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Adolf Bernhard Marx.

Beethovensche Klavierwerke

Anleitung

zum

Vortrag Beethovensclier Klavierwerke.

Anleitung

7Aim Vortrag

Beethovenscher Klavierwerke

Von

Adolf Bernhard Marx.

Herausgegeben

von

Professor Dr. Gustav Behncke.

Vierte Auflage.

Berlin 1912.

Verla"' von Otto Janke,

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Vorwort zur dritten Auflage

Dieser neuen Auflage vermag der Herausgeber kein schöneres, kein verlieißungsvolleres Geleitwort auf den Weg zu geben als das urteil, welches Hans von Bülow, der große Herr und Meister des Klaviers, sechs Jahre nach dem Hinscheiden des Verfassers über die Schrift gefällt hat.*)

„Der um die technische Aufklärung über den Tondichter wie kein anderer Deutscher hochverdiente Adolf Bernhard Marx hat in seiner Arbeit .Anleitung zum Vortrage Beethovenscher Klavieriverke', einem Büch- lein, das in jedes tüchtigen Musikers Hand oder vielmehr Kopf sein sollte, diesen ■Punkt'' (es handelt sich um die den Absichten des Komponisten ent- sprechenden Schattierungen des Vortrages) „näher erläutert, worauf wir veriveisen, da wir nichts Besseres tun könnten, als Marx eben abschreiben.'-

Diese Erklärung des als Sachverständiger wie als Mensch gleich vollgültigen Zeugen und Eideshelfers, der trotz seiner viel- bewegten, wandelreichen Künstlerlaufbahn nie den von bewunderns- werter Selbstlosigkeit getragenen Zug nach dem Kunstideal ver- leugnet hat, gewährt tröstliche Genugtuung für die Versündigungen mancher musikschriftstellernden Epigonen, die, sei es aus Unver- stand, sei es aus ]\lißgunst, Marx" Ruhm zu schmälern bemüht ge- wesen sind. Seinen VcTdiensten als des Biographen großer Ton- dichter suchte und sucht man Ab])ruch zu tun mit dem Vorwurfe, daß er b<'i der Darstellung ihres äußeren Lebenslaufes diese oder jene Einzelheit übergangen habe. .Ja es ist wahr, er hat unbed(iutende

*j Im zweiten Baude, S. 17.'>, seiner Ausgabe der Klavierwerke Beet- hovens. 1872, Stuttgart bei Cotta.

VI

Kleinigkeiten ihrem Unwerte gemäß behandelt. Aber das blöde Auge der am xiußerlicheu und Unwesentlichen haftenden Ober- flächlichkeit vermag nicht einzusehen, daß der Biograph eines Künstlers vor allem die geistigen Pfade seines Helden zu durch- leuchten hat, und um diese mit klarem Auge zu schauen, den Blick zuweilen vorsätzlich abwenden muß von den Nebendingen und Zufäüigkeiten des Lebens, welche die Persönlichkeit, die den Haui)tgegenstand des Biographen bildet, ilire Entwickelung und ihr Schaffen nicht beeinflußt haben. Freilich jener Leute "Widerspruch verstummt vor dem Schöpfer einer wissenschaftlich auferbauten Kompositionslehre. Aber auch in dieser Eigenschaft hat Marx das Schicksal, daß man am liebsten wie auf Verabredung von ihm schweigt: während sich doch leicht nachweisen läßt, daß die Neueren überall, wo sie Begründung und Durchführung der Theorie anstrel)en, wo sie bis zu dem Kern der Kunstfragen vorzudringen Anlauf nehmen, auf Marx' Schultern treten, seine künstlerischen Grundsätze und Anschauungen verwerten ~ meist, ohne die Quelle zu verraten. Zum Glücke fruchtloses Gebaren! Denn auch heute noch, mehr als dreißig Jahre nach Marx' Tode, behaupten sich seine Schriften in der Musikliteratur durch ihren eigenen Wert eine nicht nur für den Verewigten, sondern auch für das Musik- leben der Gegenwart ehrenvolle Tatsache. Sie beweist, daß die Teilnahme für geistvolles, auf das innere Wesen gerichtetes Er- fassen tonkünstlerisclier Schöpfungen und der Tonkunst überhaupt, wie es Marx einst angebahnt und während eines mühevollen Lebens durchgeführt hat, weder bei Fachmännern noch bei Kunstfreunden erloschen ist; daß man auch heute noch, wo nur immer das Be- dürfnis lebendig ist, einen sicheren Standpunkt für Kunstauffassung und Kunstübung zu gewinnen , sich nicht ausschheßlich der schweifenden Phantasie und dem unklaren Gefühlszuge überläßt, sondern vorzugsweise gern iMarx' führender Hand, des zielbe- wußtesten und tiefsinnigsten Musikforschers des Jahrhunderts sich anvertraut, vor allem, wenn es gilt, den kunstgeschichtlichen Beruf eines Beethoven, eines Gluck zu begreifen. Dieser segensreichen Nach- und Fortwirkung seiner Lebensarbeit hat keine Feindselig- keit oder Gegnerschaft Einhalt zu tun vermocht.

So rechtfertigt sich denn auch das Wiedererscheinen dieser Vortragslehre durch die Fortdauer ihrer inneren Bedeutung. Sie ist, wie auch die zweite Auflage, im wesentlichen unveränderter Neudruck der ersten, wie diese einst aus der Hand des Verfassers

VII

horvonreganfron ist. Der Herausgeber hat, abgeselion von wenigen iinii gt^ringlügigen, ilurch die Zeitumstände veranlaßtcn Änderungen, die er sich erlaubt hat, als seine einzige Aufgabe betrachtet, ge- legentlich vom Verfasser selbst eingestreute Notizen biographischer Art mit dem inzwischen angewachsenen Material zu vergleichen und. soweit es neue und wahre Ergebnisse bietet, mit diesen in Einklang zu bringen, insbesondere mit einschlagenden Stellen der von ihm besorgten vierten Ausgabe der Biographie Beethovens von A. B. Marx.

So möge denn diese Schrift, deren Winke und Lehren sich dem Eeser nirgends aufdrängen, sondern wie der Verfasser wieder- holt betont, Selbsttätigkeit, eigenes Empiinden und Nachdenken wecken und fördern wollen, zum drittenmal hinausgehen und wie bisher sich allen Jüngern Beethovens und Freunden tieferer Er- kenntnis als willkommene Gefährtin gesellen.

Im Oktober 1897.

Gustav Behncke.

Vorwort zur ersten Auflage.

Die erste Ausgabe meiner Biographie Beetliovens „Beet- iiüven, Leben und Scliaffen" hat ein Anhang begleitet: „Einige Bemerkungen über Studium und Vortrag der Beethovenschen Klavierwerke". Die Liebe zu Beethoven und die Überzeugung, daß olme tiefes Verständnis seiner Sciiöpfungen von einer Durch- bildung für die Tonlmnst gar nicht die Eede sein könne, hatten diese Zugabe zur Biographie veranlaßt. Aber schon unter der Abfassung wurde fühlbar, daß in so beschränktem Eaume Be- friedigendes nicht geleistet werde könne.

Jetzt erst, neben der zweiten Ausgabe der Biographie, findet sich Gelegenheit, eine befriedigendere Lösung der Aufgabe zu ver- suchen. Die Biographie, Dank den unschätzbaren Mitteilungen, die mir von vielen Seiten geworden, ist bereichert wiedererschienen; die Anleitung zum Vortrag durfte nicht zurückbleiben. Aber nun konnte sie nicht als bloßer Anhang beiläufig abgefertigt werden.

Sie tritt als selbständiges Werk auf und kann auch für sich allein nutzbar werden. Indes wird jedermann, der die Über- zeugung hat, daß Kunstwerke nur aus dem Wesen und Leben ihres Schöpfers vollkommen begriffen werden können, den inner- lichen Bezug der Anleitung zur Biographie wohl zu erkennen wissen. Die Biographie bietet für Verständnis Beethovens und seiner einzelnen Werke die nötige Grundlage und für die An- leitung selbst die erforderlichen Beweise, soweit diese auf dem Wesen des Meisters beruhen.

Das Beste freilich kann weder die Anleitung noch die Biographie tun, sondern nur die eigne ßeeiferung und Beseelung. Das Wort des Lehrenden gleicht der Stimme des Herolds. Es vermag zu wecken, zu erregen, zu leiten, nur wenn es in wache Ohren und strebsame, lebensdürstige Gemüter fällt.

Berlin, am 18. März 1863.

Adolf Bernhard Marx.

Einleitende Betrachtungen

Marx, Anl. z, Vortrag Beeth. Kiav.- Werke

I

Die Leser des Buchs.

Wer ein Buch schreibt, denkt wohl gele;gentlich an die Leser, die er ihm wünscht.

Ich wünsche mir für mein Büchlein den Jüngling herbei und die Jungfrau, deren frischempfängiiches Herz schon je einmal ])ei Beethovens Akkorden heftiger geschlagen, die aufgehorcht haben bei diesen Klängen, welche so neu und unerhört und dabei so ursprünglich und unserm Seelenleben so vertraut zu uns gesprochen, wie Stimmen der Verheißung aus den ersten Jugcnd- tagcn. Ich wünsche mir in meinen Kreis diese reinerhaltene Jugend, der bei irgendeiner von Beethovens Weisen eine Ahnung von dem Urklang, von den Urmelodien erwacht ist, die der ewig unversiegbare Quell unserer Kunst, die Götterbilder sind, denen alle Tondichter anhangen und nachtrachten, die sie zu fassen streben, sich und den Hörern zur ßesehgung, die niemand öfter und machtvoller erklungen sind als ihm.

Ich wünsche mir die Jugend herbei, die nocli offene Ohren und Herzen hat für die Wundermärchen der Dichter in Wort oder Tönen, die noch kindlich vertrauend und hingebend ist, die sich gern täuschen und verlocken läßt, weil sie hinter den Täuschungen der Dichter ewige Wahrheiten ahnt, die mehr wert sind als kühle Vorsicht und tötende Klügelei. Weh denen, die den seligen Täu- schungen unzugänglich sind! Darum wünsch' ich mir die Jugend herbei, die den Glauben sich bewahrt hat, daß mitten im wehenden Staube des Werkeltags und seiner Geschäftigkeiten und Dürftig- keiten, seiner verständigen und nimmer zufriedenstellenden Zwecke, mitten in all dem so löblichen und doch so toten Getreibsel ein ander Leben erblüht, reinen und unverwehbaren Duftes voll, das Leben innigster Gefühle, hoher Gedanken, mächtiger Taten, mögen sie sich im Auge der Liebe, in Ton und Worten und Bildern, im

zuversichts vollen Wirken für Recht und Freiheit und Wohlfahrt der Menschen und Völker oftenbareu. Für das alles hatte sein Herz geschlagen und überzeugende Weisen gefunden. Diese Jugend ist ihm verbündet und zugeschworen, der selber bis zu seinem letzten Schmerzenslager sich Glauben und Jugend bewahrt hatte.

Auch jene wünsch" ich herbei, die noch nicht ihn erkannt, aber von dem Wundermanne vernommen haben, der mitten in überschäumender Lebenslust und Freudigkeit des Schaffens ge- schlagen worden ist von einem Schicksalsschlage, der jeden andern in seinem Berufe vernichtet hätte. Die Geschichte zeigt ihn er- schüttert, schwankend unter dem betäubenden Schlage, verschlossen für das beglückende Spiel seiner Kunst, abgesperrt durch unsicht- Ijare und unzerbrechbare Schranken von der Gemeinschaft der Menschen, die er liebte, deren Bruderbund er ersehnte, beladen mit dem Fluch unverschuldeten und unvermeidbaren j\lißtrauens und Mißgreifens, und inmitten alles Elends nimmer ablassend von der Liebe zu den Menschen, von dem Bewußtsein hohen Berufs und dem treuesten Wirken dafür. Ja, sie flüstert uns das Geheim- nis zu, daß seine Qualen Quell und Bedingung seiner tiefsten Offenbarungen gewesen. Wer, zu wem die Kunde dringt, kann sich versagen, in diese Rätselwelt hineinzusteigen?

Und wie schon vor alters einmal versichert worden, daß über einen Verlorenen und Wiedergefundenen mehr Freude sein wird als über hundert, die nie gefährdet waren: so wünsch' ich auch jene mir herbei, die durch eignen Irrtum oder fremde Irrleitung abgekommen sind vom Pfade zu der reinen Kunst, die den licht- umflossenen Gipfel aus den Augen verloren oder nie geschaut, die vor den Mysterien und Rätselworten des Meisters zweifelvoll, un- verstehend stocken, zurückweichen, zuletzt sich am leeren Gespiel in den niedern Büschen am Wege wohl sein lassen und Kraft und Neigung an Eitelkeiten vergeuden, von denen die dem Ewigen und Wahren zugewendete Kunst nichts weiß und nichts brauchen kann. Noch gehören sie dem Meister nicht an. Sie mit kräftigem Schwung aus dem Gestrüpp herausheben, auf die rechte Bahn bringen und mit einem glücklichen Worte dahin weisen, wohin sie von Anbeginn eigentlicli begehrt, wo sich einzig ihr Verlangen nach Leben in der Kunst erfüllen kann das wäre Freude! Sie sollen nur Mut fassen, über sich selber und jenes Verlangen sich klar zu werden. Denn in jedem der Kunst nicht geradezu abgewendeten Gemütc lebt eine Vorstellung von jener Bereicherung und Erhöhung des

Daseins, welche einziii" die Kunst gewährt; sie lebt, diese Vor- stellung, in jedem reinen, nicht ganz erkalteten GcmUto, \\i\v' es auch nur in schwankenden Umrissen und erbleichenden Farben. AVenn zeitweise Vergeßlichkeit, ErschlaÜung, TäuschuDg von ihr abwenden, dann vermag in rechter Stunde das rechte Wort den Säumigen zu wecken und den Irrgewordenen zu erinnern. Ich hab' es im lebendigen l'nterricht oft genug erfahren und mit mir jeder eifrige Lehrer. Und hätt' es noch keiner von uns erprobt, so würden doch wir alle an der Macht der Wahrheit und des treuen Wilhuis nicht zweifeln.

Willkommenste Ehrengäste wären mir vollends aus der Schar der Lehrer jene Ehrenmänner, die noch nicht zu stolz und zu steif sind zu lernen und Rat zu hören, die von ihrer Kunst einen genugsam hohen Begrift' haben, um einzusehen, daß in keinem einzelnen die ganze Kunst und die volle Erkenntnis derselben gleichsam w^ie in einem besondern Heiligenschrein verschlossen ist, daß wir alle, Künstler und Lehrer, die Hochgestellten und die Nieder- verborgenen, gar nichts anders sein können als Mitarl)eiter an dem einen gemeinsamen AVerke, daß wir in ihm verbrüdert sind, keiner des andern entbehren können und mögen, daß der höchstgestellte Lehrer ewig Schüler bleibt denn wer lernt aus? und sich nicht des Lernens weigern, dem Wort des Mitlehrenden verschließen darf, wofern er nicht von seinem Beruf abfallen und sich selber zur Armut verurteilen will. Die das anerkennen und tatsächlich bewähren, das sind die wahren Ehrenmänner unter den Lehrern.

Die Einsicht ist leicht, die Verwirklichung fällt manchem gar schwer. Denn wie sind wir Lehrer zusammengekommen und ge- stellt? Viele von den untersten Staffeln der Glücksleitei-, an Ent- behrung und Dürftigkeit gebunden, davon nicht immer Verdienst erlöset, meist nur Verdienst und Glück im seltenen Bunde. Andre in Gunst und eben daher mit Geschäftlichkeiten aller Art über- bürdet. Wo soll beiden Zeit, Mittel, Sammlung kommen zum Nacli- lernen? es bedarf der Kraft und Tapferkeit dazu. Mancher hat sich in unsern Kreis gestohlen, dem zuvor ein ganz ander Los gefallen schien: der Glanz der Virtuosenlaufbahn durch den Beifallsrausch der Konzerte, bis man des äußerlichen Flitterlebens müde ward und den schwankenden Erwerb berechnen mußte. Mancher auch schlich herbei, nur widerwillig sich abwendend von der reizendsten aller Verlockungen, vom Triebe zum eignen Schaffen, der Himmels- brot spendet, seltner das täghche Erdenbrot, wie Mozart und

Beethoven erfahren haben und hundert andre. Jener Trieb hämmert und bohrt im Herzen fort, wenn auch die jugendliche Hofthung längst getäuscht hat. Und ist denn das Ausbleiben des Erfolgs schon Widerlegung? „Einige sind berühmt, andre verdienen es zu sein," hat schon Lessing gesagt. Daß ein Komponist nicht genügend anerkannt wird, beweist nicht immer-, daß er mit der Kunst im ^Yiderspruch, oft nur, daß er mit der Zeit nicht im Einklang gewesen und nicht gewillt war, diesen Einklang mit Zu- o'eständnissen zu erkaufen. Auch Äschvlus, als die Zeiten schlechter

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geworden waren , zerbrach seinen Griffel und verbannte sich aus dem Yaterlande.

In all den Wirbeln des Lebens noch Mut und Bescheiden- heit und Kraft zum Weiterstreben zu finden, das ist wahrlich ehrenwert.

Was das Buch briuat

Diesen Lesern und ihren Zugehörigen bietet sich das Büchlein als Berater und Wegweiser auf Beethovens Pfaden dar. Es kommt darauf an, seine Schöpfungen in seinem Geist aufzufassen und in seinem Sinn am Klavier zur Darstellung zu bringen.

Die für Klavierspiel allgemein erforderlichen Kenntnisse werden, wie die für jede Aufgabe nötige Fertigkeit, vorausgesetzt. Nur einzelne Winke können und m.üsscn hier Zulaß finden. Wie- viel von diesen jedem einzelnen notwendig oder zuträglich sei, l'ißt sich nicht voraussehen; es hängt von Maß und Richtung der allgemeinen Vorbildung zum Klavierspiel ab.

So stellt sich als eigentlicher Kern des Buchs eine Vor- tragslehre heraus, keine allgemeine, sondern eine auf Beet- liovens W^erke gerichtete. Wieweit sie mit den allgemeinen Vor- tragsregeln übereinkommt, wieweit sie über dieselben hinausgeht, bedarf keiner Erörterung; jeder Kundige bemerkt es selber.

Ebensowenig bedarf es eines Nachweises über die Zuträglich- keit einer Vortragslehre überhaupt. Niemand, der imr eine \'or- stellung von Kunst hat, wird sicli damit begnügen, bloß die Noten

abzuspielen: den Sinn des Tonstiicks will er wiedergeben, üio Notenschrift gibt, eben wie der tote Buchstabe der Wortschrift, den Geist und Willen des Komponisten nur unvollkommen kund. Was wollen die paar Stärkebezeichnungen von pp bis ff gegen die ganz unberechenbaren Abstufungen bedeuten, die nicht nur möglich sind, sondern in jedem beseelten Vortrag in reicher Zahl wirklich zum \'orschein kommen! Wie unbestimmt sind die wörtlichen An- gaben des Zeitmaßes, wie fesselnd und knechtend und für die besondern Verhältnisse und Stimmungen des Augenblicks unzu- trertend die metronomischen Bestimmungen! Wie weit bleiben sie und die taktischen Einrichtungen hinter dem wechselvollen Spiel der Bewegung des aufgeklärten Ausführenden zurück, in dem sich die freie und volle Seelenbew^egung abspiegelt! Wie wenig kann der Komponist, und wenn er sein Papier halb schwarz malen wollte, mit allen möglichen Zeichen und Worten tun, um den Lebensgehalt seines Werkes often zu legen! Nach allem, was er mciglicherweise hingeschrieben, muß er auf das ergänzende Ein- verständnis des Ausführenden rechnen: „Er hat alles richtig von den Noten heruntergespielt," muß er seufzen, wo dies fehlt, „aber er hat nicht gefühlt, nicht verstanden, was ich habe sagen wollen."

Es kommt also zuletzt auf Verständnis des'sen an, was nicht hat niedergeschrieben werden können.

Die Grundlage dazu. Empfänglichkeit für künstlerische Dar- stellung, muß angeboren und von Geburt an instinktiv entwickelt sein. Wo das fehlt, kann weder Schrift noch Lehre fruchten, das Tote lebendig machen.

Allein die bloße Naturanlagc genügt ebenfalls nicht; sie will entwickelt und erhöht sein, um über die Schranken der Persön- lichkeit hinaus- und emporzureichen zum Kunstwerke, das gefaßt und dargestellt werden soll. Und man will Sicherheit haben, daß das natürliche Gefühl auch an das rechte Ziel führe, daß nicht die bloß subjektive und zufällige Empfindung des Darstellenden, sondern der eigentliche Sinn des Kunstwerks an den Tag komme. Die rein subjektive Auffassung kann nur dann genügen, wenn das Kunst- werk selber sich im Kreise der allen gemeinsamen Anschauungen und Empfindungen hält; jeder versteht und kann vernehmen lassen, was in jedem, also auch in ihm lebt. Sobald aber das Kunstwerk sich über diese Allgemeinheit erhebt, nicht mehr das allen Gemein- same, sondern ein Besonderes ausgesprochen haben will, genügt das subjektive Gefühl nicht; man muß den besondern Inhalt des

Kunstwerks und die Mittel zu seiner Darstellung sicher erkannt haben.

Hiermit ist die doppelte Aufgabe jeder Vortragslehre be- zeichnet.

Zugleich wird damit klar, aus welchem Grunde Beethovens Werke vorzugsweise einer Anleitung zu ihrem Vortrage bedürfen. Sic bedürfen derselben, weil ihr Inhalt vorzugsweise und weit mehr als die Werke andrer Komponisten ein besonderer ist, ein solcher, an den das allen gemeinsam eigne subjektive Gefühl nicht hinan- reicht, wae es wohl für die Klavierwerke Haydns, Mozarts, Dusseks, Hummels, Chopins, Mendelssohns und fast aller andern genügt, nur mit Ausnahme einiger Werke Seb. Bachs.

Die Besonderheit des Beethovenschen Inhalts liegt vor allem darin, daß erst in seinen Werken die Instrumental-, namenthch die Klaviermusik Idealität gewonnen, Ausdruck bestimmten, und zwar idealen Inhalts geworden ist, während sie bis dahin (wenige Ausnahmen in Bach abgerechnet) nur reizendes Spiel mit Tonfiguren oder Widerhall flüchtiger und unbestimmter Stimmungen gewesen war. Wer füi' diese Stimmungen Sympathie, für jenes Tonspiel Anregsamkeit in sich trägt, ist auch für die Werke vorbereitet, die sich beidem gewidmet haben. Tritt aber ein besonderer Inhalt im Kunstwerk auf, so kann man es nicht fassen und faßhch darstellen, wenn man nicht jenen Inhalt klar und sicher erkennt.*)

Aber auch solche Beethovensche Werke, für die kein idealer Inhalt nachweisbar ist, unterscheiden sich von der großen Mehrzahl aller andern (wieder Bach ausgenommen) durch den Ernst und die Anhaltsamkeit, mit denen der Meister sie ausgebildet hat. Nehme man die Sonaten Op. 22 Bdur und 53 Cdur als Beispiel. Hier ist es vorzugsweise auf Ton spiel abgesehen. Aber wie weit ist es ausge- breitet, wie reich und sinnvoll sind die verschiedenen Sätze ver- wendet, umgestaltet, untereinander verkettet! Blicke man auf den ersten Satz der Ddur-Sonate Op. 10; wie arbeitet da das kleine Motiv 'd\Ti'(i h a unablässig herum, bildet den ersten Hauptsatz,

^•) Ich muß, wenn ich mich nicht endlos wiederholen soll, hier und bei vielen andern Momenten der vorliegenden Schrift auf meine Biographic Beethovens („Beethoven, Leben und Schaffen") Bezug nehmen dürfen (I, 275 ff, II, 95 flp.). Dort war die Aufgabe, den Künstler aus seinen Werken, und aus seinem Wesen und Lebenslauf die Werke zu erkennen. Hier soll für die Praktik der Darstellung am Klavier benutzt und in das einzelne fort- geführt werden, was jenes Werk im ganzen und großen zu begründen unter- nommen hat.

taiu'ht iicj:ivii den Seiteusatz \vicder aiii oder vielmehr bildet iluii die (iruiulsid)stanz, regt allo Stimmen auf, wächst aus seiner Winzigkeit zu mächtigem Eaßgang an, schlingt sich durch den ganzen reichen Satz! Es möchte sich wohl als unmöglich erweisen, einem solchen Satze und ihm gleicht die Mehrzahl mit bloßem, sich selbst überlassenem Naturell, ohne tüchtige Vorbildung und gründliche Einsicht beizukommen.

In dem wesentlichen l^nterschiede der Beethovenschen Instru- mental- und besonders Klavierwerke liegt auch der Grund, daß die K(unpositionen der andern Tonkünstler jenen nicht in gleichem Maß als Vorschule dienen, wie sie untereinander tun. Haydn, selbst Klementi können auf ]\Iozarts Klaviersätze hinführen, wie weit auch Klementi zurückbleibt und wie handgreiflich die Eigentümlichkeit beider deutschen Meister sie voneinander unterscheidet. Dussek und Louis Ferdinand, denen A. E. Müller folgt, wie Wölfl und viele andre der Mozartschen Bahn, Hummel, und weit nach ihm Chopin, er und Weber und Moscheies als Vorläufer von Mendels- sohn, Liszt und Thalberg die Reihen ließen sich weiter ver- folgen — , sie alle führen, so gewiß jeder eine mehr oder weniger hervortretende Eigentümlichkeit behauptet, einer auf den andern; wer Dussek versteht, dem wird Louis Ferdinand nicht fremd bleiben, wer Thalberg sich angeeignet, hat Henselt schon mitgew^onnen und steht dem unvergleichlich geistvollem, sonoren Liszt, sowie dem genialen Eobert Schumann dem einzigen, der Beethoven in Ernst und Treuen oft nachgestrebt schon näher. Man kann sie alle kennen und wird sich doch bei Beethoven in einer neuen Welt befinden.

Ja, zuletzt zeigt sich, daß bei ihm nicht einmal ein Werk tür das andre genügend vorbereitet. Wer einen Thalberg bewältigt, hat diese Arpeggien aller andern bewältigen gelernt; wer sich in einige Sonaten Mozarts hincingefühlt hat, ist allen übrigen gc- w^achsen. Mcht so bei Beethoven. Die Symphonien J, 2, 4, 8 sichern keineswegs das Verständnis der Symphonien 3, 5, 6, 7, 9; die Quartette Op. 59 gehen so weit über die Op. 18 hinaus, wie sie ungefähr! hinter dem Quatuor Op. 132 zurückbleiben; die Sonaten Op. 22 Bdur, 54 Fdur, 53 ('dur stehen von denen Op. 27 I^sdur u. Cismoll, 28 Ddur. 81 a Esdur so -weit ab, wie diese von Op. 106 Bdur, 90 Emoll, 101 Adur, 109 Edur, 110 Asdur, 111 Cmoll. Jede dieser nur imvoUständig zusammengestellten Reihen macht besondere Ansprüche, ja, jedes Werk will für sich gefaßt

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sein, ßeetlioveu stellt in der Eeilie seiner Werke eine vielfältige Aufgabe; aber der Gewinn ist auch ein weit höherer und reicherer. Man Avird in das Idealreich der Kunst erhoben und gewinnt an jedem Werke, wenige ausgenommen, eine neue und eigentümliche Anschauung.

So vielfältig nun die Aufgaben sind, die Beethoven gelöst hat, so vielfältig stellen sich natürlich auch die, w^elchen die An- leitung zum Vortrag der Werke sich zu unterziehen hat. Auf den ersten Hinblick scheint es zwar, daß die Werke sich nach ihrer Richtung auf Spiel oder allgemeines Gefühl oder bestimmtem Inhalt trennen und die der ersten beiden Klassen zu leichter Abfertigung zusammenfassen ließen. So könnte man die XXXII Variationen in Cmoll Nr. 36, die Konzerte mit Ausnahme des vierten, die Sonaten Op. 54 Fdur, 22 Bdur, 53 Cdur der Eichtung auf Tonspiel, die Sonaten Fmoll Op. 2, Fdur Op. 10, Edur Op. 14, Fisdur Op. 78, die Fantasie Op. 77 Gmoll der Eichtung auf unbestimmtes Ge- fühl beimessen. Allein sobald man auf diese und ähnliche Werke ernstlicher eingeht, wird man inne, daß jene oder ähnliche Fach- teilungen nicht stichhaltig sind. Kaum ein Werk wird sich streng in einer jener Eichtungen halten, es wird Tonspiel und Gemüts- bewegung verschmelzen oder wechseln lassen und sich gelegentlich selbst zu bestimmterm Inhalt verdichten. Daher bleibt nichts übrig, als sich auf die einzelnen Werke einzulassen, soweit es nötig und ausführbar ist.

Ausgeschlossen darf ohne weiteres werden, was vom Beet- hovenschen Standpunkt angesehen von untergeordnetem Wert oder besonderer Anleitung nicht bedürftig ist. Es werden daher außer Betracht lileiben:

1. alle Variationen, mit Ausnahme derer Op. 120 Cdur; auch die musterhafte Variationen-Studie Nr. 36 (XXXII Var. Cmoll) bedarf keiner Anleitung;

2. alle Konzertsätzo, Duos und Trios, zu denen voraussetzlich niemand greifen wird, der sich nicht zu ihnen im allge- meinen und durch das Studium der reinen Klaviersachen hingearbeitet hat;

3. die Bagatellen und andre Kleinigkeiten, die Fantasie Op. 77 Gmoll, die Sonaten Op. 6 Ddur, vierhändig, Op. 49 Gmoll u. Gdur, die Sonatine Op. 76 Gdur, Arbeiten, deren einige ihres geringen Gehalts wegen kaum als echt angesehen werden können, die gewiß aber keiner besondern Anleitung bedürfen.

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Nur a-eloü'ontlicho lliinvei^^o nnf n'ir/olnos aus dii^som Kreise worden ihre Stelle finden.

Die Haupff^egenstände für dies Bücblcin bilden liicrnacli die Sonaten, mit Anssclikir) der obengenannten. Allein auch sie können nicht vollzählig und nicht Satz lür Satz zur Betrachtung gezogen werden; dies wäre, selbst abgesehen von der ncitigen Rücksicht auf Raumersparnis, weder nötig noch ersprießlich. Was an einem oder mehrern Sätzen gezeigt worden, muß <lie eigne Beurteilung des Nachstudierenden auf gleiche und ähnliche Fälle zu übertragen wissen. Das eigne Urteil muß erweckt und ge- kräftigt, nicht durch allwärtshin erstreckte Vorarbeit zu Tatlosig- heit herabgedrückt werden.

Lehrwege.

Dreierlei Wege bieten sich zur Einweisung in den Vortrag dar; die Darstellung am Instrumente, ~ das lehrende W^ort münd- lich oder schriftlich, der förmliche praktische Unterricht, der Lehrwort und Darstellung zu verbinden vermag.

Vollste Befriedigung und Sicherheit scheint dieser zweiseitig auf Lehre und Beispiel gegründete Unterricht zu gewähren. Wenn wir nur überall und in genügender Zahl Lehrer fänden, die für unsern Zweck bereitwillig und hinlänglich ausgerüstet wären! Das ist aber nicht der Fall und kann es nicht sein. Die Auf- gabe des Klavierlehrers für technische Ausbildung der Schüler und verständnisvolles Eingehen auf zahlreiche Komponisten ist allzu um- fassend, als daß von jedem diese liebevolle und lebenslänglich fort- dauernde Hingebung an den einen Beethoven zu fordern wäre, deren dieser einzige, abgesondert stehende bedarf, um ergründet zu werden. Die Vielseitigkeit der Aufgabe und die Last des täglichen l'nterrichtsgebens sind den meisten unüberwindliche Hemmung, in Beethovens eigentümlichem Gebiet, im Beiche der Idee heimisch zu werden. Viele sind nicht fähig, andre nicht willig, ihm dahin zu iV)lgen.

Daher hat Beethoven, besonders in der Klavierkomposition, von Anfang an bis jetzt, diejenigen Musiker zu Gegnern gehabt, deren Standpunkt außerhalb jenes Reiches liegt, die sich aus-

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schlicljücli oder überwiegeiul der Technik statt dem Idealen in der Kunst ergeben haben: die Virtuosen*) und die „Klaviermeister", wie er selber sie zur Bezeichnung ihres technischen Standpunkts nennt. Sie kennzeichnen sich schon durch ihr unbegrenztes Fest- halten an Etüden, Konzert- und Salonstücken. Eine Zeitlang lange genug! lehnte man in diesem weiten Kreise Beethovens Werke als „nicht klaviermäßig'' ab, weil sie allerdings nicht in den her- kömmlichen Müllerkhppklapp der Etüden und sonstigen Handwerke- leien passen, und weil allerdings ihr Inhalt öfter über die hölzernen Tasten hinaussteigt in Vorstellungen vom Orchester und noch höher. Man kann in jedem Tonspiel wohlgeübt und sattelfest sein und stößt bei Beethoven, selbst in technisch-leicht angelegten Sachen (z. B. in der Sonate Op. 90 Emoll), auf unvorhergesehene Schwierig- keiten, die nicht einmal „dankbar" sind nach der Eedew^eise der Tech- niker, das heißt: weder auffallend hervortreten und Bewunderung ein- tragen noch nach Weise dieses Alltagsfutters, das man Etüden nennt, häufig wiederkehren, daß die Mühe der Übung sich vielfach verwerte. Jetzt helfen dergleichen Ausreden nicht mehr; Beethovens Geist ist zu mächtig geworden in den echten Musikern und im Volke. Xun wird also von den Lehrern jener Klasse das System des Hin- haltens versucht. Man verspricht Beethoven und sein ernstliches Studium, aber erst müsse der Schüler für ihn reif werden. Die Forde- rung ist richtig und wird w^eiterhin zur Erwägung kommen. Xur im Munde derer kann sie für nichts als eine hinhaltende Ausflucht gelten, die wieder bestimmen, welches Maß diese Eeife haben muß, und wie man sie erlangen könne, noch ernstlich darauf hinarbeiten, ihrer teilhaftig zu machen. So viel ist ohne weiteres wohl klar, daß jene Lehrer nicht hoffen dürfen, zur Reife für Beethovens AVerke hinzuführen, die sich, zwischen Haufen von allerlei andern, fremdartigen Sachen gelegentlich, gleichsam einfallsweise, zu ein paar willkürlich herausgegriffenen Werken herbeilassen. Da figu- rieren denn vor allen andern jene Sonaten Op. 49 u. 79 (S. 10 Nr. 3), die gar nicht als echt-beethovensche erkannt werden köiuicn, auch dieses und jenes Variationenheft, nichts aber von jenen sogenannten „Bagatellen" (Op. 33 u. a.), die teilweise so glückliche Proben von seiner künstlerischen Beflissenheit und von seiner Geisteskraft geben. Später kommt dann die „Sonate pnth6ti(|ue" an die Reiiic; wer nichts von Beethoven gespielt, hat wenigstens die „patheti(iue"

*).... „da orgelt. jeder iiui- ab, was er selbst gemacht luit," sagt Beethoven von ihnen.

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«■ospielt. Die g"eschicktesten Schiilor erhalten dann neben andern Putriden niul Konzertstiieken noch die ( 'ismoll- nnd Fmoll-Sonate Op. 27 und 57, nebst der Cdnr-Sonate Op. 53. Darf man von der Auswahl auf die Absicht schließen, so o-elten die Sonaten als tüchtige ßravonr- und Übungsstücke. J\Iit den beiden ersten hat die Gewohnheit begonnen, Beethovensche Sonaten in die Konzerte zu tragen.

Gegenüber dem eigentlichen Unterricht erscheinen die rein- theoretische Anleitung nnd die rein-praktische Darstellung am Instrument in unleugbarer Einseitigkeit; die eine bietet Rat und Lehre ohne deren Gegenstand, die andre das Umgekehrte.

Die erregende und belebende Kraft der Darstellung bedarf keines Nachweises: sie wird dem Jünger zur Wohltat sobald nur das Werk wirklich seinem Sinne nach zu Gehör kommt. Allein, von allen verfehlten Ausführungen abgesehen, muß doch erwogen werden, daß bei jeder Darstellung eines Kunstwerks durch einen andern als den Schöpfer zweierlei zusammenwirkt: der Sinn, den der schattende Künstler in ihm offenbart, und die Subjektivität des Ausübenden, letztere nicht einmal rein, sondern gefärbt durch die jeweilige Stimmung. Stimmung und Subjektivität lassen sich nicht ausschheßen, so gewissenhaft man auch strebe, sie der Idee des darzustellenden Werks unterzuordnen. Wenn man schon hiernach von der Darstellung niemals ein reines Abbild des Werks erwarten darf, so kommt noch die Flüchtigkeit jeder Musikaufführung dazu man erwäge, wieviel Gefühle, Gedanken und Gedankenbilder sich in die wenigen Viertelstunden zusammendrängen, in denen eine Sonate Op. 101 Adur oder 106 Bdur vorüberfliegt , um den bleibenden Gewinn noch zweifelhafter zu machen. Im besten Falle wird der aufmerksame Hörer auf den Weg des Darstellenden ge- zogen und eher diesem als der eignen Fühlung und Erkenntnis folgen. Oder diese werden ihn früher oder später von jenem Wege ab- ziehen und auf den Punkt bringen, wohin theoretische Bildung zielt.

Die rein-theoretische Unterweisung entbehrt aller Eeizc und Vorteile der Darstellung. Dafür hat sie aber vor dieser den un- ermeßlichen \'orteil voraus, daß sie den Geist des Schülers, Ver- stand und Phantasie wachruft, in Mittätigkeit setzt und zugleich erkräftigt. Dies aber ist Hauptaufgabe und Hauptgewinn bei jeder Unterweisung, und bleibt selbst für Auffassung und Leistung im besondern unerläßliche Bedingung, welches auch die Mittel und Wege des Unterrichts sonst seien. Ja, sie allein hat die Kraft, den

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Scliüler zur Ergänzung dessen zu fördern, was sie beiseite lassen muß. Wenn ich die Sonate Op. 106 noch so treölich höre und mir einpräge, so weiß ich damit von der Sonate Op. 101 noch kein Wort. W^enn ich aber Verstand und Phantasie an der einen Sonate gekräftigt habe, so kommt mir das bei allen andern zustatten.

Endlich, und das ist in der Kunst die Hauptsache, hat gerade der rein-theoretische Unterricht vor den andern Unterweisungen das voraus, dem Schüler Freiheit des Geistes und Entschlusses zu gewähren. Er hält ihm nicht das Werk in unbedingter Auffassung vor, er drückt nicht auf ihn mit der Autorität des nebenstehenden Lehrers; er will nicht herrschen, sondern den Schüler zum Selbst- herru und damit zum Herrscher in seiner Kunstübung machen; das ratende, weisende Wort soll und kann nur soweit für den Leser gelten, als es denselben überzeugt und gewinnt. Denn in der Kunst kann nicht fremder Wille, nicht fremdes Empfinden, nicht Autorität gelten, sondern nur Freiheit; der ganze Mensch muß dabei sein, also der unbeschränkte Mensch, wie denn überhaupt Menschen- würde und Völkerwürde von der Bedingung der Freiheit unzertrenn- lich sind. Nur in solchem Sinne will auch dies Büchlein wirken. Es maßt sich nicht an, Vorschriften zu erteilen, es bietet seinen Inhalt nur als Rat und Anregung zum eignen Schauen und Nach- denken an. Dadurch will es zwiefache Befreiung bringen: Befreiung von fremdem Gebot und fremder Autorität, und Befreiung aus den Schranken der bildungslos sich selbst und ihren Launen und Ein- fällen überlassenen Subjektivität. Denn der wahre Begriff der Freiheit fordert, daß der ganze Mensch frei sei, durch seine eigne Vernunft auch aus den Garnen der Uneinsichtigkeit, der blinden Triebe und der Innern Willkür erlöst.

Allerdings trägt der rein-theoretische Unterricht eine nicht zu übersehende Schranke in sich. Ihre Mitteilungen, -wie bedacht und umfassend sie auch seien, haben nur ein Mittel: das Wort. Und das Wort reicht nicht in den Lebensfluß des Kunstwerks hinab; es erweist sich schlechthin unausführbar, das feine Geäder der Lebensströmung, die sich im Grunde von Ton zu Ton ändert, das ewige Wechselspiel der Akzente, die vielerlei Färbungen des Vor- trags, kurz das eigentliche Seelenleben des Spiels in Worten fest- zuhalten. Allein dies ist auch gar nicht beabsichtigt und wünschens- wert. Das Kunstwerk kann und soll nicht überliefert, sondern von seinem Innern heraus durchleuchtet, es soll nicht für den Dar- steller zubereitet und mundgerecht gemacht, sondern der Geist

des Darstellers soll zu ilnii erhoben und Tür dessen Aufnahme gekräftigt werden.

Und das vernum" das Wort,

Vorbildung.

Daß man nicht ohne Vorbildung zu Beethoven hintreten kann, versteht sich. .Man muß vor allem Klavierspieler, in technischer Fertigkeit und geistiger Entwicklung zu seinen Werken gereift sein, dm sich auf diese einzulassen. An ihm sich erst zum Klavierspieler zu bilden, kann niemand einfallen; es wäre nicht bloß Entwürdigung des Meisters, sondern auch unausführbar, da seine Werke durchaus künstlerische Richtung haben und die regelmäßige Entwicklung der allgemeinen Technik an Klementis, Müllers, Kramers, Moscheies, Liszts Arbeiten (hundert andre nicht zu nennen) genügsamen und o-ecio-netern Lehrstoff findet. Ebenso wird man niemand mit musi- kaiisch unentwickeltem Geiste zu Beetlioven heranführen; ein solcher könnte nur durch äußern Anlaß, z. B. den hoiien Ruf des Kompo- nisten, zu ihm herangezogen sein, aber nur höchst zweifelhaften Gewinn davontragen. Das alles kann für ausgemacht gelten.

Aber welches Maß von Ausbildung ist zu fordern? dies bleibt die wichtige Frage. Man muß bei der Antwort Technik und Geistesreife auseinander halten.

Die Technik.

Welcher Grad technischer Fertigkeit für Beethoven ausreicht, ist gar nicht so leicht festzustellen. Während er in den frühesten Werken denen Haydns und ]\Iozarts nahesteht, überragt er in spätem (z. B. der Sonate Bdur Op. lOG) die höchsten Ansprüche der neuesten Klavierschule an die Technik des Spiels oder steht ihnen wenigstens gleich. Ja, selbst in den im allgemeinen leichter ausfülirbaren Sätzen springt ganz imversehens irgendwo eine Schwierigkeit hervor, die weit über den Standpunkt des Ganzen (immer nur von der Technik zu reden) hinausgeht; als Beispiel dient die Adur-Sonate Op. 2 oder die aus Emoll, Op. 90.

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Was diese eigentümliche Schwierigkeit nocli erhöht, ist der Umstand, daß Beethoven gerade die technisch hervortretenden Momente selten oder niemals in andern Werken (von den Konzerten allenfalls abgesehen) wiederbringt, wie dies fast bei allen Klavier- komponisten der Fall ist. Wer einen Satz von Thalberg, einige von Hummel oder Chopin sich angeeignet hat, ist schon so ziemlich im Besitz aller übrigen, während er bei Beethoven fast in jedem neuen Satze auf neue technische Aufgaben gefaßt sein muß. Man kann sich darüber nicht beschweren, sondern nur freuen. Denn der Grund dieser Erscheinung ist kein andrer als die Neuheit und Eigentümlichkeit aller dieser Werke, während so viel andre Kom- ponisten nur das Kaleidoskop ihrer Manieren und Spielfiguren schütteln, um einen scheinbar neuen Anblick hervorzuzaubern. Am deutlichsten ist dieser Manier der bezeichnende Stempel aufgedrückt in jenen Verarbeitungen fremden Guts, die unter dem Xamen „Arrangements, Transcriptions, Eeminiscences" usw. entlehnte Melodien aus Opern und Volksgesängen mit den üblichen Passagen durchflechten, unbekümmert um die innerliche ünzusammengehörig- keit der beiden Stoffe. Beide werden willkürlich aneinander ge- bracht; natürlich wählt jeder Bearbeiter die ihm geläufigen und beliebten Passagen und ßegieitungsfiguren und verfällt damit un- vermerkt und unvermeidlich der Manier und der Wiederholung. Anders bei Beethoven. Bei ihm geht (Konzertsätze ausgenommen) Begleitungsfigur und Gang (Passage) mit innerer Notwendigkeit aus dem Gedanken des Werks hervor, muß also je nach der Ver- schiedenheit des Gesamtinhalts sich verschieden gestalten.

Ja, diese stets neu hervortretenden Schwierigkeiten haben sogar zu der Versicherung geführt: nur Virtuosen seien fähig, Beethovens Sätze auszuführen. Weh ihm und uns, wenn wir auf die Virtuosen hätten warten müssen! nur zwei haben sich anhaltend und mit ernstlicher Beflissenheit darauf eingelassen, Beethoven den Kunst- freunden darzustellen. Der eine war zu Beetliovens Lebzeit Gz erny, der die Werke unter der Leitung des Meisters studierte und aus- führte; der andre ist Hans von Bülow, der mit Virtuosität und zugleich mit hoher Intelhgenz Beethoven zum Mittelpunkt seiner musikalischen Darstellungen im vollen Konzertsaale gemacht hat. Von ihnen abgesehen, haben sich (wie schon Schindler bemerkt) nur wenige Konzertistcn und Virtuosen für Beethoven ver- ständnisvoll gezeigt; sie haben auch, schon durch ihren Lebens- beruf darauf hingewiesen, durch Technik zu glänzen und darauf

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die Kraft dos Tages zu verwenden, weder Zeit noch Sammlung dazu irefunden. Beethoven ebenfalls, längere Zeit selbst Konzert- spieler, sprach von den Mrtuosen aus: „mit der Geläufigkeit der Finger laufe solchen Herren gewöhnlich Verstand und Eniplindung davon". Er war sogar der Meinung: der gesteigerte Mechanismus im ]Manofortesi)iel werde zuletzt alle Wahrheit der Empfindung aus der ^Eusik verbannen:*) ein Gedanke in der verhältnismäßig noch unschuldvollen Zeit der Eies. Hummel, Moscheies aus- gesprochen, der in unsere Zeit mit der Macht einer Prophezeiung hinübertönt. Nein! wir wollen uns nicht auf Virtuosen und Vir- tuosentum verweisen lassen. Wie jeder seinen Goethe für sich liest und lieben lernt, ohne dabei auf deklamierende Schauspieler und Rhetoren zu warten, so soll jeder, der es vermag und soweit er vermag, selber seinen Beethoven spielen und immerfort spielen. Und was einer vorerst nicht zu spielen vermag, dazu soll er seinen nächsten geschicktem Freund herbeiholen und sich vortragen und wiederholen lassen, was ihm selber noch zu schwer dünkt. Schließt sich dann der wiederholten Darstellung trauliches Erörtern an, so wird Genuß und Förderung nicht ausbleiben.

Wir wollen nicht auf Virtuosentum warten, sondern so bald als möglich zu Beethoven greifen. Müssen wir einstweilen auf die technisch schwierigen Werke verzichten, so wollen wir uns die leichtern nicht vorenthalten lassen. Es handelt sich dabei gar nicht um einen frühern Genuß allein, sondern darum, den rechten Bildungsweg nicht zu verfehlen. Ebensowohl in geistiger wie in technischer Hinsicht bieten nämlich Beethovens Werke den Anblick einer wohlabgemessenen Stufenfolge. Wer die leichtfaßHchern Werke, z. B. Op. 22, 14, 2, 54, 53 usw. sicher aufzufassen ver- mag, der ist darum noch nicht für die tiefern Werke, z. B. Op. 7, 28, Cismoll 27, D moll 31, 90, 109 und 110 geistig reif; er kann auch diese Reife nicht sprungweise, sondern nur durch allmähliche Er- hebung an den geistig zugänglichem Werken erlangen. Und diese Aneignung in der Kunst ist, was viele vergessen, nicht ein An- lernen, sondern Hineinleben, das Hingebung, Sichgehenlassen, Muße, Liebe fordert. Soll nun ein mehrjährig geübter Spieler mit jenen technisch für ihn leicht gewordenen Werken beginnen, an denen allein er sich geistig zu den höher stehenden erheben könnte:

*) Beethovens Brief an F. Ries vom IG. Juli 182B: „Aufrichtig zu sagen, ich bin kein Freund von dergleichen (Allegri di bravura), da sie den Mechanismus nur gar zu sehr fördern."

Marx, A.nl. z, Vortrag lieeth, Klav.-Werke. 2

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so ^Yird er äußerlich schnell mit ihnen fertig, sie wecken und fesseln seinen Spieleifer nicht, er meint sie abfertigen zu können ^vie die andern Sachen, die bislier ihn beschäftigt haben, streift über sie hin oder lehnt sie ab und versäumt die Schulung seines Geistes, oder vielmehr, ist dafür verdorben.

Es ist schon oben darauf hingewiesen worden, daß Beethovens Werke auch in bezug auf die Technik eine Stufenfolge darbieten, die vom Haydn-Mozartischen Standpunkte bis zu dem der neuern Technik reicht.

Beginne man mit den vierhändigen Märschen Op. 45 C, Es, Ddur, den 7 Bagatellen Op. 33 und den XXXII Variationen in Cmoll, so werden sich die Sonaten Op. 14E und Gdur, 13 Cmoll (pathetique), 2 Fmoll, A undCdur, 10 Cmoll, F und Ddur, 22 B dur, 26 Asdur, 28 Ddur, 7 Es dur, 54 F dur, 31 G dur, D moU und Es dur, 90 E moll, 27 Es dur Cismoll, 81 a Es dur (Les Adieux), 101 Adur, 110 Asdur, 57 Fmoll, 109 Edur, 53 C dur, 111 Cmoll, 106 B dur, in stufenweis wachsender technischer Schwie- rigkeit anschließen.

Man übersehe hier nicht, daß diese, wie jede andre möglicher- weise aufzustellende Stufenfolge nur ein ganz allgemeiner Finger- zeig sein kann, weil sich bei jedem Spieler Grad und Richtung der Fertigkeit verschieden erweisen; daher sind die Werke nicht einmal vollständig aufgewiesen und die unter einer Opuszahl (z. B. Nr. 14, 2, 10, 31) vereinigten nicht einmal nach ihrer handgreif- lichen Verschiedenheit getrennt worden. Die Hauptsache war, allzu w^eit getriebene Forderungen an technische Vorbildung zurück- zuweisen und an deren Stelle den Weg der Fortbildung innerhalb des Beethovenschen Kreises zu bezeichnen. Ohnehin wird kein strebsamer Pianist die Handbildung jemals aufgeben.

Die geistige Reife.

Es ist schon S. 15 zugestanden worden, daß ein gewisser Grad geistiger Keife dazu gehört, sich mit Beethoven erfolgreich zu ])eschäftigen. Aber welcher Grad? wer ermißt ihn? wer ist der Herzenskündiger in diesen llegionen?

Vor dem Lehrer und sonstigen Vorgesetzten ist, mein' ich, der Lernende selbst zu hören; wer begehrt, zu Beethoven heranzutreten, dem soll es niclit verweigert werden. Er kann sich täuschen, s(.'in

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Begehr kann nur äußerliche Beweggründe (z. B. den Glanz des Beethovenschen Namens) haben. Gleichviel. Täuschung und Zeit- verlust sind nicht so schadenbringend als dieses entmutigende Zurückweisen und Bevormunden, das alles Selbstgefühl tötet und damit auch Kraft und Zuversicht für künstlerisches Gelingen.

Aber man helfe dem Ratbedürftigen. Und man kann es, wenn man ihn zu den jederzeit seinem Standpunkte gemäßen Werken hinweist. Denn auch in geistiger Beziehung läßt sich, wie schon gesagt, eine Stufenfolge der Beethovenschen Werke linden, die vom Faßlichsten aber gar nicht Geringzuschätzenden beginnt und bis zu den höchsten Werken führt.

Nach den Märscheu Op. 45, den Bagatellen Op. 33 und den 32 Variationen Nr. 36 ließen sich in erster Reihe die Sonaten

Op. 13, 14, 2, 54, 22, 53, 78 (Fisdur) zusammenstellen. Jn zweiter Reihe träten unter Einmischung der 11 Bagatellen Op. 119 und der sogenannten „Derniere pensee", Bdur (abgedruckt in „Beethoven, Leben und Schäften", 4. Aufl. I, S. 76 ff.) die Sonaten

0p. 26, 10, 7, 28, 31, 27, 57 auf, dann in dritter Reihe die Sonaten

Op. 81a, 90, 106, 101, 110, 109, 111 nebst den Variationen Op. 120 Cdur über den W^alzer von Diabelli. W^o Neigung und Bildungstrieb reichste Beschäftigung mit Beethoven forderten, wäre der ersten Reihe die vierhändige „Polonaise con- certante" (das Finale des Tripelkonzerts Op. 5(3), der zweiten Reihe wären das Septuor, die erste und zweite Symphonie, der dritten die S^-mphonien 8, 5, 3, 4 in vierhändiger Bearbeitung,*) die fünfte für technisch befähigte Spieler in der musterhaften zweihändigen Bearbeitung von Liszt einzuschalten

Auch diese Zusammenstellung kann gleich der für die Technik gegebenen nur als Andeutung gelten, jeder für die besondere Per- sönlichkeit zu treffenden als Grundlage, nirgends als unbedingte Vorschrift dienend.

So viel, um das Buch und die, für welche es zunächst ge- schrieben ist, einander gegenüberzustellen.

*) Nur verirre man sich nicht zu Hummels und Czemys Bearbeitungen, in denen unter willkürlicher Zuziehung der dritten und vierten Diskantoktave der orchestrale Charakter jener Tonwerke ganz im Klaviergeklimper unter- gegangen ist.

2*

Allgemeine Bemerkungen.

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Beethovens Instrument.

Mit welchem Grade technischer A'orbikliing nicUi auch zu Beethoven herantrete, immer wird man bei ihm auf Momente stoßen, die noch neuer Übung bedürfen. Dies kann nicht anders sein und gereicht der technischen Schule kaum zum Vorwurfe.

Die Hauptaufgabe der technischen Schulung ist: den Gliedern Arm, Hand, Fingern diejenige Haltung, Beweglichkeit und Kraft zuzuerteilen, deren man zum Klavierspiel überhaupt bedarf. Die dahin zielenden Lehren und Übungen kann man die elemen- tare Technik nennen; sie ist unerläßlich. Nun aber gibt es noch eine Reihe von Übungen man könnte sie kunstanstrebende nennen , deren Zweck ist, die allgemeine Fertigkeit auf besondere Tonformen (Begleitungsfiguren, Passagen usw.) zu richten und an ihnen zu bereichern. Dieser Teil der Technik ist so unbegrenzt wie die musikalische Gestaltung selber: das zeigt sich an den Tausenden von Etüden, die bereits vorhanden sind und niemals die Aufgabe erschöpfen, weil jeder eigentümUche Tonsetzer, wie eben auch Beethoven, voraussetzlich neue Tongestaltungen herzu- bringt. In Beethovens Sonate Op. 90 Emoll findet sich beispiels- weise folgende Begleitungsformol

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für die linke Haud, die nach der Vorschrift des Satzes „mit Leh- haftigkeit'' (A^llegro con moto) und piano ausgeführt werden soll, und selbstverständlich in Gleichmäßigkeit der Töne. Die Aus- führung ist, besonders im Verhältnis zu der sonst durchgängigen technischen Leichtigkeit des Satzes, nicht ohne Schwierigkeit. Dergleichen findet sich vieles, dem durch die technische Vorschule nicht hinlänglich vorgearbeitet ist und das an Ort und Stehe be- sonders angeeignet werden muß.*)

Einige Beethovensche Schwierigkeiten haben ihren Anlaß in dem Unterschiede der Instrumente, für die Beethoven geschrieben und derer, die heute vorzugsweise in Gebrauch sind. Unsre bessern Instrumente haben breitere und tiefer fallende Tasten; welche Vor- teile damit verbunden sind, ist bekannt und hier nicht weiter zu erörtern. Beethoven war auf die frühern Wiener Flügel an- gewiesen, die leichte, gefällige Spiel- und Klangweise hatten, aber wenig Tiefe und Macht. Er war in der Folge von dieser Weise nicht befriedigt. „Streicher (erzählt Reichardt 1809) hat das Weiche, zu leicht Nachgebende und prallend Rollende der andern Wiener Instrumente verlassen und auf Beethovens Rat und Begehr seinen Instrumenten mehr Gegenhaltendes, Plastisches gegeben." Aber auch die Streicherschon Instrumente bleiben hinter der heutigen Mensur und dem Tieffall der Tasten weit zurück.

*) Die obige Figur ist eine von denen, die Beethoven von selten der „Klaviermeister" den Vorwurf zugezogen haben, er schreibe nicht klavier- mäßig — er, der höchste Komponist für das Klavier. Allerdings wäre die Schwierigkeit leicht zu umgehen gewesen, Beethoven hätte so

begleiten dürfen ; das wäre leicht gewesen. Aber wo wäre die Durchsichtig- keit der Originalfigur, wo der helle Klang und die Schwebung der Dezimen (//-d, c/s-f, diii) geblieben? und die Aufregung, die dem Spieler aus der Schwierigkeit selber erwächst?

Beethoven war nicht der Mann, den Geist, der ihn lenkte, zu verleugnen um der Finger willen.

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So g'owiT) der Vorzuji' der neuern Instrumente (mit englischem Mechanisnuis) vor den iiltein Wiener Flügeln, auch für Beethoven, teststeht, so einleuchtend ist doch, daß mancherlei Spielaufgahen bei den altern Instrumenten leichter gelöst werden konnten. P]in schlagendes Beispiel bietet diese Stelle

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aus dem Finale der Cdur-Sonate Op. 53. Die Oktavcngängo sollen im „Prestissimo" und pianissimo ausgeführt werden. Beethoven hat für die rechte Hand den Fingersatz \\. . .,im die linke 5 J . . . vor- geschrieben und durch Bogen den gebundenen Vortrag bestimmt. Dies kann nur mit gleitender, streichender Hand ausgeführt werden und war bei den altern Instrumenten nicht allzu schwer, während es bei den unsrigen unausführbar erscheint. Es dürfte, wenn man die drei Bedingungen: Prestissimo, Pianissimo und legato erfüllen will, kein andrer Weg ofi'en sein als Änderung; man müßte so

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Wohl erkenn' ich das Bedenkliche dieses Vorschlags, der für bequemere und weniger gewissenhafte Naturen leicht das Signal zu noch mehr Änderungen werden könnte. Allein dies Bedenken darf doch nicht die Wahrheit zurückhalten, daß ohne diese Änderung der Satz unausführbar bleibt, oder zu falscher Darstellung, zum gestoßenen Vortrag („poudre") gedrängt wird. Dann steht dem obigen Urteil Bülows Gutachten zur Seite (vgl. Beethovens Werke für Pianoforte Solo, von Op. 53 an von Bülow herausgegeben I, S. 36, ersch. Stuttgart, Cotta), der als einer der größten Spieler in Sachen der Technik Autorität ist. Endlich kann ich mit voller Überzeugung zusetzen, daß mir wenigstens, bei viel- jähriger Beschäftigung mit Beethovens Werken, außerdem keine Stelle aufgefallen ist, die sich .unausführbar zeigte, allenfalls eine, mehrmals gebrauchte Figur ausgenommen.

Diese Figur zeigt sich ebenfalls im Finale derselben Sonate, im ersten Zeitmaße, Allegretto moderato,

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und soll zuerst „pianissinuv' dann „tbrtissimo" ausgeführt werden. Die Soliwierigkeit liegt in der rechten Hand, die neben dem Triller zugleich die :\relodic vorzutragen hat, und zwar wie sich bei Beet- hoven versteht und hier obenein durch das Betonungszeichen (>) und die Bindung am Schlüsse angedeutet wird sinngemäß. Hier dürfte es, besonders für das Pianissimo, ratsam sein, den Triller für die ^Momente der ^Melodie zu unterbrechen und so

zu spielen, damit die im Original mit dem Triller zusammenfallenden Melodietöne nicht gespitzt und gebissen, sondern eben und ruhig hervortreten, Ähnliches zeigt sich (nur einen Takt lang) in der sogenannten Menuett der Ddur-Sonate üp. 10, und vielleicht auch noch in andern Sätzen. Auch hierbei muß die pünktliche Aus- führung auf den Instrumenten älterer Bauart leichter gelungen sein; aber der Ausfall der einzelnen Trillertöne kann, besonders bei rollend schneller Ausführung, kaum bemerkt werden. Allen diesen kleinen Schwierigkeiten gegenüber, die teilweise im Bau der neuern Instrumente wurzeln, steht übrigens der Vorzug dieser letztern auch für Beethoven unbestritten fest.

Nur einen Mangel zeigen die meisten von ihnen, und der würde leicht zu beseitigen sein. Sie haben nämlich nur eine Verschiebung, die den Hammer von drei Saiten auf zwei bringt, nicht aber eine weitere (durch tieferes Hina])treten desselben Pedals) auf eine Saite. Diese letztere bringt besonders in den tiefen Tonreihen einen ganz eigentümlichen Klangcharaktor zuwege und ist keineswegs bloßes Hilfsmittel für Pianissimo. Beethoven hat in verschiedenen seiner tiefsten Sätze, z. B. der Sonate Op. 106 Bdur, darauf gerechnet und sehr sorgiältig „una corda", „due corde", „tutte corde", vor- geschrieben. Diese für gewisse Klangwirkungen ganz unersetzliche doppelte Verschiebung ist indes mit der neuern Bauart der In- strumente gar wohl vereinbar und sogar an fertigen noch ohne Schwierigkeit anzubringen. Sie läßt auch keinen Nachteil, etwa

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für die Haltbarkeit, besorgen; ich habe früher jahrelang einen englischen, für Prinz Louis Ferdinand (also vor 1806) gebauten Flügel gespielt und seit länger als 20 Jahren einen trefflichen Breitkopf-Härtelschen Flügel engiischer Bauart im Besitz, beide mit doppelter Verschiebung und erwünschtester Haltbarkeit. Es kommt nur darauf an, den Instrumentenbauern gegenüber jene Ein- richtung l)eharrlicli zu fordern und die allerdings leichter ver- stimmbare Einsaitenlage sparsam und schonungsvoll zu behandeln.

Beethovens Fina'ersatz.

Die Technik des Klavierspiels hat bis zu Beethoven und dann nach seiner Zeit einen hohen Grad der Vervollkommnung erreicht. Die über Beethovens Standpunkt hinaus erlangten Vorteile der neuern Technik verschmähen, wäre gewiß übelverstandne Anhäng- lichkeit; nicht seinen äußerlichen Mitteln, seinen Zwecken müssen wir nachstreben und dabei die besten Mittel vorziehen.

Diese Betrachtung hat ihr erstes Ziel im Fingersatze. Es kann hier nicht darauf abgesehen sein, diesen Gegenstand voll- ständig abzuhandeln; das muß bei der technischen Vorbildung soviel wie nötig dem Studium Beethovens schon vorausgegangen sein. Nur die für den Vortrag seiner Werke besonders wichtigen Punkte sollen zur Erinnerung kommen, und auch sie nur, soweit es unerläßlich scheint.

Bekanntlich gibt es für den Fingersatz ^venig absolute Regeln, vielleicht gar keine, weil dabei gar mancherlei verschiedne Zv^^ecke bestimmend sein können. Der nächste ist Ausführbarkeit überhaupt, neben ihm tritt Bequemlichkeit und Sicherheit, dann Leichtigkeit und Flüssigkeit der JMelodie, dann Beförderung des besondern Aus- ilrucks hervor; zuletzt fordert sogar der Handbau des einzelnen Spielers Berücksichtigung, da der einen Hand schwer oder uner- reichbar sein muß, was der andern Avohl ausführbar ist. Es kann also für denselben Satz mehr als eine Fingersetzung geben, eohn daß eine vor der andern unbedingt den Vorzug hätte. Nur das ist

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ratsam, da^ man sich für irgendeinen Fingersatz fest entscheide, weil man sonst Zeit nnd Kraft der Obnng zersplittert nnd ein Fingersatz die Sicherheit im andern stört.*) Ferner mag man an- erkennen, daß Einfachheit nnd Folgerichtigkeit des Fingersatzes die Einübnng erleichtern, man also zu demselben Motiv womöglich dieselbe Folge der Finger anzuwenden habe, daß man für jede zunächst folgende Taste den für sie bequemsten Finger frei haben müsse, und was der allgemeinen Regeln mehr sind.

Gelegentlich zeigen sich aber selbst diese Regeln nicht durch- aus zutreftend. Selbst neben der bekannten Fingerordnung für die Dnrtonleiter gibt es abweichende, für bcsondcrn Vortrag günstigere Fingerfolgen , ja, es kann die Versetzung desselben Fingers besonders des zweiten von einer Taste auf die folgenden ratsam werden, wenn es darauf ankommt, jeden Ton mit dem sichersten und feinsten Gleichmaß oder Nachdruck gleich- sam herauszufühlen.

Ein für allemal sei ausdrücklich bemerkt, daß diese und ähn- liche Al)weichungen nicht statthaft sind für Klavierspieler, deren Einsicht und Geschick im Fingersatz noch nicht fest geworden sind. Aber die Spieler dieser Klasse sind auch noch gar nicht für Beethoven reif, w^enigstens nicht für diejenigen Werke, welche dergleichen Abweichungen nötig machen.

AVenn solche Abweichungen schon für jede andre Komposition statthaft werden, wieviel mehr für Beethovens Tonwerke, die durch- aus vom regsten und feinsten Gefühl erfüllt und dabei vom mannig- faltigsten Inhalte bedingt sind! Hier ist auch das nächste Mittel, der Fingersatz, für Gelingen und Ausdruck bei jeder neuen Auf- gabe von neuem zu bedenken, um so mehr, als Beethoven aller- dings tiefern Trieben gefolgt ist, als der Rücksicht auf die Technik und sogar, wenn er nach dem Abschluß der Komposition ihr hin und wieder durch Vorzeichnung des Fingersatzes zu Hilfe kommen wollen, öfter dabei fehlgegriffen hat oder hinter der erhelltem Ein- sicht der Folgezeit zurückgeblieben ist. In solchen Fällen würde man dem eigentlichen Zwecke des Meisters zuwiderhandeln, wollte man zu seinen Mitteln greifen, statt zu bessern. Nur wenige Beispiele dazu.

*j Die Bemerkung ist nicht unnötig. Einer der vorzüglichsten Lehrer und Spieler hat gerade bei Beethoven die Gewohnheit, seinen Schülern bis zu vier verschiedenen Fingersetzungen zu geben und sie durchüben zu lassen.

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1. Einstimmige Figuren.

In der Adur-Sonate Op. 2 findet sich folgende Figur, ab- wärts bei A und aufwärts bei B:

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und beseitigt damit die Schwierigkeit durchaus. Beethoven selber ist diese Spielform bekannt gewesen, er hat z. B. im ersten Satz seiner Bdur-Sonate Op. 106 (S. 8 der Originalausgabe von Artaria) so wie bei A

*) Klavierschule Teil 4.

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statt wie bei B gesetzt, um den Satz (Allegro uud pianu) sicher iiiul leicht hervortreten zu lassen. Dieselb(^ Spielweise will er im ersten Satze der Asdur-Sonate Op. 110 (IModcrato, Takt 12 der Originalausgabe von Schlesinger) angewendet wissen. Zuerst schreibt er zwar daselbst für die rechte Hand so,

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während er der linken Pausen gibt; der Satz ist auch in dieser Weise gar wohl ausführbar. Ijeichter aber und sinngemäßer (es ist „piano" und „Lcggiermente" vorgeschrieben) kommt er heraus, wenn man die Linke eingreifen läßt, wie oben angedeutet ist; und so hat Beethoven selber weiterhin (S. 6) wenigstens einmal ganz genau hingeschrieben. Diese für den Spieler zweckmäßigere Schreibweise mag ihm zu umständlich gewesen sein, oder er hat nur das eine Mal an die Technik gedacht.'

Diese Ablösung der Hände scheint auch bei technisch minder schweren Figuren ratsam, wenn sie der sinngemäßen Darstellung zu Hilfe konmit. In der Dmoll-Sonate Op. 31 beginnt der zweite Teil des ersten Satzes mit diesen Arpeggien,

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die (wie die Pausen im Baß andeuten) für die rechte Hand bestimmt scheinen und auch so den für diese Sonate gereiften Spielern keine technische Schwierigkeiten bieten. Demungeachtet würde die Ab- lösung beider Hände, wie sie oben vorgeschrieben ist (die unter- gesetzten Finger gehören der linken, die übergesetzten der rechten Hand), der feinern Ausführung günstig sein; hier scheint sogar das Fortsetzen des zweiten Fingers (S. 29) wohl anwendbar, um die letzten Töne mit der feinsten Fühlung herauszubringen.

Auch für den entgegengesetzten Vortrag kann dieselbe Spiel- manier nützHch sein. Im ersten Satze der Fmoll-Sonate Op. 57 bricht Takt 14 aus dem bisherigen Pianissimo folgende Arpeggien- figur im Forte hervor.

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die dem Sinn und Gange des Satzes nach sehr stark und schlagend hervortreten muß. Die Ausführung ist, auch im Zeitmaße des Allegro assai und Forte, niclit schwer. Allein die erforderliche ' ausdauernde Kraft würde durch Verwendung beider Hände (vgl. ßülow a. a. (). S. 55)

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jede mit ilcm dritten Finger schlagend oder mit regelmäßigem Fingersatz gewinnen. Spieler, denen diese Form der Darstellung nicht geläufig ist. wei'den in die einhändige Ausführung möglichste Kraft zu legen suchen.

Eine Kleinigkeit komme zum Schlüsse dieser zum Teil nicht ganz hedenkenfreien Vorschläge noch in Betracht: es hetrifft den Quartengang der rechten Hand im Trio der F moll-Sonate Op. 2. Beethoven (oder für ihn ein Unbekannter) hat diese Stelle so

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bezitfert. Czernv, dem dieser Fingersatz grundsatzlos erscheinen mochte, hat dafür folgenden

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Bülow (in mündlicher Unterhaltung) diesen noch mehr folge- rechten und vereinfachten

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vorgeschlagen. Blickt man auf den Anfang des Satzes, so wird man gew^ahr, daß derselbe zweistimmig, und zwar in Terzen anhebt

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und erst später die quartenbildende Stimme hinzukommt. Es würde der Anlage der Komposition keineswegs widersprechen, die beiden

Marx, An], z. Vortrag Beeth. Klav.- Werke. 3

34

in Terzen gehenden Stimmen als zusammengehörige Grundlage der linken Hand zuzuweisen, vielleicht mit dieser Fingersetzung

und die Oberstimme als melodieführende der rechten Hand zu über- lassen. Für kleine Hände scheint dieser Vorschlag, unter den Quartengängen der Fingersatz von Bülow der annehmbarste. Beet- hoven selber hat diesen letztern im Finale der A dur-Sonate Op. 101 (S. 16 der Originalausgabe von Steiner) drei Takte weit vorgezeichnet und damit jene Vorschrift zu der Sonate Op. 2 zurückgenommen.

2. Zwei oder mehr Stimmen in einer Hand.

Sobald zwei oder mehr Stimmen von einer Hand ausgeführt werden müssen, wird natürlich Abweichung von den Grundregeln des Fingersatzes noch häufiger geboten, oder vielmehr bedarf es neuer, den Aufgaben entsprechender Maßregeln, die ebenso wohlbegründet sind als die einfachem für einstimmigen Satz in einer Hand. Ohne Frage gelingt die Ausführung einstimmiger Sätze leichter; wo es daher möglich ist, muß man besonders der die Hauptstimme führenden Hand jede weitere Last ersparen. Ein kleines Beispiel dazu gibt das Adagio der FmoU- Sonate Op. 2. Beethoven hat Takt 2 und 3 so wie bei A notiert.

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jn das System der linken Hand Pausen gesetzt, die Noten Th h also der rechten zugewiesen. So gewiß die Ausführung äußerst leicht ist, möchte doch wohl die Übertragung der drei Noten auf die linke Hand (wie bei B) den Vorzug verdienen, weil dadurch di(3 rechte volle Freiheit für das zarteste Hervorheben der Melodie gewinnt.

35

Nun einige Bcis[)ielc für das Zusanimenüxssen zweier oder mehrerer Noten oder Stimmen in vlnvv Hand, nach denen ähnliclie FäUe beurteilt werden kr»nnen.

Im ersten Satze der A dur-Sonate Op. 2 schliel.U der zweite Teil folgen d erm a l.')en ,

piano und pianissimo. Es scheint nichts angemessener, als die beiden Tasten zu d und c mit dem Daumen der rechten Hand zu nehmen, weil sonst die äußersten Töne der Ober- und Unter- stimme ersprungen werden müßten und dadurch Unruhe und Härte in den Anschlag käme.

Im Finale der D dur-Sonate Op. 28 (Originalausgabe von Has- linger S. 18) hat die linke Hand diese Stelle (A)

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viermal, und zwar fortissimo auszuführen. Es ist klar, daß die Achtel mit den Fingern 4 3 2 genommen werden müssen, folglich der zweite Finger von ä nach e springen und zuletzt ds f mit 4 2 genommen werden muß. Wollte man sogar den aushaltenden Ton A (wie bei B) verkürzen— was otren))ar Beethovens Vorschrift und Absicht zuwiderliefe , so müßte der kleine Finger von A nach 11 sjiringen und der unbequeme Griff 4 2 zu ds f doch geschehen.

Jm Schlußsatze i\iiv (' dur-Sonate Op. 53 muß die linke Hand so

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geführt werden; der kleine Finger wandert über drei Tasten, aiK^li von der Unter- zur Obertaste (A B), der Daumen ebenfalls über zwei, und (bei a Z>, zuletzt bei as h) über zwei, Unter- und Obertaste. Im Adagio der ß dur-Sonate Op. 22 Takt 39

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muß der kleine Finger die ganze Oberstimme übernehmen. Diese Spielart ist nicht durchweg notwendig (man könnte 4 4 5 4 nehmen), allein sie ist bequemer, als der anscheinend regelmäßigere Finger- wechsel, und geeigneter, jedem Ton der kleinen Melodie den ge- hörigen Nachdruck zu geben.

Im ersten Satze der D dur-Sonate Op. 28, Takt 48, ist in diesem Satze

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der Daumen von fis auf e fortzubewegen, der fünfte r'inger dem vierten unterzuschieben.

Aus dem Finale der A dur-Sonate Op. 101 kann eine Stelle (S. 14 der Originalausgabe von Steiner) für die rechte] fand nicht

füglich anders als so

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gefaßt werden.

Ähnliche Behandking fordert die rechte Hand in nachfolgender Stelle desselben Satzes (S. 13) bei A:

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der Triller könnte, wie B zeigt, unterbrochen werden.

Der letzte Blick lenkt sich auf solche Sätze, wo bei der iJun-hführung mehrerer Stimmen eine derselben aus einer Hand in die andre übergeht, entweder aus Notwendigkeit oder zugunsten sinngemäßen Vortrags.

Ein solcher Fall zeigt sich im Scherzo der C dur-Sonate aus Op. 2,

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wo die zweite Stimme von der linken Hand eingeführt, dann aber von der rechten übernommen wird, damit jene für den Einsatz der dritten Stimme frei werde.

Ein zweiter Fall zeigt sich im Finale der B dur-Sonate Op. 106, S. 44 der Originalausgabe bei dem Eintritt in Ges dur,

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der sich sogleich wiederholt. Die Notwendigkeit leuchtet ohne weiteres ein. Weniger vielleicht bei einem Vorschlage zur Hände-

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vortoiliing- in der 24. \ariation der 33 Veränderungen Op. 120, In dieser überaus zart gehaltenen Variation sind die Eintritte von Alt, Diskant und Bai.) (es ist ein kleines Fugato) durchaus deut- lich vernehmbar, nicht so der Eintritt des Tenors inmitten der andern Stimmen

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in dem ersten hier stehenden Takte. Sollen die Oberstimmen nicht verwirrt werden und der Eintritt des Tenors kraftlos erfolgen, so muß die linke Hand den Sprung c— " mitten in die rechte hinein- wagen. Der zweite obiger Takte ist leichter.

Die Spielart für Beethoven.

So unübersehbar groß die Fortschritte der neuen Technik sind, so hat sie sich doch, übereinstimmend mit der Kichtung der modernen Komposition namentlich der Konzert- und Salonkomponisten, oft eine gewisse Einseitigkeit zuschulden kommen lassen.

Naturgemäß ist das das erste Ziel der Technik: Händen und Fingern den möglichst erreichbaren Grad von Beweglichkeit und Sicherheit, Leichtigkeit und Kraft, volle Herrschaft über die Tastatur zu erteilen. Hierauf sind alle Elemcntarübungen, hierauf alle Etüden berechnet.

Diese für die erste Periode des Klavierspiels und für das Streben nach Virtuosität durchaus berechtigte Pachtung hat mit Notwendigkeit dahin geführt, die Hand mit ihren Fingern mehr als ein Ganzes, als ein einziges Organ zu behandeln; Glanz und Meister- schaft des Spielers bedürfen, um sich zu zeigen, weit ausgedehnter Läufer, Arpeggien, die Hand nmß über mehrere Oktaven geführt

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werden, die Fioger müssen das Spiel der Figuren in weit reichender Bahn fortführen. Etüden und Konzertstücke sind hierauf berechnet, die sogenannten Salonsachen zum großen Teil ebenfalls. Alles das wirkt ausschließlich oder vornehmlich durch Massen von Tönen, derenjede durch Gleichmäßigkeit der Ausführung zu einem Ganzen zusammengeschmolzen wird.

Daß diese Spielart auch bei Beethoven Anwendung findet, versteht sich; die weiten Gänge im ersten Satze der B dur-Sonate Op. 106, im Trio der As dur-Sonate Op. 110, in der C dur-Sonate Op. 53 und viele sonstige Partien können als Beispiel dienen. Merkenswerter weil man dergleichen oft vernachlässigt und die Aufgabe bisweilen schwieriger ist, als sie scheint sind ge- wisse Begleitungsformen.

Das B dur-Trio Op. 97 beginnt mit dieser Begleitung,

AlU'yro ntothrato

die mit vollkommener Gleichheit des Anschlags und der Kraft (od(}r, Takt 3, des Anschwellens) ausgeführt werden muß. Dies ist nicht ganz leicht, weil der kleine Finger dem Daumen und zwei Mittelfingern das Gleichgewicht halten soll.

Im Finale der F moU-Sonate Op. 2 muß die Triolenbegleitung in der linken Hand überhaupt in vollkommener Gleichmäßigkeit ausgeführt werden; sie ist gleichsam der ebene Boden, auf dem die leidenschaftlichen Gestaltungen der J\[elouic sich entwickeln. Nun aber, l)ei dem Schlußsatz ändert sich das: die Melodie be- wegt sich zweimal acht Takte weit in ruhiger, großartiger Ent- sagung über der forttönenden Begleitung,

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in der jener Icidenschaftliclie Sturm der tief aufgeregten Seele noch vernehmbar bleibt. Diese Begleitung muß in vollkommenster Gleichheit der Bewegung und Betonung (kein Ton hervortretend) ausgeführt werden; zugleich muß sie aber pianissimo beginnen, vollkommen gleichmäßig bis Takt 6 zum fortissimo anschwellen und hier so*)

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auszuführen. Dies muß in vollkommener Gleichmäßigkeit ge- schehen, mit gelindem Anwachsen bis zum ersten Ton des dritten Takts, dann wieder abnehmend und in gleicher Weise nochmal, dann nach der von Beethoven selbst gegebenen Bezeichnung. Der zweite Teil ergibt sich hiernach von selbst; für den ganzen Satz könnte des Dichters Wort

Im Windsgeräusch In stiller Nacht

sinndeutend sein. Er hat so wenig eine hervortretende Melodie, als das Windsgeräusch artikuliert ist, die Melodie liegt im Zu- sammenklang der Töne diese Tonmassen

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sind zugleich die vier ersten Harmonien und die vier ersten iVIomcnte der Melodie.

Soviel beispielsweise, keineswegs erschöpfend vom gleichmäßigen Spiel der Hände und Finger, auf das die neuere Technik vorzugsweise gerichtet ist.

Nun treten aber bei Beethoven nocli ganz andre Ansprüche hervor, auf deren Befriedigung jene Technik nicht hin-, von der sie gewissermaßen sogar abführt. Bei Beethoven (ebenso bei Bach, häufig bei Mozart und jedem sinnigen und tiefern Komponisten) wird es allaugenblicklich notwendig, daß eine Band von der andern, ja, daß in derselben Hand ein oder ein paar Finger sich von den andern zu besonderer Spielart unabhängig machen.

Das erste, die Unabhängigkeit einer Hand von der andern, ist das leichteste. Die Hervorhebung der Melodie in der einen Hand vor der Begleitung in der andern Avird von .jedem lichrcr

4:^

jiolbnlort und von jccleni Spieler schon ohnedem geleistet. Die Aufizabe (Fertigkeit jeder Hand tür das ihr Obliegende voraus- gesetzt) ist meist leicht, fordert aber bisweilen Feinheit des Ver- ständnisses und der Handhabung. Im ersten Satze der Gdur- Sonate Op. 14 z. B. will die sprechende Melodie

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ausdrucksvoll, mit gelinder Steigerung der vier oder fünf d^ mit ab- schleifendem Schlußfalle vorgetragen sein, die Begleitung dagegen muT) sich unterordnen und ganz gleichmäßig (mit einem kaum merklichen Nachdruck auf das erste und fünfte Sechzelmtel) dahin- fließen: die Schwierigkeit wenn es eine ist liegt Takt 3 bei den fünf Sechzehnteln J, die leicht und fein gesteigert werden müssen, während die Linke bei gleicher Bew^egung nicht steigert.

Eigentümlicher ist der Fall, daß es bisweilen sinngemäß er- scheint, dieselbe Melodie in der einen Hand anders zu fassen, als gleichzeitig in der andern. Ein Beispiel gibt der Anfang der FmoU-Sonatc Op. 57. Beide Hände haben bis gcgQW das Ende des Satzes

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Soll nun aber dieselbe Hand verschiedenen Vortrag- leisten, so müssen dazu die Finger ganz selbständig ge- macht werden nicht bloß in dem Sinne, daß jeder Finger gleiches leiste wie der andre (z. B. der kleine gleiche Kraft wie der Mittelfinger), sondern auch in dem, daß der eine betone, während der andre gleichzeitig sich unterordne, daß in einem Teil der Hand gebunden, im andern gestoßen vrerde. Dies ist der von der neuern Technik vernach- lässigte Punkt, und er tritt in der Tat erst in den Vordergrund, wenn eine bestimmte Komposition diese Spielweise fordert. Will man sich von der Notwendigkeit überzeugen, so zerlege man Satze der Art in ihre verschiedenen Stimmen oder Partien und mache sich ohne Rücksicht auf Spielmittel und Schwierigkeit deutlich, was der Inhalt eigentlich fordert. Ist dies erkannt, so müssen die Spielmittel genugtun.

Diese Spielmittel beruhen nun auf der vollkommenen Beherr- schung jedes Fingers und auf der steten Erwägung und Über- wachung des Gebrauchs. Die Tasten müssen in zarten Stellen nicht gestoßen oder geschlagen, sondern mit Gefühl mit Zart- gefühl angefaßt und niedergedrückt werden, dagegen müssen bei heftigen Stellen die Finger mit Hammerkraft auf die Tasten treften. Den Fingern muß die Hand zu Hilfe kommen. Wird sie im Ge- lenk gehoben, so trefien alle Finger in steilerem Niederschlag mit verstärkter Kraft; namentlich kommt diese Haltung den Mittel- fingern zu statten. Wird das Handgelenk gesenkt, so fallen die Finger flacher und das Handgewicht vermindert ihre Kraft. Wird die Hand etwas nach außen gebeugt, so fällt ihr Gewicht dem kleinen Finger zu wenn nach innen, dem Daumen. Selbst eine leichte Krümmung des kleinen Fingers im oberen Gelenke kann denen, die dieser Krümmung mächtig sind, bei Stellen die aus- gebreitete, also flache Handlage fordern, zur Hervorhebung der Töne fördcrüch sein, die jenem Finger zufallen. Es versteht sich, daß diese Abweichungen von dem normalen Gleichgewicht der Hand nur sehr maßvoll angewendet werden dürfen, und daß nur solche Spieler sie sich gestatten sollten, deren Spielart schon sichergestellt ist.

Es wird sogar bisweilen nötig, die hervorzuhebenden T()ne, wenn kein andres Mittel genügt, um ein unmerkliches vor- oder nach zeitig oder auch taktgemäß eintreten zu lassen, dann aber die andern um ein merkliches nachzuschlagen. Doch sollte dies letzte Mittel mit Gewissenhaftigkeit nur im Fall unabweislichen

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Bodiirlnisses zur Ainvcndiiiig' kommen: soweit es fühlbar wird, naiit es sozusaiien an der festen Gestaltung* des ganzen TonkiJrpers und macht ihn mehr oder weniger hinfällig.

Um nun an sehr einfixchcn Beispielen anschaulich zu machen, wo verschiedenartiger Anschlag in den gleichzeitig wirkenden Fingern erforderlich ist, stehe hier zuerst der Anfang des Andante aus der Gdur-Sonate Op. 14. Bei A

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sind die einzelnen Akkorde durch Pausen und Stakkato voneinander getrennt, bei B sollen sie gebunden werden. Das Charakteristische ist, daß in beiden Fällen die Töne der Melodie mit denen der Be- gleitung Schlag für Schlag zusammenfallen. Ganz dasselbe zeigt sich in den ersten Takten der Gdur-Sonate Op. 53

Allegro con brio.

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und kehrt in diesem Satz und anderwärts wieder. In allen Stellen dieser Art ist zwar das genaueste Zusammenfallen aller gleich- zeitigen Töne, zugleich aber ein gelindes Hervorheben der Melodic- töne zu fordern.

Ein verwandter Fall, schon ein wxnig schwieriger auszuführen, tritt in der Phantasie-Sonate Esdur Op. 27 hervor. Auch liier

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liegt außer der Melodie ein Teil der Begleitung (3 und 2 Töne) in der rechten Hand. Alle gleichzeitigen Tone müssen genau zu- sammenfallen, aber dabei muß die Melodie über die begleitende Tonmasse klar und ausdrucksvoll hervorgehoben werden. Der Spieler darf sich nicht daran genügen lassen, daß die längere Haltung der Melodietöne dieselben von der Begleitung unterscheidet, sondern muß sie auch durch stärkere (natürlich nur mäßige) Be- tonung fühlbar machen; in den Achtehi 1 3 5 und 8 des ersten, 12 3 4 5 und 7 des zweiten Taktes z. B. muß jeder Melodieton vor der Begleitungsmasse hervortreten.

Gleicher Vortrag gebührt der Melodie, wenn sie in derselben Hand mit figurierter Begleitung zusammentrifft, wie in dieser Stelle,

Adagio snstenuto.

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mit der in der Cis moll-Sonate Op. 27 nach einem Vorspiel der Begk;itungsstimmen die Melodie anhebt, um weit hinausgeführt zu werden. Der Ansatz der zusammenfallenden Töne muß in der rechten Hand vollkommen gleichmäßig erfolgen, aber nicht so, da(.) dieselben gleiche SchaUkraft erhalten (als würden Oktaven g \ gespielt), sondern mit Hervorliebung der Melodietöne. Die Mehrzahl der Spieler begnügt sich an gleichmäßigem Spiel und gleichmäßiger Stärke für beide Töne; damit wird al)er die Melodie hinuntergezogen in die Linie der Begleitung.

Aber auch jene bei modernen Virtuosen gangbare Spielweisc, welche die einzelnen Töne der Melodie mit gleichbleibendem Nach- druck hervorhebt man sollte sagen herausklopft kann

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lüohi iicniii^oii. .Knie .Melodie (mit äiilVM'st seltenen Ausnahmen) fordert den Wellenschlag, der dem Gefühl, dem Gemüt eigen ist, den Wechsel von Haupt- und Xebcnmoment, von größerer oder minderer Betonung, in denen sich Teilnahme des Gemüts und des Verstandes kundgibt. Dies muß bei jeder Melodie stattfinden, folglicli auch bei der, die mit auderm Touspiel in derselben Hand zusammentritft.

Dergleichen Stellen finden sich in der pathetischen Sonate und sonst häufig. Hier soll nur noch eine, aus dem zweiten Satze der Emoll-Sonate Op. 90,

Nicht zu gescliwind und selir singhar,

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angeführt werden. Die Melodie liegt in der Oberstimme a gis gis fis USW.) und wird zunächst durch die gleichmäßig mit- gehenden Begleitungsstimmen unterstützt: zwischen den Paaren der obersten und untersten Stimme führen zwei Mittelstimmen die Sechzehntelfigur durch. Diese Figur muß sich unterordnen, sie muß höchst gleichmäßig und leise, gleichsam flüsternd hindurch- gehen, während die Melodie mit den ihr zunächst augehörigen Stimmen voller erklingen und mit den angemessenen Akzenten b(^- seelt werden muß. Hier noch die Oberstimme über die nächst angehörigen Stimmen hinaus erheben wollen, scheint unausführbar und würde den Eindruck des Ganzen durch angehäufte Unter- scheidungen eher schwächen als erhöhen.

Überhaupt darf man im Abstufen nicht allzu weit gehen, nicht so weit, daß Fluß und Einheit des Ganzen darunter leiden.

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Beethovens Melodie.

Nach dem Ül)erblick über die Mittel treten wir der Sache selbst, dem Vortrage Beethovenscher Werke näher. Wer könnte hier besserer Lehrer sein, als Beethoven selber? Und wenn wir nicht mehr sein Spiel vernehmen können, so fehlt es doch nicht an Ohrenzeugen, die über seine Vortragsweise berichten.

Zuvörderst vernehmen wir den alten braven K F.Reichardt. *) Er erzählt aus einer 1808 von Beethoven gegebenen Akademie, in welcher der Meister das Gdur-Konzert Op. 58 vortrug. „Das Adagio (berichtet Reichardt), ein Meistersatz von schönem, durch- geführtem Gesänge, sang er wahrhaft auf seinem Instrumente mit tiefem, melanchohschem Gefühl, das auch mich dabei durch- strömte." Das verstand Reichardt vor andern; in Italien, wie vom großen Gesangmeister Gluck hatte er gelernt, was Singen heißt; er selbst hatte Gesang an sich und den Seinen aus Herzenslust ge- pflegt. In Beethovens Adagio vernahm er wieder den Gesang, diese Verschmelzung der Scelenbewegung mit dem Wogenspiel der Be- wegung und der Lenksamkeit und Schmiegsamkeit des sympathi- schen Organs. Niemals erstarrt die Seele, stets waUt sie auf und beruhigt sich im Wechsel der Anreizungen und Beschwichtigungen, in welchen die Stimmung sich hervorbildet und kundgibt.

Ein zweiter Ohrenzeuge tritt herzu, Reichard ts allgemeine An- deutung zu erklären. Schindler, der Schüler und vieljährige Freund des Meisters, sagt von seinem Spiel: „es war die deut- lichste, faßlichste Deklamation, wie sie in dieser hohen Potenz vielleicht nur aus seinen Werken heraus zu studieren sein dürfte. Was namentlich die Sonate pathetique unter Beethovens Händen wurde, das mußte man gehört und wieder gehört haben, um sich genau orientieren zu können, daß es dasselbe, schon be- kannte Werk sei." Vergleicht hier Schindler Beethovens Vortrag mit vollendeter Deklamation, also mit vollbewußter Wortspraclie: so deutet er an, daß ül)er die Vorstellung unbestimmter Sinnes- und Scelenbewegung hinaus (von der Reichardt zu sagen gehabt) ein bewußter, seines Inhalts und seiner Aufiiabe «anz ofewiß ffe-

*) Das Nilhei-e in „Beethoven, Leben und SdiaOen"; 4. Aull. 11, S. 103 f

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Nvordonor Geist joner Regunii'eii vollkommen Herr geworden sei. Der Sinn, das antgeregte, rätselvolle Wogen der Seele waren Vorbedingung nnd Grundlage: der hell erkennende, bestimmte und bestimmende Geist war Vollender.

Noch ein andres Wort Schindlers (das auch ich bereits, un- abhängig von ihm, ausgesprochen) sei wohlbeherzigt. Er meint: dit^e Beethovensche Deklamation sei vielleicht nur aus seinen Werken zu studieren. Nehmen wir Seb. Bach und Gluck und Einzelheiten unsrer sonstigen Meister aus: so kann jenes „Vielleicht" in ein „Durchaus" verwandelt werden, besonders wenn von Klavier- musik die Rede ist. Den allermeisten Klavierkompositionen mangelt jener Ernst einer festgehaltenen Stimmung und vollends jener auf ein Idealbild gerichtete und da wurzelnde Seherblick, jenes Ver- tiefen und rückhaltlose Dahingegebensein an die einzig bestimmende Idee, die erst in Beethovens Schöpfungen zu vollendetem Dasein kam. Dies gilt von den Werken in ihrer Ganzheit; es bewährt sich aber schon au der Melodie, wenn man mit diesem Aus- drucke die Stimme ])ezcichnen will, die vornehmlich vor den andern Stimmen den Hauptinhalt des Ganzen in sich trägt.

Die Beethovensche Melodie ist eine von der Mehrzahl der andern Melodien wesentlich verschiedene.

Es gibt dafür ein gewisses äußerliches Kennzeichen, das man prüfen kann, bevor man sich noch in den Inhalt vertieft. Die Beethovenschen Melodien sind nämlich umfassender als im all- gemeinen die andern. Sie müssen folglich mehr Inhalt, mehr auszusagen haben als die andern. Diese Folgerung würde nur bestritten werden können, wenn man den Injialt gewichtlos nennen dürfte, oder in ihm unnötige Wiederholungen, Einschaltungen usw. auffinden könnte. Dies ist aber noch niemals geschehen, es kann auch wiederum das Gegenteil vollständig nachgewiesen werden. Die Beethovensche Redeweise zeigt sich nämhch durchaus schluß- fest und zugleich, oder vielmehr deshalb vordringend. Ein paar Beispiele werden dies erläutern.

Der Hauptsatz des ersten Allegro der „Patli6tique"

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hat acht Takte ununterbrochen fortschreitenden Gesang und wieder- holt sich mit einer weiterführenden Wendung im Takt 8 der

Marx, Anl. z. Vortrag Beeth. Klav.-Werke. 4

50

Wiederliolung. Der tonische Gang erhebt sich zwei Oktaven hoch bei lebhaftem Schritte, senkt sich (3) in beruhigterem Schritte um eine Oktave wieder herab. Der erste Abschnitt (1) wird (bei 2) wiederholt; aber es ist keine leere Wiederholung, sondern Fort- schritt in die höhere Oktave, und der Einsatz wird durch die synkopische Form geschärft.

Die Emoll- Sonate Op. 90 baut ihren Hauptsatz bis zum Nachsatz auf einen fest abgeschlossenen Abschnitt,

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der sich viermal (1 bis 4) wiederholt. Der Nachsatz wiederholt ebenfalls seinen ersten Abschnitt 5 bei 6 und geht erst dann in einem Zuge zum Schluß. So bildet sich eine Melodie von

2 2 2 und 2, 2 und 2 und zuletzt 4, im ganzen von 16 Takten. Allein die Melodie ist noch nicht ge- schlossen. Nur uneigentlich sind oben die letzten acht Takte Nachsatz genannt worden, um den bedeutsamen Abschnitt dieser acht Takte zu bezeichnen. Blickt man schärfer hin, so sind diese sechzehn Takte zusammengenommen erst der Vordersatz, der Nachsatz folgt Takt 17 und bringt anknüpfend an Abschnitt 1, al)er weitergehend einen Satz von vier Takten und seine Wieder- holung, die gleichfalls nicht unverändert bleibt.

Hier stellt uns also eine einige Melodie von 24 Takten gegen- über, deren Kantilene beiläufig von e bis e reicht. Nirgends zeigt sich die Möglichkeit früheren Abschlusses, überall waltet der Drang fortzuschreiten. Durchaus zeigt sich festeste Geschlossenheit oder Schluf.)festigkeit: das erste Motiv kommt viermal oder vielmelir sechsmal ein Satz bedingt immer den andern, 1 die 4 und

51

ilas ^lotiv dos ^"ai'lisatzos. das Takt 17 auftritt. Aber nirgends zeiirt sich Iccro AViodorliolung, jode AViodoi'kobr ist rmgestaltnng und vordringomior Einhersoliritt.

Dieselben Eigensobaften der Scbhißfestigkeit und des rast- losen Vordringens zeigt das Largo der Ddur-Sonatc Op. 10, der o^anze erste Satz der Dmoll-Sonate Op. ol. das Adagio der Bdur- Sonate Op. 106, überall, mit Ausnabme weniger kleinen Arbeiten, linden wir diese Eigenschaften wieder, die Folge und Zeichen der Vertiefung sind, aus der der Meister geschaffen. Jede dieser ^lelodien ist ein höchst inhaltschwerer Moment aus dem Leben ihres Schöpfers. Es ist da nicht von einem oder einigen aneinander- gereihten Einfällen oder Anregungen die Rede: die Seele strömt in einem ununterbrochenen Ergüsse (Keichardt) ihren Inhalt dahin, der Geist schreitet von einem Gedanken zum folgenden und zu den andern schlußfest und klar ausgesprochen (Schindler) seinem Ziel entgegen und erreicht es.

Wie soll sich nun zu solchen Melodien der Spieler verhalten?

Erstens muß er an der Überzeugung festhalten, daß hier nichts müßig oder leer, daß jeder Abschnitt, jeder Ton hervor- gerufen und erfüllt ist vom Gefühl und festbewußten Geiste des Tondichters daß also jeder Ton auch von dem Spieler durch- fühlt und sinnerfüllt wiedergegeben werden muß. Wer sich das an einem Gegensatze deutlich machen will, der gehe zu Hummels Adagios und ])otrachte sich diese buntgekräuselten Fiorituren, die der Fingerkobold des Virtuosen in diese gesetzt und ehrbar ein- herschreitenden Melodien einstreut.

Zweitens darf er sich nicht bei den einzelnen Momenten und ihrer Erfüllung aufhalten; er muß auf den innern Zusammenhang dringen und demgemäß jedem einzelnen Momente die Bedeutsam- keit zumessen, die er im ganzen und gerade an dieser Stelle in sidi bat. Ja, er muß beobachten, wie derselbe Moment bei der AViederkchr seine Bedeutung steigert oder sonst wechselt. Li dem oben angeführten Satz aus der EmoU-Sonate kann man diese oft selir feinen und halbverborgcnen Wendungen selbst in Beethovens Abfassung verfolgen, wiewohl er nicht immer so genau bezeichnet liat und ül)erhaupt die Schrift (S. 7) die Sache nicht erschöpfend geben kann. In jener Melodie wechseln im ersten Abschnitt und seinen Wiederholungen (2, 3, 4) Tonhöhe, Tongeschleclit und Tonart unaufliörlich. Aber selbst die Gestaltung des Auftakts wechselt; bei 1 und 3 ist er als J" % bei 2 und 4 als I geschrieben. Gerade

4*

52

die Feinheit und anscheinende Geringfügigkeit dieser Unterscheidung (der Satz soll „mit Lebhaftigkeit" ausgeführt werden) bezeigt die Feinheit und scharfe Bestimmtheit, mit der der Meister gebildet.

Welche Mittel stehen nun dem Spieler für solche Darstellung zu Gebote?

Wer sich das beantworten will, der vergegenwärtige sich, was im aufgeregten Seelenleben vorgeht. Da ist nirgend Gleich- gültigkeit und Kälte, nirgend Stehenbleiben und Fallenlassen; durchaus waltet Bewegung und Wechsel Bewegung der aut- wallenden und wieder sich beruhigenden Empfindung, durchaus W^echsel des fest])eharrenden oder von seiner Spannkraft nach- lassenden, oder in ihr sich wieder verstärkenden WoUens.

Diese Zustände spiegeln sich in der Bewegung oder Zeitfolge der Tone und in dem AVogenspiel der verschiedenen Stärkegrade, die allesamt dem Geiste des Spielers so klar vorliegen müssen, als die Tasten seinem Auge oder vielmehr seinem Spielinstinkt.

Von der Bew^egung sei nur eins angemerkt. Sei dieselbe zunächst durch Vorschrift des Zeitmaßes und durch Taktgeltung bestimmt, es wird sich zeigen, daß beide Bestimmungen weder scharf zutreffen, noch unverbrüchlich gelten dürfen so findet doch der Spieler in den mannigfachen Graden des gestoßenen und gebundenen Spiels Anlaß genug, die Dauer der einzelnen Töne zu verkürzen oder zu verlängern; das gebundene Spiel hat immer, wenn man auch streng im Zeitmaß bleibt, den Ausdruck des Weilens, das gestoßene den des Vordringens an sich. Gewichtigere Betrachtungen folgen später.

Die Bestimmung der Stärke richtet sich zu allererst nach dem Sinn des Tonwerks im allgemeinen. Es leuchtet wohl ohne weiteres ein, daß eine zarte oder leichtgesinnte Komposition, z. B. die Fmoll-Sonate Op. 2 oder die Gdur-Sonate Op. 14 sich unmögHch zu Stärkegraden erheben kann, die der Fmoll-Sonate Op. 57 oder der Bdur-Sonate Op. 106 ganz gemäß sind; selbst das ausdrücklicli vorgeschriebene f und //' hat in jenen ganz andre Bedeutung als in diesen.

Sodann ist es vorzugsweise die Bemessung der Stärkegrade, die den rhythmischen Akzenten zum Ausdruck dient und damit den Bau des ganzen Tonwerks erst hörbar gliedert und verständ- lich macht; ohne diese Betonung würde der Tonkörper gleichsam zu einer unterscliied- und gestaltlosen Gallert gerinnen.

Der rhythmische Gliederbau ist aber k(!ineswegs im Takt allein

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enthalten, so daü allenfiills die bekannten Seliulregeln genügten: jeden ersten Taktteil, oder in zusammengesetzten Taktartcu (^A, Vs usw.) den Haupt- und den gewesenen Haupttaktteil (in 'Vs den Iten und 4ten, in ^'4 den Iten und 3ten) zu betonen, und zwar ersteren nachdrücklicher als letzteren. Der einzelne Takt ist nicht immer, vielmeh.r selten ein geschlossenes Ganze, sondern es bilden erst zwei und mehr Takte ein geschlossenes Glied des Ganzen, einen Abschnitt, Vorder- und Nachsatz, Haupt- und Seitensatz usw. Diese Glieder sind es, die über den Bau der einzelnen Takte hinaus durch Betonung laßbar werden müssen; von andern Ausdrucks- mitteln dafür kann jetzt noch nicht die Rede sein.

Wer Komposition versteht, muß vollkommene Einsicht in diesen Gliederbau haben: doch fällt es auch weniger Unterrichteten nicht schwer, mit Aufmerksamkeit den Gliederbau zu erkennen. ^[an blicke noch einmal auf das letzte Notenbeispiel (aus der Emoli- Sonate) zui'ück. Die vier Abschnitte von je zwei Takten sind greiflich bestimmt schon durch Pausen geschieden. Beethoven hat sie nicht bloß durch die Vorschrift von f für Abschnitt 1 und 3, von p für Abschnitt 2 und 4 unterschieden, sondern auch durch die sorgfältig bestimmte Spiehveise: der Auftakt für die Fortc- abschnitte soll gestoßen (>«7), also härter, der für die Piano- abschnitte soll weilend ('), also weicher gegeben werden, auch die Schlußtöne sind demgemäß gestaltet man könnte den Wechsel der Betonungen und Stärkegrade ungefähr so

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bezeichnen, nur daß Abschnitt 3 im ganzen kräftiger hervorträte als 1, Abschnitt 4 weniger zurückträte als 2. Die folgenden Ab- schnitte

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Süllen piano sein (das p von Abschnitt 4 gilt fort) und sind ge- bunden, also auch damit dem weichern Spiel zugewiesen; sie sind also der Vorschrift nach weniger scharf gegliedert. Doch wirkt die Gliederung von je zwei Takten fort und findet ihren Ausdruck in der Verkürzung der mit f bezeichneten Töne, die nach Ausweis der Bindungen ein wenig abgehoben ( i*^ •?) oder ( i^ ^) w^erden sollen; jeder Abschnitt hebt mit zarter Betonung an und geht diminuendo aus, wie bei dem letzten sogar vorgeschrieben ist. Nur die letzten drei Töne des letzten Abschnitts dürften betont und sollen (nach Beethovens Vorschrift) zugleich ritardiert werden, um den Schluß des langen Vordersatzes (S. 50) fester zu zeichnen und auf den Nachsatz hinzuweisen.

Gelegentlich ist hierbei noch ein besonderes Mittel zum Vor- schein gekommen, den Gliederbau zu versinnUchen, einen Abschnitt vom andern deutlich zu lösen: das ist der Absatz durch Ver- kürzung des Endtons. Beethoven hat diese Absätze (Zäsuren) in den ersten vier Abschnitten durch Pausen verwirklicht, in den folgenden sind sie durch die Bindungen einigermaßen angedeutet, aber auch ohne Andeutung müssen sie statthaben. Das Thema des ersten Satzes der Path6tique" muß daher in seiner ersten Hälfte so

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vorgetragen werden, obgleich Beethoven ganz mit Recht, denn er durfte und mußte auf das Verständnis des Spielers rechnen den Schlußton des ersten Abschnitts (den ersten des dritten Takts) als Viertel notiert hat. Bisweilen liegt die Gliederung tiefer ver- borgen, z. B. im Adagio der großen Bdur-Sonate Op. 106,

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wo, den einleitenden ersten Takt ungerechnet, unverkennbare Ab- schnitte von 4 und 4, dann von 2 Takten usw. (mit ff 'be- zeichnet) hervortreten, aber auch noch kleinere Glied(ir (mit f be- zeichnet) durch Absatz oder Nachlaß der Schallkraft verdeutlicht werden könnten.

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Zweirrloi Mit;. vorstand muL) hier iibgcw(^lii't werden. Erstens soil luomanil darauf denken, die umständlichen Yortragszeichen, die hier nur zur Erläuterung dienen, in die Komposition hinein- zutragen; sie würden die Schrift überladen und sind immer noch nicht für den Vortrag erschöpfend. Zweitens soll niemand meinen, daß diese rhythmischen Akzente, die Gliederung der Melodie, das allein Bestimmende für den Komponisten gewesen. Er hat dem wechselnden, wogenden Hang seiner Seele Folge ge- leistet: da diese eine sinnige war, so konnte sie der Ordnung nicht verlustig gehen, die ein Grundzug aller vernünftigen Wesen ist, d. h. in der Musik: des geordneten Rhythmus. P)eidc Triebe lebten und wirkten untreiuibar im Komponisten.

Die ^^tärkemal.ie haben sich dem Sinn der Komposition im ganzen, dem Wechsel der rhythmischen Akzente dienstbar er- wiesen; sie sind es endlich auch jenen Momenten des Gefühls, die ganz unabhängig von der Rhythmik, gleichsam unberechenbar, bald sich hervordrängen bisweilen mit Gewaltsamkeit, bald sich bergen und auslöschen, gleichsam angehört vorüberschlüpfen möchten. Für diese unmittelbar dem Gefühl entsteigenden Äuße- rungen, die stets dem besondern Sinn des Satzes angehören, kann es kein allgemeines Gesetz geben. Nur eine einzige Beobachtung wird oft zutretfen oft, nicht immer: in den meisten Fällen werden hinaufführende Sätze Steigerung der Kraft, und hinabführende Nachlaß derselben fordern. Denn Hinaufsteigen im Tongebiete, Steigerung der Kraft und der Bewegung sind verwandte, gleichsam synonyme Äußerungen gespannterer Seelenbewegung und so Hinabsteigen im Tongebiete Nachlaß der Kraft und Bewegung, xlußerungen der sich beruhigenden Seelenbewcgung.

In solcher Weise würde z. B. der erste Satz^er pathetischen Sonate vorzutragen sein. Nach dem ersten Tone, f, der als Haupt- taktteil und nach seinem Längengewicht Nachdruck fordert, muß die Tonreihe e \f y as h\ c gesteigert werden: die Synkope muß Nachdruck erhalten, weil sie die Wiederholung des ersten c ist, von da an muß wieder gesteigert werden bis zum höchsten c. Damit übrigens unter der zweimaligen Steigerung der Nachdruck für die ersten c nicht verloren gehe, muß jede Steigerung mit einem schwächeren Stärkegrade beginnen, als das vorhergehende c gehabt. Man könnte den Satz so

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bezeichnen; nur müßte das zweite Glied (von c an) in liöherm ytärkegrade beginnen nnd zu Ende geben als das erste, und aus jeder gleichmäßig sich steigernden Tonreihe müssen wieder die

Haupttaktteile (7" und 7) durch gelinden Nachdruck hervorgehoben werden*)

Nach demselben Grundsatze (wenn ein allgemeiner Rat, der hundert Ausnahmen zuläßt, so heißen darf) würde der erste Satz der kleinen Fmoll-Sonate (A)

steigernd bis as (mit gelinder i>ctonung des ersten f) und dann weiter abnehmend ferner der k^eitcnsatz (B) nachlassend mit Betonung des ersten es und des letzten fes vorzutragen sein.

Übrigens ist schon bemerkt worden, daß der hier erläuterte Grundsatz keineswegs ohne Ausnahmen durchzuführen ist. Eine wichtige, ihm oft entgegenstehende Rücksicht ist die auf die ge- ringe Schallkraft der hohen und höchsten Töne. Will man diese Schallkraft ungebührlich, über das Vermögen der Saite hinaus steigern, so hört man mehr den Klapp des Hammers als den Ton. Es werden sich aber da, wo Steigerung der Schallkraft un- tunlich ist, Ersatzmittel finden.

*) Beiläufig zeigt sich hier die Bestätigung des S. 7 über die Un- zulänglichkeit der Schrift für den Vortrag Bemerkten. Zeichen auf Zeichen sind oben im Notensätze gehäuft und dennoch ist bei weitem nicht alles genau angegeben, was im Vortrage zu beobachten bleibt.

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Beotboveiis ßegleitimg*.

Die Trennung von Melodie und Bogleitung' (wie kurzwog alles der llauptstinune Gegenüberstehende einstweilen genannt werden soll) ist mit dem Wesen der Kunst durchaus unvereinbar. Im Kunstwerk ist diese sogenannte Begleitung ein mit der sogenannten .Melodie durchaus einiges und untrennbares Wesen. Auch im Kom- ponisten geht nicht etwa die Melodie voran und die Bogleitung wird hinterdrein vorfertigt, sondern beides erscheint dem Geiste des Tonkünstlers gleichzeitig, und wenn allerdings bisweilen nur einzelne ^Momente des in der Bildung begritienen Ganzen im Geist auftauchen, so können sie ebensowohl der Begleitung angehören als der Hauptstimme. Von dem Finale der Fmoll-Sonate Op. 57 ist die sturmvolle Begleitungsligur Beethoven zuerst erwachsen.

Jene Trennung ist nur um des genauem Einblicks willen unter- nommen, wie das Messer des Anatomen die zusammengehörigen Glieder und Teile trennt, um ihre Beschaffenheit und ihren Zusammen- hang gründlicher darzulegen. Der Begriff des Zusammenhangs, des Ineinanderwirkens, des Lebens muß die Untersuchung krönen.

Was oben kurzw-eg Begleitung genannt worden, schUeßt wenigstens dreierlei verschiedene Gestaltungen in sich. Erstens wirkliche Begleitung, eine Tonmasse, die keinen eigentümlich ge- zeichnoten Inhalt hat, sondern handgreiflich nur für den Dienst der Hauptstimme, sie zu tragen und zu stützen bestimmt ist. In dem S. 40 angeführten Satze aus dem Bdur-Trio stehen Melodie und wirkliche Begleitung einander klar unterscheidbar gegenüber. Zweitens unterscheidet sich von dieser reinen Begleitung eine Gegenstinmie oder ein Ver))and von mehreren Gegenstimmen, die eigentümlich ausgeprägten Inhalt haben, aber denselben einer un- leugbar vorherrschenden Hauptstimme unterordnen. So ist im Finale der großen Fmoll-Sonate der Fall. Drittens endlich tritt in den polyphonen Sätzen, namentlich in der Fuge, gar keine Hauptstimme gegen Nebenstimmen atif, sondern jede Stimme nimmt (Ausnahmen beiseite gelassen) gleichen Anteil am Ganzen.

Daß in all diesen Fällen jedem Teil des Ganzen gleiche Be- rücksichtigung zuteil werden muß wie der sogenannten Melodie

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oder Haiiptstimmc, leuchtet ein. Jede Partie gehört zum Ganzen, in jeder lebt und webt der Geist des Tondichters. Dies vor allem sei hier eingeschärft: man übereile sich nicht bei der Auffassung und dem Studium, indem man sich aut das wirklich oder ver- meintlich Vorherrschende allein einläßt und das vermeintlich Un- bedeutende versäumt. Bei Beethoven von dieser Voraussetzung muß man ausgehen ist nichts unbedeutend. Es mag eins mehr Gewicht haben als das andre. Aber auch das Untergeordnete gehört wesentlich zum Ganzen, auch in ihm hat der Geist gewaltet und es zur Mitwirkung bestimmt. Die unscheinbare Begleitung aus dem Finale der kleinen Fmoll-Sonate hat sich (S. 41) sehr bedeutsam erwiesen. Die Viertelschläge im Basse der Ddur-Sonate Op. 28

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sind kein mechanisches Klopfen; sie haben Leben in sich, sie dringen an und weichen zurück; auch in ihnen weht der Geist des Dichters, und man hat ihn nicht verstanden, wenn man ihn nicht auch in den 24 Takten dieses einen Tons erkennt und geltend macht. Der rechte Beethovenspieler legt seine Seele in jeden Ton; denn Beethoven selber hat dasselbe getan.

Hat man nun Inhalt und Bedeutung jeder Stimme im Gegen- satz zu den andern erkannt, so müssen alle Spielmittel darauf hingerichtet werden, jede für sich kenntlich zu machen und ihrem Charakter gemäß durchzuführen. Dies darf selbst da nicht ver- säumt werden, wo die Sonderung scheinl)ar ganz inhaltlos ist. Oft

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vcrhin..i Hootl.ovon, >lai:. in .ler einen Slininic ein Tm. anssel.altou xvenlor Nväl.ren.l doi-selbe Ton in einer andern /nni Anlang- n-gend- oinoi- Vism n.lor Melodie dient: so in diesem Tal<to (A)

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der Gdur-Sonate Op. 31. Die linke Hand hat drei Stimmen zu bc^or-veu Erstens das große G, das der kleine Finger durchweg ■^u^halteu mul.V. zweitens das kleine g, das jedesmal ein Viertel lang •lu^zuhaltcn ist; drittens zwischen beiden auszuhaltenden Tonen die Finir die oben bei B noch einmal besonders abgedruckt ist') und dtc vom kleinen <, ausläuft. Dem gewöhnlichen Klavierspieler <^ilt es nur als ..theoretische Umständlichkeit" oder Pedanterie, wenn dicscllio Note auf- und abwärts gestrichen wird; der rechte Musiker sieht darin nicht bloß das Zeichen, daß hier zwei Stimmen zusammcntreften, sondern will auch das zu Gehör bringen. Dieses kleine g das Beethoven jedesmal so sorgfältig auf- und abwärts <trcicht, muß schärfer (sf) angeschlagen und ausgehalten werder,, und die folgenden Töne der Figur müssen sanft nachfolgen. Auch das tiefe G muß fest- und, soweit das Instrument gewährt, lort- klin^'cnd erhalten werden, damit es eine ruhige Grundlage bilde, nich^t die bewegliche Figur Unterlage werde und damit die Paiho des Schlusses störe, der sich hier bildet.

lüsweilen scheint es sogar ratsam, fest aneinander geknuptte Stimmen taktisch um ein Unmerkliches zu trennen, oder eine von ihnen um ein Geringes in der Geltung zu verkürzen, damit die wichtigere Stimme hervortrete. Dies könnte wohl in dem CmoU- Satze desselben Adagios der Fall sein, dessen Melodie

*) Das Festhalten dos Daumens und kleinen Fingeis an g und G voraus- gesetzt, ist der bei B gegebene Fingersatz unvermeidlich, das Abgleiten des zweiten Fingers von auf d übrigens leicht.

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(A) in Oktaven verdoppelt wird Die Verdopplnng ist dem großen f^inne der Melodie gemäß, aber der ganze 8atz ist fein und zart gehalten, und diese Grundstimmung kehrt sich nach 6 Takten un- verkennbar wieder hervor. Hier dürfte was bei häufiger An- wendung leicht schlaff und hinfälUg erscheint die bei B an- gedeutete Vortragsweise, jedoch nur zw^ei Takte weit, anwendbar sein, welche die feinere Oberstimme hervorhebt. Weiterhin, bei C, müssen die Oktaven vor dem Mittelton vorherrschen; sie müssen stärker angeschlagen und der Mittelton mag um ein kleines (Vs oder Vu;) abgekürzt werden.

Wieder an andern Stellen wird der Gegensatz von gebundnem und gcstoßnem Spiel helfen. Wenn man nur erst den Sinn er- kannt hat, wird das Mittel sich leicht finden.

Zeitmass und Taktmass.

Die bislierigen Betrachtungen hielten sich am allgemein GosetzHchen und Vorgeschriebenen, oder entfernten sich nur un- merklich von ihm. Allein wo finden sich im Kreise des freien Geistes und ^ar der Wallungen des Gemüts und der imgebundeu

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schwciteiulon Phantasie iinverbrüchlicho und lest zutretliMide Ge- setze? AVer in diesem Reiche ^vandehl und wirken ^vill, mul.) durch alle Vorschriften hindurch, und nötigenfalls gegen sie, zu dem einen und einzig unverbrüchlichen A^ernunftgesetze vordringen: nur der Idee, dem Wesen seiner Aufgabe Folge zu leisten.

Dies ist jetzt in bezug auf Zeitmaß und Taktmaf.), und zwar zu den P.eethovenschen Werken aufzuweisen.

1. Zeitmaß.

Das Zeitmaß (Tempo) ist, wie man w-eiß, der allgemeinste Ausdruck der .1 Bewegung für einen Tonsatz und damit der Erregung, in welcher derselbe hervortreten und wirken soll. Es komnU also vor allem darauf an, das richtige Zeitmaß ausfindig zu machen und dann zu befolgen.

Das letztere zu bewerkstelligen, ist Hache der allgemeinen Musikbildung. Das erstere scheint gar leicht; denn die Komponisten selbst, wenigstens die neuern und unter ihnen Deethoven, schreiben ja das Zeitmaß vor.

Wenn die Vorschrift nur deutlich wäre und stets zutreffend! Dies ist aber keineswegs der Fall.

Hinsichts der alten l>ezeichnungen AUegro, Adagio usw\ ist das seit einem halben Jahrhundert anerkannt worden. Man weiß wohl, daß die Allegrobewegung schneller sein soll als die des Adagio. Aber welches ist nun das genaue Maß dieser Be- wegungen? und sind die mit ein und demselben Tempo bezeichneten Tonsätze wirklich alle von gleicher Bewegung?

Diesen Zweifeln hat bekanntlich der Mälzelsche Metronom*) abhelfen sollen, mittelst dessen genaue Maße der l^ewegung an- gegeben werden können.

Beethoven hatte sich für den Gebrauch des Metronomen er- klärt und einige Kompositionen metronomisiert, z. 1>. die Sym- phonien und teilweise die Quartette bis Op. 95 einschließlich; unter den Klavierwerken nur die große Sonate C)p. 106.**)

*) Ein Pendelwerk, das in einer Minute eine gewisse durch die Stellung des Pendels bestimmbare Anzahl von Schlägen macht. Vgl. Beeth , L. u. Seh. 4. Aufl., II, S. 25 u. S. 220. *

**) Bekanntlich sind die Werke Beethovens von spätem Herausgebern (z. B. von Czemy und Mosch eles) verschiedentlich metronomisiert worden. Solche Angaben können natürlich nur als individuelles Dafürhalten der Herausgeber gelten und dürfen nicht ohne eigne Prüfung angenommen werden.

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Bei der nennten ^ympliouie ereignete sich aber, daß der Meister bei zwei Anlässen nnversehens zwei erheblich abweichende Metronomisiernngen erließ. Und zuletzt erklärte er: „Gar kein Metronom! Wer richtiges Gefühl hat, braucht ihn nicht; und w^er CS nicht hat, dem nützt er doch nichts."

Man sieht daraus, daß Beethoven den Wert des Metronomen nicht überschätzte. Mag das Instrument immerhin dem Kom- ponisten wertvoll sein zur Sicherstellung des von ihm gewünschten Haupttempos unbedingte Bestimmung des Zeitmaßes ist dem Geiste der Kunst gar nicht entsprechend. Das Zeitmaß bestimmt sich nicht bloß nach dem Sinn, aus dem ein Tonwerk hervor- gegangen, und nach dem gar mannigfachen Inhalte desselben; auch die jedesmalige Stimmung des Ausführenden, die Masse des Schall- materials (ob ein Orchester reicher oder sparsamer besetzt ist), die Weite des Eaums, in dem die Schallwellen sich verbreiten sollen, fordern Berücksichtigung. Hiermit hängt wohl (wenigstens teilweise) zusammen, was Czerny, Generalin von Ertmann und andre mehr, die mit Beethoven viel verkehrt, einstimmig versichert haben: daß , Beethoven seine Kompositionen beinahe jedesmal anders vorgetragen.

]\Ian muß also zu den alten Bezeichnungen zurückgreifen, die wenigstens ungefähre Bestimmung geben und dem subjektiven Ge- fühl wie der Forderung des Moments künstlerisch günstigen Spiel- raum neben genügendem Anhalt gewähren.

Allerdings haben die alten Tempobezeichnungen selbst ihre ]\raße verändert; man nimmt jetzt das Tempo viel lebhafter; Mozarts Wort über „Verhunzung" seiner Kompositionen durch Übertreibung des Tempo: „Da glauben sie, hierdurch soll es feurig werden; ja, w^enn's Feuer nicht in der Komposition steckt, so wird's durchs Abjagen wahrlich nicht hineingebracht," dies wahre Wort hat gegen die Hast der Eitelkeit und Innern Leere, die sich so leicht fühlt, nicht standhalten können. Indes muß man auch zugeben, daß der Streit über das Zeitmal.) niemals zu Ende kommen kann, weil dasselbe zuletzt von Subjektivität, augen- blicklicher Stimmung usw. (S. 7) abhängt. Der durchgreifende Grundsatz bleibt wohl: je tiefer und reicher der Inhalt, desto weniger gestattet er Überhincilen. Für den Vortrag des gewicht- voll auf wichtige Ziele losdringenden Jlcdners paüt nicht der Takt losen Mädchengeplauders, jedes hat seine Art und sein Recht.

Anziehend ist es, daß in Beethoven selbst hinsichts dieses

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Punkts eine Wandlung- vorgegangen ist. In seiner Virtuosenzeit, als er seine Konzerte noch selber spielte, liiirte 1808 Reichardt ihn das G dur-Konzert ötVentlich vortragen, ein Konzert, wie er sagt, „von ungeheurer Schwierigkeit, welches Beethoven zum Er- staunen hrav in den allerschnellsten Tempis ausführte." Dem- gegenüber linden sich in den Konversationsheften aus dem Frühling 1824 höchst merkenswerte Äußerungen Schindlers. Dieser sagt dem ]\Ieister nach der Probe zu der am 7. Mai 1824 stattgehabten Akademie: ,Jch hätte Sie gestern in der Probe umarmen mögen, als Sie uns allen die Gründe angaben, warum Sie jetzt Ihre Werke anders fühlen, als vor 15--20 Jahren.*)

„Ich gestehe aufrichtig, daß ich in frühern Jahren öfters mit diesem oder jenem Tempo nicht einverstanden war, weil ich es anders fühlte, nämlich die Bedeutung jener Musik.

..Auch bei den Proben in der Josephstadt war es schon deutlich erkennbar und vielen auffallend, daß Sie .die Allegros alle lan«-samer haben wollten als früher. Ich merkte mir den Grund gut.

..Ein ungeheurer Unterschied! Was tritt so alles in den Mittel- stimmen heraus, was früher ganz unhörbar, oft verworren war."

Mit diesem Wechsel in der Wahl des Zeitmaßes mag es w^ohl zusammenhängen, daß selbst die von Beethoven angegebenen Be- wegungsgrade nicht ohne sorgliche Prüfung hingenommen werden dürfen; jene ältere Bezeichnuugsweise gibt ja ohnehin kein genaues Zeitmaß. So scheint der erste, mit „Allegro assai" bezeichnete Satz der großen Fmoll-Sonate wegen seines zwar einfach gestalteten, aber sehr tiefen und Nachdruck fordernden Inhalts doch nicht allzu geschwind angeführt werden zu dürfen. So dürfte bei allzu schneller Ausführung des mit „Presto" bezeichneten Finale dci' F dur-Sonate Op. 10 der Humor des Satzes verloren gehen, in Sachen des freien Geistes kann eben nicht der Buchstabe, kann nur der freie Geist entscheiden.

Wer aber, alle übrigen Bedingungen vorausgesetzt, über das Zeitmaß sicher entscheiden will, der darf sich ja nicht vor- schnell dem Eindrucke des ersten Satzes überlassen; er muß die übrigen Sätze zu Kate ziehen, die mit jenem auch innerlich ein zusammenhängendes Ganze bilden. ]\lan könnte geradezu sagen: er muß das Ganze zu Rate ziehen, um sich über das Ganze zu

') Zwischen den Absätzen muß man sicli Boothovcns Antworten denken.

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entscheiden; allein es ist vorteilhaft, entscheidende Momente hervorzuheben.

Nun enthält jeder größere (über die Liedform hinausgehende) Satz zwei oder mehr Hauptmomente, Haupt- und Seitensatz, Haupt-, Seiten- und Schlußsatz genannt; jede hier genannte Partie kann auch mehr als einen Satz in sich halten. Alle diese Sätze sind die Hauptmomente der Komposition, aber zugleich die maß- gebenden Momente für die Bestimmung des Tempos: das Tempo muß allen diesen Momenten gemäß sein, nicht etwa bloß einem. Nur ein paar Beispiele.

Der erste Satz der D dur-Sonate Op. 10 ist „Presto" be- zeichnet, und mit Recht. Aber was will das sagen? über Allegro hinaus gibt es noch gar viele Stufen der Bewegung. Dem ersten Satze (Thema) nach zu urteilen

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könnte man die P)ew^egung sehr schnell nehmen. Allein bald folgt ein zweiter Satz der Hauptpartie in H moll.

der .sinniger, weniger ungestüm als der erste cinhertritt. Dasselbe gilt vom Seitensatze, von der Durchführung des ersten Motivs ul \ eis h a)^ von der majestätischen Krönung derselben, vom zweiten Schlußsatze es ist ratsam, sich nicht im Tempo zu übernehmen.

Dasselbe ließe sich für den ersten Satz der E moU-Sonate Op. 90 raten; hier mahnt schon die Viel- und Fehigliedrigkeit des rhythmischen Baues zur Mäßigung.

Sodann betrachte man den ersten Satz der großen P moll- Sonate. Die Cbersclirift ist, wie gesagt, Allegro assai, und könnte zur Übertreibung verleiten; der Hauptsatz (S. 4:J) könnte hastige Naturen zu fli(5gendem Spiel verleiten, wiewohl schon das mahnende Des Des Des \ 0 warnt. Nun blicke man aber auf den Feiergesang des Seitensatzes!

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soll d(^r auch vorüberhuschen':' und sollte der rebelhsch häm- mernde Sechzehntelsatz nicht mehr bedeuten als eine ilüchtige Arpeggien- Etüde?

Endlich blicke man auf das Finale der A dur-Sonate Op. 101. lieethoven hat es mit „Allegro" bezeichnet, dann aber noch über- geschrieben: ,, Geschwinde, doch nicht zu sehr und mit Entschlossen- heit." Für einen tüchtigen Spi(der ist es nicht unerreichbar, den Satz etwa noch einmal so geschwind zu spielen, als sich gebührt. Aber werden die Zuhörer auch imstande sein, alle Stimmen zu vernehmen und durchzufühlen, die das polyphone Gewebe bilden? Es bleibt dabei, der Inhalt des Ganzen muß zu Rate gezogen werden, wenn man das Zeitmaß richtig treffen will.

Noch eine besondere Hilfe bietet sich denen, die geneigt sind, aus Ungestüm, oder Behagen an glänzender Darstellung, oder auf x\ntrieb des Ehrgeizes (um sich als eminente Spieler zu zeigen) das liewegungsmaß zu übertreiben. Vergebens ist oft bei so gesinnten Spielern die Erinnerung an Inhalt und ('harakter der Komposition: sie sind gar nicht willens, denselben ihrem persönlichen Naturell zum Opfer zu bringen, sie handeln unbewußt.

^lit solchen Spielern muß aus ihrem eignen persönlichen Inter- esse heraus unterhandelt werden. .,Wenn ihr nun wirklich," muß man sie fragen, „diese Finales der Sonaten Op. 26, 27-, 53, 57 noch ein- pder zweimal so schnell spielt, als sich gehört: werden diese Sätze dadurch wirkhch glänzend? bieten sie wirklich gute Gelegenheit, euch als IJravourspieler zu zeigen? Vergleicht sie mit Etüden und Konzertstücken, die wirkhch auf Glanz und Hravour angelegt sind, und ihr werdet sogleich den Unterschied gewahr werden, werdet erkennen, daß jene Sätze (und noch so viclcj andern Zielen zustreben, die man wohl verkennen und ver- fehlen, nimmermehr aber verwandeln kann. Ihr verderbt das Werk, ohne damit euren Zweck zu erreichen."

2. Taktmaß.

Das Grundgesetz des Taktraaßes ist allbekannt: alle Takt- teile eines Tonsatzes haben, solange das Zeitmaß nicht ausdrücklich

Marx, Anl. z. Vortrag Beeth. Klav.- Werke. 5

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wechselt, gleiche Länge. Dies und die Anwendung desselben Gesetzes auf die Taktglieder ist Grundregel: die Taktfestigkeit bis zu Yollkommner Ausübung dem »Schüler anzueignen, ist eine der ersten Pflichten des Lehrers; auf ihr beruht die Ordnung der Ausführung, ilirc Versäumnis droht Zerrüttung für das Spiel und zuletzt für den Musiksinn des Spielers selbst. Ein taktloser Spieler ist ein schlechter Spieler.

So gewiß das alles ist, finden doch wie bekannt zahlreiche Abweichungen von dieser grundgesetzlichen Taktfestigkeit statt. Bei allen Komponisten findet man sie sogar bald (durch „accele- rando, ritardando" usw.) vorgeschrieben, bald im Inlialte des Satzes begründet. i>ei keinem Komponisten sind aber diese Ab- weichungen häufiger geboten als bei Beethoven; bei ihm muß man neben der Taktfestigkeit die Taktfreiheit begreifen und anwenden lernen, wenn man seinem Gedankengange genugtun will.

Beiläufig zeigt sich hier wieder ein triftiger Bestimmuugs- grund für die Zulassung der Schüler zu Beethovenschen Werken, wenigstens zu denen, welche Taktfreiheit fordern. Wer nicht bereits Taktfestigkeit zu vollem Genügen erworben, kann nicht ohne Ge- fährdung zur Taktfreiheit gelassen werden.

Welche Bedeutung haben nun die beiden Gegensätze: Takt- festigkeit und Taktfreiheit? Dies muß man erwägen, um beide nebeneinander anzuerkennen und jedes an seinem Orte zur Geltung zu ])ringen.

Taktfestigkeit, Gleichmaß in der Bewegung mag in ein- zelnen Momenten ;\usdruck des Innern Gleichgewichts, der Gemüts- i'uhe sein. Allein diese Gleichmütigkeit kann in der musikalisch bewegten und erregten Seele nicht als normaler Zustand gelten, nicht in der Mehrzahl der musikalischen Momente vorhanden sein. Zu diesen Momenten, in denen das Gleiclimaß nach innerlichem Gesetz waltet, kommen noch andre hinzu, für die irgendein äußer- liches Gesetz Gleichmäßigkeit der Bewegung bedingt. Dies ist der Fall bei Märschen, Tänzen, bei denen das Gleichmaß der ]\Iarsch- oder Tanzbewegung das des Taktes bedingt. Mehr oder weniger mag es au(^h der Fall ])ei solchen Werken sein, deren Inhalt und Zweck den tiefern Gemütsbewegungen fern bleibt; so i^eethovens Sonaten Op. 22, 54, 53, das Finale der Sonate Op. 2() und juanche Sätze mehr oder weniger.

Taktlreiheit, nämlich die Kntbundenheit vom Gleichmaß der Bewegung, ist Gegensatz zur Gleichninßwirkung und Aus-

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ilniclv dos freiiiewonlenon iiiul zu regorm Ijebeii erweckten Ge- niiitv^. Für diese Erregung- kann kein Gleichnial.) bestehen, die liewegiing mul.') der Art und ]\lacht der Antriebe folgen; dem Auf- und Abwogen, dem Vordringen und Zagen des Gemüts nm(.) die Äul.>erung in Ton und Wort und Gebärde wenn sie Avalir sein soll entsprechen: das ist das Wesen der IMusik, wie der Rede, von Cirund aus, durch und durch. Taktfreiheit, so mul.) man sagen, ist für die erhöhtem liebensmomentc Naturwahrlieit und Naturgesetz. Sie ist auch das Ursprüngliche, man hat .jahrtausendelang musiziiut, ehe das Gebäude des Taktwesens auf- geführt war. Dann folgte erst die Taktfestigkeit als höchst-, aber nicht allberechtigte Forderung des Verstandes, um die für sich allein halt- und uferlose Gemütsbewegung zu mäßigen, der ohne- hin wallenden und schwankenden, innerlich unentschiedenen und unbestimmten Tonsprache am Gleichmaß der taktischen Momente sichernden Halt zu verleihen.

Von diesem Gesichtspunkt aus treten beide Gegensätze, Frei- heit und Gesetzlichkeit, in ihr gebührend Recht. Man beharre bei der letztern, weil und soweit sie Vorschrift des Komponisten ist. Aber man sei mutig und pflichttreu genug, von ihr zu freiem ^laßen überzugehen, wo man sich überzeugt, daß damit und nicht anders dem eigentlichen Wollen und den Antrieben des Kom- ponisten genuggetan werden kann. Daß derselbe darül)er nicht allemal, verhältnismäßig selten ausdrückliche Vorschrift erteilt hat, soll uns nicht hemmen; wir wissen, daß es dem Komponisten un- nK'iglich ist, seine Absichten auch nur annähernd aufzuzeichnen , und wenn er (S. 7) das Papier halb schwarz malen wollte.

Auch hier also kommt es darauf an, die Absicht des Kom- ponisten zu erkennen, durch die Schrift hindurch und über die Schrift hinaus in seinen Geist zu dringen.

Wie hat es nun lieethoven selber mit diesem Gegenstande gehalten?

Der früheste Zeuge ist Ries, der 1801, siebzehn Jahre alt, nach Wien kam und mehrere Jahre Beethovens Klavierschüler war. Kr sagt von Beethoven: „Im allgemeinen spielte er selbst seine Kompositionen sehr launig, blieb jedoch meistens fest im Takte und trieb nur zuweilen, jedoch selten, das Tempo etwas. ^litunter hielt er in seinem crescendo und ritardando das Tempo zurück, welches einen sehr schönen und höchst auffallenden Effekt machte." Hier erscheint Taktfestigkeit als das Vorherrschende:

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„ziiAveilen" soll geeilt, „mitunter" gezögert worden sein, und zwar mit „höchst auffallendem Eftekt'*.

Anders spricht Schindler sich aus: „Was ich," sagt er, ,,von Beethoven immer vortragen hörte, war mit wenig Ausnahmen stets frei alles Zwanges im Zeitmaße, ein tempo rubato*) im eigentlichsten Sinne des AVorts, wie es Inhalt und Situation be- dingte, ohne aber nur den leisesten Anklang an eine Karikatur zu haben." Hier wird Taktfreiheit als das Vorwaltende in Beet- hovens Spiel bezeichnet, aber der Verdacht von Ü))ertreibung oder Mißbrauch (Karikatur) abgelehnt.

Beide Mitteilungen stimmen soweit überein, daß sie beide die Anwendung von Taktfreiheit bezeugen; nur tritt dieselbe bei Eies als Ausnahme, bei Schindler als vorherrschende Spielweisc auf. Woher die Abweichung?

Ries hat Beethoven bis 1805 gehört, als derselbe die bedeutend- sten und geistfreiesten Werke noch nicht geschrieben hatte. Damals war Beethovens Wesen selbst noch nicht zu voller Freiheit ent- wickelt, wie der unausgesetzt und unberechenbar steigende Fort- schritt in seinen Werken beweist. Voraussetzlich hat auch Beet- hoven bei seinem Vortrag, wenigstens in den Lehrstunden, auf den dermaligen Standpunkt seines Schülers Rücksicht genommen und sich nicht frei gehen lassen, um kein irreleitend Beispiel zu geben. Endlich ist Ries in sich selber niemals zu jener hohen künstle- rischen Entwicklung gelangt, die der geistigen Bewegungsfreiheit bedurft hätte oder ihr zugänglich gewesen wäre. Das beweisen seine sonst schätzbaren Werke und Leistungen am Klavier, wie seine Urteile der Heldensymphonie, der Ouvertüre zu den Ruinen von Athen usw. gegenüber. Als ein ganz andrer, mit überlegner Geistesbildung, trat mehrere Jahre später Schindler zu Beethoven und bheb als Schüler und Freund bei ihm bis an das Ende, konnte daher den vorgeschrittenen Meister beobachten. „Seine altern Freunde," bezeugt er, „die der Entwicklang seines Geistes nach

*j Das ^,teinpo rubato" war eine Mode des aclitzehnten Jalnlmuderts, aus dessen letzter Hälfte und aus Italien und J^'rankreich von den Sängern herstammend; es sollte jene; ontlmndnere, tiefere l^'ühlung ersetzen, die den Kompositionen selber mangelte, war aber oben deshalb eine ll^nwahrheit und mußte bald der Reaktion des Verstandes weichen. Mit diesei- Modemanier (die unter anderm in Pergoleses Stabat mater zutage trat) hatte Beethoven nichts gemein; er folgte begreif! iclierweisc; nur dem innorn Antriebe, dem Gebot der Sache, wenn er zu freier Bewegung griff.

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jciler l\iolitiin«i- hin aulnK^rksani gefolgt siiul, versicherten, daf.) er diese Vortragsweise erst in tlcm ersten Jahre seiner dritten Lebens- periode {yon 181 o ah) angenommen und von der rrühcrn weniger nuancierten ganz abgewichen sei/'

Hier liegen also zwei Zeugnisse vor, ein beschränktes und ein weitreichendes, um uns in einer Überzeugung zu befestigen, die im Grunde gar keiner Verstärkung bedarf, so siclier wurzelt sie in der Natur der Saclie/-') Zum Überfluß iindet sich noch eine authen- tische Erklärung von Beetlioven selber. Auf dem Autograph des Liedes „Nord oder Süd*', in Artarias IJesitze, steht von Beethoven deutlich zu lesen: „100 nach Mälzel, doch kann dies nur A^on den ersten Takten gelten, denn die Empfindung hat auch ihren Takt, dieses ist aber doch nicht ganz in diesem Grade (100 nämlich) auszudrücken." Daß dem vorgeschriebenen Hewegungsgradc gegen- über die Empfindung „auch ihren Takt" ihr besonderes Recht haben soll, ist nicht wissenschaftlicli, aber von selten des Ton- künstlers ganz artig und deutlich genug ausgedrückt.

Genug (wo nicht zuviel) über das Recht zur Taktfreiheit, zur Abweichung von dem Gleichmaß der r)cwegung, um der Empfindung in solchen Momenten Ausdruck zu gewähren, wo sie sell)er aus dem Gleichgewicht ihrer Bew^egung geraten ist.

Die Taktfreiheit oder x4Ll)weiclmng vom Grundmaß der Be- wegung kann sich nur in zweierlei Weisen zeigen : in Beschleuni- gung und im Zurückhalten der Bewegung. Jede dieser Weisen kann in größerm oder minderm Grade statthabf^n, kann längere oder kürzere Zeit herrschen, beide können miteiiu\nder wechseln; das Wesenthche ist in den beiden Begriffen der Beschleunigung und Verzögerung enthalten.

Wo tritt nun Beschleunigung, wo Verzögerung, wo der Wechsel zwischen beiden ein?

Beschleunigung ist naturgemäß also notwendig, wo die Gemütsbewegung das ursprünghche Maß überschreitet. Ein solcher Fall ist wohl im Adagio der (Jis moll-Sonate vorhanden. Die .Melodie bewegt sich still und gehalten, sie beharrt durchaus in gleicher Seelen-, folglich auch in gleicher Taktbewegung; es ver-

*) Auch der Verf. hat lange vor dem Erscheinen des Schindlerschen Werks seine Überzeugung gebüdet und durch Wort und Schrift und Tat bekundet, hat aber seine Freude an der Übereinstimmung mit dem ver- dienten Manne, der den Vorzug genossen, Beethovens Schüler und Freund zu sein

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steht sich, daß auch die begleitendeD Achteltriolen in vollkommen gleicher Be^yeglmg• ausgeführt werden. Nun aber schließt die Melodie Takt 28 ab. Man mag ihr die folgenden vier Takte als Anhang zurechnen: jedenfalls ist von Takt 32 die Triolen- bev^egung und zwar in erweiterter Führung alleiniger In- halt; erst Takt 37 klingt das melodische Motiv des .Vnhangs vor und Takt 42 kehrt die Melodie wieder. Jene Stelle von Takt 32 bis 37 entbehrt des Anhalts einer bestimmten Melodie, sie verlangt, sie strebt danach, bis sie Takt 37 ihr nahetritt und Takt 42 sie erfaßt. Anhaltlosigkeit und Verlangen bedingen hier gesteigerte Bewegung, die jedoch fern von lieidenschaftlichkeit bleibt, nur der Ausdruck einer bald überwundenen Unruhe sein kann, also nur w^enig das Grundmaß des Satzes übersteigt, kaum merklich ent- steht und bald in dasselbe zurückkehrt.

Ähnliche Momente würden sich aus dem ersten Satze der D dur-Sonate Op. 10 oder dem Scherzo (man verzeihe den Form- nanien) der andern Phantasiesonatc nach dem Trio, wo die Viertel sich in Achtel auflösen, nachweisen lassen.

Zögerung tritt zunächst ein, wo die Spannung und Erregung, die das Grundmal.) der Bewegung in einem Satze gegeben, nach- läßt. Es bedarf dafür keiner weitern Erläuterung; ein einziges Beispiel genügt, das der erste Satz der Sonate „Les adicux" (Op. 81) darbietet. Gegen das Ende des ersten Satzes scheinen die Rufe der voneinander Scheidenden an dieser Stelle

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iiiid vollends bei ihrer Fortführung von B an (überhaui)t von A au 19 oder 21 Takte weit) immer ferner und ferner und ersterbend zu wechseln. Abnahme im Stärkemal.) (decrescendo) kann erst von Takt 13 an mit voller Wirkung, bis ziun Verhallen, stattiinden; das entscheidendere Vortragsmittel ist allmählich verzögerte l^ewegung.

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Die tülireude Achtelbewogung strebt nach dem ursprüiiolidien Zcii- mai:. zurück: aänzlicli kann es niclit wiederher-estollt werden. Eilen und Züi^-ern werden auch oft n()tij>-, um vom entgcgen- i^esetzten Moment zum Grundmaß zurUckzulenkcn, damit die Rück- kehr nicht zu einem jähen Sprung- werde. Aus diesem Grunde scheint es besser, die oben angeluhrie Zögerung schon bei Takt 19 alhnählich aufzugeben. So dürfte auch bei dem aus der (^ismoll- Sonate angeführten Satze die Wiederkehr des Anhangs (Takt 37 bis 42) dazu benutzt werden, aus der beschleunigten P,ewegung zur ursprünglichen zurückzulenken.

i;esonders erwägenswert ist noch die Verwendung des Zögerns oder Zurückhaltens als Ausdruck des Besinnens oder eines Nach- drucks zu dessen VerwirkUchung erhöhte Schallkraft nicht gemäß, oder für sich nicht ausreichend erscheint. Man kann dies gleich am ersten Satze der Ddur-Sonate Op. 10

Presto.

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l)eol.achtcn. Er wird abgebrochen, nicht geschlossen, ist antangs mit piano bezeichnet und hat unter der letzten Note das Zeichen des Slbrzato Aber diese letzte Note ist bloß der letzte Punkt des em- porstrebenden Satzes: sie soll nicht hervorspringend angeschlagen werden, sondern der ganze Satz soll sich steigern. Dies mit bloßer Schallvcrstärkung erreichen zu wollen, würde zur Roheit des An- schlags fuhren: man muß die letzten Töne (e /J. </«) allmählich zu- rückhalten. Gleich darauf wiederholt sich der Satz und steigt weiter von « zu .<«, K äs, d. e, fis. .Vuf diesen höchsten Tönen, deren je.ler mit ff bezeichnet ist, würde große Kraft gar nicht erreiclibar sein, man muß sie (das d, e. ß) bedeutend anhalten.

Wenn hier das Zurückhalten am Ende eines Satzes anwendbar schien. 80 kann es ebensowohl zu Anfang oder in der Mitte gelten. Dies läßt sich in dem S. 69 erwähnten Trioh'ngang aus dem (.is moll-Adagio wahrnehmen. Die Bewegung von Takt 3 an muß gesteigert werden. Aber <lie erste Triole Jedes Takts - besser

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gesagt: der Schritt vom ersten zum zweiten Ton und zuletzt obenein der Gipfelpunkt der Triolenfigur

(Gis-)

würden, ein ^Yenig• angehalten, die Figur und die nachherige Be- schleunigung wirkungsvoll heben. Die Bezeichnung y~\ ist nur unvollkommene Andeutung.

In all diesen und zahlreichen ähnlichen Fällen kann man beobachten, was Seite 70 angedeutet ist: wie die Steigerung der Bewegung die der Schallstärke unterstützt oder ersetzt, wenn diese nicht genügt oder nicht anwendbar ist.

Womit wird aber neben der Taktfreiheit das Taktgefühl, die Erinnerung und das Fortwirken des Grund- und Gleichmaßes er- halten und damit dem l^edürfnis des Musikers nach Festigung ent- sprochen? — Denn dieses ist (S. QQ) ein durchaus unabweisliches, so gut wie dem Gehenden oder Laufenden die Rückkehr zum Gleichgewicht, und dem Gemüt die "Rückkehr zur Beruhigung.

Erstens soll das Gleichmaß niemals ohne triftigen Grund auigegeben und die Freiheit niemals mit Übertriebenheit geltend gemacht werden.

Zweitens mag man sich mit vollem Recht in gewissen Momenten vom Gleich- oder Grundmaß entfernen, aber man muß zu diesem Grundmaße wieder zurückzulenken verstehen. Das Grundmaß sei der geraden Linie vergleichbar, die freie Bewegung der Wellenlinie, die um jene sich legt, wie die lebenbezeichnenden Schlangen um den festen Merkurstab. Nur sehr ausnahmsweise wird das (irundmaß bleibend aufgegeben, und dafür fehlt es in der Regel nicht an ausdrücklicher Vorschrift.

Drittens endlich findet der sinnige Spieler selbst in den Partien, wo er sich vom Taktmaß entbindet, noch ein gewichtiges Hilfsmittel, das 'J'aktgefühl wach zu erhalten; dies ist der rhyth- mische Akzent. Er bezeichnet, wie schon (S. 52) erinnert worden, nicht bloß den Taktbau durch Hervorlieben der Haupttaktteile, sondern auch die höhere Ordnung des Satzes durch Zusammen- fassen und Abrundung der Abschnitte, die sich zu dem Taktl)au verhalten, wie der Vers im ganzen zu den einzelnen Versi'üüen.

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Ordnung und Faßlichkeit beruhen \veit mehr auf dii^sen Akzenten, die den Bau tles Ganzen bezeichnen und sich dabei mit dem Inhalt selber befassen und vei'schmelzen, als auf dem Festhalten an dieser ganz äul.>erlichen Taktmäßigkeit, die nur dadurch zu ordnen ^vei^), daß sie gleichgültig gegen den Inhalt gleichen Takteilen gleiches Zeitmaß erteilt. Daher zeigt sich in der Be- tonung der künstlerische, im Takthalten der mechanische oder abstrakt-verständige Geist. Beethoven neigt so sehr nach jener Seite hin. daß er, so sehr er den Tanz liebte und aufsuchte, doch nach Kies" Zeugnis es niemals dahin gebracht, taktfest zu tanzen. Dagegen berichtet Schindler, daß er vorzugsweise den rhyth- mischen Akzent meist kräftig hervorgehoben, auch die „Zäsur und rhetorische Tause" oft gebraucht habe; die erstere dient, wie schon (S. 54) bemerkt ist, zum Abschluß der Abschnitte, die letztere zum Abschluß größerer Partien oder auch durch einen rhythmisch ganz unmotivierten Abbruch, um auf den Eintritt eines wichtigen Moments aufmerksam zu machen.

Seltsamerweise hat sich eine solche rhetorische Pause sogar schriftlich erhalten, und zwar in der Cmoll-Symphonie. Der erste Satz beginnt so,

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mit einem Motiv von zwei Takten g g ij \ es, dessen letzter Ton durch einen Halt verlängert ist. Dies Motiv wird mit fff\d wieder- holt. Allein der letzte Ton ist doppelt so lang, also das Motiv auf dj'ei Takte ausgedehnt, und erst auf den dritten Takt tritt der Halt, der zuvor auf dem zweiten stand. Beethoven hat durcli dies außer ^[aß tretende Weilen eine rhetorische Pause förmlich vor- geschrieben. Daim erst begiinit dei' eigentliche Allegrosatz, während dem Meister selber die ersten fünf Takte nur als Einleitung ge- golten haben. Hiermit tritt er aber urkundlich aus dem Gleich- maß in die Freiheit der Bewegung.

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Form des Studiums.

Zuletzt einiges über die Art, wie msm sich am zweckmäßigsten in ein Werk hineinfinden und desselben bemächtigen kann. Es treöen daljei mancherlei Eücksichten zusammen. Geistiges Ver- ständnis und technische Bewältigung, der objektive Inhalt des Werks und die subjektive Stimmung und Eiclitung des Aus- fuhrenden, jeder dieser Gegensätze hat sein unverkennbares "Recht. Es kommt darauf an, jedes Recht geltend zu machen, ohne dem andern störend zu werden.

Besonders kommt es darauf an, das subjektive Gefühl, die Selbstbestimmung des Ausübenden nicht zu stören und zu ver- letzen. Es kann nicht für sich, sich selbst überlassen walten, sondern muß sich dem Willen des Komponisten, dem Inhalt des fremden Werks bequemen. Wird diese Unterordnung erzwungen, schiebt wohl gar der Lehrer seine eigne Subjektivität zwischen die des Schülers und das Werk: so hat es ein Ende mit jener Selbstbestimmung und Freiheit, mit jener Naivität, dem eignen, unmittelbaren Gefühl von der Sache, ohne daß die Lehre zur lebensleeren Abrichtung und ein künstlerischer Erfolg schlechthin unmöglich wird. Kunst ohne Freiheit ist ein Unding.

Wir Lehrende mit Wort und Schrift müssen, wie lioch wir auch stehen oder zu stehen vermeinen, j(Hler Autorität und Herrschaft ab- sagen. Wir müssen das nicht bloß deshalb, weil unter unsern noch ungeschickten und blöden Zöglingen vielleicht ein andrer „Beet- hoven", wie dei' erste unter Pfeiffers und Neefes Scholaren versteckt ist und unser Name künftig einmal, wie Pfeiffers und Neefes, bloß um seinetwillen genannt wird; sondei-n auch, weil selbst dem ge- ringsten Schüler sein Menschen- und Künstlorrecht auf Selbsturteil und Selbstbestimmung gewährt sein nmß, und weil selbst der be- gabteste Schüler ohne diese Gewähr nicht zum Ziel gelangt. Ich, der ich ein Menschenalter hindurch selu^ viel unterrichtet, ich liabe niemals meinen Scliülern Autorität auferlegen mögen, sondern sie vielmehr vor jeder Autorität zunächst vor der, die sie mir hätten beimessen wollen gewarnt und sie dafür unablässig auf die Stimme des eignen Fühlens und Denkens hingewiesen und hinge-

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loitrt. Nur so \venlcii Menschen und Künstler, echte, gewonnen. Der Weji* erscheint antan<j:s län<;er und niiihseliiier, aber bald zeigt er sich als der kiu'zt^re, der allein und fröhlich zum Ende t'ühi't.

Kommt es nun auf das Studium irgendeines besonderen Werks an, so sollte, der es sich aneignen will, dasselbe einmal oder einige- mal durchspielen, und zwar ganz vollständig, alle Sätze hinterein- anderweg ohne sich durch irgend etwas unterbrechen oder henmien zu lassen, auch nicht durch das Gewahrwerden von Spiel- tehlern oder Irrtümern und ohne dabei fremden Rat zu holen oder vorbereiten und mitwirken zu lassen. Dies erste Durchspielen muß sogleich in dem Zeitmaß (^folgen, (his der Spieler für das ge- eignete hält, gleichviel, ob die dermahge technische Geschicklichkeit den Schwierigkeiten des ergriöenen Zeitmaßes gewachsen ist oder nicht. Auch zeitweiliges Nachlassen in der Bewegung, um jener Schwierigkeiten willen, ist unstatthaft.

Hiermit ist die erste Bekanntschaft mit dem Werk in durch- aus naiver Weise störungslos angeknüpft. Man hat nun, mehr oder weniger richtig und vollständig, eine ungefähre Vorstellung von seiner Eiclitung und seinem Inhalt.

Diesem ersten (kursorischen) Angriff der Sache muß dann das eigentliche, genauere Studium folgen, das zwei Richtungen hat, die auf den Inhalt des Werks und die auf seine technische Be- wältigung gerichtete. Beide Richtungen sollen nebeneinander, aber nicht gleichzeitig von Moment zu Moment, sondern eine um die andere verfolgt werden. Wenn hier im Buche die tech- nische vorangestellt wird, so geschieht das bloß, weil diese am kürzesten beraten sein kann.

Bei dem erstmaligen Durchspielen oder Durchlaufen müssen dem Spieler diejenigen Partien aufgefallen sein, bei den(?n sich technische Fehlgriüe, technische Schwierigkeiten gezeigt haben. Die Fehlgritfe wir verstehen darunter Fehler, die bloß aus augen- blicklicher Unachtsamkeit usw. entstehen müssen gemerkt und vermieden werden. Die Fehler und Mangelhaftigkeiten aus Unzu- länglichkeit der technischen Vorbildung müssen genau untersucht und von Grund aus gehoben werden. Auf den ersten Hinblick nämlich erscheint oft eine ganze Partie schwierig, während es sich bei genauerer l'ntersuchung zeigt, daß nur ein Teil derselben, bis- weilen nur ein kleiner Teil, der eigentliche Sitz der Schwierigkeit ist. Zu Anfang ferner erscheint eine Partie, ein Gang (l^assage) Schritt für Schritt voller Neuheit und Schwierigkeit, während sich

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später ein einziges kleines Motiv (oder ein Paar) als Kern des Ganzen zeigt, mit dessen Aneignung die ganze Passage gewonnen ist. Auch hier also dient Einsicht in den Bau des Kunstwerks zur Bemeisterung desselben.

Ist eine solche technische Schwierigkeit aufgefunden, so muß nachgeforscht werden, ob nicht der sie bietende Satz oder Gang im Verlaufe des Tonstücks wiederkehrt; in der Eegel kommt jeder Satz und jeder Gang in einer Komposition zwei- oder mehrmals zur Anwendung und wird in gleichmäßiger oder ähnhcher Weise l)e- wältigt. So wird jede Stelle, die der Übung bedarf, mit Inbegriff ihrer Wiederholungen zum Gegenstand besondern technischen Studiums. Dies ist methodischer und fördernder, als wenn man die inhalthch verschiedenen Aufgaben durcheinander gemischt übt, wobei die zweite von der ersten, die dritte von der zweiten ab- zieht und die Kraft an vielerlei Aufgaben zersplittert, statt auf eine jedesmal einzige hingerichtet zu werden.

Neben diesen technischen Übungen geht das künstlerische Studium des Werks weiter. Schon die ersten Ausführungen müssen einen wenigstens allgemeinen Eindruck gemacht und ein Urteil hervorgerufen haben, sei dasselbe anfangs auch noch so allgemein und unbestimmt gehalten. ]\[an suche diesen Eindruck durch ein charakteristisches Wort im Sinne zu halten, ohne sich anfangs grüblerisch darum zu bemühen, oder sich ihm gefangen zu geben, als wäre es unverbrüchlich Gesetz. Erst allmählich dringt man zur Wahrheit und ihrer Grundhaftigkeit durch, mancher schneller als der andre, mancher langsamer und vielleicht darum sichrer und tiefer. Mir, dem Schreiber dieses, ist der Inhalt der Sonate Op. 109 nach dreißigjähriger Bekanntschaft erst damals ganz anschaulich geworden, als ich den „Beethoven" schrieb. und manches in den letzten (Quartetten erst bei der zweiten Ausgabe jenes Werks. Ob andre schneller und mehr darin gefunden, frag" ich nicht. Wie viele haben sich denn schon in den zweiten Teil des Faust, oder in die Wahrhaftigkeit der matthäischen Passion gefunden, die aucli schon dreißig Jahre bekannt sind?

Mit dem beginnenden i'rteil werden auch die größern Par- tien des Werks in das gehörige Ijicht treten, man wird anfangen, sie charakteristisch zu unterscheiden. Seien die ersten Blicke hier unsicher, sie v/erden bald mehr Licht fassen. Es sei die E moll- Sonate Op. 90 mit ihi'en zwei Sätzen: Avie steJit der zweite, weich - zerflossene dem energischen ersten gegenüber! sollte sich in ihnen

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(loiiuoch oine innere* Kinhoit linden? Es sei die As dur-Sonate ()p. 26, die mit den sinnigen Variationen anhebt und weiterhin den Trauermarsch briniit ant den Tod eines Helden. Beide Sätze mögen zuerst einleuchten, weniger sicher das (sogenannte) Scherzo vor dorn -Marsche: und wie wäre das Finale zu deuten V Ebenso wird man sich in der ( 'is moll-Sonate Op. 27 im Adagio und Finale bald zurechtzufinden holVen. aber der .Alittelsatz, das Allcgretto? .Mancher wackere Spieler hat den Beweis geliefert, daß er es nicht verstanden: einst hatte der "brave Ludwig Berger vorge- schlagen, es lieber wegzulassen.

Wir gut oder unzureichend es nun auch mit diesen ersten Einblicken gelungen sei. man ist schon damit in die Tür des Ton- baus getreten, hat sich im Geiste die großen Eäumlichkeiten an- gesehen, in ihren l'nterschieden sich gemerkt, ihren Zusammen- hang oder den anscheinenden Maugel daran in Betracht gezogen. Hier schließt nun das Studium der einzelnen* Sätze an.

Auch bei diesen ünden sich Glieder und Teile, die dem Studium als Ziel und Anhalt dienen, das sind die verschiednen Sätze od(*r Themate, deren sich in jeder größern Komposition zwei oder mehr finden. Wer Komposition versteht oder sich wenigstens einen Einblick in die Form verschafft hat, wird unschwer die größern Partien des Ganzen Hauptsatz, Seitensatz, Schlußsatz, ersten, zweiten, dritten Teil erkennen und darauf sichern Einblick in den Inhalt gründen können. Doch dürfte auch ohne diese Vor- bildung ein Durchdringen in diese Gliederung des Tonbaus dem Aufmerksamen wohl gelingen.

Nehmen wir als erstes Beispiel die pathetische Sonate, den ersten Satz.

Gleich der erste Blick zeigt als zwei verschiedne Partien die Einleitung, Grave überschrieben, und den ersten Teil des Allegro. Auf ihn folgt ein Anklang an die Einleitung und dieser der zweite Teil (nach der Ausdrucksweise des gewöhnlichen Lebens, nach der] Kunstsprache müßte man sagen: der z\veite und dritte -Teil) des Allegro. Da, wo man den Schluß erwarten sollte, tritt noch- mals ein Anklang an das Grave ein, und ein Satz aus dem Allegro schließt. Diese ganze Beobachtung liegt sozusagen auf der flachen Hand, sie ist durch Schlußstriche und Überschriften selbst für das ganz unkundige Auge bezeichnet. Die Sätze Grave und Allegro sind nach Zeitmaß und Inhalt unterschieden, sie sind Gegensätze. Aber sie bilden ein untrennbares Ganzes (keiner

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schließt für sicli ab), müssen also innerliche Beziehung zueinander haben. Wie ist der Charakter jeder Partie zu fassen? "Wie wird ihre Zusamraengehürigkeit fühlbar?

Im Allegro tritt sofort das erste Thema (der Hauptsatz) auch dem Formkundigen vor Augen. Mag ein solcher auch über den weitern Inhalt, von Takt 16 oder 17 an, nicht ganz im klaren sein : der breite Schluß auf B und der Satz in Es moll

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wird sich ihm durch den neuen Inhalt, schon durch die dialogische Form (Baß und Diskant wechseln in der Melodie) sicher kenntlich machen; er mag es dilettantisch als zweites Thema bezeichnen, es ist der Scitensatz. Ebenso sicher muß ihm die folgende Partie in Es dur als ein Neues auffallen. Gleichviel, ob er darin einen Schlußsatz findet und von einem solchen überhaupt weiß, er wird das zum Schluß Drängende der Es dur-Partie empfinden. Eine Wiederholung des ersten Satzes beschließt, in Es dur übertragen, den ersten Teil.

Hiermit ist der Inhalt des ganzen Allegro dem Wesentlichen nach vollständig aufgewiesen. Wer die drei Partien erkannt hat, findet im zweiten (und dritten) Teil jene Figur wieder, die sich von Takt 25 an aus dem ersten Satze hervorgebildet hatte. Sie waltet, bis nach einem breiten Abschlüsse auf G der Hauptsatz wieder in C moll auftritt, und damit der dritte Teil beginnt. Der gesamte Inhalt des ersten Teils kehrt wieder, dann das Grave, zuletzt wieder der Hauptsatz des Allegro.

GelegentUch mag man den Bau des ersten Satzes der IJ moll- Sonate Op. 31 mit dem Obigen vergleichen.

Hiermit ist der Inhalt der pathetischen Sonate (ihres ersten Satzes) überschaulich gemacht. Man unterscheidet drei Partien, in der ersten zwei abweichende, aber doch verwandte Züge,

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dereji zweiter aus dem ersten licrausgebildet ist, in der dritten Partie zwei ganz verschiedne Sätze (den arpeggienhaften und den (hatonisclumj, im ganzen also fünf kenntUch und bedeutungsvoll hervortretende Sätze. Jeder von ihnen kehrt zwei- oder mehrmals

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wieder, öftei' in amlivr Gestellt. Zwischen ihnen erscheinen vor- himlende .Mittelglieder. Sie sind IxMleiitunosvoll, aber untergeordnet, weil sie nicht sell)ständig, für sich allein geltend auftreten; so steht z. 1*.. der Hauptsatz von Takt 1 bis 9 fest und geschlossen in seiner Tonart und Ehythniik, während das Mittelglied Takt 17 bis 21 es zu beiden nicht gt4)racht hat.

Wie ist d(T erste und der daraus hervorgegangne zweite Satz zu fassen? Wie bezeigt sich dieser zw^eite im zweiten Teil in seinen rmgestaltungen? Wie kann der Charakter jedes der tTmf Sätze gelaßt und mit den andern in Wechselwirkung und Zusammenhang gebracht werden? Und welche ümfarbungen des Vortrags fordert die Umgestaltung der Sätze?

Das zweite Beispiel gebe das erste Allegro der Es dur-Sonate C)p. 7, ein vielgliedriger, für den ungeübten Blick bei weitem nicht so durchschaulicher Satz, wie der vorher betrachtete.

Das Allegro setzt ohne Einleitung ein. Der Hauptsatz

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stellt sich und sein Moliv (A) deutlich genug fest, das letztere bleibt auch in seiner Umgestaltung (B) kenntlich, weniger klar mag dem ungeübten Blicke das Folgende sein, bis sich nach längerem Ver- weilen auf dem Bauten / ein zweiter Satz (C)

und nach dessen Ausführung ein dritter fO), dann im fremden C dur ein vierter (Ej

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und wieder in B dur, ein fünfter Satz (F, nur die Anfänge werden zur Bezeichnung gegeben) deutlich herausstellt; der Formkundige würde diese vier Sätze als Seitenpartie bezeichnen. Noch zwei sicher unterscheidbare Sätze schließen den ersten Teil: man hätte sie als Schlußsätze zu bezeichnen.

Hier stehen nun, die Mittelglieder ungerechnet, sieben ver- schiedne Sätze vor uns. Welches ist der Sinn eines jeden? Wie unterscheiden sie sich? Wie werden wir sie zu einem einheitvollen Ganzen vereinen? Und wie wirken sie weiter?

Der Hauptsatz oder vielmehr nur sein Motiv A eröffnet den zweiten Teil, weicht bald dem Motiv des letzten Satzes (Schluß- satzes) und kehrt wieder, um sich zu einem teilweise neuen Satze (das wäre der achte) auszubilden. Dies alles fällt in fremde Ton- arten; zuerst tritt jenes Llotiv des Hauptsatzes mit der weitern Aus- lassung, die sich anhängt, in C moll, dann das Motiv des Schluß- satzes in F moll und G moll auf, dann jenes erstere wieder in A moll und D moll. In D moll wird geschlossen; und statt der breiten Schlußlagen, die sich in der pathetischen Sonate gezeigt, ist hier der Schluß unfest und die Wendung in dem Hauptton in einen einzigen, nicht fest hingestellten und bald verklingenden Akkord gelegt.

Dies ist der zweite Teil, und nun hebt der dritte mit dem Hauptsatz in Es dur an und bringt die ganze Eeihe der sieben Sätze des ersten Teils in ursprünglicher Ordnung wieder. Aber damit ist dem dritten derselben (D) noch nicht genuggetan. Dieser Satz, der überredsamste von allen, tritt da, wo man hätte den Schluß erwarten sollen, anhangsweise in sinniger Umgestaltung nochmals hervor, und nun erst kehrt der zweite Schlußsatz wieder, um den letzten Aljschluß zu bringen.

Acht Sätze wollen charakteristisch gefaßt sein; bei einigen (z. B. Satz 1 imd 2, 2 und 3, 4 und 5) tritt die Verschiedenheit, ])ei andern (z. B. 3 und 4, der Fortführung von 1, dann 2 und 5) tritt eine gCAvisse Verwandtschaft hervor; der geschäftigste aller dieser Sätze ist der erste und dritte.

Soviel, um zu zeigen, wie man sich Gliederung und Zusanmien- hang der Tonsätze anschaulich zu machen und damit Anhaltpunkte für die Auffassung des ganzen Inhalts zu gewinnen hat, damit nicht das Gefühl über dem gehaltreichen Tonwerke, das in ewig wechseln- der Gestalt vorüberwallt, ungewiß im Unbestimmten schwebe und einen Moment über dem andern dahinfallcn lasse. Die Zergliederung

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kann selbst dem rnj^eübtcn nacli iiK'lii'niali.aein Durchspielen des Ganzen nur wenig Minuten kosten; die (harakterisiening- soll und darf nie grüblerisch oder gar mühselig werden, ein flüchtig er- gritlenes Wort genügt: vielleicht l)ringt der nächste Augenblick ein glücklicheres.

Nun endlich tritt das letzte Studium ein, die Durcharbeitung jedes Satzes bis in seine Einzelheiten und, damit verbunden, die Verschmelzung aller Einzelheiten in einen einzigen (Juß. Hiermit hat der Spieler sich des Werkes so bemächtigt, wie es seiner sich selbst übedassenen Subjektivität hat gelingen wollen. Er mag mehr oder weniger fehlgegrifTen haben. Aber er hat seine Selb- ständigkeit, die Freiheit seines Gefühls und Urteils bewahrt, und ohne sie ist kein Leben in der Kunst und keine Kunstbildung möglich.

Xun erst ist der Zeitpunkt gekommen, sich von andern schriftlich oder mündlich beraten zu lassen und an deren Aus- sprüchen die eignen Auffassungen zu prüfen. Diese eignen Auf- fassungen sollen wadev gegen das Ansehen des Lehrenden oder Katenden blöde fallen gelassen werden, noch soll man eigensinnig oder ängstUch an ihnen haften. Nicht was ich will, nicht was du willst, sondern was Beethoven gewollt, soll gelten; und dies mui) jeder sowohl aus sich selber ursprünglich als mit Hilfe sach- kundiger Ratgeber zu finden trachten. Jeder Rat mufj gehört und ge[)rüft werden. So fällt die Entscheidung zuletzt doch wieder in das Gemüt des Ausübenden zurück.

Der oberste allei- Ratgeber bleibt immer, wo es sich um Beethoven handelt. Beethoven selber. Das versteht sich.

Nun wissen wir aber, daß er in seinen Werken nicht bloß mit Tönen sinnig gespielt, nicht bloß einem unl)estimmten Gefühl sich hingegeben, sondern daß er oft zusammenhängende Seelenzustände auszusprechen unternommen, oft von äußern Einflüssen sich hat bestimmen und stimmen lassen, daß er Leben geschaffen, ideal gebildet hat, er, der Dichter in Tönen, wie irgendein Goethe in Worten, ein Ralfael in Gestalten. Wie würden wir aber bei aller subjektiven Erregung uns einbilden können, den Goethe, den Raffael aufgefaßt zu haben, wxnn wir nicht zu der Idee ihrer Schöpfung durchgedrungen wären? Dasselbe gilt von Beethoven.

Daß dieser sich Aufgaben gesetzt, wie sie oben bezeichnet sind nicht immer, aber oft , darüber liegen genügsame I be- weise vor.

Marx, Anl. z, Vortrag Beeth. Klav.- Werke, 0

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Er selber hat vei'schiedentlicli den ^i>edank]iclien Inhalt seiner Tougebilde schriftlich angegeben. Der Xame der HeldensA'mphonie, der Pastoralsymphonie (hier die Bezeichnung der einzelnen Sätze nach ihrem Inhalte) sind allbekannt: der „Trauermarsch auf den Tod eines Helden" in der As dur-Sonate, der Titel ..Les adieux, l'absence, le retour", der die drei Sätze der Sonate Op. 81 be- zeichnet — und andre Namen oder Bezeichnungen sind ebenso- viel Beweise. Als 1816 eine Gesamtausgabe seiner Kompositionen im Werke war, hatte Beethoven (wie Schindler erzählt) die Ab- sicht, bei allen, wo es noch nicht geschehen war, den gedanklichen Inhalt anzugeben. Bei einzelnen Werken (z. B. der Sonate Op. 101) deuten schon die gehäuften und andringUchen Vortrags- bezeichnungen darauf, daß er sich von besondern, bedeutsam ein- greifenden Stimmungen und Vorstellungen angetrieben gefühlt.

Neben seine eignen Äußerungen treten die Zeugnisse seiner Scliüler und Freunde. Ries hat den Ursprung des Finale der Fmoll-Sonate gleichsam miterlebt. Schindler hat über die leitenden Vorstellungen in Beethovens Kompositionen mancherlei Bedenkenswürdiges mitgeteilt. Neben beide tritt Czerny mit ganz bestimmtem Zeugnisse, und gerade er darf aus doppeltem Grunde glaubwürdig erscheinen. Einmal nämlich hat er jahrelang Beethovensche Kompositionen in zahlreichem Kreise vorgetragen, nachdem Beethoven selber sie ihm einstudiert, ist daher Ohren- zeuge von den Mitteilungen des Meisters. Dann aber hat er sich sein lieben lang bei der rastlosen und unendlich ergiebigen Tätigkeit fiu^ Ausbildung der Technik als einen solchen erwiesen, in dem Phantasie, Idealismus, Kunstgeist nicht waltend geworden, so daß er imstande gewesen wäre, eigne Pliantasien den Werken oder Worten des Meisters unterzuschieben und wenn (unbewußt) dies, doch nicht »aus sich selber jene ideale Richtung zu ersinnen, in der Beethoven wandelte und der er selber so fern stand.

Czerny*) nun spricht ganz bestimmt aus: „Es ist gewiß, daß Beethoven sich zu vielen seiner schönsten Werke durch ähnliche" (wie die Vorstellungen bei Op. 57) „aus der Lektüre oder aus der eignen regen Phantasie geschöpfte Visionen und Bilder begeisterte, und daß wir den wahren Schlüssel zu seinen Kompositionen und zu deren Vortrag nur durch die sichere Kenntnis dieser Umstände erhalten würden, wenn dieses noch überall möglich wäre." Was

*) Klavierschule Tcü 4, Kap. 2, S. G2.

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Czeniy dabei anmerkt: „Kr war hierUher nicht gern mitteilsam, aber doch bisweilen, bei vertraulicher iiaunc'', und was ander- wärts Schindler aussagt: Beethoven habe zu weit in das bestimmte und Besondere gehende Deutungen andrer öfters nicht mit l behagen autgenommen das begreift sich gar wohl. Eine gewisse geistige Keuschheit hält den Künstler zurück, sein Gebilde mit Worten gleichsam zu zerlegen. Und er vor andern nuil.) fühlen, dal.) keine Rede sein Tonbild vollkommen tretfen und erschöpfen, sondern nur den Inhalt deuten und andeuten kann, so wenig der Dichter den Maler, oder der ]\[usiker Dichter und Maler voll- kommen ersetzen kann.

Anderwärts sagt Czerny vom Adagio der ( ' dur-Sonate Op. 2 : ..Tn diesem Adagio entwickelt sich bereits die dramatische Richtung, durch die Beethoven später eine Kompositionsgattung erschuf, in der die Instrumentalnuisik sich bis zur Malerei und Poesie steigerte. Es ist nicht mehr bloß der Ausdruck von Gefühlen, was man hört, man sieht Gemälde, man hört die Erzählung von Begebenheiten."

Soweit hat Czernys Aussage volles Gewicht: er hatte bei Ge- legenheit der Beethovenschen Eröttbungen, die seinen Vortrag leiten sollten, vernommen, daß der ]\r.eister sich öfters von bestimmten Vorstellungen habe leiten lassen. Ob dagegen seine Mitteilungen über einzelne Tonsätze zutreffend seien? das muß allerdings in jedem besondern Falle geprüft werden: denn hier kann Mißver- stand und manches andre untergelaufen sein. Schon in dem eben genannten Adagio wird sich, was Czerny davon sagt, schwerlich begründen lassen. Wenn derselbe zum Finale der großen Fmoll- Sonate bemerkt: „Mag sich Beethoven (der so gern Naturszenen schilderte) dabei vielleicht das Wogen des Meeres in stürmischer Nacht gedacht haben, während von ferne ein Hilferuf ertönt, immer kann ein solches Bild dem Spieler eine angemessene Idee zum richtigen Vortrag dieses großen Tongemäldes geben": so steht schon der geschichtliche Ursprung des Tonsatzes seiner Deutung auf Meeressturm entgegen. Anderswo berichtet Czerny vom Pinale der Dmoll-Sonate Op. 31: „Das Thema zu diesem Tonstücke im- provisierte Beethoven, als er einst (1808) einen Reiter an seinem Fenster vorbeigaloppieren sah. Viele seiner schönsten Werke ent- standen durch ähnliche Zufälle." Es würde, abgesehen davon, daß die Sonate schon 1802 komponiert ist, gar schwer fallen, aus dem innerlich bewegten, aber äußerlich weiligen, zartgebildeten Tonsatze

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den klappernden Dreiscblag des Galopps und das Vorbeisausen des flinken Reiters herauszufinden; und wenn! so würde damit das sinnige Bild des Tondichters in das Bettelgewand eines trivialen Vorgangs gesteckt.

Czerny hat also als Ohrenzeuge bestätigt, daß Beethoven in seinen Kompositionen häufig bestimmten Vorstellungen gefolgt ist. Ob er überall die Beethovenschen Angaben getreu wiedergegeben oder manche's mißverständlich aufgefaßt und überliefert hat? das muß in jedem einzelnen Falle geprüft werden.

Durchaus wahr ist aber sein Ausspruch: daß man ohne Er- kenntnis der leitenden und bestimmenden Vorstellungen nicht zum vollen Verständnis der Komposition gelangen kann, und daß dieses Verständnis den richtigen Vortrag begründen hilft.

Wie das geschieht, wie das geistige Verständnis, wie der ideale Grund, aus dem das Tongewächs emporgewachsen, auf den Vortrag, auf das Spiel der Finger einwirkt? das ist der uranfäng- liche Rätselpunkt, wie Gedanke und Wille auf den vollführenden Körper wirkt. Darüber läßt sich nicht weiter reden. Man erfülle sich mit der Idee des Dichters, entzünde sein Gemüt an ihr und dann lasse man es wirken, wie es kann.

Indes finden sich auch hier Hilfen und Vermittelungen, das Gefühl und mit demselben die Vorstellungskraft den Intentionen des Tondichters näher zu bringen und sich die feinsten, dem lehrenden Wort unerreichbaren Darstellungsmittel anzueignen.

Als erstes Mittel gilt die Beobachtung der Spielweise sinnig vortragender Pianisten. Dies ist sell)stverständlicli \md bedarf keiner Erläuterung.

Das zweite Mittel ist die Beobachtung des Violinspiels, wenn es von feinfühlenden Spielern ausgeübt wird, von einem Laub, Wicniawski, Joachim. Die Violine ist iiänilich in der Melodie- lührung dem Piano weit überlegen; sie vermag, was diesem ver- sagt ist: den Ton lang auszuhalten, zwei und mehr Tone wahr- haft zu verbinden, indem sie einen in den andern gleichsam hineingehen läßt, während das LMano nur bald verhallende Töne und nur den Schein einer Tonverbindung hat. Es bedarf keines weitern Vergleichens. Man höre gute Violinisten, erfülle sich mit dem Gefühl und der lebendigen Vorstellung ihres Spiels und dann trachte man, dasselbe, soweit es möglich ist, auf das Klavier zu übertragen.

Das dritte Mittel bietet sich allen an, die singen können.

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Auch tlor Sini^stimiuc stehen die Nollbefriedi^ieiulen Mittel zm* seelen- vollen Darstellung der Melodie zu Gebote; dazu kommt, daß man inniger gleiehsam mit Leib und Seele fühlt, was man singt, als was man auf irgendeinem Instrumente spielt oder hört. Mau singe Beethovens ^lelodien, und man wird sie tiefer empfinden und dann auch inniger spielen. Beethoven hat unter dem Kom- ponieren stets gesungen, die meisten Komponisten wohl ebenfalls, nicht aus äußerm Bedürfnis, sich die Töne vorzustellen, sondern aus innerm, unbewußtem Triebe, sie tiefer zu empfinden.

Ein letztes Mittel, Beethoven verständnisvoller zu fassen, bietet sich denen, die eine Vorstellung vom Klang der Instrumente haben, dar. Unverkennbar hat nämlich Beethoven, der so tief schon seit seinem fünfzehnten Jahr (1785) in der Instrumenten- welt lebte, bisweilen orchestrale Vorstellungen auf seine Klavier- werke übertragen, wahrscheinlich unbewußt. Wer ihn in solchen Sätzen errät, dem kann die Vorstellung des Instrumentenklangs zum Fingerzeig für den Vortrag am Klavier werden. Gleich das erste zu betrachtende Werk wird ein Beispiel hierzu bringen.

Einführung in die einzelnen Werke.

I

Die einzelnen Werke.

Vorbemerkung.

Es ist sclion S. 11 aiisgesproclien worden, daß iiiclit alle ^\'o^ko hier zur ErörtcriiDg- kommen und von den in Betracht zu ziehenden nicht alles. Das würde unnötig und allzu um (anglich, es würde sogar nachteilig sein, indem es der eignen Forschung des Studierenden ungebührlich den Raum entzöge. Der Kunstiiinger und Kunstfreund soll angeregt und angeleitet werden zum eignen Forschen, nimmermehr soll dasselbe ihm erspart oder entzogen sein. Was also bei den einzelnen Werken gezeigt wird, soll er prüfen und, wenn er \ on der Richtigkeit überzeugt ist, bei andern Werken gleicher Richtung in Anwendung bringen.

Dieser Al)sicht entsprechend w^erden die ersten Werke zu umständlicherer Erörterung kommen als die spätem, l)ei denen auf dieser Erörterung weiter gebaut wird.

P>ei jedem Werk ist auf das in der Biographie''') darüber Gesagte verwiesen, weil es unangemessen schien, dies hier zu wiederholen. Doch liegt hierin für den Tjeser kein Zwang, auf die Biographie zurückzugehen; das Nötige wird schon in dieser Schrift zu geben versucht.

*) „Beethoven, Leben und Schaffen", 4. Aufl.

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Fmoll- Sonate Op. 2, Nr. 1.

(Biographie, Teil I, S. 104.)

Ein zarter und beweglicher, man möchte sagen, weibhcher Sinn waltet in dieser Sonate. Sanftmut und elegische Stimmung ist ihr Grundton, aus dem sie sich jedoch zu leidenschaftlicher Er- regtheit erhebt. Demgemäß ist auch die Schreibart jeder Massen- haftigkeit fern; sie ist leicht gehalten, meist auf ehie Stimme (mit einfacher Begleitung) oder zwei beschränkt, reicheres Stimmge- webe nirgends vorhanden. Schon der erste, ganz oberflächliche Überblick lehrt daher, daß von großer Schallkraft, von einem eigentlichen Fortissimo hier gar nicht die Eede sein kann. Wo dies im ersten Satze vorgeschrieben ist, bedeutet es nur ein ver- stärktes Sforzato. Im Finale deutet es nur die höchste Kraft- stufe an, die in dieser Sonate anwendbar ist und vom Fortissimo in andern Ton werken weit absteht. Dies erhellt schon daraus, daß der höchste, oder ein sehr hoher Stärkegrad in den mit ff be- zeichneten Stellen, z. B.

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gar nicht ausführbar ist.

AVas also nach dieser Seite versagt ist, muß durch feine Ab- stufung der zulässigen Stärkegrade, durch Akzentuation und als Ersatz iiir die Schallstärke (S. 71) durch Steigerung und NachlaÜ in der Bewegung erreicht werden. Auch hierin muß, dem Charakter des Ganzen gemäß, äußerst sorgfältig Maß ge- halten werden; der Taktfreilieit sind hier enge Grenzen zu ziehen, die Übergänge zu beschleunigter und ermäßigter Bewegung müssen gleichsam nur gefühlt, Jiicht bemerkt werden.

Der erste Satz stellt sogleich den Grund Charakter der ganzen Sonate fest; selbst die leidenschaftliche Erregung des Finale entfremdet sich demselben niclit. Dei* Hauptsatz liegt wesent-

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lieh in (lor Moloilio dov Ohorstiinnio, die Boi^leitiing ist ganz mitor- geordnet. Wie der Aiiianii- dieser ]\lelodic i^espielt werden nuil.), ist 8. 56 schon i^ezeigt. Die ersten zwei Takte sind der Kern oder ihis ^lotiv derselben: in den folgenden zwei Takten wird dasselbe auf h()herer Stufe wiederholt, also gesteigert. Hier aber stockt der Fortschritt, die letzten Noten des Kernsatzes werden tiefer, dann

höher in Erinnerung gebracht, endlich wird der liöchste Ton, ~ mit erhöhter Krait gefaßt und zögernd (denn es ist kein be- friedigender Abschluß erreicht) geschlossen. ]\Ian könnte den Vor- trag des Satzes sinnlnldlich so

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l)ezeichnen: die steigende und sinkende Linie*) deutet Steigerung und Nachlaß der Schallkraft an, die Bewegung treibt und mildert sich in gleicher A\'eise, jedoch in unmerklichen Graden; die Akzente ( ' ) gelten dorn vorzugsweisen Hervorheben einzelner Töne; Takt 2 as, Takt 4 h, Takt 5 as, Takt 6 Z>, Takt 7 c werden ein wenig zurückgehalten, am meisten c und die folgenden Achtel, die fast bis zur Andante-Bewegung hinabsinken; ebenso die beiden letzten Viertel; die Doppelschläge sind zart und ebenfalls zurück- haltend auszuführen. Alles das muß ohne Anstoß geschehen, (las Taktgefühl muß durch die rhythmischen Betonungen wach erhalten werden.

Dieser gewagte Versuch, eine Melodie nach Stärkemaß und Bewegung gleichsam al)zuzeichnen, findet nur hier, bei der ersten zur Betrachtung kommenden Melodie, Zugang. Bei allen Melodien, in denen der Wellenzug der Enipündung zum Ausdruck kommt, wird sich gleicher oder ähnlicher Wechsel in Bewegung und Kraft anwendbar zeigen.

Der Satz, anders gewendet, wiederholt sich, der Vortrag muß derselbe sein. Der Schluß fällt auf Takt 8 der Wiederholung, die folgendfn Takte

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*) Es müßte AVellenlinie sein.

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dienen nur zu seiner Bekräftigung. Daher fordern die Töne es des c . . . sanften Xachdnick und leises Zurückhalten; beides zum zweitenmal verstärkt. Dergleichen muß „sprechend" deutlich werden, wie ein von Herzen Redender etwa die Worte „es ist wahr! es ist gewißlich wahr!" aussprechen würde.

Das Tempo stellt sich im nächstfolgenden Takte (zu der Achtel- figur im Baß und mittels ihrer) wieder her. Hier tritt der Seiten- satz auf, dem Hauptsatz innig verwandt, aber sein Gegensatz, hinabstrebend, wo jen(^r emporstrebte; S. 56 ist darüber gesprochen. Die Achtelfigur, in der er ausläuft, treibt nach Kraft und Bewegung vorwärts, zögert bei den Wiederholungen von d as d und g fes g denn der Komponist zaudert ja auch, seinen Gang fortzusetzen. Dann folgt neues Vordringen und cndHch der schwungvolle Achtel- lauf in erhöhter Bewegung. Bei der Wiederholung würden die ersten Töne {as f es des) durch lindes /zurückhalten und Betonen neuen Nachdruck und dann dei' Gang neue Belebung erhalten. Zurückgehalten und schärfer betont folgt der Schlußsatz.

Ich nenne den Achtellauf, der nichts ist, als die einfache ü'ouleiter durch zwei oder drei Oktaven, schwungvoll. Und so kann er und muß er im Zusammenhang des Ganzen und in der allmählichen Erhebung der Stimmung heraustreten. Nicht der einzelne Moment entscheidet über seine Bedeutung, sondern der sinngemäß in allen Gegensätzen hervortretende Zusammenhang aller. So kann der j\Ialer nicht Licht malen, nämlich das Licht selber; aber er vermag uns zu blenden durch den Gegensatz des Lichten zum Dunkel umher.

Viel ist über den kurzen Satz gesagt worden; erschöpft ist er nicht. In jedem Ton Seele! muß stets zugerufen werden. Selbst die Begleitung des Hauptsatzes fordert Beachtung; diese vier Schläü'e

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steigern sich bis zum letzten, auf dem die Melodie wieder anknüpft.

Soviel vom ersten Teil.

Der zweite bringt den Hauptsatz, dann den Seitensatz wieder; Sinn und Vortrag sind natürlich derselbe. Der Seitensatz gräbt sich hartnäckig im Baß ein; das muß besonders durch die Anfangstöne (as </, yes /, /es es) hervorgehoben werden, denn im Fortschreiten senkt sich der Satz, bis er sich in den Synkopen gleichsam vei'lieit.

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Nur (las Finale lorilert noch Bemerkung(Mi. Es atmet Sturm (Irr Leidenschaft, aber in einer zartgebildeten Seele. Nirgends zeigt sich blassen kraft oder liöchste Schallmacht (S. 52) anwend- bar, nur das Zeitmaß. Prestissimo, und noch ^veit mehr das Auf- und Abwogen der Bewegung und Stärke kann nebst der Betonung im einzelnen den Satz zu seiner Bedeutung erheben.

Das Zeitmaß muß so hoch gegriffen werden, daß die Achtcl- iriulen in der Begleitung, z. B. zu Anfang und beim Eintritt des Seitensatzes

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gleichsam zu einer an- oder abschwellenden Schallmasse zusammcu- gerinnen. Dies gewährt besonders bei dem Schlußsatze (S. 41) eine sturmartige Wirkung, wenn da die Begleitung pianissimo an- hebt, sechs Takte weit ohne Anstoß, ganz glatt bis zum Fortissimo anschwillt und in den folgenden zwei Takten sich wieder stillt. Auch jenen Momenten kommt dies Zeitmaß zu statten, wo die Begleitung (am Schlüsse des ersten und dritten Teils) selbständig bedeutsam wird.

Gleichwohl kann das Zeitmaß nicht durchaus festgehalten werden. Es steht fest im ersten Hauptsatze, dessen widersetz- liche, zornige Schläge sich im Piano wie im Forte

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steigern und hart abbrechen müssen. Es muß nachlassen bei dem zweiten Hauptsatze, dem in .4.9 (Takt 5) ansetzenden, nur daß der Schluß stets wieder zur ersten Bewegung zurückstrebt, die dann auch bis zum Schlußsätze herrscht.

Nach der Zerrissenheit der Hauptpartie, nach dem unge- stümen Wühli)n des Scitensatzes, der jedes Glied

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lieftig eiusetzt und verhallen läßt, bedurfte die Seele des Anhalts, um nicht zu zertlattcrn. und die Musik hatte natürlich gleiches Verlangen. Dies gewährt der Schlußsatz in seiner gesättigten und wiederholten Melodie. Er spricht an, wie der erste flüchtige und fast drohende Gedanke der beängsteten Seele an einen Helfer und Eächer dort oben. Die Sammlung fehlt, noch fliegt alles im Sturme. Dieser Satz darf nicht abfallen vom Zeitmaß. Aber während die Begleitung daran festhält, lassen die Viertel der Melodie sich gleichsam wider Willen sie mochte weilen nachziehen; es muß sich in ihrem zögernden Nachkommen ein sogenanntes tempo rabato (S. 68) verspüren lassen.

AVas der Schlußsatz angebahnt, kommt im zweiten Seiten- satze (der nach dem ersten Teil folgt) zur Erfüllung; er ist nichts als Ausdruck reinster Andacht, des Gebets, das schon an sich, auch ohne Erhöruug, Wohltat des Trostes und innerlicher Wiederher- stellung ist. Die Bewegung muß liier aber unauffähig ge- mildert, der Anschlag muß zart, die Melodie in Wellenhnien geführt und durch seine Betonung zur Sprache erhoben sein, der Spieler muß das alles nicht äußerlich und nach Vorschrift des Verstandes ausüben, sondern den Sinn des Satzes in seine Seele nehmen.

In diesem zweiten Seitensatze zeigt sich, was S. 85 vorbo- merkt ist, der Einfluß orchestraler Vorstellungen auf die Kompo- sition. Man wird keinen Beweis darüber erwarten, der ist nicht zu geben; ja es ist kaum glaublich, daß Beethoven dergleichen mit BeAvußtsein getan. Demungeachtet wird jeder in den Orchester- instrumenten niclit Fremde den Widerhall derselben im Klavier- satze erkennen und diese Erkennung seinem Vortrag zum Modell nehmen können.

Der Satz besteht 1 . aus dem ersten Teil eines Liedsatzes von 10 Takten, 2. aus dessen Wiederholung in der höhern Oktave mit einigen Umschreibungen zu Anfang, 3. aus einem neuen Satz und 4. dessen wieder umschriebener Wiederholung von 4 zu 4 Takten. Dann folgt 5. der Satz 1 in Oktaven und verändert, ferner 6. und 7. die Wiederholung von :•] und 4 (diese verändert) und zuletzt 8. die Wiederholung von 5. Von hier beginnt der Übergang zum dritten Teil mit Achteltriolen.

Der zweite Seitensatz (1 bis 8) ist höchst einfach und durch- aus gefühlvoll geschrieben. Fast unwiderstehlich drängt sich bei 1

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die Vorstelliini:- der Klarinette mit ihrem seelenvoll schwellenden Ivlani]:(\ ])ei 2 der Gedanke an die jener klangverwandte, aber kleinere und kühlere Flöte auf. Auch das Klavier liudet zu 2 weniger Klang als zu 1, und die Umschreibung hat guten Grund. ()l) man bei 3 an die Oboe, bei 4 an die verwandte, aber beweg- lichere und bewegungsbedürftigere Violine, bei 5 an Flöte und Klarinette (oder, idealer gefaßt, an Flöte und Fagott) denken will, bleibe dahingestellt. Der Spieler kann und soll nicht das Körperliche der Instrumente nachäften, sondern ihrem Charakter nachstreben.

Mit Hilfe der wiederkehrenden Achteltriolen je zwei Takte wird in das Zeitmaß zurückgelenkt; die dazwischen- liegenden je zwei Takte mit Viertelbewegung lassen im Zeitmaß immer wieder ein wenig nach, bis die Triolcn und damit das erste Tempo sich behaupten.

Schon in dieser ersten Sonate will also jene so naturgemäße (S. 67) und vielen so übelberufene Taktfreiheit sich geltend machen! Es geht nicht anders. Aber man muß dabei der Be- il inoungen (S. 72) eingedenk bleiben, maßvoll zu verfahren, nie weiter als nötig abzuweichen und das Taktgefühl nicht bloß während der Abweichung durch rhythmische Betonung zu be- friedigen, sondern auch rechtzeitig zum Grundn^aß der Bewegung zurückzukehren. Ohnedem verliert der \'ortrag Haltung und Energie, und kann endlich zur Karikatur der Komposition werden.

A dur- Sonate Op. 2, Nr. 2.

(Biographie, Teil I, S. 100.)

Ein launiges Bild regen, hin und her gewendeten Lebens ent- rollt diese Sonate vor unsern Augen. Man muß jeden Moment rasch verstehen unrl keck hinstellen, denn der nächste kann etwas ganz andres bringen. Und doch, wie wechselnd die Züge seien,

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das Ganze wächst in innerlicher Einheit empor. Das muß im Vortrage zum Gefühl kommen.

Leicht und scheu meldet sich der Hauptsatz des ersten AUeoro

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keck und fahrig, um sich in Vierteln auszubreiten und einem neuen Satze, dreistimmig in fließenden Achteln, zu weichen, der in den letzten Takten ruhigere Bewegung annimmt. Nach dem Schluß- akkorde (Takt 20) mag einen Augenblick länger pausiert werden. Die ersten Motive kehren wieder, dann der Satz in Achtclbewegung. der beiläufig gesagt mit dem Auftakt einer Sechzehntcltriole einge- leitet wird. Die ersten Motive müssen beiseite bleiben, aber der Achtelsatz kann nach ihnen seine Ruhe nicht behaupten; ein Anlauf in Sechzehntel triolen stürzt sich hinein, stellt sich als Gegensatz den Achteln gegenüber, die zuletzt doch vorwalten und, mit Viertcl- bewegung in der Melodie, mit aushaltendem Basse den ruhigen Schluß des Hauptsatzes und ebenso den Übergang zum Seitensatze bilden. Man meint einen fahrigen Jüngling vor sich zu haben, der nicht weijj, ^\'0 hinaus mit der sprudelnden Lebensfülle.

Wer dies Bild festhält, fmdet die Darstellung von selbst. Leicht und keck der Anfang, leicht antretend und dann fliegend in allen Stimmen der Achtelsatz, mit Hervorhebung der Oberstimme, Takt 12 bis 14 des Basses, ungestüm hinauffahrend der Sech- zehntellauf — das alles kann gar nicht anders sein.

Nun tritt, in E moll, der Seitensatz an, espressivo be- zeichnet, klagend, gewissermaßen reuvoll nach dem ungestümen und unsteten Hauptsatze. Die Melodie, (h^eimal vier Takte, setzt in den ersten drei Tönen geschärft ein , sinkt .jedesmal gleichsam zusammen und fordert jedesmal Nachlassen der Bewegung und Kraft. Aber jene Kollligur des ersten Hauptsatzes reißt aus der Kleinmütigkeit empor, eiji neuer Sturzgang stellt die kühne Stimmung her, und aus dem bekannten Achtelsatz entfixltet sich, in sanfte Beruhigung sinkend, der Schlußsatz.

Dei" zweite Teil beschiiitigt sich zuerst mit dem ersten, dann mit dem zweiten Hauptsatze, die er beide zu weiter, energischer Ausführung bringt. Besonders vom ersten gilt dies, der jetzt erst

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ans der antViiiiilichcn ZorstUokclung- zu li^stcm Uanzon zusammcu- selnnilzt. Der AiisübencU' miiU hierin dem Komponisten Folge leisten und sein Spiel zu gleicher Enero;ie des Anschlags und der Betonung erlieben, bis der Satz selbst in Ruhe sinkt. Der Achtel- satz kehrt dann in Meiner schon bekannten AVeise wieder, scheint sich (Takt 19 und '20) ebenfalls in Kühe senken zu^ wollen, bricht aber gerade da

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mit neuer Energie hervor. Hier treten die drei Stimmen nach- ahmend nacheinander auf, die zweite setzt sich in den Noten e f fort, die der Ausführbarkeit wegen in Gestalt von Vorschlägen zur ersten Stimme geschrieben sind. Jede Stimme muß in gleicher Weise, mit gleicher Energie gespielt werden, in jeder muß die Sechzehnteltriole mit Kraft auf das nächste Achtel schlagen.

Das Weitere bedarf keiner Erläuterung, da es nur Bekanntes enthält.

Das nun folgende Largo ist „appassionato" benannt, nicht um (nach dem Wortsinne) LeidenschaftUchkeit, sondern um den tiefsinnigen Inhalt anzudeuten, den es zu Gehör bringt. Still und feierlich ist der Gesang, gleich dem Sinnen eines edlen Gemüts in Einsamkeit unter dem Sternenhimmel. Wer sich mit dieser VorsteUung zu erfüllen vermag, dem wird Verständnis aller Einzel- heiten und Darstellung wohl gelingen.

Der Hauptsatz zeigt zwei verschiedne, gleichzeitig auftretende Gestaltungen: erstens die Melodie der Oberstimme, innig ver- schmolzen mit den zwei Mittelstimmen, und zweitens den be- wegter einhcrschreitenden Bau, der seine Töne ganz kurz angeben soll, bis er zu den gebundnen Achteln gelangt. Seine Melodie geht ruhig, meistens Schritt für Schritt einlier, die Melodie der Ober- stimme {fis fis fis I e fis \ g fis \ e) noch ruhiger, so daß ihr Quarten- schritt (Takt b) schon bedeutsam wird. Das Ganze muß still, aber keineswegs schwach ertönen, die drei C)berstimmen müssen haar- scharf zusammentreffen, so daß die Akkorde zwar sanft, aber

M an, Anl. z. Vortrag Beeth. Klav.- Werke. 7

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klangvoll, sonor herauskommen; dabei muß dennoch die Ober- stimme um ein fast unmerkliches hervortreten und die Betonung der wichtigern Momente

unbeschadet der Gelindigkeit in der Seelen- und Tonbewegung und der Gleichmäßigkeit in den Mittelstimmen erfolgen; g im dritten, und noch mehr li im sechsten Takte müssen als Gipfelpunkte her- vortreten. Der Baß tritt schon durch seine Bewegung und vollere Tonreihe hervor; im Stlirkemaß steht er den Mittelstimmen gleich, oder darf sie wenigstens nicht auffallend überbieten.

In dem kleinen Zwischensatze, der die Stelle eines zweiten

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Teils einnimmt, sind die Töne a gls a in Ober- und Unterstimme (die jener nachahmt) hervorzuheben; sie sind der Kern des Sätz- chens. Der erste Teil steigert sich bei seiner Wiederkehr (als dritter oder Schluß des zweiten) bedeutend. Beethoven hat den Gipfelpunkt der Erhebung mit ff bezeichnet. Die höchste Schall- kraft wird wohl erst später zur Anwendung kommen: hier mul.) bis zum Forte vorgeschritten und den beiden letzten Steigerungs- momenten, fis und e in der Melodie, durch zurückgehaltene Bewegung Nachdruck gegeben werden. Die höchste Steigerung tritt erst ein, wenn im Anhange das Thema in Moll, gleich anfangs mit der Vor- schrift fortissimo auftritt/'^) Bei dieser Steigerung, die der Baß mit seinem weit hinaufdringenden Achtelgange vollführt, muß die ganze Schallmacht zur Anwendung kommen und durch Zurückhalten der beiden ersten Achtel im ersten und zweiten Takte des Gangs noch bedeutsamer werden. Es ist ein Kraftmoment, der die ganze Sonate

*j Ist diese Annahme, besonders das zum ersten //' Bemerkte, nicht im Widerspruch mit Beethovens Bezeichnung? Keineswegs. Fortissimo be- deutet nicht durchweg „auf das allerstärkste", sondern sehr stark, stärker als Forte, es schließt, wie jede Stärkebezeichnung und wie die Bezeichnungen des Zeitmaßes (S. Ol), viele Grade in sich. Diese müssen nach dem jedes- maligen Sinn erwählt worden. Beethoven iiat //' vorgezciclmet 1. für den Abschluß des Hauptsatzes, 2. für den Abschluß dos Seitensatzes (12—10 Takte weiter) und gleich dahinter />, ?). für den Hauptsatz in Moll, der aber noch in sich selber, im Achtolgange, bedeutende Steigerung fordert. Sind diese vier Momente von gleichem Gewicht? gewiß nicht. Beethoven, oder vielmehr der Kunstsprache, liaben nur hinreichende Zei(;hen i'ür alle Grade des Forte gefehlt.

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^anz eiitschioden überragt, aber nach Vorschrift iiiul Inhalt außer allem Zweilei steht.

Eine letzte Bemerkung- zum Minore des Sclierzo. Im An- t'anjie des ersten 'reiles

ist lue zweite Stimme (e \ c) die eigentlich melodieführende, die

erste mit ihrem f e d\ c tritt nur nachahmend zu. Folglich muß sie am Vortrag der ersten nachahmend teilnehmen. Dies ist oben angedeutet. Die Anfangstöne beider Stimmen fordern wohl einen leichten Nachdruck. Das alles ist nur durch entsprechende Hand- lage (S. 44) zu bew'erkstelligen. Selbstverständlich wird derselbe Vortrag auch ])ei den Wiederholungen angewendet.

Es dur- Sonate Op. 7.

(Biographie, Teil I, S. 171.)

Eins der feinsten Tongebilde, die wir überhaupt besitzen. Der erste Satz ein überreicher Kranz mannigfaltigster Blüten und dabei zu vollkommnem Zusammenwirken geordnet, weil das Ganze selbst einem einigen Antrieb im Geiste des Tondichters entsprungen ist. Daher genügt es nicht, w^enn der Darstellende joden einzelnen Moment für sich richtig orfaßt; er muß auch das Verhältnis eines zum andern und ihren Zusammenhang zur Anschauung bringen.

Der erste Satz der Sonate hat sieben Jfauptraomente, die hier nach dem Anfang eines .jeden angeführt

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lind mit Buchstaben bezeichnet sind. A ist der Hauptsatz, C, D, E sind SeitensätzG, F, G und H sind Schlußsätze wenn man nicht E oder F und G ebenfalls als Seitensätze bezeichnen ^^i\l , ein Zweifelpunkt, der hier kein Gewicht hat. Hiermit ist aber der Inhalt noch nicht erschöpfend bezeichnet, weil mehrere der Sätze wesent- liche Ausführungen und Umgestaltungen erfahren, die fast als selb- ständige Gedanken gelten können. Es sollte nur ein Anhalt ge- l)0ten werden, sich in dieser Fülle von Gestalten zurechtzufinden. Der ganze Satz sprüht von frischem, glanzvollem Leben, das Tempo, „Allegro molto con brio", ist im ganzen das vollkommen ofemäße, wird aber bei einzelnen dieser zahlreichen Sätze und Aus- führungen mancherlei Wandel erfahren müssen. Man findet hier reichlichen Anlaß, über Taktfreiheit und Maßhalten, besonders über Verschmelzung verschiedener Bewegungsgrade nachzudenken. Der Hauptsatz A (vollständiger unter A und B S. 79 angeführt) tritt le])endig mit Betonung auf die Haupttönc der Takte 1, 3, 5, 7 und mit Steigerung des Takts 3 über 1 und 7 über 5 in fließender Achtelbewegung von Takt 5 an hervor. Takt 13 scheint sicli ein neuer Satz, a,

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hervorzutun, es ist aber nur eine neue Wendung des ersten Motivs, wie sich bei b und Takt 16 zeigt. Diese ganze Partie hält am Tempo fest, die Achtelgänge werden fließend und glatt, nur mit Betonung (und ganz leisem Anhalt oder Absatz) der Haupttöne von Takt 19 und 23 ausgeführt. Wo will das enden? Takt 25 tritt schon wieder das Hau])tm()tiv auf, aber im Sinn der Frage (Sekundakkord, Austritt aus der Tonart) und anlinltvoll, olme Achtelbewegung,

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uiul mit einem Anliaiigo gieiclisam erweitert, das Motiv mit //', der Aidiaug mit pi^ bezeichnet. Offenbar ist hiermit das Bisheri<^e ab- gebrochen, es steht still anf seinem ]\rotive« Hier muß der Inhalt schreibt es förmlich vor auf dem ersten Akkorde geweilt, der Anhang mid.) erlieblich langsamer gespielt, bei Ti und noch mehr i)ei ^"7 muß pausiert (das erste- und drittemal die vorgeschriebene Pause vergrößert) werden. Die Wiederholung dieses Satzes fordert gleichen Vortrag, wohl noch nachdrucksvollern. Dann hat das Zögern ein Ende; die beiden folgenden Akkorde greifen mit frischem Mut und scharf betont zur ersten Bewegung zurück, der auch der erste Seitensatz (C) durchaus anhängig bleibt.

Der zweite Seitensatz (D) schlägt einen neuen Ton an, er scheint den Ungestüm abbitten, versöhnen zu wollen, Glied für Glied (2 Takte, nochmals 2, dann 4) liaben denselben Sinn, der nur sanft gesteigert, bei der Wiederholung

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sprechcnd wird, daß man fast Worte zu vernehmen meint. Der Satz muß wohl von Anfang an um ein kaum merkliches langsamer genommen werden, jedenfalls muß die Ausführung in Achteln auf Jedem ersten .Vchtel im Takte weilen und von da ab sich neu be- leben, jedes Glied aber ('i c /> /y), wie schon die Tonrichtung zeigt, Seelen- und klangvoll einsetzen und um ein weniges abnehmen.

Das ül)er die Noten gesetzte Zeichen

soll dies in Eriimerung

bringen, rührt aljer nicht von Beethoven her; wer kann alles be-

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zeichuon? Das zweite Glied (^6' d c a) setzt um ein weniges klang- voller ein.

Jene Äclitelfolge setzt sich zuletzt weiter fort und muß sich nach Bewegung und Schallkraft bis zu dem mit ff bezeichneten Punkte steigern, der die ursprünghche Bewegung wieder erreicht. Der folgende dritte Seitensatz (E) wiegt sich in weicher Ruhe und milderer Bewegung. Die kleine Melodie {c\h f\e) fordert Bindung mit sanftem Nachdruck auf /', auch wenn sie in die linke Hand fällt; die Oktavenfigur in der rechten muß sanft und fließend und durchaus untergeordnet gegen die Melodie geführt werden. Ihre Weiterführung (Takt 8 und 9 des Satzes) greift zur ersten Be- wegung zurück, in der auch der Satz F mit Kraft auftritt und in der Wiederholung (in Sechzehntelfiguricrung) seine Kraft noch steigert. Beidemal müssen die Haupttöne jedes Taktes betont werden, der Schluß aber (Takt 7 und 8 des Satzes) muß kräftig, wenn auch nicht fortissimo gegeben Averden. Auch hier ist ff nur als „kräftig" zu verstehen, die äußerste Kraft gar nicht anwendbar.

Der erste Schlußsatz (G) kann wohl, während die Baü- töne scharf angeschlagen werden, nur leise, gleichsam schwirrend ertönen, worauf der zweite Schlußsatz (H) kräftig mit scharfer

Betonung auttritt und von F an sich leicht und feurig hinabschwingt.

Der zweite Teil des Allegro bringt den Hauptsatz kraft- voll wieder. Die Achtelfiguren, die sich anschließen, vertragen gar wohl eine zunehmende Bewegung, die sich über Takt 1 und 2, 3 und 4, 5 und 6, 7 und 8. ü und 10, 11 und 12 erstreckt, bei jedem Takt- paar aber wieder vom ersten Tempo ausgeht. Dieser Wechsel in der Bewegung ist dem zweitaktigen Bau des Satzes angepaßt und fordert zu gleicher zweit aktiger Steigerung der Kraft auf. Mit kluger Schonung ausgeführt, gewinnt der Satz eigentümliches Ijeben: Übertreibvnig würde freilich zu Widersinn und Verwirrung führen.

Jetzt folgt eine Durchführung des Motivs aus dem letzten Schlußsatze. Hierbei treten auf .jedem ersten Ton des Motivs leise Zögerungen ein, entschiedner zuletzt, wo piano und decrescendo vorgeschrieben ist. Auch das Motiv von A, mit pp bezeichnet, tritt, wohl zurückgehalten auf und st(;llt sich erst bei // im alten Tempo wieder her. Das Weitere bedarf keiner Erklärung.

Auch der zweite Satz der Sonate fordert mu- zu einer kurzen Bemerkung auf. Nachdem der Hauptsatz in (Wlur sehr zart (,.con gran espressione") vorübergegangen, scheint es notwendig,

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iliMi Soitoiisatz in As dui' kräftifi- und vollklin<,»-cn(l auszutuhren. X'oriieschricben ist es nicht, vicJmeiir tinilet man unmittelbar zuvor

zweimal i>i>. und für den Übergang nach As -__ . , also

cresc. und zuletzt decresc. vorgczeiehnct. Aber der Inhalt setzt den angeratenen \'ortrag außer Zweifel.

Über das Minore des Scherzo ist 8. 41 schon das Nötige anuelülui.

F dur - Sonate Op. 10, Nr. 2.

(Biographie, Teil I, S. 174.)

Nur wenige Bemerkungen fordert diese liebliche Sonate.

Der erste Satz gibt gleich nach den präludierenden ersten Takten im Haupt- und im ersten Seitensatze (C dur) wahre Modelle Beethovenscher Melodie. Jede hat zweimal vier Takte, jede hebt sich in sanftem Bogen, sinkt wieder herab und verlangt damit (S. 55) sanftes Anschwellen und Abnehmen: jede fordert Unter- ordnung der Begleitung, sowohl der Sechzehntelfigur als der Viertelfolge. Beethoven gibt auch den Vortrag dieser Begleitung, er hat für die ^Melodie und nochmals für die Begleitung gebundenen Vortrag vorgeschrieben.

Der zw^eite Satz, Menuett genannt, ein Meisterstück in kleinem Räume, fordert wohlabgemessenen Vortrag.

Dunkel und heinüich (due corde würde wohl angemessen sein) und in lebhafter Bewegung, nicht im gewöhnlichen AUegretto- Zeitmaß (das Beethoven angege])en hat) hebt sich die Melodie empor, beide Stimmen in vollkommner Gleichmäßigkeit. Takt 5 findet sich eine Oberstimme hinzu, und von hier würde kaum stärkerer, aber hellerer Klang (tutte corde) gemäß sein. Der ganze Satz muß gelinde wachsen; er findet seinen Gipfel Takt 6 im Vorschlagston es, auf dem ein wenig verweilt wii'd: von da sinkt der Satz wieder in Stille zurück. Die Wiederholung dieses ersten Teils wird genau ebenso vorgetragen. Der zweite Teil beginnt mit zwei einander nachahmenden Stimmen, die wohl gleichmäßig so

104

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vorgetragen werden müssen, während Beethovens .y/' sich mehr auf die Begleitung bezieht.

Xun kehrt die erste Melodie in der Höhe wieder; es ist für den mit dem Instrumentale Bekannten kaum möghch, dabei nicht an die süße Flöte zu denken, deren Gesang hier hoch in der Himmelsbläue schwebt. Gewiß ist sanfter, weicher, akzentloser Vortrag hier der gemäße.

Der Des dur-Satz (Trio, nach der technischen Sprache) ist einer von denen, die mehr im Elemente des Klangs und Zusammen- klangs wesen, als in der Melodie, die sich hier erst Takt 11 be- deutsam hervorhebt, und auch da ist noch das Element der Harmonie gleichberechtigt, wo nicht vorherrschend. Gleicliwohl muß bei vollkommen gleichem und leisem Anschlag aller andern Stimmen die Melodie (Oberstimme) um ein unmerkliches vor- herrschen.

Xun beginnt das Element des Klangs sich in eigentümUcher Weise zu entfalten, indem es die verschiednen Tonregionen lang- sam und durchaus sinnvoll wie es bis dahin kein Komponist für das Piano ersonnen durchschwebt. Der Satz hat anfangs tiefe Lage (Des'f) gehabt. Das muß auseinandergesetzt werden; die höhern Töne derselben Lage (f - /) beginnen die Wiederholung des Satzes, aber die tiefen Töne (Des-des) schlagen nach und stellen damit die Tiefe greiflich hervor; ja die Tiefe wird gleichsam per- söidich.

'f sf sf

indem sie Melodie (KeckO gewinnt. Der kleine Melodiesatz muß bis (jes wachsen, da unmerklich Aveilen und dann ausgeiien. Beethoven hat die drei sf gesetzt, und vollkommen richtig, denn diese drei Töne müssen fühll)ar werden. Nur darl' man diese sf niclit in Avillkürlicher Schärfe, sondern dem Sinne gemäß (S. 52) ausführen; nur selir mäßige Kraft, durcb geringes Weilen unter- stützt, will hier ziemen.

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So luit sich gegen die llarniünicinasse eine Melodie gestellt, und zwar in der Tiefe. Jetzt sclnvebt die Harmonie in der Mittel- lage der Töne (f-ccs und t'-</cs), und die Melodie entgegnet die

Flöte I in der Höhe (/'-/), die Harmonie tritt in die Höhe (/■-/), die äußerste, die ihr ziemt, und die Melodie tritt in die höchsten

Töne (ges-a) unter der jetzigen Harmonielage. Das Violoncell bringt sich in Erinnerung.

Der letzte Satz ist „Presto" überschrieben; wohl mag Beethoven in seiner Virtuosenzeit so gespielt haben, später, als er mehr darauf Bedacht nahm, alles zu vollem Verständnis zu bringen, schwerlich. Der Satz ist weder glänzend noch leiden- schaftlich, sondern launig. Jenes würde er auch durch das schnellste Zeitmal.) nicht werden; aber sein Humor wird verwildern, wenn man nicht ein weniges vom Presto abläßt.

D dur- Sonate Op, 10, Nr. 3.

(Biographie, Teil I, S. 177.)

Lebensvoll und geistvoll, dem Charakter nach die erst(^ große Sonate Beethovens, obgleich sie nicht so genannt ist.

Das erste AUegro entwickelt seinen Hauptsatz, den ersten,

ans einem Motiv von vier Tönen, d äs h a, das sich auch noch weiter geltend machen wird. Dieser Hauptsatz, die ersten vier Takte, steigert sich im Vordersatze nach Bewegung und Kraft bis auf die letzten drei Töne, die zur Steigerung der Kraft (S. 71) zurückgehalten werden. Der Nachsatz fällt in das Tempo zurück und wird in Achteltigurierung wiederholt. Er ist bis zur Schluß- wendung diuxhaus vom ersten Motiv gebildet. Für dies Motiv hat Beethoven gleich anfangs einen Wink gegel)en;

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denke man sicli den ersten Ton hervorgehoben (das tut hier die Oktave), den zweiten Ton, eis, an den ersten geschliffen und etwa wie bei f auf ein Achtel verkürzt (das deuten die Punkte an), endlich die Tonreihe des Motivs ihrer Eichtung gemäß abnehmend, (^321^ ), so hat man die Spielweise, deren das Motiv durchgängig, wo es auftritt, begehrt. Beethoven konnte das unmöglich überall andeuten. Zuletzt wiederholt sich der Vordersatz und setzt sich zwei Takte weiter fort, die Steigerung treibt sich von selber weiter, die letzten Töne fordern größeres Weilen, ohne zu be- friedigendem Schluß zu kommen.

Die Unbefriedigung am ersten führt zu einem zweiten Hauptsatz in H moll, ganz fremd dem ersten, ein klagendes Tongebilde, das liedförmig einen ersten Teil bildet, einen zweiten Teil ansetzt, dann aber denselben ohne Schluß als Gang zu dem ersten Seitensatz in A dur ausweitet. Alles das fordert hier gar keine Erörterung. Ein zweiter Seitensatz, zart und lein- gebildet gleich dem ersten, folgt. Unter ihm macht sich das Motiv wieder zu tun. Es tritt gleichsam unvermerkt in der Unterstimme heran, dröhnt in der Unterstimme leise fort, arbeitet sich in wechselnden Stimmen (je zwei und zweien) herum hier ist schärfere Betonung des je ersten Tons vorgeschrieben und not- wendig — und wächst endlich zum weiten Baßgange, zunehmend an Stärke, den ganzen Satz bis zum Fortissimo steigernd und nachdrucksvoll zuletzt anhaltend. So schließt der weite, wechsel- volle Tonerguß. Zwei Schlußsätze, ein bewegter und ein ruhiger (etwas weilend vorzutragen), geben dem Schluß Ruhe. Dann führt das Motiv zum Anfang und der Wiederholung des ersten Teils und in den zweiten.

Das Largo ist ein Gesang tiefer Melancholie. Die Melodie des ersten Satzes muß über den vollkommen gleichmäßig und piano, aber doch klangvoll ertönenden Akkorden der Begleitung nicht bloß hervortreten, sondern auch in Jedem Tone den richtigen Ausdruck erhalten; P>eethoven hat hierauf so viel Gewicht gelegt, daß er sie zuletzt (Takt 0 und 7) mit Oktaven verdoppelt. Gleiches Hervorheben gebührt auch der Melodie des zweitem Satzes, die gebunden und mit feiner, aber fühlbarer Betonung vorgetragen sein will, während tief darunter die begleitende Stinune still und unscheinbar mit ihrer Sechzehntelligur dahinschleicht.

Zuletzt, ini Anhange, tritt die erste Melodie (nur zwei Takte weit) in der Tiefe des Basses auf, wiederholt sich da und führt

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sich weiter. I3as alh'S lunl.» gieichsaiii als dunkles GeluMuinis vonil)erzieheii, die Hegleituiiii', erst Zweiiiiuldrciüigsteltriolen, dann Vierundseclizigstel. iniiß einem Hauche i^lcich beiiinncn, sehr all- mähhch anwachsen, zuletzt scharf eingreifen und nach dem vor- gezeichneten Forte sogleich wieder in das Piano zurückfallen.

Pathetische Sonate Op. 13.

(Biognipliie, Teil 1, S. 185.)

Der erste Satz dieser Sonate ist „Allegro molto e con brio" überschrieben, doppelt und dreifach schnell. Dennoch möge man sich vor Übereilung hüten. Die Ausführung würde selbst im schnellsten Tempo nicht gar schwer fallen. Aber nicht alles, was man kann, soll und darf man. Der Inhalt fordert große Lebhaftig- keit, und dies, als das Allgemeine, schreibt Beethoven vor; aber sein „pathetischer" Charakter liegt nicht bloß in der Breite der Ton- massen, sondern auch in zahlreichen Momenten, die Besinnen und Nachdruck fordern. Dann muß man auch auf das Grave Rücksiclit nehmen, das den Satz einleitet und zweimal wiederkehrt. Es würde nicht wohlgetan sein, das Zeitmaß des Grave und des Allegro allzu weit voneinander zu entfernen. Wenn mich das Gefühl nicht täuscht denn unbedingte Vorschrift läßt sich in solchen Fällen nicht begründen , so dürfte die Bewegung des Allegro kaum viermal so lebhaft sein wie die des Grave, vier Allegro- Viertel etwas weniger Geltung haben als ein Grave- Viertel.

Das Grave tritt schwergemessen auf, neben der Oberstimme tritt die Baßmelodie in gleicher Bedeutsamkeit an, nur daß ihr Gewicht mehr auf die ersteji Takttöne, das der Oberstimme mehr auf die dritten Viertel fällt. Die erste kadenzierende Figur der Oberstimme sollte schwungvoll und kräftig ertönen, die zweite leise und zart.

Der Hauptsatz (S. 41») des Allegro schließt einen G(^.gensatz in sich. In Vierteln strebt er aufwärts und fordert dazu Steigerung nach Kraft und Bewegung. In breiter Folge von Hall)takttönen senkt er sich nieder. Hier scheint der erste Halbtaktakkord ein wenig zurückgehalten werden zu müssen, um gleich den Sinn dieses

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Niedergangs „die Klaue des Lüwcu!" fcstziistelleu. Das Weitere kehrt zur ersten Bewegung zurück. Jn diesem Sinne scheint das yorgeschriebene „cresc." zu verstehen. Wollte man es wörtlich nehmen, so würde der ganze Vordersatz und dazu der

Gipfelpunkt des Satzes (c) piano bleiben und dann erst ganz gegen den Tonsinn beider Satzhälften das crescendo erfolgen; und dieses crescendo würde zum piano der Wiederholung führen. Beethoven hat richtig gefühlt und jenes Wort nicht etwa falsch, sondern nur im uneigentlichen Sinne gebraucht; wo soll man neben den Noten Raum finden, alle Wendungen des Vortrags genau zu bezeichnen? Wenigstens scheint der Vortrag, wie er hier be- schrieben ist, mit Steigerung und Senkung an Schall- und Be- wegungskraft — und das zweimal Einfachheit und Großartig- keit zu gewinnen, dem Sinn des Ganzen gemäß.

Für das Adagio sei nur nochmals erinnert, daß die Melodie nicht bloß über die l)egleitenden Sechzehntel (später Sechzehntcl- triolen) hervorgehoben, sondern auch in sich selber vollkommen sangesmäßig vorgetragen werden muß, mit allen Betonungen, Au- und A])schwellungen, die man ihr geben würde, w^enn man die Hand für sie allein verwenden könnte. Selbst ausgezeichnete Spieler versäumen das letztere und begnügen sich (durch die technischen Schwierigkeiten neuerer Kompositionen in diese Manier hincingezwungen) am erstem. Aber Beethoven kann nicht so mecha- nisch abgefunden worden wie Thalberg und seine Gesellen. Bei jenem ist die Schwierigkeit nicht so groß; man muß nur Gefühl und Hingebung mitbringen.

G dur - Sonate Op. 14, Nr. 2.

(Biographie, Teil I, S. 179.)

Nur wenig Bemerkungen zu dieser lieblichen Sonate; vielleicht sind auch die wenigen überflüssig.

Feinheit und Anmut müssen im ersten Satze das Spiel jedes Tons lenken, liier würde die Beobachtung ausgebildeten Viohnspiels (S. 84) auf das (erwünschteste Früchte tragen. Gleich

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ilas crsto .^lotiv von sechs Noten niiil.'. auf das innigste, durcliaiis Jielunulen und sanlt mit zarter Hebung* des zweiten Tons lieraus- konimen. zum drittenmal sich ein wenig steigern, zum viertenmal

norh moiir. mit gelinder Seliiirt'uug des c und weilendem Nachdruck

aut a. Dazu mul.'. der Bai.) als untergeordnete, wenngleich nicht bedeutungslose Stimme nur so hineinspielen; er ist wie zustimmende Gebärde zum beseelten Gesaug der Oberstimme.

Den Schlul.» der Oberstinmie hat Beethoven so, wie hier bei a

, a ^ "-^^ ^''-^^ ^"^-^v ,%^^ b IV und

bezeichnet, mit einem Bindezeichen für die Noten jedes Viertels. Es fragt sich nun, ob die bei b getroffene Bezeichnung der Figur nicht noch feinere Gestaltung gäbe? Das wäre keineswegs ver- messenes Mäkeln an der Vorschrift des Meisters, sondern nur ein Versuch, seine Vorschrift genauer zu deuten; er selber hat w^ohl- getan, einfach wie bei a zu bezeichnen und die letzten, der Schrift doch unerreichbaren Feinheiten der Ausführung dem Spieler zu überlassen. Gleich darauf, am Schlüsse des Seitensatzes, kehrt dieselbe Bezeichnung

zu ähnlichen Tongruppen, nur in doppelter Jjänge der Töne, wieder. Hier würde die Spiclweise von b in vorigem Notensatze nicht zu billigen sein; denn hier gleitet der Gesang ganz still und sanft über die drei und zwei Töne, ohne daß der zweite jemals Nachdruck erhielte, wie zuvor dreimal.

Die bald darauf so fein hineinspielenden Sechzehnteltriolen (zwei und zwei mit 6 bezeichnetj sollten einen leichten Nachdruck auf dem vierten Ton erhalten.

Die Terzengänge des Seitensatzes ])ilden ein I3uett, den Gesang zweier gleicher Stimmen. Hier darf nicht, wie sonst meistens, die f)berstimme geschärft und hervorgehoben werden; die beiden Stimmen zwitschern ihre unschuldige Weise gleich sanften Vöglein, und die Begleitung geht ])eiher. Zuletzt vertieft sich der Sinn, und der Baß bildet in sanfter Würde seine eigene Melodie

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heraus. Man weiß gar nicht, wie weit der liarmloseste Anfang* noch vorschreiten kann. Doch geschieht das niemals anders als in voller Charaktereinheit mit dem Anfang. Diese Einsicht muß auch der Si)ieler gewinnen.

Gleich im zweiten Teile kann er es bewähren. Das zuerst so heitre Motiv beginnt hier in Moll, getrübt, und gerät bald (Takt 7) in eifervolle Erörterung zwischen zwei Stimmen, tritt dann (bei /) zu weitreichender und schwungvoller Auseinandersetzung in den Baß, es ist eine neue, ernst dreinredende, ja strenge Persönlich- keit, die das Wort nimmt und jenes anfangs so harmlos spielende ]\Iotiv so weit führt, wohinaus es nie gedacht. Die Nachwirkung zeigt sich am Schlüsse des Satzes; vergebens liarrt man der Rück- kehr der ersten süßen Heiterkeit.

As dur- Sonate Op. 26.

(Biographie, Teil I, S. 193 )

Statt gewöhnlichem Allegro hat diese Sonate als ersten Satz Variationen sinnigen Gehalts. Vom Thema angefangen durch alle hindurch will jeder Ton mit Seele gelaßt und jede Stimme bei ihrem Hervortreten verständnisvoll eingesetzt und geführt sein.

Die Melodie des Themas setzt saftig wie frisches Leben

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gleich in Oktaven ein, die genau zusammenfallen müssen: die drei oder sechs „«s" werden sanft gesteigert, die Akkorde Takt 3 und 4 vollklingend aber sanft in vollkomniner (ileichzeitigkeit der Töne angeschlagen. Nur dei* Baß, dem den ganzen Satz durch bedeut- same Melodie zufällt, müßte durch gelinde Verstärkung und Stakkato

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von ileii andern Stimmen ahiiesondert ^\el■do^. Weitcrliin (Takt ;"> bis 8) wird er i];-el)unden nnd siniicnd, mit B(3tonnng' des /' vorge- tragen. Sein IJesang- erinnert an die Weise des \'ioloncells. So alles Weitere.

Aueh in der ersten \'ariation meint man den Weclisel-

g-esang des Moloneells und der Klarinette, weiterhin (/ as h f es) der Flöte zu vernehmen, das heißt, an die schmelzende Weise des ersten, an den wohligen Klang des zweiten, an die luftige Natur des dritten jener Instrumente erinnert zu werden. Man kann hierin mehr oder weniger weit gehn: jedenfalls reizt eine solche Erinnerung zu ]\rannigfaltigkeit der Spielwcise.

Die zweite Variation legt die ]\[elodie erst in den Baß, dann in eine Mittelstimme. Das Spiel setzt sanft und dumpf ein, erhellt und stärkt sich im Fortgange. Die Melodie muß hervor- treten. — also Takt 1 und 2 die ganze Hnke Hand, Takt ;> und 4 die Töne as as h \ c b, die Zweiunddreißigstel, dann die Töne des des c \ fh es und so fort. Alle sonstigen Töne des Basses und das ganze Spiel der rechten Hand ordnen sich der Melodie unter, ob- w^ohl auch sie sich gelegentlich steigern und wieder zurückgehn.

Die dritte Variation läßt wohl geringe Steigerung des Tempos zu. setzt piano an und geht crescendo bis Takt 8, dessen erste zwei Achtel angehalten und durch leichten Absatz vom Folgen- den gesondert werden. Der zweite Al)schnitt vom Auftakt und Takt 9 bis 16 beginnt wie der erste, steigert sich wie dieser in Bewegung und Kraft und wird wieder durch leichten Absatz vom Folgenden gesondert. Die nächsten zweimal zwei Takte werden zu- rückgehalten und scharf betont, jedes der beiden Glieder abgesetzt. AN'enn schon die ganze Variation einen dumpfen Trauerton anschlägt, so tritt dieser Sinn in den vier Takten bestimmt zutage. Die nächsten sechs Takte sind die Folgerung daraus und müssen im ersten Zeitmaß genommen, wo nicht ein wenig zurückgehalten werden. Dann beginnt wieder das erste Spiel mit fühlbarer Zu- rückhaltung des vorletzten Takts. *

Bei der vierten Variation müssen die vorgreifenden Töne

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es, as, y USW. hervorgehoben werden, aber nur nach Verhältnis der Stärke des Ganzen, die anfangs auf pp bestimmt ist. Die mit

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cresc. bezeiclmete vStelJc Takt 7 und 8 kann ein wenig zurückge- halten und mit schwerem Anschlag gespielt werden.

Daß der Anhang zur letzten Variation mit äußerster Sorgfalt gespielt werden will, fühlt jeder. Die Melodie muß zart und überredsam singen, die Sechzehntelbegleitung sich still unter- ordnen, der Raß in den ersten sieben Takten gleich dem pizzicato des Kontrabasses in dumpfen, kurzen Schlägen, dann gleich dem Violoncell im AVechsel mit dem Kontrabaß mit feinen Bindungen in das Spiel der andern Stimmen hineinlangen.

Der dritte Satz der Sonate ist jener berühmte Trauermarsch auf den Tod eines Helden. Mag jene Sage, daß Paers Trauer- marsch auf den Tod des Achilles Beethoven zu seiner Komposition veranlaßt habe, gegründet sein oder nicht, jedenfalls ist es ein Held, der hier bestattet werden soll.'') Damit ist die schleppende Bewegung unvereinbar, in der fast ausnahmslos der Marsch gespielt wird. Es sind ja nicht alte Weiber oder wackelige Bourgeois, die der Leiche folgen! man hat sich das H(^er, das Heer in Waften zu denken, die Ijenarbten Krieger mit zornbleichem Antlitz, die der Gefallene so oft zum Sieg geführt und zum Ruhme. Hiernach ist die Bewegung ungefähr auf Allegro moderato zu setzen. Und es kommt dabei gar iiicht in Betracht, ob dies das Maß für wirk- liche Soldatenmärsche ist; denn nicht ein solcher, sondern ein idealer Marsch liegt vor, Teil eines freien, an kein äußeres Gesetz gebundenen Kunstwerks. Im Trio meint man das Geroll der Trauertrommeln und den scharfen- Einschjei der Bläser zu vernehmen.

Der Marsch übrigens rückt in vier Abschnitten von je vier Takten heran. Man darf sich vorstellen, daß der Trauerzug von ferne herannaht. Pliernach würde leise begonnen und langsam bis zum bangen Akkorde Takt 2 des vierten Abschnitts gesteigert werden; die ersten zwei Al)schnittc können a dae corde gespielt werden, bei dem Einsatz des dritten (H nioll) werden dann tutte corde genommen. Nach den vier Abschnitten folgt ein neuer, in dem mehr persönliche Klage vernehmbar wird (pianissimö, das //" nach Verhältnis des pj) zu vcrstehn), und dann kehrt der Haupt- gedanke wieder mit vollerm Einsatz und nun erst bis zur Vollkraft (auf dem drittletzten Takte) gesteigert und mit kräi'tigen GriOon schließend. Nach dem Trio setzt der Marsch wieder ein, steigert

*) Vgl. Ijiogr. I, PJl

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sich wie zuvor, »lail al>cr nicht im />/;, sondern in Mittolstärko hoginnen. Der Anhan«- kehrt in (his Pianissinio zurück.

Der rastlos ihihintliel.'enile vierte Satz darf ja nicht über- eilt werden, damit man jede 8timmenwenthnii>' deutlich verncdime und in sich aulnehme.

Phantasie -Sonate Op. 27, Nr. 1. Es dur.

(Biographie, Teil I, Seite 149.)

Eine Reihe von Sätzen, technisch l)etrachtet ohne sonderliche Schwierigkeit, die gleichwohl für sinnvolle Darstellung ein sorg- fältiges Studium erfordern.

Der erste Satz beginnt mit der Einfalt eines stillen Volks- liedes und hält diesen Charakter durchweg fest; die Melodie mul.) vor den ]\Iittelstimmen sanft hervortreten, der Baß spielt sinnig, gleichsam verstohlen hinein, bis er zuletzt (Teil 2 Takt 2) an- dringlicher und von da ])edeutsamer wdrd.

Nun hebt ein zweiter Liedsatz an, einfältig wie der erste, aber bewegter und bewegender. Die Melodie muß nicht bloß her- vorgehoben, sondern in ihren Momenten so sinngemäß

ten. teil.

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a-

(scliärfster, aber immer noch gemäßigter Nachdruck auf a) geführt werden, als es die Hand vermöchte, wenn sie nur die Melodie, nicht einen Teil der Begleitung dazu auszuführen hätte. Diese Forderung wird, je tiefer man in l>eethovens Werke dringt, zur unerläßlichen Bedingung. Die vollstimraigen Akkorde der Begleitung müssen pianissimo in vollkommner Gleichheit aller Töne erklingen, durch- aus untergeordnet gegen die Melodie, aber mit ihr an- und ab- schwellend. Um den Klang zu verklären, müssen die Dämpfer ge- hoben werden (Ped.), wo es ohne Verwirrung der Akkorde und Störung der Melodie (z. B. Takt 2) geschehen kann.

Es folgt (gleichsam als Trio) ein mit „AUegro" bezeichneter Satz, in dem freudige Erwartung (oder Erinnerung?) webt. Die

Marx, AnJ. z. Vortrag Beetb. Klav.- Werke. S

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Bewegung darf nicht übermäßig schnell sein, damit der Satz mit dem vorhergehenden und nach dem 8clüusse sich wiederholenden Andante keinen allzu schroffen Gegensatz bilde.

Erst nachdem das Andante geschlossen, gleichsam erloschen ist, folgt der zweite Satz, „Allegro molto vivace" bezeichnet. Er mul.) wenigstens so schnell (wohl noch schneller) genommen werden, daß seine Viertel den Achteln des vorigen Allegro gleich- stehn. Es ist ein hastiges, i'uheloses Treiben in diesem Satze, voll Heimhchkeit und verhaltner, plötzlich hervorbrechender Leiden- schaft. Die ersten zwei Takte jagen leise, fast akzentlos vorüber, die folgenden zwei fordern Betonung der ersten Takttöne,

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die nächsten zwei Takte bleiben wieder fast akzentlos. Ebenso werden die nächsten vier Takte genommen, bei dem vorgezeichneten Forte werden die ersten Töne jedes Takts sehr scharf akzentuiert, die folgenden weit weniger stark gespielt. Nur dieser Erinnerung be- darf es, die ihren Grund im ganzen Bau und Inhalt des Satzes hat. Bei dem Einale muß wieder vor Übertreibung des Tempo (Allegro vivace) gewarnt werden. Der Inhalt darf nicht einen Augenblick undeutlich werden, der emphatischen und würdevollen Sprache muß durchaus Genüge geschehen.

Phantasie -Sonate Op. 27, Nr. 2. Cis moll.

(Biographie, Teil I, S. l.'Ui a. 299.)

Diese Sonate liat, wenn nicht alle dahinzielendon übediere- ruiigen täuschen, einen ganz ])estimmten Inhalt: sie ist der Wider- hall dessen, was in Beethovens Brust vorgegangen war, als er ahnte und schon als vollendet ansah, daß das Band der Liebe zu Julia

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Guicciardi, der die Sonate gewidmet ist, sich löse. Will man aber auch die Überlicterung- als unsicher ansehen, so ist doch der Inhalt der Sonate jenem Seelenzustande so ganz entsprechend, dal.) er den Spieler in der Auffassung Satz für Satz leiten kann. Nament- lich aiht er Aufschlul.') über den Innern Zusammenhang der drei Sätze der Sonate, au dem selbst vorzügliche Musiker irre ge- worden sind.

Der erste Satz ist jedem, der zur Musik ein Herz mitbringt, sogleich verständlich: ein Lied der Klage, der Entsagung. Die Begleitung, mit der Vorspiel, Nachspiel und Zwischensätze zu- sammengehören, bilden harfenartige Triolen über einem in der Tieie leise dahinschleichenden Basse. Diese ganze Partie muß leise, gleichmäßig ausgeführt werden mit kaum fühlbarer Betonung der ersten Triolennoten, mit sehr gelindem Ab- und Anschwellen inner- halb der ersten vier Takte, die das Vorspiel bilden. Dann folgt die Bewegung der Hebungen und Senkungen der Melodie." Der Baß tritt erst Takt 16 bis 18, und bei der Wiederkehr dieses Zuges be- deutsamer steigend und in Stille zurücksinkend, hervor. Erst Takt 28 bis 31 werden die ersten Triolennoten durch eine neue Stimme (die nicht als Fortsetzung der Hauptmelodie geltem kann) verdoppelt und verstärkt; von da gewinnen die Triolen, wie schon S. 71 er- wähnt worden, eigne Bedeutung und Gestalt, dann kehrt jene Ver- doppelung wieder. Die Verdoppelung spricht gleich dem Hinein- reden einer fremden Stimme an; das zeigt sich entschc^idend in den letzten zehn Takten, wo das erste Motiv der Hauptmelodie aus der Tiefe {Gis Gis Gis) heraufschallt, nur leise hervorgehoben, ja nicht zu laut oder gar rauh.

]\Ichr als sonst ist es nötig, die Hauptmelodie über die Be- gleitung hervorzuheben und von ihr abzusondern. Die meisten, selbst vorzüghche Spieler, (Tlauben sich, Melodie und Begleitung, wo dieselben in Oktaven zusammenfallen, z. B.

mit flach auffallender Hand und in völliger Gleichheit der Stärke zu spielen. Dies raubt der Melodie den ihr gebührenden Vorzug und lä(jt sie sogar lückenhaft erscheinen, sobald sie mit der Be- gleitung zusammenfällt. Sie muß durchweg selbständig, aber nur

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in zarter Weise, hervortreten. Vielleicht könnte man an ihrem Schhisse, Takt 14 bis 11 vom Ende, eine Ausnahme machen und den erlöschenden Gesang mit der Begleitung in gleichem Tonfall verschmelzen.

Der Gesang beginnt ganz leise und nimmt erst bei dem Wieder- anfang in Fis-moll einen helleren, etwas geschärften Klang an. Daß die Melodie so ausdrucksvoll betont, gesteigert und gemäßigt werden muß, als wäre der Hand nichts neben ihr zugeschrieljen, versteht sich.

Auf dieses Klagelied folgt ein zweiter Satz, Allegretto über- schrieben, und diesem das stürmisch leidenschafthche Finale. Das letztere wird von den Spielern mehr oder weniger gut aufgefaßt: man betrachtet es kurzweg als den Gegensatz zum Klagelied, beide als Ausströmungen des innerlichst bewegten Gemüts. Nur der zweite Satz erweckt Zweifel und ward von den meisten Spielern mißverstanden, folglich sinnwidrig vorgetragen. Den stärksten Ausdruck haben diese Zweifel in dem ausgezeichneten Pianisten, Komponisten und Lehrer Ludwig Berger gefunden, der geradezu aussprach: dieser Satz störe die Einheit der Sonate und müsse weggelassen werden. Daß dann auf einen Cis moU-Satz ein zweiter Cis moll-Satz folgen würde, wäre noch das geringste Bedenken dagegen.

In der Tat, wenn man diesen zweiten Satz als Allegretto nur so hinspielt, immerhin mit den gewöhnlichen Wendungen des Vortrags, so kann man leiclit in die Weise eines Wiener Walzers geraten und müßte dann lieber gleich dem wackern Berger bei- pflichten. Aber hier zeigt sich, wie heilsam es ist, über die Noten liinaus auf die Antriebe zu 1)licken, die den Komponisten zu jenen hingeführt haben.

Das Klagelied ist ein ganz allgemeiner l3^risclier Erguß; aber es ist ein wirkliciier Moment aus dem Leben einer bestimmten Person dieses Beethoven, der da klagt, daß er von seiner rjie))e scheiden muß. Daß geschieden sein muß, dieser l)estimmte per- sönliche Gedanke wird nicht im Lied ausgesprochen; das ist der Inhalt des zweiten Satzes. Diese Abschiedsworte: „0 denke mein! ich denke dein! Lob" wohl, leb' wohl .... auf ewig!" diese ewigen und immer wiederkehrenden Scheidewoi'te Liebender man meint aus den Tönen sie zu vernelnnen. Und wer sie nicht vernimmt, der denke sie sich hinzu. Und wer das nicht vermag, nun, der lege die Sonate beiseite, sie ist niclit für ihn geschrieben.

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Daher ist vor allcMii die vorgezoichnctc Bewegung- des Satzes notweiulig. der Scheidende wendet sich ab, nicht ohne innerliche lebhafte Aufwallung. Daher ist aber eine durchweg gleichmäßige Bewegung ein l nding: sie würde Gleichmut im Gemüte voraus- setzen, während im Sclieidendcn alles wankt. Besonders in den ersten AugenbUcken: nur allmählich kann Fassung und Gleich- gewicht gewonnen werden. Daher sollte lebhaft angesetzt, aber schon auf dem dritten und vierten Ton gezögert werden und noch mehr bei der ersten Pause. Die Wiederholung des Gedankens „0 denke meini" {gc,^ \ f es \ as) mit den nächsten Pausen muß noch weilender erfolgen, denn das Gefühl ist nun erst erweckt, der Gedanke nun erst hellbewußt. Die umgestaltete Y/iederholung des

Satzes (des des c b \ h es) gewinnt erst durch den Zusammenhang tließender Rede, nur mit Stockungen nach es und as, w^o zuvor iörmliche Pausen Kaum fanden: der Schlul.) zögert. Der zweite Teil folgt in geschlossenerer und gleichmäßigerer Bewegung, in den ersten vier Takten üüchtiger vorübereilend, in den zwei folgenden

zurückhaltend, auf e.s lange verweilend, man muß eben dies Schwanken, diese Unstetheit der beängsteten Seele zu verstehn und aus den Tönen reden zu lassen wissen, reden mit jener Sprache innersten Gefühls, die auch ohne Worte von Herz zu Herzen dringt.

Welche Bilder im Trio der erinnerungsvollen Seele vorüber- schwinden, aus seliger Vergangenheit noch einmal herüberwinken, auf dem Hauch der Klänge tröstliche Worte herüberhallcn, wer weiß das? Man muß mit der Seele hören, nicht bloß mit den fleischhchen Ohren. j\lan n:iuß empfinden, nicht taktzählen, der Seele des Dichters, nicht der abstrakten Vorschrift des Tempos und dem arithmetischen Eechenexempel gehorsam sein.

Nun wird erst das Pinale begreiflich. ^Man geht nicht gleich unter, noch weniger wird das ersehnte Glück zuteil, auf das man gehofft, und dennoch muß weiter gelebt werden. Weiter muß man leben im Sturm, glück- und ruhelosen Daseins, die letzte Kraft austoben im L'ngestüm des Verlangens und mit der fruchtlos in die Püfte greifenden Klage. Das ist der Sinn des Finale; schon cinnml. in der F moll-Sonate Op. 2, hat Beethoven keinen andern Ausgang für innerliches Leben gefunden.

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D dur- Sonate Op. 28.

(Biographie, Teil I, S. 194 u. 298.)

„Eiu edler Sinn zieht edle Menschen an", so möchte man mit leicliter Verwandlung des Dichterworts von dieser Sonate sagen. Ein einfaches, großartiges, vielerfahrenes mid noch großer Be- wegungen fähiges Gemüt spricht sich hier aus; der Spieler muß fähig sein, diese stille Großheit und Tiefe in sich aufzunehmen und frei gewähren zu lassen. Für Heftigkeiten und scharfe Gegen- sätze ist hier kein Raum; alles entwickelt sich stetig und ruhig, und eben darin zeigt sich Macht und Großheit. Niemals hat sich der Aberwitz auffallender )3loßgestellt, als indem er (wer weiß, aus wessen Hirn entsprungen) diese Sonate „Pastoralsonate" be- nannte. Der Spitzname bezieht sich offenbar auf den ersten Satz des Finale. Ebensogut könnte man Selon oder Piaton einen Schreiber nennen.

Das erste Allegro legt seinen Hauptsatz (S. 58 ist er gegeben) in ruhiger Entfaltung 10 Takte weit aus; die Oberstimmen schreiten still, aber rhythmisch bedeutsam (Betonung auf die Haupt- noten Takt 5 und 6) abwärts und heben sich wieder ebenso sanft; die Melodie muß gelind über die Mittelstimmen hervorgehoben werden. Daß auch der viertelnde Baß nicht bedeutungslos pulsiert, ist schon S. 58 gesagt; seine Schläge nehmen aus dem Piano vier Takte weit sanft zu, nehmen zwei Takte weit wieder ab, dann nochmals zu. Der Satz wird wiederholt, aber in feinerer Zeichnung und dringender; die Viertel des Basses ertönen eine Oktave höher und dringen darum lebhafter in das Ohr. Die Oberstimmen kehren ebenfalls in höherer Oktav wieder (die Melodie in feinerer Tonlage) und in weiter Harmonie; dadurch löst sich besonders der Tenor los und gewinnt eignen Gesang, dessen erster Ton hervortretend sein muß. die folgenden vier {fU g h c) aus dem IMano empiindungs- voll anschwellend, die letzten drei ausgehend. Zuerst waren also ]\Ielodie, Baß und Mittelstimmen, .jetzt sind Ober- und Tenor- Melodie, Baß und Mittelstimmen, die sich der obern anschließen, zu charakterisieren.

Diese zweimal zehn Takte sind noch nicht erscliöpfend be- funden; ein zweiter Hauptsatz von acht Takten, dem ersten verwandt und unter fortpulsierendem Basse, folgt und wird eben-

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falls wiodorliolt und mit vier Takten Anhang- geschlossen. Allein er ist dem ersti^n Satze nur verwandt, nicht gleich; die zwei Anfangstakte dringen lebhafter über das ursprihigliche Zeitmaf.) hinaus, das im ersten Satze durchaus festhielt; nach diesen Takten kehrt die antängliche Haltung wieder bis zu der die AViederholung einleitenden Achteltigur, die sich in Bewegung und Klangfülle hebt. Die Wiederholung fordert natürlich gleichen Vortrag, nur mit lebhafterer 1 Betonung der jetzt verdoppelten Melodie. Der Anhang tührt zur Euhe zurück und schließt. Die Pausen lassen eine kleine Verlängerung zu.

>suu erst setzt der Seitensatz {h a a cjü h d) in vier und vier Takten an, ruhig in der ersten Bewegung. Mit Achtel- figurierung wird er wiederholt. Hier fordert der Fortschritt zu lebhaftei'n Noten angercgtere Bewegung, aber mit wohlerwognem Ixückhalt. Es sclieint entsprechend, in diesem Satze

die mit a bezeichneten Notengruppen ein wenig zu treiben, die mit b bezeichnete ein wenig zurückzuhalten, alles so mäßig, daß der Fluß des Ganzen nicht gestört wird. So belebt sich allmählich die Achtelbewegung und kehrt in den letzten zwei Takten zum Tempo zurück. Der folgende Satz in Vierteln gehört demselben ganz an.

Wie oben die Bewegung ganz gelinde wuchs, muß in dem mm folgenden Achtelsatzc die Schallkraft 14 Takte weit ganz gelinde wachsen, mit den sinkenden Tönen sinken und dann wieder an- wachsen, bis der ruhende Akkord (c-es-a-es) in Vollklang, der zw^eite (fis-a-dis) noch stärker, ja scharf und beide angehalten hervor- tritt. Von den 'J'riolen und Sechzehntelfiguren schwingen die ersten beiden aus scharfem Einsätze lebhaft nieder, die dritte hält zurück. Dann beginnt das crescendo wieder, aber aus schon ei'höhtem Schallgrade und führt auf dem ersten Halbakkorde (cis-e-a) zu hoher Schallkraft, auf dem folgenden (fis-dis-a) zum Fortissimo, worauf wieder zur Mäßigung zurückgelenkt wird. Der Schlußsatz steht nach Schallmaß und Bewegung dem Hauptsatze gleich.

Für den zweiten Teil sei nur erinnert, daß die häufigen Sforzatos ja nicht übertrieben, sondern nach dem herrschenden

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Schallmaß abgewogen werden besonders in der Höhe. Die ganze Entwickelung über dem Baßtone Fis, in der die Hauptmelodic in der vortiefsten und zuletzt in der tiefsten Stimme liegt, muß von Anfang bis Ende auf ein vollkommnes Verhallen eingerichtet und zuletzt der reine Akkord fis-ais-cis in großartiger Ruhe, fort- gesetzt langsamer bewegt, gleichsam in den Abgrund des Tonlebens versinken. In verwandtem Sinne muß auch der Schluß des Ganzen allmählich verhallen. Hier beachte der sinnige Spieler die mdodische Steigerung im letzten Mclodiegliede,

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die den Auftakt auf a, dann auf d, auf fis, auf a hebt und zuletzt

aber hier verschwindet diese Melodie nach d greift. Es ist eine Überschwenglichkeit, die vielleicht nur vom Sänger vollkommen gefaßt wird. Sehe der Klavierspieler, was für ihn zu tun ist.

Es folgt ein Andante, das den Charakter einer altertümlichen Ballade zu tragen scheint; der Baß begleitet harfenartig, die Ober- stimmen ziehen leise darüber hin; das zweite Viertel Takt 1 und 5 muß sanft hervorgehoben werden. Der zweite Teil bis zur Wieder- kehr des Hauptgedankens fordert schärfere Betonungen.

Das Trio (D dur) ist von Beethoven mit „p^' bezeichnet. Die Bezeichnung ist vollkommen treöend für das Ganze des Satzes, schließt aber selbstverständlich Abstufung der einzelnen Momente nicht aus. Eine solche bietet sich gleich anfangs in dem Gegen- satze der vierstimmig vorschlagenden Akkorde und der nach- folgenden Solo-Figuren; jene müssen zwar nicht stark aber mit Vollklang, als wären es sanfte Blasinstrumente (Klarinetten, Eagotte, Hörner), erschallen, die Soli müssen mit Anmut da- zwischentreten.

Die weitern Partien der Sonate bedürfen für den Vortrag keiner weitern Bemerkung.

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Gdur- Sonate Op. 31, Nr. 1.

(^Biographie, Teil I, S. 196 u. Teil II, S. 2^3.)

Diese Sonate, einer der glücklichsten Momente in Beethovens Laufbahn, fordert, ohne daß sich erhebliche Schwierigkeiten in der Technik zeigten, bloß zur sinngemäßen Darstellung eine voll- kommen leichte, für alle Feinheiten des Spiels bereitete Hand. Es ist, besonders ül)er den ersten Satz, eine Laune verbreitet, die sich fast jedem besondern Rate zu entziehen scheint, außer dem, sie aus den Noten zu erraten und in voller Freiheit gewähren zu lassen. Wie schwerfällig hinken schon diese ernsthaften Worte der Heiterkeit des Tongedichts nach!

Die Leichtigkeit und glückliche Laune des ersten Satzes gibt sich schon in der Kürze der Gliederung, in den halb neckischen, halb schwärmerischen Abbruchen und Anhalten (Pausen) kund; sie seien hier mit Ziffern angedeutet. In 1 greift die Oberstimme um ein Sechzehntcl vor und wird dadurch feiner eindringlich ohne Heftigkeit oder geflissentliche Bedeutsamkeit. Beethoven hat ,:(f-' vorgeschrieben.*) Wir wissen schon, daß damit nicht höchste Kraft, sondern Energie im Verhältnis zum Nebenstehenden gemeint ist, hier darf wenigstens das ff nicht bis zur Härte des Anschlags (wie man es gewöhnlich hört) geltend gemacht werden. \'on diesem Ansätze rollt der kleine Lauf der Melodie leicht und nett hinunter. Für 2 und 3 hat Beethoven schon selber „y'' , für

4 hat er ,/•' vorgeschrieben; im letzteren Gliede können dem Vor- griffe (g-h-e-g) der Rechten der Baß etwas zögernd nachkommen und die Pause nach 4 um weniges verlängert werden. Das Glied 5 hat die erste Bewegung; nach ihm mag eine kleine Ver- längerung der Pause den Abschluß des Satzes fühlbar machen.

Der Satz wiederholt sich in F dur, das erste Glied kehrt als 6 wieder, 7 ist, wie zuvor 2, mit „p'' bezeichnet, 8 mit ,/", das hier wohl nur piü forte bedeuten kann; U und 10 sind wie 4 und

5 zu nehmen; 11 und 12 ebenso, nur 11 etwas schärfer; der weite Sechzehntelgang kann wohl nicht ohne Belebung des Zeitmaßes bleiben, besonders in den letzten fünf Takten. Der Satz wiederholt sich wie bei 1, und stellt sich wieder im ersten Bewegungsmaß

'•) Vielleicht soll nur ^/" stehn. wie bei der Wiederkehr

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auf, seine letzten Glieder vor den Seclizelmteln setzen zögernd an und verringei'n die Bewegung.

Gleicher Vortrag gebührt dem Anhange. Besonders die Sech- zehnteltriolen (erst Doppelschlag, dann Arpeggio) müssen vor jeder Heftigkeit und Übereilung bewahrt, lieber ein wenig zurückgehalten werden. Es ist seltsam , aber erklärlich, daß selbst gewiegte Spieler gerade gegen die leichte und so häutig angewendete Figur des Doppelschlags, dieser anmutigen Umkräuselung des Kerntons, oft so rücksichtslos verfahren.

Das Adagio graziöse, der zweite Satz der Sonate, ist geradezu italienisch zu nennen, nicht etwa Nachklang Rossinischer oder sonstiger italienischer Werke, sondern ideale Darstellung aller dieser Süßigkeit und Hingegebenheit und Erregsamkeit , die man sich unter Hesperiens Himmel vereint denkt. Was später denn die Sonaten Op. 31 sind 1802 bis 1803 geschrieben Rossini zu erreichen getrachtet und in den glücklichsten Momenten erreicht hat, diesen Verein von Süßigkeit und anmutigster Ko- ketterie: das hat Beethoven hier schon glücklich vereinigt. Mit diesem Sinne muß der Spieler sich erfüllen; diese Triller der Ober- stimme müssen in äußerster Schnelligkeit ihres Platterns, in äußerster Gleichheit der Bewegung oder Beschleunigung, aus dem pianissimo bis zu durchgreifender Schallkraft anwachsend und wieder ab- nehmend zur Ausführung kommen,*) dieselben Triller müssen in der nachahmenden linken Hand nur dumpf dahinrollen. In den kleinen Figuren muß auf das zierlichste bald durch Zögern, bald durch Eilen in den einzelnen Noten das eigentümliche Spiel gefallsamer und aufreizender Laune geübt werden, wogegen die Quintolen gegen Ende des Hauptsatzes sich in hingebender Gleichmäßigkeit der Tonfolge gefallen. Das Wort reicht nicht weit hinein in diese Spiele süßer Natur.

*) Sei es Gewöhnung oder was sonst, mir gelingen diese TriUer am besten bei Aufsatz der Finger 1 mid 4 durch Handbewegung, obgleich die gewöhnliche Ausführung des Trillers durch nebeneinanderliegende i'inger mir ebenfalls zu Gebote steht.

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D moU-Sonate Op. 31.

(Biographie, Toil'l, S. 19G ii. Teil II, S. 23 u. 3ö.)

Dieses tiefsinnige Werk gibt gleich zu Anfang des ersten Satzes dem Spieler ein Rätsel auf, von dessen richtiger Lösung der Erfolg des ganzen Satzes abhängt. Nach einem Largo von zwei Takten setzt ein ganz neuer Allegrosatz an, drei Takte lang, im vierten mit Adagio schließend. Dann wiederholt sich der Tjargo- satz von zwei Takten und nun setzt der Allegrosatz (etwas ver- ändert) wieder ein, um sich bis gegen das Ende des ersten Teils lortzuf Uhren. Mag man das Largo Einleitung nennen: was bedeutet dieses Allegro von drei Takten, das in so engem Raum unmöglich seinen Gedanken entwickeln, ihn im Adagio nur aufgeben kann? Was bedeutet dieses Hin und Her vom Largo zum Allegro, dann wieder zum Largo und nochmals zum Allegro? Nimmt man gar die Allegrosätze von Anfang an ganz gescliwind, wie sich vielleicht s])äter das Zeitmaß festsetzen wird und so hat man fast über- all, besonders in Konzerten, Gelegenheit, es zu hören , so weiß man das Schaukelspiel allerdings nicht zu erklären.

Man muß tiefer eindringen.

Das Largo ist Einleitung, Sinnen, das noch nicht zum Ge- danken erwachsen ist. Eine zweite Vorstellung, das Allegro, regt sich und vermag sich ebensowenig zu vollenden. Das Ijargo ist eigentlich nur ein einziger Akkord, der sich langsam darlegt, die ersten sechs arpeggierten Töne setzen langsam ein und folgen in zunehmender Bewegung, die auf dem kleinen a ruht, durch eis und e, zögernd nach a schreitet und da, wie Beethoven vorge- schrieben, längere Zeit weilt. Aber das Allegro ist auch nur An- satz ohne Vollendung und ohne Befriedigung. Es kann unmöglich feste Bewegung haben darauf w(!ist schon das „Adagio" über seinem vierten Takte hin , denn es hat in sich selber keine Festigkeit. Der Satz

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muß vor allem auf ^. == und betont werden, unter 1 mehr

und mehr zurückhalten bis in das „Adagio" des vierten Takts, dagegen unter 2 vordringen; nicht bloß seine ünentscliiedenheit, auch die fernere Entwickelung bedingt dieses Schwanken der Be- wegung.

Das Largo kehrt wieder, auch das Allegro. Bis Takt 5 hat es denselben Charakter wie zuvor, nur erregter, und Takt 3 und 4 mit Betonung und Zurückhält auf den zweiten und vierten Vierteln. Takt 5 geht die Bewegung klang- und sclnvungvoU und mit scharfen Akzenten auf den ersten und dritten Vierteln vorwärts, bis zu den 6/-Zeichen, welche Eückhalte auf den vierten Vierteln andeuten, dann von Takt 10 wieder scharf vordringend bis an Takt 21 des o'anzen Satzes. Die Takte 17 und 18

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grollen vor dem letzten entschiednen Aufschwung im halbstarken dumpfen Klang der mitteltiefen Tonlage mit Verweilen und Schärfung der letzten Viertel. Man bemerke, daß bis zu dem Takt 19 alle Achtel umständlich zu zweien zusammengestrichen sind, erst Takt 19 in gewöhnlicher Weise und bequemer zu vieren. Jene Schreibart deutet auf stoßweisen und absetzenden Vortrag der Achtel.

Nun endlich das Resultat.

Alles bisher Betrachtete bis an den Takt 21 ist Einleitung, Anlauf zu dem mit Takt 21 beginnenden Satze; es ist in sich unbefriedigend, denn es ist unfertig, liegt noch und bleibt im Werden, stellt zwei gänzlich verschiedne Motive gegeneinander. Dieses Ringen, diese IJnentschiedenheit muß zum Ausdruck kommen, und daher ist kein festes Zeitmaß möglich, aber auch kein schroffer Einsatz des Allegro. Denn noch ist nichts, durch- aus nichts bestimmt und entschieden, alles unsicher, schwankend, fraglich. Daher aber, im rechten Sinne gefaßt, ist alles anregend, spannend auf das Kommende, aufregend.

Mit Takt 21 tritt der Jiauptsatz ein, und sogleich in voller Entschiedenheit, also gleich in festem und lebhaftem Zeitmaß

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iiiul mit voller Kraft. Hiormit beginnt also der erste Satz des AllegTO.

Der Hauptsatz legt sich in breiten Abschnitten von vier und vier Takten aus. Sein erstes ]\lotiv (zwei Takte) ist das des Largo, nur mit voller Kraft gesetzt und auszuführen: ihm folgt als (Siegen- satz ein zweites in klagender Stimmung (ebenfalls zwei Takte) und ausdriu'klich mit ,.;r' bezeichnet, wie das erste mit ,.f'' . Das erste Motiv ist das herrschende, beide müssen ungeachtet des obwalten- den Gegensatzes fest verbunden absatzlos ausgeführt und so

J_ P_^ ^ ^ _ _

.77

betont und dann gemäßigt werden. Der Abschnitt wiederholt sich v(»n E aus, dann das erste Glied (das Largomotiv) noch fünfmal auf F, Gis, A, H, c, während das zweite Glied nur durch einen einzehi nachschlagenden Ton sich andeutet. Diese einzehien Töne sind mit „sf'* bezeichnet; sie müssen nachdruckvoll, aber nicht bissig (wie die höheren Töne oft zum Vorschein kommen) und damit kleinsinnig gefaßt werden.

Oben ist für den Hauptsatz festes Zeitmaß gefordert worden. Darunter ist nicht Gleichbleiben der Bewegung, sondern bestimmte Ausprägung des Rhythmus und dadurch faßlichste Abrundung der einzrlnen rhythmischen Partien zu verstehn. Dies fordert die Groß- artigkeit der Entwickelung, zugleich aber fordert das leidenschaft- liche Vordringen des Satzes auch gesteigerte Bewegung. Beide Forderungen lassen sich gar wohl vereinen; kräftige Betonung der rhythmischen Glieder ist das Mittel. So müssen denn die ersten Abschnitte (von vier und vier Takten) fest und großsinnig im Tempo verharren, die folgenden fünf (von je zwei Takten) und der Anhang (von zwei Takten) in der Bewegung langsam und gehalten vor- dringen. Das Vordringen des Hauptsatzes ist um so sicherer ge- boten, als derselbe gar nicht zu wirklichem Abschluß kommt, also in Bewegung bleibt.

Jetzt folgt der Seiten satz. Und dieser Seitensatz bildet sich aus dem Allegroraotiv der Einleitung heraus. Hiermit ist bewiesen, was über Lmfang und Sinn der Einleitung oben gesagt worden.

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Der Seitensatz bildet sich natiirlicli im Sinne seines Motivs aus. Er ist von Beethoven mit ^p"- und „agitato" bezeichnet; seine fast atemlose Unruhe zeigt ihn im entschiednen Gegensatze gegen den Hauptsatz. Die Bewegung kann im Seitensatzc nur unstet sein. Auch er setzt mit zwei Abschnitten von je vier Takten

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an. Aber schon der erste Takt muß nach flüchtiger Betonung de? ersten Viertels seine ersten vier Achtel treilien, dann vom dritten Viertel an zurückhalten; so der zweite Takt. Der dritte treibt vorwärts und erst der Anfang des vierten wird wieder weilend. Gleichen Vortrag fordert der zweite Abschnitt. Von hier wächst Unruhe und Bewegung; vom Abbruche der Begleitung geht die Melodie ganz stark, scharf auf allen ersten Achteln, zuletzt vom zutretenden Basse noch gekräftigt, hinab.

Die folgenden zwei Akkorde fordern ganz volle Schallmacht, und dazu bedeutendes, sehr bedeutendes Zurückhalten, l)esonders nachdruckvolles Weilen auf. dem zweiten Akkorde (d-f-h), worauf die Viertel a gis \ a bedeutend ermäßigt und dem Zeitmaß näher folgen.

Diese zwei Akkorde sind die Gipfel der Erhebung und Kraft im ganzen Werke; sie müss(^n löwenmütig gefaßt werden und ausschallen. Dann wiederholen sie- mit ihrem Gefolge sich in der höhern und noch einmal in der zweithöhorn Oktave mit weiterer melodischer Fortführung bis zum Schluß auf A. Jenes Gipfehnotiv mildert bei jeder Wiederholung seine Schallkraft und kehrt all- mählich zur ersten Hewegung oder doch beinahe bis dahin zurück. Die mit dem Schluß-^ beginnenden sechs Takte halten wieder zurück, besonders ])ei jedem Vorgreifen des I^asses.

Mit dem Anfang des Achtelgangs wächst wieder die l^)ewegung bis zur vollständigen Herstellung des ersten Zeitmaßes; der Schlußsatz steht von Anfang an in demselben fest. Übrigens beginnt .jener Achtelgang loise und wächst (wie vorgeschrieben ist) l)is zur Vollkraft im Schlußsatze. Das anfangs \ orgeschriebene //' deutet nur ein starkes Sforzato für den vorgreifenden Diskant an.

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Die lanii'samen Tiuie zur Iviickrüliriiiiii' in ilen Aiifan«;' und Über- riilininü- in den zweiten Teil hedürten keiner Erklärung'.

Der zweite Teil bringt zuerst das Largomotiv in dreifaeher Wiederliolung und weiterer Ausdehnung zurück. Die kleinen Noten müssen bier in leichtem, schnellem Wurfe, die gTo(.)en wie anfangs zurückgehalten gespielt werden. Dies ist also die zweite Dar- stellung jenes ^lotivs. aus dem der Hauptsatz entsprungen: hat es weiter keine l)estimmung, als einzuleiten? Bis jetzt nicht. Aber zum drittenmal erscheint es am Schlüsse des Teils; und hier ent- faltet sich aus ihm ein ausdrucksvolles Rezitativ: der Harmonie- klang wird Eede.

Schließlich sei noch ausdrücklich vor übereiltem Zeitmaß des Finale gewarnt. Die Spieler machen es häufig zu einem Wiener Walzer oder zu einer Etüde. Es ist aber nichts dergleichen, sondern ein sehr sinniger Satz, von Verlangen durchdui'tet, und erregt bis zum Aufgaren des (jefühls und der Tonwogen, aber durchaus von innerlicher Bewegung, wie die ganze Sonate, fern von j'eder äußerUchen Überhastung.

£s dur - Sonate Op. 31.

(Biographie, Teil I, S. 196.)

Sinnig und voll Schalkheit, und beides im steten Wechsel, gleicht dies Tonspiel einer buschumkränzten Wiese , über die w^echselnd die Sonne Lichtflecken, vorüberziehende Wölkchen und schlankes Gebüsch flüchtige Schatten streuen. Beides, Lichter und Schatten, muß der Spieler in seiner Hand haben. Zuletzt trägt übermütige Laune den Sieg davon.

Mit einer sinnigen Frage liebt das erste Allegro seinen Hauptsatz an, läßt wie im Nachdenken einen Akkordsatz folgen, wiederholt ihn, das alles noch nicht im kommenden rechten Zeitmaß, weilend, wie von Nachsinnen gehemmt. Drei lebhaftere Takte, Schluf.) des l>isherigen und Einleitung des Kommenden, folgen. Aber sie führen nur zur Frage zurück, die sich in der höhern und feinern Tonregion stellt, eine Oktave niederschwebt, in eine z\\H3ite und tiefere Oktave den akkordischen Nachsatz stellt und

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dann wieder den Schluß in der allerersten mittlem Tonlage bringt. Dies wählerische Sclnveben durch drei Tonregionen ist charakte- ristisch. Beethoven liebt es, gleich der Biene hin und her zu schweifen, über all den Blumen, die ihm Honigstoft' bieten, jede verschiednen, und alle zu benaschen; doch ist sein bienenartig Weben selten so emsig zum Vorschein gekommen wie hier in diesem Satze. Der Spieler muß das begreifen und jeder Tonregion den eigentünüichen Klang abgewinnen, dunkeln der Tiefe, hellen und zarten der Höhe, Sprache der mittleren.

Vom zweiten Schluß an steht das Zeitmaß einstweilen fest, so wie es sich bei dem ersten Schlüsse festgestellt hatte. Noch schwebt die Frage, jetzt scherzend, auf und nieder, und chi festerer Satz, vielleicht etwas lebhafter, aber gleichmäßig in der Bewegung, führt doch nur zur Frage wieder zurück, die jetzt ängsthch, fast peinHch ertönt. Der Seitensatz mit allem, was sich daran hängt, bleibt mit seinem feinbelebten Gesänge dem Zeitmaße treu, während der Schlußsatz auf die Frage und deren Zögern zurückkommt.

Der zweite und dritte Teil führt das Bisherige teils weiter aus, teils wiederholt er es. Hiermit ist der Vortrag be- stimmt.

Jetzt folgt das Scherzo. Die Oktavenstelle Takt 9 bis 17 ist ein reines „Pariando", wie herausgestohlen aus irgendeiner Opera buffa, man hört die Töne und glaubt Worte zu vernehmen, wer weiß, was sie sagen! ist es irgendein Eossinischer Butl'o, der spricht? ist es Antonio aus Mozarts (Josi fan tutte? Wer aber die sind alle schon alt wer jemals das Vergnügen gehabt, die Sontag, nicht die Frau Gräfin Eossi mit ihren noblen Passionen, sondern Henriette Sontag im „Barbier" zu hören, oder den feinsten aller P>uffbnen, Spitzeder, der versteht diesen Beethovenschen Vers; und wer sich dergleichen mit der unbedingten Freiheit der Eede und schalkischen Feinheit des Humors vorzustellen vermag, der weiß das Beetliovensche Scherzo durchzuführen. Der Strom der Töne rollt weit daliin, jene Erinnerung, oder was man Ver- wandtes an ihre Stelle setzen mag, genügt nach allem früher \W- nierkten für den ganzen Satz.

War das Scherzo losgebunden, so ist (nach einer ruhigen Menuett, die sich statt des Adagio findet) das Prcsto-Finale «geradezu ausgelassen, besonders nach dem feinen, leicht (hihiii- gleitenden ersten Hauptsatze in deji übermütig poclienden

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Akzenton des zweiten und in der luistii^'en Fliiclit. (schnelle Be- wegung, glatte Bindungen) des dritten, der wieder geradezu aus dem Finale irgendeiner r>utYo-()per davongelaufen scheint. Merk- würdig sind allerdings diese Anklänge an Itaüen in einer Zeit, wo man von Eossini noch nichts wußte, wenigstens Beethoven nicht. Später sollte er hei den Wienern vom Welschen verdrängt werden. Indes Welscher war er auch hier, auch in der G dur-Sonate nie- mals gewesen: neben all den Scherzen und all der hesperischen Süßigkeit bestand die deutsche Tiefe und Idealität. Wer nicht beide Seiten schaut und zu verbinden weiß, vermag dei' Sonate nicht genugzutun. Dem flüchtigen Scherz muß sich Zartheit, dem Ernst Laune gesellen. Die Darstellungsmittel für beides sind schon oewiesen.

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C dur - Sonate Op. 53,

(Biographie, Teil I, S. 188.)

Diese Sonate gehört vorzugsweise der Region des Tonspiels zu; ja, man könnte versucht sein, sie nach den Schwierigkeiten, die sie bietet, und nach dem Glanz der Ausführung, den sie gewährt, ein Bravourstück zu nennen, wenn sich nicht doch über alles das hinaus eine Geistigkeit erwiese, von der in der Eegion des Tonsi)iels sich nur selten etwas verspüren läßt. Gleichwohl bietet ihr Vortrag, von der technischen Schwierigkeit abgesehen, wenig Schwierigkeit und fordert nur wenige Bemerkungen: selbst die technischen Schwierig- keiten sind für einen gut geschulten Pianisten nicht allzu groß.

Die Sonate besteht nur aus zwei Sätzen. Zwischen ihnen tritt ein „Adagio molto" auf, das aber kein selbständiger Satz, sondern (wie auch die Überschrift sagt) nur Einleitung in das Finale ist.

Der erste Satz, Allegro con brio, verrät gleich die Ungeduld der spiellustigen Hände; im Pianissimo und in tiefer Tonlage setzt der Schnell tritt der Achtel an und steigert sich bis zu dem ersten Schlag des dritten Takts, nicht bedeutend, aber fühlbar, in voll- kommener Gleichheit des Anschlags und der Bewegung, Nachdruck auf jenen ersten Griff des dritten Takts bringend. Der vierte Takt

Marx, Anl. z. Vortrag JJeeth. Klav.- Werke. 9

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ist nur verfeinerter Xaclihall des dritten. Gleichen Vortrag fordert der zweite Abschnitt: er ist dem ersten nachgebildet, nur mit ver- größertem {Schlüsse; bei dem „decresc." ziemt sich wohl Zurück- halten der Bewegung.

Diese beiden l^artien, die den Vordersatz des Hauptsatzes vorstellen, werden, in fiebernde Sechzehntel auseinandergesetzt, mit leichter Hand auf die Dominante von E dur geführt und da fest- und sichergestellt: der Übergang zum 8eitensatz macht sich gleichsam stutzig fühlbar (vier Takte vor dem Seitensatze) und der Spieler muß das durch leichtes Zurückhalten fühlbar machen. Sanft und ruhig wiegt sich dann der Seitensatz im Lichtglanz seiner holden Tonart; er soll wohl ein wenig zurückgehalten werden, auch da, wo die Triolenfigur seine Melodie umspielt. Erst der Gang (vom Yorgeschrie])encn ,/'' an) kehrt zum ursprünglichen Zeitmaß zurück, das sich bis zu der Viertel- und Achtelfigur des Schluß- satzes behauptet; hier wird wieder ein Avenig zurückgehalten, be- sonders auf den Viertelnoten.

Der Überleitungssatz „Introduzione" benannt, ist ein nach- sinniges Adagio, das auf das dritte und sechste Achtel (ersteres ist mit „ten." bezeichnet) Nachdruck legt und im folgenden Takte bei der Pause und den folgenden Akkordangaben zögert. Wenn die zerstreut auftretenden Ansätze Takt 9 bei „rinforzando" zu einer festen Melodie zusammenschmelzen, meint man einer jener Violon- cellmelodien zu vernehmen, die Beethoven nach Inhalt und Klang so eindringlich zu setzen weiß : Avenigstens würde, wenn man auch die Erinnerung nicht gelten lassen will, der Vortrag in solcher Weise sich gestalten müssen; besonders im ersten Takte, auf den der Ver- gleich Anwendung findet, müssen feste Bindung, eindringliche Be- tonung des ersten Achtels und der beiden andern mit „sf. sf." be- zeichneten in der Synkopenfigur vereint mit \ollsaftigem Klang der Unterstimmen den Sinn des Satzes eindringlich machen.

Das Finale mit seinem kindlich spielenden Hauptsatze möge doch ja vor jeder Übertreibung im Zeitmaße bewahrt bleiben! Die Überschrift „Allegretto moderato" weist auf diese Mäßigung liin, der liebliche Hauptsatz fordert sie, aber auch die beiden Seitensätze, der erste in A moll, in Sechzehnteltriolen und der zweite in (J moll, nötigen dazu, wenn sie charaktergemäß auf- treten sollen. Beide treten in di'ei- und vierfachen Oktaven

131

uml

mit ungestüm i)Oclici)(ler Kraft auf {es ist „/" und ..sempro /'" vor- gezeichnet): jeder Schlag auf die Tasten soll wie Hammerschlag vernommen werden und wirken: die Finger könnten eilen, aber der Sinn des Hörers könnte nicht so sicher auffassen. Dazu kommt, daß der erste Seitensatz viermal Steigerung fordert,

und zwar mit Betonung und kurzem Verweilen auf jedem letzten Steigerungstone, dann sechs gleichstark pochende Töne und den siebenten wieder stärker und etwas angehalten. Dazu kommt, daß der zweite Seitensatz (acht Takte) nach seiner ersten Aufstellung gegen die Hauptmelodie einen Gegensatz in Sechzehnteltriolen aufstellt, der ebenfalls charakteristisch

bezeichnet sein will, daß der Anhang, dieses pochende cj g\g g g g\c, Nachdruck für jeden Schlag fordert. Es bleibt dabei: je bedeut- samer der Inhalt, desto weniger darf darüber hingeeilt werden. Den üngeduhhgen kommt dann der Anhang „Prestissimo" zu statten.

9*

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F moll-Sonate Op. 57.

(Biographie, Teil II, S. 2G-34.)

In eine höhere Eegiou, als die bisher betrachteten Sonaten, führt uns diese F moll-Sonate. Etwas davon ist schon irgendeinem Klavierhelden oder zuhorchenden Musikhändler durch den zer- streuteii Kopf gefahren, und flugs hat er der Sonate den Spitz- namen: „appassionata" angehängt. Das hat ungefähr gleiches Ge- wicht, als wollte man einen Hannibal oder Napoleon „einen recht braven Kriegsmann" nennen. Leidenschaftliche Sonaten hat Beet- hoven gar viele geschrieben und von verschiedenstem Inhalt; daher hat er niemals eine nach dieser unbestimmten Eigenschaft benannt. Lassen wir dergleichen beiseite und gehen zum Werke sell)st.

Hier wird sogleich ein durchgehender Charakterzug bemerk- bar: das Tonbild ist vom Anfang an bis zum Ende gleichsam in Nacht gehüllt. Nicht Gestalten, bestimmt abgeschlossen, wandeln vorüber, die sich in fester Zeichnung zu erkennen geben, gleichsam i>reifen lassen. Es hat alles mehr das Wesen von Phantomen, die nächtig vorüberschwinden, ungreifbar wie die Luft, in die sie zer- rinnen, sobald man ihnen nähertreten, sie festhalten will. Ist das Ganze ein Traumbild beängsteter Nachtstunden? Dazu zeigt es zu sichre Folgerichtigkeit. Ist es eine Vision, wie es deren gibt, die der Ufiterwelt entschwebt scheinen? Dem Verstände bewiesen kann dergleiclien niclit werden. Aber die Kunst, das Kunstwerk gehört auch nicht dem Verstände, ist nicht aus ihm gel)orcn, sondern ist ein Kind der Phantasie und gehört ihr zu. Nur ist es nicht die fessellos und ziellos schweifende Phantasie, der diese Tondichtung entsprossen, sondern jene J3etätigung der bildenden Kraft, der die Vernunft, die ewige Lenkerin, bestimmte und ideale Ziele gesetzt hat. Dergleiclien Aufgaben im Gebiete der reinen Musik zu lösen, war Beethovens eigentümlicher Beruf.

Wer nun für dergleichen nicht Sinn, nicht Glauben in sich findet, wie will der dem Werke beikommen? Ihm ist dann die F moll-Sonate nichts als eine Aufgabe für technische Geschicklich- keit. Allenfalls beschränkt er sich auch darauf, blof.') das Finale zu spielen, wie es in mehr als auunn Berliner Konzerte^ von ver- schiedenen Eingebornen, Virtuosen' und Lehrern, gehört worden

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i<t. Ktwa so. als wollte man der Niohc Kopl' iiiul Brust absägen und den Kest auf das Piedestal l)ringen.

Zur Saehe.

Gleich das erste Allegro assai, und in ihm gleich der Hauptsatz, setzt den CMiarakter des ganzen Tougedichts fest. In hohlen Doppeloktaven schwcht dieser Satz (ß. 43) heran, weit- schrittig, ganz leise, mit hebendem Triller Iragweise schließend, oder vielmehr stockend. Dal.) die weitabgclegene Unterstimme die obere schattengleich, noch leiser wh^, sie, begleiten sollte, ist S. 43 schon angemerkt. Nach dem Absätze verlängerte Pause, dann Wiederholung auf der höhern Halbstufe, beidemal sollte auf dem Anfangston (erst c, dann Des)^ dann auf der nächsten Hauptnoto (erst I\ dann Ges) unmerklich gezögert, im zweiten Takt etwas beeilt nach dem höchsten Ziele hingeglitten, auf dem ersten Ton des dritten Taktes wieder ein wenig geweilt werden. Die Schluß- formel wird wiederholt, und abermals wiederholt, und dazwischen dröhnt aus der dunkeln Tiefe, ganz leise, zögernd, geheimnisvoll dieses rätselhafte, einsame

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herauf, dreimal wiederholt, eine Mahnung, woher? Die Ober- stimmen haben lang nachgehallt, wie man eine ängstende un- beantwortbare Frage dem Fragenden zurückgibt.

Alles schwankt ])is hierher unsicher und unfest, ängstigend. Da reißt sich die Oberstimme heraus; in harter Kraft (S. 32), wie der Aufschrei der Angst stürzt sie in zackigem Schwung und ))eflügelter Eile hinab nach der Tiefe, wieder zurück nach der Höhe, tritt stampfend auf, sich festzusetzen, und doch bebt der letzte Akkord nur ganz leise nach und bleibt gefesselt stehen bis zum völligen Aushall.

Der erste Satz kehrt wieder, ganz leise, gleich auf dem dritten Tone zerrissen von dem jähen und gellenden („//*•' vorgeschrieben unmittelbar nach zweimaligem „j/') Hineinschrei der Harmonie, und sogleich wieder leise („2?" vorgeschrieben) weiterschn^itend. So schreit, kreischt die Angst auf, nachdem ihr lange genug der Laut in der Brust erstickt war. Oder ist es (iin unbekanntes Fremdes, das in den leisen Schritt des Satzes grausig hineingreift? drei- mal schläirt dieser Donnerschlag in den stillen Satz.

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So harte, schroffe Gegensätze finden sich selten bei Beethoven, der nicht ^Sprünge und Abspringen liebt, sondern ruhige Ent- ^Yicklung, wie sie der organischen und geistigen Welt Gesetz ist. In welche Region verweisen uns jene schroffen AVechsel? Man enträtsele das, und der Darsteller habe Mut und Kraft dazu.

Jene fragweise Schlußformel, die gleich anfangs, Takt 3, auf- getaucht, kehrt auch hier zweimal wieder; von hier entschweben Avir in andre Regionen, zu andern Bildern, Entschweben, das ist kein willkürhcher Ausdruck; er ist der einzig gemäße für das Niedertauchen des Überleitungssatzes, der von den festen Antritts- punkten stets auf die unsichern letzten Achtel hinübergleitet und nur den stehenden Baß als sichere GrundUnie unter sich hat, und auch den nur in rastlos pulsierenden Schlägen.

Still rauscht dieser hin und her wankende Baß in tiefster Lage fort, und über ihm ertönt aus der Tiefe, dann gehoben in die trost- volle Höhe der erste fester gebildete Gesang, ein sanftes, erhabnes Lied der Verheißung, nein, der Zuversicht. Es hallt über der still rauschenden Tiefe, wie über die trostlose Nacht des Tartarus, aus der wir kommen, ferner Gesang aus Elysium. Grausame Nähe für die ewig Verdammten, diese Nähe der seligen Gefilde, die der Grieche, kalt wie sein Marmor, einstmals ersonnen. Beethoven ist ihm gefolgt, aber nicht allzu weit. Der Darstellende muß für diesen Gesang seine w^eichsten Finger ül)er die Tasten gleiten lassen, alles „dolce", wie Beethoven vorgeschrieben, kaum hörbare Be- tonungen, nur soviel für rhythmische Deutlichkeit unerläßlich ist.

Der tiefe Gesang es ist der Seitensatz wiederholt sich in der Höhe, aber nur zur Hälfte; dann stockt er schmerzlich, zittert (die Triller, jeder folgende schärfer als der vorige) empor, stürzt sich in weitem Niederschwung in die Tiefe und hier (juält sich in hartem Gerassel ohnmächtiger, gefesselter Wut ein zweiter Seitensatz, nach ihm ein Schlußsatz, b(ude in As moll. Wie liier Wut und Klage, Eessel und Flucht wechseln und sich mischen, mag jeder sich selbst auseinandersetzen. Es ist nicht fördernd und ratsam, alles zu sagen.

Dies ist der erste Teil. Wer sich den Vorstellungen, die er weckt, hingegeben, sich mit ihnen erfüllt hat, bedarf keiner weitern Einweisung in das Spiel; ihm verkr)rpern sich diese Vorstelhmgen zu all .jenen Wendungen des Stärkemaßes, die man doch nimmer- mehr befriedigend vorzeichnen kann.

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Was der eiste Teil mir erst hin^i;estellt hat, l)i'iii<;t der zweite Teil zu ausl"iilirlioliein und deutlichem Diisi^n. Zuerst tritt der Jlauptsatz wieder auf, aher fester, in einfachen, nicht in Doppel- oktiwen: dann gegen Harmonie. Hiermit ist die Gestalt, die zuvor bloß schwebende Melodie war, gleichsam fest geworden; stark er- hebt sie sich aus dcv Tiefe zur Mitte, von da zur H()he des Ton- systems. Die begleitende Harmonie tritt erst in Sechzehnteln entgegen (viermal 6, es ist ^-/s Takt), dann in Quintolen (5 statt (0, die sich quälerisch hinabwinden. Hiermit ist der Vortrag der ]\lelodie (stark und fest) und der Begleitung gegeben. Alles noch Folgende bedarf keiner weitern Aidcitung. Die höchste Kraft in der mit .,F2^" bezeichneten Stelle, der kühnste Schwung in den ab und auf schwingenden Sextolen vor dem .,Piü Allegro", alles ergibt sich, sobald man das Vorangegangne gefaßt hat. /Vber dem „Vandalen sind sie Stein".

Der zweite Satz der Sonate ist ein Andante mit Variationen. Daß Variationen in den größern Werken Beethovens nicht bloße Figurationcn sind, sondern meist einen tieforn Sinn in sich tragen, ist schon bei denen der As dur-Sonate Op. 26 zutage gekommen; man muß also mit Sinn und Gedanken, nicht bloß mit den Fingern herantreten.

Hier tritt das Thema in der Tiefe auf, still und sehr ruhig („piano e dolce") und sanft, die Melodie anfangs kaum bew^egt. so daß Takt 4 zu 5 der Aufschritt in die Quarte schon I Bedeutung hat, als Erhebung sich fühlbar macht, und die Erhebungen im zweiten Teil (das Thema ist zweiteiliger Liedsatz) von as nach des, nach /, nach as schon inbrünstige Steigerung sind, gleich einem Gebete, das aus der Tiefe De profundis clamavi ad to mit Inbrunst sich erhebt. Dabei geht der Baß in der tiefsten Tiefe seinen eignen Gang. Er ist nicht Hauptstimme, nicht zweite Hauptstimme, kaum selbständige Melodie, aber wenn man Ober- und Unterstimme personiiizieren will würdigste Gelcitschaft zur Hauptstimme. Der Darsteller muß den ganzen Satz äußerst ruhig und im voUkommnen Gleichschlag aller Stimmen führen; die Ober- stimme bedarf kaum eines Hervorhebens, oder doch nur des leisesten; mehr muß der Baß hervortreten, namentlich Takt 3 sein Hinaufschrciten zum großen As und sein Nachspiel Takt 4 und 8. Die oben angegebnen Erhebungen fordern Verstärkung, die Bewegung muß sich durchaus gleichbleiben.

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Die erste Variation ist gleichsam eine Erläuterung des Tliemas; der Baß schwankt im ersten Teil dem Chor der andern Stimmen in synkopischer Form gleichsam nach: erst der zweite Teil verlangt nach hohem Kegionen. Es ist noch das Gebet aus der Tiefe, das De profundis, im ersten Teil schattenhaft, im zweiten erst sich bang heraufwagend. Für Thema und erste Variation würde das „due corde" anwendbar sein.

Trostvoller erhebt sich die zweite Variation in die mittlere Tonregion, wo milder Gesang wohnt. Die Melodie verschmilzt mit den Mittelstimmen zu harfenartiger, milder Figurierung, der Baß führt seine Melodie still und sanft entgegen. Wenn zuvor das Spiel „a due corde" angewendet war, so muß hier mit „tutte corde" hellerer Klang gewonnen, aber in mildester Weise, der Satz durchgeführt werden.

Zu Harfengelispel führt jetzt die dritte Variation die Melodie in zarter Höhe durch: dann legt sich die harfenartige Be- gleitung über die Melodie; zuletzt wendet sich der Satz in die ur- sprüngliche Tonlage zurück, schwebt auf und ab und gelangt zu dem letzten Akkorde, der aber nicht Schlußakkord ist der Satz schließt nicht , sondern nur Überleitung zum Finale. Wer den Charakter und Sinn der verschiednen Tonregionen gefaßt hat, für den bedarf es keiner weitern Anleitung. Der Inhalt ist sehr einfach und faßlich, das Nötige iiat Beethoven angedeutet. Nur vergesse man nicht, daß die vorgezeichneten „sf und „/f^' stets (namentlich in den höchsten Lagen) nach dem Sinn(^ des Satzes abgemessen sein wollen, in dem sie erscheinen. Etwas andres war es mit den scharfen Gegensätzen im ersten Allegro, die dort dem Sinne des Ganzen gemäß vortraten.

Das Finale rauscht gleich dem Nachtsturme daher. Den Überlieferungen zufolge ist es in einer Sturmnacht von Beethoven empfangen worden. Wohl mag der äußere Sturm dem Tondichter die letzte Aufklärung oder Entschließung gegeben haben; aber sicher war der Sturm schon in seiner Brust, bevor man außen sein Tosen vernahm. Wer jene Gesichte geschaut, die der erste Satz enthüllt hat, wer in jenem emi)orschwebenden und wieder ver- löschenden De profundis Zuflucht gesucht, des Leben ist Sturm. Und wenn er ein Mann ist, gleich Beethoven, mild und gut im Herzen, unverzagt und trotzig im Sausen des drohenden Miü- geschicks, der singt mutig und laut „dem Schnee, dem Regen, dem Sturm entgegen, inmiei' zu, inuner zu, ohne Hast, ohne Ruh!"

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Das imgTt'iihr (ilrnn alh^s IHI.U. sii-h bei wiMloin nicht sagen) ist der Sinn, den der Spieler zu verwirklichen hat.

Jener Akkord, der den vorigen Satz nicht abgeschlossen, aber geendet hatte, klingt nach längerni Anhalt in scharten Grillen und lestgezeichneten rhythmischen Schlägen weiter. Und nun, nach einer Pause der Erwartung, fängt der Sturm ganz leise in di^r Höhe an. seine dunkeln Schwingen zu regen, wie jeder ihn wohl schon in den höchsten Wipfeln des Waldes spielen gehört, ehe er die Kronen faßt und die Stämme der Eichen erschüttert Aber es ist nicht auf ein Xaturbild abgesehen, es ist ein Sturm in der Seele, der nur einen Augenblick lang jenem verglichen werden durfte.

Glatt und leise beginnt die Flucht der Töne,

höchst gebunden, akzentlos, der letzte Ton verkürzt abgehoben; immer tiefer wühlt sie sich, der Schall wächst, wird sehr stark, grollt lange in der Tiefe, wird dumpfer und stiller und steht. Der Sturmlaut rauscht weiter, dies

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ist die Gestalt und Weise seiner Luftwellen, bei denen sich Czerny (S. 83) an das Gestade des Meeres versetzt glaubte. In das fort- grollende Sausen hinein tönt „W^anderers Nachtlied", hineinrufend,

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sich durchkämpfend durch den Lultschwall, das letzte Wort von ihm verschlungen, kaum dat.) der Baß den verlornen Schluß an- deutet. Fester setzt sich unter dem Sausen das zweite Lied durch: der Sturm saust fort und deckt mit seinem Anhauch und

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seinen langen Schwingen alles , läßt auch den Seitensatz mit seinen klao'evollen Akzenten

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nicht aus der ängstlichen Hast frei.

Das alles und noch Unaussprechliches muß in der Dar- stellung erkennbar werden. Damit dies nicht die technische Ausführung, sondern die Erkennbarkeit möglich Avird, fügt Beet- hoven dem Xamen „Allegro" vorsichtig ein „IMa non troppo" zu. Auch dem ganz fremd und unerwartet uachtretenden Presto, das wie entscldossenstes „Vorwärts" tönt, möchte ich ein „Ma non troppo" zufügen, damit jeder Achtelschlag hammergleich wenn auch nichts weniger als lärmend (es ist innerlicher Entschluß, und ,y vorgeschrieben) erfolge und als Schlag, nicht als Beben vernommen werde. Dafür mag die letzte Partie, in Sech- zehnteln, dahinsausen, ungezügelt gleich dem Sturme.

Les adieux, Sonate Op. 81a.

(Biographie, Teil II, S. IUI.)

Der Inhalt dieser Sonate ist auf dem Titel und über jedem ihrer drei Sätze mit den Worten

Les adieux, Fabsence, le retour, ausgesprochen, man mag sie mit

Scheiden, Verlassenheit, Wiedersehn, üb(.'rsetzcn. Daß es Momente aus dem Leben eines liebenden l^aars sind, setzt man schon voraus.*) Aber die Komposition bringt auch noch den Beweis; im ersten und dritten Satze waltet unverkennbar Duettform, nämlich das Mit- und Gegeneinander zweier Stimmen, einer tiefern und einer höhern. Daß gelegentlich, namentlich zu Ende des ersten Satzes, die zwei Stimmen Unterstützung linden und zu zwei Stimmpaaren werden, s])richt nicht im mindesten g(^.gen diese

*) Auch Hans von Bülow „Beethovens Werke für das Pianoforte solo von Op. olj an", Stuttgart, Cotta. J, S. 152. 0. Jahn und Thayer v^ider- sprechen aus rein äußerlichen Gründen, die, wie in der Biographie, 4. Auf- lage, II, S. 192 dargetaii ist, in diesem Falle gar nichts beweisen, zumal ihnen andere Äußerlichkeiten entgegenstehen.

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Auftassunü'. Die ^lusik bedarf des Vollklan <;s. d(^r llaiinonii^ kann nur ausnahmsweise mit einer oder zwei vereinzelten Stimmen iienu<;" haben. Xun könnte die Harmonie neheuhergehn; und das ist auch hier oft, stets mit l]edeutsamkeit, der Fall. Ideal aber ist es von Beethoven gedacht, daß sich zuletzt (die S. 70 angeführte Stelle) .jede d(^r duettierenden Stimmen für sich harmonisch erfüllt. Nicht die äußerliche Gestalt eines Duetts sollte nachgebildet, sondern der wesentliche Inhalt künstlerisch ausgesprochen werden.

Diese Yorstelhmgen muß man sich angeeignet und mit dem Gehalt der drei Ijebensmomente sein Herz erfüllt haben, wenn man das Tongedicht, eines der zartesten und tiefsten, verstehn und zum Verständnis bringen will.

Die Einleitung (Adagio) spricht in den ersten Tönen das „Ijebewohl!" aus, im milden Es dur, aber gleich auf dem dritten Schlage durch den zutretenden Baß nach dem trüben, kalten C moll hinabgezogen. Dieser entscheidungsschwere Baßton fordert Nach- druck, und da besondere Schallkraft hier nicht anwendbar ist, so muß auf diesem Punkte geweilt werden. Die Stimmung der folgenden Takte fühlt jeder; man fasse nur auch, wie die Klage sich über das Tongebiet des JMenschengesangs emporhebt, gleich- sam in das Reich des Übersinnlichen um dieser Erhebung durch feinsten Anschlag und zarte Betonung (das vorgeschriebene ,,/'' nach Tonlage und Stimmung zu messen) genugzutun.

Das erste „Lebewohl!*' kehrt wieder, von der umhergrcifendcn Harmonie schmerzlich verzogen; auch die Klage kehrt wieder. Die Pausen fordern besinnliche Verlängerung; das wird besonders im letzten Takte recht anschaulich.

Die Einleitung hat in das Allegro hineingedrängt. Die leidenschaftHche Sprache dieser Szene wiederzugeben, die zwischen Aufwallung und Nachgeben hin und her greift, dazu bedarf es der vollen Freiheit und des feinsten Gefühls für .jeden Zug und die Verschmelzung aller. Der Hauptsatz weilt mit scharfer Betonung auf dem ersten Tone, zieht von jedem ersten Achtel (Takt 1 und 2) zum zweiten, hebt das erste und dritte Viertel fühlbar, jedes erste Achtel zart hervor, weilt mit Nachdruck auf dem ersten Akkorde Takt yy, zögert in den ersten drei Vierteln, drängt vorwärts in dem folgenden und im nächsten Takte, dem ersten mit Achtel be- gleitung, zögert auf den beiden folgenden, mit ,..$■/•' bezeichneten B-Oktaven und dem folgenden Takte, dem vierten mit Achtelbe- gleitung.

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Genug hierüber. Vollständige Vorzeichimng der Bewegung ist unausführbar und würde den Folgsamen fesseln, da doch freier Seelenbewegung gegenüber das Gemüt, des Auffassenden frei sein muß. Es kommt auch gar nicht so auf die einzelnen Momente der Bewegung an über die sich hier und dort streiten ließe wie auf diese vollkommen freie Bewegung selbst, die mit der Welle des aufgeregten Bluts steigt und fällt und nirgends die Anmut sittiger Mäßigung vergessen läßt. Von Takt 9 bis 13 der Achtelbewegung läßt sich schon die duettmäßige Anlage (Verzeihung dem trivialen Handwerksnamen !) spüren. Der Schluß dieser ganzen Partie zögert. Es ist eine eigentümhche Bedeutsamkeit in dieser Achtelbeweguug, wie die Stimmen auseinanderstreben und wieder zusammen und (Takt 12) aneinanderhängen , wie die Liebende am Hals des scheidenden Liebsten hängt und ihn nicht lassen kann.

Xun der Seitensatz, der die Trennung unvermeidlich aus- spricht. Jenes erste „Lebewohl!" der Einleitung ist der Kern des Seitensatzes. Von der weinenden Mittelstimme ringt es sich nach oben und nach unten; vielleicht errät man zuletzt ein „AVir selm uns wieder!" Der Schlußsatz zeichnet das Paar wieder, wie es nicht voneinander lassen kann, wie eins sich an die Ferse des andern heftet.

Dies sind die Gedanken, welche den ersten Teil des Satzes l)ilden. Im zweiten Teile tritt der Hauptsatz wieder auf; ihm mischt sich aber das „Lebewohl!" aus der Einleitung und daran scliwindet gleichsam der Satz hinweg. Nachdem der dritte Teil den ersten wieder in Erinnerung gebracht, bildet jenes „Lebe wohl! Wir sehn uns wieder!", das sich immer gewisser als Kern des Ganzen herausstellt, den Anhang. Es tönt oben, es tönt unten, die weibliche wie die männliche Stimme ist nicht mehr einzelner Melodiefaden, sie hat sich mit Harmonie erfüllt; und doch ist jenes Gegeneinandertönen von zweimal zwei Stimmen nichts als das Abbild der zwei Scheidenden, nur das nmsikalisch-ideale. Ihnen gegenüber, l)ald unter, bald über ihnen, bewegt sich mit der Hast des Hinwegeilens, aber stets mit der Anmut gesittigter (.•haraktere ein Gegensatz in fließender Achtelreihe.

Daß Beethoven die heftigen, ja exzentrischen Regungen des Schmerzes zugelassen, das Scheiden aber nicht zu den Zuckungen des Leidens hinaufgesteigert, sondern mit der Mäßigung und Anmut liebenswürdiger Persönlichkeiten umkleidet hat, ist ein beherzigens- w(irter Zug an seinem Künstlercharakter. Heftige Charaktere

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^:ch^volp:on iinorsiittlich in der VoiTolgiing des Leids durch alle seine \'erzernini:en: kühlem und schwächern Naturen wird oft als edle oder liar antike Mäßigung' zugute gerechnet, was sie aus Schwäche oder Mutlosigkeit von der cdh^i AVahrheit zurücklassen oder ver- bergen, liier ist wahre ^läBigung, denn zuvor war volle Wahrheit rückhaltlos zur Geltung gekommen. Auch hierhin muß der Dar- stellenth^ dem Dichter folgen. Der Gedanke des Scheidens (Anhang)

muß mild hervortreten, vor allem in ganz gleichmäßiger Bewe- gung und um ein Weniges gemildertem Zeitmaß; die Melodie (nämlich beide vereinte Oberstimmen) muß, wie die ^3]Ilz=- -Zeichen andeuten sollen, verhallend ausgesprochen werden; die Achtel müssen höchst sanft und gleichmäßig dahinfließen, nur mit einem leisen Nachdruck auf a und as. Fühlt nur den Inhalt! dann findet sich ])ei aller Unzulänglichkeit der einzelnen Andeutungen der rechte Vortrag von selbst.

Jetzt tritt von beiden Seiten das Scheidewort nackt hervor. „Lebe wohl!" tönt die höhere weibliche, „Lebe wohl!" die männ- liche Stimme, die man sich mehr und mehr aus der Ferne herüber- hallend — also schwächer vorzustellen hat. Erst tönen die beiden Stimmen naturgemäß einfach, dann ideal in harmonischer Erfülltheit; zuletzt wehen sie, ganz naturgetreu den Eufen Schei- dender von nah und fern, „Lebe wohl!" und „T^eb' wohl denn!"

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ineinander. Hier erhebt sich der dichterische Gedanke über das Harmoniegesetz; zwei einander entgegengesetzte Harmonien, h-f

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und eS'Cj kÜDgeii ineinander. Wohl hat Fetis, der kundige Kon- servatoriendirektor in Brüssel, recht gesprochen: „Wenn man das Musik nennt, so ist es nicht das, was ich so nenne." Es ist nicht die Musik von Fetis und den Franzosen, und nicht die der Mehr- zahl aller Musiker; es ist die Poesie, oder, wenn man genauer reden will, die Transzendenz der Musik, die natürlicherweise stets nur in sehr wenigen lebt und nur von sehr wenigen begriften wird. Wenn der Spieler nur den Gedanken Beethovens gefaßt hat, die Hörer lassen sich führen, wohin er will. Und zuletzt sprechen wir mit Goethe:

Und wer mich nicht verstehen kann, Der lerne besser lesen!

Der zweite Satz ist, wie gesagt, Fabsence überschrieben. Die Verlassene fühlt die Öde des Alleinseins. Natürhch kann hier nicht mehr von Zweistimmigkeit die Rede sein, wie im ersten Satze; nur eine Hauptstimme zeigt sich, aber eine höchst sympathische Begleitung. Gleich in den ersten Takten

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zeichnet sich der ganze Charakter des Satzes. Beethoven benennt ihn „Andante espressivo", und schreibt für den Vortrag „In gehender Bewegung, doch nicht ohne Ausdruck" dazu, doch wohl nicht, um die allbekannten italienischen Worte höchst unnützervveise zu übersetzen, sondern um die innere Beweglichkeit hervorzuheben. Diese Beweglichkeit wird in der vortiefsten Stimme zunächst ver- nehmlich; in diesen schmerzlichen Schritten (es-fis)^ in diesem sich hinschleppenden Gange verrät sich das Gefühl der Verlassenheit und ( )de ganz ebenso deutlich, wie in der ansetzenden und gleich wieder hinfälligen Bewegung der Oberstimme, die in der Schluß- bildung der Melodie den höchsten Ausdruck gewinnt. Der erste Akkordschlag in Takt 1 und 2 muß scharf tönen, das erste und dritte Achtel Takt 'd muß Nachdruck erhalten, genug oder zu- viel der einzehien Andeutungen, wenn der Sinn des Ganzen so klar vor die Seele tritt.

Der dritte Satz der Sonate ist ein Jiibelsturm des Wicder- sehns. wieder als Dialog der beiden Liebenden gestaltet. Beet- lu>ven hat ihn mit „Vivacissamente, im lebhaften Zeitmaße" be- zeichnet. \ov allem ist dies auf die Einleitung durchaus anzuwenden. Dennoch dürfte bei dem eigentlichen Hauptsatze, dem in Achteln, mancher feine Anhalt wohlangewendet sein, so auch weiterhin hei dem Seitensatz in Vierteln, ferner bei dem An- fange des zweiten Teils. Für den Achtelsatz (..Ich habe dich wieder") ist zuletzt sogar „i)0C0 Andante" vorgeschrieben und wird bei der synkopierten Wiederholung noch weiteres Zögern not- wendiii*. Es würe unbegreiflich, wenn neben dem Entzücken nicht auch die Rührung der r>egiückten zur Sprache käme.

E moU - Sonate Op. 90.

(Biographie, Teil II, S. 263.)

Ein edler Sinn, ein energischer Charakter spricht aus dem ersten Satze dieser Sonate, sie hat nur zwei Sätze. Alles, was eindringliche Beredsamkeit hn Kampfe mit schmerzlichem Zweifel und Zagen vermag, kommt hier, in diesem ersten Satze, zutage. Das Gefühl für die einzelnen Momente, vollkommenste Energie für ihren Ausdruck, unbedingte Freiheit in der Behand- lung des einen neben dem andern, und zu dem allen ein feiner Verstand, alles in Einheit und Anmut zu verknüpfen das ist dem Darstellenden zu wünschf^ii. Nur ein edler Sinn wird fähig sein, Beethoven hier zu folgen.

Was der Meister über den ganzen Satz bemerkt hat: „Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empündung und Ausdruck", das trifft im vollen Maße gleich bei dem Hauptsätze zu. Eindring- lichste I>eredsamkeit hestimmt und erfüllt dem vielgliedrigen Satz, dessen Bau und Ivhythmik, wenigstens was den Vordersatz betrifft, S. 50 und 53 schon betrachtet worden ist. Der Nachsatz (in zwei Abschnittenj

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knüpft nur mit dem Ehythmus seines ersten Taktes an den Vorder- satz, wendet sich aber dann in stillem und großsinnigem Verzicht, in einer Wendung, die fast zwei Oktaven überspannt, von ihm ab. Der Sinn des .Satzes ist verloren, wenn der Spieler nicht versteht,

an das hohe e dis e die tiefliegende Fortführung mit fis in voU- kommner Einheit und Gelassenheit anzuknüpfen und dies ßs zwar ganz gleichzeitig mit e und c zu nehmen, es aber doch über die Beglcitungsmasse zu erheben. Gerade diese Euhe nach der ein- dringlichen Eede des Vordersatzes ist der Stempel eines groß- sinnigen Charakters, der zu streben Kraft hat, und, wenn es sein muß, auch zu verzichten.

Doch nicht gänzlich wird verzichtet. Ein zweiter Satz er- hebt sich ganz leise empor aus der Tiefe, stärkt sich und schlägt heftig, sehr heftig auf den erreichten Punkt. Es war vergebens; die Melodie rollt von ihrer Höhe hinab zur Tiefe, erlischt da, nachdem sie voller Kraft ihren Lauf angesetzt, und die beiden Schlußakkorde fallen nur kraftlos so hin. Der Gedanke, minder hoch und minder stark, wiederholt sich, wieder tiefer gestellt, mit minder straffem Ehythmus und diesmal ausdrücklich mit „p", das erstemal mit „/" und „6/" bezeichnet zum drittenmal; diesmal rollt er nicht, er schleicht, immer mehr zögernd, hinab. Dieser Wechsel von Wollen und Verzichten, von Andringen und Zurückweichen ist das Charakte- ristische des ganzen Satzes. Die Abstufung des dreimaligen Ganges zur Tiefe ergil)t sich, abgesehen von der Vorschrift, aus der Ton- lage und der Satzweise, erst volle Akkorde, dann zwei Töne, erst freier Gang, dann Gebundenheit an den liegenbleibenden Baß. Übrigens scheint die Schreibart des Ganges, die beiden ersten Male Sechzchntel, dann eine Sextole und eine Quintole, das letzte- mal Sechzehntel, Achteltriolo, Viei'tel, nur der be(iuemcrn Über- sicht wegen gotrolten. In den beiden ersten sollen wohl die Töne zusammengefaßt werden als ein ganz una])gestufter Lauf, der seine

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Bewegung ganz unterscliiedlos beschleunigt und nur die letzten Töne der Deutlichkeit wegen ein wenig verzögert; den Unterschied von Sechzehntel, »Sextole und Quintole fühlbar zu machen, hat keinen Sinn. Ebensowenig soll wohl das drittemal nach den Scch- zohnteln die Achteltriole und das Viertel nach wirklicher Geltung tühlbar werden: der Lauf wird von Anfang an in unbestimmbarer xVbstut'ung- langsamer und zuletzt gelienunt.

Aber hier, wieder aus dem Piano und aus tiefer Tonlage, er- hebt sich jener Gedanke nochmals, führt sich in wachsender Kraft weiter aus, Schritt für Schritt jetzt in H moll zögernd und stockend und doch immer heftiger und weiter vordringend bis zur härtesten Verbitterung es muß vergebens sein. Ein neuer Satz (Seitensatz, oder zweiter Seitensatz, wenn man den vorigen als ersten gelten lassen will) führt in edler Haltung, aber unwiderruflich zurück in die Tiefe. Der Schlul^satz scheint leidvoll, aber würdig auszusprechen, daß das Streben ein siegioses war. Sieglos, aber nicht vergebens. Denn Ringen um das Edle, das ist Aufgabe und Inhalt des Lebens. Der Sieg, schon Kato fand, daß der von der Gottheit nicht jederzeit erteilt wird, wie wir Menschen gehofft und für recht gehalten. Daß der Schlußsatz zögernd spricht, versteht sich.

Dieses besinnliche Zögern führt in den zweiten Teil hinein. Der Hauptsatz oder doch das Motiv seiner ersten Abschnitte richtet sich wieder auf, aber nicht in seiner ursprünglichen Frei- gelassenheit, sondern gebunden an fortwährende Achtelschläge. Demungeachtet kämpft er weit hinaus sich durch und zu hoher Energie empor und muß dennoch sich wieder zurückwenden.

Das Weitere bedarf keiner Erläuterung; es sind dieselben Ge- danken, wenngleich in andrer Wendung und weiterer Ausführung. A\'er sie einmal gefaßt hat, kann ihnen mit Sicherheit lolgen.

Jene Energie, die den Kern und wesentlichen Inhalt des ersten Satzes ausmacht, ist mit ihm erschöpft. Der zweite Satz der Sonate hat nichts von ihr, keine neue Erhebung, keine neuen Aus- sichten. Er ist nichts als Sanftmut, weiche Ergebenlieit, ja Süßig- keit der Empfindung, deren einziger Inhalt Entsagen und Beruhen in stiller, freundlicher Ergebung ist. Das bietet gar oft das Leben, und das hat Beethoven hier geschildert.

Besondrer Anweisung für Auffassung und Vortrag bedarf es hier nicht.

Marx, Anl. z. Vortrair Üeetb. Klav.- Werke. 10

146 A dur - Sonate Op. 101.

(Biograpliie, Teil II, S. 2G5.)

. Das innerlichste, geheimste Weben einer zarten Seele, der nur Verlangen, nicht Vollbringen gegeben ist, nur Aufscliwnng der Phantasie, nicht greifbare Ziele, nicht markig feste Tat, wie schwer ist das zu belauschen und an das TagesHcht hervor- zuzielien, das ihm nicht zusagt!

Gleich der erste Satz, „Allegretto ma non troppo" und da- neben „etwas lebhaft und mit der innigsten Empfindung" über- schrieben, hat zwar die gewöhnliche Form eines ersten Sonaten- satzes, nicht aber dessen Charakter, sondern den des Adagio, des Insichgehens. Es ist Melodie des Verlangens, der Sehnsucht darin gleich der Hauptsatz beruht auf dem Dominantakkord und dessen Bedeutung , aber es ist nicht diese Melodie allein in einer Stimme w^altend, jede der Stimmen stellt ihren bedeutsamen und glcichgesinnteu Gesang neben die Hauptstimme, durch und durch ist dieser Satz voll Seele, voll gleichgestimmter Empfindung und ]\Ielodie. Dabei waltet durchaus nervöse Erregtheit, ja Atemlosig- keit, die jeden Schlußpunkt überwallt, so oft auch in diesem ruh- losen Wellenzug ein sinniges Weilen (Takt 4 auf den letzten drei Achteln, Takt 5 besonders auf den drei letzton Achteln, Takt 6 durchaus, Takt 9 auf dem ersten Tone, Takt 12, 15 und 16 des- gleichen, dann Takt 19 auf dem ersten, den Satz schließenden Tone) ziemen mag. Diese Erregtheit ist mehr innerliche Weise, möchte sich eher verbergen, als daß sie herausträte, ein Leben ohne Zwecke nach außen, in sich selbst zurückgewiesen und ver- schlossen. Daher ist es unerschöpflich: jener Schluß (Takt 19) wird zum Trugschlüsse, die Melodie der Stimmen fließt weiter, sucht noch zweimal (Takt 24 und 26) den Schluß und findet ihn endlich im achtundzwanzigsten Takte. So weiter Kaum für diese eine, stille, verschwiegene Empfindung ohne Wechsel, fast ohne Steigerung! Es ist die Verschlossenheit und Wortlosigkeit Ottilies, aber ohne die Stürme, die dies holdeste Geschöpf Goethes erfahren. Zur verständnisvollen S(^elc nmß man l'einstes A'erständnis jedes Wellenzugs und die fiihligsten Finger mitbringen.

Der Seitensatz, den Beethoven besonders mit „Espressivo e semplice" bezeichnet, erzählt dann weiter. Was? Nun, dasselbe. Denn in dieser zarten Seele ist kein besonder Erlebnis, sie selbei'

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ist ihr cinziii-or Inhalt, luii" dal.) (hc Bowcgiiui: iiot-h h)iscr si^'h regt, last in den Synkopen ganz zu ruhen sclieint.

Im zweiten Teile scinvebt der Hauptsatz empor, bald hoch üben über der leise dröhnenden Tiefe. Hier folgt der erste Moment, >Yo dies verhallende ^\'esen sich zu metallner Kraft aufrichtet; der zweite Moment wächst in den weit erstreckten Synkopen (Seite 5 der Originalausgabe von Steiner) empor. Alles übrige gehört der Stille des Anfangs an. Daß diese Stille sich aus dem zartesten Anklang zu eindringlicher Kraft steigert, ist ein tiefgefühlter und notwendiger Zug im ganzen. Das Wesen, das sich hier ausspricht, sollte zart, ja nervös hervortreten, aber nicht kraftlos. Kraftlosigkeit kann Bedauern erregen, nicht aber .jene Teilnahme, auf die ein Beet- hoven rechnet. Die Sache des Spielers ist es, in den zartesten Partien durch feinbemessene, doch fühlbare Betonung, und am rechten Orte durch Steigerung der Bewegung die Kraft ahnen zu lassen, die sich noch bewähren wird. Und ebenso liegt ihm ob, in der Steigerung zur höchsten Kraft des Urgrunds von Zartheit nicht zu vergessen, aus dem die Kraft sich erhebt. In keiner der bisherigen Komposi- tionen ist Maßhalten und die zarteste Wellenlinie von Erhebung und Sinken so notwendig, Enthaltung von allen hastigen Über- gängen und schroften Gegensätzen so geboten gewesen wie hier.

Und die Anzeichen innewohnender Kraft haben nicht getäuscht. Der zweite Satz, der gewöhnlich, wenn nicht Adagio, bei Beet- hoven Scherzo ist, tritt hier als Marsch („Lebhaft. Marschmäßig") hervor. Aber weich ein Marsch! Da ist nichts von dem Prunk oder Trotz und von der materialen und Massenkraft zu finden, die jedem Marsche, selbst dem Trauermarsch in der Sonate Op, 26 innewohnt. Nicht äußerliche Tat wird hier gezeichnet, sondern die Phantasie von Taten, die geschehen könnten, geträumte Helden- züge, aber die hochsiimig und kühn bis zu den Sternen hinauf langen.

Ein seltsam Zwitterbild ist dieser Heldenzug, der sich nur in der Phantasie begibt. Alles ist kühn an ihm: der zuckende Ein- satz, die zuckende Fortbewegung von einem breit hingelegten Akzent zum andern, das unauflialtsame Empordringen der Melo(he, das Hinauf langen des Basses durch drei Oktaven. Dabei aber ist alles mehr geistig als körperUch ausgeführt: der erste Anschlag ist „/■" und „.s/"" bezeichnet, aber gleich folgt „p"; dann ist „eres." vorgeschrieben, aljcr es führt nicht zum Forte, sondern in eine Tonregion, der besondere Stärke versagt ist: dann folgt bald nach dem ersten „eres." ein zweites, dies aber führt zu einem aus-

10*

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drücklich vorgeschriebenen Piano, l^nd das alles ist nicht bloß Vorschrift, sondern liegt im Inhalte notwendig begründet. Es ist, als wenn kühne Entschlüsse, heftige Worte geheimnisvoll in das (3hr geflüstert ^vürden. Der Spieler, der bei dieser Sonote wie bei allen den letzten Beethovens über jede Vorschule hinaus sein muß, mag sich in diese geheime Verlegenheit hineinphantasieren.

Solcher Natur ist der ganze Marsch. Was den Charakter dieser Zeichnung vollendet, ist das Ineinandergreifen von zwei und drei selbständigen Stimmen an der Stelle einer Hauptstimnie, der man ungestört folgen könnte. Und wo der zweite Teil sich endlich doch zu standbarer Kraft emporflügelt und steht (der fünftletzte Takt), da sinkt nach Tonhöhe und Modulation der kühne Schritt zur Unterdominante zurück, in die Dämmerung des Entsagens.

Seltsam fremdartig klingt das Trio an (Verzeihung dem Hand- werksausdrucke !) und sucht mit seinen zwei kanonisch langhinge- zogenen Stimmen trüb und grüblerisch den Ausgang aus diesen un^'ewohnten kühnen Gesichten. Dennoch kehren sie wieder.

Ist es Reue, die aus dem dritten Satze spricht? ist es das Schmerzgefühl, daß die Zeit, die Kraft für wirkliche Taten dahin ist? Wer vermißt sich, alle Geheimnisse des Tonlebens aufzu- decken? Beethoven hat den Satz „Langsam und sehnsuchtsvoll" überschrieben. Welches auch die Deutung sei, der Klageton der Weise wird von jedem, der solchen Werken naht, empfunden und verstanden.

Es ist die Rückkehr in sich selbst, die hier volll)racht worden. Das wird gewiß, wenn nun, zur Einleitung des letzten Satzes, der erste durch seinen Hauptsatz in Erinnerung kommt. Hier er- gießt sich weithin, in großem Zuge, mit frischem Mute, ja zuweilen von heitern Lichtern überblitzt, ein reicher, labungsvoller Lebens- strom. Dennoch ist es mehr geistiges Leben, gleichsam das un- körperlich-geistige Ijeben, das wir uns bisweilen in der Phantasie ausmalen, als der Widerhall des wirklichen Lebens, das wir geist- körperlich, gleichviel ob freudig oder leidvoll, durchkämpfen.

Bdur- Sonate Op. 106.

(Biographie, Teil J, 0. 170; Teil JI, S. :{;}2 n. 8. :};}7.)

Wenn die vorige Sonate in den zartesten Regionen des Seelen- lebens weilt und fast in das Körperlose zu vorschweben scheint, so

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entfaltet die große ß diir-Sonate nach allen v^eiten eine Machtfülle, iieistip- nnd materiell, ohnegleichen. Man liat sie die „Riesen- Sonate" genainit. Solche Beinamen (wir haben deren schon vS. 118 nnd i:>2 kennen gelernt) haben ihr Bedenkliches. Aber wahr ist: ein Iviesengeist bewegt hier riesige Glieder. Der Spieler mnß höchste technische Kraft mitbringen. Aber er mnß sich zugleich darauf einrichten, große und zahlreiche Tonmassen wohl vonein- ander gesondert, und jede wohl in sich selber zusammengehalten, und dazu wohl abgewogen eine gegen die andre, gleich starken Heereshaufen, in die Schlacht zu führen. Alles ist in dieser Sonate mächtig und groß angelegt, nicht bloß die Kraftsätze von mächtigem Schalle, sondern auch die zarten, auch das Adagio, das Sehnsucht und Klage ghüchsam unerschöpflich aus dem geheimsten Grund der Seele seufzergleich aushaucht.

Der Spieler muß nicht bloß wachen Sinn für jede Einzelheit, sondern auch den Bau und Zusammenhang des Ganzen stets klar vor Augen haben.

Erster Satz. Allegro.

Mit kühnem Aufschwung aus der Tieie und heftigem Schlage tritt der erste Hauptsatz an, und vollendet sich ganz unerwartet in weicher, verlangenvoller Weise. Der Antritt (vier Takte) war schmetternd kräftig, die Fortführung plötzlich leise und gesänftigt; aber ihre ^lelodie dringt fest aufwiirts, und der Baß schreitet in selbständiger Bedeutung und ganz frei von der Höhe zur Tiefe. Diese letzte Weise der erste Antritt scheint vergessen wiederholt sich in höherer Tonregion mit noch erpichterm und unablässigem Verlangen bis zum vollen Abschluß in B dur.

Hier aber setzt auf dem Schlußtone selber ein zweiter Hauptsatz an, der seinen Kernsatz (zwei Takte) viermal, und jedesmal gesteigert, aufführt, daim mit dem letzten Motive sich hinaufar])eitet und in großartiger Weise ja nicht eilen! hinab- steigt und hier sinnend über Tiefe und Höhe schwebt, stillewerdend, zögernd, aber stets großgestaltet, zuletzt in Doppeloktaven weite umhergreifend. Dieser zweite Hauptsatz mag dafür gelten, die Kraft des ersten Antritts (Takt 1 bis 4 des Allegro) in breiter Fülle darzulegen. Aber der erste Gedanke voll zuckender, dann marschartig rhythmisierter Energie ist er nicht.

Man erwäge hier einmal die Maßverhältnisse. Der erste Haupt- satz hat 4 Takte (der Antritt) und noch i:> Takte, also 17. Der zweite Hauptsatz bis zu seinem Schlüsse hat 18 Takte und -noch ist

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die Baiiptpartie nicht geschlossen. Es soll hier nicht weitergezahlt Averdcn; aber es ist dem Spieler zuträglich, auch von den äußern Verhältnissen des Werkes klare Anschauung zu gewinnen. Er braucht, soweit wir bis jetzt gekommen, Schlagkraft für die ersten vier Takte, Führung und weite Steigerung der Melodie und des Basses aus der Stille hervor zur Kraft. Der zweite Hauptsatz will in jedem der vier Abschnitte, mit denen er anhebt, kraftvoll ein- gesetzt werden und von da nach breitem Ausschall in das Piano zurücktreten: jeder der vier Abschnitte muß ein zusammengehaltnes Ganze sein, und jeder Eintritt muß nicht bloß in gesteigerter Kraft erfolgen, sondern der ganze Satz muß durch Gleichheit des Vortrags und Glei(üimäßigkeit der Steigerungen, wie zuletzt durch gleich- mäßiges In-Ruhe-Sinken des Schlusses als einiges Ganzes wirken.

Nun endlich tritt noch der schlagfertige Antritt wieder auf, die Hauptpartie zykhsch zusammenfassend. Aber nach seinem heftigen Sinne wirft er mit einem Ruck die Modulation, die bisher in B dur festgestanden, nach D dur. D dur ist nicht gemeint; aus chfis-a wächst d-fis-a-c heraus und setzt uns in G dur fest. Hierzu ist ein Gang von 24 Takten verwendet, oder vielmehr sind drei ver- schiedne Gänge aneinandergehängt; der erste hat den Aufschlag des Basses aus dem Antritt zum ]\lotiv; der zweite ein anapästisches Motiv (j I I'), das nachher im Seitensatze zur Geltung kommt; der dritte fließende Achtelreihen mit entgegentretendem Basse. So weit erstreckte Überführung zum Seitensatz ist sonst nicht Beet- hovens Art; der Seitensatz tritt sonst unvermittelt ein, oder der Hauptsatz fließt ganghaft aus seinen eignen Motiven zu jenen über. Aber in der B -Sonate sind Mal.) und Art anders bestimmt, alles geht da in das Weite, Titanische.

Nun also tritt der Seitens atz auf, zuerst im Tenor oder höhern l>aß

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antretend, den Schluß unbekümmert in die dreigestrichne Oktave hinaufwerfend. Dort erfolgt auch die weiterstreckte, gangl)il(lende Wiederholung. Das strömt von der Höhe zur Tiefe, stockt einen Augenblick auf C ((J dur), greift da zum ersten Motiv zurück und ringt sich mit wachsender Kraft nach scharfen (iriffen zur Höhe zurück. Abermals ist es Aufg;il)e des Spielers, das Vielfache, Viel-

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iiiul Weit beweist 0 zuilMnhoit ziisammenzurassen. Mancher schwiinmt ül»er den gaukolnden V\u\^, der diesen breiten ]\Leereswog'cn nicht irewacbsen ist.

Ein stiller erster Schlußsatz gewährt Ruhe den Sinnen und Gedanken. Aber gleich folgt der zweite Seitensatz pracht- voll in seiutu' Stärke und im Ireudigen Gefühl seiner Macht. Er führt zum Anlang zurück, zur Wiederholung des ersten Teils. Dann führt er in den zweiten Teil: beidemal macht sicli*das Motiv des Aufschwuno's üeltend.

Hier sei vor allem eine technische Bemerkung verstattet.

Beethoven setzt jenes Motiv zweimal erst einstimmig, dann in Zweistimmigkeit, und zwar so.

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daß zuletzt die höhern Noten {g-g) der linken Hand zufallen. Hieran w^olle man .ja nicht, etwa aus Be(iuemlichkeit, ändern. Der Sinn des ]\Iotivs fordert einen Schlag, heftigen Nachdruck auf den ersten der höhern Töne, auf h, dann auf d, dann auf g. Die linke Hand hat für diese Töne den Daumen, den schlagkräftigsten Finger; die rechte Hand trifft mit dem kleinen Finger dahin, also mit dem schwächsten Finger.

Nach diesen Rufen entfaltet sich wieder eine breite Masse. Das Motiv (der erste Takt) jenes Antrittsatzes tritt diesmal leise, mit „p" und „sempre j/' bezeichnet auf und wird von 2 Stimmen in der Tiefe kanonisch 10 Takte weit (den freien Anhang und Schluß mitgerechnet) ausgeführt. Der Satz steht in Es dur und schließt

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in B diir; erst bei Takt 7 ist „eres." angemerkt. \'om Schlußpunkt in B aus wiederholt sich der kanonische, frei geführte mehr nachahmende Satz in zwei Oberstimmen, von einer freien Stimme verstärkt, hier mit „eres, piü" bezeichnet. Endlich wiederholt er sich, und diesmal ist ,,/" vorgozeichnet. mit Verdoppelung beider kanonischer Stimmen in weiter Lage, und nochmals in gleicher AVeise mit enger, also schärfer khngender Verdoppelung; die weite Verdoppelung hat erst die Weite einer um eine Oktav erweiterten Dezime, dann die Weite einer Terz. Für die letztere Verdoppelung ist nach kurzem Piano, dem gleich wieder „eres." folgt, von neuem „f mit Verstärkung (sf) einzelner Momente, aber bedeutsameres Forte als das erste vorgeschrieben. Nun erst folgt zu dem Anrufe, der den Teil eingeleitet, Fortissimo, also der Gipfelpunkt dieser ganzen, 40 Takte weiten Entwickelung.

Es ist klar, daß von selten des Ausführenden die sorgfältigste Abwägung aller Mittel notwendig ist, um so weiten Massen von Schritt zu Schritt in ihrer Einheit und ihrem Fortschreiten genug- zutun. Die richtige Fassung einzelner, ja sogar aller einzelnen Momente genügt hier durchaus nicht. Das Ganze will in seiner Einheit und Lebendigkeit dargestellt und begreiflich gemacht sein. Zuvörderst muß der kanonische (oder Nachahmungs-)Satz als einzelne Melodie

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bis zu seinem freien Abschlüsse (Takt 7) mit den sinngemäßen Betonungen und Bindungen und dem Ablauf jeder Schallwelle (a b) richtig gefaßt werden, und die nachahmende Stimme muß nicht bloß den Tonscliritten, sondern auch der Vortragsweise der ersten folgen, wonngleicli dadurch eine Stimme mit der andren in den einzelnen Momenten.

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z.B. in der Aiistülirung des decres. (i:r=^) nicht zusammenfällt. So muß den ganzen Satz hindurch jede einzelne Stimme gefaßt und gegen die andre abgewogen werden. Sodann müssen die drei Stufen des Ganzen, der zwei-, drei-, vierstimmige Satz, abgesehen von der Betonung des einzelnen, auch drei steigende Abstufungen des Stärkemaßes erhalten. Hier stehen uns nicht bloß Beethovens Vorschriften, es kommt uns auch seine Behandlungsweise rat- gebend und helfend zur Seite. Er stellt und nicht bloß in dieser Sonate, sondern in jedem tiefer angelegten Werke seinen Gedanken zuerst in durchsichtiger Einfachheit auf, dann fügt er ihm mehr und mehr zu; und alles ist gleich faßlich, weil das Vorhergehende schon vorbereitet hat.

Reicht die Kraft des Instruments für so weite Steigerung aus?

Nein! Also müssen wir ihr zu Hilfe kommen. Es ist schon (S. 71) ausgesprochen, daß Steigerung der Bewegung der Kraft- steigerung zu Hilfe kommt; ja vermöge der geistigern Natur wirkt sie leichter und tiefer als die Massenkraft des Schalls, darf sogar nicht anders als rücksichtsvoll angewendet werden. Ich würde recht finden, schon bei den oben (S. 152) angeführten Anklängen des ersten Motivs zurückzuhalten und die Pausen, besonders die letzte, zu vergrößern. Dann würde der zweistimmige Satz etwas mindere Bewegung erhalten, als das ursprüngliche Zeitmaß ergab. Von hier würde die Bewegung um ein kaum merkliches und mit manchem Moment des Verweilens dringender, und bei der Verdoppelung der Stimmen in Terzen feurig werden.

Ich breche hier ab. Wer diese Grundsätze gefaßt hat, dem wird ihre Anwendung auf das Weitere keine besondre Schwierig- keit machen; wer sich nicht mit ihnen einigen kann, dem würden noch so viele Einzelbemerkungcn doch nicht helfen.

Eins aber sollte, meine ich, an dieser Sonate zu voller Erkennt- nis und Beherzigung kommen. An dieser umfassenden Aufgabe sollte klar werden, daß bloßes Gefühl für die höhern Aufgaben nicht ausreicht. Ohne Gefühl im Bunde mit der gestaltenden Phantasie gibt es keinen Künstler und kein Kunstwerk und keine wahrhafte Darstellung. Aber es muß bei den höhern und reichern Aufgaben für den Dichter wie für den Nachdichter oder Darsteller noch vollständige Einsicht und Erkenntnis hinzukommen, wenn der Autbau vernunftgemäß vollendet und in dieser seiner Vernunft^ mäßigkeit zur Anschauung und vollen Wirkung kommen soll.

10**

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Sehluss.

Nach der B dur-Sonate sind noch vier der bedeutendsten Klavierwerke,

die E dur-Sonate Op. 109, die As dur-Sonate Op. 110, die C moll-Sonate Op. 111,

die dreiunddreißig Veränderungen über einen Walzer Op. 120,

an das Licht getreten, unschätzbare Gaben für jeden zu ihnen

--TS

herangereiften Musiker und Kunstfreund. Wieviel ließe sich über sie sagen! weit hinaus über das Wenige, für das die Biographie Raum geboten!*) Wahrlich, die Lust hätte nicht gefehlt.

Allein die Aufgabe, die diesem Büchlein gesetzt war, muß mit der Betrachtung des gewaltigsten Werkes, dem das zarteste und so manches andre vorangegangen, ihr Ziel erreicht haben, soweit dasselbe nach dem Wesen der Sache und nach meinen Kräften überhaupt erreichbar gewesen. In den Sinn Beethovens und die von ihm erschaffne Welt einzuführen, das war die Aufgabe. Das Bewußtsein, für seinen Inhalt zu wecken, zum eignen Anschauen die Augen und zum Selbsterkennen den Geist zu wecken und ein- zuleiten, das mußte wohl als einziges Mittel erscheinen. Nur der Erkennende weiß selbständig zu fassen und vermag vom Erkannten zu weitern Aufgaben fortzuschreiten. Ist dieser Standpunkt er- reicht, so wird alles Weitere zu träge und unfrei machender Be- vormundung. Von dieser hinweg führe unser aller Weg in jeglicher Richtung zur Freiheit!

*) Teil II, S. 404 bis 420.

Inhaltsanzeiffe.

Seite

Einleitende Betrachtungen. Die Leser des Buchs S

Die Freunde. Die Fremden. Die Lehrer. Was das Buch bringt 6

Voraussetzung von Kenntnissen und Fertigkeit. Vortragslehre. Ihre Zuträglichkeit im allgemeinen. Bedürfnis einer Vortragslehre für Beethoven. Eigentümlicher Gehalt seiner Werke. Ihr Allein- stehn. Die Besonderheit derselben untereinander.

Lehrwege ^^

Unterweisung durch Lehre und Beispiel. Virtuosen und „Klavier- meister". — Wie man Beethoven ablehnt, und wie man sich mit ihm abfindet. Unterweisung durch rein praktische Darstellung. Rein theoretischer Unterricht.

Vorbildung 1^

1. Die Technik. Ob Virtuosität erforderlich. Beethovens Meinung vom Virtuosentum. Stufenfolge seiner Werke aus technischem Gesichtspunkte.

2. Die geistige Reife. Wer ist für Beethoven gereift? Stufen- folge der Werke nach der Entwickelungsstufe geistiger Reife.

Allgemeine Bemerkungen. Beethovens Instrument 23

Die elementare und die kunstanstrebende Technik. Besondere Schwierigkeiten bei Beethoven. Die Wiener Instrumente aus Beet- hovens Zeit im Vergleich mit den jetzigen. Folgerungen daraus. Das una corda.

Beethovens Fingersatz 28

Fortschritte der Technik seit Beethoven. Abweichungen von den allgemeinen Regeln des Fingersatzes. Einstimmige Figuren, unter beide Hände verteilt. Zwei und mehr Stimmen in einer Hand.

Die Spielart für Beethoven 39

ilauptricbtung der neuern Technik auf Ausgleichung der Finger. Bedürfnis, Hand von Hand, Finger von Finger unabhängig zu machen. Anschlag. Handhaltungen.

Beethovens Melodie 4S

Wie Beethoven Melodie gespielt. Unterschied der Beethovenschen Melodie von andern; sie ist schlußfest und vordringend. Wie sie zu fassen. Wie sie darzustellen. Rhythmische Akzente.

Beethovens Begleitung 57

Darunter begriflen: Begleitung, die in sich selber keinen charakteri- sierenden Inhalt hat. Begleitung mit gehaltvollen, aber unter- geordneten Stimmen. Polyphonie.

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Seite

Zeitmass und Taktmass 60

Zeitmaß. Ältere Bezeichnung desselben. Der Metronom. Übertreibung des Zeitmaßes. Mozart. Beethoven. Wie das richtige Zeitmaß zu finden. Taktmaß. Taktfestigkeit. Taktfreiheit. Sinn und Recht beider. Beethovens Vortrag in dieser Hinsicht. Er- haltung des Taktgefühls unter der Taktfreiheit durch Fernhalten von Übertreibung durch Rückkehr zum Grundmaß durch rhythmische Betonung und rhetorische Pause.

Form des Studiums 74

Selbstbestimmung, nicht Abrichtung. Kursorisches Durchspielen. Übersicht des Inhalts. Beseitigung technischer Schwierigkeiten. Eindringen vom ersten Anblick des Werkes in dessen Teile, in deren Partien. Charakterisierung derselben. Eindringen in die Einzel- heiten. — Beratung mit andern. Vor allen Beachtung Beethovenscher Angaben und seiner Art. Seine idealen Werke.

Einführung in die einzelnen Werke.

Vorbemerkung 89

F moll-Sonate Op. 2, Nr. 1 90

A dur-Sonate Op. 2, Nr. 2 95

Esdur-Sonate Op. 7 99

F dur-Sonate Op. 10, Nr. 2 lOB

D dur-Sonate Op. 10, Nr. 3 10^

Pathetische Sonate Op. 13 10'^

G dur-Sonate Op. 14, Nr. 2 = 108

As dur-Sonate Op. 26 . . 110

Phantasie-Sonate Op. 27, Nr. 1 HB

Phantasie-Sonate Op. 27, Nr. 2 114

D dur-Sonate Op. 28 118

Gdur Sonate Op. 31, Nr. 1 121

D moll-Sonate Op. 31, Nr. 2 123

Esdur-Sonate Op. 31, Nr. 3 127

C dur-Sonate Op. 53 > 129

F moll-Sonate Op. 57 132

Les adieux, Sonate Op. 81a 138

E moll-Sonate Op. 90 1^3

A dur-Sonate Op. 101 1"^^^

B dur-Sonate Op. 106 1^8

Schluss ^^4

UerlinorBuchdruckerei-Aktion-Gcscllschaft.

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Bi;3M37 1912

Marx, Adolf Bernhard

Anleitiing zum Vortrag Beethoven scher Klavierwerke

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Mat^, Adolf Bernhard

410 Anleitung zum Vortrag

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