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Allgemeine

Anatomie und Physiologie

des

Nervensystems.

Albrecht Bethe

Dr. phil. et med., Privatdozent der Physiologie an der Universität Straßburg i. Els.

Mit 95 Abbildungen im Text und 2 Tafeln.

Leipzig Verlag von Georg Thieme

1903.

882873

Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.

Vorwort.

Vor beinahe fünf Jahren, als die ausführliche Mitteilung Apäthys „über das leitende Element des Nervensystems‘ eine lebhafte Be- wegung unter den Neurologen anzuregen begonnen hatte, erhielt ich von Herrn Thieme die Aufforderung, eine zusammenfassende Dar- stellung über die neuen Errungenschaften der Nervenanatomie für seinen Verlag zu schreiben. Damals war noch alles im Fluß. Hätte ich die Arbeit schon zu jener Zeit übernommen, so wäre sie wahr- scheinlich schon am Tage des Erscheinens veraltet gewesen. So ent- schloß ich mich, mit der Ausführung des Auftrages noch einige Zeit zu warten und in der Zwischenzeit meine eignen Erfahrungen auf dem Gebiet der Nervenanatomie zu erweitern. Außerdem lag es mir aber am Herzen, die neuen Ideen auf die allgemeine Physiologie des Nerven- systems zu übertragen.

Die Apäthysche Lehre, daß das leitende Element des Nerven- systems kontinuierlich verlaufende und von den plasmatischen Teilen des Nervensystems durchaus verschiedene Fibrillen seien, regte natur- gemäß zu einer großen Zahl neuer Fragestellungen auf dem Gebiet der Physiologie an. Einen Teil derselben hoffte ich in kurzer Zeit bis zu einem gewissen Grade erledigen und die Resultate dem ge- planten Buche einverleiben zu können. In Bezug auf mehrere Fragen gab das Experiment bald befriedigende Antworten; bei anderen mußten zur Lösung zeitraubende Umwege eingeschlagen werden, welche die Ausführung meines Vorhabens verzögerten. Wie es aber in solchen Dingen zu gehen pflegt: Jede in Angriff genommene Frage zeitigte im Verlaufe der Untersuchung neue und wichtige Probleme, die zu einem Lösungsversuch reizten. Schließlich mußten aber die Unter- suchungen wenigstens zu einem äußeren Abschluß gebracht werden, wenn das Erscheinen des Buches nicht noch auf lange Zeit hinaus- geschoben werden sollte. Dieser Abschluß ist jetzt erfolgt, und ich übergebe die bisherigen Resultate der Öffentliehkeit, bin mir dabei aber wohl bewußt, daß in denselben vieles unvollständig und lücken- haft ist und daß häufig Fragen offen gelassen sind, die vielleicht

VI Vorwort.

dureh einige wenige Versuche zur Entscheidung hätten gebracht werden können.

Die Beschreibung neuer Versuche und Resultate nimmt in der Mehrzahl der Kapitel einen sehr breiten Raum gegenüber der Be- sprechung des bereits Bekannten ein. Infolgedessen kann das Buch nicht als ein Lehrbuch der allgemeinen Anatomie und Physiologie des Nervensystems angesehen werden. Der referierende Teil ist zwar in manchen Kapiteln annähernd vollständig; in andern Kapiteln hat aber nur der Inhalt der allerwesentlichsten Arbeiten Erwähnung gefunden. Das vorliegende Buch kann daher auch nicht den Titel eines Hand- buches der behandelten Materie für sich in Anspruch nehmen. Trotz- dem hoffe ich, daß das Buch manchem, der sich über die einschlägigen Fragen unterrichten will, von Nutzen sein wird. Außer für die physiologischen und anatomischen Fachgenossen ist es für alle die eeschrieben, welche sich für den Aufbau und die Funktion des Nerven- systems interessieren und sich mit einschlägigen Fragen beschäftigen, also für Neurologen, Psychiater und andre. Infolgedessen konnte die Kenntnis der groben anatomischen Verhältnisse und der Grund- züge der Physiologie des Nervensystems als bekannt vorausgesetzt werden.

Spezialuntersuchungen pflegt man heutzutage in Zeitschriften niederzulegen oder, wenn sie ein größeres Gebiet umfassen, mono- graphisch zu behandeln. Hier und dort in ein allgemeineres Buch ein- zestreute Originaluntersuchungen gehen, wie die Erfahrung lehrt, leicht für das wissenschaftliche Bewußtsein verloren, weil sie niemand unter dem allgemeinen Titel des Werkes vermutet. Wenn ich hier doch eine recht beträchtliche Anzahl von Spezialuntersuchungen auf schein- bar weit voneinander entfernten Gebieten der Öffentlichkeit in Buch- form übergebe, so geschieht es deshalb, weil sie alle von einem ein- heitlichen Gesichtspunkt aus unternommen wurden und dieser nur dann zum Ausdruck gelangen kann, wenn ein gemeinsamer Rahmen die neuen Erfahrungen umfaßt. Fast in jedem Kapitel ist die eine oder andre neue Beobachtung mitgeteilt; im besonderen aber sind es die Kapitel über Nervendegeneration und Nervenregeneration, über die Nervenleitung und über die rhythmischen Bewegungen, welchen ausgedehnte Spezialuntersuchungen zugrunde liegen.

Die Literatur') habe ich, so gut es bei der beschränkten Zeit möglich war, durchgesehen. Unter der großen Anzahl einschlägiger Arbeiten mußte aus äußeren Gründen eine Auswahl getroffen werden. Infolgedessen ist auch manche mir selber sehr erwähnenswert er-

I) Arbeiten, welche Ende 1902 und bis zum April 1903 erschienen sind, konnten nur noch in Anmerkungen Berücksichtigung finden.

Vorwort. vi

scheinende Untersuchung weder im Text noch im Literaturverzeichnis genannt. Bei jeder wesentlichen Frage sind aber Arbeiten aufgeführt, welche als Ausgangspunkt für die Aufsuchung der ganzen Literatur dienen können. Es ist auch leicht möglich, daß mir einige Arbeiten entgangen sind, welche unbedingt hätten erwähnt werden müssen und daß ich Gedanken äußere, die schon ein andrer einmal nieder- geschrieben.

Ich hätte denen, welche sich der Mühe unterziehen wollen, dies Buch zu lesen, noch mancherlei zur Entschuldigung seiner Mängel und Fehler zu sagen. Da es aber wohl auch mancherlei Gutes enthält, so gebe ich mich der Hoffnung hin, daß man gegen die Schwächen nachsichtig sein wird.

Und nun sage ich noch Hermm Thieme, dem Verleger dieses Buches, für das liebenswürdige Entgegenkommen, das er mir in allen Fragen der äußeren Ausstattung erwiesen hat, meinen besten Dank.

Straßburg, 15. Juni 1903.

Inhaltsverzeichnis.

Vorwort 3 2 Abgrenzung des Gebietes e

1

Ds Su

18. 19. 20. 21. 22.

Kapitel. Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Gan- glienzellen

. Kapitel. Allgemeines über die Ko . Kapitel. Historisches über die Neurofibrillen . Kapitel. Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Auskehluß der Be

netze).

. Kapitel. Die Neurofibrillen im Nörr Rn der Wirheltiere } . Kapitel. Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen . Kapitel. Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Hlemenie Dei

verschiedenen Tieren und die Übereinstimmung der Ergebnisse mit den Resultaten des physiologischen Experimentes

. Kapitel. Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der -

fibrillen

. Kapitel. Über einige Andre ak nd Zellbestandteile nn die

Veränderungen der Ganglienzellen nach intra vitam erfolgenden Ein- griffen

. Kapitel. Die een 5 . Kapitel. Die retrograden Veränderungen der Carehnelee an vV er-

letzung der zugehörigen Nervenfasern und die chronische Degenera- tion der Nervenstümpfe

. Kapitel. Die Zusammenheilung darehschnittener Noven ud die Nee

regeneration

. Kapitel. Über die Bneblene der Nor veneene

. Kapitel. Das Wesen der Nervenleitung

. Kapitel. Die Eigenschaften des Zenkralneryensy im ee 16. : . Kapitel. Die Irreziprozität der Zenaeile und die Teinarseeeeru

Kapitel. Die Reflexumkehr

in denselben Kapitel. Reizsummation rd are : Kapitel. Die Wirkungen von Giften auf das Ners ensy in Kapitel. Der Tonus Kapitel. Die Hemmung . - Kapitel. Die rhythmischen engen -

Literaturverzeichnis . Sachregister . Tafelerklärung .

Seite

Abgrenzung des Gebietes.

Im Tier- und Pflanzenreich tritt uns eine große Menge von Aus- lösungserscheinungen entgegen, deren Veranlassung in Zustands- änderungen innerhalb der äußeren Umgebung der betreffenden Orga- nismen den auslösenden Reizen besteht, deren Endresultat Bewegung des Organismus oder seiner Teile ist. Die Energie, welche dem Organismus dabei durch den Reiz zugeführt wird, ist in der Regel geringer als die, welche sich im Effekt äußert. Das Plus an Energie führen wir zurück auf das Freiwerden kinetischer Energie innerhalb des Organismus selber. Die Quelle der Energie sehen wir in chemischen Verbindungen von hohem Wärmeäquivalent, welche unter dem Ein- fluß des Reizes zur Verbrennung gebracht werden und so zur Ent- faltung von potentieller Energie führen. In dieser Weise wirkt nach unserer Vorstellung die äußere Zustandsänderung, der Reiz, auslösend.

Es ist theoretisch möglich und tatsächlich wohl auch in vielen rein protoplasmatischen Gebilden z. B. den Amöben verwirklicht, daß ein und dieselbe Substanz (1) auf den äußeren Reiz durch Zersetzung an der Reizstelle reagiert, (2) diese Zersetzung von Teilchen zu Teilchen fortpflanzt und (3) die Bewegung hervorbringt. Hier wäre also reizaufnehmende oder rezeptorische, reizleitende oder konduktile und auf den Reiz durch Bewegung reagierende oder effektorische Substanz ein und dasselbe. Bei andern Organismen ist, wie das Experiment seit langem gezeigt hat, eine vollkommene Trennung ein- getreten: ein Frosch hüpft auf plötzliche Belichtung davon. Große Massen seines Körpers sind dabei ganz unbeteiligt. Was sich bewegt sind seine Muskeln; der Reiz wird ihnen in veränderter Form durch die Nerven zugeleitet, werden z. B. die Hüftnerven durchschnitten, so tritt der Effekt nieht mehr ein. Die Nerven selber sind unfähig Be- wegungen zu äußern; sie sind aber auch nicht fähig auf den Reiz das Lieht in Funktion zu treten. Die Lichtrezeption wird durch das Auge vermittelt und durch dieses fast ausschließlich. Hier sind.

Bethe, Nervensystem. 1

2 Abgrenzung des (Gebietes.

_

also rezeptorische, konduktile und effektorische ') Substanz durchaus voneinander getrennt.

Solche Auslösungserscheinungen, bei denen die Vermittlung durch eine bewegungsunfähige und nur reizleitende Substanz geschieht, nennen wir Reflexe oder Antikinesen, wenn man das Wort Reflex nur auf die stets in gleicher Weise wiederkehrenden Reaktionen beschränken will (Beer, Bethe und v. Uexküll). Am deutlichsten tritt die Trennung in konduktile und effektorische Substanz bei Wirbeltieren (und höheren Artikulaten) hervor, weil hier die konduktile Substanz in grob- anatomischen Massen Nerven und Zentralorgane vorhanden ist. Hier wurde auch ihre Haupteigenschaft die Leitungsfähigkeit ohne äußere Bewegungsvorgänge zuerst auf dem Wege der Nerven- durehschneidungen aufgedeckt. Nerven und Zentralorgane wurden als spezifisch gebaute Gewebe erkannt. Der zunächst anatomische Begriff „Nerv“ wurde auf den physiologischen Vorgang übertragen und nun bei allen solchen durch Nerven und nervöse Zentralorgane vermittelten Auslösungserscheinungen von „nervösen Prozessen“ gesprochen. Die historische Entwicklung des Begriffes „Nervös“ läßt es daher nicht zu, daß man dort von nervösen Prozessen spricht, wo Nerven ana- tomisch nicht nachweisbar sind, ja daß man den anatomischen Nach- weis der Nerven als gänzlich belanglos bezeichnet. Man kann aus der Art wie eine Auslösungserscheinung abläuft, wie sie sich bei Einwirkung von Giften u. s. w. verändert, wohl im Vergleich mit un- zweifelhaft nervösen Prozessen den Schluß ziehen, daß auch hier Nerven vorhanden sein müssen, und ihre anatomische Bestätigung abwarten, aber man darf nicht, wenn ihre Bestätigung ausbleibt, sagen, hier sind physiologisch Nerven vorhanden, anatomisch fehlen sie. Physiologisch vorhandene, anatomisch fehlende Nerven gibt es nicht. Das, was sich da äußert, wird dann eben nieht durch Nerven ver- mittelt, denn „Nerv“ ist ein anatomisch-physiologischer Begriff. Man ist gezwungen, um nicht eine heillose Verwirrung eintreten zu lassen, neue Worte zu bilden und den Begriff „Nervös“ und alles was mit ihm zusammenhängt (Reflex u. s. w.) für solche Erscheinungen zu reservieren, die wirklich durch Nerven vermittelt werden.

Versuche mancher Botaniker, gewisse Erscheinungen bei Pflanzen als Reflexe zu bezeichnen und das Streben mancher Zoologen, „nervöse

1) In einem gewissen Grade kommt natürlich auch der effektorischen Substanz Rezeptionsfähigkeit (Irritabilität) und Konduktibilität zu und die kon- duktile Substanz ist ebenfalls für gewisse Reize rezeptionsfähig. Bei den natür- lichen Vorgängen spielt aber diese Rezeptibilität meist nur insofern eine Rolle, als sie bei der Weiterbeförderung des Erregungsvorganges notwendig ist. Der äußere (natürliche) Reiz trifft wohl nur selten konduktile und noch seltener effektorische Substanz direkt.

Abgrenzung des Gebietes. 3

Erscheinungen“ an einzelligen Wesen zu entdecken, sind daher energisch zurückzuweisen. Prinzipiell mögen ja die Unterschiede nicht allzugroß sein, welche zwischen diesen Erscheinungen und den nervösen existieren, aber es ist höchst unzweckmäßig alle Begriffe in der Wissenschaft zu verwässern.!)

Danach würde, so lange wir die Vorgänge bei den nervösen Prozessen nicht genauer kennen, unsere Definition folgendermaßen lauten: Nervöse Prozesse sind durch äußere Reize her- vorgerufene Auslösungserscheinungen, bei denen die Leitung des Reizes durch ein anatomisch wohlcharak- berisiertes Gewebe seschieht, das. nur der Leitung dient. Der Beweis für Vorhandensein eines solchen Gewebes muß immer ein doppelter sein: der anatomische Nachweis charakteristischer Nervensubstanz und der physiologische Nachweis, daß nach Konti- nuitätsunterbrechung dieser Substanz die betreffende Auslösungs- erscheinung unterbleibt.

Da sich der Begriff der Nerven und des „Nervösen‘“ historisch von den Wirbeltieren aus entwickelt hat, so haben immer diese als Ausgangspunkt der Untersuchung zu dienen. Bei ihnen haben wir festzustellen, was am Nerven und an den Zentralorganen anatomisch und physiologisch charakteristisch ist. Wenn das geschehen ist, so wird es wenigstens oft nicht schwer sein zu entscheiden, welche Erscheinungen bei niederen Tieren und in strittigen Organen der Wirbeltiere selbst (Herz, Darm, Ureter u. s. w.) als nervös zu be- zeichnen sind.

1) Beer, v. Uexküll und ich haben deshalb vorgeschlagen, Auslösungs- erscheinungen, welche auf rein protoplasmatischem Wege vor sich gehen oder wenigstens nicht durch eine konduktile Substanz vermittelt werden, die den Namen „Nerv“ verdient, im Gegensatz zu den Antikinesen (Reflexe und Anti- klisen) als Antitypien (Rückwirkungen) zu bezeichnen. Eventuell wird man in diesem Begriff noch Unterabteilungen zu machen haben.

ERSTES KAPITEL.

Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen.

Die histologische Untersuchung von Geweben, deren nervöse Funktion experimentell durchaus gesichert ist, läßt innerhalb des Nervensystems verschiedener Tiere und ein und derselben Tierart sehr verschiedene Formelemente unterscheiden, überall aber finden wir zwei Haupttypen: kernhaltige Protoplasmaklumpen und faserige, zylindrische Gebilde, die sich früher oder später in viele oder wenige Zweige teilen können. Die Zellen ') werden jetzt fast allgemein Ganglienzellen genannt (Nervenkörper Valentins, Nervenzellen Köllickers und andrer); für die faserigen Elemente in ihrer Gesamtheit (soweit sie nervöser und nicht gliöser oder bindegewebiger Natur sind) existiert kein ein- heitlicher Name; man wird aber kaum zu Irrtümern Veranlassung xeben, wenn man sie einfach als nervöse Fasern bezeichnet, obgleich dies Wort schon einigemal für Spezialfälle in Anwendung gebracht ist. Bis jetzt ist kein Nervensystem bekannt geworden, das nur aus Ganglienzellen oder nur aus nervösen Fasern besteht, und man wird

ı) Die Ganglienzellen wurden längere Zeit vor Aufstellung der Zelltheorie (durch Schleiden und Schwann) von Ehrenberg im Jahre 1833 richtig gesehen und beschrieben, aber nur bei Wirbellosen, wo sie auch in der Tat mit den damaligen Methoden (Zerzupfung) am leichtesten darzustellen sind. (Nach der Beschreibung von Leeuwenhoek scheint es mir übrigens nicht ausgeschlossen, daß er bereits im Jahr 1684 Andeutungen von Ganglienzellen bei Wirbeltieren gesehen hat.) Valentin hat bald darauf (1836) die Ganglienzellen als Bestandteil des Wirbeltiernervensystems gefunden und bereits ihre weite Verbreitung (Rücken- mark, Gehirn, Spinalganglien und sympathische Ganglien) erkannt. Über ihre Formen war er noch sehr im unklaren, ebenso über ihre Bedeutung, wie schon aus seiner Bezeichnung, Belegkörper oder Belegungsformationen, hervorgeht. Das Jahr 1837 bringt durch Joh. Müller, Purkinje und Remak die ersten mit unsern heutigen Kenntnissen einigermaßen übereinstimmenden Formbeschreibungen.

Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen. 5

daher den Schluß ziehen dürfen, daß die Koexistenz beider Elemente prinzipieller Natur ist.

Alle andern Bestandteile, wie Glia, Markscheiden, Schwannsche Scheiden u. s. w., welche in manchen Nervensystemen einen sehr breiten Raum einnehmen, können nur aceidenteller Natur sein, da sie in andern Nervensystemen ganz fehlen. Ihnen mag dort, wo sie vor- handen sind, eine nicht unbedeutende, funktionelle Bedeutung zu- kommen, für den nervösen Vorgang an sich können sie nicht not- wendig sein.

Die nervösen Fasern treten bei höher differenzierten Nerven- systemen nicht selten in zwei äußerlich ziemlich verschiedenen Formen auf, welche bei den Wirbeltieren durch die Nervenfasern sensu strie- tiore resp. die Achsenzylinder (mit oder ohne Markscheide)!) und durch die Protoplasmafortsätze (Deiters, 1865) repräsentiert werden. Max Schultze hat bereits in dem Vorwort zu Deiters’ nachgelassenem Werke, in dem dieser Ausdruck zum erstenmal gebraucht wurde, seine Be- denken gegen diese Bezeichnung ausgedrückt, welche eine den Tat- sachen vielleicht nicht entsprechende Gegensätzlichkeit zu den Nerven- fasern resp. Achsenzylindern zum Ausdruck bringt und an seiner Stelle den nicht sehr prägnanten Ausdruck „verästelte Fortsätze“ in Vorschlag gebracht, der sich aber nicht allgemein eingebürgert hat. (Größere Ver-

Müller sah bei Myxine (Petromyzon marinus) kernhaltige Klümpchen mit drei bis fünf Fortsätzen. Purkinje beschrieb und was für uns wichtiger ist zeichnete multipolare „gangliöse Körperchen“ in der Substantia nigra und in der Kleinhirnrinde und Remak erkannte, daß die Körperchen im Rückenmark nicht rund seien, wie sie Valentin beschrieben hatte, sondern oft viele, den Primitiv- bändern (Achsenzylindern) ähnliche, aber von ihnen doch verschiedene Fortsätze hätten. Ziemlich bald nach Begründung der Zellenlehre fing man an die Elemente als Zellen aufzufassen und zu bezeichnen. Die Bezeichnung „Ganglienzelle“ habe ich zuerst bei R. Wagner gefunden, weiß aber nicht, ob er sie zuerst an- gewandt hat.

1) Von einem Achsenzylinder kann man eigentlich nur dort reden, wo eine Nervenfaser in der Achse einer Scheide, vor allem einer Markscheide, läuft. Nackte Nervenfasern so zu bezeichnen, wie es häufig geschieht, ist begrifflich ein Unding. Gut beobachtet hat den Achsenzylinder zuerst Remak im Jahre 1537. Er nannte ihn Primitivband. Der Name Achsenzylinder stammt von Purkinje. Vor Remak ist er nach Ansicht mancher Autoren schon von Fontana (1787) beobachtet, doch halte ich mit R. nach der Beschreibung, die F. gibt, dies nicht für gesichert. Die Nervenfasern an sich wurden zuerst von dem Be- gründer der wissenschaftlichen Mikroskopie, Leeuwenhoek, beobachtet und schon recht gut im Querschnitt abgebildet (1684). Er erkannte auch schon die Zu- sammensetzung des Zentralnervensystems aus solchen Fasern, die er allerdings mit vielen späteren Forschern für Röhren ansah, und fand sie auch schon bei Wirbellosen. Den Hauptanstoß zur mikroskopischen Untersuchung des Nerven- systems gab aber erst Ehrenberg (1533) durch die Neuentdeckung der Gehirn- fasern und die Auffindung der Ganglienzellen bei Wirbellosen.

6 Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen.

breitung hat der His’sche Ausdruck ‚‚Dendriten‘‘ gefunden.) Die mor- phologische Differenz zwischen beiden Faserarten ist bei Wirbeltieren an manchen Stellen zwar sehr ausgeprägt, an andern Orten ist sie aber nur mit Mühe zu konstruieren, ebenso bei Artikulaten, Mollusken u. s. w. und bei den niedrigsten Formen des Nervensystems existiert sie über- haupt nicht. Man wird sich daher schon aus rein vergleichend mor- phologischen Rücksichten der Ansicht nicht entziehen können, daß es sich dort, wo dieser Unterschied existiert, um lokale Bedürfnisse handelt und daß der Unterschied nicht prinzipieller Natur ist.

Seit den Anfängen der histologischen Forschung auf dem Gebiet des Nervensystems haben sich die Forscher bemüht, herauszufinden, in welcher Weise die faserigen und zelligen Elemente miteinander in Verbindung stehen. Der Zusammenhang von Protoplasmafortsätzen mit den Ganglienzellen ist bereits bei Anwendung der einfachsten Methoden (Zupf- und Quetschpräparate) bei Wirbeltieren so evident, daß hierüber ein Zweifel nie bestanden hat. Schon den ersten Forschern auf diesem Gebiet (Purkinje, Müller, Remak) war diese Tatsache vollständig geläufig. Erst später ist festgestellt worden, daß die peripheren Nervenfasern (die Achsenzylinder) mit Ganglien- zellen in Zusammenhang ständen und zwar so, daß sich bei den markhaltigen Fasern die anfangs nackte Faser erst in einiger Ent- fernung von der Ganglienzelle mit dem Markmantel umgibt.') Anfangs

1) Ueber die Entdeckung des Ursprungs der Nervenfasern aus den Gan- glienzellen trifft man häufig in der Literatur falsche oder unvollständige An- gaben. Wenn Remaks Beschreibung vom Bau der sympathischen Ganglien aus dem Jahre 1838 richtig ist und es liegt kein Grund vor, daran zu zweifeln —, so ist er der erste gewesen, der Nervenfasern (und zwar die nach ihm benannten marklosen Fasern des Sympathicus) von Ganglienzellen hat ent- springen sehen, denn er beschreibt, was durchaus den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, daß die Zellen der Ganglien mehrere Fortsätze aussenden, die all- mählich in Nervenfasern übergehen. Köllicker hat später (1844) dasselbe be- obachtet. Anfangs der vierziger Jahre ist dann mehrfach auch für andre Ganglienzellen behauptet worden, daß sie Nervenfasern den Ursprung geben, so von Hannover (1844) für Zellen des Gehirns und Rückenmarks, von Will im selben Jahr für Ganglienzellen wirbelloser Tiere und von Harless (1846) für die Zellen des Lobus electricus von Torpedo. Aus den Abbildungen dieser Autoren läßt sich aber mit Sicherheit erkennen, wie dies auch Wagner ausgesprochen hat, dafßl sie keine wirklichen Nervenfasern vor sich gehabt haben oder daß sie Verbindungen sahen, die in Wirklichkeit nicht existieren (Harless). Daß markhaltige Nervenfasern von Ganglienzellen entspringen können, wurde Ende 18546 gleichzeitig von R. Wagner und Robin gefunden. In der Literatur gilt aber fast allgemein R. Wagner als der alleinige Entdecker dieser Tatsache, trotzdem er selber das Verdienst Robins vollkommen anerkannt hat. Die erste Publikation beider Forscher fällt nicht nur beinahe zusammen (W. 15. Februar 1547 und R. 3. März desselben Jahres), sondern die Entdeckung wurde auch von beiden am selben Objekt, den Spinalganglienzellen von Torpedo gemacht. Sie

Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen. 7

d A \ \ 2 RE B N ı | r Sta < da, \ iR &C I = b, \ b, b, b,

Fig. 1. Bauchmark von Carcinus Maenas, schematisch. Dasselbe besteht aus einer Anzahl dicht aneinander gedrängter Ganglienpaare, welche durch kurze Längskommissuren miteinander verbunden sind. Vorne die kurz abgeschnittenen Schlundkommissuren, welche die Verbindung mit dem Gehirn herstellen. In die Umrisse des Bauchmarks ist der Verlauf einiger Nervenelemente nach Methylenblaupräparaten eingetragen. Näheres im Text.

ließen manche Forscher mehrere Achsenzylinder von einer Ganglien- zelle entspringen, man formulierte aber später das Gesetz (kemak

sahen, daß diese spindelförmigen Zellen nach beiden Seiten hin in markhaltige Nervenfasern übergehen und dass die eine zum Rückenmark zieht, während die andre in den peripheren Nerv läuft. Wagner sah gleichzeitig, daß die Zellen des Lobus elektrieus verschiedene Fortsätze hätten, daß der ene homogener sei und dem aus den Markscheiden hervorragenden Achsenzylinder gleiche. Ge- sehen hat er bei diesen Zellen den Zusammenhang mit markhaltigen Fasern nicht sondern nur erschlossen! Den wirklichen Nachweis hat er nur dort geführt, wo er auch Robin gelungen war. An zentralen Ganglienzellen ist wohl die direkte Beobachtung des Zusammenhanges mit markhaltigen Nervenfasern zuerst Stilling und kurz darauf Remak (1854) an Vorderhornzellen gelungen.

8 Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen.

[1854—1855] und besonders Deiters [1865]), daß immer nur eine Nervenfaser von einer Ganglienzelle ausgehe. In der Folgezeit ist besonders von Gerlach [1872] die Ansicht vertreten worden, dass außer direkt von Ganglienzellen auch aus einem von den Protoplasma- fortsätzen gebildeten Netz Achsenzylinder entspringen könnten. Es wurde dem aber sehr bald allgemein widersprochen und jetzt gilt es bei den meisten als gesicherter Lehrsatz, daß Achsenzylinder nur von Zellen direkt ausgehen. Trotzdem wenigstens eine Zellart der Wirbeltiere sicher zwei Achsenzylinderfortsätze hat, nämlich die Spinal- sanglienzellen, so hat man doch aus dem Vorhandensein nur eines solehen Gebildes an den meisten Zellen weitgehende Schlüsse auf eine besondere Funktion derselben gezogen.

Länger als bei den Wirbeltieren hat sich bei den Wirbellosen die Meinung erhalten, daß die Nervenfasern denn Achsenzylinder im eigentlichsten Sinne des Wortes gibt es bei ihnen nicht, da das Mark wenn vorhanden keinen äußeren Mantel um die Fasern bildet daß also die Nervenfasern aus dem Neuropil ihren Ursprung nehmen. Die Ganglienzellen, die meist unipolar sind, sollten ihren einzigen Fortsatz im Neuropil aufsplittern und aus diesem sollten sich dann wieder lange Fasern sammeln. (Leydig [1864, 1885], Dietl [1878], H. Schultze [1879].) Der Untersuchung mit neueren Methoden hat aber auch hier diese bereits früher von vielen z. B. von Claus an- zefochtene Ansicht nicht standhalten können. Besonders durch Retzius (1890, 1891), Biedermann (1891), und viele spätere Bearbeiter ist gezeigt worden, daß auch hier der Zusammenhang mit Ganglienzellen ein innigerer ist. Von dem Stammfortsatz der Ganglienzelle entspringt entweder die periphere Faser direkt oder wenigstens von einem seiner Hauptäste (Fig. 10). Ob das immer so ist, bleibe zunächst dahin- gestellt. Von wesentlicher Bedeutung aber ist es, daß bei den Wirbel- losen die peripheren Fasern, die von einer Zelle ausgehen, häufig in der Mehrzahl vorhanden sind. Von Retzius (1891), Allen (1596) und mir (1897) sind Fälle beschrieben worden, in denen zwei, drei ja vier Fasern von einer Zelle der Peripherie zustreben (Fig. 15, —b,).

ZWEITES KAPITEL. Allgemeines über die Kontinuitätsirage.

Sehr viel schwerer war die Entscheidung zu treffen, ob die Aus- läufer der Ganglienzellen miteinander im Zusammenhang stehen oder nicht. Für die Wirbeltiere wurde zwar von vielen Autoren ein netz- artiges Anastomosieren der Protoplasmafortsätze angenommen, so be- sonders von Gerlach, aber andre Autoren, wie Deiters, Kölliker und andre, bekämpften diese Ansicht aufs heftigste. Der Kampf währte bis zur Einführung einer neuen Methode durch Golgi. Golgi selber stellte ein Anastomosieren der Protoplasmafortsätze in Abrede, be- hauptete aber, daß die Achsenzylinder durch Seitenzweige, die Kol- lateralen, miteinander in Verbindung ständen. Die Mehrzahl derer aber, die nach seiner Methode arbeiteten und das waren sehr viele —, leugneten diesen Zusammenhang und sahen in den Golgipräparaten, die mit einer bis dahin ungeahnten Deutlichkeit die Nervenelemente bis zu den anscheinend letzten Enden darstellten, einen Beweis dafür, daß der Achsenzylinder wie die Protoplasmafortsätze einer Ganglien- zelle durchaus von denen aller andern Ganglienzellen getrennt seien.

Wie so häufig wurde hier mit den Wirbellosen gar nicht gerechnet und so getan, als ob das Nervensystem auf die Wirbeltiere beschränkt sei. Bei niedrigen Metazoen, Medusen und Ctenophoren, war nämlich bereits mit Sicherheit durch die Gebrüder Hertwig (1878) und durch Eimer (1878) gezeigt worden, daß hier das Nervensystem in Form eines in sich geschlossenen Nervennetzes vorhanden sei. Auch über andre Tiere lagen bereits ähnliche Angaben vor. Es war damit erwiesen, daß die wohl abgegrenzten Ausläufergebiete, welche die Golgipräparate bei Wirbeltieren aufzeigten wenn überhaupt den tat- sächlichen Verhältnissen durchaus entsprechend —, zum mindesten nur einen Spezialfall nervöser Organisation bilden konnten. Als daher Waldeyer im Jahre 1891 die Lehre von den getrennten Nerveneinheiten in der Neuronentheorie präzisierte, konnte es sich nur um ein Spezialtheorem handeln und nicht um eine Lehre, die alles, was Nervenelement ist, in sich zusammenfaßte.

Die Zahl der Fälle, in denen normalerweise die einzelnen Gan- glienzellen durch breite Fasern miteinander in Verbindung stehen, haben sich inzwischen wesentlich vermehrt. Wir kennen Tiere, bei denen diese Art der Verbindung überall zu finden ist, wir kennen andre, bei denen sie wenigstens an gewissen Stellen des Nerven- systems typisch vorkommt (Würmer, Arthropoden und auch Wirbeltiere).

10 Allgemeines über die Kontinuitätsfrage.

Andrerseits kann kein Kenner der Verhältnisse leugnen, daß im zentralen Nervensystem der Wirbeltiere, Arthropoden u. s. w. derartige breite Verbindungen normaliter fehlen, und man kann. getrost sagen, dass die wenigen Forscher, welche solche Anastomosen hier als typisch ansehen, dies nur auf Grund schlechter (aber nicht schwer zu er- haltender) Präparate und ungenügender Beobachtung tun. Es kommen zwar bisweilen in der Retina (Dogiel, 1891, Embden, 1901, ich) und auch im Rückenmark breite Verbindungen zwischen zwei Ganglien- zellen vor, sie gehören aber zu den größten Seltenheiten und sind zanz sicher keine normalen Bildungen, wenngleich man sie auch nicht ganz leugnen darf, wie dies Kallius (1894) und Ramon y Cajal (1893) zetan haben. Auch die feineren Verästelungen der Fasern verbinden sich anscheinend nicht untereinander. Ich sage zunächst anscheinend, denn so leicht ist die Frage nicht zu entscheiden und ich möchte mich durchaus nicht auf den sicheren Standpunkt stellen, den Ramon y Cajal, Kölliker, Lenhossek und andre hier einnehmen.

Diese Autoren halten diejenigen Golgi- (und Methylenblau)präparate, in denen viel gefärbt oder inkrustiert ist, für ungeeignet, um die Frage zu entscheiden, ob die feineren Zweige der Dendriten und Nervenfasern untereinander in Verbindung stehen oder nicht, und sründen die Behauptung von dem freien Endigen derselben auf Prä- parate, in denen nur einige vereinzelte Elemente zur Darstellung gelangt sind. Hier sehen sie die Ästchen beider Fasergattungen spitz oder mit Knöpfehen endigen d.h. die Tingierung hört plötzlich auf. Ob da das natürliche Ende ist oder ob nur die Reaktion hier auf- zehört hat, muß unbedingt unentschieden bleiben. In Präparaten aber, in denen viele Elemente zur Darstellung gekommen sind, ist das Gewirr so groß, daß man wohl scheinbare Anastomosen sehen kann, wie auch Lenhossek zugibt. Solche Präparate sollen nun aber nach Meinung dieser Autoren ungeeignet zur Entscheidung unserer Frage sein, während es mir scheint, daß grade nur solche Präparate eine Aufklärung bringen können. Ein einfaches Beispiel wird meinen Gedankengang leichter verständlich machen: In einem Bahnhof stehen die einzelnen Geleise der verschiedenen Strecken miteinander durch die Weichen in Verbindung. Wenn wir nun so hoch mit einem Luft- ballon aufsteigen, daß wir die Geleise selber nicht mehr sehen können, sie aber wahrnehmen, wenn sie auf irgend eine Weise markiert sind, so werden wir von ihrem Zusammenhang nichts bemerken, falls nur ein einziges oder weit auseinander gelegene kenntlich gemacht sind, da nur die benachbarten in Zusammenhang stehen. Es wird immer einer ziemlich vollständigen Markierung bedürfen, um den wahren Sachverhalt zu erfahren. Eine wirklich vollständige Imprägnierung kommt nun bei Golgipräparaten wohl nie vor und schon eine einiger-

Allgemeines über die Kontinuitätsfrage. 11

maßen vollständige läßt hier und dort im Zweifel, ob nicht doch Anastomosen da sind. Von solchen Stellen wird man aber immer sagen können, daß es sich vielleicht um künstliche Verklebungen handelt, wie sie ja sicherlich ziemlich oft bei dieser Methode vor- kommen; andrerseits wird man aber bei solehen Präparaten, die nichts von Übergängen zeigen, einwenden dürfen, daß auch die Dar- stellung der einzelnen Elemente eine unvollkommene ist, da man ja bei der Farblosigkeit alles übrigen Gewebes gar keinen Anhaltspunkt hat, wie es an der Stelle, wo die Inkrustierung aufhört, weitergeht. Ent- scheidend können also hier nur Färbungsmethoden sein, die alles zur Darstellung bringen und zwar in einer Weise, daß auch die inneren histologischen Feinheiten zur Anschauung kommen und nicht nur die äußeren groben Umrisse der Zellen und Fasern. Solche Färbungen kann man zuweilen mit Eisenhämatoxylin und mit meiner Molybdän- methode und unter gewissen pathologischen Bedingungen mit der NissIschen Methode (Nissl, 1903) erreichen, und mit ihrer Hilfe kann man wenigstens für die Protoplasmafortsätze zu einer gewissen Ent- scheidung gelangen: soweit sie protoplasmatisch sind, endigen sie blind mit einer Spitze, aber niemals mit einem Knöpfehen, wie es nicht selten in Golgipräparaten scheint. (Nach meiner Meinung handelt es sich bei den knopfartigen Endigungen nur um das Abbrechen der In- krustierung [die überall erfolgen kann] an einer von den häufig bei dieser Methode zu Tage tretenden Varikositäten). Wie es mit den Nervenfasern steht, werde ich erst weiter unten beleuchten, denn hier liegen die Verhältnisse sehr viel komplizierter und wir wollen vorläufig mit den Neuronisten annehmen, daß auch sie frei enden.

Wir hätten also auf der einen Seite Nervensysteme oder Teile von Nervensystemen, die nach einem netz- artigen Typus (mit großen, breiten Anastomosen zwischen den Ganglienzellen) gebaut sind, auf der andern Seite Nerven- Systeme, deren Ganglienzellen in gar’ keiner’ 'proto- plasmatischen Verbindung miteinander stehen. Weg- zuleugnen ist die Existenz echter Nervennetze nicht; man kann auch nicht mit einem geringschätzigen Achselzucken, daß sie hauptsächlich bei wirbellosen Tieren vorkommen, zur Tagesordnung übergehen, sondern man muß versuchen sich in irgend einer Weise mit ihr ab- zufinden. Mir scheinen hier nur zwei Möglichkeiten zu existieren: entweder wirnehmen an, daß es zwei ganz verschiedene Formen nervöser Organisation gibt, oder wir geben es auf,indem protoplasmatischen Teildes Nervengewebes, den uns die meistenMethodenallein zeigen, das Wesent- liche zu sehen und suchen nach Elementen, welche die anscheinend vorhandene Kluft überbrücken!

12 Allgemeines über die Kontinuitätsfrage.

Ich selber habe mich, als ich anfing, mich für die Nervennetze zu interessieren, zu der ersten Ansicht hingeneigt (1895) und sie wohl zuerst vertreten. Später ist sie unabhängig von mir auch von Holm- sren (1896) ausgesprochen worden. Es sind Tiere resp. Orte mit sanz besonderen physiologischen Verrichtungen, an denen sich die netzige Organisation der Nervenelemente vorfindet, und dieser Umstand konnte in der Tat eine morphologische Sonderstellung verständlich erscheinen lassen. Trotzdem hatte diese Anschauungsweise doch etwas recht Gekünsteltes an sich.

Die andre Möglichkeit, wenn auch für alle die undiskutierbar, welche in dem kaum definierbaren Protoplasma den Träger alles Lebens sehen, ist nur ein natürlicher Schritt in der Reihenfolge der Ansichten über das Nervösleitende. Am Anfang waren es die ganzen Nerven, die leiteten; nach der Entdeckung der Nervenfasern waren es diese in ihrer Totalität und, als ihre Zusammensetzung aus dem Achsenzylinder und verschiedenen Scheiden genauer bekannt geworden war, entschied man sich nach langem Streit dahin, daß nur die Achsenzylinder das Leitende seien, die Scheiden aber eben nur Scheiden seien. Immer ist es ein feineres, im Ganzen eingeschlossenes Element, dem die Funktion des Ganzen zugeschoben wurde. Als einen Hauptgrund für den Wechsel der Ansicht sehen wir hier überall ein und dieselbe prinzipielle Forderung: die Forderung nach Kon- tinuität! Diese Forderung, auf der man innerhalb einer Leitungs- bahn bestand, gab die Neuronentheorie auf, wo es sich um den Über- sang von einer Bahn auf die andre handelte, weil man sich nicht von einem Zusammenhang der protoplasmatischen Teile bei dem Wirbel- tierzentralorgan überzeugen konnte. Wenn es sich nun zeigen ließe, daß innerhalb der nervösen Fasern und Zellen ein Strukturelement existierte, das dem Kontinuitäts- bedürfnis besser genügte als die umschließenden, pro- toplasmatischen Gebilde selbst, so wäre damit der Widerspruch in der nervösen Organisation aufgehoben, indem nun eben eine protoplasmatische Kontinuität srade so wenig zu existieren brauchte wie etwa ein kontinuierlicher Verlauf der Markscheiden. Wenn nur die Kontinuität dieses supponierten Elements sich überall erweisen ließe, wo nervöse Organisation ist, dann wäre ein einheitliches morphologisches Prinzip gefunden und der Unterschied ziwischen Nervennetzen und „Neuronen“ im Grunde ebenso sekundärer Natur wie der zwischen markhaltigen und marklosen Fasern!

Ein soleh einheitliches, nervöses Strukturelement ist nun schon seit einer Reihe von Jahren nichts Hypo-

Historisches über die Neurofibrillen. 13

tetisches mehr. Es existiert in den Primitivfibrillen oder Neurofibrillen. Sie sollen die Grundlage aller weiteren Besprechungen sein.

DRITTES KAPITEL. Historisches über die Neurofibrillen.

Remak, der Entdecker des Achsenzylinders in den markhaltigen Nervenfesern und der marklosen, blassen Fasern des sympathischen Nervensystems, bezeichnete bei der Publikation dieser großen Ent- deckungen bereits den Achsenzylinder oder, wie er ihn nannte, das Primitivband als ein feingestreiftes Gebilde (1838). Wenn nun auch diese Streifehen sicher nicht die Fibrillen selber waren, so hat er doch wohl den Ausdruck des fibrillären Aufbaus des Achsenzylinders zu- erst gesehen. In den folgenden Jahren liegen keine neuen auf diesen Punkt gerichteten Angaben vor. Die meisten Autoren, soweit sie überhaupt den Achsenzylinder als selbständiges Element anerkannten, sahen ihn als ein homogenes Gebilde an, oder sie hatten wenigstens der Remakschen Beobachtung nichts Neues hinzuzufügen. Den näch- sten deutlichen Fortschritt weisen zwei Arbeiten von Frommann aus dem Jahre 1864 auf. Er behandelte frische Nervenfasern und kleine Stücken grauer Substanz aus dem Vorderhorn von Ochsen mit salpeter- saurem Silber und erkannte an solchen Präparaten sowohl in Nerven- fasern wie in Vorderhornzellen eine feine fibrilläre Streifung. Beson- ders in den Protoplasmafortsätzen trat diese Streifung deutlich hervor, er konnte sie aber auch bis in die Zelle selber verfolgen. Die Richtig- keit der Beobachtung kann ich vollkommen bestätigen, muß aber be- haupten, daß die schwarzen Körnchenreihen, welche man in solchen Präparaten wahrnimmt, nicht die Fibrillen selber sind, sondern nur ein Negativ derselben, indem sich, wie sich besonders an peripheren Nervenfasern sehr leicht nachweisen läßt, ein Silberniederschlag zwischen den Fibrillen bildet. Immerhin bedeutet diese Arbeit einen wesentlichen Fortschritt, der leider sehr bald in Vergessenheit geraten ist. Weitere Angaben über eine fibrilläre Struktur der Ganglienzellen finden sich in dem großen Werke des leider so früh verstorbenen Deiters (1865). Auch er vermochte an Isolationspräparaten eine mehr

14 Historisches über die Neurofibrillen.

oder weniger körnige Streifung von den Protoplasmafortsätzen in die Zellen hinein zu verfolgen.

Aktuell sollte die Frage aber erst durch die Untersuchungen von Max Schultze werden. In mehreren Arbeiten (1868 und 1871) suchte er die Primitivfibrillen, wie er sie benannte, als ein allgemeines Strukturelement der nervösen Substanz aufzustellen, und er brachte

die Angelegenheit wenigstens theoretisch bis zu einem Punkt, über

den wir auch jetzt noch nicht wesentlich hinausgekommen sind. Bei der großen Bedeutung dieser Untersuchungen kann ich es mir nicht versagen, etwas näher auf dieselben einzugehen.

Außer der Härtung mit den damals noch allgemein üblichen dünnen Chromsalzlösungen, wandte er hauptsächlich Zerzupfung in Jodserum und in Osmiumsäure an. Es gelang ihm, in den Achsen- zylindern markhaltiger Nervenfasern, besonders aber in marklosen Nervenfädehen eine deutliche fibrilläre Streifung zu sehen und mark- lose Fasern am Ende so aufzusplittern, daß ein ganzes Büschel fein- ster Fibrillen aus ihnen hervorragte. Mit diesem letzten Versuch be- wies er klar, daß es sich bei der Streifung nicht um ein optisches Trugbild handelte, sondern daß die Fibrillen wirkliche körperliche Individuen seien. An den Jodserum-Ganglienzellen (Vorderhornzellen vom Ochsen, Zellen des Lobus eleetrieus von Torpedo) sah er mit größerer Schärfe und in weiterer Ausdehnung, als es Frommann und Deiters gelungen war, feine Streifen von den verästelten Fort-

sätzen und vom Achsenzylinderfortsatz in die Zellen ziehen. Ja er

beobachtete, daß diese Streifen die ganze Zelle durchziehen und durch einen andern Fortsatz die Zelle wieder verlassen. Diese Befunde brachten ihn zu der Vorstellung, daß die Fibrillen das Wesentliche, das Leitende im Nervensystem seien und daß die Ganglienzellen weiter nichts seien, als Umlagerungsstellen der Fibrillen, dazu dienend, den Fibrillen, welehe in einem verästelten Fortsatz verlaufen, es zu ermöglichen, sich auf mehrere andere und auf den Achsenzylinder zu verteilen. Auch die Nervenfasern sind ihm nur noch Fibrillenbündel und er teilt sie danach als nackte Fibrillenbündel, Fibrillenbündel mit Markscheide u. s. w. ein.

Es ist neuerlich von Apathy (1902) die Frage diskutiert worden, ob Max Schultze wirklich die Fibrillen schon gesehen hat, ob er wirk- lich der Entdecker der Neurofibrillen ist. Apäthy beantwortet diese Frage, die ich mir selber auch schon oft vorgelegt habe, mit „Nein!“ Mit den Methoden, die Schultze angewandt habe, sagt er, könne er nicht die Fibrillen selber gesehen haben, bezeichnete er doch die Nervenfasern als aus feinfibrillärem Protoplasma bestehend. In Be- zug auf die Ganglienzellenfibrillen stimme ich ihm vollkommen bei. Man sieht mit Jodserum keine Fibrillen in den Zellen, nieht einmal

Historisches über die Neurofibrillen. 15

ihr Negativ (das Frommann hier entschieden gesehen hat), sondern nur die „ungefärbten Bahnen“ Nissls, in denen manchmal noch körnige Einlagerungen eine feinere Streifung erkennen lassen. Da diese Bahnen aber den Verlauf der Fibrillen im sroßen Ganzen wieder- geben, so hat er doch auch hier wenigstens geahnt, was wir erst seit kurzem sicher wissen.) Anders aber steht es mit den peripheren Nervenfasern: Hier ist es mit den von Schultze angewandten Methoden möglich, die Fibrillen selber zu beobachten, und deshalb liegt auch kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß er sie gesehen hat. Vor allem gilt dies für Osmiumpräparate, von denen er selber hervorhebt, daß sie die Fibrillen besonders gut erkennen lassen. Es bedarf gar keiner besonders guten Hilfsmittel, um im nackten, d. h. von der Markscheide befreiten Achsenzylinder die Fibrillen nach Osmium- fixierung zu beobachten, und es gelingt dies auch, wie Schultze ganz richtig hervorhebt, an solchen Achsenzylindern, die noch mit der Mark- scheide umgeben sind. Auch spricht er sich schon ganz unzweideutig dahin aus, daß die Fibrillen in eine Perifibrillärsubstanz eingebettet sind, die zwar bei manchen Präparationsmethoden körnig erscheint, bei der Anwendung von Osmiumsäure aber ganz homogen ist. Über die Natur der Fibrillen spricht er sich nicht bestimmt genug aus, um den Schluß ziehen zu dürfen, daß er sie für eine protoplasmatische Streifung gehalten hat und nach seiner ganzen Auffassung des Proto- plasmabegriffs kann man eher annehmen, daß er sie nicht für proto- plasmatisch gehalten hat. Die Individualität der Fibrillen konnte Schultze bei dem damaligen Stand der Technik nicht feststellen, dass er aber ihren individuellen Verlauf annahm, steht wohl außer allem Zweifel. Aber selbst dann, wenn Schultze niemals eine wirk- liche Fibrille gesehen hätte, was ich bezweifle, so bleibt es doch sein dauerndes Verdienst, die Ansicht von einem allen nervösen Elementen gemeinsamen und nirgends in den Zentralorganen endenden, leitenden Fibrillensystem aufgestellt zu haben!

Die erste färberische Darstellung von Neurofibrillen ist Kupffer (1883) und ziemlich gleichzeitig Apäthy gelungen; für das wissen- schaftliche Bewußtsein blieb der Befund Apäthys aber zunächst un- geboren, weil seine erste Beobachtung über diesen Punkt in ungari- scher Sprache veröffentlicht wurde.

Kupffer fixierte markhaltige Nerven in Osmiumsäure und färbte sie in Säurefuchsin, worauf er sie in feine Schnitte zerlegte. An diesen konnte er die Fibrillen als scharfe Linien in einem homogenen Plasma erkennen, in dem er sie frei flottieren ließ. Damit war zwar

1) Ganz die gleiche Ansicht hat vor kurzem Nissl (1903) über die Schultze- schen Zellbilder geäußert.

16 Historisches über die Neurofibrillen.

für viele Zweifler die fibrilläre Struktur der Achsenzylinder erwiesen, seine Entdeckung zog aber keine weiteren Kreise um sich. Man nahm von ihr Notiz, verfolgte sie aber nicht weiter, und zur Wiederbelebung des Schultzeschen Gedankens von einem allgemeinen Formbestandteil des Nervensystems kam es nicht.

Das grosse Verdienst, der Schultzeschen Theorie den realen Boden verschafft zu haben, gebührt ohne Zweifel v. Apathy! Er hat sie neu belebt und weitergeführt und durch seine unvergleichlichen Präparate in langjähriger Arbeit der Neurologie eine neue fruchtbare Grundlage gegeben. Sie ist enthalten in dem bisher allein er- schienenen ersten Teil seiner zusammenfassenden Arbeit (1897).

Einige kleinere frühere Mitteilungen (1887, 1889, 1892 und 1895) brachten bereits die fundamentalen Grundzüge seiner Beobachtungen und alles, was an Schlüssen aus denselben gezogen werden kann und muß. Bei der aprioristischen Form, in der sie abgefaßt waren, und der Merkwürdigkeit der Befunde, welche entweder garnicht oder nur durch ganz schematisch erscheinende Abbildungen belegt waren, fanden diese Arbeiten wenig Anklang und ich muß selber gestehen, daß ich sie mit Kopfschütteln gelesen habe. Meine Zweifel schwanden sehr schnell, als Herr v. Apäthy gelegentlich eines Zusammentreffens auf der zoologischen Station zu Neapel im Herbst 1896 die Liebenswürdigkeit hatte, mir seine Präparate zu zeigen. Am Abend vor diesem für mich stets denkwürdigen Tage hatte ich ihm noch erklärt, daß ich das, was er beschrieben, für außerhalb des Bereichs aller Möglichkeit halte, und es könne nur auf Selbsttäuschung beruhen, wenn er meine, Fi- brillen von solcher Feinheit auf Millimeter als Individuen verfolgt zu haben. Was mir damals aber gezeigt wurde, war von so überzeugen- der Klarheit, daß ich meine Opposition nach einigen gekünstelten Einwänden gänzlich aufzugeben gezwungen war. Wie es mir ge- sangen ist, ging es vielen anderen, und kein Normalsichtiger wird sich dem überzeugenden Eindruck der Apäthyschen Präparate ent- ziehen können, vorausgesetzt, daß nicht sein Auge durch Neid oder sekränkte Eitelkeit getrübt ist.

Die umfangreiche, im Jahre 1897 erschienene Arbeit enthält die ausführliche Beschreibung einer großen Anzahl von Befunden, welche sich fast ausschließlich auf wirbellose Tiere beziehen, und ist von vielen außerordentlich gewissenhaft ausgeführten Abbildungen begleitet; außerdem enthält sie methodologische Angaben. Nach ihr ist man erst imstande, sich von der Fülle des Neuen ein hinreichendes Bild zu verschaffen. Der folgenden kurzen Beschreibung der Hauptdaten der Apäthyschen Entdeekungen ist vornehmlich diese Arbeit zu Grunde velegt. Viele Einzelheiten sind in den späteren Kapiteln wieder- gegeben.

Historisches über die Neurofibrillen. 17

Apathys Befunde im allgemeinen: Mit Hilfe seiner neuen Me- thoden gelang es Apäthy, die Neurofibrillen mit einer solchen Schärfe darzustellen, daß sie nicht selten soweit verfolgt werden können, als sie iiberhaupt im Präparat vorhanden sind. Tiefdunkel heben sie sich von dem ungefärbten oder nur schwach gefärbten Grunde wie die Telegraphendrähte vom hellen Himmel ab. Erst bei einer solehen Darstellung konnte es bei ihrer außerordentlichen Feinheit möglich sein, über ihren Verlauf Genaueres za finden: Überall kommen sie vor, wo wir von nervöser Funktion wissen, in den Nervenfasern wie in den Ganglienzellen, in den Muskelfasern wie in den Sinnesepithel- zellen und den Drüsenzellen. Von allem umgebenden Gewebe sind

Fig. 2. 4 Längsschnitt durch einen Teil einer Längskommissur von Hirudo nach einem Fibrillen-

präparat. Bei der Fixation war die Kommissur nicht gestreckt; daher sind nur die Begrenzungslinien

der Nervenfasern glatt, die verschieden dieken Neurofibrillen aber gewellt. BD Querschnitt durch

einen dünnen rein motorischen Nerven von Hirudo. In der ungefärbten Perifibrillärsubstanz jeder

Nervenfaser liegt eine dieke Neurofibrille. (€ Teil eines gemischten Nerven von Hirudo im Quer-

schnitt. S sensorischer Schlauch. s sensorisches Bündel. m motorische Faser. (B und nach Apäthy, 1897, Taf. 23, Fig. 7 und 10.)

sie scharf abgesetzt, sie repräsentieren nicht eine vage Streifung irgend welchen Gewebsprotoplasmas, sind nicht streifige Verdiehtungen der Grundsubstanz, sondern durchaus selbständige morphologische Ele- mente. Nirgends sieht man ein Ende einer Neurofibrille. Soweit die Grenzen des Präparats reichen, kann man die einmal ins Auge ge- faßte Fibrille verfolgen, falls nicht aus irgend einem Grunde die Färbung an einer Stelle ausgeblieben ist. Innerhalb der Nerven- fasern zeigen die Neurofibrillen keine Verbindungen untereinander, sie bewahren also vollkommen ihre Individualität (Fig. 2). Es gibt aber drei Orte, an denen sie ihren isolierten Verlauf aufgeben: in den in- nervierten Organen, in den Ganglienzellen und im Neuropil, d. h. dem aus feinsten Nervenzweigchen bestehenden, für die meisten Methoden

3ethe, Nervensystem. n)

18 Historisches über die Neurofibrillen.

unauflösbaren Fasergewirr, das bei den Wirbellosen die Mitte der Ganglien ausfüllt.

In den Endorganen (Muskelfasern, Sinnesepithelzellen, Drüsen- zellen) splittern sich die Fibrillen auf, um sich dann netzartig mitein- ander zu verbinden. Tritt nur eine Fibrille ein, so splittert auch sie sich auf und die entstandenen Zweigchen bilden ihrerseits ein Netz oder einen Korb. In den Ganglienzellen zeigen sich ganz ähnliche Verhältnisse: die meist recht zahlreichen Fibrillen, welche durch den Stammfortsatz (bei den unipolaren Zellen) oder durch die vielen Fort- sätze (bei den multipolaren Zellen) in die Zellen eintreten, verzweigen sich, um sich in ihren Zweigen zu einem Netz zu vereinigen (Fig. 3). Eine analoge Netzbildung findet im Neuropil statt, nur daß sich in diesem Netz, dem Elementargitter, wie es Apathy nennt, sehr viel mehr Fibrillen zusammenfinden. Ein genauer Vergleich der Fibrillen in den moto- rischen und den rezeptorischen (sensiblen) Fasern ergab, daß die der ersteren sehr viel dicker sind, als die der letzteren, und dieser Unterschied ist (bei Hirudineen) so charakteristisch, daß die Unter- scheidung der einzelnen Fibrillengattungen auch im Zentralnervensystem und sogar in den Gan- glienzellen noch möglich ist (motorische und senso- rische Fibrillen Apäthys). Es ergab sich nun, daß sich die Fibrillen der rezeptorischen Fasern im Neuropil aufsplittern und im Elementargitter ihre

tig.3. N yrische Gan- Le DER . a x ig. 9 Motorische Gan- Individualität verlieren. Aus dem Elementargitter glienzelle von Hirudo { i e =

nach Apäthy (Tat. 28, sammeln sich wieder gleichfalls sehr dünne Fasern,

Fig. 7). Die Fibrillen

sind im Interesse der Re-

produktion etwas dicker

wiedergegeben als im Original.

die in Ganglienzellen hineinziehen und hier ein äußeres Gitter bilden (Fig. 3). Von diesen ziehen radiäre Fibrillen dem Kerm zu und vereinigen sich in seiner Nähe zu einem zweiten, aus dickeren

Fibrillen bestehenden Korb, aus dem eine starke Fibrille hervorgeht,

um sich durch eine motorische Faser direkt zur Muskulatur zu be- geben. Aus diesen einzelnen Beobachtungen setzt sich ungezwungen

«die Vorstellung zusammen, daß die Neurofibrillen ununterbrochen von den rezeptorischen Nervenendigungen durch die rezeptorischen Nerven zum Elementargitter verlaufen und von dort ohne eine Unterbrechung zu erleiden in die motorischen Ganglienzellen treten, um hier die motorischen Fibrillen zu formieren, die dann kontinuierlich den Muskel- Fasern oder anderen innervierten Gebilden zugehen. Mit anderen Worten: es existiert auf dem Wege der Neurofibrillen eine kontinuierliche Bahn zwischen den rezeptorischen und motorischen Elementen !

Historisches über die Neurofibrillen. 19

Über Neurofibrillen bei Wirbeltieren hat Apäthy bis jetzt nur wenige Angaben gemacht. Sie beschränken sich darauf, daß er sie auch hier als durchaus spezifische Bestandteile des Nervensystems hat nachweisen können und daß sie in den peripheren Nervenfasern wie bei den untersuchten wirbellosen Tieren einen durchaus individuellen Verlauf haben.

Auf Grund aller dieser Befunde hält Apathy die Neurofibrillen für das leitende Element im Nervensystem, und es ist wohl zweck- mäßig, an der Hand seiner eigenen Angaben genauer festzustellen, was alles für ihre leitende Natur spricht: ‚Überall, wo sich nervöse Einflüsse geltend machen, lassen sich auch Neurofibrillen nachweisen. Sie sind spezifische, von anderen fibrillären Gebilden wohl unter- scheidbare Gewebsbestandteile, die sich im größten Teil ihres Ver- laufs durchaus als Individuen erweisen. Von der Peripherie bis zum Zentralorgan und von diesem bis an die Peripherie zurück zeigen sie eine vollkommene Kontinuität. Überall dort, wo man ein besonderes Geschehen im Bereich des Nervensystems anzunehmen Grund hat, zeigen die Neurofibrillen auch ein spezifisches Verhalten. So gehen sie zu den Ganglienzellen, den Rezeptionszellen (Sinneszellen), den Drüsen- und Muskelzellen charakteristische topographische Beziehungen ein. Schließlich bilden sie dort kontinuierliche Zusammenhänge, wo die plasmatischen Teile ganz unterbrochen oder substantiell dis- kontinuierlich sind. So ist fast überall im höher organisierten Nerven- gewebe kein kontinuierlicher Zusammenhang zwischen den plasmati- schen Ausläufern verschiedener Ganglienzellen vorhanden; die in ihnen enthaltenen Fibrillen können ihn herstellen, indem sie eine Strecke weit als nackte Fibrillen verlaufen. Ganglienzelle und Nervenfaser, ebenso Nervenfaser und Muskelzelle u. s. w. sind plasmatisch scharf voneinander abgesetzt, die Fibrillen gehen aber kontinuierlich von der einen in die andere über.

„Der wesentlichste spezifische Bestandteil der Nerven und das Nervöse überhaupt sind die Neurofibrillen“ (Apathy, 1898, S. 130).

Die Lücke, welche Apäthy vorläufig in der Neurofibrillenforschung bei den Wirbeltieren gelassen hatte, habe ich zum Teil wenigstens ausfüllen können, nachdem ich eine Methode gefunden, die auch hier, wo die Apäthyschen Methoden nur schwer brauchbare Resultate er- seben, zu einigermaßen befriedigenden Bildern führt (1897, 1900). Auch bei den Wirbellosen habe ich einiges Neue zu dem von Apathy Gefundenen hinzufügen können (1898). Im großen Ganzen verhalten sich die Fibrillen bei Wirbeltieren ganz wie bei Wirbellosen, und irgend etwas prinzipiell den Apäthyschen Aufstellungen Widersprechendes

)%*

30 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

habe ich nieht gefunden. Einige neue Details werde ich in der weiter unten folgenden ausführlicheren Beschreibung dem schon Be- kannten hinzufügen.

VIERTES KAPITEL.

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

Kurze Beschreibung des Nervensystems der verschiedenen Klassen der Wirbel- losen. Beziehungen der Nervensystemsausbildung zum physiologischen Verhalten

S. 20—25. Die Form der Ganglienzellen und der mit ihnen verbundenen ner- vösen Fasern 8. 26-33. Verlauf der Neurofibrillen in den Nervenfasern

S. 33—38. Verlauf der Neurofibrillen in den zentralen Ganglienzellen S. 33 —41. Verbindungen zwischen rezeptorischen und motorischen Fibrillenbahnen S. 41—46.

Wenn ich den Anfang in der Beschreibung mit den wirbellosen Tieren mache, so hat dies darin seinen Grund, daß unsere Kenntnisse, besonders über den Verlauf der Neurofibrillen, hier vollkommener sind, dann aber auch darin, daß die Verhältnisse bei diesen Tierformen entschieden einfacher liegen. Am einfachsten liegen sie zwar bei den Nervennetzen, die sowohl bei Wirbellosen wie bei Wirbeltieren vor- kommen, aber ich habe meine Gründe, diese in einem besonderen Kapitel erst später zu besprechen. Zunächst will ich für diejenigen, denen die Verhältnisse nicht ganz geläufig sind, eine kurze Übersicht über die Formen geben, in denen uns das Nervensystem bei Wirbel- losen entgegentritt.

Bei den Cölenteraten, die von den Zoologen als die niedrigsten Metazoen (nach den Spongien, die keine nachweisbaren Nervenelemente enthalten) angesehen werden, tritt uns das Nervengewebe diffus im vanzen Körper verteilt entgegen. Überall zerstreut findet man unter dem Epithel, bei manchen Formen auch im Epithel, Ganglienzellen und Nervenfasern, und nur bei bestimmten Klassen sind Andeutungen von Konzentration oder, wenn man will, Zentralisation zu bemerken. Am deutlichsten ist dies bei den eraspedoten Medusen der Fall, wo sich eine stärkere Anhäufung von Ganglienzellen und Nervenfasern am Schirmrande im sogenannten Randring bemerkbar macht. Mit diesem stehen durch Zellfaserzüge die meist vorhandenen Randkörper in Verbindung, Organe von sehr verschiedenartigem Bau (Ocellen, Oto- lithensäckehen u. s. w.), deren Bedeutung als rezeptorische Organe

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 21

schon aus anatomischen Gründen ziemlich zweifellos ist (Fig. 4). Auch radiäre Zellfaserzüge kommen vor. Bei weitem der größte Teil aller als Ganglienzellen und Nervenfasern gedeuteten Elemente ist aber diffus, plexusartig, über das ganze Tier (mit Ausnahme der oberen Schirmfläche, die ihrer ganz entbehrt und auch gänzlich unempfänglich für Reize ist) verbreitet. Wahrscheinlich sind bei allen Cölenteraten die Nervenelemente untereinander zu echten Nervennetzen verbunden (O0. und R. Hertwig, Eimer, Bethe) und die von Havet (1901) neuer- dings für Aktinien gemachte entgegengesetzte Behauptung möchte ich vorläufig noch an- | a zweifeln. (Obwohl seine Schnitt- Sn richtung zur Auffindung der Anastomosen so ungünstig wie nur möglich ist, so scheint er doch seinen Abbildungen nach mehrere gefunden zu haben). Bei den Eehinodermen ist an bestimmten Stellen des Körpers eine stärkere Anhäu- fung von Nervenelementen vor- handen; die Hauptmenge bildet M. aber auch hier noch einen dif- fusen, zwischen dem äußeren Körperepithel und der Schale resp. der Lederhaut gelegenen Plexus, der sich an der Basis der Stacheln (bei den Seeigeln) "8; Sthenatiche Abildung einer Muse (ran verdichtet. In der Körperhöhle, wigs Lehrbuch der Zoologie; U Umbrella, M Magenstiel, . . NfLDLIC & T Tentakeln (T, und T, in halber Kontraktion), N der die bei den Echiniden (See- nen R Randkörper, F’ Velum. igeln) und Asteriden (Seester- nen) von der Schale, bei den Holothurien von dem mit der Haut ver- wachsenen Muskelschlauch umschlossen wird, liegt um den Anfangs- darm herum ein aus Ganglienzellen und Nervenfasern bestehender Ring (Fig. 5), von dem je nach der Zahl der Radien fünf, sieben und mehr Zellfaserstränge, die Radialnerven, bei den Echiniden und Holo- thurien zum analen Pol, bei den Asteroiden in die Arme verlaufen. Diese Radialnerven stehen mit dem äußeren Plexus durch feine Nerv- chen in Verbindung, welehe bei den Ecehiniden und Asteroiden zu- sammen mit den Saugfüßen durch die Schale treten. Besondere An- häufungen nervösen Gewebes finden sich noch an den Pedicellarien, jenen merkwürdigen, kleinen, auf Stielen stehenden, dreiteiligen Zangen, welehe in großer Zahl die Haut der Seeigel und Seesterne bedecken.

32 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

Über die histologischen Verhältnisse des Nervensystems ist bei den Echinodermen so gut wie nichts bekannt. Es ist auch bei der außer- ordentlichen Kleinheit seiner Elemente ein sehr schlechtes Objekt für histologische Untersuchungen.

Im Tierkreis der Würmer tritt eine wesentlich stärkere Zen- tralisation im Nervensystem zu Tage, die sich besonders bei der höchsten Klasse derselben, den Anneliden, auch funktionell deutlich bemerkbar macht. Bei den beiden unteren Klassen (ich bleibe der Einfachheit halber bei der alten Einteilung) ist die Hauptmenge der

Fig. 5. Schematischer Durchschnitt durch einen Seeigel, zum Teil nach einer Figur von Huxley.

St Stacheln, P Pedicellarien, A.f Ambulacralfüße, 4 Ampullen, D Darm. Das Nervensystem ist

dunkler gehalten. N.r. Nervenring, R.n. Radialnerv, der mit dem äußeren Plexus, N.pl. am Durch- tritt der Füße in Verbindug steht. Die Schale ist schraffiert gezeichnet.

Ganglienzellen und Nervenfasern zu einer Masse vereinigt, die ent- weder in Form von zwei untereinander verbundenen Ganglien (Plathel- minten) (Fig. 6 4) oder in der Gestalt eines den Schlund umgebenden Ringes (Nemathelminten) am Kopfende der Tiere lokalisiert ist. Von (dieser Masse ziehen Faserzüge, die vielfach mit Ganglienzellen durch- setzt sind, und viele Anastomosen miteinander bilden, durch den ganzen Körper. Auch an der äußersten Peripherie wurden soweit darüber Untersuchungen vorliegen vielfach Ganglienzellen gefunden. Eine reinliche Scheidung zwischen Zentralnervensystem und peripheren Nerven, wie sie bei höheren Tieren oft recht scharf hervortritt, existiert hier also noch nicht. Physiologisch macht sich dies in einer

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 23

noch relativ hohen Selbständigkeit kleiner Tierbruchstücke geltend. So zeigen kleine Bruchstücke von Turbellarien (z. B. Thysanozoon), wie wohl zuerst Loeb gezeigt hat und ich bestätigen kann, noch Reflexe, vor allem den Umdrehreflex, der darin besteht, daß das auf die Rückenseite gelegte Stückchen sich wieder zur Bauchlage zurück- dreht. Bei Süßwasserplanarien machen sogar kleine Tierstücken gute Progressivbewegungen (Loeb), die nach meinen Erfahrungen auch bei Thysanozoon nicht vollkommen fehlen.

Ein wirkliches Zentralnervensystem im anatomischen und physio- logischen Sinne findet sich erst bei den höheren Würmern, den Anne- liden und Hirudineen. (Die Gephyreen, Enteropneusten und andre lasse ich unberücksichtigt, weil sie anatomisch nur mangelhaft, physio-

m 7

Be Pazgf. KA L/E N 1

Fig. 6. Schematische Darstellung des Nervensystems: A Von einer Planarie, D Von einem Artieu-

laten (höhere Würmer, Arthropoden), Von einem Mollusk. Nervenstämme, Kommissuren und

Neuropile sind grau gezeichnet; die Lage der Ganglienzellen ist durch schwarze Punkte angedeutet.

Og. Oberschlundganglion, BG. Bauchganglion, Bg. Buccalganglion, (g. Cerebralganglion, P/g. Pleural- ganglion, Pg. Pedalganglion, Vg. Visceralganglion.

logisch gar nicht auf ihr Nervensystem untersucht sind.) Es wird repräsentiert durch das Bauchmark, das sich auf der ventralen Seite durch das ganze Tier hinzieht und nach vorne hin durch zwei den Sehlund umfassende Faserbündel, die Schlundkommissuren, mit dem dorsal gelegenen Oberschlundganglion oder Gehirn in Verbindung steht. Das Bauchmark selber ist nicht wie das Rückenmark ein gleich- mäßiger Strang, sondern es setzt sich aus einzelnen Knoten, den Bauchganglien, zusammen, die untereinander durch paarige Kom- missuren oder Konnektive verbunden sind. Die beigegebene Fig. 6 2 zeigt ein solches Nervensystem in typischer Ausbildung. Von den Ganglien gehen nach beiden Seiten Faserstränge ab, welche sich peripheriewärts zu Muskeln, Drüsen, Rezeptionsorganen u. s. w. be- seben. Diese Faserzüge, die Nerven, bestehen ebenso wie die Kom-

24 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

missuren nur aus Nervenfasern (und Bindegewebe): Ganglienzellen fehlen in ihnen in der Regel ganz. Bei den Polychäten finden sich besondere kleine Ganglien an den Nerven der Parapodien, im übrigen finden sich keine peripheren Ganglienzellen mit Ausnahme der Sinnes- oder Rezeptionszellen, die eigentlich keine Ganglienzellen im engeren Sinne sind. Am Darm finden sich wieder Nervennetze, auf die ich erst später eingehen will. Wir treffen also hier zum erstenmal Ver- hältnisse, die denen der Wirbeltiere ähnlich sind.

Auch im physiologischen Verhalten kommt dies zum Ausdruck: während wir bei den Cölenteraten und Echinodermen eine fast voll- kommene Selbständigkeit jedes Körperstückes finden und die nervöse Selbständigkeit einzelner Teile bei den niederen Würmern noch relativ groß ist, fällt bei diesen Tieren nach Verletzung des Bauchstranges die nervöse Funktion in den entsprechenden Teilen vollkommen aus. Nimmt man zum Beispiel bei einem Blutegel ein Bauchganglion fort, so ist die Muskulatur des betreffenden Körpersegments vollkommen gelähmt und Reize, welche im Gebiet des Segments angesetzt werden, bleiben von den nicht gelähmten Teilen unbeantwortet. Der Effekt ist der gleiche, wie bei einem Wirbeltier nach Fortnahme eines Teils des Rückenmarks. Durchschneidet man nur die Nerven eines Ganglions, so entspricht der Effekt der Durehschneidung eines peripheren Nerven beim Wirbeltier z. B. der des Ischiadieus. Während bei einer Turbellarie die vollständige Durchtrennung der in der Längsachse verlaufenden sroßen Nervenstämme es nicht verhindert, daß Reize, welche man am einen Ende ansetzt, dem andern zugeleitet werden, fällt bei den Aneliden und Hirudineen jede Beziehung zwischen Vorder- und Hintertier fort, wenn die Bauchkette an irgend einer Stelle unterbrochen wird, grade wie bei Wirbeltieren nach Durchschneidung des Rückenmarks.

Die den soeben betrachteten segmentierten Würmern in vielen Be- ziehungen so nahe stehenden Arthropoden (Crustaceen, Insekten u. s. w.) zeigen auch in Bezug auf den Aufbau des Nervensystems und die alleemeinen Funktionsverhältnisse desselben kaum einen Unterschied (Fig. 6 2). Wie bei den höheren Würmern am Darm, so findet man auch hier an gewissen Körperstellen z. B. unter der Haut nervöse Verhältnisse, die denen der niedrigsten Metazoen ganz gleichen und gemeinsam mit diesen unter dem Kapitel „Nervennetze“ besprochen werden sollen. Im inneren Bau der Ganglien, soweit er mit einfachen Methoden erkannt werden kann, zeigen alle Artikulaten (höhere Würmer und Arthropoden) einen gemeinsamen Bauplan, der sich auch bei den Mollusken und bei manchen niederen Würmern erkennen läßt. Gan- glienzellen, Nervenfasern und ihre Aufsplitterungen liegen nicht, wie bei den Wirbeltieren, wirr durcheinander, sondern die Ganglienzellen bilden einen Zellmantel, der die langen Faserzüge und die Nerven-

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 25

aufsplitterungen, das Neuropil, umschließt (Fig. 45, S. 103). Diese Anordnung ist von praktischer Bedeutung, weil sie es ermöglicht, an den Ganglienzellen für sich zu operieren.

Die Mollusken, die auch in andern Beziehungen den niederen Würmern näherstehen als den segmentierten, zeigen in der Anordnung der Nervenelemente Verhältnisse, die an die der Turbellarien u. s. w. erinnern, aber von einer höheren Differenzierung zeugen. Das zentrale Nervensystem besteht aus mehreren großen Ganglien oder Ganglienpaaren. Typisch ist das Vorkommen eines Cerebral-, Pedal- und Visceralganglions, zu denen noch einige andre kommen können (Fig. 6 €). Untereinander sind die Ganglien durch lange, meist ganglienzelllose Kommissuren verbunden. Die peripheren Nerven sind zunächst (in der Nähe der Ganglien) fast frei von Ganglienzellen, je mehr sie sich aber der Peripherie nähern, desto häufiger findet man Ganglienzellen den Nerven angelagert und schließlich bildet sich unter dem Epithel wieder ein richtiges Nervennetz mit eingestreuten Zellen. (Angaben über periphere Ganglienzellen bei Mollusken sind schon von Smidt [1899, 1902], Havet [1899] und Veratti [1900] und früheren Autoren gemacht, Smidt hat auch schon das Nervennetz richtig ge- sehen. Eigene Untersuchungen wurden an Aplysia unternommen.) Bei diesen Tieren erlischt das Reflexleben nach Fortnahme des ge- samten Zentralnervensystems ebensowenig wie bei den niederen Würmern nach Exstirpation der großen Ganglienmassen, wie man leicht an Aplysia und Limax feststellen kann. (An Lamellibranchiaten u. s. w. habe ich keine Versuche angestellt.) Die sehr eigenartigen Er- scheinungen werden weiter unten genauer besprochen werden. Für die höchste Ordnung der Mollusken, die Cephalopoden (Tintenfische), ist das Vorkommen großer Mengen peripherer Ganglienzellen besonders in den Armen längst bekannt, ebenso die relative Unabhängigkeit derselben vom Zentralnervensystem (siehe Uexküll 1895, wo auch die älteren Angaben zitiert sind).

Auch bei den Tunikaten (Ascidien und Salpen) erlöschen die Reflexe nach Fortnahme des einzigen großen Ganglions nicht (Loeb, Bethe).') Es läßt sich hieraus schließen, daß auch bei diesen Tieren reichliche periphere Plexus vorhanden sind. Anatomisch sind sie aber, soweit mir bekannt, noch nicht mit Sicherheit festgestellt.

Eine anatomische Trennung sensibler und motorischer Nerven- fasern am Austritt aus dem Zentralnervensystem, wie bei den Wirbel- tieren, existiert bei den Evertebraten nirgends.

Über die Gestalt der Ganglienzellen und die Form und Aus- breitung ihrer Fortsätze verdanken wir, wie bei den Wirbeltieren, der

I) Dem ist für die Salpen vor kurzem von Magnus widersprochen worden.

36 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

Ehrlichschen Methylenblaumethode und der Golgischen Methode unsere Hauptkenntnisse. Die meisten Untersuchungen beziehen sich auf Arthropoden und Würmer; auch die Mollusken haben einige Bearbeiter zefunden. (Retzius 1890, 1891, 1895, Biedermann 1891, Bürger 1891, Allen 1894, 1896, Apäthy 1892, 1897, Lenhossek 1892, Smirnow 1894, Bethe 1895, 1897, Havet 1899 und andre). Bei allen unter- suchten Tieren findet man in den Ganglien vorwiegend unipolare Ganglienzellen von sehr verschiedener Größe. Ihr Kern ist groß und blasig und zeigt immer einen großen, kugeligen Nucleolus (selten mehrere). Von diesen Zellen, die fast immer wie ein Mantel das Neuropil umgeben, zieht der einzige Fortsatz, der Stammfortsatz oder Stielfortsatz genannt wird, in das Neuropil hinein (Fig. 7 und 8). Sein weiteres Schicksal ist sehr verschieden, man kann aber leicht drei Haupttypen herausfin- den.

1. Der Stammfort- satz löst sich schnell in immer feiner werdende Zweige auf (Fig. 7 links unten).

2. Er verläßt unter Abgabe von Seitenzwei- gen durch einen peri-

Fig. 7. Durchschnitt eines Ganglions von Limax (Nacktschnecke) pheren Nerven das Gan- nach Veratti (1900) (Golgipräparat). Rechts ein Element mit peri- 57 N 77 \

{ 5 IE pherer Faser (motorisches Neuron?). Links unten ein Element mit glion (F 15 4 oben)

rein zentraler Verzweigung. 3. Der Stammfort-

satz zieht sich durch mehrere Ganglien hin, überall Seitenzweige abgebend, ohne aber in einen Nerven eine periphere Faser zu senden (Fig. 1c). Man hat diese Elemente häufig mit dem Namen Assoziationselemente belegt; ich ziehe es aber vor, sie Kommissurelemente zu nennen, weil dieser Name über ihre Funktion nichts präsumiert.

Die erste Form kommt nicht allzuhäufig vor. Ich habe sie im Bauchmark und im Gehirn von Careinus beobachtet (Fig. 8 «), Veratti in den Ganglien von Limax (Fig. 7).

Die zweite Form ist in allen Ganglien der bisher untersuchten Evertebraten in großer Zahl gefunden worden. Von Retzius (1890) zuerst gesehen, sind diese Elemente von allen späteren Untersuchern bestätigt worden. Nur selten ist die periphere Faser die direkte Fortsetzung des Stammfortsatzes (Fig. 7); sehr viel häufiger, besonders bei Crustaceen, tritt der dünne Stammfortsatz seitlich an eine sehr

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 27

viel diekere, verzweigte Faser heran, die an ihrem einen Ende zur peripheren Faser wird (Fig. 1@ und Fig. Se und b). Bei unbefangener Betrachtung solcher Elemente wird man viel eher den Eindruck ge- winnen, daß die Ganglienzelle ein seitlicher Anhängsel der Hauptfaser als ihr Ausgangspunkt ist. Zwischen der Dieke der Faser und der Reichhaltigkeit ihrer Verzweigungen einerseits und der Größe der Ganglienzelle und der Stärke ihres Stammfortsatzes andrerseits besteht

Fig. 8. Schematische Abbildung des Gehirns von Carcinus mit dem Verlauf einiger Nervenelemente

nach Methylenblaupräparaten. Die Lage der Ganglienzellpolster auf einer Seite angedeutet. Die

punktierte Linie (links) deutet die Schnitte an, welche bei der Isolierung des Neuropils der zweiten

Atenne geführt werden. (Natürlicher Durchmesser des ganzen Gehirns 2—3 mm). Weiteres siehe im Text.

gar keine Proportionalität; so gibt es Fasern, die innerhalb ihres Verlaufs im Zentralnervensystem auf lange Strecken dicker sind als die zugehörigen Ganglienzellen; besonders auffallend ist bei diesen aber das Mißverhältnis zwischen dem Stammfortsatz und der mit ihm zusammenhängenden Faser (Fig. 8 b). Dies sind Verhältnisse, zu denen bei den Wirbeltieren Analoga von allerdings sehr viel geringerer Prä- gnanz existieren und die für die Beurteilung der Natur der Ganglien- zellen von entschiedenem, aber nicht anerkanntem Wert sind.

28 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

Besonders bei den Crustaceen aber auch bei andern Evertebraten dehnt sich das zentrale Verzweigungsgebiet dieser Elemente auf mehrere Ganglien aus (Allen 1894, 1895, Bethe 1895). So umfaßt es z.B. bei Careinus meist noch die beiden Ganglien, welche dem Ursprungs- ganglion benachbart sind (Fig. 1«@). Die zu diesen verlaufenden Zweige haben die Kommissuren zu passieren und in diesen nehmen alle Fasern den Charakter peripherer Nervenfasern an d. h. sie umgeben sich mit einer faserigen Hülle (Gliascheide Apäthys) und zeigen häufig Ein- lagerungen von Myelin. Beides fehlt dem Stammfortsatz und der Faser, soweit sie im Ganglion verläuft. Wenn man nun überhaupt den Ausdruck Achsenzylinder auf die Wirbellosen übertragen will, so kann man nur die Fasern so nennen, die von eben diesen Hüllen umgeben sind. Wir hätten also hier Ganglienzellen vor uns, welche mit drei Achsenzylindern in Verbindung stehen, dem der peripheren Faser und den zwei durch die Längskommissur verlaufenden. Noch auffallender sind Ganglienzellen, von denen mehrere periphere Fasern abgehen (Retzius, Allen, Bethe, Apäthy). ei den von Apäthy bei Hirudo beobachteten Zellen dieser Art ver- lassen alle drei peripheren Fasern das Zentralnervensystem durch Nerven des Ursprungsganglions, während in den andern Fällen der Austritt durch Nerven von drei oder vier verschiedenen Ganglien erfolgt. Es würde mir höchst gezwungen erscheinen, wollte man zur Rettung des Gesetzes, daß immer nur eine Nervenfaser, nur ein Achsen- zylinder mit einer Ganglienzelle in Verbindung stehen könne, diese mehrfachen Nervenfasern als Schizaxone ausgeben, eine Auslegung, für die mir außerdem jede Grundlage zu fehlen scheint.

Auch die Kommissurelemente fügen sich zum großen Teil diesem Gesetz nicht. Es war wieder Retzius, der diese Elemente zuerst ge- sehen hat (bei Astacus), wenn er sie wohl auch in ihrer Natur nicht klar erkannte. Seitdem sind sie bei fast allen untersuchten Everte- braten gefunden und in besonderer Vollständigkeit von Allen und mir bei Crustaceen dargestellt worden. So hat Allen beim Hummerembryo Kommissurelemente darstellen können, deren Ausbreitungsgebiet sich vom Gehirn bis in die Abdominalganglien erstreckt. In die Verhältnisse der Wirbeltiere übersetzt würde das die Verfolgung des Ausläufers einer Pyramidenzelle (nebst Verästelungen) bis ins Caudalmark be- deuten! Solehe Erfolge sind nur bei Anwendung der Methylenblau- methode und bei kleinen Tieren möglich, Bedingungen, die es ge- statten, das ganze Nervensystem auf einmal unter das Mikroskop zu legen. Die Verfolgung durch das gesamte Zentralnervensystem ist mir bei ausgewachsenem Careinus nicht möglich gewesen, wohl aber durch das gesamte Gehirn und das ganze Bauchmark. Bei diesen Elementen tritt die Improportionalität zwischen Ganglienzelle und

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 29

Reichtum der Verzweigung noch deutlicher zu Tage: Manche Elemente verzweigen sich nur innerhalb eines oder weniger Ganglien und stehen mit Ganglienzellen in Verbindung, die ebenso groß oder größer sind als von Elementen, deren überaus reiche Verzweigungen sich über das ganze Gehirn oder Bauchmark ausdehnen. Im Gehirn wie im Bauch- mark existieren Zellen, von denen zwei (manchmal auch noch mehr) Nervenfasern (Achsenzylinder) ausgehen, die dann durch getrennte Kommissuren weiterziehen (Fig. 1 c). Unter den Kommissurelementen

Fig. 9. A und B zwei multipolare Ganglienzellen aus Abdominalganglien des Flußkrebses nach Retzius (1890) (Methylenblau). multipolare Ganglienzelle von Lumbricus nach Apäthy (1897, Taf. 26, Fig. 6) mit Differenzierung der Neurofibrillen (Goldpräparat; das Original ist farbig).

finden sich bei Carcinus an verschiedenen Stellen Beispiele von Stamm- fortsätzen, die erst in großer Entfernung von der Zelle die ersten Seitenzweige abgeben. So kann bei großen Exemplaren die unver- zweigte Strecke des Elementes d (Fig. $) 1 mm lang sein.

Außer den unipolaren Zellen, die ich bisher besprochen habe, kommen bei manchen Evertebraten auch multipolare Ganglienzellen vor. Am häufigsten sind sie wohl in den Ganglien der Mollusken

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(Rawitz, 1887, Freidenfeld, 1897 u. a.). Bei Urustaceen und Würmern sind sie seltener und kommen meist nur an ganz bestimmten Stellen vor. Stets scheint von ihnen eine lange Faser (Nervenfaser) zu ent- springen, die entweder zur peripheren Faser wird oder durch eine Kommissur zu einem andern Ganglion zieht (Fig. 9). Zwischen diesen Zellen und den birnförmigen Zellen bilden gewisse Zellen der Ab- dominalganglien von Astacus, die Retzius (Fig. 9 2) zuerst gesehen hat und deren Existenz ich bestätigen kann, einen Übergang, indem außer einem Stammfortsatz, der sehr früh Seitenzweige abgibt, nur ein oder wenige andre Fortsätze direkt von der Zelle abgehen. Wenn man überhaupt morphologische Vergleiche zwischen den Ganglienzellen der Wirbeltiere und der Wirbellosen ziehen will, so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß der zur peripheren Faser werdende Fortsatz der multipolaren Zellen dem Achsenfortsatz der Wirbeltier- sanglienzellen vom Deitersschen Typus zu vergleichen ist, während die übrigen Fortsätze den Protoplasmafortsätzen analog zu setzen wären. Jene Übergangsformen haben nun Retzius Veranlassung ge- geben, die in den Ganglien sich verzweigenden Nebenfortsätze des Stammfortsatzes der bimförmigen Zellen für Protoplasmafortsätze zu erklären, die gewissermaßen nur am Stammfortsatz heruntergerutscht sind. Andre haben gemeint, daß sich die Seitenfortsätze eher mit den Kollateralen der Wirbeltierachsenzylinder vergleichen ließen und daß die birnförmigen Zellen in Wirklichkeit der Protoplasmafortsätze ganz entbehrten. Lenhossek neigt sich der Ansicht von Retzius zu und ich selber stimme ihm vollkommen bei, wenn ich überhaupt einen Vergleich ziehen soll. (Auch Apäthy vergleicht die im Ganglion sich verzweigenden Seitenzweige mit den Protoplasmafortsätzen der Wirbel- tiere.) Ich muß aber gestehen, daß mir die Frage ziemlich irrelevanter Natur zu sein scheint.

Außer den bisher besprochenen Elementen, die mit zentralen Ganglienzellen in leicht siehtbarer Verbindung stehen, finden sich in den Ganglien aller Evertebraten andre, bei denen ein Zusammenhang mit zentral gelegenen Zellen nicht sichtbar ist. Es sind Fasern, die durch die peripheren Nerven in die Ganglien eintreten und sich dort in feine Zweige auflösen. Häufig erfahren sie beim Eintritt ins Gan- glion zuerst eine T-förmige Teilung, und die beiden so entstandenen Zweige ziehen unter Abgabe von Seitenzweigen durch mehrere oder viele Ganglien hindurch (Retzius, Biedermann, Lenhossek, Allen, jethe, Apäthy u. a.). Die Lage der zugehörigen Zellen ist zuerst von Lenhossek (1892), später von Allen mit Sicherheit bestimmt worden. eiden Forschern gelang es (dem einen beim Regenwurm, dem andern beim jungen Hummer) die ins Ganglion eintretenden Fasern nach der Peripherie zu verfolgen, wo sie sie mit den seit langem durch Leidig,

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 31 Claus und vom Rath bekannten bipolaren „Sinnesnervenzellen‘“ in Ver- bindung treten sahen (Fig. 10). Diese Zellen liegen meist in Gruppen zusammen unter dem Epithel. Ihr peripherer Fortsatz endet (7?) bei Würmern (Lenhossek, Apathy, Retzius) und Mollusken (Guilchrist, Smidt) frei zwischen den Epithelzellen, bei Arthropoden im Inneren von besonderen Sinnes- oder Rezeptionshaaren (Claus, vom Rath, Bethe, Retzius) oder an deren Basis (bei manchen Haaren von Astacus; Retzius, 1895, Bethe, 1896). Durch diese Be- funde ist die Natur je- ner Elemente sicher als sensibel (rezeptorisch) festgestellt.

Neben den Rezep- tionszellen finden sich aber bei Würmern (Smir- now, 1894) und Mol- lusken (Smidt, Verratti) auch freie Nervenendi- sungen im Epithel. Die zugehörigen Zellen lie- sen bei Würmern viel- leicht im Bauchmark, bei Mollusken, den Un- tersuchungen von Smidt nach, jedenfalls aber auch ziemlich nahe an der Peripherie.

Diejenigen Elemen- te des Zentralnerven- systems, welche mit zentralen Zellen in Zu- Fig. 10. Zwei Ganglien vom embryonalen Hummer nach Allen sammenhang stehen und ea; kombiniert aus Fig. 9 und 11). Die zu Grunde liegenden

- £ Präparate zeigten den ganzen Verlauf der angegebenen Nerven- eine periphere Faser elemente.

entsenden, sind jeden-

falls bei den Tieren, welche keine freien Endigungen im Epithel haben, zum größten Teil als motorisch und sekretorisch anzusehen, und nur bei Würmern und Mollusken könnte hier manchmal eine Kontroverse möglich sein, weil es eben hier freie Endigungen im Epithel gibt. Den Beweis dafür, daß die peripheren Fasern dieser Elemente mit Muskeln in Verbindung stehen können, hat Allen in einer seiner vortrefflichen Arbeiten erbracht, indem er auf einem Präparat direkt eine solche Faser bis zum Muskel verfolgen konnte,

32 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

wo sie sich teilte und in motorische Nervenendigungen überging (Fig. 10). Soweit mir bekannt, ist dies überhaupt der einzige Fall, wo bisher der direkte Zusammenhang von zentralen Ganglienzellen mit der Muskulatur beobachtet ist. Bei allen andern Tieren ist dieser Zusammenhang nur erschlossen, nicht direkt beobachtet.

Wie wir oben gesehen haben, fallen bei den höheren Würmern und bei den Arthropoden die Reflexe ganz fort, wenn die peripheren Nerven durehschnitten sind, während sie bei Mollusken und niederen Würmern bis zu einem gewissen Grade bestehen bleiben. Es wird also zunächst zweckmäßig sein für die weiteren Betrachtungen die ersteren im Auge zu behalten, denn bei ihnen sind wir zu der An- nahme gezwungen, daß der Reflexbogen, wie bei den Wirbeltieren, im Zentralnervensystem selber gelegen ist:

Sensible, mit peripheren Rezeptionszellen in Verbindung stehende Fasern treten in die Ganglien ein und splittern sich hier auf. In den

Fig. 11. Ein Teil der zentralen Verzweigung eines sensorischen Schlauchs von Hirudo nach Apäthy

(1897, Taf. 25, Fig.1. Es ist nur ein Teil der Figur wiedergegeben). (Methylenblaupräparat).

Innerhalb der Nervenfaser sind die Neurofibrillen nur angedeutet. An den kolbigen Verdiekungen treten die Neurofibrillen aus der Nervenfaser frei von Perifibrillärsubstanz aus.

Ganglien selber liegen motorische Ganglienzellen (ganz außerhalb dieses Verzweigungsgebietes), von denen die motorischen Fasern durch die peripheren Nerven direkt bis zur Muskulatur laufen. Auf ihrem Wege durchs Neuropil geben sie Verzweigungen ab, die sich mit denen der rezeptorischen Fasern und der Kommissurelemente vermischen. Mehr läßt sich an den meisten Präparaten besonders mit den bei diesen Untersuchungen in der Regel angewandten mittleren Vergrößerungen nicht feststellen. Auf die Frage, ob und wie diese Zweige miteinander in Verbindung stehen, erhalten wir keine Antwort. Sie hätte nach dem bisher Besprochenen offen bleiben müssen und nicht nach be- stimmter Richtung entschieden werden dürfen, denn derartige Prä- parate lassen bei unbefangener Betrachtung nicht den Schluß zu, daß die Fasern da ihr Ende erreichen, wo die Färbung aufhört.

Sehr häufig sind nur einzelne Ganglienzellen mit dem Stamm- fortsatz gefärbt. Ist es da zu Ende? Nein! denn in andern Fällen sieht man in Verbindung mit ihr die Hauptfaser mit einigen größeren Seitenzweigen. Aber auch da ist nicht das Ende, denn in wieder

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 33

e

andern Präparaten teilen sich diese Zweige noch weiter und sind mit kleinen Höckern besetzt. Da hier der Abbruch der Färbung gewöhnlich sehr scharf ist, so haben die meisten Beobachter hier das Ende an- genommen; die weiteren Fortsetzungen, die besonders in Methylenblau- präparaten häufig noch vorhanden sind, sind den meisten entgangen, weil sie, wenn auch gleich dunkel gefärbt, bei ihrer viel größeren. Feinheit viel stärkerer Vergrößerungen bedürfen, um gesehen und ver- folgt zu werden. Der einzige, der vor der großen Publikation Apathys (1897) auf diese feinsten Fäserchen öffentlich aufmerksam gemacht und sie abgebildet hat, war Biedermann (1891). Er hat auch bereits beobachtet, daß das Innere mancher diekeren Fasern von solehen Fäserchen erfüllt ist, und entwickelt andeutungsweise Vor- stellungen, die denen Apathys nicht allzufern liegen. Jedenfalls sind also die zentralen Verzweigungen dort noch nicht zu Ende, wo ihr Ende im allgemeinen angenommen wird. Es treten Elemente, die sie bis dahin in sich eingeschlossen hatten, aus ihnen heraus (Fig. 11 und 12) und es ist die Aufgabe, das weitere Schicksal dieser Fäserchen, der Neurofibrillen, festzustellen und ihr Verhalten innerhalb der Fasern und Zellen zu untersuchen.

Der Verlauf der Neurofibrillen in den Nervenfasern.

Am schärfsten und deutlichsten treten die Neurofibrillen in den Fasern (wie in den Zellen) bei der Apäthyschen Goldmethode, der Färbung mit Hämatein Ia und meiner Molybdänmethode hervor. Hier sieht man auf Längs- und Querschnitten, wie die nach außen von der Gliascheide umhüllten Nervenfasern aus einer gleichmäßig homogenen Masse bestehen, der Perifibrillärsubstanz, in die die Fibrillen als scharf konturierte Individuen eingebettet sind. Man überzeugt sich am besten an diesen Präparaten, daß sie von den Gliafasern ganz verschieden sind, daß sie nie aus den Nervenfasern austreten, solange sie in Nerven oder Kommissuren verlaufen, daß sie ihre Individualität be- wahren und nur dort ein Ende haben, wo sie durch das Messer ab- geschnitten sind (Fig. 2, S. 17); um sich aber über den Verlauf der Fibrillen in den zentralen Verzweigungen ein Bild zu verschaffen, sind Methylenblaupräparate entschieden geeigneter. An den gewöhnlichen Methylenblaupräparaten sieht man im allgemeinen sehr wenig oder gar nichts von den Fibrillen. Wenn man aber die gefärbten Objekte in der von Apathy (1892) angegebenen Weise differenziert, oder meine Fixation benutzt, so treten die Fibrillen oft recht schön zu Tage. Nie sind sie so deutlich, wie in den nach den anderen Methoden hergestellten Präparaten, dafür hat man aber den Vorteil, ganze Ganglien unter das Mikroskop bringen zu können, während dort Schnitte nötig sind,

Bethe, Nervensystem. 3

34 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

so daß immer nur kurze Abschnitte einer Bahn zur Darstellung ge- langen. Außerdem: bei der Goldmethode und der Molybdänmethode ist die Darstellung der Fibrillen, wenn sie überhaupt gelingt, meist eine ziemlich vollständige; daher tritt die Zusammengehörigkeit der zu einer Faser gehörigen Fibrillen nur selten deutlich hervor. Da- . gegen teilen die Methylenblau-Fibrillenpräparate die Eigentümlichkeit gewöhnlicher Methylenblaupräparate, daß nur einige wenige Elemente gefärbt sind, so daß ihre Verfolgung auf weite Strecken möglich ist. Die Perifibrillärsubstanz ist in ihnen nur schwach gefärbt, so daß sie zwar noch deutlich sichtbar ist, aber die in ihr enthaltenen Fibrillen klar hervortreten läßt. Weniger günstig scheinen mir solche Präparate zu sein, bei denen die Differenzierung soweit gegangen ist, daß die Fibrillen allein zu sehen sind, weil hier ihre Beziehungen zur Peri- fibrillärsubstanz nicht zu erkennen sind.

Fig. 12 stellt einen Teil eines motorischen Elements aus dem Gehirn von Carcinus nach einem Methylenblaupräparat dar. Innerhalb der Faser und ihrer Verzweigungen sieht man eine große Anzahl diekerer und dünnerer Fibrillen, deren Verfolgung zum Teil auf weite Strecken möglich ist. Dort, wo sich Fibrillen in die Tiefe senken, sind sie als dunklere Punkte im Querschnitt angedeutet, wie sie sich auch in den Präparaten in gleicher Weise markieren. An einzelnen Stellen buchtet sich nun die Perifibrillarsubstanz vor (v), und hier sieht man stets eine Fibrille austreten, um nackt, d. h. ohne Perifibrillärsubstanz, weiter zu laufen und sich eventuell zu verzweigen. Ein Austreten von Fi- brillen aus der eigentlichen Faser, soweit sie bisher von den meisten Autoren beobachtet sind, ist auch aufs deutlichste an Fig. 11 (Hirudo) zu sehen, nur daß hier die Fibrillen innerhalb der Faser nur mangel- haft differenziert sind.

Die zentralen Verzweigungen eines gleichartigen Elements (eben- falls vom Blutegel) sind in Fig. 13 abgebildet. In dem zu Grunde liegenden Präparat sind die Fibrillen innerhalb der Faser deutlich zu sehen, während die aus ihren plasmatischen Grenzen austretenden freien Neurofibrillen nur an wenigen, mit einem © bezeichneten Stellen sichtbar sind. Die Mehrzahl scheint am Ende der kolbigen Ver- diekungen, welche die meisten Autoren als die Enden ansahen, scharf abgeschnitten. Innerhalb der Faser selber bemerkt man außer einer großen Anzahl sehr feiner Fibrillen, deren individuelle Verfolgung nur auf kurze Strecken möglich ist, zwei dickere, die sich in die beiden Hauptäste begeben und sich bei deren Teilungen ebenfalls teilen, um sich schließlich in eine Anzahl feinster Fibrillen aufzulösen. Die linke Fibrille ist in der Faser, soweit sie gezeichnet ist, auf die Länge von 200 u zu verfolgen. In dem nicht mitgezeichneten peripheren Teil der Faser konnte sie noch um weitere 300 .. verfolgt werden, im

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 35

ganzen also auf eine Strecke von 500 «! Wenn man die Abbildung (bei normaler Sehschärfe) aus der Entfernung von 2—3 m betrachtet, so verschwinden die Fibrillen und man erhält den Eindruck, welcher durch die gewöhnlich angewandten Vergrößerungen vermittelt wird und bei dem einem dort ein Ende zu sein scheint, wo keins ist.

Die Untersuchung der peripheren Nervenstämme bei Hirudineen, welche von Apathy in ausführlichster Weise ausgeführt ist, führt zu dem Resultat, daß das Fibrillenbild nicht in allen Fasern das gleiche ist. In manchen Faserquerschnitten (Fig. 2 C, S. 17) bemerkt man eine große Zahl feinster Fibrillen, während in andern nur eine einzige

Ze ipnhere Furser

Fig. 12. Teil der zentralen Verzweigung eines motorischen Elements von Careinus. Differenzierung

der Neurofibrillen in einem Methylenblaupräparat. Eine große Anzahl von Fibrillen biegt direkt

aus den Seitenästen in die peripher verlaufende Nervenfaser ein, ohne in den Stammfortsatz der

Ganglienzelle (St) einzutreten. (Man hat sich die beiden Schnitte so aufeinander gelegt zu denken, daß die + und * sich deeken.) (Bethe, 1898.)

viel diekere vorhanden ist. Die Verfolgung der Nervenfasern in die kleineren Nervenstämme hinein (auf Schnittserien) zeigt nun, dab sich die dünneren Fasern (s) mit den feinen Fibrillen bis zur Peri- pherie begeben, um sich hier zu teilen und mit den unter der Haut gelegenen Rezeptionszellen in direkte Verbindung zu treten (sensorische Bündel Apäthys). Im Gegensatz dazu begeben sich die Fasern, welche nur eine starke Fibrille enthalten, zur Muskulatur. Es lassen sich also hier die motorischen und rezeptorischen Fasern im Fibrillenbild unterscheiden. Die dieken Nervenfasern (S in Fig. 2, ©) mit den vielen dünnen Fibrillen, welehe Apäthy sensorische Schläuche nennt, scheinen auch rezeptorischer Natur zu sein. Sie scheinen aber an der Peri- pherie nicht mit Rezeptionszellen in Verbindung zu stehen, sondern 3*

36 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

sich aus feinen Fibrillen zu sammeln (Ruffini und Apatlıy, 1900), also überhaupt keine Verbindung mit Ganglienzellen zu haben.

Nach meinen eignen Untersuchungen an Hirudo kann ich diese Befunde durchaus bestätigen, wenn ich auch einige wenige Mal in sensorischen Schläuchen und sensorischen Bündeln sehr dieke Neuro-

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Fig. 13. Zentrale Verzweigung eines sensorischen Schlauchs von Hirudo nach einem Methylenblau-

präparat. Die Fibrillen treten innerhalb der nur schwach gefärbten Perifibrillärsubstanz deutlich

hervor; die zwei dicken Fibrillen teilen sich wiederholt und sind sehr weit zu verfolgen. Bei + treten Fibrillen aus der Faser ins Neuropil aus.

fibrillen gefunden habe (Fig. 13). In den Kommissuren findet man nun auch vorwiegend Fasern vom motorischen Typus Apäthys, jedoch handelt es sich nach meiner Meinung hier in den allermeisten Fällen nicht um motorische Fasern, die etwa von einem Ganglion zum andern gingen, um sich erst von hier aus zu Muskeln zu begeben, sondern um Fasern von Kommissurelementen, welche zunächst mit motorischer

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Funktion nieht mehr zu tun haben, als etwa sensible Fasern. Immer- hin ist die Unterscheidung von motorischen und rezeptorischen (sen- sorischen) Neurofibrillen bei Hirudo von großem Wert für die Be- urteilung von Präparaten, in denen nur Fibrillen gefärbt sind, denn man kann eine Fibrille, die man von einem peripheren Nerven herkommen sieht, mit ziemlicher Sicherheit als wirklich motorisch, d. h. peripher zu einem Muskel gehend, ansehen, wenn sie diek ist und solitär verläuft.

Bei andern Klassen der Evertebraten scheint ein scharfer Unter- schied zwischen motorischen und rezeptorischen Neurofibrillen nicht zu existieren. So habe ich ihn wenigstens bei Crustaceen nicht auf- finden können (1898). Ich fand dort in rezeptorischen Nerven neben Fasern mit vielen dünnen Fibrillen andre mit nur einer einzigen starken, ebenso in motorischen Fasern häufig ein Bündel feiner Fibrillen. Nach den Untersuchungen von Götz (1899, 1900) entstehen bei den Crustaceen die dieken Fibrillen durch Verklebung vieler feiner, eine Ansicht, die ich selbst von vornherein für sehr wahrscheinlich gehalten habe. Wir hätten also bei diesen Tieren nur eine Art von Fibrillen: Motorische wie sensible Fasern enthalten nur dünne Fibrillen, grade wie bei den höheren Wirbeltieren.

Wie wir oben gesehen haben, stehen die motorischen Nervenfasern in den Ganglien in der Regel mit je einer Ganglienzelle in Verbindung. An Methylenblaupräparaten von Hirudo, in denen die Fibrillen differen- ziert sind, kann man nun manchmal mit Deutlichkeit erkennen, daß sich zu der einen dieken Neurofibrille, welche wir in den peripheren motorischen Fasern gefunden haben, innerhalb des Ganglions und zwar auf dem Wege der Seitenfortsätze andre dünnere Fibrillen gesellen, welche die dieke Fibrille in die Mitte nehmen und so der Ganglien- zelle dureh deren Stammfortsatz zuziehen. Wie bei den rezeptorischen Fasern brechen die Seitenzweige der motorischen Fasern nach einigen Teilungen (soweit sie aus Perifibrillärsubstanz bestehen) meist ziemlich unvermittelt ab und nur die Fibrillen treten ins Neuropil über. (Ähnlich wie es oben für ein motorisches Element von Careinus beschrieben ist [Fig. 12].) Auch an spezifischen Fibrillenpräparaten (Gold- oder Molybdänmethode) sind diese Verhältnisse bei Hirudo gut zu erkennen, weil die dieke motorische Fibrille einen zuverlässigen Führer abgibt. Bei Crustaceen (Careinus, Astacus) sind zur klaren Erkenntnis Me- thylenblaupräparate nötig, weil, wie erwähnt, die motorischen Nerven- fasern aus vielen dünnen Fibrillen bestehen, die auf Schnittserien eine sichere Verfolgung und Diagnose nicht zulassen. Hier liegen nun die Ver- hältnisse insoweit anders, als nicht alle Fibrillen durch den Stammfort- satz der Ganglienzelle zuziehen, sondern nur ein kleiner Teil (Fig. 12).

Wir haben also die Neurofibrillen in den motorischen und rezep- torischen Fasern verfolgt von der Peripherie (Muskeln und Rezeptions-

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zellen) bis ins Ganglion und wir haben gesehen: 1. daß bei der Verzweigung der rezeptorischen Fasern Neurofibrillen aus den Fasern austreten, 2. daß im Ganglion in die motorischen Elemente auf dem Wege der Seitenfortsätze Fibrillen eintreten (resp. aus ihnen austreten), welche alle (Hirudo) oder zum Teil (Careinus) mit der (oder einem Teil der) in der peripheren motorischen Faser verlaufenden Fibrille sich zur Ganglienzelle begeben. Es bleibt also noch zu er- örtern, wie sich die Fibrillen in den Ganglienzellen und bei ihrem freien Verlauf im Neuropil verhalten.

Die Neurofibrillen in den zentralen Gangelienzellen.

Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß in allen bisher von Apäthıy und mir untersuchten Ganglienzellen wirbelloser Tiere die Neurofibrillen untereinander Verbindungen eingehen, daß sie echte Gitter oder Netze bilden. (Gitter oder Netz soll bedeuten, daß die Fäden wirkliche Anastomosen miteinander eingehen, miteinander verschmelzen. Die uns unter beiden Namen von der Textil- und Metallindustrie gebotenen Produkte weisen ein solches Verhalten in der Regel nicht auf. Bei ihnen sind die einzelnen Fäden resp. Drähte oder Stangen nur durch- einander geflochten; sie bewahren, wenn es sich nieht grade um ge- schweißte Gitter handelt, vollkommen ihre Individualität. Es fehlt eben in der Technik das, was wir in tierischen und pflanzlichen Geweben häufig vor uns haben: Netze mit substantieller Verschmelzung der Fäden. Somit fehlt auch in der Sprache ein Ausdruck für der- artige Gebilde, und wir müssen als Notbehelf uns des Wortes Netz oder Gitter bedienen, womit hier also immer ein wirkliches Anasto- mosenwerk gemeint sein soll. Schon auf den ersten Bliek unter- scheiden sich die Gitter und Netze der Technik, die aus einzelnen Stangen oder Fäden hergestellt sind, von unseren. Bei jenen über- kreuzen sich die Fäden an den Maschenecken, d. h. es treffen immer vier Fäden in emem Punkt zusammen, während hier keine Kreuzungen vorliegen, sondern immer drei Fäden in einem Punkt konfluieren. Nur die y-förmigen Knotenpunkte berechtigen zur Annahme anastomo- sierender Netze; die x-förmigen sind dubiös.)

Die Anordnung dieser Gitter in den Ganglienzellen ist verschieden; bald sind sie an ganz bestimmten Stellen in den Zellen lokalisiert, bald durchziehen sie gleichförmig die ganze Zelle. Am besten bekannt sind durch die Untersuchungen Apäthys, die ich in allen Punkten durchaus bestätigen konnte, die Ganglienzellen der motorischen Ele- mente von Hirudo. Wir haben die Fibrillen in diesen Elementen bis zur Ganglienzelle schon kennen gelernt und gesehen, dab im Stamm- fortsatz eine dieke (periphere) und viele dünne (dem Neuropil ent- stammende) Fibrillen der Ganglienzelle zuziehen. In der Zelle behalten

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 39

die dünnen Fibrillen ihre periphere Lage bei, sie legen sich ziemlich dicht der inneren Grenze der Zelle an. Die dieke Fibrille, welche immer am leichtesten zur Beobachtung gelangt, tritt ziemlich dieht an den Kern heran, teilt sich hier in mehrere Äste, welche den Kern korbartig umschließen und untereinander durch Seitenzweige in Ver- bindung treten, so daß wir ein in sich geschlossenes Netz vor uns sehen (Fig. 3, S. 18, Fig. 14, a und 5b). Die dünnen Fibrillen teilen sich gleichfalls und gehen untereinander Anastomosen ein, dieht unter der Zelloberfläche ein äußeres Gitter bildend. Zwischen beiden Gittern liegt ein breiter Raum, welcher von feinen radiären Fibrillen durchzogen wird, die peripher mit dem Außengitter, zentral mit dem Innengitter in Verbindung stehen (Fig. 3 und Fig. 14). Diese Bilder,

Fig. 14. Drei Ganglienzellen von Hirudo. Die Fibrillen sind nach der Betheschen Molybdänmethode

gefärbt. Links zwei Zellen vom motorischen Typus Apäthys mit feinem Außengitter und diekerem

Innengitter, von welchem eine dicke Fibrille in den Stammfortsatz hineinzieht. Rechts eine Zelle

vom sensorischen Typus Apäthys. Die beiden ersten Zellen sind fast ohne Benutzung der Mikro-

meterschraube gezeichnet. Die rechte Zelle wurde bei drei verschiedenen Einstellungen gezeichnet und das definitive Bild aus diesen kombiniert.

welche Apäthy und ich in vielen Exemplaren gesehen haben, sind so eindeutig, daß an der Richtigkeit und Allgemeinheit dieser Struktur nicht im mindesten gezweifelt werden kann. (Auch Simon [1896] hat an Methylenblaupräparaten nach Fixierung mit molybdänsaurem Am- monium Teile des zentralen Gitters gesehen.)

Eine andre Anordnung der Neurofibrillen findet sich in den sroßen Ganglienzellen von Hirudo, welche wohl zu. Kommissur- elementen gehören. In ihrem inneren und ihrem Stammfortsatz findet man nur dünne Fibrillen, welche die Zellen selber in hauptsächlich meridionaler Richtung durehziehen (Apäthy). Sie durchsetzen aber auch das ganze Plasma und treten durch viele Seitenfibrillen miteinander in netzige Verbindung (Fig. 14 c). Auch bei den multipolaren Ganglien- zellen, wie sie z. B. beim Regenwurm vorkommen, wird der ganze

40 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

Zellleib von Fibrillen durchsetzt, ohne daß sich eine bestimmte An- ordnung erkennen ließe (Apäthy, siehe Fig. 9 ce, S. 29). Auch die Gan- slienzellen der Crustaceen, bei denen die Darstellung der Fibrillen einige Schwierigkeiten bereitet, zeigen ein ziemlich gleichmäßiges Netz (Bethe 1897, Götz 1900). Danach scheint mir die Trennung in ein äußeres und inneres Gitter, wie es in den motorischen Zellen von Hirudo oft so schön zum Ausdruck kommt, nur von lokaler Bedeutung zu sein. (Bei einigen Exemplaren von Hirudo, die ich untersuchte, war die Trennung wenig deutlich und fehlte in manchen Zellen ganz. Auch habe ich zweimal beobachtet, daß an der Teilungsstelle des Stamm- fortsatzes also ganz außerhalb der Zelle ein zweites deutliches

B.

Fig. 15. 4 Rezeptionszelle von Hirudo nach Apaäthy (1897, Taf. 29, Fig. 6). (€ Cuticularsaum. In

der Zelle ein kleines Gitter um den Kern herum. Von da aus geht eine Fibrille zum Zentrum, eine

andre zieht ins Epithel und verzweigt sich dort. B Verzweigung der Neurofibrillen in einer

Muskelfaser der Darmwand von Pontobdella nach Apäthy (1897, Taf. 32, Fig. 3). m.F' motorische Fibrille außerhalb der Muskelfaser, (# Grenzen der Muskelfaser.

Gitter vorhanden war. Über andre Vertreter wirbelloser Tiere liegen die ausführlichen Mitteilungen Apäthys noch nicht vor. Über die Fibrillen in den Ganglienzellen von Mollusken hat Bochenek [1901] einige Angaben gemacht.)

Ich schließe hier einige Worte über das Verhalten der Neuro- fibrillen in den Rezeptionszellen und den Muskelfasern an, über das ich eigene Erfahrungen nur insoweit besitze, als ich Präparate, die Professor Apäthy die Güte hatte, mir leihweise zu überlassen, genau durchstudiert und mit seinen Abbildungen verglichen habe. Wie schon erwähnt, teilen sich die von vielen dünnen Neurofibrillen erfüllten, rezeptorischen Fasern (sensorischen Bündel) an der Körperperipherie, wo dann die einzelnen Ästehen, die nur noch je eine Fibrille enthalten, mit einer subepithelialen Sinneszelle (Rezeptionszelle) in direkte Verbindung

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 41

treten. In diesen bipolaren Zellen teilt sich die Fibrille in mehrere Äste, die untereinander Anastomosen eingehen (Fig. 154) und sich jenseits des Kernes wieder vereinigen, um als einheitliche Fibrille zwischen die Epithelzellen zu ziehen. Hier teilt sich die Fibrille von neuem und die Ästehen sollen nach Apäthys Auffassung mit denen der Fibrillen benachbarter Rezeptionszellen zu einem subkutikularen Fibrillennetz zusammentreten, doch drückt sich Apäthy selber über diesen Punkt noch recht vorsichtig aus. (In den sogenannten Augen der Hirudineen liegen sehr große Rezeptionszellen. Diese enthalten ziem- lich dieht unter der Oberfläche ein sehr engmaschiges Fibrillengitter, das sich zu einer dieken zentralwärts ziehenden Fibrille vereinigt.) Von Balint (1899) wurde bei den subepithelialen Rezeptionszellen der Biene ein ganz identisches Verhalten der Neurofibrille nachgewiesen, nur daß hier die peripheriewärts austretende Fibrille sich ungeteilt in das zugehörige Rezeptionshaar hineinbegibt.

Eine gute Differenzierung der Neurofibrillen innerhalb der Muskel- fasern ist Apäthy hauptsächlich bei Ascaris und in der Darmwand von Pontobdella gelungen. Von der motorischen Nervenfaser endet an der Muskelfaser nur die Perifibrillärsubstanz. Die in ihr enthaltene dicke Fibrille aber dringt in die Muskelfaser ein, teilt sich hier in viele Äste, welche zwischen den Muskelfibrillen die Faser in der Längsriehtung durchziehen und manchmal auch wieder austreten. Die Neurofibrillen treten also bei diesen Tieren sicher mit der kontraktilen Substanz in direkte Berührung! (Fig. 15 2).

Verbindungen zwischen rezeptorischen und motorischen Fibrillenbahnen.

Nachdem wir den Verlauf der Neurofibrillen innerhalb der Gan- slienzellen und der mit ihnen in direktem und leicht sichtbarem Zu- sammenhang stehenden plasmatischen Fasern kennen gelemt haben, wenden wir uns der Frage zu, wie die Fibrillen der motorischen und rezeptorischen Elemente miteinander in Verbindung treten und ob ein solcher Zusammenhang überhaupt angenommen werden muß. Wie oben gezeigt wurde, treten aus den rezeptorischen wie aus den moto- rischen Fasern innerhalb der zentralen Fasermasse der Ganglien, dem Neuropil, Fibrillen heraus. Sie verlassen die plasmatische Substanz, die sie bis dahin mit andern Fibrillen vereint hat und ziehen frei weiter. Apäthy ist es hauptsächlich an Methylenblaupräparaten ge- lungen, diese ausgetretenen Fibrillen, die meist sehr dünn sind, auf weite Streeken zu verfolgen. Dabei konnte er feststellen, daß sie sich teilen und sich mit andern gleichartigen Fibrillen in drei- schenkeligen Knotenpunkten vereinigen und ein Gitter bilden, ganz

42 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

ähnlich, wie wir es mit so großer Deutlichkeit in den Ganglienzellen vor uns haben, nur daß es sich im Neuropil immer dreidimensional ausdehnt. Auf seinen Abbildungen hat er dies Gitter, das er als „diffuses Elementargitter‘‘ bezeichnet, verschiedentlich eingetragen oder wenigstens Teile davon abgebildet. Trotzdem begegnet man häufig der Ansicht, daß das Elementargitter nur in der Phantasie Apathys bestände. Es muß zugegeben werden, daß die betreffenden Abbildungen Apathys für jemanden, der die Verhältnisse nicht kennt, nichts absolut Überzeugendes an sich haben; die Schuld daran trägt aber nicht eine etwaige Undeutlichkeit der zu Grunde liegenden Präparate, sondern ganz offenbar die zeichnerische Schwierigkeit mehrere Ebenen des Präparats auf der Ebene des Papiers zu vereinigen und dann vor allem die Art der Reproduktion, bei der die verschiedenen Platten nie so vollkommen zur Deckung kommen, wie es bei so subtilen Linien nötig ist. Apäthy wollte auf den betreffenden Abbildungen nicht nur die Existenz des Elementargitters zeigen, sondern zugleich und vornehmlich darstellen, wie man durch dasselbe hindurch Fibrillen aus rezeptorischen Fasern bis in motorische hinein verfolgen könne. Es ist dies vielleicht eine Aufgabe, die sich technisch kaum lösen läßt, weil die Zeiehnung bei dem fortwährenden Wechsel der Ebene nie das Bild, das man im Mikroskop sieht, wiedergeben kann. Daß eine solche Verfolgung im Präparat bisweilen möglich ist, davon habe ich mich an Methylenblaupräparaten und auch an Molybdänpräparaten einigemal selber überzeugen können. Ich lege aber auf diese Ver- folgung gar keinen so großen Wert, weil bei der Feinheit der Fibrillen Irrtümer nur selten ganz ausgeschlossen sind und es immer nur sehr wenige Mikroskopiker geben wird, die die nötige Übung in der Ver- folgung so feiner Fädehen besitzen.

Um die Frage zu entscheiden, ob im Neuropil Fibrillen ver- schiedener Bahnen miteinander anastomosieren, scheint es mir zu ge- nügen, den Nachweis zu führen, daß überhaupt Netzbildungen von Neurofibrillen in der Zentralfasermasse der Ganglien existieren. Ich füge deswegen hier die Beschreibung einiger Präparatenstellen an, wo ohne Veränderung der Einstellung ein Anastomosieren von Fibrillen direkt zu sehen war. (Alle diese Präparate waren nach meiner Molybdän- Toluidin-Methode hergestellt. Ich muß aber hinzufügen, daß derartige Stellen nicht häufig sind und daß man oft viele Schnitte durchmustern kann, ohne auch nur eine einzige zu finden.)')

1) Inzwischen hat Herr Dr. Prentiss im hiesigen Institut Präparate hergestellt, welche Netze im Neuropil mit außerordentlicher Klarheit und häufig an vielen Stellen zeigen. Manche seiner Netze sind weit ausgedehnter als die hier be- schriebenen, aber nie diffus. Die Arbeit wird im Arch. f. mikrosk. Anat. in allernächster Zeit erscheinen.

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 43

In Fig. 16 © sieht man einen Teil eines „‚sensorischen Schlauches‘“. Aus diesem löst sich eine Fibrille bei x heraus, die sich zu einem deutlichen Fibrillennetz begibt, um sich hier T-förmig zu teilen und mit feinen Fibrillen, die von andern Seiten kommen, in ihm zu kon- fluieren. In der Mitte ist das Netz, wohl infolge der Behandlung, zu einem diekeren Strang verklebt. Nach links (m) löst sich eine etwas stärkere Fibrille aus dem Netz los, welche ihrem Verlauf nach als eine Seitenfibrille eines motorischen Elements aufgefaßt werden kann. Die übrigen sich ablösenden Fibrillen mögen zu andern Netzpartien führen

( z er

Fig. 16. Drei Fibrillennetze aus dem Neuropil von Hirudo (Färbung mittels der Betheschen Molybdän- methode). A und B zwei kleinere Netze, ( ein ausgedehnteres Netz, m weithin zu verfolgende Fibrille. Die Fibrille x kommt aus einem sensorischen Schlauch.

oder auch direkt aus rezeptorischen Fasern stammen. Ähnliche lokale Netzbildungen von Fibrillen, die ihrer Verlaufsrichtung nach sicherlich zu ganz verschiedenen Nervenfasern gehören, sind in Fig. 164, Z ab- gebildet. Eine Erklärung derselben halte ich für unnötig, denn sie sprechen für sich selber und führen von neuem den schon von Apathy gelieferten Beweis, daß Fibrillennetze in der zentralen Fasermasse vorkommen. Ich. habe mehrere Stellen abgebildet, um der Meinung entgegenzutreten, daß es sich um ein seltenes und eventuell patho- logisches Vorkommnis (wie etwa die breiten Anastomosen zwischen Wirbeltierganglienzellen) handelt. Wenn nicht in jedem Präparat solche

44 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

Stellen zu finden sind, so liegt das zum Teil an dem Mangel, der unsern Methoden noch anhaftet, daß nur selten eine vollständige Färbung der feinsten Fibrillen erreicht wird.

Ein diffuses Gitter oder Netz (in der herkömmlichen Bedeutung des Wortes diffus) liegt nach meiner Meinung nicht vor. Die Fibrillen, welche aus den rezeptorischen Fasern austreten, -gehen nicht sofort an der Austrittsstelle in Netzwerk über, wenn auch an der Austritts- stelle solches vorhanden ist, sondern winden sich häufig auf lange Strecken zwischen Fasern, Fibrillen und Netzwerken hindurch, um sich erst dann zu teilen und mit andern Fibrillen netzige Verbindungen einzugehen. Ebenso verhält es sich mit den Seitenfibrillen der moto- rischen Elemente. Auf diese Weise tritt immer nur eine beschränkte Anzahl von Fibrillen in nähere Beziehungen, und es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß solche lokalen Gitterbildungen manchmal ganz isoliert sind oder nur ganz wenige Verbindungen mit benachbarten Gittern eingehen.') Auf irgend einem näheren oder weiteren Wege werden aber wohl schließlich alle Fibrillen eines Ganglions und des gesamten Nervensystems miteinander in Verbindung stehen, wenn nicht allein durch die Gitter der. zentralen Fasermasse dann doch durch diese in Verbindung mit den Gittern der Ganglienzellen. Wenn alles im Zentralorgan diffus miteinander vermischt werden sollte, so wäre es ja auch unverständlich, daß die Nervenfasern, die Fibrillen- kabel, innerhalb der Ganglien oft so weite und komplizierte Wege zurücklegen, anstatt sich gleich beim Eintritt ins Ganglion ihrer Fi- brillen zu entledigen und sie in das Gitter übergehen zu lassen. Wie ich nun persönlicher Mitteilung von Professor Apäthy verdanke, hat er unter dem Ausdruck ‚„diffus‘“ etwas ganz andres verstanden wissen wollen, als was die meisten Leser der gewöhnlichen Bedeutung nach darunter verstanden haben. Ich lasse deshalb im weiteren diesen nur zu Mißverständnissen führenden Ausdruck ganz fallen und spreche nur von dem Fibrillengitter der zentralen Fasermasse (oder des Neuro- pils), im Gegensatz zu dem der Ganglienzellen.

Manche Fibrillen, welche aus sensorischen Bündeln stammen, sehen innerhalb des Neuropils, wie es scheint, überhaupt keine Ver- bindungen mit andern Fibrillen ein. Ich habe wenigstens mehrfach eine einzelne Fibrille direkt aus einem sensorischen Bündel in eine Faser treten sehen, die motorischen Charakter hatte. In andern Fällen sah ich Fibrillen, die aus rezeptorischen Fasern kamen, sich im Neuro- pil in zwei oder mehrere Äste teilen, von denen ich wenigstens einen, einmal auch zwei in unzweifelhafte motorische Fasern oder Fasern

I) Durch die Befunde Prentiss ist diese Ansicht noch wesentlich befestigt worden.

Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 45

von Kommissurelementen hinein verfolgen konnte. Die andern Äste (oder der andre) mögen sich mit andern Fibrillen zu Netzen der Zentralfasermasse verbinden. Ich habe sie meist nieht weit verfolgen können, weil die obere oder untere Grenze des Schnittes erreicht wurde. Derartige direkt aus einer Faser in die andre verlaufende Fibrillen hat auch Apäthy mehrfach gesehen und abgebildet. Ich glaube, daß die Zahl derselben sehr beträchtlich ist und daß, wenig- stens bei Hirudo, mehr Fibrillen nur in den Ganglienzellen sich mit andern Fibrillen verbinden, als im Gitter der zentralen Fasermasse. Bei Careinus glaube ich, zwar mehr aus theoretischen Gründen, als auf Grund direkter Beobachtung, daß die größte Mehrheit aller Fibrillen im Neuropil miteinander in Verbindung steht.

Ein Hauptgrund für mich, eine vollkommene Kontinuität der Fibrillen von der Peripherie durch die Ganglien und wieder bis zur Peripherie anzunehmen, besteht darin, daß man auf den vollkommenst gefärbten Fibrillenpräparaten nie ein Ende einer Fibrille innerhalb der Schnitte der Ganglien zu Gesicht bekommt. Jede Fibrille, die man ins Auge faßt, kann bis zu den Grenzen des Schnittes verfolgt werden, sei es, daß sie ungeteilt bleibt, sich in ihrem Verlauf teilt oder in ein Gitter einer Ganglienzelle oder der Fasermasse übergeht. Nur dort sieht man innerhalb der Schnittgrenzen Fibrillen enden, wo die Färbung nicht ganz geglückt ist; m diesem Fall sieht man sie allmählich blasser werden, bis man sie schließlich wegen vollkommenen Mangels der Färbung nicht mehr verfolgen kann; ein plötzliches Ab- brechen etwa mit einem Knöpfchen oder dergleichen kommt nieht zu Gesicht, man müßte denn die dunklen Punkte, welche sich dort zeigen, wo eine Fibrille nach oben oder unten abbiegt, fälschlich dafür halten, was einem Ungeübten vielleicht passieren Könnte.

Nach alldem wird man nicht umhin können, sich der Ansicht Apäthys anzuschließen, daß die Neurofibrillen als kontinuierliches Element das ganze periphere und zentrale Nervensystem durchziehen und daß sie inner- halb der Ganglien die Lücken überbrücken, welche zwischen den plasmatischen Teilen der nervösen Ele- mente bestehen und zur Aufstellung der Kontiguitäts- lehre Veranlassung gaben.

Des genaueren wird sich dieser kontinuierliche Verlauf etwa folgendermaßen gestalten: Die rezeptorischen Nervenfasern sammeln an der Peripherie die Neurofibrillen, welche den Rezeptionszellen ent- stammen (Fig. 15 4). Im den Fasern laufen die Fibrillen ohne Ver- änderung bis zu den Ganglien. In diesen teilen sich die Fasern und die Fibrillen strömen aus ihnen aus. (Worte wie „strömen“, „gehen“, „laufen“, „eindringen“ u.s. w. sind natürlich bildlich zu verstehen.)

46 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze).

Ein Teil von ihnen geht direkt oder nach vorhergegangener Teilung in die Seitenfortsätze andrer Elemente über. Andre Fibrillen teilen sich mehrfach im Neuropil und anastomosieren miteinander. Aus dem so gebildeten Gitterwerk, das bald lokal oder mehr oder weniger diffus ist, gehen wieder etwas stärkere Fibrillen hervor, die wiederum in plasmatische Fasern (Kabel) von motorischen Elementen oder Kom- missurelementen eintreten. In beiden Faserarten laufen diese Fibrillen der Ganglienzelle zu. In den motorischen Ganglienzellen bilden die vielen auf dem Wege der Seitenfortsätze in die Faser und den Stamm- fortsatz gelangten dünnen Neurofibrillen ein Gitter, aus dem direkt oder auf dem Wege eines zweiten Gitters (Innengitter) die motorische Fibrille hervorgeht. Diese verläßt innerhalb der motorischen Nerven- faser das Ganglion und begibt sich zum Muskel (resp. zur Drüse), um hier in die innervierten Zellen nach Abwerfen des perifibrillären Mantels einzudringen. Die Fibrillen, welche in die Ganglienzellen der Kommissurelemente eindringen, bilden hier gleichfalls ein Gitter, aber aus ihm gehen nur andre feine Fibrillen hervor, die im Stamm- fortsatz zurücklaufen, in andern Zweigen desselben weiterziehen und im selben oder in einem andern Ganglion wieder ins Neuropil aus- treten. Durch diese Elemente werden Teile des Neuropils (und seiner Gitter), die weit voneinander entfernt sind, in nähere Beziehungen ge- setzt. So ungefähr wird sich der Fibrillenverlauf beim Regenwurm und Blutegel gestalten.

Bei Crustaceen (Careinus, Astacus) liegen die Verhältnisse sicher etwas anders. Bei diesen Tieren geht nur ein kleiner Teil aller Neurofibrillen durch die Ganglienzellen, denn, da man bei allen ihren Ganglienzellen nur einen kleinen Teil der in den Zweigen des ganzen „Neuron‘“ vorhandenen Fibrillen in den Stammfortsatz ziehen sieht (Fig. 12), so kann gegen diese Aufstellung nicht eingewandt werden, daß die Fibrillen, welche die eine Zelle meiden, vielleicht eine andre passieren. Da ich nun auch hier, wie beschrieben, gesehen habe, daß die Neurofibrillen in die Nervenfasern eintreten resp. aus ihnen aus- treten, so müssen die Fibrillenübergänge von Faser zu Faser und ihre Vermischung zum größten Teil in der zentralen Fasermasse und ihren Gittern, die ich allerdings bis jetzt nur andeutungsweise zu Gesicht bekommen habe, gelegen sein'). Die Fig. 42, S. 99, gibt ein Bild, wie ich mir nach dem vorliegenden Material den Fibrillenverlauf bei den CUrustaceen vorstellen zu müssen glaube.

1) Prentiss beschreibt in der in Publikation begriffenen Arbeit einige sehr deutliche Gitter im Neuropil von Astacus.

FÜNFTES KAPITEL.

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

Die Neurofibrillen der Nervenfasern S. 47—55 (neuer Beweis für die Unterbrechung der Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen Einschnürungen S. 52—54). Die Fibrillen in den Ganglienzellen S. 56—60. Die Beziehungen zwischen Nerven- fasern und Ganglienzellen und die pericellulären Gitter (Golginetze) S. 61— 78.

Die Formverhältnisse des Nervensystems der Wirbeltiere werden allen Lesern so geläufig sein, daß ich auf dieselben nicht einzugehen brauche. Es wird auch nicht nötig sein, die verschiedenartige Gestalt der Ganglienzellen. und ihrer Ausläufer in den einzelnen Regionen des Nervensystems und bei verschiedenen Gruppen der Vertebraten zu be- schreiben. (Wer sich hierüber noch näher informieren will, wird das Hauptsächliche und Wissenswerte in den gesammelten Werken von Golgi, 1894, der neusten Auflage des Köllikerschen Handbuchs, 1896, und dem Buch von Lenhossek, 1895, finden.) Auf einzelne Verhält- nisse, die noch kontrovers oder neueren Datums sind, wird am ge- eigneten Ort eingegangen werden.

Die Neurofibrillen der Nervenfasern (Achsenzylinder).

Der erste, der in markhaltigen Nervenfasern die Neurofibrillen gesehen hat, war, wie schon erwähnt, Max Schultze. Färberisch dar- gestellt wurden sie hier zuerst von Kupffer. Beiden diente (abgesehen von andern, weniger einwandsfreien Methoden, die Max Schultze an- wandte) die Osmiumsäure als Fixationsmittel. Auch heute noch ist die Vorbehandlung mit Osmiumsäure das beste und beinahe das einzige Mittel, um die Neurofibrillen der Wirbeltiernervenfasern zur Darstellung zu bringen. Es beruht dies, wie Apathy zuerst hervor- zehoben hat, nicht darauf, daß die Osmiumsäure die Fibrillen gut färbbar macht, sondern nur darauf, daß die Osmiumsäure die Schrump- fung der Achsenzylinder verhindert, so daß bei der Färbung die Fi- brillen, welche ihr dichtester Bestandteil sind, am besten hervortreten. Wie ich mit Mönckeberg nachwies, beruht das Nichtschrumpfen der Achsenzylinder bei Osmiumfixierung auf einer gerinnungshemmenden Wirkung der Osmiumsäure. Sie verwandelt das Eiweiß des Achsen- zylinders (wie auch andre Eiweißlösungen) in der Weise, daß auch später der Entwässerungsalkohol u. s. w. keine Gerinnung mehr her- vorruft. Bei allen andren Fixierungen (mit Ausnahme von stark ab- gekühltem Alkohol, siehe weiter unten) schnurrt der Achsenzylinder mitsamt seinen Fibrillen zu einem einheitlichen Strang zusammen, in welchem die Fibrillen so dicht beieinander liegen, daß nach der Färbung

48 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

ihre Auflösung nicht mehr möglich ist. Die Färbung der Fibrillen in den osmierten Nerven ist nach einer ganzen Anzahl von Methoden möglich, die alle an und für sich nichts Spezifisches haben und eine ganze Menge andrer Gewebsbestandteile ebenso intensiv oder intensiver färben können. Da aber die Masse, in die die Fibrillen eingebettet sind, die Perifibrillärsubstanz, nicht oder fast nicht gefärbt wird, so treten die Fibrillen doch sehr deutlich hervor.

Den Raum innerhalb der Markscheiden, welche durch das redu- zierte Osmium mehr oder weniger schwarz gefärbt sind, erfüllt auf solchen Präparaten eine homogen erscheinende, blaß oder gar nicht gefärbte Substanz, die Perifibrillärsubstanz oder das Achsenzylinder- plasma. In dieser erscheinen auf dem Längsschnitt eine große An- zahl feiner, aber durchaus scharf gezeichneter Fibrillen (Fig. 17 a). War der Nerv nicht gespannt, so sind die Fibrillen sehr wellig, ob- gleich der äußere Faserkontur gradlinig verläuft. Nur bei ziemlich stark gespannten Nerven laufen auch die Fibrillen gradlinig und sind nur in diesem Zustand gut zu verfolgen. Man nimmt an solchen Präparaten wahr, daß die Fibrillen durchaus individuell nebeneinander herlaufen, nie Verbindungen innerhalb des Achsenzylinders (solange er ungeteilt ist) untereinander eingehen und nie enden, außer an den Stellen, wo sie, vom Messer durchtrennt, ein künstliches Ende zeigen. Es handelt sich also, wie bei den Evertebraten, um wirkliche Fibrillen- individuen. Soweit es die Grenzen des Schnittes erlauben, kann man die einzelnen Fibrillen auf weite Strecken verfolgen (100—150 u), falls die Nervenfasern nicht allzu dicht mit Fibrillen angefüllt sind, wie dies bei Säugetieren recht häufig der Fall ist (Frosch und Fisch- nerven, Torpedo, scheinen mir die günstigsten Objekte zu sein, weil hier die Fibrillen relativ diek und nicht allzu zahlreich sind). Eine Verfolgung der einzelnen Fibrille auf noch größere Strecken ist des- wegen nicht möglich, weil die Markrohre aufgeschnitten sein müssen, wenn man die Fibrillen deutlich sehen will, und wohl kaum ein Auf- schneiden der Markscheiden auf größere Strecken möglich sein dürfte. Auf dem Querschnitt der Nervenfasern erscheinen die Neurofibrillen als dunkle Punkte innerhalb des schwarzen Markringes (Fig. 17).

Von verschiedenen Seiten ist die Existenz von Fibrillen in den Wirbeltierachsenzylindern in Abrede gestellt worden, und das Bild, das Kupffer u. a. sahen, als Trugbild bezeichnet worden, so besonders von Bütschli (1892) und Held (1895). Beide Autoren sind der Ansicht, daß die Fibrillen weiter nichts sind, als die Längswände von Waben, welche den ganzen Achsenzylinder ausfüllen sollen. (Nach Bütschli sollen dieselben eine natürliche und allgemeine Struktur sein, während sie Held für ein Kunstprodukt hielt.) Als Beweis dafür wurde an- geführt, daß erstens zwischen den Fibrillen quere Verbindungen exi-

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 49

stierten, zweitens aber an den Ranvierschen Einschnürungen die Zahl der „Fibrillen‘“ geringer würde, indem die Größe der Waben sich nicht verringerte. Tatsächlich ist aber beides nur an schlecht fixierten Präparaten zu sehen. Quere Verbindungen existieren im Osmium- präparat nicht, und die Fibrillen durchziehen in der gleichen Anzahl die Ranvierschen Einschnürungen, in der sie in andern Teilen des Achsenzylinders vorhanden sind (Fig. 17a). Auch das Querschnittsbild (Fig. 17 b) läßt gar keinen Zweifel darüber, daß wir es mit echten Fibrillen von drehrunder Gestalt und nicht mit Längswänden von Waben zu tun haben, welche sich im Querschnitt als gelappt dar- stellen müßten. Schließlich sei als Beweis für ihre Existenz ihre Isolierbarkeit angeführt.

Ein Unterschied zwischen den Neurofibrillen der motorischen und sensiblen Nervenfasern besteht wenigstens bei den höheren Wirbel- tieren nicht. Hintere wie vordere Wurzeln enthalten bei Rana, Lepus, Canis und Homo nur Nervenfasern, die sich im Fibrillenbild gar nicht voneinander unterscheiden und in diesen wie in jenen mit denselben dünnen Fibrillen erfüllt sind. Auch dort, wo ich im peripheren Ver- lauf sensible und motorische Fasern untersuchte, konnte ich keine Unterschiede bemerken. Bei Fischen dagegen scheinen Unterschiede vorzukommen, wenigstens beschreibt Apathy, daß bei Lophius nur die hinteren Wurzelfasern nach dem beschriebenen Typus gebaut sind, während die Fasern der vorderen Wurzeln nur eine sehr dieke Fibrille enthalten sollen.

Über die Neurofibrillen der marklosen Fasern des Sympaticus u. s. w. liegen außer den Angaben von Max Schultze fast keine Beobachtungen vor. Ihre färberische Darstellung gelingt weit schwerer, als bei den markhaltigen. Am besten habe ich sie einigemal in Methylenblau- präparaten zu sehen bekommen.

Ein besonderes Interesse beansprucht das Verhalten der Scheiden und der Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen Einschnürungen, weil es als Beweis für die leitende Natur der Neurofibrillen dienen kann (Mönckeberg und Bethe, 1899). Daß die Markscheide an den Ranvierschen Einschnürungen eine Unterbrechung erleidet, ist ohne weiteres an frischen und osmierten Präparaten zu sehen (Ranvier). Schwieriger ist es, zu zeigen, daß auch die Schwannsche Scheide hier eine Unterbrechung erfährt. Zuerst ist dies wohl in einwandsfreier Weise durch Boveri (1885) geschehen. Er zeigte und ich habe dies mit Mönckeberg bestätigt —, daß die Schwannsche Scheide jedes Segments sich an den Einschnürungsstellen am Rande der Markscheide umschlägt und an die Innenseite des Markrohrs sich anlegt, um das- selbe nach Übergang in eine feinere Membran, die Innenscheide, von innen auszukleiden (Fig. 17«). Die äußerste Scheide der Nervenfasern,

3ethe, Nervensystem. 4

50 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

die Fibrillenscheide oder Henlesche Scheide, ist die einzige, welche über die Einschnürungen fortzieht; sie hat aber mit der Nervenfaser kaum noch etwas zu tun. Wenn einige Forscher die Unterbrechung der Schwannschen Scheide leugnen, so kann dies nur darauf beruhen, daß sie sie mit der Fibrillenscheide verwechseln.

An in Osmiumsäure zerzupften Nervenfasern bemerkt man nun, wenn man sie in Wasser beobachtet, daß sich auch zwischen den beiden Achsenzylinderanteilen der aneinander stoßenden Segmente eine scharfe Grenzlinie befindet. Wendet man Fasern von Seefischen (Tor- pedo) an, so bemerkt man beim Übertragen in destilliertes Wasser, wie die feine Linie sich verbreitert und zu einem breiten Bande aufquillt (Fig. 17 ce). Die Fibrillen durchziehen jetzt das Band wie vorher die Linie. Ich habe mich nieht dem Eindruck verschließen können, daß sich hier entweder eine quellungsfähige Platte befindet oder ein Spaltraum, der sich mit Wasser imbibiert und der die Perifibrillärsubstanz (das Achsenzylinderplasma) der beiden aneinander stoßenden Segmente von- einander trennt. Weitere Aufschlüsse über dies Gebilde geben Präparate, welche mit Silbernitrat behandelt sind. An diesen sieht man bekannt- lich an der Stelle der Ranvierschen Schnürringe ein schwarzes Kreuz, das dadurch entsteht, daß sich ein Silberniederschlag zwischen den Umschlagsrändern der Schwannschen Scheide einerseits und zwischen den Anfangsteilen des Achsenzylinders und der Innenscheide andrer- seits bildet. In andern Fällen sieht man aber nur eine schwarze Linie, die nichts mit der Schwannschen Scheide zu tun hat, sondern eine Grenze zwischen den Hohlräumen der aneinander stoßenden Markrohre bildet. Diese Grenzlinien innerhalb des Achsenzylinders hat zuerst Engelmann (1880) gesehen und als richtige Zellgrenzen gedeutet (siehe auch Gedoelst, 1889). Auf Querschnitten bildet sich die Grenzlinie als dünne Scheibe ab, welche wie ein Sieb durchlöchert ist (Fig. 17 d). Durch diese Löcher treten die Fibrillen von einem Segment in das andre über. Solche Siebplatten hat auch Mann färberisch dargestellt, und ich selber habe sie an gebeizten Präparaten nach Alkoholfixierung einigemal gesehen.

Daß hier etwas Besonderes vorliegt, geht auch aus solchen Präpa- raten hervor, die mit schrumpfend wirkenden Fixierungsmitteln be- handelt sind. Ist die Schrumpfung nicht zu stark, z. B. bei Anwen- dung von kaltem Alkohol oder von Silbernitrat, so sieht man die Fibrillen häufig nur innerhalb des freien Raums der Markrohre zu einem dünnen Bündel zusammengeschrumpft, während sie an den Ranvier- schen Einschnürungen ihren natürlichen Abstand bewahren (Fig. 17 e). Manchmal sieht man sogar diesen Teil des Achsenzylinders aus dem Schnürring herausgerissen, ohne daß eine Schnurrung eingetreten ist (Fig. 17 /). Hieraus geht hervor, daß die Fibrillen an den Schnür-

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 51

ringen in ihrer Lage festgehalten werden, daß ein mechanisches Hindernis für das Zusammenschnurren besteht; das ist nur dadureh möglich, daß hier entweder eine durchlöcherte Platte von festerer Konsistenz vorhanden ist, als sie das Achsenzylinderplasma besitzt, oder daß die Perifibrillärsubstanz der aneinander grenzenden Seg- mente unterbrochen ist und so ein Spaltraum mit starker Oberflächen- spannung gebildet wird. Nach alledem glaubte ich mit Mönckeberg annehmen zu sollen, daß die Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen

Fig. 17. «a Längsschnitt einer markhaltigen Nervenfaser mit gefärbten Fibrillen (F'Fibrillenscheide, S Schwannsche Scheide). 5 Querschnitt durch markhaltige Nervenfasern. d Platte einer Ranvierschen Einschnürung, mit Silber geschwärzt. Man sieht die kleinen Poren, durch welche die Fibrillen hindurchtreten (a, b und d vom Frosch). ce osmierte Nervenfasern von Torpedo. Links in Seewasser, rechts nach dem Übertragen in destilliertes Wasser. Bei der rechten Faser ist die Zwischenplatte gequollen. e gesilberte Faser vom Frosch. Der Fibrillenstrang ist außer an der Ranvierschen Ein- schürung zusammengeschrumpft. / geschrumpfte Faser aus einem Alkoholpräparat (Frosch). Die Zwischenplatte ist beim Zupfen aus der Ranvierschen Einschnürung herausgerissen.

Schnürringen eine totale Unterbrechung erfährt und daß nur die Fi- brillen von einem Segment in das andre übergehen.

War dieser Schluß richtig, so war damit ein neuer Beweis für die leitende Funktion der Neurofibrillen gegeben, denn man konnte nicht annehmen, daß die von Segment zu Segment unterbrochene Peri- fibrillärsubstanz der Leitung diene. Aber auch nach einer andern Riehtung hin war uns der Befund interessant: wenn an den Ranvier- schen Schnürringen die Fibrillen in den gegebenen Abständen ge- halten werden, so kann man dieser Einrichtung eine isolatorische

Funktion zuschreiben; sie verhindert, daß die einzelnen Fibrillen mit 4*

52 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

einander in Berührung treten grade so, wie die Porzellanglocken an den Telegraphenleitungen eine Berührung der Drähte verhindern. Inzwischen hat nun Verworn (1900) in seinem für alle konserva- tiven Elemente so hocherfreulichen Referat über die Neuronentheorie die Behauptung aufgestellt, daß durch unsere Versuche der Beweis für

eine Unterbrechung der Perifibrillärsubstanz an den Schnürringen nicht

erbracht sei. Unser Schluß auf substantielle Trennung sei lediglich eine subjektive Deutung, entsprungen aus dem Vorurteil, daß die Fi- brillen das Leitende seien. Merkwürdigerweise führt Verworn von unsern Beweisen nur den Quellungsversuch an, auf den allein wir niemals unsern Schluß gebaut hätten. Demnach scheint er von unseren andern Beweisen noch weniger zu halten. Ich bin noch heute andrer Ansicht und möchte die Voreingenommenheit eher auf der gegnerischen Seite sehen. Verworns Skeptizismus hat mich aber dazu veran- laßt, nach neuen Beweisen für die substantielle Unterbrechung zu suchen, und dabei bin ich zu einem Versuch gelangt, der vielleicht auch Verworn überzeugen wird. Er entsprang der einfachen Über- legung, daß bei wirklichem Abschluß an der Ranvierschen Ein- schnürung keine Perifibrillärsubstanz durch dieselbe hindurehtreten könne, daß also bei Druck auf das Markrohr der ungedrückte Teil desselben nur bis zum nächsten Schnürring anschwellen dürfe.

Man kann diesen Versuch direkt unter dem Mikroskop anstellen, doch wird er in dieser Form nur für geschiektere Menschen ausführ- bar sein: ein Stück aus dem Ischiadieus vom Frosch wird in Blut- serum zerzupft und eine Faser mit schönem Ranvierschen Schnürring aufgesucht. Ich lege nun ein Pferdehaar etwa einen halben Millimeter vom Ring entfernt quer über die Faser und decke über das Ganze vorsichtig ein Deckglas. Die Faser zeigt unter dem Mikroskop (Leitz: Objektiv 5, Okular I) ihr altes Aussehen. Drückt man nun, während man beobachtet, vorsichtig auf das Deckglas, so sieht man die Faser nach dem Schnürring zu anschwellen; am Ring macht aber die Schwellung halt. Liegt das Haar nicht weit vom Ring und ist es relativ diek, so daß es viel Masse verschieben kann, dann kann der diesseitige Faserabschnitt bereits auf den doppelten oder drei- fachen Durchmesser anschwellen, während der jenseits des Ringes ge- legene Teil, auch bei minutenlang anhaltendem Druck, keine Volums- zunahme zeigt. Eine Verringerung der Anschwellung ist auch bei langdauernder Kompression nicht zu konstatieren; der Verschluß am Scehnürring muß also absolut oder nahezu absolut sein. Bei seitlicher Verschiebung des Deckglases unter fortdauerndem Druck gelingt es bisweilen, das Haar zum Rollen zu bringen und dem Schnürring zu nähern. Dabei kann dann die Anschwellung zur Blase vom vier- bis fünffachen Querdurchmesser des jenseitigen Faserteils werden. In

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 53

diesem Zustande platzt die Faser leicht und entleert sich. An welcher Stelle das Platzen eintritt, kann ich nicht sicher angeben.

Sehr viel leichter ist der Versuch in folgender Weise anzustellen: Ein ganzer Ischiadieus vom Frosch wird mit zwei Igelstacheln auf einer glatten Korkplatte aufgespannt und in eine leere Glasschale gelegt. Auf den Nerven hängt man dann einen heiter aus Glas, welcher eine ähnliche Form hat, wie der in Fig. 64 abgebildete Drahtrahmen, nur daß sich an Stelle des Fadens ein querstehendes Kapillarrohr von ein bis anderthalb Millimeter Dieke befindet. Auf die unten am Reiter angebrachte Schale werden nun so lange kleine Gewichte gelegt, bis der Nerv unter dem Röhrehen ganz plattgedrückt ist. So bleibt er eine viertel Stunde, damit sich der Druck aus- gleichen kann (wenn dies überhaupt geschieht!), und dann wird die

Fig. 18. Nervenfasern vom Frosch, welche durch Kompression (auf der linken Seite außerhalb der Zeichnung) deformiert sind. Beschreibung im Text.

Schale mit Osmiumsäure ('/,°/,) gefüllt. Nach 24 Stunden werden die Gewichte abgenommen, der Nerv entwässert, in Paraffin einge- bettet und längs geschnitten.

Die Druckverhältnisse liegen naturgemäß im ganzen Nerven wesentlich anders, als in einer einzelnen Faser. Die Fasern hindern sich gegenseitig an der Ausdehnung, indem das Perineurium einer Ausdehnung aller Fasern einen erheblichen Widerstand entgegensetzt. Würden alle Sehnürringe auf demselben Nervenquerschnitt liegen, so würde an einen wirklichen Erfolg des Versuches kaum zu denken sein, da sie aber ganz verzettelt sind, so bekommt man doch Bilder, die den an einzelnen Fasern gewonnenen sehr ähnlich sind. In der Nähe der Druckstelle ist vor verdrängtem Mark fast nichts zu sehen. Hier sind auch die Fasern an den Schnürringen meist geplatzt, so daß die Ringe kaum aufzufinden sind. Einhalb bis einen Milli- meter von der Druckstelle entfernt findet man dagegen die Fasern fast normal aussehend, nur von sehr unregelmäßigem Kaliber. Faßt man in dieser Gegend einen Schnürring ins Auge, so findet man besonders

54 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

bei den diekeren fast ohne Ausnahme, daß der Achsenzylinderhohlraum nach der Druckstelle zu wesentlich weiter ist, als nach der andern Seite zu. Fig. 18, Aund 2, gibt hiervon eine Vorstellung. Besonders die Faser b (in 4) zeigt eine starke Volumszunahme. Ich glaube nicht, daß der dünnere, auf der andern Seite jedes Schnürringes ge- legene Faserteil seine ursprüngliche Dieke hat, denn sehr häufig sieht man bei weiterer Verfolgung desselben das Volumen ganz allmählich zunehmen. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß die umliegenden, noch unter höherem Druck stehenden Fasern hier jenseits des Schnürringes die Perifibrillärsubstanz weiter fortgeschoben haben, was natürlich zu einer Dickenabnahme führen muß. Für den wechselseitigen Druck, den die Fasern aufeinander ausüben, gibt auch die Faser @ in ihrem Verhältnis zur Faser b eine gute Illustration.

In andern Fällen sieht man die Grenzlinie im Schnürring (die vermutliche Platte) ganz nach der Seite des geringeren Druckes ver- schoben und die Perifibrillärsubstanz aus dem Markraum heraus- gedrückt (Fig. 18 €). Hier sind augenscheinlich die Druckverhält- nisse so, daß der Achsenzylinderhohlraum sich nieht genügend nach den Seiten ausdehnen kann, weil der Druck von den Seitenfasern zu stark ist. Da gibt eher die Schwannsche Scheide und die Innen- scheide nach, als daß die Trennungsplatte zum anstoßenden Markfach hin durchbrochen wird.

Wenn nun auch die Perifibrillärsubstanz gewiß eine zähflüssige Konsistenz hat und daher nicht ganz leicht verschieblich ist, so müßte doch, wenn kein absolutes Hindernis an dieser Stelle vorhanden wäre, ein Durchtritt derselben durch den Schnürring stattfinden, da ja die Verschiebung innerhalb des Markrohrs sehr schnell vor sich geht und zum eventuellen Ausgleich des Druckes durch die Schnürringe hin- durch genügend Zeit gelassen wurde. Ich glaube daher nach diesen Versuchen nochmals und mit noch größerem Nachdruck folgendes be- haupten zu dürfen: An den Ranvierschen Einschnürungen ist die Perifibrillärsubstanz vollkommen unterbrochen. Nur die Neurofibrillen gehen kontinuierlich von einem Markfach aufs andre über. Da dies so ist, können nur die Fibrillen das leitende Element im Nerven sein. (Übrigens scheinen mir diese neuen Versuche doch mehr für eine Platte oder Membran zu sprechen, als für eine bloße Oberflächen- spannung.)

Über das Verhalten der Neurofibrillen an den sogenannten „Nerven- endigungen“ ist bei den Wirbeltieren erst sehr wenig bekannt. Es handelt sich vorläufig eigentlich nur um gelegentliche Beobachtungen. Ruffini (1900) beschrieb, daß an Goldpräparaten von Muskelendplatten feine Fäserchen zur Beobachtung kommen, welche von der Endplatte

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 55

weiterziehen und meist an benachbarte Muskelfasern treten. Dem An- schein nach handelt es sich dabei um Neurofibrillen, und es ist jeden- falls damit der Beweis geliefert, daß auch bei Wirbeltieren (Mensch) die Endplatte noch nicht das letzte Ende der motorischen Fasern ist. Ähn- liche Beobachtungen hat auch schon Gerlach an Froschmuskeln gemacht.

Über die Tastscheiben im Entenschnabel liegt eine schöne Beob- achtung von Szymonoviez (1896) vor. Er fand an Methylenblau- präparaten, daß sich die Neurofibrillen des zutretenden Achsenzylinders in der Platte flächenhaft ausbreiten, sich teilen und zu einem Netz zusammentreten. Es ist dies, soweit ich sehe, der einzige Beweis, daß auch bei den Wirbeltieren die Neurofibrillen zu den Endorganen in spezifische Beziehungen treten. Die Untersuchung bereitet hier noch größere Schwierigkeiten, als bei den Wirbellosen, weil es vor- läufig an einer geeigneten Methode zur Darstellung fehlt. Einiges läßt sich zwar an Methylenblaupräparaten erkennen, aber nur selten, weil die Fibrillen bei den Wirbeltieren in weit höherem Maße als bei den Wirbellosen die Neigung zeigen, bei der Methylenblaufärbung schon vor dem Fixieren zu einem einheitlichen Strang zusammen- zuschnurren.

Die markhaltigen Nervenfasern des zentralen Nervensystems unter- scheiden sich von denen der peripheren Nerven nur dadurch, daß sie der Schwannschen Scheide entbehren. Das Fibrillenbild weist keine Unterschiede auf. Auch hier ist die Fixierung mit Osmiumsäure das einzige Mittel, um mit Sicherheit eine Darstellung der Fibrillen in den Fasern zu erzielen. Da die Osmiumsäure so sehr schlecht in größere Gewebsstücke eindringt, so muß man darauf verzichten, den Verlauf der Fibrillen in den Strängen des Rückenmarks und andern Faser- zügen mit dieser Methode genauer zu verfolgen. Bei der spezifischen Methode zur Darstellung der Neurofibrillen in den Zentralorganen der Wirbeltiere (meiner Molybdänmethode) schnurren die Fibrillen in den Achsenzylindern unter dem Einfluß der zum Fixieren benutzten Sal- petersäure meist zu einem dünnen Strang zusammen, so daß die ein- zelnen Individuen nicht mehr wahrgenommen werden können. Einige- mal habe ich aber Präparate erhalten, in denen der Schrumpfungs- prozeß weniger ausgebildet war, und hier gelang es, auf Längsschnitten durchs Rückenmark zu konstatieren, daß sich am Abgang der Kol- lateralen der rezeptorischen Fasern der Hinterstränge immer je eine Fibrille aus dem Fibrillenbündel der Hauptfaser in die Kollaterale hineinbegibt.

Die Fibrillen in den Ganglienzellen.

Außer Max Schultze, der wahrscheinlicherweise gar nicht die Fi- brillen selber, sondern nur ihr Negativ in den Zellen gesehen hat,

56 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

haben vor mir nur wenige Forscher Andeutungen der Fibrillen in den Ganglienzellen von Wirbeltieren wahrgenommen. Es sind da zu nennen: Flemming, Lugaro, Levy, Cox und Becker.) Keinem dieser Autoren, Becker ausgenommen, gelang es, eine Reindarstellung der Neurofibrillen zu erreichen. Überall waren andre Elemente mit- gefärbt, welche das Bild undeutlich machten (Flemming - Nisslsche Schollen) oder zu Verwechslungen Veranlassung gaben, indem nur ein Teil von den sichtbaren Fibrillen wirkliche Neurofibrillen waren. Die Folge war, daß diesen wenig deutlichen Bildern nicht allzuviel Glauben geschenkt wurde und eine Anzahl von Forschern, so Len- hossek und Cajal, die Existenz von Fibrillen in den Zellen zu leugnen fortfuhren. Die Präparate von Mann, die gleichzeitig mit meinen auf dem Anatomenkongreß in Kiel zum erstenmal öffentlich gezeigt wurden, krankten an allerhand Übelständen. Sie zeigten zwar die Existenz von Fibrillen in den Protoplasmafortsätzen und am Rande der Zellen recht deutlich, vermochten aber kein Bild vom allgemeinen Verlauf der Fibrillen in den Zellen zu geben, weil die Schollen mitgefärbt waren. Ich halte mich infolgedessen im weiteren nur an meine eignen Befunde, die in neuerer Zeit durch eine nach meiner Methode ausgeführte Arbeit von Embden bestätigt und ergänzt sind. °)

Das wichtigste Resultat, das die Untersuchung des Fibrillenver- laufs in den Ganglienzellen der Wirbeltiere ergeben hat, ist wohl das, daß die Fibrillen bei den meisten Zellarten glatt durch den Zell- körper hindurchlaufen, ohne im Inneren miteinander Verbindungen

1) Über Apäthys Befunde bei Wirbeltieren lagen und liegen keine Veröffent- lichungen vor.

2) Von den vielen und berühmten Mikroskopikern, denen ich meine Prä- parate habe zeigen können, haben alle außer einem, den ich nicht nennen will, nicht nur die Existenz der Neurofibrillen in den Ganglienzellen der Wirbeltiere anerkannt, sondern auch mit Leichtigkeit das meiste von dem erkennen können, was ich über den Verlauf derselben in den Zellen und Fortsätzen beschrieben habe. Vor kurzem hat nun Semi Meyer (1902) eine neue Methode zur Darstellung der Neurofibrillen bei Wirbeltieren veröffentlicht und mitgeteilt, daß er an den mit ihr gewonnenen Präparaten nicht hat bestätigen können, daß es Fibrillen gibt, welche durch die Ganglienzellen hindurchziehen und an der Gabelungsstelle von Protoplasmafortsätzen von einem Ast direkt in den andern übergehen. Grade der letztere Befund ist an meinen Präparaten fast überall so deutlich, daß ihn niemand in Zweifel gezogen hat. Ich muß daraus den Schluß ziehen, daß die Meyerschen Präparate nicht annähernd die Deutlichkeit besitzen, welche die meinen zeigen und daß auch die Vergleichspräparate, die er nach meiner Methode hergestellt hat, nicht auf der Höhe der möglichen Vollkommenheit standen. Wenn er also schreibt: Beide Methoden taugen jede für sich nicht viel, so scheint er mir da eine Gleichstellung vorzunehmen, die nicht ganz den Tatsachen ent- sprechen dürfte.

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 57

einzugehen, wie dies bei Wirbellosen in so auffallender Weise ge- schieht (Fig. 19 A, 2 und 2). Die Anzahl von Fibrillen, welche eine Zelle enthält, ist abhängig von der Größe der Zelle: in großen Zellen findet man sehr viele, in kleinen wenige. Die Kompliziert- heit des Fibrillenverlaufs in der Zelle ist auch zum Teil von der Größe der Zellen, dann aber auch von der Anzahl ihrer Fortsätze abhängig. Besonders an Vorderhornzellen tritt dies sehr deutlich zu Tage. Die Vorderhornzellen des Frosches z. B. besitzen in der Hauptsache eine spindelförmige Gestalt. Die beiden Enden spalten sich in wenige dicke Fortsätze, die sich dann weiter teilen; vom Zellkörper selber gehen aber nur wenige dünne Fortsätze und in der Regel der Achsenfortsatz ab. In diesen Zellen ist der Verlauf der sehr zahlreichen Fibrillen recht einfach: sie durchziehen in mehreren Bündeln, die sich schwach verflechten, die Zelle von einem Pol zum andern. Andre Bündel ziehen von den kleinen Seitenfortsätzen des Zellkörpers und vom Achsenfortsatz in die Pole hinein.

Solche in der Hauptsache bipolare Vorderhornzellen kommen auch noch bei Säugetieren vor, sind hier aber verhältnismäßig selten. Wenn man sie aber zu Gesicht bekommt, so findet man auch hier den Fi- brillenverlauf einfach geartet. Die Verflechtungen der einzelnen, durch die Protoplasmafortsätze eintretenden Fibrillenbündel sind zwar stärker ausgeprägt, aber es gelingt doch an solchen Zellen noch relativ leicht, nicht nur die Fibrillenbündel, sondern sogar häufig die einzelnen in ihnen enthaltenen Fibrillenindividuen von einem Fortsatz zum andern zu verfolgen. So wie die Zellen aber sehr viele Fortsätze haben, die direkt vom Zellkörper entspringen, so bereitet die Verfolgung oft große Schwierigkeiten, weil die vielen Bündel stark verflochten sind und häufig jede Fibrille in den inneren Partien der Zelle ihren eignen Weg einschlägt. Dicht an der Zelloberfläche verlaufen auch in diesen Zellen die Fibrillen zu Bündeln angeordnet (Peripheriefibrillen im Gegensatz zu den isolierter verlaufenden Zentralfibrillen) und sind des- halb hier viel leichter zu verfolgen.

Die Fig. 19 4 zeigt eine Vorderhornzelle des Menschen von mitt- lerer Komplikation. Man erkennt an dieser Figur, wie die in den Fortsätzen parallel verlaufenden Fibrillen sich in der Nähe des Zell- körpers mehr und mehr zu einzelnen kleineren Bündeln zusammentun, welche nun durch den Zellkörper hindurch den Weg zu andern Fort- sätzen einschlagen. Natürlich sind eine ganze Anzahl der Bündel oben und unten durch den Schnitt des Messers abgetrennt. Fast jeder Fortsatz steht mit jedem andern durch ein mehr oder weniger starkes Bündel in Verbindung. Ebenso entsendet jeder Protoplasma- fortsatz einige Fibrillen in den Achsenfortsatz 4x. Diese Erscheinung läßt sich fast an allen bisher untersuchten Zelltypen auffinden und

58 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

ist von nahezu gesetzmäßigem Charakter, denn ich habe nur sehr wenige Ausnahmen gesehen, die zum Teil wohl keine wirklichen Ausnahmen waren, sondern auf ungenügende Färbung zurückzuführen sind. Be- sonders auch bei den Pyramidenzellen der Großhirnrinde, welche mit Ausnahme der Riesenpyramidenzellen einen einfachen und gleich- förmigen Fibrillenverlauf zeigen, ist der Austausch der Fibrillen oft sehr deutlich zu sehen (Fig. 19 D).

So wie die Hauptprotoplasmafortsätze Fibrillen untereinander aus- tauschen, so geschieht es auch sehr häufig unter den einzelnen Zweigen, in die sich ein Protoplasmafortsatz teilt. Bald wird die Verbindung durch ganze Bündel, bald nur durch eine einzige Fibrille hergestellt (Fig. 19 ©).

In dieser oder ähnlicher Weise gestaltet sich der Fibrillenverlauf bei fast allen Ganglienzellen des Zentralnervensystems, großen und kleinen. Eine vollständige Ausnahme bilden nur die Spinalganglien- zellen. Die Fibrillen des Stammfortsatzes begeben sich in vielen dünnen Bündeln in den Zellkörper, durehflechten sich hier in reichster Weise und gehen, wenigstens stellenweise, unzweifelhafte Anastomosen miteinander ein, so daß im Inneren der Zellen ein Fibrillengitter zu- stande kommt, wie wir es bei Wirbellosen kennen gelernt haben; ob alle Fibrillen sich an der Gitterbildung beteiligen, kann ich allerdings nieht entscheiden. An der Stelle, wo sich der Stammfortsatz in die periphere Faser und die Faser der hinteren Wurzel teilt, verteilen sich die Fibrillen des Stammfortsatzes auf beide Äste, wie dies zuerst Lugaro gesehen hat. Direkt von Ast zu Ast verlaufende Fibrillen habe ich hier nie wahrgenommen; allerdings war mein Beobachtungs- material nicht groß.

Außer in Spinalganglienzellen habe ich echte Fibrillengitter noch in den Zellen des Lobus eleetrieus von Torpedo (Fig. 20) mit Deut- liehkeit wahrgenommen, auch im Basalteil der Purkinjeschen Zellen und der Zellen des Ammonshorns habe ich Andeutungen von Gittern bemerkt. In diesen Fällen zieht aber sicherlich der allergrößte Teil der Fibrillen, wie bei Vorderhornzellen, Hinterhornzellen u. s. w., glatt durch die Zellen hindurch.

Wie aus den Abbildungen ersichtlich, bleiben innerhalb der Zell- körper und ebenso in den diekeren Protoplasmafortsätzen zwischen den Fibrillen einzelne Felder frei. Diese ungefärbten freien Felder erinnern in ihrer Anordnung an die im Nisslpräparat gefärbten Flem- ming-NissIschen Schollen. Manchmal gelingt es nun, Präparate her- zustellen, in denen die Fibrillen, wenn auch nicht so schön wie sonst, so doch deutlich genug gleichzeitig mit den Nisslschollen zu sehen sind (Fig. 19 2), und an diesen bestätigt es sich, daß die Fibrillen dort laufen, wo im Nisslpräparat die „ungefärbten Bahnen“ zwischen

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 59

den Schollen frei bleiben, ein Postulat, das Nissl schon aufgestellt hat, ehe überhaupt die Existenz von Fibrillen in den Ganglienzellen der Wirbeltiere sichergestellt war.

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Fig. 19. Ganglienzellen, welche mit der Betheschen Molybdänmethode auf Fibrillen gefärbt sind.

A Vorderhornzelle vom Menschen, B Zelle aus dem Facialiskern vom Kaninchen mit gleichzeitiger

Darstellung der Nisslschollen, © Protoplasmafortsatz einer Vorderhornzelle vom Menschen, D zwei Pyramidenzellen vom Menschen. (Bethe, 1900.)

Im Anfangsteil des Achsenzylinders soweit die Zellen über- haupt einen besitzen legen sich die von allen Protoplasmafortsätzen zusammenströmenden Fibrillen sehr dieht aneinander, so daß sie hier nie gesondert gesehen werden können (Fig. 19 4, D). Weiterhin wird

60 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

der Achsenzylinder wieder dieker, und zwar an der Stelle, wo er sich mit der Markscheide umgibt. Von hier an sind denn auch manchmal die einzelnen Fibrillen wieder sichtbar. Ob dies Dünnerwerden des Achsenzylinders ein Kunstprodukt ist, ist noch nicht entschieden; es scheint mir aber wenig wahrscheinlich. Zuerst wurde die Verjüngung von Deiters beobachtet.

Wo die Fibrillen des Achsenzylinders, wenigstens soweit er zur peripheren Faser wird, bleiben, haben wir schon besprochen. Was

Fig. 20. Zelle aus dem Lobus elecetrieus von Torpedo. Molybdänmethode. (Bethe, 1900.)

wird nun aus den Fibrillen der Protoplasmafortsätze und der zentral verlaufenden Achsenzylinder? Woher kommen sie oder wohin gehen sie? Eine direkte Antwort, wie bei den Wirbellosen, geben die Fibrillenpräparate vorläufig auf diese Frage nicht. Die Protoplasmafortsätze teilen sich in feinere Zweige und die Zahl der in ihnen verlaufenden Fibrillen nimmt immer mehr ab. Schließlich enden die Zweige ziemlich unvermittelt mit einer Spitze, bis zu der man die letzten Fibrillen verfolgen kann, aber hier hören auch sie ganz unvermittelt auf, oder sind nicht weiter gefärbt.

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 61 Die Beziehungen zwischen Nervenfasern und Ganglien- zellen und die pericellulären Gitter (Golginetze).

Die anfängliche Idee Golgis, daß die Protoplasmafortsätze nur Öberflächenvergrößerung zum Zweck der Ernährung seien und daß

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Fig. 21. 4 Schematische Darstellung der Verbindung zwischen den Protoplasmafortsätzen der Mitral-

zellen und der Achsenzylinder der Riechepithelzellen in den Glomeruli olfactorii (zum Teil nach

v. Kölliker), B Schematischer Schnitt durch die Kleinhirnrinde (zum Teil nach Edinger), Achsen- zylinderhose um eine Ganglienzelle (unter zu Grundelegung einer Figur von Veratti).

nur den Achsenfortsätzen nervöse Natur zukäme, hat von vornherein wenige Anhänger gefunden und scheint von ihm selber im Laufe der Jahre aufgegeben zu sein. Sie hat gegenüber den schwerwiegenden Bedenken, die hauptsächlich Ramon y Cajal, Kölliker, Lenhossek und

62 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

van Gehuchten gegen sie vorgebracht haben, nicht standhalten können. Von diesen Bedenken mag nur eines Erwähnung finden: Wie Golgi zuerst nachwies, endigen die zentralen Fortsätze der ‚„Riechzellen“ in den Glomeruli olfaetori. In diesen liegen keine Ganglienzellen, aber die Protoplasmafortsätze der Mitralzellen verzweigen sich in reichlicher Weise in ihnen (Golgi). Ramön y Cajal wies dann nach, daß außer diesen Protoplasmafortsätzen keine nervösen Gebilde mit den „Riech- nervenfasern“ in Verbindung treten, so daß also die Weiterleitung des Reizes notwendigerweise durch die Protoplasmafortsätze geschehen muß (Fig. 21 4. In betreff der Literatur siehe Blanes, 1898). Auch an andern Orten, z. B. im molekularen Teil des Ammonshorns und den höchsten Schichten der Großhirnrinde, sehen wir Nervenfasern (Neuriten) sich in Gebieten aufsplittern, wo gar keine Ganglienzellen liegen, so daß sie also nicht in der von Golgi anfangs angenommenen Weise direkt durch Umspinnung auf Ganglienzellen wirken können, sondern nur auf dem Wege der Protoplasmafortsätze (höchstens noch durch Vermittlung andrer Neuriten). Die nervöse, reizleitende Natur der Protoplasmafortsätze wird also kaum zu bezweifeln sein.

Daß die Endarborisationen der Nervenfasern spezielle Beziehungen zu den Körpern der Ganglienzellen eingehen, ist nur von wenigen Orten des Zentralorgans bekannt. Im allgemeinen legen sie sich den Protoplasmafortsätzen in gleichem Maße an, wie den Zellkörpern selbst, indem die Faserzweige entweder senkrecht der Oberfläche zustreben oder eine Strecke weit der Oberfläche (des Zellkörpers oder der Protoplasmafortsätze) parallel laufen, sich dabei noch weiter teilend. Da die Zahl solcher begleitender fremder Achsenzylinderäste in der Regel recht beträchtlich ist, so erscheinen die Zellkörper und die Fort- sätze gleichsam in einer „Achsenzylinderhose“ drinsteckend. ') Diese Hosen sind mit vielen Methoden (Hämatoxylinlacke, Molybdänmethode u. s. w.) leicht zu sehen, mit Hilfe der Golgischen Methode sind sie

1) Ob diese Nervenfasern noch den Namen Achsenzylinder verdienen, d.h. ob sie noch eine Markscheide besitzen, ist zweifelhaft. Manchmal wird es der Fall sein, manchmal nicht. Man sollte also einen indifferenten Ausdruck wählen, im Grunde ist die Frage aber ohne Belang. Ich erwähne dies, weil Nissl in seinem Buch (1903) sagt, wir kennten das Schicksal der freien Fasern nach dem Verlust der Markscheide nicht, weil mit den spezifischen Achsenzylindermethoden nur der umkleidete Achsenzylinder (also der Achsenzylinder sensu strietiore) gefärbt würde. Ich erkenne vollkommen an, daß die Kaplanschen und Beckerschen Achsenzylinderfärbungen sehr interessant und praktisch wertvoll sind, es ist aber klar, daß eine wirkliche Achsenzylinderfärbung an Bedeutung kaum über eine Markscheidenfärbung hinausgehen kann. Daß die nackte Nervenfaser irgend welche besonderen Stoffe enthalten sollte, welche den Ganglienzellen und Protoplasmafortsätzen nicht zukommt, halte ich für unwahrscheinlich. Mir kommt es daher zunächst verfehlt vor, überhaupt nach einer spezifischen Methode zur

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 63

erst verhältnismäßig spät dargestellt worden, weil ja in der Regel nur einige wenige Achsenzylinder zu gleicher Zeit inkrustiert werden (Villa, 1898, S. Ramön y Cajal, 1899, Bethe, 1900, Veratti, 1900, u. a.). (Fig. 21 C). Am deutlichsten, weil am dichtesten, sind die Achsen- zylinderhosen an den Vorderhornzellen des Rückenmarks, im Facialis- kern, im Deitersschen Kern, in den Oliven und im Nucleus dentatus. Sie kommen aber auch an allen andern größeren Zellen vor; nur an ganz kleinen Zellen (kleine Hinterhornzellen, kleinere Rindenzellen) habe ich sie bis jetzt vermißt.

Eine Bevorzugung des Zellkörpers derart, daß er allein oder in der Hauptsache von Nervenfasern eingeschlossen wird, tritt nur an wenigen Stellen hervor. Am bekanntesten und auffallendsten ist hier jedenfalls die Art und Weise, mit der die dieken Nervenfasern des Trapezkörpers allein den Zellkörper becherförmig mit ihren Ästen um- greifen (Held, Kölliker, Semi Meyer, Cajal, Vincenzi). Es ist viel über dieses ganz vereinzelt dastehende Vorkommnis gestritten worden und noch in letzter Zeit hat Veratti (1900) versucht, die Faser als den eignen Achsenfortsatz der Trapezzellen und den Endkelch als eine Hülle derselben hinzustellen. Trotz des schönen Beweismaterials, das Veratti vorbringt, kann ich mich doch nach meinen eignen Unter- suchungen, die ihm bei der Abfassung seiner Arbeit noch nicht be- kannt waren (Bethe, 1900), seiner Ansicht nicht anschließen. Es handelt sich wohl doch um wirkliche fremde Nervenfasern, die hier ganz besondere und noch nicht genügend aufgeklärte Beziehungen eingehen. Neben diesem einen dieken Achsenzylinder, der sich mit seinen Verzweigungen fast nur auf den Zellkörper beschränkt, exi- stieren aber auch bei den Trapezzellen richtige Achsenzylinderhosen, welche Zellkörper und Protoplasmafortsätze in gleicher Weise umgeben (Bethe, Veratti).. (Nach Nissl, 1903, handelt es sich in den dieken

Färbung der Neuriten zu suchen. Das, was der Neurit überall enthält, sind die Neurofibrillen und die kommen in gleicher Weise auch in den Zellen und Proto- plasmafortsätzen vor. Eine wirkliche Neuritenmethode (Nervenfaserfärbung) wird also voraussichtlich immer auch die Fibrillen in den Ganglienzellen und Dendriten mitfärben, wie dies bei der schönen Methode Bielschowskys der Fall ist, sie wird also keine spezifische Achsenzylindermethode sein. Daß wir nun aber doch über das Schicksal der marklos gewordenen Neuriten einiges wissen, scheint mir kaum bezweifelt werden zu können, weil sicher viele von den feinen Fasern, die wir mit der Methylenblau- und Golgischen Methode und noch vielen andern Verfahren sehen, Nervenfasern (Neuriten) ohne Markscheide sind; daß dabei manche Verwechslung mit dünnen Protoplasmafortsätzen vorkommen kann, ist störend, macht aber doch die Erkenntnis der Verhältnisse nicht unmöglich. Im Grunde scheint es mir ganz gleichgültig zu sein, ob eine Nervenfaser eine Mark- scheide hat oder nicht, wenn ich sie nur verfolgen kann; daß aber bei weitem die meisten für Neuriten gehaltenen Fasern auch solche sind, halte ich trotz aller Skepsis für gesichert.

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64 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

Achsenzylindern vielleicht nicht um Achsenfortsätze fremder Zellen, welche hier enden, sondern um das eine Ende intrazentraler Achsen- zylinder d. h. solcher, die überhaupt nicht von Zellen entspringen.) Ein weiteres Beispiel für ein besonderes Verhalten der ,Neuriten“ gegen- über fremden Zellkörpern liefern die Korbzellen und die Purkinjeschen Zellen. Die sogenannten Achsenfortsätze der ersteren geben Seiten- zweige ab, welche sich an der Grenze der Körnerschieht in der Weise verzweigen, daß die Zellkörper der ebendort liegenden Purkinjeschen Zellen korbförmig umfaßt werden (Fig. 21 2). An jedem Korb nehmen Fortsätze von einer ganzen Reihe von Korbzellen teil, und die Körbe benachbarter Zellen gehen oft ineinander über (Cajal u. a.). Nach Kölliker sollen die korbbildenden Fäserchen frei enden. Wir werden weiter unten sehen, daß dies wohl sicher nicht der Fall ist. Hier soll nur noch bemerkt werden, daß die Anhäufung von Nervenfaser- zweigen in diesen Körben wohl schwerlich nur den Zellen zuliebe ge- schieht, denn nur die innerste Lage des aus vielen Faserschichten bestehenden Korbes liegt der Zelle an; die andern können sich mehr als eine Zellbreite von der Zelloberfläche entfernen. Hiermit ist die Zahl der Fälle, in denen in den Zentralorganen besondere lokale Be- ziehungen zwischen Zellkörpern und Achsenzylindern resp. Neuriten bestehen, erschöpft. Jedenfalls genügen sie nicht, um dem Zellkörper irgend einen besonderen Vorrang den Dendriten gegenüber einzu- räumen, denn der Fall des Trapezkerms liegt noch nicht ganz klar und in den Faserkörben steht die Purkinjesche Zelle nicht mit mehr Neuriten- zweigen in Berührung, als irgend eine andre Zelle in ihrer Hose. Bevor die Nervenfaserhosen als allgemein verbreitete Einrichtung erkannt waren, sollten die „Endbäumehen“ der Neuriten hauptsächlich die Zellkörper umgeben, ohne daß dies eigentlich in ausgiebiger Weise beobachtet worden wäre. Die einzelnen Zweigchen sollten bald mit Spitzehen, bald mit Knöpfehen endigen. Seitdem nun in den letzten Jahren gezeigt ist, wie nicht nur die Zelleiber, sondern auch die Den- driten bis an die Spitzen ganz in Nervenfasern '), die sich noch weiter an ihnen verzweigen, eingehüllt sind, ist die Frage, in welcher Weise verschiedene Ganglienzellgebiete miteinander in Verbindung treten, in eine neue Phase getreten, und die Behauptung der achtziger und neun- ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, es existiere überall nur Konti- guität, mußte zum mindesten einer neuen Prüfung unterworfen werden. Es mußte von neuem untersucht werden, ob diese Fasern nur die

I) d.h. nervöse Fasern, die sicher keine Dendriten sind und zum größeren Teil als Neuriten und Neuritenzweige fremder Ganglienzellen angesehen werden dürfen. Ein mehr oder weniger großer Teil dieser Fasern mag überhaupt mit keiner Ganglienzelle in direktem Zusammenhang stehen. Daß es solche Fasern geben muß, hat Nissl (1903) indirekt bewiesen!

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. > . .)

Zelle und die Dendriten umschwärmen und weiter nichts tun, als dicht an ihrer Oberfläche dahinziehen, oder ob sie vielleicht doch mit dem, was sie einschließen, irgend welche näheren Beziehungen eingehen. Andrerseits wurde von neuem die Frage aktuell, ob nicht hier, wo Neuritenzweigchen sich so nahetreten, Anastomosen zwischen verschie- denen Fasern vorhanden sind, wie sie Golgi von Anfang an ange- nommen hat. An einigen Stellen, besonders in den Faserkörben am Grunde der Purkinjeschen Zellen, ist ein solches Anastomosieren ver- schiedener Nervenfäserchen auf Grund von Golgipräparaten mehrfach behauptet worden und mit Hilfe meiner Molybdänmethode unschwer sicherzustellen. An den meisten andern Orten ist nach meiner Auf- fassung dies Anastomosieren kein direktes, sondern geschieht durch Vermittlung eimes histologischen Elementes, das in seinem färberischen Verhalten von dem der Nervenfasern abweicht. Es wird repräsentiert dureh die pericellulären Netze, welche ich mit dem Namen Golginetze belegt habe.

Zuerst wurden diese Netze von Golgi gesehen, aber nur beiläufig erwähnt. Später (1898) hat er sie an der Hand von Präparaten, die nach seiner Methode dargestellt waren, genauer beschrieben und ab- gebildet. Es sind Netze mit polygonalen Maschen, welche sich über die ganze Oberfläche des Ganglienzelleibes und der Protoplasmafort- sätze ausbreiten. Sie legen sich der Oberfläche ganz dieht an und hüllen so die ganze Zelle in einen enganliegenden Mantel. Wegen einer gewissen, wenn auch ziemlich entfernten Ähnlichkeit mit den Netzen, die das Keratingerüst der Markscheiden ausmachen, hielt Golgi dieselben für gleichartig und bezeichnete sie daher als Neuro- keratinhülle der Ganglienzellen. In der Tat ist diese Ähnlichkeit eine ganz äußerliche, denn die Haupteigentümlichkeit des Neurokeratins, die Unverdaulichkeit, besitzen diese Netze nicht, wie man sich leicht an Verdauungspräparaten überzeugen kann.

Der erste, der einen Zusammenhang dieser Netze mit Nerven- fasern (Neuriten, nackten Achsenzylindern) annahm, war Semi Meyer (1897). Er beobachtete mit Hilfe der Methylenblaumethode an ver- schiedenen Stellen des Zentralorgans, daß dünne „Achsenzylinder“ seitlich, häufiger aber an der Spitze der Protoplasmafortsätze an das umgebende Netz herantraten und anscheinend mit demselben ver- schmolzen. Er zog hieraus den Schluß, daß die pericellulären Netze Endausbreitungen von Achsenzylindern seien und daß durch sie ein sehr inniger Kontakt zwischen Achsenzylindern und Zellkörpern her- gestellt würde; es handle sich aber nur um Kontakt, denn die Grenze zwischen Netz und Zellsubstanz sei durchaus scharf.

Kurz darauf erschien eine inhaltsreiche Arbeit von Held (1897), in welcher gleichfalls die Netze als Achsenzylinderausbreitungen an-

3ethe, Nervensystem. 5)

66 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

gesehen werden. Eine genaue Betrachtung von Golgipräparaten aus verschiedenen Gegenden des Nervensystems lehrten ihn, daß unmög- lich alle dünneren Seitenzweige, welche man an den Protoplasmafort- sätzen bei starker Imprägnierung wahrnimmt, wirkliche Zweige sein könnten. Art des Ansatzes (Winkel zum Hauptstamm), Aussehen und Verlauf lassen es vielmehr aufs höchste wahrscheinlich erscheinen, daß es sich gar nicht um Seitenzweigchen der Protoplasmafortsätze, sondern um dünne, fremde „Achsenzylinder‘“ handelt, die sich hier an die Ober- fläche der Protoplasmafortsätze ansetzen. An andern Golgipräparaten gelang es ihm nun, die Golginetze darzustellen und zu sehen, daß unzweifelhafte „Achsenzylinder‘“ in die Netze übergehen und sich in ihnen auflösen. (Einige dieser Präparate, die mir Herr Held gütigst (dlemonstrierte, zeigten dies Verhalten mit großer Deutlichkeit und ich würde sie ohne weiteres für überzeugend halten, wenn bei der Golgi- schen Methode nicht immer die Gefahr vorhanden wäre, daß Dinge, die benachbart sind, miteinander verkleben, ohne in Wirklichkeit in Zusammenhang zu stehen.) Bei Anwendung einer besonderen Methode fand Held nun, daß sich die letzten Enden der Achsenzylinder dureh eine besondere Art von Granulationen auszeichnen, welche er als Neurosomen bezeichnet. Mit solchen Neurosomenhäufchen sah nun Held die Ganglienzellen und Dendriten reichlich besetzt und zog dar- aus den Schluß, daß hier überall Achsenzylinderendigungen an der Oberfläche des Zellkörpers vorlägen. Da aber eine scharfe Grenze zwischen Neurosomenhäufcehen und Zellplasma sich nicht zeigte, so folgerte er, daß es sich nicht um eine bloße Berührung durch die Achsenzylinder handle, sondern um eine Konkreszenz, um Kontinuität.

In ähnlicher Weise sprach sich auch Nissl (1898, nach Besichtigung von mir angefertigter Präparate) für einen Zusammenhang von Golginetz und fremden Nervenfasern aus. Noch ehe ich selber mich zu der Frage geäußert und meine Befunde beschrieben hatte, gab Cajal (1898) eine Kritik der Golginetze, in der er, sich speziell gegen Nissl und mich wendend und gestützt auf Methylenblaupräparate, die Netze für eine periphere Verdichtung eines allgemeinen, die ganze Zelle durchsetzenden protoplasmatischen Netzes erklärte und vor der neuen Lehre als reaktionär warnte. Eine ähnliche Auffassung der Golginetze wurde auf Grund eigner Untersuchungen von Donaggio geäußert.

Es ist wohl kaum zu bestreiten, daß bei dem Golgischen Im- prägnationsverfahren Verklebungen zwischen Elementen vorkommen, die direkt nichts miteinander zu tun haben. Wie oft sie vorkommen und bei welchen Gelegenheiten sie zur Beobachtung von nichtexistie- renden Zusammenhängen Veranlassung geben, darüber kann die Me- thode selber keinen Aufschluß geben, weil sie bei der gleichmäßig schwarzen Schicht, mit der sie die Oberflächen umgibt, eine Erkennung

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 67

der inneren Struktur verhindert. Ich verkenne nicht, daß die Methode in der Hand ihres Meisters und derjenigen seiner Nachfolger, welche sie nicht kritiklos und nur zu dem Zweck, mit leichter Mühe eine sroße Anzahl von Publikationen in die Welt zu setzen, anwandten, die Kenntnis vom Bau des Nervensystems wesentlich gefördert hat, aber es darf nicht verlangt werden, daß man alles das, was sie zeigt, als Evangelium hinnimmt und Zweifel unterdrückt, die berechtigt sind. Zu diesen Zweifeln gehört der, daß nicht alle Fortsätze, welche eine „vollständig“ imprägnierte Zelle zeigt, wirklich auch alle zur Zelle selber gehören. Außer der Methylenblaumethede, die in der Hand von Dogiel und Ramön y Cajal auch im Zentralnervensystem so schöne Resultate gezeitigt hat, besitzen wir noch andre Methoden, welche bei starker Vergrößerung auch die feinsten Fäserchen erkennen lassen, die alte Karminmethode, dann die Heidenhainsche Färbung, meine Mo- Iybdänmethode und andre. Alle diese Methoden lassen auch von der inneren Struktur der Fasern erkennen. Die letztgenannten heben nicht einzelne wenige Elemente in der Färbung hervor, sondern stellen alles dar, was vorhanden ist. Infolgedessen verlangen sie dünnere Schnitte und es springt nicht das, was an ihnen gesehen werden kann, sofort in die Augen, sondern es bedarf des eingehenden Studiums, aber zu sehen ist in ihnen mehr oder weniger alles, was überhaupt vorhanden ist. Was nun in solchen Präparaten vor allem gegenüber „voll- ständigen“ Imprägnationen vermißt wird, ist die große Zahl feinster Seitenzweige an den Protoplasmafortsätzen. (Die Dendriten der Pur- kinjeschen Zellen nehme ich hiervon aus.) Gewiß, sie sind auch hier reichlich geteilt, aber die Teiläste sind stark und die einzelnen Tei- lungen liegen weit auseinander, so wie dies sehr häufig auch an Golgischen Präparaten zu sehen ist und hauptsächlich von Golgi selber abgebildet wurde. Die häufigen, knorrigen Verdiekungen, mit daran- sitzenden viel dünneren Seitenzweigen, die fehlen. Bei unzweifel- haften Dendritenteilungen sind gewöhnlich beide Äste gleich stark; ist der eine dünner, so erleidet der Hauptast doch immer eine Ab- lenkung aus der Richtung des Stammes. Der Winkel zwischen zwei Ästen ist meist groß; weiterhin verlaufen sie wohl nie nahe beieinander und parallel.

Wenn man nun darauf hin Golgipräparate und die vielen in der Literatur zerstreuten Abbildungen von solehen betrachtet, so wird man sehr häufig Fälle finden, in denen eine Anzahl von dendritischen Seitenästen sich dem nicht fügen. (Als Beispiele aus der leicht zu- ‚gänglichen Literatur führe ich hier die Fig. 10 von Lenhossck, 1895, und Fig. 539 u. 737 von Kölliker, 1896, an.) Niemals geht ein wirklicher Seitenast eines Protoplasmafortsatzes in der Weise vom Hauptstamm ab, daß er mit dem proximalen Stammende einen spitzen Winkel bildet,

658 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

anstatt einen stumpfen. Aber auch solche „Seitenäste‘“ sieht man nicht selten in Golgipräparaten an den Dendriten und sie sind auch mehrfach als solche abgebildet (z. B. Kölliker, Fig. 737). Schließlich, in Präparaten, welche die innere Struktur der Fasern erkennen lassen, sieht man die Protoplasmafortsatzäste ziemlich scharf sich zuspitzen und enden. In Golgipräparaten setzt sich aber dem Anschein nach der Ast sehr häufig nach der Zuspitzung noch als dünner Faden fort (z. B. Golgi, 1894, Tafel 6, Fig. 3).

Nach diesen Beobachtungen bin ich wie Held (1897) zu der An- sicht gelangt, daß an solehen Stellen Elemente, die direkt nieht zum betreffenden „Neuron“ gehören, sondern seinen Teilen nur nahe kommen, durch den schwarzen Überzug mit ihm verklebt sind. Es ist nun zu entscheiden, welcher Art diese fremden Elemente sind, die mit den Protoplasmafortsätzen resp. dem Zellkörper verklebt zur Darstellung eelangen. Eine absolut sichere Unterscheidung zwischen Achsen- zylindern und Dendriten läßt die Golgische Methode nicht zu (auch bei andern Methoden ist sie oft schwer und manchmal unmöglieh). Ausgehend von solehen Zellarten, bei denen ein Zweifel darüber, was Achsenfortsatz und was Dendrit ist, nicht existiert (Vorder- hornzellen, Pyramidenzellen, Purkinjesche Zellen), hat man gefunden, daß die Dendriten in der Regel dicker, höckeriger und weniger zylindrisch sind als die Achsenfortsätze. Auch der Modus der Ver- zweigung ist ein verschiedener. So gut diese Unterschiede bei man- chen Zellarten ausgebildet sind, so läßt sich doch in andern Fällen eine sichere Entscheidung nicht treffen. Infolgedessen herrscht bei einigen Zellarten immer noch Unklarheit, welcher Fortsatz als Achsen- fortsatz anzusprechen ist. Ja bei manchen Zellen, z. B. bei den Korb- zellen des Kleinhirns, hat man sich dahin geeinigt, einen Fortsatz als Neuriten zu bezeichnen, der die maßgebenden Charakteristika gar nicht besitzt. (Er ist hier dieht an der Zelle dünn, schwillt dann aber zu einer Dieke an, die kein Dendrit dieser Zellen erreicht und zeigt auch nicht selten im Verlauf knorrige Verdickungen.) So wie es sich um kurz abgeschnittene Fäden handelt, die also nicht auf weitere Strecken geprüft werden können, ist eine Unterscheidung überhaupt unmöglich. Die Entscheidung, ob es sich bei jenen offen- bar fremden, den Protoplasmafortsätzen anhaftenden Elementen um (dünne Achsenzylinder oder dünne Dendritenzweige fremder Zellen handelt, ist also aus den Golgipräparaten nicht ohne weiteres zu treffen. Nach meiner Ansicht kommt beides vor, so daß ich die schon erwähnte Ansicht Helds, es handle sich um fremde Achsenzylinder, nicht in ihrer ganzen Ausdehnung unterschreiben kann.

Ein seitliches Ansitzen von dünnen Achsenzylindern an Proto- plasmafortsätzen hat zuerst Deiters (1865) beobachtet. Seine Angaben

se a ke

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 69

lauten so bestimmt, seine feine Beobachtungsgabe steht so außer allem Zweifel, daß ich an der Richtigkeit seiner Angabe nicht zweifle. Sie setzen sich nach seinen Abbildungen und nach seiner Beschreibung stets mit einem Füßchen an den Dendriten, der keine Änderung in seiner Verlaufsrichtung zeigt, an, wie dies auch in Golgipräparaten zu sehen ist. Von dünnen Dendritenzweigen waren diese Fädehen in ihrem Aussehen durchaus verschieden, und sie glichen ganz dünnen Achsenzylindern. Was aber die Hauptsache ist: es gelang ihm mehr- mals, die Fädchen auf längere Strecken zu verfolgen und zu sehen, daß sie sich nach einer gewissen Strecke mit einem dünnen Mark- mantel umgaben.

In welcher Weise Nervenfaserverästelungen an Zellen und Dendriten seitlich herantreten, ist mehrfach mit Hilfe der Golgischen Methode, besonders schön aber von Cajal (1896) an Methylenblaupräparaten ge-

Fig. 22. Hinterstrangsfasern, welche Kollateralen zu Zellen der Substancia gelatinosa senden nach Ramön y Cajal (1896, S. 166, Methylenblaupräparat).

zeigt worden (Fig. 22). Denkt man sich die Zellen und den einen oder den andern Faserzweig auf kurze Strecken zusammen inkrustiert, so erhält man das Bild, das so häufig in Golgipräparaten zu sehen ist. Daß hier die Nervenfaserenden zu den Zellkörpern und Dendriten in innige Beziehungen treten, liegt auf der Hand. Es bleibt zu unter- suchen, wie weit diese Beziehungen gehen.

Ich komme auf die Golginetze zurück: An meinen Molybdän- präparaten sieht man sie mit einer Schärfe, wie wohl bei keiner andern Methode. Sie finden sich auf der Oberfläche aller Ganglienzellen des Zentralnervensystems; an manchen Stellen dehnen sie sich aber von hier aus durch die ganze graue Substanz mehr oder weniger diffus aus, so in der Großhirnrinde, im Kleinhirn, im Ammonshorn und in der Substantia gelatinosa. An den übrigen Orten, also besonders in den motorischen Kernen, im Nucleus dentatus, den Oliven u. 8. w. bleiben sie zwar auf die Zelloberfläche beschränkt, wo sich aber zwei Zellen oder zwei Dendriten berühren, da geht das Golginetz vom einen

70 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

aufs andre über (Fig. 234. Diese Netzhose umkleidet die ganze Ganglienzelle und begleitet die Dendriten bis zu ihrer äußersten Spitze, wo die Netzmaschen eine langgestreckte Form annehmen (Fig. 23 2). Der Achsenfortsatz der Zelle kann bis dahin, wo die Markscheide be- einnt, von Netz eingehüllt sein, am Anfang der Markscheide hört es aber immer auf, manchmal auch schon früher. Gleichzeitig mit dem Golginetz

Fig. 23. Golginetze gefärbt nach der Molybdänmethode. A um eine Zelle des Nucleus dentatus

vom Hund, B um das Ende eines Protoplasmafortsatzes im Olivenkern, bei a scheinbarer Über-

gang einer Nervenfaser in das Golginetz eines dünnen Protoplasmafortsatzes. Bei b würde das gleiche

Verhalten vorgetäuscht, wenn nicht der gefärbte Faden f in das Golginetz einer andern Zelle über-

ginge. Der dünne Protoplasmafortsatz ist stellenweise so geschrumpft, daß das Golginetz nicht

erkennbar ist. D Übergang von dünnen Nervenfasern in das Golginetz eines Protoplasmafortsatzes. Nach Bethe (1900).

färbt sich manchmal ein andres Netz, das ich Füllnetz genannt habe. Es kann meist leicht vom Golginetz unterschieden werden und zeigt ein ganz andres Verhalten, indem es auf die Markscheiden übergeht und nicht, wie das Golginetz, auf die graue Substanz beschränkt ist.

Daß es sich in den Golginetzen um eine spezifische Bildung handelt, welche nur außerhalb der Ganglienzellen vorkommt, darüber

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 71

kann nach meiner Meinung gar kein Zweifel bestehen. Der Ansicht Cajals, daß sie innerhalb des Zellplasmas lägen und nur eine Ver- diehtung eines allgemeinen, dureh die ganze Zelle verbreiteten Proto- plasmanetzes seien, muß ich auf das entschiedenste entgegentreten, denn auf meinen Präparaten habe ich auch nie die geringste Spur davon entdecken können, daß sie sich von der äußeren (!) Oberfläche in das Innere der Zellen hinein erstreekten. Mit gleicher Bestimmt- heit muß ich der gelegentlich getanen Äußerung Apäthys entgegen- treten, daß die Golginetze eine gliöse Hülle der Ganglienzellen seien.) Vorläufig sehe ich auch nicht den mindesten Beweis dafür. Weder zu den Gliakernen noch. zu den Gliafasern oder dem Protoplasma der Gliazellen zeigen sie irgend welche Beziehungen. Ihr ganzes Verhalten zu den Zellen drängt vielmehr dazu, ihnen eine funktionelle Bedeutung zuzuerteilen. An Zellen von gleichem Typus ist nämlich das Bild der Golginetze ein durchaus gleichartiges; dagegen ergeben sich zwischen den verschiedenen Zelltypen wesentliche Unterschiede, die zum Teil so groß sind, daß man aus einem kleinen Stück Golginetz sehen kann, was für einer Zelle es angehört. So ist das Netz der Zellen des Nucleus dentatus viel großmaschiger, als das von Vorderhorn- zellen; an den Zellen des Ammonshorns sind die Maschen eckiger, als an andern Orten; die Olivenzellen sind mit einem doppelten Netz umgeben, einem inneren kleinmaschigen und einem äußeren groß- maschigen, welche durch radiäre Stäbchen miteinander kommunizieren u.s. w. Ich kann mir diese Erscheinungen weder im Sinne Cajals, noch in dem Apathys deuten.

In der Regel ist die Färbung des Golginetzes am schönsten, wenn die Fibrillen und die Nervenfasern gar keine Farbe mehr an- genommen haben. Die Bedingungen, unter denen seine Färbung zu- stande kommt, sind eben andre, woraus ich den Schluß ziehe, daß die Substanz des Netzes von der der Fibrillen und Nervenfasern ver- schieden ist. So angenehm diese Eigenschaft ist, um die Netze selber genau zu studieren, so unangenehm ist sie, um ihre Beziehungen zu

1) In einer kürzlich erschienenen Arbeit (1902) hat Held seine Meinung dahin verändert, daß das Golginetz mit den Neurosomenhaufen nichts zu tun hätte und ein gliöses Gitter sei. Er wirft es mit meinem Füllgitter zusammen, be- sonders auf Grund gewisser Ringe an den markhaltigen Fasern, die mir übrigens längst bekannt waren, deren Ähnlichkeit mit dem Golginetz aber doch nur sehr äußerlich ist. Direkte Übergänge vom Füllnetz oder den Ringen ins Golginetz bestreite ich in ihrer wirklichen Existenz. Stellen, wie sie Held zeichnet, kenne ich sehr wohl und habe sie seinerzeit gründlichst studiert; ich kann sie aber nicht einmal in den Zeichnungen Helds als beweiskräftig ansehen. Demnach muß ich daran festhalten, daß die Golginetze eine spezifische Oberflächenstruktur der Ganglienzellen und Protoplasmafortsätze sind.

72 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

den andern Elementen festzustellen. Man ist dabei auf gelegentliche Präparate angewiesen, in denen Fibrillen und Netze oder Netze und Nervenfasern gleichzeitig dargestellt gefunden werden.

In solchen Präparaten findet man nicht so sehr selten Stellen, an denen man ganz deutlich dünne Nervenfasern direkt in das Golgi- netz übergehen sieht, wie dies bereits von Held an Golgipräparaten beobachtet ist. Die Gefahr, daß es sich in meinen Präparaten um Verklebungen handelt, ist außerordentlich gering, denn trotz der Dunkelheit und Schärfe, mit der die Netze und Nervenfasern in

Fig. 24. 4 Vorderhornzelle vom Kalb. Durch Zufall ist der Schnitt so geführt, daß bei gleicher Einstellung Nervenfaserhose, Golginetz und in der Zelle verlaufende Fibrillen zu sehen sind. Dem Anschein nach gehen Nervenfasern und Fibrillen ins Golginetz über. B Protoplasmafortsatz aus der Medulla des Kaninchens. Gleichzeitige Färbung der Fibrillen und des umgebenden Golginetzes. An der Stelle des Pfeils geht eine Fibrille in einen Knotenpunkt des Golginetzes über. (Bethe, 1900.)

solchen Fällen gefärbt sind, sind sie doch noch durchsichtig; außer- dem ist die Färbung meist so vollständig, daß man es unbedingt merken müßte, wenn die Fasern sich nur anlagerten und dann weiter- zögen.

Manchmal sieht man auf einer verhältnismäßig kleinen Strecke eines Dendriten eine ganze Anzahl solcher dünner Nervenfasern in das periphere Gitter übergehen (Fig. 23 D, d5—g), an andern Stellen treten sie in geringerer Anzahl heran. In dieser Figur (23 D) treten die Fasern seitwärts an den Protoplasmafortsatz. Wie wir sahen, sind aber die Zellen und Dendriten von Nervenfaserhosen eingehüllt, welche dem Golginetz von außen ziemlich dieht anliegen. Äste dieser parallel verlaufenden Fasern sieht man nun ebenfalls in die Golgi-

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 713

netze übergehen, wie dies in Fig. 24 4 zu sehen ist. Die Zelle ist so getroffen, daß bei ein und derselben Einstellung an den verschie- denen Stellen die verschiedenen Schichten zu sehen sind. Im unteren Teil sieht man die äußerste Schicht, die Achsenzylinderhose, im mitt- leren Teil verschwindet sie und macht dem Golginetz Platz, im ober- sten Teil sieht man die Neurofibrillen. Im mittleren Teil sieht man nun die Achsenzylinder d, e und / sich verzweigen und ins Netz übergehen.

Wir haben schon gesehen, daß bei Golgipräparaten sich bisweilen die Spitze eines Dendritenzweiges in einen dünnen Faden fortsetzt, der einem Achsenzylinder mehr ähnlich sicht, als einem Protoplasma- fortsatz. An solehen Stellen hat nun Semi Meyer in erster Linie Übergänge von Nervenfasern in das den Dendriten umgebende Netz gesehen. Ich habe dasselbe verschiedene Male mit großer Deutlichkeit beobachten können (Fig. 23 3 und (, a), halte diese Fälle aber für nicht so beweisend, weil die dünnen Dendriten manchmal so zusammen- schnurren, daß auf kurze Strecken ein einheitlicher Strang entsteht, der einer Nervenfaser sehr ähneln kann (Fig. 23 0, db). Ist soleh zu- sammengeschnurrtes Dendritenende kurz abgeschnitten, so kann es sehr wohl den Übergang eines Achsenzylinders in das Netz eines Dendriten vortäuschen. In dieser Figur geht der zusammengeschnurrte Dendritenzweig, d. h. wie aus analogen, nicht geschnurrten Stellen hervorgeht, nur sein Golginetz, bei g in das Golginetz eines großen Protoplasmafortsatzes über, eine Erscheinung, die recht häufig zur Beobachtung gelangt. Um sich vor Irrtümern zu schützen, muß man nur Fälle in Betracht ziehen, wo man den für eine Nervenfaser ge- haltenen Faden auf längere Strecken verfolgen kann, denn das Zu- sammenschnurren dünner Dendritenzweige findet immer nur auf kurze Strecken statt.

Wenn ich mein ganzes Material sichte, so bleiben doch immer noch eine ganze Anzahl von Fällen übrig (unter diesen die hier ab- gebildeten), in denen mir ein Übergehen von Achsenzylindern in das Golginetz über allem Zweifel erhaben zu sein scheint. Ich habe mich trotzdem in meiner diesem Gegenstand gewidmeten Publikation (1900) sehr vorsichtig über diesen Punkt (und über die gleich zu erwähnen- den) ausgesprochen. Man hat sich verschiedentlich darüber gewundert und den Schluß daraus gezogen, daß ich selber nicht vollkommen überzeugt sei. Man hat mich aber falsch verstanden: Meine Präparate zeigten die beschriebenen Verhältnisse durchaus deutlich, auf jeden Fall nieht weniger deutlich, als meine Abbildungen. Sehr viele Autoren hätten sich an meiner Stelle ganz bestimmt und ohne jeden Rückhalt seäußert, und, wenn ich mein Urteil reserviert abgab, so geschah es deswegen, weil ich die Dinge statt tausendmal, nur einige wenige Mal

74 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

deutlich gesehen hatte. Bei derartig subtilen Dingen können aber Einzelfälle nicht unbedingt entscheidend sein. !)

In den dünnen Nervenfaserzweigen habe ich Neurofibrillen höch- stens andeutungsweise gesehen, aber man wird nach allem annehmen müssen, daß auch in den Zweigen Fibrillen enthalten sind, wenn es so in den Stämmen ist. Die dünnen Fasern schnurren eben mit noch größerer Regelmäßigkeit zusammen, als die dieken. Wo bleiben nun die Fibrillen, wenn die Nervenfasern in die Golginetze übergehen. Nach meiner Überzeugung gehen sie in die Netze über, um, hier um- hüllt von einer besonderen Substanz, die in der Regel gefärbt wird, sich untereinander zu mischen, sich zu teilen und ein Gitter zu bilden. Hierfür spricht folgendes: In Präparaten, welche keine eigentliche Golginetzfärbung zeigen, sondern nur Neurofibrillen erkennen lassen, sieht man manchmal auf der Oberfläche der Zellen ein feines Netz, dessen einzelne Fädchen die Dieke von Neurofibrillen haben und nicht wie die Netzbalken der sonst sichtbaren Golginetze um vieles dicker sind. In einem andern Fall gelang es mir, innerhalb des hier nur schwach gefärbten Golginetzes feine Fibrillen zu sehen, die sich an den dreiteiligen Kreuzungspunkten des Golginetzes ebenfalls teilten und so ein Netz im Netz bildeten. Wo aber bleiben die Fibrillen weiter? Auch hierauf brauche ich nicht mit einer Hypothese zu ant- worten, denn ich habe einige positive Beobachtungen nach dieser Richtung hin machen können. Wie schon erwähnt, wird die Zahl der Neurofibrillen, welche in einem Protoplasmafortsatz enthalten sind, immer geringer, je mehr er sich seinen Enden nähert; sie verschwinden, ohne daß man sie heraustreten sähe. Bei genauer Betrachtung kann man nun nicht selten beobachten, wie Fibrillen aus dem Hauptverlauf der Fibrillen austreten und senkrecht der Oberfläche des Dendriten zu- laufen; hier angekommen, sind sie nicht weiter gefärbt (Fig. 19 [S. 59] die Fibrillen, auf welche die Pfeile deuten). In andern Präparaten, in denen Golginetz und Fibrillen gleichzeitig gefärbt waren, habe ich nun beobachten können, daß diese Fibrillen dort die Oberfläche erreichen, wo ein Knotenpunkt des Golginetzes vorhanden ist (Fig. 24 A, x, y, z

1) In seiner kürzlich erschienenen Arbeit (1902) läßt Held die dünnen Nerven- fasern nicht mehr wie früher in das Golginetz übergehen (das er für gliös hält, siehe S. 71) sondern in Häufchen von Plasma, welche in den Maschen des Golgi- netzes liegen, Neurosomen enthalten und untereinander netzig verbunden sind. Sehr hübsche Übergänge von Nervenfasern ins Golginetz, die er abbildet, hält er für „scheinbare“ Übergänge. Merkwürdigerweise sind die „scheinbaren“ Übergänge in seinen Figuren viel überzeugender als die „echten“ Zusammenhänge von Nerven- fasern mit Neurosomenhaufen! Ich gebe, wie von jeher, zu, daß die Frage noch lange nicht abgeschlossen ist; daß aber die Neurosomenhaufen die eigentlichen Nervenfaserenden sind, scheint mir nach der Heldschen Arbeit viel unwahrschein- licher, als daß es die Golginetze sind.

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 75

und 2). Ich ziehe den Schluß, daß die Fibrillen hier die Zellen verlassen und in das Golginetz eintreten, um in ihm weiterzuziehen, oder daß um- gekehrt Fibrillen des Netzes hier in die umschlossene Zelle übertreten.

Nach dem augenbliekliehen Stand unserer Kenntnisse werden wir in den Golgimetzen das Zwischenglied zwischen Ganglienzellen (resp. Protoplasmafortsätzen) und fremden Nervenfasern er-

‚blicken und sie dem Fi- Eu: Wr, PRATER N brillengitter der zentralen Re Be Fasermasse bei den Wirbel- A 2 % : BER ey TE losen gleichsetzen dürfen, \F:.- R RErE: Nenn Kerr Sr das sich von ihnen nur da- * Nr \ hi REN Eh durch unterscheidet, daB „re 8. RE VEREINS die Fibrillen nackt sind, Kara Du ER KErShSt,| ET während sie hier mit einer vo a Wi; KESESE, Substanz überzogen sind, 5 Dee er Rear welche in ihren Reaktionen 4.» » ü en Selen zn, von der Perifibrillärsubstanz ' Rue AR we - Keane \ der Nervenfasern verschie- @z= ar 9 ie den ist. Immerhin bleibt a N E ED, 3 a dieser ganze Aufbau noch w.=: # Er RR sehr hypothetisch und man " * % & N EEE kann den zugrunde liegen- 1% e, abe, den (zum Teil noch weiterer e N Zn P Bestätigung bedürfenden) | N) F gt u Beobachtungen wohl auch Be] ni je ä a andre Deutungen geben. | BETEN

Bei Vergleichung de Yen Menge von Ganglienzellen, 4. b. C.

Dendriten, Achsenzylindern, Fig. 25. Schnitte durch entsprechende Partien der Groß- Gliafasern Gliazellen und hirnrinde A vom Menschen, B vom Hund, (Ü' vom Maul- N IR vele} 5 ir wurf bei gleicher Vergrößerung nach Nissl (1898). (Den Blutgefäßen, welche ın deI etwa viermal breiteren photographischen Original- Hirnrinde, besonders in der ne ist duneh Pausen je ein Streifen entnommen. 2 = ierbei mögen kleine Abweichungen vom Original zu- zweiten und dritten Mey- stande gekommen sein, welche aber bei der Größe der nertschen Sehieht vorhan- Unterschiede keine Rolle spielen können.) u den sind, fand Nissl (1898), daß alle diese Elemente zusammen lange nicht ausreichen würden, um den ganzen Raum dieser Schichten auszufüllen. Er folgerte, daß hier, wie auch an andern Orten, eine Zwischensubstanz vorhanden sei, welehe weder zu den Zellen noch zu den Nervenfasern direkt gehört und die er als „Grau“ bezeichnete. Von den Zellen selber muß das „Grau“ mehr oder weniger unabhängig sein, denn er fand Fälle von 97 o oo Paralyse, in denen die Zellen zwar verändert, aber an Zahl nieht ver-

76 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere.

ringert waren, wo aber trotzdem dieses Zwischengewebe in hohem Maße geschwunden war. Zupfpräparate zeigten sie ihm von fibrillärer Struktur, mehr konnte er nicht aussagen. Im höchsten Grade auf- fallend ist es nun, daß die Menge dieser Zwischensubstanz im Cortex mit der Höhe der Ausbildung (in anatomischer und funktioneller Be- ziehung) wesentlich zunimmt, oder umgekehrt, daß die Zahl der Gan- glienzellen in einem gleichgroßen Hirnrindenstück bei höheren Säugern kleiner ist, als bei niederen (Fig. 25). Da die Verästelungen der Dendriten bei den höheren Formen nicht oder jedenfalls nicht wesentlich reicher sind, und da die Glia in diesen Gegenden bei ihrer geringen Ausdehnung keine wesentliche Rolle spielt, so muß die Vermehrung auf Kosten eben dieser Zwischensubstanz, des „Graus“, kommen und ihre Gegenwart als ein sehr wesentlicher Faktor angesehen werden. !) Dieses „Grau“ glaubte ich in der Hirnrinde (außerdem im Ammonshorn und in der Kleinhirnrinde) im Golginetz sehen zu sollen. Wie schon erwähnt, ist in diesen Teilen des Zentralnervensystems das Golginetz nicht wie an andern Stellen auf die Oberfläche der Ganglienzellen und der Dendriten beschränkt, sondern es dehnt sich von da aus dreidimensional durch die ganze graue Substanz aus (Fig. 26 2 rechts). So füllt es also die Lücken, welche Nissl zwischen Zellen, Fort- sätzen u. s. w. erkannt hat, aus.°) Ob damit schon das wirkliche „Grau“ gefunden ist, bleibt dahingestellt.

Nach meiner Meinung ist die Mitinkrustierung des Golginetzes daran schuld, daß in Golgipräparaten so häufig Ganglienzellen wie Protoplasmafortsätze ein rauhes Aussehen zeigen. Sind sie glatt, wie in Präparaten, die nach andern Methoden gefärbt sind, so hat nur eine Inkrustierung der plasmatischen Teile stattgefunden und das Golginetz ist ohne Silberniederschlag geblieben. Da manchmal auch an meinen Präparaten auf kurze Strecken eine vollständige Einhüllung mit Farbstoff zur Beobachtung kommt, so bin ich imstande, den Beweis für diese Ansicht zu geben. Ich will mich dabei auf das frap- panteste Beispiel beschränken: Bekanntlich findet man in Golgipräpa- raten die Protoplasmafortsätze der Pyramidenzellen und der Purkinje-

I) Zu meinem Erstaunen hat die absolut klare Beweisführung Nissls, daß eine Zwischensubstanz vorhanden sei, vielfach Kopfschütteln hervorgerufen. Es scheint demnach schon soweit gekommen zu sein, daß in der Histologie nur das existiert, was direkt gesehen werden kann und daß derjenige, der einen logischen Schluß zieht, für einen Fabulanten gehalten wird.

2) Nissl hat neuerdings (1903) seine Bedenken gegen diese Deutung aus- gesprochen. Vor allem hält er es überhaupt für unsicher, daß mein „diffuses Golginetz“ mit dem pericellulären Golgimetz etwas zu tun hat. Ich will gern zugeben, daß diese Bedenken gerechtfertigt sind, obgleich ich es nicht für aus- geschlossen halte, daß meine Deutung richtig ist.

Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 77

schen Zellen oft mit feinen Spitzen besetzt (Fig. 26 4), die meistens am Ende einen kleinen Knopf tragen. Es ist lange darüber gestritten worden, ob dies ein Kunstprodukt oder eine natürliche Struktur sei, und man glaubte, diese Frage sei entschieden, als Cajal (1896) und Meyer (1897) dieselben auch in Methylenblaupräparaten wahrgenommen hatten. Nach meiner Ansicht liegt die Wahrheit in der Mitte: so, wie die Golgische Methode den Spitzenbesatz zeigt, ist er ein Kunstprodukt; er beruht aber auf einer tatsächlich vorhandenen Struktur, die durch die Methode falsch dargestellt wird. Die Figur 26 3 gibt hierfür die Erklärung. Auf der rechten Seite ist das Golginetz normal ge- färbt. Die freibleibende Straße ist ein angeschnittener Protoplasma- fortsatz, bei x sieht man einen andern quergeschnitten. Auf der linken Seite befindet sich ein andrer Dendrit, wel- cher unten noch normal gefärbt ist, oben aber eine so starke Anlagerung des Farbstoffes zeigt, daß das Netz nicht mehr erkennbar ist. Gleichzeitig ist hier auch, wie dies manchmal geschieht, die Färbung des diffusen Netzes bei der ersten Teilung unterbrochen, so daß nur noch der Knotenpunkt zu sehen ist. Auch Cajal hat bereits an Methylenblau- präparaten gesehen, daß bei Mitfärbung des Spitzenbesatzes die Oberfläche des 4. Biendeıtenereiikularsstzteniihatr darause Als 265 A Ereioplasmalonsae eine . . ® - ramidenzelle mit Spitzenbesatz, B zwei aber nicht den richtigen Schluß gezogen, Protoplasmafortsätze von Pyramidenzellen DaBs ckeinpıtzentem: Peildes; Netzes sind (Torsdenenngestein ns En diffuses Golginetz. (Molybdänmethode.) und mit dem Dendriten direkt nichts zu Beide Abbildungen etwas schematisiert. tun haben, und er konnte es auch nicht tun, weil er der irrigen Meinung war, daß das Netz eine Differen- zierung des Dendritenplasmas sei, während es in Wirklichkeit außer- halb desselben liegt.

Die Golgische Methode hat gezeigt, daß an gewissen Orten des Zentralnervensystems besondere, vom allgemeinen Verhalten verschie- dene Beziehungen zwischen Neuriten und Protoplasmafortsätzen ob- walten. Dies ist vor allem in den Glomeruli olfaetorii, in den Plaques der Körnerschieht des Kleinhirns und, in etwas andrer Weise, in den Körben am Grunde der Purkinjeschen Zellen der Fall. Alle diese Orte fand bereits Held durch einen besonderen Reichtum an Neuro- somen ausgezeichnet. Ich konnte nun zeigen, daß an diesen Orten las Golginetz in einer Dichte auftritt, wie an keinem andern Ort des Nervensystems. Nach meiner Meinung ist dieser Befund wohl von

78 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

allen am meisten geeignet, die funktionelle Wichtigkeit der Golginetze zu zeigen und zu beweisen, daß sie wirklich mit der Übertragung des Reizes von Nervenfasern auf Dendriten zu tun haben.

SECHSTES KAPITEL.

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

Wesen der Nervennetze. Ihr Vorkommen bei Wirbeltieren, Arthropoden und

Mollusken. Bei Coelenteraten bilden sie das ganze Nervensystem S. 78—83.

Die Fibrillen in den Nervennetzen bei Pontobdella und beim Frosch 8. s4.

Das Nervennetz der Medusen, seine Verbindung mit den Randkörpern, den Muskeln

und dem Epithel und die Fibrillen in demselben S. s5—90. Das Nervennetz des Froschherzens S. 90—96.

Unter dem Namen Nervennetz verstehe ich eine Form des Nerven- systems, das sich von der bisher allein betrachteten durch breite Anastomosen zwischen den Zellen unterscheidet. Fasern und Zellen machen hier wie dort die Bestandteile aus, aber die Zellen stehen in direkter Verbindung miteinander und die Fasern weisen keine Unter- schiede untereinander auf: lange Fasern fehlen ganz. Auffallend ist auch vor allem, daß die Netze sich diffus ausbreiten und die Zellen hier und dort eingestreut nie zu Ganglien vereinigt sind. Die Ganglienzellen haben meist drei Fortsätze, es kommen aber auch solehe mit nur zwei Fortsätzen vor und manche haben mehr als drei vier, höchstens fünf (Fig. 27). Eine Unterscheidung der Fortsätze in Protoplasmafortsätze und Achsenzylinderfortsätze ist unmöglich. Nach meist kurzem Verlauf, während dessen spärliche Seitenzweige abgegeben werden, vereinigen sich die Fortsätze wieder mit andern Zellen, meist schon mit der zunächst gelegenen.

3ei manchen Tieren (Medusen, Aetinien, Ctenophoren) machen die Nervennetze das ganze Nervensystem aus; bei andern Tieren treten sie neben dem zentralisierten Nervensystem auf, hier und dort mit ihm Verbindungen eingehend, aber doch auf große Strecken ziemlich selbständig. Im besonderer Ausdehnung bestehen sie neben jenen bei den Mollusken. Tiere, denen Nervennetze ganz fehlen, gibt es nicht; bei den Vertebraten spielen sie nur im Blutgefäßsystem eine größere Rolle. Grade hier ist aber das Nervennetz am leichtesten darzustellen und schon frühzeitig mit Hilfe der Goldmethode und der Methylenblau-

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 79

methode beobachtet worden (Golgi, 1594, Dogiel, 1893 und 1898, Bethe, 1895).

Man findet solehe Netze an allen Gefäßen von Kaltblütern und Warmblütern; an den Arterien sind die Netze am dichtesten, von diesen gehen sie auf die Kapillaren, auch auf die allerfeinsten, über; auch an Venen sind sie zu finden, aber hier sind die Maschen sehr groß. Die Figur 28 stellt ein solches perivasculäres Netz (Arterie)

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Fig. 27. Nervennetz aus dem Gaumen vom Frosch nach einem Methylenblaupräparat. M.n. mark- haltiger Nerv. Bei z gehen markhaltige Fasern in das Netz über. (Leitz I, 5).

aus dem Gaumen vom Frosch dar. Hier (im Gaumen) sieht man nun, daß das Netz nicht auf die Gefäße beschränkt bleibt; es lösen sich vielmehr stellenweise Fasern ab, welche mit einem weitmaschigeren subepithelialen Netz (Fig. 27) in Verbindung stehen. Dieses dehnt sich durch die Haut des ganzen Gaumens aus, überall wo es mit Gefäßen in Berührung kommt, Fasern an ihr Netz abgebend. Dasselbe diffus unter dem Epithel im Bindegewebe hinziehende Netz findet sich auch an andern Stellen der Froschhaut, doch ist es im Gaumen wegen des Mangels an Pigment am besten zu sehen. Auch in der Haut des

s0 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

Menschen ist ein solches Netz von diffuser Ausbreitung von Dogiel und Leontowitsch nachgewiesen worden. Von dem perivasculären Netz senken sich einige dünnere Fädehen in die Museularis der Ge- fäße hinein (Dogiel, Bethe); wie sie hier an den Muskelfasern enden, darüber liegt noch nichts Sicheres vor, daß sie aber mit der Gefäß- muskulatur Beziehungen eingehen, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen. Andrerseits steigen von dem diffusen, intervasculären Nervennetz hier und dort Fäden zum Epithel empor (Bethe, 1895), welche zwischen den Epithelzellen anscheinend frei enden. Diese Endigungen wird man jedenfalls als rezeptorische ansehen müssen.

Daß es sich in diesen Netzen wirklich um nervöse Netze handelt, ist mehrfach angezweifelt worden. Ich muß diese Zweifel nach meinen neueren Befunden als ungerechtfertigt bezeichnen. Schon vor acht Jahren hatte ich beobachtet, daß in das diffuse Netz marklose Fasern

Fig. 28. Nervennetz um eine kleine Arterie vom Frosch (Methylenblaumethode). Links oben eine Zelle des subepithelialen Netzes, welche mit dem perivaskulären in Verbindung steht. (Nach Bethe. 1895.)

aus den Nervenstämmen übergehen. Da aber die Unterscheidung mark- loser Fasern von andern fibrillären Elementen seine Schwierigkeiten hat, so konnten gegen die Beobachtung Einwendungen gemacht werden. Schon vorher hatte Dogiel (1893) beim Menschen einen Zusammen- hang von Netzfasern mit markhaltigen Fasern behauptet und neuer- dings ist dasselbe von seiten Leontowitsch’s (1900) geschehen; doch ließen ihre Abbildungen an Überzeugungskraft fehlen. Vor kurzem habe ich mich nun aber von der Richtigkeit dieser Behauptung an einigen Präparaten aus dem Gaumen des Frosches überzeugen können (Fig. 27). In der Regel treten allerdings die Fasern bereits marklos aus den Nervenstämmen aus, aber bisweilen, wie in den abgebildeten Fällen, begleitet die Markscheide die Faser bis in die Nähe der ersten Ganglienzelle. Einen weiteren Beweis für die nervöse Natur der Netze gibt der Befund von Neurofibrillen in denselben, auf den ich später zurückkommen werde.

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 81

Subepitheliale Nervennetze, welche mit dem zentralisierten Nerven- system in Verbindung stehen, finden sich auch bei Arthropoden und wurden hier zuerst von Holmgren (1895) an Raupen beobachtet. Einen Zusammenhang dieser Netze mit rezeptorischen Endigungen und mit zentralwärts ziehenden Nervenfasern konnte er feststellen; ob sie auch mit Blutgefäßen in Beziehung stehen, ist nicht festgestellt und wohl sogar recht unwahrscheinlich. Ebenso konnte die Verbindungsweise der Nervennetze von Crustaceen (Astacus, Careinus), welche ich (1896) zuerst sah und welche zunächst von Holmgren (1896) in ihrer nervösen Natur angezweifelt, später von Nußbaum und Schreiber (1897) und Holmgren selbst (1898) bestätigt wurden, bisher nicht vollständig dar- gestellt werden.) Immerhin ist es von Interesse, daß auck bei diesen

Tieren solche subepithelialen Netze existieren und wenigstens bei Astacus und Careinus gradeso wie bei Wirbeltieren zwar mit dem

Zentralnervensystem zusammenhängen, aber direkt nichts mit der rezeptorisch-motorischen Bahn der Bewegungsmuskulatur zu tun haben, sondern jedenfalls ein in sich geschlossenes Reflexsystem von be- sonderen Funktionen darstellen.

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den Mollusken; hier nimmt das Nervennetz noch einen sehr breiten Raum im Nervensystem ein: Es ist eingeschaltet in den Verlauf der peripheren motorischen und rezeptorischen Nerven, so daß das Zentralnervensystem nur die langen Bahnen innerhalb des Nervennetzes repräsentiert.

Bei allen bisher untersuchten Mollusken hat man überall an der Peripherie, besonders aber unter dem Epithel größere und kleinere Ganglienzellen gefunden. Man findet sie aber auch weiter zentral- wärts an den Nervenstämmen, grade wie bei niedern Würmern (Fig. 29), und ich glaube, daß man die Zahl der peripher gelegenen Zellen srößer schätzen muß, als die der zentralen, in den Ganglien kon- zentrierten. Je mehr man sich, von den zentralen Ganglien kommend, im Verlauf der peripheren Nerven der Peripherie nähert, desto zahl- reicher und kleiner werden die den Nerven angelagerten Ganglien- zellen. Unter dem Epithel gehen schließlich viele Nervenfasern in ein richtiges Nervennetz über (Aplysia), während andre in bipolaren Rezeptionszellen enden. Die den größeren Nervenstämmen angelagerten Zellen erweisen sich auf Methylenblaupräparaten als bipolar oder pseudonnipolar (wie die Spinalganglienzellen höherer Wirbeltiere, Fig. 29 rechts). Beide Fortsätze ziehen im Hauptstamm weiter und geben dabei Seitenzweige ab, die sich im Nerven selber in feine

1) Ich bleibe dabei, daß die von mir gesehenen Zellen nervös sind; was Holmgren gegen diese Natur und gegen ihre Identität mit den Nußbaumschen Zellen vorbringt, halte ich für nicht stichhaltig.

Bethe, Nervensystem. 6 “*

32 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

Zweigchen auflösen oder den Nervenstamm verlassen, um ins sub- epitheliale Nervennetz überzugehen oder in die Muskulatur zu treten, welche ebenfalls von einem Nervennetz durchzogen zu sein scheint; wenigstens habe ich in derselben mehrmals kleine pluripolare Ganglien- zellen gefunden, die miteinander in Verbindung zu stehen schienen.

Fig. 29. Nervenstämme aus dem Flügel von Aplysia. (Links nach einem Macerationspräparat, Ver-

größerung etwa 60 mal, rechts nach einem Methylenblaupräparat, Vergrößerung etwa 200mal.) Man

sieht die den Nerven ansitzenden Ganglienzellen. An der rechten Abbildung kann man die Fortsätze

der Ganglienzellen verfolgen. Es ist hier auch eine von den kleinen multipolaren Zellen des sub- epithelialen Netzes zu sehen.

Über die Beziehungen der peripheren Nervenendigungen zu den subepithelialen Nervennetzen liegen wichtige Untersuchungen von Smidt (1902) vor: Die bipolaren Rezeptionszellen liegen bei Helix in Haufen zusammen. Ihr einer Fortsatz endet, wie bei den Arthropoden

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 83

und Würmern, frei im Epithel, der andre zieht zu einem zentralen Ganglion. Außer diesen rezeptorischen Endigungen gibt es aber noch andre, welehe von tiefer liegenden Zellen ausgehen (Fig. 30 4). Dicht unter dem Epithel liegt nun ein ausgedehntes Nervennetz mit kleinen eingestreuten Zellen, welches in Fig. 30 3 von der Fläche dargestellt ist. In dieses gehen Seitenzweige der erwähnten großen Zellen über, während ihre zentralen Fortsätze einen zweiten, ebenfalls der Oberfläche parallel verlaufenden Plexus bilden. Zu den unter der Haut gelegenen Drüsenzellen, wie auch zu den Haufen bipolarer Rezeptionszellen (wo

Fig. 30. 4 Querschnitt durch die Haut von Limax, welcher den oberflächlichen und den tiefen

Nervenplexus zeigt. B Flächenschnitt durch den oberflächlichen Plexus in seinen Beziehungen zu

den Drüsengängen. Man beachte die eingestreuten kleinen Zellen. (Beide Figuren nach Smidt, 1902, Golgische Methode.)

solche vorhanden sind) tritt der oberflächlichere der beiden Plexus (das unzweifelhafte Nervennetz) durch Umspinnung in nähere Beziehungen; wie innig dieselben sind, geht aus den zur Zeit vorliegenden Resultaten noch nicht hervor, jedenfalls werden wir aber nach allem bisher Be- kannten annehmen dürfen, daß es mit dem bloßen Umspinnen nicht abgetan ist. Der tiefere Plexus liegt wohl schon in der Muskulatur, und ich glaube, ihn mit dem Plexus oder Netz identifizieren zu dürfen, das ich bei Aplysia an dieser Stelle andeutungsweise gesehen habe. Daß Verbindungen der Plexus mit der Muskulatur vorhanden sind, das geht aus physiologischen Experimenten mit Sicherheit hervor'(s. 8. 117). 6*

S4 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

Fibrillen wurden in Nervennetzen zuerst von Apäthy, und zwar im Darm von Pontobdella, gesehen und abgebildet. Figur 31 gibt eine seiner Abbildungen wieder. Man sieht hier aufs deutlichste, wie jede der beiden miteinander durch eine dieke Protoplasmabrücke ver- bundenen Ganglienzellen ein schönes Neurofibrillengitter enthält und wie diese Gitter durch Fibrillen miteinander in Verbindung stehen. Neben den Fibrillen, die an der Netzbildung teilnehmen, sieht man

Fig. 31. Zwei Ganglienzellen des Nervennetzes in der Darmwand von Pontobdella nach Apäthy (1897, Taf. 28, Fig. 10). (Die Abbildung bildet nur einen Teil des Originals und ist überhaupt nicht imstande das Original genau wiederzugeben.)

aber auch andre, welche die Ganglienzellen glatt durchziehen, um wohl später in einer benachbarten Zelle ins Fibrillengitter überzugehen. Bei pf sieht man dann eine Fibrille aus der oberen Zelle austreten, welche als motorische Fibrille an eine Muskelfaser des Darms herantritt.

Ganz ähnliche Resultate habe ich mit Methylenblau in den Nervennetzen vom Frosch erzielen können (Fig. 32). Auch hier sieht man in jeder Zelle ein Fibrillengitter, und bemerkt, wie beide Gitter durch Fibrillen miteinander in Verbindung treten. Von

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 85

der Existenz glatt durch die Zellen hindurch passierender Neurofibrillen habe ich mich allerdings an diesem Objekt nieht mit Sicherheit über- zeugen können. Es ist aber doch sehr wohl möglich, daß auch hier solehe vorkommen, doch ist ihre Zahl sicher nicht groß. Anders steht es damit in den Nervennetzen der Medusen, wo häufig die Zahl der glatt die Zellen passierenden Fibrillen größer ist, als die derjenigen, welche an der Gitterbildung innerhalb der Zellen teilnehmen.

Nach den Untersuchungen von Eimer (1878) und den Gebrüdern Hertwig (1878) hat das Nervensystem bei den Medusen einen exquisit epithelialen Charakter. Bekanntlich besteht der Körper der Medusen in der Hauptmasse aus einer Gallerte. Im Inneren befindet

Fig. 32. Zwei Zellen des subepithelialen Nervennetzes aus dem Gaumen vom Frosch. (Methylenblau- präparat mit Differenzierung der Neurofibrillen. Kerne nur blaß, Plasma fast nicht gefärbt.) Die Zeichnung ist mit Benutzung der Mikrometerschraube mit Hilfe des Zeichenapparats hergestellt. Da die Ausdehnung über ein Gesichtsfeld hinausging, ist die Figur durch Kombination zweier Zeich- nungen entstanden, wobei eine Verbindung der Fibrillen nur dann eingezeichnet wurde, wenn die betreffenden Fibrillen in beiden Bildern genau identifiziert werden konnten. Die Stelle, wo beide Zeich- nungen zusammentreffen, ist durch einen Pfeil angegeben. Apochromat 1,3, Kompensationsocular 6. (Auf ?/, verkleinert.)

sich ein verzweigter Hohlraum, der Magen nebst „Gefäßen“. Er öffnet sich mit einer einzigen Öffnung, dem Munde, nach außen. Der innere Hohlraum, wie die äußere Oberfläche der Gallerte ist mit einem verhältnismäßig dünnen Epithel überzogen. Auf der konvexen Außen- seite der Schwimmglocke (Umbrella) ist das Epithel ganz einfach ge- baut; es enthält vor allem nicht die geringsten Spuren von Nerven- fasern und Muskeln (außer in einer Partie nahe am Schirmrande). Die Folge davon ist, daß die Umbrella ganz unbeweglich ist, und auch die stärksten an dieser angebrachten Reize von seiten der reaktionsfähigen Teile des Tieres unbeantwortet bleiben. Dagegen ist das Epithel der konkaven Unterseite der Glocke, der Subumbrella,

sh Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

stark differenziert; es enthält Muskelfasern, Nervenfasern und Ganglien- zellen. Besonders bei den eraspedoten Medusen haben die Muskel- zellen und Ganglienzellen noch einen vollkommen epithelialen Charakter, indem die Zellkörper meistens innerhalb der äußeren Epithelschicht liegen und nur in ihrem nach innen gekehrten Ende als Nerven oder Muskeln differenziert sind. Bei den acraspeden Medusen nehmen die Zellen, welche muskulös differenziert sind, eine tiefere Lage im Epithel ein (Fig. 33 4), und auch die Ganglienzellen liegen nicht im Verband der obersten Epithelschicht, sondern zwischen dieser und der der Muskelzellen. Die Form der Ganglienzellen stimmt mit der überein, welche wir bei den Nervennetzen der Wirbeltiere und Mollusken kennen gelernt haben, und es gelang bereits den Gebrüdern Hertwig, sich davon zu überzeugen, daß sie in direkter Verbindung miteinander stehen. Andrerseits entzing es Eimer nicht, daß die Ganglienzellen und Nerven- fasern einen ausgesprochen fibrillären Bau zeigen, was für ihn nach den kurz voraufgegangenen Untersuchungen von Max Schultze mit- bestimmend war, diesen Elementen nervöse Natur zuzuschreiben. Später ist das Nervensystem acraspeder Medusen (Rhizostoma, Cotylorhiza) besonders von Hesse (1895) eingehend untersucht worden. Ich habe meine Untersuchungen auf dieselben beiden Arten beschränkt, weil ich auch an ihnen die meisten meiner physiologischen Unter- suchungen gemacht habe. Meine Resultate stimmen mit denen von Hesse fast durchweg überein; nur über die Fibrillen habe ich mancherlei Neues hinzuzufügen, weil mir meine Methode (Fixation mit 2—3°/, Salpetersäure in Seewasser, Molybdänieren auf dem Schnitt, längeres Differenzieren mit lauwarmem Wasser und Färben mit Toluidin- blau bei 56° C.) eine bessere Darstellung derselben erlaubte. Untersucht man einen Querschnitt der Subumbrella von Rhizostoma oder Cotylorhiza aus einem Teil, der Muskulatur besitzt, so fallen einem sofort zwischen Muskularis und äußerer Epithelschicht horizontal- laufende Fasern auf, welche im Innern feine Fibrillen zeigen. Ab und zu liegt in einer Anschwellung der Fasern ein Kern, an dem nur ein Teil der Fibrillen vorbeizieht, während die übrigen sich deut- lieh zu Gittern verbinden (Fig. 36 4 und 2). Solche Zellen finde ich überall, wo überhaupt Fasern vorhanden sind, auch außerhalb der Radien, hier allerdings das muß ich Hesse zugeben in geringerer Anzahl. Die Zellen haben meist nur zwei diekere Fortsätze, welche auf weite Strecken zu verfolgen sind. (Hesse gibt an, sie bis zu 6 mm verfolgt zu haben.) Gewöhnlich gehen aber von den Zellen selber noch dünnere Fortsätze ab, welche Hesse entgangen zu sein scheinen Fig. 33). Noch häufiger zeigen die von den Zellen entspringenden dicken Fasern Seitenzweige, welche bald aus einem Bündel von vielen Fibrillen bestehen, bald nur von einer einzigen Fibrille gebildet werden.

en

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 87

Diese Seitenzweige und Nebenfortsätze ‘zeigen drei verschiedene Ver- laufsrichtungen: 1. Sie wenden sich nach oben und verzweigen sich zwischen den oberflächlichsten Epithelzellen (Fig. 33 4). 2. Sie senken

Fig. 33. Nervenelemente von Rhizostoma. 4A radiärer Schnitt durch ein Muskelfeld der Subumbrella,

Ep. Epithel, m quergeschnittene Muskelfasern, M.K. ihre Kerne, Npl. Nervenplexus. In demselben

liegt bei x eine große Ganglienzelle mit Fibrillennetz. Von hier gehen fibrillenhaltige Ausläufer ins

Epithel und zu den Muskeln. PB Ebensolche Zelle. €’ Nervenplexus mit eingestreuten Zellen aus einem Horizontalschnitt. A und B 1200mal, © 200 mal vergrößert.

sich in die Tiefe, laufen eine Strecke weit oberhalb der Kerne der Muskelzellen parallel zur Oberfläche, einen aus vielen dünnen Fasern bestehenden Plexus bildend, und treten dann zwischen die

S Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

> Muskelfasern, um sich hier in die einzelnen Fibrillen aufzulösen, die sich dann noch weiter teilen, vielleicht sogar in die Muskelfasern ein-

dringen. 3. Die Seitenäste verlaufen parallel zur Oberfläche dies sind fast immer diekere Zweige und verbinden sich mit Seiten-

fortsätzen andrer Zellen zu einem Netz (Fig. 33 D). Das letztere kann man natürlich nur an Horizontalschnitten gut beobachten. Wir haben also hier ein diffuses Nervennetz vor uns, das einerseits mit der äußeren Epithelschicht, also der rezeptionsfähigen Fläche, andrerseits mit der Muskulatur in Verbindung steht, so daß, da das Netz sich ununterbrochen durch die ganze funktionsfähige Subumbrella aus- dehnt, jeder Reiz, wo er auch in diesem Gebiet angesetzt werden mag, zu allen Muskelfasern hingelangen kann, auch dann, wenn der Körper durch beliebig gewählte Schnitte zu einem langen Bande aufgerollt ist.

In sehr schöner Weise hat Hesse gezeigt, wie dieser epitheliale Plexus, dessen netzige Natur ihm allerdings entgangen war, mit den Randkörpern in Verbindung steht, Organen, deren hohe Bedeutung für die Bewegung der Medusen zuerst Eimer und nach ihm Romanes auf- gedeckt hat. Ihre Physiologie wird uns weiter unten zu beschäftigen haben; hier nur einiges Anatomische: In Figur 34 ist ein Schnitt durch einen Randkörper mit seiner Umgebung dargestellt. Der Rand- körper ragt, oben und seitlich durch Lappen (Dsch.) gedeckt, ins Wasser hinaus. Am Ende befindet sich ein Sack, welcher durch das Epithel einer Gefäßausstülpung gebildet wird und der mit Kalk- kristallen ausgefüllt ist (diese liegen in Zellen). Umgeben wird der Sack vom äußeren Körperepithel, das besonders am Stiel zu einem hohen Zylinderepithel umgebildet ist. Die einzelnen Zellen dieses Epithels gehen nach unten zu in feine Nervenfasern über (Hertwig), welche einen dichten unentwirrbaren Filz bilden. Aus diesem Nerven- filz gehen radial verlaufende Nervenfasern hervor, welche kontinuierlich bis zum Nervennetz der Subumbrella ziehen. Es ist dies nur eine Faserstraße, wenn man will ein Radialnerv, der zum Netz hin- führt, denn die angrenzenden Partien sind nervenfrei (siehe das schematische Flächenbild Fig. 35). Im Radialnerven liegen viele Ganglienzellen, besonders dicht hinter dem Randkörperstiel, wo er eine ebenfalls mit hohem Epithel besetzte Grube, die innere Sinnes- grube, durchzieht. Nachdem der Radialnerv bereits das Netz er- reicht hat, findet man immer noch in der radiären Straße, welche durch den Verlauf der Gefäße leieht erkennbar ist, die meisten Gan- glienzellen.

Wie die Figur 35 zeigt, breitet sich die Muskulatur auf der Sub- umbrella von Rhizostoma nicht gleichmäßig aus, sondern läßt nach der Mitte zu und zwar dort, wo die Radialgefäße verlaufen, größere Strecken

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 89

frei; eine andre muskelfreie Zone zeigt sich am Schirmrande. Diese muskelfreien Felder werden aber vom Nervennetz ebenso durehzogen, wie die Muskelfelder selbst.!) Nur der alleräußerste Schirmrand bleibt auch frei von Nervenfasern und Ganglienzellen. Gegenüber der inneren Sinnesgrube (Fig. 34) befindet sich auf der Umbrella eine zweite Grube mit hohem Epithel und darunter- liegendem Nervenplexus, die äußere Sinnesgrube. Sie soll mit dem Randkörperstiel nach Hesse durch Fasern in Verbindung stehen, welche durch die Gallerte hindurchgehen. Ich habe mich nieht von einer

MN:

Fig. 34. Radiärer Schnitt durch einen Randkörper von Rhizostoma. Dsch. Deekschuppe, 4.S. äußere, 1.S. innere Sinnesgrube, ©t. Otolithenhaufen des Randkörpers, M. Muskulatur, Nx. Nesselzellen. Schwarz ist der Nervenplexus gezeichnet.

solchen Verbindung überzeugen können, will aber daraufhin ihre Existenz nicht leugnen, denn sonst wäre diese Grube ganz außer Ver- bindung mit dem übrigen Nervensystem, da die Deckschuppe in ihrem Epithel ganz sicher keine Nervenelemente enthält. Von der äußeren Sinnesgrube dehnt sich flächenhaft ein Nervennetz ein kleines Stück

1) Wenn Hesse angibt, daß die Muskelfasern unter den Radialstraßen fort- ziehen, so bezieht sich das offenbar nur auf den peripheren Teil derselben. In den zentralen Partien, die ich als muskelfreie Felder bezeichne, findet sich niemals auch nur eine einzige Muskelfaser, ebenso am Rande.

90 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

weit über die Umbrella aus und zwar bis zu einer Gegend, welche durch eine reiche Ansammlung von Nesselzellen ausgezeichnet ist (Fig. 34).

Eine von den bisher besprochenen etwas differente Form der Nervennetze findet sich im Vorhof und Ventrikel des Frosch- herzens. Ich komme damit auf die viel besprochene Frage der Herznerven, besonders der Nerven in der Kammermuskulatur, welche von den Anatomen fast durchgehend dahin beantwortet wird, daß es im Herzfleisch sehr viele Nervenfasern gibt, während viele Physiologen geneigt sind, ihre Zahl gering zu schätzen und ihnen motorische Funk- tion abzusprechen. Ich will gleich von vornherein sagen: Es gibt im ; ganzen Körper des Froscehes und auf den kommt es allein an, da sich fast alle physiologischen Untersuchungen des Herzens auf ihn be-

©

ziehen keinen einzigen Muskel, der auch nur annähernd

Zi dr a nn. a

Fig. 35. Etwas schematisiertes Flächenbild von einem Teil der Subumbrella von Rhizostoma. Rk. Randkörper, M. Muskelfeld, M.f. muskelfreie Felder. Schwarz und im Verhältnis viel zu groß und nicht genügend dicht ist das Nervennetz auf der linken Seite eingezeichnet.

soviel Nervenfasern enthielte, wie die Herzmuskulatur. Diese Fasern sind zum größten Teil autochthon und fast durchgängig marklos, so daß sie trotz ihrer Menge leicht übersehen werden können.

Nur bei Anwendung spezifischer Nervenfärbungsmethoden ist man imstande, Aufschlüsse über den Verlauf und die Zahl der im Herz- fleisch enthaltenen Nervenfasern und über die Existenz und Verbrei- tung von Ganglienzellen in demselben zu erhalten. Daher haben alle die Untersuchungen, welche, mit alten Methoden unternommen, zu negativen Resultaten führten, nur noch eine sehr geringe Bedeutung (Engelmann, 1875, Lövit, 1880, u. a.). Die ersten, die die Muskulatur der Kammer mit der Ehrlichschen Methylenblaumethode untersuchten, Tumänzew und Joh. Dogiel (1890), führten den positiven Nachweis, daß der ganze Ventrikel von einem Nervennetz durchzogen ist, welches viele kleine Ganglienzellen an den Knotenpunkten enthält. Schon

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 9

früher haben aber L. Gerlach (1876) und Ranvier (1880), wenn auch nicht so überzeugend, die reichen Nervenplexus des Herzfleisches dargestellt. Auf Grund der Beobachtung, daß die Ganglienzellen nicht auf die Remakschen und Bidderschen Ganglien und die umliegenden Partien beschränkt seien, wie dies von Engelmann und andern be- hauptet worden war, und daß der Ventrikel bis in die Spitze reichliche und miteinander anastomosierende Nervenfasern enthielte, warnte Dogiel vor der Annahme der Engelmannschen Lehre von der muskulären Er- reeungsleitung im Herzen aber vergebens!

Nervenfasern mit reichlichen Verzweigungen wurden dann später noch von verschiedenen Forschern, so von Retzius (1892) und Berkley (1894) im Herzmuskel verschiedener Tiere nachgewiesen. Von diesen ist aber jedenfalls Berkley am weitesten gekommen, denn er sah (bei der Maus), daß die Fasern hier und dort mit Ganglienzellen in Ver- bindung stehen und daß die Fasern selber untereinander reichliche Anastomosen eingehen (Golgische Methode). Mit derselben Methode stellten auch Heimans und Demoor (1894) reichliche Netze im Herzen vom Frosch und von Säugetieren dar.

Ich selber habe meine Versuche auf Frösche beschränkt und mich der Methylenblauinjektion von der Vena abdominalis aus bedient. (Um auch im Inneren eine Färbung zu erzielen, ohne die topographische Übersicht zu zerstören, wurden die ausgeschnittenen Herzen in vielen Fällen vom Sinus aus mit einem Blasebalg durchlüftet. Vorfixierung mit Ammoniumpikrat, Nachbehandlung mit Ammoniummolybdat [Bethe, 1896]. Einbetten in Paraffin, Schnittdieke 20—30 u.) Auf diese Weise habe ich mehrmals eine recht vollständige Färbung des Nerven- netzes erzielen können. Das auffallendste dieser Netze gegenüber den bisher besprochenen ist die verhältnismäßig geringe Anzahl von Zellen, die in ihm enthalten sind. Die Zahl der Fasern, welche durch Teilung eines Fortsatzes entstehen, ist eben sehr groß, so daß die Zahl der Zellen gegen die der Fasern mehr zurücktritt. Trotzdem muß ich nach meinen Präparaten die Zahl der Zellen im Ventrikel auf viele Hundert taxieren. Ihre Zahl nimmt von der Basis zur Spitze hin ab; aber auch an der äußersten Spitze kommen noch Ganglienzellen zur jeobachtung. Die Herzspitze ist also zwar arm an Gan- glienzellen, aber nicht ganglienzellfrei. Die Zellen sind nie zu Ganglien vereinigt, sondern hier und dort ins Netz eingestreut. Da sie außerdem ziemlich klein sind in der Regel kleiner als rote Blutkörperchen —, mit keiner der gewöhnlichen Färbungsmethoden etwas Charakteristisches zeigen und ebenso wie die Zellen des peri- vaseulären Netzes keine Nisslschollen enthalten, so sind sie an andern als Methylenblaupräparaten kaum zu finden, jedenfalls nicht eher, als man ihre Lage aus Methylenblaupräparaten kennen gelernt hat.

92 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

Bekanntlich besteht die Muskulatur des Froschherzens aus ein- zelnen Muskeltrabekeln, welche sich besonders in der Kammer netzig untereinander verbinden. Auf Sehnitten sieht man die Trabekeln wieder aus einzelnen Fasern zusammengesetzt. Macerationspräparate lassen zwar wie bei den Säugetieren einzelne verzweigte Muskelzellen erkennen, doch hält man in neuerer Zeit von diesen Zellen nieht mehr viel, weil die Muskelfibrillen sich an die Zellgrenzen nicht kehren und kontinuierlich ganze Reihen von Zellen durchziehen (von Ebner, 1900, M. Heidenhain, 1901); beim Frosch soll allerdings nach Ebner (1900) die Vereinigung der Zellen nur eine geringe Ausbildung besitzen. Die Muskulatur von Vorhof und Kammer zeigt sich an der Atrio -Ventrikular-

Fig. 36. A Einige Trabekeln des Kammermuskels vom Frosch. Färbung des Nervennetzes mit Methylenblau. Nur die dickeren Fasern sind gezeichnet. B Trabekeln, an denen die elastischen Fasern nach der Weigertschen Methode gefärbt sind. Vergrößerung: Leitz Objek. 3, Ocular I.

grenze durchaus voneinander getrennt; breite Bindegewebsmassen und Blutgefäße liegen dazwischen. Nur dort, wo die Vorhöfe in die Kammer übergehen, an den Herzklappen, ziehen Muskelbündel von den Vorhöfen an den Klappen entlang der Kammer zu. Nach einigen Autoren sollen nun diese Bündel kontinuierlich in die Muskulatur der Kammer über- gehen. Ich habe mich hiervon an Serienschnitten nicht überzeugen können. Wohl sieht es bei schwächeren Vergrößerungen so aus, als ob ein solcher Übergang vorläge, bei stärkerer Vergrößerung habe ich aber den Eindruck gewonnen besonders an Präparaten, die mit der Weigertschen Methode für elastische Fasern gefärbt waren —, daß überall, wo sich die Muskelbündel des Vorhofs und der Kammer nahe- kommen, eine Bindegewebsschicht zwischengeschoben ist, welche von sehr vielen elastischen Fasern durchsetzt ist. Mir scheint demnach

4

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 93

die alte Anschauung vollkommen zu Recht zu bestehen, nach der die Muskulatur der Vorhöfe von der der Kammer überall und vollkommen getrennt ist. Daß andrerseits die Muskulatur der Kammer von der des Bulbus aortae vollkommen getrennt ist, dar- über kann wohl kaum gestritten werden, und diese Trennung ist von grade so großer Wichtigkeit für die Deutung der physiologi- schen Vorgänge, wie die zwischen Vorhof- und Kammermuskulatur.

Die Ganglienzellen des Nervennetzes liegen nun meist an der Oberfläche der Muskeltrabekeln, und zwar gewöhnlich dort, wo zwei Trabekel sich be- rühren, oder im Winkel, wo solche zusammenstoßen (Fig. 36 A und 37 z). Sie haben zwei bis vier Fort- sätze, welche sich in die Muskeltrabekel hineinbege- ben und sich dort in eine große Anzahl meist stark varicös gewordener Fasern aufsplittern. Die stärkeren dieser Fasern verbinden sich sehr häufig mit Fasern, welche von andem Gan- slienzellen ausgehen, so daß ein dichtes Fasernetz entsteht, das in und auf den Trabekeln liegt. Dün- a nieht dieker als einzelne fasern gehen von einem Muskelbündel auf die Nachbarbündel Neurofibrillen sind drinsen über, Bei x eine von den en Due Netz SRNRESHTONVON

S ie) Ganglienzellen. Apochromat 1,3, Compensationsocular 6.

augenscheinlich in die ein- Auf ?/, verkleinert. zelnen Muskelfasern selber ein, um sich hier noch weiter zu verzweigen. Wirkliche Nerven- endigungen, etwa Endplatten, wie sie einige Autoren gesehen haben wollen, habe ich nicht entdeeken können. Überall da, wo zwei Trabekel sich berühren, oder einer in den andern übergeht, da findet auch eine Verbindung der Nervennetze statt, wie dies in Figur 37 bei starker Vergrößerung dargestellt ist.

Während sich im allgemeinen elastische Fasern mit Methylenblau nicht färben, habe ich eine solche Färbung im Herzen zweimal ge-

94 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen.

sehen. Damit mir nicht der Einwand gemacht werden könnte, meine Netze beständen aus elastischen Fasern, habe ich einen Vergleich zwischen diesen und den Nervenfasern des Herzens anstellen müssen. Die diesbezüglichen Präparate wurden nach der Weigertschen Methode gefärbt. Es stellte sich dabei heraus, daß schon die Lage der elasti- schen Fasern eine ganz andre ist, als die der Nervennetze. Während die Nervennetze sich hauptsächlich im Inneren der Trabekeln finden, sind die elastischen Fasern ganz auf ihre Oberfläche beschränkt, hier ein dichtes Netz bildend. Dieses Netz ist immer an den Trabekeln am stärksten, welche dem Druck am meisten ausgesetzt sind, d.h. welche am Haupthohlraum der Kam- mer liegen. Reichlich vorhanden ist es auch überall dort, wo über- haupt Blut hingelangt, also an den Blutlagunen, welche in der Kammer des Frosehherzens die Coronargefäße ersetzen. Dagegen fehlt es fast ganz an den Trabekelflächen, welche aneinanderstoßen oder blutfreie Spal- ten umschließen (Fig. 36 2). Im übrigen ist auch der ganze Charakter der elastischen Fasern ein ganz verschiedener.

Überall an der Oberfläche der Kammer und des Vorhofs ist das Nervennetz in sich geschlossen, auch an der Atrio - Ventrikulargrenze; selbst da, wo sich hier Kammer

Fig. 38. Ganglien des Herzens nach Dogiel (nach einem eignen Isolationspräparat in einigen

Punkten vervollständigt). 7 Vagus, R Remak- und Vorhof sehr nahe kommen, sieht

sche Ganglien, L Ludwigsche Ganglien, BBidder- sche Ganglien.

man auch nicht eine einzige Brücke, welche beide Netze miteinander ver- bände. Nur an einer Stelle finden sich regelmäßig Verbindungen zwi- schen den Vorhöfen und dem Netz der Kammer, das ist an den Herz- klappen. Diese Verbindung ist aber wohl kein direktes Ineinanderfließen beider Netze, d. h. es geht das Nervennetz des Vorhofs nicht an den Klappen entlang in das der Kammer über. Die Verbindung scheint vielmehr dureh die Bidderschen Ganglien vermittelt zu werden. Hierfür spricht folgendes: Bekanntlich liegen die Bidderschen Ganglien dem Ursprunge der Atrio-Ventrikularklappen angelagert. Sie bestehen aus

Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 95

großen, meist unipolaren Ganglienzellen, welche reichliche NissIschollen enthalten. Durch markhaltige und marklose Fasern stehen sie mit den Remakschen Ganglien und weiterhin mit dem Vagus in Verbindung (Fig. 38). Bestimmte Angaben kann ich nun nach zwei Richtungen hin machen: 1. Von dem Nervennetz des Vorhofs gehen reichliche Mengen von Fasern in die Bidderschen Ganglien hinein. Diese Fasern sieht man auch auf Osmiumpräparaten (Isolation des ganzen Ganglions) als dünne marklose Fasern, welche be- sonders am proximalen Pol, aber auch an den Längs- seiten in jedes der beiden Ganglien eindringen. 2. Die fast durchweg mark- losen Fasern, welche jedes Biddersche Gan- slion am distalen Bor verlassen und den Klappen entlang ziehend zu Bündeln vereinigt in die Kam- mer treten, gehen hier direkt in das Netz der Kammer über (Fig. 39). Die zuerst parallel verlau- fenden Fasern teilen sich beim Eintritt in die Kammer (manchmal schon an der Klappenwand) und gehen Ai gewöhnlich bald in eine von

den kleinen, dem Netz ei-

gentümlichen Ganglienzellen Fig. 39. Einstrahlung der vom Vorhof kommenden mark- über, deren Fortsätze dann losen Nervenfasern in die Kammer. Links (schraffiert) einige

Muskeltrabekeln, die Fasern rechts davon liegen auf einer zum Teil in die Muskulatur Klappe. Der Vorhof schließt sich nach oben hin an die Fortsätzen andrer solcher

Zellen Anastomosen eingehen, wie das oben genauer geschildert ist. In welcher Weise beide Netze in den Bidderschen Ganglien miteinander in Verbindung treten, darüber kann ich keine Angaben machen. Man könnte vielleicht annehmen, daß der Übergang kein direkter ist, son- dern daß die großen Ganglienzellen der Ganglien in irgend einer noch aufzudeckenden Weise zwischen das Nervennetz der Vorkammer und das der Kammer zwischengeschaltet sind. Möglicherweise gehen auch manche der langen Nervenfasern, welche an den Klappen entlang

96 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

ziehen, im Vorhof ohne Vermittlung der Ganglien ins Nervennetz über. Gesehen habe ich es bis jetzt nicht. Weitere Untersuchungen haben hier zu entscheiden. Von dieser Verbindungsweise, welche an drei gut gefärbten Herzen die einzig sichtbare war, habe ich einmal eine Ausnahme gesehen: auch an diesem vierten Herz war die Faser- verbindung zwischen Bidderschen Ganglien und Kammer-Nervennetz vorhanden und gut ausgebildet. Daneben fand ich aber einen Faserzug, welcher, weit von den Klappen entfernt, auf der linken Seite des Herzens, von der Vorkammer kommend, die Atrio -Ventrikulargrenze (durehsetzte und sich dann im Netz der Kammer auflöste. Von wo dieser Faserzug in der Vorkammer kam, habe ich nicht feststellen können.

SIEBENTES KAPITEL.

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Ele-

mente bei verschiedenen Tieren und die Übereinstimmung

der Ergebnisse mit den Resultaten des physiologischen Experimentes.

Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen des Nervensystems sind bedingt durch die Lage der Fibrillengitter und die An- oder Abwesenheit langer Bahnen S. 96—100. Die beiden Formen des zentralisierten Nervensystems S. 100. Je höher die Ausbildung desto mehr nimmt die relative Masse der Gan- glienzellen ab S. 102—104. Ursprüngliche Gleichwertigkeit aller Ganglienzellen und ihre topographische Differenzierung bei höherer Entwicklung S. 104. Ubi- quität der Reflexe bei den Nervennetzen. Ausbreitung des Reizes nach allen Richtungen S. 105 u. f. Beweise, daß die Reizleitung bei den Medusen nervös ist S. 107. Irreziprozität der Leitung von Nerv auf Muskel bei den Medusen S. 108. Das Verhältnis zwischen Nervennetz und zentralem Nervensystem S. 111—123. Die Reflexe bei Planarien ohne Zentralnervensystem S. 111. Aplysia 8. 113—118.— Zunahme der peristaltischen Körperbewegungen nach Heraus- nahme des Zentralnervensystems. Bestehenbleiben der einfacheren Reflexe. Zu- nahme des Tonus. Ausbreitung des Reizes je nach Stärke desselben 8. 115, 116. Bei Reizung der Nervenstämme tritt keine streng lokalisierte periphere Wirkung ein, sondern eine je nach Stärke des Reizes mehr oder weniger ausgebreitete S. 117, 118. Versuche an Limax und Arion mit ähnlichem Erfolge S. 1185— 121. Vergleich zwischen den Erscheinungen bei den Mollusken mit den Erfahrungen am Ösophagus und Magen des Frosches 8. 121. Das vollständige Erlöschen der teflexe nach Zerstörung des Zentralnervensystems bei den Tieren, welche kein peripheres Nervennetz besitzen S. 123, 124.

In Figuren 40—44 habe ich zwar schematisch, aber doch unter möglichster Anlehnung an die im Präparat beobachteten Verhältnisse

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 97

die Verknüpfung der Nervenelemente bei den verschiedenen Typen des Nervensystems dargestellt. Die alleinige Existenz von Nerven- netzen bei allen niedrigen Metazoen (Medusen, Polypen, Actinien, Ütenophoren und wahrscheinlich auch den Echinodermen), die mehr oder weniger epitheliale Lage derselben bei diesen Tieren und allen höheren, bei denen Nervennetze an einigen Körperstellen neben einem zentralisierten Nervensystem vorkommen, schließlich die überaus ein- fache Verbindungsweise der Zellen untereinander und mit den inner- vierten Geweben deuten darauf hin, daß wir in den Nervennetzen die phylogenetisch älteste Form des Nervensystems vor uns haben. Von den einfachen morphologischen und physiologischen Eigenschaften dieses ältesten Nervensystems kann man, wie mir scheint, in ziemlich ununterbrochener Reihe die morphologische und mit ihr Hand in Hand gehend die physiologische Entwicklung des Nervensystems bis zu den ex-

ML,

Fig. 40. Schematische Abbildung des Fibrillenverlaufs in einem Nervennetz (Medusen, subepithelialer Nervenplexus vom Froschgaumen u. s. w.). Ep. Epithel, m. Muskelfasern.

tremsten Formen verfolgen. Mag auch über den erkenntnismäßigen Wert phylogenetischer Betrachtungen gestritten werden können, den Wert haben sie und werden sie auch immer behalten, daß sie uns die Grup- pierung der Tatsachen, erleichtern und die Darstellung vereinfachen.

Allen Formen des Nervensystems gemeinsam ist die Zusammen- setzung aus Ganglienzellen und Fasern. In beiden Elementen treffen wir überall individuell verlaufende Fibrillen, welche einen kontinuier- lichen Zusammenhang zwischen reizaufnehmender Oberfläche und den effektorischen Organen Muskeln, Drüsen u. s. w. vermitteln. Bei allen Formen des Nervensystems tritt irgendwo eine Vermischung der Fibrillen, welche von verschiedenen Stellen der Oberfläche kommen und zu verschiedenen effektorischen Organen hinziehen, vermittels eines Fibrillengitters ein, und es ist vor allem die Lage dieses Gitters, welche die Unterschiede bei den verschiedenen Formen ausmacht. Einen zweiten, für die grobanatomischen Verhältnisse viel einschnei- denderen Unterschied gibt die Ausbildung langer Bahnen ab, welche bei allen höheren Formen des Nervensystems in Erscheinung tritt und eine Zentralisation des Nervensystems mit sich bringt.

Bethe, Nervensystem. [

98 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

Bei den Nervennetzen stehen alle Zellen durch plasmatische Fasern miteinander in direktem Zusammenhang, und zwar in der Regel jede Zelle mit den nächstbenachbarten, und diese wieder mit ihren Nach- barn, so daß auch die entferntesten Zellen mittelbar in Verbindung stehen. Aber der Zusammenhang ist nicht nur plasmatisch: jede Zelle enthält ein Fibrillengitter, das mit dem der Nachbarzellen durch parallel verlaufende Fibrillen in Verbindung steht. Nur in den Ganglienzellen sind hier Gitter vorhanden, zwischen zwei Zellen ist nie ein solches eingeschaltet (Fig. 40).

Auch im Nervensystem der Hirudineen spielt das Fibrillengitter der Ganglienzellen eine große Rolle, aber es gibt hier neben ihm noch

Fig. 41. Schema des Fibrillenverlaufs im Nervensystem von Würmern (Hirudo),. @G. Ganglion, Gx%. Ganglienzellen, Rx. Rezeptionszellen.

ein andres, das zwischen die Ganglienzellen eingeschaltet ist (Fig. 41): die Ganglienzellen (des zentralen Nervensystems) stehen nicht mehr in einem direkten plasmatischen Zusammenhang, sondern die Kontinuität wird nur noch von Fibrillen hergestellt, welche in der Regel dieses zwischengeschaltete Netz passieren. Auf diese Weise treten die Zellen in jedem Ganglion in viel ausgiebigere Beziehungen zueinander, als es bei den Nervennetzen möglich ist. Dort ist zwar die Beziehung zwischen den Fibrillennetzen zweier benachbarter Zellen inniger, da- für sind aber hier auch relativ weit voneinander entfernte Zellen re- lativ besser miteinander verbunden. Es ist hier augenscheinlich ein Teil des Fibrillengitters, das wir bei den Nervennetzen allein in den Ganglienzellen antrafen, aus den Zellen heraus verlagert und zwischen die Zellen eingeschaltet, welche, um diesen Zusammen- hang durch ein extracelluläres Fibrillengitter ohne allzu großen Auf-

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 99

wand von Material zu ermöglichen, auf einen kleinen Raum zu- sammengezogen sind.

Die Verlagerung des Fibrillengitters aus den Zellen heraus scheint bei den Crustaceen noch ausgesprochener zu sein. Im allgemeinen verhält sich bei ihnen der Zusammenhang der Neurofibrillen ganz wie bei den Hirudineen; nur in einem Punkt besteht ein großer Unter- schied, welcher zu den Verhältnissen, wie wir sie bei Wirbeltieren finden, überleitet: Während bei den Hirudineen alle Fibrillen, welche einem plasmatischen Komplex (Ganglienzelle und daran hängenden Fasern und Aufsplitterungen, also das, was man gemeinhin als Neuron bezeichnet) angehören, in das Fibrillengitter der Ganglienzelle ein- sehen, existieren bei den Urustaceen wohl in jedem Neuron eine Menge

Fig. 42. Schema des Fibrillenverlaufs im Nervensystem von Crustaceen (Careinus).

Fibrillen, welche nicht in das Gitter der zugehörigen Ganglienzelle eintreten, ja die Zelle überhaupt nicht passieren (Fig. 42).

Bei den Wirbeltieren ist die Verlagerung des Fibrillengitters aus den Ganglienzellen heraus nahezu vollständig geworden. Zwar finden sich in einigen Zellarten auch hier noch Fibrillengitter (S. 57), aber in den meisten ist nichts davon zu bemerken. Das ganze Fibrillen- gitter liegt außerhalb der Zellen an ihrer Oberfläche und zwischen ihnen [pericelluläres diffuses Golginetz (?)] (Kig. 43).

Wo wir in der Tierreihe Nervennetze finden, da sind sie immer diffus in der unmittelbaren Nachbarschaft der innervierten Elemente, also hauptsächlich der Muskeln, ausgebreitet. Die Fibrillengitter der Zellen treten immer nur mit der dieht benachbarten Muskulatur und reizaufnehmenden Oberfläche durch Fibrillen in Verbindung. Zwar kommen bei den Medusen und den Darmnetzen der Hirudineen Fibrillen vor, welche eine Ganglienzelle glatt durchziehen, ohne in ihr Fibrillen-

-:%

100 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

gitter überzugehen, aber man wird annehmen dürfen, daß sie doch in einer der nächsten Zellen an der Gitterbildung teilnehmen. Direkte Verbindungen weit entfernter Partien des Nervennetzes werden jeden- falls durch sie nicht hergestellt werden können. Durch die Nerven- netze das liegt auf der Hand können immer nur ganz diffuse Reflexe vermittelt werden: entweder wird ein Reiz, der an einer Stelle angesetzt wird, immer die gesamte Muskulatur in Bewegung setzen, oder, falls er schwach ist und ein Abfall der Erregung mit ihrer Aus- breitung Hand in Hand geht, die zunächst gelegene am stärksten er- regen und die entferntere überhaupt nicht. Bestimmt gerichtete Re- flexe, stärkere Wirkungen an entfernteren Orten u. s. w. werden gar nicht zustande kommen können (oder höchstens ganz unvollkommen

Fig. 43. Schema des Fibrillenverlaufs im Nervensystem der Wirbeltiere.

auf die Weise bewirkt werden können, daß die Muskulatur an ge- wissen Stellen eine geringere Reizschwelle besitzt, als an andern). Damit entferntere Partien des Körpers gemeinsam miteinander arbeiten können, müssen die Fibrillengitter, von denen aus ihre Mus- kulatur innerviert wird, in nähere Beziehungen zueinander gesetzt werden, und das kann auf verschiedene Weise geschehen: es können zwischen den entfernten Fibrillengittern lange Fasern mit parallel ver- laufenden Fibrillen eingeschaltet werden, es können aber auch die Fibrillengitter einander nahegerückt werden, wo sie dann besser unter- einander Fibrillen austauschen können. Aber auch hierbei ist natür- lich die Ausbildung langer Fasern wunerläßlich; sie werden in der Hauptsache vom Gitter zur reizaufnehmenden Fläche und zu den effektorischen Organen ziehen. Beide Mögliehkeiten sind innerhalb der Tierreihe zur Ausführung gelangt; die zweite allerdings wohl

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 101

nirgends in reiner Form, sondern immer mit der andern vermischt. Eine fast vollständige Zentralisation der Gitter (bis auf den kleinen Rest von Nervennetz, der fast bei allen Tieren zu gewissen Zwecken an der Peripherie bleibt) finden wir bei Hirudineen, Crustaceen und Wirbeltieren, wobei die Gitter sich mehr oder weniger von den Ganglienzellen emanzipieren; bei den niederen Würmern und den Mollusken bleibt dagegen das Nervennetz überall an der Peripherie bestehen und es bilden sich nur lange Bahnen zwischen den einzelnen

Fig. 4. Schema des Nervensystems der Mollusken. @G. Ganglion, @x. Ganglienzellen desselben. S.p.o. oberflächlicher (subepithelialer), S.p.u. tiefer Nervenplexus, n. Muskeln, Rx. Rezeptionszellen.

Teilen desselben aus, welche von Gittern (Ganglien) in der Mitte unter- brochen werden (vielleicht sind auch die Eehinodermen als Vertreter einer sehr niederen Stufe dieser Form hierher zu rechnen).

Die Figur 44 stellt einen Teil des Körpers eines Molluskes sche- matisch dar. Da über den Verlauf und die Verknüpfungsweise der Neurofibrillen bei den Mollusken (wie auch bei den niederen Würmern) nur wenig bekannt ist, habe ich nur die plasmatischen Bahnen in das Schema eingetragen. Daß dieselben Fibrillen enthalten und daß in den zwischengeschalteten Ganglienzellen die Fibrillen Gitter bilden, ist sicher, daß im Neuropil außerdem extracelluläre Gitter bestehen,

102 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

ist sehr wahrscheinlich. Man würde das Schema also leicht auf die Fibrillenverhältnisse hin umarbeiten können, ohne dabei aber wesent- lich weiterzukommen. Unter dem Epithel breiten sich durch den ganzen Körper hin zwei Nervennetze aus, welche hier und dort mit- einander in Verbindung stehen. Das eine liegt dem Epithel, das andre der Muskulatur näher. Das letztere tritt zur Muskulatur durch Fasern in Beziehungen, ebenso zur reizaufnehmenden Oberfläche. Das erstere geht in der Hauptsache mit dem Epithel und den Drüsen Ver- bindungen ein. Wir finden hier also dieselben Verhältnisse, wie bei den Medusen, nur sind sie etwas komplizierter. Hauptsächlich von dem inneren Netz gehen nun Faserzüge, an denen hier und da Ganglien- zellen liegen, in die Mitte des Körpers, um hier in Ganglien überzu- sehen. Durch diese langen Bahnen werden Teile des Nervennetzes, welche weit voneinander entfernt sind, in direktere Beziehungen zu- einander gebracht, und diese Beziehungen werden dadurch noch inniger und vielseitiger, daß in die langen Bahnen Fibrillengitter (Ganglien vom Typus höherer Tiere, wohl am ähnlichsten denen der Crustaceen) eingeschaltet sind.

Ebenso wie bei den höheren Würmern, Crustaceen und Wirbel- tieren, bei denen wenigstens für die Bewegungsmuskulatur kein Rest von Nervennetz an der Peripherie zurückgeblieben ist, stoßen die langen, von der Peripherie kommenden und zur Peripherie gehenden Fasern nicht in einem Punkt zusammen. Es existiert nicht ein Ganglion, sondern mehrere (oder, wie bei den Wirbeltieren, ein langer Strang von Zentralsubstanz). Eine Vereinigung auf einen Punkt wäre ja bei der räumlichen Ausdehnung der Neurofibrillen unmöglich und auch nicht zweekentsprechend, weil dann wieder alles in ähnlicher Weise diffus zusammengemischt würde, wie bei den diffusen Nervennetzen. Die Beziehungen müssen zum Zustandekommen eines geordneten Reflex- lebens bald inniger, bald lockerer sein. Wir sehen deshalb wieder innerhalb der zentralisierten Teile des Nervensystems lange Balınen, die einzelnen Teile des Fibrillengitters mag es endocellulär oder extracellulär sein miteinander. in innigere Verbindung bringen. Von solchen langen Bahnen ist weiter nichts zu verlangen, als daß sie ein- zelne Teile des Neurofibrillengitters in direktere Verbindung setzen, so daß also die unverzweigten Fibrillen, welche bei den Urustaceen (Fig. 42) von einem Fortsatz zum andern gehen und bei den Wirbel- tieren (Fig. 43) von einem Protoplasmafortsatz zum andern verlaufen, srade so gut als intracentrale Bahnen angesehen werden müssen, wie etwa die aus vielen Tausenden von Neurofibrillen bestehenden Pyra- midenbahnen. .

Wenn man die Dinge so betrachtet, wie es hier geschehen ist, so liegt es auf der Hand, daß ein Nervensystem desto mehr lange

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 103

Bahnen und desto reichlichere Fibrillengitter besitzen muß, je kompli- zierteren und vielseitigeren Zwecken es dient. Es ist aber auch klar, daß der Aufwand von Fibrillenmaterial hierbei ein geringerer ist, wenn die Gitter extracellulär liegen, als wenn sie in den Zellen liegen, be- sonders dann, wenn die Ganglienzellen außerhalb des Bereichs liegen, in dem die langen, von der Peripherie kommenden Fasern sich auf-

D.b.

Fig. 45. 4A Querschnitt durch ein Ganglion von Hirudo, PB durch ein Ganglion von Astacus, C durch

das Rückenmark vom Frosch. Die drei Querschnitte sind durch verschiedene Vergrößerung auf un-

gefähr gleiche Fläche gebracht; die Masse der Ganglienzellen ist mit Hilfe der Camera im rich-

tigen Verhältnis zur Fläche der Schnitte gezeichnet. In D sind verschieden große Ganglienzellen

derselben Tiere bei gleicher Vergrößerung gezeichnet. a Hirudo, b Astacus, ce Frosch. (Ver- größerung: A 140mal, B 42 mal, © 25mal, D 450 mal.)

splittern. Mit andern Worten: Je höher die nervösen Äuße- rungen eines Tieres sind, desto mehr wird die Masse der Ganglienzellen gegen die desGraus und derlangen, intrazentralen Bahnen zurücktreten. (Zu den langen Bahnen sind natürlich alle Fibrillen zu rechnen, welche in gestrecktem Verlauf verschiedene Teile des Fibrillengitters miteinander verbinden; sie mögen einzeln innerhalb oder außerhalb plasmatischer Bahnen laufen oder zu Kabeln in plasmatischen Fasern vereinigt sein, wie z. B. die Kleinhirn-

104 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

Seitenstrangbahnen, die Brücke u. s. w.) Würde man das Nervennetz einer Meduse oder noch besser eines Seeigels zu einem Klumpen zu- sammenballen können, so würde die Masse der Zellkörper die der Ver- bindungsfasern sicher übertreffen; dabei spielen noch die Verbindungs- fasern nicht nur die Rolle langer (intrazentraler) Bahnen, sondern sind zum Teil schon als periphere Fasern anzusehen, da sie viele Fibrillen enthalten, die sich später ins Epithel oder zur Muskulatur begeben. Ich habe es unterlassen, hiervon eine Abbildung zu geben, da es sich nur um eine vage Schätzung handeln würde. Dagegen bilde ich in Figur 45 drei Schnitte ab, von welchen der erste einem Ganglion von Hirudo, der zweite einem Ganglion von Astacus und der dritte dem Rücken- mark eines Frosches entstammt. (Alle drei Schnitte sind so vergrößert, daß die Fläche annähernd gleich groß ist.) Die ersteren beiden lassen einen direkten Vergleich zu und zeigen, wie bei dem in seinen nervösen Äußerungen dem Blutegel weit überlegenen Krebs, die Masse der Ganglienzellen gegenüber der der Fasern und ihrer Aufsplitterungen relativ viel geringeriist, als bei diesem. Das Rückenmark ist bei dem Vergleich insofern im Nachteil, als hier die Ganglienzellen (aber auch die Faseraufsplitterungen!) nicht zu Ganglien vereinigt sind. Auch wenn man das in Rechnung zieht, so ist doch hier die relative Masse der Ganglienzellen (ich meine Masse, und nicht Zahl) noch viel geringer, als beim Krebs. (Bei höheren Wirbeltieren ist dies in noch höherem Maße der Fall.) Dabei sind die Ganglienzellen des Frosches im absoluten Maß größer, als die von Hirudo, und kaum kleiner, als die von Astacus, wie die Zusammen- stellung in Figur 45 D zeigt; im Verhältnis zur Masse des ganzen Nervensystems sind sie aber außerordentlich viel kleiner.

Sehr instruktiv ist auch die Vergleichung andrer Zentralteile, und ich mache hier nochmals auf die Abbildungen Nissis (Fig. 25) auf- merksam. Die ontogenetische Entwicklung des Nervensystems zeigt in gleicher Weise, wie mit zunehmender physiologischer Vollkommen- heit die relative Masse der Ganglienzellen abnimmt. (Wenn man z. B. das kückenmark eines jungen Hundes mit dem eines erwachsenen vergleicht. Durch Zunahme der Markscheidendieke sind die hier vor- handenen Unterschiede lange nicht erklärt.) Diese Tatsachen zeigen bereits, daß den Ganglienzellen unmöglich die hohe Bedeutung für die nervösen Prozesse zukommen kann, die ihnen von vielen Forsehern zuerkannt wird.

Bei den Medusen sind noch alle Ganglienzellen gleichwertig. Jede Zelle entsendet aus ihrem Gitter Fibrillen nach der rezeptorischen Ober- fläche, zur Muskulatur und zu benachbarten Ganglienzellen (Fig. 40).

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 105

(Ganz ähnlich ist es auch bei den Nervennetzen im Gaumen des Fro- sches.) Jede Zelle birgt also alle Qualitäten in sich, welche wir bei höheren Formen auf verschiedene Zellen verteilt finden, d. h. jede Gan- glienzelle ist zugleich Rezeptionszelle, motorische Zelle und Kommissur- zelle. Zwar gibt es bei den Medusen besondere Rezeptionszellen, d. h. Zellen, welehe nicht direkt Fibrillen zur Muskulatur entsenden, sondern nur zur Oberfläche und zu benachbarten Zellen, aber diese kommen wenigstens bei den Acraspeden nur an gewissen Körperstellen vor (äußere und innere Sinnesgrube und Randkörper). Bei allen wirbellosen Tieren, welche eine Zentralisation des Nervensystems zeigen, sind die meisten Rezeptionszellen an der Peripherie geblieben, bei den Wirbel- tieren sind sie dem Zentralnervensystem nahe gerückt oder liegen sogar in ihm (Spinalganglien); nur an wenigen Stellen finden sie sich noch im Epithel (Riechschleimhaut). Unter den zentral vereinigten Zellen gibt es bereits bei Hirudo eine ganze Anzahl, die mit peripheren Organen überhaupt in keiner direkten Verbindung stehen, d. h. die in ihnen enthaltenen Fibrillen stellen nur kürzere Wege zwischen dem Gitter verschiedener Zentralteile her und treten erst durch diese mit peripher verlaufenden Fibrillen in Verbindung. Bei Crustaceen und Vertebraten ist ihre Zahl noch wesentlich größer. Solche „Neurone“ haben die direkt motorische und rezeptorische Funktion aufgegeben und sind nur noch Kommissurelemente. Indirekt sind sie aber ebensogut motorisch wie rezeptorisch, sowie auch die rezeptorischen Neurone indirekt moto- risch und die motorischen indirekt rezeptorisch sind. Eine scharfe Grenze zwischen Rezeption und Motilität im Bereich der nervösen Apparate läßt sich weder anatomisch noch physiologisch ziehen. Die Unterschiede sind immer nur relativ und beruhen auf der Richtung, in der normalerweise die Reizleitung geschieht.

Es ist nun meine Aufgabe, zu zeigen, inwieweit die besprochenen anatomischen Daten mit den Ergebnissen der physiologischen Experi- mente übereinstimmen. Nach den anatomischen Befunden muß man zu der Vorstellung gelangen, daß überall dort, wo Neurofibrillen, welche von der reizaufnehmenden Oberfläche kommen, mit solehen in einem Netz zusammenstoßen, die zu Muskeln gehen, die Bedingungen zu einem Reflex gegeben sind. Da wir nun bei den Tieren und Organen, welche von Nervennetzen innerviert werden, überall solche Gitter vor- finden, so muß hier auch jedes kleinste Stück reflexfähig sein; da außerdem alle diese Gitter untereinander in Verbindung stehen, so kann nur bei vollkommener Kontinuitätstrennung die Leitung von einem Teil des Tieres (oder Organes) zum andern aufgehoben werden. Dies bestätigt sich im vollsten Maße bei allen Nervennetzen, am leichtesten und elegantesten ist es aber bei den Medusen zu demon- strieren.

106 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

Eine der auffallendsten Erscheinungen bei den Medusen sind die rhythmischen Bewegungen, welche die ganze Glocke spontanerweise ausführt. Ziemlich gleichzeitig wurde nun von Eimer (1878, vorläufige Mitteilung 1876) und Romanes (1876 und 1877) gezeigt, daß diese Bewegungen fortfallen, wenn man sämtliche Randkörper entfernt. Von einer Lähmung ist aber hierbei nicht die Rede, denn das Tier reagiert auf jede mechanische Reizung der Subumbrella mit einer einzelnen

. EEE ——

IIINIEN

Fig. 46. Diagramme zu Versuchen über die Erregungsleitung bei den Medusen. 7. Versuch von Romanes. Der Körper ist zu einem langen Spiralband zerschnitten; durch abwechselnde Einschnitte ist ein Zickzackband hergestellt. Nur an einem Ende befindet sich noch ein Randkörper, von dem aus die Kontraktionswellen in rhythmischer Folge bis zum äußersten Ende laufen, wenn die Brücken nieht unter 1—2 mm breit sind. II. Zwei Muskelfelder aus dem Schirm von Rhizostoma (s. Fig. 35, S.90), welehe nur durch muskelfreies Gewebe miteinander verbunden sind. Wird irgendwo mechanisch (oder elektrisch) gereizt z. B. bei x, so zucken stets beide Muskelfelder. //I. Durch den bis ins muskelfreie Feld geführten Schnitt wird nicht verhindert, daß das linke Muskelfeld an den spontanen Kontraktionen teilnimmt, welche von dem Randkörper auf der rechten Seite ausgehen. IV. Dasselbe zeigt sich, wenn der Schnitt vom Zentrum bis in den muskelfreien Rand geführt wird.

Kontraktion der ganzen Glocke. Andauernde Reize irgend welcher Art (mechanische, ehemische, faradische) rufen keine einzelne Kon- traktion, sondern wieder rhythmische Bewegungen hervor, welche mit dem Schwinden des Reizes wieder aufhören. Das randkörperfreie Tier verhält sich also gradeso wie die „ganglienlose‘“ Herzspitze. Die Gegenwart eines einzigen Randkörpers genügt aber, um eine Meduse dauernd in rhythmischer Bewegung zu erhalten. Beide Forscher zeigten

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 107

nun, daß radiäre Einschnitte zwischen den Randkörpern die Koordination nicht oder kaum stören. Rollt man den ganzen Körper durch einen Spiralschnitt zu einem langen Bande auf und nimmt alle Randkörper bis auf einen fort, der an einem Ende des Bandes gelegen sein mag, so führt der ganze Streifen seine rhythmischen Kontraktionen aus; ja man kann aus dem Bande durch tiefe seitliche Einschnitte ein Ziekzack- band machen, immer noch geht der Reiz vom Randkörper aus durch das ganze Band hindurch, wenn nur die Brücken noch eine Breite von etwa einem Millimeter haben (Fig. 46 /). Wird der Randkörper fortgeschnitten, so ist der Streifen wie gelähmt; sticht man aber an einem Ende mit einer Nadel hinein, so läuft eine Kontraktionswelle über den ganzen Streifen hin. Wie die Tiere zerschnitten werden ist ganz gleich; der Reiz geht durch jede Brücke hindurch. Es ist kaum nötig noch zu bemerken, daß jedes kleine Stück aus der Subumbrella reflexfähig ist.

Wir finden also bei den Medusen die Eigenschaften vor, die man bei einem Nervennetz zu erwarten hat, nur ist es die Frage, ob das im Epithel gefundene Netz wirklich die Reizleitung vermittelt oder ob sie nicht etwa durch die Muskulatur selber besorgt wird, wie dies Engelmann (1875) bei den ganz analogen Erscheinungen am Herzen angenommen hat. Romanes hat bereits diese Frage in Erwägung ge- zogen und sich dahin ausgesprochen, daß wenigstens für die rhyth- mischen Bewegungen eine muskuläre Leitung angenommen werden könne. Für die Bewegungen der Tentakeln und einige andre Er- scheinungen nimmt er dagegen eine nervöse Leitung an und sucht dieselbe experimentell zu beweisen. So sehr ich die Arbeiten von Romanes schätze, so kann ich ihm doch hierin und in manchem andern nicht beipflichten: Die nervöse Leitung im Medusenorganismus scheint mir ebenso leicht beweisbar, wie bei den Reflexen irgend eines hoch- stehenden Wirbeltieres!

Bereits die Leitung von den Randkörpern, von denen ja ohne Zweifel die rhythmischen Bewegungen ausgehen, zur Muskulatur muß durch ein andres Element geschehen als durch Muskelfasern, da, wie Figur 34 (S. 89) zeigt, Muskulatur und Randkörper weit auseinander liegen. Zwischen beiden liegt nur Gallerte, Epithel und Nervennetz. Die Gallerte ist leitungsunfähig, denn man braucht an einem Medusen- streifen nur das Epithel der Subumbrella, in dem ja auch das Nerven- netz und die Muskulatur liegen, zu durchtrennen, dann zuckt bei Reizung einer Seite immer nur diese, trotzdem die Gallerte in ihrer ganzen Dicke beide Seiten miteinander verbindet. Andrerseits kann man die Gallerte durchschneiden, ohne daß die Reizleitung von einem Stück zum andern darunter leidet, wenn nur das Epithel unverletzt ist. Auch das gewöhnliche undifferenzierte Epithel leitet nicht; die ganze

108 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

Umbrella ist mit solehem bedeckt, aber man kann sie reizen so stark man will, nie wird man auch nur die leiseste Bewegung in der Muskulatur der Subumbrella oder der Tentakeln beobachten. Hier fehlt eben das als Nervennetz angesprochene Gewebe vollkommen. Es kann also nur das Nervennetz sein, das den Reiz von den Rand- körpern auf die Muskulatur überträgt.

Bei den meisten Medusen kommt überall da, wo sich Nerven- netz ausbreitet, auch Muskulatur in der Nachbarschaft vor; bei Rhizo- stoma gibt es aber große muskelfreie Felder, welche vom Nervennetz durchzogen werden (Fig. 35, S. 90). Wenn man aus einem solchen Tier Stücke herausschneidet, wie sie in Figur 46 77 abgebildet sind, so steht die Muskulatur beider Seiten nur durch Nervennetz miteinander in Verbindung. Wäre nun die Leitung von Muskelfaser zu Muskel- faser muskulärer Natur, so dürfte bei Reiz einer Seite immer nur diese zucken. Das ist aber nicht der Fall: der Reiz geht bei jeder Art von Reizen auch auf die Muskulatur jenseits des muskelfreien Feldes über.') Da die muskelfreien Felder bei großen Tieren eine jreite von 1—2 cm haben, so ist jeder Irrtum ausgeschlossen: Die Leitung ist nervöser Natur!!

Es gelingt aber auch den Beweis zu liefern, daß nur das Nerven- netz leitet, d. h. daß der Reiz überhaupt nicht direkt von einer Muskel- faser auf die andre übergehen kann. Berührt man ein randkörper- freies Stück von der Oberfläche her, so zuckt unter gewöhnlichen Bedingungen das ganze Stück, weil das Nervennetz über den Muskel- fasern liegt und entweder direkt oder durch Vermittlung der intra- epithelialen Endigungen gereizt wird. Am Querschnitt liegen nun die Muskelfasern direkt zutage und man kann dicht an der Gallerte direkt mit der Nadel ein Muskelbündel berühren. Wenn der Versuch mit der nötigen Vorsicht ausgeführt wird, so sieht man immer, daß sich nur das Muskelbündel schnell zusammenzieht, das von der Nadel getroffen ist, während alle übrigen in voll- kommener Ruhe verharren: Dieser Versuch gibt auch einen sehr guten Beweis dafür, daß der Reiz nicht im- stande ist, rückläufig vom Muskel auf den Nerv über- zugehen, eine Tatsache, die Kühne (1859) zuerst mit Hilfe des /Zweizipfelversuchs am Sartorius festgestellt hat. (Am besten gelingt

1) Die allerzentralsten und breitesten Teile der muskelfreien Felder sind fast nervenfrei; man darf also keinen Streifen aus dieser Gegend benutzen. Auch am Schirmrand kann man demonstrieren, daß die Leitung nicht durch die Muskeln selbst besorgt wird. Hier ist ein Streifen von mehreren Millimetern Breite vorhanden, der Nervennetze aber keine Muskeln enthält. (Der äußerste pigmentierte Rand führt auch keine Nerven mehr.) Führt man einen Schnitt wie in Figur 46 ///u. IV angegeben, so macht das linke Stück dierhythmischen Kontraktionen des rechten mit.

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dieser Versuch bei Cotylorhiza, weil sich hier die Muskulatur faltig in die Gallerte einsenkt, während die Nerven über diese Falten glatt fortziehen. Die Gefahr ist also hier gering, daß man mit der Nadel zugleich mit den Muskeln das Nervennetz berührt. Bei absterbenden Stücken, welche auf mechanischen Reiz nicht mehr sehr leicht reagieren, gelingt es auch ein einzelnes Bündel in der Weise zum Zueken zu bringen, daß man mit einer stumpfen Nadel in der Längsrichtung von der Epithelseite her über die Faser streicht. Ist die Nadel scharf oder der Druck zu groß, so zuckt das ganze Stück.)

Nach alledem kann es keinem Zweifel unterliegen, daß bei den Medusen die Reizleitung nervös und nicht muskulär ist, und daß die Netze im Epithel diese reizleitende Funktion ausüben, wie es Eimer und die Gebrüder Hertwig nach den anatomischen Befunden von vornherein angenommen haben. Die Existenz von ganz ähnlichen Nervennetzen im Herzfleisch im Verein mit den außerordentlich weit- gehenden Analogien zwischen den physiologischen Erscheinungen, welche an den Medusen und am Herzen zu beobachten sind (siehe Kapitel 22), veranlassen mich dazu, anzunehmen, daß die Reizleitung entgegen der Auffassung von Engelmann auch im Herzen eine rein nervöse ist. Es wäre sonst auch ganz unverständlich, was diese Un- masse von Nervenelementen, die ich und andre im Herzmuskel ge- funden haben, zu bedeuten hätten. Da ihre Anordnung im Herzen dreidimensional ist, so spricht der Engelmannsche Hauptversuch, die Auf- rollung der „ganglienzelllosen“ Herzspitze zu einem Bande, ebensogut für eine nervöse Leitung, wie für die muskuläre. Da Engelmann an- nahm, daß die Nervenfasern in der Kammer parallel nebeneinander und ohne seitliche Verbindungen von der Basis zur Spitze verliefen, so konnte er aus seinem Versuch den Schluß auf muskuläre Leitung im Herzen ziehen. ‚Jetzt, wo die netzige und dreidimensionale An- ordnung der Nervenelemente nachgewiesen ist, ist diese Hypothese im höchsten Grade zweifelhaft geworden. Auch ein andrer Bewers für die muskuläre Erregungsleitung im Herzen scheint mir hinfällig ge- worden zu sein. Bowditsch, Aubert und Langendorff (1902, p. 284) klemmten im lebenden Frosch nach dem Vorgehen Bernsteins die Herzspitze ab, um dadurch die Nervenfasern zur Degeneration zu bringen. Sie fanden nun die Herzspitze noch nach Wochen, ja Monaten erregbar. Die ruhende Herzspitze kontrahierte sich auf Reiz im ganzen. Dieser Beweis fällt mit dem Nachweis von Ganglienzellen in der Herzspitze und dieser scheint mir gelungen. Aber abgesehen davon wäre der Beweis zweifelhaft, weil es marklose Nerven zu geben scheint, die nieht degenerieren (siehe Kapitel 10). Weiter unten werde ich noch Versuche mitteilen, welche durch die muskuläre Leitung über- haupt nicht zu erklären sind.

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Ich habe schon oben angedeutet, daß aus dem anatomischen Auf- bau der Nervennetze nicht nur der Schluß zu ziehen ist, daß ein irgendwo angesetzter Reiz zu allen Stellen hingelangen muß, sondern daß auch der Effekt des Reizes, wenn der Reiz submaximal ist, sich in der nächsten Nähe des Reizortes am stärksten geltend machen und von da aus allmählich an Stärke abnehmen muß. Dies läßt sich an der Muskulatur der Subumbrella der Medusen nicht demonstrieren, weil sie auch das mit der Muskulatur des Herzens gemein hat, daß sie nur auf gewisse Reizstärken antwortet, und dann immer gleich mit maxi- maler Intensität (‚Alles- oder Nichts-Gesetz‘“ von Bowditsch). Wirkt der Reiz überhaupt, so dehnt er sich gleich auf die ganze quergestreifte Muskulatur der Subumbrella aus. Anders ist es mit der Muskulatur des Magenstiels und der der Tentakeln. Diese führt keine schnellen Einzelzuckungen aus, wie die Muskulatur des Herzens und der Sub- umbrella, sondern sie besorgt langsamere, mehr tonische Kontraktionen, wie sie den Muskeln der meisten Wirbellosen zukommen, und ist auch durch faradische Erregung in eine Art von Tetanus zu versetzen. |Dieser bleibt bei der Muskulatur des Herzens (Heidenhain, 1858, u. a.) normalerweise (Öyon, 1900) und bei der Muskulatur der Subumbrella (Uexküll, 1901, ich) auch bei stärkster Faradisation aus; es kommt hier nie zu etwas anderem als zu rhythmischen Kontraktionen.| Das günstigste Objekt zu diesen Untersuchungen scheint mir Carmarina hastata mit ihren schönen langen Tentakeln und ihrem langen Magen- stiel zu sein (auch die Tentakeln von Polypen, besonders von Üeri- anthus, geben ein günstiges Objekt ab).

Bereits Nagel (1894) hat Carmarina zu ähnlichen Versuchen benutzt und Resultate erzielt, mit denen sich die meinigen fast ganz decken: die rhythmischen Kontraktionen der Glocke treten immer gruppenweise auf, wie überhaupt bei den meisten Medusen. Die Pausen dauern bei großen Tieren oft eine halbe Minute und mehr, so daß man Zeit hat, seinen Versuch während derselben anzustellen. Berührt man einen Tentakel z. B. in der Mitte ganz leicht mit einem Glasstäbchen, so tritt nur eine kleine lokale Kontraktion, eine geringe Verdiekung, an demselben auf. Ist die Berührung stärker, so greift die Kontraktion auf weitere Teile des Tentakels über. Bei einem kleinen Stoß tritt schon ein Emporsehnellen des ganzen Tentakels auf, welches sich bei noch stärkerem Anstoß auf die beiden zunächst benachbarten Ten- takeln und schließlich auf alle Tentakeln ausdehnt. Hierbei macht der Magenstiel bereits in der Regel eine schwache Bewegung nach der Reizstelle hin, die bei weiterer Steigerung des Reizes zu einem heftigen Schlagen mit dem Magenstiel wird. Der äußerste Effekt be- steht dann schließlich in einer oder mehreren vorzeitigen Kontraktionen der Schwimmglocke. Der Reiz dehnt sich also bei zunehmender Stärke

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auf immer weitere Gebiete des Tieres aus; es geht aber auch aus dem Versuch hervor, daß die Reizschwelle der Glockenmuskulatur höher liegt als die der Tentakeln und des Manubriums. Dies gilt je- doch nur für Reize, welche von außen kommen, denn bei den spon- tanen rhythmischen Bewegungen der Glocke fehlen Bewegungen der Tentakeln und des Magenstiels oft ganz.

Eine Ausdehnung des Effektes bei zunehmender Reizgröße kann man auch, wie ja bekannt, an den ebenfalls von Nervennetzen inner- vierten Blutgefäßen der Wirbeltiere beobachten; ich meine die lokale Gefäßerweiterung bei thermischer, chemischer und mechanischer Reizung der Haut und die lokale Gefäßverengerung bei Kältereiz. Es wird ja zwar vielfach angenommen, daß diese Reize direkt auf die Gefäß- muskulatur wirkten und daß die Weiterleitung zu entfernteren Gefäß- partien von der Muskulatur selber besorgt würde; mir scheint diese Ansicht aber unhaltbar. Die erste Frage ist für mich wieder die: Was sollen die engmaschigen Nervennetze, die die Gefäße umgeben und die benachbarten Gefäße miteinander in Verbindung bringen? Ich glaube aber, daß man auch direkt durch das Experiment beweisen kann, daß die Reizleitung hier nicht muskulär sein kann. Da jedoch meine dahin gehenden Versuche noch nicht abgeschlossen sind, ver- schiebe ich ihre Veröffentlichung auf eine spätere Gelegenheit.

Nach meiner Meinung handelt es sich bei den lokalen Gefäß- veränderungen um richtige Reflexe, und ich zweifle keinen Augen- blick, daß es bei den Bewegungen des Darmes des Ureters u. s. w., kurz allen den Organen, in denen Engelmann und mit ihm viele andre eine muskuläre Leitung annehmen, grade so ist. Von den Erschei- nungen, welche man bei Medusen zu beobachten imstande ist, unter- scheiden sich diese Bewegungen nur dadurch, daß sie außer durch die Vorgänge im Nervennetz selber auch durch solehe bestimmt werden, welche im Zentralnervensystem ablaufen (das die Medusen nicht be- sitzen) und dem Nervennetz durch lange Bahnen (riehtige Achsen- zylinder, Fig. 27) übermittelt werden. Es liegen bei diesen Organen, wie mir scheint, Verhältnisse vor, wie sie uns bei den niederen Würmern und den Mollusken noch im Gebiet der gesamten Körper- muskulatur in außerordentlicher Klarheit entgegentreten: die Muskulatur ist hier wie bei den Gefäßen, dem Darm u. s. w. durch ein einge- lagertes und mehr oder weniger modifiziertes Nervennetz in einem gewissen Grade nervös selbständig, kann aber vom Zentralnervensystem aus beeinflußt werden. Auf diese Erscheinungen will ich im folgen- den wegen ihrer hohen theoretischen Wichtigkeit genauer eingehen:

Von niederen Würmern sind hauptsächlich Planarien untersucht worden. Wie oben beschrieben, besteht das eigentliche zentrale Nerven- system dieser Tiere in zwei Ganglien, welche am vorderen Ende des

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Körpers gelegen sind und als Gehirn bezeichnet werden. Von hier aus gehen aber Nervenfasern durch den ganzen Körper, welche von vielen Ganglienzellen durchsetzt sind und an der Peripherie höchst wahrscheinlich in ein wirkliches Nervennetz übergehen. Zwischen Süßwasserplanarien und Seewasserplanarien zeigen sich nun nach Loeb (1899) bei Zerteilung der Tiere in eine Hälfte, welehe das Gehirn enthält, und eine gehirnlose Hälfte wesentliche Unterschiede. Durch- schneidet man eine Planaria torva (Süßwasserplanarie), während sie am Boden dahinkriecht, mit einem Messer in eine vordere und eine hintere Hälfte, so kriecht jede Hälfte für sich ruhig weiter. Bei Thy- sanozoon (Seewasserplanarie) kriecht dagegen nur der hirntragende Teil weiter, während der hintere Teil, auch wenn er viel größer als der vordere ist, keine Progressivbewegungen mehr ausführt.

Der Unterschied ist allerdings sehr groß, aber nach meinen Be- funden nur quantitativer Natur. Auch bei Thysanozoon fand ich noch spontane, aber sehr langsame und schwache Progressivbewegungen am Hintertier, besonders dann, wenn man nur einen Randstreifen be- obachtet. Ein solcher rollt sich, wie schon Loeb angibt, spiralig mit der Schnittseite nach innen ein und zeigt in den nächsten Tagen nach der Operation kleine Wellenbewegungen, welche von einem Ende zum andern verlaufen und ganz denen gleichen, durch die die normale Kriech- bewegung bewerkstelligt wird. Sind sie nicht zu schwach, so bewegt sich der spiralige Tierstreifen ununterbrochen im Kreise herum. Bei Be- rührung mit einem Stäbehen hören die Wellen gewöhnlich auf und der Streifen zieht sich je nach Stärke des Reizes nur an der Berührungsstelle oder in seiner ganzen Ausdehnung zusammen. Die unversehrten Tiere kriechen immer mit der hellen Bauchseite dem Boden zugewandt; dreht man sie auf den Rücken, so drehen sie sich sehnell wieder zur Bauchlage zurück. Sie zeigen also, wie Loeb das nennt, einen posi- tiven Stereotropismus der Bauchseite. Dieser ist auch noch, wie Loeb fand, an dem gehirnlosen Hintertier zu konstatieren. Ich selber habe mich davon überzeugen können, daß selbst ganz kleine Stücke aus dem Körperrand, welche kaum den fünfzigsten Teil der ganzen Fläche ausmachen, diese Umdrehung noch ausführen, allerdings in längerer Zeit als das ganze Tier oder hirnenthaltende Vorderteile.. Wenn Loeb an diesen Versuch die Bemerkung schließt: „Wir sehen hier wieder, daß das Nervensystem nur der rascheren Reaktion dient“, so befindet er sich, wie bei allen derartigen Bemerkungen, die von einer Aus- schaltung des „Nervensystems“ sprechen, in einem großen Irrtum. Es ist eben nur das zentralisierte Nervensystem, das System der langen Bahnen, das zwischen die einzelnen Partien des peripheren Nerven- netzes eingeschaltet ist, fortgenommen und das periphere Nervennetz, (das operativ überhaupt nicht fortgenommen werden kann, funktioniert

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ruhig weiter, grade wie etwa beim herausgeschnittenen Darm eines Wirbeltiers. Ungleich besser als an den Planarien lassen sich aber diese Erscheinungen an Mollusken studieren, weil ihre Größe operative Eingriffe besser ermöglicht.

Versuche an Mollusken.

Als geeignetstes Objekt erwies sich mir zu diesen Versuchen der große marine Opistobranchier Aplysia (deutsch: Seehase), eine Nackt- schnecke, die eine Länge von 30 cm und ein Gewicht von 1 kg erreicht. Das zentrale Nervensystem und der Verlauf der peripheren Nerven dieses Tieres sind in Figur 47 abgebildet. Um den Schlund her- um liegen drei große Ganglienmassen, von denen die beiden unteren aus je zwei Ganglien, dem Pedalganglion und dem Pleuralganglion (vorderen Visceralganglion) bestehen. Das obere Ganglion ist das Cerebralganglion. Untereinander stehen sie durch Kommissuren in Verbindung; vom vorderen Visceralganglion jeder. Seite geht außer- dem eine Kommissur zum hinteren Visceralganglion, das am hinteren Körperende in der Nähe der Kiemen gelegen ist. Auf dem musku- lösen Kropf liegen außerdem noch zwei kleine Ganglien, die Buccal- sanglien. Die Buccalganglien versorgen die Muskulatur der Bucea, die hinteren Visceralganglien Kiemen, Herz und Atemsipho. Die andern Ganglien versorgen die Bewegungsmuskulatur und gehen, wie schon oben gesagt, an der Peripherie zum Teil in Rezeptionszellen, zum Teil in ein Nervennetz über, das mit der Muskulatur in Ver- bindung steht (S. 82).

Durch Injektion von Pelletierinsulfat (Schoenlein), das man gut dosieren muß, kann man eine vollständige Erschlaffung der Muskulatur hervorrufen, welche alle Operationen wesentlich erleichtert. Sie geht bei guter Dosierung nach einer halben bis einer ganzen Stunde vor- über. (Ich ziehe Pelletierin dem von Jordan empfohlenen Cocain vor.) Bei den Operationen ist nur zu beachten, daß man durch Aufsackung vor der Eröffnung der Leibeshöhle das Ausfließen von Blut verhindert. Immobilisierung durch Vergiftung und Aufsackung ist übrigens nur nötig, wenn man die Tiere längere Zeit am Leben erhalten will. Grade für die hier zu beschreibenden Versuche ist die Vergiftung unzweekmäßig, weil nach Herausnahme des Zentralnerven- systems bald eine starke Tonussteigerung eintritt, welche die Be- obachtung erschwert. (Ich komme auf dieselbe später zurück.) Wenn die Entgiftung eintritt, so bildet sich die Tonussteigerung zu schnell aus, um genügend Zeit zur Beobachtung zu haben. Ich habe da- her die Tiere entweder ohne Rücksicht auf den Blutaustritt ganz auf- geschnitten oder mit einem Bindfaden den vorderen Körperteil, der den Schlundring enthält, abgebunden und aus diesem nach Eröffnung

Bethe, Nervensystem. S

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die Ganglien herausgenommen. In noch andern Fällen habe ich nur einzelne Körperteile, hauptsächlich die Flügel (Mantellappen), abge- bunden und die Hauptkörperhöhle zur Herausnahme der Ganglien und zur Reizung der Nerven eröffnet. Gut angelegte Ligaturen verhindern

Fig. 47. Präparation des Nervensystems von Aplysia. Das Tier ist vom Rücken aus aufgeschnitten. Oben der Kopf mit seinen lappigen Anhängen und den Tentakeln. Das Nervensystem ist schwarz gezeichnet. S.r. der Schlundring (dorsal das Cerebralganglion; ventral beinahe zu einer Masse ver- einigt das Pleural- und Pedalganglion [paarig]).. Nach vorne auf der Bucca (BD) die kleinen Buccal- ganglien. Durch lange Kommissuren mit den Pedalganglien verbunden die Visceralganglien V. Oes. der Oesophagus. Der Darmtraktus ist schematisch gehalten, Kiemen, Kiemendeckel und Herz, welche die Visceralganglien verdecken würden,. sind entfernt. (°/,; natürlicher Größe; die Ganglien sind verhältnismäßig etwas zu groß gezeichnet.)

den Blutaustritt aus den abgeschnürten Teilen, ohne die Reizleitung zu unterbreehen. Die Resultate sind bei allen Verfahrungsarten gleich, nur gelingen die Versuche bei erhaltener Blutfülle durch längere Zeit hindurch, weil, wie Jordan (1901) nachwies, ein Vorrat von Flüssigkeit notwendig ist, damit die Muskulatur wieder erschlaffen kann. Es

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pressen nämlich die Muskeln bei der Kontraktion einen großen Teil ihres Wassers in das umgebende Gewebe (siehe Kapitel 20).

Die normalen Tiere sitzen sehr häufig ganz ruhig im Bassin am Boden oder an der Wand. Bei genauerem Hinsehen gewahrt man aber fast immer ein leichtes peristaltisches Spiel der Körperoberfläche, besonders an den Seitenrändern des Fußes; außerdem macht der Sipho in gleichmäßigen Abständen langsame Kontraktionen. Die Kopflappen und Fühler sind meist vorgestreckt. Berührt man leise einen dieser Teile, so wird er ziemlich schnell zurückgezogen, ebenso zieht sich eine berührte Körperstelle unter das Niveau der Umgebung trichterförmig zurück. Ist der Reiz stärker, so dehnt sich der Effekt auf immer größere Partien des Körpers diffus aus. Es kann dabei schließlich zu einer vollkommen seitlichen Verkrümmung des Tieres kommen. Statt dieser diffusen Reaktion treten häufig andre auf, bei denen von der Reizstelle weit entfernte Teile ohne wesentliche Re- aktion der dazwischen liegenden in Bewegung geraten. So z. B. schnelles Einziehen der Fühler bei Körperreiz oder Schwimmbewegungen bei Kitzeln des Fußes. Die Lokomotion der Tiere besteht in Schwim- men und Kriechen. Ersteres wird durch die Mantellappen besorgt, welche sich weit ausbreiten und langsame, gut koordinierte, schwin- gende Bewegungen ausführen, bei denen die Lappen eine spiralige Form annehmen. Beim Aufwärtsbewegen ist die Spirale im entgegen- gesetzten Sinn gerollt als bei der Abwärtsbewegung. Wie Jordan richtig angibt, beruht diese Erscheinung darauf, daß die Muskeln der Flügel sich nacheinander kontrahieren. Das Kriechen wird durch wellenförmige Kontraktionen der Sohle des Fußes bewerkstelligt. Die Wellen laufen von vorn nach hinten ab (Jordan).

Hat man einem Tier nach einem der oben angegebenen Verfahren das gesamte Zentralnervensystem (Cerebralganglien, Pedalganglien, hintere und vordere Visceralganglien und Buccalganglien) heraus- genommen, so ist das Tier durchaus nicht gelähmt (wie es Jordan für die betreffenden Partien nach Herausnahme der Pedalganglien an- gibt), vielmehr zeigen sich sofort recht heftige peristaltische Bewe- gungen der gesamten Körperoberfläche. Wie schon bemerkt, fehlen dieselben auch am normalen, ruhig dasitzenden Tier fast nie; hier zeigen sie sich auf einmal wesentlich verstärkt. Objektiv ist der Vorgang also ganz ähnlich dem von Goltz (1572) beobachteten Phänomen, daß die peristaltischen Bewegungen des Ösophagus und Magens des Frosches nach Ausbohrung des Rückenmarks zunehmen ; nur handelt es sich bei Aplysia um Bewegungen innerhalb der Loko- motionsmuskulatur. Am stärksten und regelmäßigsten sind diese peri- staltischen Bewegungen am Fuß, besonders an den Seitenflächen, wo

die Wellenbewegungen wie normal von vorn nach hinten ablaufen, SH

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allerdings nicht mit der Regelmäßigkeit wie beim unversehrten Tier, wenn es kriecht. In den Flügeln sieht man meistenteils nur unge- ordnete peristaltische Bewegungen, welche hauptsächlich von den kurzen Muskeln ausgehen mögen; in einigen Fällen habe ich aber hier Be- wegungen (nach Herausnahme der Zentralganglien!!) gesehen, die den Schwimmbewegungen des normalen Tiers sehr ähnlich waren. Beide Flügel dehnten sich aus und zogen sich unter Spiral- bildung wieder zusammen. Dies Spiel trat in gleichmäßigen Intervallen fünf- bis zwölfmal hintereinander ein, um dann nicht wieder- zukehren. Eine Koordination beider Seiten konnte dabei nicht fest- gestellt werden, jede schlug für sich, aber innerhalb jedes Flügels war eine gewisse Koordination zu erkennen. Nach einiger Zeit werden die peristaltischen Bewegungen schwächer, sind aber auch nach ein- getretenem starkem Gesamttonus noch tagelang sichtbar (wenn nur Schlundring und Buccalganglien herausgenommen waren und zu- genäht wurde). (Nimmt man auch die hinteren Visceralganglien her- aus, so sterben die Tiere bald, weil sie nur ungenügend atmen können.)

Die Fühler und Mundlappen sind gewöhnlich ausgestreckt. Be- rührt man sie, so ziehen sie sich je nach Stärke des Reizes mehr oder weniger zurück. Ist der Reiz stark, so greift er auf die Körper- muskulatur über; eine vollkommene Zusammenballung des ganzen Tieres kann man allerdings nie erreichen, doch tritt dieselbe auch beim normalen Tier auf lokalisierte Reize nur selten ein. Das Gleiche ist auch an andern Körperstellen zu beobachten: je stärker der Reiz, desto weiter greift der Effekt um sich (auchnoch viele Tage nach der Operation zu beobachten). Häufig zieht sich auch nur die gereizte Stelle ein, während in der Umgebung heftige peri- staltische Bewegungen eintreten; besonders bei faradischer Reizung beobachtet man nicht selten, daß nach dem Aufhören des Reizes der Erregungsmittelpunkt (siehe Uexküll 1900) nach hinten wandert. Alle diese Bewegungen treten bei geringeren Reizen ein als beim normalen Tier und zeichnen sich durch größere Lebhaftigkeit und längere Dauer aus.

Daß die Nervennetze unter dem Einfluß des zentralisierten Nerven- systems stehen, geht schon daraus hervor, daß die Peristaltik nach Herausnahme desselben oder nach Durchschneidung der Nervenstämme zunimmt. Dieser Zusammenhang mit den Ganglienknoten läßt sich aber auf andre Weise noch viel besser demonstrieren: Bereits Jordan (1901) hat nach Freilegung des Zentralnervensystems die durehschnit- tenen Nerven gereizt, aber nur andauernde Kontraktionen erhalten. Offenbar hat er gleich zu starke Ströme angewendet und zu kurze Zeit beobachtet. Die Sache liegt nämlich ziemlich kompliziert: Nur

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bei sehr starker faradischer Reizung sieht man einigermaßen andauernde und dann sehr ausgedehnte Kontraktion eintreten; bei allen sub- maximalen Reizungen wechselt während der Reizung Kontraktion und Erschlaffung miteinander ab (und der Effekt bleibt auf ein kleineres Gebiet beschränkt). Besonders an den Flügeln ist dies gut zu beobachten, und hier kommt es bisweilen zu richtigen rhythmischen Kontraktionen; an der übrigen Körperoberfläche sieht man in der Hauptsache unregelmäßige Kontraktionen, welche mit Erschlaffungen abwechseln, oder sehr heftige peristaltische Bewegungen. Dasselbe tritt auch bei Reizung mit dem konstanten Strom während der Durch- strömung ein. Ich komme später auf diese Dinge noch zurück. Was mir hier die Hauptsache ist: Bei Reizung eines peripheren Nerven bleibt der Effekt nicht auf die direkt inner- vierte Muskulatur beschränkt, sondern er dehnt sich je nach Stärke des Reizes auf weitere Teile und schließ- lich auf die ganze Muskulatur aus, trotzdem das gesamte zentrale Nervensystem herausgenommen ist. Es hängt also jeder Nerv durch’ das’Nervwennetzindirekt. mit'der sesamten Muskulatur zusammen; die Nerven sind nur BmsezBahnen, welche zwischen einzelnen Teilenzdes Nervennetzes kürzere Verbindungen herstellen.

Ich beschreibe hier, um die Sache zu veranschaulichen, einen typischen Versuch: Eine große Aplysia wird vom Rücken her auf- geschnitten und die Körperhöhle mittels einiger Nadeln gut offen ge- halten. Alle peripheren Nervenstämme werden dieht an den Ganglien durehschnitten, soweit wie möglich frei präpariert und die Ganglien herausgenommen. In jeden Flügel gehen vier Nerven (die Zahl der- selben variiert zwischen zwei und vier). Von diesen wird der vorderste (der linken Seite) mit dem zentralen Ende auf Platinelektroden gelegt. Diese stehen mit einem kleinen Schlitteninduktorium in Verbindung, das mit einem Chromsäureelement getrieben wird. Die frei in der Luft schwebende Strecke des Nerven mißt 3 em. Der Tonus ist ge- ring, aber die ganze Körperoberfläche ist in ziemlich lebhafter peri- staltischer Bewegung. Ich suche jetzt die Rollenstellung auf, bei der eben ein Effekt sichtbar wird (18 em Rollenabstand). Beim Ein- brechen der Ströme kontrahiert sich nur der vordere Rand des Flügels und dehnt sich bald, trotz Fortsetzung der Reizung, wieder aus. Nach kurzer Ruhepause (Aussetzen des Reizes) hat eine er- neute Reizung den gleichen Effekt. Bei Reiz mit 17 em kollen- abstand kontrahieren sich außer den vorderen Partien des Flügels auch die mittleren Teile beim Beginn der Faradisation. Nach einigen Sekunden tritt Erschlaffung ein, welche aber nicht andauert. Es tritt eine zweite Kontraktion ein, eine neue Erschlaffung und noch eine

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dritte schwächere Kontraktion, nach der dauernde Ruhe folgt. Bei 16 em Rollenabstand kontrahiert sich schon der ganze Flügel und zwar vorme zuerst. Der rhythmische Wechsel von Kontraktion und Erschlaffung ist deutlich ausgeprägt. Im ganzen wurden 11 Be- wegungen gezählt. Die letzten beiden waren schwach und es folgte auf sie Ruhe, trotzdem der Reiz andauerte. Nach einer Reizpause von einigen Minuten konnten nochmal fünf rhythmische Kontraktionen ausgelöst werden. Bei 14 em geriet der Flügel in einen dauernden Kontraktionszustand, in welchem aber hin und wieder ein kleiner Nachlaß zu beobachten war, zugleich gerieten aber die angrenzenden Partien des Fußes in sehr verstärkte wurmförmige Bewegungen. Schließlich bei 12—13 em Rollenabstand war die Kontraktion des linken Flügels stark und andauernd. Der ganze Körper war in lebhaftester peristaltischer Bewegung und der rechte Flügel, der bis dahin ruhig geblieben war, machte eine lange Serie schöner rhythmischer Bewegungen!

Es wurde dann der dritte der Flügelnerven aufgelegt. Bei schwacher Anfangsreizung kontrahierte sich nur die hintere Partie des Flügels. Bei zunehmender Reizstärke griff dann der Effekt auf die vorderen Teile des Flügels und schießlich wieder auf das ganze Tier über. Der rechte Flügel zeigte dabei nur Kontraktion ohne wesent- lichen rhythmischen Nachlaß. Die Neigung zu dauernderen Kontrak- tionen wird überhaupt mit der Dauer des Versuches immer größer. Nur die Kontraktionen der mit den Nerven in näherer Verbindung stehenden Muskeln erfolgen bei Beginn der Reizung. Von den zu- nächst reagierenden Partien aus sieht man die Reaktion sich nach allen Seiten verbreiten, so daß sich z. B. der andre Flügel etwa 1'/, Sekunden später zu bewegen anfängt als der gereizte. Hieraus echt bereits hervor, daß es sich nicht um eine Wirkung von Strom- schleifen handeln kann; ich habe mich aber auch durch Kontrollversuche überzeugt, daß Stromschleifen ausgeschlossen sind (Ausbleiben der Reaktion nach Abbinden des Nerven unterhalb der Reizstelle u. s. w.).

Die gleiche Ausbreitung des Reizeffektes von der anfänglich allein reagierenden Muskelgruppe auf das ganze Tier kann man natürlich auch an andern Nerven konstatieren. Nach den Flügel- nerven sind hierzu besonders die Nerven des Fußes geeignet, weil sie auch auf längere Streeken (5—6 em) hochgehoben werden können, allerdings nicht so leicht wie jene.

Sehr interessante Resultate ergibt auch die Untersuchung einiger Land-Nacktschnecken. Herr Seminarlehrer Kunkel hat mich hierauf aufmerksam gemacht und mir einige schöne Versuche an denselben gezeigt. Er selbst wird binnen kurzem über dieselben berichten, hat mir aber auf meine Bitte gestattet, schon vorher dieselben hier zu er-

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wähnen. Ich verdanke diesem Herrn auch einige Exemplare, an denen ich seine Befunde nachprüfen und erweitern konnte. Bei den Pulmo- naten liegen alle Ganglien dicht zusammen im Kopf. Die Lokomotion dieser Tiere wird, wie Simroth (1878 und 1879) genauer untersuchte, durch einen Streifen in der Mitte der Sohle besorgt, welcher wellen- förmige Bewegungen von hinten nach vorn ausführt. Schneidet man nun einem solehen Tier (Limax cinereus oder variegatus) den Kopf ab, so zeigen sich die Wellen in unveränderter Regel- mäßigkeit! (Kunkel. Während bei Aplysia die Wellen immerhin eine starke Einbuße der Regelmäßigkeit erleiden, ist hier auch nicht die geringste Störung in ihrer Koordination zu bemerken. Sie sind auch stark genug, um noch eine Fortbewegung des Hintertiers zu ermöglichen. (Übrigens hat bereits Simroth hauptsächlich aus ana- tomischen Befunden den Schluß gezogen, daß das Pedalganglion die Lokomotionsbewegungen nur anrege.) Schneidet man den lang- sestreckten Körper auf und reizt einen der langen Fußnerven mit Wechselströmen, so nehmen die Wellen an Heftigkeit noch zu. Prä- pariere ich einen solchen Nerven bis in die Nähe der Schwanzspitze, halte ihn hoch und reize das zentralste Ende (die Ganglien sind ent- fernt), so erhalte ich denselben Effekt wie bei Aplysia: bei schwachem Reiz treten nur Bewegungen in der Schwanzspitze ein, wird der Strom verstärkt, so dehnen sie sich immer weiter nach vorne aus. Auch hier kann man wieder konstatieren, daß es sich nicht um einfache tetanische Kontraktion handelt, wie etwa bei der Reizung eines Froschnerven, sondern um einen Wechsel von Kontraktion und Erschlaffung. So macht z. B. der Hinterkörper während der Reizung langsam pendelnde 3ewegungen. Die Demonstration der Reizausbreitung auf immer größere Strecken des Tieres bei Reizung eines einzelnen Nerven gelingt auch sehr gut bei den größeren Land-Nacktschnecken, z. B. bei Arion, während sie das Fortbestehen von Lokomotionswellen noch weniger gut zeigen wie Aplysia. Es mag dies daher kommen, daß die Tonus- steigerung nach Entfernung der Ganglien ganz besonders stark ist, die Lokomotionswellen aber zum guten Ablauf eines geringen Tonus der Muskulatur bedürfen. (Das normale Tier kriecht nur, wenn der Körper schlaff ist; im Kontraktionszustand laufen keine Wellen über die Sohle.)

An Arion läßt sich auch sehr schön zeigen, daß die langen Bahnen, welche durch das Zentralnervensystem gehen, die Reize schneller und leichter auf weite Strecken vermitteln, als es durch das Nervennetz möglich ist. Ich richte mir zwei Tiere her: bei dem einen ist das ganze Zentral- nervensystem herausgenommen (auch die Nerven, soweit das möglich ist); das andre ist in der Mitte so durehschnitten, daß das Hintertier

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und Vordertier nur noch durch die beiden langen Nerven des Fußes miteinander in Verbindung stehen. Reizt man die Tiere mit faradischen Strömen am Schwanzende, so entsteht hier eine Kontraktion und ver- stärkte peristaltische Bewegung, welche sich nach vorne zu ausbreitet. Bei dem Tier, dessen lange Bahnen erhalten sind, genügen nun viel schwächere Ströme, um den Reiz bis zum Kopf gelangen zu lassen, und es vergehen vom Moment des Reizanfanges bis zur Kontraktion des Vorderendes nur etwa 0,5—0,75". Bei dem Tier ohne Zentral- nervensystem muß man stärkere Ströme anwenden, um den Effekt bis zum Vorderende ausgedehnt zu sehen; der Typus der Ausbreitung ist ein andrer, viel diffuserer, und es vergehen vom Moment des Reizes bis zur Ankunft der Kontraktionswelle am Vorderende 2—3'', also etwa die vierfache Zeit. (Natürlich wurden gleichlange Schnecken zum Vergleich ausgewählt. Die Länge der benutzten Tiere in ge- streektem Zustand betrug etwa 9—10 cm. Beim normalen Tier geht die Leitung übrigens noch schneller als bei dem mit durchschnittenem Körper. Man würde schon graphische Methoden zu Hilfe nehmen müssen, um die Zeit zu bestimmen.)

Wir sehen also bei den Mollusken genau das, was man aus den anatomischen Befunden, die im Schema Figur 44 zusammengestellt sind, von vornherein annehmen mußte: die Muskulatur des ganzen Körpers steht durch ein diffuses Nervennetz in Verbindung und kann in ihrer Totalität von jedem Punkt der Oberfläche erregt werden, auch dann, wenn das Zentralnervensystem fehlt. Das Zentralnerven- system stellt nur innigere Verbindungen zwischen einzelnen, weit von- einander entfernten Punkten des Nervennetzes her; es ist nur lange Bahn!

Auch für die Existenz zweier Nervennetze unter der Haut der Mollusken läßt sich vielleicht eine physiologische Parallele anführen: das tiefere steht hauptsächlich mit der Muskulatur in Verbindung, das oberflächlichere tritt in Beziehungen zu den Drüsen der Haut, zeigt aber mit dem zentralen Nervensystem nur indirekte Verbindungen. Bekanntlich sondern nun alle Schnecken sehr leicht einen zähen Schleim ab. Dies ist besonders bei Limax sehr ausgesprochen: Berührt man eine Körperstelle, so tritt gleich der dieke gelbliche Schleim hervor. Ist der Reiz stärker, so bedeckt sich auch die weitere Umgebung mit Schleim. Um eine direkte Erregung der ferneren Schleimdrüsen durch den Reiz selbst kann es sich unmöglich handeln, denn dazu ist die Entfernung zu groß; auch kann der Reiz nicht direkt von Drüse zu Drüse fortgepflanzt sein, da die Zwischenräume oft recht beträchtlich sind; die Übertragung muß also durch ein reizleitendes Gewebe be- sorgt werden. Nach Fortnahme des Zentralnervensystems besteht die Erscheinung ruhig fort, vorausgesetzt, daß sich die Drüsen bei der

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 121

Operation nicht vollständig erschöpft haben; die Reizleitung wird also durch das Nervennetz gehen. Nun ist durch Reizung der Nerven- stämme nur sehr schwer Sekretion der Hautdrüsen zu erzielen; erst bei Reizstärken, bei denen schon die Muskulatur des ganzen Körpers in Bewegung ist, tritt sie ein. An einer Verschiedenheit in der An- sprechbarkeit von Muskeln und Drüsen kann dies nicht liegen, weil bei Hautreiz die Drüsen eher leichter zur Sekretion gebracht werden, als die Muskeln zur Kontraktion (vor wie nach Herausnahme der Ganglien). Mir scheint daher die Erklärung aus der anatomischen Ver- bindungsweise die plausibelste zu sein, daß nämlich die Verbindung des inneren Nervennetzes, das die Muskulatur versorgt, mit dem Zentral- nervensystem inniger ist, als die zwischen dem Zentralnervensystem und dem äußeren mit den Drüsen in Verbindung stehenden Nervennetz.

Was hier bei den Mollusken im Bereich der gesamten Muskulatur vor sich geht, finden wir bei den Wirbeltieren nur noch in den Or- ganen, welche in ihrem Bewegungsmodus den Mollusken gleichen, am eklatantesten in den Verdauungsorganen. Ich will mich hier auf diese beschränken und nur über die Versuche berichten, welche Goltz (1872) am Magen und Ösophagus vom Frosch anstellte, Versuche, die ja den meisten Physiologen aus eigner Erfahrung bekannt sein werden: Goltz hängte curarisierte Frösche an der Schnauze auf, nachdem vorher Ösophagus und Magen freigelegt waren. Vom Maul aus wurde nun Kochsalzlösung in den Schlund eingefüllt, wobei sich Ösophagus und Magen stark erweitern und füllen. Entweder sind sie dann ganz glatt oder es laufen nur schwache peristaltische Wellen darüber hin. Wird jetzt die Medulla und das Rückenmark ausgebohrt, oder werden beide Vagi durchschnitten, so treten lebhafte wurmförmige Bewegungen an Speiseröhre und Magen auf, es kommt zu allgemeiner Kontraktion, bei welcher der größte Teil des Wassers durch das Maul ausfließt. Erst beim Absterben tritt wieder Ruhe und Erschlaffung ein. Reizt man Ösophagus oder Magen nach der Zerstörung des Zentralnerven- systems, so werden die peristaltischen (und antiperistaltischen) Be- wegungen noch wesentlich verstärkt und bleiben es für lange Zeit. Reizung beim Tier mit unverletztem Zentralnervensystem ruft eben- falls peristaltische Bewegungen hervor, sie sind aber schwächer, von kürzerer Dauer und bedürfen zu ihrer Auslösung stärkerer Reize. Es ist also hier grade wie bei den Mollusken nach Ausschaltung des Zentralnervensystems die Erregbarkeit wesentlich erhöht; hier pflanzt sich wie dort der Reiz von jeder Stelle nach jeder andern hin fort. Wird beim aufgehängten Tier ein Vagus gereizt, so treten die leb- haftesten peristaltischen Bewegungen ein; aber niemals, wie im Gebiet

122 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

der Skelettmuskeln, eine dauernde Kontraktion. Sind vor der Reizung beide Vagi durchschnitten, so werden die bereits bestehenden Be- wegungen verstärkt; auch bei schwächster Reizung ist eine be- ruhigende Wirkung nicht zu konstatieren. So wie die Bewegungen vom Darmsystem direkt ausgelöst werden können, so können sie auch indirekt durch das Zentralnervensystem vermittelt werden: der Dünn- darm eines Tieres mit unverletztem Zentralnervensystem wird abge- bunden, durchsehnitten und sein peripheres Ende gereizt. Sofort treten heftige Bewegungen im Ösophagus und Magen auf. (Es entspricht dieser Versuch dem bei Arion gemachten, wo Vordertier und Hinter- tier nur noch durch zwei Nervenstämme miteinander in Verbindung stehen.) In gleicher Weise können Bewegungen von andern Stellen des Nervensystems ausgelöst werden, so bei Tetanisation des Ischia- dieus, beim Eintauchen der Beine in Schwefelsäure u. s. w. Aus alle- dem zog Goltz den Schluß, daß der Verdauungstractus sein eigenes diffuses Reflexnervensystem ia sich berge, welches zwar durch das Zentralnervensystem beein- flußt würde, aber nicht im anregenden, sondern im be- ruhigenden Sinn. (Unser Schema für die Mollusken [Fig. 44] könnte die nötigen anatomischen Bedingungen erfüllen, wenn das Zentralnervensystem aus dem Inneren heraus verlegt und die musku- läre Körperwand als Darmwand aufgefaßt würde.) Ich komme später auf diese Dinge noch einmal zurück. ')

Bei den segmentierten Würmern, den Arthropoden und den Wirbel- tieren, finden wir, wie oben gezeigt, Nervennetze nur im Bereich be- stimmter Organe; das Gebiet der gesamten Lokomotionsmuskulatur steht hier lediglich mit dem zentralisierten Nervensystem in Verbindung (Fig. 41—43), Hiermit steht die physiologische Erfahrung in bestem

1) Die Ansicht, daß es sich im Darmsystem um muskuläre Erregungsleitung handelt, halte ich kaum noch für diskutierbar. Sie konnte nach meiner Meinung nur so lange Anhänger finden, als der enorme Nervenreichtum dieser Organe und die Analogien mit den niederen Tieren, bei denen von muskulärer Erregungs- übertragung gar nicht die Rede sein kann, nicht bekannt waren. Außer den Auerbachschen Plexus und den Gefäßnervennetzen finden sich im Darm richtige Nervennetze, welche schon öfter andeutungsweise gesehen sind. Sie scheinen mir einen Übergang zwischen den riehtigen, breitanastomosigen Nervennetzen und den plasmatisch isolierten Neuronen zu bilden. Es kommt hier zur Bildung einer richtigen Nervenfaser an jeder Zelle. Von dieser unterscheiden sich die andern Fortsätze wesentlich; sie gleichen mehr Protoplasmafortsätzen zentraler Zellen, endigen aber in ihrem plasmatischen Teil nicht blind, sondern verbinden sich nach mehrfachen Teilungen wenigstens zum Teil direkt mit denen andrer, gleichartiger Zellen. Doch sind meine Untersuchungen hierüber noch zu spärlich, um

Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 123

Einklang, daß bei diesen Tieren eine ausgedehnte Zerstörung des zen- tralen Nervensystems vollkommene Reflexlosigkeit nach sich zieht. Das Zentralnervensystem ist eben hier im Gegensatz zu den Mollusken der einzige Ort, wo rezeptorische und effektorische Bahnen physiologisch und wohl auch morphologisch miteinander in Verbindung stehen. Was hier vom ganzen Zentralnervensystem gilt, das gilt auch von jedem einzelnen Teil desselben und von jeder langen Balın und jedem Nerven: die Zerstörung eines motorischen Kerns ruft bei einem Wirbeltier dauernde reflektorische Lähmung in den zu- gehörigen Muskeln hervor, ebenso die Durehschneidung des motori- schen Nerven. Durchschneidung eines rezeptorischen Nerven macht das innervierte Gebiet der Haut unfähig, Reflexe zu vermitteln; man mag reizen so sehr man will, es tritt keine Reaktion ein. Ebenso ist es mit der Durchtrennung langer zentraler Bahnen. Hat man das Rückenmark eines Wirbeltiers oder die Kommissuren zwischen zwei Ganglien bei einem Blutegel oder einem Krebs durchschnitten, so hat man das Tier in zwei getrennte Reflexwesen geteilt. Trotzdem alles übrige zusammenhängt, reagiert auf Reiz vorne nur das Vordertier, auf Reiz hinten nur das Hintertier. Wie so ganz anders als bei den Mollusken und niederen Würmern! Durchschneidung eines peripheren Nerven ruft bei diesen weder motorische noch rezeptorische Lähmung im innervierten Gebiet hervor; es zeigt sich nur eine geringe, manch- mal gar nicht nachweisbare Beeinträchtigung. Ist die zentrale Ver- bindung zwischen Vorder- und Hintertier ganz unterbrochen, sind z. B. die Kommissuren zwischen dem ÜCerebralganglion und den Pedal- ganglien bei einer Aplysia durchschnitten, so zeigen sich zwar deut- liche Störungen, aber von einer totalen Leitungsunterbreehung ist nicht die Rede, wie ja schon aus allem vorher Gesagten entnommen werden kann: Reizt man das Hintertier, so reagieren auch die vom Cerebral-

als abgeschlossen gelten zu können. Auch am Ureter finde ich überall Nerven- netze mit eingestreuten Ganglienzellen. Man könnte dieselben zwar dem Blut- gefäßsystem zurechnen, jedenfalls kann man sich aber nicht mehr darauf stützen, daß im Ureter Nervenelemente fehlten, durch die seine Bewegungen vermittelt werden könnten. Sollen hier die peristaltischen Bewegungen, die an andern Organen und andern Tieren nervös vermittelt werden, auf einmal rein muskulär sein? Mir scheint das unwahrschemlich. Der Ablauf der Wellen nach beiden Seiten beweist nach meiner Meinung gar nichts gegen die nervöse Leitung. Die Leitung von jeder Stelle zu jeder Stelle ist ja grade das Eigentümliche bei den Nervennetzen, wie doch wohl aus den Versuchen an Medusen mit größter Sicherheit hervorgeht. Ich habe es übrigens nieht übersehen, daß Engelmann (1869 und 1878) nur für den eigentlichen Darm, aber nieht für Ösophagus und Magen eine muskuläre Leitung annimmt. Das von ihm als Beweis angegebene Fehlen von Nerven und Ganglienzellen am Fliegendarm bedarf jedenfalls der Bestätigung mit neueren Methoden, ehe es weiterhin ins Feld geführt werden darf.

124 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w.

sanglion aus innervierten Fühler, und beim Reizen der Fühler treten Bewegungen in den Flügeln, dem Fuß, kurz in allen vom Pedal- sanglion innervierten Teilen auf, allerdings später und bei stärkeren Reizen als beim normalen Tier.

Ob das zentrale Nervensystem durch Tiefenlagerung eines Teils des Nervennetzes aus diesem entstanden ist und ob wir in den Mol- lusken resp. den niederen Würmern ein Zwischenstadium zwischen dem Nervensystem der Coelenteraten und dem der höheren Würmer, Arthropoden und Wirbeltieren vor uns haben, oder ob es eine voll- kommene Neubildung ist, wird vorläufig nicht mit Sicherheit zu ent- scheiden sein. Mir scheint das erstere allerdings das wahrschein- lichere. Man dürfte dann annehmen, daß das periphere Nervennetz sich mehr und mehr zurückgebildet hat, so daß schließlich alle Ver- bindungen zwischen rezeptorischer und effektorischer Bahn (soweit sie die Lokomotionsmuskulatur angehen) nur noch durch das zentrale Nervensystem hindurchgehen. Apathy (1897) und Ruffini (1900) neigen zu der Annahme eines peripheren Nervenfaser- oder Fibrillengitters sowohl im Epithel als auch in der Muskulatur. Apathy hat bei Hirudineen, Ruffini bei Wirbeltieren einiges für diese Annahme vor- gebracht; bewiesen ist jedenfalls noch nichts. Wenn sich die Sache aber bestätigen sollte, so würden wir in diesem Gitter ein Rudiment des ehemaligen Nervennetzes sehen können, dem physiologisch jeden- falls keine große Bedeutung mehr zukäme; das können wir schon jetzt mit voller Sicherheit sagen, denn es gelingt bei keinem Wirbel- tier, nach Fortnahme der Zentralteile Reflexe der Bewegungsmuskulatur zu erzielen oder bei Reizung eines Muskelnerven Bewegungen in andern als den innervierten Muskeln zu konstatieren. Es kann also dies ver- mutete Gitter nicht mehr die Fähigkeit der Mollusken-Nervennetze be- sitzen, eine diffuse Ausbreitung der Reize zu vermitteln.

ACHTES KAPITEL.

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen S. 127—133. Die primäre Färb- barkeit der Neurofibrillen $S. 133—138. Das Wesen der primären Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen S. 138. Die primäre Färbbarkeit beruht auf Anwesenheit besonderer, löslicher Substanzen 8. 139—141. Die primär färbbare Substanz der Fibrillen ist von der der NissIschollen verschieden S. 141—142. Eigenschaften der Fibrillensäure S. 143. Wie ist die Fibrillen- säure-an die Fibrillen gebunden? S. 144. Scharfer Unterschied zwischen peri- pheren Nervenfasern einerseits und den Nervenfasern und Zellen des Zentral- nervensystems andrerseits S. 145. Konkurrenzsubstanzhypothese: Im Zentral- nervensystem bildet sich eine Konkurrenzsäure, welche bei Sauerstoffmangel die Überhand gewinnt und die Fibrillensäure aus der Verbindung mit den Fibrillen herausdrängt. Erstere fehlt in den peripheren Nerven S. 146—148.

Unter primärer Färbbarkeit verstehe ich die Eigenschaft mancher Gewebsbestandteile sich in frischem oder nur durch Wasserentziehung verändertem Zustande mit den meisten basischen Farbstoffen zu färben. Ich sollte also eigentlich statt „primäre Färbbarkeit“ schlechthin zu sagen, von einer „primären Färbbarkeit mit basischen Farbstoffen“ sprechen, doch ist dies deswegen unnötig, weil es fast keine Gewebs- bestandteile gibt, die sich nieht mit sauren Farben primär färben ließen. Wenn man also von einer primären Färbbarkeit als etwas Besonderem sprieht, so kann nur eine solche vermittelst basischer Farbstoffe gemeint sein. Der primären Färbbarkeit steht die sekun- däre Färbbarkeit gegenüber, welche darin besteht, daß das Gewebe (oder die betreffenden Gewebsbestandteile) um den Farbstoff an- zunehmen in irgend einer Weise chemisch verändert werden muß. Diese chemische Veränderung kann gleichzeitig oder getrennt von der Darbietung des Farbstoffes geschehen und besteht bei den gebräuch- lichen Färbungsmethoden in der Regel in einer Beizung. leh nenne hier nur als Beispiel Alaunkarmin, Alaunhämatein, Eisenhämatoxylin, die Weigertsche Markscheidenmethode und meine Fibrillenmethode. Die chemische Veränderung, welche die neue Färbbarkeit schafft, kann aber auch auf andre Weise z. B. durch Jodieren, Nitrieren u. s. w. bewirkt werden, Mittel, die bisher wenig oder gar nicht zweekbewußt an- gewandt sind, die aber doch, wie mir einige Versuche gezeigt haben, zu guten Resultaten führen können, besonders, wenn sie mit gewissen Beizungen kombiniert werden. (Bis zu einem gewissen Grade deckt sich meine „primäre Färbung“ mit der „substantiven Färbung‘ von Rawitz.)

126 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

Eine reine primäre Färbung kann natürlich nur dann zustande kommen, wenn das Gewebe nicht oder nur soweit verändert ist, als es zur Zuführung des Reagens, des basischen Farbstoffes, nötig ist. Am besten wird es immer sein, den Farbstoff auf das frische Gewebe einwirken zu lassen; in zweiter Linie kommen Strichpräparate mit nachfolgender Austrocknung und schließlich als das Mittel, das auch Schnitte zuläßt, Alkohol (resp. Äther) in Betracht. Alle Fixierungs- mittel, welche Säuren enthalten, können die primär bestehenden Ver- hältnisse verändern, indem sie entweder primär bestehende Affinitäten zu den basischen Farbstoffen abschwächen resp. aufheben oder even- tuell auch neue durch chemische Veränderung gewisser Gewebsbestand- teile schaffen. Ebenso ausgeschlossen ist die Fixierung mit Lösungen, welche Metallsalze enthalten, weil hierdurch immer neue Affinitäten - eeschaffen werden, auch wenn das Fixierungsmittel gut ausgewaschen ist. Eine Aufhebung primärer Affinitäten ist bei diesen allerdings weniger zu befürchten, ausgenommen bei Mitteln, welche oxydierend wirken, wie z. B. Chromsalze.

jekanntermaßen färben sich mit basischen Farbstoffen (Methylen- blau, Thionin, Toludinblau u. s. w.) in ungebeizten Schnitten der meisten Gewebe nur die Kerne und zwar in diesen auch nur die als Chromatin bezeichneten Teile. Das gewöhnliche Protoplasma und die achromatischen Teile der Kerne bleiben ganz ungefärbt oder nehmen nur leichte Spuren des Farbstoffes auf, welche sich durch Waschen leicht entfernen lassen, während das Chromatin auch bei tagelangem Waschen mit viel Wasser den Farbstoff mit außerordentlicher Zähig- keit festhält. In gewissen Geweben kommen aber noch andre Form- bestandteile (neben den Kernen) vor, welche ohne irgend welche Vor- behandlung große Mengen von basischen Farbstoffen speichern und festhalten; das sind die Granula einiger Drüsen und andrer Zellen, dann aber in den uns hier beschäftigenden Geweben gewisse Bestand- teile des Leibes der Ganglienzellen, die Neurofibrillen und die Mark- scheiden.

Die primäre Färbbarkeit des Ganglienzelleibes ist, seit Nissl seine Methode zur Untersuchung derselben publiziert hat, vielfach Gegenstand der Untersuchung gewesen. Die Affinität der Markscheiden zu basischen Farbstoffen ist mehrfach erwähnt, aber nie genauer untersucht worden; sie ist auch nicht sehr stark und verdient, soweit ich das übersehen kann, weder vom technischen noch vom theoretischen Standpunkt betrachtet ein besonderes Interesse. Die primäre Färb- barkeit der Neurofibrillen ist den meisten Untersuchern bis jetzt ganz entgangen, wenigstens soweit sie sich auf Material bezieht, das bereits fixiert ist. Der Grund dafür liegt wohl darin, daß die Färbung beim Überführen der Präparate in Alkohol verschwindet. Wie sich aus

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Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 197

dem später Mitgeteilten ergibt, kann diese primäre Färbbarkeit der Neurofibrillen ein wesentliches Interesse für sich m Anspruch nehmen.

Ar 48

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen.

Nissl (18592 und 1894) läßt bei seiner Methode zur Darstellung der Ganglienzellen Methylenblau (mit einem Zusatz von venetianischer Seife) auf das in Alkohol fixierte Material einwirken. Nach der Färbung wird der überschüssige Farbstoff mit Anilinalkohol fort- geschafft. In den so gewonnenen Präparaten treten die Ganglienzellen schon bei schwacher Vergrößerung dunkelblau auf fast farblosem Grunde hervor. Die Zelleiber haben den Farbstoff stark gespeichert. Bei stärkerer Vergrößerung besonders bei Anwendung der Ölimmersion zeigt es sich aber, daß die Zellleiber nieht gleichmäßig blau sind. Besonders die größeren Zellen z. B. die Vorderhornzellen zeigen ein fleekiges Aussehen; dunkle Schollen, Striche und Punkte heben sich von fast farblosem Grunde ab; in manchen Zellen zeigt die färbbare Substanz auch eine netzartige Struktur.') In allen diesen Fällen ist die färbbare Substanz des Zellleibes sehr dunkel tingiert; in kleinen und kleinsten Zellen aber, wie sie z. B. die Substantia gelatinosa des Rückenmarks bevölkern, macht sie sich nur als zarter Farbschleier bemerkbar. Solcher heller gefärbter Massen entbehren auch die srößeren Zellen neben den dunkel gefärbten nicht. Bei den moto- rischen Zellen und einigen andern finden sich die charakteristischsten Bilder (Tafel Fig. II). Der Zelleib ist erfüllt von großen Schollen ; in den Protoplasmafortsätzen finden sich Streifen und an ihren Teilungsstellen Dreiecke gefärbter Substanz. Der Achsenzylinder und sein Ursprungshügel bleiben stets ungefärbt. Auf Grund dieser ver- schiedenen Färbungsbilder, welche er in den verschiedenen Regionen des Nervensystems fand, stellte Nissl eine Nomenklatur der Nerven- zellen auf, welche aber nur für die spezielle Nervenzellanatomie von Interesse ist, uns hier also nicht weiter zu beschäftigen hat.

Wir haben es hier also mit einer echten primären Färbbarkeit zu tun, welche uns wenigstens von einem Bestandteil des Ganglien- zelleibes ein gutes Reaktionsbild gibt. Wenn von andern Seiten Fixierung mit Metallsalzen z. B. mit Sublimat (Lenhossek, van Ge- huchten, Bühler) empfohlen ist, so bedeutet dies eine Verkennung dessen, was mit dieser ideal einfachen Methode erreicht werden soll

1) Diese geformten Substanzportionen der färbbaren Substanz Nissls werden von manchen Autoren Flemming-NissIsche Körperchen (Flemming sah sie zuerst), Nissl-Schollen, Tigroid u. s. w. benannt. Diese Bezeichnungen decken sich aber, wie Nissl mehrfach hervorgehoben hat, nur zum Teil mit der (primär) färbbaren Substanz. Sie treffen nur für gewisse Zellarten zu.

128 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

und allein erreicht werden kann. Zwar kann eine solche mit Sublimat fixierte Zelle ganz ebenso aussehen wie eine mit Alkohol fixierte, sie kann aber unter Umständen auch Dinge zeigen, die der primären Reaktion fremd sind, weil eben das Metallsalz einer sekundären Färbung Vorschub leistet. Ganz ähnlich steht es mit der zuerst von Held (1895) empfohlenen Doppelfärbung. Auch sie beeinträchtigt die natürliche Reaktion, weil der saure Farbstoff den basischen wenigstens zum Teil immer wieder herauswirft (siehe auch Lenhossek). Es handelt sich bei der Nisslschen Methode eben nicht, wie manche Autoren glauben, um die möglichst elegante Darstellung bestimmter morpho- logischer Elemente, die auch auf andere Weise möglich ist, sondern um eine chemische Reaktion dieser Elemente. Reaktionsbild und morphologisches Bild können sich decken, brauchen es aber nicht zu tun, wie ich später zeigen werde. Ja, man kann direkt sagen: Die NissIsche Methode ist keine morphologische sondern eine chemische Methode. Anders steht es mit der Wahl des Farbstoffes, der Art und Weise seiner Applikation und der Art der Auswaschung. Hier kann schon eher, wenngleich es wenigstens für pathologische Zwecke höchst überflüssig ist, eine Änderung getroffen werden. Thionin, Toluidinblau, Magentarot (das Nissl ursprünglich angewendet hat) tun etwa dieselben Dienste wie Methylenblau. Die venetianische Seife scheint im wesentlichen nichts weiter zu tun als den Färbungsprozess zu beschleunigen, grade so wie die Erwärmung beim Färben. Auch die Differenzierung mittels Anilin dient im wesentlichen der Zeit- ersparnis; Alkohol allein besorgt sie ebenfalls, wenn auch in ungleich längerer Zeit. Für methodologische Zwecke ziehe ich sogar einfache Alkoholdifferenzierung vor, weil dabei nie mehr ausgezogen wird als heraus soll, während der Anilinalkohol bei etwas zu langer Anwendung auch die färbbare Substanz ihrer Farbe wieder beraubt.

Die Portionen der färbbaren Substanz lassen zwischen sich un- sefärbte Bahnen frei, welche, wie Nissl schon lange hervorgehoben hatte, besonders in den großen Zellen nicht selten von einem Fortsatz der Zelle zu einem andern zu verfolgen sind. Im diesen Bahnen ver- mutete er Fibrillen, und ich konnte später in der Tat nachweisen, daß diese Vermutung richtig war. Die Hauptfibrillenbahnen verlaufen in den ungefärbten Straßen des Nisslpräparats; ein Nisslpräparat ist das Negativ eines Fibrillenpräparats und umgekehrt. Es schließt sich nun daran die Frage, ob diese Lagebeziehung der beiden Elemente auch in der lebenden Zelle dieselbe ist. Bevor noch die Fibrillenfrage zu einer sicheren Entscheidung gelangt war, wurde die Frage, ob das bei seiner Methode sichtbar gemachte Bild der Ganglienzelle den natürlichen Verhältnissen entspräche, von Nissl selbst behandelt. Er mußte die Frage offen lassen, kam aber bei seinen Überlegungen zu

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 129

dem Schluß, daß es für die von ihm behandelten Fragen ganz gleich- gültig sei. Ihm kam es darauf an, eine Methode zu besitzen, welche bei gleichen Bedingungen die gleichen Ganglienzellen stets in der- selben Weise zur Darstellung bringt. Diese Aufgabe wird von seiner Methode in der Tat gelöst und er nennt das Bild, das sich bei An- wendung derselben unter dem Mikroskop zeigt, das Nervenzellen- äquivalent. Werden die Bedingungen des Versuchstieres vor dem Tode verändert, wird das Tier z. B. vergiftet oder eine Operation an ihm vorgenommen, und zeigt sich danach das Äquivalentbild (unter sonst gleichen Bedingungen) verändert, so muß auch die Nervenzelle selber, welcher dieses Äquivalentbild entspricht, vor dem Tode von der nor- malen Zelle abgewichen sein. Das Äquivalentbild der normalen Gan- slienzelle läßt nicht ohne weiteres einen Rückschluß auf das Aussehen der normalen Zelle selber zu, wohl aber die Abweichung vom normalen Bilde bei Veränderung einer Bedingung auf eine stattgehabte Ver- änderung des Urbildes infolge der Veränderung der betreffenden Be- dingung. Die Äquivalentbilder der Ganglienzellen normaler und in stets gleicher Weise getöteter Tiere, wie sie in langen systematischen Versuchsreihen durch Nissl festgestellt sind, zeigen oft schon bei geringfügigen Schädigungen des Tieres, welche vor dem Tode hervor- gerufen wurden, starke Veränderungen und so hat sich seine Methode als ganz besonders geeignet gezeigt, über funktionelle und pathologische Vorgänge im Nervensystem Aufschlüsse zu erlangen. Ob das Äqui- valentbild dem Bilde der normalen Ganglienzelle gleicht oder ähnlich ist, ist wie gesagt für diese Zwecke ganz gleichgültig, und es kommt nur darauf an, daß den experimentellen Veränderungen Veränderungen des Äquivalentbildes parallel gehen. Auf die Art dieser Veränderungen werde ich an späteren Stellen Gelegenheit haben zurückzukommen. Ließ Nissl die Frage offen, ob die durch seine Methode dar- gestellten Strukturen dem Bilde der lebenden Zelle entsprächen, so glaubte Held (1895) sie in einem bestimmten Sinne beantworten zu können und zwar dahin, daß die Nissischen Strukturen durch Fällung einer in der Ganglienzellflüssigkeit gelösten Substanz entständen. Mit andern Worten: Die färbbare Substanz sollte ein Kunstprodukt sein. An und für sich muß natürlich eine Substanz da sein, welche die Eigenschaft besitzt, sieh mit basischen Farbstoffen zu verbinden. Das Kunstprodukt könnte nur in der Verteilung dieser Substanz bestehen. Daß bei jeder eiweißkoagulierenden Fixierung Fällungen eintreten und daß sich daher die Fixierungsbilder immer vom Aussehen der normalen Zellen entfernen, also Äquivalentbilder sind, ist selbstverständlieh und insofern ist immer eine starke Reserve angebracht. In der Regel wird inan aber annehmen dürfen, daß sich diese Abweichungen vom nor- malen Bau immer nur auf die feinere Struktur beziehen, denn es ist

Bethe, Nervensystem. iu)

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a priori nicht sehr wahrscheinlich, daß innerhalb einer zähflüssigen Masse größere Substanztransporte schnell stattfinden können. Die Möglichkeit ist natürlich nicht auszuschließen. Held stützt sich bei seiner Behauptung auf zwei Argumente: Die Nichtsichtbarkeit von Nissistrukturen in ganz frischen Ganglienzellen und das Nichterscheinen derselben, wenn mit alkalischen Flüssigkeiten fixiert wird. Er zieht daraus den Schluß, daß die bekannten Strukturen durch saure Fixierungsmittel oder durch postmortale Säuerung des Gewebes aus- gefällt würden, denn sie würden einige Zeit nach dem Tode sichtbar, auch wenn kein Fixierungsmittel angewandt worden ist.

Andre Forscher z. B. Lenhossek haben die größeren Schollen auch an ganz frischen Zellen wahrnehmen können und mir selbst ist dies mehrfach an Vorderhornzellen vom Frosch gelungen, welche wohl wegen der größeren Lebenszähigkeit der Kaltblütergewebe den Vorzug vor denen von Säugetieren besitzen. Nach Held soll dies ein sekun- däres Stadium sein und ich will es nicht für ganz ausgeschlossen halten, daß Lenhossek und ich immer erst unsere Zellen unters Mikro- skop bekommen haben, nachdem dies schon eingetreten war. Es muß ja unbedingt zugegeben werden, daß die Struktur bei längerem Liegen des Präparats, besonders aber beim Zutritt von Alkohol deutlicher wird. Wirklich in allen Einzelheiten deutlich wird die Struktur aber erst beim Färben. Ich meine nun mit Bühler (1898), daß das -Deut- licherwerden beim Absterben und Fixieren dem nicht widerspricht, daß die Struktur von Anfang an vorhanden ist, denn es ist durchaus denkbar, daß in der ganz frischen Zelle die Liehtbrechungsverhältnisse so sind, daß die an und für sich differenten Substanzen allein durch elie Lichtbreehung nicht sichtbar werden. Noch weniger scheint mir Helds Versuch mit alkalischen Fixierungsflüssigkeiten zu beweisen. Held selber hat gezeigt, daß verdünnte Alkalien (Natronlauge, Lithium- karbonat) bereits fixierte Ganglienzellen in der Weise verändern, daß sich bei der nachfolgenden Färbung mit basischen Farbstoffen keine Nissistrukturen mehr zeigen und daß bei nunmehr erfolgender Färbung mit einem sauren Farbstoff die Stellen, an denen vorher die Schollen lagen, als Lücken hervortreten. Es erscheint wahrscheinlich und Held nimmt dies als sicher an —, daß hierbei die primär färbbare Substanz aus den Zellen durch die Lauge herausgelöst wird. Wenn er nun bei der Fixierung frischen Gewebes statt gewöhnlichen Alkohols, dünnen Laugenalkohol anwendet und bei der nachfolgenden Färbung der Schnitte keine NissIstrukturen sichtbar werden, wohl aber in den mit sauren Farbstoffen gefärbten Schnitten die Negative derselben als Lücken erscheinen, so ist doch wohl die Annahme wahrscheinlicher, daß die Lauge beim Fixieren die Nisslsubstanz gelöst hat, als daß sie deren Fällung verhinderte. Dieselbe Meinung hat auch schon

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 131

Bühler ausgesprochen und darauf hingewiesen, daß dort, wo eine Lücke erscheint, etwas entfernt sein muß. Ein Beweis dafür, daß die färbbare Substanz wenigstens im großen und ganzen schon in der lebenden Zelle so lokalisiert ist, wie wir es auf den gefärbten Prä- paraten sehen, scheint auch darin zu liegen, daß der Achsenzylinder- ursprungskegel immer ganz frei von färbbarer Substanz gefunden wird (Flemming) und daß das Färbungsbild bei den verschiedenartigsten Fixierungen eine große Gleichmäßigkeit aufweist (Lenhossek).

Nach all diesem würde ich nicht daran zweifeln, daß das Äqui- valentbild dem Bilde der normalen Ganglienzelle, wenigstens was die Verteilung der primär färbbaren Substanz anbetrifft, sehr ähnlich sieht, wenn nicht eine Beobachtung von Becker vorläge, welche doch zu einer gewissen Reserve veranlaßt. (Herr Dr. Becker hat dieselbe vor einigen Jahren in Baden-Baden auf dem Kongreß Südwestdeutscher Neurologen und Irrenärzte demonstriert, aber sonst nicht publiziert.) Beeker injiziert lebenden Fröschen Neutralrot, nimmt nach einiger Zeit etwas vom Rückenmark heraus und zerquetscht es auf dem Objekt- träger. Man sieht dann sehr häufig in den Ganglienzellen rote Körn- chen gleichmäßig verteilt. Diese bewegen sich darin langsam hin und her und sammeln sich mit der Zeit an bestimmten Stellen an, während sie an andern Stellen verschwinden. Auf diese Weise. entsteht mit der Zeit eine Zeichnung in der Ganglienzelle, welche einem Nissl- präparat ziemlich ähnlich sieht.

Die Beziehungen zwischen dem Fibrillenpräparat und dem Nissl- präparat sind offenbar. Es wäre nun möglich, daß die Lücken, welche die Fibrillenzüge zwischen sich freilassen, von einer ursprünglich gleich- mäßig in der Zelle verteilten Substanz beim Absterben resp. beim Fixieren erfüllt werden. Dieser Annahme scheint sich mir aber manches entgegenzustellen. Zunächst ist die Identität der bei dem Neutralrot- verfahren gefärbten Substanz mit der färbbaren Substanz des Nissl- präparats zweifelhaft. Macht man nämlich das gleiche Experiment mittels Methylenblauinjektion, so sieht man oft in den Ganglienzellen (wenn nicht eine diffuse Färbung derselben eintritt) von Anfang an das typische NissIbild, außerdem aber eine ganze Anzahl von Körn- chen, welehe die Größe der Beckerschen Körnchen besitzen (d. h. größer sind als die meisten der feinen Körnchen, welehe die NissIschollen nach den Befunden von Held, Lenhossek und andern zusammensetzen) und über den ganzen Zelleib verteilt sind. Auch in vielen andern Punkten unterscheidet sich ja die Wirkungsweise des Neutralrots von der des Methylenblaus, Toluidinblaus u. s. w. sowohl bei der Appli- kation auf das lebende wie auf das fixierte Gewebe. Die Fixierung dünn ausgestrichenen Rückenmarks mit Alkohol geht außerordentlich schnell, die Gruppierung der mit Neutralrot färbbaren Körnchen aber

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132 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

sehr langsam. Auch dies spricht dagegen, daß diese Körnchen durch Ansammlung die Schollen der großen Zellen bilden. Schließlich sei noch eins erwähnt, was dieser Ansicht widerspricht: bei manchen Ver- siftungen, z. B. bei der Vergiftung mit Arsen (Lugaro), verschwindet die primär färbbare Substanz zuerst an der Peripherie der Zellen, während sie bei andern Eingriffen, z. B. nach Durchsehneidung des zugehörigen Achsenzylinders, zuerst in der Nähe des Kerns abnimmt (Nissl). Wäre die Substanz in der Ganglienzellsubstanz gelöst oder in Form frei beweglicher Körnchen gleichmäßig in ihr verteilt, so wäre gar kein Grund vorhanden, weshalb die Substanz, wenn sie erst nach- träglich ausfiele oder sich gruppierte, bei allgemeiner Verminderung dureh einen. pathologischen Prozeß bestimmte Stellen der Zelle frei ließe. Man sollte vielmehr meinen, daß sie auch jetzt noch überall in der Zelle gleichmäßig verteilt im Färbungsbild erscheinen müsse.

Grade diese letzterwähnte Erscheinung scheint mir entschieden dafür zu sprechen, daß die primär färbbare Substanz auch im der lebenden Zelle fest lokalisiert ist, d.h. daß das Äquivalentbild in der Tat die natürliche Verteilung der Substanz ziemlich richtig wiedergibt. Dagegen möchte ich die Beekerschen Körnchen als etwas bisher noch wenig Bekanntes ansprechen, das frei in der Zelle verteilt ist, sich aber eventuell an die präformierten Substanzbrocken anlagert und im Nisslpräparat mit ihnen zusammen gefärbt wird. Weitere Auf- klärungen sind hier aber jedenfalls noch abzuwarten, ehe man ein definitives Urteil abgeben kann.

Wie schon erwähnt, ist die primär färbbare Substanz sowohl in Bezug. auf ihre räumliche Verbreitung innerhalb der Ganglienzellen als auch in Bezug auf ihre Intensität und ihre sonstige Erscheinung in den verschiedenen Zellarten verschieden. In manchen Zellen, besonders in den großen Zellen der Wirbeltiere, ist sie in großen Brocken an- seordnet. Diese Brocken, Schollen oder Tigroidkörper lassen auf dünnen Schnitten einen körnigen Bau erkennen (Held, Lenhossek, Nissl u. a.). Die Körnchen werden zusammengehalten von einer homogen aussehen- den Substanz, welche die Farbe viel schwächer annimmt (Nissl). Bei vielen kleinen Zellen zeigt sich nur eine homogene Färbung, ähnlich der, welche bei den großen Zellen die Grundsubstanz der Schollen besitzt. Sie dehnt sieh nicht durch die ganze Zelle aus, ist aber in der Be- erenzung ziemlich undeutlich. Noch andre Zellen, z. B. die Zellen des Sympathieus, zeigen neben einzelnen größeren färbbaren Brocken einen feinen gefärbten Staub. Auch bei wirbellosen Tieren ist die primär färbbare Substanz weit verbreitet. Bei Hirudo findet man sie in engsten Lagebeziehungen zu den Fibrillenkörben. Bei Arthropoden ung Mollusken ist sie wie die Fibrillengitter durch die ganzen Zellen ausgebreitet. Der Stammfortsatz der Ganglienzellen ist hier

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 133

grade so wie der Polkegel bei den großen Zellen der Wirbeltiere frei von färbbarer Substanz. ‘Die freie Zone ragt auch hier noch etwas in den Zelleib hinein. Auch hier zeigen die Zellarten (ein und der- selben Tierspezies), welche sich durch Größe und Lokalisation unter- scheiden, wesentliche Unterschiede im primär gefärbten Präparat. In vielen kleinen Zellen der Arthropoden sind wie in den kleinen Zellen der Substantia gelatinosa der Wirbeltiere nur gefärbte Schleier, aber keine wirklich geformten Substanzportionen vorhanden. Die vielen kleinen Zellen, welche, zu dichten Massen vereinigt, an den pilzhut- förmigen Körpern (Globuli) des Arthropodengehirns liegen, scheinen der primär färbbaren Substanz überhaupt ganz zu entbehren. Auch bei den Wirbeltieren kommen einige Zellarten vor, in welchen, ob- wohl sie als Ganglienzellen anzusprechen sind, bisher keine primär färbbare Substanz nachgewiesen werden konnte, so z. B. in den Körner- zellen der Retina. Nach Bühler sollen auch die Rindenzellen der Eidechse frei von färbbarer Substanz sein, doch möchte ich dieser An- gabe einiges Mißtrauen entgegenbringen, weil bei der von ihm geübten Methode meist nur die groben Ansammlungen der Substanz sichtbar werden. Vorläufig wird man jedenfalls das Vorkommen von primär färbbarer Substanz als ein ziemlich allgemeines Charakteristikum der Ganglienzellen ansehen dürfen. Ihr Verhalten gegen Chemikalien wird weiter unten besprochen werden.

Die primäre Färbbarkeit der Neurofibrillen.

Ich habe bereits weiter oben davon gesprochen, daß sich bei der Applikation von Methylenblau auf das lebende oder überlebende Ge- webe die Neurofibrillen färben. Sehr häufig tritt, wie zuerst Apathy hervorgehoben hat, bei der Methylenblaufärbung zunächst eine Tinktion

der Neurofibrillen ein, welcher erst sekundär wenigstens in den Nervenfasern die Färbung der Perifibrillärsubstanz folgt. Beim

Verschwinden der Färbung sind es die Neurofibrillen, welche am längsten den Farbstoff festhalten. Auf Grund dieses Verhaltens ist es möglich, mit Hilfe der Ehrlichschen Methode gute Fibrillenpräparate zu erhalten (Apathy, Simon, ich). Wie Ehrlich (1587) durch eine Reihe von Versuchen erwiesen hat, ist nun Methylenblau nicht der einzige Körper, welcher ‚neurotrope“ Eigenschaften besitzt. Eine Anzahl andrer basischer Farbstoffe, die dem Methylenblau mehr oder weniger nahestehen, zeigen dieselbe Eigenschaft, wenn auch meist weniger ausgesprochen: Thionin, Dimethylthionin, Methylenazur, Toluidinblau und andere. In letzter Zeit hat Ehrlich (1901) gezeigt, daß auch das Bismarckbraun neurotrop ist, aber nur dann, wenn es von einem andern derartigen Körper unterstützt wird. Bismarckbraun allein injiziert gibt keine Nervenfärbung; injizierte er es aber zusammen mit Methylen- _

134 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

blau, so trat zunächst eine Färbung im Mischton ein. Wenn sich dann unter Luftabschluß das Methylenblau zur Leukobase reduzierte, so traten die Nerven in dem braunen Farbton des Bismarekbrauns hervor.

Daß alle basischen Farbstoffe neurotrope Eigenschaften besitzen, ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Die bisher bekannten ge- hören alle einer großen Gruppe an; aber es gibt keinen neurotropen Farbstoff, der nicht basische Eigenschaften besäße. Der Neurotropismus scheint mir nun mehr oder weniger identisch mit der Verwandtschaft der Farbstoffe zu den Fibrillen zu sein. Das was die Dunkelheit und Schärfe der erreichbaren Nervenbilder ausmacht, ist nicht die Färbung der Perifibrillärsubstanz (des Achsenzylinderplasmas), sondern die der Neurofibrillen. Die Perifibrillärsubstanz wird zwar auch fast immer sekundär mitgefärbt, bleibt aber an Dunkelheit immer weit hinter der der Fibrillen zurück. Dies kommt deswegen nur selten bei Wirbeltieren zur Beobachtung, weil die Fibrillen bereits beim Färbungsprozeß, noch mehr aber bei der nachfolgenden Fixierung zu einem dünnen Strang zusammenschnurren.

Bisher hat man nun geglaubt, daß die Verwandt- schaft zwischen Nervensubstanz (resp. Fibrillen) und den erwähnten Farbstoffen nurimlebenden oder wenig- stens frischen Zustande des Gewebes vorhanden sei. Dies ist aber nieht der Fall. Sie bleibt auch nach dem Fixieren mit manchen Fixationsmitteln erhalten, geht aber verhältnismäßig leicht verloren, und die nach dem Fixieren zu erreichende Färbung ver- schwindet beim Passieren von Alkohol so schnell, daß man sie am montierten Präparat nur dann zu sehen bekommt, wenn man sie fixiert hat. Am besten bleibt die Basophilie der Neurofibrillen in Alkohol erhalten. Dies gilt aber nur für periphere Nerven und gewisse Fasern des Zentralnervensystems. In den Ganglienzellen, den Strangfasern und im Grau erhält man primäre Färbung der Neurofibrillen bei ein- facher Alkoholfixierung nur auf Ausstrichpräparaten, nicht aber, wenn im Bloeke fixiert wird. (Über Blockfixierung siehe S. 145 u. 146.) Als basischen Farbstoff wende ich gewöhnlich nicht Methylenblau, sondern Toluidinblau an, weil dieser Farbstoff die Fibrillen primär metachro- matisch färbt, so daß sie sich innerhalb der Ganglienzellen im Farb- ton von den Nisslstrukturen unterscheiden. Methylenblau färbt die Fibrillen ungefähr ebenso blau, wie die primär färbbare Substanz der Ganglienzellen, sodaß innerhalb der Zellen bei gleichzeitiger Färbung beider Elemente ein ganz unklares Bild zustande kommt. Dagegen färbt das Toluidinblau die Neurofibrillen rot ') bis rotviolett (sehr selten

1) Diese Farbdifferenz kann nicht darauf bezogen werden, daß etwa das Toluidinblau durch einen roten Farbstoff verunreinigt ist, denn man kann z. B.

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 135

blauviolett), die NissIsche Substanz in den Ganglienzellen dagegen im normalen Ton, nämlich ziemlich ausgesprochen blau mit einem kleinen Stich ins Violett. Die Farbendifferenz bleibt beim Fixieren erhalten.

Am einfachsten kann man sich von der primären Färbbarkeit der Nervenfasern auf folgende Weise überzeugen: Man nimmt einen frischen Nerv (Frosch, Hund, Kaninchen), zerzupft ein Stückchen auf einem Objektträger und bringt denselben für kurze oder lange Zeit in reinen Alkohol. Nachdem der Alkohol wieder durch destilliertes Wasser ver- drängt ist, wird der Objektträger für 10—15 Minuten in eine Lösung von Toluidinblau 1:3000 bis 1:1000 gebracht (nieht erwärmen). Da- nach wird mit destilliertem Wasser einige Minuten gewaschen und das Präparat ohne weiteres unter dem Mikroskop betrachtet. Man sieht dann die geschrumpften Achsenzylinder tief rotviolett gefärbt; häufig haben aber auch die Markscheiden reichliche Farbmengen auf- genommen, so daß dadurch das Achsenzylinderbild zum Teil verdeckt wird. Bringt man das Präparat in Alkohol, so verschwindet die Fär- bung vollkommen, sowohl aus den Scheiden, wie aus den Achsen- zylindern. Dagegen läßt sich die Färbung leicht fixieren, wenn man das Präparat nach dem Waschen für eine halbe Minute oder länger in eine Ammoniummolybdatlösung bringt. In Canadabalsam gebracht, treten die Achsenzylinder noch deutlicher hervor.

Die lästige Mitfärbung der Markscheiden wird leicht dadurch ver- mieden, daß man die Objektträger vor dem Färben für einige Stunden in Xylol stellt. Das Xylol löst die färbbaren Substanzen der Mark- scheide (der eingedampfte Rückstand eines Xylolauszuges von Nerven- substanz färbt sich mit Toluidinblau ziemlich kräftig) zugleich mit andern Markscheidensubstanzen, nimmt den Achsenzylindern aber nicht ihre primäre Färbbarkeit. Auf diese Weise hergestellte Präparate zeigen außer den Kernen nur die Achsenzylinder, und zwar treten diese in einer recht eleganten Weise hervor. Sind die Achsenzylinder stark zusammengeschnurrt, so sieht man auch mit der Immersion nur einen dunklen Strang. Betrachtet man aber bei starker Vergrößerung eine Achsenzylinderstelle, welche nicht geschrumpft ist solche kommen fast in jedem Präparat vor —, so sieht man ihn aus lauter dünnen Fibrillen zusammengesetzt. Diese mit den Neurofibrillen identi- schen Fibrillen sind gefärbt; die zwischen ihnen liegende Perifibrillär- substanz ist fast immer vollkommen farblos. (Um viele ungeschnurrte Achsenzylinder zu erhalten, ohne den Alkohol als Fixierungsmittel auf- zugeben, verfährt man in folgender Weise: Ein Gefäß mit Alkohol

sehen (unter dem Mikroskop), wie sich die rötliche Färbung der Neurofibrillen in Alkohol mit demselben blaugrünen Farbton löst wie die blaue Farbe andrer Gewebsbestandteile oder des freien Farbstoffs.

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wird im Gefriergemisch bis auf 10° bis 15° abgekühlt; dann entnimmt man einem Frosch ein Stück des Ischiadieus und wirft es in. den Alkohol. Es muß hierin in kurzer Zeit steif gefroren sein. Ich lasse dann das Gefriergemisch allmählich schmelzen, nehme den Nerven heraus, wenn die Temperatur etwa bis auf 4 15° gestiegen ist, und zerzupfe ihn oder schneide nach Paraffineinbettung. Gefärbt wird wie oben.) Es handelt sich hier also nicht um eine Färbbarkeit irgend welcher Bestandteile des Achsenzylinderplasmas, sondern um eine pri- märe Basophilie der Neurofibrillen selber. (Die Färbbarkeit der Neuro- fibrillen mit basischen Farbstoffen nach Fixierung mit Osmiumsäure hat mit der primären Färbbarkeit gar nichts zu tun; es handelt sich hierbei vielmehr um eine sekundäre Affinität, welche erst durch die Osmiumsäurewirkung geschaffen wird.)

Um Färbungsbilder vom Zentralnervensystem zu erhalten, benutzt man am besten Ausstrichpräparate (Zerquetschen eines Stückchens frisch entnommener grauer Substanz zwischen zwei Objektträgern, Anseinanderziehen derselben und Fixieren in Alkohol; dann für einige Stunden in Xylol). Anatomische Einzelheiten und Feinheiten sollen ja mit der Methode nicht herausgebracht werden; sie soll nur dazu (dienen, über die reaktionellen Eigenschaften einiger Bestandteile des Nervensystems Neues zu bringen, und dabei kann man sich ruhig dieser etwas rohen Methode bedienen. Man findet dabei immer noch Zellen genug, welche nicht zertrümmert sind.

Färbt man ein Ausstrichpräparat vom Rückenmark (Frosch, Hund, Kaninchen, Kalb, Rind) in der oben angegebenen Weise, so sieht man außer den dunkelblau erscheinenden Zellen eine große Anzahl rötlicher Fäden, welche sehr verschiedene Dicke haben und sich bisweilen teilen. In diesen Fäden erkennt man nach den Lagebeziehungen zu den Ganglienzellen und ihrem mehr oder weniger dichten Gefüge Achsenzylinder und Protoplasmafortsätze (Tafel I, Fig. D. Taucht man ein Präparat vor dem Fixieren in Alkohol, so verschwinden alle eefärbten Fäden und es bleiben die einfachen Nisslbilder zurück (Dafel-L,cFie> 1):

In den nur mit Wasser gewaschenen Präparaten sind die Zellen sehr dunkel. Bei stärkerer Vergrößerung erkennt man in ihnen den Kern und die dunkelblauen Nisslschollen; zwischen diesen sieht man aber nicht wie im Nisslpräparat oder dem mit Alkohol differenzierten Präparat helle Straßen, sondern alles was nicht blau ist, ist von einer roten bis rotvioletten Färbung ausgefüllt. (Man vergleiche Fig. I und Fig. II der Tafel.) Es sind dies die rotgefärbten Fibrillenbahnen, welche man aber bei der allgemeinen Dunkelheit der Zellen fast nie in «die einzelnen Fibrillen auflösen kann. Die Protoplasmafortsätze kann man oft sehr weit verfolgen. Besonders dort, wo sie nur noch

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 137

wenige blaugefärbte Nisslschollen enthalten, tritt der fibrilläre Bau deutlich hervor, natürlich nie so deutlich wie im Molybdänpräparat, in welchem die einzelne Fibrille viel dunkler gefärbt ist als hier. Bemerkenswert ist es auch, daß in diesen Präparaten die Protoplasma- fortsätze stets glatt sind. An den Achsenzylindern sieht man häufig Teilungen, doch nimmt die Färbungsintensität an den feineren Zweigen so schnell ab, daß man die letzten Teiläste selten zu sehen bekommt. ') Die Intensität der Färbung nach einfacher Alkoholfixierung steht hinter der zurück, welche bei vitaler Applikation des Farbstoffes erreicht werden kann. Ein andrer Unterschied beider Färbungen besteht darin, daß bei vitaler Applikation immer nur einige wenige Elemente ge- färbt werden, während bei der Färbung nach stattgehabter Fixierung, wie besonders die Untersuchung von Schnitten durch Nerven oder durch ein Rückenmarksstück ergibt (siehe S. 146), alle Elemente zur Darstellung gelangen. Diese Unterschiede scheinen mir aber nicht dagegen zu sprechen, daß wir es in beiden Fällen im Grunde mit ein und derselben Reaktion zu tun haben. Bei der Fixierung kann sehr wohl etwas von der Färbungsaffinität verloren gehen; hierfür spricht schon das, daß die Färbung eingetrockneter (nicht mit Alkohol behandelter) Ausstrichpräparate häufig so dunkel ausfällt, wie die vitalgefärbter, nur ist auch in diesem Fall die Färbung allgemein. Mir scheint es jetzt, als ob doch bei der vitalen Färbung nur die- jenigen Elemente sich färben, welche mehr oder weniger geschädigt sind oder jedenfalls nieht unter ganz normalen Bedingungen stehen. Hierfür spricht z. B., daß die Zahl der gefärbten Elemente nach Strychninisierung größer ist als bei normalen Tieren, wie dies vor kurzem von Wolf beschrieben wurde und mir schon seit etwa acht Jahren bekannt war. Einen großen Reichtum an gefärbten Elementen fand ich auch bei Careini, welehe im Stadium des Wärmetetanus mit Methylenblau injiziert wurden. Ist dies richtig, so ist es nicht zu verwundern, daß bei hochgradiger Schädigung, d. h. bei vollkommener Herabsetzung der Aversion gegen Farbstoffaufnahme dureh Abtötung, eine vollständige Färbung zustande kommt. Wie ich dies meine, wird aus dem weiteren noch näher hervorgehen.

I) Kaplan (1902) hat eine schöne Methode zur Darstellung der mit Mark- scheide umgebenen Achsenzylinder mittels Anthraceneisengallustinte beschrieben. Diese „Axostromafärbung“ hat mit der primären Färbbarkeit und überhaupt mit den Fibrillen nichts zu tun, da sie nur an myelinhaltigen Fasern zu erhalten ist. Was sich eigentlich bei der Kaplanschen Methode färbt, ist noch unklar. Da ja die Grenzen der Perifibrillärsubstanz der Nervenfasern über die mit Mark um- gebenen Teile hinausgehen, kann das „Axostroma“ mit dieser nicht ohne weiteres als identisch angesehen werden. Es muß vorläufig angenommen werden, daß die Perifibrillärsubstanz dort, wo die Nervenfasern von Mark umgeben sind, in besonderer Weise differenziert ist (Kaplan).

138 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

Die primäre Färbbarkeit in lebendem, wie in mit Alkohol ab- getötetem Zustand scheint eine allgemeine Eigenschaft der Neuro- fibrillen zu sein. Bei Arthropoden, Würmern und Mollusken findet sie sich in gleicher Weise wie bei den Wirbeltieren, nur ist bei den meisten von mir auf diesen Punkt untersuchten Wirbellosen der Inten- sitätsunterschied zwischen der vitalen Färbung und der nach Alkohol- fixierung noch größer als bei Wirbeltieren. Ich glaube dies darauf be- ziehen zu dürfen, daß sich hier eine Substanz, auf deren Gegenwart, wie ich gleich zeigen werde, die primäre Färbbarkeit beruht, noch leichter von den Fibrillen abspaltet, als es bei den Wirbeltieren der Fall ist.')

Das Wesen der primären Färbbarkeit der Ganglien- zellen und der Neurofibrillen.

Ich habe bereits erwähnt, daß die Eigenschaft der Neurofibrillen “sich primär zu färben sehr vergänglieh ist. So verschwindet sie bei vielen Fixierungen, auch wenn sie auf das lebensfrische Gewebe ein- wirken (Salpetersäure, Chromsalze u. s. w.).. Auch nach Einwirkung von Erdalkalien auf Alkoholmaterial ist sie nicht mehr vorhanden. Trotzdem sind die Fibrillen als morphologische Bestandteile noch da, wie ja schon daraus hervorgeht, daß sie bei der Molybdänmethode grade nach Fixierung mit Salpetersäure sehr schön darstellbar sind. Die primäre Färbbarkeit ist also eine Eigenschaft, die verschwinden kann, ohne daß das Substrat dabei zerstört wird.

Grade so verhält es sich auch mit der primären Färbbarkeit der Nissistrukturen. Wir wollen uns dabei nur mit denjenigen Strukturen des Nisslpräparats beschäftigen, welche wohl geformt sind; das sind die aus Körnchen zusammengesetzten Schollen und Striche, wie sie hauptsächlich in den motorischen Zellen und den Spinalganglienzellen vorkommen und die auch als Flemming-NissIsche Schollen oder Tigroid bezeichnet werden. Nach Held sollen diese Strukturelemente aus Präparaten, die mit Alkohol fixiert sind, nach Behandlung mit Erd- alkalien vollständig von der Bildfläche verschwinden d. h. sie sollen ganz und gar herausgelöst werden, so daß man Lücken an ihrer Stelle sieht. Dies ist nach meinen Befunden wnrichtig. Es verschwindet bei der Einwirkung von Natronlauge, Kalilauge, Lithionkarbonat oder Natriumkarbonat nur die primäre Färbbarkeit; es entstehen aber an den Stellen, wo die Schollen lagen, keine Löcher; die Schollen sind vielmehr noch als solche in den Zellen vorhanden. (Daß durch sehr

1) Bei Anwendung einer Modifikation der weiter unten beschriebenen Äther- methode hat Dr. Prentiss im hiesigen Laboratorium an Hirudo sehr schöne und ziemlich allgemeine Neurofibrillenfärbung erhalten. Danach kann es als gesichert gelten, daß sich die färbbare Substanz bei den Wirbellosen besonders leicht von den Fibrillen abspaltet.

2.

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 139

lange Einwirkung starker Lösungen von Alkalien vielleicht wirkliche Löcher an irgend welchen Stellen der Zellen entstehen können, mag möglich sein, aber schließlich löst sieh eben alles in solchen Lösungen. Die primäre Färbbarkeit verschwindet aus Schnitten oder in Alkohol fixierten Ausstrichpräparaten aber schon im einer '/,°/, Sodalösung und bei einer Einwirkung von 10—20 Minuten.) Mit basischen Farb- stoffen kann man nach der Behandlung mit Alkalien so lange und so stark färben, wie man will, die Schollen färben sieh nieht mehr (auch wenn man das Alkali ausgewaschen oder neutralisiert hat). Bei An- wendung von Eisenhämatoxylin, Molybdänhämatoxylin oder nach warm erfolgter Beizung mit Molybdänsalz und darauf folgender Färbung mit einem basischen Farbstoff treten die Schollen aber wieder grade so gut hervor, als wenn gar nichts weiter mit dem Präparat geschehen wäre. Auch nach Färbung mit sauren Farbstoffen z. B. mit Säure- fuchsin treten sie zu Tage. Wie in nicht mit Alkalien behandelten Präparaten heben sich die Schollen dunkler rot von heller rotem Grunde ab. Dasselbe Resultat erhielt ich, wenn ich das Ge- websstück gleich mit Laugenalkohol nach Held fixiert hatte: Keine Lücken, aber vollkommener Fortfall der primären Färbbarkeit.

In derselben Weise wird die primäre Färbbarkeit der Neuro- fibrillen dureh Behandlung mit Laugen aufgehoben. Taucht man ein Ausstriehpräparat vom Rückenmark, das in Alkohol fixiert ist und bei direkter Färbung mit Toluidinblau Nissl und Fibrillenbild geben würde, für einige Minuten in eine verdünnte Soda- oder Natronlaugenlösung und färbt es dann, so treten nur noch die Kerne hervor (auch wenn vorher neutralisiert ist). Beide primären Färbbarkeiten sind ver- schwunden. Läßt man die Lauge noch länger einwirken oder benutzt man stärkere Lauge, so verschwindet auch die primäre Färbbarkeit der Kerne. In solehen Präparaten nimmt kein einziger Gewebsbestand- teil mehr basische Farben an, außer wenn sie vor dem Färben mit Beizen behandelt sind (in diesem Fall spielt aber der basische Farb- stoff nur eine sekundäre Rolle).

Entständen bei der Laugenbehandlung wirklich Lücken, wie Held gemeint hat, so würde man ohne weiteres den Schluß ziehen können, daß die Laugen etwas aus dem Gewebe herausgelöst haben. Da dies aber nicht der Fall ist, so brauchen wir es nicht notwendigerweise mit einer Lösung zu tun zu haben. Möglicherweise könnte es sich nur um eine physikalische oder chemische Veränderung der vorher basophilen Substanz handeln, ohne daß dabei wirklich etwas in Lösung gegangen wäre. Es ist aber auch möglich, daß vor der Laugen- behandlung eine primär färbbare Substanz vorhanden ist, welche in geringer Menge mit den Fibrillen, den Körnern der NissIschollen und Bestandteilen des Kerns verbunden ist, und durch die Lauge gelöst

%

140 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

oder zerstört wird. Bei der geringen Menge dieser färbbaren Sub- stanzen würde immer noch soviel von den Formbestandteilen zurück- bleiben, daß bei Sichtbarmachung derselben mit andern Methoden keine Verringerung der Masse für das Auge zu konstatieren wäre. Mit andern Worten: Es wäre möglich, daß die Fibrillen, die NissIschollen und die Kerne aus einem Gemisch oder einer Verbindung von Sub- stanzen beständen, von denen je eine (oder mehrere) die Eigenschaft besäße, sich mit basischen Farbstoffen zu verbinden und sich in Erd- alkalien zu lösen. Nach Lösung dieser würde der größere Rest oder sagen wir die Grundmasse zurückbleiben und morphologisch noch an- nähernd dasselbe Bild geben, wie vorher. Ich glaube, daß das letztere richtig ist und daß es möglich ist, dies auf einfache Weise zu zeigen:

Eine große Anzahl organischer Körper (Basen, Amidogruppen enthaltende Substanzen u. a.) besitzt die Eigenschaft sich mit Sublimat zu verbinden. Diese in Wasser meist unlöslichen Körper sind alkali- beständig, werden also, wenn sie einmal gefällt sind, von Alkalien nicht wieder aufgelöst. Eine Anzahl andrer Sublimatverbindungen z. B. von. Diamidosäuren sind zwar in saurem oder neutralem Wasser löslich, fallen aber aus, wenn die Lösung alkalisch gemacht wird. Wenn wir es in dem hypothetischen, färbbaren Bestandteil der Fibrillen und Nisslschollen mit solchen Substanzen zu tun hätten, so dürfte die primäre Färbbarkeit nach Behandlung mit Sublimat nieht mehr in Laugen zugrunde gehen. Tatsächlich ist dies der Fall: Man stellt sich eine Anzahl von Ausstrichpräparaten her und fixiert sie in Alkohol. Dann wird die Zeit bestimmt, welche notwendig ist, um aus einem solchen Präparat bei Einwirkung von '/,°/, Sodalösung die primäre Färbbarkeit der Neurofibrillen und der Nissischollen ganz zum Ver- schwinden zu bringen. Diese betrage zehn Minuten. Es wird nun ein andres Präparat zunächst für eine kurze Zeit in Sublimat- lösung gebracht, gut ausgewaschen und dann für 24 Stunden in die Sodalösung gestellt. Bei der Färbung (natürlich nach voraus- zerangenem Waschen) zeigt sich, daß weder die Neurofibrillen noch die NissIschollen die geringste Einbuße an primärer Färbbarkeit er- litten haben. Selbst bei langer Einwirkung sehr viel stärkerer Laugenlösungen verschwindet die primäre Färbbarkeit nieht. Entfernt man aber durch langes Waschen mit Jodlösung das Sublimat wieder aus dem Präparat oder zerstört man die Verbindung dureh Einwirkung von Schwefelwasserstoff, so stellt sich die alte Empfindlichkeit für Laugen wieder ein. Im Augenblick wird man diesen Versuch nur so deuten können: Das Verschwinden der primären Färbbarkeit der Neuro- fibrillen und Nisslsehollen (und der Ganglienzellen überhaupt) beruht auf der Lösung einer färbbaren Substanz. Diese

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Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 141

Substanz (oder Substanzen) ist an die Grundmasse der Fibrillen und der Schollen in irgend einer Weise chemisch gebunden.

Wie schon mitgeteilt, verschwindet die primäre Färbbarkeit der Fibrillen (wenigstens im Zentralnervensystem) sehr viel leichter als die der Nisslschollen, und die Färbung selber ist nicht wie die der NissIschollen alkoholbeständig. Hieraus kann man aber noch nicht den Schluß ziehen, daß es sich um zwei verschiedene färbbare Sub- stanzen handelt. Es könnte sich um ein und dieselbe Substanz han- deln und die Verschiedenheit lediglich darauf beruhen, daß die Sub- stanz mit der Grundmasse der Fibrillen in sehr viel weniger fester Verbindung stände als mit der der Schollen. Daß es sich aber doch um zwei verschiedene Substanzen handelt, geht aus dem Verhalten zu Salzsäure und zu Ammoniak hervor.

Es werden eine Anzahl von Ausstrichpräparaten vom selben Tier hergestellt und diese wie folgt behandelt: Zwei werden normal ge- färbt. Sie zeigen Nissl- und Fibrillenbild (Tafel I, Fig. I). Zwei andre Präparate kommen für 24 Stunden in eine Mischung von ı T. HCl, 3 T. Wasser und 20 T. Alkohol (auf genaues Einhalten dieses Verhältnisses kommt es nicht an), werden dann gespült und gefärbt. Das Fibrillenbild ist vollkommen verschwunden und‘ nur das Nisslbild und zwar unvermindert vor- handen (Tafel I, Fig. II). Zwei weitere Präparate kommen in eine Mischung von 1 T. HCl und etwa 20 T. Wasser. Nach 24 Stunden wird gewaschen und gefärbt. Es zeigt sich keine Spur von sefärbten Nisslschollen, die Kerne sind etwas blasser (oder invers), die Fibrillenfärbung ist aber vollkommen erhalten. Da die Nissischollen ungefärbt sind, so sieht man jetzt den Fibrillenverlauf in der ganzen Zelle (Tafel I, Fig. II).

Es ist also die färbbare Substanz der Fibrillenin alkoholischer Salzsäure, die der Ganglienzellen in wässeriger Salzsäure löslich. Handelte es sich in beiden Fällen um dieselbe Substanz, die das eine Mal nur leichter abspaltbar wäre, so wäre anzunehmen, daß sie sich von den Fibrillen auch bei der Behandlung abspaltet, bei der sie im festergebundenen Falle ab- gespalten wird. Das reziproke Lösungsverhalten deutet mit ziemlicher Sieherheit darauf hin, daß es sich um zwei verschiedene Substanzen handelt. Ich will die eine Substanz von nun an die Fibrillensäure, die andre Nisslsäure nennen. Warum die Substanzen als Säuren an- zusehen sind, wird aus dem Folgenden hervorgehen.

Durch Alkohol allein wird die Fibrillensäure ebensowenig aus- gezogen wie die Nisslsäure dureh reines Wasser. Danach wird man annehmen dürfen, daß beide Substanzen an ihre Substrate chemisch gebunden sind und daß die Salzsäure sie abspaltet. Man wird ferner

142 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

schließen können, daß die freie Fibrillensäure in Alkohol löslich und in Wasser unlöslich ist und daß sich die Nisslsäure grade umgekehrt verhält (löslich in Wasser, unlöslich in Alkohol).

Bringt man ein Präparat zuerst in Salzsäurealkohol und dann in Wasser, so fällt das Färbungsresultat so aus, als wenn es nur in Salzsäurealkohol gewesen wäre. Bringt man umgekehrt ein Präparat erst in verdünnte Salzsäure und dann in Alkohol, so färben sich nachher die Fibrillen doch. Trotz der vorhergehenden Salzsäure- einwirkung hat der Alkohol doch nieht die Fibrillensäure gelöst. Um auch die Fibrillensäure zu lösen, muß der Alkohol ebenfalls eine reichliche Menge Salzsäure enthalten und umgekehrt bei voraufgehender Lösung mit Salzsäurealkohol muß das nachher einwirkende Wasser Salzsäure enthalten, um auch die Nisslsäure herauszulösen.') Hieraus ist der Schluß zu ziehen, daß die Abspaltung nur geschieht, wenn die Salzsäure in dem geeigneten Lösungsmittel enthalten ist. Eventuell ist die Tatsache aber auch dahin zu deuten, daß die Substanzen nur bei saurer Reaktion der Lösungsmittel in Lösung gehen.

Ammoniak wirkt nur auf die Nisslsäure lösend; auch in starker Konzentration verändert es die primäre Färbbarkeit der Neurofibrillen weder in alkoholischer noch in wässeriger Lösung. In alkoholischer Lösung löst Ammoniak die Nisslsäure langsam und unvollkommen, leichter, wenn Behandlung mit Säure vorhergegangen ist. Wässeriges Ammoniak (1:10 bis 1:20) löst die Nisslsäure ziemlich schnell. Da die Fibrillensäure erhalten bleibt, so treten in solchen Präparaten die

1) Nach Held sollen sich die Nisslschollen weder in verdünnten noch in konzentrierten Säuren lösen. Wenn ich recht verstehe, sollen sie auch ihre Baso- philie dabei nicht verlieren. Mir ist es nicht verständlich, wie er zu diesem Resultat gekommen ist. Salzsäure löst die Nisslsäure in der Kälte in einer Kon- zentration von etwa 2—3°/,, im Brutschrank bei einer Temperatur von 40° C. schon bei einer Konzentration von 0,4°/, und zwar innerhalb 2—3 Stunden. Nun sollen nach Held bei Verdauung von grauer Substanz mit Pepsinsalzsäure nur die Nisslschollen übrig bleiben und zwar unter Beibehaltung der Basophilie. Da letztere schon durch die Salzsäure allein zum Verschwinden gebracht wird, so könnte es sich bei diesem Resultat nur um eine durch das Pepsin erzeugte sekundäre Färbbarkeit handeln. Ich habe aber weder mit frisch aus Schweine- magen gewonnenem Pepsin, noch mit einem käuflichen Präparat zu dem Held- schen Resultat gelangen können. Auf die angebliche Niehtverdaubarkeit und den Befund von Phosphor in einem Verdauungsrückstand hat dann Held die Vermutung aufgestellt, daß es sich in den NissIschollen um ein Nukleoalbumin handle! Ganz abgesehen von der Kühnheit dieses Schlusses ist es doch etwas zu weit gegangen auf den Nachweis von Phosphor in einer Substanz des Nerven- systems etwas zu geben, wenn sie auf solche Weise dargestellt ist. Phosphor ist im Nervensystem in so vielen Substanzen vorhanden, daß man nur nach oft- malisem Umfällen entscheiden kann, ob eine Substanz wirklich Phosphor enthält oder ob der gefundene Phosphorgehalt nicht nur auf Verunreinigungen zurück- zuführen ist.

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 143

Fibrillen in den Ganglienzellen ebenso deutlich hervor, wie in Salz- säurepräparaten. (Übrigens gibt sowohl die Salzsäure-, wie die Am- moniakbehandlung interessante Kernbilder, auf die ich hier aber nicht näher eingehen will.)

Die hier angeführten Versuche weisen den Weg, in welcher Weise es gelingen kann, die Nisslsäure und die Fibrillensäure zu extrahieren und der chemischen Untersuchung zugänglich zu machen. Voraus- zeschickt muß noch werden, daß beide Substanzen weder durch heißen Alkohol, noch dureh Chloroform oder Äther aus den Präparaten heraus- gelöst werden. Auch mit Salzsäure gesättigter Äther löst keine der beiden Substanzen, so daß angenommen werden muß, daß sie in Äther überhaupt unlöslich sind.

Die von mir angestellten Versuche beide Substanzen rein dar- zustellen sind bis jetzt über Vorversuche nicht hinausgekommen. Ich glaube aber die Fibrillensäure bereits rein in Händen gehabt zu haben und auch bei der Nisslsäure nicht weit davon gewesen zu sein. Die Darstellung beider Substanzen ist dadurch erschwert, daß sie augen- scheinlich nur in sehr geringen Mengen im Nervengewebe vorhanden sind. Von der Fibrillensäure habe ich zweimal aus etwa einem Kilo frischem Ochsenrückenmark ungefähr je zwei Zentigramm Substanz erhalten, von der Nisslsäure mehrere Dezigramm (diese Substanz war aber vermutlich nicht frei von Beimengungen). Ich beschränke mich hier darauf einige Reaktionen und Eigenschaften beider Substanzen zu beschreiben:

Die freie Fibrillensäure ist eine amorphe, fast ungefärbte Substanz, welche in trocknem Zustand eine homige Konsistenz hat. Sie ist in Wasser, Chloroform, Äther und Petroläther ganz unlöslich, ebenso in verdünnten Mineralsäuren und in Eisessig. Sie ist ziemlich leicht löslich in Alkohol, besonders wenn er schwach angesäuert ist. Aus der alkoholischen Lösung fällt die Substanz bei Zusatz von Natronlauge oder Kalilauge (oder der betreffenden kohlensauren Salze) als Alkalisalz aus. Diese Salze sind in Wasser sehr leicht löslich. Mit Sublimat bildet die Säure eine in Alkohol, Wasser und Laugen unlösliche Verbindung. Das Ammoniaksalz ist sowohl in Alkohol als auch in Wasser unlöslich.

Die frei in Wasser suspendierte Substanz färbt sich beim Zusatz von Toluidinblaulösung intensiv violett und entzieht der Lösung, wenn nicht zuviel Farbstoff zugegeben wurde, alle Farbe. Versetzt man die Lösung des Alkalisalzes mit einem Tropfen Toluidinblau oder Methylenblaulösung, so fällt die gefärbte Verbindung der Fibrillen- säure und der Farbbase sofort aus (vergleiche M. Heidenhain, 1902). Überträgt man das Farbsalz in Alkohol, so dissoziiert es schnell unter Lösung beider Komponenten. Die Fibrillensäure gibt keine Biuret-

144 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

reaktion. Die kleine zur Stickstoffprobe benutzte Menge gab eine so schwache Grünfärbung, daß der Gedanke, sie rührte von einer ge- ringen Verunreinigung her, nicht auszuschließen ist.

Die freie Nisslsäure (?) ist in Wasser leicht löslich, in Alkohol schwer löslich. Mit Alkalien bildet sie leieht lösliche Salze. Ihre Sublimatverbindung ist in Wasser löslich und fällt beim Zusatz von Alkali aus der Lösung aus. Sie ist stiekstoffhaltig und gibt keine Biuretreaktion.

Die Eigenschaften, welche bei der als Fibrillensäure angesprochenen Substanz gefunden wurden, stimmen so genau mit denjenigen überein, welche man nach dem Verhalten im Präparat zu erwarten hatte, daß ich keinen Augenblick daran zweifle, daß beide Substanzen identisch sind. Dafür spricht auch, daß in der Lösungsfraktion, in weleher nach der histologischen Kontrolle die Fibrillensäure sein mußte, außer dieser Substanz nur noch eine kleine Menge Chlorealeium sefunden wurde. Zweifelhafter ist es, ob die färbbare Substanz der Ganglienzellen mit der als Nisslsäure bezeichneten isolierten Sub- stanz identisch ist. Außer der histologischen Kontrolle, daß die Sub- stanz in der betreffenden Lösungsfraktion sein mußte (in der keine andre in Betracht kommende Substanz vorhanden war), kann ich als Wahrschemlichkeitsbeweis nur anführen, daß ich aus 80 g& Spinal- eanglien vom Ochsen mehr von dieser Substanz erhielt als aus einem eanzen Kilo Gehirn.

Bei vitaler Injektion eines neurotropen Farbstoffes bekommt man immer nur eine geringe Zahl von Nervenfasern gefärbt. Die Zahl derselben vermehrt sich, wenn das Nervensystem unter schlechten Be- dingungen steht, besonders, wenn es unter Zutritt von Luft abstirbt. Ist das Gewebe mit Alkohol oder Äther (siehe weiter unten) fixiert, so färben sich alle Fasern. Ich ziehe hieraus den Schluß, daß die Fibrillensäure (deren Gegenwart die Ursache der primären Färbung ist und welehe, wie ich später zeigen werde, kein Abfallsprodukt der Fibrillen ist, sondern ihnen dauernd anhaftet) mindestens zwei Valenzen hat, welehe normalerweise beide an die eiweißartigen Fibrillen eebunden sind. Beim Absterben löst sich eine (saure) Valenz und ist zur Anlagerung des Farbstoffes disponibel. Daß die Fibrillensäure im fixierten Präparat gebunden ist, habe ich schon oben gezeigt; dab neben der Valenz, mit der die Fibrillensäure an die Fibrillen gebunden ist, eine zweite und zwar saure Valenz vorhanden ist, welche von der Farbbase eingenommen wird, geht aus folgendem Versuch hervor: Färbt man ein Präparat und bringt man dasselbe, ohne zu fixieren, in Alkohol, so verschwindet die Färbung wieder, wie oben angegeben. Das Prä- parat ist jetzt aber einer erneuten Färbung der Achsenzylinder (resp.

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 145

der Neurofibrillen) fähig. Hätte die Fibrillensäure nur eine saure Valenz, mit der sie an die Fibrille gebunden wäre, so müßte sie sich, um an den Farbstoff gehen zu können, von der Fibrille abspalten; bei der Spaltung dieser Farbstoffverbindung durch Alkohol wäre die Fibrillensäure dann frei und müßte sich in Alkohol lösen. Da sie dies nicht tut, sondern immer wieder färbbar ist, so muß die Valenz, welche den Farbstoff aufnimmt, eine andre sein, als die, mit der die Fibrillensäure an der Fibrille hängt. Unter Zugrundelegung der Ehrlichschen Seitenkettentheorie kann man sich die Verhältnisse gut vorstellen.

Ich habe gezeigt, daß die Fibrillensäure in den Fasern des Rückenmarks und in den Ganglienzellen nur dann nach Alkohol- fixierung darstellbar ist, wenn das Gewebe vor dem Fixieren durch das Quetschen der Luft ausgesetzt wird. Fixiert man im Block mit Alkohol und tut man dies auch mit noch so großer Schnelligkeit, so bekommt man in den Strängen und in der grauen Substanz gar keine Färbung der Nervenfasern. In den großen Ganglienzellen zeigen sich höchstens Spuren von primärer Färbung der Fibrillen und auch das nur in der Nähe der Blockoberfläche. Dagegen sind bei einiger- maßen frisch dem Tier entnommenen Stücken stets die motorischen Wurzelfasern innerhalb des Rückenmarks gefärbt und fast immer die hinteren Wurzelfasern, auch in ihrem auf- und absteigenden Teil (Tafel I, Fig. V). Wir finden also hier einen auffallenden Unter- schied zwischen denjenigen Achsenzylindern, welche die Fortsetzung peripherer Nervenfasern sind und denen, welche einen zentralen Verlauf haben! Erstere verhalten sich wie die Fasern peripherer Nervenstämme, in denen sich auch noch viele Stunden, ja Tage nach dem Tode die primäre Färbbarkeit durch Alkohol erhalten läßt (siehe auch die Wurzeln in der Fig. V), letztere wie Ganglienzellen und graue Substanz! Der Unterschied ist nach meinen bisherigen Erfahrungen durchaus scharf.

Diese Differenz zwischen @Quetschpräparaten des Rückenmarks (es kann auch Gehirn genommen werden) und im Block fixierten Stücken brachte mich auf den Gedanken, daß im Zentralnervensystem eine Substanz vorhanden sei (oder sich nach dem Tode bilde), welche die Fibrillensäure aus ihrer Verbindung mit den Fibrillen verdrängt, so daß sie als freie Säure (siehe oben) sich beim Fixieren in Alkohol auflöst. Diese sagen wir Konkurrenzsubstanz würde im Leben dauernd oxydiert, so nahm ich an, und sie würde im Quetschpräparat durch den Sauerstoff der Luft oxydiert, wodurch die Fibrillensäure wieder in den Stand gesetzt wird, sich mit den Fibrillen zu verbinden.

Wäre diese Vorstellung richtig, so müßte man die Fibrillensäure überall auch im Block nachweisen können, wenn man sich einer

Bethe, Nervensystem, 10

146 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

Methode bediente, bei der sich die freie Fibrillensäure nicht löst oder bei der sie in eine alkoholunlösliche Verbindung übergeführt wird. Hierzu darf natürlich kein Metallsalz angewandt werden, da dabei Gelegenheit zu sekundärer Färbung entstehen könnte.) Da die freie Fibrillensäure ja in Wasser unlöslich ist, so kann sie ihren Platz nicht verändern, sondern muß an den Fibrillen liegen bleiben. Nach dien Voruntersuchungen kamen hier zwei Wege in Betracht: entweder man vermied den Alkohol und ersetzte ihn durch Äther, in dem, wie zezeigt, die freie Fibrillensäure nicht löslich ist, oder man fixierte mit Alkohol, setzte diesem aber Ammoniak zu, welches ja mit der Fibrillen- säure eine alkohol- und wasserbeständige Verbindung gibt. Beide Wege wurden mit vollem Erfolge betreten.

1. Alte Äthermethode. (Dieselbe ist unsicher und daher nicht empfehlenswert. Da ich aber mit derselben bei den später zu beschreibenden Versuchen gearbeitet habe und keine Zeit hatte, die Ergebnisse mit der neuen und sichereren Methode nachzuprüfen, so muß sie hier beschrieben werden.) Das Gewebsstück wird direkt in Äther übertragen, und dieser mehrfach gewechselt. Nach etwa zwei Tagen wird es in eine Lösung von Toluidinblau 1:3000 gelegt und am andern Tag mit Ammoniummolybdat ohne zu waschen fixiert. Dann wird eingebettet und geschnitten. Bei dem mangelhaften Eindringen der Farbe und infolge andrer Umstände versagt die Methode bisweilen ganz. In andern Fällen bekommt man sehr schöne Bilder, besonders in den Achsenzylindern, deren Fibrillen oft gar nicht zusammengeschnurrt sind.

2. Neue Äthermethode. Übertragen des frischen Gewebes in Äther. Ent- wässern mit absolutem Äther. (Die von den Histologen meistenteils und merk- würdigerweise angewandte Methode zur Erlangung von absolutem Äther durch einfaches Hineinwerfen von Chlorcaleium ist ohne Destillation für unsern Zweck unbrauchbar, weil immer Chlorealeium in Lösung geht. Am besten entwässert man mit metallischem Natrium und destilliert, wenn die Wasserstoffbildung auf- gehört hat, vorsichtig den abdekantierten Äther ab.) Übertragen in Xylol, Ein- betten in Paraffin. Die mit Wasser aufgeklebten Schnitte werden durch Xylol und Äther ()') in Wasser gebracht und wie sonst gefärbt und fixiert.?)

3. Ammoniakmethode. Man fixiert mit Alkohol, dem auf 7—10 Teile 1 Teil Ammoniak hinzugesetzt ist. Einbetten und Färben wie sonst.

Mit den beiden letzten Methoden bekommt man stets eine deutliche primäre Färbung der Achsenzylinder an allen Stellen des Zentralnerven- systems, auch wenn die Stücke ziemlich alten Leichen entnommen sind. Die Äthermethode ist entschieden vorzuziehen, weil sie stets ein leidliches Nisslbild zeigt, während bei der Ammoniakfixierung dieses fast ganz verloren geht. Die Äthermethode läßt, was die feineren Details angeht, oft zu wünschen übrig, weil leicht Vacuolenbildung,

1) Ein ganz kurzes Verweilen der Schnitte in Alkohol macht übrigens nicht viel Schaden.

2) Äther zum Entwässern anstatt Alkohol ist bei chemischen Untersuchungen schon mehrfach angewandt worden. Wie ich höre hat Feinberg diesen Kunst- griff bereits zu histologischen Zwecken benutzt. (Deutsche med. Wochensehr. 1902.)

arze

u; e—

Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 147

ähnlich wie beim Vertrocknen, eintritt. Häufig fehlt dies allerdings ganz und dann sieht man in den Zellen und den diekeren Achsen- zylindern eine sehr deutliche fibrilläre Struktur. Es kommt aber hier nieht auf Feinheiten an, sondern auf die Reaktion und in der Tat gibt diese Methode ein Reaktionsbild des Nervengewebes von einer solchen Empfindlichkeit, wie wir es bisher nur für die Ganglienzellen in der Nissl- schen Methode besitzen. Ich glaube, daß sie für die Patho- logie gute Dienste wird leisten können.

In einem Schnitt des Rückenmarks, der in der angegebenen Weise behandelt ist, ist die primäre Färbbarkeit der Neuro- fibrillen überall, im Grau, in den Ganglienzellen und in allen Straugfasern erhalten (Tafel I, Fig. IV).!) Es ist da- durch bewiesen, daß die Fibrillensäure dort, wo das Alkoholpräparat niehts zeigt (Fig. V), nicht etwa fehlt, sondern nur in freiem Zustande vorhanden ist. Daß sie im Ätherpräparat wirklich frei ist, ist leicht zu zeigen. Man braucht nur einige Schnitte vor dem Färben für einige Stunden in Alkohol zu bringen, welcher ja freie Fibrillensäure löst, und man erhält nachher beim Färben das- selbe Resultat, als wenn der Block mit Alkohol fixiert gewesen wäre (also etwa wie Fig. V).

Es bliebe noch zu zeigen, daß die Fibrillensäure dort, wo sie bei den bisherigen Versuchen frei gefunden wurde, intra vitam wie in den peripheren Nerven an die Fibrillen gebunden ist. Ich konnte diese Versuche aus äußeren Gründen nicht zu Ende führen, glaube aber, daß die zwei Versuche, welche ich gemacht habe, so klar waren, daß sie eine Entscheidung der Frage bereits zulassen.

Wir haben Grund anzunehmen, daß bei der allmählichen Ab- kühlung eines Organismus alle vitalen Prozesse einschlafen, ohne daß Veränderungen durch Oxydation u. s. w. eintreten. Wenn nun im Zentralnervensystem eine Konkurrenzsubstanz dauernd gebildet, aber immer wieder durch Oxydation zerstört wird, so kann dieselbe sich beim Abkühlen nicht in einem solchen Überschuß bilden, daß sie zur Abspaltung der Fibrillensäure führt, weil ihre Bildung ein vitaler Prozeß wäre, dieser aber durch die Kälte wie alle andern unterdrückt würde. Ich ließ nun zwei Frösche allmählich einfrieren, meißelte das Rückenmark heraus und übertrug es direkt in stark unter ab- gekühlten Alkohol. In diesem tauten die Stücke allmählich auf und wurden dann in der üblichen Weise eingebettet, geschnitten und gefärbt.

1) Von einer primären Färbung der Fibrillen kann man auch da sprechen, wo man nicht die einzelnen Fibrillen, sondern nur den rötlichen Ton, sei es in Nervenfasern, sei es in Zellen, sieht, da diese rötliche Färbung nachweislich von der Färbung der Fibrillen herrührt.

10*

{48 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen.

Auf den Schnitten zeigte sich die primäre Färbbarkeit aller Strangfasern, der Zellen und des Graus ebenso ut erhalten wie im Ätherpräparat eines gewöhnlichen Frosches. Die in Alkohol fixierten Rückenmarke zweier nicht ein- xefrorener Kontrollfrösche zeigten dagegen primäre Färbung nur in den Wurzelfasern, den Fasern der Hinterstränge (auf- und absteigende sensible Wurzelfasern) und andeutungsweise in einigen wenigen Strang- fasern und ebenfalls andeutungsweise in den großen Vorderhornzellen. (Beim Frosch bleibt entsprechend seinem trägeren Stoffwechsel im sewöhnlichen Alkoholpräparat mehr erhalten als bei Säugern.) Der Unterschied zwischen den eingefrorenen Tieren und den nicht ein- zefrorenen war außerordentlich deutlich.

An Säugern habe ich nach dieser Richtung hin leider keine Ver- suche anstellen können. Ich glaube aber, daß bereits aus diesen Froschversuchen hervorgeht, daß die Fibrillensäure intra vitam überall an die Fibrillen gebunden ist, und daß die Abspaltung der Fibrillen- säure im zentralen Nervensystem auf der übermäßigen Bildung einer Substanz beruht, welehe dem peripheren Nerven fremd ist. Eventuell kann man die übermäßige Produktion dieser Konkurrenzsubstanz auf die unvermeidliche Ersticekung des Gewebes zurückführen, da ja beim Zutritt von Sauerstoff (Quetschpräparate!) die Verbindung zwischen Fibrille und Fibrillensäure wieder hergestellt wird, es sich also in der Konkurrenzsubstanz vermutlich um einen oxydablen Körper handelt. Eine Erstickung des Gewebes bei der Entnahme aus dem Tierkörper ist ja besonders bei Säugern ganz unvermeidlich. Jedes Stück Zentral- nervensystem, das man nach der Herausnahme aus dem Tierkörper fixiert, ist erstickt; man mag so. schnell verfahren, wie man will. Sine Fixierung des nicht erstickten Gewebes ist eventuell dann mög- lich, wenn man, wie Mann dies ausgeführt hat, intra vitam das Fixierungsmittel in die Blutbahn injiziert. Bei diesem Verfahren scheint Mann auch in der Tat bereits primäre Färbung der Fibrillen in den Ganglienzellen und Strangfasern erhalten zu haben, soweit man das aus seinen kurzen Publikationen ersehen kann.

Die Existenz einer Konkurrenzsubstanz beim Absterben oder nach dem Tode des Gewebes scheint mir gesichert. Hypothese ist es, daß sie bereits im Leben zu den normalen Gewebsprodukten gehört. Auch die über die Entstehung und Zerstörung der Konkurrenzsubstanz ge- äußerten Ansichten sind insofern hypothetisch, als sich die Tatsachen in andrer Weise erklären lassen. Spätere Kapitel werden aber zeigen, daß diese Hypothese nicht unfruchtbar ist.

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NEUNTES KAPITEL.

Über einige andre Zellstrukturen und Zellbestandteile und die Veränderungen der Ganglienzellen nach intra vitam erfolgenden Eingriffen.

Von einigen Autoren sind innerhalb von Ganglienzellen Centro- somen und Sphären beschrieben worden (Lenhossek, Bühler, Lewis, Joseph, Studnicka und andere). Am überzeugendsten scheinen mir noch die Bilder zu sein, welche Lewis an Wirbellosen fand, wenngleich auch hier eine anderweitige Deutung nicht ausgeschlossen erscheint. Sehr wenig Überzeugungskraft scheinen mir aber die von Bühler vorgelegten Abbildungen zu besitzen. Bilder, wie sie Lenhossek erhielt, sieht man an Spinalganglienzellen nicht selten; bei Hühnerembryonen vom sech- sten bis zehnten Tage sind sie sogar sehr deutlich und an jeder Zelle zu sehen. Etwas Analoges habe ich an zentralen Zellen aber nie wahr- nehmen können. Daß es sich bei diesen kugligen und von konzen- trischen Schiehten umgebenen Gebilden um Centrosomen handelt, scheint mir vorläufig zweifelhaft. Für die hier behandelten Fragen ist es auch ziemlich gleichgültig, ob die Ganglienzellen noch im aus- gebildeten Zustande Reste von Centrosomen besitzen oder nicht. Erwähnung mag hier auch finden, daß in den Kernen mancher Gan- slienzellen des Igels Krystalloide gefunden worden sind (Lenhossck, Sjövall).

Vor einigen Jahren erregten Befunde von Golgi (1898 und 1899) ein berechtigtes Aufsehen, durch welche gezeigt wurde, daß der Zell- leib gewisser Ganglienzellen (Spinalganglienzellen, Purkinjesche Zellen u. a.) durchzogen ist von einem System feiner Kanäle, oder wenigstens von Gebilden, die als Kanälchen gedeutet werden können. Ähnliche Kanälchen wurden auch von Nelis (1899) und Holmgren (1900) in allen möglichen Zellen des Zentralnervensystems dargestellt. Wie mir scheint, handelt es sich in den Strukturen Golgis und denen von Nelis und Holmgren nicht um identische Gebilde (Bethe 1900). Erstere sind viel reicher verzweigt und sind nur auf den Zelleib selber be- schränkt, während letztere einförmiger und weiter sind und nach außen münden. Für den Neurologen haben diese Gebilde an Interesse ver- loren, seitdem von beiden Strukturen gezeigt ist, daß sie auch in andren Zellen als Ganglienzellen vorkommen, daß sie also keine spezi- fische Eigentümlichkeit dieser, sondern ein allgemeines „Zellorgan“ sind. (Siehe Veratti und Holmgren 1902.)

150 Über einige andre Zellstrukturen u. Zellbestandteile d. Ganglienzellen u. s. w.

In vielen Ganglienzellen findet sich auch Pigment und zwar desto mehr je älter das Tier ist, von dem die Präparate stammen. Es werden mehrere Arten von Pigment in den Ganglienzellen unterschie- den; am häufigsten findet sich das gelbe Pigment. [In Alkohol- präparaten färbt es sich mit basischen Farbstoffen gar nicht oder sehr schwach. In diesem Fall wird die Farbe beim Passieren von Alkohol wieder ausgezogen. Sind die Präparate mit Salpetersäure von etwa 10°/, fixiert, so färben sich die Pigmentansammlungen mit Toluidinblau leuchtend smaragdgrün. Ich führe dies deswegen an, weil wir es hier mit einem von den Fällen zu tun haben, wo ein nicht beizender Eingriff (Nitrierung?) eine sekundäre Färbbarkeit schafft.]| Das Pigment ist weder in Säuren noch in Alkalien löslich. Allgemein wird ihm kein aktiver Anteil an den Vorgängen in der Ganglienzelle zugeschrieben, weil es in ein und derselben Zellart bald reichlich vorhanden ist, bald ganz fehlt. Man nimmt an, daß es sich um Reste des Stoffwechsels handelt, welche unlöslich und daher trans- portunfähig sind; dafür spricht, daß sich bei jungen Individuen fast kein Pigment findet, während die Zellen alter Individuen oft davon strotzen. Einige Autoren lassen das Pigment aus Nisslschollen her- vorgehen.

Eine ganze Anzahl von Forschern hat die Veränderungen studiert, welche sich an den Ganglienzellen im Zustande der Ermüdung oder der Reizung zeigen. Als abgeschlossen können diese Untersuchungen noch nicht gelten; dazu sind die Resultate der einzelnen Autoren noch zu widersprechend. Hodge (1892 und 1894) studierte die Ermüdung an Arbeitsbienen, welche am Abend eingefangen waren, und verglich ihre Zellen mit solchen Tieren, die die Nacht über geruht hatten. Auch Versuche in der Tretmühle und nach elektrischer Reizung wurden von diesem und andern Forschern angestellt (Nissl, Mann, Holmgren). Der Kern soll kleiner werden, einen unregelmäßig zackigen Umriß bekommen und sich sehr dunkel färben. Der Zelleib soll schrumpfen, Vaeuolisation zeigen, Osmiumsäure schwächer reduzieren und an pri- märer Färbbarkeit abnehmen.

Eine große Anzahl höchst interessanter Versuche ist zu dem Zweck angestellt worden, Veränderungen an den Ganglienzellen durch Vergiftungen hervorzubringen (Nissl, Lugaro, Marinesco, Goldscheider, Flatau, van Gehuchten, Brauer u. a.). Als Untersuchungsmethode diente fast ausschließlich die NissIsche Methode. Bei akuten und sub- akuten Vergiftungsversuchen ergaben sich fast durchgängig für die verschiedenen Gifte spezifische Zellveränderungen, welche bald in einem totalen Verschwinden der primären Färbbarkeit (meist mit vor- hergehender Veränderung des Strukturbildes, Chromatolyse), bald in einer partiellen Auflösung der Schollen bestehen und sich in andern

Über einige andre Zellstrukturen u. Zellbestandteile d. Ganglienzellen u.s.w. 151

Fällen durch Zunahme der primären Färbbarkeit, Färbungsfähigkeit der in normalen Präparaten ungefärbten Bahnen oder andern Ände- rungen des Strukturbildes künd tun. Derartige Versuche wurden mit Blei, Quecksilber, Arsen, Phosphor, Alkohol, Veratrin, Strychnin, Morphium, Malonnitril, Tetanusgift und andern Substanzen angestellt. Auf die Verschiedenheiten, welche die Äquivalentbilder bei diesen ver- schiedenen Giften aufweisen, will ich hier nicht näher eingehen und verweise auf die Zusammenstellung von Goldscheider und Flatau, wo sie in ziemlicher Vollständigkeit aufgeführt sind. So wie die Zell- veränderungen für jedes Gift spezifisch sind, so ist wenigstens bei manchen Giften auch die Zellart typisch, an welcher sieh die Gift- wirkung hauptsächlich äußert. Im allgemeinen verändern sich nämlich nicht alle Zellen des gesamten Nervensystems, sondern bei manchen Giften wird diese Zellart, bei andern jene Zellart in erster Linie vom Zerstörungsprozeß ergriffen.

3ei dieser Sachlage lag es zunächst auf der Hand, die spezi- fischen Zellveränderungen als den Ausdruck funktioneller Störungen der Ganglienzellen anzusehen und an spezifische Verschiedenheiten der Ganglienzellen zu denken. So wurde denn auch Nissl dureh der- artige Untersuchungen dazu geführt, die Lehre von den spezifischen Zellfunktionen aufzustellen. Weitere Untersuchungen von Nissl selbst und von Goldscheider und Flatau haben aber gelehrt, daß diese Frage noch nicht so spruchreif ist, als es anfangs erschien (Nissl 1898).

Bei chronischen Vergiftungen, welche Nissl mit Alkohol, Veratrin, Nikotin und Morphium anstellte, zeigte sich nämlich, daß von den für jedes Gift spezifischen Veränderungen, welche sich bei subakuter und akuter Vergiftung zeigen, nichts zu sehen ist. Das Vergiftungsbild war bei dieser Art der Einverleibung der Gifte in allen Fällen das gleiche. Andrerseits konnte Nissl bei verschiedenen Arten von Geistes- störung und bei nicht Geisteskranken, die vor dem Tode deliröse Zustände gehabt hatten, die gleichartigen Formen von Zellerkrankungen feststellen und bei einer größeren Anzahl von Paralysen, die ein ganz übereinstimmendes Krankheitsbild gezeigt hatten, verschiedenartige Zellerkrankungen in der Hirnrinde wahrnehmen. Daraus ergibt sich, daß die Zellveränderungen nicht ohne weiteres als der Ausdruck funk- tionelier Störungen und noch weniger als der Ausdruck bestimmter Störungen anzusehen sind. Eine starke Inkongruenz zwischen der Art der Zellveränderungen und der Stärke und Art der funktionellen Störungen geht auch aus folgenden Versuchen hervor: Wird bei einem Kaninchen der Stensonsche Versuch (Kompression oder Unterbindung der Bauchaorta) gemacht, so sind die Beine nach kurzer Zeit gelähmt, nach wenigen Minuten zeigen sich die Ganglienzellen des außer Zirku- lation gesetzten Rückenmarkstückes deutlich verändert. Hebt man

152% Über einige andre Zellstrukturen u. Zellbestandteile d. Ganglienzellen u. s. w.

die Kompression nach einiger Zeit wieder auf, so treten die Lähmungen in den Hinterbeinen schnell zurück, die Ganglienzellveränderungen persistieren aber noch durch längere Zeit (Nissl). Vergiftet man ein Tier mit Malonnitril, so stellen sich gleichzeitig mit den Krämpfen und Lähmungen starke Veränderungen in den Vorderhornzellen ein. Wird das Tier rechtzeitig mit unterschwefligsaurem Natrium entgiftet, so werden die funktionellen Erscheinungen bald wieder normal, die Zellveränderungen dauern aber doch für längere Zeit noch fort (Gold- scheider und Flatau). Bei der Vergiftung mit Tetanusgift stellen sich Zellveränderungen ein, doch halten diese nicht Schritt mit dem Verlauf des Krankheitsprozesses, sondern fangen sogar an auf dessen Höhe sich zurückzubilden (Goldscheider und Flatau). Die physio- logische Wirkung des Tetanustoxins und des Strychnins ist sehr ähn- lich; trotzdem ist das Bild der Zellveränderungen bei beiden Giften so verschieden, „daß niemand auch nur auf den Gedanken kommen würde, auf Grund dieser Veränderungen ein einigermaßen ähnliches Symptomenbild vermutungsweise anzunehmen“ (Nissl).

Danach ist es wohl sicher, daß die Zellveränderungen, welche ja unzweifelhaft durch die verschiedenen Schädigungen hervorgerufen werden, kein Wertmesser für die Schädigung selber sind und in keinem direkten Zusammenhang mit der funktionellen Störung stehen können. Sie sind, wie Nissl sagt, ‚in erster Linie der Ausdruck der durch die einzelne Schädigung hervorgerufenen Störung des stofflichen Gleich- sewichts in der Nervenzelle“. Damit ist gewiß nicht zuviel gesagt. Vielleicht wird man mit der Zeit, wenn erst genauer erforscht sein wird, welche Rolle die primär färbbare Substanz und ihre Grundmasse im Leben der Nervenzelle spielt, auch lernen aus dem Äquivalentbild wirkliche Rückschlüsse auf den physiologischen Zustand der Ganglien- zellen zu ziehen. Im Augenblick ist über die Rolle, welche die färb- bare Substanz in der Ganglienzelle spielt, noch gar nichts zu sagen und all die Vermutungen, welche bisher darüber geäußert sind, können als in der Luft schwebend übergangen werden.

ZEHNTES KAPITEL.

Die Nervendegeneration.

Die morphologischen Veränderungen bei der Degeneration S. 155— 160. Das Schwinden der primären Färbbarkeit am Anfang der Degeneration S. 161— 163. Die Ursachen der Degeneration S. 163— 175. Tägliche Reizung eines durchschnittenen

Froschnerven beschleunigt die Degeneration S. 164—166. Die Degeneration nach Kontinuitätstrennung ist nur traumatisch S. 167. Traumen, die keine

Leitungsunterbrechung hervorrufen, bewirken doch Degeneration S. 168—171. Leitungsunterbrechung zieht nicht notwendigerweise Degeneration nach sich 8. 172—175.

Bereits einem Autoren des achtzehnten Jahrhunderts, Armmemann (1787) fiel es auf, daß das periphere Ende eines Nerven einige Tage nach der Durchschneidung ein glanzloses, welkes Aussehen habe, und daß auf Reizung eines solchen Nerven keine Zuckungen mehr in den zugehörigen Muskeln aufträten, während das zentrale Ende glänzend bleibt und bei Reizung zu „Schmerzensäußerungen“ des Tieres führt. Die physiologische Degeneration, das Aufhören der Leitungsfähigkeit des Nerven nach der Abtrennung von den Zentralorganen, wurde in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts allseitig be- stätigt und gehört bis auf den heutigen Tag zu den gesichertsten Kenntnissen unserer Wissenschaft. Histologische Untersuchungen an degenerierten Nerven wurden erst relativ spät, zuerst von Nasse im Jahre 1839, unternommen. Eine Übereinstimmung der Meinungen, was die morphologischen Veränderungen während der Degeneration anbetrifft, ist erst in den letzten Jahren erreicht; in einigen Punkten steht sie immer noch aus.

Nasse fand (und ziemlich unabhängig von ihm Günther und Sehön 1840), daß einige Monate nach der Durchschneidung eines Nerven (Frosch und Kaninchen) das Nervenmark vollkommen verschwunden ist; auch die Primitivfasern (Achsenzylinder) schienen verschwunden zu sein. Bei Untersuchung früherer Stadien vom Frosch konnte be- reits beobachtet werden, daß die Markscheiden sich segmentieren und dann zu kleinen Fettröpfehen zerfallen, welche späterhin verschwinden. Diese Befunde wurden von den meisten späteren Autoren (Waller, Lent, Hjelt u. s. w.) in vollem Umfange bestätigt, während hauptsäch- lich Schiff (1853, 1558, 1887), Remak (1862), Erb (1869), Rumpf und Korybett-Daskiewiez nur eine Degeneration der Markscheiden aner- kannten und behaupteten, daß der Achsenzylinder fortbestände. Sie stützten sich hierbei in der Hauptsache auf die Untersuchung peri- pherer Nervenstümpfe, welche mehrere Monate vor der Sektion von den Zentralorganen abgetrennt waren und in denen sie noch deutlich

154 Die Nervendegeneration.

Achsenzylinder wahrnehmen konnten. Andre Streitpunkte bestanden darin, ob es sich um eine fettige Degeneration des Markes oder um Umwandlung desselben (Eichhorst, Tizzoni, S. Mayer), oder um Ver- drängung durch das wuchernde Protoplasma der Schwannschen Kerne (Ranvier) oder schließlich um phagoeytäre Prozesse handle. Auch ist bis auf den heutigen Tag lebhaft darüber diskutiert worden, ob die Degeneration auf der ganzen peripheren Strecke gleichzeitig aufträte oder ob sie an der Verletzungsstelle resp. an der Peripherie ihren Anfang nähme und von da aus fortschritte. Es liegt nicht in meiner Absicht, die ausgedehnte Literatur hier zu besprechen. Sie ist so gut in den Arbeiten von v. Büngner (1891) und Ströbe (1893 und 1895) referiert, daß ich auf diese verweisen kann. Ein Teil der zur Diskussion stehenden Fragen hat auch ein lediglich pathologisch ana- tomisches Interesse, so daß diese hier ganz unberücksichtigt bleiben können.

Einen der wesentlichsten Fortschritte machte die Degenerations- frage durch die Untersuchungen von Waller (1852), die zur Auf- stellung des sogenannten Wallerschen Gesetzes führten: Nach Durch- schneidung wmotorischer Wurzeln degenerieren die Nervenfasern nur nach der Peripherie zu und zwar nur die motorischen, die sen- siblen bleiben intakt. Durchschneidet man eine sensible Wurzel, so bleiben die Nervenfasern im peripheren Nerven und in dem Teil der Wurzel, welcher noch am Spinalganglion hängt, intakt, während der am Rückenmark verbleibende Teil der Wurzel degeneriert und zwar, wie wir jetzt wissen, noch weit ins Rückenmark hinein (Hinterstrang- degeneration). Schließlich nach Durchtrennung der sensiblen Fasern am peripheren Austritt aus dem Spinalganglion tritt nur eine Degene- ration nach der Peripherie hin ein. Hieraus schloß Waller, daß die Degeneration der Nervenfasern zustande käme durch Abtrennung von einem nutritorischen (trophischen) Zen- trum, welches für die motorischen Fasern im Rücken- mark, für die sensiblen im Spinalganglion gelegen Sei. Im Anschluß an die Untersuchungen von Wagner (1846) und Robin (1846), welche den Zusammenhang von Ganglienzelle und Achsen- zylinder zuerst gesehen hatten, verlegte er bereits das nutritorische Zentrum in die Ganglienzelle.

Man kann diese Befunde und Deutungen, welche die Degenera- tion betreffen, als den ersten Teil des Wallerschen Gesetzes bezeichnen. Der zweite Teil bezieht sich dann auf die Regeneration der Nerven- fasern und kann kurz dahin zusammengefaßt werden: Die Rege- neration einer Nervenfaser geschieht nur vom trophi- schen (nutritorischen) Zentrum aus, indem der Achsen- zylinder von der Ganglienzelle wiederin die alte Bahn

Die Nervendegeneration. 155

hineinwächst. Dieser zweite Teil ist schon an und für sich eine Konsequenz des ersten Teils, für den Fall daß dieser auch in seinem theoretischen Teil (d. h. in Betreff der trophischen Funktion der Ganglienzelle) richtig ist. Er wird uns aber erst im nächsten Kapitel zu beschäftigen haben.

Das Tatsächliche des ersten Teils des Wallerschen Gesetzes fand fast allgemeine Anerkennung. Zuerst war es Schiff (1853), der die Wallerschen Versuche nachmachte und bestätigte; ihrer theoretischen Deutung trat er aber entgegen, indem er ebenso wie Kölliker bei Säugetieren den Zusammenhang sensibler Fasern mit Spinalganglien- zellen leugnete. Später ist, wie bekannt, dieser Zusammenhang auch für die Säugetiere als sicher erwiesen worden, so daß von diesem Punkt ans keine Einwendungen gegen die Wallersche Anschauung

mehr gemacht werden können. Andre Autoren und ihre Zahl ist sehr groß haben die Wallerschen Befunde bestätigt, seine theore-

tischen Schlüsse angenommen und die Gesetzmäßigkeit der Nerven- faserdegeneration auf das gesamte Nervensystem ausgedehnt. Wo man auch eine Verletzung von Nervenbahnen bewirkt, immer geht das von der Ganglienzelle abgetrennte Fasergebiet eine regressive Metamorphose ein; dieser Satz kann nach allem als feststehend be- trachtet werden, wenigstens für alle markhaltigen Nervenfasern von Wirbeltieren. In dem mit der Ganglienzelle in Zusammenhang bleiben- den Faserteil tritt zwar auch eine Degeneration ein, diese erstreckt sich aber normalerweise nur auf die nächste Umgebung der Ver- letzung. Eine ganz andre Frage ist die, ob sich diese Tatsachen für eine trophische Funktion der Ganglienzelle im Sinne Wallers ver- werten lassen.

Das größte Interesse beansprucht unter den allgemeinen Verän- derungen, welche am Nerven während der Degeneration zu beobachten sind, das Verhalten des leitenden Elements, als welches wir nach dem bisher besprochenen und auf Grund der weiter unten mitgeteilten Be- weise die Neurofibrillen ansehen müssen. Außer einigen spärlichen Andeutungen von v. Büngner und Stroebe liegen über diesen Punkt nur die Untersuchungen von Mönckeberg und mir (1899) vor, an welche ich mich im wesentlichen halten werde. Einige neuere von mir ge- fundene Einzelheiten füge ich unsern damaligen Befunden bei. In Betracht kommen hier auch noch alle die Arbeiten, welche sich mit dem Verhalten des Achsenzylinders als Ganzem beschäftigen. Die meisten älteren hierher gehörigen Arbeiten kann ich dabei ganz außer acht lassen, weil eine sichere Darstellung des Achsenzylinders be- sonders während der Degeneration nur mit Hilfe verfeinerter Methoden möglich ist. Als Ergebnis der neueren Untersuchungen über dies Thema (Beer, v. Büngner, Howell und Huber, Stroebe) kann man

156 Die Nervendegeneration.

folgendes ansehen: Beim Beginn der Degeneration zerfällt der Achsen- zylinder in einzelne Stücke, welche mit zunehmender Degeneration verschwinden, sodaß am Ende der Degeneration überhaupt nichts mehr vom Achsenzylinder übrig ist. Dabei müssen also wohl auch die Fibrillen zerstückelt und verschwunden sein.

Im eigentlichen Fibrillenpräparat (Osmiumsäure, Molybdänieren, Toluidinblaufärbung) vom Frosch, Kaninchen und Hund konnten wir Veränderungen der Fibrillen in folgender Reihenfolge konstatieren:

1. Die Fibrillen sind weniger gestreckt als normal. Auch bei maximaler Streckung des Nerven, wo sie normalerweise fast gradlinig verlaufen, zeigen sie starke Biegungen und liegen wirr durcheinander.

2. Die einzelne Fibrille ist nicht mehr glatt, sondern zeigt hier und dort körnige Verdiekungen. Die Perifibrillärsubstanz ist noch homogen (Fig. 48 A).

3. Die Körnelung der Fibrillen nimmt zu und führt zu einem körmnigen Zerfall derselben, indem die dünnen Verbindungsbrücken zwischen den Körnern wahrscheinlich zerreißen. Diesem Stadium oder schon dem zweiten kann ein Zusammenschnurren der Fibrillen zu einem Strange vorhergehen. Ist dies eingetreten, so kann man fest- stellen, daß bei eingetretenem körnigen Zerfall auch die Perifibrillär- substanz nicht mehr homogen ist, sondern viele sehr feine Körnchen !) enthält (Fig. 48 2).

4. Die großen Körner, welche aus den Fibrillen entstanden waren, sind verschwunden. An ihrer Stelle finden sich kleinere Körner, welche von denen nicht zu unterscheiden sind, die in der Perifibrillär- substanz auftreten (Fig. 48 C).

5. Die Körnchen verschwinden anscheinend dureh Lösung. Die so entstandene Flüssigkeit wird augenscheimlich resorbiert, denn am Ende der Degeneration ist an Stelle des weiten Hohlraums nur noch ein kleiner Spalt vorhanden.

Sehen wir nun zu, wie sich die von den älteren Autoren be- schriebenen Veränderungen der Scheiden an diese Degeneration der Fibrillen anfügen: Wie bereits erwähnt, hatte schon Nasse eine Zer- stückelung der Markscheide und eine weitere Auflösung dieser Seg- mente in kleinere Trümmer beschrieben. Die zuerst gebildeten größeren Markscheidenabschnitte nennt man jetzt gewöhnlich Markellipsoide und es ist besonders durch Ranvier, Vanlair, v. Büngner und vielen andern festgestellt, daß sich diese zunächst in immer kürzere röhrenförmige Stücke teilen, welche sich an beiden Enden schließen und so den Achsenzylinder in einzelne Fragmente teilen (v. Büngner) und schließ- lich in kleine Kügelchen oder Tröpfehen zerfallen. Diese Marktröpfehen

I) Diese Körnchen sind in der Reproduktion kaum sichtbar.

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Die Nervendegeneration. 157

liegen dann zwischen dem letzten Rest des Achsenzylinders und der Schwannschen Scheide und verschwinden mit der Zeit ganz; man wird nicht fehl gehen, wenn man sagt durch Resorption, denn es bleibt nichts zurück, was als Umwandlungsprodukt derselben angesehen werden könnte.

Die ersten Andeutungen der Ellipsoidbildung fanden wir an Fasern, deren Fibrillen sich im zweiten Stadium der Degeneration befanden. Es sind dann aber nur Einschnürungen der Markscheide zu konsta-

Fig. 48. Degeneration der Neurofibrillen im markhaltigen Nerven nach Durchschneidung desselben nach Mönckeberg-Bethe (1899). A Anfang der Körnchenbildung an den Fibrillen (Winterfrosch, 102 Tage nach der Durchschneidung). B Stadium der gemischten Körner (Kaninchen, sechs Tage nach Durchschneidung). C Stadium der blassen Körner (aus dem Nerven desselben Kaninchens).

tieren, welche noch nicht bis zur vollkommenen Schließung des Ellip- soids und Zerstücklung des Achsenzylinders geführt haben (Fig. 48 4). Vollkommene Kontinuitätstrennung des Markrohrs und Schließung der Rohre an den Enden, also richtige Ellipsoidbildung haben wir immer erst dann gefunden, wenn die Fibrillendegeneration bereits in das Stadium der großen Körner getreten war. Niemals finden sich in abgekapselten Ellipsoiden glatte oder gekörnte Fibrillen. Wenn also jeer, v. Büngner und andere eine Zerstücklung des Achsenzylinders gefunden haben, so war dieser Achsenzylinder nur noch ein Strang von Körnern. Übrigens geht der Segmentierung der Markscheide

158 Die Nervendegeneration.

immer eine Segmentierung und Abkapselung der Innenscheide voraus. Wenn die Ellipsoide zu Markkugeln zerfallen, so sind die Degenera- tionsprodukte des Achsenzylinders meist schon ganz resorbiert.

Der Anfang der morphologischen Deseneration be- steht also in einer Veränderung der Neurofibrillen und „war in einem typischen körnigen Zerfall. Dieser folgt dder Zerfall der Markscheiden allerdings sehr schnell. Aber ehe die ersten morphologischen Veränderungen an den Neurofibrillen zur Be- obachtung kommen, ist die Leitungsfähigkeit der Nerven bereits ver- schwunden. Die physiologische Degeneration tritt also eher in Erscheinung als die morphologische Unter- suchung etwas erkennen läßt; jedoch tritt ziemlich gleichzeitig nit dem Aufhören der Leitungsfähigkeit eine chemische Veränderung der Neurofibrillen ein. Ehe ich auf diese eingehe, muß ich aber erst dien zeitlichen und örtlichen Verlauf der Degeneration nach Konti- nuitätstrennung besprechen.

Die Schnelligkeit der Degeneration zeigt bei den verschiedenen Tieren außerordentliche Unterschiede. Bei Vögeln findet man den Angaben von Ranvier zufolge schon zwei Tage nach der Operation einen vollständigen Zerfall der Markscheiden. Bei Säugetieren wird dasselbe Stadium erst am vierten bis fünften Tage erreicht. Bei Kalt- blütern (Frosch) geht der Degenerationsprozeß noch sehr viel langsamer, besonders in der kalten Jahreszeit. Ellipsoidbildung auf der ganzen peripheren Nervenstrecke fanden wir an Winterfröschen erst nach 130-140 Tagen, während derselbe Status bei Sommerfröschen schon nach 30—40 Tagen erreicht wird.

Besonders an diesen Tieren mit langsamem Degenerationsverlauf läßt sich nun mit absoluter Sicherheit feststellen, daß die Verände- rungen sich nicht gleichzeitig im ganzen peripheren Abschnitt ein- stellen, sondern daß sie von der Verletzungsstelle aus allmählich naelı der Peripherie (und nach dem Zentrum) hin fortschreiten. Diese Be- obachtung wurde zuerst von Erb (1869) gemacht und in neurer Zeit besonders von v. Büngner bestätigt (auch von v. Nothaft). Ranvier und Krause behaupteten das Gegenteil, daß nämlich die Degeneration an der Peripherie begönne, während eine große Zahl andrer Forscher eine gleichzeitige Entstehung der Veränderungen auf der ganzen peri- pheren Nervenstreeke konstatieren wollte. Diese letztere Ansicht ist in neuster Zeit mit besonderm Nachdruck von Stroebe vertreten worden. Er stützt sich hierbei darauf, daß man häufig an ein und derselben Nervenfaser zentral und weiter peripher ein degeneriertes Stück sehen könne, während der Mittelteil noch ein normales Aussehen zeigt. Es ist nicht zu bestreiten, daß man derartige Fasern nicht selten zu Ge- sicht bekommt, wenn man die Degeneration nur auf Markscheiden-

Die Nervendegeneration. 159

präparaten oder an Präparaten mit geschrumpften Achsenzylindern untersucht, an denen über den Zustand der Neurofibrillen nichts zu sehen ist. An Fibrillenpräparaten wird man aber in solchen Fällen immer konstatieren können, daß auch in dem Mittelstück ein voll- kommener Fibrillenzerfall besteht. Der Markscheidenzerfall ist eben kein Wertmesser für die Höhe der Degeneration. Um über den wahren Sachverhalt Aufklärung zu erhalten, muß man weit voneinander ent- fernte Nervenstellen miteinander vergleichen und, wenn man das tut, kann man auch an Tieren mit schneller Degeneration mit Deutlichkeit sehen, dab die Degeneration von der Verletzung ausgeht und nach beiden Seiten weiter schreitet.

Wie gesagt, sind diese Dinge beim Frosch am leichtesten zu sehen: Etwa 20 Tage nach der Läsion findet man nur in der Nähe derselben Ellipsoide. In etwas größerer Entfernung sind die Mark- scheiden intakt und nur die Fibrillen in Degeneration, während weiter nach der Peripherie zu noch ganz normal aussehende Fasern liegen. So schreitet der Degenerationsprozeß immer weiter nach der Peripherie vor der Fibrillenzerfall immer dem der Markscheiden vorangehend bis schließlich nach 100 und mehr Tagen die Degeneration bis zur äußersten Peripherie vorgedrungen ist. Gestört wird die Über- sichtlichkeit des Bildes nur dadurch etwas, daß nicht alle Fasern gleich schnell dem Zerfall anheimfallen. Man sieht also im selben Schnitt Fasern mit vollkommenen Fibrillenzerfall und Ellipsoidbildung neben ganz normalen. Besonders die dünnen Fasern sind es, die dem Degenerationsprozeß einen energischeren Widerstand entgegensetzen.

Ganz dieselben Verhältnisse, nur in schnellerer Aufeinanderfolge, sind beim Kaninchen zu konstatieren. Hier konnten wir auch fest- stellen, daß die sensiblen Fasern schneller zerfallen als die motorischen. (Dieser Angabe ist neuerdings von Huber entgegengetreten worden.

2 Ich glaube ohne genügende Gründe.) Beim Hund ist der Verlauf der Degeneration ein etwas andrer und ich glaube, daß sich durch die Differenz (gegenüber dem Kaninchen) mancher Widerstreit in den Ansichten erklärt: Im direkten Anschluß an die Nervenverletzung tritt zunächst nur ein sehr langsam fortschreitender Zerfall in der Nähe der Wunde ein. Dies dauert bis zur Mitte oder bis zum Ende des dritten, ja manchmal bis zum Anfang des vierten Tages und dann schreitet die Degeneration in wenigen Stunden bis zur Peripherie vor, so daß es den Anschein erweckt, als wenn die Degeneration im sanzen Verlauf der Nerven gleichzeitig geschähe.

Wie im peripheren Stumpf so konnten wir auch im zentralen Ende des durchschnittenen Nerven ein Fortschreiten der Degeneration von der Läsionsstelle aus feststellen. Mehrere Autoren, und mit be- sonderm Nachdruck Engelmann (1876), haben angegeben, daß dıe

160 Die Nervendegeneration.

Degeneration im zentralen Stumpf nur bis zum nächsten Ranvierschen Schnürring gehe, d. h. daß hier nur das angeschnittene Segment zu- srunde ginge.') Wir haben dies ebensowenig wie Ziegler (1896) be- stätigen können. In den meisten Fasern des zentralen Stumpfes werden drei bis sechs Segmente von der Degeneration ergriffen; in andern seht sie oft noch viel weiter (3—4 cm) herauf. Bei einem Tier, welches nach der Operation sich infizierte und unter septischen Er- scheinungen starb, sahen wir sogar den ganzen zentralen Stumpf, so-

weit er herausgenommen war, in vollständiger Degeneration.

Jedenfalls degeneriert also auch der zentrale Stumpf trotz seines Z/Zusammenhanges mit dem nutritorischen Zentrum eine Strecke weit und zwar von der Verletzungsstelle aus in der Richtung zur Zelle. Der Unterschied gegenüber dem peripheren Stumpf besteht nur darin, daß die Degeneration im einen Fall frühzeitig halt macht, während sie im andren bis zum letzten Ende des Nerven fortschreitet. Dieses Fortschreiten von Segment zu Segment widerstreitet aber bereits der Wallerschen Vorstellung, welche die Neurontheorie mit in sich auf- senommen hat, daß nämlich die Abtrennung vom nutritorischen Zentrum, der Ganglienzelle, die Ursache der Degeneration sel. Würde die Faser bei der Kontinuitätstrennung einem trophischen Einfluß entzogen, so müßte sich dieser Mangel auf der ganzen peripheren Strecke gleichzeitig geltend machen. Im zentralen Ende dürfte aberüberhaupt keine Veränderung eintreten, weiles dauernd unter dem tro- phischen Einfluß bleibt.

So wie die morphologische Degeneration von Segment zu Segment nach der Peripherie hin fortschreitet, so verschwindet auch die Reiz- aufnahmefähigkeit und Leitungsfähigkeit des Nerven zuerst in der

Nähe der Durehschneidungsstelle und bleibt am längsten in der Nähe‘

der Muskeln erhalten, welche naturgemäß nach der Durchschneidung allein als Indikator der Erregbarkeit des Nerven dienen können. Ein Unter- schied besteht nun darin, daß die Erregbarkeit eher verschwindet, als die morphologischen Veränderungen eintreten. Bei Säugetieren geht die Un- erreebarkeit einer Nervenstelle nur wenige Stunden, höchstens einen Tag dem Eintreten morphologischer Veränderungen voraus, das ist aber in Anbetracht der kurzen Degenerationszeit schon ziemlich lange. Beim Frosch ist der Unterschied viel größer. Für das proximale Ende des peripheren Stumpfes beträgt er bei Sommerfröschen drei bis vier Tage, bei Winterfröschen ungefähr sechs Tage. Je weiter ein Nerven-

|) Nach Engelmann soll auch im peripheren Stumpf die Degeneration zu- nächst am ersten Schnürring Halt machen. Erst wesentlich später soll der Zerfall in dem übrigen Teil des Nerven eintreten. Wir haben uns von einem Haltmachen des Zerfalls am ersten Schnürring nicht überzeugen können.

Die Nervendegeneration. 161

stück von der Durchschneidungsstelle entfernt ist, desto größer wird der Zeitraum, welcher zwischen Unerregbarwerden und Fibrillenzerfall vergeht. So fand ich bei Sommerfröschen die Erregbarkeit am peri- pheren Ende des Ischiadieus 15—18 Tage nach Durchschneidung des Plexus erloschen, während die Degeneration an dieser Stelle erst am 25. bis 30. Tage sichtbar war. Bei Winterfröschen fand ich die Er- regbarkeit etwa am 20. Tage erloschen, nach 100 Tagen findet man aber immer noch Fasern im peripheren Teil des Nerven, welche noch glatte Fibrillen und erst recht unveränderte Markscheiden zeigen.

Diese Nerven der Winterfrösche sind wohl am geeignetsten um die chemischen!) Veränderungen an den Neurofibrillen, d. h. das Schwinden der primären Färbbarkeit (vgl. Kapitel S) zu zeigen, weil es hier am leichtesten ist, den richtigen Moment zu treffen. Ich stelle die Ver- suche in folgender Weise an: Einer Anzahl von Fröschen werden am gleichen Tage beide Ischiadiei hoch oben am Oberschenkel durch- schnitten. Vom 15. Tage nach der Operation an werden jeden Tag die Wunden geöffnet und die Erregbarkeit geprüft. Fängt sie an gering zu werden, so wird der eine Ischiadieus herausgenommen und nach Konservierung in Alkohol (am einfachsten an Zupfpräparaten) auf Fibrillensäure gefärbt. Es finden sich dann meistens schon einige Fasern, in denen der Achsenzylinder ganz blaß ist. Den Ischiadieus der andern Seite lasse ich noch einige Tage nach Eintritt vollkommener Unerregbarkeit im Tier. Von einem andren Frosch wird der erste Ischia- dieus entfernt, wenn grade Unerregbarkeit eingetreten ist: Einige blasse Fasern, das Gros noch gefärbt, aber meist blasser als normal. Drei bis sechs Tage nach dem Eintritt der Unerregbar- keit— also etwa 23—26 Tage nach der Durchschneidung finde ich dann meist alle Fasern bis zur Peripherie ganz farblos, während auf Kontrollpräparaten (Ösmiumsäure) noch schöne Fibrillen zu sehen sind und oft sogar die ersten Anfänge von Degeneration in allen Fasern (mit Ausnahme der unmittelbaren Nachbar- schaft der Verletzung) fehlen. Ganz dieselben Verhältnisse kann man nach der Durchschneidung der sensiblen Wurzeln in den am Rücken- mark verbleibenden Wurzelstümpfen feststellen. Immer tritt das Ver- schwinden der primären Färbbarkeit am ehesten in der Nähe der Dureh- schneidungsstelle auf und schreitet von da aus wie die Degeneration der Fibrillen und Markscheiden cellulifugal fort.

Schon etwas schwieriger ist es bei Sommerfrösehen den richtigen Zeitpunkt abzupassen, weil hier der körnige Zerfall der Neurofibrillen dem Verschwinden der Erregbarkeit schneller folgt. Aber man kann

1) Über andre chemische Veränderungen während der Degeneration siehe

die interessanten Untersuchungen von Halliburton. 1901. Bethe, Nervensystem. 11

162 Die Nervendegeneration.

doch auch hier konstatieren, daß in den meisten Fasern die primäre Färbbarkeit verschwindet, ehe die Fibrillen in Zerfall geraten. Bis- weilen begegnet man einzelnen Fasern, bei denen die Fibrillen schon körnig zerfallen sind, wo aber die Körner noch eine primäre Färbung zeigen. Möglicherweise handelt es sich hierbei gar nicht um Über- reste von Fibrillensäure, sondern um eine primäre Färbbarkeit andrer Art, wie sie ja auch bei normalen Fasern bisweilen vorkommt. Jeden- falls mahnt dieser Befund dazu, die morphologische Degeneration nicht vom Verschwinden der Fibrillensäure ohne weiteres abhängig zu machen. Im zentralen Stumpf reicht der Schwund der Fibrillensäure weder in motorischen noch in sensiblen Fasern weiter herauf, als später auch der Zerfall der Fibrillen und Markscheiden geht.

Auch beim Hunde und Kaninchen ist es mir einigemal gelungen, das Schwinden der primären Färbbarkeit vor dem Eintritt des kör- nigen Zerfalls der Fibrillen festzustellen. Aber auch hier tritt die Unerregbarkeit noch etwas früher ein. Nach Longet soll die Erreg- barkeit eines durchschnittenen Nerven beim Warmblüter vier Tage nach der Durchschneidung aufhören. Nach meinen Versuchen ist dieser Zeitraum zu groß. In der Regel fand ich beim Kaninchen schon nach 36 Stunden eine stark herabgesetzte Erregbarkeit, und nach 40 Stunden kann sie bereits fehlen. Nach 48 Stunden, spätestens nach 50 Stunden war sie auch nahe am Muskel stets vollkommen verschwunden. In zwei Fällen, wo sie ganz erloschen war (48 und 54 Stunden nach der Operation), fand ich im Verlauf des ganzen peripheren Stumpfes keine primäre Färbbarkeit, während sie in drei andern Fällen nur am proximalen Ende (etwa auf eine Strecke von 4 cm) fehlte, weiter peripher aber noch in vielen Fasern vorhanden war. Beim Hund tritt die Unerregbarkeit später ein als beim Kaninchen. In der Regel ist die Erregbarkeit erst nach drei Tagen, ja manchmal erst nach drei Tagen und zwanzig Stunden bis zur Peripherie hin erloschen. Auch hier fand ich in den untersuchten Fällen gleich nach dem Aufhören der Er- regbarkeit vollkommenes Fehlen oder wenigstens starke Herabsetzung der primären Färbbarkeit. Die kömigen Degenerationsprodukte der Fibrillen fand ich stets ganz ungefärbt. Man kann sie aber bei starker Abblendung auch im primär gefärbten Präparat gut sehen. War nun noch primäre Färbbarkeit in einigen Fasern am unteren Ende vor- handen, so konnte ich konstatieren, daß in ein und derselben Faser zwischen dem gefärbten Achsenzylinder und dem Beginn der Körne- lung stets ein längeres ungefärbtes Achsenzylinderstück lag, das sicher noch nicht in körnigem Zerfall begriffen war. Ich glaube also, daß es auch beim Warmblüter keinem Zweifel unterliegen kann, daß die primäre Färbbarkeit eher verschwindet, als die morphologische Dege- neration eintritt. Unerregbarkeit, Schwund der Fibrillensäure und

Eu 77

Die Nervendegeneration. 163

Zerfall der Neurofibrillen liegen sich hier aber zeitlich so nahe, daß sie beinahe ineinander übergehen. Bei der langsamen, chronischen Degeneration, wie ich sie bei peripheren Stümpfen fand, die sich aus sich selbst regeneriert hatten (Kapitel 12), sind alle drei Stadien weiter auseinander gerückt, so daß sie hier mit derselben Deutlichkeit zu Tage treten wie beim Frosch.

Sicher kann ich sagen, daß niemals bei der Degeneration die Fibrillensäure eher verschwindet als die Reizbarkeit. Ist die Erreg- barkeit verschwunden, so ist die primäre Färbbarkeit meist schon verringert, und sie verschwindet bald nachher ganz. Wie die Erreg- barkeit in der Nähe der Verletzung zuerst verschwindet, so auch die Fibrillensäure. Dieser Befund brachte mich zuerst auf den Gedanken, daß Erregbarkeit (resp. Leitungsfähigkeit) mit dem Vorhandensein der Fibrillensäure in einem innigen Zusammenhang stände. Die weiter unten mitgeteilten Befunde werden zeigen, daß dieser Gedanke sich noch besser stützen läßt. ')

Man hat sich überlegt, in welcher Weise der trophische Einfluß der Ganglienzellen auf die periphere Nervenstrecke zu erklären sei, und hat vielfach zu der Annahme gegriffen, daß von den Zellen dauernde Reize durch die Nervenfasern geschiekt würden, deren Fehlen nach der Nervendurchschneidung zu der Degeneration führte. (Um die später zu besprechende chronische Degeneration des zentralen Amputationsstumpfes und der zentralen Zellen zu erklären, hat dann Marinesco (1892) noch die Annahme gemacht, daß auch von den End- organen dauernde Reize zu den Zentralorganen strömten, deren Fort-

1) Das Schwinden der primären Färbbarkeit läßt sich auch im Rückenmark leicht nachweisen und kann hier zum frühzeitigen Nachweis von Degenerationen dienen. So konnte ich bei einem Hund mit total durchschnittenem Rückenmark die Strangdegeneration nach oben und nach unten hin, soweit sie überhaupt geht, schon vier Tage nach der Operation recht deutlich darstellen. Bei einem andern sah ich die Pyramidenstrangsentartung fünf Tage nach Fortnahme einer moto- rischen Zone. Für Versuchstiere, die einem früh sterben, könnte diese Methode vielleicht manchmal ganz angenehm sein. Wartet man längere Zeit nach der Operation, so wird die Vermehrung der Glia in den entarteten Partien leicht störend, weil die Färbung der Kerne den Ausfall der primären Färbbarkeit z. T. verdeekt. Überhaupt muß man sich auf Quersehnittsbildern in acht nehmen, daß man Kerne nicht für quergeschnittene Achsenzylinder hält. Bei 200facher Ver- größerung sind sie schon leicht voneinander zu unterscheiden. Über die Technik siehe S. 146. Das Schwinden der primären Färbbarkeit ist übrigens, wenigstens im Prinzip, schon von Tuckett gefunden worden. Dieser beobachtete, daß sich marklose Nervenfasern (Remaksche Fasern des Kaninchens) nicht mehr bei vitaler Applikation von Methylenblau färben, wenn die Fasern einige Zeit nach der Durehschneidung leitungsunfähig geworden sind. Es ist dies nach seiner Arbeit das Hauptanzeichen, daß auch marklose Fasern in Degeneration verfallen. (Auf Fibrillen wurde 1895 noch nieht untersucht.)

11%

164 Die Nervendegeneration.

fall hier eine Degeneration hervorriefe.) Wenn diese Erklärung der degenerativen Prozesse richtig wäre, so sollte man meinen, daß man durch Anbringung künstlicher Reize den Degenerationsprozeß im peri- pheren Stumpf verhindern oder wenigstens verlangsamen könnte. Grade das Gegenteil ist der Fall: Die Degeneration wird dureh Reizung des peripheren Stumpfes wesent- lich besehleunigt!')

Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt: Mehreren Fröschen wurden am gleichen Tage beide Ischiadiei in gleicher Höhe am Oberschenkel durchschnitten unter sorgfältiger Schonung der Ge- fäße. Am nächsten Tage wurden bei allen Fröschen die Ischiadiei freigelegt und rechts wie links auf versenkbare Elektroden gelegt; der Spalt wurde, um Austrocknung zu verhindern, mit feuchten Fließ- papierstreifen überdeckt. Alle Elektroden waren mit der sekundären Spirale ein und desselben Schlitteninduktoriums verbunden; es konnten aber alle Elektroden, welche an den linksseitigen Nerven lagen, aus- geschaltet werden und bei deren Einschaltung die rechtsseitigen aus- geschaltet werden. Die Elektroden waren immer am Schnittende der Nerven angelegt und für ein gutes Aufliegen der Nerven wurde stets gesorgt, ebenso dafür, daß keime Flüssigkeitsansammlung zwischen den Platindrähten stattfand. Es wurde nun zunächst täglich die Reiz- schwelle rechts wie links bestimmt und darauf der rechte Nerv für zwei bis drei Stunden tetanisiert. Alle zehn Minuten wurde eine Reiz- pause von fünf Minuten eingeschaltet. Während derselben wurde auch durch eine Wippe der primäre Strom gewendet. Begonnen wurde stets mit der Reizstärke, welche grade alle Schenkel in schwachen Tetanus versetzte; späterbin wurde der Rollenabstand immer in der Weise verringert, daß der Tetanus auf gleicher Höhe blieb. Nach der Reizung wurden die Wunden jedesmal wieder vernäht. In dieser Weise habe ich zwei Versuchsreihen angestellt; eine mit drei Sommer- fröschen, die andre mit vier Winterfröschen. Das Ergebnis war in beiden Fällen das gleiche, nur daß bei den Sommerfröschen die Ver- änderung schneller ging. Bei jedem der Versuche ging ein Tier nach fünf und sieben Tagen zugrunde, eher als der Versuch beendet war. Sorg- fältige Reinhaltung der Wunden und der Instrumente ist sehr wesentlich.

3ei den Winterfröschen verhielt sich der Verlauf folgendermaßen: Am Tage nach der Durchschneidung sprachen alle Nerven bei einer Reizung mit 34—32 em Rollenabstand an. Innerhalb der nächsten Tage stieg die Reizschwelle auf beiden Seiten ziemlich gleichmäßig,

I) Langley und Anderson (1902) haben einer inzwischen erschienenen vor- läufigen Mitteilung zufolge keine Verzögerung der Degeneration bei täglicher

Reizung des durchschnittenen Nerven gefunden. Von einer Beschleunigung!

derselben sagen sie aber nichts.

Die Nervendegeneration. 165

so daß nach acht bis neun Tagen ein Rollenabstand ‘von 24—22 em nötig war; um eine Erregung hervorzurufen. Von nun an sank in den nächsten Tagen die Erregbarkeit auf der rechten, täglich durch mehrere Stunden gereizten Seite sehr schnell, während sie auf der linken, immer nur probeweise gereizten Seite auf gleicher Höhe blieb! Am zwölften Tage lag die Reizschwelle links zwischen 22 und 24 cm Rollenabstand, rechts dagegen bei 11 em. Am dreizehnten Tage war links keine Änderung eingetreten, während rechts ein Rollenabstand von 10 em nötig war, eine Reizstärke, bei welcher an Kontrollpräpa- raten mit angelegter Ligatur die Stromschleifen wirksam waren, wenn die untere Elektrode 6 —8 mm von der Umschnürungsstelle entfernt war. Die Reizung wird also bei den Nerven der rechten Seite wohl nicht lokal gewirkt haben, sondern auf Nervenstellen, welche mehr peripher lagen; auch bei Reizung 6—7 mm unterhalb der früheren Reizstelle war noch ein Rollenabstand von 11—12 em nötig. Erst viel weiter peripher fand sich eine Erregbarkeit, welche der der linken Seite nahekam, nämlich 1,5—2,0 em von der Durchschneidungsstelle entfernt, wo die Reizschwelle bei 21—22 cm lag.

In diesem Stadium wurde der rechte Nerv ganz herausgenommen; vom linken Nerven wurde nur das der Durchschneidungsstelle am nächsten gelegene Stück (etwa 5 mm lang) herausgenommen, der Rest blieb noch im Tier, bis auch hier die Erregbarkeit bis auf 10 cm Rollenabstand gesunken war. Dies erfolgte am zwanzigsten bis zweiundzwanzigsten Tage. Dann wurde auch hier der ganze periphere Stumpf entfernt. Alle diese Nervenstücke wurden der Länge nach gespalten und die eine Hälfte in Osmiumsäure eingelegt, behufs Untersuchung der Markscheiden und der Fibrillen, die andre Hälfte in Alkohol fixiert, um sie auf Fibrillensäure zu untersuchen. Die Unterschiede waren sehr eklatant: Im linken Nervenende (das am dreizehnten Tage herausgenommen war) bemerkte ich nur eine Spur von Markscheidenzerfall direkt an der Durchschneidungsstelle. Die primäre Färbbarkeit ging bis dieht an diese heran. Im rechten Nerv (vom dreizehnten Tage) waren die Markscheiden und Fibrillen bis zu 2 mm von der Durchschneidungsstelle ganz zerfallen, im Bereich der nächsten 2—3 mm zeigten viele Fasern Fibrillendegeneration und ein Teil auch Markscheidenzerfall. Auf dieser ganzen Strecke fehlte natürlich auch die primäre Färbbarkeit; außerdem fehlte sie noch 2 mm weiter abwärts in den meisten Fasern und war im periphereren Teil fast überall viel schwächer (heller) als normal und im obersten Ende des linken Nerven. Bei dem Teil des linken Nerven, der erst am zweiundzwanzigsten Tage nach der Durchschneidung herausgenommen war, lag die zentrale Grenze der vollständigen Degeneration und des Schwundes der primären Färbbarkeit wesentlich höher. Es erreichte

166 Die Nervendegeneration.

also beim ungereizten Nerven die Degeneration nach 22 Tagen noch nicht den Grad, den sie im gereizten Nerven nach 13 Tagen erreichte. Bei den Sommerfröschen war alles ganz analog, nur ging es schneller und die Degeneration des gereizten Nerven war noch ausgedehnter.

Beim täglich nach der Durchschneidung gereizten Froschnerven erlischt also die Erregbarkeit um mehr als ein Drittel früher als beim gleichbehandelten aber nicht gereizten Nerven; die Fibrillensäure verschwindet früher und die Degeneration verläuft schneller.

Ich bin mir dessen vollständig bewußt, daß der elektrische Reiz den natürlichen wohl kaum ersetzen kann, aber er ist derjenige, den man noch am ehesten benutzen darf. Da nun der Vorgang im Nerven nach der allgemeinen und sehr plausiblen Vorstellung immer derselbe ist, gleichgültig durch welche Art von Reiz er veranlaßt wird, so kann man auf Grund dieser Versuche jedenfalls sagen, daß es der Mangel an Aktivität nicht sein kann, der die Nervenfasern zur Degeneration bringt.) Die Aktivität fehlt ja nun zwar nach der Durchschneidung des Nerven nur in den motorischen Fasern, wie (oldscheider (1894) mit Recht hervorgehoben hat, aber es könnte jemand sagen (und Lenhossek [1895] hat dies in der Tat getan), es handle sich bei der Erhaltung eines Nerven nicht um die Erregungs- wellen, welche von der Peripherie kommen, sondern nur um solche zentralen Ursprungs, die man natürlich im sensiblen Nerv ebensogut annehmen kann, wie im motorischen.

Goldscheider hat nun angesichts dieses anscheinenden Widerspruchs die Hypothese aufgestellt, daß dauernd von der Ganglienzelle aus ein Stoff (vielleicht von der Art eines Fermentes) in den Achsenzylinder wandere, welcher diesen zur Erhaltung des normalen .Stoffwechsels anrege. Diese Stoffwanderung fiele nach Durchschneidung eines Nerven fort und deswegen degeneriere er. (Lenhossek [siehe oben] setzt an Stelle der Stoffwanderung einen Erregungsvorgang der von der Gan- glienzelle und speziell vom Kern in den Achsenfortsatz hineinströmen soll.) Wäre diese Annahme richtig, so müßten die peripheren Partien eines durchschnittenen Nerven zuerst degenerieren, weil man doch annehmen sollte, daß in dem der Ganglienzelle näher gelegenen Teil der Faser mehr von dieser Substanz vorhanden sei. Andrerseits wäre es auch schwer zu verstehen, warum bei dauernder Erregung des peripheren Stumpfes die Degeneration schneller geht, man müßte

I) Wenn auch die Degeneration durch Faradisation des peripheren Stumpfes beschleunigt wird, so schadet es doch sicher nichts, wenn man nach wie vor bei Fällen von Nervennaht elektrisiert. Zugrunde geht der periphere Stumpf zunächst doch. Die Elektrisierung soll ja auch nicht den Nerven erhalten, sondern die Muskeln.

Die Nervendegeneration. 167

grade annehmen wollen, daß die hypothetische Substanz durch die Erregungswellen nach der Peripherie hin befördert würde. ')

Wie ich oben beschrieben habe, geht die Degeneration bei Kon- tinuitätstrennung von der Verletzung aus nach beiden Seiten. Von einem Haltmachen an der ersten Ranvierschen Einschnürung, wie es von Engelmann vertreten wurde, ist im allgemeinen nichts zu be- merken; vielmehr geht sie erst langsam, später schneller im zentralen wie im peripheren Abschnitt ohne sichtbare Haltepunkte von Faser- abschnitt zu Faserabschnitt weiter. Mönckeberg und ich haben uns daher von einem gegensätzlichen Unterschied zwischen entzündlicher oder traumatischer Degeneration (welche nur das verletzte Faser- segment ergreifen soll) und sekundärer oder paralytischer Degeneration (die nur im periphereu Stumpf und hier überall gleichzeitig m Er- scheinung treten soll), nicht überzeugen können. (Diese Unterscheidung zwischen entzündlicher und paralytischer Degeneration wurde zuerst von Schiff [1850] aufgestellt. Später haben Engelmann [1870] und andre versucht, sie unter dem Namen traumatische und sekundäre Degeneration weiter zu begründen. Zuzugeben ist, daß der destruktive Prozeß an der Durchschneidungsstelle zuerst langsam einsetzt. Es fehlt aber nach meinen Erfahrungen durchaus an einer scharfen Ab- srenzung am nächsten Schnürring.)

Ich bin auf Grund meiner Versuche, besonders auch derer, welche an autogen regenerierten Nervenstücken angestellt sind (siehe Kapitel 12), zu dem Resultat gekommen, daß es nach Kontinuitätstrennung überhaupt nur eine Art von Degeneration gibt und zwar nur traumatische. Die Schädigung, welche durch das Trauma gesetzt wird, stört das Lebensgleichgewicht des Nerven, zunächst aber nur der Partien, welche der Verletzung am nächsten gelegen sind. Hier etabliert sich ein krank- hafter, degenerativer Prozeß, welcher sich von Teilchen zu Teilchen fortsetzt, grade so, wie etwa eine Entzündung vom Punkt der ersten Schädigung aus einen Punkt der Umgebung nach dem andern ergreift. Nach der Peripherie zu pflanzt sich der krankhafte Prozeß bis ans Ende fort, nach dem Zentrum zu macht er früher oder später halt; aber nicht deswegen weil hier die zugehörigen Ganglienzellen gelegen sind, die als nutritorisches Zentrum dienen, sondern weil ein relativer Unterschied in der Lebenskraft des zentraleren und periphereren Endes existiert, den man als eine Art von Polarisation auffassen kann. Der Beweis hierfür liegt in dem später genauer zu beschreibenden Befund, daß nach einer zweiten Durchschneidung eines autogen regenerierten Nerven der Degenerationsprozeß das zentralere Ende nicht im höheren

1) Diesen Einwänden könnte man durch die gezwungene Annahme begegnen, daß die hypothetische Substanz nicht von der Zelle in den Achsenzylinder hinein- diffundiere, sondern von den periphersten Enden aus hineingesogen würde.

168 Die Nervendegeneration.

Maße ergreift, als bei der Durchschneidung eines Nerven, der noch mit seinem Zentrum in Verbindung ist, während das periphere Ende hier ebenso einem vollständigen Zerfall anheimfällt wie sonst.

Wenn diese Ansicht richtig ist, daß nur die Schädigung die Degeneration veranlaßt, aber nicht die Aufhebung der Erregungs- leitung (Paralyse) oder des nervösen Zusammenhanges mit dem Zentrum überhaupt, dann muß bei lokalen Schädigungen des Nerven, welche die Leitung noch nieht unter- brechen, eine Degeneration eintreten können und bei Leitungsunterbrechungen, welehe den Nerven nur wenig schädigen, die Degeneration ausbleiben oder langsamer eintreten. Beides läßt sich zeigen:

Bei starker Kompression eines Nerven, wie sie gewöhnlich zu Degenerationszwecken angewendet wird, tritt eine vollkommene Zer- störung der Achsenzylinder ein und das obere und untere Ende des Nerven hängen nur noch äußerlich durch das Bindegewebe und die leeren Schwannschen Scheiden miteinander zusammen. Bei vorsichtiger schwacher Kompression kann man aber die Leitung temporär unter- brechen; sie kehrt zurück, wenn die Kompression aufgehoben wird (siehe Kapitel 14). Dabei bleiben die Fibrillen intakt und nur die Mark- scheidensubstanz und die Perifibrillärsubstanz werden nach beiden Seiten fortgedrängt. Wir besitzen also in der schwachen Kompression ein Mittel, den Nerven zu schädigen, ohne die Leitungsfähigkeit aufzuheben.

Um die Kompression in der richtigen Abstufung am lebenden Tier vornehmen zu können, wurde folgender Apparat benutzt: Ein Elfenbeinstäbehen, wie es in Figur 64 abgebildet ist, wurde mit der Rinne nach unten mit einer Klammer an einem Stativ befestigt. Über dem Stäbchen war eine Rolle befestigt, eine zweite in der- selben Höhe und Lage etwa 15 em davon seitwärts. Über die Rollen war ein Faden gelegt, an dessen einem Ende eine Schale für Gewichte hing, an dessen anderm, über dem Stäbchen befind- lichen Ende ein Drahtbügel befestigt war. Die Gewichtschale konnte wie in Figur 64 unterstützt werden. Unter dem Stäbehen stand ein nach unten und oben bewegliches Tischehen. Auf diesem wurde ein Frosch befestigt, der Ischiadieus unter Schonung der Gefäße freigelegt und ein Seidenfaden unter ihm hindurchgezogen. Die Enden dieses Fadens wurden an den Enden des darüber schwebenden Drahtbügels befestigt und der Tisch soweit in die Höhe geschraubt, daß der Ischiadieus in die Rinne des Stäbehens zu liegen kam. Wurden jetzt Gewichte auf die Schale gesetzt und ihre Unterstützung herabgeschraubt, so zog der Seidenfaden den Nerven an das Elfenbein- stäbehen heran und komprimierte ihn. Die Reibung (?) war bei diesem Apparat geringer als bei dem weiter unten beschriebenen, so daß

3 F

Die Nervendegeneration. 169

schon Gewichte von 16—24 & genügten, um den Nerven bei einer Einwirkungsdauer von 30—60'" undurehgängig zu machen.

Ich ließ das Gewicht stets eine Minute einwirken. Danach wurde die Wunde vernäht (eventuell zur Kontrolle noch der andre Ischiadieus durchschnitten) und täglich beobachtet. Nach einer Zeit, welche genügt, um die Degeneration in der Nähe einer Durchschneidungsstelle gut sichtbar zu machen (im Sommer etwa 18 Tage, im Herbst und Winter etwa 25 Tage), wurden die Tiere getötet und die Nerven untersucht.

Es stellte sich nun heraus, daß bei Kompressionsstärken, welche eine vollständige Erholung der Leitungsfähigkeit noch grade zu- lassen, nach einigen Tagen eine partielle Leitungsunfähigkeit auftritt, welche von einer teilweisen Degeneration der Nervenfasern des Nerven begleitet ist. Ist die Kompression etwas stärker, so daß keine voll- ständige Erholung eintritt, so wird der Nerv nach einigen Tagen ganz undurchgängig und es tritt eine vollständige Degeneration ein. (Da die Kompression nicht überall im Nerven die gleiche Stärke erreicht, so ist es nicht zu verwundern, daß die Degeneration manche Fasern ergreift, andre verschont.) Ich lasse nun hier einige Beispiele folgen.

Frosch 1. (Die beschriebenen Frösche stammen alle von einer größeren Serie. Sie wurden am gleichen Tage, 22. September 1902, operiert und am gleichen Tage, 17. Oktober, getötet.) Kompression mit 24 &; Erregbarkeit oberhalb der Operationsstelle vor und nach der Kompression bei 21 em Rollenabstand. Nach dem Nähen zeigt sich die Rezeptionsfähigkeit und die Motilität herabgesetzt, jedoch sind beide überall vorhanden. In den nächsten Tagen blieb das Bild dasselbe. Vom sechsten Tage an nahm die Motilität und Rezeptions- fähigkeit immer mehr ab. Nach zehn Tagen war keine Motilität mehr in den innervierten Muskeln zu bemerken, die Rezeptionsfähigkeit war bis auf eine kleine Stelle an der Ferse ganz verschwunden. So blieb es bis zum Tage der Sektion. Bei Reizung unterhalb und oberhalb der Kompressionsstelle bewegte sich bei 22 cm Rollenabstand der Gastroenemius noch spurweise, alle andern Muskeln blieben in Ruhe. Bei stärkerer Reizung trat kein größerer Effekt ein. Es mußten also auch noch einige wenige motorische Fasern erhalten sein. Nach ‚beiden Seiten von der Kompressionsstelle zeigten sich die Markscheiden und Achsenzylinder aller Fasern mit Ausnahme von höchstens einem Dutzend auf eine Strecke von etwa 2 mm ganz zerfallen (Fig. 49 ©).

Frosch 2. Kompression mit 20 &; Erregbarkeit vorher und nachher bei etwa 20 cm. Nach der Operation ganz normal. Läßt sich Ab- duktion des Beines nicht gefallen. Nach zwei Tagen ist die Re- zeptionsfähigkeit noch überall unvermindert vorhanden. Beim Hoch- heben und Sitzen werden beide Beine gleich angezogen, doch ist die Mittelzehe des rechten (operierten Beines) manchmal etwas um-

170 Die Nervendegeneration.

geschlagen. Vom sechsten bis zwölften Tage nimmt die Rezeptions- fähigkeit und Motilität schnell ab. Am zwölften Tag ist die Re- zeptionsfähigkeit nur noch in der Gegend der Ferse deutlich vorhanden. Das rechte Bein zeigt beim Sprung fast nur noch Bewegung im Oberschenkel; beim Sitzen wird der Unterschenkel nicht mehr an- gezogen, die Zehen sind gekrümmt. Beim Aufhängen hängt der Unterschenkel schlaff herab. Der Fuß wird bei Reiz an der Ferse noch unvollkommen bewegt, die Zehen gar nicht mehr. In den nächsten Tagen tritt keine weitere Veränderung ein. Nach der Sektion gerät der Gastroenemius bei 20 cm Rollenabstand in Kontraktion. Die

Fig. 49. Degeneration von Froschnerven, welche (4—C) unter Anwendung geringer Gewichte an

der mit Pfeilen bezeichneten Stelle komprimiert waren oder welche (D) durchschnitten waren. Die

Zeit von der Operation bis zur Sektion betrug überall 25 Tage. Die Degeneration (Zerfall der

Markscheiden, welcher durch Punktreihen angedeutet ist) ist noch auf die nächste Umgebung der

Schädigungsstelle beschränkt. Das zentrale Ende liegt auf der linken Seite. Näheres im Text. Vergrößerung 25mal.

Schwelle ist unterhalb und oberhalb der Kompressionsstelle gleich. Die Strecker zeigen fast keine Reaktion (beim Reiz vom Nerven aus), die Fußmuskeln gar keine. Etwa ein Viertel aller Fasern ist erhalten, die übrigen sind in Degeneration (Fig. 49 2).

Frosch 3. Kompression mit 16 g. Bis zur Sektion zeigen sich fast keine Störungen; die Rezeptionsfähigkeit ist überall vorhanden, Sprung und Haltung des Beines bis zuletzt fast ganz normal. Bei der Sektion zeigt sich volle Erregbarkeit aller Muskeln vom Nerven aus. Trotzdem zeigen sich an der Kompressionsstelle etwa ein Viertel aller Fasern degeneriert (Fig. 49 4A). Es kann also eine nicht un- bedeutende Zahl von Nervenfasern degeneriert sein, ohne daß sich

Die Nervendegeneration. 171

dies physiologisch bemerkbar macht. (Dieselbe Erfahrung ist bereits mehrfach von Neuropathologen gemacht worden.)

Außer den drei beschriebenen Fröschen habe ich noch eine An- zahl andrer hergestellt, welche sich zwischen diese drei einreihen würden, auf deren Beschreibung ich aber verzichten kann. An andern Fröschen wurde zur Kontrolle ein Ischiadieus in derselben Höhe durch- sehnitten, in der die Kompression angelegt wurde. Bei einigen Tieren wurde auch auf der einen Seite komprimiert, auf der andern durch- schnitten; dies ist jedoch aus dem Grunde nicht sehr praktisch, weil man dann kein gesundes Bein zum Vergleich der allmählich nach der Kompression eintretenden Veränderungen besitzt. Bei allen durch- schnittenen Vergleichsnerven war nun der Degenerationsprozeß im Nerven nicht weiter fortgeschritten als in den Fasern, welche infolge der Kompression in Degeneration verfallen waren! (Fig. 52 D).

Am lehrreichsten sind Frösche wie der unter 2 beschriebene. Hier üben die komprimierten Nervenfasern zunächst ihre Funktion sanz wie bei einem normalen Tier aus, mit der Zeit tritt abereine Funktionsstörung (Leitungsunterbrechung) ein, welehe höchstwahrscheinlich mit dem Eintritt der Degeneration an der Kompressionsstelle Hand in Hand geht. Bemerkenswert ist, daß die- jenigen Fasern, welche der Degeneration nicht anheimfallen, bei der Sektion dieselbe Reizschwelle zeigen, welche sie vor der Kompression besaßen. Da außerdem die Menge der degenerierenden Fasern ab- hängig ist von der Stärke der Kompression, da entzündliche Ver- änderungen an der Kompressionsstelle fehlen und der Degenera- tionsprozeß ebenso schnell einsetzt wie nach Durch- schneidung, so wird man die Degeneration nicht als sekundäre Folge einer durch die Kompression hervorgerufenen Entzündung ansehen können. Man wird vielmehr annehmen müssen, daß die mäßige Kompression (durch das Verschieben der Marksubstanz und der Peri- fibrillärsubstanz) eine lokale Schädigung der Nervenfasern (resp. der sie zusammensetzenden Zellen) bedingt, welche zwar zunächst noch die physiologische Tätigkeit (Leitung) zu- läßt, mit der Zeit aber trotz der erhaltenen Leitungs- fähigkeit zur Degeneration führt. Ich ziehe also aus diesen Versuchen den Schluß, daß bei der Nervendurchsehneidung nicht die Unterbrechung der Leitung oder des Zusam- menhanges mit denGanglienzellen die Degeneration be- dingt, sondern die lokale Schädigung der betroffenen Nervenstelle.

Man hat auf die verschiedenste Weise Nerven geschädigt, doch hat man bisher nach allen Verfahren und immer nach der gleichen Zeit die Degeneration eintreten sehen. Im allgemeinen fehlen zwar

172 Die Nervendegeneration.

bei den meisten Autoren detaillierte Zeitangaben, wo solche aber yor- handen sind, da läßt sich der Schluß ziehen, daß es für den Ablauf der Degeneration ganz gleich ist, ob der Nerv durchsehnitten, kom- primiert oder verätzt wird. Ich selber habe meine Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gerichtet gehabt, weil es mir darauf ankam, eine Methode der Leitungsunterbreehung zu finden, bei welcher keine oder eine verlangsamte Degeneration zustande kommt; aber auch ich fand zunächst, daß es ganz gleichgültig ist, wie die Unterbreehung aus- geführt wird. Durchfrieren einer kurzen Nervenstreeke (eine Methode, die mir durch Kühne bekannt wurde), lokale Erwärmung auf 50—60° (in Gemeinschaft mit Mönckeberg angestellt), lokale Einwirkung von Säuren u. S. w. alle diese Unterbreehungsarten brachten nach der gleichen Zeit die Erregbarkeit zum Aufhören und die Degeneration zum Beginnen. Schließlich wählte ich aus theoretischen Gründen, welche sich aus später zu beschreibenden Versuchen ergaben, Ammo-

niakdämpfe und diese führten zum Ziel! Die Zahl meiner Ver- suche ist allerdings noch sehr klein ich hatte keine Zeit längere

Versuchsreihen anzustellen —, aber sie genügen bereits, um zu zeigen, daß die Leitung unterbrochen werden kann, ohne daß die Degenera- tion nach derselben Zeit eintritt, wie nach stärkeren Verletzungen (Durchsehneidung, Kompression, Verbrühung u. s. w.).

Es wurde ein Stück Bambusrohr (1 em diek) und ein Stück Glas- rohr so ausgewählt, daß sie grade ineinander geschoben werden konnten. In das Bambusrohr wurden am Querschnitt zwei sich gegenüberliegende Schlitze von der Breite eines Hunde-Ischiadieus eingefeilt; das Glas- rohr erhielt an den entsprechenden Stellen einen konkaven, gleich- breiten Schliff. Auf die freien Enden wurde je ein Gummischlauch aufgesetzt und der eine mit einer Durchleitungsflasche, welche mit Ammoniakwasser gefüllt war, in Verbindung gebracht. Wurde Luft in die Flasche geblasen, so strömte natürlich mit Ammoniak ge- schwängerte Luft durch die aus den beiden ineinander gesteckten Rohren gebildete Kammer. Bei den zu operierenden Hunden wurde der Ischiadieus freigelegt und in den Spalt des Bambusrohrs gebracht. Hierauf wurde das Glasrohr in das Bambusrohr hineingeschoben, bis es dem Nerven gut anlag, ohne ihn zu quetschen. Der Verschluß ist ein ziemlich vollständiger. Der andre Gummischlauch leitet den aus der Kammer ausströmenden Ammoniakdampf ab.

Ich bestimmte nun zuerst den Rollenabstand eines Induktions- apparates, bei welchem Reizung oberhalb und unterhalb der Kammer die Fußmuskeln zum Zueken und das nicht ganz tief ätherisierte Tier zu allgemeinen Reaktionen (Bewegen und Stimmäußerung) brachte. Hierauf wurde Ammoniakdampf so lange durch die Kammer geleitet, bis auch bei sehr starker Reizung unterhalb der Kammer nur

Die Nervendegeneration. 173

noch die Muskeln zuckten (also keine Leitung mehr zum Zentrum da war) und bei Reiz oberhalb der Kammer nur noch allgemeine Reak- tionen eintraten, die Muskeln aber in Ruhe blieben. (Um nicht durch Stromschleifen getäuscht zu werden, muß man mindestens 2 em unter- halb und oberhalb die Reizung ausführen.) Über dieses Stadium hinaus soll man nicht die Ammoniakeinwirkung fortsetzen; auch soll man nie zu starke Ammoniakdämpfe anwenden.

Hund 1. Anderthalb Minuten nach dem Beginn der Durehleitung war die Reizleitung von unten nach oben und umgekehrt vollständig aufgehoben (Reizschwelle 34 cm Rollenabstand). Nach drei Tagen (nach 73 Stunden) wurde der Nerv freigelegt. Bei Reizung unterhalb der Einwirkungsstelle zuckten die Muskeln des Fußes und der Gastroenemius bei einem Rollenabstand von 20 em. Auch bei Reizung mit maximalen Strömen (5 em und weniger) blieb es nur hierbei. Das Tier reagierte nicht. Auch oberhalb der Einwirkungsstelle mußte ich einen Rollenabstand von 18—20 cm anwenden, um überhaupt eine Reaktion zu erhalten; diese beschränkte sich aber auch bei stärksten Strömen auf allgemeine Bewegungen und Stimmäußerung. Auch nicht die geringste Bewegung in den Muskeln des Unterschenkels trat ein. Die Einwirkungsstelle des Ammoniaks war also noch absolut undurch- gängig für die Leitung; trotzdem war die periphere Strecke noch gut erregbar. Nach Durchschneidung des Nerven und gleicher Wartezeit pflegt der Nerv beim Hunde bereits völlig unerregbar zu sein. Höchstens zeigt sich noch weit peripher schwache Erregbarkeit. In der Nähe der Durchschneidungsstelle findet man stets auf eine Strecke von mehreren Centimetern Fibrillen und Markscheidenzerfall. Bei diesem Ammoniaknery war auch nicht eine Spur von De- generation nach 73 Stunden zu bemerken. Alle Fasern hatten bis an die Einwirkungsstelle (und auch in derselben) primäre Färbbarkeit; die Fibrillen waren überall glatt und von Markscheiden- veränderung war erst recht nichts zu sehen (außer an der Einwirkungs- stelle, wo das Mark, wie man sagt, geronnen aussah).

Hund 2. Rechts und links Ischiadieus bis zur Undurchlässigkeit mit Ammoniakdämpfen behandelt. Reizschwelle 26—28 em. Links nach vier Tagen (96 Stunden) eröffnet. Einwirkungsstelle ganz rot. Nerv unterhalb grau. Unterhalb keine Erregbarkeit. Degeneration, wie nach Durchschneidung. Offenbar hatte hier das Ammoniak zu

lange eingewirkt. Rechts am zwölften Tage nach der Ammoniak- behandlung freigelegt (Einwirkungsstelle schwach rosa): Bei Reizung

unterhalb der Einwirkungsstelle schon bei 24 em Abstand gute Zuckungen im Gastroenemius und den Zehen. Auch bei starkem Reiz keine Leitung nach dem Zentrum. Bei Reiz oberhalb der Einwirkungsstelle Reaktion des ganzen Tieres von 24 em an. Bei ganz starkem Reiz (10 em Rollen-

174 Die Nervendegeneration.

abstand) zueken auch die Zehen, aber nie der Gastroenemius. (Reiz- stelle 3 em über der Einwirkungsstelle.) Von oben nach unten schien also etwas Durchlässigkeit der Einwirkungsstelle vorhanden zu sein, aber nur für einen Teil der Fasern. Befund: So weit die Einwirkungsstelle reicht, sind alle Fasern bis auf ein dünnes in der Mitte gelegenes Bündel degeneriert (Marktrümmer). Im peripheren Teil des Nerven finden sich mindestens dreimal soviel Fasern mit erhaltenen Markscheiden und Fibrillen, daneben eine Anzahl von Fasern mit zerfallenen Markscheiden; die Zahl derselben nimmt nach der „weiteren Peripherie zu immer mehr ab. Primäre Färbbarkeit in vielen Fasern bis zur Einwirkungsstelle vorhanden. Sicherlich waren hier also eine Menge Fasern vorhanden, welche zwölf Tage lang vom Zen- trum nervös getrennt waren, ohne degeneriert zu sein.

Hund 3. Rechts und links Ammoniakeinwirkung bis zur Un- durehlässigkeit. Rechts wurde dann der Nerv einen Zentimeter ober- halb der Einwirkungsstelle durchschnitten. Rechts und links nach vier Tagen freigelegt (97 Stunden nach der Operation). Rechter Nerv unterhalb der Einwirkungsstelle unerregbar, aber noch von weißem Aussehen, während der kurze Stumpf oberhalb der Einwirkungsstelle bis zur Durchsehneidungsstelle hin und die Einwirkungsstelle selber gelblichgrau waren. Links Zuckungen der Muskeln bei Reiz mit 23 cm Rollenabstand, hauptsächlich in den Zehen, weniger im Gastroenemius. Auch bei stärkster Reizung keine Durch- gängigkeit der Einwirkungsstelle, weder von oben nach unten, noch von unten nach oben. Befund rechts (wo der Nerv außer der Ammoniakwirkung auch durchschnitten war): Im zentralen Ende (oberhalb der Ammoniakeinwirkung) Degeneration aller Fasern bis zur vollständigen Markzerstückelung (merkwürdigerweise waren von dieser Degeneration die allerzentralsten Enden der meisten Fasern ausgenommen. Hier direkt an der Durchschneidungsstelle waren die Markrohre besser erhalten). Die vollständige Degeneration setzte sich noch ein Stück weit in die Einwirkungsgegend hinein fort: aber noch innerhalb dieser traten viele Fasern zu Tage, welche ge- streckte Markrohre und unversehrte Fibrillen hatten. Die Zahl der- selben nahm nach der Peripherie hin immer mehr zu, so daß unterhalb der Einwirkungsstelle und bis zur äußersten Peripherie hin nur noch wenige (vielleicht ein Zehntel aller Fasern) in Degeneration getroffen wurden. Alle andern waren im Aussehen ganz normal. Auf Präparaten, die primär gefärbt waren, zeigte sich in vielen Fasern noch primäre Färbbarkeit, allerdings schwach und diskontinuierlich. Durch die Ammoniakeinwirkung waralso sicherlich der degenerative Prozeß, der von der Durchschneidungs-

Die Nervendegeneration. 175

stelle ausging, in den meisten Fasern kupiert worden, denn das Aufhören der Degeneration innerhalb der Einwirkungsstelle war ein ziemlich scehroffes. Nach einfacher Durchschneidung findet man sonst nach vier Tagen keine Spur von primärer Färbbarkeit mehr und die Markscheiden sind zu dieser Zeit bereits bis zur Peripherie hin in Ellipsoidbildung!

Befund im linken (nicht durchschnittenen) Nerven: In der Mitte der Einwirkungsstelle treten einige degenerierte Fasern auf (Ellipsoid- bildung). Solche finden sich im peripheren Ende bis zum Ende hin. Ihre Zahl beträgt etwa ein Siebentel aller Fasern. Der Rest zeigt vollkommen erhaltene Markscheiden und Neurofibrillen. Primäre Färbbarkeit wurde in allen diesen Fasern ge- funden, auch innerhalb der Einwirkungsstelle.

Nach diesen Befunden muß zugegeben werden, daß die ner- vwöse Leitung durch viel längere Zeit hindurch unter- brochen sein kann, als zurvollkommenen Degeneration nach Totaldurchtrennung nötig ist. Es ist nicht die Leitungsunterbrecehung, welche die Degeneration her- vorruft. Ammoniak verhindert für lange Zeit die Leitung, ohne aber den Nerven so schwer zu schädigen, daß eine Degeneration eintritt. Es hindert auch den degenerativen Prozeß, wenn dieser sich von einer Kontinuitätstrennung aus fortsetzt. Bei zu starker Ein- wirkung schädigt es aber den Nerven so stark, daß die Degeneration sich normal entwickelt, wie nach Verletzungen. Andrerseits ist bei schwächerer Einwirkung die Leitungsunterbrechung nicht dauernd, wie aus dem Befund am rechten Nerven des Hundes No. 2 und speziell auf diesen Punkt gerichteten Versuchen hervorgeht. Jedenfalls ist also die Degeneration nicht eine Folge der Aufhebung des funktionellen Zusammenhanges zwischen Faser und „nutritorischem“ Zentrum. Vielmehr ist nach dem vor- liegenden Tatsachenmaterial die lokale Schädigung des Ner- ven resp. der Zellen, aus denen er zusammengesetzt ist, also das Trauma, als die einzige Ursache der nach Kontinuitäts- trennung u. s. w. eintretenden Degeneration anzusehen.

Bei toxischen Schädigungen, denen der Nerv in seinem ganzen Verlauf ausgesetzt ist, scheint die Degeneration nach dem Tatsachen- material der menschlichen Pathologie stets am periphersten Ende einzu- setzen. Es wäre also dieses als punetum minimae resistentiae anzusehen.

Es seien hier noch einige Befunde über die Degeneration bei wirbel- losen Tieren erwähnt: Bei Arthropoden treten nach Nervendurch- schneidung sicherlich Degenerationen ein, welche bis zu einem fast vollständigen Schwunde führen können. An Hirudo wurde vor einigen Jahren von Mönckeberg im hiesigen Institut gearbeitet. Auch Monate

176 Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w.

nach der Durchschneidung der Kommissuren zeigte sich außer in der nächsten Nähe der Durchschneidungsstelle keine sichere Degeneration. Daß sich in jedem Kommissurende Fasern befinden, deren zugehörige Zelle abgetrennt ist, erscheint außer Zweifel, so daß also nach dem bis- her Vorliegenden (die Untersuchung bereitet wegen Unsicherheit der Me- thode große Schwierigkeiten) beim Blutegel die Abtrennung einer Faser von der Ganglienzelle überhaupt keine Degeneration bewirken würde.

ELFTES KAPITEL.

Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen nach Verletzung der zugehörigen Nervenfasern und die chro- nische Degeneration der Nervenstümpfe.

Nach dem Wallerschen Gesetz soll bei Verletzung einer Nerven- faser die Degeneration nur in cellulifugaler Richtung erfolgen; die Ursprungsganglienzelle und der an ihr verbleibende Faserstumpf sollen aber verschont bleiben. Der zweite Teil dieses Satzes wurde zuerst erschüttert, als Diekinson (1869) fand, daß längere Zeit nach Am- putation eines Gliedes vom zentralen Nervenstumpf nur noch ein kleiner Rest vorhanden sei, in dem kaum noch Nervenfasern zu erkennen sind. Bald darauf wurde von Diekson die Entdeckung gemacht, daß im Rückenmark von solehen Leuten, denen vor längerer Zeit ein Glied amputiert war, das Vorderhorn auf der betreffenden Seite verkleinert und die Zahl der motorischen Ganglienzellen in demselben verringert ist. Beide Befunde sind oftmals bestätigt, so von Hayem, Dark- schewitsch und Redlich; eine besonders eingehende Bearbeitung erfuhr diese Frage durch Marinesco (1892). Er war es besonders, der diese segen das Wallersche Gesetz sprechenden Befunde mit diesem in Ein- klang zu bringen versuchte, indem er die Annahme machte, daß die Ganglienzelle nicht auf die Dauer ohne die von der Peripherie kom- menden Erregungen existieren könne; sie enthielte zwar das nutri- torische Zentrum, aber dieses müsse zu andauerndem Funktionieren immer von der Peripherie her angeregt werden. |

Zu: einem ähnlichen Resultat wie die Untersuchung Amputierter führten die Experimente, welche Gudden und seine Schüler an jungen Tieren ausführten. Wird in jugendlichem Alter ein Nerv durchschnitten oder ausgerissen, so führt diese Operation zu einer mangelhaften Aus-

Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 177

bildung, ja zu einer Rückbildung der zugehörigen Nervenkerne im Zentralnervensystem. Diese Guddensche Methode hat eben wegen dieser Rüekbildung zur Erkenntnis der Lokalisation vieler Nervenkerne ge- führt. Gudden selber neigte dazu, den Erfolg der Operationen auf eine Entwieklungshemmung zurückzuführen. Später gelang es aber Forel (1886) auch bei erwachsenen Tieren zu einem ähnlichen End- resultat zu gelangen. Es wurde einem ausgewachsenen Kaninchen der Nervus facialis ausgerissen; nach 141 Tagen waren die Wurzel- fasern des Nerven alle degeneriert und die Ganglienzellen im Faeialis- kern bis auf wenige verschwunden. Bei Durchschneidung desselben Nerven war ebenfalls eine starke zentrale Degeneration vorhanden; sie blieb aber hinter der nach Ausreißung gefundenen erheblich zurück, woraus Forel den Schluß zog, daß die Degeneration um so größer sei, je weniger vom Nerven im Zusammenhang mit dem Kerm geblieben ist. Es zeigte sich durch diese Versuche, wie ja auch schon dureh die Befunde an Amputierten, daß zentrale Veränderungen nach Nerven- verletzung nicht nur bei Neugeborenen eintreten, daß es sich also auch bei der Guddenschen Methode wohl nicht nur um eine Ent- wieklungshemmung handelt.

In allen diesen Fällen schien es Sch um verhältnismäßig langsam ablaufende Prozesse zu handeln, welche das Wallersche Gesetz vom alleinigen Degenerieren des peripheren Faserabschnittes nicht allzu- stark erschütterten. Denn in der Tat verläuft ja die Wallersche De- generation innerhalb weniger Tage, während es sich bei Amputierten in der Regel um Jahre, bei Forels Versuchen um Monate handelte. Man konnte diesen Tatsachen gegenüber zur Not mit der von Marinesco aufgestellten, von Goldscheider erweiterten Hypothese auskommen, daß die Zellen (und mit ihnen die zentralen Nervenstümpfe) aus Mangel an peripheren (und zentralen) Reizen gewissermaßen an Inaktivität zugrunde gingen.') Diese Hypothese, welche die trophische Funktion der Ganglienzellen aufrecht erhält, kann aber gegenüber den Resultaten, welche Nissl (1892) mit seiner Methode förderte, nicht standhalten, denn mit dieser Methode zeigen sich Veränderungen an den Ursprungs- ganglienzellen nach Kontinuitätstrennung des zugehörigen Nerven eher, als auch nur die geringste Degeneration am abgetrennten peripheren Nervenstumpf zur Beobachtung kommt.

Nissl studierte diese Verhältnisse zuerst am durchschnittenen oder ausgerissenen Facialis; später dehnte er aber seine Untersuchungen

1) Hierher gehört auch die Hypothese von Lenhossek, dafs die motorischen Zellen wegen der Unmöglichkeit der Reizabgabe zugrunde gingen, die sensiblen aber, weil ihnen keine Reize zugehen. Das scheint mir doch ein sehr uneinheit- liches Erklärungsprinzip!

Bethe, Nervensystem. 12

178 Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w.

über das ganze Nervensystem aus und zeigte, dab eine regressive Veränderung der Ganglienzellen nach Verletzung ihres Achsenfortsatzes von allgemeiner Gesetzliehkeit sei. So wurde diese Methode der primären Reizung, wie ihr Erfinder sie nannte, das feinste Reagens, um die Ursprungszellen von Nerven und Faserbündeln zu erkennen. Schon 24 Stunden nach der Nervenverletzung zeigen sich die ersten Veränderungen an den Ganglienzellen in einem eireumscripten Zerfall der färbbaren Sub- stanzportionen. Dieser Zerfall der färbbaren Substanz dehnt sieh in den nächsten Tagen über den ganzen Zellleib aus. Schon am sechsten Tage nach der Durchschneidung des Nerven ist die primäre Färbbarkeit der Schollen fast ganz verloren gegangen, der Zellleib ist geschwollen und der Kern rückt an die Peripherie (Fig. 50). Im weiteren Verlauf kann der Kern sanz verloren gehen und

Be ;;.;.:, Re: der Zellleib zerfallen. Nicht ER ns Bag 1 27 in allen Zellen (des Facialiskerns) N REN scht der Prozeß gleich schnell;

Ba: Ben dr ', auch führt er nur in einem Teil

Bee? zum vollkommenen Zelluntergang. Re Am achtzehnten Tage ist der Pro-

y:; FRE ü zeß auf höchster Höhe; etwa ein REN Drittel aller Zellen ist zugrunde

Br Da nat gegangen, alle andern zeigen Fig. 50. Ganglienzellveränderung nach Durch- Sehwund der färbbaren Substanz schneidung des zugehörigen Neuriten. (Chromato- Br 7

lyse und Wandständigkeit des Kerns.) und Kernverlagerung. Von nun an tritt, auch wenn keine

Verheilung der Nervenenden eingetreten ist, eine Re-

stitution der erhalten gebliebenen Zellen ein: Der Kern

rückt wieder in die Mitte, der Zellleib nimmt wieder normalere Gestalt an und es bildet sich wieder färbbare Substanz in der normalen Anordnung.)

1) Was die Neurofibrillen während dieser regressiven Zellveränderung an- betrifft, so liegen mir nur die Resultate, welche an einem Kaninchen 18 Tage nach Durchschneidung des Faecialis gewonnen wurden, vor. (Der Block wurde mir von Herrn Nissl gütigst zur Verfügung gestellt. Ich hatte eine weitere Be- arbeitung der Frage vor, konnte sie aber bisher nicht zur Ausführung bringen.) Danach fehlen in den Zellen, die noch erhalten sind, die Fibrillen jedenfalls nicht. Ihre Zahl scheint aber verringert und in manchen Fortsätzen scheinen sie ganz zu fehlen. Am auffallendsten ist, daß sie nicht mehr zu Bündeln angeordnet sind, sondern ziemlich wirr und gleichförmig die Zellen durchziehen. An Schnitten, die mit Molybdänhämatoxylin gefärbt waren, zeigte sich der Zellkörper ganz blaß, woraus hervorzugehen scheint, daß nicht nur die färbbare Substanz in den Zellen verloren gegangen ist, sondern auch das Stroma, an dem die färbbare Substanz haftet.

Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 179

Diese wichtigen Versuche sind vielfach wiederholt und an Tier- und Menschenmaterial bestätigt worden. Hier sind hauptsächlich die Arbeiten von Marinesco (1896 und 1899) und von van Gehuchten (1897) zu erwähnen, dann aber auch Arbeiten von Flatau, Lugaro und andern.

Nach den Befunden von Marinesco steht die Schwere der retro- graden Veränderungen und die Zahl der dabei zugrunde gehenden Zellen in einem bestimmten Verhältnis zur Länge des abgetrennten Nerven. Bei den Nervenkernen der Medulla, deren Nerven relativ kurz sind, ist die Schädigung schwerer als bei den Kernen des Rückenmarks mit seinen relativ viel längeren Nerven; andrerseits ist in ein und demselben Nervenkern die Veränderung stärker, wenn der Nerv dicht am Ursprung abgetrennt wird, als wenn er weit an der Peripherie geschädigt ist. Kommt es zu einer Verheilung der Nerven- stümpfe, so soll die Zahl der gleich zugrunde gehenden Zellen ge- ringer sein, als wenn die Verheilung verzögert oder verhindert wird.

Eine Restitution der Zellen, welche nicht zugrunde gegangen sind, tritt immer ein, gleichgültig ob eine Verheilung der Nervenstümpfe zustande kommt oder nicht; darin stimmen Marinesco und van Ge- huchten Nissl vollkommen bei. (Die Restitution bleibt nur aus, wenn gleich alle Zellen oder die meisten zugrunde gehen, was manchmal vorkommt, besonders bei Ausreißung des Nerven.) Bleibt eine Ver- einigung der Stümpfe dauernd aus oder wird sie durch Amputation eines Gliedes ganz unmöglich gemacht, so fangen die Zellen im Lauf von Monaten nach der Operation an allmählich zu atrophieren und eine nach der andern ganz von der Bildfläche zu verschwinden (Marinesco). Die Zellen würden also bei verhinderter Vereinigung folgende Veränderungen durchmachen: 1. Retrograde Zellmetamorphose im unmittelbaren Anschluß an die Nervenverletzung (etwa vom ersten bis zum achtzehnten Tage dauernd; dabei geht ein Teil der Zellen ganz zugrunde) (Nissl). 2. Zellrestitution oder Zellerholung, bei welcher die Zellen wieder ein nahezu normales Aussehen bekommen (vom achtzehnten Tage bis etwa zum Ende des dritten Monats) (Nissl). 3. Zellatrophie im Lauf der nächsten Monate und Jahre (Marinesco). Bei dem starken Zellschwund, der im Rückenmark alt Amputierter gefunden wird, hat man es also wohl nicht mit dem Endresultat der retrograden Zellveränderungen, sondern mit dem der chronischen Atrophie zu tun.

Es gehen demnach zweimal im Verlauf dieses Prozesses Ganglien- zellen zugrunde und man sollte von vornherein erwarten, daß hierbei auch die zugehörigen Fasern des zentralen Nervenstumpfes degenerieren, und zwar, da jetzt die Schädigung am zentralen Ende der Nerven- faser liegt, von hier ausgehend. Bei dem langsamen und all-

mählichen Verlauf, den die Atrophie der Ganglienzellen nimmt, wird 12%

180 Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w.

nicht allzuviel Aussicht vorhanden sein, gleichzeitig eine größere An- zahl degenerierender Fasern bei dieser zu finden; die meisten werden entweder bei der Untersuchung schon bis zu Ende degeneriert sein oder noch nicht mit der Degeneration begonnen haben. So hat man denn auch in den Nervenstümpfen vor längerer Zeit Amputierter ent- weder normale Fasern neben vielen degenerierten (aber fast keine degenerierenden) oder nur degenerierte gefunden.

Günstiger liegen die Verhältnisse bei den retrograden Zellverände- rungen, weil hier zu gleicher Zeit eine ganze Anzahl von Kernzellen zugrunde geht. Nach den Befunden Marinescos über die Schwere der Zellaffektion muß auch hier das Resultat ein sehr verschiedenes sein, je nachdem man Rückenmarksnerven oder Kopfnerven untersucht. In der Tat habe ich auch nach Durchschneidung des Ischiadieus bei Hunden und Kaninchen, welche ich am 20. bis 30. Tag nach der Durchschneidung untersuchte, immer nur sehr wenige frisch degenerierte Fasern auffinden können. Die cellulipetale Degeneration im zentralen Stumpf, welche im direkten Anschluß an die Durchschneidung auftritt, ist zu dieser Zeit längst abgelaufen. Man findet nur noch Mark- trümmer. Es treten aber um diese Zeit immer einige neue degene- rierende Fasern (also frische Ellipsoidbildung) auf, aber höchstens in einem Zwanzigstel aller Fasern. Der Rest behält gestreckte Mark- rohre und primäre Färbbarkeit, trotzdem die Zellveränderung in diesem Augenblick auf dem Höhepunkt ist.

Anders ist es bei Kopfnerven, besonders wenn sie kurz amputiert oder ausgerissen sind, wie dies aus einer Arbeit von Bregmann (1892) hervorgeht. Bregmann riß Kaninchen verschiedene Kopfnerven, be- sonders häufig den Facialis, aus. 20 Tage nach der Operation begann die Degeneration der Wurzelfasern und zwar, wenigstens beim Faeialis, immer in der Nähe des Ursprungskerns, wie zu erwarten war. Von hier aus breitete sich der Prozeß nach der Peripherie zu aus. Am 58. Tag sollen alle Wurzelfasern zerfallen sein, was sich allerdings wohl auf Marehipräparaten nieht mit Sicherheit beurteilen läßt. Jeden- falls handelt es sich hier wohl um solche Fälle, wo die intensive Schädigung, die das Ausreißen mit sich bringt, die Mehrzahl aller Zellen zum primären Verfall gebracht hat (grade wie in dem Fall von Forel und einigen von Marinesco und van Gehuchten). Auffallend ist bei diesem Befund die große Langsamkeit, mit der die Degeneration verlief. Während die cellulipetale Degeneration in wenigen Tagen beendet ist, zieht sich diese absteigende oder besser gesagt —, cellulifugale Degeneration durch ebensoviel Wochen hin, während die Zellen, wenn auch nicht ganz gleichzeitig, so doch in kurzer Auf- einanderfolge zugrunde gehen. Der Zerfallsprozeß verläuft also gegen- über dem akuten, der im direkten Anschluß an das Trauma einsetzt,

Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 181

ganz chronisch. Man könnte sagen: die Schädigung, welche durch den wirklichen und natürlichen Ausfall des sogenannten trophischen Zentrums gesetzt wird, ist geringer als die von einem Trauma hervor- gebrachte, daher erfolgt die Degeneration auch schleppender (siehe auch die Ammoniakversuche). Ich bin aber in Versuchung, diese ehronische Degeneration der Nervenfasern auf das Konto wirklicher Inaktivität ein Wort, das wegen seiner vielfachen, mißbräuchlichen Anwendung etwas in Mißkredit geraten ist zu setzen, denn der degenerative Fortfall des trophischen Zentrums sollte nach meiner Meinung eine ebenso schnelle Degeneration des Nerven nach sich ziehen, wie seine operative Ausschaltung. Folgende Befunde werden, wie mir scheint, diese Erklärung stützen können: 1. Überläßt man einen autogen regene- rierten Nerven, der also gar nicht mehr mit Ganglienzellen in Ver- bindung steht (siehe nächstes Kapitel), sich selber, so geht zunächst die Leitungs- und Erregungsfähigkeit wieder verloren und nun tritt eine sehr langsame durch Monate sich hinziehende chronische Degenera- tion ein, bei der augenscheinlich so sagt man immer, wenn man keine bindenden Beweise hat auch in der einzelnen Faser der degenerative Prozeß sich durch lange Zeit hinzieht. Sicher scheint mir, daß auch hier die chronische Degeneration am zentralen Ende beginnt, denn ich fand hier immer mehr in Zerfall begriffene Fasern als an der Peripherie. 2. Zwei jungen Hunden durchschnitt ich zu andern Zwecken ich komme später darauf zurück einen Nervus optieus in der Orbita. Beide wurden nach etwas weniger als elf Monaten ge- tötet. In beiden Fällen fand sich die Retina vollkommen entartet; nur noch ein bindegewebiges Häutchen war übrig geblieben; von Ganglienzellen war auch keine Andeutung mehr vorhanden. In beiden Fällen aber enthielt der Optieus eine sehr große Anzahl von normalen Nervenfasern, die sicherlich nicht neugebildet waren, sondern die alten Optieusfasern repräsentierten, denn es fehlte ihnen der für autochthon regenerierte Fasern charakteristische Protoplasmahof. In dem einen fanden sich einige degenerierende Fasern durch die ganze Länge des Stumpfes, besonders aber in der Nähe der ehemaligen Retina, im andern waren nur einige Ellipsoide an eben dieser Stelle zu bemerken. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß die Ursprungszellen der meisten Öptieusfasern, die Zellen der Ganglienzellschieht, seit Monaten zu- grunde gegangen waren und daß nun die Fasern allmählich den längst voraufgegangenen „trophischen Zentren‘ langsam folgten. Bei einem dritten jungen Hunde mit gleicher und extra zu diesem Zweck ge- machten Operation, der fünf Monate nach der Optieusdurchschneidung getötet wurde, fand ich ebenfalls die Retina ganz degeneriert, aber auch von den Opticusfasern war kaum noch etwas zu sehen; nur in weiterer Entfernung von der Retina fanden sich noch einige Fasern in den

182 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

letzten Stadien der Markscheidendegeneration. So dürftig diese An- gaben leider sind, so können sie doch wohl zu dem Nachweis bei- tragen, daß die Fasern bei der chronischen Degeneration von dem Punkt aus degenerieren, wo früher die Ursprungszelle lag und daß die Fasern ihr ‚„trophisches Zentrum wesentlich überdauern können.

ZWÖLFTES KAPITEL.

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die

Nervenregeneration. Historisches S. 182—187. Was kann der periphere vom Zentrum abgetrennte Nervenstumpf aus sich selber heraus an Regeneration leisten? S. 187—212. Methode der Untersuchung S. 159, 190. Regeneration der peripheren Stümpfe (ohne Beteiligung des Zentrums) bis zur Leitungsfähigkeit ist bei jungen Tieren leicht zu konstatieren S. 190—195. Eine zweite Durchschneidung eines so

(autogen) regenerierten Nerven führt nur im peripheren Abschnitt zu einer zweiten Degeneration; der zentralere Abschnitt bleibt intakt S. 195—197. Die Leitungs- fähigkeit der autoregenerierten Nerven geht nach einiger Zeit unter Verlust der primären Färbbarkeit der Neurofibrillen verloren. Daran schließt sich eine sehr langsame, chronische Degeneration S. 197. Auch Nerven, welche noch nicht oder nicht mehr leitungsfähig sind, degenerieren bei einer zweiten Durch- schneidung S. 198. Autogene Regeneration an isolierten Nervenstücken S. 198, 199. Beschreibung der verschiedenen Stadien bei der Autoregeneration S. 199— 205. Bei alten Tieren treten an sich selbst überlassenen Nervenstümpfen nur die Anfänge der Autoregeneration auf S. 205—207. Einfluß des zentralen Endes auf die Regeneration bei Zusammenheilung beider Stümpfe S. 208. Re- generation der Hinterstrangfasern nach Fortnahme der Spinalganglien S. 208— 210. Autoregenerierte Nerven können anatomisch und funktionell zusammenwachsen

S. 212. Wird ein Nervendefekt nur vom zentralen Ende her überbrückt ? S. 212—215. Die Nervenfasern besitzen eine Wachstumspolarität S. 217—224. Reflexartige Erscheinungen an autoregenerierten Nerven S. 224—227. Neuro-

tropismus 8. 231, 232.

1776 machte Cruikshank die zufällige Entdeckung, daß die Enden eines durchsehnittenen Nerven sich nach einigen Wochen wieder ver- einigen können (veröffentlicht 1794). Fontana (1787), Monro und Michaelis nahmen diesen Befund auf und glaubten feststellen zu können, daß es sich um eine Überbrückung des Defektes durch wirkliche Nervensubstanz handle. Arnemann, der Entdecker der funktionellen

Die Zusammenheilung durehschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 183

Degeneration, trat dem entgegen (1787). In einer ausgedehnten Ver- suchsreihe konnte er zwar bestätigen, daß die Nervenenden sich wieder vereinigen, aber er fand auch nach mehr als zwei Monaten (die andern Autoren hatten schon nach wenigen Wochen ihre Sektionen gemacht) die Verwachsungsstelle für Reize undurchgängig und konnte in der Narbe nur Zellgewebe nachweisen. Heute wissen wir, daß die Wartezeit viel zu kurz war.

Die Möglichkeit der funktionellen Wiederherstellung (das Wieder- erscheinen der Leitungsfähigkeit) wurde zuerst von Haighton (1795) erwiesen und durch J. ©. H. Meyer (1797), Gruithuisen, Sömmering, Bichat, Magendie und andre bestätigt. Auf die Möglichkeit der Verheilung und der funktionellen Wiederherstellung legten die da- maligen Autoren den Hauptwert; über die Art des Vorganges, die ja auch ohne praktisches Interesse ist, machte man sich gar keine Vor- stellungen und man konnte das auch gar nicht tun, weil die degenera- tive Veränderung des Nerven nach der Durchschneidung noch gar nicht bekannt war. Wenn in diesen älteren Arbeiten von Nerven- regeneration gesprochen wird, so wird darunter etwas ganz andres verstanden als heute. Man nahm eine Neubildung von Nervengewebe nur für die Ausfüllung des Defektes in Anspruch, also nur für die Wiederherstellung der Verbindung zwischen zentralem und peripherem Stumpf. Nur in dieser Ausfüllung besteht bei ihnen die Regeneration.

Die Regenerationsfrage im heutigen Sinne konnte erst auftreten, nachdem Nasse 1839 gezeigt hatte, daß das ganze periphere Ende des durchsehnittenen Nerven in seinen Elementen zugrunde geht. Wie werden diese Elemente wiedergebildet (regeneriert), wie und von wo der Defekt zwischen beiden Nervenstümpfen ausgefüllt? Das ist eine Frage, die bis in die letzten Jahre hinein die Histologen lebhaft be- schäftigt hat. Sie hat eine Flut von Arbeiten hervorgerufen, bei denen es sich eigentlich immer nur um die Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten handelt: Werden die neuen Fasern an Ort und Stelle neugebildet oder wachsen sie vom zentralen Stumpf aus? (Eine dritte Möglichkeit, daß der Achsenzylinder gar nicht zugrunde ginge und nur die Markscheide neu gebildet würde, eine Ansicht, die hauptsäch- lieh von Schiff vertreten wurde, ist in neuerer Zeit in Wegfall ge- kommen, seitdem man sich mit den verbesserten Methoden aufs deut- liehste überzeugt hat, daß auch der Achsenzylinder immer zerfällt.)

Nasse war noch ganz unbefangen und konstatierte nur, daß die neugebildeten Fasern dünner seien als die alten. Günther und Schön (1840) sahen bereits, daß die neugebildeten Fasern eher in der Nähe der Narbe sichtbar werden als weiter an der Peripherie und glaubten daher allerdings mit Reserve annehmen zu dürfen, daß die Regeneration vom zentralen Ende ausginge.

184 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

Der Kampf der Meinungen begann erst mit der Publikation der Wallerschen Arbeiten (1852). Nach diesem Autor sollte die Regenera- tion nur dadurch zustande kommen, daß die Fasern vom zentralen Ende d. h. von der Ganglienzelle, ihrem nutritorischen Zentrum, in den peripheren Stumpf hineinwüchsen. Es war eine großartige, einheitliche Idee, die Waller in seinem Gesetz von der trophischen Funktion der Ganglienzelle niederlegte, wer aber seine Beschreibung vom Verlauf der Regeneration liest, der wird sich dem nicht ver- schließen können, daß seine Deutungen, soweit sie sich auf die Regeneration beziehen, auf einem sehr dürftigen Beobachtungsmaterial fußen. Tatsächlich liegen die Verhältnisse auch so zweideutig, daß sie für Schiff und andre genügend Anhaltspunkte boten, entgegen- gesetzte Ansichten zu vertreten. Nach Schiff konnte schon deswegen keine Rede von einem zentralen Auswachsen der Fasern sein, weil der Achsenzylinder im peripheren Stumpf überhaupt nieht zugrunde ginge; denn er beobachtete fünf und mehr Monate nach Durch- schneidung des Nerven bei verhinderter Vereinigung der Stümpfe einen zentralen von einer nicht myelinhaltigen Scheide umgebenen Achsialstrang in jeder Faser des peripheren Stumpfes. Da nun solche Nervenstümpfe nicht leiteten, gelangte er zu der Ansicht, daß dem Achsenzylinder die Leitungsfähigkeit nach der Durchschneidung zu- gleich mit der Markscheide verloren gehe und daß bei zustande ge- kommener Verheilung die Leitungsfähigkeit unter dem Einfluß des Zentrums wiederkäme. Auch die Markscheide sollte sich nur unter dem Einfluß des Zentrums wieder bilden, aber loco und nicht durch Auswachsung vom Zentrum, denn er konnte sie einigemal unterhalb der Narbe eher beobachten als in derselben.

Den nächsten wesentlichen Fortschritt in der Regenerationsfrage sehe ich in der Entdeckung Lents, daß sich nach der Nervendureh- trennung eine wesentliche Kernvermehrung einstellt. Sie wurde von Hjelt (1861) weiter verfolgt und er fand, daß diese Kernvermehrung von den Kernen der Schwannschen Scheide ausgehe. Er brachte auch bereits die Kernvermehrung mit der Bildung neuer Fasern in Zu- sammenhang.

Im Jahre 1859 traten Philipeaux und Vulpian mit Versuchsresul- taten in die Öffentlichkeit, die mit allem, was damals bekannt war und später gefunden ist, in offenbarem Widerspruch standen. Bei den Zeitgenossen erregten sie Zweifel, von der folgenden Generation wurden sie überhaupt kaum noch der Erwähnung für wert gehalten, und doch bedeuten sie den größten Fortschritt, der in der Regenera- tionsfrage überhaupt gemacht werden konnte. Die beiden Forscher exzidierten bei jungen Hunden, Meerschweinchen und Hühnern größere Stücke des Ischiadieus, Medianus, Hypoglossus oder Lingualis, so

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 185

daß eine Zusammenwachsung vereitelt wurde. Wenn sie nach einigen Monaten die Nerven freilesten, so zeigten sie nicht das welke Aus- sehen degenerierter Nerven, sondern waren wieder weiß und fest. Bei mechanischer oder elektrischer Reizung dieser peripheren Nerven- stümpfe erhielten sie (wenn die Nerven motorischer Natur waren) Zuckungen in den innervierten Muskeln, während das Tier selber nicht auf die Reizung reagierte. Unter dem Mikroskop untersucht fanden sich in den Nerven eine große Anzahl richtiger Nervenfasern mit Markscheide und Achsenzylinder; andre Fasern hatten noch ein anomales Aussehen. Wurde solch ein Nervenstumpf in seinem Ver- lauf zum zweitenmal durchschnitten, so verfiel das periphere Ende einer zweiten Degeneration, während das zentrale nun isolierte Ende intakt blieb. Daß es sich in diesen funktionstüchtigen Nerven nicht um undegeneriert gebliebene Fasern, sondern um das Produkt einer autogenen Regeneration handelte, erschlossen sie daraus, dab bei Kontrolltieren wenige Tage nach der Durchschneidung (wie bei Erwachsenen) Unerregbarkeit und vollkommene Degeneration eintrat. Sie zogen aus diesen Befunden den Schluß, daß bei jugendlichen Individuen eine vollkommene, autogene Nervenregeneration möglich sei und daß aus diesem Grunde auch bei erwachsenen Tieren kein Auswachsen der neuen Fasern vom zentralen Ende anzunehmen sei.

Eine Bestätigung fanden diese Versuche von andrer Seite nicht. Schiff machte mit negativem Resultat einige Versuche an Tieren von fünf Monaten, gab aber zu, daß bei noch jüngeren Tieren vielleicht positive Resultate zu erzielen sein möchten. Alle andern Autoren bestritten die Möglichkeit einer autogenen Regeneration, welche bis zur Wiedergewinnung der Leitungsfähigkeit führt, von vornherein, ohne auch nur einen einzigen Versuch an jungen Tieren anzustellen. So gerieten die Versuche in Vergessenheit. 1874 kam Vulpian noch einmal auf die Frage zurück. Er machte neue Versuche an jungen Hunden, welche das Tatsächliche der alten Versuche durchaus bestätigten. Er deutete sie jetzt aber anders. Das ausschließliche Auftreten der zweiten Degeneration im peripheren Ende machte ihn stutzig und führte ihn zu der Annahme, daß die neuen Fasern aus sehr dünnen, für das bloße Auge unsichtbaren Anastomosen mit benachbarten Nerven stammten, daß sie also doch vom Zentrum her ausgewachsen wären. Hierfür spräche auch, daß im Ischiadieus, der überhaupt keine Anasto- mosen mit andern Nerven bildete, nie oder immer nur verschwindend wenige regenerierte Fasern nach dauernder Kontinuitätsunterbrechung gefunden würden, während sie im Hypoglossus, der in der Nachbar- schaft vieler andrer Nerven verläuft, sehr zahlreich seien. Danach, sagt er, bestände das Wallersche Gesetz doch durchaus zu Recht; die

186 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

motorischen Fasern wüchsen vom Rückenmark aus, die sensiblen würden von den Spinalganglien regeneriert! So widerrief er unter dem Druck der öffentlichen Meinung von der Richtigkeit des Waller- schen Gesetzes seine größte Tat.

Fast alle späteren Autoren machten den prinzipiellen, metho- dischen Fehler, daß sie die Regeneration an Nerven studierten, bei denen die Degeneration durch Kompression oder einfache Durch- schneidung (mit baldiger Wiedervereinigung der Stümpfe) hervor- gebracht war. Sie stellten gar nicht erst fest, was der periphere Stumpf ohne Vereinigung mit dem Zentrum aus sich selbst heraus kann. Die Hauptvertreter eines kontinuierlichen Auswachsens der neuen Fasern vom Zentrum aus waren Ranvier und Vanlair. Von diesen faßte Ranvier die Vermehrung der Kerne nach der Durch- schneidung als Ursache der Degeneration auf, indem ihr wucherndes Protoplasma den Achsenzylinder zerstückele; zur Regeneration stände sie in keiner Beziehung. Eine diskontinuierliche Bildung der neuen Fasern wurde besonders von deutscher Seite behauptet, so von Kory- butt-Daskiewiez, Wolberg, Herz, Neumann und andern. Neue Gesichts- punkte traten aber erst zutage, als es mit der Vervollkommnung der histologischen Methoden gelang, den Achsenzylinder besser dar- zustellen. Hier sind es besonders zwei Arbeiten, welche neue und gute Gründe für eine diskontinuierliche Nervenneubildung vorbrachten. Sie stammen von v. Büngner und von Howell und Huber.

Nach v. Büngner (1891) beginnen die Kerne der Schwannschen Scheide schon am vierten Tage nach der Nervenverletzung (Kompression mit einem Faden oder Pferdehaar oder partielle Durchschneidung) sich dureh typische Mitose zu teilen. Das an ihnen liegende Protoplasma wuchert und bildet so spindelförmige Anschwellungen, welche unter- einander konfluieren und zur Bildung von Bandfasern führen. In diesen bildet sich in der Nähe der Kerne eine fibrilläre Streifung aus, welche sich schließlich durch das ganze Band ausbreitet. Die Kerne, welche anfangs in der Mitte der Fasern liegen, treten bei der weiteren Differenzierung an die Seite, so daß sie den neuen Fasern anliegen. Am zentraleren Ende des Nervenstumpfes geht die Differenzierung der Bandfasern schneller vor sich als weiter peripher, so daß man also in der Nähe der Verletzungsstelle stets weiterfortgeschrittenere Fasern findet als in größerer Entfernung von derselben. Um die jungen Fasern, die mit denen des zentralen Endes in Verbindung treten, bildet sich zunächst ein dünner, gleichmäßiger Marküberzug, der aber nicht definitiv ist. Die definitive, viel diekere Markscheide bildet sich diskontinuierlich und zwar immer zuerst in der Nähe der Kerne. Die neuen Fasern werden also diskontinuierlich aus den Schwannschen Zellen gebildet, allerdings unter dem Einfluß des Zentrums.

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 7 fe} /

In den meisten Punkten sehr ähnlich ist die Beschreibung, welche Howell und Huber (1892) von- der Regeneration geben: Schon am Anfang der Degeneration fangen die Kerne der Schwannschen Scheide an, sich durch Mitose zu teilen; ihr Protoplasma wuchert und fließt mit dem der benachbarten Kerne zu einem Bande zusammen. Auf diese Weise entstehen innerhalb der alten Schwannschen Scheiden lange Bänder, welche reihenweise Kerne enthalten. An der Peripherie dieser Fasern bildet sich eine dünne Scheide, welche als spätere Schwannsche Scheide angesehen wird. Zur Bildung solcher ‚„embryo- naler Fasern‘ kommt es nun auch dann, wenn die Vereinigung mit dem zentralen Stumpf verhindert wird; sie entwickeln sich dann aber nicht weiter; höchstens kommt es stellenweise zu einer Andeutung von Myelin. Zu einer wirklichen Ausbildung der Regenera- tion kommt es nur bei Zusammenheilung des peripheren Stumpfes mit dem zentralen; auch die Bildung der embryonalen Fasern geht dann schneller. Die Bildung der Markscheide soll (nach Verheilung) dis- kontinuierlich geschehen; die definitiven Achsenzylinder sollen aber vom zentralen Stumpf in die embryonalen Fasern des peripheren Stumpfes hineinwachsen, doch wird dies nicht mit Sicherheit behauptet.

Gegen diese Autoren traten v. Nothafft und Ströbe (1893 u. 1895) auf, welche, wohl nieht ganz unbeeinflußt vom Dogma der Neuron- theorie, das Auswachsen der neuen Fasern vom zentralen Ende zu erweisen suchten. Besonders die Arbeiten Ströbes sind reich an inter- essanten Details. Die Bandfasern bestätigt er, glaubt aber, daß sie mit den späteren Achsenzylindern nichts zu tun hätten. Es seien eben nur Protoplasmawucherungen der Scheidenkerne und diese seien nicht nervöser Natur (keine Neuroblasten, wie v. Büngner gemeint), sondern Bindegewebskerne. v. Nothafft hat seine Ansicht später etwas modi- fiziert und in vielen Punkten zurückgezogen. Eine vermittelnde Stellung, wenn auch durchaus nieht zu gunsten der Neurontheorie, nimmt Ziegler (1896) ein. Nach ihm soll die Regeneration allein von der letzten Schwannschen Zelle des zentralen Stumpfes ausgehen. Außer diesen Arbeiten ist noch die von Wieting (1898), welcher die Angaben v. Büngners bestätigt, und eine Arbeit von Kennedy (1897) zu erwähnen, der eine autogene Regeneration an Nerven beobachtet haben will, von denen er aber nicht mit vollkommener Sicherheit nach- weisen konnte, daß sie wirklich ganz vom zentralen Stumpf un- beeinflußt waren.

Als ich meine Studien über die Regeneration (zunächst mit Möncke- berg) begann, war es mir ganz klar, daß man zuerst einmal zusehen müsse, was der vom Zentrum abgetrennte Nerv aus sich selbst heraus an Regeneration leisten kann, wie dies ja, wenn auch nicht systematisch, auch durch Howell und Huber geschehen ist. Es war

188 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

sehr gut möglich, daß die Wiederherstellung unter dem Einfluß des sogenannten Zentrums wesentlich schneller ginge als ohne dasselbe, so daß die Verhältnisse immer unklar bleiben müßten, wenn man eine Einwirkung des Zentrums, also eine Zusammenwachsung, zuließe. Andrerseits war es wahrscheinlich, daß die besten Resultate bei jugend- lichen Individuen zu erwarten waren, denn es ist ja allgemein bekannt, daß junge Tiere eine wesentlich größere Regenerationskraft besitzen als alte. Daß Philipeaux und Vulpian an solchen bereits positive Resultate erzielt hatten, war mir damals noch unbekannt, weil die Versuche fast nirgends erwähnt wurden. Der Gedanke, junge Tiere zu verwenden, war bei uns übrigens nicht ganz primär, sondern ent- stand erst unter dem Einfluß eines Befundes. Wir hatten eine große Anzahl von Kaninchen operiert und warteten mit der Sektion so lange als möglich in der Hoffnung, daß sich nach langer Zeit auch im voll- ständig abgetrennten Nerv eine deutliche Regeneration einstellen möchte. Die meisten Tiere starben uns nach etwa zwei Monaten infolge des unvermeidlichen Decubitus der Füße, von dem aus, auch bei guter Reinhaltung, fast immer Infektionen entstehen. Das beste Tier er- reichte ein Alter von 100 Tagen, ein andres 86 Tage. Bei beiden wurde nichts weiter von Regeneration gefunden als Bandfasern resp. Achsialstrangfasern. Bei einem andern Tier aber, das nur 56 Tage nach der Operation lebte, zeigten sich die Fasern an vielen Stellen mit einer dünnen, aber deutlichen Myelinscheide umgeben; auch konnte an einigen Stellen eine schwache fibrilläre Streifung im Inneren der Fasern wahrgenommen werden. Da dieses Kaninchen noch nicht ganz aus- gewachsen war, während die andern ältere Tiere gewesen waren, so machten wir die Jugend für das positive Resultat verantwortlich und be- schlossen, fortan nur noch junge Tiere zu operieren. Bei den unaus- gewachsenen Kaninchen zeigte sich nun die Mortalität noch größer als bei den erwachsenen. Es gelang nur noch einen zweiten Fall mit An- deutung von Markscheide zu bekommen. Mönckeberg mußte dann leider Straßburg verlassen, und ich setzte die Versuche allein fort. Da ich den Ischiadieus wegen seiner leichten Zugänglichkeit und seines klaren, anastomosenlosen Verlaufs nicht als Versuchsnerv aufgeben wollte, wandte ich mich der Operation von jungen Hunden zu, welche ja bekanntermaßen gegen alle Infektionen des täglichen Lebens viel wider- standsfähiger sind als Kaninchen. Ich habe hier nie einen Todesfall erlebt, trotzdem auch hier Decubitus an der Tagesordnung ist, der aber in der Regel bald heilt. Manche der Tiere wurden bis zu einem Jahr am Leben erhalten und dann im besten Gesundheitszustand ge- schlachtet. Hier habe ich nun in der Tat eine ganze An- zahlvon Fällen erhalten, in denen derganz vom Zentrum getrennte Nerv nach einiger Zeit neugebildete Nerven-

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 189

fasern in großer Zahlzeigte, Nervenfasern, die auch die physiologischen Eigenschaften normaler Fasern hatten, nämlich leitungsfähig waren. Ich nenne diese Regenera- tion mit Philipeaux und Vulpian autogene Regeneration.

Um die Verheilung des zentralen und peripheren Endes nach der Durehsehneidung zu verhindern, wurden verschiedene Methoden an- gewandt. Die bloße Exzision eines 2—3 em langen Nervenstückes führt nieht mit Sicherheit zum Ziel, wie schon Schiff angegeben hat; srößere Stücke des Nerven herauszunehmen, ist bei jungen Tieren deswegen nicht sehr zweckmäßig, weil man dann nicht mehr sehr viel Nerv übrig behält, um später den bloßgelegten Stumpf zu reizen. In einer Anzahl von Fällen habe ich das von Schiff angegebene Ver- fahren angewandt, bei welchem der Ischiadieus am Foramen Ischiadiei mit einer breiten Pinzette erfaßt und herausgerissen wird. Meistens gelingt es, den ganzen oberen Teil des Nerven mitsamt den moto- rischen Wurzeln und den Spinalganglien herauszuziehen; dieser Teil wurde dann bis zur Mitte des Oberschenkels abgeschnitten. Einigemal wurde er auch nach Abschneidung der Spinalganglien aufgerollt und dieht über der Kniekehle versenkt. Sind die Wurzeln mit heraus- gerissen, so finde ich bei der Sektion niemals Fasern des zentralen Stumpfes außerhalb des Foramen Ischiadiei. Entweder wachsen die motorischen Wurzeln gar nicht wieder aus oder sie finden nicht durch die Intervertebralkanäle hindurch. In einem Fall, bei dem die Wurzeln nicht mitkamen (der Stamm war, der Länge nach zu urteilen, am Austritt aus der Wirbelsäule durchrissen), wuchs der zentrale Stamm bis zum Oberschenkel aus und verband sich mit dem peripheren Stumpf, so daß der Fall unbrauchbar war. In zwei andern Fällen bildete sich nach ebenfalls halbmißlungener Ausreißung eine dünne Anastomose von wenigen Fasern aus.

Eine andre und ebenso sichere Methode besteht darin, daß man den Ischiadieus in der Mitte des Oberschenkels durcehschneidet, den peripheren Stumpf an seiner Stelle läßt und den zentralen, nachdem man etwa 3 em von ihm abgetrennt hat, durch einen Muskel hindureh- steckt und in einem andern Muskelfach festnäht. Er wächst dann in diesem fort und trifft nie auf sein peripheres Ende (gewöhnlich wächst er in der Muskulatur nicht sehr weit, höchstens 2 em, wobei natürlich das relative Wachstum nicht mitgereehnet ist). In einer dritten Reihe von Versuchen wurde der Ischiadieus ausgerissen oder hoch durch- schnitten und das periphere Ende zu einem bestimmten, später zu beschreibenden Nebenzweck nach dem Damm zu verlagert.

Wenn nun auch die Art des Operationsverfahrens einen Einfluß des Zentrums auf die Regeneration des peripheren Stumpfes ziemlich unmöglich macht, so muß natürlich doch, wie jene Miberfolge zeigen,

190 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

durch eine gewissenhafte Sektion bestätigt werden, daß wirklich keine Wiedervereinigung mit dem zentralen Ende (oder einem andern Nerven) stattgefunden hat. Die Sektion wurde in einigen Fällen unter dem Mikroskop gewissermaßen noch fortgesetzt, indem das zentrale Ende des peripheren Stumpfes mitsamt dem umgebenden Gewebe in Serie geschnitten wurde. Schließlich wurde nie versäumt, auch den physio- logischen Nachweis zu führen, daß sich keine Anastomosen ausgebildet hatten, und diesem Nachweis scheint mir am meisten Ge- wieht zuzukommen: Bei Reizung des peripheren Stumpfes mit starken Induktionsströmen durfte das Tier nicht reagieren (bei halber Narkose durfte das Tier beim Reizen weder heulen noch Abwehrbewegungen machen. Nur in den von dem Stumpf innervierten Muskeln durften Zuekungen eintreten. Kamen solehe zur Beobachtung, so mußte es unmöglich sein, dieselben von andern Stellen des Körpers aus hervorzurufen, vor allem durften sie nicht auftreten, wenn der zentrale (manchmal ja er- reichbare) Ischiadieusstumpf gereizt wurde. In den Fällen, in welchen eine, wenn auch immer nur partielle Leitung zwischen Zentrum und peripherem Stumpf bestand, waren die Anastomosen stets anatomisch darstellbar. Als gelungene Fälle wurden sie nicht betrachtet. Gelungene Fälle, d.h. solche, in denen eine vollständige oder unvollständige Regeneration des peripheren Stumpfes ohne irgend welchen Zusammenhang mit dem Zentrum zustande kam, habe ich im ganzen 23 zu verzeichnen, außerdem zwei halbgelungene, bei denen kleine Anastomosen bestanden, und die beiden schon erwähnten Fälle bei Kaninchen. Die 23 guten Fälle vom Hund wurden an 15 Tieren im Alter von 8 Tagen bis 8 Wochen gewonnen. (Bei manchen Hunden wurde an beiden Beinen operiert). Von den 23 Fällen scheide ich noch zwei vorläufig aus, welche nur an den Wurzeln operiert waren. Es verbleiben also noch 21 Fälle. Siehe die Tabelle auf S. 191. Daß bei jungen Tieren die Degeneration mit derselben Sicherheit wie bei erwachsenen der Durchschneidung des Nerven folgt, hat be-

reits Ranvier festgestellt; er konnte sogar zeigen und ich kann dies bestätigen daß die Degeneration hesonders schnell vonstatten

seht. Ich habe mich mit dieser Angabe natürlich nicht begnügt, son- dern eigene Versuche angestellt, welche jedesmal zu einem positiven Resultat führten. Niemals wurde, wenn das Tier nach vier bis zehn Tagen getötet wurde, auch nur eine einzige nicht degenerierte Faser im peripheren Stumpf gefun- den. Bei andern Tieren legte ich den Ischiadieus vier bis zehn Tage nach der Operation frei, stellte fest, daß er unerregbar war, schnitt einen kleineren Seitenast heraus, überzeugte mich, daß dieser vollkommen degeneriert war, und nähte wieder zu. An den drei

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 191

Tieren, welche so behandelt waren, fand sich nach einigen Monaten der vorher sicher degeneriert gewesene Nery regeneriert und leitungs- fähig, ohne daß eine Beteiligung des Zentrums (bei Anwendung aller der oben genannten Kautelen) festzustellen war. Wenn ich dasselbe auch nicht bei all den übrigen Fällen getan habe, so glaube ich doch auf Grund der sonst gesetzmäßig eintretenden Degeneration des durch- schnittenen Nerven annehmen zu dürfen, daß auch in all den andern Nerven, welche später leitungsfähig und mit beinahe normal aussehenden Fasern gefuuden wurden, zuerst eine Degeneration nach der Durchschneidung stattgefunden hatte.

Tabelle der Hunde, bei denen Autoregeneration be. obachtet wurde. M.— Monat. T.—Tag. 0.—=unerregbar bei der Sektion. ><— schwach

oder nicht in allen Muskeln erregbar. * == sehr leicht erregbar und in allen innervierten Muskeln starke Zuckungen veranlassend. 1. linker, r. rechter

Ischiadicus. Alter am Tage Lebensdauer bis Ende

No. der Operation. ion und Zzau] der Opera- Bemerkungen.

tionen. ;

iR 3 Wochen. 1EMSDHE 10: Zweites Mal durch- schnitten.

2. 8 Tage. 1022527: IL r. auch operiert. Aber Anastomose.

DT SapH,, 3uM& 3. VE r. zweites Mal durch- schnitten. |]. auch operiert. Aber Ana- stomose.

4. 7 Wochen. 3uME 251% al Tr. zum zweitenmal durehschnitten.

5. 6 A 4. IT. U 15; r. außerdem Ring. l. zweites Mal durelh- schnitten.

6 3 A, 4.M.18°T. ee

7 32 Tage. 4 M. 24T. Spinalganglien heraus- genommen.

b) I 5 M. TEE]

5 Wochen. 6 M. TO 8 r. zweites Mal durch- schnitten.

10. 6 x 6M. motor. Wurz. *

11. 5 &. HEMER 1, Dem Nerven waren die mit ausgerissenen und abgeschnittenen Spinalganglien bei- gegeben.

12. 27 Tage. 6. M.2 20T. 1, Zweites Mal durch- schnitten.

19: 7 Wochen. sM. 17092730: Nach vier Monaten lei- tend gewesen.

14 5) SEMER1HET 1%

15 Ss 102M IST 120:

192 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

Zu einer autogenen Regeneration habe ich es in allen operierten Fällen kommen sehen, gleichgültig ob das Tier bei der Operation acht Tage oder acht Wochen alt war. (Ältere Tiere habe ich nicht operiert [außer ganz erwachsenen], aber ich glaube, annehmen zu dürfen, daß die autogene Regeneration auch noch drei bis vier Monate nach der Geburt bis zur Leitungsfähigkeit gelangen kann.) Ob es in allen Fällen bis zur Leitungsfähigkeit kommt, kann ich mit Sicherheit nicht angeben, jedenfalls ist dies aber wohl die Regel. Niemals sah ich alle Fasern regeneriert, und die Zahl der vollkommen regenerierten Fasern schwankt in den einzelnen Fällen recht stark. Man muß bei der Beurteilung dieser Verhältnisse aber in Betracht ziehen, daß einige Zeit nach stattgehabter Regeneration immer wieder ein Rückbildungs- prozeß eintritt: Die schon dagewesene Erregbarkeit hört wieder auf und nach und nach gehen alle Fasern wieder zugrunde (siehe weiter unten). Mir scheint in dieser Be- obachtung, welche ich mehrmals gemacht habe, einsehr stringenter Beweis dafür zu liegen, daß dieregeneriertgefundenen Fasern nicht vom Zentrum ausgewachsen waren, denn ein Nerv, der im Zusammenhang mit dem Rückenmark regeneriert ist, bleibt erhalten und leitungsfähig, so lange das Tier lebt und geht nicht ohne erneute Ver- letzung schon wenige Monate nach der Neubildung eine zweite und zwar ganz atypische Degenera- tion ein.)

Ich will nun an einzelnen herausgegriffenen Beispielen zeigen, was an derartigen sich selbst überlassenen Nervenstümpfen junger Tiere zur Beobachtung gelangte.

Hund 4 der Tabelle auf Seite 191: Im Alter von sieben Wochen wurde rechts und links der Ischiadieus hoch am Becken durchschnitten, durch die innere Oberschenkelmuskulatur durchgezogen und am Damm mit dem der andern Seite zusammengenäht. Die Wunde heilte per pri- mam in fünf Tagen. (Wie sich bei der Sektion zeigte, hatte die Naht nicht «ehalten. Beide Enden wurden am Damm 2 cm voneinander getrennt gefunden.) Acht Tage nach der Operation wurde der linke

1) In einer kürzlich erschienenen und ich muß sagen von sehr ge- ringem Beweismaterial begleiteten Arbeit stellt Münzer (1902) die Behauptung auf, daß es sich gar nicht um eine autogene Regeneration handle, sondern um ein Einwachsen markhaltiger Fasern, welche aus benachbarten Muskelästen stammen. Dieser Erklärung, die neuerdings auch von Langley und Anderson (1902) vertreten worden ist, widerspricht obiger Befund außer vielen andern. Es wäre doch z. B. sehr merkwürdig, wie auch Haenel (1903) hervorgehoben hat, daß dies Hineinwachsen von Muskelnerven in die Narbe bei jungen Tieren statt- findet, bei alten aber nicht. Auch der physiologische Befund widerspricht dieser Deutung durchaus.

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 193

Nerv am Knie freigelegt. Er hatte das bekannte, welke Aussehen eines degenerierten Nerven. Auf faradische Reizungen traten keine Zuekungen in der innervierten Muskulatur auf. Ein Stück eines Seitennerven wurde herausgenommen und zeigte nach Fixierung mit Osmiumsäure vollkommen degenerierte Markscheiden. Drei Monate und 25 Tage nach der Operation wurden beide Nerven am Oberschenkel freigelegt. Sie hatten ein glänzend weißes Aussehen und zeigten auch Fontanasche Querbänder. Rechts ergab Rei- zung mit faradischen Strömen (großer Duboisscher Schlitten- apparat mit kleinem Chromsäureelement) schon bei einem Rollen- abstand von 34 em tetanische Kontraktion im Gastroe- nemius, den Fuß- und Zehenmuskeln. Links waren etwas stärkere Ströme (30 em) nötig. Bei 30 em rechts und bei 28 em links war die Kontraktion schon maximal und sehr kräftig. Bei stärkstem Reiz traten links keine Zuckungen des Tieres ein. Rechts waren bei übereinandergeschobenen Rollen kleine Re- aktionen des Tieres bemerkbar, welche aber auf Stromschleifen zu beruhen schienen. Von dem nur rechts erreichbaren zentralen Ischia- dieusstumpf waren keine Zuckungen des Unterschenkels und Fußes auslösbar. Desgleichen blieben Zuckungen dieser Muskeln vollkommen aus, wenn das Lumbalmark mit sehr starken faradischen Strömen (von der Haut aus) durehströmt wurde, wobei alle andern Muskeln des Körpers in lebhafteste Bewegung gerieten! Bei der leichten direkten Erregbarkeit der Ischiadiei wäre dies Resultat ganz un- verständlich gewesen, wenn sie auf irgend einem Wege mit dem Zentrum zusammengehangen hätten. Der Gastroenemius war schön rot und ziem- lich diek. (Die Querstreifung der Muskelfasern war gut erhalten.) Bei direkter Reizung reagierte er erst bei 20 cm Rollenabstand. Die Reizung des Nerven in einer Entfernung von 5 cm konnte also den Muskel nicht direkt erregt haben, da von hier aus die Zuekungen schon bei 30 und 34 em eintraten. (Außerdem war beim Reizen eine dünne Gummi- platte unter den Nerv geschoben.) Der linke Nerv wurde mitsamt seinem zentralen Ende und dessen Umgebung herausgenommen und in Osmiumsäure konserviert. Der rechte Nerv blieb noch vier Tage im Tier, nachdem er vorher in der Mitte des Oberschenkels durchschnitten worden war.

Der linke Nerv wies auf Schnitten und Zupfpräparaten einen großen Reichtum an markhaltigen Fasern auf (Fig. 51 2). Viele von ihnen zeigten die später genauer zu beschreiben- den Charaktere regenerierter Fasern, manche waren aber von normalen Fasern kaum noch zu unterscheiden. Sie hatten beinahe normale Dicke, die Markrohre waren gleichmäßig und zeigten in regelmäßigen Abständen Ranviersche Einschnürungen. Das nach dem Zentrum zu

Bethe, Nervensystem. 13

194 Die Zusammenheilung durchsehnittener Nerven und die Nervenregeneration.

gerichtete Ende wurde in eine Längsserie zerlegt. Auf diesen Schnitten zeigte sich, daß der Nerv an der Spitze von einem dichten peri- neuralen Bindegewebe umschlossen war. Der Nerv selber war in der Kappe zugespitzt, d. h. die Zahl der Fasern wurde proximalwärts immer geringer (Fig. 514. Von einer Anzahl von Fasern konnte festgestellt werden, daß sie in dieser Gegend etwas dünner wurden und dann unvermittelt endigten. Andre drangen noch in das peri- neurale Bindegewebe ein, verließen dieses aber nicht nach außen

Fig. 51. A Längsschnitt durch das zentralgerichtete Ende eines autoregenerierten Nerven. (Leitz

Obj. 1, Ocul. I. Einzelheiten sind bei stärkerer Vergrößerung nachgetragen; um das zu sehende

zu verdeutlichen ist die Dieke der markhaltigen Fasern zum Teil übertrieben.) B Querschnitt durch

denselben Nerven weiter peripher. (Leitz Obj. 3, Ocul. I. Die Figur gibt eine Anschauung von dem

Verhältnis zwischen den vollständig regenerierten Fasern und denen, welche marklos geblieben sind oder gar nicht regeneriert sind.) Beide Figuren sind auf ?/, verkleinert.

hin, sondern bogen in demselben nach unten hin um (Fig. 51 4). Wie ich noch weiter unten zeigen werde, wachsen die Nervenfasern augen- scheinlich am besten in eben diesem Bindegewebe, so daß also hier die Fasern, welche bei ihrem Wachstum bis zur Kappe des Nerven vorgedrungen waren, nur nach der Peripherie zurückkehrend einen guten Mutterboden fanden.')

1) Derartige Fasern, deren Menge und Ausdehnungsgebiet häufig sehr viel größer ist, hat Münzer (1902) vielleicht vor sich gehabt.

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 195

Nerven, welehe ohne Anschluß an das Zentrum bis zu vollstän- diger Erregbarkeit regeneriert waren und dann immer eine große An- zahl markhaltiger Nervenfasern zeigten, habe ich im ganzen zwölf er- halten. Diese sind in der Tabelle mit einem Stern bezeichnet. (Hund 2, 3, 4, 5, 9, 11, 12 und 14. Bei Hund 13 war 4 Monate nach der Operation Erregbarkeit vorhanden, zur Zeit der Sektion, d. h. nach 8 Monaten war sie wieder verschwunden.) Zu diesen zwölf kommen noch zwei Nerven von Hund 8 und einer von Hund 6, bei denen die Erregbarkeit geringer war und in denen nur eine geringere Zahl von Fasern Markscheiden besaßen. Schließlich ist hierher auch noch der Hund 10 zu rechnen, bei welchem nur die motorischen Wurzeln durch- schnitten waren. Die kürzeste Zeit, nach welcher Erregbarkeit und gute Regeneration gefunden wurde, betrug 1 Monat und 25 Tage (Hund 2). Die längste Zeit, nach welcher noch Erregbarkeit vor- handen war, betrug 10 Monate (Hund 14).

Nach diesen Befunden muß es als sichergestellt betrachtet werden, daß ein peripherer, vom Zentrum dauernd abgetrennter Nerv sich aus sich selber her- aus, also autogen, regenerieren kann. Der Nerv be- sitzt in sich die Fähigkeit, sich nach stattgehabter Degeneration vollständig und bis zur Leitungsfähig- Beib zu regenerieren!

Bei allen darauf untersuchten Nerven waren nicht nur die Mark- scheiden und die Achsenzylinder neugebildet, sondern es waren auch wieder in den Achsenzylindern deutliche Neurofibrillen vor- handen und diese Neurofibrillen besaßen wieder primäre Färb- barkeit (letzteres in sechs Fällen untersucht und immer gefunden).

Wie schon oben erwähnt, wurde bei dem beschriebenen Hunde der Nerv der rechten Seite zum zweitenmal durchschnitten. Dadurch zerfiel er in zwei Teile, einen zentraleren Teil 4, der nun gänzlich isoliert war, und einen periphereren Teil #, der noch mit den Muskeln zusammenhing. Nach vier Tagen wurde der Nerv freigelegt. Der Nerv zeigte sich jetzt in seinem peripheren Ende (2) vollkommen un- erregbar. Der zentralere Stumpf (4) hatte wie vorher ein weißes Aussehen, der periphere Stumpf (2) war etwas gelbgrau verfärbt und war ohne Glanz. Nach oben hin zeigte sich der Stumpf 4 abgeschlossen (wie auf der linken Seite). (Die letzten Ausläufer des zentralen Stumpfes des Ischiadieus endeten mindestens 4 em von ihm entfernt im Muskel.) Auch das zentrale Ende von 4 wurde in Serie geschnitten, welche keine Anhaltspunkte dafür gab, daß Anastomosen mit einem andern Nerven bestanden hatten; von bei weitem den meisten Fasern konnte nachgewiesen werden, daß sie innerhalb der perineuralen Bindegewebs- kappe endeten.

13*

196 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

Der Teil 4 zeigte normale Fasern. Die Markscheiden waren glatt und die Fibrillen ohne Anzeichen von Degeneration. Nur in nächster Nähe der Durchschneidungsstelle waren geringe Degenera- tionen zu bemerken; sie reichten aber eher weniger weit nach oben, als es nach der gleichen Zeit bei einem normalen Nerven nach Kon- tinuitätstrennung im zentralen Ende der Fall ist. Das ganze peri- pherere (unterhalb der zweiten Durchschneidungsstelle gelegene) Ende, also der Teil 3, zeigte starke Degeneration bis zum Ende hin (ebenso der untere Teil Z des linken Nerven, welcher noch vier Tage nach Herausnahme des Teils 4 im Körper geblieben war). Eine solche zweite Durchschneidung wurde im ganzen vier- mal an autogen regenerierten und leitungsfähigen Nerven ausgeführt. Jedesmal degenerierte nur das peripher von der Durchschneidungs- stelle gelegene Ende, während das zentral davon gelegene Ende, das also gänzlich isoliert war, erhalten blieb, grade wie bei einem Nerven, der noch mit seinem „nutritorischen Zentrum“ in Zusammenhang steht.

In einem Fall wurde außer der zweiten Durchschneidung in der Mitte des peripheren Stumpfes eine Loslösung des zentralen Endes desselben ausgeführt. Man konnte ja sagen, daß doch unsichtbare Anastomosen zwischen zentralem und peripherem Stumpf beständen; deshalb mußte ich versuchen, das obere Ende des peripheren Stumpfes ohne Verletzung von der Umgebung abzulösen, wobei ja natürlich alle diese unsichtbaren Verbindungsfäden durchreißen müßten. In diesem Fall war nun das zentrale Ende des peripheren Stumpfes stark aus- gestrahlt (der Nerv war mitsamt den Wurzeln ausgerissen gewesen und der zentrale Stumpf war überhaupt nicht wieder ausgewachsen, wie die Sektion zeigte), so daß beim Loslösen eine große Menge dieser übrigens gut-sichtbaren Nervenfädchen durchriss. Diese Durchreißungen führten natürlich Degenerationen nach sich, aber trotzdem fand ich im oberen Ende des peripheren Stumpfes (Teil 4) fünf Tage nach der Operation mehr als die Hälfte aller Fasern undegeneriert, während im unteren Teil, also peripher von der zweiten Durchschneidungsstelle, alle Fasern vollständig degeneriert waren.

Aus diesen Befunden geht hervor, daß ein autogen regene- rierter Nerv, der also keinen Zusammenhang mit dem Zentrum hat, bei einer zweiten Durchschneidung nur in seinem peripher von der Unterbrechungsstelle ge- legenen Teil vollständig degeneriert, während sein zentralwärts gerichteter Teil (außer in nächster Nähe der Wunde) von der Degeneration verschont bleibt, trotzdem er nicht mit einem „trophischen Zentrum“ in Zusammenhang steht. Es ist also bei der Durchschneidung eines normalen Nerven nicht der Zusammenhang mit einem trophischen

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 197

Zentrum, welcher das zentrale Ende vor der Degenera- tion bewahrt! (Vergleiche S. 175.)

Bis jetzt habe ich nur von denjenigen Nerven gesprochen, welche zur Zeit der Sektion (die Bloßlegung und Reizung der Nerven ging immer unmittelbar dem Töten voraus) erregbar gefunden wurden. Diejenigen Nerven, welche kurz vor der Sektion nieht erregbar ge- funden wurden, können anatomisch einen ebenso hohen Grad der Regeneration zeigen, wie die vollkommen erregbaren. Manch- mal ist sogar die Zahl der Fasern, welche mit einer schönen Mark- scheide umgeben sind und gut differenzierte Fibrillen enthalten, größer als bei solehen Nerven, die leitend gefunden wurden. So fiel z. B. der anatomische Vergleich zwischen Hund 14 und 15 zu Ungunsten des Hundes 14 aus. In den Nerven beider Hunde wurden viele mark- haltige Fasern gefunden, bei Hund 15 war ihre Zahl aber größer; trotzdem war der Nerv dieses Tieres ganz unerregbar, während der des andren (seines jünger operierten und jünger getöteten Bruders) sehr leicht erregbar war. Ebenso enthielten die Nerven des Hundes 13 mehr markhaltige Fasern als die seines vier Monate früher geschlachteten Bruders (Hund 4). Nur die Nerven des letzteren waren zur Zeit der Sektion erregbar; die des andren waren es nicht (zur Zeit der Sek- tion), waren es aber vier Monate früher (also zur Zeit, wo Hund 4 geschlachtet wurde) gewesen.

Die einmal schon vorhandene Leitungsfähigkeit kann also wieder verschwinden, während der Nerv im Markscheiden- und Fibrillenpräparat noch lange Zeit nachher keine wesentlichen Unterschiede zeigt. Außer dem physiologischen Unterschied ist aber doch noch ein andrer vor- handen: Die leitungsfähigen Nerven zeigen immer pri- märe Färbbarkeit der Neurofibrillen; bei den leitungs- unfähigen aber doch regenerierten fehlt sie stets voll- kommen! Bei diesen Nerven war die Leitungsfähigkeit respektive Erregbarkeit zur Zeit der Sektion schon wieder verschwunden; ebenso wahrscheinlich bei dem einen Nerven des Hundes No. 9. Sie kann aber auch noch nicht dasein, trotzdem bereits eine anatomische Regeneration zu konstatieren ist. Wenigstens glaube ich so den Befund beim Hund No. 1 deuten zu müssen. Einen Monat und 24 Tage nach der Operation war der Nerv ganz unerregbar, zeigte aber sehr viele dünne markhaltige Fasern, welche deutliche Fibrillen enthielten. Auch hier war von primärer Färbbarkeit der Fibrillen nicht eine Spur zu finden. In diesen Befunden sehe ich einen neuen Beweis, daß die Funktion des Nerven mit der Anwesenheit von’Fi- brillensäure inengem Zusammenhang steht.

198 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

Es war von wesentlichem theoretischem Interesse zu erfahren, wie es bei solehen noch nieht oder nieht mehr erregbaren Nerven mit einer zweiten Degeneration steht. Wenn die Degeneration irgend etwas mit der Leitungsunterbrechung, also mit einer Paralyse (vergleiche S. 175) zu tun hätte, so müßten solehe nicht leitungsfähigen Nerven bei einer zweiten Durchschneidung der Degeneration widerstehen. Dies ist aber nicht der Fall: Die Degeneration tritt genau in derselben Weise und in derselben Zeit ein, wie bei einem der Leitung fähigen Nerven. Ich habe diesen Versuch zweimal angestellt, bei Hund 1 und bei Hund 9. 3ei Hund 1 waren viele dünne markhaltige Fasern neben einer sroßen Anzahl noch nicht markhaltiger Fasern, welche aber schon schöne Fibrillen enthielten, vorhanden. Nach der zweiten Durch- sehneidung degenerierten beide Faserarten nur unterhalb der zweiten Durchsehneidungsstelle (also im Teil 2), während sie oberhalb der Verletzung (im Teil 4) erhalten blieben. Bei Hund 9 (unerregbarer Nerv) fanden sich nur wenige markhaltige Fasern. Viele Fasern waren marklos, enthielten aber Fibrillen und noch andre standen auf dem Stadium der Bandfasern (ob noch oder schon wieder, kann ich nicht entscheiden). Die wenigen markhaltigen Fasern zeigten unterhalb der zweiten Durehscehneidung Markscheidenzerfall; oberhalb derselben waren die Markscheiden glatt. Die marklosen Fasern zeigten unterhalb der Sehnittstelle körnige Degeneration, während sie oberhalb zum Teil homogenen Inhalt (Bandfasern), zum Teil fibrilläre Struktur besaßen. Ich ziehe aus diesem Befund, der auch durch andre Befunde gestützt wird, den Schluß, daß auch die Bandfasern nach einer zweiten Durch- schneidung eine körnige Entartung ihres Protoplasmas eingehen können. (Die Degeneration im oberen Ende [Teil 4] beschränkte sich immer auf die der Verletzungsstelle direkt anliegenden Faserenden.)

Um die autogene Regeneration noch sicherer zu stellen und allen Einwänden zu entgehen, habe ich zwei Versuche an ganz isolierten Nervenstücken gemacht. Man konnte ja vielleicht noch gegen meine bisher beschriebenen Versuche Einwände folgender Art machen: Die sefundene Regeneration geht gar nieht von dem Nerven selber aus, sondern von versprengten Ganglienzellen, wie sie einigemal im Verlauf peripherer Nerven gefunden sind. Nun sind zwar solehe Zellen selten, und ich habe sie nur einigemal bei Froschnerven gesehen, außerdem würden sie als ganz offenbare Spinalganglienzellen nur der Neubildung von sensiblen Fasern dienen können, aber man muß sich von vorn- herein gegen alle Arten von Einwänden schützen. Andre Einwände könnten dahin gehen, daß die Regeneration von den Endorganen, aber nicht vom Nerven selber ausgingen. Alle derartigen Zweifel werden durch die Regeneration isolierter Nervenstücke zerstört. Ich ging bei der Operation in folgender, mir von Herrn Professor Ewald vor-

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 199

seschlagenen Weise vor: Nach hoher Durchschneidung des Ischiadieus und Versenkung des zentralen Stumpfes in ein andres Muskelfach wurde der Nerv auch an der Kniekehle durchschnitten. Das isolierte Stück wurde nun am zentralen und peripheren Ende von der Musku- latur losgelöst, so daß es nur noch in der Mitte mit dem umliegenden Gewebe in Verbindung war. Das obere Ende wurde nun nach unten, das untere nach oben umgeschlagen und beide Enden durch mehrere Nähte miteinander vereinigt. Auf diese Weise entstand ein geschlossener Nervenring, der weder mit dem Zentrum noch mit der Peripherie in Zusammenhang stand. In beiden Fällen wurde der Nervenring nach etwas mehr als vier Monaten freigelegt und gereizt. Auch bei stärksten Induktionsströmen trat weder Reaktion des Tieres noch Bewegung in den Unterschenkel- und Fußmuskeln ein. Reaktion des Tieres war aber in beiden Fällen von dem aufgesuchten zentralen Ischiadieusstumpf, Bewegung der Unterschenkelmuskulatur nur in einem Fall vom peri- pheren mit den Unterschenkelmuskeln in Verbindung stehenden Ischia- dieusende hervorzurufen. Die Nervenringe waren also phy- siologisch durchaus isoliert, ebenso anatomisch, wie eine sorgfältige Präparation ergab. In beiden Fällen war der Ring voll- kommen geschlossen, d. h. die Enden waren miteinander verwachsen. Bei der anatomischen Untersuchung zeigten sich beide isolierten Nervenstücke ganz besonders reich an schön ausgebildeten Markfasern, welche deutliche Neuro- fibrillen enthielten. Die Ringe wurden in Serie geschnitten und zeigten auch nicht eine einzige versprengte Ganglienzelle. Danach wird wohl nicht daran zu zweifeln sein, daß die autogene Regenera- tion von den „Nervenzellen“ (Kapitel 13) selber ausgeht, daß also weder das Zentrum noch die peripheren Endorgane dabei beteiligt sind.

Ich will nun den Vorgang der autogenen Regeneration, soweit mir über denselben etwas bekannt geworden ist, genauer beschreiben. Mit Bestimmtheit läßt sich darüber zur Zeit natürlich noch nicht viel aussagen, und ich halte es eigentlich für unmöglich, dies überhaupt jemals zu können, denn man wird niemals an ein und derselben Faser beobachten können, in welcher Weise sie sich umformt. Bei den meisten solchen entwicklungshistologischen Studien handelt es sich ja nur um die Konstatierung von Verschiedenheiten, die nebeneinander oder nacheinander auftreten. Bringt man sie in eine bestimmte Reihe und nimmt man an, daß diese Reihe den sich folgenden Entwicklungs- stadien entspricht, so ist das immer ein Schluß vom Sein auf das Werden, der eventuell ganz falsch ist. Wenn die verschiedenen Stadien zeitlich ganz voneinander getrennt sind, dann kann man bei voll- ständiger Gesetzmäßigkeit dieses successiven Auftretens wohl mit einiger Sicherheit die eine Form als die Vorstufe einer späteren ansehen, so-

200 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

wie aber verschiedene Formen immer zur gleichen Zeit zur Be- obachtung gelangen, wie das hier der Fall ist, so ist man im wesentlichen auf Vermutungen angewiesen, die viele Histologen und Embryologen fälschlicherweise als unumstößliche Tatsachen hinzustellen versuchen.

Sicher ist im vorliegenden Fall nur, daß der gänzlich vom Zentrum getrennte, junge Nerv nach einigen Tagen einen vollständigen Zerfall der Markscheiden und der Neurofibrillen zeigt, daß nach zwei bis drei Wochen kaum noch eine Spur von Mark zu bemerken ist und der ganze Nerv aus kernhaltigen Bandfasern besteht, und daß schließlich nach mehreren Monaten wieder markhaltige und marklose Fasern mit Neurofibrillen vorhanden sind. Daß die Bandfasern aus den degene- rierten Nervenfasern entstanden sind und die Markfasern wieder aus den Bandfasern, ist wahrscheinlich, aber nieht absolut sicher, weil diese Umbildung nicht direkt beobachtet werden kann.

Über die ersten Stadien kann ich an jungen Tieren sehr wenig sagen, weil ich nur je einen Fall von 4, 10 und 20 Tagen nach der Operation besitze. Der Ablauf der Degeneration und die sich an dieselbe anschließenden Veränderungen scheinen aber ganz ebenso zu sein wie bei erwachsenen Tieren, nur scheint alles etwas schneller zu gehen. Wie schon von verschiedenen älteren Autoren, und zuletzt genauer von v. Büngner und Howell und Huber beschrieben ist, tritt etwa vom vierten Tage nach der Durchschneidung an eine lebhafte Vermehrung der Schwannschen Kerne ein, welche von einer Wucherung des zugehörigen Protoplasmas begleitet ist. Nach zehn Tagen fand ich die Kernvermehrung schon sehr stark. Neben den Resten der Markscheide (kleine Kügelchen) und der Innenscheide ziehen sich inner- halb der alten Schwannschen Scheide protoplasmatische Bänder hin, welche an den Kernen meist dieker sind. Eine solche Faser sieht also aus wie eine Reihe von Spindelzellen, deren Spitzen miteinander verschmolzen sind. Andre Fasern sind dieker und zeigen bereits ein gleichmäßiges Kaliber (Fig. 522). Nach zwanzig Tagen waren die Marktrümmer fast ganz verschwunden, ebenso die Reste der Innen- scheiden. Die Zellbänder waren dicker und die spindelförmigen An- schwellungen waren an den meisten Fasern ausgeglichen. Wir haben also hier die typischen Bandfasern v. Büngners, die embryonalen Fasern Howell und Hubers vor uns. In manchen dieser Fasern unterscheidet man nun schon deutlich einen inneren Strang und einen äußeren Mantel, der innere Strang zeigt auch bisweilen bereits in der Nähe der Kerne eine Andeutung von fibrillärer Streifung, wie sie zuerst von v. Büngner beobachtet ist. In der Nähe der Unterbrechungsstelle, d. h. also am zentralen Ende des peripheren Stumpfes, ist die Differenzierung immer weiter ‚ausgebildet als an der Peripherie.

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 201

Derartige Fasern finde ich nun auch bei allen älteren Nerven neben solchen, die eine viel weitergehende Differenzierung zeigen; selbst bei dem Hund 14 waren sie 10'/, Monat nach der Kontinuitäts- unterbrechung in reichlicher Menge vorhanden. Man wird vorläufig annehmen müssen, daß nicht alle Nervenfasern die Kraft haben, sich vollständig zu regenerieren und daß sie in dem Stadium lange Zeit verharren, das sie eben grade noch erreichen konnten. Die Fasern, welche in Fig. 524 abgebildet sind, stammen von diesem Tier, sie könnten aber gradesogut (wenigstens a und 5b) von dem Tier von 20 Tagen stammen.

In meiner Tierreihe ist hier eine große Lücke, denn das nächste Tier wurde einen Monat und 24 Tage nach der Operation getötet.

Fig. 52. 4 Drei Nervenfasern in frühen Stadien der Autoregeneration. B Bandfasern von einem

jungen Hunde zehn Tage nach der Durchschneidung des Nerven. (' Eine Faser, wie sie vermutlich

am Ende der Degeneration aussehen würde, wenn nicht der Anfang der Regeneration eintreten

würde, ehe die Degeneration ganz abgelaufen ist. (4 und BD gezeiehnet mit Zeiss Apochromat 1,30,

Kompensationsocular 6. C ist bei derselben Vergrößerung gedacht. A und B mit Osmium fixiert und zerzupft, Färbung nach der Molybdänmethode.)

Es war mir eben in der Hauptsache um die Feststellung der autogenen Regeneration zu tun, nicht, oder weniger, um die Darstellung der einzelnen Stadien, so daß ich das immerhin nicht ganz leicht zu be- schaffende Material an jungen Hunden für die Erzeugung möglichst hochgradig regenerierter Nerven benutzte. Der Nerv dieses Tieres war unerregbar, zeigte aber eine ziemlich starke Regeneration. Etwa die Hälfte aller Fasern besaß eine deutliche Markscheide; diese war aber nur selten über die ganzen Fasern ausgebreitet, sondern zeigte meist große Unterbrechungen, wie es in Fig. 53 4 von einem älteren Tier abgebildet ist. Da man die Markbildung stets an den Kernen findet, so scheint der Schluß berechtigt, daß diese irgend etwas mit ihr zu tun

202 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

haben. Die markfreie Strecke, an der also die Faser noch nackt ist, liegt gewöhnlich grade in der Mitte zwischen zwei Kernen. Alle diese markhaltigen Fasern waren wesentlich dünner, als normale Fasern junger Hunde dieses Alters zu sein pflegen, enthielten aber deutliche Neurofibrillen. Von den marklosen Fasern standen nur wenige auf dem Stadium undifferenzierter Bandfasern; die meisten zeigten wenigstens eine Differenzierung in ein zentrales Band und eine plasmatische

Fig. 53. A Autoregenerierte Nervenfasern mit Unterbrechungen im Markmantel. B Ranviersche Ein-

schnürung einer vollständig autoregenerierten Faser. C' Querschnitt aus einem autoregeneriertem

Nerven. Buchstabenerklärung im Text. (A Leitz 1X3. Bund Zeiss Apochromat 1,30, Kom-

pensationsocular 6. Alle drei Abbildungen von Osmiumpräparaten; CO nach der Molybdänmethode gefärbt, A und B aus Zupfpräparaten.)

Scheide. In einem Teil dieser Fasern war wenigstens in der Nähe der Kerne eine deutliche fibrilläre Streifung zu sehen, bei noch andern durchzogen die Fibrillen die ganze Länge des Bandes. Eine solche Faser ist in Fig. 524, c von einem älteren Hund abgebildet. Da sich alle Zwischenstufen finden, so könnte man ganz gut folgende Ent- wicklungsreihe aufstellen: 1. Bandfasern, 2. Differenzierung in achsialen Strang und plasmatische Scheide (Achsialstrangfasern), 3. Auftreten von Fibrillen in der Nähe der Kerne, 4. Verschmelzen der diskontinuier-

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 203

lieh gebildeten Fibrillen zu fibrillären Bändern, 5. Auftreten von Mark in der Nähe der Kerne, 6. Ausbreitung des Marks von hier aus nach beiden Seiten, aber Bestehenbleiben einer Trennungslinie in der Mitte zwischen je zwei Kernen (Bildung der Ranvierschen Einschnürungen).

Dieses letzte Stadium war in dem Hund 1 noch fast nirgends erreicht, bei allen andern autogen regenerierten Nerven aber in mehr oder weniger reichlicher Menge vorhanden. Hervorzuheben ist von diesem Nerven noch, daß die Zahl der markhaltigen Fasern in der Nähe der Durchschneidungsstelle, also am zentralen Ende des peri- pheren Stumpfes, wesentlich größer war als weiter nach der Peripherie zu. Bei manchen der Hunde, welche längere Zeit nach der Operation gelebt hatten, war dies auch in auffälliger Weise zu sehen, bei andern war der Unterschied gering; dies waren meistens Fälle, in denen die anatomische und physiologische Regeneration auf höchster Höhe oder über dieselbe hinaus war. Die Regeneration macht also am zentralen Ende des peripheren Stumpfes schnellere Fortschritte als in den peripheren Partien. Oderanders ausgedrückt: Die Regenerationskraft einer Nerven- streeke ist um so größer, je näher sie sich dem Zentrum befindet. Diese Tatsache macht es so schwer, an einfach durch- schnittenen Nerven ein klares Bild von der Regeneration zu gewinnen, weil immer die Berechtigung vorhanden ist, das frühere Auftreten von regenerierten Fasern in der Nähe der Durchschneidungsstelle auf einen Einfluß des zentralen Stumpfes zu beziehen. v. Büngner hat bereits die Tatsache von der stärkeren Regenerationskraft zentralerer Nerven- stellen an einfach durchschnittenen Nerven richtig erkannt, hat sie aber doch nieht mit solcher Sicherheit erweisen können, daß ihm nicht eben dieser Einwand von neuronistischer Seite (Ströbe) .gemacht werden konnte.

Schon bei dem Hund 2, welcher nur einen Tag länger nach der Operation lebte als Hund 1, fanden sich eine Reihe von Fasern, welche bis zur Ausbildung Ranvierscher Schnürringe regeneriert waren. Dieser Hund, ein Bruder von No. 1, war im Alter von acht Tagen operiert worden, während No. 1 zur Zeit der Operation bereits drei Wochen alt war. Es wäre aber vorschnell, wenn man das jugend- lichere Alter allein für die stärkere Regeneration verantwortlich machen wollte (der Nerv von No. 2 war auch leitungsfähig, der von No. 1 nicht). Der Nerv dieses Hundes unterschied sich nicht wesentlich von dem aller späteren (No. 3— 15). Es schwankten nur die Zahlen- verhältnisse zwischen den vollständig und weniger vollständig regene- rierten Fasern; außerdem war der schon eben besprochene Unterschied zwischen den zentraleren und peripheren Partien der regenerierten Nerven verschieden stark ausgeprägt. Gemeinsam ist aber allen diesen

204 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

Nerven, daß sich alle Stadien, welche vorher genannt wurden, neben- einander vorfinden, gleichgültig, ob die Nerven leitend oder nicht mehr leitend waren. Bandfasern sind relativ selten, aber Fasern mit den Anfängen der Fibrillenentwicklung sind überall häufig, ebenso Fasern mit ausgebildeten Fibrillensträngen, aber ohne Markscheide. Diese letzteren zeigen bei Nerven, welche leitend sind, fast immer primäre Färbbarkeit. Da nun in einigen Fällen bei guter Erregbarkeit nur verhältnismäßig wenige markhaltige Fasern, aber viele marklose Fasern mit primärer Färbbarkeit vorhanden waren, so muß ich den Schluß ziehen, daß auch diese marklosen Fasern mit gut differenzierten Fibrillen und primärer Färbbarkeit leitend sind.

In Fig. 53 3 gebe ich eine Abbildung von einer vollständig re- generierten Faser, welche eine wohl ausgebildete Ranviersche Ein- schnürung zeigt. Man könnte sie sehr gut für eine normale Nerven- faser halten. Bei dieser Faser, wie bei einigen andern, die ich fünf bis zehn Monate nach der Operation zu Gesicht bekommen habe, liegt die Schwannsche Scheide bereits der Markscheide beinahe an. Bei den meisten Fasern ist dies nicht der Fall; es zieht sich vielmehr zwischen beiden Scheiden eine mehr oder weniger breite Plasmaschicht hin, welche an den Kernen noch verdickt ist. Dieser Unterschied von normalen Fasern, bei denen nur in der Nähe der Kerne eine kleine Plasmamenge vorhanden ist, macht es leicht, regenerierte Fasern noch lange Zeit von normalen zu unterscheiden. Am besten kann man diese Verhältnisse auf Querschnitten sehen. Einen solehen bilde ich in Fig. 53 C ab. Man sieht hier verschiedene Stadien der Regenera- tion nebeneinander. Mit @ sind diejenigen Fasern bezeichnet, welche grade über das Bandfaserstadium hinaus sind. Man sieht hier eine sich dunkel färbende Achse, umgeben von einem helleren plasmatischen Hof. Die anfangs homogene Bandfaser hat sich also hier in zwei Komponenten, den achsialen Strang und die plasmatische Scheide differenziert. Bei andern Fasern ist der achsiale Strang heller, und in demselben sieht man die Querschnitte von Fibrillen als kleine Punkte (d). In diesem Stadium besitzt der Achsialstrang bereits alle morphologischen Qualitäten des Achsenzylinders; man kann ihn also auch als solchen bezeichnen. Die Markscheide tritt nun auf andern Fasern an der Grenze von Achsenzylinder und plasmatischer Scheide auf, zuerst als dünne Lamelle (c). Nach außen hin zeigt sich die plasmatische Scheide deutlich durch ein stärker färbbares Häutchen abgegrenzt, welches man wohl als Schwannsche Scheide bezeichnen kann. Auf die Frage, ob wir es hier mit der alten Schwannschen Scheide zu tun haben oder ob diese zugrunde gegangen ist und wir eine neue vor uns haben, weiß ich keinen Bescheid. Schließlich sieht man an der Faser d die plasmatische Scheide fast ganz verschwunden

;

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 205

und die Markscheide von ungefähr normaler Dieke. Es sei dann noch auf die Stelle e hingewiesen, an welcher man drei junge mark- haltige Fasern von einer gemeinsamen Scheide umgeben sieht. Solehe Bilder sieht man nicht selten; manchmal sind es nur zwei, manchmal aber auch vier Fasern, die in dieser Weise vereinigt sind. Man ist versucht in der gemeinsamen Scheide die alte Schwannsche Scheide zu sehen. Jedenfalls wird man derartige Gebilde mit andern Autoren als aus einer alten Nervenfaser hervorgegangen ansehen dürfen.

Ich habe meinen Standpunkt schon dahin präzisiert, daß solche Entwicklungsreihen, wie ich hier eine für die autogene Regeneration junger Nerven aufgestellt habe, nicht den Wert direkter Beobachtungen beanspruchen können. Sie repräsentieren nur eine augenblickliche Wahrscheinlichkeit. So ist es wahrscheinlich, daß die Bandfasern aus den degenerierten Nervenfasern hervorgehen, daß aus den Bandfasern wieder die Fasern hervorgehen, welche einen Achsialstrang und eine plasmatische Scheide haben (Achsialstrangfasern) und daß diese wieder die Vorstufe zu den markhaltigen und funktionsfähigen Nervenfasern darstellen. Tatsachen, die dieser Auslegung der Befunde widersprächen, liegen zur Zeit nicht vor. Wir werden also zur Zeit die Bandfasern und noch mehr die Achsialstrangfasern dort, wo wir sie finden, als Anfänge einer Regeneration ansehen dürfen.

Sehen wir nun zu, was aus einem Nerven eines erwachsenen Tieres werden kann, nachdem er dauernd vom Zentrum abgetrennt ist. Das Versuchsverfahren war hier dasselbe wie bei den Nerven junger Tiere. Die Nerven wurden entweder ausgerissen, oder es wurde ein Stück von drei bis vier Zentimeter Länge exzidiert, und der zentrale Stumpf in ein andres Muskelfach eingenäht. Zu leitungsfähigen Nerven gelangt man auf diese Weise nie; das muß unbedingt den älteren Experimentatoren zugegeben werden; da das zentrale Ende bei diesen älteren Tieren relativ ebenso stark auswächst, wie bei den jungen, so kann man aus dem Nichtwiederkehren der Erregbarkeitden Schlußziehen, daß bei den jungen Tieren, wo sie wiederkehrt, dies nicht vom Zentrum aus geschehen sein kann. Der Nerv bekommt aber innerhalb einiger Monate eine Struktur, welche der normalen wieder ähnlicher ist, als die, welche als Ende der Degenera- tion angesehen werden muß. Als Ende der Degeneration möchte ich das Stadium bezeichnen, bei welchem der Achsenzylinder vollständig verschwunden und die Markscheide bis auf kleine Markreste, die noch lange persistieren können, zerstört ist. In diesem Stadium ist von den Nervenfasern nichts mehr übrig als die Sehwannsche Scheide, einige Trümmer der Innenscheide und die Kerne nebst Protoplasma. Zu dieser Zeit pflegen aber schon Veränderungen an den Schwann-

206 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

schen Kernen und ihrem Protoplasma eingetreten zu sein, die zur Degeneration nicht mehr gut gerechnet werden können, nämlich Ver- mehrung der Kerne und Wucherung des Protoplasmas. Degeneration und Regeneration greifen eben ineinander, wie dies bereits v. Büngner mit Nachdruck ausgesprochen hat. Die Degeneration hat mit der Be- seitigung des alten Nervenmaterials geendet, die Regeneration mit Vermehrung der Kerne und Wucherung des Protoplasmas begonnen. Die Folge dieses Doppelprozesses ist, daß man nie das reine End- resultat der Degeneration zu sehen bekommt. In den Fasern, welche in Fig. 52 2 abgebildet sind, ist zwar die Degeneration beendet, aber die Wucherung des Protoplasmas ist schon recht bedeutend. Abstra- hiert man bei diesen Fasern von der Kernvermehrung und der Proto- plasmabildung, so bekommt man das eigentliche (theoretische) Endbild der Degeneration. Ich habe es in Fig. 53 © darzustellen versucht. Es kommt nun, genau wie es v. Büngner und Howell und Huber be- schrieben haben, zur Bildung von Bandfasern, indem sich das ge- wucherte Protoplasma der benachbarten Faserkerne miteinander ver- bindet. Zu einer Bildung von Mark habe ich es an wirklich aus- gewachsenen Tieren nicht kommen sehen (Tiere von etwa ein bis zehn Jahren). Wenn Howell und Huber eine solche gefunden haben, so handelt es sich wohl sicher um nicht ganz erwachsene Tiere. Da- gegen sah ich auch bei ganz alten, schon zahnlosen Hunden stets und beinahe in allen Fasern eine andre Differenzierung eintreten, die aus den Bandfasern eine, normalen Fasern ähnlichere, Struktur entstehen läßt; das ist die Bildung von Achsialstrangfasern.

Der Achsialstrang ist anfangs dünn, ebenso die Scheide, aber sechs bis neun Monate nach der Operation können die Fasern die Dicke der dünneren Sorte normaler Nervenfasern erreichen. Wie die Fig. 54 zeigt, ist der Achsialstrang deutlich von der Scheide ab- gesetzt, welche letztere etwa die Dicke einer Markscheide hat. Im Achsialstrang kommt es aber nie zur vollständigen Ausbildung von Fibrillen (diskontinuierliche Andeutungen fibrillärer Streifung sind manchmal zu sehen), in der Scheide nie zur Bildung von Mark. Die Scheiden bräunen sich zwar in Osmiumsäure, zeigen aber nicht die starke Reduktionskraft, welche den wirklichen Markscheiden zukommt. Diese Achsialstrangfasern hat Schiff (1887) offenbar gesehen (und abgebildet), wenn er behauptete, daß der Achsenzylinder noch Monate nach der Nervendurchschneidung vorhanden sei; er hat aber nicht gesehen, daß dieser Achsialstrang kein vollkommener Achsenzylinder ist und daß bald nach der Operation überhaupt nichts von einem solchen vorhanden ist. Er hat eine richtige Beobachtung gemacht, sie aber falsch gedeutet.

Wir sehen also, daß auch bei den Nerven erwachse-

Die Zusammenheilung duerhschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 207

e

ner Tiere eine autogene Regeneration eintritt; aber diese bleibt auf halbem Wege stehen. Es fehlt dem Nerven an Kraft, aus sich selbst heraus die Regenera- tion zu vollenden. Je jünger der Nerv ist, desto mehr Fasern können sich ohne Beteiligung des Zentrums über das Stadium der Bandfasern und Achsialstrangfasern hinaus regenerieren, ja zu er- regungsfähigen Fasern werden. Ein Teil bleibt aber auch bei den Nerven junger Tiere auf der niederen Stufe stehen. Die Regenera- tionspotenz ist also in den verschiedenen Fasern schon frühzeitig ver- schieden groß und nimmt im Lauf des Lebens schnell ab, geht aber auch bei den ältesten Individuen nicht ganz verloren.

Fig. 54. Autoregeneration bei ausgewachsenen Tieren. « und b vom Hund, ce vom Kaninchen. (Zeiss Apochromat 1,30, Kompensationsocular 6.)

Der Vorgang bei der Regeneration gequetschter oder einfach durchschnittener Nerven ausgewachsener Tiere ist durch die Unter- suchungen von v. Büngner und Howell und Huber zur Genüge be- kannt geworden. Ich kann die Befunde dieser Autoren bestätigen und habe ihnen nichts hinzuzufügen. Das Wesentliche, um es noch- mal zu wiederholen, ist etwa folgendes: 1. Degeneration des peri- pheren Stumpfes. 2. Wucherung der Kerne und ihres Protoplasmas. 3. Bildung von Spindelzellen, aus denen dann Bandfasern und weiter- hin Achsialstrangfasern hervorgehen. 4. Diskontinuierliches Auftreten einer fibrillären Streifung im Achsialstrang und zwar zuerst in der Nähe des zentralen Endes und von da nach der Peripherie fort- schreitend. 5. Diskontinuierliches Auftreten der Markscheide, ebenfalls zuerst in der Nähe der alten Unterbrechungsstelle. Wenn wir nun sehen, daß bei verhinderter Zusammenheilung mit dem Zentrum in

308 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

den Nerven junger Tiere fast normale und funktionstüchtige Fasern offenbar aus den Achsialstrangfasern hervorgehen und daß auch in alten Nerven diese Achsialstrangfasern gebildet werden, so sind wir zu dem Schluß berechtigt, daß bei vollständiger Regenera- tion alter Nerven, welche nur unter dem Einfluß des zentralen Nervenendes möglich ist, eben diese Achsial- strangfasern das Material zu den definitiven Nerven- fasern hergeben und daß sie nicht sekundär vom Zentrum auswachsen.

Solange man nicht wußte, was der Nerv aus sich selbst heraus kann, konnte der Befund, daß bei stattgehabter Verwachsung von zentralem und peripherem Ende die neugebildeten Fasern immer zuerst in der Nähe des zentralen Stumpfes auftreten, zu der Ansicht führen, daß die Fasern von diesem in den peripheren hinein wüchsen; jetzt ist das wohl nieht mehr gut möglich. Wir können, der alten Schiff- schen Anschauung folgend, dem zentralen Stumpf bei der Regeneration des peripheren nur noch eine anregende Wirkung zuschreiben. Der periphere Stumpf regeneriert sich aus sich selbst, er allein gibt das Material dazu her; vom zentralen Stumpf kommt nur ein gewisses Etwas, das die regenerativen Prozesse kräftigt. Mancher würde hier zur Hypothese des Ferments greifen; ich ziehe es aber vor, die Frage des „Wie?“ ganz auf sich beruhen zu lassen, solange nicht mehr Anhaltspunkte vorliegen. Dieses ‚„‚ge- wisse Etwas“ von der Ganglienzelle herzuleiten und so die Lehre vom trophischen Zentrum neu zu beleben, liegt allerdings gar keine Ver- anlassung vor. Wir haben ja gesehen, daß auch bei der autogenen Regeneration junger Nerven das zentrale Ende immer den peripheren Teilen voraus ist, d.h. kräftiger und schneller reagiert; man würde also auch hier ein trophisches Zentrum in der Nähe der jeweiligen Unterbrechungsstelle suchen können, was natürlich absurd ist. Ich glaube daher, daß man mit der Annahme auskommen kann, daß der zentrale Stumpf relativ gesund ist und deswegen dem peripheren Stumpf die Anregung geben kann, die er zur Vollendung der Re- generation nötig hat. Nur in der Jugend hat der periphere Stumpf diese Anregung nicht nötig.

Bisher ist nur von der Regeneration der Nervenfasern in peri- pheren Nerven die Rede gewesen; ich verfüge aber auch über einen Fall, welcher die autogene Regeneration von Fasern des Rückenmarks mit Sicherheit erkennen läßt. Bei dem Hund No. 7 wurde im Alter von 32 Tagen der Rückgratskanal in der Beckengegend aufgebrochen. Darauf wurden auf der linken Seite sechs Spinalganglien freigelegt, die hinteren Wurzeln derselben durchschnitten und so nach der Seite gezogen, daß sich das Spinalganglion von der motorischen Wurzel

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 209

ablöste. Unterhalb der Ganglien wurde wiederum dureh- schnitten, so daß sie nun herausgenommen werden konnten. (Diese sechs Ganglien sind ganz unverletzt und befinden sich als Beweisstücke noch in meinem Besitz.) Der Hund war natürlich nach dieser Operation am linken Hinterbein ganz asensibel, während die Bewegungsfähigkeit zunächst nicht stärker geschädigt war, als nach Durchschneidung der sensiblen Wurzeln. (Später stellten sich bei diesem Hunde und mehreren andern jungen Tieren, denen nur die sensiblen Wurzeln in derselben Ausdehnung durchschnitten waren, eigentümliche Verdrehungen in den Gelenken ein, welche nach einiger Zeit auch mit Gewalt nicht zu redressieren waren. Auffallend an diesen jung asensibel gemachten Hunden war außerdem eine Neigung der Knochen zum Frakturieren.) Da die Spinalganglien ganz entfernt waren, so lag keine Möglichkeit vor, daß sich von ihnen aus sensible Fasern regenerieren konnten. Bekanntlich degenerieren nun nach Ver- letzung der sensiblen Wurzeln die Hinterstränge des Rückenmarks und zwar nach einer so ausgedehnten Operation, wie sie hier aus- geführt wurde, so stark, daß der Hinterstrang der betroffenen Seite im Gebiet der Operation und noch weit hinauf ganz dünn wird und zusammenfällt. Der Rückenmarksquerschnitt wird dadurch ganz asym- metrisch. Als dieser Hund nach beinahe fünf Monaten seziert wurde, fand sich von Spinalganglien an den Stellen, wo ich operiert hatte, nichts vor. Die am Rückenmark hängenden sensiblen Wurzeln endeten nach der Peripherie zu blind (sie waren mit der Umgebung nur schwach verwachsen, so daß sie leicht heraus- zunehmen waren). Durch ihr weißes Aussehen fielen sie sofort auf. Das Rückenmark zeigte sich gut symmetrisch und entbehrte des gelb- lichen Streifens, der sonst nach einer derartigen Operation am Hinter- strang der operierten Seite zu sehen ist. Die mikroskopische Unter- suchung ergab folgendes: Die sensiblen Wurzeln, welche fünf Monate lang ihrer Spinalganglien beraubt ge- wesen waren, enthielten viele markhaltige Fasern, neben einer geringen Anzahl von Bandfasern und fibrillärdifferenzierten Achsialstrangfasern. Diese mark- haltigen Fasern waren dünner als die der normalen hinteren Wurzeln und zeigten eine deutliche plasmatische Hülle zwischen Markscheide und Schwannscher Scheide. Sie sind also als regeneriert zu betrachten. Das Rückenmark zeigte in der Lendenanschwellung (und auch in allen andern Gegenden) einen symmetrischen Quersehnitt. Im Hinterstrang der operierten Seite war auf Osmium- und Weigertpräparaten nur ein ganz minimaler Unterschied gegenüber der normalen Seite zu sehen. Die Zahl der Fasern war, soweit sich das ohne Zählung beurteilen läßt, auf beiden Seiten etwa gleich, nur Bethe, Nervensystem. 14

310 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

die Faserdieke war etwas verschieden. Die Untersuchung der Hinter- hornzellen, welche Herr Prof. Nissl gütigst für mich ausführte, ergab nur in wenigen Zellen Veränderungen, und diese waren geringfügig.

Diesen Resultaten stehen zum Vergleich die gegenüber, welche ich an einem Hunde gewann, bei dem im gleichen Alter die hinteren Wurzeln in der gleichen Ausdehnung einfach durchschnitten waren. Er wurde ebenfalls etwas weniger als fünf Monate nach der Operation getötet. Bei diesem bot sich das typische Bild, das man bei er- wachsenen Tieren nach der Operation zu sehen gewohnt ist. Die Wurzeln waren ganz verschwunden, der Hinterstrang war eingefallen und enthielt nur noch wenige Nervenfasern; die Zellen der Hinter- hörner waren stark rarifiziert, die noch vorhandenen verändert. Warum in dem einen Fall die autogene Regeneration eingetreten ist und im andern ausblieb, ist nicht zu entscheiden; bei dem voll- kommenen Fehlen der zugehörigen Spinalganglien im ersten Fall wird aber wohl niemand zweifeln wollen, daß sich hier diesensiblen Wurzeln und die Hinterstränge autogen regeneriert haben.') (Nach diesem Befund wird man in Zukunft mit der An- wendung der Wallerschen Degeneration zu anatomischen Zwecken bei jungen Tieren etwas vorsichtig sein müssen.)

Einen ähnlichen Versuch habe ich auch an motorischen Wurzeln ausgeführt. Bei einem sechs Wochen alten Hunde wurde das Rücken- mark freigelegt und extradural fünf motorische Wurzeln durehschnitten und ein Stück von '/,—1 em herausgeschnitten. Das linke Hinterbein war motorisch ganz gelähmt, aber an allen Stellen rezeptorisch. Nach zwanzig Tagen wurde der Ischiadiceus freigelegt und gereizt. Das Tier schrie, aber es traten nicht die geringsten Zuckungen in der innervierten Muskulatur ein. Darauf wurde der Nerv durchschnitten und die Enden nach Herausnahme eines kleinen Stückes wieder durch Naht vereinigt. (Das ausgeschnittene Stück zeigte, wie zu erwarten war, viele ganz erhaltene Fasern [die rezeptorischen] und eine große Anzahl ganz degenerierter [die motorischen].) Die Rezeptionsfähigkeit (Sensibilität) kam drei Monate nach der Ischiadieusdurchschneidung

1) Nach den neueren Untersuchungen von Nissl (1903) liegen die Verhältnisse an den Spinalganglien nicht so klar, als man bisher angenommen hatte. Die Zellen der Spinalganglien zeigen nur eine retrograde Metamorphose, wenn peripher vom Ganglion durchschnitten wurde, dagegen bleiben sie intakt, wenn die sen- sible Wurzel durchschnitten wird. Andrerseits degenerieren aber im letzteren Fall gewisse Hinterhornzellen. Diesem Befunde nach müßte man die Fasern der hinteren Wurzeln als die Achsenfortsätze von Hinterhornzellen ansehen. Andrerseits spricht aber die Art und Weise, in der die Wurzelfasern degenerieren, dafür, daß sich ihre Ursprungszellen im Spinalganglion befinden. Ist Nissis Vorstellung richtig, so erscheint der oben beschriebene Befund in einem andern Lichte.

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 211

wieder. DieBeweglichkeitdesBeineskehrtenichtzurück:; auch die stärksten Reize brachten keine reflektorischen Zucekungen in demselben hervor. Es hing stets ganz schlaff herab. Sechs Monate nach der Wurzeloperation wurde der Ischiadieus freigelegt. Beide Stümpfe waren fest verwachsen; an der Vereinigungs- stelle befand sich ein mittelgroßes Neurom. Bei schwachem fara- dischem Reiz unterhalb des Neuroms zuckten die Mus- keln des Untersehenkels und Fußes. Um oberhalb des Neuroms

Fig. 55. Spinalganglion mit daran hängendem peripherem Stumpf der motorischen Wurzel, welcher frei flottierte. Sechs Monate nach der Wurzeldurchschneidung. Unten rechts eine Skizze des Sektionsbefundes.

Zuckungen in diesen Muskeln auszulösen, mußten die Rollen um 1 em genähert werden. Ich konnte sie dann aber auch von den zentralsten, noch erreichbaren Stellen des Nerven auslösen (die höchste Stelle war 6 cm von der Narbe entfernt). Die motorischen Fasern waren also im zentralen und peripheren Ende des Nerven autogen regeneriert und an der Durcehtrennungsstelle wieder zusammengewachsen, gradeso, als ob das zen- trale Ende noch mit seinen Ursprungszellen in Zu- sammenhang stände. Ging schon aus der reflektorischen Lähmung 14*

212 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

des Beines hervor, daß kein Zusammenhang zwischen motorischen Fasern und Rückenmark bestand, so konnte dies noch durch den anatomischen Befund erhärtet werden. Zwischen den zentralen Enden der motorischen Wurzeln und den peripheren Stümpfen derselben lag ein Zwischenraum von mehreren Millimetern. Da der Rückgratskanal nicht von Narbengewebe erfüllt war, so ließ sich dies ohne künstliche Präparation feststellen: Die Enden der Wurzeln flottierten frei im Kanal (Fig. 55); die zentralen Enden zeigten dieke Neurome, die peripheren waren zugespitzt. Schnitte durch das Spinalganglion nebst motorischer Wurzel zeigten (Fig. 55), daß die peripheren Stümpfe der motorischen Wurzeln nach dem Rückenmark zu blind endeten und mit einer Kappe von Perineurium bedeekt waren. Es kann also nicht daran gezweifelt werden, daß autogene Regeneration vorliegt. Was an diesem Befund gegenüber den schon mitgeteilten neu ist, ist die Tatsache, daß getrennte Nervenfasern auch bei der autogenen Regene- ration wieder anatomisch und funktionell zusammen- wachsen können!!)

Dieser Versuch leitet zu der Frage über, in welcher Weise die Vereinigung durchschnittener Nerven zustande kommt, von wo aus der Defekt, wenn einer da ist, ausgefüllt wird. Er entscheidet sie schon in gewisser Weise nämlich dahin, daß zur anatomischen, und funktionellen Vereinigung zweier Nervenstücke eine Beteiligung des sogenannten trophischen Zen- trums, der Ganglienzelle, nicht notwendig ist, daß vielmehr den Nervenelementen an sich die Fähigkeit zukommt, sieh nach Kon- tinuitätstrennung wieder miteinander zu vereinigen. Die bis jetzt herrschende Ansicht steht dem entgegen; sie behauptet, daß, wie die Regeneration überhaupt, so auch die Ausfüllung des nach der Durch- schneidung entstandenen Defekts lediglich vom zentralen Ende aus geschieht. Hervorgerufen ist diese ältere Anschauung hauptsächlich durch den Befund, daß nach Exzision eines größeren Nervenstückes das zentrale Ende des Nerven ein beträchtliches Stück auswächst, während das periphere keine Tendenz zeigt, sich dem Zentrum wieder zu nähern. Dieser Befund hat ja auch zur Ausbildung der Theorie beigetragen, daß die Fasern des zentralen Stumpfes bei der Regene- ration in den peripheren hineinwüchsen und ihn, wie sich Vanlair (1882, 1885, 1888) ausdrückt, neurotisierten.

Auch hier ist wieder der Unterschied zwischen zentralem und peripherem Stumpf nur relativ; er ist allerdings bei erwachsenen Tieren

I) Da die Wurzelstümpfe frei flottierten, war es in diesem Fall ganz aus- geschlossen, daß von benachbarten Muskeln her Markfasern in die Stümpfe ein- gewachsen waren, wie dies Münzer (1902) annahm.

4 7 ;

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 213

so bedeutend, daß man ihn ohne besonders darauf gerichtete Unter- suchungen für absolut halten kann. Bei erwachsenen, wie bei jungen Hunden wächst das zentrale Nervenende nach Exzision eines größeren Nervenstückes in der Regel 2—3 em aus; 4 cm Auswachsung kommt, wie auch Schiff schon angibt, nur selten vor. Das Äußerste, was ich beobachtet habe, sind 5 em. In manchen Fällen fand ich aber auch viel geringere Werte 1 em und noch weniger. Wie lang die einzelnen ausgewachsenen Fasern sind, läßt sich natürlich schwer be- urteilen, weil sie innerhalb des Neuroms sehr geschlängelt verlaufen und der Ort der Durchschneidungsstelle nur dann bei der Sektion mit Sicherheit festgestellt werden kann, wenn man an derselben einen Seidenfaden durchgezogen oder eine andre Marke angebracht hatte. (Das Neurom selber gibt nur einen ungenauen Anhaltspunkt, weil es manchmal sehr unbestimmt abgegrenzt ist und die Lage der Trennungs- stelle manchmal, wie Versuche mit Seidenfäden ergaben, am An- fang bisweilen aber auch beinahe in der Mitte des Neuroms gelegen ist.) Wenn man diese relativ kurzen Streeken, welche das zentrale Ende auszuwachsen vermag (falls es nicht auf sein peripheres Ende trifft), mit den Strecken vergleicht, die es beim Zusammentreffen mit dem peripheren Stumpf nach der Ansicht von Wallers An- hängern ‚neurotisieren“ kann (50 em und noch mehr), dann sollte man meinen, daß von einer Auswachsungstheorie gar nicht die Rede sein könne. Die Anhänger dieser Theorie haben auch sehr wohl eingesehen, daß hierin ein Widerspruch liegt und haben deshalb zu der Annahme gegriffen, daß der periphere Stumpf des Nerven ein besonders guter Nährboden für die vom Zentrum auswachsenden Nerven- fasern sei. Mir scheinen aber die dafür angeführten Tatsachen eine ganz andre Erklärung zuzulassen.

Charakteristisch für ausgewachsene Nervenstümpfe ist, daß sie fast nie stumpf enden, sondern in eine, öfter mehrere lange Spitzen ausgezogen sind. Diese oft fadenförmigen Gebilde enthalten neben perineuralem Bindegewebe viele Nervenfasern. Wenn nun am peri- pheren Ende nach vollkommener Trennung vom Zentrum keine Aus- wachsung zum Zentrum hin stattfände, so müßte der Stumpf an der Durchsehneidungsstelle auch nach Wochen und Monaten keine Ver- änderung darbieten. Das ist aber niemals der Fall. Bei jungen wie erwachsenen Individuen findet man fast nie den peripheren Stumpf an der Durchschneidungsstelle einfach abgerundet, sondern zu einer oder mehreren Spitzen ausgezogen; häufig ist auch eine deutliche Ver- diekung unterhalb der Spitze zu beobachten, welche nach ihrer ganzen Struktur als richtiges Neurom zu bezeichnen ist. Es erreicht zwar nie die Dieke der Neurome, welche man an zentralen Stümpfen zu beobachten Gelegenheit hat, deutet aber durch sein Vorkommen darauf

214 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

hin, daß auch am peripheren Stumpf Wachstumserscheinungen auf- treten. Besonders an den peripheren Nervenstümpfen junger Tiere sind die fadenförmigen Ausläufer manchmal recht lang (1—2 cm). Sie enthalten, wenn eine stärkere autogene Regeneration eingetreten ist, neben perineuralem Bindegewebe eine mehr oder weniger reichliche Menge markhaltiger Nervenfasern. Bei erwachsenen Tieren erreichen diese von der Durchschneidungsstelle ausgehenden Ausläufer meist nur eine geringe Länge (bis zu 1 cm). Man findet in ihnen neben Band- fasern reichliche Achsialstrangfasern. Danach erscheint es außer Zweifel, daß auch am peripheren Stumpf nach vollkommener Konti- nuitätsunterbrechung ein Auswachsen der Fasern (nach dem Zentrum zu) stattfindet. Ein weiterer Beweis hierfür liegt in der Beobachtung, daß fast durchgängig in der perineuralen Kappe dieser Stumpfenden (bei jungen Individuen) markhaltige Fasern gefunden werden, welche in dem Bindegewebe des Nerven ein ganzes Stück (manchmal 5—7 mm) rückwärts verlaufen (Fig. 51 4 S. 194). Da normalerweise keine oder nur außerordentlich wenige Nervenfasern innerhalb des Perineuriums gefunden werden, so muß angenommen werden, daß diese Fasern von der Durchschneidungsstelle aus in das Perineurium hineingewachsen sind. Ob auch bei den peripheren Nervenstümpfen erwachsener Tiere Fasern vorkommen, welche in das Perineurium hineingewachsen sind, weiß ich nicht bestimmt zu sagen, weil die färberische Differenzierung der Achsialstrangfasern zu schwer ist, um einzelne Fasern mit Sicher- heit innerhalb des Bindegewebes nachzuweisen.

Danach wachsen also die Fasern des peripheren Stumpfes gradeso über die Durchsehneidungsstelle hinaus wie die des zentralen Stumpfes, nur ist die Wachstumsenergie bei ihnen geringer als bei jenen. Das Auswachsen der Fasern ist Funktion des Nerven und nicht der Gan- slienzelle. Wie kommt es zustande? Hierüber kann man natürlich nichts Bindendes aussagen, weil man es nicht direkt beobachten kann; aber man kann doch wenigstens Vermutungen aufstellen, die sich durch Tatsachen stützen lassen: Ebenso wie eine Kernvermehrung und Protoplasmawucherung innerhalb der Fasern des peripheren Stumpfes und derjenigen Faserabschnitte des zentralen Stumpfes, welche der Degeneration unterliegen, stattfindet, so teilen sich auch die Kerne, welche direkt an der Durchschneidungsstelle liegen. Auf diese Weise verlängern sich die Fasern im peripheren und zentralen Stumpf über die Durchschneidungsstelle hinaus. Zunächst bestehen diese Verlänge- rungen aus Bandfasern, sie metamorphosieren sich aber in derselben Weise wie die übrigen Bandfasern auch: Am zentralen Ende werden sie in jedem Fall zu markhaltigen Fasern, am peripheren nur bei jungen Tieren; bei älteren bleiben sie hier (wenn keine Zusammen- wachsung mit dem Zentrum zustande kommt) auf dem Stadium der

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 215

Achsialstrangfasern stehen. Eine ganz ähnliche Ansicht über das Auswachsen der Nervenfasern allerdings nur der des zentralen Stumpfes hat Ziegler (1896) aufgestellt. Nach ihm soll nach Kon- tinuitätstrennung die Regeneration nur vom zentralen Ende ausgehen, aber nicht durch Auswachsen des Achsenzylinders von der Ganglien- zelle, sondern durch Bildung von Zellenreihen, welche sich nachträg- lich in Nervenfasern umbilden. Diese Zellenreihen sollen in der eben geschilderten Weise von dem periphersten Schwannschen Kern des zentralen Endes, dessen Faserabschnitt grade noch degeneriert ist, durch immer wiederholte Teilungen desselben ausgehen. Der Unter- schied gegen meine Ansicht besteht nur darin, daß Ziegler den Prozeß nur von einem Kern jeder Faser ausgehen läßt und die ganze Re- generation auf die Vermehrung desselben zurückführt, eine Ansicht, die angesichts der Tatsache von der autogenen Regeneration wohl sicher falsch ist.

Stoßen Fasern des zentralen und peripheren Endes während ihres einander entgegengerichteten Wachstums zusammen, so vereinigen sie sich miteinander, so wird man wenigstens annehmen müssen. Ich möchte glauben, daß diese Vereinigung aber nur so lange möglich ist, als beide zusammenstoßenden Fasern noch auf dem Stadium von Band- fasern sind. Doch habe ich hierfür keine sicheren Beweise. Daß durehschnittene Nerven wieder zusammenwachsen können, ist seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts durch so viele physiologische Ex- perimente und klinische Beobachtungen (wegen der Literatur siehe Th. Kölliker, 1590, und Speiser, 1902) erwiesen worden, daß es keiner weiteren Belege bedarf. Hierbei handelt es sich aber meist um die Zusammenheilung eines zentralen Stumpfes und seines zugehörigen peripheren Stumpfes, also um das natürliche Verhältnis. Sehr viel weniger ist untersucht worden, wie sich zwei fremde Nervenstücke zueinander verhalten, ob auch unter unnatürlichen Verhältnissen eine Vereinigung der Nervenquerschnitte stattfindet. Es ergibt sich hier gleich eine große Anzahl von Fragestellungen, welche bisher nur zum kleineren Teil Bearbeitung gefunden haben. Ich will nur einen Teil dieser Fragen hier besprechen.

i. Kann das zentrale Ende eines Nerven mit dem peripheren eines andern, eventuell längeren Nerven zur Verwachsung gebracht werden? Ein derartiger Versuch wurde zuerst von Flourens am Huhn ausgeführt. Flourens (1842) durchschnitt die beiden Hauptstämme des Plexus brachialis auf einer Seite und vernähte die zentralen und peripheren Stümpfe kreuzweise miteinander. Der Flügel war zunächst gelähmt, wurde aber nach einigen Monaten wieder bewegt und konnte nun beim Fliegen wie ein normaler Flügel gebraucht werden. Die Sektion ergab, daß die Nerven in der gewünschten Weise zusammen-

216 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

geheilt waren. Ähnliche Nervenkreuzungen sind von Rawa, Stefani (1595) und Forsmann (1900) an Hunden und Kaninchen ausgeführt worden. Forsmann stellte auch Vergleichsversuche zwischen natür- lieher und unnatürlicher Vereinigung an, indem er einmal die zen- tralen Enden des Tibialis und Peroneus mit den zugehörigen peri- pheren Enden zusammenwachsen ließ, das andere Mal eine kreuzweise Verheilung erzwang. Die Vereinigung und die Regeneration verlief in beiden Fällen gleich schnell. In andern Versuchen wurde der zentrale Tibialis nach Fortnahme eines großen Stücks des Peroneus mit den peripheren Stümpfen beider Nerven zusammengebracht. Beide peri- pheren Stümpfe wurden in gleicher Weise von dem einen zentralen „neurotisiert‘“. Es verwächst also ein zentraler Stumpf ebenso gut mit einem fremden peripheren Stumpf wie mit dem eignen.

Wie diese Autoren das Experiment zwischen den Nerven ein und derselben Extremität anstellten, so machte ich es zwischen rechts und links. Einem Hunde wurde der Ischiadieus auf der linken Seite am Knie, auf der rechten Seite am Foramen ischiadiei durchschnitten. Es wurde sodann der Damm aufgeschnitten und das periphere Ende des linken, zentralen Stumpfes und das zentrale Ende des rechten, peri- pheren Stumpfes nach Durchsteckung durch die jederseitige, innere Oberschenkelmuskulatur am Damm miteinander vernäht. Auf diese Weise war also das zentrale Ende des linken Ischiadieus mit dem peripheren des rechten in Verbindung gebracht und die Nervenstrecke etwa um die Hälfte ihrer natürlichen Länge vermehrt. Nach sechs Monaten stellten sich auf der rechten Seite in dem vom Ischiadieus innervierten Gebiet Rezeptionsfähigkeit und Motilität wieder her. Nach siebeneinhalb Monaten wurde der Ischiadieus links oben freigelegt und gereizt: Es kontrahierte sich nur die Muskulatur des Unterschenkels und des Fußes der rechten Seite. Darauf wurde die Sektion ge- macht, welche eine vollkommene Vereinigung des linken zentralen und rechten peripheren Ischiadieus ergab. Letzterer sah wieder schön weiß aus und enthielt sehr viele markhaltige Nervenfasern. Man kann also einen Nerven über das natürliche Maß verlängern.

2. Was wird aus einem Nerven, der an zwei Stellen durchschnitten ist, oder in den nach Durchschneidung ein Stück eines andren Nerven eingesetzt ist? Es existieren über diese Frage mehrere Untersuchungen, welche hauptsächlich mit Rücksicht auf die klinische Verwendbarkeit der Einpflanzung eines Nervenstückes zur Deckung eines Nervendefekts angestellt sind. Wegen der diesbezüglichen Literatur verweise ich auf die Zusammenstellung von Köllieker (1890). Aus diesen Untersuchungen, die ich auf Grund eigner Beobachtungen bestätigen kann, geht hervor, daß ein doppelt durchschnittener Nerv an beiden Durchschneidungs- stellen zusammenwächst. Von einigen Seiten wurde behauptet, daß

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 217

die Vereinigung an der periphereren Unterbrechungsstelle immer erst dann einträte, wenn die Regeneration vom zentralen Ende ausgehend bis hierher vorgedrungen sei. So wie diese ganze Vorstellung der „Neurotisierung“ falsch ist, so ist auch diese Ansicht unrichtig. Die Vereinigung kann auch an der unteren Durchschneidungsstelle primär erfolgen. Von einigen Seiten ist angegeben worden, daß man zur Deckung eines Defektes einen Nerven von irgend einem andern Tier nehmen könne. Forsmann hat dem in neuerer Zeit lebhaft wider- sprochen und darauf aufmerksam gemacht, daß ein Nerv eines andren Tieres (einer andren Art) nur als Leitschnur für die wachsenden Fasern dient, die man grade so gut durch einen Faden ersetzen kann. Zur Überbrückung größerer Defekte sind fremde Nerven ungeeignet, und die Vereinigung kommt kaum auf größere Strecken zustande als sie schon ohne Zwischenschaltung geschieht. Dagegen ist die Zwischen- schaltung eines Nervenstückes von derselben Tierart von sehr gutem Erfolg begleitet; die Vereinigung des zentralen und peripheren Endes ist auf diese Weise auch bei großer Entfernung ihrer Enden möglich, und es werden bei dieser Einpflanzung Nervendefekte überbrückt, welche ohne ein derartiges Mittel allein durch Auswachsung der Stümpfe nieht ausgeglichen würden. Während bei Einpflanzung eines Nerven- stückes von einer fremden Tierart (z. B. Taube oder Meerschweinchen bei einem Kaninchen) die Fasern des zentralen Stumpfes nur durch das Bindegewebe des fremden Nerven hindurehwachsen, nehmen sie in diesem Fall den Weg durch die Nervenfasern des ein- geschalteten Nervenstücks. (Forsmann steht auf dem Boden der Aus- wachsungstheorie. Nach meiner Auffassung wachsen nicht die Fasern des zentralen Stumpfes in die des eingeschalteten Stückes hinein, son- dern zwingen sie, sich vollständig zu regenerieren, nachdem sie schon vorher ins Bandfaser- oder Achsialstrangfaserstadium getreten sind.) Auch nach meinen Erfahrungen ist die Einpflanzung eines Nerven- stückes von wesentlichem Vorteil, wenn es sich darum handelt, große Zwischenräume zwischen zwei Nervenenden zu überbrücken. Es scheint mir aber, daß man bei einer solchen Einpflanzung Wert darauf legen muß, daß das eingepflanzte Stück die natürliche Orien- tierung hat, d.h. es muß zur erfolgreichen Einheilung das zentrale Ende’ des eingeschalteten Nervenstücks an das zentrale Ende des durehschnittenen Nerven gebracht werden. Ich stütze mich hierbei auf folgenden Versuch:

Einem jungen Hunde wurde im Alter von acht Wochen der Ischia- dieus rechts und links freigelegt. Auf beiden Seiten wurde in der Mitte des Oberschenkels ein Nervenstück von 2'/, em Länge heraus- geschnitten und das Nervenstück der linken Seite in der alten Orien- tierung wieder eingenäht, während es auf der rechten Seite um 180°

*

918 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

gedreht und so mit dem zentralen und peripheren Nervenende in um- sekehrter Orientierung vernäht wurde. Die hierbei ausgeschnittene Nervenstreeke ist nicht so lang, daß sie nicht vom zentralen Ende aus durchwachsen werden könnte. Ich habe sie mit Absicht so gewählt, damit die Fasern des zentralen Endes auch auf der rechten Seite das periphere, mit dem Muskel zusammenhängende Stück erreichen könnten, falls das eingeschaltete, umgekehrt polarisierte Stück nicht in wirk- liche Verwachsung träte. Nach drei Monaten kehrte auf beiden Seiten Motilität und Rezeptionsfähigkeit wieder, nach vier Monaten war bei- des ganz normal. Es wurde nun auf beiden Seiten der Nerv zum zweitenmal und zwar oberhalb der zentraleren Verwachsungsstelle durchschnitten. Nach weiteren vier Tagen wurde der Hund getötet. Auf beiden Seiten war das Zwischenstück anatomisch gut eingeheilt; auf der rechten Seite war es dicker als auf der linken Seite.

Auf der linken Seite (richtige Orientierung) zeigten sich fast alle Fasern des peripheren Endes (bestehend aus einem kleinen Stück des früheren zentralen Endes (c), dem Zwischenstück (z) und dem ganzen früheren peripheren Ende (p) bis zur Peripherie hin in starker De- generation (Ellipsoidbildung). In z und > fanden sich ganz wenige Fasern, welche nicht degeneriert waren, in c gar keine. Außerdem waren in z und p einige Fasern vorhanden, welche auf dem Achsial- strangstadium standen, also nicht ganz regeneriert waren. Auf der rechten Seite (Zwischenstück um 180° gedreht) verhielten sich Stück e und p grade so wie links, Stück z aber ganz anders. In z waren hier neben vielen ganz degenerierten Fasern eine große Anzahl von Fasern vorhanden, deren Markscheiden voll- ständig intakt waren, außerdem fanden sich sehr viele Fasern, welche auf dem Stadium von Achsialstrangfasern standen. Auf Längs- schnitten, wo sich die Verhältnisse allein beurteilen lassen, konnte ich folgende Zahlenverhältnisse feststellen (es wurden mehrere Schnitte durehgezählt):

Markfasern (erhalten) Markfasern (degeneriert) Marklose

Stück z links: 4—6 80— 100 10—12 Stück z reehts: 36—40 s0—90 20—40 Stück p links: 1—2 80— 90

Stück p rechts: 2—3 80 —85

Ich erkläre mir diesen Befund folgendermaßen: Die Nerven- fasern besitzen eine Art von Polarität; sie wachsen in der Regel nur dann zusammen, wenn die Polarisation der zusammenstoßen- den (@uerschnitte entgegengesetzt ist. Es verwächst also das zentrale Ende eines herausgeschnittenen Nervenstückes (was die Fasern selber anbetrifft) mit dem peripheren Ende eines zentralen Stumpfes, aber

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 219

nicht mit dem zentralen Ende eines peripheren Stumpfes und um- gekehrt. Auf der rechten Seite meines Hundes war die Polarität des Zwischenstückes umgekehrt; die Fasern desselben konnten sich also weder mit denen des zentralen Stumpfes noch mit denen des peri- pheren vereinigen. Da es sich aber um ein junges Tier handelte, so konnten sich die Fasern des Zwischenstückes autogen bis zum Mark- faserstadium regenerieren. Als solche autogen regenerierten Fasern sehe ich diejenigen des Zwischenstückes an, welche nach der zweiten Durehschneidung’ nicht de- generierten. Sie konnten auch nicht degenerieren, selbst wenn ihre nach dem Zentrum zu gerichteten Enden über das obere Neu- rom hinausgewachsen und bei der zweiten Durchschneidung verletzt waren, weil es sich dabei re vera um eine Verletzung ihres peri- pheren Endes gehandelt hätte, welche nach den auf S. 196 be- sprochenen Befunden keine Degeneration ihres zentralen nur durch die Operation nach der Peripherie gewendeten Endes hervorrufen könnte. Auf der linken Seite, wo die Polarisation richtig war, haben sich die meisten Fasern des zentralen Endes mit denen des Zwischenstücks und diese wieder mit denen des peripheren Stückes verbunden. Die wenigen Fasern, welche nicht zum zweitenmal de- generiert sind, sind solche, die keinen Anschluß gefunden haben und autogen regeneriert sind, ebenso haben die‘ wenigen Achsialstrang- fasern keinen Anschluß erreicht. Hier im linken Zwischenstück liegen fast alle Fasern innerhalb der alten Bahn; dagegen verlaufen im rechten Zwischenstück sehr viele Fasern und das sind ausschließlich degenerierte außer- halb der alten Bahn im perineuralen Bindegewebe. Hier fanden die auswachsenden Fasern des zentralen Endes keinen An- schluß an die Fasern des Zwischenstückes; sie wuchsen zwischen ihnen im Bindegewebe weiter, aber ebenso gut im Perineurium, wie im Endoneurium. Erst im peripheren Stumpf trafen sie auf die richtige Polarisation der Fasern; sie konnten sich mit diesen verbinden (wodurch ihrem Weiterwachsen ein Ende gesetzt wurde) und infolgedessen war die zweite Durch- schneidung im peripheren Stumpf wie im ganzenlinken Nervenvon einervollständigen Degeneration fast aller Fasern gefolgt.

lch gestehe zu, daß es mißlich ist, die Hypothese der Nerven- polarität nur auf einen Befund aufzubauen, und ich würde dies nicht getan haben, wenn nicht noch andre Tatsachen durch dieselbe eine gute Erklärung fänden. Bestände nicht etwas derartiges, dann würden die Fasern eines durehschnittenen Nerven nicht so lange auswachsen, bis sie auf riehtig polarisierte Fasern (eines peripheren Stumpfes)

320 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

träfen, sondern sich untereinander verbinden. Auch das Nichtver- wachsen zweier zentraler Nervenstümpfe auf das ich gleich zurück- komme läßt sich durch diese Hypothese leicht erklären. (Im Grunde ist dies ja genau derselbe Fall, wie der eben erwähnte, nur daß die Fasern zweier Nerven statt eines Nerven vor die Möglichkeit gestellt sind, sich miteinander zu verbinden.) Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß solche Polaritäten auch sonst noch im Tier- und Pflanzenreich vorkommen. Besonders bei Pflanzen sind sie sehr ausgesprochen vorhanden. Bei der Pfropfung verwachsen die Stücke immer nur, wenn sie in der richtigen Polarisation eingesetzt sind. Das obere Ende eines Reises verwächst nur mit einem unteren, aber nicht mit einem andern oberen und umgekehrt (siehe die Abhandlung von Vöchting, 1892).

3. Können zwei zentrale Nervenstümpfe miteinander verwachsen? Ein Versuch nach dieser Richtung hin wurde zuerst von Schiff (1858) angestellt. Die Fragestellung war allerdings bei ihm eine etwas andre. Er wollte sehen, ob sensible Nerven imstande wären rückwärts zu leiten. Zu diesem Zweck suchte er am Bein zwei Nervenäste auf, welche bei der Reizung nur reflektorische aber keine motorische Wirkung zeigten, die also rein sensibel waren. Er durch- schnitt beide und vereinigte die zentralen Enden durch Naht. Nach

einigen Monaten wurden die Nerven wieder frei gelegt sie waren verwachsen und gereizt; dabei zeigten sich wieder Reaktionen des

Tieres von beiden aus. Es wurde nun der eine Nerv so hoch wie möglich durchschnitten und sein peripheres Ende, das ja mit dem andern Nerven zusammengewachsen war, gereizt. Auch bei starkem Reiz traten keine Reaktionen mehr ein. Um diese wieder zu erhalten, mußte der Reiz an dem andern Nerv oder mindestens an der Narbe angesetzt werden. Die beiden zentralen Nervenenden waren also ent- weder nieht miteinander funktionell vereinigt oder die sensiblen Fasern waren nicht imstande, rückwärts zu leiten. Die mikroskopische Unter- suchung gab keinen sicheren Aufschluß darüber, welcher von beiden Schlüssen der richtige sei.

Außer diesem Versuch existieren, so weit mir bekannt geworden ist, nur noch Versuche von Stefani (1887, 1896). ') Er durchschnitt bei mehreren Hunden und Kaninchen den Radialis und Medianus und vereinigte ihre zentralen Enden durch Naht. Nach zwei bis fünf Monaten wurden die beiden zentralen Stümpfe miteinander anatomisch vereinigt «efunden. Es wurde nun einer der Nerven hoch durch- schnitten und gereizt. Wie bei dem Schiffschen Versuch traten keine

I) Inzwischen haben Langley und Anderson (1902) ähnliche Versuche mit demselben Resultat wie Stefani angestellt.

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 221

Reflexbewegungen des Tieres ein; auch Blutdruck und Atmung blieben während der Reizung unverändert. Erst wenn der Reiz die Narbe traf oder an dem unzertrennten Nerven angesetzt wurde, traten Re- flexbewegungen u. s. w. ein. Die Narbe zwischen den beiden zen- tralen Nervenenden war also für Reize undurchgängig. Bei zwei andern Hunden führte Stefani (1896) dieselbe Operation aus, allein mit dem Unterschied, daß er den Radialis (nach der Vernähung seines zentralen Stumpfes mit dem des Medianus) hoch durchschnitt. Es hing nun am Medianus ein Stück des Radialis in umgekehrter Orien- tierung. Nach zwei Monaten wurde die Wunde wieder geöffnet. Am Medianus hing ein kleiner rötlicher Strang, welcher als der Rest des Radialis angesprochen wird. Schon schwache Reizung dieses Stranges (der nur 2 cm lang war) ergab Reflexbewegungen des Tieres. Stefani schließt aus diesen Versuchen, daß zwei zentrale Nervenenden nicht zusammenheilen können, wenn sie beide mit ihren Ursprungsganglien- zellen in Zusammenhang stehen, daß aber eine Zusammenheilung statt- findet, wenn der eine Nerv von diesen Ursprungszellen getrennt ist.

Mir scheint dieser Schluß nicht zwingend zu sein. Im ersten Fall bleibt immer noch die andre Erklärung, daß zwar eine Zusammen- heilung stattgefunden hat, daß aber die Fasern nur einseitig leiteten. Wir haben zwar mehrere Gründe, ein doppelsinniges Leitungsvermögen der Nervenfasern anzunehmen, doch scheinen mir dieselben nicht so absolut beweisend, als es von den meisten Autoren angenommen wird. Im zweiten Fall, wo der eine Nerv durchschnitten wurde, kann man ebenso gut eine Auswachsung der Fasern des Medianus in den um- gekehrten Radialis hinein annehmen, wie eine Verwachsung, denn 2 em ist eine Länge, die auswachsende Fasern mit Leichtigkeit erreichen.

Um zu sehen, wie sich die Fasern zweier vereinigter zentraler Stümpfe zueinander verhalten, habe ich wieder die Methode der De- generation angewandt. Um die beiden Nervenquerschnitte besser einander adaptieren zu können, vereinigte ich nieht zwei Nerven der- selben Gliedmaße, sondern den rechten und linken Ischiadieus. Auf beiden Seiten wurde bei einem zwei Monate alten Hunde der Ischia- dieus am Knie durchschnitten, der Damm freigelegt, die Nerven durch die Oberschenkelmuskulatur durchgesteekt und am Damm miteinander vernäht (tiefe Muskelnaht mit Katgut, Hautnaht mit Seide; Gaze- Heftpflasterverband bis zur Heilung). Drei Monate später wurde der rechte Ischiadieus am Becken freigelegt; dann ließ ich das Tier auf- wachen. Schon bei schwachen Induktionsströmen reagierte der Hund mit Schreien und Bewegen des Körpers. Darauf wurde der Nerv durehschnitten. Reizung des zentralen Endes gab nach wie vor Schreien, Reizung des peripheren, wenn auch noch so stark, hatte gar keinen Effekt. Ich ließ den Hund noch vier Tage am Leben,

3393 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

eine Zeit, die nach meiner Erfahrung ausreicht, um alle Faser- abschnitte, welche peripher von einer Durchschneidungsstelle liegen, bis auf die Höhe des Markscheidenzerfalls zu bringen.

Vor der Tötung wurde der ganze Damm aufgeschnitten und das alte ÖOperationsgebiet freigelegt. Beide zentralen Ischiadieusenden zeigten sich fest miteinander verwachsen; die zweite Durchschneidungs- stelle des rechten war 4 em von der Narbe entfernt. Wurde dieser Rest des rechten Ischiadieus gereizt, so fand (wie vier Tage früher) gar keine Reaktion statt; wurde die Narbe selbst oder der linke Stamm gereizt, so trat sofort eine heftige Reaktion ein. Hierin stimmt also mein Versuch ganz mit dem Schiffs und denen Stefanis überein. Die histologische Untersuchung zeigte aber, daß die Ver- hältnisse doch nicht so ganz einfach liegen. Wären Fasern der linken und rechten Seite mit ihren Querschnitten zusammengewachsen, so konnten sie sich entweder indifferent gegenüber einer zweiten Durch- schneidung verhalten oder aber ihre alte Degenerationsabhängigkeit von der Intaktheit ihres zentralen Abschnitts bewahrt haben. Im ersteren Fall würden sie nicht degeneriert sein, im zweiten würde man erwarten müssen, daß die Fasern des rechten Ischiadieus bis an die Narbe degeneriert wären und hier unvermittelt in wohlbehaltene Fasern übergingen. Waren die Fasern nicht zusammengeheilt, dann konnten entweder die Fasern jeder Seite auf ihrer Seite geblieben sein oder sie konnten durcheinander gewachsen sein. In letzterem Fall mußte man degenerierte Fasern auf beiden Seiten der Narbe vor- finden. Dies letztere war der Fall: in der Narbe fanden sich etwa gleichviel erhaltene und degenerierte Fasern. Die erhaltenen nahmen von dort aus in den rechten Nerven hinein immer mehr ab (fanden sich hier aber noch mehr als 2 em von der Narbe entfernt in erheb- licher Zahl) und wurden in den linken Nerven hinein immer zahl- reicher (Fig. 57 4 S. 229); bei den degenerierten Fasern verhielt sich die Sache grade umgekehrt: Zunahme nach rechts und Abnahme nach links. Nirgends aber sah ich eine degenerierte Faser sich direkt in eine erhaltene fortsetzen; sie endeten nach links hin immer blind, ebenso wie die erhaltenen Fasern auf der linken Seite unvermittelt abbrachen. Zu erwähnen ist noch, daß die Fasern der fremden Seite (die degenerierten auf der linken, die normalen auf der rechten) sich vorzugsweise im perineuralen Bindegewebe fanden und nur ganz ver- einzelt in den Nervenstämmen selber.

Danach halte ich es allerdings für gesichert, daß sich die Fasern zweier zentraler Stümpfe nicht mit- einander verbinden und erkläre dies auf Grund einer Polarität. Die Fasern können aber von einem Stumpf in den andern hineinwachsen, indem sie hier das Bindegewebe als Bahn benutzen.

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 223

Dies Auswachsen scheint aber nur bei den motorischen Fasern statt- zufinden, denn wären die mehrere Zentimeter nach links vorgedrungenen Fasern auch nur zu einem kleinen Teil rezeptorisch, so müßte das Tier bei ihrer Reizung geschrieen haben. Mit dieser Annahme harmo- niert der Befund, daß auf beiden Seiten der Narbe die Zahl der er- haltenen resp. degenerierten Fasern größer war als in der Narbe und jenseits derselben. Ist der eine Nerv durchschnitten (und infolge- dessen degeneriert), so mag (nach den Befunden Stefanis zu urteilen) dies Wachstumhindernis der sensiblen Fasern fortfallen. )

4. Kann das obere und untere Ende eines isolierten Nervenstückes verwachsen ? Diese Frage konnte erst aufgeworfen werden, nachdem die Tatsache der autogenen Regeneration festgestellt war (dasselbe gilt von der im nächsten Abschnitt behandelten Frage). Um dies fest- zustellen, isolierte ich in der bereits oben auf S. 199 angegebenen Weise zweimal ein Stück des Ischiadieus junger Hunde und vernähte das zentrale und periphere Ende miteinander, so daß ein Nervenring entstand. Ein physiologisches Merkmal für stattgehabte Verwachsung gibt es in diesem Fall nicht; man ist lediglich auf den anatomischen Befund angewiesen. In beiden Fällen waren die beiden Enden fest miteinander verwachsen. Die Narbe wurde von vielen Nervenfasern durchzogen, wodurch wieder die Wachstumsfähigkeit der Nervenfasern ohne Beteiligung des Zentrums erwiesen wird. Hieraus konnte aber natürlich noch nicht mit Sicherheit der Schluß gezogen werden, daß auch eine Verwachsung der Nervenfaserquerschnitte stattgefunden habe. Ich griff deshalb im zweiten Fall zur Degenerationsmethode. Bei einem einfach isolierten Stück würde bei einer zweiten Durchschnei- dung nur eine Degeneration des peripheren Abschnittes erfolgen; was aber bei Ringbildung und erfolgter Zusammenheilung der Faserquer- schnitte erfolgen würde, war nicht mit Sicherheit vorher zu sagen. Durch die Verwachsung konnte eventuell das Degenerationsverhältnis ganz verschoben werden, so daß bei jeder Verletzung, wo sie auch angesetzt sein möge, immer eine Degeneration der ganzen Fasern er- folgte. Es konnte aber das alte Verhältnis zwischen periphererer und zentralerer Strecke erhalten bleiben, so daß bei einer zweiten Durch- schneidung gegenüber der Narbe die Fasern nur in ihrem peripheren Teil bis zur Narbe hin dem Zerfall anheimfielen. Die zweite Durch- schneidungsstelle lag grade gegenüber der Narbe; der Hund wurde drei Tage und zwei Stunden nach derselben getötet. In dem mit Ösmiumsäure fixierten Ringe fanden sich die meisten von den sehr zahlreichen markhaltigen Fasern in vollständigem Zerfall (Ellipsoid- bildung); ein kleinerer Teil zeigte aber noch gestreckte Markrohre, an denen hin und wieder Anzeichen von beginnendem Zerfall zu er- kennen waren. Ich bin überzeugt, daß ich sie am nächsten Tage

224 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

zerfallen gefunden haben würde. Ich hatte eben nicht lange genug nach der zweiten Durchschneidung gewartet. (Damals wußte ich noch nicht, daß beim Hund die Degeneration etwas langsamer geht als beim Kaninchen.) Irgend welche Beziehungen zwischen der Lage der Narbe und der Lage der erhaltenen Fasern konnte ich nicht auffinden; sie fanden sich überall: in der Narbe, zentral und peripher von ihr. Mir scheint es danach doch ziemlich wahrscheinlich, daß die Faserquer- schnitte in der Narbe wirklich zusammengewachsen waren und daß mit dieser Zusammenheilung die Fasern aufhörten, ein zentrales Ende zu haben, so daß sie nun auf jede Verletzung hin in ihrer Totalität degenerierten. Da bei einer solchen Ringbildung entgegengesetzte Pole aneinander gebracht werden, so würde auch dieser Befund für die Polaritätshypothese sprechen. Ich will nicht verschweigen, daß man dem Befunde aber noch eine andre Deutung geben kann: Es wäre nämlich möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, daß der Nerven- ring im Zustande chronischer Degeneration war, daß also die Durch- schneidung gar nicht die Veranlassung zum Markscheidenzerfall ge- wesen ist.

5. Können die zentralen Querschnitte zweier peripherer Stümpfe miteinander verwachsen? Um dies zu prüfen, habe ich an vier jungen Hunden beide Ischiadiei ausgerissen oder hoch durchschnitten und am Damm miteinander vernäht, so daß nun beide peripheren Stümpfe miteinander verbunden waren. In zweien dieser Fälle waren die Nerven wohl etwas zu kurz; die Nervennaht löste sich und die beiden Ischiadici wurden bei der Sektion voneinander getrennt gefunden. In den beiden andern Fällen blieben sie aneinander. Im einen dieser Fälle war die autogene Regeneration nur gering, die Nerven waren nicht leitungs- fähig. Im andern war der eine Nerv, als ich nach vier Monaten öffnete, leitungsfähig, es zuckten aber bei seiner Reizung nur die Muskeln der gleichen Seite. Ob der Nerv der andern Seite zu dieser Zeit auch leitungsfähig war, weiß ich nicht. Als ich nach acht Monaten beide Nerven freilegte, waren es beide nicht; der linke nicht mehr, der rechte war es vielleicht nie gewesen oder nicht zu der Zeit, als ich ‘den linken bloßlegte und reizte. Beide Nerven enthielten reichlich markhaltige Fasern, auch die breite Narbe war von solchen durchsetzt. Diese Fasern konnten aber von einem Nerven in den andern hineingewachsen sein; eine Vereinigung der Faserquerschnitte brauchte nicht erfolgt zu sein.

Verliefen diese besonders darauf angelegten Versuche ohne sicheres Ergebnis, so gab mir der Zufall zwei positive Befunde in die Hand. Sie waren beide ganz identisch, nur daß die Erscheinungen im einen etwas leichter hervorzurufen waren. Der Ischiadieus war ausgerissen worden und das herausgerissene Stück abgeschnitten; dabei war ein

i

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 225

Ast, der den Semitendinosus und Semimembranosus versorgt, vom Haupt- stamm abgetrennt worden. Nach beinahe sieben Monaten wurde der Nerv freigelegt. Seine Reizung ergab schöne Zuckungen im Bein, aber auch bei großer Stärke kein Schreien. (Das zentrale Ende war gar nicht ausgewachsen.) Der Hauptstamm wurde dann über dem Knie durehschnitten. Nach sechs Tagen wurde wieder eröffnet und nun ausgiebig das ganze Gebiet frei- gelegt (Fig. 56). Hauptstamm und Ast für Semimembranosus und Se- mitendinosus waren durch eine sehr dünne Brücke verbunden. Wurde diese oder der Muskelast gereizt, so zuckten eben diese Muskeln. Sie zuckten aber auch, wenn ich bei glei- chem Rollenabstand, der da grade wirksam war, am untersten Ende des Haupt- stamms (bei —) reizte! Um paradoxe Zuckung konnte es sich hier angesichts der guten Durch- feuchtung nicht handeln; auch das Experimentum erueis gelang leicht: schon bei geringem Druck mit einer Pinzette bei—- traten die leb- | haftesten Zuckungen in den Mus- keln ein. Nach Zerschneidung der dünnen Verbindungsbrücke bei 0 war die Bewegung nicht mehr von ee E- aus auszulösen. Hier war also der Nery des Semitendinosus /(S.t.) und des Semi- Wirklich eine rücklänfige Verbin- menbrasnm (im) mi dem Annan de dung vorhanden. dieus verwachsen war. Der Ischiadicus war einige Man könnte ja vielleicht daran us yon Su salaindisen Beehuume ne ah denken, daß Fasern des Muskel- worden. o Verdiekung in der dünnen Faserbrücke. astes in den Hauptstamm hinein- gewachsen seien. Das scheint mir aber im höchsten Grade De scheinlich, weil die Wachstumsenergie peripherer Nervenstümpfe im allgemeinen sehr gering gefunden wird und es sich hier um ein Aus- wachsen handeln müßte, das das zentraler Stümpfe noch übersteigen würde (etwa 6 em). Die histologische Untersuchung zeigte, daß die dünne Verbindungsbrücke nur 12—15 markhaltige Fasern enthielt, während im Hauptstamm sicher mehrere Tausend, im Muskelast viele

3ethe, Nervensystem. 15

226 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

Hundert vorhanden waren. (In der Mitte der Verbindungsbrücke und an der Stelle, wo sie mit dem Muskelast zusammenstieß, fanden sich Verdiekungen.) in welchen ein großes Gewirr markhaltiger Fasern sichtbar war. Da nun Reizung des Hauptstammes ebenso kräftige Be- wegungen jener Muskeln hervorrief wie die Reizung des Muskelastes selbst, so scheint mir hierin ein zweiter Beweis dafür vorzuliegen, daß es sich nicht um eine direkte Reizung ausgewachsener motorischer Fasern des Muskelastes bei Reizung des Hauptstammes handeln konnte. Reizung so weniger motorischer Fasern kann nach sonstigen Erfahrungen keine maximale Muskelkontraktion zustande bringen. Eine solche Kontraktion ist bei Reizung weniger Fasern sonst nur dann zu beobachten, wenn es sich um rezeptorische Fasern handelt, die mit motorischen durch Zentralsubstanz in Verbindung stehen. Ich bin daher geneigt anzunehmen, daß die Verbindungsbrücke rezeptorische Fasern des Hauptstamms enthielt, welche sich in den Anschwellungen mit einer viel größeren Anzahl von motorischen Fasern des Muskelastes ver- bunden hatten, so daß nun die Anschwellungen gewissermaßen ein sanglienzelloses Reflexzentrum vorstellten. Ich fasse also die vom Hauptstamm aus auslösbare Kontraktion des Semitendinosus und Semi- membranosus mit aller Reserve! als eine Art von Reflex auf, die ohne Ganglienzellen vor sich ging.

Ein zweiter Fall zeigte ganz ähnliche Verhältnisse. Der Nerv war ebenfalls ausgerissen, aber oberhalb des Abgangs des Muskel- astes amputiert., Bei der Eröffnung zeigte der Hauptstamm am Ende ein ziemlich großes Neurom. 3 cm unterhalb desselben ging der Muskelast ab. Ich durchschnitt nun den Hauptast 5 em unterhalb der Abgangsstelle und reizte hier. Auch in diesem Fall zucekten rückläufig beide Muskeln! Ein Urteil, wie viele Fasern des Hauptstammes sich im Neurom mit Fasern des Muskelastes verbunden hatten, ließ dieser Fall nicht zu.

Schließlich sei noch ein dritter Fall angeführt. In diesem lagen die Verhältnisse etwas komplizierter. Ich hatte den Ischiadieus mit- samt den Wurzeln und zwei Spinalganglien herausgerissen und den Nerv dann über dem Knie durchschnitten. Darauf schnitt ich von den Spinalganglien so viel von den Anhängseln ab, daß nur noch ein kurzes Stück des Nervenstammes und der Wurzeln an ihnen hing und legte sie so in die Wunde hinein, daß der Querschnitt des unteren Ischiadieusstumpfes sich mit den zentralen und peripheren Ausläufern der Ganglien berührte. Nach sechs Monaten wurde wieder geöffnet. Die Spinalganglien waren mit dem Ischiadieus gut verwachsen. Reizung des Ischiadieus gab gute Zuckungen im Unterschenkel und Fuß. Ich präparierte mir nun am Unterschenkel einen Seitenzweig des Peroneus auf eine Strecke von mehreren Zentimetern frei (es war

a er

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 227

ein Hautast, also wohl sensibel), durehsehnitt ihn möglichst peripher und reizte sein zentrales, dem Hauptstamm zu- gerichtetes Ende. Bei jeder Reizung traten deutliche Zuckungen in fast allen Muskeln des Unterschenkels und Fußes ein: gradeso, als ob ich ihre motorischen Fasern im Hauptstamm selber gereizt hätte. (Die Stromstärke, die hierzu nötig war, übertraf allerdings die, welche am Hauptstamm eine Wirkung hervorzurufen imstande war. Stromschleifen waren ausgeschlossen.) Die histologische Untersuchung des Ischiadieusendes mit samt den daranhängenden Ganglien ergab, daß in den Ganglien gut erhaltene Zellen vorhanden waren, doch war ihre Zahl weit geringer als in einem normalen Ganglion. Ein Teil von ihnen war ohne Zweifel zugrunde gegangen. Vom Ganglion aus gingen markhaltige Fasern in den

Hauptstamm des Ischiadieus, aber soweit sich das bei den etwas schwierigen topographischen Verhältnissen feststellen ließ nur von

seinem peripheren Pol aus. Wenn nicht die beiden andern Fälle be- ständen, so würde man geneigt sein, die reflexartige Erscheinung auf die Mitwirkung der Spinalganglien zu beziehen. So bin ich der An- sicht, daß sie mit der Erscheinung gar nichts zu tun haben.

Nach diesen Befunden scheint es nicht zweifelhaft, daß sich am peripheren Nervenstumpf (entgegen den bisherigen Beobachtungen am zentralen Stumpf) Fasern von gleicher Polarisation miteinander verbinden können. Immer ist dies jedenfalls nach meinen bisherigen Befunden nicht der Fall, so daß bis zu einem gewissen Grade auch hier eine Abneigung gegen eine Zusammenheilung von Fasern gleicher Polarisation besteht; außerdem scheint mir hier Grund zu der An- nahme vorhanden, daß es nur oder in erster Linie Fasern verschiedener Funktion sind, welche sich miteinander verbinden.

6. Können motorische mit sensiblen Fasern verheilen ? Diese Frage ist von Bidder, hauptsächlich aber von Philipeaux und Vulpian (1863) bearbeitet worden. Es wurde von diesen Autoren der zentrale Stamm des Lingualis mit dem peripheren Ende des Hypoglossus vereinigt. Der Hypoglossus ist in der Hauptsache motorisch (für die Zunge), der Lingualis fast ausschließlich sensibel. Einige Monate nach der Operation wurde die Narbe freigelegt und der Nerv oberhalb und unterhalb derselben gereizt. In beiden Fällen traten sowohl Reflex- bewegungen des Tieres als auch Kontraktionen in der Zunge ein. Hieraus wurde geschlossen, daß eine Vereinigung der Nervenfasern in der Weise stattgefunden habe, daß die sensiblen Fasern des Lin- gualis den ihnen zugeführten Reiz auf die motorischen des Hypo- glossus übertragen könnten und umgekehrt. Die Beweiskraft dieses Versuches wurde zweifelhaft, nachdem Vulpian das Motorischwerden des Lingualis nach Durchschneidung des Hypoglossus gefunden und

15*

228 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

festgestellt hatte, daß es auf einer Beimischung von Chordafasern be- ruhte. Er wiederholte (1873) den Vereinigungsversuch und durchschnitt die Chorda tympani, nachdem vorher festgestellt war, daß bei Reizung des zentralen Lingualis die Zunge zuckte. Einige Tage nach der Chordadurchschneidung wurde wieder gereizt und nun wurde die teizung unwirksam gefunden. Die Chorda und einige Fasern des peripheren Hypoglossus zeigten sich degeneriert. Diesen Chordafasern war also der Erfolg zuzuschreiben. Wie nun Vulpian hervorhebt, waren im peripheren Hypoglossus sehr viele regenerierte Fasern vorhanden, die nach der Chordadurchschneidung nicht degeneriert waren. Da er augenscheinlich an alten Tieren operiert hatte, konnte es sich nieht um Autoregeneration handeln; die Fasern mußten also im Anschluß an die Fasern des Lingualis regeneriert sein oder von diesen ausgewachsen sein. Mir scheint das erstere das zutreffende zu sein: Einem großen, ausgewachsenen Hunde wurde der zentrale Hypoglossus mit dem peripheren Ende des Lingualis vernäht, nachdem vom Hypoglossus das periphere, vom Lingualis das zentrale Ende, soweit erreichbar, exstirpiert war. (Ich habe aus leicht erkennbaren Gründen den Versuch umgekehrt, als sonst üblich, an- gestellt.) Nach fünf Monaten wurde wieder eröffnet. Die Nerven waren fest vereinigt und der Lingualis wieder schön weiß. Es wurde nun der Hypoglossus 2 em oberhalb der Narbe durchschnitten und der Hund nach vier Tagen getötet. Der Lingualisstumpf war voll von frisch degenerierten Fasern; zwischen ihnen waren keine marklosen Fasern (Bandfasern oder Achsialstrangfasern) zu entdecken. Die Fasern des Lingualis waren also unter dem Einfluß derer des Hypoglossus regeneriert und die vorgefundenen markhaltigen Fasern waren nicht in den peripheren Lingualis hineingewachsen, denn sonst hätte man die Reste der alten Lingualisfasern als Achsialstrangfasern finden müssen. Daraus, daß die Degeneration sich nach der zweiten Durch- schneidung vom Hypoglossus auf diese regenerierten Fasern des Lin- gualis ausdehnte (Fig. 57 2), geht hervor, daß die sensiblen Fasern des Lingualis, welche wenigstens zum überwiegenden Teil durch Zu- sammenheilung mit motorischen Fasern des Hypoglossus regeneriert sein müssen, von der Intaktheit dieser motorischen Fasern jetzt in ihrer Existenz abhängig geworden waren. Da der Hypoglossus sehr viel mehr Fasern enthält als der Lingualis, so hat ein Teil derselben keinen Anschluß im Lingualis finden können und ist im perineuralen Bindegewebe weiter gewachsen (Fig. 572). Diese nun wirklich aus- gewachsenen Fasern finden sich aber nur bis zu einer Entfernung von etwa 1 cm von der Narbe aus gerechnet. Große Strecken können eben auswachsende Fasern nicht zurücklegen. Hält man diesen Versuch mit denen von Philipeaux und Vulpian zusammen, so erscheint

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 229

es wahrscheinlich, daß wenigstens eine trophische Zusammenheilung zwischen motorischen und sensiblen Fasern beinormaler Orientierung derselben möglich ist. Inwieweit diese Zusammenheilung funktionell werden kann, darüber lassen sich zur Zeit nicht einmal Vermutungen aufstellen. (Beachtenswert ist übrigens, wie es auch in der Figur an- gedeutet ist, daß die alten Fasern langsamer degenerieren als die eben regenerierten. Es deckt sich das mit der Beobachtung, daß bei ganz jungen Tieren die Degeneration schneller verläuft als bei erwachsenen.)

Ich habe auch den Versuch gemacht, das zentrale Ende des Ramus maxillaris superior (des Trigeminus) mit dem peripheren Ende des

Fig. 57. A Zusammenwachsungsstelle des rechten und linken zentralen Ischiadieusstumpfes nach

weiter zentral gelegener Durchschneidung des rechten Ischiadieus. B Zusammenwachsungsstelle des

zentralen Hypoglossus- und des peripheren Lingualisstumpfes nach Durchschneidung des Hypoglossus

an einer mehr zentralgelegenen Stelle. (OÖsmiumschwärzung der Markscheiden.) Vergrößerung 10 mal. Die Dicke der Fasern ist übertrieben.

Optieus zur Verheilung zu bringen. Im besseren der beiden Versuche, welche ich nach dieser Richtung hin anstellte, kam es aber nur zu einer rein äußerlichen Zusammenheilung; die Fasern beider Nerven blieben nachweislich ganz voneinander getrennt. Zu den Versuchen wurden wieder junge Hunde gewählt: Nach erfolgtem Hautschnitt und Abtragung eines Teiles des Museulus temporalis wurde der Jochbogen mit einer Knochenzange fortgenommen und unter Schonung der Gefäße der Trigeminusast aufgesucht. Er wurde dieht am Eintritt in das Foramen supramaxillare durchschnitten und zurückgeschlagen. Dann wurde nach Fortnahme von etwas Augenhöhlenfett der Opticus unter Schonung der Augenmuskeln freipräpariert und in der Mitte zwischen

230 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

Augapfel und Foramen optieum durchschnitten. Der zentrale Trige- ıninusstumpf wurde nun an den Optieus gelegt und mit diesem ver- näht. In beiden Fällen trat nach einigen Wochen Trübung der Linse und des Glaskörpers ein. Nach etwa zehn Monaten wurde der eine Hund getötet. Der Bulbus der operierten Seite war wesentlich kleiner als der andre. Der Trigeminus war fest mit dem Optieus verbunden. Schnitte durch Bulbus und Nerv zeigten aber, daß die Fasern beider Nerven ganz getrennt waren. Die Fasern des Trigeminus waren im perineuralen Bindegewebe des Optiecus weiter gewachsen und bis weit in die Sclera eingedrungen. So umfaßten sie den sehr verkürzten

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Fig. 58. 1 Zusammenwachsungsstelle des zentralen Trigeminusstumpfes und des peripheren Opticus. B Zusammenwachsungsstelle des zentralen und peripheren Optieusstumpfes. (Etwas schematisiert.)

Optieusstumpf, welcher, wie schon auf S. 181 angegeben, gute mark- haltige Fasern (bei vollkommener Abwesenheit einer Retina) enthielt (Fig. 584). (Wie aus der Serie mit Sicherheit hervorgeht, sind die im Opticus liegenden Fasern keine eingewanderten Trigeminusfasern.) Der andre Hund wurde nach etwas weniger als zehn Monaten getötet. Bei der Sektion fand ich den Trigeminus vom Optieus losgerissen und in seiner alten Lage fest mit seinem peripheren Ende verwachsen. Andrerseits hatten sich auch der zentrale und periphere Optieusstumpf wieder zusammengefunden und waren miteinander verwachsen. Die Verwachsungsstelle war deutlich sichtbar. Zentralwärts von derselben war der Optieus gelb und welk, während er nach dem Auge zu glänzend weiß war. Die Schnitt-

Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 231

untersuchung gab folgende Befunde: Vollständige Degeneration der Retina, sehr zahlreiche markhaltige Fasern im peripheren Optieus- stumpf (d.h. dem Ende, das am Auge hing), gute Verwachsung beider Optieusstümpfe, vollkommenes Fehlen markhaltiger Fasern im zentralen Teil des zentralen Optieusstumpfes und Ausstrahlung von Fasern des peripheren Optieusstumpfes über die Narbe hinaus in den zentralen hinein (Fig. 582). Jedenfalls kann also auch der Optieus, dieser Höchste unter den Nerven, nach Durchschneidung wieder verheilen. Wenn man das nötige Tiermaterial opfern wollte, würde man es viel- leicht sogar im einen oder andern Fall wieder zu einem funktions- tüchtigen Nerven bringen können.

Im Anschluß hieran seien noch einige andre Fälle von gelungener Nervenverheilung erwähnt, deren Interesse allerdings mehr auf einem andern Gebiet als dem hier behandelten liegt, weil die anatomischen Verhältnisse bei den betreffenden Nerven zu wenig bekannt sind. Philipeaux und Vulpian gelang es, den zentralen Vagus und den peripheren Hypoglossus zusammenzuheilen. Reizung des Vagusanteils ergab Kontraktion der Zunge, Reizung des Hypoglossusanteils Vagus- erscheinungen. Langley (1897) gelang es, bei der Katze den zentralen Vagus mit dem Cervicalganglion des Sympathieus zur Verheilung zu bringen. Auch hier hatte Reizung des Sympathieus Vaguserscheinungen (natürlich neben Sympathieuserscheinungen), Reizung des Vagus Sym- pathieuserscheinungen zur Folge. Es können also nach diesen Be- funden Nerven von der verschiedensten physiologischen Wirkung mit- einander funktionell in Verbindung gebracht werden.

Schon frühzeitig ist es den Physiologen aufgefallen, mit welcher manchmal erstaunlichen Sicherheit sich die Enden durchschnittener Nerven wieder zusammenfinden. Man ging dabei allerdings häufig von der falschen Voraussetzung aus, daß jede Faser sich mit der ihr korrespondierenden wieder vereinigte. Sicherlich ist das nicht der Fall. Wie schon oben gezeigt, sucht ein zentrales Ende nur, sich überhaupt wieder mit einem peripheren Ende zu vereinigen, aber nicht grade mit seinem eignen. So wie die ganzen Nervenstämme nicht sehr wählerisch sind, so werden es auch die einzelnen Fasern nicht sein und man kann annehmen, daß sich häufig sogar moto- rische Fasern des einen Stumpfes mit sensiblen des andern ver- binden. Aber immerhin bleibt es merkwürdig, wie ein zentraler Stumpf auch bei nennenswerter Verlagerung des peripheren diesen wieder zu finden vermag. Es ist das Verdienst Forsmanns (1900), aus diesen Dingen ein besonderes Studium gemacht zu haben. Nach seinen Ver- suchen kommt es auf die Lagebeziehungen zwischen zentralem und peripherem Stumpf gar nicht an, wie man leicht hätte annehmen können. Durch geeignete Mittel (Einführung der Nervenstümpfe in

332 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration.

Kollodiumröhren, die nachher mitgeschnitten wurden) gab er den Stumpfenden alle möglichen Lagen, z. B. so, daß beide Enden nach der Peripherie zu gerichtet waren, aber immer fanden sie sich gut zu- sammen. Er kam daher auf. den Gedanken, daß es sich hier um einen Chemotropismus handle und daß die Fasern des zen- tralen Endes durch die beim Zerfall des peripheren Endes entstehen- den Produkte angezogen würden. Diesen „Neurotropismus“ suchte er durch folgendes sinnreiche Experiment weiter zu stützen. An das zentrale Ende eines durchschnittenen Nerven brachte er zwei Röhrchen von Kollodium, deren Öffnung peripher gerichtet war; das eine war mit gehackter Leber, das andre mit gehacktem Gehirn gefüllt. Die vom zentralem Ende auswachsenden Fasern wuchsen nun rück- läufig in das mit Gehirn gefüllte Rohr hinein, aber nicht in das andre.

So beweisend dieses Experiment für die (auf die auswachsenden Fasern) anziehende Wirkung der zerfallenden Nervensubstanz zu sein scheint, so dürfte nach meiner Meinung der wahre Sachverhalt doch etwas anders sein. Das, was die primäre Vereinigung zwi- schen den Enden eines durchschnittenen Nerven her- stellt, isstnämlichnach meinen Erfahrungen das Binde- sewebe der Nerven. Die Fasern wachsen erst sekundär auf diesem Boden weiter und treffen so unbedingt auf das periphere Ende, wenn das Bindegewebe den Anschluß erreicht hat. So fand ich z. B. schon zehn Tage nach Exstirpation eines 1 cm langen Nerven- stückes beide Enden durch perineurales Bindegewebe miteinander ver- bunden. Zu dieser Zeit haben aber die Fasern grade erst begonnen auszuwachsen und sind höchstens 1 mm in dem Bindegewebe vor- sedrungen. Ich glaube wohl, daß eine Art Chemotropismus bei dem Zusammenfinden eine Rolle spielt, glaube aber, daß er nicht den Nervenfasern selbst, sondern dem Bindegewebe zukommt; dieses wächst nach der Reizstelle hin und die wachsenden Nervenfasern folgen ihm nach. Auch das wirre Durcheinanderliegen der Fasern im Neurom wird durch das Bindegewebe vorgebildet. Zuerst wuchert es ganz wirr und erst allmählich nehmen die Fasern eine geordnete und par- allele Richtung an. Diese Irrwege machen die auswachsenden Nerven- fasern nachher getreulich nach. So kommt es, daß man bei größeren Defekten immer zwei Neurome (eins am zentralen, eins am peripheren Ende) trifft; in der Mitte liegt eine Strecke, in der die Fasern fast wie im gewöhnlichen Nerven ganz parallel verlaufen. Genau dasselbe findet man aber schon wenige Tage nach der Operation im Binde- sewebe vorgebildet, nur ist von Nervenfasern weder in den Neuromen noch in der Zwischenstrecke etwas zu finden. Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen, wie die Nervenfasern immer den Weg im festen perineuralen Bindegewebe (oder z. B. in dem festen Binde-

Über die Entwicklung der Nervenelemente. 233

gewebe der Sclera) nehmen: Dieses Bindegewebe ist der eigentliche Wachstumsboden auswachsender Fasern, aber nicht die „leere“ Röhre der alten Schwannschen Scheiden, wie Ranvier, Vanlair u. a. meinten. Diese sind, wenn die Fasern des zentralen Endes auswachsen, nicht mehr leer und wenn sie zufällig in der falschen Orientierung sind (siehe S. 219), so wachsen die Fasern des zentralen Stumpfes, wie es scheint, an ihnen vorbei. Wo es sich um funktionstüchtige Verbindung eines zentralen und eines mehr als einige Zentimeterlangen peripheren Stumpfes handelt so muß man nach meiner Meinung unbedingt schließen da sind nicht die zentralen Fasern in die peripheren hineingewachsen, sondern sie haben sich mit ihnen verbunden und sie zur Vollendung der bereits angefangenen Regeneration angeregt!

DREIZEHNTES KAPITEL.

Über die Entwicklung der Nervenelemente.

Es liegt mir fern hier einen vollkommenen Überblick über die Entwicklung des Nervensystems und seiner einzelnen Elemente zu geben. Nur einzelne Punkte, die für die allgemeine Auffassung des Nervensystems von Wichtigkeit sind, mögen hier zur Besprechung kommen. -

In dem vorhergehenden Kapitel wurde gezeigt, daß die Regenera- tion verletzter Nerven nicht durch Auswachsung der Nervenfasern vom zentralen Stumpf her geschieht, sondern daß Reste des alten Nerven, wahrscheinlich die Zellen der Schwannschen Scheide, die neuen Nerven- fasern bilden. Dies widerspricht nieht nur der herrschenden Ansicht vom Verlauf der Regeneration, sondern auch den Anschauungen, welche sich die Mehrzahl der Autoren von der Entwicklung der Nerven ge- bildet hat. Zwar gibt es einige Fälle, in denen die Regeneration eines Körperteils oder eines Gewebes nicht von denselben Elementen ausgeht, von welchen sie bei der Entwicklung gebildet werden (siehe die Arbeiten von Driesch), im allgemeinen ist dies aber doch der Fall und so ist es denn von jeher ein berechtigtes Postulat gewesen, die Entwieklung der Nerven und den Modus ihrer Regeneration miteinander

234 Über die Entwicklung der Nervenelemente.

in Einklang zu bringen. Die Überzeugung von der Notwendigkeit der Übereinstimmung beider Prozesse geht bei einigen Autoren sogar soweit, daß sie dies Postulat als Beweismittel aufführen. Bald wird es in diesem bald in jenem Sinne angewandt und man kann sowohl die Wallerschen Sätze als Beweismittel für den von His verfochtenen Modus der Ent- wieklung angeführt finden, als auch umgekehrt die Hisschen Befunde “als Beweis für die Richtigkeit der Wallerschen Sätze. Wenn ich selber die Übereinstimmung beider Prozesse auch nieht als notwendig ansah, so hielt ich sie doch von vornherein für recht wahrscheinlich, und ich sah mich daher gezwungen, aus eigner Anschauung ein Urteil über die Richtigkeit der herrschenden Lehre von der Entwicklung der Nerven zu gewinnen. An diese Arbeit konnte ich um so mehr mit der guten Hoffnung, eine Übereinstimmung zu erzielen, herangehen, als ja die herrschende Ansicht nicht widerspruchslos dasteht und mehr durch Überstimmung als durch Überzeugung zu der herrschenden geworden ist.

Noch immer stehen sich zwei Ansichten über die Entwicklung der Nervenfasern gegenüber: Die Remak - Kupffer -Hissche, daß die Nervenfasern als lange Ausläufer von den Ganglienzellen auswachsen, also mit der Ganglienzelle zusammen eine Zelleinheit bilden, und die Balfour- Beard- Dohrnsche (der sich Kupffer zeitweise angeschlossen hat), daß sie aus einer ganzen Anzahl von Zellen entstehen, also multizellulären Ursprungs sind und mit der Ganglienzelle nur sekundär etwas zu tun haben. Die Hensensche Ansicht könnte man noch als dritte nennen, doch fällt sie für uns mit der Hisschen zusammen, weil es sich hier nicht darum handelt, ob Zentrum und Peripherie ab ovo miteinander verbunden sind, sondern nur darum, ob die Nervenfasern Zellausläufer oder zelluläre Gebilde sind.

Für die Auswachsungstheorie werden von His (1883, 1886, 1887, 1889, 1890) etwa folgende Punkte angeführt: Das Neuralrohr steht nach der Abschnürung vom dorsalen Epithel zunächst in gar keiner Verbindung mit der Anlage der Muskulatur und den übrigen später innervierten Organen; es besteht aus einfachen Epithelzellen, welche sich unter fortwährenden Teilungen zu Neuroblasten umformen. An denjenigen Neuroblasten, welche in der Nähe der späteren motorischen Wurzel liegen, bildet sich ein Fortsatz, welcher die Membran des Neuralrohrs durchbohrt. Diese ausgetretenen Ausläufer werden als Achsenzylinder bezeichnet und bilden die erste Nervenanlage, welche anfangs immer frei von Zellen sein soll. Je älter der Embryo ist, desto weiter sind die Fasern nach der Peripherie zu vorgedrungen. Die späteren Schwannschen Kerne dringen von außen in die zellfreie Nervenanlage hinein und gesellen sich den einzelnen Fasern sekundär hinzu. Sie sind als Mesodermzellen anzusehen.

Über die Entwieklung der Nervenelemente. 335

Kölliker (1886, 1900) stützte die Ausläufertheorie durch Unter- suchungen am Kaulquappenschwanz. Er fand hier die jungen Nerven- fasern zunächst ohne Keme. Sie sollen sieh erst später anlagern. Diese Anlagerung wird in einer Abbildung vorgeführt! Wie Dohrn bereits ausgeführt hat, ist dieselbe nieht sehr beweisend, und Kölliker selber drückt sich in der Arbeit noch sehr zurückhaltend aus. In späteren Arbeiten ist er ohne erneute eigne Untersuchungen mit sehr viel größerer Sicherheit für die Auswachsungstheorie eingetreten. Eine starke Stütze schien die Hissche Ansicht durch die von Ramön y Cajal und Lenhossek mit Hilfe der Golgischen Methode er- hobenen Befunde zu erhalten. Sie fanden im Rückenmark junger Hühnchen inkrustierte Neuroblasten, von denen ein immer verhältnis- mäßig sehr dicker Fortsatz die Membran in der Richtung der vorderen Wurzel durchsetzt und dann in größerer oder geringerer Entfernung mit einer unregelmäßigen Anschwellung endet. Diese Anschwellung wird als das Ende der vorwachsenden Nervenfaser angesehen und als Wachstumskeule bezeichnet.

Gurwitsch (1900) untersuchte die Bildung der Schwannschen Scheiden am Ischiadieus von Schafembryonen. Bei seinem frühsten Stadium, das schon einer ziemlich späten Entwieklungsstufe entspricht, findet er den Nerven aus Bündeln feiner Fasern bestehend, welche von einer kernhaltigen Membran umgeben sind und nur wenige Kerne enthalten. An einer andern Stelle sagt er, daß die jungen Nerven- bündel ganz kernlos seien und sieht dies als hinreichenden Grund an, sich der Ausläufertheorie anzuschließen. Abgebildet wird dieses kern- lose Stadium nicht. Von den Kernen, welche den jungen Nerven umgeben und welche ohne weiteres als Mesodermkerne angesehen werden, sollen nun Kerne zwischen die Fasern treten und zu Schwann- schen Kernen werden.

Die neueste Untersuchung, welche für die Ausläufertheorie ein- tritt, stammt von Harrison (1901) und ist an Salmonidenembryonen ausgeführt. Harrison findet wie His, daß die Neuroblasten Ausläufer aussenden, welche die Rückenmarksmembran durchbohren und nun weiterwachsen, ohne dabei zunächst mit andern Kernen in Beziehungen zu treten. Später macht die große Zahl von Mesenchymzellen das Bild unklar. Das Ende der vorwachsenden Ausläufer ist kolbig an- geschwollen, aber im Gegensatz zu den Wachstumskeulen, welche bei der Golgischen Methode zu sehen sind, glatt. Die Ausläufer sind diek und protoplasmatisch. Mit Ausnahme einer Faser wird keine andre ab- gebildet, welche die Grenzen des Rückenmarks wesentlich überschreitet.

Wenn man das Resultat aller dieser Arbeiten zusammenfaßt, so wird zwar durch sie gezeigt, daß von den Neuroblasten Ausläufer in die Wurzeln hineinstrahlen und daß zu gewissen Zeiten der Entwicklung

236 Über die Entwicklung der Nervenelemente.

die Beziehungen zwischen den einzelnen Fasern und Kernen wesentlich anders und undeutlicher sind als im adulten Zustande, aber nicht, daß bei der Entwicklung der Nervenfasern, speziell der Achsenzylinder, keine andern Zellen als die Neuroblasten im Spiel sind. Dies wäre aber zu zeigen notwendig, wenn wirklich diese Ansicht von der Nerven- entwicklung als bewiesen gelten sollte. Im allgemeinen beschränken sich die Untersuchungen auf die allernächste Nähe des Zentralnerven- systems und die Kernlosigkeit der Nervenanlagen, welche als Haupt- stützpunkt angesehen werden müßte, geht aus den Abbildungen der Autoren häufig nieht mit der wünschenswerten Klarheit hervor.

Im Gegensatz zu den erwähnten Autoren lassen Balfour, Götte, Beard, Dohrn, van Wijhe, Raffaele, Apathy und andre die Nerven- fasern aus Zellreihen entstehen und beschreiben die erste Nervenanlage als eine nicht faserige, sondern zelluläre. Auch Kupffer, der ja ur- sprünglich der Begründer der Auswachsungstheorie war, veröffentlichte später Befunde, welche vielmehr für eine zelluläre Entstehung der Nervenfasern sprechen. Er zeigte nämlich, daß bei Petromyzon die Wurzeln und die späteren Nerven bereits zu einer Zeit als Zellstränge vorgebildet sind, zu der weder Fasern gebildet noch Mesenchymzellen vorhanden sind. Nach Götte sollen die zelligen Elemente, welche die Nervenanlagen bilden, mesodermaler Herkunft sein. Alle andern lassen sie vom Ektoderm abstammen. An der Stelle, wo später die motorische Wurzel das Rückenmark verläßt, treten Zellen heraus, welche sich vermehren und Bänder von Spindelzellen bilden, die ihrerseits den Weg des späteren Nerven vorzeichnen. Aus diesen Zellbändern oder Ketten bilden sich dann erst die Nervenfasern. Als Untersuchungsmaterial dienten hier vorzugsweise Selachierembryonen.

Man kann sich nicht verhehlen, daß manche der Arbeiten, welche die Zellkettentheorie vertreten, besonders die älteren, mehr Vermutungen als Beweise vorbringen. Dies kann aber keineswegs für die Arbeiten von Dohrn und die späteren Arbeiten Beards geltend gemacht werden. Besonders Dohrn (1890, 1901) zeigte in klarer Weise, daß den ersten Anlagen der motorischen Wurzeln von vornherein zellige Elemente beigemischt sind, daß die ersten aus dem Rückenmark austretenden Fasern keine Achsenzylinder, sondern protoplasmatische Fäden (Aus- Flüsse) sind und daß sich die späteren Achsenzylinder innerhalb dieser Ausflüsse und der Zellenketten als glänzende Zylinder entwickeln. Seinen Hauptstützpunkt bilden aber nicht die Verhältnisse an den motorischen Wurzeln, welche nach seiner Ansicht keine einwandsfreien Bilder geben, sondern die Entwicklung einiger sensibler Nerven, vor allem des Nervus lateralis, des Schleimkanalnerven. Hier ist es nach seiner Beschreibung und seinen zahlreichen Abbildungen als absolut sicher zu erachten, daß Zellketten ektodermaler Herkunft den primären

=

Uber die Entwicklung der Nervenelemente. 337

Nerven bilden und daß sich innerhalb des Protoplasmas dieser Zellen und unabhängig vom Zentrum die Achsenzylinder entwickeln. Wichtig ist es auch, daß sich häufig mehrere Zylinder im Leibe ein und der- selben Zelle zeigen.

Eine besondere Stellung nimmt Sedgwick (1895) ein, welche mir bis zu einem gewissen Grade sehr sympathisch erschemt. Für ihn ist der starre Zellbegriff, welcher noch immer die ganze Histologie und Embryologie beherrscht, unhaltbar geworden. Der Leib eines Embryo besteht für ihn nicht aus abgegrenzten Protoplasmapartien, welche je einen Kern enthalten und als Zellen angesehen werden können, sondern aus einer großen Protoplasmamasse, welche vıele Kerne enthält. In der Nähe der Kerne ist das Protoplasma dichter, so daß es anscheinend einen abgeschlossenen Leib um dieselben bildet. Während der Entwieklung nehmen diese Verdichtungen immer mehr zu und gewinnen immer mehr Gestalt. So entwickeln sich die Gewebe des fertigen Tieres nicht dadurch, daß die von An- fang an vorhandenen Zellen zu denselben auswachsen, sondern durch Gruppierung der Kerne und Differenzierung des zwischen ihnen liegen- den indifferenten Plasmas. Daher kann für ihn die Entwicklung der Nerven nicht in einem Auswachsen von Zellfortsätzen bestimmter zen- traler Zellen bestehen, sondern nur in der Differenzierung einer Sub- stanz, welche bereits an Ort und Stelle ist. Diese Differenzierung scheint vom Zentrum zur Peripherie fortzuschreiten, es sind aber Kerne bei ihr beteiligt, welche sich bereits, ehe die Differenzierung beginnt, an der Stelle ihres späteren Auftretens angesammelt haben. Also auch bei Sedgwick ist die Entwicklung der Nerven eine multinukleäre, wenn auch nicht eine multizelluläre.

Ich habe als Untersuchungsmaterial Hühnerembryonen benutzt und meine Aufmerksamkeit hauptsächlich den Rückenmarkswurzeln zugewandt. Sind die einzelnen Elemente bei diesen Tieren auch kleiner als bei den Embryonen mancher andrer Tiere, so besteht hierin doch keine wesentliche Schwierigkeit, weil man mit Hilfe von Immersionssystemen zu vollkommen klaren Bildern gelangt, voraus- gesetzt, daß man gute Färbungen erzielt hat. Nach einer ganzen Reihe von Fixierungsversuchen habe ich für meine Zwecke die Fixierung mit 90°/, Alkohol als die bei weitem beste erkannt. Ich bin darauf gefaßt, daß mir viele Embryo- logen die Benutzung von Alkohol als Kunstfehler anrechnen werden, bleibe aber dabei, daß sich Alkohol für das Studium der Nervenentwicklung besser eignet als die meisten bei den Embryologen üblichen Gemische. Grade in der Eigenschaft, welche man dem Alkohol gewöhnlich vorwirft, daß er schrumpfend wirkt, sehe ich hier seinen Hauptvorteil. Die jungen Fasern werden dichter fixiert als z. B. bei der Anwendung von Sublimat und die zusammengehörigen Kerngruppen sind besser voneinander getrennt; die Färbung der darzustellenden Gebilde gelingt auch besser als nach den meisten andern Fixierungsmitteln. Gefärbt wurde meistens mit dem Apäthyschen Hämatein Ia, und zwar nach dem Schneiden. Zum Teil wurden diese Präparate mit Säurefuchsin nachgefärbt. Außerdem gelangte Färbung mit basischen Farbstoffen (Methylenblau oder Toluidinblau) mit oder

238 Über die Entwicklung der Nervenelemente.

ohne Nachfärbung mit sauren Farbstoffen zur Anwendung. Mit Beginn der Mark- scheidenentwicklung wurden auch in Osmiumsäure fixierte Präparate untersucht.

Wie bekannt, findet man in den ersten Bebrütungstagen die Entwicklung in den vorderen Segmenten stets erheblich weiter fortgeschritten als in den hinteren, welche sich erst später angelegt haben. Meine Zeitangaben beziehen sich stets auf die Gegend des Rückenmarks, in welcher sich die vordere Ex- tremität anlegt.

Ich beginne mit der Beschreibung von Embryonen vom Ende des dritten. Tages (2 Tage und 19 Stunden, 2 Tage und 20 Stunden, 2 Tage und 21 Stunden). Die Bildung von weißer Substanz hat im Rückenmark noch nicht begonnen. An der Stelle der vorderen Wurzeln sind wenige (zwei bis fünf) Fasern zu sehen, welche die Membran des Rückenmarks durchsetzen. Auf diesem Stadium sehe ich die vordere und hintere Wurzel und den zugehörigen Spinalnerven bis zum ventralen Rande des Muskelblattes als deutliche Zellbänder an- gelegt (Fig. 59). Sie bestehen aus großen ovalen Kernen, welehe in der Richtung vom Rückenmark zur Peripherie gerichtet, und von einem dunkel tingierten, spindelförmigen Hof von dichterem Proto- plasma umgeben sind. Wenn ich auch mit Sedgwick der Ansicht bin, daß die Grenze der stärkeren Tingierbarkeit nicht einer Zellgrenze entspricht und wir es hier gar nicht mit Zellen, sondern mit Kernen zu tun haben, an welchen sich das allgemeine Körperplasma etwas verdichtet hat, so will ich doch der Bequemlichkeit halber von Zellen sprechen. Nicht nur dureh die gleichartige Orientierung der Zellen heben sich diese Zellbänder von der Umgebung ab, sondern auch durch die Form und Struktur des Zellleibes und durch die Beschaffen- heit der Kerne, welehe mit ihren zwei Kernkörperchen den Kernen der Neuroblasten außerordentlich ähnlich sehen. Nicht selten sieht man solche Zellen an der Membran des Neuralrohrs halb außerhalb, halb innerhalb desselben liegen. Die Fäden, welche die Membran des Rückenmarks durchsetzen, zeigen sich häufig in Zusammenhang mit Neuroblasten, ganz wie His und andre es abbilden, ebenso häufig zeigen sie sich aber als Ausläufer der Zellen der Ner- venanlage, welche ich fortan mit Apäthy als Nerven- zellen (im Gegensatz zu den Ganglienzellen) bezeichnen will. Mit den später zu beschreibenden jungen Achsenzylindern zeigen die Fäden gar keine Ähnlichkeit; sie sind dieker, besitzen körnige Struktur und entbehren des starken Glanzes. Innerhalb dieser protoplasmatischen Fäden (sehr selten außerhalb derselben) sieht man manchmal schon in diesem Stadium glänzende und ziemlich dunkel gefärbte Zylinder.

Dieselben Zellbänder finde ich nun in der gleichen Ausdehnung und in derselben Lage (d. h. segmental angeordnet) auch bei wesentlich früheren Stadien, doch fehlt bei diesen jede Andeutung von Fasern, welche als spätere Achsenzylinder oder als Fortsätze der

PORES In

RELATION

Über die Entwicklung der Nervenelemente. 239

Neuroblasten aufgefaßt werden könnten. Je jünger die Stadien sind, desto weniger Zellen setzen die einzelnen Zellketten zusammen, so daß dadurch ihre Auffindung erschwert wird. Bei Embryonen von der Mitte des dritten Tages sind sie schon sehr deutlich (2 Tage

12 Stunden und 2 Tage 16 Stunden), aber auch am Anfang des

dritten Tages sind sie schon zu erkennen. Zweifelhaft erscheint es mir dagegen, ob gewisse aus wenigen Kernen zusammengesetzte Brücken, die ich schon in der Mitte des zweiten Tages zwischen Neuralrohr und Myotom fand, mit den späteren Zellketten etwas zu

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Fig. 59. Querschnitt durch einen Hühnerembryo von 2 Tagen und 21 Stunden Bebrütung. Anlage der Wurzeln und des Spinalnerven in Form von Spindelzellen. Anfang der Embryonalfaserbildung. (Leitz IX 5.)

tun haben, weil die Elemente hier noch nicht die Charakteristika be- sitzen, welche sie in späteren Stadien von andern Elementen unter- scheiden. Vom Anfang des dritten Tages an ist dies in der Regel leicht möglich. Erscheinungen, welche darauf hindeuteten, daß fremde Elemente, also freie Mesenchymzellen, sich den einmal vorhandenen Zellketten hinzugesellten, fehlen vollkommen. Die Zellen der Ketten vermehren sich vielmehr nur aus sich selbst heraus durch häufige Teilungen, welche immer in der Längsrichtung der Anlage vor sieh gehen. Fast in jeder Zellkette sind mehrere Mitosen vorhanden.

Ehe sich also eine Spur von Nervenfasern beim Hühnchen zeigt, ist der Ort, an dem später der Nerv entsteht, durch Zellketten vor-

240 Über die Entwicklung der Nervenelemente.

gezeichnet. Woher diese Zellen stammen, kann ich nicht sagen und es ist dies für mich auch unwesentlich. Jedenfalls glaube ich aber behaupten zu dürfen, daß die erste Anlage der Nerven beim Hühnchen nicht faseriger, sondern zellulärer Natur ist.

Am Ende des dritten und Anfang des vierten Tages treten sehr wesentliche Veränderungen an den Zellketten auf. Zwischen den Zellen, welche die Ketten zusammensetzen, erscheinen mehr und mehr glänzende und dunkeltingierbare Zylinder, so daß die Zellen, welche um die Mitte des dritten Tages noch einen ziemlich soliden Strang bildeten, am

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Fig. 60. Zwei aufeinanderfolgende Schnitte durch einen Spinalnerven eines Hühnerembryos von 3 Tagen 6 Stunden Bebrütung. (Leitz IX 7.)

Anfang und gegen Mitte des vierten Tages diese Zylinder röhren- förmig umgeben. Nur vereinzelt sieht man noch Zellen innerhalb der Faserbündel liegen, doch habe ich solche zwischenliegende Zellen nie ganz vermißt. Figur 60 stellt einen Spinalnerven aus dem oberen Brustmark eines Embryos von drei Tagen und sechs Stunden dar, und „war ist 4 ein Schnitt, weleher mitten durch den Nerven hindureh- scht, während 2 den nächstfolgenden Schnitt derselben Stelle dar- stellt, in welchem bereits die äußere Oberfläche getroffen ist. Auf Querscehnitten durch eine solche Nervenanlage sieht man das quer- eeschnittene Bündel der Fasern, umgeben von den Nervenzellen und auch im Inneren einige Nervenzellen beherbergend; doch sind diese Schnitte weniger instruktiv als Längsschnitte, weil die charakteristischen

Über die Entwicklung der Nervenelemente. 341

Unterschiede zwischen den Nervenzellen und andern Zellen weniger deutlich hervortreten. Bilder dieser Art haben nach meiner Meinung viele Verfeehter der Auswachsungstheorie vor sieh gehabt und als erstes Stadium die Entwicklung betrachtet, ohne zu sehen, daß sie bereits ein sekundäres Stadium darstellen.

Es fragt sich nun, wie die glänzenden Zylinder in die Mitte zwischen die Nervenzellen gekommen sind: Durch Eindringen von Ausläufern zentraler Zellen oder durch Differenzierung des nach der Strangmitte zu gelegenen Plasmas der Nervenzellen? Die Untersuchung mit stärkeren Vergrößerungen zeigt, daß zwar manche Zylinder an- scheinend frei zwischen den Nervenzellen liegen, daß aber andre ganz deutlich in deren körnigem Plasma verlaufen (siehe Fig. 61 und 62). Die anscheinend freien Zylinder liegen der nächst benachbarten Zelle meist ziemlich dieht an und bleiben auch zwischen den Zellspitzen zu kleineren Bündelehen vereinigt (Fig. 60). Sehr bemerkenswert ist es auch, daß in jeder Zelle vorwiegend an einer

Fig. 61. Fünf Spindelzellen aus der Anlage eines Spinalnerven vom Hühnchen. Das Auftreten von glänzenden Zylindern im Protoplasma der Zellen. (Bebrütung: 3 Tage 21 Stunden.) (Zeiss Apo- chromat 1,30, Kompensationsocular 6. Genau mit dem Zeichenapparat aufgenommen.)

Seite Zylinder im Protoplasma liegen und zwar an der der Mitte der Anlage zugekehrten Seite. Direkt nach außen sieht man nie solche Zylinder und zwar weder im deutlich sichtbaren Plasma noch außerhalb desselben. Am deutlichsten sind diese Verhältnisse bei Embryonen von 3 Tagen und 4—20 Stunden.

Zu dieser Zeit hat sich die weiße Substanz des Rückenmarks bereits zu bilden begonnen (Fig. 62). Die den vorderen Wurzeln nahe gelegenen Neuroblasten zeigen zur Wurzel hin gerichtete Fortsätze, welche zunächst protoplasmatisch sind, weiterhin aber das Aussehen der oben beschriebenen Zylinder annehmen. Am Austritt der moto- rischen Wurzel aus dem Rückenmark liegen stets eine ganze Anzahl von Nervenzellen, welche ihren zentral gerichteten, protoplas- matischen Ausläufer mehr oder weniger weit in das Rückenmark hineinerstrecken. In und zwischen diesen Aus- läufern liegen Zylinder und gar nicht selten kann man einen inner- halb einer Nervenzelle verlaufenden Zylinder bis in den Fortsatz eines Neuroblasten verfolgen. Einige Male habe ich auch eine Nervenzelle

mit dem Zellleib mitten in der Wurzelaustrittsöffnung liegen sehen. Bethe, Nervensystem. 16

242 Über die Entwicklung der Nervenelemente.

Es sei auch nochmals bei der Figur 62 auf die Ähnlichkeit zwischen Neuroblasten und Nervenzellen aufmerksam gemacht.

So, wie in diesem Stadium die Verhältnisse am Rückenmark liegen, kann man zwar die Zylinder als Fortsätze der Neuroblasten ansehen; aber ebensogut kann man sie für Gebilde halten, welche aus den Nervenzellen in die Neuroblasten hineinwachsen. Wahrscheinlicher als diese Auffassungen scheint mir aber eine andre: Primär bildet sich beim Embryo zwischen Rückenmark und dem zu innervierenden Teil eine mehrzeilige Kette von Kernen, um welche das Plasma

Fig. 62. Austrittsstelle einer vorderen Wurzel aus dem Rückenmark eines Hühnchens von 3 Tagen 6 Stunden Bebrütung. N.bl. Neuroblasten, w.S. weiße Substanz, L. Limitans des Neuralrohrs, N.x. Nervenzellen, M.x. Mesodermzellen. (Vergrößerung wie bei Fig. 61.)

verdiehtet ist. Im Grunde handelt es sich um ein ausgedelhntes Syn- eytium, in welchem die Kerne der Neuroblasten und der Nervenanlage liegen. Innerhalb des verdichteten Plasmas, welches als Leib der Nervenzellen imponiert, differenzieren sich durch Verdichtung Zylinder heraus, welche von einer Zelle zur nächsten und so fort bis zu den Ver- diehtungen reichen, die als Neuroblasten bezeichnet werden. Die gebildeten Zylinder schieben sich immer weiter zur Mitte der Nervenanlage fort, wo sie dann anscheinend frei sind, tatsächlich aber noch im all- gemeinen Plasma liegen, das aber wegen seiner ge-

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Über die Entwicklung der Nervenelemente. 243

ringeren Dichtigkeit nicht mehr deutlich sichtbar ist. Da die Zylinder mit den Neuroblasten in festerer Verbindung bleiben, so scheint es in etwas späteren Stadien, als ob sie Ausläufer derselben seien und mit ihren eigentlichen Bildungszellen nichts zu tun hätten. Wir sehen also hier beim Hühnchen, daß die Zylinder im Plasma der Nervenzellen zuerst sichtbar werden und zwar meist in der Mehrzahl, ganz so, wie es Dohrn für Selachier beschrieben und abgebildet hat.

Am Ende des dritten Tages, wo die Zahl der Zylinder noch gering ist, kann man leicht Zählungen derselben vornehmen. Ich zählte in ein und demselben Nerven die Zahl der Zylinder in der Nähe des Rückenmarks und so weit von demselben entfernt als es möglich ist und fand in der Regel am Rückenmark etwas mehr als an der Peripherie. In etwa 30°/, der Fälle fand ieh gleich viel und hin und wieder sogar an der Peripherie mehr als am Rücken- mark. Der letztere Befund, den ich einigemal mit voller Sicher- heit feststellen konnte, widerspricht der Auswachsungstheorie aufs entschiedenste, ist aber leicht zu verstehen, wenn man die Nervenzellen als Bildungsstätten der Zylinder ansieht.

Während des Endes des vierten und des Anfangs des fünften Tages nimmt’ die Bildung von Zylindern immer noch stark zu. Da die Nervenzellen sich während dieser Zeit nur wenig vermehren, das Faserbündel aber an Dieke zunimmt, so ist das Faserbündel um die Mitte des fünften Tages nur von einem ziemlich spärlichen Mantel von Nervenzellen umgeben. Um diese Zeit treten in den Nervenzellen wieder sehr lebhafte Teilungen zutage. Ohne daß eine Beteiligung andrer Zellen als der Nervenzellen zu be- merken ist, „mischen“ sie sich unter fortwährenden Teilungen immer mehr unter die Fasern. Sie „wandern“, wie viele Autoren sich aus- drücken würden, in das Faserbündel hinein. Von einem Wandern ist natürlich nichts zu sehen; der Tatbestand ist nur der, daß man von der Mitte des fünften Tages an zwischen den Zylindern Zellen liegen sieht (die an Zahl immer zunehmen), welche den früher als Nerven- zellen bezeichneten durchaus gleichen. Die Zahl der rings um das Bündel herumliegenden Nervenzellen, die von den Mesenchymzellen durchaus verschieden sind, nimmt aber ab. Es ist dies das Stadium, welches von den Verfechtern der Ausläufertheorie als Einwanderung von Mesenchymzellen in die Nervenanlage bezeichnet wird. Wer die Nervenzellen von Anfang an kennt, wird aber nicht im Zweifel sein, daß die Zellen, welehe ‚„einwandern“, den Namen Mesenchymzellen nicht verdienen. Es sind vielmehr die durch Teilungen vermehrten Zellen, welche die erste Anlage des Nerven bildeten.

16*

244 | Über die Entwicklung der Nervenelemente.

Die Lagebeziehungen zwischen den Zylindern und den Nerven- zellen werden immer inniger, so daß am Ende des sechsten und An- fang des siebenten Tages an jedem Zylinder in geringen Abständen je ein Kern liegt. Um diese Zeit beginnt sich das Plasma um Zylinder und zugehörigen Kern zu verdichten, so daß wir jetzt Zylinder vor uns haben, welche von einem Mantel umgeben sind, in dem hin und wieder neben dem Zylinder ein Kern liegt (Fig. 63 4). Bei den häufig zu beobachtenden Kermnteilungen bleibt der Zusammenhang zwischen Kern und Zylinder immer erhalten, aber wie mir scheint, zieht der Zylinder nicht währenddessen am Kern vorbei, sondern wird unsicht- bar (Fig. 634). Bestätigt sich dies, so ist es ein neuer Beweis für die Abhängigkeit des Zylinders von der Nervenzelle. Von dieser Zeit an kann man das ganze Gebilde: Zylinder, umgebender Mantel und Kern als embryonale Nervenfaser bezeichnen und dem Zylinder den

Fig. 63. A Embryonale Nervenfasern eines Hühnchens von 7 Tagen Bebrütung. (Färbung mit

Apäthys Hämatein Ia. Dieselbe Färbung wurde bei den Fig. 59—62 zugrunde liegenden Präparaten

verwendet.) DB Primärgefärbte Nervenfaser. Hühnchen von 14 Tagen Bebrütung. Zupfpräparat. (Vergrößerung wie bei Fig. 61 und 62.)

Namen embryonaler Achsenzylinder geben, denn erst jetzt bildet er die Achse. (Der Vergleich zwischen Figur 61 und 63 zeigt, daß die Nervenzellenkerne bei der Umwandlung zu Schwann- schen Kernen wesentlich an Größe abnehmen.)

Bei späteren Teilungen (neunter Tag) verschwindet der Achsen- zylinder an der Kermteilungsstelle nicht mehr. (Diesem Stadium ent- sprechende Bilder sind von Kölliker und Raffaele bereits abgebildet.) Am elften bis zwölften Tag entsteht im Achsenzylinder eine fibrilläre Streifung, welche an Deutlichkeit immer mehr zunimmt. Am drei- zehnten bis vierzehnten Tag zeigen sich die ersten Spuren von Mark dicht am Achsenzylinder und umgeben von Plasma, grade wie bei autoregenerierten Fasern. Zugleich zeigen die Fibrillen primäre Färb- barkeit (Fig. 63 2), und zwar fällt ihr erstes Auftreten mit dem Auf- treten der ersten Reflexerscheinungen am Embryo ziemlich genau zusammen.

Für mich kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Entwick- lung der Nervenfasern multizellulär vor sich geht. Es entsteht aber

Über die Entwicklung der Nervenelemente. 945

nicht jede Faser aus einer Reihe von Zellen, sondern eine Reihe von Zellen bringt eine große Anzahl von Fasern hervor, so daß die sicht- baren Beziehungen zwischen den Nervenzellen in gewissen Stadien außerordentlich locker sind. Erst später vermehren sich die Nerven- zellen stark und treten nun mit deıt einzelnen Fasern in nähere Be- ziehungen. Erst wenn dies eingetreten ist, fangen die nunmehr zu Schwannschen Zellen gewordenen Nervenzellen an, mit den Zylindern zusammen ein abgeschlossenes Ganzes zu bilden. Bei diesem kompli- zierten Bildungsmodus werden die gegenteiligen Deutungen von His, Kölliker, Gurwitsch und andern durchaus verständlich.

Die Unterscheidung zwischen Ganglienzellen und Nervenzellen habe ich Apathy entlehnt, der die Entstehung der Nervenfasern und besonders der Neurofibrillen von den Nervenzellen ableitet, die Gan- glienzelle aber für ein eignes Gebilde ansieht, das erst sekundär von den Nervenzellen aus mit Neurofibrillen versorgt wird. (Über die Entstehung der Ganglienzellfibrillen von den Nervenzellen aus enthalte ich mieh jeder Äußerung, weil ich nichts dafür und nichts dawider anzuführen weiß.) Leider sind die Grundlagen für seine diesbezüg- lichen Anschauungen von Apäthy noch nicht ausführlicher mitgeteilt. Nach Apäthys bisherigen Mitteilungen enthält jeder Kern und jede Kommissur von Hirudineen nur eine große Nervenzelle, welche mit den Ganglienzellen große Ähnlichkeit hat! Der Hauptunterschied ist der, daß die Neurofibrillen an den Nervenzellen glatt vorbeiziehen, während sie in den Ganglienzellen Netze bilden. Von der einen Nerven- zelle sollen die gesamten Neurofibrillen eines Nerven bis ins Ganglion hinein gebildet werden. Die Einteilung des Nerven in einzelne Nerven- fasern geschieht erst sekundär. Bei der Kürze der Hirudineennerven kann ein wesentlicher Unterschied nicht darin gesehen werden, daß hier nur eine Zelle (im Gegensatz zu einer ganzen Kette solcher bei den Wirbeltieren) vorhanden ist. Der Hauptunterschied scheint mir darin zu liegen, daß sich bei den Wirbeltieren die Bildungszellen sekundär vielfach teilen und die Teilungsprodukte zu den einzelnen Nervenfasern in engere Verbindung treten, während sie bei den Hiru- dineen auch im erwachsenen Zustand das embryonale Zahlenverhältnis beibehalten. Erwähnt sei noch an dieser Stelle, daß nach den Be- funden Apäthys die postembryonale Vermehrung der Neurofibrillen (bei Pontobdella) wahrscheinlich dureh Längsspaltung zustande kommt.

Bei der Ausgestaltung der Neuroblasten zu Ganglienzellen wachsen nach His und den Autoren, die sich der Golgischen Methode bedienten, die Dendriten vom Neuroblastenleib aus und gewinnen so eine immer reichlichere Verästelung und Ausdehnung. Ich kann mich dieser Deutung der Bilder nieht ohne weiteres anschließen, wenngleich ich einen Beweis für die Richtigkeit meiner Ansicht nieht geben kann:

246 Über die Entwieklung der Nervenelemente.

Ich halte es für wahrscheinlicher, daß die Dendriten ebensowenig von den Neuroblasten auswachsen wie die Nervenfasern, daß sie vielmehr ebenso wie diese durch Differenzierung und Verdichtung innerhalb des allgemeinen Plasmas des Zentralnervensystems entstehen. Bei einem derartigen Vorgang müssen die Bilder, welche sich während der Ent- wieklung zeigen, dieselben sein wie bei einem Auswachsungsprozeß; das Endresultat wird aber auf diese Weise einfacher und leichter er- reicht. Zuerst ist der wahrnehmbare Leib der Neuroblasten, soweit er überhaupt an ungeschrumpften Präparaten wahrnehmbar ist, sehr klein. Nachdem die ersten Ausläufer aufgetreten sind und der Neuro- blast angefangen hat Ganglienzelle zu sein, wird der Körper schnell erößer und grenzt sich deutlicher von der Umgebung ab. Beim Menschen (His) und bei Salmoniden (Harrison) beginnt die Entwick- lung der Protoplasmafortsätze erst dann, wenn ein deutlicher Nerven- fortsatz vorhanden ist. Beim Hühnchen trifft die Anlage des Achsen- fortsatzes mit dem ersten Auftreten der Dendriten ziemlich zusammen: Zur Zeit, wo die ersten Zylinder sichtbar werden (nach der Mitte des dritten Tages) sieht man auf meinen Präparaten bereits Neuroblasten mit drei und vier Fortsätzen; bei einem Embryo von 2 Tagen und 19 Stunden sah ich sogar schon eine Reihe von Zellen, bei denen 2—3 Dendriten schon wieder Seitenzweige zeigten. Die Dendriten sind in der Nähe des Zellkörpers immer scharf vom umgebenden Plasma abgesetzt. Aber schon in einer Entfernung von einer halben bis einer ganzen Zellbreite zeigt sich ihre Kontur verschwommen, um bald ganz unter die Schwelle der Wahrnehmbarkeit zu treten. Von scharf abgesetzten Enden, wie sie die Auswachsungstheorie erfordern würde, ist nichts zu bemerken.

Die Spinalganglienzellen sind, wie His gezeigt hat, zuerst bipolar und bilden sich erst mit der Zeit zu unipolaren Zellen um. Dieser Prozeß beginnt beim Hühnchen am Ende des fünften Tages. Bei Fischen bleiben die Spinalganglienzellen zeitlebens bipolar.

In neuerer Zeit ist von italienischen Autoren die Lehre aufgestellt worden, daß die Ganglienzellen, besonders die großen motorischen Zellen und die Spinalganglienzellen durch Verschmelzung mehrerer Neuroblasten entständen (Fragnito [1900, 1902], Capobianco). Ich habe dieser Frage gleich nach den ersten Publikationen dieser Autoren meine Aufmerksamkeit zugewandt, denn, wenn sich ihre Angabe be- stätigen würde, so wäre sie ja der vortrefflichste Beweis für die Un- richtigkeit der Neuronenlehre, den man sich denken kann. Der Prozeß wäre auch nieht ohne Analoga, denn es entwickeln sich z. B. auch die Eier von Daphniden durch Verschmelzung von je vier Eierstocks- zellen unter Auflösung von drei Zellkernen. Nach gewissenhafter Prüfung muß ich aber doch zum wenigsten die Allgemeinheit des

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Über die Entwicklung der Nervenelemente. 947

Prozesses anzweifeln. Fragnito hat seine Untersuchungen hauptsäch- lich an Hühnerembryonen angestellt und gibt an, daß der Ver- schmelzungsprozeß am sechsten bis achten Tage am ausgesprochensten sei. Zu dieser Zeit sind nun aber die Ganglienzellen schon hochgradig differenziert und haben schon lange Ausläufer, eine Verschmelzung könnte ich mir aber nur bei ganz embryonalen Zellen denken. Während bis zum siebenten Tag die meisten Ganglienzellen gut voneinander abgesetzt sind, sieht man in der Tat in den nächsten Tagen nicht so selten Gruppenbildungen eintreten, ähnlich wie dies Fragnito abbildet. Man sieht dann auch bisweilen im Körper einiger Vorderhornzellen neben dem großen Kern kleinere dunklere, kernähnliche Gebilde. Wenn dies wirklich Kerne sind, was mir nicht sicher erscheint, so könnte es sich aber wohl kaum um Neuroblastenkerne handeln, denn sie sehen ganz anders aus. Zwischenstufen zwischen den Gruppen von Ganglienzellen und diesen Zellen habe ich nicht finden können; ich vermisse sie auch in den Abbildungen der Autoren. Wenn man nun auch wirklich jene Gebilde im Zellleib als wirkliche Kerne ansieht, so ist doch die Zahl der Zellen, welche diesen Bau zeigen, viel zu gering, um die Bildung der großen Zellen aus vielen kleinen als all- gemeinen Prozeß ansehen zu können. Wäre die Ansicht Fragnitos und Capobiancos richtig, so müßte die Zahl der Zellen im Zentral- nervensystem vom sechsten bis zum zehnten Tage etwa auf ein Drittel bis ein Fünftel der ursprünglich vorhandenen zusammenschrumpfen ; auch ohne eine Zählung vorgenommen zu haben, glaube ich sagen zu können, daß dies sicher nicht der Fall ist. Am leichtesten wären Zählungen jedenfalls im Spinalganglion auszuführen, wo der gleiche Prozeß stattfinden soll (ich habe allerdings dort nichts von Mehr- kernigkeit entdecken können). Fragnito schreibt auch in seiner letzten Arbeit, daß Capobianco Zählungen vorgenommen habe und eine Ab- nahme der Zellzahl gefunden habe. Solange aber nicht bestimmte Zahlen und die Methode der Zählung und der Berechnung mitgeteilt sind, möchte ich auf die bloße Versicherung nicht allzuviel geben. Daß um den achten Tag herum in manchen Ganglienzellen junger Hühnchen eigenartige Prozesse vor sich gehen, die wert sind, noch weiter studiert zu werden, gebe ich gern zu, doch scheinen mir die von Fragnito und Capobianco aus den objektiven Befunden abgeleiteten Schlüsse vor der Hand etwas zu weitgehend zu sein. (An dieser Stelle sei noch erwähnt, daß Krohnthal die Ganglienzellen aus Wander- zellen entstehen läßt!)

VIERZEHNTES KAPITEL.

Das Wesen der Nervenleitung.

Die bisherigen Anschauungen über Nervenleitung S. 248—254. Über die Be- weise für die leitende Natur der Neurofibrillen S. 255—261. Der Kompressions- beweis S. 259. Bei aufgehobener Leitungsfähigkeit einer engbegrenzten Kom- pressionsstelle zeigt sich die primäre Färbbarkeit der Fibrillen aufgehoben. Nach dem Aufhören der Kompression und Wiederherstellung der Leitungsfähigkeit kehrt die primäre Färbbarkeit wieder S. 261—265. Bei Einwirkung von de- stilliertem Wasser auf einen lebenden Nerven wird die Fibrillensäure von den Fibrillen abgespalten. Bei toten Nerven bleibt sie an die Fibrillen gebunden S. 265—268. Über die Wirkung des konstanten Stromes 8. 272—292. Histo- risches 8. 272— 275. Die Veränderungen der primären Färbbarkeit bei konstanter Durehströmung des Nerven 8. 276—292. Bei starken Strömen ist die primäre Färbbarkeit an der Anode aufgehoben, an der Kathode ver- stärkt 8.278. Abhängigkeit der Veränderung von Stärke und Dauer der Durehströmung S. 279— 251. Einige Zeit nach Aufhebung der Durchströmung ist das Färbungsbild wieder normal S. 2851. Die Neurofibrillen selber werden bei der konstanten Durchströmung nicht verändert S. 282, 283. Extrapolar von der Anode läßt sich abgespaltene Fibrillensäure nachweisen S. 234—286. Die Hervorrufung von „Polarisationsbildern“ gelingt nur am lebenden Nerven S. 287. In einer narkotisierten Nervenstrecke läßt sich kein Polarisa- tionsbild hervorrufen. Die Narkotika hemmen also die Bewegungsfähigkeit der Fibrillensäure S. 237—289. Kohlensäure verändert das Polarisationsbild S. 289. Kälte vermindert die Anodenveränderung, Wärme die Kathoden- veränderung S. 291. Besondere Versuche zeigen, daß die Ausbildung eines Polarisationsbildes nicht im Sinne der Heringschen Assimilations- und Dissimila- tionshypothese gedeutet werden kann. An den Fibrillen befindet sich vielmehr eine beschränkte Menge von Fibrillensäure, welche unter dem Einfluß des Stromes wandert 8. 293—297. Veränderung der primären Färbbarkeit der Achsen- zylinder durch Reizung S. 298—301. Zur Theorie der Nervenleitung S. 301.

Vielfache Untersuchungen älterer und neuerer Autoren haben zu dem sicheren Ergebnis geführt, daß die Funktion des Nervensystems lediglich in der Reizleitung zu suchen ist. Während bei den ein- zelligen Wesen und den niedrigsten Metabionten noch allen Teilen des Organismus die Fähigkeit, Reize aufzunehmen, fortzuleiten und durch Bewegung auf dieselben zu reagieren, zukommt, tritt bei den höheren Metazoen ein Gewebe auf, welches nur der Reizleitung dient, sonst aber nicht aktiv an den Lebensäußerungen teilnimmt. Die meisten andern Gewebe scheinen neben ihrer Spezialfunktion die Eigenschaft der Reizleitung beibehalten zu haben (Muskelgewebe, Epithelgewebe und deren Derivate), und nur im Nervengewebe sehen wir eine der Ureigenschaften des Protoplasmas reinlich isoliert. (Natürlich muß auch das Nervengewebe neben dieser einen Eigenschaft noch alle die-

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Das Wesen der Nervenleitung. 249

jenigen besitzen, welche den normalen Bestand garantieren; es muß sich aus dem vom Blut gebotenen Material ernähren und die Stoff- wechselprodukte wieder an dasselbe abgeben können. Das sind aber Eigenschaften, ohne die wir uns a priori kein lebendes Gewebe denken können, so daß wir sie als Mußqualitäten ignorieren können.) Danach würden wir im Nervengewebe den einfachsten Spezialfall lebendigen Geschehens erwarten und uns hier am ehesten der Hoff- nung hingeben dürfen, einen Lebensvorgang in seine Komponenten zu zerlegen. Das jedenfalls scheint außer allem Zweifel, daß der Vorgang im Nervengewebe einfacher sein muß als die Prozesse in einem einzelligen Wesen, unter denen die Erregungsleitung nur einen kleinen Teil ausmacht. Die Hoffnung auf einen Einblick in die Natur der Erregungsleitung scheint um so berechtigter, als mancherlei dafür spricht, daß der LeitungsprozeßB vom Ernährungsprozeß ziemlich un- abhängig ist, so daß die Erkenntnis dieses nicht unbedingte Vor- bedingung zum Verständnis des Leitungsvorganges sein muß.

Die anatomische und physiologische Einheitlichkeit der parallel- faserigen Nervenstämme höherer Tiere geben diesen zum Studium des elementaren Vorganges der Leitung von vornherein den Vorzug vor den Zentralorganen und den zellreichen Nerven vieler niederer Tiere. Schon der anatomische Aufbau dieser läßt vermuten, daß hier der Prozeß der Leitung nicht so rein hervortritt wie bei jenen. Auch der physiologische Versuch ergibt ja wesentliche Unterschiede zwischen Nervenstämmen und sogenannten Zentralorganen, welche allerdings wohl nicht dazu berechtigen, prinzipielle Unterschiede zwischen der Leitung dieser und jener zu konstruieren, wie das früher oft geschehen ist. In Anbetracht der Kontinuität der Neurofibrillen in den Zentral- teilen wird man annehmen dürfen, daß das Wesen der Leitung überall dasselbe ist und es könnte sich wohl nur darum handeln, daß in den Zentralorganen andre Faktoren zu dem einfachen Vorgang hinzukommen. Auch bei dieser Auffassung wird es nach wie vor praktisch richtig sein, den Prozeß der Nervenleitung und alles, was mit ihm zusammen- hängt, nur an den einfachst gebauten Nervenstämmen zu studieren und die Zentralorgane zunächst ganz beiseite zu lassen.

Abgesehen von einigen grobmechanischen Leitungstheorien huldigte man bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts der Ansicht, daß in den Nerven ein Fluidum zirkuliere und daß Störungen in dessen Bewegung die Reizfortpflanzung ausmachten. Mit der Entdeckung des Galvanismus mehrten sich die schon vorher aufgetauchten Stimmen, daß der Leitungsvorgang eine elektrische Erscheinung sei. Die mangelhafte Isolation der Nerven und die gegenüber der Fort- pflanzungsgeschwindigkeit der Elektrizität sehr geringe Schnelligkeit des Nervenprinzips (Helmholtz, 1850) machten es zwar unmöglich,

250 Das Wesen der Nervenleitung.

eine direkte Fortleitung von Elektrizität im Nerven anzunehmen, jedoch zeigte Du Bois-Reymond, wie man trotzdem aus seinen eroßen Entdeckungen (Nervenstrom, negative Schwankung u. s. w.) zur Aufstellung einer befriedigenden elektrischen Theorie gelangen könne. Du Bois dachte sich den Nerven aus Reihen elektromotorischer, peripolarer Molekeln zusammengesetzt, welche unter dem Einfluß reizender Ströme dipolar nach Art der Voltaschen Säule angeordnet werden. Vom Reizort aus pflanzt sich diese Drehung der Molekeln wellenförmig nach beiden Seiten, aber mit bedeutender Trägheit fort, woraus sich die relative Langsamkeit der Nervenleitung erklärt. Durch die Anordnung der Molekeln wurde auch der Nervenstrom in hin- reichender Weise begreiflich gemacht. Du Bois wollte mit dieser Theorie nur die elektrischen Vorgänge am Nerven erklären und gab sie nicht für eine Leitungstheorie aus, doch wurde später von seinen Anhängern Leitung und Molekularbewegung gleichgesetzt (siehe Bieder- mann, 1895, S. 714). Durch spätere Untersuchungen, besonders durch den Nachweis Hermanns, daß im Nerven, ebensowie im Muskel, keine elektromotorischen Kräfte präexistieren, geriet diese Theorie in Wider- sprach mit den Tatsachen und ist seitdem wohl allgemein aufgegeben.

Im Anschluß an seine glänzenden Untersuchungen über die Herab- setzung der Erregbarkeit des Nerven im Gebiet der Anode und die Steigerung derselben im Gebiet der Kathode stellte Pflüger (1859) eine Theorie auf, welche alle Erscheinungen am Nerven, besonders bei elektrischer Reizung, verständlich macht, aber eigentlich tnehr ein andrer Ausdruck der Tatsachen an der Hand eines mechanischen Bei- spiels als eine wirkliche Erklärung ist. Er stellt sich den Nerven als aus Reihen von Molekeln bestehend vor, welche das dauernde Bestreben haben, in Bewegung zu geraten, aber durch molekulare Hemmungen daran verhindert werden. Der Molekularspannung steht also eine Molekularhemmung gegenüber, welche sich im ruhenden Nerven das Gleichgewicht halten. Im Bereich der Anode werden nun die hem- menden Kräfte verstärkt, an der Kathode vermindert oder aufgehoben. Herabsetzung und Steigerung der Erregbarkeit werden bei dieser An- nahme leicht verständlich, und auch die Öffnungszuckung, der Rittersche Öffnungstetanus und der Pflügersche Schließungstetanus finden eine senügende Erklärung. Von einer Molekularspannung kann man sich leicht ein Bild machen, dagegen hat die Vorstellung einer Molekular- hemmung ihre Schwierigkeiten und entbehrt der Analoga.

Im wesentlichen physikalischer Natur sind auch die Anschauungen, welche Hermann (siehe die im Literaturverzeichnis angeführten Arbeiten) zur Deutung der elektrischen Vorgänge am Nerven und zur Anbahnung einer Erklärung des Leitungsvorganges entwickelte, wenn er auch wiederholt darauf hinwies, daß wahrscheinlich auch hier wie bei andern

Das Wesen der Nervenleitung. 351

Lebensprozessen chemische Vorgänge zugrunde lägen. Fußend auf der Beobachtung Matteuceis, daß sich in einem Draht mit angefeuchteter Wicklung ein an einer Stelle zugeleiteter Strom extrapolar nach Art des Elektrotonus ausbreitet, konstruierte Hermann sein „Kernleiter- modell“, an welchem er auffallende Analogien zu den elektrischen Erscheinungen am Nerven aufweisen konnte. (In einer langen Glas- röhre ist ein Metalldraht, gewöhnlich Platin, ausgespannt und von einer Flüssigkeit, z. B. Zinksulfatlösung, umgeben. Seitlich an dem Haupt- rohr angebrachte Öffnungen dienen zur Zuleitung und Ableitung der Ströme.) Wird der Hülle (dem feuehten Leiter) an einer Stelle ein Strom zugeführt, so führt dieser an der Grenze von Hülle und Kern (dem Metalldraht) zu einer Polarisation, welche sich nach beiden Seiten hin an der Grenzschicht ausbreitet. Leitet man von zwei Punkten der Hülle, welche auf einer Seite des zugeleiteten Stroms extrapolar gelegen sind, zum Galvanometer ab, so wird ein dem zugeleiteten Strom gleich- gerichteter Strom angezeigt. Wie beim Du Boisschen Elektrotonus des Nerven nehmen die abgeleiteten Ströme an Intensität ab, je mehr man sich mit den Ableitungsstellen vom zugeleiteten Strom entfernt. Bedingung für das Zustandekommen der Stromausbreitung im Kern- leitermodell ist die Möglichkeit einer Polarisation zwischen Kern und Hülle und ein ununterbrochener Verlauf des Kerns. Bei Zuleitung kurzer Stromstöße und Ableitung an einer weit entfernten Stelle fand Hermann, daß der Polarisationsstrom hier erst entsteht oder wenigstens erst sein Maximum erreicht, wenn der „Reizstrom‘ schon unterbrochen ist, woraus sich ergibt, daß der Polarisationsstrom sich wellenförmig ausbreitet. Die Ausbreitung geschieht mit einer Geschwindigkeit, welche der des Nervenprinzips ähnlich ist (20 —65 m in der Se- kunde). Außerdem zeigte es sich, daß die elektrischen Erscheinungen an den Ableitungsstellen sich aus zwei Phasen zusammensetzen, einer stärkeren, dem polarisierenden Strom gleichgerichteten Stromphase, und einer schwächeren, entgegengesetzt gerichteten. Ähnliche Er- scheinungen treten bekanntlich auch beim Nerven in den phasischen Aktionsströmen in Erscheinung. Hermann erläuterte sodann, wie man unter Annahme einer Polarisation zwischen den Achsenzylindern als Kern und den Markscheiden als Hülle, für welche er in dem Unter- schied zwischen Längs- und Querwiderstand der Nerven (1: 4,9) eine Stütze sieht, imstande sei, die meisten physikalischen Erscheinungen am Nerven in befriedigender Weise zu erklären.

Wenn Hermann auch immer wieder auf die große Ähnlichkeit zwischen dem Kernleitermodell und einem Nerven zurückkommt, so versucht er es doch nicht, den Vorgang der Nervenleitung allein auf eine Polarisationswirkung zurückzuführen, wenngleich er auch bei der Leitung elektrische, auf Polarisation beruhende Kräfte die Hauptrolle

352 Das Wesen der Nervenleitung.

spielen läßt. Ausgehend von der Tatsache, daß ein erregtes Teilchen des Nerven sich gegen seine Umgebung elektronegativ verhält, läßt er die von diesem ausgehenden, bei der mikroskopischen Kleinheit sehr kräftigen Strömehen auf die Nachbarteilchen erregend wirken, indem diese in Katelektrotonus versetzt werden, auf sich selbst aber beruhigend wirken, weil das erregte Teilchen durch eben diese Ström- chen in Anelektrotonus versetzt wird. Auf diese Weise kann man sich allerdings eine Leitungsfortpflanzung gut vorstellen, wenngleich, wie Hermann selbst zugibt, eine vollständige Leitungstheorie nicht damit gegeben ist. Die Erscheinungen des Pflügerschen Elektrotonus glaubt Hermann ohne Erregbarkeitsveränderungen allein durch den Satz des polarisatorischen Inkrements und Dekrements erklären zu können. Dieser ein Ausdruck der Tatsachen sagt aus: Der Aktionsstrom (als Ausdruck der Nervenerregung) nimmt zu, wenn er sich auf positivere Nervenstellen zu- (oder von negativeren fort-) be- wegt und nimmt ab, wenn er auf negativere Stellen zu- (oder von positiveren fort-) läuft. (Während der Durchströmung läßt sich aller- dings alles durch diesen Satz erklären, doch zwingt die Tatsache, daß die Anode nach starker Durchströmung häufig noch lange Zeit unreiz- bar und leitungsunfähig ist, dazu, wirkliche Erregbarkeitsveränderungen im Sinne Pflügers anzunehmen.)

Sehr viel radikaler als Hermann ist im Lauf der letzten Jahre Boruttau (1895— 1902) für die Identifizierung des Leitungsvorganges

mit den Vorgängen am Kernleitermodell eingetreten. Bei genügend -

langem Abstand zwischen der Stromzuleitungsstelle und der Stelle, von welcher zum Galvanometer, resp. zum Kapillarelektrometer, ab- geleitet wird, fand Boruttau keinen dauernden, dem zugeleiteten gleich- gerichteten Strom, sondern nur ein Negativwerden der proximalen Elektrode und zwar beim Schließen auf der Seite der Kathode, beim Öffnen auf der Seite der Anode. Unabhängig von der Stromrichtung pflanzt sich also bei längeren Strecken nur eine negative Welle oder (im Anschluß an die Berechnungen von Cremer) Pseudowelle im Kern- leitermodell fort. Noch besser kommt dies bei der Zuführung von Induktionsschlägen zur Geltung, nur daß hier, unabhängig von der Richtung des Schlages, sich die Negativität nach beiden Seiten hin ausbreitet. Das Auftreten dieser Erscheinung, nämlich ‚die Bevor- zugung der Negativität der proximalen Elektrode“, ist übrigens wesent- lich von der Art der Kemleiterkombination abhängig (Boruttau, 1902). Die dem zugeleiteten Strome oder Schlage gleichgerichtete Elektrizitäts- bewegung, welche sich hauptsächlich in der Nähe der Zuleitungsstelle bemerkbar macht und durch Anwendung von Doppelinduktionsschlägen zanz vermieden werden kann, sieht Boruttau als unipolare Abgleichung oder mit Hering und Biedermann als Stromschleife an, welche durch

ertie

Das Wesen der Nervenleitung. 353

besseres Leitungsvermögen des Kerns gegenüber der Hülle hervor- gerufen wird. Das eigentlich Wesentliche an den Kernleiterversuchen ist für Boruttau das Ablaufen von Negativitätswellen, welche er auch auf nicht elektrischem Wege, z. B. durch Zerreißen des Kernleiter- drahtes, hervorzurufen imstande war.

Wenn Boruttau auch nicht die Vorgänge im physikalischen Modell mit denen im lebenden Nerven in allen Einzelheiten identifiziert, so hält er doch im Augenblick (1902) einen Ablauf der Erregung nach Art der Negativitätswelle im Kernleiter für das einzig Wahrscheinliche, indem er Aktionsstrom und Leitungswelle gleichzusetzen scheint. Als Kern sieht er nicht, wie Hermann, den ganzen Achsenzylinder, sondern die Neurofibrillen an. Die Perifibrillärsubstanz wäre danach die Hülle. In der Tat würde ja auch bei der Hermannschen Annahme, daß die Markscheide die Hülle sei, die Kernleitertheorie nur für die mark- haltigen Nerven Geltung haben und nie als allgemeines Erklärungs- prinzip dienen können.

Eine andre, der Kernleitertheorie nahestehende physikalische Leitungstheorie, welche von Strong auf die Annahme der alleinigen Beweglichkeit der negativen Ionen aufgebaut wurde, kann hier wegen ihrer rein spekulativen Natur übergangen werden.

Sehen die bisher besprochenen Nerventheorien in der Leitung vorwiegendelektrische Vorgänge, so werden diese von Hering (und im Anschluß an diesen von Biedermann, Head, Schoenlein u. a.) im wesentlichen als Begleiterscheinungen chemischer Vor- gsänge betrachtet. Nach Hering (1889) haben wir bei allen Lebens- vorgängen zwei Phasen, die Assimilation und die Dissimilation, zu unterscheiden; so auch im Nerven. Bei allen chemischen Vorgängen können nun elektrische Erscheinungen auftreten; deren Gleichheit oder Ähnlichkeit berechtigt aber nicht zur Identifizierung der Vorgänge selber und dort, wo nur diese elektrischen Erscheinungen zu Tage treten, besteht keine Berechtigung, sie als das Wesentliche anzusehen. Sie sind vielmehr als der Ausdruck der Assimilation und Dissimilation zu betrachten. Im ruhenden Nerven halten sich Assimilation und Dissimilation das Gleichgewicht. Dieses wird gestört durch die An- legung eines Querschnitts und führt zum Nervenstrom. Bei der Er- regung des Nerven geht eine dissimilatorische Änderung durch seinen Verlauf, welche sich in der Negativität jeder erregten Stelle äußert. Wird das gestörte Gleichgewicht wiederhergestellt, indem ein Assi- milationsprozeß eintritt, so drückt sich dies in der positiven Nach- schwankung aus. (Diese wurde von Hering [1884] am Olfactorius des Hechtes, von Head [1887] nach Tetanisation des Froschischiadieus beobachtet.) Bei Durchleitung eines konstanten Stromes kommt es an der Anode zu einem Überwiegen der Assimilation, an der Kathode

)54 Das Wesen der Nervenleitung.

zu einer verstärkten Dissimilation. Infolgedessen entsteht von der Kathode aus bei der Schließung eine Erregung, während sich die Überladung der Anode mit Assimilationsprodukten bei der Stromöffnung in der Öffnungszuekung oder dem Öffnungstetanus geltend macht. Die gesteigerte Erregbarkeit an der Kathode erklärt sich danach durch die gesteigerte Dissimilationsdisposition und umgekehrt die Herabsetzung der Erregbarkeit an der Anode durch die verminderte Dissimilation und vermehrte Assimilationsdisposition.

Chemische und physikalische Gesichtspunkte werden schließlich in der elektrochemischen Molekulartheorie Bernsteins (1888, 1899) mit- einander verbunden. Fußend auf der von Pflüger entwickelten An- schauung, daß in der lebenden Substanz alle Moleküle durch intra- molekularen Sauerstoff verknüpft sind, stellt er sich die leitende Substanz in Form von aneinandergereihten Molekülen vor. Diese Reihen sind polarisierbare Leiter. Bei der Durchleitung eines konstanten Stromes werden an der Kathode, welche einer inneren Anode der Faser entspricht, elektronegative Ionen, und zwar wahrscheinlich Sauerstoff, abgestoßen. Dieser gibt den Reiz, resp. die erhöhte Erregbarkeit ab, indem er auf die organische Substanz oxydierend wirkt. Die an der Anode abgeschiedenen elektropositiven Ionen wirken entgegengesetzt, indem sie die Stabilität der oxydablen Gruppen der leitenden Moleküle vermindern. (In welcher Weise sich bei diesen Annahmen die elek- trischen Erscheinungen erklären lassen, ist im Original nachzulesen.) Auch von Hörmann (1899) wurde ohne Kenntnis der Bernsteinschen, sehr detaillierten Ausführungen eine von der Pflügerschen Theorie der Kontinuität der lebenden Substanz ausgehende elektrochemische Theorie entwickelt.

Wenn man diese verschiedenen Theorien miteinander vergleicht, so wird man zugeben müssen, daß eigentlich jede etwas für sich hat. Dem vorhandenen Tatsachenbestand vermögen sie (außer den älteren Theorien) alle bis zu einem gewissen Grade gerecht zu werden. Gegen die Kernleitertheorie kann man außer rechnerischen Einsprüchen, wie solche durch Cremer erhoben sind, das einwenden, daß sie scheinbar der chemischen Grundlage alles lebenden Geschehens zu wenig Rech- nung trägt, andrerseits wird von Boruttau gegen die chemischen Theorien eingewandt, daß man sich schwerlich einen chemischen Prozeß vorstellen könne, der mit einer Schnelligkeit von bis zu 40 m in der Sekunde fortsehritte.

Ein Entscheid dürfte sich hier erst dann treffen lassen, wenn es gelingt, neue, und zwar nicht elektrische Tatsachen über die nervösen Vorgänge vorzubringen, welche diese oder jene Ansicht von vornherein ausschließen. Im folgenden will ich nun Tatsachen mitteilen, welche sieh allerdings qualitativ wesentlich von allem bisher über die Nerven

Das Wesen der Nervenleitung. 355

Bekannten unterscheiden, aber vorläufig doch nicht eindeutig genug sind, um eine der Theoriegruppen mit Sicherheit auszuschließen.

Daß die Neurofibrillen das leitende Element im Nervensystem sind, ist bereits aus den Untersuchungen Apathys man kann wohl sagen im höchsten Grade wahrscheinlich geworden. Aber in allen Dingen, die mit hergebrachten Vorstellungen irgendwie kollidieren, verlangt man immer noch nach Beweisen, wenn längst keine mehr nötig sind. So sind denn auch die Punkte, welche Apathy aufgeführt hat, von vielen nieht als genügend angesehen worden und denen, welche ich zum Teil in Gemeinschaft mit Mönekeberg aufgeführt habe, ist es nicht besser gegangen. Ich kann mich dabei allerdings nicht des Eindrucks erwehren, daß eine gewisse Voreingenommenheit herrscht, denn Autoren, welche sich vorher nicht engagiert hatten, haben sich leicht für die leitende Funktion der Neurofibrillen gewinnen lassen. Ich will übrigens dabei gleich bemerken, daß ich auch diejenigen als Anhänger dieser Ansicht ansehe, welche die Fibrillen als Kerm in einem Kernleiter ansehen. Als Konkurrent der Fibrillen könnte höchstens die Peri- fibrillärsubstanz angesehen werden, also die Substanz, welche bei allen diekeren Nervenfasern (neben den Scheiden) den Hauptbestandteil aus- macht. Anatomisch scheint aber diese Konkurrenz bereits geschlagen und zwar durch den Nachweis Apathys, daß die Fibrillen an gewissen Stellen der Perifibrillärsubstanz entbehren, und durch die Tatsache, daß die Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen Einschnürungen unterbrochen ist, während die Fibrillen glatt durch dieselben hindurch- ziehen (S. 50—54). Besonders gegen dies letzte Argument werden die- jenigen Einwände erheben, welche derartige membranöse Scheide- wände nicht als Hindermis der Reizübertragung ansehen (Engelmann, 1880); es ist ja auch nicht mit Sicherheit nachzuweisen, daß nicht Spuren von Perifibrillärsubstanz zusammen mit den Fibrillen durch die Membran hindurehtreten. Gegen beide Einwände wird man dann ein Gegengewicht erlangen, wenn man zeigt, daß die Perifibrillär- substanz auf eine größere Strecke vollständig oder nahezu vollständig aus dem Achsenzylinder verdrängt werden kann, ohne daß die Leitungs- fähigkeit der Streeke dadurch aufgehoben wird. Dieser Nachweis wird weiter unten erbracht werden. Als Beweis für die Notwendigkeit der Neurofibrillen für die Leitung wird man auch die oben erwähnten Verhältnisse bei der Degeneration betrachten dürfen.

Es ist nun schon oben darauf hingewiesen worden, daß die Leitungs- fähigkeit eines Nerven von dem Vorhandensein primärfärbbarer Sub- stanz (Fibrillensäure) in auffallender Weise abhängig ist. Bei der Degeneration hatte sich häufig das Verschwinden der primären Färbbarkeit als erste sichtbare Veränderung

256 Das Wesen der Nervenleitung.

sezeigt und zwar im direkten Anschluß an das Aufhören der Er- regbarkeit und der Leitungsfähigkeit. Andrerseits wurden bei der Autoregeneration Stadien gefunden, in denen zwar alle mor- phologischen Bestandteile normaler Nervenfasern vor- handen waren, die Neurofibrillen aber der primären Färb- barkeit entbehrten. Diese Nerven waren nichterregbar. Waren aber die autogen regenerierten Nerven erreg- bar, so fehlte niemals die primäre Färbbarkeit der Neurofibrillen. Nach diesen Befunden wurde es mir wahrschein- lich, daß die primäre Färbbarkeit oder, mit andern Worten, das Vor- handensein von Fibrillensäure die Fibrillen erst leitungsfähig mache und daß der Leitungs- und Erregungsprozeß ganz oder wenigstens zum Teil in einer Wechselwirkung zwischen Fibrille und Fibrillen- säure zu suchen sei.

Die ersten Versuche zur weiteren Begründung dieser Ansicht liegen mehr als fünf Jahre zurück. Ich hatte damals auch einige positive Resultate, doch wurde ich durch allerhand verfrühte Vor- stellungen über das Wesen dieser Wechselwirkung so in die Irre geführt, daß ich die Sache ganz wieder aufgab. Bei einer erneuten Aufnahme der Arbeit erging es mir nicht besser. Die anfänglichen positiven Resultate über die Einwirkung des konstanten Stromes auf die Verteilung der Fibrillensäure wichen gänzlich negativen, so daß ich die ersteren auf Zufälligkeiten zurückführen zu müssen glaubte und auf eine Weiterführung der Versuche verzichtete. Wie sich später herausgestellt hat, waren ungenügende technische Vorrichtungen, vor allem die Benutzung von Metallelektroden, daran schuld. Eine erneute Durchsicht der alten Präparate im Winter 1901 zeigte mir aber, daß es sich bei den beobachteten Veränderungen unmöglich um Zufällig- keiten handeln könnte und ich ging nun zum drittenmal an die Arbeit, diesmal ohne störende theoretische Vorstellungen und technisch besser ausgerüstet. Es gelang mir nun auch endlich eine Reihe von Tat- sachen zu finden, welche sieh untereinander gut vertragen und es sicher erscheinen lassen, daß in der Tat eine Wechselwirkung zwischen Fibrille und Fibrillensäure besteht.

Zunächst will ich beschreiben, was sich bei denjenigen Eingriffen, die vorübergehend oder dauernd die Leitungsfähigkeit des Nerven unterbrechen, im mikroskopischen Bilde mit den mir zu Gebote stehenden Mitteln erkennen läßt. Die Eingriffe sind: Kompression, Ein- wirkung von destilliertem Wasser, Narkotisation und Anodenwirkung.

Die Nervenkompression.

Jede starke Kompression eines Nerven z. B. durch Zuziehen einer Fadenschlinge oder durch Drücken mit einer Pinzette ruft bekanntlich

Das Wesen der Nervenleitung. 957

eine so vollständige Zerstörung der komprimierten Nervenstelle hervor, daß sie für die Reizleitung dauernd undurchgängig wird. Dagegen kann man bei vorsichtiger Kompression zu einer Herabsetzung und Aufhebung der Leitungsfähigkeit gelangen, welche beim Aufhören der Kompression wieder verschwindet. Derartige Versuche sind von Grützner, Efron, Zederbaum, Ducceschi und andern angestellt worden. Während die meisten Autoren eine ziemlich ausgedehnte Strecke des Nerven der

R.

Leit

Fig. 64. Apparat zur lokalen Kompression von Nerven mit Vorrichtung, um den Nerven während

der Kompression zu fixieren. /. von vorne, //. von der Seite (beide '/, natürlicher Größe). III. Kom-

pressionsblock mit dem daraufliegenden Nerven und dem Faden in idealem Längsschnitt (etwas

vergrößert). PR. Rolle, D. Drahtbügel, an dem unten die Gewichtsschale hängt, B. Kompressions-

block, @. Glasschale, Br. an einem Stativ befestigtes Brett, auf dem die Schale steht, X. Klammer, E. Reizelektroden.

Kompression unterwarfen, beschränkte sie Ducceschi (1900) auf eine kleine Stelle, indem er einen dünnen Seidenfaden um den Nerven schlang, durch zwei feine Löcher eines Plättchens zog und den Nerven durch an den Faden gehängte Gewichte gegen das Plättehen drückte. Auch ich habe mich der engbegrenzten Kompression bedient, doch bin ich aus technischen Gründen von der Ducceschischen Einrichtung, die ich zuerst benutzte, abgekommen. Für mich war es nötig, die

Nerven während der Kompression zu fixieren, denn nur dabei Bethe, Nervensystem. 17

358 Das Wesen der Nervenleitung.

konnte ich sicher sein, den Zustand des Nerven zu bekommen, indem er z. B. leitungsunfähig ist. Wendet man aber die Ducceschische Schlinge an, so ist es nur sehr schwer möglich, ohne Verletzung der kom- primierten Stelle den Faden nach dem Fixieren zu entfernen. Sehr viel besser geht dies von statten, wenn man sich folgender Einrichtung bedient (die übrigens auch schon Ducceschi seinerzeit versucht hatte): In einen Elfenbeinstab wird eine tiefe Rille eingefeilt, welche grade breit genug ist, um einen Froschischiadieus aufzunehmen. Senkrecht dazu wird ein feiner Sägeschnitt ausgeführt, welcher grade bis auf die Sohle der Rinne herabgeht und dann nach beiden Seiten hin schräg abfällt (Fig. 64 7/7). Der Elfenbeinstab (Fig. 64 7. 2) ist mit der Rinne nach oben auf einem Bleiklotz befestigt; dieser wiederum steht in einer Glasschale (6). Um die Schale schwebt ein Draht- bügel (2). Von diesem ragt eine Gabel in die Schale hinein; diese umfaßt den Stab. Ihre unteren Enden sind durch einen dünnen Faden verbunden, welcher sich in den Sägeschnitt hineinlegt (Fig. 64- /77.). Der Drahtbügel hängt an einem Faden über einer Rolle und hat ein Gegengewicht. Unten ist am Bügel eine Schale zum Auflegen von Gewichten befestigt. Damit die Belastung nicht plötzlich auf den in der Rinne liegenden Nerven einwirkt, wird die Gewichtsschale anfangs durch einen Schraubtisch unterstützt. Die Aufstellung des Präparats ist aus Figur 64 /Z zu ersehen. Als Prüfungsreiz wurden Einzel- induktionsschläge angewandt.

Was die physiologischen Daten anbelangt, so kann ich nur Ducceschis Angaben bestätigen (soweit ich mich mit ihnen beschäftigt habe). Schon ein Gewicht von 15—20 & kann bei längerer Ein- wirkung die Leitung vollkommen unterbrechen. In der Regel mußte ich bei dieser Aufstellung aber zur vollkommenen Aufhebung der Leitung eine Belastung von 30—50 g anwenden. Häufiger als Ducceeschi es angibt, sah ich bei geringen Gewichten eine erhöhte Erregbarkeit eintreten, wie sie von all den Autoren gefunden wurde, die auf größere Strecke komprimierten.

Meine Versuche zerfallen in drei Gruppen: 1. Nerven, welche bei einer Belastung fixiert wurden, die die Leitung noch nicht unterbrach, 2. Nerven, die fixiert wurden, wenn eine höhere Belastung die kom- primierte Stelle grade für die Leitung undurchgängig gemacht hatte, 3. Nerven, welche fixiert wurden, nachdem die vorher verschwundene Leitungsfähigkeit nach Fortnahme des Gewichtes grade wiederher- gestellt war. Die Fixierung geschah in der Regel mit Alkohol; nur bei dieser Fixierung bekommt man ja ein gutes Bild von der primären Färbbarkeit (wenn man von der Äthermethode abstrahiert. S. Kapitel 8). Um Aufschlüsse über das Verhalten der Markscheiden zu erlangen, wurde auch einige Male, wie es Ducceschi (nach Auf-

Das Wesen der Nervenleitung. 2359

hebung der Kompression) tat, mit Osmiumsäure fixiert; diese Bilder sind jedoch ziemlich entbehrlich. Sie zeigen, was Dueceschi bereits gefunden, daß das Mark auch bei reizleitenden Kompressionsstellen ganz fortgedrängt und daß der Achsenzylinder wesentlich verjüngt ist. Wie dünn der Achsenzylinder übrigens dabei wird, kann man nur be- urteilen, wenn während der Kompression fixiert wird, da er nach.Auf- hebung derselben in wenigen Minuten wieder an Dieke zunimmt.

I. Ich beschreibe einen bestimmten Fall: Reizschwelle vor der Kompression für Öffnungsschläge 14 em Rollenabstand (eines kleinen Induktoriums; die Reizung geschah natürlich stets oberhalb der Kom- pressionsstelle). Belastung mit 10g. Jetzt bei 14 cm auch Schließungs- schläge wirksam. Dann 15 g, schließlich 20 g&. Belastung. Jetzt Erregbarkeit wieder wie vor der Kompression. Die Erregbarkeit nimmt innerhalb zwei Minuten Belastung nicht weiter ab. Schale mit

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Fig. 65. Noch leitungsfähige Kompressionsstelle während der Kompression fixiert im Längsschnitt. (Leitz IIIX3).

Alkohol gefüllt. 20“ danach noch durchgängig. Nach 25“ nicht mehr durchgängig. Nach weiteren 45“ die Belastung aufgehoben.

Der Nerv wurde zunächst längsgeschnitten, darauf neu ein- gebettet und der Rest der Kompressionsstelle quergeschnitten. Die Figur 65 zeigt einen Längsschnitt durch die Kompressionsstelle. In Figur 66 3 sind Querschnitte durch nieht komprimierte Fasern dieses Nerven abgebildet; nur in einer Faser ist der Achsenzylinder nicht geschrumpft. In dieser sieht man die primärgefärbten Neuro- fibrillen als Punkte. In allen andern Fasern sind die Fibrillen durch Alkoholwirkung zu einem Bündel zusammengeschrumpft, das nun sehr viel dunkler ist, weil sich hier die Färbungsenergie aller Fibrillen auf einen kleineren Raum zusammendrängt. (Zum Vergleich gebe ich in Figur 66 4 einen Querschnitt durch osmierte Nervenfasern bei der gleichen Vergrößerung.) Mit diesen Schnitten vergleiche man nun die Figur 66 C, welche einen Teil eines Querschnittes durch dieCompressionsstelle des beschriebenen Nerven bei gleicher Vergrößerung wiedergibt. Die dunklen Punkte in der Mitte der hellen Höfe entsprechen den Achsenzylindern, während die hellen Höfe

17%

260 Das Wesen der Nervenleitung.

nicht mit dem hellen Hof der Fasern in Figur 66 2 zu identifizieren sind, sondern als die zusammengedrückten Schwannschen Scheiden und als Reste der Markscheiden aufgefaßt werden müssen. (Daß dies die richtige Auffassung ist, geht aus Längsschnittsbildern hervor.) Die homogen erscheinende Masse rings herum, in der die verjüngten Kern- querschnitte liegen, entspricht dem endoneuralen Bindegewebe. Von den Achsenzylindern ist auf dem Höhepunkt der Kompression nur noch das auf einen engen Raum zusammengepreßte Bündel von

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Fig. 66. A und BD Querschnitte durch normale Froschnervenfasern. .{| Nach einem Osmium-Molybdän-

Toluidinblau-Präparat. B (wie auch Ü' und D) nach einem Alkohol-Toluidinblau-Molybdänpräparat

(primäre Färbung der Achsenzylinder). C und D Querschnitte durch komprimierte Nervenfasern,

€’ leitungsfähig, D leitungsunfähig. Alle vier Figuren sind bei gleicher Vergrößerung (Apo- chromat 1,30, Kompensationsocular 6) mit dem Zeichenapparat gezeichnet.

Neurofibrillen vorhanden, während die Perifibrillärsubstanz ganz oder fast ganz nach den Seiten verdrängt ist. Entsprechend dem dichteren Aneinanderliegen der Fibrillen erscheint das Bündel wesentlich dunkler als in einem einfach durch Alkoholwirkung geschrumpften Achsenzylinder.

Da die Fibrillen gegenüber der Perifibrillärsubstanz nur einen kleinen Teil des Achsenzylinderquerschnitts ausmachen, so kann diese Größe vernachlässigt werden und die Fläche des normalen Achsen-

Das Wesen der Nervenleitung. 361

zylinderquerschnitts (d. h. des Hohlraums innerhalb der Markscheide) als Querschnittsfläche der Perifibrillärsubstanz angesehen werden. Wenn man nun als eventuellen Rest von Perifibrillärsubstanz an der Kompressionsstelle noeh ein Drittel der Querschnittsfläche des dünnen Bündels rechnet, so ist das sicherlich schon sehr hoch gegriffen. Die Berechnung der durchschnittlichen Querschnittsflächen des normalen und nach Kompression noch für den Leitungsvorgang durchgängigen Achsenzylinders ergibt nun ein Verhältnis von 218:1. Da nun wie gesagt der Rest von Perifibrillärsubstanz nicht höher als ein Drittel veranschlagt werden kann, so verhält sich die Menge von Perifibrillärsubstanz (auf dem Querschnitt) in der normalen Faser zur Menge im komprimierten, noch leitungs- fähigen Nerven wie 654:1. Wenn man nun die Perifibrillär- substanz als das Leitende ansieht, so müßte man behaupten, daß der sechshundertste Teil der normalen Menge auch noch ausreicht, um der vollen Funktion zu genügen. Dies wird aber schwerlich jemand be- haupten wollen. Da nun eine derartig starke Verdrängung der Peri- fibrillärsubstanz in meinen Versuchen auf eine Strecke von 0,2—0,3 mm stattfindet, so ist auch nicht mehr der Einwand statthaft, der bei der Trennung der Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen Schnürringen semacht werden konnte. Nach diesem Befunde glaube ich die leitende Funktion der Neurofibrillen gegenüber allen gemachten Einwänden als gesichert betrachten zu dürfen.

2. Fixation des Nerven im Augenblick, wo die komprimirte Stelle grade leitungsunfähig geworden ist: Ich gebe hier zwei Beispiele: Vor der Belastung Schwelle bei 22 cm Rollenabstand. Nach Belastung mit 10 g etwas erregbarer. Bei 20 & Erregbarkeit etwas vermindert. Bei 30 und 40 & ist die Kompressionsstelle für stärkere Reize noch durchgängig (14 em). Bei 50 & keine Durehgängigkeit mehr, auch nieht bei 5 em Rollenabstand. Sofort fixiert, Gewicht nach einer halben Minute in die Höhe. Beispiel 2. Erregbarkeit anfangs 18 em. 40 & Belastung. Zuerst noch durchgängig, nach einigen Sekunden undurch- gängig. Sofort fixiert; Gewicht in die Höhe nach einer Minute.

Bei schwacher Vergrößerung ist der Unterschied zwischen einen solchen Nerven und einem noch gut durchgängig gewesenen sehr gering. Die Kompressionsstelle erscheint kaum dünner, weil eben die Hauptmassen das Mark und die Perifibrillärsubstanz auch dort schon fortgedrängt sind. Auffallend ist nur, daß die Kompressions- stelle weniger dunkel erscheint als dort.

Bei starker Vergrößerung (Fig. 662) sieht man, daß die Quer- schnitte der Kerne noch kleiner sind als bei dem vorigen Stadium, auch die hellen Höfe und das endonenrale Bindegewebe haben an

262 Das Wesen der Nervenleitung.

Masse noch abgenommen. Die Querschnitte der Fibrillenbündel zeigen sich zwar auch noch ein wenig dünner als bei leitungsfähigen Kom- pressionsstellen, doch tritt dieser Unterschied ganz gegen den in der Färbungsintensität zurück! Während die Bündel bei leitungs- fähigen Kompressionsstellen tief dunkel erscheinen (Fig. 66 C), sind sie hier trotz der ganz gleichen Behand- lung stets ganz blaß (Fig. 662). Die Querschnitte treten eigent- lich nur dadurch noch deutlich vor der Umgebung hervor, daß ihre Kontur scharf gezeichnet erscheint. (Der abgebildete Querschnitt stammt von Beispiel 1.) In Figur 67 gebe ich drei Stellen aus einem Längs- schnitt des Beispiels 2 wieder. Die Stelle 4 liegt außerhalb des Be- reichs der Kompression. Man sieht die Fibrillen des an dieser Stelle nicht geschrumpften Achsenzylinders, die ellipsenförmigen Kerne und das etwas stark hervorgehobene Neurokeratingerüst. Die Stelle 2 liegt der Kompressionsstelle ganz nahe. Da die Fibrillen zu einem Bündel zusammengeschnurrt sind, ist die Färbungsintensität größer; die Mark- scheide (d. h. ihr sichtbarer Rest, das Neurokeratingerüst) ist nach links fortgedrängt, zum größten Teil auch die Perifibrillärsubstanz; der an- liegende Kern ist bereits stark deformiert. In den Präparaten verjüngt sich nun das Fibrillenbündel nach rechts hin immer mehr und nimmt da- bei an Färbungsintensität zuerst etwas zu und dann dauernd ab. ( zeigt eine Stelle aus dem Höhepunkt der Kompression. Die Fibrillenbündel sind blaß und die Kerne zu langen, wurstförmigen Gebilden ausgezogen.

Wären die Fibrillen unverändert, so müßten die aus ihnen zu- sammengesetzten Bündel an der Kompressionsstelle noch dunkler er- scheinen als außerhalb derselben, denn ihre normale Färbungsenergie wäre hier auf einen kleinen Raum zusammengedrängt. Da das Gegen- teil der Fall ist, so muß irgend eine Veränderung mit ihnen vor- segangen sein. Ehe ich diese zu deuten versuche, will ich erst das dritte Stadium beschreiben.

3. Nerven, welche fixiert wurden, nachdem sie wieder durch- gängige geworden waren. Die Nerven wurden so lange mit steigender Belastung komprimiert, bis die Kompressionsstelle auch für stärkste, zentral von derselben angesetzte Reize nicht mehr durchgängig waren, also bis zu dem Stadium, dessen fixiertes Bild soeben beschrieben wurde. Darauf wurde das Gewicht hochgehoben und nun unter oft wiederholtem Prüfen gewartet, bis die Kompressionsstelle wieder einiger- maßen leitungsfähig war. Das dauert, wie schon Ducceschi beschrieben hat, oft nur wenige Sekunden. War dies eingetreten, so wurde fixiert. In diesen Fällen bot sich ein Bild, wie es für nur mäßig und nicht bis zur Leitungsunfähigkeit komprimierte Nerven unter 1. beschrieben worden ist. Die Figur 66 könnte gradeso gut von einem solchen Nerven genommen sein! Die Hauptsache dabei ist, daß das Fibrillen-

Das Wesen der Nervenleitung. 263

bündel an der Kompressionsstelle stets wieder tief dunkel färbbar ist, wenn die Leitungsfähigkeit sich wieder- hergestellt hat. Die bei Leitungsunfähigkeit fast ganz verschwundene primäre Färbbarkeit kehrt also mit der Wiederherstellung der Leitungsfähigkeit zurück!

Fig. 67. Fasern aus einem Längsschnitt durch einen bis zur Leitungsunfähigkeit komprimierten Nerven (Färbung und Vergrößerung wie bei Fig. 66 B, ©, D). A Fasern von normalem Aussehen, 0,8 mm von der Mitte der Kompressionsstelle entfernt. Die Fibrillen ausnahmsweise nicht zu einem Strang zusammengeschrumpft. Die Integrität der Markscheide an dem Aussehen des Neurokeratin- gerüstes zu erkennen. B Beginn der Kompression. 0,5 mm von 4 entfernt. Verdrängung der Markscheide, Achsenzylinder geschrumpft, aber nicht über das gewöhnliche Maß verjüngt, Kern deformiert. C Mitte der Kompressionsstelle (0,25 mm von D entfernt). Achsenzylinder stark verjüngt, im Verhältnis zu B nur ganz schwach gefärbt und dicht aneinander gepreßt. Kerne ganz in die Länge gezogen.

Ich habe noch den Beweis zu führen, daß der färbbare oder nicht mehr färbbare Stab, welcher sich an der Kompressionsstelle zeigt, wirklich aus den zusammengedrängten Fibrillen besteht und daß die Fibrillen bei der Kompression ihre Individualität nicht verlieren. Da in dem Stab die einzelnen Individuen nicht zu sehen sind, so kann dieser Beweis immer nur indirekt geführt werden. Wie man fast an

264 Das Wesen der Nervenleitung.

jedem Präparate, in dem die Achsenzylinder nicht alle geschrumpft sind, sehen kann, legen sich die Fibrillen an den Schrumpfungsstellen (z. B. in Fig. 64 4) dichter aneinander, um bei vollkommener Schrump- fung einen homogen aussehenden Stab zu bilden (Fig. 642). Diesen kann man nun an den Kompressionsstellen sich direkt in den dünnen Stab fortsetzen sehen, während der helle Hof, der den Rest des Mark- scheidenhohlraums ausmacht und der zum Teil von der krümlig- geronnenen, primär nicht färbbaren Perifibrillärsubstanz ausgefüllt ist, verschwindet. Den erheblichen Diekenunterschied zwischen einem Schrumpfungsbündel und einem komprimierten Bündel erkläre ich mir dadurch, daß in ersterem Fall noch eine Menge Perifibrillärsubstanz zwischen den Fibrillen liegt; daher sind diese Bündel auch heller als die nur mäßig komprimierten. Komprimiert man Nerven am lebenden Frosch (siehe S. 168) und läßt sie verschieden lange Zeit im Tier, so treten außer der oben beschriebenen eventuellen Degeneration folgende Veränderungen an der Kompressionsstelle auf: Nach einem bis zwei Tagen ist der Einschnitt im Nerven ganz ausgeglichen, die Kompressions- stelle macht sich aber noch deutlich durch ihre Durchsichtigkeit be- merkbar. An Osmiumpräparaten ist die Kompressionsstelle sehr schwarz; die Markscheide ist nicht deutlich vom Achsenzylinder abgesetzt, denn auch dieser zeigt schwarze Verfärbung. Nach sechs bis acht Tagen ist zwar immer noch eine starke Schwärzung des Achsenraums an der Kompressionsstelle vorhanden, aber man kann doch innerhalb desselben deutlich voneinander getrennte Fibrillen erkennen (falls kein Zerfall eingetreten ist). Da nun hier während der Kompression sicher ein ganz dünner Stab vorhanden war, so schließe ich, daß sich dieser wieder in seine Komponenten zerlegt hat, d. h. daß die Fibrillen während der Kompression ihre Individualität nicht aufzugeben hatten.

Daß die primäre Färbbarkeit bei Leitungsunfähigkeit fast ganz verschwindet und stets vorhanden ist, wenn die Nervenstelle noch oder wieder leitungsfähig ist, scheint mir nach meinen Versuchen durchaus gesetzmäßig. Über die Deutung der Aufhebung der Färbbarkeit wird man aber nach diesem Versuch allein zweifelhaft sein können. Da der Diekenunterschied zwischen leitungsfähigen und leitungsunfähigen ;ündeln nur sehr gering ist, kann man die schwache Färbbarkeit in letzterem Fall nicht etwa allein auf den Diekenunterschied zurück- führen. Schon eher könnte man daran denken, daß die Fibrillen bei stärkerer Kompression in die Länge gedrückt würden, so daß hier auf sleichgroße Querschnitte weniger färbbare Teilchen kämen, als bei den weniger stark komprimierten. Auch hiergegen spricht, daß der Intensitätsunterschied viel zu groß ist. Annehmbar scheinen mir nur drei Mögliehkeiten: 1. Die Fibrillen sind bei der Leitungsunfähig- keit so stark aneinander gepreßt, daß der Farbstoff nur noch auf

Das Wesen der Nervenleitung. 265

der Oberfläche des Bündels einwirken, aber nicht ins Innere dringen kann. Bei dieser Annahme könnte man die Abnahme der Färbbarkeit als etwas ganz Unwesentliches ansehen, man könnte aber auch die Abwesenheit der kapillären Spalten zwischen den Fibrillen, die sieh aus dieser Annahme ergeben würde, als Grund für die Leitungsunfähig- keit erklären und so das Aufhören der Leitungsfähigkeit mittelbar mit dem Aufhören der Färbbarkeit in Zusammenhang bringen. 2. Die Fibrillensäure ist nicht mit den Fibrillen ehemisch verbunden, sondern bildet nur mit andern Substanzen eine Hülle um dieselben. Bei der starken Kompression wird diese Hülle, ebenso wie es mit der Peri- fibrillärsubstanz schon bei schwacher Kompression geschieht, nach den Seiten fortgedrängt und nur die nackten Fibrillen bleiben zurück. 3. Die Fibrillensäure ist mit den Fibrillen im normalen Zustand chemisch ver- bunden, wie ich dies in Kapitel 8 wahrscheinlich zu machen gesucht habe; diese ziemlich lockere Bindung wird aber durch den Vorgang der Kompression gesprengt und da die freie Fibrillensäure in Alkohol löslich ist, so wird sie beim Fixieren aus dem Nerven herausgelöst und kann nicht mehr färberisch zur Darstellung gebracht werden. Welche von diesen Deutungen die Wahrscheinlichkeit für sich hat, wird, wie ich meine, aus späteren Versuchen hervorgehen.

Einwirkung von destilliertem Wasser.

Nach einer alten, ich weiß nicht von wem zuerst gemachten Er- fahrung wird die Erregbarkeit eines Nerven durch Einwirkung von destilliertem Wasser (und auch von hypotonischen Salzlösungen) schnell herabgesetzt und schließlich ganz aufgehoben.') (Diese Erkenntnis führte bekanntlich Köllicker zur Einführung der physiologischen Koch- salzlösung, in welcher sich Frosehnerven mehrere Tage lang erregbar erhalten.) Läßt man das destillierte Wasser nur auf eine kurze Strecke des Nerven einwirken, so wird sie allmählich für Reize undurchgängig, während der Nerv oberhalb und unterhalb dieser Stelle sein Leitungs- vermögen so lange behält, als sich nieht die Wirkung des destillierten Wassers durch Diffusion auch in diese Gegenden ausgedehnt hat. Eine Erregung des Nerven während dieses Absterbeprozesses ist nicht zu konstatieren, wenigstens bleibt der Muskel bei Eintauchung des Nerven eines Nervmuskelpräparats in destilliertes Wasser dauernd in Ruhe. Wenn, wie vorausgesetzt werden muß, die lebenden, reizleiten- den Teile des Nerven bei der Einwirkung des destillierten Wassers absterben, so könnte dies geschehen, ohne daß dabei die Beziehungen

1) Bekanntlich ist destilliertes Wasser ein ganz allgemeines Gift für lebende Gewebe. Seine zerstörende Wirkung wird auf die Auslaugung der zum Leben notwendigen Mineralsalze zurückgeführt. Infolge ihres höheren osmotischen Druckes quellen alle Gewebe in destilliertem Wasser auf.

266 Das Wesen der Nervenleitung.

zwischen Fibrille und Fibrillensäure gestört werden; es könnte aber auch in diesen Beziehungen eine Änderung eintreten der Art, daß die eiweißartige Fibrille beim Absterben die Verbindung mit der Fibrillensäure löst. Ein negativer Befund würde also nicht gegen eine Wechselwirkung von Fibrille und Fibrillensäure sprechen, während ein positiver Befund die Annahme einer Wechselwirkung befür- worten würde.

Versuch 1. Die beiden Nervmuskelpräparate eines Frosches werden präpariert und der Nerv des einen in destilliertes Wasser gehängt, der des andern in Kochsalzlösung. Beide Präparate kommen in die- selbe feuchte Kammer. Nach 24 Stunden werden beide herausgenommen. Der Kochsalznerv ist erregbar, der andre nicht. Darauf werden beide in Alkohol gehärtet, eingebettet und geschnitten. Die Schnitte kommen auf den gleichen Objektträger und werden zusammen in der oben (S. 135) angegebenen Weise gefärbt. Der erregbare Kochsalz- nerv zeigt, wie einnormales Präparat, schön dunkel ge- färbte Achsenzylinder; die Achsenzylinder desNerven, der im destillierten Wasser gelegen hatte, sind abez entweder ganz farblos oder zeigen nur eine schwache primäre Färbbarkeit. (Einzelne Fasern sind bisweilen dunkler, aber nie so dunkel als der Durchschnitt der Fasern des andern Nerven.)

Versuch 2. In dasselbe Gefäß mit destilliertem Wasser kommt I. ein frischer Nerv, 2. ein Nerv, der für einige Minuten in Alkohol zelegen hat und dann ausgewaschen wurde und 3. ein Nerv eines durch Erwärmen auf 55° wärmestarr gemachten Frosches. Nach 24 Stunden werden alle drei in Alkohol fixiert, zusammen weiter- behandelt und geschnitten. Die Achsenzylinder des ersten Nerven sind ganz blaß, wie beim vorigen Versuch. Die des „weiten (Alkohol) sind von normaler Dunkelheit, ebenso die des dritten (wärmestarr). (Die Achsenzylinder wärmestarrer Nerven zeigen manchmal ein körniges Aussehen, was aber nichts mit der Einwirkung des destillierten Wassers zu tun hat. Auf die Unter- schiede im Aussehen der Markscheiden brauche ich nicht einzugehen.) Aus diesem Versuch geht hervor, daß die Aufhebung oder Ver- minderung der primären Färbbarkeit durch destillier- tes Wasser nur dann zustande kommt, wenn der Nerv in lebendem Zustand hineingelegt wird. Zu bemerken ist hier noch, daß die Fibrillen durch die Einwirkung von destilliertem Wasser nieht aufgelöst werden, daß sie vielmehr im Osmiumpräparat keinen Unterschied gegen normale Fibrillen aufweisen.

Versuch 3. Ein kleines Reagenzröhrehen mit destilliertem Wasser wird zwischen einem Muskelhalter und Reizelektroden aufgestellt. Der Muskel eines Nervmuskelpräparats wird am Halter befestigt, der Nerv

Das Wesen der Nervenleitung. >67 : F4 Ä

wird mit seiner Mitte so über das Reagenzglas gelegt, daß eine kleine Schlinge ins Wasser hängt, und sein zentrales Ende wird über die Elektroden gebrückt, nachdem vor dem Eintauchen ins Wasser die Reizschwelle bestimmt ist. Dann wird das Ganze mit einer Glasglocke bedeckt, die mit feuchtem Fließpapier ausgelegt ist. Ab und zu wird geprüft, ob die eingetauchte Nervenstelle noch für den Reiz durch- gängig ist. Beispiel: Anfangs Schwelle bei 40 em Rollenabstand (tetanisierender Reiz mit großem Induktorium), eingetauchte Nerven- strecke ea. 1 cm lang. Schwelle nach 30 Minuten unverändert, nach 45 Minuten 35 em, nach 60 Minuten 20 em. Nach 1'/, Stunden ist die Nervenstelle auch bei stärksten Strömen nicht mehr durchgängig. Reizung unterhalb der gewässerten Stelle gibt bei 38 em kollen- abstand gute Muskelkontraktion. Hierauf wurde in Alkohol fixiert. Die Wässerungsstelle zeigte im primärgefärbten Präparat sehr schwach zefärbte Achsenzylinder; von hier aus nimmt die Färbung der Achsen- zylinder nach beiden Seiten an Intensität zu und erreicht, etwa '/, em von den Enden der Wässerungsstelle entfernt, dieselbe Dunkelheit wie das vom andern Nerven desselben Tieres hergestellte Normalpräparat. Die primäre Färbbarkeit zeigt sich also an einer ge- wässerten Nervenstelle schon dann fast aufgehoben, wenn dieselbe grade erst die Leitungsfähigkeit ein- sebüßt hat.

Versuch 4. Wie oben gezeigt wurde, ist die Fibrillensäure nicht in Wasser, wohl aber in freiem Zustand in Alkohol löslich. Wenn sie also durch das destillierte Wasser nur von der Fibrille abgespalten würde, so würde sie nach Beendigung des Versuches noch im Nerven vorhanden sein und käme im Alkoholpräparat nur deswegen nicht zur Beobachtung, weil sie durch den Alkohol herausgelöst wird. Wie ferner oben gezeigt wurde, ist die freie Fibrillensäure in Äther nicht lös- lieh; wenn man also anstatt Alkohol Äther anwendet und den Nerven vor dem Färben nicht in Alkohol bringt, so muß man entscheiden können, ob es sich hier um eine bloße Abspaltung oder um eine Ver- änderung der Fibrillensäure selber handelt: Ein Nerv wird, wie beim vorigen Versuch, mit einer Schlinge in destilliertes Wasser gehängt. Nach etwa 1'/, Stunden ist die Stelle für Reiz undurchgängig und selber nieht mehr reizbar. Der Nerv wird nun an der Mitte der Wässerungsstelle durehschnitten und das eine Ende in Alkohol, das andre in Äther gelegt (Weiterbehandlung des Ätherstückes siehe S. 146; alte Methode): Die Achsenzylinder des Alkoholpräparats sind in der Wasserregion blaß, außerhalb derselben dunkel. Im Ätherpräparat zeigen sie überall die gleiche Dunkelheit; die einzelnen Fibrillen treten auch in der Wasserstrecke deutlich und dunkel hervor und sehen gradeso aus wie im normalen Nerventeil.

Das Wesen der Nervenleitung.

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Das destillierte Wasser spaltet also die Fibrillen- säure nur vom Nerven ab, verändert aber weder sie noch ihre Lage.

Die Einwirkung der Nareotica und andres.

Sehr wertvolle Aufschlüsse über die Bedeutung der Fibrillensäure waren von den Versuchen mit Nareotieis zu erwarten, weil diese die Leitung zu unterbrechen imstande sind, ohne den Nerven für immer zu schädigen (wie dies beim destillierten Wasser der Fall ist). Da der Alkohol so vorzüglich geeignet ist, bei konzentrierter Anwendung die primäre Färbbarkeit zu konservieren, und da auch dem Äther, wie gezeigt, dieselbe Eigenschaft zukommt, so war von vornherein nicht anzunehmen, daß bei der Einwirkung narkotisierender Dämpfe die leitungsunfähig gemachte Stelle durch Mangel der primären Färb- barkeit hervorträte. Die darauf gerichteten Versuche haben dies be- stätigt: Der stromprüfende Froschschenkel wurde bei diesen Versuchen mit zwei Klammern gehalten und so am Rande einer Schale auf- gestellt, daß er mit seinem Nervenende in die Schale hineinragte. In der Schale stand ein kleines Schälehen von 1°/, em Durchmesser, in dessen Rand an zwei gegenüberliegenden Stellen kleine Kerben eingeschliffen waren. In diese wurde der Nerv hineingelegt und das jenseits hervorragende Ende über Reizelektroden gelegt. Das kleine Schälehen wurde dann mit einem Glimmerdeckel bedeckt, an dem auf der Innenseite ein kleines Schwämmchen zur Aufnahme einiger Tropfen Alkohol, Äther oder Chloroform befestigt war. Wenn das Nareoticum so weit eingewirkt hatte, daß auch bei stärkster Reizung des zentralen Endes keine Reaktion des Schenkels mehr eintrat, dann wurde die äußere Schale mit Alkohol gefüllt und der Deckel gehoben. Ein ge- nauer Vergleich zwischen narkotisierter und nicht narkotisierter Strecke ergab nie Unterschiede. Wie ich weiter unten zeigen werde, ist aber doch das Verhältnis zwischen Fibrille und Fibrillensäure innerhalb der narkotisierten Strecke wesentlich verändert.

Den Nareotieis schließen sich eine Reihe andrer Stoffe und Ein- sriffe an, welche in mehr oder weniger hohem Maße die Leitungs- fähigkeit einer Nervenstelle zu unterbrechen imstande sind, ohne dab dabei im primärgefärbten Präparat (und erst recht nicht im sekundär- zefärbten) ein Unterschied zwischen alterierter und nicht alterierter Strecke zu bemerken wäre. Ich nenne hier die Behandlung einer Nervenstrecke mit Ammoniak oder mit Kohlensäure und die lokale Wasserentziehung (durch Eintrocknung, hypertonische Salzlösungen oder Glyzerin). Die bei diesen Eingriffen besonders in ihren Anfangsstadien zu beobachtenden physiologischen Erscheinungen besitzen nun eine

Das Wesen der Nervenleitung. 269

gewisse Ähnlichkeit mit denen, welche sich bei lokaler Narkose des Nerven mit den eigentlichen Narcotieis zeigen. Im einzelnen ergeben sich zwar quantitativ nicht unwesentliche Unterschiede, besonders zwischen Narkotisierung und Wasserentziehung, aber in den zwei Punkten stimmen alle diese Eingriffe überein (soweit ich das aus der Literatur ohne speziell darauf gerichtete eigene Untersuchungen sagen kann): Zunächst erhöhen sie die lokale Erregbarkeit und weiterhin machen sie die affizierte Nervenstelle unerregbar und leitungsunfähig (oder setzen wenigstens die Leitungsfähigkeit herab).

Am stärksten ist die Zunahme der Erregbarkeit bei der Wasser- entziehung ausgeprägt (Engelmann). Wird die Reizschwelle eines frischen Nerven bestimmt und läßt man diesen ganz oder nur an der Reizstelle eintrocknen oder entzieht man ihm mittels stärkerer Koch- salzlösung Wasser, so tritt bald ein Stadium ein, in welchem weit geringere Reize genügen, um eine Zuckung des Muskels auszulösen. Die Steigerung der Erregbarkeit nimmt bei diesem Eingriff nun immer mehr zu, bis schließlich auch spontan erst einzelne Zuckungen und dann Tetanus eintritt, Erscheinungen, die seit langem als Vertrocknungs- tetanus bekannt sind. Allmählich nimmt die Erregbarkeit wieder ab und, wenn nur eine beschränkte Stelle mit Salzlösung behandelt ist, so wird diese schließlich für weiter oben angesetzte Reize undurch- gängig.

Bei der Einwirkung von Nareotieis tritt die anfängliche Steigerung der Erregbarkeit so stark in den Hintergrund gegenüber dem um- gekehrten Prozeß, daß sie den ersten Beobachtern (Grünhagen, 1872, Szpilman und Luchsinger, 1881, Efron, 1885, Hirschberg, 1886) ganz entgangen zu sein scheint. In den Untersuchungen dieser Autoren wird die interessante von Grünhagen zuerst entdeckte Tatsache, daß die Erregbarkeit in der affizierten Gegend eine Einbuße erlitten hat, wenn sie noch für weiter oben angesetzte Reize gut durchgängig ist, als erste Veränderung angesehen. Daß aber tatsächlich diesem Grün- hagensehen Phänomen besonders bei Narkotisation mit Alkohol- und Chloroformdämpfen, aber auch bei Anwendung von Äther eine Erreg- barkeitssteigerung vorhergeht, wurde von Mommsen (1881), Gad (1588) und Piotrowski (1893) gezeigt. Diese Steigerung ist vorübergehend und weicht bald der Verminderung der lokalen Erregbarkeit, die schließ- lieh zur gänzlichen Unerregbarkeit führt. (Boruttau, 1897, zeigte ganz analoge Verhältnisse bei der Untersuchung der negativen Schwankung unter dem Einfluß von Nareotieis. Zuerst nimmt dieselbe an Stärke zu, dann bis auf 0 ab. CO, verstärkt die negative Schwankung er- heblich; bei Ammoniak nimmt sie von Anfang an ab.) Am besten werden diese Vorgänge nach dem von Grünhagen eingeführten Ver- fahren studiert: Der Nerv wird durch eine sonst gut geschlossene

270 Das Wesen der Nervenleitung.

Kammer von Glas, Horn oder Kork gezogen, in welche durch ein Zuleitungsrohr Dämpfe von Nareotieis, Kohlensäuregas oder Ammoniak- gas geleitet werden können. Innerhalb der Kammer liegt der Nerv auf einem oder mehreren Elektrodenpaaren; ein weiteres Paar von Elektroden ist oberhalb der Kammer, manchmal auch noch zwischen Kammer und Muskel am Nerven angebracht. Nachdem überall die Reizschwelle bestimmt ist, wird das Gas eingeleitet und von Zeit zu Zeit die Reizschwelle geprüft. Die Veränderungen treten in folgender Reihenfolge ein: Zuerst wird die Schwelle der Erregbarkeit in der Kammerstrecke erhöht, d. h. es tritt schon bei größerem Rollenabstand als vorher eine Muskelkontraktion ein. Die Erregbarkeit außerhalb der Kammer ist unverändert. Darauf wird die Kammerstrecke schwerer erregbar als die Teile oberhalb und unterhalb derselben. Der Rollen- abstand muß wesentlich kleiner gemacht werden, um von den Kammer- elektroden aus eine Muskelkontraktion zu erzielen, während eine Kon- traktion von den oberen und unteren Elektroden schon bei größerem kollenabstand zustande kommt. Bei weiter fortgesetzter Gaszuleitung nimmt die Erregbarkeit an allen Stellen immer mehr ab, aber jetzt oben schneller als in der Kammer, so daß zu einer gewissen Zeit die Reizung oberhalb der Kammerstrecke, auch wenn sie sehr stark ist, keinen Effekt mehr hat, während von der Kammer aus mit starken Reizen noch eine Kontraktion zustande kommt. Schließlich erlischt die Erregbarkeit auch innerhalb der Kammer ganz. (Dendrinos, 1902, ätherisiert eine lange Nervenstrecke mit einem weit zentral- und einen weit periphergelegenen Elektrodenpaar. Zuerst wird die Reizung am zentralen Ende, dann am peripheren Ende unwirksam. Da beide Stellen gleich alteriert sein müssen, so handelt es sich nicht um ein Unerregbarwerden der Nervenstelle, sondern darum, daß sich die Er- regungswelle in der ätherisierten Strecke je nach Stärke der Einwirkung früher oder später erschöpft. Diese Idee ist sehr einleuchtend. Bei starker Narkotisierung dürfte aber doch wohl eine vollkommene Un- erregbarkeit eintreten. Ähnliche Erfahrungen hat auch Werigo [1899] publiziert.)

Die anfängliche Steigerung der Erregbarkeit ist, soweit die Unter- suchungen reichen, hauptsächlich bei Alkohol und Chloroform sehr ausgesprochen, weniger bei Äther und Kohlensäure. Bei Kohlensäure ist andrerseits die Beeinträchtigung der lokalen Erregbarkeit bei noch cut erhaltener Leitungsfähigkeit (also das Grünhagensche Phänomen) ausgesprochener als bei den andern Substanzen. Der Schnelligkeit nach, mit welcher das Grünhagensche Phänomen, die Aufhebung der Leitungs: fähigkeit und schließlich das Aufhören der Erregbarkeit eintritt, läßt sich folgende Reihenfolge aufstellen (Szpilman und Luchsinger): Ammoniak, Äther, Chloroform, Alkohol und Kohlensäure. Die Kohlensäure wirkt

Das Wesen der Nervenleitung. 271

am schwächsten. (Ich habe bei wirklich reiner Kohlensäure auch bei halbstündiger Einwirkung nur eine schwache Herabsetzung der Leitungsfähigkeit, aber nie eine Aufhebung derselben erzielen können, während das Grünhagensche Phänomen stets deutlich zu erkennen war.) Während bei Ammoniak, wenn es bis zur Leitungsunfähigkeit ein- gewirkt hat, keine Erholung eintritt (oder erst nach vielen Tagen, siehe S. 174), kann sich der Nerv von der Narkose mit Äther, Chloroform, Alkohol und Kohlensäure bei Luftzutritt leicht wieder er- holen, vorausgesetzt, daß die Narkose nicht zu lange gedauert hat. Zuerst kehrt die lokale Erregbarkeit wieder, dann erst die Leitungs- fähigkeit (Efron, Pereles und Sachs, Dendrinos )).

Daß bei schwererer Schädigung die Reizung der zentraleren Stellen eher wirkungslos wird, als die Unerregbarkeit der periphereren, narkotisierten Stellen eintritt, entspricht durchaus der natürlichen Vor- stellung, daß der Leitungsvorgang nur in einem Weiterschreiten der Erregung von Querschnitt zu Querschnitt besteht (Hermann). Dagegen scheint das Grünhagensche Phänomen dem zu widersprechen, denn hier ist bei einem gewissen Stadium der Einwirkung die Fähigkeit der betroffenen Stelle eine weiter oben hervorgerufene Erregung weiter zu leiten größer, als die Fähigkeit, direkt in Erregung zu geraten. Grünhagen und mit ihm Schiff und andre haben auch in der Tat diese Erscheinung dahin gedeutet, daß Erregung und Leitung zwei ganz verschiedene Dinge seien. Diese Deutung wird uns weiter unten zu beschäftigen haben.

Hier kam es mir hauptsächlich darauf an, auf die Tatsache auf- merksam zu machen, daß die Nareotica zunächst die Erregbarkeit er- höhen, vor allem der Alkohol (die andern sind nur ungenügend unter- sucht). Zu wirklichen Reizerscheinungen, wie bei der Wasserentziehung, kommt es dabei nicht, indem die Herabsetzung der Erregbarkeit die Steigerung derselben zu schnell ablöst. Alkohol wirkt zwar in starker Konzentration (Kühne) reizend, doch dürfte diese Wirkung auf Wasser- entziehung zu beziehen sein.

Durch die anfänglich in mehr oder weniger hohem Maße ge- steigerte Erregbarkeit treten die hier besprochenen Eingriffe in Gegen- satz zur Wirkung des destillierten Wassers und der Anode, bei der die Erregbarkeit von Anfang an herabgesetzt ist. Bei den Nareotieis u. Ss. W. zeigt sich die leitungsunfähige Stelle in ihrer Färbbarkeit nicht ver- ändert; bei jenen verliert sie die primäre Färbbarkeit, wie dies jetzt für die Anode gezeigt werden soll.

1) Nach Pereles und Sachs erlischt die Leitungsfähigkeit der sensiblen Fasern eher als die der motorischen.

Das Wesen der Nervenleitung.

IND —1 IV

Uber die Wirkung des konstanten Stromes.

Die ersten Andeutungen, daß ein starker konstanter Strom beim Durchfließen einer Nervenstrecke ein Leitungshemmnis bildet, finden sich bei Valentin (1848). Einen großen Schritt weiter gelangte Eck- hard (1853, 1855 und 1858), der in mehreren Arbeiten zeigte, daß das Leitungshemmnis in der Umgebung des positiven Pols zu suchen sei, während in der Nähe des negativen Pols sogar eine gesteigerte Er- reebarkeit zu beobachten sei; doch sollte dies nur bei aufsteigenden resp. absteigendem Strom der Fall sein. Zu wirklicher Klarheit ge- langte die Frage aber erst durch die denkwürdigen Untersuchungen von Pflüger über den Elektrotonus (1856 und 1859), welche dieselbe in einer solehen Vollständigkeit behandelten, daß in dem inzwischen verflossenen Zeitraum von beinahe fünfzig Jahren kaum etwas Wesent- liches hinzugefügt werden konnte.

Wie bekannt, ist das Resultat dieser Untersuchungen kurz fol- gendes: Gleichgültig, ob der Strom aufsteigend oder absteigend ist, tritt immer in der Umgebung der Anode eine Herabsetzung der Er- regbarkeit, in der Nähe der Kathode (des negativen Pols) eine Stei- gerung derselben ein. Diese Veränderung dehnt sich um so weiter extrapolar aus, je stärker der Strom ist; je weiter man sich von dem Pol entfernt, desto mehr nimmt die Veränderung an Intensität ab.

Reizt man bei aufsteigender Stromrichtung zwischen der Anode und dem Muskel eines Nervmuskelpräparats tetanisch, so kann der Reiz, welcher bei nicht geschlossenem Strom einen starken Tetanus hervorbringen würde, vollkommen wirkungslos bleiben. Andrerseits kann bei absteigendem Strom ein schwacher Reiz, der an und für sich keinen Effekt hervorbringen würde, zu einer starken Zuckung (oder einem Tetanus, wenn der Reiz tetanisch ist), führen, weil er sich im Gebiet der Kathode befindet.

Die Erregbarkeitssteigerung an der Kathode ist bei aufsteigenden Strom nur bei ganz schwachen Strömen zu konstatieren, weil die Herabsetzung an der für den Reiz zu durchlaufenden Anode bei stär- keren Strömen so stark wird, daß sie zur vollständigen Leitungs- unterbrechung führt. Die intrapolare Strecke wird durch den polarisierenden Strom in eine Strecke von erhöhter (an der Kathode) und von herabgesetzter Erregbarkeit (an der Anode) geteilt. Zwischen beiden liegt der Indifferenzpunkt, der mit zunehmender Stromstärke näher an die Anode zu liegen kommt. (In der intrapolaren Strecke können elektrische Reize nur mit Vorsicht als Prüfungsreiz verwandt werden; Pflüger bediente sich hier vorwiegend chemischer Reize. Tieger- stedt bestätigte 1882 mittels mechanischer Reizung die Pflügerschen Aufstellungen in vollem Umfange. Dieses Gesetz der Erregbarkeits-

Ey ass

Das Wesen der Nervenleitung. 373

steigerung und Herabsetzung (Pflügerscher Elektrotonus) läßt sich in Form von Kurven (Fig. 68) darstellen, wobei die verminderte Erreg- barkeit dureh Senkung der Kurve unter die Abszisse dargestellt wird. (Hallsten [1880] zeigte die Gültigkeit des von Pflüger nur für moto- rische Fasern geprüften Gesetzes an sensiblen Fasern).

Die Erregbarkeitssteigerung an der Kathode tritt sofort beim Schließen des Stromes ein und nimmt allmählich ab (Pflüger). Bleibt ein starker Strom lange geschlossen, so tritt in der kathodischen Gegend sogar eine Herabsetzung der Erregbarkeit ein und schließlich wird sie gänzlich unerregbar und leitungsunfähig (Hermann, 1872, Werigo, 1883, Hermann und Tschitschkin, 1899, Bürker 1901 u. 1902). Andrerseits tritt die Erregbarkeitsherabsetzung an der Anode nur all- mählich ein und bleibt bis zum Ende der Schließungsdauer erhalten (Pflüger). Grade diese Tatsachen sind für die Beurteilung der später zu bespreehenden Befunde von großer Wichtigkeit.') Nach der

Fig. 68. Kurvenmäßige Darstellung der Erregbarkeitsverhältnisse im Elektrotonus nach Pflüger. -+- Anode (Eintrittsstelle des Stromes), Kathode (Austrittsstelle des Stromes). Die drei Kurven deuten die Stärke und Ausdehnung der Erregbarkeitsveränderungen bei verschieden starken Strömen an.

Aufhebung der Durehströmung zeigt sich an beiden früheren Polen ein umgekehrtes Erregbarkeitsverhältnis: Die frühere Kathodenstrecke ist weniger erregbar resp. unerregbar und leitungsunfähig, die Anoden-

1) Nach Wundt (1871), Tschirchew (1579) und andern pflanzt sich die Er- regbarkeitsherabsetzung von der Anode aus mit einer geringeren Geschwindigkeit als der des Nervenprinzips fort. Dagegen ist nach den Untersuchungen von Grünhagen und Baranowski & Garr@ (1880), welche unter Hermanns Leitung arbeiteten, eine Herabsetzung der Erregbarkeit (10—14 mm von der Anode ent- fernt) schon im Moment der Stromschließung zu beobachten. (Ein Anteil des polarisierenden Stromes wird durch die primäre Spirale eines Induktionsapparates geleitet, so daß gleichzeitig mit dem Schließen des Stromes dem Nerven an einer muskelwärts gelegenen Stelle ein Schließungsschlag zugeführt wird. Neben dieser Grünhagenschen Methode wurden von Baranowski und Garr& noch zwei andre angewandt, die im Original nachzulesen sind.) Bekanntlich entsteht im mark- haltigen Nerven bei Zuführung eines konstanten Stromes extrapolar ein im Nerven gleichgerichteter Strom (Du Bois-Reymonds oder galvanischer Elektro- tonus). Derselbe ist nach Hering (1889) und Biedermann (1586) zum Teil als auf einer merkwürdigen Ausbreitung von Stromschleifen basierend anzusehen, weil

;ethe, Nervensystem. IS

274 Das Wesen der Nervenleitung.

strecke zeigt erhöhte Erregbarkeit. Oder mit Worten Pflügers: Das Schwinden des Katelektrotonus setzt die Erregbarkeit herab, das Schwinden des Anelektrotonus erhöht sie. An der früheren Anode bleibt dies umgekehrte Verhalten bis zur Rückkehr der normalen Er- regbarkeit erhalten; an der früheren Kathode schwindet es bald und es tritt wieder, wie während der Durchströmung, erhöhte Erregbar- keit ein, welche dann allmählich verschwindet.

Durch diese Tatsachen findet bekanntlich das von Pflüger bei der elektrischen Reizung festgestellte Zuckungsgesetz, das in einzelnen Punkten schon von Ritter und Heidenhain formuliert war (siehe Bieder- mann, 1895, S. 557), eine auskömmliche Erklärung. Das Gesetz wird aus der Pflügerschen, hier folgenden Tabelle ersichtlich (die Anordnung der Tabelle weicht vom Original etwas ab).

Stromstärke Aufsteigender Strom Absteigender Strom Schließung Öffnung Schließung Öffnung Schwach Zuckung Ruhe Zuckung Ruhe Mittelstark Zucekung Zuckung Zuckung Zuckung Stark Ruhe Zuckung Zuckung Ruhe

(schwache Zuckung)

Nach Analogie der Erscheinungen am Muskel wird angenommen, daß bei der Schließung die Erregung an der Kathode, bei der Öff- nung an der Anode stattfindet; diese Annahme steht auch mit den Erregbarkeitsverhältnissen bei konstanter Durchströmung im besten

er im marklosen Nerven fehlte und an leblosen Röhren mit stärker leitendem Flüssigkeitskern ebensogut herzustellen sei wie an markhaltigen Nerven (nasses Schilfrohr mit Kochsalzlösung gefüllt). (Hering und Biedermann unterscheiden danach zwischen einem physikalischen und einem physiologischen Elektrotonus. Letzterer soll nach Biedermann [1888] in der Äthernarkose verloren gehen, ersterer aber persistieren. Seitdem hat Boruttau (1597) gezeigt, daß auch an marklosen Nerven (Cephalopoden) elektrotonische Ströme zur Beobachtung kommen, die

allerdings schwächer sind als an markhaltigen Nerven. Außerdem zeigte Waller

1895, 1896, 1897] und Boruttau (1897), daß die elektrotonischen Ströme bei der Narkose und bei Anwendung andrer Substanzen verschiedenartige Veränderungen erleiden. Nareotica, Säuren und Wärme vermindern mehr den Anelektrotonus, Alkalien und Kälte mehr den Katelektrotonus. Da aber immer noch eine reich- liche extrapolare Stromausbreitung bei der Narkose übrig bleibt, so wird man die Existenz eines physikalischen Elektrotonus nicht ganz leugnen können, wenngleich derselbe mehr auf ordinäre Stromschleifen zu beziehen sein dürfte.) Die Resultate von Grünhagen und Baranowski und Garr& sind möglicherweise (siehe Biedermann, 1895) auf diese Stromschleifen zu beziehen. Untersuchungen von Du Bois-Reymond (1867) über die Ausbreitung der elektrischen Erscheinungen bei konstanter Durehströmung haben wie die Pflügerschen Untersuchungen zu

dem Resultat geführt, daß der Katelektrotonus sich schnell entwickelt und

ziemlich schnell sinkt, während der Anelektrotonus allmählich ansteigt, einige Zeit auf der Höhe bleibt und dann langsam nachläßt.

$

Das Wesen der Nervenleitung. 375

Einklang. Ein direkter Beweis existiert nur dafür, daß die Erregung bei der Öffnung von der Anode ausgeht. Nach starker Durchströ- mung tritt beim Öffnen häufig keine einfache Zuckung, sondern an- dauernder Tetanus ein (Ritterscher Öffnungstetanus). Schneidet man nun den nach absteigender Durchströmung in dauernde Öffnungs- erregung geratenen Nerven im Indifferenzpunkt durch, so hört der

Tetanus sofort auf (Pflüger). Auch durch zeitmessende Versuche (Bezold, 1861) wird die Richtigkeit des Satzes sehr wahrscheinlich gemacht. Angenommen der Satz sei richtig und es zweifelt wohl

niemand an seiner Richtigkeit —, so erklärt sich der zuerst paradox erscheinende Erfolg der Reizung mit starken Strömen einfach auf folgende Weise: Bei aufsteigendem Strom tritt an der Anode so schnell die Leitungsunfähigkeit ein, daß die an der zentralgelegenen Kathode auftretende Schließungserregung nieht mehr hindurch gelangen kann. Andrerseits tritt bei Öffnung des absteigenden Stromes an der Kathode Leitungsunfähigkeit ein, so daß die von oben kommende Öffnungserregung nicht zum Muskel gelangen kann.

Von vorn herein mußte es merkwürdig erscheinen, daß der kon- stante Strom bei gleichmäßigem Fließen keine Erregung hervorbringt, daß vielmehr nur Stromesschwankungen erregend wirken (Du Bois’ Gesetz der Nervenerregung), denn es muß doch angenommen werden, daß der Strom auch beim ruhigen Fluß wie sonst überall dauernd Veränderungen hervorruft. Es hat sich denn auch gezeigt, daß unter Umständen eine dauernde Erregung durch den konstanten Strom her- vorgerufen werden kann und daß die wahrscheinlich gesetzten dauern- den Veränderungen des Nerven in der Regel nur zu gering oder zu gleichförmig sind, um Erregung hervorzubringen. Beim Frosch zeigt sich eine Dauererregung hauptsächlich nach Abkühlung als Pflüger- scher Schließungstetanus (außerdem eine Dauererregung als Nach- wirkung im Ritterschen Öffnungstetanus). Bei manchen Tieren scheint überhaupt nur tetanische Erregung durch den konstanten Strom her- vorgerufen werden zu können, so bei Säugetieren (Eckhard, 1888) und manchen Wirbellosen (Scherennerv des Krebses, Biedermann, 1888, und Nerven von Aplysia, Bethe). Auch die sensiblen Nerven des Menschen werden während der ganzen Schließungsdauer erregt (Volta: Ausstrahlen eines dauernden Schmerzes in die Finger bei Auf- setzung der Elektroden auf den Ulnaris).

Nach dieser kurzen Rekapitulation einiger der Hauptergebnisse der bisherigen Forschung auf diesem Gebiet, will ich nun zur Be- schreibung dessen übergehen, was sich nach konstanter Durehströmung im primärgefärbten Bilde wahrnehmen läßt.

187

276 Das Wesen der Nervenleitung.

Versuchsanordnung.

Zur Zuleitung (des Stromes bediente ich mich immer „unpolari- sierbarer“ Stiefelelektroden, deren Tonpfropf in ein horizontal gerich- tetes, oben scharfkantiges Prisma auslief. Als Stromquelle benutzte ich in der Regel fünf oder sechs Daniells. Von den Elementen wurde der Strom unter Einschaltung eines Schlüssels dem Du Boisschen Rheochord zugeführt. Von den Enden desselben ging wie üblich eine Nebenschließung durch einen Stromwender zu den Elektroden. In diesen Kreis war außerdem ein kleines Galvanometer von mäßiger Empfindlichkeit eingeschaltet. Dasselbe zeigte '/,.. Milliampere noch deutlich an und hatte nur den Zweck die benutzten Ströme annähernd

Fig. 69. Skizze der Aufstellung, welche benutzt wurde, um Nerven während der Polarisation zu

fixieren. E. unpolarisierbare Elektroden, R.e. Reizelektroden, K. Klammern, welche den Frosch-

schenkel halten, @%. Glasschale, in welche die Elektroden mit dem darüberliegenden Nerven und der Schenkel hineinragen.

zu bestimmen, um in Vergleichsversuchen gleiche Stromstärken her- stellen zu können. Da es notwendig war während der Durchströ- mung zu fixieren, so wurde die Aufstellung des Präparats dem ent- sprechend getroffen: In eine Glasschale von etwa 10 cm Durchmesser ragen die Stiefelelektroden von oben herein (Fig. 69), so daß zwischen ihrem unteren Rande und dem Boden der Schale noch ein kleiner Zwischenraum bleibt. Neben den Elektroden sind ebenfalls über dem Boden schwebend zwei gebogene Metallelektroden angebracht, welche mit der sekundären Spirale eines Induktionsapparats in Verbindung stehen. Vermittelst dieser wird auf Undurchgängigkeit der Anode zeprüft; ausserdem halten sie den Nerven in der richtigen Lage. Am entgegengesetzten Rande der Glasschale steht ein Gestell mit zwei Klammern zur Aufnahme des Froschunterschenkels. (Die Stative waren in den meisten Versuchen durch untergelegte Glasplatten gegen die

Das Wesen der Nervenleitung. 977

Erde isoliert.) Dieser wird so eingeklemmt, daß er mit dem Nervenende in die Schale hineinragt. Der Nerv wird dann so über die Elektroden gelegt, daß er von oben gesehen eine möglichst grade Linie bildet, von der Seite gesehen aber zwischen den Elektroden etwas herabhängt (Fig. 69). Der Zweck dieses graden Auflegens ist folgender: Der Nerv behält nach dem Fixieren die ihm gegebene Form bei. Wenn man ihn dann parallel zur graden Achse schneidet, so bekommt man auch bei zanz langen Nervenstrecken ununterbrochene Schnitte, an denen ohne weitere Markierung die Lage der Elektrodeu allein dureh die scharf abgesetzten Krümmungen an den Auflagestellen gekennzeichnet ist. (Bei der Äthermethode bleibt der Nerv so weich, daß sich die Krünı- mungen beim Abnehmen von den Elektroden ausgleichen. Hier be- stimme ich die Lage der Elektroden entweder durch Ausmessung von den Schnittenden aus oder durch Markierung mit Zinnoberstaub, der am eben feuchten Nerven in genügendeı Menge haften bleibt.)

Nachdem der Nerv gut über die Elektroden gelagert ist, lasse ich den Strom, je nach Art des Versuches, verschieden lange hin- durchgehen und fixiere dann in der Weise, daß die Glasschale mit Alkohol, Äther oder Osmiumsäurelösung (/, °/,) gefüllt wird. Nach etwa einer Minute wird dann der Strom geöffnet. Der Nerv ist dann bei Anwendung von Alkohol und Äther schon soweit verändert, daß eine Öffnungserregung nicht mehr zustande kommt. Bei Anwendung von Osmiumsäure muß man meist etwas länger geschlossen halten. Bei länger ausgedehnter Durchströmung lege ich die Schale mit feuchten Fließpapier aus und bedecke sie mit einem Deckel aus Glimmer, der so ausgeschnitten ist, daß er nur die Elektroden und den Schenkel ausspart, also einen genügenden Schutz gegen Austrocknung gewährt. Bei denjenigen Versuchen, bei denen die Anwendung einer feuchten Kammer in dieser Gestalt unmöglich ist, verhüte ich die Austrocknung durch Befeuchten mit einem in physiologische Kochsalzlösung ge- tauchten Pinsel.

Anoden- und Kathodenbild.

Versuch 1. Ein starker Strom, der bereits beim ‘Schließen sofort eine vollkommene Aufhebung der Leitungsfähigkeit an der Anode her- vorruft, wird zehn Minuten lang durch den Nerven geleitet. Ich be- nutzte dazu gewöhnlich den vollen Strom von fünf oder sechs Daniells (also unter Ausschaltung des Rheochords). Die Richtung des Stromes ist gleichgültig, ebenso die Länge der interpolaren Strecke. Im all- gemeinen wählte ich, um das Schneiden nicht zu sehr zu erschweren, eine interpolare Strecke von 1—2 em. ‚Je nach dem Widerstand der Elektroden und der Länge der Nervenstrecke hatte der hindurehgehende Strom eine Stärke von 0,05—0,2 Milliampere. Auch bei stärksten,

I78 Das Wesen der Nervenleitung.

oberhalb der durchflossenen Strecke angesetztem tetanischen Reiz darf von Anfang an keine Reaktion des Schenkels eintreten. Nachdem der Strom zehn Minuten hindurchgegangen ist, wird die Schale mit Alkohol gefüllt und dann, nach etwa einer Minute, der Strom geöffnet. Darauf Entwässern mit absolutem Alkohol, längeres Verweilen in Xylol und Einbettung in Paraffin. Die Schnitte werden, wie oben (S. 135) angegeben, gefärbt.

Das Färbungsresultat ist bei den vielen Versuchen, welche ich gemacht habe, immer das gleiche gewesen: Die Anode ist voll- kommen farblos, die Kathode zeigt eine wesentlich stärkere Färbung der Achsenzylinder, als es an nor- malen Nervenstellen der Fall ist! Die Figur 707 zeigte ein Photogramm eines Schnittes durch einen solchen Nerven bei schwacher Vergrößerung.') In Figur 71°) sind Stellen aus den verschiedenen Re- sionen desselben Schnittes bei stärkerer Vergrößerung photographisch abgebildet. Der Unterschied zwischen normaler Nervenstelle einerseits und der Kathode und Anode andrerseits ist so deutlich, daß es einer Erklärung weiter nicht bedarf. Im Präparat treten die Unterschiede viel deutlicher hervor. Figur 70 /7 gibt von einem andern Schnitt eine schematische, aber nicht übertriebene Zeichnung. Durch die Färbung der Kerne und des Bindegewebes wird der Unterschied der verschiedenen Stellen für das bloße Auge weniger auffällig, doch sind die Ver- schiedenheiten in der Färbungsintensität in der Regel schon mit bloßem Auge deutlich zu sehen.

Von der Anode aus nimmt die Färbung nach dem extrapolaren Teil hin allmählich an Intensität zw (Bisweilen erstrecken sich, besonders wenn die Elektrode nicht scharf- kantig war, einige gefärbte Fasern von der extrapolaren Strecke in die Anodenstelle hinein; solche noch gefärbten Fasern finden sich, wenn überhaupt, nur an der der Auflagestelle gegenüberliegenden Seite.) Ohne daß eine Verstärkung der Färbung jenseits der Anode zu bemerken wäre, treten normale Verhältnisse in der extrapolaren Strecke ein (Fig. 70).

Jenseits der Kathode etwa 2—2,5 mm von der Mitte der Auflagestelle entfernt nimmt die Intensität der Färbung immer mehr ab und zwar unter das Maß eines normalen Nerven (Fig. 70 Z7). Weiterhin nimmt dann die Färbungsintensität allmählich wieder zu, bis sie 4—6 mm von der Kathode entfernt ungefähr so intensiv ist, wie man es bei

|) Der auf der Platte deutlich sichtbare Unterschied zwischen Anode und Kathode kommt in der Reproduktion nicht heraus. Die Figur kann nur noch dazu dienen, die Form eines solchen Schnittes zeigen.

2) Figur 71 ist auf Tafel II dem Buch hinten angefügt.

Das Wesen der Nervenleitung. 279

normalen Nerven zu finden gewohnt ist. Die Verstärkung der Färbung an der Kathode ist bei mittlerer Temperatur (siehe S. 291) immer sehr auffallend, dagegen ist die Abnahme der Färbung jenseits derselben nieht immer deutlich wahrzunehmen, weil sie sehr allmählich einsetzt und nie bis zur vollkommenen Farblosigkeit (wie an der Anode) führt. Je stärker der Strom war oder je länger er andauerte, desto deut- licher ist aber dieses Hellerwerden jenseits der Kathode zu sehen. Wenn man von der Anode aus die interpolare Strecke verfolgt, so findet man zunächst noch alle Achsenzylinder ganz farblos (bis- weilen findet man einzelne schwach gefärbte Fasern, doch muß man

1

——

Fig. 70. J. Photogramm eines Längsschnittes durch einen Froschnerven, welcher zehn Minuten mit einem starken Strom (4 Daniel, voller Strom) polarisiert, mit Alkohol fixiert und auf dem Schnitt mit Toluidinblau 1:3000 (15 Minuten) gefärbt worden ist. (Vergrößerung etwa 10mal). Links Anode, rechts Kathode. /I. Schnitt durch einen andern gleichbehandelten Nerven schematisch gezeichnet. Die Kerne sind wie in allen folgenden schematischen Figuren fortgelassen. Der Nerv ist verkürzt und nur aus wenigen Achsenzylindern (4) bestehend gedacht. Wert wurde nur darauf gelegt, die Dunkelheit der Achsenzylinder in den verschiedenen Abschnitten ihres Verlaufs möglichst genau (d.h. dem Präparat entsprechend) wiederzugeben.

sich vor der Verwechslung mit gefärbten Bindegewebssträngen hüten). Wenn man an der Mitte der interpolaren Strecke angekommen ist oder bereits etwas über dieselbe hinaus ist, so beginnen die Achsen- zylinder wieder etwas gefärbt zu sein (Fig. 71 C) und nun nimmt die Färbung nach der Kathode zu immer mehr zu, um in deren Nähe ganz stark zu werden (Fig. 70 77 u. Fig. 712).

Läßt man einen polarisierenden Strom von gleicher Stärke nur eine kurze Zeit geschlossen, z. B. 10”, und fixiert dann, so ist nichts von den beschriebenen Veränderungen zu bemerken. Die ersten deut- lichen Veränderungen zeigen sich nach einer Sehließungsdauer von einer halben bis einer Minute. An der Anode sieht man eine kurz begrenzte Helligkeit, bei Durehströmung von einer Minute meist be-

280 Das Wesen der Nervenleitung.

reits eine vollständige Farblosigkeit (Fig. 72 4). Die Kathode ist deutlich dunkler als die Umgebung, aber noch nicht so dunkel wie bei langer Durchströmung; die interpolare Strecke erscheint außer in der nächsten Nähe der Pole ganz normal. Wenn man jetzt immer längere Durchströmungszeiten anwendet, so dehnt sich das Gebiet der Anoden- und Kathodenveränderung immer weiter nach beiden Seiten hin aus, so daß sich etwa nach fünf Minuten das Bild zeigt, welches auch nach zehn Minuten langer Durchströmung zu sehen ist; jedoch ist die Kathode noch nicht ganz so dunkel als bei dieser Durchströmungsdauer und die helle Zone jenseits der Kathode ist nieht oder nur ganz un- deutlich zu bemerken (Fig. 72 2).

Hieraus scheint hervorzugehen, daß die Fibrillensäure allmählich von der Anode nach beiden Seiten, aber hauptsächlich nach der Kathode

Fig. 72. Schematische Abbildungen des Polarisationsbildes unter verschiedenen Bedingungen, 4A Starker Strom, eine Minute durchströmt. B Bei gleichem Elektrodenabstand und gleicher Strom- stärke fünf Minuten durchströmt. Bei schwachem Strom zehn Minuten durchströmt.

hin, verdrängt ‚wird, während sie von der Kathode sowohl aus der interpolaren als auch aus der extrapolaren Strecke angezogen wird und zwar aus der letzteren weniger intensiv. Bei langdauernder Durehströmung wird aber auch so viel Fibrillensäure aus der extra- polaren Strecke an die Kathode gezogen, daß jenseits derselben ein deutlicher Mangel entsteht.

Dieselben Effekte lassen sich nun auch bei sehr viel schwächeren Strömen erzielen; jedoch muß man den Strom um so länger hindureh- fließen lassen, je schwächer der Strom ist. Bei eingeschalteten Rheochord kann man bei einer Stromquelle von sechs Daniells manch-

mal schon nach fünf Minuten ein vollständiges Polarisationsbild erzielen, wenn auch nur die drei ersten Stöpsel herausgenommen sind, d.h. nach meiner approximativen Messung bei einem Strom von etwa

0,02—0,03 Milliampere.

Das Wesen der Nervenleitung. 381

Bei einer Stromstärke, welche beim Schließen noch keine voll- kommene Leitungsunfähigkeit der Anode ergibt, sondern bei der sich dieselbe erst nach etwa 20—30 Sekunden ausbildet, bekommt man in 10—15 Minuten ein wohlausgebildetes Polarisationsbild mit voll- kommener Farblosigkeit der ganzen anodischen Strecke; jedoch liegt hier wie bei allen schwachen Strömen auch bei langer Durchströmung der färberische Indifferenzpunkt näher an der Anode. (Auffallend ist bei den schwachen Strömen, daß die Anoden- und Kathodenveränderung weiter auf die extrapolare Strecke übergreift als es in der Regel bei starken Strömen der Fall ist.) Fixiert man bei einem derartigen Strom (etwa 0,01—0,02 Milliampere) schon nach fünf Minuten, so findet man nur an der Kathode eine deutliche Veränderung, während die Anode noch ziemlich unverändert erscheint. Bei noch schwächeren Strömen (von weniger als 0,01 Milliampere, sogenannte „schwache Ströme“ d.h. solche, die nur Schließungszuckung geben), welche die Anode erst nach 3—4 Minuten langer Durchströmung leitungsunfähig machen, kommt es auch bei längster Durchströmung (20 Minuten) in der Regel nicht zu einer vollständigen Farblosigkeit der Anode. Die- selbe zeigt sich zwar immer wesentlich heller als normale Nerven- stellen, behält aber in allen Fasern eine geringe Färbbarkeit bei. Dagegen zeigt die Kathode immer eine sehr deutliche Verdunklung (Fig. 72 ©). Diese Verdunklung der Kathode zeigt sich auch bei noch schwächeren Strömen, welche erst nach 20—30 Minuten eine Undureh- gängigkeit der Anode hervorrufen und die die Anode auch nach 15—20 Minuten noch nicht deutlich verändern. Hieraus ergibt sich, daß die Kathodenveränderung eher eintritt oder leichter hervorzurufen ist als die Anodenveränderung.

Öffnet man einen starken Polarisationsstrom, nachdem er etwa 10’ geschlossen war, so tritt, wie bekannt, die Leitungsfähigkeit der vorher anodisch gewesenen Strecke nicht sofort wieder ein, ja nach sehr starkem und andauerndem Durchströmen kann der Nerv dauernd oder für lange Zeit geschädigt sein. Wartet man so lange, bis der Nerv wieder in allen Teilen leitungsfähig ist, und fixiert man ihn jetzt, so sieht man stets alle durch den Strom gesetzten Veränderungen wieder ausgeglichen: Die Anode hat wieder normale Färbbarkeit und an der Kathode ist von einer stärkeren Färbung meist nichts mehr zu bemerken. Bisweilen findet man die Anode, nachdem sie wieder vollständig durchgängig ist, etwas dunkler als normale Nervenfasern; die Kathode wird nie heller als normal gefunden, doch kann sie bei zurückgekehrter normaler Erregbarkeit bisweilen noch etwas dunkler als die Umgebung sein. (Mit Vorteil verwendet man zu diesen Versuchen Ströme, welche eben grade imstande sind,

382 Das Wesen der Nervenleitung,

ein deutliches Polarisationsbild hervorzurufen. Man braucht dann nur 10—20 Minuten zu warten und ist doch sicher, daß vorher eine Ver- änderung bestand.) Fixiert man nach Öffnung des Stromes, noch ehe die Leitungsfähigkeit der Anode wiedergekehrt ist, so findet man die Anode immer noch farblos oder wenigstens bedeutend heller als nor- male Nervenstellen. Kurz nach dem Öffnen eines starken Stromes findet man fast dasselbe Bild, wie wenn während der Durchströmung fixiert ist; je länger man wartet, desto mehr zeigt sich die anodische Strecke des Färbungsbildes eingeengt und die kathodische Strecke heller. Daraus geht hervor, daß die Fibrillensäure allmählich ihre normale Verteilung wiedergewinnt. Diese Restitution nimmt sehr viel mehr Zeit in Anspruch als zur Hervorrufung der Veränderung nötig war. Andrerseits wird durch diese Versuche aber auch gezeigt, daß eine Nervenstreeke nur dann leitungsfähig ist, wenn sie eine reichliche Menge Fibrillensäure in kontinuier- licher Verteilung besitzt. Die Anwesenheit von Fi- brillensäure an den Fibrillen ist Bedingung der Ner- venleitung!

Wie verhalten sich nun die Neurofibrillen gegenüber dieser offen- baren Verschiebung der Fibrillensäure? Daß die Fibrillen bei der konstanten Durchströmung nicht aufgelöst werden, läßt sich bereits aus den gewönlichen Alkoholpräparaten ersehen, wenn man die Schnitte nach vorhergegangenem Molybdänieren mit basischen Farbstoffen, also sekundär, färbt. Hier zeigt sich derSchrumpfungs- strang des Achsenzylinders überall gleich dunkel ge- färbt und auch an der Anode nicht unterbrochen. Von dem im primärgefärbten Präparat so deutlich hervor- tretenden Färbungsunterschieden ist nichts zu sehen. Statt dessen zeigt sich aber ein morphologischer Unterschied: Die ge- schrumpften Achsenzylinder sind an der Anode wesentlich dünner als an normalen Nervenstellen, an der Kathode aber etwas dicker (letzteres ist nicht immer deutlich). Um über die Fibrillen genauere Aufschlüsse zu gewinnen, muß in Osmiumsäure fixiert werden.

Versuch 2. Ein Nerv wird wie beim Versuch 1 mit dem vollen Strom von fünf oder sechs Daniells 10° durchströmt. Dann wird die Glasschale mit '/,°/, Osmiumsäure gefüllt und nach 1—3 Minuten der Strom geöffnet. Nach 12—24 Stunden wird der Nerv von den Elektroden herabgenommen und in der bekannten Weise (aber ohne Reduktion) weiter behandelt (Mönckeberg und Bethe, 1899). Ein Teil der Schnitte wird direkt mit Toluidinblau gefärbt und die Färbung nach dem Waschen mit molybdänsaurem Ammonium fixiert, ein andrer Teil wird erst molybdäniert und dann gefärbt. Die Präparate zeigen keinen Unterschied untereinander. An allen

Das Wesen der Nervenleitung. 283

Stellen treten die Fibrillen mit der gleichen Schärfe und Deutlichkeit hervor; sie durehziehen die Anode ebenso glatt wie die Kathode und die interpolare Strecke; sie sind an der Anode nicht dünner als normal und an der Kathode nicht dieker: kurz, man kann an diesen Präparaten nicht sehen, daß mit dem Nerven irgend ein Eingriff vorgenommen ist. Da auch das direkt gefärbte Präparat nichts von einer Anodenhelligkeit und Kathoden- dunkelheit erkennen läßt, so kann man schließen, daß die direkte Färbbarkeit nach Osmierung nichts mit der primären Färbbarkeit nach Alkoholbehandlung, also der Anwesenheit von Fibrillensäure, zu tun hat. Die Fibrillensäure geht bei der Osmiumsäurebehandlung (vielleicht durch Oxydation?) verloren, wofür sich auch andres anführen läßt. Bei der konstanten Durehströmung werden also die Fibrillen, soweit sich das mit unsern Mitteln erkennen läßt, nicht verändert! Was geändert wird, ist die Verteilung der an ihnen haftenden Fibrillensäure. (Eine andre Auffassung der Befunde wird späterhin Berücksichtigung finden.) Da die Fibrillenbündel im Alkoholpräparat bei sekundärer Färbung an der Anode dünner gefunden werden als an der Kathode, die Fibrillen selber aber keine Verjüngung an der Anode zeigen, so könnte man auf den Gedanken kommen, daß dieses Verhalten durch die Abwesenheit resp. Anwesenheit von Fibrillensäure hervorgerufen wird. Dieser Schluß wäre aber verfrüht. Im Jahre 1868 wurde nämlich von Munk gezeigt, daß am durchströmten Nerven das Reuss- sche Phänomen, nämlich Wassertransport von der Anode zur Kathode, in Erscheinung tritt (siehe auch Quincke, Annalen der Physik und Chemie, Bd. 113, 1861). Es ist nun möglich, daß die Wasserverarmung der Anodengegend (sie greift nach Munk auf die extrapolare Strecke über) im Alkoholpräparat in der Dünne der Schrumpfungsbündel zum Ausdruck kommt, daß sie sich aber durch den langen Aufenthalt in einer wässerigen Lösung bei der Osmiumfixierung wieder ausgleicht. (Es sei hier erwähnt, daß Munk den Wassertransport mit der physio- logischen Wirkung des konstanten Stromes in Zusammenhang bringt.) Aus den bisher beschriebenen Versuchen kann man folgende Vor- stellungen ableiten. Der konstante Strom "hebt an der Anode die Ver- bindung zwischen Fibrillensäure und Fibrille auf, während er sie an der Kathode festigt; die Anode stößt außerdem die Fibrillensäure ab, die Kathode zieht sie an. (Gegen einen direkten Vergleich der Fibrillen- säure mit einem Kation spricht die Ausdehnung der Wirkung auf die extrapolare Strecke.) Die Ansammlung an der Kathode wird sich außer auf eine ganz andre Weise, auf die ich später zu sprechen komme, nur durch eine Wanderung der Fibrillensäure erklären

284 Das Wesen der Nervenleitung.

lassen. Dagegen könnte man das Fehlen von Fibrillensäure an der Anode auf folgende Weise erklären: Die Anode bewirkt zwar eine Abspaltung der Fibrillensäure; diese bleibt aber ruhig an Ort und Stelle liegen und wird, da die freie Säure in Alkohol löslich ist, beim Fixieren herausgelöst. Gegen diese Deutung spricht bereits die Lang- samkeit, mit der das Polarisationsbild erscheint und verschwindet: es läßt sich aber auch direkt zeigen, daß sie unrichtig ist. (Beweis in Versuch 3 und 4.) Es bliebe also nur die andre Annahme, daß die Fibrillensäure auch von der Anode fortwandert. Da nun im Alkohol- präparat sich nicht nur die Anode selber, sondern auch ihre extra- polare Nachbarschaft farblos findet, so muß man annehmen, daß die Fibrillensäure auch nach hierhin (also in extrapolarer Richtung) fort- geschoben wird. Da die Fibrillen dieser Gegend nach der eben ge- machten Annahme eine verminderte Haftfähigkeit für die Fibrillensäure haben, so muß die extrapolarverschobene Fibrillensäure frei bleiben; sie wird also bei Alkoholfixierung gelöst und kann nicht zur Dar- stellung gelangen. Wendet man nun ein Mittel an, welches die Fibrillen- säure nicht löst, so muß man die freie Fibrillensäure jenseits der Anode nachweisen können. Das Mittel, diesen Zweck zu erreichen, besitzen wir im Äther.

Versuch 3. Ein Nerv wird in der gewohnten Weise 10’ durch- strömt und dann die Schale mit Äther gefüllt. (Weitere Behandlung siehe S. 146.) In solehen Präparaten sieht man, wie erwähnt, die Fibrillen zwar auch etwas zusammengeschnurrt, aber in der Regel doch nicht so stark, daß sie nicht noch als Individuen zu sehen wären. (Außerordentlich störend bei der Untersuchung. ist die starke Mitfärbung der geronnenen Markscheiden. Nur mit Hilfe der Öl- immersion ist eine Auflösung möglich.)') Weit jenseits der Pole sieht man die Fibrillen normal gefärbt (Fig. 73 7). An der Kathode nimmt die Färbung der Fibrillen wesentlich zu und man kann deutlich sehen, daß das Plus an Färbung wirklich auf die Fibrillen und nicht etwa auf die Perifibrillär- substanz zu beziehen ist (Fig. 73 ZZ). Nach der Anode hin nimmt die Färbung nun in der interpolaren Strecke immer mehr ab, sanz wie bei Alkoholpräparaten, bis die Fibrillen schließlich sanz farblos werden. So geht es fort bis über die Anode hinaus, wo die Fibrillen dann allmählich wieder dunkler werden (Fig. 73 IV). Extrapolar von der Anode und noch bis in die Gegend hinein, wo die Fibrillen schon wieder gefärbt sind, sieht man nun um die Fibrillenbündel herum, besonders auf der dem Auflagepunkt

I) Dieser Übelstand wird durch die neue Äthermethode (p. 146) gehoben. Ich habe aber bisher keine Zeit gefunden, die Versuche mit dieser Methode zu wiederholen.

Das Wesen der Nervenleitung. 2385

des Nerven gegenüberliegenden Seite, aber auch zwischen den Fibrillen selber sehr kleine, dunkel gefärbte Körnehen, welche an der Kathode und an allen normalen Nervenstellen fehlen (Fig. 73 ZI. und ZF.). Ich glaube, daß man diese Körnehen als das Fär- bungsprodukt der freien Fibrillensäure (oder ihres Alkali salzes, denn sie verschwinden leicht, wenn der Nerv vor dem Färben gewässert wird) wird ansehen müssen!

Außer an dieser Stelle habe ich sie aber manchmal noch an einer andern bemerkt, nämlich in der Gegend des Indifferenzpunktes. Ich hatte dies theoretisch nicht vorausgesetzt, sehe aber, nachdem der Befund gemacht ist, ein, daß ein Vorkommen freier Fibrillensäure

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Fig. 73. Nervenfasern aus verschiedenen Gegenden polarisierter Nerven nach der (älteren) Äther- methode behandelt. (Apochromat 1,30, Kompensationsocular 6, Zeichenapparat). mn. die längs- geschnittene, körnige Markscheide. 4. der Achsenzylinder. /. Aus einer normalen Nervenstelle. IT. Aus der Kathodengegend. III. und IV. Aus der Anodengegend, I/II. direkt über der Elektrode, IV. etwas mehr extrapolar. (/.—IV. aus demselben Schnitt). V. Faser aus der Anodengegend von einem Nerven, dessen positive Elektrode extrapolar während der Polarisation verschoben wurde.

an dieser Stelle hätte erwartet werden können, denn wir haben ja auch hier mangelhafte Affinität der Fibrillen, so daß Fibrillensäure, die noch nicht bis zur Kathode gelangt ist, hier frei gefunden werden muß.

Wenn es richtig ist, daß die Anode die Fibrillensäure extrapolar verdrängt, so muß eine ansehnlichere Menge derselben extrapolar gefunden werden, wenn man die Anode während der Durehströmung in extrapolarer Richtung verschiebt. Ein solcher Versuch würde, wenn er positiv ausfiele, als Beweis dafür gelten dürfen, daß die bei Fixierung des Polarisations- bildes mittels Äther jenseits der Anode gefundenen färbbaren Körnchen wirklich mit der freien Fibrillensäure zu identifizieren sind.

286 Das Wesen der Nervenleitung. .

Versuch 4. Die Aufstellung des Apparates erfolgt wie bei den früheren Versuchen, nur wird die Anodenelektrode an einer Schrauben- spindel befestigt, so daß sie in der Längsachse des Nerven allmählich verschoben werden kann. (Übrigens kann man die Verschiebung bei genügender Vorsicht auch aus freier Hand besorgen.) Die Kathoden- elektrode wird nahe am Muskel an den Nerven angelegt, die Anoden- elektrode etwa '/, em von ihr entfernt in proximaler Lage. Der polarisierende Strom wird zunächst ohne Veränderung der Lage der Elektroden zwei Minuten geschlossen gehalten; dann fängt man an die Anodenelektrode langsam proximalwärts zu bewegen. Auf jeden Millimeter Verschiebung hat man etwa eine Minute zu rechnen. Wenn die Anode um 10—15 mm verschoben ist, füllt man die Schale mit

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Fig. 74. Schematische Darstellungen des Polarisationsbildes.. Der Nerv ist als eine einzige große

Nervenfaser gedacht. Die dunkle Kontur bedeutet die Markscheide, der Strang in der Mitte den

Achsenzylinder. K.. Kathode, A. Anode. I. Die Elektroden stehen während des Versuches fest.

Äthermethode. I/. und III. Die positive Elektrode wird während des Versuches langsam in der

tichtung des Pfeiles verschoben. II. Mit der Äthermethode untersucht, III. mit der Alkohol- methode untersucht.

Äther. In einem Kontrollversuch wird genau so verfahren, die Fixation aber in der üblichen Weise mit Alkohol vorgenommen.

Zunächst der Alkoholnerv: Die ganze Verschiebungs- streeke der anodischen Elektrode istfreivonFibrillen- säure (Fig. 74 777.), jenseits derselben sieht der Nerv aus, wie wenn die Elektrode nicht verschoben wäre. Durch die große Nähe des färberischen Indifferenzpunktes an der Kathode unterscheidet sich soleh Nerv von einem in gewöhnlicher Weise polarisierten. Ist zu schnell bewegt, so bleiben einzelne Faserstellen gefärbt. Über 15 mm fibrillensäurefreie Strecke habe ich nieht erzielen können, doch mag dies bei weiteren Versuchen gelingen. |

Der Äthernerv zeigt dieganze Verschiebungsstreeke in gleicher Weise frei von Fibrillensäure. Ander Anode und jenseits derselben findet man aber in reichlicher

Das Wesen der Nervenleitung. 387

Menge färbbare Körnchen um die Fibrillenbündel herum und auch zwischen denselben. Hier ist fast immer das bereits erwähnte Verhalten sehr ausgesprochen, daß die Hauptansammlung der Körnchen auf der Seite des Fibrillenbündels (oder an der Wand der Markscheide) liegt, welche von der Auflagestelle, also der Anode, am weitesten entfernt war! Hierin scheint mir der beste Beweis dafür zu liegen, daß die Fibrillensäure von der Anode abgestoßen wird. (Fig. 74 77. und Fig. 73 V.)

Nach diesen Befunden zeigt sich also die Möglichkeit, die Fibrillen- säure gewissermaßen aus dem Nerven herauszumelken. Es scheint mir außerdem durch dieselben erwiesen zu sein, daß die Anode die Fibrillensäure nach beiden Seiten verdrängt und die Fibrillen der Fähigkeit beraubt, die Fibrillensäure festzuhalten.

Es drängen sich nun zunächst zwei Fragen auf: 1. Tritt die Ver- änderung des Färbungsbildes nur an lebenden Nerven auf? 2. Wenn diese Frage mit ja beantwortet werden muß: Beruht der Effekt nicht lediglich auf der durch den Strom hervorgerufenen Ansammlung von Anionen und Kationen ?

Die Entscheidung der ersten Frage ist sehr einfach, die der zweiten bereitet Schwierigkeiten.

Versuch 5. Ein Frosch wird durch allmähliches Erwärmen eben srade wärmestarr gemacht. Der Hüftnerv wird dann freigelegt und auf seine vollkommene Unerregbarkeit geprüft. Ist diese vorhanden, so wird er herauspräpariert und zehn Minuten oder länger mit einem starken Strom durehströmt. Die Schnitte zeigen auch nach stärkster Durehströmung eine vollständig gleiche Fär- bung an allen Teilen der Nervenstrecke!

Versuch 6. Ein Froschnerv wird für kurze Zeit in Alkohol ge- legt, dann mit Kochsalzlösung ausgewaschen und in gleicher Weise durehströmt. Auch in diesem Fall ist weder an der Anode noch an der Kathode eine Veränderung der Färbbarkeit zu bemerken.

Aus diesen Versuchen, die in mannigfacher Weise abgeändert werden können, geht mit Sicherheit hervor, daß der konstante Strom am toten Nerven keine Veränderung in der Ver- teilung der Fibrillensäure hervorzurufen imstande ist. Wir haben es also bei dem Auftreten eines Polarisationsbildes mit einer Erscheinung zu tun, die an das Vorhandensein der lebenden Struktur gebunden ist.

In der Äthernarkose verliert, wie schon oben erwähnt, der Nerv die Eigenschaft zu leiten und erregt zu werden. Wir müssen an- nehmen, daß der Äther diejenigen Veränderungen, welche das Wesen der Nervenleitung ausmachen, an ihrem Zustandekommen ganz ver-

288 Das Wesen der Nervenleitung.

hindert oder wenigstens hemmt. Zerstörend auf die lebende Struktur kann der Äther dabei nieht wirken, da ja nach dem Vertreiben des Äthers durch einen Luftstrom die Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit wiederkehrt. Wenn man daher den Nerven während der Äthernarkose der Wirkung des polarisierenden Stroms aussetzt, so kann man sicher sein, ihn auf lebende und nur im Augenblick leistungsunfähige Substanz einwirken zu lassen. Der elektrische Widerstand des Nerven steigt zwar in der Äthernarkose, doch läßt sich dies durch Anwendung stärkerer Ströme kompensieren.

Versuch 7. Die Aufstellung der Apparate muß zu den Äther- versuchen eine kleine Änderung erfahren: Ich setze in die Glasschale ein kleineres flaches Schälehen hinein, welches einen Durchmesser von ungefähr 2 em, eine lichten Höhe von 7 mm hat. An zwei gegen- überliegenden Stellen ist der Rand des Schälchens soweit eingekerht, daß ein Froschnerv bequem in dem Ausschnitt Platz hat. Senkrecht zur Verbindungslinie dieser Stellen ist die Wand des Schälchens an zwei Stellen, welche 1 em voneinander entfernt sind, bis auf den Boden und in einer Breite von 3 mm ausgeschliffen. Auf das Schälchen paßt ein Glimmerdeckel, der an einer Stelle ein kleines Loch hat, unter das ein Stückehen Watte geklebt ist. Läßt man auf das Loch von außen einen Äthertropfen fallen, so wird dieser von der innen- befindlichen Watte sofort aufgesogen. Auf diese Weise kann man die Narkose innerhalb der Kammer genügend regulieren. Vor der Anstellung einer Versuches werden zwei Würste aus Kochsalzton so in die Schale gelegt, daß sie aus den großen Ausschnitten des Randes herausragen und diese gerade verschließen. Innerhalb der Schale werden sie auf den Boden gepreßt und prismatisch geformt. Die vorstehenden Ton- stücke werden dann an die Tonpfröpfe der Stiefelelektroden gepreßt, welehe, wie bei den vorigen Versuchen, in die große Schale hinein- ragen. Nachdem man sich dann davon überzeugt hat, daß nicht etwa durch Auflegen des Glimmerdeckels ein Stromschluß hervorgerufen wird, wird der Nerv über die beiden Elektroden im Schälchen und über die Reizelektroden gelegt und das Schälchen mit dem Glimmer- deckel bedeckt, dessen Wattebausch mit einem Tropfen Äther beschickt ist. Von Zeit zu Zeit wird geprüft, ob die Ätherstreeke für den proximal angesetzten Reiz noch durchgängig ist. Nach etwa einer Minute pflegt auch bei stärkster Reizung kein Erfolg mehr am Muskel einzutreten. Ich warte dann noch etwa eine halbe Minute und schließe nun den Strom für zehn Minuten, während welcher Zeit der Watte- bausch immer ätherfeucht gehalten wird. Hierauf wird der Deckel xchoben und die große Schale schnell mit Alkohol gefüllt. Nach einer weiteren Minute wird der Strom geöffnet.

Die Schnitte so behandelter Nerven lassen auch

Das Wesen der Nervenleitung. 289

_

nieht die geringsten Anzeichen von einer Kathoden- oder Anodenveränderung erkennen. Sie sehen grade so aus, als wenn der Nerv überhaupt nieht durehströmt worden wäre.

Schließt man den konstanten Strom grade in dem Augenblick, in dem der zentral angesetzte Reiz keinen Effekt mehr ausübt, wo also ein in der Kammerstrecke angesetzter Reiz noch eben wirksam sein würde, oder gibt man nur wenig Äther, so findet man an der Anode eine schwache und wenig ausgedehnte Abnahme der primären Färb- barkeit, an der Kathode dagegen keine Veränderung. Die Kathoden- veränderung wird also leichter durch Ätherdämpfe unterdrückt als die Anodenveränderung. (Daß ich mich davon überzeugt habe, daß die angewandte Stärke und Dauer der Narkose den Nerven noch nicht tötet, sondern noch eine Erholung zuläßt, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.)

Ganz dasselbe Resultat erhält man, wenn man statt Äther Alkohol, Chloroform oder Ammoniak anwendet. Ist die Erregbarkeit in der Kammerstrecke aufgehoben, so tritt keine Veränderung des Färbungs- bildes bei konstanter Durchströmung ein.

Aus diesen Resultaten scheint mir hervorzugehen, daß die Ver- änderung in der Verteilung der Fibrillensäure nicht nur das Vorhandensein der lebenden Struktur, sondern auch die Funktionsfähigkeit der benutzten Nerven- strecke zur Voraussetzung hat, und ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich behaupte: Die Veränderung in der Ver- teilung der Fibrillensäure bei der Einwirkung eines konstanten Stromes ist ein Lebensvorgang. Die Nar- eotica heben die Bewegungsfähigkeit der Fibrillen- säure auf, und die Bewegungsfähigkeit der Fibrillen- Bimrelist Bedingung für die Nervenleitung.

Eine ganz andre Wirkung zeigte sich bei der Polarisation von Nerven, welche sich in einer reinen Kohlensäure-Atmosphäre befinden. (Es wurde hierzu eine besonders konstruierte Kammer verwendet. Die Polarisation begann zwanzig Minuten nach dem Beginn der Gas- einleitung.) Bei den drei angestellten Versuchen zeigte sich die Anode viel weiter ausgedehnt als im gleich lange und gleich stark durch- strömten Kontrollnerv. Der Höhepunkt der Kathodenausbildung lag in allen drei Fällen nicht über der Elektrode, sondern intrapolar von derselben. Bei zweien der Nerven lag ein zweites Färbungs- maximum extrapolar von der Kathode. Beispiel: Normaler Nerv (N.) und CO, Nerv (n.) zehn Minuten bei 1,5 em Elektrodenabstand mit Strom von 0,06 Milliampere durchströmt. Farblosigkeit der Anode in N.3 mm, in n. 5,5 mm. Kathodenveränderung in N. an der Elektrode,

Bethe, Nervensystem. 19

290 Das Wesen der Nervenleitung.

Ausdehnung 5 mm. n. zeigt an der Auflagestelle in einer Ausdehnung von 1,2 mm normale Färbung. Färbungsmaximum intrapolar davon 1,5 mm lang, extrapolar 2,8 mm lang.

Ich komme nun zu der Frage zurück, ob die geschilderten Ver- änderungen auf die Ansammlung von Ionen zurückgeführt werden können. Eine klare Vorstellung könnte man sich nieht machen, wie die Ionen in dieser Weise wirken sollten, da die in Betracht kommenden Anionen (Cl , PO, und CO, ) die Fibrillensäure nicht in Wasser löslieh machen und die Kationen (Nat, Cat und K*) die Fibrillen- säure lösen. Hiernach sollte man eher erwarten, daß die Anode un- verändert, die Kathode aber farblos wäre. Bei der Annahme einer inneren Polarisation im Sinne der Kernleitertheorie (Ausbildung einer inneren Anode an der Kathode und umgekehrt) würden sich die Be-

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Fig. 75. Schematische Darstellung des Polarisationsbildes bei gleicher Stromstärke, gleichem Elek- trodenabstand (1 em), gleichlanger Durchströmung (10 Minuten) und verschiedener Temperatur. 1.232205 YIF1SI2CH HT: 7398G:

«dingungen allerdings umkehren. Gegen eine direkte Zurückführung der Fibrillensäurewanderung auf lonenwirkung scheinen mir aber die Resultate am toten und narkotisierten Nerven zu sprechen. Beim toten Nerven tritt die Wanderung der Ionen voraussichtlich ebensogut ein wie am lebenden Nerven, von einem Polarisationsbild ist aber nichts zu sehen. Äther und Alkohol behindern zwar die Be- weglichkeit der Ionen, aber bei der in den Versuchen angewandten Konzentration dürfte die Behinderung doch nicht groß genug sein, um eine Wanderung ganz zu verhindern, zumal bei sehr starken Strömen.

Ein weiterer Einwand gegen die Zurückführung der Polarisations- bilder auf einfache Ionenwirkung ergibt sich aus den Befunden, welche die Untersuchung des Polarisationsbildes bei verschiedener Temperatur zu Tage fördert.

Das Wesen der Nervenleitung. 291

Versuch 8. Drei möglichst gleichartige Frösche werden ausgesucht. Der erste wird für 24 Stunden bei einer Temperatur von bis +3° C. aufbewahrt, der zweite kommt für die gleiche Zeit in eine Temperatur von etwa 18° C., der dritte wird etwa 12 Stunden vor Beginn des Versuches in einen Brutschrank gesetzt, der eine Temperatur von etwa 35° C. zeigt. Zum Versuch werden die Elektroden in einen Raum gestellt, der die gleiche Temperatur hat, wie die zugehörigen Frösche. Der Abstand der Elektroden wird stets gleich gemacht und zur Polarisation ein gleich starker Strom verwendet. Die Fixation erfolgt mit Alkohol von stets der gleichen Temperatur (18° C.). Die Nerven von allen drei Fröschen werden gleich lange durehströmt. (Drei Ver- suchsreihen, an neun Fröschen angestellt, ergaben ganz gleiche Resultate.) Der bei C. (Fig. 75, 7) polarisierte Nerv zeigt nur eine geringe und engbegrenzte Anodenhelligkeit, dagegen ist die Kathodendunkelheit deutlich. Der Nerv II (18° C., Fig. 75, IT) zeigt die Anoden- und Kathodenveränderung in der gewohnten Stärke und Ausdehnung. Der bei 35° C. polarisierte Nerv (Fig. 75, Z/T) zeigt eine starke und sehr weit ausgedehnte Anodenhelligkeit, dagegen ist die Kathodenveränderung nur eben angedeutet. Die folgende Tabelle gibt die Ausmessung des abgebildeten Falles.

Polarisationsdauer 10 Minuten, Strom von 0,05 Milliampere.

Entfernung des färberischen Indifferenzpunktes von der

Anodenelektrode. Anode extrapolar intrapolar Kathode 3°C. nicht farblos 0,3 mm 2,0 mm dunkel 18°C. farblos auf 3,5 mm 2,5 mm 4,3 mm dunkel 35°C. farblos auf 4,7 mm 2,8 mm 4,7 mm kaum dunkler als

normale Stellen.

Niedere Temperatur behindert also die Ausbildung der Anodenveränderung, höhere die der Kathoden- veränderung.') Dies Verhalten dürfte sich nach dem, was über die Ionenverschiebung bekannt ist, nicht zu erklären sein. Es sei hier auch nochmals darauf hingewiesen, daß die Anoden- und Kathoden- veränderung bei den polarisierten Nerven sich nicht auf die intrapolare Strecke beschränken, sondern sich auch extrapolar ziemlich weit aus- dehnen. Entsprechende Erscheinungen sind bei der Elektrolyse, so viel

1) Diese Befunde stehen in einem auffallenden Gegensatz zu der durch Waller und Boruttau gefundenen Tatsache, daß Kälte den Katelektrotonus

.) und daß Wärme i

l

stärker herabsetzt als den Anelektrotonus (Vergrößerung von

- 7 & A umgekehrt wirkt (Verkleinerung von pr

19*

292 Das Wesen der Nervenleitung.

ich weiß, nicht bekannt. Ich halte es demnach für sehr unwahr- scheinlich, daß die Verteilung der Fibrillensäure durch den konstanten Strom die primäre Wanderung der Ionen zur Ursache hat.

Sehr viel eher lassen sich die beschriebenen Erscheinungen, wenigstens in einem Teil, mit dem Phänomen der Konvektion in Zu- sammenhang bringen. Unter Konvektion versteht man (siehe Quincke 1861, Lehmann 1888, Warburg 1895) die Fortführung von Flüssig- keit resp. fester Teilchen, die in Flüssigkeit suspendiert sind, dureh den elektrischen Strom. Diese kann in der Richtung des Stromes (Wasser, Terpentinöl, Toluol; Platin, Gold, Quarz u. s. w. in Terpentinöl suspendiert) aber auch entgegen der Richtung des elektrischen Stromes erfolgen (verunreinigter Alkohol, Schwefel in Terpentinöl, Gasblasen in Alkohol [Quincke], Tonpulver in Wasser [Reuss] u. s. w.). Be- sonders geeignet zum Studium dieser Erscheinung scheinen mir ge- quollene und mit Farbstoffen imbibierte Gelatinestreifen zu sein. Die Wasserbewegung ist bereits von Munk und andern an Gelatinestreifen studiert worden; andrerseits hat bereits Smidt beobachtet, daß Me- thylenblau in wässerigen Lösungen zur Kathode wandert. An gefärbten (Gelatinestreifen können beide Prozesse zugleich verfolgt werden.

Legt man einen mit Toluidinblau gefärbten Gelatinestreifen über „unpolarisierbare“ Elektroden und läßt den Strom einiger Elemente hindurchgehen, so sieht man die Kathode trocken werden. Die da- durch bedingte Verdünnung des Streifens schiebt sich nun zur Anode, also entgegen dem Strom, fort. Die Anode schwillt mit der Zeit etwas an. (Bei Anwendung von Platinelektroden wandert das Wasser, wie die Autoren angeben, mit dem elektrischen Strom.) Während dieser Zeit ist die Anode hell und die Kathode dunkler geworden. Die Anodenhelligkeit dehnt sich allmählich nach der Mitte der inter- polaren Strecke zu aus und schiebt dabei Farbstoff vor sich her. Andrerseits bewegt sich der Farbstoff in der Nähe der Kathode relativ schnell zu dieser hin. Die Folge davon ist, daß der Streifen zu einer gewissen Zeit an der Kathode tief dunkel, etwas mehr nach der Anode zu heller (als vor der Durchströmung), in der Mitte der interpolaren Strecke wieder dunkler und in der Nähe der Anode ganz hell ist. Der Farbstoff bewegt sich also in der Richtung des elek- trischen Stromes, ebenso wie die Fibrillensäure. Beim Nerven geht die Wasserbewegung im gleichen Sinne, beim Gelatinestreifen (wenig- stens bei Anwendung ‚‚unpolarisierbarer Elektroden‘) im entgegen- gesetzten Sinne; dieser Unterschied dürfte aber von keiner wesent- lichen Bedeutung sein (siehe Quinckes Alkoholversuche). (Ich habe diese Versuche erst in allerletzter Zeit begonnen und sie noch nicht beenden können. In der Literatur habe ich bisher keine Angaben iiber ähnliche Versuche gefunden.)

Das Wesen der Nervenleitung. 293

In der interpolaren Strecke zeigt demnach die Verteilung des Farbstoffes große Ähnlichkeit mit der der Fibrillensäure. Extrapolar verhalten sich beide Erscheinungen verschieden. Das Polarisationsbild des Nerven dehnt sich extrapolar aus; beim Gelatinestreifen zeigen sich extrapolar keine Veränderungen. Trotzdem glaube ich, daß wir es bei der Fibrillensäurewanderung mit einer Konvektionserscheinung zu tun haben, aber es kommt zu dieser noch allerhand andres hinzu. Wie verschiedene der angeführten Versuche ergeben haben, ist die Fibrillensäure weder in der Nervenflüssigkeit gelöst noch in derselben suspendiert, sondern es ist anzunehmen, daß sie an die Fibrillen ge- bunden ist. Ehe sie gelöst oder suspendiert zur Konvektion kommen kann, muß sie also erst von den Fibrillen abgespalten werden (siehe die Narkoseversuche).

Bisher ist die stillschweigende Voraussetzung gemacht worden, daß ein Gehalt an Fibrillensäure dem normalen Zustand des Nerven entspräche und daß dieser Bestand gewissermaßen unveränderlich sei. Man könnte die Dinge aber auch noch anders auffassen, nämlich in der Weise, daß die Fibrillensäure ein Dissimilationsprodukt der Fibrillen oder der Perifibrillärsubstanz sei, das sich in letzterem Fall erst sekundär an den Fibrillen anlagerte. Den normalen Nerven könnte man sich dann entweder frei von Fibrillensäure denken und die im normalen Präparat gefundene Fibrillensäuremenge als durch Zersetzung während der Abtötung entstanden, oder man würde auch am normalen Nerven eine gewisse Menge von Fibrillensäure annehmen, welche durch einen dauernden geringen Stoffwechsel im Nerven hervorgebracht würde. Das letztere wäre wohl in Anbetracht der Narkoseversuche das wahrscheinlichere. Als Hilfsannahme würde dann noch hinzu- genommen werden müssen, daß die gebildete Fibrillensäure stets wieder fortgeschafft oder weiter zersetzt würde.

Bei Zugrundelegung dieser Deutung könnte man die Befunde an polarisierten Nerven leicht und ohne wesentlichen Zwang im Sinne der Heringschen Assimilations- und Dissimilationstheorie deuten S. 253). Nach Hering (1889) beruht die verminderte Erregbarkeit an der Anode auf Herabsetzung der Dissimilation und Verstärkung der Assimilation. Umgekehrt wird die gesteigerte Erregbarkeit an der Kathode auf eine Steigerung der Dissimilation (verbunden mit Hemmung der Assimilation) zurückgeführt. Das plötzliche Einsetzen der Dissimilation an der Kathode im Moment der Stromschließung führt zur Reizung, indem bei der Reizleitung selber ein dissimilatorischer Prozeß am Nerven entlang läuft. An der Anode sind während des Geschlossenseins des Stromes überschüssige Spannkräfte angesammelt, welche sich in der Öffnungs- zuckung und in der noch nachher gesteigerten Erregbarkeit kund tun. Die starke Ansammlung von Fibrillensäure an der Kathode würde

294 Das Wesen der Nervenleitung.

man demgemäß als Überproduktion von Stoffwechselprodukten ansehen können, während man den Mangel von Fibrillensäure an der Anode auf das Fehlen von Dissimilationsprodukten beziehen würde. Der Befund von freier oder wenigstens den Fibrillen nicht angelagerter Fibrillen- säure jenseits der Anode könnte man dahin verstehen, daß hier die frei- gewordenen Dissimilationsprodukte aus den Nerven eliminiert würden.

Da die Anode nach der Durchströmung sehr zur Dissimilation diisponiert wäre, so müßte sie bei Stromumkehr in besonders hohem Maße Fibrillensäure bilden können, man müßte also die frühere Anode außergewöhnlich dunkel finden. Wie der Versuch zeigt, ist dies nicht der Fall.

Versuch 9. Der Nerv wird in der gewöhnlichen Weise auf die Elektroden aufgelegt und ein Strom von etwa 0,05 Milliampere drei bis vier Minuten lang hindurch geschickt. Dann wird der Strom gewendet und nach gleichlanger Einwirkungsdauer Alkohol in die Schale gegossen. Ein Kontrollnerv wird bei gleichem Elektroden- abstand mit einem gleichstarken Strom die Hälfte der Gesamtzeit in einer Riehtung durchströmt.

Der Kontrollnerv zeigt die gewöhnlichen Verhältnisse: Die Anode ist farblos, die Kathode dunkel; da die Schließungsdauer nicht sehr lang und der Strom nicht sehr stark war, so ist die räumliche Aus- dehnung der Polbilder nicht vollständig. Im andern Nerv, bei dem der Strom gewendet wurde, ist die Anode ebenfalls farblos aber ziemlich engbegrenzt; rechts und links findet sich eine dunkle Färbung der Achsenzylinder und zwar an Stellen, welche an der Kathode des andern Nerven noch gar nicht dunkel sind (Fig. 77 I/Z, 8.296). Die Kathode (also die ursprüngliche Anode) zeigt sich etwas dunkler als normale Nervenstellen, aber nicht so dunkel wie die Kathode des Kontrollnerven. Rechts und links sind die Achsenzylinder heller als normal und über die Grenze hinaus, als es bei der Anode des Kontrollnerven der Fall ist (Fig. 77 Z7). Um beim Wenden des Stromes eine voll- ständige Umkehr des Polarisationsbildes hervorzubringen, muß man den Strom nach dem Wenden etwa doppelt so lange geschlossen halten, als es zur Hervorbringung des ersten Bildes notwendig war! (Kurze Stromdauer und mittelstarke Ströme wurden angewandt, um dem Vorwurf zu entgehen, den Nerven zu sehr geschädigt zu haben.)

Das Resultat fällt also nicht im Sinne der Heringschen Theorie aus, sondern ist viel besser bei der Annahme einer Wanderung einer einmal vorhandenen Fibrillensäuremenge verständlich: Die neue Anode verdrängt die Ansammlung von Fibrillensäure an der alten Kathode nach beiden Seiten und zwar in Gebiete, in welchen vorher gar keine Ansammlung gewesen war. Andrerseits entzieht die neue Kathode

Das Wesen der Nervenleitung. 295

ihrer Nachbarschaft die spärlichen hier vorhandenen Mengen von Fibrillensäure. Da die Gegend aber vorher frei davon war, so kann sie sich nicht in derselben Zeit dieselbe Menge verschaffen wie unter normalen Verteilungsverhältnissen.

Daß die Fibrillensäure kein Dissimilationsprodukt ist, geht noch besser aus folgenden Versuchen hervor:

Versuch 10. Eine Kathodenelektrode wird von zwei Anodenelek- troden eingeschlossen und zwar im einen Fall von zwei dicht benach- barten (Fig. 76 /, Abstand zwischen beiden Anoden 4—5 mm) und im andern Fall von zwei weit auseinander stehenden (Fig. 76 I7, Abstand 15—20 mm). Durch beide Nerven wird ein starker Strom

4 28 A.

6, A.

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Fig. 76. Die bei der Benutzung gabelförmiger Elektroden entstehenden Polarisationsbilder. Auf der linken Seite ist die Form und der Abstand der Elektroden, rechts das zugehörige Polarisations- bild angegeben. Näheres im Text.

10’ hindurchgeleitet. Für .den Erfolg ist es gleichgültig, ob man beidemal einen gleichstarken Strom anwendet (also für I/ ent- sprechend dem größeren Widerstand eine stärkere Stromquelle) oder dieselbe Stromquelle benutzt, wobei die Stromstärke im Falle 77 . schwächer ist.

Im Fall 7 ist die Kathode wenig dunkler als normale Nerven- stellen, in Fall 77 ist sie sehr dunkel. Ebenso ist in Fall /77 die von zwei Anoden eingeengte Kathode sehr viel weniger dunkel als die freie. Wäre die Fibrillensäure ein in loco gebildetes Dissimilations- produkt, so würde es ganz gleich sein, ob sie von einer kurzen oder langen Strecke produziert wird; handelt es sich aber in ihr um eine einmal vorhandene Menge, welche wandert, so kann die Kathode nur eine geringe Menge von Fibrillensäure sammeln, wenn ihr die Zufuhr

auf beiden Seiten von Anoden abgeschnitten wird.

296 Das Wesen der Nervenleitung.

Versuch 11. An einen Nerven werden eine einfache Elektrode (Fig. 77, 7, 1) und zwei Paar Doppelelektroden so angelegt, daß ein Schenkel jeder Doppelelektrode rechts und der andre links von der einfachen Elektrode liegt (2 und 3). Die Schenkel des Paars 2 sind je 2 mm von der Elektrode 1 entfernt, die des Paars 3 je 10 mm. Die Doppelelektroden sind so mit einem Doppelsehlüssel verbunden, daß sie gegeneinander ausgewechselt werden können. Der Strom wird nun zunächst etwa 10° so durch den Nerven hindurchgeleitet, daß die Elektrode 1 eine Anode. bildet, die Elektroden 3 je eine Kathode. Dadurch wird die Gegend der Anode über die nieht eingeschalteten Elektroden 2 hinaus frei von Fibrillensäure. Jetzt wird der Strom gewendet und zu gleicher Zeit das Elektrodenpaar 2 für das Paar 3 in den Stromkreis eingeschaltet. Jetzt ist die mittlere Elektrode Kath- ode; ein Zuströmen von Fibrillensäure von den Seiten her wird aber

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Fig. 77. I. Wenden des Stromes mit gleichzeitiger Einpferchung der Kathode. I/. Wenden des Stromes bei normaler Lage der Elektroden. (Näheres im Text.)

durch die nahen Anoden verhindert. Nachdem der Strom wieder 10’ oder länger geschlossen war, wird fixiert.

Die Kathode, welehe vorher Anode war, wird voll- kommen ungefärbt gefunden (Fig. 77 7). Wäre die Annahme richtig, daß die Fibrillensäure Dissimilationsprodukt wäre, so müßte sie stark, zum mindesten aber etwas gefärbt werden.

Da die Kathode bei diesem Versuch ganz ungefärbt bleibt, so ist dies nur dahin zu verstehen, daß an den Fibrillen eine ge- gebene, in kurzen Zeiträumen weder merklich zu- noch merklich abnehmende Menge von Fibrillensäure vor- handen ist und daß die ganzen bisher beobachteten Erscheinungen nur auf einer verschiedenen Verteilung dieser Menge beruhen.

Es ist also nicht möglich die neuen Befunde für die Heringsche Theorie der Dissimilation und Assimilation in Anspruch zu nehmen; viel eher könnte man in ihnen natürlich nur für den Nerven einen Beweis gegen ihre Richtigkeit erblicken. Doch wäre dies wohl zu weit gegangen, denn es bleibt natürlich immer noch möglich, daß

Das Wesen der Nervenleitung. 5

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97

neben den sichtbaren Vorgängen der Fibrillensäurewanderung andre und vielleicht wichtigere Dinge im Nerven geschehen, die sich mit den Heringschen Annahmen decken. So sehr ich früher die Hering- sche Theorie auch in ihrer Anwendung auf den Nerven geschätzt habe, so wird es mir doch niemand verdenken, wenn ich mich jetzt an die beschriebenen greifbaren Tatsachen halte und nicht an das, was außerdem vielleicht noch sein könnte. Ehe ich aber auf die weitere Deutung meiner Befunde eingehe, will ich noch einige Ver- suche beschreiben, die eigentlich weiter oben hingehörten, dort aber vielleicht das Verständnis störend gewirkt hätten.

Fig. 78. Ätherisierung des Nerven in der Nähe des einen Pols. Der Kreis bedeutet die Äther- kammer. A. Anode, K. Kathode, E. Reizelektroden,

Versuch 12. Ich hatte im. Versuch 7 gezeigt, daß die Narcotica die Beweglichkeit der Fibrillensäure aufheben. Es blieb noch zu untersuchen, wie das Resultat ausfiele, wenn nur ein Pol in die nar- kotisierte Strecke gelegt wird. Nehmen wir zunächst den Fall, wo die Kathode in die Ätherstreeke gelegt wird (ich habe nämlich diese Versuche nur mit Äther ausgeführt). Die Aufstellung erhellt aus dem Schema in Figur 78 7. Die Ätherisierung braucht in diesem Fall gar nicht sehr stark zu sein, um das typische Resultat zu erzielen: Die Kathode in der Ätherstrecke bleibt gänzlich unverändert. Die freie Anode zeigt sich gewöhnlich schwächer ausgebildet als bei Nerven, bei denen keine Ätherbehandlung stattgefunden hat (auf aus- getretenen Äther ist dies schwerlich zu beziehen, da ieh die nötigen Vorkehrungen zur Fernhaltung des Äthers getroffen hatte). An der

398 Das Wesen der Nervenleitung.

Stelle, wo derNerv zur Anode hin aus der Ätherkammer austritt (sie ist durch einen Knick im Nerven markiert, weil der Nerv hier auf dem Schälehenrand aufliegt), zeigt sich das wohl ausgebildete Bild einer Kathode, nämlich dunkle Fär- bung der Achsenzylinder! Der Strom wird also da wirksam, wo er auf nicht immobilisierte Fibrillensäure trifft, also an der Grenze der Ätherwirkung. Wir haben also hier die physiologische Kathode im Gegensatz zur physikalischen im Polarisationsbild vor uns.

Versuch 13. Die Anode liegt in der Ätherstrecke, die Kathode frei (Fig. 78 ZT). Während man bei ausreichender Narkose kein Anodenbild erhält, wenn beide Pole im Äther liegen, bekam ich in diesem Fall immer wenigstens eine Andeutung von Anodenwirkung, auch wenn die Ätherisierung vollständig war. Figur 78 /7 zeigt einen Schnitt durch einen solchen Nerven im Schema. An der physika- lischen Anode zeigt sich ein schwaches und begrenztes Anodenbild, dann folgen zur Kathode hin normale Färbungsverhältnisse. Am Austritt aus der Ätherstreeke folgt ein zweites Anoden- bild (physiologische Anode), aber auch ziemlich engbegrenzt, und dann schließlich eine mäßig gut ausgebildete Kathode.

Aus diesen Versuchen muß man den Schluß ziehen, daß der Äther das Zustandekommen einer Anhäufung von Fibrillensäure an der Kathode vollständig zu unterdrücken vermag, daß dagegen die Anodenwirkung bei Ätherisierung noch in beschränktem Maße zu- stande kommt. Ein ähnlicher Schluß konnte schon oben daraus ge- zogen werden, daß bei Lagerung beider Pole in die Ätherstrecke und bei unvollkommener Narkose nur das Kathodenbild ganz ausbleibt, während das Anodenbild noch in beschränktem Maße zustande kommt und erst bei starker Narkose ebenfalls fortbleibt.

Veränderungen der primären Färbbarkeit der Achsen- zylinder. (resp. der Neurofibrillen) durch7Reizene

Die hier mitzuteilenden Versuche können nicht, wie die bisher mitgeteilten, den Anspruch erheben, bis zu einem gewissen Grade ab- zeschlossen zu sein. Bei der Schwierigkeit der Verhältnisse scheinen mir Irrtümer nicht ganz ausgeschlossen und ich teile daher die Be- funde mit aller Reserve mit.

Nachdem die im vorigen Abschnitt mitgeteilten Befunde sicher- gestellt waren, drängte sich die Frage auf, ob im Zustande der Reizung sichtbare Veränderungen in den Beziehungen zwischen Fibrille und Fibrillensäure zu beobachten sind. Wenn wirklich Änderungen in diesen Beziehungen bei der Reizung zustande kommen, was nach dem Vorhergehenden wohl vorauszusetzen war, so ist es a priori nicht

Das Wesen der Nervenleitung. 399

allzu wahrscheinlich, daß dieselben auch faßbar sind. Vor allem stellen sich zwei Schwierigkeiten in den Weg: 1. Jeder Reiz bringt nach allen bisherigen Erfahrungen nur eine ganz vorübergehende Ver- änderung des Nerven hervor. Diese Veränderungen kann man schnell auf einander folgen lassen, aber nicht in einen dauernden Zustand versetzen. 2. Kein Abtötungsmittel wirkt momentan und reizlos. Selbst beim Alkohol ist es zweifelhaft, ob er nicht reizend wirkt, so daß also unsre ungereizten Kontrollnerven eventuell schon den höchsten Grad der durch Reize entstehenden Veränderungen zeigen. Voraus- gesetzt aber, daß Alkohol nicht reizend wirkt, so kann er doch eine eventuelle Veränderung dadurch verkleinern oder unkenntlich machen, daß er den Nerven narkotisiert und die Reizwellen aufhebt, ehe er sie fixiert. Hier konnte nur der Versuch entscheiden und der führte zu dem Resultat, daß sich sicherlich unter geeigneten Bedingungen Veränderungen zeigen. Meine Reserve be- zieht sich mehr auf die weiter unten gegebene Deutung der Befunde als auf die Befunde selbst.

Als Reiz konnten nur Induktionsströme in Betracht kommen. Es war auch von vornherein klar, daß man am ehesten auf einen Erfolg rechnen konnte, wenn man die einzelnen Reize so schnell wie möglich einander folgen ließ, um wo möglich eine Deckung der einzelnen Reiz- wellen zu erzielen. Die Versuchsanordnung war folgende: Der Muskel eines Nervmuskelpräparats wurde in einer Klammer befestigt. Ein bis zwei Zentimeter vom Muskel entfernt stand ein kleines U-Rohr, über dessen eine Öffnung der Nerv so gelegt wurde, daß er mit einer Schleife hineinhing. Jenseits des Rohrs wurde der Nerv über zwei Platinelektroden gelegt, die so weit als möglich von diesem entfernt wurden. Die Elektroden standen mit der sekundären Spirale eines Induktionsapparats in Verbindung. Zur Unterbrechung des primären Stroms diente der Quecksilber-Turbinenunterbrecher der A. E. G., als Stromquelle ein Chronsäureelement. Der Unterbrecher unterbrach bei den meisten Versuchen den Strom ungefähr 1200 mal in der Sekunde. Bei eben wirksamem Rollenabstand trat nur eine Anfangszuckung (Bern- stein) ein. Die Rollen mußten in der Regel mehrere Zentimeter ge- nähert werden, um Tetanus zu erhalten. Der Muskel wurde in Tetanus versetzt und wenige Sekunden darauf das U-Rohr vom freien Schenkel aus mit Alkohol gefüllt, wodurch die Nervenschlinge unter Alkohol gebracht wurde. So wie dies geschehen war, wurden die Rollen all- mählich übereinander geschoben und der Nerv so lange gereizt, bis der Muskel nicht mehr reagierte. Etwa 2’ später wurde dann der ganze Nerv (also auch die der Schlinge benachbarten Teile) in Alkohol versenkt. Die Schnitte wurden in der üblichen Weise auf primäre Färbbarkeit untersucht.

300 Das Wesen der Nervenleitung.

Befund: In sechs von sieben Fällen fand sich die während der Reizung fixierte Nervenstelle im ganzen dunkler als die angrenzenden erst nach der Reizung fixierten Partien d.h. die einzelnen Achsenzylinder manchmal alle, manch- mal nur die Mehrzahl, besonders die am Rande gelegenen waren dunkler und dichter. Die Achsenzylinder hatten also ein Aussehen, ähnlich dem an der Kathode eines polarisierten Nerven. In zwei Fällen war der Unterschied an allen Fasern zu sehen und außer- ordentlich deutlich; in den übrigen war es nötig die dunklen und weniger dunklen Fasern in der Schlinge und außerhalb derselben zu zählen und ein Verhältnis aufzustellen. Es kommen nämlich auch an und für sich dunklere Fasern im normalen Nerven zur Beobachtung. Diese Zahlen scheinen mir durchaus beweisend, besonders im Hinblick darauf, daß bei gleichbehandelten, aber nicht gereizten Kontrollnerven ein Unterschied zwischen Schlinge und übriger Nervenstrecke ganz fehlte.

Ein vollkommen andres und auch deutlicheres Bild zeigte sich, wenn gleich nach der Reizung oder während der Reizung mit geringer Unterbrechungszahl fixiert wurde. Im ersten Fall wurde während etwa zwei Minuten mit 1200 Unter- brechungen gereizt, dann die Reizung unterbrochen und gleichzeitig das U-Rohr mit Alkohol gefüllt. Im zweiten Fall wurde fünfzigmal in der Sekunde unterbrochen, sonst aber ganz wie oben verfahren. Auch hier ist die Versuchszahl bisher nur klein; die Unterschiede waren aber stets deutlich und konstant (je acht Versuche).

Befund: Die während der Reizung (mit wenigen Reizen in der Sekunde) oder gleich nach der Reizung fixierte Nervenstelle war stets deutlich blasser als die außer- halb gelegenen Nervenpartien, die erst nach zwei oder drei Minuten, also nach einer Erholungspause fixiert waren. Die Achsen- zylinder waren etwa so schwach gefärbt (gegenüber den normalen desselben Nerven) wie die Fasern an der Anode eines zehn Minuten mit einem schwachen Strom polarisierten Nerven. (Täuschungen sind hier wie oben möglich, weil auch in normalen Nerven Färbungsunter- schiede in den verschiedenen Achsenzylindern an der Tagesordnung sind. Zum Teil mag dies auf der mehr oder weniger schrumpfenden Wirkung des Alkohols beruhen. Randschnitte und Schnitte aus dem Zentrum des Nerven zeigen außerdem nicht unwesentliche Unterschiede in der Färbungsintensität. Auf alle diese Dinge muß man acht geben und mehr auf das Gesamtbild und das Resultat von Zählungen, als auf den Befund an einer einzelnen Faser geben. Eine gewisse Übung ist unerläßlich, und wer das Auge für die Intensitätsunterschiede in der Färbung nicht bereits an Nerven geübt hat, die kurze Zeit oder mit schwächsten Strömen polarisiert sind, wird leicht die Unterschiede

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Das Wesen der Nervenleitung. 301

übersehen. Diese Versuche wurden an Winterfröschen angestellt. Vielleicht ist eine andre Jahreszeit geeigneter oder noch weniger geeignet. Ich möchte aber eher ersteres annehmen, weil meine besten Polarisationspräparate nicht von Winterfröschen stammen.)

Das vorläufige Resultat dieser Untersuchungen lautet also: Bei frequenter Reizung zeigen die Achsenzylinder, was die primäre Färbbarkeit anbelangt, ein kathodisches Aussehen, bei wenig frequenter Reizung und kurz nach starker Reizung ein mehr anodisches Aussehen.

Zur Theorie der Nervenleitung.

Die im vorhergehenden beschriebenen Befunde machen es wahr- scheinlich, daß bei der Nervenleitung eine Wechselwirkung zwischen Fibrille und Fibrillensäure stattfindet und daß in dieser Wechsel- wirkung ein Hauptmoment des Nervenvorganges besteht. Die Haupt- punkte, auf die ich mich hierbei stütze, sind kurz zusammengefaßt folgende:

1. Bei der konstanten Durchströmung eines Nerven werden an der Anode und Kathode antagonistische physiologische Prozesse hervor- gerufen. Ein antagonistisches Verhältnis findet sich auch in der Be- ziehung zwischen Fibrillensäure und Fibrille: An der Anode wird die Verbindung zwischen Fibrille und Fibrillensäure aufgehoben, an der Kathode wird sie verstärkt.

2. Diejenigen Eingriffe, welche eine Nervenstelle leitungsunfähig zu machen imstande sind, rufen stets eine Änderung in den Be- ziehungen zwischen Fibrille und Fibrillensäure hervor. Diese Ver- änderung kann bestehen in einer Aufhebung der Verbindung von Fibrillensäure und Fibrille (Kompression [?], destilliertes Wasser, Anode) oder in einer Behinderung der Beweglichkeit der Fibrillensäure resp. einer Behinderung der Zersetzung ihrer Verbindung mit der Fibrillen- substanz (Äther, Alkohol, Chloroform, Ammoniak). Das Vorhandensein von gebundener Fibrillensäure an den ‚Fibrillen und die Möglichkeit der Spaltung dieser Bindung sind also Bedingung der Nervenleitung.

3. Während des Ablaufs einer Erregung im Nerven ist das Ver- hältnis zwischen Fibrille und Fibrillensäure verändert.

Ich will nun im folgenden versuchen die neuen Befunde unter Berücksichtigung des bereits Bekannten zu einer vorläufigen Theorie der Nervenleitung auszubauen. Ich bin mir dabei vollkommen bewußt, daß alles in Wirklichkeit ganz anders sein kann, als ich es mir im Augenblick denke. Irgend ein neuer Befund oder ein Einwand, den ich mir selber nicht gemacht habe, kann die nicht ohne Vorsicht an- gestellte Gedankenreihe wieder zerreißen. In einer ganzen Anzahl

302 Das Wesen der Nervenleitung.

von Punkten lassen die mir bekannt gewordenen Tatsachen überhaupt noch keine bestimmten Vorstellungen zu, so daß in Bezug auf diese die Theorie noch unvollständig bleiben muß. Schließlich bin ich mir auch selber bewußt, daß die Deutung, die ich hier gebe, nicht die einzige ist, die sich aus den neuen Tatsachen entwickeln läßt; ja, ich habe mir selber zu verschiedenen Zeiten sehr verschiedene Gedanken über dieselben gemacht. Ich bitte also, die hier folgende Theorie nicht als meine unveränderliche Ansicht aufzufassen, sondern als eine vorläufige mit allem Vorbehalt auf das im Augenblick vorhandene Tatsachenmaterial aufgebaute Meinungsäußerung.

Das Färbungsbild nicht zu stark polarisierter Nerven (Fig. 72 2) könnte man sehr gut für eine Darstellung des Pflügerschen Elektro- tonus halten, bei der die Erregbarkeitsverhältnisse nicht, wie üblich, dureh eine Kurve, sondern durch Dunkelheitsgrade ausgedrückt sind. Die mittlere Dunkelheit der normalen Achsenzylinder würde die nor- male Erregbarkeit darstellen, die größere Dunkelheit der Kathode die gesteigerte Erregbarkeit derselben und die Helligkeit der Anode ihre bis auf Null herabgesetzte Anspruchsfähigkeit und ihre Leitungsunfähig- keit. Auch die intropolaren Erregbarkeitsverhältnisse würden in solchen Präparaten einen guten Ausdruck in der von der Kathode zur Anode hin abnehmenden Intensität finden. Den physiologischen Indifferenz- punkt würde man an der Stelle zu suchen haben, wo die Achsen- zylinder die normale Dunkelheit besitzen. Bei dem Vergleich der physiologischen Verhältnisse und der Färbungsbilder würde hier auch das gut stimmen, daß der färberische Indifferenzpunkt bei schwachen Strömen in der Nähe der Anode liegt und sich gradeso wie der physiologische Indifferenzpunkt mit zunehmender Stromstärke zur Kathode hin verschiebt. Weniger gut würden die Verhältnisse in den extrapolaren Strecken übereinstimmen. Die Kathodendunkelheit und die Anodenhelligkeit dehnen sich zwar auch extrapolar aus und zwar, in gewissen Grenzen, um so mehr je stärker der Strom ist, aber doch lange nicht so weit, als die Erregbarkeitsveränderungen bemerk- bar sind. |

Sprieht schon dies nicht dafür, daß es angemessen ist, die Fär- bungsdifferenzen direkt mit den Erregbarkeitsdifferenzen zu identifi- zieren, so sprechen andre Befunde direkt dagegen. Die Veränderung der Erregbarkeit tritt im Moment der Stromschließung oder bald nach- her ein und erreicht an der Kathode gleich .ihr Maximum, an der Anode allerdings erst nach einiger und bei schwachen Strömen oft sehr langer Zeit. Im Färbungsbild ist aber bei kurzer Schließungs- dauer weder an der Kathode noch an der Anode eine Änderung zu bemerken. Das Färbungsbild beruht eben auf einer Wanderung der Fibrillensäure und diese nimmt nieht unbedeutend viel Zeit in Anspruch.

Das Wesen der Nervenleitung. 303

Aus dem Vergleieh von Alkohol- und Ätherpräparaten geht un- mittelbar hervor, daß auf der Höhe der Stromeinwirkung an der Kathode eine gesteigerte Affinität der Fibrillen zur Fibrillensäure vorhanden ist, während sie an der Anode und über dieselbe nach beiden Seiten hinaus so vermindert ist, daß die Fibrillen die in ihrer Nähe vorhandene Säure nicht festzuhalten vermögen.') Ich mache hier nun die erste Annahme, welche dahin geht, daß bereits im Moment des Stromschlusses die Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure an der Kathode erhöht und an der Anode gelockert wird. Zugleich mit diesem Wechsel der Affinität tritt das Strömen der Fibrillensäure (zur Kathode hin und von der Anode fort) ein. In der Veränderung der Affinität und in der Strömung (und zwar in deren Riehtung) sehe ich den Anfang und einen Hauptbestandteil des Elektrotonus. Gegen die Annahme der primären Affinitätsänderung wird man einwenden können, daß sich wenigstens die Aufhebung der Affinität im Präparat müßte bemerkbar machen. Ich habe gegen diesen Einwand nichts Positives zu erwidern und könnte höchstens mit der Annahme kommen, daß die Entfernung der Teilchen anfangs so gering ist, daß die ab- sterbende Fibrille (bei der Alkoholeinwirkung) die abgespaltene Säure noch wieder binden kann. (Auch die Erklärung des Färbungsbildes an der Anode [früheren Kathode] beim Wenden des Stromes bereitet Schwierigkeiten.) Die gemachte Annahme ist entschieden ein schwacher Punkt das gebe ich ohne weiteres zu man wird sie aber nicht umgehen können. An dem sofortigen Eintritt der Fibrillensäure- wanderung wird schon weniger auszusetzen sein, weil schon '/, Minute nach Beginn der Durchströmung eine deutliche Verschiebung wahr- zunehmen ist und das Tempo derselben mit der Dauer der Durch- strömung allmählich abnimmt, woraus gefolgert werden kann, daß sie beim Stromschluß am stärksten ist.

Fassen wir zunächst einmal die Verhältnisse an der Anode ins Auge: Im Moment des Stromschlusses wird die Verbindung zwischen Fibrille und Fibrillensäure nach unserer Annahme gelockert, und die Fibrillensäure strömt nach beiden Seiten hin von der Anode fort. Je näher ein Punkt der Anode liegt, desto stärker wird die Aufhebung der Affinität und desto größer die Schnelligkeit sein, mit der sich die Teilchen bewegen. Damit stimmt überein, daß die Erregbarkeit in der Nähe der Anode am stärksten herabgesetzt ist und von da aus in extrapolarer Richtung sich immer mehr der normalen Erregbarkeit nähert. Daß die Erregbarkeitsabnahme in weit größerer Entfernung wahrnehmbar ist als die Veränderung der Affinität (im gefärbten

1) Ich bin mir wohl bewußt, daß es für eine derartige, graduelle Veränderung der Affinität keine genügenden Analogien gibt.

304 Das Wesen der Nervenleitung.

Präparat), nimmt bei der geringen Empfindliehkeit meiner Methode, welche nur die gröberen Veränderungen. zeigt, nicht wunder. Wenn bei der Erregung und Leitung eine Wechselwirkung zwischen Fibrille und Fibrillensäure zustande kommt, so muß Erregung und Leitung unmöglich sein, wenn die Fibrillensäure von den Fibrillen entfernt ist, und die Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit müssen um so mehr an der Anode und in ihrer Nähe herabgesetzt sein, je stärker die Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure herabgesetzt ist. Dies scheint der Fall zu sein.

Im Moment des Stromschlusses tritt an der Kathode nach meiner Annahme, die durch das spätere Geschehen gestützt wird, eine Ver- stärkung der Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure und ein Strömen der Fibrillensäure zur Kathode hin ein. Das zuströmende Material stammt nun offenbar nicht nur aus der interpolaren, sondern auch aus der extrapolaren Strecke. Dies kann nur auf die Weise zustande kommen, daß diejenigen Fibrillenteile, welche die stärkste Affinität haben, ihrer Nachbarschaft Fibrillensäure entziehen und an sich binden. Diese Nachbarteile, die ebenfalls noch hohe Affinität besitzen, ent- ziehen wieder ihren Nachbarteilen von geringerer Affinität Fibrillen- säure und so fort. Auf diese Weise werden die Fibrillensäuremoleküle von Teilchen zu Teilchen weitergegeben und den Stellen, welche von der Veränderung des elektrischen Stromes direkt nicht getroffen werden, und denen, welche nur schwach betroffen werden, entzogen. In der höheren Affinität der Kathodengegend und in dem Strömen von der extrapolaren Strecke zur Kathode hin wird man die zwei Haupt- faktoren der erhöhten Erregbarkeit sehen dürfen. Beide Prozesse sind von Anfang an vorhanden; die gesteigerte Affinität wird bleiben, aber das Strömen wird mit der Dauer der Durchströmung schwächer und schwächer werden, weil eine Sättigung der Fibrillen mit Fibrillen- säure an der Kathode eintritt, und weil es schließlich extrapolar an neuem Material fehlt. Hiermit stimmt überein, daß die Erregbarkeits- steigerung an der Kathode beim Stromschluß am stärksten ist und immer mehr abnimmt. Man kann sich vorstellen und diese Vor- stellung hat vielleicht ihre Vorteile —, daß die Fibrillen im normalen Zustande nie ganz mit Fibrillensäure „gesättigt“ sind. Es würde dann die gesteigerte Affinität der Kathode nur zu einer Sättigung der freien „Valenzen“ führen. Damit würde es gut zusammenstimmen, daß beim Öffnen des Stromes kein Freiwerden von Fibrillensäure zur Be- obachtung kommt (die Kathode wird nach Öffnen des Stromes noch dunkel gefunden). Unbedingt muß man annehmen, daß die „Fibrillen noch zu leiten imstande sind, wenn sie unter der Norm mit Fibrillen- säuremolekülen“ besetzt sind und daß die Leitungsfähigkeit erst erlischt, wenn die Abstände der „Säuremoleküle‘“ eine gewisse Größe haben.

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Das Wesen der Nervenleitung. 305

Außer dem Aufhören der Strömung kommt aber noch ein andrer Faktor hinzu, welcher schließlich zur Herabsetzung der Erregbarkeit an der Kathode und zur vollständigen Undurchgängigkeit führt: Das ist die starke Verminderung von Fibrillensäure in der extrapolaren Strecke (Fig. 70 /7). Die Menge von Fibrillensäure, welche hier vor- handen ist, wird schließlich so gering, daß man eine Anode vor sich zu haben meinen könnte; der Unterschied zwischen einer solchen Stelle und einer wirklichen Anode besteht aber darin, daß an derselben keine freie Fibrillensäure vorhanden ist (Fig. 74 7). Diese Herabsetzung der Erregbarkeit an der Kathode mit darauf folgender vollkommener Un- durchgängigkeit findet bei allen bisherigen Nerventheorien keine ge- nügende Erklärung, während sie durch das Fehlen von Fibrillensäure jenseits der Kathode leicht verständlich wird. Die durch die Wan- derung der Fibrillensäure sekundär zustande kommenden Veränderungen führen also an der Anode zu einer immer weitergehenden Herabsetzung

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Fig. 79. Schematische Darstellung der vermutlichen Beziehungen zwischen Fibrille und Fibrillen- säure während der Polarisation. Die Abseisse bedeutet eine Fibrille. Die Ordinaten bedeuten die Stärke der Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure und zwar je nach der Richtung der an ihnen angebrachten Pfeile, positive oder negative Affinität. Die Richtung und Dicke der Pfeile auf der Abscisse bedeuten die Richtung und die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Fibrillen- säure bewegt. 4. Anode, K. Kathode. Rechts und links ein Stück normaler Nervenstrecke.

der Erregbarkeit (Verstärkung der primären physiologischen Ver- änderung), an der Kathode aber zu einer Abnahme der erhöhten Er- regbarkeit (also zur Abschwächung der primären physiologischen Veränderung).

In Figur 79 sind die Strömungs- und Affinitätsverhältnisse dureh Pfeile dargestellt, wobei die horizontal verlaufenden Pfeile die Rich- tung und Stärke des Fibrillensäurestroms andeuten, die senkrecht auf die Horizontale stoßenden Pfeile die erhöhte Affinität und die senk- recht von ihr abgehenden Pfeile die herabgesetzte Affinität ausdrücken. An der Hand dieses Schemas und unter der Voraussetzung, dab wir es immer mit sog. starken Strömen (dritter Fall des Zuekungsgesetzes) zu tun haben, werden die folgenden Betrachtungen verständlich sein:

Wenn die Anode dem Erfolgsorgan zugewandt ist, so tritt beim Stromsehluß kein Effekt an demselben ein und Reize, welche in ihrer Nähe angesetzt werden, haben keine oder herabgesetzte Wirkung. Es geht hier der Fibrillensäurestrom zum Erfolgsorgan hin. Ist die Kathode dem Muskel nahe, also bei aufsteigender Stromrichtung, so

Bethe, Nervensystem. 20

306 | Das Wesen der Nervenleitung.

tritt ein Effekt bei Stromschluß ein und die extrapolare Strecke zeigt erhöhte Erregbarkeit. Da hier der Fibrillensäurestrom vom Erfolgs- organ fortgerichtet ist, so glaube ich den Schluß ziehen zu dürfen, daß bei der Nervenleitung eine Bewegung der Fibrillensäure zum Reizort hin (aber vom Erfolgsorgan fort) stattfindet. Im Moment der Schließung setzt die Bewegung zur Kathode hin plötzlich ein und bewirkt eine Reizwelle. (Für die Auffassung, daß nicht nur die Affinitätserhöhung, sondern in der Hauptsache die Bewegung der Fibrillensäure zum Reizort hin die Reizung hervorruft, nehme ich auch die Tatsache in Anspruch, daß der Nerv bei reiner Querdurehströmung nicht erregt wird. Die Tatsache erscheint gegenüber früheren gegen- teiligen Beobachtungen durch die Untersuchungen von Albrecht, Meyer und Giuffre ganz gesichert.) Später fließt der Strom stetig und mit ab- nehmender Kraft; daher bringt er keine weitere Reizung hervor. Bei manchen Tieren wirkt nun der konstante Strom dauernd erregend (Muschel, Krebs [Biedermann, 1886]) und auch bei den Tieren, wo sonst nur Öffnungs- und Schließungszuckung zu beobachten ist, tritt unter gewissen Bedingungen, hauptsächlich nach längerer Kälte- einwirkung (Pflüger, Hering, Biedermann), Dauererregung (Tetanus) ein. Hier ist nach meiner Vorstellung die Bewegung der Fibrillen- säure keine gleichmäßige, sondern gewissermaßen eine ruckweise, in- dem die Beweglichkeit der Fibrillensäure behindert ist. Letzteres läßt sich auch tatsächlich bei Kälteeinwirkung nachweisen (S. 291).

Dort, wo ein kontinuierliches Fließen der Fibrillensäure zur Kathode hin stattfindet, besteht natürlich eine Disposition zur leichteren Erregbarkeit, weil jetzt nur noch eine geringe plötzliche Beschleunigung hinzuzukommen braucht, um eine Erregungswelle hervorzurufen. Wird der elektrische Strom geöffnet, so tritt eine entgegengesetzte Strömung der Fibrillensäure ein, wie sich dies ja auch hat nachweisen lassen. Diese Strömung geht zuerst schnell und nimmt immer mehr an In- tensität ab, so daß an der Kathode noch lange eine erhöhte Färbbarkeit zu konstatieren ist. In dieser entgegengesetzten Strömung wird man nach dem Vorhergehenden den Grund für die Herabsetzung der Er- regbarkeit an der Kathode (nach Stromöffnung) erblicken müssen. Da aber die erhöhte Affinität der Fibrillen noch bestehen bleibt, wie man daran erkennen kann, daß sie die Fibrillensäure noch festhalten, und da auch die erhöhte Affimität resp. die stärkere Beladung mit Fibrillen- säure als Disposition zu gesteigerter Erregbarkeit zu betrachten ist, so zeigt die Kathodengegend einige Zeit nach Öffnung des polari- sierenden Stromes wieder erhöhte Erregbarkeit: Der Gegenstrom der Fibrillensäure fließt jetzt so schwach, daß die noch bestehende stärkere Beladung mit Fibrillensäure das Übergewicht erlangt. Für alle bisherigen Nerventheorien bereitet das Wiederauftreten gesteigerter

Das Wesen der Nervenleitung. 307

Erregbarkeit an der Kathode ein unüberwindliches Hindernis, während es sich hier ohne weiteres direkt aus den Befunden von selbst erklärt.

An der Anode entsteht bei Schließung eines aufsteigenden Stromes ein Strömen der Fibrillensäure, das der Bewegung der Fibrillensäure, welche als Teil des. Leitungsprozesses angesehen werden muß, grade entgegengesetzt ist. Es kann also keine Reizung zustande kommen, ebensowenig wie bei der Öffnung des Stromes an der Kathode. Bei der Öffnung des Stromes findet aber an der Anode, wie sich dies zeigen ließ, ein Zurückströmen der Fibrillensäure zur Anode hin statt. Diese Bewegung der Fibrillensäure ist gleichgerichtet mit derjenigen, welche beim Stromschluß an der Kathode (bei absteigendem Strom) eintritt, sie muß also denselben Effekt haben wie dort d. h. zu einer Erregung, der Öffnungszuckung, führen. Das Strömen zur Anode hin (also vom Erfolgsorgan fort) dauert noch längere Zeit nach Öffnung des Stromes an. Man wird also in ihm den Grund für die gesteigerte Erregbarkeit im Gebiet der Anode nach der Öffnung sehen dürfen. Da sich beim Zurückströmen kein neues Minimum bilden kann, so versteht es sich leicht, weshalb die umgekehrte Öffnungserregbarkeit der Anode langsam in normale Erregbarkeit übergeht, ohne, wie es an der Kathode der Fall ist, noch einmal ins Gegenteil umzuschlagen. Für eine gesteigerte Spannkraft der Anode nach der Öffnung, wie sie bei den meisten Nerventheorien angenommen wird, gibt es in meinen Befunden keinen Beweis; der Vorgang der Öffnungserregung und der gesteigerten Erregbarkeit nach der Öffnung erklärt sich zur Genüge daraus, daß die mit ihrer normalen Affinität behafteten Fibrillen wieder Fibrillensäure anziehen, nachdem die Ursache der Aufhebung der Affinität geschwunden ist.

Wir haben gesehen, daß sich bei schwachen Strömen viel leichter eine Ansammlung von Fibrillensäure an der Kathode zeigt, als eine Veränderung an der Anode auftritt: Die Kathodenwirkung ist bei schwachen Strömen stärker. Hieraus erklärt es sich nach meiner Meinung, daß bei schwachen Strömen stets nur eine Schließungszuckung zustande kommt. Bei schwachen, mittelstarken Strömen muß man gewöhnlich, um eine Öffnungszuckung zu erhalten, den Strom einige Zeit fließen lassen. Auch dieser Unterschied in Bezug auf Schließungs- und Öffnungszuckung erklärt sich leicht: Die Bewegung der Fibrillen- säure zur Kathode hin tritt auf jeden Fall sofort ein; damit die Fibrillensäure bei der Öffnung zur Anode zurückströmen kann, muß aber erst eine gewisse Menge von Fibrillensäure von der Anode fort- geströmt sein, und hierzu bedarf es desto mehr Durchströmungszeit, je schwächer der Strom ist.

Ist ein Strom längere Zeit geschlossen gewesen, so tritt beim Öffnen desselben besonders leicht, wenn er aufsteigend war (Rosen-

20*

308 Das Wesen der Nervenleitung.

thal, 1858), statt einer einfachen Öffnungszuckung ein Öffnungstetanus ein (Ritter). Bei einer längeren Durchströmung sammelt sich nun jenseits der Anode eine reichliche Menge freier resp. an Alkali ge- bundener Fibrillensäure an. Bei der Stromöffnung können die wieder aktiv gewordenen „Valenzen‘ der Fibrillen diese Fibrillensäuremengen direkt in den zur Anode hingerichteten Fibrillensäurestrom hineinziehen und brauchen die Fibrillensäure nicht erst weiter entfernten Teilen zu entziehen, welche die Fibrillensäure mehr oder weniger festgebunden halten. Der Strom ist also stärker als nach kurzer Schließung und wahrscheinlich auch diskontinuierlich, weil die freie Fibrillensäure den Fibrillen nicht direkt anliegt. Jedenfalls sind die Bedingungen an der Anode der Art, daß die Erklärung des Öffnungstetanus keine wesent- lichen Schwierigkeiten bereitet. (Engelmann führt den Öffnungs- und Schließungstetanus auf latente Reize zurück, welche nur bei erhöhter Reizbarkeit wirksam würden. Diese Erklärung kann natür- lich nach wie vor richtig sein, doch scheint mir die eben gegebene plausibler, weil man hier etwas Greifbares vor sich hat, während man sich unter einem latenten Reiz vorläufig nichts Bestimmtes vor- stellen kann.) Ist ein Öffnungstetanus ausgebrochen, so kann der- selbe durch erneute Schließung des Stromes sofort aufgehoben werden, während er durch Schließung eines entgegengesetzten Stromes und dieser braucht nicht stark zu sein verstärkt wird (Rosenthal, 1858). Auch dann, wenn der Öffnungstetanus nachgelassen oder bereits ganz aufgehört hat, kann er durch Schließung eines entgegengesetzten Stromes wieder angefacht werden (Rosenthal, Pflüger und andre). Beide Befunde finden leicht eine befriedigende Erklärung: Bei erneuter Schließung des gleichgerichteten Stromes wird die nach der Öffnung eingetretene normale Affinität wieder aufgehoben; bei Schließung des entgegengesetzten Stromes wird die Affinität der Fibrillen erhöht, und sie reißen nun die freie Fibrillensäure mit sehr viel größerer Heftig- keit an sich, wodurch natürlich der Tetanus verstärkt resp. wieder hervorgerufen wird, falls nämlich die Strömung schon zu langsam ging. In derselben Weise erklärt sich die Voltasche Alternative.

Wie Pflüger zuerst gefunden hat, kann der Öffnungstetanus (bei absteigendem Strom) sofort dadurch aufgehoben werden, daß man den Nerven im Indifferenzpunkt durchschneidet; findet die Durchschneidung zwischen dem Indifferenzpunkt und der Anode statt, so geht der Öffnungstetanus ruhig und zwar unvermindert weiter. Ich glaube nun, daß der Reiz hierbei gar nicht von der eigentlichen Anode aus- zeht, denn es befindet sich zwischen dem Indifferenzpunkt und der Anode ein Gebiet, in welchem die Fibrillen gar keine Fibrillensäure zur Verfügung haben, also auch nicht den von der Anode aus- zchenden Reiz zum Muskel hinleiten können. Nachdem nämlich

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Beruhigung des Öffnungstetanus eingetreten ist, bewirken auch die stärksten zentral von der Anode angesetzten Reize noch durch längere Zeit hindurch keinen Effekt am Muskel. Es ist vielmehr anzunehmen, daß der Öffnungstetanus nach absteigender Durch- strömung im anelektrotonischen Teil der intrapolaren Strecke entsteht und zwar in der Nähe des Indifferenzpunktes. Hier findet sich wie jenseits der Anode freie Fibrillensäure (Fig. 74, 7), welehe beim Öffnen des Stromes von,den Fibrillen angerissen wird, so daß nun eine Fibrillensäureströmung zur Anode hin (also vom Muskel fort) ent- steht. (Analog dem hier Besprochenen geht der Öffnungstetanus nach aufsteigender Durchströmung stets von dem extrapolaren Teil der Anode aus.)

Die Untersuchung der Erregbarkeitsverhältnisse in der interpolaren Strecke hat Pflüger Schwierigkeiten bereitet. Sicher hat er (bei chemischer Reizung) nur feststellen können, daß in der Nähe der Kathode gesteigerte, in der Nähe der Anode herabgesetzte Erregbarkeit besteht und daß der Indifferenzpunkt bei stärkeren Strömen näher an der Kathode liegt. Ob aber die Erregbarkeitssteigerung auf der inter- polaren und extrapolaren Seite der Kathode gleich groß ist, hat er nicht festgestellt, wohl aber angenommen, denn er läßt in seiner Kurve (Fig. 68) die Erregbarkeit langsam zum Indifferenzpunkt hin absinken. Wenn meine bisherigen Betrachtungen aber richtig sind, so muß die Erregbarkeit bei absteigendem Strom interpolarwärts von der Kathode zuerst senkrecht absinken, um dann allmählich bis zum Indifferenzpunkt auf die normale Erregbarkeit zu sinken. Der Grund hierfür liegt darin, daß in dem interpolaren Teil der kathodischen Strecke die Strömungsrichtung der Fibrillensäure zum Erfolgsorgan hingerichtet ist, also einer Erregungswelle entgegenwirkt. Eine gesteigerte Erreg- barkeit kann hier trotzdem vorhanden sein, sie beruht dann aber nur noeh auf der erhöhten Affinität. Wegen der Verschiedenheit der Fibrillenstromrichtung muß umgekehrt bei aufsteigendem Strom die Erregbarkeitssteigerung im interpolaren Teil der Kathode absolut größer sein als im extrapolaren.

Die bis jetzt über die Erregbarkeitsverhältnisse in der interpolaren Strecke vorliegenden Untersuchungen (auch die sehr genauen Versuche von Tigerstedt, 1882) geben auf diese Frage keinen Bescheid, weil eine quantitative Vergleichung der interpolaren und extrapolaren Kathoden- und Anodenstreeke nie vorgenommen wurde. Die Frage bleibt also zunächst offen.

Die Unerregbarkeit hochgradig narkotisierter Nerven wird bereits zur Genüge dadurch erklärt, daß die Fibrillensäure nieht mehr wanderungsfähig ist. Die Tatsache, daß bei etwas schwächerer Nar- kose nur noch an der Anode, nicht aber an der Kathode eine Ver-

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änderung eintritt und daß die Anodenveränderung nur langsam und nur an der Stelle der stärksten Stromeinwirkung entsteht, gibt vielleicht den Schlüssel dafür, daß die Erregbarkeit im Anfang der Narkose ge- steigert ist. Man könnte nämlich die Annahme machen, daß der Äther (und die übrigen Narecotica) die Affinität der Fibrillen zur Fibrillen- säure erhöht. (Gesichert ist ja nur, daß die Beweglichkeit der Fibrillensäure, gehemmt ist; diese Hemmung könnte aber auch anders als durch Affinitätserhöhung erklärt werden. Übrigens spricht sich auch Wedenski (1900) auf Grund merkwürdiger Befunde bei An- wendung andrer Nareotica dahin aus, daß ‚der Nervenzustand unter dem Einfluß narkotisierender Stoffe kein passiver, sondern ein eigen- tümlicher Erregungszustand“ sei.) Bei mittelstarker Narkotisierung würde die Festigkeit der Verbindung so groß sein, daß eine Längs- verschiebung der Fibrillensäure nicht mehr möglich wäre, eine Auf- hebung der Verbindung aber grade noch an der Anode zustande kommen könnte. Bei den ersten Anfängen der Narkose würde dann nur eine schwache Erhöhung der Affinität bestehen, welche etwa einem leichten Katelektrotonus gleichkäme. Bei dieser vielleicht etwas gewagt erscheinenden Annahme würde also die anfangs gesteigerte Erregbarkeit auf eine schwache Steigerung der Affinität zurückzuführen sein. Da letztere aber bald zunimmt, so wird es verständlich, daß nach einiger Zeit zwar immer noch Reizbarkeit am muskulären Ende der Ätherstrecke vorhanden ist, daß sich aber die Reizwelle durch eine lange Strecke (erhöhter Affinität) nicht mehr hindurcharbeiten kann, wie dies Dendrinos gefunden hat. Darüber kann ja kein Zweifel bestehen, daß eine mäßige Erhöhung der Affinität die Spannkraft steigern, eine starke Erhöhung aber einen wesentlichen und schließ- lich unüberwindbaren Widerstand hervorbringen muß. Hiermit würde es gut übereinstimmen, daß, wie Boruttau (1897) nachwies, sich bereits im Anfang der Ätherisation eine Verzögerung im Ablauf des Aktionsstroms nachweisen läßt und das er später ganz ausbleibt. In derselben Weise würde sich auch die Erregbarkeitssteigerung bei Wasserentziehung (Engelmann) erklären lassen.

Wenn wir bei der Narkose einen Teil der katelektrotonischen Veränderung vor uns haben (nämlich die Affinitätserhöhung ohne Strömung der Fibrillensäure), so müssen wir in der Wirkung des destillierten Wassers auf den Nerven einen Teil der anelektrotonischen Veränderung erbliecken. Hier wird, wie sich zeigen ließ, die Affinität der Fibrillen zur Fibrillensäure allmählich aufgehoben, eine Strömung der Fibrillensäure findet dabei aber nicht statt; sie bleibt vielmehr so dicht an den Fibrillen (oder auch in den Fibrillen liegen), daß sie im Ätherpräparat das normale Bild vortäuscht. Während der Wasser- wirkung nehmen Leitungsfähigkeit und Erregbarkeit mit der Abnahme

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der Affinität dauernd ab, ohne daß sieh dazwischen auch nur die leiseste Andeutung von Erregbarkeitssteigerung zeigt.

Ausgehend von der Idee, daß die Herabsetzung der Erregbarkeit in der Nähe der Anode auch eine Verlangsamung der Nervenleitung hervorbringen müsse, verglich v. Bezold (1861) die Leitungsgeschwin- digkeit in der extrapolar-anodischen und kathodischen Streeke mit der einer normalen Nervenstrecke und kam dabei zu dem Resultat, daß die Leitungsgeschwindigkeit extrapolar von der Anode allerdings eine Verminderung erführe, daß aber auch die Leitungsgeschwindigkeit außerhalb der Kathode herabgesetzt sei. Dies letztere Resultat mußte überraschen, da man hier eher eine Beschleunigung hätte erwarten sollen. Bezold benutzte nun bei diesen Untersuchungen relativ sehr starke Ströme, welche wie beschrieben sekundäre Veränderungen in der Nähe der Kathode hervorzurufen imstande sind, so daß die Ver- langsamung im Gebiet der Kathode auf diese bezogen werden könnte. Es gelang dann auch später Rutherford unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse und unter Benützung schwächerer Ströme zu zeigen, dab eine Verlangsamung der Leitung nur extrapolar von der Anode statt- habe, daß dagegen im Gebiet des Katelektrotonus eine Beschleunigung der Leitung zur Beobachtung gelange. Wenn wir uns vergegen- wärtigen, daß zwischen Anode und Muskel eine Strömung der Fibrillen- säure zum Muskel hin stattfindet, also eine Bewegung, welche der der Leitung entgegengesetzt ist, so kann man als Grund der Verlang- samung eben diese Gegenströmung ansehen, welche erst überwunden werden muß, und man kann sich denken, daß der Fibrillensäurestrom zur Kathode hin die gleichgerichtete Bewegung bei der Leitung unter- stützt und beschleunigt.

Ich komme nun zur Besprechung der elektromotorischen Er- scheinungen am Nerven. Du Bois-Reymond entdeckte den Nerven- strom, welcher darin besteht, dass sich der Querschnitt eines Nerven elektronegativ gegen alle unverletzten Stellen (den Längsschnitt) ver- hält. Hermann zeigte später, daß diese Erscheinung ebenso wie beim Muskel als eine Absterbeerscheinung aufzufassen sei, indem sich das absterbende ‚„Protoplasma“ am Querschnitt elektronegativ gegen un- verletzte Teile verhält (Demarkationsstrom). Da die Negativität des Quersehnitts immer mehr abnimmt, durch einen neuen Querschnitt aber wieder auf die alte Höhe gebracht werden kann, so stellte Engel- mann die Lehre auf, daß die Nervenfasern immer nur bis zur nächsten Ranvierschen Einschnürung abstürben. (Das Tatsächliche ist oftmals besonders von Head bestätigt.) Da sich aber Nerven, welche keine Sehnürringe besitzen (Opticus von Fischen [Kühne], und marklose Nerven [Biedermann]) ähnlich verhalten, so liegt doch, wie Bieder-

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mann hervorhebt, kein genügender Grund vor, „an bestimmte anato- mische Grenzlinien in der Kontinuität des Achsenzylinders zu denken, an welchen das Fortschreiten des Absterbeprozesses aufgehalten würde“. Die Negativität des Querschnitts wirkt auf die lebenden Nachbarteile ein und versetzt sie in Katelektrotonus, so daß ein Nerv in der Nähe der Querschnittsstelle immer erregbarer ist, als im weiteren Verlauf (Hermann).

Da der Absterbeprozeß sehr langsam geht und voraussichtlich immer nur an engbegrenzter Stelle vorhanden ist, so kann er direkt nicht mit meiner Methode untersucht werden. Was ich untersuchen kann, ist nur das Resultat des Absterbens, das Abgestorbene. Es zeigt sich, daß die Fibrillensäure nach dem Absterben an die Fibrillen gebunden ist (so lange nicht sekundäre Prozesse eintreten) und durch den konstanten Strom nicht mehr zur Wanderung gebracht werden kann; rein mechanisch gedacht ist also die Affinität zwischen der toten Fibrille und der Fibrillensäure stärker als normal. Es tritt also beim Absterben ein Zustand ein, der dem bei der Narkose ähnlich ist. Wenn hierin zwar noch keine Erklärung der Negativität beim Absterben liegt, so kann man doch eine gewisse Parallele erkennen. Die einfachste Deutung scheint mir nun folgende: Die normale Fibrille besteht nieht nur aus Fibrillensubstanz und Fibrillensäure, sondern es befinden sich in diesem Komplex, wie in jeder eiweißartigen Materie auch anorganische Bestandteile (Kationen und Anionen) mehr oder weniger fest gebunden. So wie unter verschiedenen Bedingungen die Beziehungen zwischen Fibrille und Fibrillensäure in verschiedener Richtung beeinflußt werden können, so kann auch eine verschiedene Beeinflussung der Kationen und Anionen, welche in den Komplex mit aufgenommen sind, angenommen werden. Man könnte sich z. B. denken, daß mit einer Verstärkung der Affinität (katelektrotonischer Zustand) eine Abscheidung von eletronegativen Ionen (also Anionen), mit der Verminderung der Affinität (zwischen Fibrille und Fibrillen- säure, anelektrotonischer Zustand) eine Abscheidung elektropositiver Ionen (Kationen)Hand in Hand ginge. Hierdurch kämen Konzentrations- differenzen im Sinne von Oker-Blom (1901) zustande, welche nach ihm als Grund der elektromotorischen Veränderungen angesehen werden müssen. Wenn also beim Absterben eine Verstärkung der Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure entsteht, so würden die dabei frei- eewordenen negativen Ionen eine Negativität des Querschnitts hervor- rufen; diese Spannung würde sich durch Diffusion u. s. w. ausgleichen, die erhöhte Affinität würde aber bestehen bleiben, weil die Fibrille nieht mehr restitutorischer Prozesse fähig ist, und sie muß sich daher, nachdem die elektrischen Erscheinungen längst vorüber sind, noch im Präparat (besonders bei konstanter Durchströmung) bemerkbar machen.

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(Wäre diese Vorstellung richtig, so müßte sich auch eine ätherisierte Nervenstrecke negativ gegen eine normale verhalten. Bis jetzt liegen, so viel mir bekannt, keine diesbezüglichen Untersuchungen vor. Die Boruttauschen Untersuchungen vergleichen nur zwei Punkte der nar- kotisierten Strecke.) In gleicher Weise können die elektrotonischen Ströme eine Erklärung finden.

1843 beschrieb du Bois, daß der Ruhestrom des Nerven bei weitentfernter tetanischer Reizung abnimmt, und seitdem ist diese „negative Schwankung des Nervenstroms“ eine der grundlegendsten Tatsachen der Physiologie, weil sie außer dem natürlichen Erfolg eines Nervenreizes bisher das einzige Mittel geblieben ist, über die Leitungsvorgänge im Nerven etwas zu erfahren. Bernstein (1871) lehrte durch seine Rheotomversuche die Form der negativen Schwan- kung und die Schnelligkeit ihrer Ausbreitung kennen, welche mit der von Helmholtz (1850) gefundenen Zahl für die Leitungsgeschwindig- keit des Nerven nahezu übereinstimmt. Später gelang es Hermann (1878, 1881) zu zeigen, daß die negative Schwankung (wie beim Muskel) nur eine Teilerscheinung ist. Jede erregte (im Augenblick leitende) Nervenstelle verhält sich zu einer unerregten (nicht in Leitung begriffenen) elektronegativ. Bei Ableitung von zwei Längsschnitt- punkten wird daher der der Reizstelle zunächst gelegene zuerst negativ, weiterhin der andre. Da auf diese Weise zwei entgegengesetzte Ströme bei einfacher Längsschnittsableitung und tetanischer Reizung zum Galvanometer gelangen, so heben sie sich auf und bringen keinen Ausschlag der Nadel hervor. (Um die Existenz zweiphasischer Aktions- ströme nachweisen zu können, benutzte Hermann die Rheotommethode und verlangsamte die Leitung durch Kälteeinwirkung.) Wird aber nach dem Vorgange von du Bois vom Längsschnitt und Querschnitt abgeleitet, so gelangt die Erregung nicht bis zur zweiten Elektrode, weil der Nerv hier abgestorben oder sterbend ist. Es wird bei jedem Reiz immer nur die Längsschnittselektrode negativ beeinflußt, so daß sich die Wirkungen der tetanischen Reizung summieren und auf die Magnetnadel wirken können. Auf diese Weise kommt bei der negativen Schwankung nur die erste Phase der zweiphasischen Aktions- ströme zum Ausdruck, allerdings reiner als bei den zweiphasischen, weil bei diesen die zweite Phase bereits beginnt, wenn der auf- steigende Teil der ersten noch nicht beendet ist. (In Figur 80 ist die Kurve eines zweiphasischen Aktionsstroms abgebildet. Mit einer dünnen Linie ist gezeichnet, wie die Phasen eigentlich aussehen würden, wenn sie sich nicht störten. Könnte man die Ableitungs- elektroden genügend weit auseinanderrücken, so würde man beide Phasen in voller Ausdehnung und in annähernd richtiger Form dar- stellen können; doch wird dies durch äußere Faktoren verhindert.)

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Die Negativität einer erregten d. h. leitenden Stelle tritt also ziemlich schnell ein und verschwindet langsam. Eventuell schlägt sie ins Gegenteil um, doch würde dies bei Ableitung von zwei Längs- schnitten nicht mehr bemerkbar werden können, wenn es sehr lang- sam eintritt, weil die Positivität beider Ableitungsstellen sich aufheben würde. Bei Längsschnitt- Querschnittableitung steht dagegen dem nichts im Wege, daß sich diese langsam eintretende Positivität an- zeigt, indem sich die Querschnittelektrode nicht an dem Vorgang be- teiligen würde. In der Tat hat auch Hering (1884) und nach ihm Head (1887) nachweisen können, daß nach dem Aufhören der Tetani- sation eine positive Nachschwankung eintreten kann.

Um zu zeigen, daß es sich bei der negativen Schwankung (resp. dem Aktionsstrom) wirklich um einen Ausdruck der Erregung handelt, hat bereits du Bois sich bemüht, den gleichen Vorgang mit andern Reizen als elektrischen her- vorzurufen. Es ist ihm das nur in sehr bescheidenem Maße gelungen. In neuerer Zeit ist es aber Grützner (1881) bei chemischer Rei- zung, Steinach (1894) bei mechanischer Reizung (an Kaltfröschen) gelungen. Be- Fig. 80. Zweiphasischer Aktionsstrom nach Hermann aus sonders bemerkenswert sind a an any) Sie: Fänz. Boraser Kurven bedeuten die Konstruktionen jeder einzelnen Phase.) 1902) mit Hilfe des Ka-

pillarelektrometers bei me- chanischer Reizung und im Stryehnintetanus gewonnenen Kurven.

Man sollte demnach kaum einen Zweifel hegen können, daß die Aktionsströme (Hermanns, negative Schwankung du Bois’, Reizwelle Bernsteins, Negativitätswelle Boruttaus) in einem innigen Zusammen- hang mit dem Leitungsprozeß stehen. Trotzdem ist wiederholt be- sonders in letzter Zeit versucht worden, die Aktionsströme als etwas mehr oder weniger vom Leitungsvorgang Unmabhängiges hinzustellen: Herzen (1899) packte einen Teil des Nerven zwischen Chloralose- pulver und reizte ab und zu diese Stelle und eine zentral davon gelegene. Eine Muskelzuckung soll nun nach einiger Zeit von der Chloralosestreecke nicht mehr zu erzielen sein, während der Reiz von der zentral gelegenen Reizstelle aus die affizierte Stelle noch durchsetzt und zu einer Muskelzuckung führt. Wird der Nerv jetzt zwischen Muskel und Chloralosestrecke durchschnitten und mit dem Galvanometer verbunden, so soll bei Reiz der Chloralosestrecke doch noch negative Schwankung eintreten. Die negative Schwankung

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soll also bestehen bleiben, nachdem die Erregbarkeit bereits auf- gehört hat.

Wedenski (1900) und Boruttau (1902) haben diesen Versuch nach- geprüft und sind zu dem Resultat gekommen, daß das Herzensche Resultat ganz offenbar auf Versuchsfehlern beruht. Wedenski leitete in der Nähe des Muskels mittels zwei Elektroden zum Telephon ab, in dem sich die Aktionsströme je nach der Schnelligkeit, mit der sich die Reize folgen, in einem höheren oder tieferen Ton kund geben. Zu seinen Versuchen benutzte er außer der sehr ungeeigneten Chlora- lose eine ganze Anzahl andrer Nareotica und kam dabei zu dem Resultat, daß sich die Aktionsströme in derselben Weise verändern, als der Reizerfolg am Muskel geringer wird.

Auf die von Gotsch und Burch (1899) gegen die Notwendigkeit eines Zusammenhanges zwischen Aktionsstrom und Leitung auf Grund- lage der Tatsache vom kritischen Intervall gemachten Einwände kann ich hier nicht weiter eingehen, doch scheint es mir, daß sie durch die Nachuntersuchung von Boruttau (1902) als beseitigt zu betrach- ten sind.

Es liegt also kein Grund dafür vor, den Aktionsstrom vom Leitungsvorgang zu trennen, vielmehr muß derselbe als eine Teil- erscheinung der sich fortbewegenden Erregung aufgefaßt werden. Wie ich nun oben beschrieben habe, zeigen die Achsenzylinder eines Nerven, welcher während der Reizung mit sehr schnell sich folgenden Wechselströmen fixiert ist, Ähnlichkeit mit der Kathodengegend eines polarisierten Nerven. Dagegen zeigen die Achsenzylinder bei einer geringeren Zahl von Reizen grade das entgegengesetzte Verhalten; sie sind blasser als normal, zeigen also Ähnlichkeit mit der Anodengegend eines polarisierten Nerven. Nun pflanzt sich nach den Unter- suchungen über das elektrische Verhalten des Nerven sicherlich zu- nächst eine negative Welle bei der Leitung durch den Nerven fort, da diese aber von kurzer Dauer ist, so kann die mit ihr eventuell Hand in Hand gehende Affinitätsverstärkung zwischen Fibrille und Fibrillen- säure nur dann im Fixierungsbild zur Beobachtung kommen, wenn sich die Reize und somit die negativen Wellen sehr schnell. folgen. Ich muß also die Verstärkung der Affinität bei schneller Reizfolge als das eigentliche Bild des erregten sive leitenden Zustandes ansehen.

Nun folgt auf jede Negativitätswelle eine langsame Rückkehr zur normalen elektrischen Spannung. Bei der langsamen Entwicklung der restitutorischen Phase ist es, wie oben angedeutet, sehr gut möglich, daß sie in eine wirkliche Positivität umschlägt, die aber wegen des langsamen Auftretens nur bei Längsschnitt - Querschnittableitung und erst nach Aufhören der Reizung zur Beobachtung kommt. Je weiter (in gewissen Grenzen) die Reize auseinanderliegen, desto besser wird

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sich diese Phase entwickeln können, desto mehr wird ihre even- tuelle Grundlage im Präparat erkennbar sein. Ich sehe also in der Blässe der Achsenzylinder bei geringer Reizzahl (und nach starker, frequenter Reizung) die langandauernde restitutorische Phase, welche auf die schnell vorübergehende Erregungsphase folgt. Mit dieser An- nahme, daß jeder Erregungswelle eine restitutorische Phase folgt, bei welcher jede Nervenstelle in einen anodischen Zustand gerät, stimmen Erfahrungen von Carvallo (1900) sehr gut überein. Er fand nämlich, daß die Erregbarkeit einer Nervenstelle in der Kälte schnell abnimmt, beim Erwärmen aber wiederkehrt, und daß warme Nerven auch bei sehr langdauernder elektrischer Erregung noch keine lokale „Ermüdung“ zeigen. Wie ich nun oben gezeigt habe, wird beim Abkühlen eines Nerven die Fähigkeit zur anodischen Veränderung stark gehemmt, beim Erwärmen gesteigert. Der Kaltnerv wird also sehr viel mehr Zeit gebrauchen, um sich von jeder einzelnen Reiz- welle in der restitutorischen Phase zu erholen, als der Warmnerv. Als Anfangsstörung habe ich eine Verstärkung der Affinität am Reizort verbunden mit einer Verschiebung von Fibrillensäure zum teizort hin auf Grundlage der Verhältnisse an der Kathode (bei der Schließung) und an der Anode (bei der Öffnung) angesprochen. !) Wenn nun mit der Verstärkung der Affinität ein Freiwerden von elektronegativen Ionen Hand in Hand geht, so entstehen Strömcehen, welche an der erregten Stelle in die Fibrillen eintreten, in den Nachbar- teilen aber aus denselben austreten (Hermann, 1879). Diese versetzen also die ruhende Nachbarschaft in Katelektrotonus und bringen hier wieder Affinitätserhöhung hervor, welche mit lokaler Abgabe von negativen Ionen verbunden ist. In dieser Weise könnte man sich ein Fortschreiten der Erregung nach dem Vorgange von Hermann vor- stellen. Neu ist dabei nur, daß als primäre Veränderung die Affini- tätserhöhung angesehen wird und daß an Stelle der Polarisation zwischen Kern und Hülle eine alleinige Veränderung der Fibrille gesetzt wird, eine Veränderung, bei der die Hülle (die Perifibrillär- substanz oder was sonst grade die Fibrille umgibt) nur eine ganz sekundäre Rolle spielt. Auch bei dieser Vorstellung würde sich die Negativitätswelle in derselben Weise ausbreiten und äußern, wie im Kernleitermodell, wenngleich die Ursache nicht in eine einfache

I) Eine Zunahme der Affinität läßt sich auch bei mechanischer und chemischer teizung gut denken. Ich will zugeben, daß eine „lokale Konzentrationsänderung von Ionen“ die Anfangsstörung bei allen möglichen Reizarten leichter erklärt, doch kann ich Boruttau (1902) nicht zugeben, daß dies die einzige Möglichkeit ist. Im Grunde habe ich aber auch nichts dagegen einzuwenden, dafß man als Anfangsstörung immer eine Konzentrationsänderung ansieht. Es kommt dabei auf das gleiche hinaus.

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Grenzpolarisation, sondern in einen komplizierteren chemisch - physi- kalischen Prozeß verlegt würde, zu dem bis jetzt kein Analogon von der physikalischen Chemie geboten ist. Eine direkte Erklärung der neuen Befunde auf Grund der bisherigen rein physikalischen Kernleiter- theorie, wie sie von Hermann und Boruttau ausgebildet ist, scheint mir zwar nicht unmöglich, aber auf jeden Fall gezwungen. Man müßte zu diesem Zweck annehmen, daß die Fibrillensäure ein Bestandteil der Hülle sei, wozu aber bei dem höchst wahrscheinlich ehemischen Verhältnis zwischen Fibrille und Fibrillensäure die erste Grundlage fehlen würde. (Man kann übrigens auch annehmen, daß die Erregung von Teilchen zu Teilchen dadurch fortgepflanzt wird, daß das erregte Teilchen infolge seiner höheren Affinität dem unerregten Fibrillen- säure entzieht und dieses hierdurch in Erregung gerät.)

Wenn also die negativ gewordene erregte Stelle zur Ausbildung von Strömehen führt, die sich durch die Umgebung abgleichen und die nächst gelegenen Fibrillenteile in Katelektrotonus, die erregte Stelle selber aber in Anelektrotonus versetzen, welcher sich aus eigenen Kräften der Fibrille langsam steigert, so muß dieser anelektro- tonische Zustand dann am besten im gefärbten Präparat zum Ausdruck kommen und die katelektrotonische Affinitätserhöhung ganz hinter ihm zurücktreten, wenn nur selten eine neue Welle über die Fibrille hin- läuft. Nach Beendigung der anelektrotonischen oder restitutorischen Phase würde jede Fibrille wieder ihre normale Affinität zur Fibrillen- säure haben und die im erregten Zustand abgegebenen negativen Ionen wieder ersetzt haben. Folgen die Reize sehr schnell hinter- einander, so kann die Erholung nicht eintreten; die Fibrille bleibt in einem andauernden Zustande erhöhter Affinität, sie kann also auch der Leitung nur noch in untergeordnetem Maße dienen. Ich glaube, daß dies mit einer Anzahl von Tatsachen sehr gut harmoniert: Bei frequenten und nicht zu starken Reizen tritt, wie Bernstein (1871) zuerst gefunden hat, nur eine Anfangszuckung, aber kein andauernder Tetanus ein. Verstärkt man den Reiz durch weitere Annäherung der Rollen, so tritt zwar ein dauernder Tetanus ein, doch ist dieser auch bei stärksten Strömen nie auf die Höhe zu bringen, die man bei schwächeren tetanischen Reizen mit geringer Unterbrechungszahl be- obachtet. Der Tetanus bei sehr frequenter Reizung ist auch nie so gleichmäßig wie bei Reizung mit geringer Unterbrechungszahl. Schließ- lich ist noch daran zu erinnern, daß man bei langsamer Tetanisation schon bei sehr großem Rollenabstand einen Tetanus erzielt, zu dessen Erzeugung man bei sehr frequenter Reizung die Rollen einander wesent- lich nähern muß.

Aus dem Gruenhagenschen Phänomen (S. 269) und aus Unter- suchungen von van Dehn und Schiff, welehe zu dem Resultat führten,

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daß die Stränge des Rückenmarks nieht erregbar, wohl aber leitend seien, haben Schiff und andre den Schluß gezogen, daß der Vorgang der Leitung und Erregung ganz voneinander zu trennen seien. Neuere Untersuchungen (Fiek, Biedermann u. a.) haben ergeben, daß die Rückenmarksstränge doch reizbar sind, so daß diese Lehre von jener Seite her keine Stütze mehr empfängt. (Ein gewisser Unterschied zwischen ihnen und den peripheren Nerven mag trotzdem in Bezug auf die Erregbarkeit bestehen.) Dagegen ist das Gruenhagensche Phänomen wohl eine unleugbare Tatsache: Auch aus den Tabellen der neuesten, sich gegen diese Trennung richtenden Arbeit (von Wedenski [1900]), geht hervor, daß zu einer gewissen Zeit der Narkose die teizschwelle zentral von der affizierten Stelle geringer ist als an dieser Stelle selber. Die ganze Frage ist aber durch diese Arbeit Wedenskis in eine neue Phase getreten: Die niedrigere Reizschwelle oberhalb der affizierten Stelle ist nämlich nur bei schwächeren Reizen zu konstatieren. Nähert man die Rollen, so tritt bei dem jetzt stär- keren Reiz ein niedrigerer Tetanus und schließlich nur noch eine Anfangszuckung ein (bei 100 Reizen in der Sekunde). Bei weniger frequenter Reizung macht sieh dieser Unterschied zwischen starkem und schwachem Reiz nicht bemerkbar. Man kann sich vorstellen, daß bei der ohnehin im narkotisierten Nerven bestehenden erhöhten Affinität, die durch den Reiz gesetzte Erhöhung so langsam zurück- geht, daß bei frequentem Reiz jede Welle die nächstfolgende um so mehr stört, je stärker sie ist. Im übrigen wird man mit Hermann annehmen dürfen, daß die Erregung von Teilchen zu Teilchen leichter von statten geht als von außen. Nachdem ich gezeigt, daß sich bei der Leitung meist dasselbe Bild zeigt, wie an der Kathode eines polarisierten Nerven, wird wohl kaum noch daran zu zweifeln sein, daß Leitung fortgeleitete Erregung ist (Hermann). Auch der Befund Grützners, daß der Effekt eines Reizes größer ist, wenn der Leitungsvorgang auf dem Wege zum Muskel eine Stelle erhöhter Erregbarkeit zu passieren hat, läßt sich wohl kaum in einem andern Sinne deuten.

Zuerst hat Bernstein (1877) den Versuch gemacht, die Ermüd- barkeitsverhältnisse des Nerven zu studieren. Er fand nach starker, tetanischer Reizung einer Nervenstelle diese für weiter oben an- gesetzte Reize nicht mehr durehgängig, während Reizung einer mehr peripher gelegenen Stelle den Muskel noch zur Kontraktion brachte. Ähnliche lokale Ermüdungen konnte er auch bei andern Reizarten konstatieren. In den meisten Fällen tritt nach einiger Zeit Re- stitution ein. Für stärkere tetanische Reizungen läßt sich dieser Befund leicht konstatieren, ja es genügt bei hoher Spannung ein einziger Induktionsschlag um eine Nervenstelle (auch beim Warm-

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blüter) für mehrere Minuten undurchgängig zu machen. Bei schwä- cheren Reizen tritt etwas ähnliches auch bei langer Tetanisation nicht ein, so daß man doch wohl an eine schwerere Schädigung zu denken hat. Im primärgefärbten Präparat habe ich bisher keine wesentliche Veränderung an solehen Reizstellen sehen können, die durch Tetanisation undurchgängig gemacht waren; die Zahl der Ver- suche war jedoch noch nicht groß genug, um ein definitives Urteil fällen zu können.

Bei Reizung mit Induktionsströmen von zulässiger Stärke er- müdet jedenfalls der Muskel früher als der Nerv, so daß das Streben dahin ging, den Reiz vom Muskel fernzuhalten. Zu diesem Zweck benutzte bereits Bernstein einen konstanten Strom, welcher den Nerven zwischen Reizstelle und Muskel durehströmte und undurchgängig machte. Da aber das lange Fließen eines starken Stromes den Nerven wesentlich schädigt, so daß die Leitungsfähigkeit nur langsam oder gar nicht wiederkehrt, so hatte Bernstein mit diesen Versuchen keinen guten Erfolg. Wedenski (1884) benutzte das gleiche Verfahren, schloß aber nur auf kurze Zeit einen starken Strom (bis der Nerv undurehgängig war) und schwächte ihn dann stark ab. Aus (nach dem Obigen) leicht verständlichen Gründen vermag der schwache Strom den Nerven dauernd undurchgängig zu erhalten, schädigt ihn aber so wenig, daß er nach dem Öffnen fast augenblicklich wieder durchgängig wird. Er reizte nun den Nerven oberhalb der dureh- flossenen Strecke bis zu 6 Stunden unaufhörlich; wurde der polari- sierende Strom dann geöffnet, so geriet der Muskel sofort in Tetanus, der Nerv war also durch die tetanische Reizung nicht ermüdet worden. Das gleiche Resultat erhielt Bowditsch (1890) bei Säugetieren, welche während der Dauer der Reizung (gegen 4 Stunden) eurarisiert waren. Wenn die Curarewirkung wich, so fing der Muskel an, zu reagieren.

Wenn die Nervenleitung, wie ich es oben wahrscheinlich zu machen gesucht habe, in einer Wechselwirkung zwischen den Fibrillen, der Fibrillensäure und anorganischen Substanzen besteht, so ist allerdings eine Ermüdung des Nerven nicht sehr wahrscheinlich. Anorganische Bestandteile dürften immer genügend vorhanden sein, außerdem werden sie nicht verbraucht, sondern können immer wieder in den Komplex eintreten. Auch die Menge der Fibrillensubstanz scheint sich, so weit meine Versuche reichen, nicht zu vermindern; sie wird also, wie es scheint, bei der Leitung nicht verbraucht, sondern dieselben Moleküle treten immer wieder in Aktion. Über die Fibrillen selbst kann ich nichts aussagen und es ist möglich, daß diese bei der Leitung auf die Dauer in Mitleidenschaft gezogen werden (eventuell in erhöhte Kohlensäureproduktion geraten, wofür einiges spricht; Waller, 1895

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und 1896, Boruttau, 1901 und 1902). Jedenfalls kann diese Veränderung nach den obigen Versuchen nur minimal sein. Die geringe Menge von Energie, welche für den Nerven durch die nach außen sich ab- gleichende Elektrizität verloren geht, wird jedenfalls zum Teil durch den Zuwachs von Energie gedeckt, welche mit dem Reiz in den Nerven hineingelangt. Für einen, wenn auch wohl sehr geringen Stoffverbrauch bei der Leitung spricht der Umstand, daß die positive Nachschwankung bei schwachen Nerven und nach längerer Tetanisation sehr gering ist (Head, 1887). Neuerdings hat v. Baeyer (1902) fest- gestellt, daß der Nerv bei mehrstündigem Aufenthalt in indifferenten Gasen (N,H) seine Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit verliert. Beides kehrt nach Wiederzulassung von Sauerstoff in wenigen Minuten wieder. Damit wäre also, entgegen früheren Beobachtungen, festgestellt, daß auch der Nerv zur Ausübung seiner Funktion des Sauerstoffs bedarf.')

Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Der Komplex von Neuro- fibrille, Fibrillensäure und gewissen anorganischen Substanzen (Elektro- Iyten) ist das leitende Element im Nervensystem. Bei konstanter Durehströmung wird die Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure an der Kathode erhöht, an der Anode herabgesetzt; gleichzeitig strömt die Fibrillensäure zur Kathode hin und von der Anode fort. In dem Einsetzen der Strömung zur Kathode hin ist die Anfangsstörung zu sehen, von welcher eine Reizwelle ausgeht. Umgekehrt gibt das Zurückströmen zur Anode beim Öffnen des Stromes den Öffnungsreiz ab. Bei der Erhöhung der Affinität treten elektronegative lonen aus dem Komplex aus, bei Herabsetzung oder Aufhebung der Affinität elektropositive.

Die Reizwelle besteht in einer wellenförmig fortschreitenden Affinitätserhöhung mit Verschiebung von Fibrillensäuremolekülen zum Reizort hin. Gleichzeitig mit der Affinitätserhöhung treten immer an der betreffenden Stelle elektronegative Ionen aus dem Komplex aus, welche zum Auftreten einer Negativitätswelle (Aktionsstrom, negative Schwankung) führen. Die Übertragung der Erregung von einem (Juerschnittsteilchen zum andren geschieht dadurch, daß die kleinen, wahrscheinlich sehr kräftigen Abgleichungsströmcehen (Hermann) die unerregten Nachbarteilchen in Katelektrotonus versetzen. Vielleieht wird sie aber auch dadurch herbeigeführt, daß die erregte Stelle der unerregten Nachbarschaft Fibrillensäure entzieht und diese dadurch erregt.

I) Der frühere Eintritt von Unerregbarkeit an Stellen, welche weiter vom Muskel entfernt liegen, dürfte doch wohl lediglich darauf zu beziehen sein, daß die Reizwelle eine längere, veränderte Strecke zu durchlaufen hat, als bei Reizung an einer periphereren Stelle. Hier von einer zentrifugalen Entwicklung der Erstickung zu reden, dürfte wohl unangebracht sein.

Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 321

Nachdem die Affinitätserhöhung ihren höchsten Punkt erreicht hat, tritt eine restitutorische Phase langsam ein, bei welcher ein an- elektrotonischer Zustand herrscht und durch welche die normale Affinität und die normale Ionensättigung wiederhergestellt wird. Da die Be- wegung der Fibrillensäure in der Längsrichtung gewiß nur sehr gering ist, so ist anzunehmen, daß jedes Fibrillensäuremolekül sich bei der Restitution wieder an seinen alten Platz begibt.

Ich sehe also den Prozeß, welcher sich im Nerven fortpflanzt, als einen chemisch-physikalischen an, lege aber den Hauptnachdruck dabei auf das „chemisch“. Gegen die Auffassung des Leitungsprozesses als einen in der Hauptsache chemischen Vorgang hat zuletzt Boruttau (1902) eingewandt, daß es keine chemischen Vorgänge gäbe, welche sich mit einer Geschwindigkeit von 30—60 m in der Sekunde fort- pflanzten. Das schließt aber nicht in sich, daß derartig schnelle chemische Prozesse unmöglich seien. Ich kann in den großen Leitungs- geschwindigkeiten mancher Nerven keinen Einwand gegen meine Vor- stellungen sehen, erblicke aber umgekehrt in den niedrigen Leitungs- geschwindigkeiten mancher Nerven (Eledone 50 em bis 1 m in der Sekunde [Uexküll, 1894], Anodonta eirca 1 cm in der Sekunde [Fick, 1863]) einen Einwand gegen rein physikalische Theorien der Nerven- leitung. Auch die schnelle Restitutionsfähigkeit und der sicher minimale Stoffwechsel im Nerven sind gegen die chemische Natur des Leitungs- vorganges ins Feld geführt worden. Beide Einwände kommen in Wegfall, wenn man den ehemischen Vorgang nicht in einer Verbrennung sondern, wie das hier geschehen ist, in einer Änderung der chemischen Affinität sieht.

FÜNFZEHNTES KAPITEL.

Die Eigenschaften des Zentralnervensystems ; im allgemeinen.

Unterschiede zwischen den peripheren Nerven und dem Zentralnervensystem

S. 325. Die Ganglienzellhypothese S. 326—334. Ihre Widerlegung durch

das Careinusexperiment S. 328s—330. Widerlegung der Einwände, welche gegen dasselbe erhoben sind S. 332, 333.

Die durch Nervenleitung vermittelten, am unversehrten Tier auf- tretenden Auslösungserscheinungen bezeichnet man, wenn sie einfacherer Natur sind, nach dem Vorgange von Prochaska (1800) als Reflexe.

Bethe, Nervensystem. 21

322 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen.

Die komplizierteren, auf nervöser Basis beruhenden Auslösungserschei- nungen, wie sie beim Menschen und vielen höheren Tieren neben jenen zur Beobachtung gelangen, besaßen bis vor kurzem keine ein- heitliche, physiologische Bezeichnung, denn den Namen ‚Willens- handlung“ wird man schwerlich als einen physiologischen anerkennen können. Ausgehend von der Tatsache, daß diese komplizierteren Aus- lösungserscheinungen ebenso sicher, wie die Reflexe materiell vom Nervensystem abhängig sind und daß sie sich objektiv von diesen nur durch die große und unberechenbare Variabilität unterscheiden, haben Beer, Uexküll und ich (1599) geglaubt, diesen Auslösungserscheinungen einen Namen geben zu sollen, welcher sie nicht in einen prinzipiellen Gegensatz zu den Reflexen setzt und ihre objektive Zusammengehörigkeit mit diesen zum Ausdruck bringt. Wir durften dies um so eher tun, als wir zu der Überzeugung gelangt waren, daß das psychische Element, welches man so vielfach auch in der Physiologie als in- tegrierenden Bestandteil gewisser Handlungen von Menschen und Tieren angesehen hat, stets etwas Subjektives bleiben wird und nie Objekt exakter Wissenschaft werden kann. Was wir beobachten können, sind eben stets nur Bewegungserscheinungen und nichts weiter, und diese unterscheiden sich bei den sogenannten Willens- handlungen nicht wesentlich von denen bei den Reflexen. Wir fassen daher sämtliche nervösen Antwortserscheinungen unter dem Namen „Antikinesen‘“ zusammen, behalten für die gesetzmäßig wieder- kehrenden Reizbeantwortungen den Namen „Reflex“ bei und be- zeichnen die Reizbeantwortungen, in welchen ein variabler Faktor enthalten ist, als „Antiklisen“, durch welches Wort weiter nichts prä- sumiert wird.

3ei allen Antikinesen spielt das Nervensystem vor allen Dingen die Rolle des leitenden Vermittlers zwischen der reizaufnehmenden Oberfläche und den mehr oder weniger weit entfernten effektorischen Organen. Wenn wir dem Nervensystem außer der leitenden Funktion keine weiteren Eigenschaften zuschreiben, so ist bereits die große Masse der Reaktionserscheinungen hinreichend erklärbar. Wir haben ja gesehen, daß bei den verschiedenen Tierarten die rezeptorischen und effektorischen Fibrillen miteinander unter Gitterbildung in Ver- bindung treten. Bei den Tieren, welche ein sehr einfaches und diffuses Reflexleben führen, sind diese Gitter ganz diffus ausgebreitet, während bei allen höher stehenden Tieren, welche lokalisierter Antikinesen fähig sind, Gitterverdichtungen und lange, weit voneinander entfernte Gitterteile miteinander verbindende Bahnen zur Beobachtung kommen. Auf diese Weise treten gewisse rezeptorische Organe oder Oberflächen- teile mit gewissen effektorischen Organen und Organkomplexen in nähere Leitungsbeziehungen, durch welche die Verschiedenheit der

Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 323

Reaktionen bei Reiz dieser und jener Körperstelle eine ziemlich be- friedigende Erklärung findet. In der Tat ist es ja seit langem das Bestreben vieler Gehirnanatomen, diese näheren Leitungsbeziehungen aufzudecken (Anatomie der Faserbahnen) und die Bewegungserschei- nungen durch dieselben verständlich zu machen. Die Kenntnis der anatomischen Verbindungswege genügt aber jedenfalls nicht, um das Reaktionsvermögen ein und desselben Tieres in genügendem Maße zu erklären. Hierauf hat Loeb (1899) in einer interessanten Schrift nach- drücklich aufmerksam gemacht.

Loeb hält, wie es scheint, von bestimmten anatomischen Ver- bindungen zwischen zusammenarbeitenden rezeptorischen und effek- torischen Organen nicht sehr viel. In der Tat gibt es Fälle genug, wo sich die Störungen nach Verletzung gewisser Bahnen ganz wieder ausgleichen, so daß also diese Bahnen zum Zustandekommen der be- stimmten Effekte nicht unumgänglich nötig sind. Für Loeb ist es die Hauptsache, daß überhaupt ein Leitungsweg vorhanden ist; die ge- nauere Beschaffenheit desselben ist im ziemlich weiten Grenzen gleich- gültige. (Ja die Verbindung braucht eventuell nicht einmal nervöser Natur zu sein?). Bestimmend für den Ablauf einer Antikinese ist in erster Linie nicht die Art der Leitungswege, sondern die Art und Beschaffenheit der effektorischen und noch mehr der rezeptorischen Apparate. Diese Organe sind es im wesentlichen, welche die Eigen- tümlichkeiten in den Reaktionen der verschiedenen Tiere bedingen. An und für sich ist die starke Werteinschätzung der Rezeptions- organe nicht neu, derartig extrem ist sie aber bisher wohl nie vertreten worden.

Nach meiner Meinung geht nun zwar Loeb in der Geringschätzung der Bahnen und der anatomischen Details zu weit, doch glaube ich ihm insoweit zustimmen zu müssen, daß das. Zustandekommen be- stimmter Bewegungen und Bewegungskombinationen von der Integrität gewisser langer Bahnen in viel höherem Maße unabhängig ist, als den Anatomen lieb sein kann. Dies wird aber immer nur dann der Fall sein, wenn genügende andre Verbindungen vorhanden sind. So kann sich z. B. bei ziekzackförmiger Einkerbung des Rückenmarks (Osawa, 1882) die Längsleitung von vorn nach hinten und von hinten nach vorn bis zu einem hohen Maße wiederherstellen, weil hier außer den langen Bahnen genügend kurze vorhanden sind; bei Arthropoden führt aber schon die einfache Durchschneidung einer Längskommissur zu dauernder Leitungsunterbrechung auf der betreffenden Körperseite, weil hier keine gekreuzten Verbindungswege existieren (Bethe, 1897).

Ich glaube, daß man auf die Art der nervösen Verbindungen nach wie vor einen hohen Wert wird legen müssen, denn es gibt kein Tier mit diffusem Nervensystem, das zu wirklich koordinierten Gesamt-

21?

324 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen.

bewegungen befähigt ist, trotzdem es unter diesen Tieren Formen gibt, bei denen eine große Vielfältigkeit der rezeptorischen und effektorischen Organe vorhanden ist (Medusen, Seeigel). Andrerseits gibt es Tiere, die trotz einer großen Einfachheit dieser Organe ein vollendetes Zu- sammenarbeiten der Muskulatur zeigen (Hirudineen und andre Würmer); ich kann dies nur darauf schieben, daß ihr Nervensystem zentralisiert ist und reichliche lange Bahnen besitzt. Ohne Zweifel ist aber der Reichtum an Reflexen und koordinierten Bewegungen außer von der Aus- bildung und Menge der Leitungswege auch in hohem Maße von der Vielfältigkeit der rezeptorischen und effektorischen Organe abhängig. Ein Tier, das nur eine Art von rezeptorischen Organen (z. B. nur Tangorezeptionsorgane) hat, wird auch bei hochausgebildetem Nerven- system nicht so Vielseitiges leisten können, wie es mit allen Arten von Rezeptionsorganen ausgerüstet leisten würde. Sein Reflexleben muß ärmer sein. Ändrerseits würde einem Tier, das an effektorischen Organen nichts besäße als einen Ruderschwanz, ein hochausgebildetes Nervensystem und eine Fülle verschiedener Rezeptionsorgane wenig nützen.

Die Tatsache, daß derselbe Reiz, an verschiedene Körperstellen angesetzt, verschiedene Effekte zur Folge haben kann und daß ver- schiedenartige Reize gesonderte Erscheinungen hervorrufen können, wird genügend verständlich, wenn man dem Nervensystem nur Leit- fähigkeit und den Rezeptionsorganen spezifische Elektionsfähigkeit zu- schreibt. Die Verschiedenheit im anatomischen Aufbau des zentralen und peripheren Nervensystems, wie sie uns bei höheren Tieren ent- gegentritt, wird dabei hinreichend erklärt, denn sie beruht ja vor allem darauf, daß hier die Fibrillengitter, welche die Ausstreuung der Reize besorgen, von der Peripherie her an einen Ort zusammengezogen sind (S. 100).

Beim diffusen Nervensystem (den Nervennetzen der Medusen, des Blutgefäßsystems der höheren Tiere u. s. w.), sind die rezeptorischen und effektorischen Bahnen außerordentlich kurz; die Übertragungs- stellen liegen überall in nächster Nähe, sind deshalb aber auch ganz zerstreut. Die außerordentliche Verlängerung der rezeptorischen und effektorischen Bahnen bei den höheren Tieren und ihre räumliche Trennung von den Ausstreuungsstellen hat es hier ermöglicht, beide Teile getrennt voneinander zu untersuchen, Versuche, die z. B. an Medusen undenkbar sein würden. Diese Untersuchungen haben nun zu Re- sultaten geführt, welche eine Gegensätzlichkeit zwischen den effek- torischen und rezeptorischen Bahnen einerseits und den Ausstreuungs- zebieten andrerseits zu beweisen scheinen. Diese Unterschiede, auf die ich zum Teil später ausführlicher zu sprechen komme, sind etwa folgende:

Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 3235

1. Der periphere Nerv (also die effektorischen und rezeptorischen Bahnen) leitet nach beiden Seiten, die Leitung ist also hier reziprok. Das Zentralnervensystem (die Ausstreuungsgebiete) leiten nur nach einer Richtung, die Leitung ist also irreziprok. (Bei Reizung des zentralen Stumpfes einer motorischen Wurzel treten keine Reflex- bewegungen auf; der Reiz breitet sich also durchs Rückenmark nur von rezeptorischen zu motorischen Fasern aus, aber nicht von motorischen zu motorischen.)

2. Der motorische Nerv reagiert gleich gut auf Einzelreize und tetanische Reize. Reflektorisch wirken tetanische Reize ungleich besser als Einzelreize. Das Zentralnervensystem setzt dem Einzelreiz einen großen Widerstand entgegen, der durch Wiederholung (auch ge- ringer Reize) überwunden wird. Erscheinung der Summation.

3. Die Ausbreitung der Erregung wird beim Passieren der grauen Substanz stark verlangsamt.

4. Das Zentralnervensystem übt einen dauernden Einfluß auf die

Muskulatur aus, der nach Durchschneidung der motorischen Nerven fortfällt. Muskeltonus. 5. Alle schädigenden Einflüsse wirken viel stärker auf das Zentralnervensystem als auf die Nerven. So beeinflussen die Narcotica zunächst nur das Zentralnervensystem; sie machen die Antikinesen schon zu einer Zeit unmöglich, wo die peripheren Nerven noch gut erregbar sind. Strychnin, Nikotin und viele andre Gifte entfalten ihre Wirkung am Zentralnervensystem und greifen die peripheren Nerven erst viel später oder gar nicht an. (Andre Gifte wie Kurare und Kokain setzen mit ihrer Wirkung hauptsächlich am peripheren Nerven- ende an; es gibt aber keine Gifte, die zuerst die Nervenstämme selber affizieren.) Blutmangel oder ungenügende Sauerstoffzufuhr übt auf die peripheren Nerven fast keinen Einfluß aus, während das Zentral- nervensystem gegen diese Schädigungen sehr empfindlich ist. Mit diesem ‚offenbaren, hohen Sauerstoffbedürfnis der Zentralorgane steht der ana- tomische Befund in engem Zusammenhang, daß die graue Substanz außerordentlich reich an Blutgefäßen ist, während die peripheren Nerven und die Stränge des Zentralnervensystems nur spärliche Blut- gefäße enthalten.

6. Das Zentralnervensystem kann der Ausgangspunkt von auto- matischen Bewegungen sein, die Nervenstämme aber nicht.

Diese Unterschiede, welche ich so referiert habe, wie es den allgemeinen Anschauungen entspricht, deuten anscheinend darauf hin, daß im Zentralnervensystem zu der reinen Leitungserscheinung der Nerven mindestens noch einiges hinzukommt; eventuell kann man sie aber auch so deuten, daß der Vorgang im Zentralnervensystem über- haupt von dem im peripheren Nerven verschieden ist.

326 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen.

Fast so lange, als man die Ganglienzellen (und ihren Zusammen- hang mit den Nervenfasern) kennt, führen die meisten Physiologen die Eigentümlichkeiten der Zentralorgane auf diese zurück. Es bil- dete sich die Vorstellung heraus, daß der rezeptorische Vorgang bis zu den motorischen Ganglienzellen unverändert fortgeleitet würde, daß er aber hier eine neue Erscheinung auslöste, welche als motorischer Impuls dem Muskel zugeleitet würde. Es sollte also in den moto- rischen Ganglienzellen eine Auslösung von Spannkräften zustande kommen. Demgemäß wurden die Verzögerung des Leitungsvorganges und die Irreziprozität in die Ganglienzelle verlegt. Fermer wurde die Wirkung der Nervengifte dahin gedeutet, daß sie den Stoffwechsel der Ganglienzellen schädigten, und das hohe Sauerstoffbedürfnis der Zentralorgane wurde nur auf die Ganglienzellen bezogen.

Es ist ganz selbstverständlich, daß alle älteren Autoren bei diesen Deduktionen unter Ganglienzelle immer nur das verstanden haben, was man damals Ganglienzelle oder Ganglienkugel nannte, nämlich den Kern und den ihn zunächst umgebenden Protoplasmaleib; Achsenzylinder und Protoplasmafortsätze wurden damals begrifflich noch vollkommen von der Ganglienzelle getrennt. Seitdem in der Neuronentheorie die Lehre aufgestellt wurde, daß Achsenzylinder und Protoplasmafortsätze nur Teile der Ganglienzelle seien, hat sich diese Auffassung bei den Physiologen nicht verändert: Es wird immer noch die Ganglienzelle im alten Sinne als die Reflex- vermittlerin angesehen. Wenn auch einige den Anatomen darin folgten, daß sie das gesamte Neuron als physiologische Einheit an- sprachen, so verlegten sie doch wie sollte es auch anders sein! die Leitungsverzögerung, die Giftwirkung u. s. w. in Kern—-Protoplasma- leib und bezeichneten diesen Komplex nach wie vor als Ganglienzelle. Ja es wurde von streng neuronistischer Seite der Versuch zurück- gewiesen, das Wort Ganglienzelle (resp. Nervenzelle) seiner alten

jedeutung zu berauben und mit dem Neuronbegriff zu identifizieren. -

[Lenhossek (1895), p. 105: „... und es ist daher ohne Frage ge- rechtfertigt, wenn man die Bezeichnung Zelle nur für das kernhaltige Protoplasmaklümpehen reserviert . . .*.]

Ich will hier einige Beispiele anführen, welche zeigen sollen, was in der Literatur allgemein Ganglienzelle genannt wird. Vielen wird dies überflüssig erscheinen; ich muß es aber tun, weil mir selbst von physiologischer Seite der Vorwurf gemacht worden ist, ich hätte in dem gleich zu beschreibenden Versuch etwas als Ganglien- zelle bezeichnet, was in der Tat nur ein Teil der Ganglienzelle sei:

Rosenthal (1875), p. 13: „Wir sind berechtigt anzunehmen, dab die eigentlich wirksamen Elemente des Atemzentrums in ... den Ganglienzellen zu suchen sind.“

2 ee

Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 327

Wundt, Psychologie, 1893, p. 273: „Die Ganglienzellen sind die eigentlichen Werkstätten... In den Nervenfasern werden diese Stoffe infolge der physiologischen Funktion zum größten Teil verbraucht...“

Verworn (1900, 2), p. 107: „Die motorischen Vorderhornzellen besorgen selbst die Hemmung des Muskels aktiv, indem sie bei ihrer eignen Hemmung einen aktiven Hemmungsvorgang ... dem Muskel durch ihren Achsenzylinder übermitteln.“

Derselbe (1900, 3), p. 169: „Je länger die Ganglienzelle arbeitet, um so mehr entwickeln sich Lähmungserscheinungen.“

Derartige Beispiele ließen sich zu hunderten anführen: Aus allen geht immer wieder hervor, daß auch in neuerer Zeit kaum ein Forscher das Wort Ganglienzelle in einer andern Bedeutung gebraucht hat, als in der von Anfang an gebräuchlichen. Wenn vor allem in physiologischen Schriften von der Ganglienzelle als dem wahren Zentralorgan, dem eigentlichen Reflexzentrum gesprochen wird, so ist nie(!) etwas andres gemeint als der Kern mit dem ihm zunächst an- liegenden Plasma; auch die Dendriten sind in den allermeisten Fällen von dem Begriff ‚„Ganglienzelle‘“‘ ausgeschlossen, weil sie ebenso wie der Achsenzylinder der Ganglienzelle als Gegensatz gegenüber- gestellt werden. Bis vor kurzem hat niemand den Irrtum begangen, die Eigenschaften der Zentralorgane in das gesamte „Neuron“ zu verlegen, denn es unterscheiden sich nun mal physiologisch die zen- tralen Teile des ‚‚Neurons“ vom peripheren, und für diese Unterschiede werden eben von denen, die sie lokalisieren wollen, die Ganglien- zellen verantwortlich gemacht.

Nun liegen irgend welche positiven Beweise für die zentrale Natur der Ganglienzellen nicht vor; was vorgebracht wurde, waren nur Ver- mutungen, basierend auf der sicherlich übertriebenen Wertschätzung, welche der Kern und die Zelle seit Schleiden, Schwann und Virchow genoß. (Daß diese Überschätzung heuristisch von großem Wert war, leugne ich natürlich nicht.) Ein Beweis für die zentrale Natur der Ganglienzellen war deswegen nicht erbracht, weil sämtliche angeblich beweisenden Experimente am ganzen Zentralnervensystem angestellt wurden, dieses sich aber von den peripheren Nerven außer durch den Gehalt an Ganglienzellen auch durch verschiedenes andre, vor allem durch die feinen Verzweigungen und die Gitterbildungen unterscheidet.

Zwei große Physiologen haben vergeblich auf das unzureichende Beweismaterial der Ganglienzellhypothese aufmerksam gemacht, Ludwig und Eekhard. Ludwig schrieb 1852 in seinem Lehrbuch der Phy- siologie (p. 124), nachdem er die „Beweise“ für die zentrale Natur der Ganglienzellen aufgeführt hatte: ‚Das Unzureichende dieses Be- weises leuchtet aber sogleich ein, wenn man sich vor die Augen führt, daß keineswegs die einzige anatomische Verschiedenheit, zwischen den

328 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen.

Orten, welehe jene Eigentümlichkeiten darbieten und denjenigen, welchen sie fehlen, in der Gegenwart der Ganglienkörper liegt. Noch weniger wird man aber geneigt, jenen Behauptungen Glauben bei- zumessen .. .“

Eekhard schreibt 27 Jahre später im Handbuch der Physiologie (p. 15): „Seit der Entdeckung der Ganglienzellen sind wir gewöhnt, diesen alle diejenigen Tätigkeiten zuzuschreiben, welche wir aus den uns bekannten Leistungen der Nervenröhren nicht begreifen können. Diese Gewohnheit hat bereits eine solche Macht über uns bekommen, daß wir kaum noch danach fragen, wie fest der Grund unseres Ver- fahrens ist, und wir sind außerordentlich froh, eine solche Zuflucht zu haben.“

Die Lagebeziehungen zwischen Ganglienzellen und Neuropil bei den Krustazeen ließen in mir Zweifel an der Richtigkeit der Ganglien- zellhypothese aufkommen und gaben mir zu gleicher Zeit die Mög- lichkeit, die Richtigkeit dieser Hypothese experimentell zu prüfen. Bei diesen Tieren liegen die langgestielten, unipolaren Ganglienzellen (S. 27) außerhalb derjenigen Gebiete, in denen sich die Nervenfasern verzweigen. Wenn jeder Reiz durch die Ganglienzelle hindurchgehen müßte, so würde die Erregungswelle den langen Stielfortsatz zweimal passieren müssen, einmal auf dem Wege zur Zelle hin und einmal auf dem Wege zum Muskel. Einerseits wäre dies nicht sehr ökono- misch, andrerseits würde man nicht verstehen, was die Fibrillen für eine Bedeutung hätten, welche unter Umgehung der Ganglienzellen direkt vom Neuropil aus in die motorischen Fasern übergehen (siehe Fig. 12, S. 35). (Die Möglichkeit einer Nichtbeteiligung der uni- polaren Ganglienzellen am Reflexvorgang ist vor mir schon von Nansen, später auch von Ramön y Cajal ausgesprochen worden.)

Um die Wertigkeit der Ganglienzellen für die Reflexvorgänge experimentell zu prüfen, wählte ich das zentrale Gebiet der zweiten Antenne von Careinus Maenas (Bethe, 1897 und 1898). Dieses Ge- biet liegt dieht an der Schlundkommissur und nimmt den unteren Zipfel des Gehirms ein (Fig. 8, S. 27). Die von der rezeptorischen Oberfläche der zweiten Antenne kommenden Fasern (deren Rezeptions- zellen peripher unter den Rezeptionshaaren liegen) verlaufen durch den Nerven der zweiten Antenne bis in dieses Gebiet, um sich hier zu verzweigen (Fig. 8/). Außer diesen rezeptorischen Fasern führt der Nerv auch die motorischen, welche mit zwei Ganglienzellpaketen am Gehirn in Verbindung stehen (Fig. 8c, und c,). (Wie aus einem be- sonderen Experiment hervorgeht, gehören die Elemente c, den Beugern, die Elemente c, den Streckern der Antenne an.)

Wird der Nerv der zweiten Antenne dieht am Gehirn durch-

Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 329

schnitten, so ist die Antenne dauernd gelähmt. Während sie normaler- weise schräg nach vorne gehalten wird, hängt sie jetzt schlaff herab; während sie sonst auf jede Berührung hin sofort eingezogen wird, kann man sie nach der Durchschneidung des Nerven so stark reizen, wie man will, sie bleibt bewegungslos. Sicherlich ist also das „‚Zen- trum“ der Antennenbewegung im Gehirn gelegen!

Ich trug nun in einer Anzahl von Fällen unter der binokulären Lupe und mit Hilfe eines winzigen Messers das Zellpolster e, und ec, ab und trennte, um einen eventuellen Einfluß andrer Ganglienzellen auszuschließen, das ganze zugehörige Neuropil vom übrigen Gehirn und vom Bauchmark (Durchschneidung der betreffenden Schlundkom- missur) ab. (Der Schnitt wurde in der auf Figur $S punktierten Linie geführt.) Es hängt also mit dem Nerven der zweiten Antenne in den guten Fällen nur noch ein Stück Neuropil zusammen, das frei von Ganglienzellen ist. Alle Verbindungen mit dem übrigen Zentralnerven- system sind aufgehoben.

Direkt nach der Operation ist nicht nur die Antenne selber, sondern auch jedes andere vom Gehirn aus innervierte Organ reflex- los. Es ist dies eine Folge der Freilesung. Am Tage nach der Operation stellen sich die Reflexe wieder ein. Abgesehen von vielen mißglückten Fällen, bei denen das am Nerven hängende Neuropilstück in der nach der Sektion angefertigten Schnittserie noch eine größere oder kleinere Zahl von Ganglienzellen enthielt, gelang es mir in drei Fällen alle Ganglienzellen zu entfernen. In diesen drei Fällen konnten nach der Erholung von der Operation folgende Erscheinungen an der von einem ganglienzelllosen Stück Zentralsubstanz innervierten Antenne beobachtet werden:

Die Antenne hängt nicht schlaff herab, wie nach Durchschneidung des Nerven, sondern wird in der normalen Lage gehalten. Der Tonus ist also vorhanden. Beim Berühren wird die Antenne flektiert und dann wie bei einem normalen Tier wieder vorgestreckt. Die Reflexerregbarkeit ist also ebenfalls erhalten. Setzt man hintereinander mehrere schwache an sich unwirksame Reize an, so tritt ein Reflex ein. Das ganglienzelllose Neuropil- stück ist also noch der Reizsummation fähig. Als einziger Unterschied gegen ein normales Tier zeigte sich eine wesentliche Er- höhung der Reflexerregbarkeit.

In den nächsten Tagen nach der Operation nimmt die Reflex- erregbarkeit immer mehr ab und ist am vierten Tage ganz erloschen. Die Ganglienzellen (wenn man will der kerntragende Teil des Neurons, aber nicht der kemtragende Teil der Ganglienzelle, denn diese ist ganz und gar und ohng, daß ein Rest bleibt, fortgenommen) sind also zu den wesentlichsten Erscheinungen des

330 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen.

Zentralorgans nicht notwendig; Tonus, Reflexvermitt- lung und Reizsummation sind auch ohne Ganglien- zellen möglich. Ein dauerndes Bestehen von Reflexen ohne Ganglienzellen ist, wie das Experiment lehrte unmöglich. Ich schrieb infolgedessen im Anschluß an die Wallersche Lehre den Ganglien- zellen eine trophische (und eventuell reflexhemmende) Funktion zu. Nach den oben mitgeteilten Befunden (Kapitel 12) ist auch. diese trophische Funktion höchst zweifelhaft, so daß also auch diese Eigen- schaft den Ganglienzellen genommen werden kann. Das Eintreten der Degeneration ist nach jenen Versuchen vielmehr darauf zu beziehen, daß der Komplex, den man Neuron nennen mag, an einer relativ hohen Stelle verletzt ist, so daß alles Peripherere der Degeneration verfallen muß.

Ein Jahr nach der Publikation meiner Versuche veröffentlichte Steinach (1899) (augenscheinlich ohne Kenntnis meiner Arbeit) Be- funde, aus denen er den Schluß zieht, daß die Spinalganglien zur sensiblen Erregungsleitung nieht notwendig seien. Steinach anämisierte die Spinalganglien beim Frosch durch Loslösung von ihrer Umgebung. Die Wurzeln wurden täglich freigelegt und oberhalb und unterhalb des Ganglions gereizt. Mit der Zeit nimmt die reflektorische Erregbarkeit des Ganglions ab; dasselbe ist aber noch zu einer Zeit für die unterhalb angesetzten Reize gut durchgängig, wo sich die Spinalganglienzellen, wie die histologische Unter- suchung zeigte, bereits in einem Stadium hochgradigen Zerfalls befinden. Dies ist nach etwa 14 Tagen, aber auch schon früher der Fall. Steinach ist der Meinung, daß diese Zellen nicht mehr funktionsfähig gewesen seien, daß also die Spinalganglienzellen an der Reizleitung direkt nieht beteiligt seien. In einigen Fällen hat er auch die Ganglienzellen, nachdem die Anämisierung bereits einige Tage gewirkt hatte, mit einem Messer abgekratzt (in einem Fall waren alle Zellen bis auf zwei stark veränderte entfernt) und die bleibende dünne Brücke noch reizleitend gefunden.

(Beim ‚Hund fand van Gehuchten [1899] die mit Nikotin ver- sifteten Spinalganglien zu einer Zeit, wo die Nervenfasern noch nicht affiziert waren, für die Reizleitung undurchgängig. Die Beweiskraft dieses Versuches für die Wichtigkeit der Ganglienzellen ist nicht sehr sroß, weil bei den Säugetieren, wie es scheint, alle Fibrillen durch die Spinalganglienzellen hindurchgehen, sie hier aber der Giftwirkung viel mehr ausgesetzt sind als in den Nervenfasern, wo sie durch die Hüllen geschützt sind [siehe weiter unten]. Beim Frosch habe ich dagegen, wenn auch nicht sehr deutliche Anhaltspunkte dafür ge- funden, daß ein Teil der Fibrillen ‚direkt vom peripheren Fortsatz der Zellen in den zentralen hineinzieht, ohne also in den Stamm-

Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 331

fortsatz und die Zelle einzutreten. Wenn sich dies bestätigt, so ist dadurch der Befund Steinachs vom Fibrillenstandpunkt betrachtet, durchaus verständlich.)

So interessant das Steinachsche Experiment ist, so greift es doch die Hauptfrage nicht an, weil die Spinalganglienzellen mit dem Reflex- vorgang nur mittelbar zu tun haben. Sie nehmen überhaupt andern Ganglienzellen gegenüber eine Ausnahmestellung ein, was schon daraus hervorgeht, daß sie eine große Widerstandskraft gegenüber der An- ämisierung besitzen“(Ehrlich und Brieger, Münzer und andre). Für die zentralen Prozesse Reflexvermittlung, Tonus, Summation u. 8. w. sind sie wohl nie in Anspruch genommen worden. Der Einwand Verworns (1900), daß die Zellen in den Steinachschen Experimenten doch noch funktionsfähig gewesen sein könnten, weil es von einigen andern Zellarten feststeht, daß sie trotz starker histologischer Ver- änderungen noch funktionieren können, dürfte doch wohl nieht für diejenigen Zellen gelten, die Steinach mit dem Messer abgeschabt hat. Leider hat Steinach diesen Versuch nicht auch an ganz normalen Spinalganglien ausgeführt. (Es stehen dem vielleicht technische Schwierigkeiten im Wege.)

Bisher sind meine und Steinachs Versuche die einzigen, die wirklich an Ganglienzellen ausgeführt worden sind. (Vergleiche die Versuche auf S. 226). Alle Forscher, die geglaubt haben, mit Ganglienzellen zu ope- rieren und deren Eigenschaften zu studieren, befinden sich, wie Schenk (1902) in seiner kritischen Arbeit über die Neuronentheorie ausführt, „in einer großen Selbsttäuschung“, weil sie nur an den nervösen Zentren arbeiteten, die unter anderm auch Ganglienzellen enthalten. Hier liegen positive Befunde vor und diese zeigen, daß die Ganglienzelle mit den Haupteigenschaften des Zentralnervensystems, welche bisher in sie hineinverlegt wurden, nichts zu tun haben. Gegen dieselben müssen alle theoretischen Erwägungen zurücktreten wenigstens für die- jenigen, welche nicht Naturphilosophen, sondern Naturforscher sind. Geliefert ist der Beweis vorläufig allerdings nur für die Ganglienzellen von Careinus Maenas. Da aber die Ganglienzellhypothese bei allen übrigen Tieren auf grade so schwachen Füßen stand, wie bei diesem Tier, so muß dieser eine positive Beweis, der für Wirbeltiere durch den Steinachschen Versuch eine gewisse Stütze erhält, solange auch für die übrigen Tiere als maßgebend angesehen werden, als nicht ein ebenso sicherer Gegenbeweis für die eine oder andre Tiergruppe vorgebracht ist.)

1) Denen, welche an der Exaktheit meiner Beobachtung zweifeln, steht es frei den Versuch nachzumachen. Bis dahin verzichte ich darauf, ihnen entgegen- zutreten. Auch das mitleidige Achselzucken, mit dem manche Wirbeltier- physiologen allem begegnen, was an Wirbellosen gemacht ist, dürfte hier wohl

3323 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen.

Als ich meinen Versuch beschrieb, hielt ich es für gänzlich aus- geschlossen, daß man an seiner Beweiskraft irgend etwas würde aus- setzen können. Zu meinem Erstaunen ist er nur von wenigen als beweisend anerkannt worden (Nissl, 1898, 1903, v. Uexküll, 1900, Schenk, 1902 u. a... Andre Forscher (v. Lenhossek, 1899, Edinger, 1599, Verworn, 1900 u. a.) sprechen ihm sozusagen jede Beweiskraft ab und Langendorff (1902) sagt von ihm, daß er „bekanntlich mehr- deutig“ sei. Außer daß meinem Versuch die Wirbellosigkeit des Versuchstiers zum Vorwurf gemacht wird, stützen sich die Kritiker hauptsächlich darauf, daß die Reflexfunktion des ganglienzelllosen Neuropilstücks nur wenige Tage erhalten bleibt und daß ich gar nicht die Ganglienzelle, sondern nur einen Teil derselben fort- genommen hätte.

Man beruft sich auf bekannte Versuche an Protozoen, in denen sich zeigte, daß das Leben von kernlosen Tierstücken noch einige Zeit erhalten bleibt, und man zieht aus dieser Tatsache den Schluß, daß mein Carcinusexperiment nichts wesentlich Neues zu Tage gefördert hätte. „Es ist also“, schreibt Verworn (1900), „gar keine auffallende Erscheinung, wie auch Edinger und Lenhossek schon bemerkt haben, wenn durch kernlose Massen von Ganglienzellprotoplasma bei manchen Kaltblütern noch einige wenige Tage lang Reflexe vermittelt werden können.“ Da ich selber zugegeben hätte, daß ich nur den „kern- haltigen Teil des Ganglienzellkörpers‘“ fortgenommen hätte (ich habe gesagt „die Ganglienzellen d. h. den kerntragenden Teil des Neurons“, was ein sehr großer Unterschied ist), so sei der ganze Versuch „völlig belanglos‘ (sie!!). Mit Recht fragt hierauf Schenk (1902), warum die Vertreter der Neuronenlehre nicht schon vor mir „die logische Kon- sequenz aus jenen Kenntnissen gezogen‘ hätten und warum man die Hypothese Nansens, daß die Ganglienzelle (im wahren Sinne) für den Reflex unnötig sei, aufs energischste bekämpft habe.

Tatsächlich ist bei meinem Versuch dasjenige vollständig und ohne Rest entfernt, was Verworn und Lenhosseck selber Ganglienzelle nennen (siehe die Zitate auf S. 325), nämlich der Kern mit dem herumliegenden Protoplasmaklümpehen; vor allen Dingen: es ist das entfernt, was alle Physiologen (und nach den obigen Zitaten zu schließen auch Verworn), Anatomen, Psychiater und Neurologen als eigentliches Reflexzentrum, als Sitz der psychischen Qualitäten u. s. w. angesprochen haben! Dieser Versuch, der die Unrichtigkeit der Gan- glienzellhypothese (Ganglienzellhypothese in dem einzig möglichen Sinn) sehr wenig am Platz sein. Der Reflexvorgang mit allen seinen Eigentümlich- keiten ist etwas so Elementares und fast durch die ganze Tierreihe bis auf Sinzelheiten Gleichförmiges, daß seine physiologischen Grundlagen wohl ohne weiteres überall als gleich angesehen werden können.

Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 333

zeigt, wird von Verworn, der dieser Theorie nach seinen letzten Ar- beiten auch jetzt noch in dem angegebenen Sinne huldigt, als „völlig belanglos‘“ bezeichnet. Wo bleibt da die logische Konsequenz? Wie ist dies möglich? Dadurch, daß man meinem Versuch gegenüber und nur in diesem Fall die Ganglienzelle als das ganze ‚„Neuron“ auffaßt. Es würde dies ja konsequent sein, wenn wirklich das ganze Neuron eine Zelle repräsentierte (dies ist aber wie oben gezeigt höchst zweifelhaft); jedoch hat diese Konsequenz mit der zur Diskussion stehenden Frage gar nichts zu tun, erstens weil niemand das Wort Ganglienzelle in diesem Sinne gebraucht, zweitens weil alle, welche die Ganglienzellhypothese zur Erklärung der Sonderheiten des Zentralnervensystems (im Gegensatz zu den Eigenschaften der Nervenröhren) benutzen, mit der Ganglien- zelle immer nur das meinen können, was ich total fortgenommen habe. ')

Ob Reflexe ohne Ganglienzellen lange oder kurze Zeit möglich sind, scheint mir gänzlich gleichgültig. Wenn der Reflexbogen not- wendigerweise durch die Ganglienzelle ginge, wenn die Summation nur in der Ganglienzelle zustande käme u. s. w., dann müßten diese Dinge in demselben Moment unmöglich werden, in dem die Ganglien- zellen fortgenommen werden. Ebenso verhält es sich mit der von vielen angenommen gewesenen (?) physiologischen Einheit des Neurons. Ist es eine Einheit, wie etwa eine Uhr, so muß die Funktion aufhören in dem Augenblick, wo ich die Einheit störe (z. B. bei der Uhr das Gewicht abhebe). Da aber die Funktion nach Fortnahme der Ganglien- zellen noch weiter geht, so kann von einer Einheit (in dem logisch allein möglichen Sinne) nicht mehr die Rede sein.

Selbstverständlieh ist die Ganglienzelle insoweit zum Reflex- vorgang nötig, als sie Leitungsweg, d. h. Durchgangspunkt von Fibrillen ist. Deshalb wäre es unmöglich (auch dann, wenn die topo- graphischen Verhältnisse es nicht verhinderten) ein analoges Experiment an Vorderhornzellen von Wirbeltieren zu machen, weil man mit Fort- nahme der Zellen alle Verbindungen zerstören würde. Eben dasselbe träfe für Hirudineen zu. Ich behaupte nur, daß die Anhäufung be-

1) Da Verworn in seinem Referat über die Neuronentheorie außer an den Stellen, die gegen meinen Versuch gerichtet sind, fast durchgehend das Wort Ganglienzelle im alten Sinne gebraucht, so scheint es mir, daß er seine Meinung über das, was als Ganglienzelle anzusehen ist, ad hoc verändert hat, sich aber in der Eile noch nicht ganz an diese neue Auffassung hat gewöhnen können. Die Ganglienzellhypothese, welche ja grade die Unterschiede zwischen den Zentren und peripheren Nerven erklären soll, hätte bei der Auffassung Verworns gar keinen Sinn, und ich hätte, wenn ich die Ganglienzellen Verworns für über- flüssig erklärt hätte, behauptet, daß das Nervensystem keine nervösen Funk- tionen hätte.

334 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen.

sonders differenzierten Plasmas und der Ganglienzellkern für den Reflexvorgang an sich unnötig ist, und ich halte dafür, daß das, was man bisher in die Ganglienzellen an sich verlegt hat, Eigenschaft der Fibrillengitter ist. Da diese häufig in den Ganglienzellen liegen (Hirudineen, sympathische Zellen u. s. w.), so sind dadurch die Ganglien- zellen manchmal sekundär (aber nicht durch ihre Zellbeschaffenheit) teflexvermittler, Tonusorgane u. s. w., kurz Zentralorgane.

Wenn man die Sonderheiten des Zentralnervensystems in die Ganglienzellen hineinverlegte, so konnte dies Verfahren nicht be- anspruchen, die Vorgänge dem Verständnis wesentlich näher gerückt zu haben. Der einzige Vorteil der Ganglienzellhypothese war der, daß sie die den Nerven fremden Erscheinungen an bestimmte Stellen der Zentralteile verlegte, und zwar an Stellen, die sich anatomisch von den Fasern stark unterscheiden. Es ist aber sehr die Frage, ob die Notwendigkeit einer strengen Lokalisation vorhanden ist und ob nicht alle derartigen Versuche mehr anatomischen als funktionell-biologischen Anschauungen entsprungen sind. Ein Hauptbeweggrund für die Auf- stellung und Verteidigung dieser Hypothese war jedenfalls das Be- dürfnis, die Erinnerungsbilder irgendwo an einem bestimmten Platz des Nervensystems unterzubringen. Dies Bedürfnis ist aber nur dann berechtigt, wenn man die Erinnerungsbilder als etwas dauernd Vor- handenes ansieht. Da man aber die Erinnerung mit gutem Recht auch als ein Geschehen ansehen kann (Bethe, 1898) und hierbei eine Einschachtelung der einzelnen Bilder gänzlich überflüssig wäre, so scheint mir ein Ersatz der Ganglienzellhypothese durch Aufweisung einer andren, streng lokalisierten und mit besonderen äußerlichen Merkmalen ausgestatteten Struktur nicht notwendig. Ich glaube, daß sich alle Eigentümlichkeiten des Zentralnervensystems ebensogut oder ebensoschlecht wie bisher verstehen lassen, wenn man das nervöse Geschehen hier wie im peripheren Nervensystem in das leitende Element, die Neurofibrillen hineinverlegt. Hilfsannahmen werden sich allerdings dabei ebensowenig vermeiden lassen, als die Ganglienzell- hypothese ohne solehe ausgekommen ist. Inwieweit solche Hilfs- annahmen zu machen sind, kann sich aber erst zeigen, nachdem das vorhandene Material kritisch besprochen und eine Anzahl neuer Be- funde beschrieben ist.

SECHZEHNTES KAPITEL. Die Reflexumkehr.

Die Reflexerscheinungen sind in den Hauptpunkten so allgemein bekannt, daß ich auf ihre Aufzählung und detaillierte Beschreibung verzichten kann. Natürlich verstehe ich unter Reflex (resp. Antikinese) alle Erscheinungen, welche durch Reizung eines Rezeptionsorgans aus- gelöst werden und nach Fortleitung des Erregungsvorganges durch Zentralteile hindurch an einem effektorischen Organ zur Beobachtung gelangen. Hierbei muB ‚Zentralteil‘“‘ im weitesten Sinne des Wortes genommen und jede Stelle als solcher angesehen werden, an der eine Überleitung von rezeptorischen Bahnen auf effektorische möglich ist. Ich würde an Stelle von Zentralteil Reflexbogen sagen, wenn nicht mit diesem Wort bereits eine sehr detaillierte und nach meiner Mei- nung unrichtige und zu spezielle Vorstellung verknüpft wäre. Als Reflexbogen sieht man nämlich in allen Lehrbüchern ein „sensibles“, an der Haut endigendes und ein motorisches mit einem Muskel ver- bundenes Neuron abgebildet, welche sich berühren. Falsch ist nach meiner Meinung an diesem Schema, daß die Erregungsleitung in das Neuron als Ganzes verlegt wird, daß die Erregungsleitung unterbrochen ist und daß die Ganglienzellen in ihm eine wesentliche Rolle spielen. Zu speziell ist diese Vorstellung, weil es bei manchen Tieren, z. B. den Medusen, Übergänge von rezeptorischen Bahnen auf effektorische gibt, bei denen der Reiz nur eine Zelle passiert.

Bei den gewöhnlichen Reflexpräparaten vom Frosch zeigen sich die Reflexe nur in einfachen Zuckungen des Schenkels (ebenso ist bei den meisten Reflexen, welche in der Pathologie eine Rolle spielen, der Vorgang eine Zuckung). Diese schnelle und rasch vorübergehende Reflexaktion, die Reflexzuekung, ist eine Eigentümlichkeit der ganz speziell modifizierten Muskulatur einiger Tierklassen (Vertebraten, Arthropoden, Schwimmglockenmuskulatur der Medusen u. s. w.). Sie findet sich überall da, wo ein schnelles Reaktionsvermögen von Vorteil ist. Bei sehr vielen andern Tieren ist die Bewegungsmuskulatur nur langsam eintretender und langsam schwindender Kontraktionen fähig; bei diesen Tieren haben auch die Reflexe stets einen mehr tonischen Charakter. Dasselbe gilt für die innere Muskulatur der Tiere, deren Bewegungsmuskulatur schneller Bewegungen fähig ist. So zeigen der Darm, der Ureter, die Iris und andre Organe nur tonische Reflexe. Während die schnelle Muskulatur auf Momentanreize reflektorisch relativ gut reagiert und auf Dauerreize, besonders auf schwache, bald

336 Die Reflexumkehr.

die Funktion einstellt, reagiert die Tonusmuskulatur auf reflektorische Momentanreize (wie auch direkt) nur in geringem Maße oder gar nicht, auf Dauerreize dagegen, auch wenn sie schwach sind, stark und an- dauernd. Die andern effektorischen Organe, vor allem die Drüsen schließen sich in ihrem Verhalten der Tonusmuskulatur an. (Im Ge- biet der schnellen Muskulatur treten auch tonische Erscheinungen zu Tage, doch spielen sie hier eine geringere Rolle.)

Man war bis jetzt ziemlich allgemein der Ansicht, daß ein und derselbe auf bestimmte Nervenendigungen wirkende Reiz nur immer ein und denselben Effekt auszulösen imstande sei. Wenn man z. B. auf eine Zehe eines ruhig dasitzenden Frosches einen gelinden Druck einwirken läßt, so findet zunächst nur eine leichte Zuekung in den Beinmuskeln statt. Wird der Reiz verstärkt, so kommt es zu einem Sprung, wenn er größer ist, zu einer Reihe von Sprüngen. Bei sehr starker Erregung kann dieselbe eventuell auf andre Systeme über- greifen, es können Augenbewegungen und andre Erscheinungen hinzu- treten, aber nie kommt es zu Erscheinungen, die dem Effekt schwacher Reizung grade entgegengesetzt sind. Bei Steigerung der Reizstärke findet hier also nur eine Steigerung des Effektes statt, aber keine qualitative Veränderung der Erscheinung. Dies ist nun nicht bei allen Tieren der Fall. Es wurde nämlich von Uexküll (1896, 1899 und 1900) gefunden, daß schwache und starke Reize bei Seeigeln dia- metral entgegengesetzte Effekte auszulösen imstande sind. Dieselben werden von ihm als die starke und schwache Form des Reflexes bezeichnet.

Wie schon oben erwähnt, sind auf der gewölbten Körperoberfläche dieser Tiere mehrere Arten von beweglichen Organen in großer An- zahl angebracht. Die auffallendsten, welche den Tieren auch zu ihrem Namen verholfen haben, sind die Stacheln, welche mit Kugel- gelenken der Schale inseriert sind und durch einen doppelten Mantel von Muskulatur nach allen Seiten bewegt werden können. Zwischen diesen stehen die Pedicellarien. Dies sind dreigliedrige Zangen, welche an Stielen befestigt sind, die ihrerseits wieder auf Kugelgelenken im Verhältnis zur Schale bewegt werden können. Morphologisch und physiologisch sind die Pedicellarien untereinander nicht gleichwertig; bei den meisten Arten lassen sich leicht vier Arten unterscheiden, welche v. Uexküll als Giftzangen, Klappzangen, Beißzangen und Putz- zangen bezeichnet (zoologisch werden sie als gemmiforme, tridaktyle, ophieephale und trifoliate Pedicellarien unterschieden). Zu diesen effektorischen Organen kommen noch die Saugfüsse, auf die ich hier nicht weiter eingehen will. Mit Ausnahme der Giftzangen besitzen alle diese, reflektorisch ziemlich voneinander unabhängigen Organe die schwache und starke Form des Reflexes. Am leichtesten läßt sich

Die Reflexumkehr. 337

das für die Stacheln zeigen: Reizt man eine Stelle der Seeigelhaut mechanisch, so neigen sich die Stacheln der Umgebung der Reizstelle zu. Je weiter ein Stachel von der Reizstelle entfernt ist, desto schwächer ist seine Bewegung, und in einiger Entfernung tritt über- haupt keine Reaktion mehr ein. Das Dekrement, das die Erregung im Nervennetz erfährt, ist also sehr groß. Bringt man jetzt an die- selbe oder eine andre Stelle einen Tropfen verdünnter Essigsäure, so fahren die Stacheln auseinander, neigen sich also vom Reizort fort. Man könnte zunächst daran denken, daß hier eine spezifische Wirkung der verschiedenen Reize auf gesonderte Endorgane vorliegt; das ist aber nicht richtig. Benutzt man nämlich statt der Essigsäure eine dünne Ammoniaklösung, so tritt wie beim mechanischen Reiz der positive Effekt (der schwache Reflex Hinneigung zum Reizort) ein, ist die Ammoniaklösung stärker, so tritt der negative Effekt, der starke Reflex (Fortneigung vom Reizort) auf. Noch deutlicher ist dies bei tetanischer Reizung: Leichte Tetanisation einer Hautstelle wirkt wie ein mechanischer Reiz, starke Tetanisation wie Essigsäure. Bei Rei- zung mit dem konstanten Strom tritt an der Anode der schwache, an der Kathode der starke Reflex ein. Mechanischer Reiz wirkt stets als schwacher Reiz, die Applikation gewisser Chemikalien stets als ‚starker Reiz (z. B. Essigsäure); bei Anwendung andrer chemischer Reize, z. B. von Ammoniak, erhält man bei schwacher Konzentration den schwachen Reflex, bei starker Konzentration den starken Reflex.

Wie die Untersuchung der Pedicellarien gelehrt hat (Uexküll, 1899) ist bei diesen (untereinander und im Verhältnis zu den Stacheln) die Schwelle, an der der schwache Reflex in den starken umschlägt, sehr verschieden hoch gelegen. Bei den Klappzangen tritt der schwache Reflex schon bei ganz leichten mechanischen Reizen (Anbranden- einer kleinen Welle) ein; ein etwas stärkerer mechanischer Reiz (Berühren der Haut) ruft schon die starke Form des Reflexes hervor. An den Beißzangen tritt der schwache Reflex erst bei den mechanischen Reizen ein, welche die Klappzangen schon vertreiben, aber auch bei diesen tritt der starke Reflex noch im Bereich mechanischer Reize (desto mehr natürlich bei chemischen Reizen) auf, wenn sie nämlich heftig sind. Die Stacheln zeigen, wie schon gesagt, die starke Form des Re- flexes auch bei stärksten mechanischen Reizen nicht, dagegen bei ge- wissen chemischen und elektrischen Reizen. Für die Giftzangen tritt die schwache Form des Reflexes erst bei chemischer Reizung auf und ist durch Verstärkung des Reizes nicht zum Umschlag zu bringen. (Inter- essant ist es, daß Arbacia, welche des Schutzmittels der Giftzangen entbehrt, keinen starken Stachelreflex besitzt. Die Stacheln sind ihr einziger Schutz; würden sie auf irgend einen Reiz auseinanderfahren, so würde die Haut allen Angriffen ungeschützt gegenüberstehen.

3ethe, Nervensystem, 22

338 Die Reflexumkehr.

Leider muß ich es mir versagen auf die speziellen Befunde Uexkülls einzugehen, welche einen so tiefen Eimblick in das Leben dieser teflexrepubliken gewähren, wie wir ihn von kaum einer andren Tierart besitzen.)

Zum Verständnis der schwachen und starken Reflexform sind andre Befunde v. Uexkülls von großer Wichtigkeit. Es zeigte sich nämlich, daß bei beiden Formen die gleichen Teile der die Stachelbasen umgebenden radiär angeordneten Muskeln in Funktion treten. Ein Infunktiontreten der Antagonisten ist zwar nicht ausgeschlossen, aber es geht jedenfalls ohne dem: Wie aus ‘anatomischen Untersuchungen hervorgeht, ist jeder Stachel an seiner Basis von einem aus Nerven- fasern und Zellen bestehenden Ring umgeben, der mit dem allgemeinen Nervennetz der Haut in Verbindung steht. Jeder Stachel besitzt da- durch seine eignen Reflexzentren, so daß auch ein kleines Stück Schale mit einem einzigen Stachel alle Erscheinungen zeigt. Wird nun an einem solchen Schalenstück die Stachelbasis durch mehrere Radiärschnitte, welche bis auf das Kalkgerüst herabgehen und auf der Schale weitergeführt werden, in mehrere Sektoren zerlegt, so werden dadurch auch die nervösen Verbindungen ‚zwischen den einzelnen Sektoren aufgehoben. Wird jetzt an einem der Abschnitte an der Schale ein mechanischer Reiz angesetzt, so neigt sich der Stachel der Reizstelle wie normal zu. Das ist nicht weiter erstaunlich, weil man den Reflex so wie so auf eine Kontraktion der Stachelmuskulatur zurückführen würde, welche der Reizstelle zunächst liegt. Wird nun aber in derselben Weise ein chemischer Reiz angesetzt, so tritt auch wie normal der starke Reflex ein, d. h. Fortneigen von der Reizstelle. Da der Reiz zur andern Seite nicht gelangen kann, so kann der Effekt nur darauf beruhen, daß der Tonus der dem Reizort zunächst gelegenen Muskelpartie gesunken ist (über den Tonus: Kapitel 20). Es werden also‘ durch die verschieden starken Reize dieselben Muskeln in entgegengesetzter Weise beeinflußt. (Auf direkter Muskelwirkung kann der Effekt des zweiten Versuchs nicht beruhen, da alle die Sub- stanzen, welche auf die Seeigelmuskulatur direkt wirken, immer nur zu einer Tonussteigerung führen. Das Nervensystem ist also bei der starken Form des Reflexes beteiligt.)

Die Tatsache, daß bei mechanischer Reizung einer Hautstelle sich die Stacheln der Umgebung zur Reizstelle hinneigen (dann auch die Erscheinung der „Reflexverkettung“, auf die ich später zu sprechen komme), hat Uexküll zu der Annahme veranlaßt, daß in der Haut nicht nur ein Nervennetz existiert, sondern deren mehrere, welche von- einander isoliert, die gleichseitigen Muskelpartien der Stacheln mit- einander verbinden, so daß also z. B. alle linken und alle rechten, alle oberen und alle unteren Radiärmuskeln der Stacheln miteinander

Die Reflexumkehr. 339

in Verbindung stehen. Ohne Zweifel ist auf diese Weise die Erklärung der Erscheinungen am leichtesten zu bewerkstelligen. Es wird dabei aber eine Kompliziertheit des anatomischen Aufbaus vorausgesetzt, welehe nicht ganz berechtigt erscheint, wenn man die Verhältnisse bei andern anatomisch besser bekannten Tieren in Betracht zieht. Bei manchen Medusen (Carmarina), bei denen sicher nur ein einziges Nervennetz existiert, kommen Reflexe vor, die mit dem Hinneigen der Stacheln zur Reizstelle eine große Ähnlichkeit besitzen; es ist das das Hinfahren des Magenstiels zu einer berührten Stelle der Subumbrella. Ich glaube, daß sich dieses Verhalten auch ohne bestimmte Bahnen dadurch erklärt, daß der Reiz, welcher sich im Nervennetz diffus aus- breitet, diejenigen Muskelteile des Magenstiels am stärksten trifft, welche mit der Reizstelle auf dem gleichen Radius liegen. Auf die- selbe Weise dürfte sich das Hinneigen der Stacheln zum Reizort er- klären lassen: Wenn alle Stacheln und überhaupt alle Organe der Oberfläche nur durch ein einziges Nervennetz verbunden sind, so wird jeder von einer Stelle des Netzes ausgehende Reiz diejenigen Teile der Muskulatur jedes Stachels am stärksten treffen, welche dem Reizort am nächsten liegen.

Die Verschiedenheit zwischen schwacher und starker Reflexform erklärt Uexküll mit Zuhilfenahme einer besonderen Einrichtung der Zentralteile, eventuell der Ganglienzellen, welche er Tonusschalter nennt. Tritt der Tonusschalter in Funktion, so tritt Ruhen des Er- regungsprozesses ein und diese Ruhe ist gleichbedeutend mit Tonus- fall. (Als physikalisches Vergleichsobjekt dient das Pedal eines Klaviers.) Der Tonusschalter wird durch den im Nerven ablaufenden Prozeß selber in Tätigkeit gesetzt und hindert diesen, wenn ich recht verstehe, bis zu den betreffenden Muskeln vorzudringen. Je nach Art des innervierten effektorischen Organs, ist das Eintreten der Schaltung auf eine geringe oder starke Erregung eingestellt. An und für sich tritt also auf jeden Reiz Tonussteigerung ein, wird der Tonus- schalter aber durch die starke Erregung selber erregt, so wird der Reiz wirkungslos durch diesen.

Uexküll ist sich wohl bewußt, daß es sich hier nur um einen Vergleich handeln kann, der das muß zugegeben werden aller- dings imstande ist, die merkwürdige Erscheinung vorstellbar zu machen. Wäre nicht auf diese Weise eine neue merkwürdige Qualität in das Nervensystem hineinverlegt, so würde ich mich mit Uexkülls Auffassung zu befreunden versuchen; da es mir aber darauf ankommt, die Eigen- schaften des Nervensystems möglichst einfach zu fassen und mit den Erklärungen möglichst auf dem Boden bekannter Erscheinungen zu bleiben, so will ich hier eine Erklärung zu geben versuchen, die sich auch bei andern Gelegenheiten als brauchbar erweisen dürfte.

22%

340 Die Reflexumkehr.

Ich habe es oben wahrscheinlich zu machen gesucht, daß wir im Nerven zwei Prozesse anzunehmen haben (wie dies auch schon in etwas andrer Weise Hering ausgesprochen hat), nämlich eine Phase, welche relativ schnell eintritt und in einer wellenförmig sich aus- breitenden Affinitätserhöhung zwischen Fibrille und Fibrillensäure mit gleichzeitiger Negativität der betreffenden Stelle besteht, und eine zweite langsam sich entwickelnde, restitutorische Phase, bei welcher die Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure vermindert ist. Man wird die erste Phase als die erregende ansehen müssen, ist aber berechtigt, auch der zweiten Phase eine Wirkung auf die innervierten Organe, also in diesem Fall auf die Muskeln, einzuräumen. Wenn die erste Phase erregend wirkt, so wird die zweite Phase, da sie entgegen- sesetzter Natur ist, hemmend wirken können, also dort, wo es sich um Tonusmuskulatur handelt, tonuslösend. Es steht nun der Annahme nichts im Wege, daß der Muskel bei dauerndem Wechsel beider Phasen, wie wir einen solchen bei allen Dauerreizen (mechanischen und vor allem chemischen) voraussetzen können, verschieden reagiert, je nachdem die Phasen stark oder schwach sind. Es ist denkbar, daß bei schwachem Reiz die erste Phase wirksamer ist, bei starkem die zweite. Die Stärke des Reizes, bei welcher die zweite Phase die erste an Wirksamkeit übertrifft, wird natürlich wesentlich von der Natur des Muskels abhängig sein. Man würde also das frühe Auf- treten des starken Reflexes bei den Klappzangen darauf zurückführen, daß ihre Muskulatur leichter auf die zweite Phase reagiert als z. B. die Muskulatur der Stacheln. Bei dieser Auffassung ist es nicht mehr als natürlich, daß es Muskulaturen gibt, bei denen ein Über- wiegen der zweiten Phase unter gewöhnlichen Verhältnissen nie zum Ausdruck kommt (Bewegungsmuskulatur der Wirbeltiere, Stachel- muskulatur von Arbacia u. s. w.). Daß es gestattet ist, derartige Unterschiede in die Muskulatur zu verlegen, folgere ich vor allem aus den interessanten Befunden, welche Biedermann (1888) an der Krebs- schere gemacht hat. Es lassen sich auch Beispiele anführen, wo ohne Zweifel bei Veränderung der Proportion und Stärke zweier zu- sammeneinwirkender Reize der Effekt sich ändert. Ich erinnere hier nur an den Dichroismus: Durch eine dünne wie durch eine dickere Schicht von Chlorophylllösung gehen sowohl rote wie grüne Strahlen hindurch, wie die spektroskopische Untersuchung lehrt. Durch die dieke Schieht geht weniger grünes und weniger rotes Licht durch, aber verhältnismäßig weniger grünes als durch dünne Schichten. Sehen wir durch die dünne Schicht, so haben wir eine reine Grün- empfindung, sehen wir durch die dieke Schicht, so haben wir +eine Rotempfindung, trotzdem nur eine Verschiebung im Mengenverhältnis der roten und grünen Strahlen vorliegt.

Die Reflexumkehr. 341

Die Seeigel sind nun durchaus nicht die einzigen Tiere, bei denen sich eine Reflexumkehr konstatieren läßt; die Erscheinung dürfte viel- mehr eine ziemlich häufige sein, nur läßt sich in vielen andern Fällen nieht sicher entscheiden, ob nicht bei der stärkeren Reizung andre rezeptorische Elemente getroffen werden wie bei der schwachen. In einigen Fällen dürfte dies allerdings ausgeschlossen sein. Derartige Fälle glaube ich in einer Anzahl von sogenannten Tropismen sehen zu dürfen, bei denen häufig bis zu gewissen Reizstärken ein positiver Effekt zu beobachten ist, der dann bei stärkerem Reiz ins Gegenteil umschlägt. Sehr ähnlich den Stachelreflexen der Seeigel scheint mir das Verhalten der Scheren von Krebsen zu sein (Careinus, Cancer, Astacus). Wenn man an die Innenseite der geöffneten Schere einen Gegenstand bringt, so klappt die Schere zusammen und bleibt lange geschlossen. Benutzt man als berührenden Gegenstand die eine Branche einer stählernen Schere, so wird wie sonst die Krebsschere geschlossen. Drückt man jetzt die Stahlschere zu, wobei es nicht einmal nötig ist ein Stück von der Krebsschere abzuschneiden, so öffnet sich die Krebs- schere auf diesen starken Reiz hin sofort. Dasselbe läßt sich bei tetanischem Reiz erreichen: Bringt man die bis auf die Spitzen mit Lack überzogenen Nadelelektroden so zwischen die geöffnete Krebs- schere, daß kein Ast derselben berührt wird (das Versuchstier liegt in flachem Wasser) und läßt nun bei mäßigem Rollenabstand den Induktionsapparat gehen, so wird die Schere geschlossen. Verstärkt man den Strom plötzlich, so wird die Schere sofort geöffnet. Ich glaube kaum, daß diese Erscheinung dureh Reizung verschiedener rezeptorischer Fasern, von denen die einen einen Schließungsreflex, die andern einen Öffnungsreflex hervorrufen, wird erklärt werden müssen, sondern ich bin der Ansicht, daß hier beidemal ein und die- selben Fasern gereizt werden, daß hier also eine schwache und eine starke Reflexform vorliegt.

SIEBZEHNTES KAPITEL.

Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungs- verzögerung in denselben.

Seitdem durch Bell, Magendie und viele spätere Untersucher fest- gestellt ist, daß die hinteren Rückenmarkswurzeln sensibel, die vor- deren motorisch sind, besteht für diese Tiere das Gesetz von der Leitungsirreziprozität des Zentralnervensystems, wenn es auch nicht gleich in voller Schärfe aufgestellt worden ist. Die allein motorische Funktion der vorderen Wurzeln konnte ja nur dann erschlossen werden, wenn Irreziprozität bestand; bestände keine, so würde die Reizung des zentralen Stumpfes einer vorderen Wurzel Reflexzuckung ergeben und nur aus der Tatsache, daß hierbei Reflexzuckungen ausbleiben, wurde darauf geschlossen, daß sie frei von zentripetalleitenden Fasern seien. Der konsequente Schluß aus den Resultaten der Wurzel- reizung und Wurzeldurchschneidung, daß nämlich nur die Erregungen das Zentralnervensystem durchsetzen, welche auf dem Wege zentri- petaler (sensibler, rezeptorischer) Fasern eintreten, daß also die Leitung einseitig ist, wurde, so weit ich sehe, zuerst von Joh. Müller ge- zogen. Um zu sehen, ob die Einseitigkeit der Leitung wirklich absolut oder nur relativ ist, vergiftete Joh. Müller Frösche mit Opium und durchschnitt ihnen dann die hinteren Wurzeln. Wenn dann die Reflexerregbarkeit so stark gestiegen war, daß schon bloßes Er- schüttern heftige Bewegungen hervorrief, dann reizte er den frei- gelegten Ischiadieus der operierten Seite durch Zerschneiden mecha- nisch, erhielt aber trotz der großen Empfindlichkeit der Frösche und trotz des starken Reizes keine Reflexaktion. Dadurch war es be- wiesen, daß die motorischen Fasern absolut nicht imstande sind, einen ihnen zugeführten Reiz durch das Zentralnervensystem hindurch auf andre motorische Bahnen zu übertragen.

Der Müllersche Versuch ist dann später von verschiedenen Seiten mit dem gleichen Erfolg wiederholt worden (besonders unter An- wendung von Stryehnin). Hermann (1896, 1900) und unabhängig von ihm Bernstein (1898) haben die Irreziprozität der Leitung durch Zuhilfe- nahme der negativen Schwankung bestätigt: Bei Reizung einer hinteren Wurzel wurde negative Schwankung an vorderen Wurzeln erhalten, aber nicht umgekehrt.

So sicher der Irreziprozitätssatz für die Wirbeltiere, wenigstens für ihr zentralisiertes Nervensystem gilt, so kann ich ihn doch vor-

Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 343

läufig nicht als ein allgemeines Gesetz anerkennen, allerdings auch nicht das Gegenteil beweisen. Bei allen wirbellosen Tieren existieren, soviel ich weiß, nur wenige Beispiele für rein rezeptorische Nerven und kein einziges für einen rein motorischen Nerven. D.h. es sind bisher bei diesen Tieren keine Nerven bekannt, deren zentraler Stumpf bei der Reizung nicht Reflexzuckungen auslöste. Hier ist also ein Beweis für die einseitige Leitung nicht zu erbringen. Bei den richtigen Nervennetzen, wie wir sie z. B. bei den Medusen finden, scheint es mir höchst wahrscheinlich, daß sie in jeder beliebigen Richtung zu leiten imstande sind, und ich werde weiter unten über Befunde von Uexküll berichten, welche wohl kaum anders, als durch die An- nahme einer reziproken Leitung der Seeigelzentren zu erklären sind. Wenn nun auch wirklich die Irreziprozität eine Sonderheit der Wirbel- tiere sein sollte, so würde dies die Physiologie nicht der Aufgabe überheben, dieselbe verständlich zu machen. Inwieweit ist ein solches Verständnis durch die bisherigen Anschauungen erreicht worden ? Als eine wirkliche Erklärung ist die Anschauung von Wundt (1876) anzusehen. Er nimmt an, daß die Ganglienzellen aus zwei Zonen bestehen, einer peripheren, welcher die Reize zugeführt werden, und einer zentralen, welche die Reize latent macht und nur auf wieder- holte oder sehr starke Reize das Latentgewordene durch den Achsen- zylinder abgibt. (Durch diese Einrichtung findet bei Wundt auch die Verzögerung der Leitung und die Summation ihre Erklärung.) Leider baut sich diese Ansicht auf frühere Annahmen auf, die sicher un- richtig sind, so daß ihre weitere Erörterung überflüssig erscheint. Seit die Neuronentheorie in Aufnahme gekommen ist, glaubt man merkwürdigerweise in ihr den Schlüssel zur Erklärung der Irrezi- prozität gefunden zu haben. Man meint nämlich die Ursache der ein- seitigen Leitung an die Stelle legen zu können, wo nach der Neu- ronentheorie nur Kontakt besteht. Ohne eine weitere besondere ventil- artige Einrichtung an dieser Stelle wäre aber bei bestehender, bloßer Berührung eine doppelsinnige Leitung der Zentralteile grade so selbst- verständlich, wie bei einfacher Kontinuität einer nach beiden Seiten leitenden Substanz. Wenn ich in dem oft angewandten Bilde sich ladender Konduktoren bleibe: Der Funke springt grade so gut von einer Kondensatorkugel zur andern, wie von der andern zur ersten.') Ich kann also durchaus nicht zugeben, daß die Konti- Suitätstheorie in diesem Punkt den geringsten Vorzug vor der Kontinuitätslehre hat. Sie muß ebenso wie diese Hilfsannahmen machen, um den Tatbestand zu

1) Zum Vergleich mit der Entladung zwischen einer Spitze und einer Kugel fehlen die anatomischen Vorbedingungen.

344 Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben.

erklären; da nun aber, wie oben gezeigt, alle neueren anatomischen Untersuchungen eine Kontinuität des leitenden Elements höchst wahr- scheinlich machen und bei manchen Objekten mit Sicherheit beweisen, so kann wirklich nicht mehr dieser angebliche Vorzug für die Neu- ronentheorie ins Feld geführt werden. (In sehr klarer Weise hat bereits Schenk ausgeführt, daß die allgemeine Nervenphysiologie durch die Neuronentheorie nichts gewonnen hat.)

Wenn man auf Grund der Irreziprozität einen Gegensatz zwischen peripheren Nerven und Zentralteilen aufstellt, so sieht man es als selbstverständlich an, daß der periphere Nerv nach beiden Seiten hin gleich gut leitet. Der Satz der doppelsinnigen Leitung wurde auf verschiedene Weise zu beweisen gesucht; von den vielen Versuchen, die zu seiner Sicherung angestellt sind, haben sich die allermeisten als nicht beweisend erwiesen (Paul Berts Ratte, Verheilungsversuche zwischen motorischen und sensiblen Nerven). Als gültige Beweise werden im allgemeinen nur die Fortpflanzung der negativen Schwankung nach beiden Seiten und der Kühnesche Zweizipfelversuch angesehen.

Die Untersuchung der negativen Schwankung an beiden Enden eines gemischten Nerven hat natürlich gar keine Beweiskraft. An rein motorischen oder rein rezeptorischen Nerven sind aber, so viel mir bekannt, nur wenige Versuche angestellt (z. B. Kühne). Sie ergaben, daß die negative Schwankung nach beiden Seiten verläuft. Dasselbe wurde von Pereles und Sachs bei der Reizung des Ischiadieus und Ableitung von der motorischen Wurzel und bei Reizung der sensiblen Wurzeln und Ableitung vom Ichiadieus konstatiert. Eine quantitative Vergleichung hat aber bisher niemand unternommen. Es wäre nun doch sehr gut möglich, daß ein Dekrement in der Richtung der nor- malen Leitung ganz fehlte, während in der unnatürlichen Richtung ein starkes Dekrement vorhanden wäre. Um die doppelsinnige Leitung als absolut hinzustellen, hätte man erst zu zeigen, dab sich die negative Schwankung in reinen Nerven nach beiden Seiten hin mit gleicher Stärke ausbreitet. Mir scheint einiges dafür zu sprechen, daß dies nicht der Fall ist. Hierbei habe ich vor allem die von du Bois-Reymond entdeckten und von Mendelsohn (1885) weiterunter- suchten Achsialströme im Auge, welche doch zu beweisen scheinen, daß ein Unterschied zwischen dem Ende, nach dem ein Nerv physio- logisch hinleitet, und dem Ende, von dem er fortleitet, existiert. (Leitet man von beiden Querschnitten einer motorischen oder sensiblen Wurzel, eines Muskelnerven, eines Optieus oder Olfactorius zum Galvanometer ab, so bekommt man einen Strom, der nach Mendelsohn der physio- logischen Leitungsrichtung entgegengesetzt ist.)

Der Zweizipfelversuch ist, wie Kühne (1586) selbst ausgeführt hat, nur unter gewissen Voraussetzungen beweisend für die doppel-

Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 345

sinnige Leitung. Wenn man nämlich die Neurofibrillen als das Lei- tende ansieht, wofür (wie Kühne schon damals meinte) viel spräche, dann wäre der Versuch nur dann beweisend, wenn die Fibrillen selber sich an den Teilungsstellen der Nervenfasern teilten. Es könnte aber auch Fibrillen geben, welche an den Teilungsstellen der Nervenfasern von einem Muskelzipfel zum andern verliefen und gewissermaßen inter- muskuläre Bahnen bildeten. Ich habe diese Frage vor einigen Jahren zur histologischen Bearbeitung vergeben, doch stellten sich einer sicheren Entscheidung bisher unüberwundene, technische Schwierig- keiten in den Weg. Die Beweiskraft des Zweizipfelversuchs bildet also noch eine schwebende Frage. Nehmen wir aber an, daß wirkliche rückläufige Leitung vorliegt, so ist auch hier über die quantitativen Verhältnisse nichts gesagt.

Wenn ein Dekrement der Erregungsleitung entgegen der natür- lichen Leitungsrichtung überhaupt existiert, so steht der Annahme nichts im Wege, daß es sich wesentlich vergrößert, wenn die Fibrillen sich teilen, wie dies sicherlich im Zentralnervensystem geschieht. Der Grund hierfür ist leicht einzusehen. Man kann sich vorstellen, daß das Dekrement beim Übergang auf immer weitere Teilungen so stark wird, daß eine rückläufige Leitung (von motorischen Fasern auf sen- sible oder andre motorische) unmöglich gemacht wird. In der normalen Leitungsrichtung, wo das Dekrement fehlen würde, würde dagegen einer Ausbreitung des Reizes nichts im Wege stehen. Diese Erklärung würde natürlich durch eine andre zu ersetzen sein, wenn neue Unter- suchungen zeigen würden, daß ein solches Dekrement im Nerven nicht zu konstatieren ist. Übrigens halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß die Irreziprozität nur habituell ist.

Die Leitungsverzögerung in den Zentralteilen.

Die Geschwindigkeit der Nervenleitung in den markhaltigen Ner- venfasern, welche zu quergestreiften Muskeln führen, beträgt nach den Messungen von Helmholtz beim Frosch ungefähr 27 m in der Sekunde (bei Zimmertemperatur). Beim Menschen ist die Geschwindig- keit größer. Ungleich geringere Zahlen wurden aber bei marklosen Nerven gefunden. Frederieq und Vandervelde fanden beim Hummer- nerven nur eine Geschwindigkeit von 6—8 m, Uexküll (1894) bei Eledone von 0,4—1 m, Nicolai (1901) beim Olfactorius vom Hecht 0,06— 0,24 m, und Fick (1863) schätzt die Leitungsgeschwindigkeit der Kommissurnerven von Anodonta nur auf 0,01 m in der Sekunde. Die Unterschiede der Leitungsgeschwindigkeit sind also außerordentlich groß und zwar nieht nur bei den verschiedenen Tierarten, sondern auch bei den verschiedenen Nerven ein und desselben Tieres. Auch innerhalb ein und desselben Nerven sollte nach Befunden von Munk

346 Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben.

und Rosenthal die Leitungsgeschwindigkeit an verschiedenen Stellen verschieden groß sein; doch scheint dies nach den umfangreichen Messungen von R. du Bois-Reymond (1900) nicht zutreffend zu sein. Wenn nun vielleicht auch die Leitungsgeschwindigkeit in den rezep- torischen Nerven eines Tieres nicht so groß ist, wie in den motorischen, wie dies Helmholtz, Wundt, Exner und andre in ihren Versuchen angenommen haben, so tritt dieser Fehler doch ganz gegenüber der großen Leitungsverzögerung zurück, welche sich beim Reflexprozeß in den Zentralteilen herausgestellt hat.

Die ersten derartigen Versuche wurden von Helmholtz (1859) in der Weise angestellt, daß er bei einem dekapitierten und stryehninisierten Frosch sensible Nerven reizte und die Latenz maß, welche zwischen Reizmoment und Zuckung eines schreibenden Muskels vergeht. Zum Vergleich wurde der motorische Nerv direkt gereizt und die Differenz der Latenzzeiten berechnet. Sie ergab sich zu "/,—"/. Sekunde. „Die Übertragung der Reizung im Rückenmark“ nimmt danach „eine mehr als zwölfmal so große Zeit in Anspruch, als die Leitung in den betreffenden sensiblen und motorischen Nerven“.

Exner (1874) suchte die Reflexzeit beim Menschen zu bestimmen und benutzte den Lidschluß des Menschen als Reflexzuckung. An dem Lide des einen Auges war ein Hebel angebracht, welcher die Bewegung auf der Kymographiontrommel aufzeichnete. Das Lid des andren Auges wurde durch einzelne Induktionsschläge gereizt, und der Reizmoment ebenfalls markiert. Bei einem Rollenabstand von 9 em betrug die Reflexdauer im Mittel 0,0662’, bei einem Rollenabstand von 5 em nur 0,0578’. Exner nimmt für die Länge der Leitungs- bahnen, welche diesen Reflex vermitteln, 35 em an; bei einer Leitungs- geschwindigkeit von 32 m in der Sekunde würden für diese Strecke 0,0057" verbraucht. Die Muskellatenz nimmt er halb so groß an wie beim Frosch, nämlich zu 0,005”. Zieht man diese Zeitmengen von den gefundenen Reflexzeiten ab, so bekommt man als „reduzierte Reflexzeit“ d. h. als diejenige Zeit, welehe der eigentliche zentrale Vorgang in Anspruch nimmt, 0,047—0,055”. Diese Zeiten sind aber jedenfalls für den einfachen Reflexprozeß zu groß, denn sie sind schon beim Frosch geringer (siehe unten). Erstens ist eine gewisse Latenzzeit der Rezeptionsorgane der Haut anzunehmen, zweitens ist eine Überleitung von rechts nach links nötig, und diese nimmt ebenfalls mehr Zeit in Anspruch als reine Nervenleitung.

Am genauesten ist die Reflexzeit von Wundt (1876) in einer konsequent durchgeführten Versuchsreihe untersucht worden. Wundt benutzte Reflexpräparate vom Frosch; der Gastroenemius einer Seite übertrug seine Bewegung auf das Pendelmyographion; auf der gleichen Seite waren die Wurzeln freigelegt, und sowohl die motorische Wurzel,

Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 347

von welcher der Gastroenemius innerviert wird, als auch eine gleich- seitige, dicht benachbarte hintere Wurzel waren mit Elektroden armiert. Die Reizung der motorischen Wurzel gab eine direkte Zuckung (Ver- gleichszuckung), die der sensiblen Wurzel eine indirekte, reflektorische Zuckung. Es wurde nun die Latenzzeit bei direkter Reizung von derjenigen bei indirekter Reizung abgezogen und so die Reflexzeit ermittelt. Einen wirklichen Schluß auf die Reflexzeit lassen die Kurven nur dann zu, wenn beide Kurven gleich hoch sind; da nun zum reflektorischen Effekt stärkere Reize nötig sind, so muß der Reiz für die vordere und hintere Wurzel in jedem Versuch gut abgestuft werden. Die totale Latenz (vom Reizmoment bis zum Anfang der Reflexzuckung) betrug 0,025 —0,050 Sekunden; für die eigentliche Reflexzeit ergab sich (nach Abzug der Latenz bei direkter Reizung) ein Wert von 0,008—0,015”. Wird der Reiz für beide Reizpunkte verstärkt, so wird die totale Latenz sowohl für die direkte, wie für die reflektorische Zuekung verkürzt, die Differenz beider, d.h. die eigentliche Reflexzeit, bleibt aber ziemlich gleich.

Die Schnelligkeit, mit der der Muskel auf den ihm vom Nerven zugeführten Reiz reagiert, ist zum großen Teil abhängig von der Stärke des zugeführten Reizes. Nach den Untersuchungen von v. Vintschgau wird aber auch die Geschwindigkeit der Nervenleitung mit zunehmender Reizstärke größer. Eine Folge dieser beiden Faktoren ist, daß bei ungenügender Abstufung beider Reize im Reflexversuch eine Differenz zwischen der totalen Latenz bei direkter und indirekter Reizung entstehen kann, welche der eigentlichen Reflexzeit nicht ent- spricht. Wundt nennt diese Zeit die Differenzzeit. Ist der direkte Reiz stark, der reflektorische Reiz schwach, wobei die Reflexkurve niedriger ausfällt, als die Vergleichskurve, dann ist die Differenz- zeit größer als die Reflexzeit. Im umgekehrten Fall wird sie kleiner, und es gelang Wundt in einigen Fällen die Differenzzeit nicht nur gleich Null, sondern sogar negativ zu machen. Wenn man also jede Differenz zwischen Vergleichszuekung und Reflexzuckung als Reflex- zeit ansehen würde, dann würde man zu dem Paradoxon gelangen, daß der Reflexvorgang unter Umständen schneller abläuft, als der Reiz gebraucht, um von der motorischen Wurzel bis zum Muskel zu gelangen. Man sieht also, mit welchen Schwierigkeiten es verknüpft ist, die wirkliche Reflexzeit zu ermitteln, und es erscheint möglich, daß den Bestimmungen Wundts wesentliche Fehler anhaften, indem ja seine Annahme, daß bei Kurvengleichheit die Differenzzeit der wirk- lichen Reflexzeit entspräche, nicht absolut zwingend ist. Das wird man aber jedenfalls zugeben müssen, daß die Reflexzeit mehr Zeit in Anspruch nimmt, als bei einfacher Leitung in parallelfaserigen Nerven der Fall sein würde, und ich will die Wundtschen Zahlen als

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im wesentlichen richtig hinnehmen, d.h. etwa '/,,.. Sekunde als Ver- zögerung beim einfachen Reflex des Frosches.

Da der Reiz beim Reflexvorgang, wie der Ursprung motorischer Nervenfasern aus den motorischen Vorderhornzellen lehrt, durch Gan- glienzellen hindurch muß, so wurde die Ursache der Verzögerung in die Ganglienzellen hineinverlegt. Wir wissen jetzt, daß der Reiz aber auch durch ein Fibrillengitter hindurch muß, um von der rezeptorischen Bahn auf die effektorische zu gelangen, und da die spezifische Be- teiligung der Ganglienzellen an den Reflexvorgängen nach meinen Versuchen höchst zweifelhaft ist, so werden wir auch die Ursache der Verzögerung in das Gitter hineinverlegen und annehmen, daß der Leitungsprozeß hier einen Widerstand erfährt. Daraus ergibt sich als Konsequenz, daß der Widerstand wächst, wenn die Reizwelle mehrere Gitter zu durchsetzen hat. Die Verzögerung wird noch größer werden, und der auslösende Reiz stärker sein müssen. Daß dies richtig ist, zeigen Experimente, welche unter dem Einfluß der Ganglienzell- hypothese angestellt sind, und welche unter anderm beweisen sollten, daß die Verzögerung größer ist, wenn mehrere Ganglienzellen durch- setzt werden müssen. Da nun Gitter und Ganglienzellen immer in enger Beziehung zueinander stehen, so gelten die auf die Ganglien- zellhypothese stimmenden Versuche grade so gut für die Fibrillen- gitterhypothese.

Wundt (1876) verglich die Dauer der einfachen Reflexzuckung (beim Frosch) mit der gekreuzten Reflexzuekung und derjenigen bei Längsleitung. (Eine sensible Wurzel der linken Seite wurde gereizt und die Bewegung des gekreuzten Gastrocnemius aufgeschrieben. Zum Vergleich wurde eine sensible Wurzel der rechten Seite gereizt. Im andern Falle wurde ein Reiz am rechten Vorderarm angesetzt und der rechte Gastroenemius schreiben gelassen.) Sowohl bei Querleitung, wie bei Längsleitung fand sich die Reflexzeit um etwa 0,004'’' länger als bei einfacher Reflexzuckung.

Einen recht instruktiven Versuch hat Exner (1874) nach dieser Riehtung hin angestellt: Er ließ den Gastroenemius eines Frosches schreiben. Dieser stand mit dem gesamten herauspräparierten Zentral- nervensystem durch den Ischiadieus in Verbindung. Es wurde nun das Nervensystem successive vom Großhirn anfangend mit einem fallenden Hebel zerquetscht. Der Zeitmoment des Falles wurde unter den Kurven des Muskels verzeichnet, der bei jeder neuen Quetschung zuckte. Die Latenz blieb ziemlich gleich groß, solange die Quetschung im Bereich des Gehirns stattfand. An der Medulla sank sie ziemlich plötzlich ab, um dann beim Übergang auf den Nerven noch einmal abzufallen. Hieraus wird es wahrscheinlich, daß der Reiz in der Medullagegend Zellen resp. Gitter zu passieren hat.

Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 349

Hierher wären auch all die vielen Versuche zu rechnen, welche über die Reaktionszeit beim Menschen angestellt sind. Nach unseren heutigen anatomischen Vorstellungen hat der Reiz bei derartigen Ver- suchen eine große Anzahl von Zellen resp. Gittern zu passieren, und es ist daher (ganz abgesehen von eventuellen psychischen Einflüssen) nur selbstverständlich, daß diese Vorgänge eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen. Bei starkem Reiz und guter Übung kann man es bei der sogenannten muskulären Reaktion (besonders, wenn die den Kontakt lösende Hand den Reiz selber in Form eines Induktions- schlages empfängt) bis auf etwa 0,08’ herunterbringen. Die sen- sorielle Reaktion nimmt bei gleicher Versuchsanordnung etwa 0,12” in Anspruch; bei schwachem Reiz noch wesentlich mehr. (Siehe hierüber die Lehrbücher der Psychologie.)

Die Versuche, welche gemacht worden sind, um zu zeigen, daß die Verzögerung in die Ganglienzellen zu verlegen ist, können als zweideutig angesehen werden, wenn man die neueren Erkenntnisse mit in Betracht zieht. Als nur aus Ganglienzellen bestehende Durchgangs- stätten sah man die Spinalganglien an. Die Befunde selbst sind noch nicht übereinstimmend, indem Exner (1877) keine Verzögerung im Spinalganglion fand, von Wundt (1876) und andren aber eine solche konstatiert wurde. Wenn es sich herausstellen sollte, daß hier wirk- lich eine Verzögerung stattfindet, so ist damit nichts gegen meine Ansicht bewiesen, weil die Fibrillen in den Spinalganglien nicht nur . Zellen passieren, sondern auch innerhalb dieser Zellen Gitter bilden.

Wir haben bereits gesehen, daß die Geschwindigkeit der Nerven- leitung nicht nur bei verschiedenen Tieren, sondern auch innerhalb ein und desselben Tieres sehr verschieden groß ist. Die motorischen Nerven des Hechtes dürften wohl ebenso schnell leiten wie die des Frosches, im Olfactorius desselben Tieres wurde aber von Nicolai eine mehr als hundertmal geringere Geschwindigkeit gemessen. Diese schon in den peripheren Nerven bestehenden, enormen Unterschiede berechtigen uns inden Fibrillengittern eine ebenso langsame Leitung anzunehmen, undaallein durch diese Übertragung bekannter Eigenschaften man- cher Nerven auf die Zentralteile wird die verlangsamte Leitung derselben auch ohne geheimnisvolle Eigen- schaften der Ganglienzellen genügend erklärt.

ACHTZEHNTES KAPITEL. Reizsummation und Bahnung.

Um einen Wirbeltiermuskel vom Nerven aus zu erregen, genügt in der Regel ein schnell vorübergehender Reiz, z. B. ein einzelner, schwacher Induktionsschlag. Je steiler die Stromschwankung ist, desto sicherer ist der Erfolg. Folgen mehrere Reize schnell hintereinander, so ist der Erfolg in der Regel größer; die Reize summieren sich und der Muskel gerät in einen mehr oder weniger vollkommenen Tetanus, der allmählich zu voller Höhe ansteigt. Wirkt der einzelne Instantan- reiz nicht auf den motorischen Nerven direkt, sondern wird er an einem sensiblen Nerven oder an der Haut angesetzt, so daß die Zentral- teile die Leitung vermitteln, dann muß er ungleich größer sein, um überhaupt einen Effekt auszulösen. Verhältnismäßig schwache Reize, welche auch weniger schroff sein können, bringen dagegen einen aus- sedehnten reflektorischen Erfolg hervor, wenn sie sich wiederholen. Die Reizsummation ist hier nahezu Bedingung, damit ein Effekt zu- stande kommt. Dieser Gegensatz zwischen direkter und reflektorischer Erregung würde aber nur dann von prinzipieller Bedeutung sein, wenn es nicht Nerven gäbe, die ziemlich dieselben Reizbedingungen ver- langen, wie die Zentralteile.

Während beim Frosch die steileren Öffnungsinduktionsschläge wirksamer sind als die weniger steilen Schließungsschläge, ist dies bei der Kröte nicht mehr der Fall (Schott und Grützner). Bei vielen wirbellosen Tieren ist eine Erregung durch einzelne Induktionsschläge überhaupt nicht möglich. Auch die stärksten Schläge geben keine Zuckung. Dagegen wirken mehrere einander folgende Schläge auch dann gut, wenn sie relativ schwach sind. Tetanische Reize wirken gut, einzelne Reize wenig oder gar nicht. Bei Anwendung des kon- stanten Stromes ruft eine kurze Schließung ebenfalls keine Reaktion hervor, während längere Durchströmung des Nerven eine starke Wir- kung hat (Scherennerven vom Krebs und Muschelnerven, Biedermann, 1886 und 1888, Nerven von Eledone und Sipuneulus, v. Uexküll, 1894, Nerven von Aplysia und Nacktschnecken, Bethe). (Bei Mollusken liegen die Verhältnisse ührigens nicht klar, weil die Nerven auf dem Wege zum Muskel von Zellen unterbrochen sind.)

Da es hauptsächlich die Nerven mit langsamer Leitung sind, welche starke Summationserscheinungen zeigen, so könnte man ver- sucht sein, die Summationserscheinungen beim Reflexvorgang allein auf die Fibrillengitter zu beziehen, welchen ich eine langsamere Lei- tung zuschreibe. Bei genauerer Betrachtung der Summationserschei-

Reizsummation und Bahnung. 351

nungen, welche bei den Reflexen zur Beobachtung kommen, dürfte diese Erklärung aber nicht als genügend erscheinen:

Stirling (1574) und Rosenthal (1875) beschrieben, daß ein schwacher an sich reflektorisch unwirksamer Reiz bei mehrfacher Wiederholung eine gute Reflexzuckung auslösen könne und daß die durch jeden Reiz hervorgebrachte latente Veränderung ziemlich lange anhielte. Wundt (1876) fand, daß in größeren Abständen an eine hintere Wurzel angesetzte Reize immer eine gleich hohe Reflexzuekung hervorrufen. Folgt aber ein zweiter Reiz bald nach Ablauf der ersten Zuekung, so ist die zweite Zuckung höher und gedehnter. Noch deutlicher tritt dies hervor, wenn die Wurzel vor dem zweiten Reize schwach tetani- siert wird. Die Nachwirkung des „modifizierenden Reizes“ war auch in diesen Experimenten eine ziemlich lange.

Genauere Angaben über die Dauer der Nachwirkung verdanken wir der Arbeit von Ward (1880). Bei Reizen, welche unter der Schwelle blieben, die also an und für sich in größeren Abständen angesetzt, noch keinen reflektorischen Effekt hervorriefen, konnten Summationserscheinungen noch konstatiert werden, wenn die einzelnen Reize (Induktionsschläge) bis zu 1” auseinander lagen. Bei einem Reizintervall von 0,05’—0,40"” zeigte sich nun eine ganz gesetz- mäßige Erscheinung: Die Reflexzuckung tritt nämlich bei ein und demselben Frosch stets nach der gleichen Anzahl von Reizen auf. In der Regel genügen fünf bis zwölf hintereinander folgende Reize. Nach diesem Befund zu schließen, bleibt also der durch jeden Einzel- reiz hervorgerufene Erregungszustand bis zu 0,4” in unverminderter Stärke bestehen und vermag durch jeden folgenden Reiz eine nun wieder ebenso lange anhaltende Steigerung zu erfahren. Es fragt sich, ob diese lange Nachwirkung vorhergegangener Reize durch die Eigenschaften langsam leitender Fibrillen genügend erklärt wird und ob nicht vielleicht dem Widerstand in den Zentralteilen besondere Eigenschaften zuzuschreiben sind.

Wie schon erwähnt, ist der Widerstand in den Zentralteilen in der Regel um so größer, je mehr Ganglienzellen resp. Fibrillengitter der Reiz zu passieren hat. Diese Eigentümlichkeit war im Prinzip bereits klar, ehe die anatomischen Grundlagen zu einer Lokalisierung des Widerstandes gegeben waren. ‚Johannes Müller sprach bereits den Satz aus, daß bei Reizung einer Körperstelle zunächst die ihr benachbarten Muskeln Reflexerscheinungen zeigen und daß erst bei stärkerer Reizung die weiter entfernten Muskeln der gleichen Seite und die Muskeln der gekreuzten Seite in Aktion treten. Weiter aus- geführt findet sich dieser Satz in den von Pflüger (1853) aufgestellten Reflexgesetzen. Experimentelle Begründungen wurden dann später von Rosenthal (1873) und Wundt (1876) gebracht. Einige Ausnahmen

352 Reizsummation und Bahnung.

von dieser Regel sind seit langem bekannt. So kann z. B. bei Säuge- tieren ein weit entfernter rezeptorischer Reiz eher eine Pupillenreaktion und eine allgemeine Blutdrucksteigerung hervorrufen, als die dem Reizort am nächsten verbundenen Muskeln in Aktion treten. Ein sehr günstiges Objekt sind auch die ersten Antennen der Brachyuren. Diese sind in ständiger zuckender Bewegung. Wird irgendwo am Körper ein Reiz angesetzt, der noch keine weiteren Reflexe auslöst, so werden doch, falls er nicht allzuschwach ist, die Antennen für einen Moment ganz eingezogen. Diese Ausnahmen können aber wohl dadurch eine genügende Erklärung finden, daß die betreffenden Mus- keln besonders leicht reflektorisch erregbar sind.

Den Widerstand in den Zentralteilen kann man sich nun eventuell in folgender Weise vorstellen: In den Zentralteilen befindet sich in der Nähe der Fibrillen außer der ihnen überall angelagerten Fibrillen- säure eine andre Substanz, welche mit der Fibrillensäure in Konkurrenz um die Affinitätsvalenzen der Fibrillen tritt. Diese Substanz mag von einem Substrat immer neu gebildet werden, zu ihrer Bildung Sauer- stoff bedürfen und durch Sauerstoff wieder zerstört werden, kurz eine sehr labile Substanz sein. Wenn diese einen Teil der Fibrillen- valenzen in den Zentralteilen inne hat, sie selbst aber zur Fortleitung des Leitungsprozesses nicht taugt, so wird sie es verhindern, daß jeder kleinste Reiz und jede kurz vorübergehende Zustandsänderung der Umgebung zu einer Reflexbewegung führt. Wären unsere Zentral- teile ebenso empfindlich wie die peripheren Nerven, besäßen sie also keine Dämpfung, dann würden unsere Muskeln in einem dauernden Tanz begriffen sein. Wenn nun jede, durch einen rezeptorischen Nerven zugeführte Erregungswelle einen Teil der Konkurrenzsubstanz verdrängt und dieser Zustand des Verdrängtseins einige Zeit anhält, so muß die Fibrillenbahn bei mehrmaliger Wiederholung des Reizes schließlich ganz frei von dieser dämpfenden Substanz werden und der nächste Reiz zu einem Reflex führen. Diese Aufhebung der Dämpfung hält dann für einige Zeit an und macht sich darin geltend, daß in kurzen Intervallen wiederholte und anfangs unwirksame Reize jedesmal zu einem Effekt führen. Kommt längere Zeit kein neuer Reiz, so wird die Konkurrenz wieder wirksam.

Diese Hypothese soll nur den Widerstand in den Zentralteilen vor- stellbar machen; sie entbehrt aber auch nicht positiver Grundlagen. Daß eine Konkurrenzsubstanz im Zentralnervensystem wirklich vorhanden ist, scheint mir aus den in Kapitel S mitgeteilten Tatsachen mit Sicherheit hervorzugehen. Es wurde hier auch gezeigt, daß sie nicht nur in den Ganglienzellen, sondern auch im Grau und in den Strang- faseın (aber nieht in den peripheren Nervenfasern) ihre Wirkung entfaltet. Es konnte auch wahrscheinlich gemacht werden, daß sie

Reizsummation und Bahnung. 353

durch Sauerstoff zerstört wird. In den Ganglienzellen würde als Konkurrenzsubstanz eventuell die Nisslsäure in Betracht kommen. In der Tat könnte man eine Anzahl von Daten hierfür anführen: Zu- nächst kommt die große Labilität der Nisslsäure in Betracht; dann die großen Schwankungen in ihrer Produktion und in der Masse ihres Substrates und vermutlichen Erzeugers, der Schollen. Die Bilder, welche bei Vergiftungen erzielt wurden, sprechen bald für bald wider die Annahme, doch können aus ihnen nach meiner Meinung noch keine bindenden Schlüsse gezogen werden, weil in allen Versuchen die Nissl- säure und das Substrat nicht genügend auseinander gehalten sind. Hier haben neue Untersuchungen einzusetzen, welche vor allem auch die Löslichkeitsverhältnisse der Nisslsäure mit in Betracht ziehen.

Eine Stütze der Annahme sehe ich in folgenden Erscheinungen: In den Nervennetzen der Medusensubumbrella und der Herzkammer, in welche zahlreiche kleine Ganglienzellen eingestreut sind (S. 87 u. 92), ist kein Dekrement der Erregung zu konstatieren. Ist das Netz an einer Stelle erregt, und gibt es in der dieser zunächst gelegenen Mus- kulatur eine Zuckung, so dehnt sich die Erregung auch mit Sicherheit auf die ganze Subumbrella resp. die ganze Herzkammer aus. In diesen Zellen fehlt aber, soweit ich sehe, jede Spur von Nisslsäure (d. h. primärfärbbarer Zellleibsubstanz). Legt man das Rücken- mark eines Frosches oder eines Hundes frei, ohne eine weitere Ope- ration zu machen, so zeigt sich, wie bekannt, fast immer entweder direkt oder nach einem Stadium der Depression eine außerordentliche Steigerung der Reflexerregbarkeit, aber nur in den Gebieten, welche von den bloßgelegten Teilen innerviert werden. Diese Steigerung kann mehr als einen Tag anhalten und verschwindet dann allmählich (manch- mal tritt sie erst am Tage nach der Operation ein). Bei einer der- artigen Operation handelt es sich im wesentlichen wohl um eine vorüber- gehende Störung der Blutzufuhr, welche nach Untersuchungen Nissls stets mit einer Verminderung der färbbaren Substanz beantwortet wird. Neben der Nisslsäure wenn dieselbe überhaupt als Konkurrenz substanz aufzufassen ist würde aber jedenfalls noch eine andere Substanz in Betracht kommen, da die Abspaltung der Fibrillensäure bei der Erstickung nachweislich nicht auf die Ganglienzellen beschränkt ist.

Bei dieser Auffassung der Summationserscheinungen scheint mir die Annahme von Exner (1882), daß die Summation nur ein spezieller Fall der Bahnung ist, sehr plausibel. Jeder Reiz bahnt eben durch Verdrängung der dämpfenden Substanz den Weg für jeden folgenden. Unter Bahnung im engeren Sinne versteht Exner das leichtere An- sprechen reflektorischer Erregungen, wenn Reizung gewisser andrer Rezeptionsorgane oder Nervensystemteile vorauf gegangen ist oder gleichzeitig geschieht:

Bethe, Nervensystem. 33

354 Reizsummation und Bahnung.

Exner reizte bei Kaninchen gleichzeitig oder kurz nacheinander die Hirnrinde und eine Pfote. Sind beide Reize unter der Schwelle, so geben sie zugleich angesetzt eine Zuckung. Dasselbe ist der Fall, wenn sie bis zu 0,6” nacheinander angesetzt werden. Gibt jeder Reiz für sich schon eine Zuekung, so ist deren Höhe vergrößert, wenn beide Reize zugleich oder kurz hintereinander erfolgen. Auch bei Kombination von Schallreiz und Pfotenreiz oder von Schallreiz und Rindenreiz ließ sich Bahnung konstatieren.

Wie mir scheint, haben wir es bei der Bahnung im engeren Sinne mit einer sehr weit verbreiteten und für viele nervöse Prozesse höchst wichtigen Erscheinung zu tun. So fand z. B. v. Uexküll (1599), daß die Giftzangen der Seeigel (gemmiformen Pedicellarien) nur dann auf mechanischen Reiz zuklappen, wenn dem mechanischen Reiz ein che- mischer vorhergeht. Merzbacher (1900) sah beim Frosch an sich un- wirksame mechanische und photische Reize miteinander vereint wirksam. Bei vielen Tieren z. B. beim Frosch und bei den Crustaceen ist zum Vollzug des Geschlechtsaktes durch das Männchen das Zusammen- wirken chemischer und mechanischer Reize notwendig. Beim Frosch (Goltz, 1869) geht dieser chemische Reiz nur während der Geschlechts- reife vom Weibchen aus, beim Careinus (Bethe, 1897) nur dann, wenn das Weibchen sich eben gehäutet hat. Ist diese Bedingung des chemischen Reizes nicht erfüllt, so kann man durch Aneinanderlegen von Männchen und Weibchen keine Umklammerung erzielen. (Die Umklammerung kommt beim Careinus aber dann zustande, wenn durch Zerschneidung der Schlundkommissuren die Verbindung zwischen den Umklammerungs- organen und den Chemorezeptionsorganen aufgehoben ist.) Auch aus dem Bereich des Bienen- und Ameisenlebens ließen sich eine ganze Anzahl derartiger Beispiele anführen.

In allen diesen Fällen wird man sich mit der Erklärung durch Bahnung begnügen können. Diese selbst wird man aber dadurch er- klären können, daß der bahnende Reiz dämpfende Hinder- nisse an den Fibrillen hinwegräumt.

NEUNZEHNTES KAPITEL.

Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. Steigerung der Erregbarkeit durch Alkohol bei den Medusen S. 359.

Es liegt nicht in dem Plane dieses Buches, in eine Besprechung der verschiedenen Nervengifte einzutreten; ich muß dies auch schon deshalb unterlassen, weil meine Kenntnisse in der Hauptsache aus der Literatur geschöpft sind und sich nur in wenigen Punkten auf eigne Beobachtungen stützen können. Daher beschränke ich mich darauf, zu untersuchen, ob meiner Auffassung vom nervösen Ge- schehen wesentliche Schwierigkeiten aus toxikologischen Tatsachen erwachsen.

So verschieden sich die Wirkungen der einzelnen Nervengifte äußern, so kehren doch immer zwei Erscheinungen wieder: Erreg- barkeitssteigerung, welche bis zu tetanischen Krämpfen führt, und Lähmung. Beide Wirkungen finden sich fast nie ganz voneinander getrennt, sondern gehen bei den meisten Giften ineinander über. Bald tritt die eine Erscheinung, bald die andre mehr in den Vordergrund. Die Erregbarkeitssteigerung kann beinahe oder ganz fehlen (bei den eigentlichen Narcotieis); ist aber eine Erregbarkeitssteigerung vor- handen (bei Ammoniak, Strycehnin u. s. w.), so geht sie bei stärkerer Einwirkung des Giftes stets in Lähmung über.

Der primäre Angriffspunkt der meisten Gifte liegt in den Zentral- teilen; einige wenige (Curare u. s. w.) wirken anscheinend in der Hauptsache auf die peripheren Nervenendigungen; es gibt aber kein Gift, dessen Wirkung sich zuerst an den Nerven selber bemerkbar macht. Viele Forscher haben hierin eine Spezifität der zentralen und peripheren Enden der Nerven gegenüber ihren glatt und parallel ver- laufenden Teilen sehen wollen. Mir will es aber scheinen und dies ist besonders von anatomischer Seite schon mehrfach angedeutet worden daß der Grund der Bevorzugung nicht unbedingt in spezi- fischen Unterschieden gesucht werden muß, sondern bereits hinreichend durch mechanische Verhältnisse erklärt werden kann.

Bei sämtlichen Tieren von den Würmern aufwärts (vielleicht auch noch abwärts) sind die eigentlichen Nervenfasern d. h. diejenigen Leitungsbahnen, in denen die Neurofibrillen parallel verlaufen und keine Verbindungen untereinander eingehen, durch mehr oder weniger schwer durchdringliche Hüllen geschützt, während an den peripheren Enden und im Neuropil die Nervenfasern resp. die Fibrillen bloßliegen. Am besten geschützt sind die markhaltigen Nervenfasern der Wirbeltiere, wovon man sich leieht überzeugen kann, wenn man die frischen Fasern

33*

356 Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem.

in möglichst indifferente Farblösungen legt oder ganze Tiere vital injiziert (Ehrlich). Außerordentlich langsam und fast ausschließlich von den Ranvierschen Schnürringen aus dringt die Farbe zum leitenden Element, den Neurofibrillen, vor. Außer, daß die Markscheiden bei ihrer fettartigen Beschaffenheit schwer für wasserlösliche Stoffe durch- dringlich sind, wirken sie auch, wie mir scheint, insofern schützend, als sie nicht nur manche Farbstoffe, sondern auch andre Stoffe z. B. Narcotica aufspeichern und so, wenn die Menge derselben nicht zu groß ist, an der Einwirkung auf die Fibrillen verhindern. Einen guten Schutz gewähren auch die Hüllen der sympathischen Fasern. Viel weniger gut sind die marklosen Fasern der Wirbellosen geschützt, obgleich die Dieke der Hüllen bei manchen, z. B. bei Mollusken, nicht un- erheblich ist. In der grauen Substanz (dem Neuropil) und in den Ganglienzellen sind die Fibrillen im Gegensatz zu den peripheren Nerven gar nicht oder nur sehr wenig geschützt, so daß jede Substanz, die der Blutstrom mit sich führt, sehr leicht an sie herangelangen kann. Zu diesen Unterschieden kommt noch, daß die Nerven der Wirbeltiere nur schwach mit Blut versorgt werden, während die Vaseularisation der Zentralteile sehr stark ist. Bei niederen Tieren ist der Unterschied in der Blutversorgung meist nicht sehr groß.

Es gibt nun, so weit ich aus der Literatur sehe und aus eigner Erfahrung weiß, kein einziges Nervengift, das nicht bei längerer Ein- wirkung auch die Erregbarkeit der Nervenstämme verändert und schließlich für immer oder vorübergehend vernichtet. Dabei ist es nicht einmal immer nötig, wesentlich mehr Gift zuzuführen, als zur Hervorrufung maximaler Giftwirkungen im Gebiet des Zentral- nervensystems nötig ist, sondern man muß nur länger warten, bis der Effekt eintritt. Bei Wirbellosen, bei denen die Schutzvorrich- tungen der Nervenfasern nicht so stark ausgebildet sind, wie bei Wirbeltieren, ist diese Differenz sehr viel geringer. So fand ich z. B. bei der Äthernarkose von Langusten (Palinurus), daß dann, wenn die Reflexe vollkommen erloschen sind, bereits eine bedeutende Beein- trächtigung der direkten Erregbarkeit motorischer Nerven eingetreten ist. Mir scheint es daher bei vielen Giften ungerechtfertigt, von ihrer spezifischen Wirkung auf die Zentralteile zu sprechen, und ich glaube, daß der Hauptgrund, weswegen die Wirkung sich zunächst auf Zentralorgane erstreckt, in der größeren Zugänglichkeit dieser Teile beruht. Noch weniger scheint es mir berechtigt, von einer spezifischen Einwirkung auf die Ganglienzellen (in ihrer Eigenschaft als Zellen) zu sprechen und einige Gifte direkt als Ganglienzellgifte zu bezeichnen. Man dürfte dies nur dann tun, wenn man den Nachweis geführt, dab diese Substanzen auf die Neurofibrillen überhaupt nicht einzuwirken imstande sind.

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Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 357

Wenn wirklich, wie ich meine, die Eigenschaften des leitenden Elements durch das ganze Nervensystem hindurch im Prinzip die gleichen sind, so kann das Studium der Giftwirkung an den peripheren Nerven entschieden von Nutzen sein, um dem Wesen der Giftwirkung näher zu kommen, weil bei diesen Teilen des Nervensystems alle Maßnahmen einer besseren Kontrolle unterliegen. Wenn man die Voraussetzung der prinzipiellen Gleichartigkeit macht, so kann die Tatsache, daß bei der Vergiftung eines normalen Tieres die Gift- wirkung auf die Nervenstämme gar keine Rolle spielt, als gleichgültig angesehen werden. Bis jetzt hat aber grade diese Tatsache die Pharmakologen von einer genügenden Berücksichtigung der Gift- wirkung auf die Nerven abgehalten, weil sie von vornherein von der prinzipiellen Verschiedenheit zwischen den peripheren Nerven und den Zentralteilen überzeugt waren. An den peripheren Nerven kann fest- gestellt werden, inwieweit ein Gift auf die Neurofibrillen selber ein- zuwirken imstande ist; bleiben dann noch Erscheinungen bei der Ver- eiftung des ganzen Tieres übrig, welche sich nieht durch die am Nerven gefundenen Einflüsse erklären lassen, so kann man diese auf Konto besonderer Eigenschaften der Zentralteile (aber nicht gleich der Ganglienzellen) setzen, so weit sie nicht durch periphere Wirkungen auf die Muskulatur, die Drüsen, die Endorgane u. s. w. bedingt sind. Da wir eine spezifische, in den Zentralteilen dämpfende Substanz angenommen haben, so kann es natürlich auch Gifte geben, welche speziell diese angreifen. Es kann aber andre geben, welche überall, wo sie auf Fibrillen treffen, auf diese und auf sie allein einwirken; am stärksten wird dies natürlich dort der Fall sein, wo die Fibrillen ihrer Einwirkung ohne Schutz ausgesetzt sind. Schließlich kann es Substanzen geben, welche sowohl auf die Fibrillen selber, als auch auf die vorausgesetzten Dämpfungen Einfluß haben.

Als Gifte, bei denen wir nur eine allgemeine Einwirkung auf die Fibrillen selber anzunehmen brauchen, möchte ich in erster Linie die eigentlichen Narcotica (Äther, Alkohol, Chloroform u. s. w.) ansehen. Wie lange bekannt (siehe S. 268), ist es leicht, durch diese Mittel, die ja im Grunde allgemeine Lebensgifte sind, periphere Nerven in Nar- kose zu versetzen. Es kommt dabei für uns weniger auf die Herab- setzung der Erregbarkeit als vielmehr auf die Behinderung der Leit- fähigkeit an. Je länger die narkotisierte Strecke ist, desto geringere Grade der Narkose reichen aus, um die Leitung auch für stärkste Reize zu unterbrechen. Die Erregungen aber, welche bei den Re- flexen fortgeleitet werden, erreichen wohl nie die Stärke derer, welche bei unseren künstlichen Reizen zustande kommen, wie man wohl daraus ersehen kann, daß die reflektorisch vermittelten Erregungen motorischer Nerven durch viel geringfügigere Schädigungen unterdrückt

358 Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem.

werden als diejenigen, welche. durch direkte Reizung dieser Nerven hervorgebracht werden. (So fand z. B. Ducceschi, 1900, daß schon bei geringfügiger Kompression eines motorischen Nerven auf reflekto- rischem Wege keine Zuckungen mehr vermittelt werden, während ober- halb am Nerven angesetzte elektrische Reize noch kräftige Zuckungen vermitteln.) Demnach steht der Annahme nichts im Wege, daß die bei der Narkose eintretenden zentralen Lähmungen auf einer Narkose der im Zentrum freiliegenden Fi- brillenbahnen beruhen.

Wie ich auf Seite 289 gezeigt habe, besteht die Wirkung der Nareotica auf die Fibrillen darin, daß sie die Bewegungsfähigkeit der Fibrillensäure zuerst verlangsamen und dann aufheben. Hierdurch ist ein Weg gegeben, wie man sich überhaupt die Wir- kung der Narcotica vorstellen kann. In den letzten Jahren haben Hans Meyer (1899) und Overton (1901) die Beobachtung ge- macht, daß alle narkotisierenden Substanzen in Fett löslich sind und daß der Grad ihrer Wirksamkeit von dem Grade dieser Lösungsfähigkeit abhängig ist. Sie bauen darauf die Hypothese auf, daß die Lösungs- fähigkeit in Fettsubstanzen die Ursache der narkotischen Wirkung sei, indem sie gewissen Fettsubstanzen der grauen Substanz (Gehirnlipoide), vornehmlich der Ganglienzellen, eine Rolle bei den zentralen Prozessen zuschreiben. Trotz der überraschenden Übereinstimmung zwischen narkotischer Wirkung und der Löslichkeit in Fettkörpern möchte ich

doch Zweifel gegen die Deutung erheben, daß die Löslichkeit der

Nareotica in den Gehirnlipoiden (Leeithin, Cholesterin) bei der Narkose die Hauptrolle spielt. Nach den Untersuchungen von Thudichum, welche einen Anspruch auf Genauigkeit erheben dürfen, ist die Masse an ätherlöslichen Substanzen (Kephalin, Leeithin, Cholesterin) in der grauen Substanz wesentlich geringer als in der weißen Substanz (1,9°/,:11,5°/,), während Meyer und Overton zur Erklärung der größeren Empfindlich- keit der grauen Substanz gegen Narcotica ein umgekehrtes Verhältnis voraussetzen. Wie Overton festgestellt hat, ist die relative Menge von Alkohol u. s. w., welche zur vollständigen Narkose nötig ist, bei sehr ver- schiedenartigen Tieren gleich groß; die Nervensysteme dieser Tiere haben aber sicherlich einen sehr verschiedenen relativen Gehalt an ätherlös- lichen Substanzen; bei Krustazeen ist der der Ätherauszug z. B. minimal.

Schließlich sei noch angeführt, daß die Substanzen des Nerven, auf welche eine sichtbare Einwirkung der Narcotica zu konstatieren ist, die Fibrillen und die Fibrillensäure keine Fettsubstanzen sind. Danach möchte ich dem von Hans Meyer und Overton aufgedeckten Verhältnis nicht die Bedeutung zuschreiben, welche sie und andre ihm geben (siehe Gottlieb, 1902), wenngleich ich eine mittelbare Beteiligung der „Gehirnlipoide“ hei der Narkose für wahrscheinlich halte.

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Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 359

Am peripheren Nerven läßt sich im Anfangsstadium der Narkose stets eine Steigerung der Erregbarkeit nach- weisen, welche erst allmählich in das depressive Stadium übergeht. Eine gesteigerte Erregbarkeit soll nun nach Schmiedeberg, Kraepelin und andern bei der Narkose des ganzen Menschen oder Tieres nieht existieren. Die zu beobachtenden Exaltationen Berauschter und schwach Narkotisierter werden von diesen Autoren auf Lähmung von Hemmungsvorrichtungen des Zentralnervensystems zurückgeführt. Diese Erklärung ist zwar durchaus ausreichend, aber sie ist doch nicht absolut zwingend und es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß den Exaltationszuständen wenigstens zum Teil eine erhöhte Erregbarkeit zu Grunde liegt. Wenn wirklich keinerlei echte Erregbarkeitssteigerung bei den Narcotieis der Fettreihe vorkommt, so könnte man hierfür die Dämpfungen der Zentralteile verantwortlich machen, welche, wenn sie unverändert fortbestehen, sehr wohl die erhöhte Erregbarkeit der Fibrillen an der Betätigung verhindern könnten. Daß eine wirkliche Steigerung der Erregbarkeit eintreten kann, schließe ich aus Versuchen bei Medusen.

Bekamntlich (s. auch S. 106) erlöschen die spontanen rhythmischen Bewegungen der Medusen, wenn man die Tiere der Randkörper beraubt. Auf Einzelreize treten einzelne Kontraktionen ein. Wird tetanisch an einer Stelle (oder mit dauernden chemischen Reizen) gereizt, so wird die Reizung wie beim Herzen mit eignem Rhythmus beantwortet. Hört der Reiz auf, so werden auch die rhythmischen Bewegungen wieder eingestellt und bleiben bis zum Gewebstode aus, wenn keine neuen Reize einwirken und das Wasser frisch erhalten wird. Zur Be- stimmung der Reizschwelle messe ich entweder den Rollenabstand, welcher grade imstande ist bei tetanischer Reizung rhythmische Kon- traktionen hervorzubringen, oder ich lasse auf das flach auf dem Rücken liegende und eben mit Meerwasser bedeckte Tier Wasser- tropfen von gleicher Größe fallen und bestimme den Abstand, bei welchem grade auf jeden fallenden Tropfen eine Kontraktion erfolgt.

Nachdem bei einer randkörperfreien Cotylorrhiza die Reiz- schwelle bestimmt ist, wird dieselbe in Seewasser gebracht, dem ein halbes Volumprozent Alkohol zugesetzt ist. Nach etwa einer Minute fängt die Erregbarkeit fast immer an bedeutend zu steigen, so daß man die Fallhöhe der Tropfen um mehrere Zenti- meter verringern resp. die Rollen weiter voneinander entfernen kann. (Z. B. Fallhöhe vorher 20 em, nachher 12—15 em; Rollenabstand vorher 12 em, nachher 15 em.) Sehr viel auffälliger ist aber die Neigung der Alkoholtiere (NB. ohne Randkörper!) auf ein- maligen Reiz, ja sogar spontan rhythmische Kontrak- tionsreihen auszuführen, wie sie sonst nur bei Tieren mit

360 Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem.

kandkörpern zur Beobachtung gelangen. In der Regel zeigen diese Kontraktionen eine geringere Koordination als bei normalen Tieren (die Kontraktion beginnt nieht überall zur gleichen Zeit, sondern fängt bald hier bald dort an) und die Ausgiebigkeit der Bewegungen ist geringer.

Bei manchen Exemplaren kommt es auf jeden leichten, mecha- nischen Reiz nur zu 3—4 Kontraktionen, bei andern treten aber Pe- rioden auf, welche an Zahl der Bewegungen die Perioden normaler Tiere übersteigen. Die normale Cotylorrhiza macht gewöhnlich nur Serien von 20—60 Kontraktionen, auf die Ruhepausen von verschieden langer Dauer (5—20'") folgen. Bei randkörperfreien Tieren, die in Alkohol-Seewasser lagen, habe ich Serien von 80—400 Kontraktionen beobachtet. Nach diesen langen Reihen sind die Tiere in der Regel hochgradig erschöpft. Sie bedürfen einer Ruhe von vielen Minuten, um eine neue Kontraktionsreihe beginnen zu können und reagieren in der ersten Zeit häufig nicht einmal durch Einzelkontraktionen, wenn sie berührt werden. Spontane und durch Reiz erzeugte Serien habe ich noch nach sechsstündigem Aufenthalt in Alkohol-Seewasser be- obachte. Bringt man die Tiere in reines Seewasser zurück, so geht die Fähigkeit auf Einzelreize mit Se- rien zu antworten wieder verloren und die Reizschwelle steigt wieder zur alten Höhe. Die Alkoholkonzentration kann bis zu anderthalb Prozent steigen, ohne daß der Effekt geändert wird. Bei höheren Konzentrationen macht sich eine depressive, narkotische Wirkung geltend, welche bis zur vollkommenen Reflexlosigkeit führt; in reinem Seewasser kann Er- holung eintreten.

Da Alkohol bei lokaler Applikation gar keine oder nur sehr ge- ringe Reizung bei den Medusen hervorruft (1—3 Prozent), da ferner Ber a Erregbarkeit erst nach einer Latenzzeit von einer oder mehreren Minuten eintritt, eine Zeit, die genügen dürfte, um den Alkohol bis zur Memenschieht le zu lassen, da schließlich die gesteigerte Erregbarkeit stundenlang erhalten bleibt, so glaube ich eine reizende Einwirkung auf die epithelialen Nervenendigungen, also eine Reflexerregung, ausschließen zu dürfen, und diese Versuche dafür anführen zu können, daß der Alkohol (und vielleicht auch andre Narcotica der Fettreihe) unter Umständen gesteigerte Reflexerregbar- keit erzeugt.

Eine in der Hauptsache an der dämpfenden Substanz der Zentral- teile angreifende Wirkung möchte ich den eigentlichen Krampfgiften zuschreiben, vor allem dem Strychnin. Ich glaube, daß es keine Schwierigkeiten bereitet, sich dies vorzustellen. Ich habe oben die einfache und durchaus zulässige Annahme gemacht, daß der normale

Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 361

Widerstand in den Zentralorganen durch eine allein hier vorhandene Konkurrenzsubstanz (gegenüber der Fibrillensäure) bedingt wird. Es kann nun sehr wohl Substanzen geben, welche diese Konkurrenzsubstanz an ihrer Wirksamkeit verhindern oder auch ihre Produktion aufheben, ohne die Fibrillen selber und ihre Beziehungen zu der Fibrillensäure wesentlich zu verändern. Dadurch würde den zentralen Fibrillen- bahnen die Empfindlichkeit der peripheren gegeben. Es könnte auch der kleinste Reiz zu einem Effekt führen und es stände der Aus- breitung jedes Reizes bis in die entfermtesten Gebiete des Nerven- systems nichts im Wege. Da das Stryehnin auf die Fibrillen selber nicht ganz wirkungslos ist, so können die später auftretenden zentralen Lähmungen eventuell auf eine Beeinflussung dieser bezogen werden.

Ein weiteres Eingehen auf andre Gifte würde keinen Zweck haben, denn ich würde mich dabei in Theorien verlieren, denen der genügende Boden fehlt. Was ich zeigen wollte, scheint mir durch das Gegebene erreicht, daß sich nämlich von toxikologischer Seite meinen Ideen keine Hindernisse in den Weg stellen, daß durch sie sogar eher klarere Vorstellungen erlangt werden, als die herrschenden Ansichten ermög- liehen. Hervorzuheben ist nur noch folgendes: Man wird mir ein- werfen, daß die verschiedenen Gifte in den Zentralteilen ihre Prädi- lektionsstellen haben; wenn z. B. die Narcotica in erster Linie auf das Großhirn wirken, so könne dies nicht auf den ja überall gleichen Fibrillen beruhen. Dagegen ist zu erwidern, daß die Bevorzugung immer nur graduell ist und daß sich bereits an sämtlichen andren Zentralstätten eine starke Beeinträchtigung bemerklich macht, wenn das Sensorium zu schwinden anfängt. In der verschiedenen Dicke der Fibrillen, dem verschiedenen Schutz innerhalb der Zentralorgane, der verschiedenen Blutversorgung und in vielem andren sind Möglichkeiten genug gegeben, um diese Unterschiede verständlich zu machen. Auf die große Wichtigkeit der Blutversorgung und der Sauerstoff- sättigung hat bereits Ehrlich vor längerer Zeit in umfassender Weise aufmerksam gemacht. Ehrlich hat auch hauptsächlich am Beispiel der Nervenendigungen auf Grund seiner ausgedehnten Untersuchungen über die Lokalisation von Farbstoffen begreiflich gemacht, wie durch Ver- schiedenheiten des Milieus an Organen, die im Grunde eine gleichartige chemische Beschaffenheit haben dürften, verschiedenartige Wirkungen auf die gleiche Ursache hin eintreten können.

Einen schwer zu überwindenden Einwand gegen die Ansicht, dab auch die Zentralteile in erster Linie Leitungsbahnen sind, könnte ınan in dem unzweifelhaft vorhandenen großen Sauerstoffbedürfnis der Zentralteile und in ihrer großen Empfindlichkeit gegen Kohlensäure sehen. Ich habe diesen Unterschied gegenüber den peripheren Nerven bereits oben mit dem Widerstand in Zusammenhang gebracht, welcher

362 Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem.

der Verbreitung der Erregung in den Zentralteilen entgegengesetzt wird. Wenn dieser Widerstand durch die ständige Produktion einer die Bewegungsfähigkeit der Fibrillensäure dämpfenden Substanz hervor- gerufen wird, dann ist allerdings eine gewisse Erklärung für den Ge- fäßreichtum der Zentralorgane und ihre Empfindlichkeit gegenüber Kreislaufsstörungen und Veränderung des Gasgehalts des Blutes ge- geben. Ob dies ausreicht, wage ich aber nicht zu entscheiden. Wäh- rend ich also eine irgendwie nennenswerte Assimilation und Dissimi- lation in den eigentlich leitenden Gebilden, den Neurofibrillen, leugne, und vor allem eine aktive Beteiligung der Assimilation und Dissimila- tion am Leitungsvorgang in Abrede stelle, nehme ich solche Prozesse in den Zentralteilen zur Bildung und Vernichtung der dämpfenden Substanz in Anspruch. Die Verblutungs- und Erstieckungskrämpfe finden bei dieser Annahme keine Schwierigkeiten der Erklärung. Die Bildung der dämpfenden Substanz (der Konkurrenzsubstanz) wird gehemmt und damit wird die Erregbarkeit erhöht und die Ausbreitung jedes Reizes auf das gesamte Nervensystem findet keinen Widerstand.

Wie nun aus den im achten Kapitel mitgeteilten Befunden hervor- zugehen scheint, wird die Konkurrenzsubstanz intra vitam dauernd durch Oxydation zerstört. Diese Oxydation fällt bei Erstickung oder Ver- blutung fort. Wenn nun die Bildung der Konkurrenzsubstanz in der ersten Zeit nach der Sauerstoffentziehung zwar vermindert ist, aber noch fortdauert, so muß die Konkurrenzsubstanz das Übergewicht bekommen und die Fibrillensäure überall im Zentralnervensystem aus der Verbindung mit den Fibrillen verdrängen (wie dies nachweislich der Fall ist; siehe S. 145 u. f.). Dadurch wird die Leitung im Central- nervensystem aufgehoben, und die Reflexerregbarkeit erlischt. Noch lange, nachdem dies eingetreten ist, werden die peripheren Nerven erregbar gefunden; in diesen findet aber nachweislich eine Abspaltung der Fibrillensäure nicht statt.

Ich führe also das Sauerstoffbedürfnis (resp. die starke Blutversorgung) der Zentralorgane auf die Pro- duktionund Regulierung einer Substanz zurück, welche, nur hier vorhanden, der Dämpfung der Reflexe dient.)

I) Diese Anschauungen scheinen mir mit den neuerdings von Winterstein (1900) und Verworn (1900) gemachten Befunden nicht zu kollidieren.

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ZWANZIGSTES KAPITEL.

Der Tonus.

Versuche über den Tonus bei Aplysia S. 368—372. Bei der Kontraktion tritt

Wasser aus dem Muskel aus S. 368. Nach Herausnahme des Zentralnerven-

systems tritt starke Tonussteigerung ein, welche bis zum Tode andauert S. 370,

371. Der Tonus ist ein Ruhezustand S. 371. Fortleitung des Tonusfalls bei Seeigeln S. 372.

Am Anfang des vorigen Jahrhunderts war vielfach die Meinung verbreitet, daß die Muskulatur des Körpers bei ruhiger Haltung vom Zentralnervensystem aus in einem dauernden, automatischen Spannungs- zustand, dem Tonus erhalten würde (über die Geschichte der Tonusfrage siehe Heidenhain, 1856, und Eekhard, 1879). Diese Auffassung hat sich insofern als falsch erwiesen, als von einer automatischen Funk- tion der Zentralteile hier wohl keine Rede sein kann. Daß aber ein wirklicher Tonus existiert, daran kann schon lange kein Zweifel mehr existieren, denn ohne eine dauernde und koordinierte Spannung wäre es nicht möglich, daß ein Mensch und ein Hund ruhig stehen, ein Krebs dauernd seine Antennen vorgestreckt halten, ein Seeigel seine Stacheln von sich streeken könnte. Nach Ausschaltung des Nerven- systems bricht ein Hund zusammen, sinken die Antennen des Krebses, und hängen die Stacheln des Seeigels schlaff herab. Der Tonus als physiologisches Phänomen ist geblieben, aber die Ansichten über sein Zustandekommen haben sich geändert.

Seit den Untersuchungen von Brondgeest (1860) ist die Tonus- frage sehr viel klarer geworden: Brondgeest durchschnitt dekapitierten Fröschen einen Ischiadieus und hängte sie dann senkrecht auf. Das selähmte Bein hängt dann schlaff herab, während das andre in einer leichten Beugestellung gehalten wird. Dasselbe Resultat erhielt Brond- geest, wenn statt des Ischiadieus nur die sensiblen Wurzeln des einen Hinterbeins durchschnitten wurden. Die Spannung der Muskeln wird also reflektorisch besorgt. (Als Ausgangspunkt der reflektorischen Reizung werden die Haut und die rezeptorischen Nervenendigungen der Sehnen und Muskeln angesehen.)

Hermann (1861) fand, daß beim Brondgeestschen Tonus nur ge- wisse Muskeln der Beine beteiligt seien und daß die leichte Beuge- stellung der Beine beim aufgehängten Tier nichts weiter als eine Vor- stufe zu der normalen Beugehaltung im Sitzen sei. Wäre diese beim sitzenden Tiere erreicht, so höre der Tonus auf. Durch diese Be-

364 Der Tonus.

obachtung wird dem Tonus seine Bedeutung nicht genommen, beson- ders da bei vielen andern Muskelgruppen eine Erschlaffung fast nie eintritt, wie z. B. bei den Antennenmuskeln der Krebse. Sie kann nur dort eintreten, wo bei ruhiger Haltung eine genügende Unter- stützung durch die Unterlage stattfindet. Diese fehlt. beim Frosch z. B. für den Vorderkörper. (Durch geeignete Maßnahmen kann man den Tonus der Vorderbeinmuskel wesentlich erhöhen und eine Ruhe- stellung der Frösche erzielen, bei der sie stundenlang auf den ganz gestreekten Vorderbeinen ruhen. Verworn, 1897.)

Bevor der Brondgeestsche Versuch veröffentlicht wurde, hatten Heidenhain (1856) und Auerbach (1856), und bald nachher Schwalbe (1865) gezeigt, daß sich am Reflexpräparat der Muskel nicht ver- längert, wenn der zugehörige Nerv durchschnitten oder seine Leitungs- fähigkeit durch einen konstanten Strom unterbrochen wird. Ein Be- weis gegen die Existenz eines Tonus kann jetzt nicht mehr in diesen Versuchen gesehen werden. Sie beweisen nur, daß ein automatischer Tonus wohl nicht existiert und daß der Reflextonus etwas sehr Ver- sängliches ist und die Mißhandlungen nicht erträgt, welche die Her- richtung solcher Präparate mit sich bringt. Der Tonus hält eben bei all den Muskeln und Muskelgruppen, welche unter natürlichen Um- ständen nie sehr lange Zeit im Tonus verharren, auch unter unnatür- lichen Bedingungen nicht lange an.

Ein großer Teil der reflektorischen Erregungen, welche den Tonus bestimmter Muskeln, z. B. der Hinterbeinmuskeln von Hunden und Fröschen, vermitteln, stammt jedenfalls aus denjenigen Gebieten, in welchen der Tonus stattfindet. So haben eine ganze Anzahl von Arbeiten der letzten Jahre ergeben (H. E. Hering, 1897, Bickel, 1897, und andre), daß der Tonus z. B. in den Hinterbeinen wesentlich herab- gesetzt wird, wenn die zugehörigen hinteren Wurzeln durchschnitten werden. Da ein Tonus aber auch nach Ausschaltung dieser rezep- torischen Bahnen noch fortbesteht, so geht daraus hervor, dab er auch, wenigstens zum Teil, durch rezeptorische Erregungen andrer Gebiete vermittelt wird. Die Arbeit von Merzbacher (4902) über die Resultate nach der Durchschneidung der hinteren Wurzeln des Kaudalmarks von Hunden hat sogar ergeben, daß eine Änderung im Tonus des Schwanzes nicht zu bemerken ist, wenn derselbe auch ganz arezep- torisch gemacht ist.

Eine Hauptquelle der Erregungen für den Reflextonus stammt nach den ausgedehnten Untersuchungen von I. R. Ewald (1892) aus dauernden Erregungen des inneren Ohrs, des Labyrinths. Nach Fort- nahme beider Labyrinthe zeigt sich besonders bei Tauben, aber auch deutlich bei allen andern Wirbeltieren eine bedeutende Herabsetzung des Muskeltonus und der absoluten Muskelkraft. Da sich der Einfluß

Der Tonus. 365

jedes Labyrinths hauptsächlich auf die gekreuzte Muskulatur erstreckt, so treten nach Fortnahme eines Labyrinths asymmetrische Körperhaltungen (besonders anfallsweise) und ungleichstarke Aktivbewegungen beider Seiten auf. ‚(Auch bei Wirbellosen ließen sich ähnliche Einflüsse der Statoeysten auf den Tonus der Muskulatur nachweisen [Bethe, 1897].) Diese auffallenden Erscheinungen führten Ewald zur Aufstellung der Hypothese vom Tonuslabyrinth. Die dauernde Erregung der Mus- kulatur vom Labyrinth aus erklärt er durch die Annahme, daß in den halbzirkelförmigen Kanälen durch Flimmerhaare ein dauernder Flüssig- keitsstrom erzeugt wird, welcher die Rezeptionshaare derselben Gegend in eine dauernde Erregung versetzt. Von hier wird sie dann durch das Zentralnervensystem zu den Muskeln fortgeleitet.

Besonders starke tonische Erscheinungen sind bei Wirbeltieren an den Sphinkteren der Blase und des Mastdarms zu bemerken. Man suchte eine Zeitlang diesen dauernden Verschluß der Leibesöffnungen auf Elastizitätsverhältnisse zurückzuführen, weil derselbe auch nach dem Tode des Individuums noch fortbesteht. Seit den Untersuchungen von Heidenhain und Colberg (1858) ist diese Ansicht aber als unhalt- bar erwiesen. Diese Autoren maßen zunächst den Druck, welcher beim normalen Kaninchen grade nötig ist, um den Verschluß des Sphineter vesicae zu sprengen, d. h. bei welchem grade Harnträufeln eintritt. Darauf wurden die Tiere durch Verbluten oder durch Blau- säure getötet, wobei der Gegendruck des Sphinkters allmählich ab- nimmt, bis auf einen geringen Rest, der auch nach dem Tode bleibt. (Manchmal wird während des Verblutungskrampfes Flüssigkeit aus- getrieben.) Vielfache Untersuchungen schienen zu ergeben, daß der Tonus der Sphinkteren allein durch das Rückenmark vermittelt werde (die zahlreichen Untersuchungen über dies Thema finden sich bei Fuld, 1895, referiert). Goltz und Ewald (1896) fanden aber, daß dies doch nur zum Teil richtig ist. Bei Hunden, welchen ein großer Teil des Rückenmarks und auch die Regionen exstirpiert waren, welche als Spinkterenzentren angesprochen wurden, sahen sie zwar zunächst den After klaffen, mit der Zeit stellte sich aber wieder ein Tonus des Sphineter ani et vesicae ein, welcher durch verschiedenartige Reize der Afterhaut verstärkt werden konnte. Bei Einführung eines Fremdkörpers zeigten sich auch rhythmische Kontraktionen. (Siehe auch Fuld, 1895.) Wäh- rend alle andern quergestreiften Muskeln, welche von dem existirpierten Rückenmarksstück aus normalerweise innerviert wurden, der Degene- ration anheimfielen, blieb der Sphincter externus erhalten.

Diese Versuche deuten ohne Zweifel darauf hin, daß die Sphink- teren außer vom Rückenmark noch von einem andren Zentrum ab- hängig sind, das vermutlich in der Nähe derselben gelegen ist. Ob es sich nun bei dem sich wiederherstellenden Sphinkterentonus um

366 Der Tonus.

einen wirklichen Reflextonus handelt oder ob das tiefere Zentrum einen automatischen Tonus hervorruft, erscheint nieht sicher gestellt. Für die Reflexnatur würde allerdings sprechen, daß der Tonus auf Reizung der Anusschleimhaut zunimmt. Soweit der Sphinkterentonus vom Rückenmark abhängt, ist er wohl sicher als Reflextonus anzusehen, da, der Arbeit von Merzbacher (1902) zufolge, nach der Durchschnei- dung der zugehörigen sensiblen Wurzeln zunächst derselbe Effekt ein- tritt, wie nach Lumbalmarkexstirpation. Später stellt sich wie nach dieser der Tonus des Sphineter ani wieder her. (Klaffen des Anus nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln hatte schon Gianuzzi be- obachtet, da die Tiere aber schnell starben, so war das Resultat nicht eindeutig; siehe Fuld, 1895.)

ei den bisher besprochenen Tatsachen (mit teilweiser Ausnahme der letztgenannten) hatten wir es mit dem Tonus von Muskulaturen zu tun, die nur schwer in einen tonischen Zustand zu versetzen sind. Auf künstlichen Reiz (vom Nerven aus oder direkt) ist es überhaupt kaum möglich, einen quergestreiften Muskel in einen Zustand dauern- der, schwacher Kontraktion zu versetzen. Es ist dies wohl ein Haupt- grund, weswegen sich so viele Physiologen anfangs so ablehnend gegen einen dauernden Tonus quergestreifter Muskeln verhalten haben. Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei vielen (aber nicht allen) glatten Muskeln. Schneidet man z. B. aus einem Mollusken einen Muskel heraus (siehe Biedermann, 1886), so bleibt er lange Zeit kon- trahiert und geht häufig erst beim Absterben oder bei Anwendung unnatürlicher Bedingungen (hauptsächlich Wärmeeinwirkung) in den schlaffen Zustand über, welcher für den ungereizten, quergestreiften Muskel der natürliche ist. Auf Reizung tritt beim glatten Muskel wieder tonische Kontraktion ein, welche nur langsam weicht.

Diese Tonusmuskulatur tritt uns bei vielen wirbellosen Tieren (aber auch bei Wirbeltieren z. B. an den Gefäßen und dem Ureter) entgegen. Besonders ausgebildet findet sie sich bei den Seeigeln. Die hier obwaltenden, höchst interessanten Verhältnisse haben v. Uex- küll zur Aufstellung der Frage bewogen, ob denn überhaupt der schlaffe Zustand der oder der einzige Ruhezustand der Tonus- muskulatur sei.

Wir sind so gewöhnt, daß unsere eigne Muskulatur erschlafft, wenn wir sie nicht innervieren und daß die meisten Muskeln der physiologischen Paradetiere nur in gereiztem Zustande verkürzt sind, daß es uns ganz selbstverständlich erscheint, das Stadium des Lang- und Schlaffseins überall als einzigen Ruhezustand anzusehen und jeden Zustand von Verkürztsein auf Reizung zurückzuführen. Wenn wir Seeigel oder Muscheln wären, würde uns das sicherlich nicht so selbst- verständlich vorkommen. Unsere Bewegungsmuskulatur, an der so

Der Tonus. 367

viele das Wesen der Kontraktion zu ergründen gesucht haben, stellt eben nur einen ganz einseitig entwickelten Spezialfall formwechsel- fähiger lebender Substanz dar, und es ist sehr die Frage, ob wir die an ihr zu beobachtenden Erscheinungen als maßgebenden Ausgangs- punkt für allgemeine Betrachtungen über den Formwechsel werden benutzen dürfen.

Uexküll deduziert nun folgendermaßen: Bei den Wirbeltiermuskeln steht die Erregung und Erregungsleitung im Vordergrund des Inter- esses, bei den Seeigeln tritt beides in den Hintergrund gegen den Tonus und die Tonusleitung. Wenn die Erregung eine vorübergehende Zustandsänderung darstellt, so ist Dauererregung eine contradicetio in adjeeto. Dieser Ausdruck für die tonische Muskulatur muß daher fallen, und der Tonus als eine andre Form der Ruhe angesehen werden. „Das einzige, was wir von der Lebensintensität einer Zelle zu sehen bekommen, ist der Teil, der nicht zur Weiterführung des Lebens dient, sondern in irgend einer Form nach außen in Erscheinung tritt. Diese Überproduktion an Energie nennen wir Tonus“ (beim Muskel).

Nach dieser Auffassung würde, wenn ich recht verstehe, ein tonusfähiger Muskel in dem Zustand weiter verharren, in den ihn die letzte Erregung versetzt hat; er würde zwar nicht mehr erregt sein, aber doch Arbeit leisten, indem er mehr Energie produzierte als bei schwächerem Tonus. Ich glaube, daß aber noch eine andre Möglich- keit vorliegt: Der tonusfähige Muskel leistet nur dann Arbeit, wenn er aus einem Zustand in den andern übergeht. Dem Zustande des hohen Tonus entspricht wirkliche Ruhe, und er äußert dabei keine höhere Lebensintensität nach außen als in schlaffem Zustande.

Wenn man einen quergestreiften Muskel längere Zeit „willkürlich“ oder durch Reizung des Nerven in kontrahiertem Zustande erhalten will, so verbraucht der Muskel dabei sehr viel Material und gerät bald in einen Zustand hochgradiger Ermüdung. Tonusfähige Muskeln können aber stunden- und tagelang im Zustande der Verkürzung bleiben, ohne Ermüdung zu zeigen. Würde hierbei dauernd Arbeit geleistet, so müßte der Stoffverbrauch nach Analogie quergestreifter Muskeln außerordentlich groß sein. Wenn man nun die Blutversorgung als Maß des Material- und Sauerstoffverbrauchs gelten läßt, so kann schwerlich von einer dauernden Arbeit der Tonusmuskulatur die Rede sein, denn ihre Blutversorgung ist in der Regel geringer als die der quergestreiften, schnellen Muskulatur. Es wäre denkbar, daß die durch die Erregung hervorgebrachte Verkürzung bei den tonisch erregbaren Muskeln eine stabile Modifikation des schlaffen Zustandes wäre, die ohne Arbeit der Fasern fortbestände und nur auf neue Zustands- änderungen hin in andre stabile Ruhelagen umgeändert würde.

Diese Ansicht schwebt nicht so in der Luft und steht nicht so

368 Der Tonus.

ohne Analogien in der unbelebten Natur da, wie es manchem auf den ersten Blick scheinen möchte. Schneidet man eine Aplysia auf, so kehrt nach kurzer starker Kontraktion die mittlere Schlaffheit der Muskulatur zurück. Beim Aufschneiden ist die Leibeshöhlenflüssigkeit ausgelaufen. Reizt man nun nach Herausnahme des Zentralnerven- systems oftmals die Nerven, so wird aus der sich jedesmal für längere oder kürzere Zeit kontrahierenden tonusfähigen Körpermuskulatur immer mehr Serum ausgetrieben; die Muskeln werden jedesmal kürzer und dünner, so daß der ganze Hautmuskelschlauch nach einiger Zeit nur noch ein Drittel oder ein Viertel der Fläche einnimmt, als nach dem Aufschneiden. Während dieser Zeit ist die Muskulatur immer härter geworden und sie ist jetzt der. Erschlaffane überhaupt nicht mehr fähig. Versucht man einen Streifen der Muskulatur aus dem Schlauch herauszuschneiden, so zieht er sich heftig zusammen und treibt eine Menge Wasser aus; die stärkste Verkürzung wird erreicht, wenn man versucht das Körper- epithel abzupräparieren. Eine Erschlaffung und Verlängerung ist nieht mehr möglich, auch dann nicht, wenn man das Stück in Serum legt. Alle diese Beobachtungen, die übrigens auch an manchen andern Mollusken mehr oder weniger leicht gelingen, hat schon Schoenlein gemacht, wie er mir seiner Zeit mitteilte, als ich ihm dieselben Beobachtungen in Neapel mitteilte. Später hat auch Jordan (1901) ähnliches beobachtet. Wie dieser Autor fand, wird beim normalen Tier Wasser aus den Muskeln bei jeder Kontraktion unter die Haut gepreßt und von da aus wieder in die Muskeln auf- genommen. Die Haut einer kontrahierten Stelle bekommt durch diesen Wasseraustritt das bekannte warzige Aussehen, das bei der Er- schlaffung verschwindet. Sicher wird übrigens auch Serum in die Körperhöhle ausgepreßt. Zur Erschlaffung der Muskeln ist ein ge- wisser positiver Druck in der Körperhöhle nötig, wovon ich mich mehrfach überzeugt habe. Wenn nicht sofort nach dem Auf- schneiden Starre und dauernde Verkürzung der Muskeln eintritt, so hat dies wohl darin seinen Grund, daß in den Divertikeln der Körper- höhle längere Zeit ein Vorrat von Serum zurückbleibt, welcher, wie man sich wenigstens an den Flügeln mit dem Manometer überzeugen kann, erst allmählich seinen positiven Druck verliert.

Wenn also bei der Kontraktion der tonusfähigen Muskeln (wenig- stens bei diesen Tieren) Wasser oder Serum ausgetrieben wird, so ist es sehr gut denkbar, daß der dadurch bedingte Ver- kürzungszustand anhält, ohne daß zur Erhaltung dieses Zustandes eine aktive Arbeit geleistet werden muß. Der Zustand der schlaffen Faser kann eben dahin geändert sein, daß sie zur Wiederaufnahme des verdrängten Wassers keine Tendenz hat.

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Der Tonus. 369

Den bei den Reizungsvorgängen einiger Pflanzen beobachteten Wasseraustritt hat bekanntlich Pfeffer auf eine plötzliche Aufhebung des osmotischen Innendrucks der Zellen zurückgeführt. Es liegt nahe, auch bei den Aphysiamuskeln an osmotische Erscheinungen zu denken.

Die normale Aplysia befindet sich stets in einem schwachen Tonus. Vollkommenes Erschlaffen, bei welchem die äußere Haut ganz glatt wird, kommt unter normalen Bedingungen gar nicht oder nur an be- schränkten Körperpartien (manchmal bei Progressivbewegungen) vor. Eine vollkommene Erschlaffung der gesamten Körpermuskulatur ist aber immer durch folgende Maßnahmen zu erreichen: 1. Reflektorisch. Zu diesem Zweck nimmt man ein Tier, ohne es zu drücken, in die Hand und schüttelt es einigemal leise im Seewasser hin und her; dabei fühlt man, wie der Körper immer weicher wird, bis er schließ- lich eine ganz schlaffe Masse bildet.') 2. Durch Vergiftung. In- jiziert man einem Tier Pelletierinsulfat (Schoenlein, 1594) oder Cocain, Nieotin, Morphin ?) u. s. w. (Bottazzi, 1899), so tritt eine vollkommene Erschlaffung ein.

Um einen Ausdruck für die Stärke des Tonus zu gewinnen, be- nutzte ich ein einfaches Flüssigkeitsmanometer. Eine spitze Glas- kanüle mit mehreren seitlichen Öffnungen ist durch einen Schlauch mit dem Manometer verbunden und wird der Aplysia von hinten her in die Leibeshöhle eingestochen. (Gewöhnlich zieht sich die Haut an der Einstichsöffnung so fest um die Kanüle zusammen, daß eine Ligatur niebt nötig ist.) Die Aplysia ist grade mit Wasser bedeckt und das Manometer so aufgestellt, daß der Nullpunkt in der Höhe des Wasserniveaus liegt. Beim normalen Tier (A. limacina) fand ich in der Ruhelage einen durchschnittlichen Druck von 2,5—4,0 em Wasser (je nach Individuum verschieden). Bei A. depilans ist der Tonus viel stärker (Bottazzi); dementsprechend auch der Innendruck.

1) Man könnte es nicht für ausgeschlossen halten, daß dieser Tonusfall gar nicht auf der peripheren schwachen Erregung beruht, sondern durch passive Dehnung der Muskulatur hervorgerufen wird, wofür Analoga durch Uexküll (1900) bei Seeigeln bekannt geworden sind. Man kann aber auch eine Erschlaffung durch Anbrandenlassen leichter Wasserwellen hervorrufen, was wohl mehr für eine periphere Reizung spricht. Drückt man das Tier während des Schwenkens, so tritt statt Erschlaffung Kontraktion ein.

2) Diese Substanzen wirken übrigens nicht, wie Schoenlein von Pelletierin meinte, nur auf das Zentralnervensystem ein und auch nicht, wie Bottazzi zu meinen scheint, nur auf die Muskulatur. Die Wirkung betrifft bei jeder Dosierung immer sowohl das Nervensystem, wie auch die Muskulatur resp. die peripheren Nervennetze, was nicht sicher zu entscheiden ist. Bepinseln der freigelegten Ganglien mit 1°/, Pelletierinlösung ruft bereits Erschlaffung hervor, wenn auch keine ganz maximale; Injektion nach Herausnahme des gesamten Zentralnerven- systems bewirkt noch Erschlaffung (siehe auch Jordan).

Bethe, Nervensystem. 24

370 Der Tonus.

Ich habe bei dieser Spezies aber nur wenige Versuche angestellt. (Übrigens wäre die Versuchsanordnung noch sehr verbesserungsfähig.)

Der Normaldruck bleibt bei ein und demselben Tier stets auf der gleichen Höhe und schwankt nur, wenn das Tier Bewegungen aus- führt. So steigt der Druck bei jedem spontanen Flügelschlag um 0,5—1,0 em, bei spontaner Retraktion des Kopfes um 1 em oder mehr. Tritt auf Reizung eine ausgedehntere Kontraktion ein, so können sich Drucksteigerungen von 2—3 cm zeigen.

Wird nun in der oben angegebenen Weise der Tonus durch Schwenken oder durch Pelletierininjektion aufgehoben, so sinkt der Innendruck bis auf 1 em, manchmal bis auf 0 herab. Wäre der Zustand der Dauerkontraktion mit einer Arbeitsleistung verbunden, so sollte man meinen, daß er abnehmen müßte, wenn das Arbeitsmaterial, die Nahrung, entzogen wird. Dies ist aber nicht der Fall. Läßt man ein Tier wochenlang hungern, so tritt keine Verringerung des Tonus ein; derselbe nimmt sogar eher an Stärke etwas zu. Man kann diesem Versuch nicht mit dem Einwand begegnen, daß diese Tiere große Reservestoffmengen in sich bergen, denn das Nahrungs- bedürfnis der normalen Tiere ist sehr groß. (In den ersten Tagen der Karenz findet eine sehr starke Gewichtsabnahme statt, welche hauptsächlich auf Wasserverlust zu beruhen scheint. Später ist die Gewichtsabnahme nur noch gering; der Tonus besteht aber fort.)

Sehr viel auffallender werden diese Verhältnisse, wenn man den Tonus künstlich steigert. Dies kann, wie Bottazzi gezeigt hat, durch Glyeoside geschehen (in noch viel höherem Maße durch Injektion von etwas Seewasser, in welchem Chloroform gelöst ist), doch ist dies Verfahren für uns nicht brauchbar, weil diese Vergiftungen nur vorübergehend wirken, indem sie entweder zum Tode führen oder Er- holung zulassen. Sehr viel besser für unsere Zwecke brauchbar ist die Tonussteigerung, welche nach Fortnahme des gesamten Zentral- nervensystems ') eintritt. Bald nachdem diese Operation ausgeführt ist (siehe S. 113) fängt der Tonus an, stark zu steigen. Da die Steigerung in sämtlichen Muskeln stattfindet, was beim normalen Tier fast nie vorkommt, so erfährt der Innendruck eine ganz unnatürliche Erhöhung. Gemessen habe ich Innendrucke von 11—13 cm Wasser, wahrscheinlich ist der Druck aber oft noch höher. Diese Tonushöhe ist zwar nicht das erreichbare Maximum, denn bei Berührung der

1) Sie ist für die Kopfteile von der Fortnahme des Cerebralganglions, für den größten Teil des übrigen Körpers von der Fortnahme der Pedalganglien abhängig. Die unteren Visceralganglien müssen im Tier bleiben, weil es sonst nicht atmen kann. Ich habe diese Befunde bereits 1898 im Neapel gemacht, aber nicht veröffentlicht. Inzwischen hat auch Jordan (1901) die partielle Tonus- steigerung nach Fortnahme der Pedalganglien beobachtet.

Der Tonus. 371

Haut treten noch mehr oder weniger weit ausgedehnte Retraktionen ein, aber sie übertrifft doch den Normaltonus sicher um ein Vielfaches. Erhält man solche Tiere am Leben, so tritt bis zum Tode!) kein Ab- sinken des Tonus ein; er bleibt stets auf gleicher Höhe, wird durch Reize noch verstärkt, kann aber durch Pelletierin fast ganz aufgehoben und durch Schwenken etwas herabgesetzt werden. (Da durch Schwenken und auch durch sanfte Massage niemals ein vollkommener oder auch nur starker Tonusfall hervorgerufen werden kann, wie dies beim nor- malen Tier der Fall ist, so möchte ich doch den Tonusfall beim Schwenken für reflektorischer Natur halten.)

Wenn man bedenkt, wie groß die Arbeitsleistung sein müßte, um den so hervorgerufenen starken Tonus aufrecht zu erhalten, wenn er durch fortgesetzte aktive Tätigkeit bedingt wäre, dann wird man zu- geben müssen, daß die Tonusmuskulatur wohl andern Ge- setzen unterworfen ist, als die Bewegungsmuskulatur und daß der Kontraktionszustand dieser Muskeln eine andre Form wirklicher Ruhe ist.

.Es ist nun die Frage, in welchem Abhängigkeitsverhältnis vom Nervensystem der Tonus bei diesen Tieren steht: Jordan ist der An- sicht, daß die Tonussteigerung sofort nach der Herausnahme der Ganglien auftritt. Ich kann mich dem nicht anschließen, verstehe aber, wie man zu dieser Ansicht kommen kann, wenn man die Tiere bei der Operation vergiftet; weicht nämlich die Giftwirkung, dann ist der Effekt schon da. Um die Frage zu entscheiden, sah ich von einer Vergiftung der Versuchstiere ab und verhinderte den Austritt von Leibesflüssigkeit, der ja manometrische Versuche unmöglich machen würde, dadurch, daß ich den Kopfteil mit den Ganglien durch eine Ligatur vom übrigen Körper abschnürte. In den Hinterkörper wurde dann die Kanüle eingestochen und der Schlundring (die Ganglien) durch einen Schnitt in den Kopf freigelegt. Liegt die Ligatur gut, so tritt keine Flüssigkeit aus dem Hintertier aus; die Reize gehen aber ungehindert von den Ganglien in die hinteren Körperpartien, so daß eine wesentliche Veränderung in deren physiologischen Verhalten nicht zur Beobachtung kommt (das Tier kriecht, schlägt koordiniert mit den Flügeln u. s. w.).

Nachdem sich der Innendruck auf eine gleichmäßige Höhe ein- gestellt hat (er schwankt infolge der durch Operation angeregten Be- wegungen zuerst stark), wird der ganze Schlundring herausgenommen.

1) Ich habe solche Tiere bis zu zehn Tagen am Leben erhalten, während welcher Zeit sie natürlich keine Nahrung nehmen konnten. Jordan gelang es, Tiere, denen beide Pedalganglien extirpiert waren, über einen Monat am Leben zu erhalten. Sie zeigten den erhöhten Tonus in den betroffenen Gebieten bis zum Tode.

247

372 Der Tonus.

Der Innendruck bleibt zunächst meist normal. Manchmal sinkt er gleich nach der Operation um einen halben bis ganzen Zentimeter, niemals aber steigt er direkt und steil in die Höhe. (Wenn die Schere scharf ist, so tritt bei der Durchschneidung der Nerven gar keine Reaktion, also auch keine Drucksteigerung ein.) Fünf bis zehn Minuten nach der Operation beginnt der Druck dann langsam zu steigen und erreicht sein definitives und andauerndes Maximum nach 20—30 Minuten. In seltenen Fällen spielte sich der Prozeß in wenigen Minuten ab. Dies schien dann der Fall zu sein, wenn nach der Ganglienexstirpation Reize auf die Haut des Hintertiers eingewirkt hatten. Besonders darauf gerichtete Versuche mußten leider aus Mangel an Zeit abgebrochen werden, doch scheint es mir schon jetzt ziemlich sicher, daß der Tonus sich um so schneller entwickelt, je stärkere Reize auf die Haut einwirken.

Demnach scheint bei diesen Tieren das periphere Nervennetz der Hauptvermittler des Reflextonus zu sein. Das Hautnervensystem scheint aber nur in sehr geringem Maße die Fähigkeit zu haben, die so leicht durch dasselbe vermittelten Tonussteigerungen auch wieder zu’ lösen. Tonuslösung scheint”also "hier, eine, Haspı funktion der zentralen Ganglien zu sein. (Auf die von Jordan gegebene Erklärung der Tonussteigerung glaube ich nicht ein- sehen zu brauchen, da die Grundlagen, auf die sie aufgebaut ist, zum Teil auf Irrtümern beruhen.)

Ganz besondere Verhältnisse in Bezug auf den Tonus hat Uex- küll (1900) bei den Seeigeln gefunden: Die Stacheln der meisten Seeigel besitzen einen doppelten Ring radial aufgespannter Muskel- fäden. Die Fasern des einen Ringes bewegen sich ziemlich schnell und zeigen nur geringen Tonus, die andern geraten leicht in hohen Tonus und halten ihn lange fest. Alle Bewegungen des Stachels können von der schnelleren Muskulatur ausgeführt werden. Bringt man nämlich durch Klopfen die Tonusmuskeln in Erregung, so geben die Stacheln auf Druck nicht nach; wenn man sie mit Gewalt zu be- wegen sucht, so brechen sie entweder ab oder die Tonusmuskulatur zerreißt. Ist letzteres geschehen, so sind die Stacheln leicht beweglich und die übrigbleibenden schnellen Muskeln können noch alle Reflexe (starke und schwache Form u. s. w.) ausführen. Nur die starken Tonus- erscheinungen bleiben aus.

Durch geeignete Maßnahmen, über die im Orginal nachzulesen ist, kann der Tonus der Tonusmuskulatur stark herabgesetzt werden. Die Stacheln sind jetzt leicht beweglich. Drückt man nun einen Stachel leicht und langsam nach einer Seite, so wird dadurch die Muskulatur auf einer Seite gedehnt. Diese Erscheinung ist aber nicht rein passiv, denn, wenn man mit dem Druck

Die Hemmung. 373

nachläßt, so bewegt sich der Stachel in derselben Richtung weiter und kehrt erst allmählieh in die Ruhe- lagezurück. Die passive Dehnung bringtalso den Tonus zum Sinken und er sinkt nachträglich noch weiter. Das Auffallendste aber ist, daß alle Stacheln der Nachbarschaft sich nach derselben Seite hinneigen. Es folgt also auf den Tonusfall bei einem Stachel ein Tonusfall in der gleichgerichteten Muskulatur aller Nachbarstacheln. Hieraus muß der Schluß gezogen werden, daß bei diesen Tieren die Erregung im Nerven zurückfließen kann, wenn man nicht grade annehmen will, daß hier besondere rezeptorische Fasern tätig sind. Über die Bedeutung dieses Phänomens für das Tier (Uexküll nennt es Reflexverkettung) muß ich auf das Orginal verweisen. (Auf die soeben erschienene Arbeit Uexkülls (1903) konnte leider nieht mehr eingegangen werden.)

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL. Die Hemmung.

So reich das Tatsachenmaterial über nervöse Hemmungsvorgänge !) auch ist, so gehört dies Kapitel, was die Deutung anbetrifft, doch zu den dunkelsten und am meisten umstrittenen. Kurz gefaßt bestehen die Hemmungsvorgänge darin, daß auf Reizung rezeptorischer Nerven, gewisser Zentralteile oder intrazentraler Fasern Bewegungserscheinungen oder Kontraktionszustände aufgehoben oder an ihrem Zustandekommen verhindert werden.

Die Existenz derartiger Erscheinungen beim Menschen ist schon lange bekannt, so besonders die durch „Willkür“ oder reflektorisch hervorgerufene Hemmung des Blasen- und Afterverschlusses. Den Hauptanstoß zu einem genaueren Studium der Hemmungserscheinungen gab aber erst die große Entdeckung der Gebrüder Weber (1845), daß die Bewegungen des Herzens vom Vagus aus zum Stillstand gebracht werden können. Heutzutage wäre es verfehlt, diesen historischen

1) Ein die Literatur ziemlich vollständig berücksichtigendes Referat über die Hemmungserscheinungen ist vor kurzem von H.E. Hering (1902) publiziert worden.

374 Die Hemmung.

Ausgangspunkt aller Untersuchungen auch als Ausgangspunkt der kritischen Behandlung des Themas zu wählen, weil die Verhältnisse am Herzen an und für sich sehr kompliziert liegen und von vielen Forschern dadurch in einen Gegensatz zu andern Hemmungserschei- nungen gesetzt werden, daß sie die Herzbewegungen als rein mus- kulären Ursprungs ansehen, den Vagus also direkt auf die Muskulatur wirken lassen. Da im allgemeinen Nerven, welche mit Muskeln in Verbindung stehen, bei der Reizung immer Kontraktionen hervorrufen und nur unter ganz bestimmten Bedingungen hemmungsähnliche Er- scheinungen vermitteln, da zum andren die meisten übrigen Hemmungs- erscheinungen nur unter Vermittlung von Zentralteilen zustande kommen, so würde bei der Herzhemmung etwas ganz andres vorliegen als bei diesen, vorausgesetzt, daß die Herzaktion in Wirklichkeit rein ımyo- gener Natur ist. Ich für meine Person bin nun zwar von der Unrich- tigkeit der Gaskel-Engelmannschen Auffassung überzeugt und werde weiter unten meine Gründe hierfür aufweisen, so lange aber diese Frage noch zur Diskussion steht, wird es jedenfalls zweckmäßig sein, bei der Erörterung der Hemmungserscheinungen im allgemeinen von andern Tatsachen auszugehen. Aus ähnlichen Gründen ist die im Jahre 1857 von Pflüger beschriebene Hemmung der Darmperistaltik durch Splanchnieusreizung in der Deutung schwierig, weil hier ebenso- wenig wie beim Herzen eine Möglichkeit vorhanden ist, die Eigen- schaften der Muskulatur für sich zu untersuchen. Die Annahme einer direkten Einwirkung der Nervenfasern (des Splanchnieus) auf die Muskulatur dürfte hier allerdings wohl nur noch wenig Anklang finden, da jetzt die meisten Forscher geneigt sind, die eigentliche Darmperistaltik auf nervöse Ursachen zurückzuführen (siehe Star- ling, 1902).

Für die genauere Analyse der Hemmungsvorgänge sind die Be- obachtungen am geeignetsten, welche sich auf unumstrittene, durch das Zentralnervensystem vermittelte Reflexe beziehen. Ich will zur Illustration von den vielen hierhergehörigen Tatsachen nur einige wenige Beispiele anführen: Wie Goltz (1869) fand, kann man einen Frosch, besonders nach Fortnahme des Großhirns, durch leichtes Streichen der Rückenhaut zu einem jedesmaligen Quaken bringen. Läßt man gleichzeitig einen nicht zu schwachen Reiz auf andre sensible Nerven einwirken, umschnürt man z. B. ein Bein, so bleibt der Quakreflex mit Sicherheit fort. Bei Hunden mit querdurehtrenntem Rückenmark treten eine große Reihe von Reflexerscheinungen mit großer Regel- mäßigkeit auf. So pendeln solehe Tiere, wenn man den Hinterkörper herabhängen läßt, rhythmisch und abwechselnd mit den beiden Hinter- beinen. Drückt man den Schwanz oder streicht man sanft über einen Oberschenkel, so hört das Pendeln sofort auf, um einige Zeit nach

Die Hemmung. 375

dem Aufhören des hemmenden Reizes wieder zu beginnen (Freusberg, 1575). Bei andauerndem schwachen Reiz tritt das Pendeln überhaupt nicht ein. Hat solch ein Hund ein Bein angezogen, das andre ge- streckt und reizt man nun das gestreckte, so wird dieses angezogen, zugleich sinkt aber auch das angezogene herab. Derselbe Versuch läßt sich leicht auch an Fröschen anstellen, besonders, wenn sie einige Zeit im Kalten gewesen sind (Biedermann, 1900). Sehr prompt traten bei großhirnlosen Hunden eine ganze Reihe von Reflexen ein, welche beim normalen Tier nur unsicher zu erzielen sind, wie Goltz (1876—1892) gezeigt hat. Alle diese Reflexe, z. B. der auf Krabbeln der Körperseite eintretende Kratzreflex und der auf Kitzeln des Nackens erscheinende Schüttelreflex, lassen sich leicht durch gleich- zeitig an andern Körperstellen angesetzte Reize aufheben, wenn sie schon eingetreten sind, oder am Eintritt verhindern, wenn der aus- lösende Reiz erst später angesetzt wird.

In allen diesen und vielen andern Fällen wird also die normale Beantwortung eines Reizes dadurch verhindert, daß zu gleicher Zeit mit dem Reflexreiz (den wir beim Pendeln nicht genau kennen) an einer andern Körperstelle ein Reiz einwirkt. Während der Reflex selber nur von bestimmten Stellen ausgelöst werden kann, der Kratz- reflex z. B. nur von der Seitenfläche des Körpers, kann die Hemmung von all den Körperstellen aus hervorgerufen werden, deren Reizung nicht eben zu diesem Reflex führt. Soweit mir bekannt, ist es nicht möglich einen Reflex von derselben peripheren Stelle aus zu hemmen, von der aus er ausgelöst wird. (Ich nehme hiervon den Bubnoff-Heiden- hainschen Befund aus, daß die durch Pfotenreiz hervorgebrachte Kon- traktion durch Streichen der Pfote nachträglich wieder gelöst werden kann.) Systematische Untersuchungen über diesen Punkt existieren wohl nur von Wundt (1576). Wurde beim Reflexpräparat (siehe S. 346) die Zuckung des Gastrocnemius von einer hinteren Wurzel des Ischiadieus aus ausgelöst, so erhielt er bei gleichzeitiger, leichter Tetanisation einer benachbarten hinteren Wurzel stets Ver- stärkung der Zuckung. Je weiter die tetanisierte Wurzel vom Ur- sprung des Ischiadieus entfernt war, desto häufiger trat eine Vermin- derung der Reflexwirkung, also Hemmung ein.

Manchmal müssen die hemmenden Reize stark sein; viele Reflexe lassen sich aber durch relativ schwache Reize unterdrücken. Der Grund für diese Verschiedenheit scheint mir lediglich darin zu liegen, daß die einzelnen Reflexe sehr verschieden stark sind und diese Unterschiede in der Stärke sind zu einem guten Teil von der physio- logischen Dignität der Reflexe selber abhängig. Je stärker der hem- mende Reiz ist, desto mehr Reflexe fallen aus, bis schließlich bei sehr starken Reizen auch die notwendigsten Reflexe ausbleiben und

376 Die Hemmung.

eine vollständige Reflexlähmung (zum Teil identisch mit dem Begriff Shok) eintritt.

Experimental kann eine solche Reflexlähmung bisweilen durch Tetanisation eines Ischiadieus und durch andre starke Reize (beim Frosch) erzeugt werden (Notnagel, 1869). Mit großer Sicherheit tritt sie stets dadurch ein, daß man einem Frosch einige Tropfen mehrprozentiger Kochsalzlösung unter die Rückenhaut bringt.) Fast momentan stellt sich auf diesen Eingriff hin eine vollkommene Reflexlosigkeit ein: Die Glieder hängen schlaff herab (seltener befinden sie sich vorübergehend in einem Zustand tonischen Krampfes) und werden auch auf starkes Kneifen nicht angezogen. Die Atmung steht still, die Zunge kann herausgezogen werden und sogar der Cornealreflex kann fehlen. Selbstverständlich lassen sich die Tiere in diesem Zustand jede Lage, auch die Rückenlage, gefallen. Dieser Zustand dauert aber nur wenige Minuten, dann kehren die Reflexe allmählich wieder. Ver- anlaßt man die Tiere zu einigen starken Bewegungen, so tritt ge- wöhnlich die Reflexlähmung noch einigemal für kurze Zeit ein. Auch durch Reiben der Rückenhaut kann man neue Anfälle von absoluter Reflexhemmung hervorrufen. Nach etwa einer Viertelstunde sind die Frösche wieder ganz normal; durch erneute Gabe von Kochsalzlösung kann aber der alte Zustand wieder hervorgerufen werden. Die all- gemeine Reflexhemmung kommt hier offenbar durch den starken all- gemeinen Reiz zustande, dem die Nervenstämmchen der Rückenhaut unterworfen werden. Ist das Kochsalz resorbiert, so hören die Er- scheinungen auf.

Um allgemeine Reflexhemmung hervorzurufen, muß der hemmende Reiz erstens sehr stark und zweitens sehr ausgedehnt sein, also viele Nervenbahnen zugleich treffen. Schwache allgemeine Reize und starke lokale Reize können wohl die Reflexerregbarkeit im allgemeinen herab- setzen und einige schwache Reflexe ganz am Zustandekommen ver- hindern, aber eine vollkommene Reflexlähmung rufen sie nie hervor. Je lokaler ein Reiz ist, desto mehr wirkt er reflexauslösend und desto weniger reflexhemmend; je mehr er sich über weite Körperstrecken ausbreitet, desto mehr wirkt er reflexhemmend und desto weniger reflexauslösend. Der Unterschied zwischen den auf schwache Reize hin eintretenden Hemmungserscheinungen und denen, welche auf starke (und mehr allgemeine) eintreten, ist also nur gra- duell, so daß mir die Aufstellung einer gewissen Gegensätzlichkeit, wie sie H. E. Hering vornimmt, ziemlich willkürlich zu sein scheint.

1) In der Literatur habe ich diese Erscheinung bisher nicht erwähnt ge- funden. Aus persönlichen Mitteilungen habe ich aber erfahren, daß sie in ver- schiedenen Laboratorien bekannt ist.

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Die Hemmung. 377

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Eine scharfe Grenze zwischen mehr physiologischen Hemmungs- erscheinungen einerseits und der Reflexlähmung und dem Shok andrer- seits existiert nicht.

Im täglichen Reflexleben eines Tieres spielen die starken Reize als hemmende Faktoren nur eine untergeordnete Rolle. Auch die anfangs erwähnten Hemmungserscheinungen, bei denen irgendwelche Reflexe ganz zur Unterdrückung kommen, treten an Wichtigkeit gegen partiellere Hemmungen zurück. Diesen verdankt wohl das koordinierte Zusammenarbeiten unserer verschiedenen Muskeln zum großen Teil seinen Ursprung. Den ersten Schritt zur Erkenntnis dieser Dinge ver- danken wir E. Hering und Breuer (1868).

Nachdem Traube (1847) gezeigt, daß die Atmung bei Reizung des zentralen Vagusstumpfes stehen bliebe, und Rosenthal (1862) nachgewiesen hatte, daß Vagusreizung ‚„systolischen‘“ Atemstillstand (kontrahiertes Zwerchfell), Reizung des Laryngaeus superior „diasto- lischen‘“ Atemstillstand (schlaffes Zwerchfell) hervorruft, wurde von Hering und Breuer dargetan, daß derartige Hemmungen durch zen- tripetale Fasern eine große Rolle bei der gewöhnlichen Atemrhythmik spielen. Bei der Inspiration wird die Lunge gedehnt und hierdurch werden zentripetale Fasern gereizt, welche die Inspirationsmus- kulatur in der weiteren Aktion hemmen, 'sie also zum Erschlaffen bringen; andrerseits wird durch das Kollabieren der Lunge bei der Expiration ein neuer Reiz ausgeübt, welcher zu einer Hemmung der Expiration führt. (Zugleich werden jedesmal die entgegengesetzten Muskeln angeregt; siehe S. 398). ,„Wir haben es hier,“ schreibt H. E. Hering, „mit der ersten experimentellen Tatsache zu tun, welche uns zeigte, daß auf natürlichem Wege erregte zentripetale Nerven in entgegengesetzter Weise auf antagonistische Muskelgruppen einzuwirken vermögen.“

Bereits Charles Bell (1836) hatte die entgegengesetzte Innervie- rung antagonistischer Muskeln experimentell zu beweisen gesucht. Er hatte die Sehne eines Muskels (Streekmuskel) durchsehnitten und sah nun, daß er sich bei jeder Kontraktion seines Antagonisten (des zugehörigen Beugers) verlängerte. Dieses Experiment ist durch viel- fache Untersuchungen Sheringtons (1893, 1897) und H. E. Herings (1895) an den verschiedenartigsten Muskeln und unter verschiedenen Versuchsanordnungen nachgeprüft und bestätigt worden. Nach neueren Untersuchungen von R. du Bois-Reymond (1902) scheint die Hem- mung eines Agonisten bei Kontraktion seines Antagonisten und um- gekehrt zwar nicht so spezifisch zu sein, wie es von Sherington und Hering hingestellt wird, indem sich der Hemmungsprozeß auch auf alle möglichen andern Muskeln erstreckt; im Prinzip wird man aber wohl doch diese Lehre von einer hemmenden Wechselwirkung

378 Die Hemmung.

aufrechterhalten dürfen. Man darf sie nur nicht zu sehr schema- tisieren.

Seit den Untersuchungen von Setschenow (1863) haben sich viele Autoren bemüht, die Hemmung als selbständige Funktion bestimmter Zentralteile hinzustellen. Setschenow hing Frösche an der Schnauze auf und tauchte eine Pfote in verdünnte Schwefelsäure. Es wurde dann die Zeit gemessen, welche vergeht bis die Pfote aus der Säure herausgezogen wird (Türksche Methode). Nach Abtragung der Vorder- teile des Gehirns (besonders der Sehhügel) fand er die Zeit kürzer als bei normalen Tieren, andrerseits wurde sie verlängert, wenn die Seh- hügel elektrisch oder chemisch gereizt wurden. Hieraus zog er den Schluß, daß im den vorderen Hirnteilen besondere Hemmungszentren gelegen seien. Ähnliche Untersuchungen stellte er später (1865) in Gemeinschaft mit Paschutin an. Eine reflexhemmende Funktion sollte danach nur dem Gehirn, aber nicht dem Rückenmark zukommen. Dieser Lehre wurde besonders von Schiffs Schüler Herzen (1864) ent- segengetreten. Eine Verkürzung der Reaktion auf Säure, überhaupt eine Steigerung der Reflexerregbarkeit, soll immer dann eintreten, wenn die Masse der grauen Substanz verkleinert wird (Schiff, 1859), gleichgültig, ob vom vorderen oder hinteren Ende des Nervensystems Substanz fortgenommen wird. (Leider sind diese hochinteressanten Versuche in neuerer Zeit nicht wieder aufgenommen worden.) Eine Hemmung von Reflexvorgängen soll ebensogut durch Reizung des Rückenmarks oder peripheren Nerven hervorgerufen werden können wie durch Reizung der Sehhügel; kurz: die vorderen Teile des Nerven- systems hätten, was die Hemmungsvorgänge anbetrifft, nichts Wesent- liches vor den übrigen voraus.

Wenn, wie oben gezeigt wurde, am unverstümmelten Tier um so leichter eine Reflexhemmung zu erzielen ist, je ausgedehnter die ge- reizten Partien sind, dann hat es nichts Merkwürdiges an sich, daß gleiche Effekte durch Reizung von Zentralteilen zu erzielen sind, weil ja hier an den meisten Stellen ein Zusammenfluß sehr vieler peripherer Bahnen stattfindet. Man reizt hier an einer scheinbar zirkumskripten Stelle Fasern, welche an der Peripherie einem großen Verbreitungsgebiet und oft vielen weit auseinandergelegenen Haut- stellen entsprechen. Am meisten Fasern, welche weit auseinander- gelegenen Stellen der Peripherie entsprechen, wird man natürlich auf kleinstem Raum an den Stellen des Zentralnervensystems reizen, WO allgemeine Sammelstellen sind, also bei Wirbeltieren im Großhirn und Mittelhirn, bei Arthropoden in den Globuli u. s. w. Bei dieser Sach- lage ist es eigentlich sogar verwunderlich, daß es in diesen Gegenden Stellen gibt, deren künstliche Reizung (die ja nie lokal sein kann) zu positiven Erfolgen führt (motorische Zonen).

Die Hemmung. 379

Daß es im Sinne von Setschenow hemmende Zentren gibt, ist wohl allgemein aufgegeben. Wohl allgemein hegt man jetzt die An- sicht, daß alle physiologischen Hemmungen auf äußeren Reizen be- ruhen, grade so wie sämtliche Bewegungserscheinungen dieses Ur- sprunges und nie wirklich spontan sind (siehe Biekel, 1896). Insofern wird man aber noch immer von Hemmungszentren sprechen können, als gewisse Zentralteile höherer Tiere zu rezeptorischen Nerven, von denen besonders leicht hemmende Einflüsse ausgehen, in näherer Be- ziehung stehen. In diesem Sinne kann das Großhirn und das Mittel- hirn der Wirbeltiere, das Cerebralganglion der Arthropoden und Mollusken als Hemmungszentrum angesehen werden. Nach Fortnahme des Groß- hirns sind bei Fröschen (Goltz, 1869, Schrader, 1887), Tauben (Schrader, 1889) und Hunden (Goltz, 1892) alle Reflexe sehr viel leichter und prompter auszulösen, bei manchen dieser Tiere stellt sich auch ein fast andauernder Bewegungstrieb ein. Dasselbe ist nach Fortnahme des Cerebralganglions bei Mollusken (Cephalopoden, v. Uex- küll, 1595, Aplysia, Jordan, 1901, ich) und bei Arthropoden (Bethe, 1597) zu konstatieren. Ein Hauptanteil an den durch diese Vorderteile des Zentralnervensystems vermittelten Hemmungserscheinungen ist Er- regungen zuzuschreiben, welche dauernd vom Auge aus zum Nerven- system gelangen. Sa konnten Langendorff (1877) und Merzbacher (1900) nachweisen, daß beim Frosch Fortnahme der Augen ganz ähn- liche Erscheinungen hervorruft wie Fortnahme des Großhirns und ich konnte zeigen (1897), daß bei Arthropoden die Blendung häufig von einer großen Unruhe und Erhöhung der Reflexerregbarkeit gefolgt wird.')

Von den vielen Erklärungen, welche die Hemmungserscheinungen gefunden haben, hat diejenige von Munk und Schlösser (1580), daß nämlich die Hemmung auf Kontraktion der Antagonisten beruhe, den

1) Eine große Anzahl von Tatsachen, welche ein mehr spezielles Interesse haben, will ich hier übergehen. Kurz erwähnt mögen noch folgende Beispiele werden: Bubnoff und Heidenhain (1881) ließen nach Freilegung der motorischen Zonen den Extensor digitorum communis von Hunden seine Bewegungen auf- schreiben. Auf Streichen der Pfote oder auf Rindenreizung trat häufig eine Kontraktur des Muskels ein. Diese konnte durch leichtes Streichen der Pfote oder durch schwache Tetanisation der motorischen Zone aufgehoben werden. Brown-Sequard (1884) konnte durch Reizung nicht motorischer Rindenfelder bei Hunden und Kaninchen die Reizbarkeit der motorischen Zonen für mehrere Minuten aufheben; er glaubt es hier auch mit einer Hemmung zu tun zu haben. Libertini (1895) maß die Reflexzeit eines isolierten Muskels vom Hunde (auf Pfotenreiz) vor und nach Exstirpation der motorischen Zonen. Im letzteren Fall fand er sie verkürzt und schloß daraus, daß vom Großhirn aus eine dauernde Hemmung auf die Muskulatur ausgeübt würde. Der hemmende Einfluß auf die vordere Extremität ist stärker als auf die hintere, weil bei dieser die Verkürzung der Reflexzeit nach der Gehirnoperation weniger ausgesprochen ist.

380 Die Hemmung.

Vorzug der Einfachheit. Es sprechen aber zu viele Gründe gegen sie, als daß sie noch ernstlich in Erwägung gezogen werden könnte. Schlösser stützt sich unter anderm auf folgendes Experiment: Schneidet man einem Quakfrosch den Unterkiefer ab, so sieht man, daß bei jedem Quaken die Stimmritze vorgestreckt wird. Hemmt man nun den Quakreflex durch eine Beinligatur, so wird der Kehlkopf stark zurückgezogen und durch diese Innervation der Antagonisten wird der Reflex nach Schlösser gehemmt. Eine genauere Untersuchung zeigt aber, daß das Zurückziehen des Kehlkopfs nicht von Dauer ist, daß aber trotzdem der Reflex ausbleibt. Außerdem ist beim Quaken die enorme Anspannung der Bauchpresse viel wesentlicher als die Stellung des Kehlkopfs; die Bauchpresse hat aber gar keine Anta- sonisten und man überzeugt sich leicht, daß bei gehemmtem Quak- reflex auch nicht die mindeste Kontraktion in der Bauchmuskulatur eintritt. Auf solehe Hemmungen, welche an Muskeln zur Beobachtung kommen, die keine Antagonisten haben, hat bereits Heidenhain (1881) gegen die Munk -Schlössersche Auffassung aufmerksam gemacht. Diese Beobachtungen und Beobachtungen an isolierten Muskeln, wie sie von ihm selber und später von Sherington und Hering (siehe oben S. 377) ausgeführt sind, entziehen jener Auffassung der Hemmungsvorgänge den Boden und zeigen, wie Heidenhain sagt, zum mindesten, daß sie keine allgemeine Gültigkeit haben kann.

Offenbar handelt es sich also bei der Hemmung darum, daß ent- weder bereits bestehende Kontraktionen aufgehoben werden oder das Inaktiontreten von Muskeln verhindert wird. Über das Wie dieser Verhinderung resp. Aufhebung können die Ansichten immer noch sehr auseinandergehen. Verworn (1900) läßt hier drei Möglichkeiten zu (vielleicht wären noch mehr vorhanden): 1. Der motorische Impuls wird zum Aufhören gebracht resp. am Eintreten verhindert (das von ihm hier unnötigerweise angewandte Wort „Ganglienzelle“ lasse ich fort). 2. Es gibt besondere Hemmungsfasern, welche nur die Funktion haben, wenn sie erregt werden, die Kontraktion eines Muskels auf- zuheben oder am Eintritt zu verhindern. 3. Es gibt keine besonderen Hemmungsfasern, aber die gewöhnlichen motorischen Fasern können einen, dem Erregungsprozeß entgegengesetzten Vorgang zum Muskel hinleiten, welcher Erschlaffung oder Inaktivität hervorruft. Dieser Vor- sang wird durch irgend welche besonderen Prozesse im Zentralnerven- system (es braucht nicht gleich wieder die Vorderhornzelle zu sein) hervorgerufen.

Verworn glaubt, daß es keine Schwierigkeiten haben könne, experimentell zwischen Möglichkeit 1. einerseits und Möglichkeit 2. und 3. andrerseits eine endgültige Entscheidung zu treffen. Wenn nämlich die Hemmung in einem aktiven zum Muskel geleiteten Prozeß be-

Die Hemmung. 381

stände, wie es 2. und 3. annehmen, so müßte nach seiner Ansicht die Zuckungskurve eines Muskels, der direkt vom Nerven aus von Zeit zu Zeit mit einem Induktionsschlag von stets gleicher und sub- maximaler Stärke gereizt wird, niedriger werden, wenn zugleich ein hemmender Reiz einwirkt. Dieses Experiment müßte allerdings eine sichere Entscheidung bringen, wenn der schreibende Muskel nur den Reiz empfinge, der von Zeit zu Zeit willkürlich vom Experimentator am Nerven angesetzt wird. Nun hängt aber der Muskel durch seinen Nerven mit dem Zentralorgan zusammen, welches ja den eventuellen hemmenden Vorgang dem Muskel vermitteln soll. Von hier aus kann der Muskel ebenfalls Erregungen bekommen, und daß ihm in der Regel dauernd solche zufließen, beweist die Tatsache des Muskeltonus. Wenn diese Dauererregungen auf hemmende Reize hin eine Verminderung erfahren, so muß zum mindesten die Abszissenachse absinken; man könnte sich aber auch vorstellen, daß die Zuckungshöhe an sich eine Verkleinerung erfährt, denn ein einfaches Subtraktionsexempel braucht nicht vorzuliegen.

Noch andre Erscheinungen sprechen dafür, daß die Einflüsse, welche auf den Muskel einwirken, wenn er noch mit dem Zentral- nervensystem in Zusammenhang steht, nicht so ganz einfach sind. Harleß gab im Jahre 1860 an, daß die direkte Erregbarkeit des Froschischiadieus erhöht würde, d.h. daß man schon bei größeren Rollenabständen als normal Zuckungen der Muskeln erhält, wenn die hinteren Wurzeln durchschnitten sind. (In einem Fall z. B. fand er die Reizschwelle des Ischiadieus vor der Wurzeldurchschneidung bei 105 em Rollenabstand, nach der Durchschneidung bei 152 em.) Ähn- liche Resultate erzielte Marcacci (1882). Zu dem grade entgegen- gesetzten Ergebnis führten Untersuchungen von Cyon (1865). Er fand die Erregbarkeit der vorderen Wurzeln beim Frosch nach Durch- schneidung der hinteren Wurzeln stets wesentlich herabgesetzt. Durch Guttmann (1867) wurden diese Angaben bestätigt, während v. Bezold und Uspensky (1867) und G. Heidenhain (1871) eine Herabsetzung der Erregbarkeit leugneten oder sie, wenn vorhanden, auf Anämie zurückführten. Letzterer Einwand scheint genügend widerlegt und die Negativität der Versuche dieser Autoren, welche keine Herabsetzung der Erregbarkeit ergaben, ist wohl zum Teil darauf zurückzuführen, daß sie das Versuchsverfahren Cyons nicht einhielten. In neuerer Zeit ist die Frage durch italienische Autoren wieder aufgenommen und besonders durch Belmondo und Oddi (1890) im Sinne Uyons beantwortet worden. Diese Autoren glauben auch den Grund dafür gefunden zu haben, weswegen Harleß und Marcacei eine Erhöhung der direkten Erregbarkeit fanden. Unterbrachen sie (bei Hunden) die Leitungsfähigkeit der hinteren Wurzeln durch Bepinseln mit Cocain-

382 Die Hemmung.

lösung, so fanden sie stets eine wesentliche Herabsetzung der Erreg- barkeit der vorderen Wurzeln; ebenso bei Durchschneidung derselben mit scharfem Instrument. Bei quetschender Durchtrennung trat dagegen, besonders im Anfang, eine Steigerung der Erregbarkeit ein. Dieselbe Steigerung konnten sie durch schwache, an sich erfolglose Tetanisation hinterer Wurzeln erzielen.

Wenngleich diese neueren Untersuchungen in technischer Be- ziehung nicht ganz einwandsfrei sind, so scheint mir doch, den be- legenden Kurven nach zu urteilen, etwas an der Sache dran zu sein und ich möchte sie nicht so kurzer Hand beiseite schieben und un- beachtet lassen, wie dies von Seite mancher Autoren geschehen ist, die der Meinung sind, daß man nur in Deutschland und England physiologisch zu arbeiten verstehe. Jedenfalls ist eine neue Nach- prüfung am Platz und solange ein Beweis für die Unrichtigkeit nieht erbracht ist, müssen die positiven Angaben in Erwägung gezogen werden.

Möglicherweise kommt es bei diesen Erregbarkeitsveränderungen auf dasselbe hinaus, was schon oben unter Tonus abgehandelt wurde. Jedenfalls scheinen von der Peripherie dauernd Reize zum Zentral- nervensystem und von hier zu den Muskeln zu gelangen, welche zum Teil den Tonus bewirken. Es bleibt dann aber, wenn ich Cyon und die Italiener recht verstehe, noch Erregung übrig, welche zu keiner weiteren Verkürzung des Muskels führt, welche sich aber

bei stärkeren Reizen und auch solehen, die den Nerven direkt treffen zu diesem addiert. Fehlt diese Dauerregung, wie dies

nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln der Fall ist, so müssen stärkere Reize auf den Nerven direkt einwirken, um dieselbe Wirkung zu erzielen, wie vorher. Da bei Vor- handensein der hinteren Wurzeln noch Überschuß von Erregung be- steht, so muß ihre Ausschaltung nicht nur in einem Absinken des Tonus sich bemerkbar machen, sondern auch in einer Verkleinerung oder in einem direkten Ausbleiben der Zuckungen, welche vorher auf grade ausreichende Reize eintraten.

Die Richtigkeit der beschriebenen Beobachtungen vorausgesetzt, kann theoretisch betrachtet die durch direkte Erregung des Muskelnerven bei bestimmter nicht zu starker Reizung hervorgerufene Zuekung bei gleichzeitiger Einwirkung eines hemmenden Reizes ver- kleinert werden oder ganz verschwinden, ohne daß die Hemmung in einem aktiven zum Muskel geleiteten Prozeß besteht; denn es ist ja die Möglichkeit vorhanden, daß der hemmende Reiz die dauernd zum Muskel gelangenden, aber schwachen „dynamogenen“ Reize (ein Ausdruck, der, soweit mir bekannt, von Brown -Sequard [1884] herstammt) aufhebt. Der nach Verworns Meinung entscheidende

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Die Hemmung. 383

Versuch kann also unter Umständen ein zweifelhaftes Resultat er- geben.

Versuche dieser Art wurden zuerst von Oddi (1895) am Hunde angestellt. Die zu dem einen präparierten Gastroenemius (welcher seine Zuckungen aufzeichnete) gehörige vordere Wnrzel wurde frei- gelegt, mit Elektroden armiert und (mit Hilfe eines Metronoms) in gleichen Abständen mit grade gut wirksamen Induktionsschlägen ge- reizt. Hierauf wurde eine bestimmte Stelle des Großhirns aufgesucht und faradisch gereizt. Während der Großhirnreizung wurden die durch den direkten Nervenreiz erzeugten Muskelkurven ganz klein und hörten in manchen Fällen sogar ganz auf. Tonusfall trat bisweilen ein, aber nicht beständig. Nach Aufhören der Großhirnreizung dauerte die Depression einige Sekunden an; dann kehrte die anfängliche Kurvenhöhe (resp. die alte Nervenerregbarkeit) wieder. Noch deut- lichere Depressionen mit starkem Tonusabfall und vollkommenem Ver- schwinden der Zuckungskurven konnten bei schwacher Tetanisation des Rückenmarksquerschnitts erzielt werden. Weitere derartige Ex- perimente wurden von Oddi im Jahre 1898 und von Polimanti 1895 veröffentlicht.

Manelli (1896) vermied die Bloßlegung des Rückenmarks und reizte sonst in derselben Weise den einen Ischiadieus, dessen Gastroc- nemius schrieb. Bei faradischer Reizung des andern Ischiadieus wurden die direkt erzeugten Zuckungen sehr viel kleiner, häufig sank auch der Tonus sehr stark ab. Die depressive Wirkung trat nicht sofort ein (was auch Oddi hervorhebt) und überdauerte die Faradi- sation des andern Ischiadieus oft viele Sekunden. Um während der Depression die gleichen Zuckungen wie vorher und nachher zu er- zielen, mußten die Rollen oft um mehrere Zentimeter einander ge- nähert werden (Katze).')

1898 hat dann Starke, ohne die Untersuchungen der italienischen Autoren zu kennen, in einer vorläufigen Mitteilung angegeben, daß die direkt vom Ischiadieus ausgelösten Zuckungen beim Frosch eine Erniedrigung erfahren, wenn das Großhirn gereizt wird. An diese

Publikation knüpfte Verworn (1900) an auch er erwähnt die oben genannten Autoren nieht und stellte die oben präzisierten Möglich- keiten auf. f

4) Patrizi (1896) reizte rhythmisch die Nervi phreniei und zeichnete die Zwerchfellbewegungen auf. Wurde gleichzeitig der zentrale Vagusstumpf gereizt, so wurden die Zwerchfellbewegungen kleiner oder hörten auf. Inzwischen hat Hering (1902) gezeigt, daß diese Wirkung auf Innervation von Antagonisten be- ruht. Dadurch wird zwar dieser Spezialfall von der Diskussion ausgeschlossen, den Versuchen Oddis, Manellis u. s. w. aber kein Abbruch getan, da ja bei ihren Experimenten eine Einwirkung von Antogonisten ausgeschlossen war.

3834 Die Hemmung.

Verworn suchte sich in seinen eignen Versuchen vor allem vor Verschiebung des Ischiadieus auf den Elektroden zu schützen und zwar dadurch, daß er den schreibenden Muskel nur noch durch den Nerven mit dem übrigen Körper in Verbindung ließ. Er führte seine Versuche an Fröschen und Hunden aus. Als hemmenden Reiz be- nutzte er Rückenmarksdurchscheidung, Reizung des andern Ischiadieus (Nothnagel) und bei Hunden Kneifen des Antagonisten. Im letzteren Fall bekam er Absinken des Tonus, aber keine Verkleinerung der Zuekungen, bei den Fröschen ergab sich überhaupt keine Veränderung, auch kein Tonusabfall.

Verworn zieht aus diesen negativen Versuchen den Schluß, daß bei der Hemmung keine aktiven Prozesse zum Muskel hingeleitet werden und schiebt die Resultate Starkes auf unzweckmäßige Ver- suchsanordnung, speziell auf Verschiebung des Nerven auf den Elek- troden, wodurch ja, wie jeder weiß, sehr leicht Änderungen in der An- spruchsfähigkeit entstehen können.

Durch diese Untersuchungen Verworns scheinen mir die positiven

Resultate der italienischen Autoren gegen die er sich allerdings gar nicht wendet nicht aufgehoben; die Frage scheint mir viel-

mehr einer weiteren Bearbeitung zu bedürfen. Die Resultate der italienischen Forscher würden sich ohne Annahme besonderer hem- mender Fasern oder den dynamogenen entgegengesetzter Prozesse in den gewöhnlichen motorischen Fasern leicht dadurch erklären lassen, daß andauernd dynamogene Reize zum Muskel gelangen, welche sich zu einem Teil (aber eben nur zum Teil) im Muskeltonus äußern. Diese werden durch hemmende Reize aufgehoben (wie es ja für den Tonus sicher feststeht), so daß eine Verminderung der Anspruchs- fähigkeit des Nerven in Erscheinung tritt.

Soweit sie sich darüber überhaupt auslassen, scheinen auch die italienischen Autoren dieser Deutung ihrer Versuche zuzuneigen. Daß sie aus ihren Versuchen auf besondere Hemmungsnervenfasern oder entgegengesetzte Prozesse in den motorischen Fasern schließen, habe ich nicht herauslesen können. Dieser Überschuß an latenten Reizen scheint nach ihren Versuchen außerordentlich leicht durch Hemmungen in seiner Wirkung beeinträchtigt zu werden. Nun ist aber schon jede Fesselung ein starker hemmender Reiz, der sich in ganz besonders hohem Maße bei Fröschen geltend macht. (Am ungehemmten Frosch kann man eigentlich nur experimentieren, wenn er ganz frei auf dem Tisch sitzt.) Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß in den Versuchen Verworns, wo durch die verschiedenartigsten Vorsichtsmaßregeln eine enorme Masse von hemmenden Reizen an- gesetzt wurde, das Resultat der italienischen Forscher nicht zum Aus- druck kam.

Die Hemmung. 385

Da Verworns Frösche noch einer weiteren Hemmung zu der zweifellos bereits in starkem Maße vorhandenen fähig waren und

da hierbei eine Verkleinerung der Kurven nicht zu konstatieren war, so wird man in seinen Versuchen vielleicht einen Beweis dafür erblicken können, daß es beim Frosch aktive Hemmungsprozesse nicht gibt. Daß aber aktive Hemmungen bei anderen Tieren möglich sind, scheint aus Versuchen Biedermanns (1888 und 1895) mit Sicherheit hervorzugehen.

Biedermann durchschnitt an Krebsscheren den Öffnungsmuskel. Befand sich nun der Schließmuskel in schwachem Tonus, so er- schlaffte er bei schwachen tetanischen Reizen des Scherennerven, um erst bei stärkeren tetanischen Reizen in Kontraktion zu geraten. Da die Nervenfasern sich im Krebsmuskel direkt zu den Muskelfasern begeben (ohne vorher Zentralteile zu passieren), so kann es sich hier nur darum handeln, daß dem Muskel zwei verschiedene Prozesse übermittelt werden. Ich halte es allerdings nicht, wie Biedermann es tut, für zwingend, daß im Scherennerven zwei verschiedene Faser- gattungen, motorische und hemmende, vorhanden sind. Man würde auch mit einer einzigen Fasergattung auskommen, wenn man die oben (S. 340) entwickelte Vorstellung annimmt, daß nämlich der Muskel auf die beiden vermutlich vorhandenen Phasen des Nervenerregungs- prozesses verschieden reagiert.

Weniger klar als bei der Krebsschere liegen die Verhältnisse beim Muschelschließmuskel, wo Pawlow (1885) ein ähnliches Phänomen be- obachtete, beim starken Reflex der Seeigel (Uexküll, siehe S. 336) und bei den Muskeln von Aplysia, wo man ebenfalls bei Reizung der Nerven mit gut abgestuften Strömen Erschlaffung beobachten kann (S. 117). In allen diesen Fällen gehen die Nervenfasern nicht direkt in die Muskeln über, sondern es sind Ganglienzellen zwischengeschaltet, welchen im Notfall die hemmende Reizwirkung zugeschoben werden kann. Wirkliche Hemmungsfasern, die direkt auf die Muskulatur einwirken, werden auch von allen denen, welche sich der Engelmann- Gaskelschen Hypothese angeschlossen haben, in den Vagusfasern des Herzens gesehen. Hier liegt aber der Fall nicht anders, wie bei See- igeln und Mollusken, denn es scheint mir kein Zweifel darüber zu bestehen, daß die Vagusfasern nicht direkt auf die Herzmuskulatur einwirken.

Demnach wäre der Biedermannsche Befund an der Krebsschere der einzige Fall, wo eine direkt auf einen Muskel übertragene Nervenerregung hemmend wirkt. Wenn aber solch ein Fall existiert, so darf er nie aus dem Auge verloren werden.

Trotzdem es nun wohl in manchen Fällen eine am Muskel selber angreifende Hemmung geben mag, so scheint es doch, daß die große

Bethe, Nervensystem. 25

386 Die Hemmung.

Menge der Hemmungserscheinungen, wie sie oben besprochen wurden, auf diesem Wege ihre Erklärung nicht finden kann. Es ist vielmehr anzunehmen, daß bei den meisten Hemmungen (der Wirbeltiere) über- haupt kein aktiver Prozeß bis zum Muskel geleitet wird, sondern daß die Hemmung sich intrazentral abspielt. Sie würde also darin be- stehen, daß innerhalb der Zentralteile die Fortleitung von dynamogenen Reizen zu den Muskeln verhindert wird, also in etwas rein Negativem. Es gehört zu den Verdiensten Goltz’ (1869), diese Vorstellung zum erstenmal klar gefaßt und ausgesprochen zu haben. Goltz stellte sich die Sache so vor, daß zur Auslösung eines bestimmten Reflexes der Reiz von bestimmten Punkten ausgehend den Muskel auf einem be- stimmten Wege erreicht. Wirkt gleichzeitig ein hemmender Reiz an einer andern Stelle ein, so kreuzt er den Weg des reflexauslösenden Reizes und verhindert ihn, seinen Weg fortzusetzen. Hemmender und reflexauslösender Reiz würden sich also aufheben, indem sie gewissermaßen gegeneinander anrennen. Als Punkt, wo dieses gegenseitige sich Aufheben statthat, stellte sich Goltz die Ganglienzelle vor, aber nur, wie deutlich aus seinen Worten her- vorgeht, in Ermangelung einer besseren anatomischen Grundlage.

Diese Vorstellung hat sich als sehr fruchtbar erwiesen und ist mit einigen Erweiterungen zu ziemlich allgemeiner Anerkennung ge- langt. Zu diesen Erweiterungen gehört vor allem der von Bubnoff und Heidenhain (1881) und dann von Brown -Sequard (1881) auf- gestellte Satz, daß die Hemmung immer am ehesten an den Muskeln zum Ausdruck kommt, welehe im Stadium der Verkürzung sind, während ruhende Muskeln auf den gleichen Reiz hin zur dynamogenen Tätigkeit neigen.

Die Ganglienzelle als spezifisches Organ scheint mir auch hier entbehrlich zu sein, und ich glaube, man kann damit auskommen, daß die gegenseitige Aufhebung der Reize im Fibrillengitter zustande kommt. Sicherlich hat aber die Goltzsche Vorstellung, daß die Hem- mung in allen Zentralteilen zustande kommen kann und zur Er- klärung keiner spezifischer Zentren bedarf, sehr viel für sich. Mir scheint dies aus einer gelegentlichen Beobachtung hervor- zugehen, welche ich an Medusen, also bei Tieren mit einfachst ent- wickeltem Nervennetz, zu machen Gelegenheit hatte.

Wie schon erwähnt (S. 110), machte Nagel die Beobachtung, daß Carmarina mit dem Magenstiel nach einer berührten Stelle der Sub- umbrella hinfährt und bei schnell nacheinander erfolgender Berührung zweier Punkte erst nach dem einen und dann nach dem zweiten. Setzt man beide Reize gleichzeitig an gegenüber liegenden Stellen an, so schlägt der Magenstiel nach der Stelle der intensiveren Reizung, aber immer mit geringerer Intensität, als es der Fall sein würde,

Die Hemmung. 387

wenn der eine Reiz allein eingewirkt hätte. Sind beide Reize gleich stark, was schwer zu erreichen ist, so findet gar keine Bewegung statt. Besser gelingt dies zu zeigen, wenn man mit einem ringförmig gebogenen Draht die Subumbrella berührt, wobei alle berührten Stellen ungefähr gleichweit von dem zentral gelegenen Magenstiel entfernt sein müssen. Ist die Berührung gut ausgeführt, so findet nur eine Kontraktion der Glocke statt; der Magenstiel bleibt aber ganz ruhig und, wie mir scheint, schlaff, so daß der Bewegungs- ausfall also nicht durch gleichzeitige Anspannung aller Magenstiel- muskeln erklärt werden kann. Da Hemmungszentren bei diesen Tieren schwerlich anzunehmen sind, so bleibt nur die Erklärung, daß sich die von allen Seiten radialwärts ausbreitenden Reize tatsächlich gegen- seitig aufheben. Eine Hemmung ist, wie noch erwähnt sein möge, nie zu erzielen, wenn gleichzeitig mehrere Punkte einer Seite erregt werden; der Magenstiel schlägt dann immer mit uneingeschränkter Kraft in der Richtung der Resultante. Es ist also hier Erfordernis, daß die Reize, um sich gegenseitig aufzuheben, von möglichst ent- gegengesetzten Punkten ausgehen.

Über die Art und Weise, wie sich die Reize untereinander auf- heben, liegen bisher nur Vermutungen vor. Man hat versucht, sie als einfache Interferenzerscheinung hinzustellen und analoge Befunde an Nerven zu erheben. Es soll hier auf die betreffenden Versuche nur kurz hingewiesen werden, denn es ist zur Zeit noch ungewiß, ob es am Nerven eine wirkliche Interferenz der Reize gibt (Oddi, 1898, Kaiser, 1891, Fuld, 1900), oder ob die Erscheinungen, welche zur Beobachtung gelangen, auf andre Weise zu erklären sind (Amaya, 1902, Amaya und Hoffmann, 1902, Boruttau, 1902).

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ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL.

Die rhythmischen Bewegungen.

Die Atemrhythmik 8. 393—408. Bei Fischen bewirkt Kohlensäurevergiftung keine Dyspnoe S. 395. Der Rhythmus ist hier von der Gasspannung des Blutes unabhängig S. 395. Durch Lähmung der Nervenendigungen in der Mund- und Rachenschleimhaut mittels Cocain läßt sich die Atmung ganz zum Stillstand bringen S. 401—403. Die Atmung der Fische ist ein peripher ausgelöster Reflex S. 403. Reizsummation und Refraktärstadium der Zentralteile in ihren Beziehungen zu den rhythmischen Bewegungen S. 405—408. Die rhyth- mischen Bewegungen des Wirbeltierherzens und der Medusen S. 408—456. Der normale Rhythmus und seine Abhängigkeit von besonderen Teilen S. 408 bis 410. Die Reaktionen des sinuslosen Herzens und der randkörperfreien Meduse auf künstliche Reize S. 410—423. Treppe und „Alles oder Nichts-Gesetz“ S. 411. Rhythmische Kontraktion des sinuslosen Herzens und der randkörper- losen Meduse auf kontinuierliche Reize S. 413—422. Refraktäres Stadium, Extrasystole und kompensatorische Ruhe (bei Herz und Meduse) S. 423—427. Die Störung der Synchronität beim Auftreten einer Extrasystole S, 427—432. Die Reizleitung im Herzen und in der Meduse S. 432—448. Die Schnelligkeit der Kontraktionswelle im Hundeherzen S. 448. Dasselbe im Medusenkörper S. 439 bis 442. Beweise dafür, daß die Leitung im Herzen nervös ist S. 442—446. Die Koordination der Herz- und Medusenbewegungen 8. 448—450. Über die Natur des Refraktärstadiums S. 451. Ursachen und Wesen der rhythmischen Bewegungen des Herzens und der Medusen S. 452—456.

Mit einem großen Teil der rhythmischen Bewegungen ist seit langem der Begriff der Automatie fest verbunden. Sie sollten auto- matisch sein, weil man keine hinreichende Ursache in der äußeren Umgebung entdecken konnte. So wurden die rhythmischen Be- wegungen bei der Atmung, die Bewegungen der Blut- und Lymph- herzen, die rhythmischen Kontraktionen der Medusen und andre der- artige Bewegungserscheinungen für automatisch angesehen und werden es zum Teil auch noch heute. Bekanntlich ist das Vorkommen rhyth- mischer Bewegungen ebensowenig auf die mit Nervensystem begabten Tiere beschränkt, wie das Vermögen überhaupt mit Bewegungen auf Zustandsveränderungen zu reagieren; es braucht nur auf die rhyth- mischen Bewegungen der Blätter mancher Pflanzen (Oxalis u. a.) und an die rhythmischen Kontraktionen gewisser Vacuolen von Infusorien, Amöben und einzelligen Pflanzen erinnert zu werden.

Noch am Anfang des vorigen Jahrhunderts glaubte man es hier mit ganz rätselhaften Eigenschaften der lebenden Organismen zu tun zu haben, hauptsächlich aus dem Grund, weil man sich nicht vor- stellen konnte, wie ohne rhythmische Ursachen rhythmische Wirkungen zustande kommen könnten. Später hat man sich dann erinnert, daß

Die rhythmischen Bewegungen. 389

auch bei manchen längst bekannten Erscheinungen in der unbelebten Natur das Gleiche der Fall ist: Der gleichmäßig über die Getreidefelder dahinstreichende Wind versetzt sie in rhythmisch wellenförmige Be- wegung. In dünnem Strahl kontinuierlich aus einer Öffnung aus- fließendes Wasser ballt sich zu rhythmisch fallenden Tropfen zusammen, weil das Wasser erst abfallen kann, wenn seine Masse größer ist als die Oberflächenspannung an der Ausflußöffnung. Von den vielen Beispielen, welche noch angeführt worden sind, sei nur noch ein sehr hübsches Experiment erwähnt, das von Quinke (1888) angegeben ist: In einem mit Wasser gefüllten Gefäß ist eine horizontale Glasplatte angebracht; unter dieser befindet sich eine Luftblase. Von unten her steigt ein dünner, auf die Blase gerichteter Alkoholstrahl im Wasser auf. Dadurch, daß der Alkohol die Oberflächenspannung an der Blasengrenze vermindert, wird die Blase flacher; Wirbelbewegungen verhindern auf kurze Zeit den weiteren Zufluß, während welcher Zeit die Blase wieder ihre ursprüngliche Gestalt annimmt, und dann beginnt das Spiel von neuem. Auf die Weise kann ein sehr regelmäßiges Pulsieren der Luftblase hervorgerufen werden.

Der Vergleich mit derartigen Erscheinungen hat es nahegelest, daß auch die Ursache rhythmischer Bewegungen bei Organismen kon- tinuierlicher Natur sei oder wenigstens sein kann. Daß eventuell auch rhythmische Ursachen vorhanden sein können, ist nicht ausgeschlossen, nur muß man sie nicht gleich außerhalb des Organismus suchen. Be- steht doch immer die Möglichkeit, daß bei einmal eingeleiteter Be- wegung jede Kontraktion den Reiz zur nächstfolgenden abgibt. In den meisten Fällen haben sich zwar Erklärungsversuche dieser Art als un- haltbar erwiesen, wenn auch immer wieder auf sie zurückgegriffen wird; in andern Fällen, so bei der Erklärung des Atemrhythmus, haben sie sich aber bis zu einem gewissen Grade aussichtsvoll gezeigt. Auch bei den rhythmischen Progressivbewegungen aller mit Beinen, Flügeln, Ruderschwänzen u. s. w. begabten Tiere wird wohl allgemein jede Einzelbewegung zugleich als ein Teil der Veranlassung zur nächsten Bewegung angesehen, während dem auslösenden Reiz (z. B. bei der ins Lieht fliegenden Motte das Licht), in der Hauptsache die Rolle zu- gesprochen wird, die ganze Maschinerie in Gang zu setzen. Ab- geschlossen ist diese Frage allerdings nicht, da nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln bei Wirbeltieren die Rhythmizität der Progressiv- bewegungen wohl geschädigt aber nicht aufgehoben wird. Danach möchte es scheinen, als ob der immer wieder rhythmisch an der Peri- pherie erzeugte Reiz mehr die Rolle einer Korrektur als die der wirk- lichen Ursache der Rhythmizität spielt und daß die eigentliche Ursache in uns noch unbekannten Verhältnissen oder in dem kontinuierlichen, auslösenden Reiz besteht.

390 Die rhythmischen Bewegungen.

Wenn man die Erscheinungen im Gebiet der unbelebten Natur, bei denen rhythmische Wirkungen auf kontinuierliche Ursachen hin entstehen, untereinander vergleicht, so kommt man zu dem Resultat, daß die Rhythmizität auf sehr verschiedene Weise zustande kommen kann. Auch in den belebten Wesen liegt die Möglichkeit hierfür vor: 1. Die kontinuierliche Ursache kann eine äußere und eine innere sein. 2. Die Stelle, an der die kontinuierliche Ursache den Rhythmus an- nimmt, kann bei Tieren mit ausgebildeter reizleitender Substanz in dieser selbst, aber auch in der effektorischen Substanz, speziell der kontraktilen Substanz gelegen sein.

Wie schon besprochen, kommen sicherlich bei Lebewesen, die eines Nervensystems (aber vielleicht nicht besonderer leitender Struk- turen) entbehren, rhythmische Bewegungen vor. In neuerer Zeit mehren sich nun die Angaben, daß die Fähigkeit rhythmische Kontraktionen auszuführen eine allgemeine Eigenschaft der kontraktilen Substanzen ist. Am längsten besteht diese Annahme wohl für die Muskulatur des Herzens, welche auf chemische Reize, auf Ausdehnung und Teta- nisation (je nach Stärke derselben, aber unabhängig von der Anzahl der Unterbrechungen) mit rhythmischen Bewegungen antwortet. Seit die refraktäre Phase des Herzens bekannt ist (Marey, 1876), auf der ja auch die Unfähigkeit der Herzmuskulatur beruht, unter normalen Verhältnissen in Tetanus zu geraten, hat diese Erscheinung an Rätsel- haftigkeit eingebüßt. Da man wenigstens gewisse Teile des Herzens, besonders die Herzspitze, für frei von Nervenfasern und Ganglienzellen hielt, so sah man die Rhythmizität (ebenso wie die Leitung von Element zu Element) als Qualität der Muskulatur an. Wie jetzt sicher steht, gibt es aber keinen Teil der Herzmuskulatur, der nervenfrei ist und, wie ich oben gezeigt habe, ist auch das Experiment, bei welchem die Nerven zur Degeneration gebracht werden sollen und bei dem sich die Leitungsfähigkeit und die Rhythmizität erhalten zeigte, nicht beweiskräftig, daß es sich hier um rein muskuläre Eigenschaften handelt (S. 109). Die Möglichkeit, daß die Nervenelemente im Herzen mit der Rhythmizität zu tun haben, bleibt also noch bestehen und ist später weiter zu diskutieren. Genau wie bei der Herzmuskulatur liegen die Verhältnisse bei der Muskulatur der Subumbrella der Me- dusen, auf die ich später ausführlicher eingehen werde.

Nachdem bereits Richet (1882) auf rhythmische Erschlaffungen des Krebsmuskels während der Tetanisation ‘aufmerksam gemacht hatte, die mit der Periode des erregenden Reizes nichts zu tun haben, zeigte Schoenlein (1882), daß auch die Muskeln der Wasserkäfer bei Erregung mit frequenten Wechselströmen nieht immer in einen gleich- mäßigen Tetanus verfallen. Bei grade wirksamen Stromstärken treten entweder rhythmische Zuckungen oder rhythmisch unterbrochene Tetani

Die rhythmischen Bewegungen. 391

ein, und erst bei größerer Stromstärke kommt ein gleichmäßiger Tetanus zur Entwicklung. Da diese Muskeln wohl frei von Zentralteilen sein dürften, so wird man hier die Ursache der Rhythmizität in der Musku- latur selber suchen müssen. Das gleiche gilt von den rhythmischen Kontraktionen, welche unter anomalen Bedingungen an Skelettmuskeln von Wirbeltieren zur Beobachtung gelangen. Während normale Skelett- muskeln bei andauerndem Reiz stets in einen gleichmäßigen Tetanus verfallen, geraten sie in periodische Zuckungen oder Pulsationen, wenn man sie in gewisse Salzlösungen hineinlegt (Biedermann, 1880). Loeh (1899) ist es dann gelungen, diese rhythmischen Kontraktionen auf die Wirkung bestimmter Ionen (Na, Li, Cs u. s. w.) zurückzuführen. Von andren Ionen, besonders K und Ca, fand er, daß sie dem Auf- treten derartiger rhythmischer Kontraktionen entgegenwirken. Auch hier dürfte wohl die Fähigkeit zu rhythmischer Aktion ohne weiteres der Muskulatur selber zugesprochen werden müssen, da durch gleiech- artige isolierte Behandlung der Muskelnerven ein ähnlicher Effekt bisher nicht erzielt ist.

Weniger gesichert ist die myogene Natur der an glatter Musku- latur spontan und auf Reizung eintretenden rhythmischen Kontraktionen. Nur bei ganz wenigen der zur Untersuchung benutzten Präparate sind nervöse Zentralteile in der nächsten Nachbarschaft der glatten Muskel- fasern bisher nicht nachgewiesen; das sind der Retraetor penis vom Pferd, an welchem Sertoli spontane rhythmische Kontraktionen wahr- nahm, und der Retraktormuskel von Sipuneulus nudus, an dem Bottazzi die gleiche Erscheinung beobachtete. Ob sie wirklich frei davon sind, ist eine andre Frage. Dagegen enthalten die von vielen Autoren an- gewandten Präparate vom Darm, Magen und Ösophagus von Wirbeltieren, die von Straub (1900) benutzte Körperwandmuskulatur des Regenwurms, die von Bottazzi (1898, 1899) untersuchten Ambulakralfüße von See- sternen und der Ösophagus von Aplysia mehr oder weniger reich- liche nervöse Plexus. Grade das zuletzt genannte Organ, das Bottazzi für ganglienfrei hält, besitzt so reichliche Plexusbildungen mit ein- gestreuten Ganglienzellen, wie sie mir sonst nur beim Darm der Wirbel- tiere bekannt sind. »

Ein Teil der Autoren, besonders Bottazzi und Straub halten es für gesichert, daß die beobachteten durch occulte Reize (‚spontan‘) und künstlich hervorgerufenen rhythmischen Kontraktionen nur von der glatten Muskulatur selber ausgehen, während P. Schultz (1897) dieselben für nervös vermittelt hält, weil sie auf Behandlung mit Atropin fortfallen. Obwohl in derartigen Vergiftungsversuchen kein sicherer Beweis gesehen werden kann, weil nie eine Schädigung der muskulösen Elemente ausgeschlossen ist, so muß man ihnen doch gegenüber den Versuchen der andern Autoren das Übergewicht zu-

392 Die rhythmischen Bewegungen.

erkennen, weil bei diesen das als Beweis angeführte Fehlen von Ganglienzellen meist nur eine willkürliche Annahme ist. Die Frage, ob die glatte Muskulatur an sich rhythmischer Kontraktionen fähig ist, wird also noch als offen bezeichnet werden müssen. (Siehe auch Biedermann, 1902.)

Daß Pflanzen und Einzellige rhythmische Kontraktionen ohne Nervenelemente ausführen können, steht fest. Daß Skelettmuskeln der Wirbeltiere unter abnormen Bedingungen und einige Arthropoden- muskeln bei gewissen Reizstärken sich rhythmisch kKontrahieren können, ist ebenfalls gesichert. Fraglich ist es von den glatten Muskeln und den quergestreiften Elementen des Herzens und der Medusen. Demnach besteht allerdings die Möglichkeit, daß bei Tieren mit Nervensystem gewisse normalerweise vorkommende, rhythmische Be- wegungen ohne Vermittlung von Nervenelementen zustande kommen; ich sehe aber keinen Zwang, daß dies notwendigerweise oder auch nur „höchst wahrscheinlich“ der Fall ist. Was die rhythmischen Kon- traktionen anbetrifft, welche man künstlich bei Skelettmuskeln von Wirbeltieren und Arthropoden hervorgerufen hat, so sind dieselben für die Muskelphysiologie ja von großem Interesse, im Organismus wird aber diese Fähigkeit der betreffenden Muskeln schwerlich irgend eine Rolle spielen können, weil die notwendigen Bedingungen fehlen. Gesetzt den Fall, daß die glatte Muskulatur an sich rhythmischer Bewegungen fähig wäre, was ich im allgemeinen für höchst zweifel- haft halte, so würde ich doch dieser Fähigkeit innerhalb des Organis- mus kaum eine Rolle zusprechen können. Ich könnte mir nur denken, daß sie unter normalen Verhältnissen besonders bei den Tieren, deren Bewegungsmuskulatur glatt ist, überhaupt nicht zum Ausdruck kommt, denn sie würde bei dauerndem Bestehen jedes koordinierte Zusammenarbeiten verhindern oder eines besonderen Hemmungssystems bedürfen. Auch für die inneren Organe (Darm u. s. w.) würde ich sie für unwesentlich halten, weil die Erklärung der hier zu be- obachtenden Erscheinungen schwerlich ohne Zuhilfenahme des nun einmal überall in reicher Ausdehnung vorhandenen Nervenplexus möglich ist.

Angängig scheint es mir nur dort zu sein, die rhythmische Fähig- keit der Muskeln als Erklärung für rhythmische Erscheinungen inner- halb des normalen Organismus heranzuziehen, wo es sich um einfachste Erscheinungen dieser Art handelt. Das ist z. B. bei den Pulsationen der ‚Chromatophoren der |Cephalopoden der Fall, welche Steinach (1901) einer genaueren Untersuchung unterwarf. Steinach suchte die myogene Natur dieser Pulsationen dadurch zu beweisen, daß er durch Abtrennung der Tentakeln vom Körper die Nerven zur Degeneration brachte. Er hielt alle Nervenelemente für tot, wenn eine Leitung im

Die rhythmischen Bewegungen. 393

Tentakel nicht mehr zu konstatieren war. War dies eingetreten, so pulsierten die Chromatophoren noch weiter. Ich kann allerdings in diesem Experiment keinen sicheren Ausschluß der Nervenelemente mehr sehen, seitdem ich weiß, daß die Zählebigkeit der Nervenelemente sehr verschieden groß ist. (Dasselbe habe ich auch gegen Straubs Degenerationsexperiment beim Regenwurm einzuwenden.)

Auf die eventuelle Möglichkeit die Pulsationen des Herzens und der Medusen auf myogene Rhythmizität der Muskulatur zurückzuführen, werde ich an späterer Stelle eingehen.

Ich will nun zunächst einen Fall von rhythmischer Tätigkeit besprechen, bei welchem es von vornherein ausgeschlossen erscheint, sie auf rhythmische Erscheinungen des Muskels zurückzuführen, und wo dies auch nie versucht worden ist, weil den betreffenden Muskeln unter normalen Verhältnissen keine rhythmischen Fähigkeiten inne- wohnen, nämlich die Atembewegungen der Wirbeltiere.

Die Atemrhythmik.

Bei allen höheren Wirbeltieren (Säugetiere, Vögel) hat man in dem Bedürfnis nach einem bestimmten Gasgehalt des Blutes die haupt- sächliche Ursache der Atembewegungen erkannt (Traube, Rosenthal, Kußmaul, Pflüger und viele andre). Ungünstige Beschaffenheit des Blutes (zu wenig O, zu viel CO, und wohl auch ein Gehalt an andern Stoffwechselprodukten des Körpers) erregen direkt diejenigen Teile des Zentralnervensystems, von welchen die Innervierung der Atem- muskeln besorgt wird. Dieses sogenannte Atemzentrum liegt, wie bekannt, in der Medulla oblongata.') Periphere Reize kommen, wie später zu besprechen, sicher in Betracht, allein die Atmung geht auch vor sich, wenn alle zentripetalen Nerven, die in Betracht kommen, durchschnitten sind (Rosenthal).

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei niederen Wirbeltieren

1) Daß Mangel an Sauerstoff resp. Überschuß an Kohlensäure den Reiz für die Respirationsbewegungen abgibt, hat man mit Sicherheit aus folgenden Tat- sachen erschließen können: Bei Mangel an Atemluft oder bei unzureichender Ausdehnungsfähigkeit der Lungen (Pneumothorax, starkem pleuritischem Ex- sudat u. s. w.) wird die Zahl der Respirationen vermehrt und die accessorischen Atemmuskeln treten in Tätigkeit. Dieser dyspnoische Zustand tritt auch ein, wenn die Atemluft zu wenig Sauerstoff oder zu viel Kohlensäure enthält. Dyspnoe tritt auch bei der Verblutung ein. Im Gegensatz dazu hören die aktiven Atem- bewegungen auf, wenn das Blut durch starke künstliche Atmung gut durchlüftet wird. Sistiert man die künstliche Respiration, so bleibt das Versuchstier längere Zeit, ohne zu atmen, liegen und beginnt erst wieder mit denselben, wenn das Blut aufhört, überarterialisiert zu sein. Stark O-haltiges Blut übt also keinen Atemreiz aus (Zustand der Apnoe). Beweisend dafür, daß das venöse Blut direkt zentral gelegene Gebiete reizt, sind folgende Versuche gewesen: Bei Unter-

394 Die rhythmischen Bewegungen.

(Fischen und Amphibien). Bei diesen ist der Gasgehalt des Blutes auf die Auslösung der Atembewegungen ohne jeden Einfluß. Setzt man einen Frosch in eine reine Kohlensäureatmosphäre oder in ein stark kohlensäurehaltiges Gefäß, so kann zwar am Anfang eine gewisse Erregung beobachtet werden, welche auf eine periphere Reizung zurückzuführen ist (Winterstein, 1900), bald werden die Tiere aber wieder ruhig und die Lebensäußerungen erlöschen ganz allmählich, ohne daß es zu der für höhere Wirbeltiere so charakte- ristischen Dyspnoe kommt (Kropeit, 1898). Genauere Untersuchungen über die gleichen Verhältnisse bei Fischen liegen von Schoenlein und Willem (1895) vor, und habe ich selber anzustellen Gelegenheit ge- nommen.

Schoenlein und Willem stellten bei Selachiern (Torpedo und Seyllium) fest, daß die Zahl der Respirationen in einer wesentlichen Abhängigkeit von der Wassermenge steht, welche den Tieren zugeführt wird. Das Atemwasser wird bei diesen Tieren durch die Spritzlöcher mittels aktiver Erweiterung des Mundraums und Kiemenkorbes auf- genommen und nach Verschluß der Spritzlöcher durch kräftige Kon- traktion des Kiemenkorbes aus den seitlichstehenden Kiemenspalten herausgepreßt (manche Selachier öffnen auch bei der Inspiration das Maul, doch scheint mir dabei keine Kommunikation mit dem hinteren Rachenraum hergestellt zu werden). Bei der Untersuchung wurden Schläuche in beide Spritzlöcher hineingesteckt, und der eine mit einem mit Wasser gefüllten Druckgefäß, der andre zur Registrierung der Atembewegungen mit einer Mareyschen Trommel verbunden. Floß das Wasser langsam, so war die Zahl der Respirationen gering, floß es schneller, so vermehrten sich die Bewegungen bis zum Doppelten und noch weiter. Bei zu starkem Zufluß hören die aktiven Bewegungen schließlieh auf und es tritt Abwehr, Speien und dauernde Öffnung des Maules ein. Wird der Zufluß ganz unterbrochen, so entstehen noch wenige teils schwache, teils krampfhafte Exspirationen bei aus-

bindung der Gehirnarterien tritt Dyspnoe auf, ebenso bei Verlegung des venösen Abflusses. Am instruktivsten ist folgendes von Frederieq (1900) ausgeführtes Experiment: Die Carotiden von zwei nebeneinander liegenden Hunden werden wechselseitig miteinander verbunden, so daß das Herzblut des einen durch Gehirn und Medulla des andern strömt und umgekehrt, während jeder Hund seinen übrigen Körper mit dem eignen Blut versorgt. Wird jetzt dem Hund A die Luftzufuhr abgesperrt, so gerät der Hund B dadurch in Dyspnoe, weil das venös gewordene Blut des Hundes A sein Zentralnervensystem reizt. Der Hund B arterialisiert infolge der Dyspnoe sein Blut sehr stark, kommt aber nicht aus der Dyspnoe heraus, weil seine Zentralorgane von dem Blut des Hundes A gespeist werden. Das Hauptblut des Hundes A wird immer mehr venös, seine Medulla empfängt aber das überarterialisierte Blut des Hundes B; infolgedessen gerät der Hund A in Apnoe!

Die rhythmischen Bewegungen. 395

geprägten Inspirationen, ist aber das letzte Wasser ausgepreßt, so tritt vollkommener (und zwar passiver) Atemstillstand ein.

Ging schon aus diesen Versuchen hervor, daß die Ursache der Atembewegungen wahrscheinlich an der Peripherie zu suchen sei, so wurde eine zentrale Ursache derselben noch weiterhin dadurch un- wahrscheinlich gemacht, daß die Tiere mit ausgekochtem (also O-freiem) Wasser über zwanzig Minuten (weiter wurde der Versuch nicht aus- gedehnt) respiriert werden können, ohne daß sich Zeichen von Dyspnoe einstellen (Versuche mit Kohlensäure haben die Autoren nicht ange- stellt.) Außerdem geht die Atmung bei der Verblutung im alten Tempo weiter. Daraus schließen die Verfasser, daß die Atembewegungen „durch andre Ursachen hervorgebracht werden, als dureh eine chemi- sche dyspnoische Reizung nervöser Medullar- oder Rückenmarkszentren, und vielmehr reflektorischer Natur sind“.

Ich kann diese Angaben in vollem Umfang bestätigen und habe versucht, die von Schoenlein und Willem gelassenen Lücken auszu- füllen. Meine Versuche sind nur an Seyllium (catulus und canieula) angestellt; ein Unterschied in den Resultaten wurde nicht bemerkt. Die Tiere wurden auf ein besonderes Brett aufgebunden, eine mit mehreren Öffnungen versehene Glaskanüle durch das eine Spritzloch gesteckt und ihr andres Ende mit einem Druckgefäß verbunden, das mit Seewasser gefüllt war. Dicht an der Kanüle war in den Schlauch ein T-Rohr gesetzt, dessen dritter Schenkel mit einer Mareyschen Trommel in Verbindung stand. Diese schrieb die Atemschwankungen auf. Weiterhin war in den Schlauch ein Dreiwegehahn eingeschaltet, mit dessen Hilfe statt des reinen Seewassers andre Flüssigkeiten zu- geleitet werden konnten.

1. Zuleitung ausgekochten Wassers: Mehrere Liter Seewasser wurden eine halbe Stunde stark gekocht, und der Verlust an Wasser durch ausgekochtes destilliertes Wasser ersetzt. Während des Abkühlens waren die Kochflaschen mit Gummistopfen gut verschlossen. Nach- dem der Zufluß von normalem Seewasser so reguliert war, daß das Versuchstier gleichmäßig und mit normalem (vorher im Bassin be- 'stimmtem) Rhythmus die Atembewegungen ausführte und eine ge- nügende Reihe von Respirationen aufgeschrieben waren, wurde das normale Seewasser gegen das ausgekochte vertauscht. Die Atmung ging stets ruhig weiter. Irgend eine dyspnoische Erscheinung kam nie zur Beobachtung; die Zahl und Stärke der Bewegungen bleibt während der nächsten 30—40 Minuten unverändert. Nach etwa 40 Minuten oder später fangen die Atembewegungen an schwächer und langsamer zu werden. Bisweilen, besonders anfangs, wird die ruhige Atmung durch Abwehrbewegungen und Speien unterbrochen.

2. Respiration mit. kohlensäuregeschwängertem Wasser: Durch

396 Die rhythmischen Bewegungen.

einige Liter Seewasser wurde während einer Stunde CO, (gewaschen) hindurch geleitet. Wird dieses statt des normalen Seewassers dem Hai zugeführt, so beginnt er stets im Moment, wo es in den Mund gelangt, zu speien und Abwehrbewegungen zu machen. Während dieser Zeit steht die Atmung still. (Ganz denselben Effekt erzielt man, wenn man dem normalen Wasser, wie Schoenlein und Willem angeben und ich bestätigen kann, reizende Substanzen, Karbol, Chloroform oder Alkohol zusetzt oder wenn man Süßwasser zuleitet.) Nach kurzer Zeit beginnen wieder die Atembewegungen, und zwar mit dem alten Rhythmus und der alten Stärke. Wenn aber der Rhythmus sich ver- ändert zeigt, so ist er stets verlangsamt! Dazwischen treten neue Spei- und Abwehrbewegungen ein, welche meist die Fortsetzung des Experiments verhindern. Manchmal tritt auch langdauernder Atem- stillstand ein (bis zu fünf Minuten). Wird jetzt wieder normales See- wasser zugeleitet, so bleibt der Atemstillstand gewöhnlich noch mehrere Minuten bestehen. Die Atmung beginnt dann später mit ganz lang- samem Rhythmus und geht allmählich in den normalen Rhythmus über. Irgend welche nachträglichen Zeichen von Dyspnoe kommen nicht zur Beobachtung. Die Abwehr- und Speibewegungen können als dyspnoische Zeichen nicht angesehen werden, weil sie eintreten, ehe die höhere CO,-Spannung ins Blut übergegangen sein kann. Offenbar handelt es sich, wie auch beim ausgekochten Wasser, darum, daß die Veränderung in der Wasserqualität einen peripheren Reiz hervorruft, der reflektorisch diese Erscheinungen und auch den Atem- stillstand auslöst. (Auch bei Fröschen tritt zuerst in einer 00,- Atmosphäre meist Erregung ein. Siehe oben.)

Da ein vollkommen befriedigendes Resultat bei direktem Wechsel zwischen normalem Seewasser und CO,-Wasser nicht zu erreichen war, wurde ein Versuchstier in eine Wanne mit normalem Seewasser gelegt und in dieses CO, eingeleitet. Der Fisch nahm selbst sein Atemwasser durch das eine Spritzloch auf (das genügt vollkommen), während das andre durch einen Schlauch mit der Mareyschen Trommel verbunden war. Speibewegungen und Abwehr treten bei dieser Ver- suchsanordnung nür ganz vorübergehend auf, im allgemeinen verläuft der Versuch sonst ganz glatt: anfangs bleiben Zahl und Stärke der Respirationen ganz unverändert. Allmählich wird die Zahl bei zu- nächst gleichbleibender Stärke geringer; aber auch diese vermindert sich später, so daß schließlich die Respirationen ganz aufhören. Er- stickungskrämpfe treten nieht ein. Die Reflexerregbarkeit nimmt mit der Zeit immer mehr ab und erlischt schon vor dem Aufhören der Respirationen ganz. Die Tiere sind dann steif wie in der Totenstarre. (Durch Übertragen in frisches Seewasser und durch Massage der Kiemen kann das Leben wieder angefacht werden, die Atmung be-

Die rhythmischen Bewegungen. 397

ginnt sehr langsam von neuem und wird allmählich wieder normal, jedoch bleibt der Körper, besonders in seinen hinteren Teilen, steif; mir ist es aber nicht geglückt, derartige Tiere dauernd am Leben zu erhalten; sie sterben nach einigen Stunden.)

Als Beleg gebe ich hier von einem Tier die Zeitangaben und Ausschnitte aus den Kurven (Fig. 81): Normale Respirationszahl 54 in der Minute. Zuleitung von CO, 1 h 25; 1 h 50 Respirationszahl (Respz.) 48, 2 h Respz. = 40. Die Respirationen beginnen flacher zu werden. Zwischen 1 h 50 und 2 h 10 einige Speibewegungen. BehleaRespz.— 3051 21h25) Respz. = 26, 27h BomRespz 418. Das Tier beginnt steif zu wer- den. 3h 5 Respz. = 18. Ganz IUWMIVWUVVVUVVUVV

1m 24’ steif und hinten reflexlos. Gleich LER u PBHNIER:

{ 2. 1n25’C0z darauf Aufhören der Atmung. 3 h 25 in normales Seewasser. +NnNnNnNnNnNnnnnnain 1% 30° 3 h 35 die ersten schwachen Atembewegungen.

3. Zuleitung von sauerstof- annnnnnnnana gesättigtem Wasser. Eine reich- 1n 53° BehenNenserseewasserr wurde 3 ee BR rekochsundedann durehrdie- 7 "a u rs Lern selbe während einer Stunde ein kräftiger Strom von reinem Sauerstoff durchgeleitet. Nach- dem die Respirationen längere 250° Zeit bei normalem Seewasser du u 0 0 0 0 aufgeschrieben waren, wurde rig.81. Atmungskurven von Seyllium. 1h 24 normal. das O - gesättigte Wasser zu- 1 h 25 wird co, ins Bassin eingeleitet. Die Respira-

4 R .. % tionen werden flacher und langsamer und hören ohne geleitet. Eine Anderung in der dyspnoische Erscheinungen schließlich ganz auf. Zahl und Stärke der Respira- tionen trat im einen Fall nicht ein. Im zweiten Versuch wurde eine geringe Zunahme der Respirationszahl festgestellt, welche aber wahrscheinlich auf einer Temperaturdifferenz beruhte. Jedenfalls ist aber von einer Apnoe auch nicht die geringste Andeutung zu be- obachten. Da die zugeleitete Wassermenge die Respirationszahl zum sroßen Teil bestimmt, so wurde der Versuch auch in der Weise an- gestellt, daß das Tier in normaler Weise das Wasser aktiv aufnahm, wie dies auch unter 2. für kohlensäurehaltiges Wasser beschrieben wurde. Das Tier lag zunächst in einem Bassin mit normalem See- wasser. Darauf wurde es in die daneben stehende) Wanne mit O-ge- sättistem Wasser gelegt, in welches noch während des ganzen Ver- suchs O eingeleitet wurde. Auch hier war keine Spur von Apnoe zu bemerken.

398 Die rhythmischen Bewegungen.

Wenn man diese Versuche mit den von Schoenlein und Willem gefundenen Tatsachen zusammenhält, so wird wohl kein Zweifel mehr bestehen können, daß die Respirationsbewegungen der Fische (speziell der Selachier) nicht durch chemische Reize des Zentralnervensystems verursacht werden. Der Gas- gehalt des Blutes, der bei den höheren Wirbeltieren eine so wichtige Rolle für den Mechanismus der Atmung spielt, ist hier ohne jeden Einfluß auf denselben. Sauerstoffreichtum ruft keine Verlangsamung der Respirationen hervor (geschweige denn Apnoe), noch erzeugt Sauerstoffmangel resp. Kohlensäureanhäufung Dyspnoe oder auch nur eine Andeutung von Atembeschleunigung.

Ehe ich auf die Respiration der Fische weiter eingehe, will ich die bei höheren Wirbeltieren bekannt gewordenen peripheren Hilfs- ursachen der Atembewegungen besprechen.

Nachdem durch Traube (1847) und Rosenthal (1861) die hervor- ragende Bedeutung des Vagus für die normale Atmung erkannt war, stellten Hering und Breuer (1868) die Lehre auf, daß jede Exspiration sich selbst hemme und die nächste Inspiration auslöse, während jede Inspiration ihrerseits den Anstoß zur Exspiration gebe und eine weitere Inspirationsbewegung verhindere. Der auslösende Reiz sollte im einen Fall der bei der Exspiration zustande kommende Lungenkollaps, im andern Fall die durch die Inspiration erzeugte Lungendehnung sein, und beide Reize sollten von der Lunge durch den Vagus zum Zentral- organ geleitet werden. Die Hauptbeweispunkte für diese Ansicht be- standen darin, daß bei experimentell herbeigeführtem Kollaps der Lunge stets eine starke Innervierung der Inspirationsmuskeln zur Be- obachtung kommt, während bei künstlicher Aufblasung der Lunge das Umgekehrte der Fall ist.

Gegen die Richtigkeit dieser Hering-Breuerschen Theorie von der Selbststeuerung der Atmung wurden von Guttman (1875) Bedenken erhoben, weil er aus seinen Versuchen schließen zu müssen glaubte, daß Lungenausdehnung eine inspiratorische Wirkung hätte. Gad wies dann (1880) nach, daß Guttman seine Versuche falsch gedeutet habe, und daß in der Tat Lungendehnung wie Lungenkollaps in dem von Hering und Breuer angegebenen Sinne wirkten. Seitdem sind diese Versuche oftmals bestätigt und nach ‘vielen Richtungen hin erweitert worden. (Siehe wegen der Literatur Boruttaus Zusammenstellung von 1902.)

Danach kann es jedenfalls nicht zweifelhaft sein, daß die Mög- liehkeit einer Selbststeuerung der Atmung im Sinne Hering - Breuers besteht. Viel umstritten ist aber noch die Frage, inwieweit bei der norınalen Atmung der höheren Wirbeltiere diese Selbststeuerung in Betracht kommt. Als Hauptfaktor bei der normalen Atmung wird

Die rhythmischen Bewegungen. 399

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von Rosenthal (1875) die Wirkung des venösen Blutes auf die Atem- zentren angesehen und den von Hering und Breuer nachgewiesenen hemmenden resp. anregenden, durch die Vagi vermittelten Reizen nur eine unwesentliche Rolle zugeschrieben. Andre Autoren (Gad, 1880, Boruttau, 1895, Lewandowsky, 1898, Schenk, 1900 und andere) nehmen eine wesentliche Beteiligung der Selbststeuerung auch bei der nor- malen Atmung an. Besonders wird die inspirationshemmende Wirkung der Lungendehnung für die Erklärung der Phänomene in Anspruch genommen. Die meisten Autoren sind sich aber darin einig, daß eine befriedigende Erklärung des Atemrhythmus auf Grundlage der Selbst- steuerung allein nicht möglich ist und daß eine Anteilnahme des venösen Blutreizes auf die Zentren bei der Erklärung nicht entbehrt werden kann.

Demnach würden wir also den augenblicklichen Stand der Frage nach der Ursache der rhythmischen Atembewegungen bei den höheren Wirbeltieren dahin präzisieren können: Die Ursache der Atmung ist eine doppelte. Erstens wirkt auf die Atemzentren der kontinuier- liche Reiz des venösen Blutes ein. In welcher Weise dieser zu rhythmischen Wirkungen führt, darüber bestehen zunächst nur Ver- mutungen. Dieser Reiz genügt, um den Atemrhythmus (wenn auch nicht in normaler Weise) zu erhalten (Vagotomie). Zweitens wirken auf die Atemzentren Reize ein, welche durch die Atembewegungen selbst in rhythmischer Folge hervorgebracht in den Vagi zentral- wärts geleitet werden und die Bewegung, welche im Gang ist, hemmen und die entgegengesetzte anregen. Wie groß der Anteil einer jeden Reizgattung bei der normalen Atmung ist, darüber herrscht keine Einigkeit.

Wie wir gesehen haben, ist bei den Fischen (und Amphibien) ein Einfluß des Blutzustandes auf den Atemrhythmus nicht feststellbar. Es war daher die von Schoenlein und Willem aufgestellte (aber nur un- vollkommen bewiesene) Ansicht zu prüfen, daß der Atemrhythmus hier lediglich durch periphere Erregungen, etwa nach Art der Selbst- steuerung, hervorgerufen würde. Ich glaubte anfangs diese Frage mittels Nervendurchschneidungen entscheiden zu können, habe diese Hoffnung aber aufgeben müssen. Derjenige Nerv, welcher anatomisch dem Vagus der höheren Wirbeltiere entsprechen soll, unterscheidet sich von diesem physiologisch wesentlich dadurch, daß er die motorische Versorgung größerer Partien der Skelettmuskulatur besorgt und zwar grade diejenigen, welche motorisch erhalten werden müssen, nämlich einen Teil der Kiemenbögen.

Weder Durchschneidungsversuche des Vagus, welche in größerer Anzahl

angestellt wurden, noch Reizung des peripheren Vagusstammes ließen mich mit Sicherheit feststellen, wie viele Kiemenbögen allein vom Vagus innerviert

400 Die rhythmischen Bewegungen.

werden; deswegen nicht, weil bei der starken Spannung der Haut eine passive Mitbewegung zustande kommen kann. Als sicher kann ich angeben, daß die hinteren Kiemenbögen motorisch und sensibel allein vom Vagus innerviert werden und daß der erste Kiemenbogen und das Spritzloch vom Vagus ganz unabhängig sind und ihre motorische Innervation vom Faeialis erhalten. Möglicherweise wird auch der zweite und dritte Kiemenbogen allein vom Vagus versorgt, doch scheint es mir besonders für den zweiten nicht ausgeschlossen, daß er neben Vagusfasern motorische Fasern vom Facialis erhält. Was die Wirkung auf das Herz an- betrifft, so entspricht der Vagus der Fische dem der höheren Wirbeltiere; er allein enthält herzhemmende Fasern. Nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung, welche die Tiere bei guter Operation tagelang überleben, indem die Atmung mit dem vordersten Kiemenbogenpaar zur Erhaltung des Lebens genügt, kann das Herz durch keinen Reiz der Peripherie oder der Medulla mehr zum Stehen gebracht werden. Sind die Vagi erhalten, so gelingt die Hemmung des Herzens sehr leicht. Schon bei mäßig kräftigem Streichen über die Haut kann voll- ständiger Stillstand eintreten. Die auffallende Korrelation zwischen Atem- bewegungen und Herzbewegungen, welche Schoenlein und Willem beschrieben haben, fällt nach doppelseitiger Vagotomie fort.

Haie, denen beide Vagi durchschnitten waren, atmeten noch voll- kommen rhythmisch, wobei natürlich die gelähmten hinteren Kiemen- bögen nur passive Bewegungen ausführten. Hieraus ging bereits her- vor, daß der Vagus nicht allein derjenige Nerv sein konnte, durch den die angenommenen peripheren Reize zum Zentralorgan geleitet werden. Daß der Vagus aber auch bei diesen Tieren als Vermittler von Atemreizen, besonders von solchen hemmender Natur, eine große Rolle spielt, geht aus Versuchen hervor, bei denen Haie vor und nach der Vagotomie auf Atemhemmung untersucht wurden. Während bei Normaltieren sofort Atemstillstand eintritt, wenn das Seewasser mit Süßwasser oder mit karbolhaltigem Wasser vertauscht wird, atmen diese Tiere zunächst ganz ruhig weiter und stellen die Atem- bewegungen erst nach zwanzig Sekunden und mehr ein. (Übrigens fangen normale Tiere bei Respiration mit Süßwasser nach einiger Zeit wieder zu atmen an. Dazwischen kommen wieder Stillstände und Abwehrbewegungen, aber man kann manchmal ganz lange Atem- perioden beobachten.) Auf Abschneidung der Wasserzufuhr reagieren dagegen die vagotomierten Tiere ebenso prompt, wie normale, mit Atemstillstand. Es ist also nur die Wirkung gewisser Hemmungsreize herabgesetzt.

Gleich hier muß bemerkt werden, daß man die Atmung auf die verschiedenste Weise hemmend und fördernd beeinflussen kann. Bei jedem stärkeren Reiz des Rumpfes oder des Kopfes (mechanisch und elektrisch) kann die Atmung für längere oder kürzere Zeit gehemmt werden. Sehr häufig hat diese Hemmung einen ausgesprochen ex- spiratorischen Charakter. Am besten zeigt sich dies bei Tieren, die mit langsamem Rhythmus (große Exemplare bei niedriger Wassertemperatur) atmen. Ist eben eine Exspiration abgelaufen, so tritt bei kräftigem

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Die rhythmischen Bewegungen. 401

Reiz des Rumpfes oder bei bloßer leichter Berührung einer Kiemen- spalte oder eines Spritzloches sofort eine neue Exspiration ein. Dauert die Reizung fort, so löst sich die Kontraktion des Kiemenkorbes langsam, und die Atmung bleibt noch einige Zeit ohne bemerkbare Aktivstellung des Atemapparats unterbrochen. Ist die Reizung nur momentan, so dehnt sich der Kiemenkorb gleich wieder aktiv aus, und es erfolgt nach einer etwas verlängerten Pause die nächste Ex- spiration. Erfolgt die Berührung einer Kiemenspalte kurz vor einer normalen Exspiration, so wird das Wasser mit ganz besonderer Kraft ausgetrieben. Für die Haie ist diese Reaktion von großer Wichtig- keit, weil sie die Kiemen vor Verunreinigung schützt. Sie tritt stets ein, nachdem die Tiere gefressen oder erbrochen haben, wozu sie sehr neigen (Schoenlein und Willem) und befördert die im Kiemenkorb hängen gebliebenen Nahrungsreste ins umgebende Wasser. (Bei Tieren mit durchschnittenem Vagus hängen die gelähmten Kiemenbögen stets voll von Speiseresten und Schleimflocken.)

Da eine gesonderte Unterbrechung der rezeptorischen Bahnen des Vagus und der die vorderen Kiemenbögen und das Spritzloch ver- sorgenden rezeptorischen Nerven mangels einer genügenden anato- mischen Trennung von den motorischen Fasern unmöglich ist (oder wenigstens im Augenblick unmöglich scheint), so mußte ich auf anderm Wege versuchen, periphere Atemreize auszuschalten. Es ist mir dies in überraschend leichter Weise mit Hilfe von Cocain ge- lungen.

Cocainversuch: Ein Hai wird in der oben beschriebenen Weise hergerichtet und mit Seewasser respiriert. Mit dem dritten Schenkel des Dreiwegehahns ist ein Gefäß verbunden, das etwa 200 cem 1/,/, Coeainchlorhydratlösung (in Seewasser) enthält. Nachdem eine genügende Zahl von Respirationen aufgeschrieben ist, wird das See- wasser durch die Lösung des Cocains ersetzt. Die Atmung geht zu- nächst ruhig weiter. Speibewegungen kamen zwar einigemal zur Be- obachtung, aber nie gleich beim Beginn; auch waren sie nie von Atemstillstand begleitet. Etwa nach 1,5’—2’ werden die Atem- bewegungen ziemlich plötzlich schwächer und langsamer; nach wei- teren 10— 20’ erfolgen nur noch einige schwache Exspirationen in Abständen von 5—6” und dann hören dieBewegungen ganz auf (Fig. 82). Der so erzeugte Atemstillstand ist weder exspiratorisch noch inspiratorisch, sondern ganz passiv. Läßt man etwa eine halbe Minute nach Eintritt des Stillstandes wieder frisches Seewasser zufließen, so bleibt der Atemstill- stand noch viele Minuten erhalten. Dann zeigen sich zuerst einige kleine durch lange Pausen getrennte Respirationen, welche all- mählich an Stärke und Frequenz zunehmen. Die ursprüngliche

Bethe, Nervensystem. 26

402 Die rhythmischen Bewegungen.

Stärke der Respirationen kehrt schneller wieder als die ursprüngliche Frequenz.

Versuch vom 21. Oktober 1901. 1 & 19’, 36 Respirationen in der Minute. 1b 20' Cocain !/,°/,; es fließen bis 1 h 22’ 40" 190 cem durch die Kiemen. Die Atmung geht zuerst ruhig weiter. 1b 20’ 25” Speien. 1 h 22” Verlangsamung und Erniedrigung der Respirationen. 1 h 22’ 20’ Aufhören derselben. 1 h 22’ 40" Wieder- zulassen von Seewasser. Der Atemstillstand dauert an bis 1 b 40’ (18 Minuten). 1 h 40’ die erste schwache Respiration. 1 h 50' Respirationen ziemlich kräftig, aber nur 30 in der Minute.

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Fig. 82. Atmungskurven von Seyllium. Cocainversuche. A Ziemlich unvermittelter Stillstand der Atmung 80'' nach Zuführung von Cocain. B Stillstand nach voraufgehender Verlangsamung. 1. vor Zuführung der Cocainlösung. 2. Verlangsamter Rhythmus. 3. Letzte Respirationen vor dem Stillstand. (X = letzte Respiration. S= Spuckbewegung.) 4. Während des Stillstandes durch mechanische (,) und faradische Reizung (<) von der Brust aus ausgelöste Respirationsbewegungen. Erstere sind steiler und höher. Bei <“ wurden die Elektroden nur einen Augenblick aufgesetzt, bei —<—>- blieben sie längere Zeit angesetzt (Alternieren von Inspiration und Exspiration).. Am Anfang sind zwei mechanische Reize schnell hintereinander angesetzt, der zweite ist noch fast wirkungslos und ergibt nur eine ganz schwache Exspiration.

Daß es sich hier um einen reflektorischen Atemstillstand handelt, ist schon dadurch ganz ausgeschlossen, daß derselbe nie momentan eintritt und die Einwirkung der Schädigung so lange überdauert. Man könnte aber meinen, daß es sich hier um eine zentrale Vergiftung handelt. Das ist aber auch sicher nicht der Fall: Während des Atemstillstandes ist die Reflexerregbarkeit nicht nachweisbar ver- ändert. Kneift man das Tier in den Schwanz, so treten lebhafte Ab- wehrbewegungen ein. Dagegen fällt sofort die vollkommene rezep- torische Lähmung der Schleimhaut des Mundes, der Kiemen und der

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Die rhythmischen Bewegungen. 403

Spritzlöcher auf, kurz all der Teile, welche von der Lösung direkt bespült werden. Während sonst bei Berührung der Kiemenschleimhaut sofort eine heftig Exspiration ein- tritt, kann man dieselbe jetztmechanisch malträtieren, ohne einen Effekt zu erzielen. Absolut beweisend ist aber folgender, stets gelingender Versuch: Wie schon erwähnt, kann man fast von allen Körperstellen Exspirationen hervorrufen und zwar um so leichter, je näher die gereizte Stelle den Kiemen liest. Wenn man nun den in Cocain-Apnoe daliegenden Fisch am Auge, an der Schnauze, an einer Brustflosse oder am Bauch stark zwickt oder miteinemleichten Induktions- strom reizt, so sieht man bei jedem derartigen Reiz eine vollkommen koordinierte Exspiration eintreten (Schluß des halboffenen Maules und der Spritzlöcher und Kontraktion des Kiemenkorbes). Der zentrale Innervationsapparat, wie auch die motorischen Apparate müssen also ganz in Ordnung sein.

Höchst bemerkenswert scheint mir noch folgender, allerdings aus Mangel an Zeit nur zweimal erhobene Befund zu sein: Werden während der Cocain-Apnoe zwei mechanische Reize kurz hinter- einander angesetzt, so ruft nur der erste eine Kontraktion des Kiemen- korbes hervor. Damit auch der zweite wirksam ist, muß eine ge- wisse Zeit vergangen sein (Fig. 82, 4). Bei andauernder tetanisierender Reizung der Brust tritt keine andauernde Exspirationsstellung ein, sondern es alternieren (ziemlich unregelmäßig) Exspirationen und In- spirationen (Fig. 82, 4). Es besteht also nach jeder Respira- tionsbewegung ein ausgesprochenes Refraktärstadium.

Werden durch Cocain die peripheren rezeptorischen Endigungen der Kiemen und der Mundschleimhaut ge- lähmt, so ist die Atmung aufgehoben. Nach diesen Ver- suchen halte ich es für bewiesen, daß die Atmung der Fische (Haie) allein durch periphere Reize verursacht wird.

Ehe ich auf die Natur dieser Reize eingehe, muß ich noch einige Worte über die Wirkung der Wärme hinzufügen: Wie Schoenlein und Willem gezeigt, ist die Zahl der Respirationen von der Menge des zugeführten Wassers in ziemlich weiten Grenzen abhängig. Das nicht künstlich respirierte Tier ist hiervon natürlich unabhängig; es nimmt immer nur eine bestimmte Wassermenge auf. Das Volum desselben scheint mir unter normalen Umständen immer gleich groß zu sein und nur die Zahl der Respirationen zu schwanken. Diese ist aber ab- hängig und, wie mir scheint, allein abhängig von der Temperatur. Um dies festzustellen habe ich Haifische in verschieden temperiertes Wasser gesetzt und die Respirationen teils gezählt, teils graphisch

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404 Die rhythmischen Bewegungen.

registriert und dann gezählt. Der Höhepunkt der Respirationszahl liegt, wie es scheint, bei etwa 20—25° ©. Darüber hinaus wird die Zahl der Respirationen höchstens sehr langsam größer. Die Zahl selber ist bei verschiedenen Arten und in derselben Art bei ver- schieden großen Tieren recht verschieden. Unter 20° nimmt die Zahl der Respirationen sehr schnell ab. So zählte ich bei einem Tier in Wasser von 19,5° 42 Respirationen in der Minute, bei 13,6° nur noch 24. Das Wichtige hierbei ist aber, daß die Respirations- bewegungen nicht in dem Moment schneller werden, wo das wärmere Wasser die Kiemen berührt, sondern daß die Beschleunigung sich ganz allmählich im Lauf von Minuten ausbildet. (In gleicher Weise tritt die Verlangsamung beim Übertragen in kälteres Wasser allmählich ein. Ist die Tem- peraturdifferenz sehr groß, so fängt die Änderung in der Respirations- zahl schon nach etwa einer halben Minute an und erreicht in wenigen Minuten ihr Maximum; je geringer die Differenz, desto langsamer tritt die Veränderung ein.) Verlangsamung resp. Beschleunigung der Respirationen kann man aber auch bei konstanter Temperatur des Atemwassers erreichen, wenn man dem in flachem Wasser liegenden Tier ein Stück Eis resp. einen warmen Schwamm auf den heraus- ragenden Teil des Schädels legt. (Ich erreichte in diesen Versuchen weniger große Zahlendifferenzen als bei der andern Versuchsanord- nung.) Ich ziehe aus diesen Versuchen den Schluß, daß die Temperatur nicht peripher (wie die Wassermenge), son- dern zentral auf den Atemrhythmus wirkt (eventuell auch auf die Muskeln. Eine Veränderung der Frequenz tritt erst dann ein, wenn das Gehirn die Temperatur der Umgebung angenommen hat.

Auf Grund dieses Versuches und der zuerst von Schoenlein und Willem festgestellten Tatsache, daß die Respiration bei Abschneidung der Wasserzufuhr aufhört, wenn das letzte Wasser ausgepreßt ist (außerdem auf Grund einiger andern Beobachtungen, welche ich vor der Veröffentlichung noch einigemal wiederholen möchte), komme ich zu dem Schluß, daß die periphere Ursache der Atmung der Haie wenigstens zum Teil in einem kontinuierlichen Reiz besteht. Diesen kontinuierlichen Reiz sehe ich in dem die Schleimhaut berührenden Wasser und zwar in seiner Qualität als Flüssigkeit. Neben diesem konstanten Reiz wird man wohl auch rhythmische Reize annehmen dürfen, welche ähnlich wie bei den höheren Wirbeltieren durch die sewegungen selber hervorgerufen werden. Allein durch eine ‚Selbst- steuerung“ dürfte auch bei diesen Tieren der Atemrhythmus nicht er- klärt werden können. Das anfängliche Ausbleiben der Bewegungen an der Luft, die vollständige Unregelmäßigkeit derselben, wenn sie

Die rhythmischen Bewegungen. 05 fe) fe) 9)

nach längerem Verweilen an der Luft wieder eintreten, die Be- schleunigung beim Erwärmen des Gehirns sind Erschemungen, die ich mir nicht erklären könnte, wenn die durch jede Inspiration resp. Exspiration gesetzten Reize die einzige Ursache des Atemrhythmus wären.

Diese Erscheinungen werden aber plausibel, wenn man in der Berührung mit dem Wasser als Flüssigkeit einen konstanten Atemreiz sieht, der hier dieselbe Rolle spielen würde wie der zentrale Blutreiz bei den höheren Wirbeltieren. Für die höheren Wirbeltiere ist bei ihrem großen Sauerstoffbedürfnis und bei ihrer Empfindlichkeit gegen Kohlensäureanreicherung in den Geweben eine Anregung der Atmung durch die Venosität des Blutes absolutes Bedürfnis. Dagegen sind die niederen Wirbeltiere vom Gasgehalt des Blutes bis zu einem gewissen Grade unabhängig; zum dauernden Bestand des Lebens ist zwar auch hier Sauerstoff und Fortschaffung der Kohlensäure notwendig, aber die Tiere sind doch imstande, nach der Entblutung oder nach Ausschluß von Sauerstoff noch viele Minuten in ziemlich normaler Weise ihre Funktionen auszuüben. Hier liegt also in der Organisation kaum ein Bedürfnis, jedenfalls nicht die Notwendigkeit vor, daß die Atmung durch die Blutbeschaffenheit angeregt wird. Vor der Respiration schlechten Materials, welche sie auf die Dauer schädigen würde, sind sie dadureh genügend geschützt, daß dasselbe auf periphere Endorgane reizend wirkt, Atemstillstand resp. Ausspeien hervorruft und zu Flucht- bewegungen Anlaß gibt, welche erst aufhören, wenn bessere Be- dingungen erreicht sind. Beim Haifisch kann man sich hiervon leicht überzeugen, wenn man in ihrer Nähe schädliche Stoffe ins Wasser bringt: Sowie das hiermit vermischte Wasser in den Mund gelangt, speien sie und suchen davon freie Wassergegenden auf. Diese Er- scheinung tritt auch bei stark CO,haltigem Wasser prompt ein. Im übrigen liegen derartige Bedingungen unter normalen Verhältnissen (wenigstens für die Meeresbewohner) wohl überhaupt nie vor.

Weder die Atemmuskulatur der höheren, noch die der niederen Wirbeltiere ist befähigt auf konstante Reize rhythmische Bewegungen auszuführen. Bei tetanischer Reizung treten wenigstens immer Dauer- kontraktionen ein. Um nun die Umwandlung des konstanten Blut- reizes in die rhythmisch -alternierende Reizung der Atemmuskeln zu erklären, hat Rosenthal (1862 u. 1875) die T’heorie aufgestellt, daß in den Atemzentren ein Widerstand vorhanden sei, der nur zeitweise durchbrochen wird. Er vergleicht diesen Vorgang mit Erscheinungen, die z. B. an einem Behälter zur Beobachtung kommen, der unten mit einem federnden Ventil verschlossen ist und in den kontinuierlich Wasser hineinfließt. Hat das Wasser in dem Gefäß eine bestimmte Druckhöhe erreicht, so wird der Widerstand der Feder überwunden

406 Die rhythmischen Bewegungen.

und ein gewisses Quantum Wasser fließt durch das Ventil ab. So wird aus dem konstanten Zufluß ein rhythmisch unterbrochener Ab- fluß. Solange nur der Spezialfall rhythmischer Atembewegungen bekannt war, der bei den höheren Wirbeltieren vorliegt, war ein An- schluß an die Reflexerscheinungen, wenn er auch versucht war, nicht gut möglich. Nachdem ich bewiesen habe, daß der Atemreiz bei den Selachiern peripher angreift und daß er wahrscheinlich in der Haupt- sache, wie bei den höheren Wirbeltieren, kontinuierlicher Natur ist, scheint das Bindeglied gegeben und die Möglichkeit vorhanden zu sein, die Atembewegungen den Summationserscheinungen anzureihen. Wir haben bei diesen gesehen, daß kleine an und für sich unwirksame (kontinuierlich oder rhythmisch wiederkehrende) Reize sich summieren können, um schließlich zu einer Auslösung zu führen. Auch bei diesen (S. 352) mußten wir ja einen Widerstand in den Zentralorganen an- nehmen, so daß sich die neue Vorstellung von der Rosenthals nicht weit entfernt. Bei den Haien bietet es keine Schwierigkeit die Respirationsbewegungen als Summationserscheinung aufzufassen. Aber auch bei den höheren Wirbeltieren ist dies möglich. Von der Peripherie ist hier die Angriffsstelle des Reizes, den Bedürfnissen entsprechend, ins Zentrum gerückt. Ob der kontinuierliche Reiz dort an Ganglien- zellen angreift, wie die allgemeine Ansicht lautet, oder ob er auf andre Stellen des Graus, eventuell auf besondere, bisher noch unbekannte Organe wirkt, ist für die Auffassung ganz gleichgültig, daß es sich auch hier um eine Summationserscheinung und um eine Art von Reflex handelt. Es kommt für den Effekt auf das gleiche hinaus, ob der Widerstand dadurch durchbrochen wird, daß (wie bei den ge- wöhnlichen Summationserscheinungen und bei der Atmung der Haie) ein kontinuierlicher Reiz von der Peripherie her zugeleitet wird, oder ob eine konstante, in den Zentralorganen selber gelegene Ursache den Widerstand von Zeit zu Zeit aufhebt.

Ich komme danach zu folgendem Schluß: Soweit die rhyth- mische Bewegung der Atmung auf einer kontinuier- liehen ; Ursache” beruht, handelt "es sich” um7 eine Summationserscheinung und nicht um eine automatische, den Reflexbewegungen fremd gegenüberstehende und geheimnisvolle Eigenschaft der Ganglienzellen.

3ei den gewöhnlichen Summationserscheinungen, wie sie z. B. am keflexpräparat des Frosches studiert sind, bleibt die einmal ein- getretene Durchgängigkeit der Zentralteile einige Zeit erhalten. Die Folge davon ist, daß es zu tetanischen Effekten kommen kann, ähnlich denen, welche durch direkte Reizung der motorischen Nerven bewirkt werden können. Reizt man z. B. den Fuß eines aufgehängten Reflex- präparats (die Elektroden sind an demselben befestigt) mit schwachen

Die rhythmischen Bewegungen. 407

und wenig frequenten Wechselströmen, so daß nicht gleich beim ersten Induktionsschlag der Schenkel angezogen wird, sondern Summation vieler nötig ist, so bleibt das Bein längere Zeit angezogen, nachdem der Effekt eingetreten ist. Der Erfolg ist also ein dauernderer, als wenn man einen einzelnen starken Induktionsschlag einwirken läßt. Nach einiger Zeit sinkt aber auch hier das Bein herab, um sich später für kürzere Zeit wieder zu heben. Ob es dabei zu einem wirklichen rhythmischen Alternieren kommen kann, habe ich weder aus der Literatur noch aus den wenigen eignen Versuchen ersehen können. Jedenfalls scheint auch hier die durch Summation hervorgerufene Überwindung des Widerstandes nieht andauernd zu sein. Sehr viel schneller oder sogar momentan scheint sich der einmal überwundene Widerstand bei den Zentralteilen wieder herzustellen, welche typische, rhythmische Bewegungen vermitteln.

Für die Atmung der höheren Wirbeltiere liegen, soweit mir be- kannt, keine diesbezüglichen Beobachtungen vor. Für die Atmung der Selachier glaube ich oben gezeigt zu haben, daß eine refraktäre Periode existiert. Es folgt, wie es scheint, auf jede Durchbrechung des Widerstandes ein Stadium vollkommner Unerregbarkeit.

Einen Fall von sehr typischer refraktärer Periode hat Zwaarde- maker (1899) beim Lidschlußreflex gefunden. Derselbe wurde durch Funken hervorgerufen, welche von dem Auge im Dunkeln übersprangen, oder auch durch warmes Anblasen. Folgten zwei Reize dieht auf- einander, so war der zweite stets unwirksam. Das Stadium voll- ständiger Unerregbarkeit dauerte bis zu 0,5’. Eine Herabsetzung der Erregbarkeit war meist noch 1’ nach dem ersten Reiz zu beobachten. Ein sehr deutliches Refraktärstadium zeigt sich auch beim Quakreflex des Frosches.

An dieser Stelle möge noch folgende Beobachtung Erwähnung finden: Die Bewegungsmuskulatur von Aplysia (siehe S. 117) gerät bei starker direkter oder indirekter Reizung (vom Nerven aus) zwar nicht in dauernde Kontraktion, aber die Kontraktion hält doch für Minuten mit kleinen Schwankungen an. Als Reiz kann in gleicher Weise ein tetanisierender Induktionsstrom und ein dauernd geschlossener Kettenstrom dienen. Die Muskulatur ist also einer Dauerregung fähig. Reizt man nun nach Fortnahme des Zentralnervensystems mit gut abgestuftem Wechselstrom oder konstantem Strom (2 kleine Daniell und 0,4—1 Ohm im Hauptkreis) einen Flügelnerven (zwischen Nerv und Muskel liegt ein Nervennetz, siehe S. 82), so können rhythmische Kontraktionen des Flügels eintreten, bei denen ein schwacher Kon- traktionszustand mit starken und merkwürdig gut koordinierten Kon- traktionen in regelmäßigen Pausen abwechseln. Die Zahl dieser rhythmischen Bewegungen ist allerdings immer gering (4—7); die

408 Die rhythmischen Bewegungen.

Pausen zwischen zwei Kontraktionen schwanken in den verschiedenen Versuchen zwischen 3 und 20 Sekunden. Um eine neue Reihe zu bekommen, muß man entweder den Reiz etwas verstärken oder eine Ruhepause eintreten lassen. (Diese rhythmischen Bewegungen kann man auch nach Fortnahme des Zentralnervensystems, in allerdings weniger konstanter Weise, von der andern Seite, nämlich durch schwache kontinuierliche Reizung der Flügeloberfläche hervorrufen.) Wie er- wähnt, sind rhythmische Flügelschläge der Modus, dessen sich die Aplysien beim Schwimmen bedienen; durch diesen Versuch wird die Annahme ermöglicht, daß die normalen Flügelschläge durch einen kon- tinuierlichen Reiz hervorgerufen werden, der vom Zentralnervensystem dem Nervennetz zugeleitet wird, und daß erst hier durch einen Widerstand und durch eine Summationserscheinung der Rhythmus zu- stande kommt.

Durch das Vorhandensein einer relativen und manchmal absoluten Refraktärphase in den Zentralorganen bekommt die oben entwickelte Auffassung der rhythmischen Atembewegungen einen festeren Halt, und die Entstehung rhythmischer Effekte auf kontinuierliche Anlässe hin erscheint weniger rätselhaft.

Die rhythmischen Bewegungen des Wirbeltierherzens und der Medusen.

Der Vergleich zwischen den Bewegungen des Herzens und denen der Medusen wird hier nicht zum erstenmal angestellt. Zuerst tat dies komanes (1876), imdem er auf den Rhythmus und seine Abhängigkeit von bestimmten Teilen, dann auf die Erscheinung der Treppe und des in beiden Fällen zutreffenden „Alles oder Nichts - Gesetzes“ hin- wies. Weitere Vergleichspunkte wurden von Uexküll (1901) gewonnen. Eingehende Beschäftigung mit den Medusen und dem Herzen haben mir gezeigt, daß die Analogie in der Tat noch viel weiter geht, so weit, daß ich sagen kann: Es gibt in der ganzen Tierreihe nicht zwei Erscheinungen, die sieh bei gleicher Komplikation und bei an- nähernd so ferner Verwandtschaft der Objekte derartig ähnlich sind, wie Herz- und Medusenbewegungen. Um einen, besonders für ver- gleichende Morphologen, paradoxen Ausdruck anzuwenden: Das Herz ist gleichsam eine in sich geschlossene und organgewor- dene Meduse.

Der normale Rhythmus und seine Abhängigkeit von besonderen Teilen.

Seitdem Stannius (1852) gezeigt hat, daß das Froschherz stehen bleibt, wenn man eine Ligatur zwischen Sinus venosus und Vorhof

Die rhythmischen Bewegungen. 409

anlegt, hat man fast allgemein die Ansicht angenommen, daß die nor- malen Herzkontraktionen vom Sinus ihren Ausgang nehmen. (Den gleichen Effekt erzielt man, wenn der Sinus vom Vorhof ganz abge- trennt wird.) An dieser Ansicht ist durch den Nachweis nichts ge- ändert worden, daß das Herz in der Regel einige Zeit nach Sinus- abtragung wieder anfängt zu schlagen. Bleibt das Herz reizlos liegen, so kann der Stillstand stundenlang andauern, manchmal bleibt er auch bis zum Absterben erhalten. (Dieser lange Stillstand schließt es aus, daß er auf hemmender Vagusreizung beruht, was einige Zeit beson- ders von Volkmann behauptet wurde.) Goltz (1861 und 1862) glaubte den späteren Wiederbeginn der Pulsationen auf Reize beziehen zu müssen, welche durch die Berührung mit der Luft auf das Herz ein- wirken, weil es ihm gelang, bei Sinusabschneidung unter Öl den Stillstand dauernd zu machen. Hiergegen ist allerdings und viel- leicht mit Recht eingewandt worden, daß das Herz im Öl erstickte, aber jedenfalls ist nie der Beweis geführt worden, daß die Ansicht Goltz’ falsch ist.

Sicher ist, daß das sinuslose Herz durch Reize wieder zu Pul- sationen veranlaßt werden kann, zu denen auch gewisse Verletzungen (die dritte Stanniussche Ligatur, die Munkschen Stiche, 1566 und 1878) gerechnet werden können. (Auf diese Erscheinungen werde ich später ausführlicher zurückkommen.) Da diese Reize sehr schwach sein können, so ist es durchaus nicht ausgeschlossen, daß auch die nach Sinusabtragung anscheinend spontan wieder auftretenden Pul- sationen durch Reize okkulter Art hervorgerufen werden. Gewisse Teile des Herzens, vor allem die sogenannte Herzspitze, zeigen aber nie wieder spontane oder spontan erscheinende Pulsationen, so daß wenigstens für diese absolut feststeht, daß sie die Reize zu ihren normalen Bewegungen von andern Herzteilen erhalten. Wenn nun auch wirklich die ganze Kammer oder der Vorhof oder Vorhof + Kammer (nach Abtrennung des Sinus) unter Umständen ohne erkennbaren äußeren Reiz rhythmische Kontraktionen ausführen können, worüber hier nieht diskutiert werden soll, so ändert dies doch nichts daran, daß alle diese Teile beim normalen Herzschlag offenbar den Rhythmus nicht selbst erzeugen, sondern auf Erregungen reagieren, die ihnen vom Sinus zugeführt werden (Engelmann und andre).

In ganz analoger Weise bilden bei den Medusen, wie Eimer und Romanes gezeigt haben (siehe S. 106) die sogenannten Randkörper den Ausgangspunkt der rhythmischen Bewegungen. Solange noch ein Randkörper vorhanden ist, gehen die rhythmischen Kontraktionen weiter, ist auch dieser entfernt, so ist der im Vergleich zu den fort- genommenen Teilen so außerordentlich viel größere Rest wie gelähmt. Bei den eraspedoten Medusen dauert der Stillstand nach Romanes bis

410 Die rhythmischen Bewegungen.

zum Tode; nach Loebs Angabe (1899) treten aber nach etwa 48 Stunden wieder rhythmische Bewegungen ein. Bei einigen acras- peden Medusen (Acalephen), z. B. bei Aurelia, ist der Stillstand (wie beim Herzen) von weniger langer Dauer; oft sollen schon nach einigen Minuten die Bewegungen wieder ihren Anfang nehmen. Das trifft aber nicht für alle acraspeden Medusen zu. Rhizostoma wird, wie Uexküll zeigte, dauernd in Ruhe versetzt; dasselbe gilt von Cotylorhiza. Bleiben die Tiere lange in abgestandenem Seewasser, so treten auch hier manchmal wieder rhythmische Kontraktionen ein, welche aber nach Uexküll auf Reize zurückzuführen sind, welche von absterbenden Hautpartien ausgehen. Durch stets frisch gehaltenes Wasser kann man derartige Reize mit ziemlicher Sicherheit abhalten, und es scheint nicht ausgeschlossen, daß sich die obige Angabe Loebs auf schlechtes Wasser beziehen läßt. Es wäre dann tatsächlich der Stillstand nach Fortnahme der Randkörper ein dauernder, falls andre Reize fern- gehalten werden. Dies deckt sich mit der von Goltz für das Herz gemachten Annahme, welche aber bisher nur für die Herzspitze mit Sicherheit bewiesen werden konnte.

Unter normalen Umständen schlägt das Herz der Wirbeltiere an- dauernd und regelmäßig. Bei pathologischen Zuständen kommt es aber zu verschiedenartigen Unregelmäßigkeiten, vor allem zum Aus- fall einzelner oder mehrerer Pulse und zu Gruppenbildungen. Das Auftreten soleher Gruppen von Pulsationen liegt bei den Medusen in der normalen Breite. Die Länge der Gruppen und der Pausen schwankt unter verschiedenen Umständen und vor allem bei den ver- schiedenen Arten. Bei Rhizostoma bestehen die Gruppen aus Hunderten von Pulsen (manchmal fehlen Pausen ganz) und die Pulse sind sehr regelmäßig (Fig. 87). Bei Cotylorhiza kommt es selten zu mehr als s0—100 aufeinander folgenden Kontraktionen. Dann tritt meist eine Pause von dem Wert von 3— 20 Pulsen ein. Häufig sind die Gruppen viel kleiner (5— 20), auch wechseln kurze und lange Perioden. Der Rhythmus ist bei diesem Tier auch weniger regelmäßig als bei Rhizostoma; das gleiche gilt von manchen Craspedoten. (Siehe die Ausführungen von Romanes, der sich vergeblich bemüht hat, eine Gesetzmäßigkeit über die Periodenbildung aufzustellen.)

Die Reaktionen des sinuslosen Herzens und der rand- körperfreien Meduse auf künstliche Reize.

Stannius hatte bereits gezeigt, daß das zum Stillstand gebrachte Froschherz auf jeden mechanischen Einzelreiz mit einer einfachen Systole antwortet. Das Gleiche gilt, wie vielfache spätere Unter- suchungen zeigten, auch für einzelne Induktionsschläge. Auf die da-

Die rhythmischen Bewegungen. 411

bei zu Tage tretenden Koordinationserscheinungen in der Bewegung der einzelnen Herzabteile wird weiter unten eingegangen werden. Hier ist es für uns nur wesentlich, daß sich der Effekt stets an allen mit der Reizstelle in Verbindung stehenden Herzteilen zeigt, auch wenn die normale Anordnung durch Ziekzackschnitte gestört ist. So, wie das ganze (sinuslose) Herz, reagiert auch jeder einzelne Teil desselben, selbst die spontaner Bewegungen unfähige Herzspitze.

Ganz das Gleiche läßt sich, wie Eimer und Romanes zuerst ge- zeigt haben, für die randkörperfreie Meduse feststellen. Jeder einzelne

4

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Fig. 83. Treppenbildung. A von Rhizostoma, DB von Cotylorhiza. (Beide im Verlauf normaler Pulsationen). C von Carmarina durch elektrische Reize von gleicher Größe am randkörperlosen Tier erzeugt. Zeit = 0,5'r.

mechanische Reiz und jeder überhaupt

wirksame Induktionsschlag löst eine Tl

Kontraktion des ganzen Tierrestes aus, HH HHH HH HH gleichgültig, ob sich alles im normalen &

Zusammenhang befindet oder ob der

Schirm zu einem langen Streifen aufgerollt ist. Jedes kleinste Stück des Schirmes, der noch Muskulatur (und Nervennetz) enthält, zeigt das Gleiche (siehe S. 106).

1871 zeigte Bowditsch, daß das sinuslose Herz (oder irgend ein Stück desselben) stets mit einer maximalen Zuckung reagiert, wenn es überhaupt in Bewegung gerät. Läßt man Induktionsschläge auf das Herz einwirken, und verstärkt man dieselben langsam von un- wirksamen zu wirksamen, so tritt bei dem eben wirksamen Reiz keine kleinere Zuekung ein als bei Reizen, welche beliebig stärker sind. Dieses Phänomen ist unter dem Namen „Alles oder Nichts - Gesetz“ bekannt. (Über Ausnahmen von dem Gesetz siehe Kronecker 1883.) Deszleichen von Bowditsch rührt die Beobachtung her, daß die erste Zuckung einer Serie (gleichgültig wie stark der Reiz ist) meist kleiner

412 Die rhythmischen Bewegungen.

ist als die nächste und diese wieder kleiner als die folgende und so fort, bis schließlich eine gleichmäßige Höhe erreicht ist. Dieses Phä- nomen wird als Treppe bezeichnet und kommt auch bei Skelettmuskeln zur Beobachtung.

Das „Alles oder Nichts - Gesetz“ gilt, wie Romanes gezeigt hat, und wie ich mich selber durch viele Versuche überzeugt habe, in seiner vollen Ausdehnung auch für die Medusen. Auch das Phänomen der Treppe läßt sich, wenn auch nicht jedesmal, so doch sehr häufig konstatieren. Es kommt auch beim normalen, selbständig pulsierenden Tier, besonders bei Cotylorhiza, am Anfang der Pulsgruppen zum Aus- druck (Fig. 83).

Die Bewegungen der Medusen wurden auf folgende Weise aufgeschrieben: Das Tier wurde in Rückenlage in eine flache, mit Wachs ausgegossene Schale gebracht und mit einigen Stecknadeln nach Bedürfnis am Boden befestigt (meist genügen zwei bis drei Nadeln durch den nicht kontraktilen Mittelteil). Der Magenstiel wird als überflüssig entfernt. Darauf wurde die Schale soweit mit Seewasser gefüllt, daß der Schirmrand sich frei bewegen konnte. In den Schirm- rand wurde an einer Stelle ein Haken eingesetzt und der daran befestigte Faden über eine Rolle zu einem mit Anschlag versehenen Hebel geführt. Sollte zu gleicher Zeit von einem zweiten Punkt des Schirmrandes geschrieben werden, so wurde der Faden von der zweiten Stelle meist nicht direkt zu der über dem Hebel befindlichen Rolle geführt, sondern zunächst über eine zweite dieht am Sehirmrand angebrachte Rolle. Dies geschah, wenn der zweite Punkt dem ersten gegenüber lag. Waren die ziehenden Kräfte, wie in einigen späteren Versuchen, senkrecht zueinander gerichtet, so mußte der Faden sogar über zwei Hilfsrollen geführt werden. Bei der Größe und Kraft der Bewegungen spielen die eventuell zu erwartenden Fehler, wie ich mich überzeugt habe, keine wesentliche Rolle. (Zwei übereinanderstehende Hebel, mit feiner Einstellung und festangebrachten Rollen fand ich auf der zoologischen Station in Neapel vor. Von wem sie an- gefertigt sind, ist mir unbekannt.)

Die angegebene Fixierung des Objektes genügt bei selbständig schlagenden Cotylorhizen und bei randkörperlosen Stücken aller Arten. Gute Kurven von selbständig schlagenden Rhizostomen und Karmarinen erhält man jedoch auf diese Weise nicht, weil sich diese Tiere aufs energischste gegen die Rückenlage wehren, solange sie Randkörper besitzen! Dagegen schlägt besonders Rhizostoma sehr ruhig und gleichmäßig, wenn man sie in Bauchlage fixiert, wobei aber darauf zu achten ist, daß der Schirmrand nirgends anschlägt. Nachdem der Magenstiel entfernt ist, steche ich einen Draht mehrfach von oben nach unten und wieder nach oben durch das nervenlose Glockenzentrum und wickele die Enden über einen Stab, welcher über einem großen Behälter mit Seewasser so befestigt ist, daß das Tier grade mit Wasser bedeckt ist. Die Übertragung geschieht wie oben.

Die mechanische Reizung bereitet keine Schwierigkeiten, dagegen muß beim Reizen mit dem konstanten Strom oder mit Induktionsschlägen darauf geachtet werden, daß die Elektroden bis zur Berührungsstelle mit der Subumbrella gut isoliert sind. Am besten kam ich immer zustande, wenn ich elektrisch nicht unter Wasser reizte. Das ganze Tier befand sich im Wasser bis auf eine oder zwei kleine Stellen, an welchen die Elektroden angelegt wurden. Bei den in Bauchlage befestigten Tieren wurde zu diesem Zweck der Schirmrand an einer

Die rhythmischen Bewegungen. 413

Stelle nach oben gebogen und so in Zwangslage außer dem Wasser gehalten. Die Erregbarkeit erleidet dabei in längerer Zeit keine Einbuße.

1858 zeigte Heidenhain, daß die nicht pulsierende Herzspitze resp. das zum Stillstand gebrachte Herz beim Reizen mit frequenten Induktionsschlägen wieder rhythmisch zu schlagen beginnt und zwar um so schneller, je stärker die Schläge sind. Bei ganz starken Strömen sollte es zu tumultuarischem Tetanus kommen. Der Versuch ist später oft- mals wiederholt (siehe Marey, 1876, Engelmanns Versuche am Bulbus, 1882) und hat zu dem Resultat geführt, daß diese rhythmischen Be- wegungen nieht abhängig sind von der Anzahl der Unterbrechungen, sondern nur von der Stärke des Reizes; allerdings kommt die Zahl der Unterbrechungen insofern in Betracht, als bei einem Rollenabstand, bei dem Einzelschläge noch keine Kontraktionen auslösen, bei schnellem Wechsel Summierung eintritt. Ein wirklicher Tetanus kommt auch bei geringstem Rollenabstand unter normalen Verhältnissen nicht zu- stande. Die Kurve behält stets Zacken, die in rhythmischer Reihen- folge aufsitzen, jedoch sinkt die Kurve zwischen den Einzelbewegungen nicht mehr zur Abszisse ab. Werden die Rollen während der Reizung allmählich übereinander geschoben, so nimmt die Zahl der Kontrak- tionen bis zu einem bestimmten Punkt zu; dann kann durch noch weitere Steigerung der Reizstärke die Zahl nicht mehr vergrößert werden. Bei niedriger Temperatur ist diese Maximalzahl kleiner als bei höherer (Engelmann).

Dieselben Verhältnisse zeigen sich auch bei den Medusen. Bei faradischer Reizung treten am randkörperlosen Tier wieder rhyth- mische Kontraktionen ein (Romanes), und zwar steigt ihre Zahl mit der Stärke der Ströme, führt aber auch hier nie zu vollkommenem Tetanus (von Uexküll). Die Maximalzahl ist wie beim Herzen bei höherer Temperatur größer als bei niederer (Bethe). In Fig. 84 gebe ich Kurven, welche die Abhängigkeit von der Reizstärke zeigen. Diese rhythmischen Kontraktionen gehen beim Herz und bei der Me- duse stets von der gereizten Stelle aus, so daß sich z. B. bei Reizung der Herzkammer diese zuerst kontrahiert. Wird das normale Herz oder die normale Meduse mit faradischen Reizen behandelt, welche einen schnelleren Rhythmus ergeben als den der spontanen Pulsationen, so tritt nur der erstere zu Tage (Heidenhain, Bethe). In der Regel hören die durch faradische Reizung hervorgerufenen Pulsationen so- wohl beim Herzen wie bei den Medusen in dem Augenblick auf, wo die Reizung beendet wird. Gelegentlich kann man aber am sinus- losen Herzen beobachten, daß die Pulsationen noch einige Zeit nach dem Aufhören des Reizes fortdauern (Scherhey, 1880, Bethe). Bei den meisten von mir untersuchten Medusenarten habe ich eine der- artige Nachwirkung, welche auch beim Herzen immer eine Ausnahme

414 Die rhythmischen Bewegungen.

ist, nur unter besonderen Bedingungen (in schlechtem Seewasser, bei schwacher Alkohol- oder Kohlensäurevergiftung) beobachtet. Dagegen scheint sie bei Carmarina stets vorhanden zu sein, wenn der vorher-

Bei 2 cm Rollenabstand

Bei +em Rollenabstand

Bei 7cm Rollenabstand

Fig. 84. Rhythmische Kontraktionen, welche bei einer randkörperlosen Cotylorhiza durch faradische Reizung bei verschiedenem Rollenabstand erzeugt sind. Der Zeitschreiber gibt halbe Sekunden an.

chende Reiz intensiv war. (Auch bei Cotylorhiza habe ich mehrmals an frischen Exemplaren längere Nachwirkung beobachtet.) Bei diesem Tier kann es nach Aufhören des Reizes zu über hundert regelmäßigen

Die rhythmischen Bewegungen. 415

Pulsen kommen, auf die dann wieder dauernde Ruhe folgt. Man könnte geneigt sein, die Nachwirkung auf eine Veränderung an der Reizstelle zurückzuführen, welche nach dem Aufhören des eigentlichen Reizes erregend wirkt. Das ist aber bei Carmarina sicher nicht der Fall: Schneidet man während der Nachwirkung die randkörperfreie Carmarina in zwei Hälften, von denen die eine die Reizstelle mit der ganzen Umgebung ent-

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Fig. 85. Mechanische Reizung des Froschherzens mit dem elektrisch angetriebenen Reizhämmerchen.

4A Tetanische Reizung des stillstehenden sinuslosen Herzens. B Hervorrufung von Extrasystolen bei

einem sehr langsam schlagenden Herzen. Der Reizapparat ist beide Mal auf der Kammer an-

gesetzt. Unten Reizmarke, in der Mitte Vorkammer, oben Kammer. In B erkennt man, daß das Fallen des Hammers /(R) fast keine Veränderung der Kurve gibt.

hält, so dauern die Pulsationen (in beiden Stücken) fort, um nach einiger Zeit in beiden Stücken ziemlich sleiechzeitig zu erlöschen. (Durehschneidung gibt nie dauernde Pulsationen.)

Was bei frequenter elektrischer Reizung gilt, gilt auch sowohl für das Herz wie die Meduse bei frequenten mechanischen Reizen. Medusen werden, wie schon auf S. 359 erwähnt, leicht durch Tropfen erregt, welehe auf die Subumbrella fallen. Läßt man die Tropfen langsam auf das randkörperfreie Tier fallen, so folgt auf jeden Tropfen eine

416 Die rhythmischen Bewegungen.

Systole. Bei gleicher Fallhöhe kann die Zahl dieser rhythmischen Kontraktionen bis auf eine bestimmte Höhe gebracht werden, welche erst überschritten wird, wenn nicht mehr die Zahl, sondern die Fall- höhe (also die Reizstärke) gesteigert wird.

Nach einem mechanischen Reizverfahren, das weiter unten be- schrieben ist, habe ich den ersten Teil auch fürs Herz sicher stellen können, daß nämlich die Zahl der Kontraktionen, welche am sinus- losen Herz auf mechanische Reize eintreten, bei geringer Zahl propor- tional der Reize ist, daß aber von einer variierenden Pulsationszahl an keine Vermehrung derselben durch Vermehrung der Reize bewerk- stelligt werden kann. Bei Verstärkung der Reize, welche nur in ge- ringem Grade möglich war, trat auch eine merkliche Vermehrung der Pulsationen ein. (Siehe Fig. 854). Zu den mechanischen Reizen kann auch die nur beim Herzen anwendbare Drucksteigerung gerechnet werden. Wird der Druck im sinuslosen Herz oder in der Herzspitze vermehrt, so treten wieder rhythmische Kontraktionen ein, deren Fre- quenz abhängig ist von der Stärke des Druckes (Roßbach, 1874, Ludwig und Luchsinger, 1881).

Zur Methodik der Herzversuche: Die größte Zahl meiner Herzversuche sind am ausgeschnittenen Organ ausgeführt. Zum Schreiben habe ich in der Regel ausbalancierte Fühlhebel benutzt. Ich gebe dieser älteren Methode vor dem jetzt moderneren Suspensionsverfahren überall da (auch beim Herz in situ) den Vorzug, wo während des Versuchs gereizt werden soll, weil die Pelotten ge- statten, den Reiz an denselben Stellen anzusetzen, welche ihre Bewegung dem Hebel mitteilen. Wenn man von zwei oder gar drei Stellen schreibt und von ebensovielen Stellen imstande sein will, Reize einwirken zu lassen, so ist für das Anbringen der Reize an gesonderten Stellen nur wenig Platz. Einige andre Vorteile der Fühlhebel, in der von mir benutzten Ausführung, ergeben sich von selbst.

Zur elektrischen Reizung waren die Pelotten folgendermaßen konstruiert: In zwei dünne Kapillarröhren war je ein Platindraht eingeschmolzen, welcher am Ende hervorsah. Beide Röhren waren mit den Längsseiten aneinander ge- schmolzen und hatten unten eine gemeinsame Verdickung von 1,5 mm Durch- messer. Aus diesem Knopf ragten die zugespitzten Drahtenden '/, mm hervor. Diese Doppelröhrchen wurden verschieblich am Hebel befestigt. An die oberen Enden der Platindrähte wurde je ein Lamettafaden angelötet, der am Drehpunkt des Hebels in einen isolierten Kupferdraht überging. Die beiden Kupferdrähte wurden dann zur sekundären Spirale oder zu einer galvanischen Kette geführt. Die unteren Spitzen dringen bis zum Glasknopf ins Herz ein und garantieren eine stets gleiche Reizung. Sie verhindern auch, daß das Herz sich verschiebt, so daß man bei Anwendung mehrerer derartiger Pelotten kaum noch nötig hat, das Herz auf der Korkplatte zu befestigen.

Für die mechanische Reizung wurde die Tatsache verwertet, daß ein frei- beweglicher Eisenkern in eine durchströmte Spirale hineingezogen wird. Eine Kapillare von 0,5 mm Lumen und 1,5 em Länge wurde mit zwei kleinen Spiralen umgeben, einer unteren und einer oberen. Das eine Ende der unteren Spirale wird mit einem Ende der oberen Spirale verbunden, und die so übrigbleibenden drei Drähte werden wieder mit Lametta wie oben verbunden. Mit Hilfe eines

Die rhythmischen Bewegungen. 417

in geeigneter Weise geschalteten Telegraphentasters, kann der Strom eines Elements bald durch die eine, bald durch die andre Spirale geschickt werden. (Es ist darauf zu achten, daß die Pole der Spulen gleichgerichtet sind, damit der Eisenstab nicht ummagnetisiert zu werden braucht.) Um Eindringen von Serum in die Kapillare zu verhindern, wird sie am unteren Ende mit sehr dünner Kordon-Membran überbunden. Ins Innere kommt ein Eisenstäbehen von auszuprobierender Länge. Geht der Strom durch die obere Spirale, so schwebt das Stäbchen frei, wird der Strom umgeschaltet, so wird es gegen die Membran geschleudert und gibt so einen Reiz auf diejenige Herzstelle ab, auf welcher der mit dem kleinen Instrument armierte Hebel ruht. Durch Variation der Strom- stärke, welche natürlich bei der Dünne des Drahtes sehr beschränkt bleiben muß, und durch Einführung eines kürzeren oder längeren Eisenstäbehens kann die Anschlagskraft verändert werden. Da man den Schlüssel bis zu siebenmal in der Sekunde mit der Hand bewegen kann, reicht diese Art der Umschaltung vollkommen aus, um für das Herz eine tetanische, mechanische Reizung zu erzielen. Da die Dämpfung ziemlich stark ist, zeigen die Kurven beim Herunterfallen des Stäbchens (also im Reizmoment) nur eine minimale Knieckung, welche nicht stört. Eine stärkere Erschütterungserscheinung macht sich beim Emporschnellen des Stäbehens geltend (Fig. 85 3). Häßlich sind diese kleinen Zäckchen nur bei frequenter Be- wegung des Eisenteils (Fig. 85 4). Das Gesamtbild der Kurve wird jedenfalls bei diesem Verfahren sehr viel weniger gestört, als bei dem meist angewandten Stechen mit einer Nadel. Außerdem ist die Methode sehr schonend, indem man dieselbe Stelle sehr oft reizen kann, ohne daß der Effekt ausbleibt. Die Reizung greift sicher nicht mehr als einen halben Millimeter auf die Umgebung über.

Am längsten ist als Erzeuger rhythmischer Kontraktionen beim stillstehenden Herz der konstante Strom bekannt (Eekhard, 1858. Weiter ausgeführt von Bernstein, 1871, Scherhey, 1880, und anderen). Läßt man den konstanten Strom durch das ganze stillstehende Herz oder durch einen Teil hindurch gehen, so tritt bei schwachen Strömen nur beim Öffnen und Schließen eine einfache Systole ein. Bei stär-

kerem Strom auch wenn das Präparat in denselben hinein- geschlichen wird (Bernstein) setzen rhythmische Kontraktionen ein,

welche von der Anode (!) ausgehen, so daß sich also die Kammer zuerst kontrahiert, wenn der Strom von der Kammer zum Vorhof geht. (Hiervon sollen besonders bei schwächeren Strömen Ausnahmen vor- kommen.) Beim Schließen und Öffnen des Stromes zueken Vorhof und Kammer stets gleichzeitig. Die Dauer der rhythmischen Kon- traktionen und ihre Frequenz hängen bis zu einem gewissen Grade von der Stromstärke ab. Bei schwachen Strömen sind die Pulse langsam und hören bald auf, bei stärkeren folgen sie einander schneller und dauern länger an.

Sowohl die reizende Wirkung der Anode (beim Nerven und beim Skelettmuskel geht die Erregung stets von der Kathode aus) als auch die Erzeugung eines Rhythmus durch einen konstanten Reiz (der doch auch bei Erhöhung des Druckes und bei chemischen Reizen vorliegt!) haben die Aufmerksamkeit im hohen Grade erweckt, und man hat versucht, diese anscheinend paradoxen Phänomene ihrer

Bethe, Nervensystem. I7

418 Die rhythmischen Bewegungen.

Sonderstellung zu entziehen. Die Wirkung der Anode hat Bernstein darauf zurückführen wollen, daß hemmende Apparate in Anelektro- tonus versetzt würden, und Kaiser (1894) hat die Wirkung des kon- stanten Stroms als rhythmische Erregung des Herzens zu interpretieren gesucht, indem das Herz durch die erste Kontraktion eine Widerstands- veränderung erzeugte, welche beim Aufhören den Reiz für die nächste Systole abgäbe. Sowohl der Versuch, die Umkehr des Erregungs- gesetzes (die übrigens nach Verworn auch bei Protisten besteht) als eine scheinbare hinzustellen, als auch das Bestreben, die Wirkung des konstanten Stroms auf rhythmische Schwankungen desselben zurück- zuführen, dürften schwerlich der Tatsache gegenüber aufrecht erhalten werden können, daß es gar nicht nötig ist, das ganze Herzstück zu durchströmen. Wenn man’ irgendwo am stillstehenden Herzen zwei Elektroden aufsetzt, deren Abstand nur 0,5 mm beträgt, so treten bei derselben Stromstärke rhythmische Pulsationen ein, bei der man sie bei Durehströmung des ganzen Herzens erhält. Man kann den Ver- such auch mit dem gleichen Erfolg in der Weise ausführen, daß man von der Kammer oder Vorkammer einen langen, dünnen Streifen so abtrennt, daß er nur durch eine dünne Brücke mit dem Rest zu- sammenhängt und das periphere Ende desselben durchströmt. Gegen die Auslegung Kaisers sind auch von Langendorf (1894 und 1895) und Trendelenburg (1900) gewichtige Bedenken erhoben. Vor allem dürfte sie durch den von Trendelenburg geführten Nachweis widerlegt werden, daß die rhythmischen Kontraktionen die Öffnung des Stromes bisweilen lange überdauern. Danach wird man also im konstanten Strom an sich einen Reiz sehen dürfen, der durch die Strukturen des Herzens selber in einen rhythmischen umgewandelt wird. Die rhyth- mische Aktion ist hier augenscheinlich durch dieselben Momente be- dingt, welche auch andre kontinuierliche Reize mit rhythmischen Effekten beantworten lassen. (Ich erinnere hier noch einmal daran, daß auch bei Reizung der Nerven von Aplysia mittels des kon- stanten Stroms rhythmische Kontraktionen zustande kommen [S. 407]. An eine Änderung des Leitungswiderstandes wird hier jedenfalls nicht gedacht werden können.)

Einige Versuche, die ich mit konstanter Durchströmung bei Cotylorhiza anstellte, führten zu einem ziemlich mangelhaften Resultat. Öffnung und. Schließung lösten Kontraktionen aus; während der Schließung traten aber nur vereinzelte Pulsationen ein. Ich bat dann Herrn v. Uexküll noch einige Versuche für mich anzustellen, welche er bereitwilligst an Rhizostoma ausführte, wofür ich ihm hier nochmals danke. Er erhielt hier, gleichgültig wo die Elektroden aufgesetzt wurden, bei einem Elektrodenabstand von I em und von einer Strom- stärke von 20 Milliampere ab rhythmische Kontraktionen des ganzen

Die rhythmischen Bewegungen. 419

Tierstücks. (Ich vermute danach, daß ich seinerzeit bei meinen Versuchen zu geringe Stromstärken angewandt habe.) Also auch bei Medusen wird konstante Durchströmung irgend eines Teils der reizaufnahmefähigen Oberfläche mit rhythmischen Bewegungen be- antwortet.

Auch auf chemische Reize hin führt sowohl das zum Stillstand gebrachte Herz wie die randkörperlose Meduse rhythmische Bewegungen aus. Für das Herz liegen viele derartige Angaben vor; so können rhythmische Pulsationen durch einen aufgelegten Kochsalzkristall, durch stärkere Salzlösungen, durch Betupfen mit Salzsäure u. s. w. hervorgerufen werden (Langendorff, 1884). Bei Medusen sind der- artige Versuche zuerst von Loeb (1900) ausgeführt worden. Loeb kommt bei seinen Versuchen zu dem Resultat, daß es sich um Ionen- wirkungen handle, und zwar gäbe es rhythmusanregende Ionen (vor allem Na) und rhythmushindernde Ionen (K und Ca). Wird eine Gonio- nema in zwei Teile geschnitten, von denen der eine den Randring enthält, der andre aus dem Glockenzentrum besteht, so schlägt in Seewasser, wie wir oben gesehen, nur der erstere weiter. Bringt er nun das Zentrum in isotonische Kochsalzlösung, so fängt es wieder zu schlagen an; wird dagegen der Rand in eine Lösung gebracht, welche viel Ca und K enthält, so hört er mit den rhythmischen Bewegungen auf. Außerdem zeigte sich, daß das normale Tier um so mehr Kon- traktionen in der Minute ausführt und daß die Pulsationsreihen um so länger sind, je mehr NaCl das Wasser im Verhältnis zu Ca und K enthält. Er zieht den Schluß, daß in den Randkörpern, von denen normalerweise der Rhythmus ausgeht, das Verhältnis von Na:Ca—+K größer sei als in den übrigen Teilen der Glocke.

So interessant diese Versuche sind, so glaube ich doch, daß Loeb in seiner Schlußfolgerung über das Zulässige hinausgeht. Schon der Umstand, 'daß die Temperatur und gewisse Reize auf den Rhythmus einen starken Einfluß haben, dürfte, soweit sich das im Augenblick überblicken läßt, einer so einfachen chemisch - physikalischen Er- klärung entgegenstehen, einer Erklärung, welche die erst zu beweisende Ansicht zur Grundlage hat, daß der Rhythmus in der Hauptsache muskulären Ursprungs ist. Untersuchungen, welche ich selber über die Wirkung chemischer Substanzen ausgeführt habe, führten zu Re- sultaten, welche vielleicht doch die Loebschen Versuche in einem andern Licht erscheinen lassen.

Da ich Gonionema nicht zur Verfügung hatte, habe ich meine Versuche an Carmarina, Cotylorhiza und vor allem an Olindias Müllerii ausgeführt. Unzweifel- haft richtig erscheint es mir, daß NaCl am meisten geeignet ist, um rhythmische Kontraktionen an randlosen Tieren auszulösen. Die Zahl derselben ist aber bei manchen Arten nur gering (Cotylorhiza, Carmarina), wenn man das Tierstück,

DS

420 Die rhythmischen Bewegungen.

wie Loeb es tat, in eine dem Seewasser äquimolekulare Lösung bringt. Wie bereits v. Uexküll gezeigt hat, treten aber auch wieder Pulsationen auf, wenn nicht das ganze Tierstück der NaCl-Wirkung ausgesetzt, sondern nur an einer kleinen Stelle der Subumbrella ein Salzkristall aufgelegt wird. Hierbei entsteht natürlich an der betreffenden Stelle eine hypertonische Lösung, man erreicht aber auch denselben Effekt, nur mit geringerer Wirkungsdauer, wenn man mit dem Pinsel auf eine freiliegende Stelle eine Lösung von Kochsalz heraufbringt, welehe isotonisch oder schwach hypertonisch ist. Daraus geht zunächst hervor, daß NaCl jedenfalls nebenbei auch die Fähigkeit hat lokal zu reizen. Diese Eigenschaft einen lokalen Reiz abzugeben, kommt auch Kaliumsalzen (Acetat und Chlorid) und andern Salzen zu.

Vermehrung des KCl soll nach Loeb normale Tiere zur Ruhe bringen und zum Stillstand gebrachte Tiere nicht zu Kontraktionen anreizen. Ich habe dies für Carmarina, besonders aber für Olindias nicht in vollem Maße bestätigen können. Wurde der Gehalt des Seewassers an KCl auf 1°/, gebracht, so wurde die Zahl der rhythmischen Bewegungen normaler Tiere zunächst nicht un- erheblich vermehrt, wurde dann geringer und war nach ein bis zwei Minuten gleich 0. Randkörperlose Tiere begannen in derselben Lösung meist wieder zu pulsieren bis zu 25 großen Pulsationen —, um nach spätestens einer Minute wieder stillzustehen. Dieser Stillstand beruht nun aber nicht auf einem Mangel an Anregung zu rhythmischer Bewegung, sondern auf direkter Lähmung. Während sonst bei stillstehenden Medusen jede Be- rührung und jede faradische Reizung mit Sicherheit Kontraktionen hervorruft, kann man nach einem zwei Minuten langen Verweilen in der KCl-reichen Lösung so stark reizen, wie man will, es treten keine Kontraktionen ein. Diese Lähmung wird aufgehoben, wenn man die Tierstücke (oder die ganzen Tiere) in normales Seewasser zurückbringt. Daß die normalen Tiere bei Wieder- kehr der Erregbarkeit nach dem Zurückbringen in Seewasser ihre rhyth- mischen Bewegungen wieder aufnehmen, kann nicht befremden; auffallend ist es aber, daß auch die randlosen Stücke eine Zeitlang pul- sieren. Dies tritt mit größerer Sicherheit ein als beim Verbringen in die KCI- reiche Lösung. (Es kamen in einzelnen Fällen 50—70 große und regelmäßige Pulsationen zur Beobachtung.)

Längere Reihen von rhythmischen Bewegungen bei randlosen Olindias er- zeugte ich, wenn ich sie in Seewasser, dessen KCl-Gehalt nur um 0,25 °/, vermehrt war, brachte. Hier können bis zu 75 Pulsationen erfolgen. Nach dem Aufhören derselben bleibt die Erregbarkeit noch eine Zeitlang erhöht, so daß man auf einen einzelnen mechanischen Reiz, auf den sonst nur eine Systole erfolgt, Reihen von drei bis fünf Kontraktionen erhält. Auch faradische Reizung, welche bei Olindias sonst nie eine Nachwirkung ergab, gibt hier nach Aufhebung des Reizes eine Nachwirkung von drei bis acht Kontraktionen. Allmählieh tritt dann auch hier eine depressive Wirkung ein, welche aber nie bis zu vollkommener Unerregbarkeit führt.

Danach muß ich die Behauptung aufstellen, daß eine verhältnismäßige Ver- mehrung des KCl-Gehalts zunächst reizend wirkt (Pulsationsvermehrung oder Anregung zu solchen) und daß sich erst weiterhin die von Loeb beschriebene, depressive Wirkung kund tut. (Die exzitative ist nur bei wenigen Arten aus- gesprochen vorhanden und scheint ihm daher entgangen zu sein.) Die depressive Wirkung besteht aber in einer Erhöhung der Reizschwelle, welche bis zur voll- kommenen Unerregbarkeit führen kann. Gegen die Loebsche Schlußfolgerung, daß die Na-Ionen das anregende Element seien, oder wenigstens gegen ihre Ge- neralisierung spricht der Befund, daß das normale Seewasser, dessen Na-Gehalt

Die rhythmischen Bewegungen. 421

ja nach Loebs Ansicht nicht ausreicht, um das randlose Tier in Pulsationen zu versetzen, nach voraufgegangener Behandlung mit zuviel KCl eine ganze Zeit- lang rhythmische Kontraktionen auslöst.

Mir scheint aus diesen und den folgenden Versuchen hervor- zugehen, daß fast jede Veränderung in der verhältnismäßigen Zu- sammensetzung des Seewassers (und noch mehr solehe Veränderungen desselben, bei denen der Bestand an gelösten Stoffen vermehrt oder vermindert wird) Veranlassung zu rhythmischen Kontraktionen gibt oder die Zahl der bereits vorhandenen vermehrt. Dabei ist es gleich- gültig, ob die Veränderung zum abnormen oder zum normalen Ver- hältnis hin stattfindet. Bei manchen Arten kommt es nicht zu wirk- lichen Kontraktionen, sondern nur zu einer gesteigerten Reizbarkeit. Bei gewissen Veränderungen, z. B. bei zu hohem K-Gehalt, kommt es sekundär zu einer depressiven Wirkung, welche bei abnorm hohem Na-Gehalt nicht eintritt. Ob es sich hier aber um spezifische Wirkung der Metallionen handelt, scheint mir zweifelhaft, weil sich ähnliche Wirkungen, wie mit KCl auch mit nichtionisierten Körpern und mit Kohlensäure erzielen lassen:

Bei Einleitung von CO, in ein Bassin, in dem sich normale und randlose Medusen befinden, wird das Tempo der normalen zunächst erhöht und die bis dahin unbewegten Stücke zeigen schwache rhythmische Kontraktionen oder wenigstens erhöhte Erregbarkeit. Nach einigen Minuten wird die Erscheinung schwächer und schließlich (nach etwa 20’) hören auch die normalen Tiere auf zu pulsieren. Zunächst ist noch schwache Erregbarkeit vorhanden, die in wenigen Minuten ganz erlischt. Einige Zeit nach dem Zurück- bringen in gutes Seewasser fangen die normalen Tiere wieder an sich zu bewegen, machen dann ein Stadium durch, in dem die Zahl der Kontraktionen weit über die Norm vermehrt ist, um dann schließlich wieder ihr altes, der Wassertemperatur und Tiergröße entsprechendes Tempo aufzunehmen. Bei den rand- losen Tieren zeigt sich stets (nach dem Wasserwechsel) ein Stadium erhöhter Erregbarkeit, in dem häufig einige selbständige Kon- traktionen zustande kommen.

Bei Zusatz von Rohrzucker zum Seewasser geraten normale Carmarinen und Olindien in wilde Kontraktionen, die bald in Lähmung übergehen. Des- gleichen werden randkörperlose Tiere zu längeren Pulsationsreihen (50—60) ver- anlaßt. Beim Zurückbringen in reines Seewasser treten zunächst wieder Pul- sationen ein, die der normalen Ruhe weichen. Die nötige Zuckermenge ist so gering, daß die Veränderung des osmotischen Drucks wohl kaum eine Rolle spielt. Versuche mit äquimolekularen Lösungen habe ich leider nicht ausgeführt. (Nach Loebs Angaben haben nichtionisierte, indifferente Körper keine Wirkung auf den Rhythmus.) Daß Alkohol rhythmische Kontraktionen auslösen kann, ist schon oben erwähnt (S. 359); von Essigsäure ist es bereits durch Romanes festgestellt.

Sieher ist aus dieser Zusammenstellung ersicht- lich, daß die zum Stillstand gebrachte Meduse in ebenso vollkommenem Maße wie das Herz durch che-

422 Die rhythmischen Bewegungen.

mische Beeinflussung zum erneuten Schlagen gebracht werden kann. Innerhalb dieser Mittel wird man jedenfalls unter- scheiden müssen zwischen solchen, welche in derselben Weise, wie der faradische Strom, als lokaler Reiz wirken und denen, welche die Erregbarkeit des Gewebes erhöhen. Eine ledig- lich periphere Reizung glaube ich dem Zucker, der Essigsäure und der Kohlensäure, vielleicht auch dem Kaliumchlorid zusprechen zu müssen. Diese Substanzen bringen zum Teil sekundäre Lähmungs- erscheinungen hervor. Dadurch, daß sie als peripherer Reiz wirken, bewirken sie mittelbar eine gesteigerte Erregbarkeit. Alkohol wirkt in schwachen Dosen sicherlich nicht als peripherer Reiz, weil die Kontraktionen erst nach längerer Zeit eintreten. Ich glaube an- nehmen zu dürfen, daß hier eine innerliche und direkte Steigerung der Erregbarkeit vorliegt. Sowohl reizend, als auch direkt die Erreg- barkeit steigernd scheint NaCl zu wirken. Weitere Untersuchungen sind hier aber jedenfalls noch sehr wünschenswert.

Ich fasse noch einmal zusammen: Beim nieht pulsierenden Herzen (oder Teilen desselben) und bei stillstehenden Medusen und Medusenstücken wird jeder einmalige Reiz, sei er mechanisch oder elektrisch, nur mit einer einzigen Kontraktion beantwortet. Dauerreize, gleich- gültig, ob sie aus einer schnellen Aufeinanderfolge von Einzelreizen bestehen (faradische und wiederholte mechanische Reizung), oder kontinuierlich sind (kon- stanter Strom, chemische und osmotisch Reize), rufen rhythmische Pulsationen hervor. Die Zahl derselben ist in gewissen Grenzen von der Stärke des Reizes ab- hängig.

Jeder Teil des Herzens und der Meduse ist also rhythmischer Bewegungen fähig, wenn ihm nur genügend starke Reize zugeführt werden. Das nötige Reizquantum ist bei den einzelnen Abteilungen des Herzens und den verschiedenen Regionen des Medusenkörpers, noch mehr bei den verschiedenen Medusenarten sehr verschieden groß, und hierauf scheint es zu beruhen, daß manche Medusenarten nach Fortnahme der Randkörper und das Herz ohne Sinus anscheinend von selber wieder anfangen zu schlagen, während dies bei andern Arten und bei der sogenannten Herzspitze nicht der Fall ist. Man wird vermuten dürfen, wie das Goltz zuerst für das Herz getan hat und wie dies für manche Medusenarten bereits bewiesen ist, daß okkulte Reize den Wiederbeginn der Pulsationen verschulden. Eine weitere Konsequenz, die ebenfalls zuerst von Goltz ausgesprochen wurde und die später von Rosenthal akzeptiert worden ist, ist die, daß auch die normalen Herzbewegungen von dauernden geringen Reizen ausgehen,

Die rhythmischen Bewegungen. 423

daß aber die Empfindlichkeit der betreffenden Teile, nämlich des Sinus, so groß ist, daß es nicht gelingt, alle Reize von ihm fern zu halten. Dieser Reflextheorie der Herzaktion stehen die Theorien ent- gegen, welche die Herzaktion aus automatischen Eigenschaften der Herzganglien (Volkmann, Langendorff und viele andre) oder aus automatischen Eigenschaften des Herzmuskels (Gaskel, Engelmann) erklären wollen.

Es soll weiterhin gezeigt werden, inwiefern die Medusen ge- eignet sind, hier eine Entscheidung herbeizuführen. Zunächst soll aber die Analogie zwischen Herz und Meduse noch weiter durch- geführt werden.

Refraktäres Stadium, Extrasystole und kompensato- rısches kulhe.

Im Jahre 1876 zeigte Marey, daß das Herz während einer ge- wissen Zeit der Pulsation nicht reizbar ist. Die Ausdehnung dieses Refraktärstadiums schwankt individuell und ist in hohem Maße von der Temperatur und der Stärke des Reizes abhängig. Marey stellte diese außerordentlich wichtigen Versuche in der Weise an, daß er das normal schlagende, im Körper befindliche Froschherz schreiben ließ und der Kammer in den verschiedenen Stadien der Zuckungskurve einen Induktionsschlag versetzte. Traf der Reiz das Herz während der Systole (bei mittlerer Temperatur), so war er unwirksam; er rief aber eine neue Systole (systole provoquee, Extrasystole) hervor, wenn er am Anfang der Diastole angesetzt wurde. Je später der Reiz an- gesetzt wird, desto schneller tritt die Extrasystole ein und desto größer ist ihre Stärke. Bei höherer Temperatur nimmt die Ausdehnung des Refraktärstadiums ab.

Diese Befunde wurden von Engelmann, Lowen und andern be- stätigt und erweitert. Die Erscheinungen treten auch am ausgeschnit- tenen, sinuslosen Herzen in Erscheinung. Folgen zwei Reize dicht aufeinander, so ist der zweite unwirksam, solange er in das Refraktär- stadium der durch den ersten hervorgerufenen Zuckung fällt (Fig. 86).

Die Kurven wurden in folgender Weise hergestellt: Die isolierte Kammer lag auf einer Korkplatte und war mit einem Schreibhebel versehen, durch dessen Pelotte Induktionsschläge zugeführt werden konnten. Am Kymographion waren zwei Kontakte angebracht, welche mit zwei getrennten Induktionsapparaten in Verbindung standen. Die bei Aufhebung der Kontakte entstehenden Offnungs- schläge wurden den Herzelektroden zugeführt. Der eine Kontakt stand fest, der andre konnte in seiner Lage zu ersterem durch eine Schraube verschoben werden, so daß beide Schläge mehr oder weniger rasch aufeinander folgten. Um den Moment der zweiten Reizung auf der Kurve zu markieren, wurde die Methode angewandt, einen Induktionsfunken von der Spitze des Schreibhebels zur Trommel des Kymographions durchschlagen zu lassen. Diese in Deutschland wenig angewandte Methode hat den großen Vorteil, daß man keine Projektion

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[8]

4 Die rhythmischen Bewegungen.

auf den Kurven vorzunehmen hat, weil der Funke sich auf der Kurve selbst als Punkt markiert. Die gleichzeitige Abgabe eines Offnungsinduktionsschlages für das Herz und für die Reizmarke wurde in der Weise bewerkstelligt, daß der selbsttätig vom Kymographion geöffnete Stromkreis nur durch die primäre Spirale eines Ruhmkorffschen Apparats ging. In geeigneter Entfernung von diesem war die sekundäre Spirale eines einfachen Induktionsapparats aufgestellt, welche mit den Herzelektroden verbunden war. Auch mit Hilfe des Apparats für mecha- nische Reizung ließen sich Extrasystolen gut hervorrufen (Fig. 85 2.).

Durch die Entdeckung des Refrak- tärstadiums ist es Marey gelungen, die meisten der im vorigen Abschnitt be- sprochenen Erscheinungen verständlich zu machen. Daß das Herz bei konstanten und tetanischen Reizen mit rhythmischen Pulsationen antwortet, daß die Zahl der Pulsationen nur von der Stärke des Reizes, aber nicht von der Anzahl der Unter- brechungen (beim frequenten elektrischen und mechanischen Reiz) abhängt, daß die Maximalzahl der Pulsationen beim Erwärmen zunimmt, alles das ist durch die Feststellung, daß ein Refraktärstadium existiert und von Temperatur und Stärke des Reizes in seiner Ausdehnung abhängt, erklärlich geworden. Gewisse Schwierig- keiten bietet aber ein andres Phänomen, welches Marey gleichzeitig mit dem Re- fraktärstadium beschrieben hat: die kom- pensatorische Ruhe.

Marey fand, daß auf jede Extra- s | systole (beim spontan schlagenden Herzen) ki, Bestimmung dor Ausdehnung cine verlängerte Pause (kompensatorische Kammer von Rana temporaria beil4°C. Ruhe) folgt, und zwar ist dieselbe um

soviel länger wie eine gewöhnliche Pause, als die Extrasystole die vorhergehende Pause verkürzt hat. Mit andern Worten: vom Beginn der letzten Systole bis zum Beginn der nächst- folgenden vergeht grade soviel Zeit, wie zwei normale Systolen mitsamt den zugehörigen Diastolen (und Pausen) in Anspruch nehmen (Fig. 89). Das „grade soviel“ muß natürlich nicht allzu genau genommen werden. Manchmal stimmt es zwar, soweit sich das mit unsern Mitteln fest- stellen läßt, wirklich genau, aber es kommen auch recht erhebliche Ab- weichungen vor (siehe Lowen, 1886 und Engelmann, 1895). In der Regel werden diese aber noch später ausgeglichen. Ist z. B. die kompensato- rische Ruhe zu kurz, so ist meist auch die nächste Pause noch verlängert.

a

Die rhythmischen Bewegungen. 435

Was hier für das Herz gesagt ist, könnte mit den gleichen Worten für die Medusen gelten. Die Existenz eines Refraktärstadiums glaubte ich zwar nach Versuchen, wie sie im vorigen Abschnitt beschrieben sind, mit Sicherheit voraussetzen zu dürfen, daß aber auch die kom- pensatorische Ruhe zu konstatieren sei, übertraf meine in die Medusen gesetzten Hoffnungen.') Ein Refraktärstadium war bei allen untersuchten Medusen (Cotylorhiza, Rhizostoma Carmarina, Olin- dias) mit Sicherheit zu konstatieren, und zwar nimmt es bei nor- maler Wassertemperatur stets zum mindesten die ganze Systole ein. Die Latenz ist auch, wie beim Herzen, um so größer, je näher der Reiz dem Ende des Refraktärstadiums liegt. Bei normal schlagenden Tieren ist auch nach jeder Extrasystole eine kompensatorische Ruhe zu beobachten, jedoch kommen bei drei von den genannten Arten viel häufiger Unregelmäßigkeiten in ihrer Dauer vor, als beim Herzen. Das liegt wohl in der Hauptsache daran, daß der Schlag dieser Tiere überhaupt nicht sehr regelmäßig ist. Bei Rhizostoma ist dagegen die Dauer der kompensa- torischen Ruhe grade so gesetzmäßig, wie beim Herzen.

Systematische Untersuchungen über die Ausdehnung des Refraktär- stadiums konnte ich bei den Medusen nicht vornehmen, weil es mir an geeigneten Apparaten fehlte. Die Tatsache an und für sich konnte aber mit Sicherheit konstatiert werden (siehe Fig. 87). Auch bei den Medusen ist die Ausdehnung des Refraktärstadiums bei starken Reizen kleiner als bei schwachen, eben wirksamen Reizen. Bei höherer Temperatur erfährt die Dauer des Refraktärstadiums eine weitere und starke Einschränkung. Das Refraktärstadium läßt sich wie beim Herzen mit der gleichen Sicherheit bei normalschlagenden Tieren und bei randkörperlosen Stücken, denen in verschiedenen Abständen zwei Reize zugeführt werden, feststellen. Extrasystolen sind auch hier gleich gut durch Induktionsschläge und mechanische Reize hervor- zurufen.

Was die kompensatorische Ruhe anbetrifft, so verweise ich auf die in Fig. 87 gegebenen Kurven. Zur Erklärung sei hier noch fol- gendes hinzugefügt: Die drei normalen, einer Extrasystole voraus- gehenden Pulsationen bezeiechne ich mit 1, 2 und 3, die Pulsation, während deren der Reiz angesetzt wird, mit a, die der Extrasystole mit 5, die nächste mit ce und so fort. In Kurve Au. C(ita+b=-1-+2 —2+3=c+d In Kuve Zist «+5<2-+-3; dagegen. ist 12+3=a-+b5b-+c. In Kurve 2 ist ein Fall abgebildet, der

1) Nach den Vorstellungen, welche Engelmann (1895) über das Wesen der kompensatorischen Ruhe entwickelt hat, war die Existenz einer kompensatorischen Ruhe bei den Medusen wohl nicht zu erwarten.

W% 6 Fig. 87. Extrasystolen durch Öffnungsschläge erzeugt bei Medusen. A, B, © und E von Rhizostoma, nur von einem Punkte des Randes geschrieben. In A und entspricht die Länge der kompensato-

Die rhythmischen Bewegungen. 427

gelegentlich auch beim Herzen zur Beobachtung kommt: auf den Reiz trat keine Extrasystole ein, sondern nur eine Verlängerung der Pause. Die Superposition, welche bei einigen Kurven von Cotylorhiza zum Ausdruck kommt, scheint auf einer Art von Sehleuderwirkung zu be- ruhen, doch kann ich dies nieht sicher beweisen. Bei Rhizostoma sind sehr häufig die auf eine Extrasystole folgenden Pulsationen ver- kleinert und steigen treppenartig wieder zur Normalhöhe an.

Die Störung der Synehronität beim Auftreten einer Extrasystole.

Bei spontan schlagenden Medusen, welche von zwei gegenüber- liegenden Stellen schrieben und welche an einer dieser Stellen gereizt wurden, richtete sich zuerst meine Aufmerksamkeit auf eine Erschei- nung, die ich daraufhin auch beim Herzen wiederfinden konnte. So- lange die Meduse, sich selbst überlassen, ihre Pulsationen ausführt, beginnt jede Systole an allen Stellen des Schirmes gleichzeitig und der Verlauf zweier von verschiedenen Stellen auf- genommenen Kurven ist ganz parallel. Kleine Abweichungen kommen an den Kurven zur Beobachtung, lassen sich aber immer darauf zu- rückführen, daß beide Übertragungsfäden nicht gleichstark gespannt sind. (Ist der eine Faden etwas loser, so zeichnet die entsprechende Kurve etwas später. Durch Änderung der Spannung läßt sich der Fehler ausgleichen oder ins Gegenteil verändern.) Wird nun an der. einen Stelle ein wirksamer Induktionsschlag an- enetzt, so tritt die Extrasystole an dieser Stelle wesentlich früher ein, als an der gegenüberliegenden. Bei der nächsten oder übernächsten Normalpulsation ist die Syn- chronität wieder hergestellt. An Kurven, welche mit langsamer Trommelbewegung geschrieben sind (Fig. 87, D und 7), kommt die Störung darin zum Ausdruck, daß an der nicht gereizten Stelle die Extrasystole der Kurve der vorhergehenden Pulsation an einer tieferen Stelle aufsitzt. Infolge des späteren Eintritts ist hier die Extrasystole meist auch größer als an der direkt gereizten Seite. Bei schnellerer Trommelbewegung kommt der zeitliche Unterschied deutlicher zur Geltung.

Da die Pulsationen bei den Medusen sicherlich von den Rand- körpern ausgehen und von diesen stets eine größere Anzahl vorhanden

rischen Ruhe durchaus dem fürs Herz aufgestellten (aber auch hier nicht immer erfüllten) Gesetz.

In B fehlt die Extrasystole und ist durch eine verlängerte Pause ersetzt. D, F und G@ von

Cotylorhiza. Es ist von zwei gegenüberliegenden Punkten des Randes geschrieben. Der Reiz wirkt

auf die Stelle, welche der unteren Kurve entspricht. In D ist die kompensatorische Ruhe deutlich,

in G fehlt die Extrasystole und ist durch eine verlängerte Pause ersetzt. Der Vergleich .der oberen

und unteren Kurve in D und F zeigt, daß die für gewöhnlich bestehende Synchronität beim An- setzen einer Extrasystole gestört wird. Zeit = 0,48’. Darüber die Reizmarke.

498 Die rhythmischen Bewegungen.

ist, so hat sich schon Romanes die Frage gestellt, ob immer alle Randkörper zu gleicher Zeit in Tätigkeit sind. Für uns sind an dieser Stelle nur die Versuche interessant, auf Grund deren er dies für wahrschein- lich hält: nahm Romanes alle Randkörper bis auf einen fort, so sah er, daß die Kontraktionswelle von dem einen noch vorhandenen Rand- körper sich über den übrigen Teil der Glocke ausbreitete. Besonders deutlich wurde dies, wenn er den Medusenkörper zu einem langen Band aufrollte, an dessen einem Ende der Randkörper saß. Es ist unzweifelhaft richtig, daß in dem letzteren Fall das randkörper- freie Ende in der Regel viel später zur Kontraktion kommt, als das andre Ende. Bisweilen kann man, das gebe ich zu, auch ohne Aufrollung eine Störung der Synchronität beobachten, der- art, daß die Seite, wo der Randkörper sitzt, sich etwas früher kon- trahiert als die gegenüberliegende. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn bei der Randkörperfortnahme größere und radiärwärts tief ein- schneidende Verletzungen des Schirmrandes stattgefunden haben; sind die dem Rande nahegelegenen Partien intakt, so bleibt die normale Syn- chronität, soweit das mit unsern Mitteln festzustellen ist, erhalten. (Weiter unten werden Befunde mitgeteilt werden, die diesen Unterschied zu erklären imstande sind.) Wenn aber auch ein Unterschied im Ein- setzen der Systole an der Stelle des Randkörpers und an der gegen- überliegenden Stelle des Schirmes zu konstatieren ist, so ist dieser niemals auch nur annähernd so groß wie derjenige, welcher beim Hervorrufen einer Extrasystole auftritt, gleichgültig, ob sie vom randkörperfreien Ende oder in der Nähe des Randkörpers ihren Ursprung nimmt (Fig. 88, 4).

Instruktiv ist auch die Kurve 85 2. Gelegentlich beobachtet man, daß ein Tier mit nur noch einem Randkörper oder ein großer, breiter Tierstreifen, an dessen einem Ende noch ein Randkörper sitzt, seine Kontraktionen ganz einstellt oder durch sehr lange Pausen unterbricht. Es sieht gewissermaßen so aus, als ob die im Randkörger sich an- sammelnde Spannkraft nieht mehr genügt, das ganze Tier in Be- wegung zu versetzen. (Schneidet man nämlich den größten Teil des Körpers fort, so führt der kleine, am Randkörper verbliebene Rest meist wieder für sehr lange Zeit seine Pulsationen aus.) Bei solchen Tieren genügt nun die Zuführung eines kleinen Reizes, um wieder eine oder wenn der Reiz konstant ist, mehrere Pulsationen auszulösen. Setzt man einen an sich auch für ein randkörperloses Tier wirksamen veiz am randkörperfreien Ende an, so sieht man eine Kontrak- tion zum Randkörper hinlaufen, kurz darauf antwortet aber das ganze Tier mit einer zweiten synehronen Zuekung, welche stets ausbleibt, wenn der Randkörper entfernt ist. Der Reiz genügt also dazu, eine Kontraktion aus-

Die rhythmischen Bewegungen. 429

zulösen und den Randkörper zur „Entladung“ zu bringen. Wie schon gesagt, zeigt die erste Kontraktion den Charakter einer Extrasystole (keine Synehronität), die zweite den einer Spontankontraktion (Synehronität des ganzen Tieres oder Strei-

ae a RE

HHHHH HH

Fig. 88. Störung der Synehronität bei künstlichem Reiz. Cotylorhiza. A Tier mit nur einem Rand- körper dicht an der Stelle, welche der oberen Kurve entspricht. Die untere Kurye ist von der gegenüberliegenden Randstelle geschrieben; an dieser wird auch der künstliche Reiz angesetzt. Die ersten drei Pulsationen sind durch künstlichen Reiz hervorgerufen: Die gereizte Stelle kontrahiert sich wesentlich früher als die gegenüberliegende (obere). Die vierte Pulsation ist spontan und zeigt vollkommene Synchronität beider Schreibstellen. B 14 em langer Streifen einer Cotylorhiza mit Randkörper an einem Ende. Von diesem Ende aus ist die obere Kurve geschrieben. Die untere Kurve ist vom entgegengesetzten Ende geschrieben, an welchem die Reizelektroden liegen. Auf jeden Reiz entsteht eine Zuckung asynchronen Charakters und eine zweite reflektierte Zuckung, welche synchron ist.

fens). (Derartige, gewissermaßen reflektierte Zuckungen kann man auch beim sinuslosen Herz beobachten, wenn man gleichzeitig Kammer und Vorkammer reizt.)

Ganz analoge Unterschiede zwischen Spontankontraktionen und

430 Die rhythmischen Bewegungen.

Extrasystolen habe ich auch beim Herzen feststellen können, nur sind hier die zeitlichen Unterschiede bei der Kleinheit des Objekts viel eeringer. Vielleicht sind die Unterschiede in Wirklichkeit auch hier ziem- lich groß, werden aber dadurch verdeckt, daß durch rein mechanische Verhältnisse bereits eine Bewegung eines Kammerabschnittes vor- getäuscht wird, wo er noch in Ruhe verharrt. Beim spontanen Herz- schlag des Frosches kontrahiert sich die Spitze ziemlich gleichzeitig mit der Kammerbasis oder etwas später. (Beim Säugetierherzen sind Fälle beschrieben worden, wo sich die Spitze früher kontrahierte als die Basis. Diese für die Theorie sehr interessanten Fälle sollen später gewürdigt werden.) Groß ist der Unterschied nie. Nun geht die Anregung zur Kammerkontraktion ja sicherlich vom Sinus aus und wird der Kammer durch den Vorhof vermittelt. Der Reiz wird also auf jeden Fall zuerst zur Basis gelangen und erst später zur Spitze. Wenn es sich nun um einen einfachen Leitungsvorgang handelte, so müßte das zeitliche Verhältnis zwischen Basiskontraktion und Spitzenkontraktion nicht ver- schoben werden, wenn ander Basis durch einen mecha- nischen oder elektrischen Reiz eine Extrasystole her- vorgerufen ‘wird. In ‘Wirklichkeit Tindet "aberzeine Veränderung der Art statt, daß die Basis bei künst- licher Reizung im Verhältnis zur Spitze früher sich kontrahiert, als wenn der Reiz von der Vorkammer zu- geleitet wird (Fig. 89, B und ©). Weniger beweisend ist die Ver- änderung, wenn sie durch Reiz der Herzspitze hervorgerufen wird, auch wenn vorher Basis und Spitze synchron schlugen. Dagegen wird eine Aufhebung der Synehronität dann den Vergleich mit den Medusenbefunden zulassen, wenn sie bei Aufsetzung zweier Hebel auf symmetrische Punkte der Kammerbasis und Reizung des einen Punktes zustande kommt (Fig. 89 4).

In den abgebildeten Fällen, denen ich eine ganze Reihe ähnlicher Kurven an die Seite stellen könnte, ist zwar die zeitliche Verschiebung zwischen der Kontraktion beider Auflagestellen der Hebel nicht so deutlich wie bei den Medusenkurven (was auch gar nicht zu erwarten gewesen wäre), aber ich glaube doch, daß sie ohne weiteres zu er- kennen ist; vor allen Dingen scheint mir die verhältnismäßig ge- ringere Höhe der Extrasystole an der direkt erregten Stelle in mehreren Fällen deutlich. (Ich glaube nieht, daß sich die geringere Höhe der Extrasystole an der direkt erregten Stelle auf die „lokale Diastole‘“ Rossbachs und Auberts zurückführen läßt.)

Diese Befunde zeigen, daß der natürliche Reiz sowohl beim Herzen wie bei der Meduse einen ganz andern Kontraktionsmodus hervor- ruft, als der künstliche Reiz. Letzterer ist sicher instantan, er wirft

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432 Die rhythmischen Bewegungen.

auf einmal an eine Stelle des Gewebes eine große Menge Reizenergie. Ich nehme an, daß der natürliche Reiz einen andern Verlauf hat, daß er sich nämlich dauernd aber schwach in das Gewebe ergießt und es gewissermaßen in allen Teilen, welche in engerem Zusammenhang stehen, füllt. Die Entladung kann dann überall nahezu gleichzeitig erfolgen. Der Instantanreiz bringt dagegen auf einmal großen Anstoß in das Gewebe, so daß die Entladung an der Applikationsstelle früher erfolgt, als der Reiz Gelegenheit gehabt hat, sich über das ganze Gewebe auszudehnen. Diese Füllungshypothese scheint mir in andern Versuchen eine Bestätigung zu erfahren. Ich möchte aber die Ver- öffentlichung derselben auf eine spätere Publikation verschieben, weil ich noch weiteres Material zu beschaffen hoffe.

Mag nun diese Deutung richtig sein oder nicht, jedenfalls zeigen diese Versuche, daß auch in diesem Punkt eine weitgehende Analogie zwischen Herz und Meduse besteht. Nach all dem mitgeteilten Mate- rial dürfte der anfangs aufgestellte Satz gerechtfertigt erscheinen, daß Herz und Meduse physiologisch eine merkwürdige Ähnlichkeit zeigen. Ich halte vom Analogieschluß sehr wenig; jedenfalls werde ich in ihm nie einen wirklichen Beweis sehen. Immerhin wird man aber bei einer so weit gehenden Analogie zu der Vermutung berechtigt sein, daß die materiellen Grundlagen der aufgeführten Erscheinungen sich sehr ähnlich sehen oder sogar gleichartig sind.

Die Medusen sind physiologisch handlicher und anatomisch besser zugänglich. Wir werden daher zuzusehen haben, inwieweit sich hier eine Erklärung für die angezeigten Erscheinungen geben läßt, und wenn dies gelingt, werden wir prüfen müssen, ob die Erscheinungen beim Herzen demselben Prinzip unterworfen werden können. Ich be- ginne zunächst mit der Frage, ob die Reizleitung in diesen Geweben nervöser oder muskulärer Natur ist.

Die Reizleitung im Herzen und in der -Meduse.

Ich habe bereits oben den Beweis geführt, daß die Leitung im Medusenkörper durch ein besonders, nicht mit der Muskulatur iden- tisches Gewebe besorgt wird (S. 86 und 106). Es ließ sich zeigen, daß gewisse Teile der Subumbrella keine Muskulatur besitzen, wohl aber die Fähigkeit Reize zu leiten. Durch Vergleich dieser Stellen mit der Glockenoberfläche, welche überhaupt nicht reizbar ist, wurde ein bestimmtes, von der Muskulatur und dem gewöhnlichen Epithel ganz verschiedenes Gewebe als dasjenige erkannt, welches die Reizleitung vermittelt. Dieses Gewebe breitet sich netzförmig mit eingestreuten Zellen überall da aus, wo Leitungsfähigkeit vorhanden ist, auch zwischen den Muskeln selber. Der histologische Charakter dieses Netzwerks gestattete, es als wahres Nervengewebe anzusprechen, und

Die rhythmischen Bewegungen. rd

es ist auch seit seiner Entdeckung stets als solehes angesehen worden. Für die Medusen liegt also gar kein Zweifel an der nervösen Natur der Reizleitung vor. Daß das Leitungsvermögen der Muskeln bei den Bewegungserscheinungen der Medusen irgend eine wesentliche Rolle spielt, ist aber auch ausgeschlossen, weil, wenigstens bei manchen Medusenarten, keine Kontinuität der Muskeln besteht und direkt durch das Experiment festgestellt werden konnte, daß der Reiz, der einem Muskelbündel zugeführt wird, nur auf dieses eine Wirkung ausübt, aber nicht zu andern fortgeleitet wird (S. 108).

Auch beim Herzen haben wir neben der Muskulatur ein sehr reiches Nervennetz; darüber kann jetzt gar kein Zweifel mehr be- stehen (S. 91). Es würde dem Unbefangenen nur natürlich er- scheinen, wenn wir auch hier dem Nervennetz die Eigenschaft der Reizleitung zuschreiben und annehmen, daß der Reiz nicht direkt von Muskelelement auf Muskelelement übergeht. Daß diese natürliche Annahme von bei weitem den meisten Physiologen und Klinikern nicht gemacht wird, ist nur aus der historischen Entwicklung zu ver- stehen, welche die Herzforschung genommen hat. Als durch Engel- mann (1875) gezeigt wurde, daß man die Kammer eines Frosches in beliebiger Weise zu einem dünnen Streifen zerschneiden kann, ohne daß die Leitung in diesem Bande aufgehoben wird, kannte man im Herzen nur die allergröbsten Nervenfasern, und diese liefen in der Kammer von der Basis zur Spitze, waren also bei querer Schnittführung durch- schnitten. Von einem Nervennetz, einer nervösen Organisation, die sich prinzipiell vom übrigen peripheren Nervensystem unterscheidet, hatte man noch keine Ahnung. Man durfte also annehmen, daß die Leitung von der Muskulatur direkt besorgt würde, weil man von dieser ‘annehmen zu müssen glaubte, daß sie nach allen Richtungen in Zusammenhang stände. Andre Befunde wurden für die muskuläre Leitung ausgenutzt, Befunde, die aber nur zeigten, daß im Herzen andre Verhältnisse vorliegen, als im Skelettmuskelsystem und die srade so gut auf eine Besonderheit der Herznerven, als auf Merk- würdigkeiten des Herzmuskels schließen ließen.

Als dann die Nervennetze im Herzen durch Ranvier, Dogiel, Heymanns und Demoor und andre beschrieben wurden, hatte die Be- weiskraft des Engelmannschen Ziekzackversuchs in Wahrheit aus- gespielt, denn es war nun sicher gestellt, daß die nervöse Verbindung dureh beliebige Schnitte nieht aufgehoben werden kann. Die Theorie der rein muskulären Reizleitung im Herzen verlor nach diesen Publi- kationen aber nicht an Anhängerschaft. Im Gegenteil! Sie vermehrte sich noch nach dieser Zeit zusehends. Was denn noch eine so eigenartige Nervenversorgung anderes zu tun haben sollte, als Reize von Muskelelement auf Muskelelement zu übertragen, auf diese Frage

Bethe, Nervensystem. 28

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sind alle Verfechter der Muskeltheorie die Antwort schuldig geblieben. Entweder wurde die Existenz des Nervennetzes ignoriert, oder es wurde der ehemalige Hauptbeweis für die muskuläre Leitung als un- wesentlich angesehen und der Accent jetzt auf die Beweise gelegt, welche vorher nur Hilfsbelege gewesen waren. Man vergaß dabei ganz, daß diese Hilfsbeweise doppelsinnig sind und daß ihnen andre Tatsachen, meist pharmakologischer Natur gegenüber stehen, welche ziemlich einsinnig für eine nervöse Beteiligung sprechen. In der Tat hat die Engelmann-Gaskelsche Theorie unter den Pharmakologen auch am wenigsten Anhänger gefunden.

Prüfen wir nun die früheren Hilfsbeweise und jetzigen Haupt- beweise für die muskuläre Natur der Leitung genauer:

Der älteste dieser Beweise stammt von Rudolph Wagner (1850), der überhaupt der, echte, aber fast vergessene Vater der Theorie von der rein muskulären Natur der Herzbewegungen ist. Das Herz der Hühnerembryonen fängt am zweiten bis dritten Tag der Bebrütung zu schlagen an. Zu dieser Zeit fand Wagner aber noch nirgends im Körper Nerven. Diese treten erst viel später auf und sind zunächst leitungsunfähig. Noch am achten Tage fehlen Reflexe. Hieraus zieht er den Schluß, daß das embryonale Herz pulsiert, ehe Nerven vor- handen sind, und er schreibt daher den Muskeln die Rolle zu, sich automatisch zu bewegen und den Reiz von Teilchen auf Teilchen zu übertragen. Bei diesem Schluß bleibt er aber nicht stehen, sondern er folgert weiter, „daß auch der gewöhnliche Modus der Herzbewegung (bei erwachsenen Tieren) ohne Vermittlung der Nerven zustande kommen kann“ und daß der hier vorhandene Nervenapparat wahrscheinlich die Bewegungen nur modifiziert, ohne sie hervorzubringen! (Übrigens wird schon hier auch für die Bewegungen des Darmes eine muskuläre Lei- tung in Anspruch genommen.)

Der Wagnersche Beweis für die myogene Natur der Leitung im embryonalen Herzen erweist sich bei näherer Betrachtung als sehr zweideutig. Weil noch keine Nerven leiten, muß die Leitung muskulär sein! Was aber den Nerven recht ist, ist den Muskeln billig: erst am achten oder neunten Tage kann man auf Reiz die ersten schwachen Muskelkontraktionen erzielen, das Herz kontrahiert sich aber schon am zweiten. Danach würde man grade so gut den Schluß ziehen können, daß auch die Leitung (und Kontraktion) nicht muskulären Ursprungs ist, oder man gibt zu, daß im Herzen auch die Nerven eine Ausnahme machen.

Sehr schöne und genaue Untersuchungen über das embryonale Herz liegen von Fano (1890) vor, welche von His jun. (1893) bestätigt und dureh histologisch-entwieklungsgeschichtliche Untersuchungen und einige neue physiologische Versuche vervollständigt wurden. Durch

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den Nachweis, daß die Herzganglien in das Herz hineinwandern und dort erst anlangen, wenn bereits eine Koordination der Herzabschnitte zu beobachten ist, glaubt His bewiesen zu haben, daß die Ganglien an der Koordination keinen Anteil haben. Dies ist eine Frage, die uns später erst zu beschäftigen hat. His nimmt nun an, daß sich die Nerven im Herzen noch später entwickeln, indem sie von den großen Herzganglien ihren Ursprung nähmen. Daher müßten alle die Erscheinungen, welche das embryonale Herz bietet, muskulären Ur- sprungs sein.

Dieser Schluß geht sicherlich zu weit. Bei der Dürftigkeit der Methoden, über die die histologische Embryologie zur Zeit gebietet, konnte His eigentlich nur über die Herkunft der großen Ganglien- zellen etwas aussagen, über die später markhaltigen Fasern schon fast nichts und über die zahllosen marklosen Fasern und deren kleine damals noch kaum bekannte Ganglienzellen gar nichts. Wo und wann diese entstehen, ob sie einwandern oder in loco gebildet werden, dar- über ist nichts bekannt, und ehe dies nicht feststeht, kann nicht be- hauptet werden, daß die Bewegungen des embryonalen Herzens ohne Nervenelemente vor sich gehen. Höchst verdächtig und auf ein früh- zeitiges Vorhandensein von Nervenelementen deutend ist der von His semachte Befund, daß das embryonale Hühnerherz schon frühzeitig auf Muskarin reagiert!

Der Hissche Beweis für die muskuläre Natur der embryonalen Herzbewegungen hat aber noch einen andern schwachen Punkt: Zu der Zeit, wo das Herz anfängt zu schlagen, besitzt es noch gar keine Muskulatur. Wie Kölliker (1856) zuerst im Zusammenhang mit der vorliegenden Frage nachwies, besteht das Herz der Vögel und Cephalopoden zu dieser Zeit nur erst aus Zellen. Muskelfasern treten erst viel später auf (nach His jun. beim Hühnchen am vierten bis fünften Tag!). Ich bin wenigstens der Meinung und glaube damit im Sinne vieler zu sprechen —, daß man nicht alles, was kon- traktil ist, Muskel nennen darf. Ob sich später einmal aus den Bläschenzellen Muskelfasern entwickeln, ist ganz gleichgültig. Man kann also mit vollem Recht sagen, daß die Leitung im embryonalen Herzen nicht muskulär ist; His wollte aber grade das Gegenteil be- weisen.

Wie dem aber auch sei: die Verhältnisse im embryonalen Herzen sind so sehr von denen des erwachsenen Tieres verschieden, daß aus einem Vergleich, vorläufig wenigstens, irgend ein Schluß von Bedeutung nicht gezogen werden kann.

Auf den Degenerationsversuch (Abklemmung der Herzspitze) wurde schon oben (S. 109) eingegangen und gezeigt, daß ihm Beweiskraft nicht zukommt.

28*

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Bei einem andern Beweis für die myogene Natur der Reizleitung brauche ich auch nicht lange zu verweilen; es ist die von Engelmann semachte Angabe, daß es im Herzen viel weniger Nervenendigungen gäbe als Muskelzellen. Diese Frage hat jetzt ein ganz andres Ge- sicht angenommen, wo die Ansicht aufgegeben ist, daß das Herzfleisch aus lauter kleinen Muskelzellen besteht. Außerdem darf man wohl sagen, daß die damaligen Methoden die Erkennung der auch jetzt noch unbekannten Nervenendigungen nicht schließen.

Es bleibt noch ein Beweis, auf den Engelmann zur Zeit auch das Hauptgewicht zu legen scheint, daß nämlich die Leitung im Herzen für eine Leitung vermittels Nerven viel zu langsam gehe.

Engelmann zerschnitt die Herzkammer von Fröschen zu einem langen Bande und maß die Zeit, welehe zwischen dem Ansetzen eines teizes am einen Ende und der Kontraktion des andern Endes ver- seht. Die höchste gemessene Fortpflanzungsgeschwindigkeit betrug 30 mm in der Sekunde, eine Geschwindigkeit, die also tausendmal kleiner ist, als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im markhaltigen Froscehnerven. Engelmann zieht hieraus den Schluß, daß die Leitung nicht nervöser Natur sei, sondern von den Muskelelementen selber be- sorgt würde. Den ersten Schluß, daß es sich nicht um nervöse Lei- tung handelt, kann ich verstehen, den zweiten aber nicht. Wenn Engelmann die eventuellen Herznerven mit den markhaltigen Nerven verglich, so mußte er auch den Herzmuskel mit den quergestreiften Muskeln vergleichen, denn die ganze Form der Zuckungskurve, die Reizbarkeitsverhältnisse und die histologische Beschaffenheit lassen mit diesen viel eher einen Vergleich zu als mit den glatten Muskeln. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den quergestreiften Muskeln ist aber von einer andern Größenordnung als die für das Herz angegebene, wenn sie auch hinter der der Nerven zurückbleibt. (Für den Frosch- muskel nach Bernstein 3000-4000 mm in der Sekunde, also hundert- mal soviel als im Herzen; beim Menschen nach Hermann sogar 10 000—13000 mm). Damals nahm man allerdings noch an, ‘daß der Herzmuskel aus kleinen getrennten Muskelzellen bestände; Engelmann hält aber noch heute an der Beweiskraft seines Versuches fest. Des- halb darf ich vom heutigen histologischen Standpunkt aus sagen: Man könnte aus der geringen Leitungsgeschwindigkeit grade so gut folgern, daß die Leitung auch nicht muskulär sein könne, sondern von einem dritten noch unbekannten Element besorgt würde.

Engelmann hat aber noch zweierlei ausser acht gelassen: Es ist erstens möglich, daß die gewonnene Zahl nieht die wirkliche Leitungs- seschwindigkeit des reizleitenden Gewebes gibt, und zweitens, dab nicht alle Nervenelemente gleichschnell leiten. Ich habe oben (S. 432) eine Ansicht entwickelt, welche ich Füllungshypothese nannte. Ich

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glaubte aus gewissen, nur zum Teil beschriebenen Versuchen schließen zu müssen, daß sich die kontraktile Substanz mit dem Reiz gewisser- maßen anfüllt und erst losschlägt, wenn die Füllung eine gewisse Höhe erreicht hat. Diese Höhe wird überall gleichzeitig eintreten können, wenn der Reiz sich mit geringer Intensität, aber ständig ins Gewebe ergießt; dagegen wird sie an der Ansetzungsstelle früher ein- treten, wenn sich plötzlich eine große „Reizmenge“ ins Gewebe er- sießt. Ein Beispiel wird dies klar machen: Ein flacher Teller möge auf einer Anzahl von Stiften stehen, welche das Gewicht des Tellers und noch etwas mehr tragen können. Wenn man langsam Wasser oder besser eine zähere Flüssigkeit auf den Teller gießt, so wird es sich gleichmäßig verbreiten und schließlich werden alle Stifte zugleich zusammenbrechen. Gieße ich aber plötzlich eine Menge Wasser auf eine Seite des Tellers, so wird er hier zu schwer und die Stifte brechen an der betreffenden Seite früher als an den andern. Die Geschwindig- keit, mit der sich die Flüssigkeit auf dem Teller verbreitet, braucht mit der Geschwindigkeit nicht identisch zu sein, mit der der Zusammen- bruch von der einen Seite zur andern fortschreitet. Wennalsoneben den Muskelelementen eine spezifische, reizleitende Substanz im Herzen vorhanden ist, so ist höchst wahr- scheinlieh die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle nieht mit der Leitungsgeschwindigkeit dieser Substanz identisch!

Engelmann erwähnt, daß beim Frosch eine so geringe Nerven- leitungsgeschwindigkeit (30 mm in der Sekunde) nicht bekannt sei, und zieht daraus den gewiß nicht zwingenden Schluß, daß auch keine Nerven- geschwindigkeit so geringer Größenordnung zu erwarten sei. Unter- suchungen über marklose Nerven lagen damals bei Wirbeltieren noch nicht vor; es war aber bereits bekannt, daß im Herzen viele marklose Fasern existieren, und Fick hatte bereits festgestellt, daß die marklosen Fasern der Muschel nur mit einer Gesehwindigkeit von etwa I em in der Sekunde leiten, einer Geschwindigkeit, die also noch geringer ist als die der Kontraktionswelle im Herzen. Bekannt war auch damals schon, daß die Leitungsgesehwindigkeit in den Zentralorganen weit geringer ist als im markhaltigen Nerven. Allerdings schob man diese Verminderung der Geschwindigkeit damals auf die Ganglienzellen, welche Engelmann in den unteren Teilen der Kammer vermißte.

Ich habe es oben wahrscheinlich zu machen gesucht, dab die Verlangsamung der Leitung in den Zentralteilen in den Fibrillengittern geschieht. Soleher Fibrillengitter passiert der Reiz beim zentralen Reflexvorgang nur wenige, in den Nervennetzen des Frosehherzens aber sicherlich schon auf kurzer Strecke hunderte. Wir haben also bereits hier eine Handhabe, um die geringe Leitungsgeschwindigkeit im Herzen

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zu erklären, wenn wirklich die Schnelligkeit der Kontraktionswelle der Leitungsgeschwindigkeit des reizleitenden Elements entsprechen sollte. Wir brauchen zu dieser Erklärung aber gar nicht zu greifen, seitdem Nicolai (1901) nachgewiesen hat, daß schon der parallelfaserige, mark- lose Olfactorius des Hechtes (also ohne zwischengeschaltete Fibrillen- eitter) nur 5-—20 em in der Sekunde leitet. Das wissen wir jetzt ganz sicher, daß die Leitungsgeschwindigkeit der Nerven außerordent- lich verschieden sein kann und daß sie offenbar nach den lokalen jedürfnissen auch innerhalb ein und desselben Organismus erheblich schwankt. Für das kleine Froschherz liegt, das kann man wohl zu- geben, kein Bedürfnis zu einer schnellen Leitung vor, und wir müssen, wenn diese Bedürfnisfrage richtig ist, erwarten, daß die Leitungs- geschwindigkeit bei größeren Herzen größer ist.

Ehe ich auf diese Frage übergehe, komme ich noch einmal auf die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle im Froschherzen zurück. Engelmann hat im Jahre 1894 den Beweis zu führen gesucht, dab auch die Leitung innerhalb des Vorhofs und vom Vorhof zur Kammer muskulärer Natur sei und sich dazu ebenfalls des Verfahrens bedient, die „Leitungsgeschwindigkeit“ zu bestimmen. Er findet für die Lei- tung im Vorhof wesentlich höhere Zahlen, als 1875 für die Leitung innerhalb der Kammer, nämlich 90—200 mm in der Sekunde. Sicherlich sind seine früheren Zahlen für die Geschwindigkeit der Kontraktions- welle in der Kammer zu niedrig, wie er auch selbst jetzt angibt.

Über die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle bei größeren Herzen liegen, soweit mir bekannt ist, nur Untersuchungen von Schlüter (1902) am Hundeherzen vor. Dieser Autor benutzte ein indirektes Verfahren, indem er durch die Aktionsströme des Herzens zwei Froschschenkel in Bewegung setzte, deren Nerven je an der jasis und an der Spitze des durchbluteten und spontan schlagenden Herzens aufgelegt waren. Die zeitliche Differenz zwischen dem Be- ginn beider Zuckungen ergab eine Geschwindigkeit von 2—4 m in der Sekunde. (Die Versuche sind deswegen nicht ganz eindeutig, weil manchmal gar keine Differenz vorhanden war und in andern Fällen der auf der Spitze liegende Schenkel eine Zeitlang zuerst zuckte, nach- dem er vorher später gezuckt hatte.)

Wohl bewußt, daß man zu genauen Zahlen nicht gelangen kann, schlug ich den von Engelmann beim Froschherzen gezeigten Weg ein. Ich entnahm dem ätherisierten oder durch Stich in die Medulla ge- töteten Hunde möglichst schnell das Herz, schnitt die Kammer ab und rollte sie zu einem S—15 em langen Rande auf. Nach dem Fixieren auf einer Korkplatte kam jedes Ende unter einen Schreibhebel, durch deren Pelotte Induktionsschläge zugeführt werden konnten. Die Ver- suche wurden ausgeführt wie beim Frosehherzen. Da die Geschwindig-

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keit der Kontraktionswelle bei aufgehobener Blutversorgung und ohne künstliche Erwärmung schnell und sichtbarlieh abnimmt, so muß man sich natürlich eilen und alles vorher gut vorbereitet haben. Bei ge- nügender Hilfe kann der Herzstreifen schon eine Minute nach dem ersten Messerschnitt unter den Hebeln liegen und der Versuch beginnen. Wäh- rend 2—3 Minuten können dann gewöhnlich Kurven aufgenommen werden. Die Ausmessung der Kurven ergab im Anfang des Versuches stets ziemlich hohe Geschwindigkeiten. Die höchsten Geschwindigkeiten der Kontraktionswelle betrugen 130— 225 em in der Sekunde. Bei einem Herzen betrug die Anfangsgeschwindigkeit nur 50 em. Stets sank die Zahl ziemlich schnell innerhalb von ungefähr einer Minute auf diese Größe herab. Es konnte auch stets ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen schwachen, grade wirksamen Öffnungsschlägen und starken Reizen derselben Art gefunden werden. So betrug die anfängliche Geschwindigkeit der Kontraktionswelle bei einem Hundeherzen für schwache Reize 56 em, für starke Reize 225 cm. Daß es sich hier nicht um ein Übergreifen des Reizes auf weiter entfernte Partien handelte, wurde durch besondere Versuche festgestellt, in denen der Streifen 2 mm von der Aufsatzstelle der Pelotte entfernt durch- schnitten wurde.

Die Schnelligkeit der Kontraktionswelle beim Hundeherzen übertrifft also die des kleinen Froschherzens um mehr als das zehnfache und hat schon einen Wert, der die Leitungsgeschwindigkeit vieler Nerven übertrifft. Man muß aber vermuten, daß die Geschwindigkeit in Wirk- lichkeit noch viel größer ist, weil das Herz zur Zeit der Untersuchung schon unter sehr ungünstigen Bedingungen steht.

Der Wert dieses Vergleichs zwischen großen und kleinen Herzen wird erhöht durch entsprechende Versuche an Medusen, von denen wir bestimmt wissen, daß die Reizübertragung auf nervösem Wege vor sich geht. Das Versuchsverfahren entsprach dem beim Frosch- und Hundeherzen angewandten. Auch hier wurde bald das eine und bald das andre Ende eines längeren Streifens gereizt und von beiden Enden geschrieben. Der Haken wurde stets so eingesetzt, daß nur die Kontraktion der Radiärmuskulatur in Betracht kam. Bei andern Versuchen wurde nur eine Kurve von einem Ende geschrieben und an einem nahen und einem fernen Punkt gereizt. Die Geschwindig- keit der Kontraktionswelle ist auch hier, wie beim Herzen, gering, wenn die Streifen schmal sind; man muß also die Streifen (nach Ab- tragung der Randkörper) so breit wie möglich wählen, d. h. nur eine Zirkumferenz nehmen. Bei großen Tieren kann man leicht Streifen von 20—40 cm gewinnen. Da die Schnelligkeit wesentlich von der Temperatur abhängig ist, so muß hierauf natürlich geachtet werden. Auch die Stärke des Reizes und die Schnelligkeit, mit der er wieder-

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holt wird, spielen eine Rolle. Bis zu einem gewissen Grade nimmt die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle mit der Häufigkeit der Reizung zu und wird bei zu schneller Aufeinanderfolge wieder geringer. Wird derselbe Reiz nach längerer Pause in gleichen, nieht zu großen Ab- ständen immer wieder angesetzt, so nimmt die Schnelligkeit bis zur Erreichung eines Maximums zu.

An Cotylorhizen von ungefähr 12 cm Durchmesser fand ich bei einer Temperatur von 19°C. eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 300 mm in der Sekunde.

Um den Einfluß der Temperatur zu zeigen, sei hier folgende Zu- sammenstellung gegeben. (Bei einem Streifen von 26 em ausgenutzter Länge und bei stets gleichem, ausreichendem Öffnungsschlag wurden je 12—20 Messungen gemacht. Der Reiz erfolgte in gleichen Inter- vallen. Der Streifen wurde zunächst bei Aquariumstemperatur unter- sucht [19,5° C.], dann für zehn Minuten in Wasser von 13,50 0. gebracht und hier untersucht; darauf wurde das Wasser auf 25°C. erwärmt und wieder nach 10 Minuten geprüft. Die Höhe der Kurven betrug 2,7 cm.)

13,50 19,50 25,00

Durchschnittsgeschwindigkeit in Zentimetern . 25,4 30,0 42,4 Latenz der direkt gereizten Partie . . . . 0,368” 0,247 70,16%

Dauer der Zucekung Ki 0,807 v.:0,55/7 70,48%

Figur 90 zeigt zwei Zuekungskurven bei verschiedener Tem- peratur.

(Wie man sieht, nimmt die Geschwindigkeit nicht in demselben Verhältnis zu, in dem die Latenz abnimmt. Wenn man die geringste Zahl gleich 5 setzt, so verhalten sich

die Geschwindigkeiten wie 5:6:8,4

die Latenzen aber wie 11,5.:77,525: Mir scheint auch dies Verhalten nur dann erklärbar zu sein, wenn kontraktile und reizleitende Substanz voneinander getrennt sind.)

(Hier sei noch eine Tabelle mitgeteilt, welche zeigt, wie nach längerer Pause bei gleich großem und in gleichen Intervallen er- folgendem Reiz die Schnelligkeit der Kontraktionswelle zunimmt. Das Intervall betrug gegen 0,9". Die Zahlen geben die Zeit in Sekunden an, welche zwischen dem Ansetzen des Reizes und der Zuckung des dem Reiz fernen Hebels vergeht: 0,415, 0,405, 0,400, 0,395, 0,395, 0,395.)

Die Zahlen liegen also zwischen der Gesehwindigkeit der Kon- traktionswellen beim Herzen des Frosches und dem des Hundes. Interessant und von wesentlicher Bedeutung ist nun der leider nur einmal angestellte Vergleich zwischen einem großen und mittelgroßen Exemplar unter gleichen Bedingungen (kleine Exemplare waren zur- zeit nicht zu haben). Das eine Exemplar hatte einen Durchmesser von

Die rhythmischen Bewegungen. 441

etwa 20 cm, das andre von 12 em (Cotylorhiza). Die Temperatur betrug 19,5°C. Der Reiz war gleichstark. Bei dem mittelgroßen Exemplar betrug die Geschwindigkeit im Durchschnitt 30,0 em, bei dem großen Exemplar 47,2 em!

Leider habe ich keine kleinen Cotylorhizen und auch keine kleinen Medusenarten untersucht. Ich werde dies bald nachholen und glaube sicher zu sein, daß man hier Geschwindigkeiten finden wird, welche noch unter die beim Froschherzen gefundenen gehen werden. Ich muß auch sonst ausdrücklich hervorheben, daß diese Unter- suchungen noch nicht als abgeschlossen gelten dürfen, aber ich glaube,

Fig. 90. Kurven zur‘ Bestimmung der Geschwindigkeit der Kontraktionswelle bei Cotylorhiza bei verschiedener Temperatur. Entfernung des Reizortes von dem schreibenden Punkt 26,7 cm. Obere Kurven bei 24° C., untere bei 12,5° C.*)

daß das hier Mitgeteilte als sichergestellte Tatsache gelten kann. Die Messungen sind zuverlässig, und auch in der Methode dürfte nichts verfehlt sein. Es wäre nur möglich, daß ich noch nicht alle Be- dingungen klar erkannt habe, von denen die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle abhängig ist. Wie schwierig diese Verhältnisse

1) Alle beigegebenen Kurven sind von einem Zeichner der Verlagsbuch- handlung nach den Originalen gepaust. Hierdurch sind kleine Unregelmäßigkeiten und Fehler entstanden. Letztere sind aber sicher nirgends im Sinne einer Ver- deutlichung ausgefallen.

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liegen und wie leicht bei ungenügender Kenntnis der Verhältnisse wider- streitende Resultate entstehen können, wird aus folgendem ersichtlich: Die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle ist größer in den 'Randpartien, geringer in größerer Nähe des Zentrums, und zwar sind diese Unterschiede groß. Bei einem Tier von 19 em Durchmesser wurde der muskulöse Teil der Glocke zu einem Bande aufgerollt und an der Grenze zwischen Radiär- und Zirkulärmuskulatur bis auf eine 1,5 em breite Brücke gespalten (siehe Fig. 91). An diesem Ende waren zwei Schreibhebel an den beiden Muskelarten angebracht. Es wurde dann einmal vom Ende des Rand- streifens und dann von dem des zentraleren Streifens gereizt. Die Tem- peratur betrug mehrere Grade über 20°C. (Die genaue Angabe ist verloren gegangen.) Die Geschwindigkeit im Randstreifen betrug 54,9 em, im mehr zentralen Streifen, welcher die Radiärmuskulatur enthielt, nur 28,1 cm. Dieser enorme Unterschied erklärt sich daraus, daß das Nervennetz am Rande reichlicher vorhanden ist und hier auch Ansätze von langen Bahnen enthält. (Es erklärt sich hieraus die weiter oben mitgeteilte Tatsache, daß die Synehronität nach Fortnahme aller Rand- körper [bis auf einen] ziemlich stark gestört ist, wenn die Randpartien bei der Fortnahme erheblich geschädigt wurden.) Man sieht, daß bei Unkenntnis dieser Verhältnisse leicht ein Unterschied in der Schnellig- keit der Kontraktionswelle zwischen zwei verschiedenen Exemplaren gefunden werden kann, ohne daß er in Wirklichkeit da ist. Weitere Fehler können entstehen, wenn man die Latenzverhältnisse nicht kennt, auf die ich später zurückkomme. Ich glaube aber bei meinen definitiven Messungen alle diese Fehlerquellen vermieden zu haben, die auch mir anfangs große Schwierigkeiten bereiteten.

Wir sahen beim Frosehherzen eine langsame Fortpflanzung der Kontraktion, beim Hundeherzen eine viel größere. Bei den Medusen, wo die Leitung sicher nervös ist, lernten wir eine mittlere Geschwindig- keit kennen, fanden aber, daß auch hier den Bedürfnissen entsprechend die Gesehwindigkeit bei großen Tieren größer ist, als bei kleinen. Damit fällt aber der letzte Beweis Engelmanns für die muskuläre Natur der Reizleitung in sich selbst zusammen.

Wenn ich mich bis hierhin bemüht habe, zu zeigen, daß die Leitung im Herzen nervös sein kann, so will ich jetzt Beweise aufführen, welche darauf deuten, daß sie nervös sein muß. Sie sind mit der myogenen Theorie unvereinbar oder nur dann mit ihr in Einklang zu bringen, wenn man noch gekünsteltere Erklärungen heran- zieht, als die Theorie der myogenen Natur der Herzbewegungen bis jetzt schon gezeitigt hat.

Engelmann beschrieb im Jahre 1894 einen Fall, welcher ihn selber zuerst stutzig gemacht hat. Ein ausgeschnittenes Froschherz hatte

Die rhythmischen Bewegungen. 443

aufgehört von selbst zu schlagen. Als er dasselbe am Vorhof reizte kontrahierte sich dieser nicht, wohl aber die Kammer und zwar nach einer so langen Zeit, daß direkte Kammerreizung ausgeschlossen war (bei direkter Kammerreizung ergab sich eine entsprechend kürzere Latenz). Wie war dies zu erklären, daß der ruhende Vorhof zu leiten imstande war, ohne sich selbst zu kontrahieren? Das schien der myogenen Natur der Leitung zu widersprechen. Um diesen Wider- spruch zu lösen, fußte Engelmann auf der von Biedermann nach- gewiesenen Tatsache, daß der durch partielle Eintauchung in Wasser zur Hälfte wasserstarr gemachte Muskel noch zu leiten imstande ist. Die Kontraktionsfähigkeit ist aufgehohen, die Leitungsfähigkeit und das elektrische Verhalten bleiben aber erhalten. Engelmann fand nun, daß der wasserstarre Vorhof ebenfalls noch zu leiten imstande ist und sieht hierdurch jeden Einwurf gegen seine Theorie beseitigt. Er ent- wickelte sogar im Anschluß an diesen und andre Befunde die An- sicht, daß die drei Haupteigenschaften des Herzmuskels, Erregbarkeit, Leitungsfähigkeit und Kontraktilität, mehr oder weniger getrennt von- einander auftreten könnten. Gegen diese Trennung nahm H.E. Hering (1901) Stellung. Selber ein Anhänger der Muskeltheorie, sieht er sehr wohl ein, daß eine solche Trennung nieht möglich ist unter Annahme eines einheitlichen Substrats. Er sucht daher zu beweisen (um die Muskeltheorie zu halten), daß die Leitungsfähigkeit Hand in Hand mit der Kontraktilität abnähme. In der Tat zeigt sich bei der Wasserstarre ein starkes Dekrement der Leitung, und er nimmt an, daß die Kontraktilität durch mechanische Behinderung etwas eher un- sichtbar wird, als auch die Leitungsfähigkeit aufgehoben ist. Dem- entsprechend nimmt er an, daß bei noch erhaltener Leitung, aber auf- gehobener Kontraktilität des Vorhofs erstere stark herabgesetzt und letztere auch noch in geringem Maße vorhanden ist, daß also tatsächlich Aufhebung der Leitung und der Kontraktilitäit Hand in Hand gehen.

Nun zeigte schon Hofmann (1898), daß man die Kontraktions- unfähigkeit des Vorhofs bei guterhaltener Leitungsfähigkeit (zur Kammer hin) willkürlich durch Vagusreizung hervorrufen kann. Trotz- dem er ein Anhänger der Engelmannschen Theorie ist, sieht er in dieser Tatsache eine Schwierigkeit für dieselbe. In sehr viel be- quemerer Weise kann man die Kontraktionsunfähigkeit des Vorhofs bei der Vergiftung mit Muscarin hervorrufen. Ist die Dosis (ich be- nutzte ein Präparat, das mir Herr Dr. Faust freundliehst zur Verfügung gestellt hatte) etwas größer als nötig, um grade das Herz zum Stillstand zu bringen, so tritt bald ein Zustand ein, in dem auch bei stärkstem Vorhofreiz der Vorhof nieht mehr reagiert, die Kammer aber noch sehr gut anspricht. Der Latenzunterschied zwischen Vorhof- reizung und Kammerreizung in Bezug auf die Kontraktion der Kammer

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ist stets so groß, daß an eine direkte Kammererregung bei Vorhofreiz nicht zu denken ist. Diesem Einwurf wurde auch dadurch begegnet, daß ich Reizungen mit meinem mechanischen Reizapparat ausführte. Ich habe nun bei relativ gut erhaltener Leitungsfähigkeit des Vorhofs diesen mit den stärksten zulässigen Vergrößerungen während der Reizung beobachtet und auch nicht die allergeringste Be- wegung wahrnehmen können. (Wie bekannt, wird ja auch die Kammerkontraktion bei stärkeren Vergiftungen mit der Zeit immer kleiner, um schließlich auch auf starke Reize auszubleiben. Man könnte also sagen, daß bei erhaltener Leitungsfähigkeit doch noch eine geringe Bewegung der Vorkammermuskeln stattfände. Dies ist aber nicht der Fall.) Die Vorkammer kann also leiten, ohne eine mit den besten Mitteln nachweisbare Bewegung auszuführen.

Hat nun Engelmann durch die Heranziehung der Wasserstarre den Widerspruch gehoben, in welchem diese Erscheinung zur Theorie der muskulären Leitung im Herzen steht? Ich glaube nicht! Bei der Wasserstarre ist die Reaktionsfähigkeit der Muskeln, wie aus den von Hering mitgeteilten Tatsachen hervorgeht, nicht vollkommen auf- gehoben, sondern es ist nur das Zustandekommen einer Kontraktion in erster Linie mechanisch unmöglich gemacht. Bei der Vagusreizung und bei der Muscarineinwirkung wird aber der Muskel nicht mechanisch an der Kontraktion verhindert, sondern er ist nur gehemmt. Jeden Augenblick kann er seine Kontraktionsfähigkeit durch Aufhebung der Reizung oder durch einen Tropfen Atropin wieder erlangen. Wir haben es also mit zwei ganz verschiedenen Dingen zu tun: Das eine Mal leitet ein Muskel, der noch bis zu einem gewissen Grade reagiert, dies aber durch äußere Behinderung mecha- nisch nicht mehr äußern kann, das andre Mal soll nach Engelmann ein Muskel leiten, der überhaupt nicht in Reaktion tritt. (Daß ein sehemmter Muskel überhaupt nicht in Aktion tritt, ist wenigstens die allgemeine und durchaus berechtigte Ansicht.)

Ich muß danach Engelmann gegenüber H. E. Hering vollkommen recht geben, daß Leitung und Kontraktilität voneinander getrennt sind, kann mich aber durchaus nicht seiner Ansicht anschließen, daß beide Funktionen von demselben Gewebe besorgt werden. Mir scheint vielmehr in diesem Versuch ein klarer Beweis dafür zn liegen, daß ein Gewebe im Herzen existiert, welches leitet, ohne sich zu kontrahieren, und solche Gewebe pflegen wirnervös zu nennen.

Waller und Reid (1883) haben gezeigt, daß bei ausgeschnittenen Säugetierherzen die Kontraktion der Kammer meist nicht an der Basis beginnt, wo der Reiz ohne Zweifel in die Kammer eintritt, sondern

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an der Spitze. Dieser Befund ist von Schlüter am durehbluteten Katzenherzen bestätigt. Langendorff (1902) sieht hierin mit Recht eine wesentliche Schwierigkeit für die Engelmannsche Theorie. Wenn der Reiz durch die Muskelelemente weiter geleitet wird und die ganze Herzbewegung nichts als eine vom Sinus herkommende peristal- tische Welle ist, dann muß unter allen Umständen verlangt werden, daß die Basis sich immer zuerst kontrahiert. Es kommt also nur auf das Faktum an, daß die Kontraktion an der Spitze beginnen kann; ob dies unter natürlichen Verhältnissen der Fall ist oder, wie es den Anschein hat, nur beim absterbenden Herzen, ist ohne jede Be- deutung.

Ich habe dasselbe Faktum in noch unzweideutigerer Weise an zwei Streifen konstatieren können, die aus der Kammer von Hunde- herzen geschnitten waren. Die Streifen waren an beiden Enden mit Fühlhebeln armiert und wurden an einem Ende (A) mit Öffnungs- schlägen gereizt. Nachdem zunächst die Kontraktionswelle immer von A ausgegangen war, kontrahierte sich beim nächsten Reiz das reizferne Streifenende B zuerst, und die Kontraktionswelle lief von daausnach Reizstelle A zurück. Diese Inversion bestand so lange fort, als ich mit gleichstarken Öffnungsschlägen reizte. Ich verstärkte dann den Reiz, worauf sofort wieder die Kontraktion bei A begann.

Ich erkläre mir diesen Befund in folgender Weise: Die Erregbar- keit war aus unbekannten Gründen an beiden Enden verschieden. Da nun die Reizschwelle beim Absterben immer mehr wächst, so trat ein Moment ein, wo der Reiz für A nicht mehr genügte, um eine Kontraktion auszulösen. Der Reiz pflanzte sich aber im Nervennetz nach B fort und konnte bei der hier vorhandenen höheren Erregbar- keit eine Kontraktion auslösen. Da nun, wenigstens am markhaltigen Nerven, die Reizwelle einen Zuwachs erfährt, wenn sie ein Gebiet höherer Erregbarkeit passiert, so konnte der Reiz rückläufig von B aus auch die Stellen von geringerer Erregbarkeit (bei A) zur Kon- traktion bringen. Nachdem der Reiz verstärkt war, genügte er wieder, um auch das weniger empfindliche A-Ende direkt zu erregen.

Dieser Versuch liegt ganz klar und dürfte bei der Annahme einer ausschließlich muskulären Leitung nur auf sehr gewaltsame Weise erklärt werden können. Mir scheint er unbedingt darauf hinzuweisen, daß neben der Muskulatur ein reizlei- tendes Element besteht. Als dieses wird man selbst- verständlich das allen Bedingungen entsprechende Nervennetz ansehen müssen.

Analoge Fälle hat bereits Romanes bei der Meduse Aurelia be-

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schrieben. An einem Randstreifen dieses Tieres befand sich nur ein Randkörper am einen Ende. Wurde jetzt ganz schwach am andern Ende gereizt, so lief eine Kontraktionswelle der am Rande befind- lichen Tentakelehen zum Randkörper hin (ohne Kontraktion der Glockenmuskulatur), von wo dann eine Kontraktion der Glocken- muskulatur zur Reizstelle zurücklief. Ich habe das gleiche an Coty- lorhiza beobachtet, wenn der am einen Ende befindliche Randkörper keine Kontraktionen mehr auslöste, aber immer noch die kleinste Reizschwelle hatte (siehe S. 428). Bei starkem Reiz lief die Kon- traktionswelle zum Randkörper hin und erregte hier eine zweite rück- läufige Welle. War der Reiz schwach (am randkörperfreien Ende angesetzt), so fehlte die erste Welle und nur die rückläufige kam noch zustande. Folgender Befund von William (1888) kann ebenfalls nur erklärt werden, wenn ein besonderes reizleitendes Gewebe im Herzen vorhanden ist. Bei einem absterbenden Kaninchenherzen gibt Kammer- reiz Kontraktion der Kammer; dann folgt eine Kontraktion der großen Venen, an die sich erst die des Vorhofs anschließt!

Wie ich bewiesen zu haben glaube, und wie ja immer noch viele Forscher annehmen, gibt es also eine nervöse Leitung im Herzen. Spielt neben dieser die vielleicht anzunehmende muskuläre Leitung eine Rolle? Bei den Medusen, wo die Muskelbündel voneinander getrennt sind, sicher nicht. Ich glaube aber, daß auch im Herzen die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß ist. Beim Herzen des Frosches stehen die einzelnen Trabekeln, worauf schon wiederholt von andern aufmerksam gemacht ist, in einem oft sehr lockeren Zusammenhang. Nicht selten liegt eine dieke Schicht von elastischen Fasern zwischen zwei Trabekeln, welche vom Herzlumen bis zum Pericard zieht und, soweit sich das auf Schnitten feststellen läßt, nirgends einen wesent- lichen Austausch von Muskelfasern zuläßt. Des weiteren erinnere ich an die von Heidenhain (1901) sichergestellte Tatsache, daß die Muskel- fibrillen nicht miteinander anastomosieren, sondern parallel neben- einander herlaufen, wie im Skelettmuskel. Daß dies ein geeignetes Mittel ist, den Reiz von Fibrille auf Fibrille zu übertragen, ist mir unwahrscheinlich.

Nach der Anschauung von Engelmann und Gaskel soll auch die Leitung vom Vorhof zur Kammer muskulärer Natur sein. Diese Lei- tung wird von Gaskel (1884) den sogenannten Blockfasern zu- geschrieben, Muskelfasern von embryonalem Charakter, welche bei niederen Wirbeltieren nach Stanley Kent eine direkte Verbindung zwischen der Muskulatur des Vorhofs und der der Kammer herstellen sollen. Da die Leitung beim embryonalen Herzen langsamer ist, als beim erwachsenen, so wird diesen Fasern die Rolle zugeschrieben, die vom Vorhof zur Kammer verlaufende peristaltische Welle auf-

Die rhythmischen Bewegungen. 447

zuhalten und so die Koordination der Herzteile herzustellen. Wie schon oben (S. 92) bemerkt, ist es mir im höchsten Grade zweifel- haft, daß diese Elemente eine wirkliche Kontinuität herstellen. Nach meinen Beobachtungen sind sie von den Muskeln der Kammer überall durch elastisches Gewebe getrennt. Ich habe bei der Betrachtung meiner Präparate auch nie Zweifel unterdrücken können, daß es sich hier wirklich um Muskelelemente handelt. Auch bei Säugern hat His jun. Muskelbündel dargestellt, welehe die Muskulatur der Vorhöfe mit der der Kammern verbinden. Ich zweifle nieht an der Tatsache, daß sich diese Bündel häufig finden lassen, vermisse aber bei His den Beweis, daß sie eine wirkliche Anastomose in dem Sinne her- stellen, daß die Elemente dieses Bündels auf beiden Seiten in Ele- mente der Herzabteilungen übergehen und ihnen nieht nur angelagert sind. Außerdem: Diese Verbindung ist sehr spärlich und sie entbehrt des embryonalen Charakters, kann also für die Erklärung des Blocks kaum in Anspruch genommen werden. Der Nachweis von His (1895), daß die Durchschneidung dieser Bündel Allorhythmie hervorruft, kann, wie Lomakina (1900) mit Recht hervorhebt, kein Grund für die An- nahme muskulärer Leitung sein, weil derselbe Effekt auch bei Unter- bindung der die Vorhöfe und Kammern verbindenden Nerven eintritt.

Die Muskelleitungstheorie steht hier also auf sehr schwachen anatomischen Grundlagen; dagegen wissen wir sicher, daß an den Klappen entlang eine Unzahl von Nervenfasern in die Kammer hinein- ziehen und hier direkt in das Nervennetz übergehen. Bei dieser Lage der anatomischen Verhältnisse ziehe ich es unbedingt vor, diesen die Überleitung des Reizes zuzuschreiben. Das Experiment kann hier, soweit es operativ vorgeht, keine sichere Entscheidung bringen. Schneidet man vom Vorhof oder von der Kammer aus die Klappen heraus (Löwit, 1881), so nimmt die Kammer nicht mehr an den Pul- sationen des Vorhofs teil und, wenn man nach Abtragung des Sinus den Vorhof oder die Kammer reizt, so antwortet stets nur der ge- reizte Herzabschnitt. Ich habe mich selber hiervon oftmals überzeugt. Ob man dabei die Bidderschen Ganglien mitnimmt oder nicht ist ganz gleich. Bei einer derartigen Operation zerstört man aber zu gleicher Zeit die angebliche Muskelverbindung und die nervöse Verbindung. (Aus einigen wenigen Fasern bestehende nervöse Verbindungen ent- fernt von den Klappen [S. 96] sind jedenfalls als Ausnahmen an- zusehen.) Nimmt man vom Vorhof aus nur die Bidderschen Ganglien heraus (v. Wittich), so tritt in der Regel der gleiche Effekt ein; ich muß aber zugeben, daß dann in der Regel auch der Atrioventrikular- trichter stark geschädigt ist. Einige Autoren geben an, daß nach vollständiger Herausnahme der Bidderschen Ganglien noch voll- kommene Leitung zwischen Vorhof und Kammer bestehen könne.

448 Die rhythmischen Bewegungen.

Wenn sich dies bestätigt, so ist damit noch nieht ausgeschlossen, daß die Leitung nervös ist, da wir noch nieht wissen, ob alle zur Kammer ziehenden Nervenfasern die Bidderschen Ganglien passieren.

Die Koordination der Herz- und Medusenbewegungen.

Wie zuerst Stannius gezeigt hat, kann bei Reiz der Kammer eine rückläufige Kontraktionsfolge stattfinden. Eine besondere Aufmerßsam- keit hat Munk (1878) dieser Frage zugewandt. Wird das sinuslose Herz an der Kammer gereizt, so zuckt sie zuerst und dann nach dem bekannten Interall von 0,1 0,03” der Vorhof. Bei Reiz des Bulbus zuckt erst dieser, dann die Kammer, dann der Vorhof. Bei sehr langsam schlagenden Herzen kann man diese Inversion auch ohne Sinusfortnahme bewirken, so daß sich z. B. bei Bulbusreiz die Kon- traktionsfolge grade umgekehrt verhält wie normal. Wird an ge- wissen Stellen eine Verletzung ausgeführt (Stannius, 1852, Munk, 1866 und 1878), so kommt es bei sinuslosen Herzen zu längerem inversem Pulsieren. Löwit (1881) hat auch eine ganze Reihe derartiger Ver- suche ausgeführt. Vielleicht neu ist folgende Modifikation: Man schneidet am Sinus entlang eimen Streifen von der Vorkammer und der Kammer ab, so daß der Sinus durch ein kurzes Vorhofsstück. verbunden direkt an der Kammer hängt. Es schlägt zuerst der Sinus, dann die Kammer, dann der große Vorhofsrest und kurz darauf der Bulbus. Da die normale Reizquelle vorhanden ist, schlagen solehe Herzen sehr lange. Ist die Operation gut ausgeführt, so muß nach Abschneiden des Sinus Stillstand eintreten.

In dieser Tatsache der Reziprozität der Herzkoordination sieht üngelmann ebenfalls eine Stütze der Muskeltheorie, weil keine rück- läufigen Reflexe bekannt seien. Jetzt sind sie bekannt! Sowohl die Physiologie der Medusen wie die der Seeigel bietet genügend Bei- spiele dafür. hKückläufigkeit ist eben eine Eigentümlichkeit der Nervennetze. Also auch von dieser Seite steht dem nichts im Wege, die Herzbewegungen auf nervöse Prozesse zurückzuführen.

Auch bei manchen Medusen gibt es etwas, was der Koordination der Herzteile sehr ähnlich ist. Die Ursachen sind hier aber jedenfalls ganz andre. Cothylorhiza und verschiedene andre Medusen haben zwei ganz voneinander getrennte Muskulaturen, eine parallel und nahe dem Rande verlaufende Zirkulärmuskulatur und eine die zentraleren Partien einnehmende Radiärmuskulatur. Bei den normalen Pulsationen und auch bei der künstlichen Reizung kontrahiert sich zuerst die Radiärmuskulatur, wodurch die Glocke gewölbt wird, und dann, wenn die Kontraktion der radiären auf der Höhe ist, die zirkuläre, wodurch die Glockenöffnung verengt wird (Fig. 91 zeigt an einem kleinen Stück die gegenseitige Lage beider Muskulaturen). Auffallend ist, daß die

Die rhythmischen Bewegungen. 449

Muskulatur, welche den Randkörpern, von denen ja sicher die Kontrak- tionen ausgehen, zunächst liegt, sich später kontrahiert, als die fernere. Die Ursache der Erscheinung ist die denkbar einfachste: Die Latenz der Zirkulärmuskulatur ist wesentlich größer als die der radiären. Bei Spontankurven beträgt die zeitliche Differenz zwischen der Kontraktion der radiären und zirkulären Muskulatur (direkt benachbarter Stellen) zwischen 0,3 und 0,5” (bei etwa 20° C.). Nimmt.man einen kleinen randkörperlosen Sektor und schreibt von der zirkulären und radiären

h& &

SEN -

—ı Il

Fig. 91. Cotylorhiza. Oben: Aufstellung des Präparats. Unten links: Spontane Kontraktion. Die

Radiärmuskulatur (R) kontrahiert sich früher als die Zirkulärmuskulatur (©). Unten rechts: Die

zirkuläre Muskulatur ist durch einen Schnitt in der Richtung der Pfeile (oben) von der radiären

getrennt. Der Randkörper (RK) ist außerdem fortgenommen. Sonst ist das Präparat unverändert.

Durch ein und denselben Induktionsschlag sind beide Stücke gleichzeitig erregt. Das auch jetzt

noch zu beobachtende Nacheinander in der Kontraktion beider Muskelarten beruht also auf einer Verschiedenheit in der Latenz.

Muskulatur getrennte Kurven, so bekommt man nahezu gleiche Zeit- differenzen, wenn man den Reiz das eine Mal über der Zirkulär- muskulatur, das andre Mal über der Radiärmuskulatur ansetzt. (Die Latenzen schwanken natürlich je nach der Temperatur, verändern sich aber auch in noch nicht genauer untersuchter Weise bis zu 15°/,, wenn der Reiz oft wiederholt oder verschieden stark gemacht wird. Die Abnahme der Latenz ist bei der zirkulären Muskulatur größer als bei der radiären.) Durchtrennt man das Tierstück an der Grenze von Radiär- und Zirkulärmuskulatur und reizt beide Stücke gleich- zeitig, so bleibt das zeitliche Verhältnis das gleiche.

Bethe, Nervensystem. 99

450 Die rhythmischen Bewegungen.

Beide Muskulaturen haben also verschiedene Latenz (falls nicht nervöse Verhältnisse im Spiel sind, was mir aber unwahrscheinlich erscheint [siehe Fig. 91]).

Ein derartig einfacher Modus der Koordination ist natürlich für das Herz mit seinen vier Abteilungen unmöglich. Hier muß die Ur- sache in nervösen Einrichtungen gesucht werden, wie das von allen Anhängern der Ganglientheorie getan wird. Vorläufig liegt kein wesentlicher Grund vor, den großen Ganglienzellen, welche in den verschiedenen Abteilungen liegen, die Anteilnahme an der Koordination zu- oder abzusprechen. Gegen eine Anteilnahme derselben könnte man höchstens ins Feld führen, daß am Übergang der Kammer in den Bulbus solche großen Zellen fehlen. Wenn die großen Ganglienzellen etwas mit der Koordination zu tun haben, dann kann man annehmen, daß in ihnen ein Widerstand gelegen ist, der das Weiterschreiten der Erregung verzögert. Unbedingt nötig haben wir aber die großen Ganglienzellen nicht, um die Koordination auf nervösem Wege zu er- klären, und es ist sehr gut möglich, daß sie mit derselben gar nichts zu tun haben. Engelmann hat zuerst gezeigt, daß die Kontraktionswelle im Herzfleisch überall daeine große Verzögerung erfährt, wo sie eine schmale Brücke zu passieren hat. Stehen mehrere Teile der Kammer durch dünne Brücken miteinander in Verbindung, so pulsiert jede (bei erhaltenem Zusammenhang mit dem Vorhof) gewissermaßen für sich. Ganz dasselbe beobachtete ich bei den Medusen, wo ja die Leitung ganz sicher nervös ist. Sehr instruktiv ist es, diese Versuche an Rhizostoma anzustellen, weil man hier vor der Einmischung der Muskulatur sich schützen kann. Stehen zwei Muskel- felder (S. 89 und 108) durch das breite muskellose Stück in Zusammen- hang, so kontrahieren sich beide bei Reiz des einen so schnell nach- einander, daß man mit bloßem Auge keinen Unterschied wahrnimmt. teduziert man die Verbindung jetzt auf eine schmale, muskel- freie und nur Nerven enthaltende Brücke, so Tan das nicht gereizte Muskelfeld erst zu schlagen an, wenn das gereizte seine Kontraktion fast beendet hat. Wir haben nun gesehen (S. 95), daß sich die vom Vorhof in den Ventrikel eintretenden Nervenfasern dort vielfach teilen, Sicher tritt dabei eine ungeheure Vervielfachung der Fasern ein. Wir haben also etwas ganz ähnliches vor uns (was den nervösen Apparat anbetrifft) wie bei dem Versuch mit der dünnen Brücke, und es besteht die Möglichkeit allein hieraus die Koordination des Herzens und ihre Reziprozität zu erklären.

a.

Die rhythmischen Bewegungen. 4

Uber die Natur des Refraktärstadiums. ;

Im allgemeinen wird ohne weiteres angenommen, daß das Re- fraktärstadium Eigenschaft der Muskulatur des Herzens sei. Diese Annahme hat aber zur Voraussetzung, daß die Muskulatur des Herzens direkt und zwar leicht reizbar ist. Dies ist eine unbewiesene Hypothese. Es ist sehr gut möglich, daß die direkte Erreg- barkeit der Herzmuskeln eine sehr geringe ist und daß die Muskulatur viel leichter vom Nervennetz her anspricht. In diesem Fall ist es möglich, daß das Refraktärstadium Eigenschaft des Nerven- netzes ist, wie dies be- reits Uexküll für das Refraktärstadium der Me- dusen angenommen hat. Ich glaube hierfür einen Versuch anführen zu können, der allerdings nicht absolut beweisend ist und der bei denen, welche der Muskeltheorie huldigen, eine ganz an- dre Erklärung finden wird. Setzt man an der Kammer oderVorkammer eines sinuslosen Herzens in größeren Pausen einen Reiz an, so antwortet jede der beiden Abteilun- gen mit einer Kontrak- tion mit einer zeitlichen Differenz von 0,1—0,3"', Folgt dem Reiz, nachdem das Refraktärstadium des gereizten Abteils vorbei ist, gleich ein zweiter Reiz, so antwortet nur der direkt gereizte Teil (Fig. 92 u. 93). Das Refraktärstadium der andern Abteilung ist zwar im Moment der Reizung noch nicht ganz vorüber, aber es wäre zu

29*

nder liegen.

andre Herzabteil macht bei

Der

Oben Kammerreizung.

er B

Rana esculenta, sinusloses Herz. Unten Vorhofreizung zwei sich schnell folgenden Reizen nur dann eine zweite Zuckung, wenn die Reize ziemlich weit ausei

Fig. 92.

452 Die rhythmischen Bewegungen.

der Zeit vorüber, zu welcher der Reiz bis zu ihr gelangt sein sollte. Wäre \lie Muskelleitungstheorie richtig, so müßte eigentlich auch die andre Abteilung zucken, weil ja die Fortleitung in einer peristaltischen Welle gesehen wird, die natürlich immer zustande kommen muß, wenn die gereizte Ab- teilung sich überhaupt kontrahiert. EN A A ERSTE Das Refraktärstadium wird nun noch weiter verändert, wenn man in folgender Weise vorgeht: Vorhof und m _ı_ Kammer sind mit Schreibhebeln und Elektroden versehen. Zuerst wird die eine Abteilung gereizt, z. B. die Kam- mer. Die Kammer kontrahiert sich, und nach der bekannten Latenz auch die Vorkammer. Reizt man nun diese, wenn ELEDTTFNL NE ihr Refraktärstadium grade vorüber ist, das ist zu einer Zeit, wo das Refraktärstadium der Kammer längst _IÄL—— verschwunden ist, so reagiert nur die Vorkammer, die Kammer bleibt aber ganz ruhig (Fig. 94 u. 95). Erst bei sehr viel später erfolgendem Vorkammer- reiz reagiert auch die Kammer mit einer Kontraktion. Durch die, die Dia- stole noch überdauernde Verminderung der Erregbarkeit, welche Engelmann beschrieben hat (1894), läßt sich dies Faktum nicht erklären, weil ich Öff- a nungsschläge von ziemlich bedeutender Stärke angewandt habe. Mir scheint, daß diese Erscheinung sich besser bei der Annahme erklären läßt, daß das hefraktärstadium Eigenschaft des Ner- vennetzes ist.

GE EBENEN a ENTER W 1

Ursachen und Wesen.der rhyth- mischen Bewegungen des Her-

BEN a ERDE Ur zens und der Medusen.

Fig. 93. Wie Fig. 92. Vorhofsreiz. Jedes Stück Herz und jedes Stück Meduse, das Muskel und Nervensubstanz

enthält, zuckt bei einmaligem Reiz. Diese Erscheinung hat durchaus den Charakter eines Reflexes; in der Tat sind auch alle für einen Reflex

Sn nt Zi rs HE ENT 2 ru EEE I Rn

Fig. 94. Sinusloses Herz von Esculenta. Obere Kurve Kammer, untere Vorhof. Obere Reizmarke

= Kammerreiz, untere = Vorhofreiz. Es ist in variierten Abständen erst der Vorhof und dann die

Kammer gereizt. Auf der untersten Kurve gibt 1 den Punkt an, wo im vorliegenden Fall der Vorhof

bei direkter Reizung einer neuen Kontraktion fähig war, 2 den Punkt, wo er bei zwei aufeinander folgenden Kammerreizen wieder erregbar war.

454 Die rhythmischen Bewegungen.

notwendigen anatomischen Bedingungen erfüllt. Es ist daher durchaus berechtigt diese Erscheinung, wie es vornehmlich Goltz getan, als Reflex zu bezeichnen. An einer Stelle wird ein Reiz angesetzt, dieser wird

EN I er Se EREEEE ee

Fig. 95. Wie 94, nur daß der Kammerreiz dem Vorhofreiz vorausgeht. In der ersten Kurve bedeutet

1 den Punkt, wo im vorliegenden Fall die Kammer für einen zweiten Reiz zugänglich war, 2 den

Punkt, wo sie bei zwei Vorhofreizen wieder einer Zuckung fähig war, und 3 den Punkt, wo sie bei der angewandten Anordnung erst wieder reagierte.

bei Medusen sicher, beim Herzen höchst wahrscheinlich von Nerven aufgenommen, auf nervösem Wege durch ein Netz hindurch (das auch Ganglienzellen enthält, was aber gleichgültig ist) weiter geleitet und auf Muskelelemente unter Ausstreuung übertragen. Eine andre De-

Die rhythmischen Bewegungen. 455

finition für Reflex können wir auch für solehe Erscheinungen nicht geben, die durchs Zentralnervensystem gehen. Wird ein konstanter Reiz angesetzt, so antworten die Herz- und Medusenstücke mit perio- dischen Bewegungen. Der notwendige Reiz ist bei den verschiedenen Teilen des Herzens verschieden groß und für die normale Meduse und das intakte Herz so gering, daß es, wie Goltz sich ausgedrückt hat, nicht möglich ist unter seine Schwelle zu kommen. Schon die gewöhnlichen äußeren Bedingungen enthalten bei der niedrigen Reiz- schwelle Reiz genug. Bei der Meduse ist die Stelle der höchsten Erregbarkeit, von der die Kontraktionen normalerweise ausgehen, der (die) Randkörper, beim Herzen der Sinus. Ein Unterschied be- steht zwischen den einzelnen Herz- und Medusenteilen also nur betreffs der Reizschwelle.

Das, was bei der normalen Pulsation den Reiz abgibt, ist für das Herz unbekannt, und es hat keinen Zweck ohne Anhaltspunkte darüber zu streiten, ob es von außen kommt oder durch den Stoffwechsel er- zeugt wird. Nur möchte ich die Meinung aussprechen, daß es in den Muskeln des Sinus, wie die Engelmann - Gaskelsche Theorie will, nicht angreift, denn die Ähnlichkeit des Herzens mit der Meduse läßt vermuten, daß auch beim Herzen der Reiz nicht vom Muskel auf die Nerven übergehen kann (vergleiche S. 108).

Bei den Medusen ist der normale Reiz zum Teil durch eine Publikation Uexkülls (1901) bekannt geworden. Uexküll fand, daß eine Rhizostoma, der er nur einen Randkörper gelassen hatte, die Kontraktionen für längere Zeit einstellte, wenn er den Randkörper verhinderte zu schlenkern, daß die Kontraktionen aber wieder be- gannen, wenn der Randkörper freigegeben und angestoßen wurde. Die Schwingungen, welche die Otolithen in den Randkörpern durch jede Bewegung erfahren, sind jedenfalls als reizendes Moment an- zusehen. Es handelt sich dabei aber nach meiner Meinung nicht um einen Momentanreiz und auch Uexküll scheint dieser Ansicht nicht zu sein sondern um ein länger dauerndes, wenn auch immer wieder erzeugtes Vibrieren. Beweismaterial dafür hoffe ich später einmal veröffentlichen zu können. Dies Vibrieren der Otolithen sive Stato- lithen ist aber sicherlich nieht der einzige Reiz, der auf die Rand- körper wirkt und rhythmische Bewegungen zu unterhalten imstande ist. Ich behalte mir vor, auch hierüber bei späterer Gelegenheit aus- führlicher zu berichten.

Die Ursachen der rhythmischen Bewegungen sind vermutlich in beiden Fällen Reize konstanter Natur oder können es wenigstens unter Umständen sein. Ich glaube, daß daher auch bei den Medusen und beim Herzen dem nichts im Wege steht, die rhythmischen Bewegungen

456 Die rhythmischen Bewegungen.

als Reflexe anzusehen, bei denen ein konstanter Reiz durch Summation zu rhythmischen Entladungen führt. Durch das Vorhandensein eines starken Refraktärstadiums wird das Entstehen rhythmischer Erfolge gefördert, vielleicht erst möglich gemacht. Da wir ein Refraktär- stadium als eine häufige Eigenschaft nervöser Zentralteile (resp. Fibrillen- gitter) kennen gelernt haben, so dürfen wir auch hier die refraktäre Periode auf das Konto der nervösen Elemente setzen!

Berichtigungen.

Seite 27, Figurenerklärung, Zeile 4: Statt „Atenne“ lies „Antenne“. 167, Zeile 16: Statt „1850“ lies „1858“; statt „1870“ lies „1876“. 22h. ie 3: Statt „.)“ lies’ „,“. Zeile 4: Statt :„.“ lies „).“ PEIDHAHLEN 3 und 4: Statt „Fig. 64“ lies „Fig. 67“.

PIE 2DE HS 2: Statt „vom Nerven“ lies „ron den Neurofibrillen“.

9, 270, 271 und 273: Statt „Grünhagen“ lies „Gruenhagen“.

,‚ Zeile 11: Statt „1901“ lies „1900“.

Figurenerklärung, Zeile 2: Statt „Daniel“ lies „Daniell“.

99, Zeile 13 von unten: Statt „Chronsäureelement“ lies „Chromsäureelement*“.

»„ 377 und 380: Statt „Sherington“ lies „Sherrington“.

418, Zeile 21: Statt „Langendorf“ lies „Langendorff“.

428, 13 von unten: Statt „Randkörger“ lies „Randkörper“.

A375, $: Statt „schließen“ lies „zuließen“.

sieh Frrss 4 von unten: Statt „Rande“ lies „Bande“.

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Mit Ausnahme der mit zwei Sternen (*) vor dem Titel versehenen Nummern haben alle hier aufgeführten Arbeiten im Original vorgelegen. Da die Separatabzüge von Arbeiten, die in Zeit- schriften publiziert sind, häufig fehlerhafte oder unvollständige Angaben über Bandzahl, Jahr- gang u. Ss. w. geben, so ist durch ein Sep. hinter der Literaturangabe kenntlich gemacht, falls die Arbeit nur in einem Separatabzug vorlag. Ein Stern (*) vor dem Titel bedeutet, daß die Literaturangabe nicht direkt vom Original (das früher einmal eingesehen wurde) abgeschrieben worden ist. p. bezieht sich auf die Seitenzahlen der angeführten Literaturnummer, S. auf die Seiten dieses Buches, wo die Arbeit zitiert ist.

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Sachregister.

Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.

Achsenfortsatz, Verjüngung am Ur- sprungskegel 60.

Achsauzylinder (Begriff) 5.

embryonale 244.

intrazentrale 64.

Unterschiede zwischen denen der peripheren Nerven und den zentral- verlaufenden 145.

Verhalten bei Kompression 260,

Wirbelloser 28.

Achsenzylinderhosen 62.

Achsenzylinderplasma 48.

Achsenzylinderursprungskegel 131.

Achsialstrangfasern 202, 205, 206.

Äquivalentbild der Ganglienzelle 129,

Äther 284, 287, 297. 1151.

Athermethode 146.

Affinität zwischen Fibrille und Fibrillen- säure 303, 310, 312, 320.

Aktinien, Nervensystem 21.

Aktionsstrom 310, 313, 315.

Alkohol (Erregbarkeitssteigerung) 359.

Alles oder Nichts-Gesetz 110, 411.

Ammoniak zur Leitungsunterbrechung 1772.

Anastomosen (Nerven-), Nachweis 190.

zwischen Neuriten. 65.

Anastomosieren der Kollateralen 9.

der Protoplasmafortsätze 9, 10.

Anelektrotonus 274.

Anfangszuckung 298, 317, 318.

Anfangsstörung bei Nervenreizung 316.

Anneliden, Nervensystem 22.

Anode 272, 278.

Antagonistenhemmung 377.

Antikinese (Definition) 2, 322.

Antiklise 322.

Aplysia 113, 368, 385, 407.

Apnoe 393.

Arion, physiologisches 119.

Arthropoden, Nervensystem 24.

Assimilation 253, 293.

Atropin 391.

Atemrhythmik 393.

Atemstillstand 377.

durch Cocain 401.

Atemzentrum 393.

Außengitter 39.

Ausstrichpräparate 136.

physiolog.

Auswachsen von Nerven 213.

Auswachsungstheorie 234.

Autogene Regeneration, siehe Regene- ration.

Automatische Bewegungen 325.

Axostromafärbung 137.

Bahnen, lange, Genese derselben 100.

schnellere Leitung ders. gegenüber den Nervennetzen 119.

ungefärbte der Ganglienzellen, ihre Beziehungen zum Fibrillenverlauf 59.

Bahnung 350, 353.

Bandfasern 186, 200.

Basische Farbstoffe 125, 133.

Bauchmark 23.

Bauchganglion 23.

Belegkörper (Belegungsformationen) 4.

Biddersche Ganglien 95.

Block 447.

Blockfasern 446.

Blutgefäße 111.

Careinus Maenas 328.

Centrosomen 149.

Chemische Reizung von Herz und Me- duse 419—422,

Chloralose 314.

Chromatolyse 150, 178.

Chromatophoren der Cephalopoden 392.

Cocainversuch (Atmung) 401.

Coelenteraten, Nervensystem der 20.

Cotylorhiza, anatomisches 86.

Central- u. s. w. unter Z.

Darmperistaltik 374.

Dämpfende Substanz 360, 362.

Dauererregung durch den konstanten Strom 275, 306.

Degeneration der Nerven 153.

Beschleunigung durch Reizung

chronische 176. 164.

physiologische und morphologische 158.

Schnelligkeit derselben 158, 190.

traumatische (entzündliche), paraly- tische (sekundäre) 167.

nicht erregbarer Nerven 198.

Dekrement 252.

Demarkationsstrom 311.

Dendriten (Begriff) 6.

31*

484

Dendriten (Entwicklung) 245. Dichroismus 340. Dissimilation 253, 293. Drüsen der Schnecken 120. Dynamogene Reize 382, 356. Dyspnoe 393.

Echinodermen, Nervensystem 21.

effektorisch 1.

Einpflanzen von Nervenstücken 216.

Elastische Fasern des Herzens 94.

Elektrotonus (Du Boisscher) 251, 273.

(physikalischer) 274.

(Pflügerscher) 272, 273, 302.

Elementargitter Apathys 18, 42.

Ellipsoide 157.

Entwicklung der Nervenelemente 233.

Ermüdung der Nerven 316, 318.

Erregbarkeitsherabsetzung 267, 269, 272.

Erregbarkeitssteigerung 258, 269, 272.

durch Gifte 355.

Erregung, Ausbreitung ders. proportio- nal der Reizstärke 116.

Erstickung des Nervengewebes 148.

Erstickungskrämpfe 362.

Extrasystole 423, 425, 427, 429.

Fasermasse, zentrale 41.

Faradische Reizung von Herz und Me- duse 413.

Färbbare Substanz der Ganglienzellen 197.432,

der Neurofibrillen, siehe: primäre Färbbarkeit.

Fibrillen, nervöse, siehe: Neurofibrillen.

Fibrillensäure, Eigenschaften derselben 143, 147.

Verhalten derselben 265, 268, 282, 285, 287, 293, 303, 362.

kein Dissimilationsprodukt 293, 296.

Fische, Atmung 394.

Füllungshypothese (Herz, Meduse) 432, 437.

Ganglientheorie des Herzens 450:

Ganglienzellen, Begriff 4, 5.

Formverhältnisse bei Wirbellosen 25.

der Herzspitze 91, 93.

Masse im Verhältnis zu der der fa- serigen Elemente 103.

Menge im Verhältnis zur Masse der Zwischensubstanz in der Hirnrinde 76.

Neurofibrillen derselben bei Wirbel- tieren 55.

bei Wirbellosen 38.

primäre Färbbarkeit 127.

Sachregister.

Ganglienzellen, retrograde Veränderun- - gen 176.

trophische Funktion Zentrum, trophisches.

zentrale Natur 326.

Ganglienzellgifte 356.

Ganglienzellhypothese 327, 328.

Gehirn der Wirbellosen 23.

Gehirnlipoide 358.

Geschlechtsakt 354.

Giftwirkung 325, 355.

auf Ganglienzellen 150.

Gitter, Definition derselben 38.

pericelluläre 61, 65, 69.

Gliascheide 28, 33. [67.

Golgische Methode, zur Kritik derselben

Golginetze 61, 65, 69; Beziehungen zu Nervenfasern 72; Beziehungen zu Fi- brillen 74. .

Grau, das 75. [317.

Gruenhagensches Phänomen 269, 271,

siehe unter

Hemmung 373.

Theorie 380.

Hemmungsfasern 380, 385.

Hemmungszentren 378.

Herz der Hühnerembryonen 434.

Nervennetze 90 u.f.

physiologisches 109, 408 u. f.

Reizleitung 432.

Ursachen der wegungen 452.

Herzganglien 423.

rhythmischen Be-

Herzmuskulatur, Trennung zwischen Vorhof und Kammer 92. Hinterstränge, Autoregeneration der-

selben 210. Hintere Wurzeln 364. Hühnerembryonen 237. Hypoglossus 227, 231.

Individualität der Neurofibrillen 17.

Indifferenzpunkt 272, 281, 309.

Inkrement 252.

Innendruck bei Aplysia 369.

Innengitter 39.

Interferenz 387.

Intrazentrale Hemmung 386.

Inversion der Kontraktionswelle beim Herzmuskel 415.

Ionen 290, 312, 391, 419.

Irreziprozität der Leitung von Nerv auf Muskel (neuer Beweis bei Medusen) 108.

der Zentralteile 325, 342.

Sachregister.

Kanälchen der Ganglienzellen 141.

Katelektrotonus 274.

Kathode 278, 298.

sekundäre Undurchgängigkeit 305.

Kernleitermodell 251.

Kernleitertheorie 251, 290, 321.

Kochsalzhemmung 376.

Kohlensäure, Wirkung auf Nerven 289,

Wirkung auf Medusen 421. [319.

Kollateralen 9, 30.

Kommissuren 23.

Kommissurelemente 28.

Kompensatorische Ruhe 424, 425.

Kompression der Nerven 52, 168, 256,

konduktil 1. [358.

Konkurrenzsubstanz 145, 352, 361, 362.

Konnektive 23.

Konstanter Strom 272. [417.

Wirkung auf Herz und Meduse

Kontinuität der Neurofibrillen 18, 45.

Kontinuitätsfrage 9.

Kontraktionswelle, Geschwindigkeit der- selben im Hundeherzen 438, in der Meduse 440.

Kontraktionswelle schwindigkeit 437.

Konvektion 292.

Koordination der Herzteile 447, 448.

Korbzellen 64.

Krampfgifte 360.

Kratzreflex 375.

Krebsschere 341, 385.

Laryngaeus superior 377.

Labyrinth 364.

Leitung, doppelsinnige 344.

Leitungsfähigkeit autoregenerierter Ner- ven 193.

Leitungsgeschwindigkeit im Herzen 436.

der Nerven 311, 321, 345, 438.

Leitungsverzögerung in den Zentral- teilen 345.

Lidschlußreflex 346, 407.

Lingualis 227.

Limax, physiologisches 119.

Lungenkollaps 398.

Malomnitril 152.

Markhaltige Nervenfasern 48.

Marklose Nervenfasern 49.

Markscheide 156, 201.

Mechanische Reizung von Herz und Meduse 415, 416.

Medusen (Alkoholwirkung) 359.

Beweise für die nervöse Leitung 107 u.f.

und Leitungsge-

Medusen, Hemmung 386.

Nervennetz 85.

Phpysiologisches 106, 339.

rhythmische Bewegungen 408 u. f.

Melken der Fibrillensäure 287.

Methylenblau 34, 127, 131, 133.

Milieu der Organe 361.

Mollusken, Nervensystem 25.

physiologische 113.

Motorische Elemente (,Neurone“) bei Wirbellosen 31.

Motorischer Impuls 380.

Motorische Zonen 378.

Muschelschließmuskel 385.

Muskeln, rhythmische Eigenschaften 390.

Muskelfelder und muskelfreie Felder von Rhizostoma 89.

Muskuläre Leitung im Herzen. Kritik der Beweise für dieselbe 433 u. f.

Muskarin 435, 443.

Nachschwankung, positive 253, 314,316.

Narcotica 268, 289, 297, 356, 357.

Narkose 309, 358.

Negative Schwankung 269, 313.

Nerv als anatomisch - physiologischer Begriff 2.

Nervendegeneration siehe Degeneration der Nerven.

Nervenfaser (Begriff) 5. (Ursprung) 7.

Nervenkompression 52, 168, 256, 359.

Nervenkörper 4.

Nervenleitung 248.

Nervennetze 9, 11.

bei Arthropoden 24, 81.

an Blutgefäßen 79. ISO.

Beziehungen zu markhaltigen Fasern

im Froschherz 90.

der Medusen 85.

bei Mollusken 25, 81.

im Darm von Pontobdella. fibrillen desselben 24, 84. plıysiologische 107, 109, 110, 111,120,

121, 324, 372, 433, 454. Nervenregeneration siehe Regeneration der Nerven. Nervenringe 199, 223. Nervenscheiden als Schutzorgane 355. Nervenstrom 311. Nervensystem wirbelloser Tiere 20. Nervenzelle (Köllikers) 4. Nervenzellen (im Gegensatz zu Gan- glienzellen) 238, 243, 245. Nervenzellenäquivalent 129. Nervös, Begriff desselben 2, 3.

Neuro-

486

Nervöse Fasern 4.

Neuralrohr 234.

Neuroblasten 234, 246.

Neurome 213.

Neuronentheorie 9, 12, 160, 187, 246, 326, 343.

Neurofibrillen 13, 33, 38, 255, 282.

autoregenerierter Nerven 195.

Degeneration 156.

in den Ganglienzellen Wirbelloser 38—40. von Wirbeltieren 55.

leitende Funktion 19, 51, 261.

Methoden sie primär zu färben 135,

motorische 18, 37. [146.

nackte 34.

primäre Färbbarkeit derselben, siehe unter Primäre Färbbarkeit.

rezeptorische (sensorische) 18, 37.

Neurofibrillengitter im Neuropil 42.

Lagebeziehungen. 97.

Neurokeratinhülle der Ganglienzellen 65.

Neuropil 8, 17, 41, 328, 329.

Neurosomen 66.

Neurotisation 212.

Neurotrope Farbstoffe 133.

Neurotropismus 232.

Neutralrot 131.

Netze, Definition derselben 38.

Nisslsäure, Eigenschaften derselben 144.

Oberschlundganglion 23. Öffnungstetanus 275, 308. Öffnungszuckung 307.

Opticus 229.

Ösophagus, physiologisches 121. Otolithen der Medusen 455.

Pedicellarien 21, 354.

Pelletierinsulphat 113, 369.

Perifibrillärsubstanz 15, 33, 48, 134, 261.

Unterbrechung an den Ranvierschen Einschnürungen 49.

Peristaltische Bewegungen (Mollusken)

Pigment der Ganglienzellen 150. [115.

Planarien, physiologisches 112.

Polarisationsbilder 278, 290.

Polarität der Nerven 218.

Primäre Färbbarkeit autoregenerierter Nerven 195, 197.

Begriff 125. Wesen 138.

- der Neurofibrillen 133, 244, 255, 265, 267. Schwinden derselben bei Degeneration 161. Veränderung

derselben durch Reizung 298. Primärfärbbare Substanz, Lösungsver- hältnisse derselben 139, 141.

Sachregister.

Primäre Reizung, Methode der 178. Primitivfibrillen siehe Neurofibrillen.

Protoplasmafortsätze, Anastomosieren

derselben 9. (Begriff) 5. bei Wirbellosen (?) 30. Endigungen 11. reizleitende Natur 61. Unterscheidung zwischen diesen und Achsenzylindern 68. Verzweigungsmodus 67. Protozoen, kernlose Teile 332. Pulsierende Luftblase 389. Purkinjesche Zellen 64. Pyramidenzellen 58.

Quakreflex 374, 380, 407. Querdurchströmung 306.

Radialnerven der Echinodermen 21.

Randkörper der Medusen 20.

als Stelle der geringsten Reiz- schwelle 455.

Verbindung mit dem Nerven- netz SS.

Ranviersche Einschnürungen 49.

Reaktionszeit 349.

Reflex, Definition desselben 2.

322.

diffuser 100.

ohne Ganglienzellen 226, 329.

Hemmung 374.

Reflexbogen 335.

Reflexlähmung 376.

Reflextonus 364, 366.

Reflexrepublik 338.

Reflexumkehr 335.

Reflexverkettung 338, 373.

Reflexzeit 346.

Refraktäre Phase (Periode, Stadium) 390, 403, 407, 423, A451, 456.

Regeneration der Nerven 182.

autogene 185, 189.

bei Erwachsenen 205.

Regenerationskraft 203.

Reizleitung im Herzen 432.

Reizsummation siehe Summation.

Respiration 393.

Restitutorische Phase im Nerven 317.

Retrograde Ganglienzellveränderungen

Reusssches Phänomen 283. 176.

Rezeptionsorgane 323, 324.

Rezeptionszellen 31, 40, 105.

Reziprozität der Herzkoordination 448.

Rhizostoma, anatomisches S6.

Rhythmische Bewegungen 388.

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Sachregister. 487

Sauerstoffbedürfnis der Zentralteile 362.

Schließungstetanus 275.

Schließungszuckung 307.

Schlundkommissur 23.

Schnecken, physiologische 118.

Schollen, Nisslsche 127.

Schwannsche Kerne 244.

Vermehrung derselben 200.

Seeigel (Hemmung) 385.

Nervensystem 21.

(Tonus) 372.

Selachier, Atmung 394.

Selbststeuerung der Atmung 398, 404.

Sensible Wurzeln, Autoregeneration ders. 209.

Sensorische Bündel 35.

Sensorishhe Schläuche 35.

Shok 377.

Siebplatten an den Ranvierschen Ein- schnürungen 50.

Sinneshaare 31.

Sinnesnervenzellen 31.

Sinus venosus als Stelle von geringster Reizschwelle 455.

Sphinkter 365.

Spinalganglien 330.

Exstirpation ders. 208.

Spinalganglienzellen 58.

Spindelzellen 200.

Spitzenbesatz der sätze 77.

Splanchnieusreizung 374.

Statolithen der Medusen 455.

Strangdegeneration 163.

Strychnin 152, 360.

Subumbrella der Medusen 85.

Summation der Reize 325, 350, 406, 456.

Sympathicus 231.

Synchronität; Störung ders. bei Herz und Meduse 427.

Protoplasmafort-

Tabelle der Hunde mit Autoregeneration der Nerven 191.

Tastscheiben im Entenschnabel 55.

Temperatureinfluß auf die Ermüdbar- keit der Nerven 316.

auf das Polarisationsbild 291.

Tetanusgift 152.

Theorie der Nervenleitung 301.

Tigroid 127.

Toluidinblau 134.

Tonus 325, 329, 363, 382.

Tonusfall (Aplysia) 369.

Tonuslabyrinth 365.

Tonusleitung 367.

Tonusmuskulatur 336, 340, 366.

Tonusschalter 339.

Tonussteigerung nach Fortnahme des Zentralnervensystems 113, 370.

Torpedo, Nervenfasern 50.

Zellen des Lobus eleetrieus 58.

Trigeminus 229.

Trophische Funktion der Ganglienzel- len u. s. w. siehe unter Zentrum, tro- phisches.

Tunikaten 25.

Ureter 111.

Vagus 231, 373, 377.

der Fische 399. Verästelte Fortsätze 5. Voltasche Alternative 308. Vorderhornzellen 57.

Wachstumskeulen 235.

Wallersches Gesetz 154, 177, 330.

Wärmestarre Nerven 266, 287.

Wasser, destilliertes, Wirkung auf Ner- ven 265.

Wasserstarre Muskeln 443.

Wirbellose Tiere, Nervensystem der- selben 20.

Wurzeln des Rückenmarks 342.

vordere, Veränderung ihrer Erreg- barkeit 381.

Würmer, Nervensystem 22.

physiologisches 111, 123.

Zellfunktion, Lehre der spezifischen 151.

Zellkettentheorie 236.

Zentralnervensystem, im anatomischen und physiologischen Sinne 23.

als einziger Reflexort bei höheren Thieren 123.

physiolog. Unterschiede zwischen diesem und den peripheren Nerven

Zentralteil 335. [325.

Zentrum (nutritorisches, trophisches) 154, 160, 163, 177, 181, 197, 212, 330.

Ziekzackversuch 433.

Zuckungsgesetz 274.

Zusammenheilung zentraler stümpfe 220.

-—— durcehschnittener Nerven 211, 215. Methoden dieselbe zu verhindern 189.

motorischer und sensibler Nerven- fasern 227.

peripherer Nervenstümpfe 224.

Nerven-

Tafelerklärung.

Figuren I—III stellen Vorderhornzellen vom Ochsen dar, welche Ausstrich- präparaten entnommen sind. Alle drei Präparate wurden gleichzeitig und in gleicher Weise mit Alkohol fixiert, in Xylol gebracht und nach einiger Zeit wieder in Alkohol übertragen. Von hier an wurden sie verschieden behandelt:

I. wurde direkt mit Toluidinblau gefärbt, mit Wasser gewaschen und mit Ammoniummolybdat fixiert. Es wurde eine Zelle zum Zeichnen ausgewählt, welche wenig Nisslschollen enthält. Man sieht zwischen diesen die „ungefärbten Bahnen“ in einem rötlichen Ton gefärbt. An vielen Stellen ist eine deutliche fibrilläre Streifung vorhanden.

II. Das Präparat wurde aus reinem Alkohol für 24 Stunden in eine Mischung von fünf Teilen Alkohol und einen Teil verdünnter Salzsäure gebracht und dann wie I gefärbt und fixiert. Die primäre Färbung der Fibrillen fehlt; es sind nur noch die NissIschollen und die Kerne gefärbt. (Genau der gleiche Endeffekt d.h. dasselbe Bild wäre erzielt worden, wenn man ein wie I behandeltes Pan ohne zu fixieren in Alkohol übertragen hätte.)

Il. Das Präparat wurde aus dem Alkohol für 24 Stunden in eine Mischiane von fünf Teilen destillierten Wassers und einem Teil Salzsäure gebracht und an wie I und II gefärbt und fixiert. Die Färbung der Nisslschollen fehlt, der Kern zeigt färberische Veränderungen, aber die primäre Färbung der Neurofibrillen ist überall erhalten.

(Die drei Figuren sind bei Ölimmersion aus freier Hand gezeichnet. Sie geben keinen optischen Durchschnitt wieder, sondern das, was man bei ver- schiedenen Einstellungen sehen konnte. Infolgedessen habe ich auch die über die Zellen fortlaufenden Nervenfasern nicht an der Zellperipherie abbrechen lassen.)

IV und V stellen je einen Teil des Rückenmarksquerschnitts eines Kaninchens dar. Das Tier wurde zu Tode ätherisiert. Das Rückenmarksstück, von dem der Schnitt IV stammt, wurde mit Äther entwässert, eingebettet und geschnitten. Das Stück, von dem der Schnitt V stammt, wurde mit Alkohol fixiert u. s. w. Schnitte beider Stücke enden auf denselben Objektträger gebracht und zusammen mit Toluidinblau gefärbt, gewaschen und fixiert. Der Unterschied in der Be- handlung besteht also nur darin, daß IV nicht in Alkohol gewesen ist. (Läßt man einen Schnitt von dem Ätherblock vor dem Färben in Alkohol, so erhält man ein Bild wie V. Bringt man einen Objektträger mit Schnitten von IV und V nach dem Färben ohne zu fixieren im Alkohol, so bekommt man in beiden Schnittsorten ein reines Nisslbild.)

Vergleiche im Text S. 141 und 147.

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Tafel I.

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Fig. 71. Photogramme von vier Stellen im Verlauf des Schnittes Fig. 70 7. Vergrößerung 300 mal. Bei allen vier Aufnahmen wurde gleichlange bei gleicher Lichtquelle (Auerbrenner) exponiert (1 Min. 45 Sek.). Die Platten sind genau gleichlange (3 Min. 50 Sek.) mit jedesmal der gleichen Menge frisch bereiteten Entwicklers entwickelt. 4 normale extrapolare Nervenstelle. Achsen- zylinder von mittlerer Dunkelheit. Die dünnen, helleren Streifen zwischen denselben sind die schwach gefärbten Hüllen der Markscheiden; stellenweise erkennt man auch das Neurokeratingerüst. Die dunkleren Flecke sind die Kerne. B Stelle aus der Kathode. Achsenzylinder dieker und viel dunkler als in 4. Der Untergrund infolge der darunter und darüber liegenden Fasern dunkler als in 4. (Stelle aus der intrapolaren Strecke, zwischen Indifferenzpunkt und Anode. Die meisten Achsenzylinder ganz ungefärbt, rechts ein ziemlich normalgefärbter, in der Mitte einige ganz blasse. D Stelle aus der Anodengegend, etwas nach innen von der Auflagestelle auf der Elektrode. Alle Achsenzylinder ungefärbt und nur noch die Kerne und die Hüllen zu sehen.

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GL Bethe, Albrecht Th

925 Julius

B47 AllZeine Anatomie und Phy- siologie des nervensystens

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