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Allgemeine

Gefchichte des Romans,

von befien Urfprung bis zur neueften Zeit.

Man muß wiffen, wo man fieht und wohin bie Anberen wollen. u Boetbe.

Bon

D. 2.8. Wolff.

Bweite vermehrte Ausgabe,

m DD 5 ED. Senna,

Druck und Verlag von Friedrih Mauke.

1850.

ut 943.41,3

1 ia 2 . j Dszare ri WM

Vorwort

zur erſten Ausgabe. Fr

Micfe Arbeit ift ein Verfuch, einer einzelnen be- deutenden Erfcheinung auf dem Gebiete der Pite- ratur in ihrer ganzen Entwicelung, von ihrem Urfprunge an bis zue Gegenwart zu folgen und die Einwirfung des Lebens auf diefelbe, fo wie ihren Zufammenhang mit diefem und deren Wech- felwirfung nachzumeifen, den Anforderungen un- ferer Zeit gemäß. So wünfcht es der Verfaffer betrachtet zu fehen : alles Uebrige, was noch fonft darüber zu bemerken feyn möchte, findet fich im Werke ſelbſt ausgefprochen, Daß es die Frucht anhaltender und langer Studien und gereifter Erfahrung fei, braucht Lefern, welche Kenntniß

IV

mit Wohlwollen verbinden, nicht angedeutet zu werden, Andere werden vielleicht das Zuviel,

vielleicht das Zumwenig daran tadeln wollen. Die:

fen hat der Unterzeichnete Nichts zu entgegnen, als daßer es zue Hauptaufgabe feiner Studien

und feines Lebens gemacht hat, die Werke der

Poefie, als des fchönften Ausdruckes des Goͤtt⸗ * tichen im Menfchen, ein vechtmäßiges Eigen— thum Aller, Allen fo zugänglich wie möglich zu machen. In diefem Sinne glaubt er vollfommen im Recht zu feyn, "wenn er den hier gewählten Gegenftand fo und nicht anders behandelte,

Jena, am 9. Januar 1841. | W.

VSaubalt.

J. Aügemeine Betrachtungen über bad Weſen und ben Begriff des Romans, ben Urfprung feines Ramems, die kuͤnſtliche und natärliche Eintheilung deſſelben, fo wie über bie Erzählung und Novelle . . . &. 121.

I, Veberblick der Gefchichte des Romans feit ben ältee ſten Zeiten bis zum Schluffe des fiebenzehnten Jahr⸗ hunderts. ............. ...S. 21 240.

30 find die erſten Romane zu finden. &.22.— Hiob. 6,233. Romanfamilien zeigen fich erft im vierten Jahrhundert, &, 23, Einzelne Borläufer. Klear⸗ chos, Ariftides, Parthenius von Ricäg, Antonius Dige genes, Jamblichus. S. 24— 26, Der erſte volle fländige griechifche Roman, Theagenes and Charikleia von Heliodor. S. 26. Inhalt biefes Romans, S. 26-90. Bemerkungen über beffen Werth und Geltung. S. 80-33, Klitophon und Leukippe von Achilles Zatius, S. 3384. Longus Hirtens roman. S. 85, Inhaltsangabe, S. 85— 88. Bes teachtungen über biefes Buch, &.38. Uebergang des griechifchen Romans von attifcher Lebensauffaflung zu chriſtlich myſtiſcher Anfhauung. Spätere Romane, Ue⸗ berficht der Leiftungen ber Giriechen auf biefem Gebiete, S. 39 42, Romane der Römer. S. 42, Pe tronius Satyricom S. 43, Apulejus goldener Efel, S. 44 47. Paufe in der Geſchichte bes Romans.

VIII

Einwirkung der Voͤlkerwanderung. Vorherrſchaft chriſtlicher Lebensanſchauung. S. 48 50. Das romantiſche Epos. S. 51. Eintheilung deſſelben in ſechs Klaſſen. S. 52. Die geiſtlichen romantiſchen Epopoͤen. ©. 52, Die nationalen Stoffe, a) norman⸗ nifche Romane, ©, 53—55. b) bretonifche Romane. S. 56—59, Inhalt des Perceval. ©, 60—63, Bemerkungen Über diefes Gebicht. ©, 64.. Nationale fräntifhe Stoffe, ©. 65— 66. Romane, welche bie Kämpfe zwifchen dem Monarchen und feinen Vafallen behandeln, ©, 69. Romane, in denen die Kämpfe füs das Ehriſtenthum gefchildert werben. S. 69. Ine halt von Ogier le Danois. ©, 71—75, Antike Stoffe. ©,.75. Contes et Fabliaux. ©. 7—B81. Romane du Renart. ©, 81 84. Allegorifche Ros

mane. &, 34-86; Roman de la Rose. 8,8689.

Profaifche Ritterromane. S. 91. Die Amadisro⸗ mene. ©, 92, Snbalt des Amadis von Gallien, S. 33— 95. Allgemeine Verbreitung der Nitterro: mane. S. 97. Die Novellen des Mittelalterd. S. 99, Boccaccio’d Decameron. S. 100, Andere Novellieri. ©. 103, Franzdfifche Novellen. S. 109—106. Spas nifhe Novellen. ©. 107. Die GSchelmenromune, Räzarillo de Tormes. ©, 108— 111. Andere Schel: menromane der Spanter. S. 111. Franzoͤſiſche Schel⸗ minsvinane. Scarron's Roman comique ©, 112 bis 114, Cervantes Don Quijote. S. 115—118, Andere Romane bes Cervantes. S. 118— 119, Ras belais und deffen Romane. S. 119 123, Geine Nachahmer. ©, 13 124. Die Schäferromane. ©. 1235. Sannazar’s Arcadia, S. 126—128, Mon: temayor’8 Diana. S. 128—131. Deren Fortſetzun⸗ gen. ©.132. Bemerkungen über die Diana. S. 183, d'urfée's Astree. ©. 134—146, Sidney's Arcadia. S. 147 149, Allgemeine Betrachtungen über bie Schaͤferromane. S. 149— 151. Uebergeng zu ben politifch = galanten Romanen, S. 153—154, Gombers villes Polixandre. ©, 154 156. Calprenéde's Ro⸗

a

mane. S. 157-168. Die Romane bes Fraͤuleins von Scubery. S. 162-172. Romane ber Deutfchen, Allgemeine daräber. S. 172-1785. Gimplicius Simpliciſſimus. S. 178—189, Andere Bagabuyunden: romane der Deutſchen. S. 189-192. Der im Irr⸗ orten ber Liebe herumtaumelnde Cavalier. S, 192 bis 199, Politiſch⸗galante Romane der Deutſchen. © 19 20% Buchholz Romane. ©. 208 206, Romane Anton Urich's von Braunſchweig. S. 07 bie 208, Lohenftein’s Arminius. ©. 09-217. Ans dere politifch : galante Romane ber Deutſchen. ©. 218 bis 221, Politiſch⸗galante Romane ber Englaͤn⸗ ver. ©, 221. Bllie's Euphurs. S. 222-226, Als gemeines. S. 227.— Daniel be Foe's Robinfon Grus fr. S. 23 234. Die deutfhen Robinſonaden. ©. 2335— 237, Die Infel Felſenburg. S. 238. Nachwirkung ber Robinfonaden. &.242, Die Mär chenromane. &. 244 249.

ML. Die Familienromane bis zum achtzehnten Jahr⸗ hunde. 0200 er ee er 0 0 6 S. 30 —411.

Einleitenbes über geiftige und ſittliche Berbältniffe bes adjtzehnten Jahrhunderts. S. 350-251. Uebergang zu den Familienromanen. ©. 252, Le Sage und deffen Romane. S. 25% 263, Richardſon und deffen Roman. S. 268-2735. Marivaurz; fein Steben, Vie de Marianne, le paysan parvenu. 6, 73-2382. Prevoft und feine Romane. ©. 283 bis 289. Fielbing und deſſen Werke. &. 290 296, Smollet und feine Romane, S. 296 308. Sterne, . 8. 804, Der Humor im Roman. ©. 306 808, Triſtram Shandy. S. 809 312% Der fentimentale Roman, S. 312 314. Rachahmer Sichardfon’s in Deutfchland ; Gellert, von Loen, Mufäus, Chriftian Opitz, Duſch, Hermes. S. 814-816. Sophiens Reife. 6, 817-818, Schummel, Wetzel, 3. G. Müller. ©, 319 320, Sociale Buftände in Frankreich und ihr Abdruck im Roman. S. 320 824. Die franzöfl:

ſchen frivolen und lasciven Romane im Allgemeinen, ©. 324 329, Vetſaſſer derſelben. &, 880-831. de Sade. S. 383. Croͤblilon der. Jüngere, S. 337 bis 339, MRetif de la Bretonne. S. 30-348, Die derot. &, 329-851. Ghoberlos be Laclas. S. 851 bis 354. Lonvet be Souvray. &. 355--860, Mine der bedeutende frivole Romane. S. 361. Gpättre englifhe Familienromane. &. 362. Gumberland. S. 363. Johnſtone. S. 864. Mackenzie. S. 866. Rouffau's nouvello Heloise, ©, 869. Bernardin be Saints Pierre, S. 37%, m Vorherrſchen der Senti⸗ mentalität in Deutfhland. ©. 3875 877. Goethes Werther, S. 377 381, Biegwart. &, 881 885, ugs Foscolo. S. 888 388. Walerie von Frau von Krüdener. S. 388, Godwin's Romane. &. 891 bie 399, Andere englifhe Romane von weiblichen Autoren. ©. 39801. Franzoͤſiſche und italienifche Romane. S. 401. Holländifche Romane. &. 402--404, Deutfhe Romane, von Sintenis. ©, 404. Jungs Stilling. &,805. 3. H. Jacobi, S. 406. F. Nicolat, S. 407. Moritz. S. 408. Galliſch, H. Unger, 3. G. Muͤller, von Knigge, Langbein, Engel, Starcke, Dem⸗ me, ©, Ludwig, Kotzebue. S. 409 411.

IV. Die übrigen Gattungen des Romans im achtzehn: ten Jahrhunderte. oe 10 0 10 —0004 ©, 412 460.

Allgemeines. Ruͤckkehr zum romantifchen Romane in England. &. 41%. Horaz Walpole's Castle of Otranto, ©. 413. Miß Reeve's Old English Ba- ron. ©. 416. Die Romane ber Miftreß Radcliffe. S. 416 422, Lewid Monk. ©, 4232, Mathurins Familie Montorio. S. 425. Verirrungen in biefer Gattung. ©. 427, Marmontel’d Romane. ©. 429. Florian's Romane. ©. 481. Die Ritterromane Treſ⸗ fan’d und de Mayer’s, ©. 433. Wieland's Romane. S. 434 488, Klinger's Romane, ©. 339 442. Heinſe's Romane. S. 443 445, Humoriſtiſche Ro . mane Hippel's und Sean Paul's. S. 446—450. Die

x

Btitterromane der Naubert. ©. 453. Gchlenkert's. S. 458. Waͤchter's. 8,454, Die Ritters, Geſpenſter⸗ und Kaͤuberromane von Spieß, Wenkowig, Gramer, Zſchokke, Bulpfus. ©. 154 458. Romane von Als bredht, Große, Baczko, Meißner, Feßler u. ſ. w. Ges legentliche Bemerkungen über ben revolutionairen Geiſt in denſelben. S. 459 460,

V. Dee Roman In ben vier erſten Decennien bes neun» sehnten Jahrhunderts. o ..........—. ©. 461 69.

1, Franzoͤſiſche Beſtrebungen in Folge ber Revolution. ©. 41 495,

Einleitendes über literaͤriſche, fociale und politifche Bers bältniffe bei den einzelnen Nationen Guropa’s zu Ende bes achtzehnten Jahrhunderts. S. 461— 465. Zus fände der franzoͤſiſchen Emigranten. Drgane der verfhliebenen Parteien. G. 465 466. Frau von Stasi. S. 466. Delphine. &. 467—470. Co- rinne. ©, 470472, Adolpho von Benjamin Sonftant &. 478. rau von Genlis und ihre Remane. ©. 474 - 482. Chateaubriand's Romane, G. 433 498,

2, Die Romane der romantiſchen Schule in Deutſchland.

©, 498 um 5, Einleitendes. S. 494 —499. Ludwig Lied’ erſte Ror mane. S. 500 - 508. F. von Schlegel's Lucinde. S. 508 512. Novalis Heinrich von Ofterbin⸗ gen. S. 512 518. von Arnim's Gräfin Dolores. S. 513. Deſſen Kronenwoͤchter und Iſabelle von Aegypten. &.515—516. Brentano's Godwi. &, 516. von Eichendorff's Romane. S. 518. de la Motte Zouqud’s Romane. S. 521 —533, Hoffmann’s Ro⸗ mane. &, 523525. Ueberblick. S. 526,

8, Die hiftorifchen Romane der neueften Zeit. S. 526 601. Einäitendes. &. 5%. Fruͤhere biftorifche Ro⸗ man. &, 523. Walter Scott und beflen Ros

IV

mit Wohlwollen verbinden, nicht angedeutet zu werden, Andere werden vielleicht das Zuviel, vielleicht das Zumenig daran tadeln wollen. Die- fen hat der Unterzeichnete Nichts zu entgegnen, als daß er es zur Hauptaufgabe feiner Studien und feines Lebens gemacht hat, die Werke der Poeſie, als des fchönften Ausdruckes des Gött- lichen im Menfchen, ein vechtmäßiges Eigen: thum Aller, Allen fo zugänglich wie möglich zu machen. In diefem Sinne glaubt er vollfommen im Recht zu feyn, wenn er den hier gewählten Gegenftand fo und nicht anders behandelte.

Jena, am 9. Januar 1841. | W.

S8Subalt.

J. Allgemeine Betrachtungen über bad Weſen unb ben Begriff des Romans, den Urfprung feines Ranene, die kuͤnſtliche und natürliche Eintheilung beffelben, fo wie über die Erzählung und Novelle, » . . &. 1-21.

II, Ueberblick der Geſchichte des Romans feit den Altee fen Zeiten bis zum Schluffe des fiebenzehnten Jahr⸗ hunderts. ............... .S. 21 240.

Wo find die erſten Romane zu ſinden. S. 22. Hiob. ©, 28. Romanfamilien zeigen ſich erſt im vierten Jahrhundert, &, 23, Einzelne Vorläufer, Klear⸗ 508, Ariftides, Parthenius von Nicäg, Antonius Dige genes, Zamblihus, & 24 26. Der erſte voll⸗ ſtaͤndige griechiſche Roman, Theagenes und Charikleia von Heliodor. S. 26. Inhalt dieſes Romans, S. 25-890. Bemerkungen über deſſen Werth und Gdtung. S. 30 33. Klitophon und Leulippe von Achilles Tatius. ©. 3334. Longus Hirten« roman, ©. 85, Inhaltsangabe, S. 85—58, Be⸗ trachtungen über biefes Buch, S. 38. Uebergang des griechiſchen Romans von attifher Lebensauffoflung zu chriſtlich myſtiſcher Anfchauung. Spätere Romane, Ue⸗ berficht der Leiftungen der Griechen auf biefem Gebiete, S. 39 42. Romane ber Römer. S. 424 Pe tronius Satyricom S. 48, Apuleius golbener Efel. S. 44—47. Pauſe in der Geſchichte bes Roman.

EV

Clauren, ©. 677 - 679. Die Ehebruche⸗ und Entſa⸗ gungsromane, S. 679. Goethe's Wahlverwandt⸗ ſchaften. ©. 680 681. Die deutſchen Romanſchrift⸗ ſtellerinnen, ©. 682— 685 ; Gräfin Hahn⸗Hahn, Frau von Wolzogen, Caroline Pichler, Johanna Schopen⸗ bauer, Fanny Zarnow, Caroline. von Woltmann, Henriette Hanke, Zriederife Lohmann, Sophie von Knorring, Amalie Winter, ©. 685 686; dibactifche Romane, S. 686 687; Tieck's Novellen, S. 688. Smmermann’s Romane, ©. 689-— 6905 Sternberg's Romane, ©. 690—691. Die Partei ber Bewer gung, S. 691, Romane von Guglow, Laube, Munbt, Willkomm, Wiefe, Emerentius Scäyola, Zranz Dins gelſtedt, S. 692 -- 694,

VI. Der Roman feit 1840... . . ©, 695— 728. Stillftand auf dem Gebiete des Romans, &,695,— Der franzöfiihe Sittenroman, ©. 697.— Kugene Sue: Geheimniffe von Paris; der ewige Jude; die Kinder der Riebe, S. 798— 712. Alerander Du: mas: der Graf von Montedhrifto, S. 718. Bal: jac, S. 715. Georges Sand, 715.— Jules Sandeau, S. 716. Paul Feval, de Foubras u. a. Romandichter der neueften Zeit, ©. 717. Reybaud's Seröme Paturot, S. 718.— Der Roman in England, ©. 719. Bulwer's Eucretia, 8.719. Dickens, ©. 720. Ainsworth, S. 720. Thackeray, ©, 720, deIſraeli, ©, 721. Bewer, ©, 721, Lover, S. 721.— Der Roman in Deutfchland : Auer: bachs Dorfgefhihten, ©. 722. Gräfin Hahn⸗ Dahn, S. 724. Fanny Lewald, S. 724, Neu: preußifhe Romane, S. 726. Der Roman bei den andern gebildeten Nationen der Gegenwart, ©. 727.— Das demokratifdhe Princip im Romane, ©. 727, Sealsfield, ©. 728.

[7

Allgemeine Betrachtungen über Das Wefen

und Den Begriff Des Romans, den Urſprung

feines Namens, die künſtliche und natürs

liche Cintheilung deſſelben, fo wie über die Erzählung und Die Novelle.

Fler Roman ift der nächte Blutsverwandte bes Epos. Wie jeder Iegitime Sohn hat er im Laufe der Beit deſſen Eigenthum und Rechte geerbt. Seit« den wir angefangen haben, Die Helden näher zu bes trachten, haben die Heldengedichte ihr Anſehen ver- loren; Daran find vorzüglich Die Beitungen Schuld, die uns jeden Heros kleinlich und in feinen Einzeln» heiten vorführen, nicht maſſenhaft und gigantifch, wie Die Sage und die ältere Gefchichte. Es bleibt der Phantaftle nun nicht mehr überlaffen, die bes fonderen großartigen Momente durch gefchidt und geiſtreich erfundene Motive und Hebergänge zu ei» nem Ganzen, am Xiebften, wenn es fich nicht anders macht, durch übernatürliche Hülfe zu verbinden. Das durch geht das poetifche Intereſſe verloren; ber

4 | |

Stoff wird der Gefchichtfchreibung überwieſen und die epifche Dichtkunft ift im Weiche des Genius ein in den Ruheſtand verfegter Beamter geworben. Aber das Leben will fein Recht haben; es will die einzelnen großartigen Erfcheinungen in Die rechte Stellung mit fich verfegen, und, wenn es nur irgenb geht, dem Alltage affimiliten. Auch die geringften in dee Weltordnung auftauchenden Ereigniſſe find ei nem Steine zu vergleichen, der in einen großen See geworfen wird; er trübt das Wafler nur unmerflich, aber die Ringe, die fein Fall in der Fluth bildet, behnen ſich allmählig in immer weiteren Kreifen über die Fläche aus und berühren zulegt Die fernften Ufer; denn Nichts ift überflüffig oder unnäg im Leben, fondern Alles im innigften Bufammenhange mit dem⸗ felben; fo will e8 das göttliche Gefe der ewig fort fohreitenden Einheit. Diefen Bufammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen, die Wirkung, die er auf Dafielbe ausübt, den Eindruck, den er von ihm em⸗ yfängt, zu betrachten und zu beobachten bleibt bie edelfte Aufgabe für den denkenden Geifl. In der Wirklichkeit fällt fie zuerft dee Gefchichte anheim; wo aber Diefe nicht ausreicht, und der Menfch ob ber Wichtigkeit des Stoffes doch die Rothwendig- Veit fühlt, das Fehlende zu ergänzen, das Gegebene fortzubilden, um e8 fich als guten, verhtmäßigen, uns verlierbaren Befi aneignen zu können, Ba tritt Die Poeſie ein und fchafft den Roman, wirklicher Lebens⸗ fragen mögliche ober möglicher Fragen nothivendige Löfung in naturgemäßen Geftaltungen und durch fie

Ne Vermittelung des Ginzelnen mit der Welt ver⸗ finnlichend.

Ehe wir zur weiteren Entwidelung bes Weſens übergehen, möge Einiges über den Namen vorausges jandt werden. Er gehbrt dem Mittelalter und if, wie fo viele Benennungen in der Welt, zufällig ent⸗ Banden, wahrſcheinlich auf folgende Weife, wenig⸗ ſtenß läßt ſich Hiftorifch nichts Beſtimmteres barü« ber ermitteln. Die Politik der Römer zwang be⸗ kanntlich die von ihnen beſiegten Nationen, die roͤ⸗ miſche Sprache anzunehmen, aber ein Volk giebt ſo leiht ſein von den Vätern überkommenes Idiom nicht auf und behält es wenigſtens im Familienver⸗ kehr und in den andern häuslichen Berhältniffen fo lange wie möglich; mit heimlicher Yreube über den heinlichen Zrog gegen ben Unterbrüder, bei. Alle miblig aber dringt Die (falfche ober wahre) Civiliſa⸗ tion, die immer vom Sieger ausgeht, überall ein und vermifcht, wo fie nicht verbrängen kann. Dies geſchah auch bei den weftlichen, son den Römern un. tetiochten Nationen Europa’s und bie daraus entftes hende gemifchte Sprache ward zum Unterfchiede vom Lateiniſchen das Romaniſche genannt *), was hier,

9 Spaniſch romance, daher noch jetzt en buen romance; hablar romance, fo viel, wie bei uns: auf gut deutſch; deutſch reden, nämlich derb und verſtänd⸗ I, Franzoͤſiſch roman, romant, roumant. Das Ro⸗ MM wurde ſehr fireng von dem Lateiniſchen unterſchie⸗ den und als eine eigene, auch in der Schule zu erler⸗

1 *

4

fo. viel, wie Die Sprache des Volkes bedeutete. In Frankreich wurde fie aus einer Verſchmelzung des Galliſchen und des Lateinifchen gebildet, Doch dieſe Verſchmelzung ward bald Die Sprache der Höfe im . Gegenfet zu Juſtiz und Geiftlichfeit, die fich Des La⸗

teinifehen unabweislich bedienten. Jener Jargon aber verbreitete ſich überall bin, zugleich mit franzöſiſcher

Sitte, deren Erbtheil es einmal zu ſeyn fcheint, ihr

nende Sprade und Wiſſenſchaft betrachtet. So heißt es 3.8. im Garin le Loherain (publie par P. Paris.

T.1 ©. 179:

Li Loherens fut ä escole mis Com il ’estoit jouvenciaus et meschins Bien savoit lire et roman et latin.

©. ferner bei Roquefort: Glossaire de la langue romane II. 492 den aus einer Überfegung der Pſalmen

mitgetheilten Auszug über die Kunft, aus dem Lateini⸗

fen in das Romaniſche zw überfegen, wo es ausdrüch⸗ lich Heißt: Aucıme fois li Latin wairde ces figure de graimaire ses caliteis, ses personnes, ses nombres, | ses declineson, genre, et cause que en Romant nm

ne puet proprement wardeir pour les varietait des linguaige et lou deffault dentendement de maint et

plusöur qui plus forment lour voix et lour mos à plai-

Sir que ä veriteit; «et pourtant est 1 langue Romance si eofrumpue, qu'a poine trueve-on aus jeurdieu poe de persomme qui saiche Romans ne Fransois escrire samblaument, ne wairdeir samblaument, » orthogräphie,

ne composicion des lettres.

Seepter über die ganze Welt zu ſtrecken *). is nun an den Höfen es Mode wurde, fich mit geifti- gen, namentlich poetifchen Dingen zu unterhalten, da bedienten fich die Diener und Träger biefer geiſtigen Richtung allein jener gemifchten Sprache, und Alles,

*) Sp rühmt fon Adendes le Rei, Xrouvere des dreizehnten Jahrhunderts in feinem Roman. von bes Bertha mit den großen Süßen, Daß alle großen Herren, Grafen und Marquis im tentonifhen Lande (ens el Tyois pais, worunter bier Ungarn verftanden ift) fran- zöfffhe Dienerfchaft um ſich hatten, damit ihre Söhne und Töchter Franzöfih von ihnen Iernten, und, führt er fort (S. Roman de. Berthe publi6 par P. Paris V. S. 10): 2

Li reis et la reyne et Berte o le oler vis

Sorent pr&s d’aussi bien le francois de Puris Com se il fussent nes el bour à Saint Denis.

In England wurde das Romanifche durch Wilhelm den Eroberer eingeführt, und bier bald nicht bloß bie Sprache des Hofes, fondern aller Gebilveten. (S. Me- moires de l’Academie’ des Inscriptions T. XVH p. 718 füde.) Matthäus Parifins erzählt foger, daß Wliten, Biſchof von Woreeſter als. ein Unwiſſender betrachtet und für unfähig gehalten wurde, im Rathe des Wil⸗ liam Rufus zu. figen, weil ex Kein Franzoͤſiſch, med damals gleichbedrutend mit Romanijch "war, koante. (Quasi home idiota, qui, Iinguam gallicanam non no- ‘verat. Cf. Matt. .Paris. add. ad. onn.. 1096. Hallam I 8. 37. $. 52.) 3.5

was an den Höfen erzählend vorgetragen wurde, hieß „ein Romanifches,‘ oder ein Roman, gleichviel, in welcher Form es erfchien. Roman bedeutet Das her urſprünglich eine Gefchichtserzählung *), gleiche viel, ob wahr, oder erdichtet, oder Beides zugleich, dann fpäter, als ſich Formen und Begriffe mehr trennten, eine erdichtete größere Erzählung zum Un⸗ terfchiede von der Eleineren, dem Conte oder Fa⸗

blian. Diefer Name ift dann jener Gattung eis

gen bis auf die neueften Beiten geblieben.

Kehren wir zum Weſen bes Romans zurück.

Die abfichtliche Löſung jener Aufgabe, das Fünftleri- ſche Bewußtfeyn derfelben, wichtige Zebensfragen zu

entwickeln und zu beantworten durch soncrete Dar

ftellung des Vorhandenen oder als vorhanden Mög

lichen und Denkbaren trat erft fpät in Die Gefchichte des Romans und bildet einen eigenen Hauptab⸗

ſchnitt derſelben. Wann das gefchah,' davon wird

nachher Gelegenheit feyn, zu reden. Die Nothwen⸗ Digfeit einer folchen Aufgabe war aber ſtets vom

*) Sn biefem Sinne gebraucht felbft noch Bran⸗ töme das Wort, indem er im Leben bes Gonſalvo von @ordova von dem Roman de Bayard fpridht und da nit Die Kebensgefchichte des befannten franzöfifhen Hel⸗ den meint. Das ältefte franzöſiſche romantifche Epos, das den Kamen roman führt, ift der 1155 von Robert Woce, emem Trouvoͤre von ber Infel Jerſey verfaßts Roman du Brut.

Noman unzerteennbar, wie fie e8 von jebem Werke ber Kunſt ik, denn jedes Kunſtwerk hat, gleich dem Men fen, Körper und Seele. Jener, die Form der äu- Beren Erfcheinung, biefe die tiefere geiftige Bedeutung berfelben ; nur Jiegt ber Unterfchieb darin, daß ein ano . beres Kunſtwerk bloß um ber Schönheit der Form wil⸗ len gefchaffen werben Fann, dee Roman aber nie, weil er das Leben Darftellen foll, dem erft bie in der Beit herrſchende Idee bie aͤußere Geftaltung beftimmt und bildet. Dadurch ift er allerdings feiner Natur nad wie einige Wefthetifer von ihm behanpten, allego- riſch *), nie aber abfichtlid nur Allegorie, weil dies fein Weſen zerftören würde, ba bie barzuftellende Wirflichfeit des Lebens nicht Die künſtliche Durch⸗ führung ber Allegorie, eben um ber Wahrheit wil« Ien, geftstten kann. Wer das Leben als eine Alles gorie behandelt, wird e8 nie weit darin bringen und nie zur rechten Erkenntniß kommen, denn er vernich⸗ tet fi alle Freude am Dafein und trübt fih ben Genuß; wer ihm aber Dagegen bie allegorifche Seite abzugewinnen weiß, Die fich dem denkenden Geifte fo taufendfältig offenbart, im Kleinften wie im Größ⸗ ten, wird in berfelben Beit boppelt leben und gewin⸗ nen *—). Dafielbe ift mit dem Romane der Fall; ala Abbild des Lebens will er eben fo aufgefaßt und

+) &. Grundzüge aefthetifher Borlefungen von H. Luden. Göttingen 1808. ©. 115.

+4) Vrgl. Sean Paul, Vorſchule der Aeſthetik. 11, 133 und ferner. .

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Roman eine folche Gattung auch allein bilden. Das ift denn auch öfter gefchehen; außer dem Eomifchen, dem humoriftifhen Romane haben wir Deutfchen z. B. auch galante, was ganz unfchuldig nur elegante Ro⸗ mane heißen follte, ja fogar in Brentano's Godwi einen vom Autor ausbrücklich fo Flaffificirten vers wilderten Roman aufzuweifen, eben fo wie Die Franzofen früherer Tage uns in ihrer Xiteratur ko⸗ mifche, galante, ja felbit bürgerliche Romane vor⸗ zeigen Fönnen.

Derfelbe Hebelftand fand mit einer dritten Eine theilung Statt, welche fi nicht um Den Fon küm⸗ merte, fondern entweder nad) der vorwaltenden Ten⸗ den; oder nach dem Hauptgegenftande der Erzählung klaſſtfieirte. Dadurch entftand einestheils eine noch größere Verwirrung, anderentheils eine Geſchmacklo⸗ figkeit und Verkennung des eigentlichen Weſens des Ro⸗ mans, wie fie hoffentlich nicht wieder vorkommen kann, feitdene man endlich eingefehen, was Die Alten ſchon zu Anfange und ſtets beffer wußten, Daß Der Zweck der Poeſie fie felbft fei. Die erftere Art Fam allein bei uns vor und war ein Gefchwifterfind jener itrigen Anſicht, daß die Dichtkunft nur ein Mittel fei, nütz⸗ Hehe umd Ichrreiche Dinge zur Beförderung der Tu⸗ gend, Gottesfurcht und Wiſſenſchaft in angenehmen Gewande vorzutragen. Jene Richtung und Einthei= lung wurde befonders von den Geiſtloſen vertreten. und behauptet, deren Talent Darin befteht, bie Lücken in der Gefchichte des menfchlichen Geiftes, d. h. Die Beit, Die zwifchen zwei einander folgenben großartis

bes Stück Welt und Leben, das um feiner Wahrheit willen ald ein Ganzes und immer Gültiges daſteht, reflektirt. Das haben bie beften und größten Ro⸗ mandichter auch ſtets gewußt und feſtgehalten, wie z. B. Cervantes, deſſen Don Quijote mit feinem edeln Kern und jeiner Fomifchen Hülie, (und zwar in einee Steigerung) immer erſt durch Die äuße⸗ ten Antriebe. zu handeln veranlaßt wird und gesabe handelnd am Meiſten leidet; fo auch ferner Goethe in feinem Wilhelm Meifter, Immermann durch feinen Herrmann in den Epigonen und am Geſchickteſten von Allen Walter Scott, bei dem nie ein Held der Held ik, um Den ſich die Handlung zur Einheit ver« ſchlingt, ſondern irgend ein Anderer, an dem das Menſchliche Den Lefer mehr interefiirt, als Das Gött⸗ lihe oder Heldenhafte an Jenem. Die guten Schü» fer des großen ſchottiſchen Meifters haben das auch ſehr wohl begriffen, wie 3. B. Spinbler, namentlich in dem vortrefflichen Werke: der Jude; Andere va⸗ gegen gar nicht, wie 3. DB. Duller in feinem Loyola, da er über ber Hauptfigur Die ganze merfwärbige Beit durchaus nur als Nebenſache behandelt, den Stoff verdirbt, Die guten Motive tödtet und Nichts liefert, als eine romantifch » Iyrifche Biographie, was der Roman am Wenigſten feyn foll.

Wir find erft in. neuefter Beit zur rechten Ein⸗ fht über den Roman gelangt, fowohl was das Ethi- ſche, als was das Xefthetifche betrifft. In keiner Gattung der Poeſie iſt fo viel und jo viel Schlechtes zugleich geliefert worden; wirklicher in allen Theilen

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guter Romane zählen wir in ber Weltliteratur nach weniger auf, als Die ftrengen italienifchen Kritiker Sonnette, deren fie in Allem Faum zehn annehmen, ſaͤmmtliche Leiftungen des Petrarea nicht ausgefchlofs fen. Kein Roman aber, möge er noch fo fchlecht feyn, ift für die Kulturgefchicdhte unwichtig, Denn Feder trägt mehr oder weniger den Stempel feiner Beit und offenbart, häufig ganz wider den Willen bes Autors, ihre Gonflicte und ihre Neigungen. SchIofs fer, der großartigfte aller Hiftorifer, bemerkte einmal, man Fönne Die Gefchichte eines Volkes fchreiben aus feinen Romanen. Nie warb ein wahreres Wort geſprochen, denn alle Gefhichte ift doch nur die Dars ſtellung des Fortichreitens und Gehemmtwerdens des menfchlichen Geiftes und. feit Der Roman eriftirk, ward in ihm immer der Menge Nechenfchaft abgelegt von dem, was Die Beit bewegte; denn er war Das verftändlichite und am Leichteften zugänglihe Mittel un ftets der Abdruck von der Wirkung bedeutender Gegenftände auf den Autor, der als Wortführer, als Bruder Redner der großen Loge Nation zu be⸗ trachten iſt. Wodurch anders hat mandher Roman zu feiner Beit jo ungeheueres Glück gemacht, als baß er zuerft ausſprach, was in derfelben lag und zum Bewußtſeyn der Menge brachte, was in ihr aufs gefeimt war, mochte e8 irrig oder recht feyn. Frei⸗ lic mußte der Verfafler überhaupt reich begabt feyn, um auch durch Anderes zu wirken, aber das war er auch ftets, fonit hätte er nicht zuerit Die Bahn ge⸗ brochen unb das verhängnißvolle Wort, das das Ges

11 heimniß der Zeit erſchloß, ausgeſprochen. Ich brau⸗

he zum Beweife nur an be Foe's Robinſon Krufse, en d'Urfées Aſtraea, an Werther’s Leiden zu erin⸗ nern, die die Wanderung buch die Welt machten und deren große Bedeutſamkeit eine fpätere Nation wohl traditionell erfährt, aber nie felbft einſteht, oder herausfühlt, wenn fich nicht gerade genau Ver⸗ wandtes im ihr geftaltet, das ihre Aufmerkſamkeit darauf hinlenft. Es liegt einmal in ber Monade, Menſch genannt, Die ganze Welt nur in der Bezie⸗ hung zum eigenen Selbft zu erblicken; wird Daher im Bilde derfelben, Das immer nur einen Sheil geben kann, Das befonders berührt, was in dieſer Bezie⸗ bung für fie am Meiften hervortritt, fo wird fie ih ganz befonders Dadurch hingezogen und befchäftigk fühlen, um fo mehr, als fie, möge fie fich fträuben, wie fe wolle, immer ein Kind ihrer Beit bleibt. Selhft der größte Menfch hat nie feine Beit gemacht, fondern nur gelenkt. Meiſt verwechieln wir hier hie Wirkung mit der Urfache und nenzen die Lchtere Mode, da doch nur die Erftere es ift; wir ſchreiben der Grfcheinung Die Herrfchaft zu, weil wir zu ober⸗ fählih find, den Grund derfelben aufzufuchen. Bendet man dies anf Die Romane an, fo wirb man leicht die Herrfchaft einzelner Genre begreifen und zum tieferen Blide in die Gefchichte geführt, da eben Die Romane in ihrer Vielſeitigkeit trotz aller einfeitigen Richtung eine folche Verſchiedenheit offen» baren. Darum eben ift Schlofler’s Wort ein fo mer res Wort.

Bei der Menge der Romane, die die Weltlite- ratur aufzumweifen hat, find Die Kritifer und Aeſthe⸗ tifer nie damit in's Keine gefommen, wie biefelben zu gruppiren und einzuordnen feien. Die wohlfeilite Art der Eintheilung war die der äußeren Form, mo es denn freilich nur zwei Gattungen gab: den epi- fchen und den dramatifchen Roman, da Die nothwen Dige und unerläßlihe Bedingung der Proſa Feine andere Form geftattete, die nicht unabweislich dem Gebiete der formellen Poefie zugefallen wäre. Diefe Eintheilung ift aber jo gut, wie feine, ober ungefähr fo, als wenn man das ganze Gefchlecht der Adamskinder „zerfallen laſſen wollte in große und Feine Menfchen, ober die Vögel in folche, bie fie gen und laufen und in folche, Die fliegen, Ianfen und Schwimmen können. Epiſch muß fohon an md für fi ein jeder Roman feyn, denn er ift eine erzäh⸗ Lende Darftellung; dramatifirt ein Schriftſteller die: gelbe, fo thut er entweder weiter Wichts, als dab er die Handlungen der Menfchen, Deren Worläufer und Vermittler ſtets Rede und Gegenrede find, gan getreu darkellt, oder ein ausgeartetes Drama Tiefer. Ein ausgeartetes Drama ift aber Bein Roman, fon nern eben ein ansgeartetes Drama. Ein guter Roman Dagegen kann beide Formen in fich verfchmelzen und fol es auch); der richtige Tact des Dichters muß ihm feld Hier jagen, wo zu größerer Anfchaulichkeit jene Form piejer oder umgekehrt diefe jener vorzuzichen fe. Zean Paul Hat vorzüglich und wohl mit zuerft dieſe äußere Eintheilung aufgeftellt, jedoch ohne fie recht

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durchzuführen und ihre Nothwendigkeit darzuthun und eigentlich nur, um das Paſſende des ſtett objec- tiven und Daher lebendigen dramatiſchen Bortrages heraus zu heben, da hingegen ber epifche Roman troy ver nothwendigen Objeckivität des Darzuftellenden doch immer bie, wenn auch fehr verſteckte Subjecti⸗ vität des Darftellers zuläßt, wodurch dem Vortrage der frifche Reiz der Unmittelbarkeit geraubt und bies fer leicht gefchwächt wird.

Eine zweite Eintheilung war bie nach Dem im dem Romane herrſchenden Ton, die ſchon fehr alt, aber auch keinesweges genügend ift und das Rechte trift. Urſprünglich erhielt man dadurch auch nur zwei Gattungen, wie bei der erften Eintheilung, ben ernten und den Fomifchen Roman, ber man dann allerdings, ſowie man fi in der dramatiſchen Poe⸗ fe mit der Tragikomodie half, eine britte, den ge= mifhten Roman beigefellen Tonnte; aber das gab eine noch größere Verwirrung der Begriffe und es tonnte bier den Xefthetilern. oder Romanbichtern leicht gehn, wie einft einigen Phyſikern, welche, als fe fahen, Daß Die vier Elemente nicht mehr aus⸗ reichten, ein fünftes, das Ergänzungselement, creir- ten und in Diefes nun Alles hineinwarfen, was in den alten vier nicht unterzubringen und doch Ele⸗ ment war. Das Tragiſche und Komifche laufen, wie im Leben Durch, fo in einander, aber nur vermittelt unzähligee Nuancen und wollte man biefe ſaͤmmtlich als Gattungen oder Unterabtheilungen aufftellen, fo würde jeder Tag neue bringen und oft ein einzelner

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Roman eine folhe Gattung auch allein bilden. Das ift denn aud) öfter gefchehen; außer dem komiſchen, dem humoriftifchen Romane haben wir Deutfchen 5.8. and) galante, was ganz unfchuldig nur elegante Ro⸗ mane heißen follte, ja fogar in Brentano's Godwi einen vom Autor ausbrücklich fo Flaffifieirten ver- wilderten Roman aufzuweifen, eben fo wie Die Franzofen früherer Tage uns in ihrer Literatur ko⸗ mifche, galante, ja felbft bürgerliche Romane vor« zeigen können.

Derfelbe Hebelftand fand mit einer dritten Ein⸗ theilung Statt, welche ſich nicht um den Ton küm⸗ merte, ſondern entweder nach der vorwaltenden Ten⸗ denz oder nach dem Hauptgegenſtande der Erzählung klaſſifieirte. Dadurch entſtand einestheils eine noch größere Verwirrung, anderentheils eine Geſchmacklo⸗ ſigkeit und Verkennung des eigentlichen Weſens des Ro⸗ mans, wie ſie hoffentlich nicht wieder vorkommen kann, ſeitdem man endlich eingeſehen, was die Alten ſchon zu Anfange und ſtets beſſer wußten, daß der Zweck der Poeſie ſie ſelbſt ſei. Die erſtere Art kam allein bei uns vor und war ein Geſchwiſterkind jener irrigen Anſicht, daß die Dichtkunſt nur ein Mittel ſei, nütz⸗ liche und lehrreiche Dinge zur Beförderung der Tu⸗ gend, Gottesfurcht und Wiſſenſchaft in angenehmen Gewande vorzutragen. Jene Richtung und Einthei⸗ lung wurde befonders von den Geiftlofen vertreten. und behauptet, Deren Talent darin befteht, die Lücken in der Gefchichte Des menschlichen Geiſtes, d. h. Die Beit, die zwifchen zwei einander folgenden großartis

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gen Erfcheinungen Fiegt, auszufüllen. So bekamen wir denn bibackifche, philoſophiſche, päbagogiiche, ascetifche, mufikalifche und Gott weiß, was für Res mane, in denen die Poeſie jedes Mal einen Schnür- leib anhatte und Ohrfeigen erhielt, wenn fie Luft und Laune zu wilden Sprüngen und anderen Ergötzlich⸗ feiten zeigte, Diefe Baftarbe find noch immer nicht ganz ausgerottet und tauchen leider in jeder Meſſe, wenn auch einzeln, wieder auf. WBernünftiger war die andere Eintheilung nach dem in ben Romanen vorzugweife oder allein gefchilderten Gegenftänden, da eben gewifle Segenftänte und beren Darftellung während einzelner Perioden Modelieblinge waren und einer, Der den Ton angab und gefiel, ganze Schaa⸗ ten hinter ſich herzog. So hatte und hat man bie Räuber⸗ und Ritterromane, die Robinſonaden, bie Seetomane, die Familieneomane u. f. w., die alle Gruppen in der Gefchichte der Weltliteratur bilden, aber nicht als Hauptgattungen gelten Tönnen, ba ihre Merkmale nur äußere, nicht innere find und ferner jeder Tag neue Arten hervorbringen kann, alfo an eine Umgrenzung bes Begriffs gar nicht zu den⸗ fen ift und er ftets vag bleiben muß.

Mir fcheint folgende Beitimmung die allein rich tige; ich fage, fie ſcheint es mir, ob fie es fei, mö⸗ gen Anbere entfcheiden. Da der Roman zur Aufgabe hat, in freiefter Bewegung das Leben mit allen feinen Erfcheinungen darzuftellen, fo kann es nicht darauf ankommen, was er Davon ober zu wel⸗ chem Bwede, ober in welchem Zone und welcher Form,

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fondern wie er es auffaßt und darſtellt, das heißt,

welde Stellung des Enblichen zum Unendlichen er wiedergiebt. Deren giebt es drei, entweder Die

nächfte, die die höchſte, d. h. Die geiſtigſte Sphäre des Lebens if, oder Die mittlere, die gleichweit zwi⸗ ſchen beiden und zwar vermittelnd fteht, und endlich ‚die entferntefte, Die fich nur mit den niedrigſten Krei- fen befchäftigt. _ Schildert alfo der Roman den Men- ſchen in feiner nächiten Stellung zum Unendlichen, fo gehört er der eriten Klafie, fhildert er ihn als

Menſch, der zweiten, fchildert er ihn dem Thiere

fi) nähernd, der dritten an. Diefe Eintheilung fließt weder den Kampf mit den Leidenfchaften, noch mit den niedrigiten Hindernifien aus, aber wie die Kämpfenden dieſe Leidenfchaften und Hindernifie

behandeln, wie und zu welchem Biele fie gelangen, Die weilt dem ganzen Romane feine Stelle an, Denn bei ihm als Kunſtwerk muß die äußere Behandlung mit dem Gegenftande übereinftimmen nad) dem Ge⸗

fetse Des Schönen. So gehören aljo, um es an Beis fpielen zu verdeutlichen, Goethe's Werther und Wil»

heim Meittr, Walter Scott’3 Ivanhoe, Tieck's

wunderbarer Torfo, der Aufruhr in den Sevennen,

de Bigny’s Sing Mars, ja felbft komiſche oder hu⸗ moriftifche Homane, wie. der Don Quijote and Tri⸗

team Shandy der erſten Mbtbeilung an, benn Die höchſten und Heiligften Interefien werden in Denjels ben: harmonifch behandelt; zur zweiten Abtheilung möchte ich Romane, wie den Vicar von Walefield, Le Sage's Gil Blas von Santillana, Müller's Sieg

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fried von Lindenberg, zur dritten endlich u. A. Fiel« ding’8 Tom Jones, Scarron’s komiſchen Roman, Quevedo's gran Tacanno, den alten prächtigen Sim⸗ pliciſſimus, den Eulenſpiegel zählen. Man ſieht, ich habe nur ſolche genannt, die ſaͤmmtlich als Mei⸗ ſterwerke in ihrer Art gelten, denn auch die niedrigſte Sphäre ſchließt keinesweges die höchfte künſtleriſche Vollendung aus; nur die Elemente ſind verſchieden; in der erſten Abtheilung herrſcht das Romantiſche, in der zweiten das Sociale (Bürgerliche), in der dritten das Thieriſche (Diſſolute) vor; im Erſten wird das Streben nach dem Genuß des Höchſten, im Zweiten das nad) dem der ruhigen Geſezzlichkeit, im Dritten nach dem der thierifchen Freuden, wie fie ftet® im Leben auf und ab und durch einander wogen, manifeftirt und zur Anſchauung gebracht. Ich muß hier fchließlich noch einer Frage Er⸗ wähnung thun, Die bis jeßt auch noch immer nicht genügend von den: Fachgelehrten gelöft worden if; es ift nämlich die, wo der Roman aufhöre, und wo die Erzählung, wo die Novelle anfange, oder rich» tiger, wie biefelben von einander zu unterfcheiben fein. Hier herrfcht noch viel Willkührlichkeit und Verwirrung und wird auch immer fort herrſchen, da die Dichter felten Aeſthetiker find, höchitens nur dem Gefühle nach, und Dies am Meiften, je bebenten- ber ihre Talent, faft gar nicht aber aus Raiſonnement. Es kommt auch eigentlich gar Nichts darauf an, ob eine derartige Zeiftung Erzählung oder Novelle heiße, fondern nur darauf, ob fie gut fei. Hier fcheint es 2

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guter Romane zählen wir in ber Weltliteratur noch weniger auf, als die ftrengen italienifchen Kritiker Sonnette, deren fie in Allem Faum zehn annehmen, fämmtliche Leiftungen des Petrarca nicht ausgefchlof- fen. Kein Roman aber, möge er noch fo ſchlecht feyn, if für die Kulturgefchichte unwichtig, denn Feder trägt mehr oder weniger den Stempel feiner Beit und offenbart, häufig ganz wider den Willen Des Autors, ihre Conflicte und ihre Neigungen. Schloſ⸗ fer, der großartigfte aller Hiftorifer, bemerkte einmal, man Fönne die Gefchichte eines Volkes fchreiben aus feinen Romanen. Nie ward ein wahreres Wort gefprochen, denn alle Gefchichte ift Doch nur die Dar⸗ Rellung des Fortfchreitens und Gehemmtwerbens Des menjchlichen Geiftes und. feit Der Roman eriftirt, ward in ihm immer der Menge Kechenichaft abgelegt von dem, was Die Zeit bewegte; denn er war das verftändlichite und am LXeichteften zugängliche Mittel an® ſtets der Abdruck von der Wirkung bedeutender Gegenftände auf den Autor, der als Wortführer, als Bruder Redner der großen Loge Nation zu be= trachten iſt. Wodurch anders hat mander Roman zu feiner Beit fo ungeheneres Glück gemacht, als daß er zuerft ausſprach, was in derfelben lag und zum Bewußtfeyn Der Menge brachte, was in ihr auf- gefeimt war, mochte e8 irrig oder recht feyn. Frei⸗ lich mußte der Verfaſſer überhaupt reich begabt feyn, um auch durch Anderes zu wirken, aber das war er auch ftets, fonft Hätte er nicht zuerit die Bahn ge« brochen und das verhängnißvolle Wort, das das Gen

er heimniß ber Beit erfhloß, außgefprochen. Ich brau⸗

he zum Beweife nur an de Foe's Robinſon Krufoe, an d'Urfée's Aſtraea, an Werther’s Leiden zu erin- nern, die die Wanderung durch Die Welt machten und deren große Bebeutfamkeit eine fpätere Nation wohl traditionell erfährt, aber nie felbft einſteht, ober herausfühlt, wenn fich nicht gerade genau Ver⸗ wandtes in ihr geftaltet, das ihre Aufmerkfamkeit darauf hinlenkt. Es liegt einmal in ber Monabe, Menſch genannt, die ganze Welt nur in der Bezie⸗ bung zum eigenen Selbft zu erblicken; wird Daher im Bilde derfelben, das immer nur einen Theil geben Ionn, das befonder® berührt, was in dieſer Bezie⸗ bung für fie am Meiften hervortritt, jo wird fie fi ganz beſonders Dadurch hingezogen und beſchäftigt fühlen, um fo mehr, als fie, möge fie fich fträuben, wie fie wolle, immer ein Kind ihrer Beit bleibt. Selbft der größte Menfch hat nie feine Beit gemacht, jondern nur gelenkt. Meiſt verwechieln wir hier die Wirkung mit der Urfache und nennen Die Zeßtere Mode, Da Doch nur bie Erftere es ift; wir fchreiben bee Erfcheinung die Herrfchaft zu, weil wir zu obere fählih find, Den Grund derfelben aufzufuchen. Bendet man Dies auf Die Romane an, fo wird man leiht die Herrſchaft einzelner Genre begreifen und sum tieferen Blicke in die Gefchichte geführt, de eben die Romane in ihrer Vielſeitigkeit trotz aller einfeitigen Richtung eine folche Werfchiebenheit offen» baren. Darum eben ift Schlofier’s Wort ein fo wah⸗ res Mort.

19 Bei der Menge der Romane, Die die Weltlite⸗

ratur aufzuweiſen hat, find Die Kritifer und Aeſthe⸗

tifer nie Dasıit in's Keine gefommen, wie biefelben zu gruppiren und einzuordnen feien. Die wohlfeilite Art der Eintheilung war die der äußeren Form, wo e8 denn freilich nur zwei Sattungen gab: ben epis {hen und den dramatifchen Roman, da die nothwen⸗

dige und unerläßlihe Bedingung der Proſa Feine andere Form geftattete, Die nicht unabweislich Dem

Gebiete der formellen Poeſie zugefallen wäre. Diefe Eintheilung ift aber fo gut, wie Feine, oder ungefähr fo, als wenn man Das ganze Gefchlecht der Adamskinder „zerfallen Iaffen wollte in große und Heine Menfchen, oder Die Vögel in foldhe, Die flie- sen und laufen und in folche, Die fliegen, laufen und Schwimmen können. Epiſch muß ſchon an und für fi) ein jener Woman feyn, denn er ift eine erzäh- lende Darftellung; dramatiſirt ein Schriftfteller Die ſelbe, fo thut er entweder weiter Nichts, als Daß er die Handlungen der Menfchen, deren Worläufer und Vermittler ftet3 Rede und Gegenrede find, ganz getrem Darftellt, oder ein ausgeartetes Drama Tiefert. Ein ausgeartetes Drama iſt aber Fein Roman, fons dern eben ein andgenrtetes Drama. Ein guter Roman dagegen kann beide Formen in fich verſchmelzen und fol es auch; der richtige Tact des Dichters muß ihm ftets Hier fagen, wo zu größerer Anfchaulichkeit jene Form Diefer oder umgekehrt dieſe jener vorzuzichen ſei. Jean Paul hat vorzüglich und wohl mit zuerft dieſe äußere Eintheilung aufgeitellt, jeboc ohne fie recht

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durchzuführen und ihre Nothwendigkeit barzuthun und eigentlich nur, um das Paflende Des ſtets objec« tiven und Daher lebendigen dDramatifhen Bortrages heraus zu heben, da hingegen ber epifche Roman traf ter nothwendigen Objectivität des Darzuftellenden doch immer Die, wenn auch fehr verſteckte Subjecti⸗ vität des Darftellers zuläßt, wodurch dem Vortrage der frifche Reiz der Unmittelbarkeit geraubt und Dies fer leicht geſchwächt wird.

Eine zweite Eintheilung war bie nach Dem in dem Romane berrfchenden Ton, bie ſchon fehr alt, aber auch keinesweges genügend ift und bas Rechte trifft. Urſprünglich erhielt man Dadurch auch nur zwei Gattungen, wie bei der erften Eintheilung, den ernten und den Fomifchen Roman, der man dann allerdings, ſowie man fich in Der dramatiſchen Poe⸗ fe mit der Tragikomödie half, eine dritte, den ges mifhten Roman beigefellen konnte; aber das gab eine noch größere Verwirrung der Begriffe und es Eonnte hier den Aeſthetikern oder Romandichtern leicht gehn, wie einft einigen Phyſikern, welche, ale fie fahen, Daß Die vier Elemente nicht mehr aus⸗ reichten, ein fünftes, das Ergänzungselement, ereir⸗ ten und in dieſes nun Alles hineinwarfen, was in ben alten vier nicht unterzubringen und doch Efes ment war. Das Tragifehe und Komifche laufen, wie im Leben Durch, fo in einander, aber nur vermittelft unzähliger Nuancen und wollte man dieſe ſaͤmmtlich als Gattungen oder Unterabtheilungen aufftellen, fo würde jeder Ing neue bringen und oft ein einzelner

Conjectur, die allein durch Die Liebe der morgenlän- diſchen Völker für die Erzählung und die Fiction einigen Halt befommt, aber bei Weitem nicht ge nug, um fie feftzuftellen. Fabeln und Parabeln, wie Die des Loeman und Anderer, find wohl mit. dem Romane verwandt, aber nicht feine Erzeuger: ihre Generation ift ihnen treu geblieben bis auf den heu⸗ tigen Tag und verläugnet nie das Familiengeficht. Der Umitand, daß die- fpäteren griechifchen Roman⸗ fohreiber fait ſämmtlich Orientalen waren, beweiſt eben jo wenig. . Auch von einzelnen Erfeheinungen konn nicht Die Rede feyn, fondern nur von Woman familien, denn nur dieſe beweifen Die geiftige Rich tung und Vorliebe eines Volks für diefe Gattung, aljo Die Abſicht, fie zu pflegen und fortzupflanzen, da hingegen jene nichts als Kinder des Zufalls feyn mögen, einzelne Fremblinge, Gott weiß Durch wel- hen Schiffbrusch Der Beiten an eine auslänbifche Küfte verschlagen und dort gezwungen, iſolirt ihr Leben Binzubringen, nachdem fie ſich allmählig nationalifir- sen. Bil man jedoch vom Ginzelnen ausgehen und

Das Weltefte anffuchen, fo fängt Die Gefchichte des Romans allerdings bei den Drientalen an und zwar bei den Hebräern, denn ohne Die heilige Schrift mit frecher Hand antaften zu wollen bie Bücher Hiob und Ruth find doch wahl. Nichts als Romaqne, vielleicht das Buch Eſther auch; wenigitens enthalten fie Elemente, wie Form, alfo daB Ganze derſelben und das erftere läßt ſich wohl paſſender fo benennen, als wenn man, wie es Wachler gethan, daſſelbe ein

Berathichlagungs » Epos heift*), was ungefähr fs viel wäre, als wollte man einen Menfchen eine leben⸗ dige Heberlegungs » Figur nennen. Hiob wäre dem⸗ sufolge der ältefte Homan der Erbe, denn bie Meis nung, daß Diefes Buch) in die Salomonifche Beit zu fegen fei, iſt nicht erwiefen; natürlich iſt hier nur von Belanntem die Rebe; wir wollen die Möglich⸗ keit präadamitifcher oder wenigftens antediluviani⸗ ſchet Romane nicht in Abrebe ftellen, aber fie gehen und hier nichts an.

Eine Familie zu bilden beginnt der Roman erſt bei und mit ben fpäteren Griechen und zwar fireng genommen, erſt im vierten Jahrhunderte chriftlicher Beitrechnung. Einzelne Worläufer finden ſich aller- dings weit früher, und den erften Anftoß zu ſolchen Gehilden der Phantafie mögen die Siegeszüge Ale yanders des Großen, welche einen bleibenden Ein- druck auf Die Einbildungskraft faft aller mehr oder minder, mittelbar oder unmittelbar von ihnen berüht- ten Nationen ausübten, gegeben haben**). Drien⸗

*) &, deſſen Handbuch der Geſchichte der Literatur. Bweite Umarbeitung. Leipzig 1822. Th. 1. S. 80. Mit diefer Bemerfung fol übrigens Wachler's großen Verdienften um die Literatur Feinesweges zu nahe ges treten werden.

*8) Sp, um aus Vielem nur Einzelnes anzuführen, fpielt Klerander von Macedonien in den Sagen ber früheren Rabbinen eine wichtige Role. S. Trartat %amid am Schluffe des vierten Eapitels ol. 66. Eol. 2.

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talifche Anſchauung vermifchte fich mit griechifcher Sin nigkeit und Plaſtik. Fernere Veranloſſung findet fich wohl in den eigenthümlichen alexandriniſchen Behand⸗ lungen antiker Mythen und in dem Behagen an mile⸗ ſiſchen Liebesgeſchichten. Die Phantaſie heftete ſich an Geheiligtes oder Wirkliches, oft an Beides zu, glei⸗ cher Zeit und ſo entſtand ein ſelbſtſtändiges Drittes. Schon von einem Schüler des Ariſtoteles, Klearchos aus Soli, werden erotifhe Erzählungen gerühmt, die Beit bat fie aber vernichtet; nicht beſſer ging es ähnlichen Erzählungen des Mileſiers Arifteides, in welchen dieſer jeher ben Neigungen feiner Beit ge fröhnt haben fol und die der Römer Lucius Gornes lius Sifenna um 86 vor Chriftus in feine Mutter⸗ fprache überfeßte*). Die einzigen derartigen Zeiftun- gen, welche auf uns. gefommen, find Die ſechs und dreißig KXiebesgefchichtchen des Parthenius von Ni⸗ caea (30 9. Ch.), eigentlich nur Anechoten meift von unglüdlicher und unerlaubter Liebe mit ſchlimmem

der Amfterdamer Ausgabe; ferner Abraham Sebas Bes ror Hammor Fol. 74. Col. 3.; Tractat Keritot, Hol. 33. &ol. 1. und 2.5; u. ſ. w.

4) S. Ovidii Tristia lib. IL 415.

Junxit, Aristides Milesia crimina secum Pulsus Aristides nec tamen urbe sua

und ebenbajelbft V. 445.

Vertit Aristidem Sisenna, nec obfuit illi Historiae turpes inseruisse jocos.

Ende*). Bwei größere Romane, beide in gewiſſer Hinfiht unferen Robinfonaden nahe verwandt, bes Antonius Diogenes Erzählung von den unglaublichen Dingen in Thule oder Lie besabenteuer des Dinias und der. Dercyllis **) nämlich und bes Syrers Jam⸗ blichus babyloniſche Liebesgefchichte ***) erlitten ein ähnliches Schieffal und wir. kennen fie nur dem In⸗ halte nah, den ung ber belefene Staatsmann Pho⸗ tius aufbewahrt Hat. Beide find voll merfwürbiger und feltfamen Begebenheiten und beurfunden eine fhöpferifhe aber unxegelmäßige Phantaſie, welche die Mufe des Mittelalters, bie Aventure, eher bes feelt zu haben ſcheint, als Die neun heiligen Jung⸗ frauen altklaſſiſcher Dichtung. Auch noch anderer tomanhofter Erzählungen thun griechifche und römi⸗ fhe Schriftftelleer Erwähnung; wir Fönnen uns aber eben fo wenig bei ihnen aufhalten, als bei den Me⸗ Inmorphofen des Lucius Patrenfis ****) und des Lu⸗

) II. N. rege tocorlxcov nadnuerav. De amato- toris afectionibus. Ed. pr. Basileae 1531. 8. neueſte Ausgabe von Paſſow. Leipzig 1824.

*%) Ayrovıov Awysvovg Twv Une Govinv anıcıov hy. Einen. Auszug davon giebt Photius in feiner Bibliotheca, Cod. 156.

+44) Aganarınov Egwrag Umoxgivousvov Zivovldog _ Mi Podavoug. &. Photii Myriabibla, Cod. 94.

*8*8*) Lucius fammelte. Erzählungen von magifchen Verwandlungen, bie fehr ſchoͤn gefchrieben, aber fehr unſittlich geweſen feyn follen. '

eian, welde nur entfernt zu berfelben Sippfchaft gehören.

Erft zweihundert Jahre nachher trat der erite gute, vollftändige griechifhe Roman an Das Licht, verfaßt von einem cheiftlichen Bifchofe, dem er fein Bisthum gefoftet Haben fol. Er heißt: Aethiopifche Geſchichten, oder befier, Thengenes und Charikleia *), gebichtet,, fo Iautet der Schluß, von einem phönici- {chen Manne aus Emefa von der Sonne Gefchledit, - Heliodoros des Theodoflos Sohn. Lefer, denen der⸗ artige Studien fern liegen, und Das mag wohl bei der Mehrzahl der Fall feyn, werden mir es, glaube ‚ih, Dank wiflen, wenn ich fie kurz mit dem Inhalte bekannt mache und fte Dadurch anrege, das Buch felbft in der trefflichen Ueberfegung Göttling's ſich anzu- eignen. -

Die Handlung findet Statt zu der Beit, wo Aegypten noch den perfifchen Königen Tribut zollte, alfo vor Wlerander dem Großen. Perſina, Kö» nigin von Aethiopien, hatte in der Empfängniß ihrer Tochter Das Bild der Andromeda angeblidt: das

*) Alhionixn ioroole. Ed. pr. Basileae 1534. 4. befte Ausgabe von Coray, Paris 1804. 2 Bde. Deutſch von Göttling: Theagenes und Charikleia. Frankfurt am Main 1822. Franzöffh von Amyot. Paris 1547. In englifher Profa von Thomas Underdown. 1577. Spanifch von de Mena. Antwerpen 1554. Italieniſch von 8. Ghini. Venedig 1556. Dal. Fabricii Bibl. gr. 6, 111. fgde. oo.

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Kind Fam nicht in der Farbe der Aethiopier, ſon⸗ bern mit weißer Haut zur Welt; ihres Gatten Born fürchtend, vertraute fie e8 dem Sifimithres, einem - nethiopifhen Manne, an, und legte einen heiligen Ring und eine Binde, in welche fie mit aethiopiicher Königsfchrift der Tochter Schickſal geſtickt, zugleich in defien Hände. Das Reugeborne wurde Eharikleie genannt und blieb fieben Jahre bei feinem vermeint- lichen Bater. Nach Ablauf diefer Beit, in welcher fie fi) herrlich entwickelt hat, fürchtet berfelbe, es werde ihm zu fchwer fallen, ihre Unſchuld zu bewah⸗ ten, er bejchließt demzufolge, fie auf einer Geſandt⸗ (haft an den Oroondates, den Statthalter von Per- fen, zu der er auserwählt wurde, mitzunehmen. In dieſem Lande trifft er den Charikles, einen Priefter, ber wegen häuslichen Ungemachs fich auf Reifen bes fand, und.vertraut ihm die Charikleia an. Diefer bringt fie nach Delphö und beftimmt fie feinem Nefs jen Alkamenos zur Gattin; um fie zu dieſer Verbin⸗ dung zu bewegen, übergiebt er fie dem Kalafiris, einem ägyptifchen Priefter, ber gerade dort anwes {end ift und e8 unternimmt, fie gänftig für den Jüng⸗ ling zu fimmen. Da kommt Thengenes, ein Theſſa⸗ bier, vom Achilles ftammend, nad) Delphö zur Aus- übung einer heiligen eier; er und Charikleia fehen fh im Tempel und entbrennen in Liebe zu einander. Salafiris wird durch einen Traum aufgefordert, in fein Vaterland zurückzukehren und Beide mit fich zu nehmen. Sie täufıhen den Charikles und entfliehen auf einem phönicifchen Schiffe, das nah Sieilien

beftimmt ift, werben aber von Seeräubern angefallen and nad) der ägyptifchen Küfte gebracht. Trachinos, der Hauptmann der Piraten, bereitet ein Zeft, um ſich mit Charikleia zu vermählen, Kalafiris hat aber den Peloros, des Trachinos Unterbefehlähnber, über: redet, die -Jungfrau liebe ihn; es kommt Darüber zu einem heftigen Gefechte, in welchem alle Seeräuber, mit Ausnahme des Peloros, den Theagenes in Die Zlucht jagt, ihren Zod finden. Gleich darauf werden aber Die beiden Liebenden von anderen ägyp⸗ tifchen Räubern gefangen genommen und nach einer Inſel in einem entfernten See gebracht. Thyamis, der Häuptling derfelben, verliebt ſich gleichfalls in Die Charikleia und will ſich mit ihr vermählen; fie giebt den Theagenes für ihren Bruder aus, um ihn vor der Eiferfucht Des Mebenbuhlers zu ſchützen. Die Räuber werben aber plöglich von dem Statthalter Aegyptens, den die Klage eines griechiſchen Kauf- mannes, Nauſikles, deſſen Gelichte fie entführten, Dazu veranlaßte, überfallen und getöbfet oder ver- fprengt. Thyamis entkommt und Knemon, ein jun ger Athenäer, mit welchem Theagenes während der Gefangenſchaft den Bund. der Freundſchaft gefchlof- fen, eilt ihm nad). - Huch Theagenes und Charikleia machen ſich auf den Weg nach einem Dorfe, wo fie mit Knemon zufammen treffen: wollen, werden aber von den Truppen des Satrapen angehalten, Der Jüngling als ein Gefchen? an den König von Per⸗ ſien gefandt, die Jungfrau aber fälfchlih von Nau⸗ ſikles für feine Geliebte ausgegeben und yon ihm nad)

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feinem Hanfe geführt. Hier findet fie den Kalaflris, der fie durch ein Kleinod Iosfauft und mit ihr ab⸗ reift, um ben Thengenes aufzufuchen, während Rau» ffles und Knemon nad) Griechenland fegeln. Als fe nah Memphis kommen, hören fie, daß Thengenes wieder dem Thyamis in die Hände gefallen fei und fh mit demſelben bei der Belagerung biefer Stadt befinde. Bald kommt e8 jedoch zum Frieden und es zeigt ſich, daß Thyamis der Sohn bes Kalaflris und erwählter, aber Durch die Ränke feines Bruders ver⸗ triebener Hohepriefter von Memphis ſei. Arſake, die Gattin des Satrapen, die in beffen Abwefenheit den Oberbefehl führt, wird von finnlicher Gluth für den ſchönen griechifchen Jüngling hingeriflen und wen- det alles Mögliche an, um ihre Neigung erwiebert in jehen, Doch vergebens; Theagenes bleibt feiner Geliebten tress und Arſake befchließt, nun ihn fols teen und die Jungfrau buch Gift aus dem Wege räumen zu laſſen; durch einen Irrthum wird aber Ratt ihrer Die alte Amme. der Arfafe getöbtet. Cha⸗ tifleie wirb nun ala Giftmifcherin angeklagt und fol verbrannt werden. Sie beiteigt den Scheiterhaufen, doch die Flammen verlegen fie nicht, denn das Amu⸗ let ihrer Mutter fchügt fie. Ein Bote des Droon- dates, der von dem Treiben feiner Gattin unterrich⸗ bt worden, muß Thengenes and Charikleia nad) dem Lager führen. Arſake erhängt ſich; die Liebenden werden aber unterweges won Aethiopiern, mit denen der Satrap Krieg führt, gefangen genommen und gu dem Hydaspes, ihrem Könige, gebracht. . Nachdem.

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dDiefer den perfifchen Statthalter beflegt bat, nimmt er fie mit fid) nach feiner Hauptftadt Meroe, wo er befchließt, fie den Göttern des Landes, der Sonne und dem Monde, zu opfern. Theagenes zeichnet fich unterdeffen Durch Thaten der Stärke und Gewandt- heit aus. Endlich follen fie geopfert werden; da wird Charifleia durch Binde und Ring, fowie duch ein Maal am Arnıe, als Tochter des Hydaspes umd der Perfina erfannt, was auch Sifimithres und Cha- rifles, die der Bufal dahin geführt, (Kalafiris it ſchon früher geftorben) beftätigten. Das Volk wiligt ein, fie nicht zu opfern, und beide Liebenden erndten endlich Durch ihre Vermählung den Kohn ihrer Treue und Tugend.

Daß diefem merkwürdigen Buche ſchon viele Der- felben Gattung vorausgegangen ſeyn müſſen und jeden falls mehr als diejenigen Romane, von denen Pho⸗ tius berichtet, ift deshalb nicht zu bezweifeln, weil e8 ein fo vortreffliches Muſterwerk ift, deſſen Voll- endung ein ficheres Bewußtſeyn von Dem, was Die Zorm in jeder Hinficht verlangt, voransfeßen läßt. Zwei Dinge geben ihm einen hohen ethifchen Werth: Die Anerkennung der Herrfchaft der Schönheit und des Werthes der fittlihen Reinheit, melche fich ſieg⸗ reich: und strahlend durch das ganze Wert hindurch ziehen; es berricht ein Adel der Gefinnung in dem⸗ felben, wie er fich Faum großartiger in den herrlich fen Werken des - Elaffifchen Alterthums offenbart. Obgleich ſich nicht Die Leifeite Spur chriſtlicher Be⸗ geiffe in demſelben findet, ſo leuchtet Doch ber hohe

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Geiſt des Ehriftenthums, namentlich in der Stellung des Meibes zum Manne, in das edelfte Gewand ber Antife gehüllt, überall durch. Nach unferen Kunft- forderungen möchten allerdings erhebliche Dinge daran zu tadeln feyn, namentlich die Häufung der oft völ- lig unwahrfcheinlichen Begebenheiten und ber Man⸗ gel an confequenter Entwidelung ber Charactere, denn nur Charikleia und Thyamis find in wirklicher Bewegung des Handelns bargeftellt, Die Handlungen ber anderen Charaktere beftehen nur in Erzählungen derfelben, und Die untergeordneten unter dieſen find oft zu flüchtig und oberflächlich gezeichnet. Dagegen befitt der Verfaſſer ein außerordentliches Talent der Darftellung, welches allein Dadurch gefchwächt wird, daß der Lefer zu häufig durch Träume und andere außergewöhnliche Mittel fchon im Voraus weiß, was kommen muß. Dies abgerechnet, verftcht Heliodo⸗ tus meilterhaft Die Kunft, das Intereſſe zu weden und in Spannung zu erhalten, was fon Taffo *)

*) ©, T. Tasso Opere ed. Ven. X. p. 103. wo es heißt: I lasicar l’auditor sospeso procedendo dal confuso al distinto, dall' universo à particolari & arte perpetua di Vergilio, e questa & una delle cagioni che fa piäcer tanto Eliodoro. Wie beliebt biefer Roman in früheren Beiten war, das beweifen Die vie⸗ Im Rachahmungen und Kachbildungen bei‘ Dichterm ber verihiedenften Nationen; fo, z. B. die Befchreibung von der Jugend dee Elorinde im befreiten Ierufalem €. 12, St. 21 fgde, ferner Dorat’8 Tragödie gleichen Namens,

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an ihm rühmt; er führt uns mitten in Die Gefchichte hinein, dann erzählen Einzelne das Worhergegangene, werben aber unterbrochen und der Autor nimmt den Faden wieder anf, durch den fich plöglich bunte Fä⸗ den neuer Erzählungen fchlingen, ohne daß jedoch der Leſer ermüdet, fondern Dagegen am Schluſſe ein vollftändiges, äußerft Funftfertiges Gewebe vor ſich liegen fieht. Meifterhaft find ferner feine Befchrei- bungen und Schilderungen und der Ton einer jeden ftets vollkommen ihrem Gegenſtande angemefien, "aber lebendig und plaftiich Dabei Loralitäten und Sit- "ten nad) dem Beugniffe Sachverſtändiger überaus freu dargeftellt, und das Buch enthält noch außerdem einen reichen Schat von Bemerkungen und Angaben über, die damaligen Werhältniffe, namentlich Aegyp⸗ tens. Der Styl endlich ift für die Zeit, im welcher Heliodorus lebte, höchft elegant und Far; man fieht beuflich, daß der -feinfinnige Bifchof von Trieca fich an den beiten Dichtern des alten Hellas, namentlich am Homer und Sophofles heraufgebildet Hat. Shen genes und Charikleia fanden zu allen Beiten Daher die Würdigung, die fie verdienten; drei große Dich ter neuerer Nationen Haben den hohen Werth der aethiopiſchen Gefchichte mit Entfchiedenheit ausgeſpro⸗

welche 1762 erfchlen. Ber alte franzöftiche Dichter Hardy hat fogar' acht Dranten. Demfelben Stoffe entlehnt. Eben fo vortheilhaft iiber Heliodor's Werk fpricht fih auch Cervantes in’ der Borrede zu feinen Rovellen (Obras, Paris 1827, T. 7. P. XLI) aus, |

hen und ber Götter» Füngling Raphael von Urbino fie durch feinen Bauberpinfel verherrlicht.

Achilles TZatius aus Alexandrien iſt ber nächſte griechiſche NRomanſchreiber. Obwohl ihn einige Als terthumskenner für älter halten, als ben Heliobor *), fo zeigt fich Doch klar in feinem Werke, daß er jün- ger feyn müſſe, denn feine Gefchichte des Klitophon und der Leukippe ift unzweifelhaft eine Nachahmung Des Theagenes und ber Charikleia, wenigftens in den Hauptpartieen. Zwar erhält feine Erzählung große Lebendigkeit dadurch, daß der Held derſelben fie in eigener Perfon vorträgt, aber biefer Held if eine jo ordinäre Natur, daß man wenig Interefle für ihn empfindet und alle Sheilnahme ber Leukippe zuwendet. @inzelne feine Büge von hübfcher Erfin- dung treten erfreulich hervor, das Ganze wimmelt aber von Unwahrfcheinlichkeiten und gefünftelten Mo⸗ tiven und ‚die Entwidelung if fchlecht herbeigeführt. Photius, der allerdings als confequenter Richter bier gilt, lobt den Styl wegen feiner Klarheit und fei- nes Wohllautes und fegt ihn nicht allein über den des Heliodorus, fondern aller griechiſchen Romans ſchreiber **) ; dagegen fteht er dem Erfteren bei Weis

*) ©. Wachler's Handbuh Thl. 1. S. 224.

**) Photius Bibl. Cod. 87. Die erfte Ausgabe De amoribus Clitophontis et Leucippes beforgten Com⸗ melin und feine Neffen 1601 in 8.; bie befte Jacobs. Leipzig 1821. In das Deutfche wurde dieſer Roman

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tem nach durch Die Ungartheit, mit der er das Barte, die Plumpheit, mit der er das Gefchlechtliche behan⸗ belt; er ift an einigen Stellen eben fo orbinär, wie fein Gelb.

Der Sinn für Die Natur und das reine einfade unmittelbare Leben in berfelben war bei den Völkern des Alterthums ſtets vorherrfchend, das beweifen die Hebräer, wie Die Griechen, das hohe Lied Salomo⸗ nis, wie Theofrit, Mofchus und Bion, und Birgil legt hier ebenfalls für die Römer einen fchlagenden Beweis ad. Die Poeſie fucht ſtets Gegenfäte zu lebendiger Wirkung auf; daß alfo in einer fo raf⸗ finieten Beit, wie das vierte Jahrhundert, im Ro⸗ mane die Darftelung bes Hirtenlebens großes Glüd machen mußte, begreift ſich Teicht und die Wahl ſol⸗ chen Stoffes war ein höchft glüdlicher und zeitgemä- fer Griff, eben weil die wirkliche Beit ihm fo fern lag, zu nennen. Kein Wunder alfo, daß ein talent- voller Mann mit der Behandlung deilelben reichen Beifall erwarb, obwohl er, ftreng genommen, nicht mehr that, als daß er Poeſieen früherer Tage gut in Proſa reprobucirte, ein Factum, das immer Statt findet, wenn der Dichterifche Geift bei einem Volke zu ermatten beginnt; Die Poeſie geht Dann aus ber Gedrängtheit in Die Breite, aus der firengen Form in die Profa über; wir werben darauf noch öfter hinzudeuten haben. in folcher talentvoller Mann

überfegt von F. Seybold und fpäter von Aft und Gül—⸗ benapfel, in das Franzöflfche von Desfontaines.

wer ber Verfaſſer des Hirtenromand, Daphnis und Chloe, allgemein aber wahrfcheinlich irrthümlich Lon⸗ gus genannt *), vielleicht ein Lesbier, der im vierten ober fünften Jahrhunderte, möglicher Weife aber auch erſt fpäter lebte **). Folgendes ift in Fürzeften Bügen der Inhalt der Erzählung. Lamon, ein Biegenhirt, findet eine® Tages in der Nachbarſchaft von My⸗ tilene ein Knäbchen, das mit feltener Gewandtheit das Enter einer feiner Biegen ausſaugt. Das Kind

*) Einer mündlichen Mittheilung meines verehrten Freundes und Eollegen, des Hofrathes Böttling, zufolge iſt es noch fehr zweifelhaft, ob der Verfaſſer wirklich Longus geheißen, oder ob hier nicht ein Irrthum vor walte. Der ausgezeihnetfte Eoder (in ber Lanrentiane zu Florenz) führt nämlich Die Ueberſchrift: Aoyov zor- kevizov a. Iſt Diefer Strih über dem y bloß ein Bert des Bufolls, fo hieße es nur der Hirtenerzählung erfied Buch, und der Verfaſſer wäre gar nicht genannt. Ein hartes Schickſal, eine fo vortreffliche Leiſtung hin⸗ terlaſſen zu haben und fo gänzlich verfchollen zu ſeyn.

++) Die erfte Ausgabe erſchien zu Florenz 1518 in 4.; neuere vortreffliche find mit Tateinifcher Ueberſetzung von G. H. Schäfer, Leipzig. 1803; mit beutfcher von Paſſow, Leipzig 1811. Eine ausgezeichnete franzoͤſiſche Icherfegung eines von ihm aufgefundenen Bruchftüdes beforgte Courier, Paris 1825; nicht minder gut in feis ner Art übertrug fhon Amyot, Paris 1559 u. ö.; im Stalienifchen gab es Hannibal Earo, Parma 1786 in A, wieder.

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war in einen Purpurmantel gehüllt und Hatte ein kleines Schwerdt mit elfenbeinernem Griff neben ſich liegen. Da Lamon kinderlos ift, fo bejchließt er, Den Figdling zu erziehen, bringt ihn zu feinem Weibe Mortale und giebt ihm den Namen Daphnis. Bwei Jahre fpäter findet ein benachbarter Hirte Dryas in der Höhle der Nymphen ein Fleines Mädchen, Das eins feiner Schaafe fängt, nimmt e8 ebenfalls zu fich und giebt ihm den Namen Chloe. Als Daphnis das funfzehnte, Chloe Das zwölfte Jahr erreicht, werden fie in Folge ähnlicher Träume ihrer beiden Pflegeväter ausgefandt, er Die Biegen, fie Die Schaafe zu hüten. Sie treffen fih im Beginn des Frühe lings, weiden ihre Heerden gemeinfchaftlich und ver: Tieben fi in einander. Dorco, ber Kuhhirt, ber ein gleiches Gefühl für Chloe empfindet und vergeb- lich um fie angehalten hat, will fie gewaltfam ents führen; fein Wagſtück läuft aber fohlecht für ihn ab. Während defien find Frühling und Sommer, welche anmuthig gefchildert werben, vergangen; zu Anfang des Sommers landen tyrifche Seeräuber, bemächti= gen ſich ber Ochfen bes Dorco und führen Daphnis gefangen mit ſich fort. Dorco ſtirbt an den erhal⸗ tenen Wunden, giebt aber der Chloe vorher eine Hirtenflöte, auf der ſie nach ſeiner Anweiſung eine gewiſſe Weiſe ſpielt. Als Die Ochſen dieſelbe ver- nehmen, ſpringen ſie über Vord und ſtürzen das Schiff um; die ſchwer gewappneten Piraten müſſen ertrinken und Daphnis ſchwimmt gerettet an das Ufer. „Während des nun folgenden Herbſtes beſchäftigen

ch die beiden Liebenden mit ber Weinlefe und was dazu gehört, und Fehren dann zu ihren Heerden zus rũck. Ein Greis Philetas macht fie mit der Gewalt des Lichesgottes befannt. Bald nachher landen Mes Ehymnäer und mißhandeln Daphnis; fie werben zu⸗ rũckgetrieben, Tommen aber am andern age wieber und entführen Ehloe, worauf fle ein Feſt feiern, vom Pan felbft aber bedeutet werben, Chloe Die Frei⸗ heit zu geben. Sie eilt in ihres Daphnis Arme unb Beide bringen dem Gott dankbar ein Opfer. Der Winter, welcher nun eintritt, trennt fie; unter Dem Vorwande ber Jagd beſucht Daphnis die Geliebte aber in ihrer Hütte, und mit dem Frühling treffen ſie ſich wieder mit ihren Heerden. Lycaenium, das junge Weib eines benachbarten alten Mannes, verliebt ſich in Daphnis und giebt ihm bedenklichen Unter⸗ richt, den er jedoch nicht bei Chloe in Anwendung bringt. Gegen das Ende des Sommers kommt ein Dienftgenofie des Lamon und meldet die Ankunft des Sutöbefihers, für die Weinlefe an. Lamon trifft die nöthigen WBorbereitungen und wendet hefondere Sorgfalt auf einen großen Garten, ber weitläuftig von dem Verfaſſer befchrieben wird. Lampis, ein Kuhhirte, der vergeblih um Chloe angehalten bat, zerſtört dDenfelben aus Rachfucht, Aſtylus aber, der Sohn des Gutsheren, der zuerft eintrifft, verfpricht, feinen Water wegen des Schadens zu befänftigen. Ihn begleitet ein Parafit Gnatho, der in griechi« ſcher Liebe für Daphnis entbrennt, und da er vom Aſtylus denſelben als Diener erhält, fo entbedt Ka»

men dem Gutsherrn Dionyfophanes, der unterbeffen eingetroffen ift, Das eigentliche Werhältniß feines Böglings. Dieſer erkennt in ihm das eigene Kind, das er als fein viertes vorfichtig ausgefeht Hatte, aber wieder annimmt, da ihm Aftylus allein nur ers halten worden if. Die Glücksänderung thut aber der Neigung des Daphnis zu feiner Iugendfreundin Beinen Eintrag; er erbittet fie fih von feinem Vater zum Weide. Als Dionyfophanes ebenfalls ihr frü- heres Schickſal erfahren, ladet er alle Vornehmen der Nachbarſchaft zu einem Feſte ein, wo die bei Chloe gefundenen Gewänder auf den Rath der Nym⸗ phen ausgehängt werden. Megakles, ein reicher Mann, erkennt in ihr feine Tochter, die beiden Lie⸗ benden werden nun mit einander verbunden und vers leben den Reſt ihrer Tage in Heiterkeit und Gläck, ländlichen Beichäftigungen hingegeben.

Diefer Roman fteht als ein eigenthümliches Werk für ih da und tft für unfere Zwecke um fo wichtis ger, als er einen bedeutenden Einfluß anf eine fpä« tere, lange anhaltende und zu verfehiedenen Beiten und bei verfchiedenen Nationen wieder hervordrin- gende Gefchmarsrichtung äußerte. Erfindung und

- Stoff find im Ganzen mangelhaft behandelt; Diefer Fehler wird aber größtentheils durch die Lrefflich- teit der Schilderungen, fobald ſich der Vorfaſſer frei von Geziertheit, ‚der allgemeinen Krankheit feines Beitalters, hält, vollkommen aufgewogen. Dabei wal⸗ tet eine folde anmuthige Ruhe über dem Ganzen, daß ber Leſer ſich überall da, wo fig nicht einkänig

wied, erfreulich. unterhalten Endet; ein Genuß ber buch Die fchöne und elegante, obwohl bin und wieder etwas gefuchte und Sophiftenbildung verra- thende Dietion erhöht wird. Die Moral bed Bus ches Dagegen erfcheint an mehreren Stellen um fo weniger tadelfrei als ber Autor fi) gerade zur Auf⸗ gabe geftellt hatte, den volllommenften Zuſtand ber Unſchuld zu Schildern.

So großen Beifall die Gefhichte vom Daphnis und der Chloe auch bei den Zeitgenoſſen erregte, ſo ſchtitten doch die fpäteren Romanſchreiber nicht auf diefer Bahn fort, ſondern wandten fih den Borbils dern, welche Heliodor und Achilles Tatius gegeben, zu, ohne indeſſen etwas Anderes als ſchwache Nach⸗ ahmungen zu liefern. Die Kunft ſank immer tiefer; wie e8 der erichlafften Zeit an Mark fehlte, fo auch ihren geiftigen Erzeugniſſen; alle Mühe wurbe auf Aenßerlichkeiten, Die für den gefunden Sinn durch⸗ ans unerheblich waren, und auf raffinirte Ausbil- dung verwendet, und die echte Poefle ging darüber gänzlich verloren, bis fich zulegt der geiechifche Nor - man auch von attifcher oder attifch geglaubter Le⸗ bensauffoffung zu chriftlich » myftifher Anſchauung wandte, Die auf uns gefommenen Keiftungen biejer Gattung find: des Chariton aus Aphrodifies (mn 00 n. C. G.?), LZiebesgefchichte des Chaireas und der Kallirrhoe *), beſſer und wahrfcheinlicher in der

*) Tor egı Xaıpeav un Keilıggogv egurıxov dimyn- kasav Aoyos. Die erfte Ausgabe beforgte d'Orville,

Erfindung, aber fchlechter im Styl ala des Ta⸗ tins Buch; Xenophon's aus Ephefus Epheſtaka ober Gefhichte des Abrofomos und der Anthia (um 400 n.€&.©.?) unwahrſcheinlich erfunden, aber mit gro» Ber Eleganz des Styls *); endlich die Geſchichte ber Ismene und des Ismenias von Euftathins ober Eu⸗ mathins aus Aegypten aus fpätefter Beit, wenn nicht gar ein untergefchobenes Machwerk, die ſchlech⸗ tefte und in fittlicher Hinficht tabelnswerthefte Lei⸗ ftung von allen **). Lichesgefchichten in Werfen,

Amfterdam 1750 in 4.5; in das LXateinifche übertrug Dies Buch Reiske; in das Stolienifhe Giacomelli 1752 in 4.; in das Frangöfifche Larcher, Paris 1763; in . ba8 deutfhe Heyne, Leipzig 1753. Ein bedeutender Theil vom Anfange dieſes Romans iſt verloren ges gangen.

*) Die erfte Ausgabe erfhien, von A. Cocchi bes forgt, 1726 in 4. und in 8. zu London; Die neueften und beften find die von Peerlkamp, Saarlem 1818, und von Paſſow Leipzig 1833. In das Lateinifche über- trug es de Lorella, Leipzig (Wien) 1796; in das Ita⸗ Kienifhe noch vor dem Druck des Driginald Salvini, Florenz 1723; in das Deutfche Bürger, Leipzig 1775.

*:) Evoradıov xaH Topwıav aus Tony Ögape. Erfte Ausgabe von Gualminns, Paris 1718; eine ſpä⸗ tere von Teuer, Leipzig 1792. Daß Gualminus nicht der Verfaffer fei, wie, Einige behaupten, dafür babe ih folgenden Beweis. Ich befite nämlich eine ſehr ſel⸗ tene deutſche Ueberfegung biefes Buches von I. C. Ars

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wie bes Probromos Nodanthe unb Doſikles und des Niketas Eugenianos Drofilla und Charikles gehören nicht bieher. Wichtig Dagegen, obwohl in ganz an» berer Richtung, ift des Johannes Damascenus chriſt⸗ liher Roman Barlaam und Joſaphat, der urſprüng⸗ lich ſyriſch fol gefchrieben und dann in das griechi⸗ he übertragen worden feyn. Wan kann ihn als den Stammopater einer ganzen Gattung betrachten, und es wird fpäter noch Gelegenheit feyn, von ihm zu reden.

Ueberblidt man, was bie Griechen auf dieſem Gebiete geleiftet und geftrebt, fo tft Die Darſtellung ber Frau als Sefährtin des Mannes ihm zur Seite nad chriftlihen Begriffen, nicht ihm unterwärfig, nach heibnifchen, Die hier zuerſt fich zeigt, bie wich» tigfte Erfcheinung, außerdem findet man Liebe zum Abenteuerlihen, Häufung des Stoffes ohne gehö⸗ rige Verarbeitung, Gefallen am Seltfamen und Un⸗ glaublichen, mangelhafte Charakterzeichnung, Künſt⸗ lichkeit und Gefuchtheit als Mängel, treffliche Schils derungen, Gewandtheit und Eleganz der Diction als gute Eigenfchaften vorherrfchend und erkennt wie immer ben Abdruck des Beitcharakters im Roman. Es ift ſehr zu bedauern, daß bie Hellenen fich die⸗

topeo, gen. Wolfenftern o. D. (hinten fteht Straßburg bei Bernard Jobin 1563) 1573 in 8, welche fi bes reits auf eine frühere italienifhe von Lelio Earani bes sicht. Gualminus (Gaulmin) farb 1667 im achtzig⸗ ften Jahr feines Alters.

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fer Gattung erft fo ſpät bemächtigten; was hätte Dagegen zur Beit bes Xriftophanes darin von ihnen geleiftet werden koönnen, und dennoch, fo groß ift feiner geiftiger Bildung Nachhall, übte auch Dies minder Vollkommene einen nicht geringen Einfluß auf fpätere bildungsbedürftige Nationen aus.

Die Römer hatten noch früher, felbit als Die Grie⸗ hen, Wohlgefallen an den milefifchen Erzählungen gefunden und dieſe ſich angeeignet, doch blieben fie immer erotifche Pflanzen, welche von den Einzelnen, Keicheren und Wollüftigen, gepflegt wurben, und drangen Feinesweges in Das Volk ein, felbft nicht als die Sybariten fich der Stoffe bemächtigten und fie ſchwelgeriſch zu größerer Reizung, durch Behandlung und Ausdruck fteigerten. Bwar hatte man ſchon bereits gegen das Ende der Bürgerkriege zwifchen Marius und Sulla dergleichen, das von dem Hiftorifer und Prae⸗ tor Sifenna übertragen, oder wenn dem Dvid zu trauen ift, frei bearbeitet und viel gelefen wor⸗ den *), aber es ruhte auf der Unfittlichkeit folcher Zectüre ein ftrenger Tadel. Bömifche Gefinnung be⸗ freundete fich nicht mit dieſer Gattung darftellender Poeſie, auch war Die Ration ſtets zu fehr befchäf- tigt und der Einzelne in ihr zu activ, um an behag⸗ licher Zefung von Romanen Genuß zu finden. Shre Literatur bat Daher in Allem nur zwei Romane auf- zumweifen, denen beiden tieferes Streben zu Grunde liegt, beide bedeutend für ihre Beit und zur Kennt:

*), ©, Anm. *) S. 4.

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niß derſelben, aber jeder allein ftehend, ohne Vor⸗ gänger, ohne Nachfolger, einfam und wie verloren, ganz er von der Nachwelt gewürdigt. Der Erite it nur als Fragment zu uns gekommen und wird von den Philologen nie ala Roman aufgeführt, it e8 aber volllommen, denn bieteingeftreuten Verſe heben die Gattung nicht auf. Den zweiten haben wir Dagegen ganz erhalten; er iſt wichtig in vielfa- her Hinficht, aber doch eigentlich nur Nachbildung, wenn auch fehr felbftftändige, während jener als Original da fteht.

Petronius, mit dem Vornamen Titus, mit Dem Beinamen Arbiter (er foll Directeur des menus plai- sirs am Hofe des Nero geweien feyn um 66 nad) Chriſtus und fich auf Befehl des Tyrannen felbft ent» leibt haben *)) ift der Verfaſſer des erfteren, Saty⸗ tion genannt, in weldhem er mit keckem, derbem Griffel die Folofiale Bügellofigkeit Unteritaliens ſchil⸗ dert. Die Scene if in Großgriechenland: Encol» ping, der Die Begebenheiten erzählende Held der Ge» fhichte, beginnt mit einer Klage über den Verfall

©) Niebuhr behauptet dagegen, er habe erft in der Mitte des dritten Jahrhunderts gelebt. S. deſſen kleine biftorifche und philologifhe Schriften, Bonn 18285 Bd. 1. S. 337 fode. Die erfte Ausgabe des Petro⸗ nius erfchien zu Venedig 1409 in 4.; eine franzöftfche Neberfegung von Robot, Paris 1604 in 12. und öfte⸗ ver; deutſche (von Heinfe), Rom (Schwabach) 1773 von X. Gröninger, Berlin 1796 u. ö.

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ber Berebfamkeit; während er auf die Antwort bes Hgamemnon, eines Lehrers diefer Kunft, achtet, ver- liert ee feinen Gefährten Afyltos. Auf feiner Wan⸗ derung durch die Stadt wird er von einem alten Weibe nad) einem Drt gebracht, wo gar böfe Dinge vorfallen. Dann folgen andere loſe zuſammenhän⸗ gende Begebenheiten und Beichreibungen, wie z. DB. das Felt des Trimalchio u. f. w., bei weldhen, Da fie zu locker mit einander verwebt find, Das Frag mentarifche durchleuchtet. Ausführlich läßt fich der Inhalt nicht erzählen, und wer aus Lüfternheit neu⸗ gierig Danach ift, möge ſich zum Driginal wenden. Die berühmtefte Epifode darin ift die befannte, viel fach nachgebildete Schelmerei von ber Wittwe von Ephefus, welche faft alle Nationen fi) angeeignet haben als fchlagendes Beifpiel der Weibertreue und ihrer Dauer. Petronius Styl wird fehr gelobt, we» gen feiner Eleganz, Raivetät und Klarheit. Das Buch hat aber auch fonft viel Treffliches, trotz ſei⸗ nes verabfchenten Inhalts; man muß auch dem Beu- fel fein Hecht laſſen. Die Darftellungen raffinirte- fter Behaglichkeit im brutalen Wohlleben find aus⸗ gezeichnet, plaſtiſch, mit rafchen, feiten Pinfelftri= chen und Doch mitunter äußerft fein; hinter Dem Gan⸗ zen ſteckt aber ein fchlauer ironifcher Schall, der fehr wohl weiß, was er will, während er die Menge ergögt mit Allem, worin ſie ſchwelgt und fich wälzt. Den. zweiten Roman hat Lucius Apulejus aus Madaura in Afrifa (um 175 n. &. ©.) verfaßt; . er heißt die Verwandelung oder der (goldne) Efel,

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und ward mileftfcher Weife nachgebildet. Der Stoff war, eben fo wie ber Efel Lucians, den Metamor« phofen des Lufios von Patras entlehnt, aber vom Apulejus felbftftändig verarbeitet und ausgeſchmückt *). Der Autor erzählt in eigener Perfon, Daß er nad hefialien gereift fei und in Sypata bei einem ges wien Milo gewohnt habe. Die Gattin diefes Man⸗ nes ik eine arge Bauberin. Apulejus knüpft eine Sehfheft mit ihrer Magd Photis an und wohnt, nad einer argen Muyftification, den Beichwörungen der Frau vom Haufe bei. Sie beftreicht fich mit einer Salbe, verwandelt fi in eine Eule und fliegt fort. Er will ihr Das mit dem Beiſtand der hüb- ihen Magd nachmachen, Photis vergreift ſich aber in der Salbe und ber Jüngling wird in einen Eſel verwandelt. Er erfährt zugleich von Der Gelichten, daß nur ber Genuß von Roſenblättern ihm feine vorige Geſtalt wieder verſchaffen könne. Er wird ges

*) Golden nannten Die Verehrer dieſes Buches daſ⸗ ſelbe, vieWeicht weil überhaupt milefifhe @rzählungen ſo genannt wurden. So fagt Plinius in einer feiner &pifteln (I. 20): Assem para et accipe auream fahu- - m. Die erfte Ausgabe bes Apulejus trat 1650 in 8. zu Gouda von 3. Pricaeus beforgt an das Licht. Die befte veröffentlichten Dudendorp und Ruhnten, Leyden 186 in 4. Eine italienifche Uebertragung verfafite J. Firenzuola, Venedig 1550 in 12. u. d.; eine deut⸗ he 2. von Wyle, Straßburg 1499 und X. Robe, Deſan 1783.

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raubt, Hat allerlei traurige Schickſale, erlebt wun⸗ derliche Begebenheiten und erlangt endlich nad) vie⸗ len Irrfahrten bei einem Feſte der Iſis, wo er den Kofenfranz frißt, den ber Priefter auf dem Haupte trägt, feine menfchliche Geftalt wieder, Dies iſt in raſcheſten Bügen der Inhalt eines Buches, Das die ftrengen Philologen wegen feines üppigen afrika⸗ nifhen Styls, in welchem Nichts an Cicero erinnert, faft mit Abfchen betrachten, welches aber eine Fülle lebendigen, poetifchen Geiſtes enthält und zugleich eine bedeutende Duelle für die Kenntniß Der wun⸗ berlihen Glaubensanfichten jener Tage darbietet. Eine große Anmuth der Darftellung und zugleich ein Bewußtſeyn wohlthätigen Weltgenuſſes, fowie ein behagliches aber immer feines, ja mitunter vorneh- mes Sich= gehen =Taflen treten dem Leſer fogleich ent⸗ gegen in bemfelben, bei näherer Betrachtung findet er aber auch, Daß Manchem eine weit tiefere Idee su Grunde liegt, und Daß der Verfaſſer dem ober» flächlichen Publicum, das nur angenehmen Beitver- treib verlangt, eben fo fehr zu gefallen ftrebte, wie dem geſchmackvollen und denkenden. Beides ift ihm gelungen und mag es zu jener Beit noch mehr ges gewefen feyn, als es uns jeßt erfcheint, und eines | ausführlichen, bei unferen Mitteln immer nur lüden- haften Commentars bedarf. Daß Apulejus übri- gend, wenigitens an mehreren Stellen, auch allego- rifch wirken wollte, liegt Flar vor Augen und war | dem Gefchmadfe jener Tage völlig angemeflen, na mentlich fpricht die jo trefflich erzählte Epifode Der

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Puhe Dafür. Ich glaube aber eben fo wenig, daß das Ganze eine ununterbrochene Satyre auf ſei⸗ ner Beitgenofien Sitten, als eine Apologie Des Hei⸗ benthums gegen Das Ehriftenthbum, wie Warburton in feiner Schrift über Die göttliche Sendung des Mo» fes behauptet &, feyn folle. Gegen das Erftere fpriht Die tändelnde, aber bis in das Kleinfte ges bende Ausmalung einiger Scenen, namentlich grob« ſinniger Genäffe, bie fich in dieſer Abfaſſung durch⸗ aus nicht mit dem Ernfte des Satyrifers verträge, denn an der Schilderung des Verhältniſſes mit ber hübſchen Magd fcheint der Autor fein eigenes wol⸗ lüſtig fchmunzelndes Behagen zu Haben; gegen das Zweite aber die ganze Art und Welfe der Abfaſ⸗ fung nur zu fehr. Apulejus borgte feinen Stoff vom Zufios oder Lukian und behandelte ihn auf feine Weiſe in der Form, welche Die freiefte war und’ ihm Gelegenheit gab, feine Phantafte nach allen Seiten und in allen Weifen wirfen und jpielen zu laſſen, was er denn auch mit größter Willlührlichfeit that. Daß er aber nichts weiter als einen Roman ſchrei⸗ ben wollte, eine mileftfche Erzählung, liegt am Zages hätte er vorherrſchende andere Zwecke gehabt, fo hätte er auch vor. allen Dingen die überall durch⸗ blickende Ronchalance und das Vergnügen an weich«

licher graziöfer Gruppirung von fich abgeftreift. Wir haben bisher den Roman nur als eine Fa⸗

*) S. Dunlop, History of Fiction. I. Ed. Lon- don 1816; Vol. J. ©. 146.

43 milie Tennen lernen, Die fich im Auftreten einzelner eng verwandter Blieder zeigte, und mit fehr wenigen Aus⸗ nahmen, ſtreng zufammenhielt. Ihre charakterifti- {hen Merkmale find fchon bereits oben angegeben wor⸗ den, fie zu wiederholen wäre überflüſſig. Wir kommen nun zu dem Beitpunfte, wo eine Erbtheilung anfängt und ſich aus der einen Familie mehrere, ftet8 jedoch genau verzweigte Branchen bilden. Dazwiſchen liegt ein bedeutender Beitraum und eine bedeutende Beit voll ftttlicher und focialer Gährung, häufig bis zum Auf⸗ braufen und noch ftärfer, während welcher Diefe Gat- tung der Poeſie nie gedeiht, denn ihre Baſis ift Die Ruhe der Betrachtung und Diefe Fonnte nicht ge⸗ währt werbeh, da zu gewaltige Elemente zu ges waltfom mit einander kämpften. Das Wurzelfchla- gen bes Chriftenthums im Abendlande, Der Fall des zömifchen Reiches, Die unaufhaltfam drängenden La⸗ voftröme ber Völkerwanderung, das Ueberfchreiten ı der Givilifstion von Süden und Südoft nad) Nord» weit, Alles dies bis zur völligen Blüthe ber Lehre von der Erlöfung in den Nationen, nicht bloß im Beifte Einzelner, und Die gewaltigen Kämpfe, nicht für die Vertheidigung, fondern für Die Verbreitung Diefes Glaubens Tiegt bazwifchen und führte giganti- She Stoffe mit ſich, welche fich anzueignen und zu verarbeiten nicht einem oder ein Paar Derennien allein gelang; dazu bedurfte e8 ganzer Jahrhunderte. Wir. haben daher faft ein Jahrtauſend zu überipringen ehe wir zu der Periode gelangen, in welcher ber Roman ſich in der oben angebeuteten Weiſe feftigte.

Eine großartige leitende Idee herrſchte in dem gan⸗ zen. Geſchlechte vor und bildete Die Baſis aller ein⸗ zelnen Glieder deſſelben: Die Des Kampfes und Un⸗ tergange® des polytheiſtiſchen Glaubens mit gewals tiger, Tange nachhallender Wirkung auf die monothei- ſtiſche Lehre Ehrifti und den glorreichen. Sieg, biefer letzteren in ihren vielſeitigen fittfichen, wie gefell- thaftlichen Offenbarungen. Welche Nation ich mit Bewußtſeyn dieſer Idee bemaͤchtigte und fie zuerſt im Xomane verſtunlichte, das zu unterſuchen, möchte bier eines Theiles weit über die und gezogenen Schranken hinansführen, anderen Theiles immer läk⸗ kenhaft bleiben, da das dazugehörige. Urkundenbuch noch zu viele leere Blätter hat. Eben fo wenig kön⸗ nen wie uns anheiſchig machen, hiex das Weſen der Poche, welche auf jener Idee berußt, und Die man, der Antike zum Gegenſatze, Die romantiſche Poeſte nennk, zu entwickeln, ſondern müſſen die Kenntniß deſſelben, wenn auch. nur im. Allgemeinen, bei dem Leſer vorausſatzen. Uns bleibt, um nicht zu weit wom Wege abznkommen, die. Nothwendigkeit, ‚die Monumente im Auge zu behalten, bie ben Pfab bezeichnen, dei wir vachzugehen Haben, und. ıfe.von Beichen zu Zeichen fortzuſchreiten, um an ihnen zu erkennen, wie man bie Bahn brach und verfolgte; was. verlorem. ging. oder zerkrämmtert: wurde, Darf bier für. uns gar nicht da gewefen; Fey. ::. Wir. Jafs ten alſo den Streit, .ob die @panier, .ibie Pro⸗ " vengalen - oben... bie: Rordfranzofen begannen, und die ih daran haͤngende Frage, welchen: fonmelen 4

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der Berebſamkeit; während er auf die Antwort des Agamemnon, eines Lehrers dieſer Kunſt, achtet, ver⸗ liert er ſeinen Gefährten Afyltos. Auf feiner Wan⸗ derung durch die Stadt wird er von einem alten Weibe nach einem Ort gebracht, wo gar böſe Dinge vorfallen. Dann folgen andere loſe zuſammenhän⸗ gende Begebenheiten und Beſchreibungen, wie z. B. das Seit des Trimalchio u. f. w., bei welchen, Da fie zu locker mit einander verwebt find, Das Frag mentarifche durchleuchtet. Ausführlich läßt ſich der Inhalt nicht erzählen, und wer aus Lüfternheit neu⸗ gierig danach ift, möge fich zum Driginal wenden. Die berühmtefte Epifode darin ift die bekannte, viel» fach nachgebildete Schelmerei von der Wittwe von Ephefus, welche faft alle Rationen fi) angeeignet haben als fchlagendes Beifpiel der Weibertreue und ihrer Dauer. Petronius Styl wird fehr gelobt, wes gen feiner Eleganz, Naivetät und Klarheit. Das Buch bat aber auch fonft viel Treffliches, trotz ſei⸗ nes verabfcheuten Inhalts; man muß aud) dem Teu⸗ fel fein Hecht laſſen. Die Darftellungen raffinirte- ſter Behaglichkeit im brutalen Wohlleben find aus⸗ gezeichnet, plaftifch, mit raſchen, feiten SPinfelftri- chen und doch mitunter äußerft fein; hinter dem Gan- ‚zen ſteckt aber ein fchlauer ironiſcher Schall, Der fehr wohl weiß, was er will, während er Die Menge ergögt mit Allem, worin fie jchwelgt und fich wälgt.

Den . zweiten Roman hat Lucius Apulejus aus Madaura in Afrifa (um 175 n. &. ©.) verfaßt; . er heißt die Verwandelung oder der (golöne) Efel,

henderte dar. Un eigentliche Neflechlon über bas Vorhandene war noch nicht zu denken, denn hie Fülle bes Stoffes zeigte ſich zu groß und Der Drang zuc Refleetion fand Befriedigung: im abftracten Chriſtenthume, Das Die höchßen und garteften In⸗ terefien berührte und tung; jene conczeten Maflen nußten aber erft ber Darſellung angerigiut werben und fielen Daher der epifchen Poeſie zu, die: immer dad erſte Refultat des vollen aufwachenden Selbſt⸗ bewaßtſeyns eines Volkes ik. Se bildete ſich das romantiſche Epos, (eigentlich nur ein Roman in ſtreng poetiſcher Form) im Aufange bloß den Höher⸗ ſtehenden im Volke zugünglich, Denn immer. miehr binabfteigend und in Die breite, bequenme Profn des taͤglichen Lebens überfegt, wie aus einer Sprache im Die andere, eigenklichen Roman and.: weit Bolt bach werdend.

Eine ganz genaue Aeberſicht ber hieher neh gen poetiſchen Denkmale jener Beit zu geben, tft nicht wohl möglich, da noch, troß dem Eifer, mit veih die Franzoſen fich gegenwärtig damit befchäftigen, zu Vieles in den Bibliotheken ſchlummert und eineb kundigen Wearbeiters und Herausgebers harrt. Im Allgemeinen lãßt ſich folgende Rubrizirung a am Beſten nach den Quellen annehmen:

I. Romantiſche Epopöen, welche rein lirchlich chriſtliche Stoffe behandeln. Hieher gehören alle Legenden u. |. w.

1. NXomantiſche Epopöen, weiche. nationale aut

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viſche Stoffe behandeln. Biete verfallen wie-

der in . 4) Rormannifche Romane. 2) Bretoniſche Romane.

IH. Romantifche Epopöen, welche nationale frän-

kiſche Stoffe behandeln.

IV. Romantiſch⸗ epiſche Behandlungen antiter |

‚Stoffe.

V. Ronantiſch⸗ epiſche Behanblungen vereingelter

Stoffe oder gemifchter Gattung; hierher gehb⸗

zen namentlich Die Contes.et Fabliaux, ‚der

ſatyriſche Woman u. ſ. w. VL Der allegorifche Roman.

Die erfte Klaſſe näher zu charakterifiren, Fr bier

nicht Der Ort, da. e8. zu weit führen märbe; ihre

Duellen waren: das alte. und neue Teſtament mit weitefter Ausbildung der dargebotenen Stoffe durch

: Phantafte und Tradition, jeboch ohne beſondere Ein» foirkung. auf die fefte Geftaltung nationaler Verhalt⸗ pite,. wie fie ſich in einer Abtheilung des bretoni⸗ ſchen Epos ausſpricht; die Geſchichten. der Heiligen . anb, Märtyrer, und endlich bie Geſchichten von from⸗ men Männern, und Frauen bie,. urſpruͤnglich dem Geiſte der Kirche fremd, ſich ihr im weltlichen Leben gänzlich zum Eigenthume hingaben. Zu den bedeu⸗ tendſten dahin gehörigen uns aufbewahrten Werken ſind zu zählen: Die Reife des heiligen Brandanus nach dem irdifchen Parabiefe, von einem unbefunnten Dichter um 1121; Berengiers Bearbeitungen’ bibli- fiber Stoffe, wie der Leidensgeſchichte Des Erlöſers,

des Lebens ber Heiligen Sungfenu u. f. w.; ber Ras man d’Eracle l’empereur,.zu Anfange bes dreizehn⸗ ten Jahrhunderts verfaßt; das Leben des Thomas Becket von Garnier ober Varniers um 1182; bie Geſchichte der Siebenfrhläfer ; das Leben des heiligen Joſaphat, von dem anglonormannifchen Poeten Char⸗ dry um 1250; das Fegefener des heiligen Patric, von Marie de France; das Xeben ber heiligen Eli» fabeth, von Rutebeuf u. a. m. *).

Die norbifchen Stoffe wurben entweder von ben Kormannen nach Frankreich gebracht, ober geichicht- lich duch fie hier ausgebildet, oder endlich, nachdem fi) Diefe Eroberer Englands bemächtigt hatten, dort vorgefuniden, von ihmen angeeignet und romaniſchen Dichtern überliefert. Ihre Queen find daher der Gefhichte der Rormandie und der Normennen aus

*) S. Roquefort de Iietat de la podsie frangalse dans los XH° et XIlle sieddes. Paris 1821. ©. 234-238. Die 2egende vom Beiligen Branbausk ſcheint ein Liebling des Mittelalters geweſen zu ſeyn; urſprünglich bretoniſch, ift fie fait gleichzeitig in bes meiſten enropäifhen Sprachen bearbeitet warden, ja fle erlebte felbft mehrere Behandlungen in’ einer und berfels ben Sprache. ©. La legende latine de 8. Brandaines avee une traduction inedite en prose et en podkie. ro- manes von A. Jubinal. Paris 1836. &. VII. und fgdt der Vorrede; die übrigen. bier genannten reigiöfen Ro⸗ mane find mit Ausnahme ter beiden Tanteren noch nia⸗ duch) den Druck veroͤffentlicht morben.. ..

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feüherer Beit entlehnt, ober Sagenkreiſe, welche ſich bei den Briten vorfanden. Das Medium waren meiſt urfprünglich mönchifche Behandlungen Biefer Stoffe und Sagen, welche biefelben ber Geſchichte und Chronik anzueignen ftrebten und fle in Iateinis ſcher Profa behandelten. Diefes Hinüberziehen zur Geſchichte wird im rein romanifchen Epos feſtgehal⸗ ten. Als die vorzüglichften Documente defielben find hier gu nennen: Le Roman du Rou, von Robert Ware oder Gaſſe, Domheren in Caen (geboren zu Jerſey um 1112, geftorben um 1180), ftreng genom⸗ men nur eine Reimchronik, in welcher in drei Ab⸗ $heilungen die Thaten der normanniſchen Herzoge in der Normandie, von Rollo an bi8 zur Beit Sein“ rich's I., fowie die Abenteuer früherer norbifcher Helden trefflich erzählt werben*); ber Roman de Robert le Diable, diefer erzählt gar feltfame Dinge von einem Herzoge ber Normandie, das Ganze ift jedoch düſter, mährchenhaft, im nordiſchen Geifte ges ſchrieben und ward ſchon früh nicht blos in Frank⸗ reich, fondern auch in England zum Wollsbuche**).

*) Der Roman de Rou erfchien bereits im Drude: Le Roman de Rou et des ducs de Normandie, par Robert Wace. Publie d’apres les manuserits de France et d’Angleterre par F. Pluquet Rouen 1827, 2 voll. in8 |

**) Von dem Diet. de Robert le Diahle findet fich eine Hanbfhrift in der Eöniglichen Bibliothek in Paris: Mss. fonds de l’Eglise da Paris NY. Das Volks⸗

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Schhihtlidg ſeßer, obwohl auch mit aller Willie licgkeit Der Sage, ſtellt fich der dem vorigen fih an⸗ ſchließende Roman von Richart sans paour, dem Sohne Robert’8 des Teufels, der, der eben fo ſchnell Volksei⸗ genthum, ward und als ſolches bis auf ben heutigen Fag feine Geltung bewährt bet*), Heben großer Roh⸗ heit offenbar fi in dieſen Romanen cine große Züchtigkeit und Unbefangenheit des Gefühls rechtli⸗ cher, männlicher Kraft und verleiht ihnen heſonde⸗ ven Werth. Dadurch, daß zuletzt von Richart erzählt wird, er fei mit Sarl dem Groſien nach Spanien ger zogen **), hielt fi) Das nermannifche Epos in Ver⸗ bindung mit dem fränkifchen Eyclus, fowie es an einer anderen Stelle auch auf ben bretoniſchen Kreis von ber Zafelrunde hinmeikt.

Die bretoniihen Romane bilden eine große Ya-

buch in Proſa iſt ſehr oft aufgelegt worden. Die ältefte Ansgabe erichien 14086 gu Lyon in dio, die englifche Bearbeitung gab zuerſt Wynkyn de Worde (das Jahr it ungewiß) heraus. S. W. J. Thoms Collection of early prose romances London 1828. &.1 ©. I fgbe. $) Gin nener Adrud der überans feltewen poetifchen Bearbeitung erſchien Fürzlih zu Paris in der Collection de Poesies, Romans, Chroniques publidce d’aprös d’aneiens Manuscrits et d’apres des Editions des XV et XVI sidcles. Paris. Silvestre 1838. No. 4. 5) Es heißt nämlich dafelbſt D. 111 v.: Avcoqgues charlamaigue asltre los mouse Pünsn, Bi sg de guane prowsme pn kant comme il dur.

mitte, Ihre Quelle entiprang auf eiht bretoniſchem Boden*), aber fie floß durch das trübende Element mönchiſch⸗ Tateinifcher Chronikenbehandlung und brei= tete fi) Daun, ba ber vorherrfchende poetifche Ge- ſchmack ſich dieſelbe anelgnete, mit Hälfe der Phan⸗ tafte in taufend Armen aus, Denen allen der em=- pfänglihe Sinn der Beit reiche Nahrung zuzuführen wußte. Gualter, Archidiakonus zu Oxford, fand im 413. Zabrhunderte auf einer Reiſe in der armorika⸗ nifchen Bretagne eine nieberbretonifch gefchriebene Chronik vom Brutus von Bretagne, welche Galfred Arthur, Archidiakonus von Monmouth, auf Veran⸗ laſſung Robert’8 von Caen, in: das Lateiniſche über⸗ fegte**). Dieſe bearbeitete nun wieder auf feine Weiſe poetifch Robert Ware ***) und aus ihm ſchöpf⸗

*) &, Sharon Turner, a vindication ef the anclent British .pvems. London 1803. . Chaucers: Ganter- bury Tales. The Franklins Prolngue V. 2240. fede.

**)_@.. Tho Myvyrian archaeology of Wales etc. London 1801 1307. BB; IL No. 3. Serner: Hi- storia Regum Britanniag, abegedrudt. in Rerum Britan- picarum -sgriptores veiustiores ac praecipui. Heidel- hergae 1587. Fol.

+3*) (Gin anglo⸗normanniſcher Aronvore geboren zu Jerſey um 1112, geſtorben um 1180. S. über ihn die Archaeologia Britannica. vol. XIL, wo ihm der gelehrte de la Rue .eine eigene Abhaudlung gewibmet bat. Der Roman du Brut warb fpäter von Rusticien de Pise (gleid) allen anderen Romanen aus jenen Sageukreiſen

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ten wahrſcheinlich alle ankern Deounöres, bie ben gen gebenen Faden nur mit den bunteften Karben fort- ſpannen. Diefe Chronik iſt eigentlich Nichts, als eine Sammlung von Volksſagen über bretoniſche Kö⸗ nige, von dem Trojaner Brutus, vom Ater, Ar⸗ tus, Merlin bis zum Könige Gonftahtin (542 a. €.) binunier. Drei Glemente tueten hier deſonders her⸗ vor. und manifeſtiren ſich überall in dem ganzen Kreife, bes zwei Abtheilungen beſtehtt VBretoniſche Sage, myſtiſche Auffaffung des Chriſtenthumsund germanifche Sitte. Die erſte Abtheilung bilden bie Fomane von König Artus und feiner Defelrunde, bie zweite, Die Romane vom heiligen- Graal. Dort werden Die Thaten und Abentheuer des Artus und der würdigften Nitter dee Tafelrunde, welche ter, des Artus Water, begründete, mit ſeltener Ausſtat⸗ kung romantiſch⸗ epiſch darſtellender Phantaſie bes handelt. Hier Dagegen die Thaten der Ritter ber Maſſenie, d. h. der Verbrüderung zum Dienſte des heiligen Graals, der wunderbaren Schüſſel, in wel⸗ Ger Joſeyh vom Arimathia das Blut und den Schweiß des gekrenzigten Heilandes aufbewahrt, nachdem disſom früher das Oſterlamm Batin war auf⸗ getragen worden. Joſeph brachte das koſtbare Ge⸗ fäß nach England, wodurch das ganze Land chriſtlich wirde, er vertraute es ſpäter feinem Neffen an; es ging aber verloren; das Streben der verſchiedenen une " . . . .

in Yroſa uͤbertragen und erſchien gedruckt unter. dem ditel: Le roman du roi Artus. ‚Rouen'1488. in Sol.

38 R -

Nitter, es wieder gu erlangen und bie endliche Gr⸗ singung bes Kleinodes duch Parcival bilden ben Zuhalt der einzelnen Remane, welche zwar mehr dieſer Abtheilung angehören, aber auch jene berühren. Die vorzuͤglichſten Romane des eriten Halbeyelus . and: der Roman vom Bauberer Merlin, (franzöftih nur in fpäterer proſaiſcher Bearbeitung vorhanden) *), Lancelot du Lac zuerſt von Gautier de Map, Tpäter von Ehreftien de Troyes um 1190 und Geoffeny de Zigny poetifch behandelt, endlich in Proſa übertra- gen und weit verbreitet **); Triſtan de Beonneis zuerſt von Luces de Gaſt um 1170 in Proſa und Berfen, dann von Ehreftien de Zroyes um 1180 ganz in Berfen bearbeitet ***); Melindus yon Ruſticien be

- *) La Vie et les Propheties de Merlin. Paris 1498, 3 voll, in Sol. Pergl. Bihliotheque des Ro- mans, T. 1. Juillet 1775. 8, v. Schlegel's Geſchichte bes Bauberers Merlin. Berlin.

**) &, über die verſchiedenen fpäteren, befonders yrofaifiben Bearbeitungen dieſes Momens, Ebert, bibl. Orr. Wr. 116738-—11683, Bibl. des Romans. Octohre 1775. I, 62% und Avril 1777. I, 67. geruer Dunlop; History of Fiction I, 253.

#88) &, über diefe Romane vorziglich Duilop. Hi- story of Fiction, 2 Ed. Edinhurgh 1816. T.L ©. 154-—-367., wo ber Hauptinhalt derfelben ausführlich mitgetheilt ift und W. Schmidt's Recenſion dieſes Wer⸗ kes in ben Wiener Jahrbüchern Bd. XXVI. und fgde. Bel, ferner: Uhlaud, uͤber das altfrangblifche. Epos in

Puife, Binte le Triſte, Erek und Enide und Iwein, ber Kilber mit dem Löwen*), beide von Chreſtien de Troyes gedichtet. Dieſen ſchließen ih noch an⸗ dere, größere und kleinere epiſche Gedichte, wie Gy- ron le Courtois, le petit Artus u. ſ. w., welche ein⸗ zeln aufzuführen, zu weit führen würde, an. Ba bent zweiten Halbkreiſe gehören vorzüglich le Roman du St. Graal, Perceral, Garin le Lobernin **) und Perceforest.

Um dem Lefer einen deutlichen Begriff von bey Art and Weiſe ber Behandlung dieſer Stoffe zu gen ben, deutlicher, als alle raifounirende Charakteriſtik es vermag, wollen wir den Inhalt des vorzüglichften und feiner Tiefe wegen unbedingt werthvolliten diefer Romane hier in Furzer Ueberficht mittheilen. Dieh tft Perceval, aus bem ber beutfche Dichter Bolfrkm von Efchenbach ein fo wunderbares Werk ſchuf ***), Der Held dieſes nach ihm genannten Romans Kat

der Beitfchrift: die Muſen, herausgeg. von be Ia Motte Fonuqus und Reumann. Berlin 1812, 3. Dust, . *) Befanntlich nuch deutich’von Hartmaun von bes

Aue, beransgegeben von Beneke und Lachmann. Bes lin 1827. '

**) Herausgegeben von Paulin Paris, Li Romans de Garin le Loherain. Paris 1835. 2 Bhe.

*6*) ©, die teefflihe Characteritil von Wolfram van Eſchenbach's Parcival in des geiftreichen. und feinfinnigen Roſenkranz Gefchichte der deutſchen Poeſie im Mittelal⸗ ter. Galle 1830. ©. 203 u. fgde.

.

feinen Bater und feine älteren Brüder ſchon Fra verloren; feine Mutter ergieht ihn In ihrer Heimath Wales zu völliger Unfenntnid des. Nitterweiens und der Waffen, und feiner. eigenen Büchtigkeit unbe⸗ wußt, wächſt er auf. Da trifft er eines Tages fünf Nitter in vollem Kriegsſchmuck im Walde; dieß Tape ven Entſchluß in ihm auffteigen, hinaus in die Welt zu ziehen; bie Mutter geftattet es ihm endlich und giebt ihm viele gute Lehren mit. Er reift nun nad) Carduel, wo König Artus Hof hält, befteht unter- weges einige Abenteuer, bei welchen er der Mutter Nathſchlaͤge wunderlih in. Anwendung bringt, und teifft bei feiner Ankunft im Herrſcherſchloſſe einen Nitter in rother Rüftung, ber fo. eben den Herr⸗ ſcherſitz verläßt und ihn fragt, wohin er wolle. „Deine Rüftung vom Könige Artus verlangen.” Er reitet nun ohne Weiteres in Die Halle, ws ber König vollen Hof hält und ihm. uerfpricht, ihn zum Ritter zu fchlagen, wenn er vom Pferde fteigen und Gott und den Heiligen ein. Gelühde ablegen wolle. Herceval will aber nur zu Pferde dieſe Ehre em⸗ fangen, weil bie Ritter, Die er im Walde traf, auch zu Pferde. faßen; ferner verlangt er die Erlaub- niß von dem Könige, Dem rothen Ritter, ber ein

Zodtfeind deg Artus war, Die Rüſtung abzugewin-

nen. Creux, des Königs Senefhall, verſpottet ihn deswegen, eine Dame aber, die zehn Jahre hindurch nicht gelacht, tritt auf den Jüngling zu unb verkün- det ihm Lächelnd, er werde einer ber. tapferften und

muthigften Ritter werben. Kergerlich Darüber, gieht -

er

übe der Seneſchall einen Vackenſtreich unb wirft bes Ronigs Narr, der vor dem Heerde figt, in das Feuer, weil diefer gefagt, die Dame werbe nicht eher lachen, als bis fie den erblickt, ber die Blüthe der Ritter⸗ fchaft feyn werde. Perceval wird endlich auf feine Bedingungen zum Ritter geichlagen, fucht den rothen Ritter auf, umb erhält defien Waffen, indem er ihm im Zweikampfe tödtet; er weiß nicht recht mit Dem Helme und den anderen Stücken umzugehen, aber fein Snappe Suyon hilft ihm und raͤth ihm, auch fein Uintergewand mit bem bes Erfchlagenen: zu ver⸗ taufchen. „Nie will.ich Das gute hänfne Hemd ab» legen, das meine Mutter mir gemacht bat,’ ant⸗ wortet aber der. Tüngling, begnägt fi mit der Kür fung und. lernt erft jet Steigbägel und Sporen gebrauchen, Die. ihm früher überflüffig fchienen, da er ahne Sattel ritt and: fein. Roß mit einem Stecken lenkte. Der Bufall: führt ihn nun zu einem Ritter, der ihn in den: Pflichten ſeines Standes unterrichtet und ihn überrebet, feinen ländlichen Anzug. mit. einem ſtattlicheren zu vertanfchen. Perceval nimmt. Das Abſchied von ſeinem Meiſter und gelangt nach dem Caſtell Braurepaire, das von einem Frinde belagert wird und aus Mangel an Lebensmitteln ber Ueber⸗ gabe nahe iſt. Blanchefleur, die Herrin bes Schloſ⸗ ſes, Sucht ihn, fo gut x8 gehen will, zu bewirthen; er befreit fie dafür von ihren Widerſachern, Imbem er deren Führer im.Bweilanpfe beſtegt und nad) vem Hofe: des Königs: Artus: fendet mit dem Auftrags, ber Lücheluden. Dame zu melden, er werde den Wak⸗

Tenftreich, den fle empfangen, rächen: Bon Beau⸗ repaire begieht er ſich nun an den Huf feined Oheiuss, des Könige Pecheur, wo er ben. heiligen Graal und Die heilige Lanze, mit welcher ber Erlöfer verwun- bet worden, findet. König Pecheur leibet an Wun⸗ den, die er in feiner Iugend empfangen und Die ſich nie geſchloſſen haben; fie würden geheilt ſeyn, ‚wenn Perceval ihn. gefragt hätte: Wozu nützt ber.heilige Graal und warum teopft Blut von ber Lange, fo wie Anderes mehr; dies fällt ihm aber nicht ein, ex ſteht und ſchweigt und macht ſich auf, zu Artus zu⸗ rũckzukehren. Unterweges beflegt er viele Ritter und feubet fie als Boten vor ibm her. . Nachdem er Dann dort angelangt ift, rücht er die. Dame an Dem Seneſchall und begleitet Artus nach Carlion, wo dieſer vollen Gof halt. Hier fieht er eines Zuges Die Dame Gibenfe vorbeikommen, Die ihm zürnt, weil er den Hof feines Oheims ſchweigend verlaſſen; fe überladet ihn mit Merwünſchungen. Dieſe Dame iR ein Ausbund von Schönheit nad ber Beſchrei⸗ bung, Die der Dichter von ihr macht. Ihr Hals und ihre Hände fiad nämlich braun wie Eifen, ihre Augen ſchwärzer «ls die eine Mehren und Flair als Die Augen einer Maus; Fe hat die Naſe tier Katze oder eines Affen, Lippen wie ein Dchie, Bühne gelb .wie Eidotter, einen Bart wie eine Biege, biw ten and vora einen Buckel und Säbelbeine. Nach⸗ Dem fie fich bei dem Könige entſchuldigt, daß fie. um einer weiten Reife willen nicht Iänger weilen Töne, erzählt fie von einer Burg, we 570 Witter mit

iheen Damen atfangen gehalten werben. Die Befreichg berfelben ‚bietet nun Der Bapferleit ein weites Feld, und die Abentener mehrerer Witter, ‚namentlich Des waren Banvain, Neffen bes Königs Artus, wreden fehr ausführlich erzähle. Perceval widmet ſich fünf Jahre Yang ritterlichen Ehaten und vernachläfftgt die Nebungen dee Frommigkeit gänzlich da trifft ve in einem Walde zehn Daumen und Drei Ritter, welche Buße thun für frühere Vergehen; ihre Antschaltung erbuut ihn ſehr, er geht in Reh und Beichtet einem Einſtedler, ber ein Vruder bes Könige Pecheut ik, Gr macht fih dann anf ben Weg zu feinen Oheim, um jene Fragen zu th, TommE. wieber nach Beanrepaire, wo er brei Bage Sei Blanchefleur verweilt, gelangt dann zum Könige Sechtur, deſſen Wunden buch feine Fragen geheilt werben: und kehrt Darauf au Artus Sof zurack. Hier wird ihm Die RNachricht von ſeines Ciheens ober} er zieht mit Artus und been Gefolge hin, um Rh Yeönen zu Iaffen, und erbt die heiligen Reliquitit unter denen namentlich ber. heilige Graal, weichen, von einer Jungftau drei Mal um die. Tafel getragen, ſich ut allen erwunſchten Leckerbiſſen FALL und Artus und feine Ritter in Erſtannen fegt. Nachdem :bie Letzteren wieder fort find, begiebt ſich Perceval iu em Einſtedelei, wohin er den heiligen Graal milr minnet, dor ihn bis an. fein Ende mit Nahtung wer ſorgt. In dan Augenblicke feines Vodes werben bit heiligen: Dinge vor: den Blicken der Umſtehenden zum Simmel entruͤckt und ſiad ſaitorm nie wirder auf Wir

deu gefchen worden. Perceval's Leiche wird nach tem Palais ayentureux: gebracht und neben beim. Kö⸗ ige: Pecheur beigefeht. Die Inſchrift anf feinem Grabe lautet: Hier ruht Perceval ber Gaele, der die Abenteuer des heiligen Graal vollendete.

Die Hauptidee dieſes Gedichtes ſpricht Goethe im Fauſt mit folgendes, Worten aus: Ein guter Menſch in feinem dnnfeln Drange .. * Iſt ſich dei rechten Weges wohl bewußt. " und Niemand. wird leugnen ‚wollen, daß fie im Per⸗ ceval nicht höchſt ‚poetifch. durchgeführt ſei. Gerade die Unbewußtheit, mit ber er überall aus innerem Gefühle das thut, was Noth und Recht verlangen, ohne ſich mit Fragen aufzuhalten, ohne überhaupt zum Worte feine Zuflucht zu nehmen, wo er haudeln Tann, iſt eins der poetiſcheſten Motive, bie je, ein Dichter auf Die Ausſtattung - feines. Gelben : verwen⸗ dete, denn fie harafteriirk.. vollkommen; bie :'gofindr lichſte und natürtlichſte Zũchtigkeit. Uebenall bringt ein echtes Gefühl des Rechten und Guten durch, über⸗ all iſt Wahrheit in: den Empfindungen und. ein uns verdorbenes rein menſchliches Element: liegt gu: Grun⸗ Bes: zuexft iſt kindliche Liebe und Gehorſam ſein Leit⸗ ſtern; dann Tapferkeit ala Schutz der. Schwachen und Bebrängten, zuletzt Frömmigkeit, Die ihm die höch⸗ ſten Genüſſe auf Erden als Belohnung reicht. Mit einem Morte, die Darſtellung Der begabten Inner⸗ lichkeit in ihret reichſten Entwickelugg und ihrem WVerhaltniſſe zu: Gott. und Menſchen iſt eine der tiefſten Ideen und ein Grundgedanke der Romantik

vi Mittelaltere, weiche auf die herrlichtte chf in dieſen Werte zus Veſcheinung gebracht wird.

Die britde Elaſſe, Die Romane umfaffend, wel: de nationale ſränkiſche Stoffe Behandeln und bie“ ſich ſammtlich auf die Thaten und Schickſale Karket des Gevſſen und ſeiner Palabine beziehen, zerfallen den fie leitenden Ideen zufolge wieder in zwel Elaf⸗ en, von denen Die erſte ſich vorzugsweiſe mit deut Kampfe zwiſchen dem Monarchen und feinen Vaſal⸗ len, die zweite aber mit ben Kämpfen für das Chok fenthum gegen beffen Gegner beſchaͤftigt. Chroniken nd geſchichtliche Aeberlieferungen waren, wie bei ben RJomanen von der Bafeleunde, hier wohl eben⸗ tel die erſte Duelle, deren Strom bie Phantaſte in andere F—lußbette zus leiten wußte, wenn auch kei⸗ nesweges, wie früher, alle Literärhiftorffer behaup⸗ teten und einander nachfchrießen, Bie dem Turpin zugeſchriebene romanhafte Chronik, melde Karls Lriegtzug gegen Die Saracenen in Spanien und: bie Riederlage feiner Paladine bei RXomesvalles -in faBel« befter Darſtellung Behandelt*). KMarl's des Großen. thatenreiches Sehen, feine Stellung zu feinem ererb⸗ ten Volke, wie zu Den von ihm bezwungenen Melio- nen, feine getftige wie Förperliche hervorragende Per fnfihfejt boten fo zeichen Stoff bar, daß die Phan⸗ fafle der Völker, bie ns am bie Safer des Streit⸗

) J. —* dei vita Caroli Magnt et Roländi..hi-:

Sri in Eecardii-Germanicarum rerum et Okronographi.

| Francof, ad Moen. 1566. in Bol, * 5

66 "

a8 eineß Helden hängt umb mit ihm flegend und ‚glänzend durch Die Länder zieht, auf Jahr⸗ hunderte Nahrung fand umd, erſt ſpät geifttigt, ſich von dieſer reichen Tafel erhob und ſich nach an⸗ deren Dingen umſchaute. Ehe wir Einzelnes be⸗ rühren, iſt bier ſchließlich, zur Vergleichung mit ben Romanen der Tafelrunde, noch Eins zu bemerken, Das den hiſtoriſchen Denker anziehen wird. Dort berrfcht die unbefangene, fait noch Einbliche Kraft; bier die-bewußte männliche, zu ber fih Schlauheit und Lift gefellten; dort ift einfaches Xeben, bier ſchon Verhältniß des Cinzelnen zum Ganzen, zulegt bis zu ausgebildeter Politik, oft bes feinften Diploma ten .nenefter Beit wäürbig, am Entichiedeniten ver- finnlicht in Dem verfchmigten Ganelon, Dem DHaupte des Mainzer Gefchlechtes *).

Gerade weil fie hier anf weit renlerem Boden fußte, als bei den bretonifchen Sagen, wo nur zu häufig Die tiefere Myſtik den poetifchen Schmud zu⸗ gleich mit. dem Gedanken Tieferte, hatte die Phanta⸗ Be einen weit ausgebehuteren Wirkungsfreis und, troß gengraphifchen Grenzen, ein weit freieres Reich Der Bewegung. Die Romane aus dem Sagenkreife Karls

*) Diefen gefellt auch Dante zu den Vaterlandsver⸗ räthern in ber Hölle. Infemo XXXIU, 122. Eine ' trefflihe Characteriſtik dieſer Romane giebt Sismondi in feiner Literatur des füblihen Europa. Deutfch von 2. Hain, Leipzig und Altenburg 1816. Bo. 1. ©. 214 fgde. W E

er

[een

bes Großen und feiner Pairs find baher- vielfertiger als jene und Doch in genauerer Verbindung mit ein⸗ ander und troß der Mannichfaltigkeit in größerer Einheit des inneren Zuſammenhanges. Da aber über all die Wirklichkeit mit ihren weit Eleinlicheren Ers _ ſcheinungen und Kämpfen hinzutritt denn das iſt der Gegenſatz zu den Erzengniffen der Idee, welde wohl in große Hefte ausläuft, aber Feine Berfplitte- zung geftattet fo fehlt jene Hohe Begeifterung, bie durch das Innerliche entfpringt und den merifchlichen geringeren Intereſſen ſtellt ih anf gleicher Höhe auch nur eine geringere poetifche Gluth zur Sekte. Die Stoffe bleiben im Ganzen, hier wie Dort, gleich dichteriſch, denn bie Urftoffe find es, aber die Be⸗ handlung von innen heraus tft verfchieben; während in den byetonifchen Homanen eine gleichmäßig fort⸗ wirkende Gluth der heiligften Gefühle den Kern bil- det, fängt hier ſchon mitunter die Oberfläche an zu’ erfelten und nur in einzelnen Momenten und Stel- len fchlagen zu Beiten wilde Flammen empor, aber fie Iopern nur kurze Beit. In den Romanen von Karl dem Großen ift Daher wohl Enthuſtasmus als belebendes, Boch.nie Vegeiſterung als zeugendes Prin⸗ ip zu finden „und in Allem, felbit in der- zweiten Klaſſe herrſcht weit mehr Aeußerlichkeit, als bei den Romanen von der Tafelrunde und namentlid vom’ heiligen Graal- vor. Für den Hiftorifer find jene Daher weit interefanter, als dieſe, für den Dichter und den Freund Der Poeſte weit. weniger. 2

Karl’8. des: Großen Feldzüge und Leben geben in

5 *

_es__ ihren: realſten Verhaͤltniſſen das Grrüfte deB ganzen Sagengebäubes; an die eingelnen Balken ud Gtügen haben fich die einzelnen Romane buntſcheckig auge⸗ hängt und bilden ein zufammenbängendes Ganze, def⸗ fen einzelne nothwendige Zheile man indeffen ſtets fehe aut unterfcheiden kann. Leider fchlummert noch viel in den Bibliotheken und ein freier und beftiedi⸗ gender Ueberblick aller Partieen if: noch nicht geſtat⸗ tet, doch läßt ſich aus dem bereits Wiedergewonne⸗ nen oder bach als noch vorhanden zur Kenntniß Ge⸗ kommenen, Die Betätigung. Des hier. Gefagten ermit- telu. Jeder Moment des großartigen Epoche Kazl’s des Großen if in dieſen Romanen reproducirt und ihre Ordnung wäre, fobald Alles vorhanden, am Leichteſten nach dee chronologiſchen Folge Der wirk⸗ lichen Begebenheiten zu bewerfftelligen,, fo viel Ber⸗ wirrendes auch die Phantaſie der Volksſage wie der Poeten, hinein gebracht haben möge. Sie leiten, -wenn man alles MWorhandene. zuſammenzieht, jene Beit ſchon Durch bedeutende Borläufer ein und fal⸗ gen ihre fait bis zu dem Punkte, wo ihre Wirkung gänzlich aufhörte und fich durchaus Verſchiedenes zu geftalten begann, nad. So berührt Gerars de Roue- sillon die Kriege des Karl Martell, Garin le Lohe- rain, Girbert und Berte aus grens pies das Beben tendite aus ber Regierung Pipin des Kleinen, Ranıl de Cambray, Guillaume au cor nez, Gerars de Ne- vers Die Begebenheiten unter, Zubwig. dem From⸗ men, und endlich) Agolant die Vertzeihung ter Sa razenen aus Italien, Jean de Lanson den Krieg in

ber Rombarbei, Guiteclen de Sassoigne. bie Kämpfe mit Wittekind, les quatre fils Aymon and Girard de Viane Die Kriege im ber Auvergne und im Dauphine, Ogitr je Danois und Roncevaux bie Büge nach Spa⸗ nien, ſämmtlich Hauptpankte im Leben Karl’ des Großen *).

Die vorzũglichſten Romane der erſten Klaſſe, wel⸗ che wieder unter ſich einzelne zuſammenhängende Ab⸗ theilmgen bilden und deren Begebenheiten oft wun⸗ derlich herüber und hinüber durch einander laufen, je ſelbſt aus den fränkifchen in bie bretonifchen Kreiſe überipringen, finb: Les quatre Alu Aymen, zuerk von Huon de Villenenre zu Anfang des breischnten Jahrhunderts bearbeitet, Denen fi Maugis (Malagys) anſchließt, Guerin de Montglaive, Mabrian, la con- quöte de Trebisonde, Huon de Bourdeaux, Doelin de Mayence, Ogier le Danois, Jourdam de Blaves, Gehen Rhetore 1. a. ni. Zur zweiten Klaſſe gehs⸗ ten namentlich Guiteclon de Sassoigne, Agolast, Fie- rabras and Roncevamı. Viele von ihnen ind nur in fpäterer profaifcher Ucherarheitung ale Volksbuch vorhanden, andere noch in Bibliotheken vergraben, nur in Auszügen und durch Inhaltsangaben bekannt. Diefen fehließen ih am, zwar Ihrem Inhalte nad) für ſich beſtehend, aber doch in fteter Weziehung zu dem Hauptſtamme noch Einzelne Romane an, wie

3) &, in Lettre &.Mr. de Monmerque ‚vor P. Pa- ns. Ausgabe bed Roman de Berthe aus gras wies. | Paris 1832.

|

yo

3. B. Flos.et Blancflus, Milles et Antys, Guillause

Orange u. a. m. an*).

Der Inhalt der Romane von den vier Hai⸗ monsfindern, von Huon de Borbeaur, Doolin be Mayence u. a. m. iſt zum Theil dadurch, Daß fie auch bei uns zu Volksbüchern geworben, zum Theil durch fpätere neue Behandlungen moderner Dichter wie Wieland's, Alxinger's, Bechftein’s.n. |. w. zu

bekannt, um ihn hier noch zu wiederholen, da wit

ihn nicht als ganz fremd bei dem Leſer vorandfegen dürfen. Um diefem jedoch einen Begriff von der frür heren Art und Weife der Behondlung zu geben, und

zugleich Stoff zur Vergleichung mit ven bretonifchen

Romanen zu liefern, möge hier Furz Der Inhalt von

Ogier le Danois folgen, der in feiner Art nicht min- ber interefiant ift, ebenfalls manche Hiftorifche Ans

haltspunkte bietet, und zugleich bresonifche Sagen Hoffe mit fränfifchen mifht. Er warb wahrfcein lich zuerft von Adenes le Roi, einem Trouvre des 43, Jahrhunderts, Verfaſſer von Cleomades, Berte aus grans piös, Bueron de Comarchis in Monorimes

gebichtet und fpäter in Proſa äberarbeitet **).

*) vierabras iſt bis jegt me pronengalifch worhen

den S. über Diefe einzelnen Romane Dunlop 1. c. I, S. 368 fgot. Schmidt 1. c. Wiener Jahrbücher Br. XXI. ©. 99. Roquefort, de l’etat de la poesie frangoise dans-Jes 12° et 13° siecles. Paris 1821. &. 132 rate; | ferwer Sigmondi |. c.

**5) &. Dunlop. 1. c. I, 449. Schmidt J. c. ©. 128.

21

Doolin von Mainz hatte von ſeinem Weibe Flandrina einen Sohn Godefroi (Geoffroi), ber ihm auf dem Throne von Dänemark folgte. Diefem warb ein Sohn Dgier (Holger) geboren, ber ber Gelb dieſes Romans ift. . Bei feiner Geburt find ſechs Feen zugegen, fünf berfelben ftatten ihn mit ben hönken Gaben aus, aber die fechfte, die berühmte bretoniſche Morgane, König Artus Schwefter, be⸗ ihlieht, ee folle nach langem, ruhmvollem Leben zu ihr nah Avallon kommen, feine Lorbeeren ihr zu Füßen legen und mit ihre ſich der Liebe freuen. De zwiihen Karl dem Großen und dem Könige von Danemark Mishelligkeiten entftanden find, fo wirb Dgier im zehnten Jahre feines Alters als Geißel an den Hof Karl’s ‚des. Großen gefandt und dort in allen ritterlichen Künften erzogen. Rad vier Jah⸗ ven, von Nenem wegen Ungehorfams auf feinen Bas ter erzurnt, verbannt ihn Karl nad) dem Kaftell St. Duer. Die Freundlichkeit des Schloßvoigtes und noch mehr ber Tochter deſſelben, der fchönen Belife ſande, verfüßen ihm das Exil und unfer Held fcheint ktinesweges geneigt, mit den Freuden der Liebe big in der ihm von des Fee vorgefchriehbenen Beit war⸗ sen zu wollen, aber Karl ruft ihn wieder zu ſich, um einen Bug gegen die Sararenen mitzumachen. Bier Teiftet ex tapfere und werthvolle Dienfte und tnigeht glücklich den Werfolgungen von Karl's Sohne,

Biblotheque dos Romans. Ferrier 1778. p- 71. Ebert 8 bibl. Key. 15037 1507 6.

Eharlot, ber feinen Ruhm beneibet. Eublich find bie Feinde beſtegt und Zeo wieder auf ben päbſtlichen Ihren gefegt, Karl kehet nad) Franbreich zurück, Dgier Begleitet ihn. Hier erfährt er, daß Beil» fande chim einen Sohn gebsren und er durch das Ab⸗ leben feiner Eltern ben däniſchen Thron geerbt habe. &r nimmt auch fogleih Beſig nen demſelben, dankt aber nach einigen Jahren ab unb geht nach dem ſchö⸗ nen. Lande Frankreich zurück. Mittlerweile if fein Sohn erwachſen und der allgenteine Lichling au Karl’ des Großen Hofe geworden. Is derſelbe aber eines Tages den boͤsartigen Eharlot im Schachfpiele beftegt Bat, wird dieſer wüthend und erichlägt ihn mit Dem Schachbrete. Außer fih darüber, beleidigt Dgier feinen Lehncherrn fo groͤblich, Daß er nad ber Lom⸗ barbei lichen muß. Didier, ber König der Lombar⸗ bei, führt Krieg mit Karl bem Großen, muß jedoch unerachtet des Dünen Beiltand unterliegen und Ogier entflieht aus dem belagerten Kaftelle, wird aber vom Erzbifchofe Zurpin neben einer Quelle fohlafend ges funden und zum Gefangenen gemacht. Trotz bem weigert er fi hartnädig der Ausführung mit feis nem Fürften, bevor nicht Charlot feiner Rache Preis gegeben. Dies wird ihm bewilligt, bach im Be⸗ griffe, Eharlot das Haupt abzufchlagen, hemmt Die Stimme eines Engels, der ihm befiehlt, Karl’8 Des Großen Sohn zu fehonen, feinen Arm. Er leifbet nun feinem Lehnsheren den fchuldigen Gehorfam, ſchlägt und tödtet einen ſaraceniſchen Rieſen, ber mit großer Heeresmacht in- Frankreich gelambet iſt,

mb erhält zur Velohnung die Sand ber Prinzeſſin Clarice non England, die ihrem Vater zur Hulbie gung nach Frankreich aefolgt, von ben Geraremen gefangen, aber non Dgier befreit worden if. Bit ihe geht er nach England und wirb dort als König anerkaant; das Königſeyn fcheint aber nicht zu ſei⸗ nen Beigungen zu gehören, er wird deſſen bald mübe and sieht von Reuem auf Mbentener ans, Died Mal nach dem heiligen Lande, mo er Wunderdinge ver richtet und König von Acre, Iernfalem und WBabye ion wid. Diele Reiche tritt ex inbeffen fernen Vet⸗ teen, bie ihn begleitet haben, ab und fegelt nad Frenkreich zuchl. Auf der Ser Aberfüllt ihn ein Sturm und nagelt fein Fahrzeug unbeweglih an einen Felſen. Seine Manufihaft kommt dabei um, er aber landet und begiebt fi nach einem Diamanten» nen Echloſſe, Das: bei Tage unſichtbar, zur Nachtzeit deſto herrlicher glänzt. Dort tritt er ungehindert ein findet aber Feine lebende Seele ver, jedoch end⸗ [ih in einem. Saale eine gedeckte Aafel, vor ber ein Fuß ſigt, das Ihm Waſſer darbietet, fi wieder hin⸗ feht und ihn einladet, mit zu eſſen. Er bedankt ſich kKboh, beßt den ſeltſamen Wirth allein ſpeiſen und wird daun ven dieſem in ein Schlafzimmer geführt, wo er die Macht ruhig zubringt. Am andern Mor⸗ gen verläßt er frühzeitig das Schluß und folgt einem Hin, der ihn zw einer herrlichen. Wiefe führt, wg Ihn bie Bee Morgana mit ihrem Gefolge empfängt md ihn willkommen heißt auf. Schloß Avallen, wo et fo Tange erwartet warden. Sie geleitet ihn nun

dahin zurück und ſteckt ihm einen Ming an der Fin⸗ ger, durch ben er, ‚ber faft hundertjährige, ploötzlich wieder das Anfehen eines Dreißigers erhält. Bann ſchmückt fie ihn mit einer herilichen goldnen Krone, beren koſtbare Edelſteine Myrthen⸗ und Lorbeer zweige bilden,. und von biefem Angenblide an ver- gißt er fein ganzes früheres Leben. mit allen jeinen Thaten und Beſitzthümern und weiht ſich allein dem Dienfte Morgana’. Sie macht ihn nun mit ihren Brüdern Artus und Oberon bekannt; bie Fürfen finden gegenfeitig großes Behagen an einander und ihr Dafeyn verfließt herrlich und in Freuden, bei Turnieren und Kämpfen, welche fie zum Beitnertreibe mit Geiftern führen, fo die Geftalten von Riefen

und Ungehenern oder von Helden der Zafelrunde ans

nehmen. &o verfließen zweihundert Jahre; da wird eines Tages die Krone der Vergefienheit von Dgier’d Stirn genommen und bie Thaten feiner früheren Sage erwachen wieder in di: Seele. Gr Fehl

plöglich nach dem franzöftfchen Königshofe zuräd,

wo unter den ſchwachen Nachfolgern Karl’s des Gro⸗ Ben der ritterliche Geift entfelich gefunten iſt. Sein Erſcheinen erregt dort große Verwunderung, wie ft ſelbſt ſich über Die geänderten Sitten nicht wenig

wundert. Frankreich ift von den Mormannen feht |

bebrängt; Ogier befehligt einen Bug gegen dieſelben,

ſchlägt fie und belebt binnen einem Jahre den. erfor

benen ritterlichen Sinn aus Karl’s des Großen Beit

gänzlich wieder. Da er noch immer Morgana's Ring

teägt, fo erſcheint er ſtets in Fülle männlich jugend

licher Kraft und die Frauen find ihm ſehr geneigt die alte Graͤſin von Senlis zieht ihm aber den Wing vom Finger und ſteckt ihn an ihre Hand; plötzlich it fie verfüngt, er ein Greis. Sie muß jedoch ben Reif wieder hergeben und er ift von Neuem jung Sept ſendet fie dreißig Ritter gegen ihn, um ihm das Kleinod im Kampfe abzugewinnen, er. aber ber fiegt fie nach einander alle. . Um biejelbe Beit ſtirbt der König von Frankreich; bie Königin beichließt, einem Helden fich zu vermählen, ber mit ber Kraft und Blüthe eines Dieißigers Die Erfahrung. eines Dreihundertjährigen vereint; während ber Hochzeits⸗ feier wird aber der Bräutigem plötzlich von ber Fer Morgana entführt, unb zum Schmerze und Unglüde ber gejammelten Ritterfhaft hat man nie wieber etwas von Dgier dem Dänen gefehen und gehört, ob⸗ gleich v. Pulci, Einige behaupten

che ancor vivo sia

[U 2 er ® * m d

E che si truora in certa grotta dera, E spesso armato a carval par che stia Si che chi il vede gli meite paura *),

Unter den Romanen der: vierten Abtheilang, welche nur inſofern eine Familie bilden, als fie. eine gemeinſchaftliche Quelle, das klaſſiſche Wlterihum nämlich, haben, dagegen aber unter ſich in Feincm engeren Zuſammenhange ftehen, find vorzüglich fol» gende hesvorzuheben: Le roman d’Alexandre, eines

-*) Pulci, Morg. Mage. c- 28, st. 36,

-

der alteſten ergählenben franzoſtſchen Gedichte Aber: haupt, begannen um bie. Mitte des zwälften Jahr⸗ hunderts son Lambert li Oors, fortgefetzt um 1184 - von Alexandre de Paris und fpäter. von Werſchiede⸗ nen beendet. Er it eine Paraphraſe des Burtins mit untermifchten fchmeichelhaften Aufpielungen auf Ereigniſſe unter ber Regierung Ludwig’ VIL und Philipp Auguſt's; die Verſe find nicht ohne alles Verdienft und die Schilderungen lebhaft, aber Das Ganze doch nicht von Bebeutung *). Im gleicher MWeife it ber Roman de Troie von Benoit de Ste. More, einem anglonoenmmnifchen Zeonvöre , Der an ter Heinrich H. von England blühte, eine freie Be⸗ webeitung einer Inteinifchen Ueberſetzung des Dares von Phrygien **) und Später, als im 15. Jahrhun⸗

*) &. Dunlop 1. c. EL 124. Nach ber Behauptung mehrerer Literaten fol der Alerandriner der Franzoſen zuerft durch Diefen Roman eingeführt worden feyn und von ihm feinen Renten haben. S. (Auguis) Les Poetes Fraugais depuis le XH sièce jusqu’ & Malherbe. Pa- ris 1824. Bd. I. ©. 83.

**), ©, ebendaf. Bd. I. ©. 93. Dunlop Lc. IE 114. Raoul le Febre übertrug bied Gedicht im 45. Jahrhun⸗ dette in Proſa und eine engliſche Ueberfegnug lieferte Sarton 1471 in Fol. Beide Werke find fo felten, daß das erftere bei dem Verkaufe ber Roxburgh library mit 116 Pfund Sterling 14 Schil. (ungefähr 885 Reiche, thaler) das zweite mit 1060 Pf. St. (faft 7425 Rthir.)

bezahlt wurden, Eine ſehr fhöne Handſchrift des Rc--

verte bie Proſa für die epifchen Stoffe vorzuherr⸗ fhen- begann, kamen ned, ein Livre da preux et vaillant Jason et de In kelle Medde von Raoul le Fe- hre, la vie du preux et vaillant Hereule von bemfel- ben, ein Leben des Zauberers Birgilius u. a. m. hinzu. Alle dieſe Arbeiten find nur intereffant wegen der naiven Behandlung bes antiten Stoffeß; bloß das geſchichtliche Element if in feinen Grunde jügen beibehalten, «aber vollkommen mobernifiet, ſo⸗ wohl in ben Schilderungen, wie in bem Gange ber Begebenheiten felbſt; Die antiken Helden uad Frauen ſprechen und geberden ſich wie bie preux et vaillanke eheraliers und bie Dames jener Beit. Das Alter- tum hatte durchaus Feinen Einfluß auf bie Geftal- tung bed: Romans ſelbſt und gab ben Stoff nur her, weil er hier eben fo gut und fertiger wie anberäme is finden war, woher benn aud) im Werhältniffe zw den anderen biefe Romanfamilie fehr untergeordnet bleibt.

Die fünfte Abtheilung bilden die (im Verhält⸗ niſe zu dem Romane) kleineren Erzählungen, bie Con- tes et Fahliaux, meiſt einzeln, oft aber auch, wen nu in lockerem Bıfammenhange und von Verſchie⸗ denen gedichtet, zu einem größeren Ganzen verbun⸗ den und unter der Geſammthenennung Roman, doch nur ein Gollectinser? *). Contes et Fahbliaux waren:

——— 3J

eneil des. histeires de Treie findet fih unter. den er ten der Wolfenbütteler Wibliothef. *) Eine fehn reiche Sammlung folder Fahlianz of

78

generifche Benennungen für dieſelben, conte bezeich- net bie größere, fabliau die Fleinere Erzählung. Ihr Inhalt ift fo mannichfach, Daß e8 unmöglich feyn würde, fie zu klaſſificiren, um fo mehr, als ihre Form durchgängig fich gleicht; am Veſten und Ras türlichten läßt man fie in geiſtliche und weltliche zerfallen, da hier allerbings bie einzige ſtrenge Schei⸗ Bung eintritt. Sie verfinnlichen eine fehr poſitive Kichtung, welche fi) nachher noch lange, in das Reich der Proſa übertretend, namentlich bei den füb- lichen und weflihen Rationen Europa’3 erhalten Bat und hier entichieden eine Epoche in der Gefchishte der fchönen Kiteratur beſtimmt. Ihre Eigenthäm- Fichleit befteßt darin, fowie ihre Unterſcheidung vom eigentlihen Roman, daß fie erftens nur für den ges | fprochenen ,. nicht aber für den gefungenen Vortrag, wie biefer, verfaßt, und daher bequemer hinſichtlich

Contes ift die von Meon vervollftändigte Ausgabe ber zuerft von Barbazan gefammelten Fabliaux et Contes | des Postes Frangois des 11, 12, 13, 14 et 15° siöcles. Paris 1808 fgde. 4 Bde. in 8., der Meon fpäter ned zwei neue Bände hinzufügte. .@ine andere Sammlung, jedoch nicht mit dem Driginaltert, fondern in neuere frans zöfifhe Profa übertragen, bejorgte Le Grand d’Aussy. bereits 1779 zu Paris unter. dem Xitel Fabliaux ou Contes des 12° et 13° siecles. In neuefter Beit hat - fi Achille Jubinal durch die Herausgabe noch unbe Fannter Fabliaux aus den Handfhriften der Ein. Bibl. zu Paris (Paris 1839) fehr nerbient gemacht. -

| va

ber Form bebanbelt worben, und daß fe ſich zwei⸗ tens auf. gewöhnkichem, forialem Boden bewegen, ganz wie ihn Die Gegenwart, in ber fie ſtehen, dar⸗ bietet, felbfE Dann auch, wenn Ehnrartere unb äußere Scenerie fremden Volkern ober Beiten entlehnt if. Dan Eönnte, ohne Misbeutung zu fürchten, die Ro« mone der Sagenfreife die abelige, bie der Contes mb. Fabliaux Dagegen die bürgerliche Poeſte jener Zuge nennen, benn Alles, was das bürgerliche Still» leben bewegt und äubert, namentlich bie Liebe in den bürgerlichen Verhaͤltniſſen des Bewerbens und ber Ehe, hildet meift ihren Anhalt, der weit öfterer lkomiſch als tragifch aufgefaßt und dargeſtellt iR, eben: weil das Alltagsleben fich weit häufiger und Leichter dem Komiſchen zuneigt; mitunter ift dieſe Seite bis sum derbſten Muthwillen ausgebildet, und das Ver⸗ haͤltniß der Geſchlechter, dieſes in geſunder Auffaſ⸗ ſang ohne Unterſchied für die ernſte wie für die ko⸗ miſche Muſe, immer gleich poetiſch zeugende Thema, anf ſich Die freieſte und necktſcheſte Behandlung ohne Pruderie gefallen laſſen; freilich flieht die keuſchere Dihtung vor folgen Stoffen, aber es iſt noch nicht zu leugnen, daß hier faft immer hinter dem unziem⸗ lichen Schalte eine gefunde Moral ſteckt, Die zur rechten Beit im berben hausbackenen Treiben mitun⸗ ter trefflich müßt. Anders it es natürlich mit den geiſtlichen Contes und Fabliaux, die ſich ſtets bemühen, den Himmel zur Erde hinabzuziehen, um das Leben auf dieſer zu leiten und zu erleichtern; fe ſtreifen meiſt, oft auf Die zarteſte Weiſe, an bie

tiefſten Myfkerien des Glaubens; mitunter gefüft es ihnen aber auch, die Heiligen. in Verbindung wit Infiigen, lebenshungrigen Gefellen zu bringen und durch Diefe Verbrüderung namentlich den Deufel zu prellen, was ſich zu Beiten höchſt ergötzlich und bes haglich geitaltet. Die Kirche hatte damals man⸗ Gen Raum für weltliche Dinge und Gefchäfte und bie Poeſte bante ihr gern ihre Schiffe, Kayellen, . Säslengänge und felbft ihre Winkelchen nad. . Die Quellen dieſer Contes ſuid theils im Leben, theils aber und beſtimmter für bie einzelnen Stoffe in lateiniſchen Sammlungen zu ſuchen, welche ſelbſt mehr oder weniger durch griechiſche Verbinbungs⸗ glieder mit dem Morgenlande zuſammenhängen und von denen bie Gesta Romanorum und die ‚Disciplina cleriealis de3 Petrus Alyhanses*) als bie untzüglich- ſten betrachtet werben müſſen. Die geiſtlichen Con⸗ tes entſpranger Dagegen aus dem reichen Quell der Heiligenlegenden und anderer Ueberlieferungen der Kirche. Unter denen ber .esfteren Gattung finden ſich zwei directe altfranzöfifche Rachbildungen jener eben angeführten Quellen, ber Roman des sept sa- ges, welcher wieder fmäter mehrere proſaiſche Um⸗

*) &, Thomas Warton, on the Gesta Romanorum vor deffen History of English.Poetry.: A new Edition. London 1824. T. J. &. CLAXVH uns füde. Fer - ner: Petri: Alfonsi Diseiplina clerienlis Meransgegeben vn BD, Schwirt. Berlin 1827.

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arbeitungen erfühe und das Castolement du. pöre au fia®).

Ein Dritter aus einzelnen Eontes zuſammenge⸗ feßter und durch die Uebereinſtimmung und wechfels - feitige Beziehung zu einem Ganzen verbunbener, aber dennoch hochſt Ioder zufammenhängender Roman, welher ganz und gar zu jener bürgerlichen Klaffe ger hört und trotz dem Gewande ber Fabel anf dem Boden ber pofitivſten Wirklichkeit bes Alltags fußt, it der Roman du Renart. Kritiker unb Riterdch- Korifer werben mich vieleicht tadeln, daß ich ihn bier einreihe und nicht befonders und allein als einen didactiſchen oder niebrig allegorifchen Roman anführe, aber ich glaube deshalb hier ihn herfegen zu müſſen, weil feinen Verfaſſern durchaus das entfchlebene Ber wußtſeyn didactiſcher ober allegorifcher Tendenz fehlt, und fie nur aus Luft an launiger Auffaſſung menſch⸗ licher Verhältniſſe im Weiche der Thiere, ſedoch in befändiger Beziehung zu ben ihnen gleich ſtehenden

*) Le roman des sept Sagen, herausgegeben von Dr. A. Keller. Zübingen- 1838. Das Caſtoiement fin det ſch in der bereits angeführten Sammlung yon Wars bazan und Meon, wo es bie erſte Hälfte des zweiten Vandes fünt, abgedruckt. &. f. über den hicher gehoͤ⸗ eigen Roman Dolopatos, ber mit dem R. d. sept aa- ges zufammenfößt und unzählige Dal umgearbeitet und überarbeitet wurde. Roquefort 1. c. 171. und Keller’s autgezeichnete wiſſenſchaftliche Einleitung zu ſeiner Tube gabe,

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und, gleich handelnden Menſchen, dad @inzelne erſen⸗ nen und zum fchon Vorhandenen hinzufügten, ohne einen anderen Zweck, als ben der Unterhaltung, bie gelegentlich eben jo wohl ſatyriſch wird, als fie aus Dem Reiche des Realen in das Weich des Allegori⸗ fchen hinüberfpringt, im Auge zu haben. Dies ift wenigftens mit dem altfeanzöftfhen Fuchſsroman der Fall; daß dem Inteinifchen Worbilde *) nicht eine be⸗ ftimmte politiſch⸗didaetiſch⸗ſatyriſche Abſicht zu Grun⸗

de gelegen habe, welche gegen ben auſtrafiſchen Hof

getichtet war, beftreite ich durchaus nicht,. Denn es fehlen mir bie Gründe, die Wahrfcheinlichfeit zu läugnen, Daß ferner den fpäteren deutſchen und flä- mifchen Benrbeitern nicht. Aehnliches vorgeſchwebt, will ich ebenfalls nicht In Abrede ftellen, aber daß der Roman du Renart fplcher. concentrirten und Dirers ten Abſicht Teinesweges fein Entſtehen verbauke, ſcheint mir fonnenklar, und zwar aus dem einzigen Grunde, weil bei fo bewußter Intention Die Dichter ſich nicht hätten fo gehen laſſen, wie ſie es hier ftets thun. Diefelbe Neigung zum derb Komefchen, welche trotz dem, daß fie den Schalk hinter fich hat, Doch immer gerade heraus ehrlich. bleibt, herrſcht ie Ro man du-Renart wie in der Mehrzahl der. Gontes und Fabliaux vor nnd characteriſirt entfchieden die ganze neckiſch behagliche Richtung jener Zeit, ſobald ſie fick von ‚den höheren. Intereſſen ab, bet taglichen Ver⸗

4) Beinbardus Vulpes, Gerantgepesen. von Bon. Stuttgart 1832, 8

biltniffen zumwenbet. Daher findet man nirgends eigentlich boshafte Satyee, die ſcharf und unbarm⸗ herzig in das wilde Fleiſch bes ſocialen Lebent ein⸗ ſchneidet und fich nicht darum kümmert, welchem Gliede fie bie heftigſten Schmerzen verurfacht, ſon⸗ bern überall nur gefunden hausbackenen Spott, bee fih über das Lächerliche Hermacht, wo er es teifft, und Ad freut, wenn dies gelegentlich mit feinen an» gebornen oder angeerbten Antipathieen zufammene ſtößt, weil er dann das Hecht hat, doppelt grob zu ſeyn und ficher wird, daß feine Nede überall anklinge; ſo z. B. in den beiden Branchen, wo Renart den anglo⸗ normanniſchen Jongleur ſpielt und ein angli⸗ firtes Franzoͤſiſch ſpricht, wie man es heutzutage noch in Frankreich und Belgien von reiſenden Brit⸗ ten eben ſo kauderwelſch hören kann. Hin und wie⸗ der geht es allerdings tüchtig Über einige Stänbe, befonders fiber Die Liebe Geiftlichkeit, her, wie 3. B. in der yon Richard de Lison gehichteten Branche, wo die Umwiflenheit bes Prieſters arg verſpottet wird; aber das war fo Styl im Mittelalter und ges tade da und dann am Meiften, we und wann Die Siche am Innigften verehrt wurde. Darüber darf man fih alfo gar nicht wundern. Kurz, meiner Ans ſicht nach iſt es falfıh, den Roman du Renart .einen fetyeifchen oder gar einen didactiſchen Roman nen« nen zu wollen; Beides war er nicht, fondern nur, wie ſchon oben gefagt wurde, eine Reihe von Tote an einander gefäbelten Contes verfchiedener Verfaſ⸗ fer, denen ſogar die nothwendige Einheit bes Im

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84 halts fehlte. Spätere Nachahmungen, wie z. B.

der Roman du Renart eouronne von Marie de France

und noch mehr ber Renart le Nouvel von Jacquemat Gidslee hatten allerdings dieſe ſelbſtbewußte, directe

fatyrifche Tendenz und bedienten ſich befonders zur Erreichung berfelben, vorzüglich ber Xetere, ber Allegorie; aber dies ift mehr dem Geſchmacke ihrer Beit, als dem Ginfluffe ihres Borbildes zuzurechnen; auch ftanden fie als vereinzelte Erfcheinungen ba und

blieben es, bald vergeffen in ben Bibliotheken, wäh- rend ihres Stammyaters Schwänfe und Ranke eine ungemeine Verbreitung fanden, in aller Munde leb⸗ ben und fi) als wahres Volkseigenthum vom Bater auf den Sohn fortwährend vererbten *).

Die Luft am Allegorifchen, welche fich ſtets in Der Geſchichte der poetifchen Bildung einer Nation, wie eines einzelnen Dichter® dann offenbart, wenn die poetifche Beugungsfraft zu erlöfchen beginnt, abet Zur und Trieb zur Poefie noch anregen vorhanden find, hatte ſich gegen Die Mitte Diefer Epoche ſchon bemerklich gemacht, und trat gegen Ende berfelden

fo entfchieden hervor, Daß fie bald den nun am Epi⸗

ſchen gefättigten. Geſchmack vollkommen beherrſchte,

*) Le Roman du Renart, pukli6 par M. Meon. Paris 1826. 4 Bde. in 8. Einen Auszug lieferte der Berfafler dieſes Buches im Stuttgarter Morgenblatte, Jahrgang 1831, ımter dem Titel: Der altfranzoͤſiſche Reineke Fuchs. Vgl. ferner: Roſenkranz, Geſchichte der deutſchen Poeſie im Mittelalter. S. 597 fgbe. -

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und endlich durch Ihn jenen für Die Culturgeſchichte enzopätfcher Volker fo merfiwürbigen und wichtigen Zeitraum vollkommen abſchloß. Ich habe frühen ſchon auf den Unterſchied zwiſchen der adeligen und bürgerlichen Poeſte -in jenen Beiten bes entſchieden⸗ ken Feudalweſens, das auch Die geifige Richtung nad) diefer Seite hin beftimmt, aufmerkſam gemacht, und muß hier wieder Darauf ‚hindeuten. Die Luft an Darſtellungen des Hitterlichen in ber weiteften and fhönften Ausbehnung biefes Wortes, war fo nad allen Seiten hin befriedigt worden, und zu gleis der Beit fo ausgebeutet, daß es fait nichts Neues mehr gab, oder dieſes Leinen Weiz mehr übte, unb dod wollte man fortwährend, wie inimer unb übers all, geiftig angeregt werben... Da bie Phantaſte invalid geworben, fo teat bes unermäblich. ſelbſtbe⸗ wußte Verſtand, der. ſtets auf bie Fotm fih am Leichteſten einübt, für fie vor und ſchwärzte bie Alles gerie ein. Das Häthfelhafte und zugleich Auf⸗ geputzte derſelben fchmeichelte den Sinnen und dem Geiſte zwiefach; das Wohlgefallen daran ward bald allgemein und auch Hier töntete der Rhetor auf dem Markte, den Poeten. Durch Die Tiefe der religöfen WMyſtik war ſchon früher, da man dieſe doch zur finn« lichen Anſchauung fo. viel wie möglich bringen mußte, bet Allegorie Rauin gegeben, und wir finden fe zei⸗ big beveits als vorhanden, doc meiſt nur in dieſer Beziehung, nicht allein da, wo fie hingehörte ir ascetiſchen Schriften, fondern auch in den Romanen, namentlich Der Tafelrunde; man ſah ſpaͤter das Be⸗

aueme.und Vrauchbare derſelben für daB tägliche Le⸗ ben. immer mehr. unb mehr ein und halb bemächtigte fie ſich dermaaßen ber allgemeinen Neigung, daß fie, ch der eurrenteten Formen bedienend, ſich auch bie des Womens aneignete, bie allgemeine Aufmerkſam⸗ keit feffelte und ber bloß obfertiven epiſchen Rich⸗ fung vollflommen den Todesſtreich verfehte.

Das merkwürbigfte, mehr als ein Jahrhundert befchäftigende, allgemein verbreitete, allgemein ber ſprochene und commentirte Monument der Herrſchaft der Allegorie iſt der Roman de la Ruse von Gul. laume de Lorris in der erſten Hälfte des dreizehnten Sahrhunderts begonnen und von Jean de. Meun in der eriten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts fort geſetzt und beendet*).. Der. Erftere dichtete 4150 Verſe, der Biweite fügte nod) 18000. Yinzu, fo daß Das ganze Werk über 22000 enthält: Der Inhalt SE folgender: Gin Traum, den ‚ber. Dichter hat, führt ihn aus ber Stadt und allmählig auf eine ſchoͤne vom einein Fluſſe begrenzte Wieſe; bier ges langt er an ben Eingang eines herrlichen von Mauern

x) Eine ber :ülteften Ausgaben des Roman de la Rose befigt die Göttinger Bibliothef, Paris 1521. in Fol., mit gothiſchen Leitern und theologiſchen und mo⸗ zalifchen Randgloffen. Die eorrectefte Edition Beforgte Menn, Paris.1814. Vergl. über dieſes Werk Goujet, Bibl. frangoise, IX. p. 26— 71. Bibliothöque poe- tique. Paris.1745. T. J. S. 50. . Ebert, bibl. Ler. Nr. 19304 19323. oo

smgebenen Gartens, auf welchem der Haß, die Fer Ionie, Der Geiz, bie Schlechtigkeit (Vilenie), Die Bes gierde, dee Reid, die Traurigkeit, bas Alter, bie Henchelei (la papelardise) und bie Armut in Gold und Azur abgemalt find, Die Thür dieſes Gartenß wird ihm von Oyseuse, ber Pförtuerin, geöffnet, welche ihn zu Deduit, dem Seren befielben, führt. Dieler gleicht mit feinen Genoſſen an Schönheit En» gen, Sie Sanzen zu den Gefängen einer Dame, Liesse genannt; eine andere Dame, Courtoisie, ladet ben Dichter ein, an dem Tanze Theil zu nehmen. Bon fo freundlichen Empfange ermuthigt, betrach⸗ tet er fi) Deduit näher und befchreibt ihn fehr weit⸗ ihweifig._ Heben demfelben befand ſich ein fchöner Knappe, Doulx - Regard mit Namen, der in ber Rech⸗ sen fünf Pfeile Hielt, welche Toute- Bonte, Simplesse, Franchise. Compagnie et Faux-Semblant hießen und goldne Spigen hatten. Neben Diefen trug er noch fünf andere von ſchwarzem, verroftetem Eifen, Or- geeil, Villenye, Honte, Convoitise und Desespoir ges heißen. Die Damen, welche ſich in Deduit’s Unger dung befanden, waren Beaute, Richesse, Jolivite, Largesse Franchise und Courtoisie. Während aber der Dichter fih an ber Betrachtung dieſer Schönheis ten ergötzte, ſpannte Doulx - Regard .einen. feiner Bo⸗ gen and begann, ihm zu verfolgen... Er ficht nun queer Durch Den Garten, wo er merfwüchige Bäume, wilde Thiere und tauſend andere. fonderbare Dinge fieht,, welche er befchreibt. Er findet beſonders eine höchſt eigenthümliche Duelle; wer in biefelbe blickt,

fieht Alles, was im Garten if, wohin ee auch im⸗ mer fich wenden möge. Indem er nun bie Augen auf dieſelbe richtet, gemahrt er einen blühenden Res fenftrauch, deſſen Duft weithin Die Luft erfüllt. Die Luft, ſich eine Rofe zu pflücken, läßt ihn näher tre= ten, aber Amor, unter einem Feigenbaume verſteckt, durchbohrt ihn mit feinen Pfeilen. Er wird nun aus dem Garten vertrieben und ift außer ſich; end⸗ lich gelingt es ihm mit Hülfe bes Bel-Accueil, bes Sohnes der Dame Courtoisie, wieder hineinzufommen, Doch Dangier, einer ber Pförtner, befichlt Beiden, fich zu entfernen. Die Vernunft mill ihn tröften, er weißt fie aber zurüd and bringt von Neuem mit Bel-Accueil in den Garten ein. Mach mehreren Bes gehenheiten läßt aber bie Eiferfucht den Garten mit fefteren Mauern umgeben und in der Mitte einen Thurm bauen, in welchen fie BelsAccueil einfperrt. Sept iſt der Dichter von Neuem untröftlich; Die Vernunft Eommt wieder, um ihn zu beruhigen und zu. eemahnen und fpeift ihn mit vielen guten Kehren; er beut ihr aber trogig Widerſtand und entmuthigt verläßt fie ihn. Run wird Die Handlung immer vers widelter; er folgt den Rathſchlägen eines Freundes und die Belagerung Des Thurmes beginnt; Dangier, Peur und Honte, welche ihn bewachen, ergreifen Die Flucht; Courtoisie, Pitis und Franchise find Die Gr⸗ ften, welche eindringen, um Bel-Accueil zu befreien; alle Sinderniffe werden aus dem Wege geräumt, Das Caſtell wird erobert; der Dichter pflückt, die Roſe,

8 was er ziemlich umſtůadlich und ſehr verſtändlich be⸗ ſchreibtz; es wird Zag und er erwacht.

Die mühfelige Abſichtlichkeit ber Allegorie ber weit dentlich das Sinken des eigentlich poetifchen Geiſtes; nur die Ausführung iſt Inbenswerth in Dem ganzen Gedichte und dieſe burchweg ein Probuct bes Inlten Verſtandes; die Dienge und der Wechſel ber Beſchreibungen, bie geſchickte Einflechtung der fremd⸗ ortigften Dinge und Die leichte, behagliche Eleganz der Dietion mäffen allerdings anerkannt werben, aber ihr Vorherrſchen und der allgemeine Beifall, ben fie fanden, beweift deutlich, daß bie Beit bes fchafs fenden Genins für Frankreich vorüber war und feine rhetoriſche teleologiſche Kunſtpoeſie begann, welche ſo lange als Muſter galt und alle wahre Dichtung, die ans Der Ehe der Phantaſte und bes Gemüthes allein entfpringt, ſchon im Keime. töbtete. Der No⸗ man von Der Rofe befchäftigte lebhaft alle Geiſter und fand nach dem Laufe menfchlicher Dinge gleich zeitig eben fo hartnädige Gegner als entzückte Gon⸗ ner, aber das Intereſſe an demfelben blieb fich gleich, um jo mehr, als der grübelnde Verſtand hier eine reihe Quelle für feine fcharrende und wühlenbe Thä⸗ tigkeit erblickte und fich in ſtolzem Selbſtbewußtſeyn feinee Gaben natürlich, nicht an der zu Tage liegen⸗ den grobſinnlichen Dichtung einer im Grunde ordi⸗ nären und namentlich gegen ben Schluß hin nobfch- ren Allegorie genügen ließ, fondern ganz andere und allerdings wichtigere Dinge heraus zu düfteln begann, weiche nur den wenigen bochgeftsllten Eingeweihten

zugänglich ſeyn konnten. Während’ alfe bie Prieſter von den Kanzeln dagegen eiferten, weil er die Sit- ten verberbte, während bie rauen fich heftig und rachfüchtig beklagten, Darin auf das Werlegendfte mishandelt zu ſeyn, während ber Kanzler Gerfon Dagegen fchrieb. und Martin Krane, ber Secretait Pabſt Felix V., feinen Champion des Dames dagegen verfaßte, fuchten die Alchymiſten darin das Geheim⸗ niß des großen Werkes und Theologen eine fiefe moraliſche Myftif, zu der fie allein den Schlüffel hat- ten, überjette ihn ein Kanonikus aus Valenciennes, Jean Molivet, von Philipp von Gleve, Herren von Navenſtein dazu aufgefordert, in breite moraliffrende Profa, pries ihn Glement Marot in einer eigenen Vorrede, Antoine de Vaif in einem dazu gebichteten Sonnet und verglich Pasquier Sogar Jean de Meung mit Dante, dem einzigen Allegoriker aller Beiten, ber ein wirklicher und genßer Dichter war *).

+ Mit diefem Romane war alfo der raifonniren- ben Allegorie die Bahn gebrochen und ber uripräng- lich epiſche Geiſt zu Grabe getragen, Feine Umwäl- gung ‚bat ihn in Frankreich je wieder erweckt. Ratürlich fehlte es nun nicht an Rachahmungen, uns ter. Denen bie Pelerinages von Guillaume de Guille- ville bie directeſte Imitation, aber doch mit höherer Tendenz waren und Deshalb fchon nicht werthlos erſcheinen, auch zu ihrer Zeit große Anerkennung

u * S. bie vorige Kmestuig. Ferner: Pasquier, Recherches VIH, 3, J

fanden, aber eben bes Inhaltes wegen füch wicht fe allgemein Beliebt machten, wie ber Roman de ia Rose ®),

Gleich nachher verſchwand die ferenge poetiſche Form für den Roman gänzlich und Die Profa trat an ihre. Stelle; im funfzehnten Jahrhunderte wurden die vorzüglichſten Romane der Sagenkreife. in Frankb⸗ teih in eine bequeme Proſa übertengen und machten von Nenem den Weg durch Das Land, immer mehe in das Volk einbringenb unter ihnen bie vorzuglichſten ſich als Volksbücher im wahrften Sinne bes Worted bi8 auf Die neueſte Beit erhaltend. Daſſelbe war faſt Gleichzeitig auch in Deutichlend und England ber Tel, wo jene. Dichtungen, in bequeme Proſa aufge If, gänzlich Eigenthum des Volkes wurden. Doch treten in beiden Länbern noch echt nationale, früher wohl nicht in ſtrenger poetiſcher Form behandelte, ſondern gleich proſaiſch niedergeſchriebene Romant mit in die Neihe **). Noch einmal wachte in berfelben Periode die Luft am Witterlichen auf, aber nicht mit fo reiner Obfectivität, wie in. ben. großars tien Dichtungen früherer Tage, ſondern mit man⸗

e. Ebert l. c. 9109-9113. ‚Goufet, Bible thöque francoise T. IX..p. 71-96. .

*+) Vgl. Göeres, Die deutſchen Volksbuͤcher. „geibele berg 1807; Thoms, Colleetion of early prose roman: ees. Bonbon 1828. 3 Bde. Solche urfpränglihe Res mane find namentlich unfer Culenfpiegel und Kauft, Fryer Bacon und Fryer Rush.

nichfacher fublertiver Beimifchung, oberftächlicher und nianierister. Es war eine für ſich beſtehende Fa⸗ milie, Die ihre Wanderung, angeblich vom fernen Weſten Fommend, wenigftens bort mit großer Bor Eiebe gehegt und ausgebilbet, durch einen großen Theil Europa's machte, die der Amadisromane näm⸗ lich. Bei ihnen einen Augenblick zu verweilen, ſcheint uns nothwendig.

Amadis von Gallien tft der Stammvater dieſes Geſchlechtes, aber wer fein Erzeuger, wo fein Ba terland, das zu ermitteln, ift bisher noch nicht mög« lich geweſen; bie meitten Literächiftorifer fchreiben

ihn einem portugiefifchen Kriegsmanne, Vasco de Kobeira, welcher nad) Einigeg 1403, nach Anderen |

fhon 1325 zu Elvas gefkorben feyn fol, zu; Andere und Darunter gewichtige Stimmen, wie 3. B. einer ber erften Ueberſetzer des Romans in das Franzöſiſche, b’Herberay, ferner Bernardo Taſſo und Zxeflan bes banpten, es fei nur eine Ueberſetzung aus dem Fran⸗ zöſtſchen. Da das portugiefifche Driginal verloren gegangen, fo fehlt es am Beweiſe; auch wollen wir uns bier nicht Damit aufhalten, ſondern uns begnü⸗ gen, zu willen, daß er ein Kind des allgemeinen Ge⸗ ſchmackes jener Periode war, und eben fo gut dem einen, mie dem anderen Lande vindieiet werben kann, um fo mehr, als er ſich urfprünglich nicht an hiſto⸗ riſche Sagen anknüpft, ſondern über alle Anfangẽ⸗ puncte jener hinans fein Daſeyn beginnt und ein rei⸗

nes Product frei ſich geftaltender, aber in ben ver men nachahmender Poeſie ift*).

Amadis, der Held, ift ein Kind bee Liebe, des Perion, Königs von Ballten (oder Wales?) und dee Elifena, Pringefiin von Britannien. Seine Putter, fich ganz natürlicher und hergebrachter Weiſe feiner Geburt fchämend, fest ihn in einer Wiege aus und giebt ihn ben Wellen bes Meeres Preis. Ein ſchottiſcher Ritter, ber von Britannien nad feinem Baterlande kehrt, fifcht ihn auf und erzicht ihn unter dem Namen bes Kindes der See. Als er zwölf Jahre alt ift, wird er an ben Hof des Kir nigs von Schottland gefendet, um bort feine Erzies bung zu vollenden. Hier bildet ſich ein inniges Ber» baltniß zwifchen ihm und Driana, ber Tochter bes Zifuarte, Königs von England, Die fih, wegen Un⸗ ruhen in ihrem eigenen Lande, dort befindet. Rad dem Amabis Ritter geworben, eilt er dem Perlen, Könige von Gallien, welcher unterbefien Elifena ges beirathet und durch fie Water noch eines Sohnes, des Galaor, geworben ift, zu Hülfe. Galaor if naͤmlich von einem Rieſen geftohlen, ber benfelben nach feinem eigenen Syſteme erzichen wil. Amabis wird vermittelit eines Ringes von feinen Eltern

2) &. Sismondi 1. c. II, 1. &. 97 fabe; Ebert l, e. ®r. 479-479, Dunlop I. - II. S. 7 fobe Schmidt 1. c. XXXIII. S. 16— 75. Eichhorn's allge meine Geſchichte der Eultur und Litteratur, Th. 1. @. 186 fgbe. Nie. Antonio. Bibl. hisp. nova I, p. 324.

erkannt zu Deren großer Freude, ba er ſchon gewal⸗

tige Thaten verrichtet und ben König von Irland, der Gallien mit Krieg überzogen, auf das Haupt ges ſchlagen Hat. Er kehrt nun nach England. zurück, beſiegt und vernichtet Riefen, befreit ben Liſuarte yon bem Ufurpatsr Barfinan und dem Bauberer Ar⸗ ralaus, zieht fich Dann auf Jängere Beit in eine Ein- fiebelei gurüd, weil ihm Oriana einen fehr graufe men Brief gefchrieben, ſicht Dann wieder fiegreid) ge

gen Kildabon, König von Irland, bringt Hundert

Rittern, weldje den Lifuarte angegriffen, eine Rie

derlage. bei, wird aber von dieſen feindſelig verfolgt und ‚gezwungen, Oriane und. England zu meiden,

wo cr denn in Dentfchland und der Türkei Wunder

bee Tapferkeit verrichtet und endlich. nach England zurückgekehrt, Die Geliebte ans den Händen römiſcher Geſandten befreit, denen Lifuarte fie übergeben, um fie dem Bruder ihres Kaifers als. Gattin zuzuführen

Amadis bringt nun Oriana nad dem feſten Eiland und führt dann einen heftigen Krieg mit Liſuarte,

den er in zwei Schlachten beſiegt. Da erfheint

plöglich, angetrieben vom Arenlans, Ararigo, ein alter Feind Liſuarte's, zu beffen Verderben, aber

großmüthig wird num Amadis aus feinem Gegner fein Bundesgenoffe, fchlägt den Feind, töbtet ben Ararigo und ninmmt den Arcalaus gefangen. X

ſuarte, gerührt von -Diefem- Edelmuthe, erfährt nun, daß- Driana mit Amadis fchon im verkrauteſten

Verhältniſſe gelebt und die Freuen. der Ehe be

neits im. Woraus genoſſen haben; er willigt alſo in

ihre Heirath. Diefe wirb auf dem feſten Elande vollzogen und Oriana löſt den wunderbaren Zauber dieſer Inſel, indem ſie das magiſche Gemach betritt, dad nur dem ſchönſten und treueſten Weibe der Welt zugänglich iſt.

So weit der Stammvater der Amadiſſe, an ben "dh nun Die Kette der Söhne und Enkel, fämmtlich ohne Erlaubniß des Priefters in heimlicher Liebe erzeutt, in unzähligen Ringen hängt, und dem Ur⸗ toman immer ein neues Buch hinzufügt. So bil vet Esplandian, der Sohn des Amadis ‚mit feinen Heldenthaten Das fünfte und fechfte Buch, das an vottiſchem Werthe fehr den vier erften nachfteht, aber doch manches Barte und Innige enthält; ihm felgt Liſiarte von Griechenland, Sohn bes Esplandian, mit feinen Thaten das fiebente und achte Vuch fül— end, diefem Amadis von Griechenland, Sohn des Mluntte and Der Onoloria, das neunte Buch einnehe mend, ihm wiederum Floriſel de Niquea, dem das zehnte Buch gehört, und ſo weiter fort, Age⸗ flan von Colchos, Silvio de la Selva, Palmer in de Oliva, Primaleon, deſſen Sohn, Platir, Sohn des Primaleon, Palmerin von England u. ſ. w., ſinmtlich Nachkommen des erſten Amadis, und wunderbare Thaten verrichtend, währenn ihre Vor⸗ fahren meiſt durch Zauberei noch am Leben ſind *).

) S. bie vorige Anmerkung. Eine hoͤchſt geiſt⸗ eiche und intereffaute Keitik aller dieſer Romane giebt

Schon oben tft im Allgemeinen angedentet wor⸗ den, woburd fi} die Amadisromane, welche vor- züglich in Spanien blähten, aber von hier aus bie Keife in faft alle anderen bamals culturfähigen Reis he Europa’8 machten, von ben Romanen der Sa genfreife unterſcheiden; e8 mag Eurz, um Anderes Darauf zu begründen, hier nochmals ausgefproden werden. Diefe fußten nicht auf hiſtoriſchem Boden, wie jene, waren baher nicht, ſelbſt in Hinzugemifchter Erfindung entſchiedener Ausdruck des allgemeinen Geiſtes, ſondern durch und durch Erzengniſſe einer zum Theil erſchopften und daher raffinirenden Phan⸗ taſie, bie mit ihren Producten gefällig zu ſchmei⸗ cheln wußte, und dem fchon- erfterbenden Ritterthum einen Fünftlihen Glanz zu verleihen, der Durch feine blendenden Strahlen mehr der Allgemeinheit impe nirte und fie zum Staunen anregte, als daß er buch Wahrheit und Wirklichkeit nachhaltig. begeifterte. Das Schlußcapitel der Amadisromane würde eins der unfterblichften Werke des menfchlichen Geiſtes und Gemüthes, Gervantes Don Quijote, auf den wir zu feiner Beit noch zurückkommen werben. Sämmtliche Amadisromane faßte in Frankreich end» ih noch ein Mal Gilbert Saunier, Sieur du. Ver- dier zu Unfange Des fiebenzehnten Jahrhunderts in

befanntlich Cervantes im Don Qutiote T.I. c. 6. Bol. hinzu Pellicer, Discurso preliminar zum Don Quijote $. 5. und bie Anmerkungen in ber Ausgabe bes D. O. von Ideler. Berlin 1804. Thl. 5. ©. 102 fabe.

jenem fieben Bände ftarfen Roman des Romans zus fommen, und fchloß mit dieſem Reſums für immer die Epoche der wunderbaren Witterromane des Mit⸗ telalterö ab.

Derfelbe Gong und biefelbe Richtung des Ges ſchmacks Hinfichtlich Dee Nomanpoeſie, wie fie vorzüg⸗ lid, bei den Franzoſen von uns hier entwickelt wurde, hereihte bei allen sinilifirten europäifchen Rationen bed Mittelalters vor, und die Hauptfloffe wanbers ken von einer zu ber anderen unb wurden buch die Bermittelung mehr ober weniger freier, eigener dihterifcher Behandlung und durch das Hinzuthun und Einmengen mehr oder minder bedeutender, eiges ner, nationaler Sagen und Gefchichtsftoffe, wirklis he Eigenthum, bei dem die Art und Weiſe ber Auffaſſung im Ganzen nur wenig Modificationen fand nad) den inneren Bedürfniſſen der Einzelnen, da die Hauptbegriffe, Anfichten und Neigungen durch⸗ us allgemein walten. Wie Hat wieder die Poeſte eine ſolche Volkerwanderung angetreten, als in jenen Beiten, ſelbſt in Den unfrigen nicht, Denn wir fiber fehen nur Fremdes, das trotz ber Uebertragung im unfer Idiem Fremdes bleibt; Damals aber machte won aus dem Premben ein wirkliches Volkseigen⸗ thum. So Haben wir Dentfchen chen fowohl ben Perceval, Lohengrin, Oberon u. |. w. anfzuweifen, neben unferen alten Bearbeitungen gothiſch⸗ longo⸗ bardiſcher und franfifch-hurgundifcher Sagen, aber fe find durch große Dichter und echte nationale Auf⸗ foflung deutfch geworben: baflelde Fönnen bie Spa⸗

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nier, in fpäterer Beit die Staliener, bei Denen die Sagenfreife namentlich von Karl dem Großen recht eigentlich in bie Volkspoeſie übergegangen, Die Ries berländer, ja felbft die fernen Dänen und Schweden von ſich rühmen *). Der Abdruck des Geiftes in jeiner poetifchen Selbftreproduction trug Damals über al einen und benfelben Stempel; diefen Stempel haben der Poeſie vorzüglich Die Kreuzzüge aufge drückt; mit dem Erlöfchen ihrer legten Wirkung er loſch auch Die poetifche Aeußerung in Diefer Weile und Form und eine neue, ganz verfchiedenartige ges ftaltete fih. Für den Roman findet fi nun

*) S. Büſching und von ber Hagen, Literar. Grunds riß zur Geſchichte der deutſchen Poefie. Berlin, 1812. Beneke's Borrede zu feiner Ausgabe des Wigalois &. XVII; Götting. gel. Anzeiger 1822; St.97. S. 966; Bouterwek, Geſchichte der Poeſie und Beredſam⸗ feit feit dem Ende des 13. Jahrhunderts, Th. II. S. 305; F. W. V. Schmidt, über die italien. Hels dengedichte aus dem Sagenkreife Karl’ des Großen. Berlin und Leipzig, 18205 N. G. van Kampen, Beknopte Geschiedenis der Letteren en Weten- schappen in de Nederlanden. Delft, 1826; T. I.&. 10 und T. II. ©&. 18. fgbe; van Wyn’s Historische en letterkundige Avendstonden. Amsterdam, 1800. &. 268 fgde; Nyerup og Rahbek. Bidrag til den danske Digtekunsts Historie. Kjöbenhavn, 1800. Bd. I. S. 9 fgde; u. ſ. w. u. ſ. w.

eine Lücke, über welche nur leichthin vermittelnd Die Brüde der italienifhen Novpelliſten führt, bis plög- ih, von Neuem zum Selbftbewußtfenn erwachend, ber fortfchreitende Menſchengeiſt ſich auch in Diefer Form wieder entichieden ausſprach *).

Bei der Familie der Novellen aber zur befferen Entwickelung des Ganzem einige Augenblidle zu ver» weilen, fcheint mir nothwendig.e Der Geſchmack an Heinen ſtizzenhaften Erzählungen, welche in voll fommner, äußerer wie innerer Einheit menfchliche Schiefale in realen, allgemein befannten und ver- fändlichen Verhältniſſen darftellten, Hatte fih Schon in früheren Zeiten manifeftirt, aber benen, bie fi Damit befchäftigten, war e8 noch nicht gelungen, Die rechte Form und den techten Ton dafür zu treffen; diefe aber mußten vorhanden feyn, ehe Die allgemeine Theilnahme fich Derfelben bemächtigen Fonnte. Die Keime waren längft vorhanden, ja felbft an, wenn auch noch mangelhaften, Vorbildern für die Form

+) Der einzige ältere Roman, welder fi in ber Krt und Weife der Behandlung den griedhifchen Romas nen anfchmiegt, aber wegen feiner, vielen offenbar ſub⸗ jectiven Beziehungen und dadurch, daß er nicht vollen» det worden uns zum größten Theil unverftändlich bleibt, ift der portugiefifhe Menina e Moga ou Saudades (Lisboa, 1559 u. 5. Neueſte Ausgabe ebenbaf. 1785) von Bernardün Ribeyro, der zu Enbe bes funfzehnten Jahrhunderts lebte. |

7%

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fehlte es nit, wie Ich das bereits ei Erwähnung der Contes et Fahliaus glaube nachgewiefen zu haben, nur lagen Die letzteren, den Belle fremd, von ber Sprache der Gelehrten umbällt, da. Sobald ſich alfo ein guter Kopf zeigte, bee fie ergriff, fo kounte er ficher feyn, fich den Beifell Aller zu gewinnen; denn man war Dach endlich Der poetiſchen Formen mübe geworben, und dieſe fo allgemein und fo culti« viert, DaB auch die Geiſtloſeſten fie fi anzueignen und mit einer angeleruten Gewandtheit Diefelben zu handhaben vermochten. Das aber macht eben Das Gluͤck eines guten Kopfes, daß er nicht der Zeit yoraneilt, ſondern nur im rechten Augenblicke ergreift, was fie in ber nächſten Stunde nothwendig gebraucht. Kin ſolches Talent nun war der Italiener Borcarcio, der durch Studien, Leben und Reiſen gebildet, nad) manchem fruchtlofen poetifchen Berfuche, mit feinem Deeameron, einer Iofe und, wenn man nicht blind feyn will, wie feine Landleute, Doch eigentlich geſchmack⸗ los verfnüpften Reihe von hundert Erzählungen poe» tifchee Gegenftände in profaifcher Form die Bahn brach, und mas den Reiz naiver Darftellung be- teifft, Die fich jedem Gegenſtande natürlich anzu⸗ ſchmiegen weiß, wie Das nothwendigfte Gewand dem menſchlichen Körper immer ein ſchwer zu erreichen- des Mufter bleiben wird. Er tft nicht als der Erfte zu betrachten, der dieſe Form einführte, wenn wir auch’ die Gesta Romanorum und die Disciplina eleri- calis, ja ſelbſt Die reizenden altfranzöfifchen Contes Aucassin et Nicolette und die Reife des Grafen von

Ponthien unbeachtet Laffen*), benn bie italienifche Sammlung il Novellino sber, wie ſie auch heißt, conte novelle antiche iſt unbezweifelt Alter **), aber er iR ber Erſte, Der Driginalftoffe in sriginsier Weiſe ber handelt und verdient daher mit Necht ald der Schö⸗ pfer dieſer Gattung betrachtet zu werben. Des Diesmerone if fe befannt und fe viel beſprochen, daß es faſt eine Unart gegen ben Leſer wäre, wollte ih bier ausführlich bei bemfelben verweilen; für Italien Hatte es, Died allein fei mir vergönnt, bien zu bemerken, das zwiefache Iutereffe, daß es neben ber erſten Bildung Flafiicher Proſa, auch zuerſt das wirfliche bürgerliche Zehen des Landes in feiner vol⸗ len Wahrheit darſtellte und fi an eine Zeit am- ſchloß, deren Grinnesungen und Zraditionen Jedem ohne Ausnahme von nicht geringer Wichtigkeit ſchie⸗ nen, ich meine eben bie Beit ber Pet, wegen deren nadter und allerdings herber Schilberung Ipätere Krititer ven Boccaz fo heftig getadelt haben; fie bedachten nicht, Daß er fich damals an Feinen beſſeren Hintergrund Ichnen konnte, um feinem ganzen Werke

*) Beide find in ber bereitd angeführten Samm⸗ Iung von Meon abgedrudt.

*#) Die cento novelle antiche find unzweifelhaft ſchon zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts zuſammenge⸗ tragen worden; die älteſte Ausgabe beſorgte Gualte⸗ ruzzi, nach einem Manuſcript, das dem Kardinal Bembo gehörte, 1825 zu Bologna; die nächſto gaben Die Giunti 1592 zu Florenz heraus. u

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bie dauerhafte Färbung ber höchſten Wahrſcheinlich⸗ Beit au verleihen. Ueberhaupt aber kann ein Kind jener Beit fich dieſer nicht treuer zeigen als e8 Der talentvolle Erzähler von Gertaldo in dieſem Werke gethan; allenthalben offenbart ſich der prägnanteite Abdruck berfelben, ebenfo wohl in den fteifen Canzo⸗ sen, welche jede Giornata fchließen, wie in den fchel- mifchen Novellen, die Die verberbte Geiſtlichkeit gei⸗ Bein, ober den oft weniger als zweidentigen Stüd- hen, welde die Herren den Damen zum Beiten geben. Den Beweis dafür, außerdem daß er in Der Sache ſelbſt zu finden if, liefern Die zahlloſen Nach⸗ ahmer. Alle folgten mit weniger Ruanrirungen Der Hrt und Weile des Deramerons, während es faft Keinem einftel, den gefeierten Meifter in feinem fub» jeetiven fentimentalen Buche (Roman kann man es nicht nennen, denn mit diefem hat es nur die Form. gemein) ber Fiammetta oder dem biffigen & or» baccio und dem künſtlichen Urbano imitiren zu wollen *).

Gleich nach dem Boccaz warb nun bie Novelle Gemeingut des italienifchen Volkes, namentlich Des gebildeten Mittelſtandes und erhielt fich, fat unver- ändert in der Form und Weiſe, wie er fie erfchaffen, bis auf die neueften Beiten, felbit jeßt noch hin wie⸗ der mit großem Behagen, wenn auch meift modern fentimentalifirend cultivirt. Die bloße Anführung

2) Sol, Mazzucchelli, Scrittori d'Italia. I, 3. Dun- lop 1. c. IL, 222. Bonterwed 1. c. I, 208 fgde.

der Kamen der gefeiertiten Novellieri, welche dem Borcaz folgten, wie Sackhetti, Ser Giovane, Ban⸗ vello, Firenzuola, Parabosco, Maſſuccio da Salerno, Sabadino degli Arienti, Luigi da Porto, Molza, Giovanni Brevio, Grazzini, Lando, Erizzo, Gra⸗ nueci, Giraldi, Straparola, und in fpäterer Beit Frugoni, Loredano u. f. w. beweilt, wie allgemein der Sinn dafür war, und wie gern man fi damit beihäftigte *). Es findet fich faſt Fein italienifcher Autor und wenn er auch fonft feine Federn ben ernfteften und wichtigften Dingen gewidmet, wie 3.8. ber verfatile Machiavell **), der nicht eine oder ein Paar Novellen hinterlaffen hätte.

Zunächſt waren es Frankreich und Spanien, Die fh am Lebhafteſten Diefer neuen Weife der Erzäh- lung bemächtigten. Den Franzoſen fagte die leichte und naive Behandlungsweife befonders zu, denn auch bei ihnen war das Bedürfniß eines entichiedenen Gegenſatzes zu den ftreng poetifchen, namentlich aber den epiſch⸗ allegoriſchen Formen auf das Lebhafteſte fühlber geworden, und wo fanden fie dieſen befier

*) S. S. I Norvelliero Italiano. Venez. 1754. 4 voll. in 8. Elegante und wohlfeile Ausgaben der meiſten dieſer Rovelliften find in neuefter Beit in Mais land bei Giovanni Silveſtri erſchienen.

**) Sein Belphegor iſt oft überſetzt, bearbeitet und nachgeahmt worden in Verſen wie in Proſa. S. Opere di Nicc. Machiavelli. Firenze, 1782. in 40. Bd. V.

als in der baaren Ratürlichkeit ber Novelle? Sehr bald wurde Diefelbe daher auch von ihnen angebaut. Unter biejen find Die befannten cent Nourelles nouvel- les, deren Berfafler feinen Namen nicht der Nachwelt binterlaffen bat bie älteften, ımb ber äußeren Form nach allerdings mit dem Decameron verwandt, ob⸗ wohl der Inhalt derſelben meiſt altfranzöſiſchen Fa⸗ bliaux und lateiniſchen Facetien and Hiſtörchen, na⸗ mentlich des Florentiners Poggio, entlehnt iſt *). Sie wurden jedoch bald von dem Heptameron der Königin von Navarra **) überflügelt, weiche, ba fie vom Hofe ausgingen, ber Damals in Frankreich be⸗ reits begonnen hatte, den Zon in ber Literatur an- zugeben, allgemeinen und außerorbentlichen Beifall fanden. Diefe anmuthigen Hiſtörchen find in der Form eine noch directere Nachahmung ber Novellen des Boecaqz als jene eben genannten, obwohl ber Fa⸗ ben, der ſie verknüpft, anmuthiger, ausgeſponnen iſt, als bei dem italieniſchen Meiſter. Im September nämlid) befindet fich eine Gefellfehaft von Herren und

Damen in ben ‚Bädern von Gaulderats, fie wollen,

*) Bgl. Dunlop I. c. II, 430. Die ältefte Ausgabe derfelben gab Verard in Folio ohne Datım heraus; fie find fyäter öfter wieder aufgelegt und hinſtcchtkich der Sprache modernifirt worben.

**) L’Heptameron ou l’Histoire des Amams for- tunds de trös-illustre et tres-excelente princesse Mar- guerite de Valois, Reine de Navarre. 1559 unb fter wieder aufgelegt, noch 1698 in modernifirker Diction.

ba die Reit um iſt, hrimkehren, aber Regenwetter ver⸗ dirbt die Wege und fie ſehen ſich genöthigt, ein Nas terlonmen im Kloſter zu umferer lieben Frauen von Serrance in den Pyrenaen zu ſuchen. Hier müſſen fie verweilen, bis eine Brüde über einen Strom ge⸗ ſchlagen iſt. Dies dauert zehn Tage, und fie befchlies ben, ſelbſt zehn au Der Bahl, fich die Beit von Dit« tag bi8 Abend täglich mit Erzählungen auf eines Ihönen Wiefe am Ufer des Fluſſes Gave zu vertrei« ben. Mit der 73. Erzählung endet aber das Buch; die eingelnen Novellen find durch Interhaltungen über diefelben, welche faft die Hälfte des ganzen Werkes einnehmen, wit einanber verbunden. Cie ſtihen an Feinheit dee Darſtellung, au Eleganz bed Styls und geiftreicher Vehandlung des Stoffes fche ihren Vorbildern nad, aber fie erhalten michts beiten weniger einen großen Reiz buch naive Natürlich⸗ kit und trenherzige Derbheit und find um fo inter⸗ slanter für den Hiſtoriker, weil fie Den Stempel ih⸗ ter Feit und des Zone berfelben auf das Schärfite ausgeprägt tragen. Vieles ift allerdings unanſtän⸗ dig, doch nur fo, wie e8 eben in ber damaligen Con⸗ verfotion der höchſten Stände feinen Platz behaup⸗ tete und als etwas Gewöhnliches ruhig hingenom- men ward; an muthwilliger Ausſchmückung, wie Boc⸗ ea fie liebt, ift Dabei nicht zu denken und felbft dem nadteften Bufammenftoßen der Gefchlechter Tiegt, wie allem Anderen, was erzählt wird, eine moralifche Lendenz zu Grunde, wodurch ein wefentlicher Unter⸗ ſchied von der italienifchen Novelle eintritt und eine

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nee Richtung‘ für dieſes Genre überhaupt einge- ſchlagen wurde.

Ein fo glänzendes "Beifpiel, wie e8 die galante Margarethe von Balois gab, mußte natürlich viel fahe Rachfolge finden. Die Novelle wurde ein Lieblingsgenre der Franzofen und eine Menge ähn- licher Sammlungen fchloß fi) dem Septameron an, body erreicht Feine daſſelbe. Anfangs blieb man in ber Behandlung lange der von ber geiftreichen Kö⸗ nigin eingeführten Weife treu, und fchied höchftens Fomifche und tragifche Stoffe fireng von einander, fpäter aber, als die unterdefien auch in Spanien mit großem: Erfolg eultivirte Novelle Eingang in Frank⸗ reich fand, behandelte man fie mit größter Kunft, namentlich was bie Verwickelung ber Fabel betraf, in der die Spanier Meifter waren, nnd ließ ſie in meh⸗ zere Arten zerfallen, unter denen die Nouvelles galan- tes, tragiques und comiques als Die Hauptabtheilungen zu betrachten find und bis fait zur Mitte des acht⸗ zehnten Jahrhunderts an der Tagesordnung blie⸗ ben *).

Gegen das Ende des ſechszehnten und zu An⸗ fange des ſiebenzehnten Jahrhunderts tauchte auch in Spanien eine große Menge von Novellen auf, Anfangs ebenfalls Nachbildungen der italieniſchen, fpäter aber in eigenthümlicher nationaler Weiſe durch⸗

*) ©. Blankenburg, Zuſätze zu Sulzers Wörter buch. Artik. Erzählung.

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geführt. Der Erfte, welcher bie Gattung überhaupt jenfeitö der Pyrenäen einführte, war ber gefcheibte Buchhändler Timoneda, der jedoch noch nicht bie fremdartige Benennung novelas anzunehmen wagte, fondern feine dem Boccaz nachgeahmten Hiftörchen auf gut Altkaſtiliſch Patranas (Mrährchen) nannte *). Bald aber folgten ihm bedeutende Köpfe nach, wie vor Allen der unferbliche Gervantes mit feinen Ne: velas exemplares,. Perez; de Montalvan mit ben Prodigios y Successos de amor, &amerino mit novelas amorosas auch eine Dame Donna Maria de Earavajal y Saavedra mit Novela sentretenidas und viele Andere mehr, jo daß Die Zahl der fpanifchen Novellen Legion geworben iſt **). Sie unterfchieben ſich meift von den Halienifhen Durch größere Abenteuerlichkeit der Be⸗ gebenheiten, fcherffinnige und künſtliche Berwidelung, ansführlichere Schilderung der Sitten und eine ehren» bafte Witterlichkeit der Gefinnungen, welche, ſelbſt anf die Spitze geftellt, nod) immer liebenswärdig unb ahtungswerth bleibt; Dagegen ftehen fie ihnen an Natürlichkeit, ſowohl des Styls wie des Inhaltes, Gervantes derartige LZeiftungen. ausgenommen, bei Beitem nad. In nenefter Beit find fie dagegen fehr breit und fentimental geworden ***).

*) Sevilla, 1583. in 8.

**) Dunlop 1. c. U,:495; Bouterwel L. c. III, 451.

***) Gine folhe Sammlung breiter, fentimentaler und leider faſt durchgängig Iangweiliger Novellen und Erzählungen gab Don Atanasio Cespedes y Monroy

x

Die Novellen hatten im Allgemeinen einen BöhR glädlichen Einfluß auf bie Geſtaltang bes Romans

ber neueren Beit, ober richtiger bes eigentlichen Bu mans und find als feine unmittelbaren Borläufe zu betrachten, einmal weil fie cn und für ſich wahre Natüurlichkeit in ber fingirten Grzählung einführten

dann, weil fie fi vor Allem mit ber Darſtellung der wirklichen Sitten ber Gegenwart beichäftigten.

Die GSefchichtichreiber haben noch ger nicht berüd«

fichtigt, welche reiche Quelle für Die wahre Auffaffung jener Beiten hier für fie ſtrömt. Italiener, Spanier und Franzofen müſſen hier, wie durchgängig im Mit⸗ telalter, als die Tonangeber betrachtet werben, Eng länder, Deutfche, Dänen, Schweben und Holländer haben aus jenen Tagen nur Ueberſetzungen aufzawei⸗ fen, mit denen fie fich behulfen, aber nichts Gelbir ſtändiges in biefem Gebiet, fo lebhaft fie ihm auch übten Beifall zollten, und bie ſlaviſchen Nationen lichten damals noch nicht für bie Literatur.

Der erſte eigentlih neuere Roman, welcher zu⸗

gieich in feinem Baterlande einer beſonderen Gattung

die Bahn brach, ift der Lazarills be Tormes von Don Diegs Hurtado de Mendoza, berühmt al Staatsmann und als Dichter. Er ſchrieb Diele? intereffante Buch als Etudent zu Salemence \ir

unter dem Titel: Lecturas utiles y entretenidas. 1800 zu Madrid Heraus, und den Beweis, daß biefelbe bem ſpaniſchen Publicum zufagte, Tiefert der Umſtand, daß fie acht Bände zählt.

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ein und zwanzigſten Sabre feined Aters uud ließ es uvollendet, fpäter höheren Beichäftigungen zuge⸗ wandt und durch feine vornehme Stellung im Staabe jenen Verhaͤltniſſen, welche als Jüngling feine Auf⸗ merkſamkeit feſſelten, gänzlich entrüdt. Die Indo⸗ len; ber niederen Klaſſen, die Gaunerei einem arbeit⸗ jımen Leben vorzogen und der Bettelſtolz verarmter Gidelgo’S, welche renommiſtiſch ihr Lehen friſteten, ſowie die tauſend Armſeligkeiten und Jämmerlich- keiten, welche in ben unteren bürgerlichen Verhält⸗ niſen aus dieſer Miſchung von Faulheit und Prahl⸗ ſucht, beide im ſpaniſchen Volkscharacter wurzelad, entipyrangen und anf dem ergiebigen Boden nad allem Seiten hin fortmuckerten, hatte lange ſchon die elgemeine Aufmerkfemfeit und ben Unwillen an geregt, Niemand aber ihnen bie poetiſche Seite ab» gewonnen uud fie in komiſcher Auffaſſung, hinter ber ſedoch ein tiefer Ermft ſich barg, dargeſtellt. Als daher 1553 zuerſt der Lazarillo de Tormes erſchien fand er eine außerordentlich günſtige Aufnahme *), machte, Bald nachher in das Franzöftiche überſetzt, die Bunde durch Den größten Theil von Europa, und ward det Gründer einer. eigenen Bettung der Schelmenro⸗ Manz, am beuen fi die beſten und gebiegeniten Köpfe nicht alein in Spanlen, fondern auch in Frankreich mit

*) Die neueſte vor mir liegende Ausgabe erſchien Rede, 1822 in 10. S. über Diego be ende . za, Vonterwek a. a. O. IE, 186 fabe. cher Ras. de Zorınes vgl. Dimlöp 1; c. MI, 111.

2110 Grfolg verfuchten. Ziefe und reiche Menſchenkennt⸗ niß, Scharfe und feine Beobochtung und eine überaus lebendige XZuftigkeit, die mitunter bi8 an die Karrika⸗ tur ftreift, aber doch nie wirklich verzerrend wird, characterifiren neben vortrefflicder Darftellung biefes glüdliche Buch. Lazaro, der Sohn eines Müllers am Ufer des Tormes, wird in feinem achten Jahre von feiner Mutter einem blinden Bettler ald Führer zugegeben und beginnt damit, baß er dieſen um bie Gaben der Wohlthäter preilt und ihn zulegt aus Nache für erklittene Strafe noch abfcheulicher an⸗ führt. Dann kommt er nad) Magueda und tritt in die Dienfte eines Geiftlihen, der ſchmutzig geizig ift und alle Lebensmittel in einer verfchlofle- nen Kifte aufbewahrt, fo daß der Held ein langes Gapitel füllt mit der Erzählung aller von ihm ange wandten Kriegsliften, um zu einiger Nahrung zu ge⸗ langen. &8 geht ihm’ aber zuletzt fehr ſchlecht Dabei und obenivrein wird er noch von feinem Herrn fort» geſchickt. Er begiebt fi nun bettelnd nad) Toledo and wird der Diener eines fehr ftolzen, aber fo ar⸗ men alteaftilifchen Edelmanns, daß er für ihn an den Kirchenthüren betteln muß, während Diefer Die Meile hört ober auf den Promenaden herumſtolzirt. Diefer läßt ihn zulegt im Stih, indem er feinen Släubigern entflicht. Run geräth er zu einem Klo⸗ ſterbrnder, dem er aber nicht lange dient, und dann zu einem andern Heren, darauf zu einem Caplan, nad) diefem zu einem Alguazil, wo e8 ihm aut geht, und der Erzpriefter, fein Gönner, ihn mit einer feiner

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Mägde verheirathet, mit der er tra ber Einflüſte⸗ rungen feiner guten Freunde fehr glücklich Iebt.

Hier endet der Roman, ber wiederholentlich, namentlich von H. de Luna, fortgeſetzt und fehr in das Hbenteuerliche hinüber gefpielt wurde. Ihm folgte eine große Reihe von längeren oder kürzeren Nachahmungen, unter denen wir, wie bereits eben bemerkt wurde, Leiſtungen der vorzüglichften Köpfe finden. Am Nennenswertheften find Guzman von Alfaradje, von Mateo Aleman, hinfichtlich feinee Beobachtung und treuer Sittenf&hilderung feinen Vor⸗ gänger weit hinter fich laſſend, früh fhon in an⸗ dere Sprachen, auch in das Deutfche übertragen und mit. großer Begierde überall gelefen; die Picara Ju- stina, Zope; de Ubeda zugefchrieben, aber wahrſchein⸗ ih von Fra Antonio Perez herrührend, das Leben einee Gaunerin erzählend; der Gran Tacanno von Quevedo, das Leben und Treiben auf fpanifchen Unis verfitäten mit großem Wie fchildernd; Marcos Dbregen von Bincenzio Espinel feiner und ausführ- licher, vielleicht mehr auf wirklichen Begebenheiten ruhend, als die vorigen und noch viele andere min⸗ ber bedentende, welche hier einzeln aufzuzählen zu weit führen würde *).

Die Franzoſen bemächtigten ſich bald dieſer Gat⸗ tung, ohne ſie jedoch zu veredeln und ſie nur dadurch nationaliſirend, daß fie das Leben ber unteren und

*) Rgl. Dunlop I. c, IH., 113 fgde. SBonterwei a. a. D. IH, 451 fade. |

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mittleren Stände von feiner komiſchen Seite auffaß⸗ ten und in feinen Einzelheiten ensführlich darſtell⸗ ten. Der Einzige, der fie auf eine höhere Stufe hinſichtlich der Darftellung und der Wehrſcheinlichkeit in ber Erfindung bob, war Leſage, aber er lieh fie Dafür auf dem fpanifchen Boden, auf welchem feine Vorbilder fi bewegten. Saul Scarron war dage⸗ gen der Erfte, der den Tomifchen Sittenroman, wie er allgemein bezeichnet wird, nad) Frankreich über Bedelte, doch fehlte ihm, trotz dem, dab er Die Spa⸗ vier zu Muſtern für feine erzählende Proſa nahm und ihnen auch in dieſer Hinficht einen "großen Theil bes Beifall, den er hier fand, verdankte, die Fein⸗ beit feiner Meiſter. In feinem Roman comique geht Alles nicht minder Infig und frapenhaft, aber vid soher und plumper zu, wogegen man auf ber ande sen Seite Die conſequente Chearacterzeichnung in dem- felben Ioben muß. Gine reifende Schauſpielergeſell⸗ ſchaft Dies it der Inhalt kommt nämlich auf dem Wege nad Klencon in Dans an und beſchließt bier eine Vorſtellung in einer Scheune zu geben; da aber die ſämurtlichen Mitglieder noch nicht zugegen find, fondern erſt am folgenden Zage eintreffen, 1 feßt fie das in Verlegenheit. Der anweſenden Scheu fyieler ſiad nur drei, ber erſte Liebhaber, Deftin ge nannt, des Intriguant Nancune und eine Dame Huch fehlt: ihnen Die nöthige Garderobe, zu bee det Schlüffel noch bei der übrigen Gefellfchaft if. Fit Veides wird inbefien Rath geſchacft; fie beſchließen nämlih, daß der Einzelne mehnere Wollen zu glei⸗

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ber Beit fpielen folle, und ber Lieutenant du Prevöt leiht der Schaufpielerin ein altes Kleid feiner Gat⸗ tin, die beiden Männer aber behelfen fi) mit den Köden von zwei jungen Leuten, welche mit einem Spiele befchäftigt find. Die Aufführung findet nun Statt zum großen Vergnügen der Bufchauer, wird aber durch Die beiden jungen Leute geftört, welche mit ihrem Spiele zu Ende find und ihre Kleider wieder haben wollen. Es kommt nun, da au die Bufchauer Partei nehmen, zu einer fchlinmen Prügelei und nach derſelben zu einem Heberfalle, bei welchem fich Deftin vortsefflich benimmt. Am andes ten Tage langt der Reſt der Truppe an, bei welcher ſich Mad. l'Etoile, Deſtin's angebliche Schweiter, und Leander, fein Diener, befinden. Sie verweilen aun einige Beit lang in Mans und werben dann eins geloden, eine Vorſtellung auf einem Landhauſe im der Kühe zu geben. Hier wird aber eine der Schaus ſpielerinnen, welche ihre Rolle im Garten ftubirt, mit Gewalt entführt. Die Uebrigen fegen ihr nach and die Begebenheiten und Abenteuer, welche Dabei vortommen, füllen den größten Zheil des zweiten Bandes dieſes Buches, das Scarron unvollendet ges Iafen Hat. Den eigentlichen inneren Faden beffelben bilden die Liebſchaft zwifchen Deftin und Mad. l'Etoile, Die Geſchichte Leander's, eines jungen vor⸗ nehmen Mannes, der, in eine der Schauſpielerinnen verliebt, ſich der Truppe zugeſellt hat, und die Strei⸗ che, welche der boshafte Rancune dem Nagotin, einem in die Etoile verliebten Advocaten und Poeten, der | 8

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Wenfalls der Geſellſchaft folgt, fpielt. Gearreme Sauptabficht bei dieſem Romane war, bie franzöfide

Kleinftädterei auf eine -Tächerliche Weiſe zu ſchildern, und das ift ihm allerdings vortrefflich gelungen, wenn and) zuweilen mit großer Webertreibung; auch ber Styl des Nomans zeichnet fich durch Natürlichkeit und Lebendigkeit vortheilhaft aus. Der Roman comique bleibt daher, was das Rationale in der Schilderung

betrifft, immer bie beſte Leiſtung der Franzoſen auf dieſem Gebiete; ihm zunächſt kommt Furetiere's Ro- man bourgeois, ber ſich das häusliche Leben des Ad⸗

vocatenftandes zu Paris zur Aufgabe gefegt, und

zwar nicht jene frifche und kecke Komik befigt, aber

Doch recht gute Characterfchilderungen und. mande gelungene, obwohl auch häufig karrikirte Scene auf zuweifen bat. Noch intereffanter feiner Wielfeitige Feit wegen, da er Die verfchiedenften Klaſſen der bür- gerlichen Geſellſchaft mit großer Lebendigkeit bar ftellt, if die in neuerer Beit faft gänzlich vergeffene

Histoire comique de Franeion, welche in Den Zagen ihres Erfcheinens außerordentlich gelefen wurde und

eine reiche Quelle für die Kenntniß damaliger Le⸗

bensverhältniffe darbietet*).

*) Scarron’s Fomifher Roman if unzählige Pal

aufgelegt und wird es noch fortwährend. Die elegan tefte Ausgabe, die ich kenne, erfhien mit Kupferftihen von Barbier gefhmüdt. Paris An de la Republ. 2 Bde. in 8. Den Roman Bourgeois fenne ich nur in einer boländifchen Ausgabe. Amsterdam 1704. in

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Alle diefe Romane waren aber nicht frei von Uchertreibung und Verzerrung und berührten nur die äußere bunte Oberfläche menfchlicher Buftände, ohne in da8 Innere einzubringen und bie Darftellung bes Seelenlebens zugleich mit dem Zehen bes Alltages zu verbinden. Das Bebeutendfte in biefer Gattung, welche eben erſt fich das Zeld der Wirklichkeit zu eigen gemacht hatte, war noch zu leiften und bie wahre Aufgabe in ihrer ganzen Vollkommenheit noch zu lͤſen. Dies vermochte nur ein wahrhaft genia- kr Schriftiteller, bisher aber hatten fich bloß ſehr begabte Talente damit befchäftigt. Er erfchien in ber Perfon des Spaniers Miguel de Cervantes Saa⸗ vedra. Diefer vom Schickſale ſchwer heimgeſuchte Mann, der aber frei, wie ein geborener Fürſt, im Reiche. ber Poeſie waltete, ift als ber eigentliche Schöpfer des wahren Romans zu betrachten, denn fein Don Quixote entfpricht allen Forderungen, bie an denfelben zu machen find, fobald man dem Jahr» hunderte, in dem er entftand, fein gutes Recht nicht ſtreitig macht. Der ingeniöfe Hidalgo Don Qui⸗ .

16, die jedoch nur Nachdruck, obwohl ziemlich eorrect iſtt. Die erfte Ausgabe des Francion führt ben Titel: L’Histoire Comique de Francion, par Nicolas de Mou- linet Sieur du Parc. Paris 1622, bo enthält fie nur die erften fieben Bücher, das zwölfte und letzte erſchien erſt eilf Jahre ſpäter. Paris 1633. in 8. drancion iſt ebenfalls ſchon fehr frühzeitig in das Deut⸗ (he überſetzt worden. |

g *

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jote de Ta Mancha iſt ein europäiſches Buch und wird eg bleiben, fo lange überhaupt Die. Luſt an finnrei- cher Erfindung und lebendiger Darftellung poetifcher Wahrheit ich frifch erhält. Die treffendite und con⸗ fequentefte Chararterzeichnung, eine unverfiegliche Ur⸗ fprünglichfeit und eine tief humoriftifche Lebensan⸗ fiht aus dem edelften und troß dem, daß es felbft fo fchwer gelitten, mitleidigften Gemüthe entfprin- gend, die vafchefte Auffaſſung des Fomifchen Ele⸗ mentes felbft auf der Nachtſeite menfchlicher Erſchei⸗ nungen, und wiederum ein ftet3 burchicheinendes ho⸗ hes Gefühl der Liebe offenbaren fich bier, auf Das AInnigfte verbunden mit dem höchften Banber der Dar⸗ ftelung in einer der edelften Sprachen, deren fich je ein Volk bediente, vol Würde, Gräzie und Naive⸗ tät. Don Quijote war der erfte und zugleich voll⸗ enbetfte Roman; er ift es bis jet geblieben; er um⸗ faßt in vofommenfter barmonifcher Ausbildung bes Kunſtwerkes eine ganze Welt wer die Menfchen Viebt, verfteht und bedauert, muß auch dieſes Werk lieben und Die Diefe Des reichen Gemüthes, aus Dem e8 entiprang, verftehen; er wird aber auch Feinen Augenblick zögern, biefen Roman unbedingt den über- " aus wenigen wahren Weifterwerfen, die bie gefammte Menſchheit hervorbrachte, beizugefellen.

Der Einfluß dieſes unübertrefflichen Buches tft mehr ein qualitativer, als ein quantitativer, mehr ein fern wirkender, als ein unmittelbarer naher ge⸗ blieben. Bwar. fehlte es in und kurz nad) der Beit feines Tangfamen Erfcheinens nicht an Nachahmungen

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und Fortfegungen, aber alle biefe ſind nur farblofe Daguerreotypen eines lebendigen, farbenfatten Bil- bes, und Feiner ber Verfaſſer, kaum felb der Au⸗ tor des englifchen Spiritual Don Quijote verdient ben Ranıen eines Schülers bes großen Meifters Cervan⸗ tes. Betrachten wir aber Dagegen bie Werke der beiten fpäteren Romanbichter aller Beiten und Ras tionen, von Defve an bis auf Walter Scott und Iumermann herunter, genau, fo werben wir finden, dab fie dem Don Quijote unendlich viel verdanten und ohne das Studium und Verſtändniß beflelben fh nie auf Die Höhe gefchwungen hätten, auf wel her fie fich befinden. Mit dem Don Quijote war der vollkommene Roman ba und bie Nationen hatten jegt ein Vorbild, das fie fi nur anzueignen brauchten, ums zu willen, worauf e8 bier ankam und was ihnen zu leiften nothwendig war. Der Don Quijote ift Feinesweges ein komiſcher Roman, wie ihn dummer Weiſe einfeitige Literaten bezeichnet ha⸗

ben, oder vielmehr er ift ein Fomifrher und tragiſcher,

ein bumoriftifcher und fentimentaler, ja wenn man will, ein didactiſcher auch, kurz, er it ein Roman, der Alles umfaßt, wie das Leben felbit Dies thut*).

*) Den in alle gebildeten Sprachen fo vielfach übers ſeßten D. Q. Hier noch im Einzelnen analyfiren und chatacteriſiren zu wollen, wäre eine Beleidigung für ben keſer und ein Diebftahl an feiner Beit. Wem indeſſen darum zu thun ift, Die Urtheile gebiegener Kunftrichter über dieſes Buch zu leſen, ben verweilen wir auf Sit

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Er fpiegelt, mit Sean Paul zu reden, alle Welt⸗ und Geiftes - Seiten ®). |

Die anderen Romane bes Eervantes ſtehen, ob⸗ gleich immer die Hand des Meifters verrathend, Dem Don Quijote bei Weiten nach und huldigen bem Geſchmacke ihrer Beit. Seine erfte Arbeit auf Dies fem Gebiete, ein Werk feiner Iugend, iſt ein un- vollendet gebliebener Schäfereoman, Galaten, eine Nachahmung der Diana des Montemayor, auf wel⸗ che wir gleich zurückkommen werden. Den größ- ten Werth in diefem Buche haben die damit verweb- ten Iyrifchen Gedichte, um deren Willen überhaupt

mondi l. c. I, 1. &. 192 fgde; Bouterwek l, c. TIL, 335 fgbe; Hazlitt, Lectures on the English Comic Wri- ters. London 1819. &. 212 fgde. Trefflich fagt der Letz⸗ tere, den vollen Werth bes großen Dichters anerkennend: Oh! if ever the mouldering flame of Spanish liberty is destined to break forth, wrapping the tyrant and the ty- ranny in one consuming blaze, that the.spark of gene- rous sentiment and romanttc enterprise, from which it, must be kindied, has not been quite extinguished, will perhaps be owing to thee Cervantes and to thy Don Quixote! Sehr ſchwach ift dagegen, was ber fonft fo verftändige Dunlop I. c. II, 95. über D. Q. bemerkt. Ueber die vorzüglihiten früheren Ausgaben bes D. O. giebt Pellicer in feinem, ben meiften neueren Edi⸗ tionen vorgedrucktem Discurso preliminar $. VI. nähere Auskunft. | *) Vorſchule für Aeſthetik IL S. 430 in der Amm.

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da8 Ganze nur gefchrieben und bie Erzählung als Gaben für jene Perlen erfunden zu feyn fsheint. Die Proſa, obwohl im Ganzen edel, leidet hier doch ftellenweife an Schwulft, und man vermißt noch jene erhabene Ginfachheit, welche Raivetät mit Würde verbindet und im Don Quijote fo fiegreich hervor» tritt. Bedeutender ſchon erfcheinen feine lehrreichen Erzählungen, doch herrſcht hier, ba fi eine bes Kimmte Zendenz bamit verbindet, ber prackifche Ver⸗ ſtand zu fehr vor, zwar nicht auf Koften ber Phan- tafie, Die ſtets anmuthig mit dem Gegebenen fpielt, wohl aber auf Koften tieferer Empfindung: zwei ober drei dieſer Erzählungen, die überhaupt ungleich und in verfchiebenen Beiten und Stimmungen entitanden find, ausgenommen. Sein letztes Werk diefer Gat⸗ tung, wie überhaupt fein letztes, der Roman Per⸗ files und Sigismunda, ift eine Nachahmung des He⸗ liodor, ungleich in der Erfindung und oft unwahr⸗ fheinlih, aber was Styl und Darftellung betrifft, von feltener Präcifion und Sauberkeit.

Ehe wir zu einer. neuen Familie uns wenden, welche in dieſer Beit ihren Urfprung nahm und fich mit feltenem Glücke über dag ganze gebildete Europa verzweigte, möüflen wir noch einen Augenblick bei einer ‚ber ſeltſamſten und abenteuerlichiten Erſchei⸗ nung auf biefem Felde verweilen, welche, obwohl vielfach überfet, bearbeitet und nachgeahmt, Doc wohl immer allein ſtehen wird, ba nur ein durchaus origineller Kopf ſich dieſer Weife mit Erfolg bes mächtigen kann, und dann eben feiner Originalität

120 wegen fich nicht auf Nachahmung befchräntt, ſon⸗ dern durchaus Neues Tiefert. Seines Gleichen wirb Das Wert, auf das wir hier hindeuten, wohl nie finden, denn die Beit, in der es entitand, hat zu bemfelben fo gut wie Nichts beigetragen, ſondern Die geiftige @igenthümlichkeit des Verfaſſers, deſſen Gelehrſamkeit und Belefenheit eben fo ausgebreitet, wie feine Laune bis zum Uebermuthe friſch und feine Phantafte bis zum Ungeheuern Farifirend war, faſt Alles allein gethan. Franz Rabelais, Mörnd und YArzt*), von Großen gehätſchelt und fie verfpottend, unter allen Lebensverhältniffen immer ein Schalf, aber von unverwäftlicher geiftiger Geſundheit, gab feinen

*) Geboren zu Chinon in ber Touraine gegen 1483, geftorben 1553 in Part. S. Niceron, Memoires T. XXXIL Das erfte Buch des Gargantua erfchien 1425 zu 2yon in 16, das zweite, Pantagruel, eben» daſ. 1542, das dritte, Paris 1546, das vierte, Balence 1547 zuerft, und das fünfte erft nach dem Tode bes Berfaffers 1562. Die befte Ausgabe bleibt immer noch bie Amfterbamer von 2a Monnoye und Duchat, Am⸗ fierdam 1711. 5 Bde. in 8. und die neuefte Parifer. 1821. 4 Bde. ind Eine fehr gute Modernifirung (von Marſy), die fih befcheiden nur auf die veraltete Sprache befhränft und viele trefflihe Erklärungen emts halt, kam unter dem Titel: Le Rabelais moderne, Am- sterdam 1752. 8 Bdchen. in 16, heraus. Meiſter⸗ haft iſt bie von Regis beforgte deutſche Ueberfegung. Zeipzig 1832 fgde. 2 Bde. in gr. 8.

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fatyrifchen Noman, ben erften, ben bie Geſchichte bee Löteratur überhaupt aufzuweifen bat, berand, um, wie er jagt, ben Leſer Iachen zu machen und ſei⸗ nen Kranken zur Genefung zu verhelfen, eigentlich aber, um jelbft auf die heiterfte und groteskeſte Weiſe über Alles Inftig zu fpotten, was ihm für Dielen Zweck bequem fchien sind in den Weg gekommen war. Daher packt er gleich Alles fo, daß er es in eine Abendbeleuchtung bringt, wo felbft ber geringfte Chatten, den es erreicht, gigantifch und gerade duch das Misverhältniß zum eigentlihen Körper, der ihn geworfen, lächerlich erfcheinen muß. Ob er eine bireete Satyre dabei im Sinne gehabt babe oder nicht, iſt trotz allen Unterfuchungen doch ſchwer zu mitteln; eine eigentliche genau zufammenhängenbe gewiß nicht; mir ſcheint es, je öfter ich ihn gelefen, beitn gewiſſer, daß er vor Allem baranf bedacht war, fih gehen zu laſſen, wie ihn Laune und Phantaſie trieben, unterweges mitnehmend, was fich ihm als fatyeifch darbot, und, wenn ihn die Luft dazu anwan⸗ belte, Niemanden ſchonend, felbit die Höchften ſei⸗ ner Erde nicht. Hätte er direct perfönlich feyn wol⸗ Ien, fo würde die Gefchichte doch mehr Davon willen, denn an Gegnern, welche bie Mache, die an ihm da⸗ für genommen feyn würde, mit wahren Jubel ber Rachwelt überliefert hätten, fehlte es ihm am We⸗ nigiten. Eben um dieſes Sich Sehen » Laffens wil⸗ len hat er Kritikern, Commentatoren und Literär⸗ hiſtorikern von jeher fo harte Nüſſe zwifchen bie Bößne geſchoben, weil fie Das zehnte Mal dvoch nicht

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recht ergründen, was ſie aus ihm machen ſollen und er ſich Alles auf ſeine eigene Weiſe ſelbſt ſchafft, Sprache wie Welt, Menſchen wie Betrachtungen, aber Alles nen, eigenthümlich und fo in das Gro⸗ teste und Ungeheure binaufgetrieben, daß man bie Verwandtſchaft mit wirklich Vorhandenem wohl bucchfählt, aber ihr weder recht nachzugehen, noch fie aufzuſinden weiß. Die Phantaſie und zwar eine secht maſſive und unbeholfene,, troß ihrer Yriiche und ihrer Geſundheit, Läuft immer mit ihm Davon; ich Bann fie nicht anders vergleichen, als mit einem recht berben Bauerlümmel, ber auf ber Kirmfe einmal recht ausgelaſſen feyn will, gleichviel, was Daraus Sommen mag, dem troß dem aber Doch zu Beiten auch ein recht boshafter Schall im Nacken fikt. Da⸗ ber ift Manches bei ihm wahrhaft klaſſiſch, wie z. B. bie Epifode mit der ſtummen Frau, die Berfpottung bes Kauderwelſch, das der Parifer Student von fich ſprudelt, der Brief des Gargantua an den Panta⸗ geuel u. a. m. Anderes dagen Folofjal unanſtändig und babei nicht naturderb, fondern raffinist, wie 3.38. Das ganze Treiben des Grandgoufier, und end⸗ lich wieder Manches fo mit Gelehrſamkeit durchſpickt, wo diefe gar nicht hingehört, wie u. X. in dem Ca⸗ pitel über die Hahnreihſchaft und Die Frauen, das Rondibilis dem Panurg lieſt, daß man überall deut⸗ lich flieht, wie ſich Rabelais ſtets einzig und allein von feiner gerade waltenden Laune regieren und lei⸗ ten läßt und nirgends einen vorherrfchenden, be⸗ ſtimmten Fünftlerifchen oder ethifchen Bwed vor Au⸗

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gen hat. Gerade deshalb if fein Werk einzig ge⸗ blieben und wird es immer feyn, und fein Einfluß auf irgend eine Sefchmadsrichtung if nie von Bes lang geweien. Allen feinen Nachahmern if es beö«a halb auch nur äußerlich geglüädt, ihm nahe zu tre⸗ ten*), wie er ſich räuspert und wie er ſpuckt, mit Schiller zu reden, Haben fie ihm theilweiſe abge» lauſcht und felbE der ihm verwandtefte Geil, Fi⸗ fhart**), bat, wenn man daB, was dem dent⸗ fhen Character als originell gehört, davon abrech⸗ net, nicht mehr geleitet, noch weniger aber bie Franzoſen; felbft der glüdlichfte unter ihnen, Ve⸗ roald de Verrille hat in feinem feurrilen und confu- fen Moyen de parvenir e8 nicht über Rabelais Mas

nier hinaus gebracht, und ſelbſt auch Hier ficht man ihm immer Die Copie an ***). Leicht erflärlich wird

*) Bol, Flögel, Geſchichte der komiſchen Literatur, Bd. II. S. 463 fade.

22) Affentheurliche und ungeheurliche Geſchichtſchriſt vom Leben, rhaten und Thaten der for langen weilen vollen wol beſchreiten Helden und Herrn Grandgofter, Gargantua und Pantagruel u. f. w. durch Huldrich Eis Ioposderon Regnam 1575. in 8. Die fpäteren Ausga⸗ ben führen einen noch weit tolleren Titel. S. Floͤgel . ce. V., 337: |

+4) S. Blankenburg's Bufäpe zu Sulzer’ Wörter bug, Art. Satyre. Das Moyen de parvenir hat viele Ausgaben erlebt, Die ältefte erſchien 1610; eine ſehr ceorrecte 1732. 2 Bde. in 12., fo wie auch m. A.

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08 Daher auch, warum fpätere Urtheile über ihn fo febe von einander abweichen und ber Eine ihn in Den Himmel hebt, während der Andere ihn in bie Hölle wirft *). So ifolirt if ex denn auch geblieben, ſelbſt

eine Weberfegung in's Holländiſche mit folgendem ganz veränbertem Zitel: De Doorluchtige Daden van Jan Stront, opgedragen aen het Kackhuys. Gedruckt voor de Liefhebbers 1684. (in 12). Bir ift nur der erfte Theil derfelben zu Beficht gefommen. Verville's Buch iſt übrigens Nichts als eine Anzahl bunt zuſammenge⸗ würfeltee Hiſtörchen und Einfälle in Gefprächsform vor⸗ getragen; ihm liegt jeboh, ähnlich wie bei Rabelais, ber Bwed zu Grunde, die Heftigleiten und Uebertreis bungen im Kampfe der Reformirten und Katholiken zu werfpotten und zu geißeln.

*) Bol. Pasquier, Recherches de la France. N. 33. -— Bayle, Letires p. 879; Le Clerc Bibl. choisie T. XXII. p. 42. Unbegreiflich ift es, wie Bouterwel 2a Bruyere's Urtheil fo falfch angewendet bat, (Ges ſchichte der Poefie und Beredſ. Th. 5. ©. 289, a.); er muß es nit aus der Duelle gefhöpft haben, denn es ift das geiftreichfte nnd gerechtefte von allen und lau⸗ tet: BRabelais est incomprehensible. Son livre est, une enigme, quoiqu’on veuille dire, inexplicable ; c’est une chimere; c’est le visage d’une belle femme avec des pieds et une queue de serpent, ou de quelque autre bete plus difiorme ; c’est un monstrueux assem- blage d’une morale fine et ingenieuse et d’une sale corruption. Oi il est mauvais, il passe bien loin au-

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in Frankreich kennen Ale fein Buch dem Kamen nad) und wiflen ſich gelegentlich etwas Darauf, aber gelefen haben ihn gegenwärtig die Wenigften gam und noch minder, wenn fie die Wahrheit geftchen, wirklich Geſchmack an ihm gefunden *).

Die Reigung für den Roman hatte um biefelbe Beit bereits fich fo verbreitet, daß die Dichter, weis he fi auf dieſem Felde verfuchten, einfahen, es fei bier auch ein Pünftlerifcher Zweck zu erreichen und eifrig Vorbilder fuchten, bei deren Nachahmung fie zugleich Vollendung der Form und Heiz der Neu⸗ "heit vereinigen Fonnten. Das Hlafitiche Alterthum galt bereits fat durchgängig als das vorzüglichkte Mufter, und fo wandte man fich auch hier zunächſt wieder zu bemfelben, modernes Interefie mit antiker Bollendung zu verbinden ftrebend. Der dem Longus zugefcehriebene treffliche Hirteneoman war bier wohl das bedentendfte Vorbild für die Behandlung ähn⸗ licher Stoffe; doch übte Virgil, der im Mittelalter

delä du pire, c'est le charme de la canaille: od il est bon, il va jusqu'à l’excellent: il peut &tre le mets des plus delicats. S. Oeuvres de La Bruyare. Ed. ster. Paris 1810. T. 1. S. 21.

*) Derfelben Meinung ift auch Voltaire Inya,— fagt er in ben Melanges de Literature et de Phu- ‚sophie que quelques personnes d’un got bizarse qui se piquent d’entendre et d’estimer tout cet ouvrage; le reste de la nation rit des plaisanteries de Rabe- lais et meprise le livre.

fo hoch Rand und beffen Anfchen noch fortbanerte, ebenfalls bier einen, wenn auch nicht unmittelbar wirkenden, großen Einfluß ans Durch feine Weiſe, un⸗ ter idylliſchem Gewande complicirtere Werhältnifie feiner Beit und feines Selbft wieder zu geben und nach verfchiedenen Richtungen Verſtand und Gemüt) zugleich zu intereſſtren. Ihm, dem auch Dante ben Schönen Styl verbanfte, ber ihm Ehre brachte *), war zuerft auf dieſer Bahn Borcaz, obwohl mit gro⸗ Ber Freiheit in Behandlung der Form in feinem Ameto gefolgt, und hatte ſich dabei der Proſa be bient, um eine Reihe idyllifcher Poeſteen Durch ben Baden einer Erzählung zu verbinden. Seine Arbeit, ‘ein Iugendverfuh, war namentlich im 15ten und 16ten Jahrhunderte gern und viel gelejen worben, trog ihrer Monotonie und ihrem häufigen Schwule und hatte wohl dem Sannazar vorgefchwebt, der in -feinee Arcadia ſchon bei Weiten romanhafter und fubjeetiver zu Werke geht, obwohl er ben epifchen Faden ebenfalls nur gebraucht, um eine Reihe von Eklogen mit einander auf anmuthige Weife zu ver " Hechten. Im weiteren Sinne ift daher fein Werl und nicht die Diana des Montemayor, auf bie wir bald zurückkommen werben, Der erfte fchäferliche Ro⸗ man ber romantifchen Poefte, und verdient ſchon um Diefes Grundes willen näher chararterifirt zu werben. Das ganze Buch zerfällt in zwölf Abtheilungen, von

*) Tu se’ solo colui da cuio tolsi Lo hello stile che m'ha fatto onore. Auf. I, 86.

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benen jede eine eigene, jedoch mit ben anderen zu⸗ fommenhängende Erzählung und eine verfificirte Idylle umſchließt. Der Mangel der vollfommenen Einheit und Durchführung einer beftimmten Erzäh- lung, welche alle anderen als Gpifoden umfaßt, it allenfalls gegen bie Einreihung in das Gebiet des Romans einzuwenden, wenn man nicht bier aus ben in unferem @inleitungscapitel entwidelten Gründen dem Dichter unbedingte Freiheit geftatten will. Der Leſer möge nad) dem hier in ber Kürze folgendem Inhalte ſelbſt entfcheiden. Schäfer des Berges Par⸗ tenio in Arkadien begegnen fich und Elagen über bie Grauſamkeit ihrer Geliebten. Sie feiern das Fe ihrer Göttin Pales und fpäter dann das Andenken geliebter Werftorbener mit Gefängen und Wettkäm⸗ pfen. Dann erzählt Sannazar felbft, ber fich unter fie gemifcht hat, ihnen die Gefchichte feiner Liebe, was ein Hirt mit gleihem Vertrauen erwiebert. Bulegt wird er während ber Nacht im Traume von einer Rymphe unter Die Erde geführt zu ben verhor« genen Grotten und Quellen der berühmteften Flüſſe und kommt endlich in Italien wieder an das Licht des Tages, worauf er wieder nach Neapel zurückkehrt. Hoch der Behauptung einiger Kritiker hat er ſich als zwei verfchiebene Perfonen eingeführt, ein Mal als Sannazar oder wie er fich felbit Lieber nennen hört, Sincero, Dann als Ergaft. In der erſten Perfon verherrlicht er feine wirkliche Gelichte, Carmoſina Vonifacia, unter dem Namen Amaranta, und heffagt ihren Tod unter dem Namen Phyllis, in ber zwei⸗

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ten bagegen feine Mutter unter dem Namen Mafe ſilia. Huch findet fi) außerdem noch manche An⸗ fpielung auf das Schiefal feiner Gönner, der ver- bannten Zürften von Nenpel, im Buche verftreut. Wärme des Gefühls, Cinfachheit, lebendige An⸗ ſchauung und Darftelung und anmuthige Behandlung herrſchen überall vor; nur der Sprache ift hin und wieder Zwang angethan und bie Eklogen büßen an vielen Stellen von ihrer Wirkung ein, daß fie in versi sdruccioli, die nur zu leicht [Eurril Flingen, ge⸗ fchrieben find. Wahrfcheinlich verleitete ein dunkles Gefühl, die Form dem Inhalte anpaflen zu müffen, zu diefem Mißgriffe, denn ernitere Gegenftände, wie 3.38. Ergaft’3 Klage um den Tod der Mutter, find in vortrefflichen, höchſt angemeflenen Berzinen be⸗ handelt *).

Weit bedeutender ift allerdings die Diana bes Jorge de Montemayor in vielfacher Hinficht, einmal als wirklicher vollftändiger Hirtenroman, dann aber auch als ein eigenthümliches Beichen der Zeit, in der fie entitand, da der Dichter neben ber bufolifchen Mufe auch Der romantifchen Aventure, ihre volles

*) Jaeopo Sannazaro warb 1458 (na Anderen 1461) zu Nenpel geboren und ftarb zu Rom 1530. (n. And. 1533). Die erfte Ausgabe feiner Arkadia erihien 1502 in 4. zu Venedig und feitbem öfterer. Eine fehr gute ift ferner die 1768 zu London von G. Serafini beforgte und mit Anmerkungen und einem kur⸗ zen Lebensabriß des Dichters verfehene in 8.

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Hecht einräumte und neben ber neuen Weiſe auch bie alte beliebte abenteuerlicher Erfindung in voller Kraft und Ausdehnung walten ließ, fo daß das Widerſtrebendſte ſich plöplich gewaltfam mit einan- ber vermifcht zeigt. Auch er folgte dem Bei ſpiel des Virgil und bekleidete wirkliche Erleb⸗ niſe und Verhältniſſe mit leicht durchſichtigem poetiſchen Gewande, wie er das ſelbſt ausdrücklich bemerkte *). Hier der Inhalt. Diana, die ſchoͤnſte unter den Schäferinnen, bewohnte die reichen Wie- fen, die das Ufer des Fluffes Egla bilden. Der Hirt Sireno (der Dichter felbft) lichte fie und werd durch Gegenliebe beglüdt; fie lebten mit einander wie in ber golpnen Beit. Aber er wird gezwungen, dad Vaterland zu verlaffen und als er zurückkehrt, it feine Herrin, dem Befehl ihrer Eltern folgend, einem Schäfer vermählt. Das MWiederfehen bes Schauplatzes feines früheren Glückes erfüllt ihn mit tiefer Zrauer; da hörte er einen anderen Schäfer, Sylvan, Hagen, den Diana abgewiefen bat. Ihr verwandtes Schickſal befreundet fie mit einander und fe befommern gemeinfchaftlich in Profa und Verfen Ihe trantiges Loos. Bu ihnen geſellt fich eine ver⸗ Infiene Schäferin, Sylvania, ber e8 eben fo betrübt ges gangen iſt und erzählt ihnen, nachdem fie biefelbe

von der Urſache ihres Kummers unterrichtet haben,

*) Diversas historias fagt ee de casos que | 'erladeramente han sucedido, aunque tan disfracados lebacho de nombre y estilo pastoral.

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Hier bricht Montemayor's Werk unvollendet ab. Es hat zwei Fortfeger gefunden, von denen ber Eine, Hlonzo Perez, welcher noch acht Bücher daran ge: hängt hat, heftig vom Gervantes getabelt, der An» dern Dagegen, Gaspar Gil Polo, fehr lebhaft von ihm ‚gelobt wird *). Bei dem Letzteren wird Siren von feiner Gleichgältigkeit gegen Diana geheilt; Delio, ihr Gatte, der fein Juwel nicht zu ſchätzen weiß, läuft einer Anderen nad, im cigentlichiten Sinne be Wortes, erhigt ſich dabei, trägt eine Erfältung da von und flirbt. Da nun der Verbindung Diana’ und Sirens Richts mehr im Wege fteht, fo warten fe erſt fein bürgerlich das Trauerjahr ab und her rathen fich dann, womit Alles in Freude endet. Gil Polo Hat auch viele Epifoden und eine Menge Gr Dichte hinein verwebt, unter denen für Die Spanier

kannt; er ftarb 1561. gl. Summario da Bibliotheca Luzitana. Lisboa 1786 II, 351. Velazquez, Gefſchichte der fpan. Dichtkunft, deutih von J. X. Dieze. S. 9. c Eine deutſche Ueberfegung der Diana lieferte Harsdör fer. Rürnberg 1646 in 8.

*) S. Gervantes Don Quijote, Th. 1. B. 1. Eap.d. Die Fortfegung des Gil Perez, Profeffors ber Re diein zu Salamanca, erfhien 1564 zu Xlcala unter dem Xitel: La Diana segunda del Salmantino; bie von Gil Polo heißt: Diana enamorada en cinco libros. Va- lencia 1564. Die beſte Ausgabe mit erflärenden En merfungen ‚zum Gefange bes Turia beforgte D. Fr. eu ‘da y Rico. Madrid 1778. 1. Bd. in 8.

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der Geſang bes Fluſſes Zuria, ber das Lob berühm- tee Baleneianer feiert, das intereffantette iR.

Aus dieſer Furgen Sefchichtsklitterung wirb man body deutlich jchn, daß Diontemayer’s Buch an geoßen Fehlern leidet, und er fehr in ber von feiner Beit geflalteten Geſchmacksrichtung befangen wer. Bon der Nothwendigkeit Fünftlesiicher Einheit, von innerem, naturgemäßem Bufemmenbange ber. Begeben⸗ heiten bat er noch gar Feinen Begriff, aber darum war ihm auch eigentlich nicht zu thun. Er wollte aur ein erzählendes romantifches Gewand für feine Gedanken und Gefühle und darum zog er in ben Kreis feines Buches Alles hinein, was ibm paſſend ſchien, um fo mehr, als ihm wirkliche Begebenheiten dazu dienen mußten, feine Betrachtungen baran zu- knüpfen. ber fein Werk iſt in doppelter Hinficht merkwürdig, einmal weil er ihm eine großartige Idee, die Berherrlichung ebelfter Sirene, zu Grunde legte, dann weil er, wenn auch einfeitig, bie Hauptaufgabe des Romans, die Entwidelung und Schilderung bes inneren Menſchen, wie er fich im Leben, Durch äußere Verhältniſſe geftaltet, darin zu Iöfen fuchte und Dies mit großer Bewußtheit durchführte. Fuügen wir noch Hinzu, Daß er mit ausgezeichneter Gewandtheit wirfliche Greigniffe hinein zu weben verftanben, daß er voll Gefühl und Junigkeit und reich an fchönen und gefälligen Bildern ift, daß fein profaifcher Styl ſich burd) einfache und eorrerte, volllommen dem Gegen- ftande angemeflene Eleganz auszeichnet, und Daß feine Gedichte vortrefflich find, fo wird ſich Niemand wuns

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dern über ben außerordentlichen Beifall, ben fein Werk bei feinen Beitgenoflen fand, fo Daß es Tange nicht blos bei feiner eigentlichen Nation, fondern auch bei anderen Völkern, Die fich dieſer Gattung mit Luſt bemächtigten, als Vorbild diente. Es fehlte ihm daher auch nicht an Nachahmungen, unter denen Übrigens die ſpaniſchen, mit Ausnahme der ſchon erwähnten Galatea des Cervantes, gerade bie unbe⸗ beutendften find *).

Den 'glüdllichften Griff in biefer Hinſicht that ein franzöftfcher Edelmann, Honore d'Urfs aus Mars feille gebärtig, dem, mit noch größerer Freiheit und Kunft zu Werke gehend als Montemayor, des Letzteren Diana unzweifelhaft zum Vorbilde gedient hat**) und

*) Solche fpanifche Nachahmungen find: Los dies Libros de Fortuna d’Amor por Antonio de lo Frasso (du Frasne aus der Cerdagne) Barcelona 1573 in 8. El paster de Iberia p. Bernardo de la Vega. Ma- drid, 1501 in 8. Las Ninfas y Pastores de He- nares por Bernardo Gonzalez de Bovadilla. Alcalä 1587, 8. Desengano de Celos por Lopez de Enciso, Madrid 1586 in 8. EI} pastor de Felida por Luis Galvez de Montalvo. Madrid 1582 u. a. m. Bol. Pellicer's Anmerkungen zum 6. Capitel bes 1. Buches des Don Duijote. Ein fehr gefeierter Sch“ fereoman der Portugiefen, Die deren mehrere anfzumel fen Haben, ift Frane. Rodrig. Lobo's Primavera. Lis- boa 1601 1714. 3 Zhle in 4.

**) Dafür ſpricht außer ben inneren Beweifen, web

ber zuerſt in feinem Schäfersemen Astrde, ben er ſelbſt eine Pastorale allegorique nannte, um bie Einkleibung wirklicher Begebenbeit in ein idylliſches Gewand an⸗ zudenten, den romantifchfentimentalen Ton einführte. Diefer fand buch feine Neuheit um fo größeren Beis fall, als man der bloßen Kitterlichleit vollkommen müde war, und bei Der vorherrfchendnen Neigung zu allem Allegoriſchen ſelbſt, wenn biefes auch nur auf ber äußeren Form berichte, Jeder ſich gern mit ſei⸗ nen Liebesvethältniſſen und Herzensintereſſen in fols che zarte Schäferfituationen hinein Dachte, ba dieſe dem wwirflichen Leben fern lagen und es Teinem Stande verwehrt war, fich ein foldyes Gewand ums’ suhängen, während man fich früher Doch jagen mußte, daß zur Ritterlichkeit noch Eigenſchaften gehörten, bie nicht ein Jeder beſaß. Es iſt nöthig auch Den Anhalt Diefes Buches mitzutheilen, das, wenn auch fein Ruhm Fein lange dauernder war, Doch einen großen Einfluß auf Die Gefchmadsrichtung der ſpä⸗ teren Beit geübt hat. Wir fehen deutlich mie jegt don Das Bedürfniß allgemein rege wurde, ſich über

be dUrfs's Aftenen barbietet, erfilih, daß das Stu⸗ dium der fpanifhen fchönen Literatur Damals in Frank⸗ reich an der Tagesordnung war, zweitens, daß ih von 1578 bis 1610 bereits zwei frangöfifhe Ueberſetzungen der Diana (von Ric, Colin. Rheins 1578, von ©. ©. Navillon, Paris 1603) vorfinden, zu denen im Laufe des fiebzehnten Jahrhunderts noch drei neue (von Remy, Vitré , und Mad. Gillot de Saintange) hinzukommen.

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Beitereignifle und Kebensuerhältnifte Rechenſchaft ab⸗ zulegen und Darüber auf eine feine und anmmthige Weiſe zu refleetiren, wie man aber noch nicht wagte, allgemein Bedeutendes in diefen Kreis zu ziehen, fondern nur erft das Eubjertivfte, die Liebe mit ih⸗ ten tauſend indivibnellen Erfiheinungen und zwar nicht in dem Kreife ber gewöhnlichen, gerade beſtehen⸗ den Buftände, wie e8 jett der Roman mit vollſtem Selbſtbewußtſeyn thut, fondern in fingirten, aus allen Beiten und Buftänden gemifchten Berhältniffen zu behandeln. Allmählig war man auf biefem Wege zu großer Bewußheit, aber auch zu großer Künitelei, bie bald zu einer unerträglichen Iinnatur führen mußte und auch wirklich führte, gelangt, und gerade d'Urfé's Aſtraea bildet einen ber Cumulationspuncte diefes Beftrebens, da fie die verſchiedenartigſten, fremdeſten Geſtaltungen mifcht, ums wirkliche Begebenheiten und Perſonen darzufellen, was ihr Damals und das wirb immer bei folchen abfichtlichen Fictionen der Fall feyn abgefehen von ihren übrigen, fich bei ihrem Publicum einfchmeichelnden Gigenfchoften, einen an» Berordentlichen Reiz gab. Es ift, nebenbei bemerkt, gerabe Feine der nobeln Seiten im Menfchen, welche ihm fo großes Intereffie gerade für Werke dieſer Art einflößt, fondern ftreng genommen eigentlich nur eine verebelte Klatfchfucht. Ach werbe fpäter noch ausführlicher Darauf zurückkommen, da fich Dies gerade in ber neueiten Beit vorzüglich in England fo entichieden herausitellt.

Aber kehren wir zur Aſtraea zurück. Die as

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bel des Romans ſpielt gegen daß ſechſte Jahrhundert chriſtlicher Zeitrechnung an den Ufern der. Lignon unter PJerſonen, die eigentlich ſehr wohlhabend und gebildet ſind und nur zum Plaiſir ihre Schaafe ſelber weiden ). Da dieſe guten Leute nun eigentlich Fichte zu thun haben, fo bleibt ihnen vollkommen Beit, fi nach allen Seiten hin zu verlieben, und biefe Xieheshändel (d. h. Die Liebeshändel D’irfe’s ſelbſt und ſeiner Freunde und Bekannten) neb ben RNe⸗ flertionen und Raiſonnements darüber voll galanter Subtilitäten bilden den Inhalt des Buches. Cela⸗ don, ber liebenswürdigſte aller Schäfer jener feligen Rage, licht Die fchöne Aſtraea, welche feine Reigung erwiedert, aber durch neidifche Ginflüfterungen zur Giferfucht getrieben wird, ihrem Geliebten heftige Vorwürfe macht, und dann feine Gegenwart flieht. Celadon Hürzt fich in den Fluß, um ſich Das Leben ie nehmen, Doch bie Wellen werfen ihn wieber an dad Getabe neben einem Myrthenhain, mo ihm brei Fymphen zu Hülfe Eommen und ihn nach bem Schloſſe Iſſoura führen. Aſtraea, welche verſteckt mit angeſehen, wozu ihn bie Verzweiflung getrieben,

*) &. die Widmung an bie Schäferin Aſtraea vor dem erften Theil, wo e8 wörtlich heißt: Responds leur ua Bergere que tu n’es pas, ny celles aussi qui te suivent de ces Bergeres necessiteuses qui pour ga- gner leur vie conduisent les trouppeaux aux pastura- 568; mais que vous n’avez toutes pris cette condition Te pour vivre plus doucement et sans contrainte.

188: wirb ohmmächtig und fällt in das Waffe; bie be- nmachbutten Schäfer retten fie aber und beingen ſie neh einer Hütte, wo kLycidas, der Bruder des Cela⸗ don, nach dem Darauf vergeblich gefucht wich, zu ihr Fommt. Aſtraea behauptet, er jet ertrunken bei dem Beſtreben fie zu retten. Lycidas aber macht ihe Vorwürfe. über ihre Gleichgültigkeit und fie erwies dert ihm, er fei aller Welt Liehaber und habe fie inshefondere für Amynta verlaffen. Dies bringt Celadon auf den Gedanken, dab ihre Giferſucht ſei⸗ nen Bruder in den Tod getrieben habe und er erin⸗ nert fie Daran, wie es ihr eigenes Verlangen gewe⸗ fen, Celadon folle allen benachbarten Schäferinnen. den Hof machen, um feine wirkliche Neigung zu ver“ bergen. Phyllis und Diana, ihre Gefpielinnen, for« dern. fie jetzt anf, die Gefchichte ihres Verhältniffes wit Celadon zu erzählen. Ausführlich fchildert fie ihnen num ihre Empfindungen, als fie im zwölften Sahre ihres Alters Geladon zum eriten Male gefehen. Bald nachhet wurde Das Feſt ber Venus gefeiert und nach einem alten Gebrauche ftellten vier Junge frayen im Tempel der Göttin das Urtheil des Paris dar. Männer burften, bei Strafe gefteinigt zu werden, nicht zugegen feyn. Celadon ſchleicht fich jedoch in dem Gewand einer Jungfrau ein und Die Rolle de8 Paris wird glüdlicher Weife ihm zuge» theilt. Die drei Nymphen ftellen fich zur Entfchei- Dung; cr reicht Aſtraea den Preis und entdeckt ihr nachher die Gefahr, der er ſich ausgefegt. Ihre Liebe wird aber Durch bie- Feindſchaft ihrer Eltern geftört,

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und Seludon8 Water ſendet ihn anf drei Fahre wech Italien, mn ihn von feiner Leibenfhaft zu heilen. Seine Neigung Bleibt‘ jedoch unverändert; aber auf feiner Heimkehr bricht. Aſtraea's Eiferſucht, duvch Semire herbeigeführt, aus, und veranlaßt bie tvau⸗ tige Begebeniheit,: mit welcher das Werl beginnt. Gleich daranf ſterben Kftraen’s. Eltern und ſie kann au ungeſtört, unter. der Maske der Trauer um ihre Erzeuger, auch Celadon's Verluſt beklagen. Dieſer verweilt noch auf. dem Schloſſe in Gefellſchaft bes. Rymphen. Galatea, die ſchönſte derſelben und Schweſter bes Herrſchers über jene Gegend, vernach⸗ liſſigt um ſeinetwillen zwei frühere Bewerber, Pole⸗ mas, der für ihren abweienden Bruder Das Land re⸗ siert, und Lindamor, der mit feinem. &ebieter jet im Kriege gegen einen benachbarten Fürften begrife fen tt; Doc) Gelabon bleibt Aftrarı treu und ent« flieht , unterftüßt von ber Rymphe Leonide. Er eilt nah dem Ufer der Lignon zurück, fchlägt aber feinen. Wohnſitz in einer Höhle des Waldes auf und be= ſchließt, bier fein Leben hinzubringen; da findet er fe auf einer feiner Wanderungen fchlafend, mit ihten Gefpielinnen,; er legt ein Briefchen auf ihren Buſen. Sie erwacht, fieht ihn ſich ent« fernen, und glaubt feinen Geift gefchaut zu haben, worin Das Billet fie beftärft. Die Hirten er- bauen nun ein Grab für ihn, um feinen unftäten Schatten zue Ruhe zu bringen, Das die Hirtin⸗ nen mit Blumen fchmädken. . Die Druidinnen und der SOberpriefter weihen e3 ein und beten für

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ihn; Leonide it bed dieſer Feier zugegen, aber ver⸗ ſchweigt, daß er noch am Leben iſt; darauf beſucht fle ihn in feiner Höhle und bringt ihren Oheim, den Dberbruiten Adamas, mit, der ihn überreden will, Die Geliebte aufzufuchen, ſtatt ſie zu: fliehen; Celadon will es aber durchaus nicht und nun ſchlägt er ihm vor, in Weiberkleidern zu ihm zu kommen und als feine Tochter Alexis, welche ſich acht Jahre bei den Druiden aufgehalten, bei ihm zu verweilen. Dies geſchieht und die Hirtinnen, unter ihnen Aſtraea, kommen nun, die vermeintliche Alexis zu begrüßen. Aſtraea erfennt den Geliebten nicht, fühlt fi) aber auf das Tiefſte bewegt. .- Sie bleibt eine Beitlang bei ihm und nimmt ihn Dann mit fich zu der Hütte Phocion's, wo ſie feit dem Tode ihrer Eltern wohnt. Es bildet fich nun eine innige Freundſchaft zwifchen ihnen, deren -Weien und Reben b’Urfe ausführlich ſchildert. Mittlerweile bat Polemas ein Heer anf- gebraht und den Gegenftand feiner Liebe in ber Stadt Mareilly belagert. Galaten ift durch den Tod ihres Bruders Fürſtin des Landes geworden, Adamas führt den Oberbefehl in der Stabt für Galatea. Polemas bemächtigt ſich ber falſchen Alexis, die er für die Zochter des Adamas halt und an Die Spige der Angreifenden ftellt, Damit bie Belagerten nicht wagen, einen Ausfall zu thun. Bufallig hatte Aſtraea an jenem Sage die Gewänber ihrer vermeintlichen Sefährtin angetan und war demzufolge in des Po⸗ lemas Lager gebracht worden, wohin ihr nun Gela= don folgt. Beide müffen jegt in ben Vorderreihen

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ber Schlacht erfcheinen. Aſtraea wird abes von bem Belagerten entdeckt unb auf eine ſinnreiche Weiſe gerettet, während Celadon, Die Welagerer angreifend, viel zu Der Niederlage bes Polemas beiträgt. Linda⸗ mor kommt fpäter Salateen zu Hälfe und töbtet Pole» mas im Bweilampf, Trotz feinem Helbenmuthe und feinen mannhaften Thaten wirb Celadon aber bad nit von Aftraca erkannt und Beide Echren zuſammen zu Adamas einfamer Wohnung zurück. Endlich führt jeboch Leonide Aſtraea zu einem Hain unter bem Borwande, ihre Celadons Geiſt zu zeigen. Nach einer angeblichen Beſchwörung fällt die faliche Wleris, welche mitgegangen ift, der Freundin zu Füßen und befennt Allee. Uber ftatt ihe zu vergeben, ſegt die hartherzige Schöne: Geh’ und fühne buch den Zod die Beleidigung , welche du mir zugefügt. Ber trübt, aber gehorfam fragt Celadon fie nun nad) der Art des Todes, die er erleiden fol; fie verweigert aber jede weitere Erklärung und bemerkt, das fei ihr ganz gleichgültig, wenn es nur je eher je lieber ges ſchehe. Celadon begiebt fi) nun zu den Zöwen, welche Die Duelle der Liebestreue bewachen, das Merk des Bauberers Merlin. Diefe vernünftigen Beitien weigern ſich aber, einen Mann, der fo reinen Herzens if, wie Geladon, zu verzehren. Aſtraea kommt nun auch hinzu; ihre Grauſamkeit bereuend wii fie fich ähnlichem ode Preis geben, aber, Hast fie anzubeißen, liebkoſen fie bie gaftfreten Löwen. Die Quelle bat bie Eigenſchaft, daß, wer fich Darin fpiegelt, das Wild Des. oder der Gelichten neben ſich

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Fehk, wenn dieſe treu gebliehen, find ſie aber untreu, Das Bild. des beglückten Nebenbuhlers oder der be⸗ glüdten Nebenbuhlerin. Celadon und Aſtraea auf befferen Appetit. der Löwen harrend, werfen Beibe einen BE in die Duelle und überzeugen fih nun volfommen von ihrer gegenfeitigen Treue. Unter beifen kommt der Oberdruide Adamas dazu und be= tet inbrünftig zum Cupido. Es wechſelt Licht und Dunkel, Sturm mit Winbftille und. dann erfhallt ein Orakel aus Cupido's eigenem Munde, das Die Bermählung Geladon’s und Aſtraea's befiehlt. Die. Köwen werden nun in Stein verwandelt, ein Schick⸗ fat Das ihrer wartete, fobald einmal zwei treue Lie- bende zur Duelle Fümen; fie waren. ‚aber fehr alt Sabei geworden.

Dies iſt der vorzůglichſte Inhalt des D’Irfe’fcheh Romans, die Gefihichte der Hauptperfonen nämlichz den wichtigften Theil neben. berfelben bilden Die Hbentener Des Sylvander und der Diana. Sylvan⸗ der, ein unbekannter Schäfer, kommt nad) dem Ufer der Lignon und ſchmachtet heimlich für Die ſchöne Diana. Diefe wird ebenfalls von Philander geliebt, her in ihrer Nachbarſchaft als Mädchen verfleibet wohnt und den od findet im. Kampfe mit einem ſcheußlichen Mohren gegen den er bie Ehre der Dame ſeines Herzens vertheitiat. Gleich Celadon echt Sylvander zu ber Quelle ber Liebestreue und wird vom Orakel zum Opfertode verbummt. Wäh— rend er fi: mit Eifer auf fein Schickſal vorbereitek, entdeckt fich’8 aber, daß er. der dem Oberpeniben in ſei⸗

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ner Tugend geranbte Sohn iſt und nun nimmt Alles ein treffliches Ende.

Außer dieſen beiden Hauptergãhlungen hat ber Verfaſſer noch dreiunddreißig Epifoben, bie Licbesr gefhichten anderer Schäfer und Schäferinuen ents haltend, darin verwoben, was nun Gelegenheit zu vielen Forſchungen, Unterſuchungen und Streitigkei⸗ ten über die Metaphyſtk der Liebe giebt, wo denn zuletzt irgend ein unparteiiſcher und ausgezeichneter Hirt über Die freitigen Punkte enticheibet. b’Urfe ſtarb befanntlid über dem Vuche, von dem er ſelbſt nur Drei Theile gedrudt fah; ben vierten. gab aus feiner Hinterlaffenfhaft fein Freund und früherer Serretär, der Piemonteſe Baro, heraus, welcher felbR noch einen fünften Band, aus Gollertaneen usb Grinnerungen zuſammengeſetzt, hinzufügte uud das Werk beendete*). Diefem fünften Bande ift auch ein Schlüffel angehängt, der uns mit den wirklichen Kamen der Perfonen biefes Romanes befannt machts noch ‚genauere Nachrichten verdanken wir aber dem gelehrten Huet, der ſich überhaupt fehr für Romane intereffirte und über die Aſtraea Erfundigungen ein⸗

*) D’ürfe warb 1567 geboren und ftarb 1625. Die Aſtraea umfaßt 5 Bände, jeber .von 1200 bis, 1400 Sei- ten. Der erfte Band erichien 1610 zu Paris in 4, die erfte..volftänbige Ausgabe bes: Ganzen erſt 1647. in fünf Bänden zu Rouen, Eine fehr abgefürzte und mo⸗ dernifirte Edition beforgte Sorqhay 1733 zu Paris 5 Bde. in 8. . ur

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309, welche er ſpuͤter in einem Briefe un bie bes kannte Schriftftellerin Zräulein.de Seudͤry veröf⸗ fentlichte. Bufolge feiner Mittheilungen ind Aſtraea und Diana in der Wirklichkeit eine Perſon, nämlich Diane de Chateaumsrand, eine reiche Erbin der Pro⸗ yence, früher die Gemahlin von b’Arfe’s -Alteftem Bender, in welche der Werfaffer, als Jüngling und zum Malteferritter beftimmf, ſich verliebte, jpäter aber durch freiwillige Scheidung von Dem erſten Gat⸗ ten die feinige; doch foll er Feinesweges glücklich mit ihr gelebt haben und die Dame mit vielen unan⸗ genehmen Eigenjchaften, namentlich mit einer zu gro⸗ Ben Neigung für Hunde, begabt geweſen feyn, fo daß er fie verlaſſen und ſich an den Hof des Herzogs von Savoyen begeben, wo er Die Aſtraea geſchrie⸗ ben. . Er felbit erfcheint auch zwiefach in dem No—⸗ mane, als Geladon und als Sylvander. So ift fer- ner Daphnike, Die Herzogin yon Beaufort, Aleidon der Herzog von Bellegarde, Clarinte die Prinzeſſin son Conti, Amintor der Herzog von Maine, Als egee der Graf de Sommerive, Ihoriemond Hein⸗ rich IL und Euric Heinrich IV.,. und die wirklichen Liebesgefchichten dieſer illuftren Perfonen find, für ben Eingeweihten leicht verftändlich im romantiſchen Gewande, treu - wiedergegeben und geſchickt mit Dem Banzen verflochten.

: Das Werk hat neben manchem Schönen boch fehe große Fehler; der bebeutendfte von allen aber iſt unftreitig die unwahre und raffiniete Künſtlichkeit feiner Eompofition, troß Dem, daB man an berfelben

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die gewandte Durchführung des äußeren Zuſammen⸗ hanges, durch den dieſer Roman bei ſeinen vielen Epiſoden immer ein vollſtaͤndiges Ganze bleibt, Toben muß. Alles beruht auf Uebertreibung und von na⸗ tärlichen, gefunden Empfindungen iſt faft nirgends die Rede, aud) das Kleinfte erfcheint gemacht. Dies ſer Borwurf trifft jedoch den Verfaſſer nicht fo fehr, wie feine Zeit und fein Volk; jene feine Bufpikung der Gefühle Tag in beiden und fagte ganz beſonders bei elegantefter Form der franzöflfhen Ration zu, jo daß D’Urfe, wie jeder gute, den rechten Moment erfalende Kopf eigentlich nur dem Geſchmacke feiner Sage buldigte, indem er ihn beftimmte. Die Rit⸗ tereemane waren, wie ein frauzöfcher Kritiker fehr treffend bemerkt *), mit Pierre du Terrail, dem letz⸗ ten Ritter, ausgeftorben, der Einfluß der italieni- hen Hovelliften hatte feine Kraft gänzlich verloren und doch verlangte die gebildete Menge geiftreiche Unterhaltung, und, menn aud) nicht nene Stoffe, doch neue Formen. . Da kam d'Urfs, mit romantifcher und erfinderifcher Phantafte begabt, auf den. Gebanten, in einem koloſſalen Romane die neue Metaphyſik der Liebe zu entwickeln, indem er in einem ber. Charac⸗

*) Eusebe G... Revue des Romans. Paris 1839: Bd. II. S. 356. Es erſchienen fpäter zwei Kritiken ber Astree, ebenfalls in Romanform: Le Berger ex- travagant. 3 vol. in 12, 1627. und bee Anti-Roman. 2 vol. in 8, 1633, auch eine dortſetzung von Borsiel, 2 vol. in 12, 1626, -

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tere ben vollkommenen Liebenden, in ber Heldin Die volllommene Geliebte perfonifieirte und ihren Werth noch dadurch erhöhte, daß er ihnen das Intereſſe eines leicht zu deutenden Raͤthſels zugelelle. Kein under alfo, daß die Hitraen der Moderoman wurde und außerordentlihen Beifall fand, Fein Wunder - aber auch, daß fich fpäter plöglih der Geſchmack ganz von ihr abwandte und fie zulegt als langweilig vollkommen verachtet wurde. ine faljche Richtung kann oft eine geraume Beit den Geſchmack der Was tionen irre führen, aber der Genius ber Poeſie, Wahrheit und Natur verlieren nie ihre göttliche Kraft und gewinnen dann plößlich die verlorene Herrſchaft fiegreich wieder, indem fie mit einem Schlage ihre Gegner unwiederbringlich vernichten. Die anderen Fehler diefes Romans, wie 3. B. die Unwahrfcheinlichfeit ber Fabel und der Charac⸗ tere, bie monstüne Zänge der Monologe und Unter: Haltungen, die Wiederkehr ſtereotyper Bärtlichfeiten, die Einfarbigkeit der Sentimentalität, die eingeweb- ten nüchternen Soelicen, der Umſtand, daß bas Ganze fih um ein leicht zu befeitigendes Misver- ſtändniß, wie um feine Axe, drebt, fo wie auf Der anderen Seite feine lobenswerthen Grfcheinungen, Die fpannenden Situationen, die Zartheit vieler Em⸗ pfindungen und ber für die damaligen Verhältniſſe elegante Styl mögen: hier nur kurz angebeutet wer⸗ den, Da wir uns ſchon fat zu lange bei ihm aufge- halten haben; Doch war es nöthig, ausführlicher bei ihm zu verweilen, denn feinem Werke der Literatur

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hat feine Beit fo entichieben ihren Stempel aufge drückt, wie Diefem. In ihm erfcheinen, wie in einem fein gefhliffenen Spiegel, ber Heft romantifcher und sitterlicher Geſinnung, bie glatt geleckte Galanterie, bie bunte Kofetterie und feinzüngelnde Adulation, neben der gefteigerten Wolläftigkeit jener raffinirten Ange auf das Deutlichfte; Die Aſtraea if und bleibt eine Schäfermaſskerade des franzöflfhen Hofes, in bie fiih die bürgerliche Welt gern bineinträumte und fie gelegentlich auch nachäffte.

Diejer Geſchmack zog bamals, wie die Influenza im unferen Tagen, jedoch mit dem Unterfchiede, baß er von Welten nah Dften reifte, fiegreich durch das ganze civiliſtrte Guropa. Bon Portugal ausgehend haben wir ihn bereits bis nad) Frankreich begleitet. Auch in England warb er vorherrſchend, aber bie Züchtigkeit bes Nationalchararters dort bildete ihn wärdiger aus, wenigſtens fpricht ih in Dem Haupt⸗ werte, das England in biefer Gattung aufzumeifen bat, eine weit tüchtigere, Gefinnung aus. Philipp Sidney, aus vornehmen engliſchem Gefchlechte (geb. 1554, geſt. 1586), gleich ausgezeichnet als Krieger, wie als Staatsmann, feinften Geiſtes und liebens⸗ würdigfter Perfönlichfeit, eine der feſteſten Stügen des glänzenden Thrones der Elifabeth und ein war« mer Freund begabter Geiſter, gebildet durch die Werke großer Dichter aller Nationen, ſchrieb feinen Schä⸗ ferroman Arkadia, der nod lange nach feinem Xobe als ein ausgezeichnetes Meiſterwerk von feinen Lanbs⸗ leuten verehrt wurde, in Augenblicken der Muße als

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ein Geſchenk für. eine geliebte Schweſter*). Auch ee benutte Die bequeme Form (augenfcheinlich eben⸗ falls in Nachahmung des Montemayor), um Greig- niffe feines Lebens unter romantischen Schleier. zu fhildern und die Herrin feiner Gedanken zu feiern, aber er ging noch weiter als fein Vorbild, indem er auch das Komifche Hineinzog und zugleich fi von ſtreng moralifcher Tendenz leiten ließ. Der Ir halt Diefes weit ausgefponnenen Romans, vor deir fen Bollendung feinen Verfaſſer ebenfalls ber Tod überrafchte, hier mitzutheilen, fcheint uns um fo äber- Hüffiger, als der Leſer fchon aus dem Vorhergegan⸗ genen die Art und Weite der ganzen Gattung kennt. Auf Uriprünglichkeit kann die Arkadia keinen Ans ſpruch machen, aber fie ift eine belebte Nachahmung des Beten, was die damals geltenden Literaturen nad) »erfchiedenen Richtungen aufzumeifen Hatten, und Daher ein Beweis, wie fehr e8 Dem ritterlichen Sidney am Herzen lag, den Geſchmack feiner Ra tion zu erweitern und zu verfeinern. ine folde. Züchtigkeit Der Sefinnung mußte Anklang finden, um fo mehr, als wirklicher Geift darüber ſchwebte. Wie ſehr der Dichter ſich nach allen Richtungen hin wandte, fehen wir u. A. auch daraus, daß er fat

*) Your dear self fagt er in der Zueignung as biefe, die Gräfin von Pembroke can best witness the manner of its writing, being done in loose sheets of paper, most of it in your presence: the rest by sheefs, sent unto you as fast as they were done.

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ale anslänbifchen poetiſchen Formen in ben ber Aſtraea eingewebten Gedichten, nachzubilden ver⸗ ſuchte; Manches, wie z. B. die italieniſche Stanze, iſt ihm ſehr gelungen, Anderes dagegen, wie engli⸗ ſche Hexameter und Alexandriner total misglückt. Sehen jenen gerühmten Vorzügen leidet das Ganze indeſſen auch an den.damals vorherrſchenden Fehlern, unter denen Unwahrſcheinlichkeit, Breite, Geſucht⸗ beit und Ungleichheit ber Diction Die hauptſaͤchlich⸗ ken find; in dieſer Hinſicht ſteht ihm alſo Die Aſtraea gleich, doch beſitzt es bei Weitem mehr geiſtige Ge— ſundheit und Friſche als dieſe *).

Die galante Schäfertänbelei fand auch (natür⸗ lid etwas Später) in Deutfchlanb und den ihm ver- wandten Ländern großen Beifall, doch war man hier noch nicht fo weit, Selbftflänniges in biefer Gattung hetvorzubringen und begnügte ſich baher mit Ueber⸗ feungen folcher Romane, welche nicht minder gies rig, als in ihrer Heimath gelefen wurden. Ä

Man fühlte jedoch bald, vieleicht nur inſtinkt⸗ mißig, da8 Meisverhältniß zwifchen der äußeren Ein⸗ Hebung und.dem Inhalte, zwifchen ben Figuren und Characteren, zwifchen der Einfachheit ihrer Erſchei⸗

*) al. Th. Zouch, Memoirs of the Life and Wri- tings of Sir Philipp Sidney. York 1809, 185. in 4. Cine Angabe des Inhaltes ber Arkadia findet ſich bei Dun- op. I. c. IL, 207 fgbe. Die erfte Ausgabe berfelben

erſchien nach bed Verfaffers Tode 1609 zu London in A.

Sidneys fümmeliche Werke find unzählige Mal aufgelegt.

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nung und-ber Künftlichleit und Geſchraubtheit ihrer Henferungen und Gefinnungen, ohne daß indeſſen irgend ein bedeutender Stimmführer jener Tage es entfchieden auögefpeochen und die Menge es mit Bes wußtfeyn aufgenommen hätte. ı Einerfeitö war bie ganze Auffaſſung des Lebens damals eine raffinirte zu nennen, welche bie haare Matürlichleit der wirk⸗ lichen Dinge im täglichen. Verkehre ließ, wie fie war, weil fie ihre zu maſſiv entgegentrat, befto höher aber Alles, deſſen fie ſich bemächtigen Eonnte, auf Die Spitze trieb; anbererfeitö wirkte der eigenthümliche Reiz, den die bunt verhällende und doch transpa- rente und ſchillernde Behandlung realer Ereignifle auf die Menge ausübte, zu zauberhaft und beſtechend, um ihre ben freien Bli für die Unwahrheit, In⸗ eonfeguenz und Geſchmackloſigkeit foldher Derftellun- gen nicht zu trüben. Ueberhaupt das Weſen des Nomans verfennend war man bisher noch imiter eigentlich in bie Ertreme gefallen, wie denn Die Schelmenromane und die galanten Romane die End⸗ puntte einer Pinie find, wo das Rechte, für das aber der Sinn damals noch nicht gereift war, im ber Mitte Ing. Obwohl Führer und Zounngeber bei der ganzen Richtung, waren die Spanier mit aus⸗ geprägtefter Rationalität, eben durch dieſe, ber Na⸗ tue am Treueſten geblieben, wogegen bie Frauzoſen, das poefielofeite und Daher ſtets am Meiften kün⸗ Kelnde Volk, ih am Weiteften von berfelben entferne ten. Die übrigen Mationen kommen, fi bamals auf Die directeſte Nachbildung beſchraͤukend, hier noch

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nicht in Betracht. Hatten bie Engländer zu jener Beit nicht ale ihre Kräfte der Bühne zuges wandt, jo wärben fie bei ihrer geifiigen Geſundheit und ruhigen Klarheit, mit der fich eine eigenthäms lihe intenfive poetische Wärme fo ſchön verbindet, gewiß Das Wahre getroffen haben, wie fie es bald nachher fo glücklich thaten. ber e8 geht mit ben geiftigen Beftrebungen eines Volkes, wie mit ben Epidemieen; eine Yorm ift bie vorherrfchende und lößt keine andere neben ſich fo leicht aufkommen. Dan wird faſt kein Beifpiel in der Befchichte bey Literatur finden, daß zwei verſchiedene geiftige Rich⸗ tungen bei einem und bemfelben Wolfe zur ſelben Beit gleich ftarf neben einander gewaltet hätten: Als bie Engländer ich mit voller Kraft dem Romane zus wandten, war bie Bühne bei ihnen fehon in Verfall gerathen, und hat ſich nie wieder zu ber früheren Höhe erhoben. In Frankreich blüht jetzt ber No⸗ Man, wie wenig wirb Dagegen verhältuißmäßig in ben anderen Gattungen Der Poeſie producirt, das bedentend wäre! Aehnliche Erfcheinungen kann man bei allen enltivirten Mationen nachweiſen, ja ſelbſt ſchon bei Den im erften Werben begriffenen; ſobald die Chroniken auffamen, erlahınte der hiſtoriſche und epiſche Volksgeſang, ſogar ber letztere ſchon, wenn der erſtere ſich vorzudrängen begann.

Das Gefühl der Nothwendigkeit aͤußerer und innerer Harmonie bei einem Kunſtwerke liegt im menſchlichen Geiſte und benrfundet das Göttliche in im; je felbitbewußter ein Volk it, und das kann

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es nur buch große Meiſter, die es bervasbringt, werden, deſto mehr und entichiedener wird es ſtreben. Während der Wilde nur ſymmetriſch tattomwirt feyn will, verlangt der Europäer ſchon die genaueſte in⸗ nere Uebereinſtimmung zwiſchen Gegenftand und Schmuck; man kann die Höhe des geiſtigen Stand⸗ punktes einer Nation nach ihrer herrſchenden Moͤde beſtimmen. Dies zu jener Zeit dunkle Gefühl ſprach ſich lebhaft und dringend bei der Geſtaltung der Ro⸗ mane im ſiebenzehnten Jahrhunderte aus und man griff, da man das Motiv der Behandlung wirklicher Ereigniſſe und Die Reflection über dieſelben im poe⸗ tiſchen Gewande, als zu fruchtbar und anziehend, nicht fahren laſſen wollte, zu dem am Nächſten liegenden Mittel, die perfünlichen Verhältniſſe und Erſcheinun⸗ gen der Figuren den allgemeinen Verhältniffen abä- quat zu geftalten. Da man namentlich Fürften und ihre Umgebungen als Allen bekannt und vom allge- meinften Intereſſe darzuſtellen beabfichtigte, ja war Kichts angemellener, als daß man fie als Fürſten und Helden, denen vornehme Rede und Weife natür- lich blieb, wenn auch im romantifchen Gewande, erfcheinen ließ. Dies hatte außer der leichteren Bes handlung noch den großen Vorzug, daß men, wenn auch mit noch. fo flitterhaftem Anfpuge, der Wirk⸗ lichkeit am Nächten trat, und ferner den Kreis aus Berordentlich erweiterte, indem man Alles, was Jene im Leben berührte, mit bineinziehen konnte. Unzer» trennlih von Fürften und Fürftinnen und Allem, was zu ‚ihnen gehörte, war die Politik, und dieſe

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hatte wieberum eine-weit größere Anziehungskraft für Die Menge, weil fih damals in einem und bems felben Lande Die Intereffen weit mehr Tpalteten und vereinzelten als jet und ned) keinesweges fo wie jet die bloße theoretifche Sperulation bei dem Ein⸗ seinen berührten, fonbern wirklich und eingreifenb su Jedem, felbft dem Geringften in das Haus dran⸗ gen und ihn an feinem Heerde auffuchten und ben rührten.

So entſtanden die galant⸗politiſchen oder ps“ litiſch⸗ galanten Romane, welde die Schäferromane raſch verdrängten, ſich über ganz Europa verbreitee ten und deren Zahl Legion if. Bloß politifche Ras mane waren Damals ſchon nichts Neues; politiſche Streitfragen hatten ſchon in früheren Tagen ein⸗ ſichtsvolle Denker zu theoretiſcher Unterſuchung und Feſtſtellung derſelben angeregt und fie namentlich ba, w die Debatten. in das Volk ſelbſt eingebrungen Daten, zu populären Darftellungen ihrer gemonne« nen Reſultate veranlaßt. Hiezu war denn auch Die Fomanform ein treffliches Vehikel, deſſen man fid bald bemächtigte, ſich aber "Darin vergeiff, daß man fd den Kreis der fühigen Lefer zu beſchraͤnkt dachte, und darum fich der gelehrten Sprache des Lateini⸗ Ihen hebiente. Tenophons Eyropäbie mag hier als Muſter vorgefchwebt haben. Das ältefte Werk die⸗ fer Art, obwohl nicht. eigentlich ein Roman, fondern eher eine deſcriptive politifche Fiction zu nennen, iſt Vie Utopia des.berähmten Thomas Morus, fein Ideal einer Republik als wirklich ausgeführt ſchildernd;

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e8 fand fpäter eine ſehr verſtündige Nachahmung in Sarrington’8 Oceana, welche um die Mitte bes 17ten Jahrhunderts erfchien. Noch bedeutender if jedoch Die Argenis des Barclay mit wahrſcheinlich direeten politifchen Beziehungen, welche vielfach über- jegt und außerordentlich gern gelefen wurte, mehr ein Epos in Proſa, als ein Roman zu nennen. Im Ganzen aber drang diefe Gattung nit ſonderlich ein und die Werfuche in derfelben, obwohl noch bis ſpät in das achtzehnte Jahrhundert fortbauernd und in neneren Sprachen, vorzüglih in ber franzöfifchen verfaßt, wie 3. B. Fenelon's gefeierter Zelemach, Zerrafion’8 Sethos, Ramfay’s Cyrns fichen doch nur vereinzelt da *).

Louis le Roy de Somberville, ein franzöftfcher Edelmann, um 1709 geboren und fchon im 15. Jahre als ein frühreifes Genie mit einem Bändchen Qua⸗ trains anftretend, war der Erfte, der dieſe neue Komanfaemilie einführte. Sein langathmiges Werk Polixandre verbindet Motive des alten Ritter

*) Die Utopia kam zuerft Löwen 1516, dann Bas fel 1518 in 4. und fpäter öfter heraus und ift vielfach überfegt worden. BVarelay's Argenis erlebte ebenfalls viele Ausgaben, Paris 1621; c. clave onomast Lon⸗- bon 1630 in 12; mit Anmerkungen, Amſterdam 1664; 2 Bde. in 8. In das Deutiche Abertrugen fie Martin Opitz bereits 1644 (zu Amfterdam in 12.) und Hafen. Berlin 1794, 2 Bde. in 8. Bel. Ueber bie politifchen Romane Dunlop. 1. c. IIL, 132 fgde.

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romang mit Damals modernen, ſogenannten heroi⸗ ſchen Elementen und bat daher ſowohl als Stamm⸗ vater des ganzen Geſchlechtes, wie als Uebergangs⸗ form ein mehr als gewöhnliches Jntereſſe für den kiteraten von Fach, während es feines abenteuerlis chen ungleichen Inhaltes wegen nur als eine Ausge⸗ burt bee Phantaſie unb als eine wunberlihe Mi⸗ [hung verfchiedener, wenn gleich verwanbter Ge⸗ Idmalsrichtungen betrachtet werden darf. Die Hel⸗ din diefes Buches if eine gewiſſe Alridiane, Könie gin der unzugänglichen Infeln, in beren Portrait fh Polirandre, König der Banarifcheu Infeln, aber in Frankreich erzogen, verliebt hat. in Sturm treibt ihn auf das Eiland, das fie beherrſcht; er fieht die gefährliche Schöne, in welche ſich außer ihm noch ale möglichen Fürſten und Ritter der Chriften- und Heidenheit verliebt haben, in Perfon, und feine Weis gung wird fo Karl, daß er, als Schäfer verkleibet, auf der Anfel bleibt. Wald darauf hat er das Glück, iht das Lehen zu retten; fie erfährt, wer er it und wicd etwas menfchlidher gegen ihn, als gegen ihre anderen fernen Anbeter, doc Eämpft ihre Hochmuth ſeht gegen ihre Liebe. Endlich fendet fie ihn fort, um ihre Wegleiterinnen, bie ein portugiefifcher See» tänber entführt bat, aufzufuchen und zu befreien. Er entfermt fich nun von der Infel, Die, wenn man fe einmal ans den Augen verloren hat, nicht wieder aufgefunden werben Tann, und zieht jet in ber Welt umher, Die meannichfaltigiten Abenteuer zu Ruhm und Preis der gefeierten Schönen beftchend und ver⸗

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geblich fich abmühend, ihr Reich wieder aufzufinden, bi8 er in ein Land an den Ufern bes Niger gelangt, defien König alljährlich Sflaven nah dem Tempel ber Sonne fendet. Polixandre erhält Die Erlaubniß, als Sklave verkleidet, Diefelben zu begleiten, da ihm befannt ift, daß Alcidiane ebenfalls jährlich Weih⸗ geſchenke dorthin ſchickt. Dadurch gelangt er wieder auf die unſichtbare Inſel in dem Schiffe, das den Tribut überbringt und durch Zauberkunſt unabänder⸗ lich die rechte Bahn einſchlagen muß. Als er da⸗ ſelbſt ankommt, findet er das Eiland von einem ſpa⸗ niſchen Heere Peſetzt, ſchlägt daſſelbe, fo wie eine ſpaniſche Flotte und erfüllt eine alte Prophezeihung, zufolge welcher Das Wolf in Alcidiane dringt, ihm ihre Hand zu reichen, was benn auch endlich ge» fhieht. Der gute Polirandre iſt aber fo befcheiden, daß fein Glück ihm alle Kräfte raubt und zwei Dies ner ihn fügen müflen, um Alcidianen's Brautge⸗ mac zu erreichen, indem er auf jeder Stufe ber Treppe umzufinken droht. Damit fchließt der Ro» man und man erfährt nicht, ob er Die nöthigen Kräfte wiedergewonnen und wie es ihm nachher gegangen

ii +).

*) Polixandre erfhien zu Paris 1637. 5 Bbe. in 8. Der Berfaffer begann eine Fortfegung dieſes Romans unter dem Zitel: Le jeune Alcidiane (Geſchichte des Sohnes von Polirandre_und Hleidiane), den Madame Gomez, die befannte fruchtbare Nomandichterin, fort« fegte und vollendete. Paris 1733. 3 Bde. in 12.

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Bit weit reicherer Phantaſie, großen poetiſchen Anlagen, ungemeinem Talente der Darſtellung, aber volllommen von der falfchen Richtung feiner Beis befangen, obwohl ihr einerfeits vorauseilend, ande⸗ terfeitö gegen Das Beffere in ihe anſtrebend, bemäch« tigte fih. Gauthier de Eofte, Herr de la Calprenebe, ein Gascogner, durch und buch im Leben, wie in feinen Schriften *), dieſes Genre und lieferte eben jo Hüchtig als fruchtbar eine Reihe von Romanen, welhe das Publikum, für das er fie eigentlich ges jhrieben Hatte, mit Entzüden und Heißhunger ver« ſchlang, aber undankbar, wie e8 Hoffchtanzen immer find, bald nachher eben fo raſch wieder vergaß und verachtete. Indem er Stoffe und hiſtoriſche Mo⸗ mente aus dem: wirklichen klaſſtſchen Alterthume

Gomberville Hinterließ außerdem noch zwei Romane, Ca- rites und Cytheree, welche aber gänzlich der Vergeſſen⸗ heit anheim gefallen ſind.

*) Geboren zu Cahors, geſtorben 1603. Boilean ſagt von ihm: |

Tont a I'humeur gasconne en un auteur Gascon

Calprendde et Jabe, parlent du m&me ton. Er Hat au viele mittelmäßige Tragädieen geffrieben, Als der Cardinal Richelien von einer derfelben fagte: que le plan etait tolerahle mais les vers läches, rief er aus: Cadedis! U n’y a rien de läche dans la maison, de Calprenede. S. Sabatier de Castres, les trois siscles de la Literature Francoise. Ed. 4. Paris 1779. T.L G. 231.

158 wählte, dieſe mit ritterlichens Geiſte behandelte und vollkommen romantiſch färbte, und enblich hinter die⸗ fem bunten, fchimmernden, durchſcheinenden Vor⸗ hange Perfonen, Sitten und Lebensweiſe feiner age und feiner nächften Verhältniffe fih bewegen ließ, erwarb er fi den allgemeinten Beifall. Die vor- züglichften Hotabilitäten jener Epoche, bie galanten Stutzer des Hofes, die koketten und geiſtreichen vor⸗ nehmen Damen bes moſchusduftigen ſiebenzehnten Jahrhunderts erfcheinen hier als pomphafte Helben und Heldinnen des Alterthums, halten echte Pariſer meilenlange Sefpräche, intriguiren mit einander, laſ⸗ fen tauſend Feine Berfivieen aus und fihreiben ſich füße Billette in dem Geſchmacke Voiture's und ber Sovigns, die noch heutigen Tages als klaſſtſche Cor⸗ refpondenten, wenigftens bei einer Fraction in Franke zei), gelten. Kein Wunder alfo, daß dieſe belle⸗ triſtiſche Maskerade, bei welcher der Entrepreneur La Ealprenede ſich als ein hochſt gewandter und ta⸗ Ientvoller Mann zeigte, Ahlen, die Zutritt dazu ha⸗ ben Fonnten, und das waren eben die Damaligen Ton⸗ angeber und Stimmführer, höchſt wohl gefiel, um fo mehr als ſich Ieder gern in einem pomphaften, flitter- seichen Characteranzuge dort herum ſtolziten fah, ober, weun das auch nicht gerade her Fall war, Doch leicht in einem folchen hineinträumte, Diefe-Roniane, wie fe In Calprendde ſchrieb, waren der -volfommenfte gei⸗ ſtige Abdrück des Landes und der Beit, in weldgen fie entſtanden. Der Hof gab ben Ton an für ſolche Din- ge, äußere Jeinheit und Gewandtheit war die Haupt⸗

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ſache, um kalte Reflection drehte fih Alles; ber wahrhaft ritterliche Geiſt war Längft erlojchen, aber man glaubte ihn heranfzubefchwören burch den Prunk titterlich » geiftiger Aeußerlichkeit. In dee feinen Belt ritterlich zu erfcheinen, blieb die Aufgabe, nad) deren Löfung ein ever, ber in der Gefellichaft glänzen wollte, zu ſtreben hatte. Es war eine Beit der biendenden Züge, getragen durch Alles, was fein heil zum Prunke bergab, durch Priegerifchen, wie wiiienfhaftlichen Ruhm, durch ſociales Haffinement, wie poetifche Cultur ober, richtiger, auf das Höchfte saltiviete Poetik; dahinter ſteckte viel Schmub, viel klügelnde Schönthnerei und raffinirte Sophiſtik. GEi⸗ gentliche Leidenſchaft des Herzens kannte man gar nicht mehr, nur anregende Sinnlichkeit, Habfucht, Genufhunger. Wenn man nur Alles in eleganter Form der Welt zeigen konnte, fo hatte man das Höhfte erreicht. Selbſt die Moral war das Reſul⸗ tat des Raiſonnements; aus innerer Geſundheit, aus tiefem Bedũrfniſſe der Seele entfprang fie nicht mehr, fe war Die Tochter der Kälte Des Herzens, erzeugt mit dem Verſtande und hatte bie Etikette zur Gou⸗ vernante. Daher geftalteten fi) auch bald nachher wei Parteien, an beren Spite bie Erſten der Ge⸗ ſellſchaft ſtanden, und ‚welche Beide das geglättete Bert fa als einzige Waffe führten. Die von ſcharfer Sinnlichkeit Gereizten bildeten confequent das Syſtem eines fich über Alles legenden Kibertinis- mus ans, während bie mit kühlen Sinuen Begabten die Pruderie eben fo ſyſtematiſch ihnen entgegenftell-

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ten und Alles auf eine übertriebene Spike hinauf⸗ fchraubten, da bei Jenen momentan Doch noch einige Natürlichkeit Die Nerven fpannte. Bunte, mit Flit⸗ tergold befegte, mit falſchen Edelfteinen geſchmückte Mäntel wußten übrigens beide. Theile ihrem Treiben umzuhängen, und. Dadurd die Menge, die immer dumm if, tänfchend. zu beherrſchen. Der Berftand zegierte damals allein, die Phantafte ſpärlich, das echte Gefühl fait nie in Franfreih. Mer die Bes weife Dafür haben will, leſe die Memoiren jener Zeit, ſchon von Brantöme und Tallemant des Renur an bis zu Buffy Rabutin, Saint- Simon und nach weis ter hinunter, Iefe die franzöfifchen Dichter, leſe Die beiden einzigen ganz gefunden Geifter La Bruyare und Moliere, Etwas Großes, wahrhaft Imponiren- bes, „das den Menfchen erhebt, wenn es den Men- chen zermalmt,“ wird er nicht finden. Das Eins ige, was von allen Eigenjchaften, Die die Menich- heit zieren, hier hervortritt, ift Verehrung der Ma⸗ jeftät des Königs, Patrivkismus und ftrenges point d’honneur, ſämmtlich gutem Boden entipringend, aber bier von ber Beit verberht, das Erſtere bis zur prientalifchen Adulation, das Bweite aus Eitelfeit bis zum Unfinne, das Dritte durch Raffinement. bis zur Ungerechtigkeit getrieben. Ich fage nicht, daß das im ganzen. Volke fo geweſen, bier finden ſich allerdings, von der Geichichte aufbewahrt, Tihöne: und großartige Züge in Menge, aber in der guten Geſellſchaft war es fo, und die gute Geſellſchaft drückte Allem, was geiftige Hinterlaflenichaft gewor⸗

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den it, ihren Stempel auf. Wer ba läüngnen will, daß die franzöftfche Revolution, bie 1789 zu voller Ernte reif geworben, nicht fchon unter Ludwig XIV. als junge Saat üppig emporfpreß, der hat nie ein Ohr fär die prophetifchen Stimmen ber MWeltges ſchichte gehabt. -

Kein Wunder aljo, daß der Roman fi damals ſo und nicht anders ausbildete, daß er buch und durch Fünftlich war und fein Interefie und fein Weiz auf Rafſtnement beruhten. Was an Galprenate gm Ioben it, Habe ich ſchon oben angeführt. Unter anderen Umftäxden, in anderer Beit, in einem anden ten Lande hätte ein bebentenber Dichter aus ihm werden können, bei den Gaben, die ihm die Natur verliehen; im Frankreich blieben feine: Zeiftungen mit großen Mitteln ausgeikattete flüchtige Kinder ber heutigen Mode, die die Mode des nächften Tages un- bermberzig. erſtickte. Damals ſtritt man ſich heftig, welher von feinen prunkenden wielbändigen. Roma⸗ nen, feine Cleopatra, die zwölf Theile, oder feine Caſſandra Die zehn, oder fein Pharamond, ber. eben⸗ false ein Dutzend Theile zählt, der fchönfte ſet; jet: wäre es Für einen Dante eine gute Erfindung eier neuen Höllenftrafe, fie von Anfang bis zu Ende nochmals durchleſen zu müſſen. Der Hauptfehler aber liegt in der Unnakur nnd Unwahrheit derfebs ben;. die Geſchichte iſt vurchaus entitelt: das wäre aber Für einen Roman .noch nicht fo fchlimm, denn ein guter. Dichter kann immer, wenn auch nit die Geſchichte der Menſchheit, doc menfchliche Geſchichte

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teefflich erfinben:und darſtellen. Alles aber Toll außer⸗ ordentlich ſeyn und Da. ſteckt es; er hat Mannequins . bes franzöfifchen Hofes genommen .und dieſe mit fo außerorbentlicher Tugend, Schwärmerei, Begeifter- ung, Tapferkeit, Beredfamkeit, Großmuth, Redlich⸗ keit und Vortrefflichkeit behängt, daß ein ordentlicher Menſch unfähig iſt, ſich lange mit ihnen zu befaſſen. Die Situationen find übrigens mit Talent erfunden, die mannichfachen Epifoden gar Fünftlich und geſchickt eingewebt, die Diction ift, wenn auch häufig einför- mig, doch Feineswegea ohne Anmuth und Würde, aber tea dem Allem ſieht der Leſer Doch nur ge= malte Decorationen, innerhalb welcher ſich unnatür⸗ He Marionnetten ſpreizen, bei. ber. Lectüre dieſer Bücher vor ſeinem inneren Auge, und welcher ver⸗ nänftige, geiſtig gefunde Menſch hält das lange.aus? Uebrigens bergen ſeine Romane ſo viel zuſammenge⸗ tragene Stoffe, daß man au. einen derſelben leicht ein Dutzend' machen könnte *). u

In noch ſtärkerer Unnatürlichkeit und uUnwahr⸗ teit. verfiel, ſeine hauptſüchlichſte Nachahmerin, das bekannte Fräulein von Scudery, welche ſich größe⸗ ren. Beifalls erfreute und mit weit weniger Talent

*) Cleopatre. 12 Be in 8. Paris, 1648 fabe. Eine abgehirzte, von Benoit beforgte Ausgabe erfchien, merfwürbig genug, im Jahre 1789, 3 Bde in 12. Cas- sandre. Paris, 1647 fgbe, 10 Bte in 8. Faramand ou P’Histoire de France. 12: Bde in IL. 8. Amsterdam, , 1647 70. .

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neh weit directer und abfichtlicher zu Werke ging als ihr Meier. Calproͤnede hatte doch wenigftens eine Eppig zeugende Phantafte, biefe Yürfiin der Pruden ihrer Beit, ober Nichts als bie Dreiſtigkeit, wirkliche, hoch in der Geſellſchaft ſtehende Perſonen ſo deutlich zu portraitiren, daß man fie erkennen mußte. Und eben das war es, wodurch ihre Romane vorzüglich Glück machten und was man damals ha⸗ ben wollte, denn Jeder fühlte fich gefchmeichelt, fich auf dieſe Weife in poetifcher aber, was damals gleich“ bedeutend war, galanter. Werfchönerung abconterfeit und der Nachwelt (in Buder eingemacht) überliefert zu ſein. Die Manie für Diefe Porträts ging da⸗ mals fo weit, daß Julie d'Argennes, Mebemoifelle de Fambonillet welche im Cyrns als Artenice er» fhien, auch yon dem berühmten Kanzelsenner Ylechier in feiner Leichenrede anf: Diefelbe fo genaunt und verherrlicht wurde *). Diefe übertriebene Süßlich⸗ keit und Geſuchtheit, Diefes galante Raffinement Ing ber in der damaligen Beit, und bie Geſellſchaften, nelhe Damals den Ton angaben, namentlich bie

*) Sermons de Flechier. Paris, 1690 H, 323. Diefe Demoifelle de Rambouillet Tieß- den Herzog von Rontonfier ſich zwölf Jahre um fie bewerben, Jange nachdem er ihr die Guirlande.de Julie, eine Sammiung von Gedichten, welche er veranitaltet und in ber die verſchiedeuſten Poeten ihre Schönheit feierten, überreicht hatte. Endlich, als fe m verblihen. begaun, buglädhe Fe ihn mit ihrer a

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ehen jenes Hötels de Rambouillet, Das an ber Spike fand und zu deren geifkigen Bierden (denn Lörperlich war fie abſchreckend häßlich) das Freifräulein von Seubery gehörte, fuchten dieſen falfchen und auf Das Höchfte übertriebenen Geſchmack fo lange wie möglich zu halten und ebenfo fehe zu verbreiten *). Bon Liefer pretidfen Esterie wurden denn ganz vorzüg- ig die Romane ber Scudery patronifirt und als Muſter des Bonton empfohlen **). Ibrahim; Der berühmte Bafla war der Erſte, nicht von ihr, ſon⸗ bern von ihren nicht minder fruchtbaren Vruder

*) Man leſe Moliere's Pretieuses ridicules und feine Femmes savantes, in melden ihr Zreiben eben fo kühn als richtig gegeißelt wurde.

+) Madeleine de Sendery ward am 15. Juni 1607 zu Havre geboren und ftarb am 2. Juni 1701 zu Pas ris. Sie befaß reiches. Wiſſen und vielen Berftand, aber das Weib, das den haften Bwed feiner Beſtim⸗ mung verfehlt bat, guet ftet3 ans ihrem Treiben wie aus ihrem Schreiben heraus. Sie hat nahe an 50 Bände Binterlaffen: Ibrahim ou Villustre Bassa, 4. vol. in.8. 1641. Artamöne ou le grand Cyrus. 10 vol. m & 1680. Cldie. 10 vol. in 8. 1660. Almahide ou Y’Esclave reine. 8 vol. in 8. 1668. La Promenade de Versailles. 1 vol. in 12. 1698. Anec- . dotes de la cour d’Alphonse Xi® du nom. 2 vol. is 12; Les Bains des Thermapyles, 1 vol. ie 8. Celatke. 1 vol. in.8& Mathilde d’Aguilas. Conversations et Entretiens. 10 vol, in 8.

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herausgegeben; Diefem folgte ihr gefeiert'ſtes Merk, Artamene ober Der große Eyrus, von dem wir dem Leſer einen küurzen Auszug mittheilen wollen, ber ihn befs ſet als alle Entwidelung und Kritik dieſe verſchro⸗ henen Producte characteriſiren wird. Aſtyages, Kö⸗ nig von Medien, beſtürzt über das ſeinem Enkel Cytrs geſtellte Horoscop, Täßt dieſen, noch ein Kind, auf einem wäften Berge ausſetzen; ein Schäfer fin bet ihn jedoch und erzicht ihn. Der Knabe zeichnet N ſchon früh unter feinen Gefpielen aus, feine Ab⸗ Hemmung wird entdeckt, und er an ben Sof gebracht, dadie Magier erklaͤren, fein Horoscop fei ſchon durch die Herrſchaft, Die er über feine Altersgenoflen aus⸗ geübt, in Erfüllung gegangen. Bald jedoch trifft ihn das Schilffal, von Neuem verbannt zu werben. Inter dem Namen Artamenes beginnt er nun eine toße Keife, befucht Griechenland und Kappadorien, wer in einem Tempel zu Sinope, ber Hauptſtadt dieſes Landes, zuerſt Mandane, die Tochter feines Oheims Cyaxares kennen lernt und ſich in fie verliebt. Inerfonnt bietet er ihrem Vater feine Dienſte iR einem Kriege mit” dem Könige von Pontus an, ten Siefer angefponnen, weil ihm die Sand ber | Mandane abgeſchlagen worden. Ein Krieger, Phi⸗

lidaspes, yon bem ſich fpäter ergiebt, daß er König von Aſſyrien ſei, dient ebenfalls als Freiwilliger im appadoeifchen Seere. Cr iſt auch in Mandane ver lret und zwiſchen ihm unb Artamenes findet ein händiger eiferſüchtiger Wettkampf um Liebe und biegesruhm Statt. : Mittlerweile fendet der alte

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Aſtyages Nachricht, Daß er, um das perſiſche Ge⸗ ſchlecht ganz vom mediſchen Throne auszuſchließen, ſich wieder vermählen wolle und feine Wahl auf To— myris, Königin von Seythien, gefallen fei..- Arta= menes wird zu ihr gefandt, um fie günftig für dieſen Plan zu ftimmen, aber die Königin verliebt fi in ihn, und er entflicht ihre nur mit Mühe. Bei feiner Nück⸗

kehr nad) Cappadocien findet er, daß fein Rebenbuhler

Mandane entführt und nad) Babylon gebracht habe.

Er wird an die Spitze bed Heeres von Cappadocien „geitellt und marfchirt nach der Hauptitndt von Aſſy⸗ rien. Bald ift Diefe erobert, aber der König ent wifcht, nimmt. Mandane mit fich und wirft fich in das wohlbefeſtigte Sinope. Artamenes zieht nun ebenfalls dahin, findet aber bei feiner Ankunft Die

Stadt in Brand. Rah langen Erpoftulationen, ſchon bexeit fih in die Flammen zu flürzen, um wes

nigſtens mit feiner gelichten Mandane an bemfelben Drte: umzukommen, bringt er endlich. mit feinem Heere hinein und erreicht einen Xhurm, in welchem er zwar den König, aber Feinesweges die Geliebte findet, welche ein Vertrauter des Monarchen, Die

Verwirrung benutzend, ‚geraubt hat. : Die Neben- buhler fchließen jet ein Bündniß mit einander, um Mandanen wieder zu befreien, welche in Die Hände ihres alten Verehrers, des Königs von Pontus, ge- fallen iſt. Um das Uebermanß feiner Keiden voll zu machen, wird fie ger noch eiferfüchtig auf den un» glücklichen Cyrus und fchreibt. ihm Die kraͤnkendſten Briefe. Enbli aber. gelingt es, alle Nebenbuhler

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los zu werden und fle zu befreien, fein Großvater und. fein Dheim haben auch Nichts mehr gegen ihn einzuwenden und er laßt fih in Ekbatane mit the frauen *). -

Dies iſt Die Hauptgefchichte, außerdem finden ſich aber noch unzählige Epifoden in dem Roman des Breiteren, Die Lebensläufe, der dem’ Cyrus ober dem Könige von Pontus verbündeten Yürften ent⸗ haltend.

Noch toller, affectirter, künſtlicher und ſentimen⸗ taler iſt der zu feiner Zeit überaus hoch gefeierte Ro⸗ man derſelben Verfaſſerin, Clolis, Histoire Romaine, 10 Bände in Detav, jeder ungefähr 600 Seiten ſtark. Ich will dem Leſer nicht mit dem faden Inhalte zur Laſt fallen, aber des Lächerlichen. und Abſurden ift fe viel darin, Daß ich mir das Vergnügen nicht verfagen kann, einige Einzelnheiten hier einzufchalten, um ihm eine Feine Gemüthsergöglichkeit zu machen. Die alten Helden der römischen Gefchichte find nämlich wirklich lebende Perſonen, welche unter dieſen Mas⸗ ken bis auf das Kleinſte geſchildert werden und bes nehmen füch höchſt wunderbar. Die Verfaſſerin kommt felhit ala Arricidia vor, Rinon de Lenclos, liebenswürdigen Andenkens, erfcheint gar als Tochter des Pythagoras und Erzieherin des Brutus, der eine

*) &. Dunlop 1. ce. Ill, 263. fgde. Am Luftigften bat Boileau in feinem, dem Aucian nachgebildeten Dialog: Les Heros de Roman, bie Gefihmadiofigfeiten und Uebertreibungen dieſer Charactere gefiltert.

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fentimentole Liebſchaft mit Der keuſchen Lucretia bat und Verſe macht. Das Kuftigfte aber ift bie dem Romane beigegebene Karte des gelobten Landes ber Liebe, des pays de Tendre; da findet fich ber Fluß Incliostion, an deſſen rechtem Ufer Die Dörfer Jolis vers und Epfires galantes, fo wie am linken die Dörfer Complaisance, Petits Soins und Assidui- tes liegen. Weiter hinein findet man die Weiler Legerets und Oubli und den See Indiflerence ; bie eine Heerftraße führt zu dem Diftrict Desertion et Perfidie, die andere aber zu den brei Städten: Ten- dre-sur-Estime, Tendre-sur-Reconuoissance und Tendre- sur-Inclination ı. f. w. Die Heldin endlich, Cloe⸗ lia, ift eine fo vortreffliche Werfon, wie man fie ſich gar nicht denken kann, namentlich weiß fie Die Dehors vortrefflich zu beobachten: als Liebhaber darf Keiner zu ihre kommen, fonbern nur als Yreund und auch nur von Zreundfchaft reden, fonft wird er weggejagt *).

*) Clelie, cette admirable fille, vivoit de fagon quelle n’avoit pas un amant qui ne füt oblig6 de se eächer sous le nom d’ami et d’appeler son amour amitie; car autrement ils eussent di6 chasses de chez elle. Clelie part. 1, liv. J, p. 389, Wie ſehr übrigens diefe Denk» und Redeweiſe als Muſter des guten Tons an der Tagesordnung war, davon liefert uns Boileau unzählige Beweife. S. u. A. feine dritte Satyre B. 42 fgde, ferner die zehnte, V. 158 fgde ꝛc. Folgende Stelle aus den Heros de Roman, über bes ren Abdruf der Lefer mir gewiß nicht zürmen wich,

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Mofiöre und mehr noch Boilean machten, ber Erſtere, dem ganzen verzersten Esprit jener Beit,

(hildert das Verhältniß des Brutus und ber averetie auf eine höchſt amuſante Weiſe:

rLuron. Qui est-il?

sıoakne. C'est Brutus, celui qui delivra Rome de la tyrannie des Tarquios.

rıuton. (Quoi! cet austere Romain qui fit mourir ses enfans pour avoir conspire contre Jeur patrie? Lui, expliquer des enigmes? Tu es bien fou, Diogene”

PIOGENE. Je ne suis point fou. Mais Brutus n’ast pas non plus cet ausiere personnage que vous vous imaginez. C’est un esprit naturellement: tendre et passionne, qui fait de fort jolis vers et les billets du monde les: plus galants.

nınos. Il faudrait donc que les paroles de l’enigme fussent 6crites, pour les lui monirer,

siocuue. (}ue cela .ne vous embarrasse point. I y a longtems que ces paroles sont éeurites sur les tablettes de Brutus. Des heros comme lui sont tou- jours fournis de tablettes. | ,

rLuros. bien, Brutus, nous donnerez-vous lexplieatien des paroles qui sont sur vos tablettes?

»uurus. Volontiers. NRegardez bien. Ne les sont-ce pas celles 1A? „Toujours. l’on. si. mais, etc.“

rLuron. Ce les sont elles-mömes.

saurus. Continuez donc de lire. Les paroles suivantes non seulement vous feront volr que j’ai d’a- bord concu la finesse des paroles"embrouillees de

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der Letztere befonders den literüriſchen Manifeſta⸗ tionen deſſelben durch ihren beißenden, ſchonungsloſen

Luerèce, mais elles eomiienneni la reponse precise que jy ai faite. „Moi. nos. verrez. vous. de. permettez. d’eternelles. „jours. qu'on. merveile. peut. amours. d’aimer. voir“

pLuron. Je ne sais pas si ces paroles se repon- dent juste les unes aux autres; mais je sais bien que ni les unes ni les autres ne s’entendent, et que je ne suis pas d’humewr à faire le moindre eflort | d’esprit pour les concevolr. |

piocene. Je vois bien que ctest & moi de vous expliduer tout ce mystere, Lie mystère est que ce sont des: parvles transposdes. Lucr&ce, qui est amou- | reuse et aimee de Brutus, lui dit en mots transpo- ses: | '

Qu’il serait deux- @’aimer,, si Fon aimait towjours!

' Mais, helas! il n’est point d’diernelles amaare. - Et Brutus, pour la rassurer, lui dit en d’autres ter- | mes fransposes: |

x Permettez moi d’aimer, merveille de’ nos jours,

Vous verrez qu'on peut voir.d’öternelles amoürs.

; PLUXoN. Voilä une grosse finesse! Il s’ensuit de qup tout ce qui se peut dire de beau est dans les dictio- naires: il.n'y a.que les paroles qui sont transposees. Mais est-il possible que des personnes du merite de Brutus et. de Lucrece en 'soient venus à cet exces

a agance, de compeser de semblables bagatel- os? u

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Mit bald ein Ende und fo fruchtbar Mabeleine be Srudery auch war, fo überlebte fie doch bei dem ho⸗ ben Alter, das fie erreichte, wenn auch perſönlich überaus geachtet, faft gänzlich ihren Ruhm. *). Zwar bemaͤchtigten ſich bald nachher mehrere Damen beö Romans und behandelten die Weltgeſchichte, vorzäge lich nenerer Zeit, in demſelben, fie nach Herzenaluſt verfälſchend und ummobelnd als trefflichen wächfer- nen Stoff; aber das Streben, dem Romane das An⸗ fehen und Die Farbe wirklicher hiftorifcher Darſtellung

DIogKNE. est pourtant par ces bagatelles qu'ils ont fit connaltre Fun et lantre quils avalent inflal- ment d’esprit.

turom. Et c’est par ces bagatelles, moi, que. je reconnais qu’ils ont infiniment de falle. Qu’on les chasse. Pour moi, je ne sais tantöt plus od j'en suis. Imer&ce-coquette! Et Brutus son galant!

* Man darf das Kind jedoch auch nicht mit "Dem Bade ausſchuͤtten. Trotz allen jenen Fehlern und Ber (hrobenheiten enthalten Diefe Romane auf der anderen Seite doch große moralifhe Würbe und viel gefftige Feinheit, ſowie ihre anderen Schriften reiche Beweife hoher wiffenfchaftlicher Bildung; nur artet Alles zu Teicht in Pedanterie aus und wir. fehen überall die .alte Sungfer, die fih Breit macht mit Dingen, bie ihr leicht geworden, weil Feine Verſuchung ſich ihr genabt, und welhe zu heucheln bei dem ‚damals vorbereichenden Zartuffes Wefen, namentlich in ben höheren Ständen, Anderen ebenfo wenig. ſchwer fiel. |

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au geben führte, Doch zu weit beſſeren Refultaten und näherte fi) der Natur weit mehr, und fo wurde ein großer Schritt vorwärts gethan. Namentlich leiftete eine wahrhaft geiftreihe Yan, bie Gräfin De la Fayette auf dieſem Gebiete Treffliches, und ihre Princesse de Clöves und Zaide fehen felbft noch jetzt in wohlverdienter Achtung; Feinheit und Echtheit des Gefühls, ein eleganter und reiner Styl, Inter» eſſe der Situationen, glückliche Erfindung und Sonfe- auenz ber Characterfchilderung verleihen dieſen Schrif⸗ ten einen reellen und bleibenden Werth. *)

Den größten Einfluß aber übten Die galant-he- reifen Romane auf Deutichland aus. Wis haben bis⸗ ber noch gar nicht unfer Vaterland hinſichtlich feiner Zeiſtungen auf diefem Gebiete erwähnen Fönnen, aus dem :ganz einfachen Grunde, weil noch Richts vorhan- ben war das Darauf Anfprud machen durfte und Fönnen e8 Daher Hier mit Leichtigkeit-an ber ihm ge⸗ bührenden Stelle einreihen. Zwar hatte Deutfchland ſchon im ſechzehuten Jahrhundert mehrere eigenthũm⸗

*) Mar. Mad. Pioche de la Vergne, Comtesse

de la Fayette geboren 1633, geftorben im Mat 1693. Shre Schriften find: Zuide; la Princesse de Cle- ves, Mademoiselld de Montpensier; Memeires de la Cour de France; Histeire d’Henriette d’Angleterre; ia Comtesse de Tende Oeuvres completes, beſte Ausgabe, 5 Bde in 8. Paris, 1824. Gegrais batte nicht geringen Einfluß anf bie ſchriftſtelleriſchen xeiſtun⸗ gen dieſer hoöchſt talentvollen Frau.

liche, wirklich auf feinem Grund. and Boden wurzelnbe und nicht, wie gewöhnlich, erſt vom Auslande herüber« getragene Eirfeheinungen im Gebiete der proſaiſchen Erzählung aufzumweifen, wie 3. B. namentlich Dem Enlenfpiegel, den Fauſt und das Lalenbuch, aber biefe blieben einfeitiged @igenthum des unteren Ballet und die. beiden erfigenannten find nicht als Romane, mern nur mit aller Freiheit beutfcher Romantik zügehugte Biographieen zu betrachten und das letztere . IE eine germaniſche Beberarkeitung von Geſchichten aus dem auf Der ganzen Erde heimiſchen, echten Phi⸗ liſterthum. An Fauſt wie am Lalenbuch if die daran gelegte gelehrte Hand übrigens unerkennbar und ein Vorzeichen, daß Die bisher verſchmähte Gattung des Romans bald auch von den Gebildeteren aufgenommen würde. Ein tieferer Zweck als der, auf die obenauf im Gemäthe liegenden Gefühle und Empfindungen; Furcht und Lachluſt, Staunen und Entfeken zu wir⸗ ken, kurz, den gefunden, aber alltäglichen Geiſt durch den Stoff zu überraſchen, offenbart ſich nirgends, und die meiſten Werke der Art, wie bie fchöne Magelone, Genovefa, der hoͤrnene Siegfried u. ſ. w. finb nur pro⸗ ſaiſche Uebertragungen ausländiſcher ober älterer, uns, wenn man es ganz genau unterſuchen will, auch nicht gehöriger Stoffe. Die Luft am Fremden und unfere na⸗ tionale. Leichtigkeit ber Aneignung haben uns von jeher feht gefchadet, indem fie uns formell allerbings auf. bee anderen Seite förderten, wie denn überhaupt in unſerer

Poeſte Reis mehr Talent als Genie vorhervſchend gewe⸗ ſen if. Auch der erſte wirkliche deutſche Noman, ber.

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die Sauptanfprüde, die an einen ſolchen zu ſtellen find,. befriedigt. ber Simpliciffimns, iſt von frembem Herkom⸗ men, wenn gleich durch Art und Weiſe trefflich naturali⸗ ſtrt, der. legte Spräßling einer, ausgebreiteten Familie welcher auswanderte, um im fremden Lande fein Glück zu .mächen,. da fein :Gefchlecht in ber Heimath fein. Anſehen zu verlieren begann. Ich hätte. ihn: ſchon weiter oben unter den Schelmenromanen anführen kön⸗ nen, aber er würde vereinzelt geftanten haben, wähs zend er nun zur rechten Beit ſelbſt, Stammpater ei⸗ nes reichen Bweiges, paffend bie Reihe ber dentſchen Romanfamilien eröffnet.

Werfen wir zu beſſerem Verſtaͤndniß zuvor ei⸗ nen raſchen Blick auf die damaligen Verhältniſſe in unſerem Vaterlande. Die Reformation mit ihren Folgen hatte nur geiſtige Elemente, die ſich ge⸗ genſeitig befeindeten und wo möglich zerſtörten, in Bewegung geſetzt; die Iyrifche Poeſte, Die Sa⸗ tyre, Die Beredſamkeit gedeihen in ſolchen Kämpfen er halten fi) wenigſtens oben, während alles Eysiche der Ruhe bedarf, und ‚daher nicht an. ben Tag treten Tann, fo Lange die Bogen im Auf⸗ cube find. Mir fehen Demzufolge während .des gan⸗ zen fechgehnten und der erften Hälfte bes ſtebenzehn⸗ ten Jahrhunderts nur polemifche Poeſſe und Proſa fi bei uns geftalten und ausbilden, fo weit das ohne geiftige Feinheit, welche der wirkliche Krieg nicht aufkommen ließ, überhaupt möglich ift; dreißig Jahre eines zerrättenden Kampfes nber zerflärten das Ur⸗ fprüngliche und miſchten im. Die dadurch entftaubenen:

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Riſſe und Rücken ſo viel Fremlartiged hinein, daß auch ſelbſt der Erfahrenſte nicht ſagen konnte, wie der Boden geworden und zu behandeln fei, um wie in alten Beiten fäen und ernten zu können. Oben⸗ brein war. jo Bieles abgefonbert, zerffüdelt, getrennt worben, hatte einfeitige Jutereſſen befommen, un wandte fich fremder Richtung und Herrſchaft gu. Deutſchland glich einem Becher, in welchem man bie betersgenften Ingredienzien, Gold und Lehm, Säu⸗ ten und Salze durch einauber gerüktelt; es war allerdings auch viel Gutes darin, aber es bedurfte der Beit, um auszugähren und nieberzufchlagen. Es if noch gar nicht genügend: nachgewiefen worden, was wir dem dreißigjährigen Kriege Miles zu vordanken haben. Wir wiſſen aus Pütter, dab im Herzogthum Wür« temberg allein währenD beffelben fieben und funfzig⸗ tanfend Haushaltungen eingingen., aber wir. miilen nicht, wie viel fremde Ideen einheimifch. wurben und. weiche reiche Nachkommenſchaft fie mit Den Landes⸗ Tindeen zeugten. Wie auf ‚den Thüringer Walde: z. B. jetzt noch ſpaniſche, italienifche, ſchwediſche ıc. Silber⸗ und Kupfermünzen aus jener Zeit zu finden ſind, welche theilweiſe als Schmuck getragen und ver⸗ erbt werden, theilweiſe aber im alltäglichſten Hann: bel und Wandel der Dörfer als gute einheimiſche Hfennige curſiren, wie man ferner ein und daſſelbe Volkslied in Holſtein und Baiern, in Schweden und. Thüringen, in Holland und Schwaben, Spanien und Stalien wiederfinden Tan, glei. Saamen, ben Die Vögel. forttrugen und auf fremdeſtem Boden fallen

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laſſen, we er Wurzel ſchlägt, fo auch viele Gebanken, die vieleicht erſt nach Jahrhunderten mit Bewußt⸗ feyn an ben Tag Tommen und ſich fortpflanzen. Das iſt eben die gute Eigenſchaft eines großen völ- Berbewegenden Krieges und bei allem Sammer, der mit und hinter ihm herzieht, ein großer Gegen für das Reich der Idee.

Wir willen trag dem, daß Maucher es gern käugnen möchte wie zur Beit Der Minnepocke, fremder Saamenſtaub die Feuchtknoten deutſchen Gries auſchwellen machte zum großen Gewinnſt für Die ganze Nation. Aehnliches geſchah auch bald nad dem weitphälsfchen Frieden, aber die Wirkung biieh mehr eine formelle, und das bexticdhe Gemuth hatte noch gar viel zu thun, ehe es ſich bie gewaltigen und erichätteruben Erlebniſſe zurecht legen und ſie verar⸗ beiten konnte. Der Abel trat mit ſtarkem Schi gefühl wieber auf, waͤhrend das arme, ausgeſagene, geplünderte unb abgehungerte Boll dad Seinige faſt gäuglic; verloren hatte, und umhüllte füch, um ſich durch Das Abſtechende noch entichiedener zu fon dern, mit frembländifcher Weiſe und Sitte, diefe auch in Sprache und Styl hinüber tragend. © entſtand in Allem ein kauderwelſches Thun und Ber ben, das reißend um fich griff und dem fich die damals eben entitundenen Sprachgefelkichaften, welche wieder nach anderer Seite bin vom. Anslänkifchen infieist wurden, vergeblich entgegerikemmten. Nur bie ſtren⸗ ge Wiſſenſchaft blieb von dieſem Weſen unberührt, aber dieſe hat im Deutſchland ſtets für ſich in ben

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Dachkammern gehauft, und tft felten auf bie Straße und unter Die Leute gefommen. Frankreich war wieberum Das Worbild und das Galante das Höchfte des Lebens; aber in Frankreich war daß Balante ein gewandter Dpernfänger, in Deutfchland ein vom: Jahrmarkte hereingeholter mühfam dreſſir⸗ ter Bar, der gar zu gern wieder auf Die Borberta- ben niederpluumpte, wenn er eine Beitlang unbehülflich aufrecht auf den Hinterpfoten einher getrippelt war.

Bald ermachte jenoch das Bewußtfeyn, daß Die Deutihen geiftig etwas zu leiften vermöchten, doch es fehlte an Vorbildern einerfeits, andererfeits am wahren Selbftgefühle, und fo tappte man denn nad allen Seiten umber, um bas Rechte zu finden. Die poetiſchen Schulen geftalteten fich, aber fie hielten Fiplichleit und Correctheit der Form für das Höchfte und verfannten Daher den eigenen, nationalen Geiſt; wos fie von ihm brachten und pflegten, geſchah meit bewußtlos. Dagegen wurden alle Literaturen herangezogen, bie etwas barzubieten hatten, was dem gerade gefühlten Bebürfniffe zu entfprechen ſchien; während die Einen die Franzoſen und beren unbe holfenſte Copie, Die Holländer, zum Mufter nahen, wandten die Anderen ſich ängftlich nachbildend einer verfehlten, ſchwelgeriſchen Geſchmacksperiode der Ita⸗ liener zu; es wurde eben ſo viel direct überſetzt als indirecrt imitirt, und was das Schlimmſte, Franzo⸗ ſen und Holländer waren Die Vermittelungsgläſer, durch welche der Deutſche das klaſſtſche Alterthum ſtudirte, von dem er allein das Wahre, Rechte und

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Große hätte lernen können, nämlich das Geheimniß anverfälfchter Rationalität und harmoniſcher natur: nothwendiger Schönheit zu gleicher Beit.

Dies Alles muß als ber Grund betrachtet wer= ben, warum gerade der Roman bei uns, troß dem zeichen Stoffe, den ihm Bergangenheit und Gegen» wart zur Werarbeitung darboten, bamals noch) gar nicht recht gedeihen wollte Wirklich iſt auch der Simpliciffimus , ungeachtet feiner vielen groben Schler, der einzige gute Roman jener Lage, in welchem ber Verfaſſer das Rechte traf, obwohl mit Keulen. Daß die pilaresfen Romane ber Spanier den entichiedeniten Einfluß auf das ganze Bud) ge⸗ habt haben, dafür ift mehr als ein innerer Beweis vorhanden; Die ganze unmittelbare Art und Weile der Xebensauffafiung ſtimmte zu fehr mit Deutfcher Neigung der Darftellung überein und war namtent- lich auch ſchon mit großem Erfolge von 3... Mo⸗ ſcheroſch (Philander von Sittewald), dem Quevedo als unmittelbares Vorbild diente, in feinen fatyri- ſchen Bifionen angewandt worben*). Der deutſche Roman jedoch erfreut ſich hier eines großen Vor⸗ zuges und Reichthums; während die fpanifchen Cha⸗ ractere fich im ruhigen, täglichen, härgerlichen Le⸗ ben bewegen und ihre Spitbubenftreiche bunt dazwi⸗ fhen fpielen, Hat er den für einen Schelm fo ges

*) Gusman von Alfasache von M. Aleman (©. weiter oben) ift bereits fchon 1618 von Aeg. Alberti- nus in das Deutiche überfeht worden.

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beihliden Boden eines gewaltigen, allgemeinen Krie⸗ ges mit feinem ganzen mannichfaltigen Wechſel zur Grundlage und Daher den natürlichften und ergiebig- fen Scha der verfchiebenartigften Situationen zu bequemfter Benugung. Sehen wie nun, wie fi unfer Verfaſſer auf Demfelben bewegt.

Das Buch ift eine Autobiographie; ganz natür« id, da die ſubjective Form der Darftellung immer bie leichtefte und bequemfte für den Anfänger; zu vollkommener Objertivität gehört ſchon große Mei⸗ kerihaft*). Der Held des Romans, Simplicius, erzählt aljo von ſich, daß er eines Bauern Sohn im Speffart und während des Krieges durch einen Ueber⸗ fol feindlicher Weiter Beuge gräßlicher Mishandlun« gen feiner Eltern und Verwandten if. Er entflieht in der Angſt feines Herzens und findet ein Unter⸗ kommen bei einem alten Einftenler, bei dem er bis su deſſen Tode verweilt, und auch felbft noch einen ganzen Sommer als @inftedler allein Ieht. Der Winter verleidet es ihm indeffen und als er einen benachbarten Pfarrer um Rath fragen will, wirb derfelbe von Soldaten überfallen und gemishanbelt und Simplicius kehrt ängftlich wieder in feine Wald» einſamkeit zurück; hier aber erfährt er noch mehr von den boshaften Martern, welche fich die Bauern und Soldaten gegenfeitig zufügen, und verläßt endlich noh einem wunderlichen und wunderbaren Iraume

) Die pikaresken Romane ber Spanier haben eben falls ſänmtlich das autobiographiſche Gewand, 12 *

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feine Wildniß. Er kommt durch Gelnhauſen ‚nad) Hanau, wird zu dem Commandanten gebracht, da man ihn ſeiner ſeltſamen Kleidung wegen als ein Meerwunder betrachtet, und ſoll in's Gefängniß ge⸗ ſchleppt werden; da erkennt ihn aber jener Pfarr⸗ herr und rettet ihn durch feine Fürſprache, wobei er denn auch erfährt, daß der Einfledler des Com⸗ mandanten Schwager gewefen und als er nad) der Schlaht von Höchſt feine Gattin verloren, ſich in den Wald zurüdgezogen habe. Der Gouverneur von Hanau, das damals blofirt war, nimmt fih nun aus Liebe für den Werftorbenen des jungen Aben⸗ teurers an, und diefer foll, da er e8 an tollen Streis chen nicht fehlen läßt, und ihm wieberum folche ge⸗ Äpielt find, förmlich zum Schalksnarren dreffirt wer⸗ den. Der rechtfchaffene Pfarrer ſteckt es ihm aber und er macht jet gewandt eine Beitlang den Wars ven abfihtlih, wobei e8 weder an Poſſen, noch an moraliſchen Grmahnungen im Buche fehlt, bis er unverſehens von herumftreifenden Kroaten aufge» griffen wied. Eine Furze Beit bleibt er bei ihnen, wo es ihm gar fchlecht gefällt, entwifcht endlich, jagt unterweges ein Paar abergläubifchen Schnapphähnen Furcht ein, ftichlt ihnen ihr Geld und begiebt fich wieder in den Wald, den er aber zur Rachtzeit immer verläßt, um fi in den umliegenden Dör- fern Die nothwendigen Lebensmittel zuſammenzuſteh⸗ len. Bet biefer Gelegenheit wird er Beuge eines Hexenſabbaths, der ihm gewaltig Angft macht, und findet fih am Morgen im freien Felde, in ber Ge⸗

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genb von Magdeburg, wieber. Hier treffen ihn Sol- baten, die ihn erkennen; er Eommt nun zu einem Obriften, bei dem er anfänglich ald Narr bleibt, dann von einem Schreiber feines neuen Herrn, einem aus⸗ gefeimten Spigbuben, Olivier, nach mehr unterwie⸗ fen wird, aber mit einem anderen Miufterfchreiber, Mei Herzbruder, dem Sohne feines Hofmeifters, treue Freundſchaft ſchließt. Olivier ftellt dem jungen Herzbruder tückiſch nach und es gelingt ihm, Durch einen Bauberer biefen in Schande zu bringen, worü⸗ ber defien Bater vor Sram erfrantt. Der Sohn kauft fh frei und geht in ſchwediſche Dienſte. Sim⸗ plicius pflegt den Alten treulich, der bald darauf von einem Dffleier im Borne erftochen wird. Unſer Held Hat nun Das Leben im Lager vor Magdeburg herzlich fatt bekommen und entwifcht in Weiberklei- dern. Nach mancherlei Abenteuern, welche ihm biefe Tracht zuzieht, und Die fehr in das Derb- Komtfche gehören und ihn dem Tode nahe bringen, wird e2 von feinem Freunde, dem jungen Sergbruber, im Folge eines Treffens zwifchen feiner Partei und ber Schweden unter Banner’s Commando, befreit. Der Freund wird gefangen, Simplicius: aber tritt in Die Dienſte des ſchwediſchen Obriftlieutenants und geräth dann in Die Hände eines feindlichen Dragoners, ſei⸗ nes fechften Hesen, mit dem er als Schutzwache in ein Frauenkloſter gelegt wird. Hier geht es ihm nun herrlich und in Freuden; mit ihm liegt auch ein heſ⸗ ſiſcher Muskfetier als Salveguarde da, feines Hand» werte ein Kürfchner, dabei ein Meifterfänger und

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trefflicher Fechter. Diefer übt ihm täglich in allen Gewehren, worin er denn auch ſehr tüchtig wird; eben fo lernt er von Dem Bäger des Stifts alle Künfte Eleinen Waidwerks. Darüber vergeht Der Winter, und als fie abgelöft werden, ſtirbt fein Herr, der ein geoßer Knicker war, weshalb er ihm eine Grabfchrift als dem „Schmalhans“ fegt. Er bat Das Glück, ihn zu beerben, ſtaffirt ſich nun ſtattlich herans, wird felbft Soldat, macht fi, als folcher der Jäger genannt, durch feine Tapferkeit, Lift und Behendigkeit überaus nüblich und kommt zu großen: Arnſehen und Gelde Dadurch. In dieſer Eigenfchaft bat er nun die bunteften und feltfamften Abenteuer und wird endlich zu einer Heirath mit der Tochter eines teformirten Obriftlieutenants gezwungen, nach⸗ dem er früher einen Schat gefunden, den er einem Kaufmanne in Eöln zum Aufbewahren gegeben, und dann von den Schweden gefangen und nad) Lippſtadt gebracht worden, Als er nun gleich nach der Hochzeit nad) Eöln zieht, um feinen Schatz zu holen, findet er, daß das Haus, bei dem er denſelben niedergelegt, ſich infolvent erklärt. Er muß nun bier wider Wil- len verweilen, giebt fich bei feinem Advocaten in bie Koft, die fehr ſchmal ausfällt, und zieht Dann, um ſich Die Beit gu vertreiben, mit einigen jungen Adli⸗ hen nach Paris, wo er durch die Laune des Schick⸗ ſals allerlei feltfame Dinge erlebt, foger in einer Dper Orphens und Euridice als Sänger auftritt und endlich heimlich fich entfernt. Unterweges gebt es ihm aber ſehr ſchlimm; er wird von den Blattern

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heimgeſucht, bie ihm Haare, Stimme, Schönheit und Vermögen often, und fchlägt ſich mühſam bis nad Sothringen durch, wo er von Neuem aufgegriffen und zu Philippeburg bei den Kaiſerlichen unter bie Musketiere geſteckt wird. Der Verſuch, zu entwi⸗ ſchen, mislingt ihm, es geht ihm ſehr jämmerlich, bis ſein Freund Herzbruder ihn endlich aus ſeinem Elende befreit. Er wird durch deſſen Vermittelung nun „wieder ein Kerl, ber einem praven Soldaten gleich fahe,‘ aber recht will es ihm doch noch nicht glüden, und er muß ſich in ben Orden der Mer v⸗ bebrüder (Marodeurs) begeben, wo er benn mit jenem verſchmitzten Dlivier zufammentrifft, welcher auf feine eigene Fauſt Straßenraub treibt und thn mit Dazu verleitet. Der Bauer, ber ihnen als Kunds ſchafter dient, verräth fie aber; zwar befreien fle ſich von ihren Gegnern, aber Dlivier Fommt Dabei um, und unſer Helb erbt nun alle zufammengeraubte Beute, wodurch er zu dem Beſitze eines artigen Ver⸗ mögens gelangt. Gleich darauf findet er feinen Herz⸗ bruder wieder, dem die Iaunifche Fortuna mittlere weile übel mitgefpielt bat, und welcher durch Bere siftung an ſchwerem Siechthume leidet. Treulich ver⸗ gilt er ihm alles frühere Gute, macht mit ihm eine Wallfahrt, auf der er fich nicht fonderlich Fromm bes weißt, und geht dann verkleidet, nachdem ſie eine Beitlang in der Schweiz verweilt und von da nad) Wien gezogen find, wo fie auf kurze Zrift wieder Kriegsdienfte nehmen, nah Cöln und Lippſtadt. Hier erfährt er, daß feine Frau geftorben, aber ber

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von ihr geborene Sohn noch lebe und fich in guten Händen befinde. Er giebt fich jedoch nicht zu erken⸗ nen, fonbern Tehrt zu feinem Freunde nad) dem Bade in der Schweiz zurück und fpielt dort Den ga» lanten Gavalier. Herzbruder ſtirbt an feinem Uebel; Simplicius Dagegen liebelt viel, heirathet ein hüb⸗ ſches Bauermädchen und kauft einen Pachthof. Seine Gattin taugt jedoch eben fo wenig, wie er, und es fängt an, mit ihm den Krebsgang zu gehen, doch erlöft ihn der Tod noch zu rechter Beit von ihr. Unterdeſſen find ihm feine alten Pflegeeltern wieder aufgeftoßen und er hat von ihnen erfahren, daß er ber ehelihe Sohn eines vornehmen Offiriers (des nachherigen Einſiedlers, der fich feiner angenommen) und einer Schweiter des Gouverneurs Namſay ei und mit rechten Kamen Melchior Sternfel® von Fuchsheim heiße. Er übergiebt nun den beiden Alten die Verwaltung des Meyerbofes, in den ſie bald wieder Ordnung zu bringen willen und führt ein ruhiges Reben, Da er von dem wunderbaren Mum⸗ meljee gehört, fo kommt ihn Die Luft an, denſelben näher zu unterfuchen und nun geht es über Hals und Kopf mit ihm felbft in das Wunderbare und Abenteuerliche hinein. Sylphen kommen und machen es ihm möglih, in ben Mittelpunkt. der Erde zu gelangen; Hier geleitet ihn der Fürft der Mummel« feer, der ihn felbft begleitet Hat, zu dem Könige, welcher ihn in gutem Deutſch fragt, wie denn Die Stände der Welt ihren Beruf erfüllen. Simplicius giebt ihm ironisch eine ſehr lobende Schilderung

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185 berfefben; Dann macht er eine Retfe mit ben Syl⸗ phen und kommt endlich, von dem Könige befchentt, wieber heraus, worauf er noch ein Abenteuer mit ſchwaͤbiſchen Bauern befteht. Später Iäßt er ſich bes teden, wieder mit den Schweben zu ziehen und macht eine Reife nad) Moskau, wo er fi) in allen feinen ‚Hoffnungen getäufcht flieht, und es ihm wieder fchlecht geht,.bis er die Ruſſen Schießpulver bereiten. lehrt. Dann fchlägt er Die Tartaren, gebt darauf nad Aſtrachan, um auch dort eine Pulvermühle einzu⸗ tihten, wird aber von Tartaren aufgehoben und dem Könige von Corea gefchenkt, der ihm die Frei⸗ heit wieder giebt und ihn „durch Japania nach Dias cao zu den Portugiefen fertigt.” Zärkiiche Sees täuber nehmen ihn gefangen, fchleppen ihn tm indie ſchen Archipel mit fi herum und verhandeln ihn endlich an Kaufleute aus AHlerandrien, bie ihn nad Eonftantinopel bringen. Er wird nun Rubderfclave auf einer tüärkifchen Gnleere, aber von ben Vene⸗ tianern befreit, macht eine Pilgerfahrt nad Rom und Loretto und Eehrt endlich, nachdem er drei Jahre abweiend, während welcher Beit ber deutſche Frie⸗ ben gefchlofien, zu feinem Knan im Schwarzwalde zurück. Run feht er fich wieber Hinter Die Bücher; einige Schriften des Guevara fallen ihm in Die Hände, er fchließt feine Rechnung mit der Welt ab und begiebt fih in eine Wildniß, um das Leben eines Ginftedlers zu führen, obwohl er noch nicht gewiß weiß, ob er dort, wie fein feliger Water bis

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sum Schluſſe feiner Tage ausharren werde, ſondern Das in Gottes Hände legt.

Hier endet das Bud, doch finden ſich in ber vor mir liegenden Ausgabe von 1671 nod) zwei Fort- fegungen. In der eriten, welche Anfangs Weflectio- nen im allegorifchen Gewande über Die im Haupt buche vorfommenden Erlebnifle enthält, Lieft man gegen den Schluß eine Ilias ante Homerum, eine Robinfo- . nabe nämlich, welche ſaſt gleichzeitig mit Dem eigent- lichen. Bater der Robinfonaden, dem Engländer de Foe, der 1663 bekanntlich geboren wurde, an Das Licht trat. Simpliciffimus wird nämlich mit einem Bimmermann auf eine wüfte Inſel verfchlagen und beichließt, nachdem er den Letzteren dort Durch Den Aod verloren, feine Tage fromm zu enden. in holländiſcher Schiffscapitain Ian Gornelifien aus Harlem, der ihn dort gefunden, erfinttet Dem Ger⸗ san Schleiffheim von Sulsfort Bericht über ihn in einer befonderen Relation, bie den Schluß des Bu⸗ ches bildet, das als Fortfegung und fechftes Buch an» gehängt it. Die zweite Sontinuation (hier Die erite genannt) enthält Simplirianifche Wundergefhichten voll Gefchmadlofigkeit, in drei Abtheilungen. Daß beide Anhänge, fowohl das fechtte Buch, wie. Diefer legtere, von anderen Verfaſſern herrühren, als ber eigentliche Roman, ift Feinem Bweifel. unterworfen ; fowohl die ganze Auffaſſungs⸗ und Darftellungs- weife, wie der Unterfhieb im Style fprechen zu gründlich dafir. Während ber Verfafler des Wo: mans einfach und unmittelbar auf die Dinge felbft

los geht nnd fie darſtellt, wie fie wirklich finb und er fie mit gefunden Augen flieht, ſtets dabei hinſicht⸗ lich der Durchführung feiner fait immer gleichen Zaune folgend, merkt man ben Fortſetzern die abfichtliche Künklihkeit und das Gefallenwollen zu deutlich an; bei ihnen herrſchen Gefpreiztheit, Schönrebnerei, ges lehrter Prunk zu fehr vor; fie wollten das geliebte Bud fortſetzen und trafen ſtatt des Zones befielben den damaligen Modeton anderer Schriften, welcher beald ih wie eine Sündfluth in unenblicher Breite ergoß und in allen anderen Romanen auf das Uner⸗ traͤglichſte vorherrſchte. Meinem Gefühle nach iſt auch ſchon Die zweite Hälfte des fünften Buches von einer anderen Hand; es müßte denn feyn, Daß ber Verfaſſer erſt in fpäteren Jahren das Buch von hier an zum Schluſſe gebraht, ald das Alter ihm bie Phantaſie und die Frifche der Anfchauung getrübt, und er daher aus dem Gefühle innerer nothwendig andzufüllender Leere feine Buflucht zum Wunberbaren genommen. Einer Tradition zufolge foll ex gleich nach der Herausgabe des Buches, das die Erlebnifle feiner eigenen Jugend fdhildert, geftorben feyn *). Der Simpliciffimus ift entfeglich überfchätt wor» den, das beweiſen bie wieberholten Ausgaben, bie. Continuationen und das Heer von Nachahmungen,

*) Bol. über den Simplieiſſimus und deſſen wahr⸗ ſcheinlichen Verfaſſer: die trefflichen Notizen Echtermeyer’s in deffien Anzeige der Bülow’fchen Ausgabe in den bals liſchen Jahrbüchern 1838. No. 52. ©. 414 fgde.

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das wie der lauge Schweif eines Kometen fh an ihn hängten. Als eigentlihes Kunſtwerk kann er gar nicht in Betracht kommen, Denn weder Einheit bes Plans, noch confequente Ausführung verleihen ihm Anfpruch auf den Namen eines ſolchen. ber abge⸗ fehen davon, hat er zwiefachen Werth; einmal durch bie Serfönlichkeit des Verfaſſers, welche aus der feifhen, unmittelbaren Darftelung, aus der geiſti⸗ gen Geſundheit trog aller Damals herrfchenden Krank⸗ heiten der Beit und aus dem lebendigen, berben Hu⸗ mor überall behaglich hervorfchaut, dann durch die Treue, mit der eine ber bewegteiten und ftoffreichiten Perioden deutſcher Gefchichte nad) allen Seiten in wahrhaftigfter Natürlichkeit gefchildert worden ift. Für den Hiftoriker ift Das Buch Daher von beden⸗ tendem Werthe, da es das Kleinleben des dreißig⸗ jährigen Krieges, wo Fortuna's Rad für ganze Völ⸗ Fer, wie für den Einzelnen im rafcheften Wirbel ſich unaufhörlich drehte, bis in Die befonderften Einzeln beiten darſtellt. So findet er es nirgends font bei« fanmen, fondern muß Die einzelnen Büge und Um⸗ riffe erft mühfem zu Hauf tragen, Die fih hier zu “einem naturgetreuen, farbenfatten Gemälde vereinigt haben. Dur) das Ganze weht ein echt deutfcher Geiſt, die angeborene Ehrlichkeit, Die felbft bei . Schelmenftreichen Doch immer auf dem Grunde Tiegen bleibt, die Gutmüthigkeit, die Luft am Breiten und Umſtändlichen, Das Streben nach Kenntniffen bis zur Pedanterie, das Wohlgefallen am Ansländifchen ne⸗ ben dem Feſthalten am Ginheimifchen, Die Bravheit,

überall, wo es gilt, das Ausharren in der Weigung, Alles dies find Einzelnheiten in unferem National⸗ character, Die fich zu wiberfprechen fcheinen und ihm gerade Durch ihre wunderliche Eonglomeration eine feiner beften Eigenſchaften, feine unverwäftliche Lie⸗ benswürdigteit verleihen; benn, mag es gleich ſeltſam Fingen, wenn wir es ſelbſt ausfprechen, es bleibt aber Doch wahr, Liebenswärdigeres kann e8 doc Kichts geben unter den Menfchen, als ein echt beste fches Gemüth. Auch die Sprache im Simplicif⸗ finus iſt im Allgemeinen trefflich, doch wird fie ge⸗ gen das Ende bin Fünftlicher und gezierter; dagegen gehört Das Lied „Komm' Troft der Wacht, o Nach⸗ tigall,“ zu den anmuthigften und gelungenften Poe⸗ fieen jener age. | Sch will Den Leer nicht mit einer detaillirten Aufzählung der übrigen Vagabundenromane, welche dem Siniplicifiimus nachfolgten, ermüben *); e8 ges näge, bier darauf hinzudeuten, daß der Geſchmack an diefer Gattung fi) bis in das achtzehnte Jahr» hundert hinein erhielt **). Alle Perfönlichkeiten, die

*) Aeber die Fortfegungen- und Nahahmungen ſ. Koch's Eompendium der deutſchen Literaturgeſchichte. Berlin 1795 98. Bd. II. S. 255 fgde. Ferner Blankenburg's Zuſätze zu Sulzer's Theorie Bd. 3. ©. 76 fgbe. *æ) B. B. Simplicissimus redivivus, d. i. der in Frankreich wieder belebte und eurieus verförperte alte Simplichis , welcher mit der franzoͤſiſchen Armee nach

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ein unftetes Leben, fei e8 Durch ihren Beruf ober durch eigene Wahl und Laune, führen Fonnten, wur- den in Diefen Kreis hineingezogen, Da fie Die befte Gelegenheit darboten, Die damaligen Buftände in allen Regionen der Wirklichkeit zu fehildern und zu beleuchten. So haben wir im Simpliciffimus und ihm zunächſt den Soldaten, im Schelmuffsfy Den Handwerksburſchen *), dann wiederholt den Stu⸗ denten **), endlich fogar den Edelmann, der erft

‚Brag marchiret ift, dabey viele wunderliche Abendtheuer

erlebt bat, wo unter andern SKrieges+ Particularitäten, -

Biftorifhen Erzehlungen, darüber gemachten politiichen Seflerionen und Satyrifchen Einfällen auch der Französ fihe Medicus Chirurgus und Mund⸗Koch wahrhaft und Inftig befchrieben werden von Ihm Selb. S. 1. 1733. 1. Boden. in 8. | *) Im Schelmuffäly regt ſich ſchon die Verſpottung ber. Uebertreibungen auf das Ergöglichfte; Hier ift ber furdtbar von feinee Wanderfhaft aufichneidende Hands

werfäburfche, der am Ende fih ganz in der Nähe her⸗

umgetrieben hat, Iuftig und wigig gefhildert. Ich Habe dieſes Buch nie in einer Originalausgabe gefehen, fon» bern Fenne es nur aus einem Abdrude, weldher in bem eriten Decennium biefes Jahrhunderts (durch Clemens

. Brentano?) beforgt wurbe, feinen Drudort angiebt und

. gar nicht in den Buchhandel gefommen iſt. Vgl. Franz Borns Poefie und Beredſamkeit der Deutſchen Bd. H. S. 307.

**) E. ©, Happelii alademiſcher Roman, worinnen

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feembe Länder befucht, dann in Deutichland von einem Hofe zum andern zieht, in dem im Irrgarten der Liebe herumtaumelnden Gavalier. Alle find Glie⸗ der derfelben Sippſchaft und eine mehr oder weniger bervorgehobene, aber immer fehr entfchiebene mora- liſche Nützlichkeits⸗Tendenz ift der characteriftifche Familienzug, wie er e8 überhaupt damals in der ganzen deutfchen Poefie war, an dem man fogleich ihre Verwandtſchaft erkennt. Am Unbefangeniten ift, was dies betrifft, noch der Schelmuffsfy, am Di⸗ teeteften dagegen ftrebt Happelii akademiſcher Roman dahin, andere find wiederum mehr oder min⸗ der Nuancen und der Simpliciffimus bleibt immer der Prototyp der gefammten Samilie. Da ich den Stammvater haracterifirt, fo will ich es auch mit dem letzten Enkel thun, dem im Irrgarten ber Liebe taumelnden Gavalier, um fo mehr, als die Meiften den Zitel, die Wenigften aber den Inhalt Diefes in

das Studentenleben vorgebildet wird in einer ſchoͤnen Liebesgefgichte. Ulm 1690. Die unerwarteten Ver⸗ hängniſſe über große Geifter in den Begebenheiten eines Leipziger Stubentens u. f. w. Frankfurt und Leipzig 1767. Bgl. Reichard's Romanbibliothef. Br. 10. ©. 174. Der verliebte und galante Student. Luͤ⸗ bet 1734. Die galante und Tiebenswürdige Sa⸗ Iinde von Meliffus. Frankfurt 1718. N. A. 1744. Diefer Roman fhildert unter ſehr dünner Verhüllung wirkliche Begebenheiten in der damaligen Studentenwelt Jena's.

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mancher Hinficht merfwärbigen Buches kennen; ber Lefer wird fih dann fchon leichter einen deutlichen Begriff von dem, was dazwiſchen liegt, machen können.

Der im Sergarten der Liebe -herumtaumelnde Gavalier oder Reife und Liebesgefchichten eines vornehmen Deutfchen von Adel, Herrn von St., zufammengetragen durch den Herrn von H., erfhien zuerft unter fingirtem Ortsnamen 1738 zu War nungsitodt und muß in fehr ftarfen Auflagen an das Licht getreten feyn, da er im achtzehnten Jahrhun⸗ derte zwei nene erlebte, und Doch hin und wieder in den Lagern alter foliden Buchhandlungen zu finden ift, felten aber fonft wo vorkommt, auch zu feiner Beit außerordentlich viel gelefen wurde *). Ein neuer Abdrud mit zum Theil polemifchen und gegen das Junkerthum gerichteten Noten erfchien 1830 in Leipzig, hat jedoch ftatt der Verlagsfirma nur Die Angabe: Gedruckt im Kyffhäuſer. Wahrſcheinlich liegen wirkliche Abenteuer eines fächftfhen oder thü— ringifhen Edelmanns zu Grunde. Der Geld ber

*) Georgi giebt in feinem Bücherlericon den Buchs * Händler Grofje zu Nordhaufen als Verleger an; die beis den fpäteren Ausgaben, welche mir indeijen nie zu Ges ſicht gefommen find, führt Ko in feinem Compendium ala 1747 und 1793 s.1. erfhienen, auf. Der Held if unbezweifelt ein Glied der bekannten ſächſiſchen und thuͤ⸗ singifhen alten Zamilie von Stein, welche Güter an der Elbe befoh. |

198 Geihkhte macht, nachdem er eine Handesmäßige Er⸗ siehung genoſſen und an irgend einem Fleinen deut⸗ fhen Hofe den Kammerjunkertitel erhalten hat, eine Reiſe nach Italien zu feiner Ausbildung, langt am 11. Februar 1686 in Venedig an und tritt dann in die Dienfte eines italienischen Fürſten. Er bat das Glück oder das Unglück, daß fich alle Damen gleich in ihn verlieben; eine italienifche Nonne beginnt den Reihen und wird von unferem Helden mit feiner Sant und Inteinifchen Verſen beglüdt*); er muß

*) Diefe find nicht antiker Weife nachgedichtet, ſon⸗ dern fowohl der Form, wie dem Inhalte nach ganz in der Art der zweiten fhlefifhen (Hoffmannswalbau’fchen) Schule. Man fieht daraus, wie vorherrſchend diefe Ges ſchmacksrichtung damals in Deutfchland war. Hier bie Verfe zum Beweife:

Cor saxeum probavi hactenus

Ac glacie frigidiorem mentem;

Nusc autem nunc, eheu! non amplius Persentio amoris vim ardentem ı Impugnat me jam formosissima Angelica!

Angelica! ad quas angustias

Me redigit nuue tua lux augusta? Ah! retrahe has stellas lucidas, Jam radiis mens tuis est combusta, Agnoscite Victricem, anima Angelia!

Er:

| | 2108 | fie jedoch verlaffen, um einen Auftrag feined Gebie⸗ ters auszurichten, hat unterweges ſchon wieder einen Liebeshandel mit der wälfchen Gattin eines Barond aus Zyrol und gelangt dann nach dem dich Pe⸗ trarca berühmt gewordenen Arqua, wo fowohl jene Signora, wie nod eine andere, bie ihm bie zitt⸗ lichſten Briefe ſchreiben, ihn mit dem don dm reuse merci begläden. Die Letztere bemaslirt fh aber nicht, fo Lange Licht brennt umd nimmt ihm auch das Verſprechen ſtrengſter Werfchmiegenhet a Er hat noch allerlei andere Liebeshändel, erlebt uf eine graufige Geſpenſtergeſchichte, bekommt hiuft a Trieb, fich zu befehren, fällt aber immer wieder m bie alten Fehler und wirh endlich, nachdem er in feines Fürften und feinen eigenen Gefchäften Bert dig zum zweiten Male befucht und in Wadıa auf der Durchreife eine genaue Bekanntfchaft mit einm Landsmanne, Herrn von Thalberg, gemacht, unter⸗ weges von ber Heerſtraße abfeitg ‚gelockt und gemalt ſam auf ein feftes Schloß mitten im Walde gehraft Dier wird er Anfangs wie ein Verbrecher behandelt, peinlich über fein Verhältniß mit der maskirten Dr me anquiritt und endlich, da er ſich als fanbhaft ud verſchwiegen bewährt, zum Zope verurtheilt, zu den

Sed fugam cur ardenter appeto?

Ignotum hoc est adhuc pugnae genus,

' 3 ai succumbuero, Me vinciet, me vincat alma Venus;

Et vulnera quae dat Angeli ica Sunt oscula. a“

a“

193 ee FE auch ſehr fromm vorbereitet, jedoch in bem Aumg enblicke, wo er ben Schwertſtreich nes Henkers erwartet, durch eine Stimme, deren Eigenthümer unfechtbar bleibt, begnadigt. Jetzt, beſſer behandelt Erb gepflegt, ſucht ihn eine in den Werken ber Xiebe H lerfahrene Schöne durch alle nur erfinnlichen Mittel zu verführen, aber er wiberfteht allen Ver⸗ er, wie ber heilige Antonius in der Müfte, und WERT zuletzt auf das Herrlichſte belohnt. Jene mad» Dame, eine geborene Prinzeſſin, an einen elften Gemahl verheirathet, der nach Spanien ver- ETE iſt und die ſich nun unverhüllt in ihrer ganzen Schiri vor ihm zeigt, hat, ba man ihn bei ihe vex-Fdumt, allen jenen Rammer über ihn gebracht.‘ Rus aber, da fie von feiner Unſchuld vollkommen wEEVzengt it, überſchüttet fe ihn mit Liebkoſungen wa Snaden, Sie erzählt ihm ihre etwas roman in deutfcher Weiſe vorgetragen, fich gar / oz ausnehmende frühere Lebens = und Lie»

zu Seftiäte bis zu dem Rugenblicke, wo fie ſich ihm eelennen gegeben und behält ihn bei fih, bis fie N ig yon einem jungen Knaben entbunden wird. AN, giebt fie ihm ſchriftlich feinen Abſchied, macht RR ug fehr ſchone Geſchenie und Täßt ihn zu fe N Aypen zurückkehren, nachdem ſie vollkommen Nr gr gefrasen, daß feine lange Amefenheit AN Yu, * ſeſner Ehre ſchaden koönne. Unterwe⸗ IN Sir eissert Deutichen Bebienten zu fich, wel⸗ NN, gzeBeSgefdicte feines früheren Herrn, vn 3 >caliers, pie dieſem aber zuletzt das Yon / = 13 *

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Leben gekoftet hat, im Geſchmacke italienifcher No⸗ velliften, doc mit größerer Breite erzählt und kommt dann in der Reſidenz feines Fürften an, wo er in feiner alten Wohnung, wie überhaupt, Alles wieder in Der trefflichften Ordnung findet. Briefe aus Der Heimath beftimmen ihn nun, nad) Deutſchland zu- rückzukehren. Er langt in D. (wahrfcheinlich in Darmſtadt) glädlich an, wird dort Kammerjunker, macht fich beliebt und hat allerlei vornehme und gerin⸗ gere, im Ganzen aber fehr nüchterne Liebesaffeiren, in denen e8 nicht an beutfchen Kleinftäbtereien und Klatſch fehlt, was. Alles ſehr ausführlich gefchildert wird, wobei ihn von Beit zu Beit, beſonders wenn ihm irgend ein Unglück droht, die Neue überfüllt und Bußgedanfen in ihm auffteigen. Darauf tritt er in ein näheres Verhältniß zu einem jungen lie⸗ benswärdigen Fräulein. Dies wird aber durch den Krieg mit Frankreich unterbrochen. Er geht nun nah M. (München ?), tritt dort wieber als Kam merjunfer in Dienfte, bat wieder einige Liebeshän⸗ delchen und fol nun nach dem Wunfche feiner. Fürs ftin heirathen. Als er fich aber deſſen weigert, fällt er in Ungnade, nimmt feinen Abſchied und zieht mit dem Erbprinzen nach Brabant in den Krieg. Erzählungen von Liebesabenteuern ber Offtciere, Die er. Dort Eennen lernt, unterbrechen eine Weile auf eine ziemlich anmuthige Weiſe den Faden Der Ge⸗ f&ichte des Helden, Er wird daranf Lieutenant in-einem Reiterregimente, miberfteht. ſtandhaft zwei ſtarken Anfechtungen: von dem Feinde des: menſchli⸗ | 5

chen Goſchlechtes und bes heiligen Eheſtanbes und vermaͤhlt ſich dann nad) beendigtem Feldzuge mit der Geliebten. Darauf beſucht er feine Eltern, zu bes nen er feine Frau bringt, macht alsbald den Krieg von Neuem mit und Fehrt Darauf im feine Heimath zu⸗ rück. Seine Gattin und das Kind, Das fie ihm im feiner Abweienbeit geboren, find aber geſtorben, wo⸗ durch er in tiefe Schwermuth verfällt. Auf dem Wunſch feiner. Eltern nimmt er jet feinen Abſchied, wird wieder Kammerjunker bei einer andern Fürſtin zu St., Hat natürlich wieder Liebesabentener und kehrt dann, nachdem 1693 fein Water geftorben, in fein Vaterland zurück, wo er fich von Neuem ver» mählt. Uber auch biefe Frau wird ihm Durch den Tod geraubt und hinterläßt ihm ein Kind, das ihm ſpäter großes Herzeleid verurſacht. Er vermählt fih nun zum Dritten Male, lebt zehn Jahre auf jenen Gü⸗ tern und tritt dann in die Dienfte eines Reichsfür⸗ fen, muß aber, da ihn Unglück jeder Art heimſucht, fein Amt nieberlegen und ſich wieder auf fein Gut begeben, um feinem. Vermögen duch Sparſamkeit anfzuhelfen. Das Unglück wird indeffen nicht mühe, ihn zu verfolgen und er verarmt immer mehr. “Der: Beſuch eines alten Bekannten, eines Herrn von A., den er, fo gut er kann, bewirthet, and. der ihm. ſeine merkwürdige Lebensgefchichte erzählt, bringt eine an«: genehme Unterbrechung in fein trauriges Leben. Ale. dieſer fort iſt, reiſt er einmal nach T., beſucht Daet. ein altes verlaſſenes Schloß und hat hier eine ſchreck⸗ liche Viſion. Während. eines furchtbaren Gewitters

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Lehen gekoftet Hat, im Geſchmacke italienifcher Re velliften, doc mit größerer Breite erzählt und kommt dann in der Reſidenz feines Fürften an, wo er in feinee alten Wohnung, wie überhaupt, Alles wieder in der trefflichften Ordnung findet. Briefe aus ber | Heimath beftimmen ihn nun, nach Deutjchland zu rũckzukehren. Gr langt in D. (wahrfheinlid in Darmſtadt) glücklich an, wird dort Kammerjunker, macht fich beliebt und hat allerlei vornehme und gerine gere, im Ganzen aber fehr nüchterne Liebesaffairen, in denen e8 nicht an beutfchen Kleinftäbtereien und Alatſch fehlt, was Alles ſehr ausführlich geſchildert wird, wobei ihn von Beit zu Beit, beſonders went ihm irgend ein Unglück droht, Die Reue überfüllt und Bußgedanken in ihm. auffteigen. Darauf tritt er in ein näheres Verhältnig zu einem jungen lie benswärdigen Fräulein. Dies wird aber durch den Krieg mit Frankreich unterbrochen. Er geht nun nah M. (Meünchen?), tritt dort wieber als Kam merjunker in Dienfte, hat wieber einige Liebeshän⸗ delchen und fol nun nad dem Wunfche feiner Für fin heirathen. Als er fich aber deffen weigert, fällt er in Ungnade, nimmt feinen Abſchied und zieht mit Dem Erbprinzen nach Brabant in ben Krieg. Erzählungen von Liehesahentenern der Offtciere, die er, Dort Fennen Iernt, unterbrechen eine Weile auf eine ziemlich anmuthige Weife den Faden der Ge ſchichte des Helden. Er wird darauf Lieutenant in einem Keiterregimente, miberfteht. ſtandhaft zwei arten Anfechtungen: von dem Feinde des menſchli⸗

den Geſchlechtes und des heiligen Eheſtanbes und vermößlt ſich dann nach beendigtem Feldzuge mit der Geliebten. Darauf beſucht er ſeine Eltern, zu de⸗ nen er ſeine Frau bringt, macht alsbald den: Krieg von Nenem mit und kehrt darauf in feine Heimath zu⸗ rick. Seine Gattin und das Kind, das ſie ihm in feiner Abweſenheit geboren, find aber geſtorben, wo⸗ duch er in tiefe Schwermuth verfällt. Huf den Vunſch feiner Eltern nimmt er jegt feinen Abſchied, wird wieder Kammerjunker bei einer andern Yürftin m St., hat natürlich wieber Liebesabentener und kehrt dann, nachdem 1698 fein Water geftorben, in fein Vaterland zurück, wo er ſich .von Nenem ver- mählt. Aber auch Diefe Frau wird ihm Durch den Ton gerauht und hinterläßt ihm ein Kind, das ihm ſpäter großes Herzeleid verurſacht. Er vermählt fih num sum dritten Male, lebt zehn Jahre auf jenen Gü⸗ tern und tritt dann in die Dienſte eines Neichsfür⸗ fen, muß aber, ba ihn Unglück jeder Met heimfucht, fein Amt nieberlegen und ſich wieder auf fein Gut geben, um feinem. Mermögen durch Sparfemkeit mfzuhelfen. Das Unglüd. wird indeſſen nicht mühe, Ihn zu verfolgen und er veraemt immer mehr. Der. Beſuch eines alten Bekannten, eines Heren von A., den er, fo gut er Tann, hewirthet, and der ihm feine merkwürdige Lebensgefchichte erzählt, bringt eine au⸗ genehme Unterbrechung in fein trauriges Leben. Als diefer fort iſt, veiſt er einmal nach T., beſucht dort ein altes verlaſſenes Schloß und hat hier eine ſchreck⸗ liche Viſion. Während. eines furchtbaren Gewitters

erfcheinen ihm alle feine früheren @elichten, von ſchrecklichen Martern heimgefuht. Er wirb "vor Schrecken frank, kommt aber wieder zu ſich und be⸗ ſchließt nan, fich vor aller Sünde zu hüten und jähr- lid, an dem Tage, wo er biefe Erfcheinung gehabt, zu faſten und zu beten. So unterwirft er fi) „der göttlichen Führung, bie ihn zwar finfen, aber nicht ganz untergehen ließ.‘

Daß wirkliche Begebniffe dieſem Romane zu Grunde Liegen, leidet Beinen Bweifel; fein ganzes Weſen zeigt es zu deutlich, nur ift er in fchlechte Hände geratben, die mit dem Stoffe nicht umzuge⸗ ben mußten. und es vor allen Dingen für nöthig hiel⸗ ten, ihn nach den verfchiebenften Seiten hin aufzu⸗ pußen, um den verfchiedenartigften Anforderungen der Damaligen gefchmadlofen Beit entgegen zu kom⸗ men; Daher Die bei jeder Gelegenheit angebrachte breite und überflüfftge Gelehrſamkeit, die durchaus nicht fehlen durfte, Daher ferner neben den lascivſten Scenen .die häufigen Ermahnungen zur Buße und endlich Die mannichfach eingewebten Epifodten, Man kann nicht geradezu fagen, daß dieſes Buch. ein ſchlech⸗ tes Machwerk fei, obwohl es gewiß ein ſchlechter Roman iſt. Es if keinesweges ohne. Poeſie und Les ben, wenn gleich der Hauptcharacter ſchlecht gezeichnet worden und dabei von ſecundärem hiſtoriſchen Inter⸗ eſſe, da es das Kleinleben an den deutſchen kleinen Höfen: mit Genauigkeit ſchildert und. zugleich eine ſtarke Probe ablegt von der damaligen geiftigen Be⸗— ſchränktheit des deutſchen Adels. Seine Verbreitung

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bat es wohl mehr feinem, von einem berzeitigen ſpe⸗ culirenden Soſier erfundenen Titel zu verdanken, ber ich Inge im Gedächtniſſe erhielt, nachdem Das Buch lingk daraus verſchwunden war, und in neuefter Beit durch Inmermann’s zweifchneibige Parodie auf Pla⸗ im mehr noch aufgefeifcht wurbe,. ala durch ben nenen Abdruck. Einen foldien Miſchmaſch von allen Möglihen, namentlid aber von biftortfchen, sthäslogifchen,, ethnograpifchen und anderen Noti⸗ zen in falſcheſtem Verſtändniſſe des utile dulei, zu⸗ gleich mit der gehörigen Moral, mußten alle beut- ſchen Komane jener Beit haben, die fich nicht außer⸗ halb der Kreife des Alltagslebens bewegten und felbit von denen höher feyn follender Gattung hatten es bie meiften; der Deutliche blieb ein Pedant, ſelbſt wenn e8 ihn juckte, Inder und loſe zu ſeyn. Ihre unertraͤglichſte Hoͤhe erreichte dieſe Manier in Des Vielſchreibers Happel Arbeiten, namentlich in ſei⸗ nem ackademifchen Romane, wie bereits oben bemerkt wurbe, | | Mächtigeren Einfiuß noch übten aber Die ſchon oben characteriſirten galanten Romane der Franzofen, nur daß diefe Gattung in Deutſchand Fine eigen⸗ thümliche Seitenrichtung erhielt und entweber theo⸗ tetiich oder prackifch in das Gebiet der Politik hinü- ber geiff, mie dieſe Damals eben getrieben wurbe. Eigenthümlich ift e8, daß die Rotabilitäten ber Lites tatur, wenn fie Romane fchrieben, nur dieſe Klaſſe wählten als Die vornehmere, und den Sittencomen, für den wir Doch gewiß am meiſten Talent haben, ob⸗

lich Liebesgefchichten beigemifcht find und fanden Bei» fall. Man traf wiederum das Rechte, Daß der Ro» man nämlich Das Leben mit allen feinen Erfcheinuns gen umfaflen Eönne und folle, aber man wandte «8 ſchlecht an und verbach es, von falfchem Geſchmacke - ansländifcher Vorbilder irre geleitet, durch Künitelei. Südlicher war eigentlich, Schon Philipp von Befen, dem trotz ‚allen feinen Verirrungen wahre Poeſie, sur unter wunberlicher Hülle, inwohnte, mit feiner abriatifchen. Rofamund, feinem Affenst und feinem Simfon *), Das Rechte aber, das heißt, mas man Damals wollte, brachte Andreas Heinrich Bucholz **), ein wäürdiger geiflicher Herr, in feinen beiden wohl⸗ beleibten Wundergeſchichten vom chriflichen teutfchen Großfürſten Herkules und der böhmifchen Königlichen Fräulein Valiska, fowie vom Herkuliskus und der Herkuladisla, welche beide mehrere Auflagen erleb⸗ ten ++), Im patriotifchen @ifer verfaßte der wa⸗

-- .#) Ritterholds von Blauen adriatiſche Roſamund. Hmfterdam 1664. Aſſenat, d. I. derfelben und des Heiligen Joſefs Stahts⸗ Lieb⸗ und Lebensgefihichte. Am⸗ ſterdam 1670. Simſon eine Helden und Biebeßges ſchichte. Nürnberg 1679.

**). Geboren 1607 zu Schöringen, geſtorben 1671 als Superintendent zu Braunſchweig.

**8) Des hriftlichen: teurfhen Großfürften Herkules und ber böhmiſchen Föniglihen Fräulein Waliska Wan⸗ bergefhichte in: 6 Büchern. Braunſchweig 1689. in 4. Ebendnf. 1676. 2 Zhle. ind. Ebend. 1744. ZU 8.

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den Galvander und Die Eramene, Harsdsrfer die Diana von Zoredann, Helwig den: Ormund von F. Pona, Befen die Sophonisbe und ben Ibrahim bes Scudery u. |. w.*). Die Bahn war alfo gebrochen und e8 bedurfte mehr der Aufmerkſamkeit Des enge; als des Muthes der Einzelnen, um fie Allen zugaͤng⸗ ih zu machen. Das Nütlichfeitsprincip, Das damals leider ungertrennlich von allen. ppetifchen Bes frebungen wer, trat auch bier hinzu. Man wollte nicht allein. unterhalten, fonbern hauptfücklich beich« sen. Dietrich von dem Werder und ber daͤniſche Obriſt Hagdorn verfuchten ſich zuerſt in ſelbſtſtändi⸗ gen hiſtoriſchen und politiſchen Romanen, ber Enſtene mit feiner Diana, der Zweite mit feinem Aeyquan oder der große Mogol**), dem jedoch ſchon ausdrück⸗

*%) S. Georgi J. e. |

28) Der Berfafler war nicht, wie Guben in einen chronologiſchen Tabellen zur Geſchichte der deutſchen Eprahe und Rational» Literatur. Leipzig 1881. IH. U. ©. 40 irrig angiebt, Arzt zu Goͤrlitz, fondern koͤnig⸗ lich daͤniſcher Gauallerie« Obrift und 1670 Geſandter in Spanien. Sein Aeyquan aber der große Mogol, de iſt Chineifche und Indiſche Stahts⸗ Kriegs» und Liebes gefhichte, erſchien 1670 zu Amſterdam mit Kupfern und wihnet fich, obwohl er gang nad franzöfifhen Muſtern gearbeitet .ift, duch Einfachheit und. Rotürlichfeit des Styls ſehr vortheilhaft and. Die hiſtoriſche Grundlaga verdankt H. vorzüglich Jeſuitenmiſſionnarien, deren gro⸗ bes Lobredner er iſt.

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einerGemuͤthserfriſchung, bei der andaͤchtige Seelen nicht geärgert werden,“ zugleich um „dem ſpaniſchen

jungen Herren waven aufangs :mehrentheils an Herkules Hofe, wofelbit-fie auferzogen und untervichtet wurden. Hingegen die Fräulein zu Prag: bey: Königin Sophien; wiewol gar zeitig früh fich eine. hohe Neigung zwiſchen ihnen fpüren ließ, Daß Herkaliskus gerne mit Frl: Even Marien, Herkuladisla aber. mit Frl. Sliſabeth umging. Da .diefe Fräulsin kaum 12 Bahr. alt waren, und Die Eltern der feſten Bedanfen faffeten, es würde aus Dies fee Einvlihen Liebe mit- den. Sahren eine inbrünftigere ntitehen, : daß Fe einander heyrathen folten, welches dann ihr einiger Wunſch war in diefer Welt, ba ließ Frl. Eva Maria fih ſtets vernehmen, wie große. Bes Hebüng fie trüge, ihe Leben in fleter Jungfrauſchaft -zus zabtingen; welches: ihre Tiebe Eltern nicht ſonderlich ‚bes

antworteten, ‘weil fie gedachten, es wärben bie Jahre

fe wohl andere Gedanfen eingeben.

Es trug fid) aber einsmahls zu, wie König. Herku⸗ les und Valiska, nebſt ben beyden jungen. Herten, Kö⸗ nig' Ladisla zu Prag beſuchten, da Fri. Eva Maria dus dreizehnte Jahr bey nahe geendiget hatte, daß Koͤnigin Sophia in der jungen Herren Gegenwart: zu :Königie Valisken Tagte: Hertzgeliebte Gr. Schweſter, ich muß eurer Liebe meiner Tochter Gedancken zu erkennen geben, welche fie fo feſt auf den Stand ber ſteten Iungfraus . ſchafft gebauet hat, daß ſich täglich vernehmen Iaffet, fie wolle nimmermehr ſich in den Eheſtand begeben, ſon⸗ been in dieſem ihrem jetzigen Stande, bis an ihres Le⸗

Hochtrab, Der italienifehen Ruhmretigkeit und bem franzöftfchen eingebildeten Vorzug zum Poſſen zu bew

bens Ende verharren. Königin Balisfa liebete biefes Fräulein hertzlich, und weil fie dasmahl ihr allernächft faß, umfing fie biejefhe mit einem innigen Kuſſe; hernach gab fie Königin Sophien diefe Antwort: Daß der Junge fern⸗Stand ein heiliger und Gottwolgefälliger Stand fey, daran hat ein Chrift nicht zu zweifeln, maflen bes Apoſtel Paulus in feinem erften Send» Brieffe an die Blänbigen zu Korinth es gnugſam fehen läſſet, wie weit er ben seinen Jungfern⸗Stand bem Ehelichen vorziehez nicht daß er den Eheſtand folte verwerffen, ‚oder vor unrein halten, weil ja auſſer allem Zweifel derfelbe mon unſerm Gott ſelbſt eingefeget it, und zwar als der Menſch noch ohne Sünde im Stande ber Vollkommen⸗ beit lebete, daher dann berfelbe Apoftel am andern Drthe beſihlet, daß die Ehe ehrlich gehalten werben fole bey allen; und wer koͤnnte ſolches leugnen, nad bem uns ja bewuſt ift, Daß Gott ſelliſt faget: es iR nicht gut, daß ber Menſch allein ſey, ih will. ihm eime Gehülffin machen, die um ibn ſey. Worauf es ben erſten Menfchen Adam in einen tieffen Schlaf fallen ließ, aus deſſen Zeibe er eine Riebe nehm, und bie Even bat» aus machete, welche er dem Adam zuführete, und fie mit einander ehelich trauete; daher iſts unmöglich, daß ein Menſch fündigen folte, wann er in einen von Gott dem Seren ſelbſt georbneten Staub tritt, da es nur ges bübrlicher Weiſe geſchieht. Ich geftehe aber gerne, daß der . Sungfern » Stand in zeiner Kruſchheit geführet, ein

meisen, daß die Teutſchen nicht lauter? wilde Säue und Bähren,“ ſondern auch manchen Ritter une ter ſich gehabt. Dies Alles geſchieht denn in

einem ſeht ſchwerfalligen Style mit großem Auf

wande pedantriſcher Gelehrſamkeit und noch größe⸗ rer chriſt⸗ paſtorlicher Salbung, um deretwillen allein die Lente mitunter in Lagen kommen, die denen ber Amadiſſe ziemlich aͤhnlich ſehen. Die Geſchichten find eben fo abentenerlich, wie in den unferem Autos fo.verhaßten Amadisromanen; Antikes: und Moder⸗ nes, Möglihes und Unmahrfchernliches, Lascives und Ehrbares wird. eben jo durch einander gemengt, mie dert... Die Helden thun :natärlih Wunder der Zapferkeit an allen. Orten, befreien Ichöne Frauen aus Räuberhänden, find noch keuſcher als Joſeph, liefern ungeheuere Schlachten, verkennen und werden

,z

heiliger und faſt ein Wunder⸗Stand ſey: Aber dieſe Gahe, ohn böſe ärgerliche Gedancken und Wegierde feine gantze Lebeus⸗Zeit biß and: graue Alter hinzubsingen, iſt wegen angebohrner Fleiſches⸗Schwachheit ſehr weni⸗ gen gegeben, daher auch unſer Heiland ſaget: Dieſes Wort faſſet nicht jedermann; und eben darum rüht man allezeit gerne zum Eheſtand, weil man?s nicht leicht bey ‚jungen erwachſenen Leuten vernruhten iſt, Daß fie Diefe Babe. haben folten. Da heiſſets demnach, es iſt beſſer, in ehelicher Zucht und Liebe mit feinem Ehegate ten leben, als im Iungfeauen« Stand .alfo verbleiben, daß Die fleifchlichen Aufechtungen einen Menſchen zeigen, und wol gar zu ſtummen Suünden Bewegen folten u. f. w.“

0 serfannt, und fchließen denn endlich damit, daß fie ihre Charmanten heirathen und Söhne zeugen, wel⸗ he gerade daſſelbe auf eine andere Manier thun, wie biee der Herr Herkules und ber Herr Herkuliskus. (8 geht eben ſo abentenerlich und eben fo langweilig, aber etwas plumper zu, wie in den franzöftfchen Vor⸗ bildern, nur daß im Ganzen mehr Gefundheit unb Nüchternheit herrſcht und Die Gefühle, wenn fie ih auch barock äußern, Feine Stelzen untergefchnallt ba» ben. Auch konnte man Dinge daraus lernen, über Die mancher Gelehrte fich ſchon den Kopf zerbrochen und dad war bei der damaligen Sucht nach allgemeinem Bifien nichts Geringes; daher denn zum großen Theile der allgemeine Beifall, ben dieſe Romane fan⸗ den und ber fogar einen regierenden Fürſten, dem Herzog Anton Ulrih von Braunſchweig, verorlaßte, in diefelben Fußtapfen zu treten, und daB eigentliche Weſen Diefer Romane zu beſtimmteſter hiſeriſcher und politifcher Richtung auszubilden. Gr rat zuerft auf mis Der: Syrerin Aramena, welcher die Gefchichte Der Patriarchen Iſraels zu Grunde Ing, datın.aber mit der Römerin Octavia, deren Jahalt ſich zwar auf Die römiſche Geſchichte vor Claudins bis zu Vespaſian baſirt, aber in einer Menge von Epiſoden unser falſchen Ramen wichtige politiſche und andere an deutſchen Höfen vorgefallene und dem Herzoge wohlbelannte : Ereigniſſe mit⸗ theilt. Dadurch bot dieſer Roman Reizmittel für jeden literäriſchen Gaumen dar und machte dieſe Gat⸗ tung ſo allgemein beliebt, daß ſie ſehr viele Nachah⸗

mer fand und Leite, die. bei Weiten nicht fo gut Befcheid wußten mit ſolchen Dingen, wie der regies gende Herr, fich derjelben eifrig bemächtigten. Aus ton Ulrich's Romanen fehlt es, wie denen feines Vorgängers, ebenfalls an Wahrheit, Wahrfcheinlich- keit, Natürlichkeit und richtiger Characterzeichnung und die Idee, die ihn leitete, Gefchichte duch Ro» man zu lehren und Vergangenheit ‚und Gegenwart zu bidactifchem Zwecke zu verfchmelzen, iſt ganz ver⸗ fehlt, aber es blicken zwei Gigenfchaften heraus, bie ihnen zu jeder Zeit einen eigenthümlichen Werth ver⸗

leigen und gu jener ganz befonders: eine honnette fürftliche Gefinnung und eine wirklich feine Erzie⸗ bung; auch ift fein Styl etwas befier, als Der Des Ehren» Buchholz, obwohl ebenfalls fehr weitjchwei- fig. *)-

Die verſteckte Behandlung zeitgenöfftfcher Zu⸗ fände und Ereigniſſe verband diefe Romane mit ihren franzöftfchen Vorbildern, denen fie in ber. mobernen Auffaſſung antiker Verhältnifie auch bald folgten.

*) Die durchlauchtige Syrerin Aramena. Nürnberg 4668. in 8. Fünf Theile Detavia, Römiſche Ge⸗ fchichte. Nurnberg 1685 1707. 6 Thle. in 8. mit Kupf. Neue Ausgobe und: d. T. die römiſche Octavia. Braunſchweig 1712. 7 Thle, zuſammen 6822 eng⸗ gedruckte Seiten!! Anton Ulrich ward 1633 zu Hitz⸗ acker geboren, 1704 regierender Herzog von Braun⸗ ſchweig, trat 1710 zur Fatholifchen Religion über und ſturb 1714. Ä

Roch weiter, obwohl in vielfacher Hinficht weit poe⸗ tifcher als der Herzog von Braunfhweig, ging ber damals berühmte Daniel Caspar von Xohenftein, deſ⸗ fen Arminius und Shusnelde ein Monftrum von Bes leibtheit it, aber für Kunftfreunde noch immer blei- benden Werth hat, wegen trefflicher, dafjelbe ſchmü⸗ dender Kupferftiche von Sandrart’8 Hand *). Damit der geneigte Xefer für Das oben gefagte Stoff zur Bergleihung Habe, möge bier ber Inhalt fol« gen**),, zugleich auch, um mit Diefem Die ganze Fa⸗ milie zu befchließen, bei ber fehr wenig Freude zu holen ift und welche nur noch Literärhiftoriker, bie wirklich aus den Quellen fchöpfen, und politifche Schnüffler reizen kann. Arminius, aus einem edeln Gefchlechte entfproflen, giebt in der früheften Jugend Proben von außernrdentlichen Talenten. Als Jüngling geräth er in römifhe Gefangenfhaft. Bu Rom erhält er eine gute Erziehung und macht fich duch, feinen Muth und angenehmen Umgang felbft bei Auguſt und Mäcen beliebt, Da er bei einer

*) Leipzig 1689. 2 Be, in 4%. N. A. Ebenda⸗ feld 1731; 2 Bde. in 4%. Bufammen 3272 Seiten in Quarto, eng gebrudt mit doppelten Columnen. Die zweite Ausgabe beforgte der Juriſt Gebauer. Ein Auszug erſchien 1723 zu Stargard unter dem Xitel: Arminius enucleatus.

*@) Ich entlehne ihn dem fleißigen Jörbens, ber ihn in feinem Lexicon beutfcher Dichter und Proſaiſten. 3%. IL ©, 447 mittheilt.

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Seereife Auguft das Leben rettet, fo giebt Ihm die⸗ fer zur Belohnung eine Stelle unter feiner Leibwache. Mit dem römifchen Heere macht er einen glüdlichen Feldzug gegen Die Parther. Sein Glück und Ruhm erweren ihm. zu Kom viele Feinde und Nachſtellun⸗ gen; befonbers verfolgt ihn Ziber und macht einige Verſuche, ihn Durch Gift aus dem Wege zu räumen, Doc) entrinnt er glüdlich allen Gefahren. In Rom lernt Hermann Schusnelde, eine Tochter Segeft’s, fennen, die mit ihrem Water gleichfalls in römifche Gefangenfchaft gerathen war. Hermann verliebt fich auf den erften Anbli in fie, aber er kaͤmpft lange mit fich ſelbſt, ehe ex ihr feine Liebe entdeckt. So gut feine Erklärung von Thusnelden aufgenommen wird, fo ſchwer wird es ihm, ihren Water zu gewins nen. ° Endlich, nachdem fih Hermann bei vielerlei Gelegenheit um Segeſt fehr verdient. zu machen ge⸗ wußt, giebt diefer feine Einwilligung zu der Heirath, die aber in der Gefangenfchaft nicht vollzogen wers den kann. Huf erhaltene Nachricht von feines Va⸗ ters Tode geht Hermann heimlich nad Deutſchland zurück und tritt Die Regierung feines ererbten Rei⸗ bes an, die er fo weife führt, Daß er zum allgemei⸗ nen SHeerführer der Dentfchen erwählt wird. Die | Gewaltthätigkeiten der Römer in Deutfchland reizen den Unwillen der Deutfhen. Unter Anderem will Parus der Walpurgis, der Tochter eines Fürſten der Sicamdrer, Gewalt anthun. Der Krieg zwifchen den Deutfchen und Römern bricht ans und Hermann befiegt das Heer des Varus gänzlich. Mor Diefer

1:

Schlacht war Segeft, theils wegen feines angebore« nen Wankelmuthes, theils auf Bureben feiner Gat⸗ tin, zu den Römern übergegangen. In der Schlacht Fampft Thusnelde mit ihm, ohne zu willen, Daß «8 ihre Vater iſt. Segeſt wird verwundet, gefangen und auf’8 Neue genöthigt, feine Ginwilligung zur Verlo⸗ bung Hermann’8 und Ihusnelden’s zu geben. Allein voll Haß gegen Hermann, begiebt ſich Segeft heim⸗ lich zum Könige Marobopeus und verfpricht dieſem Zhusnelden’3 Hand, Marobodeus entführt Thus⸗ nelde mit Gewalt und da fie feines Liebe durchaus fein Gehör geben will, fpeert er fie in einen Kerker ein. Endlich wagt es Thusnelde dem Kerker zu ent« zinnen und in einen vorbeifließenden Strom zu fprin« gen, aus welchem fie der burch ein Ungefähr dazu kommende Hermann rettet. Hermann und Thusnelde vermählen fich und führen bie glüdlichite Ehe, in der fie einen Sohn, Zumelifuß, erzeugen. Mit Rom wird zwar Friede geſchloſſen, aber die Römer unters Inffen dennoch nieht, Hermann Durch allerlei Intri⸗ guen zu kränken. Gin deutfcher Fürſt, Adgnadeſter, theils im geheimen Verftändniffe mit dem Kaifer Ti⸗ ber, theils aufgebracht, weil. Sgmene, eine Schwe⸗ fer Hermann's, feine Liebe verfehmähte, hetzt Her. mann’8 Bruder, Flavius, gegen ihn auf. Diefer ſchiebt ein falfches Teſtament unter und verlangt vermöge deſſelben einen großen Theil von Hermann’s Erbreiche. Die Romer unterffügen feine Anſprüche, worüber ein Krieg ausbricht, der mit abwechfelnbem Glüde geführt wird, in welchem bie Deutichen oft 14 *

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flegen, nie ganz beflegt werben. Thusnelde wird

von Sigismund gefangen und nad) Rom geſchickt. Mehrere deutfche Völkerſtämme erwählen ben Her⸗ mann zu ihrem Anführer. Dies erregt den Neid Anderer und bringt Hermann in den Verdacht, als ob er nach der Oberherrfchaft über ganz Deutichlend ſtrebe. Endlich bricht ein bürgerlicher Krieg aus, deffen Anftifter Inguiomar war. Nach mander- lei biutigen Auftritten wird Hermann von Inguio⸗ mar gefangen genommen. Die meiften deutſchen Für- fen ftimmen für Hermann’s Tod, Inguiomar aber befchließt, ihn insgeheim gefangen zu behalten, und täufcht Die übrigen Fürften Dadurch, daß er einen ans

deren Kopf auf einer Lanze, als wäre es Hermann's

Kopf, umher tragen läßt. Thusnelde ift aus Rom entfloben und Fommt gerade an, als die falfche Nach⸗ richt von Hermann’s Enthauptung erfehallt. Sie ftellt Anguiomar zur Rede und geräth mit ihm in einen harten Kampf, in welchem fie ihn getödtet haben

würde, wenn nicht Hermann, feinen Feſſeln entflo-

ben, Dazu gekommen und fie bewegt hätte, Inguio⸗ mar das Lehen zu ſchenken. Diefer, Durch folche Großmuth gerührt, Hilft den Hermann wieder in fein Reich einſetzen, das er nun glüdlich und ruhig regiert.

Dieſer Roman. ward feiner Beit von den dent⸗ ſchen Kritikern als ein Muſter des Höchſten, das in dieſer Gattung zu erreichen iſt, betrachtet; der Ver⸗ faſſer hatte, fo rühmte man allgemein, nicht allein feine großen poetiſchen Talente, feinen echten Patrio⸗

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tismus, feine reine Frömmigkeit, feine wahrhaft adelige Geſinnung in bemfelben beurfundet, fondern auch jeine außgebreitete Gelehrfamfeit darin niederge⸗ legt und Diefe Gelehrfamfeit war e8 eben, welche dem Bude den größten Werth in den Augen feiner Beite genoffen gab. Was nur immer zu intereffiren ver⸗ mochte, Geſchichte, Staatswiflenfhaft, Alterthums⸗ kunde, Naturwiſſenſchaft, Philoſophie, Alles mußte feinen Theil beitragen, um bie einzelnen Materien auf Das Gründlichite zu behandeln, und Iemand, der dieſes Buch ſich ganz zu eigen machte, erhob fich da⸗ durch auf Die oberfte Stufe damaliger wiſſenſchaftlich⸗ forinler Bildung, denn das Anſehen deffelben war fo groß, Daß es zu Beiten gar als Autorität galt *). Alles was in jenen geiftesarmen Tagen einem Buche Relief geben Eonnte, befaß der Werfafler aber auch; er war Edelmann, Faiferlicher Math, erfter Syndi⸗ cus der Stadt Breslau, ein anerkannter Gelehrter, durch feine Gemahlin Befiger dreier Rittergüter und berühmter Poet**). Das reicht ja heutigen Tages

*) Bol. u. A. Benjamin Neukirch's Vorrede von ber deutſchen Poeſie zu der von ihm beforgten Sammlung: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutfchen aus« eriefener bisher ungedruckter Gedichte (Leipzig 1694). Th. I. Sign. b. 4 fgde. 1710 erfhien fogar eine Ehreftomathie von Denkſprüchen aus dem Arminius u. db. &. Loohensteinius sententiosus. Breslau. 1Bd. in 8.

**) Er ward am 25. Januar 1635 zu Nimptſch ge« boren und ftarb am 28. April 1683 zu Breslau.

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ſchon hin, um ein Buch en vogue zu bringen, ge⸗ ſchweige denn zu Ende bes fiebenzehnten Jahrhun⸗ berts, wo ein Privatgelehrter noch etwas Anerhoͤr⸗ te8 war und alles Urtheil auch in Diefen Dingen don gelehrten Beamten ober beamteten Gelehrten au ging und die Hoffähigkeit ihm den Stempel auf⸗ bräa@te. Iſt's denn jetzt trotz den vielen Vagabun⸗ Den in ber beutfchen Literatur beſſer? Selbſt die Po litik Half mit, als Mafchinenmeifter die Fünftlichen Figuren dieſes Montanes in Bewegung zu fegen und nußer dem Reize leicht anzueignender Gelchrfamteit Tag num auch noch der Weiz zu Töfender Mäthfel darin. Betrachtet man das Merk mit unferen Augen, ſo Bann man allerdings nicht umhin, den Kopf darüber zu ſchütteln, wie ſehr unfere Vorfahren ftch von aller Natürlichkeit fo bald entfernt, nachdem erft kurz vor⸗ Her ein ungehenerer Krieg gerade das Urſprüngliche f6 gewaltfam erſchütternd wieder hervorgedrängt; denn Lohenſtein's Arminius muß nicht aHein als Cul⸗ minationspunkt aller poetifchen Beftrebungen, fondern auch als Spike des Ausdrucks damaliger freieher, ſocialer Bildung angefehen werden. Auf der ande ren Seite darf man aber nicht ungerecht feyn and muß die SPerfönlichkeit des Verfaſſers anerkennen; die ehrenwerthefte Gefinnung Hat ihn zu -dem ehren. wertheften Streben begeiftert; das Wohl des Bater- landes im Auge habend, bemühte er fi, das Fe fultat eines arbeitsvollen, bewegten, geiftig reichen Lebens in diefem Romane nicht allein nieberzulegen, ſondern e8 auch Allen zugänglich und nad allen Sei⸗

215 ten bin nüglich. zu machen. Des ift wahrlich nichts Geringe, und wenn man pbendrein bedenkt, Daß Lohenftein trotz den heftigften Schmerzen mit uners ſchũtterlicher Freudigkeit ununterbrochen bis zu ſei⸗ nem Tode daran fortarbeitete, ſo wird man, bei recht⸗ ſchaffener Geſinnung, das Andenken des wackeren deutſchen Mannes ehrfurchtsvoll ſegnen. Daß er ſich in Allem vergriff, ia der Wahl der Mittel, wie in ihrer Anwendung, daß es ihm an Geiſt fehlte, die Geiſtloſigkeit ſeiner Zeit zu beherrſchen und er viel⸗ mehr der gebildetſte Ausdruck derſelben war, das iſt lebhaft zu bedauern, aber keinesweges feine Schuld. Um feine Zeit zu lenken, muß man fie erkennen, und das thaten Damals die Wenigften und am Wenigften in Deatſchland; Fe gingen eben mit ihr fort. Bon diefem Geſichtspunkte aus wird man auch bie vielen Zrivielitäten iu Arminius milder beurtheilen, ob⸗ wohl derfelbe als Kunſtwerk allerdings dem härteſten Urtheil unterliegt, da ex eher Alles ſonſt ik, als Diefes. In ſolcher Hinfiht hat Breitinger vollkommen Recht, wenn er denſelben mit einer koſtbaren Mahlzeit ver⸗ gleicht, zu der alle Reiche der Natur ihren Beitrag liefern mußten, welche aber fo ſchlecht angeordnet, fo wie Die einzelnen Gerichte jo ſchlecht bereitet wur⸗ den, Daß die Säfte hungrig wieder aufftchen müflen *). Noch treffender deückt er ich Darüber am giner ande-

*) S. Brettinger's Kritiſche Abhandlung won der Natur, den Anſichten und dem Gebrauche der @leid- niſſe. Zirich 1740. ©. 163 fgde.

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ren Stelle ans; aber die Vorwürfe, Die er hier Lo⸗ henftein thut, treffen nicht Diefen allein, fondern alle verwandten Leiftungen, nicht bloß, wie wir gefehen haben, in Deutſchland, fondern aud in Frankreich und England *). Es war der epidemifche Nococo⸗ geſchmack, der fi damals aller Bebildeten bemaͤch⸗ tigt hatte, und, ein entfihiedener Feind alles Wah⸗ ren und Natürlichen, auch Die einfachiten und fertig- ften natürlichen Dinge auf feine Weife ummodelte. Wie e8 einzelne Menfchen giebt, die Allem, was zu ihnen gehört, oft unbewußt den Stempel der Ge- ſchmackloſigkeit aufdrüden, felbit den modernſten Put Durch einen Kniff, einen Drud, eine alte plöß- lich unmodern geftalten und als ihnen eigenthümlich erfcheinen laſſen, fo giebt e8 auch Perioden, in wel⸗ hen nicht bloß Individuen, einzelne Geſellſchaften ober Städte, fondern ganze Völker an folchem Uebel leiden. Die Natur bricht fich ‚dann unerwartet und plöglich gewaltfem Bahn und es entftichen Revolu⸗ tionen. Sp war e8 auch Damals. Ludwig XIV., Der vor feinem Hofe Ballet tanzte, gehört eben fo gut, wie die Landfarte zum pays du Tendre und Die Ab» fonderlichfeiten in Lohenſtein's Meminius zu den Bei- hen der Beit. Ein verberbter Geſchmack ſteckt an, wie Die Grippe, und wie Diefe nicht bloß in unge wöhnlichen Wettererfcheinungen, ift auch er tiefer zu fuhen. Jene Gefchmarlofigkeit war wirklich eine Grippe, nur wichen ihre äußeren Formen bei ben

*) Ebendaf. 8. 221 f.

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verfchiedenen Völkern von einander ab, ber Grund⸗ &hararter blieb aber derfelfe. Während bei ben Franzoſen Alles zugefpigt wurde, ging es bei ben Deutſchen in die gelehrte Breite. Wie es fi nicht minder wunderlich, obwohl Beinesweges fo durchdrin⸗ gend bei den Engländern, Die damals gewaltiger bes wegt wurden, geftaltete, darauf werben wir nad zurückkommen. Daß in Deutſchland Das Natürliche und das rechte Gefühl für daſſelbe noch nicht ganz vernichtet war, beweiſt felbit Xohenftein, dem Doch, man mag fagen, was man will, ein großes poeti⸗ ſches Talent in die Wiege gelegt worden. Er hat Momente, wo er vollflommen das Rechte trifft, in Styl wie Inhalt, darauf hat ſchon der gerechtefte aller Denker, Mofes Mendelsſohn, aufmerkfan ge macht*), und es ift Pflicht, es bier zu wiederholen. Das Unglü Dagegen war, Daß man in jener Beit ſtets repräfentiren wollte, daß das in Deutfchland am Ungeſchickteſten gefhah, und daß es endlich alles geiſtige wahre Leben ruiniren mußte, denn e8 fiber» zog oft den tüchtigſten Kern mit ber verſchiedenar⸗ tigften Hülle, wenn dieſe nur glänzte und gleißte*?).

*) Briefe, die neuefte Literatur betreffend. Ver⸗ lin 1761 —67. 3b. 21. Br. 313. S. 139 fgbe.

4) Mol, über Arminius und Thusnelda, F. Horn, Poeſie und Beredſamkeit der Deutfhen. Berlin 1823. 3.11 ©. 64 fobe. Bouterweck 1.c. Th. X. &.306. Gerpinus, Geſchichte der poetifhen National + Literatur der Deutſchen. Leipzig 1838. Bd. UL S. 400 fgde:

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Daher find denn auch alle Diefe politifchen und hiſtoriſchen beutfchen Xiebesgefchichten, und es giebt deren Legion, einander ziemlich ähnlich, obwohl fie im äußeren Werthe felbft Dem. Arminius nachſtehen. Schlechte Chararterzeihnung, Unwahrſcheinlichkeit ber Gefindung, geſpreizte Darſtellung, ein buntfchediger auf Stelzen gehender Styl, Luſt am Fremdartigen, Angeheuerlichen, und breite, bei den Haaren herbei⸗ gefchleppte Gelehrſamkeit, das find die Ingrebienzien, aus denen damals ein Roman, oder wie der Autor lieber ſich ausdrückte, eine Staats⸗ Helden» und Lie beẽgeſchichte zuſammengeknetet wurde, um fo mehr, als ſich nun Lohnſchriftſteller (die erfien in Deutſch⸗ Jand überhaupt) dieſer Gattung bemächtigten und fie nach allen Seiten bin awsbenteten, wie es Happel, Bohſe, Huneld, Roſt u. A. taten. Da gub es außer den ſchon erwähnten eine durchlauchtigſte Al⸗ reſtis aus Perfien *), einer, Ariadne, koͤniglicher Prin⸗ zefin vos Toledo Staats⸗ und Liebesgeſchichte **), einen aſtatiſchen Onogambo, darin der jet regie- vende große fineftfche Kaifer Tunchius als ein um⸗ ſchweifender Ritter vorgeftellt, deſſen und anderer Aſiatiſchen Liebesgefchichte, Königreihe und Länder beſchrieben werden ***), Des ifrnelitifchen Prinzen Ab»

) Bon Auguſt Bohfe (Talander). Leipzig 1689. N. %. 1715. in 8.

mr) Bon demſelben. LXeipgig 1705. m 8: . :: #6) Von Kappel (dem ſruchtbarſten Romamhriftiel: ler jener Tage). Hamburg 1673.

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falon und feiner Prinzeſſin Schweſter Thamot Staats⸗, Lebens⸗ und Heldengeſchichte *), Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen von Rilienbau Liebes⸗ und Hels dengeſchichte, der galanten Welt vorgetellet sc. zc.**), bis endlich Die Sippfehaft der Baniſen, welche Here Heinrich) Anfelm von Biegler und Klipphaufen mit feiner aflatifhen Baniſe oder dem blutigen doch mus thigen Pegu einführte und bie biB in Die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts hinüber vagte, die lange Reihe dieſer Geſchmackloſigkeiten ſchloß «"*). Die Po⸗ litik, die den meiſten zu Grunde lag, war eigent⸗ lich Nichts als eine ſchlecht verkappte Darſtellung von Hofintriguen, bei welcher neben der leicht zu erkennenden Wirklichkeit haͤuſig auch die Eſelsohren des Verfaſſers mit herausguckten. Viele dieſer Ro⸗ mane waren Futter für den ſüßen Pöbel, ber doch ger zu gern ſich um das befümmerte, was an ben Höfen vorfiel, und bie Unverfchämtheit Der Schrift« fteller ging fo weit, daß fie da, wo Die Gefchichte fie im Stiche ließ, gleich in das Fabelhafte bis zum Ungeheueren binüberfpraigen. So, um nur Eins anzuführen von Bielem, erzählt Hunold in feiner

*) Bon Pallidor (Georg Chriſtian Lehms). Miürks berg 1710.

25) Bon F. I. Linde. Köln 1721, in 8.

*##) Mol, über’ die aflatifhe Banife F. Horn J. e. 3.0. S. 91 fide. Sie hatte von 1721, wo fie zus erit erſchien, bis 1764 fünf Auflagen. Der erite Theil ift nur von v. Biegler, der zweite von I. ©. Hamam.

Liebes⸗ und Heldengefchichte*) europäiſcher Höfe, unter Fünftlich. erfunnenem Namen und Gewande, bie Geſchichte des Grafen Königemark am hannoverfchen Hofe ziemlich treu, bis’ zu dem plößlichen Verſchwin⸗ den defielben, von wo an dieſe Ereigniſſe Jeder⸗ mann ein Räthfel blieben, und führt ihn dann, wie - einen verzauberten Prinzen, in ein fabelhaftes Reich, wo denn bie ganze Geſchichte amabisartig ausläuft. Noch ärger freilich in niedrigerer Sphäre und früher ſchon trieb er es in feinem fatyrifchen Romane**), welcher hamburgifche wahre Liebesgefchichten enthielt, ihm aber den Hals brach, denn Die groben Ham⸗ burger verftanden in ſolchen Dingen keinen Spaß, and hatten es auf derbe Prügel abgejehen, fo Daß er fih nur noch eben mit genauer Roth vor ihren unpoetifchen Fäuſten vetten Fonnte. Es ift eine betrübte Erſcheinung, Daß Die deutſche Poeſie jener Periode in diefer Gattung, mit Ausnahme des doch nicht ganz reinen Simpliciffimus auch nicht ein ge= fundes Buch aufzuweifen bat. Gin wunderlicher

Außerdem giebt e8 noch eine beutfhe, eine englifche und

eine ägyptifhe Banife. Die afiatifhe wurbe von dem bekannten Baron Grimm dramatifirt. Ä

*) Menantes (Hunold’3 Schriftftellername), der Eu⸗ ropäifhen Höfe Liebes. und Heldengefhihte. Ham⸗ burg 1724. N. %. 1734; 3 Thle. in 8.

**) Satyrifher Roman von Menantes. Hamburg 1706. N. A. Stade 1718. 2 Thle. Hamburg 1719. in 8. \

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krankhafter Weiz liegt in allen Dichterifchen Produc⸗ tionen jener age, und offenbart fi, wenn auch nur ſchwach, felbft bei bem nüchternen Opis, dem warmfühlenden Flemming und dem talentreichen aber roh liederlichem Günther.

Ich Habe oben flüchtig bemerkt, daß die Eng⸗ länder ebenfalls von dieſer Geſchmacksrichtung anges ſteckt, theils fie mit ihrem glüdlichen Naturell bald überwanben, theils überhaupt bei zu großem Inter effe für Die Bühne Anfangs ihre überhaupt nicht fo huldigten ; wie Das anderswo der Fall war, theils aber auch von politifchen Ereigniffen bewegt und da⸗ durch für Die fpäter eintretende Befchäftigung in der Ruhe zu entfchieben auf das Rechte und Wahre hin⸗ gewiefen wurden. Eine fo gezierte Unnatur, wie fie in Frankreich fich während der Minderjährigkeit und der erften Regierungsjahre Ludwigs XIV. vor⸗ züglich breit machte, that fich indeſſen ſchon früher bei ihnen hervor und herrſchte, wenn auch nur Furze Beit und in einem befchränkten Kreife. Die Ritter⸗ und noch mehr die Amadisromane Hatten ebenfalls in England Freunde gefunden und waren bin unb wieder nachgeahmt und gern gelefen worden*). Sie

*) 8. 3. Emanuel Ford, the famous, delectable and pleasaunt Hystorie of the renowned Parismus, Prince of Bohemia. London 1598. Diefee Roman erlebte binnen kurzer Beit dreizehn Auflagen. Zerner Ornatus and Artesia von demfelben Verfaſſer; Phean-

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wurden iebec bald durch die e italieniſchen Novellieri und ihre Nachahmer, welche ſich ſehr günſtiger Auf⸗ nahme erfreuten, verdrängt, doch wirkte ihre Art und Weiſe noch fort und geſtaltete nun, ſich dem Streben nach Verfeinerung des Ausdruckes, dem man am Hofe der Eliſabeth zu huldigen begann, anſchmie⸗ gend, eine neue Gattung erzählender Darſtellung. Als Schöpfer derſelben iſt John Lillie oder Lylie zu nennen*), deſſen Werk Euphues or the Anatomy of Wit in den höheren Kreifen außerordentliches Auf- ſehen erregte und fich ähnlichen Beifalls und ähnli⸗ her Wirkung, wie die Romane der Scubery faft ein Jahrhundert fpäter in Frankreich, erfreute. Es erſchien 1580 in zwei Theilen, von denen der erſte den oben angeführten Titel führt und der zweite Euphues and his England betitelt iſt. Euphues, ber

der or the Maiden. Knight von Henry Roberts. London 1595 u. f. w. |

*) Sohn Lily warb 1553 in der Grafihaft Kent geboren, ftndirte in Cambridge und begab fih Dann nach Rondon, wo er Glück bei Hofe machte und von ber Kövigin begünftigt wurde, Doch erreichte. er feine Ab⸗ fiht, dort Master of the Revels zu werden, nicht und zog ſich nach jahrelangem Harren, getäufht, zurüd. Gr farb wahrſcheinlich bald nah 1597. Mol. Biögraphia Britamnica. Art. Lilly. Dunlop. I. e. III, 426. Yu fer dem Euphues hinterließ er noch neun Dramen, wels de nicht weniger gchert und prunkend ſind, als ſein Roman.

Held des Romans, ein außgezeichneter junger Athe⸗ nienſer, kommt an den Hof von Reapel, befreundet fih bier mit einem Edelmanne, Philantus, und wirb von diefem gu feiner Geliebten, Zucilla, zum Abend⸗ eſſen geführt, wo er aber eine fehr kalte Aufnahme findet. Trotz Dem verliebt er fih aber heftig in dieſe Dame und ftellt nad; dem Abendeſſen bie Frage auf, ob Liebe mehr Dusch Volllommenheit der Seele oder Schönheit der Geftalt erregt werde. Seine bei bies fer Gelegenheit entwidelte Beredſamkeit erwirbt ihm fo fehr Lucillen's Neigung, daß fie um feinetwillen ihren früheren Gelichten verläßt. Es folgt jetzt nur geringe Handlung, aber viel Gefpräh, in welchem Euphues feiner Herrin zu beweifen fucht, daß Treue und Beftändigkeit in der Liebe möglich fei, indem er fie erinnert, Daß, obwohl der Roſt den härteften Stahl verzehrt, er doc dem Smaragde Nichts an⸗ haben Fönne, und obwohl der Polyp feine Farbe ändert, doch der Salamander bie jeinige bewahrt. Trotz dem behandelt fie ihn aber wie den Philautus und die Beiden verföhnen ſich Deshalb wieder und ſuchen ſich zu tröften, weshalb Euphues auch einen Abkühlungsbrief an Philautus und alle zärtlichen Liebhaber fchreibt*). Er kehrt denn nach Athen zurück und fendet von hier aus mehrere Epifteln und ein Educationsfyftem, betitelt Euphues and his Ephoe- bus, an feinen Freund. Im zweiten Theile reift er mit Diefem nach England, läßt fi unterweges

*) A cooling. eard to Philautus and all fond Lovers:

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yon einem Einſtiedler deſſen intereſſante Geſchichte erzählen und kommt dann in London an, wo fi Philautus in eine Camilla verliebt und einen Mas gier um Rath fragt, wie er die Neigung derſelben gewinnen könne. Diefer weiß fehr gut mit Liebes⸗ tränfen Befcheid, giebt ihm aber Seinen und Phi⸗ lautus fucht nun, wiewohl vergeblich, das ſtolze Herz durch Briefe zu erobern. Briefe rufen Euphues nad Athen zurück und er fendet von dort den neapolitani⸗ {chen Damen feinen ‚Spiegel für Europa,‘ eine über- aus fchmeichelhafte Schilderung der Königin Elifabeth, ihres Hofes und Der engliichen Frauen. Philautus fchreibt ihm nun, daß er ſich mit Flavia, feiner drit⸗ ten Geliebten, vermählt Habe und Euphues zieht fi Darauf in die Einſamkeit nad) dem Berge Selerfehre zurüd.

Es if merkwärdig, Daß das Buch an denfelben Fehlern leidet, welche fpäter in den frangöftfchen Romanen der Scudery und in den deutſchen Staats⸗ und Liebesgefchichten ſo unlerdlich hervortreten. Diefe find ein beitändiges Hafchen nach) Gegenfägen, nicht bloß in Worten, fondern auch in den Ideen, eine abfurde Affertation von Gelehrſamkeit und ein uner⸗ trägliches Häufen von Gleichniffen neben ſchwacher Erfindung und fehlechter Characterzeihnung. Mean fieht, zu welchen Verirrungen die Poeſte gelangt, wenn fie fih von Der Wahrheit der Natur und des Gefühls entfernt und die ungeheuere Lücke, die Das durch entitehen muß, allein durch Spiele des Geiftes und Verſtandes auszufüllen fi abmüht. Lillie's

affectirte WMeiſe, welche fich gleichfoͤrmig durch bus ganze Buch erhält und Gonretti auf Concetti häuft, fand aber ſolchen Beifall, daß biefelbe ausdrücklich Euphnismus genannt wurde, alle Damen am Hofe diefe Phrafen auswendig. lernten und wer nicht fo ſprach, für eben. fo ungebilvet gehalten wurde, wie Jemand, dem das Franzöflfche fremd war *). Drotz dem, Daß Shakſpeare und Ben Ionfon fich darüber

*) Hier ein Pröbchen feines Styls und in bemfelben zugleich "ein Beweis, welch’ ein fhlauer Schmeidler Mei⸗ fter Lylie zu. ſeyn verftand. Er fagt nämlich von der Kö⸗ nigin Elifabeth, Die. bekanntlich nichts weniger als (ham war, aber fi fehr gern um ihrer Schönheit willen ges priejen fa: Touching the beauty of this prince, her cowntenance, her majesty, her, personage, I cannot think that. it may be’ suflicientiy coniniended, when it cannot too much be marvailed at; so that Jam coustrained to-say, as Praxiteles did when he hbe- gan io paint Venus and her son, who dowbted whetlier Ihe world could aflord coloms good enough for two such fair faces, and I whether nıy tongue æun yield words, to.biaze that beauty, the perfection. whereof none can imagine; which seeing it so, I must .do like those 'that want a deer sight, who being nöt able to discern the sun in the sky, are Änforeed to beholl it in the water. Bgl. ferner Dinlop. 1. c. 431;, Hallam, Istredectioa to tlıe. Literature of Larepe vu 1, 12.

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luſtig mochten *), leider nicht mit Dem Erfolge, wie ſpäter Moliere Die Precieuses Ridicules verſpottete, hielt fi der Euphuismus doch eine Zeitlang in. der Mode und. fand auch unter den Schriftkellern meh⸗ :zere Nachahmer, ‚under denen Thomas Lodge und Robert Greene als die vorzügkichften zu nennen, und was die Erfindung der Zabel betrifft, weit über ihr Vorbild zu Kellen find**). . Zange blieb jedoch ber Geſchmack daran nicht vorherrfchend; die Engländer hatten während der nachfolgenden bürgerlichen Un⸗ ‚sahen wichtigere Dinge zu beforgen, als nad) fol» dem Wie zu haſchen, und felbft nad ber Reſtau⸗ ration wandte man fi anderen Dingen zu und die

‚MWerfuche, Durch Nachahmung der unterdeß erfchiene

*) Der Erſtere in Loves labur's lost, wo naments lich Den Armadio fib als vollfommener Euphuift zeigt; der zweite in mehreren Stüden jo u. X. in Every Man out of kis Humour, Act. V. Sc. 10.

**) Lodge's Buch heißt Rosalynd or Euphues Gol-

den Legaeye und erſchien zu London 1590 in A, Shakſpeare entlich dieſer Erzählung fait den ganzen ‚lan zu feinem As you like it. Greene's Arbeit in dieſem Geſchmacke erfchien 1588 gu London, (wenigſtens iſt Die. ältefte befannte Ausgabe von diefem Jahre) un ter dem Titel: The Pleasant- History of Dorastus and Fawnia by R. Greene. Ihm verdankt Shalfpeare den Plan: zu feinem Winters Tale. S. die Anmerkungen »on Steevens, Johnson, Malone und Farmer zu beiden Stüden. |

mn franzöſiſchen Helhenroomne Diefen Ungeſchmack von Wewem zu beleben, ſcheiderte ebenfalls. Soliit ber. glũcklichſte Verſnch dießſer Ark, Die Nartzheniſſa von Roger Boyle, Grafen von Orrery *),; fand nur vorübergehenden Beifall, eben fan wie bie gleich. ‚der Kirace mit: modiſchem Skandel angefüllte Atalantis . der Miſtreß Marley **) zwar ein: ungeheneres Auf⸗ fehen. machte, aber fchr bald in verdiente Vergeſſen⸗ heit fiel.

Die Uebertreibung, das ffeotirte und Manie⸗ tiete Diefer ganzen Gattung, melde zu. Ende bes fiebenzehnten Jahrhunderts überall die höchſte Spitze der. Unnatur erreicht Hatte, mußte bie Mothwenbig- keit eines eutſchiedenen Gegenſatzes bringenb fühlbar machen, und es bedurfte nur eines Anſtoßes, um eine ganz neue Bahn, welche in Allem von ber bis- ber eingefchlagenen abwich, zu eröffnen. . Diefer An⸗ ſtoß ging von England and, wo wegen des geſun⸗ den Sinnes der Nation und ihrer ſcharf ansgefpro-

*) London 1664. S. Dunlep. 1. c. II., 448. .

**). Memoirs of the New Atalantis. Mary Manley ward wegen dieſes fatyrifchen ‚inbecenten Romans, in welchem. fie die vornehmen Perſonen Englands anges griffen, vor dem geheimen Rath bes Königs. zur Rechen» fhaft gezogen, ber Proceß jedoch niedergefchlagen.. Un- glücklich verheirathet, ſtarb ſie als Maitreife des Alder⸗ man-Barber 1724 zu London; außer jenem Romane bat fie noch mehrere Trauerſpiele hinterlaſſen. ©. Biog Brit. Art. Manley. | |

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chenen, damals durch bie Beitimiftänte noch mihe:w- fteigerten Richtung auf das Practiſtche, fich das Abe: burfniß noch lebhafter did anderswo fühlbar gemacht chatte. Daniel de Foe, ein im Leben vielfach her⸗ umgeſtoßener Mann von lebendigem Geiſte, durch vie widrigſten Schickſale geſchult, als politiſcher Schriftſteller verfolgt, und angefeindet ſelbſt da, wo er Schutz und Gunſt erwarten, ja ferdern konnte),

0) Daniel Foe (das de legte er ſich ſpaͤter ſelbſt bei) ward 1661 zu London, wo ſein Vater, James Joe, “als Fleiſcher lebte und zu den Diſſenters gehörte, ge⸗ boren. Vom zwoͤlften bis zum fechösehnten Jahre beſuchte ee die Newington Green Dissenting Academy und erlernte dann das Geſchäft eines. Steumpfwaazenhand lers. 1085 ergriff eu die Waffen und biente dem Her zoge von Monmouth, entkam glücklich der Derfolgung, welde diefe-Partei traf, und wurde 1638 Livery-man | bon London; zu gleicher Beit hielt er einen Baden. mit Strumpfwaaren, kam aber in feinen Angelegenheiten zuruͤck und übernahm dann eine Biegelbrennerei,. die ihm "jedoch auch nicht ſonderliches Gluͤck brachte. Während diefer Beit machte er ſich ſchon durch eine Anzahl poli⸗ tifcher Pamphlets- bekannt, bekleidete darauf von 18605 Bis 1699 ein "öffentliches Amt im Stenerfahe, mußte fpäter vom Ertrage feiner Feder leben und ward end» ih 1703 wegen feiner politifchen Vergehungen gegen die Regierung der Königin Anna in den Kerfer gewors fen: - Sier begann er em Jdurnal, The-Review, das fi einer ſehr günftigen Aufnahme zu erfreuen Hatte.

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warte, bee zuerſe eder den geyeden Meg ati. licher Derſtelluag anſches na vo Sohn, men

Ka en. im. folgenten Jahre Die Berker mie X ſedir en Aufengs Mic: Baitſchrift fort, wurde dann nam Goretanement, bei. der er ſanade gefunden, nad Cdin⸗ burg; gefauhs, an. bie Ugion it. Schottland: bafexdern zu Auhkem und kehrte Dazanfı 1707 zu feine Familie nach Newington zurũck Gvabrfdheiniih nen. der Koͤnigin Arga⸗fur feine Dienſte mit einen Menfion. helohnt), wo x: fſrine Veitſchrift unbe foriſetgte. In ber folgenden Beitubeichäßtigte ex ſich and. wit; hiſtoriſchen Werken, fand: ahen non. Reuem wiele Wiberſacher und warb 1713 wegen zurier mißverſfandener; Pamphlets wieder ‚zum Kerler uendammt...: Gin VBefehl der Konigin hefzgite ibn jedoch kurz nachher, leider aber ſtarb feine Gönnerin (Weit 14ER de Bao. fahr Rd nun alflos den Anm goiffen feiner Feinde Preis igegeben. Jetzt wandte x ſich gang nachdem; en / noch eine: Verthridigung ſeines politiſchen Betragens veröffentlicht; Dee Romamſchnift / ſtellerei zu, und faud 1740 :.die, glaͤnzendſte Lufnahme füt feinen Robinſon Geuſte, der ſehr bald durch Ueber⸗ fetıngen Die. außerordeatlichſte Verbreitung ‚gewann, Tiefen folgtem feia Leben. Dad Piraten Singletyn, ſaine fingicien,' aber. vortrefflichen Mamoiq; of a Gavalior,. U History: of /MolM. Elenleps ;;..0f..Motker.. Rosa. .nf.: Col veh Jack, ofı Raxana wiif. wi, melde: ſammtlich wel geleſen uurben.. Br ſterb am 524. Sprit 1731- in Bay den... ‚feine Faurilie, in leiblich; guten Umftänden,: hintere laſſeudin Qe Foerihat vreha als aPo. größere: nad. ‚Elgiunea

auch ih Ben unterſten, Yun Meigumg ober ‚hd ſal außergefeglichen Sphaͤren, mit einfachkzl, nude genauefter Wahrheit ſchilderte. Nachdem er als po: litiſcher Schtiftſteller eben Te große: Gegner! wie Freunve gefunden, erwarb. Ihm fein NRobinſone Eru⸗ ſoe eine mit vollem Nechte verdiente Berühmtheit,

Die feinen Namen auf: die ſpaͤteſten Beitew btingen

wird. Man war des vornehmen Scheine vollkom⸗ men überdeumg und Hatte ſich an dem leeren ſaß⸗ Nißen: Confecte, wenn es auch die verſchiebenſten Köche aufputzten, bis zum Eket ;gefättigt, ‘obendrein wre die Bett: ſelbſt geſunder geworden, und: fol mußte Denn jede geſunde, werm auch noch ſo derbe und rohe Speiſe willkommen ſeyn. De Foe’s Robinſon Erw fde*) aber bot noch weit mehr; neben dem Juter⸗

Eöriften verfahßt. : &.: Wilson, "The Läfe and! Time

öf De Foe. London 1880.: 3 vols. 8%. Walte

Seött, Miscellaneous‘ Prose :Worls. : Paris’ 1837. Vol. IH. ©. 304 fabe: : |

»r *) The Eife and surprising Adventures, of Robie- son Crusve. Londen 1719.. 2:8be. 8. -Seriom rele- Vons during the Life of: Robluson: Orusoe, with bis Vision of the Angelic Werld.. :Londen 1719; bie erſte Heberfegung' war: eine franzöflfihe: Vte et Anentures de Robinson Crusoe, traduit pur: Saint - Hyacinthe et vati Esseng.: Paris :1720:— 21: 3 vol. in Diele warb als Grundlage bei ber erſten ' Deistfchen Aeberfegung gebraucht, welche 1724: zu: Leipzig erfgten. Robiuſon wurde ſeitdem im faft alle: eurbpaiſchen ‚Sprüchen über:

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che nnd ber Angewhnlichkeit ber Fabel lag noch ein eben. jo bebeusendes pfucholsgifches und moralifdyes: Intereffe in ihm. Bei ber allgemeinen. Verbreitung diefes Buches brauche ich feinen Inhalt eben fo wenig herzuſegen, als es ‚hier darauf: ankommt, zu unters ſuchen, wir viel er der wahren Geſchichte des Ale⸗ xander Selkirke) eutlehnde und was er aus eigener: Erſindung hinzuthat. Seibſt wenn er Alles von. dort geborgt ‚hätte, wäre fein" Verdienſt um das Buch doch nicht geringer geweſen, denn ber Werth lag in ber Auffaſſung und Motivirung der Haupt» momente und in dem Beige ber angemeſſenen und natürlichen Darftellung derſelben. Mit größter Kunſt und. Wahrheit hat de Foe eine Weihe wahrſcheinlicher und unter den gegebenen Umſtänden durchaus mögli« her Ereigniſſe fo. zufemmen gereiht, daß er die Ein». bildungsfraft‘ bes Leſers zur felben Beit eben fo leb⸗ haft anregt ,. als er deſſen Gemüth erfchüttert umb. deſen Verſtand hefchäftigt durch die hohe Lehre, Die er giebt, daß felbft der Verirrteſte durch Selbſterzie⸗ Hung. gebefiert,, und Durch den richtigen Gebrauch Der: ibm von bee Ratur verlichenen Fähigkeiten dahin gebracht werben könne, bie Schwierigkeiten auch) der verzweifelſten Lage ſlegrrich zu überwinden. Dies

fragen. Die neueſte deutſche Uebertragung des de Foe'⸗ ſchen Driginals (die ſechſte) erſchien 1780.

*) S. Woodes Rogers Voyage round the work. London. T715.. Walter :Scott's Miscellaneous Prose Waks. V. Hi & 233.:

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hat er mit der groͤßten Einfachheit und’ Ratielid- keit, in denen nicht geringe Kunſt verborgen liegt, in: der Perſon feines Helden entwidelt. Die Art und Weife, mit der er die unwirthbare Inſel ſchil⸗ dert, die einfachen und richtigen Roſſectionen, die ee dem ungebildeten Matroſen in den Mundelegt über Die Erhabenheit und die Schrecken der Einſam⸗ keit, wirken mehr auf die Seele, als es bie berebiche Darſtellung vermochte. Er hat. dadurch dem Gan⸗ zen ein wahrhaft poetiſches „Leben :eingehanct; mit ber größten Theilnahme begleitet man den armen Ginfiebler auf allen feinen Schritten, finnt mit ihm über die Mittel, fi vas Daſeyn erträglicher zu machen, empfindet mit ihm Angft und Schrecken über bie kleinſten Umſtände, welche ihm gefähelich zu wer» ben drohen, fo wie Freude Aber alles Gute, das ihm wiberfährt Bis zu feiner endlichen Erldſung. Ein nicht geringes Merbienft de Foe's babei iſt, daß er bie einzelnen Begebniſſe in biefem fo gleichfärmig binlaufenden Leben fo geſchickt zu erfinden und je variiren wußte, daß Die Situationen immer verfhie benartig bleiben und alle Wiederholung durchaus ver-

mieben wird. Allerdings liegt ber vorzüglichſte Bau ber in der Zage bes Erufoe; das Gefühl des volle kommenen hülflofen Alleinfeyns und die Daraus ent fpeingende natürliche Frage, wie man in folder Lage ſich wohl felb befinden umd zu helfen ſuchen würde, wirken fo mächtig auf den Leſer ein, ber nur durch Die gefchiekte Verknüpfung und Duschfüh rung ber einzelnen Srenen, ‚fo mie burch die Wahr

heit und Nuivetät, mit ber Robinſen Eoufoe die Eindrüde in füh aufnimmt und verarbeitet, furtwähr. rend gefeifelt wird. Diefer.:Bauber verliert feine: Wirkung von dem Augenblicke an, wo ber Selb auf⸗ hört, allein zu ſeyn, und wenn: men fich and für die gut erfiinbene . Figur des Freitag intereffirt, fo läßt doch ſowohl . die: Spannung, als die eigentliche Ihellnahme dos Gemuthes bedeutend nach; beide verlieren fich endlich ganz bei der -Mefreiung. Mobins. ſon's, der Abſtand wird nun zu groß; was ee auch noch "erlebt, intezeffies: nicht mehr, da er in den Kreis bes gewöhnlichen Nebens zurückkehrt, und das große Recht, das ihm. feine einſame Hirkfslofigfeit auf. un⸗ fer Witleid verleie, nun von ſelbſt wegfällt, wo ex nicht mehr iſt, als jeber andere Menſch, der Ach mit feines Gleichen in. siner ungemöhnlithen ober. außer⸗ ordentlichen Lage befindet. Alles dies ift Dach Kichts gegen feine früheren Erlebnifle; mas bedeutet denn 3. 8, ſedes fpätere Begebniß gegen Den: Moment, wo er auf der unbewohnten Inſel, ohne Die min« defte Spur ſonſt zu finden, zuerſt den Abbruck ‚zweier nackter menschlicher Yıße im Sande gewahrt? Hierin liegt auch die Loſung des Räthſſels, war- un ‚Diefes Buch fo ganz außergewöhnlichen Beifall fand und bis auf den heutigen Bag. der Liebling den Jugend geblichen iſt; denn andere als jene in den innerſten Menſchennatur begrändete Reize beſttzt c& nicht. De Foe's Styl iſt einfach, ja bisweilen ſogar ordinär, zu Zeiten nachläſſtg und ‚gleichgültig ohne Auffchwung und Eleganz; an individualiſirende

288°

Gharaltergeiheung: st ebenfalla nicht zu denken; Ro- binfon zeichnet ſich durch Wichts vor "jedem anderen ſchiffbruchigen Matzofen aus; was er fühlt, empfin⸗ det, bemerkt, würde jeder Andere in ſolcher: Lage und Mothwentigkeit auch fühlen, empfſtnden und her merken. Alley Dieß kann Daher nicht angichen und. dach, wen giebt es unter. ums, Dre dies Buch, ſelbſt in Campe's ſchulmeiſterlicher Häle*), nicht einſt mit Gntzucken geleſen nad ſich noch inımer mit herzlicher Freude bes Eindrucks erinnerte, Den es auf feine, junge Seele und feine friſchen Sinne ge⸗ macht? Dazım wird Robinſen CEruſoe auch das Bud) der Tugend bleiben und. Rouſſeau het. vollkommen Hecht, wenn er will, daß e&. die erſte Lectüre feines Emils feyn, ihm Anfangs ſtatt einer ganzen Biblio⸗ thek dienen, ‚und fpäter immer einen eurtplatz in derfelben einnehmen tolle **).

BE *) ‚&amps hat für feine Bunde befountb den Ans fang. und bad Ende der De Foe'ſchen: Gesählung veräns dert. Ein, genauer Auszug dieſer letzteven findet ſich in Reichard's Vibliothek Der Romane. Th. U. ©.151.fabe. :##) Ce. lvre seta de premier que-liru men Emile; sine HH: composeraAurant;;long.temps ipüfe :sa biblio- thöqyue‘, et:il y tiendra, toujqurs une place distinguse. U sera le texte anquel tnws .nos entretiens zur les sciences. naturelles. ne serriront que de commentaire. 1 servira d’epreuve: durant nas pragres’'a l’etat. de nötre.-jugemenkt. et faänt que. nofre ‚goät.ne sera, pas gäts ; sa. löcture.nous, plaira toujpnrs. Quel ert donc

U 202

De Beifll, den de Foe’8::Mybinfen . fund, war ungehener ; ja ſelbſt ein: britter :Banb, ben er binzufägte und weicher weiter Nichts ‚enthielt, als teisiale, an Die Steuakionen . der: beiden: früheren Theile ‚geinüpfte. nwraltſche Betrachtungen, ‚gewann foges ein großes Publicum. Er ward fchnell in das Tranzöfifihe und Dentſche übertragen, brachte in ſei⸗ nem: Baterlande ſelbſt wiele Nichahmungen hervor und geſtaltete in .unfenee ſchönwiſſenſchaftlichen Lite⸗ ratur eine vollkvmmene Hmmwälzang des Geſchmacks. Man ſteht deutlich‘, duß das Inteveſſe an gefährli— den und abentenerlichen Reiſen, namentlich in bie. nene Welt, ſich jetzt fo allgemein verbrritet hatte, daß es nun endlich dem Romane anheim gefallen war. Seit 1402 Hatte man fo Kühnes in: allen Ländern gewagt, ‚Einzelme waren glürklich zurückgekehrt, ſelt⸗ ſame Sunde von: dem Ertlebten und Gefehenen mit⸗ beingend, und hatten. Andere zur Nachahmung ges reizt, Denn Geld und. Anfehen wazen: zugleich dadurch zu erwerben. Dazwiſchen hatten gewaltige Krirge die Gemüther fo aufgeregt und befhäftigt, daß fie die Ruhe. nicht zu genießen wußten und ben .unftäte Sian fie hinaus in Die Brembeteieh. Endlich Fam eine ſtillere Beit bes Friedens, in ber man ſich bei größerer Vehagliqherit mb Vaudlichkeit doch un

ce meiveilleux. hvret, Est ‘ce Aristotet est-co Pins? est- co. Buflois? . Non, c’tst.Rabieson Cruwoe. :3..J; Rousseau, Emile ou de l’education. Livre Hi. Ocuvres, Paris 1788. V. XL ©. 88. -

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anzesenbeir; Phantaſie, Gemũth und Berfinnd gleich ſehr beichäftigendens .umd. aufteizendem: Stoffe ſehnte, und dieſer werd nur in den Robinſemaden gefunden; De am Meiſten, wa vr am Bremdartigiten;blich, bes Antereſſe feſſelnd. Möller; Denen bas Siericben. mit allen. feinen : Reigen und Gefahten etwas Väsliches und Bekanntes war ;,: wie Engländer, Franzoſen, Spanier .u. ſ. m., ments: ſich hiefen Oegenſtünden daher nicht mit Dem hungrigen Giſer zur. mit der bie Deutſchen, von Denen Mander in feinem ganzen Sehen. Feine Meerehwelle geſehen, Diefchen verſchlau⸗ gen. Eine. wahre: Sündfluth man Nobinſenuden brach in unfere Literatur ein. Mieſich früher in Fraukreich Jeder leicht und gern. in einen galahten Heros hin⸗ ein träumte, fo dachte ſich in unſerem Baterlanbe Jeder gern als Robinſon, and ja noch leichter und möglicher war, als Jenes; denn wen konnte es nicht geſchehen, daß ihn irgend ein Vethältniß zwang, eine Seereiſe zu unternehmen und der Sturm ihn dann zu einem zweiten Robinuſon machte," beri;den erſten noch um einige Potonzen übertraf? Zugleich Ing fo viele und vielſeitige moraliſche Nutzunwendung in ſolchem Stoffe und mas konnte ben: Deutſchen, die⸗ fen Schwörmern für den moraliſchen Nutzen, will⸗ kommener ſeyn? „Kaum war ber. de: Foe'ſche: Nobin⸗ fon aus ſecundärer Delle in das Bett der deutſchen Romanliteretur geleitet*), als dieſer Quell auch ſchon zu einem reihen, weit Oinfntmenben, ‚bie auf

e. Die Anm. ©, 280. _

bie neucke Zeit unverſteglichem Wlsffe wurde. Win gab: ed fen 4722 einen. dentſchen and einen italie⸗ niſchen, 1728 einen feangöftfihen, einen geiſtlichen, einen ſãchſiſchen, einen ſchleſtſchen, ja fogar- eine Aungfer Robiagon und fa wing es von Zahr zu Vale fort. Bis 1760 zählt Koch*) vierzig wirkliche No⸗ binſonaben auf, ‚nicht Haß nad ben Ländern, fon» dern auch nach den Ehänben und anderen Eigenſchaf⸗ ten »unterfehiotew; wie z. B. ber Vuchhändler Ro⸗ binſo, bee mediciniſche Aobinſon, ja fogar der un⸗ ſichtbare Nobinſon u: ſ. w.; als feit 1768 eoſchie⸗ nen,:habe ich noch ein und zwanzig gefunden, von welchen der: jüngſte, der obersſterreichiſche, erſt 1882 bas Licht der Weit erblickt hat. Darunter ſtad bie Robinſonaden für Kinder, welche durch Eampe’s gluͤck⸗ lichen Verſuch eben ſo reichlich ausgebeutet worden, gar nicht mitgezählt. Die Mehrzahl jener Romane erfreute fich. obendrein . noch. wiederholter Auflagen. Ks man. endlich den Namen nach allen Seiten hin benugt hatte, hörte doch deshalb die Laſt daran nicht auf... An deſſen Stelle traten die Aventuriers, deren Koch ebenfalls eilf aufzählt bis zur zweiten Sälfte bes: sorigen Jahrhunderts, bie Seefahrer, die merk⸗ würbigen Begebenheiten u. |. w., ja ſelbſt an einer Aventuriere fehlt e8 eben fo wenig, wie an Robunſe, Nobinsgen und Robinſonetten ) Unter allen blieb

*) Gompenbium . der. deutſchen —R& Bd. I. S. 267 fgde.

Roh a. a. O. S. 272 fabe,

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mar ein pochäfches Gemũth, das beiveiik nianche mirk⸗ lich treffliche Epiſode (Vieles erinnert au die grie⸗ chiſchen Romane und trotz des Spießbürgerthnuus bleibt Das romantiſche Element durchzehends Das vor- herrſchende in dem Buche): er war ferner ein in den Wiſſenſchaften vielfeitig wohl bewanderter Bann, ‚ber feine geſammelten Schäge aut zu versheilen und zur Freude und Belehrung feines Publicums anzu⸗ wenden verſtand. Man Lonnte über alle Dinge, die damals das allgemeine Intereſſe werten, etwas erfah⸗ ren, ja, nicht bloß Geſchichte und Erdbeſchreibung mit Allem, was dazu gehört, mußten das Ihrige zur Kurzweil und Erbauung Des. Leſers hergeben, ſondern auch die gefährlichen und unchriſtlichen gehei⸗ men Kenntniſſe. Dabei war er ferner nicht allein :fromm und chriſtlich, ſondern, was noch mehr galt, bibelfeſt und mie Die Erbe überall, wo fie ein Sift ergeugt, auch in. deſſen Naͤhe fein .Begengift werben Aäht, fo. hatte er überall für die Berführung fogleid auch Die nothwendigen probaten Beflerungsmittel bei

(ber Hand. Bein Werk, dns Alles zufanunenfaßte,

was bisher in den Mobinfonaden gehn Jahre lang einzeln Die Leſer erfreut hatte, trug Daher ganz na⸗ türlich.die Krone davon und erhielt ſich als Das vor- züglichſte dieſer Gattung im allgemeinen Anſehen. Da es jetzt wieder in allen Leihbibliotheken zu ſin⸗

den iſt, ſo halte ich es für überflüſſig, den Inhalt

beſonders mitzutheilen, indem er, noch ſo zuſammenge⸗ drängt, doch viel Raum fordern würde. Der Styl iſt ſchlecht, ſteif, kanzleimaͤßig, wit fremden Aus⸗

brũcken / geniſcht, aber trotz dem mitunter lebenbig, träftig und bezebtt).

: Werfen. wir noch einen. Plick zum Säfrfe nf die dntſchen Robinſonaden, fo müfen wir leider ges Reben, duß ‚fie win ſchlechtes Zeugniß für unſer War terland während der erſten Hälfte des achtzehnten Jahrhundorts ablegen; denn was machte fie anders fo beliebt, als die Luft am Gemeinen, ſowehl in den Verhaͤltniſſen des Lebens, wie der Liebe, die Freude am Uehertrichenen, Unglaublichen uud das Streben, nit lricht erworbenen Keuntniſſen wichtig zu thun⸗? Das ſind allerdings ſchlimme Dinge, die durchGe ſchmeclloſtgkect · und · Vettelprunk leider noch geſteigert werben. ber. eine Seite offenbart ſich noch bar an, die etwas Schr Hübzendes. und Veſchwichtigendes bat, Die Het nämlich, wie ſich der Deubfche hilft, wenn ihn der Schuh.zu ſehr druckt, oder, um 68 ge⸗ sobe:herau zu fagen, die Art, wie er revolutionirt. E {ah damals gar ſchlimm aus Im deutſchen Reiche: wer weiß das nicht, der einen Blick in unſere Ge⸗ ſchichte gethan ? Die harten Steuern and dieſen ge⸗ genüber Die tolle Verſchwendung ber Ficken und Großen, die vielem Kriege, Die bald bier, Bald vort verheerten Aub ſtets Schlimmeres drohten, Kabinets⸗ juſtiz und militäriſcher Zwang, die Menge der Un⸗ abhaͤngigen, die den Abhaͤngigen deſto Härter drück⸗

*) Cinen Auszug des Inbaltes ſindet mim bei Reis chard L e. M.,.159 fgbe, ex ir jedoch geinlos und ein⸗ ſeitig geſchrieben:

16

289

ten, bie Ohnmacht des ganzen Reiche, das feid ein Spiel fremder Politik war, die Inngfame Gerechtig⸗ Beit, das Alles quälte und bedrängte den Einzel⸗ nen, und nun, wie half man fih? Man wachte Alto- pien und träumte fi ba hinein, erlöſt vom Uebel, und wer das nicht felbit konnte, der flüchtete ſich zu feinem Lieblingsautor, ber es für ihn that. Da⸗ bei buldigte man obendrein einem ſatyriſchen Triebe, Der ſtark in unferer Nation Jiegt und ſich durch ganze Perioden hindurch entſchieden hervorgehrängt hat, phne Doc) je zu culminiren; ſchon im Gegenſatgze des erfundenen trefflichen Stantes zum beſtehenden lag Die Satym. Daher haben dent auch. Die meiſten Ro⸗ bPinſonaden folche Utopien, in denen Alles herrlich gugeht, und der arme Deutſche las ſich Da hinein, las ſich Heiß und ſelig und teug, was ihn drückte, nach⸗ her Doch etwas leichter. Dieſen Genuß und: Erſatz Iannte ihm kein Fürſt und Fein Miniſter verkümmern. I bier ballte er, wie immer, bie Fanſt in ber Zaſche *).

In England wirkten: bie Robinſonaden lebhaft, aber nicht lange; in Fraukreich fanden fie gleichfalls großen Anklang **), doch tried man Das Ungeheuere und Abenteuerliche weiter und begnägke fich- nicht bloß mit feltfamen Reifen in unentdeckte Gegenden, fondern ging gleich in andere Welten hinein, welche

*) VBgl. Schloffer, Gefhichte bes achtzehnten Jahr⸗ hunderts. Heibelberg 1836. Th. J. S. 209 fgde. **) S. Dunlop |. c. III., 493 fgde.

bie Phantee orſt ſchuf. Man: kann nicht jagen, daß dieſe Su. durch Die von be Fae gegebene Nichtung gewedit worden ſey, aber befördert und genährt wurde ſie usbedingt von ihr. In Sonne und Mond war ſchen ein prigimeller Autor un die Mitte bes vorigen Jahrhunderts hinaufgezegen, Cyrano de Ders ger +) und hatte, was er dort geliehen, vorzüglich zu Angriffen und Widerlegungen der Philoſophie ſei⸗ ner Zeit, im romantiſchen und ſatyriſchen Gewande treflich zuwhenntzen verſtanden. Ihm folgten in Dies ſer Weiſe nicht bloß in Frankreich bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts Viele nach, uud es iſt nicht zu beſtreiten, daß ſowohl Swift bei ſeinem unſterb⸗ licher Gulliver, wie Holberg bei ſeinem nicht mins der eigenthümlichen Niels Klimm ihm Vieles ver⸗ danken. Daß Erfindungen dieſer Art eine politiſche und ſatyriſche Michtung. nehmen, verſteht ſich von ſelbſt; fie Dürfen daher bier auch nur bloß erwähnt werden, da fie durchaus einem anderen Gebiete zu⸗ gehören. Gin. Gleiches ift von der Sippfchaft der Spione zu bemerken, die fi) ebenfalls damals verbreiteten und ihr Daſeyn und ben Beifall, wel chen ſie fanden, zugleich ‚ben heroiſch gelanten Ro—

*) Geboren 1620 im Perigord, geſtorben 1655 zw Paris, Ausführlichere. Nachrichten über ihn - giebt Der Herauggeben feiner Reife in den Bond, fein Jugend⸗ freund und Kriegskamerad Le Bret in ber Vorrede. &, Les Oeuvres diverses de Mr. de Cyrano Bergerac. Paris 1063 fgde. 2 Bde. in 8.

16 *

844

manen und den Robinſonaden verdankten; erzengt und genährt Durch die in beiden vorherrſchenden Nri⸗ gungen, welche ſchon früher entwickelt und darge⸗ ſtellt wurden. Eigentliche Romane find -fie nie ge⸗ weſen, ſondern nur ſehr entfernte Verwandte dieſer Gattung. In Frankreich und England, auch Bin und wieder in Italien, wo ſich die Politik ebenfalls leichter concentrirte wegen ber Intereſſen des heili⸗ gen Stuhls, wurden ſie gern geleſen; in Deutſchland Dagegen, wo man politiſch noch ſehr zurück war; ſan⸗ den fie Feine Heimath, fo leicht und bequem auch jene Arten ſich anfiedeln mochten *).

Eind dritte Glaffe von wirklich poetiſchem Ge⸗ halte gewann dagegen ein freundliches Bürgerzecht, zuerft in Frankreich, Dann aber auch in. England und vorzüglich, wenn gleich fpäter, bei.uns, wo eins ber bedeutendſten Talente fie mit Vorliebe pflegte. Dies waren die Märchenromane, ſchon im Mittel alter wurzelnd und damals zu gewaltigen Bäumen in heiligen Hainen aufwachſend, während fie jet, in die Gärten verpflanzt, von ber. Mode nur zu anmu⸗ thigen Stämmen erzogen wurben, welde. ‚allein bucch den Anblick erfrenten und weder Schatten ga» ben, noch erquickende und nährende Früchte trugen. Damals befttahlte fie Die Sonne bes Glaubens und Gemüthes, jegt warf nur der Falte Mond, Verſtand, feinen Schein-auf fie. Daß fie fo ſehr geflelen, :wirb, wer aufmerkſam der geiſtigen Bildung ‚wie fe fich

*) Bol. über bie Spione Dunlop Le. un, 329 fgbe.

243

in Romane. manifeſtirte, bisher gefolgt iR, leicht erklaͤrlich finden. Den eriten Anftoß zu biefer Be⸗ fruchtung fchlummernden Saamens gab unzweifelhaft nächſt dem Strapparola*), deſſen dreizehn luſtige Rächte ſchon zu Ende des ſechszehnten Jahrhunderts in franzoͤſtfcher Bearbeitung erfchienen, der naive und. fhelmifche Neapolitaner Giovanni Battiſta Ba⸗ kle mit feinem in bem ihm eigentbämlichen Dialecte gefiheiebenen Pentamerone **). Mit großem Gläde bemäßptigte ſich feiner zuerft ber Verfaſſer von Ladroite Princesse, einer birecten NRachahmung be& vierten Märchens vom britten Tage bei Baflle. Diele wird Charles Perrault zugefchrieben, der unbefteitten der. Arheber Der nähen Märhenfammlung, welche in Steukreich (1697) erfchien und in ihrer Art vor trefflich iſt re), Ihren Inhalt anzugeben, if über-

© Tredici pisecoole notti. Venezia 1860 f.: ud fäter oft nem aufgelegt.

*) U pentamerone. Bteapel 1837. a 12. u. trasp. all’ italiena favella. Neapel 1754. in 12. Vgl. über daſſelbe Keightley, Mythologie der Feen und Elfen, deutſch vom Verfaſſer dieſes. Weimar 1828. Vd. I. S. 279 fgde.

*4#) Contes de ma möre lOye. Paris 1097. Eh. Perrault, Mitglied der franzoͤſiſchen Akademie, geboren 1633 zu Paris, geſtorben daſelbſt 1723, bekanut als Gegner der antiken Literatur, legte dieſe Märchen in der Vorrede an bie koͤnigliche: Familie, einem ſeiner Söhne, Perrault d'Armancour, bei; daher ſind mehrere

N

246 Kalle; wer kennt denn nicht aus feiner Kinderzeit Blaubart, Nothkaͤppchen, den. gefttefeiten‘ Kater, Däumling u. f. w. und erinnert fich nicht mit Feen den an den Genuß, ben er ihnen verbanfte? "Ein

fochheit, Naivetät und der treuherzige Ton, mit welchen Perrault dieſe reizenden Märchen im feinem

hohen Alter fchrieb, fie erzählenn, als glande er

felbft Daran, verleihen dem Buche einen bleibenden,

wirklihen Werth. Daß er fie nicht urſprumglich erfunden, fondern meift vom Strapparela und Baflle entlehnt und auf feine Weife ausgeſchmückb hat, vers tingert fein Werdienft nicht. Der Beifall, ven fe fanden, wurde noch dadurch vermehrt, dafs allen eine practifche Nutzanwendung am Schluffe angehängt war. Huch dieſe rührte urfprünglich nicht von ihm her,

denn Baflle ſchließt fchon jedes feiner Märchen kurz

und Fräftig mit einem Eörnigen, weifen Sprude. Da nun obendrein biefelben ben Föniglichen Kindern

gewidmet waren und eine treffliche Aufnahme em - Hofe fanden, fo fehlte e8 nicht an Nachahmungen, bie nicht minder Glück machten. Worzäglich waren es Damen, die ſich damit, befchäftigten und ſich eines guten Erfolges zu erfreuen hatten. Unter dieſen trug die Gräfin d'Aulnoy, überhaupt eine fruchtbare Schriftftellerin, den Preis davon; ihr zunächtt fo

Literaten auf den Irrthum gekommen ,. diefen als Ver-

faffer zu nennen; die Märchen ber Mutter Gans erleb⸗ ten ſehr viele Auflagen und wurden in fait alle euro⸗

paͤiſchen Sprachen überfept. -

sen bie: Damen Murat nud de Ta Korce*), aber fie wichen fchen von ber natürlichen Einfachheit Per⸗ taults ab, was Madame d' Aulnoy durch Lebhaftig⸗ keit der Erſiadung, Madame Murat durch Eleganz, Mademntjelle be la Force durch Aebertreibung zu erſetzen ſuchte. Das Raffinement, in welches die Franzoſen fo leicht verfallen und das wir bei bem Romane fo deutlich, nachganteien Haben, begann auch bien vorzuherrſchen; Alles ging gleich in den Super⸗

*) Sumelle. de Berneville, Gräfin d'Aulnoy ward um bie Bitte Des 170en Schrhunderts geboren ‚und ſtarb 1705: Ihre Contes des Foes erſchienen zuerſt Parts 188. in 12. 8 Shelle in. vier Bänden. - Außer dieſen ſchrieb fie noch: Histoires sublimes et alldgoriques, dedides aux Fdes modernes. Paris 1689. in 1%. Les Chevaliers errants, oontes des Feder et le Genie fawilier. Paris 1699. in 12. und ſehr viele fingirte Memoiren. Dad. Murat war die Tochter des Mars quis de Baftelnan. Sie wurde 1670 geboren, vers mählte fi mit dem Srafen de Murat und ftarb 1716, nachdem fie. früher auf Anftiften der Maintenon aus Noris. war verbannt und erft 1715 von bem Regenten zueüdgerufen worden. Mademoiſele de la Force war eine Enkelin des berühmten Jacques de Caumont, Herzogs de la Force, Sie ward 1650 geboren, ver» mählte ſich 1687 mit Charles de Brion; ihre Ehe warb ober na zehn Bagen für nichtig erflärt. Sie ftarb 1726. Außer den Feenmarchen bat fie noch Vieles din terlafien.

letiv über und bie vielen Nachahmer dieſer Rachah⸗ mer outrirten noch mehr. Aber französitche Grazie und franzöffcher Gaprit konnten ſich Hier vortheil⸗ baft zeigen; für fie war Diefes Genre wie gefchaifen,

und fo nahm denn das Wohlgefallen am bemfekien

bergeftalt zu, daß es bamals. fat Niemanden gab, welcher Anfpruch Darauf machen durfte, zur feinfen Befelichaft:zu.gehören, der nicht fein Maͤrchen gelie⸗ fert hätte *). . Eine neue Nichtung bekamen Diefelben duch die Einführung sorientaliiher Märchen, ne mentlich ber Tauſend und einen Nacht, begünſtigt von dem verbreiteteren Studium morgenländiſcher Sprache und Sitten, denen ſich damals mit Unter⸗ ſtaͤtzung, Der Regierung viele franzöſiſche Gelchete widmeten. Hier waren eine noch rieſenhafter arbei⸗ tende Phantaſie, eine ũppigere Sprache, kühnere Bilder vorherrſchend und doch wieder dieſelben Grund⸗ ideen, wenn gleich in anderemn und prunkvollerem Gewande, wie in ben. früheren Maͤrchen, bie, genau beſehen, auch, wohl aus dem Margenlande ſtammten und nur früher als dieſe letzteren füh im Abendlande behaglich eingebürgert hatten. Sie wur⸗ den ebenfalls in Menge nachgeahmt, jedoch meiſt von Männern, von denen bie moraliſche Rutzanwendung immer mehr und mehr vernachläſſigt und nicht ſel⸗ ten ſogar große Frivolität, Die in Den belletriſti⸗ ſchen Schriften mit den Jahren überhaupt bedeuten den. Kaum zu gewinnen. begann, an die Stelle. ge *) Vgl. Dunlop l. c. IL, 357 fgbe.

ſetzt wurde. Gueulette, der bekannte Archäolog Graf Caylus und ganz beſonders der geiſtreiche Graf Hamilton find die glücklichſten Nachbildner orienta⸗ liſcher Märhen*). Das reizende Märchen Fleur d’Epmo, ein) ewig feinen. vollen Werth: behalten; ein anmuthigeres Epial ber Phantafie möchte nicht leicht aufzufinden feyn.

In England und Deutfchland fanden die Feen⸗ märdhen zwar auch freundlichen Gingang,, bach reiz« ten fie nicht zur Nachahmung; Die Speife war zu fdaumastig. —. ur bei uns haben fir auf einen bedeuteuiben Seit, wenn auch zu anberer Musbilbung, lebhaft gewirkt; bauon wird: fukter nad) bie Webe feyn. ‚Streng genommen, gehören fie. nicht eigentlich hieher, doch ſchien es mie nöthig, fe win son une Stißhweigen. Lad ‚übergehen.

%)B. ®. Les ‚Ferien nonvelles 'par is Coute: de Caylus in beilei..Oeuvres. hadines compitles.. Parks 1187. 12 wel. in 8. Contes murius per Mad. de Villenewve. . Paris 1740: 4 Br. in 12.. .Guen- lette, Les mille et wa quart. d’'heuns; Contes iarla- res; "Contes chinais =. f. w.

Die Familienuromane bis zuu Ende Des achtzehnten Jahrhunderts.

Bis zu den erſten Decennien des achtzehnten Dahrhunderts auf unſerem Wege. vorgedrungen, fin ben. wir die gewohnlichen ſogenannten romantiſchen Elenente für den Roman, fo nach allen Seiten Bin ansgebeutet: and benntzt, daß hier an und. für fid ſchon, nad) dem. alltäglichen Kauf. der Dinge, eine entihiedene Wendung hätte eintreten mäflen, ‚wäre Diefelbe auch nicht durch bie Beitwerhältniffe begün⸗ figt und unterftüht worden. Bei ber Poeſie über- haupt hatte men ſich in den beventendſten Gattungen 8 zur -Erfehöpfung: gewiſſer Richtungen, welche Yahehunderte lang -ald Die einzig wahten betrachtet wurden, . verfscht; daB remiantifche Epos, das im Mittelalter ſo entichieden vorkerrichte, hatte fpäter dem Drama, den Thron eingeräumt und -Diefes- Die begabteften Geifter zu Dienern und Prieftern gehabt, fo daß diejenigen Nationen, deren geiftige Leiſtun⸗ gen den übrigen als Vorbilder dienten, bier Das Höchfte erreicht zu haben fchienen. Auch deren Beit war vorüber. Wenn gleich Die einzelnen großen Dich- - ter immer noch galten, fo hatten Doc) jene geringe» ren, nicht genialen, aber talentvollen Geiſter, welche

Zu

ſich um Fle gruppirten und in ihrem Dienfte bir Pe⸗ riope, die jene beherrſchten, die gleichmäßige Für⸗ bung gaben, Die Bühne verlaſſen ober waren anf bdet⸗ felben verſchvunden. So machten ich Lücken Fühls bar, Die, . zwar momentan durch einzelne auffallenbe Erſcheinungen überberft, aber nicht ausgefüllt wur⸗ ben; die lyriſche Poeſie und der Roman, die in neuen Geftaltung gemöhnlich Die Hebergänge zu neuen Wide tungen bilden, genügen nicht, un Die Forderungen einer neuen Beit zu befriedigen. ine .neue Bett war aber überall. entweder fchon eingetreten oder im Werben, und bie Poeſte ſchickte ſich an, wie es: im⸗ mer ihr Veruf it, in ihren Werken das Vergangene abzuipiegeln und es mit den leitenden Ideen der Ges genwart und :ben werdenden der Zukunft, welche große Dichter prophetiſch vorempfinden, in Verbin⸗ dung zu ſetzen, denn Die Poſie iſt die wahrhafte Beier ſterin ber Menſchheit; fie verbindet Erbe und Him⸗ mel; fie trägt den Menſchen, ‚ihn. verklaͤrend, zut Gottheit Hinauf und laͤßt ihn würdig vor ihr erſchei⸗ nen; fie führt Die Gottheit zum Menſchen herunter und forgt dafür, daß er fie empfinden und verehren lerne, denn fie lehrt den Menſchen, daß er fih und feine Beit verftehe, ſich ſelbſt und bem Göttlichen gegenäber.

Eine folche merkwürdige Beit, wohl eine der merkwürdigſten in der Geſchichte bes: menfchlichen Geiſtes und feiner Erfcheinungen war aber DaB gew fammte achtzehnte Jahrhundert bei. faſt allen Ratio⸗ nen, jedenfalls gewiß Bei den geiſtig herrſchenden and

zwar beshalb, weil: das Subjertine dem DObjectiven gegenüber fein: Mecht feſtſtellte, der Einzelne ſich der Menge als ihr gleich volkommen behauptete. Bm Das zu verdeutlichen, bedarf es nur ber wenigen Werte: das achtzehnte Jahrhundert war die Epoche Des immer ſteigenden und fich vergrößernden Kampfes gegen die Autorität. bis zur endlichen in das prac⸗ tiſche Lehen übertretenden gewaltſamen Berfkörung berfekken; am es zu .beweifen, nur ber Rennung folder Ramen, wie: Locke, Shaftesbury, Swift, Mppiien,, Steele, Voltaire, Montesquien, Houfleen, dAleibert, -Diderot, Leibnig, Thomaſius, Wet, EMlopſtock, an denen Allen große Amwälzungen im Weiche der. Gedanken hängen; der fpäteren großen Erſchůtterer geiſtigen Wirkens nicht zu gebenken, bie au Ende führten, oder wenigſtens bem Ende entg⸗ e ‚wa8 Jene begannen.

Ah. habe ſchon früher und öfter entwickelt, daß die Richtungen jeder Zeit ſich am Entſchiedenſten in der Poeſie und innerhalb derſelben am Prägnanteſten im Romane abſpiegeln; es iſt alſo überflüſſig, es hierzu wiederholen. Mit dem Beginne des acht⸗ zehnten Jahrhunderts nahm auch der Roman eine ganz andere Wendung, als er bis dahin je gehalt; wer das Vorhergehende nicht bloß oberflächlich gele fen, wirb bie Nothwendigkeit Leicht begreifen. Man wandte fich entſchieden dem nächften Stoffe, der wirt lichen „Gegenwart in ihrer wahren Geftaktung 36, bie poetiſchen Elemente, die in. ihr. Ingen, hervorhe⸗ bend, benutzend und poetiſch auäbildend. So ward

anſcheinend wie burch einen Bauberfchlag jene. neue Gattung von Romanen: in das Dafeyn gerufen, wels de man gewöhnlich. mit ber Benennung Femilienzer mane zu bezeichnen pflegt und deren Geltung wohl nie wieder aufhören mird, wenigſtens fo lange: nicht, als die Familie der. Mittelpunkt der Begemwart bleibt, weshalb. denn auch jener Name, obgleich keineawegeß solfommen dheracherifirend, beibehalten merben mägz verſteht doch jeder Gebildess, was damit gemeint. iſt.

Man⸗iert, wenn. man.glaubt, ber: Familienror man ſei ꝓlõtzlach erſchienen. Miefer: Terthum. kommit gewöhnlich davon her, daß ſchlechte Literaäͤchiſtoriker den Engländer Richardſon als. Den, Bater dieſer Gate tung nannten und noch ſchlechtere es ihnen nachplap⸗ verten und nachſchrieben. Im Leinen Fache: ber Wiſſenſchaft it. leider. jo wenig gleichmäßig qus den wirklichen Quellen. gefchöpft worden, al& in der. Ge⸗ ſchichte ber Literatur; Einer hat. fich immer auf. Den Anderen verlaffen und aus dem Malze, Das: biefer ihm aufcheotete, fein Urtheil gebraut, denn darauf kam es ihm. in ben meiſten Fühlen allein. an. Rise chardſon Hat allerdings den Romane, der bie forlas len Intereffen: Der Gegenwart. und namentlich: des Fa⸗ milienlebens. behandelte, zuerſt feine fefte. Geſtaltung gegeben, aber der ganz. nejpeinglich. erfte Schöpfer deſſelben iſt er nicht. Die Huhänge finden: ſich bes reits ſowohl in den befleren beroifch»galanten Ro» manen der Franzofen, namentlich in denen der Frau von La Fayette, ‚welche. bereits .oben kurz erwähnt wurden, wie in ben pikaresken Romanen der Spa⸗

nier; andy zeigen ſich Die Uebergängen dagn in nden fingirten franzöſiſchen und engliſtchen Memoiren, weiche ſeit Der Mitte des vorigen Jahrhunderts an» ſtugen, Mode zu werben. Dieſen allen aber fehlte DaB. tiefere. pſychologiſche Intereſſe, das Subjectire Das. fein gutes Recht an Geiſt und Gemüth des Le⸗ Fers vollſtändig geltend macht. Solches num führten faft gleichzeitig vier Männer, ein Gngländer und drei FJranzofen, Jeder auft feine Weile zuerſt u ven Ro man cin, fich wahrfeheinlich. durch ihre Werke gegen- feitig anregend und fördernd, denn zwifchen: Frank: veich und England war damals ein jo reger Aus⸗ tauſch und gegenſeitiget geiſtiger Verkehr, daß: es unmöglich. iſt, zu beſtimmen, was Jeder von ihnen beim /Anderon gab oder verdankte ). Dieſe Männer wären, nach der Ordnung ihrer. Lebenszeit hier auf⸗ geführt: Le Sage, Nicharoſon, Marivaux nad Pré⸗ wi Es iſt des Folgenden wegen nochwendis, bug einzeln zu charaeteriſiren.

Kain Nen⸗ Re: ‚Cage, 1668 ‚zu Bannes in. der Dream ‚geboren, mit ‚für feine Beit vortzefflichen Studien in tem Jeſuitencollegium feiner Vaterſtadt ‚ausgerüftet, dann einige Jahre in einem Finanzamte heichäftigt, kam 1693 nach. Paris, um ‚Dort . feine philo nhijchen Stadien zu beenden u wo möge

3. Bel. Sqloſſer L. c. L: s. a ie, des: —* Beitr aums :gweiter Xhfipmitt.: . =:

ſein Oi: zu che. Er war ein hikger., ſchoͤuer; lebhafter und, was uch mehr iſt, hochſt liebenswürdi⸗ ger Mann; eine Eigenſchaft, bie ihn fein ganzes Les ben. hindurch Dis zu feinem Grabe begleitete... Ein anmathiges Liebesverhũleniß mit einer vornehmen Fran. führte ihn früh ſchön in bie ſogenannte gute Geſellſchaft ein und trotz ſeiner Luſt am Vergnitgen und Genuß, ſammelte er, noch jung, jene Menge feinſtumiger pafychologiſcher: Beobachtungen, von denes feine Romane in der Folge ein ſo glänzendes Zeugniß ablegten. S:pfter gewann ein Madchen aus dem Mike telſtande, die Wochter eines Tiſchlers, fein gauges Herz; er sermählte ſich mit ihe und fühlte ich aus hochſt glücklich im befcheidenen. Kreife feiner Femilie, ohne jedoch die hoͤheren Cirkel deswegen zu meiden Auf den Wat eines Freundes ſtudirte er die ſeet Corneille in Frankreich wieder ziemlich. vernachläfligte ſpaniſche Literatur und. benntzte Anfangs bie hier ger machte Ausbeute zn bramatifchen: Arbeiten, mit Der nen er bald Glück, bald Unglück hatte. Gr wanbte ſich erſt in reiferen Jahren Dem Romane zu. Geige erſte Atbeit har. det Diable boitenn; dieſer Ing ein ſpaniſches Original el: diahlo oojuelo nen. Guevera in Grande, Ihe: folgte fein Meiſterwerk Gilblaß von Santillene. Später gab er noch feinen Bache- lier de:'Salamaggwe, ſeine Aventures du- Cheyalier de Beanchöne,, la Valise troures (sine Nachahmung. De Corriere svaligisto von Fetrante -Palljvicine), vime Sammlung : von Auetboten und wigigen Einfällen

—— ———

und „mehrerer Ucberſettungen aus beim emaiäen her⸗ aus. Er ſtarb 1747 in: Boulegne *% .

Dieſe wenigen bisgranhiſchen Kotigen —* e Sekten. Berftändniffe des: Folgenden dienen: . Seine Seiben Romane Le Dinble hoiteux und: Gil Biss mad» ten. zur. Beit ihres. Grfcheinene. ungeheueres Aufſehen uud: werben; namentlich. Der Letztere, mit: Necht am den Pranzöfer nach: jet als Hafisiche Meiſterwerke betrachtet. Streng genommen, inf: man ihnen die Ur ſprunglichkeit abſprechen, quch iſti ihnen adie felbe, vorzüglich von Spauiern, oft genng ſtreitig ernacht worden. Le Sage benutzte allerdings ſpaniſche Site⸗ ten und ſpaniſche Datſtellungsweiſe, wridje Setztere, wie wir Bbereits geſehen, gerade in. dieſer Gattung Vollendetes aufzuweiſen Hatte, ſo weit er nur immer konnte, aber er that ies mit der gangen. Gewandt⸗ heit des Genie und fügte. je. wiel: Eigenthümliches hinzu, daß fein großer. wohlverdienter Muhm keines⸗ weges dadurch ‚beeinträchtigt: wird. Seine Romane int. daher Skizzen zu vergleichen, welche ein guter Schuler entwarf und die ein großet Meiſter mit * Vollkommenheit und ſolchem Fleiße ſelbſt in

Sen: Heinfen: Zheilen ausfährte, daß er Die entſchie⸗ denſten Anſprũche deruuf hat, wi eis der Arbeber

2) Bgl. —E—— Le Sage: 5 - Et. ‚de. ‚Nesf- —— Paris 1820. 3 VBoe. 8. in der Vorrede. Walter: Scott, Biogruphical Memoin of .eminent No- velists in den Miscellaneous Proöe Warks. Bd. IM. S. 230 fgbe.

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beefsiheni zen ıbeinechlen.:n Allan ie Ti ehia enea Teufel sie: Heupläben ders fpnniichen Nuten zuntichut %% daß nauilich der ati Qlechhas dem: hinfauben Zenfehrbafseit:,.n&b tiefer. ihmt baflie: Das: reiben Det Rente, m Madrjb zeigt: au Die Ichenken Vilber/ hie wie mit æinem: aui gzigen⸗i u Iren daiſoriſcua Cmsuentar beuizäitety:bann aber: gichte ec mit auhm Aber ganycapauden hin vud sjeigt ih. Ads fer un Atabeniren, Pinmingiakftäktt und Lendtza tesikepfien,iimähresib dei, Be ‚Eiage: der· aune Mamas best: Witten im Müsli em: underbroches / mind mund: wie⸗ der inı:bie. Gewalte fernab. Feindea, den Magieed; nncc; erfüllt... Dagegen; macht het Be Sagt au feinem Acufeln einen -gutmüthigen: Schall, "un -diehle kunchaeniä, wie: ſich.: Villemain ſehr heitveich are deũdt/xx und neiß.tvo ig beit, Do:er ande. Gyr ſode nicht allein van feinene Vorgänger, ſondern auch; or anderen : fpanifchen . Schhiftiielenn borgt, ſtine Satyre mike ‚viel Anmuch und Feinheiten mürgen, fe: vich.deefffiche einzalnen pſychalotziſche Bügg and: feinem, eigenen Boar tye hin zuzugũ ge⸗ ribrdu⸗ Ber. test:

10 Dicfer Gmenato: (us —* —* nit nr 9 fehgmgeingentißh: des unpliciſſrus erwähnten Hals peebigeti Epslö 5. ;Mntania dr, Cmivagn,,: dam Mefaſſet he: Relariie Meincpesoe. %.ın: zu verwechſaln. Diiniftei Sictgabe bet; Dinblosanjuehe. enſchien ‚64 Bnlop Han ..

89) 7Villeiieich: ivane de, —* Frangaise, Tu id kuamidu (BBmö siäeleı. Palin 1838; Ei, kn SAN... ;:3 ©! 17

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-

et nit ohcher; ecfuchen/ Autärkichen) mithin Saheheutt anzußieliert;, Daß} er Don TBufun Auf DER WE boudigſte fehlt 1 Di Huimitbefbnrkeit , Binsärlich krit aub / Wahrheit; 1mikı De: Re gebe ereie- Ache ebe⸗u mchfakt and Hiaſtreiteꝭ iisedlcheg ‚sat tharoonurn Hoss haben: Miangsmmmurifk kulieiki @ichißkcrte iitunane 1:1 Da Hatte; in: fee Ber th. ini Frunkreich mech Mientaneiogethau. i Aies gabe ſerwirilich⸗ font, Farce v Han - ja 5. feine Charactere ſiund Fe: richtige eh, baßt mun glaube, ‚fie iin Mirranuje dra ri Tugen⸗ BIRE auf der Straße ibẽgegneng bb Situationen eis wickebn ſich alle she fulgerechbdaſt Freuibe Sitten Htdnibes Gewanbe den Leſer: mie ı. lmenlnfelihenunieg wegen ber allgemeinen Mahrheit, .bieidn Men cov⸗ herrſcht, ſtch augenblicklich: Ddamit ‚verfenuk gercht hat, als würe ex datin aufgewachſen .n Alt...‘ ti Rod: trefflicher tritt Dies im Gilblacuhervar Sch tetze ven Juhalt micht her, weilich. ihn. ss derniein hekannb annehmen. darf wet fi rührien Ehen; er. heigin Poeknhiiguteiitomane ,:. dein] wird der Gilblas eben fo wenig fremd geblieben-feyn ‚wie yes Dan:üiniföte,? Me Beäipbchanarder nuefea Bu⸗ Bes Liegt: eine· hochſti licbansũudige Üben ga Gruude ER boſrãndigrin· Leben·iberuhrtl, cjaqꝰ bie: mir wennilwir⸗· aufrichtig iſeynn woher Beine DHinder Hehe ſindi fonbeiwiinnsokteigefoligen. Mrchältuiiien thätig erwiefen, med tobi minbdes ALungi dei re lahren chabrii. 21a ho ven ichruehenche- Ist kaichdas dauer I il Blas libinimä chn quto XR

N

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MAitger ·chele zugleich. herechnet ah. yon. Inne Berzen foxigcriſen/ nach. dem Hiemmel. eigentlich ſtro⸗ bende jeher rechtſchaffene Erdenſohn, aber m der irdiſchen Frenden und Güter willen immer ıniep der aud un: gu Jeicht⸗ der Sthnde verfallenb.- ‚Frog dieſen auſcheinenden Anconfeguenzen int unſer · Auter Aha pynuoch bis au das. Ende · anf das Couſcquenteß gezeichnet und durchgefͤheet. Mit derſalpen Wahr⸗ heit uruppitt· er· bie amberan:: henbefnheg Veeſonen am ſihn ers feihft bei⸗ den komiſcheſtern ſind Schatten unb Eicht anf: dus Naturgetreneſte glei richtig vre⸗ theilt. Sobald man fh; nur in. Le Sage's Zeit zu⸗ va verfetzt aAnd vas muß man, wenn man einen {oh chen Schriftſtrſer ganz genichen und ſich aueignan WE wird man den. Doctor Sangrado, Seipio, ja fh Die Liſtoriſchen Perſonen, LAerma und Dlivang ‚sben ſo vogtrefflich, wahr und sunfequent geſchildert Enden; wie den ganz. allmählig mit feinen, Glückgzum⸗ Bänden: fh beſſernden Helden⸗ ſeghſt. Der Ftyli iſt dabeictrotz feiner Natarlichleit immer fein. und, jel⸗ gant und Der; Bonfafler weiß: nicht bloß Die Leben⸗ digen auf.serifliche Meiſe handelnd npräber zu. führen, ſonderu auch de: Beblofen durch. feine muſterhafte DarſteHung Lehen einzuhauchen *). Die innere Meha⸗ hheit uit der or that, iſt fo; groß, beß-fie. zwai gechzte: panier, eiferſũchtig auf den Rab, sher Dez Fmaöhiden: Vene ur: dieſen Vomaniaen —B paar ——— Int: teen n

*) So z. B. bie Befiheribun ber Bohnung tes uften diipeatan st, either ber aulfes‘ as —* uͤ. K. m.

ei er Ein Ylıbı Ilbor ar ab hin"

SEHE wiirde, veraͤnlaßt Hat’, dal’ Werfühler Dei irn _ ginalität ſtreitige fh machen und zu Behanpten "de imüffe ein verloken gegangenes ſpaniſches Munuſeript venutzt oder eigentlich übertragen haben y. Der bierte Theil iſt allerbiags ſchwaͤcher A FREE YHönger: und eigenttiß mir eine Mteberhofhtig: Der Felben, doch enthält auch et viel Geif und’ Birk ab man ‚erkennt ſberalle den · Meiſter. "9-1 27..:609 "Mur Eins vermißt man ſchmerzlich in dieſem Buche und ich muß bekennen, 'diefer Mangel Hat mi) ſtets fo unangenehm. veruhrt, daß Gil Was, To oft und gerne: ich ihn auch gefefeh Habe, und fo fehr ich ſtets "geneigt war, feinem Berfaffer vobllkom⸗ mene- Gerechtigkeit wiederfahren zu’ Taffen!’inte mein Riebling feyn wird. Es’ tt Dies'die entſchledene Ab⸗ weſenheit aller erhabenen und edeln Geſtanungen, Mlles deſſen, was ben beſſeren Menſchen in ſeinem Inneren lebhaft und tief bewegt ünd erſchüttert. Mirgends ſpricht ſich der Haß gegen dasLaſter ‚die 2iebe gur Tugend, die Begeiſterung für das Schöne entſchieden und kräftig aus.: Durch das ganze Buch Hindurch hört man nur den Schlag miktelmäßiger, wohlfeiler Serzen. Dieſer moralfiche Indifferen⸗ Aismus beleidigt jedes geſunde Gemüth, um ſo meher, wenn man ihm bei einem: ſolchen Ralente vorſinbet Ad die Abſichtlichkeit durchfühlt. Man hat“ ihn da⸗ anit entſchuldigen wollen, daß dies in feiner Bet and in feinen Umgebungen Ing; daß. er, ein Fretdenker,

tn 9 Vgl. J. A, Llorente, Observations 2 sur li lie roman de Gilblas de Santillane. Paris 1822.

us aber hie, Melt gehen ließ, mie fe mar, weil er fig eben Für. mmenchefienli hielt, mb ſich bloß demit begnũgte, fie in ſterager Wahrheit derzußellen. An un. bür ſich iſt DaB. ganz richtig; deu Charaater jenes Zogersggz ‚nllerbings ſo. Heimliche Verderbtheit, Re⸗ ligzen ahue Glauben, Feilheis der Sefinnungen, Luſt am. &emeinen, ein. mit Tcheußlichen Intziguen unter ſch freſſender Ggojamus heztichnen Die legten Jahrt Sdwigs XIV, und. Die erſten der Regentſchaft. Aber kann,; das einen Schriftſteller eutſchuldigen, der in-fo. hahesm Grade Die Mittel beſaß, zu beſſern un zu befiebsen?. Le. .Giage war ein rehlicher, buͤrgerli⸗ cher Mann, eim treifficher Familienvater, alſo in keinee, Hinſicht verlockt und beſtochen, wenn feine JZugend anch ‚feiner. Beit ihren Bol abgetragen. has ben morhte.. Aher nur leiſe und vorfichtig berührk er die Beulen uns Schwären mit ſanftem Yingen und lächelt; ſpottiſch hinter bes vorgehaltenen Hand über Die. Zhoren, bie. ſich nicht gleich ihm vor bes Anſtechung · zu bewahren mußten, bie er aber ſich ſehr higtet, zu verlegen, denn fe. ſind mächtig und reich und konnten ihn gar leicht in feinem häuslichen Frie⸗ den, Den.er-übes. Alles liebt, Hören. Dieſe Vorſicht Feigheit. Le Sage haßte zum Beiſpiel alle Neuxrrer, aber geißelte nur Die Neuerer in der Li— tenatur, wie Voltaire, den er unter ber Figur des Poeten Gabriel Triaquero in ſeinem Gil Blas ſchil⸗ dert und wegen feiner dramatiſchen Siege angreift. An Andere wagt er ſich dagegen nicht. WVoltaire,

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oin noch weit großerer moraliſchee Lunße hat eb The freilich veegolten; benn en brhaubelt tha in ſeinen Siäcls de ‚Eokis XAV mih ceiner Gerinzfehavung, We

ee Sage, Det; / wie Biulemain ) richtig beikert, "ti den! ſo Puder In lebenbigeiproſa ſhrent BB lich nicht · verdient. Jener Morctiſche Jabrfecen⸗ Üsmus, Den wie in unferen Beiter-Teider sh His jeder haben wieberkehren ſehen, Laubt · deut Be Bie- wohlthuenbe Waͤrme; vhne Wehe ed mie: rinen Zeſer danernd zu feſſeln vermag und ihn! lockt Iſter zu: ihm gurũckzulehren. Die Moral Tot nicht die Baupttendenz eines Romanes ſeyn, aber wie in bir Weltordnung bie höchſte Schanheit“ vhnedie Heochſte Güte undenkbar iſt, ſo Ucüſſen in Bei Linen Kunſtwerke hayminntich Verbunden‘ Fey‘, am achni vie Bollendung zu geben. : Um wie viel hoher ſteht hier Kicht Cervantes, deſſen unſterbkichem Buche ‚EG blas ſo oft an die Seite geſetzt wirbt on -+ Die ee, einen Menſchen durch * verſchie⸗ benſten Lagen des Lebens in einem Nomane? zu füh gen, um die Gegenwart nach! allen Seiken hin ber hpiegeln, wie dies im’ Gil Blas mitt ſo großer Mei ſterſchaft geſchieht, ward nicht von Le Sage juerſt gefaßt, ſondern ˖ in ber bereits erwähnten: : Histoire comique de Franeiön, wo der Selb ein vielreekeret Geſelle iR, weit prägnanter Vurhgefähet "Ste. feitdem mit großem“ Glücke wiederholt Yon Muck aufgefaßt worden, beſonders in jüngſtere Zert, wie z. B. von Goͤthe im Wilhelm Weißer, ee Gt.

) Villemain L c. 351.

chäge ia: nfiheBandniiieingen,i ala pt! ain Aas⸗ Melur, zum Zutzruntang än ben: Fpgenenu. f. m; Den. rbb: rleibet:: aller jodec Mul darunter, denn [of an, Ihm rdiniPreiki Mit aihren Mefikeimiugen. und. Bin» drchen gernulicht wernden acſo immfiser n pafſtver Chatactern ei nit hlei ber:andch ba: ihren Kos ge forteneihen: claſſen, ſulaſ;aberi·nie hat. Steuer agree ‚weilte: Kor Meſichtepunkt votrucken und ſamit das pite gabild unllat/ machen wände *): : «...: Ber Mangel. mozilifiger Märme, der man ah Le Sage fo jehr rügen muß, gebt bei Dem zweilen ker oben genannten; Cchopfer:: des Tamuilieneimtianes, Samuel Nichardfon, genee in das Begentheik: üben wwd;.cB wind Bien. Durch ; ein. Buviel. ſtbrend, Da, hen Meherfiuß and zu: Weichzänfken; Fleinköngexriiden Ynd ſichten: autſpringt. Nichardſen buach jedech:die Mahn, bie Dinge, wis fir waren, in ihrer genzen: alltaͤge lichen Wicklichkeit darzuſtellen amd die Gegenwart im ihret allgemriuſfen Geſtalkang gun. Erundlage des No⸗ wand zn machen, während Le Sage, obwohl vr daffelbe gethen, bach wur. gewagt: hatte, fie maskirt, in ben Eracht eines fremden Landes varzuführen. Wicharbu fen’ 8; Zehen: a lung erzählt. . Er warb: 1699 in Der⸗ byſhire geboren, wo fein Vater als Tiſchler -arbeitete,. erhielt - Eine «gewöhnliche. Erzirhung, obwohl er ſich ſchon feat durch ſehr ‚glückliche: Anlagen auszeichnete, Tau 706. zul einem; Bachdrucker in hie Lehbe, bei dem ‚rei ſich durch ve us Barufötscne auceich⸗ me Pe

*) Bol. —E te... er, F

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meh‘; cxabliube· ſich dann: Felfifkrıin-Bachlien: und sundhte ſich den Buchhänblemm: befonders näntsch dadeurch; daß te. bie Werke, die aus ſeiser Preffe hervorgingen, anf ibsen Wunſch mit, Vorreren, Dedirctiontn u. q. w. verſah. Er erlangte bald einen guten uf, "wire toniglicher Buchkenden und ; erwarbſicht urch Fleiß und Thaͤtigkeit ein .onfehnlichen Wermwögese,; welches fpäter durch ben Grſelg ſeiner Romanen mach. betraͤcht⸗ lich vermehrt wurben: Geehrt: nd geliebte ſtarb er am 4: Juli 1764, im drei und Rebonzigfien Babes feines | Bient;*). u.

. Sein eofee Roman, ‚Bantele,; \enfchien. ATIO®) und warb in demſelben Behre nodsnier Mal men aufgelegt. : mas ıdeit außerwebentlichen Mäcfubg; em oe hatte ;. beurkundet. Die Weranlaffang, nbwahl.Hens lich aUgemoin-bebannt, möge hier Furzınewähnt:twer« Den: .. Nicheathſon hutte üfter ſchon große. Gewandt⸗ heit im Briefftyle gezeigt; Freuube forberten ihn auf, eine Sammlung von Muſterbritfen für die Wr gelegenheiten ‘des täglichen. Sehens zu verfafſen; nach - Krusger: Weigerung willigte er ein und Fam, De. er nad) Gegenſtänden ſuchte, auf den Gedanken, eine wahre Geſchichte, bie er. felgen von einen Berunke

2 e die. vortsefiähe Viegtaſcc⸗ en. not Lartitia Barbauid vor. dar von ihr Geransgugebunen Gor- . Eespandence 'of Samuel Bicherdsen, : Landen 18904. 6:.Bbe.. in 8. W. Seott |, c... TI; &,: 1:fgar.

**) London 4 Bde. in 8. Später-famen noch zwei Bände: Pamels is high-Ufe, hizzu..

vrernoraci FAR dioſen Zweck zu benngen. @e x gu. ſchreiben Feine woͤchſte Uingchung nahm lebhafe ten Aahril daten, Mist eines Bandes wurden! inehs rere berami nad josuntitunb ein: Metwun, Nie ara veren brherr noch micht ehubt: ud. weirher. einen ee Euthuſtaſamut · im Pablteumn drregte. Wer Inhalt diefes wetſchweiſigen Werkes: laͤßt · ih trot dem it wenigen. Worten ageben. Pamela, ein Junges: dugeuchuften Mabehen, doſſen tern: vortreff⸗ liche aber verarrute LAruce fire; zechnet ſich durch feine Schönheit aus. Ein janger vornehmer Round Kell ihr mif alle caibgliche Weiſe nad‘, aber vergeblich; da We Tine Beharslichkeit: gewahr wird, fo ſteigt deu Gebanken ta ihr :auf, ſier Mane es: durch Sugend und Kingheiiibuhin bringen, daß er Fe: zu ſriner: Gemah⸗ linerhebe; ſte vichtet alſo ihr ſerneres Bebragen da⸗ nach rin und es gellagt ihr. Dies UHR ik mit vder geößten Rusfuhrlichkelt in. Bripfen geſchildert. Balb erſchien eine-Wortfeguug von anberet Sand, ein ms ſtand, welcher Nichardſon bewog, ſelbſt eine ſolcht zu ſchreiben, in der ſich Pamela als vornehme Frau eben: ſoroſchriden, klug und feſt benimmt und ihren Dann ans gefährlichen Verhältniſſen rettet. >. . Blatifja Hirlowe*), Richardſon's zweiter und berähmnteies Rotsen, rat .adjt:Wahte Apktek: in bad Dicht und fand einr noch gänfkigere Aufnahmel Auch bei ihm riſt der Tate mit wenigen Worten ange⸗ dentet. EAlariſſa, win’ Muſtor aller weiblichen ak

*) London 1748, 8 Where in-B.

auber;) {ollı man-ieee: cigenctũ ggein VJaiilic. amıeimen mmürdigen Dias vertzeitathet meshben..:: ie unuf; ba. fe: ch. weigert,. viele Reihen ‚undı Berfalglingen qmäßchen, walde: fi; anteıikeecigenge ſrauers Cies ſcbichte, aführläch iu Buieden am: ihre rcambin ME Same ;- sim imge, Fcurigee auhuſi ſtiſch wenchuenbe: Due, : cujükkk:.. ms ıban Sellin ER auf We Länge nicht wehr uähelten. Tamara Keichliche ſte ſich in dan re aineſs Mabottro Zawelaseyıza hegeben. Dieſer, ein ſchnliches Werkühzer kit ion Nichardſon mit graßere Rauſt: As des Idean tin

geſellſchaftlich liebengürhigen Maemes gezeichnei worden, der bloß Den Fehlen hat, daß ihu weibliche Zugend anb. Chre für Nichts- gilt undı erſtrmatüſch darguf ousgaht ,: binfe an misipineng : ua: eu 1 fländgnbet: Gr: wendet ana, anſßtatt ſie zu beinatheitk. won: Si’ rias Siden und Bichönheit geruhrt, alle ardemn⸗ lichen Mittel au, ſcanen Diva, gu. ennejchen, bringt fie ſogar in cin VBordel und entingt endlich. mie Se» walk und. durch; Opiate das Biel- feineß Strebens Sie ſtirbt nun am. gebrochenen Setzen und ierchfält im Kweilampfe von der vadenaen ‚Klinge eines izrs Verwandten. f ot, tür ip Leon Bi . sru Das: —* zu Bonclare. geichnete Mickachfon in feinem. dritten Romnne, Sir Charles Grandifen ®): Kir iſt der Held sin Maker maͤnclichen; mie Klee xiſe und Pamela :o8: weiblichen: Sugend Finbin: : Sir Fharles Grandiſon iſt ein fe ;volflommener Ghentles

*) London 1738 ,:7 Bu Ds 8: 19 *

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una: ias jeher "Ueli; vaß Ihe Doalter: Oerolt Aiener a:lgoiſtveich de zeichuet· ale: ‚‚ein::fehlscfreies Unge⸗ heker7 008 wie Wirkt wir gekhentst—i Ge beſizt ci teilten, ii bon: Yornelumes: Beairtlie, hah rung anta: Aarauete⸗ led von iin; deeiihn Angen tVötneehrt. ;: cPfälit: aller ſeine⁊ Pftichsen ik ftenpmoferi Deiihiefe,. aka: Gbevail: Mdrtung . wr Hub von, Dat. Proben desentſchie douſten / tu ir abgelegt,/ ſtürht aber Has Daell aus: chriſtlichen Ginnbfägen: uber fortwährend. von. Slacke be⸗ ganftigt: Bein einzlgrs Moalheur ift/ dah er zwö⸗ fait vomchalen/ Ichdnen;tugendhaften, ihm auß Rardentlich vgerieigten Schweſtern von denernez etgratldqh⸗ etu⸗ Kühe nn wäh fa: und vaß Die: arme Eiraawitnay? chat ber) Heſvinnen des NMmune, bl Eiebe Kassier wirb. Kaun max: ſich einen vortrefflicheren uni zugleich langweligeren Erdenſchu Aalen Siv Sharles: Graudiſon venken 1

VIER dieſer NMomane biegt eine ſtreng morale The: Ibee zu Grunbe. In: ver Pamela war es vir Abſicht rdes catutoracn De Wiebe ver Dugend antez Ken wibric¶teln Werhätsäiften: und ihrenSieg in. jedo weder Yage:gı zeigen. In bder Clatiffa ſuchte er ogu bewieifen ; daß es eine Keuſchheit der Seele: giebt, wilde: reim und unbefleckt bleibenkaun, ſelbiſt wenn ver: Leib gewaltſam⸗ geſchanbet rhorven tft: · Ian Grandifon Dagegen: wollte er bas SBdral eines tu⸗ genbhaften Munues ſchilbern mb entwicheln, daß alle Gaben: das Geiſtes und: bes Gluͤckes mr durch vie Höheren Eigenſchaften eines: tugendhaften und

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vigt, ‚wein. fie:ähe heimlich noch bfterner in: mei Ge uk ſchlagt; 2oa fehen: win. unter: Andenm ench⸗ de⸗ end, daß immer dort: die Atsenaften: Gefeenänßeret Gtifette walten , wo innerlich Die: grßte arzuption unter-fich frifet. - Macht doch ben: Menſch inr beden Fallen, wenn es angeht, dem: lieben Gott Eben ſo gern: ctwei.weiß,,. wie feinen Mitmenſchen. um!

Im. nun noch, daß unfen Wntor- eine ringen

She Jaſtiz handhabte und Das. Laſter entweder fd hekchren ober: ſeine ganze Strafe: Enden ef

bex Augend brauchte er es nicht forgenaur zu arhmen,

der wird ja ihr Lohn im Himmel gewiß; ein Dylan, mit dem fich wicht allein Die meiften Mitmenſchen tro⸗

fen, wenn es der armen Tugend auft Erden mißrehl geht, ſondern Das. fie auch: gewöhnlich dergleichen enhig:mit anſchen Kift. Durch die Tendenz elle mard das Publicum ſchon für. Diefe mens Min

gemonnen;. der Inhalt jener Romane that ed woch suche und die biſher ganz ungewohnte Form, beit gählung::in Briefen, enwarb. den’ Weik: allgemeines Weifals, der: vieleicht bisher. noch fehlte. Dies. manen bie allgemninen Arſachen, meh ie

unhehaft feste: Bemühen viellichen ur: Mike den Werth erhelten.Dieſe wchrarſchende mickaliihe enden, erwarb ſeinen⸗Merken gangz beſendere die gaaſtige Aufnahmr Die Zeit, in rdar Micheardien ſchrieb⸗ wer eine sche ‚verherhte.unht: der rcgend wicd von ber: Wange: Immer am Meiſten offantlich gehal⸗

Bricharhfen ſich ſo außerordentlich der Gunt ſeinet Beit zu exfrauen. hatte. Wi: haben bereits: zn Gr

ulhegeishen Tell: Ceſchmachi bis dahin die Menge u endlicheen NMebereruffergefeſfelt Hatte. Mn Die Stelle: dianteuprlichet Ziebesgeſchichten, griſtloſen Un— geheucrlichkriten, abſurden NRaiſonnemeste und ginge Ideen Mangels: iadiviburller Chatacterzrichnuag ine fen nun⸗Aötzlich. Die Natürlichkaͤt Der Eriindung, Ser Empfindungen nud ber MDarſtellung, lurz, hie Waheheit · wurdo rin "ein: Reich grführt, da ihr von jeher gehbrt⸗ hatte; veſſen Beſitz ihr oben iv Ramaue bis duhin meiſt war: vorruchalten worden. Schen wir min, 1008 idee. Noman NRichardſon beſonders Durch ſeine perſonliche Gigenthũmlichkeit zu verdanken hat. Rar Aem, undebnd kant nicht entſchieden genng hervoc gehoben worrden, idie feine pPſychologiſche · Charaeter⸗ zeichnungtu Er war cin ſcharfſinniger, yenauer Merl» achter/ Dr imenfchlidhen Herzens, Der auch Die Fleine er Motive der Hanblungen mie aufmerkſamem Blide verfolgte. und: eine Menge von; Einzolnheiten in ſol⸗ den eisen Zuſammonhang weit. ſauberſten Fleiſſe zu bringen verſtand, daß, menn bad Gange erbig war, man: auch nirgends die geriugſte Lücke zn .entiscdien vermochte, fonbern dio vollſtündige Figur ſich guch wirklich und ganz vollſtändig vor den Augen deß Ber _ ſers zeigte. Dabei ging er mit: der viingutioſeſtem Ber dachtigkeit zu Werde; auch der. geringfügige Umiian) - wird von ihm und zwar ſtets an der rechten Stelle benutzt und er gab, eben durch Diefe Ausführlichkeit im Einelucn. uind Kleinen ; feinen Merlen ben Läufchens den Schein der größten Wirklichkeit: Dies: Feweifen ds wollkommenſſer :Wefriebigung: nicht.iallein feine

ruht ihktonttee, Yale: Mate, cuuiſ c we x Nin Qovelact kr me inner ii παναν geonmenſter und volleabetſter Beichuaug euſchirnca· i. Euxtanetlich gut: Lothacio in weis anuerfpich) kb ſa yeniteit;rtun die Geuudite· gegekon,abn Arte hat in ic auf / das Nlan ſtai weiter urtesgooreneten Perſonen zweiten unb itten eangt Wienz. B. don alten Andrews in der Pamtlaz Miß Vowe und Colonel · Morben in ver Elite ſ w. · Bei Woerth wieſor Beichnungen Wird. tehaht vurhe die Vũtgerliche Einfachheit, "imit- dern MlleaFchildert fFreĩ von Pruntk / und Wombaft‘, abervai RER ten: Gefühle. md der uirgmiien Guinfinbund. Air Mahiheitzunmd Hardt. Mie rEhrend:- Birth Andi hier tragt vir einfacher Darſtellung mit! Grotte Yes zu bene Erfolge brit 3:'B. die: Seenen it Par mela Woider ‚alte Anbrems: ftagt , was: aus ferner Korhiet’ geworden iſt wie :erfchüsternd: Nicht sher Beh Hort! Velten and dem ſchẽndlichen Sinclairz alle. fel- We Sernen: erreichen ihren wolllommenen- Zwech darch Öhte clufache gerade Wuhrkeib, und es Salem ich do⸗ ven le anfſhten. Moni gehn Ten apileer et een war jedoch zu ſeiner Deit nicht/ altin hon de Menge, ſondern anch ;ventemgelntst brdeu⸗ ai; nun: Pi ha ah. want Denia non drin MINE il... ST han nn. U dAnne nut dab hanghey, gellait; gay Leid i% ti rct Ant dear tperfidione.! : 9m .." nv and it irN.Röwez The Fair. PeiitekjrtAnkıu Vote. ıb

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dunberen, Eiriuiınbirichhen bedſchẽze· Neſiu uk Kar siha mik:ioreen inigbeichti und Ihr? Desfelbok Richtui rifiagki,. und: Diderst ihn die ſem,/ . efeh, Brigiaed: ad; Evphoftlesa sau dãe Seite Belltr).,:. P Kane chenfdlührtktisben; als wen D’Ifeachi Ih Ben: Ehal ſprote ber · Pooſaiſten heat I): :-Bei Jo⸗ aen magendas ungeheueno Bepärfasß mac: Natũrlich Seit mad Ginfochheit· te: griſtiggn⸗Werken, DaB ih mamalan ſo vgemqltſaun Mahn ara. und ·ſtch beral märdfehinte, nach, zur Entſchuſdigung dienen; enn ſeiner Beitsumeß Beben gehorchen; auch ‚ber, derſte beheusächt.. 1 Wiharkion..äft Eginiesmeges: von großen Sehlern Weinan.fporshensund ben; Heweis Dafür: Tier Tast ‚Bis geriet; Aufmerkſamkeit ‚Die ſeinen Büchern jetzt Andy .gegelih wirb, end dem Sobe, bag ihm⸗ in uanſeqgen: Sagen: ‚tele: Keruner, wie. gorade Walter Seott und d Iſracli gezollt haben. Seine Character⸗ vichnung iſt allerdings richtig durch ‚die ‚winutiöft Konſequuenzeund de, worer das Laſter ſchildert, aber Die: Zugend windvon ihmeſdets idealiſirtund! Bas: Hk ein Bene Fehlen, Dazu kommt, daß es aühmitbüf rohen moraliſcher· Warme doch ganz /an Dev. Gluth ber. Zeibenfchoft:.fehlt: And er dieſe daher: gerade ſei⸗ nen tugendhaften Petſanen, wo ſie am Nöthigſtim iſt num das helle Licht durch ſtarke Schatten? wirk⸗ ſam / hexvorzuheben, nicht einzuhauchen weiß: Seine HSel duucen iwerden beher een Alktänehen als. wi mul. Ei ab DIE, a Re „3

*) Walter Scott 1. c. III., 26.

**) dlerseliCuriesijeid af Literature SeriecS L

DR Ui Meuibennägttihi, unliıferder Pieſo ‚nheiguee dept,anfi die Tugendi fpeinlint unb heimlich, Fehr Sup Jen mu, helommetıpapurıy ſogar etwas Widerliches Maß er fi in der Schildemmu der rasen :vangirift, Komik. muß" man echt menſchliche Nachſicht Haben Et warlde von Den: Frauen vetzogen, hatte beſtändig ein ihm hulbdigendes tugendhaftes Sesail nich uuh war ſehr eitel, wenn mcch. nicht in dem Grade, wit Walter Scott, der es übrigens ſehr gut, nit. Un meint, ihm Schuld giebt *). VDieſelbe GElathetder Keidenſchaft, ‚Die ſeinen Characteren mangelt, man» geht: uch ſeinem Style; die laus Bürgerlichkeit herrſcht aberall gleichmäßig wor: uud: wenn er auch ſtetagut uᷣchildet, ſo wird die Eintönigksit.deffriben: bed) :auf bie ünge .ermübend. ‚ı Gin: Dritten Cänherer); Fehler endlich in feinen. Werfen iſt die Wahlınae Biieffeum md. Der Vmſtand, daß die Briefe meiſt voniten Hel⸗ dinnen ſelbſt geſchrieben werben. Dudurch hat er ſie in die Mothwendigkeit geſetzt, Dinge zuetghlen, Die kein Menſch non gefunben: Gefühle und am Weniz⸗ Ken: ein edles Weib von ıfch ſelbſt einer Epiſtel an. dertraut, ebgeichen, daß, dad Blanze, ehem: weil o es auf das Minntioſeſte in. Briefen erzählt wi, etwas und Gefchraubtes belommt. no

jr Es iſt Micharbfon gegangen, ‘wie es. fe. vielen

Meoeiſſchen in der Geſchichte gehts aan ſagt von ihmen, ſerchãtten ihre: Zeit. gemacht, wãhrend fie: Boch: ne der erfte Ausdruck einer in ihrer Beit liegenden Noth⸗ re Ey Ep FL En LIE E Ce

183. Walter Seit % WM.,Bm gb (r*-

weni en Bee her augedentet, ba das. gangienSeurs ves Fanllieromanes ſich zu Erhe des ſtebonzehnten uah ja Mfung des achtzehn⸗ ten Dahrhaubettore nie: Aothlvendigkeit aHinähe Via: wichelte. An Michhrifen kam 68. zuerſt voll⸗ ſtinbig zir Bialhe, doch hatte et alıch ſchon in Gug⸗ lai eeizelixe Vo lqufer gehaln And die: NRomanẽ Des Ara Behn remeht noch ahes ver Miſtreß Keywood, beſonbers pie Bimory oſ nus Bet Theugbtiods dle⸗ fer Behteran, mäſſen ald ertſchtedene Vorldufer be⸗ trachtet· werden*/ ſot wie ferner Die Meinen Erzah⸗ ee AT mad Steeles in ihren Zeitſchriften. ee rer hen Marivaur vsrangehen lufſen?t weil ver Soſtete gewöhnlich! als ver Water ver Ryntane der Geſenwart gilt; und ſein Finflut alterdinẽ writ brdiutender war, Wrobhl bes: Lehzte⸗ ten Marianne neun Jahre früher erſchien Tals tie Pamela. @terMbsiwüskigens vurchaus zu gleicher BR. niet. mit Taten Namen Pierre Kar» jet er ee ae EB IR. Be auch Meet in: Bitorh geboren j" wurbe 1723: Qlii- ale ; deri Akn demte ern ſterb nah dinein nhlgrie art gleichslãßig Hinfließenldern Lehen! PISH. LER war ein geiſtreicher frealdlecher · andenrikdthaͤtiger MDeann, von angenchniler, aber Kußodie Länge durch feine Spitz⸗ ſindigkreten ernrũbrender Untretzakteng. Das iſtuſo roten 02 A ν Bezos =ing *) Dauidpik 1, 456: Win Ausg Des RNb⸗ che Bhine Betöy "Troughktes findet ſich“ dri Keichard I: ed, 9. ist vo ? 9 #9 ya un tk 1917,0nD 48

0

RER ziemlich Xlled, wan aaa feine. Bingranben:: (bee Ih gu berichten wifen ). In. feinen Luſtſpielen, Deren er viele: hinteylaffeen. hat und Din. Dani; varzüglich auf: dem Tiyntre ‚Italien mit. großem Erfege wefge» führt ‚wurden und, tr: lebhaftar Anfelihung-wigle Börner fanden, huldigte er ber Nataͤrlihkeit sth zus Plattheit und war. bad auf ‘her. anderen ‚Seite wieder fo geſucht und: vafſinitt, Pakıman biefe-Mwe ſich auszudrücken nach" ihm mit hemi Panute Maris vaubage bezeichuste*®)., Vehrigend beſaß er Scharf⸗

finn, eine feine Kenntnih des wenſchlichen, beſondees vSErſuidaugt⸗

bes. weiblichen. Herzend und' einer dacken gabe. Dies hat er befgudars iu bee beiden Nvoll⸗ endet. von ihm Hinterlaffenen Romanen Yin: meldgen

er ben Ton für. dieſe! attung auf eine Zeitlang angab und manchen Ruhe fund, Hasiepn "ji. Re |

MIA. ii. Ita .

mei. *) Biographie —** —& BE

39) Dier ‚einige Veiſpiele yon ben, PER po;

rinqudagt nennt,, aufs Gerathewohl feinen @cheiften estlehnts : Lajsaoz, mal;röreg A valay: Ik: me Ayukt an "79% de-loisie..pogs miajusier: zyec Ann chitt "TR ine

ehicage: et;;je van tächer de -Iaaeontimer A’ le-Batl-

gm ‚La: sature ‚falt auges:.nouvent,de. sea trikkeries- la, . elle ‚enterre, je. ne saigscambien de ‚below nen aqus: des wisagon: vommyng 5; op. my: commalt. rind. ah puis quand ces gens viennent & se manifester, -vous voyez,. fies. verfus ‚qui sortegt d4ifessoha;shmel ı:

g, Super. ‚Diesen. hinterließ erinach. aa esjählarben Schriften: Aventures de * ® ® ou les-Efiets ärpee-

.

255 heißent Vie. de. Marianne. ou lo Aventures de ia opm- ine de. 4 And Le ,paysan pamenw. Ich gebe hier be Ahali Des enferen.®.. : Die Gelkin erzählt (elbR.iige Behnnsgeichirhte,.., Bivai Jahr alt, mit ihren vermeintlichen Eltern auf, einer Meile „Begriffen, bleibt Marianneallein om Leben, 8 .die Kutſche, in ber fe ſih eũnden, van Raͤubern angegriffen wird. Der Perser einga benachbarten Doxfes ‚nimmf fich ihrer un uud exgiehte fig. Pig an ‚ährem TcchBzehnten Jahre. Um biefe Bari mir „pie. Schweſter deſſelben zu einez fabenden Merannpbtinnach Varig ayrofen und nimmt Berionne sin Ay; am, ih a sin, Unterkommen mmxm maTonk Arc’on Dana „da, da Sympathie, „Bode ang , 5 vol. if gr. dem Voifmrengmbonrhee-, Paris 1714. 3012. InSpepikeng; fypnppln- „rpria, 1722, in, 12. „Phar- Samond ou —* Folies romanesques, Paris1737., fpüs ter unter. dem &itel:, he. Den. ‚Ayichatte, ‚moderne in (ap Werfen, ‚aufgenommen. _ Histpire de Made-, weile: Gafpm. «k.de,Monsiege_ le Gris, im, 12tem Yonhejeiner ſmmtlicen Werke. Die ‚Dehtzahl dies fa. Ghriften. anhört „an „keinen, Jugendarbeiten, huldigt im fräberen. Befhmadg ind ſteht, ber Marjanze, aus jſrerdalich nahe Meine ſammtligen Werfe erühienen simmgelt zu Varis 1779,13 Bde. in 8.

Die. erſte Auagabe trat 1731 zu Paris an ds did 3 Wochen, in 4% : Die von mie benutzte iſt bie Edition Caain, Londraſs 1782. 4 Bvchen. in. 16. dier findet fih auch der von ber Riccoboni geſchriebene Echluß, ohne daß dieſe fich iedoch genannt hat.

18 +

276

zw: verſchaffen; wich aber plötzlich kraut ib pres ber Pfarter verfänt in Blönftun und das asımd junge Mädchen beſindet fich allein nad: ohne alle Unter ſtüßung. Sie wendet ſich nun au einem Geiſtlichen, dem ihre Freundin fie auf dent Sterbebette dupfoh⸗ len und- dieſer übergiebt fie einem Seren be. Climal, ben er für einen wohlwollenden Menſchenfreund YAlt, der aber ein heuchleriſcher Wüflling it. Marianne wieb zu einer Lingere, Madame Dutonr, gethan, und während fie bei derfelben werweilt, enthüllt Cli⸗ mal allmäpkig ſeine Fchändlichen Abſichten. Sines Sages, aus dee Meſſe gehend, hört ſie nicht, Daß eine Kutfche ihr dicht auf den Ferſen if, Takt und vettenkt ſich den Fuß. Der Beſitzet des Wagens, ein Bere be Valviile⸗ ber ſchon früher ihre Auf⸗ merkſamkrit auf ſich gezogen, eilt ihr zu Halfe und läßt fie in ſein Haus dringen. Er erklaͤrt ihr feine Eiebe und wich dabei von Climal, bee fein Dheiĩm ift, ſich ſedoch nachher ſtellt, ald kenne er Mariaumen nicht, angetroffen. Nachdem Maͤrianne in ihre Woh⸗ nung zurückgekehrt, macht er ihr datauf feine ent⸗ chrenden Anträge, welche fie mit: Abſcheu zuruckweiſt. Valville hat trotz dem, daß ſie es zu verbergen ſuchte, ehren Aufenthalt erfuhren, geht zu ihr und EEE mal zu ihren Süßen: Marianen!s Broftibfigkeik über: biefen Zufall entdeckt biefeuf ihre wirklichen Gefin- nungen. Et entzieht ihr num feine Unterftügung - und fie wendet ſtch von Neuem 'a-iben Geiſtlichen um Beiſtand and trifft Climal bei ihm, der fie ihn ala undankbat geſchildert bat. Diefer: aber bkaun Nichts

224

Re fe thunz Da. führt fe ihr Weg bei der "Kirche eines Kloſters vorüber, fie tritt hinein, überläßt u dort ihremn Schmerze und wirb von einer Dame bewerkt, welche die Priorin befuchen will. Bu ders ſelben geführt, ‚erzählt Merionne nun ihr Leid und jene Dane, - Madame de Diitan; nimmt Ach -ibmey . und bezahlt die Penfion im. Klofter für fir Vald nachher erzählt Diefefbe ihrem Schühlinge, Daß ihr Sohn, Belville, eine vortheilhafte Heirath aus⸗ gefölsgen wegen eines jungen Mädchens, in daB ex ſich verliebt, als er e8 eines Tages, da es ſich den Fuß verlegt, im feinem Haufe aufgenommen. . Ma⸗ rienne geſteht ihr augenblicklich, daß fie ſelbſt das junge Mädchen ſei und Die Neigung eine gegenfei« ige, verſpricht aber, ihr Moglichſtes zu than, um im von dem Gedanken einer ehelichen Verbindung mit ihr abzubringen. Valville betheuert jedoch feiner Mutter, daſt ihn jede andere Heirath unglücklich ma⸗ chen würbe, und fie willigt endlich in ſeine Vermäh⸗ kung mit Mariannen. . Um ber LZente willen follen ihre Jugendſchickſale verſchwiegen bleiben, aber ein Zafall führt Die Dutour zu Valville's Perwandten, gerade als M. Dort mit. Ihm shren erſten Beſuch naht, ſo daß Alles an. den Zag kommt und biefe ſch ernſKlich Der Heirath widerſetzen, Endlich find elle Schwierigkeiten aus Dem Wege geräumt, ba ver⸗ licht ſah Valvile in. ein anderes Frauenzimmer, Marianne iſt troſtlos darüber und eine Nonne erzählt ihr nun ihre eigenen Lebenaſchichſale, vm Fe Durch

ii. Ne.

78 ben Wergleich tik ein ihrigen etwas gu "birgt 3 te nd x” ent ar * 2

nn... mn Mitten in dieſer Orsählung Hat’ Marisaiur"akf- gehört,” Mahdame Riccobbut Jedoch mit widicht Tas fente und gung im Geiſte und in” Der: Manterbes teten Werfäfferd den Reuman "zu be‘ gefühckr). Nachdem fe ziert bie Mecbings Irkereffürde,cber Beinesweges in näherer Werhtüburig art vent Haupt⸗ Inhalte ſtehende und sieht als Dew'Wlerten Tell: des ganzen Buches Füllende Gefchichte vrr Ronne ſchlicßt führt ſie nun Mariannen's Schickfale eben ſo anmu⸗ thig, wie ihr Vorgänger dieſelben berichtet 230 Alte: Valville, zu ſehr Den Reizen einet 'äbereh imtri⸗ guanten Schönen hulbigend,“ wiltemitvieſer! Hark England entfliehen, wird aber darun verhindert lich in die Baſtille geſetzt, während ein Offteier ſchon ein älterer, aber vortrefflicher Mann Mätiatrken feine Hand und fein Wermögen anbietet. Sir Fahlt jedoch, daß ſie nie aufhören erde, Kin Mgetrenen zu lieben und ſchlaͤgt 8 aus.” Vuivitſe wird ine Baſtille krank, Mariauine ent "zu That? and ver Schmerz über ihn erſchüttert fle-Hetnläßen daB ei töbtliches Uebel fie befalt. "N Fehl" MWüthiite ſrin Unrecht ein, erfennt ihre wankẽelloͤſe Seidk'unn Tehrt vol Liebe und Reue zu ihr zuchel.” "Dies Jefbroett ihre Genefung und ſie ſollen nun endlich cheikh ver⸗ bunden werben, als es ſich entdeckt, nah, Seariaune

) © Revus des Romans, par · Fusbuo Gr... 1., 70.

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ne vorher Vaillie und unb bie ſchottiſchr Her« se von Kilnate, befen.: einziger Sch. fih wider fünen Pißen. wit. einer —— verheirathet and damals auf! der Reiſe mit ſeiner Gattin und feiner Dientrſchaft eriothet wurde, ihr Oroßvater iſt.

Jeta ſteigrn in Valville Zweifel auf)! vaß ihre an⸗ neſcheuen Rermandten bie Verbindrag wit ihm nicht billigen werden site weiß aber ihren Großvater, ber ſe a ſeiner einzigen Srbin einſetzt, dazunu bewe⸗ ger, und: Allen: egdet in Liebe und Freube.

Dieſelbe Idee, wie bei der Richarbſon'ſchen Pax

mela lirgt der: Marinane zu Grunde, Kap natmlich Zugend und ſtrenge Redlichkeit doch zulezt den Sieg Damm tragen, wur hat Marivaur dies im Allgemei⸗ an. mierndlich feiner durchgeführt, da er feine Heldin als durchaus: uneigennägig ‚wirklich und innig lie⸗ hend und frei, von aller Berechnung darſtellt, was beider Pamela nicht der Fall iſt, weſshalb jene auch weit hoͤher ſteht, als dieſe. Die Charactere ſind vortreflich gezeichnet und mit wenigen Strichen ſelbſt De mitergeor dneten :ficher und beſtimmt hingeſtellt; ſo 3. V. zeigt ſich Madame de Miram-als ein Mu⸗ fer naturlicher and" wahren. Gerzendgäte, wie man Be jorgäniig:.bei Wenisen, ſindet; Mühame: Dorfin ihre un Martannen?s Iodnnbin iR Bing,’ mie die Schlarik Gen unb vhne lich wie dis Lauben; Climul er ſchtint NR riniwollvcbetericſeuchler, Der vor Moligre’s. Düne taffe wechi.bie Feinheit de Betragens vornus hat Valville Uewbtſelbſti in ſeinen Verivrungen moch lie⸗ beabwuͤrdig und: Diwrigumg muß: durch ihre naive Un⸗

befangembrit: End rhlededhte' Maryic⸗ uhpad. mein üle- müthes jeheg.Hen gewinnen. Peibit dier dicle Ron; bie. Ririgäre ;ifh lebendig und gutz DmachgefichreAuch bie. Sitnetionen find qut erfiabeng Men gleich?nicht immer wahrſcheinlich und höno ad wieder Mrfiah- lich, da Deus bloßan Zufalle zu viel überhefienjbleiht und des. natürlichen Autwicelung adrech bemmehd in Den: Weg gotreten: wich ‚aber Ach, oor Keier die Fragt muhbröngt, oh Diele; ide Dinge nicht. arder . geftaltet haben wärde. Eigi ach: groͤßerer sche, bei. Vuchen iſt die, Tage: Epiſede non Ber Wanne, indem Die Aufmerkſamkeit daaurch zu ſehr nuterhten gen. und. gu Lange von der Heldin: nägelenfb: wird, ba man. doc) begierig fern. muß, Mariannen's weikend Schickſale zn vernehmen; auch ſcheint .e8. unnahirlicht daß biefa,; ihre Geſchichte ſelbſt engählend;: gs: buge bei den Begebenheiten riner Fremben, die aur gen) untergeot dart duſteht ad. faſt gar nicht in den Gang Ber Dinge eingreift, verwailt „Der Harptoaruuui endlich, ben man Maxrinaux mit. Mecht gemacht chut, und ‚bes nicht, allein dieſa, fondern alle feine heilt ten, trifft, eigentlich aber nur che Alebertreilug dt Gegenſatzes gi dem Kipfchmuike: ſeiner -Beik. mar, AR bie Affertation ſtitits ;SylB ‚ı dis ſich Jogae:..krubel Nuchlaſſigkriten: peffelben: bemearken Eißt;:: meidit que weils snleriiagg -Tänklich: find... (MFH: vollu: nait erſcheinen, aller :ber AInhalt Htinkend. nicht immir a dem ngemuntiresgene. Tone zunh, ‚Lie; Berdühtug ‚PM fetten und. ehnafihnigen} Grotznken miödlichtrtic⸗ fach and täglich vdrzutragen, werleitet ihn sft;:eitt

BR -

ne bikini Iter ſtaJange gu wenden: uud zu buchen und In.haımizlen Foenten darzußelles, daß exı.fe am Ende ganz neubanen hats - Die: Miiyekät.npisb ger sets daduech Haller pretibs und geſucht uud. vos iſt vb Shlimmfte, war. iht widerfcheen Jann. Yrbrir and. Si Da. Mine - voll, feinte und zarter -pinchele- ug und Marivour verbient den Na⸗ we den ihm ein franzs ſiſcher Meitäber gegeben, le wisphyeieien- de eacur, mit. wollsm Rechte. Mit Unna vird ex freilich dahei zu minntids swehrzenlegt sudibetandstek auch Die geriugfte Foſer das Iyneren wit einer ufmerkſamkeit, die zulehzt ermübet *). -

Sein zweiter Roman, lo, payban pasvem **); delen Inhalt Ber Titel andentet, IM- chenjals won übe vicht zum Schluſſe «geführt morben uund Kat fe url:i ‚werk: Eeimen, Fortſeher gefunden: : Der Gift, walcher eine: ſo feine Charactergelchuung lie⸗ jette, mag Marivarx indeſſen auch nicht; wir dür⸗ ha nicht, vengeſſen, Mas die geihseiche und fcherfe ſurige Madame de La; Fayetta ingieler Oiaficht vor ihn geleiſtet Int. Wa and) ihre Romane: ſich nen Feen . !: t Hbf. Revue: Jlea Romans, Ih, ‚79, ji Vileraie bh, 408.5 Daabop. 1 c: IM. .: 309.5 CDunlop Tedut Mulendie Kestiehnas: her Bhicabani gar niht). S nr. Ufer Moxtoanz,; 3’ Alembert , Histaiın des mei} Inn. deuknondiitin ‚Sranceite hante depeis: 1700 :jus- Ware KR Th. di 80 Be... Rache trag zu Sulzer’s Theorie B. 6. S. 110 ft - -

**) Paris 1735. 4 vol. im 12. 0... 02 6*

heroiſch⸗ galnuten· arſchlaeſen: tie ſis iahe ſen mis Aberragen) ; fo bleibt nintbe atlich ———— ae Choves An ·anerkaiurt Naſſiſches ERDE | Wecher, erſindauigereichee; mild: zu Pohteni.äher: ſyrudelnder: Gechalitat and mis⸗ gleihi-trofligen pſochologiſcher · Entwickclang, icher uigleicher Dicht führung ſchrieb Prevvt DEF Feine Nomanaeneu ter denen namentlich ſeine Mans Seseaut: vin Medi ſterwerkblaibt, iiſo nich: uch" tm > Gitzelnen dagezen zu orinuern ſchu agDas / Eeben dleſes Mami war. ein ſehr hewegtes. Er ward im⸗ Jahre160

zu * geboren, und: trat: in feiner Jugend ia den Sefuitenonben;, ben er aber ywei- Mal: wieder ver⸗ ließ, mn der Fahnezu Felgen; -Bes:ywilben: un wüſten Treibens müde, ließ er ſich daraufe als Br vize von’ den Bonedietinern von St, Maur aufneh⸗ men. nud lagte auch überſtanbenen Probejahrer ftir

Gelabde ab. „Kaum: Hatte ‚or Sies jedoch gethan, ah ihn auch ſchon die Rene darüber befiel z er eutfloh

nad. Gngland, ſcheieb Hier einige ſeiner früheher Werts und ſchloß eine zärtiinhe Verbindang,welche ihn noch mehr von der Kirche entfernte. Der Prin

won: Wohti,: der ſich ſeiner aunahm, Lermittelte

feine —— ——————— nachher Serretsiz und Großalmo ſenir veſſelben un).

Er lebte nun mit. großen. Eifer: chvift ſtelleriſchen

Wefgüfiigungen,; ward aber wehenifeihen Kheiinchwt

an. einem’ Sonrueke, in welcen die Wegieraig hef⸗

BUT Te +) S. oben. ©. ara de J re ... ben

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dig Wer ande gelffen zonben, verbannd urb. begab ſich wach Weüfel,; " Setu'@pil' vauerte jeboch nicht lange; er —* lautbar feiner Heimkehe untl Heytei: Fein vdriges lee Ei Latze vor fetkel Rohe | zog et Nich Auch Stii girmin bei Chan⸗ HG u Anfo anenern cpaznrrgauge! vavch · den Mald Hr. DET Vro ſantolebtee ar. den warde ouni Mauein gefaaden unten Bas Sand Bi: Pfarrere · gebracht, ar im RR wieder: zu ch Wie: ver· Soalpel Din Dorfchirurgen verige: af Befrehlo veẽ Dfrigteie fteiren o wollte, '&r erwachte jevoch Ken auf vinen Audenblick; ſtieß einen heftigen Sechra aus unb ſchloß dran die Mugen fur ter, Wirheilban 'pettehit von: ber Re: ws Winbergteh au 23: Rapanlbek' 1763. wen MYroboſtzeichneteſich Auer hbeſrwers vor fol nen Zeitgeuvfſeit xaswaß er torunnteſche Micntente Ain den Jonitlſclrtoinan zu vbringen und vieſe kũhner euere aber ſehr·anziehanado Weiſe in wav⸗ rise mieten barherlichen Vrrhaͤltniſſen za verſchmelzeu hie. Deine uherihähfliche, freilich Antinter elbfuifpuingenbe Phartiaſte verfbandies, ſei⸗ den Eihopfungen ehe reiches farbigen, vielſeitiges · eo· Po eingöfehhen, wider ib: Daher als der erſte zu bes kkachten; ini in: Nonrane der Gegenwart dns Wedite Genf "ala! dem Beblirfiiffe: ber Beit volkommen ont⸗ Pre. Hatte ee vor en ungl Bun BI oo 2) Biographie 2 Wet. * —* Exiles...4 1.33

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gerelinanund ſuh nicht zu fehr em feimen: heißen Eabilvungakraft und ſeinen Hange zum Antzewöhn⸗ brchen vnd Seltſamen hinneißen Taffen, fo würbe.:ed bei: dan. aAußervrdentlichen Alagen, Die. ihm Die Mau tur gerade für den Bossan verliehen; sin Minikir} ſchtiftſeeller geworben: ſeyn: Hoch Jet werden feine ° taniinhkichen Leiſtungen auf Diefän: Gebiete Hakfiy ae leſen, und feine heile Arbeit, Manon Leseaut, erhielt Ei ganz nenerlich: die Ehre, zu gleicher "Beit: zund Muflagen; von denen bie. einervut Illuſtrationen: ver⸗ ziert, Die: andere aber van; Sainte⸗Veluve mit einer Einleitang ausgeſtattet. morden iſt, zu erleben. Bit wollen. ven Inhalt feiner. Drei beſten Romane, Hi Wolgs:da Cleveland, Histeire. de Manon. Leaant und le „Doyen de Killerine * hier ſolgen Taten. 9

»+ 8.

* NMelalfo de-M.: herein, - —* da Crann weil: ou. ie Pbilosaphe Anglaier: Paris :173% 4A :voll ia 12.,— "L’Histoire du chevalier Desgrieux et de Mason Lescaut bilbete zuerſt den erfien Aheil der Mu: kıeires et .Aventures d’en. homme de qualite qui n’ent zefirg: la. monde, Paris 1792: "8 voh in 12: meh eiitr: ſpaͤler. bäußg allein herauſsgegebrn. - DieiiBu iſt: wieberhelt. und neh ganz -Fücskih. in: Has Deud füge Abertdagen wurden. —:: LeiDoyen.de Killerami Histoire mordle;, . compodee sur I6s:.maimbirde.: Kon Qvteit famille ididlande.ı Paris: .179 2-38. ‚Grrak in 12. Außerdem fohrieb er no: Le-Beur-et-Ie Konire} otioi Peitſchafft ‘bier vosjdgkich Alit ienglie fer Kiteratur befhäftigt. Paris 1733 40. -20.: voh

2: Gieheiunt odasZielie DER erſten, if beraten liche Schu Kiliver TEromwells. Von feiner Mutter in größter Ginfomleit; in einer )unterkcbäirhen Hötl⸗ bis: zu feinem. fechsgehnten Zahre erzogen, won feis wen Mater verschläifige und verfolgt, faßt ee einen Subezwiuglichen Haß gegen biefen. Er veriret fſich in.ben Müngen, verzweifelt :Sarın,, ben rechten Ting wieder zu finden, und legt: ſich hin, entſchloſſen ben Dee erwartend. DR erſcheimt ihn ploͤtzlich sin Heiz dee, abgemagteter, umordentlich gefleibetie:- Win) Eo iſt Bord Nxminſter, der ſich ebenfalls hichet ge flüchtet hhat, um ſich vor Cromwell's Tyrannei zu ſichern. Dieſer bringt ihn. zu feiner Familie: nl Clevelauh verlicht ſich in feine Tochter Fanny. Ed Schilderugg des Entſtrhes und des Wuchsthums oil ER Neigang in on mit den Ding. ber’ wage

in 42. —. "Cape ——8 4 —* in 1 Paris 1741. Histoire de Marguerita:d’Aujon- Pao lich. rin id =; Hiitoire d’one Girscque mölleme: ‚Pace 1744. .'2 el. !üw 12; © :Memeired peut. derrir &..ihistäire: de. Maltö su Hinene —— jeismase dir cmmmmedleır de *#*, Darin 192.2 Yolr in 425.0 Memoires Yun heunste hokime,--Piakis RAN] %5i Muadetimotal. ): Bazis 1760. 2 BR. cin Patılag Mönstites peut :sehvk UYbisteire de In-verku? Park) 1792. 4 voll ia WW: RS. Seine 'Deuviek \dliöhkiek efihlenen in weutſter Cagabe-un Patis 18214. 839 Sbe) in 8. Autch hat er“die Clariſſa und den m Grandifon in HB: Itanzoͤſtche Überbingeik -- + dei mas BR

U 2

unbelaneten: Herzen Ub. meißerhaft dubchaechchet. Später, nachdem er: bereits: Than in Franeeich ger weſen, felgt- et: Bew Gelichten in die Miloniſſe · Amo ritaꝰs und mird hier varer tauſesd Gefahren und Hin berniffen mit ahr varkundem:n Qr iind denn der Hiunt⸗ Uns vnd Mohlthãter einer ämnber wont Maidea un bet dabei Gelegenheit, die ganze Energie ſaines. Mit ſes zu eukfekten. > Side: wegeguänsntmn Mifexſucht ſei⸗ - apr. Gattin, FJahree lang man infor ſcrweigend ad fh beruns geinagen, führt euhlich saeı neuen. Abenn tenern und Free ataſtronhen. Bm Bas. inte⸗ efanteilen. Epifaden „gehärt: hion richreikmgseiet fat. unpiginglicken Inſel. in; darn Pike Reh Wer, enfmeirher ſub veeichenkiiche Regina Nochella mieder geleſſen ‚heben und einen eigenthänlie as ſehn glucklichen; Stast bilden.Min RR: vn täslicher «Bohn Cronwella, ber. uflligt ſeinen Bm dan Cleveland naher kette, aczibl: dieſen,e⸗ en· hont geſcheni an! sit. ah .sno% Kaprun mei) Der «Reha: net. Rente A DIR Bes Michker Felle: wit: den Woorten bngeichnehs hie AXXXI wie «et axahlac exzaͤhlt ate Miete Uber. Fomilie in Braut... Die che rolutiqn Sich nach Franxeich Aban ſuedrlth e lädt zu verſuchen ‚Den ANelteſtader ſalhen, aba be Droaant, begleitet feine Bermegbien;. m,äbsten.mih ſeinem Rathe. beisuftehen. .: Mia wialfachen Mibenkettt Perlegeheiten und Dresginfe,, weiche, kie Familie in dem fremden Lande treffen: und. dugch bie, außer⸗

Aentliche Stuhl Yen Skpmehtr:, den cixgeijcdes smeiten nat die ich äche a: Jangſten: Mreuders ver⸗ anlaßt werben, bilden: den Inhalt: ver Erzaͤhlaug ur er! Mean Inrschukunig "aIB :chsi:' vor⸗ decfliche M Ehe and Menberaber Ingleich alsein ——————— langweuiger Sir * iger. Gun si

MDis Geſchichts det WMhevalier ——* und * —— HE Srsmektt vorktefflichſteMvbeie and aleibb;ickuuh vielen Fehlern; ein: Meiſterſtuc Der Chendöite el „fangen: unzofeherner Mbenfih, vortient: ſach in Manen Letra, ehr verloernes Mine EXR keiden, Munn intunnt‘ nahen. ihar Duſtucht au ihren ** ls Sie 5 are Tanke iar · Abcbele beirünen; nur ſich nee ce Vebontoauterhaba gu veeſchaffei ei Aauenes elfacher: Untreue, trotz den Kenne haugen dev·FIteaade can Virwaueon Dei: Orogrieax⸗ ten ber Anaurigen Lite) in Die: er ſitch bucqh ved⸗ Fat, HET u ac ich won / Iooguteiſen Gh eher Ar ihetignabi: une bin IHR Aber gaach un MDritad vonbäntehjuent vorTäit Nic: nich hiar vcch⸗ EI er fer, unse gunbegieiteist Dort hg een he fie PER · vin / MAuſer Dart vreneſtraie aud iſtanbhafteſten· Biche-unt flieht :eit ibm ir Se) WEI ner fh, vono Kanuues mid Anſtren⸗ gungen, erbchkeft Mich. Beurer Bene veich grrich. ni: Ea eriſtrs caue ſchlechte Forkickung, welche einigen Ausgaben Hinzugefügt iſt. In vdieſer lebt fie wieden f nd boſteht aoch viele henteuer

in Nobi We it ST ee zur αν ipae aherbe War faſſer dere ji: .D :... nid madraar 3a: Biel —— Mut, melde Peine vei shelich vor ſeinen. "Beitgchuffin <anf „ons Jelde det Nomaus onszeichhen, Rer poctettor: NAxichchaciſei⸗ ner Phantaſie, das lebendige und gewalſige Sitcbeinged in die glüßesbert Ziefen ber BAbEnfchft und die limit: delbarkeit feiner Barfteliimgen. Bermisträßfrerteiiil bat. gr alletdings den Nocnan· der: eyenwäctliufter qubendlih 1 gefütbrrt;;.: indem „Ar :Hefiew- Bebitd zuei GBeitwi_Yin: erweitzste, cimmal: Duzıteiäfe: Gehen kung ungelvähhlicher., Zabex „nah: ——* hlani ſſen Tinacleget᷑ murglicher: Ereiguitfe „(bau varch die SchilBernug nah Vutwiielang angewiui lichiner / aber vcht · menſchlicher Deituiifchefben; Dei iur hu ) æben ſarſehn: Dinge," Wie ehe Seit ea. Gharcetors herauafteli: Dadurch Fan mei uch ee een ne xrale Mlhheheit: iheini, Mel wenn ſeine chäiranturd: zuchhitjäniene gen: geſchũctt. ine} Aiogt: amd QDl gertcht. under achcheino, chen Fa 1: auch ·nichtabeße Miete Meibern iongeifen,.: Die FÜR Menfienigeiignifihier uk: wiekliche BR axfepesi; ik heiemrheien che anti üben : Ta viek. Echrvche ewig: TOrtähl dr ferien * Sr gehtrues auch mict ſeinen EEE ſianſinch oft. ſelafaan uhr lid horkaigcſhrt ‚nioner wewhivist, eben: (ham Dineheil) num nähe iche ja mdapiidl maria Mu

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heft,:fo erſchũtterad wahr, Te gang und in ben klein⸗ fen Sheilen fo feſt zuſammenhängend, daß fie Ges mäth wie Einbildungskraft auch bes Bälteften Leſers greifen und feſſeln müſſen. In ihm iſt mehr Ge⸗ nie, 8 in Den anderen Drei zuſammenganommen; ime ware nur hohe Talente, die zu ſchildern ver- ſanden, was außer ihnen Jag, er aber lebte in feir nen Geſchöpfen; was fie freute, hatte ihn gefreut, was Fe Titten, hatte er gelitten, unb alle Charactere mb alle Situationen Die en zeichnete, ruhten af feiner Seele und auf feinem Leben, fie waren feh⸗ Ierhafb und unvollkändig, unklar und unficher, wie er ſelbſt, aber fie waren wahr, menfchlich wahr, Die Siader eines glühenden Herzens, einer heißen Phan⸗ teſie, einer wilden Zugend, welche Leidenſchaften darchtabten und reinigten und’ gu einem milden Al⸗ ter verklärten *). Er iſt es, der im neueren Kor mese der Monſchennatur ihr gutes Hecht wahrte, denn er draug in ihre Siefen, während Die Andern ſich nur auf der Dberflaͤche der ſoeialen Verhaͤltniſſe Kweagten und wicht weiter hinahſtiegen, als ihnen mer. Gereichung. ihrer: Zwecke nothwendig ſchien. Seine großen Fehler habe ich ſchon angebeutet, Se entſprengen zum Theil eben aus feinem Genie; große Fehler Hat auch nur ein folches.

Folgen wie wur den Hauptrichtungen ber eben geſchilderten Romandichter, fo wird es ung elleudings leicht, zu beftinimen unter welche Antegwic *

*) Ba. Villemain 1 ce L, "360. 19

nachſten Nachfolget zu Bringen find‘, doch Dürfen wir fortan bei dieſen nicht zu ausfühelich verweilen, ba die Bahn nun gebrochen war ind. wie den Roman von jetzt an ſtets auf Fortſchtitten zu bogleiten ha⸗ ben. Richardſon fand in Deutſchland mehr Anklang und Nachahmung, als in ſeinem Vuterlandez Hier vefchienen bedeutende Talente, die ihn raſch verduu⸗ kelten; Frankreich dagegen, wenn es auch Einiges von ihm annahm, ſchloß ſich Doch feinen eigenen Mu⸗ Kern an, und bie einzelnen mehr hervortretenden Schriftfteller auf dieſent Felde benutzten bald dieſe, Bald jene Weiſe, hin und. wieder auch -Gigenes:-Hin- sumifchend, bis durch Rouſſeau eine tete Werbung gegeben wurde, Die in ganz Europa Wiedethall fand. —: Die übrigen Nationen lieferten ih der nächkten Beit-zu Unbebeutendes, um bier berückſichtigt zu wer⸗ den. Bei ber: großen Maſſe des ſich Darbietenben. if es indeffen nothwendig, die bisher beobachtete Weiſe aufzugeben, und bie Romane der einzelnen Nationen sad) diefen zuſammen zu faſſen, ohne jedoch den ün⸗ neren Zuſammenhang und Die gegonſeitige: Siawir⸗ kung und Rückwirkung aus den Augen zu verlieten. Da England während ber erſten Hafte des acht⸗ gehnten Jahrhunderts Das Bedeutenbſte lieferte möge ihm Der Vorrang gebühren. : : :

: Kicharbfon fand noch. währenb feinen Behens einen. gewichtigen und ohne allen -Bweifel weit genia⸗ deren: Webenbuhler: in dem Verfaſſer Des Mel geleſe⸗ nen Tom Tones. Henry Fielding, aus edlen Ge⸗ fchlechte, ber dritte Sohn des Generals Edmund Fiel-

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Ying „ara PLN, gehemmt, enkieih: eine wife Bidung: und iſtudirte die Rechte ie Reina ..;: mußte aher Diele Studien unterbrechen, „ie

fein Vater e8 ihm an Gelbe fehlen ließ. Run kam er, wvch ſohr jung, nach Sonden, feinste fir: in. den Wir⸗ bel der Benftzeuungen: und arbeitete fleißig -pon 4739 8 AA hr die Buhhne. Gr xermahlte ſich darauf in.ıheushehben: Br mit einens: liebenswürdigen jun⸗ gen: Maücdchen, das⸗ nicht: Bang: mittellos war, :crhbe zw. gleicher Zeit ſelbſt ein keines Beſitzehum und ließ ſich auf devrſelben nieder, ſpielte aher ſo ſehr Dex vornehmen und veichen Mans, daß er bald. mit feir net: Bermögen. fertig warde. Seht wandte cr ſich wieder feinen alten Stadien. zu uyb yrarkiritte Deus als Rechtagelehrter in Landon mit. gutem Rufe, und Anſehen. Die Außſchweifungen feiner.: Jugend erhor beit aber nr ihren: Boll; heftige Gichtanfälle zwan⸗ ge Ihn, jene: Prexis aufzugeben. und wieber zur Zeder zu greifen. So entſtenden neben einigen, Buh⸗ ninftäden:ttise Romane JeuephAndrens „1740, Abe Bistsry ‚of: onathan : „Wild, the dowpeg. u froe· thiß wend:to o neztz und, miele nolitiſche Pampbhlaterund ti eine -Buffühe::;274R mars: ex. Friedensrichter Für Weſemin ften: uni Middbeſer und: fchrieh: in “feinen Mußeftunden fein berühmteftes Buch History of a Fonadäng: (Feet Inne) Dieſem folgte fein Roman Amelka,::fein- letztes ad’ ſchwaächſtes größereß. Merk. Seine Geſundheit mar. aker: Ko. genftänt (er lith zu gleiten: Beituan Waſſenſucht, Gelbſacht und Aſthma), daß er, nachdem er vergeblich in Bath geweſen wan,

19 *

on: vleneres Alima auflächen mußte, : Erging much Eiſſabon und ſtatb Hurt werige Monate nachher. zu Anfang det ODetobers 1754 Ik ei und viergigßen Jahre feines Lebens)...

Ich Darf Fieldings Ronane und nameutliqh den Som Bones, da ſie jegt noch immer gern geleſen werden und von Beit zu Beit in neuen Ueberſetzun⸗ Yon erſcheinen, als ſo allgemein bekannt annehmen, daß eine Darftelung des Inhalts derfelben unbeftrit” ken Su den überflüffigen Dingen gehören wärbe. Io ſepyh Andrews war bekanntlich eine direrte verſpot⸗ tende Parobie der Pamela, fo. wie Zonathan Wild eine Spitzbubengeſchichte im älteren, von den Eng⸗ Kunden Auch bieſer Wichtung hin, ſtets gepflegten Geſchmacke; beide können bier alſo nicht in Ve⸗ rracht Tommen, Tom Jones dagegen ſteht volkom⸗ mon ſelbſtſtändig und ohne Nebenbuhler da; ans ihm And daher Fieldinges Bigenfchaften und Fortſchritte vor Nichardſon zu entwickeln. Gr hat beſonders daB Ye :feindm Vorgänger votaus, daß er dem wotali ſchen Pedantismus und ber Erotic: gemathten Sitb⸗ lichkeit Die baate Naturlichkrit wit allen Ihom: ſar⸗ TR; wie nat Ihnen ſchwachtn Seiten barellte sub Die Menfchen nahm, wie: re wirklich And, “nn: bie kon mal! Pan £) Bee Per Ze Be 7 :

WR. abet th: Kt. Marphys Bingen phte deſſelben, vor. den von ihm herausgegebenen Works d Fielding. ' London: 1762. 4 Wie, in 4. . Wal ter Beott 4 ©. ME, 41.;. Nichols 0 Adtonary Antedotes M., sei pe. Ä

Latend eigenn, ober das Laſter teufliſch mochen m woſſea. Geſunde Mahrheit in der Kuffoflung des gebent und her Charneters iſt daher his vorzůg⸗ lahte Kraft Fieidings hie feinen Momanyy bie vorr hertſheupr Märbung verlezht. Im neneſen Bufanr aerhange mit ih. zeigt fich ſein Schlels eben fe netuͤtlich, geſund und wahr, immer den vente, wenn: auch mitunter denben und in: Der ſogenanntey guten Geſellſchaft Häufig verrufenen Fusdruck, ergrsie fend. Mer. Beim Frenub morgliſcher Schmiaken ih, wird ſich alſo in Fieldingis und feiner Figuren Gier ſelſcheft ſehr wohl. beſinden; der Vorwurf, der ihm oft gemacht worden, als ſuche er wilde Usregelpiä⸗ higkeiten der Jugend ſelbſt bis zur Liederlichkeit durch leine treffliche Darſtellung geiſſermaßen ia: Schug zu nehmen, krifft ihn keinesweges; ſeine Menſchen ſind allerdings ſchwach und leichtſingig, ‚Haben aber einen ſo edeln Fonds von Herzensgute und Find, fo ftei von unlauterem Egoismus, daß nur rin vertrock⸗ ner Schulmoiſter die Hoffnung aufgehen. kann, es werde fd aus hiefem fehäumenden: Moſte mit. ber Beil: ein fehe klarer und edler Wein heransbilnen, Dis gu brwoiſen, iſt auch im Tom Jones die Auf⸗ gebe, vie es ſich geſtrilt Ant und vollkommen erreicht. Die Fabel iſt fo vortrefflich erſonnen, ber ‚Mau ſp Sit augelegt und bie ganze Handlung in allen ihren Eingelnheiten ſo zuſammenhangend ah babei hig zum Shlufe fo xonſequent durchgeführt, daß dieſes Bud immer als ein Muſter gelten wird. Eben fo treflich fnb Die Chatgetere geufichneh; der wohlthatige, ‚tur

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genbhafte, aber leicht? Zu beſchwatzeuder Alworthy, ber gutinthige, Brũske, voriginelle, unwiffenbernund doch humsriſtiſche: und feine Weſtern, die uhvers ſchamte Wellafton, "die hergensgute RUFEN und Ends Tre vie Beiden: Helden ber Geſchichte ſelbſt, ber Find⸗ Ying mit ſeinem zwar zu Beiten abwärds: in buas Ges meine: declinirenden Leichkfiniej: ber’ ſtets vumme, aberinte ſchlechte Skreiche macht ind 'Bie fe wahr⸗ Hafk;“ zättlich und muthig Liebende Sophie eben: fo wohl, wie die üntergeorbnekeit- Perſonen⸗4. B. vie veiden Pedanten und die Kammerfrau, cſind TR Richt friſch, aus dem unmittelbarſten taͤglichen Leben’ her⸗ aus genommen? Ibealiſirt iſt da freilich Nichts und es läßt fh foget mit Kecht per Babel vorbringen daß Fielding aus Haß’ ‚gegen das Aut zireIdicht' in WMamnier ausartende Sbealiſtren, hinſichtlich Des: Ge⸗ gekiſatzes zu weit geht und zu gtoßes Gefallen ‘am Niedrigen findet, was denn wieder: au vadurch voll⸗ kommen aufgewogen wird, Daß er eben ſo Böcme, als glückliches Dalent zeigt; ihn. es gilt, ber wirklichen ſo oft Leben erkannten: Tugenðiht gutes‘ Net, befonders der Beuchelei Yegertliberii’gh wahren. I Bader waltet vbenbrein ũbertill eine: ſo dechde güte Bauiie," die das Komiſche ſo friſch zu vorgreifen din for plaſtiſch Becgüftellihineiß, daß #3 Einein Hide init ihm igeht, wie mitunter im Leben mit’ manchem bekabtin Menſchen, en an Aber Willen Tagen map: Er ee ungehotzener· Schlingel abrr boͤfe kann man Ihm? docht Nicht ſeyn, re wir Wem' ware dertzleichen Ask Ton begeru 5 BR!

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In dieſer naturgetreuen, komiſchen Auffaſſung des: wirklichen Lebens, beruhend auf dem Gefühle des Echten sm Menſchen ſelbſt und auf einem freicy Blicke in Das Weſen der Geſellſchaft, wie fie eigent⸗ lich immer iſt und, immer: men, muß dann auch Der eraße Fortſchritt geſucht werden, den der Familien- roman „offenbar Durch Fielding gemarht hat. Dieſer Schriftſteller würde dem Cervantes zur Seite zu ſtel⸗ len. ſeyn, wenn er das Ideale im Menfchen nicht abſichtlich ignerirt hätte. Zum Zheile lag das aller« dings in feinem: Widerwillen gegen Das ſüßliche Trei⸗ ben Nichardſon's und der Richardſon'ſchen Eoterie, bie denn euch, durch ihn nicht wenig gekränkt wurden, zum Theile aber auch - in Fielding’s jugendlichen Aus⸗ fchweifungen gemeiner Art, bie Die Anerfennung bes Höheren: im. Menfchen während der Zeit der Kraft lühmen-. und. später aus Trotz und Reue ihn zu ab⸗ fihtliher Verneinung beſtimmen *). Seine. Geniali⸗ tät, :.feime fruchthare Erfindungsgabe, beſonders im Schaffen eigenthämlicher Charactere und Situationen und feine: trotz allen Verinrungen ungerftörhage geir flige Gefunpheit. rettete ihn zwar eben ſo wohl vor einen. zu. abſichtlichen Gemeinheit, wie vor blaſirtem Indifferentigmus, aber jede beſſere und innigere Na⸗ ig wird doch die Abweſenheit das Idealen in ſeinen Bomann nad) ſchuiſtalhen nie, ale Dei 4

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Gage, denn er bat meht Gemuth, als dieſet, und AH im Tom Bones höchſtens Durch die. Zeichnung von Sophieens Character einigermaaßen entſchadigt ſin⸗ den. Sein letzker Roman; j Amelia, zeugt ſchon yon großer Abnahme der Kräfte und feſſelt bei Weitem nicht ſo, wie der Findling; dies liegt vorzüglich daran, Daß er ſich zu ausführlich mit Den ordinärſten Miſeren des täglichen Lebens beſchäftigt, ‚und‘ daß ganz gewöhnliche, wohlfeile Charaetere viel gu breit und umftändlidy gefchildert find, fa: wie endlich, duß in demfelben viel zu. geſchwätzig belehrt und geſchul⸗ meiſtert wird. Auch /iſt Die Kabel weniger gut erfun⸗ den und der Styl viel fehlechter, als im Tom Jones. Einzelne treffliche Scenen, wie 3: B. Be, wo ber Vicar Bennet feiner Frau ihre Untreue‘ vorwirft, oder wo Amelia am Abende ihren unwürdigen Gats ten erwurtet, finden ſich jedoch auch Bier. Fielding fand bereits zu ſeiner Zeit einen mach⸗ tigen Nebenbuhler in Tobias Smollet, deſſen komi⸗ ſche Romane bei ihrem Grſcheinen außerordentlichen Beifall gewannen und ſich fortwährend in ber Gift des Publicums erhielten. Wer ſich noch heutigen Sa⸗ ges einmal vrecht ſatt lachen will, wird den Peregtine Pikle und den Humphrey Clinker gewiß nicht wie⸗ der aus der Hand legen, ohne ſeinen Zweck vollkom⸗ men erreicht zu haben. Smollet ward 1720 zu Ea⸗ meron in Schottland geboren, war der füntere Sohn eines jüngeren Sohns , und wurde von fernem Groß⸗ vater, der fich, als fein Water geſtotrben, feiner em

gensenmen amb Thu: sine wifſfenfchaffliche Wilde hatte geben laffen, zu einem berähmtan. Wundargte zu Glaſsgow in die Lehte gethan. In feinem. neun⸗ zehnten Jahrt giag ver nach Londan, nm dort fein Gluͤck zu verfuchen, trat dann als Unterabundarzt (aux: tgeensꝰ mate) im den Flottendienſt, machte. bie Erpe⸗ bitise nach Carthagena mit und, geb, bald deß Kacki bens in Ber englsfchen: Marine aberdrüſſig, fein Amt auf, verwrilte cine Beiklang in Jaunica und Tehute Darauf 1746 nad) England zurcack. Er ließ fi kin in Sowbon als Arzt. nieber, erfreute ſich jedoch Feines fonderlichen Praxis, unb widmete. fid Deshalb, nach⸗ bew.en.fih 1747. vermählt Hatte; ganz den Schrift ſtellerſtande. 1708 erfihiem: fein erfter. Roman, Bo; defick Random, 1751 fein gweiter, Pewegrise Pickde, den er vorzüglich während eines Aufenthaltes in Mar thö::gefcwichen: haben: Soll, 1758 fein Prikter,. The Adventures of Ferüisand Count :Faihom, 1760: jeis vierter, The Adventwes -of Sir Imureslot Gresies, 1769 Die poliriſche Satyve. The Adventeran: of: en Atom/ und 7774 Nr Ichter Roman, The Experition of Humpkry Cliaker. »— . Buben Besifhenräumen verfaßte er eine jeht.:gefchägte: Geſchichte Uinginabs; graͤndete und leitete eine Zritſchrift, "The. Critics] Review ,' gab feine: Reifen. heraus and! Ichrieb mch- rere Gebichte. Seine) zenftäute ‚Sefunhheik hatter ahn gezwungen, ein wärmeres Klima aufzuſuchen. Nach⸗ dem ze. ſtch vergtblich am irgend ein Conſulat in einem der: äfeh des Rittelv⸗eres bendrben haste,

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ein :er: mb: einer Gattin nach Elvorno un ss bort am 31. Prtober 17749).

. GSmellet &E ins mehrfachtr, Sinficht.eine. ‚Werk märdöge Erfeheimmmg auf dem Gebiete Des. engliſchen Nomans. Erſwar⸗ es, ber zuerſt bier ‚palitifchen Sympathiern und Antipatbiede Raum gab und; won ihnen heftimmt, auch eine direrte politiſche Tendenz in: Denfelben, neben den andeten dem: Romane noth⸗ wenbigen Richtungen verfolgte; ‘Dies wer. früher nicht geſchehen; Die rein politiſchen Romane, welche England aufzumeiſen hat, : find: nur. zur Werkiunli ung von Theodieen geſchrieben, aber. Hhatten allein, wie bei Swift, den: wir deshulb auch: weiter. nicht ausführlich. berührten, nur die Außerfte. Krülle: und Form des: Nomuang und: gehörten eigentlich directder Satyre an. Meber Hicharbfon’s, noch Fielding's, ja Help de Goes Romanen Tanwmıctau aber alumer⸗ Bin, wie das politiſche · Glbaubensbelenutuiß ihrer Ver⸗ fFaſſer eigentlich beſchuffen ſei uud Hiehtend. wird her⸗ ans findenob / dieſtlben zu Den Whigs oder: den Auvies gehoͤven. Mixe: war. anderd bei Sinrnilet,..Der guanz: xntſchiebba der Zories⸗ und High⸗ churcha VPar⸗ U anhing/: amondlich fetnen Landsmann Korb Vutbe vot ſüglich gogen Willes ui verfechten ſachte unditſetart plitiſchen Geſinnungen · uber all entfchieben aperte/ Winx er iu. Galeginhait font; dieſelben auszu⸗ Al ini ER STATE GM ni 9 Dr Mooie , Aillriofil. Smwälle:.; Lasijlon, 177% Altletsan) bed of imellet;: Michels bitemury. Anaode- tes Vol. II. p. 460. Walter Scott l. c. HL, 62.

freche; for huch inn Ronnie) ncilheti funannmn vie: Miltel dazu dabbut 1: DR U forthen iſorge blteu bei: and man wirde ſelten einen eagliſchen⸗ Whmian finden, deſſen: Richtun anbi Eckbuny nr Die politiſfcho XRichtung erh Bender: des Autors be⸗ urkuavete. "Die: Politikeiſt einmali ſo AO" vem Gans un’ Beſen eines jeden Eugländers verſchmolzen, DAB ihm ſein: politiſches Glaubensbekenntniß Höhen: Reh alsuſein religidfes, und er hier tolecantertftögegel Anbersdenkende/ als! bort. Det Roman verliert nichtẽ daburch⸗ ſondern gedeiht mic; veimmal maß de’; wie Aberhaupt jede wichtige, Goſcheinumg ves Lebens, auch dieſs unrfaſſen; zweſtentz geroclint die ſubſeetive Kraft ver Darſtellang ſedenfßalls vavutch.Mur gegen eng⸗ liſche Kritik in: äſtheriſchen Bingen muß: es uns Maul länder mtstrauiſch waren, bonn auch hier aAbſteahirt ber Vritte nicht Davony ter: Tortz iſt ſchon won vor heretn getgen vasmn erk eines Whigs eingenommẽell und umgrkehrk. Fleet Jonrnale ltragen ine beſtimutte in ſyolitiſchen Farbe uns Dibſeiſt⸗ ſtetz fe Aubghugspünbt. AAuch die vor zugtichſten Sehrftſtelꝰ lert baſſen⸗ lb Ele immer) But ar Rue ia feinen Beurthellungen Ton! Poetiſcheu @l Runge wett: nuchſichtiger gun Borles als gegeñ Wiigs g vie Bela Anden’ Th. 1a innen vft angefſche ten Memölrsofr stinkt -Novölittei Auf! 'Jchit Seile. Sn) amd diebor lwẽrden · yet ey: ſpater anf dieſe: Grſcheinung vafmerkſant Armeen abeni, TEN Heine foit 1A8180 rare fraugzoſtſchen SCorxanẽ mumndſerirt 3 Ra ee

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eine Hauptſocht aufhalben, da win Dei Roman. met BR: gultuchiſreiſchen· Standprruete XX zu Ketgad: ten haben. Kehren wir:cffe zur: allgemeinen Ba tzechtang der Swolleteſchen Ramane zurck .. ., Gmellet wird: gewwhrlich mi. Melbing: zufom: men geranat, und: bad) deſteht Ahr: Bufammarhang aus in den Contraſten, Die fie. zu einander ‚bilben, wähnenD ihre. Aehnlirhkeit allain bosnuf beruht; Rh fie die Natur namen und danſtellten, wie Herwan Sielding ergriff hier daa Gewöhnliche Miktägiee Swmollet Ing. dagegen das Ungewohnliche, Een ſche vor. Darm ging: er. einen "Schmitt weiter deb dr, während en, win Feelding, das Leidenfchaftlich⸗ und, Poetiſche verſchmähte, dach ‚mit grpßer Kraft dacth Darſtellung :bea: Echrecklichen oder rhobenei zu exſchüttern ſuchte, ad. eben ſo in der Steigerung bes Komiſchen zu: Werke ging. Aber waͤhrert fein Rebonbuhler wit großer Beinmenheit:: und Bohr onbeitete, ließ er fi zu ſchr von feinem inneren Auer und der ihm eigenthmlichen ungefünen Geh tigkeit fortreißen up geriedk denuch theile in dire treihnagen, theils hob ex eingelne Partchleen zu ſeht hexvpor und ſtörte auf dieſe Weiſe dir innere nethvem hige Harmonie „feiner AL.) ehe: hmm: war mehr AB don : dreaſtiſchen Efect. des Binzelnen, Weſosderen, As um ie gleichmäßige zuſammenhangende Miflant ME Ganzen zu. tham. Sieldurgz Int mahrndie Muß war ihrt woraus, nic Der er her ſainen Leißnggen Wehh.. Maͤbrend ihm Smolet : dategen in iersui Mot Drnnmekian des Veſonderen üheriegenihleiib

Er feisR daubse freclich sichtiun virſen Mangel: om Ruhe; da er Fi bewußt war, berall: eine. leitende unb nach feier Meinung andy berrihende Hauptiber in feines Werken zu :Srunde :zu legen, aber:;gerabe hier: tãnſchte er ſich oft am Suärkiten, zumal da Ihe auch das moraliſche Nuͤtzlichkeitsprincip glei einem Bopfe.:im Nucken banmelte, wenn er es nicht (was frellich ſchwer zu: eutſcheibden iſth hinterher aus Deus Fertigen ale Schhugz und Schirm gegen bie Augenbe haften im Publitum unb deren VDorwũrfe abſtra⸗ birbe*).

Unter. feinen Eomanen :ft: Peregeiie Pickle dee geiefenfte, Humphrey Blinker dagegen unſtreitig bei beſte. Noderick Nandom if. vielleicht eine. Nachah⸗ mitug bes Milblas und jebenfulls‘ cin; aus wirklichen Reminiscenzen zuſammengeſetztes Gewebe, mit ein⸗

*) ©. bie. Deditation zu. ben Adventures of Fandi- nand Count Fathom, wo er ausbrüdlid fagt: Let me net be condemned for baring chosen my principal <harscker .fran: the: perlieus of: tresuliery 'anud fraud, when Z-duxlare-wry purpeme is to set him up as. bes- con. fer thoubenet: vf.the ;isexperienned and unwary, whe,:fram the yerusd ol’these memoiss, may: lcuna to -zreid. ihb miankkeld ıinares: wäh wiäch tiiey ars eom- tmally: serrounded ix Ako paths. oE Hife, while Shoie wie: henliäte.on the brhik of. inigaity may be’tert- ſied kom Plünglag. inte ‚that ‚irremediabls gulf.Isd mie- veying ‘the "depäoralite Fatılte of Fiendinand Gomit Me thom. Br

4‘

gelntn sehe geluicgenen Menden‘, gett ge zuichſteten Gharadteneit ıihbı vartrefflechen cechil derungen Der ‚Eike ten feine Bist, aber hit: zu eraſchen ı aan Pinſel⸗ ſrichen adie hanfig: nichts ala. -Derpealtomäninferei geftaktini.i:: PBpit. feiner und vollendeter geht: ers im eregrine Wiebe: zu -Merke, :dech.nekmiit man chier bie: Rexiitigleitz und ·Behaglichkeit, Dual welchenet am Roderick Random ſo Fehr::den..Zefer: zu feſſeln derſtehk, auch: And der Uebertrgibanges weit mehr in genen Buche, waß fnoilich dunch deſſen groͤßeren Reich⸗ thum an Characteren und Seenen entſchuldigt wird. Als ein. großen Fehſer ſin vemfelben muß Die: gu! Aocker damit zuſammenhängende, nad) Art der früheren Ro⸗ mane bingefkochkene Epifode betrachtet werden, welche He, Memoiren enter vornehmen: Dame (der Srrüchtig⸗ teit, Zahy Vane) ensbält*); und dem Gnnzewiffr Die Beitgenoffen einen pifanten Geſchmack gab, - dem Haut Gont des. MBildpretes: wergleichbur, Der auf

fang zur wu miigu 5*: tobrtos Hi Hm 4:9) Lady Uhne: waär Die. Tochter Teines wen Mirecto⸗ un! der Mudſtemagazine, Fraucis Hawes; :neerhäßlte: fi 218m. Qord William Familton und · mach · deſſen Aode mit Lorda Rane (1735) mit dom ſte sfhäter. mehrere Naudaloͤſe ·Proreſſe fuͤhrte. 3Sic Lieferte Sinollot nicht elle die Materialien zu; dioſer Epiſode, ſondern ſol ihn auch nachher noch fhr die Bearbeitung ſehr äanſtän⸗ Big: belohnt: babelis-.cı Lady: Bankıiftanb: rA qu Lon- don nahen. Fahẽet reiten W. ‚Bcati]: « c. IM., wur

nlrißnberuht. Auch iſt dieſe! Mifebe yarlang ie erhültniſſe zudem: Gnzeitun 7 :liinı 29.11 32.,7} Die ganze Aebenswurdigkeit und: Inhigksit Ib 8 Bemüther:— Beitıi watz Jeiner;,niilten sheftigkeit beſaß Smollet:i Beide. Eigenſchaften din Hhoͤhem Bu: de ) + offenkarte ven. in. feiner Neiſe ıhessönttsphren Clinker, :feineu.:ldgten un. reichſten Mnmasie, Kae} er durch die. eingeflochtenen Erinnersingen mun ſeins Vaterland einen: eigenen, warmen Bon: verligh, melr her höchſt wohlthuend auf ben Lefenseinwinkt. Sie find‘ Die. Sharnchere, und noch Dazu: in. Briefen gang aertrefflich und wit großer pfychdlogiſcher Feinhenut aänßerſt wahr und conſequent gezeichnet und die Sr tuationen eben: fo glũcklich hetbeigeführtiunh angelegt. Die Urea, Pie Eindrücke, welche der Aublick derfeh ben: Gegenftaͤnde nuf ‚bie: verſchiadenen Mitglieder einer eng verbundenen Familije macht, zu ſchildern und Jedes ſich innerhalb. dieſes eigen Kreiſes nach feiner ganzen: Gigenthünlichleit durchaus frei bewe⸗ zen zu laſſen, tb. chmiifn vartrefflich;t wiendie Aue führung derſelben meiſterhaft. Dabei find Pie Eine gelnheiten fo gefchickt, an einander. gertiht, :Dakı.Ür Ya: einbin: chen schen vnd zugleich weit, ‚kiefarge Biile:in das menſchliche Heyz ala in einen. fych beten Romanen zeugen. Alles Di haamoniſcher, SW higer,;- milder; die Späße Find: chen Ja Inkig: uud Deattiich.,. ‚aber: keuſchet Ohren erkuagen Ba. hefler und man ninunt ſelbſt be ber bane Pu Bil mit der Fr due. In En ”n *). W. Seattle Hh;: 3 ehe in TNENT pl

——

Bupe, ‚tie dem Selben ein ſetmer Hodhgeikänäigt: ge⸗ ſpielt wird, leichter auf, da ſte wohl hart an bie Grenzen der Decenz ſtreicht, aber deeſe nicht fo eyniſch Aberſpriugt und vernichtet, wie dus: B. int Pevdegrine Pickle fe häufig geſchieht.

Dir Launcelot Greaves enblich iſt eine unglück⸗ Aehe Nachahmung des Dun Quijote, eben ſo weit bieſem nachſtehend, als ſpaniſche Deakweiſe und Sitte von: engliſcher entferat iſt. ‚Einzelne ſehr Lomiſche Effecte und gut gezeichnete Charactere ſtuden N wach Bier, das Ganze bleibt aber feiner Aebertrei⸗ ungen und Anmahrſcheinlicheeiten wegen ein verfehl« tes Merk.

Aus dem bisher itgetheilten eigt ſtch, wie sah ber Familienroman in England nad einen Rich⸗ tang bin ſchon die Außerite Grenze erreichte und in Ser: bauren Auffaffung ‚der komtſchen Seite menſch⸗ Hier Berhältnife des täglichen Lebens fi) fo ſtei⸗ gerte, daß Jeder Schritt weiter über alle Schranken hinaus in-bie Uebertreibang, Unrwahrſcheinlichkeit und Vnnatur Führen mußte. Jede Perivde, welche Sr⸗ treme erzeugt, trägt auch Deren Gegenſätze in ihrem Schooße. So war es hier. Bei wein kamiſcher Auf⸗ Faſſung menſchlicher Berthämer und rein vbijectiver Darſtellung menſchlicher Laſter bleibt Dası'Semäkh pafſiv und bie Poeſie hat ihr Ziel wicht: erreicht, ſon⸗ dern erſcheint unvollkommen, Das Gemuth aber wahrt Seine user: Rechte ſtets bei Ur Eutwickelung des menſchlichen Geiſtes und der Verſtand tritt ihm wil⸗ lig dienend und uñterſtützend zur-:@eite, nm. die

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Phantafie zu ihm zurück zu führen. Gleichzeitig mit den drei Schöpfern des Familienromanes in England erhob fich ein geiftiger Heros, der von demſelben Ausgangspunkte fortfchreitend, fich fiegreich eine neue ® Bahn eröffnete und bisher unübertroſſen auf derfel⸗ ben geblieben iſt, obwohl Miele ſich bemühten, ihm nachzuſchreiten und es ihm in geiſtiger Freiheit gleich zu thun. Dies war Laurence Sterne, ein Mann, deſſen Lebensfchicfale eben fo einfach. find, als fein Geiſt reich) und manwichfaltig war. Er warb im Jahre 1748 om 24, Rovember im füpkichen Irland geboren. Sein Buter war ein Officier in der Ar⸗ mee und mußte inn den damaligen Zeitverhältniſſen ein unſtetes Lehen führen, auf weichem Frau und Kinder ihn meiſt begleiteten. Er flarb im Jahre 131 und ein Oheim nahm ſich des verwaditen Kna⸗ ben an, gab ihm eine: gelehrte Erziehung und ließ ihn zu Cautbridge ſtudiven, wo Sterne 1740: Mastor of ai wurrbde. Er erhielt barauf. Die Pfarre zu Stil⸗ lington und nachher zu Sutton, wo er nahe an zwan⸗ sig Jahre feines Lebens: zubrachte und Pie erſten Bünde: feines’ Zriſtrvam· Shandy verfaßte. - Spätes ließ er ſich in. Mord nieder, machte dann längere Wei⸗ fen durch Frankreich · und Italien, Iohete darauf nach England zurich um: >: Per: am: Wien März 1706. zu Fond);

Pi: Wi. Süett, Misoellaneuus :Preose: Works HR; 146 fgde, Rerriar, Iletrutione af: Mems: Landen

1798, 8. Verliniſche Monatefhiift 1795; Februarheft. 20

Sterne erweiterte das Gebiet des Romans durch Die größte Freiheit - fubjectivirenber Darftellung. Kicht die epifche, harmoniſch fortſchreitende Ent⸗ wickelung war ihm die Hanptfache, fondern die vefler- tirende Anſchauung, ber der Stoff..nur eine Neben⸗ fache ift, nur ein Hülfsmittel, um bie Wirkung Dev verfchiedenen Eindrücke des Lebens auf Geit und Gemüth des vom Leben: und Willen gebildeten Men Sehen zu verfinnlichen. Dadurch zerfkörte er allerdings Daß eigentliche Weſen des Romans, aber ex führte den Humor in denfelben ein,. der, Indem er das Le⸗ - hen. in fih. aufnimmt, zugleich über dem Leben ſteht. Wer: über-die Erfcheinungen des menſchlichen Daſeyns au reflectiven vermag, wird ſtets von: zwei Empfin⸗ dungen berührt werden. Die eine erzeugt Das Ger fühl der Unzulänglichkeit menſchlichen Strebens und der Unterordnung alles Endlichen, Die andere dad Bewußtfenn folder Unzulänglichkeit, verbunden ‚mit ber Verehrung des Unbeſchränkten. Jene tft nieder drückend und ftimmet zur Trauer, Diefe Herubigend, teäftend und enhebend ; denn indem fie. auf Die Gott⸗ heit hinweiſt, erfüllt fie uns auch mit Dem Gedan⸗ ken, Diefer ehen dadurch näher gekommen zu ſeyn. Das Mit der Humor, der ſtets beſchäftigte, ewig un⸗ befrichigte. Sein Familienwappen iſt ein Fragezei⸗ chen, oft ein verkehrtes, wie es die Spanier zu An⸗ fange eines fragenden Satzes zu ſtellen pflegen, dar mit der Leſende gleich den Bon danach ſtimmen Fönne, fein 2pofungswort, bie Liebe. - Ein Freund von mir begleitete einmal Gpethen auf einem Spazier⸗ |

gange. Anterweges fließen fie anf einen armen Kam ben, der. am Wege ſaß, den, Kopf mit den Händen und die Arme auf die Kniee ſtützend und fo in das Blaue hineinftarrend, Junge, was machſt Du da? Worauf warteſt du? rief Goethe's Begleiter. Worauf ſollte er warten, mein Freund? nahm Goes the das Wort. Gr wartet auf menfhlide Schick⸗ . falle So auch ber Humor. Er ſteht am Wege und laßt die Wolfen: vorüherziehen und. Die Sonne ſcheinen; fie mögen ihn durchnäſſen oder ihn trocknen, das Fümmert. ihn felbit weiter nicht, denn er meiß, fe müſſen e8, aber.er denkt Darüber nad), wie Die Wenſchen ſich Dagegen vergeblich wehren oder nicht genug,haben Fönnen Davon, und lächelt oder weint, je nachdem er ſich die Menſchen denkt, über. fie und mit ihnen. Die höchfte Ruhe iſt daher Die noch» wendigfte Baſis des echten Humor, da jene aber nur den Wenigſten gegeben ift, fo haben dieſen auch nur jche Wenige, woher er bean fo leicht forcirt erfcheint. Er iſt modern und ftügt ſich auf der, chriftlichen Auf⸗ feffung des Lebens anf der duldenden Sehnſucht nad) dem Höchſten; die Alten Fannten ihn nicht, weil ihnen Die Erde Alles war und fie den. Himmel ayf die. Erbe herabzogen; nur darin, wie fie ſich Die Götter menfchlich dachten, lag er; aber das mußten fie nicht. Dee bewußte Humor blieb ihnen fern, wie allen Thatkräftigen; erſt Die. neueſte Zeit konnte

ihn geſtalten. Der Roman, wie überhaupt Die ganze eigent⸗ liche Dichtkunſt, hat nicht, Durch den Humor gewon- 20 *

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sen‘, denn er kümmert ſich um kein beſtinntes Jiel und: dieſenn ſoll doch jedes poetiſches Kunſtwerk, um vollendet zu werben, harmoniſch zuſtreben. Wo die Poeſie in Jugend blüht, wird auch der Humor nicht aufkommen, er iſt ein Kind vollſter geiſtiger Rife und allem Werden fremd. Als Sterne ihn in den neneren Roman einführte, hatte dieſer, nach einer Kichtung hin, wie oben bereits bemerkt wurde, aud) ichon feine Bahn gänzlich durchſchritten und das bür- gerliche Leben der Gegenwart nach allen Seiten hin in’ rein: poetifcher Auffalfung dargeſtellt. Sterne nahm nur Vorhandenes, Alltäglidjes und knüpfte in freieſtet Bewegung das Geinige in dieſen Faden. Er glich einem Spaziergänger, der feiner Laune wolle Herrſchaft läßt, bald einen Kreuzweg einſchlägt' und bei jedem Steinchen, jeber Blume finnig verweilt, bald wieder mit’ raſchen Schritten auf Die Landſtraße zueilt, am ſich bier wiederum voni erſten beften Ges genftande von ber alltäglichen Bahn ablocken zu Iaffen, weil eine dunkle Schlucht feine Neugier reist oder ein Hügel in’ der Nähe eine fhöng' Fernſicht ze ver- fprechen fiheint. Das Wichtige läßt er oft unbeach⸗ tet und‘ bas Geringfügtgfte kann ihn Dagegen lange feffeln. Wann er das ferne Biel erreicht, ihm gilt es gleich; er will luſtwandeln und erreicht. burch feine Weiſe vollfommen feinen Zweck.

&o-ift der Stiſtran Shandy' geſchrieben, ein unvollendetes Buch, einer Schraube ohne Enbe ver- gleichbar. Wer nur Stoffliches will int Romane, wird nicht ſeine Rechnung dabei finden, wen es aber

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freut, das menſchliche Herz nach allen Seiten unb in allen feinen. Falten zu betrachten und vom Frem⸗ den, Einzelnen auf das eigene Ganze zurück zu kom⸗ men, ber wird an Sterne vollkommen - feinen Mann haben. Ihm iſt nichts: Menfchliches fern und er verſchmäht nichts Menſchliches. Seine taufend und aber tanſend Apfchweifungen - führen immer , wigber gu dem Einen, Dem menfchlichen Herzen zuxück nber vielmehr fie verlaffen daflelbe nie. Der Faden der Geſchichte dient ihm nur als Mittel, um Alles loſe hinein zu knüpfen, nicht um der Ordnung oder des nothwendigen Weiterbildens wegen, ſondern, um es zuſammen zu haben. Daher gelangt. man. denn in den acht Bänden eben nicht weit. fiber Des Helden Geburt hinaus und bis zu Deffen Zode ‚hätte. ber Vers faſſer vielleicht des Behnfachen beburft. Mit dieſem Muthwillen uns iugmer wieder vom Wege abzufüh- ven, wie überhaupt mit Dem ganzen Mushmillen, der in bem Buche vorherrfcht, werben. wir aber leicht . ausgeföhnt durch die überwiegende qutmäthige. Den- fhenliebe, Die ſelbſt aus den ſchelmiſcheſten Zügen herpatleuchtet, fo mie durch die Fülle ‚des, Geiſtes und bie: Aberqus feine; Chapaeterzeichnung. Wie vor⸗ trefflich find nicht. die heiden Brüder. und Gegenſätze, Shandyn⸗der Vater und, ber. Dinkel JAobias; geſchildert und zuſammengeſtellt, wie meiſterhaft die Uebrigen, namentlich Zzder Korporal, der Geburtshelfer, ber lebhafte, forglofe- Pfarrer, die, Wigtwe Wadman und Suſanna durchgeführt und, um jene, herum grup⸗ pirt. Eben fo wenig fehlt es an: wahrhaft und innig

s10

gührenden Epiſoden, wie z. B. die Gefchichte des Ze Fevre oder Die Scene, wo ber Corporal in der Küche den Tod von Triſtram's älterem Bruder erzählt, noch an Fomifchen, wie z. B. jene, wo Obadiah den ODoctor Slop in den Kot wirft, ober wo Toby des Älteren Shandy Eitat aus dem Sroftbritfe des Sulpicius an den Cicero für einen wirklichen Bes richt von feines Bruders Reiſe nach dem Orient hält und Anderes mehr *).

Walter Scott hat Sterne zwei Fehler vorge worfen, Affeetation und Unanftändigkeif, Dazu ges felt er noch einen dritten fehr harten Zabel, den des Titterärifchen Diebftahls **). An Allem iſt viel Wahres, aber es findet Entfchuldigung in Sterne’ eigenthiümlichem Wefen. Er brauchte für feine Weile einen großen Reichthum an Wit, fuchte ihn, nahm ihn, wo er ihn fand und benußte ihn eben fo. Ob er zu weit ging, möchte ſſchwer zu entfchetden ſeyn; er wäre eben nicht Sterne geweſen oder geworden, wäre er nicht ſo weit gegangen. Mit feltener Frei- heit und feltener Ruhe ftand er über Allem, unbe kümmert und arglos; denn die reinfte Humanität war fein Leitftern. Daher liegt auch hinter’ dem Gefuchten, Gefchraubten, Geftohlenen und Invecen⸗ ten oft ein fo tiefes Mitleid mit der Wenſchheit ein

N

*) Die erſte Ausgabe des Zriſtam Sandy erfihien | zu London 1759 67; 9 Be. in 8. Deutſch von Bode. Hamburg 1776. | xxæx) Walter Scott 4. c. III., 134 fgde.

811

fo inniges und edles Gefühl, daß man ihm wahrlich nicht zürnen kann. Ich erinnere nur an Die Ger fhichte mit dem Aufziehen dee Uhr bei der Beugung des Helden und feinen fchmerzlichen Ausruf darü— des. Dus iſt fehr indecent allerdings ,. aber auch tief rührend, denn mir zu lebendig gemahnt es an ben Fluch, den das Herabſinken des heiligen Beras fes der Ehe zu philliterhafteiter.. Alltäglichkeit über ganze Generationen gebracht hat und 'nod) :bringt. Mau ift geneigt, befonders an Sterne zu tadeln, daß er mit Faltem Blute fo indecent fei, aljo mit größter Befonnenheit, aber gerade da thut man ihm am Mei⸗ ften Unrecht, felbft wenn man fid) auch beimpgen fin: det, Vieles auf Rechnung feiner Beit und namentlich feiner. Nation zu fchreiben, die dergleichen Dinge hisher ſtets often und keck behandelte. Sein Humor ſpielt mit den Dingen, wie fie find; feine. Entſchul⸗ digung, die er.gegen eine Dame vorbrachte, welche ihm gejagt, „fie habe ſein Buch nicht geleſen, weil fie erfahren, daß es ſich nicht für Frauen zieme: „Leſen Sie es nur, das Buch iſt wie ihr kleiner Yunbe Da (dev ſich auf den Teppiche umber Follerte); er zeigt mitunter Dinge, die man gewähnlich verbirgt, aber. er that Das. in velllommenfter. Unfchuld‘‘ muB. and) bier gelten. Im diefen Dingen iſt men über- haupt aus pruder Schwäche viel zu ftzeng;'nug: Bü⸗ her, die abfichtlich. verführen follen und Die Phantaſte verberben, follte mon verbammen, ‚aber Die da natür⸗ liche Dinge natürlich behandeln, nie. Dem Romene namentlich gehört Alles, was zum Leben gehoört vund

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iſt es künſtleriſch norhwendig, um Höheres und Gu⸗ tes zu erreichen, ſo iſt es auch erlaubt. Wie frei bewegen ſich nicht in dieſen Dingen bie Alten, bie weit gefünder waren, als wir. Nur die allgemeine Ziiternheit ift verwerflich und Tann nie fireng genug behanbelt werben. Ich werde noch Gelegenheit ha⸗ ben, ausführlich darauf zurück zu kommen, und weiſe, um böswilkiger und falſcher Dentung vorzubengen, hier im Voraus auf jenes nothwendige und iſolirte Capitel, das die erotifchen Romane des achtzehnten Jahrhunderts zu behandeln hat, hin.

ie im Triſtram Shandy das Gefühl Dem Witze untergeordnet iſt, ſo umgekehrt ber Witz Dem Ge⸗ fühhle in Vorick's empfindſamer Reife*). "Sterne ſchuf zuerſt dieſes Wort, das ſpüter viel Unheil, ma⸗ mentlich in der deutſchen Literatur angerichtet: Hat. Gleich dem. Triſtram ift auch dieſes Buch. ein: Roman in freieſter Form und leider eben.fo unvollendet ges blichen. Obwohl er den eigentlichen. Baden des Gan⸗ zen noch viel lockerer Durchfihlingt, fo eoncentrirt er fich Doch mehr im Einzelnen, als es im Srifteum Shandy geichieht und wirkt:demgemäß eindringlicher. Mit großer Ziebenswürdigkeit und Anmuth aßt er allen Launen giner muthwilligen Phantaſte den -Bü-

*) A ;sentimental Joumey through France and Italy. London 1700. Deutſch von. Bode. Ham⸗ burg 1778. 83 giebt mehrere Fortſetzungen des Dri⸗

ginals von n Hubsen; alle ſtehen jedeqh we binter Sterne zuruͤck.

ars

gel ſchießen, aber indem Alles auf einem tiefen unb zarten Gefühle beruht, deſſen zaubesifches Licht Die verfchiedenen Bilder, die er vor unferer- Seele vor überführt, von innen heraus erhellt, Ifeflelt er ge⸗ zade durch dieſe Einheit der Empfindung ben gern mit empfendenden Leſer am Stärkſten und Dauernd⸗ fen. Jede Falte des Herzens mit zarter Hand zer» legend, . weiß er ‚Hinter den geringſten Details, einge eben fo wohlthuende als echrende Meltaufücht zu ver⸗ beugen und die warme Liebe ,- die mit. dem Leidendon willig Die Schmerzen theilt, während fie die Pleingn und vielen Thorheiten des Südlichen wehmäthig und woahlwollend belächelt und trotz ber Wehmuth eim herzliches Wohlgefallen an den freundlichen und erhei⸗ ternden Erſcheinungen des Daſeyns äußert, that dem Gemũthe ungemein wohl. Die empfindſame Weile it Daher nach mehr, ala ber. erfigennnnte Roman, ein großer »Lichling.. des ;Yublisums geworden unb mm Wheilsauch (geblieben, -ohmehl hin und wishes einige Parthieen derſelben zu fahre auf die Spitze go⸗ ſtellt, nahe an das Fade, Mifectirte ſtreifen. Ga it bekunnt, daß Wehreres in derſelben ſich auf Wirk⸗ lichkeit grünbet, ven eigentlichen Reig gab ihm aber erſt Sterne's Geiſt.

Wit der Einführung bed Sentimentalen, das gu gleicher. Beit, wenn auch anders abgeſpiegelt, ſich in Frankreich durch Rouſſeau, in Deutſchland durch Goethe Baba brach, boginnt. ein nenen Abſchnitt in der. Geſchichte des Familienromans. Ehe wir: jedoch dieſe neue Richtung verfolgen, iſt es nothwendig,

79314

barzuſtellen, was fich in den verſchiedenen Ländern mn jene bereits erwähnten Bugführer herum nach⸗ bilvend gruppirte. . Richardſon fand die meiften Nachahmet i in Deutſch⸗ land, wo theils Durch Die Stammverwandtfchaft, theils aber auch, weil man das Bedürfniß nach Neuem zu lebhaft fühlte, Die engliſchen Samilienromane. im eigentlichen Sinne des Wortes Mode wurden. Den erſten Verſuch machte Gellert mis feinem Leben der fchwedifchen Gräfin von & . . .*), einem Buche, das, wenn es gleich zu feiner Beit großen Beifall fand und in die verfehtedenften Sprachen überſetzt wurde, an poetifchen Werthe ſelbſt den früheren Deuts fen: Arbeiten diefer Gattung nachſteht, und jept eine durchaus ungenießbare Lectuͤre ift; denn Gellert Batte, trotz feinem Talente für die Darftellung, doch sicht Das: mindeſte Geſchick, um fih im Romane zu bewegen. Weit glädlicher ſchon war von Loen mit ſeinent redlichen Mann um .Hofe**), einer directen Nachbildung der Richardſon'ſchen Manier, noch jetzt merkwürdig als das erſte Werk dieſer Ark, in wel⸗ cher fi ein edler Liberalismus ausſpricht, wie er Rich: damals kaum zu äußern wagte. Zwar ſchwebte

... 9) Leipzig 1746. ia 8. und öfter: Franzoͤfiſch von Fopmey. Berlin 1754; englifd. London 1776. in ↄ.

ti 4) Beankfart a. m 1740 u. 8. Ein Auszug FR det ſich in Roichard's Viouether ber. Romane Th. 1 Si 300 igdr.

315

ihm bei dem Plane des. Ganzen eine bloß moraliſche Tendenz als Die höchſte und einzige vor, aber er beſaß fo viel Geſchmack und feine Weltbildung, daß bie Sefindung ihm durchaus nicht misglädte und er dies felhe, obwohl mit großer Beſonnenheit und Mrüßie gung, Tpannend und unterhaltend bis. zum Schluſſe durchzuführen wußte. Mr breiten und mitunter feich« ten Entwietelungen einzelner Lehren und. Anfichten fehlt es freilich nicht, Diefe muß man jedoch jener Beit and ihrer Bildung zu Gute halten. Ihm folgte ver talentvolle Mufaens, zu. defien Jugendarbeiten fein Srandifon der Zweite gehört*), welcher damals gern gelefen wurde, jetzt aber vergeflen ift, während feine Bolfsmärchen duch ihre behagliche Buthulich« keit fich ewig frifch erhalten werden. Ein anderex gleichzeitiger, nun auch ſchon gänzlich vergeffener Schtiftſteller, Chriſtian Opitz, ging, nachdem ee fh Anfangs an Richardfon gehalten, fehr bald einen Schritt weiter und ſchrieb ausdrücklich feine Gen ſchichte des Herrn Wilhelm von Hohenberg und bus Fräulein Sophie von Blumenthal nad hem- Ges ſchmacke des Herrn Fieldings **), d. h. er ahmte fo gut e8 ging, und das war eben nicht fonderbich, den Tom Jones nach... Höher als alle dieſe fuchte ſich Johann Jacob Duſch in ſeiner Geſchichte Karl Ir

*) Grandifon der Zweite oder. Weſchichter des: Seren von St. In Briefen entworfen. End 1760 bis 62. 3 Thle. in 8. u. . .. - | I

*5) Bangenfale 1758. 1 —9 in 8. ee

dinands zu fehwingen*); wir.finden bei ihm ſchon einen Anfing Der Sentimentalität, welche wenige Decennien ſpäter ſo weit um ſich griff, Doch brachte er es bei feinem Mangel an wirklichem Zalente nicht eben weit und. ward ſüßlich, wo er gefühlvoll, ver worren, wo er interefiant feyn wollte. . Alle bisher Genannten überflügelte-aber Johann Zimpthens Her mes, der, die Richardſon'ſche Weife der Darſtellung beibehaltend, Doch scht bentfche Elemente in feine Romane zu bringen wußte und von der. Nation fpi- ter, anf Goethes und Schiller's Veranlaſſung un denkbar behandelt worden iſt, obgleich fie ihm fehr viel. verbanfte; denn gerade er bat viele geſunde und wohlthätige Anfichten verbreitet über Dinge bes bir gerlihen und gefsligen Lebens, welche bisher von der Poeße fait. gänzlich waren fern. gehalten worben. Auch ift ihm ein: Fünftlerifches Streben durchaus nicht abzufprechen, ‚wenn er. gleich häußg, um dies durch⸗ zuführen, zu ſehr Eünftelt und fich auszubreiten ber liebt, wie eine Kleinſtädterin in einer Kaffeegeſell⸗ ſchaft**). Seine beſte Arbeit, Sophien's Reiſe von

Memel nach Sachſen, iſt traditionell nach jetzt be⸗ rühmt und galt zur :Beit des Erſcheinens und noch lange noachher, denn ſie erlehte neben mehreren Nach⸗

Breslau 1776 80. 6 zyle. in 3 Bden. ind. Ebenfalls in Briefen. #8) Geboren 1738 zu Petzmik in: Nommern,. geſtor⸗ ben 1821 als Sonßiſtorialtath, Pretrſor und Droge in Bredlan. - a

sı?

drücken brei reihtmäßige Auflagen, als cin wahrhaft uortreffliches Buch*). Der eigentliche? Jahnlt if ſehr einfach: Sophie von Hohenwald, eine unben mittelte Waiſe, if zu. Memel im Hauſe einer wohl⸗ wollenden Dame erzogen worden, welche: eine einzige in Sachſen verheirathete Tochter bat, von ber ihe burchaus- Feine Nachrichten zufmmnem und für: bie fie das. Schlimmſte fürchtet. Um ſie zw besshigen, mehr. aber. aus gebeinter. Zu, Die Welt: zw: fehem, macht ſich Sophie in ihrem achtzehmten Jahre: uf die Keife dorthin. Unter ihten Reiſegefäührten zeich⸗ net fie einen junger, liebenswürkigen Mann, Ras mens Leer, aus, Der auch bis zum Schlufle bei Romans der geheime Öcgenftanb von Sophiew’s Wün« ſchen bleibt, wie fe ſelbſt, ohne et zu willew; bie Dame feiner Gedanken. ift. Im Königsberg angekom⸗ men, nimmt fich ein waderer Seemann, Namens Puff,. des ſich ein bedeutendes Vermögen hat crwor« ben, freundlich ihres an, verliebt ſich in fie und bie⸗ tet ihr feine Ham. Sie weiſt aber harkmddig. feine Anträge zuruck, in ber Hoffnung, mit Leffer ver⸗ eint zu werben: Ein ruſſiſcher General, der flo auf einem Balle gefehen hat, verliebt ſich ebenfalls‘ in’ fie und laͤßt ſie entführen und nach Danzig bringen Es gelingt Baff, ſie zu befreien. Er mucht ihr vom Reuem: Heirathsanträge, da ſte jrboch Leſſet wieder gefenbetr Bat , f6- ſchagt ſte bie ſetben nochnale —*

*) Dise erſte waſtag⸗e esfien Beipäig 1770-28. 5 Thle. in 8.

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Aber auch Leſſer will Nichts. mehr von ihr wiſſen, and ſie heirathet in ihrer Verlaſſenheit endlich einen armen Schulmann, den fie lange durch ihr Eofettes Weſen quält, zuletzt aber Dad) glüklich und zufrieden macht. . Der Hauptfehler: dieſes, wie aller Her⸗ mes’fhen Romane ift die vorherrfshende : moralifche Tendenz, die aus jeder Beile hervorblickt und Dadurch den. freien Eindrud, den. ein jedes. Kunſtwerk machen ſoll, paralyſirt. Es. gab. allendings Damals, viel zu heſſern, zu :beichren und aufzuklären im: lieben Va⸗ berlande, dieſe Art und Meife wor aber. nicht Die rechte, denn fie mußte nothwendig zur Breite und Dberflächlichkeit führen. Die Wußonwendungen. wa⸗ sen Hermes die Hauptſache, ihnen follte alles An⸗ dere untergeordnet Dienen, und ſo knickte ex. der. erfin- denden Phantaſie von vorne herein die Flügel. Es ſehlt in feinen Büchern keinesweges an guten Situa⸗ fionen, un trefflich angelegten. Characteren, aber er weiß nicht Damit umzugehen und überlabet bald, wäh⸗ rend er wieder an anderen Stellen unbarmherzig nuf- loͤſt und verdünnt. . &ben.fo. ungleich iſt er auch in den einzelnen Bügen, bald fucht.er durch Ungewöhn- liches und. Anßerordentliches zu übersafchen, bald motiviert er wieder auf das. Kleinlichite -und Pein-

liächſte. Sp iſt auch fein Styl, obwohl, im Gan«-

zen fließend und gewandt ,. doch ‚häufig gefünftelt und geſucht; Fury er.wußte doch eigentlich nicht recht, was er wollte, oder wie er e8 anzufangen habe, um für

Dentichland zu ſeyn, was Richacdion für England

war. Der Poet und. der Seclforger ringen beitän-

19 dig in ihm, und da ber Erfte eigentlich ſehr ſchwach

iit, fo wird er nur gu häufig von bem LZegteren in ben Sand geftredt *).

Der Geſchmack für ben tomifchen Familienroman ſtellte ſich auch bald in Deutichland ein, da Die treffe Jihen Mufter, die man bei den Engländern fand, raſche Verbreitung gewannen. Hier ward jeboch eben⸗ falls noch nichts eigentlich Selbitftändiges geleiftek. Ueberhaupt find wir bisher in diefer Gattung am Er⸗ folglofeften geblieben. Schummel**) und Wepel***)

*) Anßerbem fchrieb er noch: Geſchichte der Miß Fanny Wilfes, fo gut, als aus dem Englifhen über fegt. Leipzig 1766, in 8. u.d. Bür Töchter edler Herkunft. Leipzig 1787. Manch Hermäon. Leip⸗ sig 1788— 89. Die Gefchichte des Dienſtmädchens in dieſem Buche iſt feine .beite Leiftung. Für Eltern und Ebeluftige. Leipzig 1789 90. 5 Be. Zween literarifhe Märtyrer und ihre Frauen. Leipzig 1789. 2 Bde. Mit verändertem Zitel. Leipzig 1798. 2 Bde. in 8. u. f. w.

*+) Sohann Gottlieh Schummel ſchrieb u. %.: En yfindfame Reifen durch Teutſchland. Wittenberg 1770 bis 72. 3 Thle. Gpigbart, eine Fomi»tragifche Geſchichte für unfer padagogifhes Jahrhundert. Leip⸗ zig. 1770. ,

+74) Don Wepel ift in diefer Gattung zu nennen: Le⸗ bensgeſchichte Tobias Knauts des Weifen. Leipzig 1774 bis 76. 4 Thle. Eheſtaudsgeſchichte bes Herrn

verdienen hier allerdings genannt, aber doch nicht näher betrachtet zu werden, ba fie keinesweges vor- bildend einwirkten. Am Glücklichſten war Johaun Gottwerth Müller in feinem Siegfried von Linden berg, über den fpäter noch zu reden ſeyn wird, wie über Alle, Die der Sentimentalität entgegen zu arbei- ten ftrebten. Eben fo gehört, mas im humeoriſti⸗

Shen Romane in freier Nachbildung Sterne's gelei⸗

ftet wurde, fpäteren Betrachtungen au.

. Mit weit größerem Geſchicke und Talente ald in Deutfchland fchritt men in Frankreich auf der nen eingefchlagenen Bahn fort, da man hier im Gan⸗ zen doch viel felbftftändiger verfuhr. Allerdings wa⸗ zen die gefellfehaftlichen Buftände in dieſem Lande auch weit ausgebildeter und fertiger, als bei anferen Vätern. Das eigentliche Familienleben eriftirte mr noch in den unteren bürgerlichen Klaſſen; in ben hi

heren Kreifen hatte fchon Iange jener Berfegungspr-

ceß begonnen, welcher bald nachher ‚zur gänzlicen Berftörung aller ſocialen Verhältniſſe führte; für den Romandichter der Gegenwart bot fich alfo bei Weiten reicherer und in Hinficht auf die Entwicklung menſch⸗ licher Zeidenfchaften auch dankbarerer Stoff dar. Wenn man einen Blick anf bie inneren Verhaltniſſe wirft feit dem Tode Ludwigs XIV., fo erſchrickt man übe die bewußte Künftlichkeit, mit ber alles wahre Ge fühl getödtet wurde, und bie Herrſchaft ber nie

Marks. Leipzig 1779. Herrmann und Alrike. Leip⸗ sig 1780. 4 Theile in 8. u. f. w.

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drigften menfchlichen Leibenfchaften, in das feinfte und glänzendfte Serdand ber äußeren Etifetteigehüllt, fh unerfchätterlihh auf dem angemaaften Throne behauptete. Die Convenienz beftimmte Alles unb wußte Die größten moralifchen Gegenfäte ausglei⸗ chend und vermittelnd mit einander zu verbinden. Man braucht nur an jenen Vertrag zweier Ehemän⸗ ner aus den eriten Familien des Kandes zu erinnern, von denen jeder mit der Frau des-Anderen Kinder zeugte, die Diefer al8 feine rechtmäßigen Erben ats etlannte und erzog. Von oben herab wurde die Im⸗ moralität föruflich fanctionirt, und Die dem Throne zunächſt ſtanden, folgten, wie pflichtgetreu, nad). deinheit äußerer Grfcheinung war "Die Hauptaufgabe des forialen Lebens; man. behandelte Die von ber Straße aufgelefene Maitreffe mit noch mehr Rückſicht, umgab fie miit noch größerem Glanze, als die an Ge- burt und Rang gleich hoch ftehende Gattin. Die vornehmen Frauen trieben e8 auf dieſelbe Meife, fo daß es eigentlich Fein Lafter mehr gab, denn es ward nicht bloß von der Geſellſchaft genuldet, fondern von iht gehätfchelt. Das find zu befannte Dinge, um noch länger Dabei zu verweilen, aber-fie mußten an⸗ gedeutet. werden, um zu zeigen, welches Feld dem Romane in Frankreich geöffnet wurde. Dazu Tam nun noch eine oberflächliche, Leicht anzueignende Phis Iofophie, bie bald zur Mode wurde und Jeden zu einem feichten Ratfunnement -veranlaßte, bei welchem Dis und Scherffinn jedoch, vorzüglich in Feder Shepfis, ihre glänzenden Seiten’ zeigen. Tonnten, und . 21

auch Feine Gelegenheit vorbei ließen, das zu tum. Diefes nivellivende Raifonnement war aber Der ein« zige geiftige Halt, ben man damals in Frankreich hatte; über Religion und Moral, als auf dem Gött⸗ lichen im Menſchen beruhend, Dachte man nicht nad); im Gegentheile, man fuchte die höchften ragen Der- ſelben entweder zu befeitigen oder, wo das nicht ging, durch jene wohlfeile Philoſophie mit den Eontraften, die Die Gegenwart dazu lieferte, auszugleihen. So ſtellte man fi) mit der gefällig gleißenden Sitten» verderbniß auf einen guten Fuß, zeritörte dabei, fau⸗ ‚nich Tächelnd, Alles, was bisher noch bei den we⸗ niger Verdorbenen als höher gegolten hatte, und fuchte in diefem Strome, mit dem man behaglich fort: ſchwamm, eben Durch Das ftete Untergraben der Au⸗

torität fi obenauf zw halten, fo weit und fo gut ed nur immer gehen wollte. Was die Dienfchen ein-

ander entfremdet, fand gerade damals auf dem Cul⸗ minationspuncte der Eultur, der raffinirtefte Egois⸗ mus, die berechnetfte Sinnlichkeit und eine. foldde Sicherheit in den Formen des forialen Lebens, Daß

Die Wahrheit, wenn fie geäußert wurde, immer ale |

Züge erfcheinen mußte *).

. Der Roman, der die Gegenwart fchilderte, war

natürliche der getreuefte Abdruck jener Beit und kann

*) ©. die verſchiedenen Memoires aus biefer Beit,

namentlih bie bed Grafen Tilly und bes Benetianers

Caſanova, bie beide für die Kenntniß der Gittenger |

ſchichte ihrer Zeit ſehr wichtig ſind.

333

bier buechuns als gefchichtliche Urkunde gelten. Im Srankreih nahm er ganz ben Ton des Tages an. Da er auf dem fittlichen Boden bes Familienlebeus nit fußen konnte, weil ed eigentlich Feines gab, jo faßte er auf dem unftttlichen, und wurbe entwes ber ein unterhaltendes Reizmittel ober trat in bie Gatyre über, die aber felbft, einer Kate ähnlich, nur mit ſcharfer Bunge ledite, nie zürnte und zerriß. Dft verband er auch Beides. Seine Hauptaufe gabe warb geiftiger Sinnenfigel und ba überreizte Kerven immer gefteigerter Aufregung bebürfen, fo ſchwang ſich dieſe Richtung bald anf eine Höhe, die ſelbſt dem abgehärtetften und indifferenteſten Beob⸗ achter Schaudern einflößen muß.

Ich komme hier an eine Aufgabe bei dieſer Ar⸗ beit, deren Löfung zu den unangenehmſten und wider⸗ wärtigften gehört, bie ich aber, gerade von dem Stantpuncte ans, auf den ich mich bei dieſem Werke geſtellt, mit derfelben Aufmerkſamkeit wie alle an« deren behandeln muß. Bisher hat noch jeder Kite törhitorifer es vermieden, fie zu berühren; ich darf fie nicht umgehen, wenn ich das mir gefbellte Biel nit verfehlen will. Es ift die Darftellung der las⸗ tiven Romane, deren Blüthezeit in dieſer Epoche und in Frankreich allein ſich entwickelte, donn mas die anderen Nationen hier brachten, iſt nur unbe⸗ beutenb und meiſt nur Nachahmung e). Ich muß

——

) Die deutſchen Schriften dieſer Gattung find meiſt uns Ueberarbeitungen ober Mebertragungen franzoͤſiſcher 21 *

334

hiee Dinge berähren,. die widerwärtig find. Den Leſer, ber nicht unbefangen bleiben kann, warne ich vorher, obgleich. ih nur nennen und befprechen werbe, was und wie e8 die Wiſſenſchaft erfordert. Damit e8 leicht Fönne fiberfchlagen werden, will ich bier Alles in einem befonderen Abfchnitt hineindrän⸗ gen und ein für alle Mal abthun.

Die Luft an ben Erfcheinungen gefchlechtlicher Sinnlichkeit ift den Menſchen eigen und beruht zum Theile auf dem tiefften Naturgeſetze, zum Theile auf dem Wohlgefallen an der Schönheit der. Formen. "Die Poeſie Hat Daher ein eben fo gutes Recht an ihr, wie an allem Anderen, was fi im Leben offen- bart und darf fich ſtets mit vollfter Freiheit Diefes

lageiver Romane. Sp z. DB. enthalten die priapifchen Nomane. Rom (Berlin) 1791—97 nur. Weberfegun« gen der Dialoge ber (angeblihen) Aloyſia Sigaea, non Mon Noviciat und, The girl of pleasure von Eleland. Lyndamine, oder Die befte Welt in warmen Landen. Rom Ründen) o. Jahresz. iſt ebenfalls eine fehr plumpe Bearbeitung nach. dem Franzoͤſiſchen. Die fpäter unter dem Namen Chr. Altbing von Fiſcher in Mainz geſchriebenen lasciven Erzählungen und Romane find allerdings Originale, aber unſchuldiges Waſſer im Ber gleiche zu dem frangöfifchen Gifte. Die Engländer ha⸗ ben. ebenfalls ſehr wenig der Art, meiit nur Iyrifche lascipe Poeſieen, aufzuweiſen.

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Rechtes bebienen, fo bald ein höherer Zweck zur har⸗ monifchen Wollendung eines Kunftwerfes es nöthie macht, vorausgefeht, Daß fie es natürlich und auf gefunde Weiſe thue; doch fol die Darftellung foldher Erſcheinungen nie um ihrer felbft allein willen ge⸗ fhehen, fondern Eplerem dienend feyn fo. Iſt Das der Fall, fo wird fle bei dem geiftig fertigen Men⸗ fhen nie das Gefühl der Schaam verlegen, das bie Gottheit als Lenker der Sinne in uns legte. Das wußten Die Alten ſehr wohl und ihre ebelften Gei⸗ ker behandelten in Werken der Kunſt ſtets das Sinn⸗ liche ſo. Wie ſchön und rein ſchildert z. B. Ho⸗ mer den Moment, wo Zeus die Here umarmt. Wie geſund und natürlich finden wie es nicht ſelbſt in derbſter Huffaffung bei Zheofrit? Ueberall ift es etwas Haturgemäßes, fchön in feiner Einfachheit und zum Menfchen gehörig, ſelbſt ohne die tiefere ſym⸗ boliſche Bedeutung ber Werbinbung beider Geſchlech⸗ ter zu einem. Auch neuere große Dichter haben es eben fo groß und einfach rein behandelt, ich brauche ar an Die Nibelungen, an die Sagenfreife der Ta⸗ felcunde, an Goethes Fauſt, ja ſelbſt an Arioſt, der ſtets naiv und natürlich), aber nie raffiniert ſinn⸗ lich iſt, zu erinnern. Hier überall wird es nie ein gefundes, durch Das Leben erzogenes Gemüth vers letzen. Dem Romane gehört dieſe Seite des menſchli⸗ hen Dafeyns noch mehr an, als irgend einem ande⸗ ten Werke der Poefie, da cr das Leben in allen ſei⸗ nen Einzelnheiten Darzuftellen hat und die Xiebe, als

ber wichtigfte Hebel des Lebens, eine feiner Haupt⸗ aufgaben bleibt. Damit iſt nicht gefagt, Daß er fe nothwendig und ausdrücklich behandeln und hervor« heben mäfle, ſondern nur, daß er fie nicht grade abweiſen oder übergehen folle, wenn Das, was er zu ſchildern bat, zu ihr Hinführt und fie veranlaßt. Daß fie fo ſpät erſt Für ihn angeeignet wurde, liegt in den focialen Berhältniffen überhaupt, die im Kaufe ber Beit feine Geftaltung und Behandlung bedingten. Man war feit dem eigentlichen Werben des Romans nie unbefangen genug, und ging daher nach beiden Seiten zu weit, fi) entweder aus übertricbener De⸗ eenz zu fern Davon haltend ober auch irrthümlich mit zu großer Freiheit und Rückſichtsloſigkeit dar⸗ ſtellend, wie es 3. B. Heinfe in feinen Romanen, namentlich im Arbinghello und nod) mehr in der Hil⸗ degard von Sohenthal, mo die Nothwendigkeit nur eine jeher untergeordnete ift, gethan. Im Deranıe- ton, in den Rovellen des Vandello, im Wilhelm Meifter wird das geſchlechtlich Sinnliche Niemanden beleidigen, der fich geiftig gefund erhielt; felhft im Tom Jones kann es nicht einmal ber Fall ſeyn, ſo⸗ bald man die Abſicht des Verfaſſers nicht aus den Augen verliert. Bei ſolchen Darſtellungen liegt das Unſittliche nicht in dieſen, ſondern in der Sache ſelbſt. Veber die Handlungen mag die Moral mit vollem Rechte fereng uetheilen, wie e8 der Dichter am Ende felber thut, aber die natürliche Darftellung,. fobald das @inflechten folcher Handlungen in ben Gang der Begebenheiten fich nothwendig macht, barf dem Dich-

337

tir eben fo wenig verargt und getabelt werben, wie in ähnlichen Fällen dem Hiſtoriker; man würde fonft der Poefte Die geiftige Freiheit rauben und ihe in- nerſtes Weſen Dadurch zerfkören. Daß die Darftels lung Die Harmonie bes Kunftwerles nicht aufheben bärfe, verftcht fich aus ben ewigen Grundgefegen ber Poeſie von ſelbſt; Hat der Dichter oder der Künftler bies ftgeng im Auge, fo wird er auch nie Maaß und Biel überfchreiten und ein feines Gemüth auch nie verlehen und beleidigen, felbft wenn er noch fo fehr keigern muß. Wer wird dem Juvenal die Schilde» rung ber Meffalina übel nehmen und doch kann wohl nicht Jeicht etwas Stärkeres gefunden werben. Hätte. man das Geſchlechtlich⸗Sinnliche in Die Poeſſe und namentlich in ben Woman von jeher nur aus innerer Nothwendigkeit hineingezogen und bafielbe mit unverborbenen Sinnen hingenommen, fo wäre Die ganze, leider fehr beträchtliche Branche der lasciven Romane fehwerlich je mit folcher Vor⸗ liebe eultivirt worden, denn es hätte ihnen ſowohl der Reiz bes Ungewöhnlichen, wie ber des Naf» ſinements gefehlt. Urfprünglih war es die Sa⸗ tyre, welche fie. einführte. Die Werberbtheit der ges ſellſchaftlichen Buftände, mit. denen fie ſich beichäf® tigte, machte bis in das Kleinfte genaue und aus⸗ führliche Schilderungen nothwendig, wie fie bei allen guten Satyrikern ohne Ausnahme vorkommen. Die Verderbtheit aber, Die noch größer iſt, als alle von ihr gemachten Schilderungen, fand Behagen daran, und ſo entftanden Darſtellungen diefer Art, bald um

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ihrer ſelbſt willen, ja einzelne Satyriker, wie z. B. ber Aretin, ſuchten Beides zu vereinigen. Auf Diele Weiſe bemächtigte fi) auch zuerit und ganz vorzüge lich) der Roman im achtzehnten Jahrhundert derſel⸗ ben, wo bie raffiniztefte Sittenlofigkeit Vergnügen an dem ihr vorgehaltenen Spiegel fand. Einzelne Darftellungen gemeinfter Wolluft, zum Theile aus fals ſchem Berftändniffe des Alterthums Diefem nachge⸗ ahmt, wie 3. DB. die fotadifchen Dialogen Des Chos zier *), ober die zu den Bildern des Giulio Romano gebichteten Sonette **), in welchen ſchon unnatürli⸗ ches Raffinement ber Wolluſt geſchildert wird, finden fich bereits früher, eben jo wie unfittliche für den ge⸗ meinen Plebs gefchriebene Derartige Bücher, wie. z. B. der bekannte in Holland zuerit erfchienene Woman La fille mal gardee ***), aber die eleganteren, für_die da⸗ malige gute Geſellſchaft gefchriebenen Issciven Gemälde Tommen erft um dieſe Beit vor. Sie wurden Durch

*) Diefe bald dem Meurfius, bald der Kloyfia Sis gaea, bald 3. van Weftern zugefchriebenen Satyrae sota- dicge oder Elegantiae latini sermonis rühren von Wis eolas Chorier, Parlamentsaduocaten zu Grenoble, ber. &. Niceron Memoires T. XXXVL p, 24. Menckenii Obs. de auctore Aloysiae Sigasse in Miscell. Lips. vov. T. IX p. 324 Es eriftiven unzählige Aus⸗ gaben und Ueberſetzungen dieſes Buchs.

**) Befanntlih vom Aretin und häufig den Zeich⸗ unngen Des ©. Romano beigegeben.

***) Amsterdam 1683. 1 Bb. in 12.

den Familienroman, ber ſich mit ben kleinbürgerli⸗ chen Intereffen der Gegenwart vorzugsweiſe befchäfs tigte, veranlaßt. Man fchilderte Die Sitten der Beit im Detail und behandelte biefe Seite in Frankreich mit befonderer Vorliebe. Woher das kam, das habe ih ſchon oben angedeutet und es wirb dem Fein Käthfel bleiben, der den Gang forinler und geiftiger Bildung in dieſem Lande beſonders und an ben euro⸗ peifhen Höfen im Allgemeinen nur halbwege kennt.

Man Hat dieſe Romane in zwei Klaffen einzu» theilen; in folche nämlich, Die bei ber Schilderung bes damaligen Lebens dieſe Dinge zwar nebenbei, ober doch frei und ausführlich behandeln, und in ſolche, welche nur Scenen ber Unſittlichkeit bis zur grellſten Farbenmiſchung, um der Unſittlichkeit ſelbſt willen, darſtellen. Oft läuft hier Beides ſo in einan⸗ der, daß es ſchwer wird, die Unterſcheidung zu beſtim⸗ men, wie 3. B. in Felicia.ou mes Fredaines und der Fortſetzung dieſes Buches, Monrose ou le Libertin par ſatalité*), ober in dem Ma conversion betitelten

2) Da bie Bibliographie fih um dieſe Gattung no foft gar nicht befümmert bat, obgleich hier viel zu ord⸗ nen ift, Dean ein und daſſelbe Buch kommt oft mit ganz verſchiedenen Titeln vor, fo halte ih es um fo mehr für Pflicht, die von mir benutzten Ausgaben eben ſo ges nau anzuzeigen, wie ich es bisher bei allen von mit angezogenen Büchern gethan. PVélicia ou mes Fre- daines. Amsterdam 1786. 2 Xhle. in 12. London ohne Jahreszahl (Edition Cazin) mit Kupfern. 4 Thle.

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Komane, welcher Briefe einer Hetäre enthält, Pie nachher, nachdem fie alle Stufen ihres fauberen Ge⸗ werbes befchritten bat, einen reichen englifchen Lord heirathet und eine tugenbhafte Frau wird *). Yür bie nähere Kenntniß der franzöfichen Geſellſchaft, ber Intriguen, bes Gefchmades und ihrer Moden, ihrer Anterefien u. f. w. find dieſe Bücher höchſt wichtig, denn fte hatten nicht niedrige Lohnſchriftſtel⸗ ler, fondern Männer aus den höchften Ständen zu Verfaſſern, wie 3. B. den berühmten Grafen. Cay⸗ Ins, der u. X. ein ganz abfcheuliches Luſtſpiel, Le bordel, gefchrieben hat, Diderot, Mirabeau u. |.w.**).

in 12. Monrose ou le Libertin par Fatalite. Lon- dres 1788. 4 Boden. in 12. mit Kupfern. Der Ber- faffer von beiden ift nach Einigen Andrea de Nerciat, geboren zu Dion, geftorken 1800 zu Reapel, nad Anderen fol Felicia von dem befannten Miniſter Ca⸗ bonne herruͤhren und Andrea nebit noch einigen anderen erotifhen Scheiften nur den Monroſe geichrießen haben, was allerdings glaubwürdig erjheint, wenn man beide Romane mit einander vergleiht, denn Styl und Dar» Rellung find ſehr verichieden.

*) Auch unter dem Zitel: Letires de Julie à Eu- lalie ou Tableau du Libertinage de Paris. Londres 1784. in 8. sder Correspondance d’Eulalie. 2 Böden. in 12, Londres 1785. Dies Buch kommt ſehr hau: fig in verſchiedenen Auflagen mit und ohne Kupfer vor.

2*0) Siehe die Anmerkung zu Felicia auf der vori- gen Seite. | . |

33T:

68 gehörte nicht aKein zum guten Zone, bergleichen zu fchreiben man wollte fogar fpäter nicht allein wiſſen, daß in ber Baitilfe felb eine heimliche Dru⸗ Kerei war, wo bergleichen durch Die Preſſe verwiels fülligt wurde und daß die Polizet Handel damit trieb *), fondern man hielt es auch im vollen Ernſte für moraliſch, Die Berberbtheit mit den brennendſten Farben Darzuftellen. Mirabesu, ber im Kerker zu Bincennes ein folches Buch), Ma conversion ou le Libertin de qualits, verfaßte, das mit aller Gluth feiner reichen Phantaſie gefchrieben ift, aber auch bie. saffinieteften Details gefchlechtlicher Ausfchweifungen enthalt und zu den abjcheulichiten gehört, entblödet fi nicht, feiner Sophie, die trotz ihrer Verirrung eine jeher reine Frau war, Folgendes barüber mitzu⸗ theilen: Ce que je ne t'envoie pas, c’est un roman tout & fait fou que je fais, et intituld ma Conversiom. Le premier alinea te donnera une idee du sujet et tapprendra en m&me temps quelle fidelite je te pre- pare: ',„Jusgqu: ici, mon ami, jaai etö un vaurien; jal couru les beautes, jai fait le difßeile; à prösent, Ia vertu rentre dans man coeur: je ne veux plus... : que pour de l’argent; je vais m’aflicher etalon jure des femmes sur le tetour et je leur apprendrai à juer ..... à tant par mois.“ Tu ne saurais eroire combien ce cadre qui ne semble rien, amene de portraits et de contrastes plaisans ; toutes les zor-

%) Vgl. Manuel, La Police de Paris devolke. Pu rs An I. T. 1. &. 23 fgbe.

—.

tes de femmes, tous les états y passent tour à tour; idee en est folle, mais les details en sont charmans, et je te le lirai quelque jour au risque de me faire arracher les yeux. Jai dejä passe en revue la finan- eiöre, la prude, la devote, la präsidente, la nego- ciante, les femmes de cour, la vielllesse.. J’en suis aux filles; c’est une bonne charge et un trai livre de Morale*). Dazu Tam nun nod) die Mode des Phi⸗ loſophirens; gerade bei Dingen Diefer Art fuchte man fich Durch ein fcheinbar philofophifches Raiſonnement wicht allein vor Vorwürfen, die Das nie ganz zu unterbrüdende moralifche Gefühl machen mußte, zu been, fondern dieſen raffinirten Cynismus als etwas Grlaubtes und felbit in Der Drbnung der Dinge Noth⸗ wendiges ſyſtematiſch feftzuftellen. Sp, um nur Eins anguführen von Vielen, findet ſich in der berüchtig- ten und viel gelefenen (denn fie ift in wenigitens gehn verfchiedenen Ausgaben vervielfältigt worden) Therese philosophe **) , welche von einigen Ziteraten fogar Voltaire zugefchrieben wird, neben den gemein- fen Scenen thierifcher Wolluft, neben der Gefchidhte einer ganz gemeinen Hetäre, das ausführlichfte Rai:

*) Oeuvres choisies de Miralieau. Paris 1820. T. iM. p. 306.

28) Bon dieſem abfcheulichen Bude exiſtiren ebenfalls ſehr viele Ausgaben, z. B. & la Haye o. J. 2 Bde. in 8. mit Kupfern in Queerfolio. Constantinople 17000. 1 Bd. in 12. mit Kupfern. Londres o. 3. mit

- fehr ſchoͤn gearbeiteten Kupfern u. |. w.

fonnement über bie wichtigiten nnd erhabenften Ges genftände des menfchlichen Rachdenkens. Und doch, fo entfelich auch eine verdorbene Phantafie hier wu⸗ cherte, die Wirklichkeit bot noch fchlimmere Erſchei—

nungen dar.

Ihren Culminationspunct erreichten dieſe Bücher in den ſcheußlichen Arbeiten des abſcheulichen Mar⸗ quis de Sade, namentlich in feiner Justine ou les Malheurs de la vertu und Juliette ou le bonheur du vice. Gräßlicheres und Gottesläfterlicheres hat wohl nie ein menfchliches Hirn erfonnen. Der Grundges denke ift der, daß es entweder feinen Gott gebe, oder daß dieſer fich wenigitens nicht um Die Men⸗ hen Fümmere, fonft würde Die Tugend nicht hienie⸗ den fo viel leiden, das Laſter nicht fo teiumphiren. Inſtine Sucht tugendhaft zu bleiben, erduldet aber die geäßlichiten und unnatärlichiten Schändungen ihres Körpers und Die furchtbarften Marternz Ju⸗ liette, ihre Schwefter, aus den. abfcheulichiten Ver⸗ brechen zufammengefegt, kommt Dagegen zu Ehre und Reichthum, ungeſtraft das Schänblichite begehen: Eine Scene ſcheußlicher als Die andere, voll practi⸗ ſcher Anweiſungen zu Püberaftie, Inceſt, Sodomie, Zorturen zur Steigerung der Wolluſt u. ſ. w. folgt ſich in dem Werke, das zehn dicke Bändchen bildet und zur ewigen Schande der Menſchheit wiederholt aufgelegt worden iſt. Alles iſt widernatürlich in dieſem Buche, und es wird unmöglich, ohne den größ⸗

ten phyſtſchen Edel nur einige Seiten Davon hinter einander weg zu leſen *).

*) Donatien Alphonſ⸗ Frauçois, Marquis de Sade, ward am 2. Juni 1740 zu Paris geboren, erhielt eine ſehr ſchlechte Erziehung, trat dann als Offizier in das Kegiment des Könige umd machte den fiebenjährigen Krieg mit. Nach feiner Rückkehr vermäblte er fih mit Made de Montrenil und wurde, als fein Vater ftarb, deſſen Rachfolger in dem Auite eines Lieutenant - gene ral de la Bresse. Er brachte jeboch die meifte Beit in Yarid zu, wo er fi zu ben berüchtigteften Wüſtlingen gefehte und erregte Aufſehen duch feine flandalöfen Streiche, vorzüglih dabuch, daß er die Genoflinnen feiner Ausihweifungen fcheußlih mißhandelte. - Eine 1766 deshalb gegen ihn erhobene Anklage warb nieder gefhlagen, eine zweite, 1772, zog ihm ein Todesurtheil zu, von dem er fich jedoch durch die Flucht nah Ita lien rettete. Als er zurüdfehrte, warb jener Richter ſpruch zwar taffirt,. er felbft aber durch eine Lettre de eachet eingefperst, und fpäter, nad misgluͤcktem Ber ſuche der‘ Flucht, 1784 in die Baſtille geſteckt. Bier ſchrieb er jene fcheußlihen Bücher, die feinen Namen an ben Prauger gehefiet haben. Im Jahre 1700 durch ein Deczet der Assemblee comstituante zugleich mit den übrigen. Stantögefangenen frei gefprochen, kuͤmmerte er ſich gar wicht um die Mevolution, fordern fegte fein früheres Zeben fort. ine neue abfcheuliche Schrift zog ihm auf poligeilihem Wege eine zweite Verhaftung gu. Anfangs nah Ste Pelagie, ward er fpäter nach dem

885 Diefe Literatur if jo bedeutend, daß ein voll Randiger Entalog mehr als taufend Rummern zählen

Hopice von Charenton gebracht und nicht wieder frei gelaſſen. Rapoleon befahl, ganz zu ignorisen, baß er noch lebe. Gr ftarb daſelbſt am 21. Desember 1814; Außer jenen beiden. verrufenen Romanen bat er noch Mehreres gefchrieben, wie 3. ®. Aline et Varcourt 0% le roman philosophique; Les crimes de l’amour au le delire des passions ; la Marquise de Ganges; les malheurs du libertinage, ein Drama in drei Acten u. ſ. w. Diefe Arbeiten find jedoch höchſt mittelmäßig. Juſtine teihien zuerft unter dem Titel: Justine ou les Mal- heurg de la Vertu. 2 Böden. 3. Aufl. Philadeipbie (Paris) 1794. Später vermehrt und fortgefeht: La nouvelle Justine, ou les malheurs de la vertu, suivie' de Phistoire de Juliette, sa soeur. 9 dide Banden in 12, mit Kupfers. Rome o. J. Der Verlauf bie fer Romane ift in Frankreich felbft bei fchmerer Strafe unterſagt. Bin Buchhändler machte daher die Specn⸗ tion, ein ‚ganz unfchuldiges Bach mit jenem Titel und der Vorrede de Sade's auszuftatten und. lüfterne Käu⸗ fir damit zu Beträgen, wurbe aber ebenfalld ſtreng da⸗ für befteaft. Suftine und Juliette find beibe fo. za finiet, ausatürlich umd widernatürlich, daß fie am ben Babıfun grenzen. Zür eine ſolche Frankhafte Eralta⸗ tion zaugten auch feine hinteslaffenen Papiere. S. Bie- graphie Universelle. %rt.. de Sade. Biegraphie universelle des Contemporains. Paris 1834. :Supple-

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wärbe. In neueſter Beit iR. jedoch nicht viel ber- gleichen mehr erſchienen; das Meifte Datirt aus den mittleren Derennien des vorigen Jahrhunderts, au hat man fich feit Louis Philipp’s Regierung es eifrig ‚angelegen jeyn laſſen, dergleichen Schriften zu unter- drũcken. Ganz wird das jedoch nie gelingen, Da es nun noch mehr Sache merkantilifher Speculation geworden ift und ſich dem herrſchenden Geſchmacke in der inneren, wie äußeren Ausftattung anfchliept. &o ift eins der neueften, Gamalio ou deux nuits d’exees, ganz in Balzac’8 Art und Weiſe ge» fchrieben und bezieht ſich ausdrücklich auf deffen peau de chagrin *).

Ganz überfchlagen durften biefe Grfdjeinungen nicht werben. So fehr fie auch dee Menfchheit zur Schmach gereichen, fol fie Doch ber Hiftorifer nicht übergeben. Was hier davon gefagt ift, wird Hin reichend feyn, um einen Begriff der gröbften Aus⸗ artungen zu geben. Ich kehre nun ausführlich zu dee erfteren Gattung zurück, welche weit wichtiger für Die Geſchichte des Romans if, Da fie fi) gaͤnz⸗ lich als Ausdruck des bamaligen ſocialen Lebens in ment, Art. de Sade. Revue retrospeetive. Paris #833. Bd. J. Heft 5. - ĩ

x) Richt gedruckt, ſondern nur lithographirt erſchie⸗ nen, als Beilage zu obſcoenen Bildern, mit denen über⸗ haupt, trotz ber Wachſamkeit der Polizei, jetzt noch in Frankreich heimlich ein ſehr ausgebreiteter Handel: ges teiaben wird.

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Frankreich geltend macht, zu jenen Romanen näm« ih, welche, indem fie die foriale Verderbtheit ſchil⸗ dern, theils muthwillig, theils wohlgefällig lascive Scenen als Hauptmomente zur Entwickelung der Bes gebenheiten und Charactere Darftellen. Sie waren noch gefährlicher als jene, denn Die Polizei verfolgte fie nicht und ihr feineres Gift wirkte nachhaltiger. Claude Prosper Iolyot de Crabillon ift als der Erſte zu betrachten, welcher Dinge biefer Art mit ente fhiedener Abſicht in die franzöfifche Romanliteratur einführte. Er war ein Sohn Des gefeierten drama tifchen Dichters gleichen Namens, warb am 12. Fe⸗ bruar 1707 zu Paris geboren und farb Dafelbft als Privatmann am 12. April 1777. Schon früh trat er mit feinen Romanen auf und erwarb ſich großen Beifal. Seine Keiftungen auf dieſem Gebiete find in zwei fehr verfchiedene Klaflen zu theilen; bie eine umfaßt die Familieneomane, in welden er fich Die Engländer zum Vorbilde nahm, Die andere Dagegen feine lasciven und frivolen Erzählungen, in denen er mit großer Feinheit der Beobachtung, aber mit nicht geringerer Frechheit, obwohl ſtets in äußerer Des cenz den faulen Buftand ber damaligen Gefellichaft theils direet, theils im Gewande von Mährchen fchil« dert, in denen viele Anfpielungen für unfere Beit durchaus unverſtändlich geworden find, da fie ſich auf Facta des damaligen Thun und Zreibens der gebildeten Stände, namentlich in Paris, beziehen. Seine Chararterzeichnung ift vortrefflich;. die Erfin- dung der Situationen wäre es eben jo, hätte er fie 22

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nicht Darauf angelegt, die Sinnlichkeit fo lüſtern wie möglich zu machen und ihr auf alle Weife zu fhmeicheln. Hinter Allem ſteckt allerdings ein gro⸗ Ber Schalf, der mit ſcharfem Blicke die mannichfachen Lafter und Verirrungen ſah, welche im Inneren der Geſellſchaft arbeiteten und giftig unter fich fraßen, aber ein fauniſches Wohlbehagen an den bunten Bla⸗ fen fand, die dieſe auf die Dberfläche trieben und durch Tascive Darftellung, wie durch ein Prisma die Strahlenbredung und den Farbenglanz noch zu fteigern ſuchte. Für Die Kenntniß der Gittenge- fhichte find feine Romane daher von großer Wich⸗ tigfeit, befonders diejenigen, welche in der Wirflich- feit fpielen, denn man erhält durch Diefelben erk einen vollfommenen Begriff, (wie ihn die Memoiren, da diefe nie fo in das Einzelne gehen, Feinesweges zu geben vermögen), von der Fadheit des gefellfchaft- lichen Umganges, dem Wohlgefallen an leeren, nid)« figen Dingen, der ftudirten Genußfucht und Der ele- ganten, fpielerifchen Freigeifterei, welche feit ber Regentſchaft durchgängig unter den höheren Ständen herrſchten und die übrigen Klaſſen mehr oder weni» ‚ger infieirten. In diefer Hinficht tft. befonders auf La Nuit et le Moment und le Hasard du coin du feu aufmerffan zu machen, beide feine Miniaturbilder mit der fauberften Ausführung und faft ganz ver- geſſen. Mehr im Andenken hielten fi) L’Ecumoire, Ah quel conte! und Le Sopha, unzählige Mal auf- gelegt und auch in das Deutfche überfegt. Sein be— ſtes und unfchädlichftes Bud), Les Egaremens du

coeur et de V’esprit, blieb unvollendet; bier find tiefe Blicke in das menfchliche Herz, eine fehr gewanbte Sharacterzeichnung und treffliche Ausführung zu lo⸗ ben. Trotz der abfichtlichen Eleganz feines Styls if diefer jedoch häufig verworren und gefchraubt. Das Shlimmfte an ihm ift, daß biefe verderbliche Gat⸗ tung duch ihn Mode wurde und eine Fluth frivoler Romane hinter fich herzog, welche nur gefchrieben wurden, um Die gemeine Sinnlichkeit zu reizen, Die, äbgeftumpft und entnervt wie fie war, freilich der kimulirenden Mittel bedurfte. Die meiften finden fh in der Sammlung der Eleinen eleganten Ausga⸗ ben, welche ber Buchhändler Cazin in Rheims um 1770 yeranftaltete und die fich um ihrer fauberen Aus⸗ Rettung und ihrer MWohlfeilheit willen, einer außer- ordentlichen Verbreitung erfreuten und noch immer im Buchhandel zu haben find *).

*%) Oeuvres de M. C. P. J. de Crebillon. Lon- dres 1777. 7 Bdchen. in 12. Einzeln erfhienen weit früher: Le Sylphe. Paris 1730. in 12. Lettres de la marquise de *** au comte deR***. Paris 1732. 2 Bde. in 12. Tanzai et Neadarne (erft u. d. T. P’Ecumoire, Paris 1734; 2 Bbchn. in 12.), Paris 1756. 2 Bdchen. in 18. (zog dem Berfaffer Eins fpereung in Bincennes zu). J.e Sopha, Paris 1743. 2 Bpchen. in 12. Atalzaide, Paris 1736. 1 Böden. in 12, .Les Amours de Zeo-Kinizal, roi des Co- ſirans (Anagramm für Louis XV, roi des Frangais), Paris 1746. in 8. Ah quel conte, Paris 1751.

22 *

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Weit derber und reynifcher, aber aud) weit ges-

- nialer und ehrlicher, im dunkeln Gefühle des guten Rechtes der Sittlichfeit, ging ein anderer Autor zu Werke, welcher, obwohl er viefelben Gegenftände behandelt, doch in feinem Weſen, wie in feinen Schrif⸗ ten einen entfchiedenen Gegenfag zu jenen celegant- frivolen Autoren, Die er felbft Die vers luisans der Literatur nennt, bildet. Er hieß Nicolas Edme Re- Kif (Retif) de la Bretonne, (geboren ant 22. Novem⸗ ber 1734, geftorben im Februar 1806). Um feine Schriften beffer würdigen zu Fünnen, muß man Daß wilde und ftürmifche Leben dieſes merkwürdigen Mans nes, eines der fruchtbarften Schriftfteller aller Zei⸗ ten, näher Fennen. Seine Eltern waren ehrliche

4 Bdchen. in 12. La Nuit et le Moment, Paris 1755. in 12. Le Hasard du coin du feu, Paris

1763. in 12. Lettres de la Duchesse de ** au due de**, Paris 1768. 2 Bochen. in 12. Les heureux orphelins. Histoire imitee de l’Anglais, Pa- ris 1754. und Les Egaremens du coeur et de l’esprit, Paris 1726. in 12. find die beiden einzigen decenten Bücher, die er gefchrieben bat. Ob bie ihm beigelegten Lettres de Madame de Pompadour wirflih von ihm herrühren, iſt noch nicht ganz ausgemacht, Eine Deutfche Neberfegung von Tanzai et Neadarne und Ah quel conte erfhien unter dem Zitel: Crebillons d. 3. vorzüglichfte Werke, aus dem Franzöfifhen von W. €. S. Mylius. Berlin 1782 86. 3 Zhle. in 8. gl. Grimm, | Correspondance T. 1. p- 446 fgbe.

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Landleute in Sacy bei Auxerre. Da er ald Knabe ſchwaͤchlich war, aber einen lebhaften Geiſt verrieth, jo nahm ſich ein älterer. Bruder, der dem geiftlichen Stande angehörte, feiner an und unterrichtete ihn in der Inteinifchen und franzöſiſchen Grammatik. Seine Fortfchritte waren überrafchend, und fchon in feinem zehnten Jahre ſchrieb er kleine Erzähluns gen, bie man Feinesweges mislungen nennen Fonnte. Cr Fam nun als Lehrling in eine Druderei, warb aber hier weggeiagt, da fein frühreifes und heftiges Zemperament ihn zu tollen und fohlimmen Streichen bingeriffen Hatte. Seine Eltern fahen ſich genöthigt, ihn fortzuſchicken; er führte Darauf längere Beit ein wahres Vagabundenleben, gerieth in das gräßlichite Elend und. der Stempel der Gemeinheit brüdte ſich hm, durch Die niebrigften Berbindungen, fo unaus⸗ öihlih auf, daß felbft feine beften Schriften Spus ven Davon zeigen. Endlich ermannte er ſich, trat wieder als Gehülfe in eine Druderei und benugte feine Stellung, um eigene Schriften heraus zu geben. Seine Romane machten Glück; er widmete fich ganz diefem Berufe und fignalifirte fich als einen der ent⸗ ſchiedenſten Verehrer Jean Jacques Rouſſeau's (ob⸗ wohl er gegen deſſen Emile auftrat), fo daß man ihm den Spottnamen Le Rousseau du ruisseau beilegte. In jenen Schriften‘, welche über 200 Bände betra- gen, beobachtete er weder Maaß noch Biel, fchilderte Alles mit den grellſten Farben, das Meifte aus eig⸗ ner Erfahrung und- entblödete fich nicht, feine näch⸗ ken Angehörigen, Weib und Tochter, ja fich ſelbſt

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an den Pranger zu ftellen, um ber Menfhheit Durch rückfichtsloſe Schilderung des Kafters, wie er ſich ſelbſt austrüdte, zu nügen. Die Revolution begrüßte er Daher mit großem Intereffe und rühmte ſich, fie Durch feine Bücher vorbereitet zu haben. Als er jedoch durch zwei Bankerotte die Früchte feiner Erfparnifie verlor und zahlreiche Nachdrücke ihm fein Einkom⸗ men ſo ſchmälerten, daß er wieder Buchdrucker wer⸗ den mußte, urtheilte er minder günſtig von der neuen Ordnung der Dinge. Gegen das Ende feines Lebens erhielt er ein Pleines Amt und ftarb dann, arm und vergeflen, im zweiundfiebenzigſten Jahre feines Alters in Paris *).

Seine Romane zerfallen in zwei Klaffen; in ſolche, in denen er fich bemüht, das wirkliche Leben , zu ſchildern mit feinen guten, wie mit feinen böfen Seiten, wie er es felbft gefehen, und in folche, in wel- chen es ihm allein um fcandalöfe und unflttliche Dar-

*) &. Histoire des Campagnes de Marie, ou Epi- sode de la vie d’une jolie femme; Paris 1811. 3 Bde. in 12., ein nachgelaffenes Werl Retif?3, herausgegeben von Cubieres Palmezeaux, feinem großen Verehrer, der ein ganzes Bändchen der Biographie beffelben wid- met. Mal. ferner: Monsieur Nicolas ou le coeur humain devoile. 16 vol. in 12. Paris 1796— 97, eine Art Autobiographie Retif’d. Biographie Univer- selle des Contemporains. Paris 1834. IV., 1086, wo fh ein ſehr vollftändiges Verzeichniß feiner Schriften findet.

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Relungen zu thun ift, um Aufſehen zu erregen und Käufer. anzuloden. Bu ben letteren gehören La femme infidele*) (die Gefchichte feiner eigenen Fran, eines abfcheulichen Weibes, Das fpäter von feinem Schwiegerfohne ermordet wurde), Les Nuits de Pa- ris**), geiftIofe und jkandalöfe, obwohl auf Wahr- heit gegründete Befchichten; Les Filles du Palais- Royal***) ; La semaine nocturne ****), infame Pro⸗ ducte infamer Sperulation u. |. w. Es genüge, fie bier zu nennen. Unter den erfteren zeichnen fidh Dagegen aus: Le pied de Fanchette+); Lavie de mon peret}); Le paysan et le paysanne pervertie +++); Les Contemporaines +++7) u. f. w. Faſt in allen

*), Paris 1788. 4 vol. in 12.

+#) Les Nuits de Paris ou le Speectateur moderne. Paris 1788— 91. 15 vol. io 12.

+34) Paris 1789. 2 Bdchen. in 12.

*6**) Ebendaſ. 1 Bochen. in 12.

+) Le pied de Fanchette ou l’orpheline francaise. Paris 1768. 3 vol. in 12.

++) Paris 1778. 2 Bdchen. in 12.

+++) Le paysan perverti ou les dangers de la ville. Paris 1776. 4 Bdchen. in 12. La paysanmne perver- tie. Ebendaf. 1776. 4 Böden. in 12. Deutfh von NRenke. Gera 1789. 2 Bde. in 8. und von F. 2. W. Meyer. Kiga 1785. Ein Auszug findet fih bei Reichard a. a. O. Bd. 10 u. 12.

+++Y+) Les Contemporaines ou Avöntures des plus jolies femmes de läge present. Paris 1780 fgbe. 42

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offenbart fich Mangel an Geſchmack, Erziehung und Ruhe, Plattheit des Styls, Uebertreibung, cyniſche Derbheit, Oberflächlichleit, Unklarheit und Geſucht⸗ heit; Dagegen findet man auch überall eine feltene Kenntniß der unteren Stände, treifende Wahrheit, -fharfe Beobachtung, fehr glülliche Schilderungen, natürliche Auffaſſung, große Zebendigfeit, gewandte Chararterzeichnung, Gluth des Gefühle, Unmittel⸗ barkeit der Production, eine fehr reiche Einbildungs- fraft und neben vielen verworrenen und ſchielenden auch fehr viele gute und überrajchende Gedanken. Bei größerer Bildung und feinerem Gefühle hätte dieſer mit fo glüdlichen Naturanlagen ausgeftattete Mann ein vorzüglicher Schriftitellere werben Fönnen. Jetzt ift er nur eine fehr intereffante, pſycholo⸗ giſche Erfcheinung, wie fie allein Frankreich im acht» zehnten Jahrhunderte hervorbringen konnte und in dieſer Hinficht Höchit beachtenswerth. Die bobenkofe Verderbtheit und Berriffenheit feiner Beit, Die ſich über Alles erftrete, begeifterte ihn, feiner Feder die feltene Kraft, feinen Schriften ein ungewöhnli⸗ ches und reiches Lehen einflößend. Die Sonne, an ber fein Geift reifte, war Die unerhörtefte Gemein heit, dennoch wollte er, ein ausgebrannter Vulkan

Bdchen. in 12. Deutfh (jedoh nur 11 Bde. in 8.) von C. W. S. Mylius, Berlin 1781-—85. ‚Les nou- velles Contemporaines. - Paris 1802. 2 Bde. in 12., nebit mehreren Kortfegungen, wie l’Annee des Dames nationales, les Provinciales u, f. w. |

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bes Lafters und der wildeſten Leidenſchaften, in wel⸗ dem noch heimlich zerftörendes Feuer fortglimmte, anf feine Weile der Vorkämpfer für die Sittlichkeit feyn, die Doch, troß dem, daß fie fo unerhört mit Füßen getreten wurde, unabläffig mahnend an alle Thüren und an alle Herzen Elopfte. Gewiß ein merkwürdiges Phänomen.

Sein gelefenfter Roman Le paysan perverti, an» fangs allein erfchienen, fpäter mit Det Paysanne per-

vertie von ihm in Eins verſchmolzen, fchildert mit-

den brennendften Farben, wie Bruder und Schweiter ans dem Bauernftande, Beide anfünglich unverbors ben, aber lebhaften Temperamentes, zuerft in einer Heinen Stadt, dann in Paris fo gänzlich entarten, daß fie zu dem Abfchaume ber Menſchheit herabfin- ten. Das Ganze ift eigentlich nur eine Weihe von loſe mit einander verbundenen Scenen, zu denen Die feineren Uebergänge fehlen, die aber, mit kecken und raſchen Bügen gezeichnet, ein fehr lebendiges Bild geben. Das Buch ift, wie Die Wichardfon’fchen Ro» mane, die auch bier als Vorbild dienten, in Briefen geſchrieben und troß dem ungleichen Styl mit großer Bahrheit der Auffaflung durchgeführt. Die Cha— Tartere find gut entwielt, und man flieht dem Gan⸗ sen überall an, Daß es aus dem wirklichen Leben ge» ſchöpft ſey. Einzelne Partieen, wie 3. B. Die Sres nen mit Manon oder die Schilderungen des Lebens und der Sitten auf dem platten Lande, verbienen das größte Lob. In dem Ganzen herrſcht aber ein ſol⸗ her Cynismus vor, Daß bie, Poefte durchaus alles

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Recht daran verliert und es aufhört, ein Kunſtwerk zu feyn. Der Leſer fühlt die tiefe Wahrheit und muß Das Buch fhaudernd weglegen. Diefer Roman machte weit mehr Auffehen im Auslande, als in Frankreich felbit, wo ihn Die Kritiker und Feineswe- ges mit Unrecht. vornehm ignorirten, denn Werke dieſer Art, obwohl fie lebhaft für die glänzenden na tärlihen Fähigkeiten des Verfaſſers zeugten, muß- . ten, wenn fie feften Fuß gewannen, allen feineren Geſchmack, alles Gefühl für geiftige Schönheit, allen Adel der Empfindung und alle Würde der Literatur total zerftören. Wer daran Gefallen finden Fann, gleicht einem Menfchen, ber die Schönheit körperli⸗ Her Formen in einer Heilanitalt für fuphilitifche Kranke ftudiren will. Trotz dem, daß Ketif das Zafter mit fo Fräftigen und widrigen Pinfelftrichen zeichnet, blidt Doch ein gewiſſes Wohlbehagen an befien Freuden und Genüflen, Das ſich befonders in ber überaus fleißigen Ausmalung einzelner Sitnatio- nen offenbart, überall durch und macht Die Lecture noch widriger. Weil er fo tief im Schmuge geftedt, glaubte er fich ausdrüdlich berufen, feine Farben mit eben dieſem Schmutze zu mifchen und ſah nicht ein, daß er gerade durch feinen Cynismus fein Biel verfehlte. Wie blind er darin war, das beweift eine Stelle aus der Worrede zu feinen Contemporaines, welche hier einen Play finden mag, ba fle zugleid -eine Probe feiner Art und Weiſe giebt. Si, fagt ee la science est respectable, la fausse delicatesse ne Vest pas. Les Contemporaines sont un ouvrage

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de medecine morale. Si les details en sont licen- cieux, les principes en sont honndtes et le but en est utile. Qu’est-ce qu'um romancier? Le peintre des moeurs; les moeurs sont corrompues ; devais.-je pein- dre les moeurs de l’Astree? Reservez, femmes hon- nötes, reservez votre indignation pour cette indecence de societe qui nest bonne à rien; ‘pour ces dquivo- ques infämes, pour ces manieres libres, pour ces pro- pos libertins qu’on se permet tous les jours avec vous et devant vos filles. Mais pour la pretendue in- decence qui a un but qui est moral, qui sert & instruire et à corriger, n’en faited pas un crime & l’ecrivain qui a le courage de vous presenter le miroir du vice pour vous en faire voir la differmite. Dieſe Eons teınporaines find eine Sammlung von Erzählungen, in welchen er zwar zu Beiten eben fo eyniſch, aber mit großem Talente und treffender Wahrheit das Les ben und die Frauen der unteren Stände fchildert. Hier weiß er jeden Geſchmack zu befriedigen, jedes Genre einzuführen und ift abwechjelnd eben fo naiv und zart, als er plump. und frech feyn Fann. Dem Studium der Sittengefichte bieten Die zweiundvierzig Bände dieſer Sammlung eine reiche Yundgrube dar und mancher Schriftfteller, der um Stoffe verlegen ift, würde hier eine reiche Ausbeute finden, Die er mit feinem Gefchmade und Feufcher Darftellung zu ganz vortrefflichen Gemälden verarbeiten könnte.

Ketifs beites Wer? bleibt la vie de mon pöre. Diefer durchaus fledenlofe Roman, reich an höchft gelungenen Schilderungen der Ländlichen Sitten, zar⸗

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ten.unb liebenswürbigen Befchreibungen, naiven und reizenden Details, wahren und ftarfen Gefühlen, und höchſt gelungenen Characteren, verdient der Vergeſ⸗ fenheit entriffen zu werben. Es iſt der jchöne Traum einer verlorenen Seele, die im Schlummer Die feli- gen Beiten der eriten Unſchuld wieder Durchlebt und in füßen Erinnerungen fchwelgt, das Erwachen zu graufenhafter, ſelbſt verfchuldeter Wirklichfeit ver: geſſend. Es würde zu weit führen, die anderen Schriften Roͤtif's de la Bretonne hier zu bezeichnen. Das bier Gefagte wird genügen, ihn zu characterifiren; feine Grfcheinung ift um fo intereffanter, als er der Erſte war, in welchem und durch den die Nemeſis fih Bahn brach. Ich Habe ſchon oben darauf hingedeutet, daß bie Sitttlichkeit, felbft in den verberbteften Zeiten, ſelbſt auf das Heftigfte unterbrüdt, dennoch nie. verftummt und. unermüdlich ihr gutes Recht geltend macht. Die »Natur thut daſſelbe; je weiter dee Menfch fi von ihr entfernt, deſto dringender wird fie ſtets und in entfcheidenden Momenten zu ihm reden, biß-er enb- lich, tief erfchredt, auf ihre Stimme hört. Gerate während der fchlechteften Periode wurden folche Wort- führer laut und der entfchiedene Gegenfaß, den fie zu der Wirklichkeit bildeten, machte ihre Lehren noch nachdrücklicher. Am Entfchiedenften trat Jean Jac⸗ ques Rouſſeau auf, mit dem wir uns ſpäter noch zu beſchäftigen haben; aber, wenn er auch durch feinen tiefen Ernit und feine kühne Beredſamkeit Manchen

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erfhätterte, fo war die Frivolität der Menge doch su groß und fein Wefen dieſer zu gewaltfam, um fie zu ihm zu führen. Wer nachhaltig auf fie wir- fen wollte, mußte frivol erfcheinen, wie Die Maſſe es felbft war, und durch feinen, witigen Spott, durch elegante Satyre, felbit durch beißenden Muth willen erft den platten, harten Boden allmählig lodern, um ihn fähig zu machen, beffere Saat aufs sunehmen. Dies thaten aud) bie Geiiter, welche jene Beit beherrfchten, namentlich Boltaire in feinen Romanen Zadig, Candide, Babouce u. f. w., bie alle einen philofophifchen Fonds haben, aber nur ben fein Gebildeten ganz verftändlich wurden und baber feinen fo großen Einfluß gewannen, wie feine übri« gen Schriften, obwohl fie noch jetzt als Mufter des Styls in diefer Gattung gelten: noch mehr aber Dis derot, der Vorkämpfer der Natur, ein Mann voll feinen Geſchmackes, feltenen Scharflinnes und reicher Phantafie, jedoch oberflächlich und in Die Extreme ver- rannt, wie feine ganze Beit e8 war, Die er mit gro⸗ ßem Uebermuthe und Feder, hochfahrender Laune bes handelte. Er Hat drei größere Romane hinterlaffen:: Les bijoux indiscrets*), La Religieuse**) und Jac-

*) Paris 1748. 3 vol. in 12. md. _

**) Paris 1796. 2 vol. in 8. In ber dritten Ans gabe. Paris 1799, 2 Bde. in 8. findet fih ein Schluß von fremder Hand. Deutſch von K. F. Cramer. Riga 1797. (der ſämmtlichen Werke 2r Th.).

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ques le Fataliste et son Maitre*), von benen ber erftere, ganz im damaligen fchmugigen Gefchmade, wegen ber beftändigen faden Wiederholungen, Die fred) und unverfchämt, aber weder pifant noch unterhal- tend find, dem Leſer zulegt die größte Langeweile macht. Beffer, obgleich nicht minder indecent, ift der Jacques, eine Nachahmung der Sterne’fhen Weife, aber der» felben weit nachftehend. Diderot thut, ala wolle er die wichtige Frage von der menfchlichen Willensfrei- heit behandeln, Alles läuft indeſſen ärmlich Darauf hinaus, daß Jacob bei jeder Gelegenheit behauptet, was fich auch ereigne, fer fchon im Himmel voraus⸗ beftimmt und der Menich müſſe es ruhig hinnehmen und tragen. Den Inhalt bildet der Umſtand, daß Jacob unterweges feinem Herrn die Gefchichte feiner Liebe erzählen will, aber jeden Augenbli entweder unterbrochen wird oder fich felbft unterbricht. Das zwifchen kommen eine Menge Abenteuer und andere Geſchichten; endlich beginnt Tacob zu Ende Des zwei⸗ ten Bandes, kommt aber .nicht damit zu Stande. Amufant ift das Buch allerdings und ganz geeignet,

‚eine leere Stunde angenehm zu vertreiben, weiter

aber auch Nichts, denn man legt.e8 am Schlufle une befriedigt aus der Hand. |

Diderot's Dritter Roman, die Nonne (da8 Er- zeugniß einer boshaften Myſtification), ift ganz an-

*) Paris 1796; 2 Bode. in 8. u. 5. Deutfch von Mylius aus der Handſchrift d's. Berlin 1782. 2 Thle. in 8.

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derer Urt und gehört nicht hieher. Es enthält die Gefchichte eines armen Mädchens, Das von feinen Eltern gezwungen wird, in ein Klofter zu gehen, dort viele Quaalen duldet, umfonft verfucht, von ſei⸗ nem Gelübde entbunden zu werden, mit feinem Beicht⸗ vater entflieht, Diefen verläßt, weil er feiner Tu⸗ gend nachftellt, und in Die traurigften Verhältniſſe geräth. Das Buch ift nicht zu Ende geführt, aber. mit großem Talente, mit Energie und Wahrheit und. vortrefflich gefchrieben. Huch ohne den ihm zu. Grunde liegenden moralifhen Zweck kann ihm ein. hoher Werth nicht abgeiprochen werben *).

Bon demfelben Standpunfte aus und demſelben Biele zuſtrebend, wie Retif de la Bretonne, indeſſen mit feinerem Geſchmacke, mit größerer Veſonnenheit und Ruhe und mit gleicher Wahrheit ſchrieb Cho⸗ berlos de Laclos feinen berüchtigten Woman Les liai- sons dangereuses, welcher, Furz vor ihrem entſetzli⸗ den Sturze, ber verpefteten höheren Gefellfchaft einen unbarnıherzigen Spiegel vorhielt. Es war ihm dar⸗ um gu thun, im Gegenfage zu den vielen, Fleinen frivolen und Iaseiven Schilderungen, an benen fie ° fi) weidete, weil die eigenen Laſter ihr Darin fo Lies benswärdig und modern erfchienen, ein Bild aufzu⸗ ftellen, das durch feine gräßliche Wahrheit ihr Furcht

*) Dies Buch entftand urfprünglih, um einen Herrn de Croixmarre, der fi früher einee armen Ronne In Longhamps angenommen Hatte, zu myſtiſtciten. ©. Eusebe G@ . . . Revue des Romans L., 175.

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einfagen mußte. Er war ein Mann von feltenem Beobachtungsgeiſte und Scharffinn, der unbarmher⸗ zig den Finger auf die Schwären ber Beit legte und mit Faltem, unveränderten Antlige dem Arzte an deutete, wo ber vor Allem zu erftirpivende Keim zu finden fei. Dean hat ihm vorgeworfen, daß er mit eigenem Wohlgefallen am Laſter daſſelbe ſchildere und namentlich den Helden der Werderbtheit in feinem Romane mit zu glänzenden Eigenfchaften ausſtatte, auch zu genau jeder Einzelnheit in den ſchändlichen Handlungen deffelben nachgehe. Allerdings if Das Legtere wahr; mir fcheint es jedoch weit mehr für als gegen ihn zu fprechen, denn follte fein Bud wirken und vollkommen jeyn, fo war es bei ben Anforderungen einer gerade in biefen Dingen auf der Spitze der Cultur ftehenden Geſellſchaft unum⸗ gänglich nothwendig, eben dieſe Dinge mit äußer⸗ ſter Feinheit und Umſtändlichkeit zu behandeln. Wer ſociale Zuſtände darſtellen will, muß mit vollkom⸗ menem Bewußtſeyn über ihnen ſtehen und ſie eben fo objectiv faſſen, wie Homer feine Götter und Shak⸗ fpeare feine Könige. Das that er auch und lieferte Daher in feinem Buche einen furchtbaren Commen⸗ tar für feine Epoche. Bei ihm Dürfen wir am We⸗ nigften vergefien, wie lange man ſchon in. Frank⸗ reih die Sittlichfeit mishandelt, Die Schaam mit Züßen getreten, die Kenfchheit auf alle Weife unter⸗ graben hatte. Das auf poetifchen Wege unumwun⸗ den und doch mit der ausgefuchten äußeren -Seinheit des damaligen Lebens anszufprechen, war die Auf—⸗

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gabe, die er fich ftellte und die er meiſterhaft zu löfen verſtand. Wer jetzt noch Die Liaisons dange- reuses für ein verführerifches Buch halten will, muß entweber fehr hinter der Beit zurüc geblieben ſeyn oder fie nur von Hörenfagen Fennen, was leider bei Riterärhiftorifern fo oft der Kal iſt. Die beiden Hauptperfonen des Buches, -Balmont und die Mar⸗ quife de Werteuil, find gänzlich. aus dem Leben bes achtzehnten Jahrhunderts in Iranfreich und von dei» fen unmittelbarfter Höhe entlehnt, aus einem Kreife, dem der Genuß Alles war und ber in ber Wolluſt eben folchen Genuß fand, wie in der Intrigue, Die zu ihe führte und in der Treuloſigkeit, Die fie beglei- tete: wo man Verbrechen aus Luft am Verbrechen beging, weil e8 Geift erforderte, während Die Zus gend nur das Erbtheil ber Einfältigen und Unerzo⸗ genen war. Die Marquife de Werteuil teifft ein junges, fanftes, unfchuldiges und recht unwiffendes und naives Mäkchen an und macht fich einen ange- nehmen Beitvertreib daraus, baffelbe in Grund und Boden zu verberben und es fo ruinirt Valmont in die Arme zu werfen. Dieſer empfängt es, zeritört es gänzlich und lächelt Falt und verächtlich über bie zu leichte Eroberung; er Hat eine fehwierigere und intereffantere Befchäftigung gewählt. ine edle, keuſche, tugendhafte und wahrhaft fromme Frau reizt ihn, weil fie ihn erft mit Abfchen, dann voll Mit« leid betrachtet. Als cin vollfommener Heuchler weiß er fie mit den feinften Regen zu umgarnen, und durch ihre Tugend und Herzensgüte in den Abgrund 23

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zu locken. Sie fällt ihm zum Opfer, aber ihr Fall Foftet ihm das Keben. Ein ungeheuerer Jammer bricht nun ein; jene beiden Werbrecher blicken fich entſetzt an und eine fehr ſtrenge poetifche Auftiz, Die an ihnen geübt wirb, endet den in Briefen und in einem gan; vortrefflichen Style gefchriebenen Roman. Daß es des Verfaflers directe Abficht geweſen, ber gewiſſen⸗ ofen Geſellſchaft einen Spiegel vorzuhalten,, beweiſt ſchon der farkaftifche Bufag auf dem Zitel: Lettres recueillies dans une societs et publiees pour !in- struction de quelques autres *).

*) Die erfte Auflage erfhien Paris 1782. 4 part. in 12. Zwei deutfche Heberfegungen folgten bald, bie erfte u. d. T. die gefährlichen Bekanntſchaften von B—n (C. $. von Bonin). Leipzig 1783. in 8., die zweite u. d. ©. der gefährlihe Umgang. Frankfurt a. d. O. 1798 99. Eine fehr freie, aber höchit geiftreihe und feine Umarbeitung des Originals lieferte von Steigen teſch m. d. &. Marie. Gießen 1812. N. Aufl. Darm ftadt 1823. 2 Bdchen. in 8. Der franzöfifde Roman "bat feitdem fehr viele Auflagen erlebt. Der Berfafler ward 1741 in Amiens geboren, trat ſchon früh in die Hrtillerie und wurde dann Secretaire des commande- mens. bei dem Herzoge von Orleans, zu- deilen Partei er auch fpäter gehörte. Unter Robespierre in den Ker⸗ fer geworfen, diente er dieſem mit feiner Feder und nüßte der Republik duch kriegswiſſenſchaftliche Unter ſuchungen. Rad dem Iten Thermidor wurde er Gene ralfeeretair der Adminiſtration der Hypotheken. Der

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Am Leichtfinnigften, aber auch am Gutmäthig- ken, wie überhaupt LZeichtiinn und Bonhommie fo oft in der Welt ein Bwillingögefpann find, faßte ein höchſt geiftreicher und fpäter, als es Höheres galt, auch fehr tüchtig gefinnter Mann, diefe Epoche, gerade vor dem unmittelbaren fchredlichen Schluſſe berjelben, auf. Sein Roman, der Anfangs in ein» zelnen Abtheilungen erfchien, ift unter dem fpäteren Gefammttitel: . Les Amours du Chevalier de Fau- blas unzählige Mal wieber aufgelegt worden, benn für einen Gourmand in der Wollsft bleibt er immer ein leckeres und feines Gericht, Das nur bis zu einem gewiſſen Grade fumett, immer den Gaumen reizt und die Sinne angenehm Fißelt, ohne je zu ſtark zu wir» fen. Louvet de Couvray, der Verfafler*), ſchrieb

erite Eonful ernannte ihn darauf zum Brigadegeneral und ſandte ihn, als er in dieſer Eigenſchaft den Feld⸗ zug am Nhein mitgemacht hatte, nach Italien. Er ſtarb am 5. October 1803 zu Tarent. S. Biographie universelle des Contemporains IH., 27.

*) Geboren am 11. Juni 1760 zu Paris; ex erhielt eine gute Erziehung, war in feiner Jugend Serretair des gelehrten Dietrick, dann WBuchhändlergehülfe, lebte darauf mit einer Geliebten auf dem Lande und Fehrte bei. dem Ausbruche der Revolution wieder. nach Paris zuruͤck, wo er ein Journal redigirte und 1792 Mitglied des Eonventes wurde. Er ſchloß ſich der Gironde an und warb 1793 proferibirt: Geächtet und verfolgt irre er lange. umher und wurde von feiner Geliebten geret⸗

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den erften Theil fchon in feinem dreiundzwanzigſten Fahre. Ich fee den Inhalt nicht her, theils weil er zu allgemein befannt ift, theils weil er ein zu nacktes Gerippe feyn würde, denn cben Die taufend kleinen Iaseiven und fchelmifchen Nebenumftände geben ihm erft feinen wahren Glanz. Das Ganze ift ein Gewebe von Alkovens und Bouboirsgefchichtchen, in welchen fich alle Stände durch einander bewegen, Tie- ben und ſich Tieben laſſen, verführen, betrügen und betrogen werden; eine Welt von Lüge und Gemein- heit, aber Alles mit Manier. Hier iſt Wohlgefal- len an der MWerberbtheit, der Verfaſſer fteht nicht darüber, fondern mitten darin, was auch Durch die Tradition beftätigt wird, Louvet habe fich ſelbſt in feinem Helden geſchildert. Gewiß ift, daß er in ſei⸗ ner Augend gerade fo ausgefehen bat, wie er ihn darſtellt, auch wohl fid) fo benommen, denn er wirft

tet. Rah dem Iten Theirmidor außer. Gefahr, trat er 1795 wieder in den Convent. Aber die vielen Verfol⸗ gungen hatten feine Kräfte aufgericben. Er farb am 5. Kuguft 1797 in feiner Baterftadt. Außer dem Fau⸗ bla8 bat er noch einen Roman ,. Emilie de Varmont ou les Amours du cure Sövin. Paris 1791, zu Gunften der Ehefcheidung, fowie mehrere Luſtſpiele, einige pos litiſche Flugſchriften und Denkwürdigkeiten unter bem Titel:. Quelques Notices pour V’histoire et le récit de mes perils depuis le 31 mai 1793. : Parig, an Il. (1795). 1 Bd. in 8. und 3 Bde. in 18. herausgege⸗ ben... ©, Biographie des Contemporains IH., 361.

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fih felbfE in feinen Memoiren die Coquetterie feiner Jünglingszeit vor*). Damals galt der Faublas faft für ein derentes Buch; vierzig Jahre lang hatte ſich das Publicum an Hehnlichem ergöpt, bier fand es den Culminationspunkt folches Strebend. Sehr trefs fend nennt ein geiftreicher franzöftfcher Kritiker Dies in Roman die Aftenen der. Libertinen Wolluft. Seine Chararteriftif deſſelben ift überhaupt fo aus⸗ gezeichnet, Daß fie hier eine Stelle finden möge, ba fie ziemlich Alles erfchöpft, was Darüber zu fagen wäre**). Loupet bat mit einem faft wunderbaren Talente das Ideal ber liebenswürdigen Liederlichkeit aufgefaßt. Die Erfindung ift glücklich, die Spring federn, welche Diefelbe in Bewegung feßen, find ge» . lenk, gefchieft und wirken gut. Man erftaunt über die Menge von Hülfsquellen und neuen Combinatio- nen, bie bee Autor zur Hand bat. Die von ihm erfundenen Situationen find Fomifch, originell und gut herbeigeführt. Er hat Deamatifches Talent; er weiß, Durch welhe Mittel man einen Character hervorhebt und glänzen läßt. Die Handlung ift

*) Notiees etc. T. I., p. 2.

*#) Considerations sur la vie et les ouvrages de J. B. Louvet par Ph. E, Charles vor der Ausgabe des Sanblas. Paris 1822. 4 Bdchen. in 18. Die Fritis fhen Bemerkungen find vortrefflih, alle übrigen Ans gaben abes ganz unzuverläffig und ungenau. So führt. Ch. z. B. eine Komödie gegen bie Armee von Coblenz, ald einen Roman über die Ehelofigfeit der Prieiter an.

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voll Feuer, die Bewegung der Seenen voll leben⸗ diger Wärme, welche nie der Wahrſcheinlichkeit ſchadet und keine Entwickelung hemmt. Die allge⸗ meine Combination dieſes Epos der ſchlechten Sit⸗ ten iſt eine Art von Meiſterwerk. Zwanzig Cha⸗ ractere, fünf oder ſechs Intriguen vermiſchen ſich, kreuzen ſich, und ohne einander Eintrag zu thun, verbreiten fie wechſelſeitig Licht über einander, die zärtliche und reine Kiebe, ber der Verfaſſer ein Plaͤtz⸗ chen gelafien hat, der patrivtifche Enthuflasmus, den er mit Feuer jchildert und Die rontantifche und glän- zende Intrigue, welche ihm Gelegenheit giebt, inner« halb feines Rahmens das verführerifche Bild der pol- nifhen Sitten anzubringen, gewähren dem Geifte Ruhe, ben zulegt Alles ermüden würde, ſelbſt das Laſter. Kurz, die Erfindung im Faublas iſt reich und fruchtbar, der Styl rein, elegant, gewandt und leicht, auf einigen Seiten vulgär, wenig Kraft, viel Anmuth, mehr Grazie als Geiſt, mehr Geift als Wolluſt, mehr Woluft als Beobachtung und nod) mehr Leichtfertigkeit als alles Diefes; endlich ein fon» derbares Gemifch von flatterhafter Bärtlichkeit, finn- lichem Rauſche uud luſtig Fomifchen Seenen machen ein eben ſo gefährliches als merkwürdiges Werk dar⸗ aus. Der ſeltenſte Verein verſchiedenartiger Talente konnte allein ein ſolches Buch hervorbringen. In dem Kopfe, welcher dieſen Roman erdachte und aus⸗ führte, ſo viele komiſche Scenen combinirte, ſo viele Wahre Charactere ſchilderte, fo viel pikante Dialoge, verfaßte, den Edel, der fih an alle Verderbtheit

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bangt,, fo glücklich durch Die Gleganz und Mannich⸗ faltigfeit des Styls verbedite, Die glänzenden Fäden jo vieler glänzenden und frivolen Erzählungen vers webte, in Diefem Kopfe- war etwas von Leſage und Hamilton, von Arioſt und Sontenelle, von Richards fon und Boccaz.

Eins hat der franzöfifche Kritifer an dieſem Buche Iohend hervorzuheben vergefien, das nad) meiner Mei: nung die meiſte und ehrenvollfte Anerkennung vers dient, Die Natürlichkeit namlich, mit der das Gefühl ſtets gefchildert und, was noch mehr gilt, auch moti⸗ virt wird. Hier ift Feine affectirte Sentimentalität, die mit gemachten Empfindungen prunfen will, fon= been echte Wahrheit, felbft Hand in Hand mit ber größten Frivolität. So hat 3. B. Faublas Betra- gen, als ihm die Marquiſe weiß gemacht ,.fie fei gu» ker Hoffnung von ihm, und Die Freude, Die er über feine. vermeintliche Vaterſchaft empfindet, trotz allen komiſchen Streichen und Ereigniffen, Die es beglei= ten, etwas. wahrhaft und tief Rührendes und alle ſpäteren Erfcheinungen, feinen Wahnfinn mit einge rechnet, werben pſychologiſch durch jene Aeußerun⸗ gen, die uns ben innerften Kern der Seele Dies ſes Helden der Frivolität offenbaren, vollkommen motiviert. Daſſelbe gilt von dem Benehmen des Ba- tons bei Dem Duelle, non Rofamberts Entgegnung auf Faublas Forderung u, f. w, Ueberall blicken, ob auch vom bunteften und frivoliten Fand verdeckt, das Ehrenhafte des Bewußtſeyns der Würde menfchlichen Berufes und ungefchminfte Gemüthlichkeit heraus,

und Das war zu jener Zeit nichts Geringes. Edel und echt endlich iſt die ganze fo gefchickt eingewehte Epiſode der Schickſale Zovzinski’3, deren Erfindung und Durchführung ſich auf gleicher Höhe des Selin- gens findet.

Die zweite Hälfte des Faublas ſteht der erften an Feder Laune und originellem Wite bei Weiten noch und das Ganze trifft daher der Tadel der Un⸗ gleichheit. Der Uebermuth der Jugend begann fchon ſehr fich bei Louvet zu legen, als er in ländlicher Burüdgezogenheit den Schluß des Romans ausarbeis tete; es war, als ahne er die Wehen ber nächften Beit und al8 trete der furchtbare Ernſt jener entſetz⸗ lichen Katafteophe ihm wider Willen vor die Seele. So verwerflih auch das ganze Buch ift, fo Liegt Doch eine tiefe Lehre in ihm, die, wer der Menfch- heit in ihren Verirrungen wie in ihren Fortſchrit⸗ ten zu folgen weiß, nicht unverftanden, noch unge nüßt laſſen wird. Louvet's Abficht war es wohl nicht, aber daß er es andeuten mußte, wiber feinen Willen, wie die beleidigte menfchliche Natur fich ftets und unverföhnlich am Beleidiger rächt, Darin offen» bart fich Der fichere Gang, den Die Nemeſis warnend, ehe fie ftraft, auf Erden wandelt.

Mit den bier angeführten Werken Habe ich Die Hauptrichtungen characteriſirt, welche der ſociale las⸗ eive Roman genommen bat; gänzliche Unftttlichkeit zur gemeinften Aufregung abgeftumpfter Sinnlichkeit, (man Eönnte diefe Gattung füglich die Canthariden⸗ romane nennen); feiner, boshafter und inderenter

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Spott bei ſittlichem Indifferentismus; moralifche - Tendenz mit cyniſcher Auffaffung und eynifcher Lu; ' Moblgefallen am Lasciven gehalten Durch entjchiebene Skepſis; vollfommen objective Darftellung des vers derbten Zuſtandes ohne alle Schminfe und endlich kihtfertiges Vergnügen am Unftttlichen bei glänzen⸗ ber Darftellung und großer Bonhommie, das find die Hauptkennzeichen derfelben. Ich glaube damit genug gethan zu haben and Fann mir felbft nicht zu⸗ muthen, noch länger in Diefem Schmuge zu waten, in einer Wegion zu verweilen, bie, mit Dante zu reden, ſtumm an allem Lichte ift, und wo bie Erbe - ſtinkt )). Es fei nur zum Schluffe hier noch bemerkt, daß die von Erebillon eingeführte Gattung am Meis ften und mit dem entichiedenften Beifall eultivirt wurde. Wem die Sazin’fhen Ausgaben vollftändig zur Hand find, der wird Dort eine ziemliche Anzahl, 3. B. Le Grelot, le Cabriolet, les Confessions de Villefort, Angola, Themidore, Les Sonnettes x. f. w. finden, wenn ihm dergleichen Freude macht; alle biefe Bücher, obwohl unfchuldiger und äußerlich becenter, als die oben angeführten, ähneln in Zucker nachges ahmten Früchten, die mit lebhaften, aber giftigen metallifhen Farben bunt und Iodend bemalt find; ganz ungeftraft genicht fie Niemand, einem ſtarken

*) Luogo, d’ogni luce muto. Dante, Inf. V., 28. Ferner Inf. VI, 10. u

Magen verurfachen fie wenigftens Edel, einen ge⸗ fchwächten ruiniren fie.

Ich kehre, um Gleichheit in ber Beit fo viel wie möglich zu beobachten, jeßt wieber auf wenige Au⸗ genblide zu den Engländern zurück, die, wie wir be reits gefehen haben, damals im Gebiete des Romans. das Beſte leifteten. Zu jenen talentoollen, ſchon früher gefchilderten Männern gefellten fi) einige nicht min- - der begabte Rachfolger, nicht Nachahmer, welche bie eingefchlagene Bahn mit Geſchick betraten und fie noch weiter führten, ohne jedoch gerade eine neue Kichtung zu nehmen. Am Glüdlichiten war bier Dliver Goldſmith mit feinem weit verbreiteten Vi- car of Wakefield, einem Romane, der in Deutfchland noch) größeren Anklang fand und fehr häufig, felbit nod) in der neueften. Beit wieder überjeßt wurde *). Diefes eigenthämliche und treffliche Buch noch näher characterifiven zu wollen, ift bei feiner großen Ber» breitung um jo mehr überflüſſig, als es keinen her⸗ vorfpringenden Einfluß auf. die weitere Entwidelung and Ausbildung des Romans ausübte. Golbfmith fand, was die Zrefflichkeit und Feinheit der Cha⸗ sacterzeichnung, die edle Einfachheit des Styls und die warme Lebendigkeit Der Darftellung betrifft, kei⸗

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*) Die erfte Ausgabe erichien 1766 zu London; die erſte deutfche Ueberſetzung. Xeipzig 1767, die neueſte von H. Döring. Erfurt 1840. .

nesweges hinter feinen Vorgängern, bie er fogar oft überflügelt, zurück, wohl aber hinfichtlich der Wahr⸗ jheinlichfeit ber Erfindung und ihrer folgerechten Durchführung. Dagegen übertrifft er fie unbebingt duch Die größere, echtmenichliche und wahrhaft rüh- sende Liebenswürdigkeit feines Helben und durch Die Keuſchheit, mit der er felbit indecente Dinge, wo diefe fich nothwendig machen, behandelt.

Kichardfon fand in England felbit Feinen Jün⸗ ger; feine minutiöfe Umſtändlichkeit mußte hei jedem Anderen als. eine unleidlihe und mühſame Copie erſcheinen. Fielding hatte Dagegen viele Nachahmer, von denen die Mehrzahl indeflen längft ber Vergeſ⸗ fenheit anheim gefallen ift. Als der vorzüglichite ift wohl Richard Eumberland*) zu betrachten, deſſen

*) Cumberland iſt noch berühmter als Luſtſpieldich⸗ ter, vorzüglich durch feinen Weftindier, ber au bei und fehr gern auf ber Bühne gefehen wurbe. Er warb am 19. Februar 1732 zu Cambridge in dem Haufe ſei⸗ nes Großvaters, des berühmten Bentley, geboren, erhielt eine gelehrte Erziehung, zeichnete ſich fehr durch feine Fähigkeiten und. feinen Fleiß aus. und wurde dann Pri⸗ vatfecretaie des Lord Halifar, den er nad Dublin bes gleitete., Später verwoltete ee mit abwechfelnden Era folge mehrere oöͤffentliche Aemter. Er ftarb am 7. Mai 1811 zu London und erhielt ein Begräbniß in der Weſt⸗ minfterabtel. Vgl. Memoirs of Richard Cumberland, written by. himself. London 1806. 1y. in 4, u. 1807. 2 Bde: in 8. Walter ‘Scott 1. e. Il, 102 fgde.

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Kontane Arundel, Henry und John de Laneaster ſich, namentlich der mittlere, großen Beifalls erfreuten und auch jet noch gern gelefen werden. Im Henry fchilderte er mit Vorliebe und Treue Das Leben der unteren Klaffen, Doch ift weder die Erfindung aus gezeichnet, noch find Die Charactere neu, felbit Der gelungenfte, der methodiftifche Pfarrer Ezekiel Daw ift nur eine Nachbildung *).

Am Glücklichſten in Smollet's Manier bewegte ſich Charles Johnſtone **), deſſen Adventures of a Guinea eine Reihe von gut erfundenen und lebendigen Sce⸗ nen vorüberführen. Er übertrieb jedoch in feinen

5) Arundel und Henry: find beide in das Deutfche übertragen worden u. d. T.: Arundel oder Der Sieg des Edelmuthes. Leipzig 1790. 2 Zhle. in 8. Hein⸗ sid. Bremen 1796— 98. 4 Thle. in 8.

**) Sein Geburtsjahr it unbekannt; er ſtammte ans Irland, wor Zurift und ging fpäter nach Bengalen, wo er Eigenthüner einer Beitung wurde und um 1800 ftarb. Außer Chrysal or the Adventures of a Guinea fihrieb er noch The History of Arsaces, Prince .of Betlis. London 1774. 2 vol. in 12. The Pil- grim. London 1775. 2 vols. in 12. The History of John Juniper. London 1781. 3 vols. in 12, ©. W. Scott 1. c. HL, 230 fgde. Das Lob, das: ihm W. Scott beilegt, daß er ein Juvenal in Profa ſei ıc., fheint mie eben fo übertrieben, wie die Bezeichnung Friedrich's Des Großen, als selfish and atheistical. S. ebendaf. S. 232 u. 236.

Schilderungen des Laſters, ohne Dies durch einen Ge⸗ genfoß arazugleichen. Sein übrigens gut geichrie- benes Buch laßt daher einen bitteren Nachgeſchmack in der Seele des Leſers zurüd.

In mancher Hinfiht ein Nachahmer Sternes und gewiſſermaaßen auch Nichardſon's, aber mit eige⸗ nem, felbftftändigem Zalente und großer geiftiger Geinheit, behauptet Henry Madenzie*) eine hohe Stellung unter ben englifchen Romandichtern zwei» ten Ranges jener Periode. Die Darftellung der tie. feren und feineren Gefühle des merfchlichen Herzens war die Aufgabe, Die er vorzüglich zu Löfen fuchte; er folgte hier Sterne, ber zuerft einer Neigung bie Bahn eröffnet hatte, welche bereits in ter Beit lag und ſich als Gegenfat zu der oberflädhlicheren und der» beren Auffaſſung des Lebens immer ftärker nicht bloß in England manifeftirte, fondern bald fiegreich auch in Frankreich und Dentfchland hervortrat: doch ging er infofern feinen eigenen Weg, ala cr fih von deſſen Bügellofigfeit und abfichtlich herbeigezogenem Bite fern und ben inneren Faden feiner Erfindung mit großem Ernſte und Fünflerifcher Strenge zuſam⸗

*) @r wurde 1745 in Epinburg geboren, erhielt ein? gelehrte. Erziehung und ward dann Kronanmwalt in feiner Vaterſtadt, fpäter Comptroller of the Taxes for Seotland. Er ftarb dafelbit hochgeehrt am 14. Januar 1831. Seine fammtlihen Werke, von ihm felbft zum Drude beforgt, erfchienen 1808 zu London, 8 Bde, in 8.

men hielt. Da man das allgemeine Leben der Gegens wart nad) allen Seiten hin ausbeutete und erfchöpfte, fo war e8 ganz natürlich, Daß man zuletzt ben miht minder intereffanten und wichtigen Erfcheinungen bes Lebens im Individuum, Das oft noch größeren Reid) thum darbot, volle Aufmerkſamkeit ſchenkte und es gleichfalls auf künſtleriſchem Wege zu entwickeln und darzuſtellen ſuchte. Die Fortſchritte der Philoſophie, ob auch keinesweges genügend, trugen nicht wenig dazu bei, daß man ſich mit dem einzelnen Menſchen und ſeiner pſychiſchen Durchbildung lebhafter und an⸗ haltender befchäftigte und auf dem Wege der Erfah⸗ rung Refultate zu gewinnen fuchte, Denen man auf bem Wege der Speculation bisher vergeblich nach⸗ geftrebt: Hatte. Viele Fragen waren bisher ungelöt geblieben und man fuchte nun auf poetifchenm Wege eine foldje, wenn auch. nicht vollkommen befriedigente, koch beruhigende Löfung zu erhalten. Wie Das in Frankreich verderblich geſchah, wo man das Mis- verhaltniß des Einzelnen zum allgemeinen Endlichen wie zum Unendlichen, duch ftarre und ſtarke Skepſis auszugleichen firchte, haben wir bereits gefehen. And) bier bildete fich bald ein entfchiedener Gegenfaß aus, ben wir, gleich näher betrachten werden. Man wandte ſich, und das that man bald nachher auch noch leb⸗ bafter in Deutſchland, wo Die Neigung eben: fo ftark wirkte, wie. dort bie innere antagoniftifche Nothwen⸗ digkeit, an das Gemüth und deſſen einzelne Aeuße⸗ rungen im Gefühle, wie an einegdttliche und wahre Stimme. Sterne hatte suerit im Romane dieſe Saite

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angefchlagen, aber in origineller Laune fo viel Fremd⸗ artigeß zugemifcht, Daß die Wirkung unvollſtändig ſeyn mußte. Madenzie dagen bleibt das Werdienit, geradezu auf Diefes Biel losgegangen zu fenn, aber e8 fehlte ihm das Genie, um mit kühnem Wurfe das Fihtige zu treffen. Daß vielleicht nur dunkle Bewußtſeyn biefes Mangels macht ihn Häufig gefüns fkelt und affectirt und verleitet ihn zu jenem kränk⸗ lichen Sentimentalifiten, das wie eine Grippe einen großen Theil der fchönen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts in deſſen zweiter Hälfte beflel und hin und wieder auch bis in unfere Beit fich erſtreckt bat. In feinem erften Romane, dem Manne von Gefühl (The man of feeling), ift er noch am Freieſten Davon, wie überhaupt dieſes fern beftes Werk ift und fich durch Feifche und Anmuth der Darftellung und Le⸗ bendigkeit der Situationen auszeichnet *). Der In⸗ halt dieſes Buches, den ich hier folgen laſſe, weil e8 als ber Chorführer einer unzähligen verwandten Schaar zu betrachten iſt, läßt fich mit wenigen Wor⸗ ten angeben, da die Erfindung des Ganzen weit mehr nf Situationen und Seelenftimmungen, als auf Be⸗ gebenheiten ruht. Harley, fo heißt ber Mann von Gefühl, iſt ein ganz vortrefflidher, für alles Gute em⸗ sfänglicher, außerordentlich zart fühlender Menſch, der Das tieflte Mitleid mit der armen Menfchheit,

*) Eine beutfche ueberſetzung beſorgte zuerſt K. G. Leſſing. Danzig 1771. Das Driginal war in demſelben Jahre zu London. 2 Bde. in 8. erfchienen.

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ia felbft mit dem Laſter empfindet, und deſſen einzi⸗ gen Fehler feine übertriebene Delicatefle bildet. Er verliebt fi und drängt feine heiße Neigung in-fih zurück, fie im inneriten Herzen verfchließend, aber dieſer Kampf mit fi felbft reibt feine Kräfte Mf und als er erfährt, daß feine Liebe erwiedert wich, vermag er das Uebermaaß feines Glückes nicht zu ertragen und ſtirbt. Sein Tod ift auf eine hinrei⸗ ßende Weife erzählt, wie überhaupt die Details in dieſem Buche das Befte und mitunter meifterhaft find, jo 3.3. die Scene, wo Harley ſich fo energifch ge⸗ gen den unverfchämten Reiſenden in der Poſtkutſche benimmt, jene, wo er feinen heftigen Unwillen bei der Anhörung von Eduard's Gefchichte äußert u. A. m. Als Gegenfat oder vielmehr als Fortſetzung fchrieh -Madenzie darauf feinen Man of the World*), ber ebenfalls mehr eine Weihe von Situationen, als von Begebenheiten enthält, aber jenem weit nadhfteht. Er ſchildert hier, wie ein teefflicher und unſchuldi⸗ ger Mann durch einen herzloſen, aber gewandten . @goiften unterdrückt und gequält wird, Boch fehlt ihm die Kraft, die moralifche Verderbtheit mit ſtar⸗ Ten und fcharfen Bügen zu zeichnen, und es mangelt dem Ganzen an Ruhe und Wechfel von Licht und Schatten. In feinem dritten, fi der Weife Ri- chardſon's nähernden, in Briefen gefchriehenen Ro⸗

*) London 1773. 2 Bde. in 8. Deutfh: Der Mann von Welt. Leipzig 1808, 2 Bde. in 8.

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man delia, de.Renbigns*) Fällt er am Meiſten in jene fentimentale Uebertreibung, die fo leicht widerlich mird, Hier find olle Perfonen tugendhaft und fürs zen ſich gexade durch ihre Tugend und daß fie ſich auf biefelbe verlaflen, in das Unglück. Der Styl dieſes Buches iſt vorteefflih. Mackenzie bat auch einige Eleinere‘ Erzählungen gefchrieben, die verhält« nigmäßig weit gelungener find, als feine Romane; namentlich find feine History of La Roche, Nancy Collins und Louisa Venoni hervorzuheben; Die leßtere wird noch jetzt hänfig und gern gelefen.

Die Schilderung des inneren Lebens des einzel» nen Menſchen, als Gegenfat zu ber leichtfertigen Auffeflung des allgemeinen Lebens überhaupt, wie fie in Sranfreich fo entfittlichend an ber Tagesard⸗ nung war, hatte menige Jahre früher bereits Jean Jacques Rouſſeau in feiner berühmten neuen Heloife **) mit eben fo großer Genialität, als entichiedenem Be⸗ rufe aufgefaßt. Es iſt nothwendig, ausführlicher bei dieſem Buche zu verweilen das mächtig eben fg

9 Londen 1779. 1 Bd. in 8.

*#) Julie ou la nouvelle Heloise. Letires de deux habitants d'une petite ville au pied des Alpes. Pa- ris 1761. 4 vol. in 12. N. Ed. revue et augmen- tee. Paris 1762. 4 vol. in 12. Seitdem fchr haufig und in allen Kormaten wieder aufgelegt. Deutſch von 8. F. Cramer. Berlin 1785—86. 4 Ahle. in 8. Ferner von 3.9. le Pique. Frankfurt a. M, 1801-2. 6 Theile in 3 Bden. gr, 12. oe

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feht auf den Geſchmack einwirkte, alses eine’ Mine ſocialer Fragen anregte, über welche das Jahrhun⸗ dert bereits angefangen, ſich Rechenſchaft abzufor⸗ dern. Kouffenu, den Romanen Überhaupt und na⸗ mentlich denen feiner Beitgenoflen vurchans feindlich geſinnt, ließ ſich durch die innere leibenſchaſtliche Gluth, welche unaufhörlich in ihm tobte, hinreißen, dieſes Buch‘, einen Roman, wenn es je einen gab, zu ſchreiben, denn bas Bebfirfniß, fich in vie Welt der Ideale zu flüchten, war durch den Kampf, wel hen er gegen die herrſchenden Ideen feiner Tage führte, fo in ihm gefteigert worden, daß er nidt eher Ruhe fand als bis er fich auf dieſem Wege Buft machte. Mir willen das von ihm ſelbſt in feis nen Befenntniffen, wo er ausdrücklich jagt, daß er die einzelnen Briefe mit ausgefuchtefter Sorgfalt auf bas -feinfte Papier fchrieb und fie nachher ſelbſt mit dem größten Entzüden las, als hätte ein Anderer fie verfaßt *). Ein doppelter Zweck ſchwebte ihm bei biefem Buche vor; einmal, er wollte ſich ſelbſt gleich⸗ ſam belohnen, daß er nie einen vertrauten, ihm ganz ergebenen Freund gefunden und eben ſo wenig je von wahrhaft leidenſchaftlicher Gluth für ein Weib wat ergriffen worden, dann aber ‘auch zugleich verſuchen, die beiden - Parteien in Frankreich, welche die Ency⸗ elopäbie fo heftig gegen einander aufgeregt hatte, mit einander zu verfühnen, indem et jeder das Gute

*) Agl. Les Conſessions de J. J. Hounsenn. Ba ster. Paris 1813. T. DI. S. 136,

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uub Das Verdionſt der anderen nachwiea*). So enf-. ſtaud dieſes Buch, in weldem er ſich ganz feinen. Zeaumen :bingab:. es, war das Erzeugniß eines gror en Genie's, aber eines -Eranke; Geiſtes und. einer Ixanfen Beit, 8 Kunſtwerl betrachtet, hat es eben fo viels und: fo große Fehler els Schönheiten. Der eigentliche Roman endet ſchun mit dem erſten Bande, bie ſpütrren mũfſfen :bie Gelegenheit geben, ſich ‚über, wichtige : Dinge und: Erſcheinungen: des ſoeialen Le⸗ benß chen ſo ausfũhrlich/ als beredt auszufprechen *%),: "Dad. :gange Wedk iſt vol firhjestiver Wahrheit: uns datin liegt fein. großes Interefle,. fo mie fein großer Neiz in der den Frauzoſen bis bahin fat ganz. anbe⸗ kannten: Schwärmexei für Die Natur und den herr⸗ lichen Schilderungen derſelben. Ein edles, Durch den Kampf: mit; feinen Zeit und mit: dem Schickſule ver⸗ irries Bemöth ſchildert aus der Fülle des eignen Herzens xdle verirxke Bemüthar,: welche mit: dem Geiſte, wie mit. den Gefühlen auf der hoͤchnen Su damaliger. ſocialen Vildung ſtehen, mit. allen Kräften der Tugend. zuſtüeben, aber von ber Leidenſchaft hin⸗ geriſſen amd zu Fehlern verleitet werden, aus denen ſie Beh auf eing großartige und ſchoͤne, jedoch munder liche nud pon dem. geinnden: Gefühlr--srhter ‚Moral up. gunz zu billigende Weiſe, heraus retten. Da won ehem Das Neut and Myerordanthche fer ene

TTAOGS., a FL 2), Gopfansiong Ik, 183, 1 sluld.

* Boah: Schleſſen, re Me: —* dom

hundertß. BR N., A9%: fgde. och Syria

4

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Epoche. Maͤn derbe bisher: chıin Komanen nut des näht, Die Faͤulniß jener Beit: mit glänzenben Far⸗ ben zu übertüunchen ober ſie leichtfertig, mit: heimli⸗ chem · Wohlgefallen Daran, zu verfpotten. "Ste aber trat plötzlich und. auf einem Gebiete, wo man ihr am Wenigften. erwartete, einer ber heſtigſten Gruner berfelben auf, Der, Indem er die reinfte: Tugendbelrh⸗ ten ‚wollte, dennoch ſelbſt ſo von Leidenſchaft hinge⸗ riſſen wurbe, daß er bie Fehler als unvermeiblic

weit reizender und verfähreriicher. daritellte ;. ls das Ringen mit denfelben und Die unabläffigen Wensihuts "

gen, fle:zu' beflegen. Sp fand der Inhalte eigentlich

mit ich ſelbſt in Widerſpruch und die Sophiſtik jener Tage offenbarte ſich in dieſem Antagonismus noch ſtaͤrker als Alles, was ihnen huldigte. Die große innere Unwahrheit, welche dadurch ſchon von: Aufang an in dieſen Roman hinein kam, wurde Damals nicht bemerkt, weil man, im geheimen Bewüßtfeyn ber Schuld; nach das falſchen Sentintentalttät ‚wie nad einem: Nettungsanket artfj Denn ber’ falſchen Sen- timentalstät praͤegnanteſte Eigenthũmlichkeit iſt «8; ſich ſelbſt ſtots, unbewußt wie bewußt (das läuft hier ſo durcheinander, daß jebe Sonderung“ faſt uimiög- lich iR) zu täuſchen. Wir find, gegenwärtig daraber im Klaren; die Stürme ber Nevolntion haben die Al⸗ mosphaͤre gereinigt; kein geſundes Herz kaun jetzt noch dauerndes und ſtarkes Wohlgefallen an der neuen Heloiſe finden, wenn ies nuch Bei einzelnen Wunder⸗ ſchoönen Partieen mit- Entzücken verweilt.Jener Widerſpruch liegt übrigens" nicht allein Im Jichälte, *5

es: fingt: a) in den Gharacteren; dem. wie Tanır I tie. Volunr heirathen, ‚während ſtr Saint Preur nochlicbt, wie kann Saint⸗Prenx mit ihr und ihrem Satten züſammenleben, wie kann endlich Volmar Eaint⸗NPreur unbedingt vertrauen, da er ſein fri- beres Verhaältniß mit Julie kennt? Er (ber Wider⸗ ſpruch) liegt ferner in ber ganz unmoraliſchen Ver⸗ widelaug, ſo wie: in den Situatianen nad Derin Dar⸗ ſtellung; bie Wolluſt mit ihrem Gefolge von Schmär- merei, Härtlichkeit und Lodumg wird am Begeiſtert⸗ ſten und Slähendften gemalt, während die arte Au⸗ gend über. ihre Nacktheit weiter Nichts als einen de⸗ elattatorifchen Mantel gehängt befammt. Siegreich blickt durch Alles dagegen das ewige Hecht der Na⸗ tur,dem Nouſſeau ein ſo eifriger Vorkämpfer war, und giebt: dem Buche eine hohe hiſtoriſche Geltung, getengen ‚Durch Die. flammende, urfprüngliche Bereb- ſamkeit und bie ſtatken Gefühle feines oft. fo ſchwa⸗ hen und ſtets montierten Verfaſſers.

Dieſer Roman ‚machte. ungeheuecres Kuffehen 9 nicht bloß in Frankreich, wo er verſchlungen ward und noch: jotzti bei. der Leidenſchaft der Franzoſen für Vollendung ber äußeren Form als ein klafſtſches Mu⸗ ſter gilt, ſondern auch in anderen Ländern, wo er in bedeutenden Geiſtern große und mächtige Gedan⸗ ten anregte und entwickelte. Das war es eben, was Nouſſeau vorzüglich gewolli hahte und: man muß ihm volle Vercchtigkeit widerfehten loſen, bieB: ö in

5 Confessions, v. 1 fade

hohem Monhe:erceicht :zu haben. Die Neigung! für bie fentimentale. Auffaſſung des Lebens: wind! mın ganz: Allgemein ‚und: zug von Ort zu Ort. Jenſeits wie dieſſeits des Rheines fanden. ſich eine Mengervbn KRahahmungen, die aber: weit Hinter: ihrem Vorbilde blieben nnd jegt Taf. alle. vergeffen. Kuh... Mur, ein Mann zeichnete ſich hier nicht als Nachahmer ,: ſon⸗ dern als Machfulger .:vurtreiflich und. bleibend aus, Bernardin be Saints Pierre *), heilen Paul und Bir ginie vc), obgleich keinesweges ganz frei on fühle Her Sentimtenbalitüt, Doch durch ‚bie .trefflidye:: Cha⸗ tacbergeichnang , das ſtarke, edle und natürlich reine Befähl und bie innöge, zarte und naturgetvene Dar⸗ fſtellung zu den Meiſterwerken zu zählen iſt.: Micht minder ſchon, ja ‚in. anderer Hinſicht nach werit ber deutender, bit deſſelben Verfaſſers Okäumizreiindienne, doch gehört fte zu der nuglücklichen Gattung ben Ten⸗ denzromane, denen Damals Roufſeauebenfulls Mahn gebrochen hatte durch ſeinen püdagogiſchen Roman Emile und welche: ſich, namentlich. in: nerneſtet Zeit,

) Geboren zu: Saure be Weäce- am 19. Ianıtar- 1737, geſt. am 20. Jannar 1844 nach; einem fehr ꝛbewegten Reben. Seine Oenvres complötes erſchienen zu: Paris 1817 1820.. 12 Beoe. in 8. mit. einer itrefflichen Bio⸗ graphie Saints Pierre's von Aime Martin. n:.*%) Päul et:Virginfe: Paris 1787. 4.Bbchenu-in 12. Deutſch von?X. 8: D. Neichard w d. Eu: :Die Familie auf Isle de France. Riga 1789 u. ferner von ui Has dermann, Frankfurt a. M. 17957 ie

U}

bat .-ihere Bmikterhaftigfeit übermäßig vermehrt - Baden, . |

In Deutſchland hatte mittlerweile eine entichies dene Wendung ber Seihmadsrichtung begonnen; fie wer zum Theile Dusch äußere, in bie ftagnirenden Wer» haltniſſe gewaltfam eingreifende geichichtliche Erſchei⸗ nungen, welche ben Geiſt drängend auf das Nächſte nad Nothwendigſte hinwieſen, zum Theil aber aud) Durch. große Geifter, Die fi) in der Nation um dieſe Beit erhoben, veranlagt worden. Alles frebte dem Natürlichen und Nationalen zu, von Dem man fid) fo Tange entfernt gehalten; man Drang auf Unmit- telbarfeit der Derftellung, ald der Natur am Näch⸗ ken; man wollte jedem Gefühle das Recht freiefter Aeußerung geltend machen, und es geigte fid) Deut» lich, daß ein geiftig hohes Bolt begaun, fich feiner Kräfte entjchieden bemußt zu werden. Diefe Kräfte aber, zu Lange unterbrüdt, drängten fid) zu raſch und zu gewaltſam hervor, anftatt in volllommener, doch langſamer Entwidelung zu reifen, und fo trat bald nach) allen Seiten hin Uebertreibung dazu. Jene Beit Des Strebens in unferer Literatur, natürlicher Empfindung vplle Freiheit Der Aeußerung zu gewäh⸗ ren, ohne felbit die naturnothwendigen Schranken anerkennen zu wollen, wird gewöhnlich mit Dem Na⸗ men der Sturm» und Drangperiode bezeichnet *). Sie bat auf den Roman nur mittelbar eingewirkt;

*) Bol, Gervinus, Geſchichte der poetiſchen Ratios nalliteratur der Deutihen. Bd. IV. ©. 417 fgde.

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beſto unmittelbarer dagegen that‘ es uber DIE ihr u anhängende Neigung für die Vorherrichaft und Die bis in das Kleinfte. ausgebildete Darſtellung der in⸗ dividuellen Gmpfindungen. Man Bielt Die Geſchichte des menfchlichen Herzens, wie fie fich im Einzelnen offenbart, für wichtiger als die Geſchichte der Menſch⸗

heit, wie fie im Allgemeinen zur Manifeſtativn kommt, nicht einfehend, daß das Wahre nur gewonnen wer⸗ den kann, wenn Beide ſich gegenfeitig durchbringen und ergänzen. Die Eitelkeit, die ſtets vereinzelt und nie anderd wirken kann, trat in das Spiel und die Künftelei mußte helfen, um die Geftaltungen bies fer neuen Richtung zu heben, Mit Fühner Hand zerriß Goethe in feinem Romane „die Leiden bes jungen Werther *) , den Damm, den Geſchmack und Gewohnheit früherer Beiten bisher feft erhalten hat⸗ ten, und nun überſchwemmte die Fluth plötlich alles Land zum größten Schaden unferer geiftigen Geſund⸗ beit. Das Gift der Empfindelei, Durch eigene Um⸗ fände in einem urfprünglich ſtarken Körper erzeugt, der es zu verarbeiten und, was feiner Natur ſchad⸗ lich war, raſch auszumerfen vermochte, verbreitete fich und veranlaßte eine Epidemie, die noch: immer in Deutfchland nicht ganz auszurotten ift, ba bes Deutfchen Gonftitution nur zu geneigt erfcheint, die⸗ fen Lrankheitsſtoff aufzunehmen und in den ſeltfam⸗

*) Die erſte Ausgabe erſchien Beipsig 1774 in 8. bie 'neuefte, von dem Dichter ſelbſt eingeleitet, Leipi 1824 in 16.

Run Jormen autzabilden. Das haben wir an- man chem unferse Muler, unferer Muſtler, unferer Lyriker und Tragiker, in -felbft -unferer Hiſtoriker, nach im anferen Tagen ndentlich wohrzuichlien,. Häufige Ge: legenheit.

A Romane ounte Pr bie Sentimentalitãt [| Freieſten bewegen; er mard daher am Meilen von ihr benutzt. Es fehlte: bereits nicht an ausländifchen Borbilbern: Goethe ‚Keferte nun ein großartiges na⸗ tionales und die Wahn. war gebrochen. Das Große und Eigenkhämliche feines Werther liegt vorzüglich darin, daß er auf das Sutſchiebenſte ausſprach, was in den Gemüthern gähste, ben gewaltfainen Kampf swifchen der Leidenſchaft und beu Gefühle mit eben fo großer Wahrheit als reicher Poeſie ſchilderte und Peine andere Loͤſung fand als ben. Selbiimord.. Dar mit war die große allgemeine Verwirrung jener Tage Dargeftellt : das krankhafte Machgeben im eitlen, ſckbſt⸗ gefüliger Gefühlsichwärmerei ,. Die befangene Selbſt⸗ töufchung und das im Hintergrunde verſteckte Ve⸗ wußtſeyn Der Schwäche, die jeden raſchen mb. rau⸗ hen Eingriff beſonnener Wahrheit, weiche allein zur Befferung verhelfen konnte, aͤngſtlich vertmied. Wir willen, daß dieſes Buch eine Selbſtbeichte war; eine Kur, bie bee Verfaſſer anwandte, um ben Giftikeff, ben er, wie tauſend Audere, eiugeſogen, wicher hin⸗ and zu treiben”). Dadurch abes: wirkte dieſer Mo

*) Bol. Goethe, aus meinem. Leben, Wahrheit und Dichtung. Th. IH., Buch 13 und 14., wo Die

378 Zn max je gefährli. : Wie und: bie Geinueruung ver gangener Irsthümer ſtets auch die vergangenen ſchö⸗ wen nnd glücklichen Momente hevauf führt, die uns gernbe zu jenen Fehlern verlodien, denn im Glücke fündigt der Menſch weit mehr als im Unghüde,. fo geſchieht es -unß auch, daß wie, trag unferer Unzu⸗ friedenheit mit uns felbft, non ber Hoffnuug auf Beſſerung geblendet, gern. bei ſolchen Augenbliden verweilen und bie gennfleuen Freuden mit aller Kraft der reproducirenden Phantefie. wieder vergegenwärtir gen, um fo mehr, als das Schlimme, das fie beglei⸗ tete ober ihnen folgte, Hinter. uns liegt, Daher if WMichts nerführerifeger und gefährlicher für ein unfe ſtes Gemüth, als von einem Dritten, höher Stehenden dergleichen Dasftellungen zu empfangen. Das aber war eben der Fall mit MWerther’s Leiden, die auf Das. Leben unenblich mehr eingewirkt haben zu jemer ‚Beit, als auf die Literatur. Allerdings war biefer Noman als folder eine neue und höchſt wichtige Er⸗ ſcheinung. Ein fo vollkommenes, wahres, jo reich ausgeſtattetes, fo confequent durchgeführtes, ſo hin⸗ reißend und Doc) fo natürlich geſchriebenes Seelen⸗ gemaͤlde hatte man friiher in deutſcher Sprache noch aicht: geleſen. Dazu kam noch, daß es Die naͤchſten and anſprechendſten Intereſſen Der Gegenwert be⸗ rührte, das innere Beben eines nicht gewöhnlichen Menſchen wit. dem beſchränkten Leben der Fanulie

Sutſtehung des Werchec und die Stimmung ſaner Zeit aberhaunt ausfũhrlich dargeſtellt iſt.

unb: SBeikes wicher mit den damaligen eng sngefihnike tenen amd daher vielfach Drüsfenden allgemeinen ſocka⸗ len Berhältmifien in Besbinbung” brachte und mat em gepreßten Herzen dee But: lieh, wach.: denen eso: biſsher vergeblich geſacht:· Die litetüriſchen Mer ſerebungen waren: jchoch auf der einen Seite Them zu ſehr und zu menmichfaltig ausgebteitet, «la daß einen genz allein vorherrſchenden neuen Richtung: Dur durch Die Bahn hätte gebroches werden Fünnen, wie e8 z. B. Bomiherville für den gelaut⸗heroiſchen Kor man gethan; anf der anderen Geite bewegten fie ich anf. zu realem Moden. wub ;ber Wontan hatte in Deutichland noch jenen Anſehen nitht erlangt, das ihm fpäter. fo entschieden zu Theil gemorben iſt. Denn auch Einzelne Heftig ergriffen und zu ſchrift⸗ felterifcher,,. wie,. was noch weit ſchlimmer war, zu wirklicher Rechahnuing des Werther angetrieben wur» nr), fo betrachtete nie Menge doch biefe neue Se⸗ feinung als eine ‚Mungebert .. die Zefe und Wahr⸗ beit Denfelden entweder gar’ nicht begreifend ober, von den bereits eingetretenen Folgen erfchreckt, zu» mikweichend. Das Bud) mar ſo echt deutſch und griffeſo maͤchtig in die Geſtaltung ber Gegenwart ein, daß Die Meiſten es ald eine VBegebenheit und‘ nicht als ein Werk Dee Kuuſt betvachteken, and «B ben Wenigften in den Sinn Fam, es vom Standpunkte

9 e. Bntiek- te | in zwei Bänden: "86. RB. 1. ©. 186. Sp. . .. on

der Kunft aus zu beſchanen und zu beurthrilene) Mir daucht, darin liege das größte Lob antgeſpre⸗ dien, das biefem. Nomane gezollt: werben kann; auch wird’ min.wohl kein. Bernänftiger zumuten‘, bier: zum hundertften Male bie Schönheiten des Werther entwi⸗ meln zu ſollen, ba ich ein Gott Feywmäßte, um nicht ſchon längſt; Bekanntes zu bringen. - Ic Habe hier überhaupt nur Die. hiſtoviſche ⸗Erſcheinung zu wärbi gen, ‚indem über bie Vortrefflichkeit dieſes Buthes als Kunftwer? Feine Ungewißheit irgend einer Art. obwal⸗ ten Tann und ich von allgemein Welanutem vebe. Aus jener Auffaſfung des Werther nun entfprangen auch ‚feine Wirkungen, einmal auf. die allgemein, krünkliche, nach Iſolirung irebende Stimmung, dann auf bie Literatur felbſt. Ein ähnliches Bach, wie Sen Werther, zu fchreiben, kam Daher. nuch Nieman⸗ ten in ben Sinn; entweder wollte man es moraliſch noch/beſſer machen und Doch Dabei ‚dem Bone Des Ta- es huldigen ober . ihm. entfcjiefen.-und fo Tealiiild wie möglich entgegenarbeiten.: Jene Wirkung war ncchhaltiger und trat auch zu anderen Nativnen über, weil ein ähnlicher Drang unb ein ähnliches Bebärf- nid ſich früher ober ſpäter ebenfalls bei ihnen mani⸗ feſtirte, dieſe Dagegen war kürzer und natürlich auf Meutſchland beſchrüͤnkt. Cie fpruch ſich am Prae⸗

42—2 x J . \ ee

*) Die Literatur über den Werther zur Zeit feines Erſcheinens giebt giemlich voäßkung ws in ſeinem SGompendinm. 2. 1. & 282... 10.

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quauteſten ud, in den Nicolai ſchen Weitrehungenth); bie. dem bornirien Schelle des Publißums allerdinga zu Ahrer Beit zufagten, bie wir aber. jetzt nicht ohne zu lachen in die Hand vehmen können, da fie: ein —* philiſterhafter Sufftſance find; wie: nicht leicht ein ſtürkeres gefunden werben kann. Ih will hier die durch Werthers Seiden uit telbar ober unmittelbar veranlaßten bebeätendficg Er⸗ ſcheinungen, zuſammenfaſſen, um. ſpäter nicht durch ſie in, dem Gange dieſer Darſtellung aufgehalten: zu werden... Gs ſind Miller’s Siegwart; Hngo Foß⸗. 8. Ichte. Briefe. des Jacopo Drtis uund Valeri von, rau von Krüdener, ſämmtlich jüngere Geſchwi⸗ ſter des: Werther, von denſelben Eltern "erzeugt; aber unter verſchiebenem Klima empfangen. unb gebaven.:; - Ergent*) erſchien zuert; ſeine Wirkung mar ) #9) Freubden oe Humgen Derthers. gelben. und Atem ben: Wetthers des Mannes. Berlin :1775. 8.:: Bel; Goethes. Werke in zur Bönben. MOd. H. M. Ab: Bi: . 2 .1 : #8) GSiegwart, eine Sifmerhbihte.: . Beiggig 17T: 2 Ahle. .M. A. Leipzig 1763.3. Ahle., erlebte ſehr viele Nachdrůcke. Der Verfuſſer iſt: bekanntlich Johaun Rartin Millet, eines der Mitglieder des Böttinger Dich⸗ terbundes, geboren am 2. December 1750 zu Ulm, ge⸗ ſtorben: dvaſelbſt abs: geiſtlicher Ruth :umb erſtern Prediger des. Munſters am 21. Int 1814. Außer dam. Sieg wart: ſchrieb er noch folgende Komane: Beitrag zur Geſchichte ber Zaͤrtlichkeit. Aus dem Wriefmechſel zweirt

noch gebßer ‚als die bes Waethrer, aber: wicht jo: ſtark and mehr in die Breite, Wan: fpeicht. jetzt nur mit verãchtlichem / Lächeln vom dieſem: Wnsche, und Die Ber nigften habewes gelefen, denn es gehört Ausdauer and‘ Much Dazu, ſich durch die Drei Theile hindurch zu arbeiten, obwohl es Beinesineges. ſol vintönig: ſen⸗ timental iſt, wie 83 ich: Leicht nad) ſeinem⸗Rufe einbiüden möchte. Es ſchüdert faſt von feiner &es buotian Das Lehen DaB jüngeren Sohmes eines: kutho⸗ liſchen Anmtkmannes im ſuͤdlichen Deutſchland,: der thoils durch Neigung, theils durch Ueberredung ſich für das Kloſter beſtimmt und eine gelehrte Schale brfucht, am die nöthige: wilienfchaftfiche Bildung: zu eshalten:. Hier .macht: er die Beknuntſchaft· eines jungen :&pelntannes;,. von Soonbelm ber ſich, nach⸗ dem er: Siegwart's vertrauteſter Freund sgemörben, “auf einer Ferienreife in beffen Schweiter verliebt und nach kauten Kämpfen mit. feinem :rohew:umt adels⸗ Rolgen Vater, endlich nach dem Ende bed Repferen, Die Bärgerliche als ſeine Gattin heimfühnt. „Sieg wart, der die Quaalen und Freuden dieſes Werhälte niſſes ſtets vor Augen bat; bleibt.auf der haben Schule on weiblichen: Reisen ganz ungerährt, Wwohl fich ein: junges, anmuthiges Maädchen "in hrißer. Neigung ihei zuwendet ‚uf der Abivet ſeit Ingeldade die

Biebenben: ‚Beipfig. 1770. - —; Beifweife. reist ala wider: Freunde... Ulm 1276 77. 2: Bammiuneen. Meſchichte Karla aan. Burgheim unde Ciniliess non Bor fenen. Keipzig 17 BER: 0... Zotac

nern

er datauf veſucht, ſchlägt aber auch feine: Stube: Er: verliebt ſich in Marianne, Die Tochter eines Hufe rabhes Fiſcher und. erringt. warme Gegenliche; der tyranniſche Water will fe aber au einen Auderen verheirathen und ftbßt fie, als fie fich hartnäckig weis gert, in ein Kloſter. Eine Entführung mislingt; alle Hoffnung verlierend, legt Stegwart fein Gelübde bei .benfelben Mönchen ab, die ihn in ‚feinen Kind⸗ heit dafür zu beftimmen fuchten. : Als Vrichtvater kommt er fpäter nach einem Kloſter, um einer ſter⸗ beuden Noune geiftliden Beiſtand zu leiſten. Es iR feine geliebte Marianne. Der LTod treunt ſie van Reuem; ram und Verzweiflung reiben Siegmart’s Kräfte auf; er feirbt am gebrochenen Kerzen .auf ihren Grabe. Alles bies iſt ſehr ausführlich erzählt, und das damalige Kleinieden einen katholi⸗ fhen Beamtenfamilie auf dem. Lande, ſo wie daB Treiben auf einer von Entholifchen Geiftlichen geleit teten. hohen Schule und auf ber Eathulifchen Inivexe fität Ingolſtadt mit der 'geöfiten ımb emfigfen Um⸗ ſtaͤndlichkeit gefchilpert. Das ganze Buch ift ein trau⸗ riges Beugniß einer trüben und gebrädten Beit, aber dem. Hiſtoriker von. Intereſſe als ein. merkwürdiget und genauer Beitrag zur Kennthniß ber Sittenge⸗ fhichte jener Sage und darum Feinesweges ſo hot nehm gu verachten, wie es jet durchgängig geſchiehn Eine: wunderliche Erſcheinung bietet die Ust und Weiſe dar, mit welcher der Verfaſſer, bee protelinne tiſche Pfarrer Ichenn. Martin Miller, Eatholifiie Zuſtände darftelit; man begreift bie Milde und. ie

leranz _nicht, Bie: zuweilen Torar in berxdte kob⸗ yreifung: übergehen ,. ſtets. ſchũchtern und, demũthig "die Intoreſſen des. Proteſtantigsnna: gegenfiberkalen und nie Zeife, und bittend Die Unterbrädung: an⸗ beugen, welche dieſer in Vaiern (denn:: dort Spiel der. Woman) in jenen Tagen erdulden ‚mnß. : :Se-ift aumentlich das Lebe wackerer katholiſcher Geikl- cher,“ ſowohl Pfarrer als Mönche, mit. einer. Bor» Siebe gezeichnet, die man nicht recht begreifen: Tann. Eben fo. merkwürdig if, daß ibm. das nie und nir- tzends von ‚feinen. orthodoxeren Amtsbrüdern zum Borwurfegemacht wurde. Trotz der weichlichen Auf⸗ faſſung des Lebens, der großen Einförmigkeit Der Darſtellung und der ſibertriebenen kraftloſen Senti⸗ mentalität hat DaB: Buch doch manche wirklich gelun⸗ gene Partie; : Ein ebles und ſanftes moraliſches Streben, das anf: dem Wege. der Liebe zum Rechten hiufũhren will, zeugt für Die Liebenswürdigkeit fei- nes Verfaſſers; auch iſt der Styl für feine Zeit ſehr vein und fließend... Innge, beſonders weibliche Ge⸗ můther; bie die Schwärmerei liebten, fanden fich ‚Aber die Muaßen davon angezogen, und konnten es viel⸗ leicht noch werben, wenn die dort geſchilderten Ber» haltniſſe unſeren Zuſtänden nicht zu. fern lägen Duher der ungeheuere Veifall in jener markloſen Zeit, od. die meiſten Münner ſich noch, weibiſcher geberbe- ten, als die Frauen und ſich in ber ſo wohlfeil zu hubenden Enpfindſamkeit, mattherzig wie fie waren, ſehr geſtelen. Daher auch die. vielen Nachahmungen, - Ben. dieſe Art und Weiſe war: leicht. zu copiren, da

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das Siegel des Talentes überhaupt leichter nachzu⸗ ahmen und aufzudrücken iſt, als ber fpröte, groß⸗ artige Stempel des Genie's. Auf die Romanli⸗ teratur hat Siegwart einen weit bedeutenderen Ein⸗ fluß gehabt als Werther, wenn gleich nicht anhal⸗ tend, ba ber enge Kreis elegifcher Auffaffung bes Gefühllebens in Pleinbürgerlichen Berhältniffen gar zu bald ausgebeutet war. Die ganze Periode ber Siegwart’8 » Empfindelei dauerte nur ungefähr zehn Sabre. Ueberſetzt wurde das Buch in viele Spra⸗ den, aber nachhaltig wirkte e8 nicht; man hatte in anderen Ländern doch Veſſeres zu thun, als em« pfindſam zu winfeln. Die letzte rechtmäßige Ausgabe erichien 1777, die letzte Ueberſetzung (bie zweite fran⸗ zöſiſche) 1785 *).

Hugo Foscolo's **) herühmtes Werk: Le ultime lettere di Jacopo Ortis, fortwährend nod) viel gelefen und als Elaffifch anerkannt, Fam zuerft im Jahre 1802 u Mailand heraus, und war kurz nach dem Trartate von Sampo Kormio (1718. October 1797) ver» fobt worden. Es fand zu jener Beit, vorzüglich ſei⸗ ner politifchen Beziehungen wegen, außerordentlichen Beifall, Da der republikaniſch gefinnte Foscolo feinen

*) Dal. 8. H. Zörbens, Lericon beutfcher Dichter und Profaiften. Leipzig 1808. 8b. I. S. 579.

*s) go Foscolo ward 1773 auf der Infel Bante geboren, ftudiste zu Padua, trat fpäter in Kriegsdienſte, ward dann aus Mailand verwiefen und ging 1815 nad Sonden, wo er am 11. September 1827 ftarb.

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ganzen Born fiber Venedigs Schickſal hinein ver webte; daher ward es bald verboten und ſpäter nur mit Verftümmelungen wieder gebrudt, bis endlich die Livorneſer Ausgabe won 1914 es in feiner ur» Spränglichen Geftalt brachte *): Der Einfluß des Werther auf dieſes Buch ift gar nicht wegzuleugnen, obwohl die Italiener, um ihrem Landsmanne die Driginalität gu retten, ihn beftreiten. Die Hand⸗ fung, der Fortgang und die Entwidelung find in beis

.

*) Diefe Ausgabe 4 Br, in 8. erſchien mit dem angeblihen Drudorte London 1814 ohne Verlagsfirme. Bol. über die Schickſale dieſes Buches die derfelben ans gehängten: Notizia Bihliografica intorno alle ultime lettere di Jacopo Ortis. @ine deutfche Ueberfegung bes forgte H. Luden. Göttingen 1807. 1 Bd. in 8. Ueber diefelbe bemerkt der italieniſche Berichterftaster (Notizia

bibliogr. p. XL): Una (traduzione) fu publicata a

dena dal professore Luden e non ebhe favorevoli i

giornalisti che lo accusarouo d’avere lavorato sopra |

un testo poco meritevole di versione. H professore Luden non vide la prima edizione e nella prefazione si duole di non avere potuto ottenere la Milanese in ottavo. Tradusse letteralmente, e le frasi tutte secondo Fordine loro; metodo che se alle volte arrichisce la lingua in cui si traduce, rende spesso strani e raf- fredda i pensieri’del teste. Einen vollftändigeren

Tert legte. fpäter F. Lautſch Der Hebertragung zu Grunde,

welde er für die Bibliothek Flnffifcher Romane Des Rus landes Bp. 16: „Leipzig 4320, beforgte.

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ben Romanen volllommen biefelben, auch Die Cha⸗ sortere find es, nur mit bem Unterſchiede, daß der eine .fich deutſch, Der andere fich italienifch geberbet, beide, wie Goethe ſich ausdrückt, im der, Jugend» bläthe ſchon yon vorn herein vom töbtlihen Wurme geftochen. Und dach. denn mon nicht fangen, daß Fos⸗ colo Goethe geplündert oder nbfichtlich nachgeahmt babe. Die Nothwendigkeit ſolcher Auffaſſung und Durchführung eines am Leben kranken und zuletzt gemwaltfam endenden Gemüthes Iag hier wie dort in der gefellten Aufgabe ſelbſt. Foscolo hat ſogar das vorauß, daß fein Held meit großertiger if; während Werther in der Geſellſchaft lebt und durch Die Schranken, Die dieſe ihm zieht, in feiner Eitelkeit bi zum Tode verwundet wird, ift her Andere ab⸗ geſchloſſen, in ſich zurückgezogen, Augenzerge ber po⸗ litiſchen Erniedrigung feines Vaterlandes, und feine unglückliche Liebe zu einer Jungfrau, bie nachher bie Gattin eines Anderen wird, giebt nur den Aus⸗ ſchlag zum Selbſtmorde. Der italieniſche Dichter ergeht Fa, ſtatt ung das tägliche Kleinleben und die Geſtaltung der Leidenſchaft in ihr Schritt vor Schritt zu ſchildern, wie es Geethe thut, in der Dar⸗ ſtellung einer politiſchen Exaltation, Die ſich in ben glühendſten Ausbrüchen äußert und da fie ſich bis zum Höchſten gefteigert hat, jede hinzutrotonde Lei⸗ denſchaft faſt Dis zum Wahnſinne hinauftreibt. Will mon in Diefer.. Hinſicht Beide mit einander verglei⸗ den, fa finbet man bier ſüdliche Gluth, dort nor= difhe Kälte. Wo Werther jammert, flucht Jacopo 25 *

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Ortis. Das ift der Unterfchied und damit auch Alles gejagt; denn Alles in dem Buche ſteht im genaueften Verhältniſſe zu diefer Seelenftimmung. Wenn daher das italienifche Buch eben fo wenig vor dem Kid terftuhle gefunder Moral Billigung finden kann, ob» wohl es an Eharartergröße, felbft bei traurigfter Ver⸗ irrung weit das beutfche hinter ſich läßt, fo ver dient e8 um feiner inneren wie äußeren Harmonie willen als Kunftwerf die höchfte Anerkennung und mag als folches mit Hecht Flaffifch genannt werben. Es ift hinreißend ſchön gefihrieben, wie von einer in das glühendfte Abendroth getauchten Feder, voll küh⸗ ner und tiefer Gedanken, gewaltiger Bilder, ſchö⸗ ner Situationen und die einzelnen Charactere find nicht minder eonfequent und wahr gezeichnet, wie in dem deutſchen. Daß Diefes Werk auf das Leben nicht fo gewirkt Hat, wie ber Werther, davon ift der Grund in der ungeheuer bewegten Epoche zu fuchen, in der e8 erſchien; in Friedenszeiten würde fein Einfluß vielleicht noch) Dauernder und zerftören- der geweſen ſeyn; denn Die Mittel, die es aufzu⸗ wenden hatte, waren weit bebdeutenber.

Valerie *), Das dritte Werk dieſer Art, von

*) Valerie -ou Lettres de Gustave de: Linard- ä Erneste de G. Paris 1803. 2 vol. in 12. Deutſch von H. Müller, Hamtburg 180% 2 Bbe.: in 8 Eine andere beutfche Neberfegung lieferten Dvrothen von Schlegel und delmine von Cben Leipgig 1804. 2 Be. in B.

N

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ber viel befprochenen Frau von Krübener, fchildert befanntlich. eine Epifode aus dem eigenen Leben ber Verfaſſerin. Es entftond zu Enbe bes vorigen Jahr⸗ hunderts und erfchien in ben erften Jahren bes jegi- gen. Die Elemente find eben. fo einfach, wie im Werther und der Einfluß deſſelben ift nicht zu ver» kennen, obwohl fie genau dem wirklichen Leben ent» lehnt wurben. - Tran von Krübener heirathete in ihrem vierzehnten Jahre ihren fechsunddreißigiährte gen Gatten und begleitete ihn auf feiner Geſandt⸗ (haft nach Venedig. Er hatte einen jungen, treff- lihen Mann, den Sohn eines vertrauten Freundes, als Attache mitgenommen. Diefer verliebte fih auf das Heftigfte in Die Gemahlin feines Chefs, ver- berg ihre aber feine Empfindungen forgfältig, fo Daß fie da8 Geheimniß erft von ihrem Gatten erfuhr, als dee Jüngling auf dem Sterbebette lag, auf das ihn feine Leiden und dee Kampf mit dem Drange zum Selbſtmorde, dem er glädlichen Widerftand leiſtete, hinſtreckten. Der Zweck diefes Romans war, wie die Verfaflerin in der Vorrede ausdrücklich fagt, zu zeigen, Daß Diejenigen Gemüther, welche fih am Leichteſten von heftigen Leidenfchaften hinreißen laſ⸗ fen, auch die meiften Mittel befigen, fie zu bekäm⸗ pfen und Daß das eigentliche Geheimniß ift, Diele Mittel zur rechten Beit anzuwenden, Das ganze Werk ift mit außerorbentlicher Bartheit und Innig⸗ keit gefchriebenz einzelne Scenen, wie z. B. die, wo Guſtav ungeſehen Valerien's Shawltanz beiwohnt und von außen das Fenſter küßt, das fie mit dem

Arme inwendig berührt, find wunberfhön, Durch das Ganze weht ein Geiſt ſanfter und reiner Mes lancholie, Der doch nicht niederdrückend, ſondern erhe⸗ bend und verſoͤhnend wirkt. Auch ber Styl iſt vor⸗ trefflich. Frau von Krüdener Fam 1801 nad) Paris und theilte ihe damals noch ungedrucktes Werk den außgegeichnetften Geiſtern mit, Die fich bemühten, ihm bie nöthige Vollendung zu geben, um den flrengen Anforderungen franzöftfcher Kritik in dieſer Hinſicht entfprechen zu können. Der Erfolg, den es bei ſei⸗ nem Erfcheinen in den höheren Kreifen jenfeits wie dieffeits bes Rheins fand, war außerordentlich; jeht iſt es faſt ganz vergeffen, und Doch verdiente es vor vielen feiner Gattung wieder in das Leben geführt gu werben; denn e8 bleibt, ob auch) hin und wieder zu fentimental, ein Werk voll edler, feiner, zarter und, um mich eines Goethe’fchen Ausdruckes zu bes Bienen, da ich keinen andeten dafür zu finden weiß, seinliger Geſinnungen.

Ich habe jetzt an ben vorzüglichſten Erſcheinun⸗ gen die Hauptrichtungen nachgewieſen, welche der Familienroman ſeit ſeinem Entſtehen im achtzehnten Jahrhunderte nahm; es bleibt mir noch, ehe ich zu volftändigerem Ueberblicke zu den anderen Roman gaftungen deſſelben Beitraums mich wende, anzugeben, was außerdem in benfelben Richtungen Hervortreten⸗ des geleiftet wurbe, ohne daß bie Werfafler eigentlich bie von ihren Vorbildern eingefihlagene Bahn ver: ließen. Ich darf Hier nur kurz feyn, da bei bem fo fehr aufgehänften Stoffe jede ausführlichere Cha

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racteriſtik mich auf Abwege bringen muß und auch eigentlich überflüſſig iſt. Es genüge, nachzuweiſen, was von Einzelnen hier bis zum Schluſſe des Jahr⸗ hunderts geleiſtet wurde. Nene Wendungen in ber Auffaflung des Lebens durch den Roman traten erſt mit dem neunzehnten Jahrhundert ein, vorbereitet und herbeigeführt durch Die franzöftfche Revolution und ihre noch immer wirkenden Folgen.

In England Iieferten gelungene und bedeuten» dere Familieneomane: William Godwin, vielfach an⸗ gefochten wegen ber Kühnheit feiner ſocialen Grund⸗ füge, aber allgemein anerkannt als ein mit ben glätt« zenditen Fähigkeiten reich begabter Mann, als ein tiefer Kenner des menfchlichen Herzens und einer ber treueften Sittenmaler +). Er hat ſich Die Aufgabe

*) William Godwin ward am 2, März 1756 zu Bisbeah in. Cambridgeſhire geboren, wo fein Water ale Prediger Iebte. Seine Yamilie gehörte zu den Dif- fenters. Er findirte in Horton College, ward ſelbſt Geiſtlicher und widmete ſich dieſem Berufe mit großem: Eifer vier Jahre lang: dann aber kamen Zweifel über Mm, er entfagte bemfelben und gab fi gang lite⸗ raͤriſchen Beidäftigungen Hin. 1797 vermählte ee ſich mit der berühmten Mary Wolftonecraft, hatte aber das Unglück, fie no in demſelben Jahre wieder gu verlie⸗ ven, 4801 vermählte er ſich wieder und erlitt manche Schickſale in dirſer zweiten Eher Sept lebt er in fehr hohem Alter von den Einkünften eines Fleinen Wertes, das er den Whigs verdankt. Neben politifhen Abhand⸗

geftellt, in feinen Romanen bie Fehler und Geber chen, fo wie die Werberbtheit der englifchen focialen Buftände zu fohildern und der Gegenwart einen mit leidslofen Spiegel vorzuhalten, felbft da, wo er Dies ſelbe aus Fünftlerifchen Rückſichten in das Gewand früherer Beiten Fleidet. Sein berühmteites Werk ift der Roman Saleb Williams, unferen Anfichten nad eigentlich verfehlt, da hier durchgängig Die Liebe nicht der Hebel ber Begebenheiten tft, fondern die anderen menfchlichen Leidenfchaften. Die Ab fiht, welche ihn bei dieſem höchſt eigenthümlichen Buche leitete, war das Fehlerhafte der Gefeßgebung feines Waterlandes, welche gerade durch ihre mint- tiöfe Ausbildung der Chicane und der gehäffigiten Berfolgung eines mächtigen Feindes freien Spiel» raum läßt, in einem lebendigen Bilde darzuſtellen.

Iungen, Biographieen, Zrauerfpielen u. ſ. w. bat er viele Romane verfaßt, wie 3. B.: Caleb Williams, London 1794, St. Leon, London 1801. .Fieet- wood, London 1805. Manderville, London 1817. u. ſ. w. S. Biogr. Brit. Art. Godwin. Bio graphie des Contemporains T. II. S. 1900 fgbe..— Fraser's Magazine for Town and Country. October 1834. ©. 463. Mehrere feiner Romane find auch in das Deutſche überfegt worden. Galeb Williams, von Bad. Liebesfind. Riga 1795. Zleetwood, von Stampeel. Zrankfart 1806. N. A. 1826. Drmond, von Fr.

von Dertel. Leipzig 1802. Saint Leon, von Ahl⸗ wardt. Kltona 1800.

Erik einer ber fehr wenigen Tenbenzfchriftiteler,; weiche wit ſcharfem Berftande üppige Phantaſie und glüdliche Erfindung verbinden, fo daß, abgefehen von der direc⸗ ten Abfichtlichfeit,, ihre Leiftungen ben Forberungen eines Kunſtwerkes entfprechen und neben dem ethifchen das aefthetifche Intereſſe in gleich hohem Grade feffeln. Das wahre Weſen ber Poeſie leidet Freilich immer duch) folche Beſtrebungen, denn fie rauben ihr Die na⸗ türlihe nothwendige Freiheit und rufen mehr als jedes andere Werk einen Troß. talentlofer Nachah⸗ mer hervor, weshalb. die Zendenzeomane auch von jeher Die fchwächfte Seite biefes Theils Der fchönen Literatur gewefen finb und immer feyn werben. Faßt jedoh ein mit fo genialee Eonception ausgerüfteter Mann, wie Godwin, Leben und Kunft von biefer Richtung aus zufammen ouf, fo bleibt der geiftige Gewinnſt, den Die Menfchheit dadurch macht, fo groß, daß jener gerechte. Tadel dadurch wenigftens fehr ge⸗ mildert wird. Falkland, ein vornehmer und ausge⸗ zeichneten Mann, deſſen Secretair der Held des Ro» mans, Caleb Williams if, ermorbet feinen: Yeinb Zyrtel, Der ihn vor einer großen Geſellſchaft öffent⸗ lic, beleidigt Kat und duldet es, daß Unſchuldige als die Mörder ergriffen und hingerichtet werden. Die Angſt, man möge ſein Geheimniß entdecken, foltert ihn gräßlich und iſt von Godwin mit ſeltener Ener⸗ gie und Wahrheit gezeichnet. Neugier treibt Caleb an, ſeinen Herrn, wo er nur kann, zu beobachten und zu belauſchen. Im Begriffe, einen Koffer zu eröffnen, welcher Die Beweiſe der Miſſethat birgt,

SSR‘

wird er von biefem dabei überraſcht. Falkland's erſte Abſicht iſt, ihm zu tödten, aber fein Born weicht der Ueberlegung; er fchenkt ihm Das Leben und fen- Det ihn fort. Am Abend ruft er ihn zu ſich, nimmt ihm einen Eid bes Schweigens ab und enthüllt ihm nun ſein furchtbares Geheimniß. Caleb entfernt ſich varauf aus feinem Haufe und wird von nun an auf das Heftigfte verfolgt, in den Kerker geworfen, ent» ehrt und geſchändet. Hülflos irrt er von Stabt zu Stadt. Falkland's Beftreben geht unabläffig dahin, ihn moralifch fo zu ernienrigen und zu verderben, Daß ihm Niemand mehr Glauben fchenkt, aber gerade da⸗ Durch entwidelt und bildet ſich Der Adel von bed Jünglings Seele, fo wie die Stärke feines Eharar- ters. Des ſchrecklichen Lebens ‚müde, das er führen anıß, befchließt er endlich, feinen Verfolger öffent: Lich anzuflagen, Er hat weber Beugen nad Beweiſe ober fonftige Mittel, nur Die Stimme ber Wahrheit, um Ihn Dabei zu unterflügen; aber er wagt es den⸗ noch. Bon Falkland's Helfershelfern fortwährend verfolgt, kommt er nad, dee Stadt, wo biefet wohnt und zwingt durch feine. Feſtigkeit endlich den Rich⸗ ter, ihn mit feinem ehemaligen Herrn zu eonfrontis sen Dies gefthicht, allein Die aelftige Herrſchaft, Die dieſer ſelbſt jetzt noch auf ihn ausübt und Die Er⸗ innerung an- Die. geoßen und trefflichen Eigenſchaften defielben bewegen ihn fo mächtig, Daß er, nachdem er Alles enthüllt, diefen auf das Innigfte um Ver: zeihung bittet und fich mit ben härbeften Worten we⸗

geb der Anklage. fraft. Da bricht Die Eisrinde um

Falkland's Herz; er ethebt ch, wirft fi ihm in bie Arme und erkennt weinend ben Sieg der Tugend an, Falkland erduldet nicht die Vollſtreckung eines richterlichen Urtheils, da er bald nachher ſtirbt. Der größte Yehler dieſes merkwürdigen und in einzelnen Partieen wirklich großartigen Buches Liegt darin, Daß die Handlungen ber einzelnen Perſonen nicht mit ihren Chararteren übereinftintmen, und daher eine innere Unwahrfcheinlichkeit eintritt, wel⸗ de durch die glückliche Erfindung und die hinreißende Darſtellung und vortreffliche Ausführung ber einzel« nen Situationen wohl auf Augenblicke verdeckt oder vergeffen wird, aber doch inimer wieder lebhaft ſich verdrängt und ein unbefriedigtes Gefühl in dem Le⸗ fer erweckt, deſſen Intereffe fo fehr angeregt wurde. Um feinen Bwed zu erreichen, hat Godwin hier die wiberfprechendften Gigenfchaften in einem unb dem⸗ felben Character zu einander gefelt. So ift z. B. Falkland eben fo ausgezeichnet durch Adel ber Ges burt wie Adel der Gefinnung, feinen Geiftes und feinen Herzens, großartig und tapfer und Doc; ermor⸗ det er tückiſch ſeinen Feind, Laßt unfchuldige Men⸗ her auf Dem Blutgeräfte ſterben und verfolgt einem jungen Menfchen. mit der raffinieteften Graufamkeit, bloß, weil dieſen die Neugier Dazu verleitet hat, fein Geheimniß durchſchauen zu wollen. Das find zu arge Widerſprüche, durch Die gerade bes Roman, defien Baſis die confeguentefte pſychologiſch richtige Characterentwickelung feyn muß, an feinem innerften Kerne leidet. Caleb Williams. ift Godwin's gelun«

3.5 _ U 0 [)

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genſter Roman und feine übrigen Leiſtungen anf dies fem Gebiete, wie &t. Leon, Mandeville, Fleetwood, Cloudesley, nur ſchwache Abfchattungen beffelben, bei denen wir nicht weiter verweilen wollen. Am Unbebentendften iſt wohl fein Coelebs in search of a wife, obwohl gerade dieſes Buch um feiner nutzlo⸗ fen hausbackenen Tendenz außerordentlich viele Freun⸗ de fand und fogar eine Fortjegung von freuder Fe⸗ der veranlaßte.

Godwin iſt ganz beſonders noch derhalb merk⸗ würdig, weil er im Gegenfake zu dem Optimismus, ber früher und noch zu feiner Beit in England wie in Frankreich fo entichieden vertheidigt wurde, Den Peſſtmismus .aufftellte und Diefe Theorie im Romane burchauführen ſuchte. Alle ferne Werke auf dieſem Gebiete find Daher trotz ihrer vielen Schönheiten trübe und unerfreulich und üben einen quaalvollen Eins Fuß auf ein fühlendes Gemüth:aus. Um feine Doc» tein genau Fennen zu lernen, leſe man bie von ihm verfaßte Biographie feiner eriten Gattin, der. Mary Wolftoneereft.e. Möge man auch nach fo fehr von ihm in feinen Anſichten abweichen, fo muß man: ihm Dich: als .einem feltenen, ftarken und zugleich feinen Geiſte volle Anerkennung wieberfahren Laffen. Sein Styl iſt durchgängig Eräftig und fchön.

Diefe Tendenz, Alles, was tft, als jchlecht dar» anftellen und der Menfchheit ein Bild ihrer Verderbt⸗ heit nach allen Seiten hin vorzuhalten, manifeftirt fi überhaupt als vorberrfchenn in fehr vielen Ros manen aus ber zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr:

hundertßs. Die allgemeine Unzufriedenheit mit ben herrſchenden Werbältniffen, welche überall ihre Stim⸗ me erhob und entweder nach Aenderung ber Dinge ſtrebte ober fidh vor derfelben, als deu Beſtehenden zu gefährlich fürchtete, brachte eine Menge von fo» einlen Fragen zue Sprache, deren LZöfung im Ro» mane verfucht wurbe und da fte bier nie befriegend ausfallen konnte, zu dem Gegenſatze führte, alles Vorhandene als fehlerhaft und zerftörend zu ſchildern und der Geſellſchaft zu zeigen, Daß fie auf der Stufe, auf welcher fie fich befand, nie zu reinem Glücke ge» langen. Fönne, ſondern ftet3 im Bwiefpalt mit dem Höchften bleiben mäfle Die bebeutenditen Geifter gaben den Zon dazu anz namentlich wirkte Goethe buch feinen Werther hier ungeheuer, in bie Siefe wie in. die Breite, obmohl in Deutſchland der Ein- fuß ſolcher Theorieen bald darauf Durch die Kant’fche Philofophie .temperirt wurde, welche den Eudämonis⸗ mus zerftörte und das Bewußtſeyn ber perfänlichen Würde Dagegen in den Mittelpunkt ſtellte. Unter Den Romandichtern, welche jener Richtung huldigten, ift für England. noch beſonders Robert Bage*) au nen⸗

#):Beburen: 1728: zu Darley bei Derby, geſtorben 1801 136 Tauworth, feines Gewerbes ein Papierfabri⸗ kant und Verfaſſer von Mount Henneth: : London 1781. 2 Bbe.; Barham Downs. London-1784. 2 Bde.; The Fair Syrian. . London: 1787. 2 Bde.; James Wallace. London ‚1788. 3 Bde.; 'Man us he is.” London 1792. 4 Bde; Hermeprong ‘or Man :as he is: not.” London

nen, ber mit religisſer Shen - un Iarer Meral ante Characterzeihnung, Wit und :Bhune: verband, ober ganz vergefien feyn mürde, wenn Walter Scott fein Andenken nicht wieder onfgefäfht hätte. Hem- sprong :or Man as he is not wid. ala ſein beites Bel betradtet.. .. :.:

Diefen Berabangen gegeniher ſuchten in ber« felben Beit einige talentvolke Frauen. Eugland's per⸗ fühnend und ausgleichend in. ihren Romanen zu wit ten, wie überhaupt Die Frauen im. Allgemeinen feit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts anſingen, nch des Romans, als eines ihnen mit pollein Nechte zukammenden Erbtheils zu bemächtigen. Sobald. fie jedoch die Gegenniork behandelten, mußte der. Kreis, in, vem Sitte und Herkommen ifnen erlaubte fh 3% bewegen, ein beſchränkter bleiben und ihre: Auf⸗ faſſung des Lebens konnte nur eine aberflächliche. feyn, da es ihnen nicht vergöunt war; gleich den Männern die Leidenſchaften zu Durchbringen. "Die vorzüglich⸗ fen unter ihnen, non Denen mehrere. auch noch in unjer Iahrhundert wirkſam hinübertraten, find Miß Burney, Tpäter Miſtreß d'Arblayr), Charlotte

1796. 3 Bde. Die beiden letzteren Romane. find auch in das Dentſche überſetzt worden. Der Mexrſch wie er iſt. Berlin 4798. 2 Bde. BGerruſpruug oder Abelſtolz und Menſchenwerth (von C. A. Wichmann). Liegnuitz 1799. ©. über, Bage W. Scott I. ec. UL, 238 'fgbe.

*), Tachten bes bekannten Biſchofs Burney, befen Leben fie auch 1937 Herausgegeben hat. Ihr erſter und

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Emithe), Miß a, Bu a,

beribmtefler Roman Evelion por a young Indy: 8 entrance inte fke world erſchien Lonuden 1777. 3 Me. in 12; Dieſem folgte Cecilia, Inndon 1782. 5:Bhchen.: in 12, Camilla, London: 1797. :5-Bbe. iu & m. ſ. wer yes lina ward bereits 17709 (Beipzig, 3 Ehle. in 8.) in bag Deutfge ‚übertragen. &. Allen Sunningham, biagras phiſche und Fritifche Gefchichte der engliſchen Literatur von Sammel Johnſon's bis zu W. Seott'a Zode. Deutſch von A. Kaifer. Leipzig 1834. ©. 122 fgde. t *) Geboren als Miß Zune 1746, geſtorben 1808; Ihre vorzüglichſten Komane find.: .Emmeline, London 1788, 4 Bde. in 12.; Celestine, London 1791. 4 Bbe. in 8; The Wanderings of. Wurwick Londön' 1704} Mentalbert, London 1705. 3 Bde. in 8.; Marchmont London 1786; A Be. in 8.5 A Family Story, Lon- don 1880. 3 Bde. in 42. u. f wm. Faſt alle ihre os mane find in das Deutſche ũbeꝛſebt. ©. Walter Becks Le. IL, 282.. | °“) ‚Geboren 1775, geſtorben 1817. er: norzüg« lichſten Romane find: Norfbanger "Abbey; ‚Sense and Sensihillty, ‚Pride and: Prejüdied (beutfdy ‚von :Kwife Warezoll, Reipzig 1830), Emma, Mausfiekl Park, Per; snasion 1. f. w. S. Trealises an Poctry and:Me- dern Romance. By George Bainburgh, 1800, SM fe ec: ***) Geboren als Eliſabeth Simoſon 1758, geſtorben 1821, früher Schaufpielerin, eine höͤchſt talentvolle und originelle Fran. Ihre Romane find: A Simpięe akeny,

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SIE Edgeworthe), welche noch wirkſam if, Eliſa⸗ beth Hamilton »se), Miß Ferrier ***) u. X. m. Sie Haben in ihrer Act werthvolle Arbeiten gelte» fert; im Ganzen aber warb der Roman, der überhaupt gegen das Ende bes achtzehnten Jahrhunderts, fo wie zu Anfange des .neunzehnten zu finfen begann, nicht durch fie. gefördert, ba fie ſich nur in einer bes fchränften Sphäre bewegten und. weber bie Mittel noch den Willen hatten, über ben eng gezogenen Kreis bes. einfachen Yamilienlebens hinaus zu geben und ſich

neue Bahnen zu brechen. Feine piychologifche Cha⸗

racterentwidelungen, beſonders bei den von ihnen geichilderten Frauen, anmuthige Darftellungen und

London 1791. & Sochen. in 12. und öfter, in feiner Art ein Reiſterwerk, (deutfh von Dor. Marg. Liebes⸗ Find. ‚Leipzig 1792) und Anna Yves. Liondon 1794. 5 Bdchen. in 12. S. Memoirs and Correspondence of:Mrs. .Inchbald. London 1833. 2 Bde. in 8:

©) Geboren 1771 zu Edgeworthtown. . .Sie.bat fehr viel gejchrieben:. Moral. Tales, Popular Tales, Ennui, The Absentee, Helen u. ſ. w., auch ift das Meiſte davan in das Deutſche übertsagen worben. Vgl. Moir hc. 218., Cunningham J. c.,&. 130. Gemeinfchafts lich mit ihrem Vater gab fie 1798 die Essays on prae- tichl ‘education’ heran,

**) Die Berfaflerin von The "Cottagers of Glen- karnie..: S. Eunniugham 1. c. S. 125: .

*5*) Verfaſſerin von Marriage und Inherkante, ©. Cunningham lic. ©, 128...

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zarte Sittlichkeit waren das Biel, nach dem fie vor⸗ züglich Rrebten. Miß Edgeworth hat fogar ftet8 eine auf die nüchternfte Praxis des practifchen Lebens berechnete Tendenz, wodurch fie zwar manches Gute ftiftet, aber der wahren Poeſte auch eben fo oft in das Geſicht Ichlägt. .

In Frankreich brach befanntlich durch die Revo⸗ Intion plößlich das ganze ſociale Gebäude dermaaßen zufammen, Daß für den Roman überhaupt und ganz befonders für den Familienroman lange Beit eine große Lücke entftehen mußte, welche erft in neuefter Beit wieder ausgefüllt wurde. Bmwar gab es noch, vorzüglich unter den vom vaterländifchen Boden ge⸗ waltfam weggetriebenen Adeligen mehrere, welche, in trüber Erinnerung an ihre gute alte Beit, fich mit Schilderungen berfelben befchäftigten und bei ber Thlimmen Lection, Die ihnen das Schieffal gegeben, das Leben ernfter und fittlicher auffaßten; ihre eigent⸗ lichen Zeiftungen gehören aber Dem. neunzehnten Jahr» hunderte, theils verbindend, theils vorbereiten und ergänzend, an und find daher fpäteren Blättern Die ſes Buches aufbehalten.

In Italien war die Luft an der Rovelle allmäh- Iig erftorhen, ber Sinn für den Roman noch nicht erwacht. Zwar fchrieb der durch den Streit mit Gozzi berüchtigte Abate Ehiari*) mehrere Romane,

*) Er war Kofpoet des Herzogs von Modena. S. über ihn Bouterwek 1. c. IL, 474., ber jedoch feine Romane nicht gefannt zu haben fcheint.

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fie waren aber meift nur Nachbildungen franzöftfiher oder englifcher Mufter und fowohl in der Erfindung wie in der Ausführung fo fchleht, daß fie von den Gebildeten in der Nation gar nicht: beachtet wurben. So hat aud) Spanien für das ganze achtzehnte Rahrhundert nur einen bedeutenderen Roman, die Gefhichte des Predigermönches. Serundio von Gam- yazas, von dem Sefuiten Isla, aufzuzeigen *), wel- cher eine trefflihe Schilderung des Treibens der fpa- niſchen Geiſtlichkeit Iiefert, aber nur ein Wachzügler der ausgezeichneten Romane des vorigen Jahrhun⸗ derts iſt.

Sn Holland, wo bisher für den Roman’ noch gar Nichts geſchehen war, nahm man ſich in ber zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts Richard⸗ fon’8 Weife zum Borbilde und fchilderte mit befag- licher Breite niederländifche Sitten der Gegenwart oder der nächſt vergangenen ‚Beit. Am Glükklichſten und Erfolgreichiten waren hierin Eliſabeth Wolf, geborene Bekker und Agatha Deken, zwei Freundin nen, welche gemeinfchaftlid mehrere Romane, wie Sara Burgerhart, Willem Levend und Abraham Blan⸗ faert, verfaßten und fich durch gute Characterzeich⸗ nung und natürliche Darftellung wohluerdientes Lob

*) Er ftarb 1781. Der ganze Titel des Romans ift: Historia del fray Gerundio.de Campazas. Ma-

drid 1758, Deutſch von Verauch “ind 1773. 28de. in &

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erwarben *). Sentimentaler und declamatoriſcher in der Darftelung, fo wie oberflächliher in der Schil- derung der Charactere verfuhren Eliſabeth Maria Port, Gattin des Predigers Orenborf **), und Pe- tronela Moens ***) bei ihren Romanen, weshalb fie auch von ihren Zandsleuten jenen beiden Schrift» ftelerinnen nachgefeßt werden. Bedeutenderes leitete

*) Glifabetb Wolf ward 1738 zu Vliſſingen ge: baren; als Wittwe lebte fie mit ihrer Freundin Agatha Deden aus Amftelveen bis an ihren 1804 erfolgten zod zufommen. Ihre Romane: Historie van Sara Bur- gerhart 1782. 2 Bde. in 8.; Historie van Willem Le- vend, 1784. 8 Bde. in 8.; Brieven van Abraham Blankaert, 1787. 3 Zhle. in 8.; Histoire van Corne- lia Wildschut, erfhienen fämmtlid im Haag. Sara Qurgerhard ward, Leipzig 1788. 2 Thle., Wilhelm Lee⸗ vend, Hamburg 1798. 6 Zhle. in 8. (von. J. G. Müls ler) in das Deutſche übertragen, Klärchen Wildſchütt aber von dem eben Genannten, Berlin 1799, nach dem Holändifhen frei bearbeitet. S. N. G. van Kampen, Beknopte Geschiedenis der Letteren en Weteuschappen in de Nederlanden.. In’s Gravenhage 1822. Bd. I. ©. 490., $. 337. u

*s) Geboren 1756. Ihre vorzüglichften Werke find Het Land, Amsterd. 1788. Reinhard. Ebendaf. 1791.

*%*) ©. van Kanpen ]. c. II., 485 u. 493, Sie warb 1768 in Friesland geboren. |

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2oosjes*), Doch ift and) er nur ein ängftlicher Nach⸗ ahmer Richardſon's.

Deutfchland eultivirte fortwährend den Familien⸗ roman mit großer Vorliebe und holte, was die Quan⸗ tität betrifft, bald alle übrigen Länder ein. Wir befigen eine große Menge von Romanen aus jener Beit, aber wozu Die vergeffenen Todten wieder aus den Gräbern aufwühlen? Die Fortichritte, die man machte, gingen nicht in die Ziefe, fondern in die Breite und man bewegte fi) fortwährend in einem und demfelben, wenn auch fehr weit gezogenen Kreife. Kur einige Romandichter, welche fich Längere Zeit als ein Paar Meffen hindurch mit ihren Leitungen

den Beifall der Menge erwarben oder wirklich Ver⸗

bienftliches und Bleibendes ⸗leiſteten, will ich Bier der Vollftäudigfeit wegen nufführen. Mancher von ihnen wirkte, wenn auch nicht auf den Woman und deſſen Fortbildung, doc Durch feine Romane und die Art und Weiſe, in denen er Das Leben auffaßte und abfpiegelte, höchſt vortheilhaft ein. Sch Iaffe fie in chronologiſcher Ordnung folgen: | Ehriftian Friedrich Sintenis (17501819) führte zuerſt den moralifch=religiöfen Roman ein, um durch Darftellungen häuslicher, auf der Baſis des Glau-

*) Zedelyke Verhalen. Haarlem 1804. 3 Be. in8. Susanna Bronkhorst. Haarlem 1806. 6 Bde. in 8. Wir Eommen fpäter noch auf ihn zurüd. Er ward 1761 in Saarlem geboren und lebte ald Buchhändler dafelbft.

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bens aufgeführter Zufriedenheit zu wirken und das Wohl der Kamilien zu beförbern. Solchem Bette ben mußte natürlich Die fentimentale Auffaſſung bes Lebens die Färbung leihen. Gr fand au jener Beit ein großes Publicum und feine Romane, wie 3. B. Veit Roſenſtock *), Hallo's glücklicher Abend **), Elias Klaproſe***) x, ſ. w. wurden viel geleſen. Sie ſind übrigens Nichts als einen Schritt weiter geführte Kinderſchriften, mit denen er ſich auch viel beſchäftigte. Ueberall tritt in derartigen Leiſtungen der Paſtor ſo ſalbungsreich, redſelig und breit her⸗ vor, daß die Poeſie vor dem geiſtlichen Herrn ſtets die Flucht ergreift. Dergleichen Verſuche ſind übri⸗ gens von jeher misglückt, obwohl ſich viele von Neuem immer wieder daran wagten; das haben in unſeren Tagen noch Mehrere, namentlich de Wette, erfah⸗ ren. Dieſe Herren zimmern das Kreuz und der lebendige Leib wird dann ſo lange gezerrt und ge⸗ reckt, bis er daran paßt.

Mit weit größerer Tiefe und wahrhaft poeti⸗ fhem Gemüthe behandelte Dagegen Johann Heinrich Jung (1740 —1817), genannt Stilling, das relis giöfe Element, und als dieſes eigentlich die Kraft des unbedingten Glaubens, bie den Halt des ganzen fittlichen Zebens bildet, in feinen biographifchen Ro⸗ manen, zu den vorzüglich feine eigenen Schidfale

*) Wittenberg 1776. 3 Thle. in 8. N. %. 1780, **) Leipzig 1783. 2 Thle, in 8. N. A. 1785. ***) Berlin 1785.

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die Grundlage bildeten *). Die echte, lebendige Wär- me des bis zur Myſtik geſteigerten Gefähls, Die treff- fichen.. idylliſchen Schilderungen einzelner Momente‘ und Die guten Characterzeichnungen verleihen feinen Büchern einen feltenen Reiz, der auch Den Fälteiten Verſtand feffelt und immer mächtig auf den Leſer wirft, felbft wenn dieſer noch fo antagoniftifch ges finnt it. Man muß den Verfaſſer lieb gewinnen und ehren, denn feine Frömmigkeit durchglüht ihn und Alles, was er darſtellt, mit der ihr eigenthüm⸗ lichen Poeſte. Seine Bücher haben ſich Daher au tm Andenken ber Hation erhalten. Ein nlgemeines Urtheil, wie es für jedes Kunftwerf überhaupt ailt, darf man nicht darüher füllen. Jung's Subjectivi- tät ift nicht von feinen Werfen zu trennen, und Diefe eben Durch ihn eine eigenthümliche und beachtens⸗ werthe Erfcheinung.

Friedrich Heinrich Jacobi (1743 1819) fuchte auf philofophifchen Wege dDaffelbe zu erreichen und den fittlichen Glauben zugleich mit zufriebener, bürs gerlicher Häuslichkeit zu befürbern und zu befeftigen,

2) H. Stilling’8 Jugend, Juͤnglingsjahre, Wander: ſchaft, häusliches Leben. Berlin 1777-89. 4 Thle. Geſchichte des Herrn von Morgenthau. Berlin 1779. 2 Thle. Gecſchichte Florentin's von Fahlendorn. Mannheim 1781 83. 3 Thle. Leben der Theo⸗ dore von Linden. Mannheim 1783. 2 Ihle. Theo⸗ bald. Leipzig 1784. 2 Thle.

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in:-feinen beiden Romanen, Woldemar*) und Als wil’s Brieffammlung **). Es fehlte ihm aber darin eben- fo fehr an poetifcher Productionskraft wie an philofophifcher Klarheit und Sicherheit. Er ift hier nur ein- Grübler und in Diefen Werken nicht Fiſch noch Fleiſch, keinesweges ohne feinen Blick, aber ohne Das Zalent guter practifcher Anwendung befielben. Die beiden Bücher find Daher poetifche wie philofophifche Dilettantenarbeit, „unerquicklich wie ber Nebelwind, ber Durch Des Herbftes dürre Blätter ſäuſelt.“ Frü⸗ bee wurden fie auch viel gelefen, denn was lieft der Dentfche nicht Alles! Sie haben einen gewiflen Ruf in unfer Jahrhundert mit hinüber getragen, aber wer nimmt fie jet noch zur Hand ?,

Die beſchränkteſte Alltäglichfeit, die fich jedem Auffhwunge, jeber neuen Richtung hartnädig ent- gegenftemmte, und ba es einmal aufgefommen war, den Roman als Vehikel für die geiftigen Intereſſen des Tages zu gebrauchen, ſich befielben als Waffe gegen fie bediente, : offenbarte Friedrich Nicolai (1733—1811), eän braver, aber dunkelhafter und geiſt⸗ loſer Mann, vom nüchternften Verſtande, ohne alle Ahnung des Weſens der Poefle, Feinestveges baar an praetiſchem Verdienſte um unfer Vaterland, aber von hausbackener Gefinnung, Prototyp des.deutfchen Phi⸗ lifters im achtzehnten Jahrhunderte. Taͤppiſcher Tann nicht Teicht Iemand einen Schmetterling anfaflen ‚und

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*) Flensburg 1779. N. A. 1796. 2 Thle. ++) Königsberg 1792. Ar 3b.

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ihm den Yarbenftaub von den zarten Flügeln wifchen, als er es gethan. Wie er ben Werther mishandelte, ward bereitß erwähnt. ben fo hing er an Thäns mels Inftige Wilhelmine feinen fohwerfälligen Sebal- dus Nothanker, ſchrieb aus Aerger über ein groß» artiges philoſophiſches Syſtem, das weit über ſeinem grauen, löſchpapiernen Horizonte ſchwebte, ſeinen Sempronius Gundibert und geberdete ſich überhaupt eben ſo abgeſchmackt als ungeſchickt, bis ihn endlich Die beiden größten Geiſter der Nation durch die Geis Bel des boshafteſten Spottes äffentlich an den Pran⸗ ger ftellten*). Um wie Bieles tüchtiger ift nicht ber fchon früher genannte Schummel, der, wenn auch berb und mafftv, Doch treffend und Förnig die phili- fterhaften Auswüchſe feiner Beit gut erfindend zu ſchildern weiß und beflen Spihbart **) namentlich ein merkwürdiges Sittengemälbe bleibt.

Die biographifhen Romane von Carl Philipp Morig (1757 1793) find intereffant durch die Sub⸗ jeetivität des fich felbft fchildernden Werfaflers, der eine feltene Mifchung von Talent, wilder Phantaſie,

*) Seine Romane find: Leben und Meinungen bes M. Sebaldus Nothanker. Berlin 1773— 76. Vierte Auflage. Berlin 1799. 3 Thle. Freuden des jun gen Werther's. Berlin 1775. Geſchichte eines dicken Mannes. Berlin 1794. 2 Thle. Leben und Meis nungen des Sempronius Gundibert, eines bentfchen Phi⸗ Iofopben. Berlin 1798.

**) Leipzig 1749,

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Schasffinn und Verworrenheit, Kenntniß und Un⸗ wiffenheit in fich beherbergte. Obwohl Heine ſehr wigig und nicht mit Unrecht bemerkt, Daß die Ge⸗ ſchichte Anton Reiſer's eigentlich nur die Geſchichte von hundert Thalern jet, die Anton Reifer*) nicht hatte, fo bietet Doch dieſes Buch fowohl wie ber Andreas Hartinopf **) dem benfenden Leſer ein eigentbümliches piuchologifches Interefie Dar und wirb nie ganz vergefien werden. och wichtiger für bie innere Gefchichte geiftiger Ducchbildung in Deutſch⸗ land wird e8, wenn man e8 in eine Sarallele mit Jung » Stilling’3 Schriften fteit.

Auf Nettchen Kofenfarb von Gahifch***) und Julchen Grünthal von Helena Unger ****) möge hier noch aufmerkſam gemacht werden. Beide Romane wurden früher ſehr eifrig gelefen und koͤnnen in ges wiſſer Hinfiht pädagogiſch genannt werden. -Die daranf verwendeten Koſten ber Erfindung find ärm- ih, nur Kupfermünze, durch Die Darftelung etwas, aber nicht für Die Dauer, überfilbert.

*) Berlin 1785— 90. 4 Thle. (der fünfte Theil it von 8. F. Kliſchnig. Berlin 1704).

+8) Berlin 1786. SHartinopf’s Peedigerjahre. Berlin 1790.

*2*) Leipzig 1782 83, 2 Thle.

*92%) RX, Berlin 1798. 2 Thle. Bon ihr ſind auch die (nicht mit den Goethe'ſchen im Wühelm Meifer zu verwehfelnden) Belenniniffe einer ſchönen Seele. Ber lin 1806 u. %. m.

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Allmählig ftieg man uam immer mehr in bie baarſte, nüchternfte Alltäglichkeit bes niedrigen, bär- " gerlihen Samiltenlebens hinunter. Dies würde duch ‚den komiſchen Familienroman, Der ſich vorzugsweife „an die gemeinfte Wirklichkeit der Dinge‘ hing, vor- aüglich befördert. Johann Gottwerth Müller (1744 1828) brach in feinem Siegfried von Lin- benberg *), nicht. ohne Wit und Erfindungsgabe das plumpe, Deutfche, gutmüthige und unwiſſende Junker⸗ thum verfpottend, Die Bahr; aber er ftieg nicht auf- wärts, fondern verflachte fich fpäter In Die Breite. Ihm folgte von Knigge (1752-1796), eben fo ordi⸗ när das Leben auffallend, doch ausgeftattet mit bos⸗ daftem Spotte, gefunden Wegtiffen und Talent der Darftelung**). Langbein endlich 309 das Genre ganz herab, nur: behaglich Gemeinheiten fchildernd, aber Laune und glückliche Auffaſſung befigend ***). Der höhere Eomifche Roman erwartet noch immer die fchaffende Hand eines genialen Meifters bei ums. Um dem Familienromane ‚einen neuen Weit zu

*) Buerft Hamburg 1779. 3 Thle. ſpatet öfter, fo wie auch vielfach nachgedruckt. **) Der Roman meines Lebens. Riga 178183. 4 Thle. Gefhihte Peter Elaufens. Riga 1783—85. 3 Thle. Des Amtmann Waumanns Reife nah Braunſchweig. Hannover 1792 0. A. m I 0) Schwaͤnke. Dresden 1794. 2 Thle. Xho mas Kellerwurm. Berlin 1800. Der Sonderling und feine Söhne. Berlin 1809 u. X, m.

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geben, ließ man das Sentimentale vorherrfchen. Treffliches Teiftete hier Engel in feinem Lorenz Start *), in feiner Art ein wahres Kunftwerf. Ihm nahe kommt Starde in feinen Gemälden des Tamiltenlebens **). Auch Demme ***) und Ehriftiane Sophie Ludwig ****) haben hier manches Gute ge- liefert. Kogebue +) dagegen ift bier wie in jeinen Luftfpielen der Repräfentant des fittlichen Indifferen- tismus und ber lackirten Gemeinheit.

*) Herr Lorenz Stark. Berlin 1801.

+) Gemälde aus dem haͤnslichen Leben. Berlin 1793 —98, 4 Shle.

+44) Der Pächter Martin und fein Vater. Leipzig 1792, 2 Bde. Sechs Jahre aus Karl Burafelds Lehen. Leipzig 1703.

2222) Die Familie Sohenftamm. Thorn 1703. 4 Thle. Die arme Familie. Leipzig 1799. Crzäblungen von guten und für gute Seelen. Leipzig 1700 u. f. w.

+) Die Geſchichte meines Vaters. Reval und Leip⸗ ig 1788. Die Leiden ber: Ortenbergifgen Familie, Petersburg 1785. -Die geführlihe Wette. Leipzig 1790. = "Kleine Romane. Leipzig 1808 u. A, m

4193

IV.

Die übrigen Gattungen Des Romans im achtzehnten Jahrhunderte.

Der Eifer, mit welchem man den Familienro⸗ man ergriff und nach allen Richtungen hin ausbeu: tete, rief fchon früh eine Oppoſition hervor. Diele zeigte ſich zuerſt in England, wo man fich bei der entichieden vorherrfchenden Richtung auf das Reale yon jeher gern in Die romantifche Welt flüchtete, um ſich geiftig zu erholen. Die ausführliche Behandlung bes Kleinlebens der Gegenwart, wie fie nach allen Seiten Bin im Romane betrieben wurde, Ließ eine u triviale Behandlung fürchten, um jo mehr, als für die inneren Verhältniſſe bes Landes die Politik hinzu getreten war und im Mereine mit der morali- ſchen Tendenz den Hebel für die Poeſie zu bilden be- gann, Gegen dieſe nüchterne Wirklichkeit, Die, wenn fie Anfangs auch lebhaft anzog, zulegt, ſo bald fie nicht von den reichiten Talenten behandelt wurde, buch ihre Eintönigkeit ermüden mußte, fand fich da⸗ mals in den anderen Reichen der Dichtung Fein Ge gengewicht, da dieſe felbft bei großer Steigerung ber formellen Bildung, Doch in ihrem eigenklithen Ge: Halte außerordentlich gefunden waren. Wenn man Shakſpeare, Beaumont und Fletcher, Ben Jonſon,

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Marlowe u. f. mw. und Dryben, Pope, Samuel John⸗ fon, Arbuthnot , Addiſon u. |. w. mit einander ver- gleicht, fo follte man kaum glauben, Daß fie Lands» Iente feien und nod) weniger, daß eine und biefelbe Nation binnen noch nicht zwei Genturien biefe Jenen gegenüber für große Dichter erklärte. Das Gegen- gewicht mußte alfo dem Romane im Romane felbft aufgeftellt werden, und das gefhah auch. Wie fo oft fühlte ein guter, nit zünftiger Kopf zuerft durch glüfliche Intuition, was die Beit verlagge und brach den Bunftgenoffen fpielend bie neue Bahn, ober baute vielmehr einen alten Längft verlaffenen Schacht von Neuem an, in welchem man zu allgemeinem Er⸗ ſtaunen ungeahnte reiche Adern entdeckte. Horace Balpole*) war es, der dies bald nad der Mitte des achtzehnten Iahrhunderts that. Mit antiqua⸗ riſchen Forſchungen und Studien befhäftigt, fah er fih einmal im Traume in ein altes poetifches Schloß verfeßt und Dort eine gigantifhe gewanpnete Hand. Dies regte feine Phantaſie fo mächtig auf, daß er nicht eher Ruhe fand, als bis er eine Erzählung ge⸗ ſchrieben Hatte, in welcher er ben gothifchen Styl mit den Anforderungen der damaligen Literatur zu vereinigen fuchte**). Sp entftand fein Roman The Castle of Otranto, den er zuerft durch einen Dritten

2) Geboren 1716, geftorben 1797. &, feine Me- moirs, Tondon 1822. 2 Bde. in 4. Waller Scott l. e. IL, 160.

*#) W. Scott 1. c. IL, 164.

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- als eine Meberfegung herausgeben ließ *), welcher aber aleich fo großen Beifall fand, daß er ihn bald als Original und ſich zur Autorſchaft befannte **). . Im Ganzen ahmte er in dieſem Buche ben mittelal- terlihen Roman nad und benutzte deſſen ſämmtliche Elemente, fogar die übernatürliche Maſchinerie, mit großes Gewandtheit; aber er verſtand auch zugleid Reben und. innere Wahrheit hinein zu bringen, den Styl mit Eleganz und Feuer zu behandeln, und Al- Je3 confequent im genaueften Bufammenbange zur Ka taftrophe zu führen, und darin eben ift fein großes Berdienft um die freie und zeitgemäße Musbildung per Gattung zu fuchen. Die. Erfindung Der Fabel

erreicht infofern ihren Zweck, als dem Verfaſſer te ‚zum zu thun war, Die Phantafie des Lefers zu paden

und deſſen Gemüth gu erſchüttern, inden er ihn gleich—⸗ fam in.die Jahre Der Kindheit zurückverſetzt, wo man vor dem Uebernatürlichen ein Grauſen empfindet, aber es überall zu jehen wähnt, ‚weil man Diefe Empfin- Dung zur. jelben Beit auch liebt. Er ift jedoch hierin zu. weit gegangen und hat Bie Mittel zu jehr gehäuft, ohmohl er. mit geringerem Aufwand eben fo Feicht ſei⸗ men Zweck hätte erreichen können. Seine Chararter- zeichnung gleicht der in den. Spanischen Dramen, fie At nicht individuell, fondern generell, der Einzelne

- *%) London 1764. .; Translated. from. the Italian of ‚Onpphrio Muralto by: William-Mershal. . ; .

**) London 1765. 8. Seitdem in > umpähligen Aus gaben verbreitet.

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repräfentirt Die ganze Gattung; Das iſt namentlich im Romane ein großer Fehler, denn Diefer muB eben fo individnaliſtren, wie es Die Wirklichkeit felbft thut, font liefert er nur Scheinbilder, Rechnenexempel, bei denen Jeder das Facit ſchon vorher weiß. Im dieſer generellen Behandlung zeigt er fich übrigens als Meiſter; fein Tyrann iſt ein vollfommener Ip rann, fein Held ein vollkommener Held, feine Hel⸗ din ein Mufter von liebenswürdiger Sanftmuth und fein Mönch ein Prototyp von Frömmigkeit. Dabei dat er fie mit feinen, wahrhaft menihlichen Bügen aus⸗ geftattet. Die echt malerische Darftelung und ber ganz vortrefflide Styl bilden inbeflen den Hauptreiz diefes Vuches und find auch wohl der vorzüglichite Grund, weshalb es fich bis auf unfere Tage in ber Gunſt der. Publicums erhalten bat. Huf den Far men eines echten Kunſtwerkes kann es indeſſen Feis nen Auſpruch machen, dazu iſt es doch, genau be⸗ trachtet, zu raſch erfunden und zu flüchtig ausgeführt, namentlich ſtreift die übernatürliche Maſchinerie durch ihre koloſſalen Dimenſionen ſehr nah an das Barocke und Lächerliche.

Auf dieſe Weiſe ward der alte, reiche, roman⸗ tiſche Homer wieder eingeführt und zeitgemäß belebt. Don nun. an. machte bie Phantaſie auf dieſem Ge- biete michen ihe gutes Hecht geltend usb führte. mie der Beit zu höchſt glücklichen Reſultaten. Wer weiß, ob ohne das Schloß von Otranto Walter Scott'ß Romane ſolche Höhe enzeicht hätten? Walpole fand ſehr bald talentvolle Nachfolger auf der wieder eröff⸗

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neten Bahn. ine Dame fchlug zuerft biefen Weg mit Gluͤck ein, ja, fie fteht fogar höher als ihr Vor⸗ gänger, da fie fi) zwar auch des Uebernatärlichen bediente, aber daſſelbe in natärlicheren Verhältniſſen Daritellte und wirken ließ. The old english Baron - ber Miss Reeve*) erfchien acht Jahre fpäter als ber vorhergehende Roman, und ward, wie fle ausdrück⸗ lich bemerkt, durch dieſen veranlaßt**). In ihrem Buche geht Alles nüchterner, ordinärer zu, als in der glänzenden Production Walpole's, der auch weit mehr hiftorifche Genauigkeit in der Schilderung zeigt; Die Erfindung ift matter, der Styl fchwerfälliger, die Ausführung Iangfamer und breiter, aber bennod bat diefer Roman eine große Natürlichkeit und Ein- fachheit und weiß eben Dadurch den Leſer bis zum Schluffe zu feſſeln. An der Mitte zwiſchen beiden Büchern liegt das Rechte für dieſes Genre.

Mit weit reicherer Phantaſie, aber fo ruhigen Verſtande ausgeftattet, daß fie ſtatt der geheim- nißvollen übernatürlichen Mafchinerie eine Fünftliche erflärbare einführte und doch noch mehr erfchütterte,

erfoßte eine andere Dame, Miftreß Rabeliffe+**),

*) Geboren 1725 in Suffolk, geftorben 1803 zu Igswich. S. über Clara Reeve, Walter Scott 1. c. HL, 174. The old english Baron erf&ien zuerft London 1777 unter dem Titel: The Champion of Vir- tue, a Gothie story.

**) S. die Vorrede zu bem Romane,

*..) Anna Ward, geboren zu London am 9. Juli

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biefe Gattung und leiſtete hier fo Vorzügliches, daß fie noch immer unüberteoffen da ſteht. Sie war es, welche eigentlich zuerft Die Familie ber fogenannten Schauerromane, welche die Engländer fpäter ſo uns gereht mit dem Namen German horrors bezeichneten, und die eine unabfehbare Weihe bildeten, begründete und einführte. Ihre erfte jugendliche Leiſtung auf diefem Gebiete, The Castles of Athlin and Dunbayne *), machte Fein fonberliches Glück, eine deſto glänzendere Aufnahme fand dagegen fchon ihr zweiter Verſuch, The Sicilian Romance **), welcher ein Jahr fpäter erfchien und von nun an flieg ihr Ruhm mit jedem neuen Ro⸗ mane. Die drei gefeierteften find: The Romance of the Forest ***), The Mysteries of Udolpho ****) und The Italian orthe Confessional of the Black Penitents +).

1764, vermählt mit William Rabeliffe, dem Beſitzer und Herausgeber der Beitfchrift The English Chronicle im Jahre 1787, geftorben in ihrer Baterkadt am 7ten Februar 1823. Sie führte ein ſehr ruhiges und ftilles Leben und ſoll eine hoöͤchſt befcheidene und Liebenswürbige Frau geweſen feyn. Vgl. W. Scott. c. III. 18i fgde. Annual Biography and Obituary for 1824. Vol. VII. London 1825.

*) London 1789.

**) London 1790. .

***) London 1791.

*+**) London 1794.

+) London 1797. .$ait alle chre Romane find in daB Franzoͤſiſche und in das Deutſche abe worden,

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An dem erfteren fchildert fie einen Mann von ſchwan⸗ kendem Character, der aus beſſeren Berhältnifien zur Armuth hinabſank, gezwungen ward, feinen Aufenthalt in einem verlaffenen Bufluchtsorte voll geheimnißvol⸗ ler Schreden zu nehmen und nun aus Verdruß und Groll über fein Schickſal die Seinigen abfcheulich tyrannifirt, bis ein Gewaltigerer dazu kommt, fi) Über den finftern und ſchwachen Mann eine unum⸗ ſchränkte Herrſchaft anmaaßt und ihn durch Furcht und Ueberredung dazu treibt, ber Helfershelfer bei feinen Plänen gegen die Tugend und das Leben einer Maife zu werden, zu deren Beſchützer ihn Dankbar⸗ Feit Hätten machen follen, bis dieſe enblich gerettet und ber Verbrecher beftraft wird. Die Eharartere find im Ganzen ziemlich allgemein gehalten, die Hel⸗ Din Adeline ſogar etwas jentimental und nur bie Freundin Elara de Luc trefflich und originell gezeich⸗ net. Den großen und wahrhaften Bauber, welchen Dies Buch ausübt, erhält es vorzüglid durch Die meiſterhafte Durchführung der, wenn aud) nicht gleich. artig motivierten, doch gut erfundenen, intereffanten Fabel, fo daß der Leſer fich in ſteter Spannung und Aufmerkſamkeit befindet und in feiner Erwartung, daß dem Außerordentlihen, Merkwürdigen, Eigen thämlichen noch Außerordentlicheres, Merkwũrdigeres und Eigenthümlicheres folgen müſſe, nie getänſcht

The Italian warb von Schink ale eine Oper bearbeitet unter dem Titel: Die Ruinen von Paluzzi, welche, wenn ich micht irre, A. Romberg in Muſik gefegt bat.

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wirb, felbft am Schluffe nicht, wo bie Geheimniſſe und Schrecken natürlich erklärt werden. Dabei. fin« bet Feine Eintönigkeit noch Ermüdung Statt, ſon⸗ dern es tritt ſtets ein wohlthuender Wechſel ein; auf die Schauer des Waldes und ber zerftörten Abtei folgen die anmuthigften landſchaftlichen Beſchreibun⸗ gen, auf Gräuel und Hengfte freundliche Scenen häuslichen Friedens. „Auch ift nirgends eigentliche Uebertreibung. Die Phantafie wird ftets angeregt und in Spannung erhalten, ohne daß der Verſtand fi) beleidigt fühlen könne. Das ift eben das große Zalent der Miſtreß Rabeliffe, daß ein gefunder Sinn ihrer fchöpferifchen Einbildungskraft ftets zur Seite _ blieb, Sie wollte auf Die unterften Empfindungen bes Gemüthes wirken, wollte duch Schauer und Graufen erſchüttern, aber fie trieb es nicht unnütz bis auf’s Aeußerſte, fchleuderte nicht verfchwenderifch und uns gleich ihre Gut hinaus, fondern vertheilte gleichmäßig und haushälterifch und wußte zuletzt bie Schaale Des Suten dem Böfen gegenüber fo ſinken zu laſſen, daß ber Leſer ihr Buch vollfommen verföhnt aus der Hand legt und ber Verfaſſerin willig huldigt, Die feine Phantafie and fein Gemüth zugleich fortwährend und ohne Unterbrechung auf das Lebhafteſte befchäftigte und durch bie treffliche Darftellung wirklich befrie⸗ digte. In dem zweiten Romane, The Mysteries of Udolpho, behandelte Fe ganz ähnliche Verhältnifie, aber in weit größerem Maaße; hier ift Alles geftei- gerter,, ausführlicher, gewaltiger, fteht Alles auf der nächftfolgenden Potenz, und es fehlt Daher jene Ein⸗ 27 *

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fachheit, welche dem Walde einen befonderen Reiz verleiht. In dem Italiener, dem letzten Werke, mit dem fie vor dem Puhlicum erfchien, bediente fie ſich eines anderen und noch mächtigeren Hebels, ber ganzen, vollen Herrfchaft des Katholicismus nämlich, wie fte fich in der unumfchränktten Macht des päbft- lichen Stuhls und allen Schreeniffen und Gewalt» thaten der Inquifition äußert. Sie hat die reichen Mittel, die ihr hier geboten wurden, mit eben fo aroßem als befonnenem Talente verwendet; es giebt in diefem Romane Scenen von fo großer Schönheit und fo tiefer und echt poetifcher Wirfung, daß fie dem größten Dichter Ehre bringen würden, wie 3. B. Die Scene, wo Ellena von Schedoni ermordet werden foll und er in ihr fein eigenes Kind erkennt.

Die Werke der Miftreß Radeliffe wurden zu ihrer Beit von dem Publicum mit außerordentlicer Begierde geleien, man riß fie fi) aus den Händen; erit viel fpäter erhob fich die tabelnde Stimme ber Kritik Dagegen und bezeichnete in ihrer Strenge dieſe Erfindungen als abfurd. Sie hatte Recht, fo feharf zu urtheilen, denn den vielen Nachahmungen, welde jegt den Buchhandel überfhwenmten und Die in Uebertreibungen und Ungeheuerlichfeiten wetteiferten, mußte ber gute Geſchmack einen Damm entgegen- fegen. Das große. und wahre Zalent der Urheberin wurde doch anerfannt und wirb es immer ſeyn. Daß fich viele Fehler in ihren Romanen finden, wie 3.8. Unwahrfcheinlichkeiten, Inconſequenzen und Flüch⸗ tigfeiten läßt fich nicht läugnen, aber eben fo offen

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muß man ihre glänzenden Fähigkeiten eingeftehen und iht den Ruhm zufprechen, der Phantaſie, bie zulept im Samilienromane mit geknickten Flügeln und ges lähmten Glievern einher humpelte, ihre volle Frei⸗ heit und ganze Kraft wieder gegeben zu haben. Eben jo Iobend muß bie fittliche Wahrheit hervorgehoben werden, die überall in ihren Büchern vorherrfcht ; fie übertüncht das Xafter eben fo wenig als fie Die Zugend ſchielend darfellt ; beide treten, mit fcharfen, reinen und feiten Bügen gezeichnet, in ihrer volften Wirklichkeit auf, und die Tugend trägt am Ende, wie es fich gehört, wenn auch zur Freude Des Leſers auf etwas materielle Wetfe, den Sieg davon. Sehr richtig bemerkt ein geiftreicher englifcher Kritiker *), man müſſe die Werke Der Miſtreß Rabeliffe in ber Jugend lefen, um fich des vollen Genuffes berfelben unverfümmert zu erfreuen. Wenn Das gefchieht und man ſich Dann im reiferen Alter nur noch ihrer ge⸗ Inngenften Parthieen erinnert, fo laſſen fi! dem Ge- bächtniffe den angenehmen Eindrud eines reichen und bunten Schaufpieles vol finfterer Burgen und Höh⸗ len, mondbeleuchteter Straßen und Palläfte, Zänze, Gefänge und Jubel der Weinlefe, Hinmlifcher Töne, welche über vergauberten Wäldern ſchweben, Lieber von Mönchen und Ronnen, welche bie ftillen Abend»

*%) Moir l.c. &. 204. al. auch Dunlop. 1. c. UL, 473 fgde., wo vorzüglich die Fehler diefer Romane aus⸗ füßrlich beleuchtet find.

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Lüfte über die fanften Wogen eines italieniſchen See!s dahin tragen u. ſ. w., zurück.

Unter dem Schwalle von Imitationen, welche Die Romane der Miſtreß Radceliffe veranlaßten, ver⸗ dienen nur zwei hervor gehoben zu werden. Sie find beide jugendliche Erzeugniſſe eminenter Ta⸗ lente, welche trotz ihren vielen Maͤngeln einen aus⸗ gezeichneten Ruf erlangten und noch immer mit Intereſſe geleſen werden. Das letztere, Montorio von Mathurin*), gehört ſchon dem erſten Deren nium des neunzehnten, das erftere, The Monk, von Zewis**), noch dem Schluffe des achtzehnten Jahr hunderts an. Ach laſſe hier ben Inhalt beider fol- gen, Damit der Leſer ſelbſt urtheilen könne, wie ber von Miftreß ausgeftreute Saamen in dem beiten Br den fich entwicelte und wuchernd emporfchoß. Died it Die Sabel des Romans, der Mönch: ber bei aller Unbändigfeit der Phentoſie doch ein hohes Zeugniß von geiftiger Schönheit und Kraft ablegt: Ambroſto,

*) Geboren zu Dublin 1782, geftorben daſelbſt ald Geiftlicher im October 1824. The Family of Montorio erſchien zuerſt 1807 in London.

*+) Geboren 1773 in London, geſtorben 1818 auf dem Meere, während der Rückkehr von feinen Beſitzum⸗ gen in Jamaica. The Monk erſchien zuerft 1795. Eini ges in diefem Buche hat er aus Schiller’3 Geifterfeher entlehnt. ine deutſche Meberfegung beforgte F. v. Dertel. Leipzig 1797. 3 Bde. in 8., eine andere erfhien Hamburg 1810.

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Prior ber Dominicaner zu Mabeid, wirb um feiner tiefen Frömmigkeit und feiner glänzenden Eigenſchaf⸗ ten willen, Dermaaßen verehrt, daß Das Volk wähnt, weil ein geheimnißvolles Dunkel feinen Uefprung ver« hüllt, er fei unmittelbar vom Himmel gefommen; feine Sittenftrenge und feine Glaubensſtärke haben ihm ben Huf eines Heiligen erworben. Unerbitt⸗ lich richtend über die Schwächen und Fehler Ande⸗ ter, entbedt er ein Ziebesverhältniß einer jungen Nonne, zeigt es. mitleidslos der Aebtiſſin an und veranlaßt, Daß die Unglüdliche ohne Gnade zu einem ewigen Kerfer verdammt wird. Gr felbit bleibt aber nicht rein in der Verſuchung; ein Novize bed Klo⸗ ers ſchließt fi innig an ihn an, er erkennt in ihm ein fchönes Weib, das ihn von Stufe zu Stufe abwärts führt und ihn zum Falle bringt, Nachdem er an ihren Heizen fich gefättigt hat, wird er ihrer überdrüßig und verliebt fich in ein junges Mädchen, dns von feiner- Mutter forgfältig bewacht wird; Mas thilde felbit giebt ihm Die Mittel an Die Hand, zur Nachtzeit in das Schlafgemach der Jungfrau zu drin⸗ gen. Er wird Dort von ihrer Mutter übersafcht und mit Vorwürfen überhäuft. Er erdroffelt fie aus Ang, daß ihe Gefchrei Beugen herbei rufe und Schande über ihn bringe. Es iſt feine eigene Mutter. Durch die Hinberniffe, Die fich ihm ent⸗ - gegenftellen, noch heftiger in Leidenſchaft entbrannt, laͤßt ex ſich von Mathilden einen Schlaftrunk geben, ben er Antonia beibringt und welder fo wirkt, daß fe für tobt gehalten und in das Grabgewölbe ber

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St. Klarakicche getragen wird, zu bem er ben Schlüfs jel Hat. Er tritt in dem Augenblicke ein, wo fie wieder gu ſich kommt und Faum Herrin ihrer Sinne ift, und ereingt bier troß den Schredniffen des To- bes, Die ihn umgeben, mit Gewalt das Biel feiner Wünfche. Während er aber Das Verbrechen begeht, bat man die Grauſamkeit ber Aebtiffin gegen Die un glükliche Nonne entdeckt und das Volk zündet das Klofter an. Mathilde eilt herbei, um Ambrofio da» von zu benachrichtigen; biefer, um ſich vor Antonia’s Anklagen zu fichern, erbolcht fi. Es war feine Schwefter. Er wird überraſcht, der Inguifition überliefert, auf die Folter gebracht und gefteht alle feine Verbrechen. In den Kerker zurüdgeführt, erfcheint ihm ber Feind der Menfchen und. thut ihm den Vorſchlag, ihn zu befreien, wenn er ihm ſeine Seele verfpricht. Er geht den Vertrag ein und wird von dem Veufel an den Rand des tiefiten Abgruns des der Sierra Morena getragen. Hier. Bält ber Dämon ihm alle feine Miſſethaten vor, fagt ihm, Daß er nur verfprochen, ihn aus dem Kerker zu fühs sen und Daß er ihm nun mit Leib und Seele gehöre, packt ihn bei den Haaren, fliegt mit ihm hoch empor und läßt ihn Dann in bie Tiefe fallen. Ambroſio sollt von Abgrund zu Abgrund und gelangt endlich, gräßlich verftümmelt, an den Hand eines Bergftroms. Aber noch ift Zeben in ihm, nur vermag er fich mit zerfchmetterten Gliedern nicht zu bewegen. So liegt er ſechs Tage unter den fürchterlichften Quaalen, bie heiße Sonne verfengt fein Haupt, Millionen Ins

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ferten nahren fi von dem. Blute feiner Wunden, bie Vögel zerhaden fein Gebein, ein unauslöfchlicher Durft verzehrt ihn, er ift gänzlich unvermögend denſel⸗ ben zu ftillen, und kann doch nicht fterben.- Enblid) am fiebenten Tage erhebt fi ein Sturm, der Bergitrom ſchwillt an, teitt über, erreicht den Ort, wo er liegt, und die Fluthen reißen den Leichnam bes unglück⸗ lichen Mönches mit fich in das Weltmeer hinab. Mathurin’E Roman, die Familie Montorio, fpielt in Neapel im fiebenzehnten Jahrhundert, zur Zeit, wo die Macht der Inquifition in ihrer höch- Ken Blüthe ſtand. Drafio, Das Haupt der Montos tio’8, hat einen Bruder, den er mit Wohlthaten übers häuft, der ihm aber mit den foheuglichiten Verbre⸗ hen lohnt. Durch eine fhändliche Intrigue deſſel⸗ ben, um ihn feiner Güter zu beranben, zu zwiefa⸗ chem Morde verleitet, befleet mit dem Blute feiner Gattin und ihres unfchulbigen Geliebten, flieht Oraſio aus feinem Pallafte und verbirgt fich in den Gebir- gen. Bald darauf erfährt er, daB bie Getödteten ſchuldlos waren und befchließt nun, ſich furchtbar zu tähen. Sein Bruder foll fterben, aber von ber Hand derer, die ihm bie. Theuerſten find, von ber Hand feiner eigenen Söhne. Bon ber Natur geiftig wie Förperlich verſchwenderiſch ausgeftattet, beginnt nun das Haupt der Montorio, feinen Racheplan in Ausführung zu bringen und durchreiſt ben ganzen Drient, um von den Weifen des Morgenlandes Die tiefften. Geheimniffe der. Natur zu erlernen. Nach funfzehnjähriger Abweſenheit Echrt er als Mönch ver-

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Eappt in feinen Pallaſt, den jegt fein Bruder bes wohnt, zurück, benutzt Die ihm allein befannten ges heimen Gänge und Pforten bes Gebäudes, um übers al gegenwästig zu jeyn und, indem eg ben finftern Hberglauben ber Beit benutt, vorzüglich auf feine beiden Reifen fo zu wirken, daß fie das Werkzeug feiner Rache werden. Dies gelingt ihm auch; fie ermorden ihren Bater und nun findet e8 ſich, daß nicht diefer, ſondern Oraſio felbft, ber fie zu dem unerhörten Verbrechen verführt, ihr Vater if. Beide höchſt talentvolle Schriftfteler haben «8 nicht bei dieſen Romanen bewenden laſſen, ſondern noch in mehreren anderen, wie z. B. Lewis in ſei⸗ nen Tales of Terrorrs), Mathurin in Melmath the Wanderer **) u. f. w. eine Reihe von Schreckniſſen gehäuft, wie fie nur die bizarrfte Phantafie zw erſin⸗

*) London 1810. 3 Be. in 12. Die oft fon angeführte Biographie Universelle et Portative des Contemporains giebt Bd. II. &. 293 ein vollfländiges Verzeichniß von Lewis Ehriften mit Ausnahme bei Journal of a West India Proprietor, weldes erft 1834 zu London erſchien und ihn von ber liebenswürdigſten Seite und als einen wahren Philanthropen zeigt.

**) London 1820. 4 vols. in 12. Bel. übe Maturin: Gust. Planche, Portraits Litteraires. Paris 1836. T.L S. 33 fgde., wo fih eine ausführliche Analyfe des Melmoth findet. Eine deutſche Ueberſetzung

des Melmoth von C. v. F. erfchien zu Arnſtadt 1822. 3 Bde. in 8.

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ben im Stande ik. Und dennoch ſtehen fe unter der Rabeliffe, denn es fehlt ihnen die Keufchheit und Unſchuld ber Erfindung dieſer ausgezeichneten Frau. Aus den oben gegebenen Skizzen wird man deutlich erfehen, baß fie richtig fühlten weſſen die Beit für den Roman bebürftig war, aber indem fie e8 zu brin⸗ gen Frachteten, auf einen fait unbegreiflichen Abweg geriethen. Theile durch die Winbftille der Beit, wel- he, wie immer, einem ungeheneren Sturme voran ging, theils aber auch durch die in foldden Perioden natürliche Richtung zur Reflection über Die eigenen, inneren, engbegrenzten und im Ganzen ziemlich farb- Iofen Buflände, war man der gewaltfamen geiitigen Aufregungen entwöhnt worden, und hatte mit gerin- gen Productionskoften das Nächftliegende im Romane, der damals faft allein den eonereten Theil der Poeſie vertrat, fo nach allen Seiten hin auggebestet und. umgewenbet, baß man bis zur nüchternftien Proſa elmählig herab gefunfen war und die Nothwendig⸗ keit einer Eräftigen Reaction fi durch ben eintres tenden Ueberbruß und die gänzlich Dibaetifche Ten⸗ denz, welche alle unmittelbare bichterifche Zeugung lähmt, ankündigte. Man wollte alſo der Phantaſte ihre Weich wiedengerobern, fie ſiegreich wieder in ihr gutes Hecht einfehen, indem man fie im Romane uns» gettört walten ließ. Den Stoff dazu konnten nur ſtarke Leidenſchaften geben, Die Hülfe nur draſtiſche Mittel leihen. Raſche, gewaltige Confliete ber menfchlichen Kräfte boten alſo den paſſendſten und wirkſamſten Gegenſatz und dieſe wurden ergriffen und

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angewandt, aber gemisbraucht und verfchmenbet. Man beachte nicht, daß Ruhe und innere Wahr- heit jedem Kunftwerfe unerläaßlich find, und zeritörte biefe von vorn herein. Darin lag ber große Irrthum dieſer Richtung. Nichts aber iſt gefährlicher, als die Verirrung einer Zeit, die nach dem Rechten ſtrebt; umkehren kann ſie nicht, denn ſie iſt ſtets ſchon zu weit gegangen, ehe ſie das erkennt; ſie muß Seiten⸗ bahnen einſchlagen, um nad) dem erſten Biele zurück zu fommen, über das fie. weit hinaus eilte und eben dadurch tritt oft ein rathlofer Stillftand oder ein ganz fruchtlofes fich Abmühen ein. So war e8 auf) bier; eine Sündfluth folder Schauerromane drohte, Die englifche Literatur zu erfäufen; man führte lockere Damme moralifcher Familiengefhichten Dagegen auf, die deſto ſchaaler waren, je mehr man bort über trieb, und der Roman ſank gegen das Ende des acht- zehnten Jahrhunderts in England unbegreiflich tief. Erf Walter Scott gelang es, Das Rechte zu finden, indem er das Befte beider Richtungen vereinigte; mit Sicherheit und Kraft drang er in die Leidenschaften ber Gefchichte ein und brachte treifende Bilder des Lebens, indem er die Verhältniffe des Einzelnen, Anbedeutenden, Gewöhnlichen, umcbas Außerordent⸗ liche, Ungewöhnliche und Große, das den Mittel- punkt bildete, mit Fünftlerifcher Vollendung und reis ner Wahrheit herum gruppirte und fo Die Aufgabe des Romans nach dieſer Seite hin vollftändig Töfte. - Bet Teichtfertigerer Auffaffung des Lebens und raſcherer Ergreifung des. Augenblickes Hatte ſich in

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Stanfreich der Gegenfag nicht fo fühlbar gemadht, auch war, bei ber Iebhaften Imagination der Frans ‚ofen, das romantifche Element nie ganz ans dem Ro⸗ mane zu verbrängen geweien, fondern hatte immer eine, wenn auch untergeordnete Buthat bleiben müſ⸗ fen. Die Beweije dafür finden ſich vielfach in Den franzöfifchen Romanen; um einen für viele zu geben, erinnere ich nur an Lopzinski's Gefchichte im Faublas. Man wandte fich daher auch gern von Beit zu Beit dem hiſtoriſchen Nomane, wie man ihn damals aufs faßte, wieder zu: konnte man Doch auch bier dem Sentimentalen, das man als meralifch dem Frivolen entgegen ftellte, im Kampfe der beiden Partheien zu⸗ gleich mit Huldigen. Als Vorbild für. dDiefe Seiten richtung tft befonders Marmontel*) zu nennen, der mit abfichtlicher moralifcher Tendenz hiſtoriſche Stoffe im Romane behandelte. Sein Belisaire, welcher zuerft 1766 erjchien **) und der Roman Les Incas #**), ber eilf Jahre jpäter heraus Fam, wurben ſehr be⸗

#) Geboren am 11. Juli 1723 zu Vort, geftorben am 31. December 1799 zu Abloville. Er bat bekannt» ih Denfwürdigkeiten Binterlafien (Memoires d’un pere pour servir à linstruction de ses enfans. Paris 1804), welhe viel Falſches und Parabores enthalten, aber für bie Kenntniß der damaligen Literatur nicht ohne Ins terefie find.

**) Paris. 1 Bd. in 8. und 12,

**#) Paris 1777. 2 vols. in 8. Deutſch von Bode, Frankfurt 1783. 2 Thle. in 8,

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wundert, aber eigentlich wohl mehr bewundert, als wirflich gelefen. In dem erfteren behandelt er bie Schickſale des Belifar, fo daß fie eigentlich nur den Kahmen zu einem Compendium ber Moral bilden, und zwar einer ziemlich orthoboren Moral, im zwei ten fchildert er den Untergang bes peruanifchen Reis ches unter ben Inka's, mit dem boppelten Bwede: gu beffern und zu unterrichten. Das Buch iſt Daher gegen ben religidjen Fanatismus .gerichtet, erzählt aber auch zugleich die Gefchichte von Merico und Peru zur Beit dee abenblänbifchen Eroberer. Beide Bücher, fo fehr fie auch zu ihrer Beit gepriefen wur» den, find nichts weniger als gute Romane und nur ſehr ſchwache moralifche Abhandlungen. Marmontel war ein Rhetor; was man von einem Splchen ver langen Fann, findet man auch bei ihm, wenn gleich mehr oder weniger; jenes vorzüglich in Allem, was die Eleganz und Eorrectheit des Styls, Die ausge arbeitete Darftellung, die genaue Schilderung betrifft; diefes in feinem Raifonnement, denn feine Entwides lungen find oft unvollftändig und feine Dialectik ſchaal und oberflächlich.

Mit weit größerem und feinerem Kunftgefühle, fo wie reicherer Erfindung faßte Florians) Dagegen das Hiftorifche Element für den Roman auf, zugleich den moralifhen Zweck nicht aus den Augen verlies rend ,‚ obwohl er ihn mit richtiger Beſchrãnkung der

*) Geboren zu Florian am 6. März 1708, geſtor⸗ ben am 13. September 1794.

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Gabel und ihrer Behanblung unterzuorbnnen wußte, Pur blieb er in ber Haltung und in dem Zone. bes Mehrheit des eigentlichen Lebens zu fern und feine . Romane find mehr eine untergeordnete Gattung voy Gpopden -in Profa, eine Bwitterart, welche die, chen toriſchen Franzoſen von jeher nicht ungern anbauten, obwohl fie nie recht klar darüher wurden, was ‚hier eigentlich zu leiten. fei. Er trat zuerft mit einer freien Bearbeitung ber Galaten bes Gervantes anf, der er einen Schluß von eigner Erfindung hinzu⸗ fügte, da der fpanifche Dichter fein Merk unvollen- det gelaffen und erwarb ſich großen Beifall. Damit fowohl, wie mit einem zweiten Schäferromane, Estele*), den er fpäter fchrieb. Erweitert bat ex diefes Genre nicht, ſondern nur nad) dem reineren Geſchmacke feiner Zeit daſſelbe behandelt und alle po⸗ Iitifchen und focialen Ullegorieen, wie fie früher un der Tagesordnung geweſen, aus feinen Paſtoralen verbannt. Sein Talent war nur ein Miniaturta⸗ Int; das Barte, Naive, Anmuthige, Beſchränkte zu ſchildern, gelang ihm vollfommen, aber die Leiden⸗ haften mit ihrer ganzen Ziefe blieben ihm fern, Sein nächſter Verfuh, mit Fenelon zu mwetteifern and in feinem Numa Sompilius**) ein Seitenftüd zum Zelemach zu liefern, misglüdte ihm daher. Gr tape weber. mit hiſtoriſchem Blice die Zeit aufzu⸗

Galatee erſchien zuerſt art 1783. Eistee Paris 1788. Beide 1 Bo. in 18. **) Baris 1786;

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fallen, noch einen großartigen Character großartig zu zeichnen. Numa ift ein ganz Honetter, wohl» wollender Fürft, den die Liebe mehr befchäftigt, als die Sorgen der Regierung, wodurch denn natärlid am Ende verzweifelt wenig Heraus kommt. Nicht viel höher ſchwang fi Florian in feinem Gonsalve de Cordone ou Grenade reconquise*), in welchen eine ziemlich" Tentimentale Liebe die Hauptſache bils det und ber gewaltige letzte Kampf der Mauren nur als eine Staffage erfcheint. Aeußerlich ift an dem Bude eigentlich Nichts zu tadeln, der Plan gut an gelegt, Die Handlung eonfequent durchgeführt, der Geld intereffant, die Epifoden gut damit verwebt, die übrigen Perfonen richtig gezeichnet, und Doch läßt das Wer? Ealt aus dem oben angeführten allgemeinen Grunde und die gefchichtliche Einleitung Aber die Mauren if dns Beſte daran. Weit bedeutender erfeheint Florian's letztes Werk, Guillaume Tell ou la Suisse libre**); man fieht, daB die gigantifchen Ereigniſſe der Revolution fein fanftes und friedliches Gemüth heftig erfchüttert haben, und daß er fi ernftlich bemüht, auf poetiſchem Wege mit fich felbit

*) Paris 1791. 2. Bde. in 8. Deutſch von Baur. Berlin 1793 und von Krug von Nidda, Leipzig 1816. Dies in Frankreich jebt ganz vergeffene Buch erlebte fogar die Ehre einer Ueberfegung in das Dänifche. En genhagen 1800 1801. 2 Bbe. in 8. -

**) Paris 1794. Deutfh von 8. H. Seyfried. Pirna 1802. und von 8. Bad. Eifenberg 1824.

in dab Klare Über bie gegen einander Fämpfenben Ins tereffen der Beit zu kommen, doch nähert ſich biefes Buch teog feinen raſchen und für Florian ungewöhn⸗ lich rauhen Styl, noch mehr dem Epos, als feine früheren Acheiten. Aus allen feinen Schriften blickt aber eine große Liebenswüurdigkeit, Redlichkeit und Bertheit hervor; fein Styl ift elegant und correct. Aus dieſem Grunde iſt er ange ber Dichter der wohl⸗ gezogenen franzöſiſchen Jugend gewefen und fpäter auch der Franzöſtſch lernenden deutſchen Jugend gewor⸗ den; man kann ihr auch nicht leicht etwas Unſchul⸗ digeres, Anmuthigeres und leichter Unterhaltendes in die Hände geben, und ſo mag ſie denn immerhin ihre erſten höheren Studien der Weltſprache mit ihm beginnen. Wir haben freilich hier mehr von ihm zu verlangen, aber da er es nun einmal nicht leiſtet, fo dürfen wir ihm auch nicht zürnen. Ein tieferer Geiſt Hätte allerdings mehr aus diefem feinen und fauberen Genre machen Fönnen.

Den alten Ritterroman führte mit Wit, Fein⸗ heit, großer Vorliebe und Gefchmad ungefähr um biefefbe Beit der Graf von Trefian*) wieder ein, in⸗ dem er fowohl den Amadis nad) den Forderungen der damaligen Beit, wie auch anbere chevaleresfe Hi⸗ ſtorien geiftreich bearbeitete. Aehnliche Werbienfte erwarb fi de Mayer, einee der Herausgeber ber befannten Bibliotheque universelle des Romans; er batte das Verdienſt vor de Treſſan voraus, daß er

*) Geboren 1705, geſtorben 1782. 28

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aränbäidgere und nußgebreitetere Kenniniſſe beſaß und noch befiere Stoffe zu wählen verſtand, doch ſteht er ihm an Leichtigkeit ber Behanblung, Anmuth und Eleganz beveutent nach e). Diefe Ritterromane wur⸗ ben im Ganzen gern mb viel, namentlach am fran⸗ zoſtſchen Hofe, gelefen, doch übten fie meitze keinen bleibenben Ginfiuß aus, wenn auch gleich einige fpi- tere Scheiftfieller, wie 3.8. Frau non Genlis, von der weiten unten bie Rede ſeyn wird, ſich in Dri ginalerfindungen für dieſes Genre verfuchten,

enden wir uns nun zu Deutſchlaud, wo ber Roman fich verhaͤltnißmaͤßig weit mehr ausbreitete, als bei Den anderen Matipnen. Ach habe ſchon frür ber bemerkt, daß die Stünmer unb Dränger in un⸗ ferer Literatur ſich feiner wicht emtichieben bemäch⸗ tigten. Nur ein Dann ifb hier hervor zu heben, ber alle Kämpfe, Die ex mit Dem Leben, mie wit ſich felbft zu beſtehen hatte, anf Das Pearguanteite in feinen Romanen wieber abfplegelte. Dies ift Eine the’8 Jugendfreund, Klinger. (he mir jedoch zu bemfelben übergehen, habın wir vor Allem Wie⸗ land’s Romane**) zu betrachten, welche in mehr als

*) Bon ihm iſt u. A. Gendviere de Commomaille et ie Memoisel sang nom, Landres (Rheine) 1784. Mehrere feiner hiſtoriſcher Nomaue aberſette Br. Schulz Deimas 1790.

*) Des Syloia von Noſalea. 1764. parken 1766. Der goldenene Spiegel. 1772. Die Abderiten. 1774. Peregrinus Protens. 1791.

einer Hinſicht Worläufer der Michtung bildeten, ber ſich Klinger fo eutſchieden hingab, nur Daß fie bei Wieland als bie Reſultate ſchwankender Uebergänge erſcheinen, während ſie hier bie Früchte und Zeichen eines errungenen Sieges find. Es iſt bekannt, daß Wieland's ſaͤmmtliche Leiſtungen ſich um und zwiſchen zwei Begenfäpen bewegen, welche das damals fi) innerlich ſo eigenthümlich geſtaltende Leben ihm auf⸗ draͤngte. Dieſe Gegenſätze waren akceetiſche Strenge und lüſterne Frivolität. Den Uebergang bilden Ver⸗ ſuche, den Porſie neue Reiche zu eröffnen, um in die⸗ ſen das Rechte zu finden. Er ſtrebte danach, Leben, perſonliche Goſinnung und ZTalent in Einkleng zu bringen, ihm fehlte aber Pie productive Originalität, die feine außerordentlichen Gaben für die dichteriſche Behandlung feember Stoffe nicht zu erfegen vermoch⸗ sen, und fo griff er im unklaren Gefühle dieſes Mangels zu feinen fubiertiven Empfindungen, wm bie Lücke anszufüllen und ein vollftändiges Kunftwerk hervor zu bringen. Daher wirkte fremder Ginfluß fo Teiche auf ihn, und erft hinterher Fam er zum Be⸗ wußtſeyn des Irrthums nub zum Kampfe darüber mit ſich ſellbſt. Aus dieſem Conflict nun find vor⸗ zůglich alle feine Romane entfprungen, mie bei Goethe, eine Selbſtbeichte aber nicht über Die Witkung ber Beit. auf Den Dichter, ſondern über feine Dishar⸗

Agathodaͤmon. 47B8. Ariſtipp. 1801. Menan⸗ der und Glycernon. 1604. Krates und Sipparaie, 1800 5 | | 28 *

436 monie mit ihr. Dazu Fam, daß er zu weitſchwriſig gebildet, über das, worauf e8 zunächft ankam, Hin weg ſah, oder fich einer Brille für Kurzfichtige be⸗ diente, um ganz nahe Liegendes zu betrachten. Bu gleicher Beit bewundert und von verfchiebenen Sei⸗ ten ber heftig angegriffen, follten feine nächften poe⸗ tifchen-Producte Beugen und Beweife feyn von ber Zauterkeit feiner Gefinnungen und feiner perfönlichen Rechtſchaffenheit. Die fohlechte deutſche Gewohnheit, den Maaßſtab der Moral an ein Kunſtwerk zu legen und der Tendenz die Schönheit unterzuordnen, machte ihn befangen; er glaubte ſich vor ſeiner Zeit recht⸗ fertigen zu müſſen und begriff nicht, daß ein echter Dichter in ſeinem Streben ſtets über aller Zeit ſtehen muß, und daß, wer ſeiner Zeit nachgiebig gehorcht, ſich herabſetzt. Um nun Beides zu vereinen, dem Tage Rede zu ſtehen und zugleich im Reiche der Dicht⸗ kunſt zu bleiben, um ſubjectiv für ſich zu plaidiren und objectiv dabei zu ſchaffen, wandte er ſich dem kaum erſchloſſenen Griechenthume und ber römifchen Zeit nahe dem Chriſtenthume zu, die er beide doch nur oberflächlich kannte und nicht rein, ſondern nur bloß franzöſirt wieder zu. geben vermochte. So entſtand ſein Agathon, ſein Ariſtipp, ſein Peregrinus Pro⸗ tens, ſelbſt ſeine Abderiten, nur daß er in den letzteren den Spieß umwandte und ſeinen Gegnern, angreifend, die Spitze vorhielt, während er ſie ſonſt

nur mit dem Schafte friedliebend von ſich abwehrte.

So ſehr Daher: feine Romane damals auch geſielen und ſo viel ſie auch geleſen wurden, ſo war ihre

437 .

Wirkung doch Peine entfchiebene, bleibende. Dies ging ganz natürlich zu; ein innerer poetifcher Drang, eine gebietende Naturnothwendigkeit, bie zum dich⸗ terifchen Beugen zwingt wie zum phufifchen, brachte fie nicht hervor, fie waren nicht Die Kinder einer Ehe zwifchen der Phantafle und dem Gemüthe, fon« dern zwifchen der Phantaſie und dem Berftande; der Letztere hatte Die Einbildungskraft zur Frau ge⸗ wählt, weil er glaubte, am Beſten mit ihr fortzu- fommen. Goethe gab der Zeit in feinem Werther Kechenfchaft über ihr eigenes Selbſt; darin liegt es. Wieland hat Dagegen ausdrücklich im Agathon ange» zeigt und auch in feinen anderen Romanen ſtarke Ans beutungen gegeben, daß er nur fid) meine. Seine Phis Iofophie *) war e8, bie. er entwickeln wollte, und das folte eben fo practifch und unfyftematifch, wie Diele feldft war, gefchehen. Alle Dazu nothwendigen Er» finnungen konnten Daher nicht freier Dichterifcher Wills für, Die auf innerer, tieferer Nothwendigkeit beruht, entfpringen, fonbern mußten, beftimmten Bweden dienftbar, künſtlich geftaltet zufammen geftellt wer⸗ den. Dazu war ihm ber alte griechifche Roman mit ſeiner Anhäufung von Abenteuern, feinem häufigen Wechſel der Begebenheiten, feinen Sprüngen in den Situationen die paffendfte Form, Denn er. wollte nicht eine Lebenswahrheit in ennfequentefter Durch⸗

*8) Dieſe war aber keinesweges ſelbſtſtändig und neu, ſondern von Griechen und Franzoſen zuſammengeborgt. Vgl. Schloſſer a. a. OD. IL, 603 fgde.

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führung aus dem Leben ſelbſt entwideln, fonden alle gewonnenen, vermeintlichen Wahrheiten feines Lebens. Run war Wieland aber weder einig mit fich ſelbſt, noch in fich fertig, und fo mußten gerade in dieſer Beziehung. alle feine derartigen Berfuce misglüdfen. Der eigentliche Roman in feiner tieferen Bedeutung hat Durch ihn auch Nichts gewannen, die Darftellung dagegen viel; er brachte Feinheit, Les benbigfeit, Anfchaulichkeit und fpäter auch, nament⸗ lich in feinem Wriftipp, ſcharfe Characterzeichnung hinein, aber feine vielgefchäftige Tendenz nnd feine ſchwankende Auffaffung der Erfcheinungen des Lebens, die ihn eben fo gern eyniſch ſeyn ließ, als er kun vorher rigoriftifch und graziös geweſen, paralyfirien alle färfere Wirkung und Tießen ihn allein ſtehen bleiben mit feinen Produeten, au einer Beit, wo es gerade fo leicht war, für jedes Talent und jede neue Richtung fich zum Mittelpunkte Strebender zu machen.

Durchaus anders und bach in gewiſſer Hiuſicht auf verwandte Weife ergriff Klinger den Roman. Um ganz würbigen zu Finnen, was er weite und was er leiftete, müſſen wir einen raſchen Blick auf fein Leben werfen. Geboren zu Frankfurt am Mein im Jahre 1753, erhielt ex eine wiſſenſchaftliche Bil⸗ Dung auf ber dortigen geleßrten Schule, ſtudirte dam die Rechte in Gießen und warb, da ſich theils kein befieres Unterkommen für ihn fund, theilt eigene Reizung ihn dahin führte, Theaterſecretair Bei dit Seyler’fchen Schanſpitlergeſellſchaft. Er wohnte dar.

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auf 1778 als. Offteier In. öftreichifchen Dienften dem baierifchen Sueereffionstriege bei. _ Als das Freicorps, gu dem er gehörte, ſpüter aufgelöſt wurbe, Ichte er eine Beitlang vanı Ertrage feiner ſchriftſtelleriſchen Arbeiten und trat bann in ruffifche Dienfte, bes gleitete den damaligen Großfürſt Paul auf Reifen und ftieg bei feiner Rückkehr nach Rußland von Stufe zu Stufe, bi8 er 1820 ald General feinen Abſchied nahm und ſich von Allem zurück zog, da fchwere Fa» milienkeiden ihm bie Einſamkeit wünſchenswerth ge- macht haften. . Er ſtarb 1831. Seine jämmtlichen Werke erſchienen 1809, Bus feine Jugendzeit kann von uns hier in Betracht gezogen werden, da feine Romane *) Die Frucht Derfelben find. Won der in jener Epoche und in jenen Kreiſen, zu Denen Klin⸗ ger gehörte, vorherrſchenden Stimmung und Rich⸗ tung hat uns Gosthe**) in feiner Autobiographie eine ausführliche und genaue Schilderung hinterlaſſen. Es mar damals ein allgemeines Streben, zu wirken

*) Prinz Formoſa's Fidelbogen u. ſ. w. Baſel 1780,

2 Ahle, Bambino. Umgearbeitete Ausgabe. Leip⸗ zig 1791. 4 Thle. Raphaele be Aquilas. Altona 17%, Sahir. Leipzig 1708. Geſchichte eines Deutſchen der neuerſten Zeit. Leipzig 1798. Giafar der Barmecide. Altone 1708. Fauſt der Morgen⸗ lönder. Bagdad (ELeipzig) 4798. Fanpſt's Keden, Zhaten und Hollenfahrt. Leipzig 1709.

60) Wahrheit und Dichtang, 13. und Geſondera öber Klinger) 14. Boch.

unb neu gu geftalten, bei der Jugend. Jeder Einzelne ward ſich feiner Kräfte unter dem Drucke fo ſehr be» wußt, daß er ſie überfchägte. Es fehlte aber an einem Mittelpunfte, dem er fie hätte zumenben kön⸗ nen und fo zerfplitterte man ſich leicht ober gerieth auf eine falfche Bahn, da das Nächſte und Unmittel- barſte, das patriotifch=politifche Intereſſe in Deutſch⸗ land nicht vorhanden ſeyn konnte. Diejenigen nun, bie nach politifchen Tendenzen ftrebten und ihrer bes bürftig waren, wandten ſich in deren Ermangelung. dem Kosmppolitismus zu, welcher an ber Tagesord⸗ nung war und allgemein, namentlich von Frankreich aus, angeregt wurde. Bu ber Fraction, welche bie Schöne Literatur befonders als Vehikel benutzte, um thre Syfteme auf theoretifchen Wege fo practifch wie möglich in das Leben und unter die Leute zu brin- gen, gehörte vor Allen Klinger, reich an Fähigkeit und Phantafte, mit ſtarkem Willen ausgerüftet, voll edlen Bornes über die Wichtigkeit und Erbärmkichkeit feiner Beit und feiner Umgebung, aber zu unzuftie- den mit dem Beitehenden und in feiner Unzufrieden⸗ beit zu heftig. Won dem revolutionären Drange, der in jener Epoche lag, ergriffen wie wenig Anbere, aber wie Alle nur auf ummälzende Wirkfamkeit in ber fchönen Literatur, die zugleich Damals Mittel und Zweck feyn mußte, befchräntt, wandte er zu dra⸗ ſtiſche Mittel an, um feinem Biele entgegen zu eilen und zeritörte den reinen Effect feiner Fünftlerifchen Leiſtungen durch feinen Mangel an Ruhe, den er durch ſchroffes Raiſonnement, welches nie geeignet

Lid

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it, eine fo entſtandene Lücke auszufüllen, fuchte zu erfegen. Durch den entfchlebenften Eontraft von Licht und Schatten, Durch bie markirteſte Darftellung des Antagoniamns zwifchen Ideal und. Wirklichkeit in allen rohen Gegenſätzen, wie fie ber Verſtand aus dem. Leben heraus ri, ohne Uebergänge und Ver⸗ mittelusigen gelten zu laſſen, wollte er in poetiſcher vorm wirken, da man bamald zur Menge nur auf biefem Wege reden Fonnte, wenn man gehört wers ben wollte. Er ging aber zu heftig, zu gewaltfam zu Werke, jchilberte mit zu ftarfen, häufig mit grels len Farben, vergeiff ſich in ben Motiven und ver» fehlte die Wirkung: denn Die Aufgaben, die er Löfen wollte, entwidelten fich nicht klar und beftinmt vor dem Leſer, und biefer, wenn er nicht fehe burchger bildet war, las überall nicht viel mehr als Klinger’8 farre, Karte, farkaftifche Perfünlichkeit heraus, Die fih zwar mitunter bis zur Ironie mildern, aber nie die Verachtung verbergen kann, von ber fie ſtets bis zum Ueberlaufen erfüllt it. Daſſelbe Theorem, das etwas früher und noch gleichzeitig Die Franzofen fo ſehr befchäftigt hatte, mit dem ſie aber Tpielend gleich- fom fertig zu werben fuchten, wie z.B. Diderot im Jaeques le .Fataliste und Voltaire im Candide, der Peſſtmismus des Menfchengefchlechtes ber anfcheinen« ben Pafftvität der Gottheit gegen über und Die durch diefen Gegenſatz erzeugte Skepfts beichäftigte auch ihn vor Allem und bildete,. nad) den verichiedenften Seiten Hin betrachtet und behandelt, die Grundidee feiner. Romane. . Aber. er vermag biefe Diſſonanz

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auf Feine Weiſe verſoͤhnend zu Isfen, ſelbſt nicht durch die eigene Eharacterftärke, bie zuletzt bei folchen Zwei⸗ fen das einzige moralifche Rettungsmittel Bleibt und Daher. find feine ſaͤmmtlichen Leiltungen im Ganzen boch fo wirkungslos geblieben. Alle feine Romane denn mit Diefen haben wir es allein zu thun And fo ganz und gar Tendenzromane, daß bie Poeſie ſtets Durch fie und in ihnen leidet, vom Bambino an bis zum Fauft herunter, troß allen einzelnen gros Ben Schönheiten, erhabenen Gebanfen, guten Situas tionen, kurz, trotz Allem, was in biefer Hinficht als gelungen an einem Kunftwerfe zu loben ift; man vers mißt zwei nothwendige Dinge zu fehr, bie fubjestive Heiterkeit als Tochter philofephifcher Klarheit und Ruhe and die puetifche Natürlichkeit. Um feinen Bwe zu erreichen, muß er zu oft Fünfllich geftalten und thut das ſtets zu heftig, ſogar oberflächlich, wie 1.2. in feinem Fauſt, mo es zum Gemeinfken, zur osbinären Wolluſt greift, um ben Untergang zu mo⸗ tiviren; ein fo orbinärer Geſell, wie fein Fauſt, iſt aber gar nicht einmal werth, Daß ihn der Zeufel Holt, wenn biefem Daran liegt, ſolche Leute, wie ben Goethe'ſchen Fauſt, zu holen. Huf die Ausbil tung deB Romans Haben feine NRomane daher aud) feinen Einfluß geäußert, Das große Publicum ber Unzufriedenen las fie, aber der kleinſte Theil dieſes Publicums verſtand dieſelben. Klinger if eigentlich

Fein Dichter; fein Talent liegt in feinem Character. Der große Fehler jener Beit aber war, daß Alle dichten wollten und bie Wenigſten Dichter waren.

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Der allgemeine Mangel an ſyſtematiſcher, philoſophi⸗ ſcher Durchbildung trug damals die Shut. Man wußte ſich des Andranges ber Iheen-nicdht zu erweh⸗ zen und vergriff fih in ben Mitteln fie darzu⸗ ftellen.

Bon verwandten Stechen geleitet benn ber Drang nad geiftiges Freiheit im wirklichen Leben, war die Beranlaffung bei den Meiſten, fich im Ro⸗ mane mit ihrer ganzen Geſinnung auszufprechen und das Ei, über dem die Zeit danals bänglich brütete aber poetifches Löfang weit näher kommend, behan⸗ delte Heinſer) den Roman und fchrieb feinen Ar⸗ dinghello **) und feine Hildegard von Hahenthal***), Auch in ibm offenbarte fich der Eonfliet bes Ideals und ber Wirklichkeit auf das Entfchiebenfte, aber von innerer Sittlichkeit fern (denn mie Eonnte ber fittlichen Adel haben, der feine fchriftktellerifche Lauf⸗ bahn mit einer Ueberſezung bes Petronius *+**) bes gann 7) famguiniichen Temperaments und niedrige Sinnlichkeit vechüllend mit ber Luft an. ber fchönen Kunſt und ber noch ſchöneten Natur bes Antike,

*) Gebacen am 16. Februar 1749 zu Langenwieſen bei Imenan, geſtorben am 22. Juli (Juni) 1803 in Aſchaffenburg. Eine Ausgabe fehter ſaͤmmtlichen Werke beſorgte P. Laube. Leipzig 1830. 8 Bor. in 8.

=, Lemgo 17687. 2 Ahle. in 8. u. 6.

4%) Berlin 1285-96, 2 Bin. in 8.

. BAY 98: MWegebechriten des Enfely. Rom (Schwabe) 1775: 2 Um in .

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fuchte er ebenfalls im Romane feine Weltanſicht nie⸗ der zu legen und. feine aus griechifcher Lebensan⸗ ſchauung und modernem Eynismus zufammen geſetzte Theorie, fo gut e8 ging, poetifch zu verkörpern. Am Allgemeinen ift ihm das, namentlich in einzel» nen 'Parthieen wohl gelungen und ihm Feuer der Darftellung und phyſiſche Wichtigkeit nicht abzufpres den; .näher betrachtet ficht man aber doch gleich buch, daß Theorie und Praxis ſich Feinesweges fo durchdringen, um ein innig zuſammen hängendes Banze zu bilden und in voller Wirklichkeit des Le bens da zu ftehen. Den Beweis dafür hat ein. pe eulativer Buchhändler am Schlagendften geliefert, der die Seinfe’fhe Theorie aus dem Romane Ars dinghello heraus fchälte und dieſe für fi) und den gefchichtlichen Faden auch für ſich abdrucken lieh, wor mit das Publicum ſehr wohl zufrieden war. Noch förender tritt Diele Getrenntheit in. der Hildegard von Hohenthal hervor, wo bie miferable Geilheit ‚eines talentoollen,. aber Tieberlichen Muſikers den Rahmen um eine fortlaufende Weihe von zufammen hängenden muftfalifchen Eharacteriftifen und Krititen bildet und das Ganze nun als ein vollftändiger Ro⸗ man gelten fol, der nicht einmal confequent durch⸗ geführt fondern zulegt plump über das Knie ge brochen. wird. Huf den Roman ſelbſt iſt Heinfe in- beffen nicht ohne nachwirkenden Einfluß geblichen; er war e8, der zuerſt Die entfchiedenften Aeußerungen geſchlechtlicher Sinnlichkeit mit Güppiger Phantafte, glühender Darftellung, Tänftloeifcher Schönheit. und

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einer unbefangenen, wie aus innerer Nothwendigkeit entſpringenden Naivetät in denſelben einführte, uab der freien Behandlung ſolcher Objecte und Momente die Bahn brach, indem er der phyſtſchen Aeußerung wahrer Leidenſchaft das Recht der unverhüllten Er⸗ ſcheinung zu exringen wußte. Darin ſteht er hoch über den Franzoſen, daß er ſich, ſelbſt in ber Hil⸗ degard von Hohenthal, von allem Haffinement frei erhielt, und Diefe Seite des Lebens offen und Far, wie jede andere behandelte. Er fand hierin ſowohl direete Nachahmer, d. h. ſolche, Die ſeiner ganzen: Weiſe folgten*), wie inbirecte, bie dieſe Freiheit‘ der Behandlung benugten und im. Romane behaupte⸗ ten, was vorzüglich von der romantifchen Schule unb fpäfer noch von dem fogenennten jungen Deutfchland- abſichtlich und nicht ohne Erfolg gefchah**),

Die Behandlung Des in ber Beit liegenden Wis derſpruchs zwifchen Ideal und Wirklichkeit, ber fo Iebhaft und anhaltend Die Gemüther befchäftigte, fand unbedingt ihre paffendite und bequemſte Werkftätte' im bumoriftifchen Romane, und e8 wäre zu verwun« dern, baß wir fo wenig biefer Gattung aufzuweiſen haben, wenn biefelbe nicht eine fo hohe Meifterfchaft vorausſetzte. Nur zwei Männer wibneten ſich ihr,

+), So z. B. F. W. 2 Meyer (der Biograph Schro⸗ der's) in feiner Fiormona oder Briefe aus Italien, Ber⸗ lin 1806. 3. Auflage 1829.

) Del. übes Heinſe, Laube's Vorrede zu ben fan lichen Schriften. Bd. 4.8. I-LALE.. ..

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aber auch mit bem glänzenbfien Erfolge, Hippel und Jean Paul. Der. Grftere, ber Ach Sterne zum Muſter nahm, allein auf biefer Bahn Dach und Ne⸗ beumwege einſchlug, gab dem. Romane zuerſt eins Breis beit der Behandlung, welche derſelbe in Deutichland med nicht erfahren, indem er alle Gegenſtünde, bie ihn intereflicten, iu ben Kreis hinein zog umb feine Laune unbeſchraͤnkt walten lief. Der Roman ſelhſt gewann babei Nichts, ſondern verlor ſogar, denn durch dieſe Art and Weiſe der Auffafſung, im wel⸗ cher die ſubjeetive Darſtellung auf Koſten ber objeeti⸗ ven vorherrſchte, kam eine Zerfloſſenheit hinein, bie fein eigentliches Weſen zerſtoͤrte, indem fle bie To⸗ talwirkung und deren Einheit lähmte, je fa: gan aufhob. Die. humoriſtiſche Auffaſſung des Sehens ge⸗ wann dagegen durch Hippel“) außerordeatlich; ex be⸗ handelte nicht bloß bie gewöhnfichen Grfcheinungen und Wegenfähe des Lebens, fonbern auch bie tieferen unb verfuchte ihre Loͤſung und Ausgleichung namenilich dadurch, daß er bie Ergebniſſe einen nenen Philoſe⸗ phie, bie zu ben wichtigften Erzeugniffen jener Beit gehört, ber. Kantifchen nämlich, wicht allein bazu bes nupte, ſondern es ſich auch angelegen ſeyn ließ, dies ——n

*) Theodor Bottlieb von Hippel ward 174 su Ger dauen in Oſtpreußen geboren und ſtarb 1796 als ges heimer Kriegsrath und Gtudipsäfibent zu Kamigäberg. Mol. über ihn feine Autobiographie in Schlichtogroll'a Nekrolog für 1298. w. 97. Gotha 1800. -- Giypel's fümmtliche Werde erſchienen Verlin 1827. i2 Bbe. in 8.

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ſelben bier populär und allgemein verftäublid dem größeren Publicum zuzuführen. Dabei wies er ale Sülfemittel, welche namentlich in biefer Form beim Sumoriften zu Gebote chen, ‚nicht von ſich ab, fon« deen wußte Wit und Laune, Spatt und Boru eben fo weife gu vertheilen und zu gebrauchen, ala er zur Erreichung feiner Zwecke zu dem Sentimentalen, ja ſelbſt zu Dem höchſten Ernſte ber Wiſſenſchaft feine Zuſtucht nehm. Man hat ihm unegemorfen, es fehle ihm an Gemüth, aber mit Unrecht; nur wer er, wie wir das aus feinem Leben wiſſen, eine höchſt fellfame und wunderliche Miſchung non Gegenfühen, bei deren beſtändigem Kampfe der Verſtand immer: ver Aungſchlag gebe mußte; Deshalb herrſcht aud) biefer meift in: feinen Werken vor und folgt foR im⸗ ‚mer den Aenßerungen bes Gefühls unmittelbar auf dem Fuße uch. Die Erfindung der Yabel Hit ihm, wie immer dem Humoriſtiker, Nebenſache, und er behandelt fie Daher auch ſtets mit geoßer Einfachheit; aber feine Eharartere fiub gut gezeichnet und beur⸗ Funden zugleich ben Dichter, den feinen. Menbachter und dem erfahrenen Weltmann. Gein beftes Buch ik unbebings die Echrift über bie Ehe, die uns jedoch hier nicht berichrt. Von feinen beiten Romanen find bie Zebensläufe*) Den Kreuz s und Queerzũgen **)

*) gesenaläufe noch aufſteigender Linie. Berlin 1778 bis 81. 3 Ahle.

22) Kreuz⸗ unb Dnsergüge des Nutert Berlin 1703 94. 2 Shle,

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vorzuziehen; Diefe behandeln mehr Verirrungen fei- ner Beit, jene allgemeinere. Sein Styl ift übrigens aicht immer zu loben; er läßt fi zu oft gehen unb wird dadurch Häufig nadhläffig und incorrert. Seine Bäder machten übrigens zu ihrer Beit großes Auf fehen und es iſt befannt, daß er bis an feinen Tod hartnädig und ängftlid Die Anonymität bewahrte. as Jean Paul war und geleitet hat, if fe allgemein anerkannt, fo vielfach beſprochen worden, Daß eine neue Entwidelung überflüffig erfcheint *). Es möge bier alfo nur das Röthigfte in ſtrengſter Nückſicht auf den vorliegenden Zweck dieſes Buche angebeutet werben. Er erweiterte daB Gebiet des humoriftifchen Romans, wie es bisher noch nicht ge fchehen war, indem er alle Grenzen aufhob und alle Reiche ber Poeſie und der Philoſophie für feine Zwecke ausbeutete, aber er befchränfte ihr auch, weil ee man erlaube mir den etwas niederen Aus⸗ druck nie fich felbft Tas werben konnte; ein Feh⸗ ler, an bem Hippel auch litt und ber echt deutſch zu ſeyn fcheint, welcher aber bei Jean Paul größe ren Zadel verdient, weil Jean Paul ein weit grö⸗ ferer Dichter war und ein ewig flegreicher Heros feyn würde, wenn er ihn von fich .abgefkreift Hätte.

*) Die befte Biographie Sean Paul's, zugleich als Commentar zu feinen Schriften ‚lieferte fein Neffe Spa zier: Jean Paul Friedrih Richter. Ein biographiſcher Eommentar zu deſſen Werken. Wohlfeile Ausgabe in einem Bande. Leipzig 1836.

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Wie wie bei Sippel immer. den höheren Beamten fehen, ber über die Miſeren des bürgerlichen Klein« lebens zürnt, fo finden wir in Iean Paul ſtets den armen Kandidaten, der über fle weint. Die größten Schätze des Genius verfchwendet er an Die Daritel« Ing der jämmerlichiten Drangfale fpießbürgerlichfter Buftände, wie z. B. in feinen Frucht» und Dornen⸗ füden, wo ein: Potoſt von Empfindungen und Bil- been ansgebeutet wird, um Lenettens und ihres Gat⸗ ten Geldnoth und das Verſetzen von Hausrath und Kühenutenftlien zu ſchildern. Ein noch größerer Fehler ift jedoch bei Weitem Die ſchwankende und un« fihere Beichnung feiner Charactere; fie find in Ein» zelnheiten ſehr fhön, aber in ihrem Ganzen gemacht, übertrieben und zu Beiten felbft unwahr; aber man muß doch in ihnen den Dichter, der fie ſchuf, bewun⸗ dern, den Menfchen, der fie empfand, verehren. Es it in Jean Paul, abgefehen von feiner feltenen Ges nialität, ein fo hoher Adel der Geflunung, eine fo unendliche Liebenswürdigkeit und ein fo echter und gediegener Liberalismus, daß -wir ihn ſtets als das Ideal eines wahrhaft deutſchen Characters aufftellen und, anderen Nationen gegenüber, mit vollftem Rechte auf ihm Stolz feyn dürfen. Schiller und Jean Paul werden ewig die beiden fittlichen Heroen deutſcher Poefte bleiben.

Man bat es verfucht, Jean Paul nachzuahmen, aber wen konnte es gelingen? Er fteht bis jegt allein und auch für die Gefchichte des Romans allein de.

Allerdings brach ‚er eine neue Bahn, aber fie führte | | 29

50

gleihfem von feinem Ausgangspunkte bis an bat Meer; fortfegen Fann fie Feiner, und wer fo zeig begabt wäre, der würbe feinen eigenen, neu angeleg⸗ ten Weg gehen. Eigenthümlich ift, daß Fein hu⸗ moriftifcher Schriftfteller ben Kreis des Familienro⸗ mans verließ. Ein wahrhaft großer Geiſt Fönnte bier, wenn er bie anderen Gattungen ergriffe, noch Außerordentliches leiften, aber es wärbe noch grö- Bere Genialität dazu gehören und er der Menge viel leicht noch lange Beit unverftänblich bleiben; aud) wäre Die Aufgabe, beren Löfung er ſich vorgenom- men, noch weit ſchwerer, als fie bisher geftellt wor den ift. |

Es if fchon wieberholentlich darauf aufmerkſam gemacht worden, was bie Urfache war, Daß man fich troß der Vorherrſchaft des Familienromans fehr bald den früheren Gattungen, namentlich dem Rit⸗ terromane des Mittelalters und dem hiftorifchen Ro» mane wieder zuwandte. In Deutichland trat noch eine tiefer liegende Weranlaffung Dazu. Man war bereit Daran gewöhnt, im Romane ſich auf poetifche

Weiſe Rechenſchaft über die Gegenfüge, welche in

der Beit Ingen, zu geben und deren Löfung zu ver» fuchen, fühlte aber bald, daß bie Gegenwart und deren Darftellung Feinesweges den genügenden Stoff, namentlich für Die mögliche Löſung darboten und fo fuchte man inftinftmäßig gleichfam im Reiche ber Wirklichkeit nach) folhem, der, wenn Phantafie und Verſtand als Mittler hinzu traten, wenigftens für viele ragen ausreichen konnte. Diefen bot zunaͤchſt

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dem Gährungsproceſſe des Tages gegenüber Das Al⸗ terthum, das anſcheinend ſo ganz fertig, das Mit⸗ telalter, das ſo abgeſchloſſen da lag. An jenem hatte man ſich ſchon hin und wieder im Auslande mit großem Erfolge verſucht, ich brauche nur an die politiſchen Romane, die meiſt auf hiſtoriſchem Voden wurzeln, wie 3. B. Telemach und (Ramſay's) Cy⸗ rus, zu erinnern; es fehlte daher nicht an Beiſpie⸗ len. Für dieſes, das noch mehr intereſſiren mußte, indem es der Zeit und der Nation näher lag, gab Goethe in ſeinem Götz von Berlichingen, der doch eigentlich nur ein Roman in dialogiſcher Form iſt, ben Ausſchlag. Es iſt bekannt, welches ungeheuere Aufſehen dieſes Werk machte und mit welcher Bes gier es gefefen und verbreitet wurbe. Das beutfche Fitterthum wurde nun Modefache, der Apparat war leicht dazıs herbei gefchleppt und imponirte ſchon durch feine bloße Aeußerlichkeit. Aus dem Drama trat es zafch in den Roman über. Aber mit Dem bloß Hiſtoriſchen, Natürlichen begnügte man fich bald nicht mehr; von Eugland her Fam das Schauerliche, dad mit Heftigfeit ergriffen und. Damit verſchmolzen wur⸗ de, von Frankreich die Luft an dem Uebernatärlichen, dem als Sage ebenfalls Hiftorifcher Boden unter zu fhieben war. So brach denn plötzlich, als habe ein Bauberwort die Schleufen geöffnet, eine Yluth von Ritter⸗, Schauer-, Sagen» und bald nachher auch Räuberromanen über Deutfchland herein, die bis auf den heutigen Bag noch nicht abgelaufen tft und im jeder Meffe noch neuen Schlamm Hinzu fpült, an 29 *

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dem die Maſſe noch ftets ihre Frende bat. Eine Frau, welche aber Tange ihre Anonymität zu behaup⸗ ten wußte, brad) hier die Bahn. Es war Bene biete Naubert *), die bereits 1785 in der hübfchen Sage von Eginhard und Emma vaterländiiche Stoffe zuerft im Romane mit Anmuth und Gefühl behan⸗ delte und wo bie Kenntniß der wirklichen Zuſtände jener Beit, die fie übrigens in hohem Grade befaß, fie verließ, Diefen Mangel aber durch Gebilde einer Tchöpferifchen, wenn auch in engem reife fich bewes genden Phantaſie auszugleichen verftand. Ihr Talent hat große HehnlichFeit mit dem der Rabeliffe, nur daß e8 fich einer anderen Richtung zumandte und in Welt- anſchauung unter dieſer ftand. Dagegen übertrifft fie biefelbe in Feinheit der Shararterzeichnung und cor⸗ verter Darſtellung. In allen ihren hiſtoriſchen Ro⸗ manen herricht eine wohlthuende und innige Gemüth⸗ lichkeit vor, auch wußte fie mit großem Tacte die Behandlung gewaltfamer hiftorifcher Ereigniffe fo auf zufaſſen, daß der Vorwurf, eine weibliche Feder fei dieſen nicht gewachlen, fie nicht treffen Fonnte, ins dem fie jene nur anbeutete und dagegen die Motive

*) Tochter des Profeſſor Hebenftreit, geboren 1758 zu Leipzig, in erfter Ehe vermählt mit dem Kaufmann Solderieder, in zweiter mit dem Kauftnaun Naubert. Sie farb in ihrer Baterftadt am 12. Januar 1819. Eie hat über 50 Bände Binterlaffen, doch werben ihr auch. viele Romane zugefhrieben, Die nicht von ihr her⸗ sübren. |

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und Zwiſchenmomente ausführlich unb zugleich poe⸗ tiſch entwickelte, ohne Daß ber innere Bufammenhang dadurch Titt. Noch glüdlicher war fie in der Erzäh- lung von Volksmährchen, wo Ihre anmuthige Phan⸗ tafie freier walten Eonnte. Ihre Zeitungen in dies fem Genre, fo wie mehrere ihrer hiftorifchen Romane, namentlich Walter de Montbarry*), Thekla von Zhurn*®). und Hermann von Unna***) haben ſich wohlverdienter Weiſe in der Gunſt des beſſeren Publi⸗ ums, beſonders der Frauen im Mittelſtande erhal» tn. Ihr zunächſt folgte Schlentert ****), Der in feinen Romanen ben Dialog einführte und die deutſche Geſchichte nach allen Seiten hin ausbeutete. Seine erſte Arbeit, Friebri mit der gebiffenen Vange +), Hatte fich gleich vieler Leſer zu erfreuen. Schlenkert war ein nüchterner, mittelmäßiger Gefelle, aber ee verftand es, glückliche und reiche Stoffe zu wählen und dieſe fo zu behandeln, daß die Mittels mäßigfeit fte fich Leicht anzueignen vermochte. Weit Beſſeres und Bebeutenderes Tieferte Leonhard Wäch⸗

*) Leipzig 1786. 2 Thle. in 8.

"##) Reipzig 1788. 2 Thle. in 8.

*%#) Leipzig 1788. 3 Thle. in 8.

+98) Gehoren 1757 zu Dresden, geftorben 1826 als Profeſſor an der Foritafademie zu Tharand. | +) Reipjig 1785— 88. 4 Thle. in 8. Außerdem verfoßte er noch: Kaifer Heinrich IV. Leipzig 178895. 5 Thle. Graf Wipreht von Groizſch. Bürich 1789 bie 95. 3 zo. u. 1. w.

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ter *) (Weit Weber) in feinen Sagen ber Vorzeit **), welche mit einer gewillen derben und praegnanten Unmittelbarkeit die äußeren Buftände des dentſchen Kitterwefens fchilderten und daher der Menge ſehr zuſagten; doch fehlt ihm durchaus ein tieferes Ein- bringen in ben Geift ber Beiten und deren eigentlis hen Zuſammenhang und eine geniale Auffaflung ber

felben. Er bewegt fi), obwohl er anfheinend beden⸗

tende Motive aufzubringen weiß, doch nur auf ber

nackten Oberfläche des damaligen Lebens, und Alles

zeigt fich bei ihm roh und mager. Wächter überlebte daher auch ben früheren breiten Ruhm feiner Schriften vollfommen, und eine ganz vor Surzem beforgte neue Auflage der Sagen der Vorzeit ift gänzlich. unbeach⸗ - tet geblieben. Für jene Tage Hatte er jedoch den Ton angegeben, in derartigen Bildern Das Bizarre und Grauſenhafte vorwalten zu laſſen, was zu ihrer Aufnahme nicht wenig beitrug, Denn eben um ber inneren Nüchternheit willen, fuchte das größese Ro⸗ manpublicum eifrig nad) Reizmitteln und da biefe fi) mit ſolchem Stoffe fehr wohl vertrugen, fo war ihm alles Derartige fehr willkommen. Als nun gar um biefelbe Zeit ein fo hoch ſtehender Geift wie Schil⸗ lee nach dem Uebernatürlichen geiff und in feinem Geiſterſeher ***) die Motive einer unfichtharen, my

*) Geboren 1762 zu ‚Uelzen, Vorſteher einer Er⸗

ziehungsanſtalt zu Hamburg, ſtarb daſelbſt 1822. **) Berlin 1787 98. 7 Thle. ins. +#*) Der erſte Band (mehr ſchrieh Schiller befaunf-

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thiſchen Welt in Ihrer Einwirkung auf daB Meale entiehnte, Da glaubte fich Jeber berufen, fich folcher Mittel zu bedienen, um fo mehr als ben gewöhnli- hen Begriffen nach, fich bee duſterſte und wohlfeilfte Aberglaube mit dem Mittelalter verſchmolzen hatte und Die Darftellungen ans. dieſer Beit an ber Tages» ordnung waren. Daß Schiller feinen Geifterfeher ge» ſchrieben als poetifches Gegengift gegen eine fchlei- chende Krankheit jener Periode, die in dem Treiben Caglioſtros, Saint Germain's und anderer Thauma⸗ turgen und dem Glauben daran ihren Culminations⸗ punkt gefunden*), das begriffen Die Wenigiten, bie nur eine gute und gefuchte Nahrung für ihr gefräßi- ges Publicum darin ſahen. Es kamen von nun am Geiſter und Gefpenfter hordenweiſe in, ben dentſchen Roman und Hakbtalente wie Spieß, Benkowitz u. %. m. benugten biefe Mittel mit dem regften Eifer und kochten unabläfftg ſolche breite Bettelſuppen, wie das Petermännchen**), Natalie, den Bauberer

lich nicht) erſchien 1789. ine Portfegung lieferte C. F. W. Follenius. Leipzig 1796 97 in zwei Bän⸗ den, eine andere Morvell (C. Vollmer), Leipzig 1836.

%) Am Deutlichiten zeigt fih das z. B. an den Bes trügereien, die Caſanova fo lange und fo ausgedehnt an einer durch Bildung, Rang und Welterfahrung fo hoch ftehenden Frau, wie Madame dUrfs, ausüben konnte. Dan fehe defien Memoiren.

**) Mon Spieß, geboren 1755 zu Freiberg, anfangs Schaufpieler, zuletzt Wirihſchaftsbeamter, geſtorben zu

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Angelion*), während man auf ber anderen. Seite das Kitterweien an feiner orbinärften Seite padte und im Romane ausgerrte, .wie 3. DB. es Eramer**), ber Prototyp thüringer Kraͤmerromantik, in feinem Hasper a Spada ***), Adolph von Dafiel ****) u. ſ. w. nicht ohne eine gewifle geniale. Raſchheit, aber fo täppifch, ungeſchlacht und unanſtändig that, Daß ein feinerer Sinn ſich mit Edel abwenden mußte. And doch fanden dieſe Leute ein ungeheneres, wie Die Köpfe der Hydra nachwachfendes Yublicum und ihre Romane werben noch heutigen Tages in Den Leih⸗ bibliothefen, nach ber vollen Bedeutung des Wortes,

Betzdiekan in Böhmen 1799. Außer dem Peters mänuchen, Prag 1793, fehrieb er no: der Alte überall und nirgends. Prag 1792. 2 hl Fünfte (!) rehtmäßige Ausgabe. Leipzig 1824. Die Löwen ritter. Leipzig 1794 96. 4 Thle. Reifen duch - die Höhlen des Unglüds und Gemächer bes Jammers. Leipzig 1796 99. 4 Thle. u. f. w.

*) Von Benfowig (gebaren 1764 zu Uelzen, geſtor⸗ ben durch Selbſtmord 1804 als wrreußtiſcher Kammerſe⸗ cretair zu Glogau).

**) Karl Gottlob C., geboren 1768 zu Podelit bei Freiberg, geſtorben 1817 als Lehrer an der Forſtaka⸗ bemie zu Dreißigader. Faſt alle. bier genannten Ro⸗ manfchreiber waren, wunderlich genug, misrathene Kan⸗ didaten der Theologie. |

**8*) Leipzig 1792 93. 2 Bde. in 8.

****) Weißenfels 1792. 1 Bd. in 8.

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zerleſen, ja ſelbſt eblere Köpfe wandten fich bien ſem Felde mit Eifer zu und ein Talent wie Bichoffe ſchrieb ben feiner Beit viel gelefenen Roman mit dem geſchmackloſen Zitel: ‚Kuno von Kyburg nahm Die Silberlode des Enthaupteten und ward Berftörer des heiligen Vehmgerichtes +), Als nun das Kite terthum mit allen feinen wohlfeilen Trinkgelagen, Mordfcenen, Rothzucht, Gefpenftern u. ſ. w. erfchöpft fhien, that ein begabtes, aber gemein burchgebildetes Zalent einen glücklichen Griff und fchlug eine zu Tage liegende Aber an, bie man, wie bie Bergleute fagen, nur abzubauen brachte, und Alles machte fidy‘ ſo⸗ gleich an die Arbeit. Wulpius**), von hübfchen, aber eonfus durch) einander liegenden Kenutniffen un⸗ terſtützt, führte die italieniſchen Räuber ein ***), großmüthige, liederliche Canaillen, bunt aufgeputzt, mit einem leichten Roth der Romantik auf den Wan⸗ gen, das Entzücken der Bürgertöchter, Griſetten und Ladendiener, denen ſolche Lectüre auch noch jetzt ein Feſt iſt. Es war eine fruchtbar zeugende Genera⸗ tion, die bald in ungeheueren Schaaren, wie bie Hee⸗ ringe, auf der Fluth der deutſchen Literatur obenauf

*) Berlin 1795 99.2 Bde, im 8.

**) Geboren 1763 zu Weimar, geftorben daſelbſt als Bibliothekar am 26. Juni 1826.

*3%) In feinem Rinaldo Rinaldini. Rein. 1798 fgbe. Die fünfte Auflage erfchien Leipzig 1824. ine uns verbürgte weimariſche Sage erzählt, Gosthe Babe aus Scherz einige Capitel zu biefem Romane gefhrieben,

458 ſchwamm. Durch fle wurbe man wieber anfmerkſam auf den fruchtbaren Boden füblicher Känder, wo Die Keidenfchaft weit gigantifcher und die Intrigue weit raffinierter iſt. Italieniſche Buhlerinnen, ſpaniſche Marinelli’s ſpukten nun bald darauf auch dutzend⸗ weife, 3. B. in ben Romanen Aibrechts*), eines eigentlich talentvollen Mannes, der, wenn er nut gewollt hätte, Gutes zu leiften im Stande wat. Befferes Tieferte hier Große **), fo wie in bem his Rorifhen Romane Baczko***), doch ohne Nachhalt. Hin und wieder verfuchte man ſich nad) Wieland's Borbild auch an antiken Stoffen, wie 3. B. Meiß⸗

*). Geboren 1752 zu Stäbe, geftorben 1816 als practifher Arzt zu Altona; Verfaſſer von: Lauretta Ps fana.’ Leben einer italienifhen Buhlerin. Galle 1789. 2 Bde. in 8. Dritte Auflage. Hamburg 1814, Die Familie Eboli. (Roman in dramatifcher Form). Dresden 1791 —92. 4 Ihle. u. f. w.

**) Geboren 1761 zu Magdeburg, Arzt und Forſt⸗ rath in Wernigerode, foll nad) Spanien gegangen feyn. Er fhrieb unter den Namen Graf non Bargas und Mar quis von G.: Der Genius. Halle 1791. 4 Thle. Der Dolch. Halle 1794. 4 Thle. Spaniſche Ror vellen u. X. m.

ea*) Geboren 1756 zu Lyck, geitorben als Profeſſor an ber Brigabefchule zu Königäberg 1823; Verfafler von: Hand von Boyſen. Hamburg 1803. 2 Bde. Legenden, Volksſagen, Geſpenſter⸗ und Baubergeſchihhten. Halle 1815 u. ſ. w.

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zer in feinem Mfribiades *),, nicht ohne Gewanbtheit, aber feicht und flüchtig, Foßler in feinem Attila, Mark Aurel, Ariftides**) w. ſ. w. ohne eigentlich productives Zalent, declamatoriſch, fentimental und . nüchtern. Auch der Tendenzroman und ber Die dartifche wurde Hin und wieber cultivirt, namentlich feitdem Die Kantifche Philoſophie in bie Maſſe ger drungen war, benn bem Gefchledhte der Nicolaiten waren dieſe Gattungen zu bequeme Vehikel, um ihre Weisheit zu popularifiten; Ausgezeichneteres, das Erwähnung verdiente, findet ſich jedoch nicht.

So haben wir gefehen, wie der. Roman in Deutſch⸗ land zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts ein be» bagliches Waterland fand, ich nach allen Seiten bin ausbreitete und überall ein Heimathsrecht gewann. Daran find unjere Volksſchulen Schuld; alle Welt konnte leſen und nun wollte alle Welt auch Iefen, etwas Befleres als den Roman, in dem jeber Mittels mäßige fand, was fein Gerz begehrte, gab es ‚nicht. Gerade darum aber Haben die Romane auch bei uns im achtzehnten Jahrhundert weniger gewirkt als bei anderen Kationen. Für den aufmerkiamen Beobach⸗ ter bieten fie aber eine intereffante Seite bar, auf die ich früher bei ben Robinfonaden ſchon aufmerk- fam gemacht habe. Das deutſche Keich exiſtirte da⸗ mals noch und Die innere Berfplitterung defielben mit

*) Leipzig 1781 868, & Ihle. **) Diefe Romane erfhienen (in Breslau oder Vers Im) während der Jahre 1790 1808,

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allen ihren Neichsſsunmittelbaren, Eleinen mesquinen Höfen, Sabinetsiuftizen, fürklichen Räthen, Privi⸗ legien und Monopolen brüdten den Einzelnen fehr. Er machte fi Luft im Romane; da werden Raub» sitter geköpft, Fürſten abgeſetzt, Minifter gehängt, Arme wieder reich gemacht, gefnechtete Patrioten wieder zu Ehren gebracht, Maitreffen in das Zucht⸗ haus geſteckt u. f. w., kurz das Oberfte zu Unterſt gefehrt, um Die unterbrüdte Tugend, Heblichkeit, Vaterlandsliebe wieber auf die Beine zu bringen und practifch zu zeigen, Daß ein Gott im Himmel ift. Dies gefchah in den belichteften Homanen gleich maf fenbaft, am Maſſenhafteſten bei dem ungefchlachten, aber unendlich gelefenen Cramer, von dem fich man⸗ chee arme Teufel mehr Troſt holte, als von feinem @eelforger oder aus dem Gebetbuche. Es ging zu gleicher Beit au) in das Drama über, Abällino, ber große Bandit, 3. B. war eine unendliche Seelen- weibe; kurz ber große Beifall, den alle diefe Dinge fanden, bewiefen zugleich, was der Deutfche empfand, zu benfen liebte, zu thun fi fürchtete. Bir haben von jeher nur in der Literatur revolutionirt und das iſt wahrlich ein großes Glück für uns.

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V.

Der NRoman in Den vier erſten Deeennien des neunzehnten Jahrhunderts.

1. Sranzöfifhe Beftrebungen in Folge ber Revolution.

Ehe wir zu dem Einzelnen übergehen, iſt es zweck⸗ dienlich, einen raſchen Blick auf die allgemeinen Zu⸗ fände, welche Das neunzehnte Jahrhundert bei feinem Erſcheinen begrüßte, zu werfen, um fpäter deſto Jeich« ter aufzufinden, was von ben materiellen, wie von den geiſtigen Bewegungen bei den verfchiedenen Na⸗ tionen am Lebhafteſten auf Die weitere Geftaltung des Romanes wirkte. Die franzöftfche Revolution war dee Schlußpunft, in welchem fich enblich ber duch das ganze achtzehnte Jahrhundert vorherrfchende Gährungsproceß roncentrirt und anfcheinend ausge⸗ tobt hatte. Wir willen, daß ihre Anfänge eben fo gemein mit Frohlocken und Enthuflasmus begrüßt wurden, als ihre ‚weiterer Fortgang Schreden und Schaudern erregte. Für den Roman warb fie dop⸗ pelt wichtig, weil fie nicht allein in den Gefinnungen und Anfichten, fondern auch in ben dußeren Sitten und Gewohnheiten eine gänzliche Umgeftaltung her⸗ vor brachte. In allen Angelegenheiten des Ges.

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[hmades und bes gefelfchaftlichen Brauches waren die Blide bis dahin von überall her auf Frankreich gerichtet geweſen und jetzt entftand plöglich eine Lücke, die fo lange unausgefüllt bleiben mußte, bis man von Neuem gedrängt wurde, feine Aufmerkſam⸗ keit dorthin zu wenden und, wenn auch widerſtrebend, bie Geltung feiner Vorherrfchaft anzuerkennen. Bon jeher war dieſe Nation den anderen voran gefchritten, fo im Guten wie im Böfen, mehr im Letzteren; an« dere Völker leifteten nachftrebend in Wiffenfchaft und Kunft, Moral und Politik weit Bedeutenderes und Bleibenderes, der erfte Impuls ging aber faft immer von Frankreich aus: Die Anfänge geftalteten und Bil beten fich bier.” Die Belege finden fich hundertfach, wenn man bie Culturgefchichte Europa's, denn von Diefer kann hier nur Die Rede ſeyn, betrachtet.

An den Literärifchen Beftrebungen ging Alles im Allgemeinen außerhalb Frankreichs feinen alten Gang fort, obgleich neue Ideen Hinzu traten und im Weiche der geiftigen Erfcheinungen eben fo Iebhaft und willig - auf der einen Seite angenommen und gepriefen, wie auf: der anderen bekämpft und verdammt wurden. Dazı Fam, daß Bieles duch bie früheren philo⸗ fophifchen Beftrebungen. ſchon vorbereitet oder gar fon mit entichiedenem Ginfluß war aufgenommen und verarbeitet worden. Woltaire’s und Roufleau’s Ideen hatten fich bereits über das ganze gebildete Europa verbreitet. Man ſprach zu Ende des acht⸗ zehnten Jahrhunderts überall nur von den Menſchen und Bürgerrechten, und Monarchen wie Friedrich II.

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und Gatharina I. begünfigten, obwohl alleinherre ſchend, in bee fchönen Kiteratur die Idee des Kam⸗ pfes gegen die Alleinherrſchaft, welche fich To viel⸗ fach ausgefprochen hatte. Da trat zulegt bie Revo⸗ Intion mit allen ihren Greueln in die Wirklichkeit und die, fo im Beſitz waren, fahen erfchredt, wos bin jener Kampf führe. Auf die Literatur konnte biefe Wirkung ſammt der Reaction durch den Schre⸗ den noch Feinen nachhaltigen Einfluß gewinnen; man hatte noch zu viel in fih aufzunehmen, che man an das Verarbeiten denken durfte, und zu Anfange des neuen Sahrhunderts ſah noch Niemand Das eigent» liche Ende diefer gewaltiamen Erſchütterung und was fh daraus entwiceln könne ober müfle, voraus. Die Reflectien konnte alfo noch nicht hinzu treten und fo lange blieb bee vorliegende Stoff‘ geiftiger Reproduction unzugänglich, ob auch hin und wieder einzelne Erfcheinungen an bemfelben bereits in ihren Kreis hinein gezogen wurden. Wir brauchen nur einen flüchtigen Blick auf den damaligen Buftand ber verfchiedenen Nationen zu werfen, um das Ges ingte beftätigt zu fehen. England warb in feinem Innern ungeheuer bewegt; Die arbeitenden Klaffen erhoben ſich und forderten entfchieden und tumultua- riſch STeichheit der Menfchenrechte, unter den Matros fen der Flotte entſtand eine Meuterei, aufrührerifche Geſellſchaften bildeten fich offen und frei im ganzen Lande, endlich drohte Irland, die arme Stieftochter Großbritanniens, abzufallen und e8 bedurfte Pitt’s ganzer Stärke und Geiftesfraft, um bie tobenden Flu⸗

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then zu bershigen und den Nadicalismus in feine ihm gebührenden Schranken zurück zu drängen. In Deutichland hatten die Ideen bes achtzehnten Jahr⸗ hunderts ſchon Jängft Die gebildete Menge in ftille Gaährung verfegt, aber die innere Berflüdelung hin ‚berte die Maſſe, fich zu enncentriren und bei den vie⸗ len verfchiedenen Jutereſſen in eben fo vielen engen Kreifen wäre jebe thätliche. Demonftration einem Sturme in einem Waflerglafe vergleichbar geweſen; Dazu war der Deutſche zu überlegt, zu ruhig und langfam. Alles, was geſchah, beſchränkte fich Daher auf einige geheime Gefellichaften und den Jubel, mit welchem Einzelne die anfcheinende Morgenröthe nad Dunkler Nacht begrüßten, welche ſich aber bald als biutiges Fenerzeichen nuswies. Nur die wiſſenſchaft⸗ lich Gebildeten zeigten folchen Enthuſtasmus, Die Bürger blieben rubig, der Abel erklärte fich heftig gegen Die neue Ordnung ber Dinge. In Italien war es Dagegen ber Adel, der den neuen Ideen mit Ent zücken huldigte, den republicanifchen Grafen Alfieri an der Spige, weldyer in feinem Buche über Die Ty⸗ rannei den Bannflud) über Regierung und Religion, beide nach feiner Anſicht Beförberer des Despotis⸗ mus, fchleuderte. Die nächſten Jahre zeigten, wel che rafch gereiften Früchte folche Lehren in dieſem Lande trugen. Das unruhige Polen empfing ben erften Saamen, aber er mußte lange in-Dortigem Bo⸗ den fchlummern, ehe er empor ſchoß. Spanien, Ruß⸗ land und die übrigen. Reiche wurden. Dagegen nur wenig berührt; hier Die Saat zu zeitigen, blieb ſpä⸗

texen Tagen vorhehalten, menn ſter Kberhenpk An: Der; bastigen Erde gedich, Wei die Völker reikete, wer. ie Feſthalten am, poſitiven Glauben, ben Frankreichs: Uchermuth voreilig. und: frech) zeritörte und bem fe: ſich nicht vehnen laſſen wollten... Wir werde zum: ſpuͤtgr ſehen, wie jane Erſcheinungen ınuf der Roman bei den einzelnen Nationen einwirkten. ud kehren sorläufig wieben nach Frankreich zurück ). > 3 Wahrenduder Kimpfe konnte hier ist Lande nur bie zafche Literatur der Polemik geheihen, : welche allein ‚Das Nächte ‚und Näthigſte von Zog zu Tag beſprach; alles Andere mußte ſchmeigen, denn es wurde: nicht ‚gehört; ‚Haußerhalb Frankreichs aber bil⸗ dete ſich, wenn: gleich in. entſchieden politifchen Nich⸗ ung, die nan nicht sucht. abguweiſen wär, tie frame zoͤſſche Litexalur und, ala höchſt wirkfames Organ bexfelben, ‚gerabe. Deu. Ruman fort. Nach allen Sei⸗ ten: hin. waren bie Ausgrwanderten zenſtreut und ſahen in äußerer Rahe abar: mit heftig. aufgeregtem Her« zen nach „Dem ſchönen Veterlande, In: Deut es fort und fart. brauſte, wie auf dem Meere im Shutme, Wo— fie nah. wer ,: fie blieben Franzoſen, : wie, ca her Franzoſe eben. immer bleibt, man : möchte: glaun ben, Sekb in Himmel. So verfochten ſie die Ideen der Jartei, gu. der fie gehörten, bis zum: legten Odemzuga. Drei Wepräfentanten der ‚Drei: Haupte richtungen seiten sum Romane als Weße, ihnen se B en 27 Be Pas

* Be. Capeigwe, ‚L’Europe pendant ie: —* et: ‚Empire. Paris 1840. 86, 1. Cap: di u.

u 30

fette: ich noch Raucher inzus ua wieb aber grake gen, zu Harartirifiten, web: Jene leiſteten, da: pie Rachahmer zu ünbebeutend waren, ober erſt weit ſpa⸗ ter amd dunn mit folchen Ruanden und fo ganz im Geſchache der ihnen am Nächſten liegendru Bett erſchiẽenen, daß hier von ihnen nicht bie wu je fawm. z.

Ds Bryan. der repudlicaatſchen Grit —* 8 mane war Yuan von Stasl, von der Latur milt den reichiien ‚Guben nusgeftattet , von ber. Revolution im eigenttühen. Sinne des Wortes gebildet. Ich dein⸗ nere hict in raſchen Zügenane die bedeutendſten Gr⸗ eigniffe ihres Lebens, fo bekannt dieſe auch Farb; gar Vorſtäubdegung des Folgenden. Mnna Luiſer Goe⸗ weine Weder, Die Tochter eines Republibanens, eines Kuxfltanne and ber Schweiz, dit Tpäter Feanzöffcher Minifter. wurde, warb: 1708: Paris gebdren. Ihres Baters Hans. war det gefeliſchaftliche Saciniciplat ber vorzägiihfien und glänzendſten Geiſter der Welt⸗ hauptſtadte⸗ Schon ſetzu frut eitwictelte ſie Dis: and gezrichnetſten Faͤhßgkeiten. Vonthret Mutter: erhlelt fe eint ſtreng ealviniſtiſche, aber wiſfcuſchaftltchrj reich ausgeſtabtetr Etzierhungz von ihvem Vater ward Fe verzogen und angebetet; er hatte keinen Soͤhn und fund in: der einzigen Tochter Den Geiſt und Na han⸗ safe. Anis Mannes und vas Gemuth ei Ftau. In iihrem zwanzigſten: VJahre vernählke fie: ich: mit dem ſchwediſchen Geſandten am franzöſtſchen Hofe, dem Barone von Stach olſtein⸗ Br aim einen Sohn: und eine Dh; abi Three blich

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liebeleer, und Niemand bedurfte To ſehr wie He ber Liebe. Während ber ganzen Revokation, felbt wäh rend des Terrorismus, blieb fie in Paris anmwefenb. Später gerieth fle in eine eigenthümliche Spannung mit dee Wegierung‘, namentlich als Napoleon fich an die Spitze ſtellte. Er verbannte fie aus Paris, wos bin ihr ſtets arbeitender Geiſt fie unabläſſig fehn« ſuchtsvoll zog. Dann reifte fie und. lebte auf. ihrem Landgute Coppet, deutſchen Seit und deutſche Kunſt duch Auguſt Wilhelm von Schlegel zuerſt kennen lernend. Während Napoleon's erſter Verbannung kehrte ſie nach Frankreich zurück, brachte dann die hundert Zage wieder in Coppet zu und kehrte darauf nach Paris zurück. Heimlich vermaͤhlte fie fich mis einem Herrn de Roeca, machte ſpäter mit ihm eine Reiſe nach Ztalien, ging endlich nach Paris zurück und ſtarb hier 1817 *).

Hr eriter Roman Delphine erſchien zuerſt im Jahre 1803 zu Paris**) und marhte ungeheueres Aufſehen; er warb eben fo entfchieben bewundert, als von drei Parteien zugleich (der monacchifthen, der Fatholifchen und Der Plaffifehen) auf Das Seftigfte, ſelbſt in politiſchen Journalen, angegriffen. Cine

9) S. Sainte-Beuve Nouveaux Portraits et Ori- tiquea litteraires. Bruxelles 1830. Th. IH. 8.27 fgde. **) 4 Bochen. in-12.8. Aufl. Paris 1820. 3 Bbe. in 8. Deutſch wor Stampeel. Berlin 1803 und von Fr. Gleich in der Bibliothek det naſuſchesn Romane des Auslandes. Ad. 17 10, 30 *

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nene Bahn brach fie eigentlich nicht damit. In ber. alten. mangelhaften Form einer Erzählung in Brie⸗ fen fchilderte fie Verhältniffe und Charactere des ba maligen Lebens, welche fie in Situationen vorführte, denen zulegt eine gewaltfame, in jener Beit begrün- vete Kataſtrophe ein Ende macht. Dagegen aber be» handelte und entwidelte fie eben fo Fühn als fein die wichtigſten Ideen, welche bie bürgerliche Gefellfchaft bewegen mußten, vorzüglich über Die öffentliche Mei⸗ nung, Die Ehe und bie ‚Religion, die fie von Den verfihiedenften Seiten beleuchtete. Wenn auch an . der Erfindung und Durchführung der Fabel, der Beichnung der Charactere und dem Style in Hinficht auf grammatifche Gorrectheit Vieles: mit Recht zu tadeln feyn mag, fo if das Buch doch voll großar- tiger. und neuer Gedanken, vorgetragen in der Spras he der Begeifterung und der Neberzengung; deshalb auch warb es noch ftärker angefeindbet als gepriefen, denn viele Gemüther ertrugen den Spiegel nicht, der ihnen vorgehalten wurde... War bier Uebertreibung, wie Die gegnerifche Kritik behauptete, fo Tag fie nidt in den Perfonen, obwohl Leonce nicht minder ald Delphine fich eben fo gut felbft wie. gegenfeitig über fhägen, fondern in den Anfihten. Namentlich if die Grundidee, daß. der. Mann der öffentlichen Mei nung trotzen, das Meib. aber ſich ihr unterwerfen , müffe, keinesweges proßehalftg; nur Die Ueberzeugung darf allein unsere Handlungen beftimmen, nie aber das oft fo falfche Convenienzurtheil der Geſellſchaft, in der wir leben. Freilich berührte fie Kier eine

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fehe empfindliche, FAR wund geriebeite Seite ber fran⸗ zöſiſchen forialen Buftände, welche erſt eben’ wieber angefangen Hatten ſich zu bilben und ben Einfluß vieler wunberlicher und roher Elemente erbulben muß» ten, welche fich Hinein gedrängt hatten und es läßt fich leicht denken, daß ihre lebhafte Einbildungskraft, fo wie ihr ſtarkes Gefühl fie angetrieben, die Löfung einer ſolchen Frage, bie fie für eine Lebensfrage hielt, auf poetifchen Wege zu verfuchen. Sie hat das Bud) mit dem ganzen Reichthume ihrer Phan- tale und: ihres Style und mit feltenem Scharflinne ausgeftattet und einzelne Parthieen in bemfelben find ihr meiſterhaft gelungen. Daß fie in Delphine zum Theil fich felbft gezeichnet habe, leidet Feinen Zwei⸗ fel; das Bedürfniß einer glüdlichen Ehe vol wahrer Liebe war wie ein elegifcher Ton, ber während ihres ganzen Xebens hindurch auf den inneren Saiten ihres Herzens nachzitterte und welcher auch in Co» rinna deutlich durchklingt. Um einen vollendeten Roman zu fehreiben, Dazu warb Frau von Stasl viel zu ſehr von ihrem eigenen Selbft, dem ſie fich nie entwinden Tonnte, beherrfht, aber um innerhalb eines unvolllommenen Werkes dieſer Urt fo Beben tendes zu leiften, daß fle die Gemüther hinriß und zu ihren Beſten befangen machte, Dazu beſaß fie in ihrer genialen: Individualität alle Mittel, welche ſie auch oft; ihr felbft unbewußt; fo anwandte, daß es ihe gelingen mußte. Objectiv wahr find ihre Werke nicht immer, ſubjectiv ftets, und das gab eben ihren Romanen ‚einen fo außerorbentlichen unb wirkfamen

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Reiz; Gefuhl und Phantaſie waren ‚fo. ask bei ihr, daB fie immer ſelbſt burchlebte, was fig Dichtete. Darum künſtelte fie auch nie, denn ihre natürliche Beredfamfeit war ſtets die willige Dienerin ihrer Hmpfindungen und Anfchauungen und der aus Diefen, wie Pallas aus dem Haupte des Beus, gleich fertig und ‚geharnifcht entipringenden Gedanken.

Corinna *), ihr zweiter noch berühmterer Roman, war die Frucht ihres Aufenthaltes in Italien. Dem Zone nach, in welchem biefes Buch gefchrieben it, gilt es für mehr als: einen Roman und Sainte⸗Beuve Det vollfommen Recht, wenn er es als wa roman- poöme bezeichnet. Der Stoff fowohl wie bie zu runde FHiegende Idee verträgt jedoch den Glanz und das Grandiöſe Des Style vollkommen. Wohl noch mehr als bei Delphine hat ihr eigenes Weſen Mas bame Stael hier als Borbild gedient, nur idealiſirte fie fi hier, wie fie fich Dort wirklich mit dem Hin⸗ bergeunde der Jugend zeichnete, Die Idee des Ges genſatzes zwiſchen Der feffellofen Geninlität eines Weis bes in vollkommener bürgerlicher Freiheit und Dem echten Reize einer fich auf den engen Kreis. häusli⸗ Gen Glückes beſchränkbender Jungfraäulichkeit bildet

. %) Ceriane:ou lltalie. Paris 1807. 3 vols. in 12, 15. Aufl. Paris 1838. Deutih (von Dorothea Schle⸗ gel) herausgegeben von Fr. von Schlegel. Berlin 1807; ferner von H. Müller. Hamburg 1807 und von Fr. Gitich. Leipzig 1826: N. A. 1829 uebft singe Bios granhie der Stasl als Einleitung. oo.

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hie, aeiige Wale Dieles: Wenket. : Koimua sit. Die poetifche, Zucile Die moralifche Heldin... Daß Die Legtere ben Girg daron -Inlat,: äf.,bie Diffenanz, wehche Serien ’# -Rribon:und- Tad hrevarsmfen, anf eine für. den dankenden Ariee ſehr bafriedigende, ob⸗ wohl für die Verfoſſerin keinegmegeß günftige Mieife auf. Auf Der Geniglitat naht inzder Walk: der Gluch des Aheinſtehens und alle Rerſeche, ihn zu ‚eben, verftärfen ihn nur. Das ewige Geſetz her Natur het Dee Weibe zu entſchieden feinen Meruf vongeſthrie⸗ ben, alles Verlaſſen ober Mebertzetan: deſſelben rächt ſich Rt... Dar Haß: dez Männer gegen die armialen Freuen liegt daher auch ˖kiefer; ein. noch: ſo reich mie geſtattetes excentriſches Weib wird aiven Mann, Ars dieſen Namen wii werhient; nis Hauerod feſſeln Kamp, wenn- auch mit heißer: Leidenſchaft erfüllen und fortreißen. Dieb hat Grau von hack: noch enter ſchiedener, als fie. es uirlleuht felhh. ughte,.iin bee horiuna durchgeführt und; das Ganze mit:einem durch⸗ aus übereinſtimmenden und glänzenden: Reahrlen sus gebtrn. DAR. ganze Buch iſt ein geſtaigentes, abit ſein Inhalt Tail 38 und: 06..bleibt ſich:gleich Die zum Ende... : Ip: Dialer. Hinficht ik een weißeghaft. ‚Dunchgeführten. -Kuminutel :awib- Tchäner Vilder, exrgreifender Seanen, eichie nuet-.iäbgele ſterter Schilderungen und erhabener und feiner Ge⸗ danken. Ein ſolches Werk iſt ein Gewinn für die RPoeſie, Bialg. wärben: ihr. zu großeru Echhaden ge⸗ tciches, denn jew. Gieigervug wärde hald gut aluu- nahar nd Münkelei hühnen, die alle: Mehrheit. and

473 alles reine Gel jerktren And die Füge um TAhron heben.

Beide Werke der an. ori Stil Haben! Ak: tens. großen: Einfluß. auf die Literatur and die Ge—⸗ ſellſchaft geübt unv üben ihn zum Sheilinäch. | In Frankreich 'erhielt. die Momenliteratur daburch einen neuen Schwung; in: Deutſchland und: England ˖ bie Geiſtes hãtigbeit der Frauen in ben hoheren Kreiſen, welche Delphine und Corinna viel veſchäftigten und zu :eigenthämlichen :Weflecttonen veranlaßten. Mas menklich iſt Cotinna zur Beit ihres Grfcheinens eben ſo Hark in Deutſchland wie? in Frankreich -gelefen werben. In Vtalien war man dagegen wicht zufrie⸗ den dumit; freilich ſchildert ber Italiener fein Eund dech andees alb es Frau von Staef gethan. -:-:'

Ich will hier einige Worte ber einen NRoinan enfehließen, welcher, vobgleich faſt zehn Sabre‘ Jünger und einen Schritt ‚weiter führend als es. Delphint und. Corinna. thun, Dach mit diefen fowohl durch im nere wie: durch äußere Beziehungen innig verwandt iſt/ in der nächſten Amgebung ber Frau von Stael entſtand dmd nieht geringen Einfluß auf Die Geſtal⸗ bung: des ſocialen· Romanes det Gegenwart in reich ſeit: Der Reſtauralion ausgeübt: Bat: @&B! MR Adeiphe: von Benjamin Conſtant de Webesgue =), den

wu.

j >) 'Adolphe.- Anecdote: trovinde: dans’ les Päpiets diun ineouinu.) Paris 18316. 1 Bochen. in: 12; Wentſch 8.8.8: Adolph. Aus Den: gefundenen Papieren -eitted

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ich mehhei: Da de Fir Deutſclacc Jetzt weit weni bekannt ſeyn midchte; "als u Werke der Frau vun Stasl;: ſo gebe ich hier barge den Inhalt veſſelben Molßph; ein junger Mann, ſchon⸗ ohne es zu wiſ⸗ fen, ziemlich lebenbſatt: Cin Fluch unſerer Zeit für die Jugend) verliebt ſich In’ eine Feau / die zehn ˖ Fahre älter. ale er, Die Maitreſſe: rines Anderen und Mut⸗ ter zweier unchelicher Kinder iſt. Nach kurzem aber heſtigen Widreſtande, der ihn nur deſto mehr reizt, wird fie Ihm: zu eigen. Vald darauf gewahrt er, daß er. fie nie wirklich geliebt hat und nun tritt ihm alles geſellſchaftlich Storende Hefes Verhältniſ⸗ ſes nochrgreller vot vie Augen: Alles dringt in ihn; ſich von dieſen Banden zu befreien; fein Mater ver langt'es gebieteriſch; alle feine Ausfichten werben zerſtͤrt und feine-chgene Neigung ſpricht aimn Merften dafür, aber Ellensre (fo heißt fie) if: unglücklich und het in ihrem Unglüche keine andere Stütze als ˖ ihn. Die größten Opfer hat ſie ihm gebracht: ein äußer⸗ Ich ſorgenfreies und angenehmes Leben und den Schutz eines mächtigen und reichen Freundes; nun verlangt fie deren auch von ſeiner Seiteiänh iſt unzufrieden, da ſie gewahrt, daß nicht Liebe/ ſondern Großmuth ihn dazu: beſtimmt. "Daraus entſpringen Zwiſtigkei⸗ ten. ſtets wiedotkehrende Klagen, Pläne mit einan⸗ der zu brechen, bis endlich GAenore ber Adolph's ſte⸗ tem Sqwanken und feiner Schwache in bem Kampfe ei 2 143 Ni...

Unbekannten: Peſm⸗ 4847, natur G. Planche,. Por- traits Lilteraires. "Paris 1800. 8b. Lk, @&. 264 fgde.

ara

sntepliegt: Diam. ſicht, Dali’ es Disfem-Moman nn. Allem fehlt, 09 von cn herein Das; Intereſſe bes Leſers zu geminnen im Stande iſt er; hat kein Bandlung, nur zwei: Charackere, beibe unmpsehilh; ein junger fchwader Mann, sin gefallenes älteret Weib, das ihn am fig kettet und weil es ſich ihm ergeben, ihn wider ſeinen Willen an ſich feſſelt, nd Rod) iſt das Buch ein ſehr anziehendes: es entwidelt bis in das Kleinſte und Feinſte in hinreißend wahr Darſtellung bie Seelenzußände zweier zerſtörter Her zen; es if Fein Romau, fonbern ein her dieſelben geführtes genaues, Yratoroll, und wir entdechen der eine aene Seite der Auffaſſung der werderbten. ſoeialen Zuſtaͤnde, welche die netaphynſche Speculation übe dieſelben · naͤmlich als Hauntſache behandelt. Benj⸗⸗ min Gonfant gab auf diefe Weiſe damit Res Ton ı ben wir von der Zeit der Erſchoinung ſeines Vuches i den franzoͤſiſchen Ramanen noch oft bis zum Ach deuſſe nachlliagen hoͤren, ja der- fait täglich von mir der Begabten ven angeſchlagen-wied, denn hie ern ſtere Zeit iſt ſalchen Betrechtungen holb, und ti giebt gar Pigle, die ſich in, aͤhnlichen Ver hältniſſe beſnden und in einem ſolchen Buche Troſt ſuchen Deß das wahre Weſen Dres. Romans, wie die Por überhaupt, von ſolchen Veſtrebungen Leihen, hrauft wo nicht entwicelt 6 "abe es Ten, 08 Jeden

der geſunde Sinne hal.

Den entſchiedenen, aber oberflächlichen Gegenſ zu Den. Ramenen reyglutionqrer⸗ Zendenz bildete zu ebenfallß eine Frau bis Linſa fahr gafeiarte, ab

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noch. mitaned iheet Shens-ong, und des mit Kepik, verſpottete Madame de Genlis. ine orbindgere Eriheinung als Diele Dame giebt nicht leicht iR ben ‚höheren Regionen ber Litteratur. Auch hier erſt eine raſche Notiz über ihr Lehen, Stephanie Felitits« Ducreſt de Seint+ Anbin, die Sochter eines Raubebelmannes, ward 1749. zu Champeerh geboren, geichnete füch früh durch ihre Zähigkeiten, ihre Luk, Andere zu Jeiten und zu.ergiehen und ihr Talent für . die Intrigue aus. Geldverlufte zwangen fie, mit . ihrer Mutter ned) Paris zu gehen, wo fich ber Mar⸗ quis von Sillery, Graf von Senlis, in fie verlichte

und fie heirathete. Durch Madame de Monteſſon, „die Tante ihres Mannes, Fam fie mit dem Herzoge

von Drleans (dem nachherigen Egalite), deſſen Mat«

n tteſſe die Monteſſon war, in Verbindung, und werd „wider den Willen der Herzpgin, Gouverneur ſo R ‚wollte fie ausdrücklich heißen, nicht Goupernante „per herzoglichen Kinder und intime Freundin bed. Ba- " "teh. In diefem Amte -verfaßte fie mehrere Jugend⸗ hheiften, namentlich Komöbieen und einige Erbauungss ‚düher. Sie zeigte fi) als eine große Gönnerin bes "Sheißentgums, vorzüglich gegen die gattlofen Philo⸗ ſophen, wie d'Alembert, Diderot u. ſ. w. und bald her auch. als wine chem ſo große Freundin der

hr, ‚Beolatäon,, ‚befuchte. Die Jaeobinerklubba und offen» "parte ihrem: Enthufosuns por dem Molke. Nachdam Pr. sine Beitlaug mit Der Zochter des. Herzog in! Gng⸗ had zugebracht, kehrte, fie nach Frankreich zurück,

“wel, aber Buzz nahihen, da ich bie Dinge.fo. fahr

ays

geãnbert Hatten, ihr Vaterland wieber WHB-gühg er nad Belgien, dann nad) ver Schweiz," wo it Mu Demoiſelle d'Orleans zuräd Vieh und darauf nuch M⸗ Zkona. Hier erwachte ihte ganze ſcheiftſtelleriſche Thatigkeit wieder; fie wollte beweiſen, daß ſie keine sawvage furie ſei, ‚wie bie Gmigtanten fie in ber Schweiz genannt hatten, ſonbern vollkommen roya⸗ liſtiſch gefinnt und verfaßte zu dieſem Bwede ihren hiftorifchen Roman Les Chevaliers du cygne. Die fem Werke folgten, namentlich während ihres Aufent haltes in Deutfchland, viele ähnliche. Nach bem schtzehnten Brumaire rief Buonaparte- fie nach Paris zurück und gab ihr freie Wohnung und eine Penfon, eine Gunft, Die er ihr auch als Kaifer nicht entzog. Nach der. Reſtauration ſetzte ihr früherer Bögling, des Herzog von Orleans, Die Penſion fort. Sie hörte bis an ihr Ende nicht auf, zu ſchriftſtellern und eitel, bigott und lügnerifch fich in tauſend Aitteraͤriſche Streitigkeiten einzulaffen; den beften Beweis bafür liefern ihre zehn Bände Memoiren. Ihr Tod erfolgte 4831. Ein Iournal zeigte denſelben mit folgenden. orten an: Madame de Genlis a eess decrire c'est annoncer sa mart 0

*) Bol. Memoires ingdite de Madame’ fa Comtesse de Geslis sur.le 18. siöcle et sur la -tevokıfion frar gaise, depuis 1756 jusqu’& nos jours: Paris 182. 8 vol... in 8. : Sevelinges; Madame de Genlis en miniature. .. Paris: 18926;. ein kritiſcher Anszug and den. Dempiren. ‚Biographie Universelle des Com-

Ihre Remane denn von diefen Tann. Hier une bie Rede feyn find mit vieler Gewandtheit, Cor⸗ sectheit und Eleganz gefchrieben und Rivarol's bod⸗ haftes Urtheil, daß der Himmel ihren Werfen ben. Bauber des Talents, wie ihrer Jugend den Weiz der, Unſchuld verweigert habe, iſt jedenfalls ungerecht. Sie verſtaud «8, durch gut erfundene und geifteeidk combiniete, Gituotionen ein. lebhaftes Intereffe zu: erwecken, nur iſt bie Wirkung nie eine nachhaltige, dazu fehlt es ihr zu fehe an Kebhaftigkeit: des Ges füßls, -fcharfer Beobachtungsgahe, guter. Chararter- zeihnung und poetifiher Wärme und Wahrheit. Dr fie viel mehr in der Welt lebte, als in ihrem eige⸗ nen Kerzen, ſo borgte fle Das Meifte. auch mr nom diefee und benupte fie zugleich ala Lehrerin und Mae fer. Alles, was mit dem Verſtande aufßufaſſen tif, hat fie daher auch portrefflich aufzufaſſen verſtanden und die tauſend Erſcheinungen des conventiorelles geſellſchaftlichen Lebens wohl benutzt und Dargefkellt; tiefer dringt fie aber nie und nirgends, das Reich ber Leidenſchaften blieb ihr fremd; bie brodirten Klei⸗ der, bie fie täglich um. fich ſah, vermochte. ſie zu ſchil⸗ dern, Doch nicht einmal; Die Herzen, bie darunter ſchlugen, und. die auf ber Wagſchaale bes menſchli⸗ hen Gemuthes fo wenig bedeuten. Gerade in ihren hiſtoriſchen Romanen zeigt ſich A am Entſchieden

tewporains. vd. II. S. 1838., wo fd ein ſche vol.

ſtändiges Verzeihan der Berte der Srau von Genlis findet. 2

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2* *

Ron; hier giebt fe immer nut ihre Zeit wieder und zwar in ben engſten Schranken; innerhalb welcher allein fie ſelbſt ſich bewegte. Dbendrein tritt dem Defer überall Die Unwahrheit oder ber Mangel an echtes Gefinnung und die Künftlichleit, mit der Die edle Dame fid) bemüht, Frivolität und Frommigkelt, bie erſte oft BE zum Ennisntus, DIE zweite bis zur Bi⸗ gutterie ;gefteigert, in Ginklang zu bringen, ober loyal, treu und etgeben zu erſcheinen, entgegen. -WBlafitte Sees fen, Bis ſich gern über füh ſelbſt täufchten, Tonnten

baber nur Gefallen an ihr Änten. Daß man uıfter‘

dem vertriebenen franzoͤſiſchen Adel, den weber Yas’ Begefeuer ber. Emigration, noch. bie Flaͤmmen egoiftl- fiber Treue für das unglüdfiche Königshens von ſei⸗ nen Schlacken zu reinigen vermochten, bie Werke der Fenu von Wenlis Für vortrefflich hielt, if erflär« lich; unbegreiflich dagegen, wie man in- Dentfehlend fo. verblendet feyn konnte, ihre Schriften ſämmtlich fire moraliſch zu halten und fie jungen Leuten in Die Bände zu geben und anzupreifen. SGelbkiihte aus⸗ drücklich für die Jugend verfüßten Bücher find nicht ohne frivolen Beigeſchmack; : wahrfcheinlich glaubte man, weil fe etwas für: Die Jugend ſchrieb, efgne ſich auch Miles, was fte verfaßte für biefelbe. Wie widerlich ind eynifch: find: nicht: der Character und Die Abentener son: Armfloͤde in ideen Schwanenrit tern gefhildert? Da dieſer Woman *) jegt fo ziem⸗

alu 0. le. 2.1 F *) Les Chevaliers du Cygne ou la Cour de Charle-

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lich vreſchollen it, fo möne Hiersber Rahalt zur Wen ſtütigang us Geſagten in: ter: Khrze folgen. Er fpielt Anfangs am. Hofe Racks des Großen. Bwei franzoſiſche Ritter Styles And. IAſambard ſind vers traute Freunde; auf hren Bchilden tragen fir einen Omar umit der Inſchrift; Tandeur et Loyüantss dei ber ochalden fie die Benennang, bie dem Ganzenals Zitel dient. Da man Iſambard in Verdacht ab) der Sehwiegertochter Königs Karl zärsliche Sefühle eingehöße zur haben, fo. geht:er, um dergletchen BE euchte zu widerlegen, nach Couſtautinopel. Bet ſet⸗ aet Rudlkeht ſindet er Blister im tiefer Melanchso⸗ lbie; Deshalb. belaufcht er ihn und wird Zevge riner ſchreflichen Befcheinung, : Olivier bat nämlich heim lich Gebanite, bie Zochten: Des MWittekind, gehrira⸗ thet, ſie an⸗einet vertrauten Unterhaltung mit einem Junglinge Aberraſcht unt aus Biferfacht getodtet. Der⸗Dumngling war abet ihn Bender und ſie alſo uns ſchaldig. Daft: erſcheint fe Ihe nun allt achtlech als ein: btutiges Gerippe and theilt das Lager: arit ihm. Iſambard bewegt ihn, den Hof Karls des Gro⸗ Ben - ga.: verkaffen : und. begleitet ihn: auf ber Meiſe. Untiewdgbe eegählb. sn ihm. ſeine Geſchichte. Endlich gelangen: fie..ut, Den: Hof des Herzogin VBeattix von Cleve, in Die fi Beide verliehen. Aber der König von: Pamnonien it: ihr 'Nebenbuilet.. Gr. fordert Hambaerd. betund; Dlwier har mbeher das Cord

. rd Par 277 mägae: Hamkang: 1708; ® vol. nin * Deatſch· em I. 2. Goſch). Keipzig 1798. 4 Thle. ia-Bs urn.

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und ſchlaͤgt Eh för ſeinen Frund. Er Het: das Guück, ſeinen Gegrer koͤdtlich zu verwunden, - erhält über von. demſelben; gexade als er ihm graſunüthig zu Hülfe eilt, einen: Dolchſtoß und wird. ſterbend nach dem Schloſſe gebracht. Hier verlangt.er, Daß Zſembard und Bestrir fich noch in ſeiner Megenwmart tuauen kaffen. uud, giebt: dumm, 8 das neihiehen iſ ſtinen Keil auf.

Die Haupttendenz Au -faft allen Bomanen per Brau. von. Genlis iſt die Merherrlihung Day. Fröm⸗ migkeit. Im biefer Hinſicht arbeitete fie entichieben ſemehl der philsſophiſchen Schule, deren Bextreter im Romane Yuan von Steel. war, wie den athei⸗ ſtiſchen und gottlofen: Anhängeen Boltaireis , die ſich jedoch ‚nicht mit Dem Romane beichäftigten:. und alt heren ſtaͤrkſter Repröfentamk. in der Posſie: mor Allen Parny, der Verfaſſer DaB frechen, aber witzigen komi⸗ ſchen Epos, la Guenne des Diemx*), qulbetrachten iR, entgegen. Dieſe Feömmigkeit tft jeloch ſteas cine angelerate, urthedore., nie eine urſprũnglich ans. Dem Herzen quillende. Irotz dein wirb derſelben inbeifen entweder Alles zu Gute. gehalten: oder ſie entfetzlich and mit ſtarker Uebertreibung gequält, um ad. bewinem m devionſtriren, welche Stub⸗ im ainglüde bie, e wehre

*) Parny's Goerre des. Dieux: iR had: einige mars kante franzößfge. Buch, das nie ein Deutſcher zu ‚übers ſetzen wagte; auf dieſe Höhe eynifcher Impietät ſchwan⸗ gen. firh ſolbſt die eſchetenſe⸗ Weihe bieſſeite des Rheines nicht.

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Orthodoxie ſei. So Tann man ſich Feine abfcheuli« here Kreatur denken, als die Duenna Leonore im Alphonsine ou la Tendresse maternelle *). Diefe gei⸗ zige, neibifche, habſüchtige, Tiederliche, tüdifche, aber» gläubifhe Perfonage, welche dreizehn Jahre lang ein armes Dpfer der Verhaͤltniſſe und Leidenfchaften auf das Raffinirtefte martert, erlangt am Enbe volle Verzeihung umd bleibt im ungeftörten Beft bed un« tehtmäßig erworbenen Gutes, weil fie doch einige teligiöfe Geſinnungen äußert, obwohl fie eine fakſche Idee von ber Religion überhaupt hat. An Jeanne de France **) ift die Heldin (die Fürſtin Johanna felbR) ein wahrer Engel von Tugend, Herzensgüte, Sanftmuth, Geduld, Großmüthigkeit u. f. w.; fie treibt die Wachgiebigfeit und Selbftverläugnung ſogar fo weit, Die Vertraute der Eharmanten ihres Dans neß zu werden und fie zurüdzurufen, wenn fie ver- bannf find. Aber die arme Frau ift Häßlich, ihr Gatte mag fie nicht und es hilft ihr daher ihre innige Riebe zu ihm fo wenig, daß fie nach zwanzig quaal⸗ vollen Jahren endlich ihrem Thron und ihrem Ges mahl entfagt, Damit biefer Anna von Bretagne hei⸗ . tafben Tann. Noch viel entfehliher geht es ber Heldin in der Belagerung von Rochelle; das An⸗ geführte mag jedoch hinreichen. Aehnliches Fönnte man übrigens aus jedem. Romane der Genlis vor⸗

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*) Paris 1806. 2 vol. in 8. ) Paris 1816. 2 vol. in 12.

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führen; fie find daher, abgefehen von allen anderen Fehlern, meift’eine Duaal für den Lefer:

- Das beite Buch diefer Gattung, das Frau bon Genlis hinterlafien bat, bleibt immer bie hiſtoriſche Novelle, Mabemoifelle de Clermont *). Hier if bie Entwidelung einer reinen Liebe fo hübfch durchge⸗ führt, als die Charactere durch gute Beichnung und bie Situationen durch glüdliche Erfindung hervor⸗ treten. Dabei bat es noch den großen Borzug ber Kürze vor allen übrigen Romanen berfelben Verfaſ⸗ ferin. Noch vorzüglicher wäre Mademoiselle de la Fayette **), wenn dieſe Arbeit nicht an Längen Fitte. Einzelne Schilderungen des franzöftfchen Hofes un. ter Ludwig XIII. in diefem Buche müſſen als fehr gelungen anerfannt werden. Am Grbärmlichiten dagegen find ihre fpäteren reactionairen Romane, in welchen fie Direct Die philofophifchen Doctrinen. be fämpfen wollte, namentlid) die Diners du baron d’Hol- bach ***), für Die fie von ihren Gegnern arg genug gegeifielt worden if. So groß übrigens eine Beit- lang ihre Publicum, namentlich unter der Tegitimi- ſtiſchen baute volde au) war, fo überlebte fie doch ihren ganzen Einfluß und ihre Memoiren mußten

*) Paris 1802. 1 vol. 18. Deutſch u. d. 2. Luife von Elermont. Dresden 1807.

**) Mademoiselle de Lafayette ou le Siecle de Louis XIII. Paris 1813. Deutſch von Th. Hell. (Wink ler). Leipzig 1818.

”*) Paris 1822. 1 vol. in 8.

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nerade am Meiften Dazu beitragen, ihr noch vor ihrem Ende die Maske abzureißen und der Welt zu zeigen, Daß ihr ganzes Leben und Wirken ein un unterbrochenes Gewebe von Lügen und Selbſttãu⸗ ſchung geweſen.

Ganz anders, in vollſter Kraft des echten Ge⸗ nies, mit aller Macht wahrhafter Ueberzeugung, doch faſt nie ganz frei von Uebertreibung trat dagegen ein Jüngling auf, gereift in den Stürmen der Re⸗ volution, aber von unerſchütterlicher Treue gegen ſeine Geſinnungen und ſeinen Glauben. Dies war Chateaubriand, ein Mann auf den ſein Vaterland mit Recht ſtolz iſt, und deſſen Namen auch ſein ent⸗ ſchiedenſter Gegner nur mit hoher. Verehrung aus⸗ ſprechen wird *). Sein Roman Atala ou l’amour de deux sauvages dans le desert **), die Frucht eige⸗ ner Anfchauungen und wahrer und inniger Fröminigs feit, erfchien in dem erften Jahre des neunzehnten - Sahrhunderts und wird im zwanzigften mit Recht no als ein Meifterwerf gelten, wenn gleich die äfthetifche Kritik an ihm als Roman mit eben fols dem Recht Manches auszufegen findet. Ein ameris

*%) S. über Chateaubriand, Sainte Beuve's in⸗ tereſſanten Artikel in der Revue des deux Mondes. 1835. T. 1. Märzbeft, wieder abgebrudt in deſſen Portraits et Critiques;

**) Paris. an IX. (1800) 1 Boden in 18, deutſc von K. F. Cramer. Leipzig 1801.

31 *

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kaniſcher Wilder, aus dem Stamme der Hatches, hat fein Vaterland verlaffen und iſt nad Fraukreich ge gangen. Rad Amerika zurückgekehrt, ſetzt er fein vorige Leben wieder fort und erreicht ruhig ein hohes Alter. Der Zufall führt einen Guropäer, Kene, der fich dort niederlaffen will, zu ihm: Die- fen erzählt er feine Gefchichte, Die Scene ift an den Ufern des Meſchacebsé (Miſſiſtppi), Die ber Verfaſſer mit eben fo großer Kraft, als wahrer Schonheit ſchildert. Chactas, fo heißt der Wilde, ik von einem feindlichen Stamme zum Gefangenen gemacht worden und fol in bem Hauptdorfe vers brannt werben. Die Frauen fühlen Mitleid mit fei- ner Jugend und befchenken ihn. Während der Bor» bereitungen für feine Hinrichtung entbrennt Atala in Liebe zu ihm, befreit ihn, und ergreift mit ihm bie Flucht, um nicht, ftatt feiner, al8 Opfer zu fal- len. Die Begebenheiten während ber Flucht, fo wie der Wechſel von Angft, Hoffnung, Liebe und Reue, welche ihre Gemüther’ergreifen und bewegen, find aus ‚Berordentlich fchön dargeſtellt. Atala ift im Chriften- thum erzogen worden unb ihre Mutter hat gelobt, daß fie ftets Sungfrau bleiben folle.. Sie find Beibe nahe daran, der Leidenſchaft zu unterliegen, Da hös ven fie das Glöckchen eines Miffionnairs, der fi in bie Wildniß zuräcdgezogen bat. Dies giebt ihnen bie Kraft, ihren heftigen Trieben Widerftand zu Ieis fien. Der Mifftonneir, Water Aubry, nimmt fie in feinee Hütte auf. Am folgenden Morgen woh- nen fie der Meſſe bei, die er unter freiem Simmel

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haͤlt?). tale im Kampf mit ihrer Liebe und ihrer Beſtimmung, vergiftet ſich. Aubry hört noch vor ihrem Ende ihre Beichte, und wirft buch ſeine fromme Ermahnung fa auf fie, daß fie wie eine Heilige ſtirbt. Aubry felbft ſtirbt nachher unter gro» ben Qualen den Top eines Märtyrer. Chategubrignd’8 zweiter eigentlicher Roman denn Rens iſt, ſtreng, genommen, nur eine elegie fhe Epiſode, Les Aventures du dermiers Aben- serrage erfchien zuerſt in feinen fänmtlichen Wer⸗ ten, deren fechözehnten Theil er bildet. Sehnſucht und Rache führen ben letzten Sprößliug des be⸗ rühmten Gefchlechtes ber Abencerragen⸗ nach dem Lande feiner Väter. Der Anblick der fchönen Blanca, LZochter des Herzogs von Santg= Ye, zu ber er iu heißes Liebe entbrennt, läßt ihn jeboch bald vergeſ⸗ fen, weshalb er eigentlich nad Granada gefommen iſt. Blanca theilt feine Gefühle, ohne indeſſen das Öeheimniß feiner Geburt von ihm zu erfahren. Eipe Botſchaft feiner ſterbenden Mutter ruft ihn nad zunis zurück; kaum hat er dieſer jedoch bie legten Michten erwiefen, fo eilt er wiebger nah Spanien. Bei der Gelichten verfließt ihm nun ungeſtört ein glückliches Jahr, Beide hängen innig an dem von ihren Eltern empfangenen Glauben und .verfüchen umfonft, fih) gegenfeitig zu befehren. Sie trennen fih noch ein Mal, ohne der Leidenfchaft unterlegen zu haben.

*) Deutſch von E. Stöber, zugleich mit Atala und Rene, Paris 1826.

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Am dritten Jahre findet Aben« Hamek, fo heißt ber Maure, Don Earlos, den Bruder feiner Geliebten, und Lautrec, einen jungen Franzofen, mit weldem diefer fie vermählen will, bei Blanca. Liebe und Eiferfucht führen einen Bweilampf zwifchen ben Hamet und Don Carlos herbei, Der Legtere wird befiegt, und verdankt fein Xeben nur der Großmuth feines Gegners. Bon der Schwefter geliebt, von dem Bruder geachtet, will dee Maure nun die Hins berniffe, Die feiner Berbindung mit Blanca im Wege fteben, befeitigen. Da erfährt er durch ein Lied, wel ches Don Katlss fingt, daß dieſer der Sohn des Kriegers vom Gefchlechte des Eid ift, welcher feis nen, Abens Hamet?s, Großvater getödtet hat. Jetzt giebt er fich wäthend, als den letzten Abencerragen „zu erkennen und erklärt, baß er nad) Granada ge» fommen fei, um den Tod feines Großvaters an ben Bivars (den Nachkommen des Eid) zu rächen. Don Carlos bietet ihm nun einen Kampf auf Leben und Zod, oder die Hand feiner Schwefter unter ber Bedingung, daß er fich taufen laffe, an. Aben⸗Ha⸗ met fordert Blanca auf, zu entfcheiben, was er thun fol, um ihrer Xiebe würdig zu feyn. „Kehre in bie Wüſte zurück!“ ruft fie und ſinkt ohnmächtig hin. Er gehorcht und verfohwindet; fie bleibt untröſtlich zurück. |

. Sn feinem dritten Werke dieſer Art, Les Nat- chez *), weldjes er zwar jelbft ein Epos (epopee

*) Es erſchien zuerſt in ſeinen ſämmtlichen Wer⸗

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de I’bomme de la nature) nennt, das aber nur ein Roman ift, bat fi) Chateaubriand auf jenen Ab⸗ weg verirrt, auf welchen die franzöſiſchen Romantiker den Roman eine Zeitlang fo entichieben führten. Dies Buch gehört unbedingt der Literatur des Ko⸗ thes und Blutes an, wie Die überrheinifchen Kritis fer Die Producte jener Richtung, zu ber wir fpäter ung noch ausführlich zu wenden Haben, felbft benen⸗ nen. Es liefert den Beweis, daß ein entfchieden Iyrifches Talent, und das iſt Chatenubriand’s, nie im Stande fei, einen guten Roman zu liefern, da e8 die Hülle ber äußeren Erjcheinungen, weldye Die Idee des Lebens zu verjinnlichen haben, nie gleich. mäßig objertiv zu behandeln weiß und entweder das fubjective Element vorwalten Täßt oder fi in ber Wahl der Mittel und ihrer Unwendung vergreift. Das Letztere findet hier Statt. Dndure, ein Häupt⸗ ling der Natchez, wird von dem weiblichen Oberhaupt derfelben, Ackenſie, geliebt, fieht aber in Diefer Liebe zur das Mittel, zur höchften Gewalt zu gelangen. Sein Herz gehört Celuta, Die jedoch feine Neigung nicht erwiedert, fondern heftig für Rene entbrannt it. Er laßt das Oberhaupt Sonne (Soleil) von feinem eigenen Volke in einem Kriege gegen die Il⸗ Iinois tödten, Liefert Rens dieſem Volke aus, nimmt die Sachems, Chaetas und Adario, die ſich eines geoßen AUnfehens bei den Watchez erfreuen, gefan⸗

fen und bildet Dort den 19. und 20. Baud der Ladvo⸗ cat'ſchen Ausgabe von 1826.

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gen, ſtürzt Ackenfle in einen mit Klapperichlangen angefüllten Sumpf, ermordet Rens, fchänbet bie ohnmächtige Seluta, und fällt endlich unter den Hie⸗ ben ihres Bruders Outougamiz. Um Pie Haupt« perfonen gruppiren fich ber alte Chactas, eine Art von wildem Philofophen, Dutougamiz, ein einfacher gutartiger Jüngling, deſſen Freundſchaft für Mens eine wahrhaft edle ift, und Mila, eine junge naive Andianerin, zuerit Rens's Geliebte, dann feine Freun⸗ din, zuletzt Celuta's Tröfterin und Dutougamiz's Gat⸗ tin. Trotz einzelnen fchönen und großartigen Schön⸗ heiten, wimmelt das ganze Bud; von Greueln und Sheußlichleiten, und ſteht hierin ben tolliten fran- zöſiſchen Ausgeburten neuefter Beit nicht nach. Diefe Drei Werke entitanden während Chateaus briand’8. Aufenthalt in England, innerhalb Des letz⸗ ten Decenniums des vorigen Jahrhunderts, und es Bann ihrem Werfaffer, obwohl fle zum Theil erft fpäter und in etwas veränderter Geftalt an das Licht traten, das Vorrecht nicht ftreitig gemacht werben, für die Literatur feines Waterlandes eine neue Bahn gebrochen zu haben, Mit folcher Kraft, ſolchem Neich⸗ thum und folder Gluth hatte die Phantafie in dem franzöſiſchen Roman noch nicht zu bem Lefer ge fprochen. Eine fo poetifche Profa, fo reich an Kraft und Anmuth zugleich überall, in ber erſten Aeuße⸗ zung wenigftens, von ber Begeifterung bietirt, Hatte noch Niemand geredet. Diefer Styl war das wahre Gewand ber Gedanken, immer mit dem Inhalte über einitimmend, ſich mit jeder Falte an den Körper,

488 ben es bebedite, anſchmiegend und deſſen ebelfte For⸗ men noch mehr verebelnd, und dennoch voll Glanz und Pracht, ausgeftattet mit allen Schägen frember Zänber,, aber immer ccht franzöſiſch. Kein Wunder daher, daß eine ſolche Erfcheinung zu einer Beit, wo man fich enthufiaftifch allem Neuen zuwandte und es als Herold einer großen Epoche betrachtete, mit Dem lebhafteften Beifall begrüßt wurde: Dazu Fam nun noch die reine und großartige Weife (denn das bleibt fie trotz allen Irrthümern), mit ber ſich Chateau⸗ briand als Vorkämpfer bes in Frankreich bedräng- ten und nach franzöftichen Begriffen allein echten Chriſtenthums zeigte. Auf den Trümmern einer furhtbaren zerftörenden Beit erhob er ſich und vers fünbete , ein erlenchteter Prieſter, Die Wiederkehr ei⸗ nes neuen Tages. Nach der Morgenröthe wies er, ald dem gewifien Beichen, daB bie alte Sonne, an bie man in Der Nacht nicht hatte glauben wollen, weil man fie nicht gefehen, von Neuem wie immer ericheine und den Menfchen Licht und Segen und Freude bringe. Es war nichts Geringes, feinen Glau⸗ ben am Schluffe bes achtzehnten Jahrhunderts bes wahrt und ihn in das neunzehnte hinübergerettet zu baben. Chateaubriand that mehr. Das Heiligehum war zwar noch da, aber nur Wenige wagten vor ihm zu knieen und es anzubeten, unb doch regte fidh das Bedürfniß danach fo mächtig in vielen Herzen. Da öffnete er Die bisher gefchloffenen Thüren des Tabernakels und nahm bie Monſtranz heraus, um fie mit leuchtenden Blicken dem ganzen Wolle zu

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zeigen und ihm mit flammenben Worten in bas Herz zu reden, Daß es nieberfalle und anbete und ben Erlöfer befenne in der ganzen Freudigkeit fei- ner Seele. Es war eine würdige Senbung, bie er ſich auferlegt, und er Löfte fie würdig. Durch ben Glauben feiner Väter wollte er das Volk wieder mit feinem Gott verfühnen. Reiches Gelingen Erönte fein Werk. Gr that fo vielen gedrüdten Seelen wohl dadurch. Wen gab es in Frankreich, der nicht während der Kevolution arm an Glauben geworden? Zwar .waren die Kirchen wieber geöffnet, aber «3 fehlte an Betern; fcheu zog fich Jeder, der da ges litten hatte, in fich zurüäd, und wollte die Andern nicht jehen laſſen, daß er himmliſchen Zroftes be dürftig fei. Da zeigte Chatenubriand in begeifterter Rede den Weg und zog voran und ihm nach folgten in Schaaren, die Kranken, die Waifen, die Witten, die Berlaffenen, die mit verödetem Herzen und qui Iendem Gewiffen. Zwei Tempel öffnete er ihnen, das Chriſtenthum und Die Natur; in Beiden war Gott den Menſchen fichtbar und reichte Denen, Die ihm bie Arme entgegenitrediten, die Hand der Gnade zu Erneuung des alten Bundes. Es lag ein eige ner, feltener Bauber in den Worten Des genias len Zünglings, denen Alle willig laufohten, obgleich er fie gewaltig und tief erniedrigte vor dem Herrn.

Diefe großartige Seite an Chateaubriand’s We: fen muß von Jedem anerfannt werden, möge ihm aud) noch fo fremd und fern feyn, was den Berfals fer des Genie du Christianisme begeifterte. Er war

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felig in feinem Glauben und wandte alle feine edel- ften Sräfte an, um Andere theilhaftig zu machen feiner Seligkeit. Auf ſolchem feiten Grunde ruht Alles, was Chatenubriand gefchrieben und gethan; es ift ein Poftament, auf welchem er ftets hoch über dee Menge ftehen wird, denn Glaube, Xiebe und Irene find eins bei ihm, wie bei Jedem, ber im Geifte und in der Wahrheit feines Herzens an« betet. Wie edel und groß er bier fich zeigte, da8 haben felbft proteftantifche Kirchenlehrer bereit- willig anerfannt *). Bwar kann man ihm, und mit Recht, vorwerfen, daß er den wahren Geift des Chriſtenthums unrichtig aufgefaßt und ſtarre For- men zu entfchieden ftarren Formen entgegengeſetzt babe; das verringert aber Feinesweges den hohen Werth feiner That **). ER

*) &. D. Karl Hofe, Kirhengefhichte. Leipzig 1834. S. 542.

**) Der Verfaſſer hielt es für angemeflen, Chas teaubriand von befien eigenem Standpunkte aus zu würs digen, um befien Wirkung innerhalb des Romans befto entihiedener hervortreten zu laſſen. Daß er über viele bier berührte Dinge eine ganz andere, oft durchaus ent« gegengefegte Meinung habe, braucht er wohl nicht erft zu bemerken, im Texte war es überflüffig, das ſelbſt⸗ gefällig anszufprechen. Dergleihen muß man ben Leu⸗ im überlaffen, die um bes lieben Brodes oder bes Handwerfes willen immer mit der Meligiöfität und dem Antifatholicismuss hei der Hand find, Den hohen

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Vom aefthetifchen Geſichtopunkte aus unterliegen. Chateaubriand's Romane vielem und gerechtem Tadel. Einen vollfommenen Roman vermochte er überhaupt nicht zu fchreiben, Dazu war feine Subjeetivität zu vorherrſchend, es fehlte ihm zu fehr an Wuhe, und wie in feinem Glauben ſelbſt bie Widerfprüche her⸗ vortreten, fo auch in feinen bichterifchen Werken, Atala ift troß ihrer reichen und mannichfachen Schil- derungen nicht frei von Eintönigkeit und ungeachtet ihrer Einfachheit zu Fünftlich angelegt; der Eonfliet zwifchen dem Glauben und der Liebe und die da— Durch herbeigeführte Kataftrophe quälen den Leſer und würden ihm als unwahr erfcheinen, wenn ihn nicht der große geiftige Meichthum der Austattung blendete. Die Watchez find halb Epopde, halb Ro» man und 'dadurch fo ungleich, daß alle wahre Har⸗ monie in ihnen zerftört erfcheint, auch geht Die Phan- tafle zu häufig mit dem Werfafler durch und er ge> räth auf Uebertreibungen. Chactas am franzöfifchen Hofe ift eben fo abgeſchmackt, als die Srene mit Celuta nach der Tödtung Rens's wiberlih. Ger tade in dieſen Verierungen erfennt man am Deut- Tichften den Franzofen. Wer aber ift fo groß unter

Werth beifen, ber aus innerfter Ueherzeugung handelt und kämpft, ſoll aber gerade in unferen Tagen jeder rechtliche Mann fo laut wie möglich anerfennen, gleich siel, 0b er ihn im eigenen Kager oder in dem des Beindes weiß: fein Wort und feine That bleibt ehren- werth und das bervorzubeben, Pflicht des Darſtellers.

[0

4293

den Dichtern, daß er fi vom Weſen feines Volkes frei zu erhalten vermöchte? Der Dichter, der Sol- ches kann, fol noch geboren werden; unter den Fran⸗ jofen wird er indeſſen nie auf die Welt fommen.

Chateaubriand's Styl ift meifterhaft, originell, praegnant und voll Süßigfeit, Anmuth und hoher Kraft, trotz manchen Ungleichheiten. Hier findet Vuffon's meift mishrauchtes Wort: Le style c'est Ihomme einmal die vollfte Anwendung.

Die Stael und der Dichter der Atala blieben bis zur Reftauration Die glänzendften Sterne am Himmel der franzöfifchen Romanliteratur. Tief un» ter ihnen bewegten ſich noch einige ſchwache Geifter, die dem Gefchmade der Maſſen fröhnten und genüg- ten, welche nur Hutter für den Lefehunger müſſiger Stunden haben wollten, und folche müffige Stunden und freie Lectüre gönnte Napoleon ihnen nur in ges ringen Maaße. Als friſch und eigenthümlih, aber ordinair und frech, für ben Geſchmack ber im Lager aufgewachfenen oder doch folbatifch gefchulten Menge fhreibend, muß Pigault Lebrun hervorgehoben wer⸗ den, auf den wir jedoch fpäter zurückkommen wol⸗ len, um nicht mit zu ſchreiendem Contraſte dies Ca⸗ pitel zu Schließen.

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2,

Die Romane der romantifhen Schule in Deutſchland.

Es iſt ſchon ausgeſprochen worden, daß die fran⸗ zöſiſche Revolution zuerſt nur ſehr mittelbar und ſchwach auf unſere ſchöne Literatur einwirkte. Wäh—⸗ rend dort eine Steigerung aller geiſtigen Kräfte fort⸗ während Statt fand, welche endlich in der unge⸗ heuerſten Gewaltthat des materiellen Lebens ihrem nothwendigen Ziel und Damm entgegenſtürzte, ſo hatte ſich hier allmählig ein Sinken und eine Ab⸗ nahme berfelben bei der Menge geftaltet, von ber die Edelſten der Nation fich mit entfchiedenftem Wir berwillen abwandten; ich fage abfichtlich bei Der Menge und muß das hier hervorgehoben wünfchen, da der Blick nur Darauf gerichtet werden kann, weil die Menge immer ber Träger einer jeden National⸗ literatur if. Einzelne hohe Geifter glänzen und hertfchen zuerſt nur in ihrem engen Kreife und blei- ben ihrer eigenen Beit immer noch lange fern; fo will es einmal das menschliche Schickſal. Der En- thufiasmus, mit welchem früher Klopftod war be» grüßt und während einer langen Strede feiner Bahn begleitet worden, mit dem man fpäter Goethe's erſte Productionen aufgenommen hatte, war längft wieder erlofchen und felbft Goethe's und Schiller's Ingrimm fachte ihn durch die Blige, die fie in den Zenien auf Mittelmäßigkeit und deren dummdreiſte Arro- ganz fchleuderten, nicht wieder an. Es ift eine alte

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erprobte Wahrheit, daß alle Beſchränktheit und All⸗ täglichfeit gegen hohes Talent inftinctmäßig eine Berihwörung bildet, und nicht eher ruht, als bis es daffelbe in feine Gemeinheit herabgezerrt oder eB zum Schweigen gebracht hat. Nirgends aber hat der Genius mehr darunter gelitten, als in Deutfchland, weil wir nie bie Rationalliteratur bei uns mit Stolz ald Sache der Nation betrachtet haben. Das Ver⸗ bot der Schriften des jungen Deutfchlands ift Das einzige Beifpiel in unferer Gefchichte, Daß man bie iteratur al8 etwas zum Gemeinweien Gehörendes von oben herab nicht ignorirte; auf Diefe ganze Er⸗ fheinung ftolz zu ſeyn, haben wir jedoch eben Feinen Grund. An unferen großen Geiftern fich heraufzus bilden, das überlaffen wir meift unferer Iugend felbft, bin und wieber pedantifchen und gefchmadlofen Echuls meiftern, Die den Schülern die Niebelungen grams matiſch und Fritifch erklären, wie den Cicero; eine Rothwendigfeit aller Erziehung ift e8 indeſſen leider nicht. Wofür fol fich denn aber Einer enthuftass miren, wenn nicht für Die edeliten Geiſter feines ei⸗ genen Volkes?

Ein Hauptgrund der fortwährenden Lauheit ges gen die Poeſie in Deutichland mag wohl der feyn, daß der Deutfche die Deffentlichkeit nicht liebt und bie Leinenfchaftlichkeit eben fo wenig, am Wenigften, wenn fie fich öffentlich zeigt. Kann aber ein Dichter groß feyn ohne ſtark ausgefprochene Leidenſchaft? Kam diefelbe fo gewaltig, wie fie war, zur Erfcheis nung, fo ergriff fie wohl auf den eriten Augenblick

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heftig, aber die Menge wies ſie bald wieder entſchie⸗ den von ſich ab oder trat ihr ſchroff entgegen, ohne das Großartige in ihr zu erkennen und zu achten. Das haben wir nur zu deutlich an Goethe's Werther, an Schiller’8 Räubern, ja felbft an Klopftod’s Meſſias gefehen,, obgleich bei Klopſtock, neben der erhabenen Leidenſchaft für das Göttliche Die größte Befonnenheit vorwaltete. Wie bald zerrte c8 nicht Die Mittelmäs Bigkeit mit frechen plumpen Tagen zu fich herunter and die Maffe wandte fich nicht allein nicht empört davon ab, fondern hatte fogar ihren Spaß daran. Ich erinnere an Triller's Wurmſaamen *) ; bie Bei fpiel, dem man noch Dutzende zugefellen Tönnte, zeicht ſchon Bin.

Alle, die bei uns in ber Mationalliteratur gei⸗ fig Bedeutendes erftrebten, haben bis zum Schluſſe des achtzehnten Jahrhunderts faft immer allein und vereinzelt geftanden. Daran mag zum Theil ber Mangel an Lieferer philofophifher Bildung Schuld feyn, durch welchen ben minder Begabten, bie fid gern angefchloffen und mitgewirkt hätten, das Be

wußt ſeyn defien, worauf e8 eigentlich ankam, fehlte

Daher hielten Manche wohl bier und da im Allge⸗ meinen zufammen, aber im Befonderen ging Sehe

oft inftinetmäßig, 'Sfter blind feinen eigenen Ba.

Als die Philsfophie endlich anfing, auch die Dicht⸗ kunſt in den Kreis ihrer Betrachtungen zu ziehen, ber

*) Der Wurmfaamen, Heldengeviht von D. ®. Trier. Hamburg 1751.

fhäftigte man ſich zuerſt und zw. lange: nur mit Dem Aeußerlichſten, den Formen, ohne an die naturnoth⸗ wendige Entwickelung ber. Form ſelbſt aus der Mar terie zu denken, und dieſe philsſophiſchen Forſchun⸗ gen zu unterwerfen. Eins faſt unglaublich lange Beit war der Stoff in der Poeſie etwas. Willkührliches und den wohlfeilſte, alltägliche, der gewöhnliche und willkommenſte. Dab:: Schönheit der Bwed aller Kunſt ſei, fühlten dankel Eſmige, klar ward es aber nitgends gemacht. Endlich warb. durch Kant bie Philsſophie die Leuchte der Poeſie wie- aller Kunſt; große Dichter, wie Schiller, ſuchten auf phi⸗ loſophiſchem Wege wit. ih und. ihren Leiſtungen in das: Slave. zu kommen, und man fing elmöhlig an, - zu willen, was man zu thun habe. :

Die allgemeine Verbreitung der Lentiſchen Philsſephie faͤllt in die letzten Decennien Dos acht⸗ zehnten Tchshunderti Sie war ſelbſt Modeſache der allgemeinen Bildung geworben. Bu dieſelbe Zeit fällt. auch das erſte Keimen der romantiſchen Poeſte; ihr Werden und ihre Gntwickelung trifft Dagegen. mit ben Fichte ſchen und Schelling'ſchen Syſtemen zuſam⸗ men: nicht, als ob biefe ſie gebildet hätten, Davon kann gan nicht bie Rede feyn- Sie entſtand durch die Nothwendigleit eines Gegenſätzes in der Zeit umd ihre Richtung. erhielt ſie durch mannichfache zuſam⸗ mentreffende Verhaältniſſe; aberd befsrdert und der Menge verſtändlich gemacht: ward ſie von der dama⸗ ligen philoſophiſchen . Bilbung,; und. gewann dadarqh ben Vortheil, daß ſich Virbe ihr. leichter. ꝓiqloe⸗

3

und bie verſchiedenſten Geiſter fich verbanden, ihr zu dienen. und fle zu. unterftügen.. er Die Belege da- für haben will, ben. verweife ich auf Die Damaligen Literaturzeitungen, namentlich die Jenaiſche und. auf die von Mitgliedern. der romantifchen Schule felbt herausgegebenen Monntsichriften.

Werfen wir einen rückſchauenden Blick auf das vorlegte Gapitel, fo finden wir im damaligen Ro - man, trotz dem, daß derfelbe auch.von den Fähigeren angebaut worden, ein trenes Bild der ganzen dama⸗ Ligen tief gefunfenen mittlexen Poeſie. Für die vom eulturhiſtoriſchen Standpunete ausgehende Literärge⸗ ſchichte iſt die. mittlege Literatur einer Nation eben fo wishtig, wie Die höhere, Denn fie zeigt noch deut⸗ licher den eigentlihen Höheftand, auf welchem fid Die Waffe eines Volkes während einer beitimmten Periode befand. Auf Die rafch vorübergegangene Sturm⸗ und Drangepoche, die nächfte Folge. der gei- figen Wirkungen des fiebenjährigen und bes ameri⸗ Fanifchen Krieges, war eine Erfchlaffung eingetreten, - die fih in fpielerifcher Spießbürgerlichfeit, gelerkter und gemachter Sentimentalität und . oberflächlichen Haſchen nah Ungewöhnlichem und AUbentenerlichem, ohne. inneren Halt, beuefundete. Da warf. Die fran söfiche. Revolution. Maffen von Ideen auch. na Deutſchland hinüber, aber. für das Leben erfaßte man fie: hier. nicht und ſo Fomnte fich. die Poeſie, bie. im mer bem. wirklichen. Leben .nachfchreitet, ihrer nod nicht. bemächtigen. . NMur Eins hielt man für bi sehe. fei,: die. Ider einer: Revalution ſelbſt, Die wis

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jene wirfliche wieber vafch zur Matur führte, von ber man fi) ganz abgewenbet hatte. Die Säge, zu denen man nothwendig aus innerfbem Gefühl heraus Gegenfäge aufſtellen mußte, waren in ben Höchften Jatereffen des Lebens, Unglaube oder geiftlofe Or⸗ thodorie, in den mittleren unfreie fociale Bufkände und Enge der Lebensverhältniffe, in den anteren Ar» muth der Formen für die finnliche Erſcheinung. Woher aber die Begenfäge nehmen? Denn die

Poeſie Hat nur und kann nur mit dem Vorhandenen oder ale Solches Denkharem zu thun haben. Die an: tiken und Die mobernen Elemente waren faft"gänzlich erſchöpft. Mean wandte fi) Daher mit feinem Sinn zum Mittelalter, in dem ſich Die nothwenbigen Ele⸗

„mente, wenn auch Manches unfrei, fanden. Glaube, - uf an der Natur und Neuheit und Reichthum der : Kormen ber äußeren GErfcheinung wurden Daher bie ‚zum Theil hier ängftlich entlehnten, zum Theil freier

entwickelten Gegenfüge; Durch fie, und Das war ber

„größte Gewinn, befam Die Phantafte, welche -bie Spießbürgerlichkeit faft ganz verbannt, "oder doch

eng gefeſſelt hatte, volle Freiheit wieder und waltete

„nun auf Das LZebendigfte oft foger bis’ zur Uebettrei⸗ „bung in Den Leiſtungen ber (ſich felbft fo. nennenden) tomantiſ chen Schule vor.

3 Ih muß mic auf dieſe raſchen Aadentangen dbeſchraͤnken, denn meine Aufgabe bleibt nur, darzu— "‚sellen,, wie: Diefe Romantik: auf Die. .Momane ein⸗

wirkte. An Einzelnen wird ſich dann auch. wohl Anne: und Beftinmteres nachweiſen Iaffen. -:"

32. *

Dee Erſte, welcher die neuermorkenen: Schähr für den Roman .eroberte, war auch zugleich der be gabteſte Dichter unter allen Mitgliedern der roman tifchen. Schule, Kaum brauche ic) zu fagen., daß ed Ludwig Bier ik, den ich meine. Zieck ſelbſt iſt der getrene Abdrud des ganzen Werdens und der vollen Kusbildung einer Richtung, deren glänzendſter und begabtekee Gerold er mar. Die. Jüngſten unferer Beit haben ihm es nicht verzeihen Fönnen, daß er in dem Weihe der Poeſte nie eimas Anderes ſeyn wollte, als ein Dichter, und ben Dichter nie zum Seclaven aufierpnetifcher Tendenzen machte, und ha ben ihm ſchweres Unrecht gethan. Die Nation hätte e8 nie dulden follen, daß man. einen ihrer liebens⸗ wärdigften Geiſter zum Dank für feine Liebenswür⸗ digkeit mik Steinen warf, bie nicht. einmal: inmer tein von. Kath. maren,. aber.darin find mir feig und Sehen gelaffen zu. Mir verdanken Zierd außerordent⸗ lich viel; bie_fnifche: Luft: an; ber Ratur, Die er zw erſt wieher werkte: und bie Bevolkerung derſelben mit gzwubriſchen Gaſtalten, hie feine zarte Darſtellung ber Webenggerſcheinungen, ; bie: Saubere. Behaudlung ber Fi⸗ ausen und vor. Willem die heitere, dichteriſche Ironie, Die ſich bei. ihae. mit Den. Jahren immer reizender ausgebildet hat. Wer hat bean auf. eine gſücktichere Meile, den. Phentaſte ihr volles Recht eingeräumt, im Garten der Moeſie ihren Ehvenplatz art: ben Deich beſetzien Tafel des Lebens: einzunehmen? Ihr zur Seite Hk. DaB Gemüth, aber Die Phantaſie macht ſtets Die Honneurs bei dem! Mühle. und: der: feinfte

so | Geſchmack iſt ihr Haushofmeiſter. Nie wirb- Bei Tieck etwas Störendes hervortreten; ſelbſt wo er feine becke Laune am Ungebundenſten walten Idft, entführt Ihm doch niemals‘ etwas Gynifches, und da⸗ von ſind woder Shakfipeare,nod) Dante, weder Schil⸗ ker, noch Goethe frei zu fprechen, Denen Ihre Kraft oft über den Kopf wuchs. Man macht Bier ten Borwurf, er habe die Intereſſen der Zeit nicht ge⸗ theilt. Geſetzt, er hätte es nicht gethan, marht das den Dichter in ihm geringer? Es macht nur den großartigen Menſchen größer vor der Menge, die ihn menſchlich fehen will, weil ihr das Göttliche oft zu fern oder zu hoch Liegt. Aber e8 iſt auch unwahr. Tieck's ſäͤmmtliche Schriften find gerade eben’ fo viele Zeugniſſe für Teine edeln Sympathieen und Antipathieen, nur macht er fi) nie gemein und - bteit damit, Denn das kann ein fo reicher, feiner und fauberer Geiſt nicht; wer zut guten geiftigen Geſellſchaft fi zählen darf, ber fühlt fie in Allem, was Tieck gefchrieben hat, gleich und leicht heraus. Bas ihn ſtörte und was ihn freute, hat er ftets in feinen Schriften niebergelegt, feinem ganzen Bil» dings» und Entwickelungsgang Farin man Schritt für Schritt "in ihnen nachgehen und ihn Dürchleben. Von diefem Standpunkte aus wollen wir hier feine Romane auffaſſen und an ihnen-nachzuweifen ſuchen, weldhen Einfluß fie auf die weitere Bildung des Ro» and in Deutſchlaniß geivannen und ausübten. Bon ſetnem erfien Buche dieſer Gattung, Abdal⸗

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{ah *) rede ich weiter nicht; es if eine. Gymnaſia⸗ fenarbeit, und als folche ein Beugniß von ber An- muth und dem Reichthume eines großen noch nicht felbftbewußten Zalentes. Diefes offenbart fich fchon beftimmter in den Fleinen, wohl meiſt auf Nicolai's Beranlaffung gefchriebenen Movellen, wo bereits ver Kampf mit Beit und Umgebung beginnt, während _ ber Kampf mit dem eigenen Selbſt fih in dem größeren Romane William Xov.ell**) ausfpridt. Quälend erhitzt durch den Bwiefpalt zwiſchen Em- pfängniß und Genuß, bie jeden Jüngling ergreifen und ihn in Gegenſätzen bewegen, fchildert der Dich⸗ ter, aus innerem Bedürfniß den fremden Stoff aus feinem Wefen zu entfernen, wie e8 die Natur im thierifchen Organismus durch fieberhafte Erfchütte zung thut, einen Menfchen ohne innere Freiheit und Innerlichkeit, den eben dieſer Mangel zu einem trü- ben Bweifel führt, deſſen Wirkung er durch heftis gen, und da Diefer bald erfchöpft ift, wiederholten und variirten Genuß zu zerftören fucht, wobei er natürlich am Ende felbft untergeht, und nothwendig untergehen muß. Es iſt die alte echt beutfche Fauſt⸗ idee, Die ſich ſtets und in aller lebendigen Jugend wieder erzeugt, aber auf das Mannichfaltigfte zur

*) Berlin 1795. Auch im Aten Bande feine Werke. Leipzig 1799. » **) Berlin 1795.,2te Aufl. Berlin 1814. 3 Bde.

Ebenfalls in der Ausgabe. feiner Werke von 1799. Bd. 1 —3.

Erſcheinung kommt. Den fubjectiven Drang bei Die»

ſem Werke beweift ſchon die Briefform ; wenn: bie Jugend noch mit fich ſelbſt zu thun hat, wich ihe die objeetivirende Form ſo unendlich fchwer und ſagt ihr fo wenig zu, daß fe fie fat immer entichienen abweift, fie müßte denn zum Drama greifen, wo Subjert und Object fih im Schaffenden vermifchen. Die Motive, deren Tieck ſich im Lovell bedient, um diefen Kampf darzuftellen, find nicht bebeutend; Die Beit und der Roman hatten fie ſchon reichlich, dar⸗ geboten und vielfach ausgebentet, aber bie Behand⸗ lung derfelben tft es, Durch Die Gluth und den Far⸗ benreichthum der Darftellung. Aus dieſem Grunde und dem gänzlicher Abweſenheit ber Innerlichkeit wirken Die Hauptcharactere, namentlich der Held, durchaus unerfreulich: man ‚wendet fich höchft- unwils lig von ihm ab und gönnt ihm fein Schiefal, wäh« end man bei Werther's Grabe bewegt und nach⸗ denkend ftehen bleibt und fich mit großartigen, erſchüt⸗ ternden Ideen beſchaͤftigt und ergriffen fühlt. Wil Kam Lovell ift eigentlich ein franzöftfcher Character des achtzehnten Jahrhunderts in ein beutfches ro⸗ mantiſches Gewand gehüllt; ſtreift man ihm daſſelbe ab, fo kommt ein überſättigter Rous zum Vorſchein, der nicht verderbt genug iſt, das Leben leicht zu be⸗ handeln und daher auf den Fluthen, auf die er ſich raſtlos ſelbſt getrieben, ſcheitern muß. Wir dür⸗ fen nicht vergeſſen, Daß ie feine. Jugend in Ber- lin verlehte und folhe Figuren dort Häufig fehen mochte. Er that nım von der eigenen, inneren Gäh-

_

tung ‚hinzu, und fo eutſtand dieſer Woman, ber ſich zu keiner Beit eines großen. und entichiedenen Wir⸗ tung zu erfreuen hatte, und jegt ſelbſt von ben größten Verehrern des Dichters, nur noch felten ges lefen wird,

Mit diefen Bude hatte Die geſunde Natur Tieck's aber auch den fchäblichen und fremdartigen Stoff für immer ausgefchieden und er fteht num frei da, mit bemußter Klarheit die Richtung einfchl«- gend, gu ber, ihn fein innerftes Weſen antrieh. Mer es nicht von diefer Seite auffaßt, wird niemals ben ungeheucren Abſtand zwiſchen dem William Lovel und Franz Sternbald's Wanderungen *) Zieck's näch⸗. ſtem Roman begreifen können, und ihm, wenn er f dem Dichter in der ‚Beitfolge feiner Werke nachgebt, zu Muthe feyn, als ob auf die von feindlichen Ges. falten bewegte Naht plöglich, ohne ben mindeſten. -Nebergang, ber helle, heitere Zag mit der gan Fülle feiner freundlichen Erfcheinungen eintrete. Hi finden fih, ſchon ganz entichieden jene Gegenſä welde die neuere romantiſche Poeſie beſtimmten Glaube, innige Liebe und Auffaſſung ber Natur ihres reichſten Lebens, Fünftlerifche Freiheit and bi Kunſt felbft, als ihr eigener Hauptzwed, Fanntlich Hat Tieck's früh veritorbener Freund W Kenroder großen Antheil an Diefem Buch, das wohl durch feinen, ungeitigen Tod vorzüglich Fra ment ‚geblieben ift. De deutſche Kunſt der Peri

9 Berlin 4798. 2. Thle.

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Därer’8 und ihre Beftrebungen, bilden den Mittel« punkt des Romans; bie Unbefinimtheit, von der die⸗ felbe durchdrungen war, bricht auch Bier in Der poe⸗ tischen Darftellung durch; neben meifterhaften Schil⸗ berungen einer -Künftlernatur und ihrer eriten Ent« faltung, unklare abſichtlich geheimnißvolle Naturan« ſchauung und leicht erregte gern fich inbernde: Sinn⸗ lichkeit. Dadurch bezahlte der Verfaſſer feiner Beit, mit ihren alten, wie ihren nenen Richtungen, unwill⸗ Türlich den, nothwendigen , unerläßlichen Bribut, den Die Beit nie, auch nicht Dem größten Geiſte ſchenkt. Alle bedeutenden Dichtungen find ſtets Kinder einer gezwungenen Ehe zwifchen. Dem Genie bes Dichters und feiner Beit gewefen; der. Genius hat fie immer kraftvoll und mit Luſt gezeugt,. Die’ Zeit fie nur wis derſtrebend empfangen; - Daher Flebt ihnen benn auch von der Mutter fo viel Fehlechaftes an. Unfrei it Zieck noch im Sternbald wie im Lovell, aber duch den Eternbald ‚gewann der Roman dennoch fehr; Die zeigte Die Möglichkeit, das Größte und Bedeutendſte ber Interefien des Lebens :in beflen Kreis zu ‚ziehen und es Durch die Poeſie concret erfcheinen zu laſſen. Bwar hatte. Heinſe vor ihm ſchon verfucht, das Weich der bildenden Künfte für den Roman zu gewinnen, aber nur nad) der Wir« Fung ihrer materiellen Grfcheinung auf bie Ider, nicht umgelchrt; Sie ging baher bedeutend weiter, vielleicht zu weit, denn er konnte nicht klar bleiben und die Idee verſchwand ihm bismeilen unter den Händen, gleich feiten. Umpiſſen von Gebäuden im

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Kebel. Bwifchen Ravel und Sternberg aber wandte fich Tieck zu feinem eigentlichen Element, dem Mähr⸗ hen, das er zum Theil beamatifch mit ewig friſcher und blühender Polemik gegen die Philiſterei, die fi) Damals in Deutfchland fo unerträglich und zu gleich fo nüchtern breit machte, zum Theil erzählend behandelte. Hier war er am Glücklichſten und Größ- ten; ich halte dieſe Mährchen und Sagen wie ben blonden Ebert, den Runenberg, den Tannhaufer *) für das Schönfte diefer Gattung, was irgend eine Nation aufzumeifen hat. Welche glückliche Behand» lung des Anhaltes, welche Annigkeit und felige Na⸗ turwonne, welche tiefe Ethik, wie fie das größte Kunftwerf nur mit fich führen kann, liegt nicht in ihnen. Hier ift der wahre, große Dichter der das Dafenn des Höchften in der Natur wie im Men ſchen erkennt und faßt und durch Die Gegenfäge, bie | er zu ihnen hinrückt, erft recht zu verfinnlichen und | zu erheben weiß. Daher überall das Dämoniſche, das man fo vielfach in feinen Werfen getabelt hat, und Das Doch die Frucht eines ganz richtigen Ver—

ftändniffes deſſen, wonach er hier ftrebte, war. So⸗ bald die Poeſie mit ſolcher Innigkeit ſich in die Na⸗

fur vertieft, und fie durch idealiſirende Verſinnli⸗ hung zu vergeiftigen ſtrebt, fo muß fie fich gerade | dieſe dämoniſchen Gegenfäge ſchaffen, um ihren Dar- Relungen Gegengewicht und daburch Gleichgewicht

J 9. Sie Find Fammtlich in- Pr Phantafus "wieder aufgenommien. Berlin. 1812; 3 -&hle.

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‚zu geben. Legt man einmal in bie Natur bie tiefere geiftige Idee, fo genügt Die gemeine Wirklichkeit bee Dinge nicht mehr als Folie und Sonttaft, es muß ein Bedentenderes ‚gefunden werden, und das findet ſich Dann auch nur in der myſtiſchen Befeelung ber Naturerſcheinangen, die die Mutter allee Mythe it, im. Dämonismus, Die Wichtigkeit und Noth- wendigfeit ward Ziel duch die mittelalterlichen Sagen, Die er behandelte, felbit bethätigt; er ging diefen alfo nur nad) und daß er mit moderner, da⸗ mals eben fich geftaltender- Bildung fie aus» unb durchführte, war ganz richtig und ein Fluges Erfaf- fen von vorhandenen, bildfamen Motiven, wie man fie Damals brauchen Fonnte und wie fie alle Poeſte, nur mit Maaß und Beitgehorfam, immer brauchen Tann. Man frage nur, welchen Eindrud gerade Diefe Mährchen und Sagen auf finnliche, jugendliche Ges müther noch jet machen, und wird Aber ihre In⸗ tenfität erſtaunen. Es tft noch eine Seite hervorzu⸗ heben, auf die ſchon oben hingebeutet wurde, bie tiefe Ethik in allen dieſen Mährchen. Wie Eindlich uns - bewußt ift fie nicht überall behandelt, fo 3. B. was am Nächſten liegt, die Treue im Tannhauſer und doch wie vol und rund und Flar, Dem Monde ver- gleihbar, mit milden Licht und ſtarkem Schatten, fteht fie nicht immer da?

Ich muß mich hier unterbrechen, um bie Beit nicht zu ſehr zuſammen zu zerren, was doch unab⸗ weislich wäre, wenn ich Tieck's Romane und ihren Einfluß auf die. Fortbildung des bentichen Romauns

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biee ununterbrochen entwideln wollte. Da ich ſpä⸗ ter zwei Mal zu- ihm zurückzukehren ‚habe, fo würde ich mich dann nur wiederholen, und mir ſelbſt vot⸗ gegriffen haben, den Leſer alſo zurück verweiſen müſ⸗ fen. Was er als Vorkämpfer und Dichter feiner Schule im Werben derſelben für den Roman ge- than, ward hier ausgefpeochen. Ich wende mid) nun zu ben gleichzeitigen Beſtrebungen.

Der nähfte Roman, der eine neue Bahn zu bre« chen fuchte, Die aber gleich wieder verlaffen und nur fpäter ein Mal wieder befcheitten wurde, iſt Schle⸗ gel’8 Zueinde *), ein ſtets miisverftandenes , entweder über.» oder unterſchaͤtztes Buch. Bu befferer Ruffaſſung halte ich es für nöthig, einen raſchen Vlick auf Beit und Umgebung feines Entſtehens zu werfen. Es if bekannt, daß fich die Häupter der romantifchen Schule zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Jena zuſammenfanden und zum Theil zur Univerſi⸗ tät gehörten, aber auch Häufig innerhalb derſelben Dppofition ‘gegen bie in ihr vorherrſchenden Rich— tungen, namentlich gegen Einzelne, übten. Dadurch fowohl wie Durch äußere Merhältuiffe ſtanden fie ziemlich ifoliet Da; zwar herrſchte zu jener Beit in ber kleinen Stabt eine ziemliche Freiheit im geſell⸗ ſchaftlichen Leben vor, aber Dach auch nur innerhalb der geſellſchaftlich fanctionisten Formen. - Gegen diefe handelten die Nüngeren, zu denen ſämmtliche Führer. der romantiſchen Schule gehörten, entſchie⸗

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*53:Berlin 1709. Ir und Einziger Theil. |

ben, indem fie fich barüben. wegſetzten; namentlich lebten, beide Schlegel in Berhäftsiffen, weldhe bie bnr⸗ gerliche Geſellſchaft misbilligen; mußte. Fiedrich non Schlegel wurbe deshalb auch direct wiederholt und ſchonungslos angegriffen. In der: Heinen, trotz ihrer geikigen Ausdehnung dennoch unabweislic, ſtreng ge» finnten Stabt mußten unangenehme Berührungen und Anbentungen besvortreten, denn man burfbe.e® nicht verzeihen, daß er. einem Anderen feine. Frau abjpenflig gemacht unb mit biefen Ichte. Die, wels he es gast; allein anging, waren vollfonunen darüber im Klaren. Wie Schlegel: in’ allen. Dingen Oppo—⸗ fition.: zum Beſtehenden bildete, fo. anch hier; aber bier konnte er ner. ber. vertheidigende, nicht der an⸗ geeifende Theil: ſeyn; er hatte mit. ber allgemein herrſchenden Geſinnung zu. Bimpfen, vor ben bie nächtte Umgehung nur den nächſten Ausdruck darbot und. mußte dies, eben für die: Allgemeinhrit, auf künſtleriſchem Wege thun.. So Teiteten ihn. zwei Mö⸗ tive. bei Diefen "Arbeit, einmal. die Idee einer Sxribft- vertheidigung, bann bis künſtleriſche Darſtellung freierer Rnſichten über bie. Form ferueller Verhälta niſſe, Auf dieſe Weiſe iſt, denke ich mir, Die Lucinde enkitasiden..! Das Bach, wurde, in den Himmel gex hoben und bis zus Hölle verdammt. Schleiermacher ſchrieb ſaine im der letzten Beitj wieder viel beſpro⸗ genen apolosetiſchen Briefe über viejelbe 9 Andere * e 8 Ä F RR erſchienen zuerſt anenyın unter dem Biel:

Vertraute Briefe über die Lucinde und wurden glei

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verdammten fie als ein abfcheuliches Wach. Schle⸗ gel Muth Dinge zur Sprache zu bringen, mit denen Mancher fih im Stillen vielfach befchäftigt, aber fie nicht zu äußern gewagt, verdiente Bewun⸗ derung, ward aber nicht begriffen. Daß er es in feiner Weiſe vollfommen ehrlich meine,. fahen auf die Wenigiten ein; Die Menge mistraute ihm, ſchon deswegen, weil er die Kun mit hineinverwebt und fie zu einer groben Dienerin der Sinnlichkeit ge macht hatte.. Ueber die Lucinde als Roman läßt ſich eigentlich gar nicht urtbeilen, weil Das Buch noch sicht zur Hälfte fertig, ja kaum fertig angelegt if. Man macht es jeht gewähnlih kurz ab, indem Ei ner dem Anberen nachplappert, 28 fei eine. Miſchung von Abftraction und Sinnlichkeit, und die. Lucinde ein daraus zufammengefehtes Weib. Das ift aber unwahr. Julius ift ein blafieter Charakter, Lucinde feinesweges, fo weit wir fie kennen; fte iſt uns aber nicht felbfeftändig erfcheinend,. ſondern nur durch Julius Vermittelung vorgeführt... Inlins gehört al» ferdings zu. den kränklichen Erſcheinungen und die ge meine Sinnlichkeit in ihm bekommt Teinen Adel dadurch, daß er fie. Fänftlerifch zu verklären ſucht. ie miſerabel er iſt, heweift deutlich die. Gefchichte ber armen Hetäre; bergleichen erzählt man nur eis ner Frau, die man ſinnlich aufreizen will, beineswe⸗

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nad Säleiermagers. Aode von Gutzkow wieder zum Drude beforgt. 1 and mit einer. Done hagleitet. dam burg 1835, |

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ges aber einem meiblichen Weſen, das man wahrhaft liebt. Somit muß uns das Bud; in mehr ale einer Hinfiht als eine-Selbftbeichte des Verfaſſers, als eine Gonfeffion eines troßigen und verzagten Sün⸗ ders, der ſein Verzagen hinter dem enge birgt, erfcheinen. Won. diefer Seite faßten e8 aber die Gegner nicht auf, fondern nur von der allgemeinen, Schleiermacher's Briefe behandeln auch das Bud felbit nit, fondern laflen ſich nur über, Aeußerung und Auffaſſung ber Sinnlichkeit aus. Darin aber liegt das, Bedeutende. und Merkwürdige dieſer Er- ſcheinung für ihre Beit, daß man hier zuerft und von Eünftlerifchen Standpunkte aus die Sinnlichkeit und das Verhältniß der Gefchlechter mit Freiheit von einer anderen Seite betrachtete und dad rein Menſchliche hervorhob, nur Die Naturnothwendig⸗ keit in Das Auge faßte, nicht die kirchliche oder fo. ciale Form, Die Den freieften aller Triebe, feinen Aeußerungen nah, einem gefelichen Bmange unter« wirft, von dem die wahre Sittlichfeit und Das echte Bewußtſeyn menfrhliher Würde oft durch ben Misbrauch, der mit Diefem getrieben wird, ſich ne. willig und beleidigt abwendet.

Die Lucinde ift Daher. keinesweges als eine ent⸗ ſchiedene Manifeſtation der. geſammten romantiſchen Schule, ſondern nur; als eine ſubjective ihres gu det⸗ ſelben gehörenden Verfafſers zu betrachten und hat als dieſe auch nur eine romantifche Färbung. Für einen: ‚eigentlichen. Roman kann Biefes Buch, fo: weit es vorliegk, gar wicht: gelten, ja nach dem: Worhande⸗

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nen if ed nicht einmal ber: Torſo eines folchen. Aber der freieren, reflectirenden Behandlung folder Gegenftände im Roman hat es doch die Bahn ges Sffnet, und iſt dadurch einfiufreichen geweſen, -ali

man heutzutage glaubt, Auch. Beiigt es eine feltene | Eleganz und Anmuth bes Styls, die ſelbſt unbe :

wußt und unwilllährlid: ſpääter von Manchem nachge⸗

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ahmt wurde. Somit markict: cd allerdings in der :

Geſchichte des Romans, keinesweges aben in ber de

ſchichte der romantifchen Schule, bei. der es immer nur als ein hors d’oeusre zu betrachten ift.

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Im innigſten Bufammenhange init den übrigen |

Werken bes Romantiker / als ein höchſt wichtiges und

verbindendes Mittelglied, zeigt ſich Dagegen Rovalid

Heinrich von Dfterbingen *)-, ebenfalls unvollendet, jedoch nur durch ben Frühen: Top. bes Verfaſſers. Die Aufgabe, Die: fi der Dichter ſtellte, wer bie Wiederfpiegelung der Welt im Senräähe sines Dich sens.. Hier war aber im Subiectiven um ‚feiner Willkaüͤhrlichkeit halber kein feſter Halt zu finden; er mußte das Endliche mit. dem Unendlichen auf an⸗ dere Weife. zu ‚vermitteln ſuchen, und Dies geſchah durch die Sehnſucht, die zur innigften- Aneignung ber Religion. führen. follte. Aber auch hier war Un⸗ ficherheit zu befürchten,“ wennnicht ein poſitives Dogma ben. Bodon bildete, auf ven ſich Alles ſtützte. Darin: Eng ein: geheimnißnoller. Bauber, ver die‘ ‚Ger

9.8, Raid Scheiſten, herausgegeben von gr. Schiegel und..2; Kiez) Berlin; 1802, 3, 1.

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513 |

müther anzog und mit füßen Schauern erfüllte, da» durch Hat das Bud) auch allein gewirkt, als Roman aber gar nicht, denn hier entbehrt es aller feften Ges ftaltung, obwohl es fämmtliche Haupterfchernungen des Lebens berührt. Die blaue Blume warb von der Maffe gang misveritanden und von den wenigen Yeberfchwänglihen auch; es tft zu jener Beit viel Dummheit Daran ausgeübt worden. Jetzt denkt Nies mand mehr daran, auch nicht an den Heinrich von Dfterdingen überhaupt. Aber Novalis war ein feis ner, zarter und tiefer Geift, und was ſich von ihm in unjere Tage hinübergerettet Hat, wie einige feiner Hymnen und daß fohöne Lied vom Wein, wird ewig leben und ein redend Beugniß von dem feinen Adel feines Gemüthes ablegen. Es ift ein Rauſch relis giöſer Innigkeit in Wovalis, wie er ſich faft nir⸗ gends mehr findet; er fcheint bei ihm eine Nothwen⸗ digPeit feines ganzen Weſens.

Huf den realen Boden der Gegenwart, und fo- mit auf Das eigentliche Gebiet des modernen Ro⸗ mans trug die romantifchen Elemente erft Ludwig Achim von Arnim in feiner Gräfin Dolores *), Hier findet man alle new errungenen Schäße ber jungen Schule beifammen, in ihrem Werthe geftei- gert Durch Arnim's liebenswürdige Perfünlichkeit, die überall durchblickt, fo objectiv er auch) zu Werke geht. In der ganzen Darftellung folgt er immer den Lau⸗ nen feines Herzens, bem feine reiche und fchöpferi-

*) Berlin 1810. 2 Bde. | 33

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fche Phantaſie ſtets gehorcht, und läßt fi durch daſſelbe jeden Augenblick vom Wege ablocken, bald hier, bald dort verweilend, hier einem Vogel hor⸗ chend, dort eine Blume abpflückend, weiterhin übe . die wichtigen Anterefien bes Menfchengefchlechtes

finnend, Gefpenfter heraufbefhwörend, oder fich in die Myfterien bes Glaubens und der Natur vertie fend, dann wieber ironifieend fih mit der alltäglich⸗ ften Proſa befchäftigend, oder fich den wunderlichſten Einfällen Hingebend. Sein Buch gleicht einer Sti⸗ ckerei; er folgt den Grundzuͤgen eines Muſters mit Emſigkeit, jo daß der Hauptgegenftand nicht: zu ver- kennen it, aber er bringt Alles mit hinein, was ihm der Bufall zusrägt. Wer nicht. recht genau zu fiebt, bes. glaubt nur ein Quodlibet, wie es bie

Maler nennen und die Kalligraphen vorzüglich gern Viefern, zw fehen, und nicht einmal ein, trotz aller an- fheinenden Unordnung, künſtleriſch geordnetes Werl, ſondern ein wild und unregelmäßig zuſammengewür⸗ feltes. Das iſt der große Fehler dieſes eigenthüm⸗ lichen und höchſt anmuthigen Vuches, in welchem ſich viele Einzelheiten von der ſeltenſten Schönheit zeigen, namentlich eine höchſt naive aber, treffende Characterzeichnung und ein großer Zauber der Dar⸗ ſtellung. Faſt Alles fußt auf realem Boden, aber «8 wãchſt allmählig, oft auch plötzlich, wie über Neck, in das Komantifcge hinüber. Dur die Wehe heit dee urfprünglichen Anlage und ben lcbengang in das Phantaftifche, denn felbit das einfach. Na⸗ türliche geräth am Ende hinein, erkält: diefer No⸗

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man einen ganz befonberen Reiz, um fo mehr, als man immer wieder zu dem Wirklichen zurückgeführt wird, und biefes, fobald man ner den somantifchen Schmuck abftreift, klar umb zugleich höchſt beden⸗ tend. vor Einem ſteht. Dolores Entwickelung und Sünde ift durchaus naturgemäß (ihre Buße hat des gegen etwas Manierirbes), eben fo das Vetragen des Grafen Karl und. beffen ganze Weile, nicht minber das Weſen der Perfonen, welche nachher die tragi⸗ ſche Kataftrophe herbeiführen und ihr etliegen. Was bei Arnim ftörend auf feine Probuctionen wirkte, war der Gegenfag zwiſchen den romantifchen les menten des Mittelalters und umferer Tage, welche er. beide zu verfchmelzen und in einander zu arbeiten fuchte und beren Stoffe .fpröde und ſtarr fich ihm immer wieder, noch unter feinen Händen, ſcheiden und aus einander fahren. Wo en daher das Mittels alter allein auffaßt, da if er weit glüdlicher, indem er 88 mit dem ganzen Reichthum feiner modernen Bildung behandelt, ohne es Doch zu zerſtören ober in ein falfches Licht zu bringen, Dies zeigt ſich ber fonders in feinem zweiten, leider unvollendet gehlies benen Roman, die Kronenwächter *). Auch ba, wo er die Gährung ie Mebergunge bes Mittelalters zur neueren Beit und ihre finitere Auffaffung des fans bens und der Ratur behandelt, Et es ſehr glütklich in Erfindung der Wotive, nur geht. feine Phunutaſte

*) Berlin 1817. Ir Bd. Huch unter bem titel: Berthold's erftes und zweiteß Leben. - 33 *

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da zu weit unb verwandelt das urſprünglich und noth- wendig Unfchöne in eine bizarre Häßlichkeit und Ab» fonderlichkeit. Dies offenbart fi) befonders in fei- ner größeren, einem Romane fehr nahe Fommenden Novelle, Kaifer Karl’s V. Jugendliebe *), wo er die abgefchmadteften Geftaltungen des Volksaberglau⸗ bens mit krankhafter Luft belebt und handelnd ein- greifen läßt. Trotz dem würde Arnim's Weife, den Koman zu behandeln und ihm unabläffig neue Keid- thümer der Phantafte zuzuführen, Diefen gewiß er weitert haben, wenn fie nicht der Menge zu fremd» artig und deshalb ungenießbar erfchienen wäre. Die Menge und ber bunte Wechfel der Gegenſtände wirb der Maſſe leicht zur Quaal, Benn fie hat zu viel mit dem @inzelnen zu thun, um e8 zu verarbeiten und zurecht zu legen und wendet fid) Daher unwillig von dem Ganzen ab, weil fie es nicht mit ihren Mitteln zu bewältigen vermag. Auch würde, abge fehen davon, eine birerte Nachahmung Arnim’s -bald zu unerträglicher und widerlicher Manier geführt ha⸗

ben. Das fühlte man wohl, und beshalb fteht

er ifolirt und wenig befannt ba.

Elemend Brentano, fein Freund, hatte ſchon früher al8 Arnim in feinem „Godwi, oder das ſtei⸗ nerne Bild der Mutter **), einem Bude, das er

felbft einen verwilderten Roman nennt, verſucht, die Nomantik auf den Boden ber Wirklichkeit und Ge⸗

*) Iſabella von Kegypten u. f. w. Berlin 1812. **) Bremen 1800, 2 Bde,

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genwart hinüber zu tragen und fich doch fo frei wie möglich Darin zu bewegen. Hier finden ſich daher noch reichlicher jene Elemente zufammen, ja fogar einige mehr, welche die Romantik noch gar nicht al ihr Eigenthum betrachtet, nämlich jene heimlichen Familiengeſchichten und Verwickelungen ber älteren forialen englifhen und franzöfifhen Romane des achtzehnten Jahrhunderts. Heine fagt fehr treffend: Brentano's Mufe-fey die Caprice; das beftätigt fi nirgends mehr, als in diefem Buche, in welchem, wunderlich genug, nur die Myſtik fehlt, die nachher Brentano’3 ganzem Leben eine fo entjchiedene Rich⸗ tung gab. Was fonft nur voh der Romantik auf genommen werden Tonnte, hat er in dieſem wunder⸗ lichen, aber höchſt anmuthigen und geiftreichen Buche aufgenommen und benutzt. Ganz ohne Einfluß if Goethe's Wilhelm Meifter wohl nicht darauf gewe⸗ fen, Daß er ihn aber direct bei ber Bildung ber Charartere nachgeahmt habe, wie Rofenkranz an⸗ giebt *), möchte ich nicht fo entichieden behaupten. Im erften Bande erzählt der fingiete Verfaſſer Maria die Gefchichte Godwi's des Helden vom Roman, im zweiten dagegen Godwi die des unterbeß geftorbenen Maria. Vorzüglich einfchmeichelnd if die Auffafe fung der Natur und, die freie Iuftige Bewegung in derſelben, die fich ſtets vielfeitig und dabei echt poe⸗ tiſch geftaltet, fo .wie die frifche und Doch contem⸗ plative Sinnlichkeit, bie in dem ganzen Werke vor» herrſchen. Dabei enthält daſſelbe einen reichen Schak

*) Studien. Berlin 1839, Bd. L ©. 308.

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ber fchlagenditen und feinfinnigften Bemerkungen und Anfihten über die Menſchen in ihren inbivibucken Erfcheinungen. Eben fo ift der Styl vortrefflich, überall unmittelbar, Perl, rund und nirgends geſucht oder gemacht. Dies theilt Arnim mit ihm, nur daß er nicht fo raſch im Vortrage erfeheint. Man ficht deutlich am Godwi, was Brentano hätte werben und erreichen koͤnnen, wenn er gewollt hätte, und was er auch wirklich einmal wie im Vorubergehen erreicht hat, bie tiefſte Poeſie des Lebens im reiniten Volks⸗

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tone darzuſtellen. Ich meins nämlich feine Ge Ä

Thichte vom braven Kasperl und ber ſchönen Ran nerl *), bie ein wahres Meiſterſtück iR,

Während der Beit, im welcher dieſe Romane erichienen, hatte ſich Wapoleon’s unerträglicher Des potismus anf Deutfchland gefenft und breitete fid brüdend, wie ein fchwerer bleierner Sargdeckel, über aller freien geiftigen Bewegung ans. Wie fi in ben beiten und ebeiften Gemüthern ber Groll häufte und drängte bis zur Stunde der Befreiung, Davon liegen taufend manuhafte Zeugniſſe vor, unb ned ganz neuerlich bat es Arndt, ber Mann mit dem echten deutſchen Herzen vo ewiger Iugend und That⸗ kraft, exrfhütternb dargeſtellt. In das Gebiet der Poefe und namentlich des Romans trug zuerſt bie remantiſche Schule, hie überhaupt weit mehr ſtarkes Gefühl für das Waterland hatte als ihre Gegner, und nicht wenig für die Belebung eines begeifternden und tiefen Patriotismus gewirkt het, dieſe Stimmung

*) Berlin 1835.

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hinüber. Eichendorff muß bier als der Erfte genannt werben, der e8 that. In feinem nur wenig befannt gewordenen Romane „Ahnung und Gegenwart‘ *), ber aber die fchönften Blüthen einer zeichen unb mann⸗ haften poetiſchen Jugend in ihrem erften Aufbrechen enthält, deutete er am Schluſſe voll Begeifterung an, wo fich nur das freie, bunte, vielgeftaltige Jugend⸗ leben concentriren müßte, ums alle feine Kräfte eben . jo Hark, als edel «und erfprießlich zu verwenden. Den Ton, den er bier anfchlug ich meine aber nicht damit die hefondere, durch Die Noth ber Beit in jenem Romane endende Nichtung, fondern bie ganze anmuthige Auffaſſung Des Lebens in ihrer ſorg⸗ loſen Bewußtheit und bewußten Sorglofigleit voll feifhen Genuß des Vorhandenen, beraufchender Freude an Der Nature und feſtem, tiefem Glauben, bat er in allen feinen fpäteren Werfen beibehalten, und fo unbedingt Die Romantik von ber. liebenswür⸗ digſten Seite ‚ergriffen and Durchgeführt. Eine füße, ernſte Wehmuth dringt bei ihm überall durch und iſt die rührende Folie aller Luſt, felbit Der tollen und poflenhaften. Er drückt das ſelbſt einmal in feiner Föftlichen Novelle „Aus dem Reben eines Tau⸗ genichts“ vollſtändig in folgenden Beilen ans:

Schweigt der Menſchen laute Luſt,

Rauſcht die Erbe mie in Araͤumen

Wunderbar mit allen Bauen,

*) Herausgegeben von de la Motte Fouqus. Nürn⸗ berg 1815. 3 <hle. |

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Was dem Menſchen kaum bewußt,

Alte Zeiten, linde Trauer,

Und es ſchweifen leiſe Schauer

Wetterleuchtend durch die Bruſt. Nirgends hat Das Ächte, deutſche Gemüth mit feiner ſtets unbefriedigten Liebe und Sehnſucht, feiner rei» hen, aber nur einfeitig geftaltenden und immer wie- der zu ihren Kieblingsbildern zurückkehrenden Phan- tafte, feinent gern in das Poffenhafte überfpringen- den Humor, feiner Glaubenswärme und Tiefe fi fo ausgefprochen, wie in Eichendorff. Wenn man eis nen Roman oder eine Novelle von ihm in Die Hand nimmt, fo weiß man immer fihon, welchen Situa⸗ tionen und Geftalten man begeghen wird: jungen hübſchen verfchlafenen Dirnen, Die fih früh Mor- gens am Fenfter dehnen, Jagden, Die auf waldiger Höhe längs dem Bergſtrome hinziehen, Beamten, die, ſo gern ſie auch möchten, nicht das Philiſter⸗ thum abſchütteln können, vornehmen, aber abſonder⸗ lichen ſchönen Frauen, tollen Streichen übermüthi⸗ ger Geſellen, dazwiſchen tiefe Frömmigkeit, keckes Wagen, ein finiter hereinbrechender Kampf auf Le⸗ ben und Tod und dergleichen mehr, aber man Fiek es immer wieder mit neuer Luft und Sheilnahme. Eichendorffs reichfter und bewußtelter Roman if „Dichter und. ihre Geſellen“*); nirgends warb ſo wahr und treffend gefchildert, wie bie Poeſie bald Fluch, bald Segen werde, je nad) der Beſchaffen⸗

—— en]

*) Berlin 1835.

ss

heit und Richtung der Gemüther, die fie beherrfcht, und wie fie den, der fie wahrhaft erfaßt, zu ihrem Mittelpunfte, Gott, führen müſſe. Ich habe Dies trefflihe Werk wenigftens vier Mal gelefen, und nehme es immer wieder mit berfelben Freude und demſelben Genuffe zur Hand; wer empfinden will, wie echte Poeſie durch fich ſelbſt wirft, der lefe es; er wird mir e8 danken, falls er daſſelbe noch nicht Tannte. oo.

Das ritterliche Glement des Mittelalters, aber mit moderner Sentimentelität und faſt nirgends ohne ſubjective Dftentation, behandelte Ina Motte Fonqus mit beftimmter ariſtokratiſcher Tendenz, wie in ben meiſten feiner Werke, fo. auch im Romane. Eben Das, was die Menge eine Beitlang an ihn fefielte, bat fie fpäter fo entjchieden von ihm abge- wandt, denn Die ftarze Beharrlichkeit in feinen Bes ftrebungen führte ihn zur abgeichlofieniten Manier, und ftellte ihn der Richtung, der ſich der Beitgeift unterdeffen hingegeben, ſchroff und unbeholfen gegen» über. Was er jet noch bringt, iſt Faum zu lefen, fo bald veraltete er. Das ift um fo mehr zu bes dauern, als er in feiner beften Beit ein wirklich teichbegabter, erfindungsreicher und probuetiver Dich« tee war. Er würde vielleicht jet mehr geleſen wer- den, hätte er nicht zu feinen Helden immer fich felbit gar zu wohlgefälig als Modell genommen. An ihm fieht man deutlich, wie Die zu ſtark fich ausfprechende Verfönlichkeit den Dichter zerftören Tann. Der Glanz des mittelalterlichen Ritterthums, wie er ihn dar⸗

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ſtellte, fagte nur deshalb, gleich nach dem Wefrelungs- Sriege, wo Fonqué's blühendfte Periode eintrat, fo fehr der Menge zu, weil fie, eben vom Sturze auf gerichtet, fi an einer Pracht zu rrfreuen liebte, Die fie felbft nun wieder zu erleben glaubte. Sobald fie merkte, daß fie fich getäufcht Habe und das Gefühl der Witterkeit fich ihrer bemeifterte, wandte fie ſich entfchteben von ihm ab. Die großen Mittel, welde Fouqus befaß, verwandte er, namentlich in feinen Romanen, nur für den äußeren Putz, deshalb kann er auch die Mifere hinter demfelben nie ganz ver bergen, weil alle feine Figuren zu gemacht erſchei⸗ nen. Dies tritt am Deutlichiten in feines Fahrten des Thiodelf *) und in feiner Sängerliebe **) her auß; weniger in feinen Baubersing ***), ber bie größte Wielfeitigkeit der Grfindung aufzuweifen hat. Hlle jene Elemente ber rumantifchen Poefie kommen dem ſcharf ſichtenden Leſer nur als ein. gebergter Flitterſtaat vor, um bie Charaktere und Situativ⸗ nen zu heben, fo fchön auch Manches angelegt und durchgeführt worden ift. ur feine Unbine ***8), das reizendſte und tieffſte Mährchen moberner deut⸗ ſcher Poeſie, maß von allen diefen Maͤngeln frei ges fprochen werden; es iſt eine Der glücklichſten Con ceptionen, Die je ein Dichter gehabt, und wirh Kon

*) Hamburg 1815. 2 übe.

**) Zübingen 1816.

+29), Nüenberg 1816. 3 Ihle. 2. naſ. ****) Berlin 1814. 2. Aufl. mit Kupfern.

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aus als ſolchen der ſpäteſten Rachwelt überbringen. An allem Uebrigen iſt er fo manieriet, daß ſelbſt fein Styl entſchieden darunter leidet. Der wahre Freund echter Poeſie kann es ſtets nur innig bedauern, daß ein fo reich angelegtes Talent ſich ſelbſt fo blendete und beſchtankte.

Die Nachtſeite der Elemente der neueren ro⸗ mantifchen Poeſie warb endlich mit voller Bewußt⸗ heit von E. 3. A. Hoffmann aufgefeßt, und na⸗ mentlich in feinen Eliriren des Teufels.*) und neh» reren feiner Rovellen und Erzählungen dem Romane angeeignet. Ihm voran war eigentlich Heinrich von Kleift gegangen, der in feinem Michael Kohlhaas **) eine dunkle Macht mit dem Scidfale cines fertigen und Eräftigen Mannes ihr Spiel treiben ließ. Jene finfteren Erfcheinungen der Phantaſte, wie fie urfprünglich im Volke fich gebildet, und durch Aber- glauben und Unglouben der Wiſſenden auf die Spige waren getrieben worden, mifchte Hoffmann mit Franke Hafter Lu and Selbftpeinigung zu den beleuchtet« Ren Aeußerungen bes Lebens der Gegenwart, und fuchte Dusch. Die arellen Gontrafte von Licht und Schatten, die eine ſolche Auffaſſung hervorbringen

*) Berlin 1815. 2 Bde. 2. Aufl. Berlin 1327. Eie bilden auch den 5. und 6. Band feiner ausgewähls ten Schriften. Verlin 1827,

**) Grzählungen. Berlin 1810, 2 Mde., wieder abgedrudt in deſſen, von Tied herausgegebenen, geſam⸗ melten Scheiften. Berlin 1826. BD. 3.

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mußte, aufzureizen und zu wirken. Der finfire Dä- monismus, ben er in bie Alltäglichkeit unferer ſocia⸗ len Buftände und Verhältniſſe hinein trug, war ber Maſſe willkommen, bei ber, nach heftiger Erfchütte- rung, wieder Grfchlaffung eingetreten war, und die daher nach feinen bizarren, ſchadenfrohen Geftaltun- gen, wie nach erwünfchten Keizmitteln, griff. Daß ein fo großes Zalent fih durch gewaltiame Ueberſpan⸗ nung, um fich aus der Abſpannung heraus zu reißen, felbit zerftörte, iſt -innig zu bedauern. Hoffmann war productiv, originell und vielfeitig. Bei feinem zreiben mußte er bald auch in Manier. gerathen, -obwohl fi fa in Allem, was er gefchrieben hat, großartige, ſchöne und eigenthümlihe Phantaſieen finden, und er ein feltenes Zalent poetifcher Zeich⸗ nung befaß. Der Beifall der Menge und die Ma- nier Iodten viele Nachahmer herbei; die Meiſten find bereits der Bergeffenheit anheim gefallen, ob⸗ gleich dann und wann wieber ein neuer Jünger Hoff mann’s auftaucht. Wo Feine geiftige Gefund- beit it, da Fann aud) Feine Dauer feyn. Am Längſten werben ſich Hoffmann’s bie Tonkunſt be rührenden Gebilde erhalten *), nebit den fchon frü- ber erwähnten Eliriren, der Novelle „das Fräulein von Scudéry“*s) und einigen Anderen; von feinen

*) Phantaſieſtücke in Callot's Manier. 3. Aufl. Reipzig 1825. 2 Thle. Lebensanſichten des Katers Murr. Berlin 1822.

**) S. ſeine erzählenden Schriften, herausgegeben

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bizarren Seurrilitäten hat fih der Geſchmack der Na⸗ tion entfchieden abgemandt, während ſie in der neues ften Beit von den blafirten Franzoſen ergriffen und fogar, wenn auch höchſt oberflächlich, wie 3. B. von Iules Sanin, nachgebildet wurden. _

MWerfen wir zum Schluffe noch einen Blie- auf die gefammten Leiftungen Der romantifchen Schule, im Gebiete des Romans, fo finden wir, Daß berfelbe unbedingt durch fie gewinnen mußte, da fie mit echt poetifchem ‚Sinne feinen Kreis erweiterten und Ele⸗ ‚mente in denſelben hinein trugen, welche früher von ihm zum, größten Theile entfernt gehalten over nur mit- größter Burüchaltung behandelt wurden. Durch fie erhielt er Die poetifche Freiheit wieder, welche er nahe daran war, ganz zu verlieren, indem er. fich nur auf dem realften Boden der Gegenwart - bewegte. Zwar waren die Romantiker hier. nicht ganz. ohne Vorgänger; Heinfe ‚hatte ſchon in feinem Ardinghello das natürliche Hecht der Sinnlichkeit, das Die Ges ſellſchaft ſtets unterbrädt und unterdrüden muß um. e8 in den Schranken zu erhalten, Deren Ueberſprin⸗ gen ihr eigenſtes Weſen zerſtören würde, dem Ro⸗ mane angeeignet; Goethe war in ſeinem Wilhelm Meiſter, welcher ganz auf der Gegenwart ruhte, nach anderen Seiten hin noch weiter gegangen, und eroͤffnete ihm durch die Erfindung eigenthümlicher und ſeltſamer Charactererſcheinungen und Situationen,

von ſeiner Bittwe Stuttgart 1827. 10. und 11. Bdochen. I .

die in das innerſte Weſen der Handlung eingriff, ein weites Feld; wir werden fpäter noch ausführlich Dabei zu verweilen haben; Weide hatten fich jedoch darauf befchränft, nur das für die Handlung Noth—⸗ wendige damit zu verweben, Die Romantiker da⸗ gegen faßten das Leben in feinem ganzen Umfange and feiner ganzen Entfaltung mit den ihm eigenen anfcheinenden Stillftänden und Radfchritten anf, und behandelten es nad allen Seiten im Roman, es nicht auf die Sharastere der Handlung im Beſonde⸗ ren beſchränkend, ſondern es für den Menſchen fiber haupt allfeitig erweiternd und darſtellend. Das war

allerdings ein großer und ſchöner Gewinn, nur

mußte er weile und vorfichtig benugt werden, font führte er entweder zur Excentrieität oder auch zu ſchroffer Einfeitigkeit. Beides ift oft der Fall ge weien. Jean Paul's Leiftungen würden die Vorbil⸗ ber des romantiſchen Romans noch jetzt ſeyn Fön nen, wenn er weniger ſubjectiv und, was hieraus nothwendig fi entwickeln mußte, concentrirter in der Anlage und minder Fünfklich in ber Ausführung geweſen wäre.

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3. Die hiſtoriſchen Romane ber neueſten Zeit. Der europäiſche Kampf gegen Napoleon, der

ſich nach jahrelangem Brüten und einzelnen Aus⸗ brüchen endlich concentrirte und zum erwünſchten

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Ziele brachte, hatte gegen die Mitte des zweiten Decenniums unſeres Jahrhunderts den Geſichtskreis der Menge außerordentlich erweitert, und den Blick von den engen Schranken der Perſoönlichkeit zu Den allgemein menschlichen Intereſſen bingeleitet, denn bei dem gewaltigen Ringen verlor fich das Indivi⸗ buum in ber. Partei, zu der e8 gehörte, da dieſe ſich felbft inbividuch dem Despoten gegenüberktellte oder die feinige war. Nach eingetrebener Ruhe aber wandte man den allgemeinen Gewinn wieder auf Das Beſondere, Einzelne an, das nun, nachdem die Zeit⸗ verhältniffe Die ſich zu einem Zwecke eoncentrirende Verbindung gelöft hatten, fich individuell wieder mit individuellen Intereffen befchäftigte, ohne jedoch in Folge der gewonnenen Grfahrungen des Allgemeine aus den Mugen zu verlieren. &8 lag daher in ber Beit, den Bufammenhang des Einzelnen mit dem. Geſammtweſen feiner Tage nach allen Seiten bin zu betrachten. Die Löfung Diefer Aufgabe Der Poe⸗ fie und namentlich dem Komane zu gewinnen, war nur ein glücklicher Griff, aber der Griff des Genies. Walter Scott that ihn, und öffnete Dadurch der. Ro⸗ manliteratur ein ungeheneres, nie zu erfchöpfendes Feld, Da neben dem Gegebenen oder Vorhandenen und innerhalb deſſen der Phantafte die größte Frei⸗ heit des Sıhaffens, dem Gemüse die ganze Vielſeitig⸗ keit der Empfindungen in eben folcher Freiheit‘ Den Behandlung bleibt. Die neue Richtung, Die der Ro⸗ man dadurch erhielt, mußte Daher von- ganz außer- ordentlicher Wirkung. feyn; der einmal angefchlagene

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Ton hallte fhnell in ganz Europa wieder, und wird noch lange nicht verklungen feyn, wenn nicht ſtets fogar von Neuem geweckt werben.

Daß der Gedanke, hiftorifche Stoffe im Romane zu behandeln, nicht neu fei, fondern, wenn gleid in einfeitiger Auffaffung, fchon in früheren Jahr- hunderten ausgeführt wurde, ift bereits zu feiner Zeit in Diefem Buche dargeftellt worden. Selbſt die lei- - tende, foeben ausgefprochene Idee vom Verhältniſſe des Einzelnen zum Gefammtwefen feiner Beit ward auch ſchon hin und wieder für den Woman ange ‚wandt. De Foe's Memoirs of a Cavalier, fowie ei- nige fingirte franzöftfche Memoiren Fönnen mit vol lem Rechte dahin gerechnet werden, denn fie find eigentlich hiſtoriſche Romane, wenn aud) ihre Wer: faffer fie durchaus nicht. dafür angefehen haben, fon» bern Diejelben in Die Meltgefchichte einfchmuggeln wollten; dennoch bleibt Walter Seott aber der Kuhn, der Begründer des. eigentlichen biftorifchen Romans zu feyn, denn Die Univerfalität der Behandlung hat derfelbe erft durch ihn erhalten. Wil man durch⸗ aus nähere Vorläufer des großen englifhen Dice ter8 in diefer Gattung haben, fo muß man die beiden englifchen Damen, Miß Lee wegen ihres Recess, und Miß A. Porter, vorzüglich wegen ihrer Scottish Chiefs, in welchem fie das Xeben des Wallace erzählt, aber den Helden viel zu weich und mild, und daher hifto- riſch unwahr darftellt, und unfere Landsmännin Bes nedicte Naubert wegen ihres Conradin von Schwa⸗ ben 3. B. als folche betrachten, wenn man nit

gar Fehler wegen feines Matthias Corvinus und

Kchnlihe Dazu redmen wil. Die oberflaͤchlichſte Vergleihung wird inbefien zeigen, daß Walter Scott duch feine Behandlung hiftorifcher Charaetere und Momente eine durchaus neue Wahn brach, und wir wenden uns daher ohne Weiteres unmittelbar zu ihm. Jene Romane find doch nur dem Namen nach his ſtoriſch. Es wäre thöricht, wollte ich Walter Scotts Romane hier in einzelnen Characteriſtiken analyft⸗ ten und vor. dem Leſer vorüberzichen laſſen. Wet ihrer Faft unglaublichen Verbreitung, namentlich bei ung, Fann ich fie mit Recht als allgemein befanns annehmen, und mic Daher auf Allgemeines, welches in ausdräcklicher Beziehung zu ber. mir geſtellten Auf⸗ gabe ſteht, beſchränken. Zwei Eigenſchaften find es vorzüglich, Die ihnen einen jo hohen Werth verleihen: die Wahrheit feiner Charaktere und Die harmoniſche Durchbildung ber Fabel. Srott war ber Erſte, wel- Ger zeigte, mie viel Die Mermifchung der Esfindung mit hiſtoriſcher Wirklichkeit vermag, wenn beide ein. ander gleichmäßig ergänzen und buchbringen, und wos vorzüglich Der Woman, der ganz für biefe Ver⸗ bindung gefehaffen ift, dabei gewinnt, Hierin. liegt der große Fortſchritt, den derſelbe durch Ihn machte, und Die Urſache Des außerorbentlichen Beifalles, wel⸗ ber den Dichter für feine Keiftungen belshute. Ueberſchwaͤngliche Kritiker ‚haben. Scott mit Shak⸗ ſpeare vergleichen wollen und vergeflen,. baß er an Life des Gefühls und fchäpferifcher Urſprünglich⸗

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keit weit unter dieſem Titanen ſteht, aber Eins wer Beiden gemein, die geiſtige Gefundheit und. aus die⸗ fer entſpringend ber Widerwille vor aller Künfſtlich⸗ Peit. . Daher ift bei Scott auch jeder Character ſo echt aus dem Leben gegriffen und fo wahr durchge⸗ führt, nirgends bie Perfonification einer abfkrarten Idee oder ein in-Kleider geſteckter Verſuch zur Loͤ⸗ fung irgend eines pfychologifchen Widerfpruches, fon bern überall ein wirklicher Menſch. Wir jehen bie interefianteften hiſtoriſchen Perſonen, wie Die Re präfententen der verfhhiebentten Stände und. Ratio nen in feinen Werken vor uns vorüberzichen, Richard Zöwenberz und Cromwell, Ludwig XI von Fran reich und Karl den Kühnen, Rob Roy und Rode ſter, Cavaliere und Rundföpfe, Piraten und: Aſtro⸗ Iagen, Hofdamen und Wahrfagerinnen, Alle aber er feinen uns volllommen wahr, Alle bewegen fih vollkommen natürlich und ihren Verhältniſſen, ihrer Beit und ihren Umgebungen ,:wie den Weherlieferuns gen der Geſchichte fo durchaus angemeilen, daß das Bild, welches wir von ihnen erhalten, ein vollkom⸗ men abgeichloflenes nnd fertiges ift, und wir an dem Banzen nichts vermiffen und demgemäß nichts. nad zubilden und zu ergänzen haben, um die Disharme nie, in welche :jebe nicht "ganz. wahre Schilderung zu unſerem Geiſte eben durch die gefühlten oder erfant- ten Rüden. teitt, aufgulöfen. . Die: Wirkung dieſes hohen Vorzuges wird ‚nun: noch bedeastend. erhöht duch Die confequente .umd . gleichmäßige Anlage und Durchführung des Inhaldes. Um. ben - Träger. der

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Handlung, obwohl derſelbe oft nur ein untergenrd> neter Character iſt, gruppiren fich Die übrigen Pers fonen und Handlungen fo harmoniſch, Daß der eis gentlihe Mittelpunft alles Lebens, das Werhältniß des Einzelnen zum Ganzen feiner Beit, ftets völlig Mar und entſchieden hervortritt. Darin Tiegt zugleich der hohe moralifche und der hohe Fünftlerifche Werth der Walter Seott’fchen Romane. Keiner fit ein mo⸗ raliſches Rechenexempel, ausgefonnen, um Die Wahr- heit eines beftimmten Lehrfages, einer gewiſſen Er⸗ fahrung in poetifcher - Verfinnlichung zu beweiſen, aber alle Lehren des Lebens und. der Erfahrung lie gen, wie im Leben felbit, mit voller Wahrheit uns bewußt darin, und ein gutes Auge erkennt fie ‚gleich finmtlich, denn Feine iſt abfichtlic) vor der ande- ten mit Kunſt hervorgehoben. Diefe vollkommene Objtetivirung theilt Walter Eeott allerdings auch mit Shaffpeare,. und an ihr erkennt man den wah— ven und großen Dichter. Dazu kommt nun noch bei Seott, dem Bier die Hände weit freier waren als dem Dramatiker, die große Schönheit und Wichtige teit der Befchreibungen, bie immer im genaueften Einflange mit den Werhältnifien des Gefammtmwe- ſens erfoheinen; er weiß die Fleinften Ginzelnheiten ‚eben fo ficher zu behandeln und darzuſtellen, wie die Maffen, und wird Daher nie verfehlen, bei dem Le⸗ fer daſſelbe Gefühl hervorzubringen, Das die Natur in dem Beichauenden merkt, wenn auch in dem Grade verfchieden, wie die Phantaſie und die wirkliche An- ſchauung verschieden auf Die individuelle Subjeetivi— 31 *

tät wirten. Dan bat dies fo fehr an Goethe ge- priefen, und befchränkte Köpfe find daher fo weit gegangen, Goethe unmittelbar dem Tieben Gott nad zuſetzen; Walter Scott iſt hierin aber noch größer. Goethe fah fo richtig und hatte einen Blid für bie Natur, wie fa Keiner neben ihm; Walter Seott Dagegen that noch mehr, er erfand fo naturgemäß und gab daher noch mehr in dieſer Hinficht ala Goe⸗ the zu geben vermochte. Es ift ein Reichthum und zugleich eine Genauigkeit in feinen Befrhreibungen, welche Die vollfte Bewunderung verbient;z feine Am⸗ ziffe find ſcharf und rein, feine Landſchaften haben immer den ihnen eigenthümlihen Ton, er giebt, wir ein englifcher Kritiker fehr treffend bemerft, die Form und den Geift eines Drtes zugleich; wir füh- Jen ftet8 den Eindruck, den eine von ihm gefchilderte Gegend machen muß, fei e8 die feierliche Stille al ter Burgen und bunfler Wälder, die fanfte umd Doch erhabene Ruhe eines Landſees in den Hochlan- den, von dem der Nebel des Morgens fich löft, oder das Gefühl geſunder Kraft, das uns durechdringt, wenn wir oben auf den Bergen wandern, wo uns Des Himmels frifchefter Odem umweht, und wir Die Städte der Menfchen tief unter unferen Füßen fe ben. Bu Diefen Borzügen kommt nun noch Die Man- nichfaltigkeit der Gharartere, wie der Situationen, fein reiches, vielſeitiges Willen und. feine Hifkorifche Redlichkeit. Sp entfhieden auch Walter Seott's politifcher Glaube war und ihn ſelbſt in wanchem feiner anderen Werke zu fchroffem und einfeitigem

Urtheile Hin und wieber vesleitete, fo hatte berfelbe dech auf. die Behandlung feiner Stoffe nicht ben mindeften Einfluß; nirgends ändert er feinen An⸗ fichten zu Liebe einen Hiftprifchen Charaster um oder weit ihm eine beitinnmte, anderen als poetifchen Zwecken dienende Richtung an; überall ift hier in» nerhalb Der Wirklichkeit bie freieſte Wahrheit Des Bewegung und Die größte Genauigkeit waltet vor; Eigenthümlichkeit und Umgebung beftimmen Die Hand» lungen. felbft des geringften Characters, nirgends aber thut es der Verfaſſer abſichtlich; es fheint, ala keße er feine Menſchen gewähren, ‚wie 68 Gott in feiter Gnade und Weisheit mit den wirklichen Men⸗ {hen thut.

Aus dem bier Angedeuteten muß klar erhellen, welchen ungeheueren Einfluß. Walter Sentt durch feine Werke auf die Romenliteratur ausähte, und alle weitere Ausführung dünkt mir überfläffig. Er brach eine neue Bahn, Tauſende fchritten ihm nach, aber Seiner erreichte ihn, denn an. Objertivität kam ihm Keiner gleich. Seine erſten Hachahmer fand er natürlich in England felbft, obwohl keineswoges fehr bedeutende. Sie gingen gewöhnlich zu weit unb überkriehen feine Fehler, namentlich in der Imita⸗ tion jener pbligaten Charactere, mie Berge, Rat» ven, Bigenuner, indem fie bie eigenthümliche Erſchei⸗ aung folcher. ungewöhnlichen Weſen bis zur Karika⸗ bur. ſteigerten; eben fo überluden fie den Plan mit minutiäfen Veſchreibungen von Coſtume und Scene⸗ tie, die fchon bei Scott mitunter läftig fallen und

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e8 bei ihnen nad) weit mehr find; : Unter. ber Schaat Diefer Jünger des Meifters, welche ſich ihm am Mei- ften anſchloſſen, müſſen wir Horner Smith*), Galt**), J. P. R. Iames***), Grattan****), Crowe P: und

2) Berfaſſer von Brambletye house or Cavaliers and Roundheads. London 1826. Deutſch von C. HI: Mi⸗ chaelis. Leipzig 1827. Apsiy Reuben. London 1827. Deutfh von ©. Selten (von Alvensleben). Leipzig 1827. Tor Hill.. London 1825. Deutſch von Dem felben. Leipzig 1827 u. 4. m.

**5) Verfaſſer von Rothelan. Londan 1826.

Deutſch non C. v. ©. Quedlinburg 1826. Sir An- drew Wylie. London 1823. u. .m.. .. **8) Gegenwärtig der fruchtbarſte Verfaſſer hiſtori⸗ ſcher Rpmane. Seine beiten. Leiſtungen find: The Hu- guenof; Mary of Burgundy, Richelieu, The Man at Arms u. A. m. Sie erfchienen fünmtlih deutſch im Kollmann'ſchen Verlage zu Leipzig ſeit 1820.

**5**) Verfuſſer von Hghways and Bywaye. ‚London 1823. The Heiress of Brugge. Londom 1830. . Jac- queline of Brabant. London .1831:. Agues: de: Mans- field. London 1836. Legends of.ihe Rhine. Lon- den 18356 n. A. m., ſämmtlich glei nad: ihrem Er⸗ feinen von 8. 2. M. Muller, ab. Hell, W. Alexis u. A. in das Deutſche übertragen.

. 7) Verfaffer von Vittoria Colunna. London 1828. Deutſch von mir. Gera 41828: Yesterday.m Ireland.

Landon 1832. Tedav ie Ireland. London 1883 u.

A. m.

383.

Banän *) hervorheben. Horuce Emith, der: in ber: äußerlichen Durſtellung feinen Vorbilde genau folgte, fehlt es an innerer Lebendigkeit und. Wahrheit; Al⸗ les iſt gu abſichtlich und gemacht bei ihm und er fucht jenen Mungel zu mühfem durch. die ausführ⸗ lichſten und bis im das Kleinfte gehenden Beichrei« bangen zu erſetzen. Galt tft weit glüdlicher in ſei⸗ nen treiflichen idylliſchen Zamilienbildern, ala im. hiftorifehen . Romane; die Gefchichte legt ihm zu ſtarre Feſſeln an, innerhalb melcher er ſich unbe⸗ holfen und unfrei bewegt; namentlich weiß er nicht die richtigen Motive zu erſinden, welche der Dichter bei dem hiſtoriſchen Romane ſtets mit eben ſo viel Taet wie Talent fuppliren muß, wenn. er ein har⸗ monifch.. durchgeführtes Jableau eines: großen Ganzen liefern will. James, der fruchtbarſte in dittſem Genre, ſpielt zu ſehr anf der Oberfläche und bringt wacht. tief: genug in ben hiſtoriſchen Ehararter:jesmer _

N « .

1) Sohn. vorzůglichſtes Werk find die Tabas of ke O%Hara .Famity.: First „Series. London 1825. Secoud Series. London: k827;:— Außerdem ſchrtieb emo: The ‚battle of.ihes. Boyne, . London 1817, Ihe:Croppy.. Loudos 1828. The Denouncel, "Lon- &on: 1830: "The Smuggler. ‚London 1831. : Crohoore Na. Billiooge. ‚Lundun. 1888. ,-— Padbre .Na -Moglik; London: 1820: u. 2. m. Ginige feinse Werke find An das Deutſche n; A. von Lindan uͤberſetzt worden. Beine Landsleute vorzuͤglich haben” ihn uͤberſchoͤzt ws me den iriſchen halter. Scott geuanut!

bee Geſchichte entlähnten Figuren ein; übrigens het er ein häbfches Zalent der Erfindung und eine große Aumuth der Datſtellung. Gratten laßt fich von feinem Eifer, pfychnlogifch genau die Charactere zu eutwideln, mitunter zu ſehr hinreißen und wird da⸗ bar) monoton. Crowe bat ſich fpäter von bem Romane ab und ganz der Geſchichte und Politik zus gewendet; die Hiftorifche Betrachtung blickt auch in feinen Fictionen zu ſehr durch; feinen einzigen hir ſtoriſchen Roman, Bittoria Eolonna, bat er daher mitunter zu pragmatiſch behandelt; dennoch enthält derſelbe große Schönheiten und einzelne Charactere, wie 3. B. ber ber Heldin, fo wie des erſten Grena⸗ diers von Frankreich, find ganz meifterhaft gezeich⸗ net. Banim enblich ſucht iriſche Bufkänte der Ber- gangenheit und ber Gegenwart mit ben treueften Far⸗ ben zu ſchildern; er befigt reihe Phantaſie, fcharfe Characterzeichnung und große Kraft der Darftellung, aber er ermüdet den Leſer oft durch feine Ausführ- lichkeit und feinen Mengel an feinem Geſchmack. Ein bedeutendes Zalent Fonnte fi nicht mit Met Durchſchreiten der. einmal gechneten Bahn be» ghügen, fondern mußte fie weiter führen. Hier we son : zwei: Uuswege gelaſſen, entweder Die Beichnung hiſtoriſcher Charastere oder auch Die Sittenfchilde rang als Hauptaufgabe zu beirachten und nach die fer Seite Hin ben Nomen zu. erweitern. Mei det erſteren Weise mußte man ſich ftreng an die Ge ſchichte felbft Halten,: und ward Dadurch auf engen Raum befchränkt, bei ber zweiten Dagegen bedurfte

U TUR 77 Un mu am

mon nur bes Bodend hiſtoriſcher Wirklichkeit, ua echielt eben durch ‚denfelben freieren Spielraum. Dies thaten Copper und Hope; Weite höchſt aus⸗ gezeichnet, obwohl jeder in feiner Urt, Weide zur gleih auch Die Stifter neuer Arten in der hiſtori⸗ den Gattung. Cooper trug ben hiſtoriſchen Ro⸗ man auf -jein Vaterland Amerika, und namentlich auf den atlantiſchen Dekan Hinüber*). Er ganz ber: Sohn feiner Nation, eines Volkes, das eigente lich nie eine Jugend gehabt hat, fondern gleich mit ben reichen Erfahrungen des Mannesalters, mit je⸗ nem fabilen Enthuflismns und jener Thatkraft, wel⸗ de die Ruhe der Ueberzeugung giebt, den Schau Plag feiner Handlungen betrat, und Daher mehr für eine fichene Ausbreitung der Oberfläche, als für eim Wurzels Schlagen in der Ziefe forgte. Dieſe Ei⸗ genthäinlighbeit zeigen daher auch alle von Cooper in

N 34 ‚gehe hier, nit wenigen neuen Bufähen, eine Characteriſtik, Eoäzer’s, wie ich fie bereits frühes in weinem Buche „Die ſchoͤne Kitteratur Europa's in der neneften Heit“ CLeipzig 1832 ©. 382) zu aͤhnlichem Zwecke .nieberlegte, da fih meine Anſichten über ihn feitvem durchaus nicht geändert haben, und ich daher mit anderen. Morten doch nur mein Damaliges Artheil wiederholen müßte, Webrigend Halte ich es für unnütz, ſowohl bei Scott, wie bei Cooper, bie Bibliographifchen Rotizen abzugeben, da deren Werke, in unzähligen Aus geben, Nachdrucken und Neberſetungen vervielfältigt, dedem zugänglich find.

ſeinen Romanen’ auf‘ biefem: VBohden gefchiuierten. Cha⸗ raetere; fie bewegen ſich wahr, aber: durchaus ohne dichteriſchen, von ber Umgebung entlehnten Schmuck. Was uns an ihnen Freut oder ſtört, iſt das. wohl⸗ esworbene. Beſitzthum ihrer Natur; der Dichter hat Kits Dazu gegeben. . Ja,“ ber poetöſche Einpend, den die romantifche Umgebung, in der fe fich beſin⸗ ben, auf.den Leſer macht, bleibt durchaus. ohne eis

gentlichen Einfluß auf fie, und jene dient nicht da⸗

zu, wie in.andexen ähnlichen Romanen, den Selden ſchärfer und verfchönernder hervorzuhöben, weit: die⸗ ſem überhaupt alles Idealiſche fehlt, ſo tüchtig und rund ſein Weſen auch immer ſeyn möge Gerade dieſe: Nuturſchiderungen ſind aber. To: höchſt beden⸗ tend: und glücklich bei Cooper; er ſtellt ven Leſer nit. auf. einen Punkt, von weichen: er'fte bequem, abe. ankerhalb berfelben betrachten Banit, ſondern führt ihn mitten hinein und zwingt ihr; an dieſen Gefiheifiungen Theiliʒu: nehmen, als :feh er: Hon ih⸗ ner. unmittelbar umgeben. 1So errricht er, Indem or - feine: Perſonen nur in: ſoſern damit: Zu Berbin⸗ bug ‚bringt, (als ihre Lage x8 nothwenbig focbert; gerade: das, wind ihm das Wichtigſte ſcheint,die klaͤrſte :und: deuttlichſte, ‚bis in: das Kleinſte genaue und ſtets unbefnngene Darſtellumg schier Eigeuſchaf⸗ ten ‚und. ihres Gandelömerfeisu Alleshleibt daher bei ihm ftatä.: in einem wichtigen: und natütlichen Ber hãltniſſe zu der Amgebaug. Während: 3. Bo ber Le fer erſchreckt und: hingeriſſen wirt: en: deni? Wüthen eines wunderſchön geſchilderten Sturmea, ;fchlendert

der jange Sermann, dem wir nik Irterenſe folgem ruhig ꝓfeifend auf dem Vrrdecke einher, fo. lange · eg geht, beobachtet Palthlütig- die Foreſchritte bes Un⸗ wetters zund forgt- für Die ihm obliegendes nöthigen Schiffsmanoqupres; Dielen kobende Orkan vol erha⸗ bener Schönheit ift. ihm weiten, Nichts als ein etwas unveriähmter Suüdweſt, dem man zu ‚Beiten die Spike bieten muß. Das eraählt uns. aber der. Verfaſſer nicht wit gefuhten Worten, die zur Berherslichung feines. Helden dienen follen,. ſondern das trägt fi Alles wirklich vor unſeran Wirken: zu, und Die Wen merfüngen: Darüber. dringen fi} uns von ſelbſe auf; Mit großer Gewanbtheit,. und das iſt eine-der Glauz⸗ feiten von.&paper’s Zalent, weiß, er bie Kleinen Büge und: Eigenheiten, Die. Nuancen und Schattirungen der Charactere hervortreten zu laflen, und wir wer⸗ ben Daher nie: einen. feiner Romane aus der: Hand legen, ohne ein vollfommen deutliches Bild von jes der darin auftretenden: Perſon evhalten, zu haben. Den wahren: ſittlichen Halt bekommen jedoch alle Ge⸗ bilde. Coopers Durch ‚Die, feſte Züchtigkeit ſeimer Ges ſinnung, welche ſich nirgends breit macht oder her⸗ vordtängt, und doch überall klar hindurchblickt. Sein: Haupufehler dagegen iſt ſtine lübertriebene, oft nur zu ſehr ermüdende Umſtändlichkeit; er beſchreibt Alles, felbſt die kupfernen Knöpfe;auf den Röcken feiner Borfahren,. und ſchadet dadurch dem Intexeſſe ſehr, weil er, indem er Nichts übergeht, das raſche Fortſchreiten Der. Handlung hemmt und der Phan⸗ taſie des Leſers durchaus koinen Spielraum gönnt.,

540 Die Lecture eines Cooper'ſchen RMomand macht im erſten heile oft große Arbeit und felten Bergnür gen. Die Hauptforberung bei einem jeden Kunf- werte bleibt aber eime ſolche Hasmonie in allen Theilen, daß uns keinrr von ihren Schwierigkeiten für Vie Auffaffang und Aneignung darbietet, und . wie überhaupt nicht begreifen, wie es ſolche dabei geben koͤnne. Daher iſt Cooper auch wieber alid. lich, wo er fich nicht auf dem alten, heimiſchen Bo⸗ ben der auf dem Deean befindet, und bie Roman, welche er namentlich während der letzten Zeit feines Aufenthaltes in Europa ſchrieb und anf eurvpaͤiſchen Boden fptelen läßt, ſind mehr oder weniger verfehlt, namentlich fein Bravo, deſſen Handlung ſich zur Beit des Verfals ber Republik Venedig zuträgt, deren Staatsweſen er keinesweget richtig begriffen und nur mit dem Auge eines NRordamerikanert an geſchaut hat. | Eosyer’s vorzůglichſte engliſche Nuchahmet find Glasevck, Ehamier*), Hewarb**) und Diarryat*"*); | ihre Schindungen fpielen auf dem Voden hiſtoriſcher

*5) Verfaſſer von The Aretkusa. London 1806. - Ben Brace. London 1835 u. A. m. ſämnitlich im des

Deutfe übertragen von Berfdiisdenen

29) MBerf. von The old-Commodore, Outward Bund, Jack Ashore u. A. London 1834 40, faͤmmtlich Deutih von Mehreren.

v**) Marryate Moman⸗ fun ſo ofigemein verbreitet und befannt, daß eine nähere Angabe überflüfſtg iſt.

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Wirklichkeit, ruhen aber nicht auf ber eigentlichen Beltgefchichte, und Sittenfchilberungen des feemän- nifchen Zebens find daher Ihe Hauptzweck. So bil» den fie sine Uebergangsart vom hikorifchen Romane zum Familienromane. Das Bedeutendſte leiftete hier ber vielgelefene und auch bei uns fehr belichte Capi⸗ tin Marryat. Da ich ihn nicht wohl anderswo unterzubringen weiß, fo wöge mir geftnttet feyn, bier, die Reihe der eigentlichen hiſtoriſchen Romane unterbrechend,, einige Augenblicke bei ihm zu ver⸗ weilen.

Die Natürlichkeit bildet ebenfalls den Haupt⸗ sch von Marryat's Leiftungen. Er beſitzt weder Ziefe noch Erhabenheit der Erfindung, aber treffliche Ehararterzeichnung, eine ſehr rafche lebendige Dar⸗ fellungsweife, reiche Lebenskenntniß, eine unerfchöpfs liche Laune, einen ſcharfen Blick für menfchliche Bus Rinde, große Leichtigkeit und innerhalb feiner Eins feitigkeit große Mannichfaltigleit. Seine Fehler find dagegen häufige Hachläffigkeit in der Durchfüh⸗ rung der Grfindung, Ungleichheit in dee Behand⸗ lung und Ineorrectheit des Styles. Er if eigent« ih nur ein amuſanter Schriftiteller und Eönnte bei den ihm verlichenen Gaben, -bebentend mehr. feyn. Das beweiſt namentlich der Roman: Japhet, ber feinen Vater fucht, welcher weniger als alle übri⸗ gen Schriften Marryat's an den eben gerigten Män⸗ geln leidet, und viele meifterhafte Stellen, beſonders aber eine ganz vortreffliche Entwidelung der Haupt⸗ charactere aufzuweiſen bat, Daß Marryat ben No⸗

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mean im Allgemeinen durch‘ feine: Behandlungsweiſe befördert habe, iſt durchaus nicht in Abrede zu ftel- len, ee führte namentlich -zur . Wirklichkeit zurück, von der man fich bereits. wieder ſehr zu entfernen begann, faßte bie Dinge auf, wie fle eigentlich find, und wenn er auch feine - Helden In - eigenthämliche und feltfame. Lagen bringt, fo find es Doch nie fal- che, welche außerhalb der Möglichkeit ihrer Berhält niſſe von Ihm geſtaltet werden, Den engliſchen See- mann beſonders hat er trefflich geſchildert, vom Ca⸗ pitain der Flotte an bis zum Kochsmaat und Spiel⸗ vogel hinunter; aber auch andere Charactere verfteht oe mit vollfter Rebenswahrheit aufzufaffen und ıwie derzugeben, und fein Talent, Allem die Tormifche Seite abzugewinnen ohne es zu übertreiben -oder zur Farce zu machen, giebt allen feinen Darſtellun⸗ gen, ſelbſt den rührendften, eine fehr glückliche Fo» fie, von: der fi Die Figuren nur noch vortheilhefs ter abheben. So raſch auch bie Wilder bei ihm wech⸗ feln, fo weiß :er doch ben Faden feitzuhalten, und wirft nie ermüdend, da er ſtets Die Aufmerkſamkeit dre Kofers in Spannung zu erhalten und deffen In tereffe zu beleben verfteht. Man fleht allerdings feis nen Werken an, wie raſch fie geſchrieben wurden, and kein Vernünftiger wird ſie für Kunſtwerke aus⸗ geben wollen; genau betrachtet. möchte: man fie im: provifirte Romane nennen, fie haben alle Fehler und. alle. guten: Eigenſchaften einer gelungenen Im- proviſation, :unb: bleiben trotz Den erſteren gültige Benguiffe fanidas ſtiſche und gluͤckliche: Valent ihres

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Verfaffers, Res: chen: alß solche den Verſtend zu waterholten:und. das: Gemüth gu erſchüuttern und. felbit zu ‚erheben. yermag, da es auf dee Baſts einer tüd)- tigen; und, ehreawerthen Geñinnung ruht.

Weit bedeutender. Dagngen. war bie: Richtung, melde die aus Dem hiſtoriſchen in den Sittenroman umgewandelte Gattung durch Thomas Hope erhielt, deſſen Anaſtaſius*) ſtets einen. hohen Werth behal⸗ ten wird, wenn ſich auch gegen denſelben, als. ci» gentliches Kunſtwerk, Manches. einwenden läßt. Die Abenteuer eines fpigbübifchen Griechen, der ſich im allen Saͤtteln gerecht zu zeigen verſteht, ſind an und für ſich eigentlich kein befriedigender Stoff. für :eis sen Roman; Hope weiß aber im Wanzen, wie: im Einzelnen das Leben in der. Levante, von dem er ein. eben ſo ſprechendes, ‚wie detaillirtes Bild giebt, mit folder Eigenthümlichkeit zu behandeln, daß xt den Leſer bis an den Schluß feſſelt: und. dieſer ge⸗ ſtehen muß, das Buch mit eben ſo gtoßem Xutzen als Vergnügen geleſen zu haben, obwohl es ihm aut die Nachtſeite menſchlichen Strebens aut. Thuns zeigte. Der Ton, den er dabei anſchlägt, ſtimmt vortrefflich mit dem Inhalte des Ganzen überein. Leicht beginnend, wie ber Held’ felbft leichtfertig er seh de allmahlich mit Beil en Sqieſelen i in ſeine

“*) Anustashu or Am —* ofa a mödern Greek. Eiöndon‘ -1819, Bber 1 in '8.; Duiſch von Lindaü. Dredden Ir 237 5’ Bor. ir 8.

5

Stimmung über, und endet zulegt eben ſo träb, wie jener. Dadurch bildet es einen entichiedenen Ge⸗ genfag zu dem Optimismus Walter Scotts, aber dem Denkenden giebt er reiche Beichäftigung von großem moralifchen Gewinne, und hinterläßt einen Eindruck in ihm, deſſen Verarbeitung und Burecht- legung noch manche ernſte Stunde forbest. Die Cha⸗ zasterzeichuung und die Schilderungen in bitfem Bude find meiſterhaft und naturgetreu; Ginjelnes ſchwingt fih auf die höchſten Stufen der Poeſie, wie 3. B. der Moment, wo Anaftafius, feinen ſter⸗ benden Knaben im Arm, auf ber Treppe des Trie⸗ ſter Lazaretto's figt u. X. m. Gifford fagt fehr wahr: „es IS nicht möglich feyn, zwanzig Seiten son Hope zu Merlefen, shne einer charactervollen Skizze, einer originellen Idee oder einer Anſicht zu begegnen, welche, wenn fie auch nicht durchaus nen, doch viel nom Reize der Neuheit erhält, durch Die Weinheit und ben Scharffinn, mit denen fie ausge⸗ krüdt. wird.” Englifche Kritiker tadeln übrigens den Styl fehr und werfen ihm künſtliche Geſuchtheit und Pebantismus nor.

Diefelbe Bahn, wie Hope, verfolgten Morier *),

*) Verfaſſer von The Adventures of Haji Baba. London 1824. Haji Baba in England. London 1828. Zohrab, the hostage, Landen 1832..— Abel Allputt. London 1834 u. f. w., ſaͤmmtlich in das Deut⸗ {he übertragen von Schott, Linden, Sporſchil u. A.

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Fraſer *), Colley Grattan **) u. A. mehr ober minder glücklich in ihren Schilderungen fremder Sit« ten und Gebräuche, aber an Gebankenreihthum und Driginalität dem Verfaſſer des Anaftafius bei Wei⸗ tem nachſtehend. Die Romane der Lady Morgan und Banims, welche zum Theil auch hieher gehören, jedoch meift-auf iriſchem Boden fpielen, greifen ſchon in die Behandlung politifcher Fragen innerhalb des Fomans hinüber, weshalb wir fie hier noch unbes rührt laſſen, da wir fpäter noch Gelegenheit finden, zu ihnen zurückzukehren.

Mit großer Prätention, aber weit geringerem Erfolge, einige wenige Ausnahmen abgerechnet, bes mächtigten fich die Franzofen, und namentlich die ſo⸗ genannten Romantiker unter denfelben, des hiſtori⸗ [hen Romans nad) dem Borbilde Walter Seott’s. Nachdem der hiftorifhe Memoirenroman feit feinen Entitehen fait ohne Unterbrehung von ihnen culti- virt worden, wandten fie fich mit großem Eifer der neuen Gattung zu, weldje ihnen in mehr als einer Hinficht lohnende Ausbeute verſprach, da ihre eigene vielbewegte Gefhichte einen fo großen Reichthum von dankbaren Stoffen darbot. Als Bahnbrecher ift hier der Vicomte D’Urlincourt***) zu betrach⸗

*) The Kuzzilbash. London 1830. u. X. m.

++) &, oben die Rote zu Grattan.

*e#) Merfaffer von: Le Solitaire. Paris 1821 u. 6. Le Renegat. Paris 1822. Ipsiboe. Paris 1823. L’Etran- gere. Paris 1825. Les Rebelles sous Charles V. Pa-

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ten, befien Romane während ber Reſtauration ein ganz unglaubliches, aber raſch vorübergehendes Glück machten. Er ift der in das Franzöfifche überfegte be Ia Motte Fouque, und hat mit dieſem biefelbe glaubige und ritterlihe Bewunderung des Mittelal- ters, dieſelbe reiche Phantafie und daſſelbe unglückliche Verſinken in eine ftabile Manier gemein. Sein er⸗ Res Werk dieſer Art, Le solitaire, machte ungeheure: re8 Auffehen, Da e8 einer entfchiedenen Beitrichtung entſprach, und fi Dusch große einzelne Schönheiten und eine Fühne und lebendige, wenn auch häufig ver- worrene und übertriebene Darftellungsweife auszeich⸗ nete. Eben jo erfolgreich waren feine nächften Werke, in welchen ftch Diefelben Fehler und diefelben glüd- lichen Eigenfhaften offenbarten. Auf richtige Cha⸗ raeterzeichnung, gute Motivirung, poetifche Wahrheit kommt es dem edeln Vicomte durchaus nicht an, eben fo wenig auf Gorreetheit und Klarheit des Styls, nur um überrafchende und ungewöhnliche Si- tuntionen, frappante Effeete, ſeltſame Wendungen ift es ihm zu thun; mit feinen wirklich Dichterifchen An- lagen macht er mitunter fehr glückliche Griffe, aber eben fo oft zgerftört er das Gelungene gleich nachher wieder durch eine IUngeheuerlichkeit. Chatenubriand iſt fein Vorbild, und gleich Diefem ift er auch Der

ris 1832. Les Ecorcheurs. Paris 1833. Le Bras- seur-Roi. Paris 1833 u. f. w., ſaͤmmtlich alsbald in das Deutihe überfegt von 8. Halein, H. Döring, F. Band, Eh. Hull, v. Alvenäleben u. X.

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vertriebenen Dynaſtie treu geblichen und Hat feit 4830 für dieſelbe in feinen Schriften geftrebt; aber feine Romane And feitdem durch die politifchen Spe⸗ zereien, mit Denen er fie würzt, noch ungenießbarer ‚geworden, obwohl feine Tendenz der Gegenmart, duch Darftellung politifcher Irrungen und Kämpfe . der mittelalterlichen Vergangenheit, einen directen Spiegel vorzuhalten, keinesweges als eine irrthüns liche zu betrachten iſt, nur müßte fie mit größerer Befonnenheit und Klarheit, als er fie befigt, durchge⸗ führt werden. In neuefter Beit hat er daher das Unglüe gehabt, von zwei Seiten verfpottet und an⸗ gegriffen zu werben; bie Klaffifer waren ihm ſchon von Anfang an heftig entgegengetreten, jetzt wollen die politiſch liberal gefinnten Romantiker auch Nichts von ihm wiffen, und nur einige ftupide Douatrieres des Faubourg St. Germain Iefen feine Romane nod) mit Erbauung. Das Verdienſt, die Neigung der Nation für den hiftorifchen Roman moderner Bil⸗ dung geweckt und befördert zu haben, Fann ihm in» deſſen keinesweges ftreitig gemacht werben; in dieſer Hinfiht bleibt er auch hier für uns von Wichtigkeit.

Als der direetefte und fruchtbarfte Nachahmer des englifchen Meifters, jedoch höchſt oberflächlich) im. ber Behandlung der Gegenftände, ift Paul Lacroix zu betrachten, welcher unter der Benennung des Bi⸗ bliophilen Jacob ſchreibt und als folcher in Franke reich ſehr geſchätzt und viel gelefen wird *). Es ift

*) Merfaffer von: Soirees de W. Scott. Paris 35 *

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nicht zu Täugnen, daß er die franzöſiſche Gefchichte, denn mit dieſer befchäftigt er fich nur in feinen bis forifchen Romanen, mit minutiöfeftem Fleiße ſtudirt habe, und feine erworbenen Kenntniffe trefflich an zuwenden weiß, aber was man ber Gefchichte eigent- lich abgewinnen fol, die Anfhauung des Welten geiftes, der durch fie hingeht, Das bleibt ihm, wie überhaupt alles Ziefere, fern, und er weiß nur die vergangene Beit in ihren äußeren Gewändern zu res produciren, ohne das Ziefere, Innerliche derſelben aufzufaffen. In die äußere Erfcheinung verfteht er ſich aber trefflich zu verfegen, und fein Eifer geht fo weit, daß er ſtets in dem Styl und den Aus brüden der Epoche ſchreibt, welche er fchilbert. Frühzeitig fchriftftellernd ift er auch frühzeitig geals tert, und fucht daher den Mangel an urfprünglicher Friſche durch künſtliche Mittel, wie das oben er» wähnte, zu verdeden. Es fehlt ihm durchaus die Unmittelbarkeit der Poeſie; er muß Alles entlehnen, mühſam zufammenfegen und nachbilden, und geräth daher ſtets in Uebertreibung, wo er nicht auf” hiſto⸗ riſchem Boden fußt; auch tft ee weit glüdlicher in Heineren Erzählungen als in längeren, mehr geifti- gen Aufwand fordernden Romanen. Seine trefflichkte

1829. Les deux Fous. Paris 1830. Le roi des Ri- hauds. Paris 1831. La Danse Macabre., Paris 1832. Les Francs Faupins. ' Paris 1833. Le bon vieux temps. Paris 1835. Pignerol. Paris 1836. Quand jetaie jeune, Paris 1833 u. f. w.

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Leiftung bleibt FImprimeur in bee Sammlung Quand jetais jeune. Hier hat er die Werderbtheit der Beit Ludwigs XV. mit buschbringendem Blicke aufgefaßt und mit feltenee Raivetät, dem Character feines Helden gemäß, den er rebend eingeführt hat, ges fhildert. Sonſt ift er in der Sharacterzeichnung nicht eben fehr glücklich, vorzüglich nicht in ben for rialen Darftellungen der Gegenwart, wo er gu fehr auf den Effect der Situntionen hinarbeitet. Da, mo er fich zu jehr an die Gefchichte lehnt, erfcheinen feine Charactere auf der anderen Seite dürr und ohne Zeben, weil er feinen Haltpunkt nicht zu ver» offen und die Geftalten durch eigene Kraft und Phan⸗ tafte zu beleben wagt oder wahrfcheinlich nicht die Mittel dazu befist. Ein fleißiger und verftändiger Schriftiteller ift er, aber Fein genialer. Der Ro⸗ man ward durd) ihn gefördert, allein nicht gehoben. Seiner Art fehr ähnlich iſt die Alphonſe Hoyer,

der in feinen Mauvais garcons, einem Romane, den er gemeinfhnftlich mit dem Iambenjchleuderer X. Bars bier verfaßte, das Leben zu Paris im ſechszehnten Jahrhundert ſchilderte, und Die einzelnen turbulen- ten Erfcheinungen beffelben mit Lebendigkeit aufge⸗ faßt, recht gut gruppiet und in einer Rabelais und alten franzöfiihen Chronikenſchreibern nachgeahmten Sprache dargeftellt hHat*). An dieſem Buche, Das *) Der Roman Les mauvais Garcons erſchien 1830,

2 Bde. in 8. zu Paris. Außerdem gab Royer allein heraus: Le Divan. Paris 1834 in 8. Manoel, il

Sch keinesweges ohne Jutereſſe lie, Finden ſich je Dod) zwei große Fehler, Unwahrſcheinlichkeit und Uebertreibung, wie fie gerade um diefe Beit im ber franzöfifchen Literatur anfing Mode zu werden. Es

" Hat als Patrone für viele ähnliche Arbeiten gedient,

sit jedoch bald der Vergeſſenheit anheim gefallen; eine fo gemifchte Arbeit, unorbentlich gefügter Mo» fait gu vergleichen, Zonnte Leinen bleibenden Ein druck Hinterlaffen, trotz einzelnen brillanten Par tieen. Später wanbte fi) Roger auch von Diefer Weiſe ab und ſuchte mehr künſtleriſch zu wirken, durch ferengere Einheit und ſorgſame Ausführung, wie 3. B. in feinem dramatifirten Romane Venezia Ja Bella, in welchem er bie lebten Zage ber Repu⸗ blik Venedig zu ſchildern verfucht; aber es fehlt ihm an frifcher und urſprünglicher Erfindung, er iſt mehr Rhetor ale Poet; wo er mit bem Berftande aus⸗ reicht, da leiftet er Züchtiges, wie fo viele Roman- fehreiber unferer Tage, welche geſchickte Combination und eine gebildete, jeder oratorifchen Steigerung fü- hige Sprache für Beugniffe des Genies ausgeben. Die Yabel des Romans ift Daher nur ſchwach, und Die Charactere find unficher und lückenhaft. Zwi⸗ [chen beiden Weifen Royer’8, der alten und ber neuen, ſchwanken auch feine Novellen, bald in voll- ſter Hebertreibung bis zum Widernatürlichen, wie

Pulcinella et !’homme aux Madennes. Paris 1834 in 8. Venezia la Bella. Paris 1834. 4 Be, in BS. © A. m.

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3. B. Manoel und il Puleinella, bald mühſelige Lö⸗ fung pſychologiſcher Lebensfragen, wie Braunsberg le Charbonnier und L’homme aux Madonnes.

Hehnliche, in Romanform gehüllte oder zum Ro⸗ mon auf das Frechſte traveſtirte Chroniken, welde eine Beitlang ſehr ben. Beifall des Publieums ge wannen und noch jet dann und wann, obwohl nur ſpärlich auftauchen, lieferten, mit größerem ober ges ringerem Glück, ber Graf Paftoret, mit Tegitimifti- [her Zendenz, ohne Erfindung, aber in gelungener Nachahmung des guten hiftorifchen Styls*), Bargi⸗ net, ber fich fpäter mit größerem Erfolg der Kaiferzeit zumwandte und das Salent, feine Charactere mit wes nigen Bügen fcharf und markig zu zeichnen, beftgt **), Soulie, ein fein combinirender Kopf, aber in feinen biftorifchen Romanen zu fehr und zu abfichtlich Freund

*) I,o duc de Guise à Naples. Paris 1824. 8. Raoul de Pelleve. Paris 1834. 2 vol. in: 8. (beide anonym.) "Claire Cataluz ou la Corse en 1736. Paris 1838. 2 Bde. in 8. u. A. m.

**) Les Montagnardes. Paris 1826. 4 vol. in 12. La cotte muge. Paris 1828. 4 vol. in 12. La chemise sanglante. Paris 1829. 4 vol. in 12. Les deux Seigneurs. Paris 1829. 4 vol. in 12. Le roi des montagnes. Paris 1829. 4 vol. in 12. Les Heberards. Paris 1837. 2 vol. in 8 Le grenadier de File d’Elbe. Paris 1830. 2 Bde. in 8. La 32 demi-brigade. Paris 1832. 8. Chroniques imperiales. Paris 1833 —34. 4 vol. in 8. u. ſ. w.

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von Blut und Kath, wie die Franzoſen ſelbſt biefe Li⸗ teratur nennen, weit gewandter in Darftelungen des modernen Zebens und bier in neueſter Beit mit Bal- zac zivalificend, dem er übrigens nicht gleich Fommt *), Roger de Beauroir, ber das Scheußliche eben fo über: treibt, wie er mit hiftorifchen Minutien prunkt **), Kofleeuw St. Hilaire weit bebeutender als Hiſto⸗ riker ***), Saintine, reich an Erfindung, tief an Gefühl und hinreißend in feinen Schilderungen, aber zu oft gefucht und Fünftlih****), Salvandy, Ein zelnes trefflich darftellend, aber buch Längen und Abfichtlichteit ermüdend +), Paul de Muſſet, feinem

*) Le vicomte de Beziers. Paris 1834. 2 Bde. in 8. Le vicomte de Toulouse. Paris 1835. 2 Bde. in 8. Romans historiques du Languedoc. Paris 1837 fgbe. Les deux Cadavres. Paris 1832. in 8. S. ferner weiterhin unter den Romanfchreibern der Gegenwart.

**) L’ecolier de Cluny. Paris 1832. Ruysch. Paris 1833. L’excellenza ou les Soirées au Lido. Paris 1833. 2 vol. in 8. LaAuberge des trois pins (gemeinfhaftlihd mit Alph. Royer). Paris 1836. Histoires Cavalieres. Paris 1837 u. A. m.

***) Rienzi et les Colonna ou Rome au XIVe siecle. Paris 1825. 2 vol. in 12.

*+**) Une Maitresse de Louis XIII Paris 1834. 2 vol. in 8, Le Mutile. Paris 1832. Picciola. Paris 1836. 6 Ausg. 1838,

.?) Don Alonzo ou l’Espague. Paris 1824. 4 vol.

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Bruder Alfred bei Weiten nachftehend, ruhiger und gemäßigter als die Meiften, aber zu Falt in feinen Sombinationen*), Mesnard vol Wahrheit, reicher Dhantafte und Kraft **), Briffet, lebendig Darftellend, aber nicht hHaushälterifch genug mit feinen Stoffen ***), Merimse, vortrefflich fchildernd, ummittelbar aus Dem Leben greifend, Doch keck und übermüthig mit feinen Ideen fpielend ****) , Die Prinzeffin von Graon, im katholiſchen Intereſſe Romane dichtend und Das her von ihrem Publicum ſehr gepriefen, nicht ohne Zalent der Darftellung, aber die Gefchichte für ihre Bwede misbrauchend +), die Gräfin Choifeul- Gouf- fer, eine geborne Polin, mit Lebendigkeit und Ins tereſſe Stoffe aus der Gefchichte Polens behan⸗

in 8. Islaor. Paris 1824. 12. Corisandre de Maul&on ou le Beam au XVe siecle. Paris 1835. 2 Bde. in 8,

*) Anne Boleyn. Paris 1836. 2 vol. in 8. Lauzun. Paris 1835. 2 vol. in 8.

**) Pen March. Paris 1834. Le champ des Martyrs. Paris 1837. 2 Bbe. in 8.

*46#) Les Concini. Paris 1835. 2 Bde. in 8. Les Templierss. Paris 1837. 2 Bde. in 8,

*+**) Chroniques du Temps de Charles IX. 1572, Paris 1829. La Jacquerie (dramatifirttee Roman), Patis 1828. Kleinere biftorifhe Erzählungen in Beil fchriften.

+) Thomas Morus. Paris 1834. 2 vol. in 8. (3. Xufl.) Henry Percy. Paris 1835. 2 vol. in 8.

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deind*), Auger, große Fähigkeiten mit großer Be- fonnenheit verbindend**) u. X. m. Alle jedoch nur ſchwache Nachahmer des großen englifhen Meiſters, mehr dem Geſchmacke Des Tages fröhnend als nad Neuem und Großarfigem ftrebend.

Auch der Seeroman, oder wie ihn die Franze- fen mit einem SKunftausdrude ſchlechtweg nennen, die Marine, ward fehr bald in Frankreich und frü⸗ her al& in England als cin reiches Feld des Romans überhaupt betrachtet, aber die Behandlung beffelben gänzlich vergriffen. Statt der wahren Poefle, bie auf dem Meere und den taufenb Grfcheinungen bef- felben ruht, zog man die galvanifche Xfterpoefte, ber fein Mittel zu fchlimm war, die blafirten und abgeftumpften franzöfifchen Nerven zu reizen, und welche eine lange Beit vorherrfchte, in Diefen Kreis, und outrirte hier auf das Entfeglichfte. Werbrechen, bie für das fefte Land zu enorm erfchienen, mußten als Kleinigkeiten im Seeleben gelten, und wurden als folche gebraucht und auf einander gehäuft, Ad weiß, fo ſkurril e8 auch Elingt, Pein befferes Bild

*) Barbe Radziwil. Paris 1820. 2 vol. in 12. Le Nain politique. Paris 1826. 4 vol. in 12. Viadisias Jagellon et Hedwige. Paris 1823. 2 vol.

in 12.

*6) Boris, Paris 1819, Prince de Maehia-

vel. Paris 1833. 2 vol. in 8. Juan VI. Paris 1824. 3 vol. in 12, Riemzi. Paris 1826. 3 vol. in 8.

für einen ſolchen Roman gu finden, als eine Zonns mit geſalzenen Heringen; in der ſchärfſten Lake find alle dieſe armen eingefalgenen Subjeete fo auf ein« ander gepadt, daß die Menge fait unglaublich if, und Dabei fehen fie fich einander fo ähnlich, daB man fie durchaus nicht gu unterfcheiden vermag. Am Tollſten trieb es hier Eugene Sue, der als der Mas tabor in Diefem Genre gilt, ein Mann von großem Zalent und fruchtbarer Phantafle, aber ohne tiefere Bildung, geſchmacklos, voll Uebertreibung und ohne Adel der Geſinnung*). Er geht, wie er Das in ber Semmlung feiner Novellen la Coucaratcha **) austrüdlich erklärt hat, von dem Geſichtspunkte aus, Daß die Menſchen alle Nichts taugen, und das Lafter allein hienieden glüdlich fei. Mean macht fi nicht leicht eine Idee von den unglaublichen Scheußlichkeiten, Graufamkeiten, Berbrechen und Abfcheulichfeiten, wel⸗ de Sue in diefen Romanen zufammengefchleppt. Der wildeite und graufamfte italienifche Bandit erfcheint feinen Helden gegenüber wie ein Schulknabe. So z. B. nimmt Kernod in Plik und Plok den zerichoftenen Leichnam feiner Geliebten und verftopft damit ein Leck in feinem Schiffe; Atar Gull, im Roman glei

*) Atar Gull. Paris 1832. Plik et Plok. Pa- ris 1832. La Salamandre. Paris 1832. 2 vol. in 8. La vigie de Koat-Ven. Paris 1833. 4 vol. in 8. uf. wm. Gämmtlide Werke deutſch von 8. von Alvensleben. Leipzig 1838. fgbe.

**) Paris 1832 34. 4 vol. in 8.

es Namens, vergiftet feines Seren Weib, Kind, Schwiegerfohn, Sklaven und Vieh, zündet ihm fein Haus an, geht mit ihm nad) Frankreich, pflegt ihn dort, wo er Niemanden hat als ihn, erzählt ihm ol das Unglück, das er, um feinen (Atar Gull’s) Water zu rächen, feit Jahren über ihn gebradt, quält ihn bis zu feinem Tode, beerbt ihn und erhält wenige Tage fpäter ben großen für bie Belohnung ber Tugend in Frankreich, geftifteten Monthyon’fchen Preis. Später hat Sue endlich von dieſer Weiſe abgelaffen und fih in feinen hiftorifchen Romanen Ratreaumont +) (eine Verſchwörung gegen Zub» wig XIV. behandelnd) und Jean Gavalier (den Hel- den bes Gevennenkrieges ſchildernd) **) menfchlicher gezeigt. Es fehlt ihm Hier nicht an glücklicher Erfindung und lebendiger farbenfatter Darftellung, wohl aber an tieferem Studium, confequenter pfy- &ologifcher Chararterzeichnung und innerer Wahr⸗ heit. Trotz dieſen Mängeln und jenen Greueln und Aingeheuerlichkeiten bleibt aber Sue dennoch einer ber talentvollten neueren Romanfchreiber Frankreichs. Wäre er weniger Franzofe, fo könnte er viel be beutender ſeyn, und eine wirklich hohe Stufe er» reichen.

Außer ihm befchäftigten ſich in Frankreich noch mit dem Seeroman: E. Gorbiere***), mit weit bef-

*) Paris 1838. **) Paris 1820. *+*) Le negrier. Paris 1832. La Mer et les

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ferer Kenntniß des Seeweſens audgerfftet als Sue; Sooper’fchen Vorbildern nachftrebend, nicht ohne Tas Vent der Erfindung und Wahrheit des Lebens, aber zu minutids und Daher oft ermüdend; A. Zal*), befien Scenes de la vie maritime trefflihe Schilde» rungen und gut erfundene Scenen in ausgezeichneter Darftellang enthalten, Romieu **), ein Nachahmer Marryat's, der fohon genannte Mesnarb ***) u. X. m.

Die Revolution mit ihrem großen Reichthume von erfehätternden Scenen und Motiven bot den Romanfcreibern eine unerfchöpflihe Schatzkammer dar, um fo mehr, als viele Lebensfragen derſelben fich gerade in jüngfter Beit wieder erneut haben und noch Immer nicht zur Löſung Fommen werden, der Dich» ter alfo durch eine Entwidelung jo mächtiger Ideen auf poetifhen Wege unendlich wirken und feinen: Reiftungen duch fie tiefe Bedeutung und zwiefaches Antereffe zu geben vermochte. Trotz den vielen Ro⸗ manen, deren Handlung fi in dieſem Beitraume' bewegt, haben Doch nur wenige Verfaſſer ihren-hier. entlehnten Stoff von biefer Seite aufgefaßt. Als

Marins. Paris 1833. Contes de bord. Paris 1833. Les Aspirans de marine. Paris 1835. 2 vol. in 8. Le Banian. Paris 1836. 2 Bde. in 8. u. m. *) Scenes de la vie maritime. Paris 1831. 3 Bde. in 8. **) Le Mousse. Paris 1833. #*%*) Budie-Mur. Marine du XIVe sciöle. Paris 1835. 2 Bde. in-8, '

558 der vorzäglihke muß de Latouche genannt werben,

der in Fragoletta, Grangenewe und France et Marie‘)

babin ſtrebte, aber doc an ber großen Schwierig Leit Diefer Aufgabe fcheiterte. Strenger Nepublika⸗

ner, tiefer Denker, voll Geiſt und Scharffinn, aut

gezeichnet durch Bildung, fehlt ihm Doch der belebende Hauch bes Dichters und feine Geftalten find nur Ancarnationen abftracter Ideen, aber nicht wirkliche,

lebende Menſchen. Dan wird daher auch nie warm

bei ihm, denn man intereffirt ſich, fo fein er gleich ſchildert, nie lebhaft für feine Figuren, denen man immer das Künftliche und Gemachte anfieht. Er ges

rhth fogar, wo er dieſen Fehler fühlt und zu ver

bergen ftrebt, in Webertreibungen und Unmwahrfchein- lichkeiten, und ſchadet dadurch ber Wirkung feiner Bücher um fo mehr, ald eben das Misverhältnik zwiſchen folchen SBartieen und feiner gewöhnlichen bühlen Befonnenheit in der Anlage feiner Charactere und Situationen deſto Tebhafter hervortritt. Diele Befonnenheit bewahrt ihm inbeffen auch vor Ge ſchmackloſigkeiten und ſelbſt da, wo er nothwendig das Schlimmſte zu ſchildern hat, bleibt er keuſch und rein.

Menn wie Die grofle Anzahl franzöſtſcher hiſto⸗ riſcher Romane vor uns vorüber ziehen Iaffen, fo müffen wie erftaunen, wie weit eigentlich alle biefe Zeiftungen hinter Denen anderer Nationen zurüdge

: %) Paris 1829. 2 vol. in 8. Paris 1835. 2 vol. in8 Paris 1836. 2 vol. in 8

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. 55 blieben find; Beit und Baden tragen Beide gleiche Schuld daran. Bis jet Haben die Franzoſen nur zwei Werke biefer Gattung, welde als vortrefflich und eigenthümlich in ihrer Urt aus der Menge her» vorragen und in der Geſchichte des Romans ihre Stelle verdienen. Sch meine Victor Hugo's Notre Dame de Paris*) und Alfred Du Vigny's Cing Mars ou une Copepiration sous Louis XII **). Das Erfte iſt noch mehr das Werk des Genies als das zweite, aber an wirklihem Kunftwerthe fteht das Letztere höher. Hugo war bereits mit Drei Romanen Han d’Islande, Bug Jargal und le demier jour d’un con- damns***) aufgetreten, ehe er fein großes Werk Notre Dame de Paris brachte. Han d’Islande, eben« fols ein nach hiſtoriſchen Nomanmuſtern gebildetes: Bud), in jeder Hinficht eine Jugendarbeit des Dich⸗ ter8, verräth trog unfäglichen Uebertreibungen aller Art doch Die großen poetifchen Anlagen des Berfafr ſers. Die Verfolgung des in Ungnade gefallenen und eingeferkerten Grafen von Sriffenfeld durch eine mächtige Gegenpartei am Hofe, bie wmabläffig ihre Machinationen auf feinen gänzlichen Untergang rich» tet; die Xiebe eines edeln Jünglings, des Sohnes vom Vicekönige von Norwegen, zu Der Tochter des Unglüdlihen, fo wie die endliche Befreiung und.

*) Paris 1831. 2 vol. in 8. und feitdem ſehr oft.

**) Paris 1827. 4 vol. in 8. und feitbem öfter. ***) Paris 1823. 4 vol, in 12. Paris 1826. Paris 1829.

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Begnadigung beffelben und bie Vereinigung ber beis ben Liebenden machen den Hauptinhalt aus; dazwi⸗ fchen verweben fi die Greuel und Scheußlichkeiten eines isländifchen, die Menfchen gleich dutzendweiſe umbringenden Räubers, ber ekelhafteſten Misgeburt der Phantafie, widerwärtig in den Eleinften Bewe⸗ gungen und unfinnig in feinem ganzen Thun. Was e8 ferner noch an Schandthaten und menfchlidhen Erbärmlichkeiten giebt, Hat Hugo hier zufammenge fchleppt. Ale Moafchinerie, Die Dazu bienen kann, ‚ms die Haare zu Berge zu treiben, die Werven zu erfhüttern und bis zum-Berreißen zu fpannen, ſetzte ber Dichter in Bewegung; wir müffen mit ihm im Spladgeft (der drontheimifhen Morgue), in be widerlichen Wohnung des Provinzialhenfers und in der Höhle des fcheußlichen, warmes Menfchenblut aus fFalpirten Schädeln trinkenden Räubers verwei⸗ Ien und mit einem Eurzen Beſuche an biefen ſtin⸗ fenden Orten tft es zu unferem Sammer nicht ein mal abgethan. Werden wir darauf zur Abwechſe⸗ lung in anftändigere Gemächer geführt, fo präfen- tirt fih uns überall, biß auf wenige Ausnahmen, Abſchaum der Menfchheit und alle möglichen Sün⸗ den, den verfchiedenften Häuptern aufgeladen; Mein eid, Verrath, Ehebruch, Feigheit, und wie Diele Kakodämonen immerhin heißen mögen‘, ziehen vor unferen geärgerten und geängfteten Blicken vorüber. Dbendrein find dieſe Schilderungen felten wahr, fons bern meist Fünftkich und gemacht, und wo fte wahr find, bis zum Berplagen übertrieben. Ich habe

401

dieſe, einem früheren Bache non mir entlehnte, Dar⸗ Kellung abſichtlich bier eingeflochten, um anzudenten, Daß jeder, auch der begabtefte Dichter feiner Beit ihren Boll abtragen muß. Diele Richtung für den Noman herrichte damals in Frankreich vor, als kraſ⸗ ſeſter Gegenſatz der markloſen Literatur unter Has poleon; ich werde anf dieſelben und ihre Urſachen ſpä⸗ ter, bei Gelegenheit des franzöftichen Familienromanes noch ausführlicher zurückkommen. Victor Hugo huldigte ihr mit ber ganzen wilden Kraft feines ju⸗ gendlichden Geiftes, und da ein großes Zalent, ob aud noch fo entſchieden auf Irrwegen, doch durch ferne Gaben immer die Maſſe beherricht, fo galt felbft dieſes von Unnatur und rohefter Kraft ſtrotzende Bud, eine ziemliche Zeit jüngeren Beitrebungen als Vorbild und. noch. jet werden einzelne franzöfifche Kritiker, Die zu Hugo's Partei gehören, nicht müde, bie einzelnen Schönheiten des Han von Island her⸗ vorzuhbeben. Weit befonnener verfuhr Hugs im Bug Jargal, der zwar urfpränglich zwei Jahre früher als. Sun von ihm verfaßt, aber erit in einer ſpaͤte⸗ zen Weberarbeitung herausgegeben wurde. Die Fa⸗ bei trägt fih auf St. Domingo während bes Neger⸗ aufſtandes zu unb umfaßt bie Schickſale eines fran« zöſiſchen Ofſtziers, des Erzählers der ganzen Bege⸗ benheit und eines edelmũthigen Negerſklaven, welcher ſich aus Liebe opfert. Trotz den gelungenen Schil⸗ derungen and ber guten Durchführung des Inhalte, sbwohl auch. diefe hin und wieder nicht frei von Uebertreibungen it, leidet diefes Werk auch un dem 36

großen Fehler, welcher alle epifchen und dramati- {hen Productionen Hugo's trifft, es mangelt der Ghararterzeichnung die naturgemäße Wahrheit. Alk Eharactere Hugo's, von Bug Jargal an bis zu Zw eretia Borgia, feiner verzerrteiten Figur, hinunter, find Nichts ale piychologifche Rechnenerempel, deren Löfung der Dichter auf poetiſchem Wege durchzu⸗ führen fucht. Diefer Vorwurf ift nicht minder ge gründet bei Notre Dame, obwohl trog allen. Ber- irrungen diefee Roman immer ein höchſt ausgezeich⸗ netes und in einzelnen Partieen meifterhaftes Berl bleibt. Paris im fechszehnten Jahrhundert nad) fei- nem innerften Leben Hat er in diefem Buche wieder aus dem Grabe hervorgerufen; es erfcheint wie eine Geifterbefhwörung mit feinen engen und düſtern Straßen, feinen volkreihen Plägen, feinen taufend Schlupfwinteln und feinen in Grund und Boben verberbten Einwohnern, vor dem Lefer. Seinen Mit telpunkt bildet Die alte Kathebraie, die ber Dichter gleich einem Baukünſtler ſtudirt hat, und in allen ihren Theilen wichergiebt. Das Bauberwort, das die Maſſe in Bewegung ſetzt, ift das alte gewaltige Avaysn, feine Wirkung wie immer eine furchtbare. Eben fo geſpenſtig geftaltet wie die Räume, find auch die Figuren, die fich innerhalb. berfelben bewe⸗ gen; fie haben alle etwas Unnatürliches, Forcittes und freifen nahe an die Karikatur oder gehen fcharf is Diefelbe über. Die innere Wahrheit der Watur fehlt einer jeben von ihnen, felbft ber reizenden Es⸗ meralba, und der bunte Prunk, ‚mit dem der Dich

ger fie unhängt und außftaffirt hat, vermag hicht Diefen großen Fehler zu verdecken. Eine :mächtige Phantaſie waltet und bildet überall in gleicher: Kraft, ohne die mindefte Abſpannung, bi zum Schluſſe, aber es ift.:die Phantaſie eines Fieberfranken, Dee . im Delirium die ihn umgebende. Wirklichkeit zur wil« deften Erſcheinung fteigert. Man muß mit Shake ſpeare jagen, daß in dieſem Wahnfinne Methode fei, denn Huge weiß fehr wohl, was er will; eben Deshalb trifft aber auch ein deſto härterer Zadel fein Berk, er hätte aus Diefem Stoffe und mit feinen Gaben ein Kunſtwerk fchaffen können uud Hat. etw Ungeheuer Daraus gemacht. Daher ift es ihm auf) feineswegeß ‚gelungen, jene Beit zu fchildern, wie fie wirklich war; in ihren äußerſten Umriſſen hat er. fie allerdings erfaßt, aber nur in Diefen; alles Innere it, wenn auch nicht ‚ganz falſch, doch übertrieben und verdreht von ihm: bargeftellt worden. Soll ich es vergleichen, ſo fcheint e8 mir gerade, als babe er ein altes Bild genommen, es durch irgend einen cher mifchen Proceß transparent gemacht, und nun mit den munderlichſten Lichtern erleuchtet, fo daß Alles in feinen Contouren zwar wie früher, fonit .aber himmelmeit von jeiner urfprünglichen Erſchainung verfchieden ausfieht, und bem ruhigen Beſchauer durchaus verzerrt entgegentritt, während es dem Pö⸗ bel durch feine feltfamen, grellet, hellen und bunten Sachen, fo wie. durch feine wunbeslichen und bizar⸗ ren Schatten und Lichter bis zum Anſtaunen impo⸗ airt. Daher auch der fait unglaubliche Succeß des 36 *

Buches, namentlich in feinem WVaterlande. Geht man num noch weiter. und unterfucht ben Inneren Fa⸗ ben ber Fabel, fo wie bie einzelnen Charactere, fi muß man nad) mehr über Die ungehenern Fehler fh wundeen, welche fich ſogleich Darbieten. Im ben eingelnen Theilen der Erzählung ik Fein Verhältniß gu einanber und Fein rechter naturnothwendiger Bu ſammenhang; bie Charartere find alle unwahr, denn ee fehle ihnen das Menſchliche, ſelbſt Esmeralda hat etwas Maskenartiges und gerade in bes Art ih⸗ ser Liebe Liegt eine Lüge; ein wirklich gejander Menſch Fommt in dem ganzen Werke nicht vor. Brot dieſen groben Irrthümern, trot den raffnit- ten Urbertreibungen and bem vielen Fünitlicgen Laͤrm, feſſelt Notre Dame dennoch jeden Lefer and übt er nen eigenen Banber auch auf das apathifehefte Ge müth ans, benn. bie Fabel erhält ihn bis an das Ende in Steter Spannung und einzelne Miomente find ſo großartig gedacht und fo kühn Hingeftelt, einzelne Wefchreibungen und Schildernngen ſo pur tiſch und Doc fo recht künſtleriſch exart, Daß man dem atußen Talente Hugo?s feine Bewunderung nicht verfagen kann und ſich ihm willenlos hingeben muß. Dahin gehört Die gunze Darftellumg der Kirche X Ye Dane, Die Scene, wo Frollo Phoebas erkict, die Geißelung Ounfimobo’s,. Gömerulim’s Aufent⸗ halt in ber: Kathedrale und des Glöckners ‚Sorgfalt far He, deu Sturm gegen Notre Dame. und viele Munsreimeie, Bimmperte Victor. Hugo nicht immer Gene Byſtemkeenze und zerete and echte ben leben⸗

pause

digen: Leib fo lange, bis er daran paßte, wie groß Fännte er feyn! Doch glaube ich nicht einmal, daß er das ſo beſonnen thut, fonbern vielmehr, daß er, um &ffeet zu machen und neu und aufterordentlich zu erfcheinen, erſt Diefe bizarren Charartere erfindet und fi nachher dergleichen Syiteme ausfinnt, um jenen einen anſcheinend philofophifchen Halt, ich möchte fagen ein pfychologifches Rückgrath zu geben. Man. Iefe nur feine Eünftfichen und bombaftifchen VBorreden, namentlich zu feinen Dramen und gu den legten Sammlungen feiner Iyrifchen Poeſieen, und man wird mir Hecht geben, oder ich müßte mich fehr irren. Seine Beit und feine Nation tragen große Schuld daran; trog allen dieſen Abnormitä⸗ ten bleibt er. doch ber Begabteiten Einer. Er ifh ein Sprachkünſtler, wie Wenige, und der Styl in Notre Dame, ungeachtet des Prunks mit veralteten Worten und Redensarten, das Werk eines Meifters,

Ginen frengen Gegenfat zu Hugo's großem Ro⸗ mane..bildet Alfred de Vigny's Ging Mars, ben ale literäriſchen Parteien unter den Franzofen eis eine Eloffifche Leiftung anerkennen; ein teöftliches Beichen, daß der Geſchmack für Die reine ruhige Schönheit in der Kunft noch nicht ganz bei ihnen erſtickt worden -ift, durch Die Ungeheuerlichkeiten ber legten Jahre und ben Ieidenfchaftlichen Drang, in der Riteratur obenauf gu ſchwimmen, gleichviel Durch welche Manoeuvres. Die befannte Verſchwörung des Eing Mars und feines Freundes de Thon bildet den Anhalt des Romans. Der Dichter bat ſich fixeng

an die Geſchichte gehalten, aber innerhalb derſelben vurch Erfindung der Motive und Nebergänge zu den einzelnen großen Momenten, welche biefe uns nicht überlieferte, fo wie durch die treffende, beftimmte und klare Beichnung der verfchiedenen Charactere und Die Ausführung der einzelnen Situationen Ans: gezeichnetes geleiftet. Ob in dieſer Weife, wie ihm wiederholt vorgeworfen wurbe, nicht eine falfche Auf: faffung des Hiftorifchen Romans überhaupt Tiege, und dieſer Dadurch nicht ein Baſtard eines Gefchichtfchrei- ber8 werde, anftatt ein in rechtmäßiger Ehe mit ber Phantaſie erzeugtes Kind eines Dichtergemüthes zu ſeyn, fteht noch fehr zu bezweifeln, denn Die Frage, wie weit Die Freiheit des Dichters "gehe, fich bie Geſchichte für feine Zwecke anzueignen, ift noch im: mer nicht factifch beantwortet worden. Das nur if gewiß, daß das felbitftändige Schaffen neuer Cha- zactere innerhalb des gefchichtlichen Rahmens ein Beugniß für das Genie ablegt, während Das Erfin⸗ ben der Motive und Lebergänge in den Handlungen Biftorifch wirklicher Perſonen nur das Talent beweiſt. Während jenes urfprünglich ſchafft, bildet dieſes nur nad) und wird reflectirend, um eine Stüge für fein Verfahren zu gewinnen und Das anfcheinend Willkürliche, das es ſich erlaubte, dadurch zu ver- £heidigen, ohne dieſe Wertheidigung Direct auszufpres hen. Das ift auch bei Alfred de Wigny der Fall; gewöhnt, einen fertigen und überlieferten Character fo zu reproducieen, wie er ihn vorgefunden, umgiebt er ihn mit dem Dunftkreife feiner Refleetion, bie den⸗

so

felben von allen Seiten einhüllt, und das fharfe, beftimmte Hervortreten der Figur in ihrer Totalität verhindert, während fie uns von einer Handlung beffelben zur anderen, bald vorbereitend, bald ergän« zend und ausgleichend leitet. Dadurch erhalten alle feine Gebilde etwas Kühles‘, Allmähliges und das raſche Uebergreifen der Leidenfchaft, das allein den Character entfchieden hinftellt, wirb in den Hinter- grund gedrängt. In feinen Figuren ift nichts Uns wahres, Dazu Denkt er zu Flar, aud) nichts Halbes, Dazu sit er zu ſehr Dichter, aber etwas Kaltes, Ab⸗ gefchlofienes, das feinen wohlthuenden Eindruf auf den Leſer macht und deſſen Theilnahme ſchwächt. Dies tritt noch mehr hervor in ſeinem Stello ou lea Diables bleus, einem gedankenreichen, feinfinnigen Buche, in welchem aber das Raifonnement die Haupte tolle fpielt, und Perfonen und Begebenheiten nur erfunden zu feyn fcheinen, um daffelbe als richtig zu beweifen, nicht umgekehrt, wie e3 eigentlich feyn müßte. So liefert Alfred de Vigny eigentlich nur eine verkörperte Philofophie der Gefchichte in feinen Komanen, und die Mbfichtlichkeit zerftört bei ihm alle Wifprünglichfeit oder läßt biefe nicht zu. Be⸗ Füße er nicht ein fo reiches, poetifches Talent, fo würden feine Romane bald nur Halbromane feyn, fo aber, da er eben fo fein zw zeichnen, wie fauber aus⸗ zuführen verfteht, find fie mehr, und ein gebildeter Geiſt eignet fich Diefelben fohon um der außerorbent» lichen Präcifion und Nettigkeit willen, mit ber fie geſchrieben find, ‚gern an. Einzelne Partieen in

Ging Mars find meiſterheft, namentlich bie, wo er Begebenheiten und Erfcheinungen zeichuet, bei Denen ber Derftand, als ber eigentliche Lenker und Drbner ber Dinge, vorwaltet, wie 3. B. Richelieu's Bench men, als er bie Verfchwörung merkt. Der Styl ik wahrhaft klaſſiſch, klar und heil, jedoch mehr voll Würde nnd Anmuth ale Kraft. Daffelbe muß allen profaifhen Wrbeiten de Vigny's nachgerühmt wer ben; trefflicher kann 3. B. nicht leicht etwas abge foßt feyn, als das Capitel in Stelle*), Das bie Ueberfchrift führt: la Terreur, und in welchem er zu beduciren fucht, Furcht vor dem Tode ſei Die eigent- lihe Quelle der unerhörten Grauſamkeit jener Tage gewefen. In feiner Sammlung von Novellen, Ser- vitude et Grandeur Militaire**), deren Haupttendenz eigentlich gegen das Soldatenweſen unferer Zeit ges richtet ift, finden fich einige ausgezeichnete Erzählun⸗ gen, an denen ganz befonders bie feine Defonomie in der Anlage und Durchführung des Plans bis in das geringfte Detail zu rühmen ift.

Ganz in Alfred de Vigny's Weiſe, bie Ges fhichte ergänzend, aber nicht innerhalb Derfelben nen und felbititändig geftaltend, nur rafcher und unmit⸗ telbarer, aber auch roher behandelte der bekannte dramatifche Dichter Alexandre Dumas den hiſtori⸗ {hen Roman in feiner Isabel de Baviöre***), Sprint

*) Stello ou les Diables bleus. Paris 1836, *%) Paris 1835. in 8. *”4#) Paris 1835. 2 vol. in 8.

Figuren ſind feetig und mit markigem Pinfel hin geftellt, aber bie Feinheit in der Ausführung fehlt ihm eben fo fehr, wie Tiefe der Gedanken. Dumas iſt ein kecker Sohn: der Zeit; To behandelt er Alles, was er fchreibt, und namentlich aud) den Roman.

Der drauatifirte hiftorifche Roman wor eine Beitlang in Frankreich Mode und fand um ber den Franzoſen zufagenden größeren Zebhaftigfeit der Dars ſtellung willen damals viele Freunde; jetzt bat men biefe Form fo ziemlich wieder: fallen laſſen. Das Beſte hat hierin Bited*) geliefert,. tiefen hiſtori⸗ ſchen Blick und grünbliches, genaues Willen mit wahr⸗ baft poetiſcher Erfindung und noch größerer Feinheik ber Ausführung vereinigend. Sein glücklichſter Nach⸗ ahmer ift Thouret**). Lückenhaft bleibt Die ganze Gettung immer und wird daher nie die dauernde Wels fung eines wirklichen Kunſtwerkes erlongen. Much bee Gewinn für Die Verbreitung und beffere Auffaſ⸗ fung der. Gefchichte, den man ans dieſer Behand« lung derſelben meinte ziehen zu konnen, ift nur eime Zaͤuſchung, der fich die Zranzefen in Angelegenheis ten ijhrer Literatur fo gern hingeben; der Poet ſteht bier immer dem Hiftorifer im Wege ober umgekehrt, und Fein geiſtig geſunder Menſch wird glauben, fh aus ſolchen Bemühungen ben eigentlichen Geift bez Geſchichte Holen zu Fönnen,

Daß der neuere hiſtoriſche Roman durch die Ve⸗

Les Barrieades. Scönes historiques.. Paris 1826. **) Blanche de Saint- Simon. Paris 1835.

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handlung, die ihm die Franzoſen angebeihen ließen, nicht geförbert wurde, liegt am Tage; denn eine volllommene Leitung auf biefem Gebiete Haben fe bis jet noch nicht aufzumweifen, obwohl fie bier ver- hältnipmäßie eine ſehr bedeutende Thätigkeit ent- wideln. Nach einer Seite hin hat er jedoch durch fie an Ausdehnung gewonnen; bei ber fleten politis ſchen Bewegung, in der fie fich befinden, zogen fie politifche und mehr noch fociale Fragen, deren Li fung fie auf poetifhe Weile verfuchten, im den Kreis deſſelben. Während bei dem Engländer da} politifche Syftem des Schriftftellers fo mit feine ganzen übrigen Denk⸗ und Sinnesweife verwad- fen iſt, daß es bei jebem feiner Geifteswerke zu deſſen Geftaltung entfchieden beiträgt, aber fich auch ſchon auf den erften Seiten eines Buches unverkenn⸗ bar darkellt, eine gewiſſe ftabile Einſeitigkeit alſo unvermeiblich ift, Tiebt e8 ber Franzoſe, feine Pre | bleme von ben verfchiebenften Seiten barzuftellen, um deſto fiegreicher das hbeabfichtigte Reſultat her beizuführen, und entwidlelt daher gewandt fein Rab fonnement aus dem von ihm behandelten Stoft, die Compoſition beffelben für feinen Zweck mit ge Ber Feinheit combinirend und alle Mittel ber Phan - tafle und Form zu Hülfe rufend. Das verfchmäht der Engländer, denn er tft überzeugt und Damit fer tig. In dieſer Hinficht gewinnt alfo ber Roman bei den Franzoſen an Bielfeitigfeit. Nur in neue fter Beit bat fi) Dickens in England diefer Weile

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zugewandt; wie und mit welchem Erfolge, Davon wird fpäter die Rede feyn.

Es iſt bereits in einem-ber früheren Eapitel er⸗ wähnt worden, daß der Biftorifche Roman fchen in Der letzten Kälte des vorigen Jahrhunderts - bei den Dentfchen Aufnahme fand, aber eigentlich vergriffen wurde und fehr bald entweder in moralifhe Ver⸗ ftümmelung des gefchichtlichen Begebenheiten zu ſo⸗

genannten Tosmopolitifchen Bweden, wie bei Meiß-

ner und Fehler, oder in den ordindren, hausbacke⸗ nen Ritterroman, wie bei Spieß und Cramer, aus» artete. Als nun Walter Scott's Leiftungen zu uns herüber gebracht wurden, fanden fie eine um fo güg«- fligere Aufnahme, da fowohl die Beit überhaupt fie begünftigte, als auch Einzelne, namentlih be la Motte Fouqus, ihr durch feine, derſelben entfernt verwandte Richtung vorgearbeitet hatten. Wie fehe Wolter Scott felbft in das deutfche Wolf drang, Davon geben bie vielen Ueberſetzungen feiner Romane, bie fi) noch immer wiederholen, das Tebendigfte Zeug⸗ niß. Es ift befannt, daß ein fübbeuticher Buchhänd⸗ ler, der zuerft auf die Idee einer Kreuzerausgabe Scottifher Romane in deutfcher Sprache Fam, vor einer einzigen Leipziger Oftermefie 72000 Rthlr. baa⸗ ten Grlöfes mit nach Haufe genommen hat. Kein under alfs, Daß man fich alsbald in ähnlichen Be⸗ frebungen verſuchte. Am Glücklichſten war bier in Direeter Nachahmung Wilibald Aleris, eins der fein- ften und gewandteften combinatorifchen Talente, das wir überhaupt wohl in Deutfchland. befigen, mit feis

"nem Miallabmer, der eine Zeitlaug als ein echtes Werk des brittifchen Dichters galt und Diefem große Achtung abnäthigte, auch ift keinesweges zu längnen, daß der Deutiche dem Engländer mehr abgeguckt hatte als das bloße Raͤuspern und Spucken, und namentlid bei dem Einfchlage des Gewebes genau Hinter des Weis ers Kunft und andere Griffe gefommen war. Bir werden noch zu ihm zurückkehren, da wir Die vor züglicheren Verfaſſer deutſcher hiſtoriſcher Roman der Zeitfolge nach hier raſch characteriſiren wollen, um mo möglich zu dem Endreſultate, ob und wie Riefe Gattung überhaupt bei uns gedich, zu gelangen.

. Der Erfte, der Beit nach, welcher fich des hi⸗ ſtoriſchen Romanes wieder bemädhtigte, war van ber Velde*). Durch die Art und Weife der Auffaſſung und Behandlüng ber von ihm gewählten Stoffe ſchließt er ſich la Motte Fouqué⸗ an, den wir nach biefer Geite bin als den Schlußpunft der romantiſchen Schule betrachten können, und bildet fo den Ueber⸗ gang im Romane von den beutfchen Romantikern bis zu den Zormen Walter Scott's. Gr war innerlid eine wirklich poetifche Natur, und behandelte daher nur Stoffe, welche fein Gemüth erfreuten und feine Phantaſte anregten, aber ihm. fehlte Die Kraft, den eigentlich waltenden Geil im Leben und ber Ge ſchichte zu erkennen, und fo vergriff er fich ftets, ſo⸗ wohl bei Der Anlage und Durchführung der Che

*) Geboren 1779 zu Breslau, geftorben daſelbſt 1824. Sammiliche Schriften Dresden 1830 fede

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ractere, als auch bei den Situationen, in weiche er biefelpen brachte. Dagegen befaß er das Talent, Umgebungen and Berhältniffe, gleichviel ob richtig erfonden ober nicht, mit großer Anmuth und Meich« thum zu ſchildern, und fich ſelbſt bei ihrer. Geſtal⸗ tung in eine Welt gu verfegen, bie. ihm willig alle Mittel, Deren er bebürftig zu feyn glaubte, darbot. Betrachtet man Walter Scott ale einen in fi fer⸗ tigen. Mann, To tft von der Velde mit ihm vergli⸗ hen ein nicht minder glücklich ausgeſtattetos Kind, aber nicht mehr und nie weiter kommend. Diefe findliche Biebenswürdigkeit blickt auch überall bei ihm durch; fie hindert ihn nicht, Fehler auf Fehler zu häufen, ‚aber fie bewahrt ihn vor Mebertreibung, Seine. Helden handeln oft äußerft inconfequent, werd den hänfig zur Unzeit jentimental, aber fie bleiben immer liebenswürdig, wie er; feine Veſchreibungen wugiebt ſtets ein zauberifcher Glanz und Schimmer, feine Landſchaften haben immer einen Ton, ber fidh vielleicht in Der Wirklichkeit nar felten findet, doch das Auge zu jeder Beit erfreut. Tiefere Leiden« ſchaften verſteht er freilich nicht Davzuftellen, das Verhaͤltniß bes Einzelnen zum großen Geſammtwe⸗ fen einer bedentenden Epoche aicht Far und beſtimmt hervorzuheben, die. Begenfäte nicht Scharf zu ſon⸗ dern. Iauber große Mängel an einen Dihter Bir forifher Romane, das weiß ich fehr wohl aber alle jeine Gebilde haben etwas Anziehendes, das fich bei einigen biB zu beider Anmuth ſteigret, wie 3.8. in der Erzählung Asmund Thyrdklinhürſon in ben

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"Grzkufen*), welche ſichtlich durch In Motte Yan qu⸗s Thiodolf entkanden ift, aber Dad) ein eigen thüntliches, Herz und Sinn gewinnenbes Leben hat. Seine Irrthümer Darf man ihm daher auch nicht fe hoch anrechnen, wie es fpätere und namentlich jünger: Kritiker gethan; gefördert wurde der hiſtoriſche Roman Dagegen nur in fofern durch ihn, als er das geößere Yublicum dafür einzunehmen verftand, Das ganze Genre poetifch und mit Liebe auffaßte, nicht daran durch mühſelige Combinationen Fünftelte und Feine falfchen undichterifchen Tendenzen hineinbrachte. Mit etwas mehr Genie und etwas weniger Talent hätte er gewiß weit Größeres geleiftet; von dem Erieren hatte er ein Bischen zu wenig, von dem zweiten et⸗ was zu viel. Das Weibliche herrfchte in feiner Ra tur zu jehr vor, Darum drang er nicht in die Ge fhichte ein und verfehlte die Charactere; er glih einem Maler mit außerordentlihem Sinne für bie

Farbe, der aber nicht zeichnen Fonnte und es auch

nie hätte lernen können, weil ihm Die Natur ben angeborenen Blick für die Verhältniſſe verfaate.

Ganz ihm ähnlich it Honwald, ber ſich in fir

nen Erzählungen auch an hiftorifchen Steffen ver fuchte **), jedoch ſich nur an die Gefchichte lehnend, und innerhalb berfelben mit Freiheit, aber ohne Kraft, geftaltend. Houwald neigt fich noch mehr zur

*) &h. 1. ber ſaͤmmtlichen Schriften. +) Momantifche Atcorde. Berlin 1817. Er⸗ Hungen. Dreiben 1819.

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deutſchen Grbfünbe, der Sentimentalität, hinüber; als van der Melde, doch übertrifft er ihn in der poetifchen Darftellung. Wenn fich dieſer reich aus⸗ geftattete, aber von der unglücklichen Richtung einer Uebergangsperiode fortgerifiene Dichter an einen grö⸗ Beren und gewicdhtigeren Stoff für ben biftorifchen Roman gewagt hätte, würde er vielleicht bei feinen umfafjenden Mitteln Bedeutendes glüdlich durchge» führt haben.

Als der hiſtoriſche Roman eben begann, in Dentfchland angeeignet zu werben, zog ein vielfchrei« bender Paſtor im Braunfchweigifchen, Namens Hun⸗ beifer, ihn nuch bald in Die ordinäre Mittelmäßig« feit hinab, mit patriotifchem Eifer, aber gefpreizter Zalentiofigkeit, gefchichtlihe Stoffe feines Vaterlan⸗ bes behandelnd, und ein Werbindungsglied zwiſchen den früheren Ritter» und Räuberromanen bildend. Auch, er fand fein Yublicum, denn die Menge in Deutfchland Tiebte von jeher das utile dulci und lernte nur Gefchichte aus Romanen, fid) durch den Roman die Gefchichte verfüßennd. Am Feine Lücke in ber Beitfolge zu haben, durfte ich den Mann hier nicht übergehen *).

Ein emfiger Nachbildner, aber ohne alle wahre Poeſie, ergriff ein in Deutichland gefchulter Pole,

*) Alerander von Oberg. Braunfchweig 1825. Henning - Brabant. Braunfchweig 1824. Herzog Friedrich Urich von Braunſchweig. Braunfhweig 1826. Die Suelphenbraut. Bremen 1827 u. A. m.

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Hlerander von Bronikowskirn), ben hiſtoriſchen Re man, und fuchte den Mangel bes Promethensfunkend in feinen Figuren dadurch zu erfeßen, Daß er die vielbewegte uns ziemlich unbefannte Geſchichte feines Baterlandes in feinen Kreis zog, und Die größte Gr nauigkeit und Umftändlichkeit in der Darftellung bis zu den geringften Einzelnheiten hinab beobachtete. An und für fih waren feine Stoffe intereffant, fo Daß er eigentlich nur wenig hinzuzuthun und ber Geſchichte allein zu folgen brauchte, um unterhal⸗ tende Bücher zu liefern, benn bie hiſtoriſchen Er ſcheinungen Polens bieten Die ganze Yarbentafel der Leidenfchaften bis in Die Pleinften und leiſeſten Nuan⸗ cen fo reichlich Dar, daß es nie an Material fehlen kann, ein reiches und belchtes Bild zu liefern. Et mangelte ihm jedoch an gefaltender Kraft und de her an Präcifion und Haltung; alle Haudlung bei Ihm iſt entweder aus Gefprächen und breitgetretenen Befchreibungen oder aus Beſchreibungen und breit⸗ getretenen Geſprächen, biefe letzteren oft in einem ganz wunderlichen Roeocotone, zufammengefegt. Dos bei befaß er jedoch einen gemwiflen politifchen ober richtiger Diplomatifchen Blick, und wußte Daher mans che feineren hiſtoriſchen Bezüge hervorzuheben, bie denkende Leſer eben fo anregen. mußten, wie bie ausführlichen und ungewöhnlichen Schilderungen pol»

*) ·Geboren 1788., gefiorben 183. Schriften. Dresden 1825 fgte. 16 Be Aue Schriften. "ipgig 1829 fgde. 16 EWde.

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nifcher Sitte und polnifchen Lebens die große Maffe. Er verftand jedoch nirgends Das wahre, eigentliche Leben hinein zu bringen, ja er zerrt fogar, mo die« ſes dem Anfcheine nach eben beginnen will fi) zu regen, den Leſer gewöhnlich Durch eine folche end» loſe Eonverfationswüfte, Daß dieſem zulegt mit dem Athem die Geduld ausgehen muß. Ehen, weil er fich an die Gefchichte lehnte, machte er es fich fo bes quem; fein eompilatorifcher Fleiß war der Hanblans ger und Gündenbod feiner probductiven Faulheit: Da, wo er felbft erfchaffen mußte, und die Gefchichte ihm gar Nichts oder vielleicht nur Die Außerfte Eins fofjung, kaum eine Staffage darbot, war er viel thä» tiger und glüflicher, und fein Roman Veit *), in welchem er bie Verderbtheit deutfcher Yuftiz zur Beit der Reichs = Unmittelbaren fehilderte, bleibt unbebingt fein beftes Werk.

Der fleißigfte und gewiffenhaftefte im mweiteften Sinne unter den beutfchen Schriftitellern, welche fi) befonders dem hiftorifhen Romane zumandten, iſt noch immer Wilibald Aleris**); ein Mann von

*) Leipzig 1832. 3 Bde. in 8.

**s) W. Häring. Die Schlacht bei Torgau und ber Schag der Tempelherrn. Berlin 1822. Die Geächteten. Berlin 1825. Wallatmor. Berlin 1823. 3 Bde. Schloß Avalon. Leipzig 1827. 3 Bde. Gabanis. Berlin 1832. 6. Bde. Das Hans Dil fterweg. Reipzig 1836. 2 Bde. Der Roland von Berlin. Berlin 1840. 3 Bde. u. A. m.

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ſeltenem Scharfſinne, reichſter Bildung und feinſten Beobachtungsgeiſte, gewandt in der Darſtellung und von tüchtiger und probehaltiger Gefinnung, aber zu ſcharf—⸗ finnig und zu beobachtend, um genial zu ſeyn. Wäre er jenes weniger, fo würde fein erſtes größeres Werk nicht

eine fo glüdliche und genaue Nachahmung Walter Scott's gewefen feyn, ſondern etwas Eigenes und Selbſtſtändiges. Wo er auf feinem Bildungsgang etwas Bebeutendes fand, da lehnte er ſich an, uud ſuchte nun Durch die einfeitigite und genaueſte Combination etwas Aehnliches hervorzubringen, ohne eigentlid nachahmen zu wollen. Deshalb fehlt aber aud) allen feinen Geftalten das eigentlich poetifche Leben; fe find regelvecht, confequent, ungewöhnlich, bedeutſam und fein angelegt und Duschgeführt, aber der Leit ergögt fih nur an ihnen als merkwürdigen Erſchei⸗ nungen, ohne ſich je für fie lebhaft zu intereſſiten und es ſich einfallen zu laſſen, daß ſolche Mexnſchen wirklich exiſtiren koönnten, während er Dagegen bei einem Scott’fchen Werke meint, fie feien aus dem Leben genommen und in Das Bud) Hineingefegt und müßten jeden Augenbli wieder hinausgehen in die Wirklichkeit. Man fieht den Figuren Wilibald Aleris das Künftliche nicht an, Dazu hat er zu großen und gu. feinen Berftand, aber man fühlt es ihnen ab. Dies it um fo mehr zu bedauern, da er ganz vor trefflich Darzußellen weiß und Situatignen mit gro⸗ Ber Kunſt und fchönem Fleiße in der. Ausführung anordnet und verbindet. Nach dem Vorbilde bet Engländer, denen er überhaupt niel verdankt, läßt

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Wilibald Aleris auch fein politiſches Glaubensbe⸗ fenntniß in feinen Romanen duchbliden; er iſt gut preußifch und alfo deutſch eonfervativ gefinnt. Dies iſt nicht ganz ohne Einwirkung auf feine Leiſtungen geblieben, aber die Ginwirkung ift eine glückliche and fein neuefter Roman: der Roland von Berlin, feine gelungenfte Arbeit geworden. In diefem Buche offenbart fich ſtatt der Genialität, Die er einmal nicht befigt, nad) allen Richtungen hin eine große Tüch⸗ tigkeit, welche überhaupt den Grundzug feines Cha⸗ racters ala Autor bildet.

Faſt gleichzeitig mit Wilibald Alexis Directen Nachahmungen Walter Scott’3 erfchienen Die erften Arbeiten Spindlers *) in dieſer Gattung und bald nachher fein erfter großer Roman, der Baftard, wels cher ihm fogleich Die Aufmerkſamkeit des gefammten Dentichlands zumandte. . Spindler verband mit dem Bleibe und Der Genauigkeit des eben Genannten bie Genialität, welche Jenem fehlt, aber ihm mangelt Die feine Verſtandesbildung, welche Häring beſitzt. Daran mag eben feine Genialität und vielleicht auch fein vielbewegtes und unruhiges Sugendleben Schuld feyn. Was Wilibald Mleris ward, verdankt er dem Studium großer Meifter, Spindler dagegen bat Als

*) Säammtlihe Werke. Gtuttgart 1831 fgde. Einzeln: Der Bafterd. 3 Bde. Der Jude, 3 Bde. Der Iefuit. 3 Bde. Der Invalide. 5 Bde. Der König von Bion. Die Nonne von Gnabenzeil u. A. m.

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les ganz aus fich felbft, fo weit das überhaupt in unferen durchgebildeten Beiten Jemand aus ſich haben Bann. Daher fehlt ihm aber auch der geläuterte Geſchmack, der allerdings zum Theil angeboren, zum Theil jedoch erit durch das fleißigfte Studium, nicht durch bloße Lectüre großer Kunſtwerke angeeignet wird. Ich erlaube mir, hier Einiges zu wiederholen, das ich vor acht Jahren über Spindler niederfchrieh, und feitdem nur noch mehr beftätigt fand. Eine eeiche, oft übermüthige Phantaſie, eine vortreffliche objective Darftellung und eine genaue Auffaſſung der Beit, welche er fchildert, treten ihm in allen feinen Reiftungen an Pie Seite. In feinen Characteren weiß er, befonders durch glückliche Intuition, die nationalen Eigenthümlichfeiten eben fo trefflich wie: berzugeben, als das Bejondere des Individuums zu zeichnen; nicht ganz fo glüdlich ift er aber in con fequenter piychologifcher. Entwickelung derfelben. Hier verfährt er oft zu gewaltfam, indem er nicht durch Webergänge motivirt, fondern Alles, wie hervorge⸗ fprungen, gleich fo entitehen läßt, wie er es braudt und haben will. Dies zeigt fich befonders in feiner Darftellung des Lafters; er handelt gleichſam mit ben Berbrechen en gros, und feine Sünder find fo ver worfen, wie nur irgend möglich; dadurch raubt er ihnen aber das Intereſſe des Mitleids und ſchadet ber Wahrheit, wie der Wahrfcheinlichkeit, indem er zu unnatürliche Gebilde und Thaten heraufhefchwött. Seine Phantaſie feheint ihn hierzu gewaltfam fort aureißen, und die Fünftlerifche Ruhe, bie über Allem

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ſchweben muß, zu zerftören. So lange man feine Werke Lieit, folgt man ihm mit ber geipannteften Aufmerkſamkeit, denn er weiß den Leſer fortwähn rend zu fefleln durch die Zebenbigkeit und den Yarı benreichthum feiner Darftellungen, hat man aber ge⸗ endigt, fo wird man fich nie befriedigt fühlen. Daß er, bei feiner Genialität, die Mittel befike, Alles Das, was man an ihm vermißt, zu leiften, untere liegt feinem Bmweifel, auch beweifen einzelne, oft ge» ringe Umftände, Momente und Motive, bie Tiefe ſeines Gefühle, die Leichtigfeit feines Blids und das wahrhaft poetifche Element, aus welchem ſtch Alles bei ihm entwickelt, hinlänglih. Seine kräf⸗ tige Natur gefällt ſich zu ſehr in Contraſten und draftifche Wirkungen find ihm die Tiebiten. Spindler hat, feit jene Beilen niebergefehrichen wurden, außer dem Könige von Bion, nur noch eis nen größeren Roman verfaßt, Die Nonne von Gna⸗ denzell, und fich Später faft allein mit Eleineren Erzaͤh⸗ Tungen befchäftigt, Die feinem Weſen eigentlich nicht zuſagen, da er, feinen Anlagen nach, durchaus Die Elnbogen frei haben muß, um erfolgreich zu feyn, in der Enge eines Eleinen Raumes fich aber nicht zu⸗ fammenzubrängen verſteht. Jener Roman leidet an denfelben Fehlern und erfreut fich derſelben Schönheis« ten, wie die übrigen; eins hat er vielleicht vor ihnen voraus, das ihn uns noch angenehmer macht, e8 ik mehr deutſches Naturleben darin, auf deffen Schil⸗ derung fi) Spindler meifterhaft verfteht, weil er es mit der ganzen Wahrheit eigener Anſchauung wie⸗

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dergiebt. Er iſt überhaupt durch und durch deutſch, and zwar ſüddeutſch, und fo hat er auch Den hiſto⸗ sifhen Roman aufgenommen und behandelt, und ihn ans vor allen Anderen, die fich bier verfuchten, am Rationalften angeeignet.

Bur großen Freude aller feiner Werehrer, nach⸗ dem fich fchon Tange im Stillen unter ihnen Die Kunde bavon verbreitet hatte, trat Vie! im Jahre 1826 mit zwei Abfchnitten eines Hiftorifchen Romans: ‚der Aufruhr in den Sevennen‘‘*) hervor, ben er bis jegt leider unvollendet gelaffen hat. Ihm folgten fpäter einige andere ähnliche Arbeiten, das Leben Shak⸗ fpeare?8 und das Ende des Eamoäns darftellend, und enblih ganz vor Kurzem feine „Vittoria Accorom⸗ bona“ss), auf welche der Dichter felbft am Meiſten gu halten fcheint. Mit verfelben geiftigen Feinheit und Leichtigfeit, mit der er früher die Märchenwelt und die Natur behandelt hatte, faßte er jetzt wirk⸗ liche Erfcheinungen der Gefchichte auf, und ftellte, wie Walter Scott, das Verhaͤltniß des Einzelnen, Seringeren zu dem großen Geſammtweſen feine Tage, auch die Fleinften Beziehungen nicht vernach⸗ läfftgend, dar. Aber und darin liegt feine große WVerfchiedenheit von dem englifhen Meifter wäh rend Diefer um den Einzelnen das Gefanmte herum gruppiert, fo daß e8 uns in vollfter Realität entge gentritt, und Jener nur der Mittelpunft bleibt, um

*) Berlin. 1 Bd. in 8. **) Breslau 1840. 2 Bde. in 8.

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der nothwendige Träger der Fabel zu feyn, macht Zieck c8 umgekehrt, indem er Die Umgebung mit als Fen ihren Erfcheinungen Ihre Wirkungen auf den Ein- zelnen ausüben Täßt, und fo das Allgemeine indie vibualifirt. Daducch wird Die Hauptfache zur Ne⸗ benfache; Die einzelne Figur bleibt der Hauptgegen« fand und alles Andere ift bloß Staffage. Das In⸗ tereſſe eoncentrirt fich Dadurch in dem einzelnen Subs jeete, denn deſſen Aeußerungen mehr noch als feine Erlebniffe, fcheinen bei ihm die Hauptaufgabe zu ſeyn. So befchäftigt man fih z. B. im Gevennenfriege nur mit dem Rath und feiner Familie und die großar« tigen und eigenthümlichen Figuren und Scenen des Krieges bifden, fo weit wir das Buch haben, nur ben Hintergrund, ſtatt, wie e8 gebührte, der Mit telpunkt des Ganzen zu feyn. So geht in Vitoria Accorombona die Heldin durch ihre vielbewegte Beit hindurch, ohne daß wir ein anderes Bild von biefer bes fommen, als deren Berhältniß zu dieſem Individunm, das doch immer abgeſchloſſen, beſchränkt und einſei⸗ tig bleibt. Dadurch wird allerdings der pſychologi⸗ ſche Theil einer folchen Aufgabe reicher, aber auch weit leichter, weil er fubjeetiver ift, denn um ihn u erledigen, Fann und muß- der Dichter zum Ges ſpräch und Monolog greifen und Pie Begebenheiten treten zurück, da der Raum ſchon mehr ald genug durch jene beſchränkt wird. Dazu kommt nun noch bei Tieck, daß er feine Figuren nar äußerlich objecti⸗ virt, innerlich aber ſo individuell ſubjectiv hält, daß buch alle Aeußerungen hinbutch immer nur Tieck,

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Geiſtes find eine reiche Duelle Hoher Belehrung und Bildung für Jeden, doch ihnen nachſtreben in ber felben Weife Tann nur ein ganz verwandter Geil und Der geht feine eigenen Wege; bei Jedem Ande⸗ sen aber führt es zur Halbheit.

Steffens ift darin Tieck verwandt hinſichtlich ſei⸗ ner hiftorifchen Romane *), daß er in benfelben auch nur fich Darftellen wollte, aber abfichtlich und in al⸗ len feinen Beziehungen, feinen Sympathieen und An⸗ tipathieen zur Gegenwart, d. 5. zu ber ganzen Folge ber feinem Leben entgegentretenden Erſcheinungen. Um nun bie Reſultate poetiſch zu reprodueiren, zu denen er felbft gelangt it, muß er bei Dem vieles tigen Richtungen feines Geiftes und Gemüthes und ben Kämpfen, die Ihm daraus entfprungen, bie Um⸗ gebungen eben fo vielfeitig erfinden und gruppieren, als er fie felbR in Der Wirklichkeit durchſchritt. Das her häuft er die Situationen, ſchachtelt Diefelben in einander, bildet die Momente rückwärts aus, kurz fpringt mit der Inneren, wie äußeren Geftaltung fer ner Werke fo willkürlich um, Daß cr eine ber noth⸗ wenbigften Bedingungen eines jeden Kunftprobuce die volllommenfte über dem Ganzen ſchwebende Ruhe faſt gar nicht erfüllt. Diefen Mangel an Ruhe fahlt man um deſto ftärker, je mehr man in feinen

*) Die Familien Walfeth und Leith. Breslau 1826. 6 Bochen. Die vier Norweger. Breslau 1828. 6 Boden. Malkolm. Breslau 1831. 2 2 Bir. in d. Die Revolution.

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ben großen Ideenreichthum, ben ex darin niederlegt; und wie Alles, was er fihreibt, ein Beugniß. von ben. vielfeitigen Schägen feines Geiſtes; fie find es ferner wegen der vortrefflich durchgeführten fubjecki= ven Characterzeichnung, aber ihnen fehlt Das Leben, und im Leben Die eigentlichen Heußerungen der Lei⸗ denſchaft. Es fcheint Tieck's beftimmte Anficht zu ſeyn, daß der hiftorifche Roman fo-und nicht anders aufgefaßt werden müſſe. Er ift felbft eigentlich ale Dichter von jeher ohne Keidenfcheft gewefen und hat immer contemplativ über der Welt geftanden, baber fein feiner, vielfeitiger, von- fo großer Leichtigkeit ber Reproduction begleiteter Blick, Daher die außer“ ordentliche Liebenswärdigkeit und Anmuth feines Beiftes, Daher endlich der feltene Bauber feiner Dars ' ftellung. Läßt man dieſe Auffaſſungsweiſe gelten, fo muß man anerkennen, daß feine ſämmtlichen hiſto⸗ tifchen Romane, wie feine anderen. Leiftungen voll« kommene Kunftwerke find, durch ihre hohe Ruhe, ihre Einheit und ihre nie geftörte Harmonie, zu des nen fich ein fo Elarer und flüffiger Styl gefellt, wie er in unferer Literatur nur höchit felten vorkommt. Daß einzelne Partieen wunderfchön find, das braucht wohl nicht gejagt zu werden; man findet fie bei ihm faſt auf jeder Seite. Jungen Dichtern, bie fi) Dem hiſtoriſchen Romane geneigt fühlen, möchte ich ra- then, Tieck's derartige Werke, namentlich Camoens und Bittoria, unabläſſig zu flubiren, keinesweges aber fie nechzunhmen; bie Leiſtungen eines zu glei⸗ her Beit fo unmwanbelbar jugendlichen und fo reifen

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ven Recenferten jo boahuft und gemein angegriffen und felbft geläftert worden; fie geftatteten ihm, wie Jedem, nur ihre Denkfreiheit, in ihrem anfcheinen- ben Liberalismus felbit Die frechften Despoten. Zum Widerlegen hatten ſie weder Die Luft, noch die Mit. tel, darum Freuzigten fie ohne Weiteres aus benfelben ſchmutzigen Gründen, aus denen fie Tieck zu verbäd. tigen fuchten. Der ehrenwertbe, großartige Mann ließ das ruhig über fich ergehen, was kümmerten ihn, den Weichen, diefe Bettler. Der Werbreitung feiner poetifchen Werke in neuefter Beit hat es je doch geichadet; vorzüglich ift fein letzter Roman da⸗ durch falſch gedeutet und unterdrüdt worden, ben berfelbe ftrebte Den directeſten Tendenzen einer be ftimmten Partei Direct entgegen, und Dach if af einer einzigen Seite bei :Steffens mehr Abel ber Gr finnung, mehr hohe menfchliche Würde und Lieb, mehr geiftige Tiefe und originelle Genialität zu fin ben, als bei allen jenen Recenſenten zufammenge - nommen. Ich denke in den wichtigften Dingen vie leicht ganz anders als Steffens und würbe ihn, wenn es mein Beruf forderte, mit allen Kräften angrei fen, aber dennoch habe ich, und mit mir gewiß Tau fende, ihm manchen hohen Genuß, manchen wahr haft geweihten Augenblid, eben durch feine Romane zu banken und werde Das ftets mit Freude, Liebe und Verehrung bekennen. Wollte Gott, es gäbe noch viele Männer von fo reiner Geſinnung, wie Stef- fens, in unferem Vaterlande. Am Kampfe mit ie

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Homanen das Vorherrſchen feiner Subfertivität em⸗ pfindet, weil fie dieſer auch, und beinahe in demſel⸗ ben Grade fehlt. . Außerdem beſitzt er alle Mittel, um wirkliche Meifterwerke zu liefern; er ift ein tier fer und fruchtbarer Denker, von ſeltenſtem Wiſſen, mit reichſter Phantafte .ansgeftattet und originell in Allem. Seine Romane. find daher nad allen Sei⸗ ten bin intereffant, aber dennoch im Ganzen einfeis tig; fie ſpannen die Aufmerkſamkeit anf das Leb⸗ baftefte, aber fie ermüben den Lefer demungeachtet. Die Sprache Hat nichts weniger. bei ihm als bie durchſcheinende Klarheit, die ihre Tieck verleiht, aber fie. ift kernhaft, gewaltig und feurig. Seine Cha⸗ tartere find voll Leben und Kraft, mit feſter Sand gezeichnet, Doch nicht immer confequent und wahr, feine Situationen glüdlich erfunden, glänzend ausr geführt, Doch ‚Häufig unwahrſcheinlich. Alle dieſe Fehler hätte er vermeiden Eönnen, wenn er Die Dir. resten Tendenzen vermieden hätte; fo aber, wie treff lich er fie auch in das poetifche Gewand zu hüllen oder hinter den Situationen zu verbergen fucht, ver» gißt man doch nie bei ihm, daß man einen Roman lieft und. glaubt ſich niemals in Die Wirklichleit vers ſetzt, was Ginem bei Walter Scott und bei Spind⸗ ler .fo Leicht. widerführt. Niemand wird mehr feind⸗ felige Kritiker bei. feinen Romanen finden wie Stefs fens, nämlich Jeden, der .in Sachen ber Politik, der Philofophie, der Weligion anders. denkt als er, anf Der anderen Seite aber au Niemand enthufle- fifchere Bewunderer. Darum ift er auch von jünge-

sen Receuſenten fo boahnft und gemein angegriffen und felbit geläftert worden; fie geftatteten ihm, wie Jedem, nur ihre Denffreibeit, in ihrem anfcheinen- ben Liberalismus felbft die Frechften Despoten. Bum MWiderlegen hatten fie weder die Luft, noch Die Mit⸗ tel, darum Freuzigten fie ohne Weiteres aus Denfelben ſchmutzigen Gründen, aus denen fie Tied zu verdäch⸗ tigen ſuchten. Der ehrenwerthe, großartige Mann ließ das ruhig über fi) ergehen, was Tümmerten ihn, den Reichen, diefe Bettler. Der Verbreitung feiner poetifhen Werke in neuefter Beit hat es jes doch geichadet; vorzüglich ift fein letter Roman da⸗ duch falſch gedeutet und unterdrüdt worden, benn derfelbe ftrebte den Directeften Tendenzen einer bes fimmten Partei direct entgegen, und doch ift auf einer einzigen Seite bei ‚Steffens mehr Abel ber Ges finnung, mehr hohe menfchliche Würde und Liebe, mehr geiftige Tiefe und originelle Senialität zu fin den, als bei allen jenen Necenſenten zufammenges - nommen. Sch denke in den wichtigften Dingen viel leicht ganz anders als Steffens und würde ihn, wenn es mein Beruf forderte, mit allen Kräften angreis fen, aber bennoch habe ich, und mit mir gewiß Tau⸗ fende, ihm mandjen hohen Genuß, manchen wahr haft geweibten Augenblid, eben buch feine Romane su banken unb werde Das ftets mit Freude, Liebe und Verehrung befennen. Wollte Gott, es gäbe noch viele Männer von fo reiner Geflnnung, wie Stefs tens, im unferem Vaterlande. Im Kampfe mit ih-

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28 Aquarellbild. Belani*) zeigt üppige Rhautaſie, her Gemeinheit in der Behandlung und Uebertrei⸗ sing in Den Chararteren und Situatidnen; er zog

= feine Leiftungen Diefe Aufgabe wieder. zu ben

äuber» und Ritterromanen hinab; übrigens hat ee ewanbtheit der Darktellung und könnte Höheres giften, das beweifen feine Dverfkolzen. Georg Die King **) arbeitete mit Liebe, aber zu vafch und feine ‚Mittel waren nur ſchwach; Sonnenberg iſt feine beſte

Beiltung; fie ward für die Bühne ausgebeutet. Storche**) iſt Spindler verwandt und bat fih nach "ähm gebildet, ein reiches Talent, dem es aber an Ruhe ‚fehlt; einzelne überaus glüdliche Momente finden ſich

in jedem feiner Romane; tro manchen üppigen Aus⸗ wüchſen ift fein Kunz von Kauffungen fein gelungen- ſtes, Ber Jacobsſtern Dagegen fein gediegenſtes Werk;

*) 8.2. Hüberlin. Schriften. Braunſchweig 1825 fgte. u. X. m. Den 4—6 Band ber Schriften bilden

bie oben angeführten Overftolzen.

**) Sonnenberg. Sranffurt 1828. 3 Thle. Der Hirtenfrieg. Frankfurt 1830. 3 Thle. Das Opfer von Dfteolenfa. Frankfurt 1832. 3 Thle. Die Geir felfahrt. Frankfurt 1833. 3 Thle. u. A. m.

***) Kuuz von Kauffungen. Leipzig 1828. 3 Thle. Die Janatiker. Leipzig 1831. 2 Thle. Der Frei⸗ beuter. Leipzig 1832. 3 Thle. Der Freiknecht. Leip⸗ zig 1830— 32. 3 Ihle, Die Königsbraut. Mainz 1832. 2 Bde. Die Küruzzen. Leipzig 1832, 2 Xhle. vu. %. m.

Liu *) if onflänbiger, aber oberflaͤchlich in ber Er findung, wie in ber Durchführung; feine Figuren find Marionetten, an tieferen Bli in die. Gefchichte, an Durchdringung bes menfchlichen Herzens, an groß. artige Auffafiung einer bewegten Beit iſt bei ihnen nicht zu benfen. Ein geübteres Auge und eine fe ftere Sand für die Gefchichte bewies Venturini**), durch Hiftorifche Arbeiten gefchult und mit Gefchmad und Talent erfindend und geftaltend. Daſſelbe muß an W. von Lüdemann ***) gelobt werden, nur fehlt ihm die Anfchaulichkeit in der Darftelung und die leichte Verbindung der Combinationen. Hauff****) hätte bei längerem Leben vielleicht noch fehr Gelun⸗ genes in Diefer Gattung geliefert. Sein Kichtenftein zeichnet fich duch Frifche, Leichtigkeit, gute Cha racterzeichnung, gewandte Gruppirung und trefflide Schilderungen höchſt vorteilhaft aus; ein anmuthi⸗

*), Sammtlide Schriften. Dresden 1529 fgde. Dar

in: Die Pappenheimer. Franz von Sickingen ud feine Beitgenofjen. Die Vierhundert von Pforzheim u. f. w. |

**) Erich Stenbod und feine Freunde. Leipzig 1826. 2 Bde. Sean Eavalier oder Ludwig XIV. im Kampfe mit feinen proteftantifhen Unterthanen im Languedoc. Reipzig 1831. 2 Bde. u. X. m. |

***) Andruzzos der Livadier. Leipzig 1826. 2 Bde. Vittoria Iturbide. Bwidan 1830. 3 Thle. Die Foscari. Leipgig 1831.

****) Lichtenſtein. Stuttgart 4826. . 3 Bir.

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ges Aquarellbild. MBelani*) zeigt üppige Phantaſie, ober Gemeinheit in der Behandlung und Uebertreis bung in den Chararteren und Situatidnen; er zog durch feine Leiftungen dieſe Aufgabe wieder zu ben Räuber» und Ritterromanen hinab; übrigens hat ex Gewandtheit der Darſtellung und könnte Höheres leiften, Das beweifen feine Overſtolzen. Georg Diw ing **) arbeitete mit Liebe, aber zu zafch und feine Mittel waren nur ſchwach; Sonnenberg tt feine befbe Leiftung; fie werd für die Bühne ausgebeutet. Storh***) ift Spindler verwandt und hat fi nad ihm gebildet, ein reiches Talent, dem es aber an Ruhe fehlt; einzelne überaus glückliche Momente finden ſich in jedem feiner Romane; troß maschen üppigen Aus⸗ wüchfen ift fein Kunz von Kauffungen fein gelungen ſtes, der Jacobsſtern Dagegen fein gediegenſtes Werk;

*x) 8. 8. Häberlin. Schriften. Braunfhweig 1825 fgde. u. X. m. Den &—6 Band ber Schriften bilden die oben angeführten Overftolzen.

**) Sonnenberg. Frankfurt 1828. 3 Thle. Der Hirtenfrieg. Frankfurt 1830. 3 Thle. Das Opfer von Ditrolenfa. Frankfurt 1832. 3 Thle. Die Geis felfahrt. Frankfurt 1833. 3 Thle. u. X. m.

*4*) Kunz von Kauffungen. Leipzig 1828. 3 Thle. Die Fanatifer. Leipzig 1831. 2 Thle. Der Frei⸗ beuter, Leipzig 1832. 3 Thle. Der Freiknecht. Leip⸗ zig 1830— 32. 3 Thle. Die Königsbraut. Mainz 1832, 2 Bde. Die Küruzzen. Leipzig 1832. 2 Thle. u. A. m,

8. Behftein*), eigenthümlicher als Lyriker, behan⸗ delt mit großer Vorliebe und patriotiſcher Pietit thäringifche Stoffe; er zeichnet feine Charactere mit wohltbuender Wärme, oft mit liebenswürbiger Nai⸗ vetät und Innigkeit, aber nicht immer pſychologiſch eonfequent; für die Natur hat cr einen geübten Blid und weiß feine Darftellungen derſelben mit feifchem Hauch zu beleben, Dagegen fehlt es feinen Situatir nen hin und wieder an genügender Motivirung; ©. von Heeringen**) (Ernft Wodomerins) war glüdli | her in feinen Beinen Novellen; in größeren Verhält⸗ nifien bewegt er fich nicht Teicht genug, doch ift Wahr: heit und Innigkeit in feinen Darftellungen, beſon⸗ ders bes fränkifchen Lebens; Herloßfohn ***) hat

*) Die Weiffagung ber. Libuſſa. Gtuttgart 1829. 3 Thle. Grimmentbal. Hilddburghaufen 1833. Der Fürftentag. Frankfurt a. M. 1834. 2 Thle Grumbach. Hildburghaufen 1840. 3 Thle. u. X. m.

**) Die Einnahme von Choczym. Koburg 1826. @lifabeth und Anna. Leipzig 1827. 2 Thle. Pe dame Geoffrin und Aloyſe. Leipzig 1826. Rudolph von Eggenberg. Leipzig 1829. 2 Bde. Frankiſche Bilder. Frankfurt 1836. 4 Bde. u. A. m. |

#0) Die Fünfhundert von Blanik und die Sylow ſternacht. Leipzig 1828.— Der Montenegrinerhänptling. Reipzig 1827. 2 She. Der DVenetianer. Leipzig 1829. 3 Bde. Der Ungar. Leipzig 1832, 3 Bde. in 8. Des lebte Taborit. Leipzig 1834. 2 Bde. u. 8. m. '

se | L

eine geniale Conception, lebendige, oft glühende Schilderungen, eine Fräftige Characterzeichnung und großes Zalent der Darftelung, aber zu wenig epi« fhe Ruhe, obwohl diefe in feinen fpäteren Leiltun« gen mehr vorherrſcht; er giebt in feinen Werfen zu viel auf Die Gunſt bes Angenblickes und würde bei seößerer Strenge gegen ſich ſelbſt Ausgezeichnetes leitten, da er alle. Mittel dazu beſttzt; Gehe *) offen« bart, bei reichen Studien, ein fchönes darſtellendes Salent, aber ihm fehlt Tiefe und Kraft; was six genialeree Schriftitelleer mit wenigen Bügen fertig em Leſer vorführen würde, Das arbeitet er, eben wegen jenes Mangels, in die Breite aus; non Wachs⸗ mann **) bat ſich Tromlitz's Weife angeeignet, doch bringt er, bei feiner umfaffenden Bildung, mehr als die⸗ fer in das eigentliche Weſen der Dinge ein, nur lieferk. er oft mehr Beichnungen al8 Gemälde, Duller ***) beſitzt eine raſtlos aber unheimlich arbeitende Phan⸗

*) Hiftorifhe Novellen und Erzählungen. Leipzig 1830 und 1832. (10. und 12. Band ber Bibliothek biftorifcher Romane.) Das Schloß Perth und die Pulververfchwörung. Leipzig 1835..— Die Groberunz Sibiriens. Leipzig 1835 u. A. m.

.*%) Erzählungen und Novellen. Leipzig 1830 32.

Bibliothek Hiftorifher Romane. Leipzig 1928 32.

11. und 12. Bd. u. A. m.

***) Berthold Schwarz. Stuttgart 1832. Dr

Antichriſt. Leipzig 1833. 2 Ihle. Die Feuertaufe.

dranffurt 1834, 2 Bde. Kronen und Ketten. Frank 38 |

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tafte, dagegen fehlt e8 ihm durchaus an Ruhe und an Schärfe des Blides; er wählt fi zwar bebens tende Stoffe aber er faßt fie höchſt einfeitig auf und brängt bie Ausführung fo vorwärts, daß bie felbe fich oft überfchlägtz es iſt Schwäche, die um jeden Preis ſtark fcheinen möchte, daher wird ſelbſt fein Styl übertrieben; es iſt Schade um dieſe ur⸗ ſprünglich ſehr glüdlichen Anlagen, daß ihnen bie Berbältnifie nicht gönnten, langſam zu reifen; Le⸗ wald *) hat meift moderne Hiftorifche Stoffe gewählt, und nähert fich franzöftfcher Vehandlungsweiſe; er befigt mehr Zalent für die Darftelung als für bie Erfindung, weiß aber mit Geſchmack und Eleganz feinen Werfen Rundung und Intereſſe zu verleihen, und behandelt das Einzelne ſehr glüdlich, fobald er fih feit an Die Gefchichte anlehnen kann; von Reh⸗ fues +*) ift einer der genaueften Nachbildner Walter Scott's, voll Geift, Willen und Feinheit, aber ohne Urfprünglichleit; feine Xeiftungen find Mofaikarbeit bes Berftandes, Doch als biefe meiiterhaft und nidt leicht thut es ihm hier ein Anderer gleich; Kir

furt 1835. 3 Bde. Loyola. Frankfurt 1837. 3 Bde. Ä u. A. m. | *) Graf Zomzinfi. Hamburg 1832. Przebradi, - Samburg 1832 u. X. m. *#) Seipio Gicala. Leipzig 1832. 4 Bde. Die Belagerung des Kaftelld von Gozzo. Leipzig 1834, 2Bde. Die neues Meden, Stuttgart 1836. 3 Bde.

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nig*) dagegen beſitzt große Friſche, Innigkeit und Unmittelbarfeit der Erfindung, nur folgt er zu fehr fubjertiven Neigungen und fteht nicht immer über Den von ihm geſchilderten Stoffen.

Ach könnte dies Verzeichniß noch bebeutend ver⸗ mehren, da ih nur das MWorzüglichere hervorhob, dem Leſer Fann aber mit einem Gataloge von Mit⸗ tefmäßigfeiten nicht gebient feyn, und er in "jeber halbwege guten Zeihbibliothef das Uebrige Fennen lernen. Hier genüge darauf hinzudeuten, daß Der. biftorifche Roman nach allen Seiten hin bei uns cul⸗ tivirt wurde, und wir eine vollfommene Stufenfolge von der unterften Behandlung beffelben bis zur höch⸗ ften aufzuweifen haben. Auch Frauen, wie z. B. Earoline Pichler **), Amalie Schoppe ***), €. von Sohenhaufen ****), Karoline Lefling}) u. X. m. verfuchten fi) daran, doch Haben nur zwei etwas

*) Die hohe Braut. Leipzig 1834. 2 Thle. Williams Dichten und Trachten. Hanau 1839. 2 Thle.

**) Die Belagerung Wiend. Wien 1824, 3 Thle. Die Schweden in Prag. Wien 1827. 3 Thle. Die Wiedereroberung von Ofen. Wien 1829. 2 Thle. Friedrich der Streitbare.. Wien 1830. 4 Thle. u. A. m.

**%) König Ehrih XIV. und die Seinen. Gera 1830. 2 Bde. Iwan. Leipzig 1826. 2 Bde. u. ſ. w.

e*2*) Novellen. Braunſchweig 1829. 3 Bdchen. Poggezana. Danzig 1826.

+) Maria und Boccaccio. Berlin 1832. 2 Ahle. Eigbrit. Hamburg 1830.

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tafte, Dagegen fehlt es ihm durchaus an Ruhe und an Schärfe des Blides; er wählt ſich zwar beden⸗ tende Stoffe aber er faßt fie höchſt einfeitig auf und drängt die Ausführung fo vorwärts, Daß die felbe ſich oft überfchlägt; es iſt Schwäche, Die um jeden Preis ſtark fcheinen möchte, daher wirb felbit fein Styl übertrieben; es iſt Schade um dieſe ur ſprünglich ſehr glüdlichen Anlagen, DaB ihnen bie Berhältnifie nicht gönnten, langfam zu reifen; Le⸗ wald *) hat meift moderne Hiftorifche Stoffe gewählt, und nähert fich franzöftfcher Behandlungsweiſe; er befigt mehr Zalent für die Darftellung als für die Erfindung, weiß aber mit Geſchmack und Eleganz feinen Werken Rundung und Intereffe zu verleihen, und behandelt das Einzelne fehr glücklich, ſobald er ſich feit an die Gefchichte anlehnen Tann; von Reh—⸗ fues **) iſt einer der genaueften Nachbildner Walter Scott's, voll Geiſt, Willen und Feinheit, aber ohne Uriprünglichleit; feine Leitungen find Mofaikarbeit bes Berftandes, Doch als dieſe meifterhaft und nicht leicht thut es ihm hier ein Anderer gleich; Kö⸗

furt 1835. 3 Bde. Loyola. Frankfurt 1837. 3 Bde. u. A. m.

*) Graf Lowzinki. Hamburg 1832. Irzebraci. Hamburg 1832 u. X. m.

**) Seipio Cicala. Leipzig 1832. 4 Bde. Die Belagerung des Kaftelld von Gozzo. Leipzig 1834. 2Bde. Die neue Meden. Stuttgart 1836. 3 Bde.

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nig*) dagegen beſitzt große Friſche, Innigkeit und Unmittelbarkeit der Erfindung, nur folgt er zu ſehr fübjertiven Reigungen und fteht nicht immer über den von ihm gefchilderten Stoffen.

Ah Fönnte dies Werzeichniß noch bedeutend ver- mehren, da ih nur das Morzüglichere hervorhob, dem Lefer kann aber mit einem Gataloge von Mit⸗ telmäßigkeiten nicht gebient feyn, und er in 'jeber halbwege guten Leihbibliothet Das Uebrige Pennen lernen. Hier genüge darauf binzubeuten, baß der. hiſtoriſche Roman nad) allen Seiten hin bei uns cul» tivirt wurde, und wir eine vollflommene Stufenfolge von der unterften Behandlung beffelben bis zur höch- fen aufzuweifen haben. Auch Frauen, wie˖ z. B. Caroline Pichler **), Amalie Schoppe ***), E. von Hohenhaufen ****), Karoline Leſſing 7) u. U. m. verfuchten fich daran, doc Haben nur zwei etwas

*) Die hohe Braut. Leipzig 1834. 2 Thle. Villiams Dichten und Trachten. Hanau 1839. 2 Thle.

**) Die Belagerung Wiens. Wien 1824. 3 Thle. Die Schweden in Prag. Wien 1827. 3 Thle. Die Wiedereroberung von Dfen. Wien 1829. 2 Thle. Friedrich der Streitbare.. Wien 1830, 4 Thle. u. A. m.

***) König Ehrich XIV. und die Seinen. Gera 1830. 2 Bde. Iwan. Leipzig 1826. 2 Bde. u. f. w.

**4%) Sopellen. Braunſchweig 1829. 3 Bdchen. Poggezana. Danzig 1825.

+ Maria und Boecaecis. Berlin 1832. 2 Xhle, _ Sigbrit. Hamburg 1830.

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Lig *) if anfänbiger, aber oberflächlich; in’ ber & |

findung, wie in der Durchführung; feine Figuren find Marionetten, an tieferen Blick in Die Gefchichte, an Durchdringung des menfchlichen Herzens, an groß artige Auffaſſung einer bewegten Beit iſt bei ihnen nicht zu denken. Ein geübteres Auge umd eine fe ftere Hand für die Gefchichte bewies Wenturini**), durch hiftorifche Arbeiten gefchult und mit Gefchmad und Talent erfindend und geftaltend. Daſſelbe muß an W. von Lüdemann ***) gelobt werden, nur fehlt ihm die Anfchaulichkeit in der Darftelung und die leichte Verbindung der Combinationen. Hauff***) hätte bei längerem Leben vielleicht noch fehr Gelun genes in diefer Gattung geliefert. Sein LKichtenftein zeichnet fich duch Frifehe, Leichtigkeit, gute Cha racterzeichnung, gewandte Öruppirung und trefflide Schilderungen höchſt vortheilhaft aus; ein anmuthi⸗

*) Sammtlide Schriften. Dresden 18529 fgde. Dar

in: Die Pappenheimer. Franz von Sicingen und feine Beitgenojjen. Die Vierhundert von Pforzheim u. ſ. w.

*+) Erich Stenbock und feine Freunde. Leipzig 1826. 2 Bde. Jean Eavalier oder Ludwig XIV. im Kampft mit feinen proteftantifhen Unterthbanen im Languebot Reipzig 1831. 2 Bde. m. X. m.

***) Andruzzos der Livadier. Leipzig 1826. 2 Bde

RBittoria Iturbide. Bwidan 1830. 3 Thle. Die

Foscari. Leipzig 1831. +#*2) Lichtenſtein. Stuttgart 1826. . 3 Bor

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ges Aquarellbild. Belani*) zeigt üppige Phantafle, aber Gemeinheit in der Behandlung und Uebertrei⸗ bung is Den Characteren und Situafiunen; er 308 buch feine Keiftungen dieſe Aufgabe wieder zu den Räuber» und Kitterromanen hinab; übrigens hat er Gewandtheit der Darktellung und könnte Höheres leiten, Das beweifen feine Dverfkolzen. Georg Die ring *F) arbeitete mit Liebe, aber zu raſch und feine Mittel waren nur ſchwach; Sonnenberg iſt feine beſte Leiſtung; fie ward für Die Bühne ausgebeutet. Storh***) ift Spindler verwandt und bat fih nad ihm gebildet, ein reiches Talent, dem es aber an Ruhe fehlt; einzelne überaus glückliche Momente finden ſich in jedem feiner Romane; troß maschen üppigen Aus⸗ wüchfen ift fein Kunz von Kauffungen fein gelungen fes, der Jacobsſtern Dagegen fein gediegenſtes Werk;

x) 8. 2. Häberlin. Schriften. Braunfchweig 1825 fgde. u. A. m. Den &— 6 Band ber Schriften bilden die oben angeführten Overſtolzen.

*#) Sonnenberg. Frankfurt 1828. 3 Thle. Der Hirtenkrieg. Frankfurt 1830. 3 Thle. Das Opfer von Dftrolenfa. Frankfurt 1832. 3 Thle. Die Gei⸗ felfahrt. Frankfurt 1833. 3 Thle. u. A. m.

+) Kunz von Kauffungen. Leipzig 1828. 3 Thle. Die Zanatifer. Leipzig 1831. 2 Thle. Der Frei⸗ beuter. Leipzig 1832. 3 Thle. Der Freifneht. Leips zig 1830— 32. 3 Thle. Die Königsbrant. Mainz 1832. 2 Bde. Die Küruzzen. Leipzig 1832. 2 Thle. u.%. m.

weniger Erfolg, und im Ganzen bat nur ber pro» faifche Styl dur die Eultur des hiſtoriſchen Ro⸗ mans in Italien gewonnen. In Dänemark wand⸗ ten ſich ebenfalls Mehrere und unter ihnen nament- lich Ingemanne) und Hanc**) Diefem Genre zu, Doch befchräntten fie ſich ebenfalls auf die Nachah⸗ mung Seott'ſcher Borbilder und fehlugen Feine neue Richtung ein. Daſſelbe gilt von Holland, wo fi) vorzüglich van Lcennep ***) und van der Hagen ****) darin verfuchten; fie brachten eine fentimentale Fär- bung hinein, Die ſich im Ganzen fchleiht damit vers trägt, doch wurden fie gern gelefen, und van der Sagen befonders verftand es, altholländiſche Buftände mit Wahrheit und Lebendigkeit zu fchildern. Frü⸗

ſei, da von jedem bedeutenden Werke fogleich überall Mahdrüde erfiheinen. Ich Babe daher Hier nur die yon mir felbft benugten Ausgaben citiren fönnen.

*) Woldemar der Sieger. Deutih von Krufe. Reipzig 1827. 4 Thle.

**) Wilhelm Babern. Kopenh. 1834. Der Golds mader. (Guldmagesen. Kopenhagen 41836.) Kiel 1837.

***) De Roos van Dekama. Amsterdam 1837. Deutfh. Aachen 1837. 3 Bde, Haarlems Verlos- sing. Amsterdam 1838.

-####), Slot Lovestein. Amsterdam 1837. De

Schaapherder. Amsterdam 1839. 4 Bde. Deutſch von dem Verfafler diefes Buches. Leipzig 1840. 6 Bde.

ber Thon Hatte Loosjes*) mehrere hiſtoriſche Ro⸗ mane geliefert, bie fih ſänmtlich Beifall erwarben, doch waren fie Rachbildungen der Weiſe, wie fie ge⸗ gen Ende des vorigen Iahrhunderts in Deutfchland herrſchte. In Rußland tultivivten in neueſter Beit vorzüglich, nachdem Karamfin fchon früher in feiner Marva Pofjadniza den älteren biftorifchen Ro⸗ man eingeführt hatte, dieſe Gnttung, Sagoskin, ein ängſtlicher Nahahmer Walter Scott's, WBulgarin, mit großem Talent für die Sittenfchilderung und da» bee auch im Auslande gern gelefen, Marlinsky (Bes ſtuſchew) mit reichen Anlagen, aber ohne Ruhe der Darſtellung **) u. A. m. Im Ganzen werben jeht viele Romane in Rußland gefchrieben, neue Bahnen bat man bort aber nicht eröffnet, eben fo wenig, wie in Polen und Ungern, wo überhaupt biefer Zweig der Literatur noch im erften Werben ift und von ei» ner Einwirkung auf bie Geſtaltung des Romans überhaupt noch gar nicht die Rede feyn Tann.

*) Maurits Lijnslager. Haarlem 1808. 4 vol. gl. van Kampen I. c. I. 494. |

**5) Mol. König Literarifhe Bilder aus Rußland. Stuttgart 1837. S. 199 fgde. Mehrere Romane Bulgarin's, vorzüglich deifen Iwan Wuifchigin, find auh in das Deutfche übertragen worden; eben ſo Eus gosfin’3 Jurji Miloslawski. Königsberg 1830.

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4,

Die Familien» und Tendenz » Romane der neueften Beit.

Mir haben ben Roman der Gegenwart in ſei⸗ ner Fortbildung bis zum Schlufie bes vorigen Jahr⸗ hunderts begleitet und Fönnen daher ohne weitere Einleitung den Faden wieder aufnehmen, wo wit ihn fallen ließen, indem wir nur auf bereits Dar- geftelltes zu verweifen brauchen, um bie eriten Ur⸗ fachen dee während dieſes Säculums fi geftaltenden Aenderungen und Wendungen anzudenten. Bum Ich ten Mal müflen wir einen raſchen Blick auf die gei- tigen Folgen der franzöfifchen Revolution und ihrer endlichen Entwidelung werfen. Napoleon's Despo⸗ tismus lähmte allen Aufſchwung in der Literatur und wirkte namentlich auf diefe Gattung des Ro mans am Rachtheiligften ein, da es zu gefährlid war, die Darſtellung der politifchen Einflüſſe auf die focialen Verhältniſſe in biefen Kreis zu ziehen. In Frankreich ſelbſt hatten ſich allerdings durch eigen- thümliche theils duch Napoleon's Politik, theils aber auch durch die Erfchütterungen der Umwälzung her vorgerufene Verhältniſſe, foriale Lebensfragen geregt, Doch wurden fie Durch den rafchen Bug der bedeuten den und glorreichen Ereigniffe fowohl, wie Durch Die ganze Richtung der Literatur überhaupt zurückgehalten, um fo mehr, als der Drang, zum Bewußtfeyn der ſelben zu gelangen, fi) noch nicht fo entfchieden ges ftalten Eonnte, daß er in diefe Gattung der Poefe

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überging. Ueberhaupt gedeiht bie Rationalliteratur nie wirklich unter einem Despoten;z ihre anjcheinen- ben Sortichritte find immer nur formell, weil Die Form gehorchen muß; fie bedarf innerer, aber voll» Tommener Freiheit, um bie Gegenfäge, durch die allein ein förderndes Reſultat gewonnen werden kann, hervorzubringen. Im Laufe ihrer ganzen Geſchichte fehen wir überall, daß fie, von den Herrichenden ihre Richtung empfangend, immer nur die Form, oft bis zur höchiten Feinheit, ausbildete, nie aber ihren eigentlichen Kern, ber ſogar an Gehalt verlor, je mehr Die Wortrefflichkeit jener fich fleigerte. Das beweifen Horaz und Birgil, Calderon und Gongota, Racine und Boileau felbft, von den Geringeren nicht einmal zu reden. Die Poefle namentlid muß aus dem Volke felbft herauswachfen, wie der Baum un» ter freiem Simmel; wie bei biefem ohne fremde Stös tung alle Knospen und Mugen fi) ausbilden, um ihrer Beſtimmung volllommen zu genügen, fo ift e8 auch bei ihr; einzelne kleine Auswüchſe und falfche Schüſſe, von der Ueberfülle der Säfte erzeugt, kön⸗ nen hier, wie dort, nicht in Betracht Fommen, wo der Bildumgstrieb nad) den ewigen Gefegen der Na⸗ tur, feiner Beftimmung gemäß, zur Vollendung bins drängt und dieſe erreicht wird.

Während ber Kaiferherrfchaft war baher der Kreis des Romans ſehr beſchränkt und mit eigent« lichem Erfolg bauten benfelden nur Frauen an.

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BZwar Hatte Pigault⸗Lebrune), deſſen ſchon oben vorübergehend Erwähnung geſchah, den populären Roman anders weiß ich ihn nicht zu benennen, ohne dem Ausdruck etwas Schielendes zu geben mit kecker Zuftigkeit wieber belebt, und Ducray- Du⸗ minil**) die fentimentale Moral in fpannenden und ſchauerlichen Darftellungen auf den Thron erheben, und ‚Beide zu ihrer Zeit ein großes Publicum ges funden, denn die derbe Lebendigkeit des Einen und die philantropifche Tendenz des Unteren famen ber Mafle ganz erwünfcht, Beide aber geriethen, troß dem, daß fie bier und da Nachfolger fanden, bald wieder in MWergefienheit, da fie doch nur. Zalente zweiten Ranges waren, und ſolche zuerft ſtets von den Wogen ber Beit hinweg geipült werden. Der Gritere befaß große Leichtigkeit der Erfindung, raſche,

*) Geboren 1753 zu Calais, geftorben 1835 in Pas xis. Seine befannteften Romane find auch im das Deutfhe überfegt worben.

*+) Geboren 1761 zu Paris, geftorben daſelbſt 1819. Seine vorzüglichiten Romane find: Les petits Orphelins du Hameau. Paris 1800. 4 vol. in 12. Coeline ou VEnfant du Mystere. Paris 1798. 4 vol. in 12. . Victor ou lV'enfant de la foret. Paris 1796. 4 vol in 12. Elmonde ou la fille de l’hospice. Paris 1805. 5 vol. in 12. Lelotte et Fanfan. Paris 1807. A vol. in 12. La Fontaine Sainte- Catherine. Pa- zis 1814, 4 vol. in 12. Biele von biefen Romanen erfhienen ebenfalls verbeutfcht. |

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aber feite Characterzeichnung, einen feltenen Blick für die Pomifchen Seiten des Lebens, und eine le⸗ bendige, umnterhaltende und farbenfatte Darftellung. Dagegen fehlte ihm der Sinn für das Höhere, ber Ernſt des Lebens und die männliche Keufchheit, wels de die Erfcheinungen der Sinnlichkeit als eine Noth- wendigfeit betrachtet, und wo es feyn muß, unbea fangen behandelt, aber fte niemals zum Spielwerf einer ungezogenen und frechen Laune macht. Dies thut er in feiner Feen und tollen Luſtigkeit nur zu oft und beleidigt dadurch ſtets das Gefüll für das Rechte und Schickliche. Er ift einer der fruchtbare fen Schriftiteller feiner Beit und hat mehr als ſie⸗ benzig Bände Romane hinterlaffen ; durch feine ſämmt⸗ Iihen Werke wurden nah der Berficherung. feines Verlegers mehr als 600,000 Francs umgeſetzt *). Diefer Erfolg mag auch wohl fehr viel zu feiner An⸗ fiiht beigetragen haben, daß Die von ihm gefchriebes nen Romane höchſt moralifch feien, denn meinte er das Lafter triumphire nie bei ihm und feine Spitzbuben und Verbrecher ftürben nie eines natür» lichen Todes, fondern ftet3 am Galgen oder auf den

Saleeren. . Das waren überhaupt fo ziemlich die vorherrfchenden moralifchen Begriffe bei der Maffe,

über das Gröbſte reichten fie nicht hinaus. Seine

beiten Zeiftungen find Monsieurs Botte, Mon Oncle

Thomas, le Garcon .sans souci, Jeröme und [’Honne

à projets: der Letzte namentlich ift als ein genauer

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*%) S. Eusöbe €. Revue des Romans. II, 167.

Abdruck einer vorherrfchenden Richtung bee Epoche, in der er gefchrieben wurde, zu betrachten. Durch feinen antihriftlichen Skepticismus galt er übrigens als das Drgan einer bedeutenden, in ben bürgerlichen Kämpfen und dem Lager groß gewordenen, enge.

Ducray⸗Duminil bildet einen Gegenfaß zu Pi⸗ geault = Zebrun; er übertrifft denſelben fogar an Fruchtbarkeit, denn er hat über hundert Bände No⸗ mane hinterlaffen. Die Aufgabe, welche er in allen feinen Werfen zu Löfen fucht, ift Die Darftellung des Kampfes Ber Unfchuld und Schwäche mit der Stärke und dem Verbrechen. Faft alle feine Helden find Kinder, denen e8 nad) vielen Leiden und großem Fammer doch am Ende, zum Troſte des gerührten Leſers, noch gut geht. Es fehlt dDiefem Autor nicht an Imagination, aber er misbraudht fie und häuft Unwahrfcheinlichkeiten, feine Charactere haben felten Chararter und fein Styl ift ſchlecht. Es Herrfchte aber doch noch ein befferer Sittenzuftand in Frank⸗ reich, als feine Werke das Entzüden der Grifetten und überhaupt der unteren Bürgerklafien waren; ver- gleicht man damit die jeßige Romanlecture derſel⸗ ben, fo wendet man fich erſchrocken ab.

Diefelbe philanthropifhe Tendenz, welche fi auf ihrer unterften Stufe in den Werfen des eben Genannten manifeitirt, bherrfchte überhaupt in den damaligen Familienromanen vor. Die Revolution Batte dem Egoismus zu fchlimme Lehren gegeben; von Neuem aber breitete fich derſelbe trotz dem wies

607

ber ans und drohte, noch raffinirter gu werben, was fpäter auch wirklich gefchehen iſt; daher machte fich ber Drang, ihm entgegen zu arbeiten, lebhaft gel⸗ tend, nur fing man e8 mitunter, namentlic im Ro— man, auf gar zu wunderlihe Weife an. Bedenkt mian wie locker die Familienverhältniſſe waren, und wie ſie es durch die von Napoleon eingeführte grö⸗ ßere Freiheit der Ehe noch immer mehr wurden, wo⸗ zu die Vorherrſchaft des Soldatenſtandes auch noch Bedentendes beitrug, fo darf man fich freilich nicht wundern, daß vorzüglich nad) dieſer Seite hin das Weſen dee Moral nur in die äußerſten Bedingungen berfelben gefeßt und ihe wahrer Kern gänzlich ver- Fannt wurde. Strenge religiöfe Dogmen find über- haupt einer echten fittlichen Entwidelung, die auf der vollfommenften Freiheit des Willens am Sicher« fen ruht, ungünftig; in Frankreich aber wandte man fh immer entfchiedener dem Katholicismus wieder zu, befonders unter den Frauen; Die raifonnirende Sfepfis des vorigen Jahrhunderts war fo ziemlich verſchwunden, und, mo man überhaupt gegen das po« five Dogma fich auflehnte, eine praktiſche Skepſis an die Stelle getreten, wie überhaupt bei fehr Dies In die Ehre der auf dem Hausaltar thronende Gott ward. Daher finden fich in den meilten Romanen aus Diefer Periode ganz wunderliche moralifche Bes griffe, und das Seltfamfte ift, daß die Berfaffer berfelben oft. mit geößter Ehrlichkeit die höchſte Uns moral für die höchſte Moral Halten, fo 3.83. in

Fievors Frederic*), we eine Baronin mit ihrem Be dienten, weil dieſer ein fo vortreffliher Menſch ift, einen Sohn zeugt; Diefer Das Kind zu einem eben fo vortreffliden Menfchen erzieht und ihm endlich

feine Geburt entbeckt. Die Baronin nimmt fh.

Darauf in berfelben Weile des Sohnes an und ſtirbt Darauf wie eine Heilige; ber Herr Sohn Hat bie infamften Liebſchaften und heirathet endlich bie letzte der Geliebten un. f. w. Aehnliches kommt felbft in ber Dot de Suzette**), einem früher fehr gefeierten Romane befielben Verfaſſers, vor, nur daß Die Treff lichfeit der Ergebung in ein traurige Schieffal, ber Dankbarkeit für Wohlthaten, der Befcheidenheit im Reichthum und ähnlicher wohlfeiler Tugenden, mehr hervorgehoben ift. Wie falſch die Begriffe von wahs ser Moral damals waren, das beweift noch mehr ber einst fo berühmte Roman der Madame du Zlas bault»Souza, Addle de Senange***), denn Das ganze darin gefchilderte Verhältniß zwifchen dem eleganten und jentimentalen Lord, Adele und ihrem Manne, wird einem gefunden Sinne ſtets als ein widerna⸗ türliches, und trotz aller Bartheit und Gewandtheit, mit der e8 Die Verfafferin gu behandeln wußte, durch⸗ aus uniittliches erfcheinen; es iſt eine geiftige Selbft- befle@ung darin aus Mangel an Muth zur Sünde,

*) Paris 1799. 3 vol. in #2.

"*) Paris 1798. Deutfh. Dresden 1799, in Auss wahl der beiten Ronellen Fierees.

“**) Paris 1794.

bie etwas höchſt Wiberliches hat, unb doch gteifen, wunberlich genng, weibliche Romanautoren hänftg zu dieſer Ausflucht, wie das die Mehrzahl unferer beutfchen, von Damen gefchriebenen Entfagungsros mane beweift. Die Nomane ber Frau von Souza zeichnen fich übrigens buch große Einfachheit ber Erfindung, feine Chararterzeichnung, gute Situatio⸗ nen, und Eleganz bes Styls aus, und find ein fan» berer Abdruck des Tones der beiten Gefellfchaft aus dem achtzehnten Jahrhundert, gehoben durch den tie⸗ feren Ernſt Des neunzehnten. Eugene de Rothelin iſt unftreitig das vorzäglichite Werk dieſer talentvollen, geiftreichen und trefflichen Frau, doch find auch Charles et Marie*), worin fie mit weiblichen Bartfinn Ster- ne's Manier nachzuahmen fucht, und Eugenie et Ma- thilde**), wo der herrliche Character Eugeniens das böchfte Intereffe und Die innigfte Sheilnahme Des Ste ſers erregt, nicht minder empfehlenswerth.

Die bequeme Moral jener Tage es war aber doch wenigftens ein Anfang von Moral fand vorzüglich ihre Darftellung in ben Romanen der Dia» dame Sophie Gay *+*), einer gefeierten Schöne

*) Paris 1802. Deutſch. Hamburg 1802.

**) Paris 1811. 3 Bochen in 12.

*2#) Merfafferin von Anatole. Paris 1815. 2 vol. Leonie de Montbreuse. Paris 1813. 2 vol. Un Marlage sous Vempire. Paris 1832. 2 vol. Sou- venirs d’une vieille femme. Paris 1834 u, %. m.

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beit der Kaiſerzeit welche fpäter, nad langem Schweigen, ſich wieder den Romandichtern zugeſellt bat, und fich bereits in jenen Tagen eines glänzen- den Rufes als Schriftſtellerin erfreute. Unter ihren früheren Arbeiten machte Anatole außerordentliche Glück. Madame Bay verfteht mit Lebhaftigkeit zu erfinden und zu ſchildern, weiß durch glücklich ange legte Situationen und ECharactere gu ſpannen, um bot einen fcharfen Bli für die Buftände der Ge⸗ fellfchaft und deren Lebensfragen und Gegenſätze, die fie. mit großer, aber oberflächlicher Leichtigfeit behan⸗ beit. In allen ihren Zeiftungen offenbart ſich bie feine, geiftvolle Frau, reich an Erfahrungen und . Besbachtungen; über den Kreis der forialen Ber- hältniffe, in denen fie alt geworben tft, gebt es jedoch bei ihr nicht hinaus, und Vieferes muß man da ber bei ihre nicht ſuchen; doc giebt fie ſtets gute und wahre, wenn gleich befchränfte Bilder Der hö⸗ beren Kreife ihrer Epoche, und ihre Romane bieten Daher ein mehr als gewöhnliches Interefle dar. Dies iſt namentlich der Fall in ihrem beften Werke neue rer Beit: Un Mariage sous V’Empire, in welden fie Napoleon's gefelfchaftliches Fuſionsſyſtem und befien verfchiedene Selten und Folgen auf eine höchſt anziehende Weiſe, jedoch mit: ähnlichen moralifchen Begriffen‘, wie in ihren frühezen Leiſtungen, darge⸗ ſtellt hat.

Die beſten Arbeiten auf dem Gebiete des fran⸗ zöftfhen Romans ans Diefer Beit bleiben unftreitig

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die dee Madame Eottin*). Genialität darf man in ihren Werfen nicht ſuchen, benn fte befitt fie nicht, aber inniges, tiefes und ebles Gefühl, Scharffinn, eine reiche Doch ruhige Phantafte, Anmuth, Würde und Eleganz des Styls und Talent ber Darftellung offenbart fie in hohem Grade, und dieſe Eigenfchaften werden ihre Romane dauernd im Andenken ber Menge erhalten. In ftiller Burüdgezogenheit lebend, entlehnte fie Die Stoffe und Charactere nicht ber wirklichen, fie umgebenden Gefelfchaft, ſondern ih⸗ vem eigenen Herzen. Hier fand fie die Farben, mit denen fie ihre Gebilde belebte und doch find dieſe wahr und echt. Die Freuden und Leiden ber Liebe wurden von ihre befonders für. die Darftellung vor⸗ gezogen und mit aller Gluth ihrer begabten Seele geihildert. Man kann fie in Diefer.Hinficht als eine Schülerin Sean Jacques Rouſſeau's betrachten, nur daß fie ihm nicht in der inneren Leidenſchaftlichkeit gleich Fommt, mit welcher er feine Figuren zeichnet. Dabei iſt ihr Zweck ftets ein tief moralifcher; wäh. vend fie ihre Heldinnen mit ben Tiebenswärbigiten

*) Geboren zu Tonneins 1773, geftorben zu Paris 1807. Merfafferin von Claire d’Albe. Paris 1799. Malvina. Paris 1801. 4 vol. in 12.— Amelie de Mansfield. Paris 1804. 3 vol. in 12. Mathilde: Paris 1805. 6 vol. in 12. Elisabeth ou les Exi- les de Siberie. Paris 1806. 2 vol. in 12. n. X. m, Die meiften diefer Romane find auch in das Deuts ſche übertragen worden, Ä

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Eigenfchaften und einem eben fo reichen als wahren Gefühl ausftattet, weiß fie denfelben ein fo großes Intereſſe zu verleihen, daß ber Leſer fie ſtets mit wachſender Sheilnahme an ihrem Schiefal begleitet und aus biefem die bleibende Lehre gewinnt, daß Nichts fo gefährlich ſei, als den eriten Empfinbuns gen und Lockungen der Zeidenfchaft nachzugeben. Diefe ſchwierige Aufgabe behandelt fie Purchgän- gig mit der größten Bartheit, und ihr Styl fteht immer auf gleicher Höhe mit dem Inhalte. Man ſteht allen ihren Werfen an, welchen Eindrud bie furchtbaren Stürme, bie fie, wie in einer ficheren Bucht geborgen, vorüberzichen fah, auf ihr liebevol⸗ les Gemüth machten und fie ſchon früh der Reflection zuführten; ſtets rebet fie in ihren Werfen die Spra⸗ he des Herzens. Unter ihren Romanen bleibt im⸗

mer Elisabeth ou les Exiles en Siberie ihre gelun gentte Arbeit und verdient vollfommen die große

Verbreitung, bie ihr zu Theil ward; nie warb El⸗ ternliebe und Kindesliebe jo wahr und fchön zugleich

Dargeftellt; felten mit jo geoßer Einfachheit ein fo

reicher Wechfel ber Schilderungen verbunden. Nicht fo glücklich ift fle in ihrem, gleichfalls ſehr gefeierten, Werke Mathilde. Der fehwierigen Aufgabe bes biftorifchen Romans war fle nicht gewachlen, wie e8 eigentlich überhaupt Feine Frau ift; die Ge fühlspartieen find ihr jehr gelungen, wie imnier, al» les Uebrige zeugt dagegen nur von ihrem Darftels Iungstalente und ihrem Fleiß, aber es fehlt ihr bier an Kraft und der nothwendigen Geübtheit bes

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Blickes, um in das eigentliche wirkliche Berhältnig der Dinge einzubringen. Ihre übrigen Bücher das gegen, welche fich innerhalb des engen, ihr angemefs jenen Kreifes bewegen und deren Hauptaufgabe bie Entwidelung der Leidenfchaften im weiblichen Her⸗ zen bleibt, find Dagegen nicht minder vortrefflih. Es it eine eigenthümliche Erfcheinung, daß fie, ſelbſt Proteftantin, alle ihre Heldinnen katholiſch feyn läßt; wahrfcheinlich glaubte fie, ber Katholicismus fei Dee energifchen Entwirelung der Leidenfchaften günftiger, indem zugleich ihre proteftantifhe Glau⸗ bensanfiht fie befähigte, feine Erfcheinungen und deren Einfluß auf ihre Geftaltungen von einem freie- ven Standpunkte aus zu betrachten und zu behandeln.

Koch einen Schritt weiter als Madame Esttin that die Herzogin von Duras*) in ihren beiden Ro⸗ manen, Ourika und Edouard, welche einen bedeuten⸗ den, wenn auch nur vorübergehenden Einfluß auf die Einnedart, namentlich der Frauen in ben höheren Ständen Frankreichs, ausübten. Die Idee der Un gleichheit in ben Lebensverhältniffen, gleichviel, ob natürlicher oder ſocialer Art und der daraus entſprin⸗ genden Kämpfe für Die Leidenfchaft, welche durchaus mit gänzlicher irdifcher Berftörung und der Hinweis fung auf den Himmel enden müflen, liegt ihren Wer» ten zu Grunde. In Durika ift e8 die Häßlichkeit ber Negerin, in Eduard beffen Geburt, aus welcher

*) Geboren 1779, geit. 1829. Ourika. Paris 1824. Edouard. Paris 1825, 2.vol. in 12, .

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fh bie tiefen Leiden und Schmerzen entwickeln. Ste ergreift dadurch mächtig das Herz, aber das wehe Gefühl, Das fie erregt, wird nicht beſchwich⸗ tigt, denn ununterbrochen legt ſie den Finger auf Die ſeit Erſchaffung des Geſchlechtes eiternde Wunde der Menſchheit, die Vorurtheile der Ungleichheit und der geſellſchaftlichen Bevorzugung. Alles Leiden muß zuletzt in dem Gedanken an das Ewige. feine Auflö⸗ ſung finden, hier tritt aber dem Denkenden ſtets der Zorn über die Dummheit und den Egoismus ſtörend als Discord in den Weg, und hindert lange den harmoniſchen Schluß, wenn er ihn auch nicht gänzlich aufheben kann.

Wir find nun allmählig zu der Zeit gekommen, wo eine im Stillen gereifte, aber plöglich und uns aufhaltſam heruorbrechende gänzliche Umgeftaltung ber poetifchen Ideen wie der Formen, fih in Frank⸗ reich ereignete. Die von ben Branzofen ebenfalls fogenannte romantifche Poeſie trat hervor und ging ans ber Lyrik, in welcher fie ſich zuerſt offenbart batte, in den Roman über, und zwar hauptſächlich in die Gattung des Yamilienromans, Diejer bie größte Ausdehnung gebend. Es kann hier weder Aufgabe noch Abſicht ſeyn, das Weſen des franzöft- then Romantieismus in allen feinen Theilen ent» wickeln und darftellen zu wollen, da das niel zu weit führen würde. Wir müflen uns Darauf befchränken, feine allgemeinften Kennzeichen anzugeben und zu ers mitteln, welche Stoffe er dem Roman gewann und wie er biefelben hier behandelte. Für das Erftere

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wird allgemeine Hindeutung um fo mehe genügen, als der Roman faft nie von den franzöftfehen Klaſſi⸗ fern zur eigentlichen Poeſie gezählt und ben ſtrengen Regeln Derfelben unterworfen, fondern als etwas, zwar zu the im allgemeinften Sinne Gehöriges doc) außer⸗ halb derſelben Liegendes betrachtet wurde. Die Urs ſache ift fchom in dem äußeren formellen Bildungsgange ber franzöſiſchen Poeſie zu finden; es gab Feine Muſter für den Roman, weil das klaſſiſche Alterthum ihn nicht kannte und Ariftoteles Nichts von ihm wußte. Wels he unklaren Begriffe bis auf Die neuefte Beit über den Roman in Frankreich herrfchten, das fehen wir aus den früheren Abhandlungen, die über ihn eriftirs ten, während man alle übrigen Formen ber Poeſie ſtrenger, wenn auch nur äußerer Prüfung unterwors fen hatte. Während alle anderen Theile ber Dichts kunſt innerhalb eng gezogener Schranken und nad) ſtabilen Geſetzen behandelt worben waren, hatte er fh nur den allgemeinen Forderungen des Style und der gefunden Vernunft unterworfen, frei aus⸗ gebildet, durch das Beduͤrfniß der Beit geſtaltet. Als ein. Gefäß, Das bereit und geräumig genug war, jeden Inhalt aufzunehmen, mußte er daher ber neuen Schule höchſt willkommen feyn. Der franzöfifche Ro⸗ manticismus fette, vorzüglich bei feinem erften Werben, feine hauptfächlichfte Eigenthümlichkeit Darin, daß er dem Dichter die größte Freiheit in der Denkweife, wie in ber Form der Darftellung und bes Ausdruckes, nicht allein geftattete, fondern fie für ihm verlangte, da er zus wahren Natur zurückführen wollte, welcher,

sis

nach feiner Meinung ber Klafiieiömms alle paeki- fche Aeußerung entfrembet hatte, der fie fortwäh- vend in enge, conventisnelle Schranken bannte, bie fte dem wirklichen Leben und der Rationalität fern hielten. In dieſer Hinficht hatte Die neue Schule vollkommen Recht; fie war ein Kind der Revolution und bildete fi), im Gegenfage zu ber alten, aus dem Wolke heraus, welches das bringende Bebürfs niß fühlte, die Erfcheinungen des wirklichen, gegen wärtigen Lebens, an benen allen ohne Ausnahme, e8 Dusch die Umgeftaltung der Dinge den regiten An theil nahm, in bie fchöne Literatur hinüber zu tra gen, um fi bier, auf dem Gebiete der Schönheit und Kunft, berjelben vollkommen bemußt zu werden. Die Art und Weiſe des Kampfes gegen Die beſte⸗ hende Poefie war jedoch eine unrichtige, und es muß ber Beit überlaffen werden, Das Falſche und Irrige, das die neuen Beitrebungen erhielten, zu entfernen, was ihre jedoch bei dem franzöfifihen Nationalcha⸗ racter nie ganz gelingen wird. Im PDrange bes, meift von einer talentreichen aber ercentrifchen Ju⸗ gend geführten Kampfes gegen Das Beſtehende fuchte man vorzüglich durch concrete Gegenfäße, nicht durch abitracte Kritik zu wirken, und trug nun Alles her» bei, was man für zweckdienlich hielt. So häuften fih innerhalb des eröffneten Kreifes natürlich bie feltfomften Widerfprüche, da das einzige feſtſtehende Prineip ein auf die möglichfte Annäherung an bie Natur bafirtes Berftören der Autorität war, Die uollftändigfte Geltung der Subjerkivität in ihrer uns

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begrenzteften Mefpränglichfeit warb vor Allem beab⸗ ſichtigt, wie fie feit der franzöftfhen Revolution überhaupt im Leben felbft Ing, als nothwendige Forts bildung bes Kampfes gegen alle Autorität, welche das achtzehnte Jahrhundert chararterifirt. Dazu Fam nun noch der ganze KHöhenzuftand der gefellichaft« lichen Cultur, die in Frankreich feit jener Beit bie eigenthümlichften Epochen burchfchritten Hatte, und ebenfalls mit allen ihren Erfcheinungen auf die Ziteratur einwirkte, welche jett mehr als je ein Ab⸗ druck der Gegenwart wurde. Die geiſtigen Erzeug⸗ niſſe des Auslandes, namentlich Englands, und in geringerem Grabe Deutſchlands, übten ebenfalls ih⸗ ren Einfluß auf Frankreich aus, und brachten, ob⸗ wohl meift unrichtig aufgefaßt, doch eine Maſſe neuer, zu Zeiten freilich verworrener und misver⸗ ftandener Ideen, Stoffe und Formen hinein. Mit Leidenſchaft ergriffen, egoiftifch Durchgeführt und auf die rafcheften und lebhafteften Wirkungen berechnet, zeigt fi) daher die moderne franzöfifche Poeſie ala ein Chaos aus den wunberlichiten Elementen zuſam⸗ mengemifcht; erit der Beit kann es gelingen, dieſe zu fcheiden, und das wirklih Große und Schöne, das ſich darin findet, als ein feſtes Land gleichjam bervortreten zu laſſen.

Wir haben gefehen, daß der Roman ſich trennte unb zwei Gattungen bildete, die des hiftorifchen Ro⸗ mans, welche fchon beſprochen wurbe, und bie des Romans ber Gegenwart. Auf die letztere wirkte die neue Schule am Gewaltigiten ein, während fie

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ſich der erfieren nur bemächtigte, wie fie ihr von England überliefert worden und ihre bloße Nachbil⸗ bung zu Zheil werben ließ. Natürlich mußte bie Gegenwart mit ihren ſich Ereuzenden und widerſpre⸗ "enden Erfcheinungen und dem fteten Bemühen, die Zöfung ber neuen Widerſprüche und Lebensfragen zu ermitteln, in ber ihr ſchon fo Lange gewidmeten freie Ben Form ſich am Geeignetften bewegen; der Roman ward daher von Allen ergriffen und nach allen Sei- ten bin benugt, um, wie es von jeher geſchehen, auf poetifhen Wege die Wirklichkeit abzufpiegeln und fo zur Rechenſchaft zu ziehen. Während des Bwifchenraumes aber vom Sturz bes franzöftfchın Königthumes bis zur Wiederaufrichtung deſſelben Batten die inneren ſocialen Verhaͤltniſſe in Frank⸗ reich wefentliche Weränderungen erlitten, ohne eine fette Geftaltung zu haben, denn rafcher Berftörung war, wie immer, ein langfames Nachſinken einzefner, nicht gleich mit dem Bufammengeftürzten herabgerifs fener Theile gefolgt und das Wiederaufbauen auf feftem und gereinigtem Grunde verhindert worden. Bor allen Dingen hatte das Familienweſen, dieſer einzige fittliche Halt der bürgerlichen Geſellſchaft, eine mächtige Veränderung nach. zwei Seiten hin er fahren, Durch welche große Verwirrungen herbeige führt wurden, deren Darftelung dem Romane ber Gegenwart reichen unb poetifchen Stoff darbot. Mit der Revolution und durch Diefelbe war das Recht ber Erftgeburt aufgehoben und die Ehe zu einem blo⸗ Ben bürgerlichen Contracte zwifchen beiden Geſchlech⸗

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ten, weiche eben fo leicht gelöft als gefchloffen wer⸗ ben Fonnte, herabgefeßt worden. Im Anfange wa⸗ ven, namentlich unter Dem Dirertorium, die ſchroff⸗ ften Gegenfäge zur Strenge des alten, nach römis dem Rechte feitgeftellten Familienlebens und der burh das Dogma der Patholifchen Kirche als Sas etament verehrten Ehe, herbeigeführt worden, alls mählig aber machten GSittlichfeit und bürgerliche Drdnung ihr gutes Recht wieder geltend und ber Misbrauch wurde gemildert. Die Frauen hatten aber dadurch eine eigenthümliche Stellung erhalten, und, während fie an Freiheit gewannen, viel von ih» tem Anfehen verloren. Auch das Samilienlchen büßte außerordentlich ein Dabei und der individuali« frende Egoismus untergenb es immer mehr. Dazu kamen nun noch die immer mehr und mehr fi) ver⸗ breitenben und auf Das engere bürgerliche Leben An⸗ wendung findenben politifchen, namentlich liberalen Anfihten, Denn Die Gegenpartei hielt feſt am alten Beſtehenden, fo wie die freieren Ideen innerhalb der Religion. Die Frauen fingen an, fich den Maͤnnern gegenüberftellen zu wollen, und Diefes Stres ben fand endlich in den Theorieen der Saint⸗Simo⸗ niften yon Der femme libre fernen Eulminationspunft.

Es bedarf nur geringer Phantafle, um ſich Die Menge der verfchiedenften und ſeltſamſten Nuancen des Verhaltniſſes beider Gefchlechter zu einander, melche durch dieſe Menderungen herbeigeführt wurden, su denken. Da daffelbe Hauptaufgabe des Romans Bleibt, fo wurbe biefer binfichtlich der Motive

636 außerordentlich erweitert. Ale dieſe Erfcheinungen beginnen jeboch erſt innerhalb ber Ehe, und da das Weib, wenn gleich nicht mehr, wie früher, eingeklo⸗ ſtert bis zu feiner Verheirathung, erſt Durch Die Ehe in Frankreich gefellfchaftlich geltend wird, fo beichäf- tigen fich auch Die meiften franzöftfhen Romane ber Gegenwart nur mit berjelben und fangen daher erſt da an, wo die beutfchen aufhören, mit der Ehe näm- lich. Uns genügt die Entwidelung' ber Liebe bis zu ihrer Enticheidung für das bürgerliche Leben, fei diefe Zrennung oder Verbindung, gleich viel, alö reinfte und würbigfte Aufgabe der Poeſie, nicht fo dem Franzoſen; er, der nur. in der Gefellfchaft lebt und bie gefellichaftliche Stellung als Bwer und Biel bes Lebens anfteht, verlangt auch hier Die Gegen füge zu berjelben durch das Verhältniß der Geſchlech⸗ ter in ihrer näheren Verbindung als den intereffon- teren Stoff dargefiellt zu ſehen. Daher die vielen Romane des Ehebruchs in der modernen franzöfifchen Literatur mit deffen tieferen Urſachen und Folgen und defien unzähligen Ruancen, Daher aber auch, ba bier fi) Alles auf ein Verbrechen, wenigftens auf den Brud) eines Vertrags, alſo jedenfalls auf das Unrecht gründet, Die vielen, durch Die falſch verftan- dene Nothwendigkeit poetifcher und neuer Auffaſſung, &ntwidelung und Darftellung, veranlaßten Hebertrei- gen, in weldien bie Charactere, vom Lafer und Un⸗ recht ausgehend, alle Stufen bes Laſters und Ver⸗ brecheng bis zur geſchmackloſeſten und widerlichften Ber- zerrung beſchreiten. Gin großes Reſultat ward je⸗

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doch dadurch für den Roman gewonnen, und das if ein eigenthümliches Beichen der Beit, tieferer Ernſt und durch ihn Verbannung der tändelnden und fcherz» haften Frivolität, welche während des achtzehnten Sahrhunderts fo fehr in Frankreich vorherrfchte. Einer der erſten, fruchtbarften und talentyolls ften franzöfifhen Romandichter biefer Gattung im Kreife moderner Behandlung ift Honore de Balzac *): Nachdem er. fihon pfendonym eine ziemliche Reihe von Romanen im Gefchmade der Kaiferzeit geſchrie⸗ ben und weiter Nichts als den gewöhnlichen Leih⸗ bibliothefenbeifall gefunden hatte, wandte er fich dies fer neuen Richtung zu und trat, nachdem er feine Physiologie du Mariag® als Vorläufer ausgefendet, gleich nach der Julirevolution mit feinem modernen Mährcheneoman La Peau de Chagrin auf, weldher außerorbentliches Aufſehen erregte. Diefem folgten bald eine große Bahl von anderen Romanen und Er»

*) Geboren zu Tours am 20 Mai 1799. Seine früheren Romane erfchienen zum Theil unter dem Na⸗ men Lord M’Hoone, Horace de Saint Aubin u. f. w. Die vorzüglichften find: Le dernier Chouan. Paris 1829. La peau de chagrin. 1831. Scenes de la vie privee. 1831 fgde. Scenes de la vie de province, 1831 fgde. Scänes de la vie parisienne. 1832 fgde. Le medecin de campagne. 1833. Le pere Goriot. Le lys dans la vallde. 1836. Illn- sions perdues. 1838. Un grand homme de pro- vince & Paris. 1839 u. f. w.

nn en

zählungen aus feiner Feder, unter denen bie Scanes de la vie privee, Scenes de la vie de province, Seè nes de la vie parisienne, Eugenie Grandet, Le pere Goriot, La Recherche de !’Absolu, Un grand homme de province à Paris, die bebeutendften find. Ehe id; darzuftellen verfuche, was ber franzöſiſche Roman der Gegenwart durch ihn gewann, erlaube ich mir, von der bei den neueiten Romanen beobachteten Re gel abweichend, bier Furz den Inhalt der Peau de Chagrin und der Recherche de l’Absolu mitzutheilen, da zwifchen biefen beiden Romanen die ganze Scala feiner Erfindungen und feiner Darftellungsweife Tiegt. An dem eritgenannten Buche erzählt uns der Vers faffer, wie ein junger ruiMrter Mann an einem Detobertage aus einem Spielhaufe in Paris Fommt und feine Schritte der Seine zulentt, um feinem Leben gewaltfam ein Ende zu machen. Da es aber noch) heller Tag ift und er das Aufſehen vermeiden will, fo ftreift er, Die Dunkelheit erwartend, auf dem Duni Voltaire auf und ab, und geräth in das Magazin eines Antiquitätenhändlers, der ihn vor eine an der Mauer aufgehängte EChagrinhaut führt, auf welcher man bie mit magifchen Beichen ausge drückte Infchrift Tieft: „Wenn du mich beftgeit, fo wirft du Alles befigen, aber bei jedem deiner Wün⸗ ſche mich abnehmen und Deine Tage fi) verringern fehen.” Raphael Fauft den Talisman und verlangt, um beffen Kraft zu erproben, ein Föftliches Mittags⸗ mahl mit treefflichen Weinen im Kreife angenehmer Säfte und entzüdender Weiber. Zugleich wünſcht

er, als er den Laden verläßt, ber alte Kaufmann möchte ſich in eine junge Tänzerin verliehen. Bei⸗ bes geht noch an demfelben Tage in Erfüllung, und der doppelte Wunſch koſtet Raphael ſchon mehrere Jahre feines Lebens. Kaum ift er nämlich auf der Straße, fo begegnet er Drei Freunden, Die ihn einladen, an .einem Diner von Sournaliften Theil zu nehmen, das der Begründer einer neuen ‚Beit- fchrift veranftaltet hat. Dies Zeit artet bald in bie raffinirtefte Orgie aus, welche der Verfaſſer mit minutioöſeſter Umſtändlichkeit ſchildert. Am Schluffe derſelben erzählt Raphael, ſich auf eine Ottomanne lagernd und die Füße auf den ſchönen Leib einer be⸗ rauſchten Hetäre legend, die ihnen als Schemel die⸗ nen muß, einem Freunde ſein früheres Leben. An⸗ fangs reich, wird er arm, zieht ſich in ein ſechs Stockwerk hohes Stübchen eines Hötel- garni zurück und verliebt fi in Pauline, Die Tochter feiner. Wirs thin, der Gattin eines Offiziers. Pauline erwiebert feine Liebe, aber fie ift arm und Raphaels ganzes Streben geht dahin, durch eine glänzende Heirath wies der zu Reichthum und Anfehen zu gelangen. Gr macht die Bekanntfchaft einer vornehmen Frau und bemüht fich, ihre Neigung zu gewinnen; unabläflig macht er ihr den Hof und muß Die härteften Entbehrungen leiden und. fi den grauſamſten Erfparnifien unterwerfen, ' am mit Anſtand in ihrer Gegenwart erjcheinen zu können. Endlih, da ihm Nichts ihre Gunſt erwer- ben kann, verbirgt er fi, nachdem: er am Abend einer ihrer Gefelfchaften beigemohnt, in ihren Büns

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mern und beobachtet fie eine ganze Nacht hindurch. Bu der Gewißheit gelangt, daß Foedora, fo heißt fie, ein berzlofes Weib fey, will er noch ein Mal fein Glück im Spielhaufe wagen, verliert Alles und iR im Begriff, fein Leben in ber Seine zu enden, als er die Chagrinhaut findet. Die Erzählung geht nun ihren früheren Gang fort, fi dem An⸗ fange anfchließend. Raphael wünfcht fich 20,000 Fran⸗ Ten Renten; fie werben ihm zu Theil, aber die Haut ſchrumpft fuchtbar zufammen und er bekommt bie Schwindſucht. In diefer Beit findet er Paulinen wieder, deren Bater Millionair geworben iſt. Sie knüpfen die alte Liebe von Neuem an, aber Raphaels Geſundheitszuſtand wird bedenklich und er muß in DaB Bad. Hier wird er von einem Geden beleidigt, wänfcht ihn zu tödten und jagt ihm im Duell eine Kugel durchs Herz. Die EChagrinhaut ift bis zu der Größe eines Pappelblattes zufammengefhrumpft; er bat eben noch die Beit, nach Paris in fein fchönes Hötel zurüdzufchren, und voll Begierde zu Pauli⸗ nend Füßen zu fterben. In der Recherche de YAbsolı verläßt Balzac fein geliebtes Paris und führt den 2efer nah Douai. Hier lebt Balthazar Claës, ein fehr reicher Mann, von altem fpanifchen Adel, in feinem auf das Prächtigfte eingerichteten, von feinen Eltern ererbten Haufe, in welchem er bie Schäge mehrerer Generationen aufgehäuft hat. Als Tüngling ift er in Paris gewefen, hat dort bie beiten Geſellſchaften frequentirt und ſich unter Las voifier’8 Anleitung mit Chemie befchäftigt. Um fd

mit feiner Gattin zu vermählen, zicht er fich von den Berftrenungen der großen Welt zurück, und führt im väterlichen Haufe mit ihr, einem gewefenen Fräu⸗ lein von Zemnind, lange ein höchſt glückliches und zufriedenes Leben. Seit 1809 hat fich aber fein We⸗ fen allmählig geändert; eine geheime Leidenfchaft bemächtigt fich feiner und macht ihn gefühllos gegen die häuslichen Freuden, Die er früher fo liebte. Er beſchäftigt fich wieder mit der Chemie oder richtiger mit Alchymie und forfcht mit heißem Eifer nach dem Stein ber Weifen, d. h., denn Balzac bezeichnet es mit dem Namen Vabsolu, nad) dem Geheimniß, Gold zu machen. Alles wird von ihm darüber vernache Iäffigt, feine Frau ftirbt vor Sram und nur durch die Klugheit und Gewandtheit feiner Tochter wird er immer wieder vom Abgrunde zurüdgezogen; ende Ich, nachdem alle Hülfsmittel erfchöpft find, gelingt es ihr, ihm eine Einnehnterftelle in der Bretagne gu verfchaffen und ihn fo faſt gewaltſam von feinem Laboratorium zu entfernen.

Sainte Beuve Hat Balzac oder vielmehr dieſer fich felbft *) den Alchemiften des Gedankens genannt. Diefe Bezeichnung paßt allerdings auf ihn; er hat Fahre lang mühſam gefucht und fi) mit Schladen und Niederſchlägen auf das Eifrigfte befchäftigt, im Die Berwandelung feiner Metalle in reines Gold zu finden. Ob das, was er dafür ausgiebt, wirklich

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*) Nouveaux Portraits et Critiques litieraires. T. II. Xrtifel: de Balzac. _ 40

echt ſei, ſteht noch fehr dahin. Die größte Achn⸗ lichkeit, die er mit einem Adepten befigt, ‚führt ber franzöftfche Kritiker indefien nicht an, und ich füge fie hinzu, weil fie ihn, nach meiner Meinung, noch entichiedener characterifirt. Es fehlt ihm nämlich an aller Iugend des Geiftes und Gemüthes. Aus In fpiration fchafft er Nichts, denn das kann er nicht, aber er weiß Alles fo mühſam, Fünftli und genau zufammen zu feßen, daß man, auf den erften Anblick getäufcht, es für natürlich halten möchte, bald aber ben Zrug vollkommen einfieht. Diejen großen Wan: gel fucht er Durch äußerft feine Beobachtung, einen zafchen und fcharfen Blick in das Innerfte des menſch⸗ lichen Herzens. und der menfchlichen Verhältniſſe, eine fehr ausgeführte, oft fich mit dem Geringften, bis zur Ermüdung bejchäftigende Darftellung und eine überaus gewandte Gombination der Situationen zu erſetzen. Da er alle dieſe Eigenfchaften im höchſten Grabe beſitzt, fo leiftet er in biefer Hin ficht wirklich Außerordentliches und alle feine Ro: mane umfaflen piychologifche Studien vom höchſten Interefie und Werthe, wenn gleich nicht immer pro⸗ behaltig. Dagegen aber fehlen ihm alle. Gaben poe⸗ tifcher Jugend, die den wahren Dichter bis in bad Grab. ungertrennlich begleitet und die Urquelle ale ſeiner Werke bleibt. Er hat weder Enthufiasmus, noch warmes Gefühl, weder Beredfamkeit des Her send, noch wahre Sittlichfeit. Nur das Lafter in allen feinen Phaſen weiß er zu fchildern, und ds Das Lafer in Frauen am Lockendſten und Inter |

82% fanteften erfcheint, fo Hat er Die Frauen auch zu ſei⸗ nem befonberen Studium gemacht, und ift unerfchöpf- ih in den feinften und treueften Schilderungen ver- derbter, oder wenigftens Franfhafter weiblicher Cha⸗ Tartere. Einen phufifch, wie moralifch gefunden Mann, ein durch und durch reines Weib vermag.er aber nicht zu erfinden, und muß felbft den Figuren, die er fchafft, unwillfürlich Roſtflecken anhängen, Die den glänzen- den Spiegel ihrer Seele verunftalten. Das Ideale Hleibt ihm durchaus verfchloffen; es ift, al8 fehle ihm ein Sinn dafür. - Alles nimmt bei ihm eine fEepti- he oder materielle: Richtung. Kein Schriftfteller gehört fo, wie-er, zu den Peſſimiſten, denn das ganze Menfchengefchlecht ift, nad) feiner Anficht, in Grund und Boden verderbt, viel verderbter, als man glaubt, und des Dichters Beruf, dieſe Werderbtheit nach al« Ien Seiten Hin zu analyfiren und darzuftellen, um auf das Deutlichite nachzumweifen, daß ſie allein ihr Glück in ber jetzigen Welt macht, und zu Ehren und Anfehen kommt, in prachtvollen Karofien fährt und die Menge beherrfcht, während bie Zugend, eben weil fle fo dumm ift, tugendhaft zu feyn, in Elend und Sammer verfehmachtet. Unter den Romanſchrei⸗ been dee Gegenwart möchte man mit vollem Rechte Balzac als den Hiftorifer der Depravation, und zwar der taffinirteften, bezeichnen. Die Aufgabe, die er su löſen ftrebte, ift ganz dem Stoffe angemeſſen, denn er geht bei der Darftellung eben fo raffinirt zu Werke. Der ausgebildetfte Egoismus, leider überall die am Meiften gezeitigte Frucht unferer 40 * -

Sage, siamentli in Frankreich, wo feit funfzig Jah⸗ ren faſt täglich nene Beifpiele lehren, wie weit es ber Einzelne zu bringen vermag, wenn er rüdfiht> los nur fich im Auge hat, ift dee Hebel, der elle Fi⸗ guren, alle Situationen in den Balzac'ſchen Roma- nen bewegt. Auf der Stufenleiter der Selbftling: vom eleganteften Dandy bis zum verworfenften Ga- leerenſtlaven, von der feinften Dame, die ihr ganzes eben hindurch mit dem Ehebruche ihr Spiel treibt und die Ihren in das Verderben ſtürzt, nachdem fie diefelben mit Schande bededt hat, bis zur gemein Ren H—e überſpringt er Feine Sproffe, Alle wer den fie von ihm gefchildert, und zwar mit ihren fämmtliien, auf das Genauefte bargeftellten Umge⸗ bungen. Alle feine Werke wimmeln daher von be trügenden und betrogenen Jungfrauen und Frauen, von betrogenen und betrügenden Jünglingen, Män-

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nern und Greiſen, und feine Kunſt, zu variiren und

zu nuanciren, iſt bewundernswerth. Aus dieſem

Grunde wählt er auch vorzüglich Paris zum Schau⸗ platze feiner Schilderungen, ba ſich hier die raffinir⸗ teite Berderbtheit ceulminirend concentrirt. Er Fennt die Metropole mit allen ihren Lebenserfcheinungen auf das GBenaueite, und weiß die nothwendige Umge⸗ bung zu feinen Figuren fo biftorifch treu zu geftal- ten, baß er eben dadurch, bei dem gewöhnlichen es fer wenigftens, allen Bweifel an der Wahrheit fei- ner Schilderungen befeitigt. Ueberhaupt iſt fein 2a- lent bes Portraitirens ſehr groß, namentlich bei den rauen, an benen ihm Feine Mine, Fein Aus

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druck, ja keine Falte ihres Kleides entgeht, wenn: die mindeſte Aeußerlichkeit dazu dienen kann, das Bild. zu verusffflindigen und zu beleben. Eben ſo entgeht ihm, und bas iſt noch weit mehr, kein Bug, feine alte bes menfchlichen Herzens, von bem er: bie feltenfte, aber doch nur auf. die Schlechtigkeit fich beſchränkende Kenntniß hat. Daher find, wie fchon vorher bemerkt wurde, auch feine ebeliten Geftalten wurmſtichig. So endet z. B. Eugenie Grandet mit dem Laſter des Geizes; Madame de Mortſauf, bie Lilie des Thals, Die reinſte aller Balzac'ſchen verheiratheten Frauen, verzehrt ſich vor Eiferſucht, und entſchädigt ſich für ihre dem Himmel unter hei⸗ ßen Kämpfen abgerungene Tugend durch die unan⸗ ſtändigſten Mittheilungen, bie ſie dem heimlich Ge⸗ liebten auf ihrem Todhette macht; Pauline in der peau: de. chagrin zieht eine .wilde Ehe Der. legitimen - vor. Die Maͤnner ſind nicht beſſer; der Vater Go⸗ riot, dies Modell: aller Glternliebe, bringt Die ſchreck⸗ lichſten Opfer, um ein Zimmer für ſeine verehelichte Zochter zu miethen, in welchem ſie ihre Zuſammen⸗ fünfte. mit dem egpiſtiſchen Liebhaber halten kann, und ſegnet Beide, ehe er ſich discret entfernt, um das verbrecheriſche Paar nicht zu ſtören. Aehn⸗ liche Dinge kommen in jeder einzelnen Situation vor, doch verſteht er. Alles ſo geſchickt anzulegen, zu verwickeln und durchzuführen, daß man ihm von vorn herein mit der größten Spannung folgt bis sum Schluſſe, bei dem man dann freilich jedes ſei⸗ ner Bücher mit einem höchſt bitteren. Nachgeſchmack aus

der Hand legt. Man bewundert ben großen Künf- Ver, benn das ift er, aber man muß den Menſchen verachten, ber felbf ein Werächter der ganzen Menſch⸗ beit iſt; c8 iſt die Hauptaufgabe aller feiner Werke, dem Laſter und dem Berbrechen Schritt für Schritt nachzugehen, nicht aber, um zu warnen oder au beſ⸗ fern, fondern um allen Glauben zu zeritözen, was er nicht Fönnte, wenn er baffelbe, ich meine das Stus dium ber Verderbtheit, nicht auch zur Aufgabe fei- nes Lebens gemacht hätte. Es ift ein trauriges Zeichen der Beit, daß die Wahrheit feinen Darſtel⸗ Iungen .zugeftanden werben muß, ein noch trauriges res, daß er ein fo großes Publicum und nicht bloß in Frankreich findet. Er gleicht einem gefchieten, aber abgeftumpften Anatom, der eine elegante bla firte Geſellſchaft zu ſich ladet, und ihr ein mit ber größten Geſchicklichkeit präparirtes Geſchwür an it» gend einem Zheile des menfchlichen Körpers, zu anf tegender Unterhaltung, präfentirt, indem er ihr zu⸗ gleich einleuchtend macht, daß die Wehrgahl der Erd» bewohner fo verborbene Säfte habe, und man bloß Deshalb ‚nicht. immer Hinter die Daraus entipringen den Folgen komme, weil bie Mehrzahl fie zu vers bergen wiſſe. Sein Styl if übrigens gesiert, manierirt und incorrect. In Hinſicht auf pſycholo⸗ giſche Characterentwickelung und Feinheit in der Combination der Handlung und der einzelnen Si⸗ tnationen. hat indeſſen der Roman ber Gegenwart. bedeutend. duch ihn gewonnen. Wer die Depravas tion gewiſſer Stände in Frankreich kennen lernen

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wii, braucht fih nur an ihn zu wenden; er iR ba, ww er wirklich Veſtehendes barzuftellen hat, uner» bittlih treu, fo 3. B. in dem Romane Un grand homme de province ä Paris befanntlich eine Fort» ſetzung der Erzählung Illusions perdues wo er die Werderbtheit der ‚Literatur und befonders der Jour⸗ naliſten in Frankreich auf das Genauefte fo fchildert, Daß man fi) mit empörtem Gefühl abwenden muß. Bei den Handlungen im Ganzen iſt es ihm Dagegen binfihtlih der Motive nicht immer auf Wahrſcheinlichkeit zu thun; ſo z. B. geht er ſtets ent» ſeglich verfchwenberifch mit dem Gelbe um, auf ei- nige Hunderttaufend Franken kommt es ihm nie an. Im Uebrigen weiß er jedoch Alles fehr geſchickt zu⸗ ſammen zu ftellen. Der Jugend find feine Romane vorzüglich deshalb gefährlich, weil eine faunifche Lü⸗ fternheit ſtets feine Feder führt, und er Doch Alles fo Tunftreich zu verfchleiern weiß, daß es Einem auf den erften Blick verhüllt erfcheint, während gerade Dusch Die feine Drapirung Alles um deſto anreizen- der und verführeriicher hervortritt. Man merft Die Kanthariden in jemen Tränken nicht, denn er ver» fteht e8, ihre Bitterfeit mit anderen feinen und fü- Ben Spezereien jo gu dämpfen und zu verfteden, Daß Alles ganz glatt. die Kehle hinunter geht, aber fie wirken deſts heftiger und verberblicher nach.’ . Balzac iſt durchaus als der Reihenführer der neueſten franzöfiſchen Romanſchreiber der Gegenwart zu betrachten, und faſt Alle gruppiren ſich um ihn herum, die ſoeiale Verderbtheit in ihren mannichfal⸗

faltigſten Grfcheimungen zu ihrem Stoffe wählend, und auf.diefe Weile die Löfung ber oben angebeute- ten Beit» und Lebensfragen ‚verfuchend, nur gehen die Meiften, um das blafirte größere Publicum, Das ftet8 nach neuen und heftigen Aufreizungen verlangt, zu befriedigen, weit geſchmackloſer, ſchmutziger und bintiger dabei zu Werke. Da fi in ihren Arbei⸗ ten bie SHauptrichtung biefer ganzen Gattung auss fpricht,, fo will ich die Markirteften unter ihnen hier kurz anführen, ehe ich zu einigen bedeutenden und wirklich hochitehenden Talenten übergehe. Den er- ften Anlaß gu biefer Litterature de bone et de sang gab unbedingt ber Hiftorifche Roman, fobald berfelbe fi$ in Frankreich einbürgerte. Indem man einen fhärferen Blick auf das Mittelalter und deſſen ber- vortretendfte Seiten warf, ſah man vor allen Din gen, was der britte Stand in jener Epoche durch Adel und Geiftlichkeit gelitten hatte... Die Beit der geiftigen Wiebervergeltung war jebt Da; nach ben heftigſten Kämpfen ftellte fich endlich ber Gedanke jenen materialiftifchen Kräften als Dritte und in vie len Stüden höhere Macht gegenüber, und zerftörte alle Borberrfchaft der Privilegien. Gatten nun auch die Dichter hier nicht birert mehr anzugreifen und fi das Stimmrecht für die Menſchheit anzus eignen, da auf geregeltem politifchen Wege bie Uns terdrücker gleich befähigte Gegner fanden, fo war Doch das Gefühl erlittenen Unrechtes und tiefen Haſ⸗ fe8 gegen die Beſchränkungen von Seiten des Adels v Elerus, deſſen ſich Viele noch. fehr lebhaft er-

w

inneren Eonnten, um fo feifcher in ber -Dienge wach erhalten worden, als es während ber Weftaurstion nicht an bentlihen Demonftrationen fehlte, Die gute alte Reit wieder herauf zu befchwören, und alle Op⸗ pofition verfolgt und unterbrüdt wurde. Die beiten poetifchen Documente. dafür Tiefern Berangers Lieber‘ und treffliche hiſtoriſche bie Geſchichte feines Pro⸗ ceſſes. Gerade Für dem hiſtoriſchen Roman boten- fh nun Die fchönften Mittel dar, in der Vergan⸗ genheit der Gegenwart einen Spiegel vorzubalten, und beide Parteien benutzten biefelben für ihre. Zwecke, d'Arliacourt und Madame de Eraon eben jo wohl, wie Jacob, Soulie und Andere. So wie die Julirevolution eingebrochen war, bemächtigten fh die Verfaſſer hiftorifcher Romane augenblicklich. folder Motive; man fuchte die Lafter und Verbre⸗ hen der Großen und Mächtigen anf Das Emſigſte hernor, und .ftellte Diefelben einmal aus Haß, dann: aber auch, weil man e8 mit einem abgeftumpften und nah Fünftlichen Reizmitteln haſchenden Publicum zu: thun hatte, anf das Uebertriebenſte dar, verderbter Phantafte Hier völlige Freiheit gemährend.. Nachah⸗ mer thun immer zu viel, weil fie nur Die Aeußer⸗ lichkeiten ihres Worbildes auffaflen; fo überbot- man ſich denn in Greneln und Scheußlichfeiten aller Ar⸗ ten, grauſame und Hinterliftige Fürſten und Edel leute, unglaublich liederliche Fürftinnen, Welt» und! Ordensgeiſtliche mit ungeheueren Schätten, . eben fo’ geoßem Stolz und nicht geringerer Wolluſt, gefol⸗ terte Leibeigene und geſchändete Weiber, ſcheußliche

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Bettler und bintgierige Moͤrder brängen ſich in bie fen Romanen mit allen Farben einer erbigten und verberbten Einbildungskraft bunt durch einander, und die Mafle hatte fo großes Wohlgefallen daran, daß fe bald ähnliche Darftelungen im Romane ber Ge⸗ genwart, ber doch viele Vergleichungsmotive darbot, mit großem Wohlbehngen begrüßte. Durch Die Höhe der äußeren focialen Bildung in Frankreich hat die Sinnlichfeit das Hecht bekommen, zur guten: Geſell⸗ [haft zu gehören, denn ber Franzoſe ift von Natur faunifch Tüftern und verbirgt das nicht, ſondern ver kleidet e8 nur in bie Anftanbötracht ber äußeren Er⸗ ſcheinung; fie fpielte daher bald die Hauptrolle im Romane der Gegenwart, und fo entftand denn für denfelben jene fchmugige und blutige Mafle, der ſelbſt Frauen hulbigten, und die allmäblig wieder, buch ihre eigene Uebertreibung, Unſittlichkeit und Ge⸗ ſchmackloſigkeit untergraben, zuſammengeſtürzt if. Neben Balzac war Jules Ianin *), ber ge feierte Feuilletoniſt des Journal des Debats, einer der Erften, welche den Roman: ber Gegenwart auf dieſe Weife behandelten. : Eigentlich ſollte fein Bud

%) Geboren 1804 zu St. Etienne... Berfafler von: L’äne mort et la femme guillotinge. Paris 1829. 2 vol. in 8. La Confession. Paris 1832. 2 vol. in 8. - Barnave. Paris 1832. 2 vol. in 8. Contes fan- tastiques. 1833. 4 vol. in8. Le Ehemin de Tra- verse. Paris 1836. 2 vol. in 8. ' Un coeur pour deux amours. Paris 1837 u. A. m.

085:

L’äne mort et la femme guillotinse nur eine Parabie ſeyn, buch welche ex darthun wollte, daß ſich alle jene Motive bes hiſtoriſchen Romans auch in ber. Gegenwart finden ließen, aber ber Gegenftand. wuchs ihm über den Kopf und feine eigene: Leidens: ſchaftlichkeit riß ihn fort. Indem er den Ruin eines jungen Mädchens, von befien Verführung an bis zu feinem Tode unter dem Wichtbeil der Guillo⸗ tine fchildert, nahm er Alles ans ber Gegenwart, um feiner Aufgabe zu genügen, und übertrieb Das Scheußliche in der Ausſchweifung, wie in den Quaa⸗ len, fo daß er alle Hifkorifchen Romandichter biefer- Scale hinter fi ließ, wie arg fie es auch immer mochten gemacht haben. Uber das wirklich Poeti⸗ fche in ihm betrog ihn felbft; er fühlte Mitleid mit feiner Creatur und ihrem Elend und Eonnte nicht umhin, einzelne Gapitel Dazwifchen zu werfen, wel⸗ che reich an wirklicher, frifcher Schönheit und In⸗ nigkeit find, oder manche Stelle, die er mit Spott begann, ernſt und gefühlvoll zu enden. Durch diefe Inconfequenz ift das Buch: voll wunberlicher Gontrafte, und, trotz dem, daß mancher Gegenfah. abfichtlih von ihm aufgeftellt wurde, eben um zu pa⸗ rodiren, ein unverfennbares Beichen feiner Neigung für das Bizarre, welche fich in feinen Tpäteren Ro⸗ manen noch bentlicher zeige. Er ift ber gewandteſte Stylift unter Allen, und weiß feine glänzenden Phra- fen fo lange zu drehen und zu wenden, ohne geiitige Ermattung, bis er den Schluß, den er urſprünglich ziehen wallte, von ‘Dem ex aber taufend Mal abe.

fhweift, endlich glucklich gefunden hat. Der Glan; unb bie jugendliche Lebhaftigkeit der Darftellung ‚find daher auch dos Borzüglichite bei ihm; auch gelinat ihm bie Erfindung veizender und neuer Situationen, unb er. weiß durch feinen Styl eine Art von poetis ſchem Schimmer über fie auszugießen, Dagegen aber fehlt es ihm an Nichtigkeit der Eharactergeichnung, an Ruhe, an dichteriſcher Dekonomie und an Wahr» heit und confequenter Durchführung ber Fabel. Auf Hebertreibungen kommt es ihm gar nit an; fo z. B. ift Die Hauptintrigue in feinem biftorifchen Roman Barnave ganz’ unglaublid. In La Confes- sion bringt ein Mann feine Frau in der Prautnacht um, weil er am Abend vorher durch ihre Tanzen ent⸗ felich eiferfüchtig geworben ift; er fucht nun einen Beichtvater; den Erften, ben er findet, will er aber nicht, und Die Addreſſe des. Bweiten iſt ein furdht- bares Geheimniß. Um Diefelbe zu erlangen, verführt er ein armes Mädchen ,. das fie befigt, .beichtet und wird Dann wahnfinnig. Das ganze Buch hat weber rechten Anfang, noch rechtes Ende, iſt von Allem etwas und doch eigentlich Nichts. Seine .beite Ar⸗ beit bJeibt Le chemin de Traverse; e8 ift das einzige Werk, in. welchem er, bis auf einige Kleinigkeiten, einen intereffanten Character, Chriſtophe nämlich, richtig gezeichnet ‚und ber ſocialen Corruption in Frankreich einen Plaren Spiegel vorgehalten Bat, doch muß man hier auch tadeln, daß der Rahmen, welchen er Demfelben gegeben, mitunter zu gefucht und manierirt und. Daher. häufig geſchmacklos aufge

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pußt ſei. Seinem Romane -Un coeur pour deux amours liegt zwar eine feltfame, aber Doch poetifche Idee zu Grunde; er fingirt nämlich, Daß zwei, gleich den fiamtefifehen Bwillingen zufammengewachfene, Schwes ftern fich in zwei verfchiedene Männer verlieben, Pie eine glücklich, die andere unglücklich. Die letztere grämt fich Darüber gu Tode, was denn, nad) der ei» genen Befchaffenheit ihres Wefens, der glücklich Lies benden zu gleicher Beit auch das Leben koſtet.

Eine Tange Reihe von Sittengemälden, Anfangs im Gefchmade der Vorigen, fpäter gemäßigter und frifcher,, Tieferte Michel Raymond eine Jiterärifche Firma, hinter weldyer, wie bei einem Handelshauſe, fich mehrere anonyme Compagnons verbargen, näm⸗ lich Michel Maffon (fein wahrer Name ift Gaudi hot), Raymond Bruder, Leon Gozlan und Augufte Zuchet. Die beiden Letzteren haben jedoch Jeder nur an einem Romane mitgearbeitet *). Maſſon und Bruder dagegen fehr Wieles gemeinfchaftlih, Man⸗ ches jedoch auch allein unter jenem Namen heraus gegeben. Maſſon bat mehr Sinn für die Wahrheit und das Beflere im Leben, auch mehr Geſchmack, alb fein Mitarbeiter, der ihn dagegen an Gluth, Keidi- thum und Lebendigkeit der Phantaſie übertrifft. Sie zogen e8 vor, aus dem gewöhnlichen franzdftfchen Sa⸗ lonleben zu Dem Zreiben der unteren Stände hinab zu 9) Gozlan mit Brucker an Les Intimes. Paris 1831. 2 vol. in 8. Luchet mit Maſſon au Thaddeus le Ressuseite. Paris 1833. 2 vol. in 8.

Reigen, und dieſes mit Worliebe zu fchilbern. Durch eine, dem von ihnen gewählten Stoffe angemeffene Einfachheit ber Darftelung zeichneten fie- fich höchſt . vortheilhaft vor der Menge aus, nur Fonnten fie es nicht vermeiden, hin und wieder in das Zriviale zu 'gerathen, und ‚griffen, um bie nothwendige poetifche Steigerung hervor zu bringen, wieder zur gefell- ſchaftlichen Verderbtheit und zu außerorbentlichen und greäßlichen Motiven und Kataftrophen. Ihre erfte Arbeit, Le Macon*), bleibt immer noch ihre befte, wenigftens unter ihren gemeinfchaftlichen Leis ſtungen; Doc endet fie auch mit Verbrechen, Hin richtung und Selbſtmord. In dem ber Beit nad) nächften Romane, welchen Bruder mit Leon Gozlan ſchrieb, iſt Dagegen die geheime Scheußlichfeit der Darifer Geſellſchaft, wie ſie nur in ihren innerften Gemaͤchern hervortritt, mit grellen Farben darge ſtellt. Trotz dem angeblichen moralifchen Zwecke, die Heiligkeit und Unverleglichkeit bes häuslichen Heer- bes zu fchirmen, iſt e8 doch ein abfcheuliches Buch vol lasciver und fppiger Bilder, ſpitzfindiger Dia- lectik und herzloſer Gefinnung, obwohl mit großer Kun und vielem Feuer gefchrieben. Noch fchlim mer aber ift bie von Bruder allein verfaßte Erzäh- lung: Le Puritain de Seine et Marne**), in welchem er bie Gefchichte eines jungen Landmädchens und

*) Paris 1828. 2 vol. in 8, Deutſch von 2, Krufe. Leipzig 1831. **) Paris 1832. I vol. in 8,

veffen unbegreifliche, widernatürliche Schlechtigkeit mittheilt. Zuletzt findet ihr armer Vater die Dirne im Bordell wieber, fchleppt fie mit ſich fort und erfchießt fie heimlich. In neuerer Beit ift er jedoch von diefer Weiſe zurückgekommen und hat fich bes müht, Mafion in der piychologifchen Shararterente wicelung nachzuahmen, während biefer, feiner Weife treu, große Fortſchritte machte, und namentlich in feinen Souvenirs d’un enfant du peuple*) eine Reihe von fchönen und meifterhaften, genau mit einander sufammenhängenden Genrebildern Tieferte. Maſſon kennt das Volk ‚genau und hat-ein treues Herz für. Dafielbe. Sowohl in dieſer Hinſicht, wie durch Die Schon oben gepriefene Ruhe und Einfachheit der Dar⸗ ftellung, bat er den Roman der Gegenwart in Frank⸗ reich unbedingt gefördert, und es läßt fich, da er un⸗ müdlich vorwärts fchreitet, noch jeher Tüchtiges von ihm hoffen. Man trifft Häufig in feinen Werfen auf eine Innigkeit, Wärme, Bartheit und Grazie des Gefühle, wie fie bei den Franzoſen höchft felten ift.

*) Paris 1838. 6 Bde. in 8. Bon Maſſon ift ‚außerdem noch: Un coeur de jeune fille. Paris 1834. La lampe de fer. Paris 1835. 2 Bde. in 8. Vierge et Martyre. Paris 1836. 3 vol. in 8. Une Couronne d’epines (Leben des Dichterd Savage). Paris 1836. 2 vols in 8. u. A. m.; von Bruder: Les sept peches capitaux. Paris 1833. 2 vols in 8. Un secret. Paris 1835. 2 vol. in 8, Mensonge. Paris 1837. 2 vol. in 8 u. A. m. Ä

ss.»

Ach falle Die minder bebeutenberen Romandichter dee Gegenwart rafcher zufammen, um für einige ausgezeichnetere Zalente mehr Raum zu gewinnen. Leon Sozlan*) fuchte vorzüglich duch die Schilde⸗ zung einzelner Stände ein treues Bild bes gegen- wärtigen Buftandes der Gefellfhaft und ihrer Me tamorphofen feit. der Revolution zu geben, aber es fehlt ihm an Kraft. und Phantafie; Beſſeres Tieferte Souveſtre **), ber vorzäglih die Bretagne zum Schauplatze macht, und mit naiver Redlichkeit die Welt Ddarftelt, wie fie ift, was freilih in Frank reich fait immer fchlecht ausfällt, ohne weder zu übertreiben, noch zu verdeden; er hat Wärme des Herzens aber Feine Gluth der Darſtellung. Mit großer Feinheit und in einem höchk eleganten Styl zeichnet der Marquis de Euftine***) in feinen Ro⸗ genen nicht Die Laſter und Verbrechen, wohl aber Die taufendfach variirte Gemeinheit und Schlechtig« keit, Töchter des Egoismus in den höheren Kreifen;

*) Le notaire de Chantilly. Paris 1836. 2 vol. in 8. Les Meandres (fleinere Erzählungen). 2 vol. in 8 La Maison de santé. Paris 1830. 3 vol. in 8 u. A.m.

. **) ‚Lischelles des ſemmes. Parie 1838. Les derniers Breton. Paris 1836. 2 vols in 8. Ia ‚Maison souge. Paris 1837. 2 vols.in 8. u. A. m.

*++) Aloys. Paris 1828. Le monde comme il est. Paris 1835. 2 vol. in 8 .Ethel. Paris. 1830. 2 vols in 8.

6.

Alfred de Muſſet *) malte Dagegen mit markigem Pinſel in feiner Confession d’un enfant du siöcle, das Aunglück der jetzigen franzöflfchen Augend, zu früh gelebt zu haben und des Glaubens an alles Hör here und Beſſere in der menſchlichen, vorzüglich in dee weiblichen Natur verluftig geworben zu feyn; Fr. Souhe **), nad) Balzac jetzt der gelefenfte Ro⸗ manfchriftftieher und ein Schüler des eben Genann⸗ ten, wenn auch im weiteſten Sinne, häufte in feinen hiſtoriſchen Romanen Greuel auf Greuel und weiß, obwohl altmählig weit gemilderter, in feinen Ges mölden ber. Gegenwart, Schänblichkeiten und Verbre⸗ chen aufaufinden, wo Fein Menſch fie vermuthet. Uebri⸗ gen® if er. erfindungsreich, verficht bie Antriguen in feinen Grzählungen trefflich anzulegen und durch⸗ zuführen, zeichnet bie Charaetere, wenn auch wicht ſtets ganz richtig, doch mit fefter Hand, und weiß Durch raſche, Tebendige Darftellung den Leſer zu ſpan⸗ nen umd zu unterhalten. Ihm nad füreben Charles de Bernard ***) und Durliac **+*),, beide von Ta⸗ *%) La eonfession d’un enfant du stecle. Paris 1936. 2 vot. in 8. Dewx maitresses. Paris 1840 ı.%.m. *®). Le magnetiseur; Paris 1835. 3 vols in 8, Be conseiller d’etat. Paris 1835. 2 vols in 8. Riche et panvre. Paris 1936, 2 vols in 8. La Maison rouge. Paris 1837. 2 vols in 8. Memoires du Diable. Paris 1838 fgbe. 6 Bde. in 8. u. A. m. #28). Gerfaut. Paris 1838. 2 vols m 8 Le noeud gordien. Paris 1839. 2 vols in 8, u. A. m. *##*) Suzunne. Parie 1840. 2 vobs ie 8. 4

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lent und Geift und in mander Beziehung Tenfcher und feiner.

Allerdings fanden fid) auch für den Roman und in demfelben, Gegner biefer Weife, aber fie waren bisher entweder mit zu geringem Talent begabt, oder faßten die Sache verkehrt an und geriethen auf ben Bwitter, didactiſcher Roman genannt, indem fie ent- weder durch firenges Hinweifen auf den Katholicis⸗ mus, oder Durch neue Syfteme der Moral, die nur auf wunderlichem Eklekticismus beruhten, zu helfen und zu beſſern fuchten. Bu den Erfteren gehört J. Delerluzge, zu den Letzteren Drouinean, ber einen vortrefflihen Styl fohreibt, und H. Fortoul. Das Befte in diefer Gattung hat Arhanore in feiner Be lina *) geleiftet, einem in Briefen gefchriebenen Ro» man voll Einfachheit, Würde und Wärme.

Bon der Eomifchen Seite faßte Paul de Kor **),

*) Paris 1836. 2 vol. in 8.

*25) Geboren 1799 zu Paſſy. Berfaffer von: Mon voisin Raymond. Paris 1822. 4 vol. in 12. Andre le Savoyard. Paris 1825. 5 vol. in 12. Soeur Anne. Paris 1825. 4 vols in 12, Le Bar- bier de Paris. Paris 1827. 4 vols .in 12. La Laitiere de Montfermeil, Paris 1827. 5 vols in 12. Georgette. Paris 1828. 4 vols in 12. La Maison blanche. Paris 1828. 5 vols in 12. L’enfant de ma femme. Paris 1828. 2 vols in 12. Fröre.Jac- ques. Paris 1829, 4 vols in 12. .Monsiew De- pont. Paris 1820. 4 vols in 12. . La. Femme, le’

ber. talentvollſte Rachahmer Pigault Lebrun’s, Die foeiale Eorruption, namentlich in den mittleren Stän- den auf und. ftellte fie mit vielem Talente, ‚großer Lebendigkeit und naiver cynifcher Bonhommie dar. Er hat das größte Publicum in Frankreich, obwohl die eigentlichen Literaten vornehm auf ihn hinabſe⸗ ben, nnd ift Die Freude aller Ladendiener und Gri⸗ fetten, ein franzöſiſcher Clauren, Doch frifcher und neckiſcher und nicht fo ſüßlich ſentimental wie Liefer. Seine Romane find freilich leichte und wahlfeile Waare, Seifenblafen, oft unfchielih und ungezo⸗ gen, nie aber die Verderbtheit übertreibenn und‘, was freilich feltfom klingt, im Ganzen mit mo⸗ raliſcher Tendenz. Das dußere Treiben von Paris, das Grifetten- und Studentenleben wird amufant darin geſchildert, auch. beſitzt Paul de Ko ein fels teries Talent, äußere :Löcherlicgfeiten aufzufaſſen und feinen Figuren dadurch Leben und Wahrheit zu ver⸗ leihen. .. Ziefere Charakterzeichuung muß man bei- ihm ni ſuchen, doch iz er mitunter ſehr glädlich

Mari et P’Amast. Paris 1829, 4 vols in 12. Le Cocu. Paris 1831..4 vola in 12, —, ‚Madeleine. Pa- ris 1832. 4’ vols in 12. Ni jamais,ni toujours. Paris -18356. 2 vols in & Zizine. Paris 1836; 2 vols in 8. -Un Tourlourou. Parks 1837. 2 vols is 8. Moustache.. Paris 1838. 2 veds in 3. L’honmme aux. trois culottes. Paris 1840, 2 vols in 8, u. A. m. Viele dieſer Romane find in das Denke

{he Aberſetzt worden. - 4%

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in ber Darſtellung junger liehenber WMäbdhen; wie 3. 3. bie Heldin des Buchs im ber Laitiöre de Mont- Sermeil. Wie man gern einmal Isftige Geſellen im Volke mit einander fchwaten hört, fo wirh man auch feine Romane, wenn max eine mällige Stunde mit ihnen ausfült, um der kecken und friſchen Laune wegen, bie darin waltet, nicht unwillig aus der Hand legen. Er hat viele Nachahmer, die jeboch Alle weit tiefer ſtehen; ſelbſt Die Weiten unter ihnen, Na⸗ ban *) und Ricard **) ſtiud nur Schrifeſteller drit⸗ ten Ranges.

%) Verfaffer von: Les deux Eugönen em dix- sept pres pour un enfant. Paris 1849. 3 vols. in 12. L’epoux parisien. Paris 1820 3 vol. in 12, Mor sieur Corbin. Paris 1821, 2 vols in 12. Les Ja meaux de Paris. Paris 1827. 3 vels in 92. La Patrouille grise. Paris 1830. 4 vols in 12, La Vie &une jolie femme, Paris 183 4 vols in 12. Victoires, eonquetes et revers d’une femme de qua lite. Paris 1833. 4 vols in 12. La Vie dm &arcon. Paris 1836. 3 vols in 42. Les Cuisiniers Paris 1837. 3 vohs in 12. m A. m.

+) La Grisette. Paris 1827. 4 vols in 42. Le @haufleur. Paris 1829, 4 vole in 12%. Le Portier. Paris 3829. 3 vels.in 12%, Le Murehand de Coeo. Paris 1829, 5. vols in 12, Mayeuz Paris 183h. 4 vols in- 12, . Mes gramds pasents. Paris 3836. 4 vols: in 12; m (umme -disent los bonnes gens. Paris 1836. 4 vols. in 13. u. M. we.

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Der Roman wird in Frankreich fo autgebeutet, daß faſt jeder Schriftſteller feine Kräfte baran vers ſucht, einen Verleger und in dent Cabinets de lecture nuch Leſet findet. Bon einer vollkäudigen Aufzäh⸗ dung kann bier nicht bie Rebe ſeyn und mit einem nackten Namenregiſter if Niemanden gedient. Ich übergehe Daher ale Uebrigen mit Stillſchweigen, mich zu ben Wenigen wenbend, welche um verfchies dener Gründe willen beſonders verdienen, horvorge⸗ Boden zu werben.

Unter den Romanbichterinnen zeichnet ſich Ma⸗ dame Charles Reybaud *), welche früher unter dem Pfendonym dAvnanud iſchrieb, hochſt vortheilhaft ˖ aus. Eine reiche und glückliche Phantaſie, feine Menſchen⸗ kenntniß, Grazie, Bartheit, echtes Gefühl und Wahr» beit, bei einfacher nad gewandter Davfellung find Ei» genfchnften, welche ihe einen hohen Rang in dieſer Gattung ber Literatur erwerben. Ihre Yabeln find gut erdacht und burchgeführt, die Situationen voll Reben und inneren Bufammenhang, bie Charartere mit feiter Hand gezeichnet, und obwohl fie ſtarke Srfchätterungen eben fe wenig verfhmäht, wie fie

Faſt alle dieſt Romane follen außer ihn noch Aycard, Raymond, Brucksre und F. Flocon zu Berfaſſern Haben.

*) Aventures d'un renegut espagnol Paris. 1836. 5 veols in 8. Le Chateau de St. Germain. Paris 1836. 2 vols in 8. Deux à deux. Paris 1837. 2 vols in 8. - Espagnoles et Frangaises: Paris 1837. 2 vels in & u. A. m.

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durch janfte Empfindimgen zu rühren weiß, fo halt fie Doch bie Hebertreibung und die Immoralität fern son ſich. Dagegen find ihre Schilderungen nicht im⸗ mer wahrfcheinlid und ihre raſtloſe Phantafte trägt fe mitunter zu weit, ohne jedoch ben Leſer zu vers letzen. Bon den Emancipationsibeen, welche fo viele feanzöfifche Damen in ihren Romanen zu entwirkeln und zu unterftäßen fuchen, findet man bei ihr Nichts, wohl aber eine richtige Auffaffung des wirklichen Lebens und eine gefunde und echte Verehrung des Guten und Schoͤnen.

Große Aehnlichkeit mit ihr in mehr als einer Hinſicht, aber als Mann naturlich höher ſtehend, weil er ſich freier bewegt, hat Charles Nadier *), der elegantefte und gebiegenfte Styliſt unter ben feanzöfifchen Romandichtern und eins der reichften und ‚vielfeitigften Zalente. Obgleich einer ber Er⸗ fen, welche der neuen Schule ſich zuwandten und in manchen Stüden fogar einer ihrer Gründer, ift Nas Dier doch ſtets dem feinen Geſchmacke und ber did terifchen Keuſchheit treu geblieben, Die er aus feiner Jugend fi unantaftbar bewahrte. Nicht eben reich an Phantaſie ift er dann am Glücklichſten, wenn er eigene Grlebniffe idealifirt im Romane darſtellt. Die Piychologifche Entwickelung ift ihm die Hauptſache und er verſteht fich meiſterhaft Darauf; Dabei befigt er ein Talent der Schilderung, wie es nur Wenige

*) Gebsren 1783 zu Beſangon. Oberbibliothekar des Arfenals und Mitglied der. franzöfifchen Akademie.

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Baben; von biefee Seite betrachtet find alle feine Schriften wahre Kunftwerke. Vielleicht der ein- sige wahre Humoriſt unter den jetigen franzöftichen Autoren, verleiht er feinen Arbeiten eine folche Lie⸗ benswürdigfeit und Anmuth durch feine Perſönlich⸗ Feit, Daß man ſich mit ihnen, wie mit den Briefen eines Freundes, ſtets gern befchäftigt. Eine echte, durch feine, an Bitterkeit wie an Freuden reiche Er⸗ fahrung, ausgebildete Moral, ein gefunder, Doch nicht immer gleich klarer Blick für die. Verhältniffe, und wahre Menfchenkiebe drüden feinen Werfen den Stempel auf, trotz der ffeptifchen Unzufriedenheit, mit welcher er, vielfach im Leben getäufcht, Die Wirklichkeit zu betrachten fcheint. Seine fümmt« lichen Romane und Erzählungen find durchgängig ala eine treffliche, Geift und Gemüth befchäftigende Lec⸗ - türe zu empfehlen, namentlich. Die Souvenirs de Jeu- messe; 'Theröse Aubert, Ad2le, Heläne Gillet, Trilby, Ines de la Sierra und Mademoiselle de Marsan *).

: Wir haben bisher nur mit mehr ober minder glänzenden Talenten zu thun gehabt, wahre und groß⸗ artige Senialität aber bei den Dichtern bon Rome nen der Gegenwart in Frankreich noch nicht gefun« Den. Diefe beftgt auch nur allein Die ausgezeichnete Frau, welche unter dem. Namen George Sand, als Dann maskirt, fehreibt, und Durch ihre Leiſtungen, wenn auch Feine ganz neue Bahn gebrochen, doch biefelbe. bedeutend erweitert hat. Ihr wahrer Wante

*) Sämmtlich Paris 1802 bis 1839.

iR Madame Dudevant *). Sie trat quer gemein- fehaftlich mit Aules Sanbeau, welcher fpäter einige gute, jedoch den ihrigen untergeorbnete Romane ges fehrieben hat, in ber Titerärifchen Welt auf und zog gleich nachher durch ihre Indiana die allgemeine Auf⸗ merkſamkeit des leſenden Publirums auf ih. Um ihre Zeitungen valllommen würdigen zu können, ift es nothwendig, auf ihre Lebensſchickſale hinzubeuten. Von fehr guter Familie und mit Reichthum begabt, ward fe früh an einen Maun verheirathet, ber ganz anderen Intereſſen bingegeben, ihren eigentli⸗ Ken Werth und ihre Hohen geiſtigen Fähigkeiten gar nicht erkannte. Nachdem ſie ihm zwei Kinder geboren, vermochte fie nicht Länger bei ihm auszu⸗ halten und ging nach Paris, wo fie Die Feder er⸗ griffen haben fol, um ihre Leben zu ftiſten. So wie Indiana erfchien, war Ihe Ruf gemacht, und fie Rand von da an auf gleicher Höhe wit den erſten

*2) Geboren als Aurvra Dupin 1804. Ihre vor zuüglichſten Romane find: Indiana. Paris 1832. 2 vols in 8. Valentine. Paris 1832. 2 vos n& Leiia. Paris 1833. 2 vols in 8 Jacques. Paris 1834. 2 vols in 8. Andre. Paris 1885. 1.rvel. in 8. Leone Leont. Paris 1835. 8. Simon. Puris 1836. 8. Mauprat. Paris 1837. 2 vole in 8, Les Mattres mosaistes. Paris 1838 in 8 Le demier Aldiol. Paris 1838 in 8. Lilisceque. Pa- ris 1839 in 8. Le Compagnon du tour de France. Paris 1840. 2 vols m 8, u. Ai m.

lebenden Schriftſtellern ihres Landes. Später bat fie ihren Proceß gegen ihren Mann gewonnen, ift dadurch zu dem Beſitz eines bedeutenden Vermögens gelangt und lebt ſeitdem, vollkommen unabhängig, theils in Paris, thesis auf ibrem Landgute, oder auf Reifen.

Der Schlüſſel zu allen Schriften George Sand'4 liegt in folgendem Bekenntniß, welches ſie in ihren Lettres d'un Voyageur *) ausipricht; Pourquoi des chalnes indissolubles & moi! O mon Dieu, quellas eässent. et6.douces, si un coeur semblable au mien les eöt acceptses. Oh nen! je n’dtais pas faite pour #tre poẽte; j'dtais faite pour aimer....’ Mei, je vou- lais vivre de la vie humaline; jayais un coeur, on me Ya amache violemment de la pritrme, on ne ma laissd. qu’une tôto, une tete pleine de bruit et de douleur, d’affreux sonvenits, dimages de denil, de scenes d’ouirages...: Et parce quien dcrivant des centes pour gagner le pain qu'on me refusait, je me suis souvenne d’aveir eis Malhrureuse, pareo que j'aä au& dire, qu'il y avait des &ires misdrableg dans le 'mariage, & cause de la faiblesse qu’en ordonne à la femme, à cause de la bmtalite qu’on permet an mari, & cause. des turpitudes que la soecidte wurre d’un vode, on m’a .deelarde immorale, on m’a traitge comme si j«4ais l’ennemie du genre humain. Mit dieſen Worten bat. fie ich vollkommen charakteriſirt. lei dem Dante, der in ber Verbannung fein gro-

*) Pıyis 1837. 2 vols in 8.

Bes Gedicht ſchrieb, in welchem er Hoͤlle und Him⸗ mel in Bewegung ſetzte, um ſeine Mitbürger für das ihm zugefügte Unrecht zu geißeln, fo wendet fie, ihre Leben als ein verfpieltes betrachten, alle ihr zu Gebote ftehenden Mittel an, um fi für allen Jam⸗ mer, den die focialen Verhaͤltniſſe über fie gebracht, an der Gefellichaft durch genaue Schilderung der Verderbtheit und der traurigen Folgen veralterter, aber immer ftreng erhaltener Inftitutionen zu rächen. Die Ehe liegt ihr ala Frau am Nächſten; die Ehe iſt e8 ferner, welche ihr innerſtes Weſen zeritörte, daher bleibt diefelbe der ſtete Mittelpunkt ihrer Be ſtrebungen, um: fo geeigneter, «als fie dem Romane der Gegenwart, bei der großen Mannigfaltigkeit ih» zer Erſcheinungen, den reichſten Stoff darbietet. Wir dürfen nicht vergeſſen, daß ſich, während des ungeheuern Kreifens der Beit mit neuen Ideen, gleich nad) den Qulitagen viele, befonders weibliche Stim⸗ men in Frankreich gegen bie Ehe erhoben, welche al lerdings nad) den beſtehenden Verhältniſſen, wenn fie unglüdlich ik, Der Hölle gleichen muß, da aus ihre Feine Erlöfung zu hoffen if. Die Angriffe auf diefelbe nahmen immer mehr zu und fanden enblid ihren Eulminationspunft in den Theoremen der Saint» Simoniften, vom freien Weibe, welche fehr bald wieder im fich felbit zerfielen, damals aber mit ‚geoßer Lebendigkeit aufgefaßt und ausgebildet wur⸗ den. Man bebachte freilich nit, daß man mit ber Ehe das Familienleben, Die nothwendige fittliche Baſis des Staates zerfkörte, daß man dem Weibe,

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indem man ihm. Die Freiheit des Mannes als Recht zufprach, die Schaam ranbte, auf der fein Reiz und. feine Tugend ruhten. Einmal auf diefem Wege ging man noch weiter und lehrte den Umſturz aller Sittlichkeit, das Vergeſſen jeder Pflicht; ja man pries die Ausſchweifung und ſchlug als Mittel gegen die Proſtitution einzelner unglüdlicher Frauen eine allgemeine Proftitution vor, welche aud) Die Keus fheften mit ihren unzeinen Freuden beraufchen ſollte. &3 erhoben ſich zwar bald heftige Stimmen Dagegen und ber Erfolg ‚zeigte Das Unfinnige folcher Lehren, aber eine ſtarke Nachwirkung blieb. doch. Die Geg⸗ ner der Ehe Hatten mit genaneftem Fleiße Die ſcheuß⸗ lichſten Geſchwüre, welche fich bei dem Zuſtande fo» einlee Yuflöfung in. Frankreich an derfelben zeigten and. fie entftellten.und fchändeten, entfchieden nach» gewieſen; fie hatten Die in der Blüthe ihrer Jahre an entnervte Greife verfauften Jungfrauen, die vie len Ghebrüche, Folgen Diefer Tegalen. Proftitutionen, die Hunderte von untergefhobenen Kindern, Die tau⸗ fend und aber taufend bis zum gemeinften Zug und Zeug herabgeſunkenen rauen gezählt, der Menge vorgeführt und Alles mit unumftößlihen Beweifen befräftigt. Diefe unmwiberlegbaren Wahrheiten fans den überall. ein Echo, befonders aber in den Her⸗ zen vieler, von. heimlichen Quaalen und Kränkungen fait aufgeriebenen Frauen. Unter dieſen gab es Eine, welche die Natur mit den feltenften Gaben ausgeftattet hatte. Sie ergeiff die Feder und fihrieb unter männlichen Namen den Roman Indiana, unb

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elite hier mit den lebhafteſten und reichiten Farben ben Drud der Ehe und ben gräßlichen Egoismus der jetigen jungen Männer in ber ſogenannten gu« ten Geſellſchaft Frankreichs dar. Es find nur vier Sauptcharaktere in diefem Buche, aber dieſe Fännen als Typen gelten. Delmare, ber ältere tyranniiche Gatte, Indiana, das leidenbe, tief fählende, liebebe⸗ bürftige Weib, Raymond, ber feige, egoiſtiſche Rous und Ralph, der reine, bis in den Bob ergebene, aber fchweigend liebende Mann, voll Breue gegen alles Recht und alle Ehre. Dieſer Letztere iſt eb gentlich nur ein idealer Gegenjag, eben ſo wie Noun one ein Ergänzungächerafter zu Indiana ſeyn ung. Zwiſchen iänen ſpielt ſich das betrübendſte Familien» drama ab, das nur zuletzt durch eine peripetie de mal en bien einen verfühnenderen, wenn auch feinen wirklich verföhnenden Schluß enthält. Auf biefen Roman folgte binnen ſehr kurzer Beit George Sand's zweites Werk diefer Gattung, Valentine; es find wie. der Diefelben Charaktere, nur mit auderen Aeußer⸗ lichkeiten dargeſtellt, und daher auch in anderen, wicht minder gut erfundenen Situationen ſich bewe⸗ gend, die Grundidee if Dagegen unverändert geblie- ben. In ihrem britten Roman Jaeques Denn Lelia, welche der Beit nach früher erfchien, ſteht für ch allein da und muß fo betrachtet werben nahm fie Die Idee von der entgegengefehten Seite auf; hier iſt der Mann ber leidende Theil; Die jüngere heißgeliebte Frau wird ihm untreu und er enbet nad ſchweren Kämpfen abfichtlich fein irdiſches Daſeyn,

um ihr bie Freiheit wiederzugeben. In ſaͤmmtlichen drei Romanen triumphirt der Ehebruch und wird gleichjam ala unvermeiblich geſchildert. So fünbigen ſelbſt Die Beten in Frankreich; fie begreifen nicht, Daß das Unglück der Ehe nicht in ben veralteten und gemißbrauchten Yormen und Geſetzen, fondern in ber akgemeinen Entſittlichung liegt, ober werm fie es begreifen, fo fehen fe Die allgemeine Entſitt⸗ lichung als eine unvermeiblihe Nothwendigkeit an, der fih Keiner zu entziehen vermag; Die Lehre: Werdet beffer und Alles wird beffer feyn, prebigt man überhaupt dort. ben höheren Kreifen, wenigiien® in Paris, gewiß umjonit.

Rad der Balentine ging Georges Sand nın noch einen Schritt weiter und fchwich Lelia. Dieſes heftig angegriffene Buch iſt eigentlih Fein Women, fonbern eine Art von Epos in Proſa. Hier mani« feftirt ſich das fubjective Igrifche Talent, das fi in allen Romanen ber Dudevant überhaupt vorherrſchend zeigt, am Deuslichften. Lelia iſt ein teoftlofes Werk; hier hat füch die auflöſendſte Skepſis das Gewand bes hoͤchſten und oft begeiſtertſten poetifchen Aus⸗ druckes ‚geborgt. Es wirds wie ein Opiumrauſch, zuerft mit den herrlichſten ſtunlichen Straumerfchei- nungen: täufchend, Dann wit ben gräßlichiten geifti« gen Marxrtern quälend. Die Ehavaltere find eben⸗ falls. wieder nesfonilleiete Ideen: Lelia, der hochbe⸗ gabte, abes an Allem irz gewordene und zweifelnde Geiſt, Pulcheria der gemeine Senſualismus, Tren⸗ mor, die durch das Laſter und deſſen Strafen gereifte

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Erfahrung, die Nichts mehr rühren und beivegen Tann, Stenio, die reine, fchwärmende, für «alles Große und Edle begeifterte, aber bald verführte. uud zerſtörte Tugend, Magnus endlich, ber. aus Liebe wahnfinnig werbende Prieſter; das find die Haupt» beſtandtheile dieſes Werkes. Lelia ift Der poetifche Angſtſchrei des betrogenen Weibes, das ſich rächt, und doch trotz ſeiner Rache ſtets an ſeine Ohnmacht erinnert wird. Neben großer Kühnheit große Schwär de, neben der flammenben Begeifterung des Borns Faltes metaphufifches Waifonnement, neben inniger Kiebe für die Menſchheit tiefer Haß; aus folchen fohreienden Gegenſätzen befteht das Wert, überall fehlt aber der verfühnende Dreiklang, der allein im Stande ift, dieſe fehrillen Disharmonieen aufzulöfen, nämlich die auf dem Glauben an das Höhere und ber reinen Liebe für die Menfchheit beruhende Sitt- lichkeit.

Trotz der vorherrfchenden Stimmung in Frank⸗ seich fand Lelia, in der die Verfaſſerin bin und wie .. ber felbft den äußeren Anſtand verlegt hatte, hefti⸗ gen Zabel, und G. Sand wandte fich nun wieder den Darftellungen des wirklichen Lebens zu, immer jedoch, wenn. auch. nicht fo Direct, das. Fehlerhafte unferer ſocialen Inftitutionen und Die Daraus ent⸗ Ipringende Verderbtheit im Ange behaltend. So z. B. wird in Andre das Misverhältniß der Stände und Der väterlihen Gewalt,. in Leoni Die Bauber- macht Der Liebe ‚im einem jumgfräulichen Herzen, in Simon des Gegenſatz des vernehmen Schuftes und

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bes warkeren Profetariers, in Mauprat bie letzte und tollite Ausartung des alten Yeudalweiens u. |. w. entwieelt und. Dargeftellt. Alle biefe Motive find eigentlich Feinesweges neu und originell, aber Die Art und Weife, wie Madame Dudevant fie behan- belt, ift es. Ihre Eharactere find eben fo conſe⸗ quent, wie intereſſant gezeichnet, ihre. Situntionen sprtrefflih erfunden und glänzend gefchildert; ein⸗ zelne poetifhe Momente von größter Bedeutung fin« ben fi auf jeder Seite, vor Allem aber ift ihr Styl zu bewundern, der dem Beften gleich kommt, was die Franzoſen in. dieſer Hinfiht aufzumeifen heben, und alle Etgenfchaften, welche zufammen die Schön« heit ‚bilden, in fich vereinigt. Er ift erhaben, ein« fach und rein, zwifchen dem Gedanken und dem Aus⸗ drucke herrſcht ſtets Die. vollfommenfte Harmonie; wie in einen Plaren Spiegel reflectirt ſich die Idee und zeigt. fih in der ganzen Fülle ihres Glanzes und ihrer Kraft; ftets iſt Die Daritellung dem In⸗ Halte durchaus angemeffen, und ©. Sand beberrfcht zu jeber Zeit das große Gehermniß, immer Das rich« tigfte, geebgwetfte und berebtefte Wort zu wählen, Dabei Hat le ein reines, offenes Auge für die Nas tur und ihre Schilderungen von jchönen Erſcheinun⸗ gen in dberfelben, gehören gu den beiten, welche bie Literatur überhaupt aufzumweifen hat.

Auf die. Ausbildung des franzöſiſchen Romang ber Gegenwart. hat. Georges Sand im Ganzen Dach fehr günftig Dadurch gewirkt, daß fie, trotz ihrer be= Plagenswerthen Tendenz, in ihren Werken Matter

für die eblere, einfachere und in pſycholsgiſcher Hin⸗ fücht tiefere und würdigere Behandlung deſſelben aufs geftellt. Alle ihre Leiſtungen tragen den Stempel ber Poeſie. Ste gleicht einem von Gottes Ange⸗ ficht verbannten Engel, der Kber irdiſche Diuge usch einen ſchwachen Abglanz himmlifeher Herrlichkeit yerbreitet. Was hätte Diefe großartige, unglückliche Frau werben können, wäre Deutichland ober Gug⸗ land die Heimath ihrer Jugend geweien! Die von Georges Sand eingefihlagene Bahn betrat, ohne es direct zu weilen, Sainte Benve in feinem Romane Volupte*), Er ſchildert im demſel⸗ ben, wie bie Wolluſt iu Menſchen bie reine Liebe, ja alle Fähigkeit für dieſelbe zerſtöre. Des Du ik mit großem Balent, großer Kunſt und großer Beinheit gefchrieben, aber dad) miüzathen. Nachdem Amaury, ber Held, zwei Frauen ruinirt has duch feine Schwaͤche und Halbheit, ſcheitert ee an ber Goquetterie der beikten umb wied beöwegen ein ka⸗ tholifcher Prieſter. Auf dieſe Weiſe zum Glanben hinführen, als einzigen Hafen, heißt ber peeiibeiten Schwäche, Seucelei und Züge Zhuͤr und Thor öff⸗ nen. Für den Hiſtoriker iſt daher Volupts ein nicht minder merkwürdiges Bush: zus Erkenntniß der Zeit als die Schriften Balzac’& ud: ber. Dudeneut. Fragt man nem, ob ber Roman in Frankreich feit der Revolution von 1180 gemisunen habe, ſo muß man leider antworten, an gewandter Dehnmdlung

*) Paris 1834. 2 vols in 8.

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ver Form eben fo fehr, als die Hation gewann, aber in Sittlichkeit unter den anderen Völkern zurück⸗ „lieb. Je mehr ein Volk ſich induſtriell ausbreitet, deſto mehr wird es ſich ſittlich verengern, und in Frankreich iſt leider Alles auf das Induſtrielle ges richtet, ſelbſt in den höchſten Intereſſen der Menſch⸗ heit. Kann man ſich nach dem Proceſſe der Ma⸗ dame Lafarge noch wundern gleichviel, ob ſie ſchuldig oder unſchuldig iſt daß die Nomandich⸗ ter nur ſolche Stoffe wählen? wer den Berichten der Gazette des Tribunaux aufmerffam folgt, wirb täglich. in ber Wirklichkeit noch viel Schlimmeres finden. Als Vorkämpfer für die Fortfchritte Des Menfchengejchlechtes taucht Frankreich ftets Die Ideen⸗ pfeile, die e8 ausfendet, in Das verberhliche Gift ber eigenen eiterndern Geſchwüre; wehe dem, den fie uns gerüftet treffen!

. Sn England war zu Anfange diefes Jahrhun⸗ derts der Roman der Gegenwart, und namentlich im engeren Sinne ber eigentliche Familienroman, bis zu der trivialiien Behandlung von Stoff und Form herabgefunken, und endlich durch Die große Perbreitung bes hiftorifchen Romans in allen feinen Bweigen faft ganz zurüdgebrängt worden. Erft nach« dem durch die Ueberfälle Die allgemeine Theilnahme an dieſer Gattung wieber abzunehmen begann, 308 man ihn von Neuem hervor, behandelte ihn indeffen mit größerer Freiheit als bisher. Da man jedoch gewohnt war, fih an biftorifchen Hintergrund zu Ichnen, und das Publicum es gewiſſermaaßen ver⸗

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langte und wenigſtens eine treue Schilderung wirf- licher Sitten haben wollte, fo wandten fich auch bald die Nomanſchriftſteller dieſer Gattung zu, und Liefer- ten entweder ſolche Erzählungen, in denen hauptſäch⸗ lich Die Sitten und das Stillleben des Volkes, vor- züglich der Drei vereinigten Königreihe, „der aud) das Leben und Treiben in den höheren und höchſten Ständen gefchildert wurde. Während man nun ba> durch auf der einen Seite zur idylliſchen Einfachheit zurüdtehrte und den vorzüglichiten Reiz und Werth eines folden Buches in Die Anmuth und Wahrheit der Darftellung feßte, ging man auf der. anderen Seite au weit, portraitirte in ben Ehararterzeichnungen nad dem wirklichen Leben und behandelte in ber fehr dünnen Verhüllung des Romans Facta der ſkanda⸗ löfen Chronit, an Denen ber englifhe Erb⸗ und Geldadel eben fo reich ift, wie Die erclufive Sorietät überall. Bolitifhe Hufe und Anregungen, wie fie namentlich Durch die forialen Veränderungen in Folge der Reform hervorgebracht worden, trugen bier nicht unbedeutend dazu bei, ſolchen Darftellungen noch ein ſubjectives Interefie zu geben und den Kreis derſel⸗ ben ſehr zu erweitern. Es bildete ſich nun eine ei» gene Zamilie von Novels of fashionable oder high life, welche fehr bald Mode wurden, im Ganzen nır we sig Ausgezeichnetes aufzumweifen hatten, und am Bes Ken im Deutfchen mit dem Namen Klatfchromane aufgeführt und vollkommen characterifirt werden. Je boßhafter und gewandter die Mediſance hier gehand-

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habt wurde, je leiter bie Portraits zu enfennen waren, und je mehr Diefelben an und für fich ſchon durch ihre perſönliche Stellung der Deffentlichleit angehörten, deſto willlommener war ſolche Lectürxe dem Publisum. Nebenbei wurden denn auch bireste, befonderd polikifche Tendenzen, Die in England all⸗ gemein intereffirten, verfolgt und an ben Schickſalen der einzelnen Perfonen nachgewiesen. Dazwiſchen erſchienen . allerdings einzelne wisflihe Familien» und Liebesromane mit reicherer und vielfeitigerer Per bensauffaſſung, als man es bisher in Diefer Gattung gewäühnt war. Ginzelnss if unbeſtritten als vorzüg⸗ lich zu betrachten; zu der Höhe, auf welcher ſich Die drei Begründer des engliſchen Familienromans befanden, ſchwang man ſich aber keinesweges, trotz Sen Fortſchritten und Daraus entwickelten äſthetiſchen Forderungen unſerer Zeit. Erſt in den jüngſten Za⸗ gen hat ber Roman ber Gegenwart durch Dicken⸗ reiches Zealent einen glücklichen Anſtoß erhalten, ber zu erfreulichen Reſultaten führen kann; im Ganzen iſt er aber weit hinter dem hiſtoriſchen Romane zu⸗ züdgeblieben, und ſelbſt diejenigen Schriftſteller, bie ſich mit Erfolg in beiden Gattungen verſuchten, wa⸗ sen doch in der letztgenannten am Glücklichſten. Unter denen, welche füh mit ſittenſchildernden Romanen, aus dem Keeife des Volkslebens beſchaͤf⸗ tigten, find vorzüglich hervorzuheben: Galt, Schon als Hiftorifcher Romanbichter bekannt, mit feinen wahren, innigen und > will originellen Mezählungen:: : 42 *

The Annals of. the Parish, The Ayrshire Lem- tees*) u. A.; Wilfen, reich an trefflichen, wahren und warmen Characteren, voll hoher und ebler Ein⸗ fachheit und ſchöner Darftelung der Natur; Miſtreß Hall, eigenthämlich durch fcharfe und treue Cha- racteriſtik der Irlänbder aus den unteren Stän⸗ den, lebendiges Colorit, gute Erfindung und. Ein- fachheit u. X. m. Alle halten jedoch eine gewiſſe Mitte, Tefen fich leicht und angenehm, treten. aber nicht entfchieden heraus. Weit bedeutender war 3.3. Lady Morgan in ihren erften Romanen, in welchen fie Scenen und Erlebnifie aus ihrem Baterlande mit großer poetifher Kraft und glänzenden Farben aus⸗ Rattete; fpäter wünfchte dieſe Dame um jeden Preis eine engliſche Stasl zu werden, und wandte fich ber fafhionabeln Welt zu, verfiel aber in Uebertreibung und Manier, von denen namentlich ihr letzter Ro⸗ men: The Princess or the Beguine zeugt **), ber obendrein auch eine entfchiedene politifche Tendenz Hat, und von Unrichtigkeiten, Halbheiten und Un⸗ wahrheiten wimmelt. Große Gleganz ber Daritel- dung und lebhaftes Colorit iſt ihr jedoch nicht abzu⸗ fprechen. Ä

Als der eigentliche Gründer ber. Novels of the ‚high life ift Korb Mulgeove***), der jehige Marquis von Normanby zu betrachten, wenn man nicht bie

®) London 1823 und 1824. **) London 1834. **%) Matilda. London 1832.

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ober hereitß erwähnte Miß Ebgeworth, Deren No⸗ mane aber eine entfchieden andere Tendenz haben, annehmen will. Seiner Matilda, einem Buche, das in. feiner und zugleich erfchätternder Darftellung bie Verirrungen und die Buße einer vornehmen engli- ſchen Fran fchilbert und verdienten Beifall fand, fotgten bald Ward mit feinem Tremame*), einem Werke, das mit einfacher aber meifterhafter Schilde⸗ rung hohen moralifhen Werth verbindet und einen Wluch der jetzigen Beit, die Blaftetheit, bekämpft; 24 fter mit feinem Granby**), ber fehr gut gefchrieben iſt; Miſtreß Gore mit ihren. feinen aber: flüchti« gen***), Lady ©. Bury mit ihren geſchwatzigen und medifanten *++*), Miftreß Trollope mit ihren trefe fenden aber oft gefhmadlofen +) und die ſchöne Gräfin von Bleffington mit ihren breiten Darſtel⸗

*) London 1827.

**) London 18%.

*+#) The Manners of the day. Mothers and Daughters. Tbe Hamiltons. Mrs. Armytage, The Dawager g. X. m., fümmtlih London 1834 bis 1840.

*+4%*) Trevelyan. The Devoted. Marriage in high life. Flirtation. The Disenherited. The Divorced. Posthumous Memoirs of a Peereas. Love u. X. m., ſämmtlich London 1824—40.

+) One Fault. London 1839. The Widow Barnaby. London 1840. The Widow Married. London 1840 u. %..w. '

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langen moderner ſoeialer Bufände*) nah. Im Ganzen gewann der Roman durch alle dieſe Schrift« ſteller nur an Zeinheit ber äußeren Behandlung; bis zu der eyniſchen Dreiſtigkeit der Franzoſen bat man es in England noch nicht gebracht, obwohl Die fogenannte befte Geſellſchaft dort eben fo wenig taugt, als in Frankreich. Das Hat uns noch jüngft Zaby Bulwer bewiefen, bie in dem Roman: Cheveley or tie man of honour**) ihren eigenen Dann an ben Pranger ſtellt. Der Engländer wirft fich aber nicht fb weg, wie der Franzofe, und erfcheint wenigſtens Außerlich fittlih in der Geſellſchaft; ſelbſt ber Cor⸗ sumpirtefte wagt nicht, Bffentlich anzutaſten, was die Menge verehrt als höheres Geſetz; kurz, er ik wohl verderbt, aber vor dem Wolke nie frivol. Da- ber kann ber Roman dort and) nie fo ansarten, wie e8 jenfeits des Rheines gefchah.

Bwifchen beiden Gattungen tauchen mitunter, obwohl felten, einzelne Romane auf, welche ganz Gebilde der Phantaſie und der mittelalterlichen Weiſe, wenn auch mit moderner Bugabe, verwandt find. Sie werben oft mit Enthuſiasmus begrüßt, finden aber eigentlich Fein großes Publicum. Dahin gehören Glenarvon (urſprunglich gegen Lord Byron gerichtet) und Ada Reis ?**), yon der unglücklichen Lady Ca⸗

*) Uonfessions of un elderly gentleman. The Vietims ef Society u. A. m. London 1832 40. *e) London 1830.

***) London 1818 und 1821.

6.8. roline Lamb, der es im Xeben, wie in ihren Werken an Ruhe und Selbitbeherrfchung fehlte; fo wie the wondreus tale of Alroy *), von dem jüngeren D’I6raelt, der bier Stoff, wie Form zu phantaftifch behandelt. Intereſſanter ift fein Vivian Grey **) und noch mehr fein Roman Venetia ***), der fh mit Byrons Leben in der alten Hafenſtadt befchäftigt; Frankenstein or the modern Prometheus #%**), yon Miſtreß Shelley (der zweiten Gattin bes Dichters) , eine Art Fauſt⸗ roman sim Klingerifchen Gefhmad u. A. m. Bon

dauernder Wirkung find jedoch alle dieſe Arbeiten ebenfalls nicht.

Ucherhaupt finden fih für. Die ganze Gattung bes Romans der Gegenwart in England nur zwei Sceiftfteller von Gewicht, ‚Die berfelben eine neue Richtung. gegeben haben und als Reihenführer gu betrachten find. Bulmer ift der Eine, Charles Dickens der Andere. Beide in Deutfchland ſo bes kannt und. fo vielfach verbreitet, Daß ich nur kurze Beit bei ihnen zu verweilen brauche, um ihren Ein- fluß auf den Roman und ihre Stelle in der Ger ſchichte deſſelben anzudeuten. Bulwer}), bei uns

*) London 1833.

**) London 1831.

$+#) London 1837.

*++*) London 1820.

+) Geboren 1803. Geis erſter Roman Pelbam erfhien London 1828. Eine Aufzählung feiner

noch mehr gepriefen als in England, if hier, wie bort, jebenfals überjchägt worden. Er befigt ein außerordentliches Talent ber Gompsfition, großen Reichthum der Darftellung,, treifende Characterzeich⸗ nung, Eleganz des Style, vieljeitige Kenntniffe und die feinfte moderne, yolitifche, wie Literärifche Bil bung; er ift freifinnig, ein Freund ber unterbrüd- ten Menſchheit, beredt und gewandt, lauter Eigen- fchaften, um einen Gervantes zu bilden, wenn ihm nicht Eins fehlte, das der große Spanier in fo rer hem Maaße befaß: Urfprünglichkeit und Friſche der Production. Nichts quillt fertig und ganz aus feis nem Inneren; Fünftlich und mühfem muß er er alle Einzelnheiten zufammenfegen; Alles ift bei ihm ge- macht, Nichts natürlich. Seine Romane find alle piychologifche Hechnenerempel, bei denen er den fe ſer zwingt, jeden einzelnen Sheil der Rechnung wieder mit ihm durchzumachen, ehe er ihm Das Far eit giebt. Dadurch bat Alles etwas Krankhaftes, GSeichraubtes bei ihm, und der Fluch moderner In fiherheit Iaftet auf ihm felbft, wie auf. allen feinen Figuren, ſo entfchieben er auch fich felbft ausſpricht und biefe zeichnet. Was man mit dem Verſtande Durch) forgfame Combination in der Poefte erreichen Tann, das hat er in höchfter Ausbildung erreicht, was aber Die Natur dem großen Dichter giebt, das fehlt ihm. Er felbft fühlt das auch recht gut, denn

Werke erſcheint überfläflig bei der agemeinen Verbrei⸗ tung derſelben.

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gewiſſe Kunſtgriffe und Manoeuvres, den Leſer zu reizen und in Spannung zu erhalten, werden ſtets von ihm angewendet, wie z. B. ein wichtiges Ge⸗ heimniß, das ſchon in den erſten Seiten angedeutet wird, dann verſchwindet, von Zeit zu Zeit wieder auftaucht, um den Leſer zu locken, wiederum ver⸗ ſchwindet, und endlich am Schluſſe enthüllt wird, wo es denn oft ſich als ein Motiv zeigt, das eben jo gut hätte wegbleiben können. Aber Bulwer be⸗ ſitzt eine Eigenſchaft, die ihn ſehr merkwürdig macht und ſeinen Romanen ſo großes Intereſſe verleiht, nämlich Die höchſte ſociale Bildung. Dieſe legt er ſtets in ſeinen Werken nieder, und da es derſel⸗ ben beſonders eigenthümlich iſt, ſich mit den moder⸗ nen Zuſtänden, deren Gegenſätzen und den aus bei⸗ den entſpringenden Erſcheinungen eben ſo ſorgfältig als genau zu beſchäftigen, ſo hält er überall der Gegenwart einen trefflichen Spiegel vor, und Jeder findet in feinen. Romanen irgend eine Seite berührt, die ihn. befonders anzieht und feflelt. Dazu kommt noch, daß ee zwar überall Engländer und zuerft und.vor Allem Engländer fich ftets als Das, was er wirklich iſt, als ein echter Gentleman zeigt, und durch feine feine und edle Weife Jeden für fich ein» simmt, Der Woman der Gegenwart hat um fo mehr, als er diefelbe von allen Seiten betrachtete und behandelte und alle Beitintereffen ohne Ausnahme in den Kreis deffelben hinein zu zichen wußte, Durch ihn außerordentlich an Bielfeitigkeit gewonnen, denn er zeigte, wie auch Das Geringite mit Gefchmad und

Sorgfalt zu behandeln fei, einer Hauptſache gleich, um ber wahren Aufgabe des Romans zu gemügen und das Leben vollftändig und in harmonifcher Ein beit Darzuftellen, unb fo ein wirkliches Kunſtwerk zu liefern. Umfichtiger Tann man einen Character nicht zeichnen und die Umgebungen zu ihm grap piren als er es thut; aber was fchafft alle Kunſt ohne ben beiebenden Haud wahrer Natur? Doch nur tobte Gebilde, bie uns befchäftigen, aber nie begeiftern und dauernd erfrenen Fünnen.

Die urfprängliche Zrifche und Driginalität, wel- he Bulwer durch Fünftliche Mittel ergänzt, beſitzt Dagegen Charles Dickens *) in reichftem Maaße. Boll wahrer Liebe für fein Bolt, unter demfelben aufgewachfen und aus ihm heraus gebildet, nicht zut exelufiven Geſellſchaft gehörenb, aber mit einem Tacte von ber Natur ausgeſtattet, der ihn auf bie Höhe der feinften forialen Eultur ſtellt, hat er ein eben ſo warmeß Gerz für die Freuden und Leiden ber In yeivilegirten, wie er einen fcharfen und ficheren Bli für ihre Eigenthämlichkeiten befigt. Durch und duch wahr und natürlich, zu dem Stoffe ſtets bie rechte Form wählend, eben fo tief in feinem Ernfte, wit gefühlvoll und fchelmifeh in feinem Humor und na

*) Geboren am 7 Februar 1812 zu Portsmouth. Geine Romane find: The Pickwick papers. London

- 1887. Oliver Twist. London 1839. Nicho-

las Nickleby. London 1839, Mr. Humphrey’ Clock. London 1840. |

und trocken in feiner Komik greift er ſtets in das volle Menſchenleben Hinein, und ihm entgeht Nichts, das nur Die minbefte Gelegenheit zu poetifher Auf⸗ fafung und Behandlung barbietet. Dabei if es eben fo probuctiv, als Fünftlerifch haushaltend und weiß, trotz feiner anfcheinenden Verſchwendung, Ale les zur abgefchlofienen Einheit des Kunſtwerkes hin« zuführen und zu verwenden. Seine Charaktere find eben fo meifterhaft, als mannichfaltig, feine Situa⸗ tionen neu und überrafchend und Doc ſtets dem wirk⸗ lichen Leben entlehnt, feine Darftellungen ſtets dem Gegenftande angemefien. Bom erfchütterndften Ernſte bis zur tollſten Luſtigkeit hinabſteigend, fucht er doch nie durch künſtliche Contraſte zu wirken, ſon⸗ dern bringt dieſe nur wie ſie die Wirklichkeit dar⸗ beut. Nie iſt das engliche Volk ſo trefflich nach al⸗ len Nichtungen hin geſchildert worden, wie von ihm, mit feinen guten Seiten, wie mit feinen Thorheiten, Irrthämern und Schwächen. Ihm entgeht Nichts, aber er wendet Alles an, um gu beffern und gu nüßen, nirgends übertreibend, wenn glei, wo es Roth that, und namentlich, wo der moralifche Zweck e8 fordert, ber der ungertrennliche Begleiter feiner Schriften if, mit den ftärkften Farben malend. Er befchäntgt und vertufcht Wichts; wie er Dinge ſin⸗ bet, fo giebt er fie wieder, eben fo wie er Jeden im feiner eigenen Sprache reden Täßt. Man kann von ihm fagen, daß er ben eigentlichen Volksroman, wie ihn Fielding und Smollet begonnen, fortgeführt, und auf Die Höhe nnferer allgemeinen Bildung ges

hoben habe. Ueberall haben wir bei ihm mit wir lichen Menſchen zu thun; man kann jeden Tag chen fo wohl einem Ralph Nickleby oder Squeers auf des Straße begegnen, wie dem gutmüthigen Maſter Pid- wie und feinen Freunden. Das Einzige, mas mit an ihm tabelnswerth erfcheint, ift, daß er mitunter den Sammer bes Lebens von ber Fomifchen Seite auf- foßt; ein feineres Gemüth wird fich dadurch fiel} verlegt fühlen, doc, geichieht Das im Ganzen nur felten und gemein wird es nie, wenn es gleich noch fo genau nad der Nature copirt ift. Der Beifel, den feine Romane fortwährend finden, übertrifft felbft den, welcher Walter Scott zu Theil ward; ſo war die Driginalauflage des Nicolas Nickleby al⸗ lein 57,000 Eremplare ftark; dazu kommen nun ned bie vielfältigen Nachpräde in Amerika, Frankreich, Deutfchlend u. f. w.; ein materieller Beweis, mie fehr er erkannt hat, was die Beit im Romane ver langt. . Seine Papiere des Pickwickclubb bleiben nach meinem Dafürhalten fein reichftes und gediegen⸗ fies Werk, während die directen Tendenzen in DI ver Twiſt und Nicolas Nickleby hin und wieder et⸗ was bie poetiſche Freiheit beſchränken, in ber er ff fo glüdlich bewegt.

Durch. die. Reform und mehr :noch durch MS Streben ber Radicalen warb es in ben letzten Jah⸗ zen immer ‚mehr Sitte, ſich mit den Buftänden dei unteren Kloffen zu befhäftigen. . Diefe Neigung ging fo weit, daß eine fcharfiinnige Dame, Miß Mut | tineau, Yragen aus dem Gebiete der Wationalöhon

mie, welche vorzüglich Wohl und Wehe des gemei« nen Mannes berührten, in populären "Erzählungen zu löſen ſuchte. Ihr Streben ift ſehr verdienſtlich und ihre Leiſtungen verdienen gelobt zu werden, aber bei dergleichen gewinnt die Poeſie Nichts, denn fie wird wieder die gequälte Dienerin des Alltags. Wie man allgemeine Interefien dieſer Art poetifch aufzufaffen Habe, zeigte erſt Dickens. Die’ günftige Aufnahme, Die er fand, lockte viele Nachahmer hers bei, unter Diefen felbft manchen bekannten Namen, und es ift jet Mode, in die unteriten Regionen bes Lebens hinabzufteigen. Am Weiteften hat es hier Minsworth *) getrieben, der mit lebendiger Phantafie und in einem meifterhaften Styl Leben und Thaten berühmter .englifcher Spilsbuben ſchil⸗ bert, mitunter treffliche pipchologifche Entwickelun⸗ gen und erfchütternde Situationen bringt, aber fi zu häufig in Uebertreibungen gefällt. Es wäre ſchlimm, wenn dieſe Literatur fich fehr ausbreitete, benn fie vermag unberechenbaren Schaden zu ftiften, da fie die Depravation im Bunde mit Kraft, Muth und Schharffinn fchildert. Leider fteht Das, dem An⸗ {heine nad), für die nächfte Zeit zu befürchten, denn Ainsworth’8 Romane erfehienen vor ihrer Geſammt⸗ ausgabe ſtückweiſe in einer fehr beliebten und ange- ſehenen Monatsfchrift, ein Beweis, wie gern fich das größere Publicum mit ihnen befchäftigt.

*) Rookwood. London 1837. Jack Sheppard London 1840. Crichton. London 1839.

Dep der Roman ber Gegenwart in England während ber neueften Beit wirklich gewonnen habe, braucht wohl nicht entwidelt zu werben, da es fen in den bier Gefagten ausgefprochen liegt.

Die übrigen europäifchen Kationen, mit Aus nahme Deutichlande, das wir gleich näher betrach⸗ ten werben, haben fih im Romane noch nicht auf bie Höhe ber Production ſelbſtſtändiger Kunſtwerke erhoben, fondern beſchraͤnken fi) meiſt auf Nadal mungen ausländifchere Vorbilder, wenn gleich natio⸗ nale Stoffe behandelnd. In der Gefchichte des Ro⸗ manes markiren fie alfo nicht. Rußland ſchwankt giichen franzöftichen und beutfchen Muftern und hat noch zu ſehr mit der Form zu kämpfen *); Schwer den und Dänemark lieferten in neueiter Beit glädlice Darftellungen aus dem bürgerlichen Zeben bes eige

nen Landes **), find aber in freier, eigenthämlier | Behandlung fehr zurüd; ihre derartigen Leitungen

geinnern an Lafontaine und Starke; geſchwägige Breite if ein Hauptfehler derſelben. Holland het fh dem Romane ber Gegenwart ganz abgewandt und behilft ſich mit hiſtoriſchen Romanen oder Leber fegungen. Italien, Spanien und Polen feheinen dir

*) &, König |. c.

*#) 8. B.: Eine Alltagsgeſchichte. bhenehibe |

aus Dänemark, von ©. Bernhard. Auch ein Geige, von Anderfen. Die Töchter des Prafidenten. Die Nachbaren u. f. w., ſammtlich in das Denutſche überfegt.

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fer Gattung nicht geneigt zu ſeyn; bie Schuld mag an den politischen Berhältnifien liegen.

Indem ich zu Deutſchland zurückkehre, um mit dem, was e8 hier leiftete, dieſes Buch zus befchlies fen, habe ich zu bemerken, Daß ich abfichtlich einige marfirende Romane aus den letzten Decennien bes achtzehnten Jahrhunderts nicht berührte, Da ihre Wirkung mehr in unfere Beit hinüber griff und fie bier die rechten Anknüpfungspunkte barbieten. Dazu gehört namentlich Goethes Wilhelm Meiſter. Die⸗ ſes Buch ift fo viel beiprochen worden und feine Würdigung fo abgefchlofien, daß ich mich auf fols gende, meinen Hauptzweck verfolgende Bemerkungen beihränfen muß. Indem Göthe in dieſem Ro» man Das Leben eines einzelnen, unbebeutenden, jun⸗ gen Mannes mit möglichſt freieiter Bewegung in feinen Berhältnifien fchilderte und an ihm nachwies, wie die Grfcheinungen der Welt und der Kunft in ihren verfchiedenften Geftaltungen auf ein biegfameß und empfängliches Gemüth einwirkten, das nur Trä⸗ ger und Mittelpunft der Handlung war, um dieſe mit ihrem weiten Umfange und ihren mannichfalti= gen Situationen und Figuren, deſto lebhafter her- vortreten zu laffen, erweiterte er den Roman ber Gegenwart zu einer Ausdehnung, welcher derfelbe fich bisher noch nicht erfreut hatte. Innerhalb der poetiſchen Wirklichkeit, d. 5. der den damaligen Ver⸗ hältniffen vollkommen angemefienen Möglichkeit, ließ er die Phantaſie frei und fchöpferifch walten und z0g - Situationen und Geſtalten in dieſen Kreis hinüber,

bie man bisher noch gar nicht in bemfelben zu bes handeln gewagt hatte. Alle Reigungen, Die damals in ber Beit lagen und fi in Dentichland ausſpta⸗ chen, wurden bier von ihn aufgefaßt und dargeſtellt, Die Luſt an dem Bühnenweien, die beginnende leich⸗ tere Miſchung der Stände, Die geheimen Geſellſchaf⸗ ten, ber rich, ſich gegenfeitig zu myſtificiren und vieles Andere mehr. Dazu Tamen nun nod die neuen, eigentlich vollfommen außerhalb ter Geſell⸗ Schaft ftebenden und alfo dem Romane der Gegen wart bisher durchaus fremden, intereflanten Che raetere, wie Mignon, ber Harfner, Philine. Kurz, ber große Dichter erreichte und bildete hier fchon, was fpäter an Walter Scott’8 Romanen fo lobend anerfannt wurde; Die Abipiegelung der Wirkungen des geſammten Lebens auf den Einzelnen und feines rein menfchlichen Verhältniſſes zu diefen. Wilhelm Meifters Lehrjahre von dem Paſticcio ber fpäte zen Wanderjahre Fann hier gar nicht die Rede ſeyn haben daher auf den deutſchen Roman bedeutend gewirkt, obwohl mehr im Stillen und indirect. Vor⸗ züglich lockte die freie, phantafiereihe Behandlung der Kunft und ihrer Zünger, denen auch in den be fchräntendften Umgebungen ihre Selbftftänvigkeit ge lafien war, und bie doch innerhalb der Wirklichkeit fi) durch und durch poetifch gebildet zeigten, mehr tere jüngere Talente auf diefer Bahn noch einen Schritt weiter zu gehen und im Romane die ganze Breiheit der Poeſie und Kunft mit ihren eigenen Segenfägen, innerhalb der Wirklichkeit, indeſſen in

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weitefter Ausdehnung zu fehildern.. Nachahmer Goe⸗ thes waren fie Feinesweges (vor feiner dritten Pe⸗ tiode Hat er überhaupt nie Nachahmer haben Fön nen, da er bis dahin frei von aller Manier blieb und Fünftlerifh in fich vollendet), aber angeregt buch ihn. Bu gleicher Beit wirkte indeflen auch Heinfe, Der überhaupt lange einen verführeriichen Einfluß auf Die Jugend gehabt, auf fie ein. So ſuchten fie feine üppige Behandlung der Farben mit Goethe'ſcher Plaftit und Ruhe zu verfchmelzen und zugleich durch ein Drittes von ihnen neu binzugefüg- te8 Element, die Schwärmerei für Die Kunft und bie Liebe, zu einem vollftändigen Ganzen zu verbinden. Auf folche Weife entftonden folche jet ziemlich ver⸗ geflene Romane, wie Xeben und Liebe Ryno's und feiner Schwefter Minona von F. Kind, Natalie, von demfelben, Heliodora, Die Lautenfchlägerin. von W. A. Lindau u. A. m. Selbit Bouterwed’s Graf Dos namar läßt fi hieher rechnen, obwohl feine Ten⸗ denz durchaus abweicht, noch mehr aber deſſen Ra⸗ miro. Sie bilden eine Art Uebergang von den Ro⸗ manen der Gegenwart zu benen der romantifchen Schule: reicher als jene, find fie nicht fo der Will⸗ kühr Hingegeben, wie biefe; Doch enthalten fie viel Schönes, obwohl die einzelnen Geftalten oft zu phan⸗ taſtiſch und nebelhaft gezeichnet und die Situationen su unbeftimmt und verfchwindend erfcheinen, auch daB Iyrifche Element ſich mitunter zu ſehr vordrängt. Eine edle Gefinnung und ein Streben nach Idealiſi⸗ sung findet ſich in ihnen, das fpäter dem Romane 43

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wieber ganz fremd wurbe; fie verbienten weit mehr, als viele andere Schriften, Die ber ſpeculirende Bud. handel jegt von Nenem zu Sage fördert, wicht Kervorgezogen und verbreitet zu werben; zu ben Weltfchmerzromanen ber Gegenwart würden fie ei- nen edeln und beſchämenden Gontraft bilden, wenn man daraus flieht, wie Damals die Tugend fchwärmte und liebte, und wie fie jetzt Ealt, egoiftifch, zerſtö⸗ rend und zerfört, refleetirt und haßt, arm an Br heit, Wärme und Pietät.

Während biefe Romane einzeln auftanchten und ein, wenn auch nicht großes, doch befreundetes und dankbares Publicum fanden, ging der alte behaglich breite Yamilienronten, den Jeder gern Hatte, weil er in ihn Glanz und Iammer des eigenen Haufed abgefpiegelt fah, ruhig feine Bahn weiter. Xugut Lafontaine *) brachte die Sentimentalität, bie fd allmählig in der Lyrik erfchöpft hatte, hinein und fand, namentlid in den Mitteltänden und befonderd unter den Frauen, außerorbentlichen Beifall. Mit glücklichem Zalent der äußeren Darftellung, rege! Aufmerkſamkeit für die gewöhnlicheren Intereſſen des Tages, lebhafter, wenn auch fche befchränkter Er findungsgabe und bequemer Ratürlichkeit, verband er

eine Füfterne, aber echt fpießbürgerlich, fich meiſt in

*) Da die ſaͤmmtlichen deutſchen, hier aufgeführten Romane fi in dem Eataloge jeder nur einigermaaßen guten Leihbibliothek finden, fo erfcheint eine nähere Di bliographiſche Angabe durchaus überflüffig.

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breiter Rũhrung äußernde Sinnlichkeit, dee man da⸗ mals heimlich fehr zugethan war, ba man: gefell- Thaftkich nicht den Muth hatte, frivol zu feyn, und. fi zugleich vor der gefunden, bürgerlichen Derbheit ber früheren Tage, Die jedes Ding natürlich auffaßte and benannte, als unmodifh ſchämte. Seine Bücher kamen Daher ber Menge ſehr erwünfht; fie waren anfcheinend fo moraliſch, Alles geihah zu Ehren und zum Triumphe der Iugend, felbf® die Nothzucht, wenn es einmal auf andere MWeife nicht zu machen war, um irgend eine fhwärmende Iungfrau zu dem nothwendigen Verluſt ihrer Unſchuld zu bringen, und doch lockten und kitzelten ſie zugleich gar ſehr. Da⸗ zu kam nun noch, daß er alle Manieren nachahmen wollte, und daher Jedem etwas bot, Das ihn ange⸗ nehm war. Uebrigens hat Keiner fo, wie er, mit feinen Romanen am fittlichen Wefen des Familien⸗ lebens gerüttelt, indem feine Auffaffung des Ver—⸗ hältniffes zwifchen dee Jugend und dem Alter, ober tichtigee den Erziehenden und den zu Erziehenden, wie Eltern und Kindern, Bormündern und Mündeln nf. w. eine durchaus falfche und alle Pietät zers Rörende war; hier herrſcht bei ihm bee Skepticis⸗ mus. der mittelmäßigen Befhränktheit, der das Höchfte und Befte nicht glauben will, weil er nicht einmal die Fähigkeit, es zu ahnen, befigt, anf eine faR unglaubliche Weiſe vor, und wird um befto. ges fährlicher, da er fich überall fentimental geberbet. Dies rührt hanptfächlic, daher, weil er Die gegen alle Autorität ankämpfenden Ideen Des achtzehnten 43 *

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Saprhunberts dem Romane aneignen wollte, aber biefelben, fo wie fie waren, für zu roh hielt, und daher. der deutſchen Leſewelt als ein mit ben ver ſchiedenſten Ingrebienzen bereitete Ragout vorfegte. Menzel bemerkt ſehr witig, daß er im Der deutſchen Familie bie franzöflfche Revolution auf die unſchul⸗ digſte Weile von ber Welt wiederholte. Diefe un ſchuldigſte Weife kann ich indeſſen keinesweges gel ten laſſen, denn ber Sittlichkeit bat er jedenfall ſehr gefchabet. Auch dem Romane nützte er nicht; feine Charactere find ſtets dieſelben und ſtets der Mittelmaäßigkeit abgeborgt, ſelbſt die ausgezeichnete⸗ zen erſcheinen doch nur als Spießbürger, bie genial thun wollen. Einzelne Situationen mit einer gewiſen Wärme, die indeſſen immer etwas Weichliches hatte, zu ſchildern, darin beſtand feine ganze Force, dent auch fein Styl iſt ungleich, obwohl es ihm nicht an Mitteln fehlte, gut zu fohreiben.

Diefe Manier, den Roman objectiv - fentimens tal zu behandeln, gefiel jedoch damals allgemein und felbft beffere und nach Höherem ftrebende Talente wandten fih ihr mit Vorliche zu. Sp z. B. dur Ray Schilling mit größerer Anmuth und Freiheit die Verhältniffe darftellend, vorzüglich glücklich ir Kleinftäbtereien; F. Kind weit poetifcher erfindend; | F. Rochlitz fittlich rein und echter Religiöõſitaͤt zuge neigt; F. Laun (Schulz) angenehm tändelnd ab in zu befchränkten Kreiſe; Ernſt Wagner mit rei⸗ her Phantafle ansgeftattet, die Intereſſen ber Kun hineinziehend, glüflich in Naturſchilderungen aber |

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ſtets von heimlicher Sinnlichkeit gehetzt; Julius von Voß voll treffender aber oft eynifcher Satyre; Karl Stein behaglich ergählend aber fih nur mit unters geordneten Stoffen befchäftigend; Julius von Soben ſtark finnlic und ſentimental übertreibenn; Stephan Schütze voll Geiſt aber nicht frei von Danier und directen didactiſchen Tendenzen; A. G. Eberhard trefflich darſtellend und voll geſunder Moral und Zebenserfahrung u. A. m. Die gediegenſte Leiſtung auf dieſem Gebiete bleibt immer Kähler's Herrmann von Löbeneck oder Geftändniffe eines Mannes; et» was zufammengebrängt würde Diefes Buch um feiner meifterhaften Charaeterzeihnung und feiner Lebens» Fenntniß und feines £refflichen Styls willen gewiß noch jet viele Freunde finden.

Gerade um diefelbe Beit, wo ber fruchtbare La⸗ fontaine aufhörte, trat H. Clauren (Karl Heun) auf und trieb e8 mit größerer Gemeinheit noch wei« ter, als fein Vorgänger je gewagt. Indem er das alltäglichfte Leben moderner Mittelmäßigkeit als ben alleinigen Stoff für den Roman betrachtete (denn von einzelnen Werfuchen in anderer Weile kann hier nicht Die Rede feyn, fondern nur von feiner Haupts richtung), ließ er die ſchmutzigſte und ordinairſte Sinnlichfeit vorwalten und gefiel fich darin, mit ei» ner falſchen Sentimentolität zu prunfen, welde ex der Gemeinheit als ein verfchönerndes Gewand ums hing, um ſich deſto bequemer und Teichtfertiger da⸗ hinter verbergen und bewegen zu Fönnen. Ueberall nahm bei ihm Die voffinirtefte und zugleich phantaſie⸗

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Iojefte Sinnlichkeit die Maske der Unſchuld ver und täufchte Durch den Anfchein von gutmäthiger Unbe⸗ fangenheit, die fie fich zu geben wußte, die Ungebil- deten und geiltig Beſchränkten. Es fehlt ihm nicht an Lebhaftigkeit und gewandter Gruppierung, aber beide find nur auf das Niedrige und Gewöhnliche gerichtet, und ihre Hauptthätigkeit befteht allein Darin, unaufhörlich alle Sinne zu Eiteln und zu. reis zen. Ueberall gut die fubalterne Beamtennatur, bie zu Belde gekommen ift und ſich etwas zu Gute thun will, aber bereit3 anfängt, blafict zu werden bei gefteigerter XKäfternheit, in feinen Erzählungen duch. Seine Männer find daher meift Portreits feines eigenen Selbft, feine Frauen und Mädchen Gurli's, Die fi) fchon einmal in einem Bordell um⸗

u gefchen Haben, wos aber Niemand willen darf, Tau

ter Kammerjungfernaturen, die jedoch nicht recht zur Derfertion gelangt find, Es ift ein trauriges Zei⸗ Ken jener Beit, wo fo bald nad) der großen Aufre⸗ gung ber WBefreiungsfriege eine folche geiftige Er» fchlaffung bei der Menge eintrat, daß ein folder Autor ihr Liebling werden Fonnte, und einzelne Ars beiten befielben, namentlich fein Almanach Vergiß⸗ meinnicht, mehrere Jahre Hinter einander eine Auf lage von mehr als 5000 Eremplaren erlebte. Bwar traten Hauff und Herloßfohn, fo wie einige andere minder Begabte, mit Parodieen und directen Sa⸗ tyren wider ihn auf, zwar ſprach fich Die höhere Kri- tif entfchieden gegen ihn aus, er blieb Doch noch ber Liebling der Maſſe, bis dieſe endlich durch feine

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Froductipitat uberſättigt wurde und ſich von ihm abwandte. Nirgends Hatte übrigens bisher bie Maſſe fo befreundete Miſere gefunden, wie bei ihm, ber e8 mit dem fteten ſüßen, founifchen Lächeln, Sf» ters bis zur Frechheit, trieb. Die Gemeinheit Dier fer Gattung hat in ihm ihren Eulminstionspunkt er« reicht; tiefer kann hoffentlich in Deutichland Die Ge⸗ ſchmackloſigkeit und Lülternheit nieht finfen, denn Bis zum unfittlihen Romane der Franzoſen hinab au bringen, iſt fie eines Theils au feig, anderen Theils aber fcheitert fie, Gottlob! an dem inneren fittlichen Srnft der Nation.

Schon etwas früher wer jedoch eine Seite Des Tamjlienromanes gufgefaßt und geſchildert worden, Deren Grenze bei etwas unvorfichtiger und frivoler Behandlung leicht In das Gebiet der Clauren'ſchen Romane Übertritt, bei uns aber glücklicher Weife in” Hände gerieth, welche ihr, wenn auch in falfcher Auffaſſung die Natürlichkeit verlaſſend, Doc jeden⸗ falls eine höhere und edle Richtung gaben. Es find Diejenigen Romane, welche die Liebe innerhalb Der ehelichen Berhältniffe behandeln, und daher, weil Sittlichfeit und Geſetz einmal ſolche Gefühle nicht geftatten dürfen, fid) hauptfählich mit dem Kampfe swifchen Leidenfchaft und Pflicht befhäftigen., Sie zerfallen von felbit in zwei: Klaſſen, nämlich in fol» he Romane, in welden Die Leidenſchaft, und in ſolche, in denen die licht den Sieg Davon trägt, alfo mit fürzefter Benennung in Ehebruchs⸗ und in Entfogungsromane. Für Deutſchland Hatte, was bie

erfieren betrifft, ſeltſam genug, Goethe ben Bon in feinen Bahlverwanbtichaften angegeben. Diefes Buch wird immer durch feine außerordentliche innere Wahr⸗ beit und ben Bauber Goethe’fcher Darſtellungsweiſe feine große Wirkung auf die Semüther behalten und ein Anhaltepunkt in der Gefchichte des deutſchen Ro⸗ mans bleiben, aber befriedigen und erheben fann e8 nie, benn ihm fehlt die poetifche Verföhnung, Die jedes große Kunſtwerk mit fih führt, und welche in ber Idee bes geiftigen Sieges, felbft bei materiellem Untergange, liegt. Es ift eine der merfwärbigften Erfcheinungen an dem Titanen Goethe, daß er bier fo tief in die Fraftlofefte Gemeinheit hinabftieg, Denn etwas, das mehr das Gemüth anmwiderte, als Die Beugung bes Kindes, und etwas Troſtloſeres, als den durch Ottilie verfchuldeten Tod befielben, die er⸗ "bärmlichfte Nemeſis, Die je auf Erden wandelte, kann eB doch nicht geben. Man bat Goethe Hinfichtlich ber Wahlverwandtfchaften die höchſte Unſittlichkeit vorgeworfen; dieſer Vorwurf, der mannichfachen MWiederhall fand, beweift nur, wie wenig biejenigen, bie. ihn ausfprachen, ben Dichter begriffen haben, denn die Unfittlichkeit Tiegt ja nicht in der Darſtel⸗ Jung des Unfittlichen überhaupt, fondern in der Art und Weife dieſer Darftelung. Daß ſolche Verhält- niſſe und Erfcheinungen in der modernen Geftaltung ber Ehe möglich find, wird Niemand beftreiten wol⸗ len; der Dichter Hat alfo das vollflommenfte Hecht auf fie, wie anf jeden anderen Theil des Lebens, und man barf nur von ihm als Dichter fordern,

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Daß er fie harmonisch und fchön, als Menſch, daß er fie vom fittlichen Standpunkt aus, Der Die un⸗ redliche That ſtets verdammt, darſtelle. Beide An⸗ ſprüche hat Goethe vollkommen erfüllt, und ſein Buch enthält gerade die weiſeſte und nachdrücklichſte War⸗ nung gegen das Anknüpfen halber Verhältniſſe nes ben der Ehe und die deutlichſten Fingerzeige über die hohe Wichtigkeit der Ehe ſelbſt und die innere dringende Nothwendigkeit, dieſelbe nicht zu verletzen; aber eben, weil der Dichter Alles ſo objectiv hielt, wie das Leben ſelbſt, deſſen tiefere Bedeutung ſich erſt dem denkenden Geiſte enthüllt, iſt er von ſo Vielen mißverſtanden worden, welche die einzelnen, Das Gemüth immer verletzenden Motive und Mo⸗ mente ſelbſt für Unrecht hielten. Man fagt, in Dies fem Buche Liege, wie in allen Werfen Goethe’s, ein Stück feines Lebens verftedt, mit dem er geſucht babe, wie er das immer gethan, auf poetifche Weife au Stande zu Fommen. Iſt das der Fall, fo wirb allee Tadel befeitigt, und man kann ihm nur Dank wiſſen, denn die Darlegung eines wichtigen inneren Kampfes und deſſen Refultst bei einem fo hochbe- gabten Seifte tft immer ein Geſchenk für die Menfch- heit, das fie dankbar hinzunehmen hat. Dem Freunde der: wahren Schönheit bleibt dabei unverwehrt, zu beflagen, daß es einem folchen Genius nicht gefiel, ſelbſt nach dieſer Richtung Hin nur die Erfcheinuns gen fittliher Schönheit zum Gegenftande zu wählen,‘ anftatt, wie er bier gethan, Die verwerflichite Halb⸗ heit und Schwäche, Die fittlich häßlicher, weil fie

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veraͤchtlicher ale das Lafer ſelbſt mit ſo Hieffinnigem Fleiße und fo großer äußerer Anmuth zu behandeln.

Goethe gab in dieſem Buche feiner Beit Feine befondere Richtung, wie er das eigentlich Direct nie gethban, aber ſprach aus, was in ihr lag, und ber förderte dadurch deſſen reichere Entwickelung. Auch bei uns ift die Ehe Feinesweges ihrer Grundidee trem geblieben, und von ihrer Ausartung haben Die Frauen am Meiften gelitten. Die talentvolleren unter den⸗ felben bemächtigten fich Daher auch vorzugsweife Diefes Gegenfandes und behandelten ihn mit Vorliebe im Roman, da die freie Form deflelben jenem und ihnen ſelbſt am Meiſten zuſagte. So entſtanden Die Ent ſagungsromane, welche eine Zeitlang au der Zages⸗ ordnung waren. Dieſe Familie hatte vorzüglich Frauen zu Berfaflerinnen, ba Sitte und Schaum⸗ gefühl ihnen in Deutfchlend Feine Darftelung ber Löfung ſolchen Kampfes, als durch Pflichtgehorſam oder Tod geitattete. Dadurch aber wurde der ihnen gezogene Kreis fehr beſchränkt; fie Fonnten ſich nicht mit poetifcher Freiheit bewegen, fondern mußten in den engen Räumen und Kreifen des häuslichen Le⸗ bens bleiben. Hieraus entitand für fie nun noch Das Schlimmere, Daß fie bei fo großer Kargheit der äuße⸗ sen Mittel Diefe bald erfchöpfen oder fich wiederho⸗ len mußten, indem ihnen nur Nuancirung Des fchon Vorhandenen und Gebrauchten, Teinesweges aber Neues ſich darbot. Daher Die vielen Salonfcenen, und der ganze Aufwand gefellfchaftlichen Kleinlebens, der, bis zur letzten Faſer ansgezupft, in dieſem Ro⸗

mane zur Abſpiegelung gefonmen if. Auf ber an Deren Seite entfprang indeflen eben durch Diefe Be⸗ engung dem Romane eih directer Nutzen. Da das Aeußere fo bald ausgebeutet war, fo verwandte man Defto größeren Fleiß auf Das Innere und vorzüglich auf die piychologifchen Erfcheinungen, für welche den⸗ fende Frauen ftetS einen noch feineren Bli haben als Männer. Daß es indeſſen auch hier fehr bald zur Uebertreibung kommen mußte, ergiebt fid) von ſelbſt. Eine fchriftitelleende Frau muß, wie jede andere, die in Deutfchland fich öffentlich zeigt, ſtets geharnifcht dem Publicum entgegentreten, denn Die Begriffe Frau und Hffentlich Liegen in unferen Anſichten zu entgegengefeßt, und wir verzeihen es eigentlich dem Weihe nie recht, wenn es mit Dem Manne um den Beifall der Menge wetteifert, ſon⸗ dern tragen es ihm wenigftens heimlich nah. Auf Der einen Seite tft das ganz hübſch von uns, denn es halt das Familienleben enger zuſammen; in Frank⸗ reich gehören die Söchter, wie Die Söhne, Dem öfr fentlichen Gefchäfte des Erwerbes, gleichviel, unter welcher Geftalt, bei uns aber nur dem Haufe an, fobald nicht die flarre Nothwendigkeit fie zwingt, Diefen Kreis zu überfchreiten; auf der anderen Seite aber zeugt e8 von Kleinlichkeit, ſich bei Genie und Talent auch noch um das Befchlecht befünmern zu wollen. Indem nun die Frauen ſich den Schriftftel- lern zugefellten und das Nächſtliegende ergriffen, Die Pertheidigung ihrer anfcheinend unterdrüdten echte, Fand ihnen von vorn herein das Vorurtheil im Wege,

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das fie befeitigen mußten, fei es durch bie eigene Vortrefflichkeit oder Durch directe Bekämpfung, ehe fie ihren Gegenftand auf gleicher Höhe mit den Män- nern behandeln durften. Dem Unterbrüdten fteht immer der meifte Scharffinn zu Gebote, weil er ihn auf einen Punkt wendet; deshalb aber geht er auch Teiche zw weit und ftelt anf die Spitze. Das ge ſchah auch den Werfaflerinnen folder Komane. In⸗ dem fie fih bemühten, neue Seiten ihres Gegenftan- Des aufzufinden, welche von den Männern unbeach⸗ tet gelafien oder überfehen worden, gingen ſie Dar über. hinaus und geriethen auf Uebertreibung fo der Darftellung, wie der Reſultate. Namentlich ftei- gerten fie Die geiftige Seite ihrer Lebensverhältnifie, bie aus ben mobernften Elementen zufammengefegt waren, fo fehr, daß fie das Naturgeſetz bes weib⸗ lichen Berufes ganz Darüber aus den Augen verlo= ven ober abfichtlich befämpften. So entitanden Diefe gemachten Beftimmungen des Weibes und die Wer» berrlichungen der alten Jungfernſchaft, welhe in den meiften Romanen Diefer Gattung vorherefchen, unb die ganze erlogene Entfagungs = Sentimentalität mit Frömmlerei ausgefüttert, welche fo unendlichen Schaden geftiftet hat, weil fie krankhafte Gemüther vollends entnervte und ausdörrte. Feine Lebensaufs faffung, zarte und gewandte äußere Behandlung Des Stoffes, Anmuth und Eleganz des Styls und eine fehr fleißige und genaue, wenn gleich nicht immer richtige und confequente Characterentwidelung zeich- nen die berartigen befferen Leiſtungen aus, Dagegen

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vermißt man darchgaͤngig wirkliche Genialität (fie zeugen alle nur von hübfchem Talent für die Form), Kraft und fehr oft geiftige Geſundheit und jene Viel» feitigfeit, welche der Roman befonders verlangt. Eis nerfeits werben alle unfere fchriftftellerifchen rauen von unferen beutfchen Zebensanfichten gehemmt, und wagen nicht, jene Dinge frei zu behandeln, fondern drängen fie ängklich in den ihnen geftatteten Kreis; andererfeits ift bis jeßt noch Fein wirklich hoch poe⸗ tiſcher Geiſt unter ihnen aufgetreten; Die einzige, welche hier Bebentendes Teiften Fönnte, Bettina, hat fh einer anderen Region zugewandt und ftellt ro⸗ manhaft Erfundenes als eigenfte Wirklichfeit Dar, in ihrer Schöpferifchen Phantaſie fih und Die Menge täuſchend. Wenn die Gräfin Hahn- Hahn, bie tiefes und flarfes Gefühl mit fcharfem Blide für das Leben und trefflicher feiner Darftellung verbins det, in ihren Romanen einen Schritt weiter gehen würde, denn Die angeborene Ariftofratie hindert fie an freierer Bewegung, fo würde es ihre vielleicht gelingen, das Rechte, zu treffen und höheren Anforderungen zu genügen; fo aber erreicht fie es eben fo wenig, wie e8 die beiten anderen Homanfchriftftellerinnen, 3. B. Frau von Wolzogen, welche die Erfahrungen eines reichen, harmonifchen und fchönen Lebens auf fehr erfreuliche Weife in ihren Romanen nieberlegte; Caroline Pichler, bei der ein echt fittliches Element vorwaltet, Johanna Schopenhauer, welche naments lich bei Frauen der höheren Kreife fegensreich Durch entfchiedene Hindeutung auf harmoniſche Durchbil-

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bung des Geiſtes, wie bes Gemuthes, innerhalb des Fa⸗ milienlebens gewirkt hat; Fanny Tarnow, die mit zar- ter Entwigelung vorzüglich den Adel wahrer Unfchul zu fchildern verfteht; Caroline von Woltmann, welde

tief in einzelne Zebensverhältnifie einzubringen und

biefe mit großer Lebendigkeit und guter Wertheilung von Licht und Schatten darzuftellen weiß; Henriette Hanke, Friederike Lohmann, Sophie von Knorring, Amalie Binter u. f. w. gethan haben.

Das Streben, den Ausdruck der Gegenwart im Romane wiederzugeben und bie Löſung ber wichtig. ften Gonflicte und Xebensfragen auf Die eine oder andere Weiſe zu verfuchen, breitete fih in Deutſch⸗

land nah dem Befreiungstriege immer mehr ind’

mehr aus, da eine große Unzufriedenheit mit einzel nen Theilen des Beftehenden fi) bei der Menge äu— Berte. Der Roman war überhaupt im Laufe ber Beiten zu einem allgemeinen Sprechſaal geworben, in welchem die herrfehenden Intereſſen des Tages und Der generellen. Wiſſenſchaft auf eine allgemein verständliche Weife abgehandelt wurden. Daher ba ben wir ſchon feit den letzten Decennien des vorigen Sahrhunderts jene Reihe von didactiſchen Romanen aufzuweifen, welche felbft jeßt noch von Beit zu Beit, um ber bequenten Form und Teichten Werbreitung willen, durch neue vermehrt werben und bie in eis ner Geſchichte des Romans als eine -Bwittergattung eigentlich Eeine Geltung Haben Eönnen, wie z. B. R, X. Eberhard's Amyntor, Flemming’s Geſchichte, von Sintenis, Feßler’3 Bonaventura und der Nacht⸗

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waͤchter Benediet, 3. Pezzl's Fauſtin, Salzmann’s Karl von Karlsberg, Nicolai's Sempronius Gundi⸗ bert, Emanuels Lehrjahre von K. A. Buchholz, Woldemar von Jacobi, Julius und Evagoras von Fries, Heinrich Melchthal von de Wette, der braune Knabe und die Hallig in der Nordſee von Biernacky, ber Freiherr von Sandau von Bretfchneider u. ſ. w., ſo vortrefflich ſie an und für ſich auch immer ſeyn mögen. Die Poeſie gewinnt eben nicht bei dieſer Gattung, denn fie muß die Sklavin des abſtracten Raifonnements werben, wohl aber Die Intelligenz; und fo möge man fie immer gelten laffen, wenn fe nicht mehr gelten wollen, ala ihnen zufommt. Bret⸗ fehneider’8 Roman bat gewiß mehr vernünftige An⸗ fihten in dem Streite über die gemifchten Ehen weis ter verbreitet, als irgend eine der vielen Darüber ges wechfelten Schriften. Mehr jedoch als dieſe beſon⸗ deren Begenftände fielen die allgemeinen Richtungen ber Beit dem Romane zu, und es war unmöglich, die Gegenwart wieder abzufpiegeln in beinfelben, ohne bie einzelnen Erfcheinungen, welche dieſe ganz bes fonders geiftig bewegten, in Diefen Kreis zu ziehen. Hier gab e8 nun zwei Arten der Behandlung; ents weder faßte man das Ganze durchaus vom Stand» punkte des Beſchauens auf und behandelte es völlig objectiv, wie es im Roman eigentlich immer geſche⸗ ben follte, wenn er den Forderungen der Poeſte ent⸗ fpredjen will, oder man benußte nur die Erſcheinun⸗ gen bes Lebens bei der Darftellung, um feine fub- jectiven Anfichten vermittelſt dieſes Vehikels darzu⸗

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legen. Die erſtere Gattung warb vorzäglih von Tieck, ber fih in fpäteren Jahren wieder der eriten ſchriftſtelleriſchen Befchäftigung feiner Jugend zu⸗ wandte, aufgefaßt und meiſterhaft ſowohl in kleine⸗ ren Lebensbildern, wie in größeren Darſtellungen behandelt; feine Erzählungen, wie 3. B. die Geſell⸗ haft auf dem Lande, die Gemälde, dere Gelehrte, fein fchon früher gefchriebener aber er vor einigen Jahren vollendeter Roman, der junge ZSiſchlermeiſter u. A. m., zeichnen fi) durch die fauberfte Feinheit der Darftelung, bie trefflihlte Characterzeichnung, Neuheit und Reichtum ber Situationen und eine feltene Aumuth des Styls fo glänzend aus, Daß fie noch lange als unerreichbar baftehen werden. Die ſelbſtbewußte, ſchalkhafte Ironie, mit der er das Le⸗ ben in feiner eigenften Wirklichkeit fhildert, und doch mit zarten Geihmad nur das wählt, was al- lein und wirklich poetifcher Behandlung fih willig fügt, waren eine Beitlang das Stichwort einer Lite räriichen Partei, die ihn blind bewunderte und nach⸗ ahmte, ohne ihn erreichen zu können, und wurde dann das Reofungswort einer anberen, um ihn zu werunglimpien, beionbers als er felbR fie zum Ges genſtande einer Novelle nehm, und gläcklich in eini- gen antıren ten Kreis erweiterte, inbem er die un» mittelbare Gegenwert mit anmuthigfter Laune fo mit dem Würden verwebte, daß jedes Element ben Reiz des antıren erhöhte. Unter denen, bie fi) feiner Weiſe anſchloſſen, shne jedoch ihn nachzuahmen, find werzäglich Immermann unb Sternberg hervrerzuheben.

oss

Der Erſtere umfaßte in feinen beiden größeren Ros manen, bie Epigonen und Münchhauſen, bie jängfte Beit in allen ihren Gegenfägen mit eben fo ſchar⸗ fem Blicke und wahrhaft bichterifcher Production, als tiefer Lebensanſchauung und innerer Würbe, und legte. in denfelben zu gleicher Beit ein noch bei ben fpäteften Enkeln gültiges Beugniß für feinen hohen dichterifchen Werth, wie für feine echt männliche und fittlich großartige Gefinnung ab. Keine Seite unferes Lebens entging feinen Bliden; er wußte Die ernfteften, wie bie lächerlichiten und ſpottwürdigſten Eriheinungen defielben, mit gleicher Liebe, Wahrheib und Sunf zu behandeln und Darzuftellen, und den Gäh- tungsproceß unferer Tage in poetifcher Reproduction auf das Hellfte gu beleuchten. In den wenigen Worten, die als Autograph das Bildniß des unvergehlichen Mannes begleiten, bat er nicht allein fich, ſondern gerade, was er in dieſen beiden Romanen Ieiftete, auf das Treffendſte chararterifirt; fie Iauten:

Das Leid, die Freude einer Welt empfinden

Und unerfhüttert in geheimen Stand

Verborgner Dinge fchauen, dazu ſchuf

Dein Stern mich in der Laune feiner Bahn.

Schöneres, Tiefgefühlteres und Wahreres, als bie Liebesgefchichte der Lisbeth im Mänchhunfen hat die beutfche Poeſie wahrlich, feit langen Jahren: nicht anfzumweifen gehabt. Ob es nicht Dagegen ein Mis⸗ griff von ihm war, die Heinlichen, namentlich Lite» tärifchen Weftrebungen unferer Periode, die ihn ſtör⸗ ten und mit benen er fertig zu werben wünſchte,

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bung bes Geiſtes, wie bes Gemüthes, innerhalb des Fa⸗ milienlebens gewirkt hat; Fanny Tarnow, die mit zars ter Entwidelung vorzüglich den Adel wahrer Unſchuld zu fchildern verfteht; Caroline von Woltmann, welche tief in einzelne Lebensverhältnifie einzubringen und Diefe mit großer Lebendigkeit und guter Vertheilung von Licht und Schatten darzuftellen weiß; Henriette Hanke, Friederike Lohmann, Sophie von Knorring, Amalie Winter u. f. w. gethan haben.

Das Streben, den Ausdruck der Gegenwart im Romane wiederzugeben und die Löfung der wichtig ften Gonflicte und Xebensfragen anf die eine oder andere Weile zu verjuchen, breitete fi in Deutſch⸗ land nah dem WBefreiungslriege immer mehr imd- mehr aus, da eine große Unzufriedenheit mit einzel» nen Sheilen des Beftehenden fich bei der Menge äu- Berte. Der Roman war überhaupt im Laufe der Beiten zu einem allgemeinen Sprechſaal geworden, in welchem die herrfchenden Intereſſen des Tages und ber generellen. Wiffenfchaft auf eine allgemein verftändliche Weite abgehandelt wurden. Daher ha- ben wir ſchon feit den Ießten Decennien des vorigen Sahrhunderts jene Reihe von dibactifhen Romanen aufzumweifen, welche felbft jegt noch von Beit zu Beit, um ber bequemen Yorm und Feichten Verbreitung willen, durch neue vermehrt werden und Die in eis ner Geſchichte des Romans als eine Bwittergattung eigentlich Eeine Geltung haben Fönnen, wie z. 8. J. A. Eberhard's Amyntor, Flemming's Geſchichte, von Sintenis, Feßlerss Bonaventura und Der Nacht⸗

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waͤchter Benediet, 3. Pezzl's Fanſtin, Salzmann's Karl von Karlsberg, Nicolai's Sempronius Gundi⸗ bert, Emanuels Lehrjahre von K. A. Buchholz, Woldemar von Jacobi, Julius und Evagoras von Fries, Heinrich Melchthal von de Wette, der braune Knabe und die Hallig in der Nordſee von Biernacky, ber Freiherr von Sandau von Vretſchneider u. ſ. w., ſo vortrefflich ſie an und für ſich auch immer ſeyn mögen. Die Poeſie gewinnt eben nicht bei dieſer Gattung, denn fie muß Die Sklavin des abſtracten Raiſonnements werden, wohl aber bie Intelligenz; und fo möge man fie immer gelten laſſen, wenn fte nicht mehr gelten wollen, als ihnen zukommt. Bret⸗ fhneider’8 Roman bat gewiß mehr vernünftige An⸗ fihten in dem Streite über Die gemifchten Ehen weis ter verbreitet, als irgend eine der vielen darüber ges wechfelten Schriften. Mehr jedoch als dieſe beſon⸗ deren Gegenftände fielen die allgemeinen Richtungen der Beit dem Romane zu, und es war unmöglich, die Gegenwart wieder abzufpiegeln in demfelben, ohne bie einzelnen Erfheinungen, welche dieſe ganz bes fonders geiftig bewegten, in Diefen Kreis zu ziehen. Hier gab es num zwei Arten der Behandlung; cent weder faßte man das Ganze durchaus vom Stand» punkte des Beſchauens auf und behandelte e8 völlig objectiv, wie es im Roman eigentlich immer gefche« ben follte, wenn er den Forderungen ber Poefle ent⸗ ſprechen will, ober man benußte nur die Erſcheinun⸗ gen bes Lebens bei der Darftellung, um feine ſub— jeckiven Anfichten vermittelft dieſes Vehikels Barzu-

legen. Die erftere Gattung warb vorzüglich von Tieck, der ſich in fpäteren Jahren wieder ber erfen fchriftitellerifchen Beichäftigung feiner Jugend zw wandte, aufgefaßt und meifterhaft ſowohl in Fleines sen XZebensbilbern, wie in größeren Darftellungen behandelt; feine Erzählungen, wie 3. B. Die Gefell- {haft auf ben Lande, die Gemälde, bee Gelehrte, fein ſchon früher gefchriebener aber erit vor einigen Fahren vollendeter Roman, der junge Zifchlermeifter u. A. m., zeichnen fi) Durch die fauberfte Yeinheit ber Darftellung, bie trefflichſte Chararterzeichnung, Keubeit und Reichtum ber Situationen und eine feltene Anmuth des Styls fo glänzend aus, daß fie noch lange als unerreichbar baftehen werben. Die felbftbewußte, ſchalkhafte Ironie, mit der er das Le⸗ ben in feiner eigenften Wirklichkeit jchildert, und doch mit zartem Geſchmack nur das wählt, was als lein und wirklich poetifchee Behandlung fich willig fügt, waren eine Beitlang das Stichwort einer lites rärifchen Partei, Die ihn blind bewunderte und nad ahmte, ohne ihn erreichen zu Fönuen, und wurde dann das Loofungswort einer anderen, um ihn zu verunglimpfen, befonbers als er felbit fie zum Ge genftande einer Novelle nahm, und glücklich in eini⸗ gen anderen den Kreis erweiterte, indem er die un⸗ mittelbare Gegenwart mit anmuthigfter Laune fo mit dem Märchen verwebte, daß jedes Element ben Weiz des anderen erhöhte. Unter denen, die fich feiner Weiſe anfchloffen, ohne jedoch ihn nachzuahmen, find vorzüglich Immermann und Sternbesg hervorzuheben.

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Der Erſtere umfaßte in feinen beiden größeren Res manen, Die Epigonen und Münchhaufen, die jüngſte Beit in allen ihren Gegenfägen mit eben fo ſchar⸗ fem Blide und wahrhaft Dichterifcher Production, als tiefer Lebensanfhauung und innerer Würbe, und legte. in denfelben zu gleicher Beit ein noch bei ben fpäteften Enkeln gültiges Beugniß für feinen hohen Dichterifchen Werth, wie für feine echt männliche und fittlid) großartige Gefinnung ab. Keine Seite unferes Lebens entging feinen Bliden; er wußte bie ernfteften, wie bie lächerlichiten und ſpottwürdigſten Erſcheinungen defielben, mit gleicher Liebe, Wahrheib und Sunf zu behandeln und Darzuitellen, und den Gaͤh⸗ rungsproceß unferer Zage in poetifcher Reproduction auf das Hellfte zu beleuchten. In den wenigen Worten, die als Autograph das Bildniß des unvergeßlichen Mannes begleiten, hat er nicht allein ſich, ſondern gerade, was er in dieſen beiden Romanen leiftete,. auf das Treffendſte charatteriſirt; fie lauten:

Das Leid, die Freude einer Welt empfinden

Und unerfhüttert in geheimen Stand Verborgner Dinge fihauen, dazu ſchuf Mein Steen mich in der Laune feiner Bahn.

Shöneres, Tiefgefühlteres unb Wahreres, als bie Liedesgefchichte der Lisbeth im Mänchhaufen Hat Die deutſche Poeſte wahrlich, feit langen Jahren: nicht anfzuweiien gehabt. Ob es nicht Dagegen ein Mis⸗ griff von ihm war, die Fleinlichen, namentlich lite⸗ rärifchen Beftrebungen unferer Periode, die ihn Rör- ten und mit benen er fertig zu werden wünfchte,

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auf die Weife zu behandeln, wie er e8 in eben dem⸗ felben Buche gethan, fo daß es in wenig Derennien ſchon eines Gommentars bebürfen wirb, um es ben Spätergeborenen begreiflidy zu machen, wie mannich⸗ faltig raffinivend ſich die Mifere in unferen Tagen fpreizte und geberbete, wollen wir der Nachwelt zur Entiheidung überlaffen, da wir zu fehr mitten drin ftehen und ber Edel vor dieſem Zreiben uns par⸗ teiifch machen muß.

Sternberg faßte die Beit oberflächlicher uf und gewann keinen Weberbli über Die Maſſen, fondern behandelte einzelne Erfcheinungen mit jauberer Aus⸗ führlichkeit und fleißiger, eleganter Darftellung; da- buch aber drang er nicht fo tief in das Geſammt⸗ weien ein und beichäftigte fich mehr mit dem Aeußer⸗ lichen der Erfcheinungen. Bon einem Vergleich zwi» fchen ihm und ben beiden eben genannten Meittern kann gar nicht Die Rebe feyn, nur feine Behand- Iungsweife im Allgemeinen ftellt ihn zu ihnen. Sind Jene geoßen Hiftorienmalern zu vergleichen, fo wirb er am Beſten characterifirt, wenn man ihn einen eben fo gefchiekten, wie talentvollen Miniaturmaler nennt. Gr behandelte auerft eine Manifeftation un« ferer Beit, auf welche fpätere Tage gewiß höchkt ver» ächtlich bien werben, die Unzufriedenheit mit dem Beitehenden, welche ſich gegen fich felbft wendet, weil fie in ſich Feinen Halt findet und ihr der hei- ige Ernſt der Gefinnung fehlt, und ſchilderte dies felbe, jedoch nicht erſchöpfend, was er überhaupt nicht thut, in feinen beiden Erzählungen, Eduard und bie

ei

Berriffenen. Die fein finnliche Behnalichkeit, weiche die höheren Stände um fich zu verbreiten willen und Durch welche die Blafirtheit nur noch mehr: gefteigert wird, ftellte er vortrefflid dar, wie ſich überhaupt feine Romane dadurch fehr vortheilhaft auszeichnen, daß der Sentleman überall durchblickt, während gerade die meiften Romanfchriftitellee der neueſten Beit fo großen Mangel an wirklicher Kenntniß bes Weſens der höheren Stände, bie fie vorzugsweife gern fhildern, wie an Tact für das Schieliche, bes fonder8 bei der Beichnung vornehmer Frauen, verra⸗ then. In feinen übrigen Erzählungen befchäftigte er fich ebenfalls vorzüglich mit Interefien ber Ge⸗ genwart oder der nachſten Vergangenheit, jeboch mit eben betjelben Auffaſſfung. Seine Situatinnen find immer geiftreich erfunden und trefflich angeordnet, feine Charactere indeſſen häufig ſchwankend und unſi⸗ her. Wie anmuthig ſpielend und zugleich künſtleriſch gefaltend feine Phantaſie fei, das hat er vorzüglich in einigen Märchenromanen und Novellen bewielen.

Jene Unzufriedenheit mit dem Beftehenden, wel che aus innerer Unfertigkeit zum Theil entipringt, zum Theil aber ein Erzeugniß der vielen wichtigen Gonfliete unferer Tage tft, ward überhaupf in ber letzteren Beit vorherefchend und als etwas Neues, zue literärifchen Mode. Man eoquettirte mit ber Berriffenheit, wie man dieſen Buftand nannte, ſeit⸗ Dem eins der größten Talente der Gegenwart ben Ton angegeben, großes Aufſehen erregt und viel- fachen Beifall und Wiederhall gefunden hatte, Eine

44 %

Fraction, welche ſich als Partei der Bewegung aber moderne ankündigte, und in ber Literatur dadurch einen Umſchwung hervorgubringen ftrebte, Daß fe gegen das Beſtehende ankämpfte, ergriff nach fran- aöfiichem Vorbilde ben Roman als Behikel ihrer Ma⸗ nifeftation. Die nad) ihrer Anficht veralteten und babes unbrauchbar gewordenen Inſtitute des Staates im Allgemeinen, und bes Ghriftenthums und ber Che insbefondere, waren e8, bie fie vorzüglich an- griffen. Als die markanteſten Productionen find hier befonders Gutzkow's Wally, Laube's junges Es sopa und Mundt's Mabonna anzuführen; fie mad» ten ein augenblidliches Aufſehen, weldyes durch die Manßregeln, die der Bundestag überhaupt ges gen die ganze Richtung nahm, noch erhöht wurde, doch überlebte ſich dies Beſtreben binnen wenig Jah sen, und ba bie Häupter der Partei unter fich zer» fielen und fi unter einander anfehdeten, fo erloſch das allgemeine Interefle daran noch früher. Der Woman gewann eigentlich Nichts dadurch, denn er wor von ihnen überhaupt nur als die bequemfte Form gebraucht worden, ihre Raiſonnements hinein zu gießen, und biefem Bmwede mußte Alles dienſtbar ſeyn, felbft die Beichnung der Charactere. Am Schlimmiten kamen bei ihnen die Frauen weg, für beren Befreiung fie eben Fämpften. Bon dem hei- ligen Selbftgefühl des Weibes, das auf der Keuſch⸗ beit ruht, Hatten dieſe Schriftſteller entweder gar Eeinen Begriff, oder wollten ihn nicht haben; ihre Zrauengeftalten find ſämmtlich ibealifirte Hetären,

fo Wally bei Gutzkow, weldhe fi einem Wanne mit Faltem Bewußtſeyn nackt zeigt, Madonna bei Munde, die dem Katholiten, der fie nothzüchtigen will, ent⸗ fpringt und fi in derfelben Nacht dem Proteftanten hingiebt, und die Yürftinnen und Gräfinnen bei Laube, die Einem fchon auf der Treppe am den Hals fallen und im Vorzimmer mit Leib und Seele angehören, nicht einmal wartend, bis fie in ihr Boudoir Fommen: Später fuchten Gutzkow und Laube wieder gut zu ma⸗ hen, was ihnen vorgeworfen worden; der Erſtere durch feine Seraphine, ber Letztere durch feine Forts fegung des jungen Europa. Auch ſchrieb Gutzkow bald darauf einen Eomifchen Roman, Blafedow und feine Söhne, ber eigentlih nur ein fatyrifcher wear, und dem das wirkliche Leben fehlte, wogegen derſelbe jedoch ‚einen reihen Schag der feinften und treffend⸗ fen Bemerkungen über die Werhältniffe.der Gegen» wart Darbietet, die als ein Document für unfere Beit ſtets Geltung behalten werden. Wären dieſe Autoren, namentlich Gutzkow, der an Feinheit unb Schärfe bes Berftandes, an gewandbter Dialectit und an pofitivem Wiſſen die Anderen überragt, nicht fo gefefielt von ihrem eigenen Sch gewefen, fo wür⸗ den fie Fünftlerifch,, wie forial, viel nachhaltiger ge= wirft haben; fo aber fehlte ihnen Reife und Ruhe, und ihre Romane mußten misglüden. Gutzkow Fönnte ber deutſche Bulwer werden, mit dem er bie größte Aehnlichkeit des Zalentes überhaupt Hat; Zanbe ift Dagegen in Manier gerathen und hat fich gleich nachher zum unmittelbariten Gegenſatze feines

riſche Perfonen zu feinem Mittelpunkt machte, bes gnügte er fich jetzt meift damit, erfundenen Charabkte⸗ ven nur den Hintergeund einer hifkorifchen Beit mit ihrer ganzen GStaffege für den Schauplatz ihrer Sandlungen zu geben. Dies erfcheint ung als Fort fhritt und Gewinn, denn e8 geftattet dem Dichter größere Freiheit der Bewegung, ba er bei hiſtori⸗ fen Gharatteren von ber Geſchichte gefeffelt nur hochſtens die Motive und Uebergänge ihrer Hand» ungen, welche jene nicht überliefert hat, erfinden kann, während ihm bier die Geſtaltung feiner gänz- lich erdihteten Perfonen vollkommen anheim geheilt bleibt und er alfo wenn ee anders wirklich pro- duetiv it nicht Gefahr läuft, pſychologiſche Fehlgriffe zu machen oder ber Sefrhichte in das Ant⸗ litz zu fchlagen; auch bleibt ein Hiftorifcher Held in einem Romane leicht etwas Anfertiges, wenn er nicht gar dem Dichter unter ben Händen zw einem Bwitter misraͤth. Der philofophifhe und der zein fubjertive Noman d. 5. der Roman, der fh | auf die Darftelung der Geſchichte des inneren Ser lenlebens eines Individuums beſchränkt, find faſt ganz aus der Mode gefommen; ein Beweis, daß Die Beit auf das rein Stoffliche drängt und nur biefes will, um es fich felbft zurecht zu legen und au | verarbeiten; ein Beweis endlich, daß Die been, welche die Gegenwart bewegen, Fänpfend mit eins ander in das wirkliche Leben getreten find, aber bie fen Kampf noch nit zur Entſcheidung gebracht, alfo noch nicht vollendet haben. Nur in Beiten

Der Ruhe erhält die Wefleetion das Uchergewicht, um ihre Urtheil von bee Bergangenheit im Nomane nies Derzulegen. Wieder ein Beweis, daB in neueren Beiten die Romane uns gründlich belehren können, wie e8 zur Periode ihrer Geltung um ben Geiſt ber Nation, weldyer fie angehören, ftehe.

Laſſen mir nun in rafcher Ueberſicht das Beben. tenbfte, was das legte Decennium bei den in ber Kiteratur ftimmführenden Kationen an das Licht zief, vor unfern Blicken vorüberziehn. Tonange⸗ ber auf biefem Gebiete für europäilche Bildung blie⸗ ben no bie Franzoſen, eben weil bei ihnen ber Kampf der Ideen über die Umgeftaltung ber focialen MWerhältnife am Entichiedenften auf das Leben ber Gegenwart einwirkte und das Verlangen, diefelben auf: dem Wege unmittelbarer Darftelung veran» Ichenlicht und durch Die Phantafie dem Wefkehennen ſo nahe wie möglich gebracht zu ſehen, bergeflalt wuchs, daß die wichtigſten politifchen Beitungen nicht bloß ber Hauptſtadt, fonbern auch der Provin⸗ zen einen großen Theil ihrer Spalten dem Romane einräumen mußten und ihr Gedeihen eine Beitlang fat allein von dem fingirten Inhalte ihres Fenilletons ab⸗ bängig war. Die beliebteften Romanfchriftiteller, wie namentlih Alerander Dumas, F. Soulié, Eh. de Bernard und vor Allen Georges Sand, be Balzac und Eugen Sus beherrſchten bie Organe Der Preſſe und überboten ſich mehr oder weniger in kecken Erfindungen, in denen fie daS Leben ber Ges genwart ober der nächſten Bergangenhelt, um durch

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Zi biefe jener einen Spiegel vorzubalten, fdyilberten. Am Ganzen waren es, fchr wenige Ausnahmen ab gerechnet, dieſelben Zendenzen, wie fie bereits ver mehr als einem Decennium ſich in ber fogenennten Literatur des Schmutzes und Blutes (f. oben ©. 632) hervorgebrängt hatten, nur zu weiteren Kreis fen ausgedehnt und anftändiger im Ton, wenn auch nicht fittliher im Inhalt; die Verfaſſer thaten eben, was unfere größten beutfchen Meifter einmal im Berne unferen ſehr unſchuldigen Romandichtern anriethen, daß fie, um den Kindern ber Belt und den Frommen zugleich zu gefallen, die Wolluſt wa len follten, aber au den Teufel dazu. Das war namentlih) Eugen Sud ganzes Geheimniß und die Duelle feiner weitreichenden Wirkungen; bei ihm als dem Träger und Verfechter dieſer Richtung wol ken wir beshalb onsführlicdyer verweilen. rüber hatte er: Beide in einer Perfon Dargeftellt, und zwar fo ſcheußlich wie möglich, hatte fie auch ungeftraft gelefien, um ben elenden Sag zu beweifen, baß das Böfe in ber Weltordnung den Sieg bavon trage einen Sag, ben ber fittlih gangränirte Maranid de Sades fchon lange vor ihm in feinen eben fo wibrigen wie außgearteten und unnatürlichen Roma- nen Quftine und Juliette durchzuführen verfuchte (vergl. S. 33 350. B.). Um diefen Roma nen (ſ. ©. 5558. B., wo fie ſich einzeln aufgeführt Anden), einen eigenthümlicyen Heiz zu geben, hatte er fie meift auf dem Meere fpielen laſſen, bis er mit feiner Histoire de la Marine Francaise, die auch

nit viel mehe als ein Roman if, biefen Gegen⸗ ftand erfchöpft zu haben glanbte, und nun mit einem Fühnen Sage und einer Wendung in feiner Lebens⸗ anſchauung ſich wieder auf das Feſtland ſchwang. Seine Lehre war nunmehr: &8 iſt des Böfen außer⸗ orbentlich viel auf der Welt, ungefraft gehen aber nur bie Reichen und Vornehmen aus und bie an⸗ Deren Mitglieder der menfchlichen Gefellfhaft, nas mentlih in den unterften Klaffen, leiden entfeplich Davon; man muß das Böfe fchildern, um zugleich Die Möglichkeit feiner Beftrafung und die Mittel,

ihm abzubelfen, anfchaulich nachweifen zu Pönnen. An und für iſt dieſe Idee ganz vortrefflih, ımb wenn fie ein fo gediegenet Mann, wie ber treffliche Arzt Parents Duchätelet, in feinem meifterhaften Werke über Die Profitution zu Paris, hinſichtlich einer von den vielen Rachtfeiten ber bürgerlichen Geſellſchaft, mit gründlichſter Wiffenfchaftlichkeit und reichfter Erfahrung durchzuführen fi) bemühte, fo kann man ihm nicht dankbar genug feyn und muß ihn als einen Wohlthäter der Menſtchheit betrach⸗ ten;: wenn aber dagegen ein frivoler Romanſchrift⸗ fteller, wie Eugen Sue, Diefe. Hohe Aufgabe in Werken ber Fiction zu Iöfen unternimmt, fo kann man trogbem.es ſich nicht Teugnen laͤßt, daß man⸗ her gute Gedanke Dadurch verbreitet und popular gemacht wird, fein Treiben nicht ftreng genug ta⸗ deln, nicht entichieden genug verwerfen, denn er ſchändet die hohe Würde . ber Poeſie, erhitzt Die Gemüther, verdirbt den. Geſchmack und Fährt bie.

Menge vom grünblidien und ruhigen Nachdenken über ſolche Lebenafragen ab und in die Irre. Ih bin feſt überzeugt, daß bie Mysteres de Paris unbe zechenbaren Schaden gethan haben. Dies näher zu unterfuchen, Bommt jedoch anderen Forſchern und an- deren Kräften zu; wir haben uns bier nur darum zu befüämmern, was auf bem Gebiete des Nomans baburch gewonnen ober eingebüßt wurde. Als das erſte Gapitel der Geheimniffe von Paris dieſer Stabt, die Allen, fogar dem Pariſer felbk, als das verfchleierte Bild zu Sais erfcheint, dem den Schleier ganz abzuziehen, Niemand ben Muth und die Kraft bat, fondern nur höchſtens ein Bipfel- hen zu lüften wagt, bie daher aber auch auf ale Gemüther ohne Unterſchied einen eigenthämlichen geheimnißvollen Weiz ausübt alfo, als das erfie Gapitel dieſer Geheimniſſe zuer in dem Feuilleton eines politifchen Jonrnals erfchien, da wandte fid fogleih die Aufmerkfamkeit des ganzen gebilbeten Europa auf dafielbe, und biefe Aufmerkſamkeit bes bielt ihre volle Spannung bis gum Schluſſe bes Schluſſes, einem Epilog, ber Alles in ganz orbis närer Romanweife auflöfte. Es war mit Diefer dem Anſchein nad aus dem vollen Leben ber Gegenwart gegriffenen Erzählung ganz fo, wie es bie Inftige Perſon dem Dichter in Goethe's Worfpiel zum Fauf raͤth: Ya bunten Bilbern wenig Klarheit, Die Irrthum and ein Fuͤnkchen Wahrheit,

ws wüßte man es nicht befler, man kounte glauben,

wi &. BuE kenne tie ganze dort gegebene Libre vuh

habe das Recept genau befolgt, um danach „den beiten Trank“ gu brauen. Der allgemeine Beifall überzeugte erft Sue felbft, welchen glüdlichen Grif er in die Beit. gethban anb nun wuchs ihm nnter ben Händen das Werk, dem eine folche innere uni änßere Ausdehnung zu geben er das ficht man deutlich anfangs gar nicht beabfichtigt hatte. Uns if weber ber Raum vergbunt, ‚hier. eine Skizze des Inhaltes zu geben, noch fcheint 28 auch eine Nothwendigkeit, da das Vuch ſelbſt in allen. mögli« hen Ausgaben, Nachdrücken und Ueberietungen Ver bem zur Sand ik; wir wollen alio gleich jagen, was wir davon halten. Es ift eine Fabrikare beit, aber die Fabrikarbeit eines Mannes von un« beſtreitbarem und bedeutendem Talent; als Kunſt⸗ wert betrachtet, Hat es nur fehr geringen Werth, trotzdem daß es manches hochſt Gelungene, ja ſogar wahrhaft Schönes enthält, wie z. B. die Epiſode, in welcher Fleur be Marie die Lonve belehrt und bekehrt, wirklich ein Meiſterſtück ik. An den geringen Werthe dieſes Romans als Kunſtwerk tra⸗ gen Die Uebereilung, bie Wilkürlichkeit, die gekün⸗ ſtelte und doch wieder ſehr alltägliche und plumpe Erfindung und bie echt feanzöffcdhe Uebertreibung in Der Charakterzeichnung die Schuld; ſogar im Styl ſindet ſich eine ſehr geoße Alugleichheit. Man möchte für das Wert folgendes Bild wohl als sim paſſendes haltene '2B ift: eine Sammlang. von bunten ESkizzen an xinem groben und nohen Faden nachläſſig aufger

zogen, aber mit ber kecken Behauptung zum Merkeuf bargeboten, daß fie ein vollſtaͤndiges lüden- uud fehlerfeeies organiſch verbundenes Kunſtwerk ans⸗ mache.

Eine neue Bahn warb anch nicht dadurch ge⸗ beochen, nicht einmal Kreng genommen einer alten eine neue Richtung gegeben, fondern eine ſolche nur breiter gemacht. Diefes Buch if, wie wir fon oben anbeuteten, Nichts als eine Fortſetzung des älteren franzöfichen fogenannten Sittenromans wit ber Wendung, die berfelbe gegen den Schluß bes achtzehnten Jahrhunderts durch Prevdt .in der Ma⸗ non Lescaut, Choderlos de Ia Clos in den Liaisens dangereuses, Roͤtif de la Bretonne in feinem Paysan perverti und Zouvet de Couvray im Faublas erhielt. Abgeſehen von der confequenteren und ein- faheren Characterzeichnung und der tieferen pfyche- Iogifhen Begründung und Durchführung haben biefe Komane vor den Geheimniffen die größere Natür⸗ Vichkeit und Wahrheit der Erfindung voraus, wäh rend Die letzteren allerdings reicher an Einzelnheiten and draftifch wirkenden Srenen find. Das Yufs fehn, welches dieſe machten, und die Wirkung, bie fie ausübten, war allerdings ungeheuer, aber keines⸗ wege nachhaltig, fondern überaus raſch vorüberges hend; ‚wir glauben nicht, daß fi irgend Jemand findet, der fich, gleichviel aus welchem Grunde, ange trieben fühlt, Diefeß Werk zwei Mel zu leſen; die Urſachen aber Diefer gewaltigen kurzen Wirkung find theile in ber Beit ſelbſt, theils in der Ueberreizung

Der leſenden Menge zu fuchen; Die Ueberzengung von der Berrättung unferer geſellſchaftlichen Ver⸗ hältniſſe ift eine allgemeine geworben, denn in allen Ständen, vom höchſten bis zum niebrigften, wird es Miemanden geben, der ſich bei den gegenwärtigen focialen Bufänden behnglich fühlte und in dem nit, gleichyiel ob mehr oder minder, der Drang ober Die Sehnſucht nach Beſſerung derfelben erwacht wäre, Jeder wird alſo Durch das Leben jelbit gereizt fich Damit befchäftigen, und da die Gebildeten Die Quelle aller dieſer Uebelftände in den Lebensverhältnifien der Ungebildeten, des von ihnen fogenannten Bols Tes fuchen, weil hier Alles fchroffer, härter, unmit« telbarer und mächtiger en das Licht tritt und fidh am wenigften in das gleißende Gewand der Heuchelei hüllt, anfatt daß fie erſt bei füch felbit Umſchau halten und fi) Die traurige Gewißheit Holen foll« ten, wie ſehr die Züge heimlich alle ihte Zuſtände zerfreſſen bat fo wenden fie fich. mit größter Auf⸗ merkſamkeit dem Leben des Volkes zu; aber wie fie überhaupt oberflächlich find, fchreden fie vor ern⸗ fter Forſchung oder practifcher . Unterfuchung zurüd, und ein Roman ift ihnen daher in dieſer Hinficht das Willfommenfte, weit willfommener, als bie trefflichften anderweitigen lebenswahren Berichte über diefen Gegenftand, denn er. befchwichtigt ihnen ihr Gewiſſen und füllt Alles aus, was fie verlangen; nach ihrer Meinung belehrt er fie, regt fie an, hält fie in Spannung und beruhigt fie zu gleicher Beit. Ein Roman. drit jo nicht mit. einem quälenben

Fragezeichen ab, wie es fo manche Erfcheinung bes wirklichen Lebens thut, bei der bie Köfung ber Frage oft erſt fpat und nur mit bitteren @rfah- zungen zu erkaufen it. Alles das nun, was bie Menge verlangte, terug ihr Eugen Sue in feinem Koman entgegen, eine Schäffel für ihren krankhaf⸗ ten Sunger, aus ben wunberlihiten Ingredienzien zufammengejegt und mit ben beißendften Gewürzen angemacht. Sie fiel darüber ber, weil fie Alles darin zu finden glaubte, wonad fie ſich ſehnte und wonach ihr gelüftete ; fie fättigte ih, aber nur bem Anſcheine nad. Daß ein derartiges krankhaftes Gelüfte gerade eine ber entfchiedenften Aeußerungen ber Gorruption ihrer eigenen Bufänbe fei, das ahnt Re wohl dunkel, aber fie iſt zu feig, zu träg und zu verwöhnt, um mit Ach ſelbſt ernſtlich Darüber zu Kathe zu gehn. Wäre fie nicht zu blafirt, fo wärbe diefes Buch, trotz feinen Fehlern, Widerfprücen und Ungereimtheiten, doch vieleicht noch einen ans beren und tieferen Einfluß auf fie gehabt und fe irgendwie zum Handeln angeregt haben, fo aber bes gnügte fie fich damit, zu glauben, was ihe Darin erzählt wurde und fah neben vielen anderen Unge⸗ zeimtheiten nicht ein, wie e8 eine reine Unmöglich⸗

keit it, daß eine Straßenhure fromm, unfchuldig | und aottesfürchtig bleiben und bei allen Diefen glän

zenden Gigenfchaften doch ihr Leib und Seele zer ſtorendes Bewerbe. ans Nothwendigkeit fortſetzen Bönne, ohne weder am Leibe noch an der Seele

dadurch einzubäßen. Dan weiß wirklich nicht, was

größer if, bie Frechheit eines Schriftſtellers, feinem Yublicum fo etwas weiß zu machen, „der die bla firte Ginfältigkeit des Publicums, fo etwas ſchön finden zu wollen.

Durch dieſes Buch aber Hatte ih Eugen Sus auf Den Gipfel des Nuhms gefhwungen und Wach ahmungen tauchten überall in Menge aufs; es giebt in jeder Stadt, von Archangel bis nach Aftrachan, we» nigftens irgend einen Schriftfteller, der die Ge» beimniffe dieſer Stadt & la Suö gefohrieben bat oder gefchrieben haben würde, wenn Polizei und Cenſur es erlaubs Hätten *), und der fpeculirende

*) Zum Beweife will ih bier nur anführen, was in Diefer Hinfiht deutſche Specnlation auf den Bü⸗ hermarft brachte, und mich mit der Bemerkung bes anügen, daß England, Frankreich, Dünemarf und Holland verhäftnißmäßig dieſem Gefhmade eben fols Ken, wenn nicht noch ſtärkeren Tribut zollten. Bon dem Sus'ſchen Roman Famen von 1842 1844 vier verſchiedene Heberfegungen (von Diezmann, Börn⸗ ftein, ®. Leu und G. und Erwin von Moosthal) und die Diezmannſche Verdeutfhung erlebte bis 1845 fieben verfihiedene Auflagen und Ausgaben. An Rache ahmungen erfchienen während berfelben Beit theils Ueber⸗ fegungen, theils Originale: 1) die Geheimniffe von Am⸗ fterdam von L. von Eikenhorft, deutfh von Raabe, Reipzig 1844; 2) die Geheimniffe von Berlin, 6 Bde. Berlin 18445 3) die Myſterien von Berlin von A. Braß, 3 Die. Beim 1844; 4) Eine Nacht in Bers lin oder Gebeimniffe eines Victualienkellers. Demmin

berte werben unfchläffig fenn, woräber fie mehr er⸗ Saunen follen, über einen Schriftſteller, der Seldes wit eiferner Stien dem Publicum zu bieten wagte, oder über bie jämmerliche Geſinnung bes Publieumd, Das ſich dergleichen nicht allein gefallen ließ, fon. bern es wenigitend anfangs mit Entzüden hinnahm, während e8 fi fchon aus den erſten Gapiteln, je fogar auß ber byperromantifchen @inleitung überzew ‘gen konnte, welch ein wiberfinniges Gemiſch ihm hier aufgetifcht werben follte. Nie ift wohl Die tiefiinnige Idee vom ewigen Juden, dieſer Mythus von ber Unßerblichleit bee Rene, . fo erbärmlich ausgebentet worden wie bier, trotz bem, daß Sue ihm in ber Herodias ein Seitenſtück men möchte es mit jenem Indenknaben als bdiefelbe Coulenr in Grün angeben zugefellt. Wenn es galt, ben Iefuitenorben dieſes Protoplasma der feiniten und geglicbertäen Politik, der zugleich und eben dadurch der eiwige Popanz aller aufgeflärten Halbwiſſer bleiben wird, vor dem fie fi ſtets mit Gefchrei fürdhten, den fe aber nie recht anzugreifen verftehn werden, weil fie fein Weſen nicht begreifen alſo, wenn e8 galt, diefen Orden in einem Romane, der ein treues Bild ber Gegenwart feyn fol, zu bekämpfen, indem mar ihn in eben diefem Romane wie in einem Spiegel bilde aller Welt zur Schau fiellte, fo mußte doch weahrlid; eine andere Fabel erfunden werben, als fe Eugen Sus dafür erfand; denn Alles läuft nur onf eine ganz gemeine Erbfchleicherei, theild durch Liſt, theils Durch Gewalt, theils Durch andere ver

Brecheriſche Meittel heraus, um eine allerbinge bes teüchtliche Summe dem Orden in die Hände zu fpier Ien. Daß dem Berfafler urſprünglich die Idee des ungeheuren Nachtheils, ben eine Inftitution, wie Die Geſellſchaft Jeſu, auf unfere Buftände übt, fo wie der Gedanke einer ſocialiſtiſchen Verbindung als einziges Mittel jenen verderblicdhen Einfluß gu Iähmen und zu zerftöcen vorgefchweht Habe, Daß wird ihm Niemand beftreiten können, eben fo wenig, daß er Durch den Verſuch, dieſe Ideen in einem Romane concret zu veranfhaulichen, die Schranu⸗ Ten, welche bisher demjelben gezogen waren, wens auch nicht niedergeftürgt, doch bedeutend erweitert babe, aber es ift eben nur ein Verſuch, und zwar ein ſehr unvollfommener, und eben deshalb ein ver⸗ unglüdter gewefen. Schon die Grundlage der ganr zen Fabel, das Zeftament des Marquis von Penner pont, ift eine jehr unwahrfcheinliche Erfindung, ger gen deren Möglichbeit jeder prackifhe Juriſt, wie jeder praftiihe Finanzmann gar viel möchten eins zuwenden haben; bie Mittel und Wege aber, melche die Sefuiten anwenden, um das Bermädhtniß in ihre Hände zu bringen, find fo auf die Spitze ges trieben und fo Eünftlih, daß Niemand recht an fie glauben kann, auch wird dadurch der Drden zu einer Bande habfühtiger Wucherer, Deren Bwer nur das Geld ift, während er möge man von ihm denken, was man wolle Doch das Geld ftets nur als Mit tel zur Grreichung weit bedentenderer Zwecke bee trachtet bat, und gewiß ohne Die tiefgegründete

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Aothwendigkeit deſſelben, ſich Bei allen feinen weit greifenden Operationen gar nicht um Daffelbe küm⸗ mern würde. Wollte Sus ben Jeſuitenorden läh- men, indem er practifch nachwies, wo derfelbe ans gugreifen fei, fo mußte er bie Schwäche und bie nichtewärbige Politik der eurspätichen Höfe angreir fen, bie wiſſentlich ober unmiflentlich von jeher ſelbſt als deren Gegner die größten Beförberer ber | Stiftung Loyala's gewefen find; aber dazu hätte er Kenntniffe und Mittel beburft, die ihm nidt zu Gebote ſtanden und die felbt dem Talentvollſten wicht über Wacht zufallen, während gerabe bier. ein eben fo begabter wie befonnener Romandichter Alles que Verfügung hat, um ein Meiſterwerk zu liefern. | Sub's Stärke befteht jedoch nur in der Schilder eung von indivibuellen Gharakteren oder richtiger von ſtark charakterifirten Individuen, und in der Erfindung von Situationen, welche eben das Indie viduum im vollten Yarbenglanze feiner guten ober böfen Gigenfchaften und in ber hellſten Beleuchtung Darzuftellen vermögen. Dies hat er auch hier gethan. Die verfchiedenen Nachkommen und Erben des Herm von Rennepont, welche gemeinfchaftlih an einem und demſelben Zage die große Erbfchaft heben fols len, find eben fo viele verfchiedene Typen nicht bloß der einilifieten Geſellſchaft, ſondern des Menſchenge⸗ ſchlechtes, und unſer Verfaſſer holt Einige derſel⸗ ben vor unſern Augen aus den entfernteſten Win⸗ keln der Erde zuſammen, damit wir ſie auf der Keife begleiten, mit ihnen Schiffbruch leiden, ihrer

Hettung beimohnen, und ſie endlich ſammt allen an⸗ dern dabei Bethetligten nach unendlichen Abenteuern und Begebenheiten aller Art, benen noch die Cho⸗ lera als ein ganz abfonderlicher Bufag beigemifcht wird, Schiffbruh im Hafen ‚der Erbſchaft leiden und. die fchlauen Sefuiten durch einen fchlauen ehr⸗ lichen Juden um das ganze. große Gapital geprellt ſehn. Diefe über das Knie gebrochene Löſung des fo lange mühſam gefchärzten und verknüpften Kno⸗ tens bat etwas Kindifches, und das einfältigfte Alt» weibermährchen, das in den Spinnftuben irgend ei⸗ ne8 Dorfes, gleichviel weldher Nation, erzählt werden kann, erfreut fich jedenfalls einer natürliches ren und gejunberen Abwickelung. Sus befikt ein eminentes Talent, das unterliegt Teinem Bweifel, allein dieſes Talent bat ſich ganz verkehrt entwirelt, e8 trägt den Stempel der raffinirteften Kultur und it doch zugleich roh geblieben. . Wir haben fchon weiter oben bemerkt, daß feine Stärke in der Er⸗ findung prägnantee Individuen beftehe, aber alle dieſe Charaktere werden von ihm, wenn ſte glei in ihrer. exften Anlage uns als möglih, alfo als poetifh wahr erfcheinen, doch fo fehr auf die Spitze getrieben, daß bie Ausführung der ihnen zu Grunde liegenden. Idee fte zu Unmöglichkeiten macht; eben fo ift e8 mit den Situationen, in denen er fie zur Erſcheinung bringt: überall find Die Farben viel zu ſtark und zu grell aufgetragen, und felbit in Den vielfachen Sombinationen des Parifer Xebens, in denen er am Slüdlichften fich bewegt, weil er e8 am Genaue⸗ | 46

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ften Fennt, fehlt die Buße, welche von ber unge ſchminkten Wahrheit ungertrennlich ik. Richt Leicht wirb fich noch in irgend einer Literatur ein zweiter mit gleichen Fähigkeiten begabter Romandichter fin» ben, ber fo zeffinire, fo plump und fo unverfchämt auf den ganz gemeinen Effect hinarbeitet, wie «8 diefer Held des Parifer Fenilletons thut.

Etwas gemäßigter bat er fich in feinen ſieben Sobfünben, welche in einer Reihe von nur Durch den Titel zufammenhängenden Romanen, deren jeder eine beſtimmte Sünde durch ein Inbivibuum ver anſchaulicht, gehalten und größeren Fleiß anf bie @ntwidelung bes Seelenlebens und der möglichen Verirrungen deflelben verwendet, doch gefällt er ih bier auch in Paraboren, die er nie naturgemäß durch die Ausführung feiner Gharaktere zu beweifen ver» mag. Seine neuefte Arbeit, die Kinder der Liebe, endlich if ein gang verfehltes Machwerk. Um zu beweifen, daß es eine Nemeſts auf Geben giebt, Die jede Berhöhnung ber auf ber Sittlichkeit beruhenden gefellfchaftlichen Ordnung, und jedes Ver⸗ gehen wider dieſelbe früher oder fpäter am ihren Ucheber rät, läßt er einen italienifchen Kammer: Diener dreißig Jahre lang auf das Künftlichte einen Plan ausbrüten und vorbereiten, um fich an feinem Seren, bee in bee Jugend eine ſehr lare Moral Batte, zu rächen und ihn unb Die Seinen mit ci nem Schlage gu verderben, weil derſelbe wor langer Reit eine Landsmännin verführt und verlaffen, bie des Kammerdieners Berlobte geweien. Dieſe ganze

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Geſchichte iſt fo ungeſchickkt zuſammongeſtellt, fo ro⸗ manhaft gekünſtelt uud fo uͤbertrieben, daß fie Einem fe wie sine Schulerkeit erfeheint und man nicht begreift, wie ein fo geübter Schriftfteller nicht auf Den weit näher liegenden und natüzlicheren Gedan⸗ Gen gekommen if, feinen Helden in fpäteren Jahren mit feinen verfchiebenen natürlichen Kindern zufapır mentreffen zu laſſen, um buch den WUnbli ihrer bürgerlichen uud ſittlicheñ Verwahrloſung bie tiefke Neue in ihm zu erwecken; dadurch wärbe die Lehre, Die Sus hier gu geben beabfichtigte, weit einhringr licher und fohlagender geworden ſeyn *). .

Hler. Dumas, der neben Sus das Feuilleton der pariſer Journale erften Ranges beherrichte und noch fortwährend beherrſcht, bemaͤchtigte fi) gleiche falls des Eitteneomans und fuchte in feiner Weife ein Gegenſtück su den Geheimniffen von Paris und dem ewigen Juden in feinem Grafen von Monte Chriſto zu liefern, in welchem nach fehe wunder⸗

) Sud! Romane find in fo vielen Ausgaben, Nachdrücken und Ueberfegungen in Deutfchland vers breitet, daß es überflüffig feyn würde, fie bier bes fonder8 aufzuführen, da der Catalog jeder Leſebiblio⸗ thek fie angiebt. ine ſolche Verbreitung und Ver⸗ vielfäftigung, wie bie Geheimniffe von Paris, - fanb ber ewige Jude übrigens nicht, fo habgierig ſich auch im Anfange die Speculation Der Buchhändler darauf ſtuͤrate. Chenſo aimmt Die Aheilnahme an Bud’s ſpäto⸗ ven Leiſtungen immer mehr ab,

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baren Schickſalen am Ende das Kalter ich erbricht und die Zugend zu Zifche feht, es auch einem Sterblichen felbft vergönnt wird, die Nemeſis auf Erben zu fpielen, die Guten für ihm erzeigte Wohl⸗ thaten zu belohnen unb die Böſen für an ihm verübte Miffethaten zu beftrafen. Mbenteuerlich nub auf die Spitze geſtellt ik auch Alles in vielem Buche; aber bie große Anſchaulichkeit, mit ber Al. Dumas zu fchreiben ober das von feinen Ge⸗ hälfen *) in feiner Romanfabrik Geſchriebene zuzu⸗ Fugen und aufzupugen verſteht, fowie eine gewiſſe Bonhommie und Augenblichkeit, Die fich in Allem, was unter feinem Namen erfcheint, bemerklich macht, haben ihm die Reigung ber Xefewelt erhalten. So viel er denn auch zu Zage fördern möge, fie wird befien nicht fatt, denn fie weiß nur zu wehl, mag er Eigenes erfinden oder Fremdes umgeftalten, daß ed bei ihm nie an Spannung und Unterhaltung fehlt, und mehr verlangt fie ja nicht. Uebrigens Recht Dumas, was bie künſtleriſche Behandlung bes Nomans betrifft, weit höher als Sue; nie wird er bie Entwidelung über da8 Knie brechen, und felbft in feinen Uebertreibungen weiß ee Doch ftets ein gewifles Maaß zu halten, während auf der andern Seite feine Charaktere ſtets die volle Wahrfchein- lichkeit für fi) haben und meiſt pſycholochiſch con⸗

*) Gin franzöfifher Bibliograph wies vor einiger Beit Al. Dumas dreiundfiebenzig ſtille Mitarbeiter nad. &. Revue des deux mondes, 1847. Vel. XX. 87.

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fequent durchgeführt find. Namentlich in feinen hi⸗ ſoriſchen Romanen zeigt ſich dieſe Meiſterſchaft; eine feiner letzten Leiſtungen dieſer Art, deren In⸗ Halt die berüchtigte Halsbandsgeſchichte bildet, iſt, was die Entwickelung der Handlungen der Haupt⸗ perſonen aus dem ihnen vom Dichter gegebenen Charakter betrifft, wirklich vortrefflich zu nennen. Balzacund Georges Sand, welche neben die⸗ fen: von der Mode gefeierten Mataboren ihre volle Geltung erhalten haben, ließen fi, befonbers ber Erfte, nit von dem herrfchenden Zone fortreißen. Die Entwidlung von Geelenzuftänden und ber Einfluß der Verhältniffe auf diefelben, je nad) ber urfprünglihen Anlage der Charaktere, ift noch im⸗ mer bei Balzac die Hauptaufgabe, Die er im Ro» mane zu löfen fucht, und ‚er bat neuerlichft in ſei⸗ ner Cousine Beite ein Sittengemälde der Gegenwart geliefert, das troß dem an und für fich höchft pein« lichen Inhalte doch unbebingt dem Beſten anzu- reihen ift, was in biefer Gattung je auf dem Ges biete des Romans hervorgebracht wurde. Georges Sand, die von jeher eine Hinneigung zu focialis ſtiſchen Ideen Hatte und ſchon früher einzelne der⸗ felben in ihren Romanen durchzuführen fuchte, hat in ber leßteren Beit diefer Neigung noch größeren Spielraum gegeben und in Gefchichten aus dem Reben des Volkes ſich dem Wolke vorzugsweife zu⸗ gewandt; fe Hat bier nicht allein den richtigen Ton zu treffen verftanden, ſondern aud) ihre Erfindungen mit einer ſolchen Anmuth, Wahrheit und Lebendige»

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Leit außgeftattet und ihe Talent für die Entwickelung der Charaktere und die Zeichnung von Seelenzu⸗ Ränden wieder fo vollkommen bewährt, daß ihre Dorfgefhihten mit Recht ale Mufter biefer jeßt fo beliebten Gattung angeführt zu werben ver- dienen *).

Hinſtchtlich des fogenannten intimen Ro manes fo bezeichnen nämlich die Franzoſen die fenige Sattung des Romans, deſſen Aufgabe es ift, das Seelenleben eine® Individuums, wie e8 ſich im Kampfe mit beitimmten äußeren Berhältniffen ges ftaltet, zu ſchildern, find namentlich die Leiſtungen Rules Sanbeau’s hervorzuheben, da er tiefe und feine pſychologiſche Studien mit glücklicher Erfin- dung und vortrefflicher Darftelung verbindet **),

Die neueften Romanfchriftiteller, welche in dem feßten Decennium zu einiger Geltung gekommen find, d. 5. fich einen Platz in irgend einem Feuille⸗ ton erfämpft haben, find mehr oder minder nur Satelliten jener bereit® genannten vorleuchtenden

*) Le P£öch6 de Mr. Antoine. 3 Voll.— Jeanne, 2 Voll. Le Meünier d’Angibault. 3 Voll. Fran- gois le Champi. 2 Voll. La petite Fadette. 1 Vol. Sämmtlich zu Paris während der Jahre 1844 1850 erſchienen.

**) Octave; Fernand; Madame de Somerville; Les Revenants; Un Heritage; Saes et Parchemins, fänmtlid Paris 1840 1850 und zum Sheil ſchon vorher in der Revue des: deux Mondes abgebrudt.

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Seſtirne. Paul Faͤval rebt Sus nach, ebenfo in Der Mehrzahl feiner Romane der Marquis de You Dras und deflen Gehülfe, Zavier de Montepin, fowie Paul de Sondröcourt, und Em. Gon⸗ 3alö8; Dumas’ Sohn und Paul de Kock's Sohn Haben fich ihre Väter zu Muſtern genommen, deren Name dazu beitrug, ihnen eine freundliche Aufnahme in der Leſe⸗ welt zu verfchaffen; bes jüngeren de Kod Leitungen haben, wenn au nicht die Leichtigkeit und ben ig, doch ein Stechen nad tieferem Gehalt vor Denen feines Vaters voraus *).

) Von Paul Feval find u. A. Alizia Pauli. 2 Vol. Les Belles de nuit, le Chäteau de Croiat, un dröle de corps; une pecheresse u. f. w.; vom Marquis de Foudras: Les Chevaliers du Lansquenet, les Viveurs d’autrefois; Jacques de Brancion (in einem ganz anderen Genre und eine rühmlie Ausnahme, eine Art Apo⸗ theofe des altfranzöffhen Adels); un Capitaine de Beauvoisis 4.4. m.; bon P. de Gondroͤcourt: un ami diabolique ; la Marguise de Candeuil; von E. Gonzales: les Francs- Juges, Pour un cheveu blond, le meödecin du Pecq, Celeste, Esaü le lepreux u. ſ. w.; von 2. de Montepin: Pivoine, Les Amoures d’une Fou, le Vi- comte de Torcy u. f. w.; von dem jüngeren Dumas; Cesarine, Docteur Servant, Antonine, Trois hommes ‚forts, la vie à vingt ans u. f. w.; von bem jüngeren de Köck: Taquinet ls Bessu u. f. w. 2. ſ. m. Unter den jüngeren Nomanſchriftſtellern iſt als der talentvollſte Jules de St. Felig zu betrachten, deſſen meiſt au hiſtoxiſchen Hintergrund ſich lehnende Leiſtungen,

vi.

Die bedertenbſte Erſcheinung enblid auf bem Gebiete des Romans während des ganzen verflofle- nen Decenniums bleibt 2. Reybaud’8 Jeröme Patu- rot, ber in zwei Hälften zerfällt, welche unabhängig von einander erfchienen: J. P. & la recherche d’une position sociale und J. P. & la recherche de la meil- leure des Röpubliques. Diefer ausgezeichnete Sit⸗ tenroman ift Nichts als eine Veranſchaulichung ber Sole des Lebens in Paris und fomit in Frankreich: Dupiren oder Dupist werden;— wir müflen ben franzöfifchen Ausdruck gebrauchen, weil Fein deutſches Wort feine volle Bedeutung wieberzugeben vermag. Eine neue Bahn ward durch benfelben keineswegs gebrochen: es ift eben ein Sittenroman: ber Ge genwart im beften Sinne, und an dem zum Strumpf- händler beftiı.: .ten, aber nah Höherem ftrebenden Helden und deilen Schickſalen zeigt uns ber Ber- faſſer die in Frankreich herrfchenden Thorheiten, Irrthümer und Täuſchungen ber Tage, in denen wir leben, fo fchlagend, fo anfchaulih und mit fo tref- fendem Wige nad, daß wir uns nie bedenken wer« den, feine Arbeit den beften biefer Gattung anzu⸗ reihen und ihr einen Platz bei Don Quixote, Sil- blas, Tom Jones u. f. w. als ihr wohl gebührend anzumeifen.

wie Les Ofüciers du moi, Sylvanie, les Soupers du. Di- poctoire, eben fo feine und fauber ausgeführte, wie gut erfundene Sitten » und Eharafterfchilderungen und in teseffante und ſpannende Situationen Darbieten.

vv

England blieb ebenfalls nicht mberührt, weder von dem Einfluß der forialen been, welche bie Gegenwart bewegen, noch von dem Tome und ber Reife, den Eugen Sue und Genofien im Roman angefchlagen haben; allein ber gefunde, immer auf das Practifche und Nächſte gerichtete Siun dieſer Nation wie alle derartigen Verſuche mit großer Beſtimmtheit zurüd, und die kritiſchen Organe fchütteten ben herbften Zabel über Diejenigen aus, welche fich in ihren Zeiftungen nur bie leifefte Ver⸗ legung des religiöfen Gefühle und der Sittlichkeit zu Schulden Fommen ließen. Dies mußte namentlich Bulwer erfahren, ber in feiner Lucretia fi darin gefallen hat, die verberbteften Charaktere d.h. Men» - fchen, Die nicht im Drange und Kampfe des Lebens erſt ſtufenweiſe fchledht werden, ſondern gleich ſchon mit angeborner Luſt am Böſen auf die Welt kom⸗ men und ihre urſprüngliche Verderbtheit ausbilden, wie ein Virtuoſe fein natürliches Talent, zu ſchil⸗ dern, ein um fo größerer Misgreiff, als dieſe Cha⸗ zaktere, wenn er gleich behauptet, daß fie nur dem wirklichen Leben entlehnte Copieen feien, doch in feiner eigenen Einbildung murzeln, Die indeflen nicht felbftftändig fchaffte, fondern nur franzdfifche Vorbilder reproducirte, von der Lecture franzöfifcher Romane erhigt. Die Neigung, die Nachtſeiten Des Lebens und das Misverhältniß der unteren Klaflen zum Ganzen zu beleuchten und im Romane zu ſchil⸗ dern, geht jedoch, wie bereits oben. S. 657 u. f. bemerkt. wurde, ſchon von einer früheren Periode

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ons, als man bie fogenannten Silver - fork novels müde war und fih im natürlichen Gegenfage zu dem Uebermaße der Darftelung des Zebens ber Ge» ſellſchaft, die nur mit filbernen Gabeln zu efien pflegt (daher jene Bezeichnung), bem Leben des Vol⸗ kes und dem Kampfe beffelben mit feinen Buftänden anfmerffam zumandte, entweber das daraus ent« fpringende gewaltfame Auflehnen gegen alle bür⸗ gerlihe Ordnung oder ben paffiven Untergang zum Inhalt wählend. An dieſer Wahl liegt eine Ten⸗ benz practiſcher Humanität, welche, abgejehen von ben anderen @igenfchaften eines unterhaltenden Ro⸗ mans, einen befonderen Reiz auf ein englifches Ge⸗ müth ausübt; daher erklaͤrt fich zwar nicht der Bei⸗ fall im Allgemeinen, aber wohl ber große und an« haltende Beifall, den namentlih Ainsworth durch feine Epigbubenromane, Dickens duch feine Sit⸗ tenf&hilderungen und Weihnachtsmährcden, und Wars: zen und befien Rachfolger durch ihre Advocaten⸗ eomane bei dem Publicum fanden, obwohl man bei fharfer Beleuchtung findet, daß alle diefe Romans Dichter in ihren fpäteren Merken doch nur Wieder⸗ bolungen ihres erften glüdlichen Wurfes bringen und ihre Romancharaktere Stereotypen, nur mit an» derem Kamen find. Diefer Tadel trifft auch Thack e⸗ ray, der fih in der lepteren Zeit, nad früheren minder gelungenen Verſuchen, befonders Durch fein Vanity Fair einen ungewöhnlid großen Leſekreis erworben bat, und welcher die Beranichanlichung der alten Erfahrung, daß Geld und Eitelkeit bie

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Melt regieren, zum Inhalt feiner Romane macht. Gin wahrhaft friiher Hauch erfinderifcher urſprüng⸗ licher Poeſie oder tiefen Gefühle für die Menfch- beit und echten warmen Lebens geht mehr oder minder den Leiſtungen aller dieſer Schriftfteller ab; fie befriedigen den Verſtand, aber nicht das Gemäth des Leſers, und man flieht nur zu deutlich, daß alle ihre Mittel, ihn zu fefeln und in Spannung zu erhalten, nur künſtliche und berechnete find; Das ber if ein einzigee Roman bes wahrhaft tiefen deJ ſraeli in poetifher Hinſicht von weit höherem Werthe, als alle diefe dee Mode fröhnenden No⸗ mane, welde jede Saifon in London um einige Dugend neuer vermehrt, ſelbſt die Tebensfrifcheren isländifchen Erzählungen Levers und Lovers nicht ausgenommen. Der Tendenzroman hat bie Ober⸗ band, ein Beweis, daß die Poeſte zurücktreten muß vor ben nterefien einer in bangen Wehen fich windenden Zeit, die ihm nur gefattet, ſich in bie Breite auszudehnen, aber nicht einen höhere Aufe fhwung zu nehmen *).

*) Alle bier angezogenen englifhen Romane find durch die wohlfeile correcte und elegante Ausgabe, wels he B. Zauchnig jun. in Leipzig von den bedeutenderen Erzeugniffen der ſchönen Literatur Großbritanniens ver« anftaltet bat und mit gutem Erfolge fortfegt, fo zugänglich geworden, daß eine befondere Bibliographie fhe Angabe derfelben Bier uns nur unnüß den Raum beengen würde, Hinfihtlih der deutfhen Romane verweifen- wir auf Die Anmerkung S. 6749. 8.

Bon Deutſchland if noch weniger Tröſtliches zu ſagen; einen Roman von tieferer Bedeutung hat, ſeit bee Erſcheinung von Immermann's Münchhauſen, unfere Nationalliteratur nicht aufzuweiſen gehabt, des Amerikaners Sealöfteld Leiſtungen ausſsgenom⸗ men, von denen fpäter noch die Rebe ſeyn wird. @ine Eurze Beit waren die ‚„‚Dorfgefchichten‘‘ an ber Tagesordnung, und Auerbad, der zuerſt duch den Zitel, den er feinen ſchwäbiſchen Bauernnovel- fen gab, diefee Gattung ein eigenes Gebiet im Um⸗ Preife der deutfchen Firtion eroberte (denn Dorfge⸗ fchichten bat es fchon lange vor ihm in unferer Li⸗ teratur gegeben, aber fie machten nicht Anſpruch auf einen befonderen Rang, fondern reihten fich befchei« den in die Familie des Familienromans ein), wurbe über die Gebühr gefeiert. Bu einer anderen Beit wäre er es fchwerlich in ſolchem Maaße gewor« Ben. Wo das Wohlgefollen an idylliſchen Zu⸗ Ränden und Schilderungen fich über die Gebühr gel- tend machte im Leben eined Volles, da war «8 Rets ein Beichen feinee Geſunkenheit und ein Be weis, daß fich die Poeſie der That erfchöpft Hatte und die Poeſie der Buftände ſich an ihre Stelle drängte. Auerbach felbit ift überſchätzt worden; ich erkenne willig fein großes Talent der Veran⸗ fhaulihung, feine befonnene Gharakterzeichnung, fein warmes Gefühl für das, was ihm am Herzen liegt, an, aber eine tiefe, Dichterifche Natur ift er nicht; es fehlt ihm an urfprünglier Schöpfungs⸗ kraft, am rechten Verſtändniß des innerften Seelen

lebens, an Begeifterung, am zarten Taet bes Ges mütbes, Den Beweis dafür brauchen wir nicht erſt im Einzelnen an feinen Dorfgefhichten zu führen; es genügt, zu bemerfen, daß er fich außer biefen mehrere Male Begenftände zu bichterifcher Ausführ zung wählte, auß denen ein geborner Dichter Gror Bes machen fonnte und .mußte, daß aber alle dieſe Leiftungen’ verunglüdt find, wie fein Brauerfpiel Sofer, ober fpurlos vorübergingen, wie feine Ro» mane Spinoza und Dichter und Kaufmann, Er hat viele Nachahmer gefunden, denn was if leichter, al8 eine Dorfgefchichte zu verfertigen, jeboch unter Allen ift nur Einer, ber ihm die Palme ſtrei⸗ tig macht, und Diefer hat fie ihm unzweifelhaft ab⸗ gewonnen; es it DO. W. von Horn, ber eben fo tiefe als warme Kenner dee Menfchenfeele im Kampf mit den BVerhältniflen des niederen Lebens. Jere⸗ mias Gotthelf (Bizius), den die Utilitarier fo hoch Stellen, fteht meinen Gefühl nah noch unter Auer⸗ bach; dieſer fuchte doch mit Liebe und Sorgfalt ben bunten Flügelftaub der Pſyche zu erhalten und Hat feine Freude daran, jener padt fo täppifch zu, daß er ihn mit plumpen Händen ganz und gar ver« wifht. Solche Schriften find ganz gute Schul» bücher für Erwachſene, die noch in die Schule gehen follten, aber bie Poefie bat Hecht, menn fte fie von fh abweiſt.

Der Sittenroman bat fih in Deutſchland uber⸗ haupt mehr den mittlern und niederen Regionen der Geſellſchaft zugewandt, und jene Schilderungen der

ariſtokratiſchen Kreife, mit welchen ſich noch vor we nigen Jahren fo viele unferer beletriftifchen Schrift⸗ ſteller vorzugsweiſe beihäftigten, wurben immer fpärliher, bis fte in ber neneſten Beit . entweder gänzlich verſchwanden ober, wenn fie ja bin und wieber auftauchten, nur für politifhe Parteizwecke außgebeutet werden ſollten. Die Gräfin Hahn Sahn, welche allerdings in ihren jüngſten Webeiten ſehr nahe daran war, in eine erſtarrte ſtereotype Manier zu verfallen, ber. aber trog Allem großes Lolent und warmes unb inniges Gefühl nicht ab⸗ gufprechen if, fand eine ſehr Heftige pfeubonyme Gegnerin wie es fich ſehr balb ergab, Fanny Zewald bie eben ihre Manier mit Witz und Werſtand auf das Härtefte angriff, jedoch fehr zw Frieden feyn könnte, wenn in den Lebensadern ihrer allerdings gefhidt angelegten, aber ſteto nüchternen Nomanſiguren ein fo warme Herzblut pulfirte, wie es von benen ber Gräfin Hahn- Hahn unzertrenn⸗ lich ik. Die Romane ber Fräulein Lewald har ben, weil in ihnen auch Xebensfragen von hohem Intereſſe durch Charaktere und Situationen veran- fchaulicht und zu unparteiiſcher Betrachtung, wenn auch nicht zur Löfung gebracht wurden, fich viele Bönner in den gebildeten Kreifen erworben; allen ihren Schriften fehlt. e8 aber an wahrer poetiſcher Leidenſchaft, an Begeifterung, an urfprünglidet Poeſie: Mängel, die der äberaus ſcharfe combini- sende Verſtand dieſer Dame, bie einzige Quelle aller ihrer Reiftungen, nicht zu erfeßen vermag. Ihr

neuefter Noman, beifen Held ber bei Sanlfeld 1806 gefullene chevalereske Prinz Louis Ferdinand von Preußen if, gehört zu ben größten. Misgriffen, wævoelche eine Schriftitellerin begehen Tann, denn. bie Indiscretion und bie Zartlofigkeit, wirkliche Men⸗ chen, bie, wenn auch ſchon von ber Erde gefchieben, seo) in.ber vollten Lebensblüthe der Erinnerumg ber Gegenwart ftehen, als Hauptcharaktere Des Romanes auftreten zu laffen, Fann nur durch die großartigite Poeſie und burch die wahrfte und tieffte Empfindung einigermaßen ausgeglichen werden, das beleidigte Gefühl des Lefers läßt ſich allein durch das in nigfte Gefühl des Dichters beſchwichtigen, und ver» mißt der Erftere dies, fo muß er ſich Doppelt ver« letzt glauben; er wird fehr geneigt ſeyn, bie Keck⸗ heit eines ſolchen Fühnen Wurfes Frechheit zu fchel« ten. Wir verwahren und, biefen harten Zabel über Fanny Lewald Hinfichtlich dieſes Romans, der trotz⸗ bem manche fehr gelungene Partie enthält, auszu⸗ fprechen; uns iſt er nur ein neuer Beweis, zu welr chen Verirrungen eine mit fo vielen unfauberen Gäh- tungsftoffen angefüllte Beit, wie bie unfrige, fogar ein fo befonnenes und ſelbſtbewußtes Talent verloden kann. Ohne allen Bweifel würde die Gräfin Hahn Hahn hätte fie ſich entichließen Fünnen, ‚woran wir übrigens ſehr zweifeln, einen falden. Stoff aufzunehmen dieſe Aufyhäbe jedenfalls glücklicher und weiblicher gelöft haben, als es ihre Gegnerin gethan.

Die Kämpfe Der Jahre 1848 und 1849, um bie

unfere Gegenwart bewegenden Zebensfragen. practiſch zur Enticheibung zu bringen und ihr feltfamer,, noch keineswegs entfcheibender bisheriger Ausgang begin- nen bereits, ihren Ginfluß auf den Roman auszu- üben, obwohl jeder Verſuch der Wieberfpiegelung unferer letzten Tage im Roman mit Recht ein vor⸗ eiliger, unzeitiger und unreifer zu nennen ift. Ueber Die ephemeren Speculationen von Schriftftelern im Kohne geldjüchtiger Verleger mit Stillſchweigen hin⸗ wegzugeben, find wir volllommen bier befugt; zwei Beſtrebungen dieſer Art hier zu erwähnen, theils um ihrer Verfaſſer, theils um ihrer Tendenz wil⸗ len, erfcheint uns Dagegen als Pflicht des Hiftorikers; es find dies Die im Intereſſe des beftehenden Syftems und der beſtehenden Dynaſtie gefchriebenen preußi⸗ fchen Romane Alexander von Sternberg’s, und bie vom entgegengefehten Stanbpuncte aus verfaßten neupreußifchen Beitbilder (Unna Hammer, Dofephe von Münfterberg),, welche bie Sage dem befannten preußifchen MDeputirten Temme zufchreibt. Das Urtheil darüber fei der Folgezeit vorbehalten; unfere Meinung ift, die Gegenwart habe nad) Fein Recht Dazu. Ein Hiſtoriker des neunzehnten Jahrhunderts im zweiten Jahrtauſend chriftlicher Wera wirb erft vollgültig enticheiben können, ob er dieſe Leitungen ale Doeumente diefer Tage oder nur als bunte Blafen, welche unfere im Hexenkeſſel brodelnde Beit aufwarf, zu betrachten habe.

Die übrigen gebildeten Nationen Europa’s find im Romane noch mehr ober, weniger hinter den brei

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nochergehenden auch auf biefem Gebiete noch immer Den: Ton angebenden Völkern guräd und fereben nur danach, fie einzuholen. Sie bewegen fich alfo vor» zugsweiſe in den Gattungen, welche diefe zum Theil ſchon al& veraltet betrachten, und Haben felbft Hier Feiner berfelben auch nur eine neue Seite abgewon- nen oder ihr eine neue Richtung gegeben. Die Däs nen und Schweden cultiviren noch mit befonderer Vorliebe den Familienroman im eigentlihen Sinne Des Wortes; die Niederländer geben. im Ganzen dem hiftorifchen Romane den Vorzug, ber durch Sehe alüklihe Zalente, wie Oltmans, Fräulein Touſſaint, Hendrit Eonfcience vertreten wird; in Spanien hat fi ebenfalls Neigung für den hi» ftorifhen Roman gezeigt; Die Ruſſen bauen den Sittenroman an; Polen und Italiener fchreiben jet Feine Romane; bei den legteren blühte Purze Beit die Neigung für die hiftorifche Gattung; eben fo find die Ungarn verfummt, und die Mordame- rikaner endlich hängen noch zu fehr vom Einfluß der englijhen Literatur ab und find wohl zu der polis tifchen, aber nicht zu der literärifchen Freiheit ge— langt, um ganz Neues und Eigenthümliches auf die» fent Gebiete hervorzubringen.

Im Ganzen herrfcht das demofratifhe Princip im Roman wie in der ganzen Beitbewegung vor, aber e8 Hat noch nicht Die rechte Form gefunden, um im Romane voll und rein zur Erfcheinung zu Tommen. Diefe zu entdeden find gegenwärtig Die Kordameritaner am Geeignetften, denn fie ernten

| vs | fon, während andere Volker noch nicht einmal den Boden für die künftige Saat vollſtändig umgeriſſen haben und die Parteien noch um jeden Fußbreit Landes hartnäckig kämpfen. Der erſte glückliche Verſuch iſt daher auch von einem Amerikaner ge⸗ macht worden, um ſo glücklicher, als er, durch Talent und Kenntniß voll berechtigt, damit gleich fertig in die deutſche Literatur eintrat, die ihn auch willig als durchaus eingebürgert betrachtet. Es iſt dies Sealsfield, deſſen Lebensbilder aus beiden Semifphären unbedingt das friſcheſte, naturwüch⸗ ſigſte und farbenſatteſte Erzeugniß find, das die Ro⸗ manliteratur der Gegenwart aufzuweiſen vermag.

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