I) | DM nn 1B.LOGINESON MEDICAL PERIONICALS AND BOOKS 29 Easr2l="S! NEWYORK ! u )- } Cas-fE ANATOMISCHE HEFTE REFERATE UND BEITRÄGE ANATOMIE UND ENTWICKELUNGSGESCHICHTE UNTER MITWIRKUNG VON FACHGENOSSEN HERAUSGEGEBEN VON FR. MERKEL UND R. BONNET ©. Ö. PROFESSOR DER ANATOMIE IN GÖTTINGEN. ©. ©. PROFESSOR DER ANATOMIE IN GIESSEN. ERSTE ABTEILUNG ARBEITEN AUS ANATOMISCHEN INSTITUTEN. l.- BAND d&, I, DI. HEKT). MIT 29 TAFELN UND TEXTABBILDUNGEN. m — — WIESBADEN. VERLAG VON J. F. BERGMANN. 1892. ARBEITEN AUS ANATOMISCHEN INSTITUTEN UNTER MITWIRKUNG VON FACHGENOSSEN HERAUSGEGEBEN VON FR. MERKEL en R. BONNET IN GÖTTINGEN. IN GIESSEN. I. BAND (1., II, III. HEFT). MIT 293 TAFELN UND TEXTABBILDUNGEN. WIESBADEN. VERLAG VON J. F. BERGMANN. 1892. Inhalts-Verzeichnis. I. Heft (ausgegeben am 18. Dezember 1891). Disse, J., Untersuchungen über die Lage der menschlichen Harnblase und ihre Dame im Laufe des Wachstums. (Mit 8 Abbildungen auf Tafel I— VII, 3 Skizzen im Text und 2 Kurventafeln IX, X). e Merkel, Fr., Über die Halsfaseie. (Mit 5 Abbildungen auf Tafel XI, XII) II. Heft (ausgegeben am 29. Februar 1892). Strahl, H., Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. (Mit 19 Abbildungen auf Tatel XILI-—- XVII) 2 Lüsebrink, F. W., Die erste Entwickelung . Zotten in ae Re Plaoenfe. (Mit 8 Abknldungen auf Tafel XIX/XX) } R Junglöw, H., Über einige Entwickelungsvorgänge bei Reptilien- Ein (Mit 6 Abbildungen auf Tafel XXI) R 2 Kostanecki, K.v., Über Centralspindel-Körperchen bei Ks Sbeheiher Zell. teilung. (Mit 4 Abbildungen im Text) III. Heft (ausgegeben am 25. April 1892). Merkel, Fr., Jacobson’sches Organ und Papilla palatina beim Menschen. (Mit 7 Figuren im Text) Er an; Bonnet, R., Über Hypotrichosis congenita universalis. (Mit 11 Abbildungen auf Tafel XXIU/XXII und 1 Textabbildung) . 3 Merkel Fr. und Orr, Andrew W., Das Auge des Neugeborenen an einem schematischen Durchschnitt erläutert. (Mit 3 Abbildungen auf Tafel XXIV) Kostanecki, K. v., Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blut- bildung BLEI ER 6. ce BR BT Kostanecki, K. v., Über Kernteilung bei Riesenzellen nach Beobachtungen an der embryonalen Säugetierleber. (Mit 20 Abbildungen auf Tafel XX’V) Siebenmann, F., Die Metall-Korrosion Semper’scher Trockenpräparate des Öhres. (Mit 7 Abbildungen auf Tafel XXVU/’XXVIL und Tafel XX VII) Frobeen, Ferdinand, Zur Entwickelung der Vogelleber. (Mit 4 Abbildungen auf Tafel XXIX) | Seite 163 187 365 ER Mu Rai. EE MR Da Vorbemerkung. Die Herausgeber denken in den Anatomischen Heften ein Organ zu begründen, welches der Publikation von Arbeiten aus anatomischen Instituten im weitesten Sinne des Wortes offen stehen soll. Jede Arbeit, welche durch den Namen eines geachteten Fachgenossen gedeckt ist, wird Aufnahme finden und die Heraus- geber werden es sich angelegen sein lassen, für möglichst rasche Drucklegung und Veröffentlichung zu sorgen. Die Herausgabe soll sich deshalb auch nicht an bestimmte Zeiträume binden, sondern zwanglos geschehen. Von jedem Originalbeitrag werden die Herren Autoren vierzig Sonderabzüge gratis erhalten. Die Referate über die Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte sollen alljährlich einmal er- scheinen und sind bestimmt, nicht nur dem Fachmann im engsten Sinne, sondern auch dem grösseren naturwissenschaftlichen und ärzt- lichen Publikum einen Einblick in die Bestrebungen und Erfolge der anatomischen Forschung möglich zu machen. Sie werden des- halb das vorliegende Material nicht in der Form einer Mosark- arbeit, sondern von grösseren und einheitlichen Gesichtspunkten aus in der Form von kurzen und übersichtlichen Essays besprechen. Es hat sich eine Anzahl erprobter Forscher zur Mitarbeit be- reit erklärt, so dass die Herausgeber anregende und trefflich orien- hierende Referate in Aussicht stellen dürfen. Das erste Referat wird die Litteratur von 1891 behandeln. ie UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE LAGE DER MENSCHLICHEN HARNBLASE UND IHRE VERÄNDERUNG IM LAUFE DES WACHSTUMS VON DR. J. DISSE, PROSEKTOR IN GOTTINGEN. Aus dem anatomischen Institut in Göttingen. Mit 8 Abbildungen auf Tafel I-VIII, 3 Skizzen im Text u.2 Kurventafeln IX, X. Anatomische Hefte. 1, 1 ID öfteren ist von Anatomen wie von Chirurgen die Wich- tigkeit hervorgehoben, die eine genaue Kenntnis der Lage der Harnblase für den Arzt hat. Die Erkrankungen dieses Organs sind sehr häufig, kommen in jedem Lebensalter vor, gefährden bei der Wichtigkeit des Harnapparates das Leben oft direkt, und machen chirurgische Eingriffe mannigfacher Art erforder- lich. Die Forderung, die Blase frei zu legen und zu eröffnen, tritt bei Patienten jedes Alters oftmals an den Arzt heran; dem entsprechend sind zahlreiche Methoden vorgeschlagen und auch ausgeführt, vom Damm oder von der Bauchwand her sich die Blase zugänglich zu machen. Trotzdem nun am Lebenden die Blase sehr häufig freigelegt wird, kann nicht behauptet werden, dass ihre Lage für jedes Geschlecht und für jede Altersstufe uns ausreichend bekannt sei; besonders sind wir nicht unter- richtet über die Lageveränderungen, die die Blase während des Wachstums erleidet. Das liegt wohl hauptsächlich an der Schwierigkeit, das Unter- suchungsmaterial zu beschaffen. Jeder Kundige weiss, wie selten auch in den anatomischen Anstalten grosser Städte Kinderleichen sind; und doch ist es notwendig, möglichst viele Altersstufen auf die Lage der Blase hin zu untersuchen, und die Unter- 1 4 ’ U TSDISSH. suchung auf möglichst viele Individuen auszudehnen, weil nur so die individuellen Schwankungen der Lage, die dieses Organ aufweist, sich ausgleichen, und das Typische rein hervortritt. Es war mein Bestreben, nicht nur das Material zu beschaffen, sondern auch eine Methode der Lagebestimmung zu finden, welche möglichst fixierte Punkte der Blase vorwiegend berücksichtigt, und dadurch eine direkte Vergleichung der Befunde bei ver- schiedenen Altersstufen und verschiedenen Individuen ermöglicht. Sehr erwünscht war es, dass diese Lagebestimmung sich auch ausführen liess an Leichen, deren Bauchhöhle eröffnet und von Darmschlingen befreit war; denn dann war es möglich, das Material der pathologisch -anatomischen Anstalten mit heranzu- ziehen, in denen die Leichen von Kindern verschiedenen Alters ziemlich häufig sind. Durch vielseitige Unterstützung ist es mir möglich geworden, ein ziemlich umfassendes Material zusammen zu bringen, und eine fortlaufende Reihe verschiedener Altersstufen bei beiden Geschlechtern zu untersuchen. Ich habe das Material gesammelt im I. anatomischen Institut zu Berlin, im anatomischen und im pathologischen Institut zu Göttingen, im II. anatomischen Institut zu Wien und im Kinderspital zur heiligen Anna daselbst. Die Lücken in meiner Beobachtungsreihe liessen sich in will- kommener Weise ausfüllen durch Einfügen genau veröffent- lichter Fälle aus der Litteratur. Auch an dieser Stelle spreche ich den Herren, die mir das Material ihrer Anstalten in entgegenkommendster Weise zur Ver- fügung gestellt haben, Waldeyer in Berlin, F. Merkel und J. Orth in Göttingen, K. Toldt, J. Kolisko, E. Dalla Rosa in Wien, meinen verbindlichsten Dank aus. b} Lage der Harnblase. eb} | Die Lagebestimmung der Harnblase. Bei einem Organ, dessen Volumen so bedeutenden Schwank- ungen unterliegt, handelt es sich in erster Linie darum, einen Punkt zu finden, der bei den verschiedenen Graden der F üllung seine Lage am wenigsten ändert. Dieser Punkt kann nur in derjenigen Gegend der Blase gesucht werden, die am solidesten befestigt ist, und das ist der in den Beckenboden eingelassene Blasengrund. Diesem gehört die ziemlich genau in der Median- ebene gelegene innere Harnröhrenmündung an; sie ist leicht aufzufinden, sowohl auf Durchschnitten als nach Eröffnung der Blase, und ihre Lage zu kennen ist praktisch von grosser Bedeutung. Die Hauptmasse des Blasenkörpers liegt höher als die innere Harnröhrenmündung; beim Neugeborenen stellt sie überhaupt den tiefsten Punkt der Blase vor. Die Entfernung des Blasenscheitels von der inneren Harnröhrenmündung ist abhängig von der Grösse, Füllung und vom Kontraktionszustand der Blase, kann also annähernd bestimmt werden, wenn diese “aktoren bekannt sind. Nur dann, wenn die Blase als Ganzes verschoben wird, ändert sich beim einzelnen Individuum die Stellung der inneren Harnröhrenmündung im Becken; alle Lagen aber, die sie bei 19 verschiedenen Individuen mittleren Lebensalters einnahm, fielen nach den Untersuchungen von Langer (1) in ein Parallelo- gramm, dessen Seiten 2 und 1 cm lang sind, dessen längere Seite ungefähr parallel der Richtungslinie der Symphyse steht. Es ıst also auch die innere Harnröhrenmündung beweglich, aber weniger, als jeder andere Punkt der Blase; es empfiehlt sich deshalb, die Stellung der inneren Harnröhrenmündung als Index der Blasenstellung innerhalb der Beckenhöhle zu nehmen. Es ist misslich, die Stellung der inneren Harnröhrenmün- dung zu bestimmen durch eine Horizontale, die bei aufrechter 6 I. J. DISSE. Stellung durch einen bestimmten Punkt des Beckenskeletts ge- legt wird. Denn die Wahl der Punkte, die durch diese Horizontale getroffen werden, ist ganz der Willkür unterworfen. Die Linien, die wir zwischen den festen Punkten des Beckens ziehen, laufen nicht in horizontalen Ebenen; sie sind aber bestimmte Grössen, die mit dem Becken selbst gegeben sind, und daher bestimme ich die Lage der inneren Harnröhrenmündung mit Rücksicht auf zwei von diesen fixen Linien des Beckens, nämlich 1. auf die Konjugata des Beckeneingangs; 2. auf den geraden Durchmesser des Beckenausgangs, den man in der Medianebene vom unteren Rande des Ligamentum arcua- tum pubis zum unteren Rande des fünften Kreuzwirbels zieht. Diese zweite Linie ist viel weniger schwankend, als die Verbindungs- linie des unteren Randes des Lig. arcuatum pubis mit der Steiss- beinspitze. Das Steissbein ist am variabelsten von allen Bestand- teilen des Beckenskeletts; es ist am längsten knorplig, liegt beim Neugeborenen in der Flucht des Kreuzbeins, später aber im Beckenboden, wird durch die Verknöcherung in der Regel deformiert, weil die einzelnen Wirbel verschmelzen, auch wohl gegeneinander subluxiert werden, und weicht gewöhnlich von der Medianebene nach rechts oder links hin ab. Es geht nicht an, einen so sehr variirenden Skeletteil zum Endpunkt einer Linie zu machen, nach der man Lagebestimmungen vor- nehmen will. Der gerade Durchmesser des Beckenausgangs hingegen, der das untere Ende des Kreuzbeins mit der Symphyse verbindet, ge- nügt den Ansprüchen, die man an eine derartige Linie stellen muss. Er verbindet Skeletteile, die sehr wenig varliren, und die un- verschieblich mit einander verbunden sind. Der Abstand dieser Punkte ändert sich, so lange das Wachstum dauert, aber nicht die Lage gegenüber den anderen Bestandteilen der Beckenwand. Bestimmt man den senkrechten Abstand der inneren Harn- röhrenmündung von der Konjugata des Beckeneingangs sowohl Lage der Harnblase. 7 wie vom geraden Durchmesser des Beckenausgangs, so ist man über den Stand der Blase innerhalb der Beckenhöhle einiger- massen orientiert. Um aber die Stellung dieser inneren Harn- röhrenmündung ganz festzulegen, muss man den Abstand der- selben vom vorderen und vom hinteren Endpunkt der Konju- gata des Beckeneingangs bestimmen. Wir ziehen diese Becken- linie nach dem Vorgang von Fürst (2) von dem Mittelpunkt des oberen Randes des ersten Kreuzwirbels (bei Kindern vom oberen Rande der Epiphyse) zu dem Punkte, an welchem die Richtungslinie der Symphyse aus der oberen, gewölbten Fläche der Symphyse austritt, also vom Promontorium zum Scheitel- punkt der Symphyse. Verbindet man durch gerade Linien diese beiden Endpunkte der Konjugata ‘mit dem Mittelpunkt der inneren Harnröhrenmündung, so bildet dieser den Scheitelpunkt eines Dreiecks, dessen Grundlinie durch die Konjugata des Beckeneingangs dargestellt wird. Die kürzeste Seite dieses Drei- ecks giebt den Abstand der inneren Harnröhrenmündung von der oberen Fläche der Symphyse an. In der hier folgenden Skizze 1, die den Medianschnitt durch das Becken eines Mädchens von 15 Monaten in natürlicher Grösse wiedergiebt, ist das betreffende Dreieck konstruirt. Der gerade Durchmesser des Beckenausgangs ist gleichfalls gezogen, und die Sehnenlänge des Kreuzbeins, d. h. die kürzeste Linie zwischen dem Promontorium und dem unteren Rande des 5. Kreuzwirbels, eingetragen, ebenso die Richtungslinie der Symphyse. Das Dreieck ao b nenne ich das „Blasendreieck‘“ ; der Ab- stand der inneren Harnröhrenmündung o von der Konjugata ab wird durch die Höhe des Blasendreiecks o h gegeben. Konstruktion desBlasendreiecks. Es ist nichtschwierig, auf Grund direkter Messungen das Blasendreieck für jedes Indi- viduum zu konstruieren, wenn nur die Bauchhöhle eröffnet ist und die Darmschlingen aus der Beckenhöhle entleert sind. Man hat dann nur, unter Vermeidung jeder Zerrung, die dorsale g I. J. DISSE, Wand der Harnblase soweit einzuschneiden, dass man die innere Harnröhrenmündung zu Gesicht bekommt. Es wird dann die tichtungslinie der Symphyse durch eine eingestochene Nadel bezeichnet und direkt gemessen 1. die Länge der Konjugata ab; 2. der Abstand des Promontorium 'b von der inneren Harn- Skizze 1. Medianschnitt des Beckens. Mädchen 15 Monat alt. ut Uterus, Ret Reetum, Vag Vagina, Ha Harnröhre, ab Konjugata, bk Sehnenlänge des Kreuzbeins, ap Rich- tungslinie der Symphyse, pk gerader Durchmesser des Beckenausgangs, vlV fünfter Lendenwirbel, Oc Steissbein, O Mitte der inneren Harnröhrenmündung, An After- öffnung, Per Bauchfell. Der senkrechte Abstand der inneren Harnröhrenmündung von der Konjugata ist durch eine unterbrochene Linie oh angegeben. röhrenmündung 0; 3. der Abstand des vorderen Endes der Konjugata a von der inneren Harnröhrenmündung. Als Punkt o wählt man die ungefähre Mitte der Harnröhrenmündung; der Stzdte7 sig yarsuy ung uoprgsary uueusiag if A $epzay TaypeH aypsıuroreuy UTIeL Lage der Harnblase. 9 eventuelle Fehler beeinträchtigt die Verwertbarkeit des Resul- tates nicht. Sind diese Linien, die drei Seiten des Blasendreiecks, gemessen, so nimmt man noch einige Maasse, die es ermöglichen, einen richtigen Durchschnitt des betreffenden Beckens. zu entwerfen; in diesen trägt man später das zugehörige Blasendreieck ein. Man muss zu diesem Zweck kennen: 1. die Länge der Richtungslinie der Symphyse, vom Scheitelpunkt der oberen Fläche bis zum unteren Rande des Lig. arcuatum pubis gemessen; 2. den Abstand des Promontorium von dem unteren Rande des Lig. arceuatum pubis. Im Verein mit der Konjugata bilden diese beiden Linien (ap und bp der Skizze 1) ein Dreieck, dessen Scheitel die Mitte des unteren Randes vom Lig. arcuatum pubis darstellt; die Linie ap giebt die Länge und die Stellung der Richtungslinie der Symphyse an. Darauf misst man noch 3. die Sehnenlänge des Kreuzbeins bk und 4. den Abstand des Punktes a der Symphyse vom unteren Rande des 5. Kreuzwirbels p. Man thut gut, zur bequemen Ausführung dieser Maasse die Eingeweide des kleinen Beckens zu entfernen. Konstruiert man nun über der Konjugata als Grundlinie mit Hilfe der Linien bk und ak ein Dreieck, so zeigt dessen Scheitelpunkt k die Stellung vom unteren Ende des Kreuzbeins an. Die beiden, auf der Konjugata als Grundlinie errichteten Dreiecke apb und akb haben zu Scheitelpunkten die unteren Enden der Richtungslinie der Symphyse und des Kreuzbeins, und geben sie in der Stellung in der sie im gemessenen Becken liegen. Man kann um ap den Durchschnitt der Symphyse, zur Sehne bk den Durchschnitt des Kreuzbeins nach einem wirk- lichen Beckendurchschnitte einzeichnen; das so erhaltene Schema des gemessenen Beckens enthält in ihrer richtigen Lage die beiden Linien, die wir zur Lagebestimmung der inneren Harn- röhrenmündung nötig haben, ab und pk der Figur 1. Auch die 10 I. J. DISSE. Höhen von Kreuzbein und Symphyse sind im Schema richtig, ebenso die Stellung der Richtungslinie der Symphyse, zur Frontal- ebene; also die wesentlichen Elemente des Beckendurchschnitts lassen sich im Schema wiedergeben, auf Grund weniger Messungen. Der Konjugata giebt man diejenige Stellung zur Horizontalen, die sie bei mittlerer Beckenneigung hat; darauf konstruiert man über ihr die Dreiecke apb und akb, und vervollständigt das Beekenschema durch Einzeichnen der Konturen von Symphyse und Kreuzbein; das Steissbein bleibt weg. In dies Beckenschema wird das Blasendreieck eingetragen. Die Linie pk wird direkt gezogen und vervollständigt das Schema. (Vgl. Skizze 1.) Dieselben Maasse können nun auch, wie schon der in Skizze 1 abgebildete Durchschnitt zeigt, an jedem Medianschnitt ge- nommen werden ; sie müssen hier sogar genommen werden, wenn an den Blasenstand genau bestimmen will. Die genaue Ver- eleichung aller Einzelbefunde sowohl an Durchschnitten als an nur gemessenen Individuen wird erst ermöglicht, wenn man die Lage der inneren Harnröhrenmündung auf die beschriebene Weise bestimmt hat. Medianschnitte des Beckens passend gehärteter Leichen zeigen nun natürlich mehr von der Blasenlage, als die Stellung der inneren Harnröhrenmündung; sie geben Auskunft über die Lage des Blasenscheitels, Form des Lumen, Dicke der Wände, Ver- halten des Bauchfells, die Lage und den Füllungszustand des Rektum, Lage der inneren Geschlechtsorgane, und mehr der- eleichen wichtiger Einzelheiten, deren Kenntnis für die Topo- eraphie der Harnblase unerlässlich ist. Wo es möglich ist, muss man Durchschnitte zu Grunde legen; die Ausmessung des Beckens, wie sie vorhin beschrieben wurde, hat die Bedeutung eines Hilfsverfahrens, das wenigstens einen für uns wichtigen Punkt festzulegen gestattet, und dasjenige Material heranzuziehen erlaubt. das an Durchschnitten nicht untersucht werden kann. Lage der Harnblase. 11 Von sehr grosser Wichtigkeit ist die Behandlung derjenigen Leichen, die zu Durchschnitten verwendet werden können; es kommt darauf an, die Organe nicht durch die vorbereitenden Operationen zu verlagern, so dass der Durchschnitt nicht die natürlichen Lagebeziehungen zeigt, sondern künstlich herbeige- führte. Im günstigsten Falle ist der Durchschnitt im Stande, die Organe in derjenigen Form und Lage zu zeigen, die sie kurz nach dem Tode hatten; können wir Leichen verwerten, die sich noch im Stadium der Totenstarre befinden, so ist das das zuverlässigste Material. Aber wir sind nicht immer in der Lage über solches Material verfügen zu können; wir müssen auch solche Leichen verwerten, bei denen die Totenstarre sich schon gelöst hat. Bei diesen ist vorsichtige Behandlung uner- lässlich, wenn nicht die Eingeweide bedeutend verlagert werden sollen. Nach dem Tode ändert sich bei den muskulösen Hohl- organen, z. B. der Blase, ganz beträchtlich die Elastizität der Wand; sie wird geringer und unvollkommener, in ähnlicher Weise, wie wir das an gelähmten Muskeln Lebender beobachten können. Diese ‚geben dann auch Druckwirkungen nach, denen sie im gesunden Zustande Widerstand leisten; ich erinnere an das Eingedrücktwerden des Nasenflügels der gelähmten Gesichts- hälfte beim Einatmen. Der Druck des Inhalts allein kann ein Hohlorgan nach dem Tode deformieren und ausserdem ver- lagern. Wenn man gar den Versuch macht, durch Füllung mit Flüssigkeit, Luft, durch Ausstopfen mit Watte die toten Organe in einen Zustand zu versetzen, der ihrem Füllungzustand im Leben entspricht, so muss man notwendigerweise die Organe in Formen und Lagen bringen, die sie während des Lebens nicht hatten, weil die Spannung der Wände eine andere war. Die Resultate solcher vorher präparierter Durchschnitte sind zur Bildung richtiger topographischer Anschauungen nicht geeignet. Im günstigsten Falle, also frisches Material und vorsichtige Behandlungsweise vorausgesetzt, kann man die Lage der Organe 12 I. J. DISSE. so erhalten, wie sie um die Zeit des Todes bestand. Es giebt nun zwei Wege, diese Lagebeziehungen zu fixieren; 1. Gefrieren- lassen der ganzen Leiche, wobei jede Druckwirkung auf die Bauchwand vermieden werden muss, 2. Härtung der Leiche durch Injektion einer !/a Jo Lösung von Chromsäure in Wasser in die Arterien, und nachheriges Einlegen in Alkohol, bis zur voll- kommenen Härtung. Das erstere Verfahren ist nach dem Vorgange von Ed. Weber vielfach angewandt worden; den topographisch-anato- mischen Abhandlungen von Pirogoff (3), Le Gendre (4), Jarjavay (5), Braune (6), Rüdinger (7), Symington (8) z. B. liegen Durchschnitte gefrorener Leichen zu Grunde. In muster- gültiger Weise hat Braune die Leichen zu Durchschnitten aus- gewählt, und die Schnitte selbst ausgeführt; Pirogoff, auch noch Symington haben zuweilen die Blase durch Injektion nach dem Tode ausgedehnt, und dadurch die Verwertung der Durchschnitte erschwert, oder auch ganz ausgeschlossen. Die Fixierung der Organe durch Chromsäure und Alkohol rührt von His (9) her. Man lässt durch den Irrigator die Chrom- säurelösung bei schwachem Druck so lange einströmen, bis die Lösung durch die Venen abläuft; die sämtlichen Gewebe durch- tränken sich mit transsudierter Chromsäure und werden doch in ihrer natürlichen Form und Lage erhalten; wenn man das Durch- spülen der Gefässe sehr lange fortsetzt, so bilden sich Transsudate in die Körperhöhlen; wenn diese beträchtlich werden, so tritt infolge des ausgeübten Druckes auf Bauchwand und Becken- boden aber eine postmortale Verlagerung der Eingeweide ein. Vorsichtig muss also auch dieses Verfahren ausgeübt werden, wenn die Präparate verwertbar sein sollen. Die Herstellungsweise von Beckendurchschnitten, die Kohl- rausch (10) angewendet hat, darf meines Erachtens nicht an- gewendet werden, wenn man naturgetreue Durchschnitte haben will. Kohlrausch füllte die Blase mit dünnem Alkohol (‚„Brannt- Lage der Harnblase. 13 wein‘), das Rektum mit Watte, eröffnete die Bauchhöhle, um das Becken von Darmschlingen entleeren zu können, und setzte das Becken zur Erhärtung in starken Alkohol. In die Blase wurde von Zeit zu Zeit etwas stärkerer Alkohol nachgespritzt. Nach genügender Erhärtung wurde mit Messer und Säge der Durch- schnitt gemacht. Es sind Rektum und Blase durch dieses Ver- fahren übermässig gedehnt, und ausserdem die Blase höher ge- drängt als sie beim Lebenden jemals steht. Aus diesem Grunde varen die sonst vortrefflich wiedergegebenen Durchschnitte nicht verwertbar. Es ist bekannt, dass beim Neugeborenen die Blase viel höher steht, als beim Erwachsenen; es bestehen aber keine genauen Angaben darüber, wie die Blase aus der einen Stellung in die andere übergeht und wie lange Zeit sie dazu braucht. Ich habe mir die Aufgabe gestellt, dieses „Absteigen“ der Blase während des Wachstums zu untersuchen und festzustellen, wie lange die Blase überhaupt tiefer tritt, d. h. zu welchem Zeitpunkte sie ihren endgültigen Stand erreicht hat. Das setzt voraus, dass dieser „endgültige“ Blasenstand genau bestimmt wird, und zwar für jedes Geschlecht gesondert; ebenso muss der Stand der Blase beim Neugeborenen festgelegt werden, weil von ihm aus die Ver- schiebung der Blase vor sich geht. Diese Lagebestimmung für den Neugeborenen ist gleichfalls für jedes Geschlecht besonders vorzunehmen. Dann kann man dazu schreiten, die Zwischen- stufen zu verfolgen, die die Blase beim Übergang aus der einen Stellung in die andere durchläuft. Die Bestimmung der Blasenlage muss sich auf die Bestim. mung derjenigen Stellung stützen, welche die innere Harnröhren- mündung einnimmt; denn die Lage des Blasenscheitels ist, wie früher hervorgehoben wurde, von variabeln Faktoren abhängig und nicht generell bestimmbar, nur individuell. Das Material, das der Untersuchung zu Grunde liegt, umfasst 14 I. J. DISSE. im ganzen 45 Fälle; eigene sind 27, aus der Litteratur entnommene sind 18. Nach dem Geschlecht geordnet, besteht es aus 19 männ- lichen und 26 weiblichen Individuen; 13 männliche und 14 weib- liche Individuen haben mir zur Untersuchung vorgelegen. Unter den männlichen Individuen sind folgende Altersstufen vertreten: Aus dem ersten Lebensjahr 4 Fälle zn „ zweiten 4 An 2 Jahre | 3) r 6 y 7 je 1 Fall 11!/a „ 17 > 20 „ 21 » Erwachsene 2 Fälle. 13 Medianschnitte befinden sich darunter. Bei den weiblichen Individuen sind folgende Altersstufen notiert: Aus dem ersten Lebensjahr 4 Fälle x „ zweiten he NEN 3 Jahre alt 3 Fälle A DE DAN: & I Em ee je 1 Fall 16 BEE ee RT RI | ae De 2 Fälle Erwachsene BP: 21] von diesen Fällen sind Medianschnitte. Lage der Harnblase. 15 Die beiden folgenden Tabellen I und IT geben eine Über- sicht des gesamten Materials an männlichen und weiblichen In- dividuen, geordnet nach dem Alter. Es ist darin der Abstand der inneren Harnröhrenmündung vom vorderen Endpunkte der Konjugata, die Stellung der inneren Harnöhrenmündung zur Konjugata und zum geraden Durchmesser des Beckenausgangs, sowie das Verhalten der Blase und des Rektums verzeichnet. Die Minuszeichen (—) vor den Ziffern der Reihe 3 bedeuten, dass die innere Harnröhrenmündung unterhalb der Konjugata des Beckeneingangs liegt; das Zeichen + in Reihe 4 ist ange- wendet, wenn die innere Harnröhrenmündung oberhalb des geraden Durchmessers des Beckenausgangs steht, im andern Fall findet sich das Zeichen —. Die Maasse sind in Millimetern angegeben. Die mit einem X versehenen Fälle sind nicht an Durch- schnitten untersucht, sondern nach der oben beschriebenen Me- thode gemessen. Wo ein Fall der Litteratur entnommen ist, findet sich in Reihe 1 der Tabelle unter der Angabe des Alters der Name desjenigen Autors, der den Fall veröffentlicht hat. Die aus dem Atlas von Pirogoff (3) angezogenen Fälle sind in Fascieulus III. A abgebildet, die Nummer von Tafel und Figur ist in der Tabelle angegeben. Aus dem Werke von Symington (8) ist entnommen Tabelle I Nr. 11; (8, Tafel II); Tabelle I, Nr. 10 stammt von einer Abbildung, die Symington im Edinburgh medical Journal veröffentlicht hat (11). In Tabelle II finden sich 3 Fälle, die Symington (8) abbildet; Nr. 3 entspricht Fig. 32, Nr. 6 der Tafel XI, Fig. 2, Nr. 16 der Tafel I des Werkes. Dem Aufsatz von Kölliker (12) sind entnommen Nr. 2 und Nr. 4 der Tabelle II; dem Atlas von Braune (6) Tabelle I Nr. 17 (Tafel I) und Tabelle II Nr. 20 (Tafel I); dem Atlas von Le Gendre (4) Tabelle I Nr. 16 (Tafel XIV) und Tabelle II Nr. 19 (Tafel XVII), Tabelle I Nr. 2 findet sich abgebildet bei Takahashi (13, Fig. 2), Tabelle II Nr. 21 bei Fürst (14). I. J. DISSE. Tabelle I. Männliche Individuen. IE 2. 3. 4. 6. Abstand der Vom oberenEnde| Abstand d. inner. \inner. Harn- Ver- der Richtungs- |Harnröhrenmün-| röhrenmün- Verhalten Laufende Nummer linie der Sym- | dung von der |dungvomge- dor halten Alter physezurinneren) Konjugata des rraden Durch- des Harnröhrenmün-| Beckenein- | messer des Blase Rectum dung (Linie a 0) gangs ab Beckenaus- = a! at _ gangspk | 1. Neugeborener 6 mm — 3 mm |-+20 mn 'kontrahiert, gefüllt platt, leer 2. Neugeborener 10 mm — 7 mm | +15 mm leer, platt er- | leer (Takahashi) schlafft 3. 5 Monate 20 mm —17 mm |-+ 8 mm gefüllt, oval | leer 4. 9 Monate 16 mm —15 mm -_ kontrahiert, gefüllt kuglig 5x1 Jahr 25 mm —21 mm _ kontrabiert, | leer platt, leer Bl deine 24 mm -oımmane- halb kontrah., | leer eiförmig 7. x 1 Jahr 7Mon. 29 mm —25 mm — leer, kontra- | leer hiert, platt 8. 1 Jahr 10 Monat 18 mm —13 mm | +14 ınm |kontrahiert, leer birnförmig 9. 2 Jahre 29 mm —28 mm | +10 mm |gefüllt, oval | gefüllt 10. 5 Jahre 27 mm —27 mm | +12 mm |kontrahiert, leer (Symington) birnförmig 11. 6 Jahre 41 mm —40 mm |-+ 3 mm ‚nach dem Tode| leer (Symington) injiziert DaeretsJahre 39 mm —38 mm | -+ 7 mm |gefüllt, oval leer 13. X 7!/2 Jahre 32 mm —28 mm |-+14 mm |kontrah., leer | leer 14. X 11!/a Jahr 39 mm —39 mm |-+ 4 mm |gefüllt, oval | leer 15. 17 Jahre 52 mm —51 mm | 113 mm jleer, erschlafft,, leer (Pirogoff Taf. 16, platt Fig. 2.) 16. 20 Jahre 74 mm —65 mm |+ 2 mm stark gefüllt leer (Le Gendre) (1 Liter) 17. 21 Jahre 55 mm —46 mm |-+22 mm |gefüllt, oval | gefüllt (Braune) | 18. Erwachsener 57 mm —48 mm |-+ 8 mm |gefüllt, oval | leer 19. Erwachsener 50 mm —44 mm |--22 mm |kontrahiert, gefüllt oval Lage der Harnblase. Tabelle II. Weibliche Individuen. lo 2. 3. 4. 5. 6. Abstand der Vom oberenEnde' Abstand der in- |inner. Harn- Ver der Richtungs- 'ner. Harnröhren-| röhrenmün- Verhalten Laufende Nummer |]jnie der Sym- |mündung von der dung vom ge- Hor halten Alter physezurinneren) Konjugata des |radenDurch- des Harnröhrenmün-| Beckeneingangs | messer des Blase Rektum dung (Linie a o) ab Beckenaus- gangs p k 1. Neugeborene 7 mm — 3 mm |-+-15 mm 'kontrahiert, leer platt, leer 2. Neugeborene 9 mm — 3 mm |-+15 mm |kontrahiert, gefüllt (Kölliker) platt, leer 3. 2Monate (Syming- 12 mm —10 mm |-+ 7 mm leer, platt, mässig ton, Fig. 32) | erschlafft gefüllt 4. 9. Monate 17 mm —15 mm |-+ 9 mm 'kontrahiert, leer (Kölliker) birnförmig 5.1 Jahr 3 Monat 18 mm —17 mm |—+ 4 mm gefüllt, oval leer 6. x1 Jahr 5 Monat 26 mm —24 mm | . — \gefüllt, oval | leer 7. x3 Jahre 2531 mm —29 mm — leer, erschlafft, leer 8. X3 Jahre 27 mm —25 mm | — kontrahiert, | leer birnförmig 9. 3 Jahre 30 mm —30 mm |-+ 2 mm |leer, platt, leer : | | erschlafft 10. 4 Jahre 50 mm —27 mm |-+10 mm |gefüllt, oval | leer 11. 6 Jahre 40 mm —41 mm |—10 mm |leer, platt, "leer erschlafft 12. x6 Jahre 42 mm —41 mm - ‚kontrahiert, | leer | birnförmig 13. 6 Jahre (Syming-, 32 mm —32 mm |-+ 2 ma lleer, erschlafft,|) leer ton Taf. XI, Fig. 2) | von oben her | | eingedrückt 14. 7 Jahre 35 mm —32 mm |-+ 9 mm |kontrahiert, leer birnförmig 15. x8 Jahre 42 mm —41 mm |-+ 5 mm gefüllt, oval | leer 16. 13 Jahre 50 mm —48 mm | + 4 mm kontrahiert, leer (Symington) birnförmig 17. 16 Jahre 57 mm —53 mm | 7 mm halb kontrah.,| leer kuglig 18. 17 Jahre 56 mm —54 mm |-+ 6 mm |kontrahiert, leer | | birnförmig 19. 18 Jahre 55 mm —53 mm \— 1 mm gefüllt, kuglig gefüllt (Le Gendre) | 20. 25 Jahre (Braune) 61 mm —60 mm |— 4 mm kontrah., platt| leer 21. 25 Jahre (Fürst) 60 mm —60 mm |— 1 mm leer, kontrah.,| leer platt 22. Erwachsene | 63 mm —61 mm 0 kontrah., kugl.| gefüllt 23. 30 Jahre (Pirogoff| 70 mm —60 mm | + 3 mm |kontrahiert, leer al. 23, Bicz1) kuglig 24. Erwachsene (Piro- 54 mm —51 mm |+ 7 mm gefüllt, oval | leer goff Taf. 27, Fig. 4) 25. Erwachsene (Piro- 683 mm —63 mm |-+ 1 mm halb kontrah.,| leer goff Taf. 28, Fig. 6) kuglig 26. Erwachsene (Piro- 60 mm —57 mm 0 leer, erschlafft, leer goff Taf. 28, Fig. 5)| Anatomische Hefte. 1, 18 I. J. DISSE. Für die Auswahl der Durchschnitte sind die Gesichtspunkte maassgebend gewesen, die ich oben entwickelt habe; Durch- schnitte, an denen die Blase durch Injektion nach dem Tode gefüllt worden war, sind gar nicht herangezogen, mit Ausnahme von Nr. 11: der Tabelle I. Dieser Fall konnte noch verwertet werden, einmal weil die injizierte Flüssigkeitsmenge gering war (60 cc.) und ferner, weil der Durchschnitt im übrigen sehr schön konserviert ist. Auch waren nur diejenigen Abbildungen benutzbar, die das ganze Kreuzbein wiedergaben, weil nur diese eine Vor- stellung vom Raum der Beckenhöhle ermöglichen. Auch lässt sich nur auf solche die Messungsmethode anwenden, die die Vergleichung aller Befunde erst erlaubt. Die in den Tabellen gegebene statistische Übersicht der Lageveränderung, die die innere Harnröhrenmündung während des Wachstums durchmacht, ist für weibliche Individuen voll- ständiger als für Männer; ich betrachte dieselbe nur als einen Anfang einer derartigen Statistik und möchte die Schlüsse, die ich aus derselben ziehe, nicht als ganz unanfechtbar ansehen. Die Zahl der untersuchten Fälle ist zu klein; es wäre voreilig, anzunehmen, dass in der Reihe von Individuen alle Stellungen sich finden, die die Blase überhaupt einnehmen kann. Anderer- seits ist wieder das Material umfassend genug, um eine Ver- öffentlichung zu rechtfertigen. Es ist gewissermassen ein Rahmen, in den das neu untersuchte Material sich leicht einfügen lässt. Möchten diejenigen Kollegen, denen passendes Material zugänglich ist, doch daran mitarbeiten, die vorhandenen Lücken auszufüllen und unsern Kenntnissen eine immer festere Grundlage zu geben! Dem auf Seite 13 entwickelten Plane gemäss gehen wir dazu über, die Lage der inneren Harnröhrenmündung bei Er- wachsenen zu besprechen und das ganze Verhalten der Blase nach Abschluss des Wachstums dabei zu berücksichtigen. Wir fee) Lage der Harnblase. 19 beginnen mit der Schilderung der Verhältnisse beim männlichen Geschlecht, schicken aber einige für beide Geschlechter gültige allgemeine Bemerkungen voraus. I. Die Lage der Blase bei Erwachsenen. Eine jede Lagebestimmung der Blase hat zu berücksichtigen, dass dieses Organ verschiedene Zustände aufweist, die mit ein- ander abwechseln. Wir können die Blase antreffen 1. leer und kontrahiert, 2. leer und erschlafft, 3. in verschiedenem Grade angefüllt. Die kontrahierte Blase hat dicke, die erschlaffte dünne Wände, bei der kontrahierten Blase ist die Schleimhaut gefaltet, bei erschlaffter glatt. Zuweilen kann man die Blase im Beginn der Kontraktion treffen, es ist dann die Wand dick, die Schleim- haut gerunzelt, während die Füllung noch besteht. Vondem Grade der Füllung, sowie vom Kontraktionszustande ist der Blasenstand im ganzen mit abhängig; aber es wirktauch auf den- selben ein der Füllungszustand der übrigen Eingeweide der Becken- höhle, und zwar wesentlich der Füllungszustand des Rektum. Allgemein unterscheidet man emen proximalen, nach vorn konkaven, ganz vom Bauchfell überzogenen, in der Kreuzbein- aushöhlung gelegenen Abschnitt des Rektum von einem dis- talen; dieser bildet im ganzen eine nach vorn konvexe Schleife, in deren Konkavität das Steissbein hineinragt. Der proximale Schleifenschenkel liegt auf dem Boden der Beckenhöhle auf; er ist an der vorderen Fläche eine Strecke weit vom Bauch- fell überzogen, dann aber vom Bauchfell frei und in Berührung mit der Blase, sowie mit der Prostata bezw. mit der Vagina. Der Spitze der Prostata oder dem distalen Abschnitt der Vagina entsprechend, setzt er sich in den distalen Schleifenschenkel fort (Fig. 1)*); dieser steckt im Beckenboden, ist nach hinten und *) Sämmtliche als „Fig.“ eitirten Abbildungen befinden sich auf den beigefügten Tafeln, während die Abbildungen im Text als „Skizze‘‘ bezeichnet sind. 20 I. J. DISSE. unten gerichtet und verläuft gerade. Seine Wandung wird ver- stärkt durch die Mm. sphincter ani internus und sphincter ani externus; der proximale Schleifenschenkel dagegen hat nur die gewöhnliche Muskelhaut des Rektum. Der proximale Schleifenschenkel ist also nicht scharf vom proximalen Abschnitt des Rektum zu trennen; er bildet dessen direkte Fortsetzung und ruht dem Beckenboden auf, während der proximale Abschnitt des Rektum an der hinteren Wand der Beckenhöhle abwärts zieht. Oft findet man, dass Kotmassen den proximalen Schleifenschenkel, sowie den ihm nahe gelegenen oberen Abschnitt des Rektum anfüllen, während der vor dem Kreuzbein gelegene Rektumabschnitt leer und kontrahiert ist. (Fig. 8, Amp.) Dann bildet das Rektum eine auf dem Beckenboden aufruhende, kuglige Erweiterung, die scharf abgesetzt erscheint und als „Ampulle‘“ des Rektum beschrieben worden ist. In die Höhlung dieser „Ampulle‘ springt die von Kohlrausch (10) beschriebene „Plica transver- salis recti“ vor. (Fig. I. 5., Fig. 8, Pl. tr. recti) Die Bildung einer Ampulle aber beruht nur darauf, dass ein Teil des Darm- rohrs angefüllt, der angrenzende dagegen kontrahiert ist; eine im Bau der Wand begründete Abgrenzung der Ampulle nach oben hin existiert nicht und es ist besser, den Namen fallen zu lassen. Für die Stellung der Blase kommt nun wesentlich der Füllungszustand des proximalen Schleifenschenkels des Rektum in Betracht. Die Blase berührt die Vorderwand des- selben, und wenn diese sich vom Steissbein bei der Ansammlung des Kotes entfernt und der Ebene des Beckeneingangs nähert, so wird die Blase durch diese Bewegung mit gehoben. Die diesen Punkt erläuternden Untersuchungen werden wir weiter unten besprechen. An der Blase selbst unterscheiden wir verschiedene Gegen- den. Es genügt, das Organ einzuteilen 1. in die Scheitel- gegend, die die Abgangsstelle des Urachus umgiebt und der Lage der Harnblase. 21 Konjugata am nächsten liegt, 2. den Grund, der auf dem Beckenboden aufruht und die innere Harnröhrenmündung ent- hält, 3. den Körper, der Scheitel und Grund verbindet und von beiden Gegenden sich nicht scharf abgrenzen lässt. Wie am besten auf dem Medianschnitt hervortritt, ist an der Blase eine vordere (ventrale) und eine hintere (dorsale) Wand zu unterscheiden, die im leeren Zustande der Blase mit abgerundeten seitlichen Rändern, im gefüllten Zustande mit Seitenflächen in einander übergehen. Jede Wand reicht von der inneren Harnröhrenmündung zur Abgangsstelle des Urachus; der Hauptteil des „Grundes“ gehört der dorsalen Wand an, die länger ist als die ventrale und auf dem Rektum, bezw. der Vagina, eine Strecke weit aufruht. Oftmals ist dieser Ab- schnitt allein als „Blasengrund‘“ bezeichnet worden, unter Aus- schluss der inneren Harnröhrenmündung, die man dem „Blasen- 8; hals“ zuteilte. Beide Wände der Blase unterscheiden sich, ausser durch ihre Länge, durch ihr Verhalten zum Bauchfell; die ventrale Wand bleibt meistens ganz frei davon, die dorsale Wand ist immer eine grosse Strecke weit vom Peritoneum überzogen; die Länge des überzogenen Stückes wechselt mit dem Alter. Befestigung der Blase. Die Blase wird dadurch festge- halten, dass der Scheitel und in etwa auch die seitlichen Ränder des Körpers in Verbindung stehen mit dem Nabel, während der Grund beim Weibe direkt, beim Manne durch Vermittlung der Prostata fest an die Fascien angeheftet ist, die am Verschluss des Beckenausgangs teilnehmen. Vom Körper ist die ventrale Wand gegen die Symphyse sehr verschieblich und es liegt vor ihr ein Spaltraum, den ich eingehend beschrieben habe (15); die dorsale Wand des Körpers wird durch das Peritoneum fest- gehalten. Die Verbindung des Blasenscheitels mit dem Nabel durch den Urachusrest und die obliterierten Nabelarterien ist beim Er- 22 I. J. DISSE. wachsenen von geringer Bedeutung, tritt nur beim Neugeborenen stark hervor; die Verbindung des Blasengrundes mit den Fascien am Beckenboden ist sehr fest und ihr Verständnis erfordert, dass der Verlauf und der Zusammenhang dieser Fascien näher beschrieben werden. Es giebt nun wohl wenige Fascienverhält- nisse, die so schwierig in Wort und Bild wiederzugeben sind, als die im Beckenboden; die Fülle von Beschreibungen, die vor- liegen, trägt nicht dazu bei, das Wesentliche ihres Verhaltens in den Vordergrund zu stellen, und was uns noch, trotz dem Vorgang von Henle (16. Seite 523—536), not thut, ist eine all- gemein angenommene einfache Beschreibung der Fascien am Beckenausgang. Wir wollen das Verhalten derselben hier soweit schildern, als es zum Verständnis der Blasenbefestigung erfor- derlich scheint. (Vgl. Figg. 3, 4, 5.) Es beteiligen sich am Verschluss des Beckenausgangs zwei Lagen von Muskeln; die obere (vom Becken aus gezählt) besteht aus dem M. levator ani, ischio-coecygeus und M. ceoccy- geus, die untere Lage wird gebildet durch den M. transversus perinaei profundus. Die obere Fläche einer jeden Lage ist von einer starken Fascie bedeckt, die die Festigkeit derselben wesentlich erhöht. Die obere Lage zerfällt in zwei Seiten- hälften, zwischen die sich in der Medianebene Blase, Vagina und Rektum, oder Blase und Rektum einschieben; die untere Lage dagegen ist ungeteilt, wird aber beim Mann von der Harn- röhre, beim Weibe von Harnröhre und Vagina durchbohrt. Die obere Fläche der Mm. levator ani, ischio-coceygeus und coceygeus wird an jeder Seite von der Fascia pelvis bekleidet; der für den levator ani und den ischio-cocceygeus bestimmte Anteil derselben entspringt in jeder Beckenhälfte an der hinteren Fläche der Symphyse, am medialen und oberen Umfang des Foramen obturatum bis zur Spina ossis ischii hin, und liegt der Muskelmasse, zu der er gehört, unmittelbar auf. Es ist die „Beckenfascie‘ am Ursprung überall stark und sehnig glänzend; Lage der Harnblase. 23 am stärksten ist ein Streifen, der von der Symphyse zur Spina.ossis ischii zieht und als Arcus tendineus der Becken- fascie bezeichnet wird. (Fig. 3, 5. Fig. 5, Arc. tend.) Der M. transversus perinaei profundus liegt im wesent- liehen unter der Lücke, die zwischen dem rechten und dem linken M. levator anı bleibt; die Fascie, die seine obere Fläche bedeckt, entspringt, vom Tuber ischiadiecum an, vom unteren Ast des Sitzbeins und vom unteren Schambeinast, erreicht aber den unteren Rand der Symphyse nicht, sondern endet einige Millimeter vom Lig. arcuatum pubis entfernt mit einem scharfen Rande, den Henle als Lig. transversum pelvis bezeichnet hat. (16. S. 526. Fig. 403 tr p.) Es ist demnach diese Fascie zwischen den Knochenrändern, die den Beckenausgang seitlich begrenzen, ausgespannt und wie von einem Knochenrahmen umfasst; aber sie ist nicht ganz isoliert, sondern ihr vorderer Rand geht direkt in die Beckenfascie über; sie setzt sich also in die Beckenhöhle hinein fort. Auch ihre obere Fläche hängt mit der Beckenfascie zusammen. (Fig. 3, 2. Beim Manne sind, wegen der Prostata, diese Verhältnisse, besonders der Zusammenhang beider Fascien am vorderen Rande der Fascie des transversus perinaei profundus, nicht so einfach zu übersehen wie beim Weibe. Wir schildern sie daher für das Weib zuerst. Um einen guten Einblick zu bekommen, muss man die Beckenfascie von oben her freilegen, das Kreuz- bein und die anstossenden Partieen der Hültbeine heraussägen und entfernen, den M. levator ani durch Ablösen des hinteren Abschnittes der Beckenfascie von seiner oberen Fläche prä- parieren und seinen medialen Rand von der Blase, ablösen; dann wird, um den vorderen Rand der Beckenfascie übersehen zu können, die Symphyse getrennt, so dass die beiden Leisten- beine nur noch durch den M. transversus perinaei profun- dus und die ihn deckende Fascie zusammen gehalten werden. Durch Präparation der unteren Fläche des levator ani 24 I. J. DISSE. wird die obere Fascie des M. transversus perinaei profundus von der Beckenseite her frei gelegt; man erkennt so, dass sie mit der Beckenfascie zusammenhängt. Betrachtet man ein so angefertigtes Präparat eines weib- lichen Beckens von der Bauchhöhle her, während die Blase nach hinten umgelegt ist und die Leistenbeine möglichst auseinander- gezogen werden (Fig. 5), so sieht man bei 1 und 2 die Ur- sprünge des rechten und linken Areustendineus der Becken- fascie (Arc. tend.), die von der hinteren Fläche der Symphyse, nahe dem unteren Rande, herkommen. Sie werden in Verbin- dung gesetzt durch einen scharfen Rand (Fig. 5 R.), der von oben gesehen, die rechte und linke Abteilung der Beckenfascie vor der Blase verbindet, in Wirklichkeit aber die Stelle bezeichnet, an der die Beckenfascie mit der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei profundus verschmilzt, wie das aus der An- sicht desselben Präparates von vornher hervorgeht. (Fig. 4 R.) An dem Ursprung eines jeden Arcus tendineus enden längs- verlaufende Muskeln, die aus der äusseren Schichte der Blasen- wand sich lösen. (Fig. 5, 3, 4.) Lateralwärts davon geht vom Arcus tendineus jederseits eine breite Platte aus (Fig. 5 Pl), die sich an die Wand der Blase befestigt. Wo die Platte schwächer wird, sieht man die Fasern des M. levator ani. (Fig. 5, lev. an.) Diese Platte der Beckenfascie ist es, die die Blase im Becken- boden festhält. Sie folgt der Wand der Blase nach unten hin und verschmilzt mit der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei profundus, gerade wie beim Manne. (Fig. 3, 2.) Durch diese Verbindung wird die Beckenfascie erst fixiert und kann sich nur gleichzeitig mit der Aponeurose des M. transversus perinaei profundus zusammen verschieben. Durch die Verbindung der Beckenfascie jeder Seite mit dem vorderen Rande der Aponeurose des M. transversus peri- naei profundus wird zu jeder Seite der Blase eine vorn ge- schlossene, von hinten her zugängliche Tasche zu stande ge- Irzdts] Isny gaasuyanT uspegsamm uuewgisg gt A Jepzar zur ML Lage der Harnblase. 25 Zn bracht; die obere Wand derselben bildet die Beckenfascie, die untere die Aponeurose des M. transversus perinaei prof,, die mediale Wand ist vertreten durch die Verbindung beider Fascien entlang der Seitenflächen des Blasengrundes. In jeder Tasche liegt der M. levator ani der betreffenden Seitenhälite ; zwischen der rechten und linken Tasche befinden sich Blase, Vagina und Rektum. (Vgl. auch Fig. 3.) Der Grund der rechten und linken Tasche liegt unmittelbar hinter der Symphyse; von vorn gesehen, erscheint er als ein scharfer Rand (Fig. 4. R.), in welchem die obere Aponeurose des M.transversus perinaei profundus nach oben hin in die Beckenfascie übergeht. Die Fascie, die die untere Fläche des M. transversus perinaei profundus überzieht, vereinigt sich an diesem Rande mit den genannten Fascien. Beim Manne ist das wesentliche Verhalten jeder Hälfte der Beekenfascie zur oberen Fascie des M. transversus perinaei profundus gerade so, wie beim Weibe; sie verbinden sich mit ihren vorderen Rändern hinter der Symphyse und verschmelzen entlang der Seitenflächen der Prostata. (Fig. 3, 2.) Die jederseits der Blase gebildete Tasche für den M. levator ani ist in Fig. 3 in der Ansicht von hinten her dargestellt; man sieht dort auch sehr gut die Platte, die vom Arcus tendineus der Beckenfascie aus an die Prostata geht (Fig. 3, Bf. I, Pl. der Fig. 5 entsprechend), und entlang der Seitenfläche der Prostata mit der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei profundus verschmilzt. Der Boden dieser Tasche würde erst durch Entfernung des M. levator ani freigelegt werden. Die Verbindung der Beckenfascie mit der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei profundus stellt aber, von vorn ‚gesehen, keinen scharfen Rand dar, sondern eine Fläche, die der Prostata anliegt; das ist die vordere Wand der Kaspel der Prostata. Die hintere Wand dieser Kaspel entsteht durch Ver- bindung der vom Arcus tendineus ausgehenden Platten BE. I, 26 I. J. DISSE. die seitlichen Wände sind die Verwachsungen zwischen Becken- fascie und Aponeurose des M. transversusper. prof. (Fig. 3,2.) Es wird durch diese Verwachsungen die Prostata fest m den Beckenausgang eingespannt und die Blase mit ihr. Neuerdings haben Zuckerkandl (17) und besonders Holl (18) die Fascien am Beckenausgang einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Von ihrer Darstellung weicht die meinige hauptsächlich darin ab, dass ich den Zusammen- hang der Beckenfascie mit dem vorderen Rande der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei pro- fundus betone, und auch die untere Fascie des genannten Muskels an diesem Rande enden lasse. Das feste Bindegewebe, das von diesem Rande aus auf die Wurzel des Penis übergeht und mit der unteren Fascie des M. transversus perinaei prof. zusammenhängt, bezeichne ich nicht als Fascie; denn man ge- winnt dadurch, dass man dies thut, kein besseres Verständnis der Topographie dieser Gegend, wohl aber kompliziert man die Beschreibung ganz erheblich. Während aus der vorderen Blasenwand Muskelbündel an den Arcus tendineus herantreten (Fig. 6, plv; Fig. 5, 3, 4) und den Blasenkörper festhalten helfen, wird beim Manne die Prostata auch noch durch glatte Muskelfasern mit dem Rektum verbunden. (Fig.3, 3.) Henle hat diese Muskelzüge als M. praerectalis be- zeichnet; sie kommen aus der Vorderwand des Rektum und inserieren dicht über der oberen Fascie des M. transversus perinaei profundus an die Prostata. Dadurch wird die Spitze der Prostata an die Konvexität der Schleife befestigt, welche das Rektum in seinem distalen Abschnitt macht. (Vgl. Fig. 1, Lf; Fig. 2, 2.) Es entspricht diese Verwachsungsstelle der oberen Grenze des nach rückwärts abwärts gerichteten, distalen Schenkels der Schleife, der ganz im Beckenboden steckt. Auch der M. levator ani dient dazu, den Blasengrund fest zu halten (vgl. Fig. 3 lev. ani), es füllt dieser Muskel den Raum Lage der Harnblase. 27 zwischen der Beckenfascie und der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei profundus vollständig aus; seine Fasern sind rückwärts und medianwärts auf die Seitenwand des Rektum und auf die Steissbeinspitze zu gerichtet. Die me- dialen Ränder des rechten und linken M. levator ani nähern sich daher einander, während sie nach hinten verlaufen ; es sind diese Ränder ziemlich dick. Die Bündel, welche den medialen Rand bilden, entspringen von der unteren Fläche des Arcus ten- dineus (Fig. 3), von der hinteren Fläche der Symphyse und von der oberen Aponeurose des M. transversus perinael pro- fundus, und der Muskelstreifen, den sie bilden, ist durch straffes Bindegewebe an die Seitenfläche der Kapsel der Pro- stata (Fig. 3, 2), beim Weibe an die Vagina, angeheftet. Hinter der Prostata werden der rechte und der linke M. levator anı durch eine Lage glatter quer laufender Muskelfasern mit emander verbunden. An der Seitenwand des Rektum durchflechten sich die Fasern des Levator ani und die Längsfasern der Muskelhaut des Rektum (Fig. 3), und hinter dem Rektum gehen die medialen Faserzüge beider Mm. levatores bogenförmig in einander über. Die weiter lateralwärts gelegenen Fasern enden teils an der Steissbeinspitze, teils an einem von dieser ausgehenden medianen Sehnenstreifen, dem Lig. ano-coceygeum. Die feste Verbindung der Prostata (beim Weibe des Blasen- grundes) mit den Levatores ani hält die Blase ebenfalls gegen das Rektum fest und sichert die gegenseitige Lage dieser Beckeneingeweide bei allen Verschiebungen, die das Rektum treffen. Nachdem wir die Befestigungsmittel der Blase und ihre Ver- bindungen mit dem Rektum kennen gelernt haben, können wir zur Beantwortung der Frage übergehen: „Welche Lage hat die Blase bei Erwachsenen ?“ Die Antwort geben wir, auf Grund der in Tabelle I und II aufgeführten Daten, für jedes Geschlecht besonders; als „Erwachsene“ haben wir Individuen bezeichnet, 28 | Lahspıseh die älter als 20 Jahre waren. Greise befinden sich unter unserem Material nicht. 1.Männer (Tabelle L, Taf. I/II, II/IV, Figg. 1 und 2). Die Lage der inneren Harnröhrenmündung konnte an vier Durchschnitten bestimmt werden; ausserdem habe ich drei Maasse verwendet, die Garson (19) in einer kleinen Statistik über den Blasenstand anführt. Zwei dieser Maassangaben stammen von Durchschnitten von Braune, eine von einer Abbildung von Pirogoff. Die geringste Entfernung der inneren Harnröhren- mündung von der Konjugata des Beckeneingangs beträgt unter diesen 7 Fällen 44 mm, die grösste 65 mm (Fall 19 und Fall 16 der Tabelle I), die übrigen Maasse betragen 46, 48, 54, 56, 57 mm. Die drei letzten Ziffern sind die von Garson mitgeteilten. Von dem vorderen Endpunkte der Konjugata ist die innere Harn- röhrenmündung etwas weiter entfernt, immer aber wäre es noch möglich, sie mit dem Finger zu erreichen, wenn die Bauchwand gespalten und die Blase eröffnet ist. Genau habe ich den Blasenstand nur an den vier in der Tabelle aufgeführten Durchschnitten untersuchen können ; in drei Fällen war die Blase gefüllt, in einem kontrahiert, aber noch nicht ganz entleert. (Fig. 1) Die in Kontraktion begriffene, fast leere Blase, die in Fig. 1 dargestellt ist (Präparat der Göttinger Sammlung), liegt vollstän- dig in der Höhle des kleinen Beckens; ihr Scheitel erreicht die Konjugata des Beckeneingangs nicht. Die vom Bauchfell freie vordere Wand liest der Symphyse eine Strecke weit an, wird aber in ihrem untersten Abschnitt durch eine im Durchschnitt keilförmige Fettmasse (Fig. 1 Fe) von derselben getrennt. Die hintere Wand ruht von der inneren Harnröhrenmündung ab auf der Vorderwand des Rektum auf und ist soweit vom Bauch- fell frei; der Plica transversalis Recti (Fig. 1, 6) entsprechend, Lage der Harnblase. 9 biegt die hintere Blasenwand vom Rektum nach vorn hin ab und wird von hier bis zum Urachusabgang vom Bauchfell überzogen. Da die innere Harnröhrenmündung von der Konjugata 44 mm entfernt ist und 22 mm oberhalb des geraden Durch- messers des Beckenausgangs steht, so entspricht sie ungefähr der Grenze zwischen dem unteren und dem mittleren Drittel des Beckenraumes. Im den beiden oberen Dritteln desselben liegt also die Blase, im unteren die Prostata. Wie die Abbildung zeigt, ist der Hochstand der Blase in unserem Fall bedingt durch die starke Füllung des Rektum; der ganze im Becken liegende Abschnitt desselben ist fast gleichmässig stark ausgedehnt. Es macht sich eine Raumbeschränkung der Beckenhöhle in sagittaler und in frontaler Ebene geltend, der Boden ist gehoben, die Hinterwand springt vor. Der tiefste Punkt des Bauchfellraumes, der in der Höhe der Plica transversalis recti liegt (Fig. 1, 5) ist SO mm vom Mittelpunkt der Analöffnung entfernt. Wesentlich infolge der Hebung des Beckenbodens ist die Blase der Ebene der Konjugata entgegengedrängt. Dass der Füllungszustand des Rektum auf den Blasenstand von Einfluss ist, hat zuerst Langer (1) mit den Worten ange- geben, „passiv wird die Blase samt der Urethralmündung durch den Mastdarm, seine Muskeln und seinen Inhalt gehoben“. Aber erst Braune hat durch eingehende Versuche an der Leiche, über die Garson (19) berichtet hat, den grossen Einfluss klar- gestellt, den die Füllung des Rektum auf den Stand der Blase ausübt. Garson führte in den unteren Abschnitt des Rektum einen Kolpeurynter ein, dessen Füllung durch Einspritzen von Wasser reguliert wurde. Es wurde so nur diejenige Stelle des Rektum ausgedehnt, in der der Kolpeurynter lag, und das ist diejenige, mit der die Blase und die Prostata in Berührung ist. Schon eine Einspritzung von 300 ce. Wasser genügte, um die Blase nebst der Excavatio recto-vesicalis aus dem Becken herauszu- 30 I. J. DISSE. heben; die innere Harnröhrenmündung gelangte in die Ebene des Beckeneingangs, die Vorderwand der Blase lag der vorderen Bauchwand an. Dabei wurde die Prostata, wie die Pars mem- branacea der Harnröhre erheblich verlängert. Petersen (20) kam bei einer Reihe von Versuchen an der Leiche, wie auch bei Operationen an Lebenden zu gleichen Resultaten ; es wurde die Blase aus dem Becken herausgehoben, wenn ein im Rektum liegender Kolpeurynter durch Einspritzung einiger 100 cc. ge- füllt wurde. Es wird der Zweck erreicht, wenn man nur diejenige Stelle des Rektum ausdehnt, auf der die Blase aufruht. Eine Anfüllung des Rektum in grösserer Ausdehnung ist überflüssig. Form der Blase. Trotz starker Kontraktion, für die die Dicke der Wand spricht, ist die Blase nicht ganz entleert. Das Lumen hat auf dem Durchschnitt die Form einer Ellipse, deren grosse Achse parallel dem Beckeneingang steht; den grössten Teil ihrer Peripherie bildet die hintere Blasenwand, die vordere nimmt nur etwa ein Viertel des Umfanges ein. Bei völliger Entleerung findet man die hintere Blasenwand vollständig ge- knickt; der vom Bauchfell überzogene Abschnitt derselben setzt sich unter spitzem Winkel gegen den Bauchfellfreien, auf dem Rektum ruhenden Abschnitt der Wand ab, und der Durch- schnitt der Blase wird ein Dreieck, dessen eine Seite von der vorderen, dessen andere Seiten von der hinteren Wand gebildet werden. Der Kontraktionszustand ermöglicht, die einzelnen Abtei- lungen der Muskelhaut der Blase zu erkennen. Am Blasengrunde springt zuerst der M. sphincter vesicae internus (Henle) in die Augen, der zum grössten Teil hinter der inneren Harnröhrenmün- dung liegt (Fig. 1, 3), während vor der Harnröhre nur zwei rund- liche Muskelbündel (Fig. 1, 4) dem sphincter internus angehören. Der hinter der Harnröhrenmündung liegende Abschnitt des Muskels besteht aus zwei Platten, die an der Harnröhrenmün- dung unter emem stumpfen Winkel zusammenstossen; die eine, Lage der Harnblase. 3 vertikale, liegt in der hinteren Wand der Harnröhre, die andere, horizontale, unmittelbar unter der Schleimhaut des Blasen- grundes. Die Schleimhaut kann da, wo beide Platten sich ver- binden, hypertrophieren und von hinten her über die innere Harnröhrenmündung sich hinlegen; das ist von Lieutaud als „luette vesicale“‘ bezeichnet worden. Der M. sphineter internus ist ganz dicht und kompakt und unterscheidet sich dadurch makroskopisch von den übrigen Lagen der Blasenmuskulatur, die deutlich in Bündel gesondert sind. Die Schleimhaut ist fest mit dem M. sphincter verbunden und bleibt daher glatt. An die hintere Spitze der horizontalen Platte des M. sphinc- ter schliesst sich die starke Ringfaserlage der Blasenwand an, die in ziemlich gleicher Stärke der Schleimhaut bis zum vorderen Rande der inneren Harnröhrenmündung hin folgt und sich dort an das obere Bündel des M. sphincter (Fig. 1, 4) anschliesst; nach aussen vom Sphinkter durch etwas Bindegewebe getrennt, sieht man die äussere, vorwiegend längs verlaufende Schicht der Blasenmuskulatur, deren Bündel aus der vertikalen Platte des Sphinkter herkommen und sich, wie die Untersuchung dünner Sagittalschnitte ergiebt, mit seinen Bündeln überall durchflechten. Auch vor der inneren Harnröhrenmündung treten die Längs- fasern der Blase in das untere Bündel des M. sphir | | +—| 60 n 7Expl.(Mittel) | F on Jahre 0 v Va rer TE 10 SE EB Te Te aeret Curve. Die directen Abstände der inneren Harnröhrenmündund von derEbene der Conjudata des Beckeneingands bei Weibern (26 Individuen ) 2 Die Horizontale a b entspricht derEbene der Conjudata. Kö UnmeesDruckareı vH Stunt Mussburg Verlagvon.JFBergmanı Wiesbaden IOJOWITIAL Lage der Harnblase. .57 Der Abstand der inneren Harnröhrenmündung vom geraden Durchmesser des Beckenausgangs ist 12 und 14 mm; die Blase steht also bei beiden Individuen annähernd gleich. Der Blasen- scheitel war in beiden Fällen in der Beckenhöhle gelegen, und der Abstand desselben von der Konjugata des Beckeneingangs betrug beim Knaben von 5 Jahren 7mm. Für die Bestimmung der Lage des Scheitels der gefüllten Blase können wir nur Fall 12 der Tabelle I benutzen, da die Blase in Fall 11(Symington) durch Injektion von etwa 60 ce Wasser vor dem Gefrierenlassen gedehnt war, und sicherlich eine Stellung zeigt, die sie bei gleicher Füllung während des Lebens nicht aufgewiesen hätte. Es steht hier der Scheitel in der Ebene der Konjugata des Beckeneingangs; die innere Harn- röhrenmündung steht aber 6 mm tiefer, als sie bei kontrahierter Blase gefunden wurde, und ist nur 7 mm vom geraden Durch- messer des Beckenausgangs entfernt. Es fällt übrigens diese Differenz innerhalb die normale Variationsbreite, die der inneren Harnröhrenmündung zukommt. Auch die gefüllte Blase also findet zu Ende der ersten Senkungsperiode Platz innerhalb der Beckenhöhle; man kann nicht darauf rechnen, dass der Scheitel der gefüllten Blase beim Kinde zwischen 5 und 8 Jahren immer oberhalb des Becken- eingangs gelegen ist. In Fall 10 und 11 wurde die ganze hintere Blasenwand vom Bauchfell überzogen. Die Zunahme der Tiefe der Beckenhöhle, gemessen in der Frontalebene der imneren Harnröhrenmündung, beträgt vom 3. bis zum 7. Jahre 15 mm; die innere Harnröhrenmündung selbst ist im 7. Jahre um 10 mm weiter von der Konjugata entfernt, als sie im 3. Jahre war, und steht sogar beim Knaben von T!je Jahren nicht tiefer, als zu Anfang des 3. Jahres. Wir dürfen daraus wohl folgern, dass das Eigenwachstum der Prostata und die Vergrösserung der Weichteile, welche die Prostata festhalten, a Sen 58 I. J. DISSE. sich geltend machen, und dem passiven Tiefertreten der Blase entgegenwirken können. Um aber zu entscheiden, wie weit der- artige Kompensationen sich geltend machen können, müsste man über ein grosses Material verfügen; man müsste die einzelnen Phasen des Beckenwachstums in die Tiefe und die Zunahme der Weichteile im Beckenausgang genau kennen. Beides war mir nicht möglich zu untersuchen, und ich kann auf diesen Punkt nicht näher eingehen. 3. Die Periode der Ruhe. 9. bis 13. Jahr. Da für den Zeitraum vom 9. Jahre an bis zum Eintritt der Geschlechtsreife nur em einziges Individuum zur Verfügung stand, so ist es nicht erlaubt, aus diesem einzelnen Falle allge- meine Schlüsse über den Blasenstand in dieser Periode zu ziehen. Ich will mich darauf beschränken, den Befund der Tabelle I (Nr. 14) durch einige Notizen zu ergänzen, und sehe diese Mit- teilung als einen kasuistischen Beitrag an für eine künftige Statistik der Blasenlage in diesen Jahren. Der Abstand der inneren Harnröhrenmündung von der Kon- jugata des Beckeneingangs beträgt 39 mm, vom geraden Durch- messer des Beckenausgangs 4 mm. Die Blase war ziemlich ge- füllt, in sagittaler Richtung abgeplattet, diekwandig, die Schleim- haut gefaltet, so dass hier ein Zustand der Kontraktion vorlag, ohne dass eine Entleerung erfolgt wäre. Der Blasenscheitel stand 5 mm oberhalb der Konjugata des Beckeneingangs. Die hintere Blasenwand wurde bis zur Verbindungslinie beider Ureteren vom Bauchfell überzogen. Diese allgemeinen Verhältnisse der Blase sind nicht wesent- lich anders, als bei den Knaben von 7 und 7's Jahren. Es steht die Blase zum grössten Teil innerhalb der Beckenhöhle; aber es ist fraglich, ob bei allen Individuen dieser Periode die Blase sich ähnlich verhält. Lage der Harnblase. 59 Was die Räumlichkeiten des kleinen Beckens angeht, so habe ich eine Reihe von Individuen darauf untersuchen können, aber nur an trocknen Becken. Es sind ja allerdings in diesem Alter die knorpeligen Teile des Beckens schon ziemlich reduziert, und die beim Trocknen eintretende Schrumpfung wird daher das Becken nicht so sehr deformieren, als das bei jüngeren Altersstufen der Fall ist. Lassen wir also gelten, dass das trockene Becken vom 9. bis zum 13. Jahre die Verhältnisse ähnlich zeigt, wie das lebensfrische, oder das tadellos konservierte, soergäbe sich aus meinen Untersuchungen, dass weder die Länge der Konjugata des Beckeneingangs, noch die grösste Höhe der Seitenwand des kleinen Beckens in dem genannten Zeitraume zunehmen. Das Beckenwachstum würde eine Unterbrechung er- leiden und es würde damit das Stehenbleiben der Blase auf dem Standpunkt, den sie zu Ende des 8. Lebensjahres erreicht hat, erklärt sein. Ich will aber, bei der geringen Menge der unter- suchten Becken, das Resultat nur als ein mögliches hinstellen und muss es der weiteren Untersuchung anheimgeben, ob es richtig oder falsch sich erweist. 3. Die Periode der zweiten Senkung. (14. bis 21. Jahr.) Für diese Periode stehen mir nur zwei Durchschnitte zur Verfügung, deren einer (Nr. 15) von Pirogoff, der andere (Nr. 16) von Le@Gendre mitgeteilt ist. Im ersten Falle ist die Blase leer und erschlafft, im zweiten im Zustande extremer An- füllung (1000 cc). Das Rektum ist bei beiden Individuen leer. Die innere Harnröhrenmündung steht bei leerer Blase 51 mm von der Konjugata des Beckeneingangs entfernt und liegt 13 mm höher als der gerade Durchmesser des Beckenausgangs; bei der so stark gefüllten Blase betragen die betreffenden Entfernungen 65 und 2 mm. Die Abstände der Konjugata des Beckenein- 60 I. J. DISSE. gangs vom geraden Durchmesser des Beckenausgangs, gemessen in der Frontalebene der inneren Harnröhrenmündung, betragen 71 und 73 mm, waren also fast gleich; es steht also die innere Harnröhrenmündung bei leerer Blase höher im Beckenraum, als bei gefüllter. Der Blasenscheitel liegt bei leerer Blase 12 mm unterhalb der Konjugata; bei der stark angefüllten überragt er die Ebene des Beckeneingangs um 40 mm. Den letzten Fall dürfen wir wohl nicht mehr als einen normalen betrachten; solche Füllungen der Blase kommen nur bei Lähmung der Muskulatur der Wand vor und können kurz “vor dem Tode sich ausbilden. Es wird nun der Raum inner- halb der Bauchhöhle ungebührlich beschränkt durch die Blasen- füllung und die Spannung ihrer Wände erhöht sich. Dabei wird schliesslich der Verschluss des Beckenausgangs herab- gedrückt und die innere Harnröhrenmündung erreicht ihren tiefsten Stand. Für den Grad der Füllung, den die Blase beim Lebenden verträgt, geben Beobachtungen von Petersen (20) einigen Aul- schluss. Um den hohen Steinschnitt zu machen, füllte er das Rektum mit 400 bis 600 ce Wasser und spritzte ebensoviel in die Blase ein. Er fand, dass Lebende eine Injektion von 600 ce erst vertragen, wenn die Blase systematisch durch tägliche In- jektion steigender Flüssigkeitsmengen gedehnt worden war. Ein Knabe von 12 Jahren z. B. vertrug anfangs nur eine Injektion von 70 ce in die Blase, nach 9 Tagen konnten 350 ce ohne Beschwerden injiziert werden. Man sieht daraus, wie dehnbar die Blase bei Lebenden ist; andererseits muss man sagen, dass eine Anfüllung der Blase mit mehr als 600 ce in das patho- logische Gebiet fällt, weil dieses Quantum erst nach Vorberei- tung der Blase eingebracht werden kann. Versuche über die Kontraktionsverhältnisse der Blasenmuskulatur bei Injektion kleiner Flüssigkeitsmengen hat Mosso (37) zahlreich angestellt; Lage der Harnblase. 61 wenn er auch den Zweck verfolgte, die stete Thätigkeit der Blasenmuskulatur während des Lebens, die sich in Kontraktion und Nachlass derselben zeigte und auf psychische Reize änderte, aufschreiben zu lassen, so erlauben seine V ersuchsprotokolle, einen mittleren Füllungsgrad der Blase festzustellen, der noch bequem ertragen wurde. Dieser Grad war bei 300 cc erreicht. Das ist ein weiterer Beweis für unseren Schluss, dass eine Fül- lung von mehr als 600 ce dem normalen Verhalten nicht mehr entspricht. Man sieht aus der Kurve I ohne weiteres, dass der mitt- lere Stand, den die innere Harnröhrenmündung bei Erwachsenen hat, schon um das 17. Lebensjahr erreicht werden kann. Ob er aber jedesmal schon in diesem Alter erreicht wird, kann auf Grund des geringen vorliegenden Materials nicht festgestellt werden. “ Über den Stand der inneren Harnröhrenmündung bei Männern ist zu Eingang dieses Abschnitts schon zusammenfassend be- richtet worden. Was den Stand des Scheitels der Blase betrifft, so können wir sagen, dass er bei kontrahiertem Organ vom 3. Lebensjahre ab die Konjugata erreicht, später tiefer steht. Bei gefüllter Blase liegt in den beiden ersten Lebensjahren aus- nahmslos ein Teil der Vorderwand der Bauchwand an, und der Scheitel überragt bis zum 8. Jahre den Beckeneingang, kann auch bis zum 14. so stehen. Nach dem Eintritt der Pubertät muss die Blase übermässig gefüllt, auch durch das gefüllte Rektum, durch die hyper- trophierte Prostata oder durch abnorme Fettentwicklung im Cavum ischio-rectale, also durch raumbeschränkende Mo- mente im kleinen Becken gehoben sein, wenn der Scheitel der Blase den Beckeneingang erheblich, um mehr als 2 em über- ragen soll. 62 I. J. DISSE. b) Die Senkung der Blase bei Weibern. Kurve II. Es wurde schon hervorgehoben, dass die Senkung der Blase bei Weibern gerade so vor sich geht, wie bei Männern, und dass die beiden Perioden der Senkung eine Periode der Ruhe zwischen sich fassen. Ebenfalls wurde als charakteristisch für das erwachsene Weib der tiefere Stand der inneren Harnröhren- mündung in der Höhle des kleinen Beckens hingestellt, und es muss also das absolute Mass der Senkung, die die innere Harn- röhrenmündung macht, bei Weibern grösser ausfallen als bei Männern. Bei Männern beträgt es 46 mm, bei Weibern 56 mm, wenn man die Differenz des Abstandes der inneren Harnröhren- mündung von der Konjugata zur Zeit der Geburt und nach Vollendung des Wachstums nimmt. 1. Für das Kindesalter stehen 15 Individuen zur Verfügung, darunter 10 Durchschnitte. Neugeborene sind 2, 3jährige und 6jährige Mädchen je 3 vorhanden; ein Mädchen von 4, eines von 7, eines von 8 Jahren vervollständigen die Reihe, “die für die Jahre vom 3. bis zum 9. Jahre weit mehr Einzelstadien bietet, als bei den Knaben vertreten sind. Innere Harnröhrenmündung. Inden ersten 18 Lebens- monaten senkt sich die innere Harnröhrenmündung um 21 mm; von da ab bis zum 8. Jahre nochmals um 17 mm; also ?/s der gesamten Senkung, die die Blase durchmacht, werden im Kindes- alter zurückgelegt. Bei den Individuen gleichen Alters (Nr. 7, 8,9 und 11, 12, 13 der Tabelle II), welche auf der Kurve durch eine Mittelzahl vertreten sind, zeigen jedesmal je 2 den gleichen Ab- stand der inneren Harnröhrenmündung von der Konjugata (Nr. 7 und 9, sowie Nr. 11 und 12); bei Nr. 8 steht dagegen die innere Harnröhrenmündung um 5 mm, bei Nr. 13 um 8 mm höher, als bei den beiden anderen Fällen. Wir sehen daraus, dass schon beim Kinde der inneren Harnröhrenmündung ein gewisser Spiel- raum gelassen ist; ihre Stellung wechselt wohl auch beim gleichen Lage der Harnblase. 63 Individuum etwas, je nach dem Füllungsgrad der Blase, der Spannung der Muskeln im Beckenausgang, dem Druck innerhalb der Bauch- und Beckenhöhle. Mit diesen Verhältnissen hängt es auch wohl zusammen, dass der Abstand der inneren Harnröhrenmündung vom geraden Durchmesser des Beckenausgangs nicht ebenso ununterbrochen mit zunehmendem Alter abnimmt, wie der Abstand von der Konjugata sich vergrössert. Es ist die Stellung der inneren Harnröhrenmündung zum geraden Durchmesser des Beckenaus- gangs Schwankungen unterworfen, wie die in Tabelle II ent- haltenen Masse gut erkennen lassen. Blasenscheitel. Wenn meine Fälle nach dem Kon- traktionszustande der Blase geordnet werden, so ergeben sich 3 Gruppen, für die ich in folgender kleinen Tabelle den jeweiligen Stand des Blasenscheitels zur Ebene der Konjugata angeben will. Das Zeichen + bedeutet, dass der Blasenscheitel um die ange- gebene Ziffer höher, das Zeichen — dagegen, dass er um so viel tiefer steht, als die Konjugata. Die Ziffern bedeuten Millimeter. a) Leere, kontrahierte Blase. Alter Stand des Blasenscheitels zur Konjugata Neugeborene + 25 mm Neugeborene +4 26 „ 9 Monate SE ya 3 Jahre 0 6 ss >. 3 ys NN 4; — 4 b) Gefüllte Blase. Alter Stand des Blasenscheitels zur Konjugata 15 Monate + 15 mm 19, 19 4 Jahre + 14 „, SER + 10 „ 64 I. J. DISSE. c) Leere, erschlaffte Blase. Alter Stand des Blasenscheitels zur Konjugata 3 Jahre — 15 mm a a Ba AR Die kontrahierte Blase steht mit ihrem Scheitel nach Voll- endung des dritten Lebensjahres im Becken; die gefüllte und auch die erschlaffte, leere Blase dagegen ragen mit ihrem Scheitel während des ganzen Kindesalters über die Ebene des Becken- eingangs empor, in die Bauchhöhle hinein. Die leere, erschlaffte | Blase fand ich immer abgeplattet, so dass die hintere Wand die vordere berührte; die Seitenränder waren dann ziemlich scharf. Verhalten des Bauchfells. Beim neugeborenen Mäd- chen ist die Abgangsstelle des Urachus der höchste Punkt der Blase; es wird von hier ab die hintere Wand vom Peritoneum überzogen, aber nicht immer in ihrer ganzen Länge. Einmal fand ich den untersten Abschnitt der Blasenwand frei vom serösen Überzug und durch lockeres Bindegewebe mit dem Cervix uteri verbunden. Die Harnröhre berührte die vordere Wand der Vagina. In den ersten Lebensjahren findet man einen grösseren oder geringeren Abschnitt der hinteren Blasenwand immer frei vom Bauchfell; es kann dasselbe entsprechend der Linie, die die beiden Ureterenmündungen verbindet, auf den Uterus über- gehen, wie ich bei Mädchen von 1 Monat und 2 Jahren fand, oder aber schon früher oberhalb dieser Linie die Blasenwand verlassen, wie ich bei Mädchen von 2 Monaten, 15 Monaten und 2 Jahren und 9 Monaten angetroffen habe. Bei den Mädchen von 3 bis 8 Jahren erreichte ebenfalls die Serosa die Verbindungslinie beider Ureterenmündungen nicht mehr, und ging oberhalb derselben an der Grenze zwischen Corpus und Cervix auf den Uterus über. Es bleibt hier also ein grösseres Stück der hinteren Blasenwand frei vom Bauchlell. Lage der Harnblase. 65 Zur Zeit der Geburt ist die Blasenwand nur mit dem Cervix uteri, nicht mit der Vagina, in Berührung; die innere Harn- röhrenmündung steht etwas höher, als das vordere Scheiden- gewölbe, und nur die Harnröhre berührt die vordere Wand der Vagina. Während nun die innere Harnröhrenmündung von der Konjugata sich entfernt, kommt der unterste Abschnitt der hinteren Blasenwand, der dabei vom Bauchfell frei wird, in Be- rührung mit der vorderen Wand der Scheide. Die Blase rückt vor dem Uterus nach abwärts, und dieser selbst bleibt in Ruhe und ändert seinen Abstand von der Konjugata nicht. Dieses Verhalten ist wohl so zu erklären, dass die Vagina sich stärker verlängert, als in der gleichen Zeit die Harnröhre dies thut. Darum tritt nur die innere Harnröhrenmündung absolut tiefer, der Uterus aber nicht. In Übereinstimmung damit wird der Abstand des tiefsten Punktes der Excavatio vesico- uterina von der inneren Harnröhrenmündung grösser, aber nicht der Abstand zwischen Excavatio vesico-uterina und dem vorderen Scheidengewölbe. Im Gegenteil, dieser Abstand wird kleiner. Er betrug beim Mädchen von 3 Jahren 20 mm, beim Mädchen von 4 Jahren 14 mm, beim Mädchen von 7 Jahren 4 mm. Die Blase entfernt sich aus dem Bereich des Bauchfell- sackes, die Scheide nicht. Zwischen der vorderen Wand der Blase und der unteren Hälfte der Symphyse entwickelt sich nach der Geburt eine im Durchschnitt keilförmige Fettmasse; sie liegt in dem Boden und in der hinteren Wand des Blasenspaltraums. Ich habe diese Fettmasse niemals vermisst und immer in gleicher Form an- getroffen. Sie ist von einer festen Bindegewebskapsel umgeben und in ihre Form gebracht. b) Die Blasenlage zwischen dem 9. und dem 14. Jahre. Es steht wieder nur ein Individuum aus der ganzen Periode zur Verfügung, das bei Symington (8, Taf. I) abgebildet ist. Das- Anatomische Hefte. 1. 5 66 I. J. DISSE. selbe gehört dem Ende der Periode, vielleicht dem Anfang der nächstfolgenden an, und es ist daher fraglich, ob es die typischen Verhältnisse der Blase für diese Periode zeigt. Denn es stand wohl der Eintritt der Pubertät nahe bevor, wie die Grösse der Konjugata des Beckeneingangs erkennen liess; der quere Durch- ınesser des Beekeneingangs indessen betrug nicht mehr als der sagittale, auch war der Uterus noch ganz unentwickelt. Beides entspricht noch dem Verhalten beim Kinde. Die innere Harn- röhrenmündung steht ziemlich tief im Becken; sie liegt 45 mm unterhalb der Konjugata, und 4 mm oberhalb des geraden Durchmessers des Beckenausgangs. Die Blase ist kontrahiert, unter Knickung der hinteren Wand; der Scheitel steht 4 mm unterhalb der Konjugata, der Blasengrund liegt der vorderen Wand der Scheide an. Das Bauchfell geht in der Höhe des inneren Muttermundes auf den Uterus über, so dass das vom Bauchfell freie Stück der hinteren Blasenwand auch mit dem Cervix uteri verbunden ist; die hintere Fläche des Uterus wird sanz vom Bauchfell überzogen, und die hintere Wand der Scheide noch in der Länge von 18 mm davon bekleidet. c) Die Blasenlage vom 14. bis zum 20. Jahre. Esliegen ausdieser Zeit drei Fälle vor, von 16, 17und 18 Jahren. Dieser letzte Fall ist von Le Gendre (4) abgebildet. Die Blase war in zwei Fällen kontrahiert, im dritten gefüllt; bei den kontrahierten Blasen war das Rektum leer, bei der gefüllten stark ausgedehnt. Die innere Harnröhrenmündung steht bei den drei Individuen etwa gleich weit ab von der Konjugata; bei kontrahierter Blase steht sie 6 und 7 mm oberhalb des geraden Durchmessers des Beckenausgangs, bei der gefüllten liegt sie in dieser Linie. Bei gefüllter Blase und stark gefülltem Rektum befindet sich der Blasenscheitel 40 mm oberhalb der Konjugata; bei dem kontrahierten Organ liegt der Scheitel in der Beckenhöhle, und Lage der Harnblase. 67 zwar beim 16jährigen Mädchen, bei dem die Blase nicht ganz entleert war, 14 mm, beim 17 jährigen 26 mm unterhalb der Konjugata. Das Bauchfell überzieht die Blase etwa bis zur Verbindungs- linie der beiden Ureterenmündungen. Der Blasengrund grenzt an die Vagina, und an den Cervix uteri, mit dem er durch lockeres Gewebe verbunden ist. Bei ganz kontrahierter Blase liegt der tiefste Punkt der Excavatio vesico-uterina 5 mm, bei halb entleerter 10 mm ober- halb der Kuppe des vorderen Scheidengewölbes. Die Blase verhält sich also im wesentlichen schon so, wie bei der Erwachsenen; nur ist die innere Harnröhrenmündung etwas weiter vom geraden Durchmesser des Beckenausgangs ent- fernt, und steht der Konjugata um einige Millimeter näher. In seltenen Fällen kommt es vor, dass die Blase einen höheren Stand als den normalen dauernd beibehält, und ähnlich liegen bleibt, wie beim Neugeborenen. Sie befindet sich dann zum grössten Teil oberhalb der Konjugata, und bildet in ge- fülltem Zustande einen flachen, dem Gesicht wie dem Gefühl zugänglichen Tumor, der an den schwangeren Uterus erinnert, und bei Erwachsenen dafür gehalten werden kann. Mir sind zwei Fälle eines hohen Blasenstandes bekannt geworden, die in Göttingen klinisch beobachtet worden sind; der eine betraf ein Mädchen von 7 Jahren, der andere ein Mädchen von 19 Jahren. Die Kapazität der Blase, gemessen durch die Menge des regel- mässig entleerten Urins, war nicht grösser als gewöhnlich; die Entleerung war eine vollständige, und brachte den Tumor völlig zum Verschwinden. Es ist mir nicht bekannt, ob jemals ein Fall von dauernd hohem Blasenstande anatomisch untersucht worden ist. Mir ist 5* 68 I. J. DISSE. kein derartiger Fall zur Beobachtung gekommen, und ich kann über die Vorgänge, die zum Verbleiben der Blase in ihrer ur- sprünglichen Stellung führen, nichts aussagen. Es ist sehr zu wünschen, dass ein günstiger Zufall uns zu Hilfe kommt; es würde der Mechanismus der Blasensenkung verständlicher werden, wenn wir Verhältnisse kennen lernen, die ihn stören können. Dass durch Beckentumoren die Blase dauernd gehoben werden kann, ist schon erwähnt; es existieren Beobachtungen darüber. Ein derartiger Fall, in dem die Blase durch eine Extrauterinschwangerschaft nach oben hin verlagert ward, so dass sie ganz in der Bauchhöhle lag, ist von Barber be- schrieben und durch Abbildung des Durchschnitts erläutert (38); mir ist ein Fall durch Herrn Dr. Bauer in Stettin mitgeteilt worden, bei dem von der Vorderfläche des Kreuzbeins bei einer Gebärenden eine kindskopfgrosse Exostose in die Beckenhöhle vorragte, so dass der Kaiserschnitt gemacht werden musste. Bei diesem wurde die in der Bauchwand liegende Blase getroffen, und die Kranke starb. Wenn der Raum der Höhle des kleinen Beckens vorübergehend oder dauernd beschränkt wird, so wird die Blase in die Bauchhöhle hineinverdrängt. Auf die Thatsache, dass die Blase beim Neugeborenen höher liegt, als beim Erwachsenen, dass sie von der Geburt an tiefer tritt, und dass ihre Abwärtsbewegung in einem bestimmten Lebensalter beendet ist, haben nur wenige Beobachter aufmerk- sam gemacht. Aber bereits der Erste, bei dem ich eine bezüg- liche Notiz finde, Harrison (34) hat wesentliche Punkte dieses Vorgangs richtig erkannt. Seine Angaben scheinen bis in die neueste Zeit wenig beachtet worden zu sein; nur Symington hat sie der Vergessenheit entrissen. Ich will den betreffenden Passus des höchst lesenswerten Aufsatzes hier wörtlich anführen. Harrison sagt (34, S. 378): Lage der Harnblase. 69 „In the foetus and infant of a year old the bladder in figure more resembles that of a quadruped; when distended, it is pyri- form, like a bottle or flask reversed, the larger end or the superior fundus beeing in the abdomen, and the smaller extremity tapering in the urethra. This is the only portion in the pelvis; at this age its vertical axis greatly exceeds its other diameters and even when empty, the greater portion of it is in the abdomen. As the child increases in years and size, its pelvis expands, and in the same proportion its lower fundus enlarges, so that at about SIx or seven years of age it presents a more oval form, both extremities beeing nearly equal and very little of it rising above the pubis, unless when distended. From this period it continues to acquire gradually the adult figure; that is, its inferior fundus and body enlarge, while the superior remains stationary; hence it becomes shorter ‘in its proportions, and broader below, so as to assume the triangular shape when empty and the ovoid when distended.“ Die Lage der Blase des Neugeborenen in der Bauchwand, das stufenweise Absteigen des Organs, der Zeitraum, in dem die Senkung am beträchtlichsten ist, die Veränderung der Form, die die Blase dabei erleidet, sind in diesen Worten schon dar- gestellt; als Grund der Ortsveränderung der Blase wird das Wachstum des Beckens angegeben. Man sieht, dass das Resultat eingehender eigener Untersuchungen in diesen Worten nieder- gelegt ist. Weniger eingehend äussert sich Huschke (12, 8. 347). „Die Harnblase liegt beim Neugeborenen ungefähr 2 Zoll höher als später und ragt um so viel über die Schamfuge empor, be- findet sich also zum grössten Teil ausserhalb der kleinen Becken- höhle des Kindes. Im dritten Jahre liegt sie noch 3 Zoll (), im zwölften 1!/s Zoll und selbst im sechzehnten Jahre zuweilen etwas über der Symphyse. Später zieht sie sich immer mehr in die Beckenhöhle zurück, und steigt im höheren Alter im an-. 70 I. J. DISSE. : gefüllten Zustande über die Schambeine nicht mehr weit in die Höhe, während ihr Grund tiefer im Becken liegt.“ Vielleicht hat Huschke den Stand des Blasenscheitels am in situ aufgeblasenen Organ bestimmt; sonst sind seine Angaben nicht recht erklärlich. Den ganzen Betrag der Senkung der Blase giebt er dagegen richtig an. Es finden sich im Lehrbuch der Anatomie von Sappey (80, Tome IV, 8. 535) Angaben über denselben Gegenstand; zu- gleich wird ein Versuch gemacht, die Befunde zu erklären. Es heisst da: „Pendant la vie intrauterine et les premieres anndes qui suivent la naissance, les pubis etant peu developpees, la vessie, dont le developpement a te plus rapide, et dont la forme est alors plus allongee, les deborde tres notablement, pour remonter vers l’abdomen, entre le peritoine qui la separe des eirconvolutions de lintestin .grele et les muscles droits abdominaux auxquels elle adhere par un tissu cellulaire läche. Mais ses dimensions verticales diminuant ensuite, et celles du pubis augmentant au contraire, elle descend peu a peu dans l’excavation du bassin, ou elle se loge en totalite vers la fin de la deuxieme annee. A cet epoque, son sommet, dans l’etat de vacuite, repond en general A la partie la plus elevee de la symphyse pubienne.“ Es ist nicht ersichtlich, ob Sappey annimmt, der vertikale Durchmesser der Blase verkürze sich relativ oder absolut. Relativ verkürzt er sich nach der Geburt, absolut aber durch- aus nicht. Dass nur die Höhenzunahme der Symphyse das Tiefertreten zur Folge habe, ist nicht zutreffend; der Vorgang ist komplizierter und es ist wesentlich das Tiefertreten des Beckenausgangs massgebend für die Senkung der Blase. Endlich ist diese Senkung nicht mit dem Ende des zweiten Lebens- jahres abgeschlossen, sondern sie dauert viel länger an. Kölliker (12) sowohl als Symington (8) beschreiben eine Reihe von Einzelbefunden bei Individuen verschiedenen Lage der Harnblase. 71 Alters; sie äussern sich aber nicht über den gesamten Vorgang der Senkung der Harnblase. Bei Kölliker lag es nicht im Plane der Untersuchung, die Harnorgane eingehend zu berück- sichtigen; Symington verfügte nicht über das Material, das er zur Beantwortung der Frage für nötig erachtet. Die Einzel- befunde beider Forscher habe ich zu verwerten gesucht. Eine genaue Bestimmung des Wachstums der Beckenhöhle nach der Tiefe zu fehlt uns noch; auch mir war es nicht mög- lich, dieselbe vorzunehmen, aus Mangel an geeignet konser- viertem Material. Man muss das frische Becken von den Weich- teilen befreien und in dünnem Alkohol aufbewahren, um vor Schrumpfung der knorpligen Beckenabschnitte, die beim Kinde einen erheblichen Anteil ausmachen, sicher zu sein. Getrocknete Becken sind unbrauchbar, um das Wachstum derselben er- kennen zu lassen. Die Untersuchung würde besonders das Wachstum des Schambogens und der Seitenwand des kleinen Beckens zu berücksichtigen haben, um entscheiden zu können, wie die betreffenden Knochenpunkte verschoben werden, während das Becken im vertikalen Durchmesser wächst; denn von diesen Wachstumsverschiebungen hängt das Absteigen der Blase wesentlich ab. Im allgemeinen ist zu konstatieren, dass innerhalb der Beckenhöhle des Neugeborenen Raummangel herrscht, der durch die geringe Ausdehnung des Beckens in sagittaler und in senk- rechter Richtung bedingt wird. Diesem Raummangel hilft das Wachstum ab; das Kreuzbein, die Symphyse, die Seitenwände der Beckenhöhle im allgemeinen, also die Leistenbeine, nehmen an Höhe zu, und durch das Wachstum der Flügel des Kreuz- beins wird der Querdurchmesser der Beckenhöhle vergrössert, ebenso durch Verlängerung der Schambeine die Konjugata. Der Profildurchschnitt der Beckenhöhle bekommt dabei all- mählich eine andere Gestalt; das Kreuzbein wird konkaver und das Steissbein biegt aus der Flucht der Kreuzbeinachse nach vorn 72 I. J. DISSE. Lage der Harnblase. hin um, wird aber stark reduziert und durch die Verknöcherung verändert. Dadurch wird Platz geschaffen für das Rektum, das sich dem Kreuzbein dicht anlegt und seine nach vorn konvexe Schleife ausbildet; im vorderen Abschnitt der Beckenhöhle ent- steht Raum für die Harnblase. Wenn nun, unabhängig von den normalen Wachstums- vorgängen, wieder Raumbeschränkung innerhalb der Beckenhöhle eintritt, so ist die Wirkung derselben eine Verdrängung der Harnblase nach oben hin. Einige Beispiele dafür sind angeführt worden. Litteraturverzeichnis. . Langer, Zur Topographie der männlichen Harnorgane. Wiener medi- % zinische Jahrbücher I. 1862. Fürst, L., Die Maass- und Neigungsverhältnisse des Beckens. Leipzig 1875. Pirogoff, Anatome topographica sectionibus illustrata. Petropoli 1859. Le Gendre, Anatomie homolographique. Paris 1858. Jarjavay, Recherches anatomiques sur l’urethre de ’homme. Paris 1558. Braune, Topographisch-anatomischer Atlas. Leipzig 1875. Rüdinger, Topographische Anatomie. Stuttgart 1873/78. Symington, The topographical Anatomy of the Child. 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Archiv für Anatomie und Entwickelungsgeschichte 1331. Garson, Über Tamponade des Beckens. Archiv für Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte 1878. S. 171. 74 I. J. DISSE. Lage der Harnblase. 320. Petersen, Über Sectio alta. Archiv für klinische Chirurgie, Bd. 25, 1882. 21. Berry Hart, Atlas of female pelvie Anatomy. Edinburgh 1884. Mir nicht zugänglich, eitiert bei Symington (8, S8. 69). 22. Huschke, Eingeweidelehre. 1844. 23. Krause, W., Handbuch der Anatomie. III. Aufl., Bd. II, 1879. 24. Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. X. Aufl. Wien 1867. 25. Luschka, Anatomie des menschlichen Beckens. 1863. 26. Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. I. Aufl. 1883. 27. Engel, Topographische Anatomie. 1859. 28. Richet, Anatomie medico-chirurgicale. IV. Edition. 1874. 29. Tillaux, Traite d’Anatomie topographique. III. Edition. 30. Sappey, Traite d’Anatomie. Tome IV. II. Edition. 31. Jarjavay, Traite d’Anatomie chirurgicale. 1854. Tome II. 32. Quain’s Anatomy. S8th Edition.‘ 1876. 33. Harrison, Artikel „Anus“ in Todd’s Cyclopaedia of Anatomy and Physio- logy. 1836. 34. Harrison, Artikel „Bladder“. Ebenda. 35. Luschka, Anatomie des Bauches. 1863. 36. Toldt, Lehrbuch der Anatomie. Wien 1890 37. Mosso, Archives Italiennes de Biologie. Tome II. 38. Houghston Barber, The Diagnosis of advanced extra-uterine Gestation. Edinburgh medical Journal 1882, S. 220. Tafelerklärung. Tafel I/II. Fig. 1. Medianschnitt des Beckens eines erwachsenen Mannes. Die Blase in Kontraktion begriffen. Sy Symphyse; v. L. V fünfter Lendenwirbel: v. s. V fünfter Kreuzwirbel. t.pp. M. transversus perinaei profundus, bbe M. bulbo-cavernosus. Pro Prostata. Lf. Längsfasern der Muskel- haut des Beckens, die zum hinteren Rande des Diaphragma urogenitale, zur Prostata und zum M. sphincter ani externus ziehen. sph. ani ext. M. sphineter ani externus. I Längsfaserschicht, II Ringfaserschicht der Blasenmuskulatur. 3, 4 M. sphincter vesicae internus. 5 Plica trans- versalis recti. 6 M. sphineter ani internus. Jg. Fettgewebe zwischen Prostata und Symphyse. Das Becken ist stark mit Kot gefüllt. Tafel III/IV. Fig. 2. Medianschnitt des Beckens eines erwachsenen Mannes. Blase gefüllt, Rektum leer. Die Analöffnung ist vom Schnitt nicht getroffen. Sy Symphyse. V.?!. V fünfter Lendenwirbel. v. s. V fünfter Kreuz- wirbel. F'g. Fettgewebe zwischen Prostata und Symphyse. Pro Prostata. Tpp. M. transversus perinaei profundus. Bbe. M. bulbo-cavernosus. Sph. ani ext. M. sphincter ani externus. 1. Samenblase. 2. Längsfaser- schicht der Muskelhaut des Rektum, zur Prostata und zum hinteren Rande des Diaphragma urogenitale ziehend. 3. M. sphincter ani internus. Tafel V/VI. Figg. 3, 4, 6, 7. Fig. 3. Männliches Becken; Blase und Prostata im Zusammenhang mit den Fascien am Beckenboden von der Beckenhöhle her präpariert, von oben und rechts her gesehen. Blase und Rektum sind nach oben gezogen, die Symphyse ist durch einen Medianschnitt getrennt, und das Darm- bein vermittelst eines durch die Pfanne gelegten Sägeschnitts vom Leisten- bein abgetrennt. Pro Prostata. Ret. Rectum. lev. ani M. levator ani. isch. coce. M. ischio-coceygeus. obt. int. M. obturator internus. Tub. isch. Tuber ossis ischi. 1 Spina ossis ischii. BfI Platte der Beckenfascie, die an den Seitenrand der Prostata tritt, deren hintere Fläche überzieht und mit der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei profundus zu- sammenhängt. 2 obere Aponeurose des M. transversus perinaei pro- fundus. 3. M. praerectalis. 4. M. recto-coceygeus. 5. Arcus tendineus der Beckenfaseie. 76 I. J. DISSE. Lage der Harnblase. Fig Fig. Fig. (12 4. Weibliches Becken, von vorn gesehen. Die Symphyse durch einen Medianschnitt gespalten, beide Schambeine auseinandergezogen. Die Blase im Zusammenhang mit der Beckenfascie präpariert und nach oben gezogen. Der scharfe Rand, in dem die Beckenfascie mit der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei profundus verschmilzt, ist von vorn her in seiner ganzen Ausdehnung sichtbar gemacht. (R.) Sy Schnittfläche der Symphyse. Bl Blase. pbv. M. pubo-vesicalis. m. bulb. cav. M. bulbo-cavernosus, der Wand der Vagina aufliegend. 6. Medianschnitt des Beckens eines neugeborenen Knaben. Sy Sym- physe. v. 1. V fünfter Lendenwirbel. v. s. fünfter Kreuzwirbel. Ret. Rektum. Prt. Peritoneum. Pro. Prostata. Lf. Längsfasern der Muskelhaut des Rektum. Bbe. M. bulbo-cavernosus. sph. ani ext. M. sphincter ani externus. 1. M. sphineter ani internus. Bspr. Blasen- spaltraum im Längsschnitt. Die Blase ist in platter Form kontrahiert. 7. Sagittaldurchschnitt durch die innere Harnröhrenmündung eines neu- geborenen Mädchens. Blase kontrahiert. Geringe Ausbildung der oberen Abteilung des M. sphincter vesicae internus, ur innere Harnröhren- mündung. Lf Längsfaserschicht. Af Ringfaserschicht der vorderen Blasenwand. LfI Längsfaserschicht der Harnröhrenschleimhaut. #fI Ringfaserlage der Blasenmuskulatur an der hinteren Wand. LfII Längs- faserschicht der Muskelhaut daselbst, die sich bei a zwischen die Bündel der unteren Abteilung des M. sphineter internus (Sph. int. II) inseriert. Sph. int. I die schwach ausgebildete obere oder horizontale Abteilung des M. sphincter vesicae internus. Gezeichnet bei Winkel, Syst. I Okular 2. Tafel VII/VIII. Figg. 5, 8. 5. Weibliches Becken. Befestigung der Blase durch die Beckenfascie. Dasselbe Präparat wie Fig. 4 von der Bauchhöhle her gesehen. Die Blase Bl ist nach hinten umgelegt. Sy Schnittfläche der Symphyse. R der scharfe Rand, in dem die Beckenfascie sich mit der oberen Aponeurose des M. transversus perinaei profundus verbindet, durch Aus- einanderziehen der Schambeine angespannt. I, 2 Ursprünge des rechten und linken Arcus tendineus der Beckenfascie. Pl. die Platte der Becken- fascie, die vom Arcus tendineus an die Harnblase hingeht. 3, 4. In- sertion von Längsbündeln der Blasenmuskulatur an den Arcus tendineus, bezeichnet als M. pubo-vesicalis. Can. obt. Canalis obturatorius. are. tend. Arcus tendineus der Beckenfascie. lev. an. Musculus levator anı. Fig. 8. Skizze des Medianschnittes des Beckens eines 2jährigen Knaben. Blase u. Rektum gefüllt. Sy Symphyse. Pm Promontorium. Lig. are. pub. Ligamentum arcuatum pubis. Bspr Blasenspaltraum. Ur Abgangs- stelle des Urachus. Fr Fettgewebe zwischen Prostata und Symphyse, im Durehschnitt. Oe Steissbein. An. Anus. Amp. Scheinbare Ampulle des Rektum, durch die Plica transversalis reeti (Pl. tr. recti) geteilt. Per. Peritoneum. Ser. Serotum. ——— 1. u: ÜBER DIE FArRSEraSoTe VON ER.MH BE ET: Aus dem anatomischen Institut zu Göttingen. Mi 5 Abbildungen auf Taf. XL, XL. Seit Allan Burns im Jahre 1811 darauf aufmerksam ge- macht hatte (1), dass am Halse eine Fascie unterschieden werden muss, ist die Diskussion über dieselbe nicht verstummt und Malgaigne(7) klagt schon 1838: „L’aponevrose cervicale, espece de protee anatomique, se presente avec une forme nouvelle sous la plume de chacun de ceux qui ont tente de la decrire“. Die von diesem Forscher urgierte Verschiedenartigkeit der Auffassung hat mehrere Gründe. Sie erklärt sich: 1. dadurch, dass das Bindegewebe des Halses in seiner Ausbildung individuell ausser- ordentlich schwankt, 2. dadurch, dass die einzelnen Beobachter über das, was man eine Fascie zu nennen habe, verschiedener Ansicht sind, 3. dadurch, dass die topographischen Verhältnisse in der vorderen Halsgegend und mit ihnen diejenigen des Binde- gewebes vom Kopf bis zur Brust herab fast von Centimeter zu Centimeter wechseln, wodurch alle Versuche, hier über grössere Entfernungen hin gleichartige Fascienverhältnisse zu konstruieren, von vorne herein scheitern müssen und 4. endlich, dadurch, dass sich die wenigsten Autoren von einem gewissen Schematismus losmachen können, der gerade hier am Halse schlecht angebracht ist und sie zwingt, bald Zusammengehöriges auseinander zu reissen, bald Getrenntes künstlich zu vereinigen. Auch die Untersuchungsmethode ist nicht gleichgültig. Die gewöhnliche anatomische Präparation leistet keineswegs Alles, deshalb haben manche Untersucher, wie König (20) und Poul- nes (26) zu dem Hilfsmittel gegriffen, die zwischen den festeren 80 II. FR. MERKEL. Bindegewebsplatten befindlichen Räume mit Leimlösungen aus- zuspritzen und sowohl die Form und Lage der erstarrten Klumpen, wie auch deren Begrenzungen zu beschreiben, ein anderer, Henke (19), nahm die Hydrotomie zu Hilfe, indem er durch forcierte Injektion von Wasser in die Arterien künstliches Ödem erzeugte und an dem gefrorenen Präparat die kompakten Eis- stücke freilegte. Die Einwände, welche gegen diese letztere Methode zu erheben sind, hat schon Poulsen (S. 224) aus- gesprochen. Sie schienen mir so schwerwiegend, dass ich selbst mich derselben gar nicht bediente. Aber auch die Methode der Leimeinspritzung hat ihre Bedenken, welchen ebenfalls Poulsen selbst (S. 234) Ausdruck gab. Er .glaubte jedoch durch die Menge seiner Injektionen, er operierte an 64 Leichen, gegen Irrtümer geschützt zu sein. Ich machte nur wenig Gebrauch von der Leimeinspritzung. Neben der Präparation frischer Leichen in grösserer Zahl, fertigte ich gefrorene Durc!schnitte und be- nützte Leichen, deren Gefässe erst mit ein- bis zweiprozentiger Chromsäurelösung ausgespritzt waren und welche nachher in Spiritus gelegen hatten. Die Chromsäureinjektion wird so lange fortgesetzt, bis der erste Anfang eines künstlichen Ödemes auf- zutreten beginnt, ein Zeichen dafür, dass die Flüssigkeit die Gewebe durchtränkt und überall ihren erhärtenden Einfluss aus- übt. Man kann von solchen Leichen Querschnitte anfertigen, welche sowohl lehrreicher, wie auch topographisch einwandfreier sind, als die von gefrorenen Stücken, welche man zur Unter- suchung erst einer schrumpfend wirkenden Nachbehandlung mit starkem Alkohol unterziehen muss, da am gefrorenen Stücke selbst die Bindegewebsblätter und -Räume nur unvollkommen sichtbar sind. Was mit ein paar Worten die historische Entwickelung der Frage anlangt, so waren es Erwägungen der praktischen Medizin, Halsfascie. 8 welche den Chirurgen A. Burns (1) veranlassten, die erste Be- schreibung der Halsfascie zu geben. Er fand sich ziemlich kurz mit ihr ab: ein Blatt überzieht den Hals vom Kiefer bis zum Brustbein und Schlüsselbein. Es teilt sich in der Mittellinie in zwei Lamellen, welche den oberen Rand des Sternum zwischen sich fassen; in dem dadurch entstehenden Spalt findet sich Fett. Im übrigen giebt die Fascie an ihrer Innenseite Scheiden für die Muskeln und Kapseln für die Drüsen ab; zahlreiche wichtige Fragen werden gar nicht berührt, wie dies auch bei einer sol- chen Anfangsarbeit nicht verwundern kann. Von seinen Nach- folgern bilden besonders Blandin (8), Malgaigne (7) und Froriep (5) die Lehre von den einzelnen Blättern weiter aus. Froriep lenkt ferner als der erste die Aufmerksamkeit auch auf die Räume, welche zwischen diesen Blättern liegen und schon er unterscheidet vier Blätter der Fascie und fünf Räume am Hals, welche mit lockerem Bindegewebe ausgefüllt, die An- sammlung und Senkung von Ergüssen sehr begünstigen. Später als die chirurgisch wichtige Seite der Frage erregt die physiologische das Interesse der Bearbeiter. Burns hatte allerdings schon ausgesprochen, dass die Fascie einen wichtigen Einfluss auf Schlingen und Atmen habe, aber erst mit Beginn der vierziger Jahre finden wir bei Theile (Sömmerings Muskel- lehre) und bei Cruveilhier (Myologie) die ersten Andeutungen von einer physiologischen Wirkung des M.omohyoideus auf die Fascie; er soll sie spannen. Theile setzt mit einem Frage- zeichen zu, dass er vielleicht die V. jugularis zugleich kompri- miere. Jarjavay (9), welcher die fascienspannende Eigenschaft des M. omohyoideus ebenfalls betont, meint, dass nach dem Durchschneiden der Fascie die Respiration behindert sei und zwar deshalb, weil nun die Atmosphäre auf die Lungenspitzen drücke. Von nun an findet jeder Standpunkt, der chirurgische, wie der physiologische, gleiche Beachtung. vichet (10) teilt die Fascie insofern in neuer Art ein, als Anatomische Hefte. 1. 6 er von dem umhüllenden Blatt eine Scheidewand nach Art eines Ligamentum intermusculare der Extremitäten an die Quer- fortsätze der Wirbel gehen lässt, wodurch eim vorderer (Hals-) von einem hinteren (Nacken-) Raum geschieden wird. Er hebt die Zusammengehörigkeit von Omohyoideus und Fascie ganz besonders hervor und nennt das von diesem Muskel zum Schlüssel- bein herübergespannte Blatt „Aponeurosis omoclavicularis“. Auf dieses soll der Muskel ausschliesslich wirken. Seine interessante und lichtvolle Beschreibung enthält auch in direktem Gegensatz zu Jarjavay die beachtenswerte Bemerkung, dass der Omo- hyoideus, so lange er in Kontraktion befindlich ist, die grossen Halsvenen offen hält. Dittel (13), welcher der Halsfascie eine eigene Abhandlung, die erste nach Froriep, widmet, beschreibt sie zwar genau, aber nicht eben klar. Er vergleicht die Verhältnisse im unteren Teil des Halses mit denen der Schenkelfascie und statuiert einen „Processus faleiformis“‘, durch welchen die V. jugular. extern. in die Tiefe tritt. Bemerkenswert ist es, dass er sich besonders scharf gegen eine wohlbegrenzte Gefässscheide erklärt. Vielleicht mehr, als sie es verdient, wird seime Darstellung zur Grundlage der späteren Beschreibungen des m Rede stehenden Fascienapparates. Ohne auf die übrigen keine neuen Bahnen beschreitenden Darstellungen der Halsfascie in den Handbüchern der letzten Jahrzehnte einzugehen, möchte ich nur noch dreier besonderer Abhandlungen gedenken. Henke (19) einerseits, von dessen Untersuchungen schon oben die Rede war, drang schärfer als irgend einer seiner Vorgänger darauf, dass man weniger die Platten des Bindegewebes, als die Räume zwischen ihnen, auf welche Froriep bereits hingewiesen hatte, zu beachten habe, ein Standpunkt, welcher nur den Interessen des Chirurgen Rechnung trägt. Herzog (23) andererseits beschreibt lediglich den Mechanismus, welchen die Fascie am unteren Teil des Halsfascıe. 83 Halses für die Blutbewegung in den Venen bildet, ein rein physiologischer Standpunkt. Poulsen (26) endlich widmet der Sache wieder eine ausgedehnte und allseitige Untersuchung, in welcher er den Verlauf der Fascie selbst, sowie die Gestalt und Ausbreitung der Bindegewebsräume gleich sorgfältig zu er- gründen sucht. Sie bringt manche Details zu Tage, welche unsere Kenntnis fördern, ist aber vielleicht übergenau, so dass gleichgiltigen Dingen eine zu grosse Wichtigkeit beigelegt wird. Bei einer neuen Bearbeitung wird es sich darum handeln müssen, der Bedeutung der Halsfascie nach allen Seiten hin Rechnung zu tragen und auch ihre Entwickelung nicht zu ver- nachlässigen. Dabei wird man in allererster Linie erst klar zu stellen haben, was man mit dem Namen einer Fascie belegen will, denn darüber herrschen, wie im Eingang gesagt wurde, Memungsverschiedenheiten. An einer Extremität wird man kaum in Verlegenheit kommen; dort findet man Blätter von sehnigem (Gefüge, meist auch von deutlich sehnigem Aussehen, welche das ganze Glied oder doch grössere Muskelgruppen einhüllen. Dieselben sind im Einklang mit ihrer sehnigen Struktur auch stets entweder wirkliche Sehnen oder sie vervollständigen als Sehnenbogen oder Verstärkungen des Periostes das Skelet. Sie stehen ausnahmslos mit dem Muskelsystem in nächster Beziehung, sei es, dass sich Muskeln thatsächlich an sie in- serieren, sei es dass sie wenigstens deutlich als in phylogene- tischem Zusammenhang mit solchen stehen, wie es z. B. bei der Plantarfascie der Fall ist. Am Stamm sind dergleichen Blätter weit weniger häufig zu finden, doch ‚fehlen sie nicht, wie z. B. die Fascia lumbodorsalis erweist. So lange als sie von Muskeln als Ansatzpunkt benützt wird, ist sie sehnig, ober- halb der Rhomboidei verdünnt sie sich mehr und mehr, wie es 6* 54 II. FR. MERKEL. in den Büchern heisst; sie verschwindet völlig, wie man that- sächlich sagen muss. Neben diesen sehnigen Blättern giebt es bekanntlich noch andere, welche ohne bestimmt hervortretende Struktur sind, mit der Insertion von Muskelfasern gar nichts zu thun haben, son- dern sich als hamellöse Verdichtungen des formlosen Blinde- gewebes erweisen. Sie sind überall, wo sich irgend welhe Ge- bilde gegen die Umgebung abgrenzen. Nicht nur jeder Muskel, auch jedes Gefäss, jede Drüse, jedes Haar hat eine derartige Hülle aufzuweisen. Stets hängt sie mit dem lockeren Binde- gewebe der Umgebung untrennbar zusammen und geht in das- selbe über, meist ist sie sehr dünn, schleierartig, zuweilen aber kann sie auch kräftiger werden, wodurch sie dann wohl für den Chirurgen eine grössere Bedeutung gewinnt. Da diese Blätter keine entwickelungsgeschichtlichen Emheiten sind, wie die sehnig angelegten, so schwanken sie in ihrer Ausbildung ausserordentlich, und man sieht in nicht seltenen Fällen, dass sie durch funktionelle oder pathologische Einflüsse bedeutend verdickt werden können. Es ist klar, dass man zwischen jenen mit den Muskeln in allernächster Beziehung stehenden Blättern und diesen dem lockeren Bindegewebe angehörigen strenge zu scheiden hat und es dürfte sich empfehlen, auch in der Benennung einen Unterschied zu machen, ich schlage daher vor, für die Blätter von sehnigem Gefüge, resp. der Bedeutung von Sehnen den Namen Aponeuroöse zu gebrauchen und für die Blätter, welche dem formlosen Bindegewebe angehören, den Namen Fascie zu reservieren. Am Halse nun finden sich beide Arten von Blättern vor, wenn auch in sehr verschiedener Ausbildung. Schon Richet und nach ihm viele andere sprachen aus, dass das Bindegewebe dieses Körperteiles bei kleinen Kindern von ganz lockerem Ge- füge sei und dass Fascienblätter in demselben gar nicht oder kaum nachzuweisen wären, dass solche Blätter vielmehr erst Halsfascie. 55 im Laufe der Zeit unter dem Einfluss der Bewegungen ent- stehen, welche die sehr verschieblichen Teile des Halses gegen einander ausführen. In der That, untersucht man in gewöhn- licher anatomischer Präparation oder auf Querschnitten frischer, oder in dünnem Weingeist konservierter Leichen die Dinge, dann ist es oft selbst bei Erwachsenen schwierig, etwas anderes zu finden, als ein ganz lockeres formloses in sich zusammen- sinkendes Gewebe, welches sich nur gegen die Muskeln und die anderen Organe durch eine ganz zarte Membran abgrenzt. Erst bei der Untersuchung unter Wasser, besser noch an ge- härteten Präparaten erkennt man, dass es sich allenthalben um Lamellen handelt, welche mehr oder weniger dicht auf einander liegen. Es bedarf wohl keiner Ausführung, dass dieselben mit einer Aponeurose nichts zu thun haben, sondern dass sie zu jenen „Fascien“ zu rechnen sind, welche man an den Extremi- täten, wo man die erwähnten starken Blätter findet, gar nicht der Beachtung wert hält. Bevor nun der Bindegewebsapparat im einzelnen beschrie- ben wird, ist es nötig, erst einen Blick auf den Aufbau des Halses im ganzen zu werfen. Derselbe gestaltet sich, mit kurzen Worten beschrieben, folgendermassen: Die Wirbelsäule mit ihren Muskeln stellt ein in sich ab- geschlossenes Gebilde dar. An den ausgeschlachteten Tieren jeden Fleischerladens kann man sehen, wie eng hier alles ver- bunden ist und wie leicht sich das Ganze fast ohne Zuthun von der Umgebung löst. Dies muss der Thatsache zugeschrieben werden, dass all’ dies von einer gemeinsamen Hülle umschlossen ist, welche nach aussen verhältnismässig wenige Verbindungen zeigt, nach innen aber Scheidewände zwischen die einzelnen Muskeln hineinsendet. Von diesem um die Wirbelsäule ge- lagerten Paket sind die beiden Muskeln Sternocleidomastoi- 86 II. FR. MERKEL. deus und Trapezius zu trennen. Sie stehen ausserhalb der ge- meinsamen Hülle, was man besonders deutlich an den Durch- schnitten von Hälsen älterer Embryonen sehen kann. Es han- delt sich daher nur: hinten um die longitudinalen Rücken- muskeln, vorne um die kleine Gruppe der Prävertebralmuskeln und seitlich um Scaleni und Levator scapulae, zu welch’ letzteren noch der Plexus brachialis kommt. Eine ganz ähnliche eng anliegende und alles verbindende Hülle besitzen die Eingeweide, Luftwege und Speiseröhre, auch sie werden gemeinsam von einer zarten Membran überzogen und von ihr zusammengehalten. Die der Luftröhre und dem Kehlkopf enge angefügte Schild- drüse ist durch dasselbe Bindegewebe der Unterlage aufgeheftet und von ihm mit einer Umhüllung versehen. Die sogenannten Ligamenta glandulae thyreoideae sind nur etwas straffere Züge dieses Gewebes, welche vom Ringknorpel zur Drüse herüber- ziehen, sie sind deshalb weder von sehnigem Aussehen, noch von irgend welcher Selbständigkeit. Es ist ganz Sache des Geschmacks und Gefühls, wo man sie beginnen, wo endigen lassen will. An der Rückseite des Schlundes erstreckt sich die Binde- sewebshülle nach oben bis zum Ansatz des Pharynx an der Schädelbasis, vorne aber bildet das eingeschobene Zungenbein eine Grenzscheide. Ober ihm haben sich mit dem Auftreten der Zungenmuskulatur und der Submaxillardrüse die topographischen Verhältnisse gründlich geändert und auch die des Bindegewebes sind in keiner Weise mit denen unterhalb des Zungenbems zu vergleichen oder gar unter ein und dasselbe Schema zu bringen, wie es von einer Anzahl von Autoren geschieht. Wir kennen nun: hinten die Wirbelsäule mit ihren Muskeln, eng umschlossen von einer dünnen Hülle; vorne die Halsein- seweide, ebenso umschlossen ; ausserhalb dieser Membranen gelegen, die beiden grossen’ Muskeln Sternocleidomastoideus und Trapezius. Sehe ich von den Verhältnissen oberhalb des Zungen- Halsfascie. 87 beines einstweilen ab, dann fehlen nun noch zwei Gebilde, welche in dem Aufbau des Halses eine wichtige Rolle spielen: die Muskulatur, welche vom Brustkorb und Schultergürtel zum Zungenbein aufsteigt (untere Zungenbeinmuskeln), und das Ge- fässbündel. Bezüglich der Muskeln ist daran zu erinnern, dass sie sich nahe an das Eingeweiderohr anlehnen, also unter dem Niveau des Sternocleidomastoideus liegen; was das Gefässbündel betrifft, so befindet sich dasselbe von unten auf bis weit nach oben in engster Fühlung mit diesen Muskeln und zieht an der Rückseite des M. sternocleidomastoideus empor. An untere Zungenbeinmuskeln und Gefässbündel allein schliesst sich ein Bindegewebsblatt an, welches den Namen einer Aponeurose in dem oben erwähnten Sinn verdient. Zuletzt ist noch des für das Verständnis der Halsfascie wichtigen Inhaltes der Fossa supraclavieularis zu gedenken. Diese Grube entsteht dadurch, dass Sternocleidomastoideus und Trapezius vom Schädel aus, wo ihre Insertionen eimander ganz nahe gerückt sind, nach unten divergieren, um sich an den vorderen resp. hinteren Umfang des Schultergürtels festzuheften. In dem auf diese Art entstehenden dreieckigen Raum an der Seite des Halses würden die Scaleni, der Levator scapulae, die Nerven u. s. w. frei unter der Haut liegen, wenn nicht ein ab- geschlossenes Fettpolster vorhanden wäre, welches die erwähnten Teile deckt. So viel von dem Aufbau des Halses im allgemeinen; nun zur genaueren Betrachtung der einzelnen Teile seines Binde- gewebsapparates. Aponeurose. Trägt man Haut und M. subeutaneus vorsichtig ab, dann sieht man an einer Leiche von mittlerer Fülle und mitt- lerer Ausbildung des Bindegewebsapparates folgendes. Im Mittel- feld des Präparates zwischen den beiden M. sternocleidomastoidei 88 I. FR. MERKEL. erstreckt sich eine kräftige Bindegewebsschichte von weisslicher Farbe, über die beiden genannten Muskeln selbst ist nur eine ganz zarte und dünne Membran gebreitet, welche die Muskel- substanz durchschimmern lässt; man muss nicht selten bei der Präparation sehr vorsichtig zu Werke gehen, um sie beim Ab- nehmen des Hautmuskels nicht zu verletzen. Jenseits des Sterno- cleidomastoideus, in der Fossa supraclavicularis findet man bald eine etwas festere Haut vor, bald sieht man Fetträubchen mehr oder weniger deutlich durch dünnere Lamellen durchschimmern. Der Trapezius, welcher nach hinten abschliesst, verhält sich, wie der Sternocleidomastoideus. Bei Anfertigung eines Horizontal- durchschnittes des Halses, etwa in der Höhe des Luftröhren- anfanges findet man, dass die derbere, zwischen beiden Sterno- cleidomastoidei sichtbare Bindegewebsplatte ein bald mehr lamellös, bald mehr verfilztes Gewebe ist, welches sich von der Haut hinein bis auf die unteren Zungenbeinmuskeln erstreckt. Die- selbe ist gewissermassen der Ausgangspunkt für die Bindege- websplatten an der Vorderseite des Halses. Sie zeigt sich schon beim Embryo von 21 Wochen deutlich ausgesprochen, während bei ihm die ganze Umgebung noch aus äusserst lockerem Binde- gewebe zusammengesetzt ist. Aussehen und Festigkeit dieser Schichte ist augenscheinlich der Grund, warum Tillaux hier eine Lmea alba annimmt. Eine solche existiert jedoch nicht, wie lange vor diesem Unter- sucher von Jarjavay richtig angegeben wird. Die in Rede stehende Bindegewebsplatte setzt sich oben an das Zungenbein, unten an das Brustbein an und während ihr oberer Ansatz einfach ist, beobachtet man unten ein Verhalten, wie es in ähnlicher Weise die Fascia temporalis vor ihrer In- sertion am Jochbogen zeigt; sie spaltet sich in zwei Blätter und echt mit dem einen an den vorderen Rand der Ineisura semi- lunaris sterni, mit dem anderen an die Rückseite dieses Aus- schnittes. Zwischen den beiden Platten findet sich Fett, eben- anf "a 2 2 er Su £ a E u “ ei u i » 4j E ü rs ; > 4 ui # 2 + = [i . ‚a R £ 5 ü - F \ Anatomische Hefte.l. \- 2 rachea) er .Desophagus lponeurose Fig. 22 Subertaneuts-.. Fettpolster \ S Lith.Anst. .C.Kirst, Leipzig. Taf. X.XM. Fjagular NE raqus = A.carotis. 1 MM. biventer..-........... 3 5 Zwischensehne: Oshyoideum....-- | Verlag v. J.F. Berömann,Wiesbaden. Halsfasecie. ES 89 falls so, wie in der Schläfenfascie. Der wesentlichste Unter- schied gegenüber dieser besteht darin, dass hier der die beiden Venae jugulares ‘ext. verbindende Arcus venosus juguli den fetthaltigen Raum nahe dem Brustbeinrand quer durchsetzt, während dort nur die kleine A. temporalis med. hindurchtritt. Bei weitergehender Abmagerung verschwindet das Fett mehr und mehr und die Einziehung, welche als Drosselgrube be- kannt ist, wird sichtbar. Der Raum wird als suprasternaler Spalt- raum (Spatium interaponeuroticum suprasternale, W. Gruber (16)), beschrieben und wird unten noch besprochen werden. Die Thatsache, dass sich die erwähnte Bindegewebsplatte mit zwei Lamellen an den oberen Rand des Brustbeines ansetzt, war für die Beschreibung insoferne verhängnisvoll, als sie die Handhabe dafür bot, hier zwei Blätter der Halsfascie zu unter- scheiden, ein oberflächliches und ein tiefes. Dies würde ja an sich nicht nachteilig sein, da es gleichgültig ist, ob man eine einfache Fascie nach unten in zwei Blätter gespalten sein, oder ob man zwei Blätter nach oben verwachsen sein lässt, wenn man nun nicht geglaubt hätte, diese beiden Blätter auch nach den Seiten hin verfolgen und auseinanderhalten zu müssen. Man kommt dadurch zu einer ganz gezwungenen und schematischen Einteilung, welche sich der Natur keineswegs anpasst. Schon am Rande des M. sternocleidomastoideus fliessen die beiden La- mellen zusammen und gehen jetzt als einfaches und untrenn- bares Blatt hinter dem genannten Muskel weiter. Vor dem Sternocleidomastoideus ist eine deutliche Fascie nicht zu finden; wie oben erwähnt wurde, zeigt sich der Muskel vielmehr von einem so zarten Perimysium überzogen, dass es oft genug kaum möglich ist, dasselbe bei Abnahme des M. subcutaneus colli unverletzt zu erhalten. Nur ganz unten, dicht hinter dem Ur- sprung des M. sternocleidomastoideus fehlt der Verschluss an dessen Rand; hier bleiben die beiden Fascienblätter auch ferner- hin getrennt, um Platz für den Arcus venosus juguli zu lassen, KIT = ROSE TE 90 II. FR. MERKEL. für die Vene, welche sich, hinter dem Muskel gelegen, zum Venenwinkel begiebt, um entweder in ihm selbst, oder in seiner nächsten Nähe in einen der Äste einzumünden, welche denselben bilden. W. Gruber nennt diesen Raum hinter dem Ursprung des Sternocleidomastoideus, welcher ausser der Vene noch Fett enthält, Saceus coöcus und lässt ihn mittelst einer „Porta“ mit dem Spatium intraaponeuroticum suprasternale in Verbindung stehen. Das Blatt nun, welches die beiden eben genannten Räume einschliesst, besonders dessen hintere Lamelle, stellt die Apo- neurose dar, welche sich über die Mittellinie hnweg von einem M. omohyoideus zum andern hinerstreckt. Man hat in ihr also eine Membran, welche sich an die unteren Zungenbeinmuskeln anschliesst und sie deckt. Die Aponeurose verhält sich nun aber verschieden am oberen und am unteren Bauch des M. omohyoi- deus. Über den oberen erstreckt sich dieselbe hinweg und ge- langt bis zum Gefässbündel; sie tritt mit der vorderen und late- ralen Seite der Vena jugularis in feste Verbindung und über- schreitet sie, um mit der Bedeckung des nachher zu beschreibenden Fettpolsters in einer unregelmässig gezackten Linie zusammen- zufliessen. Es ist deshalb unzulässig, hier das in Rede stehende aponeurotische Blatt an die Querfortsätze der Halswirbel zu ver- folgen (Malgaigne, Führer, Hyrtl), oder dasselbe in Ver- bindung mit der Praevertebralfascie (H enle) zu bringen. Zwischen diesen Dingen ist gar keine Verbindung vorhanden, es liegt vielmehr zuerst das Gefässbündel und dann der Fettpfropf da- zwischen (Taf. XI/XIL, Fig. 1). Am unteren Bauch des Omohyoi- deus und dessen Zwischensehne schliesst die Aponeurose mit dem Muskel selbst ab und verhält sich zu demselben, wie eine Gardine zu ihrer Stange, das heisst, die Aponeurose endet mit einer röhren- . förmigen Scheide, in welcher der Muskel und dessen Zwischen- sehne läuft. Schon bei einem sechsmonatlichen Fötus ist dies vollkommen deutlich zu sehen (Fig. 2) und auch am Halse des Halsfascie. 9 Erwachsenen kann darüber kein Zweifel aufkommen, wenn schon die Scheide nicht serös, das heisst, ohne jeden Zusammenhang mit der Sehne ist. Die Aponeurose, welche wie erwähnt, am Brustbein mit zwei Lamellen festgeheftet ist, geht seitlich auf das Schlüsselbein über, an dessen hinterem Umfang sie endigt. Gegenbaur (21) verfolgt Züge selbst bis auf den Knorpel der ersten Rippe. Ihr Ansatz an diesen Stellen bildet eine feste ‚Grenze gegen die Brusthöhle hin, nur für den Durchtritt des Arcus venosus findet sich hinter dem M. sternocleidomastoideus dicht über dem Schlüsselbein ein Sehnenbogen. Fasse ich das Vorstehende in wenige Worte zusammen, dann ist zu sagen: die Halsaponeurose besteht aus einer kräftigen Bindegewebsplatte, welche sich vom Zungenbein bis zum Brust- bein und Schlüsselbein herab erstreckt. Am Brustbein setzt sie sich mit zwei Lamellen an, welche die Dicke der Incisura semi- lunaris zwischen sich fassen. Es entsteht dadurch zwischen beiden Blättern eine fetthaltige Tasche, Spatium intraaponeu- roticum suprasternale. Am Schlüsselbein heftet sie sich an den hinteren Umfang des Knochens. Seitlich überschreitet sie ober- halb der Zwischensehne des Omohyoideus das Gefässbündel, um sich dann zu verlieren, unterhalb dieser Zwischensehne über- schreitet sie den genannten Muskel nicht. Ihre Vorderfläche liegt in der Mitte des Halses frei, seitlich ist sie vom Sterno- cleidomastoideus bedeckt. Ihre Rückfläche ruht auf den unteren Zungenbeinmuskeln und zwar dem Sternohyoideus und Omo- hyoideus. Wie man sieht, deckt sich die Aponeurose zu einem guten Teil, wenn auch nicht vollständig, mit dem tiefen Blatt der Halsfascie der bisherigen Untersucher. Es erübrigt nun noch der Beweis dafür, dass man in der beschriebenen Bindegewebsplatte wirklich eine Aponeurose, das heisst, eine Platte von sehniger Qualität vor sich hat. Schon Richet glaubte den unteren am Omohyoideus endigenden Teil * 92 ll. FR. MERKEL. derselben als Aponeurosis omoclavicularis abtrennen zu sollen und Henle bildet in seiner Muskellehre!) ein Präparat ab, an welchem Fasern von der Zwischensehne des M. omohyoideus abgehen und sich im unteren Teil der Aponeurose verlieren. Gegenbaur (21)-geht noch weiter, er erklärt diese Platte sogar für einen zurückgebildeten Cleidohyoideus. Er sagt, dass man mikroskopisch stets eine fast kontinuierliche Lage von Sehnen- fasern in ihr bemerke, welche von der Clavicula zum Omohyoideus verlaufen und dort an der Fascie des Muskels zu endigen scheinen. Nicht selten sind Züge dieser Fasern zur Zwischensehne zu ver- folgen. Er konnte weiter nachweisen, dass dieselben einmal durch wenige, nur mikroskopisch wahrnehmbare Muskelfasern, ein andermal durch einen mehr oder weniger stark ausgebildeten makroskopisch präparierbaren Muskel ersetzt waren. Man wird dem allen nur zustimmen können. Diese durch Gegenbaur gedeuteten Teile der Fascie entsprechen der Lage nach ganz der Aponevrose omoclavieulaire Richet’s. Doch handelt es sich nach Gegenbaur nur um eine Einlagerung in die eigent- liche Fascie, von welch’ letzterer er sagt, dass sie aus Faserbündeln bestehe, welche über wie unter jenen Sehnen- fasern gelegen seien und in verschiedener Richtung verliefen. „Zuweilen sind in die oberflächliche Bindegewebschicht schräge oder quere Sehnenfasern eingewebt,. die zum Teil an die Clavi- cula befestigt, zur Straffheit der Fascie beitragen.“ Ich finde, dass auch ..sie mit Muskeln in Verbindung stehen können und somit von aponeurotischer Bedeutung sind. W. Gruber be- schreibt in den Melanges biolog. T. VII p. 563, 1872 einen Musculus sternofaseialis, welcher, in eine Scheide der Fascie eingeschlossen, yor den ı en Zungenbeinmuskeln von der Vorderfläche des Sternum fast vertikal au! und mit strahlen- förmig auseinanderstehenden Sehnenbündeln in der Fascie, nicht 1) 2. Aufl. 1871. Fig. 52 auf 8. 120. Halsfaseie. 95 weit von der Zungenbeininsertion des Omohyoideus endigte. Ich selbst beobachtete bei meinen Präparationen für die vor- liegende Untersuchung an der Leiche eines jungen Mannes, an welcher sich rechterseits ein M. supraclaviceularis (Haller)!) fand, links einen Muskel etwa von der Stärke eines Lumbricalis, welcher an der Rückseite der Kapsel des Sternoclavikulargelenkes entsprang und schräg lateralwärts aufstieg, so dass sein Bauch einen spitzen Winkel mit dem Schlüsselbein bildete. Er lag hinter dem Sternocleidomastoideus in einer von der Fascie ge- bildeten Scheide eingeschlossen. Seine Sehne, welche in die Fascie eingewebt war, ging von hinten her um den unteren Bauch des M. omohyoideus herum und setzte sich eine Schlinge bildend an der Rückseite der Clavicula fest. Es kann wohl nicht zweifel- haft sein, dass beide Muskeln: erstens der Fascie angehören und dass sie zweitens nichts mit einem Cleidohyoideus zu thun haben. Sie müssen vielmehr für den Teil der Aponeurose in Anspruch genommen werden, welcher nicht auf diesen Muskel zurückge- führt werden kann. Die beschriebene Aponeurose ist, wie gesagt, ein kräftiges Blatt zwischen dem Sternocleidomastoideus und den unteren Zungenbeinmuskeln, welche ihrerseits sämmtlich durch zarte Bindegewebslamellen gegen die Umgebung abgegrenzt sind. Es ist nun selbstverständlich, dass diese Lamellen mit der Aponeurose zusammenfliessen, wo sie sich berühren. Diese Thatsache aber so zu erklären, dass man sagt, die Aponeurose spalte sich, oder sie liefere Scheiden für die Muskeln, ist ganz unzulässig, da der Quer- schnitt der Hälse von Föten (Taf. XI/ X, Fig. 2) und Neugeborenen lehrt, dass zu einer Zeit, in welcher die Aponeurose schon fertig gebildet ist, von jenen Blättern gar nichts oder doch nur Spuren vorhanden sind. Es giebt Fälle genug, in welchen sogar bei 1) M. sterno-elavieularis Gruber. Mem. de l’acad. imp. des seiences de St. Petersbourg VII. Ser. Tome III Nr. 2. 1860. 94 II. FR. MERKEL. Erwachsenen diese Lamellen äusserst schwach entwickelt sind und sich dann um so unvermittelter an die kräftige Aponeurose ansetzen. In anderen Fällen freilich ist wieder die Entwickelung des Bindegewebes im ganzen eine so bedeutende, dass schon beim Neugeborenen jeder Muskel in eine derbe Hülle einge- schlossen ist, welche sich mit den Scheiden der benachbarten Organe verbindet. (Gefässbündel. An die Innenseite der beschriebenen Fascien- platte legt sich unmittelbar das Gefässbündel an, wie ich es kurz ausdrücke, das Bündel, welches Vena jugularis interna, A. carotis communis, Lymphgefässe und Lymphdrüsen, Nn. ramus descendens hypoglossi, vagus und sympathicus in sich schliesst, wie ich es aus- führlich aufzählen müsste. Am weitesten nach vorne und lateral liegt die V. jugularis imt., sie tritt deshalb in Zusammenhang mit der Aponeurose (Fig. 1). Die übrigen genannten Gebilde sind in lockeres Gewebe eingeschlossen, welches den Namen einer Scheide nicht verdient. Damit sage ich aber nichts Neues, da schon Dittel (13) sich im ganz ähnlicher Weise ausgesprochen hat. Er sagt, dass der Ausdruck „Scheide“ viel beitrage, das wahre Bild zu verwirren; es gäbe nur eine Gefässdecke, welche von der Lamina media der Halsfascie geliefert würde. Da seine Lamina media aber die beschriebene Aponeurose ist, so stimmt seine Darstellung mit der meinigen ganz überein. Der Raum zwischen Gefässdecke und Gefässen ist nach Dittels Angabe mit lockerem Zellstoff ausgefüllt. Soltmann (20a) sagt, dass das was man Gefässscheide nennt, ein Complex von Bindegewebs- bündeln sei; durch Injection von Leim oder durch eindringenden Eiter können die Gefässe und Nerven ganz von einander ge- trennt werden. Dies ist alles richtig und ich füge hinzu, dass das Bindegewebe, welches die Gefässe umgiebt, noch beim Neugeborenen kein Fett enthält und auch später weit weniger davon aufnimmt, als die Umgebung. Die Lamellen, welche Halsfascie. 9 die einzelnen Gebilde umschliessen, bleiben während des ganzen Lebens locker verbunden. Die landläufige, auf die Bedürf- nisse der grossen Masse berechnete Beschreibung geht dahin, dass eine Gefässscheide vorhanden ist, in welcher Carotis, Jugu- laris und N. vagus vereinigt seien und wir haben als Studenten in den Einpaukestunden den Vergleich viel bewundert, dass sich der Nerve zu den beiden Gefässen so verhielte, wie der Lade- stock einer Doppelflinte zu den beiden Läufen. Der R. descen- dens hypoglossi liegt, wie die Beschreibung fortfährt, vor der Scheide, der Grenzstrang des Sympathicus hinter ihr. Manche setzen noch hinzu, dass in der Scheide eine Trennungswand zwischen den beiden Gefässen vorhanden sei. Das lernt sich leicht und mechanisch und fordert keine Denkarbeit. Nur be- kommt man bei einer solchen Beschreibung eine völlig fehler- hafte Vorstellung mit auf den Weg, welche sich wohl einmal im kritischen Moment recht unliebsam bemerkbar machen könnte. Da nun also eine Scheide nicht vorhanden ist, sondern da die im Gefässbündel vereinigten Gebilde nur von lockerem Binde- gewebe umhüllt sind, versteht man, dass es leicht möglich ist, bei Operationen die V. jugularis medianwärts zu bewegen und über die Carotis zu ziehen, ohne diese aus ihrer Lage zu bringen. Wenn Langenbeck (14) aber sagt, dass die V. jugularis in ihrem ganzen Verlauf von emer besonderen Bindegewebsscheide umhüllt sei, so hat er ebenso wenig recht, wie diejenigen, welche eine Scheidewand zwischen beiden grossen Gefässen annehmen. Beide Angaben sind aber allerdings an der Hand der Thatsachen zu verstehen. Hier, wie überall, ist die Arterie mit ihrer Um- gebung besonders locker verbunden, was sich aus der rhytmi- schen Bewegung des Pulses erklärt. Die Kontraktionen der Ar- terien würden unmöglich sein, wenn diese irgendwo fest mit der Umgebung verbunden wären, wir sehen auch in Geweben von fester Struktur die Arterien stets in eine geringe Menge ganz lockeren Bindegewebes eingebettet. Die Venen haben eine ana- 96 II. FR. MERKEL. loge Verlaufsweise nicht, sondern sie zeigen sich mit der Um- gebung, woraus diese auch bestehe, immer in festerer Verbind- ung. Hier am Halse ist also die V. jugularis ganz eng mit dem umgebenden lockeren Bindegewebe verwachsen. Was die von manchen Autoren angenommene Scheidewand zwischen beiden grossen Gefässen des Halses anlangt, so wird der schmale Streifen lockeren Gewebes, welcher sich zwischen den nahe an einander gerückten Gebilden durchzieht, für eine solche angesehen. Ich möchte die Betrachtung von Querschnitten, besonders von embryo- nalen, empfehlen, bei welchen Arterie und Vene nicht ganz dicht zusammen liegen, ich denke, man wird dann von der An- nahme einer besonderen Scheidewand sogleich abkommen. Was nun die Nerven betrifft, so ist von ihnen kaum etwas Nennens- wertes zuzufügen; sie liegen eben in dem lockeren Bindegewebe eingebettet, wie die Jugularis. Nur über den N. vagus einige Worte. Bei Embryonen, wo Arterie und Vene etwas weiter aus- einander liegen, ist er der Arterie unmittelbar angeschlossen und mit ihr durch etwas festeres Bindegewebe vereinigt (Fig. 2). Beim geborenen Menschen soll er innerhalb der Gefässscheide liegen; ich deute dies so, dass er in einem freien Raum und dieht an die Arterie angelehnt verlaufen soll. Dies ist natürlich unrichtig; denn wie aus dem Gesagten hervorgeht, hält sich der Spaltraum genau an die Arterienwand und der Nerve liegt hinter demselben, meist freilich dem Gefäss sehr nahe, zuweilen durch etwas mehr Bindegewebe von ihm getrennt. Dabei findet er sich keineswegs immer in dem Winkel, welcher von den beiden an einander liegenden Gefässen gebildet wird, sondern oft weit von der Jugularis entfernt. Die nun weiter entstehende Frage ist die, wie sich das Bindegewebe, in welches das Gefässbündel eingehüllt ist, gegen die Umgebung abgrenzt. Lateral reicht dasselbe bis zur Fascien- platte, welche die Grenze gegen den M. sternocleidomastoideus bildet. Nach vorne steht es in Verbindung mit den zarten Halsfascie. 97 Hüllen, welche sich zwischen den unteren Zungenbeinmuskeln und an der Peripherie der Gl. thyreoidea finden. Hinter dem Strang der Eingeweide folgt medianwärts der retroviscerale Spaltraum; gegen diesen grenzt sich das Gefässbündel durch ein kräftiges Blatt ab, welches an der Wirbelsäule angeheftet ist, resp. mit der Prävertebralfascie zusammenfliesst. Dieser Ab- schluss hängt mit den, gerade an dieser Stelle verlaufenden Ge- fässzweigen zusammen, besonders der A. vertebralis. Diese nimmt auf ihrem Weg nach dem sechsten Halswirbel ein Blatt mit, welches sich vom Gefässbündel zu den Querfortsätzen herüber- spannt. Wie man ähnliches auch anderwärts beobachtet, hört nun aber mit dem Eintritt der Arterie in den Knochenkanal das Blatt nicht auf, sondern setzt sich nach oben noch eine Strecke weit fort. Nach hinten zu ist das Bindegewebe des Gefäss- bündels überhaupt nicht abgeschlossen, sondern geht in das Fettpolster über, welches nun genauer zu betrachten ist. Fettpolster des Halses. Dasselbe bietet manche Ana- logien mit dem Fettpfropf der Wange, doch unterscheidet es sich von ihm durch zwei wichtige Punkte, einmal dadurch, dass es von Gefässen und Nerven durchzogen ist und zweitens da- durch, dass es sein Fett bei stärkerer Abmagerung ganz ver- lieren kann, was ja bei dem Fettpfropf der Wange nicht der Fall ist. Wie dieser ist es aber von einer Hülle überzogen und man vermag es deshalb auch aus seiner Umgebung herauszu- schälen, allerdings nicht so reinlich,, wie dort, eben wegen der durchtretenden Nerven und Gefässe, welchein Bindegewebsplatten gelegen sind, die das Fettpolster zerklüften. Wer einigermassen aufmerksam den Hals präpariert, kennt das Fettpolster, welches zwischen Sternocleidomastoideus und Trapezius zu Tage liegt, es wird auch in den meisten Beschrei- bungen seiner gedacht. Darnach könnte es vielleicht unberechtigt erscheinen, demselben eine besondere Stellung zuweisen zu wollen; Anatomische Hefte. 1. 7 98 il. FR. MERKEL. dass ich dies trotzdem thue, hat seinen Grund nicht nur in der deutlichen Abgrenzung, sondern auch in seiner eigenartigen Entwickelung. Schon zu einer Zeit, in welcher von Subeutanfett noch keine Spur vorhanden ist, findet man das Fettpolster angelegt und zwar sind es Gefässbäumchen, eine Art von Glomeruli, welche, umgeben von rundlichen Zellen, in hellen Gewebslücken liegen (Fig. 4). Sie stellen ein Fettorgan im Sinne von Toldt dar. Auch später, wenn das Subcutanfett bereits zu erscheinen begonnen hat, zeichnen sich die weit entwickelten Träubcehen des Fettpolsters durch ihr dunkles Aussehen sehr entschieden vor jenen aus (Fig. 2), ebenso wie sich auch noch beim Neugeborenen beide Fettarten leicht von einander unter- scheiden lassen, während sie später ein gleichartiges Aussehen zeigen. Macht man nun den Querschnitt eines Halses in der Höhe der obersten Trachealringe, dann sieht man, wie sich die in Rede stehende Fettmasse vom Gefässbündel aus nach hinten zieht. Am hinteren Rand des Sternocleidomastoideus wird sie frei und verbirgt sich erst wieder unter dem M. trapezius. Prä- pariert man das Polster an einer Leiche, an welcher man am besten erst eine Chromsäureinjektion ausgeführt hat, dann findet man, dass es die Form eines langgestreckten Kegels hat, dessen Basis nach unten gekehrt ist. Es ruht vorne auf dem Gefäss- strang, welcher nach der Achsel zieht, hinten auf dem Schulter- blatt, wo er die Fascie des M. supraspinatus berührt; nach innen liegt es auf den Scaleni und dem Levator scapulae. Vorne geht es, wie erwähnt, von der Gefässscheide aus, nach hinten erstreckt es sich verschieden weit unter dem Trapezius hin; nach oben steigt es mit Carotis und Jugularis gegen den Schädel auf. Die Bindegewebsblätter, welche das Fettpolster im Anschluss an die Supraclavicularnerven und die Blut- und Lymphgefässe durch- setzen, erscheinen auf dem Querschnitt des Halses ais Streifen ; die Oberflächen sind, wie die aller Halsorgane, von einer zarten Bindegewebshülle überzogen, welche sich meist von den an- Halsfascie. 99 liegenden Blättern z. B. der Fascie der Nackenmuskeln ganz gut isolieren lässt. Bei einem Vergleich der vorstehenden mit der üblichen Be- schreibung fällt es auf, dass die hier gegebene ein oberflächliches Blatt der Halsfascie nicht kennt. Dasselbe soll der gewöhnlichen Darstellung zufolge von der Mittellinie ausgehend den M. sterno- cleidomastoideus einscheiden, die Fossa supraclavicularis über- brücken und endlich nach der einen Beschreibung dem M. trapezius eine Scheide abgeben, nach der anderen an der Innenseite dieses Muskels weiter laufen. Nach meiner Auffassung setzt sich dieses oberflächliche Blatt aus drei verschiedenen Teilen zusammen: 1. aus dem zarten Überzug des Sternocleidomastoideus, welcher mit einer Fascie gar nichts gemein "hat; 2. aus der Hülle des Fettpolsters, welche zuweilen kräftig, zuweilen schwach entwickelt ist und 3. aus dem Überzug des Trapezius, welcher sich genau wie der des "‘Sternocleidomastoideus verhält (Fig. 1. Nimmt man an, dass das oberflächliche Blatt an der Innenseite des Trapezius weitergeht, dann reduziert sich dasselbe auf die unter l und 2 genannten Gebilde. Untere Abgrenzung des Halses. Eine solche existiert nur seitlich, jenseits der Brustapertur, da ja durch diese hin- | durch Eingeweide und Gefässe vom Hals zur Brust und umge- kehrt passieren; es handelt sich also bei dieser Abgrenzung nur um den Raum zwischen erster Rippe einerseits und den Teilen des Schultergürtels anderseits, und es bleibt eigentlich nur die Stelle übrig, an welcher beim Skelet Hals und Achselhöhle unter dem Schlüsselben hindurch in weiter Kommunikation stehen. Diese Öffnung wird beim Lebenden durch eine bindegewebige Platte verschlossen, in welche A. und V. subelavia eingehüllt sind. Sie entwickelt sich von den seitlichen tiefen Halsmuskeln, vornehmlich vom M. scalenus anticus aus und setzt sich an die kücktfläche des Schlüsselbeines an. Eine solche Platte ist hier 7 100 ll. FR. MERKEL. am Halse nichts Ungewöhnliches, auch die A. vertebralis sowie die durch das Fettpolster verlaufenden Nerven und Gefässe sahen wir in ähnliche Platten eingeschlossen. Die in Rede stehende Platte nun stellt den unteren Abschluss eines Sackes dar, wel- cher gebildet wird: nach der Wirbelsäule zu von der Fascie der tiefen, seitlichen Halsmuskeln, welche auch den Plexus brachialis umschliesst, nach der Oberfläche hm von der Aponeurose des Halses, die zum hinteren Bauch des Omohyoideus emporsteigt, medial von dem Strange der grossen Halsgefässe und der Platte, welche, die A. vertebralis enthaltend, sich nach den Querfort- sätzen der Wirbel hin erstreckt. Nach dem Rücken hin reicht der Boden des Sackes zwar bis zum Schulterblattrand, wo dann die Aponeurosis supraspinata ihren Anfang nimmt, doch ist er dort sehr dünn und mit Fett durchwachsen, so dass es ohne grosse Gewaltanwendung gelingt, mit der Fingerspitze bis in die Achselhöhle durchzudringen. Der Finger folgt dabei dem Weg des Plexus brachialis und gelangt vor und über diesem und den grossen Gefässen in die Achselhöhle. — Man sieht, die Beschrei- bung giebt im ganzen die untere Begrenzung des Fettpfropfes wieder. j Herzog (23) beschreibt die geschilderte Platte folgender- massen: „Vom unteren Rande beider Schlüsselbeine zieht ein fibröses Segel nach dem Processus coracoideus und der ersten Rippe, welches fest an die‘ vordere Wand der Vena subelavia angeheftet ist. Dasselbe bildet somit eine abschliessende Wand zwischen Supra- und Infraclaviculargesend mit Durchlässen für die grossen Gefässe und Nerven, die nach der Achselhöhle hin- ziehen. Medial geht dieses Fascienblatt mit einem Schenkel über den Vereinigungspunkt der Vena subelavia und Jugularis interna an den oberen Rand des ersten Rippenknorpels und an die hin- tere Fläche des Manubrium sterni. Dieser Zug verliert sich nach aufwärts auf der Vorderfläche der Trachea. — Ein anderer Schenkel dieser Fascie geht bogenförmig unter der Vena jugu- Halsfascie. 101 laris interna nach aufwärts und befestigt sich in der Höhe des 7. Halswirbels an die Fascia praevertebralis. — Von diesem Fascienblatt ist unabhängig die sogenannte mittlere Halsfascie, die, durch lockeres Fettgewebe von ihr getrennt, über ihr liegt.“ Die Beschreibung der verschiedenen Öffnungen in der Fascie für den Durchtritt von Venen habe ich in Vorstehendem fort- gelassen, da selbstverständlich überall, wo eine Vene durch ein solches Blatt hindurchtreten soll, ein Loch in derselben sein muss. Der hintere Schenkel des Fasciensegels von Herzog ist das Blatt, welches die A. und V. vertebralis enthält; der vor- dere Schenkel ist das Bindegewebe, welches den Fettpfropf ab- schliessend von der Vena subclavia aus nach dem lateralen Rand der unteren Zungenbeinmuskeln aufsteigt. Was nun endlich die physiologische Bedeutung der aponeurotischen Blätter in der besprochenen Halsgegend anlangt, so wurde schon von Berard!) ausgesprochen, dass ihre Verbindung mit den Venen des Halses dazu dient, diese letzteren offen zu halten. Später lernte man sodann auch die Bedeutung des M. omohyoideus und die der Schlüsselbeinbewegung für den Blutstrom in den Venen würdigen. Es ist kein Zweifel, dass Berard und nach ihm Richet, Henle und Herzog Recht haben, wenn sie mehr oder weniger bestimmt aussprechen, dass die Halsaponeurose dazu vorhanden ist, die Venen zu erweitern, während man der Meinung von Theile und Hyrtl, welche dem Omohyoideus eine komprimierende Wirkung zuschreiben, nicht beipflichten kann. Die Erweiterung soll dadurch bedingt werden, dass der geknickte Omohyoideus bei seiner Kontraktion bestrebt sei, sich gerade zu strecken und dadurch das unter ihm befindliche, an das Schlüsselbem angeheftete Blatt spanne. Es wird bei einer solchen Beschreibung nur der Aponeurosis 1) M. Berard aind Mem. sur un point d’anatom. et de physiol. du systeme veineux ete. Archiv. generales de med. T. XXIII Juin 1830 S. 169. 102 II. FR. MERKEL. omoclavicularis im Sinne Richet's eine Bedeutung beigelegt. Eine Kontraktion der unteren Zungenbeinmuskeln wirkt aber auch noch auf den höher oben gelegenen Teil des Venenapparates ein, indem sie die Aponeurose bis zum Zungenbein hinauf spannt und von der Unterlage abhebt. Nun liegen mit alleiniger Ausnahme der V. jugularis externa sämmtliche wichtigen Venen des Halses unter ihr und es werden höher oben besonders die Vv. thyreoideae durch die Spannung der Aponeurose entlastet werden. Die Jugularis interna selbst ist in der ganzen Länge vom Zungen- bein abwärts bis fast zu ihrem Ende mit derselben geradezu ver- wachsen und es muss daher ein Zug auf sie ganz direkt er- weiternd wirken. Ich möchte glauben, dass der M. sternoclei- domastoideus bei gewissen Bewegungen durch die Wulstung, welche seine Kontraktion begleitet, auf die unmittelbar unter ihm liegende Vene drücken muss und gerade in solchen Fällen dürfte der Omohyoideus direkt und durch die mit ihm verbun- dene Aponeurose die Vene offen halten. Die Vena jugularis externa mit ihren Zuflüssen hat höher oben am Halse nichts mit dem aponeurotischen Apparate zu thun, sie wird dort vom M. subeutaneus offen gehalten, wie dies Foltz!) sehr richtig ausführt; sie kommt erst von dem Punkte ab, wo sie unter dem M. omohyoideus in die Tiefe tritt, in den Funktionsbereich dieses Muskels und der Fascie. Dort tritt sie durch eine Öffnung in der Bindegewebsbedeckung des Fettpfropfes nach innen und ist, wie man längst weiss, mit der Umgebung fest verwachsen, wodurch sie verhindert wird, zu kollabieren. Dittel beschreibt daselbst einen Processus_ faleci- formis, ähnlich, wie am Oberschenkel, unter welchem die Vene, gleich der Vena saphena, verschwinden soll. Zuweilen, wenn sich die Vene ganz nahe dem Winkel, der von der Insertion des M. sternocleidomastoideus und dem Schlüsselbeinrand ge- 1) M. Foltz, Note sur les fonetions des muscles peauciers. Gaz. med. de Paris 1852 Nr. 31. 8. 481. Halsfaseie. 103 bildet wird, nach innen wendet, habe ich diesen Processus auch beobachtet, konstant aber ist er keineswegs, ich habe ihn weit öfter vermisst als gefunden. Ist die V. jugularis ext. erst in die Tiefe getreten, dann verbindet sie sich meist mit der der anderen Seite durch den Arcus venosus jugularis; dieser aber liegt im Spatium intraaponeuroticum suprasternale, wo er den vollen Schutz der Aponeurose geniesst. Die V. subelavia hat mit der Aponeurose und den unteren Zungenbeinmuskeln kaum etwas zu thun, sie wird, wie bekannt, durch die Bewegungen des Schlüsselbemes und des M. sub- clavius offen gehalten; auch ist für sie das beschriebene Facien- blatt, welches vom Schlüsselben zur ersten Rippe herüberzieht von der grössten Bedeutung (Herzog). Fascia suprahyoidea. In der Gegend über dem Zungen- bein zwei Fascienblätter, ein oberflächliches und ein tiefes zu unterscheiden, ist ganz unthunlich, obgleich dies von einer grossen Anzahl von Autoren geschieht; hier ist nur ein form- loses, alles einhüllendes Bindegewebe zu finden. Dass dasselbe keineswegs die Qualität einer echten Aponeurose besitzt, geht daraus hervor, dass es sich, wie längst bekannt, ganz unmittel- bar aus dem Subcutangewebe des Gesichtes entwickelt und vom Unterkiefer her über alle Teile der oberen Halsgegend hin gleichmässig fortsetzt. Vorne geht es bis zum Zungenbein, seitlich überzieht es den Sternocleidomastoideus, auf welchem es sich nach unten hin mehr und mehr verdünnt, bis es ver- schwunden ist und der zarten Hülle des Muskels Platz gemacht hat, von welcher oben die Rede war. Ein weiterer Beweis gegen die Eigenschaft dieses Bindegewebes als Aponeurose ist der Mangel jeder sehnigen Struktur und besonders schwer fällt ins Gewicht, dass man es überhaupt mit keiner getrennten Membran zu thun hat. An der freien Oberfläche, unter dem Subeutaneus, 104 Il. FR. MERKEL. zeigt das Bindegewebe natürlich ein glattes, membranöses An- sehen, ist hier auch fest und derb, so dass man vielleicht von einer Fascie in dem oben angenommenen Sinne sprechen könnte. Nach innen aber füllt, von dieser Lage ausgehend, das Binde- gewebe alle Lücken und Räume zwischen den Organen der Gegend aus, wie man dies vom interstitiellen Bindegewebe überall gewohnt ist. Je weiter man nach der Tiefe kommt, um so zarter wird dasselbe. Die bekannteste und auch wichtigste Eigentümlichkeit des Bindegewebes der Regio suprahyoidea ist es, dass dasselbe einen Hohlraum bildet, in welchem die Glandula submaxillaris, nur locker mit der Umgebung verbunden, eingebettet liegt. Gerade diese Thatsache hat Veranlassung zur Trennung eines ober- flächlichen und tiefen Fascienblattes gegeben. Eine solche Tren- nung hat jedoch ebenso viel oder ebenso wenig Berechtigung, als wenn man bei der Parotis von einem tiefen und oberfläch- lichen Blatt der Fascie reden wollte. Es ist keine Frage, dass die Umhüllung der Gl. submaxillaris membranös verdichtet ist, doch kann dies nicht auffallen, man findet ganz das gleiche z. B. bei der Tonsille, der oberen Thränendrüse, bei der eben genannten Parotis; und gerade die Beschreibung von der Kapsel dieser letzteren passt Wort für Wort auf die der Unterkiefer- Speicheldrüse. In meinem Handbuch der topographischen Ana- tomie (Bd. I S. 458) heisst es; „Die Ohrspeicheldrüse ist von einer fibrösen Kapsel umhüllt, welche sie zwar allseitig umgiebt, welche jedoch nicht überall die gleiche Dicke besitzt. Sie ver- wächst überall mit den Bindegewebsapparaten der Umgebung. Am kräftigsten ist sie an der der Gesichtsoberfläche zugekehrten Aussenseite der Drüse.‘‘ — Die Fasciendecke auf der Rückseite der Drüse, so heisst es dann, ist nur an einzelnen Stellen, die besonders aufgeführt werden, von einer grösseren Festigkeit; im übrigen ist die Kapsel zu einem dünnen Bindegewebsblatt reduziert. Halsfasecie. 105 Auch bei der Gl. submaxillaris ist die Kapsel, nach über- einstimmender Angabe der Autoren, an der äusseren Oberfläche am kräftigsten, in der Tiefe am schwächsten, auch bei ihr giebt es besonders schwache Stellen, auch bei ihr gehen von der Innenfläche der Kapsel Septa aus, welche zwischen die Läpp- chen der Drüse eindringen und sie von einander scheiden. Nur sind diese Septa weit zarter und dünner, wie bei der Ohrspeichel- drüse, sie lassen sich leicht zerreissen, so dass es gelingt, die Drüse im ganzen aus ihrer Kapsel auszuschälen, was bei der Parotis nicht möglich ist. Das Aussenblatt der Drüsenkapsel ist ein Teil der erwähn- ten kräftigen Bindegewebslage an der Oberfläche der Regio suprahyoidea, sie geht deshalb auch ohne weitere Grenze in das umgebende Bindegewebe über, ist hinten mit der Be- deckung des M. sternocleidomastoideus verwachsen, vorne mit der der vorderen Bäuche beider Digastrici. Oben setzt es sich teils am Unterkiefer an, teils hängt es mit dem Bindegewebs- apparat des Gesichtes zusammen, unten geht es teils zum Zungen- bein, teils vereinigt es sich mit dem Bindegewebe der Regio subhyoidea (Fig. 5). Hat man die Drüse herausgehoben und entfernt, dann fällt es vor allem auf, dass der M. mylohyoideus mit seiner hinteren Hälfte geradezu frei in den Kapselraum hineinragt. Er ist nur von einem ganz lockeren schleierartigen Perimysium überzogen, wie man es dünner bei keinem Muskel findet. Diese auf den ersten Blick verwunderliche Thatsache, welche ich in keiner Be- schreibung hervorgehoben sehe, findet ihre Erklärung, wenn man sich klar macht, dass der Ausführungsgang der Drüse über den M. mylohyoideus nach vorne zieht und dass sogar in einer sehr grossen Anzahl von Fällen ein Lappen der Drüse den Muskel hakenförmig umgreift. Die Kapsel aber, welche sich lediglich der Drüse anschliesst, bedeckt den M. hyoglossus, auf welchem jene aufliegt und nicht den M. mylohyoid., welcher sich von vorn 106 II. FR. MERKEL. _ on 2 —unnn her in sie eindrängt (Fig. 5). Hinten und oben, wo die vom Zungen- bein zur Zunge aufsteigende Muskulatur ihr Ende erreicht hat, überzieht das innere Blatt das Ende des M. styloglossus, welcher hier von oben her kommend in die Zunge einzutreten im Begriff ist. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Blättern der Drüsenkapsel ist nur im beschränktem Maasse vorhanden. Nach oben hängt, wie erwähnt, das äussere Blatt mit dem Bindegewebsapparat des Gesichtes zusammen und endigt im Übrigen am Unterkiefer (Fig. 5). Das innere Blatt aber verliert sich mit dem Eintritt der von ihm bedeckten Muskeln in die Zunge und geht in das lockere und fetthaltige Bindegewebe über, welches sich oberhalb des M. styloglossus zwischen M. pterygoideus int. und Pharynx ausbreitet!). Der Drüsenraum reicht ohne irgend welche Grenze bis an die seitliche Schlundwand heran und der N. Iingualis liegt mit seinem Ganglion in dem lockeren Bindegewebe, welches ganz unmittelbar über der Drüse befindlich ist. Im Innern der Mundhöhle ist aber gerade an dieser Stelle der untere Umfang der Tonsille gelegen, wodurch es sich sehr einfach erklärt, dass Entzündungsvorgänge im Bereich dieser letzteren auf den Drüsen- raum übergreifen. Nach vorne zu ist eine Vereinigung der beiden Blätter eben- falls ausgeschlossen, dort legt sich das Bindegewebe schliesslich an die daselbst vorhandenen Muskeln Mylohyoideus, geniohyoi- deus, vorderer Bauch des Biventer fester an, ohne dass man eine bestimmte Grenze nachweisen könnte. Hinten vereinigt sich (las äussere und innere Blatt der Kapsel auf dem hinteren Bauch des Biventer, oder wo derselbe nicht soweit herabreicht, auf der /wischensehne desselben. In der Gegend des Kieferwinkels nähert sich die Submaxillardrüse in den sehr häufigen Fällen, in welchen sie kräftig entwickelt ist, der unteren Spitze der Parotis so sehr, dass die Kapseln beider aneinanderstossen und zu einem einzigen recht kräftigen Blatt zusammenfliessen. 1) Vgl. Merkel topogr. Anat. Bd. I S. 406 £. Fig. 220. Halsfascie. 107 Nach unten setzen sich beide Blätter, das äussere und das innere, am Zungenbein fest. Hier springt aber die über dem- selben liegende Zwischensehne des Biventer in den Kapselraum vor und treibt das innere Blatt in einer niederen Falte vor sich her. Die beiden Lamellen der Falte und das zwischen ihnen enthaltene lockere Bindegewebe vermittelt den Zusammenhang dieser Sehne mit dem Zungenbein (Fig. 5). Die Injektionen, welche Poulsen (26) in den Kapselraum der Unterkieferdrüse gemacht hat, bestätigen die vorstehende Beschreibung vollkommen und erklären sich durch sie leichter, als durch Poulsens Darstellung selbst. Er fand, dass die In- jektionsmasse nach oben und vorne hin sehr leicht bis unter die Schleimhaut der Sublingualgegend vordringt, dass sie nach hinten und oben die Pharynxwand vor der Tonsille erreicht, dass sie sich zwischen den Bündeln des Mylohyoideus durch- drängen kann. Er findet ferner, dass die Injektionsmasse immer von der starken Platte, welche gegen die Parotis hin den Raum begrenzt, zurückgehalten wird, dass auch die Anheftung an das Zungenbein von derselben nicht überwunden wird. In einer Hinsicht ergänzen seine Versuche die anatomische Präparation in wünschenswerter Weise, indenı sie lehren, dass die Injektions- masse, den Venen folgend, aus der Kapsel hervordringen kann, woraus hervorgeht, dass diese Gefässe in den Öffnungen der Membran, durch welche sie passieren, von sehr lockerem Binde- gewebe umgeben sein müssen, welches sich leicht bei Seite drängen lässt. Über die Teile der Regio suprahyoidea, welche vor der Drüsenkapsel liegen, ist gar nichts weiter beizufügen. Es wurde schon erwähnt, dass sich das Bindegewebe zwischen den hier befindlichen Muskeln verliert, welchen es dünne Bedeckungs- lamellen liefert. Von einem oberflächlichen und tiefen Fascien- blatt kann hier noch weniger als irgendwo die Rede sein. Auch eine bindegewebige Raphe in der Mittellinie ist nicht vorhan. 108 lI. FR. MERKEL. den, wie dies übrigens schon richtig von Jarjavay ange- geben wird. Die Gegend hinter der Drüsenkapsel wird vom oberen Ende des M. sternocleidomastoideus eingenommen. Wie schon erwähnt, setzen sich die Bindegewebsblätter, welche die Unter- kiefer- und die Ohrspeicheldrüse bedecken, ohne Grenze über die Vorderfläche dieses Muskels fort und bewirken es, dass seine Hülle hier oben weit fester und derber ist, als in der Gegend unter dem Zungenbein, eine Thatsache, welche bei der Präparation sofort auffällt. Medianwärts von dem Muskel, an dessen innerer Seite, stösst man sogleich auf die grossen Gefässe des Halses. Dieselben sind in das gleiche Bindegewebe eingehüllt, wie es schon von der Regio infrahyoidea her bekannt ist, und an sie schliesst sich nach hinten, d. h.nach dem Nacken zu das obere Ende des ebenfalls beschriebenen Fettpolsters an. Erklärung der Figuren auf Tafel XI, XIL. Fig. 1. Querschnitt des Halses in natürlicher Grösse aus der Gegend der ersten Trachealringe. Der Zeichnung liegt der gefrorene Durchschnitt eines weiblichen Halses zu Grunde. Die Bindegewebsblätter sind mit kräftigen Linien eingezeichnet. Die zarten Bedeckungen von Mm. sternocleido- mastoideus und trapezius sind durch unterbrochene Linien angedeutet. Fig. 2. Querschnitt des unteren Teiles des Halses eines sechsmonatlichen Fötus. Zweimalige Vergrösserung. Der Schnitt geht durch die Zwischen- sehne des M. omohyoideus. Die Fettträubchen des Fettpolsters sind durch ihre dunkle Farbe ausgezeichnet. Die hellen im Fettpolster liegen- den Gebilde sind Lymphdrüsen. Das Präparat ist erst in Müllerscher Flüssigkeit, dann in Alkohol gehärtet und endlich, in Celloidin eingebettet, geschnitten. Fig. 3. Querschnitt des Halses eines Neugeborenen aus der Gegend der ersten Trachealringe. Die stark collabierte V. jugularis ist ohne Bezeichnung gelassen. Das Präparat wurde etwa ein Jahr lang in Müllerscher Lösung aufbewahrt und dann sogleich ohne Einbettung geschnitten. Fig. 4. Einige Träubchen des späteren Fettpfropfes von einem fünfmonatlichen Embryo. Dieselben enthalten noch kein Fett, sondern bestehen nur aus Haufen von Rundzellen mit je einem Gefässnetz. Vergröss. ca. 30. Fig. 5. Frontalschnitt der Regio suprahyoidea durch die Unterkieferspeichel- drüse und die Zwischensehne des M. biventer mandibulae. Kapsel der Gl. submaxillaris. — BEER S Litteratur Burns, Allan, Observations on the surgical anatomy of the head and neck. Edinbourg 1811. Bemerkungen über die chir. Anat. des Kopfes u. Halses. — Aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von G. E. Dohlhoff. Halle 1821. Beclard, Dietion. en 25. Vol. Artiec. Cou. Die mir im Original nicht zugängliche Beschreibung ist bei Malgaigne S. 243 reproduziert. Blandin, Traite d’anatom. topograph. 2. Ed. Paris 1834. S. 168. Velpeau, A., Abhandl. der chirurgischen Anatomie. Weimar 1326. Abth. I, S. 184. Froriep, Einige Fälle zur Erläuterung der üblen Folgen der Abscesse an der Oberfläche des Halses. Medizin. Zeitung. Herausg. v. d. Verein für Heilkunde in Preussen. 9. Juli 1834, No. 28. Velpeau, A., Trait& complet d’anatomie chirurgie. gen. et. top. >. Edit. T. I. Paris 1837, S. 434; bei ihm eitiert: Colles, Surgie. anatomy, welche mir nicht zugänglich ist. Malgaigne, Trait6 d’anatomie chirurgie. Bruxelles 1838, S. 243. Bei ihm ist eine Arbeit von Godman erwähnt, über welche ich nichts Näheres finden konnte. Degrusse, These maugur. sur l’aponevrologie du cou 1849. (Mir nicht zugänglich.) Jarjavay, Traite d’anatomie chirurgie. II. Bd. Paris 1854. . Richet, M.A., Traite pratique d’anatomie medico-chirurgicale. Paris 1857. S. 484. Petrequin, J. E., Trait@ d’anatomie topographique med.-chir. 2. Edit. Paris 1857, S. 199. . Führer, F., Handbuch der chirurgischen Anatomie. Berlin 1857, S. 421. Dittel, L., Die Topographie der Halsfascien. Wien 1857. Langenbeck, B., Beiträge zur chirurg. Pathologie der Venen. Arch. f. Klin. Chirurg. Bd. I, S. 1. 1861. Luschka, H., Die Anatomie des menschl. Halses. Tübingen 1862, S. 429. Gruber, W., Über das Spatium intraaponeuroticum suprasternale. Peters- burg 1868. II. FR. MERKEL. Halsfascıe. alt I 18. 19. 20. 20a. 22. Hyrtl, J., Handbuch der topographischen Anatomie. 6. Aufl., I. Bd. Wien 1871, S. 495. Henle, J., Handbuch der system. Anatomie. Muskellehre. 2. Aufl. Braunschweig 1871. Henke, W., Beiträge zur Anatomie des Menschen mit Beziehung auf Be- wegung. I. Heft. Leipzig u. Heidelberg 1372. König, F., Über die Bedeutung der Spalträume des Bindegewebes für die Ausbreitung der entzündlichen Prozesse. Volkmanns Sammlung klini- scher Vorträge. No. 57. Leipzig 1873. Soltmann, O. Die Ausbreitungsbezirke der Congestionsabscesse bei der Spondylarthrocace der Kinder. Eine anatomische Studie. Jahrbuch für Kinderheilkunde und physische Erziehung. N. F. VII. Bd. 1874. . 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Delitzin, S., Über die Verschiebungen der Halsorgane bei verschiedenen Kopfbewegungen. Arch. f. Anat. u. Physiol. Anatom. Abth. 1890. S. 72. Hand- und Lehrbücher, welche nur eine mehr oder weniger genaue Re- produktion fremder Angaben bringen, sowie solche, welche sich über die Hals- ascie nur mit wenigen Worten äussern, sind in vorstehendem Litteraturver- zeichnis nicht aufgeführt. Te Ai -- Ab a Be a A " EN . | | ine on ni; MEER?" ER PCM RAR u Ale kim eh h Fe wi » ki Sieger.‘ ea A a BR jr he N - INA St PAROE.L ‘on HNNIEH RE A FA | Mahal Kr te ee N Br a En? | a Ne AL u i 8 Me. rete 7 Yu Aa a > ü N nn MR) anal fir u" f \% R er { B #7) Be N . pr “ N D ar ML erren au ran j 7a wu: A A In u nr i# LIU \ N Mulk j . us) f f I ’ 277 I a A 1 Pe a 4 [' uw u Fe IT. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DEN BANSTERSBRABENEEN DIE PLACENTA VON TALPA BEUROPAEA, VON DR. H. STRAHL, PROFESSOR IN MARBURG, Aus dem anatomischen Institut in Marburg. Mit 19 Abbildungen auf Tafel XII—XVII. Anatomische Hefte. 2. BKL TORE LINE RR U CE 4 7, 4 du; —. y AA; nn; = je n I \ 2 > folgenden Mitteilungen sollen eine kurze Übersicht über die Entwicklung der Placenta bei talpa europaea geben. Die Placenta von talpa hat gegenüber vielen anderen der von mir untersuchten Formen den Vorzug, dass dieselbe wenig- stens in manchen Beziehungen relativ einfach gebaut ist; immer- hin kommen auch hier, namentlich in späteren Entwicklungs- stadien, Zustände vor, welche nicht ohne weiteres erklärbar sind. Nur eine grosse Vollständigkeit des Materials und weiterhin die Kenntnis einer ziemlich erheblichen Reihe anderer Placentar: bildungen hat es mir möglich gemacht, auch in diesen Fällen eine Deutung der manchmal ziemlich verwickelten Bilder ver- suchen zu können. Ich habe meine Untersuchungen bis auf die Zeit unmittel- bar vor dem Wurf durchgeführt und glaube, ein vollständiges Bild des Entwicklungsganges der Maulwurfsplacenta in embryo- logischer und histologischer Beziehung geben zu können. Dabei habe ich mich aber in der Darstellung thunlichster Kürze be- fleissigt, das Bild also nur in groben Zügen gezeichnet, so dass nachfolgende Untersuchungen mancherlei im einzelnen ergänzen können. Ich glaube aber, dass namentlich die Reihenfolge der Abbildungen dem Leser einen genügenden Überblick verschaffen 8* ern 116 Il. H. STRAHL. wird. Von der Beigabe schematischer Figuren, so nützlich solche sonst bei dem Studium und der Erklärung der Eihäute sind, habe ich bis auf eine abgesehen, da die Durchschnitte durch die Uteri und Embryonen (Fig. 4—9) wohl genügend klar sind, um weitere Schemata entbehrlich zu machen. An der thunlichsten Vervollständigung meines Materials über die vergleichende Anatomie der Placenta sammle ich eine Reihe von Jahren. Sie ist mir neuerdings, namentlich soweit es sich um kostbarere und schwieriger zu beschaffende Objekte handelt, durch Gewährung von Mitteln aus der Stiftung der Gräfin Bose nicht unwesentlich erleichtert worden. Durch konsequentes Sammeln gerade von trächtigen Uteris von talpa habe ich eine Reihe von Stadien zusammen gebracht, welche geeignet ist, einen vollständigen Überblick über die Vor- gänge der Placentarbildung zu geben. Ich halte aber ein solches namentlich für jüngere Stadien möglichst reiches Material auch für unerlässlich, wenn es sich darum handelt, nicht einzelne Fragen zu besprechen, sondern einen Überblick über den Ent- wicklungsgang einer bestimmten Form zu gewinnen. Versuche, wie sie neuerdings gemacht sind, allem aus den vorgeschrittenen Stadien einer Placenta heraus deren Aufbau zu konstruieren, haben zu den bedauerlichsten Irrtümern geführt, mit deren Eliminierung dann die späteren Arbeiten wieder zu kämpfen haben. Mein Material von talpa hat gegenüber meinem sonstigen Placentarmaterial einen Nachthell. Während die Uteri, soweit dieselben für mikroskopische Präparate Verwendung finden sollten, sonst unmittelbar nach dem Tode des betreffenden Tieres in die fixierende Flüssigkeit kommen, liess sich das bei talpa vielfach nicht machen. Da ich selbst den Wert frischer Präpa- rate für Placentaruntersuchungen genau kenne und anderen Autoren gegenüber oft betont habe, so habe ich einmal von meinem sehr reichlichen Material nur dasjenige verwertet, was Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 117 - sich namentlich durch Untersuchung der Embryonen als ganz frisch erwies. Auch dies nur, weil ich bei denjenigen Erschei- nungen, welche ich beschrieben habe, nichts fand, was etwa als eine Veränderung durch zu spätes Einlegen der Uteri angesehen werden kann. Hierbei nehme ich nur zwei Punkte aus, welche unten geschildert sind, und die ich gleich selbst anführen will, um später Einwürfe von Nachuntersuchern zu vermeiden: Das Vorkommen der Extravasate in den Placenten und der Zerfall der Zellen zwischen Omphalo-Chorion und Uterusepithel. Ich beschreibe diese Vorgänge also nur mit einer gewissen Reserve, gestehe aber, dass ich selbst das Vorkommen der Extra- vasate für vital halten muss, weil die gleiche Erscheinung bei anderen Tieren so vielfach sich findet, und namentlich weil ich noch die Aufnahme des extravasierten Blutes durch die dem Extravasat anliegenden Zellen, also sicher eine vitale Erschei- nung, beobachten konnte. Auch den Zerfall von Epithelzellen habe ich an sonst in Bezug auf ihre Erhaltung ganz einwurfsfreien Präparaten ge- sehen und der Zerfall von Epithelien in Placenten oder Eihäuten ist ja am Ende nichts Ungewöhnliches. Über den Bau der Placenta der Insektivoren besitzen wir ausgedehnte Untersuchungen von Hubrecht; derselbe hat Gelegen- heit gehabt, eine grosse Reihe von trächtigen Igeln zu unter- suchen und seine Präparate nicht nur verwendet, um eine Reihe von sehr interessanten Beobachtungen über die Embryologie des Igels anzustellen, sondern er hat auch eingehende Unter- suchungen über die Placentarbildung mitgeteilt. Eigenartig wie die erste Entwicklung der Embryonen und ihre Festsetzung innerhalb einer Decidualkapsel, ist auch die Bildung der Placenta. Sie weicht durchaus von allem dem ab, was wir sonst über Pla- centarbildung kennen, namentlich sehr auffällig von dem, was unten über die Placenta von talpa beschrieben werden soll. Die Embryonen von talpa sind, wie bekannt, von Heape in L 118 III. H. STRAHL. gründlichster Weise untersucht und beschrieben. Derselbe hat jedoch über die Entwicklung der Placenta Mitteilung nicht gemacht. Von Lieberkühn sind auf der Placenta von talpa eigentüm- liche Epithelblasen beobachtet, von denen er annahm, dass sie den Uterindrüsen ihren Ursprung verdankten, während ich selbst zeigen konnte, dass es Ausbuchtungen des Chorion sind, welche über der Eingangsöffnung zu den Uterindrüsen liegen. Diese Öffnungen bleiben sehr lange erhalten, selbst dann noch, wenn die Placenta bereits vollständig ausgebildet ist, und ich habe deshalb vorgeschlagen, die zugehörigen Drüsen als Placentar- drüsen zu bezeichnen. In einer kurzen Mitteilung habe ich zugleich eine Übersicht über die wesentlichen Punkte der Placentarbildung des Maul- wurfes gegeben und von Hubrecht ist neuerdings ebenfalls eine Veröffentlichung über den gleichen Vorgang bei der Spitzmaus erschienen. In derselben betont Hubrecht, dass die Placentar- bildung von sorex sehr wesentlich von derjenigen von erinaceus abweicht, namentlich darin, dass bei sorex es nicht zur Bildung einer Decidualkapsel kommt, sondern sich das Ei frei innerhalb der Uterinhöhle entwickelt. Es scheint, soweit sich aus der kurzen Mitteilung ersehen lässt, als ob sorex und talpa untereinander eine weit grössere Übereinstimmung zeigten, als eine solche zwischen diesen beiden Formen und erinaceus vorhanden ist. Anderweitige Untersuchungen aus neuerer Zeit über die Bil- dung der Insektivorenplacenta sind mir nicht bekannt geworden. Die Variationen in der Ausbildung der Placenta bei den verschiedenen Gruppen der Säugetiere sind, wie zahlreiche neuere Untersuchungen gelehrt haben, ausserordentlich gross. Selbst wenn man ganz absieht von den eigenartigen Erscheinungen, welche bei der Ausbildung der gürtelförmigen Placenta sich ab- spielen, so bieten immer noch die verschiedenen Formen der Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 119 discoidalen Placenten der Unterschiede genug. Ein Teil dieser beruht vielleicht bereits auf Verschiedenheiten in dem Bau der Uterinschleimhaut, auf der Anordnung und Verteilung der Drüsen innerhalb derselben. Andere sind sicherlich bedingt durch den ungemeinen Wechsel, den man in der Art und Weise beobachtet, in welcher die junge Keimblase nach Erschei- nen im Uterus sich an die Wand desselben anlagert; und wieder andere mögen bedingt sein durch die wechselnden For- men und Grössenverhältnisse der Keimblase selbst. Die Keimblase von talpa gehört zu denjenigen, welche ohne Bildung einer Decidualkapsel sich innerhalb der Uterus fest- setzen und während ihrer ganzen Entwicklung ohne Abkapse- lung frei innerhalb der Uterinhöhle liegen bleiben und nur an der Placentarstelle und an der dieser gegenüberliegenden Seite der Keimblase sich fester mit der Uterinwand vereinigen. Die Placentarleisten und der Placentarwulst des Uterus. Eröffnet man im Frühjahr das Uterushorn eines Weibchens von talpa, welches entweder gar nicht tragend ist oder in einem so frühen Stadium der Trächtigkeit sich befindet, dass man dem Uterus von derselben äusserlich nichts ansieht, so erkennt man, wie eine Reihe von Falten der Uterinschleimhaut in das Innere des Uteruslumens vorspringt. Bereits vor der Zeit, in welcher die Eier soweit gewachsen sind, dass sie in dem Uterus sich festgesetzt haben, ja möglicher Weise schon am nicht trächtigen Uterus erscheinen diese Falten in sehr regelmässiger Weise an- veordnet. Man erkennt alsdann, wie gegenüber dem Mesometrium sich zwei der Länge nach über der Uteruswand verlaufende Leisten erheben, welche in frühester Zeit durch eine breite Furche geschieden sind und, deren Ränder mit der gegenüber- liegenden Wand auf dem Durchschnitt eine sehr regelmässige 120 Ill. H. STRAHL. T-Figur liefern. Ich bezeichne diese Leisten als die Placentar- leisten der Uteruswand. Die ersten Ausbuchtungen der Eikammern springen, sobald die Eier im Uterus sich festgesetzt haben, vornehmlich oder fast ausschliesslich gegen die freie, antimesometrale Seite des Uterus vor, und an diesen Stellen findet man bereits in aller- frühester Zeit eine sehr lebhafte Wucherung der Placentarleisten, welche nicht nur zu einer Verschmelzung derselben zu einem breiten Wulst, den ich den Placentarwulst nenne, sondern zu einer kappenförmigen Auskleidung des grössten Teiles der Eikammer führt. Schneidet man zu einer Zeit, in welcher die Eikammern schon äusserlich gut kenntlich sind, aber die Keimblasen noch frei innerhalb der Uterinhöhle liegen, eine Eikammer quer, also senkrecht auf die Längsrichtung des Uterus durch, und blickt in die durchschnittene Hälfte, so bekommt man ein Bild, wie es in Fig. 1 dargestellt ist. Man erkennt, wie sich ein Vor- sprung, der Placentarwulst, in das Innere der Uterinhöhle vordrängt, und am Rande, da wo die Eikammer sich in die Uterinhöhle fortsetzt, sind noch die zwei Leisten sichtbar, aus denen der Placentarwulst sich aufbaut. Im Übrigen springt er vielfach, aber nicht immer) mit einem scharfen Rand gegen die Eikammer vor; auf seiner Fläche gewahrt man mit Loupenver- grösserung die Ausmündungen der Uterindrüsen und bei gleicher Vergrösserung sieht man auf der Schnittfläche, dass die Uterin- drüsen eine regelmässige Lage darstellen; sie trennen das Bindege- webe des Placentarwulstes von der darunterliegenden Muskelhaut. Mit dem weiteren Wachstum der Eikammer erfährt der Placentarwulst vorerst eine nicht unbeträchtliche Entwicklung. In Fig. 2 bilde ich den Querschnitt emer Eikammer ab, in welcher ein bereits weiter entwickelter Embryo lag. Die Ei- häute sind vor Anfertigung der Zeichnung alle entfernt. An der Stelle, wo der spitz auslaufende Wulst sich in das Uterus- Anatomische Hefte. I w:) a Fre = j RIO Nora ee Bla Bao 77 SE. ( 7 OR ze AALEN SS u) SD Verlag v IE Bergmann, Wiesbaden, Tith. Anst,v; C.Kirst, Leipzig Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. + 121 rohr verliert, erkennt man noch deutlich seine Zusammensetzung aus zwei Seitenteilen, welche in der Medianlinie durch eine tief einschneidende Furche von einander getrennt werden. Der freie Rand des Wulstes erscheint jetzt leicht gebogen, nicht mehr wie früher oft mit einer Spitze in die Uterinhöhle hineinsehend. Wenn auch nicht im Aussehen von der Fläche her, so doch in ihrem Bau unterscheiden sich bereits jetzt der periphere und der zentrale Teil des Placentarwulstes. In dem zentralen sind schon die Zotten eingewachsen, denselben damit in eine Placentaranlage verwandelnd. Die meisten in der Figur darge- stellten Löcher sind an dieser Stelle Zotten, zwischen denen hier und da die Öffnungen der Placentardrüsen sichtbar sind. In dem peripheren Abschnitt der Spitze des Wulstes kommt es zu einem Einwachsen der Zotten nicht; derselbe stellt ein vergäng- liches Gebilde dar und unterliegt weiterhin eimer Rückbildung in dem Sinne, dass er mehr und mehr abgeplattet und in die Fläche der Eikammer aufgenommen wird. Ich bezeichne den- selben als den „Kammerteil des Placentarwulstes“. Die Scheidung dieses Kammerteils von der Placentaranlage stellt Fig. 3 dar. In dieser, welche nach einem gleich behandelten Uterus aus etwas älterer Zeit gezeichnet ist, ist die Trennung desselben von der Placenta erfolgt. Auf der Placenta waren die Eihäute gelassen, man sieht deren Gefässe und die Chorion- blasen (s. u.) welche die Placentardrüsen überbrücken, Die in der Figur nicht sichtbare Spitze des Kammerteils, da wo die Eikammer in das Uterushorn übergeht, ist jetzt meist noch deutlich über der Fläche der Uteruswand erhoben und pflegt derjenige Teil zu sein, welcher sich am längsten erhält. Der mittlere Abschnitt ist hier bereits ziemlich verstrichen, und nur am Rande der Placenta erhebt sich noch ein schmaler Saum des Kammerteils über die Fläche der Uteruswand. 122 Il. H. STRAHL. Um die Vorgänge, welche sich bei der Ausbildung der Placenta abspielen, in ihren Einzelheiten beurteilen zu können, ist es nötig, an der Hand von Durchschnitten von aufeinander- folgenden Stadien die Veränderungen der Keimblase und der Uteruswand festzustellen. Wir beginnen die Darstellung mit der Schilderung eines Durchschnittes quer durch eine Eikammer und Eiblase zu einer Zeit, in der eine festere Verbindung zwischen Ei und Uterus noch nicht stattgefunden hat. Die Keimblase liegt frei im Uterus. Wie bereits oben erwähnt, kommt es bei talpa nicht zur Bildung eines Reflexasackes, sondern vor Anlage des Amnion liegt die Keimblase locker und frei in der Uterinhöhle. Da die zarte Keimblase meist bei der Behandlung etwas schrumpft, so bekommt man auf den Durchschnitten durch Uteruswand und Keimblase dann Bilder, wie ein solches in Fig. 4 wiedergegeben ist. Der obere Teil der Figur enthält den Durchschnitt durch den bereits stark entwickelten Placentarwulst, der untere gibt den Zusammenhang mit dem Mesometrium wieder. An dieser lezteren Stelle liegen kleine Gruppen von tubulösen Drüsen ; das Bindegewebe der Schleimhaut springt in Falten gegen die Eikammer vor, die ganze Fläche ist von einem wohlerhaltenen cylindrischen Epithel überzogen. Der Placentarwulst zeigt eine Verdiekung der Uteruswand gegenüber dem seitlichen Theil (bei x) auf das zwei- bis drei- fache. An dieser Verdickung haben Bindegewebe und Drüsen gleichmässig Antheil; auch hier ist die Oberfläche von einem deutlichen eylindrischen oder kubischen Epithel überzogen. Ent- gegen den Vorgängen der Wucherung des Uterusepithels, die man bei der Anlage einzelner Placenten findet, ist hier fest- zustellen, dass das Epithel zwar auch weiter erhalten bleibt, sich auch, wie Mitosen lehren, vermehrt, doch kommt es zu keinerlei Wucherung, vielmehr zeitweilig zu Abplattungen inner- Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 123 halb desselben. Unter dem Epithel liegt eine dichtgefügte zellen- reiche Bindesubstanz, die sich nach unten in den mittleren Teilen nicht unerheblich auflockert. In dieser letzten Schicht liegen die Pakete der stark vergrösserten Uterindrüsen, vielfach gewundene Knäuel, von denen aus nicht übermässig zahlreiche Ausführungsgänge nach der Oberfläche durch das Bindegewebe durchtreten. Die Drüsen lassen häufig eine eigenartige Anord- nung erkennen (vergl. Fig. 6) indem die mittleren auf der Höhe der Anschwellung liegenden ihre Ausführungsgänge gerade nach oben schicken, während die seitlichen, je weiter nach dem Rand, sich mit ihrem Drüsenknäuel immer schräger stellen. Über die Zeit, welche die eben beschriebenen Entwicklungs- vorgänge beanspruchen, lässt sich mangels geeigneter Anhalts- punkte natürlich etwas sicheres nicht angeben, doch scheint es, als ob dieselben ziemlich rasch ablaufen, da man sie findet, sobald nur die Eikammer sich äusserlich von dem nebenbele- genen Uterusrohr absetzt. Vereinigung der Keimblase mit der Uteruswand. Mit der Ausbildung des Amnion und der Loslösung des- selben kommt es gleichzeitig zur festeren Vereinigung des am- niogenen Chorion mit der Uteruswand und zwar derart, dass beide, Fläche an Fläche, mit einander verkleben. Diese Ver- klebung kann bereits am Ende des vorhergehenden Stadiums ihren Anfang nehmen und am Ende des vorliegenden soweit vorgeschritten sein, dass sich kleine solide Ectoblastzotten am Rande des Placentarwulstes in die Uteruswand senken. Einen Durchschnitt durch die mit dem Uterus fest verbundene Keim- blase gibt Fig. 5 wieder. Das Amnion erscheint geschlossen und von dem amniogenen Chorion losgelöst. Dieses liegt ober- halb des Embryonalkörpers der Oberfläche des Placentarwulstes so fest an, dass bei so schwacher Vergrösserung, wie die der Figur, beide als gemeinsame Grenzlinie der Uteruswand gegen 124 II. H. STRAHL. die Eikammer erscheinen. Gegen den freien Rand des Placentar- wulstes zu finden sich gegenüber a schon kleine bei so schwacher Vergrösserung nicht sichtbare Ektoblastzotten, während ganz am Rande des Wulstes die Verbindung des Chorion mit der Uterinober- fläche eine so lockere ist, dass man hier nicht nur die Wand des Dottersackes, sondern auch das Chorion frei auf der Uterus- oberfläche liegen sieht. Die Anordnung und Ausbildung der Uterindrüsen inner- halb des Placentarwulstes ist eine mit dem vorigen Stadium im wesentlichen übereinstimmende; an der stärker ausgebreiteten mesometralen Fläche beginnen die Falten der Unterinschleim- haut mehr und mehr zu verstreichen und es bahnt sich jetzt schon eine im nächsten Stadium deutlichere Verbindung des Omphalo-Chorion mit dem Uterus-Epithel an. Dass in dem Bereiche des Placentarwulstes sich in der That, wie ich es bereits bei anderer Gelegenheit hervorgehoben habe, der Ektoblast des amniogenen Chorions und das Epithel des Uterus Fläche an Fläche aneinander fügen, lehrt die Durch- musterung der Durchschnitte bereits bei mittlerer Vergrösserung. In Fig. 10 bilde ich ein Stückchen eines solehen Durchschnittes durch die Uteruswand mit anhaftendem Ektoblast ab. Es be- darf der Durchschnitt kaum einer besonderen Erläuterung; er enthält die beiden Schichten der Muscularis, über diesen die lockere Bindesubstanz des Placentarwulstes mit den Uterindrüsen, dann das festere Gefüge des subepithelialen Bindegewebes und dieses überzogen von einer doppelten Zellschicht. Die Verfolgung dieser beiden Zellanlagen lässt es ausser Zweifel, dass es sich in denselben, um das Uterusepithel und den Ektoblast des amniogenen Chorions handelt. Das Einwachsen der Zotten in die Uteruswand. Zu einer Zeit der Entwicklung, in welcher die Allantois sich unter Drehung des Embryonalkörpers auf die linke Seite Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 125 einzelnen Stellen wachsen sowohl die Uterinepithelien als die an die Innenfläche des amniogenen Chorion anzulegen beginnt, ist es zu einer festen Verbindung dieser Hülle mit der Uterus- wand im Bereich des ganzen zentralen Theiles des Placentar- wulstes gekommen, indem dieselbe durch eine grosse Zahl kleiner epithelialer, zuerst solider, später sich aushöhlender Zotten mit dem Placentarwulst sich vereinigt hat. Es ist das ein Vorgang, der bei der Placentarbildung ganz allgemein beobachtet wird und in der letzten Zeit von einer ganzen Reihe von Autoren für die verschiedensten Tiere beschrieben worden ist. Ein Vergleich der Fig. 6 mit 5 gibt die mancherlei Fort- schritte in der Entwicklung wieder, die sich in dieser Zeit ab- spielen. Zwar hat sich der Placentarwulst selbst nur wenig verändert, aber sein relatives Verhältnis zu dem antimesometralen Teil hat sich nicht unbedeutend verschoben, indem auch der letztere an Ausdehnung gewonnen hat. Es geht dieser Gewinn gleichmässig einher mit einer Abplattung und Verdünnung der- selben, welche vorwiegend die Schleimhaut, aber auch die Mus- kulatur trifft. Dieselbe macht sich bemerklich im völligen Ver- streichen der Falten und in dem Auseinanderrücken der Uterin- drüsen. Zugleich ist es jetzt nicht nur im Bereiche des Placentar- wulstes, sondern auch an dem Mesometrium zu einer festeren Vereinigung des Ektoblasts mit dem Epithel des Uterus gekom- men. Fig. 16 stellt dar, in welcher Weise sich an letztgenannter Stelle die beiden Schichten mit einander verbinden, und zwar bei starker Vergrösserung gezeichnet; ihren Zusammenhang erkennt man sonst bereits an der mit der Loupe gezeichneten Fig. 6. Die Keimblasenwand besteht hier nur aus Ektoblast und Ento- blast, welche beiden durch eine strukturlose Membran, die später- hin noch stärker wird, von einander geschieden sind. Die Uterus- wand ist überzogen von einem niedrigen kubischen Epithel, welches das Bindegewebe und die Drüsen überlagert; aber an 126 II. H. STRAHL. Ektoblastzotten des Chorion zu langen Spindeln aus, die, von beiden Seiten in einander eingreifend, ein Gitterwerk bilden in der Weise, wie es der mittlere Teil der Figur wiedergibt. Das Verhalten der Wand des Eisackes zum Uterus an den- jenigen Stellen, an welchen die Drüsen auf die freie Fläche münden, gebe ich in Fig. 17 wieder; dieselbe zeigt, wie das Uterus- epithel in der Tiefe sehr viel höher ist als auf der freien Fläche, und wie der Eingangsöffnung der Drüse eine nicht unbeträcht- liche Wucherung des Ektoblast gegenüber liegt. In dem Bau der Placentaranlage sind dem vorigen Stadium gegenüber einige Unterschiede zu verzeichnen. Der Ektoblast des amniogenen Chorion erscheint auf dem Querschnitt nun- mehr fest mit dem Placentarwulst verbunden, an der rechten Seite der Fig 6 drei Ausmündungen von Placentardrüsen über- brückend. Soweit wie der Ektoblast mit dem Placentarwulst ver- bunden ist, erstreckt sich der Spalt des Kölomes, peripher mit dem Randgefäss endigend; in dem ganzen mesometralen Teil der Eikammer besteht die Keimblasenwand nur aus Ektoblast und Entoblast. Innerhalb des Köloms gegenüber der Mitte der Placenta liegt frei und horizontal der Durchschnitt von dem Hinterende des Embryonalkörpers, während scheinbar frei innerhalb der Nabelblase, in Wirklichkeit in dem Proamnion liegend, der Durchschnitt des Kopfendes kenntlich ist. Das Einwachsen der kleinen Zotten in diesem Entwicklungs- stadium, das sich in der schwach vergrösserten Figur 6 schlecht wiedergeben liess, stellt Fig. 11 aus der Mitte der Placenta bei etwas stärkerer Vergrösserung dar. Kleine fingerförmige Fort- sätze des Ektoblast senken sich im den Placentarwulst ein, an ihrer freien Fläche überzogen von einer deutlich abgegrenzten Zellschicht. Ich stehe nicht an, dieselbe für das Epithel des Uterus zu halten, wenn dieses auch Veränderungen gegenüber Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 127 dem vorhergehenden Stadium zeigt und namentlich an der freien Fläche nicht überall mit gleicher Schärfe wie früher sich gegen den Ektoblast absetzt. Ich nehme an, dass auch an dieser Stelle noch eine Epithellage vorhanden ist, weil ich keinerlei Anhalts- punkte habe, dass sie in so kurzer Zeit zu Grunde gegangen sei, ohne dass man das Absterben der Zellen bemerkt haben sollte und weil mir von anderen Tierformen her das Erhalten- bleiben des Uterusepithels bekannt ist. Endlich und hauptsäch- lich weil man an einzelnen Stellen des Placentarrandes erkennt, wie die einwachsende Zotte von einer Fortsetzung des hier sehr hohen und sehr deutlichen Uterusepithels nicht nur überzogen ist, sondern mit diesem gewissermassen eine Masse bildet. Da solche Stellen mir entscheidend für die Frage nach dem Verhalten des Uterusepithels beim Einwachsen der Zotte zu sein scheinen, und da die Bilder etwas von denen aus der Mitte der Placenta abweichen, so gebe ich noch eine Zeichnung von einem Stückchen der Oberfläche des Placentarrandes bei starker Vergrösserung; die Figur 15a lehrt, wie Uterusepithel U. Ep. und Chorionektoblast sich als dicke Epithelsprosse in die Tiefe senken. Weitere Veränderungen in der Placentaranlage gegenüber dem vorhergehenden Stadium kann ich nicht namhaft machen. Beginn der Allantoisausbreitung an der inneren Fläche des amniogenen Chorion. Sobald die Allantois sich fester an die Innenseite des amnio- genen Corion anzulegen beginnt, kommt es zu einer bedeutenden Verdünnung der bis dahin starken Wand derselben, unter gleich- zeitiger rascher Vergrösserung ihres Volums. Sie breitet sich schnell von der Mitte des Placentarwulstes nach allen Seiten hin aus, mit ihrem Rande sich an den Rand der Nabelblase meist ziemlich dicht anschliessend, an den Schnitten hier und da durch einen kurzen Zwischenraum, der vielleicht Folge der Be- 128 II. H. STRAHL. handlung ist, von demselben getrennt. Es macht den Eindruck, als ob sie bei ihrer Vergrösserung gewissermassen den Rand der Nabel- blase vor sich herschiebt. Die letztere ist noch ziemlich gross, nur in der oberen Hälfte ihrer Wand mesoblasthaltig; der Spalt des Köloms fällt in seiner Ausdehnung noch ziemlich mit dem Bereich des Placentarwulstes auf dem Querschnitt zusammen Die kleinen Einbuchtungen auf der Oberfläche des Placentar- wulstes sind einwachsende Zotten des amniogenen Chorion, die aber bei weitem nicht alle gezeichnet werden konnten. Das in dieselben einwachsende Allantoisgewebe hat sich an einzelnen Stel- len in Gestalt kleiner Zapfen retrahiert. Gegenüber a ist der Durch- schnitt einer Chorionblase mit zugehörigem Drüsenhals ange- geben. Das Kopfende des Embryonalkörpers liegt noch inner halb des Proamnion; an der mesometralen Seite der Eikammer hängen Uterusepithel und Eisack fest und flächenhaft zusammen. Innerhalb der Placentaranlage beginnen schon bemerkens- werte Veränderungen. Ich habe für die Zeichnung des Durch- schnittes bei stärkerer Vergrösserung von einem anderen fast oleichalterigen (ein klein wenig älteren) Uterus eine Stelle ge- wählt, an welcher sich gleichzeitig auch das Verhalten einer Placentardrüse demonstrieren lässt (Fig. 12). Die gesammte Wand des Uterus ist nicht unbedeutend ver- diekt; es ergibt dies ein Vergleich mit Fig. 10 und 11, welche bei derselben Vergrösserung gezeichnet sind. Die Zotten sind erheblich verlängert und besitzen in ihrem Innern, soweit ihnen die Allantois anliegt, jetzt emen bindege- webigen Kern, welcher die fötalen Gefässe führt; diese sind in der Figur durch rote Flecken hervorgehoben. Die Zotten setzen sich in den Schnittpräparaten zwar durch ihre Färbung sehr deutlich von dem sie umgebenden mütterlichen Gewebe ab, doch liegen sie so fest in dieses eingebettet, dass die Be- stimmung der Grenzlagen zwischen dem fötalen und miütter- lichen Bindegewebe bisweilen auf grosse Schwierigkeiten stösst, Untersuchungen über den Bau der Placenta, V. 129 Doch kann man an vielen Stellen mit Sicherheit feststellen (vergl. Fig. Zotte gegenüber x), dass es zwei Zellenlagen sind, die diese Grenzschicht bilden. Ich halte dieselben mit Rücksicht auf die vorhergehenden und die folgenden Stadien für das fötale Chorion und für das Uterusepithel. An anderen Stellen ist es nicht möglich, die fest aufeinander gepressten Lagen im Bilde zu trennen. Es dünkt mich dies aber, wie ich es bereits früher für andere Placenten ausge- sprochen habe und auch jetzt trotz erfolgten Widerspruches aufrecht erhalten muss, kein Grund, um hieraus allein auf ein Vergehen des Uterusepithels zu schliessen. Ich finde nirgends Erscheinungen an den Zellen vor, welche auf ein solches schliessen lassen und so halte ich die Erklärung den Thatsachen angemessener, dass die vorher sicher nachweisbaren Zellenlagen auch jetzt noch vorhanden sind; nur sind dieselben so fest mit einander vereinigt, dass sie sich nicht als besondere Schich- ten absetzen. In dem Bindegewebe des Placentarwulstes sind die ersten Anfänge von Veränderungen sichtbar, welche in späterer Zeit erheblich deutlicher hervortraten; es ist die auch für andere Tierformen beschriebene Umwandlung der Zellen in grosse, plasmareiche, bisweilen mehrkernige Körper, welche in mancher Beziehung Übereinstimmung mit den menschlichen Decidualzellen zeigen. Ihr Auftreten beginnt in den mittleren Parthien des Placentarwulstes. Auch die Drüsen sind entschieden vergrössert, wenn auch die einzelnen Drüsenknäuel unter zunehmendem Wachstum des Placentarwulstes mehr und mehr auseinanderrücken. Die Drüsen münden in dieser Zeit nach oben auf der freien Fläche des Placentarwulstes aus, und es ist in der Figur eine solche Aus- mündungsstelle wiedergegeben. Während das Epithel in dem unteren Abschnitt des Ausführungsganges noch hoch und eylind- risch ist, wird es nach oben ziemlich rasch niedrig, um sich in Anatomische Hefte. 2. 9 130 II. H. STRAHL,. dem obersten Abschnitt in stark abgeplattete Zellen fortzusetzen. Die Mündung verbreitert sich sehr erheblich und wird von dem blasenförmigüber die Oberfläche abgehobenen Chorion verschlossen. Während das Chorion sonst da, wo es der Uteruswand fest anliegt, aus niedrigen, platten Zellen besteht, welche sich von den Uterinepithelien, welche ebenfalls stark abgeplattet sind, nur wenig oder undeutlich abheben, finden wir, dass an den Stellen, wo das Chorion die Drüsenmündungen überbrückt, sein Epithel zu hohen, hellen, cylindrischen Zellen auswächst; an dem Drüsenrande lagern sich Uterusepithel und Chorionekto- blast fest zusammen, aber man kann dieselben häufig noch neben- einander auf die anliegenden Zotten verfolgen. Nicht selten liegt in dem Ausführungsgang der Drüse geronnenes Sekret als feinkörnige Masse und wir nehmen wohl mit Recht an, dass dasselbe von den Chorionepithelien aufgenommen wird, wenn auch der Nachweis einer solchen Aufnahme in dieser frühen Zeit der Entwicklung an dem Schnittpräparat noch nicht gelingt. Die Zahl der kleinen Blasen, welche sich derart mit Lupen- vergrösserung oder auch bereits mit blossem Auge sichtbar auf der Oberfläche der Placenta erheben, ist bei den verschiedenen Placenten, auch bei gleicher Entwicklungszeit, sehr verschieden. Wie ich glauben möchte, nicht deshalb, weil die Zahl der Drüsen sehr erheblich schwankte, sondern wohl eher, weil die Sekretion nicht in allen Fällen gleichmässig reichlich sein wird und weil nur dann die Blasen in der Fläche deutlich vortreten werden, wenn ihre Wand eben durch Drüsensekret gegen das Allantois- lumen hin vorgestülpt wird. Ich habe die Flächenansicht dieser Chorionblasen von zwei älteren Placenten abgebildet und verweise hier gleich auf diese beiden Figuren; die eine (Fig. 3a) ist gezeichnet nach einem Präparat aus mittlerer Entwicklungszeit, während das andere Präparat (Fig. 3b) einem Uterus entnommen wurde, dessen Embryonen als reif bezeichnet werden konnten. Die Präparate Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 131 wurden beide so gewonnen, dass die Uteri mit Embryonen im Ganzen erhärtet und erst dann eröffnet wurden. In Fig. 3a ist die Placenta nebst dem angrenzenden Teil der Innenwand der Eikammer gezeichnet. Die Placenta ist durch einen bräunlichen Ton hervorgehoben. Bei der Entfernung des Embryo wurden über der Eikammerwand auch die Eihäute abgenommen, deshalb sieht man hier die Öffnungen der Uterindrüsen. Auf der Pla- centaroberfläche, auf welcher das Allantochorion liegen gelassen ist, erscheinen die Eingangsöffnungen der Zotten und weiter- hin eine grosse Zahl von buckelförmigen Vorsprüngen, welche sämtlich Drüsenblasen des Chorion sind. Die reife Placenta von Fig. 3b bietet von der Fläche her ein anderes Aussehen. Die Figur ist so gezeichnet, dass die- selbe nur die Placenta wiedergibt, an deren Rande Uteruswand und Eihäute abgeschnitten sind. Die Placenta wird durch eine Anzahl von tief einschneidenden Furchen nunmehr in Läppchen zerlegt, eine Gliederung, welche in früherer Zeit nicht vorhanden war. Auch die Chorionblasen erscheinen gegen früher auffällig verändert, indem man vielfach in denselben Blutextravasate vor- findet. Gegen die bluthaltigen Blasen treten bisweilen die nur sekrethaltigen sehr zurück, wie es in dem Präparat, nach wel- chem die Figur gezeichnet ist, der Fall war. Die bluthaltigen Chorionblasen sind durch dunkle Farbe gegenüber den hellen, nur sekrethaltigen hervorgehoben. Auf das histologische Verhalten des Chorion in dieser Zeit komme ich weiter unten zu sprechen. Die Ausbreitung der Allantois über die ganze Placentaroberfläche. Die Allantois macht nun weiterhin ein ziemlich rasches Wachstum durch, so dass dieselbe bald über die ganze Ober- fläche des Placentarwulstes herüberreicht und indem ihr Binde- 9* 132 II. H. STRAHL. gewebe mit den Gefässen nunmehr im ganzen Bereich der Placentaranlage in die ektodermalen Chorionzotten einwächst, wird damit die Placenta fertiggestellt. Einen Längsschnitt durch Uterus und Embryo aus dieser Zeit gibt die Figur 8 wieder. Der Embryo hat sich nun- mehr aus dem Proamnion zurückgezogen, sein Durchschnitt ist nur von dem Amnion umhüllt, über ihm, gegen die Placenta hin, liegt die Allantois, unter ihm, gegen das Mesometrium, die Nabelblase. Ein Vergleich mit Fig. 7 lehrt, wie durch die Vergrösserung der Allantois und des Embryonalkörpers der Raum für den Dottersack mehr und mehr beschränkt wird, und wie dessen obere und untere Wand sich einander zu nähern anfangen. Im Bereich der Placenta und ebenso am Mesometrium ist die Aussenwand des Chorion fest mit der Uteruswand ver- bunden, während dieselbe in den Polen der Eikammer und da, wo die Eikammer sich in die Uterinhöhle fortsetzt, der Uterus- wand nur locker aufliegt. Die Ränder der Allantois und des Dottersackes stossen fast aneinander, so dass ein Allantois und Dottersacks freier Teil der Chorionoberfläche, wenn überhaupt, so jedenfalls nur als ein ganz schmaler Ring vorhanden ist. Die Allantoisgefässe treten zum Teil durch Duplikaturen der Wand von der unteren Fläche direkt nach der Placenta herüber und ist in dem Durchschnitt eine solche Brücke inmitten des Placentarlumens gegenüber von x angegeben. Das gleiche Verhalten, das übrigens ziemlich allgemein verbreitet ist, zeichnet auch Hubrecht für die Allantois des Igels; ich habe es bereits vor längerer Zeit von der Allantois der Eidechse beschrieben. An dem Mesometrium, in dessen Bereich ebenso wie an den Übergangsstellen in das Uterusrohr die Wand des Uterus stärker ist, als in den Kuppen der Eikammer, erscheint also das Omphalochorion mit dem Uterusepithel ganz ausserordentlich fest verbunden. Die Zellen sowohl des Chorionektoblast als des Uterusepithel sind zu hohen Oylindern umgewandelt, die viel- Untersuchungen über den Bau der Placenta. V., 133 fach mit Spitzen derart ineinander greifen, dass eine völlige Verlöthung der beiden Teile stattgefunden hat. Wie stark die Vergrösserung der Zellen gegen früher ist, zeigt ein Vergleich der Fig. 18, welche nach einem Präparat vorliegenden Ent- wicklungsstadiums gezeichnet ist, mit der früher beschriebenen Fig. 16, da beide bei gleicher Vergrösserung entworfen sind. Die verbundenen Zellanlagen sind mehr als das Doppelte so breit als früher und auch die Kerne derselben sind entsprechend gegen die frühere Zeit vergrössert. Es scheint mir diese Ver- grösserung der Epithelien sowohl der Keimblase als der Uterus- wand im Bereiche des Omphalochorion insofern von einem ge- wissen Interesse, als die Zellen dadurch sich von den ent- sprechenden Lagen innerhalb der Placenta unterscheiden, welche zuerst hoch sind und dann nach ihrer festen Vereinigung immer niedriger und platter werden. Das Durchschnittsbild der Placenta ist auf dem Längsschnitt in dieser Zeit insofern von den Querschnittsbildern der früheren Stadien etwas unterschieden, als der Placentarrand ganz allmählich nach aussen hin abfällt; es hängt das damit zusammen, dass man auf dem Längsschnitt neben der Placenta noch den Kammerteil des Placentarwulstes trifft, während auf dem Querschnitt sich sogleich die dünne Wand der Eikammer an den Placentarrand schliesst. Die früher in Paketen und Gruppen angeordneten Drüsen bilden eine mehr und mehr sich abflachende Lage, während die über denselben gelegene Placenta immer stärker wird. Während bis dahin der Aufbau der Placenta, als ein relativ einfacher erscheint, beginnen von jetzt an die Bilder auf den Durchschnitten verwickelter und für die Deutung schwieriger zu werden. Auf dem senkrechten Durchschnitt, der in Fig. 13 bei etwas schwächerer Vergrösserung gezeichnet werden musste, als die bis dahin abgebildeten Schnittpräparate 10, 11, 12, ist in der Mitte der Figur der weitere Fortschritt in der Verände- rung des Bindegewebes dargestellt, dessen Anfang in dem vori- 134 II. H. STRAHL. gen Stadium geschildert wurde. Die Bindesubstanz besteht aus orossen, häufig vielkernigen Zellen mit grossen Kernen. Die einzelnen Zellterritorien sind wohl mehrkernig, im Übrigen aber so deutlich von einander geschieden, dass ich die ganze Masse als Syneytium nicht bezeichnen kann. Unterhalb dieses mitt- leren Abschnittes liegen in einer weniger zellenreichen Binde- substanz die Durchschnitte der Uterindrüsen,; auch nach oben hin, wohin allerdings hier und da Fortsätze der Zellmasse ziehen, nehmen im allgemeinen die Zellen an Zahl und Grösse ab. Dicht unter der Chorionfläche liegen in dem Bindegewebe zahl- reiche erweiterte und von vergrösserten Endothelien ausgekleidete mütterliche Capillargefässe. In diese Grundlage senken sich von oben her die Zotten ein. Über deren Form geben jetzt die Durchschnitte allein keinen genügenden Aufschluss mehr. Dagegen gelingt es bei einiger Sorgfalt das gesamte Allanto- chorion aus der Decidua serotina, wenn ich diesen terminus hier anwenden darf, herauszuziehen. Man bekommt alsdann höchst zierliche Bilder und zwar ein Positiv in Gestalt feiner, büschel- förmig verästelter Zotten in äusserst regelmässiger Anordnung, und ein von der Uteruswand geliefertes Negativ in Gestalt eines entsprechenden Wabenwerkes, in dem die Zotten gesteckt haben. Die Maschen desselben finde ich an einzelnen meiner Präparate in einem zentralen Bezirk der Placenta auffällig viel kleiner, als in dem peripheren. Während man im vorigen Entwicklungsstadium die ein- fachen, fingerförmigen Zotten noch vielfach in ihrer ganzen Länge auf dem Durchschnitt trifft, ist das bei den verzweigten Gebilden, wie sie eben beschrieben, jetzt nicht mehr zu erwarten. Dementsprechend sieht man auf dem Durchschnittsbild (Fig. 13) nur einzelne der Zotten noch im Zusammenhange mit dem Chorion der Placentaroberfläche, während eine ganze Reihe von Zottendurchschnitten, Schrägschnitte seitlich getroffener Büschel, als auf dem Schnitt scheinbar isolierte Felder erscheint, Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 135 Die äussersten in die Tiefe vordringenden Spitzen sind kleiner als die mittleren Teile der Zotten. Über den feineren Bau der Zotten geben die Präparate bei stärkerer Vergrösserung Auskunft. Da ich denselben nicht in die Fig. 13, als zu schwach vergrössert, einzeichnen mochte, so möge er durch eine besondere Figur 15b erläutert werden. Diese ist nach einem Horizontalschnitt durch die Mitte einer Placenta entsprechenden Alters gezeichnet, weil solche Schnitte in mancher Beziehung übersichtlichere Bilder liefern, als die senkrechten Durchschnitte. Die Figur zeigt ein Netzwerk von zellenreichem Binde- gewebe, in welchem zahlreiche Capillargefässe in Quer- oder Schrägschnitt getroffen sind, es ist dies die bindegewebige Grund- lage, welche von der Uterinschleimhaut für den Aufbau der Placenta geliefert wird. Das Maschenwerk des Bindegewebes zeigt an einer Stelle eine rundliche Lücke (P. D.), die mit einem sehr niedrigen Epithel ausgekleidet ist, und welche, wie die Verfolgung der einzelnen Schnitte der Serie ergiebt, einen Drüsenausführungsgang darstellt. Die Lücken des Netzwerkes werden nun ausgefüllt von kleinen Feldern von Zellen. Ihre Mitte besteht aus embryonalem Bindegewebe mit Gefässen, deren Blutkörperchen noch kernhaltig sind. Das embryonale Bindegewebe wird umsäumt von zwei Lagen von Zellen, welche selbst fest aneinander geschlossen sind und ebenso dem Bindegewebe der Zotte selbst dicht angefügt. Entsprechend meiner oben niedergelegten Auffassung halte ich diese beiden Zellenlagen für das Uterusepithel und den Chorionektoblast; das Uterusepithel hat sich von seiner binde- gewebigen Unterlage etwas losgelöst und ist am Ektoblast haften geblieben. Ich sehe auch gegen diese meine Annahme keinen Gegen- grund darin, dass das Uterusepithel jetzt deutlicher ist als in dem vorigen Stadium; es könnte dies einmal an der Behand- 136 II. H. STRAHL. lung des Präparates liegen, oder aber auch an Wachstumsvor- gängen innerhalb des Epithels, das vielleicht in einer Zeit stärker ist, als in der anderen. Ausbreitung der Allantois über den Placentarbereich. Fertigstellung der Placenta. Während die Placenta in dem vorstehend beschriebenen Entwicklungsstadium einen gewissen Abschluss in der Entwicklung erreicht hat, soweit es sich um die äussere Form derselben handelt, verändern sich die Eihäute noch weiterhin sehr wesentlich. Es ist namentlich die Allantois, welche in dieser Zeit noch ein ganz ausserordentliches Wachstum durchzumachen hat. Während ihre Ränder bis dahin noch annähernd mit denjenigen der Placenta zusammenfielen, überwuchern sie dieselben jetzt rasch und sehr bedeutend. Damit ist zugleich ein allerdings mehr relatives als absolutes Zurückgehen des Dottersackes ver- bunden. Dieser ist ja ursprünglich sehr gross (vergl. Fig. 7); er wird dann mit zunehmendem Wachstum mehr und mehr ein- geengt, besitzt jedoch auch in dem in Fig. 8 abgebildeten Ent- wicklungsstadium immerhin noch eine ansehnliche Grösse. Jetzt beginnt sein Lumen sich zu verkleinern, indem eine uterine und eine embryonale Wand sich emander mehr und mehr nähern. Dabei findet man an den Schnittpräparaten bis- weilen Faltungen der Wand ähnlich denen, welche Hubrecht vom Igel abbildet. Die beiden Wände unterscheiden sich auch in ihrer Struktur nicht unwesentlich. Zunächst dem Üterus- epithel liegt eine Lage hoher Ektoblastzellen, die dem Chorion angehören und mit dem Uterusepithel fest verschmolzen ist, ähnlich wie in Figur 18 abgebildet; an diese schliesst sich eine strukturlose Membran und weiterhin ein niedriger Entoblast an. Nur in der embryonalen (oberen) Dottersackswand ist eine sehr starke Lage von Mesoblast mit einer dichten Gefässausbreitung Anatomische H Verlag v. J.F. Bergmann Wiesbaden Zn EEE: EEE: EEE ee Ta, Fe _ “ E; Be * A * 3 gi‘ u . ” ’ ö - Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 137 enthalten und dieses (Gefässnetz bleibt dauernd während der ganzen Embryonalentwicklung in Thätigkeit. Auf die Gefässe ist gegen das Lumen hin eine Lage hoher Entoblastzellen auf- gelagert. Der gesammte vom Dottersack freigelassene Raum der Ei- kammerwand wird von dem Allanto-Chorion ausgefüllt, an welchem man demgemäss einen placentalen und einen extraplacentalen Teil unterscheiden kann. Die Tiefe des Allantois-Lumens ist nicht bedeutend, viel geringer als früher, da der jetzt auch stark wachsende Embryonal- körper dasselbe offenbar reduciert. Die Wand der Eikammer in den Kuppenteilen derselben ist gegen früher sehr stark ver- dünnt. Die in derselben vorhandenen Uterindrüsen sind weit auseinander gerückt und besonders das Epithel ist an einzelnen Teilen so niedrig geworden, dass man es nur durch seinen Zu- sammenhang mit denjenigen Stellen sicher nachweisen kann, an welchen es seine frühere Höhe behalten hat. Die Placenta selbst ist in ihrem äusseren Aussehen gegen früher schon in ihrer Flächenansicht nicht unerheblich verändert. Während in erster Entwicklungszeit ihre Oberfläche eine glatte, gleichmässige ist, auf der man bei erhaltenen Eihäuten die Ab- gangsstellen der fingerförmigen Zotten und die Chorionblasen er- kennt, (vergl. Fig. 3a), wird jetzt die Fläche durch das Eindringen breiter Strassen der Eihäute in die Tiefe des Placentargewebes in unregelmässige Felder zerlegt (Fig. 3b). Diese Felderung kann soweit gehen, dass die ganze, ursprünglich einheitliche Placenta, in extremen Fällen allerdings nur, in eine grosse Zahl von Ootyledonen zerfällt. Dazu kommt, dass auch die Chorionblasen in dieser Zeit ihr Aussehen verändern. Dieselben sind an Zahl bereits in früherer Zeit sehr wechselnd. Sie werden jetzt bisweilen ge- ringer an Zahl, dagegen findet man in vielen derselben extra- vasiertes Blut, was man in früherer Zeit völlig vermisst. Die 138 III. H. STRAHL. in der Figur angegebenen braunen Flecken stellen solche mit Blut gefüllte Chorionblasen dar. Die Blutkörperchen werden, wie man das in allen Placenten mit Blutextravasaten findet, von den Chorionepithelien aufge- nommen und bitte ich über Einzelheiten dieses Vorganges eine demnächst erscheinende Abhandlung zu vergleichen, welche sich speziell mit den Extravasaten in Placenten beschäftigt, und der ich nicht vorgreifen möchte. Die Extravasate ebenso wie die Gliederung der Placenta durch die Eihäute giebt die Fig. 9 im Schnittpräparat wieder; sie ist bei Loupenvergrösserung gezeichnet und deshalb tritt es nicht hervor, dass die Placenta gegenüber dem Stadium Fig. 8 nicht unerheblich stärker geworden ist. Unter derselben befindet sich noch eine wohlerhaltene Drüsenlage. Im Übrigen ist zum Verständnis der Figur wohl nur noch beizufügen, dass der Schnitt, nach welchem dieselbe gezeichnet ist, durch eine Eikammer gelegt war, welche die letzte gegen den Eierstock hin war. Die Eileiteröffnung gegen den Uterus ist im Schnitt nicht mitgetroffen, so dass die Eikammer nach links hin abgeschlossen erscheint. Nach rechts liegt die weite Communikationsöffnung gegen die nächstanliegende Kammer. Ferner bemerke ich, dass der Querschnitt des Uterus mit Embryo und Eihäuten sich in einem Punkt von dem Längs- schnitt etwas unterscheidet, nämlich im Verhalten des Epithels des Allantochorion zur Uteruswand: während auf dem Längs- schnitt d.h. also vor und hinter der Placenta unmittelbar neben der Placenta das Allantochorion dem abgeplatteten Uterusepithel nur locker anliegt, ist es auf dem Querschnitt d. h. rechts und links neben der Placenta in gleicher Weise fest mit dem ver- diekten Uterusepithel verbunden, wie dies mit dem Omphalo- chorion der Fall ist. Die Seitenränder der Placenta sind dabei oft von einem Fortsatz der Allantois gewissermassen eine Strecke weit unter- Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 139 miniert, so dass eine Nische zwischen Placenta und Uterus- wand zu Stande kommt, in welche langgestreckte Ausmündungs- gänge von Placentardrüsen hineinführen. Die Strecken b—ce und a—d der schematischen Figur sind solche, in denen man die Verschmelzung des Allantochorion mit dem Uterusepithel — die übrigens ja auch bei anderen Tieren an einzelnen Stellen des Eisackes vorkommt — beobachtet. Auf die eigentümliche, gürtelförmige Verschmelzung des Chorion mit der Uteruswand, welche sich somit in dieser Zeit findet — Placenta, Allantochorion b—c, Omphalochorion, Allantochorion, a—d der schematischen Figur — ist weiter unten genauer auf- merksam gemacht. Um den Bau der Placenta selbst, wie ihn die Betrachtung bei mittlerer und stärkerer Vergrösserung erkennen liess, zu erläutern, gebe ich in Figur 15 eine Zeichnung entsprechenden Stadiums. Dieselbe (ebenso wie die folgende Figur 15) ist insofern etwas schematisiert, als in der obersten Schicht, der eigentlichen Placenta, die Zotten bei weitem nicht so reichlich eingezeichnet sind, als vorhanden. Dieselben sind jetzt so dicht, dass es viel- fach am Schnittpräparat Mühe macht, das Bild zu entwirren; man muss besonders günstige Stellen für die Untersuchung nehmen und kann auch hier meist nicht alle im Gesichtsfeld gelegenen Teile gleichmässig gut verwerten. Ich habe es des- halb vorgezogen, eine Figur zu geben, welche aus einzelnen Teilen eines Schnittes kombiniert ist, und habe der Übersicht- lichkeit halber weniger Zotten angegeben, als man auf dem Schnitt findet. Verglichen mit Figur 13 lehrt die Figur, dass die Zotten schlanker und schmaler aber erheblich länger geworden sind. (Die Figur ist bei etwas schwächerer Vergrösserung ge- zeichnet als 13). Einzelne derselben reichen ziemlich weit in die Tiefe, sind an ihren Spitzen häufig nicht unerheblich ver- 140 II. H. STRAHL. breitert und ihre Bindesubstanz besitzt dann in der Spitze ein viel lockereres, mehr embryonales Gefüge als in den mittleren und obe- ren Teilen. Auch das Chorionepithel pflegt hier dann viel höher und deutlicher zu sein, als inmitten der Placenta. Das Bindegewebe zwischen den Zotten hat die Eigenart verloren, die es im vorigen Stadium noch besass, es fehlen die eigentümlichen Zellterritorien. Es sind eigentlich nur Strassen für die mütterlichen Blutgefässe. Der Nachweis einer doppelten Zellschicht zwischen mütter- licher und fötaler Bindesubstanz, welche man für Uterus- und Chorionepithel ansehen könnte, gelingt nur noch an einigen wenigen Stellen, besonders nahe dem Placentarrande. Hier sieht man, wie das allerdings vielfach stark abgeplattete Uterus- epithel sich auf die Placenta überschlägt und da, wo die ersten Zotten am Placentarrand in die Tiefe gehen, findet man auch die beiden Epithellagen. Inmitten der Placenta kann ich dieselben aber nicht mehr unterscheiden. Da ich aber keine Anzeigen dafür habe, dass die Lage des Uterusepithels inzwischen etwa zu Grunde gegangen sei — es ist mir bislang nicht geglückt, irgend einen Beleg hierfür zu finden — so nehme ich an, dass die beiden früher kenntlichen Zellenlagen abgeplattet und so in einander gefügt sind, dass die- selben sich auf dem Durchschnitt nicht mehr trennen lassen. Unterhalb der Placenta ist die Drüsenlage nur wenig ge- ändert. Die Drüsenquerschnitte sind vielfach weiter als früher, das Bindegewebe auch jetzt aus grossen Zellen bestehend zwischen denselben in wechselnder Zahl vielkernige Zellterritorien einzelne Zellen mit etwas, aber im Verhältnis zu manchen anderen Placenten durchaus nicht bedeutend, vergrösserten Kernen. In der Bindegewebslage kleinere oder grössere Extravasate mütter- lichen Blutes. Einen Durchschnitt einer Placenta, welche ich für ganz reif halte, habe ich endlich in Figur 15 abgebildet. Dieselbe unterscheidet sich von der eben geschilderten im wesentlichen Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 141 dadurch, dass die Zotten nunmehr noch weiter in die Tiefe ge- drungen sind; einige derselben sind von der muscularis nur noch durch eine dünne Bindegewebeschicht getrennt, andere reichen nahe bis an dieselben. Ihre Spitze kann in der Weise verbreitert sein, wie in der Figur bei Z dargestellt. Eine entschiedene Reduktion zeigt dabei die Drüsenlage; nicht nur sind im Schnitt die Drüsenlumina spärlicher geworden, sondern einzelne derselben sind auch noch, wie bei D, mit extravasiertem Blut, andere mit Detritus gefüllt. Auch in dem Bindegewebe (hier und da auch neben der Placenta zwischen Eisack und Uteruswand kann man Extravasate finden; weiterhin Zellen, welche durch einen ganz eigenartigen grünlichen Farben- ton ihres Protoplasma charakterisiert sind und möglicher Weise extravasiertes Blut aufgenommen haben; ich habe aber ver- geblich nach grösseren Schollen gesucht, wie man dieselben sonst noch in Zellen sieht, welche Extravasat inkorporiert haben. Im Übrigen kann ich nicht sagen, dass der Bau der Zotten oder der des intervillösen mütterlichen, Bindegewebes sich von dem eben geschilderten Stadium in irgend einem wesentlichen Punkte unterschiede. Das jetzt häufigere Vorkommen von Blut in den Chorion- blasen habe ich in der Figur bei Ch. B. wiedergegeben. Das extravasierte Blut wird dabei auch jetzt noch von den Epithelien des Allantochorion aufgenommen, welche häufig mit den Blut- körperchen oder ihren Zerfallsprodukten, die dann hier stark- körnig sind, vollgepfropft erscheinen. Blutkrystalle irgend welcher Art habe ich nicht gefunden. Auf eine eigentümliche Erscheinung im Bereiche des Omphalo- Chorion möchte ich zum Schluss noch aufmerksam machen. Dieselbe besteht darin, dass ein Teil der Zellplatte, welche durch die Verbindung von Omphalochorion und Uterusepithel entsteht, „u Grunde zu gehen scheint. Es sind das diejenigen Zellen, 142 II. H. STRAHL. welche in den vom Omphalo-Chorion gebildeten Bogen, von denen einer in Figur 18 dargestellt ist, liegen und wohl vom Uterusepithel abstammen. Ich finde die Erscheinung vorwiegend an den Seitenrändern des Dottersackes; man bekommt dort dann Bilder, die uns ge- wissermassen Kapseln zeigen, welche auf der einen Seite von ‘den Ektoblastzellen des Omphalochorion auf der anderen von den sehr stark abgeplatteten Uterusepithelien begrenzt sind. In dieser Kapsel liegt dann die zu Grunde gehende Zellmasse; eine Aufnahme derselben durch die Zellen des Omphalochorion direkt festzustellen, ist mir bis jetzt nicht gelungen, dieselbe wäre aber zum mindesten nicht unwahrscheinlich, zumal man auch leere Kapseln findet. In den Seitenwänden der Kapseln und überhaupt dort, wo Omphalochorion und Uterusepithel fest verbunden sind, kommen in diesem letzten Stadium hier und da auch Zellen mit ver- grösseren Kernen — Uterusepithelien — vor; dieselben er- reichen aber hier niemals die auffallende Grösse, wie bei manchen anderen trächtigen Uteris; so sind die Kerne der Uterusepithelien unter den beutelförmigen Extravasaten des trächtigen Frettchenuterus wenigstens um das 3—4fache grösser, ebenso die physiologisch wohl anders aufzufassenden, auch sehr grosskernigen Zellen, welche in der Eikammerwand des Kanin- chens zeitweilig im Bindegewebe liegen und die vergrösserten Kerne der Endothelien der Randgefässe der Placenta einiger Muriden und Arvicoliden. Zusammenfassende Darstellung des Entwicklungs- ganges. Wenn wir kurz schildern wollen, in welcher Weise sich der Gang der Placentarentwicklung bei talpa darstellt, so wie wir ihn oben an der Hand der Abbildungen ausgeführt haben, dann würde sich etwa folgendes ergeben: Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 183 Wenn die Eier in die Uterinhöhle gelangt sind, so finden sie in derselben an der antimesometralen Seite zwei starke Binde- gewebsleisten — die Placentarleisten — vor, an denen sie sich festsetzen; sodann beginnen sich kleine Eikammern anzulegen, in dem ebenfalls die antimesometrale Uterinwand sich mehr und mehr vorwölbt. Aus den Placentarleisten bildet sich dann durch Vergrösserung und Verschmelzung der Placentarwulst; dieser füllt den ganzen vorgewölbten Teil der Eikammern aus, nur einen kleinen Abschnitt am Mesometrium freilassend. Sein Bindegewebe trennt das wohl erhaltene cubische Uterusepithel von der Drüsenlage, welche dieht über der Muskularis liegen bleibt, und wird durchsetzt von den langen Ausführungsgängen der knäuelförmigen Drüsen. Die Eikammer vergrössert sich dann ziemlich rasch, ent- sprechend dem Wachstum der Keimblase, doch dauert es immer- hin geraume Zeit, bis die Keimblase eine festere Verbindung mit der Uteruswand eingeht. Eine solche wird nun hergestellt, indem der Ektoblast des amniogenen Chorion anfängt, sich erstlich Fläche an Fläche fest an das Uterusepithel anzulagern und indem er dann weiter kleine Zotten in die Tiefe einwachsen lässt. Dabei blieben die Drüsenmündungen offen und werden durch das Chorion überbrückt; und da die Drüsen weiter secernieren und zwar offenbar mehr Sekret liefern, als gleichzeitig verbraucht werden kann, so erheben sich über den Drüsenmündungen die Ver- schlussplatten des Chorion zu kleinen Blasen, den Chorionblasen, welche in das Innere des Eisackes hineinragen. !) Die Zotten dringen allmählich weiter in die Tiefe des Pla- centarwulstes ein, bleiben aber auf den zentralen Teil des Wulstes beschränkt. Der periphere — der Kammerteil des !) Ich weise an dieser Stelle auch darauf hin, dass die Chorionblasen von talpa mit den zugehörigen Drüsen in manchen Beziehungen eine nicht zu verkennende Übereinstimmung mit der Eschricht’schen area des Schweines zeigen. 144 II. H. STRAHL. Placentarwulstes — wird nicht zum Aufbau der Placenta ver- wendet; er breitet sich aus und geht ohne Grenze im die Wand der Eikammer auf. Vielleicht, dass das in dem Wulst vorhandene Material die späterhin zeitweilig ziemlich rasche Vergrösserung der Eikammern vorbereiten hilft. Während die Zotten in die Tiefe vordringen, findet man auf ihrer Oberfläche einen allerdings nicht überall gleich deut- lichen Belag von Uterusepithel. Ich bin mir durchaus bewusst, welche Schwierigkeit die Durchführung der von mir für eine Reihe von Placenten aufgestellten Behauptung macht, dass sich bei dem Einwachsen der Zotten der Ektoblast der Keimblase an das mehr oder minder geänderte Epithel des Uterus anlagert. Ich habe nach den Einwürfen, welche gegen meine Angaben von verschiedenen Seiten geltend gemacht worden sind, nicht unterlassen, von neuem zu untersuchen, ob dieselben haltbar sind. Ich kann aber auch jetzt nicht anders, als sagen, dass mir diese meine Annahme immer noch die beste Deutung der mir in meinen Präparaten vorliegenden Bilder ergibt. Wenn ich an dieser Stelle der Wichtigkeit des Gegenstandes halber die Gründe noch einmal aufzähle, welche mich bestimmen, an der Erhaltung des Uterusepithels während der Trächtigkeit für talpa festzuhalten, so thue ich das: 1. Weil vor der festeren Anlagerung der Keimblase em zusammenhängendes, unverändertes Uterusepithel vor- handen ist. 2. Weil man im Augenblick der Anlagerung beide Epithelien erkennt. 3. Weil beim Einwachsen der Zotten zeitweilig und an günstigen Stellen eine den Ektoblast bedeckende Zellschicht kenntlich ist. 4. Weil auch in mittleren Stadien an isolierten Zotten ein doppelter Zellbelag vorhanden ist. Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 145 5. Weil man in Endstadien wenigstens am Placentarrand zwei Zellenlagen auf der Zotte erkennt. 6. Weil man keine Erscheinungen des zu Grundegehens der Epithelien findet. 7. Weil ich auch bei anderen Tierformen das Epithel in mehr oder weniger verändertem Zustand nachweisen kann. (Doch lege ich diesem Punkt, wenn er auch nicht unerwähnt bleiben durfte, einen besonderen Wertim Hinblick auf die grossen Verschiedenheiten in der Entwickelung der Placenten nicht bei.) Diejenigen Punkte, welche für meine Auffassung Schwierig- keiten bereiten, wären: 1. Die Zellenlage, welche ich für das Uterusepithel halte, ist zeitweilig in frühen Entwickelungsperioden schwächer als in späteren. Dieser Umstand liesse sich durch Verschiedenheiten in der jeweiligen Wachstumsintensität erklären. 2. Man erkennt die beiden Zellenlagen nicht an allen, sondern zeitweilig nur an einzelnen Stellen. Dagegen lässt sich folgendes anführen: Es giebt eine Reihe von Stellen z. B. in der Kuppe der Eikammer in späterer Zeit, ferner dicht neben dem Placentarrand, an welchem das sicher nachweisbare Uterusepithel so abgeplattet ist, dass es nur an seinem Zusammenhang mit anderen Teilen, in denen es höher bleibt, kenntlich ist; stelle ich mir vor, dass solche Stellen auch inmitten der Placenta gegenüber den Zotten vor- kommen können, so würde man alsdann kein anderes Bild er- warten dürfen, als es thatsächlich vorhanden ist. Wozu noch kommt, dass schräg geschnittene, dünne Zellenlagen sich der Beobachtung auf dem Durchschnitt gar leicht entziehen, und dass endlich auch die Möglichkeit vorliegt, dass beide Schichten sich in einander einreihen. Anatomische Hefte. 2. 10 146 Ill. H. STRAHL. Halte ich also das „Für“ und „Wider“ gegen einander, so habe ich auch jetzt trotz aller Einwürfe keine Veranlassung, von meiner früher aufgestellten und motivierten Ansicht abzu- gehen; die Präparate lassen aber verschiedene Auslegungen zu und wir werden es wohl vorläufig den einzelnen Autoren über- lassen müssen, sich die ihnen am meisten zusagende heraus- zusuchen. Die Zotten erhalten sodann eine stärkere bindegewebige Achse, indem die Allantois sich an die Innenfläche des amnio- genen Chorion und zwar an die dort bereits vorhandene Hautplatte anlagert. !) Bei der weiteren Vergrösserung der Zotten fangen diese an sich zu verästeln und die gesamte Placenta verdickt sich mehr und mehr. In der letzten Zeit der Trächtigkeit, also bei der reifen Placenta reichen die Spitzen der Zotten stellenweise bis auf die Muskularis. Zwischen den einwachsenden Zotten bleibt ein Wabenwerk mütterlicher Bindesubstanz erhalten, und in den tiefen Schichten desselben kommt es zu der von Fleischmann eingehender ge- würdigten Umwandlung der Bindesubstanz in grosse, zum Teil mehrkernige Zellen, deren Territorien aber, wie Fleischmann richtig für die Raubtiere beschrieben hat, auch späterhin ab- gegrenzt bleiben. Unter weiterer Vergrösserung der Placenta, mit der zugleich eine gewisse Reduktion der Placentardrüsen einhergeht, kommt es zur endgiltigen Ausbildung der Placenta, ı) Die Hautplatte scheint als ganz feine Bindegewebsschicht an der Innenseite des Epithels des amniogenen Chorion eine ganz allgemeine Er- scheinung bei der Placentarbildung zu sein. Soweit meine eigenen Erfahrungen über ihr weiteres Schieksal reichen, schliesst sie sich dem Bindegewebe der Allantois später so an, dass sie bei den Tieren als besondere Zellenlage nicht kenntlich bleibt. Ob die „Zellschicht“ der menschlichen Zotten, die Langhaus beschreibt, mit ihr zusammenhängt, dafür ergiebt die vergleichende Anatomie der Placenta bis dahin wenig Anhaltspunkte, weder für noch wider. Für diese Annahme würde vorwiegend die Lage sprechen. Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 147 indem die Zotten in die Tiefe bis zwischen die Drüsen ein- dringen; gleichzeitig noch zu einer Gliederung der Placenta durch das Einwachsen breiter Platten der Eihäute in die Tiefe. In der Placenta bilden sich an einzelnen Stellen Blutextra- vasate; ebenso an der Oberfläche, wo sie in den Chorionblasen sich finden. Die Allantois breitet sich in späterer Zeit der Trächtig- keit über den Bereich der Placenta in die Eikammer hinein aus; ihre Gefässe gehen aber nicht um die Ränder, sondern in den Allantoissepten durch deren Höhle von der unteren zur oberen Wand; das Allantochorion liegt in den Kuppen der Ei- kammer der Uteruswand nur locker an; seitlich neben der Placenta ist sein Ektoblast dagegen fest mit dem Uterusepithel verbunden. Die gleiche feste Veremigung mit der Uteruswand zeigt der Dottersack, beziehungsweise das Omphalochorion. An der ganzen uterinen Fläche der Dottersackswand ist der Ekto- blast ebenfalls fest und flächenhaft mit den stark vergrösserten Uterinepithelien verbunden. Diese Fläche des Dottersackes bleibt mesoblastfrei;, an der embryonalen dagegen liegt die Darmfaserplatte mit den Vasa omphalo-meseraica, deren Kreis- lauf während der ganzen Trächtigkeit erhalten bleibt. Auf dem Querschnitte durch das trächtige Uterushorn späterer Graviditätsperioden, der die Mitte der Placenta trifft, erhält man demgemäss eine gürtelförmige, feste Verbindung zwischen Eisack und Uteruswand in der Art, wie sie in der schematischen Figur, welche zugleich das Verhalten der Eihäute lehrt, dargestellt ist. Dieselbe wird gebildet durch: 1. Die Placenta, Strecke a—b. 2. Den extraplacentalen Teil des Allantochorion, Strecke bD—c und d—.a. 3. Das Omphalochorion, Strecke c—d. 10* 148 Ill. H. STRAHL. Wie weit in dieser immerhin eigenartigen Erscheinung — oder in ähnlichen, wie sie bei manchen Nagern vorkommen, vergl. Ryder — ein Zusammenhang der discoidalen mit der gürtelförmigen Placenta zu suchen ist, müssen weitere Unter- suchungen lehren. Litterarisches über die Placenta von talpa und ihre Beziehungen zu anderen Placentarformen. Vergleiche ich die oben dargestellten Ergebnisse meiner Untersuchungen über die Maulwurfsplacenta mit dem, was andere Autoren über den gleichen Gegenstand beschrieben und mit den Resultaten, welche die vergleichend-anatomischen Forschungen über den Bau der Placenta in der neueren Zeit ergeben haben, so ist zunächst festzustellen, dass, wie oben bereits erwähnt, speziell über die Placentarbildung des Maulwurfes nur sehr spärliche Mitteilungen vorliegen. Von älteren Autoren nenne ich vor allem Ercolani, welcher in seinen trotz mancher Eigenart so ausgezeichneten und, wie Hubrecht richtig bemerkt, so wenig gewürdigten Placentar- arbeiten, — wenn auch kurz — wenigstens einiges über talpa berichtet. Er betont (No. 2 ap. 401 und No. 2b p. 799) eine gewisse nicht zu läugnende Übereinstimmung im Bau der Placenta von talpa mit einem Wiederkäuercotyledo. Insofern bei beiden fingerförmige, verästelte Zotten in ein entsprechend gestaltetesWabenwerk mütterlichen Decidualgewebes hineinhängen, ist der Vergleich nicht von der Hand zu weisen. Sodann beschreibt er das Verhalten der Nabelblase zum Chorion und giebt einige allerdings ziemlich schematisch gehal- tene Abbildungen von Placentardurchschnitten,; sehr schematisch ist auch die Zeichnung eines Embryo mit Allantois- und Nabel- blasengefässen. Sein Material in der hier behandelten Frage ist offenbar ein sehr geringes gewesen. Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 149 Heape, dem wir die schönen Untersuchungen über die Embryologie von talpa verdanken, hat sich mit der Placentar- bildung nicht eingehender beschäftigt. Er bildet lediglich eine ziemlich junge Keimblase (l. ec. Taf. 28. Fig. 8, 9.) ab, welche auf ihrer Oberfläche kleine Zotten besitzt; er giebt dann zwei Durchschnittsbilder durch diese ektodermalen Zotten und nimmt an, dass dieselben in die Mündungen der erweiterten Uterin- drüsen einwachsen sollen, eine Annahme, welche ich nach dem oben Gesagten nicht bestätigen kann. Von Lieberkühn haben wir eine kurze Notiz in den Mar- burger Sitzungsberichten, in welcher ebenfalls angegeben wird, dass die Zotten nicht in die Uterindrüsen einwachsen. Er hat auch die Chorionblasen gesehen, ohne aber mangels geeigneter Präparate über deren Natur ins Klare zu kommen. Auch Fleischmann berichtet bei seinen Placentarunter- suchungen einiges über talpa, namentlich über das Ver- halten der Eihäute (3a, H. 2, Taf. 7. Fie. 20). Wenn ich ihn recht verstehe, nimmt er an, dass die Allantois auf den Bereich der Placenta beschränkt bleibe; und da der Dottersack relativ klein ist, so soll zwischen dessen und den Rändern der Allantois ein nicht unbeträchtlicher Abstand übrig bleiben. Nach meinen eigenen Untersuchungen kann ich dem selbstverständlich nicht beistimmen, sondern ich finde, dass die Allantois den Placentar- bezirk weit überschreitet und mit ihren Rändern in steter Be- zıehung mit denen des Dottersackes bleibt. Wenn demgemäss Fleischmann bei seiner „tabellarischen Übersicht der Morphologie der Keimblase der Säugetiere“ talpa als das Beispiel einer „Placenta epidiscoidalis“ hinstellt, bei welcher der Bezirk der Allantois mit dem der Placenta zu- sammenfällt, so erscheint mir das mit den Thatsachen nicht ganz vereinbar. Von anderen Insektivoren, welche bis dahin auf ihre Pla- centa untersucht sind, nenne ich hier Igel und Spitzmaus. 150 III. H. STRAHL. Über die Eihäute dieser beiden hat bereits 1863 O. Nasse Untersuchungen veröffentlicht, und neuerdings hat Hubrecht darüber berichtet. Die Untersuchungen von Nasse sind insofern von Interesse, als Nasse bereits auf die erheblichen Unterschiede in der Ei- hautbildung zweier so nahe stehender Tiere wie sorex und erinaceus aufmerksam macht. ') Sehr eigenartig ist nach den Mitteilungen von Nasse das Verhalten des Dottersackes bei sorex. Einmal kommt in dessen Wandung ein eigentümlicher grüner Farbstoff vor; vor allem wäre aber die grosse Ausdehnung des Dottersackes zu nennen, der mit seinen Rändern bis an den Rand der Placenta reicht, somit ein Verhalten zeigt, wie es bei den Nagern allgemein beobachtet wird, das aber von dem von Igel und Maulwurf durchaus abweicht. Auch die Untersuchungen von Hubrecht bestätigen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen der Insekti- voren. Diese gehen so weit, dass bei dem Igel ein besonderer Reflexasack angelegt wird, das Ei sich also vollständig von der Uterinhöhle abkapselt, während bei der Spitzmaus das Ei ebenso wie beim Maulwurf sich frei innerhalb der Uterinhöhle entwickelt. Auch die Embryonalhüllen beim Igel zeigen Verschie- denheiten gegenüber denen des Maulwurfes; ich hebe von diesen besonders hervor das Verhalten des Dottersackes zur Allantois. In frühen Stadien verhalten die beiden Blasen sich ähnlich wie beim Maulwurf, indem ihre Ränder einander sehr nahe kommen, während in späterer Zeit die Allantois den !) Die ausserordentlichen Variationen in dem Aufbau der Placenta und in dem Verhalten der Eihäute bei sonst einander nahe stehenden Tierformen können nicht genug betont werden. Am instruktivsten sind in dieser Bezie- hung die Nager, deren Placenten bei den einzelnen Gruppen in Aufbau und Endergebnis so unähnlich sind, dass sich vorläufig ein gemeinsamer Bauplan für dieselben unmöglich aufstellen lässt. Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 151 Bereich der Placenta nicht überschreitet, der Dottersack dagegen einer gewissen Reduktion anheimfällt, mindestens mit der wei- teren Entwickelung der Eikammer nicht gleichen Schritt hält. So kommt es späterhin zur Bildung eines breiten Raumes zwischen den Rändern der Allantois und des Dottersackes. Auch das Verhalten der Keimblätter in der Dottersackswand ist beim Igel etwas anders als beim Maulwurf; bei letzterem hört am Rande des abgeplatteten Sackes stets das mittlere Keim- blatt auf, so dass an der äussern Fläche desselben der Entoblast unmittelbar an den Ektoblast stösst, während nach den Zeich- nungen von Hubrecht dies beim Igel erst in späterer Zeit der Fall ist, früher dagegen der Mesoblast weit auf die Aussenfläche des Dottersackes heraufreicht. Sehr bemerkenswert ist es, wie ich bereits in Würzburg auf dem Anatomenkongress nach einem Vortrag von Hubrecht über Igelentwickelung hervorgehoben habe, dass bei beiden Tier- formen trotz so weitgehender Verschiedenheit eine Überein- stimmung insofern herrscht, als bei beiden die Placenta an der antimesometralen Seite der Uteruswand gelegen ist. Was speziell den Aufbau der Placenta anlangt, so hebe ich von der Darstellung Hubrechts hier nur das hervor, dass nach Hubrecht die Placentarbildung des Igels ihre Grundlage findet in einer Durchspülung eines Netzwerkes fötaler Ektoblastzellen durch mütterliches Blut, eine Anschauung, welche auch von einer Reihe anderer Autoren für Nager- und ‚Fledermausplacen- ten vertreten worden ist. Soweit man das Verhalten der Placentarentwickelung bei der Spitzmaus nach der kurzen vorliegenden Mitteilung von Hubrecht beurteilen kann, stimmen hier die Verhältnisse mehr mit denen beim Maulwurf überein. So jedenfalls darin, dass auch hier das Ei frei in der Uterinhöhle liegt und dass das Uterusepithel eine Rolle bei der Placentarbildung spielt. Ich habe daran gedacht, ob dieser letzte Umstand viel- 152 II. H. STRAHL. leicht in gewisser Beziehung gerade mit der Bildung der Reflexa steht; denn so weit meine eigenen Erfahrungen über die Bildung ven Tierplacenten reichen, ist der Nachweis von der Beteiligung des Uterusepithels an der Placentarbildung bei denjenigen Tierformen am schwersten oder gar nicht zu liefern, bei welchen es zur Bildung einer Reflexa kommt. Damit lässt sich vereinigen,{wenn es auch wohl noch einer weiteren Be- stätigung bedarf, was ‘neuerdings Graf Spee über die Fest- setzung der Keimblase von cavia in der Uterushöhle berichtet; einer strikten Durchführung stünde aber nach der Mitteilung von Selenka das Verhalten einzelner Affen entgegen. Weitere Vergleiche mit anderen’ speziell der menschlichen Placenta sowie eine allgemeinere Übersicht werde ich bei anderer Gelegenheit geben. An dieser Stelle bespreche ich nur noch die mir durch eigene Untersuchungen bekannten Raubtiere. Diese zeigen in ihrer Placentarbildung selbstverständlich in vielen Beziehungen ganz ungemein abweichende Verhältnisse, wie sie ja auch untereinander nicht unerheblich variieren; andererseits finde ich aber wieder mancherlei Übereinstimmungen. Ich hebe von diesen letzteren besonders zwei hevor, näm- lich das Verhalten der einwachsenden Zotten zu den Uterin- drüsen und das des Uterusepithels. Was zunächst den letzten Punkt anlangt, so kann man bei beiden Tierformen das Uterusepithel zuerst während der An- lagerung der Keimblase entweder fast unverändert (talpa) oder nur wenig abgeplattet (z. B. canis) nachweisen. Dann folgt bei beiden ein Entwickelungszustand, in welchem die Grenze des Uterusepithels gegen das untenliegende Binde- gewebe weniger scharf wird, als früher; man kann die Epithel- schicht aber immer noch nachweisen. Die Syncytialbildung aus dem Epithel, welche bei den Raubtieren eine so grosse Rolle spielt, fällt bei talpa fort. In dem Endstadium wird die trennende Epithelschicht Anatomische Hefte. I. .r. FE nn LE e\ - er I N Tas BRLEN 62075 wi an ara dor, CET Lit Anst.y. C’Kirst, Leipziß Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. E23 153 zwischen den fötalen und mütterlichen Gefässen so dünn, dass man die zwei Lagen, aus denen dieselbe ursprünglich sich auf- baut, nicht mehr unterscheiden kann. Da man aber keinen Anhaltspunkt für das zu Grundegehen des Epithels hat, so nehme ich für beide nur eine starke Abplattung an. Auch in dem Verhalten der Zotten oder wenigstens des Chorion zu den Uterindrüsen findet sich trotz mancherlei auf- fälliger Verschiedenheit doch auch wieder viel Übereinstimmen- des.‘ Ich hebe von diesem hervor, dass bei beiden Formen Ein- richtungen getroffen sind, welche eine unmittelbare Aufnahme des mütterlichen Drüsensekretes durch die Epithelien des Chorion ermöglichen. Bei den Raubtieren, am auffälligsten bei Hund und Fuchs, geschieht dies durch die äussersten Spitzen der Zotten, welche sich in die stark erweiterten Uterindrüsen ein- senken, bei talpa sind entsprechende Stellen gegeben in den Chorionblasen. Hier wächst zwar die Zotte nicht in die Uterin- drüse, aber dafür bleibt für lange Zeit — vielleicht dauernd — die Drüse nach oben offen und kann ihr Sekret bis an die Chorionepithelien bringen. Ich weiche in dieser Darstellung allerdings, so weit sie sich auf das Verhalten der Raubtiere bezieht, nicht unbedeutend ab von dem was neuerdings Fleischmann über den gleichen Gegen- stand berichtet hat; ich glaube deshalb auch die Verpflichtung zu haben, an dieser Stelle meine Angaben zu motivieren und Stellung zu den Angriffen zu nehmen, welche die Untersuchungen von Heinricius und mir über die Entwickelung der Placenta bei Raubtieren durch Fleischmann erfahren haben. Fleischmann giebt in dieser seiner Mitteilung (3. b) zuerst an, wie sorgfältig er bei der Untersuchung der Placenten zu Werke geht; gestützt hierauf glaubt er im der Lage zu sein, den Ar- beiten von Heinricius und mir eine Reihe von Irrtümern in der Beobachtung und in der logischen Verwertung unserer Präparate nachweisen zu können, wie weit mit Recht möge das Folgende zeigen. Br ur RE: pe 27 Ks 154 II. H. STRAHL. Zuerst muss ich feststellen, dass Fleischmann doch am Ende aus meinen Arbeiten etwas herausgelesen hat, was meiner An- sicht nach nicht darin steht, denn da wo er die Punkte her- vorhebt, in denen er mit Heinrieius und mir übereinzustimmen glaubt, schreibt er: „tl. Das Uterinepithel schwindet nach Anlagerung des Eies“, während ich selbst, wie den Autoren, die mit mir auf gleichem (Gebiet arbeiten, bekannt ist, seit Jahren gerade das hervorge- hoben habe, dass das Uterusepithel speziell in der Raubtierpla- centa in grösster Ausdehnung erhalten bleibt und nur zum Teil in den Drüsen zerfällt. Neue Untersuchungen von Lüsebrink, die zugleich hiermit veröffentlicht werden, haben sogar gelehrt, dass das Uterusepithel noch in weit erheblicherem Masstabe er- halten bleibt als ich früher annehmen konnte. Nachdem er also festgestellt hat, in welchen Fragen wir einig seien, geht Fleischmann dann dazu über, die Punkte hervorzu- hehen, in denen wir bis jetzt nicht übereinstimmen, das wäre das Einwachsen der Chorionzotten, ob in Drüsen oder nicht, und das Verhalten der Uterindrüsen, ob sie offen bleiben oder geschlossen werden. Als Grund, warum wir uns über die Frage nach dem Einwachsen der Chorionzotten nicht einigen können, gibt Fleischmann an, dass wir eben den Vorgang nicht direkt be- obachten können. Nun glaube ich, dass, wenn wir nur das- jenige als feststehend annehmen, was man direkt beobachten kann, dass wir dann auf gar manche völlig gesicherte Thatsache verzichten müssten, denn fast alle unsere embryologischen Kenntnisse rühren ja lediglich daher, dass wir, wie auch Fleisch- mann gleich weiter hervorhebt, Präparate aus hinter einander- gelegenen Entwickelungsstadien vergleichen und daraus einen Schluss auf den Entwickelungsvorgang zielen. Ich glaube, dass man mit der Anwendung dieser Methode zu ganz ausreichend gesicherten Kenntnissen kommen kann, sobald nur die zur Anwendung kommenden Präparate eindeutig Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 155 sind. Und wenn sie das nicht sind, so kann man das ja sagen, braucht aber aus denselben nicht mehr zu schliessen, als erlaubt. Unsere Differenzen mit Fleischmann rühren nicht daher, dass man den Vorgang des Einwachsens der Zotten nicht direkt beobachten kann, sondern nur daher, dass einer von uns Dinge aus seinen Präparaten herausgelesen hat, die nicht darin standen. Des weiteren schreibt Fleischmann: „Weil man auf Querschnitten durch junge Placentaranlagen die Zotten nicht häufig in die Drüsenhöhlungen ragen sieht, nehmen Strahl und Heinricius an, dieselben könnten überhaupt nicht (Henricius) oder nur im beschränktem Masse (Strahl) in jene einwachsen.“ Diese Auffassung von Fleischmann ist irr- tümlich. Denn ich habe meine Schlüsse nicht deshalb gezogen, weil ich die Zotten der Mehrzahl nach nicht in den Drüsen finden konnte, sondern weil ich eben andere Räume nachweisen kann, in denen die Zotten stecken und die doch keine Drüsen sind. Ich folge hierin freilich nicht dem Gedankengange von Fleischmann, der, weil er in einzelnen Fällen, ebenso wie ich, das Einwachsen von Zotten in Drüsen beobachtete, deshalb alle anderen Bilder, die hierzu nicht passen, als Trugbild auffasst, die durch schlechte Orientierung des Präparates entstanden sind, sondern ich schliesse auch heute aus denselben nur, dass beide Vorgänge nebeneinander ablaufen. Wir haben übrigens zur Sicherheit neuerdings das Ein- wachsen der Chorionzotten beim Hund an frisch nur zu diesem Zweck angefertigten Präparaten nachuntersucht und es sind die dabei gewonnenen Resultate in der eben erwähnten, zugleich hiermit erscheinenden Arbeit von Lüsebrink niedergelegt. Da hat sich denn z. B. neben Anderem ergeben, dass zu der Zeit, in welcher die Zotten in die Uteruswand einwachsen, auf gleicher Fläche viel mehr Zotten vorhanden sind als offene Uterindrüsen und damit allein ist die Möglichkeit, dass die Zotten alle in 156 Ill. H. STRAHL. Drüsen einwachsen, ausgeschlossen. In Bezug auf die Einzel- heiten dieser Vorgänge verweise ich auf die genannte Arbeit. Dieselbe gibt auch nach anderer Richtung : Aufschlüsse, welche Fleischmann gewünscht hat. Es ist dies m der Frage, ob ein Teil der Drüsen, wie ich und Heinrieius angegeben haben, nach oben verschlossen würde, ehe die Zotten in die Uterus- wand einwachsen. Fleischmann hält die von mir als geschlossene Krypten beschriebenen Räume für Seitenteile‘ verästelter Uterin- drüsen. Er sagt, dass man sie eben so wenig für abgekapselte Krypten ansehen dürfte, wie man etwa Drüsenquerschnitte einer tubulösen Drüse als abgekapselte Drüsen auffassen dürfe, es sei denn, dass man die Drüsen rekonstruiere. Nun rühren unsere Kenntnisse von dem Bau der tubulösen Drüsen wie bekannt, nicht von der Durchmusterung von Mikrotomschnitten her und die Erwägung, dass die von mir beschriebenen Krypten Seiten- durchschnitte offener Drüsen sein könnten, hat auch mir nicht so fern gelegen, wie Fleischmann anzunehmen scheint. Jetzt hat Lüsebrink auch das Verschlussmittel der Krypten in Gestalt längerer oder kürzerer Epithelzapfen nachgewiesen und damit einen weiteren Beweis für meine frühere Angabe erbracht. Um aber jedwedem Wunsche nach Ausnützung der verfügbaren Untersuchungsmethoden zu genügen, hat er, wie Fleischmann verlangt, auch Rekonstruktionen der Drüsen ausgeführt. Auch diese haben lediglich unsere Ausführungen bestätigt. Wenn Fleischman zur Stütze seiner Annahme auch in der neuen Mitteilung den bereits früher abgebildeten Fuchsuterus anführt, so kann ich demgegenüber nur wiederholen, was ich bereits früher gesagt habe, dass, wenn das Präparat so aussieht wie die Abbildung, dass ich dann den Uterus nicht für frisch, also das Präparat nicht für zuverlässig und beweiskräftig halte. Endlich noch eine Terminologiefrage. Fleischmann will den früher von ihm gebrauchten Namen Syncytium jetzt fallen lassen. Für mich ist der Name nur Mittel zur Verständigung Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 157 und ich sehe nicht ein, weshalb man als Syneytium nicht weiter wie bisher eine Protoplasmamasse mit eingestreuten Kernen be zeichnen soll, vorausgesetzt dass man weiss, dass solche Syncytien sich an verschiedenen Stellen finden und auf verschiedene Weise entstehen können. Dass Fleischmann bis jetzt, wie er sagt, die von mir beschriebene Anordnung des epithelialen Syncytium, das zur Bekleidung der einwachsenden Zotten dient, nicht hat finden und bestätigen können, bedaure ich, doch reicht mir das nicht aus, um eine Änderung meiner früheren Darstellung zu veranlassen. Damit glaube ich meine Stellung auch zu den neuesten Angaben von Fleischmann genügend präcisiert zu haben. Ihm auf das Gebiet seiner eigenartigen Diktion und persönlicher Er- örterungen über Kritik, Logik und pathologisch -anatomische Handbücher zu folgen, wird mir der streitbare Herr Kollege, um mich der Terminologie Bonnets anzuschliessen, wohl erlassen. December, 1891. 10. uk Litteraturverzeichnis. . Bonnet, Beiträge zur FEmbryologie der Wiederkäuer (Arch. f. Anat. 1889. p. t.) . Ereolani, a) Sul processo formativo della porzione glandulare e materna della Placenta. Bologna 1869. b) Nuove ricerche sulla Placenta nei pesci cartilag. e nei mammiferi 1879. Fleischmann, a) Embryologische Untersuchungen. H. 1 und 2. Wies- baden-Kreidel. b) Entwickelung und Struktur der Placenta bei Raubtieren. Sitzungsbericht der berlin. Akad. d. Wissensch. Juli 1891. Heape, The Development of the mole. (Quart. journ. July 1883. 5. Heinricius, a) Über die Entwickelung und Struktur der Placenta beim Hunde. Arch. für mikrosk. Anat. Bd. 33. b) Über die Entwicklung und Struktur der Placenta bei der Katze. Ebenda. Bd. 37, 3. Hubrecht, a) The Placentation of Erinaceus Europaeus. Quart. Journ. Vol. XXX. P. 3. b) Placentation der Spitzmaus. Sitzungsbericht der Akadem. zu Amster- dam. .2]1. Sept. 1890. Lieberkühn, Über die Einwachsung der Chorionzotten d. Kaninchens. Mark. Sitz.-Ber. 1384, No. 4. O. Nasse, Die Eihüllen der Spitzmaus und des Igels. Arch. für Anat. und Physiol. 1863. Selenka, Zur Entwickelung der Affen. Sitzungsbericht d. Berl. Akad. d. Wissenschaften. Nov. 1890. Graf Spee, Verhandl. der anat. Gesellschaft auf der Versammlung zu München. 1891. Strahl, a) Untersuchungen über den Bau der Placenta. I—IV. Arch. f. Anat. 1889 u. 90. b) Über den Bau der Placenta von talpa europaea und über Placentar- drüsen. Anat. Anz. 1890. Nr. 13 u. 14. Figurenerklärung. (Für sämtliche Figuren gelten die Bezeichnungen: All.-Allantois Ent.-Entoblast Amn.-Amnion M.-Muskularis Bg -Bindegewebsschicht M.M.-Mesometrium Oh. B.-Chorionblase P.-Placenta Ch.E.-Chorionektoblast P.D.-Placentardrüse D.-Drüse mit Extravasat U.D.-Uterindrüse D.S.-Dottersack U.Ep.-Uterusepithel E.-Embryo U.S,-Uterinschleimhaut Ect.-Ektoblast Z.-Lotte. (Die kleinen Buchstaben siehe im Text.) Fig. 1—3. Drei Querschnitte durch Eikammern nach Entfernung des Embryo und bei 1 und 2 auch der Eihäute. Die Figuren zeigen das Verhalten des Placentarwulstes, der in früher Zeit (Fig. 1) fast die gesamte Ei- kammer ausfüllt, in etwas späterer schon mehr gegen dieselbe zurück- tritt, um sich dann (Fig. 3) in einen äusseren Kammerteil der später verstreicht, und einen inneren Placentarteil, der zum Aufbau der Placenta dient, zu gliedern. Fig. 3a. Ältere Placenta in situ; auf der Placentaroberfläche, welche durch einen bräunlichen Farbenton gegen die angrenzende Eikammerwand hervorgehoben ist, sind die Chorionblasen als kleine Hervorragungen neben den Zottenlöchern kenntlich. Auf der Placenta ist das Allanto Chorion belassen, dessen Gefässe aber sind nicht gezeichnet. Neben der Placenta sind die Eihäute abgenommen. Fig. 3b. Fast reife Placenta von der Oberfläche her. Die Placenta ist in Lappen gegliedert, welche durch einwachsende Septen des Chorion be- dingt sind. Auf der Placentaroberfläche sind die Gefässe des Allanto- chorion angegeben, zwischen diesen die Chorionblasen, von denen die braun gezeichneten bluthaltig sind. Fig. 4—9 Sechs Durchschnitte durch Uterus und Embryo, die Entwickelung der Placenta und der Eihäute zeigend. Die Figuren sind nicht bei gleicher Vergrösserung gezeichnet, da sonst entweder die jüngsten Stadien zu klein oder die ältesten zu umfangreich geworden wären. Fig. 4 Keimblase frei im Uterus, bei der Behandlung etwas geschrumpft. Embryo gegenüber dem Placentarwulst, Leisten der Uteruswand am Mesometrium. 160 Fig. Fig. Fig. Die Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig Fig. 5. Durch Schluss des Amnion ist das amniogene Chorion gebildet, dessen Aussenfläche mit dem Placentarwulst fest verschmolzen ist. Ver- streichen der Falten am Mesometrium. 6. Erste Anlagerung der Allantois an die Innenfläche des amniogenen Chorion. Mesoblast, Cölomspalt reicht bis zum Rand des Placentar- wulstes. In der Eikammer ist gegenüber dem Mesometrium die untere Wand des Dottersackes breit mit der Uteruswand verschmolzen. Bei a Chorionblasen. 7. Ausbreitung der Allantois an der Innenfläche des amniogenen Chorion. Zurückdrängung des Dottersackes von dem Placentarwulst. Kopf des Embryo im Proamnion. Figuren 4—7 sind Querschnitte durch die Mitte von KEikammern. 8. Die Allantois hat sich über die ganze Placentaroberfläche verbreitet. Allantoisseptum bei X zum Übertritt von Placentargefässen durch das Lumen der Allantois. Am Dottersack, der sich allmählich abplattet, Scheidung in eine obere dieke mesoblasthaltige (embryonale) Fläche von einer unteren (uterinen) dünnen mesoblastfreien. 9. Die Allantois hat den Placentarbezirk überschritten und füllt die Kuppen der Eikammer aus. Dottersack als ganz abgeplatteter Sack, am Mesometrium. Endgiltige Ausbildung der Eihäute. Gegenüber Ch.B. Chorionblasen mit Extravasat auf der Placentaroberfläche, braun. Fig. 8 und 9 sind Längsschnitte durch Eikammern. 10—15. Eine Serie von Schnitten bei stärkerer Vergrösserung, welche das Einwachsen der Zotten und die Veränderungen der Uteruswand bei demselben zeigen. Fig. 10, 11, 12 bei Leitz Oc. I. Obj. 4. Fig. 13 bei Leitz Oc. I. Obj. 3. Tub. Lg. 160. Fig 14, 15 bei Leitz Oec. I. Obj. 3 gezeichnet. 10. Erste flächenhafte Anlagerung des Ektoblast an das Uterusepithel. 11. Einwachsen solider Ektoblastzotten, welche das Uterusepithel vor sich hertreiben. Dasselbe ist durch einen dunkleren Farbenton hervor- gehoben. 12. Die Zotten dringen weiter in die Tiefe, bei X deutliches doppeltes Epithel, im Innern ist die Zotte durch die Allantois vaskularisiert. Eine Placentardrüse vom Chorion überbrückt; in den Figuren 12—15 ist das Allantoisbindegewebe in den Zotten rot punktiert. 13. Verästelung der Chorionzotten. Zellterritorien in der mütterlichen Bindesubstanz. 14. Vordringen auch stärkerer Zotten bis zu der Drüsenlage Blutextra- vasate (braun) im mütterlichen Bindegewebe. 15. Reife Placenta. Chorionzotten reichen zum Teil bis auf die Muskularis. An der Oberfläche eine mit Blutextravasat gefüllte Chorionblase. In der Tiefe extravasiertes Blut, zum Teil auch in den spärlichen Drüsen. (Fig. 14 und 15 sind insofern etwas schematisiert, als der Übersicht- lichkeit halber zu wenig Zotten eingezeichnet sind). 15a und b. Zotten mit Chorionektoblast und Uterusepithel 15a aus der Untersuchungen über den Bau der Placenta. V. 161 Zeit des ersten Einwachsens der Zotten 15,b horizontaler Schnitt durch eine ältere Placenta. . 16-18. Durchschnitte durch die uterine Wand des Dottersackes nach deren Verschmelzung mit dem Uterusepithel. Vergr. Leitz Oe. I. Obj. 7. . 16. Anfangstadium der Verschmelzung. 17. Überbrückung einer Uterindrüsenmündung durch das Omphalo-Chorion. ig. 18. Omphalochorion und Uterusepithel in der zweiten Hälfte der Tragzeit. ig. 19. Schema für das Verhalten der Eihäute in der zweiten Hälfte der Tragzeit. Es wurde für die Darstellung absiebtlich nicht das Ende der Tragzeit gewählt, da alsdann die Allantois und der Dottersack so platt geworden sind, dass dieselben viel weniger deutlich hervortreten. Die Allantoisgefässe — in der Zeichnung scheinbar frei — treten in Duplikaturen der Wand durch das Lumen, von jeder Placentarseite eine Arterie und eine Vene. Das amniogene Chorion ist als Linie, Allantois und Dottersackswand sind punktiert gezeichnet. Die Allantoiswand, soweit dieselbe in der Placenta enthalten ist. ist nicht besonders angegeben, sondern durch die Gefässverzweigungen angedeutet. Die Zeichnung der Dottersacksgefässe soll nur wiedergeben, dass lediglich die obere Dottersackswand gefässhaltig ist, nicht aber die Lage und Zahl der Gefässe. Das amniogene Chorion ist, soweit es nicht in Placenta aufgeht, also im Bereich vom extraplacentalen Teil der Allantois und am Dottersack fest mit dem Uterusepithel verschmolzen. Am Ende der Tragzeit liegt der Embryo so, dass er mit dem Rücken gegen die Placenta sieht; im übrigen sind die Lageverhältnisse dieselben, wie in der Zeichnung. —-Mpr —— Anatomische Hefte, 2. Il! IV. DIE ERSTE ENTWICKELUNG DER ZOTTEN IN DER HUNDEPLAGENTA. VON DR. F. W. LÜSEBRINK, ASSISTENT AN DEM ANATOMISCHEN INSTITUT IN MARBURG. Aus dem anatomischen Institut in Marburg. Mit 5 Abbildungen auf Tafel NIX—AX. rer Kenntnisse über den Bau der Placenta sind neuerdings nicht unbeträchtlich erweitert worden und zwar sowohl über die Anlage der menschlichen Placenta als auch in Bezug auf die vergleichende Anatomie derselben. Durch neue Beobachtungen ist eine Reihe von Thatsachen festgestellt; und wenn auch die Deutungen, welche die von den verschie- denen Autoren hergestellten Präparate gefunden haben, in mancher Beziehung heute noch in vielfach kaum verständlicher Weise auseinandergehen, so ist doch zu erwarten, dass bei weiterer Fortsetzung der Untersuchungen und an der Hand neuer Untersuchungsmaterialien auch diese Differenzen ebenso ausgeglichen werden, wie dies mit einer Reihe anderer bereits geschehen ist. Nun wäre es am Ende nicht zu verwundern, wenn die Ansichten über den Bau der menschlichen Placenta auseinandergehen, da es selbstverständlich Schwierigkeiten macht, sowohl die frühen für die Deutung so wichtigen Entwickelungs- stadien zu bekommen, als auch eine vollständige Reihe von Entwickelungsstadien in einer Hand zu sammeln. Auffällig dagegen und eigentlich nur verständlich durch die Schwierigkeit der Erklärung von Schnittpräparaten ist es, dass die Meinungen der Autoren, welche sich mit der vergleichenden Anatomie der Placenta beschäftigt haben, vielfach so ausserordentlich differieren. Wenn man dabei ganz von dem Bau der Nagerplacenten absieht, welche für die Beurteilung eine Reihe heute noch nicht über- wundener Schwierigkeiten bieten und vermutlich die complicier- testen in ihrem Aufbau sind, so sind zum Beweise für das Gesagte nicht zuletzt die Placenten der Raubtiere zu nennen. 166 IV. F. W. LÜSEBRINK. Es hatte zeitweilig den Anschein, als ob diese einfacher in ihrer Anlage wären, und war zu hoffen, dass gerade hier die Autoren sich am ehesten einigen würden. Doch gehen, wie die Durchsicht der neuesten Litteratur ergiebt, auch hier die Meinungen wieder weit auseinander. Namentlich sind es die ersten Ent- wickelungszustände, über welche die Ansichten am meisten schwanken und welche demgemäss vor allem der Nachunter- suchung bedürfen. Ich habe eine solche im anatomischen In- stitut zu Marburg unter Leitung von Prof. Strahl unternommen und glaube in dem Folgenden einiges zur Erledigung der schwe- benden Fragen beitragen zu können. Von den Autoren, welche sich in letzter Zeit mit dem Bau der Raubtierplacenta beschäftigt haben, sind zu nennen: Fleisch- mann, Heinricius und Strahl. Von diesen haben Fleischmann und Heinricius eingehender über die Entwickelung der Katzen- placenta berichtet, Fleischmann ausserdem über die Placenta der Füchsin, Heinrieius über die der Hündin. Über die letztere hat auch Strahl eine zusammenhängende Darstellung gegeben; der- selbe hat ausserdem einige specielle Fragen in dem Aufbau der Katzenplacenta behandelt und auch vorläufig und kurz einige Mustelidenplacenten beschrieben. Heinrieius und Strahl weichen nur in wenigen Fragen von einander ab und Heinrieius sagt in seiner letzten Arbeit selbst: „Ich freue mich, dass wir (H. u. St.) in vielen Punkten zu übereinstimmenden Resultaten gelangt sind, so in Bezug auf die Veränderungen der Uterindrüsen im Anfang der Schwangerschaft, welche nach oben abgeschlossen werden, ferner darin, dass die Zotten nicht direct und von vornherein in die Uterindrüsen hineinwachsen. Auch damit sind wir ein- verstanden, dass die extravasierten Blutkörperchen am Randgebiet der Placenta von Chorionepithel aufgenommen werden.“ In der Frage über die Entwickelung des Syneytiums, welches nach Strahl aus dem Epithel, nach Heinricius aus dem Bindegewebe entsteht. sind auch diese Autoren verschiedener Ansicht. Ich Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta. 167 glaube aber, dass auch in diesem Punkte sich eine Überein- stimmung unschwer wird erzielen lassen, da es sich voraussicht- lich um Regelung einer Terminologiefrage handeln wird. Strahl hat ja auch in seiner Arbeit bereits hervorgehoben, dass mit dem Ausdruck Syncytium von den verschiedenen Autoren verschiede- nes benannt wird. Es liegt für mich aber im Augenblick fern, auf diese Frage genauer einzugehen. Ganz anders ist es mit den Untersuchungen von Fleisch- mann. Fleischmann steht, wenn er auch in einzelnen Fragen mit Heinricius und Strahl übereinstimmt, in anderen und zwar fundamentalen auf einem durchaus abweichenden Standpunkt. Besonders sind es 2 Punkte, welche ich in dieser Beziehung hervorheben möchte, nämlich die Frage nach dem Einwachsen der Chorionzotten und die nach den Verhalten der Bischoff'schen Krypten der Uterinschleimhaut. Fleischmann hat diesen Gegen- stand neuerdings in einer sehr lebhaft gehaltenen Polemik gegen Heinricius und Strahl besprochen, und da es sich bei dem be- regten Gegenstand um Sachen von principieller Wichtigkeit handelt, so habe ich denselben einer erneuten eingehenden Unter- suchung unterzogen. Ich veröffentliche in dem Folgenden nur denjenigen Teil derselben, welcher sich auf das erste Einwachsen der Zotten bezieht, und schicke voraus, dass ich zu meinem Be- dauern den Angaben von Fleischmann weder über das Einwachsen der Chorionzotten noch über das Verhalten der Krypten bei- stimmen kann. I. Das erste Einwachsen der Zotten bei der Hundeplacenta. Ich habe meine Untersuchungen an der Placenta der Hün- din angestellt und dabei besonderen Wert darauf gelegt, eine Reihe für die Untersuchung ausreichender Entwickelungsstadien aus derjenigen Zeit zu bekommen, in welcher die Zotten eben 168 IV. F. W. LÜSEBRINK. in die Uterusschleimhaut einzuwachsen beginnen, da ich nur solche Stadien, nicht aber ältere als ausschlaggebend anerkennen kann, wenn es sich um die Erledigung z. B. der Frage handelt, wie sich beim Eindringen der Zotten das Uterusepithel verhält. Dabei bleibt immer noch zu erwägen, ob die entsprechenden ‘ Vorgänge im Uterus der Katze, auf dessen Untersuchung Fleisch- mann vorwiegend seine Annahme stützt, nicht andere sein können als beim Hund, welchen ich benutzte. Doch kann ich mir nicht verhehlen, dass die Bilder, welche Fleischmann von den ein- wachsenden Chorionzotten und den Uterindrüsen zeichnet, auch total abweichen von dem, was Heinricius über denselben Gegen- stand abbildet; und das, was ich an meinen Präparaten vom Hund gesehen habe, stimmt bei Weitem mehr mit den Bildern von Heinrieius als mit denen von Fleischmann überein. Meine Untersuchungsobjekte sind entnommen dem Uterus trächtiger Hündinnen von Mitte der 3. Woche an. Ich beginne die Darstellung mit den Bildern, welche ich von der Untersuchung des Uterus vom 20. Tage der Trächtigkeit erhalten habe, einer Zeit, in welcher die ersten kleinen Chorionzotten sich in die Schleim- haut einsenken. Ich bin dabei in der glücklichen Lage, ein Objekt zur Untersuchung zu haben, bei welchem ich sowohl in die Uterinschleimhaut eben eingewachsene Zotten vorfinde, als auch Stellen, an welchen dieses Einwachsen gerade bevorsteht. 1) Die Uterinschleimhaut der Hündin am 20. Tage ihrer Trächtigkeit. Wie Strahl in seiner Arbeit über die Entwickelung der Hundeplacenta beschrieben hat, soll unmittelbar vor dem Ein- wachsen der Zotten in die Uterinschleimhaut das Verhalten der letzteren der Art sein, dass ein Teil der Uterindrüsen nach oben hin offen ist, während ein anderer sich geschlossen hat; und wenn die Zotten einwachsen, soll ein Teil derselben in die nicht ge- schlossenen Drüsen eindringen, während ein anderer und zwar Anatomische Hefte II. j } j 2 Tat. XIX.XX Gibt Verla& v. J.E Borgmann.Wiesbaden Lith. Anst.v. CKırat, Leipzig es En Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta. 169 seitaus grösserer Theil sich über den geschlossenen Drüsen neue Bahnen bildet. Fleischmann bestreitet diese Angabe; er hält die „scheinbar‘‘ nach oben geschlossenen Drüsen für seit- liche Ausbuchtungen offener Drüsen und nimmt an, dass nur in solche die Zotten sich einsenken. Über die Vorgänge, welche sich vor dem Einwachsen der Zotten an den Uterindrüsen abspielen, geben nun meine Prä- parate hinreichend Auskunft. Ich beschreibe von diesen zuerst Durchschnittspräparate durch einen in situ gehärteten Uterus und Embryo, bei welchen das Amnion des Embryo etwa noch zur Hälfte offen war: Es leuchtet ein, dass man in demjenigen Teil der Uteruswand, welcher dem offenen Amnionnabel gegen- über liegt, einen Zustand vor sich hat, bei welchem die Anlage- rung und Verwachsung «es amniogenen Chorions unmittelbar bevorsteht. Hier sieht man nun, dass einmal in diesem doch immerhin ziemlich grossen Bezirk das Epithel des Uterus, wenn auch abgeplattet, so doch mit absoluter Sicherheit kenntlich, er- halten ist. Ferner finden sich einige wenige nach oben nicht ge- schlossene Uterindrüsen in diesem Bezirk vor, daneben eine weit- aus grössere Zahl von geschlossenen. Dass letztere nicht seitliche Ausbuchtungen der offen gebliebenen Drüsen sein können, lehrt ihr Verhalten zur Uterusoberfläche und zum Uterusepithel. Ich finde nämlich, dass alle diese Räume nicht nur nach oben abgeschlossen sind, sondern kann auch zeigen, dass es eine besondere Wucherung des Epithels ist, welche diesen Abschluss bildet und einen Zusam- menhang des Halses jeder dieser Drüsen mit dem Oberflächenepı- thel vermittelt. Die Räume, welche in ihren mittleren und tieferen Partien am weitesten sind, und in diesen auch mannigfache seitliche Ausbuchtungen besitzen, werden nach oben hin schmäler und sind schliesslich durch einen eigentümlichen, stark färbbaren und mit dem Oberflächenepithel zusammenhängenden Epithel- pfropf verschlossen. (Vergl. Fig. 1.) An einem entsprechenden Schnitt sieht man, wie das nach den Seiten umbiegende Uterus- BITTE, 170 IV. F. W. LÜSEBRINK. epithel ohne Unterbrechung nach unten in einen langen Zapfen übergeht und dass erst weiter unten das Lumen der Drüse beginnt. Dass es sich bei einem solchen Schnitt selbstverständlich um (len mittleren Abschnitt der Drüse und nicht etwa um den Seiten- vand des in der Fläche getroffenen Drüsenhalses handelt, ergibt die Verfolgung der Drüse durch die verschiedenen Schnitte einer vollständigen Serie. Wenn also diese Präparate erweisen, dass neben nicht ge- schlossenen auch geschlossene Uterindrüsen vorkommen, so lässt sich durch andere zeigen, dass die Zotten nicht nur in nicht geschlossene Drüsen, sondern auch über den geschlossenen Drüsen in die Uteruswand einwachsen. Zum Beleg hierfür würden schon die früher von Strahl beschriebenen Präparate dienen können. Für denjenigen, welchem diese noch nicht ausreichen, giebt das Folgende eine Ergänzung. Eine andere Eikammer des eben beschriebenen Uterus war frisch durch einen Längsschnitt der Art eröffnet, dass der Em- brvo mit seinen Eihäuten auf der Uteruswand liegen geblieben war; der Eisack war mit dem Uterus eröffnet. Man sieht von der Innenfläche desselben her die einwachsenden Chorionzotten mit aller Deutlichkeit, so dass man ihre Zahl, ihre Grösse und ihre Lage zu einander bestimmen kann. Ausserdem sah man den auf der Uterusoberfläche aufliegenden Embryo, dessen Grösse ich auf circa 14 Urwirbel schätzen möchte. Derselbe wurde vorsichtig von der Uteruswand abgehoben; aber ehe derselbe aus seiner Lage entfernt wurde, stellten wir folgende Erwägung an. Vorausgesetzt, dass der Amnionnabel auch bei diesem Em- bryo noch offen war, und weiterhin vorausgesetzt, dass die Zotten in nicht geschlossene Drüsen einwachsen, so musste nach Ab- nahme des Embryo von der Uteruswand die Zahl der sich als- ddann präsentierenden Drüsenmündungen mit der Zahl der Zotten- löcher (auf gleicher Fläche) übereinstimmen; es musste sich das mit Loupenvergrösserung (unter nachfolgender Kontrolle durch Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta 171 mikroskopische Untersuchung) feststellen lassen, weil sowohl die Drüsenöffnungen als auch die Zottenlöcher so gross sind, dass dieselben bei dieser Vergrösserung zumeist erkannt werden können. Der Embryo wurde nun vorsichtig von der Uteruswand abge- nommen, und es war in der That, wie erwartet, ein offener Amnionnabel vorhanden. Der Embryo wurde sorgfältig an den Rändern des Amnionnabels abgetrennt. Nach Hinwegnahme des- selben blickte man durch den Amnionnabel auf die Uteruswand, welche glatt und unversehrt vorlag. (conf. Fig. 8.) Bei der Grösse der Fläche hätte man auf derselben schätzungsweise etwa 50 — 60 Drüsenöffnungen für die entsprechenden Zotten erwarten müssen; statt dessen sah man mit der Loupe in dem ganzen Bezirk nur 3 nicht geschlossene Drüsen. Die später von der vor- deren Hälfte des Stückes angefertigten Schnittpräparate liessen auf diesem Teil der Fläche gegenüber dem Amnionnabel noch 2 weitere offene Drüsen auffinden, so dass auf der ganzen etwa 7—8 solche vorhanden waren. Nebenbei sah man eine Anzahl kleiner Buckel, welche (wie sich ebenfalls beim Schneiden des Prä- parates erwies) die Verschlusspfröpfe der Krypten darstellten. Da also auf gleicher Fläche viel mehr Zotten als nichtgeschlossene Drüsen vorhanden sind, so ergiebt sich ohne Weiteres, dass die Zotten hier nicht frei in die Drüsen wachsen können. Mit diesem Nachweis, sowie mit demjenigen der Epithelpfröpfe über den Krypten wäre nach meiner Ansicht die Frage sowohl nach dem Verhalten der Uterindrüsen als auch nach dem Ein- wachsen der Zotten gegen Fleischmann entschieden. Um aber auch weitgehendsten Wünschen entgegenzukommen, habe ich, wie Fleischmann verlangt, Rekonstruktionen der Uteruswand teils graphisch teils plastisch vorgenommen und habe ebenso das Einwachsen der Zotten graphisch rekonstruiert. Auch diese Versuche haben lediglich zu einer Bestätigung dessen geführt, was die Besichtigung der Präparate bereits ergeben hatte, dass nämlich neben den grossen sich zu der spongiösen Schicht er- 172 IV. F. W. LÜSEBRINK. weiternden Drüsen kleine (nach oben) abgeschlossene Drüsen vorkommen und dass die Zotten in ihrer weitaus grössten Zahl nicht in offengebliebene Drüsen emwachsen können, sondern sich neue Wege bahnen müssen. Ich muss gestehen, dass ich in einer gewissen Verlegenheit bin, wenn ich diese letzteren Resultate mit denen von Fleischmann vergleiche. Denn da Fleischmann von Anderen den Gebrauch von Untersuchungs- methoden nicht verlangen wird, welche er selbst nicht verwendet, so muss ich annehmen, dass auch er Rekonstruktionen gemacht und auf diesem Wege das Einwachsen der Zotten im die Drüsen feststellen zu können geglaubt hat; und wie sich alsdann diese einander diametral entgegenstehenden Angaben vereinigen sollen, ist mir unerfindlich. Es müsste denn sein, dass sich solch weit- eehende Unterschiede zwischen Hund und Katze fänden, wogegen (dann allerdings wieder die mit den meinigen übereinstimmenden Angaben von Heinricius sprechen. Ich habe übrigens auf Grund der Durchsicht meiner Präparate dem früher von Strahl über den Bau der Hundeplacenta Mit- oetheilten noch einiges zuzufügen. Ich kann nämlich auf weitere Entwickelungsstadien hin, als es-Strahl früher gelungen war, den einwachsenden Zotten gegenüber die Epithellage des Uterus nachweisen, welche von Fleischmann und Heinrieius vergeblich oesucht worden ist, und kann ferner feststellen, dass die Zotten sich nicht alle gleichmässig verhalten, sondern ihrem Bau, ihrer Lage und ihrer (zeitlichen) Entwiekelung nach sich zuerst 2 dann sogar 3 Formen von einander trennen lassen, und endlich, dass diejenigen Zotten, welche ursprünglich frei in die Uterindrüsen hineinwachsen, auch späterhin zeitweilig durch Epithel gegen das Lumen der Drüsen abgeschlossen werden. Was zunächst das Verhalten des Uterusepithels anlangt, so geben die Autoren an, dass es zerfallen und von dem Chorionepithel aufgezehrt werden soll und dass hiernach die Zotten frei im Bindegewebe Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta. 173 der Uterinschleimhaut stecken. Demgegenüber hat Strahl ge- zeigt, dass zum Mindesten im Anfang das Uterusepithel vorhanden und deutlich nachweisbar ist. Er beschreibt dann weiterhin, dass es sich abplattet und dass man es zeitweilig nicht unter- scheiden kann, nimmt aber an, dass es trotzdem erhalten sein könne, weil er Zerfallserscheinungen von Zellen an denjenigen Stellen nicht findet, an welchen er dieselben andernfalls erwarten müsste. Ich kann nun an meinen Präparaten diese Angabe von Strahl nicht nur bestätigen, sondern auch erweitern. In dem oben beschriebenen Stadium von 20 Tagen ist auf demjenigen Teil der Uteruswand, an welchen sich das amniogene Chorion noch nicht fest angelegt hat, das Uterusepithel überall leicht kenntlich. An gut senkrecht zur Uterusfläche geführten Schnitten kann ich das Epithel auch dort weiter verfolgen, wo das Chorion verwachsen ist. Ich finde sogar, dass es hier höher ist als dort, wo die Uterusfläche noch frei liegt. Nur die Grenze des Epi- thels gegen das unterliegende Bindegewebe ist vielfach nicht scharf; doch ist das selbstverständlich kein Grund um anzu- nehmen, das Epithel sei zu Grunde gegangen. Auch da, wo die ersten Zotten einwachsen, kann man es an deren Seitenwänden und der Spitze gut verfolgen (Vergl. Fig. 2), auf letzterer ist es meist durch den Epithelpfropf einer geschlossenen Krypte repräsentiert. Von den 3 oben erwähnten Zottenformen sind in dem be- schriebenen Stadium 2 vorhanden, nämlich solche, welche frei in die grossen Uterindrüsen hineinwachsen — ich bezeichne dieselben als Primärzotten — und solche, welche neben diesen gegen das Uterusepithel sich vorschieben. Die letztere Form — ich bezeichne sie als Sekundärzotten — nimmt ihren Weg vielfach, vielleicht ausschliesslich, gegen die Epithelpfröpfe der Krypten. Und insofern kann man von eimer Beziehung auch der Sekundärzotten zu den Uterindrüsen, nicht aber von einem Einwachsen in dieselben reden. 174 IV. F. W. LÜSEBRINK. Von den Primärzotten hat bereits Strahl (1589 Tafel XIV, Fig. 14) eine Abbildung gegeben. Die Sekundärzotten unter- scheiden sich von denselben durch ihre Lage, weiter dadurch, lass dieselben meist kleiner, kürzer und gedrungener sind (S. Fig. 2), endlich dadurch, dass dieselben in diesem Stadium immer eine Epithellage vor sich haben. Der zeitweilige Abschluss der Primärzotten gegen die Uterindrüsen und das Auftreten von TVertiärzotten findet in dem folgenden Entwickelungsstadium statt. 23 te) fen) 2. Placentaranlage von 21 Tagen. Am 21. Tage ist die Keimblasenwand vollständig gürtelför- mie mit der Uteruswand verbunden, der Embryo im Begriff, sich mit seinen Allantois an die Innenwand des amniogenen Chorion anzulegen. Es machen sich gegen das vorige Stadium bereits eine Reihe von Veränderungen bemerkbar. Die grossen Uterindrüsen sind jetzt in ihren mittleren Teilen so erweitert, dass eine vollständige spongiöse Schicht vorhanden ist. Schneidet man an einem gut erhärteten Uterus mit Eihäuten ein Stück der Wand aus. trennt dieses inmitten der spongiösen Schicht dureh einen horizontalen Schnitt in einen oberen und unteren Teil und sieht von der Schnittfläche aus in die obere Hälfte les durchschnittenen Drüsenraumes, so gewahrt man, wie dieser Raum sich nach oben (gegen die Oberfläche des Uterus) im einen trichterförmigen Gang fortsetzt; das ist der Hals der Drüse. In diesen Drüsenhals hängt nun, wie Durchschnitte lehren, von oben eine Primärzotte hinein ; aber nicht mehr frei wie im vorigen Stadium. sondern überzogen von einer Duplikatur des Uterus- epitheles (Vergl. Fig. 3). Diese Duplikatur ist gegenüber den Seitenwandungen der Uterindrüse durch ihre starke Färbbarkeit und den Mangel an Zellgrenzen charakterisiert, also als Syney- tium zu bezeichnen. Auf alle Fälle hat ein sekundärer Verschluss der Drüsen stattgefunden; !) und man kann also jetzt hier nicht ') Einige zeitliche Verschiebungen, welche sich bei verschiedenen Uteris Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta. 175 sagen, dass die Zotte frei in der Drüse läge; wenn sie das aller- dings wieder in der späteren Zeit mit Sicherheit thut, so kann sie dahin wohl nur gekommen sein, indem sie entweder das vor ihr liegende (rewebe zerstört und eventuell aufgenommen hat, oder indem dieses (Grewebe sich zurückgezogen hat. Die Sekundärzotten, d. h. also diejenigen Zotten, welche sich neben den vereinzelten Primärzotten als in weitaus grösserer Zahl vorhanden neue Wege in die Uterinschleimhaut bahnen. lassen sich jetzt, da sie noch einzelne fingerförmige Gebilde sind und sich in ihrer Gewebsformation äussert scharf bei ge- eigneter Vorbehandlung von dem mütterlichen Gewebe absetzen, sehr deutlich von der Uterinschleimhaut unterscheiden. Es wären das also diejenigen Formen, deren Vorkommen Fleischmann bezweifeln will. Ich habe sämmtliche Zotten durch eine grössere Reihe von Schnitten abgezählt und finde dabei, dass von 200 Zottendurchschnitten, bei welchen selbstverständlich dieselbe Zotte mehrmals in den aufeinander folgenden Schnitten wieder- kehrt, dass von diesen keine frei in eine Drüse hineinhängt. Ich kann also auch in diesem Stadium den Unterschied von Primär- und Sekundärzotten mit Sicherheit nachweisen. Im Übrigen gleichen die Sekundärzotten jetzt noch. ganz den Formen, wie dieselben im vorhergehenden Stadium be- schrieben sind. Auch ihnen gegenüber ist das Uterusepithel jetzt meist zu Syneytium umgewandelt und dies häufig so fest mit dem Zottenepithel vereinigt, dass Teile desselben zwischen die Ektoblastzellen eindringen können. in dem Verschluss der Drüsen finden, ändern an dem eben beschriebenen (sesammtbild nichts. Bisweilen kommt es nämlich auch an den grossen Drüsen schon zu einem Verschluss gegen die Oberfläche, noch ehe die Zotte sich in dieselbe einsenkt. Dann würde auch die Primärzotte, wenn sie in die Drüse dringt, bereits einen Überzug von Uterusepithel mitnehmen. Sie unterscheidet sich aber auch dann von der Sekundärzotte durch ihre Form und dadurch, dass sie über einer grossen Drüse und nicht über einer Krypte liegt. 176 IV. F. W. LÜSEBRINK. Bereits in diesem Stadium ist der Anfang eines Vorganges festzustellen, welcher in dem nächstfolgenden noch viel deutlicher in die Erscheinung tritt, in dem vorhergehenden durch Ver- längerung der geschlossenen Drüsenhälse eben angedeutet war. Es ist dies das Abrücken der geschlossenen Krypten von‘ der Ober- fläche in die Tiefe. Dabei schiebt sich zwischen das Oberflächen- epithel und die Krypten eine Bindegewebslage ein, welche sich neu entwickelt und in welcher ein reichliches und regelmässig angeordnetes Kapillarnetz vorhanden ist. Eine Andeutung der Schicht, allerdings in sehr geringem Grade, findet sich bereits im vorhergehenden Stadium. Im diese subepitheliale Bindege- webslage wachsen nun, nachdem die Krypten sich nach unten verschoben haben, von der Oberfläche her kleine Stränge des Uterusepithels an, welche sich in eigenartiger, netzförmiger Ver- zweigung in dem Bindegewebe verbreiten, (Siehe Fig. 4) Bis- weilen kann man an denselben 2 Schichten unterscheiden, namentlich unmittelbar an der Oberfläche, während dieselben vielfach sonst nur einfach sind. Ich halte diese Zellen, deren Zusammenhang mit dem deutlich kenntlichen Oberflächenepithel man an genau senkrechten Schnitten, aber auch nur an solchen wahrnimmt, eben dieses Zusammenhangs halber für in die Tiefe wuchernde Uterusepithelien und nehme gestützt auf die Unter- suchung älterer Stadien an, dass dieselben einmal bestimmt sind, die neu gebildeten Kapillaren einzuscheiden und andererseits für die im folgenden Stadium emwachsenden Tertiärzotten die Bahnen abzugeben. Ich würde demgemäss auch für dieses Stadium kein Zugrundegehen sondern ein Wuchern der Uterusepithelien annehmen. Ich bemerke aber nochmals, dass nur an gut senk- recht zur Oberfläche getroffenen Schnitten die Erscheinungen, wie beschrieben, sichtbar sind; sobald die Schnitte ein wenig schräg fallen, gehen die Zellenlagen so durcheinander, dass sie sich nicht mehr deutlich absetzen. Im Übrigen kommt es bei dem offenbar relativ raschen Wachsen der Eikammer bisweilen Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta. 177 zu sehr starker Abplattung aller Zellagen; z. B. kann auch das Chorionepithel so platt werden, dass es an einzelnen Stellen Mühe macht, dasselbe als gesonderte Zellschicht nachzuweisen ; ohne dass man deshalb annehmen wird, es sei zu Grunde ge- gangen. 3. Placentaranlage von 25 Tagen. Am 25. Tage der Trächtigkeit hat die Entwickelung der Primär- und Sekundärzotten wiederum zugenommen, ohne dass dieselben jedoch die gesammte compakte Placentarschicht durchsetzen. An Durchschnitten durch die in die grossen Drüsen hineinhängenden Primärzotten kann man beobachten, wie das Zottenepithel sich unmittelbar an dem Drüsenepithel entlang schiebt; und da wo die Drüsenhälse sehr weit geworden sind, ist vielfach jetzt schon das vorher erwähnte Uterusepithel auf der Zottenspitze etwas reduciert. Die Krypten sind gegen frühere Stadien verengert und ihre oberen Enden durch Säulen von Epithelien verschlossen. Diese Epithelsäulen unterscheiden sich aber von den oben beschriebenen und abgebildeten dadurch, dass sie nicht mehr mit der Oberfläche des Uterus in gleicher Fläche liegen. Den Epithelsäulen liegen auch jetzt Spitzen der Sekundärzotten vielfach gegenüber, deren Ectoblast an seiner vorderen Fläche oft mehr oder minder umfangreiche Klumpen dunkel gefärbten Syncytiums erkennen lässt. Dieselben dunkel gefärbten Zellen überziehen im übrigen als continuierliche Schicht die Seitenwände der IZotte und da ich in der ersten Zeit der Entwickelung ein Epithel auf der Zottenoberfläche nachweisen kann, dann weiter sehe, wie die Zellen vor der Zotte stark färb- bar werden und ihre Grenzen verlieren, ohne aber weiter zu zerfallen, so nehme ich an, dass das so entstandene Syneytium dem Uterusepithel seinen Ursprung verdankt. Es dringen auch jetzt wie früher vielfach Teile des Syneytiums mit Fortsätzen zwischen das Zottenepithel. Dort wo die Zotten seitlich.getroffen Anatomische Hefte. 2. 12 178 IV. F. W. LÜSEBRINK. sind, so dass man ihr Epithel in der Flächenansicht sieht, er- kennt man, dass die dunkel gefärbten Einlagerungen sich häufig sternförmig zwischen den Zottenepithelien eimschieben. Es re- sultieren daraus Bilder, welche in mancher Beziehung an ‚Prä- parate erinnern, wie man sie bei Durchsetzung von Epithelien mit Leukocyten erhält. Ich habe selbstverständlich auch dar- an gedacht, ob es sich hier nicht auch um einen ähnlichen Vorgang handeln könne, bin aber von dieser Annahme abge- kommen, einmal weil überhaupt bei dem in dieser Schicht ganz ausserordentlich spärlichen Bindegewebe von Leukocyten sonst kaum etwas in dem Präparat zu sehen ist, während man anderer- seits die Umwandlung und Umlagerung der mütterlichen Epi- thelien, so weit das auf Schnittpräparaten eben möglich ist, ver- folgen kann. Den auffälligsten Fortschritt in der Entwickelung zeigt die subepitheliale Bindegewebslage zwischen den Wurzeln der Sekun- därzotten. In dieser ist es zur weiteren Entwickelung der Ca- pillaren gekommen, welche ein regelmässiges Netzwerk innerhalb der Schicht bilden. Mit ihren gleich zu beschreibenden Zellbe- kleidungen geben dieselben em Bild mäandrischer Figuren. (Verel. Figur 5 bei a.) Die Wand dieser Capillaren wird von einer einfachen Lage ziemlich grosskerniger Endothelien gebildet. In die Lücken zwischen diesem Netzwerk von Capillaren schieben sich nun, wie starke Vergrösserungen lehren (Vergl. Fig. 6), Balken von Zellen in gleicher Anordnung ein, welche eine sehr auffällige Scheidung in 2 Lagen erkennen lassen. Die den Ca- pillaren anliegende Schicht ist durch starke F ärbbarkeit charak- terisiert und lässt sich durch ihren Zusammenhang mit dem an der Oberfläche noch kenntlichen Epithel als Uterusepithel be- stimmen. Auf die Abstammung derselben vom Uterusepithel weist auch die Eigentümlichkeit der starken Färbbarkeit hin, welche sich ja in den früheren Stadien bei den den Zotten angrenzenden Uterusepithelien findet. Die äussere Schicht bleibt bei unseren Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta. 179 Färbungen heller, ist etwas grosskerniger und erweist sich durch ihren Übergang in das Epithel der Sekundärzotten als Chorion- epithel. Wie spätere Stadien lehren, wachsen in diese Epithel- stränge des Chorion ebenfalls die Gefässe und das Bindegewebe der Allantois en. Es entsteht demgemäss aus denselben eine dritte Form von Zotten, welche sich von den früher beschriebenen Primär- und Sekundärzotten nach Lage, Grösse und zeitliche Entwickelung sehr wesentlich unterscheidet; ich bezeichne die- selben als Tertiärzotten. Sie spielen beim Aufbau der Placenta eine sehr wesentliche Rolle und wird die Fortsetzung dieser Mitteilungen hierüber weiteren Aufschluss schaffen. Um eine Übersicht über die erste Entwiekelung der Zotten in der Hundeplacenta zu bekommen, wird vorstehende Darstellung ausreichen. Sie erweist, dass die Argumente Fleischmanns über das Einwachsen der Zotten nicht stichhaltig sind. Selbst wenn sich noch herausstellen sollte, dass entgegen den Annahmen von Heinrieius die Verhältnisse im Katzenuterus anders liegen, als eben für den Hund beschrieben, so würde Fleischmann doch Strahl gegenüber im Unrecht sein, da er eben seine Einwürfe, wie mir scheint, in ihrer Fassung als für die Raubtiere allgemein eiltig hinstellen will. Dass übrigens gewisse Unterschiede in den Placenten von Hund und Katze vorkommen, ist zweifellos und war schon Ercolani und Turner bekannt. Sollten aber die Entwickelungsvorgänge bei der Katze denjenigen der Hündin ähnlich sein, so liesse sich daran denken, dass Fleischmann etwas Ähnliches gesehen hat, wie das oben beschriebene Vordringen der Sekundärzotten gegen die Krypten und dass er nur die Ver- schlusspfröpfe der Epithelien übersehen hat. Ich bin aus äusseren Gründen genöthigt, vorläufig hier ab- zubrechen, hoffe aber demnächst einen weiteren Bericht über die sich anschliessenden Entwickelungsstadien geben zu können. Immerhin kann ich jetzt bereits sagen, dass den verschiedenen Formen der Zotten auch verschiedene Funktionen in der reifen 12* 180 | IV. F. W. LÜSEBRINK. Placenta zukommen. Jedenfalls stehen sich die Primär- und Tertiärzotten insofern gegenüber, als die Primärzotten im wesent- lichen dazu bestimmt sind, die Aufnahme von Drüsensekreten zu vermitteln, während die Tertiärzotten dem Austausch des Nährmaterials vom mütterlichen auf das foetale Blut vorstehen. Die Sekundärzotten werden vermutlich eine Zwischenstellung zwischen den beiden haben. II. Bemerkungen über den Placentarrand. Dem eben Beschriebenen füge ich aus einem etwas älteren Stadium noch eine Beobachtung über den Bau des Placentar- randes bei, welche vielleicht geeignet ist, unsere Kenntnisse über die Verbreitung der gürtelförmigen Placenta an ihren Rändern zu erweitern. Das Präparat wurde gewonnen, indem der uneröffnete Uterus nach Benda in 10°/,tiger Salpetersäure erhärtet und mit Müller- scher Flüssigkeit nachbehandelt war. Vor der Einbettung wurde eine der Anschwellungen, welche die Foeten enthalten, heraus- genommen, in der Mitte quer durchtrennt und dann die eine Hälfte in Paraffin eingebettet. Erst nach der Einbettung wurde diese Hälfte der Länge nach durchschnitten, und es wurden dann eine Reihe von Längsschnitten durch die Mitte oder nahe neben der Mitte des Eisackes hindurchgelegt. Ich glaube, dass ich auf diese Weise die Lage der Teile in situ möglichst voll- kommen erhalten habe; und es giebt in der That das Bild eine Ergänzung zu den früher von Lieberkühn und Strahl abge- bildeten Figuren. {Vergl. Fig. 7.) Man kann an den Schnitten eine compakte Placentarschicht, eine spongiöse Zone und eine tiefe Drüsenschicht bereits bei Loupenvergrösserung unterscheiden. Es ist namentlich die spon- giöse Zone durch sehr reichliche Entwickelung des Balkennetzes zwischen den Drüsen ausgezeichnet. Nach dem Placentarrande Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta. 181 hin wird die compakte Placentarschicht allmählich etwas niedriger und dort, wo sie endet, liegt ein noch nicht sehr grosses aber deutliches Extravasat. Auffällig ist nun, dass die spongiöse Schicht hier weiter geht als die compakte. Es setzt sich die spongiöse Zone nicht unbeträchtlich, etwa 4—5 grosse Drüsen- maschen bildend, über das Extravasat hin fort. Nach oben liegen in derselben kleinere Drüsenabschnitte frei an der Fläche, und diese springen von beiden Seiten mit einem ziemlich scharfen Sporn in das Innere des Eisackes hin vor. Ihr lateraler Rand fällt ziemlich senkrecht oder etwas schräg nach der Placenta hin ab, und sie bilden somit ein Diaphragma, welches einen grösseren inneren Raum des Eisackes von je einem Kuppenteil (Fleischmann) sehr scharf absetzt, welche beide gewissermassen nur durch einen verschmälerten Gang in Zusammenhang stehen. Es sind diese Verhältnisse aber keine bleibenden; in späterer Zeit findet sich ein solches Diaphragma nicht mehr vor. Dagegen liegt auch später ein Teil der spongiösen Zone frei am Rande, allerdings nicht neben, sondern unterhalb der compakten Pla- centarschicht; und es wäre hiernach wohl anzunehmen, dass das Wachstum der eigentlichen Placenta in späterer Zeit schneller gehe als das der Drüsenzone und dass letztere, so weit sie ur- sprünglich frei liegt, späterhin von der ersteren allmählich über- wuchert wird. December 1891. — rue Zusammenfassung der Ergebnisse. 1. Im Uterus der trächtigen Hündin werden, wie Strahl und Heinricius bereits angegeben haben, die Bischoffschen Krypten vor dem Einwachsen der Zotten nach oben hin durch eimen Epithelpfropf abgeschlossen. 2. Bei dem Einwachsen der Zotten im Uterus der Hündin lassen sich drei Formen derselben von einander unter- scheiden. Am 20. Tage wachsen ein: a) Primärzotten in die grossen Drüsen; zum Teil frei, hier und da eine dünne Epithelschicht in die Drüse mithineinschiebend, besitzen ein Lumen; b) Sekundärzotten über den Bischoff'schen Krypten (vielleicht auch neben diesen). An Form den Pri- märzotten ähnlich, aber kleiner und nicht in gleicher Weise stempelförmig. Sie bahnen sich neue Wege. Ungefähr am 24. Tage wachsen ein: c) Tertiärzotten, feinste, kleine Wucherungen des Cho- rionektoblast, zunächst ohne Lumen. Sie schieben sich als feinste Stränge in die von Primär- und Sekun- därzotten freigelassenen Teile der Uterusoberfläche ein, sind ausserordentlich viel kleiner als a und b und ohne jede Beziehung zu den Uterindrüsen. 3. Das Uterusepithel ist gegenüber allen einwachsenden Zotten nachweisbar und liefert für alle, wenn auch ein Teil der Drüsenepithelien zu Grunde geht, eine bleibende Scheide. Litteratur- Verzeichnis. . Fleischmann, Embryologische Untersuchungen, Heft I und Il. Wiesbaden, Kreidel. 2 9; Fleischmann, Entwickelung und Struktur der Placenta bei Raub- tieren. Sitzungsbericht der Berliner Akademie der Wissenschaften Juli 1891. . Heinrieius, Über die Entwickelung und Struktur der Placenta beim Hunde. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 33. ‚ Heinricius, Über die Entwiekelung und Struktur der Placenta bei der Katze. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 37. 5. Strahl, Untersuchungen über den Bau der Placenta. I. Anlagerung des Eies an die Uteruswand. Archiv f. Anatomie und Physiologie anat. Abth. 1889. . Strahl, Der Bau der Hundeplacenta. Archiv f. Anatomie und Phy- siologie. Anatom. Abth. 1890. Fig. Fig. Figurenerklärung. Für sämtliche Figuren gelten die Bezeichnungen: m DV Sr: ot Amn. N — Amnionnabel. S — Syncytium. Ch. Eet. — Chorionektoblast. Z = Dotte. Cp —= Capillare der Uterinschleimhaut. Z, —= Primärzotte. D = grosse Uterindrüse. Z, — Sekundärzotte. ‘p —= Üterusepithel. Z; — Tertiärzotte. Das obere Ende einer Bischoffschen Krypte mit Epithelverschluss und Zusammenhang des Drüsenhalses mit dem Oberflächenepithel. (Fig. 1 und 2, Trächtiger Uterus einer Hündin vom 20. Tage. Ute- rinwand ‚gegenüber resp. neben dem Amnionnabel.) - Einwachsen einer Secundärzotte in die Uteruswand gegenüber dem Ver- schlusspfropf einer Bischoffschen Krypte. Anlagerung des Chorionek- toblast an das Uterusepithel neben der Zotte. - Einwachsen einer Primärzotte in den Hals einer grossen Uterindrüse. Vor der Zottenspitze ist die Eingangsöffnung der grossen Drüse durch Syneytium verschlossen. (Fig. 3 und 4 Trächtiger Uterus von 21 Tagen.) Einwachsen von Strängen des Uterusepithels in die Tiefe, Einscheidung der Capillaren durch das Uterusepitel. Das Uterusepithel ist in der Figur durch einen dunkleren Ton gegen das hell gehaltene Bindegewebe deutlich gemacht. . Oberer Teil der Placentaranlage eines Uterus vom 25. Tage der Träch- tigkeit. Die Sekundärzotten wachsen gegen die in die Tiefe gedrängten Bischoffschen Krypten. b — obere abgeschnürte Teile von Krypten zwischen den beiden Secundärzotten in der Schicht a: erste Anlage von Tertiärzotten als feines Netzwerk. Ganz schwache Vergr. Pig. 6. Fig. 7. Die erste Entwickelung der Zotten in der Hundeplacenta. 185 Ein Stück der Oberfläche desselben Schnittes bei stärkerer Vergrösser- ung. Die Capillaren, deren Wände verdickt sind, sind umgeben erstens von dunkleren Scheiden des Uterusepithels und an diese lagert sich zweitens das Chorionektoblast, die Bildung der Tertiärzotten ein- leitend. Kuppe einer Eikammer im senkrechten Durchschnitt. Das Präparat zeigt, wie die spongiöse Schicht der Uterindrüsen den Placentarrand, welcher durch ein grosses Blutextravasat charakterisiert ist, gegen die Kuppe hin überragt, ein Diaphragma bildend, welches den Kuppenteil von dem eigentlichen Placentarteil trennt. . Kleines Stück der Innenwand eines eröffneten Eisackes vom 20. Tage. Der zu dem Eisack gehörende Embryo ist abgenommen und man sieht durch den Amnionnabel auf die Uteruswand. Auf letztere sind als dunklere Flecken gezeichnet, makroskopisch 3 Ausführungsgänge von offenen Uterindrüsen sichtbar. Die übrigen neben diesen befindlichen hellgrauen Flecke sind die Verschlusspfröpfe Bischoffscher Krypten. Rechts und links neben dem Amnionnabel sieht man die einwachsenden Primär- und Sekundärzotten. Br A Re nr BR, | on 1 Pe RN tut» t ne: ats en, vi { A at Pu: fi u {, are MB BEINE Be FR Pre ME a Br en. iM wi a Kal i HEN 2 “ je . ® IH ib3R 5 RR RN ar? erh NER 2er er a " na kai I A Iygkan® NER ae EIERN KR NETTE RER EN A BRNZERN U us En : > ae) RER) OA EU oh N Faptlte a Au N a un dcr a Kae Pi Ed | RT a a 2, RI ka! u. ERRT. “ vr Va Gele Hi TA y Ve RUE PU ET RG) RAR ch u E N: ENTWICKELUNGSVORGÄNGE REPTILIEN-EMBRYONEN, VON HEINRICH JUNGLÖW, APPROB. ARZT. Aus dem anatomischen Institut in Marburg. Mit 6 Abbildungen auf Tafel XXT. atomische Hefte.I. An ISCH DER © I „Bonn oc ; “oaanona® Ka es Bergmann, Wi en Bi asw). Tı Ve Lith Anst.v. C.Kirst, Leipzig. In dem folgenden teile ich die Resultate einiger Unter- suchungen mit, die ich an Embryonen von Lacerta agilis anzu- stellen (Gelegenheit hatte. Dieselben gingen davon aus, die erste Entwickelung des Herzens der Reptilien, über welche bis jetzt genauere Angaben fehlen, festzustellen. Ich habe über deren Ergebnis bereits früher kurz im Anatomischen Anzeiger (1589 Nr. 9) berichtet. Daran haben sich dann weitere Untersuchungen an dem gleichen Material angeschlossen, welche die Beziehungen der Entwickelung junger Embryonen von Lacerta zu jungen Säuge- tierembryonen behandeln (s. u. Th. II), und endlich Aufschluss über das Verhalten der Mitosen am Übergange des Rückenmark- rohres in den Medullarstrang bei Reptilienembryonen geben. Die Arbeit ist im Anatomischen Institute zu Marburg unter Leitung von Herrn Professor Strahl angefertigt. TE: Die erste Anlage des Herzens bei Lacerta. Unsere Kenntnisse von der Ausbildung des Herzens bei Wirbeltierembryonen rühren, soweit es sich um vorgeschrittenere Entwickelungsstadien handelt, bereits aus älterer Zeit her. Es 190 V. H. JUNGLÖW. ist seit langem bekannt, dass das Herz des Hühnerembryo zeit- weilig einen geraden, dann einen einfach winkelig geknickten Schlauch darstellt, aus dessen oberem resp. vorderem Ende die Arterien austreten, während am entgegengesetzten Abschnitt die zuleitenden Venen hineinführen. Auch von den Embryonen der übrigen amnioten Wirbeltiere, von Säugern und Reptilien ist es bekannt, dass dieselben in entsprechender Entwickelungszeit im Wesentlichen übereinstimmende Verhältnisse erkennen lassen. Die Art und Weise aber, wie dieser Herzschlauch sich aus ein- facheren Anlagen aufbaut, klarzulegen, war der neueren Zeit vorbehalten. Es ist das Verdienst von Hensen, zuerst darauf hingewiesen zu haben, dass der Herzschlauch sich aus zwei bilateral symme- trischen Abschnitten herausbildet. (Naturf. Vers. Frankfurt 1567.) Er gab dann später!) eine Reihe von Figuren, welche die Erscheinungen der Herzanlage vom Embryo des Kaninchens nach Flächenpräparaten und Durchschnitten erläutern, welche also zeigen, dass lange vor der Zeit, in welcher der Kopfdarm sich zu schliessen beginnt, an dem Kopfende des Embryo neben der Medullarplatte zwei eigentümlich henkelförmige Anhänge auftreten, und Querschnitte durch entsprechende Embryonen lehr- ten ihm, dass diese Anhänge kurze Ausbuchtungen der Darm- faserplatte darstellen. Die weitere Untersuchung ergab, dass jede dieser Falten die eine Hälfte des Herzschlauchs ist, und dass dieselben mit dem Schlusse des Kopfdarmes sich zunächst in die untere Wand desselben drehen, um dann weiterhin sich, zu einem gemeinsamen Rohr zu vereinigen. Die späteren Untersucher von Säugetierembryonen konnten im Wesentlichen nur die Angaben von Hensen bestätigen; Er- gänzungen wurden in soweit geliefert, als durch Untersuchungen über die Bildung der vorderen Amnionfalte zugleich die Aul- merksamkeit auf Verschiedenheiten in der Entwickelung des- Über einige Entwickelungsvorgänge bei Reptilien-Embryonen. 191 jenigen Teiles der Leibeshöhle, in welchem der Herzschlauch liegt, gelenkt wurde. Strahl und Carius?) wiesen zugleich mit Beobachtungen über die Anlange der Leibeshöhle Besonderheiten in der Bildung des Herzschlauches beim Meerschwein nach und Bonnet®), der bereits vor Strahl und Carius die gleichen Ansichten über die Entwickelung der Leibeshöhle geäussert hatte, wie diese Autoren, zeigte für die Embryonen des Schafes, dass auch bei diesem Tier specifische Erscheinungen in der Bildung des Herzens vorkommen. Wie die Beobachtungen an den übrigen amnioten Wirbel- tieren gelehrt haben, bieten die Säuger weitaus das günstigste Object für die Untersuchung der ersten Herzentwickelung dar. Von den Embryonen des Huhns gab His?) sehr bald nach Hensen an, dass auch hier eine doppelseitige Anlage des Herz- schlauches sich findet, und die Untersuchungen von Gasser’) und Kölliker‘) führten zu dem gleichen Resultat. Der Nachweis der doppelseitigen Anlange ist beim Vogelembryo schon schwie- riger als beim Säuger, indem einmal die beiden ersten Abschnitte weniger gut kenntlich sind, und ausserdem die Vereinigung ‚ascher und früher zu Stande kommt. Für die Reptilien liegen eingehendere Untersuchungen über die Bildung des Herzschlauches, welche sich auf die ersten da- bei in Frage kommenden Entwickelungsvorgänge beziehen, bis jetzt nur von C. K. Hoffmann ?) vor. Hoffmann untersuchte Em- bryonen von Tropidonotus natrix und glaubte für diese den Nachweis erbringen zu können, dass die Anlage hier eine ein- seitige sei, und zwar soll eine Faltung der rechten Darmfaser- platte der Hauptsache nach den Herzschlauch schaffen. Er bildet gelegentlich anderer Untersuchungen auch einen Querschnitt durch das vordere Körperende eines Natternembryo ab, der im der That an dem Eingang in den sich schliessenden Kopfdarm sehr erhebliche Verschiedenheiten zwischen rechter und linker Körperseite zeigt; während an der linken Seite von einer Fal- 192 vV. H. JUNGLÖW. tung der Darmfaserplatte nichts zu erkennen ist, gewahrt man an der rechten eine ausserordentlich starke Ausbuchtung, welche Hoffmann für den Herzschlauch erklärt. Auch in seiner Ent- wickelungsgeschichte der Reptilien in Bronn’s Klassen und Ord- nungen des Tierreichs giebt er die gleiche Darstellung. Hoff- mann legt seinen Beobachtungen deshalb einen besonderen Wert bei, weil nach ihm die einfache und einseitige Herzanlage der Reptilien den Übergang darstellen soll von den Anamnien zu den höhern amnioten Wirbeltieren. Ich selbst habe Gelegenheit gehabt eine grössere Reihe von Embryonen von Lacerta agilis auf die Entwickelung des Herzens untersuchen zu können, und wenn ich auch für gewisse Ent- wickelungsstadien die gleichen Bilder auf meinen Durchschnitts- präparaten erhalte, wie Hoffmann dieselben von der Natter ab- bildet, so komme ich doch zu anderen Schlussfolgerungen wie dieser. Ich glaube nämlich auf Grund der Untersuchung einer grösseren Reihe namentlich jugendlicher Entwickelungsstadien nachweisen zu können, dass die von Hoffmann beschriebenen Ob- jeete für die Entscheidung über die erste Anlage bereits zu weit vorgeschritten sind; in einer früheren allerdings ziemlich rasch vorübergehenden Entwickelungszeit kann man eine erste doppel- seitige Anlage auch für die Reptilien feststellen. Die Auffindung der doppelten Herzanlage macht für Lacerta in sofern Schwierigkeit gegenüber den entsprechenden Entwicke- lungsvorgängen beim Säugetier und beim Vogel, als die Zeit, innerhalb welcher dieselbe möglich ist, sehr rasch vorübergeht. Man muss, um entsprechende Schnittserien zu gewinnen, Embry- onen auswählen, bei denen äusserlich von der Herzanlage noch so gut wie nichts wahrzunehmen ist. Ausserdem ist der be- treffende Vorgang nur an Schnittreihen zu beobachten; die Unter- suchung ganzer Embryonen, welche auch nicht versäumt wurde, hat uns ganz im Stich gelassen; wenn man bei diesen die Herzanlage äusserlich gut erkennt, ist die erste Entwickelung bereits vorüber. Über einige Entwickelungsvorgänge bei Reptilien-Embryonen. 193 Ich gebe in Folgendem zunächst die Beschreibung der ent- sprechenden Durchschnitte einer Querschnittserie, welche für die Feststellung der doppelten Anlage ausschlaggebend ist. Was die Formverhältnisse des unversehrten Embryo anlangt, so verweise ich in dieser Beziehung auf die von Strahl ®) im Archiv für Anatomie (Über Entwickelungsvorgänge am Vorder- ende des Embryo von Lacerta agilis 1884. p. 41) gegebene Ab- bildung (Taf. III, Fig. 3). Dieselbe lehrt, dass das vordere Körper- ende in mancher Beziehung bereits ziemlich weit in der Ent- wickelung vorgeschritten ist, das Centralnervenrohr ist ganz geschlossen, die Gesichtskopfbeuge in der Entwickelung begriffen, die primitiven Augenblasen eben in erster Anlage vorhanden, ein kurzes Ende des Vorderdarms ist fertiggestellt, dagegen am Eingange in denselben mit Loupenvergrösserung von der Herz- anlage kaum etwas zu erkennen. Das gesammte Kopfende ist in der Drehung auf die linke Seite begriffen, der Embryonal- körper umgeben von einem rundlichen Gefässhof, der deutliche Gefässanlagen erkennen lässt. Untersucht man von Querschnitten durch einen solchen Embryo diejenigen, welche dicht vor der vorderen Darmpforte liegen, so erkennt man, dass die Bildung des Herzens im Gange ist. Fig. 3 stellt einen derartigen Schnitt bei mittlerer Vergrösserung dar: unterhalb des Rückenmark- rohres liegt die ovale Chorda dorsalis, welche die Wand des ge- schlossenen Kopfdarmes nach unten etwas vortreibt, die Leibes- höhle ist noch offen, die Hautplatte biegt mit dem Eetoderm zur Bildung der Amnionfalte nach oben ab. Die Darmfaserplatte geht von der Spaltungsstelle des mittleren Keimblattes noch eine Strecke mit dem Entoblast des Kopfdarmes nach unten, er- reicht aber an der unteren Wand desselben die Mittellinie nicht, sondern es biegt die dieke Zellschicht, aus welcher die Darm- faserplatte besteht, beiderseits im Bogen nach unten ab, und erst in einiger Entfernung von dem Entoblast legen sich die beiden Falten mit ihren unteren Rändern aneinander und laufen Anatomische Hefte. 2. 13 194 vV. H. JUNGLÖW. zusammen nach unten weiter, um dann alsbald in die Fläche der Keimhäute abzubiegen. Der kleine rundliche Hohlraum, den die Falten der Darmfaserplatte jederseits begrenzen, stellt die erste Anlage des Herzschlauches dar, und es kann nach dem eben Beschriebenen nicht zweifelhaft sein, «dass diese eine doppelseitige ist. Es wird dies ausserdem bestätigt, zunächst einmal durch Verfolgung der Schnitte der Serie nach beiden Richtungen hin. Fig. 2 stellt den nächsten nach vorn folgenden Durchschnitt dar. Er unterscheidet sich von dem eben beschriebenen dadurch, dass an der linken Seite der Figur die Leibeshöhle bereits ge- schlossen ist, während sie auch hier nach der rechten Seite noch eeöffnet wäre. Es macht die Anlagerung der Hautplatte an das Mesocardium inferius zwar den weiteren Verlauf der Schichten unterhalb des Herzens undeutlich; jedoch findet man auch bei diesem Durchschnitt noch unzweifelhaft die Nahtstelle, an welcher die beiden Herzhälften sich zusammengelegt haben. Der nächste Schnitt nach vorn (Fig. 1) zeigt die hier ganz geschlossene, sehr schmale Leibeshöhle, und auch hier erkennt man aus dem kurzen Mesocardium inferius die Stelle, an wel- cher der Schluss der beiden Hälften zum Rohr stattgefunden hat. Auch hier geht aus der Lage des Mesocardium inferius allein hervor, dass der Herzschlauch aus zwei Abteilungen ent- standen ist, wenn man diese auch an dem Mesocardium selbst nicht mehr unterscheiden kann. Auch der auf den erstbeschriebenen nach hinten folgende Durchschnitt (Fig. 4) zeigt noch den doppelten Ursprung des Herzschlauches. Es würde bei diesem zu bemerken sein, dass eine, wenn auch geringe, so doch deutliche Ungleichheit in der Länge der beiden Falten vorhanden ist; die linke der Figur ist länger, als die rechte. Es hängt dieser Umstand damit zusam- men, dass bei der Drehung des Embryo die nach oben liegende Seite stärker wächst. als die untere. Es wird deshalb dieser Über einige Entwickelungsvorgänge bei Reptilien-Embryonen. 195 Unterschied bereits jetzt besonders erwähnt, weil hierauf das eigentümliche Verhalten des Herzschlauches in der späteren Zeit beruht, das so erhebliche Ueberwiegen der einen Seite, das zur Annahme einer einseitigen Bildung führen kann.!) Die Ungleichheit der Falten tritt auch weiter hinten im Bereiche des noch nicht geschlossenen Darmabschnittes hervor (vergl. Fig. 5). Auch hier ist die nach oben gelegene Falte deutlich länger, als die untere. Dass für die Verschiedenheiten in der Länge der beiden Herzanlagen die Drehung des Kopfendes auf die linke Seite die Veranlassung ist, ergiebt sich, wenn man Embryonen unter- sucht, bei denen zwar das Herz in der Entwickelung begriffen ist, die Drehung jedoch noch nicht eintrat. Es ist bekannt, dass die Drehung nicht immer ganz gleich- zeitigim Verhältnis zu der übrigen Entwickelung des Embryonal- körpers auftritt. Es können zwei Embryonen im Übrigen ganz gleichmässig entwickelt sein, und kann sich dann bei dem einen das Kopfende bereits ganz auf die linke Seite gedreht finden, während beim andern dasselbe gerade nach unten sieht. Ich habe einen Embryo der letzten Art, der bei beginnender Herzbildung noch ungedreht war, in eine Schnittreihe zerlegt und finde hier, dass nicht bloss die Herzfalten, sondern auch die hinter ihnen liegenden Kopfdarmränder gleichmässig lang er- scheinen. Umgekehrt liegt mir eine andere Serie vor, bei wel- cher von einer Herzbildung noch nichts wahrzunehmen ist, aber die Drehung auf die Seite bereits begonnen hat. Auch bei dieser findet sich die ungleiche Länge in den Seitenwandungen des !) Das Endothel des Herzrohres liegt bei den sämtlichen Durchschnitten innerhalb der Anlage für den Muskelschlauch als ein kleiner Klumpen oder ein Rohr von Zellen. Eine Fortsetzung desselben nach vorn oder nach hinten über den Bereich des Herzens hinaus habe ich bis jetzt nicht gefunden. Auch geben meine Präparate keinen Aufschluss über die Herkunft des Endothels. Sie sind für diesen Zweck zu weit in der Entwicklung vorgeschritten. Ich muss daher diese Frage unerledigt lassen. 13% 196 V. H. JUNGLÖW. sich schliessenden Darmrohrs, die obenliegende rechte Seite überwiegt die nach unten sehende linke, und die Öffnung des Kopfdarmes sieht gerade nach unten. In günstigen Fällen tritt auch bei älteren Entwickelungs- stadien die doppelte Anlage des Herzschlauches wenigstens in einigen Teilen des Herzens noch deutlich hervor. Bei einer Querschnittserie durch einen Embryo, bei welchem die Gesichtskopfbeuge vollendet ist, und die Allantois schon als kleine Blase am hinteren Körperende hervortritt, bei wel- chem das Herz also auch schon schlauchförmig ist und pulsiert, finde ich dies am vorderen Ende des Herzens besonders deutlich vor. Der Querschnitt lehrt, dass an dieser Stelle sowohl der Kopfdarm, wie auch die Leibeshöhle geschlossen sind; an die untere Wand des Kopfdarmes schliesst sich der Herzschlauch an; dieser besitzt an der fraglichen Stelle noch ein Mesocardium superius und inferius. Das erstere setzt sich in die Darmfaser- platte des- Kopfdarms fort; das letztere im die Hautplatte der Leibeswand, und nicht nur seine Lage etwa in der Mitte der unteren Wand des Herzschlauches zeigt an, dass an dieser Stelle in früherer Entwickelungszeit sich die beiden Herzhältten an einander gelegt haben; sondern man erkennt, wenn auch nur an ganz wenigen Schnitten der Serie noch deutlich die beiden Falten, aus denen sich der Herzschlauch aufbaut (Fig. 6). Es sind jedoch die Verhältnisse nicht immer so günstig, wie in dem vorliegenden Fall. Es wird die Beurteilung viel- fach dadurch erschwert, dass z. B. das Mesocardium inferius bereits in ausserordentlich früher Zeit schwinden kann; solche Serien sind zur Entscheidung der in Rede stehenden Frage nicht zu verwenden. In anderen Fällen erkennt man zwar noch die Verbindung des Herzschlauches mit der gegenüber- liegenden Wand der Leipeshöhle. Es ist aber das Mesocardium inferius dann ein einfacher Zellenstrang geworden, auf dessen doppelten Ursprung nichts mehr hinweist. Immerhin werden Über einige Entwickelungsvorgänge bei Reptilien-Embryonen. 197 solche Serien aber für meine Auffassung des Entwickelungsvor- ganges sprechen, da man ja nur an den Stellen ein Mesocardium inferius erwarten kann und findet, an denen sich die beiden unteren Ränder der zwei seitlichen Herzabteilungen aneinander gelegt haben. Liegt also diese Stelle in der Mitte der unteren Herzwand, so kann man daraus auf die annähernd gleiche Ausbildung der beiden Herzhälften schliessen. Andererseits wird sich die Schlussstelle, das Mesocardıum inferius, bei dem weiteren Schluss des Herzrohrs — also auch in den nach hinten gelegenen Herzabschnitten — um so mehr seitlich in der unteren Herzwand verschieben, je mehr die eine Falte die andere an Grösse übertrifft. In etwas weiter vorgeschrittener Entwicklungszeit ändert sich zugleich mit der zunehmenden Umlagerung des Embryonal- körpers auf die linke Seite auch das Bild, welches man von Querschnitten durch den Herzschlauch erhält. Es ist in der Mitte alsdann durchgängig ein Mesocardium inferius nicht mehr vorhanden; dagegen kann im vorderen Abschnitt des Herzens am Bulbus Aortae ein erhaltenes unteres Aufhängeband auch jetzt noch die Stelle anzeigen, an der der Schluss des Herz- schlauches eingetreten ist. Bei dem nach hinten fortwachsenden Herzabschnitt ändern sich nun aber die Verhältnisse insofern, als die beiden Herzhälften hier sehr ungleich werden. Es wird die von oben herkommende rechte Hälfte sehr erheblich viel erösser, als die linke, die im Wachstum entsprechend zurück- bleibt, und zwar wird dieser Unterschied, wie es scheint, desto erösser, je weiter der Embryo in der Entwickelung vorge- schritten ist. Es ist namentlich eine Stelle, welche in späterer Zeit auf den Durchschnitten Bilder liefert, welche durchaus mit der von ©. K, Hoffmann gegebenen Figur übereinstimmen. Es ist das die Eintrittsstelle der bei den Reptilien sehr grossen Vena vitellina anterior; es verläuft dieselbe, wie bekannt, an 198 V. H. JUNGLÖW. der linken Seite des Embryonalkörpers und unter diesem ent- lang, um am Rande der vorderen Darmpforte an das untere Ende des Herzens zu treten und sich dann in dasselbe fort- zusetzen. Trifft man nun auf dem Querschnitt die Eingangs- öffnung in den Kopfdarm, so findet man hier ganz seitlich eine Verbindung der Herzwand mit der Leibeswand und den Keimhäuten; und man erhält alsdann ein Bild, welches wohl zu der Annahme einer einseitigen Herzanlage führen könnte, wenn man die früheren Entwicklungsstadien nicht untersucht hat. IE. Vergleich junger Säugetier- und Reptilienembryonen. Die schon vor längerer Zeit fertiggestellte Arbeit enthielt ursprünglich einen Teil, welcher die Unterschiede junger Em- bryonen von Lacerta und Cuniculus behandelte. Es war für die Darstellung ausgewählt der. Unterschied, den bei gleicher Ur- wirbelzahl Embryonen der genannten Tiere in ihrer äusseren Form zeigen und dann besprochen, wie weit die Keimblätter eventuell die ersten Organanlagen von einander abweichen. Inzwischen ist ein grösseres Werk von Oppel erschienen (Vergleichung des Entwicklungsgrades der Organe zu verschie- denen Entwicklungszeiten bei Wirbeltieren. Jena 1891). Ich habe mit Rücksicht auf die sehr umfangreichen und eingehenden Zusammenstellungen von Oppel auf eine Wiedergabe meiner eigenen, in sehr viel kleinerem Massstabe gehaltenen, verzichtet und nur in der Übersicht über die Untersuchungsresultate den Satz 3, der sich auf den ausgefallenen Abschnitt bezog, stehen lassen. Über einige Entwiekelungsvorgänge bei Reptilien-Embryonen. 199 IER Die Kernteilungsfiguren am hinteren Ende des Medullarrohrs. Seit den Untersuchungen von Altmann !®) ist es bekannt, dass an gewissen Stellen des Embryonalkörpers die Zellteilungen reger vor sich gehen, als an anderen, insofern man an ersteren die Kernteilungsfiguren in grosser Häufigkeit findet, die letzteren fehlen. Es sind dies namentlich die freien Flächen der Keim- blätter und später die dem Lumen zugekehrten der röhrenför- migen Gebilde. Diese Mitteilungen von Altmann haben viel- fach Bestätigung gefunden, sind aber dann weiterhin durch die Untersuchungen Anderer ergänzt, indem Rauber und Merk nachwiesen, dass an einzelnen Stellen und bei einigen Tieren sich Abweichungen von der von Altmann aufgestellten Regel finden. So konnte Rauber für eine Anzahl von Amphibien zeigen, dass hier die Kernteilungsfiguren durch die ganze Wand des Centralnervenrohres hindurchgehen und Merk!) (auf dessen letzte Abhandlung ich auch in Betreff der einschlägigen Littera- tur, die dort genauer angeführt wird, verweise) wies für die Embryonen der Natter nach, dass bei dieser im Bereich des Kleinhirns das Gleiche der Fall ist. Später fand Carius'?) an der Leber von Säugetierembryonen, dass auch hier bereits in erster Anlage die Kernteilungsfiguren durch die ganze Dicke der ziemlich starken Epithelschieht hindurch gehen und Strahl und Martin ®) beobachteten an dem Parietalauge von Lacerta und Anguis Erscheinungen, welche darauf hindeuten, dass die Zellen während der Teilung eine Verschiebung von der Tiefe nach der Oberfläche durchmachen. Den gleichen Vorgang hat neuer- dings auch v. Kupffer *) für das Medullarrohr der Embry- onen von Petromyzon beschrieben und von Reinke ') wird das- selbe von den Epithelien der Lieberkühn’schen Drüsen des Dünn- darmes der Maus berichtet. Endlich wurde von Strahl gezeigt, dass bei Reptilienembryonen auch im Bereich des Hornblattes, 200 V. H. JUNGLÖW. —_ u — — ——— —— Zn — da. wo dasselbe in der Nähe des hinteren Körperendes mehr- schichtig ist, die Kernteilungsfiguren nicht an der freien Fläche zu liegen brauchen. Ich habe nun die von mir gefertigten Durchschnittsserien ebenfalls für Beobachtungen über das Verhalten der Kernteilungs- figuren verwendet. Es wurde hierbei vornehmlich das hintere Ende des Rückenmarkes und die Uebergangsstelle desselben in den sogenannten Medullarstrang genauer berücksichtigt. Bei den Embryonen, um die es sich hier handelt, welche also 6—10 Urwirbel besitzen, verhält sich das vordere Ende des Central- nervenrohrs so wie es Altmann beschrieben hat, d. h. es liegen die Kernteilungsfiguren so gut wie regelmässig um das Lumen des Rohres angeordnet, jedenfalls diejenigen der Figuren, welche die Kerne in den vorgeschrittenen Stadien der Teilung zeigen. Nun ist bekannt, dass das Rückenmark bei den Reptilien- embryonen nach hinten so wächst, dass es sich in seinen Wandungen aus dem nach hinten vom Canalis neurentericus gelegenen Medullarstrang heraus differenzirt, gleichzeitig ver- schiebt sich das Lumen mit dem zunehmenden Längenwachs- tum von vorn nach hinten in den Medullarstrang hinein. Unter- sucht man nun Querschnitte durch den Medullarstrang, so findet man hier die Kernteilungsfiguren unregelmässig durch den ganzen Strang verstreut und jedenfalls kein Überwiegen der- selben in der Mitte. Verfolgt man in den Schnittreihen die Schnitte in dem Medullarstrang nach vorn, so zeigen die Mitosen in denjenigen, welche im Bereich des Canalis neurentericus, also an der vorderen Grenze des Stranges liegen, sich nur teilweise um das Lumen des Kanales angeordnet, einzelne derselben liegen mehr in der Tiefe, und auch in den nächsten Schnitten nach vorn vom Canalis neurentericus, welche das geschlossene Rückenmarksrohr treffen, findet man noch einzelne Figuren in den tieferen Schichten des Rohrs. Neben diesen liegen stets andere, die sich an das Lumen anschliessen, und erst einige Über einige Entwiekelungsvorgänge bei Reptilien-Embryonen. 201 Schnitte weiter nach vorn tritt das bekannte Verhalten als regelmässiges auf. Die beste und einfachste Übersicht über die Lagerung der Kernteilungsfiguren an der fraglichen Stelle bekommt man an Durchschnitten durch Serien, welche ich parallel der Rücken- fläche des Embryo angefertigt habe. Man sieht bei diesen an einem einzigen Schnitt, wie in den vorderen Partieen des Rückenmarkes die Kernteilungsfiguren sich an das Lumen des Rohres anschliessen, wie nahe dem hinteren Ende sich solche auch weiter in der Tiefe finden, und wie sie um so regelloser werden, je weiter nach hinten in dem Medullarstrang sie liegen, Man beobachtet also, dass innerhalb des Medullarstranges die Mitosen unregelmässig in allen Teilen des Stranges liegen, dass unmittelbar vor dem Strang in dem Bereiche des Canalıs neurentericus dieselben sowohl an der freien Fläche als in der Tiefe sich finden, während eine Strecke weiter nach vorn die an der freien Fläche gelegenen fast ausschliesslich vorhanden sind. Nun weiss man, dass das Rückenmarkslumen, wie oben erwähnt, mit zunehmendem Längenwachstum sich in den Medullarstrang hineinverschiebt. Wir müssen also aus der mitgeteilten Beobachtung schliessen, dass hiermit eine Änderung in dem Verhalten der Zellen, welche sich teilen, stattfindet, in- sofern mit dem Einwachsen des Rückenmarkslumens in den Medullarstrang die Teilungen in der Tiefe allmählich aufhören, und nur noch solche an der Fläche stattfinden. Und da diese Umordnung — wenn man es so nennen darf — eine gewisse Zeit braucht, so findet man stets an dem zuletzt gebildeten Teil des Rückenmarkslumen um den Canalis neurentericus herum sowohl Teilungen an der freien Fläche als in der Tiefe. Es würde also die Erscheinung, dass die Kernteilungsfiguren auch im letzten Rückenmarksstück fast ausschliesslich an der freien Fläche liegen, in gewissem Sinne eine sekundäre genannt werden müssen. Möglicher Weise sind es in dem Medullarrohr der 202 V. H. JUNGLÖW. Reptilien vielfach nur die vorgeschrittenen Stadien der Teilung, welche an der Fläche liegen. Diese fallen immer durch ihre starke Färbbarkeit an den Präparaten auf. Die weniger augen- fälligen frühen Stadien findet man nicht selten auch etwas tiefer, so dass sich der Gedanke aufdrängt, als fände auch hier noch eine Verschiebung an die freie Fläche während der Teilung statt. Zusammenstellung der Untersuchungsergebnisse. 1. Die Herzanlage der Eidechse ist eine doppelseitige. 2. Im Längenwachstum des Herzens treten dann Unterschiede in den beiden Teilen insofern auf, als mit der Drehung des Kopfendes auf die linke Seite ein Ueberwiegen der rechten Falte an Grösse einhergeht. 3. Ein Vergleich junger Entwickelungsstadien von Säuger- und Reptilien-Embryonen lehrt, dass in vieler Beziehung bei den teptilien die Grenzblätter, namentlich das Eetoderm, rascher vorschreiten, als das mittlere Blatt; während bei den Säugern umgekehrt das mittlere Blatt in der Entwickelung relativ weit voraus ist, die Grenzblätter mehr zurückbleiben. 4. Das Vorwiegen der Mitosen an der freien inneren Fläche des Rückenmarkrohres kann man für das hintere Ende des Rückenmarkes bei Reptilien-Embryonen als eine Sekundär- erscheinung bezeichnen. [Ss m Litteratur- Verzeichnis. . Hensen. Beobachtungen über die Befruchtung und Entwickelung des Kaninchens und Meerschweinchens. Zeitschrift für Anat. und Entwickelungs- gesch. Bd. I. 1876.. H. Strahlund Carius. Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Herzens und der Körperhöhlen. Arch. f. Anat. u. Entwickelungsgesch. Jahrg. 1889: Bonnet. Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft. Würzburg 1888. His. Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbeltierleibes. 1868. Gasser. Ueber die Entstehung des Herzens bei Vogelembryonen. Archiv für mikr. Anat. Bd. XIV. . Kölliker. Entwickelungsgeschichte der Menschen und der höheren Tiere. C. K. Hoffmann. Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Reptilien. Zeitschrift f. wiss. Zoologie. Bd. XL, vergl. auch Bronn. Klassen und Ordnungen des Tierreichs. Strahl. Ueber Entwickelungsvorgänge am Vorderende des Embryo von Lacerta agilis. Archiv für Anat. und Physiol. Jahrg. 1884. Anat. Abth. H. Strahl. Ueber Entwickelungsvorgänge am Kopf und Schwanz von Reptilien und Säugetierembryonen. Zool. Anz. 1884. Nr. 171. Altmann. Ueber embryonales Wachstum. Leipzig 1881. Merk. Die Mitosen im Centralnervensystem Wien 1887. Denkschrift der Akademie. . F. Carius. Ueber die Ausbildung des hinteren Körperendes bei Cavıa. Marburg. Sitz. Ber. 1888. Nr. 2. H. Strahl und Martin. Die Entwickelung des Parietalauges bei Anguis fragilis und Lacerta vivipara. Arch. für Anat. und Phys. 1888. Anat. Abth. . Kupffer. Die Entwickelung von Petromyzon Planeri. Archiv für mikr. Anat. Bd. XXXV. 1890. . Reinke. Untersuchungen über das Verhältnis der von Arnold beschrie- benen Kernformen zur Mitose und Amitose. Diss. Kiel 1891. Figur 1—5, Figur 1 Figur 2—4, Figur 5, Figur 6, Figurenerklärung. Querschnitte durch das vordere Ende eines Embryo von Lacerta agilis mit etwa 6 Urwirbeln, um die doppelseitige Anlage des Herzens zu zeigen: am weitesten nach vorn durch die bereits geschlossene Leibeshöhle, durch das im Schluss begriffene Herz, dessen beide Herzplatten kenntlich sind, durch den offenen Kopfdarm dicht hinter dem Herzen. Vergr. Leitz Oc. 1. Obj. 5. Querschnitt durch das vorderste Ende des Herzens eines etwas älteren Embryo, das ebenfalls noch die doppelseitige Anlage er- kennen lässt. TE CENTRALSPINDEL-KORPERCHEN KARYOKINETISCHER ZELLTEILUNG. VORLÄUFIGE MITTEILUNG VON DR. K. v. KOSTANECKI, PROSEKTOR AM ANATOMISCHEN INSTITUT IN GIESSEN. Aus dem anatomischen Institut in Giessen. Mit 4 Abbildungen im Text. A B& Säugetierembryonen (Kaninchen, Hund) von verschie- dener Grösse fand ich nach Anwendung verschiedener Färbungsverfahren, die im Stande sind, Protoplasma- strukturen zu verdeutlichen, innerhalb der „Centralspin- del“ folgende eigentümliche Vorgänge: In der Diasterphase, zu einer Zeit, wo das Protoplasma der in Teilung begriffenen Zelle noch keine Spur einer äquatorialen Üinschnürung zeigt, erscheinen im Bereiche der Central- spindel, die im Äquator ihre grösste Breite hat und nach den beiden Chro- matinfiguren zu sich ein wenig verjüngt, kleine rundliche Körperchen (Fig. 1) — ich nenne sie einstweilen „Central- spindel-Körperchen“. Sie liegen in den beiden heteropolen Zellhälften auf der Strecke zwischen dem Tochterkranze der Chromosomen und dem Aquator. In den meisten Fällen waren es jeder- Fig. 1. seits vier kleine, an Grösse nicht immer gleiche, von der Um- gebung sich durch ihren tiefen Farbenton scharf abhebende Körner, um die herum vielfach ein kleiner heller Hof zu be- 208 VI. K. v. KOSTANECKI. stehen schien. Ihre Entfernung zwischen der Chromatinfigur und dem Äquator betreffend, ist zu bemerken, dass sie für die Körperchen einer und derselben Seite verschieden ist, bei- nahe niemals liegen dieselben in einer einzigen dem AÄquator parallelen Ebene; dagegen zeigte es sich bei näherer Prüfung bald, dass je zwei heteropole, in der meridionalen Reihen- folge aber beliebige Körperchen bezüglich dieser Entfernung unter einander übereinstimmten, wodurch bisweilen ganz regel- mässige Figuren durch dieselben gebildet wurden. Hieran schliessen sich Figuren an, wo die Körperchen von beiden Polseiten her bis zum Äquator vorgerückt sind (Fig. 2). Hier legen sie sich dicht aneinander, so dass sie sich teilweise berühren, vielleicht auch mit einander verschmelzen. Während sie zunächst noch verschieden volummös sind, gleicht sich ihre (Grösse bald aus und sie bilden eine im Bereich der Central- spindel im Äquator liegende Reihe von kleinen, dunklen, dicht aneinander liegenden Körperchen (Fig. 3). Sie bieten also eine Fig. 2. Fig. 3. entschiedene Ähnlichkeit mit dem innerhalb der Verbindungs- fasern auftretenden Teile der Zellplatte bei Pflanzen. Die Chroma- tinfigur ist jetzt im Übergang zum Dispiremstadium — der Zellleib fängt eben an sich einzuschnüren. Die Centralspindel verhält sich ebenso, wie im vorhergehenden Stadium, das heisst: man kann an ihr eine längliche aber leicht wellige Streifung Über Centralspindel-Körperchen bei karyokinetischer Zellteilung. 209 beobachten, doch färben sich ihre Fäden nicht im Entfernten so lebhaft, wie die schnurgerade verlaufenden Fibrillen der beiden Halbspindeln. Mit vorschreitender Zellleibseinschnürung fangen nun die „Centralspindel-Körperchen“ an auseinanderzurücken — die peripher liegenden zunächst — um sich wiederum polarwärts zu begeben. Während bei dem Vorrücken eine bestimmte Gesetz- mässigkeit für je zwei heteropole Körperchen obzuwalten schien, scheint das Auseinanderweichen derselben willkürlicher vorzu- gehen. Die Verbindungsfäden, d. h. die Centralspindel wird kleiner, es bleibt aber in der Mitte, in der Verbindungsbrücke zwischen den beiden Tochterzellen längere Zeit noch ein Teil derselben bestehen und innerhalb dieses Teils im Äquator die kleinen dunklen Körperchen. Diese können verschieden ange- ordnet sein. Bisweilen sah ich zwei ziemlich grosse Körper bis zur Berührung dicht an einander liegen, von denen jeder je einer Tochterzelle angehörte und von dem aus nach dem Tochterkerne feine Fibrillen ausliefen; bisweilen lagen in der Verbind- ungsbrücke beiderseits je zwei Körperchen (Fig. 4). Andere Körperchen waren noch in der Regel auf der Strecke zwischen je einem Tochterkerne und der Trennungs- tläche der Tochterzellen wahrzunehmen. Mit der völligen Durchschnürung der Zellen wer- den auch diese Körperchen von einander geschieden. Bei völlig getrennten, aber noch unmittelbar bei einander liegenden Tochter- zellen sieht man in der Nähe des Kerns (im späten Dispirem- stadium) noch einzelne von den Körperchen. Ihre weiteren Schicksale lassen sich wegen der Chromosomen schwer verfolgen. Innerhalb der beschriebenen Vorgänge bilden die Körper- chen viele Varietäten, sowohl bezüglich der Grösse als auch der Anatomische Hefte. 2. 14 210 VI. K. v. KOSTANECKI. Zahl. Meist fand ich jederseits vier, bisweilen aber auch nur drei, öfters fünf oder sogar sechs; ausser diesen grösseren Kör- perchen pflegen auch noch kleinere Granulationen innerhalb der Centralspindel vorzukommen. Die beschriebenen „Centralspindel-Körperchen‘“ wurden regel- mässig in sämtlichen Zellen im Diaster- und Dispirem- stadium gefunden bis zur völligen Durchschnürung des Zellleibs. Diese Thatsache und auch die, nur im einzelnen herrschende Variabilität, im Allgemeinbilde dagegen sich deut- lich dokumentierende Regelmässigkeit der Befunde lassen die Möglichkeit eines Kunstproduktes auf jeden Fall ausschliessen und veranlassen uns, das Auftreten der kleinen „Cent 'alspindel- Körperchen“ als eine regelmässige Erscheinung der späteren Phasen der karyokinetischen Teilung hinzustellen. Da dieselben ferner bei allen embryonalen Säugetier-Zellen, die ich bisher - daraufhin untersucht habe (Epithelzellen des Darms, der Niere, der Leber, glatte Muskelfasern, Bindegewebszellen, Leukoblasten und Erythroblasten und selbst Riesenzellen der embryonalen Leber), gefunden wurden, so kann ich behaupten, dass dieselben für Zellen von Säugetierembryonen konstant sind; und ich werde wohl nicht fehl gehen, wenn ich vermute, dass sich in Teilung begriffene Zellen erwachsener Säugetiere und sodann auch anderer Wirbeltiere hieran anschliessen werden. x Die Frage, ob meine „Centralspindel-Körperchen“ identisch sind mit den von Flemming!) als „Zwischenkörperchen“ bei (Gewebszellen der Salamanderlarve beschriebenen Gebilden, die von Solger2) beim Amnion der Ratte, von Geberg?) in der 1) Flemming: Ein mutmassliches Aequivalent der Zellplatte bei Verte- braten, in Neue Beiträge zur Kenntnis der Zelle. II. Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. XXXVII p. 690. 1891. 2) Solger: Zur Kenntnis der „Zwischenkörper“ sich teilender Zellen. Anatom. Anzeiger VI. 1891, Nr. 17 p. 482. 3) Geberg: Zur Kenntnis des Flemmingschen Zwischenkörperchens. Anatom. Anzeiger VI, 1891, Nr. 22, p. 623. Über Centralspindel-Körperchen bei karyokinetischer Zellteilung. 211 Hornhaut von Triton gesehen wurden, glaube ich bejahend be- antworten zu müssen. Ebenso lassen sich meine Befunde den bei Wirbellosen von van Beneden, R. Hertwig und Carnov gemachten Beobachtungen (namentlich den „plaques fusoriales“ von Carnoy) wohl anreihen. Auch die Homologie mit der bei Pflanzen auftretenden Zellplatte scheint mir hierdurch in höh- erem Grade wahrscheinlich geworden zu sein. Zunächst drängt sich nun die Frage nach der Herkunft die- ser Körperchen auf. Es unterliegt wegen ihrer tinctoriellen Eigen- schaften keinem Zweifel, dass sie aus dem Zellprotoplasma stanı- men. Und zwar scheint es mir nicht nur, dass dieselben aus dem um den Pol gelagerten Plasma (Archoplasma) kommen, sondern auch in demselben von Beginn der Mitose an vorgebildet sind und so später in den Bereich der Spindel gelangen. Wenigstens salı ich im Muttersternstadium, ja sogar schon in früheren Sta- dien, zu beiden Seiten der chromatischen Figur im Protoplasma kleine Körperchen, die ihrem ganzen Aussehen nach nur die späteren „Centralspindel-Körperchen‘“ sein konnten. Die Wanderung, welche die Körperchen durchmachen, scheint mir, namentlich mit Hinsicht auf die grosse Regelmäs- siekeit beim Vorrücken derselben, durch besondere Kräfte ver- anlasst zu sein, die ich im Bereiche der Centralspindel zu su- chen geneigt bin. Was die Bedeutung dieser Körperchen anbetrifft, so glaube ich, dass ihr Auftreten in engster Beziehung steht zu der aequa- torialen Halbierung der Centralspindel, deren Fäden nicht erst durch die Einschnürung des Zellleibs einfach durchschnitten würden, sondern eine nähere Beziehung mit diesen, eigens dazu bestimmten Protoplasmaklümpchen eingingen und dadurch ihre Continuität von Pol zu Pol verlören. Mit den Centralspindel- körperchen rücken dann höchst wahrschemlich die Central- spindelfäden nach dem Polfeld zurück ; und damit ist Vorsorge getroffen, dass sich die Fibrillen der Centralspindel nicht be- 212 VI. K. v. KOSTANECKI. liebige im Protoplasma verlieren, sondern zu dem am Polfeld sich ansammelnden Archoplasma, aus dem sie unzweifelhaft entstammen, zurückkehren. Dafür glaube ich auch in meinen Präparaten genauere positive Beweise zu sehen. Ich bin mir wohl bewusst, dass erst eine eingehende Unter- suchung es ermöglichen wird, auf einer umfangreichen Grund- lage von Thatsachen eine allseitig genügende Erklärung für diese Vorgänge zu liefern, und dass namentlich an günstigeren Objekten der Vorgang genauer zu prüfen sein wird; — denn die Säugetiere mit ihren kleinen Zellen sind stets für feinere karyokinetische Vorgänge ein undankbares Objekt, wenn sie auch im vorliegenden Falle möglicherweise wegen der besonderen Deut- lichkeit der Einzelphasen des Vorgangs cher, als andere Wirbel- ‚tiere im Stande sind, uns ein verständliches Bild zu liefern. Ich setze die Untersuchung in jeder Richtung fort und hoffe, in einiger Zeit Näheres darüber mitteilen zu können. Diese „vorläufige Mitteilung“ mag in dem vielseitigen Interesse, das man seit Flemmings letzter Publikation den Zwischenkörper- chen widmet, ihre Entschuldigung finden. Untersucht wurde mit Seibert Apochrom. homog. Immers. 2 mm., 1,30, Ocular 4, 6,8. Die Figuren sind ım Wesentlichen genau nach den Präparaten gezeichnet, und nur die Nebensachen der grösseren Deutlichkeit wegen schematisiert. (hessen, 22. December 1891. FESTSCHRIFT ZUM FÜNFZIGJÄHRIGEN MEDIZINISCHEN DOKTORJUBILÄUM DES HERRN GEHEIMRAT A. VON KÖLLIKER. NM. JACOBSONSCHES ORGAN UND PAPILLA PALATINA BEIM MENSCHEN. FR. MERKEL IN GOTTINGEN. Aus dem anatomischen Institut zu Göttingen, Mit 7 Figuren im Text. Anatomische Hefte. 3. 15 Die intensive Arbeit des Anatomen schreckt nicht vor De- tails zurück, welchen die extensive Naturbetrachtung des Zoo- logen nur wenig Aufmerksamkeit zuwendet. Sie studiert die geringsten Teile des menschlichen Körpers mit gleicher Sorg- falt, wie die wichtigsten und fühlt die Verpflichtung, wie das Ganze, ebenso auch die Teile nach ihrem Werden, Sein und Vergehen vollkommen zum Verständnis zu bringen. Diese Ar- beitsrichtung der Anatomie ist Entschuldigung genug, wenn ich mir erlaube, dem Jubilar, welchem diese Zeilen gratulieren sollen, zwei kleine Beobachtungen vorzulegen. Er selbst schrieb zum 40jährigen Professorenjubiläum Rinecker’s am 31. März 1877 eine Abhandlung über ein ganz ähnliches Thema (Über die ‚Jacobson’'schen Organe des Menschen), worin er die Entwickelung der Organe behandelt und Bemerkungen über die Ductus naso- palatini hinzufügt. Ich darf hoffen, dass es dem Verfasser der damaligen Gratulationsschrift angenehm sein wird, wenn eine Gratulationsschrift, die ihm selbst gewidmet ist, an seine Beob- achtungen anknüpft. I. Bemerkungen über das Jacobson’sche Organ beim erwachsenen Menschen. Nach Kölliker (l. e.) behandelte Fleischer!) die Entwickel- ung des Organes und fand, dass dasselbe ebenso entsteht, wie beim !) Sitzber. d. phys. med. Societ. Erlangen 12. Nov. 1877. 15* 216 VII. FR. MERKEL. — — Schwein, und sich von ihm nur dadurch unterscheidet, dass es nicht an der Nasenscheidewand herabrückt, sondern höher oben stehen bleibt. Im Jahre 1883 ergreift in der Angelegenheit Kölliker') selbst noch einmal das Wort, indem er das Jacobson’sche Organ bei einem achtwöchentlichen Embryo beschreibt und mit seinen Nerven abbildet. His?) stellt sodann die erste Entstehung des Organes beim Menschen dar, ohne kritische Bemerkungen anzuknüpfen, oder in Details einzugehen. In einer kleinen Mitteilung wird nun von Gegenbaur°) die Bedeutung des in Rede stehenden Gebildes als Jacobson’sches Organ ganz geleugnet und dasselbe für das Rudiment einer Drüse des Nasenseptums erklärt. Er stützt sich dabei auf die vergleichend-anatomische Thatsache, dass bei Prosimiern (Stenops) eine ansehnliche acinöse Drüse der Nasenscheidewand vorhanden ist, „deren Ausführungsgang ziemlich an der Stelle [gelegen ist], die beim Menschen (auch bei manchen anderen Säugetieren) jenes schlauchartige Gebilde trägt“. Als weiterer Grund für seine Ansicht wird von Gegenbaur angeführt, dass ‚beim Menschen das Organ nicht mit dem Ja- cobson’schen Knorpel verbunden ist, welcher sonst das Jacob- son’sche Organ überall umgiebt. Auch die Art der Entwickel- ung des Ganges an der menschlichen Nasenscheidewand steht nach Gegenbaur’s Ansicht deshalb seiner Deutung nicht im Wege, weil durch Kangro (1884) nachgewiesen ist, dass die Stenson’sche Drüse sich gleichfalls als Hohlschlauch anlegt und nicht so, wie Drüsen sonst zu entstehen pflegen. 1) Kölliker, Zur Entwickelung des Auges und Geruchsorganes menschl. Embryonen. Gratulationsschrift für Zürich. Würzburg 1883. 2) His, Anatomie menschlicher Embryonen. III. Leipzig 1885. S. 46. 3) Gegenbaur. Über das Rudiment einer septalen Nasendrüse beim Menschen. Morphologisches Jahrbuch. Bd. 11. 1886. 3. 486. Jacobson’sches Organ und Papilla Palatina beim Menschen. 217 Herzfeld!) zeigt, dass der Knorpel kein wesentlicher und typischer Teil des Jacobson’schen Organes ist, auch im Übrigen scheinen diesem Untersucher die vorliegenden Beobachtungen nur geringe Anhaltspunkte dafür zu gewähren, dass das Organ, welches er mit dem Namen „Ruysch’scher Gang“ belegt, als Überbleibsel einer Drüse gedeutet werden könne. ?) Wenn man nun auch längst weiss, dass das Organ im menschlichen Körper keine Rolle spielt, so ist es doch von Interesse, zu sehen, was von der ursprünglichen Anlage übrig bleibt und ob das Gefundene in einem gewissen Zusammenhang mit den ausgebildeten Organen, wie man sie bei Tieren findet, gebracht werden kann. Zum Studium der Frage standen mir zwei in Müller'scher Lösung konservierte, sehr wohl erhaltene Jacobson’'sche Organe von erwachsenen Männern neben einigen von neugeborenen Kindern zu Gebote. Dieselben wurden in Celloidin eingebettet und in frontale Serienschnitte zerlegt. Beide sind einander im wesentlichen so gleichartig, dass man an der normalen Beschaffenheit nicht zweifeln kann. Ehe sie sich zum Kanal schliessen, beginnen sie mit einer Rinne, welche mit dem unveränderten Epithel der Nasenscheide- wand ausgekleidet ist. Sobald aber der Durchschnitt allseitig geschlossen ist, ändert sich das Epithel in der Art, dass die Zellen schlanker werden und dass die Becherzellen sofort ver- schwinden. Da auf der freien Schleimhautfläche die Becherzellen so zahlreich sind, dass man Mühe hat, eine unveränderte Cy- linderzelle zu finden, so fällt der Unterschied sehr in die Augen. In Bezug auf die Drüsen lassen sich Besonderheiten nicht er- 1) Herzfeld, Über das Jacobson’sche Organ des Menschen und der Säugetiere. Zoolog. Jahrbücher. Abt. für Anat. und Ontogen. Bd. III. 1888. 2) Die Abhandlung von J. Beard (Zool. Jahrbücher, Abt. für Anat. III. 1889 S. 753) gehört nicht hierher, da sie das Organ des Menschen nicht behandelt. — Auch Ganin’s Arbeit (Zool. Anzeiger Nr. 336, 2. Juni 1890) kann nicht herangezogen werden, sie handelt vom Jacobson’schen Organ der Vögel. 218 VII. FR. MERKEL. kennen. sie münden in grösserer Zahl und von allen Seiten her in den Gang. Das Lumen desselben ist parallel der Schleim- hautoberfläche plattgedrückt. Nach verschieden langem Verlauf verengert sich der Gang beträchtlich , das Epithel verliert an Höhe und man muss schon zu etwas stärkeren Vergrösserungen greifen, wenn man den unscheinbaren Querschnitt in der Menge der acinösen Drüsen, welche die Schleimhaut durchsetzen, nicht übersehen will. Das Epithel erscheint sowohl im Anfangsstück, 19 73 708 RI Fig. 1. Umrisse von Querschnitten eines Jacobson’schen Organes vom Erwachsenen. Mit der Camera lucida gezeichnet. Die Zahlen bezeichnen die Nummer der Serien- schnitte, welehe vom Eingang des Kanales aus beginnen. Vergr. 60. wie auch im verengerten Teil ringsum gleichmässig und in- different. Die Verengerung stellt einen Isthmus dar, denn bald erweitert sich der Gang wieder zu einem plattgedrückten Kanal, welcher nun so ansehnlich wird, dass er ganz gut mit blossem Auge gesehen werden kann (Fig. 1). Jetzt erst hat der eigentlich specifische Teil des Organes begonnen. Es fällt sofort auf, dass sich nun das Epithel an der lateralen Seite des Querschnittes A Me ee Jacobson’sches Organ und Papilla Palatina beim Menschen. 219 ganz anders verhält, als an der medialen. An letzterer ist die ganze Schichte sehr hoch, die einzelnen Zellen sind schlank, an ersterer ist die Schichte nieder und die einzelnen Zellen erscheinen breiter und gedrungener (Fig. 2). Nicht immer freilich liegt die Grenze der beiden Epithelarten genau an der Umbiegungsstelle der beiden Kanalwände ineinander, zuweilen ist sie ein wenig nach der einen oder anderen Seite hin verschoben. HERE ER In Wh, en DREH SEHR Act Hi a sad — Be Pe An WER EL ea u - EEEENIENEN ” ae, ee ratr? Iren: Fig. 2. Querschnitt des Jacobson’schen ÖOrganes vom Erwachsenen. In dem der Nasen- scheidewand zugekehrten schlanken Epithel liegt ein Kalkkonkrement. (*) Vergr. 100. Acinöse Drüsen, wie sie durch die ganze Nasenschleimhaut hin vorkommen, münden nach wie vor, ungemein zahlreich in den Gang, doch haben sie sich auf die Stellen zurückgezogen, wo oben und unten die mediale und die laterale Wand inein- ander übergehen. Ihre Mündungen greifen wohl zuweilen etwas nach der einen oder anderen Seite über, doch ist es selten, dass einmal eine kleine Drüse von der Mitte der dem Knorpel des Septum zugekehrten Wand des Ganges abgeht. Herzfeld (l. e.) beschreibt den Jacobson’'schen Gang der Ratte, den er als typisch ansieht, folgendermassen: „Das Schleim- hautrohr gleicht einem seitlich plattgedrückten Schlauche, hat daher ein spaltförmiges Lumen, welches in einer sagittalen Ebene liegt. An der oberen und unteren Umbiegungsstelle der medialen Wand des Spaltes in die laterale münden in ihn die Ausführungsgänge der Drüsen des Jacobson’'schen Organes. 220 VII. FR. MERKEL. Nach dem vorderen und hinteren Ende nimmt die Höhe des Spaltes allmählich ab.“ Man sieht, dass diese Beschreibung Wort für Wort auch auf das Jacobson’'sche Organ des Menschen passt. Eine genauere Besichtigung des Epithels zeigt, dass das niedere der lateralen Wand zweifellos dem Epithel der respira- torischen Abteilung der Nase identisch ist. Die Zellen, welche die Oberfläche erreichen, zeigen alle den scharf hervortretenden Cutieularsaum, wie man ihn an den Flimmerzellen der Luft- wege zu sehen gewöhnt ist, auch der F limmerbesatz selbst fehlt an vielen Zellen nicht. Ob er bei den übrigen, nicht mit einem solchen versehenen, überhaupt nicht vorhanden war oder abgefallen ist, vermag ich nicht zu entscheiden, doch vermuthe ich das letztere, da man ja Organe von Menschen, welche eines natür- lichen Todes gestorben sind, niemals ganz frisch erhält und so- mit sehr wohl an postmortale Veränderungen denken kann. Das hohe Epithel der medialen Seite des Ganges gleicht sehr dem Epithel der Regio olfactoria mit seinen schlanken und langen Zellen. Zerzupft man aber, dann vermisst man doch die so charakteristischen fadenförmigen Sinneszellen gänzlich. Die Schichte besteht aus den Stützzellen, wie sie dort zu finden sind und zwischen ihnen stehen kürzere spindelförmige Elemente, welche die freie Oberfläche nicht erreichen. Man erhält den Eindruck, als seien dies die Riechzellen, welche nicht recht zu voller Entwickelung gelangt sind. Cilien konnte ich nirgends entdecken, wohl aber war die Oberfläche der Epithelzellen, an welchen auch die scharf begrenzte Cuticula vermisst wurde, mit den Eiweisskugeln besetzt, wie man sie auch an einer nicht ganz gut erhaltenen Regio olfactoria findet. Dass man es mit einem unthätigen Organ zu thun hat, beweisen zahlreiche Kalk- konkremente von maulbeerartiger oder rundlicher Gestalt, welche durch die ganze epitheliale Auskleidung des Ganges zerstreut sind (Fig. 2 *). Jacobson’sches Organ und Papilla Palatina beim Menschen. 221 Was die Drüsen anlangt, so finde ich sie acinös und ebenso gebaut, wie die der benachbarten Nasenschleimhaut. Wie dort sieht man sie bald mit solchen Zellen versehen, welche sich in Hämatoxylin ganz besonders dunkel färben, bald mit solchen, welche heller bleiben. Nerven sah ich nicht an das Organ herantreten. Wenn solche vorhanden gewesen wären, dürften sie mir wohl kaum entgangen sein, obgleich ja eine Konservierung in Müller'scher Flüssigkeit für deren Beobachtung nicht am günstigsten ist. Man wird aus dem Gesagten entnehmen, dass das Jacob- son’sche Organ des erwachsenen Menschen trotz seiner Funktions- losigkeit, doch seine Struktur keineswegs völlig aufgegeben hat. Vergleicht man mit der vorstehenden Beschreibung, das was Herzfeld weiter über das Jacobson’sche Organ der Ratte sagt: „Das Epithel der lateralen Wand gleicht dem der Regio respi- ratoria, das der medialen Wand, welches fast viermal so dick ist, dem der Regio olfactoria der Nasenhöhle“ — dann wird man auch hierin eine fast vollständige Übereinstimmung finden. Ganz ähnlich wie er äussert sich Klein!) über das Epithel im Jacobson'schen Organ des Meerschweinchens. Er beschreibt auch das Sinnesepithel der medialen Wand; es ist dem Riech- epithel ganz ähnlich. Er stimmt darin ganz überein mit der Darstellung von Balogh?), dessen Abbildungen nur aus dem Grunde nicht genau sind, weil es vor 30 Jahren noch an einer genügenden Methode der Konservierung mangelte. Angesichts der vorhandenen Angaben kann man wohl die oben erwähnten Einwürfe Gegenbaur's gegen die Deutung des in Rede stehenden Ganges als Jacobson’sches Organ als völlig widerlegt erachten und es ist mir fraglich, ob er sie überhaupt 1) A contribution to the minute anatomy of the organ of Jacobson. St. Bartholomew’s Hospital Reports. Vol. XVI. 1881. 2) C. Balogh, Das Jacobson’sche Organ des Schafes. Wiener Sitzber. XLI. Bd. 3. Nov. 1860, DD DD ID VII. FR. MERKEL. erhoben hätte, wenn er die beiden Arbeiten gekannt hätte, welche zwischen Kölliker’s Rinecker-Festschrift und seiner eigenen Notiz erschienen sind. Schon Fleischer’s Mitteilung über die Ähnlichkeit in der Entwickelung bei Schwein und Mensch fällt sehr in’s Gewicht, durch Kölliker'’s zweite Arbeit (Zürich-Fest- schrift) selbst aber ist die Frage erledigt. Seine Fig. 16 zeigt, dass bei menschlichen Embryonen ein starker Olfactoriuszweig ganz ebenso an den Gang herantritt, wie dies bei anderen Säugern geschieht. Die vorstehenden Zeilen erweisen, dass auch beim erwach- senen Menschen der Gang den Bau des Jacobson'schen Organes zeigt, wenn man von den Abweichungen absieht, welche durch seine Functionslosigkeit hervorgerufen werden. Wie bekannt findet man das Jacobson’'sche Organ keines- wegs bei allen Erwachsenen und es ist wohl die Ansicht ausge- sprochen worden, dass die vielen Katarrhe, welchen die Nasen- schleimhaut ausgesetzt ist, die Veranlassung zu einer Verödung des kleinen Organes gäbe. Ich untersuchte desshalb die frag- liche Gegend bei einer Anzahl von älteren Embryonen und Neu- geborenen auf Serienschnitten. Bei einem 6 monatlichen Fötus fand ich keine Spur des Ganges, er war also schon zu dieser Zeit geschwunden. Bei einem Neugeborenen war der Gang auf der einen Seite wohl entwickelt, er fand sich auf 234 Schnitten der durchgelegten Serie, ohne schon ganz zu Ende zu sein, auf der anderen erstreckte er sich nur über 48 Schnitte und war daselbst auch auf ein enges Kanälchen mit faltiger Schleim- hautoberfläche reduziert, welches aussah, als sei es im Ver- schwinden begriffen. Interessant war es, dass sich das aller- letzte Ende dieses Ganges in zwei nebeneinander liegende Ka- nälchen teilte. Jacobson’sches Organ und Papilla Palatina beim Menschen. 223 II. Die Papilla palatina des Menschen. Zwischen den beiden mittleren Schneidezähnen des Ober- kiefers beginnt die Papilla palatina (P. incisiva), welche sich als ein kleiner Wulst in der Mittellinie etwa einen Centimeter weit am harten Gaumen nach hinten erstreckt. Zu beiden Seiten von ihr sieht man meist je eine spaltförmige oder rundliche Tasche, den Zugang zum Ductus nasopalatinus. Über diesen letzteren den vorhandenen Mitteilungen noch weiteres zufügen zu wollen, wäre unnütz und es darf auf die Arbeit von Leboucegq !) verwiesen werden, wo man neben einer genauen eigenen Unter- suchung auch eine sorgfältige Zusammenstellung der einschläg- igen Litteratur finden wird. Wohl aber bedarf die sie trennende Papilla palatina noch einer Betrachtung, da das so unscheinbare Organ eben seiner Geringfügigkeit wegen die Aufmerksamkeit der Untersucher nur wenig auf sich gezogen hat. Die Bekanntschaft mit ihr ist allerdings schon sehr alt, denn bereits Stenson?), der erste eingehendere Beobachter der Ductus incisivi, sagt bei deren Beschreibung: „Si palati coelum inspexeris ad anteriorem dentium radicem tuberculum emergere videbis“. Bei dieser Erwähnung des Tuberculum bleibt es aber fast überall bis in die neueste Zeit, und es ist üblich, seine Be- schreibung an die der Raphe des Gaumens anzuschliessen. Fast in allen Hand- und Lehrbüchern heisst es, dass die Raphe vorne in einer Hervorragung endige, auf welcher der Stenson’sche Gang sich öffne. Nur wenige Beschreiber geben eine etwas weitergehende Schilderung. Über die Form der Pap. palatina spricht sich Henle°) am ausführlichsten aus; er sagt: Die Querwülste des Gaumens „sind 1) Arch. de biologie, Gand. T. II. 1881. S. 386. 2) N. Stenonis obs. anat. de glandulis ocul. etc. Appendix — Clericus et Mangetus Biblioth. anatom. Ed. II. Tom. II. Genev. 1699. S. 791. 3) Eingeweidelehre. 2. Aufl. 1873. S. 85. 224 VI. FR. MERKEL. in der Mitte unterbrochen durch eimen flachen Hügel von birn- förmiger Gestalt, welcher schmal zwischen den mittelsten Schneide- zähnen beginnt und sich alsbald hinter denselben kreisförmig ausbreitet.‘ Über die Oberfläche der Papilla äussert sich Sappey!) folgendermassen: „Vue A la loupe, cette saillie est recouverte de saillies plus petites qui l’ont fait comparer par Albinus aux papilles caliciformes de la langue. Par sa partie superieure ou adherente, elle se prolonge dans le conduit palatin anterieur, ou elle recoit les deux nerfs naso-palatins qui lui sont princi- palement destines.‘“ Sappey hat wohl kaum die Oberfläche der Papilla palatina genauer untersucht, sonst würde er die von ihm angezogene Stelle bei Albinus nicht so falsch wiedergegeben haben. Dieselbe lautet): „In ipsius tuberculi medio papilla quaedam parva, tanquam in annulo quodam contenta, eo modo, quo linguae papillae magnae“. Man sieht, es handelt sich bei ihm nur um eine Papille.e Was er gesehen hat, davon nachher mehr. Der Schluss der zitierten Bemerkung Sappey's beschäftigt sich mit der Innervation der Papilla palatına. Schon seit länger als einem Jahrhundert weiss man über den Verlauf des N. naso- palatinus genau Bescheid; trotzdem aber bestehen noch Mein- ungsverschiedenheiten über die Empfindlichkeit des kleinen Organes. So äussern sich z. B. Arnold) und Hoffmann-Rauber‘®) dahin, dass dasselbe sehr empfindlich sei, während Cruveilhier?) ausdrücklich sagt: „Ce tubercule a et& signale A tort par les phy- siologistes comme doue d’une sensibilite partieuliere“. Auch im 1) Traite d’anatomie descriptive. 2. Ed. TTV p323! 2) Academic. annotationes. Leiden 1754. Lib. II. Cap. VI. p. 28. 3) Handbuch der Anatomie d. M. 2. Bd. I. Abt. S. 53. Freiburg i. B. 1851. 4) Lehrbuch der Anatomie d. M. I. Bd. S. 526. Erlangen 1886. 5) Traite d’anat. deseript. II. Ed. T. III. S. 202. Paris 1843. Jacobson’sches Organ und Papilla Palatina beim Menschen. 225 die vierte Auflage des Werkes!) ist der zitierte Passus wörtlich aufgenommen. Über die innere Struktur der Papilla palatina habe ich selbst allein in meinem Handbuch der Topograph. Anatomie ?) einige Bemerkungen gemacht: „Bei einer Anzahl von Schnitt- serien fand ich, dass die Papilla palatina nicht selten ein Skelett zeigt, welches aus einem gerstenkorn- oder linsenförmigen Knor- pelkörperchen besteht. Dasselbe kann entweder rein hyalin oder auch von Bindegewebsbündeln durchzogen sein. In an- deren Fällen ist statt seiner nur ein locker verfilzter Bindege- gewebskörper mit sternförmigen Zellen zu finden, wieder in an- deren Fällen ist gar nichts dergleichen nachzuweisen. Das Auf- treten des Knorpelchens ist unabhängig vom höheren Lebens- alter und von dem Vorhandensein von Schneidezähnen.“ Für diese Sätze den bildlichen und schriftlichen Beweis zu liefern, bin ich bis jetzt schuldig geblieben. Dies soll in Fol- gendem geschehen und sodann werden noch einige Erweiterungen meiner früheren Beobachtungen Platz finden. Die Form der Gaumenpapille ist, wie erwähnt, von Henle (l. e.) geschildert worden und es bleibt mir nur übrig, zu sagen, dass sie nicht überall ganz gleich gestaltet ist, das eine Mal schlanker, das andere Mal breiter erscheint. Zuweilen tritt ihr hinterer Teil nicht wulstförmig hervor, doch fehlt auch dann die charakteristische innere Struktur nicht. Bei Embryonen ist die Papille nicht unverhältnismässig stark entwickelt, beim Neu- geborenen aber fiel mir regelmässig ihre Grösse auf, sie bleibt hier gar nicht sehr viel hinter der des Erwachsenen zurück. Die Oberfläche der Papille ist glatt und bietet in den meisten Fällen nichts Auffallendes dar. Nur ein einziges mal, !) Herausgegeben von Mare See und Cruveilhier fils. Bd. 2. Abt. 1. S. 27. Paris 1865. 2) Bd. 1. S. 394. Braunschweig 1885 —1890. 296 VI. FR. MERKEL. bei einem Neugeborenen, konnte ein Verhalten beobachtet wer- den, wie es Albinus beschreibt. Ein ganz kleiner ringförmiger Wall umgab ein sehr flaches papillenartiges Gebilde. Serien- schnitte durch die Stelle gelegt, zeigten, dass man es nur mit einer dellenartigen Vertiefung des Epithels zu thun hatte, welche jedoch ganz ohne spezifische Struktur war (Fig. 3). Es ist nun nicht zu glauben, dass der so sorg- fältige Albinus seiner Beschrei- bung einen Fall zu Grunde legt, wie er mir unter ein paar Dutzend Gaumenpapillen nur ein einziges mal vorgekommen ist. Er wird gewiss dergleichen öfter gesehen haben. Ich selbst konnte öfter beobachten, dass die bindege- \ I k webige Grundlage auf der Höhe Querschnitt der Gaumenpapille eines = Te i BT der Gaumenpapille eine Vertie- Neugeborenen. Dellenartige Vertiefung des Gipfels. Vergr. 22. fung zeigte, welche aber von der Epithelschichte vollkommen aus- gefüllt war, so dass an der freien Oberfläche nichts auffiel und nur Durchschnitte ein richtiges Verständnis ermöglichten. Denkt man nun daran, dass man zu Albinus Zeiten bei Untersuchung von Schleimhäuten die Epitheldecke nicht nur nicht zu erhalten strebte, sondern die Präparate sogar gerne nach vorgängiger Mace- ration in Wasser untersuchte, um die bedeckende „schleimichte Ma- teriam‘“ zu entfernen, dann wird man seine Angabe wohl ver- stehen. An eine Verwechselung mit der Gaumenöffnung des Ductus nasopalatinus kann nicht wohl gedacht werden, da Albinus ausdrücklich sagt: „Hic ad utrumque ejus (Pap. pala- tinae) latus parva lacuna est“, womit er dieselbe beschreibt. Dass der Ductus nasopalatinus am Gaumen mit einer ein- zigen unpaaren Öffnung auf der Höhe der Gaumenpapille be- ginnt, ist recht selten, obgleich dies von einer Anzahl von Lehr- Jacobson’sches Organ und Papilla Palatina beim Menschen. 227 büchern als Regel angegeben wird. Mir ist der Fall bei meinen früheren Untersuchungen nur einmal begeenet (l. e.) (Fig. 4) und bei erneuten Beobachtungen gar nicht. Die schlitzförmigen blindendenden Taschen zu beiden Seiten der Papille finde ich dagegen in den allermeisten Fällen vor. Fig. 4. Längsschnitt der Gaumenpapille eines erwachsenen Menschen. * Mündung des Ductus nasopalatinus. Kk. Knorpelkern. Vergr. 8. Um die innere Struktur der Gaumenpapille zu verstehen, ist es nötig, embryonale Präparate zu untersuchen, da bei ihnen eine weit schärfere Trennung der Konstituentien des Gaumens vorhanden ist, als später. Bei einem Embryo vom Ende des 5. Monats gelingt es vor allem, noch klar zu unterscheiden, wo in den Weichteilen die Grenze zwischen dem Processus pa- latinus des Oberkiefers und dem Zwischenkiefer zu suchen ist, eine Kette von sogenannten Epithelperlen?!) d.h. an der Verwachs- ungsstelle übriggebliebenen Resten des Mundepithels deutet sie an. Fig. 5a. f. S. zeigt, dass die Stelle ziemlich weit lateral von der Gaumenpapille zu suchen ist. Die dem Zwischenkiefer angehörige Strasse von Bindegewebe, welche aus der Naht zwischen den beiden Proc. palatini hervorgeht, ist noch recht breit und eine dichtere Ver- filzung der Bündel deutlich unterscheidbar. Dieses Bindegewebe teilt sich gabelig, um seitlich von dem Schlitz der Ductus palatini 1) Vergl. über dieselben: Leboueg, Note sur les perles epitheliales de la voute palatine. Arch. de biologie Gand. T. II. S. 399. 228 VII. FR. MERKEL. zum Epithel aufzusteigen. In der Rinne, welche durch diese Teilung entsteht, ruht die Gaumenpapille.. Kennt man erst dieses Verhältnis, dann findet man jene beiden aufsteigenden Bindegewebszüge auch beim Neugeborenen wieder (Fig. 6), bei dem sich auf den ersten Blick die Zwischenkiefer- und Ober- kieferteile des vorderen Gaumenumfanges gar nicht unterschei- den lassen. Beim Erwachsenen freilich (Fig. 7), selbst schon n ja‘ Fig. 5. Querschnitt der Gaumenpapille eines fünfmonatlichen Embryo. DBk. Bindege- webskern. N. Nahtgewebe, welches sich in zwei nach beiden Seiten abweichende Strassen teilt. Ep. Epithelperlen, Reste der Verwachsung von Zwischenkiefer und Oberkiefer. Vergr. 30. bei einem 4-5jährigen Kinde, ist es völlig unmöglich, irgend eine Grenze zwischen beiden zu finden. Verfilzte Bindegewebs- bündel, zwischen welchen nicht selten Fetträubchen gelegen sind, findet man nun über den ganzen Gaumen hin regellos angeordnet. Innerhalb des Gebietes, welches der Gaumenpapille zuzuteilen ist, geht bei Embryonen und Neugeborenen jederseits von der erwähnten Nahtstelle ein weiterer Zug fester verfilzten Jacobson’sches Organ und Papilla Palatina beim Menschen. Gewebes aus, welcher die Peripherie der Papille umkreist und auf deren Gipfel mit dem der anderen Seite zusammenfliesst. Es bleibt hierbei im Centrum der Papille ein Raum frei, welcher ein ganz eigenartig konstru- iertes Gewebe aufweist. Schon bei einem sechsmonatlichen Embryo sieht man, wie die fragliche Stelle, welche von einem sehr kernreichen Ge- webe eingenommen wird,ausser den Zellen noch Bindegewebs- bündel zeigt, welche sich zwar in den drei Dimensionen des Raumes kreuzen, von welchen Fig. 6. aber die meisten nach dem _ RER Querschnitt der Gaumenpapille eines Neu- Epithel hin aufsteigen oder geborenen. Bk. Bindegewebskern. Vergr. 35. von einer Seite zur anderen hinziehen; man wird bei der Betrachtung einigermassen an den Zungenquerschnitt mit seinen regelmässig verfilzten - Fasern er- innert. Schon beim Neugeborenen sind nun bei stärkerer Ent- wickelung der Faserbündel die kernhaltigen Zellen mehr zurück- getreten, dabei aber sind die ersteren nicht in nähere Berührung gekommen, sondern bleiben durch ein helles, gallertartiges (re- webe von einander getrennt. Dieser „Bindegewebskern“ der Gaumenpapille führt deren grosse Nerven und Gefässe, welche meist in ein Bündel vereinigt verlaufen, zuweilen auch in zwei symmetrisch gelagerte Pakete verteilt sind. Der Binde- gewebskern endet hinten und vorne abgerundet. In der beschriebenen Art kann derselbe bis zum höheren Alter persistieren, nur lagern sich im Laufe der Zeit die Binde- gewebsbalken immer dichter aneinander; sie verdrängen das Gallertgewebe mehr und mehr, bis schliesslich nichts mehr davon übrig bleibt. Bei eimem 60jährigen Mann z. B. war dasselbe Anatomische Hefte. 3. 16 230 VII. FR. MERKEL. eanz durch Bindegewebsbündel ersetzt, doch grenzte sich der Kern immerhin noch deutlich gegen die Umgebung ab, indem er von Faserzügen umkreist und dadurch so deutlich isoliert wurde, dass es auf dem Querschnitt selbst mit blossem Auge ganz leicht wahrgenommen werden konnte. In einer nicht geringen Anzahl von Fällen nimmt nun der Bindegewebskern Knorpelzellen auf, welche das eine Mal ziemlich vereinzelt in dem verfilzten Bindegewebe liegen, das andere Mal ein zusam- menhängendes Knor- pelchen bilden. (Fig. 7, Fig. 4.) In der oben zitierten Stelle meines Handbuches heisst es, dass dasselbe „aus einem gerstenkorn- oder linsenförmigen Knorpelkörperchen besteht. Dasselbekann entweder rein hyalın Fig. 7. Quersehnitt der Gaumenpapille eines erwachsenen oder auch von Binde- Mannes. Kk. Knorpelkern in dem Bindegewebskerne gewebsbündeln durch- eingeschlossen. In der Umgebung zahlreiche Fettzellen. zoeen sein.“ eine Vergr. 11. = I Meine erneuten Untersuch- ungen haben mich gelehrt, dass besonders wohl ausgebildete Kerne aus elastischem Knorpel bestehen. — Ich fand, dass auf sein Vorkommen weder das höhere Lebensalter, noch auch das Vor- handensein oder Fehlen der mittleren Schneidezähne von Einfluss ist. Wohl aber ist zu bemerken, dass sein Vorhandensein augen- scheinlich auf den Körper des Erwachsenen beschränkt ist, meine sämtlichen Präparate. von Föten, Neugeborenen und Kindern liessen es wenigstens vermissen. Bei ihnen zeigte sich vielmehr eine grosse Gleichförmigkeit der Bildung, wie sie be- Jacobson’sches Organ und Papilla Palatina beim Menschen. 231 schrieben wurde. — Eine Ursache für . Auftreten des Knorpel- kernes war nicht zu finden. Nachdem nun die Oberfläche und der innere Bau der Papilla palatina eine Besprechung erfahren hat, ist noch der letzte frag- liche Punkt zu untersuchen, nämlich der, ob dem kleinen Organ eine besonders hohe Empfindlichkeit zukommt oder nicht. Jeder Durchschnitt lehrt, dass recht zahlreiche Nervenzweige in dem- selben verlaufen, welche ‚allmählich gegen das Epithel hin auf- steigen. Obgleich nun durch eine Injektion erwiesen wurde, dass in die schlanken Papillen, welche das Organ bedecken, über- all Gefässchlingen emtreten, so gelang es doch, einen Teil der Nerven auch mit Tastkörperchen in Verbindung zu sehen. Sie zu finden ist nicht immer ganz leicht, da sie weniger fest gefügt sind, wie die an den Fingern, sie erinnern nicht selten an die analogen Gebilde der Konjunktiva und der Genitalien. Doch ist ihre Zahl manchmal sehr gross; so finde ich im Längs- schnitt der Gaumenpapille eines 40jährigen Mannes fast in jeder Papille ein, selbst mehrere Körperchen. Ausser ihnen sieht man auch noch sehr grosse Mengen isolierter Tastzellen, welche jedoch im wesentlichen nur den Gipfel des kleinen Organes einnehmen, an den abfallenden Teilen desselben aber seltener sind und schliesslich ganz vermisst werden. An ihrem Fund- ort stehen sie in so grossen Mengen, dass man an die Tastzellen- gruppen des Schweinsrüssels erinnert wird. Zweifellos fehlen auch knöpfcehenförmige Endigungen im Epithel nicht, doch habe ich keine Vergoldungsversuche angestellt, um sie zu suchen. Mit den zahlreichen Nerven der Papilla palatina muss man nun, wie ich glaube, auch ihren Bindegewebskern in Verbindung bringen. In mehrfachen Fällen kann man unter den Endorga- nen in der Haut niederer Wirbeltiere einen mehr oder weniger gut begrenzten Bindegewebskern findent), welcher ganz mit dem 1) Fr. Merkel, Über die Endigungen der sensiblen Nerven in der Haut der Wirbeltiere. 40. Rostock 1880. 8. 38. 16* 232 VII. FR. MERKEL. Kern der Gaumenpapille übereinstimmt. Das eine Mal mehr gallertartig, besteht er ein anderes Mal aus festgewebten Bündeln. Merkwürdig ist es, dass sich eine Einrichtung, wie sie nur bei niederen Tieren in grösserer Verbreitung beobachtet wird, beim Menschen an einer einzigen kleinen Stelle des Körpers erhalten hat. Man muss annehmen, dass das beschriebene Polster hier wie dort eine physiologische Funktion hat, welche mit der Ge- fühlsempfindung in Zusammenhang steht. Welcher Art dieselbe ist, darüber dürfte freilich kaum eine Vermutung zu äussern sein. Es ist ungemein leicht, ein einfaches Experiment an der eigenen Papilla palatina durch Druck mit einer Sonde oder dergl. anzustellen. Ich finde an mir selbst dabei allerdings einen be- merkenswerten Unterschied gegen die seitlichen Teile des vorderen Gaumenumfanges. Obgleich die letzteren im wesent- lichen die gleichen Endorgane beherbergen, so sind sie doch feiner empfindlich, ich möchte sagen, kitzlicher, als die erstere. An dieser aber klingt eine Druckempfindung, die an sich viel leichter ertragen wird, länger nach, der Druck lässt für einige Zeit ein Gefühl zurück, als sei die Papille geschwollen. So komme ich .denn zu dem Schluss, dass allerdings in der Papilla palatina ein eigentümliches Gefühlsorgan vorliegt, welches sich durch seinen Bau von der Umgebung unterscheidet. GRATULATIONSSCHRIFT FÜR GEHEIMRAT V. KÖLLIKER. VI. ÜBER HYPOTRIGHOSIS CONGENITA UNIVERSALIS VON RR. BONNET IN GIESSEN. Aus dem anatomischen Institut in Giessen, Mit 11 Abbildungen auf Tafel XXII/ XXIL und 1 Textabbildung. Fin mir von meinem ehemaligen Münchener Kollegen, Herrn Professor Kitt, freundlichst zur Untersuchung überlassener sel- tener Fall von sogenannter „angeborener Haarlosigkeit“ bei einem Ziegenlamm führte mich zur Untersuchung der Frage, inwieweit denn überhaupt angeborene allgemeine mangelhafte Entwickelung des Haarkleides beim Menschen und den Säugetieren bis jetzt bekannt, untersucht und gedeutet worden ist. Man hat bekanntlich die Fälle, in welchen die Ausbildung des Haarkleides für Art und Alter des Tieres bei oder nach der Geburt hinter der Norm zurückgeblieben ist, als „angeborene Kahlheit, Nacktheit, Haarlosigkeit, als Atrichia congenita, Oligo- trichia congenita, Depilatio und Alopecia congenita bezeichnet (1) und die einzelnen Fälle je nach der Ausdehnung des Defektes als solche allgemeiner oder partieller Art beschrieben. Die Bezeichnungen Depilatio congenita oder Alopecia con- genita sind aber meiner Meinung nach insoferne unpräcise, als man unter „Depilatio“ und „Alopecie“ gewöhnlich das Ausfallen früher vorhandener Haare versteht, während es sich doch in allen den Fällen angeborenen Haarmangels um das gänzliche Fehlen oder die mangelhafte Anlage der Haare von vorneherein, also um einen Bildungsfehler handelt. Beide ganz verschie- dene Prozesse mit einer und derselben Bezeichnung zu be- legen, ist aber unstatthaft und möchte ich deshalb vorschlagen, die ungenauen Benennungen auszumerzen und die ganze ein- schlägige Gruppe von Anomalieen in der Behaarung mit dem 236 VIll. R. BONNET. Namen Hypotrichose im Gegensatz zur normalen Behaarung oder Eutrichose und zur Überbehaarung oder Hypertrichose zusammenzufassen. Durch Beifügung eines charakteristischen Adjektivums können dann die einzelnen Fälle leicht näher präci- siert und so wenigstens ein Teil der Konfusionen und Missverständ- nisse vermieden werden, welche uns zur Zeit noch, wie am Schlusse gezeigt werden soll, die richtige Deutung der Anoma- lieen in der Behaarung in so hohem Grade erschweren. — Alle jetzt lebenden Säugetiere sind abgesehen von dem für sie charakteristischen Säugeapparate durch den Besitz von Haaren den übrigen Wirbeltierklassen gegenüber in scharfer Weise ausgezeichnet, ein triftiger Grund für Oken die ganze Gruppe als „Haartiere“, für Blaimville sie als „Pilifera“ syste- matisch zusammenzufassen. Thatsächlich ist denn auch die nach dem morphologischen Gesichtspunkte, nach dem Besitze eines Haarkleides, getroffene systematische Abgrenzung schärfer, als die nach ihrer gemeinsamen physiologischen Leistung des Säugens gewählte geläufige Benennung „Säugetiere“. Denn auch die noch mit einem sehr primitiven Säugeapparat ausgestatteten und noch dazu, wie die neuesten Untersuchungen gezeigt haben, eierlegenden niedersten Typen der jetzt lebenden „Säuger“, das Schnabeltier und der Ameisenigel, gehören, obgleich sie durch die Art ihrer Brutpflege Übergangsformen darstellen, doch durch den Besitz eines Haarkleides einwandslos zur Gruppe der Haartiere. (änzlicher Mangel aller Haare in den verschiedenen Lebens- altern, ist unter normalen Verhältnissen — mit so wenig weiter unten angeführten Ausnahmen, dass selbe nur die Regel be- stätigen — noch bei keinem Hoaartiere beobachtet worden. Übersieht man freilich die Ausbildung des Haarkleides beim Embryo und beim erwachsenen Individuum, so ergeben sich bei den einzelnen Typen mancherlei und nicht unbeträchtliche Schwankungen. Während die Beutler und viele Nager z. B. Sour = SKI in Fig. 10. Fig. T Fig.d. Figd. wi I Fig It. 237 Über Hypotrichosis congenita universalis. nackte oder fast nackte Junge zur Welt bringen, sind solche bei anderen Familien schon bei der Geburt mit reichlichem Haar- wuchs, wie beispielsweise die Huftiere, oder einem wohl ent- wickelten Pelze versehen, wie die Raubtiere. Die haarärmsten Tiere sind zweifellos die Wale, von denen nach einer freund- lichen brieflichen Mitteilung Kückenthals die Bartenwale ausser den Spürhaaren an Ober- und Unterlippe noch einzelne über den Kopf zerstreute Haare besitzen, welche bis in die Gegend der Nasenöffnungen reichen und sich zum Teile auch noch beim Erwachsenen erhalten, während bei Zahnwalen zwar die Embryonen noch einige Spürhaare am Oberkiefer besitzen, die aber zur Zeit der Geburt ausfallen. Nur ein Süsswasser- delphin (Inia) besitzt auch im erwachsenen Zustande Spürhaare, gänzlich haarlos sowohl im embryonalen als erwachsenen Zu- stande sind nur der Weisswal (Beluga leucas) und der Narwal (Monodon monoceros). Diese Gruppe enthält somit einige wenige wirklich haarlose Säuger. Der vielfach in viel ausgedehnterem Grade angenommene und als Anpassung an das spätere Wasserleben gedeutete em- bryonale Haarwechsel der Wale beschränkt sich dieser Angabe nach thatsächlich nur auf das Ausfallen vereinzelter Spürhaare, also der Haare, die sich zeitlich vor den übrigen Haaren beim Embryo anlegen und bei Reduktion des Haarkleides zuletzt schwinden, indem sie bei land. und wasserbewohnenden Haar- tieren zeitlebens als besondere Fühlorgane funktionieren und sich so auch bei minimal behaarten Typen mit Ausnahme der angeführten Wale und des Menschen (möglicherweise auch der Anthropoiden) erhalten, bei welch letzterem mit dem aufrechten Gange die Hand als Tastorgan im weitesten Sinne des Wortes in vielfältigster Weise für die nutzlos gewordenen Spürhaare der Augenbrauen, der Wangen-, Lippen- und Kinngegend eintritt. Bezüglich der bei den erwachsenen Säugetieren auffallenden grossen Schwankungen in der Behaarung darf man im allge- 238 VIII. R. BONNKT. meinen mit Leydig sagen, dass die Entwickelung des Haarkleides im umgekehrten Verhältnisse steht zur Dicke der Haut, speziell der Epidermis. Beide, Haar und Epidermis, treten vikarlierend für einander zum Schutze des Körpers ein. Es mag in dieser Hinsicht nur an die Woll- und Pelzträger mit zarter Epidermis und dünner Haut bei diehtem Haarkleide und an die Pachy- dermen, Schuppen- und Gürteltiere mit ihrer oft durch dicke Borken, Platten- und Schilderbildung geradezu panzerartig ver- dickten Epidermis und ihren spärlichen oft nur auf die Schweil- spitze, die Innenfläche der Ohrmuschel, die Nasenlöcher, die Lid- ränder und die Lippen beschränkten Haaren erinnert werden. Zur Genüge bekannt ist ferner die Beeinflussung des Haar- kleides durch Klima, Domestikation und die durch die Natur selbst oder durch den Menschen getroffene Auslese zur Nachzucht. So hat beispielsweise das unserem Wildschwein entstammende oceidentale zahme Schwein gewöhnlich sein Woll- haar gänzlich verloren und nur die Borsten erhalten, während seine wilden Stammeltern noch beide Haararten besitzen und im Winter durch reichlich entwickeltes Wollhaar den Unbilden der Witterung trotzen. Auch die orientalischen domestizierten Schweine haben ihr Haarkleid beträchtlich verändert und sind in einzelnen Rassen fast völlig nackt geworden. Bei den domestizierten Schaf- und gewissen Ziegenrassen dagegen hat der Mensch durch Zucht- wahl das Deckhaar der wild lebenden Stammeltern ausgemerzt und nur das Wollhaar erhaltend „auf Wolle‘ weitergezüchtet. Auch der Mensch besitzt bekanntlich ein vollkommenes, freilich aus den zarten Primär- oder Wollhaaren, der Lanugo, bestehendes embryonales Haarkleid und macht, wie die meisten Säugetiere, einen teilweisen embryonalen Haarwechsel durch, insoferne er einen Teil seiner Primärhaare am Kopfe schon intrauterin abstossen kann, um sie dann kürzere oder längere Zeit nach der Geburt durch Sekundärhaare zu er- setzen. Als rudimentäres Organ,. als welches man das Primär- Über Hypotrichosis congenita universalis. 239 haarkleid des Menschen zweifellos auffassen muss, zeigt das- selbe eine grosse und bekannte Variabilität, wie sie rudimentären Organen überhaupt zukommt, und damit — über die Lanugo bei den Neugeborenen und Embryonen der verschiedenen Men- schenrassen, ausser der kaukasischen wissen wir ausser verein- zelten Notizen so gut wie nichts — wohl einen fast unendlichen Wechsel in seiner Ausbildung. Eine allmähliche Reduktion der ursprünglich wohl entwickelten Behaarung soll ausser an der Kopfhaut alternder Menschen — die eigentlichen mit Depilation verbundenen Erkrankungen liegen ausserhalb des Rahmens dieser Arbeit — auch bei wild lebenden Wiederkäuern, namentlich bei alten Büffeln und Kameelen vor- kommen. Bei ersteren sollen im hohen Alter nurmehr der Nacken, die Backen und die Gegend über den Augen, sowie die Läufe behaart bleiben. Es ist ferner leicht zu beobachten, dass die Haut in ihren epidermidalen Anhangsbildungen beim Menschen und den Haus- tieren wie ein Manometer die Bilanz der Emährung anzeigt. Ein gut genährter Organismus besitzt glattes, weiches Haar, während dasselbe bei Kranken, Rekonvalescenten und Küm- merern spröde, trocken, ungleich dick, brüchig ist und leicht ausfällt. Es sei hier auch auf die gleichzeitig mit der Depilation im Gefolge von Krankheiten auftretenden Nagelrinnen und das allerdings seltenere aber immerhin zur Genüge bekannte Wack- lig- oder Kariöswerden der Zähne bei Schwangeren, an die Horn- rinnen tragender Kühe und an die konstant an den Hufen der Fohlen auftretende Furche erinnert, die regelmässig die durch den Übergang des Saugfohlens von der Muttermilch zur Pflanzennahrung bedingte Schwankung in der Ernährung markiert. Alle diese Beispiele führen, wie das meist bei kräftigen Menschen mit starkem Haarwuchs gepaarte kräftige Gebiss, den 240 VII. R. BONNET. Beweis, dass die genetisch einem Mutterboden, dem Hornblatt entstammenden Epidermisabkömmlinge, die Haare, Hufe, Nägel, Krallen und das Schmelzorgan der Zähne, auch postembryonal als ein in physiologischer und pathologischer Hinsicht mehr oder weniger solidarisches Ganzes angesehen werden müssen, wobei jedoch eine gewisse Selbständigkeit der einzelnen Epi- dermisabkömmlinge, namentlich des Gebisses, dem gemein- samen Mutterboden gegenüber keineswegs geleugnet werden soll. Alle die skizzierten extremen Zustände in der Beschaffenheit des Haarkleides sind aber durch mannigfache individuelle und generelle Übergangsformen mit einander verknüpft und führen durch viele Zwischenstufen allmählich hinüber zu jenen seltenen und teilweise mit Abweichungen der Nagel-, Klauen-, Huf- und Zahnbildung angeborenen Anomalien der Behaarung, der Hypo- trichose und Hypertrichose, die nur dann richtig ge- würdigt werden können, wenn man vorher die in der Aus- bildung des Haarkleides im allgemeinen herrschenden normalen Schwankungen und ihre Gründe in's Auge gefasst und die Ge- meinsamkeit des Mutterbodens für die Gebiss- und die ge- samten Epidermisbildungen entsprechend gewürdigt hat. Der in den folgenden Zeilen behandelte Fall betrifft ein völlig nackt geborenes noch 5 Wochen im Stalle gehaltenes, aber leider trotz aller aufgewendeten Sorgfalt während der kalten Maitage des Jahres 1887 neun Wochen alt verendetes männ- liches Ziegenlamm. Die Sektion ergab keine Erkrankung oder Anomalie innerer Organe. Das schwarz und weiss gefleckte Tierchen ist, wie ein Vergleich mit einem gleichaltrigen nor- malen Individuum zeigt, auffallend klem. Zweifellos hatte die Ernährung durch die gestörte Wärmeökonomie in bedeutendem Grade gelitten. Die Länge vom Gesässbeinhöcker bis zur „‚Brustspitze“, dem deutlich fühlbaren Ende des das Manubrium sterni bildenden Über Hypotrichosis congenita universalis. 241 „Schnabelknorpels“ , beträgt 34 cm, ebensoviel die Widerrist- höhe. Mit Ausnahme der schwarz pigmentierten Flecken und einiger rein weisser Stellen im Gesicht, sowie am Carpus und Tarsus fiel während des Lebens eine diffuse chokoladebraune Färbung vor allem an den Ohren, der Schläfengegend und den Beinen auf. Am im Alkohol liegenden Präparate ist hiervon wenig mehr zu sehen, ein schmutziger grauer Ton ist an die Stelle der Chokoladefarbe getreten, die, wie gleich erwähnt wer- den mag, der Effekt der durch die Epidermis durchscheinenden Blutfarbe und des in der Epidermis und Cutis ziemlich reich- lich vorhandenen Pigmentes ist. Die Hufe sind mit Ausnahme der beiden am linken Vorder- fusse teilweise gefleckten Schalen weiss, nicht pigmentiert und nach Form und Grösse normal. Auch die Bezahnung zeigt VI. R. BONNET. nach Zahl und Grösse der Zähne die für das Alter des Tier- chens typischen Verhältnisse. Die ganze Haut erschien am Neugeborenen auf den ersten Blick mit blossem Auge völlig nackt, haarlos. Erst genauere Untersuchung zeigte, dass namentlich am Rücken, an den beiden Schultergegenden, in der Kreuzgegend und am Schweife, sowie ferner an der Fesselgegend und Krone des Hufes sehr spär- liche, meist ganz feine flaumartige, teils pigmentierte, teils farblose kurze etwa !.—1 mm lange Härchen zu finden sind. Die auffallende Runzelung der nackten Haut hatte dem Ein- sender die Vermutung nahe gelegt, dass das Tierchen eine Kreuzung von Schafbock und Ziege sein möchte, da bei der betreffenden Schafherde auch Ziegen, darunter die Mutter des Böckchens geweidet wurden. Wiewohl man nun Bastarde von Schafen und Ziegen kennt, entsprach im vorliegenden Falle die Annahme der Wahrheit nicht, da alle charakteristischen Zeichen, vor allem die für Ziegenlämmer so bezeichnende Breite der Stirnregion, für eine reine Ziege sprachen. Hautrunzeln, wie sie ja allerdings in bestimmter Entwickelung bei manchen Schaf- rassen vorkommen, sind hier nicht ausschlaggebend, da sie, wenn- gleich viel weniger entwickelt, auch dem neugeborenen Zicklein nicht fehlen, gewöhnlich aber, vom Haarkleid bedeckt, nicht weiter beachtet werden. Allerdings waren sie wohl im vor- liegenden Falle durch die in Ermangelung des wärmenden Haar- schutzes frierende und kontrahierte Haut gleich nach der Geburt wesentlich vertieft. Später wurde allmählich die Behaarung etwas deutlicher und verbreiteter, blieb aber für das Alter des Tierchens weit hinter der normalen zurück und nach Zahl und Länge der Haare ausserordentlich spärlich. An dem mir in Spiritus liegend über- gebenen Kadaver sind der Nasenrücken, die Lippen und die Schnauze völlig haarlos, ebenso die Innenfläche beider Ohren. An deren Aussenfläche finden sich nur spärliche, ganz kurze Über Hypotrichosis congenita universalis. 243 höchstens 1 mm lange schwarze Härchen, auf der Innenfläche dagegen kleine schwarze Prominenzen der Haut, aber keine Haare. Die Lider sind ebenfalls nackt, Cilien und Spürhaare fehlen völlig. Die Streckseite des Carpus und Metacarpus ist nament- lich lateralwärts völlig nackt, ebenso die Streckseite des Tarsus und Metatarsus. Der ganze übrige Körper ist, wie namentlich an den schwarz pigmentierten Körperstellen sehr deutlich zu sehen, nur mit kurzen in maximo 1!/g.—2 mm langen Härchen bedeckt, deren Zartheit und geringe Entwickelung namentlich die nicht pigmentierten Hautstellen haarärmer erscheinen lassen, als sie, wie Lupenbetrachtung lehrt, thatsächlich sind. Am besten entwickelt ist die Behaarung noch auf der late- ralen Seite im Gebiete der Hypochondrien, des Mesogastriums, ferner des Rückens, des Gesässes und der Cutis des Schweifes, sowie der seitlichen Schultergegenden. Die pigmentierten Stellen erinnern durch die Kürze der wirren und verbogenen Haare an feinen Filz oder Pappendeckel. An vielen Stellen des Halses und Kopfes sind die an und für sich schon pigmentierten und durch die kurzen schwarzen Haare dunkel schiefergrau gefärbten Flecken noch von einem "s--1 cm breiten braunen Rande einge- fasst, der aber völlig haarlos, seine braune Farbe nur der Pig- mentierung der Haut verdankt. b Die genauere Untersuchung abgeschnittener Haare ergiebt bei fast allen das Fehlen der Spitze. Nur an den feinsten Lanugo- härchen ist dieselbe erhalten. Die Haare müssen also sehr brüchig gewesen und noch während des Lebens geknickt und abge- brochen sein. Vielfach findet man zwischen den stärkeren kurzen und geraden Stummeln bei Lupenbetrachtung kleine Spiralen oder winkelig verbogene Haare, namentlich längs des Nackens und des Rückens. Ebenso fallen kleine schwarze die Epidermis emporwölbende Höckerchen zwischen den Haaren auf. Fig. 1. 244 VIII. R. BONNET. Taf. I. Die Haut sieht an solchen Stellen, mit blossem Auge betrachtet, wie mit Lampenruss geschwärzt aus. Es handelt sich also in diesem Falle um eine fast vollständige angeborene Haarlosigkeit, an deren Stelle allmählich eine verspätete und zur Zeit des Todesnach Entwickelung und Ausdehnung des Haar- bestandes noch sehr unvollständige Behaarung trat. Von ähnlichen seltenen Fällen angeborener gänzlicher oder teilweiser Haarlosigkeit verzeichnet die Veterinär-Litteratur in den mir zugänglichen Werken keinen Fall, anderweitig fand ich folgende Beispiele angeführt. 1. Wiederkäuer. a) Ziege, männlich, 6 Wochen alt. Die Mutter war von ihrem 7 Monate alten normal behaarten Sohne gedeckt worden. Ein Herr Tiemann (2) meldet, dass in Breslau eine Ziege drei Kitzlein ablammte. Zwei derselben waren normal behaart, das erstgeborene aber war völlig haarlos und „wird es vielleicht mit Ausnahme der Wangen und der Ohren bleiben.‘ Die Haut ist dem äusseren Anschein nach durchaus gleich mit der der nackten Hunde, mit welcher auch die Färbung absolut überein- stimmt. Sie ist nämlich chokoladebraun und ändert auch je nachdem die Körperteile mehr oder weniger der Luft und dem Licht ausgesetzt sind, in Dunkel und Helle ihre Farbe ab. Bei der gewöhnlichen Ziegenhaut sind die Mündungen der Haar- bälge deutlich erkennbar. Bei der nackten Ziege aber ist, wie bei den nackten Hunden von solchen nichts zu erkennen. Weitere über diesen Fall in Aussicht gestellte Mitteilungen sind nicht erschienen. b) Rind ®). Im neuen zoologischen Tiergarten zu Stuttgart, welcher mit Werners zoologeischem Garten verbunden wurde, befindet sich Über Hypotrichosis congenita universalis. 245 (1871) ein in Württemberg geborenes „haarloses“ einjähriges Rind. Dasselbe ist mit Ausnahme eines äusserst zarten, nur ‚gegen das Licht sichtbaren Flaumes völlig haarlos und durch- weg dunkel dottergelb. Die Haut glänzt wie lackiert. Als be- sonders schön wird der Kopf geschildert, dessen ganze Stirn- seite von äusserst feinen, tiefen und regelmässigen zahlreichen Falten durchzogen ist. Über die Bezahnung fehlen Angaben. 2. Eterde: a) Eine 6 Jahr alte 15 Faust hohe vollkommen gut gebaute und wohlgenährte mit Ausnahme einzelner Stümpfe von Geburt aus völlig haarlose Stute beschreibt Müller (4). Dieselbe wurde von einem Kavallerieoffizier in Galizien von einem wandernden Zigeuner gekauft, der sie aus Russland und weiter aus Afrika gebracht haben will, wo es, seiner Aussage nach, im Innern „Hunderte solcher Tiere‘ geben solle. Die Haut, durchweg braunschwarz — nur der hintere rechte Ballen und die Hälfte der Fessel ist weiss —, ist ausserordentlich zart und fein, sam- metartig weich und glänzend. Sie wird sehr leicht durch den Nasenriemen und das Kopfgestell wund. Lebhafte Epidermis- abschilferung ist zu konstatieren. Deckhaare mangeln am ganzen Körper vollständig, ebenso Mähne und Schopf, Augenwimpern und Schweifhaare. Nur an der Schweifspitze finden sich circa 10—12 etwa 1 Zoll lange vereinzelt stehende schwarze unbieg- same spröde Haare. Ebenso sieht man einige längere Haare an der innern Ohrmuschelfläche.- Wenige zerstreute Spürhaare stehen an den Lippen, 2—3 Scheuhaare unter den Augen im (Gresichte. Die Kastanien sind gut entwickelt, der Sporn fehlt ganz. Hornschuhe wohl gebildet, schwarz. Über die Bezahnung wird keine weitere Angabe gemacht. Jedenfalls zeigte dieselbe, wie aus dem guten Ernährungszustande und der Angabe des Alters des Tieres erhellt, keine wesentlichen Defekte, die sonst doch wohl erwähnt worden wären. . Anatomische Hefte. 3, 17 246 VIII. R. BONNET. b) Der Gouverneur von Turkestan, General von Kauf- mann, schenkte dem zoologischen Garten in Moskau ein unbe- haartes Pferd (5). Durch die dünne, völlig haarlose Haut ist jede Ader zu sehen. Von Mähnen-, Schopf- und Schweifhaaren findet sich keine Spur. Die Hautfarbe ist dunkel, sammetartig, matt. Das Pferd ist von sehr schönen Formen, orientalischem Typus, mittlerer Grösse und wird, weil gegen Kälte sehr empfindlich, durch einen Pelz von Schaffellen und vier ebensolche Ärmel gegen rauhes Wetter geschützt. Angaben über Bezahnung fehlen. c) Ein „nacktes“ Pferd wurde 1874 in einer Tierbude zu - Breslau gezeigt. Das Tier, ein Wallach, ähnelt sehr dem ara- bischen Pferde und Dr. Prätorius (6) der die betreffende Mit- teilung macht, ist geneigt, es mit Brehm, der es auch unter- sucht und beschrieben zu haben scheint -— wo, konnte ich nicht finden — für eine Varietät dieser Rasse zu halten. Brehm sagt nämlich, „diese Pferderasse sei erst in neuerer Zeit durch Zigeuner aus der Krim mitgebracht worden und zwar nur in einzelnen Exemplaren, da sie sehr selten sei.“ Die Hautoberfläche des Tieres ist völlig glatt, wie Gummi anzufühlen und von dunkel mausgrauer Farbe. Die Vorderhand, besonders der Kopf sei etwas dunkler und um die Schnauze herum sei das Tier fast schwarz. An vielen Stellen, so besonders am Halse, bildet die Haut zahlreiche Falten. Ausser einem auf der Stirn stehenden halbmondförmigen weissen Fleck zeigen sich noch an einzelnen Stellen weissliche Punkte und Flecken, herrührend von Bremsenstichen oder bedingt durch Kneifen seitens eines als Gegensatz daneben stehenden normal behaarten Schimmels. Jährlich zweimal, im Frühjahr und Herbste häutet sich das Pferd. Die Haut löst sich dann beim Ab- waschen des Tieres in Lappen von Handtellergrösse und dar- über ab. Die Fesseln sind fleischrötlich gefärbt und spärlich mit weichen Wollhaaren besetzt. Ausserdem besitzt das Pferd nur an einzelnen Stellen Haare, nämlich oberhalb der braun- Über Hypotrichosis congenita universalis. 247 schwarzen Hufe und am Schwanz, an dessen Ende aber nicht, wie Brehm sagt, 10—12, sondern mindestens 30-40 gegen l Fuss lange Haare stehen. In der Grösse übertrifft das Tier das arabische Pferd wenig, es ist gegen Kälte ‚sehr empfindlich und war das Reitpferd eines Turkomajors in Afrika, wo es jung eingefangen und aufgezogen worden war. Nach der Schlacht bei Sedan, in der sein Reiter gefangen genommen wurde, wurde es von seinem jetzigen Besitzer erstanden. Prä- torius meint, dass demnach Afrika, ebenso wie als Vaterland eines Teils der nackten Hunde, so auch als Heimat der ge- schilderten nackten Pferderasse, respektive Varietät anzusehen sei. Dass nackte Pferde bisher durch Zigeuner aus der Krim gebracht worden seien , sei ohne Bedeutung, da diese unstäten Wanderer selbe ja schon aus dritter oder vierter Hand gekauft haben könnten. Noll bemerkt in einer Fussnote, meiner Meinung nach ganz richtig, dass man durch Züchtung solcher, wie es scheint, in den wärmeren Klimaten häufiger auftretenden Tiere wohl haarlose Rassen fixieren könne, die sich jedoch für unser Klima wenig eigenen dürften. Thatsächlich handelt es sich bei allen diesen Beispielen von haarlos geborenen Pferden nur um Individuen der orientalischen Rasse, während ich keinen Fall von Hypotrichose vom oceiden- talen norischen Pferde in der Litteratur aufzufinden im Stande war. Das orientalische Pferd ist aber bekanntlich durch seine feine Haut und sein ausserordentlich feines seidenartiges Haar schon zur Hypotrichosis disponiert und den Züchtern ist es wohlbekannt, dass als Zeichen der Überzüchtung das Extrem der Feinheit und Weichheit der Haare verbunden mit deren spärlicherem Wuchse und sehr dünner Haut aufzutreten pflegt. 3. Hunde. Von Hunden kommt bekanntlich eine „haarlose“ Rasse als sogenannte „ägyptische Hunde“ aus Afrika. Haarlose Hunde Le 248 VIII. R. BONNET. soll aber auch schon Columbus auf den westindischen Inseln vorgefunden haben. Diese nackten Hunde verbrauchen sehr viel Nahrung, ihre Haut blasst bei Kälte ab und wird dann schmutzig-grau, während sie sonst rötlich mit schwarzen Flecken, chokoladefarbig oder ganz schwarz ist. Em von Tiemann beschriebener Bastard eines solchen Hundes, gezeugt mit einem normal behaarten, hatte nur Haare am Kopfe, Schwanze und an den vier Beinen. Yarell (7) fand bei Untersuchung dreier ägyptischer Hunde mit dem Haarmangel gepaart eine hochgradige Reduktion des Gebisses und ebenso bei einem haar- losen Pinscher unvollständige Backzahnreihen. Meist betreffen die Defekte des Gebisses die Schneidezähne, die Eckzähne und die Prämolaren. In einem Falle fehlten mit Ausnahme des Reisszahnes jeder Seite alle Zähne. Ich selbst habe mehrere „haarlose‘ Hunde gesehen, bei denen die Behaarung entweder auf einige flaumartige Haare meist am Rumpfe oder nur auf einige borstenartige schwarze Stümpfe beschränkt war, zu näherer Untersuchung ergab sich, trotzdem diese keineswegs schöne Rasse in grösseren Städten vielfach Liebhaber findet und trotz vieler in dieser Hinsicht aul- gewandten Mühe keine Gelegenheit. Weitere Fälle von angeborenem Haarmangel bei Tieren mögen vielleicht da und dort noch gelegentlich verzeichnet sein, doch fand ich keine Anhaltspunkte für weitere vorhandene ein- schlägige Mitteilungen. Auch bei wild lebenden Tieren kommen möglicherweise dann und wann einmal Fälle von angeborener Hypotrichosis vor, die aber mit Ausnahme der heissen Länder zu baldigem Tode in Folge von gestörter Wärmeökonomie führen dürften. Aus allen den angeführten Fällen ergiebt sich, dass es sich niemals um absolute angeborene Haar- losigkeit, sondern nur um eine nach Länge, Dicke und Zahlder Haare sehr beträchtlich hinterder Norm Über Hypotrichosis congenita universalis. 249 zurückbleibende rudimentäre Ausbildung des Haar- kleides handelt, das freilich an vielen und ausge- dehnten Stellen auch gänzlich fehlen kann. Eine anatomische Untersuchung der Haut hypotrichotischer Tiere ist bislang, wie es scheint, in keinem Falle vorgenommen, sicher nicht veröffentlicht worden. Eben so wenig ist bekannt, wie sich das embryonale Haarkleid solcher Tiere verhält, ob dasselbe sich etwa durch embryonalen Haarwechsel reduziert, indem an Stelle der ausgefallenen Haare keine neuen treten oder ob. was mir wahrscheinlicher ist, schon beim Embryo eine mangelhafte Anlage der Haarkeime festzustellen ist. Beim Menschen kennt die Litteratur, wenn wir von älteren zweifelhaften Fällen absehen, im denen es sich möglicherweise um einen nachträglichen Verlust der Haare in Folge sehr ver- schiedener Ursachen gehandelt haben kann, nur etwa ein Dutzend bisher ohne jede Ordnung aufgeführter Fälle von angeborenem Haarmangel, die wir nach den folgenden Gesichtspunkten ordnen: I. Angeborener Haarmangel gepaart mit Zahnmangel oder Un- regelmässigkeiten in der Bezahnung oder Nagelbildung. Zwei erwachsene Juden, die weder Haare noch Zähne je gehabt haben, beschreibt Dauz (8). Zwei ähnliche Fälle bringen die Salzburger medico-chirurgische Zeitung (9), sowie die Trans- actions of Society of London (10). Auch Sedgwick (11) berichtet über mehrere auffallende Fälle von vererbter Kahlheit mit ver- erbtem eänzlichem oder teilweisem Fehlen der Zähne. Leider war mir die betreffende Arbeit nicht zugänglich. Sehr interessante Mitteilungen über eine haarlose Familie giebt Waldeyer (12) nach Angaben von Ecker. Die Familie B. lebt in Andolsheim unweit Colmar im Ober- elsass. Die Grosseltern der gegenwärtigen Generation, Matthias B. und Maria St. waren beide normal behaart. Von ihren 5 250 VII. R. BONNET. Kindern waren 4 haarlos: Maria, Katharina, Salome und Michel. ein zweiter Sohn Matthias war behaart. Letzterer hat 5 Kinder, die ebenfalls behaart sind. 1. Maria verheiratete sich mit einem normal behaarten Ver- wandten, Johann B. und gebar demselben 6 Kinder, darunter 1 haarlosen Knaben und 2 haarlose Mädchen. Eines dieser letzteren war verheiratet in Fortschweier und hat einen haar- losen Knaben, der noch (d. h. anno 1884 zur Zeit der Waldeyer- schen Mitteilung) lebt. Die Haarlosigkeit hat sich also bis in die dritte Generation vererbt! 2. Katharina B. verheiratet mit dem normal behaarten J.M. in Behlenheim hatte 4 normal behaarte Kinder. 3. Salome B. verheiratet mit einem normal behaarten Ver- wandten M. B. gebar 14 Kinder, von denen etwa die Hälfte haarlos war. Die Kinder starben alle früh, bis auf den zur Zeit in Andolsheim noch lebenden haarlosen Daniel B. 4. Michel B. ist in Andolsheim verheiratet. Seine Ehe ist kinderlos. Er gilt für geistig unentwickelt und ist schwer zu- gänglich. Ein sehr glaubwürdiger Zeuge M., welcher Daniel B. bei der Rekrutenmusterung sah, giebt an, dass derselbe am ganzen Körper haarlos sei. Bei allen fraglichen Personen seien die Fingernägel difform verdickt. Bei den Männern fänden sich auf dem Kopfe einige ganz feine Härchen, die aber im Nacken fehlten. Spätere Angaben von Herrn Dr. Wasserfuhr in Strassburg übermittelt, besagen, dass Daniel B. und Michel B. auf dem Kopfe und im Genicke feines ganz blondes Lanugo- haar tragen. Über die noch früheren Verhältnisse der Familie war nichts bekannt. In diesen Fällen ist die teilweise Heredität der Anomalie in zweifelloser Weise konstatiert. Jones und Aitkens (13) fanden bei der Untersuchung der Haut eines Individuums mit angeborenem Haarmangel, verbilde- Über Hypotrichosis congenita universalis. 251 ten Fingernägeln und unregelmässig gestellten Zähnen die Cutis des Haarbodens durch ein strangförmig areoläres Gewebe mit eingelagerten Fettzellen und Körnchenhaufen ersetzt. Zwischen den veränderten Follikeln findet man hie und da Andeutungen von Papillen. Die Epidermis ist atrophisch. Zweifellos handelt es sich in diesem Falle um- eine allgemeine Hypoblasie des Hornblatts und seiner Abkömmlinge. U. Angeborener Haarmangel ohne Zahn- und Nageldefekte: 1. Bei zwei haarlos geborenen gegen 40 Jahre alten Austra- liern, Schwester und Bruder aus dem Stamme Bogoll, fand Miclucho-Maclay (14) ausser einigen Wimpern und vier Haaren an einem Nasenloch keine Haare am ganzen Körper des Mannes, auch keine Lanugo scheint vorhanden gewesen zu sein. Beim Weibe waren nur einige Wimpern, deren Spitzen, wie beim Manne abgebrochen waren, vorhanden. Äusserlich war bei beiden keine Spur einer Hautaffektion zu entdecken. Zähne bei beiden Individuen vollzählig, keiner kariös. Eine ältere Schwester war ebenfalls haarlos gewesen, hatte aber normal be- haarte Kinder geboren. Über die Behaarungsverhältnisse der Eltern war nichts Sicheres zu erfahren. 2. Einen nicht minder interessanten Fall beschreibt Schede (15). Zwei Kinder einer Bauernfrau, ein 13jähriger Knabe und ein 6 Monate altes Mädchen waren vollkommen kahl geboren worden. Auch später hatten sich keine Haare entwickelt. Es fehlte jede Andeutung von Haaren, Augenbrauen, Augenwimpern und jede Spur von Wollhaar. Im Übrigen waren beide Kinder vollkommen ausgebildet und ihrem Alter entsprechend entwickelt. Beide durchaus gesunde Eltern erfreuten sich eimes vollen Haar- wuchses, ebenso zwei andere Kinder, welche im Alter zwischen den haarlosen standen. In einem Stückchen excidierter Kopf- schwarte des Knaben fand Schede gut entwickelte mit freier -_ 959 VII. R. BONNERT. Öffnung direkt auf die Haut ausmündende Talgdrüsen und Haarrudimente in den tieferen Outisschichten als kurze, gerade oder nur wenig gewundene „Schläuche ohne wahrnehmbare Höhlung‘“, welche ihrem ganzen Bau nach mit der äusseren Wurzelscheide übereinstimmten. Zentrale zwiebelartige Anhäu- fungen aus plattgedrückten Epidermiszellen verwandelten die Fpithelzapfen vielfach in mikroskopische Atherome. Schweiss- drüsen sind normal entwickelt. Auch Haarbalgdrüsenmuskeln sind vorhanden. Von einem Haare oder einem ausgebildeten Haarbalg war nichts zu finden. Die rudimentären nur in der Tiefe der Cutis vorhandenen und angeblich mit der Epidermis nicht in Zusammenhang stehenden Haarbalgrudimente hatten es nur zur Produktion von Epidermisschuppen gebracht, die sich bei dem gänzlichen Mangel eines jeden Ausführungsganges in Form von mikroskopischen Hornkugeln anhäuften. Äusser- lich war der Kopf des Knaben glatt, wie eine Billardkugel. Soweit Schede. Zweifellos war es in diesem Falle zur Anlage der primitiven Haarkegel, die, wie wir wissen, beim Menschen gegen Ende des dritten und Anfang des vierten Monats auftreten, und zur Son- derung in die Malpighische Schichte des Balges und der Haar- anlage nebst Haarwurzelscheide (innere Wurzelscheide der Autoren) gekommen. Es geht dies schon daraus hervor, dass Talgdrüsen vorhanden sind, die von den Zellen der Malpighischen Schichte des Balges erst dann entstehen, wenn alle Teile des primitiven Haarkegels differenziert und gewöhnlich die Haare schon etwas entwickelt sind. Wie weit letzteres hier der Fall war, ist nicht zu entscheiden. Aus der der Abhandlung beigegebenen stark schematisierten Abbildung ist kein sicherer Schluss auf die Ur- sachen der Hemmungsbildung zu ziehen, möglicherweise blieb die Anlage der Haarpapillen aus. Über das Vorhandensein oder Fehlen derselben sagt Schede leider kein Wort. Die drei Fälle von Jones und Aitkens, Miclucho-Macley und Schede Über Hypotrichosis congenita universalis. 253 sind Beispiele der ausgedehntesten bis heute bekannten Hypo- trichosen. III. Die dritte und wohl häufigste Form von totaler angeborener Haarlosigkeit ist weniger durch bleibenden Haarmangel am ganzen Körper als durch verzögerte Anlage und verspäteten Durchbruch der Haare durch die Epidermis ausgezeichnet. In solchen Fällen tritt kürzere oder längere Zeit, oft erst nach Jahren Lanugo und später normales kräftiges Haar auf. So erzählt Steimning (16) von zwei Judenkindern, die bei der Geburt nur mit Vernix caseosa bedeckt, gänzlich haarlos, sonst aber gesund waren. Einen ebensolchen Fall führt Rayer (17) an. Nach Schenk (18) soll König Ludwig von Ungarn ganz haarlos auf die Welt gekommen sein. Bei einem zweijährigen, sonst in jeder Hinsicht normalen Mädchen fand Michelson (19) nur etwas Wollhaar auf dem Kopfe. 1. Einen ebenfalls hierhergehörigen Fall beschrieb Luce (20) bei einem 8!/2jährigen nach Angabe seiner Mutter völlig haarlos geborenen Mädchen. Im 6. Monat nach der Geburt hatten sich eine Anzahl kleiner über den Kopf verbreiteter Erhabenheiten gezeigt. Die ersten Haare aber wurden erst im 6. Lebensjahre bemerkt. Bei genauerer Untersuchung konstatierte Luce, dass neben zahlreichen Wollhaaren wenige schwarzgraue Haare von normaler Stärke und 1'/s cm Länge vorhanden waren. Die Kopfhaut zeigte derbe konische Knötchen von unveränderter Hautfarbe, aber mit einem zentralen schwarzen Punkt. Lüftete man unter Lupenvergrösserung mit einer Nadel die Decke der Knötchen, so sah man unter derselben eine schwarze Masse, die sich mittelst der Nadelspitze herausheben und als zusammen- gerolltes Haar erkennen liess. Es handelte sich hier also um Verhältnisse, die gewöhnlich als Lichen pilaris bezeichnet und auch bei partieller Hypotrichose mehrfach beobachtet worden sind. 254 VOL R. BONNET. Die mittelst der Nadelspitze aus dem Balge gehobenen Haare zeigten in regelmässigen Abständen abwechselnd dünnere und spindelförmig verdickte Stellen, also neben der Anomalie der Haaranlage die Anomalie in der Bildung des Haarschaftes, welche vom Menschen in neuerer Zeit mehrfach (21) beschrieben und als „Ringelhaare“ oder Aplasia pilorum intermittens seu moniliformis (monile — Halsband) bezeichnet und bei mangel- hafter und normaler Behaarung gefunden worden ist. Die meisten Untersucher der Ringelhaare sind darüber einig, dass die verdünnten unter der normalen Dicke des Schaftes zu- rückbleibenden Internodien des Haares als die anomalen ab- normen dünnen Stellen des Haares aufzufassen seien. Ich will dem im allgemeinen nicht widersprechen, erlaube mir aber gleichzeitig auf meine kleine Mitteilung „Über Haarspindeln und Haarspiralen“ zu verweisen (22), in der ich ähnliche Verhältnisse, zum erstenmal auch auf Schnitten durch die Haarbälge unter- sucht, beschrieben und meine Anschauungen über die mechani- sche Ursache dieser Verbildungen mitgeteilt habe. In diesem Falle übertreffen die spindelförmigen Verdiekungen an vielen Haaren, wie der Vergleich mit ausgebildeten dicken Häaren zeigt, ganz zweifellos die normale Dicke des Haarschaftes und es handelt sich hier vielfach um eine gleichzeitig mit partieller Hyperblasie mancher Strecken einhergehende Hypoblasie in der Dicke des Haares an anderen Strecken, bedingt durch Druck- wirkung seitens des Haarbalges auf die noch weiche Haar- substanz. 3. Auch P. de Molenes (23) schildert ein vollständig ausge- tragenes Kind, das mit Ausnahme einiger kaum wahrnehmbarer Flaumhärchen am Kopf und Lidern völlig haarlos zur Welt kam. Das Kind entwickelte sich sehr gut, aber Ende des 5. Monats verschwanden zum Schrecken der Eltern auch noch die wenigen rudimentären Härchen am Kopfe, dessen Haut auffallend weiss und glatt wurde. Die Mutter war als 19jähriges Über Hypotrichosis congenita universalis. 255 Mädchen an heerdförmiger Alopecie der Lider und Brauen er- krankt und erst nach dreijähriger Behandlung geheilt worden. Ihr erster, 3 Jahre vor dem Mädchen geborner Sohn erlitt 6 Jahre alt einen kreisförmigen Haarausfall am Kopfe und Ver- lust der Cilien. Nach 20 Monaten waren die Haare wieder ersetzt. Auf der weissen und glänzenden Kopfhaut des bei der Unter- suchung 16 Monate alten Kindes war auch mit der Lupe keine Spur von Haaren zu entdecken, nur Follikelöffnungen fanden sich. Zähne und Nägel waren normal. 5 Monate nach einge- leiteter Behandlung begannen zuerst die unteren, dann die oberen Lider sich zu behaaren. Die zuerst weissen und zarten Haare wurden bald braun und stärker. Die Haargrenze rückte nach Stirn, Ohren und Nacken vor und im Alter von 4! Jahren fand sich nur noch eine thalergrosse kahle Stelle hinter dem linken Ohr. Bemerkenswert ist hier vor allem der nachträgliche totale Ausfall, eine Hypotrichose gepaart mit Depila- tion. Zahn- und Nagelwachstum des Kindes waren wie die Ent- wickelung im ganzen vollständig normal. Von allen diesen beim Menschen angeführten Fällen sind aber nur zwei, der Fall von Jones und Aitkens und der von Schede etwas genauer, auch anatomisch, angesehen worden, den Eindruck einer gründlichen Untersuchung macht keine der beiden Mitteilungen. Auch beim Fall von Luce ist das Ver- halten des Haares im Balge nur in äusserst skizzenhaften Ab- bildungen angegeben. In Anbetracht dieser Spärlichkeit des untersuchten Materiales ist die Mitteilung der Ergebnisse der mikroskopischen Unter- suchung des mir vorliegenden Falles vielleicht um so mehr von Interesse, als die Möglichkeit ausgedehnter Untersuchungen über angeborene Haararmut beim Menschen aus naheliegenden Grün- den wohl nur eine aussergewöhnliche sein kann, ausserdem werden die Verhältnisse bei Mensch und Tier im wesentlichen kaum besondere Abweichungen bieten. 256 VII. R. BONNET. Zu bedauern habe ich nur, dass eine derartige Untersuchung nicht schon von Zeit zu Zeit an noch während des Lebens des Zickleins ausgeschnittenen Hautstückchen vorgenommen wurde, um so den Grad der sich an Haut und Haaren nach der Ge- burt abspielenden Veränderungen genau feststellen zu können. Leider verbietet auch die Art der Konservierung des Präparates in Alkohol die Durchmusterung mit Rücksicht auf die aus vor- handenen Kernteilungsfiguren ersichtlichen Wachstumsvorgänge. Immerhin gewährte der Frhaltungszustand des Präparates be- züglich der feineren anatomischen Verhältnisse gute Aufschlüsse und lieferten die mit Boraxkarmin, Pierokarmin, Braunschem Picrokarmin, Hämatoxylin, Hämatoxylincarmmn, sowie in Fuchsin, Gentiana und namentlich die mit Benzoazurim nach einer An- gabe meines ehemaligen Prosektors P. Martin überfärbten und dann bis zur schärfsten Differenzierung in Alkohol ausgezogenen Schnitte völlig klare Bilder. Um weitläufige Wiederholungen zu vermeiden will ich die Ergebnisse der etwas mühseligen Untersuchung sämtlicher Haut- regionen auf hunderten von Schnitten in Kürze und in den wesentlichsten Punkten zusammenfassen. Absoluter Haarmangel besteht zur Zeit des Todes an keiner Körperstelle mehr, auch nicht an den bei der Untersuchung mit starker Lupe scheinbar gänz- lich haarlosen Gegenden. Überall sind Haare in der Outis vorhanden, überall be- sitzen sie in Gestalt der Cuticulae, der Haarwurzelscheide, der Malpighi'schen Schichte und der Glashaut des Haarbalges, so- wie in der inneren Quer- und äusseren Längsfaserschichte des letzteren ihre charakteristischen Hüllen. Auch in der feineren histologischen Struktur, der bekannten Verteilung des Eleidins und der durch neuere Autoren bekannt gewordenen Reaktion der „verhornten“ oder als „Prokeratin“ bezeichneten Teile des Haares in Anilinfarbstoffen habe ich keine Abweichungen zu Über Hypotrichosis congenita universalis. 257 vermelden. Überall finden sich Haarbalgdrüsen, Knäueldrüsen und Haarbalgdrüsenmuskeln als accessorische Organe. Die Dichtigkeit des Haarbestandes, das Kaliber der Haare, ihre Länge, ihr Pigment und Markgehalt aber wechseln an den ver- schiedenen Körpergegenden ebenso sehr wie das Verhalten der Haare zu der Epidermis. Auch an den äusserlich ganz unbehaarten Haut- stellen, den Lippen, der Schnauze, der Innenfläche der Ohren, den Lidern, der Streckseite des Carpus und Metacarpus sowie des Tarsus und Metatarsus finden sich in allen Schnitten, in manchen freilich nur äusserst spärliche und zerstreute Haaran- lagen, deren jüngste ausnahmslos dem Stadium entsprechen, in welchem die Haaranlage sich in das Haar und seine Hüllen differenziert hat, in dem die Haarzwiebel und Papille deutlich sind und die Talgdrüsenanlagen in Form knospenartiger Aus- buchtungen der Malpighischen Schichte des Haarbalgs auffallen. Frühere Entwickelungsstadien fehlen durchweg nahezu vollständig. Die Anlage neuer Haare ist also schon seit einiger Zeit fast vollkommen sistiert. Bis zu völlig ausgebildeten feinen mark- losen pigmentierten oder unpigmentierten Wollhärchen finden sich alle Übergangsformen. Aber mit ganz vereinzelten Ausnahmen stecken diesämtlichen Haarenoch unter der Epidermis in ihren Bälgen, sie sind mit Ausnahme einer da und dort die Epidermis überragenden äusserst feinen Spitze noch nicht durchgebrochen. Sehr vereinzelt trifft man zwischen ihnen, namentlich da, wo haarlose Hautstellen in mit dünnen Härchen bestandene Regionen übergehen, markhaltige, stärkere Haare, die entweder ebenfalls noch in ihren Bälgen steckend, die Epidermis noch nicht durchbrochen haben oder dieselbe mehr oder weniger verbogen in wechselnder Länge überragen. Da die Haare, feine wie grobe, die Länge der Haarbälge vielfach um das Doppelte, Dreifache oder noch bedeutender an 258 VII. R. BONNET. Länge übertreffen, so können solche Haare nur durch mehrfache Verbiegungen und oft sehr auffallende mäandrische Krümmungen und Verschlingungen im Haarbalge Platz finden. (Fig. 2—6). Auch die Haarwurzel zeigt da und dort dicht über der Haar- zwiebel Verbiegungen im stumpfen oder rechten Winkel, die aber an den feinen Wollhärchen bedeutend seltener sind, als an den gröberen markhaltigen Haaren. Letztere sind auch meist am stärksten aufgeknäuelt, gleichgültig ob sie noch ganz im Haarbalge stecken oder mit der Spitze oder dem peripheren Ende des Knäuels bereits die Epidermis überragen oder nicht. Jüngere dünnere Haare findet man da und dort ganz gerade verlaufend und in normaler Weise aus der Haarbalgmündung heraustreten. Für sie scheint die Bedingung zur Aufknäuelung zu fehlen. Stets erreicht diese letztere ihr Maximum im Bereich der Haarbalgdrüsen oder über denselben und bedingt eine mehr oder minder auffallende Auftreibung des Haarbalges und zwar stets über dem Ansatz des Haarbalgdrüsenmuskels, die regel- mässig gegen diesen Muskel zu am stärksten ausgebaucht er- scheint. Wie aus den Figuren 2, 4, 5 und 7 ersichtlich, trägt derselbe durch seine Kontraktion zur Knickung des noch weichen im Balge steckenden und mit seiner Spitze an die Epidermis stossenden Haares bei und begünstigt die durch dessen weiteres Wachstum veranlasste Knäuelbildung. Am auffallendsten und entwickeltsten sind diese Knäuel- bildungen an den schon etwas behaarten Hautstellen des Nackens, Kopfes und Rückens. Die intensiv schwarzen und wie aus ihrer Dicke und Länge hervorgeht, älteren Haare zeigen fast sämtlich die oben erwähnte mehr oder weniger starke Knickung über der Papille, verlaufen dann gerade oder nur schwach gebogen bis in die Talgdrüsenregion und zeigen nun entweder in seltenen Fällen eine flache konzentrische Aufknäue- lung, wie sie von verschiedenen Autoren schon mehrfach be- schrieben (22) und namentlich an der Innenseite des OÖberschenkels Über Hypotrichosis congenita universalis. 259 beim Menschen bekannt ist (Fig. 2), oder aber es finden sich wechselnd starke Verbiegungen und lockere und dichtere Knäuel- bildungen von ca. !/s—!z mm Dicke und von !/s bis I mm Länge. (Fig. 3—6.) Man findet zwar in dermatologischen Ab- handlungen Aufknäuelungen mehrfach erwähnt, in situ und auf Schnitten aber scheinen dieselben noch nicht genauer untersucht worden zu sein, auch Abbildungen derselben habe ich umsonst gesucht, und es ist somit fraglich, in wie weit sich dieselben mit den von mir abgebildeten decken. In einzelnen Fällen kann es sogar, wie ich mich mehrfach auch an dem aus der Haut ent- fernten Haare überzeugen konnte, zu einer wirklichen Knoten- schürzung im Balge selbst kommen. Ich habe von einigen wenigen schlingenförmigen Verbiegungen an bis an die dreissig an einem Haare sicher gezählt, war aber auch vielfach ausser stande die Gesamtsumme zweifellos anzugeben, da die kompli- zierten Verbiegungen eine genaue Zählung nicht mehr erlaubten. Die Knäuelbildungen sind an vielen ausgedehnten Regionen so häufig, dass man in Schnitten von 1'!/s cm Länge je nach der Dichtigkeit des Haarbestandes zwischen 15—25 derselben eine neben der anderen findet. Dazwischen trifft man da und dort vereinzelte zartere und jüngere Haare. Alle starken Haare sind, wie man sich namentlich an den pigmentlosen überzeugen kann, mit dem für die Wiederkäuer, speziell für die wollhaarigen Thiere, das Schaf und die Ziege charakteristischen dicken Mark- cylinder versehen, der bis zur Papille zu verfolgen ist. Nirgends aber, mit Ausnahme von im ganzen nur vier Wollhaaren, finden sich auffallenderweise trotz der ausserordentlich variablen Stärke und Länge der einzelnen Haare Andeutungen eines stattgehab- ten Haarwechsels, dieden Beweiszu führen erlaubten, dass markhaltiges Ersatzhaar an die Stelle des mark- losen Primärhaares getreten ist. 260 VII. R. BONNET. Es scheint vielmehr das Stadium des marklosen Primärhaares vielfach übersprungen worden zu sein, da die meisten Haare bis zur Spitze, oder wenn diese abgebrochen ist, bis zum Ende markhaltig sind. Viel- leicht auch beginnt sich eben erst ein Haarwechsel einzuleiten, als dessen vereinzelte Vorboten die erwähnten vier Wollhaare zu deuten sind. Gerade in dieser Frage hätte die Untersuchung von periodisch intra vitam excidierten Hautstückchen den ge- wünschten Aufschluss sicher bringen müssen. Die starken Aufknäuelungen der Haare bleiben selbstver- ständlich nicht ohne Wirkung auf die epithelialen Scheiden der Haarwurzel und den Haarbalg. Abgesehen von rissigen Kon- tinuitätstrennungen der Malpighischen Schichte des Haarbalges, welche sich meist im Bereiche des Ansatzes des Haarbalgdrüsen- muskels finden und in den Figuren 2,6 und 7. angedeutet sind, finden sich namentlich an den älteren stärkeren Haaren recht beträchtliche Abschilferungen des peripheren Teiles der Haar- wurzelscheide (innere Wurzelscheide) im Bereiche der Knäuel. Die Bälge sind hier erweitert auch vielfach gedehnt und ge- knickt, die Malpighische Schichte derselben oft ebenso wie die beiden Schichten des Haarbalges um so mehr verdünnt, als durch Ansammlung von Zellen der Haarwurzelscheide und die Windungen der Haarknäuel die Spannung der Balgwand zu- nimmt. Es liegt nahe, die Ursache für diese höchst auf- fälligen Befunde in Hindernissen. für den Dureh- bruch der Haaxe durch die Epidermis zu/swehen. In den Schnitten durch Hautregionen, in denen die Haare durchgebrochen sind, finden sich aber hierfür nur teilweise An- haltspunkte in Form von festen, die Haarbalgmündungen bis zur Talgdrüsenregion völlig verstopfenden Epidermiszapfen, deren freie, der Hautoberfläche zugekehrte Basis vielfach etwas auf- geblättert erscheint. Das Vorhandensein dieser Zapfen ist aber 261 Über Hypotrichosis congenita universalis. um so auffallender als die zwischen den Haarbalgmündungen gelegenen Epidermisstrecken nichts besonders Abnormes zeigen. (Fig. 10.) Befriedigendere Aufschlüsse liefern dagegen Schnitte durch Hautgegenden, in denen die Haare in der Anlage oder eben im Durchbruche durch die Oberhaut begriffen sind. In solchen aus der Haut des Rückens, des Gesässes und Schweifes angefertigten Präparaten zeigte sich die Hornschicht der Epidermis vielfach in ausgiebige zerklüftete Fetzen zerfasert und es machte den Ein- druck, als ob beträchtliche Teile desselben abgestossen worden wären. An Stellen, wo der Durchbruch der Haare sich noch nicht vollzogen hatte, erwies sich nun die noch kontinuir- liche Hornschicht der Epidermis thatsächlich etwa um das Doppelte bis Vierfache der normalen Dicke, die sie sonst an gleichaltrigen Ziegenlämmern an den gleichen Hautstellen zeigt, verdickt und zugleich mit zapfenartigen zum Teile ebenfalls voll- ständig verhornten Fortsätzen weit in die Haarbalg- mündung oft bis zur Talgdrüsenregion hereinreich- end. Gegen die Spitze dieser Epidermiszapfen muss also die Spitze des feinen und verspätet angelegten Härchens anstossen (Fig. 8 und 9) und sich, da esin Körpertemperatur und in der Feuchtigkeit des Haar- balges wie in einem feuchtwarmen Umschlage befind- lich weich und nachgiebig ist, so lange unter Er- weiterungder Haarbalgmündung, Emporwölbung der Epidermisund Abschilferung der Haarwurzelscheide aufknäueln, bis die vis a tergo ausreicht, um die Epi- dermiszapfen zu lockern und dem Haare den Durch- bruch zu erzwingen. Die Richtigkeit dieser Deutung wurde durch alle möglichen Übergangsformen, welche den ganzen Prozess in allen Stadien seines Verlaufes zeigten, erhärtet. Am Rücken dagegen waren Anatomische Hette. 3. 13 262 VII. R. BONNET. teils durch den fast allgemeinen Durchbruch der Haare, teils vielleicht auch durch die zum Schutze gegen die Kälte aufge- legten Decken und deren Reibung die oberflächlichen Schichten der abnorm dieken Hornschicht schon ganz oder teilweise ab- geschilfert. Es handelt sich also in diesem Falle um eine mit abnormdicker Epidermisentwickelung, einer Art Kera- tose, gepaarte verspätete Anlage der Haareund deren durch die in der Haarbalgmündung steckenden Epi- dermiszapfen behinderten Durchbruch und A ufknäue- lung und erinnert derselbe an die von Luce beschriebenen und auch bei partieller Hypotrichose als Lichen pilaris bekann- ten Verhältnisse, doch wage ich bei der Dürftigkeit der Abbil- dungen von Luce nicht zu entscheiden, in wie weit Ähnlich- keiten und Unterschiede bei beiden Fällen im einzelnen bestehen. Nach dem Durchbruch der Haare kontrahieren sich die an elastischen Elementen und glatten Muskelfasern (innere Balglage!) reichen Haarbälge wieder und kehren nachdem sie die Haarknäuel gleichsam auf die Hautoberfläche erbrochen haben, allmählich wieder zur gewöhnlichen Form zurück. Doch findet man an vielen Bälgen, deren Haare nach der Entfernung des Knäuels aus dem Balge ganz glatte Wurzeln zeigen, noch deut- liche Spuren ihrer Verbiegungen und Auftreibungen. (Fig. 7). Über die Epidermis hervorgesprosst lockern sich die Haar- knäuel und entwirren sich. Solche Haare zeigen dann die m Fig. 1 dargestellten Knickungen und Biegungen. Sehr viele, wohl die meisten brechen dabei ab und verlieren so ihre Spitze. Dieses Fehlen der Spitze weist auch an geraden, scheinbar nor- mal gewachsenen Haaren auf die früheren Verbiegungen und Insulte zurück, denen sie vor ihrem Durchbruche ausgesetzt waren und die, wie ich mich überzeugen konnte, vielfach auch zur Lockerung der Rindenzellen und zum Platzen der Cuticula führen. Über Hypotrichosis congenita universalis. 263 Bezüglich der Strukturverhältnisse der Epidermis ergaben sich ebenfalls nicht unbeträchtliche Abweichungen von den ge- wöhnlichen Befunden. Man hat auch hier wieder die Verhältnisse an Körperstellen, an denen die verdickte Hornschichte noch geschlossen vorhanden ist und mit zapfenartigen Fortsätzen die Haarbalgmündungen verstopft, zu unterscheiden von den Gegenden, wo die Haare durchgebrochen sind, die Hornschicht abgeblättert ist und nur noch vereinzelte Epidermiszapfen, die schon von den Haaren durchwachsen sind, sich finden. An den scheinbar haarlosen Stellen, z. B. am. Carpus und Tarsus findet man die Malpighische Schicht von normaler Dicke. Auf die einfache Basalschicht folgen 3 bis 4fach geschichtete Stachel- oder wie man sie besser mit Kölliker (24) nennt, Fadenzellen. Die Eleidinschichte, deren Körner sich namentlich bei der Färbung mit Benzoazurin äusserst scharf differenzieren, besteht in ungleicher Dicke. Stellen von alternierend geordneten Zellen wechseln mit solchen von doppelter und dreifacher Schichtung. Die darüber liegende Hornschicht geht in ihrer Dicke im allgemeinen parallel der Dicke der Eleidinschicht, ist aber überall viel dicker als an normaler Ziegenhaut der gleichen Körperregion und besteht aus sehr flachen zum Teil intensiv, zum Teil nur ganz schwach tingierten kernlosen vielfach schon durch horizontale Spalten gelockerten Zellenlagen. Am Kopfe, am Rücken, überhaupt an Stellen mit besonders dicker Epidermis, folgt auf die Basalzellenlage und die 3—5fach geschichtete Malpighische Schicht eine mindestens 3—6fache Eleidin-Körnerschicht und dann eine entweder in Aufblätterung begriffene oder noch völlig kompakte Hornschichte, die mindestens so dick ist, wie die Fadenzellenschicht und Eleidinschichte zu- sammen (Fig. 9). An normaler Ziegenhaut gleicher Körper- gegenden finde ich nur eine einfache oder alternierende oft sehr 18* 264 VII. R. BONNET. undeutliche Eleidinzellenlage und eine nur ganz dünne Horn- schichte. Sehr grosse, auch mit gröberen Bleidinkörnern erfüllte und teilweise diffusgefärbte Zellen erstrecken sich in die Mündungen gröberer Haarbälge bis zur Talgdrüsenregion oder noch tiefer in den Haarbalg herein; auch diese Bilder sind an normaler Haut viel weniger deutlich. Am auffallendsten präsentieren sich die Epidermiszapfen, welche ebenfalls intensiv blau tingiert bis zur Mündung der Haarbalgdrüsen in den Balg hereinreichen. Entweder ist der ganze Zapfen gleichmässig blau gefärbt oder seine Achse ist in wechselnder Dicke heller oder ganz farblos. In besonders grossen Zapfen besitzt die helle Achse oft nur einen dünnen blau gefärbten Mantel. Gegen die Epidermisoberfläche zu geht die Zapfenbasis entweder in gleicher Farbe und in geschlossenem Gefüge in die ebenso intensiv gefärbte Hornschicht der Um- gebung über oder die Färbung beschränkt sich nur auf ein grösseres oder kleineres Gebiet an der Zapfenspitze und der Zapfen hat die helle in Benzoazurinpräparaten graublaue Farbe der dann stets sehr dieken und meist noch festgefügten Horn- schicht in seiner Umgebung. Wo die Hornschicht besonders intensiv gefärbt erscheint, teilt sie mit den ebenso tingierten Zapfen eine weniger feste Struktur und zeigt die Tendenz zur Aufblätterung. Solche Zapfen sind oft von den Haaren ganz zerklüftet und zersprengt. (Fig. 9 und 10 links.) Vielfach ist aber auch die Basis der Zapfen aus ihrem Zusammenhang mit der umgebenden Horn- schicht gelöst und die Epidermisblätter, welche noch mit dem Zapfen in Zusammenhang sind, erscheinen gegen den Schaft des die Zapfenachse durchbohrenden Haares hinaufgeschlagen, es ent- stehen dann bei schwacher Vergrösserung pinselartige Bilder, die an durchgebrochene junge Federn erinnern. Über Hypotriehosis congenita universalis. 265 An den Stellen, wo die Haare grösstenteils durchgebrochen sind, wird die Hornschichte, sofern sie noch nicht abgestossen ist, überall in Abblätterung gefunden, doch ist die Grenze der Abhebung keine konstante. Die Trennungsfläche liegt einmal dieht über der Rleidinschichte und fällt dann in den Bereich des nur ausnahmsweise deutlichen Stratum lucidum oder aber sie findet sich in wechselnder Höhe der Dieke des Querschnittes der Hornschicht und ist durch unregelmässige Spalten angedeutet. So werden bald diekere, bald dünnere Hornschichtfetzen an manchen Stellen, wie es scheint wiederholt, abgehoben. Jeden- falls ist soviel sicher, dass da, wo die Haut und ihr Haarbe- stand den normalen Verhältnissen sich nähert, nur noch eine ganz dünne meist intensiv gefärbte, weichere Lage von Horn- schicht sich findet. (Fig. 10.) Kompliziert wurden diese Befunde noch dadurch, dass an manchen kleinen und eirkumskripten Stellen die Eleidinschicht unterbrochen ist. Die Hornschichte ist dann polsterartig ver- dickt und durch sich in Pikrokarmin intensiv färbende in den tiefen Schichten rundliche, in den oberflächlichen Schichten mehr stäbchenförmige Kerne, die oft sehr gedrängt liegen, fallen solche Gebiete schon bei schwacher Vergrösserung als rote Flecken auf. (Fig. 11.) Ich fand solche aus 15—20fach geschichteten Zellen- lagen bestehende Epidermisverdickungen von wechselnder Grösse namentlich an der Hautfläche der Lider, der Lippen und am Tarsus und Metatarsus. Ich habe die ganze jenseits der Körnerschicht gelegene Epidermis nach geläufigem Gebrauche als „Hornschicht“ be- zeichnet. Aus meiner Schilderung aber geht zur Genüge hervor, dass der Grad der Verhornung in derselben, ebenso wie die Struktur dieser Schichte keineswegs an allen Stellen gleichartig sind, dass an einer und derselben Körperstelle manigfache Mo- difikationen der Hornschicht in Bau und Reaktion gegen Farb- stoffe auffallen. Hält man mit diesem Umstand zusammen, 266 VII. R. BONNET. dass auch die Dicke der Körnerschicht im Verhältnis zur Horn- schicht vielfach eine variable ist, so wird die Behauptung ge- rechtfertigt erscheinen, dass auch der Verhornungsprozess viel- fache Abweichungen und Unregelmässigkeiten aufweist, auf deren genauere Würdigung ich bei dem gegenwärtigen noch höchst unzulänglichen Zustand unserer Kenntnisse von den normalen histologischen und chemischen Vorgängen bei der Verhornung verzichte. Es frägt sich nun noch, ob und in wieweit die abnorme Dicke der Epidermis auf ein allenfallsiges Bestehenbleiben des embryonalen E pitrichiums zurückgeführt werden darf. Durch den verspäteten Durchbruch viel zu spät angelegter Haare sind die gewöhnlichen Verhältnisse gänzlich verschoben worden. Das eigentliche Epitrichium ist insoferne streng genommen keme Deckschichte der Haare mehr gewesen, als letztere ja noch gar nicht zu der Zeitangelegt waren, wo mutmasslich das „Epitrichium‘, wenn es sich überhaupt so lange erhalten hat, durch die me- chanischen bei der Geburt auf die Körperoberfläche wirkenden Insulte und durch die beträchtliche Zunahme der Körperober- fläche nach derselben längst hätte platzen und durch das Leben an der Luft, die Umhüllung mit wärmenden Decken und andere mechanische Einflüsse sich hätte abschuppen müssen. Es ist das um so wahrscheinlicher, als das Epitrichium der Wieder- käuer, speziell das der Ziege sehr zart, nur 1—3 Zellschichten dick ist. Dagegen ist in unserem Falle die Hornschicht der Epidermis während des Durchbruchs der Haare zum „Epitrichium“ der Lage nach geworden, dem Bau nach muss sie aber, wie dies auch Welcker und Kehrer thun, wohl von demselben als von einer besonderen Schichte der Epidermis unterschieden werden. Ich weiss wohl, dass im Gegensatze zu dieser Auflassung ge- wichtige Autoren das Epitrichium nur als die jeweilig äusserste früher oder später der Abschuppung oder Abhebung in grossen ’ Über Hypotrichosis congenita universalis. 267 Fetzen oder als geschlossene Membran verfallene Lage der Horn- schicht betrachten, kann aber dieser Auffassung nach meinen bisherigen Befunden an verschiedenen Säugetieren nicht zu- stimmen und halte auch zur endgültigen Lösung dieser Frage noch weitere systematische Untersuchungen über Entwickelung, Bau und Schicksale des Epitrichiums für dringend nötig. Ich möchte die abnorme Dicke der Epidermis oder besser gesagt, die abnorme Dicke der Hornschicht, denn die Mal- pighi’sche Schicht zeigt ja im wesentlichen keine besonderen Abweichungen von den gewöhnlichen Verhältnissen, eher als den Ausdruck des schon eingangs betonten Leydig’schen Ge- setzes auffassen, nach welchem die Dicke der Hornschicht und die Dichtigkeit des Haarkleides zu einander im umgekehrten Verhältnis stehen, und beide, Haarkleid und Epidermis, vika- riierend für emander zunı Schutze des Körpers eintreten. Das zweifellos unter normalen Verhältnissen gültige Gesetz tritt in unserem Falle auch unter anomalen Verhältnissen in Kraft. Mit der endlichen Anlage und dem Durchbruch der Haare kehrt sich dann das ursprüngliche Verhältnis wieder zu Gunsten des Haarkleides um, die abnorm dicke Hornschicht wird abgehoben und abgeblättert, aber, wie dies mit aller Sicher- heit gezeigt werden kann, mit der Ausbildung normaler Be- haarung nur bis zur gewöhnlichen Dicke nachgebildet, und so vollzieht sich mit zunehmender Behaarung die Rückkehr zu den normalen Verhältnissen. Wäre das Tier am Leben geblieben, so hätte man später kaum mehr auffallende Spuren der ur- sprünglich so bedeutenden Anomalie gefunden. Überblicken wir die angeführten Fälle von angeborener totaler Hypotrichose beim Menschen, so erweisen sich dieselben sowohl nach ihrem äusseren Bilde als auch in den beiden näher 268 VIII. R. BONNET. untersuchten Fällen bezüglich der anatomischen Verhältnisse als recht verschieden. Kein Fall gleicht genau dem anderen und es steht zu erwarten, dass bei ausgedehnteren anatomischen Unter- suchungen der Haut und der Haare, die doch wohl fernerhin die Basis für eine rationelle Einteilung wird zu liefern haben, das Bild der die Hypotrichose bedingenden Hemmungsbildungen, respektive der ihr zu Grunde liegenden zeitlichen Verschiebung der Haaranlage ein recht wechselreiches werden wird. Gänzlich unterblieben ist die Anlage der Haare, respektive der primitiven Haarkegel, wie der Fall Schede's, sowie der von Jones und Aitkens beweist, in keinem der bekannten Fälle. Die Möglichkeit einer gänzlichen Agenesie der gesamten Haaranlage am ganzen Körper würde selbstverständlich auch die Agenesie der epithelialen und bindegewebigen Teile der Haar- bälge und seiner Anhangsorgane, vor allem der Haarbalgdrüsen, in sich schliessen, kann aber zur Stunde auf Grund des vor- liegenden Materiales weder angenommen, noch in Abrede ge- stellt werden. Von weiterer Einteilung wird man, so lange unser Über- blick noch ein so dürftiger ist, gerne absehen, und die oben gegebene Ordnung der Fälle dürfte vorläufig zur gegenseitigen Verständigung und Einordnung neuer Fälle vollkommen aus- reichen. Der Vollständigkeit halber muss ich jedoch noch be- merken, dass ich die meisten der bis jetzt bekannten Fälle von Überbehaarung oder Hypertrichose mit A. Ecker (25) als Hemmungsbildungen des Haarkleides auffasse und sie somit den Hypotrichosen zurechne. Es gehören hierher alle jene Fälle der so viel und willkürlich umfabelten „Hunde- menschen“, „Haarmenschen“ ete., d. h. jene Fälle schein- barer Überbehaarung, die sich bei Adrian Jeftichtiew und seinem Sohne, bei Shwe-Maong, Maphoon und ihren Kin- dern, der Ambraser Haarmenschenfamilie, bei der Bar- bara Uslerin, sowie der jüngst zur Schau gestellten Frau Über Hypotrichosis econgenita universalıs. 269 Lent (vulgo Zennora Pastrana Il.) in Form von langen zarten, meist pigmentarmen und seidenweichen Haaren ausspricht, in den meisten der bis jetzt bekannten Fällen gepaart mit mehr oder minder defekter Zahnbildung in einzelnen mit auffallend gra- cilem Wuchse und einigen Missbildungen untergeordneter Art, sowie mit verspätetem Eintritt der Geschlechtsreife. Es liegt hier höchst wahrscheinlich in allen Fällen Pseudo- hypertrichose vor, bedingt, wie das auch Unna (26) anzunehmen geneigt ist, durch das Stehenbleiben und Weiterwachsen der Lanugo im postembryonalen Leben. Normalerweise muss aber die Lanugobe- haarung, wenn auch nicht ganz, so doch weitaus zum grössten Teil abgestossen und durch stärkeres markhaltiges Haar ersetzt werden. Bleibt dieser Ersatz aus, erhält sich die Lanugo, die all- seitig als rudimentäres Organ mit Recht aufgefasst wird, und wächst weiter, so ist und bleibt doch unter allen Verhältnissen das durch sie gebildete Haarkleid, mag es nun mit Zahndefekten und anderen Hemmungsbildungen gepaart sein oder nicht, etwas anderes, als die durch excessive Entwicklung des sekundären Haarkleides bedingte echte Hypertrichose, wie wir sie in schönster Entwickelung von der berühmten Julia Pastrana I. kennen. Will man den Ausdruck Hypertrichosis durchaus für stehengebliebenes abnorm lang herangewachsenes Wollhaar beibehalten, so stelle man wenigstens solche Fälle als Pseudohypertrichosis lanuginosa der Hypertrichosis vera gegenüber und ver- ringere so die Konfusion, welche gegenwärtig in der Trichosen- frage herrscht, einigermassen. Ich hoffe in Bälde über beide Anomalien der Behaarung beim Menschen noch weitere Mitteilungen machen zu können. D B= Litteratur. Handbuch der Hautkrankheiten, herausgegeben von v. Ziemssen. 2. H. Leipzig 1884. S. 107. Zoologischer Garten. Jahrgang XIII. 1872. 8. 186. Ebenda. Jahrgang XII. 1871. S. 308. Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Veterinärkunde, herausgegeben von den Mitgliedern des wiener k. k. Tierarznei-Instituts 1856. B. VIII. S. 37. Zoologischer Garten. Jahrgang XV. 1874. S. 36. Ebenda. Jahrgang XXII. 1881. S. 28. Yarell, Proceedings. Zool. Soc. 1833 p. 113. Starks Archiv für Geburtshilfe. B. IV. S. 684. Salzburger medico-chirurgische Zeitung. B. I. 1801. S. 250. Transactions of Society of London 1800. . Sedgwick, British and Foreign medico-chir. Review. April 1863. p. 943. Waldeyer, Atlas der menschlichen und tierischen Haare. 1334. . Jones and Aitkens, Dublin. Journal of med. Sceienc. Sept. 1875. Miclucho-Maclay, Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1881. p. 143. . Schede, Langenbecks Archiv für klin. Chirurgie. B. 14. S. 158. Eble, Die Lehre von den Haaren. B. II. S. 245. . Rayerl. eit. S. 331. Citat nach Eble. B. II. S. 245. . Michelson, Handbuch der Hautkrankheiten, herausgegeben von v. Ziemssen. 2. H. 1884. S. 107. Luce, Sur un cas d’alopecie. These de Paris. 1879. Nr. 578. . Behrend, Über Knotenbildung am Haarschaft. Virchows Archiv. B. 103, S. 437 (siehe dort auch weitere Litteraturangabe). Lesser, Ein Fall von Ringelhaaren. Vierteljahrsschrift für Dermato- logie und Syphilis. 1885—86. Paul Archambault, Note sur un cas de cheveux moniliformes. An- nales de Dermatologie et Syphilis I. 5. p. 392. . Bonnet, Über/Haarspindeln und Haarspiralen. Morphol. Jahrbuch 1890. 3. P. de Molenes, Annales de Dermatologie et de Syph. I. 7. p. 548. 1890. A. v. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 6. Aufl. S. 192. . A. Ecker, Über abnorme Behaarung des Menschen, insbesondere über. Haarmenschen. Braunschweig 1878. Vieweg u. Sohn. 26. P. Unna, Entwickelungsgeschichte und Anatomie der Haut, in: Handbuch der Hautkrankheiten, herausgegeben von v. Ziemssen. 1. H. 1883. S. 56. IX. DAS AUGE DES NEUGEBORENEN SCHEMATISCHEN DURCHSCHNITT ERLÄUTERT. VON DR. FR. MERKEL UND DR. ANDREW W. ORR AUS DUBLIN. Aus dem anatomischen Institut zu Göttingen. Mit 3 Abbildungen auf Tafel’XXIV. Es fehlt nicht an einer Anzahl von schematischen Durch- schnitten des Auges vom Erwachsenen, welche ein richtiges Bild von dessen Form geben, dagegen ist es noch nicht ver- sucht worden, einen eben solchen vom Auge des Neugeborenen za konstruieren, was deshalb auffallend ist, weil es in vielen und wesentlichen Punkten vom fertiggestellten Auge abweicht. Die Herstellung eines solchen Durchschnittes war um so noth- wendiger, als erst auf Grund desselben die Zwischenglieder zwischen den beiden Grenzwerten, welche der Bulbus des Neu- geborenen und der des Erwachsenen darstellen, studiert werden können. Als wir an die Aufgabe, welche wir uns gestellt hatten, herantraten, glaubten wir nicht, dass wir so vielen Schwierig- keiten begegnen würden, welche im Material und dessen Be- handlung begründet waren. Es zeigte sich sehr bald, dass die Augäpfel keineswegs eine gleiche Grösse hatten, sondern dass auch bei Kindern, welche uns von den Geburtshelfern als völlig ausgetragen bezeichnet wurden, sehr bedeutende Unterschiede vorhanden waren, wie dies auch Jäger (Dioptr. Appar. S. 15) an einem Material von 70 Augen schon aufgefallen war. Wenn wir nun auch nicht hoffen konnten, eine so grosse Menge von Material, wie dieser Gelehrte, zu erlangen, so musste, um einen brauchbaren Mittelwert zu erhalten, doch darauf Bedacht ge- nommen werden, eine grössere Anzahl von Augen zu beschaffen und es gelang auch sechsundzwanzig Bulbi zu bekommen. 274 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. Die Konservierung derselben erwies sich ebenfalls nicht ganz leicht, da ja bekamntlich die verschiedenen Teile des Auges sich gegen die angewandten Reagentien sehr verschieden verhalten und ist die Retina tadellos, dann muss man vielleicht darauf gefasst sein, die Hornhaut schlecht zu finden; sind beide gut, dann ist möglicherweise die Linse unbrauchbar. Wir be- dienten uns daher sehr verschiedener Methoden, um wenigstens in einer Anzahl von Fällen sicher gut erhaltene Präparate zu erlangen. Die Augen wurden zum Teil mit dem ganzen Kopfe Monate hindurch der Einwirkung der Müller'schen Flüssigkeit ausgesetzt; zum Teil wurde der Inhalt der Orbita im ganzen herausgenommen und ebenfalls langsam in Müller'scher Flüssig- keit gehärtet; zum Teil wurden die Bulbi ganz frei präpariert und nun entweder in Müller’sche oder in Erlicki’sche Flüssig- keit oder in Merkel’sches Platin-Chromsäuregemisch eingelegt. Diese letzteren Bulbi wurden entweder uneröffnet gelassen, oder durch einen äquatorialen Rasiermesserschnitt geöffnet. Letzteres geschah entweder am frischen Präparat, oder nachdem dasselbe bereits einige Zeit der Einwirkung der Härtungsflüssigkeit aus- gesetzt war. Weitaus am besten erwiesen sich für unsere Zwecke diejenigen Augen, welche unversehrt in Platin-Chrom- säuregemisch eingelegt und nach ein oder zwei Tagen durch einen Schnitt eröffnet worden waren. In emem Fall erhielten wir auch ein gutes Präparat von einem Auge, welches erst in Müller’scher Flüssigkeit und dann noch in Platin-Chromsäure- gemisch gehärtet war. — Nachdem die Augen in Alkohol von steigender Konzentration vollständig schnittfähig gemacht worden waren, wurden am oberen und unteren Umfang des Bulbus durch Tangentialschnitte kleine Stücke abgetragen, um das zum Einbetten benützte Celloidin besser eindringen zu lassen. Zuletzt wurden die Augen mit dem Mikrotom in Serienschnitte zerlegt und die centralsten Schnitte zur Besichtigung fertig gemacht. Dieselben wurden in verschiedener Weise behandelt, bald gefärbt, Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 275 bald ungefärbt gelassen, bald in Balsam, bald in Glycerin ein- geschlossen. Die überwiegende Anzahl der Schnitte wurde un- gefärbt in Glycerin betrachtet. Besonders muss hervorgehoben werden, dass wir bemüht waren, die Bulbi stets genau horizontal durchzuschneiden. Unser schematisches Bild bezieht sich deswegen auch lediglich auf den Horizontaldurchschnitt und alle diejenigen Dinge, welche man an einem solchen nicht sehen kann, sind unberücksichtigt ge- blieben. Da es nur darauf ankam, die allgemeinen Formver- hältnisse zu konstatieren, wurden die feineren histologischen Details nicht bearbeitet. Der Figur 1 auf Tafel XXIV wurde die Grösse der Figur 149 auf Seite 2383 von Merkels topograph. Anatomie Band I 1887 zu Grunde gelegt, um einen direkten Vergleich zu ermöglichen und zwar wurde die Länge der optischen Achse des Erwachsenen, das heisst also, ein Loth, welches man vom Hornhautscheitel auf die Netzhaut fällen kann, als Maass angenommen. Man erhält die eigentliche Grösse, wenn man die Maasse der Figur mit der Zahl 7 dividiert. Die centralsten Schnitte wurden ver- mittelst des Skioptikons auf diese Grösse gebracht und auf Pauspapier gezeichnet. Es entstanden so Bilder, welche direkt auf einander gelegt und auf das Genaueste verglichen werden konnten. Einige besonders gut gelungene und erhaltene Durch- schnitte wurden auch in der gewählten Grösse photographiert, um ganz sicher zu sein, dass jeder Fehler bei der Reproduktion vermieden wurde. Eine Umschau in der Litteratur ergiebt für den hier be- handelten Gegenstand nur eine geringe Ausbeute. Die Mehr- zahl der Untersuchungen über die Augen Neugeborener gilt der Frage nach dem Brechungszustand derselben !),. Während 1) v. Jäger, Über die Einstellungen des dioptrischen Apparates im menschlichen Auge. Wien 1861. Ed. J. Ely, Beobachtungen mit dem Augenspiegel bezüglich der Refrak- 276 Xl. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. zuerst die Ansichten dahin gingen, dass alle Refraktionszustände vorhanden seien (Jäger, Ely, Horstmann), wurde später durch ausserordentlich grosse Untersuchungsreihen (Königstein, Schleich, Ulrich) mit Sicherheit festgestellt, dass das normale Auge des Neugeborenen ausschliesslich hypermetropisch gebaut ist. So wertvoll diese Gewissheit an sich auch ist, so fördert sie doch eine Untersuchung, wie die vorliegende nur wenig; diese bedarf vielmehr der Messung von Krümmungsradien, von Durchmessern und Entfernungen verschiedener Art. Einen ausschlaggebenden Wert haben viele solche Messungen nur dann, wenn sie an lebenden Kindern ausgeführt werden, doch begegnen sie bei diesen den grössten Schwierigkeiten, wie von allen Seiten be- tont wird; man kann sich dies ja auch denken. Die bezüglichen Angaben sind deshalb auch äusserst spärlich und beziehen sich nur auf den Krümmungsradius der Hornhaut). Auch an den Augen von Leichen Neugeborener hat man nur wenig Unter- suchungen angestellt, das Interesse hat sich fast ganz auf den Erwachsenen konzentriert. Doch liegen die ersten Angaben über Maasse am Auge des Neugeborenen immerhin weit zurück. tion der Augen Neugeborener. (Übersetzt von Purtscher.) Arch. f. Augenheilk. Bd. IX 1879. S. 431. Horstmann, Refraktion der Neugeborenen. Tageblatt der Naturforscher- versamml. in Danzig 1880. S. 356. L. Königstein, Untersuchungen an den Augen neugeborener Kinder. Wiener medicin. Jahrbücher. Jahrgang 1881. S. 47. Schleich, Nagel’s Mitteilungen aus der ophthalmolog. Klinik in Tü- bingen. Bd. II 1882. S. 44. G. Ulrich, Refraktion und Papilla optica der Augen der Neugeborenen. Dissert. Königsberg 1834. 1) v. Hasner, Prager mediz. Wochenschrift. 1873. (Uns im Original nicht zugänglich.) A. v. Reuss, Untersuchungen über den Einfluss des Lebensalters auf . die Krümmung der Hornhaut nebst emigen Bemerkungen über die Dimensionen der Lidspalte. Arch. f. Ophthalmol. Bd. 27 I. 1881. S. 27. Laqueur, Über die Hornhautkrümmung im normalen Zustand und unter patholog. Verhältnissen. Ebenda Bd. 30 I. 1854. S. 99. Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 277 Sie beginnen mit gelegentlichen Bemerkungen bei H. Gerson') und ©. Krause?), auf welche Huschke°) mit etwas eingehenderen Mitteilungen folgt. Auch bei von Ammon‘) findet man zahl- reiche gute Bemerkungen über den Neugeborenen. An ihn schliesst sich Nunneley°) an. v. Jäger (l. c.) verdanken wir eine Reihe wertvoller Angaben; er bestimmt durch Messung an einem grossen Material die äussere Augenachse, sowie einige Linsendurchmesser und spricht sich über den Augenhintergrund Neugeborener aus. Bei Königstein‘) findet man ebenfalls Mes- sungen von Durchmessern des Kindesauges. Chievitz‘) zeichnet und beschreibt die Fovea centralis des menschlichen Fötus. Garnier*) macht eine kurze Bemerkung über die Zonula, Langer®) über den Suprachoroidealraum von Kindern. Damit ist die Litteratur, soweit wir finden konnten, erschöpft. Wie schon bemerkt wurde, bestand unser Material aus ver- schieden grossen Augen. Unserer schematischen Zeichnung legten wir die grösseren Augen zu Grunde und zwar deshalb, ı) H. Gerson, Dissert. de forma corneae oculi humani. Göttingen 1810. 2) C. Krause, Einige Bemerkungen über den Bau und die Dimensionen des menschlichen Auges. Meckel’s Archiv f. Anat. u. Phys. 1832. S. 86. 3) E. Huschke, Sömmerring’s Lehre von den Eingeweiden. 1884. S. 777. ft, 4) F.A. von Ammon, Die Entwickelungsgeschichte des menschlichen Auges. Berlin 1858. Separatabdruck aus dem Arch. f. Ophthalmol. Bd. TV. 5) Nunneley, On the organs of vision London 1858. S. 134. 6) L. Königstein, Histologische Notizen; Arch. für Ophthalmol. Bd. 30 I. 1884. S. 135. 7) Chievitz, a) Die Area und Fovea centralis retinae. Internation. Mo- natsschrift für Anatomie und Physiol. Bd. IV. 1887. S. 201. b) Entwickelung der Fovea centralis retinae. Verbandl. der anatom. Gesellschaft. 2. Versamml. 1888. S. 89. 8) Garnier, Über den normalen und pathologischen Zustand der Zonula Zinnii. Arch. f. Augenheilk. Bd. XXIV. S. 32. 9) Langer, Beitrag zur normalen Anatomie des menschlichen Auges. „Ist man berechtigt, den Perichoroidealraum und den Tenon’schen Raum als Lymphräume aufzufassen?‘ Wiener Sitzber. Bd. 99. Abt. III. Okt. 1890. Wien 1891. Anatomische Hefte. 3. 19 278 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. weil dieselben Kindern angehörten, welche als besonders gut entwickelt bezeichnet werden mussten. Wir nehmen eine äussere Augenachse von 17,5 mm an und befinden uns damit in Einklang mit Jäger, welcher als Mittel aus 70 Messungen die gleiche Achsenlänge verzeichnet. Die wenigen Messungen von Nunneley und Königstein führen beide zur Mittelzahl 17,6 mm. Berechnet man aus Krause’s kurzen Angaben die Zahl, dann kommt man zu 15,3 mm, was für den Neugeborenen entschieden zu hoch ist. Der Querdurchmesser wird von der Mehrzahl der Autoren als ebenso gross angenommen, wie die äussere Achse, sei es dass sie, wie Nunneley, direkte Masse angeben, sei es dass sie sagen, das Auge des Neugeborenen nähere sich mehr der Kugelgestalt, wie das des Erwachsenen. Das Schema, welches wir nach unseren Durchschnitten konstruierten, weist einen Transversal- durchmesser von 17,9 mm auf, der also sogar etwas grösser ist, als die äussere Achse. In der That erscheint auch der Durch- schnitt des Auges vom Neugeborenen auf den ersten Blick und schon ohne Messung sehr kurz, gleichsam von vorn nach hinten zusammengedrückt, was sehr wohl in Einklang mit der Beobach- tung gebracht werden kann, dass der normale Refraktionszustand des Auges vom Neugeborenen ein hypermetropischer ist. Wenn aber die Untersucher aus dem Vergleich der von ihnen ge- messenen Durchmesser in der Äquatorialebene mit der äusseren Achse den Schluss zogen, dass die Form des Kinderauges mehr einer Kugel gleiche, wie das des Erwachsenen, so ist dies un- richtig; man hat im Gegenteil eine ganz verschobene Figur vor sich und ein Blick auf das schematische Bild, in welches zum Vergleich auch die Konturen des Auges vom Erwachsenen ein- gezeichnet sind, beweist, dass nur die nasale Hälfte zwar nicht ganz, aber doch einigermassen der des Erwachsenen gleicht, während die laterale Hälfte des Bulbus in ihrem hinteren Teil eine beträchtlich grössere Krümmung erkennen lässt. Diese Thatsache war schon von Ammon (l. c.) bekannt, als er seine „Protuberantia sclerae fötalis“ beschrieb. Er findet dieselbe bereits beim dreimonatlichen Embryo und zwar bei ihm sehr ausgeprägt. Sie erhält sich während der ganzen Fötalzeit an der lateralen Seite des hinteren Umfanges des Bulbus und wenn v. Ammon im neunten Fötalmonat den N. opticus schräg in die Prot. sclerae eintreten lässt, so zeigt er damit, dass er sie schon an der medialen Seite des Sehnerven beginnen lässt, oder wie wir es ausgedrückt haben, dass der ganze hintere Abschnitt des Bulbus lateralwärts verschoben erscheint. Augenscheinlich in Verbindung mit dieser Thatsache steht eine andere sehr auf- fallende, nämlich die, dass die Sehachse, d. h. die Linie, welche den Gipfel der Hornhaut mit der Fovea centralis verbindet, eine ganz andere Stellung hat, wie beim Erwachsenen. Legt man die beiden Sehachsen aufeinander, dann findet man, dass das Auge des Neugeborenen schief zu dem des Erwachsenen orientiert ist und zwar in der Art, dass die laterale Seite der vorderen Hornhautfläche zwar ziemlich genau mit der korrespon- dierenden Fläche der Hornhaut des Erwachsenen übereinstimmt, dass aber die mediale Seite weit vor der des Erwachsenen zu liegen kommt. In der Lage von Corpus ciliare und Iris treten natürlich ganz ähnliche Verschiebungen hervor. Bringt man die beiden Zeichnungen so zur Deckung, dass eine Linie Hornhaut und Linse im zwei bilateral-symmetrische Hälften teilt, so findet man, dass die Sehachse des Neugeborenen lateralwärts von dieser Linie abweicht. Entweder müssen hier- nach die beiden Sehachsen beim Neugeborenen einander nicht parallel stehen oder, wenn dies der Fall ist, muss der Bulbus eine ganz andere Lage haben, wie beim Erwachsenen. Es müsste dann aussehen, als bestünde ein erheblicher Strabismus divergens. Wenn schon beim Embryo in früher Zeit die Augen an der Seite des Kopfes liegen, so dass die Sehachsen ganz und gar nicht parallel stehen, so ist dies doch nach der Geburt nicht mehr der Fall, ist auch noch von keinem Beobachter jemals 19* 280 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. behauptet worden. Die Stellung der Bulbi und der Augen- höhlen ist vielmehr schon die definitive), woraus der Schluss gezogen werden darf, dass die erste Alternative die zutreffende ist. Wir vernachlässigen daher bei unserer Vergleichung die Sehachse ganz und gehen von einer Betrachtung der Augen aus, bei welcher man die Zeichnungen der Durchschnitte von dem des Neugeborenen und des Erwachsenen möglichst genau zur Deckung bringt. Ausser der Form des Bulbus im ganzen interessieren noch für das Zustandekommen des Sehaktes die Krümmung der Hornhautoberfläche, die Krümmung der Linse und die Lage dieser letzteren. Was zuerst die Krümmung der Hornhaut anlangt, so ist sie nach der Angabe von Reuss (l. c.) bei Kindern in den ersten Wochen des Lebens eine viel stärkere, als bei älteren Kindern und Erwachsenen; Gerson (l. c.) giebt einen Radius von 6,35 mm, Hasner (l. ce.) sogar einen solchen von 6,06 mm an. Laqueur (l. ce.) anderseits findet auch Radien ge- wöhnlicher Grösse. Unsere Zeichnung ist ohne Berücksichtigung der vorstehenden Angaben nach unseren besten Schnitten von Augen, deren äussere Achse etwa 17,5 mm betrug, entworfen. Sie zeigt einen Hornhautradius von 7,3 mm, welcher einer stärkeren Krümmung entspricht, als man sie beim Erwachsenen zu finden pflegt, welcher jedoch grösser ist, als der von den eben angeführten Autoren gemessene; die von diesen untersuchten Augen dürften vielleicht kleiner gewesen sein. Dabei ist es auffallend, dass die peripherischen Teile der äusseren Oberfläche der Hornhaut besonders stark gewulstet sind, wodurch sich der Radius etwas verlängert. Nach der Sklera zu fällt dann der Kontur ziemlich plötzlich ab, was auch am unverletzten und frischen Auge häufig sogleich auffällt; die Hornhaut sieht dann aus, als wäre 1) Vergl. Fr. Merkel, Beitrag zur Kenntnis der postembryonalen Ent- wickelung des menschl. Schädels. Beitr. z. Anat. und Embryol. Festgabe für Henle. Bonn 1882 Tf. XV. Fig. 7 u. 8. Das Auge des Neugeborenen an einem schemat Durchschnitt erläutert. 281 sie in der Peripherie geschwollen. Obgleich nicht alle unsere Präparate diese Eigentümlichkeit zeigen, so ist doch an eine postmortale Imbibition mit Flüssigkeit dabei keineswegs zu denken, da der Erhaltungszustand vieler Augen ein ganz vor- trefflicher war und gerade diejenigen, welche wir als die besten bezeichnen mussten, die beschriebene Eigentümlichkeit am deutlichsten zeigten. Auffallen muss es, dass bei denjenigen Augen, welche mehrwöchentlichen Kindern angehörten, diese Sigentümlichkeit der Krümmung niemals beobachtet wurde, sondern dass bei ihnen die Verhältnisse ganz denen des Er- wachsenen glichen. Die regelmässige Krümmung der Rückseite der Hornhaut giebt zu Bemerkungen keinen Anlass. Ihr Radius ist ent- sprechend der Vorderfläche ebenfalls etwas grösser als beim Erwachsenen. Die Krümmungen, sowie Form und Lage der Linse zu eruieren, war mit sehr grossen Schwierigkeiten verknüpft, da hierbei Untersuchungen am Lebenden durchaus nicht zur Seite stehen, wie dies für den Erwachsenen der Fall ist. Sieht man ältere Abbildungen von Augendurchschnitten der letzteren an, etwa die von Krause (l. e.), dann ist man verwundert, wie be- deutend Lage und Form der Linse von der wirklichen am Lebenden konstatierten abweichen. Beim Neugeborenen sind die Fehlerquellen noch grösser, da wir durch v. Jägers Beobach- tungen wissen (l. c.), dass die postmortalen Veränderungen bei seiner Linse sehr gross sind und überdies sehr frühzeitig ein- treten. Unsere Konservierungsmittel sind allerdings nicht schlecht und vor allem gilt die Müller'sche Flüssigkeit als ganz besonders für Erhaltung von Form und Struktur der Linse geeignet. Am meisten schien es uns aber in’s Gewicht zu fallen, dass bei einer Vergleichung der mit Hilfe des Skioptikon gewonnenen Zeichnungen weitaus die überwiegende Mehrzahl der Linsen ganz gleichartig war und sich deckte. Einige wenige waren 282 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. kleiner als das Schema und zeigten dann eine Form, welche sich der der Linse des Erwachsenen näherte, zwei zeigten zwar einen Ähnlichen Radius, wie das Schema, waren aber im ganzen grösser. Nach Ausweis der Figur nahmen wir einen Radius von 3,3 mm an und zwar gilt dies sowohl für die Vorderfläche, wie für die Rückfläche, für welche wir Verschiedenheiten nicht aufzufinden vermochten. Die Linsenachse beträgt 5,0 mm, der Querdurchmesser 6,6 mm an unserer Abbildung. Während wir über die Krümmungsradien der Linse Angaben überhaupt nicht finden konnten, sind über die Durchmesser einige wenige in der Litteratur verzeichnet und zwar: Huschke Achse 5,18 mm horiz. Durchm. 6,76 mm Krause Achse 4,5—4,7 mm r „ 6,7—72 mm Jäger Achse 4,5 mm " r 6,3 mm Messungen der Linse, wie man sie früher machte, konnte man nur an dem aus dem Auge entfernten Organ vornehmen. Dass dabei aber die Linse die Form nicht bewahrt, welche sie im Leben gehabt hat, ist klar. Man wird darum auch nicht ver- wundert sein, dass die erwähnten zuverlässigen Gelehrten zu so sehr verschiedenen Resultaten gekommen sind. Wir verkennen nicht, dass unsere Zahlen, welche mit denen Huschke's über- einstimmen, in soferne überraschen können, als die Achse der Linse des Neugeborenen darnach absolut grösser ist, wie die des Erwachsenen bei Einstellung in die Nähe. Doch möchten wir zu bedenken geben, dass ja auch die Form eine ganz andere ist. Sie nähert sich noch viel mehr der Kugelgestalt, wie sie in früheren Embryonalmonaten besteht, als der Gestalt einer bikonvexen optischen Linse, wie sie der Erwachsene zeigt. Auf die Gefahr hin, dass spätere Untersuchungen unsere Zahlen berichtigen, müssen wir daher bei dem stehen bleiben, was unsere Präparate zeigen. Noch schlimmer als um die Erkenntnis der Form steht es um die Erkenntnis der Lage der Linse. Ist sie weit nach Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 283 vorne gerückt, liegt sie etwas mehr nach hinten? Ist also die Augenkammer gross oder klein? Zur Entscheidung dieser Fragen geben unsere Präparate so gut, wie gar keine Anhaltspunkte, da die vordere Linsenfläche bald die Rückfläche der Hornhaut berührt, bald davon mehr oder weniger weit entfernt ist. Dass eine Berührung der beiden dem Leben nicht entspricht, ist klar; man findet auch an Augen von Erwachsenen die Linsen durch die beim Härtungsprozess vorkommenden Diffusionsströme und Druckänderungen im Bulbus sehr häufig nach vorne verlagert. Wie weit man sie aber zurückrücken muss, um sie an die richtige Stelle zu bringen, dies lässt sich einwandfrei nur durch Untersuchung am Lebenden feststellen. Solche Untersuchungen giebt es aber nicht und so sind wir auf eine provisorische Ein- zeichnung angewiesen. Dass wir die Linse dahin gelegt haben, wo sie die Figur zeigt, hat wesentlich den topographischen Grund, dass wir die Stelle des Ansatzes der Zonula an die Linse in dieselbe Lage zum Ciliarkörper brachten, welche sie beim Erwachsenen einnimmt. Wir glaubten dies deshalb thun zu sollen, weil der ganzen Sachlage nach nicht anzunehmen ist, dass hierin im Lauf der Entwickelung grössere Änderungen ein- treten, da sonst die Zonula Änderungen ihrer Länge und ihres Verlaufes durchmachen müsste, welche nicht wahrscheinlich sind und von welchen man wissen würde. Bei der in der Fi- gur angenommenen Lage der Linse kommt deren Vorderfläche genau in dieselbe relative Entfernung von der Vorderfläche der Hornhaut, wie es beim Erwachsenen bei Einstellung für die Nähe der Fall ist (vergl. Fig. 1). Da aber beim Neugeborenen die Hornhaut eine grössere relative Dicke hat, als bei jenem, so ist natürlich der Kammerraum bei ihm kleiner. Die Rück- fläche der Linse ragt bei ihm erheblich weiter in den Glas- körper zurück und lässt denselben dadurch sehr viel kleiner er- scheinen, wie beim Erwachsenen. Diese Thatsache liegt im Gang der Entwickelung überhaupt begründet, denn jedermann 284 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. weiss, dass anfangs die Linse fast den ganzen Hohlraum des Augapfels einnimmt, während der Glaskörper noch kaum sicht- bar ist. Die Stufe, welche der Neugeborene erreicht hat, ist nur eine, man möchte sagen, zufällige Zwischenstufe zwischen jenem Anfangsverhältnis und dem Schlussresultat beim Er- wachsenen, bei welchem sich das Volumen der beiden in Rede stehenden lichtbrechenden Medien mehr als umgekehrt hat. Die Iris ist sehr stark trichterförmig gestaltet und durch die Linse weit nach vorne gedrängt, ein Verhalten, welches schon Huschke bekannt war; er sagt, dass die Rückseite der Hornhaut fast die Blendung berühre. Auch v. Jäger hebt den geringen Abstand zwischen Linse und Hornhaut, sowie die stärkere Vorwölbung der Iris hervor. Diese letztere Thatsache ist besonders auffallend; sie erklärt sich aber leicht durch die relativ bedeutende Grösse der Hornhaut. Diese Membran reicht weiter zurück, als beim Erwachsenen, infolge dessen muss auch die Iriswurzel weiter zurückliegen und die Membran selbst durch die grosse Linse vorgedrängt werden. Nachdem nun die Form des Auges vom Neugeborenen im ganzen besprochen ist, erübrigt es noch die einzelnen Teile des Bulbus einer Betrachtung zu unterziehen; es sei dabei nur noch einmal daran erinnert, dass wir nicht beabsichtigen, in eine Be- sprechung feinerer histologischer Details einzutreten. Wir beginnen mit der Tunica oculi externa. Die Horn- haut ist, wie schon erwähnt wurde, relativ grösser als beim Erwachsenen, auch ist sie im Verhältnis bedeutend dicker. Die Zahlen, welche wir vom Hornhautscheitel des Neugeborenen notiert haben, sind in vielen Fällen absolut die gleichen, wie die vom Erwachsenen. In der Peripherie ist die Membran schon beim Neugeborenen, wie auch später, dicker als im Centrum. Bemerkt mag werden, dass für Messungen der Hornhaut die gehärteten Augen mit Vorsicht zu benützen sind, da es zweifellos 97 j„ Anstomische Hefte. II. » a \ RN N RUSS Verlag vw. IF. Ber&mann, Wiesbaden. .. a u, 2 De Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 285 vorkommt, dass durch die Einwirkung des Reagens die Dicke verändert wird. Der Hornhautfalz wird bekanntlich vom Erwachsenen nach Art einer Schuppennaht beschrieben und gezeichnet, wobei die Sklera aussen, die Cornea innen übergreift. Bei unseren Durch- schnitten von Augen Neugeborener fanden wir dies zwar auch zuweilen, doch konnten wir erheblich häufiger sehen, dass die Hornhaut in die Sklera mit einem rundlichen Kontur eingelassen war (Fig. 1). Es griff somit die Sklera sowohl aussen, wie innen über, ein Vorkommen, welches man beim Erwachsenen nicht eben häufig findet. In einigen Fällen schiebt sich die Sklera auf die Aussenseite der Hornhaut auffallend weit vor, so dass der äusserste Umfang von deren Krümmung noch undurch- sichtig ist. Was die wenigen histologischen Details anlangt, auf welche wir unser Augenmerk richteten, so mag bemerkt werden, dass wir das äussere Epithel von sehr verschiedener Dicke fanden, und zwar sogar an einem und demselben Auge, was jedoch dem Neugeborenen nicht allen eigentümlich ist. Im allgemeinen scheint es, als sei die Epithelschichte etwas dünner, als beim Srwachsenen. Die vordere Basalmembran ist verschieden dick; im allgemeinen zeigt sie dieselbe absolute Dieke, wie beim Er- wachsenen, in einigen Fällen ist sie sogar etwas dieker. Die Descemetsche Haut ist ganz erheblich dünner. Die Scelera ist in ihren vorderen Teilen der Sklera des Er- wachsenen relativ gleich, wie dies die Zeichnung erweist; im hinteren Umfang des Auges aber wird ihre Dicke sogleich recht bedeutend und ist in der Nähe des Opticuseintrittes relativ bei- nahe noch ein halbmal so dick, wie beim Erwachsenen. Was die absolute Dieke anlangt, so erscheint dieselbe nach Ausweis unserer Messungen hinten in vielen Fällen kaum geringer, wie beim Erwachsenen. Vorne ist die Haut natürlich beträchtlich dünner. Der Eintritt der Muskelsehnen in die Sclera, sowie die 286 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. Vereinigung der Opticusscheide mit derselben bieten Nichts, was von den Verhältnissen beim Erwachsenen abwiche. Die mittlere Augenhaut zeigt mancherlei Bemerkens- wertes und unterscheidet sich in wichtigen Punkten von der des Erwachsenen. Was zuerst die Choroidea selbst anlangt, so lehren unsere Messungen, dass ihre durchschnittliche Dicke fast ebenso gross ist, wie beim Erwachsenen, doch muss allerdings erwähnt werden, dass in einer grossen Anzahl von Kinderaugen die Gefässe strotzend gefüllt sind, wodurch sich die Dicke der Haut ausserordentlich vergrössert; bei Augen, welche eine ge- ringe Blutfülle zeigen, ist die Choroidea auch immer etwas dünner, wie beim Erwachsenen. — Der Suprachoroidealraum ist beim neugeborenen Kind in der Mehrzahl der Fälle noch nicht vollkommen entwickelt. Sein vorderes Ende findet man aller- dings ganz genau an derselben Stelle, wie beim Erwachsenen, sein hinteres Ende jedoch weit mehr nach vorne gelegen, so dass bei manchen Augen im hinteren Viertel oder Drittel des Bulbus ein solcher Raum überhaupt nicht existiert. Die Unter- suchung mit starken Linsensystemen ergiebt in solchen Fällen einen völlig kontinuierlichen Zusammenhang zwischen der mitt- leren und äusseren Augenhaut, ohne dass man von einer Spalte auch nur eine Spur entdecken könnte. Gegen den Einwand, dass man es nur mit sehr innig in Kontakt stehenden Mem- branen zu thun habe, deren Trennungsspalt man nur der nahen Berührung wegen nicht sehen könne, schützt uns ein Präparat, bei welchem unter der Geburt ein Blutextravasat zwischen Choroidea und Sklera entstanden war. Dasselbe füllt den Supra- choroidealraum vollständig aus und hebt die mittlere Augen- haut von der äusseren verhältnismässig weit ab. Ebenso scharf, wie vorne begrenzt sich hinten das Ende des Spaltraumes, welches man weit vor dem Öpticuseintritt sieht. Auch andere Präparate dürfen wir zum Beweis für unsere Ansicht heran- ziehen. An einer Anzahl von Augen sieht man nämlich, wie Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 257 hinter dem eigentlichen, deutlich zu unterscheidenden Ende des Suprachoroidealraumes noch völlig abgeschlossene kleine oder orössere Spalten vorkommen, welche als der Anfang einer Tren- nung der beiden Augenhäute aufzufassen sind. Es ist sehr leicht, sie zu sehen und wenn in den Zwischenteilen zwischen diesen Spalten, in welchen Sclera und Choroidea vollkommen mit einander verwachsen erscheinen, eine Kontinuitätstrennung vorhanden wäre, könnte sie sich unmöglich ganz der Beobach- tung entziehen. Es ist längst bekannt, dass der Suprachoroidealraum in früheren Embryonalperioden ganz fehlt!), und F. Langer (l. c.) beweist klar, dass die Entstehung des Raumes auf die Ver- schiebung der Choroidea an der Sklera zurückzuführen ist. Da nun beim Neugeborenen ein grösserer oder klemerer Teil des Raumes schon vorhanden ist, so kann dies wohl kaum anders gedeutet werden, als in der Art, dass schon vor der Geburt vom Ciliarmuskel Accommodationsbewegungen reflektorischer Art aus- geführt werden. Der Ciliarkörper unterscheidet sich von dem des Erwach- senen ganz bedeutend durch seine geringere Ausbildung. Seine grösste Dicke beträgt nur etwa die Hälfte, seine grösste Länge etwa zwei Drittel von der des Erwachsenen. Eine Vergleichung des schematischen Durchschnittes beweist, dass seine Ausbil- dung auch relativ nicht eben sehr bedeutend genannt werden kann. Wir richteten auch unsere Aufmerksamkeit auf die von Iwanoff?) gefundene Thatsache, wonach es Augen giebt, welche nur meridionale und solche, welche nur cirkuläre Fasern im Ciliarmuskel haben. Dieser Gelehrte sagt, dass die Augen mit 1) Schwalbe, Archiv f. mikr. Anat. Bd. VI. 1870. S. 13. 2) Arch. f. Ophthalm. Bd. XV. und Gräfe-Sämisch Handbuch der Augen- heilk. Bd. -I. 1874. S. 277 £, 288 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. Meridionalfasern sich sehr verlängert zeigten, also hochgradig kurzsichtig seien, dagegen die mit cirkulären Fasern versehenen einen sehr kurzen Bau hätten, daher als weitsichtig angesehen werden müssten. Er schränkt zwar in einer Anmerkung Vor- stehendes schon selbst ein, indem er meint, dass diese Muskel- typen allerdings nicht unumgänglich mit dem betreffenden Re- fraktionszustand verknüpft wären. Es müsste von Interesse sein, nachzuweisen, ob man bei Neugeborenen, deren Augen ja ausnahmslos hypermetropisch sind, etwa schon die Anfänge dieser Muskeltypen finden könne. Zu unserer Überraschung fanden wir nicht bloss Anfänge sondern die Typen selbst voll- ständig ausgebildet vor. Wir setzen in Fig. 2 u. 3 zwei Abbil- dungen von voll entwickelten Fällen bei, welche dies beweisen werden. Da nun Kurzsichtigkeit, resp. Weitsichtigkeit keines- wegs bei sehr jungen Kindern beobachtet werden, sondern fast immer erst eine Reihe von Jahren hingeht, ehe die Änderung des Refraktionszustandes deutlich wird, so scheint es, als dürfe man der von Anfang an vorhandenen Verschiedenheit im der Anordnung der Ciliarmuskulatur keinen Einfluss auf die Ent- stehung der Kurz- und Weitsichtigkeit zuschreiben. Die Iris bietet im ganzen nur wenig, was der Erwähnung wert wäre. Ihr Durchschnitt zeigt sich verschieden, je nach- dem die Pupille im Moment des Todes eng oder weit war, ganz ebenso, wie man dies beim Erwachsenen findet. Ist die Pupille weit, dann sieht man den freien Rand zugeschärft, die Membran selbst dick und mit eirkulären Falten auf der Vorderfläche ver- sehen; ist sie eng, dann zeigt sich der Durchschnitt dem freien Rand zunächst stark verdickt, im übrigen verdünnt und falten- los. Über die einfache Lage von Muskelfasern, welche an der Rückseite der Iris den Dilatator pupillae bilden, können wir nichts aussagen, der Sphincter iridis aber ist nach Ausweis der Masstabelle schon ebenso breit, wie beim Erwachsenen und nur seine Dicke ist noch etwas geringer. Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 289 An die Iris hat sich eine kurze Besprechung der hinter und, vor ihr gelegenen Teile anzuschliessen, nämlich der Ciliarfort- sätze und des Gewebes, welches den Raum zwischen Hornhaut und Sinus venosus einerseits, Iriswurzel und Ciliarkörper ander- seits ausfüllt. Die Ciliarfortsätze sind sehr gut entwickelt (Fig. 1, rechts vom Beschauer) und zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich mit verhältnismässig hohen Leisten weit über die Rückfläche der Iris hin fortsetzen. Ammon (l. ce. S. 130) sagt: „Diese einzelnen Streifen bilden zusammen auf der Uvea ein radiales speichenförmiges Gefüge, dessen einzelne Streifen am Pupillarrand endigen.“ An einem glücklichen Schnitt (Fig. 2) ist dann der Winkel zwischen den eigentlichen Ciliarfortsätzen und der Iris von einer schwimmhautähnlich ausgebreiteten Mem- bran ausgefüllt. Beim Erwachsenen findet man die Ciliarfort- sätze ebenfalls auf die Rückfläche der Iris fortgesetzt, doch niemals in solcher Art, sondern immer als ganz niedere Er- hebungen. Die epithelbekleideten cirkulär verlaufenden Balken, welche die Decke des Sinus venosus bilden, sind ganz ebenso entwickelt, wie beim Erwachsenen und stehen auch in ähnlicher Art mit dem Beginn des M. ciliaris in Zusammenhang; es spaltet sich aber in vielen Fällen, jedoch nicht immer, ein weitmaschiges Netzwerk von ihnen ab (Fig. 2), welches zwischen ihnen und der Iriswurzel ausgespannt ist. Beim Erwachsenen begegnet man nur noch Spuren hiervon und wenn man den Namen Ligam. pectinatum iridis beibehalten will, so würde er für diese Balkennetze wohl passen. Zuletzt noch ein Wort über das in der mittleren Augen- haut des Neugeborenen vorkommende Pigment. Ganz im Gegen- satz zu v. Ammons (l. c.) Beschreibung vermissten wir in der grössten Mehrzahl unserer Präparate das Pigment überhaupt vollständig; von der Iris ist dies ja längst bekannt und Ely (l.c.) giebt sogar an, dass er auch bei Negerkindern blaue Augen 290 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. gefunden habe. Allerdings soll eine farblose Iris nicht ganz ausnahmslos vorkommen; unter unseren Präparaten aber findet sich jedenfalls keine einzige gefärbte. Verschwiegen darf nicht werden, dass sich von der der inneren Augenhaut angehörigen hinteren Pigmentlamelle der Iris aus meistens einige Pigment- ballen zwischen die Bündel des Sphincter eingestreut finden. In der Choroidea war der Pigmentmangel kein so ausnahms- loser, wie in der Iris; immer aber war nur in dem hinteren Teil der Membran in der Umgebung des Sehnerven etwas Pig- ment eingelagert, und zwar war es dann in dem äusseren, der Sklera zugekehrten Teil am reichlichsten. In dem vor dem Äquator des Auges gelegenen Abschnitt der Choroidea konnte in keinem Fall Pigment nachgewiesen werden. Diese Beobach- tungen stehen ganz im Einklang mit denen von Rieke'). Er findet, dass bei Menschen das Pigment der mittleren Augenhaut zwar frühestens im siebenten Fötalmonat auftritt, aber oft sehr viel später zur Entwickelung kommt. „Bezüglich des Ortes der Entstehung der Pigmentzellen werden die Gegend des hinteren Poles und hier wieder die Suprachoroidea und die äussersten Lamellen der Choroidea bevorzugt“. Der Sinus venosus iridis erscheint auf dem Durchschnitt häufig aus drei und mehr Öffnungen zusammengesetzt (Fig. 3), was aber nach Lebers Angaben auch beim Erwachsenen gewöhn- lich ist. Die innere Augenhaut zeigt eine Pigmentlamelle, von welcher es schon Huschke bekannt war, dass sie besser ent- wickelt sei, als beim Erwachsenen. Jäger giebt an, dass beson. ders am Umfang der Sehnerven der Pigmentreichtum bei Kin- dern auffallend sei; auch wir konnten überall eine sehr gute Ausbildung des Pigmentes nachweisen und finden, dass in der Gegend der Macula lutea die Zellen etwas höher sind, als im ı) Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie Bd. 37. I. Abt. S. 62. 1891. Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 291 übrigen. Ganz besonders dick aber zeigt sich die Pigment- schichte auf dem Ciliarkörper, was jedoch auch beim Erwach- senen der Fall ist. Was die Retina selbst betrifft, so ist dieselbe nach Ausweis unserer Zahlen durchweg etwas dünner, als beim Erwachsenen. In Bezug auf ihre Ausbildung können wir etwas Auffallendes nicht nachweisen. Die Frage, ob die Stäbchenschichte schon bis ganz zur Ora serrata hin ausgebildet ist, oder nicht, konnten wir nicht mit voller Sicherheit entscheiden; unsere Präparate waren nicht mit Hinblick auf eine besonders gute Erhaltung der histologischen Elemente der Retina angefertigt, und es bleibt immerhin der Einwand, dass eventuell vorhandene Stäbchen verloren gegangen wären; doch möchten wir bemerken, dass wir auch an Präparaten aus Müller'scher Lösung, bei welchen die Stäbehenschichte im übrigen tadellos erhalten war, ganz vorne unmittelbar hinter der Ora serrata auf eine kurze Strecke keine Spur von Stäbchen sehen konnten. Die Fovea centralis fanden wir zu unserer Überraschung genau ebensoweit von der Mitte des Sehnerveneintrittes entfernt, wie beim Erwachsenen, woraus hervorgeht, dass ein Wachstum zwischen diesen beiden Punkten im späteren Leben nicht mehr stattfindet. Chievitz (l. e. b.) sagt allerdings, dass die Fovea das Wachstumscentrum der Retina sei, von welchem aus sich die Membran allseitig vergrössert; wir bestreiten diese auf sorgfältige Untersuchung begründete Angabe natürlich keineswegs und möchten sie nur für die erwähnte Strecke eingeschränkt sehen. Überdies macht der genannte Gelehrte (l. ce. a) selbst die An- gabe, dass bei einem 8'/, Monate alten Fötus die Fovea etwa 28 mm vom Rande der Papille entfernt sei, ein Mass, welches von demjenigen unserer Zeichnung nur wenig abweicht. Aus unseren eigenen Beobachtungen, wie auch aus denen des eben citirten Forschers geht mit Sicherheit hervor, dass die Stelle des deutlichsten Sehens in ihrer Ausbildung dem übrigen Teil der 292 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. Netzhaut von einer sehr frühen Zeit ab voraneilt und wir möchten annehmen, dass diese Wachstumsvorgänge nicht ohne bestimmenden Einfluss auf die Umgebung sein können, dass vielmehr die oben erwähnte Protuberantia scelerae gerade durch sie hervorgerufen wird. Ist dies richtig, dann hängt aber die beschriebene Verschobenheit des ganzen Bulbus hiermit auf das Engste zusammen. Der Sehnerveneintritt bietet an sich kaum Veranlassung bei ihm stehen zn bleiben; doch ist seine Lage bemerkens- wert. Wie auch Chievitz (l. ec. a.) sagt, erreicht der Optikus „medial und ein wenig oben“, d. h. also im medialen und oberen Quadranten den Bulbus. An einem wirklichen Horizon- talschnitt können deshalb Fovea centralis und Mitte der Papille nicht in einer Ebene liegen. In unserer schematischen Ab- bildung haben wir sie trotzdem in eine Ebene gezeichnet, da wir im Interesse der Übersichtlichkeit uns hierzu berechtigt glaubten. Man wird aus dieser Figur ersehen, dass der Seh- nerv nicht unerheblich weiter lateral steht, als beim Erwach- senen. Wie schon die Untersuchungen von Merkel (l. c.) nach- weisen, ändert sich die Augenhöhle in ihren Proportionen, sowie die relative Lage des Canalis opticus von der Geburt bis zum ‚Ausgewachsensein so gut wie gar nicht; m Verbindung damit bleibt auch die Richtung des Sehnerven dieselbe, wie wir durch Vergleichung des verkleinerten Bildes von D.W. Sömmerring'!) mit einem ganz in gleicher Weise angefertigten Präparat vom Neugeborenen eruieren konnten. Wir können also sagen, dass bei den Umbildungsvorgängen der Sehnerv das stabile, der Bulbus das bewegliche Element ist. Will man daher vergleichen, dann muss man in den beiden schematischen Abbildungen, vom Neugeborenen und vom Erwachsenen, die Sehnerven zur Deckung bringen und sehen, in welcher Weise, sich die Konturen der 1) De oculorum hominis animaliumque sectione horizontali commentatio. Göttingen 1818. Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 293 Augäpfel verhalten. Man sieht nun, dass die nasale Hälfte des Bulbus vom Neugeborenen ganz die gleiche Grösse zeigt, wie die des Erwachsenen; sie ist also in Wahrheit im Wachstum sehr zurück. Die laterale Hälfte des Kinderauges übertrifft dagegen die des Erwachsenen beträchtlich an Grösse. Beim weiteren Wachstum wird demnach die mediale Hälfte in gleicher Proportion zum Wachstum des ganzen Körpers sich weiterbilden, die laterale wird zurückbleiben. Letzteres ist auch natürlich, da ja wie bereits auseinandergesetzt wurde, beim Neugeborenen die Gegend von der Papille bis zur Macula vollkommen fertig gebildet ist. Die stärker wachsende nasale Seite drängt beim Wachstum die Hornhaut und was mit ihr verbunden ist, immer weiter lateralwärts hinüber und so kommt es, dass schliesslich ihr Scheitel gerade über der Fovea centralis zu stehen kommt, wodurch dann der definitive Zustand erreicht ist. Nach Ausweis der Figur zeigt der Sehnerv relativ die gleiche Breite, wie beim Erwachsenen, die Papille ist nur wenige Zehntel eines Millimeters schmaler. Eine so plötzliche Änderung in der Farbe des Nerven bei seinem Eintritt in die Sclera, wie beim Erwachsenen findet ebensowenig statt, wie eine sehr rasche Verdünnung. Präparate, welche nach Weigert gefärbt waren, erwiesen, dass das Nervenmark im Opticus des Neugeborenen eben erst zu erscheinen beginnt. Man könnte darnach sehr wohl annehmen, dass der Sehnerv des Neugeborenen schon ebenso viele Fasern enthält, wie der des Erwachsenen und dass seine spätere Verdickung zum grössten Teil auf Rechnung der Markbildung zu setzen sei. Die physiologische Exkavation zeigt auch jetzt schon die bekannte Form. Die Ora serrata liegt in unserem Bild relativ etwas weiter nach vorne als beim Erwachsenen; sie setzt sich durchaus nicht so scharf gegen die Pars ciliaris retinae ab, wie bei diesen, sondern es verdünnt sich die Netzhaut ganz allmählich. Anatomische Hefte. 3. 20 294 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. Bezüglich der im Innern des Bulbus befindlichen licht- brechenden Medien haben wir dem oben schon Gesagten nur sehr wenig zuzufügen. Am Glaskörper kann man eine innere Architektur ebensowenig erkennen wie später, doch ist es auf- fallend, wie deutlich meist in seinen vordersten Teilen eine faserige Struktur hervortritt. Der Bau der Linse und die grosse Dünne ihrer Kapsel beim Neugeborenen sind längst genau be- kannt. Nur die Zonula giebt Veranlassung zu einigen Bemer- kungen. Wie beim Erwachsenen bildet sie kein festes und in sich geschlossenes Band, sondern besteht aus Faserbündeln, welche breite Lücken zwischen sich lassen. Ihr Ursprung er- streckt sich über die ganze Ausdehnung der Uiliarfortsätze hin, beginnt demnach an der Ora serrata (Fig. 2) und reicht nach vorne bis auf die Rückseite der Iris. Es war uns am Anfang unserer Untersuchung sehr auffallend, als wir Zonulafasern von der Iris her kommen sahen, nachdem wir uns aber überzeugt hatten, dass die Ciliarfortsätze, wie oben beschrieben, sich noch weit über die Iris hin erstrecken, verlor diese Thatsache das Wunderbare. Beim Erwachsenen lassen sich, soweit unsere Er- fahrungen reichen, Ursprünge von Zonulafasern niemals bis auf die Iris verfolgen. Wir stimmen darin überein mit Garnier (l. c.), welcher ausdrücklich sagt, dass die vordersten Fasern der Zonula im Laufe der Kindheit verschwinden. Er hebt auch richtig hervor, dass die Zahl der Zonulafasern bei Neugeborenen überhaupt bedeutend grösser ist, wie beim Erwachsenen, was in erhöhtem Masse für den Embryo zutrifft!). Der Ansatz der Zonula an die Linse liegt in deren Äquator. Die Länge des Bandes ist eine relativ sehr bedeutende, da sowohl die Ausbil- dung des Ciliarkörpers, als auch die Breite der Linse eine geringe ist; der Raum zwischen beiden wird deshalb verhältnismässig viel grösser sein, als beim Erwachsenen. Ein Canalis Petiti 1) Czermak, Gräfes Archiv. Bd. 311. Das Auge des Neugeborenen an einem schemat. Durchschnitt erläutert. 295 findet sich beim Neugeborenen ganz ebensowenig, wie beim Er- wachsenen. Was zum Schluss noch die Entwickelungsstadien anlangt, welche das Auge von der Geburt, bis zu seiner fertigen Ausbil- dung durchläuft, so stehen uns hierüber eigene Untersuchungen nicht zu Gebote. Einige Veränderungen, welche durchgemacht werden müssen, können wir aus unseren Präparaten schon er- schliessen, anderes lehren die im der Litteratur verzeichneten Angaben. Wir können behaupten, dass das Wachstum der Hornhaut ein geringes, das des Ciliarkörpers ein bedeutendes sein muss. Es ist ferner klar, dass die Linse sich nur äquato- rial vergrössert, dagegen ihre Achse geradezu verkleinert. Ein Teil der Umwandlung dieses Organes ist also gewiss nur auf Rechnung einer Formveränderung und nicht auf den neuen Zu- wachs zu setzen. Die Gegend des deutlichsten Sehens bleibt stabil, die mediale Seite des Bulbus vergrössert sich im ganzen mehr, als die laterale, wodurch Hornhaut und Linse allmählich so weit herüber geschoben werden bis ihre Mitte in die von der Fovea centralis ausgehende Sehachse gelangen. Die Gesamtform des Auges bleibt nur ganz kurze Zeit nach der Geburt unverändert. An das Schlussresultat der intra- uterinen Entwickelung knüpft sich sofort die Umwandlung zu einem für die extrauterine Funktion brauchbaren Organ an. Schon v. Jäger sagt, dass das Auge nur wenige Wochen unver- ändert bleibe, und Reuss giebt an, dass der Hornhautradius seine grösste Änderung jedenfalls im ersten halben Jahr des Lebens erleide. Das vorzüglich konservierte Auge eines 22tägigen Kindes, welches das anatomische Institut der Güte des Herrn Dr. Blessig!) verdankt, lehrt uns, dass sich schon zu dieser Zeit die Form ganz auffallend der des Erwachsenen nähert, dass sich 1) Herrn Professor Orth hier und Herrn Dr. Fressel in Hamburg sind wir für die gütige Überlassung von Untersuchungsmaterial zu grossem Dank verpflichtet. 20* 296 IX. FR. MERKEL und ANDREW W. ORR. die Hornhaut verdünnt, die Linse in ihren Krümmungsradien verändert hat. Huschke giebt ferner auf Grund von Wägungen an, dass das Auge seine Zunahme im Verlauf der Kinderjahre immer mehr verlangsame, dass es aber in der Pubertätszeit wieder ein etwas rascheres Wachstum erfahre. Reuss sagt vom Hornhautradius, dass er sich allmählich bis zum 7. Jahre ver- grössere, um von da ab bis zum 12. Jahr eine Änderung nicht zu erfahren. Um die Zeit der Pubertätsentwickelung vergrössert sich der Hornhautradius von neuem, bis er dann endlich seine definitive Grösse erreicht hat. Man sieht aus diesen Angaben, dass die Weichteile des Kopfes und seine Hartgebilde in ihrer Ausbildung ganz parallel gehen. Denn was die genannten Autoren sagen, trifft vollständig mit Merkels (l.c. S. 184) Worten zusammen, wenn er sagt: „Die postembryonale Schädelentwicke- lung teilt sich in zwei ganz von einander getrennte Wachs- tumsperioden, die erste reicht von der Geburt bis etwa zum 7. Lebensjahr. Nun folgt ein völliger Stillstand aller Teile bis zur Pubertät. Mit diesem Zeitpunkt tritt die zweite Wachstums- periode ein, welche bis zur vollkommenen Ausbildung des Schä- dels dauert.‘ Zum Schluss möchten wir noch einmal die Hoffnung aus- sprechen, dass bald ein kompetenter Gelehrter die Entfernung der vorderen Fläche der Hornhaut von derjenigen der Linse am lebenden Neugeborenen feststellen möge, dass auch dieser letzte zweifelhafte Punkt ganz sicher gestellt werden könne. Tafelerklärung. Fig. 1. Schematischer Durchschnitt des Auges vom Neugeborenen in 7facher Vergrösserung. Die Konturen des Auges vom Erwachsenen, dessen Linse für die Nähe eingestellt ist, sind in brauner Farbe eingezeichnet. Rechts vom Beschauer ist ein Ciliarfortsatz gezeichnet, links ein Thal zwischen zwei Ciliarfortsätzen. Fig. 2. Radialschnitt der Gegend des Ciliarkörpers vom Auge eines Neuge- borenen. Der Ciliarmuskel besteht lediglich aus Längsfasern. Zwischen Iriswurzel und der Wand des Sinus venosus ist ein sehr lockeres Balken- werk eingeschoben. Zwischen Iris und Ciliarfortsatz spannt sich eine schwimmhautähnliche Platte. Vergr. 16. Fig. 3. Radialschnitt wie Fig. 2. Der Ciliarmuskel besteht fast ganz aus Cir- eulärfasern. Vergr. 16. N Be ae | In, | 12 . | a | = | | = e | Konservirungsart. I u > er E ” x Dr Bean: , GHOEER Ne as | nn (Eee a ” | = : vr > | . | -r | EN a = | en | | | | | | | | | | E a . 10,836 10,95 10,988 | — 084 — — 0,532 0,912 0,855 ‚0,646 0,988 E Hornhautperipherie-Dieke . 11,064 1,14 |1,178 = 1,06 03 0,95 0,938 1,102 Nez € Dicke der Sclera vorn. . 0,646 0,494 |0,57 0,342 10,532 0,532 0,57 ‚0,494 9,418 0,437 ‚0,551 0,57 o | Dicke der Sclera im Äqua- | | | | | | | | 3 Ir. 22202000. .|0,57 10,57 |0,38 10,304 10,38 0,494 0,38 [0,38 10,194 |0,361 0,456 10,494 = IB der Selera hinten . |1,026 | — [0,998 | — 0,76 1,026 |0,912 |0,807 |0,798 10,722 0,95 10,874 Choroidea, Diekehinten neben | | | | | | N.optii .....| — | — 10108 | — 10,103 0,103 ‚0,0927° — 0,103 0,103 | — |0,103 Choroidea, vorn nahe dem | | | | | | Ciliarkörper . . . . [00515 — | — [0,0309 — | = 0,0618 0,0515 0,05150,0515 es E: Corpus ciliare, grösste Dieke|0,608 0,494 0,494 0,342 0,532 ‚0,57 ‚0,494 0,456 0,456 |0,38 0,342 10,342 E E eiliaris, grösste | | | | | » | | | E Lane . .....|247 |1,9 12,08 |2,66 2,28 | — |2,08 |2,66 12,08 |1,9 12,28 [2,08 E Irisbreite . . .:. ... [8,914 13,648 |3,8 14,294 3,048 | — [3,154 |3,458 [3,572 3,39) — | — » | Iris, Dicke zunächst dem Ci-, | | | = liarrande ...... . 0,108 0,1133.0,103 0,1133.0,1133 0,1133/0,103 0,108 | — 0,108 | — /0,103 = | Iris, Dicke am Pupillarrande 0,15450,1442/0,175110,1751| — 0,206 ‚0,1751/0,164810,1751/0,1854 0,1854 — | Sphincter iridis, Breite . 1,064 1,064 11,102 11,102 0,95 ‚0,722 |0,855 0,874 0,874 |0,798 10,646 0,912 Sphinceter iridis, Dicke . | _ 0,0824 0,0618 0,06180,0721 0,0721 0,0721 0,0515/0,0515,0,0515 0,0721 0,0618, Pupille, mittlerer Durch- | | | messer . 2. 2... 0.|9,28 11,558 1,14 0,988 [1,178 |3,04 12,546 13,344 3,382 13,8 13,914 13,61 | Be | | | # | Papillan. optie. Durchmesser 1,14 | — 0,886 — 11,064 0,95 11,064 1,064 11,026 0,95 0,931 0,988 = Br der Retina, hinten . 0,412 — 0,3605 — 0,3811 — 0,4326 0,309 |0,309 '0,3811,0,309 [0,3811 & Dicke der Retina im Äqua- | | | | | | | | | = or 222222. |0,2266 — | — 0,1545 0,2266 0,2266 0,2884 0,206 |0,206 0,17510,1957 0,2575 ® | Dicke der Retina dicht an | | | | | | n der Ora serrata . . . 10206 10,206 — 0,1339 0,1648 0,206 0,2163,0,1854 0,1854 0,206 0,206 10,206 | In obiger Tabelle sind nur diejenigen Maasse aufgenommen, welche an den einzelnen Durchschnitten mit mikrometrischer Genauigkeit gemessen werden konnten. | | | | | | | f IT was IT: | | | | | | IR | | | | mi = | | | | | | | | = CH | | | De ars Men = == | [N IE: Ne BE ee Br = = = 5 | 2S ; : : : Zu = En 7, Pr E a H = > | - o EIlE|& SB CE Pr = = S a IRL= 28 : : : re = = 208 = = =) a a aa eo: a BZ u Be = 25) 23 a, 58 8 & & & fan fe2) E aa | | | ia a | rl 23 24 |. ann] 20%] RVATIRYVIT| RR | AXI) IX RX XXIV | RXV XXVI XXVUXXVII XXIX | XXX AXXI | | | | | 0,836 0,95 10,722 10,78 — | — —| — | - \gra2| — 0,886 [0532| — \osıı | 09 zB6 1,026[1,026 | 1,028 — | — | — | = 0,988 | 1,026 1,292 |0,912 | 0,988 |1,028 | 1,1 — | — [0,532 | 0,57 |0,494 00,494 | 0,532 — [0,418 | 0,456 | 0,57 0,57 0,532 |0,532 |0,5154| 0,5 | | | | | | 1 | — | — [0,418 | 0,456.0,456 0,456 | 0,304 — | — 10,266 |0,342 |0,342 | 0,342 | 0,342 0,4085) 0,4 | 0,988) 1,10211,026 | 0,95 1,026 1,026 | 1,026.1,026 0,836 0,76 10,95 |0,95 |0,76 0,76 10,918 | 1,0 | | \ | | | | | | | — | — [0,103 | 0,10310,0824l0,08244 — | — | _ |o,oos2a —_ — 0,0927 0,0721) 0,0949 0,10 u Er en Be Mr ER Be Be FOR aa = — [0,0497| 0,05 | | | \ | — | — 10,494 | 0,494.0,798 0,798 | — 0,684 0,494 | 0,532 | 0,532 | 0,396 0,396 |0,5058| 0,5 Bao |. \208 11,71 |i,rı = |.— | = |308 [2,014 |2,014 2,98; |2,28° [2130 24 - | | - |a3aa736 a77a| — | — | _ | — [2,432 |2,812 |2,755 [2,86 3,307 | 3, | | | | | ee | — [0,103 |0,1068 | — = % —=+ 40,1153] 0,1133]. |, 22 7,0:107 0,11 | | | | | | I=I-|—- | — iz1l01751 — | — | _| — I01854 — [0,1751|0,1751l0,1746| 02 0,874 0,912)0,76 | 1,216.0,874 0,95 0,76 | — | — 10,836 |0,836 | 0,618 |0,618 |0,883 | 0,9 — | — [0,0515 — /0,0618/0,0618 — 0,0618 — ‚0,0515 0,0515) 0,0618) 0,0566 0,0615 0,08 A re ee DR ET. 4372| —- | —-|—-| -— |38 |323 |a4s |as3 |3,087 | 32 VEN | | | 1,064| 1,0640,931 | 0,931/1,102 11,026 | — | — 1,026 |1,254 | 0,912 10,912 [1,102 |1,102 1,019 | 1,2 | 0,309 — 0,300 | 0,412.0,36050,3399 — 0,309 0,3399) 0,309 _ — | 0,309 0,3296) 0,3296 0,3465) 0,36 a 310,947 — | 00 — 0,2575) 0,1751) 0,1751] 0,2163| 0,24 | | | | | | I I | | | | | 0206| — [0,206 | 0,20610,206 [0,206 | — | — | — 19206 | — |0206 | — — [0,1860| 0,2 | | I Die berechnete Mittelzahl wurde der schematischen K onstruktion der Fig. 1 keineswegs immer zu Grunde gelegt, da sie aus grossen und kleinen Augen berechnet ist, während die Zeichnung sich nur auf solche mit einer äusseren Achse von 17,5 mm bezieht. ba Kt M um j a Pr Be R DEE ENDRY ON AL Peer IN IHRER BEZIEHUNG ZUR BLUTBILDUNG DR. K. v. KOSTANECKI, PROSEKTOR IN GIESSEN. Aus dem anatomischen Institut in Giessen. 20a Seit längerer Zeit mit dem Studium der Blutbildung in der embryonalen Säugetierleber beschäftigt, habe ich, als die Unter- suchungen beinahe schon zum Abschluss gebracht waren, die Arbeit von O. van der Stricht: „Le developpement du sang dans le foie embryonnaire‘“ (Archives de biologie, Tome XI £. 1 1891) erhalten, aus deren Lektüre ich ersehen habe, dass ich in manchen wesentlichen Punkten zu den gleichen Ergebnissen mit van der Stricht gekommen bin'). Indessen glaubte ich doch, wenn auch ganz kurz, die Hauptresultate meiner Beobach- 1) Die Übereinstimmung der Resultate mag auch wohl in der Gleichheit unserer Untersuchungsmethoden ihren Grund haben. Ich habe nämlich, ebenso wie van der Stricht, vor Allem Schnitte durch die embryonale Leber unter- sucht und frische Blutpräparate oder Trockenpräparate nur gelegentlich zur Controlle angefertigt; doch sind letztere völlig entbehrlich. Um über die Stätte der Blutbildung, ihr Verhältniss zum Blutgefässsystem der Leber und deren Parenchym eine richtige Vorstellung zu gewinnen, ist es durchaus notwendig, das Organ in bluterfülltem Zustande zu untersuchen. Deswegen habe ich bei kleineren Embryonen stets vor der Herausnahme die Nabelgefässe unterbunden und sie in toto entweder ohne Weiteres oder nach vorheriger Eröffnung der Bauchhöhle, jedoch mit Schonung grösserer Gefässe, fixirt. Bei grösseren Embryonen, von etwa 6 cm ab, wo die Leber nur in Stücken fixirt werden kann, lässt sich die mehr oder minder beträchtliche Entleerung der Blutgefässe nicht vermeiden; doch ist dieser Übelstand insofern von keiner grossen Be- deutung, als die wesentlichen und für die Blutbildung charakteristischen Ver- änderungen im Bau des Organs schon in weit früheren Entwicklungsstadien eintreten und im weiteren Embryonalleben ohne grössere Modificationen bestehen bleiben. Bezüglich der weiteren Angaben über die Behandlung und Färbung der Präparate sei auf die folgende Abhandlung verwiesen, der im Wesentlichen dieselben Objekte zu Grunde liegen. * 304 X. K. v. KOSTANECKI. tungen mitteilen zu sollen, von der Voraussetzung ausgehend, dass eine an umfangreichem Material und auf Grund eingehen- der systematischer Prüfung gewonnene Bestätigung seiner Befunde nicht ohne einen gewissen Wert sein kann — bietet doch die Frage nach der Art und Weise, in welcher sich die Leber an der Blutbildung im Embryonalleben beteiligt, der strittigen Punkte immer noch genug; es genüge darauf hinzuweisen, dass beinahe gleichzeitig mit der Arbeit van der Stricht's die Ab- handlung von Kuborn: ‚Du developpement des vaisseaux et du sang dans le foie de l’embryon‘“ (Anatom. Anzeiger V, 1890 p. 277) erschienen ist, die in allen Hauptfragen den diametral entgegengesetzten Standpunkt vertritt. Zudem bin ich aber in einigen Punkten zu abweichenden Resultaten gelangt, worauf ich näher einzugehen haben werde. Die ersten Anfänge einer im Verhältnis zu anderen Ge- fässbezirken stärkeren Vermehrung von Blutkörperchen findet man in der Leber von ungefähr 8—9 mm langen Embryonen. Die Leber bietet zu dieser Zeit auf Schnitten das Aussehen einer reich verzweigten tubulösen Drüse, deren Schläuche sich viel- fach unter einander verbinden und so ein enges Netz bilden, dessen Maschen von sehr zahlreichen und sehr weiten Capillaren ausgefüllt werden; von einer Läppchenbildung, wie sie das fertige Organ darbietet, ist im Anfang der Entwickelung nichts zu sehen. Die Drüsenschläuche, die sich aus den primitiven, durch Ausstülpung des Darmrohrs entstandenen Lebergängen durch ungemein reichliche seitliche Verästelung und Verschmel- zung der Sprossen gebildet haben, werden von einer geschlossenen Reihe grosser polygonaler Zellen gebildet. Die Leberzellen gleichen, abgesehen von ihrer etwas geringeren Grösse, im wesentlichen den Drüsenzellen der ausgewachsenen Leber, sie sind unregel- mässig polyedrisch, ihr Protoplasma weist eine feinkörnige Granu- lierung auf. Ihre Kerne sind gross, bläschenförmig, völlig kreis- rund oder oval, zeigen ein deutliches, aber nicht sehr reichliches Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. 305 Netz von feinen Chromatinfäden mit einigen grösseren Knoten- punkten, und in der Mitte lassen sie ein oder zwei schön ent- wickelte Kernkörperchen scharf hervortreten. Die einzelnen Kerne stimmen in ihrem Bau im allgemeinen überein, wenn auch nicht alle von gleicher Grösse sind; immerhin sind sie aber meist grösser, als die der ausgewachsenen Leberzellen. In diesem Stadium sind die Zellen sämtlich einkernig. Wie man sich an Querschnitten sowohl, als auch an günstigen Längs- schnitten überzeugen kann, sind die Leberschläuche nicht solide Zellstränge, sondern weisen zu dieser Zeit stets ein deutliches Lumen auf; auf Querschnitten sind meist drei bis vier Zellen um ein kreisrundes Lumen angeordnet. Die zwischen den Leberbalken sich verästelnden Capillaren werden durch eine deutliche kontinuierliche Schicht platter En- dothelzellen abgegrenzt; auf Durchschnitten sind sowohl die Zellleiber als dünner Substanzstreif, der die äussere Wand der Leberzellen von dem Lumen der Capillaren scheidet, sichtbar, als auch springen die, im Verhältnis zu den späteren Stadien, zahlreichen und grossen, länglichen Kerne deutlich gegen das Lumen vor. Den Inhalt der Blutgefässe bilden fast ausschliesslich noch kernhaltige rote Blutkörperchen, während kernlose erst ganz vereinzelt vorkommen. Leukocyten mit ihren charakteristischen, ein feines Chromatinnetz aufweisenden Kernen und mit ihrem deutlich granulierten Protoplasma sind nur in geringer Zahl vor- handen. Während nun in früheren Stadien Mitosen an den Blutzellen ziemlich gleichmässig im allen Gefässbezirken des Embryo sich finden, sind dieselben zu dieser Zeit in bei weitem überwiegender Zahl in der Leber anzutreffen, ein Beweis, dass nunmehr die Neubildung junger Blutzellen in dieses Organ verlegt ist. Wenn auch das Leberparenchym zur Vermehrung der Blut- körperchen in keiner Beziehung steht, so wird es doch durch 306 X. K. v. KOSTANECKI. die Entwickelung des immer komplizierter sich gestaltenden Ca- pillarnetzes in hohem Grade beeinflusst, ebenso wie die Entwick- lung und Anordnung der Blutgefässe in Abhängigkeit steht vom Wachstum der Leberschläuche; beide Teile sind hier eben in gleicher Weise aktiv an der gegenseitigen Durchwachsung be- teiligt. Unter den günstigen Ernährungsbedingungen, die durch den Zufluss des an frischem Nahrungsmaterial reichen Blutes aus der Vena umbilicalis geschaffen werden, ist das Leber- parenchym in stetem sehr regem Wachstum begriffen, wie aus den zahlreichen Mitosen in den Leberzellen zu ersehen ist. Man findet die Schnitte wie übersät von Mitosen in den ver- schiedensten Phasen vom Mutterknäuel bis zum Dispirem. Die Chromosomen haben die Form von länglichen Schleifen, die achromatische Figur, die Halbspindeln sowohl als auch die Centralspindel, sind bei Protoplasmafärbungen in der schönsten Weise sichtbar. — Die Mitosen führen teils zum Längenwachs- tum der anfänglichen Leberschläuche, zum grössten Teile aber sieht man sie in deren seitlichen Sprossen, die benachbarten Zellen- lagen entgegenwachsen, um mit ihnen zu verschmelzen, wobei sie die Endothelwand der zwischenliegenden Capillaren vor sich herstülpen. Dass der seröse Überzug der Leber bei der Grössen- zunahme des Organs auch rasch sich ausdehnt, ist selbstver- ständlich, und dies erklärt vollauf die sehr zahlreichen Mitosen des Peritonealüberzugs. Auf der anderen Seite findet nun fortwährend eine ausge- dehnte Neubildung von Capillaren von den bereits bestehenden Gefässen her statt. Ich habe die Art und Weise, wie die Neu- bildung der Capillaren vor sich geht, mit besonderer Aufmerk- samkeit verfolgt und habe stets nur einen Entwickelungsmodus feststellen können: von einer bestehenden Capillare her bildet sich durch mitotische Teilung der Endothelzelle eine schmale trichterförmige Ausstülpung, die meist spitz ausläuft, d. h. m Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. 307 Form eines feinen protoplasmatischen Fortsatzes sich in das Leberparenchym hineinzwängt; ein Vorgang also, der als Gefäss- sprossenbildung auch anderwärts beobachtet wurde. Es sei aber hervorgehoben, dass es keineswegs solide Sprossen sind, die sich etwa nachträglich erst durch Verflüssigung des Protoplasmas aushöhlen, sondern von vorne herein mit einem deutlichen Lumen versehene und nur spitz auslaufende Ausbuchtungen der Capillarwand; — durch wiederholte Teilung der Wandzellen schieben sich nun dieselben immer weiter zwischen die Leber- zellenreihen vor, um schliesslich mit benachbarten Gefässen in Verbindung zu treten. Die in der embryonalen Säugetierleber zahlreich vorhandenen Riesenzellen, die Kuborn neulich noch, eine früher öfters vertretene Ansicht wieder aufnehmend, als „cellules vasoformatives‘‘ aufgefasst hat, stehen zur Gefässneu- bildung zweifellos in keiner Beziehung, ebenso wie sie sich in keiner Weise an der Bildung von jungen Blutkörperchen be- teiligen. Dies beweist schon der Umstand, dass die Riesenzellen in der Leber erst in einem ziemlich späten Stadium (Embryonen von etwa 10 mm) auftreten und dass sie zunächst frei mitten im Lumen der Gefässe entstehen. Beides zeigte mir aufs deut- lichste ein 9 mm langer Kaninchenembryo, der in Schnittserien zerlegt wurde, und dessen Leber im ganzen nur etwa 7—9 erst in Bildung begriffene Riesenzellen aufwies. Allerdings giebt es in der embryonalen Leber Bilder, welche es uns erklärlich machen, wieso man in einer Zeit, wo man einer- seits für die Art und Weise der Entwickelung von Gefässen und neuen Blutkörperchen wenig Anhaltspunkte hatte und anderseits die rätselhaften Riesenzellen vorfand, diese Dinge mit einander in Zusammenhang brachte und die Neubildung von Gefässen und Blutkörperchen in diese „cellules vasoformatives“ verlegte oder — worunter man wohl dieselben Bilder verstand — eine endogene Blutneubildung in einem „jugendlichen Muttergebilde, das gleichzeitig für den Aufbau der Gefässe Verwendung findet“, 303 X. K. v. KOSTANECKI. annahm. Doch darüber weiter unten. Die Neubildung junger Blutkörperchen findet vielmehr ausschliesslich frei im Inneren der Capillargefässe der Leber, also in einem durch deren En- dothelzellen abgegrenzten Raumsystem, statt; doch sind diese Endothelzellen der Gefässwand hieran in keiner Weise beteiligt. Die Gebilde vielmehr, welche durch immer sich wiederholende Teilung fortwährend neue Blutzellen liefern sollen, sind der Leber anfänglich von aussen her durch den Blutstrom zuge- führt worden und fanden hier einen günstigen Nährboden zur stetigen Weiterentwickelung. Nur in diesem Sinne ist die em- bryonale Leber ein „blutbildendes Organ“. Während nun in den frühesten Stadien, wo der Leber noch keine besondere Rolle bei der Blutbildung zukommt, Mitosen im Inneren aller ihrer Grefässe, sowohl der grösseren, als auch der Capillaren gleichmässig zu finden sind, bleiben dieselben später vor allem auf die Capillaren beschränkt; hierbei haben wir aber noch zwei Stadien zu unterscheiden: Zunächst enthalten sämtliche Capillaren reichliche Mitosen der Erythroblasten in ihrem Inneren ; es ist aber auch hier schon eine besondere An- ordnung der Blutzellen zu sehen. Es liegen nämlich die m Teilung begriffenen Erythroblasten, sowie die frühen, weniger hämoglobinhaltigen Stadien, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch überwiegend, wandständig, während die dem fertigen Zustande näher gerückten Stadien, also die an Hämoglobin reicheren und entweder noch gekernten oder schon kernlosen Blutkörperchen axial gelagert sind. Diese Lage der jungen Ery- throblasten gestattet ihnen wohl, ungehindert die ersten Ent- wickelungsstadien zu durchlaufen, ohne in den rapiden Circula- tionsstrom mit hineinbezogen zu werden; eine Einrichtung, die sogar bald in einer besonderen geschützten Localisierung der Jugendstadien der Blutkörperchen noch viel deutlicher zum Aus- druck kommt. In nächster Zeit sind es nämlich nur bestimmte Capillaren, welche die sich teilenden Blutzellen und die frühen Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. 309 Stadien beherbergen, während in den übrigen nicht nur keine Mitosen mehr zu finden sind, sondern auch kernhaltige Blut- zellen in ihnen immer seltener werden und schliesslich so gut wie völlig aus ihnen verschwinden. Letzteres ist bereits in ver- hältnismässig früher Zeit der Fall, so sah ich es bei Kaninchen- embryonen von 4,4 cm, Hundeembryonen von 5!/2 em, Rinder- embryonen von 7 cm. Um diese Verhältnisse richtig übersehen zu können, ist es durchaus erforderlich, sie an Präparaten mit vollständig gefüllten Gefässen zu untersuchen; wenn man ein Präparat von einem Embryo, der an der Nabelschnur abgebun- den und in toto erhärtet wurde, mit einem Präparat des gleich- alterigen Embryo, der ohne diese Vorsichtsmassregeln behandelt wurde, vergleicht, so wird man von der Verschiedenheit beider Bilder völlig überrascht. Die Capillaren, welche das fertige Blut führen, sind ihrem Ursprung nach älter, sie sind auch weiter und besitzen eine stärkere Wand, die zwar auch nur aus einer einfachen Endothelschicht besteht, aber doch deutlich ist und namentlich von Zeit zu Zeit grössere Endothelkerne aufweist. Die Capillaren, in denen die Blutbildung vor sich geht, — Blut- bildungscapillaren — sind aus ihnen hervorgewachsen und haben sich zwischen die Leberbalken verästelt, sie haben ein viel engeres Lumen und sind äusserst dünnwandig; während es an weniger bluterfülltem Organ gelingt, die Wand als zarten Protoplasmasaum und stellenweise mal einen Endothelkern zu sehen, ist dieselbe bei bluterfülltem Organ kaum zu sehen, so dass stellenweise die Blutzellen den Leberzellen unmittelbar an- gelagert zu sein scheinen. Während dabei die fertiges Blut führenden Capillaren ziemlich grade verlaufen, haben die Blut- bildungscapillaren mehr unregelmässigen Verlauf, indem sie mit vielfachen Ausbuchtungen und blind endigenden Ausstülpungen versehen sind. Dabei drängen sich die Erythroblasten gegen die an die Capillarwand angrenzenden Leberzellen so vor, dass sie deren äussere Form beeinflussen, und man an Zerzupfungs- Anatomische Hefte. 3. 21 310 X. K. v. KOSTANECKI. präparaten sowohl als auch an Schnitten Leberzellen zu sehen bekommt, die ganz den Eindruck machen, als ob ein Teil ihrer Wand ausgehöhlt oder ein Teil ihres Zellleibes scharf abge- schnitten wäre. Und wenn man die Entwickelung und die Ver- ästelung der Capillaren nicht schrittweise verfolgt, so könnte man beim Anblick derartiger Bilder leicht versucht sein, die Bildung der Erythroblasten ausserhalb des Gefässes, in das Leberparenchym selbst zu verlegen, oder aber die Erythroblasten dem Leberparenchym selbst zuzurechnen und sie, wie es wirk- lich geschehen ist, als Vorstufen von Leberzellen aufzufassen. In den Blutbildungscapillaren findet man nun alle Ent- wickelungsstufen der roten Blutkörperchen. Die jüngste Vorstufe derselben stellen kernhaltige Zellen dar, die entweder noch ganz farblos oder nur schwach hämoglobinhaltig sind. Ihr Proto- plasma ist, wie ich einer entgegengesetzten Angabe van der Strichts gegenüber hervorheben muss, nieht vollkommen ho- mogen, sondern zeigt eine sehr feine Granulierung. Es umgiebt eleichmässig den central gelegenen Kern. Die Mächtigkeit dieser um den Kern gelegenen Protoplasmaschicht, gleichgiltig, ob das- selbe hämoglobinfrei oder hämoglobinhaltig ist, kann sehr ver- schieden sein, wodurch auch eine nicht unbedeutende Schwankung in der Grösse der Erythroblasten herauskommt. Der Kern zeigt ein sehr regelmässig angeordnetes, engmaschiges, aus ziemlich dicken Fäden bestehendes Chromatinnetz, das in den Knoten- punkten nur wenig verstärkt ist. Diese noch gar nicht oder nur wenig hämoglobinhaltigen Zellen sind es vor allem, die durch immer sich wiederholende mitotische Teilung fortwährend neue Generationen von Blut- zellen liefern. Jedoch nicht ausschliesslich, denn man findet auch ziemlich häufig alle Phasen der karyokinetischen Teilung in vollkommen hämoglobinhaltigen Zellen, deren Protoplasma sowohl ohne Behandlung mit besonderen Farbstoffen, als auch nach deren Einwirkung (Fosin, Eosin-Orange, Säurefuchsin- Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. all Orange) denselben Farbenton haben, wie die vollkommen fertigen roten Blutkörperchen. | Die Mitose der Firythroblasten verläuft ganz nach dem regelmässigen Typus, und man kann alle die charakteristischen Kennzeichen der einzelnen Phasen aufs Schönste verfolgen. Das Knäuelstadium ist durch eine zierliche Anordnung der schlanken Chromosomen ausgezeichnet. Im Stadium des Mutter- sterns sind die mit gleich langen Schenkeln versehenen Chroma- tinschleifen regelmässig angeordnet, die achromatischen Strahlen- kegel aufs schönste zu sehen, ebenso öfters eine deutliche Pol- strahlung. In dieses Stadium fällt auch die Längsteilung der Chromosomen, die man namentlich vom Pol herab sehr häufig aufs deutlichste bei den einzelnen Schleifen sehen kann. Im Diasterstadium sind die schlanken Chromatinschleifen mit ihren Winkeln gleichmässig nach dem Pol zu gekehrt, an dem noch die achromatische Figur deutlich sichtbar ist, ebenso wie die achromatischen Verbindungsfäden von einem Tochterstern zum anderen ohne Unterbrechung im Äquator zu verfolgen sind. Im Diasterstadium oder beim Übergang vom Diaster- zum Di- spiremstadium beginnt dann auch die äquatoriale Einschnürung des Zellkörpers, die man von Stufe zu Stufe bis zur völligen Abtrennung der Tochterzellen verfolgen kann!). Im Dispirem- stadium sieht man längere Zeit eine sehr deutliche Polbucht, die erst nach dem Erscheinen der Kernmembran schwindet. !) Van der Stricht schreibt in seiner neuesten Publikation (Division mitosique des erythroblastes et des leucoblastes ä l’interieur du foie embryo- naire des mammiferes. Anatom. Anzeiger 1891, p. 591): „Ordinairement il apparait a ce stade (sc. des etoiles filles), quelquefois meme au stade pr&cedent une plaque cellulaire, divisant le protoplasına en deux parties egales. On ren- contre des exemples de division protoplasmique par etranglement, mais la division par l’apparition d’une plaque cellulaire semble ötre la rögle.“ Diese für die tierischen Mitosen so wenig feststehende und controverse Frage nach dem Vorhandersein einer Zellplatte hätte sicherlich einer eingehenderen Erörte- rung bedurft. Ob van der Stricht ähnliche Bilder vorgelegen haben, wie ich sie neulich (Über Centralspindelkörperchen bei karyokinetischer Zellteilung, 215 312 X. K. v. KOSTANECKI. Die Frage, ob auch die Leukocyten sich in der embryonalen Leber wesentlich vermehren, wurde von Löwit und von van der Stricht erörtert. Ersterer beantwortet sie bejahend, und zwar lässt er die Leukocyten aus besonderen Zellen entstehen, die im Gegensatz zur mitotischen Vermehrung der Erythroblasten sich ausschliesslich auf amitotischem Wege teilen. Van der Stricht berichtet zwar auch von einer Vermehrung der Leu- kocyten in der embryonalen Leber, giebt aber an, dass sie sich gleichfalls nur auf mitotischem Wege vermehren, und dass sich ihre chromatischen und achromatischen Teilungsfiguren durch garnichts von denen der Erythroblasten unterscheiden; doch kann man nach ihm die beiden Zellarten sowohl im Ruhesta- dium als auch in jeder Phase der Mitose an dem Aussehen des Protoplasma unterscheiden, das bei den Leukoblasten granuliert, bei den Erythroblasten vollkommen homogen bleiben soll. Für die Anschauung Löwits ergeben meine Präparate keine Anhaltspunkte, und was die Angaben van der Strichts anbe- trifft, so muss ich hervorheben, dass ich das Protoplasma der Jugendstadien der Erythroblasten auch deutlich granuliert fand und es erst nach dem Auftreten von Haemoglobin völlig homogen werden sah. Wenn also in der Beschaffenheit des Protoplasma der Erythroblasten und der fertigen Leukocyten bereits im Ruhe- zustand kein prinzipieller, nur ein gradueller Unterschied herrscht, so ist es unmöglich, dieses Moment als Unterscheidungsmittel für die Sonderung der beiden Zellarten während der Mitose zu verwenden. Meinen Erfahrungen an der embryonalen Leber gemäss muss ich mich überhaupt der Anschauung derjenigen Autoren zuneigen, welche auf Grund von Beobachtungen an Anatomische Hefte 1892 H. 2) beschrieben, und wie ich sie auch bei Erythro- blasten der embryonalen Leber sehr deutlich wahrnehmen konnte, mag dahingestellt bleiben. Soviel sei aber hervorgehoben, dass ich auch in solchen Fällen stets die Zellteilung durch eine Einschnürung des Zellleibs vor sich gehen sah. Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. 313 anderen blutbildenden Organen annehmen, dass die Erythro- blasten und Leukoblasten sich nicht aus principiell heterotypischen, spezifischen Zellformen entwickeln. Allerdings weist der fertige Leukocyt charakteristische Kennzeichen auf, die ihn von den anderen Blutzellen deutlich unterscheiden lassen, nämlich so- wohl die Struktur des Kerns, dessen Chromatin in mehreren grösseren Klumpen angeordnet ist, zwischen denen sich ein äusserst zartes ungleichmässig angeordnetes Fadennetz hinzieht, als auch die Beschaffenheit des Protoplasma, das eine sehr deutliche Granulierung zeigt. Zwischen diesen charakteristischen Zellen, deren Grösse übrigens ganz ungemein schwankend ist, und den farblosen Jugendstadien der Erythroblasten giebt es nun aber alle möglichen Übergangsformen, die wie Zwischen- stadien zwischen diesen Gebilden erscheinen, und bei denen die Entscheidung unmöglich wäre, welcher Zellart wir sie zuzählen sollen. Ich werde daher immer mehr zu der Annahme ge- zwungen, dass sich beide Zellarten, die Erythroblasten als auch die Leukoblasten, von einer gemeinsamen Zellform herleiten, und die Differenzierung erst sekundär ist. Demnach gehören auch meiner Ansicht nach die von einem vollkommen hämoglo- binfreien Zellleib eingeschlossenen Mitosen noch undifferenzierten Hämatoblasten an, die entsprechend der grossen Zahl der roten Blutkörperchen überwiegend zu Erythroblasten werden, von denen einige aber sich auch zu Leukocyten umwandeln können. Dagegen scheint es mir ziemlich zweifellos, dass, nachdem die Differenzierung einmal eingetreten ist, die eine Zellart nicht mehr zur Regeneration der anderen führen kann. Die Zahl der im Teilung begriffenen Hämatoblasten der embryonalen Leber ist je nach dem Alter der Embryonen recht verschieden. Anfangs nicht besonders auffallend, wächst sie, beginnend bei Embryonen von ungefähr S—9 mm (Kaninchen), allmählich an, erreicht ihr Höhestadium bei Embryonen von un- oefähr 2 cm (Kaninchen, Hund). um längere Zeit hindurch die be) fo) 314 X. K. v. KOSTANECKI. dominierende Stellung in der Blutversorgung des Embryo bei- zubehalten, bis sie allmählich (bei Kaninchenembryonen von etwa 8—10 em) abnimmt, während bereits im Knochenmark eine Neubildung roter Blutkörperchen beginnt. Doch beteiligt sich die Leber bis zur Geburt selbst immer noch lebhaft an der Lieferung neuer Blutkörperchen und hört auch nach der Geburt nicht sofort, sondern ganz allmählich auf, so dass man bis zum fünften oder sechsten Tage sicher an den Leberschnitten kern- haltige Erythroblasten und Mitosen im denselben finden kann; vereinzelt sah ich sie noch bei ungefähr 14 Tage alten Kälbern. Die Umwandlung der Erythroblasten zu den fertigen kern- losen roten Blutkörperchen ist ein Vorgang, der in manchen Punkten Interesse bietet. Die Veränderungen betreffen sowohl den Kern als auch das Protoplasma. Die grossen runden Kerne mit ihrem schönen Chromatinnetz werden hierbei auffallend kleiner, die Chromatinfäden viel dieker und dichter gedrängt, so dass der Kern ein beinahe homogenes Aussehen darbietet und schliesslich in der That nur einen sich in allen Kernfarb- stoffen sehr intensiv färbenden Chromatinklumpen darzustellen scheint. Das Protoplasma der Erythroblasten nimmt unterdessen gewöhnlich immer mehr Hämoglobin auf, so dass es in dem Stadium der homogenen Kerne meist schon dem fertigen Zu- stande sehr nahe steht. Ausnahmen hiervon findet man aller- dings sehr häufig, indem öfters ein völlig homogen und tief dunkel gefärbter Kern innerhalb eines noch farblosen proto- plasmatischen Zellleibes liegt. Der Zellleib pflegt zu dieser Zeit, wenigstens im Umkreise, von bedeutenderer Grösse zu sein, als in den vorangegangenen Stadien, erscheint aber dabei abge- plattet. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass diese Formen der Blutzellen, bei denen der Kern schon so hochgradig meta- morphosiert ist, keine weitere Vermehrung mehr erfahren können, sondern ihrer definitiven Umwandlung in die kernlosen fertigen Blutkörperchen entgegengehen. Die Art und Weise, in welcher Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. 315 dieser letzte Schritt vollzogen wird, bildet für alle blutbildenden Organe der Säugetiere immer noch einen’ kontroversen Punkt. Ich muss mich in diesem Punkte der Ansicht van der Stricht's anschliessen, der im Anschluss an Rindfleisch und Howell und im Gegensatz zu den meisten Autoren nicht ein endogenes Verschwinden des Kerns annimmt, sondern eine nach aussen stattfindende Ausstossung desselben. Man sieht nämlich, dass der homogene intensiv sich färbende Kern allmählich an die Peripherie der platten Blutzellen wandert, oder dass der Zellleib um denselben herum sich abhebt und nur noch wie eine ge- wölbte Kappe denselben umgiebt, um ihn dann ganz zu ver- lassen. Der Einwand, der den frischen Blutpräparaten oder den Blut-Trockenpräparaten gemacht wird, dass sie diese Form der Blutkörperchen als Kunstprodukt mit sich bringen, ist den Sehnittpräparaten gegenüber unhaltbar. Die mit verschiedenen Reagentien fixierten Lebern, solche, deren Erhaltungszustand im übrigen auch ein ganz vorzüglicher ist, zeigen diese um den Kern gelegenen Zellleibskappen (die Rindfleisch'schen Glocken- formen), so dass ich diese Gebilde als physiologisch ansehen muss. Mit der Ausstossung des Kerns ändern sich offenbar die Spannungsverhältnisse der Zelle; aus der Kappenform, die wie die Hälfte einer diekwandigen Hohlkugel dem Kern anliegt, wird allmählich bei dem auf beide Flächen gleichmässig wirken- den Druck das fertige, inmitten dünnere, an der Peripherie ver- diekte Blutkörperchen. Das Protoplasma ist bisweilen noch im Stadium der Kermausstossung nur wenig hämoglobinhaltig und entwickelt erst nachträglich den Blutfarbstoff in sich. Bezüglich der Frage, wo alle diese Umwandlungen der roten Blutkörperchen stattfinden, ist es offenbar, dass in der ersten Zeit, wo in allen Gefässen kernhaltige rote Blutkörperchen ent- halten sind, dieselben in dem Blutstrom des ganzen Körpers allmählich vor sich gehen müssen; von der Zeit aber, wo die grossen Blutgefässe, auch in der Leber, fast ausschliesslich nur 316 X. K. v. KOSTANECKI. vollkommen fertige Blutkörperchen führen, glaube ich, dass die Erythroblasten, wenn auch nicht ausschliesslich, so doch über- wiegend, alle Entwicklungsstufen in den spezifischen Blutbildungs- capillaren durchmachen und erst im Zustande völliger Reife dieselben verlassen. Dem ganzen Bau der embryonalen Leber nach, deren ungemein reichlich sich zwischen die Leberbalken verästelnde Capillaren dem Organ einen vollkommen schwam- migen Charakter geben, ist es wohl kaum zweifelhaft, dass der Blutkreislauf in derselben in hohem Grade verlangsamt ist, wenn auch das Organ in jedem Augenblick sehr blutreich ist. Die Blutneubildungscapillaren vollends sind, glaube ich, beinahe völlig aus dem Kreislauf ausgeschlossen. Sie bilden zum grossen Teil Ausbuchtungen der Capillaren, die blind endigen; stets aber sind sie mit den Hämatoblasten vollgepfropft, so dass sie keine freie Pforte für den Blutstrom bieten. Dass die Erythro- blasten aber durch denselben nicht einfach herausgespült werden, beruht meines Erachtens auf der Adhäsion ihrer rauhen Ober- fläche, solange ihr Protoplasma noch nicht die homogene hämo- globinöse Beschaffenheit angenommen hat, mit der offenbar erst eine völlige Glätte der Oberfläche und demgemäss eine gesteigerte passive Beweglichkeit gegeben ist. Wir haben auch oben schon betont, dass, wo die Neubildung der Erythroblasten noch m weiten Capillaren stattfindet, die jungen Stadien meist wand- ständig sind, während die hämoglobinhaltigen Blutkörperchen nach dem Lumen zu liegen, und es mag an die bekannte That- sache erinnert werden, dass, wo wir den Blutstrom unter dem Mikroskop beobachten können, in dem rapiden axialen Strom stets die roten Blutkörperchen enthalten sind, während die Leu- kocyten an der Wand sich langsam fortbewegen. Dass aber, trotzdem die Capillaren für den Blutstrom unwegsam sind, ein ausgiebiger chemischer Stoffwechsel zwischen ihrem Inhalt und dem Blutserum stattfindet, unterliegt wohl keinem Zweifel, eben- so wie es für die Blutneubildung nur als ein förderndes Moment Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. 317 angesehen werden kann, dass das mit allen Emährungsstoffen gesättigte Blut das Organ verlangsamt passieren muss. Sobald aber die Erythroblasten durch Aufnahme des Hämoglobins und Ausstossung des Kerns gereift sind, genügt, glaube ich, die blosse stete Erschütterung der Flüssigkeitsäule des Blutplasma dazu, sie in den gemeinsamen Capillarkreislauf gelangen zu lassen. Dass aber zu jeder Zeit einige kernhaltige Erythroblasten mit in die grösseren Lebergefässe und damit im den Körper- kreislauf gelangen können und da erst ihre verschiedenen physiologischen Umänderungen (Hämoglobinbildung, Ausstossung des Kerns) durchmachen, ist sicher; und ebenso feststehend ist es, dass die Erythroblasten, falls sie weniger hämoglobinhaltig die Capillaren verlassen haben, erst im Körperkreislaufe all- mählich heranreifen. Auf diesen Thatsachen beruht die von mehreren Autoren bereits hervorgehobene Erscheinung, dass die kernhaltigen Erythroblasten in der Pfortader und den Capillaren, in die sie sich unmittelbar ergiesst, seltener sind, als in den abführenden Gefässen, und ebenso, dass die Blutkörperchen in denselben reifer, das heisst hämoglobinhaltiger, intensiver ge- färbt sind. Die Kerne der Erythroblasten behalten im Augenblick der Ausstossung meist noch ihre Form als Ganzes; freie völlig nackte Kerne findet man öfters in den Capillaren in jedem Stadium der Blutbildung. Sie können aber auch bereits im Inneren der Zelle in mehrere Teile zerfallen, so dass wir bisweilen Erythro- blasten mit vorübergehend zwei oder drei kleinen Kernen vor uns haben, die aber deutliche Zeichen ihrer physiologischen De- generation aufweisen. Nachdem der Kern aber frei geworden ist, geht er sehr rasch seinem Untergange entgegen. Er zer- fällt in einzelne Fragmente, die dann im Blutserum wohl auf- gelöst werden. Van der Stricht giebt an, dass die freien Kerne entweder als Ganzes oder ihre Fragmente auch durch Phagocytose seitens anderer Zellen verschlungen werden. Und 318 X. K. v. KOSTANECKI. zwar schreibt er diese Rolle den Endothelzellen der Capillaren, den Leukocyten und Riesenzellen der Leber zu, da er in allen diesen drei Zellarten neben dem spezifischen Kern noch dunkel tingierte homogene Chromatinklumpen vorfand, die allen ihren Charakteren nach als Reste der degenerierten Erythroblastenkerne aufgefasst werden mussten. Was die Endothelzellen anbetrifft, so war es mir, trotz wiederholten Suchens, nicht gelungen, auch bei den jüngeren Embryonen, wo nach van der Stricht dieser Vorgang sich öfters abspielen soll, Anhaltspunkte dafür zu finden, dass ihr Zellleib im Stande wäre, fremde Körper, als welche die im Blute eirculierenden freien Kerne betrachtet werden müssen, aufzunehmen. Dagegen kommt den Leukocyten unzweifelhaft diese Eigenschaft in hohem Maasse zu, und zwar kann ich auch die Angabe van der Strichts völlig bestätigen, dass Kernfrag- mente der Erythroblasten vielfach auch in solchen Leukoeyten sich finden, die in Teilung begriffen sind. Ebenso habe ich auch mitten im Zellleibe der Riesenzellen öfters ganze derartige Erythroblastenkerne oder kleinere Fragmente von ihnen gesehen. Ich möchte aber bezweifeln, dass, wie van der Stricht es beschreibt und abbildet, diese Kerne ohne Weiteres zur Ver- grösserung des Kerns der Leukocyten resp. Riesenzellen ver- wendet werden sollen, da es wohl kaum anzunehmen ist, dass derartig degenerierte Kerne noch aus lebens- und funktionsfähigem Chromatin bestehen, vielmehr glaube ich, dass der Kern im Zellleib verdaut wird und sekundär erst durch chemischen As- similationsprozess zur Vergrösserung des ursprünglichen Kerns verwendet wird. Derartige Bilder, in denen der dunkle Chromatinklumpen dicht neben dem eigentlichen Kern zu finden ist, können wohl einfach durch Anlagerung desselben erklärt werden, und die Aufnahme desselben in den eigentlichen Kern ist sicherlich nur eine scheinbare. Trotzdem ich derartige Bilder öfters gesehen habe, so glaube ich dennoch nicht, dass diesem Vorgang der Aufnahme von Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. 319 Kernfragmenten ins Innere von Leukocyten und Riesenzellen eine wesentliche Rolle zukommt in dem Sinne, dass letztere be- stimmt wären, diese „Fremdkörper“ aus dem Blutstrome zu entfernen; denn die Zahl der von den Riesenzellen und Leuko- cyten aufgenommenen Kerne ist gegenüber der Menge der aus- gestossenen freien Kerne eine verschwindend kleine, so dass diese Zellen offenbar nicht im Stande wären, diese Aufgabe zu be- wältigen. Ich glaube, dass die Mehrzahl der Kerne einfach durch Auflösung im Blutstrom zu Grunde geht, und nur einige davon, die zufällig mit Leukocyten oder Riesenzellen in Be- rührung kommen, vermöge der phagocytären Natur dieser Zellen von deren Protoplasmaleib aufgenommen werden. Ausser den zu Grunde gehenden Erythroblastenkernen schliessen die Riesenzellen nicht selten in ihrem Leib andere Gebilde ein, so vor allem fertige rote Blutkörperchen oder Trümmer derselben oder aber auch Leukocyten mit mehr oder weniger degeneriertem Kern. Alle diese Bilder hat man teils als Beweise für die endogene Blutkörperchenbildung in Anspruch genommen, teils aber für die Theorie von der Entstehung der Riesenzellen durch Verschmelzung von Zellenhaufen verwertet, während es sich in Wirklichkeit nur um Aufnahme von fremden Zellen in den phagocytären Protoplasmaleib der Riesenzellen handelt. Da zudem die Riesenzellen meist in den Ausbuch- tungen der Capillaren gelegen sind oder, wo sie in einer Capillare liegen, ihr Lumen meist vollständig ausfüllen, so wollte man in ihnen auch das Material für die Bildung neuer Capillaren sehen, indem sie sich zwischen bestehende Zellkomplexe vordrängen und schliesslich durch Verflüssigung ihres Zellleibs neue Wege für den Blutstrom liefern und die Communikation zwischen benach- barten Capillaren herstellen sollten. Meinen Erfahrungen nach muss ich aufs entschiedenste die Ansicht vertreten, dass die Riesenzellen der embryonalen Leber — für andere blutbildende Organe der Säugetiere wird die Ansicht auch von manchen 320 X. K. v. KOSTANECKI. Autoren verfochten —, so auffällig und so interessant sie in ihrer Form und in ihren Lebenserscheinungen auch sein mögen, bezüglich ihrer Function und ihres Verhältnisses zum Vor- gang der Blutbildung völlig nebensächlich und bedeutungslos sind. Wir haben am Anfange bereits hervorgehoben, dass, wenn auch der Vorgang der Blutneubildung in keiner direkten Be- ziehung zur Entwicklung des Leberparenchyms steht, beide Pro- zesse vielmehr sich parallel abspielen, dass doch die Anordnung der Leberparenchymzellen von der Verästelung der Capillaren in hohem Grade beeinflusst wird. Man kann sagen, dass das- jenige, was einer embryonalen Leber, auch aus späteren Zeiten, den charakteristischen Unterschied von einer ausgewachsenen Leber verleiht, gerade die Anordnung der Lebercapillaren im Verhältnis zu den Leberzellen ist. Nachdem nämlich der an- fängliche charakteristische tubulöse Bau der Drüse durch das Hineinwachsen der Capillaren, vor allem der Blutbildungscapil- laren, zwischen die Leberbalken verloren gegangen ist, resultiert ein scheinbar völlig unregelmässiger Bau des Organs. Verhält- nismässig früh, denn schon bei Embryonen von 3—4 cm., kann man aber bereits eine gewisse Gesetzmässigkeit in der Anordnung der grösseren Stämmchen der vena portae und vena hepatica er- kennen, indem im Gegensatz zu der äusserst dünnen Wand der Äste der vena hepatica, die Wand der Pfortader sich mächtiger entwickelt und sowohl eine starke Zunahme der glatten Muskel- zellen als auch der Adventitia zeigt. Die Dickenzunahme der Wand der Pfortader und vor allem die Entwicklung des adven- titiellen Bindegewebes nimmt mit dem weiteren Wachstum stetig zu, wodurch eine immer deutlichere Abgrenzung des Verteilungs- gebiets der Pfortaderäste möglich ist; die für das ausgewachsene Organ charakteristische, mit der Verteilung der Blutgefässe im Zusammenhang stehende Abgrenzung in kleinere Läppchen ist aber eine Bildung, die erst in letzter Embryonalperiode beginnt Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blutbildung. 321 und zum grössten Teil in das Stadium der postembryonalen Entwicklung fällt. | Mit dem bald nach der Geburt wahrnehmbaren Schwinden der Ausbuchtungen der Blutbildungscapillaren gewinnen die Lebercapillaren allmählich einen mehr gerade gestreckten Ver- lauf und demgemäss die Leberzellen eine mehr regelmässige reihenartige Anordnung. Was die Leberzellen selbst anbetrifft, so treten gegen Ende des Embryonallebens allmählich auch die zweikernigen Zellen reichlicher auf, die bekanntlich beim ausge- wachsenen Organ in sehr grosser, wenn auch nicht bei jedem Tiere gleicher Zahl vorkommen; beim Kaninchen bilden sie weit- aus die Mehrzahl (wenigstens ?/,) der gesamten Leberzellen. Es ist wohl als sicher anzunehmen, dass diese Zellen aus den einkernigen durch mitotische Kernteilung ohne nachfolgende Zellteilung sich entwickelt haben. Die Entwicklung der grösseren Gallengänge fängt etwa bei 4—5 cm langen Embryonen (Kaninchen, Hund, Rind) an. Und zwar geht die Bildung offenbar zuerst von den grösseren primi- tiven Lebergängen aus, denn man sieht die ersten Gänge stets in Begleitung der grösseren Pfortaderäste verlaufen. Sie werden anfangs von grossem cylindrischem Epithel ausgekleidet, das aber dann in ein kubisches und in den kleineren Ästen in ein niedriges rhombisches Epithel übergeht. Es scheint mir sehr wahrscheinlich, dass ebenso, wie in der ersten Zeit zwischen dem Epithel der primitiven Lebergänge und dem der Leber kein prinzipieller Unterschied bestand, später wiederum die Leberzellen auch zu Wandzellen der Abzugskanälchen werden können; man findet manche Übergangsstellen, welche eine solche Annahme unterstützen. Dass andererseits auch die ganz niedrigen rhom- bischen Zellen der Abzugskanälchen sich reichlich vermehren und zur Erweiterung der Wand beitragen können, beweisen die zahlreich in ihnen auftretenden Mitosen. 322 X. K. v. KOSTANECKI. Die letzten Spuren der Blutbildung in der embryonalen Leber verschwinden etwa in den ersten 14 Tagen nach der Ge- burt; wenn damit auch der Weg für die völlige Heranbildung des Organs zu dem definitiven Zustande geebnet ist, so vollzieht sich diese doch nur sehr allmählich und reicht in lange Zeit der postembryonalen Entwicklung hinein. XI. ÜBER KERNTEILUNG BEI RIESENZELLEN NACH BEOBACHTUNGEN AN DER EMBRYONALEN SÄUGETIERLEBER K. v. KOSTANECKI, PROSEKTOR AM ANATOMISCHEN INSTITUT IN GIESSEN. Aus dem en n Giessen. Mit 20 Figuren auf Tafel XXV. Die embryonale Leber bietet ein überaus günstiges Objekt für die Untersuchung der interessanten Vorgänge an den Riesen- zellen; denn wir haben hier die Möglichkeit, dieselben gleich bei ihrem ersten Auftreten zu beobachten und sie bis zum Augen- blick ihres Verschwindens zu verfolgen; und da sie in einer besonders regen Entwicklung und in einem besonders regen Wachstum begriffen sind, so geben sie uns Gelegenheit, die hier- bei in Betracht kommenden Kernteilungsvorgänge in den ver- schiedenen Phasen zu beobachten. Da wir schliesslich neben älteren grösseren Riesenzellen mit sehr complieirten Kernen auch sehr zahlreichen kleineren jüngeren Stadien begegnen, so können wir die an grösseren Kernconvoluten complicierter erscheinenden Vorgänge leichter aus einfacheren Verhältnissen herleiten '). ı) Die Präparate wurden zum allergrössten Teile in einer mit Sublimat gesättigten 0,50, Kochsalzlösung fixiert, worin sie, je nach der Grösse der Stücke, einige bis 24 Stunden verweilten. Kleinere Embryonen wurden ganz eingelegt (bis zur Grösse von 2—3 cm), bei etwas grösseren wurde die Bauchhöhle vor- erst vorsichtig eröffnet; von Embryonen von etwa 5 cm ab wurden, wenn es sich nicht um Übersichtspräparate, sondern um genaue histologische Details handelte, nur einzelne Leberstücke in die Fixierungsflüssigkeit gelegt. Sämt- liches Material wurde nur lebenswarm verwendet. Aus der Fixierungsflüssig- keit wurden dann die Präparate 24 Stunden unter fliessendem Wasser ausge- waschen und darauf in Alkohol von ansteigender Konzentration (50, 70, 90, 94°/, Absol. je 24 Stunden) gehärtet. Bisweilen wurden die Präparate aus der Fixierungsflüssigkeit direkt in Alkohol gelegt, und das Sublimat durch Zusatz einiger Tropfen Jodtinktur allmählich entfernt. Die Stücke wurden teils un- gefärbt eingebettet, um dann in Schnitten auf dem Objektträger mit Ehrlich- Biondi’scher Flüssigkeit nachgefärbt zu werden, oder sie wurden mit Häma- toxylin ("/,°/,—24 Stunden) und Alaun (1°/,—12 bis 24 Stunden, je nach der Anatomische Hefte. 3. 22 326 XI. K. v. KOSTANECKI. Die Kerne der Riesenzellen in der embryonalen Leber zeigen, ähnlich wie in anderen blutbildenden Organen der ausgewachsenen Säugetiere, eine grosse Mannigfaltigkeit der Form. Wir finden bisweilen Kerne, die ihrer Gestalt nach an die Kernformen anderer Zellen sich anschliessen, nämlich einfach rund oder oval erscheinen und nur durch ihre bedeutende Grösse sich unter- scheiden. Doch dies ist selten, wie überhaupt die einfachen Kerne, mögen sie auch eine unregelmässige Gestalt, Hufeisenform oder Walzenform aufweisen (Fig. 1), in der Minderzahl sind. Meist haben wir es mit polymorphen, zusammengesetzten Kernen zu thun, die aus einzelnen, der Zahl und Grösse nach sehr wechselnden, runden Lappen bestehen. Ohne die beinahe un- erschöpfliche Variabilität derartig gelappter Kerne schildern zu wollen, erwähne ich nur, dass sie die Gesamtform eines läng- lichen Bandes, eines Kreisbogens, eines Halbmondes, eines ganz geschlossenen Kranzes (Fig. 2) oder teilweise unterbrochenen Ringes darbieten (Nierenform, Hufeisenform); oft liegt auch der Grösse des Objekts) behandelt, was eine sehr schöne Färbung namentlich der Kernteilungsfiguren ergibt. Das Protoplasma ist bei dieser Färbung, wenn sie gut gelingt, auch schwach bläulich gefärbt, jedoch empfiehlt es sich, um in jedem Falle auch die achromatischen Figuren bei der Karyokinese zu ver- deutlichen, die auf diese Weise durchgefärbten Präparate mit Kosin oder Eosin-Orange, mit Säurefuchsin oder Säurefuchsin-Orange nachzufärben. Für die Darstellung der Attraktionssphären leisteten mir diese Färbungen sehr gute Dienste, vor allem aber die Ehrlich-Biondi’sche Mischung. — Zum Teil wurden die Präparate auch mit Sublimat und gesättigter Pikrinsäurelösung zu gleichen Teilen oder mit Sublimat und Eisessig (5°%,) fixiert, dann mit Cochenille-Alaun, oder mit Hämatoxylin (1/,",) und Nachbehandlung mit Kalium monochromicum ("/,°/,) durchgefärbt. Bezüglich der Durchfärbung sei bemerkt, dass die Prä- parate, nachdem sie zunächst in Alkohol von allmählich steigender Konzen- tration gehärtet wurden, nicht direkt in die Färbeflüssigkeit kamen, sondern (namentlich die zarten jüngeren Stadien) zuvor noch in verdünnten Alkohol kamen; ebenso wurden sie nach der Durchfärbung zuerst in 60 oder 70°/, Al- kohol gelegt und kamen dann erst in allmählich konzentrierteren. Vor der Ein- bettung in Paraffin kamen die Stücke aus dem absoluten Alkohol entweder auf kurze Zeit in Chloroform und dann auf längere Zeit in Xylol oder aber in Bergamottöl; bei Anwendung von Bergamottöl muss das Paraffin mehrmals gewechselt werden. Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d.embryon. Säugetierleber. 327 langgezogene Kern nicht in einer Ebene, sondern verläuft etwas spiralig und geschlängelt; sehr häufig findet man auch eine korbartige Anordnung der Kernlappen, oder diese liegen auf einem Haufen und bilden einfach ein ziemlich regelloses Kon- volut von zusammenhängenden Kernen (Maulbeerförmige Kerne); in einzelnen Fällen habe ich deren 20—30 zählen können; da- rüber geht die Zahl bei den von mir untersuchten Embryonen nicht hinaus, jedenfalls erreicht sie nicht die Höhe, wie sie in anderen Riesenzellen wahrgenommen wurde, wo Haufen von Hunderten von Kernen beisammen liegen sollen. Dem inneren Bau der Kerne nach schliessen sich die Riesen. zellen im Allgemeinen an den Typus der Leukocyten an; jeder einzelne Kernlappen entspricht gewissermassen einem Leukocyten- kerne. Er zeigt eine chromatische Kernmembran und enthält in seinem Inneren einige rundliche oder unregelmässig eckige Chromatinklumpen;; zwischen denselben erstrecken sich chroma- tische Fäden, die unter einander vielfach verbunden sind und sich mannigfach verästeln (Fig. 1 und 2). Doch sind auch in völligem Ruhezustande Strukturunterschiede insofern ganz deut- lich, als einmal die Chromatinmassen viel kompakter und grösser sind, die dazwischen ausgespannten Chromatinfäden aber nur ein System von äusserst zarten und unregelmässigen, auf grösseren Strecken unterbrochenen Fäden darstellen, während ein andermal die Fäden breiter sind, und dadurch das chromatische Fadennetz viel deutlicher und regelmässiger angeordnet erscheint und nur an den Knotenpunklen grössere Chromatinanhäufungen aufweist. Unzweifelhaft sind diese Unterschiede davon abhängig, wie lange die Kerne seit der letzten Teilung in Ruhe verharren, indem mit der Zeit das anfänglich netzartig angeordnete Chromatin sich zu immer grösseren Klumpen ansammelt; es handelt sich also meiner Ansicht nach um Altersunterschiede der Kerne. Im Übrigen wird der Kern von einem völlig durchsichtigen Kernsaft erfüllt. 22* 328 XI K v. KOSTANECKI. as Protoplasma dieser Zellen ist meist sehr reichlich, steht aber bezüglich seiner Menge in keinem ganz gleichmässigen Ver- hältnis zur Grösse des Kerns. Die Gesamtgestalt der Zellen ist rundlich oder länglich, öfters sind aber die Wände unregel- mässig und eingebuchtet, was die Folge der äusserst leichten Anpassung an die Nachbarzellen ist. Der Zellleib ist stets eranulirt, wenn auch die Körnelung so fein sein kann, dass sie ein beinahe homogenes Aussehen des Protoplasma herbeiführt. Bei Säurefuchsin-, ebenso wie bei Eosinfärbung kann man meist um den Kern herum eine schmale hellere aus äusserst feinen Granulationen bestehende Schicht gegenüber einer dunkleren peripheren Zone unterscheiden. Bei günstig gestalteten Kernen, namentlich den hufeisen- förmigen oder halbmondförmigen, sowie den Ring-Kernen kann man öfters nach der Ehrlich-Biondi’schen Färbung oder an Präparaten, die nach vorangegangener Haematoxylin-Alaun- Färbung mit Säurefuchsin-Orange oder Eosin-Orange nachge- färbt werden, in dem grösseren, meist helleren freien Mittel- feld oder in der Eimbuchtung des Kerns, dessen konkaver Seite genähert, eine deutliche Attraktionssphäre sehen (Fig. 1 und 2). Sie erscheint als ein kompakterer, dunkler gefärbter und von der Umgebung sich deutlich abhebender Teil des Protoplasma, ist von rundlicher Gestalt und läuft nach aussen meist etwas strahlig aus, so dass sie die Form eines kleinen Sternchens dar- bieten kann. Eine innere Strahlung, wie sie von Flemming zuerst für Leukocyten des Salamanders beschrieben wurde, ist hierbei nicht wahrzunehmen. Ein Centralkörperchen in der Form eines ausserordentlich kleinen dunklen Körnchens konnte ich nur in sehr seltenen Fällen in der Mitte der Sphäre wahrnehmen. Die Sphären in ruhenden Riesenzellen wurden zuerst von Arnold in der Milz der weissen Maus gesehen und abgebildet, ohne dass er ihre wahre Natur erkannte, dann in demselben Organ von Reinke bezüglich ihrer Bedeutung festgestellt, ferner von van Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 329 der Strieht in der embryonalen Leber und M. Heidenhain im Knochenmark des Kaninchens beschrieben. Van der Stricht (und van Bambeke) gibt an, in den ruhenden Riesenzellen eine oder mehrere Attraktionssphären ge- sehen zu haben, während M. Heidenhain „in denjenigen Zellen, die mit Sicherheit als im Zustand völliger Ruhe befind- lich betrachtet werden konnten, bisher nur eine Sphäre ent- decken“ konnte. Meinen Präparaten zufolge muss ich mich der Angabe M. Heidenhains anschliessen, indem ich bei auch noch so voluminösen Kernen stets eine einzige gemeinsame Sphäre gesehen habe (Fig. 2). In den jüngsten Entwicklungsstadien sind Riesenzellen in der embryonalen Leber nicht vertreten, ihr erstes Auftreten fällt zeitlich zusammen mit dem Beginn der blutbildenden Thätigkeit des Organs. Sie erscheinen also erst bei Embryonen von ungefähr 9 mm. Bei einer Schnittserie durch einen Ka- ninchenembryo von dieser Länge habe ich in dem ganzen Organ nur die Gesamtzahl von etwa 9 Riesenzellen gefunden, von denen die meisten von geringer Grösse, mit einem drei- oder vierlappigen Kern versehen erschienen und teilweise in Karyokinese begriffen waren; daneben fand sich nur eine ein- zige Zelle mit acht Kernen im Tochtersternstadium. Dabei lagen die Riesenzellen sämmtlich im Lumen der zwischen den Leberbalken bereits sehr reichlich verzweigten, weiten Capillaren. Diese Thatsachen sprechen mit Bestimmtheit gegen die Auf- fassung, welche früher durch Kölliker, Fahrner, Neumann, dann von Foa und Salvioli, Renaut, in neuester Zeit von Kuborn vertreten wurde, wonach die Riesenzellen nach Art der „cellules vasoformatives“ im Sinne Ranvierssich an der Neu- bildung von Capillaren sowohl als auch von roten Blutkörperchen beteiligen und dadurch zu stande kommen sollten, dass sie von den Endothelzellen der Capillarwände abstammend, zu „zellen- ähnlichen Protoplasmamassen anwüchsen“ und „von der Aussen- 330 XI K. v. KOSTANECKI. fläche der Gefässe sich gegen die Lebermassen vorschöben“. Auf diese Hypothesen, für die meinen Präparaten zufolge kein Anhaltspunkt besteht, glaube ich nicht mehr näher eimgehen zu brauchen. Wenn wir allen thatsächlichen Verhältnissen Rechnung tragen, so lässt sich die Herkunft der Riesenzellen nur durch die Annahme Flemmings erklären, die heute zu einer sicheren These geworden sein dürfte. Nach Flemming wären die Riesenzellen des Knochenmarks, der Milz, der Embryonalleber und Decidua „abnorm ausgewachsene und funktionslose Lymphoid- zellen, die ihre Entstehung nur den eigentümlichen Stoffwechsel. bedingungen in den wenigen Organen verdanken, in denen sie vorkommen“. Löwit spricht sich in ähnlichem Sinne aus; und eine feste Stütze hat diese Theorie durch die neueren Arbeiten van der Strichts erhalten, der die Herkunft der Riesenzellen in der embryonalen Leber von den Leukoeyten her schrittweise ver- folgt hat. Van der Stricht versucht sogar eine physiologische Erklärung für diese Hyperplasie der Leukocyten zu geben: Er macht darauf aufmerksam, dass die Riesenzellen in den blutbildenden Organen nur bei den Säugetieren auftreten, und dass andererseits nur den Säugetieren die kernlosen roten Blut- körperchen zukommen, die aus den kernhaltigen durch Aus- stossung des Kerns entstehen. Diese beiden Vorgänge bringt nun van der Stricht m kausalen Zusammenhang, indem er sich vor allem auf Bilder stützt, wo Leukocyten sowie Riesen- zellen neben ihrem eigentlichen Kerne die charakteristischen freien Erythroblastenkerne oder ihre Trümmer enthielten, welche seiner Ansicht nach zur Vergrösserung des Kerns beitragen sollen. Meinen Präparaten zufolge kann ich vollständig das Vorhandensein von ganzen Kernen oder Kernteilen der Ery- throblasten im Zellleibe der Riesenzellen bestätigen, doch sind diese Bilder nicht häufig, und ich halte sie für nichts weiter, als für Anklänge an die Herkunft der Zellen von den Leukoeyten, 9292 Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 331 deren phagocytäre Natur sie auch beibehalten haben. Meiner Ansicht nach kann ein Leukocyt allmählich zu einer noch so grossen Riesenzelle anwachsen, ohne je Trümmer von Erythro- blastenkernen in sich aufgenommen zu haben. Ich möchte daher bis auf weiteres, auch die physiologische Ursache mit Flemming nur „in den eigentümlichen Stoffwechselbedingungen‘ der be- züglichen Organe suchen, welche, wenn für irgend ein blutbildendes Organ, so gerade für die Embryonalleber ganz exceptionell günstig sich gestalten. Damit wäre auch zugleich das Auftreten von Riesenzellen bei Entzündungen und in Geschwülsten, wenn auch nicht erklärt, so doch dem Verständnis näher gebracht, da ja auch hierbei die Ernährung des Organs zwar pathologisch, aber für gewöhnlich abnorm gesteigert ist. Die Leukocyten der embryonalen Leber weisen eine sehr verschiedene Grösse auf und zeigen bei Embryonen jeden Alters mannigfache Übergänge von den ganz kleinen bis zu den grössten Formen. In Anbetracht der mannigfachen Zwischen- stufen unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass die verschiedene Grösse der Leukocyten nur als Ergebnis fortschreitender Ent- wicklung einer im wesentlichen völlig derselben Zellenart auf- zulassen ist. Die Kerne der Leukocyten sind in der Regel rund oder oval. Daneben trifft man aber, namentlich in späteren Embryo- nalstadien, sehr zahlreiche, wiederum verschieden grosse Leuko- cyten mit polymorphem Kern oder selbst mit mehreren kleineren Kernen, also polynukleäre Leukocyten. Diese Kernformen ent- wickeln sich allmälich aus den runden Kernen, und zwar unter interessanten Fragmentierungserscheinungen, die ganz typisch vor sich gehen und in manchen Punkten an die Bilder erinnern, die Flemming bei der amitotischen Kernteilung der Wander- zellen des Salamanders und Göppert bei den Lymphoidzellen der Randschicht der Salamandrinenleber beschrieben haben. Den Ausgangspunkt der Kernfragmentierung bildet hier jedes- mal die Bildung eines vollständigen Lochkerns. Das, wie man ! | 332 XI. K. v. KOSTANECKI. | sich durch Heben und Senken des Tubus überzeugen kann, | vollkommen durchgehende Loch liegt jedesmal genau in der Mitte, und der Kern bildet einen überall gleich breiten Ring um dasselbe. An diese Ringform schliessen sich dann diejenigen Kerngebilde an, wo der Ring an einer Stelle eingeschnürt wird und schliesslich eine Durchtrennung erfährt. Die beiden alsdann freien Enden des anfänglichen Ringkerns können nun entweder teilweise übereinander zu liegen kommen oder sich von einander entfernen und eine hufeisenförmige oder halbmondförmige Figur bilden. Der hufeisenförmige Kern kann. dann. wiederum an einer oder mehreren Stellen eingeschnürt und schliesslich durch- trennt werden, woraus ein polynukleärer Leukocyt resultiert. Nie- mals findet man aber bei Leukocyten mit derartig gestalteten Kernen eine Durchtrennung oder Eimschnürung des Zellleibes, so dass diese Bilder nicht etwa im Sinne einer Vermehrung der Leukocyten durch amitotische Teilung verwertet werden können. Wie bereits erwähnt, können die Leukocyten der embryo- nalen Leber sehr verschieden gross sein; nun aber trifft man einige Leukocyten, welche, bei identischem Bau des Kerns und des Protoplasma, durch die Grösse ihres Zellleibes und nament- lich durch die Grösse und den Chromatingehalt ihres Kerns das Mass derjenigen Gebilde bereits überschreiten, welche wir sonst noch als Leukocyten zu bezeichnen pflegen. Solche Zellen sind es, welche unzweifelhaft als Übergangsformen zu den komplizier- teren Formen der Riesenzellen aufgefasst werden müssen. Der Kern kann noch völlig an die ursprüngliche runde oder ovale Form (Fig. 1) erinnern. Es ist wohl die "Annahme nicht un- begründet, dass derartige grosse und chromatinreiche Kerne es vor allem sind, die zu den chromatinreichen Teilungsfiguren, den Spiremen von bedeutender Dimension, den drei, vielleicht auch sofort mehrpoligen Muttersternen und Tochterkerniormen Veranlassung geben. Der Beginn der Riesenzellenbildung ist " uspegsamy uueungaog gr Ser = .. . -“ pin Er A "PH APSmIOoreUyT i “ ee if nd Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 333 aber erst dann gegeben, wenn ein Leukocytenkern sich in zwei oder auch mehr Tochterkerne geteilt hat, die Teilung des Zell- leibes aber ausgeblieben ist. Dass dies thatsächlich der Fall ist, kann nicht bezweifelt werden angesichts der Bilder, wo in einem Zellleibe Tochterkerne im Dispirem- oder Trispirem-Stadium vor- handen sind, ohne dass eine Spur von Einschnürung des Zell- leibes wahrzunehmen wäre, während bei normalem Verlauf in dieser Phase bereits eine Teilung des Zellleibs hätte eintreten müssen. Was nun die Ursache ist, dass bei dieser Kernteilung keine Zellteilung nachfolgt, muss dahingestellt bleiben. Wir dürfen nun wohl annehmen, dass die, zumal bei einer mehrpoligen Teilung, erfolgte Vermehrung der Kernoberfläche auch eine gesteigerte Ernährung des Zellleibes zur Folge hat, welche ihrerseits wohl auch dem Kerne wieder zu gute kommt; und daraus erklärt sich wohl auch das häufige Auftreten von mitotischen Kernteilungsfiguren in den Riesenzellen. Und ebenso, wie aus den einfachen, einkernigen Zellen durch mitotische Teilung ohne nachfolgende Zellteilung die kleineren zwei-, drei- vielleicht auch vierkernigen, Riesenzellen entstehen, so ent- wickeln sich wiederum aus den letzteren durch mitotische Teilung die kernreicheren, komplizierten Formen. Die Kernteilung wird eingeleitet durch eine Teilung der einfachen Attraktionssphäre; in einigen wenigen Fällen sah ich dieselbe nämlich in mehrere zerfallen und von dem gemeinsamen Mittelpunkte peripher auseinandergehen, um den einzelnen Kern- abschnitten näher zu rücken. Dann fängt auch die Umänderung im Bau des Kerns damit an, dass das Chromatinnetz deutlicher wird; die Fäden desselben werden dicker, während die Netz- knoten und Kernkörperchen allmählich verschwinden. Und zwar sah ich stets von Anfang der Mitose an alle Lappen des Kerns zugleich die charakteristischen Veränderungen eingehen, wie überhaupt in allen Stadien alle Kernabschnitte die gleichen Teilungsphasen zeigten. 334 XI. K. v. KOSTANECKI. Die Kernmembran ist im Knäuelstadium anfangs an allen Lappen des Kerns noch deutlich erhalten (Fig. 3, 4, 5), die Lappen sind jedoch nicht so scharf von einander abgegrenzt, wie im Ruhezustand, vielmehr sind sie deutlich vergrössert und scheinen sich mit grösseren Flächen unter einander zu berühren, vielleicht auch schon teilweise mit einander zu confluieren. In den Lappen liegen die schlanken nur wenig gewundenen Schleifen der Chromosomen und zwar sind sie der Oberfläche ziemlich nahe gerückt; ein Pol- und Gegenpolfeld ist jedoch an den ein- zelnen Lappen bei dem Reichtum der Chromosomen kaum zu unterscheiden, zumal da die einzelnen Lappen sich teilweise über einander schieben (Fig. 4, oder aber überhaupt zwei Lagen eines Kernhaufens über einander zu liegen kommen (Fig. 5). Mit dem Schwund der Kernmembran schwindet auch die Abgrenzung der Lappen und man erhält einen je nach der Grösse des Kerns verschieden volummösen, im allgemeinen rundlichen Haufen von ziemlich regellos liegenden Chromatinschleifen, deren freie Enden frei an der ganzen Oberfläche hervorragen und der- selben ein unregelmässiges stachliches Aussehen verleihen (Fig. 6); der Kern repräsentiert also in dieser Phase in gewisser Beziehung eine Einheit. Die einzelnen Chromosomen scheinen hiebei kürzer, aber zugleich auch beträchtlich dieker geworden zu sein. Die Figuren im Mutterstern-Stadium sind desto komplizierter, je mehr Chromosomen und je zahlreicher die Spindelpole sind. Im einfachsten Falle der mehrpoligen Teilung, wo nur drei Spindelpole auftreten, bilden die Chromosomen eine regelmässige dreistrahlige Figur, deren Schenkel unter gleichen Winkeln ab- gehen; von jedem Spindelpole gehen achromatische Fäden zu je zwei benachbarten Strahlen , ebenso wie auch jeder von den Strahlen achromatische Fäden von je zwei benachbarten Polen er- hält, wodurch auch die Chromatinschleifen im denselben naturge- mäss mit ihren Winkeln eine verschiedene Lage einnehmen müssen. Bei einer vierpoligen Figur fand ich die Chromosomen zu einer \ Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 335 mit den Schenkeln etwas schief gestellten H-förmigen Figur ange- ordnet (Fig. 7), von zwei Polen gingen achromatische Fäden zu je drei Schenkeln derselben hin. Gleichfalls eine 4-Teilung vermute ich in der Chromatinfigur von der Gestalt eines regelmässigen Tetraöders, zu dessen jeder Fläche je ein Spindelpol gehören würde (Fig. 8). Sind aber mehr Pole vorhanden, so können zwar die Chromosomen um einen gemeinsamen Mittelpunkt gruppierte mehrstrahlige Kernplatten bilden (Fig. 9), meist sind sie aber um mehrere Centra angeordnet (so in Fig. 19 um 2), dabei durchkreuzen sich die Strahlen in den verschiedensten Ebenen. (Fig. 9 und 10), so dass ihre Gesamtgestalt die man- nigfachsten und kompliziertesten, bisweilen auch bei verschiedenen Einstellungen ganz unentwirrbare Verhältnisse darbietet, immer aber stellt die Kernplatte eine in sich völlig geschlossene Figur dar. Aus diesem Umstande, als auch daraus, dass die Zahl der Spindelpole eine sehr verschiedene, eine gerade und eine un- gerade sein kann, lässt sich auch ersehen, dass hier eine atypische eigenartige Teilungsform vorliegt und nicht eine gleichzeitige normale bipolare Teilung mehrerer Kerne einer Zelle. Die achromatischen Spindeln stellen sich nach Anwendung protoplasmafärbender Farbstoffe aufs schönste und deutlichste dar (Fig. 7 und 10), ihre Fäden verlaufen so schnurgerade, dass ihre Gesamtheit förmliche Strahlenkegel darstellt. Im Ver- gleich zur normalen bipolaren Mitose sind diese Strahlenkegel kürzer aber breiter, was mit der eigentümlichen Anordnung der Schenkel der Kernplatte in Zusammenhang steht. Von jedem Pol können achromatische Fäden zu mehreren benach- barten Schenkeln der chromatischen Figur ziehen, so dass dem- nach jeder Tochterkern von mehreren Seiten seine chromatischen Tochterschleifen bezieht. Die Längsspaltung der Chromosomen tritt regelmässig in diesem Stadium ein, und deswegen sieht man die Kernplatte einmal aus dickeren, ein andermal aus zahlreicheren, dünneren 336 XI. K. v. KOSTANECKI. Chromosomen zusammengesetzt; auch kann man bisweilen die eben eingetretene Spaltung an den freien vorragenden Enden der Chromatinschleifen direkt beobachten. Die Metakinese führt, bei viellappigen Kernen namentlich, wenn die Schwesterhälften sich eben zu trennen beginnen, und die Schleifen teils gegen den Pol gerückt sind, teils aber noch nahe dem Äquator gelegen sind, zunächst zur Bildung von komplizierten Figuren. In den Anaphasen dagegen gestalten sich die Verhältnisse ziemlich einfach. Es kommt zur Bildung so vieler Tochtersterne, als Pole da sind. Die Anordnung der Chromosomen in den einzelnen Tochterkränzen ist eine ganz regelmässig konzentrische um das Polzentrum; sämtliche Tochter- sterne scheinen nach bestmöglicher Schätzung gleich voluminös, also gleich chromatinreich zu sein. Die Lage der Tochtersterne zu einander kann eine sehr verschiedene sein; bei den ein- facheren Formen der pluripolaren Teilung, der Drei- oder Vier- Teilung liegen sie in einem sowohl zu einander als auch zum Zellenmittelpunkte gleichmässig weiten Abstande (Fig.11 und 12); ebenso fand ich öfters auch mehr Kerne regelmässig um ein freies Mittelfeld angeordnet (so 7 Kerne in Fig. 13), wenn auch nicht immer in einer Ebene gelegen. Bei grösserer Zahl pflegen sie aber mehr unregelmässig verteilt zu sein, so liegen die 10 Tochterkerne in Fig. 14 in einer etwa S-förmigen Linie an- geordnet, in Fig. 15 und 16 bilden die 13 resp. 11 Kerne einen ziemlich regellosen durcheinandergelegenen Haufen. Diese An- ordnung giebt wohl schon zum Teil eine Andeutung der späteren Form des lappigen Kerns. Sehr deutlich pflegen bei Anwen- dung entsprechender Farbstoffe die achromatischen Verbindungs- fäden zu sein, welche vom einen Tochterstern zum anderen hin- ziehen (Fig. 11, 12, 14), auch Reste der vom Pol ausgehenden Spindeln sind öfters zu sehen (Fig. 11). Von besonderem Interesse ist wiederum in mehrfacher Be- ziehung das Stadium der Tochterknäuel. Die Chromatinschleifen Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber 337 legen sich zu einem schmalen länglichen Konvolut zusammen, das an einer Seite eine kleine Delle, das Polfeld aufweist, in dem ich bisweilen eine dunkler granulierte Protoplasmamasse sehen konnte, offenbar den Rest der Polspindel, die Attraktions- sphäre. Die achromatischen Verbindungsfäden verschwinden in diesem Stadium nach und nach. Die einzelnen Tochterkerne bleiben anfangs getrennt, am Ende dieses Stadiums rücken sie aber, während gleichzeitig allmählich die Kernmembran erschemt, näher zusammen und legen sich an einander, um mit ihren Berührungsflächen zu verschmelzen. Und zwar tritt die Ver- schmelzung nicht an allen Tochterkernen zugleich ein, sondern es wachsen einzelne Gruppen von je zwei oder drei, dann all- mählich mehr Kernen zusammen, während andere gesondert liegen (Fig. 17 und 18!), und es können wohl auch auf die Dauer vereinzelte Kerne neben dem lappigen Hauptkerne selbst- ständig bestehen bleiben. Fig. 19 und 20 stellen zwei Tochter- spireme dar, wo sämtliche Tochterkerne zu einer einheitlichen, komplizierten Figur zusammengewachsen sind. In der Polbucht der noch isoliert liegenden Tochterspireme kann man öfters noch die Attraktionssphäre sehen, wo aber mehrere Kerne be- reits verschmolzen sind, besteht für das Konvolut eine gemein- same Attraktionssphäre; und in deren Bestreben, nach einem gemeinsamen Mittelpunkte zu rücken, und schliesslich in ihrer definitiven Verschmelzung ist wohl auch die Ursache für die vollständige Verwachsung sämtlicher Tochterkerne zu suchen. Durch die schliessliche Wiederverwachsung der durch die Teilung an Zahl vergrösserten Tochterkerne wird also aus einer vor- übergehend polynucleären eine Zelle mit grossem polymorphem Kern, aus einem Polycaryocyten im Sinne Howell’s ein Me- gacaryocyt. 1) Die zwei kleinen Chromatinkörper in Fig. 18 scheinen mir nur ange- schnittene Kernstücke zu sein. 3938 XI. K. v. KOSTANECKI. Während nun anfangs dadurch, dass die einzelnen Spireme von schmaler länglicher Gestalt sind, die Grenzen zwischen den verschmolzenen Teilen so gut wie garnicht sichtbar sind (Fig. 18, 19, 20), dieselben vielmehr als längliche Bänder erscheinen, treten dieselben wiederum völlig deutlich hervor, sobald die Kerne zur Ruhe zurückkehren und jeder einzelne Kernlappen, der ja einen vorher gesonderten Kern repräsentiert, also einem besonderen Kernindividuum gleichwertig ist, die fürs Ruhestadium charakteristische, im allgemeinen rundliche Form annimmt, während die Verwachsungsstellen wie Einschnürungen der Kern- oberfläche erscheinen. Weiterhin lagert sich das Chromatin, wie nach einer normalen Zweiteillung zu einem mehr oder weniger regelmässigen Netz, das sich mit der Zeit wiederum mehr dem leukocytären Kernbau nähert, es zeigt nämlich die Neigung, sich in grössere Klumpen zu lagern und dazwischen in Form von zarten, bisweilen sogar unterbrochenen Fäden aus- zuspannen. Manche anfangs hervorgehobenen Unterschiede in Grösse und Struktur, sowie Chromatinreichtum der einzelnen Kernlappen sind sicherlich nur auf Altersunterschiede, d. h. die Differenzen in der seit der letzten Teilung verflossenen Zeit- dauer zurückzuführen. Überblicken wir die Erscheinungen der einzelnen Phasen der Riesenzellenmitose, so ersehen wir, dass, wenn wir auch der charakteristischen Eigentümlichkeiten wegen die pluripolare Teilung als „eine entschiedene Aberration der Kernteilung“ (Flemming) auffassen müssen, dieselbe trotzdem einen ganz gesetzmässigen typischen Verlauf nimmt, und zwar in einer Art und Weise, die durch die Pluripolarität selbst streng vor- gezeichnet ist; im Übrigen lehnt sich aber die pluripolare Mitose als solche an die bipolare in jeder Beziehung an, sowohl was die chromatische als auch achromatische Figur betrifft. Die Mehrpoligkeit erklärt sich aber dadurch, dass einerseits der Kern der Riesenzellen kein einfacher und nur durch seine Grösse und Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 339 Form ausgezeichneter Kern ist, sondern ein Komplex von an- fangs gesonderten, dann erst verschmolzenen Kernindividuen und deswegen nicht einfach eine zweiteilige, nur an Dimen- sion grössere Mitose bieten kann; andererseits aber bilden die einmal verschmolzenen Kerne in gewisser Beziehung eine Einheit, so dass zunächst mal alle Kernlappen zugleich in Mitose eintreten, und niemals ruhende Kerne neben in Teilung be- griffenen gefunden werden, und vor allem nicht mehr jeder Kern für sich gesondert in die einfache bipolare Mitose eintritt, sondern alle zusammen komplizierte Prophasen liefern, in den Anaphasen nur vorübergehend gesondert bleiben, auch da aber durch den Verlauf der achromatischen Verbindungsfäden ihre vielseitigen Beziehungen erkennen lassen, und schliesslich bei der Rückkehr zum Ruhestadium wiederum zu einer Einheit verwachsen. Auf eine Lücke in den Beobachtungen über die pluripolare Riesenzellen-Mitose muss ich hier aufmerksam machen, ohne dass ich im stande bin, dieselbe auszufüllen. Es wäre nämlich von Interesse zu erfahren, wie sich bei solchen pluripolaren Teilungen die Zahl der Chromosomen verhält. Dass die Schwester- hälften derselben sich ziemlich gleich auf die einzelnen Tochter- kerne verteilen, lässt sich aus der annähernd gleichen Grösse der chromatischen Figuren mit Wahrscheinlichkeit schliessen ; der Versuch aber, die jedem Tochterkerne zufallende Zahl der- selben festzustellen, scheitert an der Kleinheit des Objekts, so dass selbst eine annähernde Zählung sich als unmöglich erweist. Die Wichtigkeit dieser so prinzipiellen und grundlegenden Frage wurde sogleich bei den ersten Beispielen der pluripolaren Mitose, denen man begegnet ist, hervorgehoben, so von Rab], der bei einem Haematoblasten aus der Milz eines Proteus eine Drei- teilung (Tochtersterne) beobachtet hat, doch war die Entscheidung derselben nicht möglich, ebensowenig in dem Falle von Mayzel, der bei einer Bindegewebszelle einer lebenden Axolotllarve eine 340 XI. K. v. KOSTANECKI. Vierteilung sich vor seinen Augen vollziehen sah. Auch suchen wir in sämtlichen ferneren Arbeiten über diesen Gegenstand, die sowohl normales Knochenmark der Säugetiere als auch ent- zündete Organe und Geschwülste betreffen, vergebens nach näheren Angaben darüber; und Schottländer, der dieser Frage eine spezielle Erörterung widmet und an einem viel günstigeren Objekt gearbeitet hat, nämlich der entzündeten Cornea des Frosches, wo es gleichfalls zur pluripolaren Mitose von Riesen- zellen kommt, konnte auch zu keinem ganz sicheren Resultate gelangen. Die von uns wiedergegebenen Beobachtungen der pluri- polaren Mitose an den Riesenzellen der embryonalen Leber, die im besten Einklang mit den Beobachtungen van der Strichts an demselben Objekt stehen, stimmen auch mit den, allerdings nur fragmentarischen, Angaben über die mitotische Teilung der Riesenzellenkerne in anderen blutbildenden Organen der Säugetiere überein!) (Denys, Arnold, Löwit, Demarbaix, Cornil, Reinke, Werner); durch die systematische Vorfüh- rung der einzelnen nacheimanderfolgenden Phasen, zumal solchen, die den bisherigen Autoren, ausser van der Stricht, ent- gangen waren?), dürften sie aber in manchen Punkten nähere 1) Vergl. auch die pluripolaren Mitosen, die Hertwig bei überfruchteten Echinodermeneiern, Henneguy im „Parablast“ der Forelle beschrieben hat. 2) Unberücksichtigt blieb vor allem bei früheren Autoren das Stadium des Spirems und der Tochterspireme, im Stadium der äquatorialen Kernplatte sowie in dem Tochtersternstadium fehlen Angaben über die achromatische Figur. Wenn Werner u. a. im Knochenmark Bilder erwähnt, die „einer ver- zweigten Äquatorialplatte glichen“, jedoch niemals in solchen Fällen eine Spur von achromatischen Kernspindeln sah, die eine bestimmte Deutung des Ganzen ermöglicht hätten, und wenn auch Denys sagt: „a aucun stade nous n’avons pu trouver l’indice de fuseau ou de filaments achromatiques“, so kann dies nur auf die von den Autoren angewandten reinen Kernfärbungsmethoden zu- rückzuführen sein. Van der Stricht hat achromatische Figuren bei den Riesenzellen stets deutlich gesehen. In pathologischen Mitosen sind sie längst beobachtet worden (Martin, Arnold, Aoyama, Ströbe, Schottländer, Hansemann u. a.). | Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 341 Aufschlüsse über den genaueren Vorgang geliefert haben. Auch die in pathologischen Zuständen, in Geschwülsten (Careinomen, Sarcomen, Gliomen, Ovarialkystomen), bei Entzündungen und Re- generationsvorgängen beobachteten Riesenzellenmitosen schliessen sich hieran in allen wesentlichen Punkten an und zwar sowohl bei Riesenzellen, die den Epithelzellen angehörten, als auch bei Zellen, die der Bindegewebsrejhe entstammten (vergl. Wald- stein, Cornil, Arnold, Martin, Metschnikoff, Aoyama, Eberth, Podwyssozki, Hess, Ströbe, Goldmann, Krauss, Siegenbeck van Heukelom, Schottländer, Gama Pinto, Tizzoni und Poggi, Hansemann). Doch scheinen hier einzelne charakteristische Differenzen vorzukommen ; so finden sich öfters partielle Karyokinesen, d. h. neben in Teilung begriffenen liegen auch ruhende Kerne; sodann kommen, vor allem beim Careinom, asymmetrische Mitosen vor, indem einzelne Tochterkerne mehr, andere weniger Chromosomen zugeteilt be- kommen. Diese Art der Mitose in Geschwülsten und in ent- zündeten Geweben hat gerade in der letzten Zeit eine allge- meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, so dass sicherlich eine grössere Litteratur über diesen Gegenstand zu erwarten steht; vielleicht dürften für die Beurteilung der hiebei in Betracht kommenden, spezifisch pathologischen Momente die bei einer normalen physiologischen pluripolaren Mitose beobachteten Vor- gänge nicht ohne Bedeutung sein. Wir haben bereits hervorgehoben, dass in denjenigen Stadien der pluripolaren Mitose, wo bei einer normalen bipolaren Mitose die Einschnürung des Zellleibes einzutreten pflegt, jedes An- zeichen einer gleichzeitigen Zellteilung fehlt, woraus sich ergibt, dass die Mitose der Riesenzellen nicht mit der Neubildung von Tochterzellen in Zusammenhang steht, sondern lediglich zur Kernvermehrung dient. Dieses gilt ebenso für die Riesenzellen der blutbildenden Organe wie für diejenigen der pathologischen Gewebe. Doch ist die Teilung des Zellleibes der Riesenzellen Anatomische Hefte. 3. 23 ED) XI. K. v. KOSTANECKI. nicht völlig ausgeschlossen; man kann, wenn auch selten, Bei- spiele davon zu sehen bekommen. Der Vorgang wird dadurch eingeleitet, dass in dem polymorphen Kern der Riesenzellen be- liebige von den die einzelnen Lappen abtrennenden Furchen sich tiefer einschnüren und schliesslich zur Durchtrennung des einheitlichen Kerns in zwei oder mehr gleiche oder aber ver- schieden grosse Kerngruppen, bisweilen auch in einzelne selbst- ständige Kerne führt. Dabei tritt an dem Kerne keine besondere Veränderung, etwa eine Vermehrung oder fadige Umordnung der chromatischen Substanz, zu tage. Derartige Riesenzellen mit zwei oder mehreren Kerngruppen zeigen nun öfters eine verschieden hochgradige Einschnürung ihres Zellleibes, und eine Stufe weiter stellen diejenigen Bilder dar, wo zwei oder mehr Riesenzellen beisammen liegen und sich mit ihren Flächen be- rühren, also offenbar einer eben stattgehabten Teilung ent- stammen. Wir hätten hier also ein Beispiel einer verspäteten, der Kernteilung im willkürlichen Zeitabständen nachfolgenden und sie gewissermassen vervollständigenden Zellteilung, die aber überhaupt nur selten auftritt. Jedenfalls verdanken wohl die meisten Riesenzellen ihre Herkunft dem allmählichen Empor- wachsen aus den einfachen Leukocyten, und nur die wenigsten einer Teilung praeexistierender Riesenzellen in gleichartige Tochterzellen. Dass bei der Sonderung des polymorphen Kerns in einzelne Gruppen auch einzelne Kerne sich loslösen können, die bei der nachfolgenden Zellteilung in einkernige Zellen über- gehen, konnte ich wahrnehmen, aber nur in ganz vereinzelten Fällen. Vielleicht kommt dies, wie aus den Beobachtungen von Denys u. a. hervorzugehen scheint, im Knochenmark und in der Milz häufiger vor, und dies mag zu der Ansicht Veranlassung gegeben haben, dass die Riesenzellen zur Bildung von Leuko- cyten in Beziehung stehen, indem durch einfache Zerschnürung des Kerns und dementsprechende Spaltung des Zellleibes eine Reihe einkerniger Tochterzellen hervorginge. Die Riesenzellen Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 343 der embryonalen Leber bieten für diese Annahme keine Stütze. Eine endogene Abgrenzung des Protoplasma um die vom Haupt- kern abgelösten Kerne herum habe ich niemals gesehen. Von den meisten Autoren (Arnold, Werner, Denys, Ströbe, van der Stricht u. a.) wurde diese der Zellteilung vorangehende Sonderung des Kerns in einzelne Gruppen als ami- totische Kernteilung (direkte Teilung, direkte Kernzerschnür- ung, Knospungs-, Sprossungs-, Furchungsvorgang, Fragmentierung, Stenose) aufgefasst und als Beweis dafür angeführt, „dass diese Zellen einem Modus der Teilung unterliegen, der mit dem der Mitose nichts gemein hat“. Meiner Ansicht nach völlig mit Unrecht. Ich habe oben mehrfach hervorgehoben, dass wir die viellappigen Riesenzellenkerne als durch Verwachsung früher gesonderter selbständiger Kernindividuen entstandene Gebilde auffassen müssen; wenn sich nun diese, nur an der Berührungs- fläche eingetretene Verwachsung nachträglich wieder löst, so kann man diesen Vorgang unmöglich den sonstigen Beispielen einer regelrechten amitotischen Kernteilung gleich stellen; es ist dies ein Vorgang, der wohl zutreffender nur als „Dissociation der Kerne“ zu bezeichnen wäre. Eine andere Frage ist es, ob die Kerne der Riesenzellen die Zahl ihrer Kernlappen durch amitotische direkte Teilung vermehren können, d. h. ob innerhalb eines polymorphen Kerns aus einem Lappen durch einfache Ein- schnürung zwei gleichwertige Kernlappen entstehen können. Ich glaube, dass ein strikter Beweis dafür sich kaum beibringen liesse, denn aus der blossen lappigen Form des Kerns ist ein Schluss auf Kernsprossung, den einige Autoren ziehen zu müssen glaubten, unzulässig; andererseits lässt sich dies nicht unbedingt zurückweisen, zumal da bei den Leukocyten Fragmentierungen vorkommen, dieselben also bei ihren Abkömmlingen, den Riesen- zellen, nichts Auffälliges hätten. Gerade deswegen aber, dass die Kerne ihrem Charakter nach den Leukocytenkernen ähnlich sind, müssten andererseits derartige Umwandlungen der einzelnen 23* 344 XI. K. v. KOSTANECKI. Kernlappen, auch wenn sie vorkämen, äusserst vorsichtig be- urteilt werden; denn ebenso, wie die polymorphen Kerne der Leukocyten nicht durchaus als Ausdruck einer beginnenden Kernteilung aufgefasst werden müssen, so können auch Form- veränderungen bei dem einem solchen Kern gleichwertigen Kern- lappen blosse Bewegungs-Lebenserscheinungen des Kerns vor- stellen. Notwendig erscheint mir die Annahme einer direkten Kernteilung bei Riesenzellen nicht; ich halte, ebenso wie De- marbaix bei den Riesenzellen des Knochenmarks, die mitotische Teilung für den einzigen Vermehrungsmodus der Kerne der Riesenzellen; die Vorgänge der Mitose haben uns für das Zustandekommen der gelappten Kerne einen genügenden Auf- schluss gegeben, und die Häufigkeit der anzutreffenden Mitosen dürfte wohl genügen, um uns ihr zahlreiches Vorkommen zu erklären. In den bisherigen Beschreibungen der Riesenzellen verschiedener Organe vermisse ich eimen strengen Beweis für das Vorkommen amitotischer Vermehrung innerhalb der einzelnen Kerne, die meisten Autoren lassen sich vielmehr zu dieser Hypo- these durch die rein aprioristische spekulative Annahme verleiten, dass „wegen des spärlichen Vorkommens der multipolaren Mitose noch andere dahin zielende Vorgänge vorkommen müssten“. Noch für weniger erwiesen, wie das Vorkommen der direkten amitotischen Kernvermehrung bei den Riesenzellen halte ich die sog. indirekte Fragmentierung, welche von vielen Autoren für die Riesenzellen der zur Blutbildung in Beziehung stehenden Organe, sowie für diejenigen der pathologischen Gewebe ver- fochten wird. Arnold glaubte nämlich, für Lymphoidzellen, Riesenzellen, sowie Zellen einiger pathologischen Neubildungen neben der ein- fachen amitotischen Kernzerschnürung, die an beliebigen Stellen des Kerns, ohne jede Veränderung seiner Struktur, vor sich geht, und die er als „direkte Fragmentierung‘ bezeichnet, und neben der typischen Mitose, die er „indirekte Segmentierung“ Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 345 nennt, noch einen anderen, von ihm „indirekte Fragmentierung‘ genannten Kernteilungsmodus annehmen zu müssen. Während es bei der indirekten Segmentierung stets zu einer äquatorlalen Anordnung der chromatischen Substanz kommt und die Spalt- ung des Kerns in zwei oder mehr gleiche Abschnitte in der Äquatorialebene oder in den Segmentalebenen erfolgt, handelt es sich bei der indirekten Fragmentierung um die Abschnürung der Kerne an beliebigen Stellen im zwei oder mehr gleiche, häufiger ungleiche Abschnitte, welche nicht durch regelmässige Teilungsflächen sich abgrenzen; doch tritt dabei eine Zunahme und veränderte Anordnung der chromatischen Kernsubstanz ein, indem sich aus ihren Fäden Knäule, Gerüste oder Netze in grösserer Deutlichkeit und Zahl bilden, die jedoch nicht, wie bei der indirekten Segmentierung, äquatorial sich anordnen, sondern ziemlich gleichmässig die Kernrindenschicht einnehmen ; die Abschnürung kann, ‚wie es scheint‘, in verschiedenen Phasen der Kernumwandlung erfolgen. Während nun eine Reihe von Arbeiten, vor allem aus der Schule Arnolds, uns immer neue Beispiele der indirekten Frag- mentierung, sowohl für physiologisch vorkommende als auch unter pathologischen Umständen entstandene Riesenzellen vor- führen (Werner, Beltzow, Geelmuyden, Hess, Schott- länder, Ströbe), wird dieselbe von anderen Autoren, auch von solchen, die sonst bei den Riesenzellen eine direkte amitotische Kernteilung in Form einer direkten Fragmentierung annehmen, nicht anerkannt (Cornil, Aoyama, Löwit, Flemming, De- marbaix, van der Stricht, Hansemann). Das Bild, unter dem die indirekte Fragmentierung verlaufen soll, ist aus den Beschreibungen nicht als ein bestimmt ge- kennzeichnetes, scharf charakterisiertes und einheitliches heraus- zuerkennen; und es haben wohl manche Zufälligkeiten zur Annahme dieses eigenartigen Teilungsmodus geführt. Für viele der von Arnold als indirekte Fragmentierung beschriebenen 346 XI. K. v. KOSTANECKI. Kernformen fehlt überhaupt, wie Flemming hervorgehoben hat, der Beweis, dass es sich um Kerne handelt, die in Teilung begriffen sind, „denn der grössere Chromatingehalt eines Kerns braucht nicht durchaus als ein Anzeichen bevor- stehender Teilung angesehen zu werden.“ Diesen Beweis bleiben uns die Autoren schuldig und setzen sich darüber durch die Frage hinweg: „was könnten die chromatinreichen Kerne sonst sein ?‘“ Viele Formen der Arnold'schen Kernfragmentierungen, namentlich die eigentümlich stachlichen Bilder, sind sicherlich durch Reagentien erzeugte Kunstprodukte; Reinke, Flem- ming, Tornier u. a. haben bei denselben Objekten, die Arnold seinen Untersuchungen zu Grunde legte, vergeblich darnach ge- sucht. Demarbaix behauptet sogar, dass die chromatinreichen Kerne Arnolds, welche sich durch ihr glänzendes und homo- genes Aussehen, sowie durch ihre dunkle Färbung auszeichnen, während des Lebens garnicht existieren, sondern lediglich eine Leichenerscheinung wären, die, je später nach dem Tode die Organe fixirt werden, desto zahlreicher aufträte. Van. der Stricht bestätigt diese Angabe für die embryonale Leber; und Tornier giebt an, dass „die meisten Formen der Fragmentier- ung, die Arnold abbildet, in normalen Geweben kaum zu finden sein dürften; dagegen kann man sie leicht sehen, wenn man ein Präparat lange Zeit in 0,6°/o Kochsalzlösung durchmustert, wo dann in vielen Kernen die chromatische Substanz sich in Strängen zusammenzieht.“ Ich kann diese Angaben bestätigen; ich fand in der Leber von Embryonen, die ich bisweilen erst einige Zeit nach der Herausnahme fixieren konnte, die tief ge- färbten mehr homogenen Kerne öfters in grösserer Zahl. Doch lediglich Leichenerscheinung sind diese Kerne nicht; man findet sie bisweilen auch in ganz frischen und lebenswarm fixierten Objekten. Doch bin ich weit entfernt, in denselben alsdann Anzeichen einer eintretenden Teilung zu erblicken, vielmehr glaube ich, dass es sich um normale Degenerationserscheinungen Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 347 handelt, worüber weiter unten. — Einige der Arnold'schen Figuren sind auch sicherlich nicht gut erhaltene und verkannte “mitotische Figuren im Stadium des Spirems oder der Tochter- spireme, vor allem möchte ich auf meine Fig. 19 und 20 auf- merksam machen, die manchen der von Arnold abgebildeten Figuren ähnlich sind; Arnold selbst sagt: „Dass nicht selten Kernfiguren getroffen werden, die mit echten Mitosen in ihren verschiedenen Stadien eine mehr oder weniger weit gehende Übereinstimmung darbieten, verdient besonders hervorgehoben zu werden.‘ — So finde ich denn weder bei Arnold noch bei den anderen Autoren eine einzige Figur, die unanfechtbar als in- direkte Fragmentierung angesehen werden könnte; und zudem verdient hervorgehoben zu werden, dass die indirekte Fragmen- tierung gerade nur bei Kernen von Leukocyten und ihnen ver- wandten Zellen, sowie den Zellen einiger rasch wachsenden pa- thologischen Neubildungen vorkommen soll, wo ja bekanntlich die Struktur der Kerne, sowohl was den Reichtum als auch die Anordnung des Chromatins betrifft, sehr wechselnd ist; und dass dies auch bei den Riesenzellen der Fall ist, habe ich mehr- fach hervorgehoben. Ich habe erwähnt, dass ich manche der dunklen, intensiv gefärbten Kernformen, die von Arnold und seinen Schülern für Stadien der indirekten Fragmentierung in Anspruch genom- men werden, mit Rücksicht auf die diffuse Imprägnierung mit Farbstoff und mit Rücksicht auf ihre Formverhältnisse lediglich für Erscheinungen degenerativer Natur zu halten geneigt bin. Werner, Demarbaix, van der Stricht erörtern gleichfalls diese Möglichkeit. Der Kern ist dabei im Anfang zwar vo- luminös, aber doch geschrumpft, mit unregelmässigen Konturen, das Chromatin ist diffus verteilt, der Kernsaft gewissermassen davon imbibirt und deswegen das Chromatinnetz nicht scharf ausgeprägt, so dass man die Fäden und knotigen Verdick- 318 XI. K. v. KOSTANECKI. ungen nicht mehr gut wahrnehmen kann, sondern der Kern ein mehr homogenes Aussehen bietet. Die stärkere und diffuse Färbung der Kerme ist jedoch nur der erste Schritt der dege- nerativen Umänderung. Es tritt darauf eine Umwandlung des Chromatins ein, durch welche dasselbe seiner Affinität für Farb- stoffe verlustig geht, so dass man an manchen Kernen eine entschiedene Abnahme des Chromatins konstatieren kann; dabei bildet die Kernmembran keine scharfe Linie, sondern sie ist ab und zu unterbrochen, so dass die Kerne wie angenagt er- scheinen. Die Kerne werden dann immer lichter, tingieren sich immer weniger, so dass sie schliesslich nur wie Schatten der Kerne erscheinen und offenbar auf dem Wege zum völligen Verschwinden innerhalb des Protoplasmaleibes begriffen sind. Man findet dann nur noch Protoplasmahaufen mit Bruchstücken von Kernen und schliesslich protoplasmatische Körper, die das Aussehen des Riesenzellenleibes haben, bei denen man aber den Kern vermisst, offenbar letzte Reste zugrundegehender Riesen- zellen. Diesem Schicksal verfallen wohl sämtliche Riesen- zellen der embryonalen Leber; und zwar kann sich dieser De- generationsprozess an Riesenzellen mit grossen voluminösen Kernen vollziehen, oder an Riesenzellen mit Kernen, die sich in mehrere Gruppen gesondert haben. Auch folgt die Zerstör- ung bisweilen bald auf die Zerschnürung der Riesenzelle in mehrere Tochterzellen, und auch die bisweilen sich loslösenden einkernigen Zellen gehen auf diese Weise zu Grunde, indem sie offenbar eines selbständigen Lebens nicht fähig sind; ich habe bei derartigen einkernigen Abkömmlingen der Riesenzellen, die durch ihre Lage oder partiellen Zusammenhang ihre Abstam- mung deutlich dokumentierten, öfters polymorphe Kerne, und zwar in Untergang begriffen, gefunden. So würden denn die Riesenzellen, die durch einen öfters wiederholten komplizierten Prozess der pluripolaren Mitose auf den Höhepunkt ihrer Entwicklung angelangt, dabei aber einer Über Kernteilg. b. Riesenzellen n. Beobacht. a. d. embryon. Säugetierleber. 319 eigentlichen Funktion verlustig gegangen sind, zugleich auch unmittelbar vor dem Zerfall stehen, dem sie früher oder später anheimfallen. Die Figuren sind sämtlich bei Seibert Apochrom. homog. Immersion 2 mm 1,350 mit dem Oberhäuser'schen Zeichenapparat entworfen, und die Einzelheiten mit Ocular 4 und 6 eingetragen. Erklärung im Text. Litteratur. Aoyama: Pathologische Mitteilungen, Virchows Archiv Band 106, Arnold: Beobachtungen über Kerne und Kernteilungen in den Zellen des Knochenmarks. Virchows Archiv Bd. 9. Arnold: Über Kern- und Zellteilung bei akuter Hyperplasie der Lymphdrüsen und der Milz. Virchows Archiv Bd. 9. Arnold: Weitere Beobachtungen über Teilungsvorgänge an den Knochenmarks- zellen und weissen Blutkörperchen. Virchows Archiv Bd. 97. Arnold: Über Kernteilung und vielkernige Zellen. Virchows Archiv Bd. 98. Arnold: Über Teilungsvorgänge an den Wandeızellen, ihre progressiven und regressiven Metamorphosen. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 30. 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Eine zweite Art von Präpara- ten fertigt man an durch Ausgiessen des macerierten Kno- chens; an diesen Knochenkorrosionspräparaten (Bezold) kommen ausser den Hohlräumen des Mittelohres auch diejenigen des Labyrinthes zur Darstellung; überdies zieht sich zwischen all’ diese Gebilde hinein das Geflecht der Nerven und Gefässe, sowie der Spongiosa. Beiden Arten von Korrosionspräparaten haften namhafte Übelstände an: Bei den Weichteilpräparaten füllt sich nur eine beschränkte Anzahl der pneumatischen Räume mit der Korrosionsmasse (Bezold); selbst wenn man nach meinem Verfahren (Politzer, Zergliederung des menschlichen Gehörorgans 1889) den Knochen zuvor durch Anbringen von einzelnen Stichkanälen porös macht, in Gips einschliesst, erwärmt und mit Metall injiziert, lässt es sich nicht vermeiden, dass einzelne Präparate kleinere oder grössere Defekte aufweisen. Es ist dies auf verschiedene Umstände zurückzuführen: die engeren Eingangsöffnungen zu den pneu- matischen Zellen gestatten am feuchten Weichteil-Präparat der darin enthaltenen Luft nicht, ungehindert zu entweichen; an einzelnen Stellen, namentlich in der Tube, liegt schwer zu ent- 306 XIl. F. SIEBENMANN. fernender Schleim; zudem darf das Präparat nur mässig er- wärmt werden, wenn nicht unnatürliche Verzerrungen eintreten sollen; u. a. m. Bei den Knochenkorrosionspräparaten verdeckt der Ausguss der Spongiosa einen grossen Teil des Mittelohres, oft sogar des Labyrinthes, so dass dadurch sowohl die Gesamtorientierung als die Einzeluntersuchung bedeutend erschwert wird. Natürlich kommen hier die knorplige Tube, die knorpligen Gehörgänge, das Trommelfell etc. nicht zur Darstellung. Alle diese Übelstände machen sich nicht geltend, wenn man nach Semper’scher Manier behandelte Felsenbeine zum Aus- giessen verwendet. Die Herstellung eines Semper'’schen Trockenprä- parates!) geschieht auf folgende Weise: Der zum Ausgiessen be- stimmte Leichenteil soll womöglich ausser dem Felsenbein auch den knorpligen Gehörgang und die entsprechende Hälfte des Keil- beins mit den Gaumenflügeln enthalten; durch ihr Belassen in ihrer natürlichen Verbindung mit der Tube wird eine Ver- zerrung der letztern beim Trocknen am besten vermieden. Das solchermassen der Leiche entnommene Präparat wird (falls dies nicht schon früher unwillkürlich geschehen ist), am Warzen- fortsatz eröffnet, für emige Wochen in Müller'sche Flüssigkeit gelest und damit das Mittelohr durchspritzt. Nachher wird ausgewaschen und succesive je 1—2 Wochen 60 °/o, 96°/o und 990/0 Alkohol angewandt. Statt der Vorbehandlung mit Müller'- scher Lösung, welche namentlich das Schrumpfen fetter Partien verhindert, kann das Präparat zur Not auch direkt in 60% Alkohol gebracht werden, mit welcher Flüssigkeit zugleich öfters das Mittelohr durchgespült werden muss. Aus dem absoluten 1) Eine Anzahl Semper’scher Trockenpräparate des ÖOhres und des Nasenrachenraumes, sowie ein Trockenkorrosionspräparat der Nasenhöhlen habe ich anlässlich der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte 1891 in Halle demonstriert (vergl. auch Monatsschrift f. Ohrenheilk. 1391, Heft 12). Die Metallkorrosion Semper’scher Trockenpräparate des Ohres. 357 Alkohol wird das Präparat in Terpentinöl verbracht, welches nach 8 Tagen zu wechseln ist. Wenn das Felsenbein ca. 2 bis 3 Wochen in Terpentin verweilt hat, wird es bräunlich und durchscheinend. In diesem Zustande darf man es mit einem Tuche abtrocknen und der Luft aussetzen, bis das Terpentin sich verflüchtigt und das Präparat eine helle Farbe angenommen hat, wozu je nach der Temperatur und der Grösse des Stückes 1!/„—3 Wochen erforderlich sind. Soll das Stück zum Aus- giessen hergerichtet werden, so geht man so vor, wie ich dies bereits in meiner „Korrosionsanatomie“ (Wiesbaden 1890) be- schrieben habe. Die Löcher, durch welche der nachher dar- über zu giessende Gipsbrei etwa eindringen könnte, werden mit Leinwandstreifen zugeklebt. Damit auch das Labyrinth sich fülle, eröffnet man den obern Bogengang auf seiner Höhe und von hier aus wird mit einer dreikantigen Feile eine Rinne ge- feilt über die vordere Pyramidenfläche hinunter bis zum Auf- decken von pneumatischen Räumen. Diese Rinne wird mit Leinwand überbrückt, wie ich dies für die Stützbrücken des Aquäduktes angegeben habe; ihr Ausguss ist bestimmt, dem Labyrinthausguss als Stütze zu dienen. Ein kräftiger Nadelstich ins Trommelfell stellt die Kommunikation zwischen mittlerem und äusserem Ohre her. — Auf den Bohrkanal im Proc. mastoides wird ein steifer Papiertrichter geklebt und schliess- lich wickelt man das ganze Präparat fest in eine einfache Lage terpentingetränkten Seidenpapiers (zum Schutz gegen Durchnässung von Seiten des Gypsbreies). Am folgenden Tage, wenn der Leim trocken ist, wird das Präparat nach früher ge- gebener Vorschrift (l. c.) eingegipst und einige Tage später, nach dem Trocknen der Gipshülle und Erwärmen bis auf 100°, ausgegossen mit Wood’schem Metall. Auch hier geht man ziemlich genau so vor, wie bei der Herstellung von Knochenpräparaten. Anatomische Hefte. 3. 24 308 XII. F. SIEBENMANN. Die Korrosion vollzieht sich in der mehrmals zu wech- selnden, auf 45—50° gehaltenen 10°/o Kali-Lauge in 2'/2 bis 3!/e Wochen. Schliesslich lässt man kalte verdünnte (1:4—5 Wasser) Salzsäure während 2—3 Stunden einwirken, wodurch ‘auch die letzten Knochenhüllen des Metallausgusses zum Ver- schwinden gebracht werden. — Zum Montieren und Befestigen benütze ich die (l. c.) beschriebenen Stützen, welche in den Proc. mastoides gesteckt werden. Ist aber der Zusammen- hang zwischen den einzelnen Teilen ein sehr lockerer, oder fehlender (z. B. an den Labyrinthfenstern, Trommelfell, Ma- culae cribrosae etc), so kann derselbe mit einigen Tropfen Syndetikon an jenen Punkten verstärkt werden. In manchen Fällen ist es empfehlenswert, das Präparat nicht nur an einem oder zwei Orten zu stützen, sondern das Ganze unter Beobacht- ung der entsprechenden Lage mit seiner Basis in ein flüssiges Gemisch von Wachs und hartem Paraffın zu tauchen, bis das letztere erstarrt ist. Auf diese Weise erhält man dann als Un- terlage eine Platte, in welcher das pharyngeale Tubenostium, das untere Ende von A. carotis, V. jugularis und N. facialis, sowie die Spitze der Proc. mastoides eintauchen, und welche sich unschwer auf einem geeigneten breiten Fuss unter Glas- sturz aufbewahren lässt. (Vergl. Tafel XXVI, Fig. 3 und 4.) Erst nach solcher Fixation ist es ratsam, die Spongiosa des Keilbeins und andere störende Ausgüsse von Nerven- oder Ge- fässkanälen mit der Nadel zu entfernen. Die Ausgüsse, welche ich bis dahin auf solche Weise er- zielt habe, und die ich zum Unterschied von den Knochen- und Weichteilpräparaten nun der Kürze halber Trocken-Korro- sionspräparate nennen möchte, sind weisser, metallglänzen- der und mit Ausnahme des Labyrinthes glätter als die aus dem macerierten Knochen gewonnenen Ausgüsse. Ohne dass man noch irgendwo Stichkanäle angelegt hätte, haben sich alle die pneumatischen Räume fast ausnahmslos komplet gefüllt; denn — % , E - % * n 6 = u . r ' “ = . - z “ “ > ) ” Vorznrg 132 . .* ” AM “ ® 1 - [3 r Bir % “ +? # Fa u M = F . _ > FL» nn it =. s "lu DIS p puehegp Tusez « % u _ e 2 5 ? = 2 281] a) .— Sm o ar == o pr We E . _ e ei 2 we 5 2 « 6 * (RUPISTJWAUN) IzU2zU0 | azwapz ut mus v puaben PU ' \ \ 1 f z ‘1 "207.109 29 RS URT yF1 \ ' i \ ' f ! v "27971907 'E.Krapf, lith. Taf. XXVIu.XXV. . Fl . mn nr mi * * . “ re * 2 . a u. a ” a. m _ we n 4 ur f- u ” BEN 2 ”_ . W » 021420) ans US WW fe "Du! "SM ! 20 uu) EN A 2097902 men "00a IND UDY 2 WON LE ERA UALO| ZUORTLO "IYOY USER] A a Se x "ler 0381.19 9 Puder D d \ semnso/smmmg \ ' FYITAFZINIS \ Uc7p« 7 szombnlsngmg 1 ums nulos uw) emson. ohudmorl an po wur eposeroy GA) EISLETTRUUISOH \ | BA] | \ qn7N37 { 1 ' ' l ‘ {} ' ' t { ' ' f ' ' ı [ 9770. r Do u Verlag v.J.EBergmann Wiesbaden er Die Metallkorrosion Semper'scher Trockenpräparate des Ohres. 359 die darin vorhandene Luft kann ungehindert durch die trockenen Gewebsspalten entweichen. Ebenso kommen zur Darstellung die Tube, das Labyrinth, die grossen Gefäss- und Nervenkanäle, sowie zum Teil die Spongiosa der Keilbeinhöhle Der auf solche Weise hergestellte Ausguss vereinigt also in sich gewis- sermassen die Vorzüge der Weichteil- und der Knochen-Korro- sionspräparate, ohne deren Nachteile mit ihnen gemein zu haben. Allerdings ist es ja wünschenswert, auch Exemplare zu besitzen, bei denen nur einzelne pneumatische Zellen gut aus- gegossen sind und andere wieder ganz fehlen; denn erst bei solchen Ausgüssen ist es möglich, die Gestaltung und die Art des typischen Verlaufes der pneumatischen Zelle genau zu studieren. Insofern bietet das Weichteilpräparat gegenüber dem „Trocken- Korrosionspräparat“ den nämlichen Vorteil, den auf mikro- skopischem Gebiet die Golgi'sche Nervenfärbung vor der Weigert'-Pal’schen besitzt. Nur besteht ein wesentlicher Unterschied darin, dass beim Ausgusspräparate einzelne Ele- mente mit Leichtigkeit entfernt und die andern künstlich iso- liert werden können, wenn es sich bloss um Untersuchungen im obengenannten Sinne handelt. — Wo am Ausguss die Spongiosa erhalten bleiben soll, da taugen die Trocken-Korrosionspräparate natürlich nichts. Tadellos ist an den Trocken-Korrosionen die Gestalt des Aditus (Recessus epitympanicus), der radiär ange- ordneten Cellulae tympanicae und der Cellulae tubariae zu ver- folgen. Auch der Hammer-Amboss-Schuppenraum, der bei den Weichteilpräparaten gewöhnlich unausgegossen bleibt, hat sich gefüllt. Die obere Kante der Tube ist stumpfer als am Weich- teilpräparat. Der ganze Tubenausguss ist leicht S-förmig ver- bogen (Bezold) und etwas dick. Aber in seiner feinen Ober- flächengestaltung nimmt er sich mit den zarten Falten und den in Reihen gestellten Grübchen der Tubenmandel auch bei Lupenbetrachtung viel zarter aus als der Weichteilausguss. Der Trommelfellabdruck findet sich beim Trocken-Korrosions- 24* 360 XI. F. SIEBENMANN. präparat nicht vorgewölbt, wie dies häufig bei den durch In- jektion gewonnenen Weichteilpräparaten zu sehen ist. Das Labyrinth ist in der Regel weniger glatt als wir es bei den aus gut macerierten Knochen gewonnenen Ausgüssen zu sehen gewohnt sind. Die Schnecke zeichnet sich aus durch Längs- streifung in der äusseren Wand der vestibularen Skala; die breitere dieser zwei feinen, nur bei Lupenbetrachtung deutlich erscheinenden Spalten entspricht dem Ligamentum spirale; die andere schmälere Längslinie ist hervorgebracht durch die wand- ständige Ansatzstelle der Reissner'schen Membran. Auch un- regelmässige Einkerbungen kommen stellenweise vor, bedingt durch das Sichanlegen der häutigen Labyrinthgebilde an die äussere Wand. Weniger befriedigend als am Knochenausgusspräparat sind die Ausgüsse der Gefässe: Regelmässig füllt sich der Schnecken- aquädukt, und bei Präparaten jüngerer Individuen die radiären Gefässe der vestibularen Schneckenwand, teilweise auch der accessorische Venenkanal (Canalis access. aquaeductus cochleae I, Canalis Cotunnü), weniger gut der Aquaeductus vestibuli. Zur Darstellung gelangt ferner das ganze S-förmige Stück der im Knochen verlaufenden Carotis interna mit ihrem peripheren Venengeflecht, die V. jugularis mit dem Sinus transversus, Sinus petrosus inferior etc. Auch zwischen die Fasern einzelner Nerven wird das Metall gepresst, sodass an den Präparaten ausnahmslos der Trigeminus, sowie der Akustikus mit seinen Verzweigungen gefunden wird; nur der Ramus ampullaris posterior giesst sich unvollkommen aus, indem dessen periphere Hälfte fehlt. Ferner habe ich an einem Präparat auch einen zarten Ausguss erhalten, welcher dem ganzen Verlauf des Canalis facialis entspricht, welcher aber so regel- mässig rund und so zart ist, dass wir es höchst wahrscheinlich hier bloss mit der Arteria stylomastoidea zu thun haben; vom Bulbus venae jugularıs her kommend kreuzt mit ihm ein ähn- Anatomische Hefte Il Antrum Arlitus horizontale Warzenzellen verticale Gellulae tympanicae Tube hintere Warzenzellen Warzenzellen der Spitze Fig. 2. Antrum Paukenhöhle (Trommelfell) Knöcherne Tube 2 Enorme Zelle, | den untern lateralen und den hintern Theil des Warzenfortsatzes einnehmend. Fig. 3. Zellen in und über der | Gegend der Grista temp. | Antrum Paukenhöhle (Trommellell) Knöcherne Tube hintere Warzenzellen Warzenzellen der Spitze ichtdruck-Anstaltv. HBesson Basel Verla$ v. JE. Ber$ı Paukenhöhle (Labyrinthwand) Die Metallkorrosion Semper’scher Trockenpräparate des Ohres. 361 licher fadenförmiger Ausguss, welcher zum Proc. mastoides weiter zieht und welcher offenbar dem Ramus auricularis vagi oder einem mit ihm verlaufenden Gefässe entspricht. Wenn wir noch einmal die Vorzüge und Mängel der Trocken-Korrosionspräparate gegen diejenigen der Weichteil- und Knochenkorrosionen abwägen, so kommen wir zu folgenden Schlüssen : 1. die Trocken-Korrosionspräparate sind, was die Darstellung des Mittelohres anbelangt, vollkommener als die Weichteil- Korrosionspräparate ; ihre Herstellung ist leichter und sicherer. Zudem bietet unser Verfahren den grossen Vorteil, dass dabei ausser den Mittelohrräumen das ganze innere Ohr sowie auch die grossen Gefässe dargestellt werden können. — 2. Mit den Knochenkorrosionspräparaten verglichen liefern die Trockenkorrosionsausgüsse des Mittelohres deutlichere und klarere Bilder. Die Abgüsse des Trommelfells, der Labyrinthfenster, des knorpligen Gehörgangs, der ganzen Tube, welche natürlich den Knochenkorrosionspräparaten fehlen, finden wir bei den Trocken- Korrosionspräpraten tadellos gelungen. — Mangelhaft erscheinen die Trockenpräparate bloss in der Wiedergabe der feineren Nerven- und Gefässkanäle und der Spongiosa. Erklärung der Tafel XXVI, XXVU Trocken-Korrosionspräparate. Beide Präparate sind in natürlicher Grösse gezeichnet; sie betreffen Ge- hörorgane, bei welchen die laterale Partie des Felsenbeines reich an pneu- matischen Zellen, die Felsenbeinspitze dägegen davon gänzlich frei ist. Fig. 1 und 2. Rechtsseitiges Gehörorgan eines 13jährigen Knaben (Fig. 1 von hinten innen, Fig. 2 von vorn aussen). Meatus internus und externus, Aquädukte, sowie Gefässe und Nerven sind am Ausguss entfernt. Die pneumatischen Zellen der lateralen Felsenbein- hälfte geben in ihrer Gesamtmasse die äussere Form des Knochens getreu wieder. — Planum temporale kleinzellig, Gegend des Suleus transversus gross- zellig; die tiefen grossen Warzenzellen beim Herausnehmen aus der Leiche angesägt und daher am Ausguss nur teilweise zur Darstellung gelangt. Obere Wand des Meatus ext. vollständig pneumatisch. Die reichlich vorhandenen Cellulae tubariae und die ebenfalls stark entwickelten, teils vom Paukenhöhlen- boden teils von der angrenzenden Partie der medianen Paukenhöhlenwand ausgehenden Cellulae tympanicae bilden, von der lateralen Fläche aus betrachtet, (Fig. 2) ein einziges lückenloses Konglomerat radiär gestellter Hohlräume. — Medialwärts drängen sich die Cellulae tympanicae unter dem Vestibulum und unter dem Schneckenaquädukt hin in einer Länge von 1 cm bis an den Bulbus jugularis und die benachbarten Strecken des (in Fig. 1 künstlich ent- fernten) Sinus tranversus und Sinus petrosus inferior, diesen venösen Hohl- räumen mit breiter Fläche anliegend und von ihnen nur durch eine dünne Knochenschicht getrennt. Diese topographischen Verhältnisse sind höchst beachtenswert, namentlich im Hinblick auf die Ätiologie der Sinusthrom- bose. Gleichzeitig möchte ich hier auch darauf hinweisen, dass bei keinem einzigen meiner zahlreichen Korrosionspräparate Anastomosen be- stehen zwischen dem Complex der Vellulae tympanicae und dem vom Antrum ausgehenden System der Cellulae mastoideae, eine Beobachtung, welche vollständig übereinstimmt mit derjenigen Bez old’s (vergl. Bezold, Korrosionsanatomie. München 1883 pag. 44). -— Die Metallkorrosion Semper’scher Trockenpräparate des Ohres. 363 Gleich wie das Tegmen tympani, so ist auch die laterale Wand des Aditus und des Antrum pneumatisch; daher kommt von den Gehörknöchel- chen nur der Abdruck des Hammergriffs zur Anschauung. Der obere Bogengang wird an seinem Scheitel überdacht von einer schlanken, in frontaler Richtung verlaufenden Zelle; im übrigen liegt das La- byrinth frei. Die Cristen des Vestibulum sind am Ausgusspräparat, entsprechend den sich hier inserierenden Weichteilen des häutigen Labyrinthes, auffallend tief eingeschnitten, spaltförmig. An der Schnecke erscheint in der Gegend zwischen der wandständigen Insertionsstelle der Reissner’schen Membran und dem Ligam. spirale eine feine Längsstreifung, welche offenbar darauf zurückzuführen ist, dass bei solchen Trockenpräparaten zuweilen die Reissner’sche Membran einsinkt und der äussern Wand sich in Längsfalten anlegt. Fig. 3 und 4. Linksseitiges Gehörorgan vom Erwachsenen. Basis des Präparates in Wachs-Paraffin eingeschmolzen. Grosse Gefässe, beide Gehörgänge, der Aquaeduetus eochleae und Facialiskanal erhalten. Ebenso kommt zur Darstellung (Fig. 4) der am Bulbus jugularis auf- steigende und den N. facialis kreuzende Ramus auricularis N. vagi. Die Oberfläche des Karotis-Ausgusses zeigt (Fig. 4) stellenweise ein unregelmässig blättriges Gefüge, welches wohl herrührt von einer entsprechenden Anordnung der häutigen Gefässwände des venösen Sinus, welcher hier die Karotis kon- zentrisch einhüllt. — Stark ausgebildet sind die horizontalen, hochgelegenen Warzenzellen, von welchen eine kleinere vordere Partie gegen die Jochbogengegend, eine grössere hintere Hälfte gegen die Vereinigungsstelle von Os petrosum, Os parietale und Hinterhauptschuppe sich hinzieht (Fig. 4). Die hintere obere Wand des Meatus ext. osseus ist pneumatisch (Fig. 3). Auch das ganze Planum temporale der Pyramide ist von grossen flachen Zellen eingenommen. Nahe der Spitze des Warzenfortsatzes ist ein Teil derselben horizontal nach hinten und innen abgebogen (Fig. 3), sodass sie medial von der Incisura mastoidea zu liegen kommen („Tiefe oder mediale Warzenzellen“) vergl. auch Fig. 1. Die Cellulae tympanicae sind wenig zahlreich, schwach entwickelt und flach. — Auch am Boden der knöchernen Tube findet sich bloss eine einzige Zelle (Fig. 3), deren Form zudem eher an einen seichten Recessus erinnert. Die Cristen des Vestibulum sind nicht so scharf wie beim vorigen Prä- parat. Die Schneckenoberfläche ist glatt und zeigt keine anderen Rinnen oder Spalten als diejenigen, welche dem Ligam spirale und der Reissner’schen Mem- bran entsprechen. Erklärung der Tafel XXVIM. Weichteil-Korrosionspräparate des (linksseitigen) Mittelohres vom Erwachsenen. (Natürliche Grösse.) Fig. 1. Mediale Fläche. Cellulae tympanicae kräftig entwickelt, hauptsächlich nach vorwärts und innen sich ausbreitend. — Im hinteren Abschnitt der Paukenhöhle erscheint eine horizontal verlaufende Spalte, welche am Ausguss erzeugt worden ist durch die Stapesschenkel und durch eine zwischen denselben ausgespannte Membran. Über dieser Spalte befindet sich, namentlich nach hinten scharf abgegrenzt, der Aditus. Derselbe wird nach vorn von der eigentlichen Paukenhöhle geschieden durch die vom Tegmen tympani zur Tensorsehne herabtretende Schleimhautduplikatur, welche hier als eine von oben vorn nach hinten unten gegen das ovale Fenster zu verlaufende Spalte zur Darstellung gelangt. Der Warzenfortsatz zeigt nur im untersten Teil grössere Terminal- zellen. Kine horizontale vordere Zelle berührt beinahe den Boden der Pauken- höhle. Fig. 2 und 3. Laterale Ansicht von zwei anderen Präparaten. Die knorplige Tube fehlt. Abdruck des Ambosses ganz freiliegend in- folge ungenügender Metallführung des Hammer-Amboss-Schuppenraumes. Bei Fig. 2 ist das Tegmen pneumatisch; die untere und hintere Partie des Warzenfortsatzes wird eingenommen von einer abnorm grossen Zelle. Bei Präparat 3 liegen die vom Centrum ausgehenden Zellen so ziemlich in ein und derselben (sagittal gestellten) Ebene. Sie sind radiär angeordnet und zwar in 3 Hauptgruppen, entsprechend den 3 Richtungen: vorwärts, rück- wärts und abwärts. Auch hier finden sich die grössten Hohlräume wieder am hinteren Umfange des Processus mastoides. Von den beiden längsten Zellen in der Gegend der Crista temporalis fehlt das Endstück, da die betreffende Knochenpartie der Leiche nur unvollständig entnommen worden war. —_ _ > >94 —— X. ZIIER ENTWICKELUNG DER VÜGELLEBER VON FERDINAND FROBEEN, STUD. MED, Aus dem vergleichend-anatomischen Institut zu Dorpat. Mit 4 Figuren auf Tafel XXIX. en 2 NE: as Be ee er m, ‚Durch die Arbeiten von Baer, Remak und Kölliker wurde festgestellt, dass die Leber bei den Vögeln durch Aus- stülpung vom Darme aus gebildet wird und zwar als paarige Anlage in Form zweier etwas ungleich grosser Divertikel, den primi- tiven Lebergängen von Remak. Von diesen liegt nach Köl- liker (7: p. 882 und 8: p. 372), Götte (4: p.45) und O. Hertwig (6: p. 276) der eine längere vorn und links parallel dem Vorder- darme und der andere, kürzere und breitere mehr nach hinten und rechts. Es wuchern dabei diese ersten Anlagen der Leber in die breite Zellenmasse des ventralen Magengekröses, den Leberwulst hinein (Hertwig 1. c.). — Aus den primitiven Leber- anlagen bilden sich nach Art der tubulösen Drüsen Seiten- sprossen, die bei den Vögeln solid sein sollen, und die mit einander Verbindungen eingehen. Letzteres ist eine Eigenthüm- lichkeit der Leberbildung, wodurch sie von allen anderen Drüsen abweicht. Aus diesen Seitenästen bilden sich weitere Sprossen, die wiederum Verbindungen mit anderen Seitensprossen ein- gehen, so dass ein Netzwerk von soliden Lebersträngen entsteht. Nach Remak (9: p. 115) hat diese Sprossenbildung eine Zeitgrenze, indem sich am Ende der ersten Brütwoche nur netz- förmig verbundene solide Cylinder vorfinden. Nach Götte (l. e.) fmden sich am sechsten Tage nur wenig freie Enden von Leberbalken, und nach Kölliker (l. c.) smd sie am Ende des fünften oder am sechsten Tage verschwunden. Ich kann letztere Angaben bestätigen. 368 XII. FERDINAND FROBEEN. Indem die Leberanlagen einander entgegenwuchern, um- greifen sie die ventral von ihnen gelegene Vena omphalo- mesenterica. Gleichzeitig mit der Ausbildung des Leberbalken- netzes beginnt die Vene Sprossen in die Lücken oder Maschen dieses Netzes zu treiben, aus welchen die späteren (Gefässe entstehen. Schon am fünften Tage (Hühnchen) hat die Leber das Aus- sehen eines kompakten Organs gewonnen. Es besteht dasselbe aus einem Netzwerk von Leberbalken‘, aus Blutgefässen , die mit einem Endothel ausgekleidet sind und aus einem das ganze Organ umgebenden peritonealen Überzug. Die Bildung weiterer Balken geht nach Remak (l. e.) da- durch vor sich, dass die Leberbalken durch Längsspaltung sich teilen. Götte (l. e.) schliesst sich dieser Auffassung an, indem er so am leichtesten zu erklären glaubt, wie die einzelnen Leberbalken in ihrem weiteren Wachstum so sehr an Dicke ab- nehmen. Eine schwebende Frage ist nun die, ob die Leberbalken hohl oder solid sind. Für die Fische, Amphibien und Reptilien gilt es als aus- gemacht, dass die Leberbalken Schläuche bilden, für die Leber menschlicher Embryonen fanden Toldt und Zuckerkandl (12: p. 280), dass ein Lumen in den einzelnen Strängen nach- weisbar ist. Sollten die Leberbalken der Vögel von dieser Struktur abweichen ? Kölliker (7: p. 891) konnte in den Leberbalken der Vögel, aber auch der Kaninchen keine Lumina nachweisen, obgleich er danach gesucht hatte und ihm die Befunde von Toldt und Zukerkandl bekannt waren, er blieb deshalb bei seiner früheren Ansicht stehen, dass nur ein Teil der Leberbalken Lumina, nämlich Lumina der Gallencapillaren, zeige. Balfour drückt sich über diese Frage so aus, dass seine Meinung weder für, noch gegen eine dieser Ansichten zu ver- Taf. XXIX. Ren = a EB oo BE Br, ie r u = a (==) ’ ' De) iR = N Verlag v. J.F.Bergmann Wiesbaden Sacksand ‚gez. ih 1 chen C.Krapf,Mün Zur Entwickelung der Vogelleber. 369 werten ist. Er sagt (1: pag. 692, Übersetzung von Vetter): „Es „ist noch ziemlich zweifelhaft, ob die Lebereylinder in der Regel „hohl oder solid sind. Bei den Elasmobranchiern besitzen sie „zuerst ein weites Lumen, das sich zwar allmählich verengert, „aber nie ganz verschwindet. Dasselbe scheint für die Amphibien „und manche Säugetiere zu gelten. Bei den Vögeln ist das „Lumen gleich von vornherein, nur viel schwerer zu „sehen und die Cylinder sollen nach Remak solid sein „womit Kölliker übereinstimmt. Auch beim Kaninchen „fand Kölliker solide Cylinder.“ Hertwig nimmt jedenfalls für alle Wirbeltiere ein Vor- handensein von Lumina an, denn er sagt (6: p. 278): „In den „Fällen, in denen anfangs die Lebereylinder solid erscheinen, „beginnen sie sich auszuhöhlen und ihre Zellen sich zu einem „kubischen oder cylindrischen Epithel um das Lumen herum „anzuordnen.“ Nach van der Stricht (10) besteht die Leber bei einem sechstägigen Hühnerembryo aus verästelten, anastomosierenden Schläuchen. In seiner Arbeit über die Blutbildung in der Leber, die mir vorlag, während ich die erstere Arbeit nicht erlangen konnte, beschreibt von der Stricht (11: p. 37) das Leberparenchym der Vögel als anastomosierende Balken oder Röhren. Auf Quer- schnitten sieht er die Zellen um das Lumen strahlenförmig an- geordnet und den Kern an die Peripherie zu den Blutgefässen hin verlagert. Für meine Untersuchungen standen mir mehrere Stadien vom Hühnchen und einzelne Stadien von Astur palumbarius, Corvus comix und Tetrao tetrix zur Verfügung. Die Eier der letzteren Vögel waren frisch aus dem Nest geholt und mir ge- bracht worden. Die kleineren Embryonen wurden in toto fixiert, von den grösseren wurden nur Stückchen der Leber konserviert. Zur Fixierung dienten die von Bizzozero (2) empfohlene kon- 370 XII. FERDINAND FROBEEN. zentrierte Sublimatlösung und die Flemming’sche Chromosmium- essig- und Chromessigsäure. Zur Färbung benutzte ich Häma- toxylin-Pikrinsäure (Bizzozero), Hämatoxylin-Eosin und Indigo- carmin-Carmin (nach Noris und Shakespeare). Die m Paraffin eingebetteten Objekte wurden in Serien von 6,6 zerlegt. Bei einem Hühnchen von 4 Tagen (85 Stunden künstlicher Bebrütung) setzt sich die Leber zusammen aus einer geringen Zahl dieker Balken, die aus 8—12 Zellreihen bestehen. Ein Lumen ist in den Säulen nicht wahrzunehmen. Bei einem Hühnchen, welches genau 4 Tage (96 Stunden) alt. von einer Henne bebrütet und infolge dessen etwas weiter entwickelt war, ist die Leber schon viel mehr ausgebildet. Taf. XXIX Fig. 1 zeigt einen Querschnitt durch die ganze Leber bei schwächererer Vergrösserung. Die Lebercylinder sind fast alle netzförmig mit einander verbunden, nur einzelne ragen noch frei in die Blutgefässe hinein; sie sind länger und dünner geworden. Die wichtigste Veränderung aber besteht darin, dass fast alle Cylinder ein. deutliches, scharfbegrenztes Lumen be- kommen haben, wie man schon bei der Untersuchung mit mässig starker Vergrösserung sicher feststellen kann. Auf Längsschnitten erscheint das Lumen als ein heller, oft im Zickzack verlaufender Strich, auf Querschnitten als rundes Loch. Die Querschnittsbilder zeigen, dass die Leberschläuche von einer einzigen Zellschicht gebildet werden; um ein Lumen liegen etwa 4-8 Zellen in der bei schlauchförmigen Drüsen bekannten Anordnung. Schon in diesem Stadium liegen die Kerne meist peripher. Viel komplizierter und oft schwer verständlich ist aber die Architektur der Knotenpunkte des Lebernetzes. Da hier die Leberschläuche aus allen Richtungen des Raumes zusammen- treffen und deshalb in den verschiedensten Richtungen ge- schnitten wurden, so ist es oft unmöglich, die Hohleylinder Zur Entwickelung der Vogelleber. 371 wiederzufinden. Dazu kommt noch, dass gerade an diesen Knotenpunkten die Weiterbildung von jungen Lebereylindern vor sich zu gehen scheint; denn hier sieht man zuweilen eine starke Anhäufung von Leberzellen, die sich noch nicht zu Hohl- cylindern gruppiert haben. Über die Art und Weise, wie sich aus den diekwandigen soliden Lebereylindern des dritten und vierten Tages die dünn- wandigen Schläuche bilden, giebt uns vielleicht die Thatsache einigen Aufschluss, dass dieselben in der Mitte ihres Verlaufes gewöhnlich dünner sind als an ihren Knotenpunkten. Es scheint darnach, dass bei stärkerem Wachstum der Leber die Cylinder gewissermassen ausgezogen werden, wobei eine Ver- schiebung der Leberzellen gegen eimander stattfindet. Es mögen sich hier also mechanische Vorgänge von ähnlicher Art ab- spielen, wie sie nach Toldt und Zuckerkandl (12: p. 287) bei der Umwandlung des tubulösen Typus in den acinösen der Leber des Kindes vorkommt. Die Bildung des Lumens bleibt dabei freilich um so rätselhafter, als von einer Sekretion in diesem Stadium nicht die Rede sein kann. An den folgenden (5. und 6.) Tagen schreitet die Aus- bildung der Schläuche schnell weiter fort und die Zellen ver- schieben sich immer mehr, so dass sie in einfacher Schicht die Wand der Schläuche herstellen. Dass dabei auch die Bildung neuer Schläuche vor sich geht, muss man schon aus der That- sache schliessen, dass das Volumen der Leber schnell zunimmt, während die Bluträume (Kapillaren) nicht weiter, sondern im Gegenteil enger werden. Mitosen sind in der ganzen Zeit dieser Ausbildung (4.—8. Tag) sehr häufig. Von nun an behält die Leber des Hühnchens den tubulösen Bau, den wir von der Leber der erwachsenen Vögel hauptsächlich durch Eberth (3: pag. 427 und Fig. 7) kennen gelernt haben. Dass die Leber der Vögel einen tubulösen Bau besitzt,. ver- mutete schon Hering und sprach sich in seiner Abhandlung 312 XIII. FERDINAND FROBEEN. „Über den Bau der Wirbeltierleber“‘ darüber folgendermassen aus (5: p. 112): „Spricht man von der Wirbeltierleber im Allgemeinen, „so muss man dieselbe allerdings, wie ich an Reptilien schon gezeigt habe, an Fischen und Vögeln noch zu zeigen gedenke, „als eine netzförmig angeordnete Drüse bezeichnen; die Säuge- „tierleber im besonderen aber weicht derart ab, dass von einem „eigentlich tubulösen Bau nichts zu sehen ist.“ Bei einem Krähenembryo (Corvus cornix, 16 mm) zeigen die quergeschnittenen Lebereylinder fast überall ein Lumen; um dasselbe liegen 3—6 Zellen in radiärer Anordnung, so dass der Kern etwas peripher liegt. Auch in den schräg und querge- getroffenen Cylindern ist meist der intercelluläre Gang deutlich ; nur da, wo mehrere Leberschläuche zusammentreffen und der Schnitt nicht genau die Längsachse traf, ist der Drüsengang oft nicht zu sehen. — Die Lebercylinder eines etwas älteren Krähen- embryo (20 mm.) haben überall ein deutliches Lumen. Von Astur palumbarius standen mir zwei Stadien (32 und 44 mm) zur Verfügung, von Tetrao erhielt ich nur einen älteren Embryo von 43 mm. Der vorgerückten Entwickelung ent- sprechend war die Leber schon sehr voluminös und der tubulöse Bau überall durchgeführt. Die Leberschläuche liegen dicht gedrängt zusammen, die Kapillaren sind enger geworden und das ganze Organ entspricht im Bau der Leber erwachsener Vögel. Ergebnisse. 1) Die primitiven Lebereylinder des Hühnchens sind nur vorübergehend in der ersten Periode der Ausbildung (3. und 4. Tag) solid. 2) Schon am vierten Tage beginnt die Umwandlung der so- liden Cylinder in Schläuche, die ein deutliches Lumen besitzen. 3) Diese Umwandlung geschieht wahrscheinlich dureh Dehnung der primitiven Lebereylinder und Verschiebung der Leberzellen. Fig. 1. Fig. 2. = E [SS] Anmke. Erklärung der Figuren. % Hühnchen, 96 Stunden. Fixiert in Sublimat. Hämatoxylin-Eosin. 6,6 " Sehnittdieke. m Mesenterium; I Leber; g Gefäss mit Blutkörperchen (Vena omphalo-mesenterica); d Darm. Leitz, Objekt. 1, Okul. 1. Astur palumbarius, 32 mm. Fixiert in Sublimat. Indigocarmin-Carmin, 6,6 » Schnittdieke. b! Blutkörperchen, (fertige und embryonale). Leitz, Obj. 7, Okul. 3. Tetrao tetrix, 4,3cm. Fixiert in Flemming, Hämatoxylin-Eosin. 6,6 u Schnittdieke. Längs- und quergeschnittene Leberschläuche. Leitz, Obj. 7, Okul. 3. Hühnchen, 96 Stunden. Fixiert in Sublimat. Hämatoxylin-Eosin. 6,6 1 Schnittdicke. sch Leberschlauch; bl Blutkörperchen; k Knotenpunkt. Leitz, Obj. 7, Okul. 1. Alle Figuren wurden vermittelst des Nachet’schen Zeichenapparates gezeichnet. Anatomische Hefte, 3, 25 og 10, 11: 12. Litteraturverzeichnis. . Balfour, Francis M., llandbuch der vergleichenden Embryologie. Über- setzt von B. Vetter, Bd. II, Jena, 1881, p. 691 —693. Bizzozero, G., Neue Untersuchungen über den Bau des Knochenmarks bei Vögeln. Archiv für mikroskop. Anat. Bd. 35, Bonn, 1890, p. 424 — 469. Eberth, C. J., Untersuchungen über die Leber der Wirbeltiere. Archiv für mikroskop. Anat. 3. Bd., Bonn, 1867, p. 423—441. Götte, A., Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Darmkanals im Hühnchen. Tübingen, 1867, p. 45 ff. Hering, E., Über den Bau der Wirbeltierleber. Archiv für mikroskop. Anat. 3. Bd., Bonn, 1867, p. 885—115. Hertwig, O., Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere. III Aufl. Jena, 1890, p. 276 ff. Kölliker, A., Entwiekelungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. Leipzig, 1879, p. 882 fi. 2. Aufl. Kölliker. A., Grundriss der Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. Leipzig 1884. II. Aufl. Remak, R., Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbeltiere. Berlin, 1855, p. 51 ff. van der Stricht, O., Recherches sur la structure du foie embryonnaire. Annal. de Gand. 1888, p. 230-254. Citiert nach R. Virchow und Aug. Hirsch: Jahresberichte der Leistungen und Fortschritte in der Anat. und Physiol. Berlin, 1888. van der Stricht, O., Le developpement du sang dans le foie embryon- naire. Archiv. de biol. 1891, Bd. XI, p. 19—114, Taf. I u. Il. Toldt, €. und Zuckerkandl, E., Über die Form- und Texturveränder- ung der menschlichen Leber während des Wachstums. Sitzungsberichte der Wiener Akad. Bd. LXXII, Abt. III. Wien 1876. AN Kur f ji N IR h. f DR ll Inh N a KeuS, % Be ’ ! M Dan RR a ne Bl ea Mi, VAN: DNS HAST, REIN ONREN An MN. N) ie a „2 \ RR AN F ‚ s . . Ar ne ’ u” R Fe » vY AR e 2 PH \ “rr y ‚ ng‘ h Ya A #3 “N { j er Ä Y E ä v g q 4 * N % wi R y . f x Bi ‘ . r “ Me Y.,48 * y a ER R N % Y 5 #: a” vi RE RN 17 , N 4 IR, BSR De ® NE el ap j N RR: “ a a A 7 ee I ra RO Ku EI nn a ee BE r y “4 + Pi ax We. Kun RR | rx 2; aa a % a 5 Ri E a 4 i " ’ 4A u Y a ÄTER 0.N N oo F uw K be WR. j ‘ ( ne x EN j e P Er . . 7 Y uw As | ww)