Gesundhdt und Fröhlichkeit hat, trotz des ewigen Wechsels von Nässe, Hitze und Gebirgskälte, seitdem ich Spa- nien verliess, sichtbar zugenommen. Die Tropenwelt ist mein Element, und ich bin nie so ununterbrochen gesund gewesen als in den letzten zwei Jahren.

„Ich arbeite sehr viel, schlafe wenig, bin oft bei astrono- mischen Beobachtungen 4 5 Stunden lang ohne Hut der Sonne ausgesetzt. Ich habe mich in Städten aufgehalten (Li^ayra, Porto-Cabello), wo das grässliche gelbe Fieber wüthete, und nie, nie hatte ich auch nur Kopfweh. Nur in St.-Thomas d'Angos- tura, der Hauptstadt von Guayana, und in Nuova Barcelona hatte ich drei Tage lang Fieber, einmal am Tage meiner Rück- kunft vom Rio Negro, da ich nach langem Hungern zum ersten male und unmässig Brot genoss; das andere mal, als ich von einem hier stets fiebererregenden Staubregen bei Sonnenschein nass wurde. Am Atabapo, wo die Wilden stets am Faulfieber leiden, widerstand meine Gesundheit unbegreiflich gut.

„Meine Aufiiahme in den spanischen Colonien ist so schmei- chelhaft, als der eitelste und aristokratischste Mensch sich nur wünschen kann. In Ländern, in denen kein Gemeinsinn herrscht.

342 n, A. Reiseleben in Amerika.

und io denen alles nach Willkür gelenkt wird, entscheidet die GunMt de» Hofes alles. Das Gerücht, dass ich von der Königin und dem König von Si)anien persönlich ausgezdchnet worden bin, die Kinpfehlungen eines neuen, allmächtigen Ministers, Don (Jrquijo, erweichen alle Herzen. Nie, nie hat ein Naturalist mit solcher Freiheit verfahren können. Dazu ist die Reise bei wei- tem nicht so theuer als man glauben möchte, wenn man hört ita.'sH ich auf den Flüssen 24 Indianer viele Monate lang, im Innern oft 14 Maulthiere für Pflanzen und Instrumente be- durfte

„Meine Unabhängigkeit wird mir mit jedem Tage thenerer, daher habe ich nie, nie eine Spur von Unterstützung irgend- eines (jouvemements angenommen, und falls deutsche Zeitungen vielleicht einen englischen, mir übrigens sehr schmeichelhafteD Artikel übersetzen, „dass ich mit Aufträgen vom spanischen Gouvernement reise und zu einem hohen Posten im Rathe von Indien bestimmt sei^^ lache darüber, wie ich. Falls ich glücklich nach Europa zurückkehre, so werden mich ganz an- dere Plane beschäftigen, die mit dem Consejo de Indias wenig zusammenliängen. Ein Mensclienleben, begonnen wie das mei- nige, ist zum Handeln bestimmt, und sollte ich unterliegen, so wissen die, welche meinem Herzen so nahe sind als Du, dass ich mich nicht gemeinen Zwecken aufopfere.

„Wir Ost- und Nordeuroimer haben übrigens seltsame, fast möchte ich sagen tolle Vorurtheile gegen das spanische Volk. Ich habe nun zwei Jahre lang, vom Kapuziner an (denn ich war lange in ihren Missionen unter den Chaymas-Indianem) bis zum Vicekönig, mit allen Menschenklassen genau verbunden gelebt, ich bin der spanischen Sprache jetzt fast so gut wie meiner Muttersprache mächtig, und bei dieser genauen Kennt- niss kann ich versichern, dass diese Nation, trotz des Staats- und Pfaifenzwanges, mit Riesenschritten ihrer Bildung entgegen- geht, dass ein grosser Charakter sich in ihr entwickelt

„Mit meinem Reisegefährten Bonpland habe ich alle Ursache überaus zufrieden zu sein. Er ist ein würdiger Schüler Jussieu's,

3. Zum und auf dem Orenoco. (An Willdenow.) 343

Desfontaine's, Ricbard's, ist überaus tliätig, arbeitsam, sich leicht in Sitten und Menschen findend, spricht sehr gut spanisch, ist sehr niuthvoll und unerschrocken, mit einem Worte, er hat vortrefiHche Eigenschaften für einen reisenden Naturforscher. Die Pflanzen, die mit den Dubletten über 12000 betragen, hat er allein geordnet. Die Beschreibungen sind zur Hälfte sein Werk. Oft haben wir auch jeder besonders ein und die- selbe Pflanze beschrieben, um der Wahrheit desto gewisser zu sein

„Und Du, mein Guter, wie führst Du im häuslichen stillen Glück Dein arbeitsames Leben fort? Wie glücklich bist Du, diese undurchdringlichen Wälder am Rio Negro, diese Palmen- welt nicht zu sehen! Es würde Dir unmöglich scheinen, Dich nachmals an einen Kienenwald zu gewöhnen. Welch einen Anblick gewährt die Palmenwelt in den undurchdringlichen Wäl- dern am Rio Negro! Nur hier, hier in der Guayana, in dem tropischen Theile von Südamerika, ist die Welt recht eigentlich grün

„Wenn ich an die Zeit zurückdenke, wo ich Dir Hordeum murinum zu bestimmen brachte, wenn ich mich erinnere, dass (las botanische Studium mehr als meine Reise mit Forster die Triebe in mir rege machte, die Tropenwelt zu besuchen, wenn ich in meiner Phantasie die Rehberge und die Panke mit den Katarakten von Atures und mit einem Hause von China (Gin- chona alba), in dem ich lange gewohnt, zusammenstelle, so kommt mir dies alles oft wie im Traume vor. Wie viel Schwie- rigkeiten habe ich überwunden! Vergeblich auf Baudin's Reise um die Welt gewartet; dann Aegypten und Algier nur einen Schritt nahe; dann in Südamerika! und nun wieder in der llnffnung, ßaudin und Michaux in der Südsee zu finden. Wie wunderbar ist ein Menschenleben verkettet, denn ich gehe von hier über Mexico und Califomien nach Acapulco, um dort mit dem Kapitän Baudin die Reise um die Welt zu voll- enden.

344 n, A. Beiseleben in Amerika.

„Träume ich mir dann bisweilen ein glückliches Ende dieser gefahrvollen Irrfahrt, träume ich mich an die Ecke der Friedrich- strasse in Dein altes Zimmer, Deinem Herzen immer gleich nahe, mache ich mir diese Bilder recht lebhaft, o dann wäre ich im Stande, das Ende dieser Reise früher heranzurücken, und zu vergessen, dass in grossen Unternehmungen die kalte Vernunft und nicht die Neigung den Entschluss leiten soll. Eine innere Stimme sagt mir, dass wir uns wiedersehen.

„Von Jacquin und van der Schott, den ich so sehr liebe, habe ich nie eine Antwort erhalten können. Wann wird dieser entsetzliche Krieg enden, der alle Verbindung liiudert ! Grüsse Dein liebes Weib, Deine Schwiegermutter herzlich, umarme die Kleinen und vor allen den Freund Hermes ; rufe mein Andenken in der Versammlung unserer vortreflFlichen Freunde, bei Klap- roth, Karsten, Zöllner, Hermbstedt, Bode, Herz .... zurück. Tausend Empfehlungen Hm. Kunth, den Du wol aufsuchst, wenn Du diesen Brief erhalten. Sage diesem alten Freunde, dass ich meinem Entschlüsse getreu, jeder Gelegenheit nur einen Brief anzuvertrauen, ihm heute mit einem andern Schiffe ebenfalls geschrieben habe. Mit brüderlicher Liebe

Dein alter Schüler Alexander Humboldt."

4.

Nach und von Cuba.

Abfahrt von Barcelona. Landung in Havana. Neue Reiseplane.

Nachricht von Baudin. Von Batabano nach Cartagena. Doppelte

Gefahr. Turbaco. Fidalgo's Commission.

Am 24. Nov. 1810 ging Humboldt auf der Rhcde von Nueva Barcelona auf einem kleinen mit Fleisch beladenen Fahr- zeug nach Cuba unter Segel. Die Fahrt war keine günstige, das Wetter meist entweder stürmisch oder windstill. Am 30. April brachte ein plötzlicher Nordostwind das kleine Fahrzeug in mehrfache Gefahr, und hierzu brach noch am Abend Feuer in demselben aus, das wegen der Fleisch- und Fettladung sehr un- heilvoll hätte werden können.

Obwol das Antillenmeer damals schon fast ebenso bekannt war wie das Becken des Mittelmcers, wurden doch durch unsere Reisenden die Positionen mehrerer Klippen, Inseln, Vorgebirge sehr wesentlich berichtigt. Endlich landeten sie am 19. Dec. ^ nach einer 25tägigen Fahrt, bei bestandig schlechtem Wetter, im Hafen von Ilavana.

Um so angenehmer war ihr Aufenthalt hier, in der Stadt im Hause des Grafen Orelly, auf dem Lande bei dem Grafen Jaruca

' Mit dieser Landung am 19. Dcc. 1800 endet Hauffs deutsche Bear- beitung von Humboldt's „Reisen in die Aequinoctialgegenden*^ während die „Relation historique du voyage^^ noch die RQckfahrt zum Rio Sinn und den Aufenthalt in und um Cartagena schildert

346 U, A. Reiseleben in Amerika.

und dem Marquis del Real Socorro. Humboldt beschäftigte sich zunächst mit der genauen Aufnahme des Hafens, wobei ihn die Astronomen Robredo, Brigadier Montes, und Galiano, der ver- dienstvolle Reisegefährte des unglücklichen Malaspina, mit Eifer unterstützten. Sodann durchreiste er anfangs des. Jahres 1801 einen Theil von Cuba, bestimmte die Lage von Rio Blanco, el Almi- rante und mehrerer anderer Orte im Innern des Landes, kehrte im Februar nach der Havana zurück ^ und sammelte zum Theil schoB jetzt die Materialien zu seinem „Essai politique sur Ftle de Cuba". Er hatte anfangs die Absicht, von Cuba nach Nordamerika zu gehen bis zu den canadischen Seen hinauf, dann auf dem Ohio, Mississippi nach Louisiana herunterzuschiffen , und Ton da den wenig bekannten Landweg nach Neubiscaya und Mexico einzuschlagen^, gab aber den Plan auf. Aus nordamerikanischen Zeitungen hatte er nämlich erfahren, dass Kapitän Baudm die längst projectirte Expedition angetreten und um das Cap Hom längs der Küste von Chili und Peru hinsegeln werde. Die frühere Verabredung , sich ihm wenn möglich einst anzu- schliessen, erschien ihm noch bindend, sowie eine Vereinigang mit andern Gelehrten seinen Zwecken förderlich. Er eutschloss sich daher, über den Isthmus nach Panama und Guajaquil zu gehen, und zeigte Baudin an, dass er ihn an der Küste der Südsee antretfen wolle. Dieser Brief, der Humboldt in Lima wieder eingehändigt wurde, da Baudin nicht um das Cap Hom sondern um das Cap der guten Hoffnung gegangen war, lautet':

Cartagene des Indes, le 12 avril 1801. „Citoyen,

„Lorsque je vous embrassais la derniere fois rue Helvetius ä Paris, et que je comptais partir pour TAfrique et les grandes

' OUmann's Untersuchungen über die Geographie des Neuen Conti- nents u. s. w., I, 226; II, 1.

' So schrieb er an Wilhelm von Humboldt, d. d. Contreras bei Ibague, 21. Sept. 1801.

' Briefe von Alexander von Uumboldt u. s. w. au Vamhagon, ö, 228.

4. Nach und Ton Caba. (Nachric&t von Baudin.) 347

Indes, il ne me rcstait qu'un üeuble espoir de vous revoir et de naviguer sous vos ordres. Vous 6tes instruit sans doute par nos communs amis, les C. G. Jussieu, Desfontaines, combien mon voyage s'cst change .... Ind^pendant et toujours ä mes propres frais, mon anii Bonpland et moi avons parcouru depuis deux ans les pays situes entre la cöte, TOrenoco, le Casiquiare, le Rio Negro et TAmazone. Notre sant^ a resist^ aux dangers enormes que prösentent les rivieres. Au milieu de ces bois nous avons parlö de vous, de nos visites inutiles chez le C. FrauQois de Neufchateau, de nos espoirs tromp^. Sur le poiut de partir depuis la Ilavaue pour le Mexique et les Isles Phillippines, il nous est parvenu la nouvelle, comment votre con- stance a su enfin vaincre toutes les difttcult^. Nous avons Cait des combinaisons, nous sommes surs que vous relächez ä Valparaiso, ä Lima, Guayaquil. Nous avons change ä Tinstant nos plans, et malgrd la force des brises impötueuses de cette cöte, nous sommes partis sur un petit Pilotboot, pour vous chercher dans la Mer du Sud, pour voir si, revenant sur nos anciens projets, nous puissions f^unir nos travaux aux vötres, si nous pouvions paicourir avec vous la Mer du Sud

„Un malheureux passage de 21 jours depuis la Havane ä Cartagene nous a empdches de prendre la route de Panama et Guayaquil. Nous craiguons que la brise ne soufflc plus dans la Mer du Sud, et nous cntreprenons de poursuivre la route de terre par le Rio de la Magdalena, S. Fe Popajan, Quito.

„J'esi)ere que nous serons au mois de juin ou comnience- ment de juillet a la ville de Quito, j'attendrai la nouvelle de votre arrivee ä Lima. Ayez la grace de m^y ecrire deux mots sous Tadresse espagnole: AI Sr. Baron de Humboldt, Quito, casa del Sr. Governador Bn. de Caroudelet. Mon plan est, au cas que je n'entends rien de vous, mon respectable ami, de visiter le Chimbora^o, Loxa .... jusqu'au novembre 1801, et descendre en decembre ou janvier 1802 avec mes instrumens h Lima.

„Vous vcrrcz par cette narration, mon respectable ami, que le climat des Tropiques ne m'a pas rendu phlegmatique, que je

348 n, A. Reiseleben in Amerika.

ne connais pas des sacrifices lorsqu'il s'agit de suivrc des plans utiles et hardis. Je vous ai parl^ avcc frauchise, je sais que je vous demande plus que je vous oflfre, je ne puis croire mSme que des circonstances particulieres pourraient vous emp^cher de nous

recevoir ä votre bord En ce cas, cette lettre pourrait vous

erabarrasser, eile vous embarrasserait d'autant plus que vous nous honorez de votre amitie. J'ose vous prier de me parier franchement, je nie rejouirai toujours d'avoir eu le plaisir de vous voir, et je ne me plaindrai jamais des evenements qui nous gouvement raalgrd nous. C'est par cette franchise que vous me donnerez le signe le plus precieux de vos bontds pour moi. Je continuerais alors ma propre exp(5dition depuis Lima k Aea- pulco, Mexico, aux Phillippincs, Suratc, Bassora, la Palestine Marseille. Mais j'aime mieux croire que je puisse etre des vötres. Le C. Bonpland vous prdsente ses respects. „Salut et amitie inviolable. *

Alexandre Humboldt/^

Ueber den Verlauf der Reise und den nächsten Aufenthalt am Rio Sinu und in Cartagena schreibt Humboldt dem Bruder:

„Cartagena de Indias, den 1. April 180L

„Wenn Du meinen letzten Brief aus der Havana empfangen hast*, lieber Bruder, so weisst Du nunmehr, dass ich meinen anfänglichen Plan geändert habe und, statt über Nordamerika nach Mexico zu gehen, an die Südküste des mexicanischen Meer- busens zurückgekehrt bin, um von hier zu Lande nach Quito und Lima zu reisen. Es würde zu weitläufig sein, Dir die Gründe, die mich hierzu vermocht haben, vollständig aus-

' Spätere Anmerkung von Homboldt: „Cette lettre ecrite au Capitaine Bändln ä mon arriv^e ä Cartag^ne des Indes (en venant de la Havane) m'a 6t6 rendue, le Cap. Baudin n^ayant pas reläche k Lima. Berlin, en Nov. 1846. A. Humboldt."

' Dieser Brief ist nicht angekommen.

4. Nach und Ton Coba. (Von Batabano nach Cartagena.) 349

einanderzusetzen ; der hauptsächlichste aber war der, dass die Schiffahrt von Acapulco nach Guajaquil langwierig und be- schwerlich zu sein pflegt, und dass ich doch hätte noch einmal nach Acapulco zurückgehen müssen, um dort eine Gelegenheit nach den Philippinen zu finden.

„Ich reiste am 8. März von Batabano, an der südlichen Küste der Insel Cuba, in einem sehr kleinen Schiffe von kaum 40 Tonnen ab, und landete erst nach 25 Tagen am 30. März, während sonst die Ueberfahrt nur sechs bis acht Tage dauert Wir hatten fast ununterbrochene Windstille, oder doch nur schwache Winde, auch trieb uns der Meeresstrom und die Un- gläubigkeit des Kapitäns, der meinem Chronometer nicht traute, zu weit westlich, sodass wir in den Busen von Danen gerietben. Wir mussten nun acht Tage hindurch längs der Küste wieder hinauffahren, was bei dem orkanartigen Ostwinde, der um diese Jahreszeit beständig hier zu wehen pflegt, mit unserm kleinen Fahrzeuge ebenso schwierig als gefährlich war. Wir legten am Rio Sinu vor Anker und botanisirten zwei Tage lang an seinen Ufern, die wol nie ein Beobachter betreten hat

„Wir fanden eine herrliche palnienreiche, aber wilde Natur und sammelten eine beträchtliche Anzahl neuer Pflanzen. Die Mündung des Flusses ist gegen 2 Meilen breit, und er selbst mit Krokodilen angefüllt. Dort sahen wir Danen -Indianer: klein, breitschulterig, platt, und überhaupt ganz das Gegentheil der Kariben, aber ziemlich weiss, und fetter, fleischiger und stärker an Muskeln, als ich bisher Indianer gesehen habe. Sie leben unbezwungcn und unabhängig. Du siehst also, dass, wenn unsere Schiffahrt gleich lang und beschwerlich war, sie uns doch auch mancherlei interessante Gegenstände darbot. Nur hatten wir leider noch die grösste Gefahr am Ende derselben, dicht vor Cartagena selbst, zu bestehen.

„Wir wollten gegen den Wind mit Gewalt in den Hafen einlaufen. Das Meer wüthete fürchterlich. Unser Schiffchen widerstand nicht der Gewalt der Wogen und schlug plötzlich auf die Seite. Eine entsetzliche Welle bedeckte es und drohte

350 n, A. Reiscleben in Amerika.

uns zu verschlingen. J)er Steuermann blieb unerschrocken auf seinem Platze; aber auf einmal rief er aus: „No gobiema el timon^^ (das Steuerruder lenkt nicht mehr). Jetzt hielten wir uns alle f&r verloren. Allein da man noch das Aeusserste ver- suchte und ein Segel abschnitt, welches nur lose flatterte, so hob sich das Schiff auf einmal auf dem Rücken einer neuen Welle wieder empor, und wir retteten uns hinter das Vor- gebirge Gigante.

„Doch hier drohte mir eine neue und fast noch grössere Gefahr. Es war eine Mondfinsternisse; und um dieselbe besser zu beobachten, liess ich mich in einem Boote ans Land setzen. Aber kaum war ich mit meinen Begleitern ausgestiegen, so hörten wir Ketten rasseln, und baumstarke, entlaufene Neger (Gimarones), aus dem Gefängnisse zu Cartagena entsprungen, stürzten mit Dolchen in den Händen aus dem Gebüsch hervor und auf uns zu, vermuthlich in der Absicht, sich, da sie uns unbewaffnet sahen, unsers Bootes zu bemächtigen. Wir flohen augenblicklich dem Meere zu, hatten aber kaum noch so viel Zeit, uns einzuschiffen und die Küste zu verlassen.

„Am folgenden Tage liefen wir endlich ruhig und bei Wind- stille in den Hafen von Cartagena ein. Ein sonderbarer Zufall war es, dass der Tag, an dem ich dieser doppelten Gefahr ent- rann, gerade der Palmsonntag (domingo de ramos) war, und dass auch genau am Palmsonntag des vorigen Jahres ich mich in gleich dringender Todesgefahr beim Schildkrötenlager von Uruana im Orenocostrome befand, wie ich damals ausführlich schrieb." *

Nach ausführlicher Mittheilung der Disposition über seine Sammlungen und Manuscripte fährt er fort:

„Meine Gesundheit ist fortdauernd sehr gut, und Du kannst jetzt um so unbesorgter um mich sein, da ich von nun an blos in der stillen Südsee schiffe. Ich gehe nämlich von hier zu

' In der Nacht vom 2fl. zum 30. März. * S. Seite 334.

4. Nach and von Cuba. (Fidalgo's Commission.) 351

Lande über Santa F^ und Popayan nach Quito, wo ich im Juli dieses Jahres einzutreffen gedenke ; dann von Quito nach Lima ; von dort im Februar 1802 nach Acapulco und Mexico; von Acapulco 1803 nach den Philippinen, und 1804 hoffe ich Dich wiederzusehen.

„An nähern Nachrichten aus Europa fehlt es mir jetzt sehr. Von Dir habe ich seit meiner Abreise aus Spanien nur einen einzigen Brief erhalten; und doch bin ich gewiss, dass Du mir oft geschrieben hast. Seit dem März 1800 hat hier niemand Briefe aus Europa" ....

Der dreiwöchentliche Aufenthalt in Cartageua gewährte Er- holung und Müsse zum Besuch der Umgegend von Turbaco, die wegen der Ungeheuern dicken Bäume und wegen der Schlamm- vulkane interessant ist. Vor allem aber war es wichtig, dass sie hier die Commission der unter Fidalgo ausgeführten Kttstenauf- nahme antrafen und mit deren Arbeiten die eigenen vergleichen und reguliren konnten. „Wir fanden eine wunderbare und durchgängige Uebereinstimmung in den Längenbeobachtungen, und dass die Magnetnadel seit 1798 auf dieser Küste ebenso westlich als in Europa östlich abweicht."

5,

Nach duito.

Neuer Reiscplan. Auf dem Magdalenenstrome bis Honda. Santa F6

de Bogota, Umgebung. Ibague. lieber den Qnindiapass. Im

Caucathale, Popayan. Die Paramos von Pasto. Anknnft in Quito.

Humboldt hatte anfangs den Vorsatz, vom Rio Sinu nach Porto -Cabello, und von da auf dem Rio Chagre nach Panama zu reisen, die geologisclie Beschaffenheit der Landenge zu unter- suchen, und sich in Panama nach Guayaquil und Quito ein- zuschiffen. Diese Reise ist in guter Jahreszeit ungleich kürzer als die mühsame Fahrt auf dem Magdalenenstrome und als die Reise von Cartagena nach Quito über Santa F6 de Bogota, Popayan und Pasto. Er erfuhr aber in Cartagena, dass die Brise im Südmeer nicht mehr wehe, dass deshalb die Reise von Panama nach Guayaquil zwei bis drei Monate dauern könne, und entschloss sich daher, die Binnenreise auf dem Magdalenen- strome anzutreten. Hierzu kam noch der lebhafte Wunsch, den grossen Botaniker Don Jose Celestino Mutis in Santa F6 de Bogota aufzusuchen, die PHanzensammlungen desselben mit den seinigen zu vergleichen, und vor allem die Cordillere der Anden zu übersteigen. Er schickte also die grössten Instrumente, die entbehrlichen Bücher und Sammlungen auf dem Seewege nach Quito, verliess nach einem dreiwöchentlichen Aufenthalt

5. Nach Quito. (Auf dem Magdalenenstrome bis Honda.) 353

in Cartagena in der Nacht vom 19. April 1801 Tnrbaco, und schiflfte sidi am 21. April mit Bonpland bei Barancas Nuevas auf dem Magdalenenstrome ein.

„Die Gewalt des angeschwollenen, mächtig strömenden Wassers", schreibt er dem Bruder (Contreras bei Ibague, 21. Sept. 1801), „hielt uns 55 Tage lang auf dem Magdalenen- flusse, während welcher Zeit wir uns immer zwischen wenig be- wohnten Wäldern befanden. Auf einer Strecke von 40 franzö- sischen Meilen ist nicht ein Haus oder eine andere menschliche Wohnung anzutreffen. Ich sage Dir nichts mehr von der Ge- fahr der Katarakten, von den Mosquitos, von den Stürmen und Gewittern, die hier fast ununterbrochen fortdauern und alle Nächte das ganze Himmelsgewölbe in Flammen setzen. Ich habe (lies alles umständlich in einer Menge anderer Briefe beschrieben. Wir schifften auf diese Weise bis Honda, im 5. Grad nördl. Br. Ich habe den topographischen Plan des Flusses in vier Blättern gezeichnet, von dem der Vicekönig eine Copie behalten hat; ich habe ein barometrisches Nivellement von Cartagena bis Santa Fe gezeichnet; icli habe an vielen Orten den Zustand der Luft untersucht, denn meine Eudiometer sind noch alle im Stande, sowie überhaupt kein einziges meiner kostbaren Instrumente z(Tl)rochen ist. Bouguer hat auf seiner Rückreise nach Frank- reich gleichfalls den Magdalenenfluss beschifft, aber nur abwärts, und hatte keine Instrumente bei sich.

„Von Honda aus besuchte ich die Bergwerke von Mariquita und Santa Anna, wo der- unglückliche d^Elhuyar seineu Tod fand. Hier gibt es Pflanzungen von Zimmt, welcher dem von Ceylon ähnlich und derselbe ist, den ich schon früher am Husse (iuaviare und am Orenoco fand. Hier findet sich auch der berühmte Mandelbaum (Caryocus amygdaliferus), Wälder von Chinabäumen, und die Otoba, die eine wahre Myristica (Muskat- nuss) ist und auf welche die Regierung jetzt ihre Aufmerk- samkeit richtet. Hr. Desieux, ein Franzose, welcher mit 2^)00 Piastern (;">()() Friedrichsdor unsers Geldes) zum Aufseher

A. ». IltMBoLI'T. I. 23

354 n, A. Reiselebcn in Amerika.

dieser Pflanzungen ernannt ist, begleitete uns auf unserer SchiflFahrt.

„Von Honda steigt man 1370 Toisen aufwärts nach Santa Fe de Bogota. Der Weg zwischen den Felsen (kleine einge- hauene Treppen, nur 18 20 Zoll breit, sodass die Maulthiere nur mit Mühe ihren Leib durchbringen) ist über alle Beschrei- bung schlecht.' Man tritt aus der Mündung des Berges (la boca del monte) unter 4" 35' nördl. Br. ; und nun befanden wir uns auf einmal in einer grossen Ebene von mehr als 32 fran- zösischen Quadratmeilen, auf der man zwar keine Bäume sieht^ die aber mit europäischen Getreidearten besät und mit india- nischen Dörfern angefüllt ist. Diese Ebene (Llanura de Bogota) ist der ausgetrocknete Grund des Sees Funzhe, welcher in der Mythologie der Muyscas- Indianer eine wichtige Rolle spielt. Das böse Princip oder der Mond, ein Weib, brachte eine Sünd- flut hervor, durch welche sich der See bildete. Aber Bochika, das gute Princip oder die Sonne, zertrümmerte den Fels Tcquen- dama, wo heutigentags der berühmte Wasserfall ist; der See Funzhe lief ab; die Bewohner der Gegend, die sich während der Flut auf die nächsten Berge geflüchtet hatten, kehrten in die Ebene zurück; und Bochika, nachdem er den Indianern eine politische Verfassung und Gesetze, welche denen der Inkas ähnlich waren, gegeben hatte, ging den Tempel von Sagamun zu bewohnen. Da lebte er 25000 Jahre und zog sich hernach in sein Haus, die Sonne, zurück.

* Der Weg war bis 1816 fast ein blosser Wasscrriss, eine Khift, in der bisweilen nicht zwei Maulthiere sich ausweichen konnten, und doch führte derselbe nach der Hauptstadt des Landes, deren Bevölkerung 28 30000 Einwohner zählte. Als die Spanier wieder auf einige Zeit in den Besitz von Neugranada gekommen waren, Hessen sie, um die mili- tärische Communication zu erleichtern, und infolge einer grausamen poli- tischen Reaction, den Weg von Honda nach Bogota durch Sträflinge aus der republikanischen Partei erweitern und ausbessern. Er gewann seit- dem eine andere Gestalt. Auf diese Weise entstand schnell, während eines blutigen Bürgerkriegs eine Strasse, welche die Vicekönige in fast dreihundertjährigem friedlichem Besitze nicht hatten bauen wollen.

5. Nach Quito. (Santa F6 de Bogota und Umgebung.) 355

„Unsere Ankunft in Santa F6 glich einem Triumphzuge. Der F'.rzbischof hatte uns Seinen Wagen entgegengeschickt; mit demselben kamen die Vornehmsten der Stadt. Man gab uns ein Mittagsessen zwei Meilen von der Stadt, und wir zogen mit einem Gefolge von mehr als sechzig Personen zu Pferde ein. Da man wusste, dass wir Mutis zu besuchen kamen, und dieser durch sein hohes Alter, sein Ansehen bei Hofe und seinen per- sönlichen Charakter in der ganzen Stadt in ausserordentlicher Achtung steht, so suchte man seinetwegen unserer Ankunft einen gewissen Glanz zu geben und ihn in uns zu ehren. Der Vicekönig darf in der Stadt, der Etikette nach, mit niemand essen ; er lud uns daher auf seinen Landsitz Fucha zu sich ein Mutis hatte uns ein Haus in seiner Nähe einrichten lassen und behandelte uns mit ausnehmender Freundschaft. Er ist ein ehr- würdiger alter Geistlicher von beinahe 72 Jahren, und dabei ein reicher Mann; der König zahlt für die botanische Expedition hiersclbst jährlich 10000 Piaster. Seit fünfzehn Jahren arbeiten dreissig Maler bei Mutis; er hat 2 3000 Zeichnungen in Gross- folio, welche Miniaturgemälde scheinen. Nächst der von Banks in London habe ich nie eine grössere botanische Bibliothek als die von Mutis gesehen, ungeachtet der Nähe beim Aequator ist das Klima hier empfindlich kalt wegen der hohen Lage; das Thermometer steht meistens auf 6— 7** R., oft auf 0, nie über 18°.

„Ich bin bei den Flussmiasmen und den Entzündung er- regenden Mosquitostichen völlig gesund geblieben, aber der arme Bonpland bekam auf dem Wege von Honda nach Santa Fe wieder das dreitägige Fieber. Dies nöthigte uns, zwei volle Monate, bis zum 8. Sept. 1801, in der letztern Stadt zu blei- ben. Ich mass indess die umliegenden Berge, von denen meh- rere 2000 bis 2500 Toisen hoch sind, und besuchte die Um- gegend" .... „Hier boten sich" (wie wir aus der Abhandlung „Ueber die Hochebene von Bogota"^ ergänzen) „vier merk-

^ Gelesen in der Sitzung der berliner Akademie am 19. März 1838, im Auszüge mitgotlieilt in ihrem Monatsberichte, März 1838, sodann voU-

23*

35ß I^ A. Rciseleben in Amerika.

würdige Pliänomene: der prachtvolle Wasserfall des Tequendama \ der von der Region immergrüner trieben in eine Kluft stürzt, zu welcher baumartige Farrn und Palmen bis an den Fuss der Katarakte hinaufgestiegen sind; ein mit Mastodontenknochen überfülltes Riesenfeld, Campo deGigantes; Steinköhlenflötze, und mächtige Steinsalzschichten. Das Vorkommen der beiden letzt- genannten Formationen erregt um so mehr Verwunderung, als sie eine Höhe erreichen, ungefähr der gleich, welche man erhält, wenn man unsern Brocken auf den Gipfel der Schneekoppc thürmt."

Nach der Genesung BonphauPs wurde im September 1801 die Wanderung von Santa Fe nach Quito angetreten. Der Weg führte westwärts über den Magdalenenstrom , über Contreras nach Ibague, einer der ältesten Städte im Königreich Neu- granada, im Thale von Combaima, 703 Meter über dem Meere, wo die Temperatur am Tage 23— 2o^ des Nachts 18 20° erreicht. In Ibagiie machten die Reisenden am 23. Sept. meh- rere astronomische Beobachtungen und bestimmten mit grosser Sorgfalt die Länge und Breite des Orts. Dann gingen sie über den östlichen Zweig der Cordillcren, meist auf Schneefeldern, über den Pass von Quindiu.

„Es ist dies die beschwerlichste Strasse in der Cordillere der Anden. ^ Es ist ein dichter, ganz unbewohnter Wald, den man auch in der besten Jahreszeit nicht schneller als in zehn oder zwölf Tagen zurücklegt. Man findet keine Hütte, keine Lebensmittel, und die Reisenden müssen sich in jeder Jahreszeit auf einen ganzen Monat mit Vorräthen versehen, weil sie nur

ständig abgedruckt in der „Deutschon Vierteljabrsschrift **, V, 97 fg., in Poggendorffs Annalen, 1838, XLIV, 570 fg., und zuletzt in Alexander von Humboldt, Kleine Schriften (1853), I, 10<).

* Atlas pittoresquc oder Vues dos rordill^ros, PI. G; deutsche Aus- gabe: Pittoreske Ansichten der C'ordilleron u. s. w., S. 25.

" Vues des Cordillöres, PI. V; Pittoreske Ansichten der Cordillcren S. 16 fg.

5. Nach Quito. (Ucbcr den Quiudiupass.) 357

zu oft durch das Schmelzen des Schnees und das plötzliche Anschwellen der Giessbäche nach keiner Richtung fortkommen können. Der höchste Punkt des Weges liegt 3505 Meter' über der Fläche des Oceans. Der Pfad ist so eng, dass seine ge- wöhnliche Breite nicht über 3 4 Deciraeter beträgt, und er grösstenthcils einer offenen durch den Felsen gehauenen Galerie gleicht. Die herabfliessenden Wasserbäche haben Schluchten von 6 7 Meter Tiefe ausgespült, in ihnen zieht sich der Weg fort; dieser ist wieder voll Morast, und die Dunkelheit wird noch durch die umgebende Vegetation vermehrt. Für Maul- thiere ist der Pass nicht passirbar; die Ochsen, deren man sich in diesen Gegenden als Saumtlüere bedient (wir hatten zwölf für unser Gepäck^), kommen nur mit grösster Mühe in diesen Galerien fort, welche bis 2()0() Meter lang sind. Hat man das Unglück, solchen Saumthieren zu begegnen, so ist kein anderes Mittel, ihnen aus dem Wege zu kommen, als den Pfad wieder zurückzugehen, oder auf den Erdwall zu steigen, welcher die Schlucht einfasst, und sich da an den Wurzeln festzuhalten, die von den Bäumen der Höhen hervorragen. Wir litten über- dies in den letzten Tagen beim Herabsteigen von dem west- lichen Abhänge sehr viel durch die beständigen Platzregen. Unser Weg führte durch ein sumpfiges, mit Bambusschilf be- decktes Land. Die Stacheln der Wurzeln dieser gigantischen Grasart hatten unsere Fussbekleidung so sehr zerrissen, dass wir barfüssig und mit blutrünstigen Füssen zu Cartago ankamen, weil wir uns nicht von Menschen (Cargueros) auf dem Kücken tragen lassen wollten." Humboldt schildert diese Cargueros sehr

* Höchster Punkt des Nachtlagers war 108<HJ Fuss.

' In der schon oft citirten Autobiographie in IJrockhaus' Convcrsatlons- Lexikon heisst es daher wol irrthiiniHch : ,,Die Reise auf dem Kücken der CordiUeren, von Bogota bis Quito, immer auf Mault hier en, ... . hat volle vier Monate gedauert/^ Auch dem Hruder schreibt Humboldt, Lim«, 25. Nov. Ib<r2: „Hlos Oclisen lassen sich auf diesem Wege gebrauchen, um das Gepäck fortzuschaffen.^^

358 n, A. Ilcisclebcii in Amerika.

ausführlich: „In diesen Kliimitcn sind die Weissen so träge, dass jeder Bergwerksdirector einen oder zwei Indianer im Dienste hat, welche seine Pferde (Cavallitos) heissen, weil sie sich alle Morgen satteln lassen und, auf einen kleinen Stock gestützt und mit vorgeworfenem Körper, ihren Herrn umhertragen. Unter den Cavallitos und Cargueros unterscheidet und empfiehlt man den Reisenden diejenigen, die sichere Füsse und einen sanften gleichen Schritt haben ; und da thut es einem recht weh", schlies^t er in edelm llumanitätsgefühl, „von den Eigenschaften eines Menschen in Ausdrücken reden zu hören, mit denen man den Gang der Pferde und Maulthiere bezeichnet."

In Ibague hatten sich die Reisenden einige hundert Heli- conienblätter schneiden lassen, die aneinandergereiht als wasser- dichte Decke und Zeltdach dienen, und sie haben tagelang bei stärkstem Regen unter solchem Blätterzelt zugebracht, ohne nass zu werden. Endlich erreichten sie Cartago „barfüssig und mit blutrünstigen Füssen, aber mit einer schönen Sammlung neuer Pflanzen bereichert."

„Von Cartago", schreibt Humboldt dem Bruder (Linm, 25. Nov. 1802) „gingen wir nach Popayaii über Buga durch das herrliche Thal des Caucatlusses, wobei wir das Clioka- gebirge mit seinen Platinagrubcn immer zur rechten Seite hatten.

„Den November 1801 blieben wir zu Popayan, und be- suchten von dort die Basaltgebirge von Julusuito, den Schlund des Vulkans von Purace, der mit entsetzlichem Getöse Dämpfe eines durch geschwefeltes Wasserstoffgas geschwängerten Was- sers ausstösst, und die porphyrartigen Granite, welche fünf- bis siebeneckige Säulen bilden, denjenigen gleich, die ich mich in den Euganeen in ItaUen gesehen zu haben erinnere, und die Strange beschrieben hat.

„Die grösste Schwierigkeit stand uns noch zu überwinden bevor zwischen Popayan und Quito. Auf diesem Wege mussten wir die Paramos von Pasto übersteigen, und zwar in der

5. Nach Quito. (Die Paramos von Pasto.) 359

Regenzeit, die bereits angefangen hatte. Paramo heisst in den Anden jeder Ort, wo auf einer Höhe von 1700 2000 Toisen die Vegetation stillsteht und eine Kälte ist, die bis in die Knochen dringt. Um die Hitze des Patiathales zu vermeiden, wo man in Einer Nacht Fieber bekommt, die drei bis vier Mo- nate dauern und die unter dem Namen « Galenturas de Patiai> bekannt sind, gingen wir über die Spitze der Cordilleren, wo scheusslich schroffe Abgründe sind, kamen so von Popayan nach Almager, und von da nach Pasto, das am Fusse eines furcht- baren Vulkans liegt.

„Man kann sich nichts Schrecklicheres denken als den Ein- tritts- und den Ausgangsweg bei dieser kleinen Stadt, wo wir die Weihnachten (1801) zubrachten, und deren Einwohner uns" mit rührender Gastfreundlichkeit aufnahmen. Dicke Wälder liegen zwischen Morästen; die Maulthiere sinken bis auf den halben Leib ein; und man muss durch so tiefe und enge Schlüfte (Kacheln), dass man in Stollen eines Bergwerks zu kommen glaubt. Auch sind die W^ege mit den Knochen der Maulthiere gepflastert, die hier vor Kälte oder aus Mattigkeit umfielen. Die ganze Provinz Pasto, mit Inbegriff der Gegenden um Guachucal und um Tuqueres, ist ein gefrorenes Gebirgspla- tcau, fast über den Punkt herauf, wo die Vegetation aushalten kann, und mit Vulkanen und Solfataren umringt, woraus be- ständige Rauchwirbel dampfen. Die unglücklichen Bewohner dieser Wüsteneien haben keine andere Nahrung als Pataten, und wenn diese ihnen fehlen, wie im letztverwichenen Jahre, so gehen sie ins Gebirge, um den Stamm eines kleinen Baumes zu essen, der Achupalla heisst (Pourretia Pitcamia). Da aber der nämliche Baum auch den Bären der Anden zur Speise dient, so machen diese ihnen oft die einzige Nahrung streitig, welche dies hohe Land den Menschen darbeut.

„Zur Nordseite des Vulkans von Pasto habe ich in dem kleinen indianischen Dorfe Voisaco, 1370 Toisen über der Meeresfläche, einen rothen Thon- und einen Hornsteinporphyr

360 Ilf A. Keiselebcu iu Amerika.

mit eingemengtcni glasigem P\»ldspat entdeckt, welcher alle Eigenschaften des Serpentins vom Fichtclgebirge besitzt. Dieser Porphyr zeigt sehr deutliche Pole, a;ber durchaus keine An- ziehung. Nachdem wir zwei Monate hindurch Tag und Nacht von Regengüssen durchnässt worden waren, und bei der Stadt Ibarra beinahe ertranken, da plötzlich bei einem Erdbeben das Wasser stieg, langten wir am 6. Jan. 1802 zu Quito an."

6.

In und um Cluito.

Stadt, Natur uutl ncwolinrr. Interesse au Bcrgbesteigungeu. Drei-

mali^o lU'btoigung des richiucha. Auf dem Chimborazo. Pariser

Briefe. Senduugeu uaeli Kuropa. Nachricht von Baudin. Erhöhtes

Selbstvertrauen. Freunde in Lima. Ilumboldt's Porträt in Chiilo.

In Quito hatte der Marques von Salvalefi;re die Vorsorge f^ehabt, den Reisenden ein Ilaus vortretflich einzurichten, das nach so vielen I*csch werden alle Be(iueinlichkeit darbot, „die man nur in Paris oder London verlangen kann".

„Die Stadt Quito", heisst es in dem schon erwähnten Briefe vom 25. Nov. 1802 an den Bruder, „ist schön, aber der Himmel traurig und nebelig; die benachbarten Berge zeigen kein Grün, und die Kälte ist beträchtlich. Das grosse Erdbeben vom 4. Febr. 1707, welches die ganze Provinz umwarf und in einem Augenblick 35 40000 Menschen tödtete, ist auch in jener Rücksicht den Bewohnern höchst schädlich gewesen. Es hat die Temperatur der Luft so sehr geändert (V), dass das Thermometer gewöhnhch zwischen 4—10' R. steht und selten auf 10 oder 17 steigt, während Bouguer es beständig auf 15 oder 1() sah. Seit jener Katastrophe hören die Erdbeben nicht auf, und welche Stösse mitunter! Wahrscheinlich ist der ganze hohe Theil der Provinz ein einziger Vulkan. Was man die Ber^e von Cotopaxi und Pichincha nennt, sind nur kleine

362 II, A. Rciseleben in Amerika.

Spitzen, deren Krater verschiedene Rohren (Schornsteine) bil- den, die säinnitlich zu dem ansehnlichen Herde hinabführen. Diese Hypothese ist leider nur zu sehr durch das Erdbeben von 1797 erwiesen. Denn die Erde hat sich damals allenthalben voneinander gethan und Schwefel, Wasser u. s. w. ausgeworfen. Ungeachtet dieser Schrecknisse und Gefahren, mit denen die Natur sie ringsumher umgibt, sind die Einwohner von Quito froh, lebendig und liebenswürdig. Ihre Stadt athmet nur Wol- lust und Ueppigkeit, und nirgends vielleicht gibt es einen ent- schiedenem und allgemeinem Hang sich zu vergnügen. So kann sich der Mensch gewöhnen, ruhig am Rande eines jähen Verderbens zu schlafen.

„Wir haben uns fast acht Monate in der Provinz Quito aufgehalten, vom Anfang des Januar bis in den August. Diese Zeit ward angewandt, die wichtigsten Vulkane zu besteigen. Wir untersuchten nacheinander den Picliiucha, Cotopaxi, Anti- sana, llinica, brachten vierzehn Tage bis drei Wochen bei jedem zu, kehrten in der Zwischenzeit immer nach der Haupt- stadt zurück, und brachen am 9. Juni 1802 von da auf, um nach dem Chimborazo zu reisen."

Humboldt hat die Ergebnisse der verscliiedencu botanischen, geologischen, meteorologischen, hypsometrischen, astronomischen und ähnlichen Arbeiten während düs achtmonatlichen Aufent- halts auf dem Hochlande von Quito schon früh in den beson- deni Theilen seines amerikanischen Reisewerks herausgegeben und erst später einzelne topographische Beschreibungen, Mono- graphien einziger der erstiegenen Vulkane* erscheinen lassen.

* Gcoguostisclic und physikalische Beobachtungen über die Vulkane des Hochlandes von Quito, vorgelesen in der Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 9.,Febr. 1837; abgedruckt in PoggendorfPs Aimalcn der Physik u. Chemie (1837), XL, 161—193; (1838) XLIV, 193—219; und in A. von HumboldVs, Kleinere Schriften (1853), I, 1—99. Es ist da- her ein Irrthum, wenn es in der Vorrede des letztgenannten Werks S. II heisst: „Alles, was die Wanderungen nach dem Pichincha betrifft, war bisher (1853) ungedruckt geblieben."

r>. lu und um Quito. (Dreimalige Besteigung des Pichincha.) 363

Er inotivirt diese Verspätung, und glaubt in dem üntei-schiede zwischen dem veraltenden und dem von der Zeit unabhängigen Theile geognostischer Beobachtungen „den relativen Unwerth" seiner Arbeiten bezeichnen zu müssen.

In d(jr That bietet das mühe- und gefahrvolle Besteigen grosser Höhen, die weit über der Schneegrenze liegen, zumal wenn der Aufenthalt sich nur auf wenige Stunden beschränkt, der eigentlichen Wissenschaft wenig Interesse und noch weniger Gewinn. Das Barometer gewährt zwar für die Ilöhenmessuog schnelle Resultate, die aber wegen der auf- und absteigenden Luftströnie und wegen der Variationen in der Temperatur- abnahme vielen Mängeln unterworfen sind. Die ewige Schnee- decke verhüllt das Gestein vor der prüfenden Untersuchung des Geognosten, und das organische Leben ist in den hohen Ein- öden, bis auf den Condor und einzelne von den Luftströmen emi)orgewehte Insekten, für jede Forschung erstorben. Da- gegen hat sich im allgemeinen Volkssinnc an mühe- und gefahrvollen Bergbesteigungen eine rege Theilnahme erhalten. Das, was unerreichbar scheint, hat eine geheimnissvolle Zug- kraft. Man will, dass alles erspäht, dass wenigstens vei'sucht werde, was nicht errungen werden kann.

Humboldt war in solchen Versuchen von bewundernswerther Kühnheit und unermüdlicher Ausdauer. Schon der erste Ver- such, den Pichincha zu erklimmen, am 14. April, bei dem er die äusserste Spitze nicht erreichte, hatte ihm Schwindel und Ohnmacht zugezogen, aber „es schien mir schimpflich, die Hochebene von Quito zu verlassen, ohne mit eigenen Augen den Zustand des Kraters von Pichincha erforscht zu haben''; und so wurde am 2G. Mai die zweite Besteigung unter- nommen.

.... „Die Führer mit den grossem Instrumenten waren, wie gewöhnlich, zurückgeblieben. Ich war allein mit einem sehr gebildeten Creolen, Um. Urquinaona, und dem Indianer Felipe Aldas. Wir sassen misnmthig am Fusse des Bergschlosses. Der Krater, den wir suchten, war gewiss hinter der Felswand

364 n, A. Reiscleben ia Amerika.

im Westen, aber wie sollten wir dahin gelangen und zu der Wand selbst emporsteigen? Die thurmähnlichen Massen schie- nen zu steil, ja theilwcise senkrecht abgestürzt.

„Am Pic von TencrifiFa hatte ich mir das Erklimmen des Aschenkegels dadurch erleichtert, dass ich meinen Weg längs dem Rande eines vorstehenden Felsgrates verfolgte, an welchem ich mich mit den Händen, freiUch nicht ohne Verletzung, festhielt. So beschloss ich auch hier an dem Bimssteinabhange, dicht an dem Rande des südlichsten Felsenthurms, aufzusteigen. Wir machten zwei mühevolle Versuche, einmal etwa 300, ein anderes mal über 700 Fuss hoch. Die Schneedecke schien uns sicher zu tragen, und wir glaubten um so mehr bis an den Rand deß Kra- ters zu gelangen, als vor sechzig Jahren Bouguer und La Con- damine wahrschcinUch denselben Weg über das Schneefeld des Aschenkegels eingeschlagen hatten. Die Schneedecke war so fest, dass wir eher fürchten mussten, bei einem Falle auf der schiefen Fläche mit beschleunigter Geschwindigkeit herabzurollen und gegen einen der scharfkantigen Blöcke zu stossen, die aus dem Bimsstein emporragen. Plötzlich und mit grossem Angst- geschrei brach der Indianer Aldas, welcher dicht vor mir ging, durch die gefrorene Schneerinde durch. Er war bis an den Leib versunken, und da er versicherte, dass seine Füsse keinen Widerstand fänden, so fürchteten wir, er hänge in einer oflFenen Spalte. Glücklicherweise war die Gefahr geringer. Weit aus- schreitend, hatte der Mann eine grosse Masse Schnee zwischen den Schenkeln durch sein Gewicht sattelförmig zusammen- gepresst. Er ritt gleichsam auf dieser Masse, und da wir bemerkten, dass er nicht tiefer sank, so konnten wir -desto besonnener daran arbeiten, ihn herauszuziehen. Es gelang, in- dem wir ihn hintenüber warfen und dann bei den Schultern auflioben. Der Vorfall hatte uns etwas verstimmt. Der In- dianer, bei seiner abergläubischen Furcht vor der Nähe des Feuerschlundes, protestirte gegen alle weitem Versuche auf dem trügerischen Schnee.

„Wir stiegen herab, um aufs neue Rath zu pflegen. Der

0. In und nm Quito. (Dreimalige Besteigung des Pichincha.) 365

östlichste, mittlere Thurm am Umkreise des Kraters schien bei näherer Betrachtung nur am untern Theilc sehr steil, nach oben hin mehr verflacht und treppenformig durch Absätze un- terbrochen. Ich bat Hni. Urquinaona, auf einem Felsblocke unten in der Sienega ruhig sitzen zu bleiben und abzuwarten, ob er mich nach einiger Zeit hoch an der thurmformigen, schneefreien Masse würde erscheinen sehen; dann erst sollte er mir nachkommen. Der gutmüthige Indianer liess sich bereden,

mich nochmals zu begleiten Als wir das nackte Gestein

erreicht hatten und mühevoll, des Weges unkundig, auf schmalen Simsen und zapfenartigen Hervorragungen immer hoffnungsvoll emporstiegen, wurden wir in einen immer dichter werdenden, aber noch geruchlosen Dami)f gehüllt. Die Gesteinplatten ge- wannen an Breite, das Ansteigen wurde minder steil. Wir trafen zu unserer grossen Freude nur einzelne Schneeflecke. Sie hatten 10—12 Fuss Länge und kaum 8 Zoll Dicke. Wir fürchteten nach dem, was wir erfahren, nichts so sehr als den halbgefrorenen Schnee. Der Nebel erlaubte uns nur den Fels- boden zu sehen, den wir betraten; kein femer Gegenstand war sichtbar. Wir wanderten in einem Gewölk. Ein stechender Geruch von schwefehger Säure verkündigte uns nun zwar die Nähe des Kraters, aber wir ahnten nicht, dass wir gewisser- massen schon über demselben standen. Auf einem kleinen Schneefelde schritten wir langsam in nordwestlicher Richtung, der Indianer Aldas voran, ich hinter ihm, etwas zur Linken. Wir sprachen keine Silbe miteinander, wie dies immer geschieht, wenn man, durch lange Erfahrung, des Bergsteigens auf schwie* rigen Pfaden kundig ist.

„Gross war meine Aufregung, als ich plötzlich dicht vor uns auf einen Steinblock sah, der frei in einer Kluft hing, und als zugleich zwischen dem Steine und dem äussersten Bande der Schneedecke, die uns trug, in grosser Tiefe ein Licht er- schien, wie eine kleine sich fortbewegende Flamme. Gewaltsam zog ich den Indianer bei seinem Poncho (so heisst ein Hemd aus Lamawolle) rückwärts und zwang ihn, sich mit mir zur

366 Il> A. Rcisclebcn in Amerika.

Linken platt auf den Boden zu werfen. Es war ein schneefreies Felsenstück mit horizontaler Oberfläche von kaum 12 Fuss Länge und 7 8 Fuss Breite.

„Wir lagen nun beide ausgestreckt auf einer Steinplatte, die altanartig über dem Krater gewölbt schien. Das furchtbare, tiefe, schwarze Becken war wie ausgebreitet vor unsern Augen, in schaudervoller Nähe. Ein Theil des hier senkrecht abge- stürzten Schlundes war mit wirbelnden Dampfsäulen erfüllt Gesichert über unsere Lage, fingen wir bald an zu untersuchen, wo wir uns befanden. Wir erkannten, dass die schneefreie Steinplatte, auf die wir uns geworfen, von der schneebedeckten Masse, über die wir gekommen waren, durch eine kaum 2 Fuss breite Spalte getrennt wurde. Die Spalte war aber nicht ganz bis zu ihrem Ende mit gefrorenem Schnee brückenartig über- deckt. Eine Schneebrücke hatte uns, so lange wir in der Rich- tung der Spalte gingen, mehrere Schritte weit getragen. Das Licht, welches wir zuerst durch einen Theil der Kluft zwischen der Schneedecke und dem eingeklemmten freihängenden Fels- blockc gesehen, war nicht Täuschung; wir sahen es wieder bei der dritten Besteigung an demselben Punkte und durch dieselbe Oeffnung. Es ist eine Region des Kraters, in dem damals in dem dunkeln Abgrunde kleine Flammen, vielleicht von brennen- dem Schwefelgas, am häufigsten aufloderten Der Punkt,

auf dem ich mich befand, war nach einer später von mir ange- stellten Barometermessung 14940 Fuss über dem Meere.*

„Der Indianer stieg in die Sienega hinab, um meinen Be- gleiter, Hrn. Urquinaona, zu holen. Indem ich nun allein an dem Rande des Kraters sass, bemerkte ich, dass meine Fuss- bekleidung, die wegen der frühern Ersteigungsversuchc ganz mit Schneewasser getränkt war, schnell durch den Zudrang warmer, aus dem Krater aufsteigender Luftströme trocknete. Das Ther-

^ La Condamino und Boiiguer hatten erst nach siebenjährigem Auf- enthalt in der Nähe des vielherufenen IJergos densen)en 1742 bestiegen, ohne Instrumente, und verweilten kaum eine Viertelstunde am Krater.

G. In und um Quito. (Dreimalige Besteigung des Pichincha.) 367

mometer, welches in der Sienega 4" R. zeigte, stieg oben bis- weilen auf 15,3, wenn ich es liegend über den Abgrund hielt

„Als nach langem einsamen Harren Hr. Urquinaona end- lich erschien, wurden wir bald in den dichtesten Nebel gehüllt, in einen Wasserdampf, den wahrscheinlich die Mischung von Luftströmen sehr ungleicher Temperatur erzeugte. Es war nur noch eine Stunde bis zum Untergang der Sonne. Wir eilten dalier, zufrieden, unsern Zweck erreicht zu haben, in das mit Bimsstein gefüllte Thal der Sieneaga del Volcan zurück. Wir überstiegen glücklicherweise vor Einbruch der Nacht das steile Joch, welches die Sienega von dem Thale von Yuyucha trennt. Durch dieses Thal gelangten wir in grosser Finstemiss (kein SttTn Hess sich blicken), nach zahllosem Fallen auf dem rauhen Pfade, nachts um V2I2 Uhr nach Quito. Wir waren auf der beschwerlichen Excursion von 18 Stunden fast 14 zu Fuss gegangen."

Und nach allen diesen Beschwerden finden wir Humboldt, nach Verlauf von nur 24 Stunden, schon am 28. Mai wieder auf dem zitternden Felsbalcon über dem flammenden Krater, um verschiedene Beobachtungen und Versuche anzustellen. „Was aber diese dritte Besteigung am interessantesten machte und die fortdauernde oder erneuerte Thätigkeit des Vulkans am meisten charakterisirt, war der Umstand, dass seit IV2 Uhr nachmittags der Fels, auf welchem wir standen, heftig durch Erdstösse erschüttert wurde. Ich zahlte 15 Stösse in 3G Minuten."

Die Nachricht von der Thätigkeit des Vulkans erzeugte in Quito das Gerücht, die fremden Ketzer hätten ein Pulver in den Krater geworfen, und die letzten Stösse seien die Wir- kung davon gewesen.

Auch der Antisana, der Cotopaxi, Tunguragua, Ilinica wur- den, wie schon berichtet, erstiegen. Von allen Bergbesteigungen Humboldt's aber hat die des Chimborazo die grösste und all- gemeinste Berühmtheit erlangt.

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3()8 11, A. Reiseleben in Amerika.

Am 9. Juni wurde von Quito aus die Wanderung zum Chimborazo angetreten, und am Tage vor Johannis, am 23. Juni des Jahres 1802, fast an demselben Monatstage, an dem er vor drei Jahren, am 22. Juni 1799, im Krater des Pics von Tene- riffa gewesen, klomm Humboldt bis nahe zum Gipfel des Riesen- berges, der damals noch für den höchsten der Erde gehalten wurde, bis zu der vor ihm von keinem Menschen erstiegenen Höhe von 18096 Fuss empor.

Hören wir wenigstens einige Bruchstücke von dem Verlaufe dieser Wanderung. *

Die Höhe von 15G00 Fuss ist bereits erklommen. „Der Pfad wurde immer schmaler und steiler. Die Eingeborenen verliessen uns alle bis auf Einen in der Höhe von 15600 Fuss. Alle Bitten und Drohungen waren vergeblich; die Indianer behaupteten, von Athemlosigkeit mehr als wir zu leiden. Wir bheben allein, Bonpland, unser liebenswürdiger Freund der jüngere Sohn des Marcjues de Selvalegre, Carlos Montufar, ein Mestize aus dem nahen Dorfe San Juan, und ich.

„Wir gelangten mit grosser Anstrengung und Geduld höher als wir hoffen durften, da wir meist ganz in Nebel gehüllt waren. Der Kamm hatte oft nur die Breite von 8 10 Zoll! Zur Linken war der Absturz mit Schnee bedeckt, dessen Ober- fläche durch Frost wie verglast erschien. Die dünneisige Spiegelfläche hatte gegen 30" Neigung. Zur Rechten senkte sich unser Blick schaurig in einen 800 oder 1000 Fuss tiefen Abgrund, aus dem schneelose Felsmassen senkrecht hervor- ragten. Wir hielten den Körper immer mehr nach dieser Seite hin geneigt, denn der Absturz zur Linken schien noch gefahr- drohender, weil sich dort keine Gelegenheit darbot, sich mit den Händen an zackig vorstehendem Gestein festzuhalten, und

* -4. voti Humboldt f Uebcr zwei Versuche, den Chimborazo zu be- steigen, in Schumacher' 8 Astronomisches Jahrbuch für 1837, 8. 1 70—20(1. Berghaus' Annalen, dritte Reihe, III, 11)1) 210. A. von Humholäfs Kleinere Schriften, I, 133.

G. In und um Quito. (Auf dem Chimborazo.) 360

weil dazu die dünne Eisrinde nicht vor dem Untersinken im lockern Schnee sicherte. Nur ganz leichte, poröse Doleritstücke konnten wir auf dieser Eisriude herabrollen lassen. Die ge- neigte Schneefläche war so ausgedehnt, dass wir die Steine früher aus dem Gesicht verloren als sie zur Ruhe kamen

„Das Gestein wurde immer bröckeliger, das Steigen schwie- riger und gefährlicher. An einzelnen sehr steilen Staffeln musste man die Hände und Füsse zugleich anwenden, und da das Ge- stein sehr scharfkantig war, so wurden wir, besonders an den Händen, schmerzhaft verletzt. Ich hatte dazu seit mehrern Wochen eine Wunde am Fusse, die durch die Anhäufung der Niguas* (Pulex penetrans) veranlasst und durch feinen Staub von Bimsstein bei Messungen in der Llano de Tapia sehr vermehrt worden war. Der geringe Zusammenhang des Gesteins auf dem Kamme machte nun grössere Vorsicht nöthig, da viele Massen, die wir für anstehend hielten, lose in Sand gehüllt lagen.

„Wir schritten liintereinander um so langsamer fort, als man die Stellen erst prüfen musste, die unsicher schienen. Glück- licherweise war der Versuch, den Gipfel des Chimborazo zu er- reichen, die letzte unserer Bergreisen in Südamerika, daher die früher gesammelten Erfahrungen uns leiten und mehr Zuversicht auf unsere Kräfte geben konnten. Es ist ein eigener Charakter aller Excursionen in der Andeskette, dass oberhalb der ewigen Schneegrenze weisse Menschen sich in den bedenklichsten Lagen stets ohne Führer, ja ohne alle Kenntniss der Oertlichkeit be- finden. Man ist hier überall zuerst.

„Wir konnten den Gipfel auch auf Augenblicke nicht mehr sehen, und waren daher doppelt neugierig, zu wissen, wieviel uns zu ersteigen übrigbleiben möchte. Wir öffneten das Gefass- barometer an einem Punkte, wo die Breite des Kammes erlaubte, dass zwei Personen bequem nebeneinander stehen konnten. Wir

1 Der Sandfloh, ein Insekt, das sich unter die Haut des Menschen eingräbt und dort, da der Eiersack des befruchteten Weibchens beträcht- lich anschwillt, Entzündung erregt.

A. V. HuMBOLDt. (. 94

370 II, A. Reiselcbon in Amerika.

waren erst 1 7300 Fuss liooh, also kaum 200 Fuss hoher, als wir vor drei Monaten auf dem Antisana gewesen waren.

„Nach einer Stunde vorsichtigen Klinunens wurde der Fels- kamm weniger steil, aber leider blieb der Nebel gleich dick. Wir fingen nun nach und nach an alle an grosser Uebelkeit zu leiden. Der Drang zum Erbrechen war mit etwas Schwindel

verbunden und weit lästiger als die Schwierigkeit zu athmen

Wir bluteten aus Zahnfleisch und Lippen; die Bindehaut der Augen wurde ebenfalls mit Blut unterlaufen. Diese Erschei- nungen hatten für uns nichts Beunruhigendes, da wir mit ihnen aus mehrmaliger früherer Erfahrung bekannt waren. Auf dem Pichincha fühlte ich einmal, ohne zu bluten, ein so heftiges Magenübel und so heftigen Schwindel, dass ich besinnungslos auf der Erde gefunden wurde ^ als ich mich eben von meinen Begleitern getrennt hatte, um elektrometrische Versuche anzu- stellen. Die Höhe war gering, unter 13800 Fuss. Am Antisana aber, in der Höhe von 17022 Fuss, blutete unser junger Reise- gefährte Don Carlos Montufar sehr stark aus den Lippen. Alle diese Erscheinungen sind nach Beschaffenheit des Alters, der Constitution, der Zartheit der Haut, der vorhergegangenen An- strengung der Muskelkraft sehr verschieden, doch für einzelne Individuen sind sie eine Art Mass der Luftverdünnung und ab- soluten Höhe, zu welcher man gelangt ist.

„Die Nebelschichten, die uns hinderten entfernte Gegen- stände zu sehen, schienen plötzlich, trotz der totalen Windstille, vielleicht durch elektrische Processe, zu zerreissen. Wir er- kannten einmal wieder, und zwar ganz nahe, den domförmigen Gipfel des Chimborazo. Es war ein ernster, grossartiger An- blick; die Hoffnung, diesen ersehnten Gipfel zu erreichen, be- lebte unsere Kräfte aufs neue. Der Felskamm, der nur hier und da mit dünnen Schneeflocken bedeckt war, wurde etwas breiter; wir eilten sichern Schrittes vorwärts, als auf einmal eine Art Thalschlucht von etwa 4(X) Fuss Tiefe und GO Fuss

' Schwnacher^s Astronomisches Jahrbuch, 1837, S. 192.

(». In und um Quito. (Auf dem Chimborazo.) ;>71

Durclnnesser unserni Unternehmen eine unübersteigliche Grenze setzte. Wir sahen deuthch jenseit des Abgrundes unsern Fels- kamm in derselben Richtung sich fortsetzen, doch zweifle ich, dass er bis zum Gipfel selbst führt. Die Kluft war nicht zu umgehen. Am Antisana konnte freilich Hr. Bonpland nach einer sehr kalten Nacht eine beträchtliche Strecke des ihn tragenden Schnees durchlaufen; hier war der Versuch nicht zu wagen wegen Lockerheit der Masse; auch machte die Form des Ab- sturzes das Ilerabklimmeu unmöglich.

„Es war 1 Uhr mittags. Wir stellten mit vieler Sorgfalt das Barometer auf, es zeigte 13 Z. ll*/io L. Die Temperatur der Luft war nur 1,6° unter dem Gefrierpunkte, aber nach einem mehrjährigen Aufenthalt in den heissesten Gegenden der Tropenwelt schien uns die geringe Kälte erstarrend. Dazu waren unsere Stiefel ganz von Schneewasser durchzogen, denn der Sand, der bisweilen den Grat bedeckte, war mit altem Schnee vermengt. Wir hatten nach der La Place'schen Barometerformel eine Höhe von 1801)G pariser Fuss erreicht.'

„Wir blieben kurze Zeit in dieser traurigen Einöde, bald wieder ganz in Nebel gehüllt; die feuchte Luft war dabei un- bewejjit. Wir sahen nicht mehr den Gipfel des Chimborazo, keinen der benachbarten Schneeberge, noch weniger die Hoch- ebene von Quito. Wir waren wie in einem Luftballon isolirt; nur einige Steinflechten waren uns bis über die Grenze des ewigen Schnees gefolgt, ungefähr in 16920 Fuss Höhe; das letzte Moos grünte 400 Toisen tiefer. Ein Schmetterling war von Hrn. Bonpland in 15000 Fuss Höhe gefangen worden, eine Fliege sahen wir noch um IGOO Fuss höher; beide wurden un- willkürlich vom Luftstrome, der sich über den erwännten Ebe- nr'u erhebt, in diese obern Regionen der Atmosphäre gebracht. Doch sahen wir keinen Condor, der auf dem Antisana und

' „Wäre TiU C'onilamine's Angabc der Höhe dos (^himborazo richtig, so fi'lillcn uns bis zum (Jipfel desselben senkrecht nur noch 12*24 Fuss, (xbT die dreimalige Höhe der Feterskirche in Kom.*^

*J4 *

372 II) A. Reiselebcn in Amerika.

Pichincba so häufig ist und, mit dem Menschen unbekannt, grosse Dreistigkeit zeigt.

„Da das Wetter immer trüber und trüber wurde, so eilten wir auf demselben Felsgrate hinab. Voi*sicht war indess w^en Unsicherheit des Trittes noch mehr nöthig als im Heraufklim- men. Wir hielten uns nur so lange auf, als wir brauchten, Fragmente der Gebirgsai-t zu sammeln. Wir sahen voraus, dass man uns in Europa oft um «ein kleines Stückchen vom Chimborazo» ansprechen würde.

„Als wir ungefähr in 17400 Fuss Höhe waren, fing es an heftig zu hageln. Zwanzig Minuten, ehe wir die untere Grenze des ewigen Schnees erreichten, wurde der Hagel durch Schnee ersetzt. Die Flocken waren so dicht, dass der Schnee bald viele Zoll tief den Felskamm bedeckte. Wir wären gewiss in grosse Gefahr gekommen, hätte uns der Schnee auf 18000 Fuss Höhe überrascht. Um 2 Uhr und einige Minuten erreichten wir den Punkt, wo unsere Maulthiere standen." ^

Als ein Vierteljahrhundert später die britischen Reisenden die berühmt gewordenen Höhenmessungen im Himalaya aus- führten, schrieb Humboldt im November 1828 „scherzhaft, in einem Anfall guter Laune" an Berghaus*: „Ich habe mir mein Lebelang etwas darauf eingebildet, unter den Sterblichen der- jenige zu sein, der am höchsten in der Welt gestiegen ist ich meine am Abhänge des Chimborazo! .... und bin stolz gewesen auf meine AscensionI Mit einem gewissen Gefühl von Neid habe ich darum auf die Enthüllungen geblickt, welche Webb und seine Consorten von den Bergen in Indien gegeben. Ich habe mich über die Reisen des Himalaya be- ruhigt, weil ich glaube annehmen zu dürfen, dass meine Arbeiten

1 Der Chimborazo ist äeitdem bestiegen wordeu : von BoussiDgault und HaU 16. Dec. 1831 bis 6004 Meter, von Jules Bourrier in den Jahren 1849 und 1850, von Jules Remy und Brenckley 3. Nov. 1856 bis 6543 Meter. Die Gesammthöhe ist nach Humboldt 6544 Meter.

^ Briefwechsel A. von Ilumboldt's mit Heinrich Berghaus, I, 208.

6. In und um Quito. (An Delambre.) 373

in Amerika den Engländern den ersten Impuls gegeben, sich etwas mehr um die Schneeberge zu bekttmmeni, als es von ihnen seit anderthalb Jahrlmnderten geschehen."

Wir ergänzen Humboldts vorstehende Schilderung durch Stellen aus einem seiner Briefe an Delambre, d. d. Lima, 25. Nov. 1802*:

„Cette lettre, a mis deux ans pour aller me trouver dans la Cordillere des Andes. Je la re^us le lendemain cPune seconde expedition que je tis au cratere du volcau de Pichincha. Cela me rappelle qu au sommet du Uuagua- pichincha, j'ai ete souvent (et que j'aime comme sol clas- sique), La Condamine et Bouguer re^urent leur premiere lettre de la ci-devant Acad^mie, et je me figure que Pichincha, ai mmjna licet compararc parvis, porte bonheur aux phy- sicicns

„Long-temps avant de recevoir la lettre que vous m'avez ecrite en qualite de secrdtaire de Tlnstitut, j ai adresse succes- sivement trois lettres ä la Classe de Physique et de Mathema- tiiiues, deux de Santa-Fe de Bogota, accompagn^es d'un travail ^ur le genre Cinchona (c'est-a-dire des dchantillons d'ecorce de sept especes, des dessins colori^s qui repr^sentent ces vegötaux, avec Tanatomie de la fleur si dififerente par la longueur des etamines, et les squelettes sdches avec soin).

,,Lc docteur Mutis, qui m'a fait mille amities, et iK>ur Taniour duquel j'ai remont^ la riviere en quarante jours, le doc- teur Mutis m'a fait cadeau de pres de cent dessins magiufiques en grand-folio, figurant de nouveaux genres et de nouvelles esiHices de sa tlore de Bogota, manuscrite. J'ai pensö que cette collection, aussi interessante pour la botanique, que remar- (juable ä cause de la beaute du coloris, ne pourroit fitre en de

1 Annalcs du mus. d'hist. natur. An XI (18(^), II, 170. Wieder (mit vielen Druckfehlern) abgedruckt in de Ui Hoquette^ Humboldt, Correspon- üance scientif. et liter, I, 141). Deutsch: in GilberVs Annalen, XVI, 475; in Biegter'i Neue Berliner Monatoschriit, X, 242 fg.

374 n, A. Reisc'lobcn in Amerika.

meilleures niains quenlre cellos des Jussieu, Lamark et Desfon- taines, et je Tai Offerte a Tlnstitut national comme une faible

marque de mon attachenient Une troisienie lettre pour

rinstitut est partie de Quito avoc une collection geologique des productions de Pichinclia, Cotopaxi et Cliiniborazo. Qu'il est affligeant de rester dans une triste incertitude sur larrivee de ces ohjets, connne sur celle des collcctions de graines rares que, depuis trois ans, nous avons adressecs au Jardin des plantes de Paris! ....

.... „Apres un voyage de liuit niois, nous somnies arrives ä Quito pour y apprendre que le capitaine Baudin avoit pris la route de TOuest ä TEst par le Cap de Bonne -Esperance. Ac- coutumes aux revers, nous sonjines consoles par Tidöe d'avoir fait de si grands sacrifices pour avoir voulu le bien: jetant les yeux sur nos herl)iers, nos mesurages baromdtriques et gdode- siques, nos dcssins, nos exp^rienccs sur Fair de la Cordillere, nous u'avons pas regrette d'avoir parcouru des pays qui, en grande partie, n'ont janiais dte visites par des naturalistes. Nous avons senti que riiomme ne doit compter sur ricn que sur ce qu'il produit par sa propre encrgic

„J'ai passe un temps tres-agreable a Quito. Le President de Taudience, le ])aron de Corondcles, nous a coniblcs de bon- tds, et depuis trois ans je n'ai pas eu a me plaindre un seul jour des agens du gouvcrnement espagnol, qui m'a traitö par- tout avec une delicatcsse et une distinetion qui ni'obligent ä une recounaissance perpetuellc. Que les tenips et les moeurs sont cbanges!"

Es bedarf wol kaum der Erwähnung, dass Humboldt neben dem eifrigen Studium der Vulkane sich auch mit andern Ar- beiten, namentlich mit geographischen Ortsbestimmungen nicht minder eifrig beschäftigt hat. Diese Arbeitsamkeit, die Empfeh- lungen des spanischen Hofes und der Regierung, sein Wohl- wollen, seine Liebenswürdigkeit im persönhchen Verkehr haben ihm, wie überall, so auch in Lima die Edelsten und Besten be- freundet, ja mehrere derselben bewogen, die Anstrengungen

6. In und um Quito. (Freunde in Lima) 375

mancher Hergbesteigun«; mit ihm zu theilen. ^ Vor allen war es der liebenswürdige jüngere Sohn des Marques de Selvalegre, Carlos Montufar, der sich ihm auf das Hingehendste anschloss und ihm selbst nach Europa folgte, dann leider in dem spätem Frei- heitskampfe auf Befehl des Generals Morillo erschossen wurde.

Der bekannte Reisende Professor Moritz Wagner er- zählt in einer versteckten Anmerkung zu seiner Abhandlung „Ueber einige hypsometrische Arbeiten in den Anden von Ecuador"*:

,,Von den persönlichen Bekannten Alexander von Hum- boldts in Quito lebten im Jahre 1859 nur noch zwei sehr alte Damen aus der geachteten und reichen Familie Aguirre y Mon- tufar, deren Gastfreundschaft Humboldt im Jahre 1802 lange genossen hatte. Beide konnten sich jener Zeit und des damals noch ziemlich jugendlichen Forschers vollkommen genau erin- nern und erzählten mir manche interessante Einzelheiten seines dortigen Aufenthalts. Senora Rosa Montufar (eine Schwester von Carlos Montufar, des Begleiters Humboldt's auf den Chimborazo, im Jahre 1S02 eine gefeierte Schönheit von Quito, die ich aber 1859 sehr verändert fand) erzählte mir unter anderm folgende in meinem Tagebuche niedergeschriebene Notiz: «Der Baron war immer galant und liebenswürdig. Bei Tisch verweilte er indessen nie länger, als nothwendig war den Damen Artigkeiten zu sagen und seinen Appetit zu stillen. Dann war er immer wieder draussen, schaute jeden Stein an und sammelte Kräuter. Bei Nacht, wenn wir längst schliefen, guckte er sich die Sterne an. ^\iv Mädchen konnten all das noch viel weniger begreifen als der Marquis, mein Vater. »>

' ,,Von meinen weissen Hegleitcrn (bei der zweiten Hesteigung des richincha), Don Pedro l'rquinaona, Don Vincente Aguirre und dem da- mals sehr jungen Marques da Maenza, lebte der letztere noch 1K53 in Europa als Grande erster Klasse mit dem Erbtitel eines (irafen Ton Pufjoiirostro/* Uumboldtj Kleinere Schriften, I, r>5.

^ Zeitschrift fQr allgemeine Erdkunde (Berlin 18<^), neue Folge,

XVI, 2ar..

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376 n, A. Reiseleben in Amerika.

„Das von Humboldt und Bonpland in Quito bewohnte Haus, nahe dem grossen Platze, wurde durch das Erdbeben am 22. März 185Ü, welches so viele Gebäude in Trümmer warf, nur unbedeutend ])eschädigt. Im Landhause von Chillo, eine halbe Tagereise von Quito, wo Humboldt geognostisclie und botanische Excursionen machte, bewahrt die Familie Aguirre ein lebensgrosses Brustbild ihres berühmten Gastes, von einem einheimischen Maler ausgeführt. Der damals (im Jahre 1802) 33 Jahre alte deutsche Baron trägt eine dunkelblaue Hofuniform mit gelben Aufschlägen, weisse Weste und weisse Beinkleider vom Schnitt des vorigen Jahrhunderts. Seine rechte Hand stützt sich auf ein Buch mit dem Titel: Aphorism. ex Phys. chim. Plant. Lange dunkelbraune Haare bedecken die Denker- stirn. Die Züge des jungen Mannes sind stark markirt, beson- ders Lippe, Kinn und Nase. Am meisten Aehnlichkeit u)it dem alten Humboldt, wie ich ihn 50 Jahre später sah, hat der eigenthümliche Ausdruck der Augen. Der Maler hat offenbar die äussern Formen des Gesichts treu wiedergegeben. Von dem mächtigen Genius des Denkers, wie er damals im schönsten Mannesalter vom herrlichen Chillothale den forschenden Blick hinausschweifen Hess auf die grossartige Natur, die ihn von allen Seiten umgal), von diesem geistigen Ausdruck Hum- boldt's, der gewiss in seinen Zügen mächtig ausgesprochen war, hat der Maler imr einen schwachen Hauch erfasst."

Im Juli 1802 verliess Humboldt die Provinz Quito.

7.

Von QrUito nach Mexico.

Handschriftliche Ueberlieferuug. Karaibische und Inkasprache. Alte Cultur. Die Inkastrasse. Am Amazonenstrome und zurück über die Anden. Caxamarca. Anblick der Südsee. Truxillo, Lima, Gua- jaquil. Der Guanu als DüngstofT. Acapulco. Die Humboldt- Strömung. Au das Institut National.

Seitdem der IMan, sich mit Baudin zu vereinen, geschei- tert war, boschioss Humboldt, nunmehr nur seinen eigenen Ilülfsquellen zu vertrauen. Kr unternahm zunächst die Reise von Quito nach dem Amazonenstrome und Lima, um hier den Durchgang des Mercur vor der Sonnenscheibe zu l)eobachten.

Der Weg führte ihn zu den Ruinen von Lacatunga, Hambato und Riobamba.

„Zu Riobamba", schreibt er dem Bruder, „brachten wir einige Wochen zu bei einem Bruder Karl Montufar's, unsers Reisegefährten, welcher diiselbst Corregidor, königliche Ma- gistratsperson, ist. Hier verschaffte uns ein Zufall eine höchst merkwürdige Entdeckung. Der Zustand der Provinz Quito, ehe der Inka Tupayupangi sie erol)erte, ist noch durchaus unbe- kannt. Aber der indianische König Leandro Zapla, welcher za Likan wohnt, und fttr einen Indianer ungemein gebildet ist, besitzt Handschriften von einem seiner Vorfahren aus dem Iß. Jahrhundert in der Puruguaysprache. Dies war ehedem die allgemeine Sprache in Quito, die nachher der Inka- oder

378 A. II, Rciscli'beii in Amerika.

Quichuasprache gewichen und jetzt völlig untergegangen ist Glücklicherweise fand ein anderer Ahnherr Zapla's Vergnügen daran, diese Memoiren ins Spanische zu übersetzen.

„Wir haben aus ihnen schätzbare Nachrichten geschöpft, vornehmlich über die merkwürdige Epoche der Eruption des sogenannten Nevado del Altar, welcher der grösste Berg der Welt gewesen sein muss, höher als der Chimborazo, und der bei den Indianern Kapa-urku (Haupt der Berge) hiess. Zu der Zeit regierte Uainia Abomatha, der letzte unabhängige Kocho- kanao (König) des Landes, zu Likan. Die Priester ofifenbarten ihm die unglückschwangere Bedeutung dieser Katastrophe. «Der Erdball», sagten sie, «verändert seine Gestalt; andere Götter werden kommen und die unserigen vertreiben. Lass uns dem Geheiss des Schicksals nicht widerstreben!» Wirklich führten die Peruaner den Sonnendienst (statt der alten Religion) ein. Der Ausbruch des Vulkans dauerte sieben Jahre, und die Hand- schrift Zapla's lässt die Asche zu Likan so dicht und häufig regnen, dass eine siebenjährige stete Nacht dort gewesen sei. Wenn man in der Ebene von Tapia die Menge der vulkanischen Materie um den Ungeheuern damals eingestürzten Berg (jetzt steht er, wie zerrissen, mit zwei noch immer mächtig hohen Spitzen da) betrachtet, wenn man bedenkt, dass der Kotopaxi mehrmals Quito in fünfzehn- bis achtzehnstündige Finsterniss eingehüllt hat, so muss man einräumen, dass die Ucbertreibung wenigstens nicht gar zu unmässig war.

„Dieses Manuscript und die Sagen, die ich in Parime sam- melte, und die Hieroglyphen, die ich in der Wüste des Kassi- quiare sah, wo gegenwärtig keine Spur von Menschen zu finden ist, alles dies, nebst Clavigero's Nachrichten über die Wan- derungen der Mexioancr in das südliche Amerika, hat mich auf Ideen über den Ursprung dieser Völker geleitet, die ich zu ent- wickeln gedenke, sobald mir Müsse dazu wird.

„Das Studium der amerikanischen Sprachen hat mich eben- falls sehr beschäftigt, und ich habe gefunden, wie falsch La Condamine's ürtheil über ihre Armuth ist. Die karaibische

7. Von Quito nach Mexico. (Sprachstudien.) 379

Sprache z. B. verbindet Rcichthum, Anniuth, Kraft und Zartheit. Es fehlt ihr nicht an Ausdrücken für abstracte Begriffe, sie kann von Zukunft, Ewigkeit, Existenz u. s. w. reden und hat Zahlwörter genug, um alle möglichen Combinationen unserer Zahlzeichen anzugeben. Vorzüglich lege ich mich auf die Inka- spräche; ^ie ist die gewöhnliche hier (zu Quito, Lima u. s. w.) in der Gesellschaft und ist so reich an feinen und manuich- fachen Wendungen, dass die jungen Herren, um den Damen Süssigkeiten zu sagen, gemeiniglich Inka zu sprechen anfangen, wenn sie den ganzen Schatz des Castilischen erschöpft haben.

„Diese zwei Sprachen und einige andere gleich reiche könn- ten allein genügen, sich zu überzeugen, dass Amerika einst eine weit höhere Cultur besass, als die Spanier 1492 dort fanden. Aber ich habe dafür noch ganz andere Beweise. Nicht blos in Mexico und Peru, sondern auch am Hofe des Königs von Bo- gota verstanden die Priester eine Mittagslinie zu ziehen und den Augenblick des Solstitiums zu beobachten ; sie verwandelten das Mondjahr in ein Sonnenjahr durch Einschaltungen, und ich besitze einen siebeneckigen Stein, der zu Santa-F6 gefunden ist, und der ihnen zur Berechnung dieser Schalttage diente. Noch mehr! Zu Erivaro im Innern der Landschaft Parime glauben die Wilden, dass der Mond bewohnt ist, und wissen durch Traditionen von ihren Vätera, dass er sein Licht von der Sonne hat.

„Von Riobamba ging mein Weg über den berühmten Pa- ramo des Assuay nach Cuen^a. Doch besuchte ich vorher das grosse Schwefelwerk zu Tiskan. Diesen Schwefelberg wollten die rebellirenden Indianer nach dem Erdbeben von 1797 in Brand stecken. Gewiss der schrecklichste Plan, den je die Ver- zweiflung eingab! Sie hofften, auf die Art einen Vulkan her- vorzubringen, der die ganze Provinz Alaussi vernichtet hätte. Auf dem Paramo von Assuay, in einer Höhe von 2300 Toisen, sind die Ruinen des prächtigen Inkaweges. Diese Strasse läuft fast bis nach Kusko, ist ganz aus behauenen Steinen aufgeführt und schnurgerade; sie gleicht den schönsten Wegen der alten

380 n, A. Reiseleben in Amerika.

Römer. In derselben Gegend liegen auch die Ruinen des Par lastcs des Inka Tupayupangi , welche La Condaniine in den Memoiren der berliner Akademie beschrieben hat. Ich weiss nicht, ob Condaminc auch von dem sogenannten Billard des Inka spricht. Es ist ein Kanapee, in den Felsen gehauen, mit arabeskenähnlichen Zierathen. Unsere englischen Gärten haben nichts Eleganteres aufzuweisen. Der richtige Geschmack des Inka leuchtet überall hervor; der Sitz ist so gestellt, dass man eine entzückende Aussicht geniesst. Nicht weit davon, in einem Gehölz, findet man einen runden Heck gelben Eisens im Sand- stein. Die Peruaner haben die Platte mit Figuren geziert, denn sie glaubten, dass sie die Sonne abbilde. Ich habe eine Zeich- nung davon genommen.

„Wir blieben nur zehn Tage zu Cuenga, und begaben uns von da nach Lima durch die Provinz Jaen, wo wir in der Nähe des Amazonenstromes einen Monat zubrachten. In Lima kamen wir den 23. Oct. 1802 an.

„Ich gedenke von hier im December nach Acapulco und von da nach Mexico zu gelien, um im Mai 1803 in Havana zu sein. Da werde ich mich ohne Verweilen nach Spanien ein- schiffen. — Ich habe, wie Du siehst, den Gedanken aufgegeben, über die Philippinen zurückzukehren. Ich hätte eine ungeheure Seereise gemacht, ohne etwas anderes zu sehen als Manilla und das Cap; oder hätte ich Ostindien besuchen wollen, so würde es mir an dem, was ich zu dieser Reise brauchte, gefehlt haben, da ich CS mir hier nicht verschaffen kann."

Diese Nachrichten ergänzt theilweise der bereits S. 372 erwähnte Brief an Delambre, Lima 25. Nov. 1802. Humboldt schreibt darin:

.... „Apres avoir passe l'Assouay et Cuen^a (oü on nous a donne des fetes de taureaux), nous avons pris la route de Loxa pour compl^ter nos travaux sur le Cinchona. De nous pas- sames un mois dans la province de Jaen de Bracamorros, et dans les Pongos de l'Amazone, dont les rivages sont omös d'Andira et de Bugainvillaea de Jussieu. II me parut int^res-

7. Von Quito nach Mexico. (Anblick der Sadsee.) 381

sant de fixer la longitude de Tomapenda et Chuchungat, commence la carte de La Condaniine, et de Her ces poiuts ä la cöte. La Condainine n'a \m fixer que la longitude de la bouche deNapo: les garde-tenips u'existaient pas, de sorte que les lon- gitudes de ces contrees ont besoin beaueoup de cbaugemens. Mou chrouometre de Louis Uerthoud fait nierveilles

„Depuis TAiuazone, nous avons passe les Andes par les mines de Hualgayoc (qui donncnt un million de piastres par an, et la niine de cuivre grise argentifere se trouve ä 2065 toises). Nous descendiines ä Truxillo par Caxamarca (oü, dans le palais d'Atabualpa, jai dessin^ des arcs de voütes p^ru- viennes); suivant de la, par les däserts de la cöte de la Mer du Sud, a Lima, la nioitie de TanntSc le ciel est couvert de vapeurs epaisses." ....

Der noch sehr lange Brief schliesst mit den Worten: „Je

ne pense ä rien qu'ä conserver les manuscrits que je possMe

et ä les publier; et je vous embrasserai, ä ce que j'espere, en

^ Septembre ou Octobre 1803 k Paris. Que je d^sire fetre h

Paris!"

Humboldt hat den zuletzt erwähnten Theil seiner Reise, vom Amazonenstrome über die Anden zur Küste, in einer kurzen Abhandlung geschildert: „Das Hochland von Caxamarca, der alten Residenz des Jnka Atahualpa; erster Anblick der Südsee von dem Rücken der Audeskette.'^ ^ In dem alten Caxamarca spielte einst das blutigste Drama der spanischen Conquista. Unter den Ruinen der Burg und des alten Palastes des Ata- hualpa zeigte man noch das Zimmer und das Zeichen an der Wand, bis zu welcher Höhe dieser das Zimmer mit Gold füllen wollte, wenn man ihn freiliesse.

Erfreulicher als die geschichtlichen Erinnerungen an dieser Stätte war der endliche lang ersehnte Anblick der Südsee. „Er hatte etwas Feierliches für den, welcher einen Theil seiner Bil- dung und viele Richtungen seiner Wünsche dem Umgange mit

^ Ansichten der Natur, 11, 3iri.

382 n, A. Rciselebcn in Amerika.

einem Gefährten des Kapitän Cook verdankte. Meine Reise- plane hatte Georg Forster früli schon in allgemeinen Umrissen gekannt, als ich den Vorzug genoss, unter seiner Führung das erste mal England zu besuchen. Durch Forster's anmuthige Schilderung von Otaheiti war besonders im nördUchen Europa für die Inseln des Stillen Meeres ein allgemeines, ich könnte sagen sehnsuchtsvolles Interesse erwacht. Es hatten diese In- seln damals noch das Glück, wenig von Europäern besucht zu werden. Auch ich konijte die Hoffnung nähren, einen Theil derselben in kurzem zu berühren ; denn der Zweck meiner Reise war zwiefach, der, den Durchgang des Mercur vor der Sonnen- scheibe zu beobachten, und der, das Versprechen zu erfüllen, das ich dem Kapitän Baudin bei meiner Abreise von Paris gegeben, mich seiner Weltumsegelung anzuschliessen, sobald die französische Republik die früher dazu bestimmte Geldsumme darbieten könnte." *

Nachdem Humboldt die Bergwerke von Gualgajoc besucht hatte, überstieg er zwischen Quercotillo und Cascas zum vierten male die Andeskettc und gelangte nun bei Truxillo an die Küste des Stillen Meeres. Hier verweilte er einige Tage, um die geographische Lage des Orts zu bestimmen und den Gang sei- nes Chronometers zu prüfen, und reiste alsdann längs der Küste durch einen Theil der grossen peruanischen Wüste, welche sich südlich bis nach Pisca und Ica erstreckt, nach Lima.

Die geographische Lage von Lima war noch sehr ungewiss und schwankend. Um sie festzusetzen, mass Humboldt eine Reihe von Mondesabständen, welche die durch Chronometer ge- fundene Länge bestätigten. Die Beobachtung des schon mehr- fach erwähnten Mercurdurchgangs vor der Sonne, zu Callao am Hafen von Lima, am 9. Nov. 1802, glückte vollkommen.

In Callao lernte Humboldt den Guano und dessen land- wirthschaftlichen Gebrauch als Düngstoff kennen. Er ist es, der zuerst grössere Proben davon nach Europa gebracht und

» A. a. 0., II, 3G5.

7. Von Quito nach Mexico. (Die Humboldtströmung.) 38.3

durch seine Mittheilungen über die Bildung, das Vorkonunen und die Anwendung desselben an den sterilen Küsten von Peru auf eine gleiche Verwendung in der europäischen Landwirth- schaft hingewiesen hat.*

Am 5. Dec. 1802 schiffte er sich nach Guajaquil ein, woselbst er am 9. Jan. 1803 landete. Während der Fahrt wurde die Lage der Insel Pelado, der Punta de la Aguja, Punta Parifia, Punta Mala und anderer für die Schiffahrt wich- tigen Punkte bestimmt Anderthalb Monate wählte der Aufent- halt in Guajaquil, den er unter anderm zu einem Ausflug in die fast undurchdringlichen Wälder von Babajos benutzte. Auch wäre er beinahe Augenzeuge des damaligen schrecklichen Aus- bruchs des Cotopaxi geworden.

Am 15. Febr. 1803 ging er in Guajaquil wieder zu Schiffe, und Ende März stieg er in dem mexicanischen Hafen Acapulco ans Land.

Es ist vielfach, und selbst von Carl Ritter, irrigerweise gesagt worden, dass Humboldt auf dieser Fahrt von Lima die kalte peruanische Küstenströmung, die „Humboldtströmung^ genannt, entdeckt habe. Die Wahrheit ist, dass er in derselben nur sehr sorgfiiltige Temperatur- und andere Beobachtungen machte, und er selbst hat, fem von der Neigung, sich unbe- gründete Verdienste anzueignen oder von andern beilegen zu lassen, den ihm zugeschriebenen Entdeckerruhm abgewiesen, indem er ausdrücklich sagt, „diese Strömung sei von Chili bis Payta schon im IG. Jahrhundert jedem Schiffsjungen bekannt gewesen".*

in dem Königreich Mexico wollte Humboldt sich nicht lange aufhalten. Warum er die Reise eher als es in seinem ursprüng- lichen Plane lag endigen, und die beabsichtigte Tour durch

' Wilhelm Cohn'Martimquefeldty Alexander ron Humboldt und die Landwirtbshaft, in Fühhng's Neuer landwirthschafUichen Zeitung, 19. Jahrgang, 3. lieft.

* Briefwechsel mit Berghaus, II, 284. (VgL auch S. 160 und 275.)

384 n, A. Reiseleben in Amerika.

einen Theil von Asien und Afrika wenigstens vorläufig aufgeben wollte, darüber spricht er sich in einem Briefe, datirt: „Capitale du Mexique 2 Messidor IX" (21. Juni 1803), an das Institut National de France' folgendennassen aus:

„Notre navigation ä Acapulco, par la Mer du Sud, a et6 tr^s-heureuse raalgrd une forte tempöte que nous essuyämes vis-a-vis les volcans de Guatimala, quoique plus de 300 lieues plus ä Tonest, parage cette mer ne mörite pas le nom d'Ocean Pacifique; Tetat de nos instrumens endommag^s par des voyages de terre de plus de 2000 lieues, les demarches inutiles que nous avons faites pour nous en procurer de nou- veaux, Timpossibilite de rejoindre le capitaine Baudin que neos attendimes en vain sur les cötes de la Mer du Sud, le regret de traverser un immense ocean sur un bätiment-marchand, Sans relächer ä aucune de ces iles interessantes pour les natu- ralistes; mais sur- tont la considdration du progres rapide des Sciences, et la necessit^ de se mettre au courant des nouvelles

decouvertes, apres 4 a 5 ans d'absence voila les motifs

qui nous ont fait abandonner Tidee de nous en retoumer par les Philippines, la Mer Rouge et Ffigypte, comme nous Tavions projete. Malgre la protection distinguee de laquelle le roi d'Espagne nous a honore dans ces climats, un particulier qui voyage ä ses propres frais trouve niille difficult^s inconnues aux expeditions envoyees par ordre d'un gouvernenient. Nous ne nous occuperons desormais qu'ä rediger et publier nos ob- servations faites sous les Tropiques. Pen avances en äge, accoutumes aux dangers et a toutes sortes de privations, nous ne cessons cependant de tourner nos regards vers l'Asie et les iles qui en sont voisines. Munis de connaissances plus solides et d instrumens plus exacts, nous pourrons peut-etre un jour entreprendre une seconde expedition dont le plan nous occupe comme un reve seduisant."

» Annales du Museum crhist. natur. An XII (1804), III, 39G.

8.

In Mexico und den Vereinigten Staaten.

Heimkehr.

Von Acapulco zur Hauptstadt. Studien zur Kenntniss Neuspaniens. Der Vicekönig Iturrigaray. Bergwerke von Moran und Guanaxoato. Der Jornllo. Von und an Willdenow. Erinnerungen einer Mexicanerin. Popocatopptl und Iztaccihuatl. Pyramide von Cholula. Ghalapa, Cofre, Orizaba. Zweiter Aufenthalt in der Havana. Nach den Vereinigten Staaten. Bei Jeiferson in Washington. Zur Heimat In Bordeaux. Humboldt ein „Revenant". Begrüssungen der Freunde.

Die Lage des Hafens von Acapulco genau zu kennen, war für die Geographie Amerikas von grösster Wichtigkeit, da die chronometrische Bestimmung der Lage aller besuchten Häfen der Nordwestküste bis zum 60. Breitengrade an die von Aca- pulco geknüpft worden war. Abgesehen von altem Irrthümem, die den genannten Hafen um volle 4 Grad zu weit westlich verlegt liatten, irrte selbst Arrowsmith noch 1803 auf seiner ,,( 'harte of the Westindies and Spanish Dominions" (in vier Blatt) um Vi Längengrad und 7 Breitenminuten. ^ Humboldt's Verdienst ist es, diese Irrthümer berichtigt zu haben.

Er verweilte an der Küste so lange als nöthig war, um seine Sammlungen zu ergänzen und eine Reihe von Beobachtungen

' Eine Kartenskizze, Nr. 10 des „Atlas g^ogr. de la Nouv. Espagne", untor dorn Titel : „Carte des fausses positions", zeigt recht augenfäUig an dorn Beispiel der drei wichtigsten Orte Mexicos, der Häfen Acapulco und Veracruz und der Hauptstadt Mexico selbst, wie falsch bis dabin die Karten von Neuspanion gewesen sind.

A. V. Hl'MBOLDT. I. 25

386 H) A. Reisclebeu in Amerika.

anzustellen, und begab »ich dann ins Innere des Landes. Durch die brennend heissen Thäler von Mescala und Papagajo wanderte er, bei einem Thermometerstand von 32'' R. im Schat- ten, zu den Hochebenen von Chilpantzingo, Tehuilotepec und Tasco: Höhen von G— 700 Toisen über dem Meere, auf denen das milde und frische Klima das Wachsthum der Eichen, Öl- pressen, Tannen und den Anbau europäischer Cerealien be- günstigt. In Tasco wurden die ältesten, silberreichen Bergwerke untersucht, hierauf die Reise über Cuemaraca und durch die Nebeldünste von Cuchilaque fortgesetzt, bis man gegen Ende April in der Hauptstadt Mexico anlangte.

Die Stadt, welche damals über 150000 Einwohner zählte, ward von Humboldt zum letzten längern Stationsorte auser- sehen; er unternahm von hier aus kleinere und grössere Ex- cursionen nach verschiedenen Richtungen und kehrte wiederholt hierher zurück. Im ganzen währte der Aufenthalt imKönigreich Mexico vom 23. März 1803 bis zum 7. März 1804, also fast ein volles Jahr.

„Ich habe gesucht, diesen Aufenthalt nicht blos zu natur- Iiistorischen Zwecken zu benutzen, sondern mir auch eine ge- naue Kenntniss von dem politischen Zustande dieses weitaus- gedehnten und merkwürdigen Landes zu verschaffen. Nichts war mir auffallender, als der Contrast zwischen der Civilisation von Neuspanien und der geringen physischen und moralischen Cultur derjenigen Regionen, welche ich soeben durchstrichen hatte. Ich verglich sorgfältig, was ich an den Ufern des Ore- noco und Rio Negro, in der Provinz Caracas in Neugranada, auf dem Gebirgsrücken von Quito und an den Küsten von Peru beobachtet hatte, mit der damaligen Lage des Königreichs Mexico. Alles reizte mich an, den noch wenig entwickelten Ursachen nachzuforschen, welche in diesem die Fortschritte der Bevölkerung und der Nationalbetriebsamkeit so auffallend be- günstigt haben.

„Meine persönliche Lage gewährte mir mannichfaltige Mittel, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Kein gedrucktes Werk

8. In Mexico und den Vereinigten Staaten. Heimkehr. (Empfang.) 387

konnte mir die Materialien liefern, deren ich bedurfte, aber es standen mir die Archive und eine Menge handschriftlicher Auf- sätze zu Gebote.'* '

80 entstand sein berühmtes Werk „Essai politique sur Ic Itoyaume de la Xouvelle Espagne^^.

Auch in Mexico, wie in Lima und andern Hauptstädten der spanischen Colonien^ wurde Humboldt die zuvorkommendste^ und freundlichste Aufnahme zutheil. Ein Brief des Vicekönigs Iturrigaray an ihn lautet in der Uebersetzung :

,,Ich habe stets die Arbeiten derjenigen Männer meiner besondem Anerkennung und Hochachtung für würdig erachtest, die, wie Ew. Hochwohlgeboren, sich den wichtigen Forschungen in (Ion Naturwissenschaften zum Wohle der Menschheit und zu andern lobenswerthen Zwecken widmen, und in dieser Beziehung erwidere ich auf Ew. Hochwohlgeboren geehrtes Schreiben, das Sie von Acapulco unter dem 28. März mir zugesandt haben, dass ich gern bereit bin, Ihnen alle diejenige Hülfe zu leisten, welche Ihnen nützlich sein kann, und Sie mit meinen Befehlen durch die mir untergebenen Provinzen zu geleiten. Ich übersende Ihnen daher die Pässe und die übrigen Documente, auf welche Sie bei mir angetragen haben. Gott erhalte Ew. Hochwohl- geboren noch viele Jahre.

Mexico, den 15. April 180:J. Iturrigaray."'

Nach einem Aufenthalt von einigen Moimten in der Haupt- stadt besuchte er die berühmten Bergwerke von Moran und Real del Monte. Diese ganze Landschaft, mit Basalten, Mandel- steinen und kalkartigen, secundären Formationen bis an die Porphyrorgeln von Aktopan angefüllt, bietet dem Geologen die interessantesten Erscheinungen dar.

^ A. ron Humboldt, Ueber den politischen Zustand des Königreichs Neuspanien (Tübingen 1809). Vonrede.

« Vgl. S. 345. 355. 361.

' Humboldt bemerkte auf dem Original dicsrs Briefrs: „Iturrigaray, der Vicekönig ¥on Mexico, unter dem dio Revolution ausbrach.**

20*

388 II, A. Rciscleben in Amerika.

Eine andere Excursion begann er im Juli, sie galt dem nörd- lichen Theil des Königreichs. Er berührte Huehuetoca, wo man mit einem Kostenaufwand von 6 Millionen Piaster eine Oeffnung in den Berg Sinoq gegraben hat, um die Gewässer aus den Thäleni von Mexico in den Fluss Montezuma zu leiten, Queretaro, das in unsern Tagen der Schauplatz des tragischen Geschicks eines unglücklichen Kaisers geworden, Salamanca und gelangte durch die fruchtbaren Ebenen von Yrapuato nach Guanaxuato, einer Stadt mit 50000 Einwohnern, die in einem engen Kessel liegt, und in deren Nähe sich Bergwerke befinden, ergiebiger als die von Potosi einst gewesen.

Zwei Monate widmete er zu Guanaxuato Vermessungen und geologischen Forschungen. Die Weiterreise führte ihn nach Comagillas, dessen mineralische warme Bäder untersucht wur- den, durch das von ehemals wahrscheinlich vulkanischen Basalt- bergen umschlossene Thal St.-Yago nach Valladolid, der Haupt- stadt des alten Königreichs Michoacan, in einer der lachendsten und fruchtbarsten Landschaften Amerikas. Von da ging er, bei ununterbrochenem Herbstregen, über Patzquaro abwärts in die Ebenen von JoruUo und zu den Küsten des Stillen Oceans. Der über 1500 Fuss hohe Vulkan JoruUo, der sich im Jahre 1759 in einer Nacht erhoben hat, wurde am 19. Sept. be- stiegen.

Humboldt und seine Begleiter kletterten in den entzündeten Krater, den mehr als 2000 kleine rauchende OeflFnungen um- gaben, bis zu einer Tiefe von 250 Fuss hinab. Mit vieler Ge- fahr, wegen der Zerbrechlichkeit der Lavastücke, erreichten sie fast den Boden des Kraters, und analysirten daselbst die mit Kohlensäure überladene Luft. Die Piingeborenen versicher- ten, dass die Hitze dieser Oefen früher noch weit grösser ge- wesen, und Humboldt ist der Meinung, dass der ganze Distrirt vulkanisch unterhöhlt sei.

lieber das Plateau von Toluca, dessen Vulkan er am 29. Sept. bestieg, kelirte er nach der Stadt Mexico zurück und verweilte hier wiederum mehrere Monate, um die botanischen und geo-

8. In Mexico und den Vereinigten Staaten. Heimkehr. (An Willdenow.) 389

logischen Saniniluugen zu ordnen, die Resultate der baro- metrischen und trigonometrischen Messungen zu reguliren, sta- tistische; und administrative Tableaus und Entwürfe zu dem Athis von Neusj)anien zu vollenden.

Während seines ersten Aufenthalts daselbst, 29. April l«0:j, schrieb er an Willdenow:

„Wenige Tage nach meiner Ankunft in dieser grossen uml schönen Hauptstadt Neuspaniens erliielt ich Deinen lieben Brief vom 1. üct. 1X02. Die Freude darüber war um so grösser, da, ^eitdem ich Kuropa verlassen habe, dies das erste und einzige mal war, dass ich etwas von Dir las, obgleich ich überzeugt bin, dass Du mir oft geschrieben hast. Auch von meinem Bru- der habe ich seit meiner Abreise aus Coruna höchstens fünf bis sechs Briefe innerhalb vier Jahren bekommen. Es scheint als wenn ein feindlicher Unstern, mehr in Absicht der Briefe als der Schiffe, über uns waltet. Doch will ich nicht klagen, da mir nun bald die Freude bevorsteht. Euch alle wieder zu umarmen.

„Wir haben schon über zehn- oder zwölfmal grosse Sen- dungen frischer Sämereien von hier abgeschickt: an den bota- nischen Garten in Madrid, wo Cavanillas, wie ich sehe, in den ,.Annales de Ilistoria natural^' bereits einige neue Species aus diesen Samen beschrieben hat; an den Garten in Paris; und ü)>cr Trinidad an Sir Josef Banks in London. Allein denke darum nicht, dass mein Reichthum erschöpft sei, oder dass ich Berhn vergessen werde. Ich besitze eine ausgezeichnete Samm- lung, die ich zu Quito, zu Loxa, am Amazonenflusse bei Jaeo, auf den Anden von Peru und auf dem Wege von Acapulco nach Chilpensingo und Mexico zusammengebracht habe. Diesen Schatz will ich nicht dem Zufall der Posten, die unglaublich nachlässig bind, anvertrauen, sondern, da ich nun im Begriff stehe selbst nach Ilavana und Europa abzureisen. Dir selber überbringen« Ich habe alles höchst sorgfältig getrocknet

„Ferner werden meine Freunde in Amerika immer bereit sein, Dir auf mein Ersuchen recht häufig ganz frische Samen

390 11) A. Reiselebcn in Amerika.

ZU schicken. Ich nenne Dir jetzt nur die thätigsten Männer: Tofalla zu Guayaquil, Oliveda zu Loxa, Mutis zu Santa-Fe, sein Schüler Caldas zu Popayan.

„Es freut mich sehr, dass meine PHanzen durch Hrn. Fräser endlich bei Dir angekommen sind." (Vgl. S. 338.)

Nach einer Ucbersicht seiner letzten Reisen von Quito aus lahrt er fort: „Ich wünschte gegen Ende dieses Jahres in Europa zu sein. Allein das schwarze Erbrechen, welches schon in Veracruz und in Havana herrschte, und die Furcht vor der Übeln Schiffahrt im October müssen mich zurückhalten. Ich will nicht mit einer Tragödie endigen. Weil ich nun aber den sichern Weg wähle, so werde ich wahrscheinlich erst im April oder Mai 1804 in Europa anlangen."

Noch zwei andere Briefe, an Cavanillas vom 22. April und au Delambre vom 29. Juli, recapituliren mit grosser Ausführlichkeit die Reisen, Beschwerden und Resultate der letzten anderthalb Jahre. Am Schlüsse des leztern theilt er wieder mit, dass er den alten Plan, die Philippinen zu besuchen, aufgegeben, fugt aber hinzu:

„Je ne Tai abandonne que pour le moment; car j'ai eneore bicn de projets sur les Grandes-Indes, mais je veux premiere- nient publier les fruits de cette expedition. J'espere etre aupres de vous au commencement de Tann^e prochaine; il me faudra au moins deux ou trois ans pour dlgerer les observations quo nous rapportons. Je ne parle quc de deux ou trois ans: ne riez pas de mon inconstance, de cette ,^maladie centrifuge^'^ dont Madame * * * nous accuse, mon frere et moi. Tout homme doit sc mettrc dans la position dans laciuelle il croit fetre le plus utile ä son espece, et je pense que moi je dois p^rir ou sur le bord d'un cratere, ou englouti par les flots de la mer; teile est mon opinion dans ce moment, apres cinq ans de fatigues et de souffrances; mais je crois bien qu'en avangant en äge, et jouissant de nouveau des charmes de la vie d'Europe,

H. lu Mexico u. eleu Vereiuigteu äUaieu. iieimkehr. (Erinnerungeo.) 391 je changerai d'avis. „Nenio adeo fems est^ ut non mitescerc

Auch hier, wie in Lima, bewahrte eine Frau lange Jahre die Erinnerung an Humboldt und seinen Verkehr mit den besten (lesellschaftskreisen der Hauptstadt.

Madame Calderon de la Barca, Gemahlin des spanischen Gesandten in Mexico, erzählt in ihrem epistolarischen Reise- jounial (während der Jahre 1839 und 1840) von einer unter dem Namen „die schöne Rodriguez'^ in Mexico wohlbekannten und hochgeachteten Dame, die vor vielen Jahren von Alexander von Humboldt als das schönste Weib, der er auf seinen Reisen begegnet, gefeiert worden sei. Madame de la Barca hatte diese Dame persönlich kennen gelernt und berichtet aus ihrer Unter- haltung mit derselben:

„Wir sprachen von Humboldt, und indem sie sich selbst ganz als eine dritte Person betrachtete, erzählte sie mir alle Kinzclheiten seines ersten Besuchs und seine Bewunderung ihrer Schönheit; dass sie damals sehr jung, obgleich verheiratbet und Mutter von zwei Kindern war; dass, als der Baron einst ihre Mutter besuchte, er sie, die am Fenster nähte, anfangs nicht bemerkte, bis er in einem sehr ernsthaften Gespräch über die Cochenille den Wunsch äusserte, eine gewisse Plantage zu besuchen, o Gewiss», erwiderte sie aus ihrem Fenstersitze, akön- nen wir Hrn. von Humboldt hinführen», worauf er sie ansah, erstaunt vor ihr stand und endlich ausrief : «Valgame Diosl wer ist dies Mädchen?» Von der Zeit an war er immer bei ihr« und man sagt, noch tiefer durch ihren Geist als durch ihre Schönheit bestrickt. Er betrachtete sie wie eine amerikanische Frau von Stael. Dies alles führt auch auf den Verdacht, dass der ernste Gelehrte bedeutend verzaubert war, und dass weder Minen noch Berge, Geographie und Geologie, versteinerte Muscheln und Alpenkalkstein ihn geschützt haben.'^

Diesen Erinnerungen der mexicanischen Schönen fügt die Frau Gesandtin, offenbar mit grosser Befriedigung, hinzu: ,,£&

392 A. Reiselebeu iu Amerika.

thut einem wohl, dass so etwas sogar dem grossen Humboldt begegnen konnte!"^

Im Januar 1804 verliessen unsere Reisenden die Haupt- stadt, um auch den östlichen Abfall der Cordillcren von Neu- spanien zu untersuchen. Sie nahmen eine geometrische Ver- messung der beiden Vulkane von Puebla, des Popocatepetl und des Iztaccihuatl, vor. Von dem unzugänglichen Krater des erstem erzählt eine fabelhafte Tradition, dass sich Diego Ordaz an Stricken hinabgelassen habe, um Schwefel aus demselben heraufzuholen, den man indess ohnedies in der Ebene sam- meln konnte.

Humboldt fand, dass der Popocatepetl, welchen ein eifriger Mineralog, Hr. Sonnenschmidt, bis auf die Höhe von 2557 Toiseu zu besteigen gewagt hat, viel höher ist als der Pic von Orizaba, der bis dahin für deA höchsten Koloss des Landes Anahuac gehalten wur^e. Er mass auch die grosse Pyramide von Cho- lula aus, ein mysteriöser, von den Tolteken aus ungebrannten Ziegelsteinen aufgeführter Bau, von dessen Spitze man eine prächtige Aussicht auf die beschneiten Berggipfel und die lachenden Ebenen von Tlascala geniesst.

Wieder abwärts steigend, gelangten die Reisenden über Perotc nach Chalapa, das wegen seiner Lage auf einer Höhe von 674 Toisen über der Meeresfläche ein sanftes und mildes Klima hat. Der beschwerliche Weg dahin, durch fast undurchdring- liche Tannen- und Eichenwälder führend, ist von Humboldt wiederholentlich barometrisch gemessen worden, und seine Ar- beiten dienten später als Grundlage bei Tracirung einer neuen Kunststrasse. Am 7. Febr. 1804 hatten sie den in der Nähe von Perote befindlichen Berg Cofre bestiegen, der noch 162 Toisen

^ Als eine Curiosität ist noch bemerkens\^rtli, dass Humboldt Yon Mexico aus im Mai 1808 eine technische Kriiudung, einen Kohlensaure- messer, als ihm angehörig gegen den herzogl. sächsischen Instrumenten- macher Voigt reclamirte, der denselben („Allgemeine Literaturzeitung", 1800, Nr. 93) als seine Erfindung ausgegeben hatte. („Intelligenzblatt zur AUgemeinen Litcraturzeitung^S 1^^3, S. 1487.)

H. lu Mexico und duu Vereiiiigteu Staaten. Heimkehr. (Jefferson.) 393

höher ist als der Pic von Teneriflfa. Auch war der Vulkan von Ürizaba trigonometrisch von ihnen vermessen worden.

So fortwährend mit interessanten Forschungen beschäftigt, ciTeichten sie endlich das Ziel ihrer Wanderung, den Hafen von Yeracruz, den Mittelpunkt des europäisch-westindischen Handels. Die Stadt selbst liegt in einer dürren Ebene ohne fliessendes Wasser. Von hier sdiififten sie sich am 7. März 1804 auf der königlichen Fregatte „La 0^* nach der Havana ein, um die doit im Jahre 1800 zurückgelassenen Sammlungen in Empfang zu nehmen, und die in Mexico gesammelten Materialien zu der Monographie „Essai politique sur llle de Cuba^^ zu vervoll- ständigen.

Dieser zweite Aufenthalt in der Havana währte fast zwei Monate; dann ging Humboldt, am 29. April, mit Bonpland und Carlos Montufar nach den Vereinigten Staaten unter Segel. Im Bahamakanal wüthete ein heftiger Sturm, der sieben Tage anhielt. Aber die Genien der Wissenschaft und Humanität geleiteten Humboldt und seine Gefährten, und nach einer Fahrt von zwanzig Tagen kamen sie glücklich in Philadelphia an.

Wie der Vicekönig in Mexico richtete auch Jefferson, der Präsident der Vereinigten Staaten, ein Begrüssungsschreiben an Humboldt, in welchem er ihn zum Besuch nach Washington einlud. Das Schriftstück lautet:

„Washington, May 28. 1804. „Sirl

„I received last night your favor of the 24*** and offer you my congratulations on your arrival here in good health after a tour in the course of which you have been ex))osed to so many hardships and hazards. The countries you have visited arc of those least known and most interesting, and a lively desire will be feit generally to receive the information you will be able to ^ive. No one will feel it more strongly than myself, because no oiu» perhaps views this new world with more partial hopes of its exhibiting an ameliorated State of the human condiüon.

394 n, A. Reiselebeu iu Amerika.

In the new position in which the seat of our government is fixed, WC have nothing curious to attract the Observation of a traveller, and can only Substitute in its place the welcome with which we should receive your visit, should you find it convenient to add so much to your joumey. Accept, I pray you, my re- spectful salutations and assurances of great respect and con- äideration etc.

jyk Mr. le Baron de Humboldt. Jeflferson."

So kurz Humboldts Aufenthalt in den Vereinigten Staaten auch war, so hatte er doch die fruchtreichsten Folgen für ihn. Er gab ihm willkommene Gelegenheit, diesen damals allgemein bewunderten Staatsorganismus in seinen nationalökonomischen Elementen, in den einzelnen Theilen wie in seiner Gesammt- verwaltung kennen zu lernen, und Vergleichungen anzustellen zwischen dem Zustande der Vereinigten Staaten und dem der spanischen Colonien, die er bereist hatte. Er befreun- dete sich den bedeutendsten Männern und gewann tiefe Ein- blicke in deren politische Bestrebungen. So verweilte er drei Wochen bei Jefferson in Monticello, der ihm ein merkwür- diges Project seines erfinderischen, aber oft phantasüscheu Geistes mittheiltc, „das Project einer dereinstigen Theilung des amerikanischen Festlandes in drei grosse Republiken, mit Ein- schluss des damals noch der Krone Spanien gehörenden Mexico und der südamerikanischen Staaten."^

Humboldt bewahrte während seines langen Lebens stets ein freundliches Andenken an diesen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, wie er es häufig zu Nordamerikanem , die ihn be- suchten, ausgesprochen hat; nur der Gedanke an das hier noch heimische Sklaventhum bedrückte sein edles Gemüth.

Am 9. Juli 1804 verliess Humboldt in der Mündung des Delaware den Neuen Continent, und landete nach glücklicher Fahrt am 3. Aug. in Bordeaux.

Sillimanttj Ein Besuch bei Alexander von Humboldt.

8. In Mexico und deu Vereinigten Staaten. Heimkehr. (In Bordeaux.) 395

Die Nachricht von seiner Rückkehr verbreitete allgemeine und um so grössere Freude, da trotz seiner eben nicht seltenen Briefe, die in Europa eintrafen, doch mehrmals das Gerücht von seinem Tode durch die Tagesblätter gegangen war. * Noch am 17. Juli 1804 schreibt Körner an Schiller: „Schreibe mir doch, wenn Du etwas Bestimmtes von Alexander von Humboldt erfahrst Es sollte mich sehr freuen, wenn das Gerücht von seinem Tode nicht gegründet wäre."*

Das NationaUnstitut beeilte sich, seiner Schwägerin, der Frau Wilhelm von Humboldt's, die gerade in Paris war, die glückliche Ankunft des berühmten Reisenden in officicUer Weise anzuzeigen.

„Institut National de France, Classe des sciences physiques et mathömatiques.

„Paris le 25 Therm. An 12 de laR^p. fr. (13. Aug. 1804.)

„L'un des Secrötaires perpdtuels de la Classe des sciences physiques et mathömatiques, qui vient de recevoir une lettre du eher Voyageur, s'empresse d'en donner avis ä Madame de Humboldt. La lettre est dat^e du 2 Aoüt ä la bouche de la Garonne. M. Alexander est en bonne sant6. II ignore combien

^ Im Sommer 1803 yerbreitete sich in Paris die Nachricht, Humboldt sei unter den Wilden in Nordamerika umgekommen. („Allg. geogr. Ephc- meriden", XII, 239.) Der „Hamburger Correspondent" vom 12. Juni 1804 berichtet: „Der berühmte Reisende Hr. von Humboldt ist leider zu Aca- pulco am gelben Fieber gestorben." (Ebend., XIV, 610.)

* Briefwechsel zwischen Körner und Schiller, IV, 366. Humboldt selbst schrieb in spätem Jahren an den um das Schicksal seines Sohnes, des

unglücklichen Afrikareisenden Eduard Vogel, bekümmerten Vater : Der

Trost wird uns von oben kommen! Ich erfülle eine süsse Pflicht, Ihnen das zu sagen, und bin nicht ohne Hoffnung. Ich las ja selbst noch, in Paris schon angekommen, meinen Tod in der Südsee; und als ich beim Duc de Crillon eines Abends ins Zimmer trat und nach pariser Sitte mein Name an der Thür ausgerufen wurde, hörte man einen Schrei, und eine Dame fiel in Ohnmacht. Diese Dame war Madame Lapeyrouse, der mein Name, als der eines nach Jahren Wiedererschienenen (revenant), das An- denken an den Gatten in tiefem Schmerze erneuerte."

396 11, A. Reiseleben iu Amerika.

de teius il resteru eu quarautaiue; il se flatte cependant d'etre ä Paris vers le 17 Aoüt, c'est-ä-dire dans 3 ou 4 jours. II deiuandc si on ne peut lui ^crire ä La Rochelle poste restante. Sa lettre a ötd 10 ä 11 jours en route. II ötait bien loin d'imaginer que Madame de Humboldt püt fitre ä Paris, et il part de Taller voir ä Ilome en Janvier, quand il aura mettre ses coUections en ordre et en süretd. Je vais lui donner une nouvelle bien agreable; mais j'espere qu'il ne Tattendra pas, et qu'il viendra lui-meme Fapprendre de son ami Pommard. Sans la seance de Tlustitut ä laquelle le Sccretaire ne peut manquer, il aurait et6 sur-le-champ communiqucr u Madame de Humboldt la lettre qui vient de lui etre remise, et qui est timbree de Bordeaux.

„II pric Madame de Humboldt d'agreer Tassurance de son respect etc."*

Humboldt's eigene freudige Stimnmng bei der glücklichen Heimkehr spricht sich in den folgenden Briefen aus.

Au Freiesleben.

„Bei Bordeaux, den 1. Aug. 1804. Zu Schiffe. In Eile.

„Mein theuerer Karll

„Nach fünfjähriger Abwesenheit bin ich endlich auf euro- päischen Boden glückhch zurückgekommen. Vor zwei Stunden sind wir in die Garonne eingelaufen. Unsere Ueberfahrt von Philadelphia war unbeschreiblich glücklich, von 27 Tagen. Im Februar- verliess ich Mexico und kam von Havana nach Nord- amerika, wo der Präsident des Congresses, Jefferson, mich mit Ehrenbezeigungen überhäufte. Meine Expedition von 9000 Meilen in beiden Hemisphären ist vielleicht ohne Beispiel glücklich gewesen. Ich war nie krank, und bin gesünder, stärker und

^ Allgemeine geographische Ephcmeriden, XV, 117. 2 Richtiger: am 7. März.

8. In Mexico und den Vereinigten Staaten. Heimkehr. (Begrüssungen.) 397

arbeitsamer, selbst heiterer als je. . Mit 30 Kisten und bota- nischen, astronomischen, geologischen Schätzen beladen kehre ich zurück, und werde Jahre brauchen mein grosses Werk herauszugeben. Zeichnungen der Andes über Schichtung, auf 1500 eigene Messungen begründet, ein botanischer Atlas und eine geognostische Pasigraphie (neue Zeichen, welche alle For- mationen ausdrücken) werden Dich besonders interessiren. Es ist meinem Herzen schwer geworden, diese indische prächtige Welt zu verlassen, aber der Gedanke, Dir wieder näher zu sein, Dich einst wieder zu umarmen (das Gold am Katzenfels mit Dir auszuscharren), hat unendlich viel Anziehendes. Ich gehe, sobald die Quarantaine hier aufhört, nach Paris, um meine Arbeit, besonders die astronomischen Berechnungen, anzufangen. Wann ich Dich, guter Karl, sehe, wie bald, weiss ich nicht. Meine Freunde sind in Spanien, Italien u. s. w. zerstreut. Ich scheue den ersten Winter. Ich bin so neu, dass ich mich erst Orientiren muss. Aber schon der Gedanke, mich gerettet zu wissen, tröstet. Grüsse Deine lieben Aeltern, Fritzchen, Fischer, Werner (für den meine Hochachtung mit jedem Jahre wächst, und dessen System meine Reisen in der südlichen He- misphäre bestätigen). Wo soll ich Zeit hernehmen, allen zu schreiben 1 Grüsse Böhme und alle unsere alten Freunde.

Dein Humboldt."

„Mit Del Rio, der geheirathet, habe ich in Mexico oft von Dir gesprochen. Ich besitze ein Stück natürliches Piatina, 2 Unzen schwer, so gross (eine Zeichnung). Der Platinsand findet sich mit Hyazinthen und Basalt und Porphyrschiefer- Gerölle.

„Adressire nach Paris chez Mr. Chaptal, ministre de Tin- terieur, und belehre mich etwas über geognostische Bücher, die ich lesen soll, und neue Werner'sche Ideen. Ich weiss nicht, wo der troflFliehe Buch lebt, grüsse ihn herzlich."

398 II) A. Reiseleben in Amerika.

An Kunth.

„A bord de la Favorite pres Bordeaux en quarantaine ce 3 Aoüt 1804.

„Mon digne et respectable amil

„Retournd apres six annees d'absence sur le sol de l'Eu- ropc, echappe aux dangers qui sont in^vitablement Ms a des voyages lointains, je profite des premiers momens de mon arrivöe pour Vous donner la nouvelle de mon existence et pour Vous reitörer les assurances de mon tendre attachement. Je connais trop la bont^ de Yotre äme sensible ä Tamitie, pour ne pas oser me flatter que ces lignes vont repandre la joie dans Votre äme, et dans le petit cercle des amis qu'aprfes ma si longue absence je puis encore avoir ä Berlin. La fortune ne s'est pas lass^e de me seconder dans la grande expedition que nous venons de finir, Mrs. Bonpland, Montufar et moi. Apres avoir pass6 deux mois delicieux aux £tats Unis ä Phila- delphia, Baltimore et surtout ä Washington Mr. Jefferson et Ics Premiers Magistrats de la Republique nous ont traites avec la bienveillance la plus signalee, une navigation de 29 jours nous a portes des bouches du Delaware ä Celles de la Garonne. Nous y avous mouille Ic 1 Aoüt, et nous y sommes en quarantaine qui, d'apres les egards qu'on me marque en ce pays, ne pourra pas etre de longue duree, d'autant plus que la fievre jaune ne r^gnait pas encore en Nord-Amerique quand nous paittmes. J'ai 35 caisses de coUections avec moi, que j'acheminerai pour Paris, je dois consulter les savans et les coUections. J'ai le desir le plus vif de voir mon frere que je suppose ä Rome vraisemblablement je passerai Tliiver. II y a cinq ans que je n'ai pas vu une ligne de Vous. Helasl mon bon ami, m'avez- Vous tout-ä-fait oublie? Cela ne peut pas. ficrivez moi ä Paris, maison du Mr. de Luchesini, aussitot que possible. Votre sante, Vos finances, Votre tranquilht^, Vous savez combien tout m'interesse, ce qui a rapport ä Vous. J'avais tir6 sur Vous, il y a un an ä peu pres, 10000 p. en faveur de Mr.

S. In Mexico und den Vereinigten Staaten. Heimkehr. (Begrüssungen.) 399

Murphy ä Cadix. Ayez la gräce de m'ecrirc si cet argent a cte paye, parce que en ce cas Mr. Murphy rae doit encore GOOO piastres. Je Vous supplie aussi de me doiiner avec le courrier prochain un r(5sume de l'etat actuel de mon Wen et des reveiiues, tout court et s'il se peut en frangais, et sur un papier separe (sans röflexions) et signö de Votre nom, parce que c(> papier pouiTa in'Stre utile dans des affaires que je fais. Je nroccupe en ce moinent beaucoup de mes finances. ^ D'ailleurs, je ne dois rien a persoune, au contraire j'ai 6000 p. ä Cadix, si Mr. Murphy a ete payd. Je suppose que Vous n'interpretez pas mal le mot „sans reflexions'^ dans une lettre sdparee. Vous savez que toute reflexion, tout conseil de Votre part me s(M'a infiniment precieux, mais Tötat que j'ose Vous demander doit ötre visible.

,,Je suis plus robuste, plus gras, plus actif que jamais. i) aillours, Vous et moi, mon bon ami, nous nous faisons vieux. r.crivcz-moi bien au long. Vous savez combien je Vous aime, combien mon äme est penetrce de reconnaissance pour Vous. \'ous savez que la petite cflebrit<5 dont je jouis est en grande Partie Votre ouvrage, et je Vous crois assez sensible ä la gloirc pour n y etre pas indifferent. Je Vous embrasse de cceur et d'äme.

A. Humboldt."

„Je partirai aussitöt que possible pour Paris, Vous aurez hl l)onte de m'ecrire chez Mr. Luchesini. £crivez-moi sur Miiii'tte'^, les Haften et le Rittmeister que je salue tendrement."

Auch an seinen König, Friedrich Wilhelm HI., schrieb er am 3. Sept 1804, dass er nach fünQähriger Abwesenheit, wäh- rend welcher er 9000 Meilen in Südamerika zurückgelegt, vor einigen Wochen glücklich wieder in Paris angekommen sei und manches Interessante für die naturwissenschaftlichen Sammlungen in Berlin mitgebracht habe.'

' Vgl. die Beilage.

' Dir Schwester dos Freundes Ilanon, vgl. S. 1<*6.

^ Aus dem kimiglichon (*abinotsarchiv.

9.

In der Heimat.

Nene Znstande, alte Freunde. Yerbindnng mit Pictet Plan zar Heransgabe des Reisewerks. Englische IJebersetznng. ArbeHen mit Gay-Lnssac nnd ßiot. An berliner Frennde. Nach and in Italien. ~~ Nach Deutschland. In Berlin. Ehren \mä Arbeiten. Briefe in alte Freunde. Preussens Fall. Humboldt ein Vermittler. Trost

im Studium der Natur.

W(»lehe Veränderungen hatte Frankreich währcDd der Abwesenheit Humboldt's erfahren ! Die Hoffnungen der Freiheit waren verwelkt. Die Revolution war in ein neues Stadium, in ganz andere Bahnen getreten; überall die Schwüle und die pein- lichen Vorzeichen neuer politischer Erdbeben. Als Humboldt die Reise nach Amerika antrat, hatte er Frankreich als Re- publik ve4'lassen; als er wiederkehrte, sass ein ehrgeiziger Er- (»berer auf dem Kaiserthrone, und bei seiner Ai:!.unft in Paris, um 18. Aug., brauste noch der Jubel des sieg- und ruhm- berauschten Volks von der Festfeier des Napoleonstages, die am 15. Aug. zum ersten male stattgefunden.

Indessen war der Fortschritt der Wissenschaften, nament- lich der mathematischen, physikahschen, naturhistorischen, wäh- nend <ler Kriegsereignisse nicht gehemmt, vielmehr wesentlich g<»fördert worden. Institute aller Art wurden auf das reichste dotirt, die Männer d(»r Wissenschaft durch Gunst und Ehren ermuntert und in ihren Arbeiten auf das freigiebigste untei-stützt.

9. In der Heimat. (Neue Zust&nde, alte Freunde.) 401

Paris war unbestritten die Hochschule der exacten, insbesondere der Naturwissenschaften geworden.

Es schien nothwendig, an diese Umstände zu erinnern, weil man danach erst zu bemessen vermag, wie hoch die Bedeutsam- keit von Humboldts Wiederkehr angeschlagen wurde, wenn sie neben solchen Ereignissen und Stimmungen noch das lebhafteste Interesse für sich erwecken konnte. Der Zurückgekehrte fand nicht nur die alten Freunde mit unveränderter Zuneigung wieder, auch viele neue schlössen sich ihm an, unter diesen vor allen der noch jugendliclie , aber schon hochberühmte Chemiker Gay-Lussac*, und bald auch Franz Arago. Die Bewunderung seiner mitgebrach- ten naturwissenschaftlichen Schätze, seiner Mittheilungen und Be- richte wurde noch erhöht durch die Anerkennung seines persön- lichen Heroismus, der so viele und so anhaltende Anstrengungen und Gefahren glücklich überwunden. Mit beispiellosem Erfolge war die grossartige Unternehmung durch den Geist, die Fähig- keit, die Kenntniss und Beharrlichkeit eines Einzelnen ausge- führt worden, ohne Absicht persönlichen Vortheils, nur im Interesse der Wissenschaft. Dabei war es nicht allein die Fülle und Tiefe des Wissens, die Anmuth und Treue der Erzählung,

* Den Ausgangspunkt der Freundschaft beider M&nner erz&hlt Arago in der Ged&chtnissrede auf 6ay-Lussac (Fram Arago^s S&mmtUchc Werke, herausgegeben von Hankel, Xu, 14), wie folgt: „Eines Tages bemei^te Hr. von Humboldt unter den Personen, welche in dem Gesellschaftszimmer des Landhauses zu Arcueil TCrsammelt waren, einen jungen Mann Ton hohem Wüchse und bescheidener aber fester Haltung. Es ist Gay-Lussac, sagte man ihm, der Physiker, welcher neulich, um wichtige wissenschaft- liche Fragen zu lösen, ohne Furcht zur grössten Höhe der Atmosph&re aufgestiegen ist, welche Menschen bisher erreicht haben. Es ist, fügte Humboldt selbst hinzu, der Verfasser der herben Kritik meiner Arbeit über Eudiometrie (vgl. S. 260). Bald aber die Empfindung der Abneigung, welche eine solche Erinnerung einflössen konnte, unterdrackend , nähert er sich Gay-Lussac, und nach einigen schmeichelhaften Worten über seine Luftfahrt reicht er ihm die Hand und bietet ihm mit W&rme seine Freund- schaft au. Es war rückhaltlos das : « Lass uns Freunde soin, Cinna ! » Und diese Freundschaft hat sich nie verleugnet und trug bald die glücklichsten Früchte."

A. r. HcMioLi>T. f. 26

402 U, A. Reiseleben in Amerika.

die Freigiebigkeit uod Mittheilungslust, es war noch mehr der anspruchslose Wahrheitssinn, das wohlwollende Gemüth, der schöpferische Ordnungsgeist, die divinatorische Combinations- gabe, die in goldenem Strom der Rede sich offenbarte, was alle Geister und alle Herzen anzog und fesselte. Humboldt war, wo er erschien, eine gefeierte Persönlichkeit in privaten gesell- schaftlichen Kreisen, wie in den öffentlichen Versammlungen gelehrter Institute.

Mit Recht konnte seine Schwägerin Frau von Humboldt am 10. Sept. 1804 an Kunth schreiben: „Was meinem Aufenthalt hier die Krone aufsetzt, ist unsers theuem Alexander glückliche Zurückkunft und die Freude, Zeugin der Aufaahme zu sein, die er hier geniesst. Schwerlich hat die Erscheinung eines Parti- culiers je mehr Aufsehen gemacht als die seine und ein so allgemeines Interesse eingeflösst.^'

Nur ein Mann war es, der Humboldt schroff und mit ver- haltenem Groll entgegentrat, Napoleon! „Sie beschäftigen sich mit Botanik? Auch meine Frau treibt sie^S waren die fast geringschätzend klingenden Worte, die der Kaiser bei einer Hofvorstellung an Humboldt richtete.^ Er selbst schrieb einst dem Verfasser: „Kaiser Napoleon war von eisiger Kälte gegen Bonpland, voll Hass gegen mich."

Humboldt's Aeusseres betreffend, heisst es weiter in dem erwähnten Schreiben seiner Schwägerin: „Alexander ist in den sechs Jahren, die er von uns entfernt lebte, nicht um ein Haar gealtert. Sein Gesicht ist merkhch voller geworden, und die Lebendigkeit seiner Rede und seines ganzen Wesens ist womöglich noch vermehrt. Es scheint ihm angenehm ge- wesen zu sein, mich hier zu finden; und welch ein inniger Genuss es für mich gewesen, ihn endlich wiederzusehen, mögen Sie fülilen. Sein Plan ist, den Winter bei uns in Rom zu ver- leben, und es scheint mir für seine Gesundheit recht wichtig

' Burkhardt, (lootln-'s nnterhaltungon mit Kanzler Friedr. von Müller, S. 101.

9. In der Heimat. (Verbindung mit Pictet.) 403

und vielleicht auf viele Jahre hin entscheidend, dass er nach einem so langen Aufenthalt in warmen Ländern wenigstens den ersten in Europa in einem gemässigten Klima zubringe. Da er aber schwerlich vor dem Januar von hier wird abgehen können, so werden wir die Reise wol nicht zusanmien machen, denn ich möchte nicht gern länger abwesend sein, als ich es muss, und ich wünsche in einigen Wochen abzureisen."

Humboldt hatte vollauf zu thun mit dem Ordnen seiner mitgebrachten Schätze und mit den Planen zur Bearbeitung seines Reisewerks. Paris bot ihm zu den umfassenden Ar- beiten den einladendsten Aufenthalt sowie den eifrigen Beistand kenntnissreicher Freunde. Gleichwol hatte er sich anfangs vor allen an Pictet in Genf gewendet, mit ihm die Eintheilung der Werke und die üebersetzung derselben ins Englische erörtert. Hatte ihn doch einst Genf noch bei weitem mehr als Paris an- gezogen. „II se peut tres-bien", schreibt er an Pictet, „que je vienne un jour me fixer sur votre cöte. C'est une solitude que je ne perds jamais de vue. C'est une de mes plus douces esperances, qu'apres avoir parcouru les tropiques, contempl6 une grande partie de Tunivers, je puisse un jour me reposer aux bords de votre lac" .... „Veuille le sort que les bords for- tunes du lac (bords sur lesquels un jour je me fixe) jouissent a jamais de cette paix d^siree, qui seul favorise les productions du g^nie et le ddveloppement des vertues sociales."*

In der That ruhte damals auf Genf ein heller Glanz der Wissenschaft. Zunächst war er von Horace Bön^dict de Saus- sure (1740—1799) ausgegangen, dann aber wirkten hier als Zeitgenossen die beiden de Luc, der Physiker Marc. Aug. Pictet (1752—1825), Pierre Prövost (1751—1839), Jean Trembley (1749 1811), der Botaniker Jean Senebier (1742 1809), welchem später der ältere De Candolle folgte.*

' liO Globe, joiirn. g6ogr. de la soc. «1. Cioogr. do (h'd^vo. 1h<>8, VII, ir»L>. ir>7.

' Penchely (ioschithto der (icogniphio, S. fiol.

26*

404 n, A. Reiseleben in Amerika.

Ferner schreibt Humboldt am 3. Febr. 1805 an iMctet': „Je me bäte de vous donner la liste des travaux qua nous avoDS rapport^s, et qui sont tellement achev^s que, m£me aa cas de ma mort, ils pourraient Stre publi^s plus ou moins im- parfaitement. Pour la commoditö du public, et surtout pour Celle de la r^daction, je pense publier onze ouvrages diff^rents.^'

Diese elf Werke, die er näher bezeichnet, sind:

1. Pianies equinoxiales.

2. Nova genera et species plantarum aequinoctiaiium.

3. Essai sur la geographie des plantes.

4. Beloition abregee de Vexpidüion.

5. Observations astronomiques et mesures geodSsiques.

6. Observations magnitiques.

7. PaMgraphie geologique.

8. Alias geologique.

9. Cartes fondees sur des observations astronomiqties.

10. Voyage aux Tropiques.

11. Statistique du Mexique.

Alle diese Werke sollten unter seinem und Bonpland's Namen erscheinen, nur sollten Nr. 1 und 2 noch die Bemerkung er- halten: redigirt von Bonpland, und Nr. 3 und 11: redigirt von A. von Humboldt. Dann fahrt er fort:

„Mais je veux que le voyage soit öcrit d'une maniere ä int^resser des gens de goüt. II ne contiendra que les r^sultats des nombres, tout ce qui a rapport au physique du pays, aux moeurs, au commerce, ä la culture intellectuelle, aux antiquit^s, aux finances et aux petites aventures des voyageurs. Avec l'activit^ que vous me connaissez, je crois qu'en deux ä deux et demi-ans le tout sera döbarquö; car il me tarde d'fetre purgö, pour mieux dtner apres. Je comptais ä Rome travailler a un prospectus göndral, en annongant tous ces onze ouvrages qui seront vendus separement, mais du mßme format; et ce pro- spectus, il faut le faire en frangais, alleniand, anglais, hollandais,

' Lo 01ol>e, a. a. O. S. ir)8.

!i. lu der Heimat. (Plan zur Herausgabe dos Reisewerks.) 405

e:spagool, et daoois, car ce sont les six dditions que je sais que Ton pröpare.

„Mais avant que ce prospectus paraisse, ne croyez-vous pas qu'une carte de restaurateur, coinme celle que je pr^ente, pourrait exciter un libraire anglais? Mais, quoiqu'en lui pro- mettant de lui donner peu ä peu le tout, il ne faudrait faire de contrat que pour chaque ouvrage. Car les N''' 3, 4, 8, 10 et 11 doivent se payer plus eher que les autres. Je crois sur- tout que N'' 3 (d'autant plus que c'est le premier) sera trte- iuiportant Le tout doit valoir quelques milliers de L. St. II y a donc ä partager pour tout le monde.

Humboldt''

Den vorstehenden ziemlich überschwenglichen Planen, die äeine Geschäftskunde charakterisiren, fügt er in einer Nach- schrift hinzu:

„Cependant, pour amuser en attendant le public, il faut publier quelque chose de g^n^ral. II y avait ä choisir entre N"^ 3 et 4. Je crois qu'il est plus philosophique de pr^förer de peiudre la nature en grand, que de conter ses propres avan- tures. Avec cela N^ 3 indique ce que j'ai fait; cet ouvrage prouve que mes travaux ont embrass^ Tensemble des pheno- menes, et surtout N"" 3 parle ä Timagination. Les hommes veulent voir, et je leur montre un microcosme sur une feuille. Je crois donc que la charlatanerie litteraire s'est rencontr^ ici avec Tutilite de la chose.'*

Nächstdem weist er darauf hin, was Pictet bei der Ueber- setzung ins Englische zu thun, und wie er sich den Buchhänd- lern und Gelehrten in England gegenüber zu benehmen habe. „Vous pourriez aussi insinuer que je m'etais propos^ de faire une Edition pour le Nord-Am^rique , j'ose dire qu'entre le parti anti-fed^raliste il rfegne un certain enthousiasme pour le äucces de mon exp^tion ; comme le prouvent toutes les gazettes de ce pays-la. Le d^bit aux Etats-Unis scrait tres-grand, et si Ton y voulait des souscripteurs (methode qui d'aüleurs ne me

40() 11) A. Rcisclcbcn in Amerika.

parait pas des plus delicatcs), MM. Jefferson, Madison, Galatin, Whister, Berton etc. en procurcraient un tres-grand nombre. Une Edition anglaise deyrait par consequent ttve au moins de 4000 exeraplaires."

Humboldt hatte sonach bei aller richtigen Geschäftseinsicht doch etwas übergrosse Erwartungen von dem Absatz seiner Werke.

In einer spätem Conferenz, am 7. März 1805, zu der Pictet nach Paris gekommen war, wurde verabredet, dass letzterer be- stimmte Theile des Werks ins Englische übersetzen, mit Anmer- kungen versehen und zu London in Verlag geben sollte. Das Ho- norar sollte zwischen Pictet, Bonpland und Humboldt zu gleichen Theilen gefheilt werden. Zuerst sollte der „Essai sur la g^ogra- phie physique des plantes^^ erscheinen, und für das Heft von sieben bis acht Bogen ein Honorar von 200 Liv. St. gefordert werden. Alle diese Plane, namentUch die Eintheilung des Werks, er- fuhren indess nachher mannichfache Modificationen.

So sehr aber Humboldt von dem amerikanischen Reisewerke Anspruch genommen wurde, so widmete er sich doch zugleich monatelang in dem Laboratorium der Polytechnischen Schule gemeinschaftlich mit Gay-Lussac Untersuchungen über die eudio- metrischen Mittel und die chemischen Bestandtheile der atmo- sphärischen Luft, ein Gegenstand, mit dem er sich schon vor der Reise eifrig beschäftigt hatte. Er las über die wichtigsten Resultate dieser Arbeit am 1. Pluviöse XIII im Nationalinstitut das „Memoire sur Ics moyens eudiomdtriques et la Constitution chimique de Tatmosphere". ^ Berthollet erstattete der mathe- matisch-physikalischen Klasse besondern Bericht über die Ar- beit und erklärte sie für würdig der Aufnahme im „Recueil des Savans ctrangers".*^

Auch mit Biot hat Humboldt zusammen gearbeitet; die mit ihm gewonnenen Resultate trug er in einem Memoire „Ueber die

» Jourii. de Phys., T.X, 121)— 158; Gilberts Annalcn, XX, 38—93. 2 Auual. de Cliiiii., Llll, 239; Gilberten Amialen, XX, D9.

0. In der Heimat. (Vortr&ge und Schriften.) 407

Variationen des Magnetismus der Erde in verschiedenen Breiten^' am 17. Dec. 1804 in der mathematisch-physikalischen Klasse des Nationalinstituts vor. ^ Am 10. Juni 1805 berichtet er aus Rom anVaughan in Philadelphia: „J'ai lu neufm^moires ä Tlnstitut, que Ton imprime."*

Auf solche Weise mit Arbeiten belastet, schreibt er am l.Febr. 1805 an Willdenow, der ihn um Farrnkräuter gebeten hatte:

.... „So gross auch der Win*warr meiner eigenen Geschäfte i^t, so werde ich doch Zeit finden, Deine Aufträge zu besorgen. Zu Dupetit-Thouard, der ein gar hölzerner Mensch ist, gehe ich heute selbst. Es ist unendlich schade, dass Dein guter Genius Dich nicht dieses Jahr statt nach Triest nach Paris geführt hat. Du hättest hier mein. und Bonpland's grosses Herbarium, La Mar(iue's und Jussieu^s zu Gebote gehabt. Du hättest selbst ausgelesen, was Dir nützlich ist. äo hat es Vahl gemacht, denn durch Correspondenz ist von den hiesigen Menschen nichts zu erlangen.

„Mit diesem Briefe, guter Willdenow, geht ein Kistchen unserer südamerikanischen und mexicanischen Samen ab. In Malmaison haben viele davon gekeimt, und ich hoffe, sie sollen es in Berlin ebenfalls.

„Ich lasse jetzt hier drucken: 1) «Tableau physique des regions equinoxjales»; 2) das erste Fascikel der «Plantae aequinoctiales » mit prächtigen Kupfern; 3) «Observations de Zoologie et d'Anatomie compar6e»; 4) «Observations astrono- miques et Mesures ex^cutees dans un voyage aux Tropiqued.» Alle erscheinen deutsch zugleich.'^

Am 16. Febr. schreibt er an Friedländer:

„Mein hiesiges Leben ist so arbeitsam als freudenleer,

seitdem ich auf europäischen Boden zurück bin ; ich habe mehr begonnen, als ich fast zu leisten im Stande bin. Drei meiner Schriften werden gedruckt, natürlich deutsch und französisch.

1 Joum. de Phys-, LIX, 429— 450; Gilberts Annalen, XX; 257—299. ' De la Boquette, Humboldt, Correspondance etc., I, 183.

408 Ui A. Reiseleben in Amerika.

Ich sage natürlich, denn ich habe mit Erstaunen gehört, dass in Deutschland ein Gerücht geht, ich lasse mich ins Deutsche übersetzen. Ein solches Gerücht hat lieblose Quellen. Die spanische Sprache ist jetzt allerdings die, welche ich glaube am correctesten zu schreiben, aber ich bin stolz genug auf mein Vaterland, um deutsch zu schreiben, und sollte es auch noch so holperig sein/^

Endlich schreibt er an Karsten, „Paris, ä l'ecole polytechn., le 10 Mars 1805:

.... „Was ich von Mineralien besessen, habe ich Ihnen bestimmt. Das Einpacken hat mir viel Zeit gekostet, aber ich hoffe, Sie sollen mit dem Ganzen nicht unzufrieden sein.

„Ich habe sieben grosse Kisten dem M. Luchesini über- geben. Sie, der Sie wissen, wie schwierig und kostspielig Land- transporte im Innern der Cordilleren sind, Sie, der Sie wissen, wie viel der Krieg von meinen Kisten vereinzelt hat, dass ich meinem edeln Reisebegleiter Bonpland die Hälfte aller meiner Sammlungen überlassen, dass ich manche Kiste ununterbrochen zwei Jahre hinter mir hergeschleppt habe, und dass ich fttnf Jahre lang gerühmt, aber nie unterstützt worden bin Sie, der Sie wissen, dass wir 60000 Specimina von Pflanzen (6300 neue Species) mitgebracht, und wie schwierig man zugleich beobachten, zeichnen und sammeln kann, wenn man oft mismuthig, um sich zu erleichtern, wegwirft, was man monatelang mühsam mit sich genommen, Sie, mein Theuerer, werden sich nicht wundern, dass ich so wenig Ihnen schicke.

„Aber ist diese geognostische Sammlung klein an Zahl von Stücken, so glaube ich, ist sie um so wichtiger für den Fort- schritt unserer Wissenschaft. Von jedem einzelnen kann ich Höhe in Toisen, Schichtung und Lagerung angeben. Vom Chim- borazo, Cotopaxi, Pichincha existirt ja nichts, in keiner Sanmi- lung, und manches, was Ihnen beim Auspacken uninteressant scheint, wird es vielleicht weniger, wenn Sie meine Schrift lesen. Sie werden auch in den Kisten goldene Medaillen, alte mexica- nische Statuen und ein Federgemälde finden. Ich habe gesucht.

9. In der Heimat. (Rom.) 409

die Etiketten so interessant als möglich zu machen. Dürfte ich Sie gehorsamst bitten, Hm. Elaproth von den Doubletten mitzutheilen , und diesem grossen Manne meine tiefste Hoch- achtung zu versichern ? Vielleicht könnten Sie auch diese kleine Sammlung noch eine Zeit lang wol abgesondert lassen, ohne sie mit der europäischen zu vermengen. Das wäre sehr wichtig für mich bei Herausgabe meines Werks, da ich selbst kein ein- ziges Stück für mich behalte. Ich reise morgen von hier nach dem Mont-Ccnis ab, um dort chemische Versuche mit Hrn. Gay- Lussac anzustellen, und von da nach Rom.'^ ....

Am Rande dieses Briefes steht noch: „Meine Gesundheit ist fester als je. Ich arbeite mit mehr Anstrengung als sonst, und ich hoife, dass meine neuen Schriften weniger unreif als die altern sein sollen. Ich bereite mich auf eine Reise nach dem nördlichsten Asien vor, die für die Lehre von der Magnet- kraft und für chemische Luftzersetzung in der langen Polarnacht sehr wichtig sein wird. Aber ich trete sie erst in zwei bis drei Jahren an. Der Kaiser hat meinem Reisegefährten Bonpland 1000 Thlr. Pension als Belohnung fär die Reise ausgesetzt Dies für ihn zu erlangen, war der Hauptzweck meines hiesigen langen Aufenthalts. Das grosse Piatinastück, das Graf Hake mitgenommen, ist wol schon in Ihren Händen.'^ ....

Am 12. März 1805 verliess Humboldt Paris, um den Bru- der in Rom zu besuchen. Gay- Lussac hatte auf Berthollefs Veimittelung Urlaub bekommen und begleitete ihn. Die Freunde waren mit den besten meteorologischen Instrumenten versehen, machten Beobachtungen und Versuche in Lyon, Chamb^ry, St- Jcau de Maurienne, St.-Michel, Lanslebourg, auf dem Mont- Cenis u. s. w., und kamen endlich, nach kurzem Aufenthalt in Genua, am 5. Juni in Rom an.

Wilhelm von Humboldt war hier seit Ende des Jahres 1802 preussischer Ministerresident am päpstlichen Hofe. Diese Stelle passte wie keine andere für ihn, den Diplomaten, Gelehrten und sinnigen Kunstfreund. In seinem Hause in Rom, in Ariccia^

410 IIt A. RdadebeB in Aaerfta.

in Albano bewegte sich die beste GeseUsdiift: Fürsten und Staatsmänner, Dichter and Gelehrte, keiner, der es iiichl aof- gesucht, keiner, der es nicht gepriesen hätte. Vor allen ¥er- kehrten hier die Künstler, insonders die deatscben, weldie eiiie neue Kunstepoche herbeiführten, und deren Patronin Fran toi Hnmboldt war, die Gmelin, Grass, Tieck, die Riepenhansfii, Carsten, Schick, Thorwaldsen, Rauch, Schinkd.

Auch Humboldt fand in dem Hause des Bruders eine FüDe der Anregung und des erfreulichsten Genusses. Wie er seinerseits die frischen, grossartigen Eindrücke der Neuen Welt in bezau- bernder Rede auf die lauschenden Freunde übertrog, so weckten die Anschauungen des Alterthums, das hier neues Leben ge- wonnen, in ihm wieder neue Momente und neue Bilder xu fruchtbarer Vergleichung. Brachte er dem Studium des Bmdeis sprachwissenschaftliche Schatze der amerikanischen Mundarten zu, so boten ihm die Bibliotheken und Museen Roms Schrift- werke und Denkmale, die ein überraschendes Yerstandnlss der amerikanischen Alterthümer erschlossen. Zoega, der gefeiertste Archäolog, war dabei sein bereitwilliger Führer and Erlän- terer. Zahlreiche Karten und Bilder in den geographischen und pittoresken Atlanten Humboldt s tragen die Namen der Künstler, mit denen er in der Casa Willielm von Humboldts verkehrte. *

Selbst die Natur schien Humboldts Anwesenheit in Italien zu begünstigen ; der Vesuv lud durch Vorzeichen eines baldigen gewaltigen Ausbruchs zum Besuch ein, und da inzwischen auch Leopold von Buch sich in Rom eingefunden, brachen Humboldt, Gay-Lussac und Buch am 15. Juli nach Neapel auf. Welches Glück, mit solchen Genossen die Erfahrungen in Amerika be- s])rechen und vergleichen zu können!

* ,,J'ai fait beaucoup dessiner ici: il y a ici des peintres qui de mcs plus petites esquisses fönt des tableaux. Ou a dessiue le Rio Vinagre,

]e pont d'kononco, le Cayainbe J'ai aussi troiive chez Dergia un

tresor en manuscrits mexicains, dont je publierai plusieurs planches. J'en ai dejä fait graver ici." Humboldt an Bonpland „Rome, le 10 Juin 1805". [De la Koquette, Humboldt, Corrcspondance etc., I, 177.)

9. In der Heimat. (Neapel und Florenz.) 411

In Neapel wurde die Zeit, welche die Beobachtung des brennenden Vesuvs ihnen übrigliess, zur Durchsicht der dortigen naturhistorischen Sammlungen verwendet, deren Inspectoren und Custoden, namentlich der Herzog de la Torre und der Oberst Poli, ihnen mit zuvorkommender Artigkeit begegneten. Nur Dr. Thompson machte eine Ausnahme. Als sie, begleitet von einem neapolitanischen Gelehrten, ihn ersuchten, sie durch seine Museen zu führen, richtete er die beleidigenden Worte an sie: „Theilen Sie sich, meine Herren; ich kann wol Augen haben auf zwei, aber nicht auf vier." *

Nach Rom zurückgekehrt, verweilten sie nurnoch kurze Zeit daselbst und traten am 17. Sept. die Heimreise nach Deutsch- land an. Sie nahmen ihren Weg über das Gebirge, weil sie vorhatten, die Quellen der berühmten Bäder von Nocera einer chemischen Analyse zu unterziehen. Am 22. Sept. erreichten sie Florenz. Die reichen Galerien der Amostadt wurden an der Seite des kunstverständigen Fabbroni durchwandert. Von ihm erhielten sie auf die Frage nach der Grösse der magnetischen Neigung in Florenz die sonderbare Antwort, man habe die schönen Instrumente in dem physikalischen Cabinet des Gross- herzogs noch nicht in Gebrauch genommen, aus Furcht, die Po- litur der Metalle könnte darunter leiden.

Bologna, Mailand flüchtig berührend, wo es viel Mühe kostete Volta aufzufinden, überstiegen die drei Freunde am 14. und 15. Oct. den St-Gotthard. Ueber den weitern Verlauf der fieise gibt der folgende Brief, wahrscheinUch an den Buch- händler Spener oder Sander in Berlin gerichtet, summarischen Bericht.

„Heilbronn, den 28. Oct 1805. „Verehrungswerther Freund !

„Meine Reise über Wien und Freiberg ist mir durch den Krieg gestört worden. Da ich einen Theil des mexicanischen

' Franz Arago^s Sämmtlicbe Werke, deutsche Uebersetzuug, III, 20.

412 n, A. Reiseleben in Amerika.

Codex des Vatican, sowie des Borgia'schen habe stechen lassen, hätte ich sehr gewünscht, auch den wiener Codex mit metneni Manuscript vergleichen zu können. Aber wegen meines Freunles und Begleiters Hm. Gay-Lussac habe ich österreichischen Bodeo vermieden. Bei dem Marattenkriege, der jetzt ewig in Europa herrscht, sind die Wissenschaften kein Palladium mehr! Ein Aufenthalt bei meinem alten Freunde Volta in Como hat uns einigermassen entschädigt. Aber die Gotthardstrassel Mit welchen Regengüssen, Schnee und Hagel haben uns die Alpen empfangen! Wir haben von Lugano bis Luzem viel gelittcsL Selbst ganz Schwaben lag mit Schnee bedeckt Anfangs October. Und dann nennt man das wahrscheinlich schetzweise die temperirte Zone! Wh: gehen von hier über Heidelberg und Kassel, und da ich mich in Göttingen, falls es die Rossen erlauben, nur wenige Tage aufhalte, so habe ich bald die Freude in Berlin einzutreffen. Dort werde ich mich dann ganz mit meinen amerikanischen Arbeiten beschäftigen. So- eben ist das zweite Heft unserer «Plantae aequinoctiales » erschienen." ....

Am 4. November langten sie in Göttingen an, wo das Wie- dersehen der Freunde, Lehrer und Studiengenossen einige Tage in Anspruch nahm, und am 16. Nov. 1805 erfolgte die Ankunft in BerUn.

Schon in Paris hatte Humboldt auch von BerUn aus Beweise des freudigsten Interesses au seine Heimkehr sowie der ehren- vollsten Anerkennung seiner Leistungen erhalten. Von allen Seiten kamen Begrüssungen und Glückwünsche, fast jede Woche liefen über vierzig Briefe ein, von denen nur ein kleiner Theil beantwortet werden konnte. Auf den Vorschlag der königlichen Akademie der Wissenschaften war er schon durch königliche Ca- binetsordre vom 4. Aug. 1800 zum ausserordentlichen Mitglied der Akademie ernannt worden ^ welche Ehre er indess nicht

' Als ordentliches Mitglied trat er bei seiner Ankunft in Berlin in die Akademie ein. Durcji eine königliche Cabinetsordre vom 19. Xot.

9. In der Heimat. (In Berlin.) 413

allzu hoch angeschlagen haben mochte (vgl. S. 237). Ueberhaupt wurde er vom König in jeder Weise ausgezeichnet. „Le roi commence ä me distinguer beaucoup, presque trop^', schreibt er an PictetS „car cela m'öte souvent du temps. On m'a donn^ une pension de 2500 ^cus d'ici, 10000 frs., sans me don- ner aucune besogne.'^ Auch wurde er zum königlichen Kammer- herm ernannt. Doch bittet er Pictet*: ^Bfais üe dites pas (in der Einleitung nämlich zu der englischen Ausgabe der amerikanischen Reise) que, retoum^ dans ma patrie, on m'a fait chambellan! Mais dites ä la fin quelque chose d*ai- mable pour mon roi, qui effectivement me distingue beau- coup." •

Liessen ihn solche Auszeichnungen ziemlich gleichgültig, so mussten die allgemeinen Zustände des Staats und der Gesell- schaft ihn um so mehr mit Widerwillen und Betrübniss er- füllen, denn seit seiner Abreise nach Amerika hatte sich nichts zum Bessern gewendet Nur zwei Motive mögen Humboldt bewogen haben, von Paris, nachdem er dort die Ausarbeitung seines amerikanischen Reisewerks begonnen hatte, nach Berlin zu gehen: die treue Zuneigung zu seinen alten Jugendfreunden, die er wol gern begrüssen mochte, und die Hoffnung, Willdenow für die Bearbeitung eines Theils seiner botanischen Sammlungen zu gewinnen und hierzu den Urlaub für ihn persönlich zu ver-

lHr>5 wurde ihm „als Mitglied der Akademie der Wissenschaften** aus den Fonds derselben eine Pension ausgesetzt. Der Brief, in dem Humboldt der Akademie für seine Ernennung znm Mitgliede dankt, ist datirt „Paris, 4. Sept. 1804", nachdem ihm Kunth soine Wahl dorthin angezeigt hatte.

' Le Globe etc., S. 179.

» Ebend., S. 189.

' Humboldt erz&hlt bei dieser Gelegenheit auch eine ergötzliche Unter- haltung eines Kammerherm mit dem bekanntlich sehr derben Weltumsegier Reinhold Forster. Sagte doch selbst der Grosse König: „Chambellan, ce n'est qu'iin titre chim^rique", und: „Kammerherr heisst auf gut deutsch ein Hofschlingel**. (PreuM, Ilrkundenbuch zur Lebensgeschichte Friedrich's de« (f rossen, IV, 302.)

414 n, A. Reiseleben in Amerika.

mitteln. Festgehalten wurde er dann vornehmlich durch Oltmanos, den er hier gefunden und an der Redaction des astronomischen Theils seines Werks, das in drei Jahren vollendet sein sollte, zu betheiligen wünschte, und durch den jungen talentvollen Architekten Friesen, welcher eine namhafte Anzahl Karten zu dem „Atlas geograpliique et physique de 1^ Nouv. Espagne^^ unter seiner Aufsicht gezeichnet hat.^

Die Thätigkeit, welche er jetzt in Berlin entwickelte, über- traf alle seine bisherigen Leistungen. Neben den Arbeiten für den Fortgang des Reisewerks (s. S. 407) und einer viele Zeit raubenden Correspondenz , las er in der Akademie: „Ueber die Gesetze der Wärmeabnahme in den hohem Regionen der Atmo- sphäre und über die Grenzen des ewigen Schnees**; „Ueber Steppen und Wüsten"; „Ueber die Wasserfalle des Orenoco"; „Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse". Viele kleinere Abhandlungen erschienen in verschiedenen Zeitschriften, gleich- sam Gastgeschenke an die Redactionen. Zu diesen gehören: „Ueber die Urvölker von Amerika"; „Versuche über die elek- trischen Fische"; „Ueber die verschiedenen Cinchonagattungen"; „Jagd und Kampf der elektrischen Aale mit Pferden"; „Beob- achtungen über den Einfluss des Nordlichts auf die Magnet- nadel, angestellt Berlin am 20. Dec. 1806"; „Ueber Nathan Mendelssohn's physikalische und mathematische Instrumente"*, u. a. m.

Dazu kamen noch Arbeiten in rein experimentaler Rich- tung, namentlich Beobachtungen über den Erdmagnetismus, die er anfangs gemeinschaftlich mit Gay-Lussac in einem eisen-

* Vgl. Humboldty Essai polit. s. 1. r. de la Nouv. Espagne, I, LXII u. LXIV ed. 1811 in 4*»; Deutsche Turnzeitimg 1859, Nr. 2.

^ Der bibliographische Nachweis dieser Arbeiten ist dem Katalog von Humboldt's Werken und Schriften vorbehalten. Nathan Mendelssohn, der jüngste Sohn Moses Mendelssohn's, war ein vortrefflicher Mechanikus und einer der eifrigsten Gründer der Polytechnischen Gesellschaft in Berlin; er starb im Januar 185*i.

9. In der Heimat. (Magnetische Beobachtungen.) 415

freien magnetischen Häuschen im Garten des reichen Brannt- weinbrenners George, wo jetzt der Renz'sche Circus steht, anstellte. Varnhagen vermerkt in seinen Tagebüchern am 4. Juli 1857: „Humboldt erzählte gestern auch von der Zeit, wo er in einem Seitenhause des George'schen Gartens wohnte und so emsig in seinen magnetischen Beobachtungen war, dass er einmal sieben Nächte und Tage hintereinander, ohne gehörigen Schlaf, jede halbe Stunde in dem Magnethäuschen nachgesehen, wie der Stand der Dinge sei; weiterhin wechselte er dann mit Stellvertretern ab. Das war 1807, gerade vor funfeig Jahren; ich habe das Magnethäuschen oft gesehen, wenn ich Johannes von Müller, der auch in einem Seitenhause wohnte, zu besuchen pflegte. Wenn der alte George seinen Garten Fremden zeigte, erzählte Humboldt weiter, so versäumte er nicht, mit «seinen Gelehrten» zu prahlen. «Hier habe ich den berühmten Müller, hier den Humboldt, hier auch den Fichte, der aber nur ein Philosoph sein soll.»"*

Endlich machte er in dieser Zeit auch die „Ansichten der Natur*' zum Druck fertig, die kurz nach seiner Abreise nach Paris

^ Das Häuschen ist daher nicht, wie Dove in seiner Ged&chtnissrede auf Alexander von Humboldt S. 22 sagt, das in dem Mendelssohn'schen Garten, wo jetzt das Herrenhaus steht, gewesen; dieses wurde erst 1827 erbaut. Aus der ersten Zeit, von der hier die Rede ist, hat sich auch noch folgendes Billet in jüdischer Currentschrift an Henriette Herz er- halten : «

„Ich bin ganz betrübt, meine Theuere, dass ich Sie gegen meinen Willen belogen habe. Ich vergass, als ich Ihnen zu kommen versprach, tlass des vortreflflichen Schleiermacher's Ankunft in die Aequinoctialepoche VdWiy in die einzige Periode, wo ich, nächtlicher magnetischer Beobach- tungen wegen, nicht Herr meiner Zeit bin. Ich fühle mich durch sechs bis acht nächtliche Wachen etwas geschwächt, und wage es nicht, die kleine Reise zu unternehmen, da ich mich so lange nicht von meinen Magneten trennen kann. Das ist Wirkung der Vernunft, Streit dieser mit dem (refühl. Denn für letzteres wären Sie und Ihr edler Freund, der bei seiner letzten Anwesenheit den wohlthätigston Eindruck in mir zurück- gelassen hat, ein stärkerer Magnet Schelten imd zürnen Sie nicht

Berlin, den 23. Sept. 1806. Ihrem Humboldt'* .

416 A. Beiseleben in AnMifta.

erschieDen sind. Sie bestehen zum Thefl anfi FngmeDten der in der Akademie gehaltenen Vortrage und änd in Benig ani die ästhetische Behandlang der G^enstande wahre Koostwa^te. Humboldt selbst nannte sie sein ^eblingsweck" \ „ein rein anf deutsche Gefühlsweise berechnetes Buch^.* Ueher eine pariser Besprechung derselben schreibt er den 24. Juni 1806 an Malte- Brun': ,3od Dieul que d'eloges avez-vous donn& ä mes tableaux. Un Journal les accuse aujourdliui de m^taphysiqae allemande. C'est un reproche bien singuher qui sent le cou- vent de Munich'' (das er in dem ,3riefwechsel mit Ber^ians^, I, 121, ,,die spelunca maxima des deutschen Ultramontanismns'' nennt).

Im Hinblick auf eine so umfassende und vielseitige Thatig- keit mochte Karsten wol recht haben, wenn er am 7. Jan. 1807 an von Moll berichtete^: „Humboldt wird so unendlich gesucht, dass sein Bestreben immer mehr dahin gerichtet ist, zum Besten der Wissenschaft sich ganz vom geseUigen Leben zurückzuziehen. Mit ungeheuerm Fleiss und rastloser Beharrlichkeit arbeitet er an seinen Werken."

Hören wir nunmehr Humboldt selbst, wie er sich in Briefen aus jener Zeit ausgesprochen:

An Dr. Beer in Glogau.

„Berlin, den 22. April 1806.

.... „Mein Herz hat hat Sie nicht vergessen, auch wenn

ich Ihnen seit fünfzehn Jahren nie wieder schrieb Ich freue

mich Ihres Glücks. Ich, guter Beer, lebe fremd und isolirt in diesem mir fremd gewordenen Lande. Der Boden brannte mir

unter den Füssen, ehe ich Europa verlassen Ich sehe die

Herz mit alter Anhänglichkeit. Sie ist eine vortreffliche Frau

* Briefe an Varnhagen, S. 244.

^ Briefe von A. von Humboldt an Bunsen, S. 115. ^ De la EoqueUt, Humboldt, Correspondance, U, 3«J.

* voti MoUy Mittheilmigen aus Briefen etc., S. ;J58.

9. In der Heimat (Briefe an alte Freonde.) 417

und liebt Sie wie ich, und das ist viel. Auch Nathan Mendels- sohn ist hier und hat sich zu einem treflTlichen Menschen ge- bildet.' Kommen Sie einst her, so werden Sie mich einfach finden wie sonst, aber weniger heiter. Ihr Sie liebender

Humboldt."

An Frau Karoline von Wolzogen.

„Berlin, den 14. Mai 1806.

„Flussfieber und wüthiges Zahnweh, welche mich seit meiner Zurückkunft in diese menschenleere Wüste oft heimsuchen, ha- ben mich neulich gehindert, jenes Exemplar von WilheUn's herr- lichem Gedicht mit einigen Zeilen zu begleiten, um Ihnen, verehite theuere Freundin, innigst zu danken für den freundlichen kleinen Brief, den ich von Ihnen empfing. Was Sie auch scherz- haft (denn hämisch waren Sie ja niel) von meiner Universalität sagen, so trauen Sie mir doch deutschen Sinn genug zu, um mich recht mit herzlicher Rührung täglich Ihrer und Goethe's und des Verewigten zu erinnern, um recht zu fühlen, dass es etwas Grosses und Rühmliches für mich ist, einmal zwischen Urnen und diesen nicht ganz unbeachtet gestanden zu haben.

„Liegen auch gleich grosse Bergmassen und Meere, ja, was höher und tiefer noch ist, die Vergegenwärtigung einer fast schauderhaft lebendigen Natur zwischen jener Zeit und dieser, sprechen auch seitdem tausend wunderbare Gestalten zu meinen Sinnen, so „wurde das Neue doch immer heimisch wieder^S das äusserlich Fremde knüpfte sich doch gefällig den altem Ge- sichten an, und in den Wäldern des Amazonenflusses wie auf dem Rücken der hohen Anden erkannte ich, wie von Einem Hauche beseelt von Pol zu Pol nur Ein I^ben ausgegossen ist in Steinen, Pflanzen und Thieren und in des Menschen schwel- lender Brust. Ueberall ward ich von dem Gefühl durchdrungen,

Vgl. S. 414.

A. ▼. HVMItOLOT. I. 27

418 n, A. Reiseleben in Amerika.

wie mächtig jene Jenaer Verhältnisse auf mich gewirkt, wie ich, durch Goethe's Naturansichten gehoben, gleichsam mit neuen Organen ausgerüstet worden warl

„Auch Sie behandeln mit vieler Schonung meine kleine Pflanzenphysiognomik. Das hat mich unendlich gefreut. Leben- diger ist freilich alles in mir geworden, aber man wagt es nicht immer, es so ganz und gleich lebendig von sich zu geben. Ich brüte über vieles in mir, denn ich führe hier ein traurig iso- lirtes Leben. Ich habe niemand hier, mit dem mir wohl wäre, und das ist eine fürchterUche Empfindung. Kommen Sie, Theure, und Goethe denn nicht nach Lauchstädt? Dort könnte ich Sie, hoffe ich, aufsuchen. Empfehlen Sie mich der theuem Schiller, umarmen Sie die lieben Kleinen, und Goethen den Ausdruck meiner kindUchen Liebe. Ihr

Humboldt"

An von Zach.

„Berlin, den 19. Sept. 1806.

„. . . . Zwei Jahre werde ich wol mit dem Ordnen meiner Materialien zu thun haben, so lange beschäftigt mich die Heraus- gabe meiner jetzigen Reise Könnte doch dieser astrono- mische Theil Sie befriedigen und Ihrer werth sein, da er Ihnen seine Entstehung zu verdanken hat. Ohne Sie hätten die Ge- stirne des Tropenhimmels mich nie angelächelt, Ihnen verdanke ich die reinsten Freuden, Genuss der nächtlichen Natur, den stillsten und ruhigsten aller Genüsse. In diesem Gefühl der innigsten Dankbarkeit wage ich es, Ihnen und Hrn. Delambre diesen astronomischen Theil zugleich dediciren zu dürfen. Hr.

Oltmanns und ich bitten Sie gemeinschaftlich darum Es

ißt ein unaussprechliches Glück für mich, Hrn. Oltmanns hier gefunden zu haben; er ist ein wunderbarer junger Mann, der sich ganz selbst gebildet hat, voll Talent, Bescheidenheit und unbegreiflicher Ausdauer. Er lebt der Astronomie allein. Er verlässt oft in vierzehn Tagen kaum seine Arbeit, hat grosse

9. In der Heimat. (Briefe an alte Freunde.) 419

Fertigkeit im höhern Calcul und gründliche Belesenheit. Men- schen, die die Wissenschaft um ihrer selbst willen lieben, sind

selten Ob ich gleich fortwährend wenig schlafe und nicht

träge bin, so kann ich doch mit der Herausgabe nicht so eilen, als manche wünschen. Ich wtlnsche etwas Gründliches zu lie- fern, und lasse mir daher es gern gefallen, dass der oft un- freundliche Theil des Publikums indess etwas ungleich von mir urtheilt"

*

An Wattenbach.

„Berlin, den 10. April 1807. „Liebster Wattenbach 1

„Zu einer Zeit, wo Sie Prediger und ich ein buchhaltender Geschäftsmann werden wollte, waren wir uns sehr nahe. Sie haben meine Rolle, ich nicht die Ihrige übernommen, aber trotjs dieses Wechsels, trotz meiner langen Abwesenheit, haben Sie mich gewiss nicht vergessen. Ich wenigstens erinnere mich gern an unsere jugendlichen Freuden, an den innem Kreis des Hauses und an die liebenswürdige Heiterkeit Ihres edeln Charakters. In diesen Gesinnungen, in dieser Zuversicht darf ich Ihnen wol einen jungen Mann empfehlen, dem ich sehr wohl will, und der der Bruder eines überaus geistreichen Frauenzimmers ist.^ Ueberbringer dieser Zeilen ist Hr. Moritz Robert ....

„Der arme Dohna bewirthet uneingeladene Kaiser und Könige auf seinen Gütern. Gil sah ich in Barcelona, sehr in- teressant, aber melancholisch und von zerrütteter Gesundheit. Ueber Dashwood hörte ich gern von Ihnen etwas. Mir ist er seit fünfzehn Jahren verschollen. Sein Bruder war mit mir in Westindien. Maclean in Danzig ist reich, fleissig, arbeitsam und immer gleich edel. Ich lebe der Hoffnung, Sie noch einmal zu umarmen. Mit inniger Freundschaft Ihr Humboldt."

> Rahel's.

27*

420 n, A. Reiseleben in Amerika.

Wir sind mit unsem Mittbeilungen der Zeitfolge etwas vorangeeilt und haben nun in dieselbe wieder einzulenken. Gay-Lussac war im Frühjahr 1806* nach Paris zurückgekehrt, Bonpland zu kurzem Besuche in Berlin gewesen ; der Druck der Reisewerke in Paris und Stuttgart ging inzwischen befriedigend von statt.en. Da scheuchte die hereinbrechende politische Kata- strophe auch die Gelehrtenkreise auf. Die Schlacht von Jena wurde geschlagen Preussen vernichtet der König flüchtig Napoleon Sieger in Berlin

Humboldt fand sich vielfach aufgefordert und durch Sprache, Sitte, Bekanntschaft, Ansehen, wie durch Liebe zum Yaterlande wohl hierzu geeignet, vermittelnd einzutreten bei dem schonungs- losen Feinde. Doch die Verhältnisse waren mächtiger als er.

üeber seine vergeblichen Bemühungen, die Universität Halle vor dem ihr drohenden Schicksal der Auflösung zu bewahren, erhalten wir Kunde durch nachstehenden Brief an Friedrich August Wolf*:

„Berlin, den 18. Nov. 1806.

„Ich eile, verehrungswerther Freund, Ihren theuern Brief vom 14., den ich glücklich erhalten habe, zu beantworten. Ich will wünschen, dass Sie meine Antwort, die ich wahrscheinlich unversiegelt auf die Post gebe, schnell genug erhalten mögen, um mich von dem Vorwurf zu befreien, als habe ich in einer so wichtigen Angelegenheit für Menschenglück und Geistesbil- dung unthätig bleiben können. Nein, mein Theuerer, als ich Ihren Brief empfing, hatte ich mich mit diesen Sachen seit acht Tagen und in einem Vormittag sechs bis sieben Stunden lang beschäftigt. Alle ersten französischen Staatsmänner, z. B. der Staatssecretär Maret und der Generalintendant Daru, gewiss zwei ausgezeichnete Männer, sind nämlich so ungeheuer be- schäftigt, dass man Stunden, ja halbe Tage verliert, ohne ihrer

1 So erzählt Arago in seiner Gedächtnissrede auf Gay-Lussac; Hum- boldt, in seiner Autobiographie in Brockhaus' Conversations-Lexikon, lässt ihn aber schon im Winter 1805—6 zurückreisen.

* Körte, Leben und Studien Friedrich August Wolfs, I, 359.

9. In der Heimat. (An Friedrich Augast Wol£) 421

auf eine Minute habhaft zu werden. Bei diesen beiden und bei dem Ueneralgouverneur Clarke habe ich wiederholte und, trotz des guten Willens dieser Männer und ihrer grossen Theilnahme an der Universität, wie es bisjetzt scheint, vergebliche Schritte gethan. Auf den Kaiser zu wirken ist etwas, woran bei einem solchen Monarchen, bei dem alles in ilim selbst entsteht und von ihm selbst ausgeht, nicht gedacht werden kann. Dazu habe ich selbst den Kaiser nie persönlich gesehen (ein paar Secunden bei einer Hofvorstellung in Paris abgerechnet) ^ und bekanntlich erscheinen Privatpersonen vor dem Kaiser nur wenn er sie be- stellt. Nach allem, was ich erfahren habe, so scheint der Kaiser jedesmal von neuem gereizt zu werden, wenn man ihm Halle nennt. Hr. Dam hatte vorgestern einen neuen Versuch ge- macht auf Veranlassung eines Schreibens der Universität an ihn ; der Erfolg war ungünstig. Es scheint, als gründe sich der Unwille des Kaisers auf die Annahme gewisser Facta, die mir unbekannt sind. Wie schmerzlich und tief ich das fühle, sage ich Ihnen nicht Ich erwarte von der Zeit manche Milderung und Modificationen, und ich werde unermüdet und täglich daran arbeiten. Ich kann nicht glauben, dass man so viele wissen- schaftliche Anstalten, als Halle in sich schliesst, ganz auflösen wolle. Halle ist Leipzig nahe, jenseit der Elbe. Ich fürchte, der Kaiser hat Zwecke, die mit politischen Begebenheiten zu- sammenhängen, welche der Friede enthüllen wird.

„Muss ich Ihnen einen soldien Brief schreiben!

„Dass ich innigste Anhänglichkeit, Verehrung und Liebe mit meinem Bruder für Sie theile, wiederhole ich Ihnen nicht

A. Humboldt"

„Nachschrift Ich bin neulich so glücklich gewesen, die alte Hamburger Zeitung aufzufinden, in welcher Ihre Universität gegen die kriegerischen Gesinnungen der Studirenden protestirt Ich habe ^ie soeben mit einem neuen eindringlichen Schreiben au Hm. Daru gesandt"

' Vgl. iS. 402.

422 n, A. Reis^ebai in Amerika,

In so schmerzlicher Stimmung widmete er im Mai 1807 seine „Ansichten der Natur" bedrängten Gemüthern: „Wer sich herausgerettet aus der stürmischen Lebenswelle, folgt mir gm in das Dickicht der Wälder, durch die unabsehbare Steppe und auf den hohen Rücken der Andeskette, Zu ihm spricht der welt- richtende Chor:

Auf den Bergen ist Freiheit t Der Haach der GFrOfte Steigt nicht hinaof in die reinen Lofte; Die Welt ist voUkonunen überall, Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual/' >

Dieselbe trübe Stimmung klingt auch in den folgenden Stellen wider*:

„Darum versenkt, wer im ungeschlichteten Zwist der Völker nach geistiger Ruhe strebt, gern den Blick in das stille Leben der Pflanzen und in der heiligen Naturkraft inneres Wirken; oder, hingegeben dem angestammten Triebe, der seit Jahrtan- senden der Menschen Brust durchglüht, blickt er ahnungsvoll aufwärts zu den hohen Gestirnen, welche in ungestörtem Ein- klang die alte ewige Bahn vollenden"

„Wenn jede Blüte des Geistes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke schaffender Kunst zerstieben, so entsprichst ewig neues Leben aus dem Schosse der Erde. Rastlos entfaltet ihre Knospen die zeugende Natur, unbekümmert ob der fre- velnde Mensch (ein nie versöhntes Geschlecht) die reifende Frucht zertritt."

Im Frühjahr 1808 beschloss die Regierung, in der Hoff- nung, die durch den schmachvollen Tilsiter Frieden auferlegten Lasten mittels einer Negociaüon mit dem Kaiser Napoleon ver- mindern zu können, den jüngsten Bruder des Königs, den durch persönliche Tapferkeit und Anmuth der Sitteu gleich ausgezeich- neten Prinzen Wilhehu von Preussen, nach Paris zu senden, und Humboldt ward zu seiner Ueberraschung vom König ausersehen,

* Ansichten der Natur, 3. Aufl., Vorrede S. 10. < Ebendas., I, 38. 286.

9. In der Heimat. (Uebersiedelung nach Paris.) 423

den Prinzen auf dieser schwierigen politischen Mission zu be- gleiten, um ihm durch seine genaue Bekanntschaft mit den da- mals einflussreichen Personen wie durch seine Welterfahruug nützlich zu werden. Der Aufenthalt des Prinzen, dem als Ad- jutant der nachmalige Eidam Wilhelm von Humboldts, General von Iledemanu, beigegeben war, dauerte bis zum Herbst 1809. Humboldt aber, die Unmöglichkeit einsehend, bei den nun- mehrigen Zuständen in Deutschland die Herausgabe seiner so umfassenden, von keiner Regierung unterstützten Reisewerke auf deutschem Boden fortzusetzen, erbat und empfing vom König die Erlaubniss, als eins der acht auswärtigen Mitglieder der pariser Akademie der Wissenschaften in Frankreich bleiben zu dürfen.

Wie ein Abschiedsgrnss von der Heimat klang ihm das (im September 1808 in Albano verfasste) Gedicht des Bruders „An Alexander von Humboldt" nach \ eine dankbare Erwiderung auf die Widmung, die er seineu „Ansichten der Natur" vorgesetzt hatte. Wilhelm von Humboldt knüpft in dieser Dichtung eine Reihe tiefsinniger Gedanken an den Verlauf der Weltgeschichte an, geht dann zu des Bruders persönlichen Beziehungen über und schliesst im Hinblick auf dessen neue Reiseplane mit den Versen:

Glücklich bist Du gekehrt zur Heimaterde Vom fernen I^and und Orenocos Wogen. 0! wenn die Liebe spricht es zitternd aas Dich andern Welttheils Küste reizt, so werde Dir gleiche' Huld gewährt, und gleich gewogen Führe das Schicksal dich zum Yaterherde, Die Stirn von neuemmgnem Kranz umzogen!

1 Wilhelm von UumboldVs Gesammelte Werke, I, .%1.

B. Reiseleben in Asien.

,^» UM tmmk r—i» coauM Ja »• mIi WI

rvi^ 7. JHiirtor UU. 1.

Aeltere Plane.

RuMische Anträge 1811* VerhandlongeD mit von Rennenkampff.

Vorstudien. Das preusgische Project 1818. Munificenz Friedrich

Wilhelm'8 in. Weitere asiatische Studien.

£inc Reise nach Asien, nach Oberindien, zum Himalaya, nach Tibet gehörte, wie schon wiederholenthch erwähnt wor- den, zu Humboldts sehnlichsten Wünschen. Unter Sylvestre de Sacy und Andre de Nerciat studirte er zu diesem Zwecke die pemsche Sprache. Aber wie eifrig er sich auch zu der Iteise vorbereitet und Zwecke und Plane erwogen hatte \ wie nahe er oft die Ausführung derselben glaftbte, die Kriegsereig- nisse, finanzielle Verhältnisse und der langsame Fortgang der Publication seines amerikanischen Reisewerks waren stets hin- dernd dazwischengetreten.

^ „Hr. von üumboldt beschäftigt sich in Paris fortwährend mit Vor- bereitungen ftkr seine tatarisch-tibetische Entdeckungsreise. Er hat kürz- lich einen vortrefflichen Aufsatz vollendet über den mexicanischen Kalender, und seine Vergleichung mit dem der Peruaner, Japanesen, Chinesen, Mon- golen, Tibetcr imd Hindus wirft neues Licht auf die älteste Geschichte und BevöUierung der Erde.** (Allg. geogr. Ephemeriden. 1811, XXXVL 376).

1. Aeltere Plane. (Verhandlungen mit von Rennenkampff.) 425

Erst gegen Ende des Jahres 1811, als Russland eine Mis- sion über Kaschghar nach Tibet ausrüstete, schienen die alten Hoffnungen und Plane sich verwirklichen zu wollen. Der Reichs- kanzler Graf Romanzow kannte Humboldt persönlich und schätzte seinen P^ifer und seine Kenntnisse sehr hoch. Auf dessen Ver- anlassung wurde der spätere oldenburgische Oberkammerherr von Rennenkampff, damals in russischen Diensten, beauftragt, Humboldt zur Theilnahme an dieser centralasiaüschen Mission einzuladen. Humboldt nahm das Anerbieten freudig an. Seine Antwort, datirt „Paris ä Tobservatoire Rue St.-Jacques, le 7 Jan- vier 1812*S lautet im Auszuge:

.... Je m'occupe, outre la publication de mes ouvrages sur rAmärique, d'ätudes pr^paratives pour une exp^dition d'Asie. J'ai congu ce projet avant mon retour en Europe m£me; je suis sür de Texecuter, mais je ne partirai pas de Paris avant d'avoir termine mon ouvrage dont plus de deux tiers sont acheväs. .....

„Le but de mon voyage en Asie est la haute -chatne de montagnes qui va des sources de llndus aux sources du Ganges. Je d^sirerais voir le Tibet, mais ce pays n'est pas le but prin- cipul de mes recherches. 11 est probable que je fasse le tour par le Cap de Bonne Esperance. Un travail sur la däclinaison des etoiles centrales m'a tente depuis longtems. Je voudrais rester un an ä Benares; si je ne puis parvenir au Bouchare ou au Tibet, je pourrai visiter depuis la päninsule de linde les cötes de Malacca, Tlsle de Ceylon, Java ou les Isles Philippines. Je prefere cette route de ITnde, parce que, une fois debarqu^, je suis sür d'un voyage interessant en d^couvertes de tont genre.

„La Situation politique de TEurope me d^terminera un nioment de partir, si je puis prendre le chemin de Constanti- nople, de Bassora et de Bombay. Comme mon but principal sont rinde et les montagnes de FAsie centrale plac^es sous les ;]5 et 38 de latitude, je suis assez indifferent sur la voie par laquelle je commence mon expödition.

„Voici, mon excellent ami, les vues et les plans dont je

426 n, B. Reiseleben in Asien.

m'occupe en ce moment. Je suis extrdmement flatt^ de Finte-

r6t qu'on veut bien fixer sur moi ä P^tersbourg Le Cointe

de Romanzow, Ministre de Commerce, a daign^ me faire des

propositions pendant son s^jour k Paris J'accepterai avec

empressement les propositions que le Gouvernement voudra bien me faire par une voie ofGcielle, si Von daigne me donner des eclaircissemens geographiqucs mr les regions que Von desire faire examiner. II m'en coutera beaucoup d'abandonner Fespoir de Yoir les bords du Ganges, le climat des bananes et des palmiers. J'ai aujourd'hui 42 ans; j'aime ä entreprendre une expddition qui dure 7 ä 8 ans, mais pour sacrifier les r^ons äquinoxiales de FAsie, il faut que le plan qu'on me trace soit vaste et large. Le Caucase me tente moins que le lac Baikal et les volcans de la Päninsule de Kamtschatka. Peut-on p^^trer ä Samarcand, ä Cabul et ä Eashmir? Faut il perdre Fespoir da mesurer le Mustag et le plateau de Shamo? T-a-t-il dans FEmpire Russe un homme, qui, sans passer par les routes ordi- naires de Teheran, Casbin et Herat ou de Galcutta, ait ^t^ ä Lassa ou Tibet? La Russie est -eile en guerre avec toutes les peuplades de sa frontiere m^ridionale, et nc pourra-t-on faire les Operations qu'au milieu du tumulte des armes? La Geographie, la science qui traite sur la superposition des rochers et de Fidcntite des formations, la Geographie des Vdgetaux, la Meteorologie, la theorie du Magnetisme (Inclinaison, Declinaison, Intensite des forces, variations horaires), observations de Pen- dule feront des progr^ immenses dans cette expedition ä cause de Fetendue que Fon peut parcourir. L'etude de Fhomme, les races, les langues qui sont les monumens les plus durables de Fancienne civilisation, Fespoir d'ouvrir des routes au commerce vers le Sud mille objets divers se presenteront a nos recherches. Pour saisir d'abord Fensemble du theätre de mes Operations, je voudrais qu'on nie penuit de commencer a par- courir toute FAsie sous les 58° 60° de latitude, par Kathariuen- bourg, Tobolsk, Jeniseisk, Jakoutskoi aux volcans du Kamt- schatka et aux bords de la Mer du Sud. Les pays etant inclines

1. Aeltere Plane. (Yerhandluxigen mit von Rennenkampff.) 427

au Nord, on y verrait sortir toutes les formations plus r^ccDtes ; on reviendrait aprös de TEst ä l'Ouest sous les 48° de latitude par le lac Baikal, pour se livrer aux recherches qui doivent commencer au Sud de ce parallMe et qui dureraieut quatre ä cinq ans.

„Ges voyages ne seront gu^res tr^s-coüteux, quoiqu'il fau- drait employer des instruineDs de la plus parfaite construction quoique de petites dimensions. Je d^sirerais que la plupart des savans fussent russes; ils seront plus courageux ä endurer des peiues et des fatigues, ils d^sireront moins ardemment le retour. Je ne sais pas un mot de la langue russe, mais je me ferai russe, comme je me suis fait espagnol. Tout ce que j'entreprends, je Fexöcute avec enthousiasme." ....

Humboldt weist auf den Gewinn hin, der für die einzelnen wissenschaftlichen Disciplinen, der insbesondere auch für den russischen Staat aus einer solchen Reise ins Innere des Fest- landes erwachsen würde, und fahrt dann fort:

„Vous voyez, Monsieur, par l'espoir auquel je me livre, que je serais tout d^cidd d'accepter les offires qu'on daignera me faire, si les plans sont con^us d'une mani^re assez grandc qu'ils me paraissent dignes du Monarque qui gouveme la moitiä de Tancien continent. Les craintes que Ton a d'une guerre dans le Nord retarderont peut-6tre un peu Texdcution de ces grands projets ; j'aime k espdrer que cette partie de FEurope continuera a jouir de la paix; cet espoir ne fClt-il pas r^alisd, on peut croire qu'apr^s une guerre les Gouvememens embrassent avec plus de chaleur tout ce qui tient ä la prosp^ritd int^rieure et ce que ne demande que des frais m^diocres. Je ne pourrais etre ä Pdtersbourg avant Thiver 1814. Ce d^lai ne sera pas nuisible ä la chose publique. II faut plus d'un an pour faire exöcuter les instrumens de Physique et d'Astronomie que Ton commanderait ä Paris (Fortin, Breguet, Lenoir), ä Londres (Troughton, Mudge, Ramsden son), ä Munich (Reichenbach); il faut du teras pour röunir les savans et artistes, il en faut pour prendre des infomiations aux frontieres möridionales de FErapire,

428 n, B. Reiseleben in Asien.

sur la possibilite de penetrer plus au Sud Je vous ai

parle avec cette meme franchise avcc laquelle je me suis ex- pliqu^ ä la cour d'Araujuez en 1799

„Je connais trop votre delicatesse, Monsieur, pour qu'il

soit necessaire de vous inviter ä ne pas faire d'autre communi-

cation de cette lettre que vis -ä- vis des personnes qui sont

directement int^ress^es ä Fex^ution d'un plan utile aux progres

des Sciences. II ne serait poiut humiUant pour moi d'offiir mes

Services ä un Prince qui a fiait fleurir les sdences et les arts

dans ses vastes ^tats. Mais ma Situation individuelle me d^end

une dämarche de cette nature. Je ne me refuserai ä rien de

ce qui tend vers un but utile et glorieux; j'entreprendrais le

voyage de Tobolsk au Cap Comorin lors m£me, que si je savais

que de neuf personnes il n'en arriverait qu'une seule, mais

simple dans mes goüts, ami d'une ind^pendance morale, soutenu

par une forte volonte je poursuis tranquillement mes recherches

particuliferes. Je sortirais de mon caractfere, si, au lieu de

röpondre aux questions que vous me proposez, je faisais des

demarches de mon cot6

Alexandre de Humboldt^* ^

Es ist nicht bekannt, wie weit die Verhandlungen mit dem russisciien Bevollmächtigten gediehen waren; man weiss aber, dass der kurz darauf ausgebrochene Krieg zwischen Frankreich und Russland Humboldts Hoffnung, die geologischen Verhältnisse des Himalaja und Kuen-lün mit denen der Andeskette vergleichen zu können, scheitern machte. Auch die nächsten Friedensjahre brachten ihm keine Befriedigung seiner Reiselust. Dagegen

* Auf die Anfrage an Humboldt, ob die Veröffentlichung dieses Briefes gestattet sei, erwiderte er: „Je ne d^savoue aucun des motifs qui ont guid^ ma plume en ^crivant au digne Baron de Rennenkampff; dix-sept ans plus tard, 1829, j^ai fait d'apr^s les ordres de TEmpereur Nicolaus l'expMition decrite dans mon «Asie centrale». Cette lettre peut Stre imprim^e avant ou apr^s ma mort. Elle est Timpression d'une forte volonte !

Berlin, le 18 Oct. 1853. A. de Humboldt,"

1. Aeltere Plane. (Das preussigche Project.) 429

traten neue Aufgaben an ihn heran, deren Lösung seine Thätig- keit in Anspruch nahm.

Als er im Jahre 1804 von Amerika nach Europa zurück- kehrte, konnte er seine dort angestellten Beobachtungen über die Grenzen des ewigen Schnees in den Gordilleren noch nicht mit Messungen im Himalaya, Hindu-Ehu, Kaukasus oder Antrat vergleichen. Moorcroft besuchte das tibetische Hochland von Daba erst im Jahre 1812, und die grossen g^dätischen und hypsometrischen Arbeiten von Webb, Hodgson, den Gebrüdem Gerard und Will. Lloyd fallen noch später, in die Jahre 1819—21. Wie überall waren auch in Asien abenteuerliche Expeditionen den wissenschaftlichen Arbeiten vorangegangen ; es erhoben sich jetzt polemische Zweifel an der Genauigkeit der Bergmessungen in Indien und an der erstaunlichen Höhe der Schneegrenze am nördlichen Abhänge des Himalaya. Dies veranlasste Humboldt im Jahre 1816 zu einem Memoire „Sur les montagnes de linde.'* * Die Schrift erregte allgemeines Au&ehen, namentlich in England.

Während des Congresses zu Aachen, bei dem er sich auf Wunsch des Königs in dessen nächster Umgebung befand, bot sich indessen seinem so lange genährten asiatischen Reiseplane wieder neue Anregung, ja, gestützt auf das königliche Wohl- wollen und auf die alte Freundschaft des Staatskanzlers Fürsten Hardenberg, scheinbar sichere Gewähr für die endliche Erfüllung. Die reponirten Acten der geheimen Registratur des Staatskanz- lers bewahren ein Acten voIumen*, die Kosten der asiatischen Reise Humboldt's betreffend, dem wir die beiden folgenden Schriftstücke entnehmen :

„Sr. Durchlaucht dem Herrn Fürsten Staatskanzler.

„Ew. Durchlaucht haben mir befohlen, Ihnen in gedrängter Kürze meine Wünsche und Hoffnungen ganz gehorsamst vorzu-

I Annal. de Ch^m. et de Phys., III, 103, deutsch in Gilberfs Annalen, LVI, 1—42.

' Vol. r>. 181(yi8l9. Wissenschaftliche und gelehrte Sachen. Spe- cialia. Im königl. geheimen Ministerialarchiv.

430 U) B. Eeiseleben in Amen.

tragen. Es ist die erste Bitte, die ich für mich wage, seit doi fünfundzwanzigjährigen Zeiträume, in dem ich mich des Zu» traueus Ew. Durchlaucht erfreue. Ich darf sie um so freier aussprechen, als sie nicht Privatvortheile, sondern grosse wissoi- schaftliciie Zwecke betrifft und von meiner Seite AufopferangeB erheischt, die meine Gesundheit und mein Leben in Gefeüir setzen. „Eine fünfjährige Reise nach den Tropenländem des Neaen Continents hat mein Vermögen, aber nicht meine Kräfte er- schöpft. Ich bin fest entschlossen, Europa au£B neue zu ver- lassen und eine Reise um das Vorgebirge der gat^i Hofltaung nach der indischen Halbinsel und dem indischen Archipelagns auf vier bis fünf Jahre zu unternehmen. Des Königs Majestät und Ew. Durchlaucht haben mir wiederholenüich bei dem erstes .Aufenthalt in Paris und London die Mittel zugesichert, wdciie zu einem solchen Unternehmen unentbehrlich sind. Sie haben mir mit der Hoffnung zu schmeicheln geruht, der Staat werde nicht eine Aufopferung scheuen, welche der ähnlich wäre, die ich von meinem Privatvermögen gemacht Nach glorreich voll- brachten Kriegen, nach Erweiterung der Grenzen des Reidis, nach Erringung eines Waffenruhms, der diese Zeitepoche ver- herrlicht, bleiben noch den Künsten des Friedens Wege geöffnet die auch nicht ohne Ruhm sind. Was ich zu leisten strebe, werden Ew. Durchlaucht nicht nach dem beurtheilen, was ich geleistet habe. Anhaltendes Studium hat meine Ansichten er- weitert. Der Wunsch, die königlichen Cabinete zu bereichem und dem Staate, dem ich meine Kräfte anbiete, mein tiefes Dankgefühl zu bezeigen, wird mir ein neuer Antrieb zur Thätig- keit sein. Der Prinz-Regent von Grossbritannien, von unserm Könige im Jahre 1814 persönlich aufgefordert, hat mir die er- neuerte Versicherung seines Schutzes gegeben. Die Schwierig- keiten, welche die Englisch -ostindische Compagnie mir in den Wog legen könnte, sind durch meine Verbindungen mit don Directoren, die dir grösstc Unabhängigkeit von dem Ministerium behaupten und mich mit besonderm Wohlwollen behandeln, fast ganz entfernt. Der Minister des ostindischen Departements,

1. Aeltere Plane. (Das preussische Project.) 431

Hr. Ganning, ist mein persönlicher Freund. Es bleibt mir da- her zur völligen Sicherung meines Unternehmens nichts mehi* übrig, als die durch die wohlwollende Fürsprache Ew. Durch- laucht zu erlangende Entscheidung des Königs,

mir auf vier bis fünf Jahre eine jährliche Unterstützung von zehn- bis zwölftausend Thalern in Gold und die astronomischen und physikalischen Instrumente alier- gnädigst zuzusichern, welche nach meiner Rückkunft oder nach meinem Tode in Indien dem königlichen Ingenieurcorps als Staatseigenthum abgeliefert werden. „Das Leben in den asiatischen Colonien ist um vieles theuerer als in den amerikanischen. Ich habe in fünf Jahren auf meiner ersten Reise 52000 Thlr. von meinem Privatver- mögen zugesetzt^, ohne den Verlust zu rechnen, welchen ich bei Herausgabe meiner Werke erlitten, deren Druck- und Eupferstichkosten, durch das europäische Publikum allein unter- stützt, auf 180000 Thlr. angewachsen ist Die blosse Ueberfahrt nach Ostindien wird mir mit zwei Reisegefährten, einem Bo- taniker und einem Zoologen, 6 700 Pfd. St. kosten. Der Dr. Buchanan, den zuletzt die Ostindische Compagnie hat reisen lassen, bedurfte monatlich 1500 Rupien, jede zu 2% Sh.

„Die Epoche meiner Abreise ist die der Vollendung der letzten Theile meiner Reise, in vierzehn bis fünfzehn Mo- naten. Ich bin gezwungen, so unbescheiden auf die aller- höchste königliche Entscheidung bei Ew. Durchlaucht anzu- tragen, weil, wenn diese Hoffnung fehlschlägt, ich Zeit ge- winnen muss, nach meinen Privatkräften mit königlicher Bewilligung die Verhältnisse zu benutzen, welche sich in dem gegenwärtigen Culturzustande von Europa einem arbeitsamen Gelehrten darbieten.

Aachen, den 18. Oct. 1818. Alexander von Humboldt."

I Differii-t zwar mit der Angabe in den Tagebüchern (s. die Beilage) sebr wesentlich; in der hier angegebenen Summe ist aber wahrscheinlich ein Thoil der Herstellungskosten der Reisewerke mit inbegriffen.

432 n, B. Reiseleben in Asien.

Schon vom nächstfolgenden Tage datirt die Cabineteordre des Königs:

„Der Staatskanzler Fürst von Hardenberg hat Mir das Memoire vorgelegt, welches Sie ihm wegen Ihrer beabsichtigten Reise nach der indischen Halbinsel und dem indischen Archi- pelagus übergaben.^ Sie haben durch Ihre frühem Reisen nach dem südlichen Amerika und die schönen Werke, welche die Früchte derselben sind, einen Ruhm erworben, welcher Ihnen sowie Ihrem Vaterlande zur Ehre, und der Wissenschaft zum grössten Nutzen gereicht, und Ich zweifle nicht, dass das- selbe mit Ihrem neuen Reiseplane der Fall sein werde. Ich bewillige Ihnen also sehr gern behufs der Ausführung desselben eine jährliche Unterstützung von 12000 Thlm. in Gold auf vier bis fünf Jahre vom Tage Ihrer Abreise an, wie auch die astro- nomischen und physikalischen Instrumente, welche jedoch Staats- eigenthum bleiben und nach Beendigung Ihrer Reise dahin ab- zuliefern sind, wo Ich es bestimmen werde. Ich werde es auch gern sehen, wenn Sie, als Kenner, dahin wirken, die dem Staate gehörenden Cabinete zu bereichem, und werde an dem guten Erfolge Ihres wissenschaftlichen Strebens lebhaften Antheil nehmen.

„Aachen, den 19. Oct. 1818. (gez.) Friedrich Wilhelm.

„An den Kammerherrn Alexander Freiherrn von Humboldt"

Für den Ankauf der physikalischen und astronomischen Instrumente, Landkarten und Bücher wurden im Mai des nächsten Jahres 12000 Thlr. durch das berliner Bankhaus Mendelssohn in Paris angewiesen, und Humboldt dabei aus- drücklich informirt, dass die Instrumente zwar nach Vollendung der Reise an die königlichen Sammlungen einst abgeliefert werden sollen; „es ist jedoch kemeswegs die Absicht Sr. Maj.,

^ Von dem Memoire war weder Titel noch sonst etwas zu ermitteln, wahrscheinlich war es das eben erw&hnte Memoire „8ur les montagnes de rinde".

1. Aeltere Plane. (Asiatische Stndien.) 433

an diese Verfügung eine lästige und drückende Verpflichtung zu knüpfen. Da bekanntlich bei einer solchen Reise die Instru- mente oft zerbrochen, oder schon durch den öftem Gebrauch unbrauchbar werden, oder auch anderweitig zu Schaden kommen, so wäre es unbillig, die Ablieferung dieser Instrumente nach Zahl und Eigenschaften in ihrer Integrität zu fordern. Es mag also dem Herrn Baron von Humboldt überlassen bleiben, un- gehindert und ohne Äengstlichkeit sich dieser Instrumente, welche die königliche Gnade ihm bewilligt hat, zu bedienen, und sie bei der Rückkehr ins Vaterland den königlichen Samm- lungen in dem Zustande, in welchem sie sich eben befinden werden, zu übergeben."

Bereits hatte sich Humboldt vollständig gerüstet, auch die Reisegefährten und Ilülfsarbeiter waren schon gewählt ', als auch diesesmal, vermuthlich infolge illiberaler Einflüsse der englischen Ostindischen Compagnie, die Reise aufgegeben werden nmsste.

Der zweimal genährte und der Ausführung so nahe gerückte Plan, ins Innere von Asien einzudringen, war indess Veranlas- sung gewesen, dass Humboldt mit Eifer asiatische Sprachen stu- dirte und sich die Aufsuchung aller Documente angelegen sein Hess, aus welchen er über die Urographie und Klimatologie Asiens Belehrung schöpfen konnte. Als nächste Frucht dieser Arbeiten erschien sein zweites „Memoire sur les montagnes de rinde", mit dem besondem Titel „Sur la limite inferieure des

> Unter diesen war auch der damalige Hauptmann, jetzige General- licatenant z. D. und Präsident des königl. preassischen geodätischen In- stituts Dr. Baeyer. Als vortrefflicher Geod&t sollte er die topographischen Aufnahmen, Orts- and Höhenbestimmungen, überhaupt Messungen jeder Art übernehmen; auch zu mineralogischen und geognostischen Hülfsar- l»eiten hatte er sich unter Professor Weiss' Leitung tüchtig vorbereitet Dorow (Erlebtes, III, 65 fg.) erzählt: „Goerres äusserte sich über Alexander von Ilumboldt^s projcctirte Reise nach Persien und Tibet ganz enthusiastisch und meinte, Dorow sollte alles anwenden, sie mitzu- machen .... Hingegen bezweifelten Goethe und Reinhardt, dass Hum- boldt den Dorow in seine Gesellschaft aufnehmen möchte, da er an ihm keinen thätigen Gehülfen haben würde.**

▲• V. HoiuoLi»T. I. 28

434 n, B. Rdseleben in Asien.

neiges perpätuelles dans les montagnes de THimalaja et les r^ gions äquatoriales^' ^. Im anregenden Verkehr mit den Sprach- gelehrten Abb6 Gregoire, Abel-Remusat, Letronne, Hase, Freytag, Klaproth^ Yilloisin, Champollion, dem persischen Reisenden Andrea de Nerciat und dem grossen Orientalisten neuerer Jahr- hunderte Sylvestris de Sacy gewannen seine asiatischen Stadien immer grössere Ausdehnung, bis er im Beginn des Jahres 1827 von Paris wieder nach Berlin übersiedelte.

> Annales de Chim. et de Phys., Tome XTV (Paris 1820).

' Elaproih, damals der rennomirteste Sinologe und Kenner asiatischer £rd- nnd Völkerkunde, der Verfasser des „Tableau historique de TAsie^, arbeitete gerade an seiner „Carte de PAsie centrale, dress^e d'apr^s les Cartes lev^es par ordre de l'Empereur Khian-loung par les Missionnaires de Pöking et d'aprös un grand nombre de notions extraites et traduites de livres chinois'S für die sich Humboldt in hohem Masse intercssirte. (Vgl. Briefwechsel Humboldt's mit Berghaus, II, 1.)

2.

Reise ins asiatische Bussland.

Antrag und Verhandlungen. Von Berlin bis St.-Peter8burg. In St.-Pctcrsburg und Moskau. Reiseroute. Länge des zurückgelegten Weges. Persönliches. Diamanten im Ural. Rückreise und Ehren- bezeigungen.

Der russische Finanzminister Graf Cancrin erbat sich in einem Schreiben vom 15. Aug. 1827 Humboldt's Ansicht über die Verwendung des Platinametalls, von dem gerade ein bedeu- tender Schatz im Ural entdeckt worden war, zu Geldmünzen und über das gesetzlich festzustellende Werthverhältniss der Piatina- zu den Gold- und Silbermünzen. Beiläufig Hess er die Bemerkung einfliessen: „der Ural wäre wol des Besuches eines grossen Naturkundigen werth.^' Humboldt antwortete am 19. Nov. 1S27 in emgehender wissenschaftlicher Weise; er widerrieth die Prägung von Piatinamünzen, weil sie dem Gold und Silber gegen- über einen festen Werth nicht würden behaupten können, und schloss seinen Brief mit der höflichen Versicherung, dass es sein Wunsch sei, dem Minister in Russland selbst seine Aufwartung zu machen. „Der Ural und der nun bald russische Antrat, ja selbst der Baikalsee schweben mir als liebliche Bilder vor." Diese leicht hingeworfene Aeusserung fiel auf fruchtbaren Boden. Unterm 17. Dec. 1827 schrieb Cancrin, der Kaiser Nikolaus wünsche, dass

28*

43G n, B. Reisclebcn in Asien.

Humboldt einb gelehrte Reise nach dem Osten Russlands unter- nehme, und wolle die dazu erforderlichen Geldmittel gern und freigebig bewilligen. Humboldt ging auf das ehrenvolle Anerbieten freudig ein, bemerkte jedoch, seine Arbeiten gestatteten ihm nicht, vor dem Frühjahr 1829 die Reise anzutreten. Was den Finanzpunkt betreffe, so nehme er keinen Anstand, wenn man glaube, sein Auf- enthalt in Russland könne zur Belebung naturhistorischer und technischer Kenntnisse von einigem Nutzen sein, von der kai- serlichen Muniiicenz Gebrauch zu machen. In seinem Briefe vom 10. Jan. 1829' äussert er darüber: „Ich habe alles was ich ererbt (100000 Thlr.) aufgezehrt, und da ich es wissen- schaftlichen Zwecken geopfert, sage ich es ohne Furcht des Tadels. Der König, bei dem ich eine blos persönliche Lage habe, bezahlt mich grossmüthiger als ich es, als Gelehrter und in einigen Administrationsgeschäften, als rathgebende Person bei Sr. Majestät verdienen kann, 5000 Thlr. jährlich. Bisjetzt, da ich ziemlich ungeschickt in meinem Haushalt bin und gern junge Studirende unterstütze, gebe ich jährlich immer etwas mehr aus als ich besitze. Ich muss daher wünschen, dass die Irtyschwasser, wenn ich glücklich wieder hier oder in Paris zurückkehre, nicht meine Lage sehr verschlimmern mögen, mich nicht in eine ernsthafte Geldverwirrung stürzen." Die Reise

' „Im Ural und Altai. Briefwechsel zwischen Alexander von Hum- boldt und Graf Georg von Cancrin, aus den Jahren 1827 32" (Leipzig 1869). Die Schrift enthält 43 zwischen beiden M&nnem vor und während der asiatischen Reise gewechselte Briefe, darunter 28 von Humboldt. Die hier mitgetheilten Reiseerlebnisse werden indess wesentlich ergänzt durch zahlreiche Briefe, die Humboldt während der Reise an den Bmder ge- schrieben hat, und durch mehrere bisher nicht gedruckte Briefe zwischen Humboldt und Cancrin. Erstere zeichnen sich namentlich aus durch rüh- rende Zartheit der Empfindung, und sollten auch wol dem lun den Verlust der Gattin trauernden Bruder Erhtbung und Erheiterung gewähren. („Mor- gen, theuerer Bruder, ist Dein Geburtstag, ich feiere ihn am asiatischen Ural, in den Kupfergruben von Gommeschewskoi. Ich bin sehr gerührt, indem ich diese Zeilen schreibe. Wie gern wäre ich morgen bei Euch im Familienkreisel")

2. Reise ins asiatische Ilussland. (Antrag und Verhandlungen.) 437

von Berlin bis St.-Pctcrsburg und von da zurück, deren Kosten er auf 2r)00— 3000 Thlr. veranschlagte, wollte er aus seineu eigenen Mitteln bestreiten; der Minister Hess ihm aber für diese Tour 1200 Dukaten in Berlin auszahlen. Bei der Ankunft in St.-Petersburg wurde ihm dann zu seinen persönlichen Ausgaben während der Expedition die Summe von 20000 Rubel ein- j^ohändigt. *

Ausserdem hatte der Minister für die Bequemlichkeit des Reisenden die fürsorglichsten Anstalten getroffen. In einem eigen- händigen Promemoria, das er im Januar i829 an Humboldt sandte, heisst es unter anderm: „Ich werde Ew. Hochwohlgeboren einen Bergbeamten* mitgeben, der deutsch oder französisch spricht, und zum Ansagen der Postpferde, Bestellungen am Orte u. s. w. einen Kurier, der womöglich auch deutsch spricht, oder statt dessen verwilligen Se. Majestät einen Feldjäger. Diese Personen bekommen zu ihrem Unterhalt Diäten. . . . Die Bezahlung der Postpferde, des Trinkgeldes und der Wagenreparaturen wird der Bergbeamte aus einer zu seiner Disposition gestellten besondem Summe bezahlen und berechnen. Ew. Hochwohlgeboren haben also damit keine Mühe und Kosten. Es hängt ganz von Ew.

' Humboldt behielt von dieser Summe 7050 Rubel Obrig, und da deren Zurücknahme abgelehnt wurde , bestimmte er sie zu einer wissen- Hcliaftlichen Reise der beiden jungen Mineralogen von Helmersen und Hof- ^naun, die sich ihm auf Befehl der Regierung in Miask angeschlossen hatten.

^ Dieser Bergbeamte war der Oberhüttenverwalter, spätere Berghaupt- mann von Menschenin. Humboldt berichtet stets Löbliches von ihm. Da- gegen erzählt Helmersen, er sei zwar ein sehr unterrichteter Mann ge- wesen, habe aber seine untergeordnete Stellung etwas verkannt Dies gab zu mancherlei unerquicklichen Dingen Veranlassung, über die Humboldt immer geduldig und freundlich hinwegging. Seine Rücksicht für den ver- stimmten und bisweilen nicht eben artigen Reisegefährten ging so weit, dass er sich nie zum Mittagstisch setzte, ohne die oft sehr verspätete Ankunft desselben abzuwarten. Bald nach seiner Ankunft in Berlin schrieb Humboldt an Hm. von Menschenin freundliche Briefe; einer derselben war von einem Geschenk, einem schön gearbeiteten kleinen rniversalinstrument begleitet. Als auch auf diesen Brief keine Antwort crtblgte, frug Humboldt Hrn. von Helmersen : „Woher diese Wuth?"

438 II« S- Reiseleben in Asien.

Hochwohlgeboren ab, wohin, in welchen Richtungen, zu welchen Zwecken Sie die Reise vornehmen wollen. Der Wunsch der Regierung ist einzig, die Wissenschaft zu fördern und, soweit es angeht, der Gewerbsamkeit Russlands, besonders im Berg- fach, dabei zu nützen. Den Zweck der Reise zu fördern, wird allen Gouverneuren, Vicegouvemeuren und den Berg- behörden anempfohlen werden. Letztere werden Ew. Hochwohl- geboren das nöthige Quartier anweisen und zu den etwa beab- sichtigten Versuchen Bergoffiziere und Arbeiter auf Kronkosten aufstellen. Sobald Ew. Hochwohlgeboren hier die Reiseroute näher bestimmt haben, kann eine Anleitung verfertigt werden, was an jedem Orte der Aufmerksamkeit besonders werth ist, auch werden Ihnen alle femer nöthigen Notizen mitgetheilt werden."

Auch Humboldts Wunsch, die ihm befreundeten Professoren Ehrenberg und Rose als Begleiter mitzunehmen, wurde bereit- willigst genehmigt Mit Empfehlungsbriefen des Königs and des Kronprinzen an die kaiserliche Familie, als „Wirklicher Geh. Rath mit dem Prädicate Excellenz" versehen, verliess er am 12. April 1829 Berlin. Die Reiseequipage bestand, um die vielen Instrumente und Apparate aller Art unterzubringen, aus zwei Wagen. In den Weichsel- und Nogatniederungen machten Hochwasser und Eis- gang die Fahrt sehr anstrengend und beschwerlich, doch langte man am 15. April glücklich in Königsberg an, wo vor allen Bessel begrüsst wurde. Noch schwieriger war die Reise jenseit Königs- berg. „Die Wege selbst sind in der That erträglich, obgleich wir seit Dorpat alle Greuel der Wiutcrlandschaft um uns sehen, Schnee und Eis soweit das Auge reicht; aber überall ist Aufenthalt bei den Flüssen, die entweder in vollem Eisgange sind, wie die Dwina und Narowa, oder die Ufer so weggerissen haben, dass man die Vorderräder im Schlamme fast verschwinden sieht und sich Balken nachfahren lassen muss, um über die tiefsten Löcher den Wagen bei angespannten Pferden durch Bauembegleitung hinüberstossen

zu lassen. Alles dies sind gewöhnliche Frühlingsereignisse

Die Reise bis Petersburg wird uns durch diese Erschwernisse

2. Reise ins asiatische Riissland. (In St-Petersburg und Moskau.) 439

leicht 900 Thir. kosten/' Bis zum 29. April mussten die Wagen sicbzehninal auf Prahmen übergesetzt werden. Endlich am 1. Mai wurde Petersburg erreicht, und Humboldt bezog das in dem Hotel des preussischen Gesandten Generallieutenant von Schöler für ihn bereitgehaltene Logis.

,, Meine gesellschaftlichen Successe sind unbeschreibliches berichtet er, Petersburg 10. Mai, dem Bruder. „Alles ist in steter Bewegung um mich, man kann nicht mit mehr Auszeich- nung und mit einer edlem Hospitalität behandelt werden. Fast jeden Tag habe ich mit der kaiserlil^hen Familie im engsten Cirkel (zu vier Couverts) gegessen, alle Abend bei der Kaiserin in der liebenswürdigsten Freiheit. Der Thronfolger hat mir ein eigenes Diner geben müssen, a damit er sich einst dessen er- innere». Dem jungen Prinzen ist befohlen worden, sich mein Bild zu erbitten vom Original, das SacszoUo machen soll; Aus dem Gencralstabe hat mir der Kriegsminister Czreitszef eine

Sammlung dort gestochener Karten überreichen lassen

Die Wagen sind sehr schön und kosten jeder 1200 Thlr." Ein dritter Wagen wurde für den Kurier und den Koch gestellt. ^

Am 20. Mai brachen die Reisenden von Petersburg au£ Während des viertägigen Aufenthalts in Moskau erfreute Hum- boldt das Wiedersehen der alten Freunde Fischer „qui est Excellence, va k quatre chevaux et n'a que 7000 Frcs. de Pension", und Loder. Die Fürsorge der Regierung war über alles Lob, und die Ehren und Auszeichnungen wurden er- müdend. „Ein ewiges Begrüssen, Vorreiten und Vorsorgen von Polizeileuten, Administraten, Kosacken, Ehrenwachen. Leider aber auch fast keinen Augenblick des Alleinseins; kein Schritt, ohne dass man wie Kranke unter die Achsel gef&hrt wird. Ich

^ Der rühmliche Eifer der nisaischen Regierung hatte in demselben .Uliro 1K29 noch drei andere wissenschaftliche Expeditionen aosgerfistet: die von Parrot dem jQngem nach dem Ararat, die von Kupffer nach dem Elbrus und Kaukasos, und die von Ilansteen, Dne und Erman zur Bestim- mang der magnetiachea Iiinien von Petersburg bis Kamtschatka.

440 B. ReiseMen in JUiaL

mochte Leopold von Bach in dieser Lage sehen.^ Aach die Sitzungen and Zweckessen der Gelehrten and höchsten Antori- titen warden nachgerade ^bien £sitigants^.

Ueber Wladimir and Märom nach Nishnij-Nowgorod ; von da auf der Wolga nach Balgara, weiter nach Kasan und, mit einem kurzen Ausflug zu den tatarischen Ruinen von Bulgari, über Penn nach Jekatharinenburg, an dem asiatischen Abhänge des Ural, der weiten, aus mehrem fast parallelen Zügen bestehenden Kette, deren höchste Gipfd 4500 4800 Fuss erreichen, und die von den Tertiarformationen aiB Aralsee bis zu den GrQnsteinfelsen am Eismeere, wie die Andeskette, in Meridianrichtung fort- streicht Am 16. und 17. Juni wurden die grossen kaiseriichen Topas-, Beryll- und Amethyst- Steinschneidereien, femer die Goldseifen von Schabrowskoi, der Rhodonitbruch und die Eisen- hütten von Kishnij-Issetsk besucht; vom 18. bis 24. Juni Beresow am Schartaschsee, Polewskoi und Gummetschewskoi.

Eine grössere Excursion wurde nordwärts über Pischniinsk und Newjansk nach Nishnij-Tagilsk, dem Besitz des Fürsten Dcmidoff, unternommen, wo man am 27. noch abends 9 Uhr in der Grube anfuhr, und dessen Umgegend mit den Platina- alluvionen von Sucbo-Wissim und Rublowskoi an Platinareich- thum der Gegend von Choco in Südamerika ähnlich ist; von hier über Kuschwa, Laj«n, Blagodad und Nishuij-Turinsk nach Bogoslowsk, einem wichtigen Fundorte von Goldsand. Der Rückweg führte, bei beständigem Gewitterregen, über Wercho- turjc, Alopajewsk, Mursinsk, wo die Topas- und Beiyllgruben noch in tiefer Nacht besucht wurden, und Schaitansk wieder nach Jekatharinenburg.

Von Jekatharinenburg ward am 18. Juli die Reise über Tiumen nach Tobolsk am Irtysch fortgesetzt. Hier fasste Hum- boldt den Entschluss, von der festgesetzten Route abzuweichen. Statt von Omsk aus nach Semipalatna ging er von Tobolsk über Tara, die Barabinzcnsteppe, welche wegen der zahlreichen stechenden Insekten gefürchtet und verrufen ist, über Bamaul an den Ufern des Obi , nach dem pittoresken Koly wansee und zu den

2. Reise ins asiatische Russland. (Reiseroute.) 441

reichen Silbergruben des Scblangenberges, denen von Riddersk und Zyrianowskoi am Südwestabhange des Altai.

An der kleinen Feste Ust-Kamennoigorsk vorbei gelangte er am 19. Aug. über Buchtarminsk an die Grenze der chine- sischen Dzungarei. Er erhielt die Erlaubniss, die Grenze zu überschreiten, und besuchte den mongolischen Posten Baty oder Khoni-Mailakhu, einen wahren Binnenort Asiens, nördlich vom Dzaisangsee.

Von Ust-Kamennoigorsk durchzog er die Steppe der mitt- lem Kirgisenhorde über Semipalatinsk und Omsk, über die Kosackenlinie des Ischim und des Tobol, um den südlichen Ural zu erreichen. Bei dem goldreichen Miask, auf einem Terrain von sehr geringer Ausdehnung, fand man einige Zoll unter der Erde drei Stücke gediegenes Gold, von denen zwei 28 und das dritte 43Va Mark wogen. In die Umgegend von Miask wurden mehrere Excursionen gemacht: zum Ilmensee, nach Slatoust, Soimonowsk. Im südlichen Ural kam er bis zu den schönen Brüchen des grünen Jaspis bei Orsk, wo der fischreiche Jaikfluss die Kette von Osten nach Westen durch- bricht. Von hier wandte er sich über Guberlinsk nach Oren- burg, 21. Sept., sodann zu den berühmten Steinsalzgrubcn von Iletzkoi in der Steppe der kleinen Kirgisenhorde, zu dem Hauptorte der Kosacken von Uralsk, der deutschen Colonie des Gouvernements Saratow an dem linken Ufer der Wolga, zu dem grossen Salzsee Elton in der Kalmückensteppe, endlich über Sarepta, der schönen Colonie der mährischen Brüder, nach Astrachan.

Hauptzwecke der Expedition nach dem Kaspisee waren die chemische Untersuchung des Wassers, die Beobachtung der Barometerstände in Vergleich mit denen in Orenburg, Sarepta und Kasan, und das Einsammeln verschiedener Fischarten dieses binnenländischen Meeres, um das grosse Werk über die Fische von Cuvier und VcUenciennes damit zu bereichem.

Von Astrachan kehrten die Reisenden am 21. Oct. über den Isthmus, welcher bei Tischinskaya den Don und die Wolga

442 n> B. Reiseleben in Aflien.

scheidet, über die Eosackenländer "des Don, Woronesch und Tula zurück, sie erreichten Moskau am 3. Nov. und waren am 13. Nov. wieder in St-Petersburg.

Nach Menschenin's Angaben wurden auf der Reise von St-Petersburg aus bis zur Rückkehr dorthin in 25 Wochen, vom 20. Mai bis 13. Nov. 1829, 14500 Werst, d. h. über 2000 geographische Meilen zurückgelegt, darunter zu Wasser 690 Werst, ausserdem auf dem Kaspischen Meere 100 Werst 658 Poststationen waren passirt und 12244 Pferde in Bewegung gesetzt worden. Die Zahl der Flussübergänge betrug 53, darunter über die Wolga zehnmal, die Kama zweimal, den Irtysch achtmal, den Ob zweimal. In den neun Monaten der Abwesenheit von Berlin, vom 12. April bis 28. Dec., durchreiste Humboldt nach seiner eigenen Rechnung 2500 geographische Meilen.

Wie von der Reise selbst nur ein allgemeiner Umriss ge- geben worden, so beschränken wir uns auch hinsichtlich jler persönlichen Erlebnisse des Reisenden auf einige besonders charakteristische Züge. Dem Petersburger Akademiker General Helmersen ist folgende Schilderung zu danken:

„Humboldt ging damals (im sechzigsten Lebensjahre) noch ziemlich gerade einher, den Kopf ein wenig nach vom geneigt Wir haben ihn selbst auf der Reise, im Wagen, nie anders als in dunkelbraunem oder schwarzem Frack, mit weisser Halsbinde und rundem Hute gesehen. Ueber den Frack zog er einen langen, ebenfalls dunkelfarbigen Ueberrock. Sein Gang war gemessen, langsam, vorsichtig, aber sicher. Er ritt auf den Excursionen nie; wo man im Fuhrwerk nicht weiter konnte, stieg er aus und ging zu Fusse weiter, ohne sichtbare Ermü- dung hohe Berge ersteigend oder über Steinmeerc kletternd. Man sah es diesen Bewegungen an, dass sie auf bösem Terrain erlernt worden waren.

„Trank und Speise nahm er stets, selbst nach ermüdenden Streifereien, mit der bekannten Massigkeit zu sich, und hatte oft viel Mühe, die copiose Menge abzuweisen, welche die übri- gens wohlgemeinte Gastfreundschaft der Russen den Gästen

2. Reise ins asiatische Russland. (Persönliches.) 443

beibringen möchte. Er that dies gegen Vornehme und Geringe immer mit derselben tadellosen Freundlichkeit, die den wahren Aristokraten auszeichnet

,,Uumboldt's Ruf war sogar im Ural in alle Schichten der Bevölkerung gedrungen, aber seine Befähigung allerdings sehr verschieden aufgefasst worden. Am meisten wirkte wol der Umstand, dass er Wirklicher Geh. Rath und vom Kaiser Niko- laus der Befehl ergangen war, ihn überall mit den einem Se- nator und General gebührenden Ehren aufzunehmen. Die Com- mandanten der kleinen Festungen, durch die er an der orenburger Militärlinie reiste, statteten ihm nach militärischer Weise, in voller Uniform ihre Rapporte über den Stand der von ihnen befehligten Truppenkörper ab. Wenn der aus drei Equipagen bestehende Reisezug in einem solchen Orte ankam, stand schon eine dichte erwartende Volksmenge da, bestehend aus Kosacken, Infanteriesoldaten, Kirgisen, Baschkiren, Tataren, Russen, Wei- bern und Kindern jedes Alters.

„Während die Pferde in der Festung Tamalyzkaja umge- spannt wurden, trat aus solch einem Haufen plötzlich ein Baschkire hervor und an Humboldfs Kalesche, neben der ich mich hingestellt hatte. Mit lebhaften Gesticulationen und er- hobener Stimme hielt er in seinem türkischen Jargon eine An- sprache an den grossen Reisenden, die natürlich niemand von uns verstand. Nachdem Humboldt mich in höflichster Weise gefragt: «Que dösire ce Monsieur?» rief ich einen Dol- metscher herbei, und wir erfuhren Folgendes. Dem bittenden Baschkiren hatten in der vorhergehenden Nacht die benach- barten Kirgisen Pferde geraubt. Der Betrofifene hatte nun ge- hört, es werde ein Mann kommen, der alles weiss, und wandte sich nun an diesen Mann mit der dringenden Bitte, ihm doch zu sagen, wer die Räuber seien, und wie und wo er seine Gäule wiedererhalten könne. Als die herbeigesprungene Polizei den unberufenen Petenten ergreifen und unschädlich machen wollte, bat Hr. von Humboldt, der über den Vorfall herzlich lachte, um Schonung für den naiven Sohn der Wüste.^^

'444 n, B. Reiseleben in Asien.

Ein Lächeln Humboldt's genügte, den naiven Wüstensohn vor schweren Strafen zu bewahren. Auch für einen poetischen Verbannten, den jungen, durch Selbststudium überraschend wohlunterrichteten Polen Witkiewicz, legte er sein mächtiges Fürwort ein und verbesserte dadurch dessen Lage.^

Diese zwei vereinzelten Fälle ausgenommen, enthielt Hum- boldt sich in Russland, wie viele sein Humanitätsgefühl ver- letzende Erscheinungen sich ihm auch darbieten mochten, jeder Einmischung, ja jedes Urtheils über die staatlichen und socialen Zustände. Humboldt, der im „Essai politique sur Tisle de Cuba"^ den Reisenden zuruft: „II appartient au voyageur qui a vu de prfes ce qui tourmente et ddgrade la nature humaine, de faire parvenir les plaintes de Finfortunö ä ceux qui ont le devoir de les soulager", und in der Vorrede zu demselben Werke sagt: „Auf diesen Theil meiner Schrift (nämlich die Verbesserung des Loses der Sklaven) lege ich eine weit grössere Wichtigkeit, als auf die mühevollen Arbeiten astronomischer Ortsbestimmungen, magnetischer Intensitätsversuche oder statistischer Angaben^^ Humboldt schrieb, Katharinenburg 5/17. Juli 1829, an den rus- sischen Minister^: „Es versteht sich von selbst, dass wir uns beide (Humboldt und Rose) nur auf die todte Natur beschrän- ken und alles vermeiden, was sich auf Menscheneinrichtungen, Verhältnisse der untern Volksklassen bezieht; was Fremde, der Sprache Unkundige, darüber in die Welt bringen, ist immer gewagt, unrichtig, und bei einer so complicirten Maschine, als die Verhältnisse und einmal erworbenen Rechte der höhern Stände und die Pflichten der untern darbieten, aufreizend ohne auf irgendeine Weise zu nützen 1"

Wahrlich ein Gegensatz, der zur Genüge beweisen kann, wie ganz anders die Verhältnisse während der amerikanischen, als während der russischen Reise für ihn waren. Und in die- ser Verschiedenheit der Verhältnisse liegt auch wol der Grund,

^ Vgl. Briefwechsel Humboldt's mit Berghaus, II, 279. < Im Ural und Altai, S. 74. 79.

2. Reise ins asiatiBche Russland. (Diamaotcn im Ural.) 445

warum Humboldt bei allen Ehren, aller Anerkennung, bei aller Bequemlichkeit, auf kaiserliche Anordnung zu reisen, das drin- gende Anerbieten des Kaisers zu einer nochmaligen Reise in seinem weiten Reiche abgelehnt hat*

In Miask hatten sich im September auf Befehl der Regierung die beiden schon erwähnten Bergeleven, der nachmalige General- lieutenant Ernst Hofmann und der gegenwärtige Dircctor des kaiserlich russischen Berginstituts Generallieutenant von Hel- mersen als Führer im Ural gemeldet. Sie blieben fast vier Wochen in Humboldts Nähe. Aus Miask schrieb Humboldt am 15. Sept dem Minister: „Gestern habe ich hier meinen sechzig- jährigen Geburtstag, auf der asiatischen Seite des Urals, erlebt, ein wichtiger Abschnitt des Lebens, ein Wendepunkt, auf dem es einen gereut, so vieles nicht ausgeführt zu haben, ehe das hohe Alter die Kräfte dahin nimmt. Vor dreissig Jahren war ich in den Wäldern des Orenoco und auf den Cordilleren. Ihnen verdanke ich es, dass dieses Jahr, durch die grosse Masse von Ideen, die ich auf einem weiten Räume habe sanmieln können (wir haben seit Petersburg schon über 9000 Werst vollendet), mir das wichtigste meines unruhigen Lebens geworden ist.^' In demselben Briefe schrieb er auch die berühmt gewordene Voraussage: „Der Ural ist ein wahres Dorado, und ich bestehe fest darauf (aUe analogen Verhältnisse mit Brasilien lassen es mich seit zwei Jahren behaupten), dass noch unter Ihrem Ministe- rium Demanten in den Gold- und Piatinawäschen des Ural werden entdeckt werden. Ich gab der Kaiserin diese Gewissheit beim Weggehen, und wenn meine Freunde und ich die Entdeckung

* Am 22. Mai 1843 schrieb Humboldt an Schumacher: ,yEs hat mir viel gekostet, die drei Bände meiner «Aiie centrale» dem russischen Kaiser zu dediciren; es musste geschehen, da die Expedition auf seine Kosten geschehen war. Mein Verh&ltniss zu dem Monarchen ist seit 1829 man- nichfach zerrüttet worden wegen meiner politischen Sendungen nach Paria. Dio Dedication, mit Arago selbst verabredet und durchgesprochen, ist meiner wOrdig lud geschickt. Der Kaiser hat mir sein Porträt geschickt, es würde mich gereizt haben, wäre gar keine oder eine kältliche Antwort erfolgt''

446 U, B. Reiseleben in Asien.

auch nicht selbst machen, so wird unsere Reise doch dahin wir- ken, andere lebendig anzuregen/^ In den Wäschereien des Grafen Polier bewahrheitete sich bekanntlich die Voraussage schon we- nige Tage nachdem sie ausgesprochen worden.

Die offidelle Welt in Moskau hielt sich verpflichtet, den zurückkehrenden Beisenden wieder mit allerhand ceremoniellen Festlichkeiten zu überhäufen. Von einer derselben gibt Alexander Herzen, damals Student in Moskau, in seinen Memoiren^ einen drastischen, aber in manchen Punkten gewiss zutreffenden Bericht:

„Bei seiner Kückkehi;, aus dem Ural wurde Humboldt in einer feierlichen Sitzung der bei der Universität bestehenden naturforschenden Gesellschaft empfangen ; zu dieser Gesellschaft gehörten verschiedene Senatoren, Gouverneure, Generale n. 8. w^ kurz Leute, die sich niemals mit Naturwissenschaften oder überhaupt mit Wissenschaften beschäftigt hatten. Der Rohm Humboldts, des Geh. Baths Sr. Majestät von Preussen, dem der Kaiser unter Nachlass aller Gebühren den Annenstem ver- liehen hatte, war auch zu ihnen gedrungen, und sie beschlossen, sich vor dem Manne in den Staub zu werfen, der den Chimbo- razo bestiegen und in Sanssouci gewohnt hatte.

„Die Sache wurde sehr ernst genommen. Der General- gouvemeur, die Militär- und Civilwürdenträger erschienen, mit Ordensbändern geschmückt, in Gallauniform; die Professoren schritten, kriegerisch den Degen schleifend und den Dreimaster unter dem Arme, einher. Humboldt, der nichts geahnt hatte, kam im einfachen blauen Frack angefahren und war natür- lich sehr bestürzt. Von der Treppe bis zu dem Saale, in welchem die «Naturforscher» sich versammelten, waren Sitze angebracht; hier stand der Rector, dort ein Decan, rechts ein Professor, der sich am Anfang seiner Laufbahn befand, links ein Veteran, der seine Carriere beschlossen hatte und wahr- scheinUch darum so langsam sprach. Jeder hielt ihm eine

1 Julius Eckardty Jongnissisch- und altlivländisch-politischc und cal- turgeschichUiche Aufs&tze (Leipzig 1871), S. 149.

2. Reise ins asiatische RusslaacL (Ehrenbezeigungen.) 447

Bewillkommnungsrede , der eine in deutscher, der andere in lateinischer, der dritte in französischer Sprache, und das alles in Corridoren, in denen man sich nicht eine Minute aufhalten kann, ohne sich für Monate zu erkälten. Humboldt hörte alle diese Haranguen geduldig und entblössten Hauptes an und beantwortete jede derselben ich glaube, all die wilden far- bigen und halbfarbigen Völker, unter denen er sich aufgehalten, haben dem grossen Forscher nicht so viel Unannehmlichkeiten bereitet wie die Feierlichkeiten des Moskauer Empfangs. ^

„Als Humboldt endlich in den Saal gelangte und daselbst Platz nahm, musste sich alles feierlich erheben. Der Curator der Universität, Pissarew, hielt es für nothwendig, eine Art Tagesbefehl über die Verdienste Sr. Excellenz des grossen Rei- senden russisch und im herkömmlichen Stil zu verlesen. Dann trug Sergei Glinka mit seiner heisern Soldatenstimme ein Ge- dicht vor, das mit den Worten: a Humboldt, Promäth^e de nos jours» begann.

„Und Humboldt hatte die Absicht, seine Beobachtungen über die Abweichung der Magnetnadel zu discutiren, seine im Ural gemachten meteorologischen Beobachtungen mit denen der moskauer Gelehrten auszutauschen! Statt dessen musste er ein aus den Allerhöchsten Haaren Peter's des Grossen gefer-

* Bereits bei seinem ersten Besuche in Moskaa klagte Humboldt am 14/26. Mai dem Bruder: „Cette 6temelle repr^sentation (dure n^cessit^ de ma position et de la noble hospitalit^ du pays) devient bien fatigante.** In Kasan war es noch ärger; Feste folgten auf Feste, um 1 Uhr nachts schreibt er dem Bruder: ,,Nous devons partir demain matin k 5*^, et les professeurs et les autorites nous menacent de venir ä V/^^ prendre congd. On nc nous lache pas un instant^ ^ In Jekatharinenburg musste er am 21. Juni Quadrille tanzen! In Miask verehrten ihm an seinem sechzigsten Geburtstage die Bergbeamten einen Säbel. In der Steppe bei Orenborg war ein Kirgisenfest veranstaltet worden mit Wettrennen, Ringen und leider 1 auch Vocalmusik tatarischer Sultaninnen ^^ Die feierlichen Vor- stellungen, Feste, Auszeichnungen aUer Art („d'apr^s des ordres toands d'en haut^^) wiederholten sich überall und erpresstcn ihm die Acusscrung : „Cet cxcös de politcssc 6tc le bonheur d^etrc un pcu ä soi et ä la nature."

448 II, B. Rcisclcbcn in Asien.

tigtes Geflecht in Augenschein nehmen, das der Bector ihm zeigte. Nur mit genauer Noth konnten seine Begleiter Ehren- berg und Böse sich die Möglichkeit verschaffen, von ihren Ent- deckungen zu erzählen/^

Auch in Petersburg wiederholten sich die fast erdrückenden Gunstbezeigungen, namentlich von seiten des Hofes.

„G'est une honte, mon träs-cher ami^S schreibt Humboldt am 20. Nov. 1829 dem Bruder, „qu'arriv^ ici depuis huit jours, je ne trouve qu'aujourd'hui le repos ndcessaire pour te donner ce petit signe d'amitiä et de vie. .... Le voyage ä travers presque toutes les parties de la Bussie europ^nne a tellement augmentä les relations sociales et cette idäe chim^ riquc que je puis fitre utile ä quelque chose, que je succombe presque sous le poids de toutes les corväes que ma position m^impose. Ma sant^ est excellente; TEmpereur, avec cette de- licatesse qui le caract^rise, a d6jä pendant notre s^jour ä Moscou conförä Tordre de St-Anne de 2^* classe k Böse et Ehrenberg. L'ordre de St-Anne de 1*"* classe, om^ de la couronne Imperiale (ce qui ^quivaut ä la ddcoration en dia- mants, qu'on ne donne plus), m'a 6t6 envoye le jour de mon arrivee ici avec une lettre tres-flatteuse. S. M. m'a fait ex- primer ses regrets de se voir toujours encore empSchö par sa maladie de « profiter de mes lumieres». J'espere que le re- tablissement cntier aura Heu avant mon d^part, que je voudrais fixer au 1 D6c L'Imperatrice m'a d^ja re(u de la mani^re la plus gmcieuse, j'ai dtnä hier chez le Thronfolger, je suis appel^ encore ce matin chez llmpdratrice; enfin on me traite avec une bont6 toujours croissante." ....

Wenige Tage vor der Abreise von Petersburg schreibt er ^ : „Den Morgen bei der Kaiserin mit meinen beiden Freunden fast IV« Stunden, und den Abend bei dem Kaiser von 8Vs bis 11 Uhr gehalten und mit Bezeigungen des Wohlwollens überhäuft . . ."

Fenier schreibt er am 9. Dec dem Bruder:

» An Cancrin, „Im Ural und AlUi'S S. 118.

2. Reise ins asiatische Russland. (Ehrenbezeigungen.) 449

„Je ne puis öcrire que deux lignes, mon eher ami. J'cs- pere pouvoir partir d'ici le 12—14; quoique je dois ä attendre une seconde audience de TEmpereur, qui m'a dejä accordö dimanchc une audience de deux heures, gräce d'autant plus insigne, que meme tous les ministres n'ont pas encore vu TEmpcreur. Sa convalescence avance cependant rapidement. II m'a comble de marques a£fectueuses d'estime. aVotre arriv<3e en Russie a fait faire des progi*^ immenses ä mon pays; voos r^pandez la vie partout ou vous passez.» J'ai re(u une pelisse de zibelinc de 5000 roubl. ass. et un vase comme les plus beaux du palais (7 pieds de iiauteur avec le piedestall) qu'on övalue a 35000 ou 40000 roubel ass. ^ Je ne puis fcrire ce matin a Mad. Kunth.^ Fais-moi le plaisir, de lui äerire, que j'ai fait aujourd'hui meme directement une lettre au Roi, pour deman- der qu'elle soit specialement bicn traitee, pour parier de ses malheurs, et du merite de son man. J'ai ecrit avec le premier courrier apres avoir re^u la nouvelle de la mort par le jeune Kunth par une lettre du 23 Nov. Quel bonheur de t'embrasser bientöt Mille tendres choses au Familienkreis.

Alexander Humboldt^^

Am 15. Dec. früh verliess Humboldt mit Ehrenberg und Rose die Kaiserstadt bei einer Kälte, die bis 20" R. stieg. Gleichwol berichtet er von Königsberg 24. Dec in heiterster Stimmung dem Minister Cancrin : „Wir haben einen interessanten Tag mit Evers, Struve, Ledebuhr und Engelhardt in Dorpat zugebracht: es stand aber in der Wahrscheinlichkeitsrechnung leider ge- schrieben, dass man nicht 18000 Werst vollenden könne, ohne wenigstens einmal umzuwerfen. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung hat als Nemesis ihr Recht behauptet Wir warfen am Kusse einer kleinen Anhöhe, auf einer Mühlenbrücke, nahe bei Engel- hardtshof, zwei Stationen vor Riga, durch Schleudeni des

* Die prächtige Malachitvaso steht im königlichen Schlosse zu Berlin. ' Konth war am 22. Not. 1829 gestorben.

A. T. IIuaiBOlDT. I. 29

450 n, B. Reiseleben In Asien.

Wagens auf schneelosem, glatten Eise, im Wenden auf eine so gewaltsame Weise um, dass die ganze eine Seite des Wagens zerbrach. Ein Pferd stürzte 8 Fuss herab ins Wasser. Das Brückengeländer gab wie natürlich nach, und wir lagen auf eine recht pittoreske Art 4 Zoll vom Rande der Brücke. Nie- mand von uns ich sass mit Ehrenberg in einem mit Glas ver- schlossenen Wagen I war beschädigt, ja wir fühlten selbst nicht den geringsten Schmerz, Dank sei es der Vorsehung. Da zwei Gelehrte und ein gelernter Jäger umfielen, so hat es über die Ursache mehrere widersprechende Theorien gegeben. So viel ist aber gewiss, dass der Wagen schleuderte, und (fügt er wohl- wollend zur Entschuldigung des Wagenlenkers hinzu) dass der Postillon ganz schuldlos war.''

Am 28. Dec. trafen Humboldt und seine Begleiter wieder in Berlin ein. Die Resultate der Reise sind in folgenden selbstän- digen Werken niedergelegt: „Fragmens asiatiques'' 1831, „Asie Centrale" 1843, beide von Humboldt, und „Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kaspischen Meere**, 1837—42, von Gustav Rose bearbeitet. Ehrenberg hat den sibirischen Tiger und den nor- dischen Panther in Monographien, und die gesammte organische Natur, besonders das bis dahin völlig unbeachtete mikroskopische Leben in Russland, im Ural, in Sibirien und in Centralasien am Altai in seiner „Mikrogeologie" 1854 beschrieben, während seine botanischen Sammlungen noch nicht bearbeitet sind.

So allseitig die Anerkennimg war, die Humboldt nach seiner Heimkehr zutheil wurde, so traf ihn doch auch, und zwar von England her, empfindliche Gehässigkeit. Unglückliche Speculanten in mexicanischen Bergwerken bestritten die Richtigkeit einzel- ner von ihm ausgesprochenen Ansichten und legten denselben Motive unter, die bei einem Manne der Wissenschaft überhaupt nicht, und am wenigsten bei Alexander von Humboldt vermuthet werden durften. Darauf bezieht sich die Stelle seines Briefes vom 3. April 1830 an den Minister Cancrin:

„Es ist etwas recht Inhumanes, einen Mann, der wenigstens nie Beweise von Eigennützigkeit gegeben hat, in dem Augen-

2. Reise ins asiatische Russland. (Vcrd&chtigung.) 451

blicke, WO er von einer weiten wissenschaftlichen Reise zurück- kehrt, so anzufallen 1 Ist es meine Schuld, dass meine, fünfzehn Jahre früher gegebenen Nachrichten von dem Reichthum der mexicanischen Bergwerke (deren Richtigkeit von den in Mexico lebenden Personen noch nie in Zweifel gezogen worden ist) John Bull verleitet haben, auf die thörichtste Weise Millionen unwissenden Menschen anzuvertrauen? Ich habe von Anfang erklärt, dass ich mit diesem Unwesen in schwindelnder Feme nichts zu tlmn haben wollte, habe die Stelle als Generaldirector und Consultant in Europa, mit Freiacticn (an denen ich damals 20000 Pfd. St. gewonnen hätte), ausgeschlagen, eine grosse goldene Tabatiere als Dankgeschenk von denen, die sich damals bereichert hatten und den ersten Anstoss in meinen Schriften suchten, zurückgewiesen ; kurz, ich habe immer gezeigt, dass ich der Sache fremd bleiben wollte. Alle diese Umstände sind in England bekannt, und ich habe deshalb keine Silbe geantwortet, sondern blos übertriebene Zahlen berichtigt, die man in deutschen Zeitungen verbreitet, und die man leicht mir zuschreiben könnte, ob ich gleich, selbst in Zeitungen, nie etwas ohne Unterschrift meines Namens drucken lasse. Ich habe mich gleich nach mei- ner Rückkunft in Berlin mit dem ehemaligen General-Bei*g- director in Brasilien, Freiherrn von Eschwege, der jetzt in Lissabon lebt, in Verbindung gesetzt, um ihm einige technische Fragen über den Ertrag der Sande vorzulegen. Ich hoffe, Ew. Durchlaucht in meiner künftigen Ausarbeitung über den Ural eine interessante Vergleichung mit Brasilien liefern zu können. Alles scheint bisjetzt zum Vortheil des Urals zu sein."

Gross und nachhaltig ist jedenfalls der Vortheil, den die Wissenschaft aus Humboldts asiatischer Reise gezogen hat. Wol tritt dieselbe, was die Grösse des Zweckes, die Zeit- dauer, die persönlichen Anstrengungen der Reisenden und die Mannichfaltigkeit der Uesultate betrifft, gegen die Reise in Amerika zurück, aber es wurde immerhin eine übenaschende Menge neuer Forschung(»n und Thatsachen, neuer Beobachtungen und Ideen gewonnen, die keineswegs dem staatsökononnschen

2Ü*

452 Hl B. Rciscleben in Asien.

Interesse Russlands allein zugute kamen. Die bisherigen An- schauungen von der Bodenplastik Innerasiens, den Zügen der Gebirgsketten, den klimatischen und magnetischen Erschei- nungen, der Verbreitung der Flora und Fauna, den grossen historischen Verkehrsstrassen wurden berichtigt und erweitert, sodass die Gebiete der Physik, Erdkunde und Geschichte we- sentliche Bereicherung erfuhren. Humboldts Ansichten über den Zusammenhang der tellurischen Erscheinungen empfingen durch die Reise in Asien gleichsam die volle Reife und letzte Klärung.

Humboldt stand nach der Heimkehr aus Asien im 61. Alters- jahre. Das seit frühester Jugend empfundene Verlangen ent- fernte Länder zu bereisen war in weitesten, erdumfassenden Wanderungen mit glücklichstem Erfolge befriedigt und die Jahre unsteten Reiselebens in fremde Erdtheile abgeschlossen wor- den. Nunmehr beginnen die stillen Jahre unermüdlicher Arbeit in heimischer Studirstube, in denen er die Endresultate, die Summe aller seiner Reisen, Studien und Anschauungen zusam- menzog, wie er sie im „Kosmos'^ niedergelegt hat

Beilagen.

1. Hamboldt*s Pässe zur Reise in Amerika.

A. Pass vom ersten Staatssecretär von Spanien.

Don Mariano Luis de Urquijo Caballero Pensionista de la Real y distingnida Orden Espafiola de Carlos III y de la Malta, del Consejo de Estado de S. M., sn Embaxador Extraordinario y Pleni- potenciario nombrado cerca de la Repüblica B4tava, y Encargado interinamente del Despacho de la primera Secretaria de Estado etc.^

Por qoanto h4 resuelto el Rey, que Dios gaarde, conceder pasa- porte 4 D" Alexandra Federico Baron de Humboldt , Consejero Su- perior de minas de S. M. cl Rey de Prusia, para qne acompafiada de SU Ayndante 6 Secretario D'^ Alexandra Banpland^, pase 4 las Americas, y demas posesiones ultramarinas de sas Dominios 4 fin de continnar el estudio de las Minas, y hacer colecciones, observa- ciones, y deseubrimientos utiles para el progreso de las Ciencias naturales: por tanto ordena S. M. 4 los Capitanes Generales, Co- mandantes, Gobemadores, Intendentes, Corregidores, y demas Justi- cias, 6 personas 4 qoienes tocare, no pongan embarazo algano en SU viage al expresado D'^ Alexandro Federico, Baron de Humboldt, ni le impidan por ningun motivo la conduccion de sus Instrumentos de Fisica, Quimica, Astronomia, y Matematicas, ni el hacer en todas las referidas posesiones las observaciones y experimentos que juzgue utiles, como tampoco el colectar libremente plantas, animales, semillas.

' Bis hierher gedruckt; das Folgende ist geschrieben. ' Bonpland wird in den Pässen irrig Alexandro statt Amado (Aim^) genannt.

454 n. Reiseleben in Amerika and Asien.

y minerales, medir la altura de los montcs, examinar la ualuralcz«a de estos, y haccr observacioncs astronomicas, pues por el contrario quiere el Roy que todas las personas a quienes corrcsponda, d6n al cxprcsado Alexandro Federico, y d su A)Tidanto, todo cl fabor, auxilio, y proteccion que necesitaren; y ademas ordena y manda S. M. d todas las personas, d quienes correspondiere por razon de sus oiicios que reciban, y hagan embarcar para Europa, con direc- cion d esta Primera Secretaria de Estado y del Despacho, y con destino al Real Gabinetc de Historia Natural, todos los caxones que contengan obgetos naturales pertenecientes ä esta Historia, y que los fueren entregados por dicho D** Alexandro Federico Baron de Hum- boldt, & quien se ha cncargado que recoja y colccte las expresadas producciones, para enriguecer el R^ Gabinetc de Historia Natural, y los Jardines Reales, que asi es la voluntad de S. M. De Aranjnez

d 7 dcMayo de 1799.*

(sign.) Mariano Luis de Urqwjo.

Hieran schliessen sich folgende Vermerke und Visa, die wegen des Datums für den Verfolg der Reise von chronologischem In- teresse sind.

„Tomose la razon en cstc Juzgado de Arribadas de Indias, a donde se prcscntaron los contenidos en cl preccdentc Real pcr- miso, en virtud del quäl, les doy cl corrcspondicntc, para que pue- dan embarcarse en este Puerto en el primer buque de Vandera nacional, que se Ics proporcione para transportarse a qualquiera de los Pucrtos de ambas Americas que les acomode para emprender SU comision. Corufla veinte y sietc de Mayo de mil setecientos nobentÄ y nuebc. (sign.) Fran, de Atellay

„Concedido de Camara en el Pejarno (unleserlich).

(sign.) Clavijo,^^

„Tomose razon cn la Contaduria Präl hu Extr. Rl. Hacienda. Cumana hu Agosto hu 1799.

(sign.) Pedro de Oclievcrria,^''

' Am Rande des Originals von Ilumboldt's Hand:

„Die kön. spanische Erlaubniss zu meiner Reise nach Amerika, zum Beweise dienend, dass ich nichts gethan, wozu ich nicht berechtigt war. Vgl. meine «Rel. bist» in 4"., 1, 47. AI. Humboldt.**

Beilagen. 455

„Guayra 21 de Nov**. en 1799. ,,Sigae el contcnido para la Cap^ de Caracas quien devera presentarse al Sör. Cap**. General con este pasaporte.

(sign.) Far^ttftT."

„Tomosc razon en esta Real Contadoria de Popayin & 7 de Noviembre de 1801.

(sign.) Manuel del Campo, j Larraondo. Jose Oabl. de Letm.^

„Tnixillo septiembrc 27 de 1802. „Fase d su destino cl scfior Baron de Hombold con sn Ayn- dante Don Alexandro Bompland; y ordeno, y mando a las Josticias de los Pueblos de Moche, y Vixu hasta Santa, y a las de esta Villa hasta Lima, Vaego y encargo qae todas le presten los amdlios quc necesite en sn Viage hasta aqoella capital, adonde proximameiite sc dinge; Y asi mismo al Ca?allero Montnfar que le acompafla, todo en virtüd de este Decreto f|oe ser>1rä de Pasaporte en forma.

(sign.) GW.**

„Lima y Novre. 27 de 1802. JPacilitese el transporte del S^ Baron de Homboldt y sn Ayu- dante Dn. Alejandro Bompland en la Conreta de S. M. la Castor en q. intenta trasladarse ä Gaaya«|ail para pasar desde alli al Reyno de Mexico en prosecnsion de sn importante y laboriosa comision. (Signatar ganz nnleseriich.) (sign.) Simcn Bacago,^

„Guayaqn'. y FeV«. 17/1803. ^asc el S***. Baron de Vmbol (sie) en la Frag^. la Ome p*. el P***. de Acapolco. (sign«) L^ Rico."*

„Acapnlco, 26 de Marzo de 1803. ^iga sn destino el Seftor Baron de Humboldt, eon so Ayndante Secrctario D". Alexandro Bompland, y Criado presentandose en la Corte de Mexico, ä el FIxmo Sefior Vizrey. y Mando a las Josticias, y Commandantes Militare?), de los Poeblos, Haziendas y Ventas de mi Jarisdiccion, p'. donde transitarc, y 4 los que no lo sean, pido y encargo no le pongan im|:>edimento, nl embarazo aignno en sn Marcha, y nso de su Tomirion, franqa/^andolc los aaxilios, que nc- sesitc, payando los comestihles, k prf.nUm corri^ntes, por cr>mbcnir assi a el Real Servicio, sirvmnijo <:Hf#; Ta^aiKirf^.

456 n. Reiseleben in Amerika und Asien.

^^Nota, Con csta flra (?) sc ha cxpcdido p"". cl Exmo Sr. Vizrei, al S'. Baron de Humboldt el correspondicnte Pasaportc pr*. quc continuo sa viage con sn Secretario Dn. Alejandro Bompland. Mcx«°. 17 de Enero de 1804. (sign.) Josd Ximenez."

Anf der linken antem Ecke der ersten Seite des aas zwei Foliobogen bestehenden Passes befindet sich auf einer eingedmcktcn Kupferplatte der Abdruck des vollen Wappens des Ministers Urquyo.

Auffallend ist, dass Bonpland stets „Alexandre'^ genannt wird, während er doch Aim^ hiess.

B. Pass vom Rath in Indien.

„D. Josef Antonio Caballero Campo, y Herrera, Caballero Pen- sionado de la Real y distinguida Orden de Cdrlos Tercero, del Coiisejo de Estado de S. M. y Secretario del Despacho Universal de Gracia y Justicia de Espafla 6 Indias.

„Por quanto cl Hey ha concedido licencia d (bis hierher ge- druckt; handschriftlich folgt:) S'. Huulbald (sie) Prusiano, y a su Secretario para pasar a America d continuar el estudio de Minas, y perfcccionarse en el conocimiento de otros descubrimientos (hier folgt wieder gedruckt:)

„I*or tanto manda S. M. d los Jueces de Arribadas de Indias de qualosqiiiora Pucrtos de Espafla, y demas personas d quicnes corresponda, no le pongan impedimcnto alguno, d fin de que pueda embarcarsc para cl referido destino en la ocasion (jue mas le aco- iiiode; y d csfe cfccto cxpido el prcsentc Pasaportc firmado de mi mano. Dado en (haudschriftlich :) Aranjucz a dicz y ocho de Marzo de mil setecieutos uoTcnta y nucvc.

(sign.) Josef Änt. Caballero.^^

Links unten das in Kupfer gestochene Wappen desselben.

Auf der andern Seite folgt fast wörtlich dasselbe Visum wie das zweite auf dem andern Documentc, d. d. Corufia vom 27. Mai 1799, signirt Fran. de Atclla.

Dem schliessen sich noch folgende drei Visa an:

Tomösc razon de csta B}, liicencia en los Libros de la Con- taduria Principal de Corrcos Marftimos q". cstd d mi cargo. Corufia tres de Junio de mil setecientos novcnta y nueve.

(sign.) Dämaso Boyo.

Beilagen. 457

Tomosc Razon de csta R^ Licencia en los libros de csta Con- tad*. Principal de R*". Gen. q. cn cl dia sc lialla d mi Cargo, Cornfla y Janio 3 de 1799. (sign.) Franco, de las Venerano,

Tomosc razon en la Contt*. Präl. hu Ex^. y R^ Hacienda. Gumana 1®. hu Ag*® hu 1799. (sign.) Pedro de Ocheverria.

Diese Pässe heissen zu deutsch:

A.

Don Mariano Luis de Urquijo^ Pensions -Ritter des hohen königlich spanischen Ordens Karl's III. und Ritter des Malteser- ordens, Staatsrath Sr. Majestät und ausserordentlicher bevollmäch- tigter Gesandter für die batavische Republik, sowie interimistisch beauftragt mit dem ersten Staatssecretariat etc.

gemäss dem Entschlüsse des Königs (den Gott erhalten möge), dem Hm. Alexander Friedrich Freiherm von Humboldt, Oberberg- rath Sr. Majestät des Königs von Preussen, zu gestatten, in Ik>- gldtung seines GchUlfen oder Secretärs Alexander Bonpland nach Amerika und andern überseeischen Besitzungen seines Reichs zu gehen, um seine bergmännischen Studien fortzusetzen und für den Fortschritt der Naturwissenschaften werthvolle Sammlungen, Beob- achtungen und Entdeckungen zu machen; demgemäss befiehlt Sc. Migestät den Generalkapitänen, Commandanten, Gouverneuren, Inten- danten, Oberrichtern und allen sonstigen Gerichtsbehörden oder Personen, welche es angeht, dass sie besagten Hrn. Alexander Friedrich Baron von Humboldt auf seiner Reise kein Hindcr- uiss in den Weg stellen, noch ihn aus irgendwelchem Grunde am Transporte seiner physischen, chemischen, astronomischen und mathematischen Instrumente und Apparate, noch an der. Anstellung der Beobachtungen und Experimente, die er für gut hält, noch am freien Sammeln von Pflanzen, Thieren, Samen und Steinen, noch an Bergmessungen oder an der Untersuchung ihrer natürlichen Be- schaffenheit, noch an astronomischen Beobachtungen in keinem der genannten Gebiete hindern; sondern ganz im Gegcntheil be- fiehlt der König, dass alle betreffenden Personen besagtem Hrn. Alexander Friedrich Freiherrn von Humboldt und seinem Gehülfon alles zu Gefallen thun, ihnen jede Hülfe und jeden Schutz, den sie brauchen, gewähren; femer befiehlt und verordnet Sc. Majestät allen

458 n. Reiseleben in Amerika und Asien.

denen, deren Amt and Dienst es erheischt, dass sie entg^ennehmen and nach Earopa an dieses erste Staatssecretariat für das königliche Gabinete de Historia Natural alle diese Historia betreffende Natur- productc enthaltenden Kisten einschiffen, welche ihnen von be- sagtem Hm. Alexander Friedrich Freiherm von Humboldt, der mit dem Aaftrage reist, solche Erzeugnisse zu suchen and zu sammeln und das königliche naturwissenschaftliche Cabinet und die königlichen Gärten zu bereichem, übergeben werden sollten. Solches ist der WiUe Sr. Majestät.

Ara^juez, 7. Mai 1799. L. de Urquijo.

In diesem Gerichtshofe zur Untersuchung der aus Indien einge- laufenen Schiffe, welchem die im obigen königlichen Erlaubnissscheine Genannten sich vorstellten, wurde derselbe revidirt, und kraft desselben stelle ich ihpen den nöthigen Schein aus, damit sie sich in diesem Hafen mit dem ersten beliebigen Schiffe nationaler Flagge einschiffen können, um nach welchem Hafen beider Amerika sie wollen zu segeln, das ihnen übertragene Amt zu vollziehen.

Corufla, 27. Mai 1799. JFV. de Ätella,

Revidirt in der ersten königlichen Contaduria (Rechnungs- kammer).

Cumana, 7. Aug. 1799. Pedro de Oeheverria,

Der Obengenannte darf seine Reise nach Caracas fortsetzen, wo er vor dem Hrn. Generalkapitän mit diesem Passe erscheinen muss. Vojsqueg.

Revidirt in der königlichen Rechnungskammer von Popayan, 7. Nov. 1801. Jose Gabi, de Leon.

Manuel del Gampo y Larraonodo.

Trujillo, 27. Sept 1802. Der Hr. Baron von Humboldt und sein Gehülfe Hr. Alexander Bonpland mögen ihrem Bestimmungsorte zureisen; ich verordne und befehle den Gerichtsbarkeiten der Ortschaften Moche und Vixu bis Santa und denen dieser Stadt bis Lima, Vuego, und beauftrage sie alle damit, dass sie ihm die für seine Reise bis nach der Hauptstadt, nach der er sich demnächst wenden wird, nöthigc Hülfe leisten. Und ebenso dem Hrn. Montufar, der ilm begleitet: alles kraft dieses Decrets, das ihm als formeller Reisepass dienen wird. GH.

BeiUgen. 459

Lima, 27. Nov. 1802. Man erleichtere die Ueberfahrt des Hm. Baron von Hamboldt nnd seines Gehülfen Hrn. Alexander Bonpland auf der Corvette Sr. Majestät „Castor^^, auf welcher er beabsichtigt nach Goayaquil überzuschififen, um von dort aus nach Mexico zu gehen zur weitern Ausführung seiner wichtigen und mühevollen Commission.

Guayaquil, 17. Febr. 1803. Der Hr. Baron von Humboldt darf auf der Fregatte „la Orue** nach dem Hafen Acapulco gehen. Lm$ Eico.

Acapulco, 26. März 1803. Der Hr. Baron von Humboldt und sein Gehülfe und Secretär Hr. Alexander Bonpland nebst Diener mögen ihre Reise fortsetzen und sich am mexicanischen Hofe Sr. Excellenz dem Hrn. Yicekönig vorstellen. Und den Gerichtsbarkeiten und Militärcommandanten der Ortschaften, Güter und einzeln liegenden Besitzungen meines Kreises, welche er zu passiren hat, befehle ich, sowie ich die, welche es nicht sind, darum bitte und ersuche, ihm kein Hinderniss auf seinem Wege oder in der Ausführung seiner Mission zu bereiten, ihm die nöthige Hülfe angedeihcn und alle Esswaaren zum gewöhn- lichen Preise zukommen zu lassen, um so dem königlichen Dienste gemäss zu verfahren, indem dies als Pass dient Jo$h Barreyro,

Hierdurch (?...) ist von Sr. Excellenz dem Yicekönig dem Hrn. Baron von Humboldt der Pass, den er braucht, um seine Heise mit seinem Secretär Hrn. Alexander Bonpland fortzusetzen, ausgestellt worden.

Mexico, 17. Jan. 1804. Josb Ximenez,

B.

Don Josef Antonio Caballero Campo y Herrera, Pensions-Ritter des hohen königlichen Ordens KarFs HL, Staatsrath Sr. Majestät und Secretär im allgemeinen Gerichtsbureau für Spanien und Indien.

Da der König von Preussen Hm. Humboldt und seinem Secretär die Erlaubniss gegeben hat, nach Amerika zu gehen, um seine Berg- werksstudien fortzusetzen und sich in der Kenntniss anderer Ent- deckungen zu vervollkommnen: so befiehlt Se. Majestät den zur Un- tersuchung aller aus Indien einlaufenden Schiffe angestellten Beamten jeglichen spanischen Hafens, und den übrigen Personen, welche es

460 n. Reiseleben in Amerika and Asien.

angeht, ihm kein Hinderniss zu bereiten, sodass er sich nach dem genannten Bestimmungsorte bei ihm passend dünkender Gelegenheit einschiffen kann : dazu stelle ich vorliegenden mit meiner Hand unter- zeichneten Pass aus.

Aranjuez, 18. März 1799. J. A. CahaUero.

Wir haben diese königliche Licenz copirt und in die Bücher der ersten Contaduria ftlr Postschiffe, die unt^r meiner Leitung steht, eingetragen.

Corulia, 3. Juni 1799. Ddmaso Bayo.

Diese königliche Licenz ist eingetragen worden in die Bficher dieser ersten Contaduria für allgemeine Renten, die jetzt unter mei- ner Leitung steht

Coruöa, 3. Juni 1799.

Copirt in der Hauptrechnungskammer (für Finanzen). Cumana, 1. Aug. 1799. Pedro de Ocheverria.

2. Ein Yerhaftsbefehl gegen Alexander von HomboldL

Von dem berühmten Reisenden in Brasilien Baron von Esch- wege, der später in portugiesische Dienste trat, fand sich im Nach- lasse Humboldt's folgender Brief:

Lissabon, den 27. März 1848.

Hochwohlgeborener Herr, Hochzuverehrender Herr Geheimrath!

Vor einigen Tagen unter meinen brasilianischen Papieren stö- bernd, fiel mir die Abschrift eines Documents in die Hände, dcs^n Inhalt Ew. Excellcnz vielleicht bisjetzt ganz unbekannt geblieben, und da dasselbe von den nachtheiligsten Folgen für die Reise Ew. Exccllenz im Innern Amerikas hätte werden können, folglich einen interessanten Beitrag zu der Reisegeschichte abgibt, so nehme ich mir die Erlaubniss, dasselbe zu übersenden.

Ich erhielt dieses Actenstück in Brasilien von meinem väter- lichen Freunde und Gönner, dem dorten verstorbenen Minister Grafen de Barca, den Ew. Excellenz während seines vierjährigen Aufenthalts

Beilagen. 461

als Gesandter an den Höfen im Haag, Paris, Petersburg, und wenn ich nicht irre in Berlin, vielleicht unter dem Namen Antonio de Araiyo e Azevedo gekannt haben. Er sagte mir dabei, dass er, sobald er Kenntniss von diesen Befehlen des damaligen Ministeriums erhalten, sogleich an den Prinz-Regenten geschrieben und gebeten, diesen Befehl zur Verhaftung Ew. Excellenz augenblicklich zu wider- rufen, um sich nicht vor ganz Europa zu blamiren, im Gegentheil man solle den Befehl geben, Ew. Excellenz in allem zu unterstützen; nnd dieses sei auch geschehen.

Wenn also Ew. Excellenz am obern Orenoco und auf der Grenze Brasiliens, die Sic berührten (wenn ich nicht irre), nicht ver- haftet und dann nach Ceazö gebracht wurden, wo Sic wenigstens ein Jahr hätten sitzen können, bevor eine Resolution aus Portugal gekommen, so hatte man es einzig diesem Manne zu verdanken, der sich so lebhaft für die Wissenschaften interessirtc und alle Werke Ew. Excellenz sich hatte kommen lassen.

Mit dem Wunsche, dass Ew. Excellenz Sich im vollkommensten Wohlsein befinden, habe ich die Ehre zu verharren

Ew. Excellenz

ganz ergebenster

(gez.) Baron von Eschwege.

Das Document ist ein Yerhaftsbefehl und lautet im Original:

Aviso de 2 de Junho de 1800 por Dom Rodrigo de Souza Coutinho, av Bemardo Manuel de Yasconcellos, Govemador do Capitania do C^rd. 0 Principe Regente Nosso Senhor manda partecipar a V. S* que na Gazeta de Colonia do d^Abril do prcsente anno se publicou que hum tal Baräo de Humboldt natural de Berlim havia viajado pelo interior da America tendo mandado algumas obser- vagöes geograficas dos Paizes por onde tem decorrido, as quacs servirao para corregir alguns defeitos dos Mappas e Cartas Geo- graficas e Topograficas, tendo feite huma coleyäo de mil e quinhen- tas plantas novas, determinando se a dirigir a sua viagem pelas partes superiores da Capitania do Maranhäo afim de examinar Re- giöes desertas o desconhecidas atö agora a todos os Naturalistas. E por que em tao criticas circumstancias, e no estado actual das cousas se faz suspcita a viagem de hum tal Estrangcro que debaixo de especiosos prctestos talvcz procura em conjunturas tao mclindro- sas e arriscadas, surprender c alentar com novas idöas c capciosos

St.

462 n. Rciselebcn in Amerika and Asien.

principios os animos dos Povos seos ficis vassallos existentes nesses Tastos dominios, alem de qae pelas leis existentes de S. A. Real, ordena mni cxpressamente o mesmo Angasto Senhor, quo Y. S^ fassa examinar com a maior exac^äo e escrnpolo se com effeito o dito Baräo de Humboldt ou outro qualques viajante Estrangeiro t«m yiajado ou actualmente viaja pelos territorios interiores d'essa Capi- tania, pois scria summamente prejQdiciai aos interesses politicos da «Goroa de Portugal se se verificassem semilliantes factos, e confia S. A. Real que V. S* pelo seu zelo e efficas desvelo, empregara em hum negocio de tanta importancia, toda aqucUa destreza, e sagaci- dade que he de esperor das luzes e circonspec^äo de V. S* pelo bem do Real Service, precavendo Y. S* seudo assim, e atalbando a conünua^äo de taes indaga^öes que pelas Leis säo vedadas näo so a Estrangeiros mas atö aquelles Portuguezes qne se fazem suspei- tos quando näo säo authorizados por Ordens Regias ou com as de- vidas licenyas dos Governadores dos respcctivas Capitanias, roandando 08 capturar. E confia finalmentc S. A. Real que Y. S* proeederä a este respcito com a mais cautelosa circumspecgäo dando imraedia- tamente parte a S. A. Real de tudo o que achar aos ditos respeitos por csta Secretaria de Estado, para que o mesmo Augusto Senhor possa dar as ulteriores Providencias que cxigircm factos de tal natureza.

Zu deutsch:

Zur Nachricht vom 2. Juni 1800 von Dom Rodrigo de Souza Coutinho an Bemardo Manuel de Yasconcelos, Gou- verneur der Statthalterschaft Cßard. Der Prinzregent, Unser Herr, hat den Befehl erlassen, Ew. Excellenz mitzutheilen, dass in der „Gazeta de Colonia" vom I.April d. J. berichtet wurde: ein gewisser Baron von Humboldt, aus Berlin gebürtig, habe das Innere Amerikas durchreist, geographische Beobach- tungen über die von ihm besichtigten Länder, welche zur Berichtigung einiger Fehler auf Landkarten und geographischen Darstellungen dienen sollen, gesammelt, eine Sammlung von 1500 neuen Pflanzen angelegt, und sei entschlossen, seine Reiseroute auf die obem Theile der Provinz do Maranhao zu richten, um wüste und bisher allen Naturforschem unbekannte Gegenden zu durchforschen. Und weil nun in so kritischen Umständen und bei der jetzigen Lage der Dinge die Reise eines solchen Fremden, der vielleicht unter Scheinvorwänden den Plan verbirgt, in einer so zart zu behandelnden und gefährlichen

Beilagen. 463

I^c die Gemüther der Nation, seiner treuen Unterthanen dieser weiten Gebiete, mit neuen Ideen und verftnglichcn Principien zu überraschen, verdächtig wird, so befiehlt der Erlauchte Herrscher abgesehen davon, dass durch die bestehenden Gesetze Sr. königlichen Hoheit der Eintritt in seine Gebiete jeglichem Fremden ohne beson- dere Erlaubniss Sr. königlichen Hoheit schon untersagt ist ganz ausdrücklich, dass Ew. Excellenz mit der grössten Sorgfalt und Ge- nauigkeit untersuchen lassen, ob der besagte Baron von Humboldt oder ein anderer fremder Reisender in der That die innem Gebiete dieser Provinz durchreist hat oder durchreist, da es für die poli- tischen Interessen der Krone Portugal höchst nachtheilig wäre, wenn solche Thatsachen sich bewahrheiteten. Und so baut Sc. königliche Hoheit darauf, dass mit Eifer und wirksamer Sorgfalt Ew. Excellenz auf eine Sache von solcher Wichtigkeit die ganze Geschicklichkeit und den ganzen Scharfsinn, der von Ihrer Ein- und Umsicht zum Wohle des königlichen Dienstes zu erwarten ist, verwenden wird, indem Ew. Excellenz, wenn dem so ist, der Gefahr vorbeugt, und nicht allein Fremde, sondern selbst solche Portugiesen, die sich nicht durch königliche Befehle bevollmächtigt und nicht mit der nöthigen Erlaubniss der Gouverneure der betrefTenden Provinzen versehen, verdächtig machen, an der Fortsetzung solcher gesetzlich verbotenen Forschungen durch Gefangennahme hindert Und schliesslich baut Se. königliche Hoheit darauf, dass Ew. Excellenz in dieser Hinsicht mit der gewissenhaftesten Umsicht verfahren und Sr. königlichen Hoheit augenblicklich durch die Staatskanzlei Mittheilung machen wird über alles, was betrefTs dieser Sache vorfallen sollte, damit der Erlauchte Herr die weitem erforderlichen Massregeln trefTen könne.

Auf dem Blatte des Originaltextes stand von Humboldts eigener Hand :

„Ich wünsche, dass diese Ordre nach meinem Tode irgendwo gedruckt werde.

März 1854. Alex. Humboldt"

Auch Vamhagcn vermerkt in „Tagobüclier** den 11. Aug. 1855: „Humboldt hat erst neuerdings den grossen brasilianischen Orden er- halten wogen eines Schicdsrichter^pruchs, den er zwischen BrasilicMi und Venezuela zu thun aufgefordert war; es galt den Besitz eines betrachtlichen Laudgebicts. u Früher wollte man mich in Rio de

464 II- Reisclcben in Amerika und Asien.

Janeiro als gefährlichen Kundschafter verhaften und nach P^aro|ia zurückschicken, der dazu ausgefertigte Befehl wird noch dort als Merkwürdigkeit gezeigt; jetzt macht man mich zum Schiodsricliter! Ich habe natürlich für Brasilien entschieden, denn ich wollte den grossen Orden haben, die Republik Venezuela hat keinen!» Diese mit heiterster Ironie gesprochenen Worte unterbrach ich mit dem Ausruf: Wie sich die Zeiten ändern! «Ja», fiel er sogleich wieder ein, «der Verhaftsbefehl, und dann der grosse Orden!»"

3. Chronologie der Reise in die Aequinoctialgegenden des Neuen Continents (5. Jnni 1799 bis 3. Angust 1804).

1799. 5. Juni bis 19. Juni: Seereise von Corufia nach Teneriffa. 22. Juni: Ersteigung des Pic.

25. Juni bis IG. Juli: Seereise von Teneriffa bis Camana. IG. Juli bis 18. Nov.: Aufenthalt in Cumana.

19. und 20. Aug.: Ausflug nach Araya.

4. bis 23. Sept.: Wanderung zu den Missionen der Cha3'mas- Indianer; Caripe, Cariaco, Guacharohöhe.

4. Nov.: Erstes Erdbeben.

12. Nov.: Grosser Sternschnuppenfall. 18. bis 21. Nov.: Küstenfahrt nach La Guayra.

21. Nov. bis

1800. G. Febr.: Aufenthalt in Caracas.

2. und 3. Jan.: Ersteigung der Silla. G. Febr. bis 2G. März: Wanderung in die Thäler des Aragua,

nach Villa de Cura, Calabozo, bis San-Fernando d'Apure. 2G. bis 28. März: In San-Fernando d'Apure. 30. März bis 8. Mai: Reise auf dem Orenoco, Atabapo, Rio

Ncgro bis San -Carlos am Rio Negro. «S. Mai bis 22. Mai: Reise von San-Carlos auf dem Cassiqniare

bis Esmeralda.

22. Mai bis 15. Juni: In Esmeralda; auf dem Orenoco zu-

rück bis San-Tliomas d'Angostura. 15. Juni bis 9. Juli: Aufenthalt in San-Thomas d^Angostura. 10. Juli bis 23. Juli: Reise durch die Karaibenmissionen, die Llanos nach Nuova-Barcelona.

Beilagen. 465

isOO. 23. Juli bis -20. Aug.: Aufenthalt in Xuova -Barcelona.

2G. AuK. bis 27. Aug.: Kihtenfahrt nach Cumana.

27. Au^'. bis 1<). Nov.: Aufenthalt in Cumana.

17. Xov. bis 18. Nov.: Fahrt nach Nuova -Barcelona.

18. Nov. bis 24. Nov.: Aufenthalt in Nuova- Barcelona. 24. Nov. bis 19. Dec: Ueberfahrt nach der Havana. VJ. Dec. bis

\60\. 8. März: Aufenthalt in Ilavana.

s. Milrz bis 30. März: Ueberfahrt von Cuba nach Cartagena. Monlanfall eines Zambo.

19. April bis 20. April: Von Turbaco bei Cartagena nach Barancas Nuevas am Rio Magdalena.

20. April bis 13. Juni: Auf dem Magdalenenstrome bis Honda.

22. Juni bis G. Juli: Von Honda nach Sta.-Fe de Bogota.

G. Juli bis b. Sept.: Aufenthalt in Sta.-Fe de Bogota, Aus- flüge in die Umgegend.

i). Se|>t.: Von Santa-Fe de Bogota über Contreras, Ibague, den (^uindiu nach Quito.

21. Sept.: In Ibague Mondtinsterniss beobachtet. Nov.: In Popavan. Besuch des Julusuito und Purace. 24. Dec: In Pasto.

lJi02. G. Jan.: Ankunft in Quito.

<). Jan. bis Juli: Aufenthalt in Stadt und Provinz Quito. IG. März: Kr>teigung des Antisana. 14. Aj)ril: Erste 1

2G. Mai: Zweite Ersteigung <les Pichincha. 28. Mai: Dritte j 23. Juni: Ersteigung des Chimborazo.

Ersteigung des Cotopaxi.

Wanderung nach Riobamba.

Cuenca.

Loxa, Tomependa, Caxamarca, Truxillo.

23. Oct. bis 5. Dec: In Lima.

9. Nov. Beobachtung des Mercurdurchgangs vor der Sonne. 5. Dec. bis

1803. 9. Jan.: KüNtenfahrt von Lima nach Guayaquil. 9. Jan. bis 15. Febr.: In und um (luayaquil.

15. Febr. bis 23. März: Seereise von Guayaquil nach Acapulco. 23. März bis

1804. 7. März: Aufenthalt im Königreich Mexico.

A. ▼. HtüBOLDT. I. 30

Juli bis Oct ober:

FSä iCf, Apr2: Zw^it^r Arifenrhair in idr nLivanü^

4. KcFJfkii der Edsen in AmmkL

Za Seite 431.

Ueber die Kröten der Reisen in Amerika änd ^ehr irrige 4g- gaben verbreitet, zum Theil doreh Homboldt selbst veranlasst, weö er die Kf;4ten der Herstelltrog seiner Heisewerke nicht sehen m d^n Konten ^ler ReUe hinzoreehnete. Im fftniten Bande seiner amerika- nm^hfm Tagebücher finden sich indess 53 Qnartseiten voO Notizen in mikroHkopischer Schrift, welche über seine VennögensTerhÄltni>se in f\fn zehn Jahren 1797 ln07, d. h. von der Erbschaftstheilan^ in Irrenden bis znr Uebcrsiedelnng nach Paris, genügenden Aaf>ohlas> gerben. So wenig anch diff Blätter selbst wie die einzelnen Notizen g^rordnfft «ind, so zeigen sie doch, dass Humboldt über seine Ein- nahmen und Ausgaben gewissenhaft Buch fährte, und aus ihnen kann man cntnehmr^n, wie gross die eigentlichen Reisekosten gewesen, und welche Summen an Zeichner, Kupferstecher, Drucker u. s, w. für Ausstattung der Werke gezahlt wurden.

Wir beginnen unsere Mittheilungen mit der Notiz S. 19 des erwähnten Tagebuchs.

„Was ich durch diese Reise um die Welt wahrscheinlich vom Kapital (finbOsse:

„Ich habe ausgegeben bis Ende Februar 1802 seit Abreise von Corufta O'iOO Tiaster. Wahrscheinlich bis Rückkunft, weil Seereise wohlfeiler und /dt raubt: bis Ende 1804 überhaupt 12— 13000 Piaster. Da aber di(; Beiso zu Lande leider theuer ist, rechne ich die ganzen

Beilagen. 467

15.'5*24 Piaster, welche ich bereits gezogen und welche mir in Europa 17700 Thlr. preuss. Cour. Kt*kostet. Meine Einktlnfte in ftlnf Jahren betrajLren nach Abzug (an von Rafften u. s. w.): 10000 Thlr., und Wilhelm's Legate: 2000 Thlr. Also wahrscheinlich vom Kapital eingebüsst nur: 5700 Thlr., was sehr wenig, und wovon mir 2000 Thlr. •iurrh Schriftstellerei wieder zu gewinnen.

„Da ich jetzt Mai (Mai 1^02) entschlossen bin, nicht nach den Philip)unen zu gehen, sondern mit Carl. Montnfar über Veracruz und Havana Juli l>i0'6 nach England zurückzukehren, so glaube ich Ende 1HU3 also zu stehen: Ich habe nach Amerika gezogen 15324 Piaster, welche mir in Berlin gekostet 176>il Thlr. preuss. Cour. Wenn ich von amerikani>chen Wechseln noch 2000 Thlr. preuss. Cour, zurück- bringe, «o habe i<'h seit 1799 1><03 ausgegeben 15700 Thlr. preuss. Cour. Meine Einkünfte seit 1. Juni 1799 bis Ende 1803 be- tragen CJSOO— ICOO) X 4 «SOO Thlr. Dazu 2000 Thlr. von Legaten zur Rei'^e bestimmt, zusammen 10800 Thlr., also in ameri- kanischer Heise 5000 Thlr. eingefressen."

Hieran schliesst sich die etwas s|>ätere Notiz:

„Je pen^^ais aujourd'hui (13 Juin 1803 en Mexique) que jnsqu'aa retour d'Europe j'aurai mange 8000 Thlr. du Capital, sans compter •^ qne je gagne par la litterature: j aurai de Capital en 1804 vrai- soiiiblablement 750O0 Thlr.**

Aber schon zwei Monate später vermerkt Humboldt:

„Guanaxuato le 12 Aout 1803.

„Etat de mes finances.

..Jai re«;u d'aprcs le 2 Janv. 179*J de Berlin deux lettres de change du Marquis d'Yranda et une de Cuesta dont la valeur en-

semble a ete de 17681 Thlr. de Prusse.

Je dois tin 1803 ä Charles Montufar recu 2G00 ,,

J aurai depens<^ dans le voyage au Tropifpies

jusque a fin 1803 20281 Thlr. de Prusse."

Dieser Anschlag hat indess wesentliche VerÄnderungen erfahren. Denn nach Eingang der Uebersicht <eines Vermögensstandes am 1. Sept. 1804, die ihm Kunth auf seinen Wunsch sandte (s. S. 399), vermerkt er unter anderm (S. 16 de> Tagebuchs):

30«

468 II* Heiscleben in Amerika und Asien.

„La ruine progressive de ina fortune a ^t^: Je possMas en 1797 Capital de 85000 Thlr. revenus not 3300 Tblr. 1799 83000 1804 68000 ,, 2780 Thlr/^

Hiernach wären ausser den siebenjährigen Zinsen dos Kapitals von dem letztem selbst noch 17000 Tblr. daraufgegangen. Genauer scheint der

„fitat de mes Finances le 31 Dec. 1805, les pages sont du

livre de Mr. Kunth.

Actira,

p. 8. Ringenwalde Mr. de Reede 45000 Thlr.

p. 48. Hollend. (Holland. Obligat.) 7500

p. 44. Guillaume 5500

p. 26. Tabac 4000

p. 24 et 14. Brinckmann et Aaron Meyer 500

p. 50. Kurnatowsky 17300

79800 ~

Lc Marquis de Selvalegre ä Quito me doit 3300 Scholl k Paris pour la G^ogr. des plantes

et la Zoologie 1000

Mad. Roccafuertc i\ Guayaquil et mes

planches 1000

85100

rassica.

p. 42. Friedländer . . 9300 Tblr. p. 118. La banque . . 17300

26600

»

58500 Thlr. Capital act.

Bcveyni actucL

Ringenwalde ä A^^ p. C. le 24 Dec. et 24 Juin . 2024 Thlr.

Hollend. (Holland. Obligat.) ä 5 p. C. le 1 Jan. et 1 Juill. 370 ,.

Tabac ä 6 p. C. le 1 Avr. et 1 Oct 240

Guillaume ä 5 p. C. le 220

2854 Thlr."

Beilagen. 469

Dasselbe Blatt enthält auch die Notizen:

„J'avais heritc en 1797 . . . 85000 Thlr. II nie restent en 1806 . . . 58000

Perte . . 27000 Thlr.

j.J'ai (lepense dans le voyagc aux Tropiques en tout 33500 Thlr.

et en outre perdu 5000

en avance ponr Don Carl. Montufar."

5. Karl Ritter über Humboldrs Reisen in Amerika.

„Wie erfreulich für jeden einzelnen Reisenden der Austritt aus dem Segelschiffe vom schaukelnden Atlantischen Ocean auf den festen Boden der Alten Welt in der Regel sein mag, so bedeutungsvoll für das begonnene Jahrhundert war er es, als am 3. Aug. 1804 Alexander von Humbohlt an der Garonne nach fünfjähriger Abwesenheit die Westküste Europas wieder betrat. Der edelste Schatz für die nach- folgenden Geschlechter, grösser als alle früher übergeschiflften Schätze der Neuen Welt, war zur Ausprägung für den neuen Verkehr der Ideen sicher an das Land gebracht! Es war die wissenschaftliche Wiederentdeckung der Neuen Welt, die mit ihm für die europäische Culturwelt das Festland betrat, die drei Jahrhunderte nach seinem grossen Vorgänger, mit dem eine neue Weltgeschichte für die ganze Menschheit begann, nun auch ausserhalb der Sphäre der bewegtesten Politik als eine neue Geschichte für die Wissenschaft der Natur und der Völker ihren friedlichen, ihren segensreichen Einfluss verbreitete.

„Es war und wer sich noch jener Zeit zu erinnern im Stande ist, stinmit gewiss mit ein es war, als wäre eine neue

* Am 4. Aug. 1844 feierte die königliche Akademie der Wissen- schaften in Berlin die vor vierzig Jahren erfolgte glückliche Heimkehr Humboldt^s von seiner für die Wissenschaft so ertragreichen Reise in Amerika. Bei dieser Gelegenheit schilderte Karl Ritter die Verdienste des Reisenden in einer Ansprache, die zwar in manchen Einzelheiten etwas überschwenglich lautet, aber immerhin hier auszugsweise mitgetheilt zu werden verdient, zumal später, bei der Würdigung der geographischen Leistcmgen Ilumboldt^s von Peschel auf diese Rede hingewiesen wird.

470 U. Keiseleben in Amerika und Asien.

Sonne voll Licht und Wärme im Westen über der Neuen Welt em- porgestiegen, um auf die Alte Welt wohlthätig zurückzustrahlen Alles Schöne and Herrliche, was in beiden, auf und in ihnen, in Gottes Schöpfung prangte, aber vor dem Menschen noch geheimniss voll in dunkeln Schachten verborgen lag, erhob sich in neuem Lichte, in entschleierter Klarheit.

„Die Natur in beiden Erdhälften trat nun erst in ihrem Gegen- satze, in ihrer Individualität, in ihrer harmonischen Gesetzmässigkeit, in ihrer wahren Grösse und Erhabenheit hervor. Die verwirrende Zufälligkeit des Daseins der Dinge und ihrer unseligen Verein- zelungen verschwand, und es trat ein vorher kaum geahnter Causal- zusammenhang der Erscheinungen in allen Anfängen und Enden des grossen Erdorganismus hervor, der alle Zweige der Wissenschaft und der Speculation zu einem hohem Selbstbewusstsein erhob, der alle Culturvölker des Planeten über die Mitgift ihrer Heimat belehrte, nnd durch sie an Gütern und au Ideen vielfach bereicherte.

„Weder Lobpreisung noch Denkmal ist solchem Wendepunkte in der Geschichte der Wissenschaften, in der Culturgeschichte der Völker, bei dem so viele befreundete Geister dem Einen sich mit- wirkend zugesellten, vonnöthen. Er preist sich selbst durch orga- nisches Fortwirken aus der Wurzel bis zum ^ube, zur Blüte und zur Frucht, die jeder Nachfolgende pflücken kann.

„Diese Thaten des Einen, in der Mitte von vielen, sind schon aufgezeichnet in den Memoiren aller wissenschaftlichen Institute, aller Akademien der Alten und Neuen Welt, in denen man seitdem stet-i demselben Namen, denselben Anregungen der fruchtbarsten geistigen Thätigkeit in den weitesten Kreisen begegnet.

„Die Denkmale einer solchen Wirksamkeit haben sich längst vor den Augen der gebildeten Welt an allen Enden der Erde aufgebaut. Am Himmel selbst sind die Sternbilder der Südhemisphäre in ihren Erscheinungen seitdem erst bestimmter hervorgetreten, und das süd- liche Kreuz hat seinen Eintiuss geübt auf das Verständniss des Weltsystems im grössten Epos eines Dante und des Mittelalters. Die richtige Karte Amerikas, nach lausenden astronomischer, geo- dätischer, hypsometrischer mühevoller Messungen, bleibt wol das grossartigste, unvergängliche Denkmal aus dieser Zeit für alle Zu- kunft. Die Cordilleren selbst haben dadurch erst ihre Classicität gewonnen. Die von Trachytmassen auf die Rücken der Anden ge- hobenen Muschel- und Steinsalzlager, die Nivellements des Amazonen- stromes in den Ebenen, die durch die jüngsten Wiederholungen

Beilagen. 47 1

bestätigten genauesten astronomischen Orientirungen in den Urwäldern Guianas, auf den Vulkanhöhen von Santa-Fe geben nur Zeugniss von der bewunderten Schärfe jener Auffassungen eines Erdkolosses.

„Aber dessen Gestaltung sollte auch rückwirkend werden und nur einer Revision aller Plastik der Erde überhaupt vorangehen, die seitdem auch für Centralasien und Europa durch die eigene An- schauung und für die mittlere Höhe der Continente überhaupt durch Ermittelung gewonnen ist. Die Erforschung der Entdeckungsgeschichte der Neuen Welt hat ebenso rückwirkend alle frühern Entdeckungen in der Alten Welt, bis in die ältesten Perioden der Menschen- geschlechter, mit einem neuen Lichte durchstrahlt.

„Die zahllosen neuen Entdeckungen in der Gäa, Flora und Fauna der Neuen Welt haben seitdem die Wissenschaft mit ganz neuen, vorher nicht vorhandenen Zweigen bereichert, die als dauern- des Denkmal ihres Begründers sich immer vergrössern und erweitern. Es ist die geognostische Vergleichung beider Erdhälften, es ist die Geographie der Pflanzen, es ist die Lehre von den Isothermen, den Schneeregionen, den Luftschichten, von den Einflüssen der Plastik auf die Meteorologie und beider auf die Organismen der Pflanzen-, Thier- und Menschenwelt. Die Plateausysteme wurden damals zuerst auf den Höhen Kastiliens und Amerikas entdeckt, und dann erst in den drei Erdtheilen der Alten Welt aufgefunden; sie, wie die Bil- dungsgesetze der Cordilleren, des Himalaya und des Altai, gaben den grossartigen Massstab für alle andern Erhebungen der Erdober- fläche. Die vergleichende Geographie wurde hierdurch erst geschaf- fen, die vergleichende Statistik folgte, und die Monumentenkunde der Aboriginer schloss sich an. Die Nautik aller Nationen hat in der Südsee die Humboldtströmung als ein Denkmal ihres Entdeckers festgestellt; sie wie die allgemeine Physik haben durch die Serien der magnetischen Stationen von Peking, durch die ganze Alte und Neue Welt bis zu ihren Südenden, dem Begründer des ersten magnetischen Häuschens in seiner Heimat bereits durch alle Zonen die Denkmale seiner weitgreifenden Wirksamkeit erbaut; der magne- tische Verein ist durch ihn am äussersten Nord- wie am Südpol wirksam gewesen.

„Auch nur die Hauptmonumente der verflossenen vier Jahrzehnte zu nennen, die in dieser Weise sich erhoben haben, zu deren Ent- stehung schon überall der Grundstein gelegt war in dem köstlichen kleinen Büchlein: «Ansichten der Natur», das dem Theuersten, was ^r besass, dem Bruder, 1808 gewidmet erschien, würde unmöglich

472 I^* Rciseleben in Amerika und Asien.

sein. Ebenso wenig würde es sich hier geziemen, von der lebens- friscben Wirksamkeit der Gegenwart in die Ferne und in unserer

nächsten Nähe zu reden

,,So reiht sich der Festtag, den wir heute feiern, wenn auch nur von der einen Seite betrachtet, den grossen Tagen der Ge- schichte der Wissenschaft überhaupt an, an welchen ein Aristotek*s, R. Bacon, Leibnitz, Newton und andere Heroen die Welt erleuch- teten, ein Columbus und Cook neue Welten entdeckten." ....

6. Aime Bonpland.

Aim^ Bonpland ist mit Alexander von Humboldt eng verbunden, als dessen treuer Gefährte auf den amerikanischen Wanderungen und als kenntnissreicher Mitarbeiter an seinen Beisewerken. Er war, vier Jahre jünger als Humboldt, am 22. Aug. 1773 zu La Bochelle geboren. Dem Berufe des Vaters folgend, widmete er sich dem Studium der Medicin. 1793 tliat er kurzen Seedienst als Chirurg am Bord einer Fregatte der Bepublik, die im Atlantischen Meere gegen die Engländer kreuzte. . In Paris hörte er dann die Vorträge von Corvisart, Dessaut, Bichat. Aber mehr als die Heilkunde zogen ihn BuiFon's und Daubenton's Leistungen in der Zoologie und Geo- logie, und vor allen Jussieu's Arbeiten in der Botanik an; voll Eifer suchte er diesen grossen Vorbildern nachzustreben. Seine Kenntnisse und seine wissenschaftliche Begabung waren bereits an- erkannt, als das Directoriinn die Expedition unter Baudin auszurüsten beschloss und ihn derselben als Botaniker zugesellte. Damals mochte er mit Humboldt bekannt geworden sein. ^

Bonpland war mittellos, Ihimboldt im Besitz eines beträchtlichen Vermögens, das er ohne Nebenabsichten zur Förderung der Wissen-

^ „Wie sind Sie mit Bonpland bekannt geworden?** fragte Dove einst Humboldt. „Auf die einfachste Art von der Welt'S erwiderte dieser. „Sie wissen, dass, wenn man beim Ausgehen seinen Schlüssel abgibt, man mit der Frau des Portiers stets einige freundliche Worte wechselt. Dabei begegnete ich oft einem jungen Manne mit einer Botanisirtrommel , das war Bonpland; so wurden wir bekannt." {H. W. Dore, Gedächtnissrede auf Alexander von Humboldt, Berlin 1869, S. 9.)

Beilagen. 473

scbaft verwenden wollte. Der Bund zwischen den beiden Männern, die einander ergänzten, war daher schnell geschlossen. Während Humboldt sich vorzugsweise mit den unorganischen Gebieten der Natur, den mathematischen und tellurischen Erscheinungen vertraut gemacht hatte und seinen Blick stets auf den Zusammenhang des Ganzen, auf die Vergleichnng der verschiedenen Wahrnehmungen und auf ihre Be- ziehungen zueinander gerichtet hielt, war Bonpland im Reiche des Organischen, der Flora und Fauna besonders heimisch, und seine Aufmerksamkeit mehr dem Einzelnen zugewandt. Aus dem gegen- seitigen Austausch des Gewussten und Gefundenen entsprang jene Vielseitigkeit in der Beobachtung und Erforschung der Naturerschei- nungen, welche ihre gemeinschaftlichen Arbeiten auszeichnet. In den spanischen Colonien von Anurika «jfalt damals jeder Deutsche für einen Bergmann, jeder Franzose für einen Arzt: und wirklich traf bei Humboldt und r»onpland diese Voraussetzung zu.

Von der Werthschätzung und der treuen Hingebung, welche beide Reisende für einander bewiesen, sind bereits einige Züge mitgetheilt. * Hier sei noch die Notiz erwälint, die sich in den amerikanischen Tagebüchern Humboldt 's (Bd. V ) findet : „J'ai donne a Mr. Elhuyar une lettre cachee a ouvrir en cas de mort, c'est le testanient en faveur de Bonpland lui leguant 50000 Livres tournoi^.'*

. Bonpland wurde bald nach seiner Rückkehr von der amerika- nischen Reise auf Empfehlung Corvisart's, des Leibarztes der Kaiserin Josephine, die eine grosse Vorliebe für Blumen und Pflanzen hatte, Intendant ihrer Gärten in Malmaison und Navarra. Ausserdem er- hielt er für sein dem Jardin des Tlantes überlas<enes Herbarium auf Humboldt's eifrige Vermittelung eine jährliche Pension von 3000 Frs.»

» Vgl. S. 333, 334, ;UJ.

* Humboldt gab einst (185?^) dem Verfasser folgende authentische Ucbcrsicht von seiner und Bonpland's Pflanzensammlung: „Humboldt und Bonpland haben während ihrer fünfjährigen Heise r».S(M»— (UXH) Pflauzen- Bpecies gesammelt. Unter den 5r)(K) Spccies der Phaneroganicn befanden sich 3<HH) vorher unbekannte Arten. Die Staudörter von allen diesen in den «Nova Genera et Species plantarum in peregrinatione ad plagam aequinoctialem collcctarum » beschriebemn (iewächsen sind hypbomotrisch durch Barometemiessungen in ihrer Höhe über der Mee^e^f^;u•h<' bestinnnt, wa8 bis dahin noch in keinem botanischen Werke grsehehen war. Die auf der Reise selbst angefertigten Ptlanzenbeschreibungen , 4r>*JS an der Zahl, füllen sechs Bände (drei in Quart, drei in Folio). Sie bind von dem

474 n. Reiseleben in Amerika und Asien.

Bonpland hat zur Verschönerang der damals vielbewanderten Anlagen in MalmaisoR nicht wenig beigetragen; doch behielt er in diesem Amte volle Unabhängigkeit and Masse, an der Herausgabe des amerikanischen Reisewerks zu arbeiten, die er freilich nicht so eifrig förderte, dass nicht vorübergehend auch Willdenow's und vor allem Kunth*s Fleiss dauernd hätte in Anspruch genommen werden müssen.

Unter gemeinsamen Arbeiten mit Humboldt, in freundschaft- lichem Verkehr mit Gay-Lussac, Arago, Thenard und den gefeiertsten Naturforschern jener Zeit, beehrt mit dem Wohlwollen der Kaiserin, die ein sinniges Verständniss für seine Studien hatte, unbeschränkt in der Ausführung seiner Anordnungen in den herrlichsten Blumen- gärten, lebte Bonpland jetzt die heitersten Tage seines Lebens.

Aber diese Tage waren gezählt. Die Trennung Napoleon's von Josephine verfinsterte sie bald; dem zarten Pfleger ilirer Blumen

grossen Botaniker Kunth, Director des botanischen Gartens bei Berlin, zu der Redaction der «Nova Genera et Species» in Paris benutzt worden. Da nur etwa ein Fünftel dieser Beschreibungen von der Hand Alexander von Humboldf s herrührt, so hat dieser, aus Dankbarkeit für die grenzen- lose Arbeitsamkeit seines Reisebegleiters, die sechs Bände botanischer Manuscripte gleich nach dem Tode des Professors Kunth an das Musee d^Histoire naturelle nach Paris geschickt, wo sie als Bonpland's Eigen- thum aufbewahrt werden. Von den Pflanzen selbst wurden gleich nach der Rückkunft nach Paris, da die Zahl der Doubletten es gestattete, drei Herbarien gebildet; eins, das vollständigste, für Bonpland, das er später nach Buenos-Ayres mitnahm, eins für das genannte Museum des Jardin des Plantes, wofür Bonpland den Jabrgebalt von 3000 Frcs. empfing, und das dritte für Alexander von Humboldt, der es, wie er auch sonst alles, was er im Neuen Coutinent und in Asien gesammelt, öffentlichen Samm- lungen geschenkt und nichts für sich selbst behalten hat, seinem Lehrer und Freunde AVilldenow schenkte. Durch den spätem Ankauf der beiden Herbarien von Willdenow und Kunth sind jetzt die von Humboldt und Bonpland in Amerika gesammelten Pflanzen vollständig in dem grossen Herbarium des berliner königlichen botanischen Gartens vereinigt. Zahl- reiche Doubletten aus der Humboldt-Bonpland'schen Sammlung befinden sich auch noch in Spanien und England.^^ Von diesen während der ge- meinschaftlichen Expedition gesammelten Pflanzen sind diejenigen wohl zu unterscheiden, welche Bonpland allein seit seiner Uebersiedelung nach Buenos-Ayres gesammelt hat; letztere sind es, von denen er in seinen spätem Briefen spricht. Das Herbarium des königlichen botanischen Gar- tens zu Schöneberg wird seit dem Jahre 1858 in dem Universitätsgebäude in Berlin wohlgeordnet aufbewahrt.

I>» iKiL^cn. 47.')

vertraute die edle Frau den Schmerz ihres todwunden Herzens. „Ce n'est pas la perte de la couronne qm m'afHige", klagte sie ihm einst, „mais c'est la perte de rhomme que j'ai plus aimö que ma vie et que je ne cesserai d'aimer j^usqu'au tombeau." Des Kaisers Fall brach ihr Herz, sie starb am 30. Mai 1814. Bonpland stand an ihrem Sterbelager. ^

Bonpland fand seitdem keine Ruhe in Enropa, unwiderstehlich trieb es ihn von dannen. Selbst die Fortsetzung seines Prachtwerks ,Description des Plantes rares cultivöes h Malmaison et ä Navarre", (Paris 1813), sowie die fernere Bearbeitung der mit seinem gefeierten Freunde gesammelten Pflanzen verloren ihren fesselnden Reiz für ihn. ' Der Wunsch, die bisherigen Sammlungen aus den Tropengegenden durch neue aus der gemässigten Zone zu vermehren, welche Feuillö nur mangelhaft beschrieben hatte, bewog ihn, gegen Ende des Jahres 1816 mit einer Menge nutzbarer Gewächse und Obstbäume zum zweiten male nach Südamerika, nach Buenos-Ayres, zu gehen.

Wie anders hatte sich inzwischen die Lage auf der südamerika- nischen Halbinsel gestaltet. Durch Napoleon's Invasion in Spanien waren die Ketten gelöst worden, welche die spanischen Colonien an

* Es ist hier der Ort, die Fabel zu berichtigen (welche auch die augsburger .,Allgemeiiie Zeitung*^ noch am 16. Juli 1858 in der Beilage zu Nr. 197 wiederholt hat), dass Bonpland es gewesen, der den Kaiser in den Tagen seiner Bedrängniss zu Fontaincbleau beschworen habe, Mexico zu seinem Asyl zu wählen, um von diesem Centralpunkte der Erde aus den Gang der Ereignisse in beiden AVelten zu verfolgen. Ein grossartiger Ge- danke ! wird hinzugefügt, indem man sich vergegenwärtigt, welche Rolle der seitdem so nahe gerückte Isthmus in den internationalen Beziehungen gespielt hat. Aber alles das ist traditionelle Fabel. „Bonpland", schrieb Humboldt einst dem Verfasser dieser Skizze, „hat weder vor noch nach der Schlacht von Waterloo ein Gespräch mit Kapoleon gehabt ; er ist gar nicht in Fon- tainebleau gewesen, wo dem Kaiser von andern Personen unausführbare Vorschläge gemacht wurden. Ich sah damals Bonpland täglich. Er kann vielleicht gegen einen Bekannten von Mexico als von einem Zufluchtsorte gesprochen haben, nicht aber gegen den Kaiser, dem er fremd stand und den er gar nicht sah."

Von den beiden ausschliesslich von ihm bearbeiteten Werken: „Plantes ^quinoxiales" und „Monographie des Melastomes", hatte schon das letztere (zwei Bände in Fol. mit 120 Tafeln) schon schwere Bedenken erweckt, da nach Robert Brown unter allen darin beschriebenen Melastomen keine einzige echte zu erkennen sei. (Vgl. Martivs, Denkrede auf Alex. von Humboldt, S. 25, Anm.)

47G n. Reiseleben in Amerika und Asien.

das Mutterland fesselten. Von Mexico bis Buenos-Ayres loderte die Flamme des Aufstandes. Der Kampf war blutig aber kurz, nur die innern Entwickelungs - und Parteikämpfe währten noch fort. Die Mündungen des La Platastroms öffneten sich zuerst dem Ver- kehr mit dem Auslande, hier waren zuerst freie Republiken ent- standen.

Bonpland fand in Buenos -Ay res zuvorkommenden Empfang. Man ernannte ihn alsbald zum Professor der Naturgeschichte. Aber nicht lange, so tibten Parteiumtriebe, Eifer- und Schelsucht, welche stets das Verdienst von fremder Nationalität herabsetzt und ver- dächtigt, auf das Verhalten der Regierung gegen ihn den nachthei- ligsten Einfluss. Im Jahre 1820 unternahm er eine Erforschungsreise, die ihn durch die Pampas, die Provinz Santa- Fe, Gran Choco und Bolivien an den Fuss der Anden führen sollte. Den Paraguay hinauffahrend, kam er zu den alten Jesuitenniederlassungen am linken Ufer dieses Stroms, wenige Meilen von Itapua gelegen.

Unglücklicherweise gerieth er hier auf ein Gebiet, dessen Besitz Paraguay und die Argentinischen Republiken sich streitig machten. Er gab zwar sofort dem Dictator von Paraguay, Dr. Francia, Nach- richt von seiner Ankunft und bat ihn in dem Schreiben, im Interesse der Wissenschaft Beobachtungen über die Mat^pflanze sammeln zu dürfen; aber Francia, voll Argwohn, Hess ihn am 3. Dec. 1821 des Nachts von einer Reiterschar überfallen, seine wehrlosen Diener wurden getödtet, er selbst durch einen Säbelhieb über den Koi>f verwundet und mit Ketten belastet in das Innere von Paraguay geschleppt. Hier, in der Nähe von Santa-Maria, lebte der Freund und Reisegefährte Huniboldt's nun in unnahbarer Gefangenschaft. Francia verwandte ilin als Garnisonsarzt und als Aufseher bei Bauten und Handelswegen, doch durfte er einen beschränkten Kreis nicht überschreiten.

Kaum hatte Humboldt das Schicksal des Freundes erfahren, so bot er alles auf, um seine Freilassung zu bewirken. Cuvier, ja das ganze pariser Institut National wurde mit in das Interesse gezogen. Der Minister des Aeussern, Vicomte de Chateaubriand, empfahl zu diesem Ende den Reisenden Grandsire an den französischen General- consul in Rio-Janeiro; Humboldt selbst wandte sich bittend an Francia und überschickte ihm zugleich mehrere seiner gemeinschaftlich mit Bonpland herausgegebenen Werke. Aber der Gran Seüor de Para- guay, damals 62 Jahre alt, ein Tyrann voll Mistrauen und Reiz- barkeit, vereitelte jede Annäherung Grandsire's. Doch erkundete

Beilagen. 477

dieser wenigstens, dass es Bonpland wohluehe, dass er die Arznei- kunst ausübe, sich mit Destillation von Branntwein aus Honig be- schäftige, und sein sehr reiches Herbarium noch -täglich vermehre. Auch durch das englische Gouvernement, namentlich durch den Minister Canning, suchte Humboldt für die Befreiung des Freundes zu wirken, aber alle Mühe blieb erfolglos.

Waren es die dringenden Bitten de Mandeville's, des fran- zösischen Generalconsuls am La-Plata, oder die unverhohlenen Dro- hungen Bolivar's, des Präsidenten von Columbia, denen Bonpland 'endlich seine Freiheit verdankte? Niemand weiss es. Am 2. Febr. 1830 bedeutet man ihn, dass er frei sei, und dass „la Excellenca el Supremo'* ihm erlaube, hinzugehen wohin er wolle. So endete Bonpland's neunjährige grundlose Gefangenschaft. Er Hess sich in dem Städtchen St.-Borja an der brasilianischen Grenze nieder, eine kleine Wegstunde von dem linken Ufer des Uruguay und blieb hier und abwechselnd in der Estanzia Sta.-Anna dreizehn Jahre.

Die Befreiung Bonpland's hatte in Europa allgemeine Freude erregt, überall suchte man dem schwergeprüften Manne die Härte seiner Erlebnisse durch Auszeichnungen zu vergüten. Von Berlin, wo er im Sommer 180G mehrere Monate verweilt, ward ihm der Rothe Adlerorden verliehen. Humboldt zeigte ihm die Verleihung an und bemerkte dazu: „Je connais ton catechisme philosophic^ue, mais nous avons cm que dans tes rapports avec le Brasil (si tu en as) cela pourrait t'etre utile.^' Auch Doctor- und Ehrendiplome ge- lehrter Institute wurden ihm zutheil. Die kaiserlich Leopoldinisch- Carolinische Akademie der Naturforscher wusste ihrem ofticiellen Or- gan für die gesammte Botanik keinen klangvollem Namen zu geben als „Bonplandia".

So gross die Theilnahme war, mit der man in Europa die Nachrichten von und über Bonpland entgegennahm, so gi*oss waren oft die Widersprüche derselben. Bald hiess es, er wolle mit seinen reichen Sammlungen nach P'rankreicb zurückkehren, bald hörte man von weitgreifenden Planen, die er im neuen Vaterlande noch auszu- führen gedächte. In den letzten Jahren vermittelte der preus^ische Geschäftsträger und Generalconsul für Chile, Hr. von Gülich, seine Briefe an Humboldt, die stets ein lebhaftes Bild entwarfen von seiner persönlichen Lage, seinem warmen Gefühl, seiner unemiüdlichen Thätigkeit, der Frische seines Herzens und Geistes, sowie von den Hoffnungen und Planen, die seine Einbildungskraft noch im hohen Alter beschäftigten.

47S II. Reiseleben in Amerika and Asien.

Sein Briefwechsel mit Humboldt umfasst beinah ein Menschen- alter. J.Mirlich sandte er diesem sein Lebenszeugniss ein, damit er die von der französischon Regierung ausgesetzte Pension in Paris für ihn erheben lasse. Der ruhmvollen I^aufbahn des Freundes folgte er mit thcilnehmcndem Blicke: „Mon illustre ami", schreibt er ans Buenos-Ayrcs am 1. Juli 1832, „je tc vois tous les jours plus grand, et cha(iuc instant je fadmire davantage." Am 12. Juli desselben Jahres bittet er um eine Zeile von Humboldt's Hand, obwol er nicht ernstlich fürchte, dass die Cholera ihm genaht sei, „parce que tu as unc grande force d'ämc repressive pour tout cc qui t'est contraire". Der Tod Wilhelm von Humboldt's, den ihm Alexander am 14. Sept. 1835 gemeldet, bewegt ihn zu den lebhaftesten Aeusserungen des Mit- gefühls und der Erinnerung. Alexander's Gebuitstag verspricht er fortan als einen Festtag zu feiern. Nach zwei überstÄndenen schmerz- haften Krankheiten fühlt er sich infolge seiner gesunden und ein- fachen Lebensweise wieder so gekräftigt, dass er unterm 14. Juli 1836 ernstlich daran denkt, nach Paris zurückzukehren. Noten zu Hum- boldfs amerikanischer Heise zu schreiben, betrachtete er als die Hauptaufgabe eines dortigen Aufenthalts. Von dem Reisewerke waren ihm nur fünf Bände zugegangen, die „sein Haupt mit Erinnerung erfüllten". In der milden Luft und am Dufte der Orangen sich er- labend, beklagt er den Freund wegen seines traurigen berliner Auf- enthalts und gedenkt der Zeiten, wo sie beide zu Ibague am Fusse der Cordilleren, auf den Hyercn und an der Küste von Caleja, zwischen Barcelona und Valencia, des herrlichen Klimas sich erfreut hatten. Neben Paris erschien ihm namentlich Algier als wünschens- werthes Reiseziel.

Im Jahre 1854 war Hr. von Gülich aus Euroi)a angekommen und hatte Bücher von Humboldt und mehrere Bildnisse desselben für Bonpland mitgebracht. Dieser war glücklich darüber; auch noch in den veränderton Zügen des Greises erkannte er mit Freuden das ihm einst so vertraute Freundesantlitz wieder. Noch immer stand der Phui einer Ktlckkehr nach Europa vor seiner Seele. Humboldt wieder zu nniannen und mit ilim in Erinnerungen zu schwelgen, er- schien ihm dabei als sehnlichster Gedanke. „Quelques heures d'entre- vue", ruft er aus (2. Oct. 1854), „nous donneraient il me semble dix annees d'existence!'' Hoch erfreute ihn die üebersendung des „Kosmos" und der „Tableaux de la nature"; er glaubt den alten Ge- fährten dabei sprechen zu hören und beklagt lebhaft die Trennung

Iteltagen

479 die ge-

I

von ibiii: „Der Mcnsi'!) liedarf eines wataroa Freundes, i keimen Gefühle seines Herzens ansznschotten."

Nicht gaaz ohne Theiliiahme liessen ihn ferner die politischen nnd nodalen Zuslämle der Heimat. Am ft. Aug. 1856 meldete er

Hrn. von Golidi, 4ass sein Herbnrinin zor Versendung nach 'Taris nahezu bereit aei, gern inochle er selbst der üeberbringcr dieser Sammlnag sein, um sie dem Kaiser für das Museum dar- Eubteten. Die Thaten I^uis Napoleon'a, der russische Krieg, der Umschwung in den enropäisehen YerhaUaiSAen seit 1816, die noch nie von ihm gesehenen Bisenbabneu erregten sein Interesse. Humboldt zitrtlich zu ninarmen, tritt dabei immer wieder als sein innigster Wnnscli in den Vordergrund. Allein es steigen auch Zweifel in ihm auf, ob er nach so langer Abwesenheit in die fremdgewordenen Verhältnisse sich wieder würde einleben können. „Was würde micb", schreibt er, „im lärmenden Paris entschädigen? Soll ich dort in einem Dachstübchen fUr den Buchhändler arbeiten, der meine Werke drucken lassen nictcbte? Soll ich dort keinen andern Trost ha- ben, als von Zeit zu Zeit eine Rose an meinem Fenster aufblühen zu sehen'' Ich würde das verlieren, waa mir das Ijebste ist, die (restllschaft meiner theuem Pdan/en, mit denen icb mein Leben hingebracht habe." Noch sein letzter Brief an Humboldt, vom 7. Juli 1857 iitts Con'ientcs. zeigt dasselbe wnnderliche Gemisch von Verlangen nach der fernen Heimat und von einsiedlerischem Genügen an seinem gegenwärtigen Lose. „.I'irai", sagt er darin, „porter mes coUections et me mannscrits nioi-mtae ä Paris, pour les d^poser au Museum. Mon voyage eii France ne sera que trhs conrt; je relournerai i mon S. Anna, ofi je passe une vie tranqnille et heureuse. G'est 'jue je venx mourir, et od ma s^putture mon tombeau se tronvera A l'ombre des arbres nombrenx qne j'ai plantar. (Jne je serais benrenit, eher Humboldt, de te revoire encore nne fois et Ue renouveler nos sonvenirs comrauns. Le mois d'aoüt prochain, le 28, je compl^tcrai ma44enie ann^e, et j'ai trois (4) ans de moins i|ue toi, II vient de mourir, dans cetle province un homme de 1117 ans, Qnelle perspective pour denx voyagenrs qni onl passä leur SOeme annfe!" Wie Hmnboldt sich treffend aasdrOckt, spricht eine Art von Lebonsdnrst aus den Worten des 84jahrigen Greises. Unter den Bäumen, die er gepflegt, unter Palmen und Orangen, wünscht er dereinst auch begraben zu sein; aber ihr Anblick fuhrt ihn wieder und wieder zu lebendigem Andenken

480 n. Reiseleben in Amerika und Asien.

an die gemeinsamen Reisen der Jagend zarück; noch steht ihm das Entzücken des Freundes deutlich vor der Seele, der einst in Spa- nien beim ersten Anblick dieser schönen Gewächse es als ein Glück gepriesen hatte, mitten unter ihnen sein Leben hinzubringen. Aber Humboldt hielt das Bewusstsein ernster Pflicht an die reizlosere Heimat gebannt, während Bonpland minder gewissenhaft in be- schaulichem Genüsse thatenlos sein Leben verbrachte. Er starb am 11. Mai 1858 im Alter von 85 Jahren. Noch drei Wochen vorher hatte ihn ein Europäer, Dr. R. Lallemant, besucht, der seine damals empfangenen Eindrücke im folgenden Abschnitt dieses Werks mit eigenen Worten schildert Die Franzosen, sonst so eitel auf ihren Nationalruhm, fanden für die Verdiensie ihres Landsmannes keinen ehrenvollem Ausdruck als: „Aim6 Bonpland war ein Mitarbeiter Alexander von Hümboldt's."

Druck vou F. A. Brockhaiis iu Loipy.i,

Berichti^nngen.

Seite 11, Zeile IH v. o., statt: sieben Kinder, lies: lieben Kinder

l\ v.o., st.: charact^re, 1-: caractere

12 V. o., St.: subalterner, 1.: Bubaltemen

1 V. o., st. : der Herz, 1. : die Herz

V. o., St.: Geographie, 1.: Geoguosie

(> V. o., St.: Trauensteiu, 1.: Traunstein

IT) V. 0., St.: Oi^oco, 1.: Ojc6w

:\ v.o., bt: Davis', 1.: Davy's.

1 v. o., st. : Lust, 1. : Luft

:^ V. u., St.: dacht, 1.: gedacht

.=) V.o., St.: 1810, 1.: 1801

7 V. 0., St.: April, 1.: November

♦; v.u., St.: XLIV, 1.: XLII

\} V. u., St.: einziger, 1.: einiger

1 V. u., St.: Sillimann, L: Silliman

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Nachtrag.

Die genealogische Tafel war bereits gedruckt, als Theodor von Humboldt, der Sohn Wilhelm' s von Humboldt, starb. Es ist daher ö.30:{ in der Lebende zu Theodor noch hinzuzufügen: gest. 2^. Juni 1871.

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Harvard College Widener Library Cambridge, MA 021 38 (61 7) 495-241 3

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