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ANSICHTEN
der
FREIEN HANSESTADT BREMEN
und ihrer Umgehungen
Dr. A. Storck,
Professor in Bremen.
Mit 16 K u p f e r n.
Frankfurt am Main 1822, im Verlag von Friedrich Wilmans.
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der
FREIEN HANSESTADT BREMEN
e h i* furch is voll g c \v i J in c t
Verleger.
Hoher Senat!
em anders, als der ersten Behörde des freien und glückliehen Bremen, dürfte ein Werk zugeeignet werden, dessen Inhalt die Bewohner dieser Stadt so nahe angeht.
Denn ist wohl zu verkennen wie hoch verpflichtet letztere den Vätern ihres Staates sind, deren weise Fürsorge sich überall durch festes Halten am Gesetz und durch das un- ablässige Bemühen wahres Bürgerglück durch
alle Stände der Gesellschaft zu verbreiten, so rühmlich ausspricht. Nicht ohne innige Rührung legt daher ein Sohn der glücklichen Freistadt am Weserstrome dies Werk vor einem hohen Senate nieder. Kann er gleich der geliebten Vaterstadt keine wichtigen und wesentlichen Dienste leisten, so gibt er we- nigstens was er zu geben hat, und die gute Absicht, der ehrliche Wille, wird in den
Augen der Grossmuth auch der kleinen Gabe einen Werth verleihen, und den ent- fernten Geber der Huld seiner Gönner von Neuem empfehlen. Wäre der, ach! leider zu früh geschiedene Hauptverfasser dieser Ansichten noch in der Lebenden Reihe; er, der um Breinen so verdiente Fremdling, würde diese aus dem Herzen eines entfern- ten Bremers sich hervordrängenden Empfin-
düngen, mit inniger Rührung unterschrieben haben.
In tiefer Ehrfurcht, verpflichtet und dankbar unterzeichnet
Eines hohen Senats
gehorsamster
Friedrich Wilmans.
Vorrede des Verfassers.
In dem Wechsel meiner Verhältnisse ist es von jeher meine Maxime gewesen, mich in jeder neuen Lage des Lebens mit der Oertlichkeit und der Geschichte der Gegend vertraut zu machen, in welcher ich zu leben hatte. Selbst thue ich diefs wenn ich mich nur einige Wochen auf der Reise an einem Orte aufhalte. Als ich daher um Ue- bernahme des Werks, das ich hiermit dem Leser übergebe, angesprochen wurde, fand mich der Antrag nicht ganz unvorbereitet.
Dennoch machten mich manche Rücksichten bedenklich. Dafs ich ein Fremder, ein Rhein- länder, dafs ich erst seit wenigen Jahren hier wohnte, erschwerte manches, indem manches ge- lernt und studirt seyn wollte, was der hier Ge- bohrene mit der Muttermilch einsaugt. Dieses Bedenken wurde aber durch den Vortheil ersetzt, ein Fremder bemerkt manches Interessante, was
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dem Einheimischen verschwindet, der Fremde spricht ohne Vorurtheil.
Ein wichtigeres Bedenken war folgendes : Wem wirst du es zu Dank machen? Gehe ich in die Tiefe, so wird das grofse Publikum mein Buch gelehrt schelten, und es bei Seite legen; begnüge ich mich mit Schilderungen der Aussen- seite, gebe nur das längst Vorhandene mit andern Worten, so genüge ich mir selbst nicht und eben so wenig denen, denen ich genügen mögte; der Einheimische, der die Natur einer solchen Arbeit nicht kennt, und ziemlich in den Geschichten und Sitten seiner Stadt zu Hause ist, wird sich manchmal beklagen, dass er nicht viel Neues fin- det, indefs der Ausländer, dem der Inhalt meines Buchs neu ist, sich an diesem Neuen ergötzen mag.
Der strenge Historiker wird mich tadeln, dafs ich sorgsamen Untersuchungen malerische Schilderungen der Natur beigemischt; derjenige, der sich unter dem Titel Ansichten nur eine leichte Leetüre gedacht, wird über die Forschun- gen ungehalten seyn. Es war nun einmal die Bestimmung dieses Buchs, dafs es so seyn sollte
und nicht anders ; es blieb mir also anders nicliis übrig, als es in dieser Form so gut zu machen, als es in meinen Kräften war.
Diejenigen, die gern ins Schwarze malen, werden mich tadeln, dass ich so manche Mängel, die wohl der Republik Bremen wie jedem an- dern menschlichen Ding ankleben mögen, nicht hervor gezogen habe. Es ist meinem Charakter wie meinen Grundsätzen gemäs, das Böse, so physisch wie moralisch, nur als Ausnahme in der Natur, wie im Menschen, zu betrachten- ich über- lasse daher die Tadclsucht gerne denjenigen, die mehr mit der Welt Ursache haben unzufrieden zu seyn, als ich. Dieses Buch überhaupt zur schwarzen Tafel unsrer Staats- und gesellschaftli- chen Gebrechen zu machen war vollends unpassend. Ich rühme das Horazische : ubi plurima nitent etc.
Die geschichtliche Abhandlung in diesem Buch ist das Resultat mühsamer Forschung und langen Nachdenkens. Der Leser im Allgemeinen, und wie viele gelehrte Leser nicht auch, die sich nicht besonders mit der nehmlichen Special ge- schiente beschäftigt haben, sehen selten einer ge-
schichtliclien Arbeit die Mühe an, die sie geko- stet, wenn nicht die Citate fast den Text ver- schlingen. Nun bin ich aber der Meinung, dass die meisten Citate nur eine literarische Pralerei sind und weiter nichts, und dass ein Citat nur da mitgetheilt werden müsste, wo die Ausbeute oder die Folgerungen und Resultate neu sind und allerdings die Frage: Woher weisst du das? aufgeworfen werden muss. Denn dass durch Citate auch beim Bekannten die Glaubwürdig- keit des Geschichtschreibers gewinne, ist nur eine Selbsttäuschung, die sich auf Leichtgläubigkeit grün- det; denn wie viele sind es, welche die Richtigkeit der Citate, ihre richtige Anwendung, ja auch nur ihr Verständniss, und ob sie auch wirklich im Origi- nal gelesen worden, beurtheilen können? Wer wollte z. B. Johannes Müllers Quellen alle nachschlagen?
Dass nun in einem Buch, wie dieses, voll- ends keine Quellencitate mitgetheilt worden, geht aus der Natur des Buchs hervor. Indessen, so gern ich zugeben mag, dass auch ich irren kann, stehe ich gern Jedem Rede, der in dem geschicht- lichen Theile dieses Buchs etwas zu finden glaubt,
das mit dem, was Roller und die Chronisten sa- gen, nieht ganz übereinstimmt; denn wenn auch dieses Buch keine Citaten hat, so ist doch meine erste Handschrift ziemlich vollgespickt davon. Das berühmte Diplom, das Kaiser Karl der Grosse zu Gunsten der Stadt dem H. Willhad gegeben haben soll, und wenn man gleich eine Bezie- hung darauf in einem Diplom Friedrich des I findet, kommt bei mir nicht in Betracht, wie sehr und wie oft auch Roller und Andere als auf eine entschiedene Sache sich darauf be- ziehen. Das Wort Rempublicam nobis restituit des Adamus Bremensis, und was einige Zeilen weiter darüber steht, habe ich auch nicht beach- tet, da das Diplom Otto des Grossen hier mehr gilt und analogisch richtiger angewandt werden kann. Auch das berühmte privilegium Henricia- num hat mich ungerührt gelassen. Doch ich sage zu viel für eine Vorrede und setze nur so viel hinzu : dass ich zu allem , was ich in den ersten Bogen dieses Buchs gesagt und nicht gesagt, meine sehr wohl erwogenen Gründe hatte. Und nun möge dieses Büchlein, so wie es
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ist, als ein Gemälde, so treu ich es in meinem Standpunkt entwerfen konnte, von den biedern Bewohnern der Stadt, die mir eine zweite Hei- math geworden, eben so herzlich aufgenommen werden, als ich es mit ganzem Herzen und mit Liebe auszuführen im Stande war.
Ich wünsche, dass dieses Buch seinem Zwecke gemäss den Leser unterhalte, dem Ken- ner aber probehaltig und tüchtig erscheinen möge. An gewissenhaftem Fleiss in den Unter- suchungen habe ich es nicht fehlen lassen.
Nachschrift zu Obigem.
Der Verfasser des grössten Theils der vorliegen- den Blätter hat die Vollendung seines Werks nicht erlebt. Eine langwierige Krankheit, die zuletzt in eine Luftröhrenschwindsucht überging, entriss ihn den Seinigen und der deutschen Ge- lehrtenrepublick am 19. April 1822 viel zu früh für beide. Auch seine Mitbürger haben schmerz- lich um ihn getrauert.
Sein Geburtsort war Trarbach an der Mosel. Erst seitdem Xahre 1817, wo er zum Professor an der Bremischen Handelsschule berufen ward, hatte er Bremen zu seinem bleibenden Wohn- sitze erwählt. Wie heimisch er sich hier fühlte, mit welcher entschiedenen Neigung , mit welchem mühsamen Fleisse er sich hier vollends einzu- bürgern strebte, davon geben seine früheren schriftstellerischen Arbeiten, so wie die gegen- wärtige, das ruhmvollste Zeugniss. Dennoch erwartete er selbst nicht, dass dieselbe ohne vor- gängige Prüfung und Revision mehrerer seiner Bremischen, mit dem Detail der hiesigen Loca- litäten und Begebenheiten theils von Jugend an durch eigene Anschauung und lebendige Tradi- tion , theils durch ein längeres und vollständi- geres Quellenstudium vertrauter gewordenen Freunde, die lezte Feile würde erhalten können.
Mit einigen derselben hatte er wiederholt die Abrede getroffen, dieser Revision besondere gesellige Zusammenldinfte mit ihnen zu widmen. Anstrengungen dieser Art wurden ihm während seiner langen Krankheit, die sowohl lautes Re-
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den, als jede lebhafte Unterhaltung zu vermei- den gebot, von seinem Arzte gänzlich untersagt.
Es blieb seinen nachgelassenen Freunden zur Erfüllung jenes Versprechens daher nichts anders übrig, als die noch unbearbeitet gebliebene letz- te Ideinere Hälfte dieser Schrift, unter Benutz- ung der von dem Verstorbenen gesammelten Ma- terialien und hinterlassenen Skizzen vollends aus- zuarbeiten, und dem Werke anzuschliessen. Die so behandelten Aufsätze sind mit einem f bezeichnet.
Dem ersten und grösseren , schon völlig be- arbeiteten Theile, glaubten sie dagegen aus Ach- tung für ihren verstorbenen Freund und für das Publikum, dem seine Arbeit versprochen war, nur, soweit beschränkter Raum und be- schränkte Zeit es gestatteten, in einem Anhange einige der Berichtigungen und Ergänzungen nachtragen zu dürfen, womit sie den Verfasser unterstüzt haben würden, wenn die Revision, zu der er sie aufgefordert hatte, gemeinschaft- lich mit ihm hätte Statt finden können.
Bremen, im November 1822.
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Inhalts - V er zeich niss.
Seite
I. Bremische Geschichten.
Lage und Ursprung der Stadt Bremen ,.<,.„„. 7
Das Stift 8
Die Stadt 10
Die freie Gemeine 18
Bremen zur See und im Auslande . 21
Stadt und Erzbischof ♦ 22
Stedinger Krieg . # . 26
Die Hanse 33
Bremen in der Hanse 35
Der Rath 35
Die Kasalshrüder 41
Krieg mit dem Dom - Dechant Moritz 43
Krieg mit dem Grafen von Hoya 45
* * *
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Seite
Die grande Compagnie 47
Gefahren der Freiheit . 49
Kriege . 55
Die Gebrüder Dado und Gerold 56
Rüstringer Krieg 59
Unglück der Zeiten . 63
Der Neue Rath 64
Joh. Vasmer 65
Heinr. Vasmer 70
Beruhigung ! 73
Stellung nach Aussen 73
Die Reformation 75
Innere Unruhen 77
Rudolph von Bardewisch, Comthur des deutschen Ordens 80
Die Hundert und Vier 87
Rückkunft der Ausgewichenen 99
Die neue Eintracht 100
Rechenschaft 102
Krieg mit Junker Balthasar von Esens und Wittmund . 104
Bremen im Schmalkaldischen Bunde 108
Religions Unruhen 112
Aeltermänner Collegium 120
Der Kurzrockische Vergleich 122
Reichsunmittelbarkeit Bremens 125
Der siebenjährige Krieg . . . 125
Das neunzehnte Jahrhundert 126
Reform der Verfassung 130
Der Elsflether Zoll 144
XIX
Seite
II. Die Stadt.
Allgemeine Ansicht der Stadt 151
Der Markt 162
Das Rathhaus 163
Die Börse 177
Der Roland 178
Der Domshof 187
Das Stadthaus 194
Der Schütting 195
Das Museum 196
Der Wall 209
III. Kirchen, Kapellen und Klöster, die einst
bestandenen und noch bestehenden.
Der Dom 235
Die Liebfrauenkirche ............ 258
Die St. Martinikirche 261
Die St. Ansgariikirche 263
Die St. Stephanikirche 273
Die St. Paulikirche in der Neustadt ....... 275
Die St. Rembertikirche in der Vorstadt 276
Die St. Michaeliskirche in der Vorstadt ...... 279
Die Willehadikirche . 281
Die Heilige - Geistkirche 283
Die St. Veitskirche 284
Das St. Paulskloster 285
Das St. Catharinenkloster 288
Das St. Johanniskloster ............ 294
XX
Seite
IV. Milde Stiftungen und wohlthätige Anstalten
der altern und neuern Zeit :
Das St. Jürgengasthaus 303
Das St. Gertrudengasthaus 306
Das St. Ilsabeengasthaus 306
Das Beguinenhaus 308
Das Altemannhaus , 309
Das Nicolai Wittwenhaus 309
Das Gasthaus für Pilger 309
Das Petri Wittwenhaus . , . 310
Das Haus Seefarth 310
Das Armenhaus 310
Das Krankenhaus 311
Die Armenanstalt 311
Die Waisenhäuser 312
V. Bremens neuere und neueste Zeit. Sitten.
Gewerbe. Wissenschaft. Kunst. Verfas- sung. Neustadt. Stadtgebiet. Umgebungen.
Gegeneinanderstellung des Zustandes der Sittlichkeit der
alten und neuen Zeit 319
Handel und Schiffarth 377
Wehrstand der Bürger 404
Kirchliche Verfassung 410
Schul- und Gelehrtengeschichte Bremens 416
Kunst in Bremen 483
Musik in Bremen 488
Das Theater 494
XXI Seite
Gerichtswesen 501
Staatshausbaltung 506
Die Neustadt. 1. Entstehung 515
2. Jetziger Zustand 523
Stadtgebiet von Bremen 524
Vegesack 540
Bremens Umgebungen 546
Anlage A.
zu Seite 556 j 569
Anlage B.
zu Seite 559 586
Anhang.
Berichtigungen, Erläuterungen und Zusätze .... 589
Verzeiehniss der Kupfer, nebst der Seitenzahl, wohin sie gehören.
Das hathhaas und der Markt Seite 162 — 163
Standpunkt: der Eingang in den Dom; mau sieht den Roland (S. 178) den vordem Theü der Obern Strafse an derem Ende den Ansgarii - Thurm.
Ansicht der Bürger -Viehweide S. 181
Man vergleiche die Volkssage, wie diese Weide an die Stadt gekommen ist. Im Hintergründe Bremen, linker Hand der neue Begräbnifsplatz von italiänischen Pappeln umgeben, mit der durchblickenden S. Reinberti Kirche.
Der Domshof . S. 187
Rechts das zum Stadthause modernisirte alte Palatium (S. io,4)
Ansicht vom alten Walle S. 220—222
Standpunkt östlich von der Wache am Oster - Thore. Unterhalb der Windmühle befand sich die erwähnte Batterie, links der s. g. Bär (Ba- tardeau) mit Schleusen, um das Weser - Wasser in den Stadtgraben zu lassen.
Erste Ansicht des Osterthor - f Falles^ S. 224
Links das Schauspielhaus, im Hintergründe der Zwinger (S. 232)
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Zweite Ansicht des Ost erthor - Walles S. 225
Der hier erwähnte Hügel von der Seite des G-Iacis (gewöhnlich Con- trescarpe genannt) zu welchen ein, seit der letzten Zeit aufgeworfener Damm mit einer Brücke führt; der schmale Weg endigt in der Bischofs-
nadel.
Ansicht des Heerdenthor - Walles S. 226
Standpunkt: von dem liier erwähnten Belvedere geuoinmen, im Vollblick der Herren Seemann und Duntze neue Wohnhäuser ; links das Glacis, rechts der Wall unterhalb der Windmühle.
Vegesack . S. 540
Das abgehende Dani|ifboot ; links das Oldenburgische Land; im Mit- telgründe rechts die Mündung der Lesum; im Vorgrunde ein Theil der Erdzunge zwischen der Weser und Lesum (S. 555)
Ansicht der Stadt von der Südostseite S. 553
Gegenstück zur folgenden Ansicht von der Westseite. Standpunkt : der grofse Vieh - Werder ; im Hintergründe die grofse Wesev - Brücke , vorher die Eisbrecher ; von unten herauf die Martini und Ansgarii- Kirche, der Dom, die Windmühle auf dem alten Wall, der Zwinger. Auf dem Flufse die Oberländischen Kähne.
Ansicht der Stadt von der Westseite S. 554
Standpunkt: das Kehrmannsche Haus auf dem Bollwerke ; linkerhand die Windmühlen vor dem Steph. Thor und auf dem Walle; rechts der Neu- städter Deich; das ankommende üampfboot. Im Fernblick die Stadt bis zum Theerhofe hinauf.
Ansicht von Lesum S. 555
Der gleichnamige Flufs, das Dorf mit seiner hochliegenden Kirche.
Lampen - Holz S. 560
Das Lampensche (Klüversche) Holz. Lampens Haus im Hintergründe. Die Allee erstreckt sich bis Ober Neuland.
Ansicht vom Dorfe Horn von der Lehe her .... S. 561
Die ehemalige — jetzt neu zu erbauende Evangelische Kirche in Horn, nebst einigen sehr bekannten Häusern.
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Ansicht von Burg S. 563
Das Zollhaus an der Brücke über die Lesum, nebst den fertigen und in Bau liegenden Schifien.
Ansicht von St. Magnus. Zur Anlage A S< 569
Standpunkt: die Brookseite, dem Landhause des Herrn Focke. schräg gegenüber
Ansicht von Blumenlhal. Zur Anlage B S. 586
Ein Bauernhaus von gemeiner Art.
I.
Bremische Geschichten.
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Boden.
iVleeresfluthen überströmten in der Urzeit die niederdeutschen Flächen der Weser bis hinauf an die westfälische Pforte. Zermalmter Granit, was wir Sand nennen, bildete den Grund dieser Was- serfläche. Bloche dieses Gesteins liegen allenthal- ben vereinzelt in dem Boden als stumme Zeugen der Veränderungen der Urwelt, die auf unsere Fra- gen keine Antwort geben. Als die Wasser zurück- traten und dieser Sandboden auf's Trockene kam, bahnte sich der Flufs Weg durch die weichen Mas- sen, fand aber nach unten den Widerstand der im- mer wiederkehrenden Fluthen zu mächtig, und zer- theilte sich in vier schmale Mündungen. So noch bis ins zwölfte Jahrhundert. Die Fluth, welche über das Land mit den Mündungen des Stroms flofs, brachte die Schiffe in den Flufs und führte sie fort*
Aber der Flufs strömte nicht allein den Sand, den er in seinem Laufe fand, fort, und warf hin und wieder Sandbänke auf, sondern er brachte auch jenseits seiner Pforte aus fetten Fluren feine Erd-
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theilchen, die in seinen Wogen schwammen, da sich jene Sandzüge nur in der Tiefe wälzten. Jener ur- sprüngliche Sandboden bildete die Geest, der Nie- derschlag fruchtbarer Erdtheile bildete die Marsch. Auch die trübe Woge des Meers brachte Sand, wie fruchtbare Theile, und wirkte auf dieselbige Art *).
Der Marschboden ist anfangs Slick, eine nasse breiartige Masse, in welchem schwere Korper ver- sinken. Bald aber erzeugen sich zähe Pflanzen, die den Schlamm zusammen halten. Nicht lange, so ist derselbe so hoch, dafs ihn das Wasser nicht mehr überströmt 3 dann wird er härter, und das tragbare Land erwartet die bearbeitende Hand des Menschen. Sechs Fufs hohe Marsch erfordert eine Zeit von achthundert Jahren. So wirkt immer die Natur er- neuend, zerstörend. Noch macht die Fluth bis acht und zwanzig Stunden die Weser hinauf das alte Ge- biet des Meeres geltend, noch etwas weiter besu- chen die Seemöven ihr altes Reich; in einigen Jahr- hunderten wird es schon anders seyn.
So höheten sich einzelne Striche allmählig; die Wasser drängten sich zusammen; auf den Erhöhun- gen oder Wurten baute sich der Siedler an. Aber unsicher war diese Lage immer noch. Diese Wur- ten konnten nur durch Erdwälle gegen höhere
*) Geest und Marsch heifst trocknes und sumpfiges, oder auch hohes und niedriges Land. In lateinischen Schriften des Mit- telalters heifst es humidum et siccum oder auch altum et bas- sum. Geest und Güst ist einerlei, und bedeutet un- fruchtbar.
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Fluthen geschützt werden; in dem Schutze dersel- ben konnten die Wohnungen stehen, konnte sicher das Yieh auf den unabsehbaren Flächen weiden. Das Land jenseits blieb so niedrig, als es war, dies- seits der Erdwälle oder Deiche wurde es durch neue Anspülungen höher. Durch beides wurden die Was- ser immer mehr zusammengedrängt; der Strom ward gezwungen, seine schmalen Mündungen zu verlassen, und sich in eine breite Mündung zu beschränken, die auch jetzt noch ihre Entstehung yerräth.
Wo der ursprüngliche Sand, also die jähhohen Ufer der Weser, oder die Geest endet, liegen die Moore, die zum Theil jenen Sandhöhen ihre Ent- stehung verdanken. In diesen tiefen Flächen konnte das Wasser stehen bleiben; sie nahmen die von Re- gengüssen und Ueberschwemmungeii losgerissenen Gewächse in sich auf, erzeugten Wasserpflanzen, verschlangen diese wieder, in dem Maafse, wie sich neue erzeugten und die alten verdrängten. Da bil- dete sich in diesen Tiefen auf dem festen Sandbo- den eine aus Pflanzentheilen bestehende Lage, durch- drungen von Erdharz, die je tiefer, desto dichter und schwerer durch den Druck der obern Lage, je höher desto leichter, faseriger, mehr den Ursprung verrathend, erschien. Diefs ist das Moor, das den Torf liefert, sich immer neu erzeugt, und nur dann aufhört, wenn es mit Graben durchzogen, und so den Wasserpflanzen die Nahrung entzogen wird.
In dem Maafse, wie das Meer oder der Flufs Sandbänke oder Erhöhungen aufwarf, die nach und
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nach den Wellen nicht mehr erreichbar waren, ward auch hier die Ansiedlung möglich. Aber nur die Bewohner der Geest waren ganz yor der steigenden Fluth sicher.
Ansiedlung auf der Marsch war von der Natur dem Ackerbauer angewiesen; die Geest belohnte des Landmanns Mühe nur nach vieler Verbesserung, wenn auch nicht mit reichlichen, doch mit vorzüg- lichen Arten von Feldfrüchten; das Moor war am undankbarsten.
Dieses vom Meer verlassene oder ihm entrissene flache Sumpf- und Sandland gab seinen Bewohnern gegen willkührliche Herrschaft von Aufsen den Schutz, welche den Gebirgsbewohnern ihre unzu- gänglichen Felsmauern zu gewähren pflegen. Die Bewohner dieses Landes, begünstigt durch die Lage und durch Einheit der Gesinnung, hatten schon seit unbekannter Zeit dasjenige erworben und bewahrt, was jedem Menschen das theuerste ist: Unabhängig- keit von aller Willkühr und selbstständiges Gemein- wesen.
Lage und Ursprung der Stadt Bremen.
Auf beiden Seiten der untern Weser wohnte ein Volk, das den Römern unter dem Namen Chau- cen bekannt war; ein Volk, von welchem Tacitus sagt, es besitze nicht allein sein Land, sondern fülle es auch; dieses unter den Germanen sehr ange- sehene Volk wolle seine Gröfse durch Gerechtigkeit, ohne Habsucht, ohne Leidenschaft, behaupten; ruhig und verborgen lebe es, ohne den Krieg zu scheuen, ohne ihn zu suchen; es sey nicht durch Raub be- kannt; der Chaucen Kraft und Tugend werde vor- züglich darin erkannt, dafs sie ihre Ueberlegenheit nicht durch Ungerechtigkeiten erlangten; doch alle seyen zum Kriege bereit, wenn es die Noth heischte, und sie Hosten auch im Frieden Ehrfurcht ein.
Zu diesem die Gerechtigkeit ehrenden Volke gehörte der offene Ort, der dicht an der Weser, dreifsig Stunden von der Stelle, wo sie jetzt durch Sandbänke sich in die Nordsee windet, lag, und erst zur Zeit Karfs des Grofsen, als der geehrte Namen der Chaucen in der allgemeinen Benennung Sachsen untergangen war, unter dem Namen Bremen zur Kunde der Geschichte kam, nach dem er vielleicht von Ptolemäus , dem Geographen, mit dem unkennt- lichen Namen Phabiranum unter den vier und neun-
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zig germanischen Städten lange yorher war be- zeichnet worden.
In der Niederung zwischen zwei Sandhöhen, wo die Balge, ungewifs ob von Natur oder durch Kunst, einen Meinen Strich Land umfiofs und zur Insel machte, wo das Bett der Weser durch eine Halbinsel getheilt, leichtere Verbindung mit dem andern Ufer gestattete, haben wohl um die Zeit, wo unsre Ge- schichte beginnt, in Sicherheit vor plötzlichen feind- lichen Ueberfällen Fischer, Schiffer und Handelnde gewohnt.
Das Stift.
Als Karl der Grofse die hauni durchs Schwert bezwingbaren Sachsen durch eine die Barbarei mil- dernde Religion sicherer zu bezwingen und zu be- haupten gedachte, wählte er zum Sitze des nörd- lichsten Bisthums den Ort Bremen , der also um dieser Bestimmung willen schon nicht tmbedeutend gewesen seyn mufs , aber auch durch Handlung schon mit Recht in Betracht gezogen wurde. Dem Bisthum übergab er die durch fischreiche Wasser und fette Weiden schätzbaren, aus zehn Gauen be- stehenden, Provinzen Wigmodia und Lorgau, und einen Theil von Friesland zum Sprengel, und den Zehnten aller Erzeugnisse des Landes zur Unterhal- tung und Beschützung der Diener Gottes, doch ohne irgend eine Gerichtsbarkeit oder andere Landesho- heit, weder über die Stadt noch über das Land.
Um die neu gepflanzte Kirche nach canonischer
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Ordnung einzurichten, den Samen des Wortes Got- tes und des übrigen Unterrichts auszustreuen, wurde Willehad, ein englischer Priester sassischer Abstam- mung, von Karl dem Grofsen (788) zum ersten Bi- schof ernannt. Aus Vorliebe für das Land seiner Väter hatte er schon früher an dem Ufer der We- ser die Heiden bekehrt, schon einmal eine kleine Kirche und Gemeine in Bremen gestiftet ; dann hatte er durch Ueberfall der heidnischen Sassen nach Ita- lien entfliehen müssen, war nach Wittekinds Bekeh- rung zurückgekommen, bauete unter des mächtigen Karls Schutz das zerstörte Heiligthum wieder auf, und fand endlich als Märtyrer an der untern Weser das Ziel seines Tagewerks.
Aufserhalb des durch die Balge *) und die We- ser begränzten Ortes, auf einer, yor der Gewalt des Flusses sicher liegenden, nach allen Seiten sicht- baren, mit Heidekraut bekleideten Sandhöhe, wo sich jetzt der Dom in majestätischer Länge hin- streckt, ward von dem Apostel und ersten Bischof der nördlichsten Sachsen und Friesen eine den Be- dürfnissen und Mitteln angemessene, gewifs nicht grofse, hölzerne Kirche erbaut , und mit andern dazu gehörigen Gebäuden umgeben.
*) Balgen heifsen an der untern Weser die Gräben, welche die ablaufende Ebbe auf den Watten macht. Dafs weiter hinauf auch andere ahnliche Sandgrä'ben, die nicht dieselbige Ent. stehung hatten, so genannt wurden, ist natürlich. Watt nennt man an der See diejenige Gegend, die wenigstens durch die Springfluth überschwemmt wird.
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Als es unter Kaiser Ludwig dem Frommen für nöthig erachtet wurde, ein noch nördlicheres Bis- thum zu errichten, wurde Ansgarius zum Erzbischof von Hamburg ernannt, das bald durch den Tod des dritten Bischofs unbesetzte Bisthum Bremen mit jenem vereinigt, und dagegen von allen SufFragan- verbindlichheiten gegen das Erzstift Colin freigespro- chen, obgleich dies durch Gunst des Kaisers gegen letzteres noch nicht gleich zur Vollziehung gebracht werden konnte. Der siebzehnte Erzbischof von Ham- burg, Liemarus, da seinem Sprengel die in Dänemark, Norwegen und Schweden entstandenen Bisthümer ent- zogen w orden , nannte sich Erzbischof von Bremen, und fortan wurde nur dieser Titel gebraucht.
Die Stadt.
Ueber die Verfassung der norddeutschen Städte, wenn man sie so nennen will *) ,- zur Zeit, als die Börner das nördliche Deutschland kennen lernten, und einige Jahrhunderte später, weifs man wenig oder nichts. Ihre Einwohner, in so fern sie frei waren, nahmen, wie jeder freie Hofbesitzer, Theii an den Nationalversammlungen, in welchen auch die Richter gewählt wurden. Als Karl der Grofse Sach- sen eroberte , liefs er das Verhältnifs der Edelfreien,
*) Vicos locant non in nostruni morem, connexis et cohae- rentihus aedificiis. Suam quisque domum spatio circumdat, sive adversus casus ignis remedium , sive inscitia aedificandi. Tac. Germ.
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Freien und Leibeigenen, wie es war, nur dafs die Gemeinfreien den Zehnten an die Bischöfe liefern mußten, und ihnen ein königlicher Richter gesetzt wurde. Die Landeshoheit und die Strafgefälle blie- ben also beim König. Grafen, Sendgrafen, in Kriegs- zeiten Herzoge, verwalteten das Regiment für den König, safsen zu Gericht, schützten die Kirche, und achteten auf die Schöffengerichte. Zu Kails des Grofsen Zeit wurden die Schöffen durch den Grafen oder Oberrichter und die freien Einwohner gewählt, die das Urlheil fanden, und nach deren Weisthum der Graf sprach. Nur die Freien (zwischen Freien und Edelfreien war kein Unterschied der Rechte, sondern nur des Besitzthums und des Ansehens) wa- ren Bürger; nur aus ihnen wurden die Schöffen und andere obrigkeitliche Personen gewählt, nur sie hat- ten Theil an der Wahl. Die übrigen Einwohner waren unfreien Standes und beschäftigten sich mit Gewerb.
In den unruhigen Jahrhunderten nach Karl dem Grofsen rechneten es selbst freie Leute für ein Glück, Bischofsleute zu werden, sich nach und nach dem Königsrichter zu entziehen , und nur der Ansprache des Bischofsgerichts verbindlich zu seyn. Erzbischof Adaidagus, von hohem Stande, jung, schön, von trefflichem Charakter, gelehrt, hochgeschätzter Kanzler der drei Ottonen, hatte nemlich von Otto dem Grofsen für sein Erzstift erlangt, was auch schon andere Bischöfe für ihre Sitze erworben, dafs die Leute seiner Klöster keinem weltlichen Richter
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unterworfen seyn sollten, sondern allein des Erzbi- schofs Schirmvogt, so lange er ihrer mächtig seyn könne. Was also, ohne besonders den Vortheil der Stadt Bremen zu berücksichtigen, vielmehr für den Vortheil des Bischofs, verlangt und vom Kaiser be- willigt worden, war dennoch mittelbar von höchster Wichtigheit für die Förderung der Stadt und die Ausbildung des Gemeinwesens, und wurde von der Gemeine gewifs als eine ihr vorzüglich heilbringende Anordnung geschätzt und benuzt. Nichts konnte der Stadt lieber seyn, als die Verdrängung der Königs- vögte oder ihrer Beauftragten, denen die Gerichtsbar- keit über die hörigen Handwerker (den gröfsten Theil der Gemeine), die Erhebung der Abgaben und das Halsgericht zustand, die oft auf eine greuliche Art ihre Gewalt mifsbrauchten , und in andern Städten ihre Vogtei in landesherrliche Hoheit verwandel- ten *). Ein von den Herzogen oder Vögten gemach- ter Versuch , die von Adaidagus erlangte Befreiung wieder zu vernichten, scheiterte an der Klugheit des Erzbischofs Adalbert.
Hinwiederum war den Bischöfen durch Verdrän- gung der Königsvögte und eigene Erwerbung ihrer,
*) Adam. Brem. 82. In diesem Sinne ist das Wort dieses Ge- schichtschreibers zu verstehen, wenn er sagt: Iste est, qui no- bis rempublicam restituit, d. b. Adadalgus hat uns von der willkübrlichen Gewalt der Vögte befreit, und uns einen regel- mässigen Gerichtshof und bürgerliches Verhältnifs wieder her- gestellt. Er hat uns den weltlichen Potestaten entzogen und uns unter bischöfliche Aufsicht gestellt.
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obgleich im Namen des Kaisers auszuübenden, Rechte der Weg zur Landeshoheit gebahnt, und dafs Bre- mens Bischöfe dieselbe nicht über die Stadt Bremen in der Art erlangten, wie andere in manchen Städ- ten, wo die Kathedrale war, lag in der durch gros- sen Handel früh erworbenen städtischen Kraft; denn durch Verdrängung des weltlichen Vogts war ein wichtiger Schritt gethan, um die hörigen Handwer- ker mit der Zeit des Stadtrechts theilhaftig zu ma- chen, wodurch sie aus zins- und dienstpflichtigen Be- wohnern freie Bürger wurden. Dadurch kamen die Gewerbe schnell empor und der Reichthum der Stadt wuchs.
Zugleich erklärte aber auch Otto, dafs jeder Edle oder Unedle ein Schutzpllichtiger der Klöster des Erzstifts Bremen werden könne, ohne dafs irgend ein Königsvogt diefs verhindern dürfe; hieraus läfst sich die grofse Menge der stiftischen Ritterschaft, die im Erzstift Lehn nahm, so wie die schnell zu- nehmende Bevölkerung unserer Stadt erklären. Auch erlangte Adaldag vom Kaiser die Marktfreiheit, die Gerichtsbarkeit, Zoll, Münzgerechtigkeit und alle königlichen Einkünfte in Bremen.
Die Regalien, welche Adaidagus durch Otto's Vergünstigung erworben, betrafen jedoch gewifs nur die Klöster, geistlichen Stiftungen und vormaligen Krongüter im Erzstift, wie in der Stadt Bremen selbst, und die Verwaltung mufste Kastenvögten über- geben werden. Eine weitere Ausdehnung bis zur Landeshoheit ward erst in späteren Zeiten versucht.
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Adaidagus safs als Erzbiscliof vier und fünfzig Jahre; die Befolgung derselbigen Grundsätze so lange Zeit hindurch erklärt den Erfolg seiner Bemühungen. Als Adaldag aus Italien zurückkam vernahm er mit Wohlgefallen des Volkes Zuruf: Gelobt sey, der da kommt im Namen des Herrn.
Durch Erzbischof Liemarus wurde die Yogtei wieder veräufsert, als er in der Gefangenschaft die Yogtrechte dem Grafen Lothar von Süpplingenburg, nachmaligem Kaiser, übertrug.
Das Haus Sachsen sah diese Yogtei nicht mit dem Tode Lothars als erloschen an, und als Al- brecht von Anhalt, durch die Gunst Kaiser Konrads, zum Nachtheil Heinrichs des Stolzen, das Herzog- thum Sachsen erhielt, damit auch Bremen, so wurde für Letztern durch Bundesgenossen die Stadt Bre- men erobert.
Während einer ziemlich langen Ruhe nach die- sem Sturm zogen die Bremer im Verein mit andern sächsischen und westfälischen Bittern nach Galli- zien, vertrieben dann aus Lissabon die Saracenen und erlangten gleiche Handelsvorrechte mit den Ein- gebornen.
Auch Heinrich der Löwe eroberte Bremen, plün- derte die Stadt , die seiner Yogtei sich nicht unter- werfen wollte; viele Einwohner versteckten sich in die friesischen Moore, bis durch Hartwichs Vor- spräche der Friede hergestellt wurde. Das Unglück Heinrichs brachte der Stadt viele Ruhe , und sie nahm so sehr an Kraft zu, dafs sie den wider ihren
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Willen zum Erzbisthum gelangten Hartwich II. ver- trieb , der nur durch den Einllufs des Kaisers wie- der hergestellt wurde.
Auf jeden Fall war den Bremern, wenn ein Uebel seyn mufste, die bischöfliche Vogtei lieber, als die weltliche, weswegen sie im Jahre 1217 mit Erzbischof Gerhard I. einen Vergleich trafen , sie wollten in dem Verhältnifs zu ihm stehen, wie ihre Vorfahren zu den ersten Bischöfen, dafern er sich anheischig mache, so wie jene, ihre Freiheiten, Gewohnheiten, Privilegien und Rechte zu achten, und dafs jede Streitigheit zwischen beiden Partheien durch Schiedsrichter geschlichtet werden sollte.
Ein Versuch wurde wieder von Heinrichs des Löwen Neffen, Otto, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, gemacht, die Vogtei von Bremen zu er- langen. Er belagerte im Jahre 1235 die Stadt, ver- wüstete umher das Land, und liefs sich nur durch eine Summe Geld von der Stadt und im folgenden Jahre durch einen Vertrag mit Erzbischof Gerhard, in welchem die Ansprüche auf die Vogtei, die von Erzbischof Liemarus dem Lothar übergeben worden, gänzlich beseitigt und niedergeschlagen wurden, zur Ruhe bringen.
Durch die Immunität und Freiheit, die Adalda- gus erlangte, waren zwar die Bürger der Stadt, wenn sie auch von freiem Stande Maren, nicht mehr das , was der Lehnsadel auf seinen Burgen war, aber doch von den Sehutzpflichtigen des Bischofs unter- schieden, ja erstere sogar waren später dem Bi-
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schof, obgleich er sie bevogtete, dennoch keinen Faiegsdienst schuldig. Die vielen ritterlichen Bür- ger, welche hauptsächlich die Genieine ausmachten, waren durch das Stadtrecht, das sie verband, eben so geehrt und angesehen als der Lehnsadel.
Erzbischöfliche Ministerialen , so auch freie Grundeigenthümer, die sich dem Bischofsschutze un- terwarfen, oder um der städtischen Yortheile willen gern in der Stadt Bürgerrecht nahmen, bildeten un- streitig den angeseheneren Theil der Bürgerschaft. Als erstere sich zum Theil auf Burgen oder Land- sitze zogen, zum Theil in der Stadt zurückhlieben und mit den freien Schutzpfiichtigen des Bischofs Ton der Natur angewiesen Handel trieben, und sich von diesem mehr als jedes andere dem Zufall heim- gegebenen Gewerbe abhängig machten, so konnte viel- leicht, mit Ausnahme der ersten Jahrhunderte der Selbstständigkeit, wo noch manche anderswo begüter- ten Edlen sich in der Stadt Burgrecht erworben, die nur von ihrem Grundeigentum lebten, wohl kein anderes Patriciat, als nur der Gegensatz der freien Bürger zu den unfreien, aufkommen, indem dasselbe nur auf festerm und dauerhafteren Fundament ent- stehen und fortdauern kann, als der Handel gewahrt, wenn auch nicht derselbe als Hauptbetrieb einer Stadt oder eines Staates an sich schon völlige Gleichheit bedingte und erzeugte. So zeigt sich der Unterschied der stiftischen Ritterschaft, der freien Bürger und der noch zur Zeit hörigen Hand- werker. Die erstem konnten sich in einem Verhält-
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nisse nicht gefallen , wo Handelswichtigkeit den Grundbesitz, wo Reichthum den Glanz des Adels zu verdunkeln schien; ja es entstand ein Hafs zwi- schen den Bürgern und Edelleuten, der in seinen Grundzügen nie erloschen ist, so wie sich späterhin ein Gegensatz zwischen den Handwerksinnungen und der Kaufmannschaft gezeigt hat.
Wäre auch jene Zeit schreibseliger gewesen als sie war, so würden sich doch in einer so früh dem Handel ergebenen Stadt nur wenige authen- tische schriftliche Nachrichten finden. Die alten Urkunden sagen ausdrücklich dafs nur um dem Ge- dächtnis der Menschen und der Nachwelt zu Hülfe zu kommen, schriftliche Verträge gemacht worden, die also in der Meinung nicht mehr Rechtskraft hat- ten, als mündliche Verabredung. Wo keine Fami- liengerechtsame zu verwahren sind, da sammelt man nicht; und Familien, die nicht auf Fideicommissen und Primogeniturrechten oder auf gewissen erbli- chen Vorzügen im Staate beruhen, gehen unter, werden arm, ziehen weg; ihres Namens wie ihres Daseyns Gedä'chtnifs vergeht. In Bremen gab es nicht, wie in andern Städten, bevorrechtete Familien, denen ein Archiv Noth that, sondern gröfstentheils durch Handel emporgestiegene. So wie in freien deutschen Städten, wo Geschlechter waren, die Na- men sich sehr lange erhalten, und von den umlie- genden Stammburgen oder Plätzen in der Stadt ge- nommen sind, so findet man, dafs die Namen bre- mischer Bürger, so weit wir sie schriftlich finden,
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gröfstentheils Ton nah und weit entlegenen Dörfern, Burgen und Städten, aus denen sie oder ihre Vor- fahren gebürtig gewesen, entlehnt sind. In dem Maafse, wie dieses allgemeiner erseheint, zeigt sich auch immer mehr das Erheben des ephemeren hauf- männischen und Handwerhsstandes über den Grund- besitzer, indem die Zünfte heine Adelichen aufnah- men , diese auch vielleicht durch die sich bildenden Corporationen eine zu grofse Gegenwehr gegen ih- ren Einflufs entstehen sahen. Die Klügern vom Adel vermischten sich lieber mit Aufopferung ihrer Stan- desprivilegien mit den bürgerlichen durch Annahme des Gewerbs und durch Heirath.
Die freie Gemeine.
Schon seit Otto des Grofsen Zeit verbreitet sich, wie durch Verabredung, oder als wenn ein all- gemein nachgeahmtes Vorbild da gewesen, ein selbst- ständiges Gemeinwesen in den Städten Deutschlands, so wie es noch in Italien zum Theil geblieben war, zum Theil sich weiter ausbildete, wo noch ein Be- griff altrömischer Städte- Verfassung sich erhalten hatte; nur mit dem Unterschied, dafs dieselbe, da sie dort aus dem heidnischen Römerthum ins christ- liche Kaiserthum überging, nur selten harmonisch erscheint, und zwischen ewigem Wandel von herge- brachter Form und Bedürfnifs der Zeit schwankt; dagegen sich die norddeutschen Städte rein nach dem Bedürfnifs formten , mehr Sitte und ächte Religiosi-
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tat *) bewahrten, und somit die Bürgschaft für ru- higere und längere Existenz und gegen das Entste- hen yon Meinen Tyrannen aus der Mitte der Bür- ger in sich trugen.
Das Fortschreiten der niederdeutschen Städte zur bürgerlichen Freiheit ging langsamer als dasje- nige der süddeutschen, weil sie sich nicht eben so nahe lagen, um sich gegenseitig beizustehen, und nur eigentlich erst nach der Auflösung der Weifi- schen Macht anfangen konnten sich zu rühren. Je- nes fast gleichzeitige Ausbilden bürgerlicher Verfas- sung hat der Zeitgeist zu Stande gebracht und das Bedürfnifs ; die Kaiser haben die Verfassungen nicht gegeben, nicht gemacht; sie haben das üblich Ge- wordene auf Antrag der Gemeindevorsteher bestä- tigt, in so fern es kaiserlicher Macht erspriefslich war, welches sich bald zeigte.
Wie frühe und unter welchen Verhältnissen sich die freie Gemeine in Bremen gebildet, ist nicht aus- zumitteln. Ja, sie war ursprünglich da gewesen, aber nach Karls des Grofsen Zeit verkümmert wor- den, so dafs jene Regeneration durch Adaidagus nö'- thig ward, um sie aus der Willkühr weltlicher Vogte unter den Krummstab zu bringen.
Wenn Bremen unter den ältesten Städten Deutschlands genannt wird, so sollte man sich dar-
*) — que popoli, che sono piu propinqui alla chiesa Romana, capo della Religione nostra, hanno meno Religione. Macchia- velli Discoi-si sopra la prima Deca di Tito Lirio. L. I. C. XII.
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unter kein Dorf, mit Hörigen bewohnt, denken. Dafs eine Gemeine, mit der Fälligkeit, unabhängiges Eigenthum zu besitzen , frühe , wenn nicht immer, vorhanden gewesen, zeigt das Vermächtnifs der Bür- gerviehweide durch die Gräfin Emma von Lesum an die Stadtgemeine im Jahre 1032, welche Schenkung noch nach geraumer Zeit Erzbischof Hartwich nicht als gültig anerkennen wollte.
Die Kreuzzüge, der Antheil, den die Erzbi- schöfe daran nahmen und der dazu nöthige Auf» wand, gaben sodann der durch Handel bereicherten Bürgerschaft Gelegenheit, sich den Besitz mancher Gerechtsame zu erkaufen, oder auch durch die in jener Zeit herrschende Verwirrung in allen Verhält- nissen auf dem Wege der Ausübung zu erwerben; so nicht minder Landbesitz und Unterthanen aufser- halb der Stadt.
Kaiser Friedrich der Erste, der die Wichtig- keit freier Städte im Norden von Deutschland, als Gegengewicht gegen die mächtigen Weifen, er- kannte, verlieh der Stadt Bremen das Recht *), dafs Jedermann, ausgenommen Stifts- und Klosterleute, nach einjähriger, unangefochtener Niederlassung in der Stadt, von seinem Zinsherrn nicht zurückge- fordert werden könne **). Dafs drei und vierzig Jahre später wegen stark zugenommener BevÖlke-
*) 1186.
**) In den übrigen freien deutseben Städten war diese Frist sechs Jahre.
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rung das Liebfrauen-Kirchspiel in drei getheilt wer- den mufste, ist gewifs jenem Recht zuzuschreiben.
Bremen zur See und im Auslande.
Mancherlei trug zur Vergröfserung der Macht und des Reichthums der Stadt Rremen bei. Der hohe Geist des Erzbischofs Adalbert *), seine Pracht- liebe, Gastfreundschaft, Freigebigheit, Freundlich- heit, sein scherzhaftes und herablassendes Wesen, sein weiter Wirkungskreis zog, als er im höhern Alter sich hauptsächlich in seinem Bischofssitze auf- hielt, aus allen Ländern der Erde, besonders aus dem Norden, eine Menge Menschen heran, dafs man das kleine Bremen das nördliche Rom nannte, und Abgeordnete aus Island, Grönland und von den or- kadischen Inseln gesehen wurden, die um Lehrer des Christenthums baten **). Hiedurch zog sich auch ein bedeutender Handelsverkehr nach Bre- men der nur leider zu oft unter der unruhi- gen Regierung Adalberts durch Gewaltthaten aller Art gestört wurde.
An den Kreuzzügen nahm Bremen eifrigen An-
*) Er hatte sich vorgenommen, „ut nec dux, nec comes, nec ali- qua judicialis persona aliquam Jurisdictionen! nec potestatem in illo haberet" (Aut. inc. ap. Lindenbr.) Er zog auch als Feld- herr vor seinen Heeren. Wolter S. 42. Es lag gewifs nicht von seinen Gedanken sehr entfernt , im Norden den Pabst zu spie- len, darum nannte er gern Bremen seine parvula Roma.
**) Ad. Brem. 93 und 127-
***) Negotiatores , qui ex omni parte terrarum Brem am solitis fre- quentabant mercibus , Ad. Br. 116.
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theil. Mehrere der angesehensten Bürger zogen mit aus. Als in der langen Belagerung von Accon Krank- heit unter den Kreuzfahrern überhand nahm, da spannten Bremer und Lübecker gemeinschaftlich ein Segel zum Zelte aus, nahmen Kranke auf, rerpfleg- ten sie, und diefs war der kleine Anfang des deut- schen Ritterordens. Otto von Harpen, der seines Gleichen nicht im gottseligen Wandel hatte *), ein Bremer Bürger, war zweiter Ordensmeister. Dreis- sig Jahre früher (1158) war ein auf Cabotage ausge- sandtes, reich beladenes Bremer Schiff in der Ost- see von seinem Weg abgekommen, mufste in die Dwina einlaufen, und gab Veranlassung zur Grün- dung der Stadt Riga, und eines dauerhaften, vor- theilhaften Handelsverkehrs, wie zur Bekehrung der heidnischen Liefländer **). Von den Kreuzzü- gen hatten überhaupt die niederdeutschen Seestädte lange nicht den Vortheil, wie die italienischen 5 de- sto mehr aber von der Kolonisirung an der Ostsee und dem Handel mit diesen Kolonien.
Stadt und Erzbischof.
Als Bischof und Gemeine beide ihrem Vor- theil angemessen fanden, sich von dem Drucke des Königsvogts oder Hofrichters zu befreien, war es
*) Des Chronisten Renners Worte.
**) Das Wappen der Stadt Riga, ein Schlüssel, bezeugt noch jetzt die alte Abstammung. Erzbischof Hartwich der Erste weihete den eisten liefiä'ndischen Bischof Meinard; seine meisten Nachfolger kamen in den nächsten Jahrhunderten aus Bremen.
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den ersteren nicht bedacht gewesen, dafs die Mauern und Thürme *) , die sie zum Schutze des Bischofs- sitzes, der Kathedrale und der Stadt gegen Hunnen, Normannen und später gegen begehrliche Nachbar- fürsten und andere Feinde väterlich errichtet, zur Ermächtigung der Bürgerschaft so dienen würden, dafs diese sich dem Streben der Bischöfe nach Lan- deshoheit selbst eines Tages widersetzen könnte. In der Theilnahme der Bremer an dem ersten und folgenden Kreuzzügen , an einem Zuge gegen die Saracenen in Portugall, läfst sich der Einflufs des Bischofs nicht verkennen, und die Stadt scheint nur wenig in feindliche Berührung mit ihm gekommen zu seyn, wie denn auch sein väterliches Verhältnifs zu ihr und gemeinschaftlicher Vortheil gegen gewaltthätige Nachbarn diefs so lange mit sich brachten, als die Bürgerschaft keine Wünsche höherer Selbstständig- keit kannte, und der Bischof kein lebhafteres Trach- ten nach Landeshoheit über die Stadt in sich fühlte.
Stand aber der Vortheil des Kaisers und der Geistlichkeit feindlich gegen einander, so pflegte die Stadt zu dem erstem zu halten. Diefs deutet auf frühe Selbstständigkeit und richtige Anerkennung des Standpunktes zum Kaiser und zu dem Bischof. Als Hartwich II. (1187), von Kaiser Friedrich geäch- tet, aus der Stadt getrieben wurde, kam diese in
*) Im Jahre 1231 wurde vom Kaiser allen geistlichen Reichsfürsten die Befugnifs ertheilt , die Stadt ihres Kathedralsitzes mit Mauern und Graben zu des Reichs Frommen zu befestigen.
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den Bann, der Gottesdienst hörte auf, die Altäre wurden ihres Schmuches berauht, das Allerheiligste wurde nicht gezeigt, die heiligen Reliquien wurden unter die Erde gebracht, die Bilder und Crucinxe verhüllt, Kein Mefsopfer verrichtet, heine Glocken geläutet, hein Todter in geweihte Erde begraben, Trauungen nur auf dem Kirchhofe im Nothfalle vollzogen, überhaupt heine sakrameutalische Hand- lung vorgenommen. Das Interdict wurde in Bre- men so strenge gehalten, dafs aus Mangel an Tod- tenmessen viele Todte unbegraben lagen. Erst nach- dem Hartwich mit dem Kaiser wieder versöhnt war. wurde das Interdict aufgehoben *).
*) Gebote und Verbote treffen oft nur den Annen, eingerechnet höchstens die mittleren Stände. Angesehenere wufsten sich auch in dem Interdict schadlos zu halten. Da pflegte man sich Indulte und Erlaubnifsscheine vorn Pabste zu verschaffen, um bei verschlossenen Kirchenthüren , in Gegenwart auserlesener frommer Christen, Gottesdienst und Messe halten zu dürfen. Ein Dokument vom Jahr 1392 sagt, dafs der Rath einen gewis- sen Plato mit Geld (300 Ducati) nach Rom geschickt, um sich die Erlaubnifs zu erkaufen, während des Interdicts dennoch Gottesdienst halten zu köunen. Dafs Bremen jedoch seit dem dreizehnten Jahrhundert nicht viel von dem Interdict zu leiden hatte, wird sich in der Geschichte unserer Kloster zeigen. Im Jahr 1499 halten sich zwei Jungen unter der Vesper bis auf's Blut in der Lieb-Frauen-Kirche geprügelt. Die Kirche war also ent- weiht, und (ler Weihbischof verlangte vierzig Rh. Gulden. En- bischof Johann Rode, der gerade in Bremen war, erklärte, jener solle kein (yeld haben, die Bürgerschaft habe keine Schuld. Mit vier Gulden mufste er sich abspeisen lassen. Ein andermal ward der Kirchhof durch die Verwundung eines Reiters ent- weiht. Dafür bekam der Weihbischof abermals vier Gulden, drei Wachslichter , für 12 Groten Fleisch , ein Stübchen Wein und neun Stübchen Bier.
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Indessen ward von der vorsichtigen und rei- chen Bürgerschaft nicht unbenutzt gelassen , wenn der Erzbischof wegen unzureichender Einkünfte in Verlegenheit war und Vorrechte veräufsern oder ver- pfänden mufste. So kamen manche Regalien zuerst nur auf bestimmte Zeit, dann auf immer an die Stadt. Mehrere Erzbischöfe, von Albert dem Zweiten (1369) an, verpfändeten unter andern oft der Stadt die erz- bischöfliche Münzgerechtigkeit auf gewisse Jahre, ehe noch von Kaiser Karl dem Fünften (J54l) die Münz- freiheit der Stadt urkundlich zugesichert worden. Manches mochte durch verjährten Gebrauch in Uebung gekommen seyn , was sich durch schriftlich bestätigte Gerechtsame nicht erweisen liefs *), und nur so lange stillschweigend ungestört blieb, als sich keine Widerrede erhob. Vieles lag auch in dem Charakter oder in den besondern Staatsmaxi- men der Bischöfe, so dafs der eine wieder sinken liefs, was der andere gebauet hatte, je nachdem höheres Alter, besondere Neigung zu kirchlichen Verrichtungen, lange Abwesenheit, Dienste an des Kaisers Hofe bei manchen, oder kräftigere Jahre, Kriegslust, Theilnahme an Reichshändeln bei an- dern, die zur Freiheit strebende Stadt bald hemm-
*) Noch im Jahr 1613, ab der Erzbischof sich wegen des bischöf- lichen Stadtvogts auf einen Vertrag der Stadt mit Erzbischof Hildebold bezog, antwortete der Rath, dafs derselbe seit vier- tehalb Jahrhundert, oder vielmehr nie in Gebrauch gewesen, und sie sich auf dieses alte Herkommen stützten.
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ten, bald gewähren liefsen, ja, wenn es Noth und Vorth eil erheischten, gar beförderten. Doch hat der Kampf zwischen Bischof und Stadt, jenem, der seinen Bischofssitz gern als Landstadt zu eige- ner Sicherheit erhalten, dieser, welche jenen mit seinen Anmafsungen gern aus ihren Ringmauern ver- drängen wollte, nie auf lange Zeit ganz aufgehört. Zu einem sehr lebhaften Ausbruche der Unzufrie- denheit gab Erzbischof Gerhard Veranlassung.
Die Bremer hatten schon lauge Zollfreiheit auf der Weser bis zum gesalzenen Wasser ausgeübt. Erzbischof Gerhard sprach ihnen dieses Recht ab und forderte den Zoll in seinem festen Schlosse Wittenborg, zwei Meilen unterhalb Bremen (1220). Die Rette , womit er an dieser Stelle den Flufs ge- sperrt, wurde von den Bremern gesprengt, die Burg eingenommen und niedergerissen, mit den Steinen wurde ein Theil der Stadt gepflastert und die Kette im Triumph aufgehangen. Die Folge dieser Strei- tigheit war, dafs den Bremern ein Recht, das bis- her nur in der Ausübung bestanden, nunmehr durch erzbischöfliche, nachmals öfters bestätigte, Urkunden zugesichert wurde.
Stedinger Krieg.
Unter diesem Erzbischof fand sich eine noch
wichtigere Gelegenheit, die Rechte wie das Gebiet
der Stadt zu erweitern. Als Gerhard gegen die
ketzerischen Stedinger, die ohngefähr vier Stun-
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den unterhalb Bremen in der Grafschaft Olden- burg wohnten *) , einen Kreuzzug bereiten woll- te, lag ihm viel an der Theilnahme der Bre- mer Bürgerschaft. Er gestattete ihr urkundlich grofse Vorrechte, die Aufhebung mit Unrecht erho- bener Zölle, die Zusage des dritten Theils aller von den Stedingern zu machenden Eroberungen und Geld- erwerbungen , auch dafs" kein bremischer Kaufmann zu diesem .Feldzug verpflichtet sey, er müfste denn als Ministerial- oder Schutzpflichtiger der Kirche zum Dienste verbunden se)rn, wofür er jedoch einen Be- waffneten stellen könne **). Diefs zeigt, dafs da- mals nicht alle Bürger Bremens in gleichen Ver- hältnissen zum Erzbischof standen.
Die Kastenvögte, welche für den Erzbischof die Gerichtsbarkeit im Stedingerlande verwalteten, namentlich die Grafen von Oldenburg und Stotel, hatten in dem Lande Schlösser angelegt, und ihre Burgmannen erlaubten sich empörende Beleidigun- gen gegen die Weiber und Töchter der Stedinger. Diese griffen zu den Waffen, verjagten die Adeli- chen, zerstörten die Burgen und erlangten völlige Freiheit. Solche Befehdungen hatten schon im Jahr 1187 angefangen, und die Stedinger hatten sich
*) Der Stedinger Land gehörte nicht allein unter den Kirchsprengel des bremischen Stuhls, sondern sie waren auch seit dem zwölf- ten Jahrhundert zehntpflichtige Unterthanen und Meier des- selben.
**) Cassel Sammlung ungedruckter Urkunden S. 122. die Urkunde ist von 1233.
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endlich Ruhe erkämpft. Im Jahr 1230 gab folgen- des Ereignifs Veranlassung zu dem Kreuzzuge.
Eine stedingische Edelfrau communicirte bei einem Priester, und dieser steckte ihr, statt der Hostie, den geopferten Beichtpfenning, als eine sei- ner Meinung nach zu geringe Gabe, in den Mund. Sie klagte es ihrem Manne. Dieser stellte den Prie- ster zur Rede, und als ihm, statt erwarteter Ent- schuldigung, höhnisch geantwortet wurde, zog er entbrannt das Schwert aus der Scheide und erstach den Priester.
Das Volk theiite mit Recht den Unwillen des beleidigten Gatten und erklärte sich zu seinem Schutze bereit. Der Erzbischof hatte nun er- wünschte Gelegenheit, den lang gehegten Plan in Ausführung zu bringen. Die Stedinger wur- den für Zauberer und Ketzer erklärt, in den Bann gethan, und das Kreuz wurde gegen sie gepre- digt. Der Kreuzzug begann auf Weihnacht des Jahres 1230 und dauerte bis 1234. Der berüchtigte Ketzerverfolger, Konrad von Marburg, brachte auch einen grofsen Haufen Kreuzfahrer. Ein Heer von vierzig tausend Mann reichte kaum hin, das klei- ne, aber tapfere Volk zu besiegen. Es bildete mit eilf tausend Mann eine dichtgedrängte keilförmige Schlachtordnung. Auf der Seite des Kreuzheeres sangen die Dominikaner aus der Ferne »media vita.« Herzog Heinrich von Brabant führte das Kreuzheer an, konnte aber nichts ausrichten, bis der Graf von Cleve in die Flanken brach. Von den Stedingern
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blieben sechs tausend Mann auf dem Schlachtfelde, sehr viele ertranken in der Weser und in Gräben. Fast das ganze Volk wurde auf seinen Hofen ausge- rottet *).
Um diese Zeit hatten auch die Zünfte der Hand- werker selbstständige Verbindungen geknüpft, was bei der verwirrten Zeit unter Kaiser Friedrich des Zwei- ten Regierung nicht gut verhindert werden konnte. Auch suchten die Bürger sich immer mehr von der Gerichtsbarkeit der kaiserlichen Yogtei, die der Erzbischof ausübte, frei zu machen, so dafs ein Vertrag geschlossen werden mufste , wie weit der Bischofs-Vogt zu richten habe (1246).
Sieben und dreifsig Jahre später mufste Erzbi- schof Hildebold der Kraft und Festigkeit der bremi- schen Bürgerschaft weichen. Er hatte den Bürgern zum Trotz das Schlofs Warflethe an der Weser ge- baut und die Friesen gegen die Stadt gereizt, die ihr grofsen Schaden zufügten. Nach dreijähriger Fehde mufste er das Schlofs den Bürgern überge- ben, welche es zerstörten, indem er der Stadt zu- gleich vertragsmäfsig versprach, keine Burg am We- serstrome ferner anzulegen. Er bestätigte die vom
*) Der Bann wurde vom Pabst im Jahr 1235 wieder aufgehoben. In der Stadt Bremen wurde zur Feier dieses Siegs eine Proces- sion und ein jährlicher Festtag angeordnet. In d^m vom Erz- bischof Johann Rode besorgten Missale secundum ritum eccle- siae Bremensis (Strasburg 1511 fol.) findet man den fünften Sonn- tag nach Ostern dazu angesetzt, mit den Worten: agitur so- lenne officium de beata Virgine contra Stedingos.
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Erzbischof Gerhard der Stadt ertheilten Freiheiten, und zu seiner Zeit gewann die Stadt vorzügliche Kraft, indem viele Zünfte ihre eigenen Gerichtsher- ren aus dem Senat erhielten *).
Sehr wichtig war auch für die Bildung des bre- mischen Genieindewesens die Zeit Erzbischofs Gisel- berts. Einer seiner Leute hatte einen Bürger ver- wundet. Da wurde sein Pallast von der erzürnten Menge erstürmt, vieles zerstört, dann in Brand gesteckt. Der Erzbischof entfloh. Auf mannigfaltige Weise geängstet und gequält demüthigte sich zwar die Bürger- schaft; vierzehn Jahre später aber, als indessen die Stadt in die Hanse aufgenommen worden, erklärte der Erzbischof urkundlich, dafs der Bath in weltlichen Dingen volle Macht haben, der Erzbischof aber sich in der Stadt nur um das geistliche Begiment be- kümmern solle. So war also das Verhältnifs des Erzbischofs zur Stadt, wie es vor Adaidagus gewe- sen, wieder hergestellt; nur mit dem Unterschied, dafs das Gemeinwesen sich seit jener Zeit ausgebil- det hatte, und was sonst des weltlichen Königsvogts Becht gewesen, dann in die Hände der Bischöfe oder ihrer YÖgte gekommen, nunmehr mit geringen
*) Im Jahr 1261 erlangten die Handwerker ihre eigenen Gerichte, mit Ausnahme der Blutgerichte. Im Jahr 1243 hatte sich die Stadt auch mit den Grafen von Oldenburg vertragen, dafs sie gegen ihren Willen keine Burgen noch Thiirme am Ufer der Weser bauen, den Bremern keinen Zoll abfordern, auch ihnen in Kothen helfen sollten.
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Ausnahmen eine Gerechtsame der Bürgerschaft ward. Die Folge dieser wichtigen Bewilligung, und um dem nun bestimmt gewordenen Verhältnifs Dauer zu geben, war, dafs im Jahre 1303 die ersten noch vorhandenen Stadtrechte beschrieben wurden. Es waren gewifs schon geschriebene Gesetze vorhan- den, ohne jedoch in eine Sammlung geordnet zu seyn; eben so gab es manche, die nicht schriftlich abgefafst waren. Wenn also Bath und Bürgerschaft im Jahre 1303 beschlossen, dafs sie wollten ihre Rechte beschreiben, so wie es auf ewig bleiben solle, so zeigt dieses an, dafs bis dahin die Rechte weder für die Dauer, noch für die Kraft hinreichend bestimmt gewesen *)(
*) Das bremische Statutenbuch ist auf Pergament geschrieben und hat die Aufschrift: Anno Domini millesimo trecentesimo tertio, sequenti die Andree Apostoli, inchoatus est iste liber Justitie Bremensis civitatis. Auf der folgenden Seite liest man: ,,Dit is dat erste x\nbeghin des Stadesboke van Bremen, dharvon Recht steit an bescreven." Die Sammlung und Verfertigung geschah mit Uebereinstimmung des Raths und einer Deputation von sechszehn Bürgern , deren aus jedem Quartier der Stadt vier gewählt wurden. Die Sammlung besteht aus 13 Artikeln, wel- che bürgerliche, und 16, die Kriminalsachen enthalten. Im Jahre 1304 wurden noch 35 Artikel in bürgerlichen und Poli- zeisachen hinzugefügt. Darauf folgen noch 149 Ordalien, wel- che nicht alle auf einmal niedergeschrieben , sondern nach Be- schaffenheit der Zeit und Umstände beigefügt wurden. Diese Or- deln waren Gesetze, die aus den Urtheilssprüchen der Schöffen und geschwornen Bürger entstanden sind. Diese Statuten wur- den im Jahr 1433 verbessert und wiederholt, und sind so bis zu den neuesten Zeiten geblieben.
Eine andre Sammlung von Polizeigesetzen , die im
Ob nun gleich der bedeutendste Schritt zur Selbstständigkeit der Stadt gethan war, so bewiesen doch oft wiederholte Versuche yon Seiten des Erz- bischofs, unterstützt durch benachbarte Fürsten, theils auch in Gemeinschaft mit unzufriedenen Bürgern, dafs es ihm sehr empfindlich war , Bremen nicht als eine ihm untergeordnete Stadt behaupten zu kön- nen, was doch andere Bischöfe in andern Städten erlangt hatten. Die Bürgerschaft hatte um so mehr grofser Standhaftigheit nöthig, da auch von Seiten weltlicher Fürsten manche Versuche zur Unterwer- fung der Stadt gemacht wurden, in welchem Falle freilich Bischof und Bürgerschaft für einen Mann
Jahr 1489 *) angefertigt worden, nennt man die Kundige Rulle (Rolle), welche jahrlich am Sonntage Lätare nach der Hauptpredigt von der Erkerstube [in JNiedersachsen Löwen (Laube) genannt] über dem Eingang des Weinkellers, später von der Gallerie des Rathhauses herab den versammelten Bür- gern vorgelesen wurde, nachdem einige Stunden vorher eine grofse Tapete, auf welcher das Gericht Salomons eingewirkt war , von den Fenstern herabgehangen hatte. Diefs geschah auch in an- dern Städten, damit in einer Zeit, wo die wenigsten Leute lesen konnten, keiner sich mit Unwissenheit zu entschuldigen hätte. Seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts unterblieb der einst für den Bürger, der sich um Geschriebenes wenig bekümmerte, so nothwendige und löbliche Gebrauch, da er nur zu einem Possenspiel in den Augen des Röbels geworden war. Die Kun- dige Rolle wurde von Ferdinand dem Dritten bestätigt, dessen Urkunde von den folgenden Kaisern fast wörtlich wiederholt worden.
Die beste Ausgabe der Statuten ist die in 4. von Oelrichs. Eine Uebersetzung in's Hochdeutsche ist von Roller.
*) Dieses Jahr ist allgemein angenommen. Man hat jedoch ein älteres Exem- plar der Kundigen Rolle vom Jahr i4jo aufgefunden.
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standen, und letztere oft bedeutende Vortheile errang.
Indessen bedurfte die Stadt unter so wechseln- den und oft drohenden Verhältnissen, ohne vertrags- weise yon Kaiser und Reich bestimmte Unabhängig- keit, nur mit grofsen Freiheiten beglückt, keineswe- ges aber so ganz reichsfrei wie Regensburg und Lü- beck, eines Stützpunktes , ohne welchen sie jene Vortheile mit Erzbischof Giselbert nicht erlangt und die weitere Ausbildung ihrer Selbstständigkeit nicht zu Stande gebracht oder das Erlangte nicht behauptet haben würde.
Die Hansa.
In den dunkeln Zeiten der Gesetzlosigkeit bil- det sich ohne bestimmten Plan, wie ohne Schrift, eine Verbindung einiger wendischen und niederdeut- schen Städte , die den Handelsgeist weckt, und eben so neue Begriffe wie Waaren in Umlauf bringt, eine Verbindung, die, bis auf die schwachen Reste der heutigen Zeit, stets als Faktorin des inländischen Gewerbfleifses aufgetreten ist.
Gemeinsames Geschäft, vorzüglich Schiffahrt und Seehandel , gemeinschaftliche Sache in den Kreuzzügen, gemeinsames Kolonisiren im Nordosten von Europa, bringen eine Annäherung zwischen nord- deutschen Städten zu Stande, die von den an der Ostsee wohnenden christlichen Fürsten und Völkern erst für sich, dann auch für schwächere Städtever-
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wandte, Strandgerechtigheit und Schutz gegen See- räuberei zu erstreben suchten.
Seit dem vierzehnten Jahrhundert bildet sich die Verfassung der zufällig zusammengetretenen Städte aus; ein gemeinschaftlicher Name wird ange- nommen; sie nennen sich die deutsche Hansa, bil- den eine Korporation, nehmen Mitglieder auf, stos- sen andere aus, schliefsen Verträge als Macht mit andern Mächten und umfassen einen Bundeshreis von dem rechten Ufer der Maas und dem Ausflusse der Scheide an den Küsten hin bis nach Esthland und Reval, mit Inbegriff einer Menge inländischer Städte. Nach Alleinhandel, nach Erlangung des ausländischen Handels ward mächtig und glücklich gestrebt. Frei vom Bruche der Fürsten und Edel- leute durch Zolle und unangefochten durch vor- nehme und geringe Räuber sollen die Kaufleute zie- hen. Bei obwaltenden Streitigkeiten zwischen bun- desverwandten Städten, oder dieser mit fremden Staatsgewalten, wird Schiedsrichteramt geübt. Fer- nerhin Einmischung in die innere Verwaltung der Bundesstädte, Aufrechthaltung der städtischen Obrig- keit gegen das Andringen der unzufriedenen Zünfte, gewaltsame Erzwingung von Handelsvorrechten, um die früher gebeten worden, Ansprache auf Recht, was vorher als Begünstigung gestattet worden:
So tritt die Hansa auf im Bündnifs, im Krieg, im Handel.
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Bremen in der Hansa.
Zu diesem Bündnifs nun trat im Jahr 1284 die Stadt Bremen, durch Seefahrten in den Kreuzzügen bereits bekannt, durch Handelsyorrechte Ton Köni- gen und Fürsten, durch Vergleiche mit andern Städ- ten begünstigt. Durch Tuchhandel und Ausfuhr trefflichen heimgebrauten Biers, selbst über die See, durch Handel mit fettem Yieh , Leder, Käse und Butter aus Friesland, hatte Bremen Handeis- wichtigheit und Reichthum, durch Fehden mancher Art, besonders durch Tlieilnahme an dem grofsen Siege der Lübecker bei Bornhövte, Kriegsruhm, durch entschlossene Stellung gegen den Erzbischof bedeutende Selbstständigkeit erlangt. Auf dem Han- setage hatte Bremen seinen Platz unmittelbar nach Cölln *).
Der Rath.
Nicht so bald aber zeigt sich städtische Selbst- ständigkeit, so erscheint auch das Resultat der Ge- schichte aller Freistaaten: regiersüchtige, gewaltthä- tige Bürger, welche das Regiment drückend und in ihren Familien fortlebend machen wollen; Geduld und Gehorsam yon Seiten der Bedrängten, so lange
*) „Wen de von Collen hier nicht sind , so hört idt (der Platz) alle Tidt den von Bremen. Wente Collen und Bremen sind unse Ertzhovetstede in der düdschen Hense entschied der lü- beckische Bürgermeister Jakob Pleskauvv. Renner a. 1372.
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noch ein Schein des Rechts da ist, gegen Hohn und Gewaltthat aber Widerstand.
Ueher die Einrichtung des bremischen Raths ist bis zur ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhun- derts nichts bekannt; dann erscheinen in unbestimmter Anzahl jährlich neu gewählte Rathsherren, zum Theil aus stiftsfähigem Adel. Das ganze Gemeinwesen in die Hände einer einzigen Familie zu spielen, war damals um so leichter, da die nachmals festgesetzte Regel, dafs ein gewisser Grad der Blutsverwandt- schaft ausschliefsen solle, noch nicht bestand.
Die seit dem Jahre 1250 verordnete Einrich- tung des Raths war sehr zweckmässig", indem alle halb Jahr die Hälfte der zwölf Rathsherren abging, und eben so viele neu nach den vier Quartieren der Stadt aus der Bürgerschaft gewählt wurden *). Erst nach vier Jahren waren die Abgegangenen wieder wählbar. Kein Bürger konnte in so kurzer Zeit ein Uebergewicht erlangen, im Gegentheil die Aussicht,
*) Die Ratbsherren wurden in der Art aus den vier Quartieren ge- wählt, dafs aus demjenigen, das einen Rathsherrn durch den Tod oder auf andere Art verloren hatte, auch der neue gewählt werden mufste. Bei einer solchenbeschränkten Wahl konnte nicht immer der Würdigste in den Rath kommen, und die Bürgerschaft fing an, das Mangelhafte dieser Einrichtung zu begreifen. Wer hatte aber Autorität, eine Aenderung zu machen, ohne dafs bürgerliche Unruhen zu befürchten waren? Man wandte sich in dieser Angelegenheit an den Pabst, und Bonifacius der Neunte erliefs eine Bulle (1391), welche gestattete, dafs in Zu- kunft, ohne Rücksicht auf das Stadtviertheil, immer nur der tüchtigste gewählt werden könne.
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bald wieder Bürger unter Bürgern zu sexn , selbst auch die Furcht vor Verantwortung, liefs den Bür- ger nie die Augen über das wahre Interesse der Bürgerschaft noch über seine personliche Gefahr verschliefsen,
Nun geschah es, dafs mehrere der im Jahr 1289 nicht abgegangenen Rathsherren sich nicht allein über die Zeit auf ihrem Posten erhielten, sondern auch unter dem Yorwande grofser Geschäfte Ver- wandte und Anhänger in den Rath zogen, so dafs jene festgesetzte Zahl überschritten wrurde; ferner bewirkten sie, dafs die ihnen zugethanen Abgegan- genen noch vor Ablauf der vier Jahre wieder ge- wählt wurden.
Es hatte sich also ein Patriciat gebildet. Rei- che Menschen fragten nichts nach Recht; die zügel- lose Jugend erfüllte die Stadt mit Mord, Gewalttha- ten aller Art und frechen Ausschweifungen, und die Rathsverwandten mit ihren Familien trieben den Uebermuth so weit, dafs sie sich sogar das Vorkaufs- recht auf dem Markt bis zu einer gewissen Stunde des Tages anmafsten.
Ein adeliger Bürger, Arend von Gröpelingen, dessen Familie das Erbschenkenamt des Erzstifts hatte, der aus dem Rath abgegangen wrar, und wahrscheinlich sich nicht zu den Grundsätzen je- ner Uebermüthigen bekannte, hatte zum Kindtaufs- schmause auf dem Markt einen ungewöhnlich grofsen Hecht gekauft, und als er ihn nach Hause bringen lassen wollte, kam einer von der Rathsparthei,
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Götje Frese, hinzu, und verlangte von Arend, dafs er ihm diesen Fisch abtreten sollte. Es entstand Hin- und "Widerrede; das Volk sammelte sieh, und horte mit Vergnügen die entschiedene Sprache Arends , der sich auf die Anmafsungen Freses gar nicht einlassen wollte, und seinen Hecht nach Hause brachte.
Frese vergafs indessen die Beleidigung nicht, wagte aber heine offene Gewalt gegen einen allver- ehrten, ritterlichen Bürger. Kurz darauf ward Grö- pelingen krank; sein Ende nahete sich, und der Priester gab ihm die heiligen Sakramente. Dieser hülflose Zustand kam dem Ruchlosen erwünscht, um an dem Sterbenden noch seine Rache zu vollziehen. Er stürzte mit Morclgesellen in Arend's Haus und drang in des Sterbenden Zimmer. Ein Diener, der die Absichten der Hereinbrechenden erkannte , eilte die Treppe hinauf, um seinen Herrn zu vertheidigen. Da er aber bald merkte, dafs er der Uebermacht er- liegen müfste , beugte er sich zu den Häupten des Bettes über seinen Herrn, um ihn mit seinem Leibe zu schützen. Die Bö'sewichter durchbohrten hierauf ihn und den Herrn.
Diese empörende Schandthat Öffnete endlich dem redlichen Theil der angeseheneren Bürger die Augen und zeigte ihnen die Nothwendigkeit einer Aenderung. Sie beriethen sich im Stillen mit den wenigen Wohlgesinnten des Raths, und beschlossen an die Unternehmung, durch welche die Freiheit hergestellt und der aristokratischen Unterdrückung
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ein Ende gemacht werden sollte, Leib und Gut zu wagen. In einer Nacht versammelten sich mehrere hundert Mann, redliche Bürger und Rathmänner, in S. Nikolaus- (S. Clawes-) Kirche, zogen schwer gerüstet die lange Strafse entlang mit zwei Bannern nach dem Marhte und liefsen ausrufen, dafs Jeder, dem Recht lieb und Unrecht leid wäre, mit seinen Waffen erscheinen und den Todtschlag rächen sollte. Schnell strömte das Volk gewaffnet auf dem Marhte zusammen.
Als die Uebermüthigen sahen , dafs ein Theil des Raths selbst gegen sie war, ergriffen sie die Flucht, und wurden mit Weib und Kindern friede- los *) gelegt, ihre Namen auf eine Tafel verzeich- net, die am Rathhause aufgehangen wurde, und ins Stadtbuch eingeschrieben. Ein Versuch der Geäch- teten, mit Hülfe des Herzogs yon Braunschweig- Lüneburg und der Ritterschaft wieder in die Stadt zu dringen , wurde durch die Mannhaftigkeit der Bürger und eine starke Mauer vereitelt, womit nun die Stadt war umgeben worden.
Eine wesentliche Äenderung wurde damals im Rathe nicht gemacht. Dafs nur immer ein Rath war, dafs dieser sich selbst ergänzte, dafs in dem- selben viele von stiftsfähigem Adel waren , zeigt und erklärt das Streben nach Aristokratie und Patri-
*) Das ist vogelfrei. Wenn der Stadtvogt einen entwichenen Mör- der vorlud, so sagte er am Schlüsse: ,,und legge ehne echtelos, rechtelos, fredelos, des Könings Vieiidt , des Landes Schade.1'
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ciat, das aber nie zu einem Geschlechterregiment, wie in süddeutschen Städten werden konnte, weil, wie schon früher gesagt, das Vermögen der meisten Rathsherren - Familien sich auf den so ungewissen Handel gründete, und bei dem schnellen Wechsel des Glücks der Rath, statt sich aus seinen eigenen Familien zu ergänzen, oft zu reich gewordenen neuen Menschen greifen mufste. Ob nun gleich der Rath aus manchen Angriffen von Seiten der Innun- gen siegreich und immer mächtiger hervor ging, be- sonders dadurch, dafs ihm der stiftische Adel, theils aus Verwandtschaft, theils aus angeerbtem Hafs ge- gen Bürger und Gewerbsleute, immer beistand, so wurde doch durch die spätere Bestimmung, dafs Verwandte in gewissem Grade nicht zugleich im Ra- the sitzen könnten , dem eigentlichen Patriciat vor- gebeugt, nicht aber auch verhindert, dafs nur sol- che in den Rath gewählt wurden, von deren Maxi- men und Neigung zur Ruhe man überzeugt seyn konnte.
Seit dem Jahr 1306 wurde die Anzahl der Rath- männer wieder auf sechs und dreifsig bestimmt \ zwölf derselben sollten ein Jahr lang wirklich re- gieren, sie hiefsen dann der sitzende Rath. Nach drei Jahren waren also sämmtliche Rathsherren an der Regierung gewesen. So ging es ordentlich bis zum Jahr 1330, wo theils innere, theils äufsere Ver- hältnisse, wovon die Geschichte wenig Bericht giebt, beitrugen, dafs die Verfassung des Raths umgestürzt wurde. Der alte Rath war zwar geblieben, aber es
waren so viele neue Mitglieder, man weifs nicht wie, unter mancherlei Vorwänden, und weil jeder gern seinen Anhang verstärken wollte, hinzugekom- men, dafs man einmal hundert und vierzehn in den Registern zählt.
In dieser Zeit hatte die Stadt nach Aufsen Un- frieden mit den Nachbaren und im Innern so viel Zwietracht, dafs man die Herrschaft der unvernünf- tigen Menge über die verständigen Wenigen nur gar zu deutlich erkennt.
Erst um das Jahr 1351 sind wieder nur sechs und dreifsig Rathsherren. Aber auch selbst diese Entfernung so vieler Rathmänner, um die geringere Zahl wieder herauszubringen, konnte nicht ohne Partheiungen abgehen, und scheint noch nicht von Dauer gewesen zu seyn.
Die Rasalsbrüder.
Fast in allen Städten des Mittelalters vereinig- ten sich die Bürger, je nachdem sie zusammen pafs- ten, in Gesellschaften, oft in Waffenbrüderschaften, die sich irgend eine Benennung beilegten, und in einem bestimmten Hause oder in einer Trinkstube zu versammeln pflegten. In diesen Gesellschaften stellten sich bald die politischen Partheien des Staats dar, die Bürger gegen die Adelichen, die Mittelbe- güterten gegen die Reichen.
Eine solche war in Bremen die Kasalssresell-
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schaft, die ihr Versammlungshaus in dem festen Hofe Curt's von Gröpelingen an der Oberstralse
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hatte und sich durch Unordnungen aller Art aus- zeichnete *). Ein Genosse derselben, Otto Lange Marten, gedachte auf der Wachtstrafs^ seinen Oheim zu erschlagen, und pafste ihm auf. Er irrte sich aber, durch die Dunkelheit der Nacht getäuscht, in der Person und griff einen andern Bürger Namens Grone an. Obgleich unerwartet überfallen, setzt sich dieser dennoch zur Wehr, reifst im Ringen jenem Hoyken und Kagel (Mantel und Kappe) ab, wird aber endlich von dem starkem und jüngern Manne überwältigt und bleibt todt auf der Stelle liegen. Am folgenden Morgen wird der Erschla- gene gefunden, und der Thäter durch Mantel und Kappe, die ihm der Angefallene abgerissen, erkannt. Als man den Todten w;egbrachte durch die Strafsen, wurde die Kappe und der Mantel des Mörders auf einer Stange vorausgetragen. Wie nun über ihn das Urtheil gefällt werden sollte, drangen die Kasals- brüder stürmender Hand auf s Rathhaus, ihren Bru- der zu befreien und verwundeten einen Rathsherrn. Hierauf wurde die Sturmglocke gezogen. Die Ge- meine kam auf dieses Zeichen zusammen , die Un- ruhstifter wurden überwältigt, geächtet, auf ewig verbannt, die Kasalsgesellschaft aufgehoben und ihr Haus zerstört.
*) Eodem anno (1347) destruebatur casale in Brema, unde inso- lentiae non paucae contigerant, et interfectiones non modicae etrapinae et fuit quasi domus fortis in curia Conradi de Gröpe- linge, ubi confluxerant violenti interfectores pro nefariis; et dicebatur casale a casa. Wolt. Chron. brem-
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Krieg mit dem Domdechant Moriz.
Vier wichtige Kriege wurden binnen sechszehn Jahren yon den Bremern geführt.
Gottfried Graf yon Arensberg war vom Pabst, hingegen der Domdechant Moriz Graf von Olden- burg vom Kapitel zum Erzbischof gewählt worden *). Moriz war Herr des Stiftes und aller Schlösser, und der Rath fand es angemessen, den Erfolg des Schisma ruhig abzuwarten, und den anzuerkennen, der Sieger seyn würde.
Gottfried wufste indessen unter der Hand vier Bürger zu gewinnen, die vor dem Rath erschienen, die entschiedene Rechtmäfsigkeit Gottfrieds , als des vom Pabst erkohrnen Erzbischofs, darstellten, den Rathmännern ihre Parteilichkeit für Moriz? mit dem sie geschmaust, getrunken, getanzt, und Hofgepränge mit Frauen und Jungfrauen getrie- ben, vorhielten, und den Rath nicht allein zwan- gen, seine ruhige Stellung zu verlassen, sondern auch dem Domdechant Moriz Fehde anzusagen.
Der Krieg wurde von beiden Seiten mit vieler Verwüstung geführt. Moriz hatte grofse Vortheile für sich und schadete besonders dem Handelsver- kehr, auf den Strafsen wie auf der Weser; wollten äie Bremer etwas gegen das Erzstift gewinnen, so mufste eine Brücke über die Lesum geschlagen, die- selbe verbollwerkt, und durch Erbauung einer Burg,
*) 1349.
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ja auch durch einige Kriegsfahrzeuge, gesichert werden.
Nun stand den Bürgern der Weg ins Erzstift offen, welches so ausgeplündert wurde, dafs Moriz an der Spitze von neunhundert Reutern, mit ihm Graf Engelbert von der Mark, Balduin, Bischof von Paderborn, der Graf von Steinfurt, Graf Curt von Oldenburg, nebst andern Verwandten und Freun- den gegen die Stadt zogen.
An S. Remberts- Spital stürzten zur Vertheidi- gung der Land wehre die Städtischen ohne Ordnung entgegen und wurden mit bedeutendem Verluste zurück geschlagen. Die gerettet wurden, hatten ihr Leben den Zäunen zu verdanken , über welche sie sprangen.
Moriz rückte vors Osterthor, schlug fünf Edel- leute zu Rittern, verheerte alles um S. Pauls-Klo- ster und weiterhin bis zur Lesum und kam abermals vor die Stadt. Die Thore standen offen, Todten- stille überall! Einige wagten hinein zu reiten die Strafsen hinauf 5 auch die Strafsen waren todt, nir- gends ein Mensch zu sehen, die Häuser verschlos- sen! So verödet war die Stadt durch die fürchter- liche Pest, die seit drei Jahren ein Drittheil aller Bevölkerung in Europa hinweggerafft hatte *)!
*) Man hat oft gefragt , wie war es möglich , dafs so viele Men- schen in den noch bestehenden Ringmauern der Städte ge- wohnt, als in dieser Pest, wie die Chronisten erzählen, ge- storben sind, z.B. in Florenz hundert tausend, zu Venedig
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Als die Mannen dem Erzbischof ansagten, die Stadt sey gewonnen, er möge nur hineinziehen, sprach der verständige Mann: »Nein, das werde ich nimmer thun, da Gott mit ihnen krieget; heute ge- sund, morgen todt, das kann uns auch begegnen, es wäre grofse Sünde und Schande. Wir haben ihnen genug Schaden gethan, das hätten wir gern unterlas- sen, wenn es möglich gewesen wäre. Wir haben so manchen schönen Tag da verlebt, mit Tanz und Lust, mit Jungfern und Fräulein. Sind wir Feinde, wir können wieder Freunde werden.« Nach diesen Worten zog er ab.
Die Bürgerschaft, die den Rath zur Feindschaft gegen Moriz gezwungen , erkannte ihr thörigt Werk, rieth zur Sühne mit ihm, und schwor, sie wolle nie wieder gegen des Raths Willen thun. Gottfried blieb Erzbischof und Moriz wurde Administrator des Stifts, mit dem Beding, jenen anständig zu unter- halten, was nicht immer geschehen zu seyn scheint.
Krieg mit dem Grafen von Hoya.
Unterordnung unter höhere Einsicht fällt dem ungebildeteren Bürger des Freistaates stets schwer, er ist im Gegentheil der natürliche Widersacher der Einsicht, weil er von ihr Uebervortheilung fürchtet,
desgleichen , in Lübeck neunzig tausend , ja sogar einmal auf einen Tag tausend fünfhundert. Aber die zunehmende Be- völkerung, die innerhalb der Stadtbefestigung selbst nicht Raum hatte, liefs sich aufserhalb nieder und gründete die Vorstädte.
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und diese Eifersucht, so schädlich sie manchmal seyn kann, gehört doch zu den Bedingnissen der Fortdauer eines Freistaats. Kaum sechs Jahre nach jener reuigen Erklärung gegen den Rath *) zwangen die Bürger diesen ahermals, dem Grafen von Hoya den Krieg anzukündigen , weil er Eingeborne aus seiner Grafschaft, die nach der grofsen Pest sich in Bremen niedergelassen, und das Bürgerrecht er- langt, als Leibeigene in Ansprache nahm, was ihm nach jenem vom Kaiser Friedrich ertheilten Recht, nicht zustand. Mehrere Jahre vorher hatten die Herren von Krummendike einen Leibeigenen, der in Bremen Bürger geworden, zurückgefordert, und wegen der Verweigerung einen bremischen Bürger- meister und Rathsherrn, die zum Hansatag nach Lü- beck reisten, gefangen genommen. Andere eben- falls aus der Grafschaft Hoya gebürtige Bürger wur- den dadurch auf ein gleiches bevorstehendes Schick- sal aufmerksam gemacht, und so war der Kriegseifer leicht entflammt **). Alle von dem Grafen bezeigte Nachgiebigkeit , alle vorgeschlagenen Vergleiche wur- den von der wüthenden Menge verworfen.
Unter diesen Umständen verband sich Moriz mit
*) 1356.
**) „De römische Borgermeister Appius Claudius ," sagt bei dieser Gelegenheit Renner sehr naiv, „hefft nicht ummesust, also Titus Livius schrifft, so hart darup gestahn, dat man den gemenen Mann den Tögel nich laten scholde, un is ock gewifslick wahr, wor Herr Omnis regeret, dar geit idt nummer wol tho, und solches is di Stadt Bremen wol wies gewurden."
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der Stadt, und bewog den Grafen Engelbert von der Mark mit sechshundert Gleven *) zu Hülfe zu kommen. Alles wurde bereit gehalten , der Graf mit bedeutender Mannschaft lag um die Stadt her; da kam ein Brief, nachdem er den gelesen, brach er, ohne ein Wort zu verlieren, mit all seinem Volke wieder auf, und zog fort, und kein Anerbieten konnte ihn anderes Sinnes machen. Nach dem Ge- brauch damaliger Zeit fehlte es nicht an Spottge- dichten auf ihn und seinen Abzug, und es wurde ihm feige Flucht vorgeworfen. Der Graf vernahm diefs so übel , dafs er einige Jahre später mit Mann- schaft in der Stadt Gebiet rückte und viele Häuser im Vielande verbrannte.
In dem Treffen bei Verden wurden die Bremer geschlagen, viele reiche Bürger, viele des Raths, der damals über hundert Mitglieder zählte, wurden gefangen und mufsten sich mit schwerem Gelde los- kaufen. Auch ihr Plan, Hoya vermittelst zweier Kriegsfahrzeuge, Eichen genannt, einzunehmen mifs- lang; dagegen eroberten sie auf der Heimkehr die Burg Thedinghausen. Darauf kam es zum Frieden.
Die Grande Compagnie.
Aus dem eben erzählten Kriege entsprang bald eine bedeutende Unruhe in der Stadt, indem dieje- nigen, die sich durch eigenes Vermögen aus der Gefangenschaft des Grafen von Hoya losgekauft,
*) Eine Glavie oder Gleve sind fünf Reiter.
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eine Erstattung vom Staat, diejenigen aber, die aus Unvermögen zurückgeblieben, auf gleiche Weise losgekauft zu werden verlangten.
Den zu diesem Zweck vom Rath ausgeschrie- benen Schofs wollten die geringem Bürger nicht bezahlen. An ihrer Spitze standen Hemmer und Wildehoens; sie nannten sich nach einem damals in Deutschland allgemeiner gewordenen Namen, die Grande Cumpanie. Es gesellten sich vor und nach mehrere zu ihnon, und es war die Rede da- von, in der Kirche einen neuen Rath zu wählen. Sie ergriffen eine Schiffsflagge mit der Stadt Wap- pen, liefen in die Häuser derjenigen , die für den Schofs oder doch nicht dagegen gewesen; und als sie die Männer nicht fanden, stachen sie mit den Schwertern durch die Betten.
Um diesem Unfug ein Ende zu machen, rief der Rath viele Adeliche d*es Stifts in die Stadt zu Hülfe und zog mit ihnen und den gut gesinnten Bürgern Morgens in voller Rüstung auf den Markt. Die Thore wurden indessen geschlossen, die Sturm- glocke wurde geläutet, und ein Theil der Frevler ergriffen. Noch am selbigen Tag Abends hegte der Vogt das peinliche Gericht. Achtzehn Rädelsführer wurden sogleich enthauptet, die Entflohenen friede- los erklärt, ihr sämmtliches Vermögen eingezogen und zur Einlösung der Gefangenen in Hoya ver- wandt. Dem gemeinen Volk wurde verziehen. Remmer wurde bei dem Dorfe Mittelsbühren todtgeschlagen , und der Rath liefs dem Leichnam
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den Kopf abhauen. Hocns, des Pelzers, ältester Sohn wurde enthauptet, der zweite gehängt, der dritte, ein Kind, wurde Mönch in Mönchshude, wo der Vater als Laienbruder sein übriges Leben zu- brachte. Die Kaufmannschaft, welche es bei diesen Unruhen mit dem Rath gehalten, drang nun in den- selben, die Stadt, welche wegen eigenmächtiger Handelsunternehmungen nach Flandern *) und gewei- gerter Verantwortung vor dem Hansetag **) , dann wegen Hollmanns Seeräubereien, aus der Hansa war gestofsen worden, und dadurch sehr gesunken war, wieder in dieselbe zu bringen, welches auch ge- lang; denn in demselbigen Jahr segelte ein Schiff mit fünfzig Kriegsleuten unter dem Bürgermeister Berend von Dettenhusen mit der hansischen Macht gegen den König von Dänemarl;. Der Rath hatte seine Leute gleichförmig gehleidet, damit man sie desto besser hennen möchte. ' Graf Heinrich von Holstein, wegen seiner Tapferheit der eiserne ge- nannt, der Städte Rittmeister, lobte vorzüglich die Tapferheit dieser Bremer Mannschaft.
Gefahren der Freiheit.
Die Neigung der hohen Geistlichheit, ein freies Gemeinwesen, in dessen Mitte sie ihren Sitz hatte, zu beschränken, zeigte sich, wie überall, so auch
*) 1356. **) 1361.
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oft in Bremen. Es ist zu verwundern, dafs es über- haupt bischöfliche Residenzstädte gab , die sich frei erhielten, da die deutschen Bischöfe mehr oder we- niger in Deutschland Land und Leute beherrschten, wrelches bei Vergleichung der Verhältnisse der ita- lienischen Freistädte und ihrer Bischöfe mit den deutschen wohl zu berücksichtigen ist. Erzbischof, oder vielmehr Administrator Moriz hatte die Stadt ihres Eides entlassen, und sein Nachfolger Albert empfing die Huldigung gegen Gewährleistung der städtischen Rechte, schlofs auch im folgenden Jahr einen gemeinen Landfrieden zu Wasser und zu Lande mit dem Grafen von Hoya und der Stadt Bremen (1366).
Ehrgeizige Menschen, denen die Mittel und der Charakter fehlen, eine dem Gemeinwesen nützliche grofse Rolle zu spielen , hoffen durch Vernichtung desselben sich zu heben, und so auf schändlichem Wege leichter zu erlangen, wonach sie trachten, als auf dem Wege der Ehre.
Die heimlichen Freunde jener theils zerspreng- ten, theils hingerichteten Grande Cumpanie eröff- neten dem Bischof die Aussicht zur Wiedererlan- gung verlorner oder Erwerbung neuer Rechte über eine Stadt, die sich schon lange bedeutender Unab- hängigkeit vom Bischof erfreut hatte.
Freitags vor Pfingsten fuhren bei Nachtzeit die Erzbischöflichen oberhalb der Brüche an des treu- losen Bürgermeisters Johann von der Tyver Hause an, wurden hereingelassen, indessen Johann Holl-
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mann, jener Seeräuber, um dessentwillen Bremen zum Tlieil aus der Hanse gestofsen worden , sein Haus, die Hollmannsburg, zur Beförderung des Vor- habens erleuchtete. Die Verrätlier in der Stadt hal- fen ihnen, und liefsen Andere zum Bruch- und Heerdenthore herein. Der damals noch hölzerne Roland, das Sinnbild der Reichsunmittelbarkeit, wurde verbrannt.
Der Rathmann Heinrich Gröningk bei Ansgarii behielt Fassung, versammelte gutgesinnte Bürger um sich, zog mit ihnen auf den Markt, und begann den nächtlichen Kampf. Da rief der wilde Johann Holl- mann laut: »Ihr stolzen Bürger, wer bei seinem alten Rechte bleiben will, trete zu uns. Mein Herr von Bremen ist nur gekommen, um gerechtes Ge- richt zu halten, dafs jeder bei seinem Recht blei- ben soll. «
Da traten Viele, die Gröningk gefolgt waren, zu Hollmann über; Andere, die sich bei Tage ge- schämt hätten , ihre Verrätherei zu offenbaren , han- delten ohne Scheu unter der Hülle der Nacht, so dafs es gewifs besser gewesen wäre, wenn Gröningk die Thore und die Häuser am Markt verschlossen und den Anbruch des Tages abgewartet hätte. Er selbst, nachdem ihm der Stadt Banner über der Faust abge- hauen, wurde bis vor des alten Rathhauses Treppe gedrängt und gefangen, andere Rathmänner wurden getödtet. Der Morgen ging nicht über einer freien, sondern erzbischöllichen Stadt auf; die Freunde der Freiheit waren entflohen.
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Indessen war das Osterthor verpallisadirt wor- den, so aucli Hollmanns Steinhaus, in welches die Verräther Lebensmittel zusammen trugen, die sie Feinden und Freunden abnahmen; durch dieses rück- sichtlose Verfahren wurden der getäuschten Menge die Augen geöffnet.
In der Nacht des Verraths waren jedoch manche wohldenkende Bürger entkommen, und nach Del- menhorst zum Grafen Carsten gezogen, dessen Ge- sinnung ihnen bekannt war. Johann von Haren, Sohn desjenigen von Haren, der zur Zeit der Ver- treibung Fresens Bürgermeister gewesen , war in dem Getümmel in die Tresen (Archiv) geeilt, und hatte den Vertrag zwischen der Stadt und dem Erzbisehof mitgenommen. Erzog damit von Stadt zu Stadt, zeigte ihn vor und klagte laut, wie der Erzbischof gegen Eid und Brief und Siegel gehandelt.
Die Ausgewichenen, obgleich von den Verrä- thern friedelos gelegt, unterhielten Einverständnifs mit wohlgesinnten Zurückgebliebenen, und überlegten, wie die Stadt wieder zu gewinnen sey, nicht ohne Vertrauen auf Gott und seine Heiligen durch Gebet und Gelübde. Eine Procession zu unserer Lieben- Frauen, Vergabungen an alle Kirchen in Bremen, und Wallfahrten nach heiligen Orten wurden gelobt, so Gott das Unternehmen segnen würde.
Indessen waren von denjenigen Bürgern, die gern die Ruhe wieder hergestellt haben wollten, dem Erz- bischof Vorstellungen zu einem Vergleich gemacht worden, um ihn aus der Stadt zu entfernen, wodurch
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allein der Weg zur Wiederherstellung der Freiheit gebahnt werden konnte. Eine Summe von zwanzig tausend Mark, W asseizö'lle und die Unterhaltung zweier Burgen wurden ihm durch eine Verschreibung zuge- sagt. Hierauf verliefs er nach acht Tagen die Stadt.
Drei Tage später hatten die Ausgewichenen Ver- bündete gewonnen und die nöthigen Maafsregeln zur Wiedereinnähme der Stadt getroffen. Am Sonnabend vor S. Peter und Pauls Tage ward von ihnen, unter- stützt durch die Grafen von Oldenburg und Delmen- horst, das Osterthor erstürmt, und die Stadt war bald ohne grofse Mühe in ihren Händen, da diejeni- gen, die sich schuldig wufsten, keinen Widerstand zu leisten wagten, sondern sich einer nach dem an- dern verloren.
Kräftigere Gegenwehr hatte man von den in der Stadt liegenden Burgen zu erwarten. Graf Curt von Oldenburg erstürmte die Hollmannsburg; der gefürchtete Johann Hollmann wurde getödtet *) und sein Leichnam zum Fenster hinaus gehangen. Der riesengrofse Leichnam erregte noch Entsetzen. Bei diesem schrecklichen Anblick sank sein Weib nie- der, genafs eines Kindes und starb.
Die gefangenen Rädelsführer erhielten bald ihre Strafe, selbst die Frauen derselben entgingen kaum der Rache. Der Bürgermeister Johann von der
*) Mit einer Geusen, sagt Renner, das ist ein Schwert mit ei- nem Rücken wie ein Messer. S. brem. niedersachs. Wörter- buch. Th. II.
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Tyver wurde an seiner eigenen Thüre neben der Holzpforte an einem eisernen Hallen aufgehängt. Andere wurden von Pferden Strafse auf und Strafse ab Kopf unter am Seil geschleift ; Hollmanns Knechte wurden in den Strafsen erschlagen , und fünf andere, die nochmals den Bischof zu einem Versuch aufgefordert, enthauptet. Auf die Vorspra- che angesehener Bürger, mit der Bemerkung, dafs der Rath durch zu grofse Milde und Nachsicht selbst an der Frechheit der Aufwiegeier Schuld gewesen, wurde den Uebrigen verziehen.
Darauf wurde mit Söldnern das Stift durchzo- gen und ausgeplündert, so dafs der Bischof sich bald bequemte, auf jene in der Noth von der Stadt geleisteten Versprechungen heinen Anspruch machen zu wollen. Der schuldige Theil der Bürgerschaft gelobte Gehorsam für die Zukunft und erhielt Ver- zeihung.
Indessen hatte sich bei dieser Gelegenheit geof- fenbart, wie verderblich es dem Gemeinwesen war, dafs den Zünften eigene Gerichte zugestanden wor- den; es wurde demnach verordnet, dafs fortan zwei Rathmänner in den Versammlungen der Zünfte Siz- zung haben, zum Rechten sehen und auf Aeufserung unruhiger Gesinnung achten sollten.
Auf diese Weise ging aus der Gefahr gröTsere Sicherung für die Zukunft hervor; ein engeres Band verknüpfte den Rath und die Aemter, und fernem Partheiungen war so viel wie möglich, menschlicher Vorhersehung nach, vorgebeugt.
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Kriege.
Es ist nicht zu leugnen, dafs die Periode der Entwicklung der politischen Verhältnisse eines Staats gröfsere Talente und wichtigere Ereignisse hervor- bringt, als die Zeit, wo Alles in Ruhe gekommen ist. In dem Maafse, wie in den Staaten der Möglich- heit, Unruhen zu erregen, vorgebeugt wird, verliert ihre Geschichte an Interesse; die Beispiele erhabe- ner Vaterlandsliebe und edler Aufopferung werden seltener, und die Geschichte wird ihres schönsten Schmuckes beraubt.
Ein unglücklicher Krieg gegen die Butjadinger beschäftigte eine kurze Zeit die Bremer. Von ge- fährlicherer Art war die Fehde des Erzbischofs Al- bert und der Stadt Bremen gegen die verdensche und lüneburgische Ritterschaft und den Herzog von Braunschweig- Lüneburg. So scherzhaft die Veran- lassung war, die Behauptung des Domdechanten von Zesterileth, dafs der Erzbischof ein Zwitter sey, folglich nach dem canonischen Recht nicht Geistlicher und Bischof seyn könne, ein Gerücht, das nur durch dreimalige Besichtigung in Bremen, Hamburg und Stralsund widerlegt werden konnte, so wichtig wa- ren die Folgen. Für Bremen war der Ausgang der Fehde vorteilhaft.
Fehden mit den umwohnenden Häuptlingen lie- fen glücklich ab, und König Wenzel bestätigte im Jahr 1391 der Stadt Privilegien. Von den häufigen Kriegen gegen die seeräuberischen Friesen, zum
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Theil in Verbindung mit der stiftischen Ritterschaft und den benachbarten Grafen von Oldenburg, Del- menhorst und Diepholz hatte die Stadt Vortheil. Besonders lebhaft waren seit dem Jahr 1407 diese Fehden fast sechszehn Jahre hindurch, da die See- räubereien der Friesen den immer mehr zunehmen- den Handel der Bremer ausserordentlich hemmten. Die Stadt erlangte es endlich, dafs sie das Schlofs Fredeburg, nicht weit von Atens, an dem Flusse Leehste erbauen konnte, um ihre Schiffahrt zu si- chern. Dem Grafen Christian dem Achten von Ol- denburg war dieses unangenehm. In einem kurzen Kriege wurde er von den Bremern gefangen, und mufste sich mit schwerem Lösegeld und wichtigen Verpfändungen und Verschreibungen loskaufen.
Die Gebrüder Dado und Gerold.
Die Häuptlinge von Stadtland und Esens hatten gewifs ungern zugeben müssen, dafs die Bremer zur Sicherung ihres Handels die Fredeburg baueten, Nur die Noth hatte ihre Einwilligung, so wie das Versprechen , ferner die Schiffahrt der Bremer nicht zu stören, ja sogar zu fördern, erzwungen. Neue Versuche und Bruch des gegebenen Wortes zogen einen Krieg nach sich (1418); diesem folgte eine kurze Ruhe. Aber einige Jahre später vereinigten sich fast alle Friesen, um die Burg zu zerstören. Am Abend S. Cosma und Damiani naheten sich, ohne die Hauptschaar abzuwarten, des verstorbenen Lubke Ommekens, Häuptlings von Esens, beide
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Söhne. Dedo *) und Gerold, mit yier und zwanzig Friesen und zwanzig deutschen Schützen. Es ge- lang ihnen, die Aufsenwerke zu zerstören und den Befehlshaber in der Burg, der zum Fenster hinaus die Seinen ermunterte, zu tödtenj sie konnten aber nicht der ganzen Burg Meister werden. Die Be- satzung lief aus den Häusern zusammen, schofs aus den Thürmen herab auf die Friesen: die Hülfe harn nicht, Viele waren verwundet; sie benutzten die Dunkelheit der Nacht, um sich zu verstecken.
Als der Morgen kam, rieth der jüngere Bruder zur Rüchhehr. Der nächtliche Ueberfall, sprach er, hat uns nicht so weit gebracht, dafs wir den Burgfrie- den gewonnen hätten. Es ist besser, wir versuchen es ein andermal. Seine vernünftige Rede fand hein Gehör. Feigheit wurde ihm vorgeworfen. Gut, sprach Gerold, meinen Rath habt ihr gehört. Uebri- gens thue ich, was ihr thut.
Sie begannen wieder zu stürmen. Bald aber sahen die Friesen, dafs die deutschen Schützen mit der Besatzung von Uebergabe redeten, dafs im sel- ben Augenblick die Wurdener zu Hülfe zogen, und sich schon der Brücke näherten. Düre war nach der Brücke gestürzt, gab das Zeichen zum Abzug, aber von Innen wurde den Zuziehenden gerufen, sie möchten eilen. Da war alle Rettung hin. Die Friesen wurden sämmtlich gefangen, und nach Bre- men gebracht.
*) Wiarda nennt ihn Ditte, welches Jerselbige Name ist.
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Man führte die Gefangenen alsbald hinaus zum Tode. Dedo, der ältere Bruder, ward zuerst ent- hauptet. Gerold nahm das Haupt des geliebten Bruders und Mfste in innigster Wehnrath den blei- chen Mund.
Viele des Raths sahen diefs nicht ohne Rührung, es regte sich die Neigung, dem herrlichen trauernden Jüngling das Leben zu schenken *). Bleibe bei uns in Bremen, sprachen sie, verheirathe dich unter uns, du magst dir eine angesehene Bürgertochter zum Weibe wählen, und ein geehrter Mann unter uns seyn. Der Jüngling hob sein Haupt empor, blickte sie stolz an und sprach: »Ich bin ein edel- freier Friese **), eure Pelzer- und Schuhmacher- töchter sind nicht für mich. Wollt ihr mir aber das Leben schenken, so will ich euch ein halb Scheffel voll Gulden geben. «.
Das stolze Wort gefiel jüngeren Rathleuten, und machte sie geneigt, sein Erbieten anzunehmen; aber Arend Baileer, ein alter Rathmann, sprach: »Nicht so, der wird nimmer den Kufs auf seines Bruders todte Lippen vergessen. Ihr habt nie etwas Gutes von ihm zu gewarten.«
*) Ihn zum Bürger in Bremen zu gewinnen, wäre vielleicht ein Mittel gewesen, die Streitigkeiten zwischen Bremen und den Friesen zu stillen.
**) Die Friesen nannten ihr Land Frei -Friesland; Heil, ed- ler Freimann! war friesischer Grufs. Uebrigens erkennt man aus seiner Antwort den Groll derEdelinge gegen die Bür- ger der Städte.
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Da ging auch der hochherzige Gerold zum Tode; ihm folgten zwanzig Friesen, die wurden auf's Rad gelegt. Die Deutschen wurden hegnadigt um ihres Yerraths an den Friesen willen. Der grausame obwohl kluge Balleer wurde später von einem Friesen erschossen.
Ein Gastfreund Gerolds in Bremen liefs ihm zum Gedächtnifs am Ende des Dom -Umgangs ein steinern Bild mit langen Haaren errichten. Ein Richtschwert steht vor der Gestalt *). Tausende mögen vorbeigehen, und dieses nun übertünchte, nicht von Meisterhand verfertigte, Steinbild über- sehen; aber wer diese Zeilen liest, wird vielleicht hingehen, über eine barbarische Zeit seufzen, dem Tod früh anheim gefallene Jugend beklagen, und dem biedern Gastfreund ein Andenken weihen **).
R ü s t r i n g e r Krieg.
Die fünf Kirchspiele des Budjadinger Landes gehorchten eben so vielen Häuptlingen , welche die Kirchen stark befestigt hatten, und sie als Burgen
*) Roller irret, wenn er S. 325. seiner Geschichte meint, das Bild sey nicht mehr da. Freilich im Dom ist es nicht; Ren- ner aber sagt ausdrücklich, es stehe in der Ecke des Um- gangs, wenn man aus der Thüre tritt, die vom Chor in den Umgang führt.
**) Der Rathsherr, Dr. Deneken, hat dem Künstler Tischbein in Eutin das rührende Schicksal Gerolds zum Gegenstand eines Gemäldes aufgegeben. Ich habe den Künstler auslegen hören, wie das Bild zu fassen sey, so dafs es das Ereignifs ausspricht. Seine Idee war gut, die Ausführung aber verzögert sieb.
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gebrauchten. Unter ihnen Mar Sybeth der mäch- tigste und unternehmendste, ein Verbündeter jener hingerichteten Jünglinge.
Ihre Unterthanen, mit Abgaben überladen, rie- fen die Bremer zu Hülfe und trugen sich ihnen zu Unterthanen an. Hierauf rüstete der Rath, und schichte den Rathmann Johann Frese mit tausend Bürgern und Geschütz *). Die befestigten Kirchen wurden eine nach der andern erobert: diejenige aber, in welcher der Häuptling Sybeth selbst safs, und welche die festeste war, widerstand vier Wo- chen. Das Elend wurde grofs, das im Bollwerk be- findliche Vieh starb aus Mangel an Nahrung und verbreitete pestilenzialischen Gestank, und Sybeth mufste kapituliren; die Thürme wurden sämmtlich unterminirt, mit Pfählen gestützt, diese in Brand gesteckt, worauf die ganze Steinmasse zusammen- stürzte.
Ein Krieg mit den Herzogen von Braunschweig in demselben Jahr war von keinen bedeutenden Folgen.
Das Blut der Rüstringer Häuptlinge war nicht vergessen; die Fredeburg und ihr Droste, der Rath- mann Frese, der allgewaltig das Land beherrschte, war drückend. Die Häuptlinge Ocko Kenen von dem Broke und Focko Ukena , die berühmtesten Helden der Friesen, brachen ins bremische Gebiet, ehe der
*) 1418.
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Rath den Absagebrief erhalten haben konnte. Der mächtige Thurm zu Golswarden wurde dem bremi- schen Hauptmann Schlangstorff durch Drohungen entrissen. Als diefs der Droste Frese auf der Fre- deburg vernahm, kapitulirte er ebenfalls. Hamburg und Lübeck suchten eine Versöhnung zwischen Bre- men und den Friesen zu vermitteln, die auch end- lich in der Art zu Stande kam, dafs die Schlösser Golswarden und Fredeborg, welches letztere sechs- zehn Jahre gestanden , geschleift wurden.
Einig, so lange sie einen gemeinschaftlichen Feind zu bekämpfen hatten, griffen die Häuptlinge Ocko und Focko, nach beendigter Fehde gegen die Bremer, einander selbst an. Ocko war mit Olden- burg und Braunschweig durch Heirath verwandt, und konnte auf die Hülfe dieser Häuser rechnen; mit ihm hatte sich Erzbischof Nikolaus von Bremen verbunden. Furchtbar war die Schlacht bei Deter- den (1426). Unüberlegtes Verfahren, Kälte, Nässe, nächtliches Kampiren im Freien, Mangel an Nahrung, Alles hatte den Kriegsmann unmuthig gemacht; die- ses und panischer Schreck gaben Focko Ukena den Sieg *); fünf tausend lagen todt auf der Wahlstadt, unter ihnen Johann von Hoya, Heinrich von Altona,
*) Focko besiegte bald auch den Häuptling, Hiddo Taminga. Als dieser gefangen vor ihn gebracht wurde, fragte ihn Focko, wie er wohl ihn als Gefangenen behandelt haben würde? Hiddo antwortete: „Ich würde dich getödtet haben." Focko rief: „So empfange, was du mir bestimmt hattest!" und durchstach ihn mit eigener Hand.
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Ritter, Graf Curt von Diepholz, Graf Johann von Rittberg, die in Rastede begraben wurden. Auch Diedrich, Junker von Oldenburg, und der Graf von Teklenburg wurden nicht wieder gefunden. Drei tausend waren gefangen, mit ihnen der verwundete Erzbischof, um dessentwillen in allen Kirchen Bre- mens Öffentliche Gebete angestellt wurden.
Um Pfingsten des Jahres 1427 versuchte der Rath zu Bremen, die Häuptlinge zu versöhnen, und die Loslassung des Erzbischofs und des Grafen von Hoya zu bewirken, für welche zwanzig tausend Gul- den und Urfehde von dem ganzen Stift gefordert wurden. Der Mann, dem dieses wichtige Geschäft anvertraut worden , und der durch Beredsamkeit und Klugheit Alles zum glücklichen Ende hinausführte, und den Sieger sogar dahin brachte, den Erzbischof ohne Lösegeld auf sein Ehrenwort loszulassen, war der bremische Bürgermeister Johann Vafsmer. Ihm war zugesellt jener Befehlshaber der Fredeburg, Johann Frese.
Seit den früher geschilderten Unordnungen im Rath war es leidlich bei dem alten Herkommen ge- blieben. Man wollte sich mit einer bessern Einrich- tung des Raths nicht übereilen; daher kam es, dafs erst im Jahr 1399 der Rath zu vier und zwanzig Mitgliedern mit Inbegriff der vier Bürgermeister be- stimmt wurde. Die Regierung sollte von halb Jahr zu halb Jahr wechseln, und nach zwei Jahren von vorn angehen. So blieb es, bis durch das Unglück der Zeiten herbeigeführte Mifsstimmung erst Verwir-
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rung und Partbeiung im Staat, dann Gewaltthat an Unschuldigen, dann allgemeines Unheil erzeugte.
Unglück der Zeiten.
Das Unglück des Erzbischofs , Ansprache auf Entschädigung durch die Stadt von Seiten aller, die im Friesenhriege mit ihm gehalten, Schuldenlast aus den anhaltenden Fehden und Staatsbauten, Verwüstung des Landes, daraus entstandene Theurung, endlich an- stechende Kranhheit, Folge eines zu warmen Win- ters, — alles dieses hatte eine verderbliche Stim- mung hervorgebracht.
Der gemeine Mann pflegt bei unabwendbaren Unfällen gern die Schuld, auf die Obern zu wälzen. Fehlt es an Geld, müssen Schulden gemacht wer- den, so haben nach seiner Meinung die Vorgesetz- ten sich bereichert, Betrug geübt; ist ein Heer ge- schlagen worden, so waren die Anführer Verräther; treffen Calamitäten das Land, so ist's Strafe des Himmels für die Mifsgriffe der Obrigheit.
So erhoben sich Klagen gegen den Rath; un- redliche Verwaltung des Staatsguts, Bereicherung der Rathsglieder, wurde von den Unzufriedenen bei jeder Gelegenheit zur Rede gebracht. Der Bürgermeister Duckel nebst einigen andern Raths- herren mufsten darum sogar auf öffentliche An- klage ihr Amt niederlegen, und eine ansehnliche Geldstrafe erlegen, um welche Ungerechtigkeit Bre- men abermals (1427) aus der Hanse gestofsen wurde.
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Trauriger waren die Folgen für das innere Staats- wesen.
Der neue Rath.
Den durch, gehässige Nachreden verdächtig ge- machten alten Rath durch neue Einrichtungen zu entfernen, und einen ganz neuen zu bilden, war jetzt das Streben der Unzufriedenen, wozu der erste Schritt durch ungesetzliche Eindrängung vier neuer Rathsherren von ihrer Parthei gethan wurde.
Schon dafs nur drei durch sLoos bestimmte Raths- herren, dahingegen eben so gewählte sechs Glieder der kaufmännischen und Zünfte-Deputirte, an die Stelle der halbjährlich abgegangenen sieben Herren vom Rath, die selbst nicht wieder zur Wahl kommen konnten, aus der Bürgerschaft wählen sollten , liefs voraus- sehen, dafs bald von dem bestehenden Rath kein einziges Mitglied mehr da seyn würde, und so ge- schah es. Hierauf verliefsen viele der abgegangenen Rathsglieder die Stadt, und selbst die mit den Zu« rückgebliebenen eingegangene Sühne oder Eintracht konnte nur die gänzliche Unterdrückung zur Folge haben.
Jene Entwichenen des alten Raths, die sich in- dessen bei mehreren Reichsständen um Hülfe be- mühten, wurden, da sie der Einladung zur Rück- kehr von Seiten des neuen Raths kein Gehör gaben, ihrer Güter verlustig erklärt. Die zurückgebliebe- nen sechszehn Herren des alten Raths wurden in den Thurm geworfen. Sie durchbrachen aber das
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Gewölbe so weit, dafs ein Mann hindurch konnte, machten Seile aus Decken und Stroh und liefsen sich daran hinunter an den Flufs, wo von Freunden ein Schiff zur Flucht bereit gehalten wurde. Nur einer blieb zurück, der zu dick war für die Oeffnung, und auch von der Gefängnifsluft erkrankt darnieder lag. Sie flohen sämmtlich zu den andern Ausge- wichenen , wohin ihnen ihre Freunde folgten *),
Johann Vafsmer.
Jener beredte und kluge Patriot, der so treff- lich in dem unglücklichen Friesenkriege gewirkt, war der einzige vom alten Rath, der die Hoffnung nicht verlor, der guten Sache ohne Gewaltthat den Sieg zu verschaffen, und der theuern Republik auf dem Wege der Güte die innere Ruhe wieder zu geben. Ein ganzes Jahr war er rastlos in seinem Bemühen. Er verkannte , dafs es dem neuen Rath nicht um Vertragung mit dem alten, sondern um gänzlichen Sieg über jenen zu thun war.
Aber auch bei den Ausgewichenen, die sich um den früher so schwer verletzten Bürgermeister Ducke! in Stade versammelt, und indessen mächtige Freunde und selbst die Hansa für sich gewonnen hatten, fand er einseitige Stimmung; daher wandte er sich um
*) In dem §. 3. des ersten Statuts vom Jahre 1433 wird Ordens- leuten, Weltgeistlichen, Laien, Männern, Frauen, iVlten, Jun- gen, Knechten oder Mägden die Rückkehr gestattet. Es scheint also eine ziemliche Emigration gewesen zu seyn.
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Vermittelung an den Grafen von Oldenburg, den er sieh durch Befreiung des Erzbischofs Nikolaus, vom Hause Oldenburg, aus der Friesen Gefangenschaft verpflichtet hatte. Das war aber gegen die Mei- nung des neuen Raths.
Am sechsten Juni des Jahres 1430 zog der edele, beredte Greis Johann Vafsmer von Stade, wohin er sich begeben, gen Oldenburg zum Grafen. Ein wenig diesseits der Mühle, als er nach Reckum abbeugen wollte, wurde er von einem Fleischer er- kannt, und den Gerichtsboten, die ihm der über sein Bemühen ergrimmte Rath nachgesandt, verra- then. Den andern Morgen um sechs Uhr ward er in die Stadt gebracht, und in den Hurrelberg, ein unterirdisches Kriminalgefängnifs in der Hakenstrafse, gesetzt.
Sonnabends, als des Herrn Leichnam in Proces- sion getragen wurde, erschien Rixa, Gräfin von Del- menhorst, Erzbischof Nikolaus Mutter, eingedenk jener durch Yafsmer ihrem von Focko Ukena gefan- genen Sohne erzeigten Dienste, auf dem Rathhause, und bat herzlich um die Loslassung Vafsmers. We- der ihr Geschlecht, noch ihr Rang, noch ihr ehren- volles Alter, noch dafs sie den Erzbischof in ihrem Schoofs getragen, konnte auf die Leidenschaftli- chen Eindruck machen; der Rath gab nur Vafsmers Knecht los.
Am Dienstag wurde Yafsmer ohne Untersuchung gebunden auf den Markt vor das durch den erzbi- schöflichen Yogt und zwei Beisitzer (einer dersel-
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ben war Vafsmers Schwiegersohn) aus dem Rath, gehegte Blut- oder Nothgericht geführt, und Klage gegen ihn erhoben, dafs er und sein Sohn an der beschworenen Eintracht meineidig geworden. Um- sonst versicherte Vafsmer seine Unschuld und ver- langte einen Mann, der ein Urtheil über ihn fände. Der Ankläger erklärte hierauf, der Rath habe die Gichting *) darin gegeben. Demohnerachtet be- stand Vafsmer auf seinem gerechten Begehren.
Da rief der Vogt unter der umstehenden Menge den Tonnenmacher Barthold auf. »Suche ein Urtheil,«
*) Erklärung des Raths, dafs der Procefs, ob er nun geführt worden oder nicht, beendigt .sey, das Urtheil vollzogen wer- den könne, und er es auf seine Verantwortung nehme.
In Peter Costers bisher nur handschriftlich und selten exi- stirenden Chronik wird bei einer Hinrichtung im Jahre 1664 Fol- gendes erzählt: Ein Chr. Pape hatte sein Weib ermordet und in den Brunnen geworfen. Ohne Tortur gestand er seine That, wurde zum Tode verurtheilt und darauf vor des Stadt- vögts Gericht geführt. In Gegenwart der beiden Blut- oder Gerichtsherren ward er gefragt von dem Stadtvogt nach der Gewohnheit, und er leugnete die That. Deswegen schick- ten die zwei Herren des Raths den Gerichtsdiener auf das Rath- haus , um solches zu melden , der mit dieser Antwort zurück- kam: Ampliss. Senatus gebe die Gichting, d. h. er wolle das gesprochene Urtheil vor Gott, Ih. Kaiserl. Maj. , auch Ih. König!. Maj. zu Schweden, als Herzog von Bremen und sonst vor Jedermann verantworten. Der Stadtvogt schwieg hierauf stille , der Gerichtsschreiber aber befahl im Namen des Raths dem Scharfrichter die Execution , worauf der Ver- brecher beim Roland mit glühenden Zangen gezwickt und dann auf dem Stakenberg bei Walle geköpft, der Körper aufs Rad gelegt, der Kopf oben auf den Pfahl gesteckt wurde. — - Diefs zur Erläuterung des Wortes Gichting.
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sprach Vafsmer, »das recht ist, denn der Rath und die Gemeine beschuldigen mich des Meineids mit Unrecht. Als Kläger, Zeugen und Richter in Einer Person können sie nicht gegen mich auftreten, das untersagt ihnen das Gesetz. Als ich den Erzbischof Nikolaus ohne Lösegeld aus Focke Ukens Gefangen- schaft frei gemacht, da habt ihr Bürger mir oft wie- derholt, ihr könntet nie weder mir noch meinen Kindern genug Dank dafür vergelten; jetzt ist der Tag gekommen, wo ihr mir diesen Dank beweisen könnt, indem ihr nur das Einzige mir gewährt, was Jedem zusteht: mein Recht.« Hierauf bat er den Vogt, dafs er dem Berthold geböte, ein gerechtes Urtheil zu finden.
Als der Vogt die zwei beisitzenden Rathmänner fragte, ob sie etwas dagegen einzuwenden hätten, gingen sie zweimal auf's Rathhaus, fragten den Rath um Terhaltungsregel , und brachten die Antwort zurück, dafs nach gegebener Gichting weiter von keiner Urtheilsfindung die Rede seyn könne.
Umsonst suchte der Vogt dem ungerechten Ur- theil auszuweichen; der erzbischöfliche Beamte hatte mehr Erbarmen als Vafsmers Schwiegersohn, Johann von Minden, der jenem drohete, und erklärte, dafs nicht ihm, sondern nur dem Scharfrichter zukäme, das Urtheil zu sprechen. »Bist Du derjenige, « sprach hierauf Vafsmer zu seinem Eidam, »bist Du derje- nige, der gegen mich alle Rechte übertritt? Ach Gott, wie ungnädig ist mir der Richter h< »Ich thue Euch kein Unrecht,« sprach der Vogt. »Ich meine
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Euch nicht,« antwortete VaPsmer, »sondern die un- gerechten Richter.«
Nach einigem Hin- und Wiederreden erklärte der Scharfrichter, der Rath wolle Vafsmern begnadi- gen und ihm den Kopf abhauen lassen. Sehet zu, was Ihr thut, sprach der redliche Vogt. Yafsmer verlangte, dafs auf Kosten seiner Familie von irgend einem Notarius der ganze Vorgang aufgeschrieben würde, und sprach die Appellationsformel aus: „Ick scheide, dar ick scheiden mag,« und wollte weiter reden, da erstickte der Tumult seine Worte, da rifs» ihn das Gedränge fort zum Osterthor hinaus auf den S. Pauls Berg; und das silbergelockte Haupt, ergraut unter Sorgen für das Wohl des Staats, ward durch das Richtschwert von dem Körper getrennt.
Freunde trugen den Leichnam in S. Pauls -Kir- che und begruben ihn vor dem Tauf st ein.
Vafsmers Gattin wollte zur Ruhe der Seele des unschuldig Gemordeten Vigilien und Seelenmessen feiern lassen. Die auch durch seinen Tod noch nicht versöhnte Wuth des neuen Raths untersagte ihr nicht allein die Erfüllung der frommen Pflicht, sondern zog auch ihr Vermögen ein. Schmerz und Herzeleid zogen sie und ihre Töchter, deren einige schon mit dem Brautkranze geschmückt waren, dem theuern Gatten und Vater bald nach in die Gruft. Vafsmers Bruder, der in Nienburg wohnte, starb in demselbigen Jahre aus Gram über des verehrten Bruders Tod, nachdem er vorher verordnet, dafs Vafsmers zwei Söhne aus seinem Besitzthum unter-
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stützt werden sollten, um die Wiedererlangung ihres Eigenthums zu bewirken. Der eine Sohn Johannes starb in Rom.,
Der Greuel geschah am 21. Juni 1430. Er lag auf dem Gewissen des Raths, der die Verantwortnng dreist übernommen. Die Vergeltung blieb nicht aus.
Heinrich Vafsmer. Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor.
Von einer ganzen herrlich blühenden , in hohem bürgerlichen Ansehen stehenden Familie, von tyran- nischen Oligarchen in der Ermordung ihres ehrwür- digen Hauptes vernichtet, blieb nur Heinrich Vafs- mer übrig, der Mann, dem Vergeltung zu üben, und des Vaters geschändeten Namen zu Ehre zu bringen, vorbehalten war.
Heinrich Vafsmer zog an Kaiser Siegmunds Hof, klagte den Rath an, und forderte Genugthuung. Nach langen vergeblichen Bemühungen gelang es ihm endlich, dafs auf dem Reichstag zu Nürnberg die Stadt Bremen in die Acht und Oberacht erklärt, und den benachbarten Fürsten und Städten die Voll- ziehung des kaiserlichen Mandats aufgetragen wurde. Es war ein harter Kampf kindlicher Treue gegen eine verirrte Stadt, die auch jetzt Schutz bei den verwandten Hansestädten fand, so dafs des Kaisers Wille unvollzogen blieb. Auch des Kaisers Räthe waren bestochen worden, und Heinrich Vafsmer fand zum zweitenmal kein Gehör, indem man ihm zu ver- stehen gab, Siegmund sey ungehalten auf ihn.
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Demungeachtet reiste er dem Kaiser nach bis Wien, folgte ihm nach Ungarn, erreichte ihn in einem Walde, ritt auf ihn zu, sprang vom Pferde, griff des Kaisers Pferd in den Zügel, kniete nieder, flehete um Recht und klagte, wie er von einer Zeit zur andern vertröstet und so oft abgewiesen wor- den. In der ersten Stadt werde ich dir helfen, I sprach Siegmund.
Zu Prefsburg erhielt Heinrich Yafsmer ein stren- geres Mandat an viele niederdeutsche Fürsten, Bi- schöfe und Städte. Mit diesem ritt er nach Nürn- berg, verbreitete von dort eine Menge beglaubigter Abschriften desselben , zog darauf nach Hamburg, wo damals sich viele Bremer aufhielten, und erlangte von dem Rath kraft kaiserlichen Befehls ihre Ge- fangennehmung; und so warf er auch an andern Or- ten die Bremer, wo er sie fand, in die Gefängnisse.
So vielfältig geängstet und beschädigt mufste die Stadt Bremen ihm sein väterliches Vermö- gen zurückgeben und alle Unkosten vergüten; und da sie wegen bedeutender Summen, die sie dem Kaiser, um der Acht entlassen zu werden, gegeben, ihm nicht das Versprochene sogleich leisten konnte, so wurden ihm bis zur gänzlichen Abtragung der Weinkeller und die Ziegelbrennereien zum Unter- pfand verschrieben. Dem Andenken seines Vaters mufste die Stadt in Ansgarii Kirche einen Altar zur Ehre des heiligen Leichnams und eine an demselben zu feiernde ewige Seelenmesse stiften, und die Beleh- nung dieser Vikarie dem Aeltesten von dem Geschlecht
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des Gemordeten übergeben. In die Abtei S. Pauli wurde eine Tafel mit einer Aufschrift in deutschen Versen gehangen *). Auf der Stelle, wo er ent- hauptet worden, wurde ein steinernes Kreuz errich- tet, das noch bis auf den heutigen Tag unter dem Namen Yafsmers Kreuz oder auch das steinerne Kreuz vorhanden ist, und dessen Unterhaltung mit zu den Verpflichtungen des Organisten an der Lieb- Frauen-Kirche gehört. Die kaum mehr lesbare In- schrift desselben heifst also: »Im Jahre unsers Hern 1430 des Dingstedages na Johannis Baptisten wurd Her Johan Vafsmer Borgermeister hir enthövedet. Biddet God vor sine Sehle.«
Auf Vafsmers Leichenstein stand die in ihrer Einfachheit vielsagende und rührende Inschrift : »Hier ligt de unschuldige Yafsmer!« **)
*) Do man schreef verteilt hundert un darlieh Jahr
Schach dusse Schichte , dat is wahr, Do wurd vorrichtet an den Doht
Johan Vafsmer , den genade Gott, De Bremen in ehren lange vorbatl,
Ein Borgermeister dersulven Statt, Als düsse sulwige Jammer geschach
JVas nechst S. Protasms Dach, De unschuldige Mann hir begraven is
De Seele in Gott rouwet gewis*
**) Heinrich Vafsmer wurde später Aeltevmann, dann Rathsherr; zwei seiner Urenkel wurden Bürgermeister; einer derselben war in der Zeit des schmalkaldischen Kriegs thä'tig. Im Jahr 1567 starb Hermann, der letzte dieses Geschlechts, der aucn Bürgermeister gewesen. Der Name exksti.vt noch.
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Beruhigung.
Ehe noch die Yafsmersche Angelegenheit besei- tigt war, vertrugen sich der alte und neue Rath durch Yermittelung des Erzbischofs und benachbarter Fürsten und Städte (1433). Kraft der sogenannten Tafel oder alten Eintracht *) trat der alte Rath wieder in seine Rechte, und zwar so, dafs in Zu- kunft der Rath aus yier und zwanzig Rathsherren und vier Bürgermeistern auf Lebenszeit bestehen, und sich aus der Bürgerschaft durch eigene Wahl ergänzen sollte. Jeder Bürgermeister hat in seinem Quartier sechs Rathsherren zu Gehülfen. Dieses ist bis auf die neueste Veränderung so geblieben.
Stellung nach Aufsen.
Während dieser inneren Geschäfte behauptete Bremen seine Stellung nach Aufsen nicht ohne Nach-
*) Diese Vereinigung besteht aus zwölf Artikeln, und heilst Ta- fel, weil sie damals auf öffentlich ausgestellten Tafeln ge- schrieben war; daher schwört jeder neue Bürger: ,,Ich will halten Tafel und Buch/' Unter letzterm versteht man die Statuten. Tafel und neue Eintracht sind im Jahr 1676 gedruckt worden. Der Titel ist: „Tafel, dat is, eine löfflike wohlgegrundede Verdrach , tho Wohlstande der Stadt Bre- men, unde tho Unterholdiuge borgerlicker Eindracht , im Jahr Christi 1433 upgerichtct, und gemacket, und Newe Ein- dracht, so tho geliken Ende im Jahr Christi 1534 berahmet und belevet, und darin de vorige Eindracht edder Tafel be- stediget is."
Schiedsrichter waren Johann und Otto Grafen von Hoya und mehrere Domherren. Ferner die Städte Lübeck, Hamburg,
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pen nach Bremen bringen, und dieselben in Ansga- rii-Kirche *) mit Beifall von der Kanzel verkünden, der Widersland aber des Erzbischofs, des Domkapi- tels und der übrigen Geistlichkeit fruchtlos seyn würde.
Das Benehmen des Raths war eben so folge- richtig, als die Sache selbst. Nicht Klage der Kez- zerei, nicht Verlangen, den Neuerer auszuliefern, wurde angenommen , sondern Widerlegung desselben vorgeschlagen. Heinrich predigte mit stets gröfserm Beifall, bis zwei Jahre später ein grausamer Märty- rertod bei den Ditmarschen seinem Leben ein Ende machte. Der Anstofs von ihm war indefs gegeben und die Wirkung ging unaufhaltsam fort. Der latei- nische Gottesdienst wurde aufgehoben und die wi- derspenstigen Priester abgesetzt und verwiesen. Nur im Dom, in den Kloster-Kirchen und in einigen Ka- pellen dauerte der katholische Ritus fort. Bald wurde den Kloster- Geistlichen der Gottesdienst un- tersagt , ihre Kirchen wurden geschlossen ; das schwarze Kloster wurde in ein Gymnasium, das graue in ein Hospital verwandelt. Den Bürgern ver- bot der Rath bei Strafe, die Messe im Dom zu hö- ren; auch in den Dorfschaften wurde die neue Lehre eingeführt, und endlich entwichen die Domherren,
*) Diese Kirche war damals wegen Thätlichkeiten , die in der- selben vorgefallen, in dem Interdict, also ohne Gottesdienst, wodurch das Auftreten des Bruder Heinrich in derselben um 50 viel begreiflicher wird.
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als sie bei Veranlassung städtischer Unruhen von den gewaltthätigen hundert und vier Männern im Dom überfallen, in den Hören gestört und mifshan- delt wurden , und ein Predicant die Kanzel bestieg. Hierauf hörte der katholische Gottesdienst im Dom ganz und für immer auf; wenn auch gleich später das Domkapitel, das indessen grÖfstentheils prote- stantisch geworden, zurückkehrte.
Innere Unruhen.
Unter solchen Verhältnissen mufste der Rath stets auf Feindseligkeiten von Aufsen gefafst seyn; er befestigte deswegen die Stadt und liefs niederreis- sen , wo aufserhalb der Feind eine Stellung nehmen konnte. Ein Angriff des Erzbisehofs lief glücklich für die Stadt ab; ein versuchter Vergleich blieb fruchtlos.
Indessen zog ein Gewitter über dem Gemeinwe- sen herauf, das lange drohete , dann furchtbar aus- brach. Die vor Kurzem eingeführte Reformation, die feindliche Stellung gegen den Erzbischof, das Kapitel und die übrige Geistlichkeit hatte die Ge- müther an Neuerungen gewöhnt, und der Geist der Unruhe war so wenig zu beschwichtigen, dafs im Gegentheil jeder Anlafs, Neues an die Stelle des Alten zu setzen, selbst ohne Rücksicht, ob die Aen- derung auch eine Besserung sey, oder ob die Fol- gen erwünscht seyn würden, begierig ergriffen wurde. An solchem Anlafs fehlte es auch in der innern Ein- richtung unserer Staatsmaschine nicht. Das Recht des
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Raths, sich selbst zu ergänzen, die geringe Kon- trolle, welcher er unterworfen war, das Ueb erge- wicht der Kaufmannschaft durch das Kollegium der Aelterleute, das veränderte Verhältnifs des letzteren selbst in Beziehung auf das Gemeinwesen, reizte die Unzufriedenheit der Zünfte. Das Vorbild anderer niederdeutschen Städte, wo früher Aehnliches nicht ohne Erfolg versucht worden, gab zu der Hoffnung Raum, eine Reform bewirken zu können, die auch manchem ruhigen und wohlmeinenden Bürger er- wünscht se)rn mufste. Selten werden solche Refor- men in guter Absicht von der Gesammtheit unter- nommen , und läge auch eine gute Absicht im An- fang zum Grunde, s-o wird sie doch bald durch Ehr- geiz und Eigennutz aus ihrer Bahn geworfen.
Neuerungssüchtige Menschen nehmen leicht die Miene an, als gehe ihnen der Druck und die Ar- muth der geringem Yolksklassen zu Herzen. Das Stieben nach Veränderungen, durch die sie sich zu heben gedenken , scheinbar auf Bürgerpflicht und Menschenliebe gegründet, verblendet den grofsen Haufen , der alles für sich unternommen glaubt ; verblendet selbst oft diejenigen, die durch ihre Stellung einen klaren Blick in die wahre Absicht haben müfsten.
Schon früher war von einem wohlgesinnten Mann, gewifs nicht ohne Grund, Klage erhoben wor- den, wie die Bürgerviehweide immer kleiner werde. Die Neuerer fafsten diefs einmal ausgesprochene Wort später auf, um unter dem Vorwande dieser
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Beschwerde auch andere bedeutendere zur Sprache zu bringen. »Der arme Mann wird immer mehr und mehr gedrückt, bei wem soll er Recht finden, da die Hohen und Reichen zusammenhalten? Jene von der wohlthätigen und heiligen Gräfin Emma von Lesum vor Jahrhunderten der Gemeine geschenkte grofse Viehweide ist von Jahr zu Jahr Meiner ge- worden; die Domherren namentlich haben Wiesen und Gärten davon gewonnen , und doch sollten so Wenig Aufsenbürger als Geistliche ein Recht daran haben. Was davon losgerissen, mufs wieder damit vereinigt werden.« Man berief sich auf eine alte lateinische Urkunde des Erzbischofs Hartwich über einen im Jahr 1159 wegen der Weide mit der Stadt getroffenen Vergleich, die keiner der Klagenden verstand und nie gesehen oder gelesen hatte.
Dafs der Begriff Gemeine und derer, die An- spruch an die Gemeinweide haben sollten, von Zeit zu Zeit erweitert worden, zeigt die von Albero den Wilhads- und Stephans-Kapiteln ertheilte Erlaubnifs- Urkunde (1139), zur Vereinigung in S. Stephans- Kapitel, in welcher erklärt wurde, dafs denjenigen Stephanern, so etwas für jene Kirche gethan oder thun würden, es frei stehen solle, ihr Vieh auf jene Gemeinweide zu schicken, und dafs der Erz- bischof darüber zu verfügen *) habe.
Von den Klagen des Volks bestürmt legte der Rath den Besitzern der Grundstücke, welche an die
*) $t Urk. bei Cassel über St. Stephans-Kirche.
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Gemeinweide grenzten, und allein von derselben abgerissen seyn konnten, auf, ihren Besitztitel vor- zulegen. Als diefs zur Genüge geschehen war, gin- gen die Kläger weiter, und verlangten Beweise von Jahrhunderten, welche wie natürlich in jenen Zei- ten, wo so Vieles auf mündliches Wort, so Weni- ges schriftlich beurkundet wurde, von Wenigen bei- gebracht werden konnten.
So begannen die Unruhen, so dauerten sie fort, ohngeachtet sechszehn Männer zur Untersuchung gewählt worden (1530). Vermittelung benachbarter Städte wurde von der klagenden Parthei zurückge- wiesen, weil sie wohl einsehen mochte, dafs das In- teresse des Domkapitels wie des Raths ein zu star- kes Gewicht in die Wagschale des Rechts auch bei andern Reichsständen gegen sie legen mochte. Täg- lich wurde Vieh auf der Weide gepfändet, und das Geld, womit der Eigenthümer es wieder einlösen mufste, vertrunken. Solche und andere Unordnun- gen und die Immoralität der Anführer zeigten leider dafs die Fürsorge für das Gemeinwohl nicht von reiner Art war.
Rudolph von Bardewisch, Comthur des deutschen Ordens. Da Rudolph von Bardewisch, ein Mann von schuldlosem Lebenswandel, der geringem Bürger- schaft aber aus andern Ursachen verhafst, sich wei- gerte , sein Recht an seine Besitzungen , die an die Weide grenzten, zu beweisen, so wurde, vielleicht
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mit Grund verbreitet, dafs in seinen Händen die wahre Urlumde sey, welche die Grenze der Weide bestimme. Der Rath lud ihn deshalb vor, und als er, früher gewarnt, dafs ihm aufgelauert werde, sei- nen Hof nicht verliefs, sondern, statt selbst zu kom- men, Mutter und Schwester schichte, um den Wil- len der Bürgerschaft zu erfahren, wollte der rasende Pöbel fort, ihn mit Gewalt zu holen. Umsonst ver- sprach der Rath, ihn durch zwei Glieder aus sei- ner Mitte augenblicklich zu beschicken. Die Bürger liefen nach Hause, ergriffen Spiefse, Hellebarden und Büchsen , und drangen in des Comthurs Haus.
Als Bardewisch erkannte, worauf es abgesehen war, und er in seinem Hause nicht Schutz gegen die Gewalt zu finden hoffen durfte, rettete er sich eilends mit sieben seiner Leute auf die zur Comthu- rei gehörige heil. Geist -Kirche und nahm zwei La- den mit Papieren und Silbergeräth mit hinauf. Der Aufforderung des an ihn abgeordneten Rathsherrn Veldhusen, dafs er sich in den Schutz des Raths begeben möchte, glaubte er nicht Folge leisten zu dürfen. Zum Unglück warf einer der Seinigen, ob durch Zufall oder absichtlich ist unbekannt, einen Stein unter die tobende Menge, und traf den Raths- herrn, der nun, durch augenblicklichen Eifer hin- gerissen, ausrief: »Thut euer Bestes!« *)
Somit war das Losungswort selbst aus dem
*) Das im Archiv befindliche plattdeutsche Manuscript über die- ses Ereignifs sagt , Bardewiscb habe nicht werfen lassen,
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Gemeinweide grenzten, und allein von derselben abgerissen seyn konnten, auf, ihren Besitztitel vor- zulegen. Als diefs zur Genüge geschehen war, gin- gen die Kläger weiter, und verlangten Beweise von Jahrhunderten, welche wie natürlich in jenen Zei- ten, wo so Vieles auf mündliches Wort, so Weni- ges schriftlich beurkundet wurde, von Wenigen bei- gebracht werden konnten.
So begannen die Unruhen, so dauerten sie fort, ohngeachtet sechszehn Männer zur Untersuchung gewählt worden (1530). Vermittelung benachbarter Städte wurde von der klagenden Parthei zurückge- wiesen, weil sie wohl einsehen mochte, dafs das In- teresse des Domkapitels wie des Raths ein zu star- kes Gewicht in die Wagschale des Rechts auch bei andern Reichsständen gegen sie legen mochte. Täg- lich wurde Vieh auf der Weide gepfändet, und das Geld, womit der Eigenthümer es wieder einlösen mufste, vertrunken. Solche und andere Unordnun- gen und die Immoralität der Anführer zeigten leider dafs die Fürsorge für das Gemeinwohl nicht von reiner Art war.
Rudolph von Bar dewisch, Comthur des deutschen Ordens, Da Rudolph von Bardewisch, ein Mann von schuldlosem Lebenswandel, der geringem Bürger- schaft aber aus andern Ursachen verhafst, sich wei- gerte, sein Recht an seine Besitzungen, die an die Weide grenzten, zu beweisen, so wurde, vielleicht
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mit Grund verbreitet, dafs in seinen Händen die wahre Urkunde sey, welche die Grenze der Weide bestimme. Der Rath lud ihn deshalb vor, und als er, früher gewarnt, dafs ihm aufgelauert werde, sei- nen Hof nicht verliefs, sondern, statt selbst zu kom- men, Mutter und Schwester schichte, um den Wil- len der Bürgerschaft zu erfahren, wollte der rasende Pöbel fort, ihn mit Gewalt zu holen. Umsonst ver- sprach der Rath, ihn durch zwei Glieder aus sei- ner Mitte augenblicklich zu beschicken. Die Bürger liefen nach Hause, ergriffen Spiefse, Hellebarden und Büchsen, und drangen in des Comthurs Haus.
Als Bardewisch erkannte, worauf es abgesehen war, und er in seinem Hause nicht Schutz gegen die Gewalt zu linden hoffen durfte, rettete er sich eilends mit sieben seiner Leute auf die zur Comthu- rei gehörige heil. Geist -Kirche und nahm zwei La- den mit Papieren und Silbergeräth mit hinauf. Der Aufforderung des an ihn abgeordneten Rathsherrn Yeldhusen, dafs er sich in den Schutz des Raths begeben möchte, glaubte er nicht Folge leisten zu dürfen. Zum Unglück warf einer der Seinigen, ob durch Zufall oder absichtlich ist unbekannt, einen Stein unter die tobende Menge, und traf den Raths- herrn, der nun, durch augenblicklichen Eifer hin- gerissen, ausrief: »Thut euer Bestes!« *)
Somit war das Losungswort selbst aus dem
*) Das im Archiv befindliche plattdeutsche Mannscript über die- ses Ereignifs sagt, Barde\visch habe nicht werfen lassen.
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Munde desjenigen, der den Aufruhr dämpfen und den Unglücklichen retten sollte, gegeben. Als der Comthur das wüthende Getümmel der Menge unter sich wogen sah, welche in die Kirche zu dringen suchte, als er ihr Wuthgeschrei hörte, als aus allen Fenstern benachbarter Häuser Mordgewehre auf ihn zielten, trat er oben unter dem Dach auf einen Er- ker hervor, blickte traurig auf das tobende Volk, erhob die Hände flehend, wollte bitten, dafs sie doch sein und der Seinen Leben schonen möch- ten! — Vielleicht hätten sich die grausamen Her- zen erweichen lassen , wenn nur das Tosen des Hau- fens seine Stimme nicht erstickt hätte. Da schofs einer aus dem Haufen nach ihm, und dieser Schufs war gleichsam das Signal, das den Wahnsinn zu unaufhaltsamer Raserei weckte. Der Comthur sah nun, dafs Alles verloren war, und empfahl seine Seele Gott.
Da wurde von neun Uhr Morgens bis Nachmittags zwei die Kirche gestürmt. Der Rathssyndikus Dr. Wyk, die beiden Kämmerer, erschienen umsonst im Namen des Raths zur Beruhigung der Bürger. Der Rath be- gab sich endlich selbst auf die Domsheide, schlug vor, man wolle den Comthur gefangen legen, ihn vor Gericht stell en; doch ihm Leben und Gut mit Gewalt zu rauben, würde nimmer von guten Folgen seyn.
Befehle, Gründe und Bitten trafen taube Oh- ren; immer dichter wurde das Gedränge, immer wilder ras'te der Aufruhr, der Rath selbst hatte Ur- sache das Schlimmste zu fürchten, und ging, man
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kann denken mit welcher Bekümmernifs , auseinan- der. Viele Stimmen liatten laut genug geäufsert, der Rath sey ja selbst Schuld an dem Unglück, warum habe er nicht früher die Klagen der Armen gehört. Indessen war es zwölf Uhr Mittags geworden. Als die Menge sah, dafs sie mit ihren Geräthen nichts ausrichten konnte; als der Comthur und seine Leute nun, da Alles verloren schien, ihr Leben theuer verkauften; als schon mehrere Bürger durch Schies- sen und Steinwerfen getödtet, andere verwundet wa- ren: da wurden zwei Karthaunen herbeigeholt; da wurde des Raths Büchsenmeister, Franz Renner, ge- zwungen, sie auf den Thurm zu richten, in welchem, wie man glaubte, der Comthur sich befände; da standen sie um den Büchsenmeister und droheten ihm Böses, wenn er den Thurm nicht träfe; und als ein Theil des Thurmes niederstürzte, da hallte wildes Freudengeschrei in den Einsturz.
Umsonst drang der Jammerruf um Gnade aus dem Thurm; umsonst streckte der Ritter, der nun schaudernd auf der schmalen Bahn, die Zeit und Ewigkeit trennt, wankte, umsonst streckten die Sei- nigen flehentlich die Hände empor, umsonst wnrde durch einen Hut auf einer Stange angedeutet, dafs er sich ergeben wolle. Mit Leitern erstiegen die Wüthenden den Erker und drangen zum Fenster hinein. Zweimal sank der Comthur vor Johann Kremer nieder, bat um Gotteswillen, man möge sein Leben schonen, er wolle der Stadt tausend Gulden schenken. Kremer rief diels dem Volke zu, und
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äufserte, dafs man ihn dafür wohl leben lassen könne. Als er dem ängstlich Harrenden verkündete, dafs sein Anerbieten nicht angenommen sey, sank dieser abermals nieder, und versprach ihm tausend Gul- den , der Stadt aber sein ganzes Vermögen. Auch dieses fand beim Volke kein Gehör; da trat Kremer auf den Verzweifelnden ein, und stiefs ihm die Par- tisane durch die Brust. Mit ihm wurden fünf der Seinigen ermordet, und durch eine Dachlucke hinab auf den Kirchhof geworfen. Der Comthur ist trotz so vieler Wunden und nach dem hohen Fall noch einige Zeit seines entsetzlichen Zustandes, wo die Gewifsheit des Todes und die Sehnsucht zum Leben mit einander kämpfen, bewufst gewesen. Einen Knaben von sechszehn Jahren schonten sie, und einer der Knechte, der ausgesandt worden, ehe noch der Tumult so heftig tobte, um Bier auf die Kirche zu bringen , ward dadurch gerettet.
Nun wurde die Comthur ei ausgeplündert, Fen- ster und Kisten und Kasten zerschlagen , Vorräthe geraubt oder vernichtet, die Nacht durch in dem Keller getrunken, und sinnlos von Wuth und Trun- kenheit sprachen schon einige davon, wie sie sich in drei Haufen vertheilen , und den Pfaffen, dem Rath, den Prädikanten eben so thun wollten, wie sie dem Comthur gethan; da schlichen sich, um dem Wahnsinn die Nahrung zu rauben, wohlgesinnte Bür- ger in den Keller, zogen die Krahnen aus den Fäs- sern, und liefsen die Getränke auslaufen.
Der Befehl des Raths, dafs jeder Bürger sich
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augenblicklich nach Hause begeben und sich mit Hand und Mund ruhig verhalten solle, wurde nicht geachtet.
Das Unglück wollte, dafs um diese Zeit auch des Erzbischofs Gericht nicht bestand, da ihm die- ses Vorrecht durch Kammergerichtsentscheidung we- gen der Kloster-Osterholzischen Streitigheiten genom- men war.
Am folgenden Tag ging der Tumult von Neuem an; zwei von dem Rath eingezogene Uebelthäter bei dieser Schandthat wurden auf Drohungen frei ge- lassen: »Ihre Sache sey gemeinsam, keiner solle yor dem andern leiden;« — und nur der Entschluß; des Raths, einer aus den vier Kirchspielen gewähl- ten Deputation von vierzig Bürgern die Anordnung der Weideangelegenheit zu übertragen, hielt die Menge von Gewaltthaten ab. Aber auch diese De- putation verfuhr gewaltsam, forderte die Domher- ren, die bereits von der Wittheit sich zu einiger Rücksicht um der allgemeinen Ruhe willen hatten stimmen lassen, auf's Rathhaus, wenn sie nicht eines gleichen Schicksals, wie der Comthur, gewärtig sevi* wollten; da entflohen diese aus der Stadt.
Die Verwirrung wurde noch durch freches, fremdes Gesindel vermehrt, das kein Herz zur Stadt und ihrem Wohl hatte, und um so mehr zu gewin- nen hoffte, je gröfser die Verwirrung ward. Einre- den weiser und verständiger Leute waren vergebens. Seit der Ermordung des Comthurs schien Gott sie mit Unsinn vollends heimgesucht zu haben. Um sich zu
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stärken, wählten sie aus dem angesehenem Theil der Bürgerschaft noch vier und zwanzig Männer zu ihrer Deputation , die sich aber diese Ehre verbaten.
Zu Basdahle wurde inzwischen, um dieser Ver- wirrung ein Ende zu machen, von Abgeordneten benachbarter Fürsten und Städte, des Domkapitels und der Vierzig ein Tag gehalten. Die Vorschläge zum Guten fanden bei den Vierzigen kein Gehör.
Da diese sahen, dafs der gesunde Theil der Bürgerschaft, namentlich auch die Aeltermänner, Schiffer und Prädikanten nicht für sie waren , ver- stärkten sie ihren Anhang durch ausgewichene Bür- ger, aus den Klöstern entsprungene oder ausgewie- sene Pfaffen und anderes liederliches Gesindel, das nichts zu verlieren hatte , bei dem Vertheihmg alles Besitzthums die Losung war. Hierauf, unter dem Vor wände , dafs nicht blofs in Weidesachen , son- dern auch für andere Angelegenheiten dem Rath eine Bürgerdeputation zur Seite stehen müfste, ge- wannen oder zwangen die Vierzig noch vier und sechszig andere angesehene Bürger für sich, und somit bestand die Parthei aus hundert und vier Personen.
Ein naturgemäfses organisches Verhaltnifs hatte sich in unserer freien Stadt wie in andern, seit die Handwerker in Bürgerrechte eingetreten waren, ge- bildet. So wie der Rath der Vorstand des Staats war, die Seniores oder der Senatus gesammter Re- publik, eben so hatte die Kaufmannschaft, eben so jede Handweikszunft ihren gewählten Vorstand, ihre
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Aeltermänner, in der Idee mit dem Begriff Senatus übereinstimmend. In dem Maafse, wie sich der Han- del und der Einflufs desselben hob, und das Interesse der Edelleute dem der Kaufleute hatte weichen müs- sen, trat der Handelsstand und die Aeltermänner desselben in ein höheres Yerhältnifs, als dasjenige der Zünftevorsteher; dann aber auch wurde ihre Stellung zum Rath bedeutender, um so mehr, da es an einem grofsen Rath fehlte. Die Unzufriedenheit der Zünfte war schon oft ausgebrochen, und eine nähere Aufsicht des Senats war nöthig geworden, wie früher gezeigt. Dennoch konnten die Zünfte die Stellung der Aeltermänner der Kaufmannschaft ohne Neid nicht ansehen, und es erhoben sich Un- zufriedene , eigentliche Radihaireformatoren der da- maligen Zeit, wo die Reform nur das Wort, die Aus- sicht auf Verwirrung und dadurch auf Gewinn an Macht und Vermögen die Sache war. Der Charak- ter der Anführer beweist, dafs es wirklich so war, wenn auch gleich manche unter den Hundert und vier seyn mochten, die ernstlich das Bessere wünsch- ten, wenn auch gleich ein Besseres wirklich wün- sch enswerth war.
Die Hundert und vier.
Ein zu verdienter Strafe aus dem Kollegium der Aelterleute ausgestofsener und vom Rath ver- wiesener Aeltermann war in diesen Unruhen in die Stadt gekommen, hatte sich auf die Seite der Unzu- friedenen geschlagen, und suchte nun das Kollegium.
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zu dem er vorher gehörte, zu vernichten. Einige Aelt ermann er hatten sich im Anfang der Weidekla- gen der Bürgerschaft angenommen und ihre Be- schweiden mit Eifer vor den Rath gebracht. Als jenes Kollegium aber das Unheil sah, welches daraus erfolgt war, zeigte es sich den unruhigen Köpfen abgeneigt und erklärte sich dagegen entschieden für den Rath und seine Rechte. Da nun die Vierzig selbst unter andern auch den Wirkungskreis jenes Kollegiums für sich erlangen wollten, um somit den grofsen Rath zu bilden, ein Verhältnifs , das in an- dern deutschen freien Städten fast allgemein war, oder, wenn diefs nicht gelänge, das Aeltermanns- Rollegium zu sich herabzuziehen und den Zunft- vorsteiiern gleich zu stellen, so sprach Johann Dove, ein Hauptwortfuhrer der Vierzig, die mit dem Be- gehren der auf dem Domshof versammelten Gemeine, dafs die Hundert und vier vom Rath genehmigt wer- den möchten, auf dem Rathhause erschienen, also: »Was sollen uns die Aeltermänner? Die Meister von den Aemtern mögen wohl zur Mitberathung herangezogen werden, und in dieser Eigenschaft mö- gen es auch die Aeltermänner, nicht aber als mitre- gierender Theil. Wir können nicht zwei Herren zugleich haben; sie sind uns verhafst, sie haben es uns darnach gemacht.« Es scheint, dafs die Aeltermänner das Ansehen des Raths bei verschiedenen Gelegenhei- ten mehr unterstützt hatten, als der Gesammtheit lieb oder auch erspriefslich war. Diefs wrar namentlich in den Unruhen der Grande Compagnie der Fall
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gewesen. Auch scheinen aus angeführten Gründen die anderen Zünfte [wie auch aus den damaligen Feindseligkeiten gegen die Gewandschneider (Laken- händler) hervorgeht, welche unter dem Vorsitz zweier aus ihrer Mitte gewählter Aelterinänner standen und schon seit dem Jahr 1263 mit besondern Privilegien begünstigt waren] über diese Vorsteher der Kauf- mannschaft, als den angesehensten Theil der Bür- ger, eifersüchtig gewesen zu seyn, und wünschten sie mit der Vorsteherschaft der Zünfte gleich zu stellen.
Bei diesem Ansinnen berief sich der Rath auf gesetzliche Ueberemhünfte; wie Jeder bei seinen erworbenen Rechten bleiben müsse, so jeder Bür- ger, so auch die Aelterinänner, und wie eine Unre- gelmäfsigkeit gegen diese auch andere gegen alle Bürger nach sich ziehen würde; gestand aber der Gemeine die Wahl und den verlangten Wirkungs- kreis der Hundert und vier zu. Auf das Ansinnen, die wegen des ermordeten Comthurs Gefangenen loszulassen, entschuldigte sich der Rath mit seinem Eide, wovon er nicht lassen könne, dafern die Ge- meine ihn nicht selbst davon losspräche. Diefs ge- schah, und so erlangte die aufrührerische Parthei, unter dem Scheine, als thue sie jeden Schritt ruhig und folgerecht nur zum Besten des Gemeinwesens, in aller Weise ihren Willen, und die Lage der Sachen wurde , je verführerischer der Schein der Rechtlichkeit war, von Tage zu Tage bedenklicher und verwickelter.
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Diefs geschah in den ersten Tagen des Jah- res 1532.
Aber die Parthei, wie verblendet auch in sittli- cher Hinsicht, begriff, dafs zur Bestimmung ihrer Competenz, so wie zur Sicherung ihrer Fortdauer die blofse Wahl und die Zustimmung der Bürgerschaft nicht hinreiche, sondern ihr Bestand durch den Rath mit Brief und Siegel für jetzt und immer befestigt werden müsse. Diesem Ansinnen , das, im Fall der Weigerung, eine Siegelung Namens der Gemeine, und nach diesem einen eigenmächtigen Schritt in weiterer Progression den ganzen Sturz des Raths zur Folge haben konnte, begegnete der Rath fest, klug und weise, wie es die Umstände heischten, und erlangte acht Tage Bedenkzeit.
Als nach Verlauf dieser Zeit Johann Dove, mit seinem Anhang, vor dem Rath erschien, wurde ihnen im Namen der Wittheit erklärt, wie diese Versiege- lung gegen Tafel und Buch, der Brief selbst schlecht abgefafst, und vor allen Dingen frühern Ueberein- künften, durch Fürsten, Prälaten und Städte ge- währleistet, ganz entgegen sey.
Es schien offenbar, dafs durch die Zwischen- sprache der Parthei zwischen dem Rath und der Gemeine nichts gefördert wurde, indem letztere nie das Rechte erfuhr. Der Rath zog daher zwei und zwei *) unter die auf dem Domshof versammelte
*) „als de Schape mank einen Hupen ritende Wulve, welches barmhertig antboseende was, unde lneoini- gen de Ogeu a vergingen," wie Renner sagt.
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Gemeine, in der Meinung, dieselbe durch mündli- che Erklärung von ihrem Verlangen abzubringen. Diefs gelang nicht , im Gegentheil folgte der grofse Haufen einem der Wortführer, Wulbern Rulves, nach einem andern Theil des Domshofes, und liefs den Rath mit drei hundert wohldenkenden Bürgern allein.
Nach einigen Tagen, nachdem der Rath umsonst versucht, wenigstens eine andere, mit der Verfas- sung der Stadt mehr übereinstimmende Urkunde an die Stelle jener unpassenden vorzulegen, geschah, was die Hundert und vier verlangten. Diefs erregte grofse Freude, man dankte Gott und dem Rathe, wie für eine mühevoll durchgesetzte gute Sache, und so, als wenn nun Alles zum Resten vollendet sey; und warum auch nicht, wenn die Anführer minder neuerungssüchtig und ehrgeizig gewesen wären, und durch eigene Schlechtigkeit das Gute der Sache nicht selbst vernichtet hätten?
Da einmal der Versuch, Gerechtsame zu verletzen und Verträge nicht zu achten, gelungen war, ging die Anmafsung immer weiter. Die Aeltermänner wurden gezwungen, den Hundert und vier den Schütting einzuräumen; und in Allem, was zwischen ihnen und dem Rath gemeinschaftlich zu verhandeln war, mufste es nach ihrem Willen gehen. Die Nachgiebigkeit des Raths erklärt sich hinlänglich aus dem damaligen politischen Zustand der Dinge in Deutschland. Wo sollte er ohne Söldner oder anderes stehendes Miii- tair, da die Stadt sich zum Protestantismus gewandt,
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Hülfe finden? Der Kaiser war abgeneigt, die pro- testantische Union hatte wichtigere Dinge zu be- denken.
Aber bei allem rücksichtlosen Handeln scheuete dennoch die Faction die öffentliche Stimme, die sich in den Predigten der Prädikanten aussprach, welche nach damaliger allgemeiner ächter Reforma- toren Weise laut von den Kanzeln gegen ihr eigen- mächtiges Verfahren donnerten. Die Faction ver- langte daher vom Rath, er solle ihnen politische Aenfserungen in der Kirche verbieten, worauf geant- wortet wurde; Auch der Rath müsse sich derglei- chen von ihnen gefallen lassen, selbst Könige und Kaiser; es sey am besten, ihnen heine Veranlassung zum lauten Tadel zu geben.
Als nun Johann Dove sich mit dreifsig der Faction in Martinilurche , wo sich die Prädikanten versammelt, begab, um Antwort auf einen an sie zu oben erwähntem Zweck gerichteten Brief zu er- halten, nahm der Prediger Jakob Probst von U. L. F. das Wort, hielt ihnen ihr ungerechtes Thun vor; wie ihr Regiment, das nicht von Gott gegeben, son- dern aus Aufruhr erwachsen , und mit des Comthurs unschuldigem Blute bestätigt und besiegelt sey, nichts Gutes, sondern nur Schaden bringen könne; und erklärte in Aller Namen, dafs sie nie unterlassen würden, das Tadelswürdige zu tadeln.
Dove rechtfertigte das Verfahren der Faction in einer stundenlangen Rede, aber Probst sagte ihm ins Angesicht, »ihr Thun sey Aufruhr, sie sollten
in ihre Schranken wieder zurücktreten, und wollten sie nicht getadelt seyn, so möchten sie es darnach machen. Es sey keine Kunst, den Armen auf Ro- sten der Reichen Gutes zu thun, sey aber gegen das siebente Gebot.« Hierauf legte sich Dove auf's Bitten, erhielt aber yon den Pradikanten das be- stimmteste Nein.
Auch von der gewaltsamen Besitznahme des Doms rieth der Rath ab , da diefs noch in keiner protestantischen Stadt bis dahin geschehen, und vom Kaiser wie vom Erzbischof übel aufgenommen wer- den würde. Zu diesem Gewaltstreich fand jedoch, wie denn in allen guten Dingen Mangel an folge- richtigem Handeln selbst von Seiten der Bessern und Einsichtsvollem zum gröfsten Schaden gefun- den wird, die Faction die Pradikanten geneigt, und Jakob Probst wurde im Dom auf die Kanzel geführt.
In derselbigen Woche wurde beschlossen, alle Häuser, die auf dem alten Grund der Weide soll- ten gebaut seyn, niederzureifsen , und in einer ge- wissen, willkührlich angenommenen, Strecke alles Land in Besitz zu nehmen. Dem Rath , der sich diesem Vorhaben widersetzte, wurde von einem Schmidt, Namens Dietrich Meyer, der wider seinen Willen sich unter den Hundert und vier befand, die Warnung heimlich gegeben, dafs die Faction be- schlossen habe, die Wittheit auf dem Rathhause nicht eher auseinander zu lassen, als bis ihr Begeh- ren bewilligt sey.
Dieser Plan war auf den nächsten Montag verab-
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redet, und es war keine Zeit zu verlieren. Die Bürgermeister und mehrere Rathleute beschlossen, nach Bederkesa zu entweichen, um dort abzuwar- ten, wie sie mit Hülfe auswärtiger Freunde, oder auch durch Beschwichtigung im Innern, vorzüglich von Seiten der Prädikanten, von deren Ergebenheit sie versichert waren, die Sache zu einem erwünsch- ten Ende bringen könnten.
Augenblicklich ritt der Bürgermeister Martin Heymborg nach Blumenthal, von da nach Bederkesa. Der Bürgermeister Daniel von Büren liefs heimlich ein Pferd am Pagenthurm vor dem Heerderthor be- reit halten, und ging in Hauskleidung, damit es nicht auffallen sollte, hinaus, bestieg sein Rofs, und ritt durchs Hollerland nach dem Schlosse Bederkesa. Sonntag Abends gingen die beiden anderen Bürger- meister und mehrere Rathleute durch den Marstall, setzten sich in einen Kahn, fuhren die Weser hin- unter in derselbigen Absicht, und Montag Morgens bei Anbruch des Tages folgten die Andern, als sie von der Entweichung Jener gehört hatten.
Diefs machte die Faction stutzig und hemmte einigermafsen ihren tollen Eifer. Einige der Frech- sten aber freuten sich und glaubten nun gewonne- nes Spiel zu haben, da die Machthaber aus dem Wege waren. Der zurückgebliebene Theil des Raths wurde angegangen, dafs er den ausgewichenen zur Rückkehr bewegen möge. Einige Nachgiebigkeit in Ansehung der Weide, obgleich mit Versicherung, dafs sie im Leben und Tod zusammen halten woli-
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ten, zeigte ein Schwanken unter den Neuerern. Die Ausgewichenen hatten, nach einem vorläufigen Schrei- ben an den zurückgebliebenen Rath, welches der Bürgerschaft vorgelesen wurde, auch an jedes der vier Kirchspiele insbesondere geschrieben; da aber die auf dem Domshof zusammenberufene Gemeine zu keinem Beschlufs kommen konnte , der eine sich für die Fortdauer der Hundert und vier, der andere für ihre Aufhebung laut erklärte, so riethen ver- ständige Leute, jedes Kirchspiel möge in seiner Kirche sich zur Fassung einer Gesammtmeinung ver- sammeln.
Am folgenden Morgen begab sich Johann Dove mit einem Theil seines Anhangs in Martinikirche. Der sehr lange Brief des ausgewichenen Raths wurde vorgelesen, darauf Dove ersucht, sich des Regiments zu begeben. Das Kirchspiel, obgleich klein, zeigte sich kräftig und unerschrocken für die gute Sache. Dove wurde muthlos, nur Wenige, die von des Comthurs Bier getrunken , wie der Chronist sagt, hielten ihm zu. Mehrere von den Hundert und vier, die zu diesem Kirchspiel gehörten, traten von ihm ab, und er machte eine klägliche Miene.
Der andere Wortführer, Wulbern Rolves, hatte U. L. F. Kirchspiel in seiner Kirche zu gewinnen gehofft; und als es hier auch nicht nach Wunsche ging, rief er mit lauter Stimme, wie sehr der Rath die armen Bürger betrüge, könne man an dem Scheffel des Kornhauses sehen, der viel zu klein sej. Man liefs ihn sogleich holen, mafs ihn und
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fand ihn gröfser. Der Lügner mufste hierauf ent- fliehen und sich mehrere Tage versteckt halten.
In Ansgarii Kirche zeigte sich guter Wille zum Besseren: da bestieg der Schmidt Meyer die Kanzel, und schrie, dafs auch die Bürgermeister und Rath- leute Theile der Weide besäTsen.
In S. Stephan, als dem damals ungebildetem Kirchspiele der Stadt , fand dagegen die Faction An- hang. Endlich traten zwanzig aus den Kirchspielen erwählte schätzbare Bürger mit mehreren des geblie- benen Raths zusammen, und unterhandelte zu Be- yersted mit dem ausgewichenen Rathe. Alles schien sich zum Frieden zu neigen und nach dem Wunsch der Gutgesinnten auszuschlagen.
Nach Pfingsten ging aber der Lärm wieder an durch das Gerede, jene Uebereinkunft sev nur zum Besten der Reichen. Abermals traten die Kirch- spiele zusammen, abermals zeigte sich derselbige Geist, in S. Martini gut, in S. Stephan schlecht, in den andern zwischen beiden, doch Ansgarii mehr für die Faction.
Der Augenblick war da, wo die Sache ohne Bürgerblut nicht mehr abgemacht werden zu können schien. In S. Stephans Kirchspiel rottirte man sich zusammen, da absichtlich Gerüchte yon Gefahr für die Faction verbreitet worden. Freilich hatten sich auch muthige Bürger und Junggesellen auf jeden Fall verabredet: auch hatte der Rath Rennern, dem Büchsenmeister, befohlen, unbemerkt in dem
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Büchsenhause auf dem Domshofe einige Kanonen für den Fall der Noth zu laden.
Es war allgemein die Rede, dafs der ausgewi- chene Rath mit gewaltsamer Hand eingelassen wer- den sollte; die aus Stephani Kirchspiel drangen da- her gegen Abend aus diesem noch damals durch Festungswerke getrennten Theile der Stadt in gros- ser Menge in die Altstadt. Als diefs den guten Bür- gern angesagt wurde , erschienen sie alsbald in vol- ler Rüstung auf dem Markt, und manche riethen zum Angriff auf die Steffener. Das schwere Ge- schütz sollte ihre Ordnung erst brechen, dann das reifsige Zeug eindringen und sodann die Schlacht- ordnung folgen. Alte erfahrne Bürger riethen ab 5 >> nicht alle unter uns,« sprachen sie, »sind darum un- sere Freunde, weil sie unter uns stehen.« Kampf- bereit standen also beide Theile der Stadt gegen einander bis zum Morgen, da ein Waffenstillstand gemacht wurde , und jeder wieder nach Hause ging«
Während einige Zeit Ruhe war, entfernten sich mehrere des gebliebenen Raths aus der Stadt, und neue Versuche wurden zu ihrer Aufrechthaltunor von der Faction gemacht. Martini Kirchspiel blieb auch jetzt standhaft. Bemühungen des Erzbischofs rich- teten nichts aus. Ein Tag zur Burg mit vier stifti- schen Edelleuten war auch umsonst. Da beschlossen Heine Woltken, Andreas van Lubbcke, Hinrich Hü- gen und Johann Cantor, mit gerüsteter Macht das Letzte gegen die Aufrührerischen zu versuchen. Jo- hann Dove, der das Häuflein der Hundert und vier
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täglich abnehmen sah, versuchte nochmals durch eine heuchlerische Anrede in S. Martini das Kirch- spiel zu gewinnen.
Auf Verordnung des gebliebenen Raths wurden am Mittwoch nach Bartholomäi alle Thore geschlos- sen Ton Morgens bis Abends, und die Kirchspiele versammelten sich abermals in ihren Kirchen. In S. Martini Kirche verlas Merten, des Raths Secreta- rius, den Beversteder Recefs, und verlangte von der Gemeine die Wiederherstellung der Dinge. Die Faction hatte viele Armen versammelt, die gewaltig schrieen, man müsse die Hundert und vier beibe- halten, und es dauerte eine ganze Stunde, ehe man sich verständlich machen konnte; endlich aber siegte die Gemeine, erklärte, sie wolle bei Ta- fel und Buch bleiben, und verlangte den Rath zurück in seine Rechte. Liebfrauen Kirchspiel ward den- selbigen Morgen aufgefordert, und that desgleichen. In Ansgarii Kirche aber erhoben die Schmiede, Flei- scher und Schwertfeger zwar einen grofsen Lärm, dennoch siegte auch hier die gute Sache. In S. Ste- phan kostete es mehr Mühe, das Beispiel der drei andern Kirchspiele wirkte aber zu mächtig, und Jo- hann Dove, der das Spiel verloren sah, da ihm von der Parthei nur Wenige mehr übrig waren, rieth nun selbst zum Nachgeben, vielleicht in dem Glau- ben, dadurch für sich selbst zu retten, was noch zu retten wäre.
Freitags darauf versammelten sich die vier Kirch- spiele auf dem Domshofe ; ein neues Sehreiben des
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ausgewichenen Raths wurde vorgelesen. Der Stadt- hauptmann Heine Woltken und Andere, sammt den herein verordneten Kriegsleuten aus den vier Gohen, von Lehe und Bederkesa, w7o sich der ausgewi- chene Rath aufhielt, waren gerüstet und schlachtfer- tig, welches der kräftigen Ermahnung Woltkens nicht wenig Nachdruck gab. Die ganze Gemeine erklärte sich für die Entsetzung der Hundert und vier.
Der versiegelte Brief, durch den der Rath die Hundert und vier hatte bestätigen müssen, wurde aus Johann Doves Haus auf der Wachtstrafse , wo er mit gröfster Sorgfalt verwahrt worden, herbeige- holt. Cord Hemeling besah die Urkunde, ob sie auch die rechte sey, hielt sie darauf hoch vor den Augen der ganzen Gemeine empor, und durchstach sie mit dem Messer zweimal. Bei diesem Anblick entblöfsten alle rechtlichen Bürger die Häupter und dankten Gott innig. Somit war die Herrschaft der Hundert und vier am Ende.
Rückkunft der Ausgewichenen.
Herrlich wurden die Bürgermeister und der Rath, begleitet von der stiftischen Ritterschaft, ein- geholt. Der Rathmann Berend Scharhar und die Hauptleute Woltke und Huge zogen mit vierzig ge- rüsteten Pferden bis Walle entgegen. Die ganze Stadt hatte sich wie zu einem Freudenfeste gerüstet; festlich waren alle Menschen geschmückt, prächtige Teppiche hingen aus den Fenstern, mit Blumenge- hängen waren Häuser und Strafsen geziert. Die
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Häuser und die Strafsen in der Nähe konnten die Menschenmenge nicht fassen, als der Rath mit einem Gefolg von hundert Reitern zu Ansgarii Thor herein zog. Es war eine Vorbildung der stets neu gebäh- renden Zeit jener nach viel schwereren Stunden wieder stattgehabten Einsetzung des Senats am 6. No- vember 1813.
Am Rathhaus stiegen sie ab , gingen gleich ge- stiefelt und gespornt hinauf, nahmen ihre Stellen wieder ein, dankten und lobten Gott; und wie nach guter alter deutscher Weise kein Freudenfest ohne guten und reichlichen Trunk gefeiert werden kann, so schenkte der Rath sogleich der Bürgerschaft, die in Toller Rüstung da stand, eine Last Bier auf dem Schütting zu vertrinken.
Der Freudentag sollte nicht durch Bestrafung der Frevler entweiht werden, aber Tags darauf wur- den die Rädelsführer ergriffen; da entliefen Viele, die sich schuldig wufsten, deren aber einige einge- holt wurden«
Die neue Eintracht.
Es ist nach bürgerlichen Unruhen gewöhnlich viel zu vergeben und zu vergessen; Mancher, wel- cher der besiegten Parthei zugethan gewesen, mag sich dem Sieger geneigt zeigen, und spricht nicht, um frühere Schuld nicht in Erinnerung zu bringen; die Herzen Vieler sind durch festliche Stimmung so hin- gerissen, dafs für den Augenblick die Folgen nicht be- rechnet werden. Diejenigen, die kühn, ehrgeizig und
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beredt gewesen, sind vernichtet. So diente auch das ganze so bedenkliche Ereignifs nur zur Befestigung des Raths und seiner Gewalt. Die neue Eintracht (d. h. Vertrag) enthielt die merkwürdigen Worte : »So denn ein vollmächtiger Rath, wie er von je gewe- sen, fortan zu ewigen Tagen seyn und bleiben solle.« *) Das Wesen eines gewissen Patriciats blieb, insofern man das Vorrecht des Raths sich selbst zu ergänzen behalten und befestigt hatte. Es konnte sich aber aus früher angeführten Gründen nicht zu einer eigentlichen Aristokratie ausbilden, da ein gewisser Grad der Verwandtschaft ausschlofs, da aus Mangel an Primogeniturvorrechten auf gewis- ses vom Handel unabhängiges Grundeigenthum keine Gewährleistung für den Bestand der regierenden Fa- milien vorhanden war, und der Rath, da die Besol- dungen, damals nicht stark, nur ein Ehrensold zu nennen waren, sehr häufig aus neu aufgekommenen Familien wählen mufste. Es wurde verordnet , dafs in Privatgesellschaften, Versammlungen der Kauf- leute oder Zünften keine Staatsgeschäfte verhandelt, auch die Kirchspiele nicht zu dem Zweck versam- melt werden sollten. Das Nöthige wurde verord- net, damit Keiner mit Unwissenheit des Bürgereides sich entschuldigen könne, oder hergelaufenes Gesin- del sich in Bremen aufhalten möchte. Der Rath will, so er Berathung mit der Gemeine für nöthig
*) N. Eintr. Art. 2.
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findet, selbst aus der Kaufmannschaft und den Zünf- ten die Männer auffordern, die er tüchtig dazu hält. — Die Kritik dieser Verordnungen gehört nicht hierher.
Den Schuldigen, insofern sie gegen den Rath sich vergangen, gelobte der Bürgermeister Daniel Ton Büren Vergessen und Verzeihung; aber nicht ungeahndet sollte bleiben was sie gegen Tafel und Buch gethan, als Mord, Verrath, Selbsthülfe, Raub.
Die Bürgerschaft genehmigte jene Artikel; und diese Urkunde, die man die Neue Eintracht nennt, wurde ron dem Erzbischof von Bremen, dem Bischof von Münster, Herzog Ernst von Lüneburg, den Grafen Anton von Oldenburg und Jobst von Hoya, den Lehnsmännern des Stifts, und den Städ- ten Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Stade und Buxte- hude gewährleistet. Die Unruhen hatten ohngefähr fünf Vierteljahr gedauert«
R eckensc Ii a f t.
Nachdem erst dieses geordnet, da wurde auch Rechenschaft über des Comthurs Ermordung und den Aufruhr gehalten. Eine Staatsveränderung, mit Vergiefsung unschuldigen Blutes begonnen, konnte nicht zum guten Ende gelangen; Drachenzähne wa- ren gesäet, wie konnte eine gute Aerndte erwartet werden? Schon früher hatte die Stadt durch einen Vergleich, theils als Schadenersatz, theils als Sühne, eine bedeutende Summe an die Mutter und die Ge- schwister de§ Comthurs bezahlen müssen. Sein
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Mörder, Johann Kremer, und zwei seiner Helfer wurden , ehe sie entfliehen konnten , ergriffen und enthauptet. Johann Dove wurde mancher früherer Verbrechen überführt, und litt, nachdem er den Rath um Vergebung gebeten, und die Bürger zum Gehorsam gegen die Obrigkeit ermahnt, den Ver- brechertod. Walbern Rühes war entkommen. Ein Rathmann, sein Freund, wollte ihn warnen, ohne den Eid der Verschwiegenheit zu verletzen, und ging an Rulyes Hause vorbei, und sagte: »Heute ist schönes Wetter, ziehet aus.« Rulves verstand den Wink und entfernte sich. Viele Andere wur- den mit Frau und Kind auf immer verwiesen. Es zeigte sich überhaupt, dafs Viele der Hundert und vier die Zeit ihrer Gewalt zu ihrer Bereicherung und Ausraubung Anderer benutzt hatten. Das Dom- kapitel zog mit Gepränge wieder ein, und um die Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen ^ trat es ein bedeutendes Stück Land zur Weide ab.
Unter Ungeheuern Verhältnissen, wo das Schick- sal ganzer Nationen und ihrer Herrscher auf dem Spiel steht, wo in einer Feldschlacht mehr Men- schen todt bleiben, als unser ganzer Staat Einwoh- ner zählt, mögen unsere Weidestreitigkeiten klein erscheinen. Aber da der Mensch in grofsen wie in kleinen Verhältnissen immer derselbe erscheint, da die Leidenschaften auf dem Thron wie in der Hand- werksstube sich in ihren Aeufserungen gleich sind, und nur sich durch die Masse ihrer Wirkungen un- terscheiden, so verdienen die Ereignisse kleiner
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Staaten, obwohl unwichtig in den Folgen, bei dem Freunde der Geschichte doch grofse Aufmerksam- keit: denn um so viel kleiner der Schauplatz dieser Ereignisse ist, um so leichter läfst sich das Getriebe der Leidenschaften erkennen, und um so leichter ein Maafsstab zur Beurtheilung grösserer Verhältnisse gewinnen. Und endlich ist das Wort klein und grofs sehr relativ. Johann Müller sagt: »Eine kleine Stadt, welche thut so viel sie kann, ist vor der Welt ehrwürdiger, als der mächtigste König, der seine Schuldigkeit nicht thut.
Krieg mit Junker Balthasar von Esens und Witmund (1537).
Junker Balthasar, Oheim des Herzogs Karl von Geldern, hielt sich in vielerlei Weise von den Bre- mern beleidigt, und hatte ihnen, als ihm in Bremen kein Aufenthalt, noch weniger Erlaubnifs, auf der Weser gegen seinen Todfeind, Graf Enno von Fries- land zu kriegen, zugestanden worden, fürchterliche Bache geschworen. Das erste war, dafs er Bremer Schiffe wegnahm. Eine versuchte Unterhandlung scheiterte an den Forderungen des Junkers; selbst nach der Beichsacht *) , die über ihn ausgesprochen
*) Reichsacht von Karl dem Fünften 1538. (S. Cassel ungedr. TJrk. 491-) Wicht Jedem ist die Formel der Acht bekannt. Es heifst in diesem Achtbriefe an die Fürsten und Städte deut- schen Reichs : Wir entbieten euch — dafs ihr den vorbenann- ten Balthasar für des Reichs Achter und Ungehorsamen haltet
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wurde, fragte er nichts, setzte sein Rauben fort, nahm sogar sechs Bremer Schiffe auf einmal weg.
Im Herbst bekamen die Bremer Nachricht, dafs auf der Elbe drei mit Bier beladene Schiffe für den Junker lägen, Sie pafsten auf, und erwischten sie, brachten aber nur zwei nach Bremen, In dem drit= ten nämlich hatte sich die Bremer Mannschaft in dem guten Hamburger Bier berauscht, den Esensern aber zu wenig mitgegeben, so dafs diese nüchtern blieben. Als nun jene in trunkenem Muthe in den Schlaf fielen, setzten diese sie ans Land, und brach» ten ihr Schiff glücklich wieder heim.
Bedeutend vermehrten die Bremer ihre Schiffs- macht gegen Balthasar, und es gelang ihnen, seinen Hauptmann Franz Böhme, der für ihn auf Seeräu- berei, besonders gegen die Bremer, zog, und oft die Mannschaft der genommenen Schiffe über Bord wer» fen liefs, mit seinen Leuten zu fangen j an die fünf
und meidet, ihn nirgends in unsern erblichen und euern, und des Reichs Fürstenthümern , Landschaften, Grafschaften, Herrschaften, Gebieten, Gerichten, Schlössern, Stadien, Märkten, Dörfern, Höfen, Häusern oder Behausungen nicht einlasset, behauptet, hofet, ätzet, tränket, enthaltet, leidet, oder geduldet, vorschiebet, durchschleppt, schützet, schirmet, beglei- tet, uder sonst einigerlei Gemeinschaft mit ihm habet, noch solches alles und jedes zu thun den Euern befehlt, oder ge- stattet, weder heimlich noch öffentlich, in keinerlei Weise, Wege oder Scheine; sondern sein Leib, Hab und Güter, wo ihr sie zu Wasser oder Lande betretet, erfahret oder findet, an. greift, niederlegt, verkümmert, arretirt und verhaftet; — was an des gemelten Balthasars Achters Leib, Hab und Güter vor- genommen und gehandelt wird , das soll als nicht gegen das heil. Reich gefrevelt angesehen werden.
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und achtzig Mann, die als Seeräuber (auch nach dem Verlangen der Gubernatorin der Niederlande, Maria von Oestreich) angeklagt wurden. Sie ent- schuldigten sich, dafs eine Ladung Juden zugehört, auch seyen sie in Diensten eines regierenden Herrn. Auf Letzteres wurde ihnen gesagt, dafs Junker Bal- thasar in der Reichsacht sey und auf kein Recht Anspruch machen könne. Es wurde also über sie, als überwiesene Seeräuber, das Todesurtheil gefällt.
Der Herr von Mohrkirchen wurde hierauf, um seiner Familie Willen, im Ansgarii -Thor bei ver- schlossenen Pforten enthauptet, in einen Sarg ge- legt, und auf Ansgarii Kirchhof beerdigt, die andern aber alle auf der Richtstätte enthauptet und auf Rem- berti Kirchhof begraben*
Als Balthasar diefs erfuhr, liefs er ebenfalls einige in seinem Gewahrsam befindliche Bremer ent- haupten. Die mit der Execution gegen ihn beauf- tragten Reichsstände verhielten sich still, und Bal- thasar, wie man in Bremen vernahm, rüstete sich.
Indessen sandte Fräulein Maria, Herrin von Jever*),
*) Sie war die letzte Abkümmlingin von dem grofsen friesischen Häuptling Sibetb Wimken Papinga. Da ihre Mutter eine Gräfin von Oldenburg war, so vermachte sie ihre Herrschaft an Ol- denburg. Durch Anton Günthers Anordnungen kam hernach Jever an die Kinder seiner Schwester Magdalena, einer ver- ehelichten Fürstin zu Aiihalt-Zerbst. — Als ein gewisser ost- friesischer Graf sich um Fräulein Mariens Hand bewarb, nach- dem ihr Graf Enno von Friesland untreu geworden, schlug sie ihn aus mit den Worten: ,,Ich weifs wohl, er freit mehr um meinen grünen Rock, als um meine Person." Sie meinte da- mit ihre fruchtbare Herrschaft.
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ihren Rath Boing yon Oldersum an den Rath mit Klage, wie Balthasar ihr Land ausgeplündert und gebrannt, und verlangte Hülfe. Der Rath schickte den Stadthauptmann Andreas von Lübbcke in3 Jeve- rische; dieser vertrieb mit Hülfe der Kriegsleute des Fräuleins die Feinde , und nahm das Esenssche ein. Balthasar hatte nur noch die Burgen Esens und Witmund, die nun, jene von den Bremern, diese von den Jeverischen belagert wurden (29- Septem- ber 1540). Rathmänner und Aelterleute waren im Lager vor Esens zur Kriegsverwaltung; der Stadt- hauptmann, Bürgermeister Hoyer, konimandirte die Belagerung. Sehr viel und schweres Geschütz wurde aufgepflanzt, die Stadt wurde in Brand geschossen, und eine Kugel fiel beinahe in Balthasars Kranken- zimmer. »Ich wollte , ich könnte mein Land in den Abgrund treten, damit es die Bremer nicht bekä- men«: diefs war sein Sterbegebet, und damit schied er von hinnen. Vor Esens fand der Stadtrittmei- ster, der früher genannte treffliche Heine Wöltke, seinen Heldentod. Nach Balthasars Tod ergaben sich beide Schlösser, welche an Bremen fielen. Der Rath belehnte mit beiden Herrschaften den Schwe- stersohn Balthasars, den jungen Grafen Johann von Rietberg, gegen eine bedeutende aber dennoch für die Kriegskosten unzureichende Summe,
Bremen im schmalkaldischen Bunde.
Bremen konnte in dem Kriege Kaiser Karls des Fünften mit dem schinalkaldisehen Bunde um so weniger unberührt bleiben , da , trotz einer aus- führlichen Verteidigungsschrift gegen die Anklagen des Erzbischofs wegen Vertreibung des Domkapitels und Aufhebung des katholischen Gottesdienstes im Dom , trotz des Beweises , dafs nur von der un- ruhigen Faction gewaltsam zu Werke gegangen wor- den, und diefs nicht dem Rath, der ja auch so gut wie das Domkapitel der Gewalt habe weichen müs- sen, so wenig als der ganzen Gemeine zuzuschrei- ben sey, dennoch der Kaiser lieber das Geschehene als von der Gesammtheit ausgegangen ansehen mochte. Von keinem Reichsstande Entschuldigungen zuzulas- sen lag in seiner damaligen Stellung gegen das deut- sche Reich, wo die Religion nur als Vorwand vor- geschoben wurde.
Im Anfang des Jahres 1547 naheten sich aus den Niederlanden die kaiserlichen Feldherren Jobst von Croning und Christoph von Wrisberg durch Westphalen der Stadt Bremen, die sich gehörig vor» sah und die Befestigungswerke in Stand setzte.
Achtzehn Fähnlein und fünf hundert Reiter schlössen die Stadt ein.
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Der Erzbischof stand zur Burg auf dem Kirch- hofe, sah die brennenden Häuser im Stadtgebiet, freute sich herzlich und lachte laut. Diefsmal war seine Freude umsonst.
Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen , der auf die Treue der Stadt Bremen vor allen andern Ständen des schmalkaldischen Bundes sein höchstes Vertrauen setzte (wie sie denn auch nebst Magdeburg von allen niedersächsischen Städten dem Bund allein treu blieb) schickte den Grafen Christoph von Ol- denburg mit dreifsig Pferden nach Bremen.
Viele eigenthümliche zum Theil spafshafte Vor- fälle fanden bei der Belagerung statt.
Die Bremer unter ihrem Anführer Andreas Lübbcke erfochten manche kleine Vortheile, und jagten den Feinden manche Zufuhr ab , so zu Lande wie auf der Weser; und es gereichte den Bremern die Wohlfeilheit aller Lebensmittel, besonders der wunderbar reiche Fischfang , der oft in einem Zug sechszig Lachse gab , nicht wenig zum Vortheil. In einem Scharmützel wurde Croning tödtlich verwun- det; den Tag darauf kamen sieben stark bemannte hamburger Schiffe die Weser herauf, den Bremern zu Hülfe. Diefs veranlafste Wrisbergen die Belage- rung aufzuheben und ins Stift zu ziehen. Er hatte die Stadt sechs Wochen eingeschlossen gehalten.
Indessen erschien Herzog Erich von Braun- schweig, vom Kaiser gesandt, vor Bremen, und for- derte die Stadt auf, die aber nun erst Alles aufbot, um sich zu verwahren; doppelte Pallisaden, viele
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tausend spitzige Pfähle in die Erde gesetzt, Fang- gruben dicht beieinander vom Osterthor bis an S. Stephani, Siedpfannen, Pechkränze, Mastbäume auf dem Wall und der Brustwehr , um die Stürmen- den nieder zu schlagen. Den Hamburgern wurde die Weser bis zur Mündung zur Yertheidigung über- geben. Yon S. Martini bis zur Hollmannsburg wurde eine Schanze zur Deckung der Weser aufgeworfen, mitten in den Flufs grofse Mastbäume mit Ketten und Anker befestigt, damit weder Flö'fse noch Schiffe sich der Stadt nahen konnten. Ober der Holzpforte wurde der Flufs mit doppeltem Pfahlwerk gesichert, die Weserbrücke zu beiden Seiten mit Tuch behan- gen, und alles Bauwerk aufserhalb der Stadt ver- nichtet.
Indessen war Erich mit neun und zwanzig tau- send Mann und viel schwerem Geschütz an der einen Seite der Weser angekommen, und Wrisberg, der sich seit einiger Zeit nach sechswöchentlichem ver- gebenem Bemühen entfernt hatte, zog nun auch wie- der heran. Eine abermalige Aufforderung Erichs wurde vom Rath eben so standhaft wie die erste beantwortet.
Nun wurde die Belagerung ernstlicherer Art, sogar wollten die Feinde die Weser abgraben; und obgleich die Bremer in keinerlei Weise den Muth sinken liefsen, ja sogar im Ganzen in allen Gefech- ten siegten, so war es doch ein fröhlicher erster Mai^ an welchem die Nachricht kam, dafs Graf Chri- stoph von Oldenburg, vereint mit den Hamburgern,
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drei tausend Mann stark, in Herzog Erichs Land gefallen sey, und zum Entsatz von Bremen heranrücke. Das schwere Geschütz Erichs tjiat nicht yiel Scha- den $ und als er eines Abends zwölf Schüsse nach der Stadt thun liefs, ein Triumph über des Kurfür- sten von Sachsen Gefangenschaft bei Mühlberg, wo- von eben die Nachricht eingegangen, so war es den Bremern keine geringe Freude, dafs von allen diesen Schüssen nur drei junge Katzen im Neste, auf der Tiefer, erschossen worden, welches den Feinden mit spöttischem Lob ihres männlichen Mu- thes zugerufen wurde. In der Stadt blieben von allen Schüssen in der ganzen Belagerung nur eine Kuh und ein junger Mensch todt.
Während so der Erfolg für die Kaiserlichen sehr zweifelhaft schien , erhielt Erich Nachricht, dafs Albrecht von Mansfeld, auf seinem Rückzug aus der Schlacht bei Mühlberg ihm ins Land gefallen sey und von da ihm nach Bremen nachrücken wolle. Auf diese Nachricht hob Erich mit Wrisberg die Belagerung auf, zog am 22. Mai ab, und die Stadt hatte die entzückende Genugthuung, mit trefflicher Gegenwehr sich gezeigt zu haben, so wie nun mit Freudigkeit den Feind, der auch nicht das Geringste ausgerichtet, heimkehren zu sehen. Der Herzog ging gerade nach Hoya; der Oberst sollte seinen Weg über Verden eben dahin nehmen, konnte aber nicht zur bestimmten Zeit, da das Geschütz oft im Sande stecken blieb, zu Hoya eintreffen.
Die Schlacht bei Drackenburg befreite Bremen
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von dem Feinde. Herzog Erich verlor viele Men- schen an Todten und Gefangenen, dazu achtzehn Stück grofses Geschütze, darunter folgende ge- nannte: der Leopard, die Nachtigall, die Katharine von Sachsen, die Sängerin, der fliegende Drache, der Falk u. s. w. , die nach Bremen gebracht wur- den, und zehn Jahre bis zur Rüchgabe auf dem Domshof standen. Auch Erichs Streithengst und prächtige Pistolen fielen in die Hände der Bremer. Die Zahl der getödteten Feinde betrug 2500, die Zahl der Gefangenen 2519. Auf den Pfingsttag wurde sämmtlichen Fürsten und höhern Offizieren des siegreichen Heeres auf dem Schütting ein treff- liches Gastmahl gegeben.
Bremen wurde gegen einige Opfer, die es brin- gen mufste, von der Reichsacht frei. Die Lehns- herrlichkeit über Esens und Witmund mufste an den Kaiser abgetreten und Mitunterhaltung des kaiserli- che» Kammergerichts angelobt werden.
Fi e 1 i g i o n s u n r u h e n.
Unter den in Bremen mit Festlichkeit empfan» genen Fürsten und Herren war ein Mann, der für Bremen wichtig werden sollte, der Prediger Albert Hardenberg, der in der Schlacht nebst andern Prä- dikanten mit Beten und Singen die Krieger zur Schlachtfreudigkeit ermuntert hatte. Er war ein Friese , der sich früh zu den neuem Lehren ge- wandt, in Löwen die akademischen Würden erhal- ten, in Mains Vorlesungen gehalten, später in Löwen
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gelehrt hatte und verwiesen worden war. Da er sich jedoch nicht von der katholischen Kirche losge- sagt, so fand er Aufnahme im Kloster Aduwert, ver- liefs es aber wieder, begab sich nach Wittenberg zu Melanchton , wurde sein Freund, und von ihm dem Kurfürsten Hermann zu Cöln als geistlicher Beistand zugeschickt. Er hielt sich darauf abwech- selnd bei ihm und in Strafsburg und Zürich auf. Die Entsetzung des Kurfürsten hatte auch die Dienstlosigheit Hardenbergs zur Folge, der nun zu dem Heere des schmalkaldischen Bundes ham, das Bremen von der Belagerung befreite. Bei dieser Gelegenheit wurde er, nachdem der Dom seit 1532 bis 1547 unbenutzt geblieben, von den nunmehr meistens protestantisch gewordenen Domherren als erster lutherischer Prediger am Dom angestellt.
Um diese Zeit wurde Bremen der Schauplatz spitzfindiger theologischer Streitigheiten, die wir hier mit Recht übergehen würden, als menschlicher Betrachtung unwürdig, in so fern sie zwecklos sind, wenn nicht Unruhen im Staat und Einmischung aus- wärtiger Mächte in die Angelegenheiten desselben die Folgen davon gewesen wären.
Timann, Prediger an Martini Kirche hatte im Jahr 1555, weniger auf die heilige Schrift als auf das Ansehen alter und neuer Gottesgelehrten gegrün- det, mit vieler Heftigheit in einem Buche behauptet: dafs der menschliche Leib Jesu nach dem Grundsatz der Allgegenwart Gottes, bei allen Geschöpfen gegenwär- tig sey. »Wo der Sohn Gottes ist,« hiefs es, »da ist
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auch Mariens Sohn, in demselben Augenblick zu Rom, zu Jerusalem und in Friesland; er ist z.B. in einem Apfel und in einer Birne, so gut wie er im Brod des Abendmahls ist; indefs wird uns im Apfel und in der Birne der Leib Christi nicht ausgetheilt, wie es vom Brode gesagt ist u. s. w.« Es ist War, wie solcherlei Untersuchungen in abweichende Meinun- gen vom Abendmahl übergehen mufsten , in welchen Hardenberg eine Hauptrolle zu spielen gezwun- gen war.
Was soll man sagen, dafs um solche Zänkereien der König von Dänemark an den Rath einigemal ge- schrieben, die Gräfin von Ostfriesland, der Graf Von Oldenburg sich darum bekümmert, die Kreisstände sich versammelt hatten ; dafs Hardenberg, ein gelehr- ter, aufrichtiger, seinen Zuhörern theurer Mann, der an klarer Einsicht hoch über seinen Kollegen stand, aus Bremen und dem niedersächsischen Kreise verwiesen und seines Amtes entsetzt wurde; dafs in der Osterwoche 1562 drei Bürgermeister, seehszehn Rathsherren, fünf Prediger und viele Bürger, die es mit dem gröfsten Theil des Raths gegen Hardenberg gehalten, auswichen, um benachbarte Mächte für ihre Absichten zu gewinnen, und neue Rathsherren an ihre Stelle gewählt wurden; dafs die Stadt aus der Hanse gestofsen und erst nach dreizehn Jahren wie- der aufgenommen wurde; dafs die Ausgewichenen, mit Ausnahme einiger, zwar wieder zurückkehrten, aber nur als gemeine Bürger, und von Neuem den Bürgereid schwören mufsten; dafs demohngeachtet
hei aller dieser Verwirrung keine Veränderung der Religion in Bremen statt fand, Melanchtons Lehre vom Abendmahl Beifall behielt, dabei aber die Augs- burgische Confession, Luthers Katechismus u. s. w. für symbolische Bücher der bremischen Kirche in dem verdenschen Vertrag erklärt wurden? Der Dom blieb sieben und siebenzig Jahre wieder verschlos- sen. Die Anhänger Zwingiis nahmen in dem Ver- hältnifs zu als die Lutheraner abnahmen, und es bil- dete sich zwischen beiden Partheien eine Stellung, die oft zu unangenehmen Auftritten Veranlassung gab, die Familien spaltete, oft zur Intoleranz führte, und der Stadt eine Physionomie aufdrückte , die noch jetzt in mancher Beziehung allzu kenntlich ist. Seit dem Jahre 1698 bestand der Rath aus lauter; Reformirten, und hierüber wurde festgehaken bis das neunzehnte Jahrhundert zu liberaleren Ideen führte.
Indessen hatte die Reformation auch die politi- schen Verhältnisse der Stadt sehr geändert. Der im Jahr 1566 verstorbene Erzbischof Georg, aus dem Hause Braunschweig, war protestantisch gewe- sen. Johann Adolph fand, als er sich verheirathete, bei dem Domkapitel Widerspruch, eben so sein Nachfolger Johann Friedrich , dessen Heirath darüber nicht zu Stande kam. Unter seinem Nachfolger, ei- nem dänischen Prinzen, der den Dom in Bremen wieder Öffnen lies und den lutherischen Gottesdienst unter Protestation des Raths einführte, kam das nun säkularisirte Erzstift Bremen erst durch den Krieg, dann durch den westphälischen Frieden unter sehwe-
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disehe Herrschaft und die von dem Erzbischof so oft versuchten Ansprüche an Bremens Reichsunmit- telbarkeit gingen nun auf Schweden über, und wur- den auch geltend gemacht. Diefs geschah ums Jahr 1652 auf eine gewaltsame Art *).
Der damalige Statthalter der Herzogthümer Bre- men und Verden war Graf KÖnigsmarh. Ohngeach- tet der Inhibition von Seiten des Kaisers fuhr er fort Bremen zu bedrängen, besetzte einen Theil des Gebiets der Stadt, befestigte die Burg, einen wichtigen Pafs über die Lesum, Bremen hatte ein Häuflein von 4000 Mann in Dienst genommen, dazu harnen die wohlbewaffheten und geübten Bürgerkom- pagnien. In einem Ausfall waren sie so glücklich, die Schanze zur Burg, auch diejenige bei Vegesack zu erobern und die Stadt Verden zu brandschatzen. Auf dem Rückweg aber wurden sie von den Schwe- den eingeholt und mit einem Verluste von 180 Mann geschlagen.
*) Die Streitigkeiten wegen der Immediatät haben in den zwei vorletzten Jahrhunderten der Stadt viel Beschwerde verursacht und zu manchen Vertheidigungsschriften Veranlassung gege- ben, da doch einen langen Besitz als ungültig ansehen und die Rechtmäfsigkeit desselben seit langen Jahren erwiesen sehen zu wollen allen denen, die in einem Besitze sind, die grofste Gefahr droht. Fast kein deutscher Reichsstand hätte sieb rühmen dürfen, unangefochten zu bleiben, wenn ein mächtigerer als er solche Untersuchungen angestellt , und die Rechte, welche der Besitz und die Zeit giebt, für ungültig erklärt hätte. Aber auch selbst, dieser hat zu befürchten, dafs früh oder spät seine Grundsätze gegen ihn selbst geltend gemacht werden. ,
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Am fünften September eroberte jedoch Konigs- mark die Burg wieder, und es kam am sechsten, als gerade bei einem grofsen Bufstag die Bremer in den Kirchen versammelt waren, die Kunde, durch Verrätherei seyen die Schweden schon in der Stadt, und der Verräther sey der Bürger Statius Speckhan.
Der Bath war von der Kirche gleich aufs Bath- haus gegangen; dorthin stürmte der Pobel nach und beging Gewalttätigkeiten in der Bathsstube; doch als es sich auswies, dafs Alles nur ein blinder Lärm ge- wesen, begab sich Jeder wieder nach Hause.
Indem nun Königsmark neue Angriffe auf die Stadt bereitete, traten benachbarte Fürsten und Städte ins Mittel, und so wurde ein Waffenstillstand, dann ein Vergleich zu Stade 1654 geschlossen; durch wel- chen Bederkesa nebst dem Gericht und dem Flechen Lehe den Schweden abgetreten, auch ihre Territo- rialhoheit über Blumenthal und Neuenlurchen vor- behalten, die Frage wegen der Immediatät aber auf weitere Traktate verschoben wurde; ein schwe- discher Bevollmächtigter empfing die Huldigung der Stadt in der Art, wie sie früher den Erzbischö- fen war geleistet worden; doch empfing auch der Kaiser in Wien die Huldigung Bremens im Jahr 1660 als einer freien Beichsstadt.
Die Stadt konnte jedoch keiner langen Buhe entgegensehen, und der Bath liefs die Bürgerschaft kompagnienweise Mann für Mann in die Pfarrkirchen fordern, und Jedem wurde die Frage vorgelegt: ob er in bevorstehender Gefahr Gut und Blut für die
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Freiheit der Stadt aufopfern wolle? Die Antwort war ein begeistertes Ja. Anordnung von Bufs- und Bettagen für Stadt und Gebiet wurde nicht unterlas- sen und die Stadt rüstete sich aufs Beste zum Streite, im Fall gütliche Unterhandlungen mit der schwe- dischen Regierung zu Stade ohne Erfolg bleiben sollten.
Am neun und zwanzigsten August 1666 begann der schwedische General Wrangel die Feindseligkei- ten, beschofs die Stadt, jedoch ohne Erfolg. Die Bremer wehrten sich aufs Beste und thaten glück- liche Ausfälle. Nach erfolgter Einrede des Kaisers vermittelten die Kurfürsten von Cöln und Branden- burg, die Herzoge von Braunschweig und Lüne- burg und der Landgraf von Hessen-Kassel den Ver- trag, den man den Habenhäuser nennt. Die wich- tigsten Punkte desselben waren, dafs die Stadt ihr Sitz - und Stimmrecht auf dem Reichstage vom Ende des damaligen Reichstages an bis zum Jahre 1700 nicht in Ausübung bringen, und sich in Geschäften mit der Krone Schweden des Titels Reichsstadt ent- halten sollte. Jener Reichstag hat aber bis zu den grofsen Veränderungen im deutschen Reich, welche gegen das Ende des letzten und den Anfang dieses Jahrhunderts geschahen, nie aufgehört; die Stadt kam also nie in den Fall, ihr Sitz- und Stimmrecht auf dem Reichstag aufgeben zu müssen.
Am 20. November 1666 zog Wrangel von der Stadt ab.
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Seit dieser Zeit bietet die bremische Geschichte wenig dar, was den Leser anziehen konnte.
Der westphälische Friede hatte den Kriegen der kleinen Reichsstände ein Ende gemacht; und ob auch Bremen einmal ein Fähnlein dem Kaiser im Türken- krieg zu Hülfe geschieht, so war es doch mit dem Waffenruhm der Bürgerschaft vorbei. Nicht mehr zogen krieggeübte Bürger unter Anführung von Rath- männern und Aeltermännern aus den Thoren, um Nachbaren zu schützen oder zu bekriegen. Ritterli- che Tugenden und Turniergeschicklichkeiten schmück- ten nicht mehr den Bürger, und es blieb ihm fast kein anderes Verdienst zu erwerben , als ein fleifsi- ger Handelsmann und sparsamer emsiger Handwer- ker zu seyn. Grofsherzige Gesinnungen schrumpfen in dem bürgerlichen Gewerbsleben ein; Angriffe auf die Regierung können nicht mehr statt finden, da, wo Jeder nur darauf denkt, wie er sein eigenes Ich am Besten versorgen kann. Statt stahlgerüsteter Bürger erscheint ein abgelebter, geringgeschätzter, mit Spottnamen bezeichneter Söldner auf schlecht unterhaltenen Wällen. Die Geschichte verliert das Schönste , wenn das offene Gegeneinanderstreben der Leidenschaften , der Kampf der Unterdrückten gegen die Uebermacht, des Rechts gegen das Un- recht sich in ein sorgsames Verwahren, Beobachten verliert. Die Blitzfunken, welche aus den Reibun- gen der Leidenschaften sprühen und die Tiefe und Höhe der Menschheit in raschen Lichtern erscheinen lassen, bilden den grofsen Reiz alterthümlicher Ge-
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schichten. Dem neunzehnten Jahrhundert war es vorbehalten, die kriegerischen Tugenden der Vor- fahren neu aufleben zu sehen.
Aeltermanns - Kollegium.
Schon früher ist von den Aeltermännern der Kaufmannschaft, auch Collegium seniorum genannt, gesprochen worden, und wie dasselbe auf dem Wege der natürlichen Ausbildung des Staats, ohne geschaffen zu werden, nach und nach in ein Ver- hältnifs zur Staatsgewalt gekommen ist. Ich ver- weise auf die Unruhen der 104 Männer und was bei Gelegenheit der neuen Eintracht im Allgemeinen an- geführt worden, und erwähne jetzt nur der Vor- fälle, durch welche dem Aeltermanns-Kollegium ver- tragsgemäfs sein Wirkungskreis, so wie ejr bereits gröfstentheils durch Herkommen bestimmt gewesen, zugeordnet wurde.
Die Aeltermä'nner sind zu allen Zeiten als Ver- treter der Bürgerschaft und ihrer Rechte gegen den Rath angesehen worden. Alles, was sich auf Han- del und Schiffahrt bezog, stand unter ihrer Leitung, als den erfahrensten, wichtigsten und redlichsten ihres Standes. Deputirte des Kollegiums und der Bürgerschaft repräsentirten die Stadt und hiefsen Stadtsorten (consortes). Zu Krieg, Frieden, Bünd- nissen mufsten sie um Zustimmung angefragt, von den Stadtgütern mufste ihnen Rechenschaft abgelegt werden. Die Zusammenkünfte der Senioren auf dem Kauf hause oder Schütting , zur Berathung über
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auch über die Bewahrung der bürgerlichen Rechte waren herkömmlich, Da sie in den Senat gewählt werden konnten, so war es ein gebräuchliches Mit- tel, die geistreichsten und unruhigsten, welche ir- gend ein dem Rath unangenehmes Vorhaben forder* ten, bei der ersten Vakanz in den Rath zu versetzen und so aus der Opposition heraus zu ziehen. Ein Mittel, das jedoch nur selten gebraucht werden konnte, da unter einem Personal von 28 Personen die Vakanzen nicht häufig waren.
Es hatte sich unter ihnen ein Esprit de corps im Verlauf der Zeiten ausgebildet, der sich er- hielt, da das Kollegium sich eben so gut selbst ergänzte, als der Rath. So wie einige Aeltermänner im Jahre 1523 durch Anregung der Weidestreitig- keiten den Rath in grofse Verlegenheit setzten, sich selbst aber am Ende die Uebermacht der Facti on eben so sehr über den Kopf wachsen sahen, so dafs zusammenstimmendes Verfahren mit dem Rath nothig wurde, eben so verfafste der hernach so unglücklich gewordene Aeltermann Burchard Losekanne mehrere Beschwerden Namens der Bürgerschaft, welche von dem Kollegium und andern angesehenen Bürgern auf dem Schütting unterzeichnet wurden $ nämlich 2 die Stadt sey in bessere Verfassung wider äufsere Gewalt zu setzen, die Justiz bedürfe einer Reform, manche Unordnungen bei Verwaltung des gemeinen Guts Seyen abzuschaffen, auf Erhaltung alter bürgerlicher Rechte müsse sorgsamer geachtet werden , das Poli- zeiwesen sey mangelhaft. Der Senat erkannte zwar
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die Absicht solcher Beschwerden als billig an, indes- sen wurde Alles eine Reihe von Jahren hin gehal- ten. Mehrere der bedeutendsten Bürger, die sich bei diesen Beschwerden eifrig gezeigt, wurden bei vorkommenden Vakanzen in den Rath genommen und so beschwichtigt. Lösehanne, der sich in den Beschwerden des Aeltermanns-Kollegiums gegen den Rath vorzüglich thätig gezeigt, fiel bald nach die- ser Zeit in den Verdacht, dafs er mit den Schwe- den Verbindungen unterhalte, welche die verräte- rische Uebergabe der Stadt zum Zweck hätten, und wurde enthauptet.
Der Rurzrockisclie Vergleich.
Indessen dauerten die Berathtmgen der Ael- termänner und Bürger im Schütting fort.
Ein Aeltermanns-Eid wurde von dem Kollegium eingeführt, der unter andern dem gewählten Aeltermann die Verpflichtung auferlegte , nie etwas von des Kol- legiums Interesse zu verrathen, wenn er je in den Rath sollte gewählt werden. Beschwerungen, eine über die andere, wurden dem Rath eingegeben, die- ser legte bei Strafe dem Kollegium auf, ohne Wort- führer oder Syndikus vor dem Rath zu erscheinen. Bei einigen Gelegenheiten war der eine oder andere Aeltermann , w enn er beschwerend vor den Raths- stuhl trat, mit dem Ehrentitel Bellhammel begrüfst worden.
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Unter solchen Umständen traten endlich Aelter- snänner und Bürger zusammen, und das Kollegium wandte sich »pro conservanda libertate contra iinpe- titiones Senatus« an den Kaiser. In dieser Schrift ist das Collegium seniorum und die Bürgerschaft als eins betrachtet und die Verfassung geschildert als nur sehr wenig aristokratisch *). Eigenmächtige persönliche Benutzung städtischer Gefälle wurde dem Rath Schuld gegeben, und überhaupt um Gerechtig- keit gegen die Anmafsungen desselben gefleht, da »imminens libertatis pristiniejue Reipublicae Status periculum« vor der Thüre sey.
Jetzt erklärte der Rath den obenerwähnten Aeltermanns-Eid für null und nichtig, und die- jenigen , so ihn geleistet, als nicht dadurch ge- bunden; auch sey das Aeltermanns-Wappen nicht zu gestatten, und würde, wo es sich an Öffentlichen Oertern in den Fenstern gemalt befände, weggenom- men werden.
Auf Antrag der Aeltermänner beim Kaiser wurde dem Rath jedoch jede Neuerung dieser Art unter- sagt.
Die Entscheidung in dieser Sache, nachdem
*) Mit Anführung der Stelle aus Koppen deciss. „Consules atque senatore» in nostris civitatibus Gerraaniae guhernandae quidam civitatis curam habere, sed quando de rebus magni momenti agitur ipsi soli potestatem non habent sed necesse est con- Tocari civitatera, vel qui curara omnium gerunt" u. s. w. Durch die neue Eintracht war ein gewaltiger Rifs in dieses urdeutsche Recht gemacht worden.
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noch manche Schriften gewechselt worden, wurde endlich dem Könige von Dänemark, als Grafen von Oldenburg aufgetragen, und dieser übertrug dem kaiserlichen Residenten in Bremen , Freiherrn von Kurzrock, den Vergleich zu Stande zu bringen, Diefs gelang am 17. Mai 1681. in der Geschichte unserer Stadt kennt man dieses Uebereinhommen unter dem Namen Kurz rockischer Vergleich. Da in demselben allenthalben nur von competirem- den Prärogativen die Rede ist , so wurden oft noch neue Erörterungen nöthig, obgleich im Ganzen die Aeltermänner ihren Willen durchgesetzt hatten. We- gen der Versammlungen in bürgerlichen Angelegen- heiten heifst es also : Die Aeltermänner könnten zwar in kompetirenden Angelegenheiten 4o bis 50 Handelsleute auf dem Schütting versammeln, aber was zum Regiment und zur Beratschlagung des Raths allein gehöre , darüber könne nichts von ihnen berathschlagt noch beschlossen werden; doch können solche bürgerliche Klagen von dem Kollegio dem Rath mit geziemendem Respekt und Bescheidenheit rekom- man dir t, von demselben nach Billigkeit reflec- tirt, die Aelterleute mit aller Liebe, Vernunft und Bescheidenheit tractirt werden, sie auch mit an- dern angesehenen Bürgern Kaufmanns- andere und gemeine Wohlfahrt der Stadt betreffende Sachen, jedoch nach Unterschied der Umstände, dem, alten Herkommen gemäfs vornehmen, und soll ihnen daran Part gegeben werden. Die Versöhnung wurde auf
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dem Schütting mit einer kostbaren Fastenmahlzeit abundant gefeiert *).
Reichs Unmittelbarkeit Bremens.
Die für Bremen so beschwerliche und oft er- neuerte Frage wegen der Reichsunmittelbarkeit wurde endlich durch ein Reskript Georg des Zwei- ten im Jahre j 731 zu Gunsten der Stadt entschieden.
Fortan führte die Stadt unverkümmert den Ti- tel kaiserliche freie Reichsstadt, und zahlte unmittel- bar ihren Beitrag zu den Reichs- und Kreissteuern: in dem Stader Vergleich 1741 trat Bremen das Amt Blumenthal, das Gericht Neuenkirchen, die Dör- fer Mittelsbühren, Niederbühren, Grambeke, Mohr, Oslebshausen, Wasserhorst, Wummsiehl, Nieder- blockland und Vahr mit aller Landeshoheit ab , be- hielt sich aber das Eigenthum des Hafens Vegesack und der niedern Gerichtsbarkeit über den Flecken Vegesack und die acht letztgenannten Dörfer vor.
Der siebenjährige Krieg.
In diesem Kriege kam Bremen als Reichsstadt in die Lage, so wenig von den Franzosen, als von den Verbündeten geschont zu werden, trotz ihrer erklärten Neutralität. Lieferungen an Geld und Vorräthen wurden von beiden Partheien gefordert, die Stadt wurde mit Eincjuartirungen belästiget und
*) Des Chronisten Costers Ausdruck.
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das Zeughaus zum Theil vorzüglich yon den Hanno- veranern ausgeräumt.
Dann brachte aber auch dieser Krieg zum er- stenmal jenes zweifelhafte Beförderungsmittel der Kultur, welches bis dahin unter der Obhut eifriger Geistlicher, als eine Pest, war vermieden worden, eine Schauspielertruppe unter Josepins Direction, die zwischen beiden Brüchen spielte. Indessen so wie sie mit dem Kriegsvolk gekommen, mufste sie mit demselben auch wieder abziehen.
Das Merkwürdigste nach diesem Kriege war ein Aufruhr der Schneidergesellen im Jahr 1791« Man sähe, wohin eine sonst der Ruhe ergebene Menschenklasse gelangen kann, wenn sie einmal in einen gereizten Zustand versetzt worden. Sie waren erzürnt, dafs die Meister auch unzünftige Gesellen in Arbeit nah- men, ohne zu bedenken, dafs diese ihre Arbeit wahr- scheinlich besser machten, als die zünftigen. Sie wiegelten hierauf auch die Gesellen anderer Zünfte, besonders der Zimmerleute auf. Die Garnison und sogar Bürgerkompagnien wurden zur Stillung dieser Unruhen, die mehrere Tage dauerten, aufgeboten, und da der Pöbel sich auch darein mischte , so mufste endlich Gewalt angewandt werden, wobei einige Menschen todt blieben.
Das neunzehnte Jahrhundert,
Sehr lästig fühlte noch immer die Stadt so manche vormalige erzbischöfliche Rechte, Güter,
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Einkünfte und Häuser, die, als das Erzstift säkula- risirt wurde, an Schweden, dann an Hannover ge- kommen waren. Durch die Regensburger Reichsde- putation im Jahre 18o2 wurde Bremen dieser Last entledigt. Der Dom mit allem in Bremens Ring- mauern befindlichen hannoverischen Eigenthum, Ein- künften und Rechten wurde hierauf der Stadt über- geben, so auch die meisten derjenigen Gebiets- teile, welche im Jahre 174l durch den Stader Vergleich an Hannover abgetreten worden und noch jetzt zu dem bremischen Stadtgebiet gehören.
Bei der Aufhebung der Unmittelbarkeit der freien Reichsstädte waren nebst den Hansestädten nur einige andere ausgenommen worden, bald liefs man nur jenen noch ihre alte Verfassung und Frei- heit. Bremen hatte durch seine Neutralität einen höchst vorteilhaften Handel, und fühlte sich glück- lich, jedoch nicht ohne Sorgen. Es wäre für Napoleon ein Kleines gewesen, die von ihm früher begünstigten kleinen hanseatischen Freistaaten in ihrer Lage zu lassen * allein das ContinentalsTstem, dem man über- haupt seinen Untergang mittelbar fast allein mit Recht zuschreibt, konnte ohne den Besitz aller Küsten der Nordsee für Deutschland nicht durchge- führt werden. Damals nannte er die Hansestädte Faktoreien der Engländer, ein überspannter, lächer- licher Ausdruck, der in neuern Zeiten ohne Ver- stand nachgesprochen worden ist. Noch ehe Bre- men förmlich in Besitz genommen war, begann es schon das drückende Joch Frankreichs zu fühlen.
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Die auffallendste Abnahme des Handels folgte zu- nächst daraus. Als diese Stadt darauf mit dem gan- zen Unterweserlande, unter dem Titel: »Departe- ment der Unterwesermündungen« in Besitz genom- men wurde, verlor sie ihre freie Verfassung, er- hielt dagegen den Titel einer bonne ville de l ern» pire, mit der Voraussetzung, sie solle gut genug seyn, alle Schmach und Unbill ruhig zu ertragen *). Zugleich wurde sie der Hauptort des Departements der Wesermündungen und der Sitz eines Tribunals.
Die Leiden, die Opfer, die Belagerung und Einnahme dieser Stadt, ihr Patriotismus, ihre leb- hafte Theilnahme an dem Befreiungskrieg — das Alles ist noch in zu frischem Angedenken, als dafs es hier weitläufiger Auseinandersetzung bedürfte.
Man weifs, wie thätig die deutschen und russi- schen Truppen im Herbst des Jahres 1813 an der Niederelbe zu Werke gingen. Man erwartete mit jedem Tage in Bremen eine Veränderung der Dinge, als Tettenborn schnell mit einem aus Kosacken und Lützowern bestehenden Corps auf Bremen zu mar« schirte , indefs Davoust an der Stechnitz unbeweglich stand. Die Besatzung von Bremen bestand aus zwölf hundert Schweizern, unter dem Kommando des Ober- sten Tullier. Schon den folgenden Tag, nachdem
*) Napoleon hatte keine sonderliche Meinung von der Gesinnung seiner guten Stadt Bremen. Er sagte einmal zu den Deputirten dieser Stadt: „Ma bonne ville de Bremen est Ja plus mal inten- tionne de tout mon empire."
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die Stadt beschossen worden , wurde der Oberst am Osterthor von der Kugel eines Jägers getö'dtet, worauf die Besatzung abzog. Diefs geschah am vier- zehnten Oktober. Die Bremer konnten sich leider nicht lange dieses glücklichen Ereignisses erfreuen, denn schon acht Tage später rückte ein Heerhaufen von 1500 Mann Franzosen heran und besetzte wieder die Stadt. Da jedoch indessen die Schlacht bei Leipzig vorgefallen war, so konnte Tettenborn am 4. Novem- ber nach Bremen zurückkehren, wo augenblicklich unter allgemeiner Freude und Rührung die alte Ver- fassung wieder eingeführt und der Rath eingesetzt Wurde (6- November).
Kaum fühlte sich Bremen frei, als es auch mit der lebhaftesten Begeisterung, trotz der langen ge- werblosen Zeit, mit Opfern aller Art bereit war der guten Sache aus allen Kräften zu dienen. Der pa- triotische Frauenverein, die vielen freiwilligen Ga- ben, selbst aus den Spartöpfen der Kinder und des Gesindes, die Schaar von Jünglingen aus den besten Häusern unter dem Lützowischen Corps, die Kom- pagnien, welche der Zuckerfabrikant Böse auf eigene Kosten warb , ausrüstete und ins Feld führte : Alles diefs erinnert an die kriegerischen Tugenden der alten Bremer vor dem westphälischen Frieden, und wird in der Geschichte unvergefslich bleiben. Seit jener Zeit hat die Stadt wieder bedeutend an Wohl- stand gewannen, der sich auffallend in der zuneh- menden Verschönerung der Privat- und öffentlichen Gebäude zu erkennen giebt,
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Reform der Verfassung.
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Nicht umsonst sollte ein gleichrnäfsiger Zustand, der Jahrhunderte gedauert hatte , eine Reihe von Jahren unterbrochen gewesen seyn. Jetzt, oder viel- leicht nie, war der Zeitpunkt gekommen, wo, durch die traurige Erfahrung belehrt, dafs Alles auch an- ders seyn könne, als es bisher immer gewesen, die Einsichtsvollem erkannten dafs die Ideen des Bes- sern zur Wirklichkeit gebracht werden konnten. Die Gemüther waren durch das Unglück der Zeiten hinlänglich gereift.
Seit der neuen Eintracht ist in der Verfassung unserer Republik keine wesentliche Veränderung, bis zur gänzlichen Aufhebung derselben durch die Franzosen , gemacht worden. Bald nachdem die Stadt von dem fremden Jüche frei geworden, schritt man zu einer Verbesserung der Verfassung, um sie mit den Wünschen der Zeit übereinstimmender zu machen. Noch ist man nicht ganz damit zu Stande gekommen. Anerkannt sind zwei Gewalten im Staat: der Senat , und die auf dem Konvent versammelte Bürgerschaft; beide bilden den Staat und haben gemeinschaftlich die Hoheit. Ein Theil des Senats beschäftigt sich mit der Administration, der andere mit der Justiz. Dafs beide in demselbigen Kolle- gium sind, hat zu vielen und gerechten Erinnerun- gen von Seiten der Bürgerschaft Veranlassung gege- ben, und es wäre die Trennung, wenn sie auf irgend eine Art möglich gemacht werden könnte , zu wün-
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sehen. Der Regierungssenat besteht mit Inbegriff der beiden Syndiher aus vierzehn Personen, die Zahl der Nichtstudirten dabei darf nicht unter fünf und nicht über sechs seyn. Der Justizsenat besteht aus fünfzehn Mitgliedern gelehrten Standes. Die Zahl der Bürgermeister ist vier.
Der Senat hat neben der vollziehenden Gewalt das Recht der Oberaufsicht über alle verfassungs- mäfsig bestehenden Staatseinrichtungen, das Recht in Polizeisachen Verordnungen zu erlassen, die Bücher- censur, die Repräsentation des Staats im deutschem Bunde, die Aufnahme neuer Bürger, das Recht der Ernennung und Beeidigung zu Staatsämtern und Be- dienungen, die Ertheilung von Privilegien und Con- eessionen, in sofern sie nicht durch die gesetzge- bende Gewalt, nämlich Rath- und B ür ger s chlufs, beschränkt ist, die Begnadigung und Milderung in Strafsachen, die Ertheilung von Dispensation in Ehe- sachen, die Ausübung des juris circa sacra und der Episcopalrechte im protestantischen Sinn, die freie Verfügung über 10000 Rthlr. , jedoch mit der Be- dingung, Rechnung davon abzulegen, die Ansetzung der Zusammenkünfte mit der Bürgerschaft oder deren Repräsentanten, die Verwaltung des Staatsguts mit verfassungsmässiger Theilnahme der Bürgerschaft, das Recht der Gesetzgebung und Besteuerung u. s. w. gemeinschaftlich mit der Bürgerschaft. Die nähern Bestimmungen zu jedem Artikel konnten hier, um Weitläuftigkeit zu vermeiden, nicht mitgetheilt wer- den. Das was dem Justizcollegio des Senats zu-
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kommt, ist das Gewöhnliche und bedarf der Anfüh- rung nicht.
Wittheit nennt man die Versammlung des ganzen Raths. Vor denselben gehören die Regie- rungsgeschäfte im engern Sinn, namentlich die aus- wärtigen Angelegenheiten, die Finanzsachen uncL die Polizei.
Die wichtigste Veränderung war das neue Sta- tut in Betreff der Wahl der Senatoren. Die Ver- änderungen des Raths überhaupt, sind früher in der Geschichte unseres Staats beschrieben worden. Seit der neuen Eintracht ergänzte sich der Senat selbst, jedoch waren viele Verwandtschaftsgrade ausgeschlos- sen, so dafs dadurch einer Aristokratie von wenigen Familien oder nur einer vorgebeugt war. Es wurde nun die zeitgemäfse Idee aufgestellt, dafs durch die Mitwirkung der Bürgerschaft bei der Wahl die Ver- fassung demokratischer, und jeder möglichen Einsei- tigkeit bei der Rathswahl vorgebeugt werden würde. Die Wahl wurde also nun so bestimmt: »Der ver- sammelte Konvent wählt zwölf Bürger, diese loosen vier aus ihrer Mitte; eben so loost der Senat vier von den seinigen; diese acht treten zusammen, und bringen drei Kandidaten zum Vorschlag, aus denen der Senat einen wählt.«
Jede Korporation hat gewisse, in ihrem Wesen gegründete, ihr Bestehen ausmachende Maximen, die einer auf einem andern Standpunkte entweder nicht fafst, oder gar verabscheut, oder dessen Charakter und Handlungsweise vermuthen läfst, dafs er sie
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nicht in sich aufnehmen werde. In solchem Falle würde z. B. die Selbstergänzung eines Körpers am zweckmäßigsten seyn. Da aber Zeiten kommen, wo ein neues Lebensprinzip oft in einem Körper an die Stelle des lang bestandenen aber nun abgestorbe- nen treten mufs, so mufs bei Zeiten gesorgt werden, dafs Wahl und Zufall gemischt sey. Unbedingte Wahl aus sich verursacht Aristokratie , und wenn nicht Verwandtschaftsgrade ausgeschlossen sind, Herr- schaft einer oder weniger Familien; eben so wer- den schlechte Grundsätze alsdann stagnirend. Durch Zufall können neue belebende Elemente in eine sol- che Korporation kommen, was absichtlich durch \Vahl nie würde geschehen seyn. Die Wahl ganz dem Zufall zu überlassen, konnte grofse Gefahr bringen. Die neu vorgeschlagene Art in den Rath zu wählen war ungemein gut ersonnen, um Zufall und Absicht auf gleiche Weise wirken zu lassen.
<Dafs der Rath aber ein altes wichtiges Recht aufgab, konnte von verständigen Leuten nicht ohne Verwunderung bemerkt werden. Von dem, der ein wichtiges Recht freiwillig aufgiebt, wird natürlich vorausgesetzt, dafs von der andern Seite einem noch wichtigeren entsagt werde. Die Sache fand jedoch mit Recht Beifall; auch selbst die Klausel, dafs nun nähere Verwandtschaftsgrade zugelassen werden könn- ten, da durch Theilnahme der Bürger an der Wahl kein Aristokratismus zu befürchten sey. Bei der Frage, ob solche Verwandtschaftsgrade mit sechs oder sieben Stimmen zugelassen werden konnten,
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bestand der Senat sehr dringend auf den sechs Stim- men und setzte diefs auch gegen die Bürgerschaft
durch.
So sehr, es zu beklagen wäre , wenn zufallig durch die ausschliefsenden Verwandtschaftsgrade die geschicktesten und gescheutesten Leute des Staats zu einer gewissen Zeit keine Mitglieder der Regie- rung sern könnten, so möchte doch diefs in einer Demokratie, wo jeder Bürger sein Geschick und Wissen auf mancherlei Art allgemein nützlich ma- chen kann , kein grofses Unglück seyn; zumal da in einer Regierungskorporation mehr die herkömmli- chen Maximen regieren, als der politische Geist des Individuums. Ein Unrecht wäre es auf keinen Fall, wenn ja ein Gesetz darüber bestände ; eine Unbil- ligkeit eben so wenig, da ja nicht das Mitregieren der Zweck ist, nach welchem ein guter Bürger stre- ben und welchen er billig einweise erreichen soll, sondern eben derjenige und kein anderer, als ein guter Bürger zu seyn. Dafs Niemand weder eine Un- gerechtigkeit noch Unbilligkeit in der Unfähigkeit meh- rerer Bürger zur Regierung zu gelangen finden würde, könnte sich bald zeigen, wenn nach dem bekannten Spruch *) die Republiken auf den Fufs gesetzt würden, dafs die Staatswürden nur Lasten und keine Yortheile gewährten. Die Bürgerschaft lasse es sich
*J Republiken hao ich gesehn, und das ist die beste,
Die dem regierenden Theil Lasten, nicht Fortheil gew ährt.
G ö t h c.
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nur stets angelegen seyn, die selbstständigsten, ein- sichtsvollsten und redlichsten Bürger zu Wahlherren zu ernennen. Und was ist überhaupt zu befürchten, wenn beide Wahlpartheien nach ihrem Gewissen wählen, da sie ja hierauf einen Eid ablegen müs- sen, und jede schlechte Wahl nicht allein den bür- gerlichen Wählern und den Ihrigen , sondern auch den Verwandten und Nachkommen der Wähler aus dem Senat, als Gliedern des Staats, in negativem oder positivem Sinn verderblich werden würde.
Eine zweite wichtige aus den Verfassungsbera- thungen hervorgegangene Veränderung ist der an- ders angeordnete Konvent. Bis dahin war kein Bür- ger verpflichtet, auf dem Konvent zu erscheinen, sondern jeder der konventsfähig war , erschien, wenn ihn die vorhabenden Sachen interessirten oder blieb zu Haus, wenn das nicht der Fall war.
Der Konvent stimmte nach den vier Quartieren der Stadt, unter der Leitung der Aeltermänner, welche die Stimmen der Bürger sammelten , und aus den vier Votis der Kirchspiele ein Votum bildeten, welches der Bürgerworthalter vor den Rath brachte. Durch den Einflufs der Aeltermänner, da sie die zu ver- handelnden Materien vorher in ihren Versammlun- gen diskutirt und zum Vortrag vorbereitet hatten, konnten die Stimmen der Bürger leicht geleitet wer- den; und so wie der Rath sich durch diese Oppo- sition oft im Unnützlichen gehemmt sah , so konnte er auch oft, wenn Einseitigkeit oder Partheigeist dazu kam, das Gute nicht durchsetzen. Um die
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Aeltermänner von diesem Einflüsse zu entfernen, wurde es der Bürgerschaft begreiflich gemacht, dafs sie bisher unter einem eigentlichen Zwang ge- standen, und an die Stelle der bisherigen Art zu votiren Plenarversammlungen vorzuziehen seyen. Die Idee wurde durch den Zeitgeist begünstigt, und fand Beifall. Nach der neuern Ansicht der Dinge stand freilich das Kollegium der Aeltermänner sehr im Wege , wenn es, seinem herkömmlichen und rechtlich begründeten Standpunkte gemafs, mehr seyn sollte, als blofs der Vorstand der Kaufleute.
Die Mangelhaftigkeit der bürgerlichen Plenar- versammlungen zeigte sich jedoch bald und fast bei jeder Versammlung. Es liefs sich auf der einen Seite nicht verkennen, dafs gewisse Kenntnisse in staatsbürgerlichen, Verwaltungs- und Gewerbsver- hältnissen, durch Ueberlieferung erworben und durch eigene Erfahrung bestätigt und vermehrt, gewisse Maximen, deren Tüchtigkeit durch Jahrhunderte ge- prüft und bewährt worden , nur durch ein stabiles Kollegium bewahrt werden konnten. Hiezu kam noch die Verwahrung eines eigenen wichtigen Ar- chivs. Ein solches Kollegium ganz seines Einflusses berauben wollen, mufste wohl Bedenken verursa- chen, vorzüglich da bei demselben kein minderer Eifer für das Wohl des Staats vorausgesetzt werden konnte, als bei dem Senat, und die Mitglieder oben- drein fast unentgeldlich ihre Zeit opferten.
Einer der wichtigsten Einwände war, dafs sich das Kollegium nicht immer gut ergänze. Diefs
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konnte beseitigt werden, wenn die Wahl der Ael- termänner so wie die neuere des Raths angeordnet wurde, nämlich die Aeltermänner durch die Bür- gerschaft auf Lebenszeit zu Repräsentanten wählen zu lassen. Somit war das Vortheilhafte des Kolle- giums gerettet, das Nachtheilige vermieden und das Mittel , gewisse erprobte Kenntnisse und Staatsgrund- sätze zu erhalten und fortzupflanzen war gefunden.
Um nun aber das Versteinern derselben zu ver- hüten und die Repräsentation ganz tüchtig zu ma- chen, hätte die Bürgerschaft eben so viele oder doppelt so viele jährlich oder zweijährlich zu wäh- lende zeitliche Deputirte hinzugesetzt. So hätte es weder an der anhaltenden noch an der forttreiben- den Kraft gefehlt.
Es ist nämlich zu bemerken, dafs an einem Handelsplatz nur wenige Familien sich ein Jahrhun- dert, geschweige denn mehrere hindurch, in einem gewissen Zustande von Wohlhabenheit erhalten. Diefs ist vorzüglich in Bremen seit dem Specula- tionshandel in ferne Welttheile der Fall 5 also seit beinahe vierzig Jahren; der Zustand der Glücksgü- ter ist seitdem weit schwankender und Ungewisser geworden als vorher. Seitdem sind eine grofse Menge neuer Namen hier aufgekommen, Bürger, die ihre Jugend hier nicht verlebt haben, nicht aus dem Munde ihrer Väter bremische Geschichten und Ange- legenheiten gehört, und nicht an der Brust ihrer Mutter die Liebe zu der freien Stadt Bremen ein- gesogen haben. Für manche von ihnen ist nur die
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Möglichkeit an einem solchen Platze durch den Han- del zu gewinnen der Betrachtung werth; und in wie- fern die Verfassung und die Unabhängigheit dieser Stadt auch für ihren pecuniären Vortheil wichtig ist, das liegt ihnen zu fern; denn wenn es nicht mehr so seyn sollte, wie es ist, so haben sie ihr Ver- mögen im Portefeuille, und nehmen es mit; oder wenn sie auch im Portefeuille nichts haben , so bringen sie um so leichter ihre Thätigkeit anders wohin.
Ohne besonderes patriotisches Interesse für die Stadt, ohne Kenntnifs ihrer Verfassung, Gesetze und Geschichte, ist es ihnen lästig und deucht ihnen überüüfsig, den Bürgerkonvent zu besuchen, der ihnen die Zeit zu ihren Geschäften oder Vergnügun- gen raubt, und mit dessen Gegenständen sie nur wenig vertraut sind, oder welche, wenn dieselben sie nicht unmittelbar angehen, sie ohne Theilnahme lassen.
Ich sage dieses von Bremen, und unsere neuen Bürger in Bremen brauchen diefs nicht besonders auf sich zu beziehen , aber es ist allenthalben so, wo sich ähnliche staatsbürgerliche Verhältnisse wie in Bremen linden, und es hat sich auf dem letzten Bürgerkonvent des Jahres 1820 gezeigt, als bei der Anfrage, ob die auf zwei Jahre konventspflichtigen Deputirten aus den verschiedenen Korporationen auch ferner den Konvent besuchen oder sich ablösen las- sen wollten , dieselben sich einstimmig für das letz- tere erklärten. Alle Mittel, die also der Senat auf-
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geboten hatte, die häufigere Besuchung des Konvents zu bewirken, waren fehlgeschlagen, und es hat sich erwiesen, dafs so wie in Athen dem die Volksver- sammlung besuchenden Bürger eine Schadloshaltung für die versäumte Zeit aus der Staatshasse gegeben werden mufste, diefs auch in andern kleinen Staaten fast nöthig seyn möchte.
Aber nicht allein diese Abneigung den KonTentt zu besuchen, sowohl von Seiten der Nichtverpflich- teten, als derer, die auf zwei Jahre durch Wahl dazu verpflichtet waren und diefs als einen sehr lästigen Zwang ansahen , bewies das Mangelhafte der neuen Einrichtung , sondern so manche un- überlegte Vorschläge und Anträge des Einen und des Andern, der doch nicht umsonst in der Bürgerversammlung stehen wollte , drangen die Ueberzeugung auf, wie weit schneller das Ziel er- reicht werden würde, wenn eine vaterländische, konstitutionsmäfsige , nicht klubartige Korporation erst unter sich einen Gegenstand debattirt hätte und ihn dann zur Sprache brächte. So wird eine Sache gleich beim rechten Ende angefafst, ver- nünftige, überlegte Gründe finden gleich Billigung von Seiten der Redlichdenkenden und Verständigen, und Zeit und Verdrufs wird erspart; und da man sagt, dafs jenes Abstimmen nach Quartieren zeitrau- bender gewesen, so hätte diefs wegfallen müssen. Dafs die Opposition gegen den Senat dadurch ge- wichtiger und bedeutender wird, ist nicht zu leug- nen; wäre sie aber unter solchen Umständen, wenn
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auf beiden Seiten das Gute gesucht wird, zu scheuen? Ja ginge auch die Opposition über ihre Schranken, was nach der niäfsigen Gesinnung des Deutschen nur selten so der Fall seyn würde, wie bei andern Völkern, so liegt auch diefs selbst in ihrer Natur, in- dem bei stets zu erwartendem Widerspruch der re- gierende Theil nicht leicht einen unüberlegten Schritt thun wird, im entgegengesetzten Falle aber, wenn die Idee volksgemäfs und gemeinnützlich ist, leicht seinen Weg gehen und um so mehr im Ansehen ge- winnen wird, als nicht ohne Einrede und Schwie- righeit eine Maafsregel durchgesetzt worden. Einen Ersatz soll die Vorbereitungsdeputation geben, welche aber auch noch nicht zu Stande gekommen. So wie denn überhaupt die Verfassung Bremens in yielen Stücken nur provisorisch ist, und bei dem langsa- men Gange der Dinge hann es auch noch Jahre dauern, ehe man mit der Reform ganz zu Stande gekommen seyn wird.
Es läfst sich nicht leugnen, dafs seit der neuen Einrichtung des Konvents im Verhältnifs früherer Zeiten eine weit gröfsere Menge nützlicher Be- schlüsse gefafst und ausgeführt worden ist, indem eine Opposition, wenn sie im Partheigeist handelt, das Gute wie das Böse hindert; wo aber wenig oder keine Opposition vorhanden ist, da geschieht das Gute, so lang es gut geht; das BÖse kann aber eben so gut an die Reihe kommen, und auf jeden Fall, wie die Geschichte aller Freistaaten beweist, leidet das Staatsvermögen da, wo wenig oder keine Oppo-
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sition ist, sehr Noth, indem die Geldbewilligungen selten Anstand finden.
Nach den neuern Veränderungen in der Verfas- sung sollte das Kollegium der Aeltermänner aus sechs- zehn Personen, nebst einem oder zweien Syndikern, die aber der Rath nur Konsulenten genannt wissen will, bestehen. Allein die Bürgerschaft verlangt deren zwanzig. Bis zur entschiedenen Sache bleibt wie bisher die Zahl unbestimmt. Das Kollegium ergänzt sich selbst, so wie es sich auch seinen Prä- sidenten aus seiner Mitte erwählt. Ein Aeltermann, der fallirt, kann so wenig mehr ein Aeltermann seyn , als ein fallirter Bürger überhaupt konvents- fähig ist. Zahlt er späterhin all sein Verschulden ganz nach, so ist er rehabilitirt. Man braucht nach dieser Bestimmung nicht zu erstaunen, wenn in Bremen die Rechtlichkeit so weit geht, dafs ein fallirter Kaufmann, selbst nachdem er akkordirt hat , doch bei wiederkehrenden Glücksumständen gern den Rest nachbezahlt.
Der Elsflether Zoll.
Die Stadt Bremen hatte seit undenklicher Zeit die Oberherrlichkeit über die Weser bis zur gesal- zenen See behauptet und ausgeübt. Die ältern Friesen -Häuptlinge an der untern Weser konnten nichts dagegen einwenden, und begnügten sich mit Seeräuberei an bremischen Schiffen und Gütern. Der Erzbischof war in diesen Gegenden der einzige
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mächtige Fürst, der es versuchen konnte, an der Weser unterhalb Bremen Burgen anzulegen und Zoll zu erheben; aber wir haben gesehen, dafs es ihm immer nur auf kurze Zeit gelang, dafs die Bre- mer des Bischofs Burgen zerstörten, und jedesmal eine Entsagung jenes Rechtes auf den Weserstrom urkundlich erl angen. Als vollends Bremen auf kurze Zeit den Besitz des Butjadingerlandes erhielt, konnte keine Rede mehr davon seyn, so lange nicht das Gebiet eines ziemlich mächtigen Fürsten an die We- ser grenzte , und so lange ein ehrwürdiges , stets behauptetes, und durch unablässige Ausübung be- gründetes Herkommen über Gründe anderer Art zu siegen vermochte. Aber auch selbst die von Olden- burg an der Weser erbauten Schlösser waren zer- stört, oder ihre Erbauung gerichtlich bestritten wor- den. Wiederholte Verträge mit Oldenburg untersagten die Anlegung von Zöllen und Burgen an der Weser unterhalb Bremen. Dazu hatte die Stadt Bremen fast allein jederzeit Alles gethan, was dazu dienen konnte, den Strom schiffbar und von Seeräubern frei zu erhalten. Und diefs hätte hinreichend seyn müssen, wenn auch nicht geläugnet werden konnte, dafs die Diplome von Karl dem Grofsen und Hein- rich dem Fünften, in welchen auch jener der Stadt Bremen übergebenen Jurisdiction über die We- ser bis zum Meere gedacht wurde , anbrüchiger Art waren.
Die Lage der Dinge änderte sich, als ein klei- nes Geschlecht in diesen Gegenden sich nach und
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nach erhob und seine Besitzungen an der Weser ausbreitete. Dem Grafen Anton Günther von Ol- denburg war es vorbehalten, diese schwierige Sache durchzusetzen. Das Haus Oldenburg hatte sich schon auf den Reichstagen von 1562, 1565 und 1570 um einen Zoll auf der Weser bemüht. Schon im Jahre 1612 auf dem Wahltage zu Frankfurt am Main und drei Jahre darauf zu Prag bei Kaiser Ma- thias hatte er erläutert, wie sein flaches Land, von Meer und Flüssen stets bedroht, hostbare Dämme zum Schutze bedürfe, wenn nicht, wie schon so oft geschehen, ganze Landstrecken mit Städten, Dörfern und ihren Bewohnern ein Raub der Wellen werden sollten. Ja es sey zu befürchten, dafs ohne diese hostbaren Anstalten mit der Zeit Niedersachsen gröfstentheils von der Nordsee verschlungen , und so das gesammte deutsche Reich bedeutender Ab- nahme ausgesetzt seyn werde. Selbst jene Dämme seyen von steter Zerstörung bedroht, und bedürften kostbarer Unterhaltung. Auch die Weser schiffbar zu erhalten, und manches Andere erfordere grofse Ausgaben; dazu gebühre ihm eine Entschädigung, und diese sey am füglichsten durch einen Zoll an der Weser zu erlangen.
Es wurde hierauf eine Kommission zur Lo- kaluntersuchung ernannt. Diese erstattete einen den Absichten des Grafen günstigen Bericht und ohngeachtet Bremen und einige andere Reichsstädte, besonders auch die Generalstaaten lebhaft protestir- ten, so gestattete das Kurfürsten -Kollegium, das
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schon durch die Zusicherung, dafs die Waaren kur- fürstlicher Unterthanen zollfrei seyn sollten, gewon- nen war, dennoch dem Grafen den Zoll.
Es ist wahrhaft zu bewundern, mit welcher Be- harrlichheit und Klugheit der bremische Senat in dieser der Bürgerschaft so höchst wichtigen Sache vierzig Jahre lang gegen einen Fürsten operirte, der durch gewinnende Persönlichheit, durch ver- wandtschaftliche und andere Verbindungen, so wie durch hluge Räthe ein so wichtiger Gegner war. Dafs aber Anton Günther Alles an die Erlangung des Zolles setzte, war nicht zu verwundern, da sich später auswies, dafs der Elsflether Zoll den fünften Theil sämmtlicher oldenburgischer Landeseinhünfte ausmachte. Dafs aber auch Bremen rastlos gegen den Zoll arbeitete, war dieser Stadt nicht zu ver- denken, da durch diesen Zoll ihren herkömmlichen Rechten offenbar zu nahe geschah, die Waaren ver- theuert und die Konkurrenz mit andern deutschen Seeplätzen bedenklicher wurde, ohne anderer Schwie- rigkeiten zu gedenken.
Dreimal wurden die protestirenden Bremer und ihre Fürsprecher vom Kurfürsten -Kollegium abge- wiesen und dem Grafen wurde im Jahre 1623 das kaiserliche Zolldiplom ausgefertigt. Damit war aber die Sache bei weitem nicht beendigt.
Als der Zoll angeordnet war, die Erhebung des- selben begonnen hatte und Alles im Reinen schien, da fing erst der rechte Kampf an, der so lange fort- dauern , ja sogar noch ziemlich weit ins neunzehnte
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Jahrhundert hinein Zwistigheilen erregen und Ge- müther erbittern sollte. Die Bremer suchten nicht allein durch hluge Abgeordnete Freunde zu gewin- nen, sondern auch mit Gewalt zu verhindern, dafs der Zoll nicht Thathraft erlangen möchte.
Der Erzbischof von Bremen, aus andern Ursa- chen persönlich gegen Anton Günther erbittert, brachte es beim Kaiser dahin, dafs derselbe aber- mals eine Kommission ernannte, und nochmals das Gutachten der Kurfürsten forderte. Ohngeachtet nun die wiederholten Bemühungen und Einreden der Bremer in demselben sehr getadelt wurden , so legten diese doch noch bedeutendere Macht an die Zollstätte, um die Schiffe von Bezahlung des Zolls ab- zuhalten, und brachten es sogar zu Stande dafs die Sache zum grofsen Verdrufse der Kurfürsten völlig vor den Reichshofrath gezogen und von neuem eine haiserliche Kommission zur Untersuchung ernannt wurde, vorzüglich auch zur Prüfung der Ansprüche Oldenburgs auf die Jurisdiction über den We- serstrom.
Als beim westphälischen Frieden auch die einge- schlichenen Zölle zur Sprache harnen, war es die Sache der Bremer, den Weser- Zoll als einen sol- chen darzustellen, so wie Anton Günthers, demsel- ben durch Einrüchung in das Friedens - Instrument Kraft auf immer zu geben.
Da der Graf Rüchsicht für die schwedischen Unterthanen des sahularisirten Erzstifts Bremen in der Zollerhebung zu nehmen versprach, so war die
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Einrückung der Zollsaclie kaum einem Zweifel mehr unterworfen: und wie sehr auch die Bremer Alles aufboten, um diese verderbliche Einrückung zu ver- hindern, so geschah sie dennoch, und der Graf war demnach durch den westphälischen Frieden in dem Besitz des Zolles bestätigt. Die Bremer boten jetzt Hundert tausend Thaler zur Abkaufung des Zolles, welche nicht angenommen wurden , worauf sie nach wie vor die Erhebung des Zolls verhinderten.
Schwedens Yortheil heischte indessen, dafs die Ausführung dieser Zollsache unter der Hand aufge- halten würde , und zwar wegen des vorauszusetzen- den Heimfalls der Grafschaft Oldenburg an Däne- mark, da Anton Günther ohne eheliche Nachkom- men war. Besonders durch den ernsten Beistand der Generalstaaten und der andern Hansestädte ge- wann Bremen so viel, dafs Anton Günther sich nun, da Alles wegen der Zollsache im Beinen zu seyn schien, mehr als je bedrängt sah.
So fest sich jedoch die Generalstaaten stets für die Bremer gegen den Grafen , ja sogar ihren Wil- len sich mit bewaffneter Hand der Bremer anzuneh- men, mehrmals erklärt hatten, so war doch zuletzt gar nicht mehr von der Sache die Bede, wegen des zwischen Holland und England ausgebrochenen Krieges.
Die Stadt Bremen , die nun sich selbst überlas- sen war, wurde wegen ihres Ungehorsams (1652) in die Beichsacht erklärt. Der kaiserliche Herold wurde jedoch nicht in die Stadt eingelassen, mit
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der Ausrede, dafs man Mifshandlungen des Pöbels gegen ihn fürchte. Er verlas also am Wartthurm das Executionsurtheil, und zur Anheftung der Achts- erklärung blieb ihm nichts Anderes übrig, als zwei Weidenbäume aufserhalb des Schlagbaums.
Die früher erzählten Angriffe Schwedens auf' die Reichsunmittelbarheit Bremens, die um diese Zeit statt fanden, machten es jedoch dem Rath zur Notwendigkeit, nicht weiter zu widerstreben. Die Stadt bedurfte des Beistandes des Kaisers und der Kaiser mochte es auch nicht dahin kommen lassen, dafs eine der mächtigsten Reichsstädte sich den Schweden hingäbe. Von beiden Seiten fanden sich also weniger Schwierigheiten. Die Bremer erkann- ten den Zoll an, zahlten den halben Poenfall und 73000 Thaler zur Entschädigung des Grafen und sei- ner Unterthanen, und der Kaiser hob die Acht auf.
Die neue kaiserliche Zollbelehnung ward am 20. August 1653 ausgefertigt. Der Zoll betrug da- mals nur 17000 Thaler. Wie sehr der Handel auf der Weser oder eigentlich der bremische Handel aufblühte, läfst sich aus der jährlich steigenden Zu- nahme des Zolls bis zu seiner Aufhebung ermessen.
Die bremischen Bürger, die sich in dieser höchst schwierigen Sache vorzüglich auszeichneten, waren die Syndici Buxtorf und Wachmann, und die Raths- herrn von Bobert und Erbbrochhausen.
Man zählt an die vierzig Druckschriften in latei- nischer, deutscher und holländischer Sprache, welche in dieser Weserzollangelegenheit gewechselt worden.
Als am Ende des achtzehnten Jahrhunderts viele Verhältnisse im deutschen Reich sich änderten, er- wachte auch bei dem Bremer Rath die Hoffnung, sich des drückenden Zolls , der nun schon seit dem westphälischen Frieden auf der Stadt gelastet hatte, entledigen zu können. Thätige und einsichtsvolle Männer, die Bürgermeister Gröning und Smith und der damalige bremische Geschäftsführer, jetziger Se- nator Horn, wirkten höchst zweckmässig in Regens- burg, Rastadt, Paris und beim Bundestag in Frank- furt, so dafs endlich am 1. Mai des Jahres 1820 der Zoll sein Ende nahm, jedoch nicht ohne einige kleine Nachwirkungen zu hinterlassen, die eine Zeitlang die Zeitungen beschäftigten, nun aber auch, und wir wollen hoffen für immer, beseitigt sind.
II.
Allgemeine Ansicht der Stadt. Der Markt. Das Rathhaus. Die Börse. Der Roland. Der Domshof. Das Stadthaus. Der Schütting. Das Museum. Der Wall.
Allgemeine Ansicht der Stadt
w er vor der französischen Occupation nach Bremen kam, yon welcher Seite es auch seyn mochte, hätte schwerlich die Nähe einer grofsen und reichen Handelsstadt yermuthen können. Ohne Ver- wünschungen konnte kein Fahrender durch die elen- den Sandwege sich durchschleppen, , oder auf dem entsetzlichen Steinweg, dessen runde Steine jeden Winter vom Wasser und Eis losgewühlt wurden, sich wund stofsen lassen. Die Franzosen zeigten schnell durch die Musterstrafse von Wesel nach Hamburg die Ausführbarkeit guter Chausseen; die Wichtigkeit derselben wurde eben sobald eingesehen; und als Bremen wieder sich selbst angehörte , schritt man gern zu ähnlichen Unternehmungen, welche durch die veränderte Einrichtung des Konvents ohne grofsen Widerstand beschlossen und ausgeführt wurden. So ist denn nun das bremische Gebiet nach allen Seiten bis zu den Grenzen mit den schönsten Kunst- strafsen in einem sehr nachtheiligen Boden durch- schnitten, und von welcher Seite der Fremde nun nach Bremen kommen mag, er wird überall einge- stehen, dafs er sich in einem wohlhabenden und
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wohlregierten kleinen Staat befinde, auch ohne die Stadt selbst noch gesehen zu haben.
Die Kunststrafseii von Hamburg und Vegesack führen nicht zu denjenigen Zugängen der Stadt, wo dieselbe als wichtiger Handelsplatz erscheint, denn diese nördliche Seite ist ganz von den schönsten Anlagen und Spaziergängen umgeben, die geschmack- vollen neuen Häuser haben keine kaufmännische Einrichtung, sondern sind gröfstentheils von Rente- nierern und Beamten bewohnt.
Anders ist der Anblick von der entgegengesetz- ten Seite. Wer auf der rheinischen Strafse nach Bremen kommt betritt zuerst die Neustadt.
Das Auge ruht hier auf nichts Altem, der altern Geschichte Angehörigem, weil hier Häuser und Kir- chen aus neuerer Zeit herrühren, bis die Weser- brücke erreicht wird. Hier entfaltet sich denn der ganze Anblick der alten Hanse- und kaiserlichen Stadt. Weit die Weser hinab und hinauf drängen sich hohe massive Häuser, zum Theil in alterthümlicher Ge- stalt , dicht an den Flufs , und aus der Häusermasse hervor steigen die Kirchthürme.
Mai tinikirche , an der Wasserseite, das alte dü- stere Mauerwerk mit Bäumen erheitert, ist ganz am Ufer zu sehen, und die sogenannten Lauben oder Vorbaue, die an den Häusern über dem Wasser schweben. Weiter hinab ragt in alterthümlicher Stattlichkeit das ehemalige Kornhaus.
Die kleine Weserbrücke, oder die Brücke über eine Bucht, welche der Flufs bildet, wird zurück-
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gelegt. Links hinab zieht sich die Spitze der Insel, die ganz mit Gebäuden bedeckt ist. Wir durchwan- deln diese Insel, wo einst ein stattlicher, sehr fester Zwinger, die Braut genannt, gestanden, und befin- den uns nun auf der Hauptbrüche, die zwar nur yon Holz, aber doch sehr stark und breit ist. So wenig die Weser mit dem herrlichen Rheine verglichen wer- den hann, da ihr Wasser trüb, ihr Strom, in dieser Gegend, ohne malerischen Reiz ist, so bietet dahin- gegen auch keine Stadt am Rhein diesen herrlichen Anblick eines Flusses, der von Schiffen aller Art bedeckt ist, wo oft in thätiger Handelszeit Mast an Mast, Segel an Segel sich drängt, die Schiffe, wie auf einem See, mit Leichtigkeit, blofs mit Hülfe des gün- stigen Windes den Strom hinauf wie herunter gehen, und es einen eigenen Zeitvertreib gewährt, dieselben zu klassificiren , welchem Ort, welcher Bestimmung sie ihrer äufsern Form nach angehören mögen.
Die vielen Wassermühlen, welche an die Brücke angehängt sind, endlich das berühmte Wasserrad werden im Vorübergehen bemerkt, doch nur we- nig, indem man mit dem Gedränge der Weser- brücke fortgeschoben durch das Thor, auf welchem wir die Inschrift: »Conserva Domine hospitium eccle- siae tuae« bemerken , in die geräuschvolle Strafse hineintritt, welche zu dem merkwürdigsten und wich- tigsten Theile der Stadt führt, zu dem Markt und dem Domshofe.
Zunächst überrascht die gewaltige Höhe der Häuser, ihre Stärke und die spitzige Form der Dä-
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eher, eben so die als Erker vorgebauten Stuben, hier Auslucht *) genannt, deren helle Fenster von Spiegelglas von Innen mit den schönsten Blüthenge- wächsen verziert sind, was einen ungemein reizenden Anblich gewährt. So wie man diese Häuser sieht, sind sie offenbar nach dem Bedürfnifs des Gewerbs wie des Klimas und der O ertlichheit entstanden. Erst seit dem Jahre 1258 hann man rechnen, dafs eine solide Bauart anfing gebräuchlich zu weiden, da bis da- hin die Häuser meistens von Holz gebaut und mit Stroh gedeckt gewesen waren. Eine in diesem Jahre ausgebrochene schreckliche Feuersbrunst machte auf das Gefahrvolle dieser leichten Bauart aufmerksam; und da eine Menge neuer Häuser an die Stelle der abgebrannten gebaut werden mufsten , so wurden diese gröfstentheils von Stein aufgeführt und mit Ziegeln gedeckt. So nahe wie möglich sich an den Flufs zu drängen, mit Ausnahme derjenigen Ge- bäude, die zum Dom gehörten, in der Luft also den Raum zu gewinnen, den der Boden nicht gab; die Dächer, da sie bestimmt waren, Kaufmannsgüter trocken und sicher zu verwahren, sehr jäh in die Höhe zu treiben, wodurch aufser der Gewinnung des Raums auch bewirkt wurde, dafs der Regen schnell herabflofs, der Schnee nicht erst die war- men Winde zu erwarten hatte, um abzuschmelzen, sondern kaum, indem er fiel, einen Halt fand: diefs
*) In Schottland Out-look.
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war zu berücksichtigen bei Erbauung dieser hohen Hauser.
Mode und Geschmack tadelt oft, was die Vor- fahren seit länger als einem halben Jahrtausend als dem Klima und der O ertlichkeit angemessen bewährt gefunden. Die verfeinertere Zeit findet die Unruhe des Einfahrens, Packens u. s. w. der Waaren so lästig, die kirchähnlichen Packräume im besten Theil des Hauses so unfreundlich und düster, den Mangel vieler stattlichen Stuben so drückend, die spitzigen Dächer und dicken Mauern so gothisch und finster! Man hat gereist, man hat in milderen Klimaten die platten Dächer und die herrlichen Säle gesehen^ man will bei einem neuern Bau zeigen, dafs man gesehen und Geschmack gewonnen hat. Indessen läfst sich die Natur nicht, ohne Schaden dessen, dei yon dem Gebote der Notwendigkeit abweichen will, Trotz bieten.
Hin und wieder in ganz alten Theilen der Stadt sieht man noch jene mächtigen und massiven Ge- bäude , die im Aeufsern ganz die Form von Kirchen haben, und im Sommer in der weiten Hausflur Küh- lung , im Winter durch die gewaltigen Mauern, wenn einmal in der Temperatur, Wärme gewähren. Hier sieht man auch noch die Veranlassung zu der Kunst- neigung der Vorfahren. Diese weiten Hausplätze waren mit grofsen Oelgemälden ausgeziert, wie man es noch hin und wieder in alten Häusern findet.
In dem Maafse, wie die grofsen Hausfluren den schmalen Gängen haben weichen müssen, sind auch
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die vielen gröfseren Oelbilder, die yon fern gese- hen seyn wollten, und unter denen gewifs viele gute waren, verschwunden. Wir fragen umsonst nach den Bildern, welche die geflüchteten niederländi- schen Familien mitgebracht, oder die von holländi- schen Künstlern, die sich hier zur Ausübung ihrer Kunst aufgehalten , gemalt worden sind.
Was den Fremden angenehm überrascht, ist die grofse Sauberheit und Reinlichheit der bremischen Häuser, vorzüglich derer, die an den Hauptstrafsen und am Walle liegen. Diese Reinlichheit geht durch das Innere des Hauses , zeigt sich in den Mobilien, kurz in Allem was den Bremer umgiebt, und besteht auch da, wo der Vermögenszustand den Luxus nicht erlaubt. Man ist gern geneigt, von der Wohnung auf den Bewohner zu schliefsen , und so hann es nicht fehlen, dafs das Aeufsere der Stadt schon ein günstiges Yorurtheil für ihre Einwohner erwecht. Die Häuser am Wall, der Markt, der Domshof, die lange Strafse, ohne gerade Paläste aufzuweisen, er- setzen durch den Anblick der Regelmäfsigkeit, des allgemeinen Wohlstandes und der Reinlichkeit die Pracht der Paläste, und sind so schone Stadttheile, wie man sie in irgend einer der schönsten Residenz- städte findet.
In den drei Strafsen, welche mit ihren Zwei- gen zum Theil ganz, zum Theil halb in der Rich- tung des Flusses die Stadt durchziehen, erkennt man, wie der Anbau am Flusse begonnen und land- einwärts fortgesetzt wurde. Daher ist der an dem
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Flusse zunächst liegende Theil sehr zusammen ge- drängt, namentlich ist der Tiefer, diesem verwor- rensten und engsten Theile der Stadt, nicht die Mo- dernisirung zu Theil geworden, wie den Strafsen unterhalb der Brüche. In diesen engen Gassen pflegte sich die Pest am ersten zu zeigen und am längsten zu halten, so oft sie grassirte, wovon man Spuren bis zu Ende des siebenzehnten Jahrhunderts hat. Der regelmäfsige Zug dieser Strafsen, unter- halb der Brüche, die durch Zwischengäfschen ver- bunden sind, erleichtert dem Fremden das Zurecht- finden.
Der auf einer Höhe an der Haide liegende, die untere älteste Stadt dominirende, gebaute Dom veran- lafste bald nach seiner Entstehung einen Anbau, doch in anderem Sinne, als die untere Stadt. Hier erho- ben sich nämlich nach und nach die Wohnungen der zum Dom gehörigen Personen, welche vorher gröfs- tentheils in dem Kloster an dem Dom zusammen ge- lebt hatten. Sie waren mit Höfen und Gärten um- geben, die man zum Theil noch sieht, Ja sogar alles später an diese Domcurien Angebaute scheint nur auf schmalen Streifen, die zu jenen gehört, sei- nen Boden gefunden zu haben. So zeigt es sich, dafs vom Osterthor an, ferner die Sandstrafse und KÖnigsstrafse , die Buchtstrafse , der Domshof und die Domshaide, und der Platz der Klosterkirche fast nur von Domluirien und ihren Gärten erfüllt ge- wesen.
Im Jahre 1035 wurde ein gröfserer Raum mit
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einer neuen gemeinschaftlichen Mauer umgeben, Sie fing östlich an der Weser an, ging nördlich bis ans Ansgarii-Thor und endigte südwestlich wieder an der Weser. Von dieser Mauer wurde jedoch ein Theii wieder niedergerissen, um den Dom von neuem zu erbauen. Im Jahre 1307 fing man auch an Stephani Kirchspiel mit dieser Mauer zu umschliefsen , ohne jedoch die alte Mauer mit ihren Thürmen, Wällen und Graben, die vom Ansgarii-Thor, gerade nach der Natel oder dem südwestlichen Thore führte, zu vernichten, wodurch also noch zwei hundert und fünfzig Jahre hindurch die Stephansstadt von der befestigten Stadt getrennt blieb, und wenigstens bei Nachtzeit durch Schliefsung des Thors bei der Natel die Verbindung aufgehoben war.
Die zwei Strafsen, die man den Neuen- und Alten-Weg nennt, sind entstanden, als bei verschie- denen Veranlassungen die Verbindung mit der Ste- phans Stadt hergestellt wurde. Im Jahre 1512 wurde die Befestigung auch aufserhalb der Mauer mit einem Wall und Graben vermehrt, und zu dem Behuf der bis dahin vorhandene Ausgang durch das Abbenthor zugedämmt, daher man jetzt auch weiter nichts als einen Ausgang auf dem Wall hier sieht. Aus ähnli- chen Gründen verlor auch die Bischofs -Natel (das Thor des Bischofs) den Ausgang aus der Stadt.
Seit dem Jahre 1514 geschah vorzüglich viel zu einer zweekmäfsigen Befestigung! unter andern wur- den die drei grofsen massiven Zwinger, an dem Osterthor, an der Brüche und an dem Stephansrthor
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erbaut. Die beiden letztern hiefsen die Braut und der Bräutigam. Durch zufällige Entzündung des in denselben liegenden Pulvers flogen sie in die Luft und sind nicht mekr vorhanden; der Zwinger im Osterthor dagegen, obgleich im obern Stock mo- dernisirt, ist noch zu sehen.
Aufser diesen burgartigen Thürmen und der Menge kleinerer, die regelmäfsig von Ferne zu Ferne mit der Stadtmauer ein Ganzes bildeten, war noch an der kleinen Holzpforte ein starker Thurm, die Batterie genannt. Derjenige an der grofsen Holzpforte hiefs der Morgenstern ; an der Schlacht diente die Hollmannsburg als Feste, und am aufs ersten Ende der Stadt war der Fangthurm.
In den Kriegen Karls des Fünften mit den pro- testantischen Ständen war es ein wahrer Wetteifer zwischen den verschiedenen Kirchspielen, dafs jedes einen Theil der Stadt vorzüglich befestigen wollte. Das Rondeel nebst dem Wall auf dem Schwanngatt (zwischen Ansgariithor und Abbenthor) ward im Jahre 1550 in fünf und dreifsig Wochen fertig gemacht, wo- bei der dritte Theil der Bürgerschaft immer arbei- tete und einige Rathsherren zugegen waren. Hiedurch ward die alte Befestigung, welche die Stephansstadt von der alten Stadt noch trennte, überflüssig, sie wurde daher niedergerissen, und der gewonnene Platz zum Bauen verkauft.
Im Jahre 1630 wurde in der Neustadt das hohe Thor gebaut. Was die Besetzung der Mauern mit Kanonen betrifft, so findet sich, dafs im Jahre 1448
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Rath und Bürgerschaft zum erstenmal drei schwere Kanonen hat giefsen lassen. Man nannte sie Stein- büchsen, weil Steine mit denselben geschossen wur- den, deren man auch noch in neuern Zeiten im Zeughaus gesehen hat. Der Giefser derselben wurde Ton der Stadt auch als Rüstmeister angenommen, unter dem Titel Arkeley-Meister. Arheley (vielleicht Ton Arcus) ist vor Alters das Rüstzeug überhaupt, folglich auch die Artillerie. Ob die Bremer bei der Belagerung yon Esens griechisches Feuer, wie Ha- lem (Oldenburg. Gesch.) meint, oder, nach Wiarda (Ostfries. Gesch.) glühende Kugeln geworfen, lassen wir auf sich beruhen. Auf jeden Fall haben sie sich als gute Feuerwerker gezeigt. Ihre Artillerie war stets in der besten Ordnung, so wie die Zeughäuser der freien Reichsstädte überhaupt trefflich und oft mit raren Waffenstücken versehen waren.
Im dem sechszehnten Jahrhundert liefs die Stadt vorzüglich viele Kanonen giefsen. Es war in der bedenklichen Zeit des schnialkaldischen Krieges, worin Bremen in der Gegenparthie des Kaisers stand. Im Jahre 1530 liefs der Rath aus den Thürinen der vier Pfarrkirchen die besten Glocken nehmen und Stücke davon giefsen. Die religiöse Gesinnung, in welcher der Krieg geführt wurde, zeigte sich auch in den Aufschriften der nun verschwundenen Kano- nen, welche während und bald nach diesem Kriege gegossen wurden. Eine handschriftliche Sammlung bremischer Inscriptionen hat unter anderen folgende vom Jahre 1548:
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In angest bringestu de ßenden dien oft over schooji noch se vele syn wo du men holdest up diner sidt Gerechte sacke unde Godt mit fliet.
Up dine macht gaer nichtes wage An diner swackheit nicht verzage Godt is alleine de averwindt j, vor em besteit geen menschenkint.
Bi Gades wordt wage lif und bludt vor dine Er alle have unde guet Dine Frigheit di nicht nemen laet PVulten bestaen j dat is min raet.
C a t h a r i n a. Den Fienden tho senden Mooth Godt boraden Des Mesters kunst Is sosth umbsunst.
Andere Inschriften aus frühern Zeiten waren scherzhaft, und man erkennt in ihnen eine frische kriegslustige Zeit, die mit dem Tod scherzt, indefs man zu unsern Zeiten Elegien macht. Indem man den Kanonen Namen gab , und sie gleichsam durch den zugegebenen Vers ihre Gesinnung aussprechen liefs, waren sie personincirt, und standen mit in Pieih und Glied, nicht als willenlose Dinge, sondern
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sie sprachen ihr tödtliches Wort, als eben so viele Kriegsleute *).
Der M a r k t.
Das christliche und erzbischölliche , das reichs- freie, das handelnde Bremen, die Republik und das Handelsgemeinwesen Bremens — alles diefs stellt sich in einem Ueberblick höchst merkwürdig auf dem Markte unserer Stadt vor die Augen. Wer in der
*) Ein Stück, das hundert Pfund schofs, hatte diese Verse:
Schärpe Grete bin ick geheten
Wan ick lache, clat ward den Viend verdreten.
Schärpe Metze Burlehus
thu einen end in thu andern us.
Martha. Martha is de Name myn van Art kann ick nicht stille sin Und wo mi Viend vor ogen staen Laet ick min eichen in se gaen.
Ick hete de swarte Raven Wen min Ei drapet Strecket de Klawen.
Ick hete de Kukuk Den min Ei drucket Dem geit de buck up.
Margareta is myn name Wen ick myn fynde sehe herkamen So do ick se f rundlich gröten Dat se verleren hende und vüttn.
Mynen freundt ick Nachtigal mit Gesänge wecke Mynen ßendt mit minen Klang ick schrecke.
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Mitte steht erblickt rechts den Dom und das vor- malige erzbischöfliche Palatium, das nun zu andern Öffentlichen Zwecken umgebaut worden. Yor sich hat man in ganzer Länge das Rathhaus, links erscheint die Börse, und an der Weserseite das Versammlungs- haus der Aeltermänner, genannt Schütting; und näher beim Rathhaus blicket die Rolandssäule hoch und ernst über das Geräusch des Marktes hinweg.
Das R a t Ii h a u s.
Das Auge des Kunstkenners, wie des Verehrers des deutschen Mittelalters ruht mit gleichem Wohlge- fallen auf diesem schönen Gebäude. Das eigentliche Bauwerk mit seinen aufsen herumgestellten steinernen Figuren ist aus älterer Zeit, und ersetzte selbst auch wieder ein noch älteres, das den Raum zwischen der Sögestrafse, der Obernstrafse und dem Liebfrauen- Kirchhofe einnahm. Zur merkwürdigen Erinnerung für alle die, die im Rathhause je sitzen sollten, wo- hin Selbstsucht, Herrschsucht und Gewaltthätigkeit am Ende in einem Freistaat führen, ward es auf dem Platz, wo einst des verbannten Bürgermeisters Götke FYese, schon seit fast hundert Jahren un- bewohnt gebliebenes, beinahe zerfallenes Haus ge- standen, aufgeführt; und da dieser Platz nicht hinreichte, wurde das Zunfthaus der Lohgerber ver- tragsweise mit dazu genommen.
So begann der Bau im Jahre 1405 und ward fünf Jahre später beendigt. Im Jahre 1491 wurde das Rathhaus nach Norden erweitert; im Jahre 1545
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die Witheits stube*) angelegt. Es ist nicht schwer, das damals gebaute von dem später angesetzten zu un- terscheiden. Die steinernen Figuren ringsum an dem sehr einfachen Hauptgebäude deuten auf schwerfäl- lige Kunst, und sind nur in so fern von Werth, als sie in den grofsen und leeren Feldern zwischen den Fenstern einen zweckmäfsigen Platz einnehmen, und mit dem Charakter des altern Gebäudes in Harmo- nie stehen. Diese Steinbilder, welche an den brei- ten äufsern Seiten des Rathhauses stehen, stellen Weise und Redner des Alterthums vor. An der Vorderseite über der Gallerie stehen die 7 Kurfür- sten und ein Kaiser. Diese Bilder haben wenig Kunst werth, desto mehr aber die Tragsteine, wor- auf sie stehen. Da ist 1) eine Nonne mit einem naiven und lieblichen Gesichte; ihre eine Hand hält ein Eichhörnchen, die andere ihr schön drappirtes Gewand. 2) Ein Löwenhopf. 3) Eine Jungfrau mit schönem regelmässigen Gesicht, glattem Haar, mit Halsketten. 4) Ein schreiender Kopf. 5) Ein kräf- tiger Silen. 6) Ein kräftiger Mann, der ein zierli- ches Windspiel in den Armen trägt. 7) Ein zierli- ches Mädchen in faltenreichem Gewand, so den Stein trägt. 8) Ein sehr liebliches jungfräuliches Haupt mit Epheu gekränzt. Hinter den Schultern blichen zwei junge Löwen hervor. Das steinerne Bildwerk an den beiden Haupteingängen ist eben so alten TJr-
*) Die Witheit ist der ganze versammelte Rath im Gegensatz zu dem sitzenden oder wirklich regierenden.
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Sprungs, wie das ganze ältere Gebäude, und ist nicht unrühmlich in Erfindung und Arbeit.
Manche Eigentümlichkeiten , die den Baumei- stern des Mittelalters oft Spafs machten, und die wir oft betrachten , zweifelnd , ob sie durch Zufall oder Absicht entstanden seyen, finden sich an unserm Rathhause. Hohe Fenster an der Westseite sind nahe an der linken Seite der Nische hin schief, das mittlere gröfsere stellt sich gerade dar. Wie diefs gemacht ist habe ich nicht heraus sehen hon- nen. Optische Täuschung kann es kaum seyn. Dafs das äufserste dieser Fenster rechts zum Drit- theil unten zugemauert ist. wurde durch die spätere Anflickung der das ganze Gebäude mifsst eilen den Sternkammer nothwendig.
Zwei Jahrhunderte später (im Jahr 1612) wurde durch den Steinmetz Lüder von Bentheimb das- jenige zur Verzierung des Gebäudes hinzugefügt, was selbst ein ungeübtes Auge für disharmonirend mit jenem altern Gebäude erkennen mufs. Damals wurden die beiden Gallerien und die drei Giebel hinzugefügt. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dafs die Arkaden mit der Gallerie, den Giebeln und dem Fries, sämmtlich mit Basreliefs bedeckt, auf den er- sten Anblick dem Rathhause ein sehr reiches Anse- hen geben, Besinnt man sich näher, so findet man bald, dafs die Giebel überladen sind, und dafs am Ende die schöne verhältnifsmäfsige Form des eigent- lichen Gebäudes für sich im Grunde den gefälligen Eindruck hervorbringt, den man vorher den moder-
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nen Verzierungen zuzuschreiben geneigt gewesen war. Damals als Lüder das Steinwerk besorgte, war dem Zimmermeister Stolling die Holzarbeit übertra- gen, und die Südseite wurde mit Kupfer gedeckt. Nach einer Abbildung in Dilichs Chronick war die Gallerie nicht allein mit einem Dach y ersehen, son- dern hatte auch Fenster, diese wurden bei Haltung eines peinlichen Gerichts geöffnet. Die reichen Bas- reliefs waren noch nicht da , so wenig als das schöne Dachgesims mit all dem Reichthume Ton emblemati- schen und mythologischen Figuren mit Beziehung auf Gewerbe und Gemeinwesen bedeckt. Die Zahl der Bogen ist zwölf. Die beiden Nebengiebel ruhen nicht auf den Bogen, sondern auf dem Mauerwerke des Gebäudes. Unter diesen Arkaden sitzen, wie in andern Städten, Höckerweiber, Scheerenschleifer und andere Käufer und Verkäufer.
Als Bremen noch den Stadtyogt hatte, pflegte dieser an dem zweiten Bogen des Rathhauses über einen yom Rath yerurtheilten Missethäter das Hals- gericht zu halten. Man nannte diefs Güding. Der Rathsdiener pflegte den Vogt mit dieser Formel an- zureden: »Herr Vaget, hier steit N. N. (der Raths- diener) yon wegen eines erbaren Rades, un biddet, dat gy ehne willen eine Güdinge hegen.«
Dieser Stadtyogt oder Adyocatus Archiepiscopi liefs das Urtheil durch einen der Umstehenden fin- den, und machte es bekannt, ohne es ausführen zu lassen.. Er war nicht nothwendig die erste Instanz, sondern . so wie man yon ihm an den Rath appelli-
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ren konnte, so konnte man ihn auch vorbeigehen. Er mufste sein Amt nach den Vorschriften der bre- mischen Statuten verrichten. Seit dem Jahre 1656 hegte er nur noch das peinliche Nothgericht. So lange er im Amte war, konnte er nicht Bürger seyn. Diefs erinnert an den Ursprung des bischöflichen Stadtvogts in dem kaiserlichen Potestat, und findet seine Uebereinstimmung in dem fast immer fremden Podestä der italienischen Freistädte.
Es mochte zu lang seyn, all der unendlichen Verzierungen an der neuen Facade zu gedenken. Jeder Balkenkopf, jede Dachrinne hat einen wohl- gearbeiteten Löwen- oder Menschenkopf. Unter den Basreliefs in den Feldern der Bogen sieht man die vier Evangelisten mit ihren Attributen, die Klugheit, die Wahrheit, die Politik, die Zeit, den Handel. An dem vorletzten Bogen links ist die Liebe unter der Gestalt einer Henne mit Küchlein. Diefs ist für Handwerksburschen das Wahrzeichen von Bremen. Gleich daneben sieht man die Wachsamkeit mit einem Hahn.
An der Ostseite ist ebenfalls ein Anbau. Hier sieht man noch ein Stück eines alten Thürmchens, in welchem wahrscheinlich eine Wendeltreppe hin- auf aufs Dach führte, und es ist zu denken, dafs ähnliche Thürmchen auf allen vier Ecken gewesen, wie es sich auch aus der Abbildung in Dilichs Chro- nik ergiebt, deren oberer Theil bei der Erneuerung abgebrochen, der untere verdeckt wurde. Die Gal- lerie um das Dach her hat ebenfalls steinerne Figu-
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ren. Die Verzierungen sind in gutem Geist er- funden.
Das Innere des Rathhauses, ich meine den in ganzer Länge sich erstrechenden Saal, hat einiges gute Schnitzwerh in Holz; einige Thüreingänge zu den Kommissionsstuben dagegen sind von ganz schlechter Arbeit. Hier stand sonst der gewaltige Rathsstuhi, in dem Geschmack des Stuhls der hanseatischen Ab- geordneten im Hansesaal in Lübeck, der nun auch nur noch in der Abbildung zu sehen ist. Von dem viereckigten mit Schranken umgebenen Platz mit' vier Bänken, wo der regierende halbe Rath safs, kam der Ausdruck : binnen vier Bänken , in der Be- deutung: vor Gericht stehen *),
Die Gemälde sind unbedeutend. Ein sehr gros- ses Bild, das Gericht Salomonis vorstellend, ist ohne allen Werth. Der Maler, der es im Jahre 1724 über- pinselte, hat sein werthes Haupt, mit einer wohlge- puderten Perücke bedeckt, auf demselben ange- bracht. Das beste ist die Unterschrift: »Amor, ti- mor et commodum proprium pervertunt judicium.«
Auf einem andern sehr grofsen Gemälde sieht man Karl den Grofsen, der den Bremer Dom in Hän- den hält, wie er war, als der zweite Thurm noch stand. Auf der andern Seite sitzt der heilige Willehad, der Apostel der Sassen und Ostfriesen, erster Bischof von Bremen und Erbauer von St. Peter, dem ersten Dom. Doch stellt sich die Zeichnung des Doms an-
*) Brem. Stat. Ordn. 5, 6, 7.
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genehmer dar, als er wirklich ist, indem das Haupt- schiff, nach der Facade zu urtheilen , in Yerhält- nifs zu den Nebenschiffen , in gröfserer Breite erscheint. Dagegen sind die vier Thore in der Facade, wovon nur noch eins da ist, indem die andern nur Blenden sind, und das letzte in einem daran gebauten Hause verstecht ist, in dem Ge- mälde gegen die Breite zu hoch.
Unter Kaiser Karls des Grofsen Bildnifs hat das Gemälde folgende Inschrift *):
Carolas magnus, segt :
Carolas de grote bin ick genandt.
Ein weidig Köninck auer uele landt.
Van diideschem blöde gair hochgebaren,
Dartho hejft my godt utherkoren
syn loß to bringen in sassenlandt.
dar syn name was vor unbekandt.
vele stryde hebbe ick gar koenlick gedaen
dat ick minen ßenden mögt wedderstaen
dörch franckryck , spannien und diideschem landt
bet ick se brockte ander mi/ie handt.
bedwang ock gantz italiam
jegen de lombarderers ick darin quam.
*) Die Bremer werden es nicht tadeln, dafs dieses Probestück der Rathhauspoesie mitgetheilt worden, wenn sie bedenken, dafs dieses Bnch auch für Nicht-Bremer geschrieben ist.
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den Köninck geiiangen ohr landt vorheerdt.
dardorch myn ryck ganz groot gemeerdt.
binnen rome bin ick thom Keisev gekohren.
welck ick vele Jever hat cntbahren.
de romischen Kerken hebbe ick hoch erheven
welck constantinus falschlyck wert thogeschreven
de ick met romanidola begauet und bedacht
daruth gevolgct is Öhre grote macht.
nünen krieg ick jegen de hunnen vö'rde.
so lange dat ick se gantz verstörde.
de greckischen Keiser hebben mine macht gemeden
de persier myt gauen mine frundtschup gebeden
africa was 'vor my voruehrdt.
wowol ick neue frombde rycke begehrdt.
gar menighen krieg hebbe ick gevöhrdt
und menighen schwären lyandt gespöhrdt
auerst ick <va?idt nicht der sassen geliecke.
doch dancke ick godt vam hemelriecke.
dat ick thom lesten hebbe <vollenbracht.
darna myne vörvaderen so lange getracht.
de sassen vorwunnen met stridbairheit.
dairuha bewagen mit miner gudigkeit.
dat se sick tho gade hebben gekeert.
woirdorch sy/i godlicke rycke <vormeerdt>
hebbe se van. allen tribute vrig geoeven.
up dat se wolden in gades vruchten leven,
myt wedekindt öhren eddelen forsten goedt,
dat he lehte sinken sinen moedt
mynes rickes im söss und veertigesten
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mynes olders im twe und söwentigesten jair starff ick und bin tho acken begraven vorwahr.
Unter Bischofs Willehadi Bildnifs läfst sich der Heilige Bremens also vernehmen:
Ick wylhaed de erste bischop in desser Stadt
gantz vele ich godt almecht ig halt.
dat sick de sassen doch mochten bekehren
woruth mine olderen gesproten weren
went ick bin gebaren ein englisch man
dar de historien spreken van
dat se sint van sassen gekamen
de Köninck worteger int ricke genamen
mit hertoch hingste den vader siner vrouwen
dat sine viande scholden öhren macht schouwen
hejft öhnen dat landt kent thom ersten geschenkt
darna is idt glucke heel tho de sassen gelenckt
dat se de ganze krohnen sind auerkamen
leden dahl den olden brittanneschen namen
den engelschen nah engern wedder upgericht
do gebordt is dusse marcklicke geschieht
dat de sassen hier erst syn afgefahren
is by veerde halve hundert und söven jähren
ehe de kercke tho bremen ward gestichtet
de van Könink Carell is thogerichtet
nha gades borth VIICLXXXVIII jair
groth arbeidt dede ick hier vorwair
mit wanderen j predicken und innigen bede
nha rechter apostolischer sede
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wedekindt hefft my groot verfolg gedahn
woirinne my godt noch nhe verlaan
miner jüngeren hefft he vele umme gebracht
beth dat idt godt hefft anders bedacht
und gehidpen Kö'nink Carell dem edlen heren
mit segen umb dat landt tho bekehren
de sassen hefft he mit stride verwunnen
dairnha mit anderen wapenen begunnen
mit gute und lindigkeit dit volk tho vrede gebracht
gefriet gehanthauet und nicht up gelacht
behaluen tho underholden de dener des heren
den se alle scholden den fegenden thokeren
worup he in sassen vele harken fundeert
dat gades wort wurde jo recht geleert
de frygen Künsten mochten underholden werden
dorch niest er e de vergeuens leer den
myne br ödere hebbe ick twe jair XJ^I weeken regeert
und to blexem god mit miner marler geert.
Die plattdeutschen Yerse, welche die Entste- hung und den Fortgang der Stadt , so auch die Theilnahme der Bremer an den Kreuzzügen schil- dern , werden um Weitläuftigheit zu "vermeiden hier nicht mitgetheilt, eben so wenig eine Menge ande- rer lateinischer Sprüche, die nicht in dem sentimenta- len Styl unserer Zeit ahgefafst sind, aber viel prak- tischen Verstand verrathen.
Man sieht da ferner eine Darstellung von Bre- men, wie es vor einigen Jahrhunderten aussah. Bei den Abbildungen von Wallfischen, so da hängen,
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erinnert man sich bei Beschauung desjenigen, des- sen Skelett nun auf dem Museum hängt, der Ver- handlungen, die zu Stade zwischen dem im Jahre 1669 dahin gesandten Syndikus Wachmann und der schwe- dischen Regierung wegen dieses Wallfisches statt fan- den. »Kanzler Bley« : Wir hätten auch einen Wall- fisch geschossen, und von der schwedischen auf die Bremer Seite gezogen, begehrte die königliche Re- gierung wenigstens das Skelett.
Ego. >>Der Wallfisch hätte sich nach empfange- nem ersten Schufs aus dem Gericht Leesum selbst nach bremischer Seite begeben und auf den Schlick ge- worfen, woselbst er a nostris gänzlich erschossen, occupirt und nach Bremen geliefert. Das Skelett hange jetzt daselbst auf dem Rathhause, und würde Senatus sich gestaltenen Umständen nach nicht schul- dig erachten, solches heraus zugeben, wTie ich denn auch nicht hoffen wollte, dafs königliche Regierung auf solches schimpfliche Zumuthen beharren würde.« Vom WTallfisch ward nichts weiter monirt.
In diesem grofsen Raum, der Halle des Rath- hauses , versammelten sich vormals die Bürgerkon- vente; da diese nun aber auf die Börse verlegt sind, so wird der Saal nur noch zu den Ceremonien der Aufführung eines neu gewählten Rathsherrn gebraucht.
. Diese Feierlichkeit verdient wegen ihrer altvä- terlichen Würde gesehen zu werden, und man hat nur zu bedauern , dafs der Rath nicht auch in älte- rem deutschem Kostüm dabei erscheint, und die aus
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französischer Zeit noch übrig gebliebenen Klapphüte dabei obwalten. Doch ist in den neuern Verhand- lungen wegen der zu verbessernden Verfassung auch die Rede yon einem anzuordnenden Kostüm für die Rathsherren.
Der neue Rathsherr wird von den Mitgliedern des Senats, den Aeltermännern und der Geistlich- keit, so wie von den ihm Wohlwollenden aus der Kaufmannschaft und den Zünften in seiner Wohnung abgeholt. Genau nach Rang und Würden in feier- licher Procession schreitend führen diese ihn auf das Rathhaus in den abgekleideten Theil. Der Syndikus, oder wer sonst darum ersucht wird, hält über irgend einen gemeinnützigen Gegenstand eine Rede, worin am Schlüsse der dem Redner mitgetheilte Lebens- lauf wie auch die Familiengeschichte des Neuerwähl- ten erzählt und derselbe dem Wohlwollen des Raths und der Rürgerschaft empfohlen wird. Die Rede des Präsidenten hat vorzüglich zum Zweck, die Ver- dienste des Vorgängers zu würdigen. Hierauf sagt der Präsidirende dem Neugewählten den alten platt- deutschen Eid vor , den dieser Wort vor Wort nach- spricht.
Die Kaiser, die in langen Reihen an der Decke des Saals gemalt sind, haben nichts mehr als Tape- tenverzierung zu bedeuten; die in Oel gemalten im Sitzungszimmer sind auch nur mittelmäfsig.
Steigt man die Treppe hinab, so befindet man sich abermals in einem weiten Raum, den Rilder- händler und andere Detaillisten, Hausirer (letztere
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jedoch nur am Eingange) gegen Miethe in Besitz ge- nommen haben, mit Ausnahme des Zimmers, wo das Niedergericht gehalten wird.
Ist aber das Innere des Rathhauses über der Erde nicht von Bedeutung, so steigen wir aus dem Tempel der Gerechtigkeit und der Politik hinab in den Tem- pel des Bacchus, in den berühmten Rathsheller , des- sen höstlicher Inhalt, wie die Wände zeigen , in frü- heren Zeiten zu deutschen und lateinischen Versen begeistert hat. Der Eingang ist mit der Sternkam- mer, welche ehemals die Laube (de Luven) hiefs, überbaut. Hier wurden jährlich am Sonntag Lätare die Kündige Rolle, d.h. die Polizeigesetze, der versammelten Bürgerschaft vorgelesen.
So wie Cölln, Achen , Lübeck und andere Städte Niedersachsens und Westphalens unterhielt auch Bre- men einen städtischen Keller, der allein mit Rhein- und Moselwein handeln durfte. Diese Keller waren auch die Versammlungsörter derer, die sich aufser dem Hause erholen oder in Gesellschaft heiter seyn wollten. Zu dem Behuf waren kleine Yerschläge mit Tischen und Oefen, oder auch gröfsere Zimmer angelegt, die gar zu Gastereien gebraucht werden konnten, die auch jetzt noch, obgleich bei verän- derten gesellschaftlichen Ansichten bei weitem nicht mehr so häufig, besucht werden.
Diejenige Abtheilung, wo der köstlichste und älteste Rebensaft verwahrt ist, und dem sich ein Ungeweihter ohne Begleitung eines Rathsherrn oder Erlaubnifs eines Bürgermeisters nicht nahen darf,
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Keifst die Rose, und ist mit manchen lateinischen und deutschen Tersen an den Wänden ausgeschmückt, die nicht übel gemeint sind.
Es wird gefragt, warum in Bacchus Grotte die Rose, die Blume der Venus, gesehen werde?
Antwort: Ohne Wein friert seihst Ve- nus. —
lieber der Thüre stehet die Warnung, dafs so wie Amor, dem Harpocrates die Rose, die Blume der Venus, geschenkt habe, damit ihr Thun geheim bleibe, so auch in diesem Keller die Rose abgebildet sey, als Sinnbild, dafs ein in demselben in Weineslust zuviel ge- sagtes Wörtchen nicht aufserhalb müfste weiter erzählt werden. Endlich erklärt ein Doctor Düsing in wohl- gesetzten lateinischen Distichen, dafs da die Rose nur alte Weine enthalte, Bacchus selbst auch ein nur alter Gott sey, hier auch nur alten Leuten der Zutritt zu gestatten, junge Leute aber wegzuweisen seyen.
Die deutschen Verse yon H. Post sagen Alles, was je ein deutscher Freund des Weins bei einem Gläschen ächten alten wohl gefühlt und gedacht ha- ben mag, und lassen sich also vernehmen:
Was Magen, Leib und Herz „ Saft > Kraft und Geist
kann geben. Betrübte trösten mag j Halbtodte kaiin beleben , Theilt diese Rose mit; Sie hat von hundert Jahren Den Preis, ein edles Oel mit Sorgfalt zu bewahren.
Die zwölf Apostel (so heifsen zwölf Stückfässer
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sehr alten Rheinweins) weichen dem schlechtesten un- ter ihnen, dem Judas Ischariot. Der älteste Wein soll über zwei hundert Jahre alt seyn, doch soll ein alter Moselwein den Preis über alle davon tragen.
In dem gröfsten Zimmer werden Fremde ge- wöhnlich auf eine akustische Merkwürdigheit auf- merksam gemacht, die man auch anderswo findet, und meistens ein Werk des Zufalls ist.
Der Keller steht unter einer eigens angeordne- ten Administration; der oberste Kellerbeamte führt den Titel Kellerhauptmann, Galletti sagt in seinem neuesten Werk »Deutschland« der Keller habe sonst kostbare Weine enthalten. Da nicht leicht ein Fremder yon Bedeutung, der Empfehlung in Bremen hat, hier durchgeht, ohne dafs man ihm eine Ehre im Keller erwiese, so begreifen wir kaum, woher der geschätzte Professor Galletti diese irrige Kunde haben kann.
Die Börse.
Gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts fand die Direction des Rathskeilers denselben schul- denfrei, und es wurde daher vom Rathe beschlossen, die Einkünfte desselben zur Errichtung einer regel- mäfsigen Börse zu verwenden, nachdem bis dahin die Kaufmannschaft sich vor dem Rathhause auf einem offenen mit Bäumen bepflanzten Spaziergang zu ihren Geschäften versammelt gehabt hatte. Ein französi- scher Flüchtling, Namens Proves, der durch sein
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vortreffliches Zeichnen ein günstiges Yorurtheil für sich gewonnen, zeichnete den Rifs zu der Börse und verfertigte auch von Holz das Modell dazu. Beides fand Beifall und der Rath trug ihm auf, das Gebäude auszuführen; der Anfang wurde im Jahr 1686 gemacht.
Andere Meister und die Steinmetzen machten bedenkliche Gesichter über die Schritte des Franzo- sen, aber dieser mit der seiner Nation eigenthümli- chen Zuversichtlichheit wufste sie so einzuschüch- tern, dafs sie gern schwiegen.
Als die vier Wände standen, und nun die Last der bereits fertig gehauenen Steine zum Fries, als Unterlage des Daches aufgesetzt werden sollten, fand es sich, dafs die Mauern zu schwach waren; er be- festigte dieselben daher mit grofsen Eichbalken, die er mit eisernen Klammern mit den Mauern verband, und diese sollten nun die gesammte Last tragen.
Indessen hatte der Bau schon aufserordentlich viel gekostet, und der Rath fing an bedenklich zu werden, man verdingte daher das noch Fehlende ge- gen eine grofse Summe dem Baumeister; allein ehe man es sich versah entfloh er mit seinem Weibe, und liefs das Werk unvollendet. Hierauf unternah- men es zwei andere Baumeister, diesem Gebäude seine Vollendung zu geben. Man rechnete die Ko- sten auf 25000 Thaler.
Der Roland. Unier Kaiser Otto dem Zweiten waren in in eh-
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reren Städten des nördlichen Deutschlands Rolands- säulen errichtet worden, und da Bremen von Otto dem Grofsen auf Fürsprache seines Günstlings und Kanzlers Erzbischofs Adaldag einen Markt, den Ko- nigsbann-Zoll und Münzrecht, folglich den zum Ge- deihen des Marius erforderlichen Marktfrieden, also auch die Marktgerechtigkeit erhalten, so ist es nicht unwahrscheinlich, dafs unter ihm oder seinem Sohne auch die Bremer Rolandssäule gesetzt worden. An- dere, welche in derselben ein Zeichen ausgebildete- rer Gerichtsbarkeit erkennen, als sie unter jenen Kaisern seyn konnte, suchen ihren Ursprung in spä- terer Zeit.
Wer bedenkt, wie sehr Karl der Grofse, in den Freistädten als Sinnbild und Inbegriff aller Herr- scherherrlichkeit verehrt und auf alle Weise in Bil- dern dargestellt wurde, besonders auch für die Be- wohner der unteren Weser verehrt, als Schütze? gegen die verwüstenden Normannen ; wie nächst ihm keiner von seiner Familie so sehr als Sinnbild alles Helden - und Ritterthums der Gegenstand der Sagen und Gedichte geworden ist, als sein unehelicher bei Roncesvalles gebliebener Sohn Roland, so bedarf es keiner weitern Forschung und Erklärung, warum diese, wenn gleich in anderer Beziehung errichte- ten steinernen Riesen, um ihrer Grofse und Rüstung willen Helden, oder, um es gleich mit einem bestimm- ten Namen zu bezeichnen, Rolande genannt wurden
Karl der Grofse war bei den Occidentalen, wie Konig Salomon bei den Orientalen, der Inbegriff
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alles Hohen und Heiligen. Von ihm hatten fast alle niedersächsischen Städte und Landschaften Frei- heitsbriefe aufzuweisen, die obwohl meistens falsch, doch alt genug waren, um bei Gläubigen für acht gehalten zu werden. Ihm wurden Heiligenfeste ge- feiert, seine Reliquien wurden gesucht, die Gedichte des Mittealters drehen sich um seine Person.
Das erste hölzerne Bild Rolands wurde bei einem verrätherischen Ueberfall und Kampf auf dem Markte bei nächtlicher Weile im Jahre 1366 in der Meinung verbrannt, dafs somit die Freiheit vernich- tet wäre; und da zwei Jahrhunderte hindurch keines Rolands erwähnt wird, so kann man den noch jetzt stehenden, als den zweiten erneuerten ansehen, der im Jahre 1512, als Erzbischof Christoph die Rechte der Stadt Bremen bestätigte, von Grauwerksteinen errichtet und bunt angestrichen wurde. Yor etli- chen dreifsig Jahren mufste sich Roland gefallen las- sen, statt seiner Vergoldungen und bunten Farben, einen weifsen einfachen Anstrich zu erhalten, wo- durch leider so manches Bezeichnende ganz vernich- tet wurde.
Und so steht denn noch dieses Sinnbild der höchsten Staatsgewalt, oder der Gesammtheit von Rath und Bürgerschaft und der mit der Marktge- rechtigkeit zur Erhaltung des Marktfriedens verbun- denen höchsten Gerichtsbarkeit vor unsern Augen *).
*) Mit dem Namen Roland ward häufig der Staat selbst be- zeichnet, wie in der Inschrift des im Jahre 1591 gebauten Kornhauses :
An eine auf gothische Art verzierte Säule ge- lehnt steht auf einem Postament die stark achtzehn Fufs hohe, geharnischte, und mit bis auf die Füfse herabfallendem Mantel bekleidete Gestalt. Rolands Angesicht ernst, grofs und voll Bedeutung ist gegen den Dom gerichtet, als wenn er die Rechte der Stadt gegen die Anmafsungen der Erzbischöfe schüz- zen wolle.
Auf dem Schild am linken Arm ist der Reichs- adler mit der plattdeutschen Inschrift:
Vrjlieit do ick juw openbahr j
De Carel unn mannig Korst vorwahr,
Deser Stat gegeven hat.
Des danket Gode. is mien rath.
Auf der linken Seite waren sonst ein Löwe und ein Hund gemalt, die sich um einen Knochen strei- ten, mit der Umschrift: Eenen jeden dat syne.
Zu den Füfsen sieht man eine Figur liegen, von welcher die Sage erzählt, dafs es der Krüppel sey, welcher die Weide, so die Gräfin Emma von Lesmon der Stadt Bremen so grofs zum Geschenk
Roland hat diese Kornschiire Anstalt der olden Stadt Muren Laien an dissen Orte bouwen, Thom Behuf siener getrouwen B orger schup , damit se han Brod, In Theurungs Zeit und Krieges Noth.
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versprochen , als derselbe in einem Tage 'würde um- kriechen können, für die Bürger gewonnen hat.
Die Säule als Kunstwerk betrachtet ist nicht ganz zu tadeln. Die Verhältnisse sind beobach- tet, und die Stellung so wie das Gesicht sind nicht ohne Würde, wie es die Bedeutung des Bildes er- fordert.
Ist nun Roland das Weichbild Bremens und das Sinnbild der Macht , des Marktrechtes und der Ge- richtsbarkeit, so erklärt man seine Attribute also:
Die Handschuhe deuten auf die Marktgerech- tigkeit und den Marktfrieden ; das blofse Schwerdt in der Hand auf die Gerichtsbarkeit über Hals und Hand, denn so safs der Oberrichter mit bloisem Schwerdt auch an der Gerichtsstätte. Das ent- blöfste Haupt zeigt den Respekt gegen kaiser- liche Majestät, so die Privilegien ertheilt; sein Kinn ist ohne Bart, so wrar es Mode bei den sächsischen Vornehmen; er steht auf dem Markt, weil da das Schöppengericht gehalten wurde. Die Figur zwi- schen den Füfsen ist ein enthaupteter Missethäter, und bedeutet die Kriminalgerichtsbarkeit. Das Bild der um einen Knochen sich beifsenden Thiere be- zeichnet das Gericht über Mein und Dein.
WTie aber der Roland in allen Zeiten den Bre- mern ihr Sinnbild in Fehden und Kriegen aller Art war, zeigen die nachfolgenden Verse, die auf Ver- anlassung eines Krieges gemacht wurden. Graf Ger- hard Ton Oldenburg und Delmenhorst hemmte und beschädigte sehr den Handel der Hansestädte, so
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dafs endlich Bischof Heinrich von Bremen und Mün- ster sich genöthigt sah . mit Hülfe heider Stifter und der Hansestädte, ihm Gewalt zu bieten. Des Bi- schofs Bruder belagerte Delmenhorst und verlor nach einer vierwöchentlichen Belagerung das Leben. Erst dreizehn Wochen später wurde das Schlofs Delmen- horst von dem Bischof eingenommen und jedem der Abzug frei gestellt. Des Grafen Moriz Tochter, die sich in dem Schlosse befand, wollte nicht fort, weinte laut und jammerte, es sey ihr väterliches Erbe, sie habe ja nichts verschuldet, wie man ihr dasselbe nehmen, wie man sie aus demselben ver- treiben könne 1 Der Bischof redete ihr zu, berief sich aufs Kriegsrecht, und sagte, sie könne ziehen, wohin sie wolle, auch ihre Habseligkeiten und Kost- barheiten mitnehmen. Aber sie widerstand lebhaft, und erklärte ihren entschiedenen Willen, nicht von der Stelle zu gehen. Endlich liefs der Bischof das Fräulein durch seine Diener mit Gewalt fortbringen. Ihr Bruder Jakob rüstete Schiffe, befehdete zur See, und verlor in einem Gefecht sein Leben. Graf Ger- hard aber zog auf Betfahrt nach S. Jago di Compo- stella und starb auf der Rückreise in Frankreich.
lieber jenen Krieg nun ward folgendes Lied in Bremen gedichtet und gesungen, das zugleich Probe seyn mag, wie in damaliger Zeit in Bre- men die Schriftsprache war, und in welchen Tonen sich die bremischen Musen im fünfzehnten Jahrhun- dert "vernehmen liefsen:
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Frisch frölich wille wy singen j Ein Förste is uns hekand , F"an einem edlen Heren,- Regerde sin Land in Ehren *) , Bischup Henrich is he genand.
In de Velde **) is he gekamm, Un wurd dann gebracht Mochte se des hebben entbaren , He hedde nicht dartho gebaren, He wehrede sich mit Madit.
De Kopman reisede mit Sorgen, De Husman > de leih Noth , Dat schöle gy Stede merken , Und düfsen Forsten Sterken Des hebbe gy Ehre grot.
Delmenhorst hedde he bestellet
Mit mennigen Edelman,
Und ock mit guten Gesellen j
Se künden öhre Hcind woll schnellen
Se feilen dar frischlich an.
*) Hielt sich übrigens mehr im Stift Münster, als im Stift Bremen auf, wohin er kaum alle drei Jahre einmal kam. Er ist derjenige, der 16000 Mann nach Nuifs gegen Karl den Kühnen, der diese Stadt belagerte, führte, unter welchen seine 8000 eigenen Krieger grün gekleidet waren, wovon er im Lager den Spitz- namen der grüne Heinrich erhielt.
**) Fehde.
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Ed clele Forst, da schalst nicht vorzagen ff^as frisch und wollgemoth , Gott will dy sulven Sterken In allen dinen Werken Alse he de Truwen doth.
Kays er Carl, du eddele Stria 1 forste ? Du leven Suntc FVilhad "*) , Wieset tlüfscs Forsten Gesellen , Helpet öhm syn Ritt bestellen j Vorlehnet öhm wysen Rath.
Schicket öhm an sine Spitze- Rolajid den könen Mann, iVente he vorschlog den Resen, Vor öhm konde nemand genesen , Mit dem Schwer de , dat he gewan.
De Provisor **) word gescheiten, Dat he is hieven doht , Von einem fürigen Herte Entfingt he de grote Schmerte Dorch siner Frilnde Noht.
*) Karl der Grofse und der heilige (sunte, sankt) Wilehad spie- len bekanntlich in der frühem bremischen Geschichte eine grofse Rolle, und erscheinen auf dem Rath haus in Bildern und geehrt durch manche plattdeutsche Reimen.
**) Des Bischofs Bruder, ein Herr von Schwarzburg.
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Des wurd so mahnig bedrövet , Dem dat to Herten gaht , So ferne im fremden Lande r Dar men ekn woll kande > Gott geve der Seelen Haid.
Der Bremer Bürger aber sieht , gestützt auf uralte Sage, in diesem Roland das Palladium seiner Freiheit; so lange er steht, ist nichts für die Frei- heit zu fürchten, und selbst, sollte er auch gestürzt werden, so ist, nach dem Volksglauben , noch nicht Alles verloren, falls er nur binnen vier und zwanzig wieder Stunden aufgerichtet wird , zu welchem Zweck im Rathsheller noch ein anderer, obgleich hleinerer, im Hinterhalte liegen soll, der im äußersten Falle an die Stelle des gestürzten gesetzt werden kann.
Den Franzosen blieb der Volksglaube wegen des Rolands nicht unbekannt; und wäre der Nutzen einer solchen Gewaltthat nicht gar zu unbedeutend gegen die Furcht einer grofsen Unzufriedenheit und offenen Ausbruchs des Hasses gewesen, so würden sie gewifs das alte Weichbild eben so vernichtet ha- ben, wie sie die Reichsadler und Schlüssel, die Wappen Bremens, theils übertünchten, theils zer- schlugen.
In diesem Sinne wurde auch, als Bremen wie- der die Freiheit erhielt, einstimmig, wie durch Ver- abredung, der französische Adler durch das Volk zu den Füfsen Rolands zerschlagen , und die Bildsäule selbst mit Blumen bekränzt. Letzteres geschieht
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noch immer am achtzehnten Oktober zum Andenken der Leipziger Schlacht; denn wir schämen und scheuen uns nicht, diesen wichtigen Tag in Bremen alljährlich feierlich zu begehen mit Militäraufzug, frommem Gesang einer unzählbaren Menschenmenge in allen Häusern , auf den Dächern rings um den Markt zu dem hehren Schall der Posaunen und Zin- ken, die von der Rathhausgai'ierie herab den Ge- sang leiten. Nicht oft ist mir etwas Innigeres und Feierlicheres vorgekommen, als dieses »Nun danket alle Gott« einer einst so unglücklichen, jetzt sich beglückt fühlenden frommen , gerührten Bürger- schaft, im Angesicht des ehrwürdigen herrlich ge- bauten Rathhauses, des stattlichen Schüttings, der modischen Börse; und der so ehrwürdige, steinerne Roland blickt so ernst hinaus , als wenn auch er es fühlte, dafs er nun nicht befürchten darf, umgestürzt zu werden, und dafs der Glaube der Bürger an seine Unvernichtbarkeit ihnen auch die Klugheit und die Mittel an Hand geben werde, ihn yor Umsturz zu bewahren*
Der Domshof.
Dieser gröfste und schönste , obgleich etwas abschüssige Platz wird durch das Stadthaus mit der Hauptwache, die neuere Seite des Doms, das Petri- waisenhaus, das Museum, und manche ausgezeichnete Gebäude eingefafst; ein Yiertheil des Raumes ist mit Linden bepflanzt.
Wo jetzt die Wachtparade aufzieht, wurden
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einst militärische Uebungen anderer Art gehalten. Schon von Kaiser Heinrich dem Ersten war verord- net worden, dafs Turniere und Gastmähler in die Städte zur Emporbringung derselben verlegt werden sollten. Auch in unserer Stadt und zwar auf dem Domshofe wurden oft Turniere gehalten. Die Ver- anlassung dazu war einmal von besonderer Art.
Am heiligen Osterfest 1335 , als Erzbischof Bur- chard *) auf das Chor im Dom gehen wollte, barst die Mauer, und es kam ein süfser Geruch heraus, wie nie Jemand etwas Aehnliches gerochen. Nun besprach er sich mit dem Domkapitel, wie er das da verborgene Heiligthum, die Leichname der heili- gen Aerzte Cosmas und Damianus **) , zu künftigen Pfingsten übers Jahr herausnehmen und bei der Ge- legenheit ein grofses Fest anstellen lassen wolle. Diefs liefs er im ganzen Erzstift bekannt machen, und seine Bischöfe , Edeln , Prälaten und Unter- sassen zu der Hochzeit (Fest) einladen, dazu aber auch den Rath zu Bremen, und viele Bürgerfrauen und Jungfern. Da wurde getanzt und gastirt, und Sonntags vor seinem Saale (palatium) auf dem Doms- hofe Turnier gehalten, wozu sich die reichen, ehr-
*) Burchard Grelle, eines Burgers Sohn aus Bremen, regierte sehr löblich sieben und zwanzig Jahre ; seine rechte Hand war sein Bruder. So ist es klar, warum ihn die Turniergeschick- lichkeii der Bürger so freute.
**) Erzbischof Adalclagus hatte diese heiligen Leiber, nebst dem heiligen Quiriacus und Caesarius , Victor und Corona, Felix und Felicianus mit aus Italien gebracht. Ad. Brem. S. 45.
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baren Bürger stattlich geziert hatten, sich auch rit- terlicher und geschichter als die Stiftsadelichen zeig- ten. Und am Piingstmontag, als die heiligen Leich- name in Gegenwart aller Bischöfe, Aebte und Her- ren herausgenommen worden, und Hochmesse ge- feiert war, und nun die Mahlzeit beginnen sollte, da schlug er auf dem Domshofe, Gott zum Preifs und dem Hochstift zu Ehren, zwölf Ritter seiner besten Mannen, die zugegen waren, darunter auch die Bre- mer Bürger Lüder und Martin von der Hude.
Da stand Herr Hinrick Doneldey, Bürgermei- ster, in einem Wasserhüven, das ein Fuder Wasser halten konnte, da wurde er heraus geopfert mit Kleinodien, Gold, Silber und Geld. Und als das heilige Pfingstfest vorbei, und der Hof geschlossen war, versammelte der Erzbischof das Kapitel, und fragte, was mit dem Opfer geschehen, und ob ihm einige Schadloshaltung für die Kosten, so er für die versammelten Herren und der heiligen Kirche zu Ehren gehabt, daraus werden solle. Darauf antwor- tete das Kapitel, es wolle mit dem Bürgermeister sprechen. Und Herr Hinrick Doneldey hiefs das Ka- pitel den Bischof fragen, wie viel er haben wolle; und als er dreihundert Mark forderte , da sagte Herr Hinrick Doneldey: »die wollen wir ihm geben, da- mit ist das Essen nicht bezahlt.^ Und den Rest verwandte Doneldey zur Ausbauung des Südenthurms, des Doms und zur Giefsung der grofsen Glocke Susanna.
Auf diesem Domshof wurde 1446 vor dem erz-
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bischöflichen Palaste unter freiem Himmel jener Ver- trag zwischen den Abgesandten Königs Jakob des Zweiten yon Schottland und der Stadt Bremen ge- schlossen, durch welchen die Schotten dem Ersatz für den ihren Kauffahrern yon den Bremern zuge- fügten Schaden zur See entsagten.
Auch im Jahre 1503 sah der Domshof ein Schau- spiel, das die Aufmerksamheit alier Bürger in hohem Grade erregte. Der Kardinal -Bischof von Gurk, päbstlicher Legat, kam nach Bremen, und man em- pfing ihn mit stattlicher Procession »mit groter ere yon Geistliken unde Werliken unde alle Bremere, in aller mathe so men den hilligen Licham umme de Stad dreggcnd na Corporis Christi« Die Geist-
lichen in schönen Chorkappen, Kafeln und Diako- nenröcken, mit Wachskerzen zogen , entgegen bis Walle. Die Thore aufser St. Stephan wurden ge- schlossen, und der Bath mit der Bürgerschaft begab sich zum Empfang yor das besagte Thor. Yor dem Kardinal her wurde das Kreuz getragen, zu beiden Seiten ritten Erzbischof Johann und der Administrator Herzog Christian yon Braunschweig. Der Rathssyn- dikus, kniend sammt Bürgermeister und Rath, redete ihn lateinisch an, worauf er lateinisch antwortete. Unter St. Stephans-Thor wurde er abermals yon vier Rathsherrn empfangen und begrüfst.
Hierauf ging der Zug durch die lange Strafse, über den Markt nach dem Dom; hier empfing ihn
*) Aus der Erzählung eines Zeitgenossen.
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der Domprobst und führte ihn auf das Chor. Nach- dem hier abermals eine Anrede an den Kardinal ge- halten, folgte der Gottesdienst. Sodann zogen sie nach Pauls -Kloster, wo dem Kardinal seine Woh- nung bereitet war, und der Senat begleitete ihn bis über die Domshaide.
Den folgenden Tag wurde eine herrliche Messe gefeiert, und ein sechszig Fufs breites Gerüste auf dem kleinen Domshofe *) erbauet. Auf demselben er- hob sich ein Altar, so grofs wie der Hochaltar im Dom. Rund um standen die Herren und Fürsten, Domher- ren , Prälaten , die Stiftsritterschaft und der ehrsame Rath zu Bremen. Der Boden und alle Häuser wa- ren mit einer unzählbaren Menschenmenge erfüllt.
Der Kardinal las hierauf eine prachtvolle Messe, und das Yolh stieg die Treppen hinauf, hüfste seine Hand, und empfing seinen Segen. Da aber Hand und Mund nicht hinreichte für die Menge, so hatte er noch einige andere Bischöfe zu demselbigen Zwech verordnet, deren Segen dieselbige Kraft ha- ben sollte. Bei der Mahlzeit in der Domprobstei war aber vergessen worden, den Rath einzuladen, welches denn nicht gutgeheifsen wurde.
Am Abend sandte der Rath nach St. Paul für den Kardinal ein Fafs Eimbecher Bier, sechs Ton- nen Bremer Bier, ein Ohm weifsen Wein, drei fri- sche Lachse und einen Stör. Und es gefiel dem
... O
*) Der damals umschränkte, nun offene Platz "vor dem Dum.
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Kardinal so gut, dafs er den Karnern, so die Sachen brachten, vier rhein. Gulden schenkte. Aber der Rath schichte ihm das Geld wieder, mit der Ant- wort, des Raths Diener nähmen kein Geschenk. Hierauf lud der Kardinal die Bürgermeister und mehrere Rathsherren zu Tafel nach St. Paul, und der Rath schenkte ihm einen silbernen Pokal, in Gestalt einer Blume, gefüllt mit vier Stübchen Clarett.
Jedoch war der Rath nicht ohne Besorgnifs ge- wesen , und hatte sich, ehe der Kardinal kam, von ihm die Versicherung geben lassen, dafs er nichts gegen die Rechte der Bürgerschaft thun wolle, und dafs nichts, was um seinetwillen geschähe, als ein Recht für den Erzbischof angesehen werden dürfe *). Es hatten sich nämlich viele Geächtete und andere geflüchtete Verbrecher, ja sogar Mörder, aus Bre- men, an den Legaten angeschlossen, um durch seine Vermittelung ungestraft wieder aufgenommen zu wer- den. Er erklärte jedoch, dafs er gegen den Willen des Raths für keine Verbrecher Fürsprache einle- gen wolle.
Das ganze Gepränge bezweckte vorzüglich den Ablafs. Der Legat erliefs eine Bulle, dafs wenn beim Läuten der Domglocke Mittags der Gelehrte ein Pater noster und den Psalm Deus miseratur
*) Diese Reversales, so wie die Ablafsertheilung, S. in Pratje's kurz- gefafste Religionsgeschichte der Herzogthümer Bremen und Ver- den. S. 43.
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nobis läse, der Ungelehrte aber schlechtweg ein Pater noster sagte, ihnen dafür ein Ablafs auf hun- dert Tage ertheilt werden würde.
Zu den prachtvollsten Scenen des Domshofes gehörte ohnstreitig die Einführung eines neu gewähl- ten Erzbischofs, wenn der Schenk *), der Püt- jen **) , der Küchenmeister ***) , der Frohn der Kämmerer und der Brodspinner ******)?
sämmtlich stiftische Vasallen aus den ersten Fami- lien , ihr Amt mit vielem Glänze wahrnahmen. Beim Einzug trug der Hofmarschall f) das Schwerdt vor»
*) Das Erbschenkenamt war anfänglich bei der Familie von Grö- pelingen, dann bei der von Issendorf.
**) Pütjen beißt inJNiedersachsen ein wenig kosten oder schmek- ken. Der Pütker war also der Vorschmecker beim Erzbi- schof. Dieses Hofamt war bei der Familie von der Borch.
***) Das Erbküchenmeisteramt war bei dem Geschlecht der Schulten.
****) Der Erbfrohn hatte das Amt, bei ausgeschriebenen Land- und Lehentagen den Ständen anzusagen, wann sie bei dem Erzbischof zur Audienz zugelassen wurden. Diefs Amt war bei den Herren von der Borch, als Herren von Schönebeck. *****) Der Erbkämmerer ritt bei dem feierlichen Einzug des Erz- bischofs in die Stadt Bremen unmittelbar vor demselben; nur wenn Vasallen von freiherrlichem oder gräflichem Stande zuge- gen waren, ritten diese zunächst, und vor ihnen erst der Käm- merer. Dieses Amt war bei der Familie von Luneberg. ******) Eigentlich Brodspender. Er reichte bei öffentlichen Freu- denmahlen dasBrod und besorgte auch bei solchen Gelegenheiten die Spende der Lebensmittel an die Armen. Erzbischof Rhode nennt keine Familie, so mit diesem Amt bekleidet gewesen. Vielleicht hing die Ernennung zu demselben, so wie die zu dem Amt des Erbdrosten von der Willkühr des Erzbischofs ab. 7) Dieses Amt war in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts bei der Familie Kind von der Cronenburg, darauf bei den ton ßachtenbroke.
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auf bis zu dem Palatium, dann stieg er vom Pferde, legte das Schwerdt nieder, hielt des Erzbischofs rechten Steigbügel, und wenn derselbe abgestiegen war, so kniete er nieder und bat um Ertheilung seines Amtes. Nach kurzem Bedenken küfste und belehnte ihn der Erzbischof. Hierauf schwor der Marschall, und brachte das Pferd weg, wenn der Graf von Brochhausen nicht zugegen war. Sodann kniete der älteste Rathsherr nieder und huldigte im Namen der Stadt, und allen Geächteten wurde die Rückkehr erlaubt. Bei solcher Gelegenheit schlug der Erzbischof auch Ritter vor dem Palatium.
Den folgenden Tag zog er zur Kirche, wo das Te deum gesungen wurde, die Kapitularen von ihm den Eid empfingen, und ihm darauf die Burgen des Stifts und die Kleinodien übergaben. Hierauf lei- steten die Kastellane, YÖgte und andere Beamte den Eid der Treue.
Wie oft dieser Domshof der Schauplatz bürger- licher Unruhen war, sieht man aus dem Abrifs der Geschichte. Jetzt ist er alle Tage um Mittag wegen der Wachtparade und der schönen militärischen Mu- sik sehr besucht. Andere Feierlichkeiten fallen hier nicht mehr vor.
Das Stadthaus.
Auf dem Domshofe erhebt sich seit kurzer Zeit das aus dem erzbischöflichen Palatium hervorgegan- gene Stadthaus, welches, in so fern die administra- tiven Schreibstuben in demselben enthalten sind,
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diesen Namen mit Recht führt, und von dem Rath- hause, dem Versammlungsplatz des Senats, zu unter- scheiden ist. Die Höfe der Bischöfe hiefsen, so wie die fränkischen Königshöfe , in lateinischen Ur- kunden palatia. An manchen Orten war Pfalz und Rathhaus einerlei, z. B. in Regensburg. Der für dieses schöne Gebäude gewählte Name, den man mit goldenen Buchstaben im Frontispitz liest, ist also der alten Benenn img angemessen. In diesem vormaligen Bischofssitz befindet sich nun auch die städtische Hauptwache und die Post.
Das alte bischöfliche Palatium war im Jahr 1286 gebaut worden, nachdem der Bischof, nach dem Vor- gange Bischof Chrodegangs von Metz im achten Jahr- hundert, bis dahin stets in einem Kloster, der jetzi- gen Gelehrtenschule, mit seinen Mönchen, Kanoni- chen genannt, gewohnt hatte. Durch eine Gallerie stand der Bischofspalast zur Bequemlichkeit des Erz- bischofs mit dem Dom in Verbindung. Man mufs aber nicht glauben, dafs sich der Erzbischof gewöhn- lich in demselben aufgehalten habe, sondern in Bre- mervörde. Es findet sich, dafs 1446 der Bürger- meister Johann Vrese in demselben gewohnt hat.
Der ScK ütting.
Die Vorsteher oder Aeltermänner der Kaufmann- schaft kauften schon im Jahr 1425 ein grofses Haus, um in demselben ihre Zusammenkünfte zu halten. Es wurde wegen Baufälligkeit im Jahr 1537 nieder- gerissen, und an derselbigen Stelle das stattliche
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Gebäude aufgeführt, das noch jetzt zu demselben Zwecke dient. In altern Zeiten wurde dieses Haus auch Kaufhaus genannt, so unter andern in der yon mir anderswo angeführten Schrift des Kollegiums der Aeltermänner an den Kaiser gegen den Rath. Es ist ein sehr ansehnliches Gebäude, das jedoch in der Architektur nichts Ausgezeichnetes hat. In dem- selben verwahrt das Kolleg ium eine Bibliothek und ein eigenes Archiv. Beide sind für die bremische Geschichte wichtig.
An diesem Hause stand die Inschrift: neque Al- bidium, neque Unidium. Sie soll auch am Essenhof gestanden haben. Bekanntlich bezeichnet jener Name einen Verschwender, dieser einen Geizigen. (Hör. Serm. I. J.) Dieser Satz will also so viel sagen, dafs bei Erbauung zweier der prachtvollsten Gebäude der Stadt die Bauherren weder zu geizig noch zu verschwenderisch zu Werke gegangen.
Das Museum.
Kein ^Fremder wird leicht unser Museum betre- ten, ohne sich einer so trefflichen Anstalt von Her» zen zu erfreuen, welche eine der ersten dieser Art war, und bald in andern Städten Nachahmung fand. Indem wir etwas ausführlicher die Entstehung und Ausbildung des Museums beschreiben, glauben wir allen denen, die Bremen besuchen, einen Ge- fallen zu erweisen.
Diese ausgezeichnete Anstalt fand ihre Entste- hung in einer Zufälligkeit. Mehrere Bürger verban-
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den sich, auf gemeinschaftliche Kosten die in Ber- lin im Jahr 1774 herausgekommene Hawkesworth- sehe Sammlung von Reisen um die Welt kommen zu lassen. Andere Werke wurden darauf in Circu- lation gesetzt, und die Interessenten wünschten, eine Bibliothek aus den auscirculirten Büchern gegrün- det zu sehen.
Dieser historischen Lesegesellschaft folgte bald die Stiftung einer Gesellschaft für Physik und Na- turgeschichte, eines Naturalien-Kabinets , einer Samm- lung physikalischer Instrumente und einer in diefs Fach schlagenden Bibliothek; auch die Kunst blieb nicht vom Plan ausgeschlossen. Einige günstige Zu- fälligkeiten erleichterten die Anschaffung der Samm- lungen. Die Mitglieder bestanden aus ordentlichen und aufserordentlichen.
So war denn eine gemeinnützige Stiftung zur Beförderung gründlicher Kenntnisse unter allen Stän- den, eine gesellschaftliche Verbindung, die ohne Spiel bestand und zusammenhielt, zu Stande gekom- men. Aber bald zeigte sich Mifsvergnügen mit der Verfassung; kein Gesetz band den sechs Stiftern die Hände, sie hatten Niemand Rechenschaft von ihrem Thun und Lassen, von Ausgabe und Einnahme ab- zulegen, und so wie diefs in jeder Staatsform eines civilisirten Volkes unerträglich ist, wie viel mehr mufste es in einem kleinen Freistaat der Fall seyn, wo in der Regel ein Auge das andere eifersüchtig bewacht.
Auch die Mittel, auf deren Zulängiichkeit man
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gerechnet hatte, fanden sich der Erreichung so man- cher Zwecke nicht angemessen. Anstatt einiger Zim- mer wurde nun in der Neustadt ein ganzes Haus mit einem Garten gemiethet, und es ging darum, diesen nun zu grofsen Raum zweekmäfsig zu benuz- zen und zu füllen. Die Zahl der Mitglieder nahm bedeutend zu.
Jeden Montag, wo regelmäfsige Versammlungen statt fanden, wurde eine Vorlesung über Gegenstände der Natur oder Kunst gehalten, und merkwürdige Stücke und Seltenheiten wurden gezeigt, Experi- mente gemacht. Dann folgten gesellschaftliche Un- terhaltungen, und im Winter, trotz des weiten und unbeleuchteten Weges, war die Gesellschaft noch zahlreicher , als im Sommer.
Indefs trat auch hier bald eine Stockung ein ; Gleichgültigkeit und Kälte liefsen eine baldige Auf- lösung des so schön Entstandenen befürchten 5 Rech- nungen sollten geordnet und geprüft, Schulden be- zahlt werden. Die Direction wurde also mit sechs yon gesammter Gesellschaft gewählten Personen ver- mehrt, und diese mit den altern Directoren über- nahmen gegen Actien die Zahlung der Schulden, Ersparungen wurden gemacht, aber auch neue Bei- träge waren erforderlich, zu denen die Mitglieder nicht verpflichtet waren, und zu denen sie nur durch eigene Bestimmung gewonnen werden konnten. Die Sache nahm also einen Gang, wie im Mittelalter, als die Fürsten nicht mehr aus D omainen und eigenem Besitz sich und ihre Kriegsmacht erhalten konnten,
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sondern an Steuern appelliren mufsten. Man ver- stand sich zu dem erhöhten Beitrag, mit dem Be- ding, dafs jährlich Rechnung abgelegt werden sollte.
Auf diese Weise bekam die Gesellschaft eine Verfassung, und von der Stunde an, war ihr Ge- deihen entschieden. Es gab keine verschiedenen Klassen mehr; gleiche Rechte und gleiche Pflichten waren für alle Mitglieder ohne Unterschied. Im Jahre 1783 wurde eine Kommission mit Durchsehung der bisherigen Verfassung, mit ihrer Erweiterung und Verbesserung beauftragt. So verblieb die aus- führende Gewalt, die Kasse, die Bibliothek, das Ka- binet in der Hand einer Direction von zwölf Perso- nen. Die Gesellschaft dagegen behielt das Recht, neue Glieder zu wählen, wirkliche Glieder auszustos- sen, die erledigten Stellen der Direction zu besetzen, die Gesetze zu ändern, neue zu fassen. Eine re- publikanische wohlgeordnete Form, angemessen dem Staat, in welchem die Anstalt existirte, war gegeben.
Die nun stark zunehmende Gesellschaft, die durch Kauf und Schenkung stark angewachsenen Sammlungen, so wie die gröfsere Bequemlichkeit der Besuchenden, die doch, besonders im Winter, den weiten Weg nach der Neustadt scheuen mufsten, machte ein anderes Lokal erforderlich und man mie- thete am Domshof dasjenige Gebäude, das jetzt noch unter dem Namen: das alte Museum, ein viel be- suchter Gasthof ist.
Zur Vervollkommnung der Konstitution wurde später auch die Anordnung eines Ausschusses aus
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gewählten Gliedern der Directum und doppelt so vielen der übrigen Gesellschaft für gut gefunden, zur Erklärung und nähern Bestimmung der Gesetze, zum Vorschlage neuer, und Abänderung alter Ge- setze, zur Schlichtung der Streitigkeiten, zur Rech- nungsabnahme u. s. w.
Durch alle diese Veranstaltungen stieg die Zahl der Mitglieder bald auf zwei hundert. Bedeutender Ueberschufs bei der jährlichen Abrechnung gestattete wichtige Anschaffungen für das Naturalienkabinet und die Bibliothek. Von letzterer waren die Werke der Hauptfakultäten, wie auch Philologie und schöne Wissenschaften ausgeschlossen. Hauptgegenstand blieb Geschichte und Naturkunde in ihrem weitläufigsten Umfang, so dafs nicht allein in allen in diese beiden Fächer einschlagenden Wissenschaften der wifsbe- gierige Geschäftsmann, sondern auch der Gelehrte für seine Studien Wichtiges sollte finden können; und wenn auch nicht gerade seltene Werke der Ge- genstand des Anschaffens einer gemeinnützigen Bib- liothek seyn konnten, so waren doch Prachtwerke, anschaulich machende Kupferwerke nicht ausge- schlossen.
Nunmehr ward es für zweckdienlich gehalten, das treffliche Gebäude aufzuführen, in welchem ge- genwärtig das Naturalienkabinet, der Saal zu den Vorlesungen, der Saal der Zeitungen und Blätter, und derjenige , der zum geselligen Vergnügen be- stimmt ist, ungerechnet die Konferenzzimmer, und die Wohnung des Oekonomen beisammen sich
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befinden. Das Lese- und Versammlungszimmer ist von Gaslicht erleuchtet.
Wenn man allein in Betracht zieht, wie die wöchentlichen Vorlesungen zur Bildung, nicht der oberflächlichen belletristischen, sondern streng wis- senschaftlicher Bildung der Bürgerschaft gewirkt, wie der Saal gedrängt voll war, wenn Dr. Ol- bers den Jahresbericht über die Astronomie erstat- tete, und andere gelehrte Aerzte über Naturphilo- sophie und Naturgeschichte lasen, wenn physika- lische Versuche angestellt wurden, so läfst sich der Nutzen, den das Museum für unsere Stadt geschaf- fen, kaum ermessen. Möge nur durch unbedeutende Erörterungen über Belletristerei, die im Allgemei- nen wohl freilich mehr unterhalten und eine müfsige Stunde tödten helfen mögen, aber keine Ausbeute für Belehrung und Aufklärung geben können, nie der Sinn für die Wissenschaft, der man früher in diesem Saal so rein huldigte , verdrängt werden ! Möchten die Zuhörer, die in der Vorlesung zuge- brachte Stunde nicht blofs als eine angenehme Un- terhaltung ansehen. Jeder, der im alten Geiste des Museums vorliest, wünscht vor allen Dingen zu be- lehren. Diefs kann auch für die schönen Wissen- schaften geschehen, dafern nur wirklich dadurch das Urtheil der Zuhörer geleitet oder berichtigt wird. Dem Kaufmann, der so selten Zeit hat, sich mit den Wissenschaften vertraut zu machen, sollten diese Vorlesungen, wenn sie sind, was sie seyn sollen, vorzüglich angenehm seyn.
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Die Sammlungen des Museums bestehen in Na- turalien, Kunstgegenständen, Modellen, physikalischem Apparat und einer Bibliothek. Die Naturaliensamm- lung befindet sich zusammen in einem grofsen Saal, und ist an manchen, selbst seltenen Gegenständen reich, wozu der Gemeingeist eines Freistaats, da jeder Bürger die Sammlung als ein Miteigenthum betrachtet, immer beiträgt. Kein Schiff kommt kaum aus fernem Welttheilen oder der Kapitain bringt etwas Seltenes für das Museum mit, weil er weifs, dafs er sich damit den ganzen gebildeten Theil der Bürgerschaft verbindet. Aber die Samm- lung ist auch gut geordnet, und die umfassende Kenntnifs der Naturgeschichte des gefälligen und freundlichen Herrn Konservators, des Herrn Dr. Kellner, macht die Beschauung des Kabinets jedem Fremden und Einheimischen doppelt angenehm.
In der zweiten Etage sieht man den belvederi- schen Apoll, den Gladiator, den Laocoon in guten Gipsabgüssen in dem Vorplatz aufgestellt.
Ein rascher Üeberblick des Interessantesten mag hier genügen. Hier fällt denn zuerst bei Betrach- tung der zahlreichen ausgestopften Vögel auf, wie eine lange Reihe von norddeutschen Vögeln so höchst na- türlich, viele in charakteristischen Stellungen, wie zum Raub oder zur Verteidigung bereit, in Ruhe oder in Bewegung, sich darstellen. Die Kunst, wo- mit diefs ausgeführt ist, bezeugt genaue Beobach- tung der Natur und lebhafte Vorstellungsgabe. Die
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genannte Sammlung ist von dem Dr. Oppermann in Delmenhorst ausgestopft worden.
Rechts von der Thüre ab bemerken wir fünf einheimische Arten des Vogels der Minerva.
Zwei Exemplare des Seeadlers und ein Gerippe desselben werden nicht übersehen werden. Ferner achtzehn Arten Falken, darunter der Stolsfalke (falco palumbarius) , der Edelfalke und der Sperlingsfalke, den vornehme Damen sonst auf der Hand getragen, in Schottland selbst mit in die Kirche genommen, daher, wenn in einem englischen Gedicht der präch- tige Anzug der Burgfrau, indem sie in der Kapelle zur Trauung erscheint, geschildert wird, der Falke auch nicht unbemerkt bleibt:
Ein Lerchenfalk sajs auf der Hand , Gehalten an einem seidenen Band.
Unter den Hühnern sieht man den gewaltigen Auerhahn, den Birkhahn mit braunem, und am Halse dunkelblau schillerndem glänzendem Gefieder, das Schneehuhn in zwei Exemplaren, wie es im Sommer und im Winter aussieht. Eine Seltenheit ist der amerikanische Auerhahn (Penelope circinnata).
Unter den drei Arten Fasanen sieht man ein treffliches Exemplar des Goldfasanen. Die Kron- taube, grofs wie eine Truthenne von Neuguinea, ist dunkelblau mit braunen Flügeln. Der schwarze Storch, herrlich schillernd, der einsam auf Bäumen nistet. Unter den Regenpfeifern und Strandreitern zeigt sich der Austernleser (Haematopus ostralegus),
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schwarz und weifs. Unter den Reihern ist die Aigrette. Der Rohrdommel ist in der Stellung ausgestopft, ■wie er auf einen Feind losspringt. Der seltenere Rallen-Reiher (Araea comata). Der Nachtrabe mit drei weifsen Federn hinten am Kopfe.
Der Meine Rohrdommel, selten. Ein schönes Exemplar des Purpur-Ibis , wovon die brasilianischen Nonnen allerlei Schmuck verfertigen. Der Sichel- schnabel aus der asiatischen Türkei zeigt die Farbe des Purpurs der Alten. Strandläufer sind sieben Ar- ten, Schnepfen fünf. Eine Seltenheit ist der süd- amerikanische Kibitz mit Spornen an den Flügeln.
Vier Arten Gänse. Unter den neunzehn Arten Enten sieht man die zierliche Brautente (Anas sponsa, aus Amerika) mit liegender Haube. Der Pfeilschwanz (Anas acuta), die Knackente (Anas querquedula) , mit herunterhängenden bandartigen Rückfedern', sind zu bemerken.
Der Singschwan ist auch im Gerippe zu sehen, an welchem man die sonderbare Einrichtung des Brustknochens, wie zum Resonanzboden bestimmt, erblickt. Er kommt im Winter in die Wesergegen- den, wenn das Land überschwemmt ist. Wenn er sich erhebt, giebt er einen Ton von sich, wie die Aeolsharfe.
Drei Arten Tauchergänse , darunter die Nonne (Mergus albellus).
Zwei Arten Seeraben, in China und England zum Fischfangen gebraucht ; Garbo cormoranus, der Seerabe,
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Der mifsgestaltete Fremdling Pinguin, der schwarzkehlige Taucher, und der Colymbus arcticus, grofs wie ein Truthuhn. Letzterer ist selten. Der Colymbus cristatus ist ein seltsamer, obgleich kein seltener Vogel.
Die drei Arten Alca, Papageientaucher , wegen ihrer sonderbar gestalteten Schnäbel so genannt.
Zehn Arten Möwen, fünf Arten Seeschwalben. Der Struntjäger, manchem schlechten Schriftsteller und Kritiker zu vergleichen , dem endlich der gebüh- rende Lohn zu Theil wird.
Der Sturmvogel (Procellaria glacialis), wegen seines starken Moschusgeruchs widerlich. Die grön- ländische Taube, die schaarenweise sich auf die ab- gespeckten Wallfische niederläfst.
Unter den zwanzig Arten Papageien ist der Pa- radiespapagei selten.
Vier Arten Tucan (Pfefferfresser), durch unge- heure pergamentartige Schnäbel auffallend; zwei Ar- ten Bartvögel, eine Art Sägeschnabel. Zwölf Arten Spechte, darunter einige prachtvolle brasilianische. Drei Arten Eisvögel, wovon zwei brasilianische. Drei Arten Heher, unter welchen der Gorvus cri- status, Haubenheher, aus Mexiko. Corvi überhaupt sind hier zehn Arten.
Die prachtvolle Mandelkrähe (Coracias garrula) wird, obgleich einheimisch, doch leicht den Blick des Beschauers auf sich ziehen.
Drei Arten Kukuck, darunter der cayennische, kaffeebraun mit sehr langem Schwanz.
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Drei Arten Paradiesvögel. Unter den, acht Arten Oriolus (Amsel) ist der Haemorrhous , Blutschwanz, aus Südamerika. Unter den Drosseln sind mehrere Amerikaner. Der höchst zierliche einheimische Sei- denschwanz wird von den über alle Beschreibung prächtigen brasilianischen Seidenschwänzen (Ampelis cotinga und superba) bei weitem übertroffen.
Der Kreuzschnabel (Loxia recurvirostra) in sei- nen vier Farbenveränderurgen. Die nordamerikani- sche Loxia cardinalis, röthlich über und über wie die Morgendämmerung mit leichten Wölkchen, auf dem Kopf eine Haube.
Der südamerikanische Kardinalsperling (Tanagna Brasilia) dagegen blendend Scharlach roth. Ein auf- fallender Fremdling von der Küste Guinea ist die Wittwe oder der Paradiesfink (Fringilla paradisea). Sein Schwanz ist fast viermal so lang als der Kör- per, und ist auch überdiefs am Anfang seltsam ge- bauscht. Der südamerikanische Stieglitz ist ein klei- ner Juwel, der in den buntesten und strahlendsten Farben glüht.
Die vierzehn Arten Colibri, nebst einem Nest- chen mit dem Ei, werden von solchen, die nur Ab- bildungen von diesen lebendigen Juwelen gesehen, mit Bewunderung betrachtet werden. Kürzlich hat das Museum von den Herren Kalkmann, Hölty und Senator Lameyer an die 450 brasilianische Vogel- bälge erhalten, welche bald zu einer vorzüglichen Zierde der Sammlung gereichen werden.
Unter den Saugethieren bewundert man zuerst
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das Gerippe eines dreifsig Fufs langen Wallfisches (es ist der Hechtskopf, Balaena boops). Er wurde im Jahre 1669 in der Lesum, welche in die Weser mündet, gefangen. Die Abbildung des Fisches sieht man im Bathhause, wo auch sonst dieses Gerippe sich befand. Eben so sieht man den vollständigen Schädel eines Elephanten.
Unter den Affen zeichnet sich zuerst der Cyno- eephalus Sphinx, Männchen und Weibchen, aus Bor- neo aus. Man sieht ihn ganz in der natürlichen Stellung, wie w7ir ihn noch lebendig hier in Bremen sahen. Auch die hieine Sphinx ist selten. Jener hat eine Brust-, dieser eine Bückenmähne. Der Dianen- afife aus Guinea, selten. Das zierliche Löwenäffchen aus Südamerika.
Zwei Arten Faulthiere. Zwei Arten Yiverren. Das Büsselthier aus Südamerika. Moschus Meminna, Zwerghirschchen , sehr zierlich, aus Ostindien.
Zu den Seltenheiten in Spiritus gehört das un- geborne Junge der Seekuh (Manatus australis) , drei Arten Ameisenbären, zwei Arten Schuppenthiere und Gürtelthiere , zwei an der Seite verwachsene Kinder , der Fötus des Tapirs , das amerikanische Stachelschwein mit dem Wickelschwanz.
Man findet hier einen seltenen Beichthum an Amphibien.
Eine grofse Anzahl von Schildkröten, darunter die noch unbestimmte vom Missisippi mit ihrer Hie- roglyphen-Zeichnung besonders merkwürdig. Meh- rere sehr grofse Pipa und Froscharten. Sieben ver-
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schiedene Krokodille zum Theil mit Eiern. Eine grofse Reihe von andern Eidechsen, darunter Cha- mäleonen, fliegende Drachen, auffallend durch son- derbaren Bau. Unter den Schlangen sind mehrere Arten von Boa, die Abgottsschlange, die Riesen-, Klapper- und Brillenschlange, das Lanzeneisen und andere zum Theil sehr schöne Arten.
Die Sammlung von Fischen in Weingeist, wie von Insekten und Würmern, ist nicht sehr beträcht- lich, doch sind auch unter diesen mehrere schöne und seltene Stäche. Die Conchyliensammlung vermehrt sich rasch, die der Mineralien ist schon sehr ansehn- lich und belehrend. Ein Stüch Bernstein, % Fufs lang, x/x dich, % breit. Mehrere sehr schöne Den- driten, treffliche Stücke Jaspis. Waffen und Opfer- messer aus Feuerstein, eine antike Streitaxt aus dem Hessischen, von Serpentin. Ein sonderbarer grofser Cyanit aus Airolo am St. Gotthard. Ueberhaupt sind die Mineralien zweckmäfsig geordnet.
Unter den Muscheln sieht man den polnischen Hammer, der nach Funke gewöhnlich hundert Tha- ler kosten soll. Die sehr grofse Perlmuttermuschel, mehrere Stechmuscheln, Perlenmuscheln. Ein gros- ser Nautilus mit gravirter Oberfläche mit dem Bre- mer Wappen.
Die braune Mohrenkrone, die Davidsharfe, die Teufelsklaue, die ächte theuere Wendeltreppe. Auch von Versteinerungen ist eine bedeutende Sammlung da mit seltenen Stücken.
Die Bibliothek des Museums enthält gegen sech-
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zehn tausend Bände, meistens Werke über Natur- wissenschaft, Landwirthschaft, Handels- und Staats- wissenschaft, Statistik, Geschichte, Literatur und Societätsschriften. Von ausgezeichneten Werken fin- det man die Prachtausgabe des Buffon in acht und dreifsig Bänden, Blochs Naturgeschichte der Fische, Shaws Naturalist" s Miscellanies , die Prachtausgabe yon Perons Reise nach Australien, Ross Reise nach dem Nordpol, Homer von Heyne und Tischbein, Tiedemanns Amphibien, mit den trefflichen Abbil- dungen der Krokodile; Regenfufs auserlesene Schnell ken, Muscheln und andere Schalthiere; Martini und Chemniz Conchylienkabinet, des Philodemus Werk de Musica, nach den im Herkulanum gefundenen Pa- pyrusrollen gestochen; Annales et Memoires du Mu see, die Philosophical transactions, den Moniteur vollständig u. a. m.
Unter den Verstorbenen, die sich theils durch Arbeiten, theils durch Geschenke um das Museum verdient gemacht, nennt man den Aeltermann Ku- lenkamp, die Doktoren Gildemeister und Wienholt, den Aeltermann Pundsack, besonders den unvergefs- liehen Albers, der für das Museum so unablässig ge- wirkt hat» Unter den Lebenden die Professoren Heineke und Mertens, die Gebrüder Treviranus, Dr. Olbers und Andere.
Der Wall.
Wie die Befestigung Bremens nach und nach
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entstanden ist, habe ich anderswo angegeben. Nur wenig ist mehr davon zu sehen.
An der Stelle der Bastionen sind nun freundlich iibergrünte und beschattete Höhen , an der Stelle derThürme, die von Ferne zu Ferne aus der dicken Stadtmauer emporstiegen, sieht man freundliche und stattliche Häuser, an der Stelle dunkler, gewunde- ner, hohlhallender Thorgewölbe führt die freie Strafse sogleich in Gottes freundliche Welt hinaus, an der Stelle der Zugbrücken führen feste Brücken über den reinen Wassergraben, und der lustwan- delnde Bürger blickt nicht mehr von seinen hohen Wällen zwischen düstern Mauern, wo höchstens eine Reihe von Ulmen die Sehnsucht nach dem Freien noch trauriger machte , hinaus in die Natur. Das schauderhafte Bild des Krieges ist verschwunden, Friede und Buhe webt und wallt in diesem Blüthen- gesträuch, summt in den blühenden Linden, flötet aus dem dichten Gebüsch am Wasser, und spiegelt sich in den friedlichen Fluten, wo die Flotten zahl- loser Enten Streifen nach sich ziehen und der ma- jestätische Schwan seine Kreise windet.
Die Wallanlagen erhalten in der ersten Früh- lingszeit vorzüglichen Reiz und Mannichfaltigkeit durch die vielen Weiden- und Pappelarten, in- dem die er st er en anfangs durch ihre goldgelben Blüthenkätzchen dann durch das zarte Grün ihres Laubwerks, letztere durch silbergraue Blüthen- kätzchen das Äuge erfreuen. Einen herrlichen Schmuck bilden dann auch die vielen reich blühen-
den Prunusarten und wilde Apfelbäume. Später entfalten sich die jungen Blätter immermehr; Geis- blatt schlingt sich durchs Hechigt, und spendet seine Düfte; wilde Rosen beschauen sich sinnig im Was- ser; der Hagedorn sieht wie beschneit aus. Dort sammelt sich eine Gruppe lauschender Menschen im Dichicht, sie sind entzückt über den Brautgesang einer Nachtigall. Und während die Frühlingsluft durch das zarte Laub der Weiden am Wasser hin- säuselt, kommt still ein Kahn unterm Gebüsch h er- ror, in welchem ein Freund der Fischerei seine An- gel oder sein Netz Torsichtig auswirft, um die Aale oder Hechte, welche dieser Graben vorzüglich hegt, zu fangen.
Das Prachtgewächs aber, das dann vorzüglich dem WTall Reiz und Wohlgeruch spendet, ist der allenthalben angepflanzte Faulbeerbaum. Freilich klagt man, dafs er bald nach der Blüthenzeit von einem Inseht ganz eingesponnen wird, und sich in der trostlosesten Gestalt zeigt; aber so wie er blü- hend von zahllosen Bienen durchsummt war, so dient er jetzt den Nachtigallen zum Sammelplatz, die hier vorzüglich Nahrung an den Insekten finden, die ihn umspinnen.
Doch der erste Sohn des Frühlings ist der rothe Ahorn (acer rubrum) , der früher als andere Blüthen- bäume mit rothen Blüthen, ohne eine Spur von Blatt, bedeckt ist, dann rothe Früchte trägt, end- lich im Herbst mit rothem Laube bekleidet ist. Nicht weit von diesem schönen Baume sieht man
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einen Wildling aus deutschem Walde, die populus canescens, die alle Pappelarten, wenn wir auch der italienischen das prachtvolle, zu Palästen passende, oder um zwischen anderm Gehölze hervor Gruppen zu bilden, Landstrafsen einzufassen, zugestehen, an Schönheit der Krone übertrifft, und sehr spät ihr frisches Grün verliert *).
An Pappeln ist der Wall überhaupt sehr reich. Es irre jedoch den Fremden nicht, wenn er die po- pulus canadensis so häufig sieht, einen Baum, der eben so nutzlos als unmalerisch ist, dessen sperrige Aeste nie eine angenehme Krone bilden, so dafs, ob auch noch so viele dieser Bäume beisammen stehen, dennoch nie eine schöne Gruppe entsteht. Als aber der Wall angepflanzt wurde, wollte man schnell Schat- ten und Grün haben, um gegen den Sonnenbrand geschützt zu seyn. Grund genug um einen Baum anzupflanzen, der in seinem schnellen Wachsthum die Versicherung noch schnellerer Vergänglichkeit trägt, und der zu seiner faden Existenz nur Wasser bedarf, das ihm hier reichlich zu Theil werden konnte. Diese Bäume, die mittlerweile eine bedeu- tende GrÖfse erreicht haben, und dem Spaziergän- ger zu Danke da stehen, werden nach und nach ausgemerzt und mit schönern und nützlichem ersetzt werden. Auch die populus balsamifera (Balsampap- pel) sieht man als gewaltigen Baum,
*) Ich sah sie im Jahr 1819 bis Ende November im schönsten Grün.
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Der mancherlei Weiden habe ich schon erwähnt. Man hat deren früherhin 130 Arten herbeigeschafft, die sich aber hernach wieder verloren haben. Man bemerkt vorzüglich die sehr schone Lorbeerweide (salix pentandra); die mit Silberblättern geschmückte einem Tropenbaume gleichende Salix viminalis; die goldästige Salix vitellina, der Schmuck einer unbe- laubten Winterlandschaft; die grünen Springbrunnen, die babylonische oder Thränenweide , welche in den drei letzten milden Sommern Kraft gegen die Win- terkälte gewonnen und nun sehr üppig gedeihen. Hin und wieder strebt auch die majestätische Salix Ruselliana mit der Salix alba um die W ette zum Him- mel auf, in so weit und weitläuftig verbreiteten Zwei- gen, dafs das Himmels Angesicht allenthalben durch- blichen hann. Es ist ein Baum, der in englischen Parhs gar nicht entbehrt werden hann*
Manche Ahornarten breiten ihr aus schön ge- formten Blättern zusammen gewobenes Dach anmu- thig über das niedrigere Gesträuch, aus welchem die weifsen Blüthen der Viburnumarten gar freundlich hervorleuchten, und der Purpur der Syringa vulga- ris, mit der weifsen Abart wechselnd, den köstlich- sten Duft verbreitet.
Unter den Eichen bemerkt man einige nordame- rikanische, im Herbste unter andern die (^uercus rubra mit rothen Blättern; Pinus Larix (Lerchen- tanne) hat hier ein vortreffliches Gedeihen, und ist mit Recht ein beliebter Baum, dessen schlanke Ge-
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stalt, zartes Grün und zierliche Blüthe ein Bild froher und schuldloser Jugend darstellen.
An angemessenen Plätzen findet man liebliche Äcacienwäldchen. Dieser, Ton unsern Nordostwin- den leicht beschädigte, wenig nützliche Baum ist doch mit Recht ein Liebling aller Freunde der schö- nen Natur, mag man seinen geregelten und doch mannigfaltigen Aestewurf oder die Zierlichkeit sei- ner Blätter, den spielenden Schatten, den sein Dach über den Boden streut, oder den Reichthum und die Schönheit seiner Blüthen in Betracht ziehen. Den Oehonomen wird er sich trotz aller frühern Anpreisungen nie empfehlen. Der Stamm und die Zweige bieten dem Winde wenig Widerstand, ge- ben zum Brennen nach Verhältnifs wenig Hitze, rei- chen zum Bau weder Balken noch Bretter. Auf un- serm Wall sind die Äcacienwäldchen, da sie ver- ständig in Vertiefungen, geschützt gegen den Wind, gepflanzt sind, sehr schön erhalten, und sind auch darum beliebt, weil sie ihr schönes Grün eben so lange in den Herbst hinein behalten als die Eichen, wenn nicht der Frost zu früh kommt.
Von Linden sieht man die drei Arten.
Um den ganzen Wall längs der Fahrstrafse hin ist nun eine Allee von Edellinden gepflanzt, auch sind da, wo das Terrain breit genug war, Esplana- den von diesem schönen Gewächs angelegt, die mit der Zeit von ausgezeichneter Schönheit seyn werden.
Im Sommer erscheint der Wall schon in etwas anderer Gestalt. Alles ist voller, verwachsener, das
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Grün dunkler, und so angenehm nun der dichtere Schatten ist, so hat man doch auch über die Popu- lus monilifera zu Wagen, welche ihren in Wolle einge- hüllten Samen verstreut, der sich an die Kleiderhängt. Man hat nun angefangen , die weiblichen Bäume aus- zurotten. Mehrere ausländische Fraxinus und Jugl ans scheinen das Klima ihres Vaterlandes nicht zu ver- missen. Der Acer tartaricum leuchtet schon mit seinem rothen Samen hervor, wenn die Gleditschia triacanthos noch nicht einmal blüht; sie war sonst bei uns selten. Rosen blicken nicht allein aus allen Gebüschen, sondern abgesonderte sehr grofse Rosen- beete hin und wieder geben sich schon von weitem durch den anmuthigsten Geruch zu erkennen. Man- cherlei Rosen sind gewöhnlich durch einander ge- pflanzt. Das Bild der verschämten Jungfrau, die blasse Rose, die der Engländer so sinnig Maiden blush nennt, findet sich häufig. Die Rosa pimpi- nellifolia und Spinosissima sind mit weifsen und röthlichen Blüthen bedeckt, von denen einige Spät- linge in dem weichen Winter 1818 um Neujahr den Hut schlittschuhlaufender Knaben schmückten. Rosa majalis ergötzt noch weit über den Mai hinaus mit ihren lieblichen der Centifolie ähnlichen Blät- tern. Die Rosa rubiginosa mit dem trefflich rie- chenden grünen Laub , wovon in den rheinischen Gegenden, wo sie wild an den Felsen wächst, die Sage geht, die Jungfrau Maria habe die Windeln des Kindes darauf getrocknet, daher rieche das Laub so gut. Die Engländer nennen sie defswegen auch
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Sweet briar. Sie steht der zimmtfarbenen Sehwe- sterrose nicht nach (R. bicolor), wenn diese auch gleich den Blick schneller auf sich zieht.
Die Spiraea opulifolia, die im Frühjahr mit weifsen Trugdolden prangte, schimmert nun von rothen Fruchthüllen. Die unvergleichliche Spiraea hypericifolia, so wie die bescheidene laevigata sind ihres Blüthenschmuckes schon beraubt, denn in der Nähe hängt schon die Pimpernufs hernieder, und die Vogelbeeren röthen sich. Die Cornusarten, die auf die goldgelbe Cornus mascula, den frühen Schmuck noch unbelaubter Sträucher folgten, bilden weifse Trauben auf dem dunklern Gebüsch; beson- ders aber zeichnen sich allenthalben die blühenden Dächer des Hollunders aus , getragen von dem knor- rigen Stamm. Hinterm Wachthause des Ansgari- thors steht ein solches Gewächs, das vielleicht 40 Fufs hoch ist.
Auch der Spätherbst giebt unserm Wall man- nichfaltigen Reiz; die Abwechselung, sonst von den Blüthen hervorgebracht, entsteht nun durch die tau- senderlei Farben des Laubes. Diese Abstufungen — vom braundunkeln Grün der Rofskastanien bis zum feuerfarbenen Laub der wilden Steinobstbäume, die wie Flammen aus dem falben Gebüsch herausschla- gen; ferner vom hochgelben bis zum schmutzigen braungelb des verdorrten Blattes - — machen die Scene mannichfaltig» Dazwischen strecken die Lin- den, die Pappeln und alle die andern Pllanzen, die uns am frühesten im Lenz mit ihrem Grün will-
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kommen heifsen, dürre Arme empor. Entblöfst vom Laub, nun nicht mehr durch den Kontrast des fri- schen Grüns heiter, hängt die rothe Vogelkirsche, und die dunkel violette Frucht des Hollunderbaums. Nur der Liebling des Frühlings, die Syringe, und der Liguster bewahren noch ihr grünes Laub. Der holde Yögelgesang hat schon längst diese entlaubten Gebüsche verlassen.
Der Winter zeigt unsern Wall in anderer Ge- stalt. Diejenigen Spaziergänger, denen es um Sonne zu thun ist, sieht man nun zwischen zwölf und ein Uhr gewöhnlich auf dem sonnigen Glacis spa- zieren, und auf dem Graben tummelt sich nach voll- brachten Schulstunden die lebhafte Jugend. Wie ein breites Band, statt mit Perlen mit Menschen besetzt, zieht es sich zwischen den entlaubten Hecken und Bäumen durch, um die Stadt; und der höher auf dem Wall Spazierende sieht freudig in das Getüm- mel hinab. Zu den Thoren hinaus klingeln die Schlitten, um zum Horn oder in Gröpelingen eine Langkohlparthie zu machen, und auch so zeigt sich noch selbst im Winter die Neigung zu dem Dorf- und Landleben. Und wer scheuete die Kälte so sehr, dafs er nicht, wenn zwischen zwölf und eins die vortreffliche Militärmusik an der Osterthorswache spielte , einen Spaziergang auf der Contrescarpe ge- macht hatte? Diese Lust ist vorbei.
Oft erblickt man auch am Wintertag den Himmel in seltsamen Farben, die der festen Erde einen allge- meinen Ton mittheilen, so weit das Auge reicht.
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So sah ich einmal auf der Stephanibastion an einem heiteren Wintertag alle Thürme, Thürmchen und Windmühlen purpurblau, den niedrigsten Horizont graublau, das sich in schmutziges, dann in helleres Gelb und endlich in helles Blau verlor. Die Sonne in diesem düstern Grunde wie eine dunkelglühende Feuerkugel; die Weser aber vom Eise frei, sehr hoch, von jenseits mattgelb, näher grünlich, glatt wie ein Spiegel; alle Gegenstände, die struppichten Bäume und die Häuser am Wasser auf und nieder nur Massen bildend.
Wie aber überhaupt diese Wallanlagen zärtlich gehegt und gepflegt sind, wie sie mit Geschmack und malerischem Sinn geordnet, wie mit Bedacht der Ausblich in die Ferne noch ferner, die Ver- schlossenheit der Nähe noch verschlossener erscheint, wie das Wasser bald als Fluls, bald als See sich zeigt, bald als ein städtischer Kanal, in welchem sich Häuser und Brüchen spiegeln, bald als ein Waldsee, in welchem wildes Gebüsch und hohe Waldbäume sich einsam und still beschauen, und wie, wenn auch wegen des flachen Terrains nicht bewirkt werden konnte, dafs das Wasser bald nur gehört, bald nur gesehen werde, doch in anderer Art Alles geschehen ist, das läfst sich nicht ohne Ruhm er- wähnen. Und was noch mangelhaft genannt werden könnte, wird mit jedem Tage besser. Der Mann, der einer ganzen Stadt diesen Genufs mit jedem Tag ange- nehmer macht, hat gewifs die Natur in ihren schönsten Momenten belauscht« und gesehen, aus welchen Blumen
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sie am liebsten den Kranz zusammen setzt, womit sie ihre Stirne schmückt. Der einsam seynwollende Spaziergänger hat nur zu beklagen, dafs, da die An- lagen sich immer in gleicher Nähe an der Stadt hin- ziehen, kein Fleck zu finden ist, wo er nicht zu jeder Stunde des Tages Menschen begegnet.
Die vortrefflichen Wallspaziergänge ziehen sich in einem weiten Bogen um die ganze Landseite der Stadt und verbinden sich oben und unten mit der Weser. Indem die Anlagen nicht allein den Wall, sondern auch die Contrescarpe erfüllen, so erscheint der sehr rein erhaltene breite Graben wie ein lieb- licher Flufs, der sich fantastisch zwischen Baum, Heckicht und Weidigt durch windet, an dessen Ufern sich hin und wieder ein geschmachvolles aber einfa- ches Landhaus erhebt; und der Landschaftsmaler (wenn dem Genie auch sonst künstliche Anlagen nicht zusagen können, und welchem poetischen Landschafts- maler könnten sie das?) mag hier oft die Natur be- lauschen, wenn an einem hellen Tage die Ufer mit dem mannichfaltigen Gesträuch und Gestrüpp sich abwärts im Wrasser spiegeln, und eine Wildnifs un- ter der Wildnifs erscheint.
Leider wird solches Dickicht aus lauter Rein- lichkeitsliebe gar zu sehr vertilgt oder gelichtet, Man vergifst oft, dafs die nachhelfende Hand des Menschen nur bewirken soll, dafs das mit Kunst und Absicht Angepflanzte den Schein der sich frei gelas- senen Natur immer haben sollte. So mögte es hin und wieder angenehm erscheinen, wenn die Blätter
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der Nyrnphaea lutea und alba über die Fluth sich breiteten, und ihre schonen Blumen daraus empor- stiegen. Aber mit Recht wird man hier entgegnen, dafs die Duldung dieser Pflanzen bald die Verwil- derung des Grabens zur Folge haben würde.
Und doch wie malerisch erscheint oft eine schräg über das Wasser liegende Weide , mit all ihrem Ge- zweig, das in dasNafs hinab hängt und darin schwimmt ! Wie oft bildet ein vom Wind umgerifsener grofser Baum, aus dichtem Gebüsch hervorragend und mit einem Theil des Stamms und mit der Krone auf dem Wasserspiegel, ruhend ein effektvolles Gemälde un- ter passender Beleuchtung!
Der sogenannte grofse Wall war vormals die äufserste Bastion nach Osten , und ist jetzt noch einem ansehnlichen Hügel zu vergleichen. Dieser sonnige Platz wird vorzüglich in der Jahrszeit, wo man die Sonne noch angenehm findet, von Am- men und Kinderwärterinnen besucht, wenn nicht Ei- telheit und Neugierde sie auf den besuchteren Neuen Wall treibt. Aber auch ältliche Personen und Freunde der schönen Natur lustwandeln und sitzen hier gern. Man wird hier haum gewahr, dafs man sich in einer grofsen Handelsstadt befindet. Der Flufs schleicht durch ein weit ausgedehntes Weideland, Hunderte des schönsten Rindviehs weiden auf der andern Seite, hier und da erhebt sich ein einzelnes Ge- höfte, und in der weitesten Ferne zeigt sich schein- bar ein etwas höheres Land, an dessen Rande sich Dörfer hinziehen. Dann und wann wird die Scene
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durch ein oberweserisches Schiff belebt, das die Produkte des Landes zu der alten Hansestadt zum weitern Vertrieb herbeibringt.
Dieser alte Wall wäre als Parthie für sich je- der Verschönerung auch in botanischer Rücksicht empfänglich, indem er gegen Ost und Süd frei liegt. Als die Hohen des Walls abgetragen wurden, um die Stadt zu entfestigen, blieb diese. Traurig ist die Bemerkung, dafs ohne Rüchsicht auf das, was die Natur mit einem Gewächs vor hat, hier manchmal unbarmherzig geschnitten und gehauen wird, um nur das Gebüsch niedrig zu halten. Den Stamm des durch Blüthen wie durch Frucht prangenden Weifs- dorns (Crataegus oxyacantha), der in englischen Hö- fen und Parken vorzüglich geschätzt ist , sah ich hier in baumähnlicher Dicke unten am Boden ab- gesägt; so den prächtigen Bohnenbaum, den Trau- benholl under, den Kreuzdorn und andere.
Zeigt sich die Natur hier Morgens und Abends in der schönen Jahrszeit in der erfreulichsten und erheiterndsten Gestalt, so kann aber auch der er- staunte Süddeutsche hier den norddeutschen Win- ter in seiner ganzen Schrecklichkeit sehen, wenn Zuerst dieses weite flache Wiesenland durch die Herbstüberschwemmungen in einen See, darauf in eine Eisfläche verwandelt wird, und dann gegen das Frühjahr die ganze Ebene mit übereinander gedräng- ten und geworfenen Eismassen wie eine verwüstete Stadt aussieht, wo Mauertrümmer und Steinblöcke nur den Ort bezeichnen, den sonst Häuser und Pal»
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laste erfüllt haben; bis endlich der versöhnende Frühling aus dem Chaos wieder Ordnung und Schön- heit hervorgehen heifst.
An der Stelle, wo jetzt auf dem alten Walle eine Windmühle steht, war noch in der letzten Be- lagerung durch Tettenborn eine Batterie. Ein Doua- nier pflegte gern über die Brustwehre zu sehen, und äufserte einem Soldaten, der ihn warnte, er wäre kugelfest. In demselben Augenbrich erschlug ihn eine feindliche Kugel.
Wenn man den alten Wall verlassen, so findet man zunächst das merkwürdigste, ja fast einzige Be- festigungsgebäude , das aus alten Zeiten sich noch zum Theil erhalten, den Zwinger. Dieser feste gewaltige runde Thurm erscheint nicht ganz in sei- ner alten Gestalt. Ein Blitzstrahl entzündete *) das in dem obern Theil verwahrte Pulver, die Hälfte des Thurms flog in die Luft und es wurde eine neue hölzerne Kuppel darauf gesetzt, die nichts Merkwürdiges hat, als das Zimmerwerk, das von rei- senden Zimmerleuten bewundert wird. Jakob Bäkes von Vollendorff hat diesen Zwinger, so wie auch die beiden andern, die Braut und den Bräutigam, im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts gebaut, und es war den Bremern kein geringer Stolz, als Her- zog Heinrich von Braunschweig auf seinem Zug nach Friesland bei Erblickung des Osterthorzwin- gers erklärte, man sollte einem Baumeister, der ein
*) 1624, 9. Juni.
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so vortreffliches Werk errichtet, die Augen ausste- chen, damit er kein ähnliches mehr bauen könne *).
Wenn die Morgensonne die braunen dicken Mauern vergoldet, und ein Baum, der an denselben hinauf gewachsen, seine weifsen Blüthen und saftig grünen Blätter, vom Morgenlicht erleuchtet, über das todte Gestein hinwebt und die Yögel, die in grofser Menge in den Mauerfugen ihren Jungen eine Wiege gebaut, ab und zu flattern: so vergifst man gerne, dafs der obere Theil des Thurms nicht zum untern pafst. Freilich nur das Zusammengehörige kann dem Auge wohlthun; daher ist das verfallenste Gebäude in so fern es doch die Idee darstellt, interessanter, als ein aus verschiedenartigem Geschmack in ver- schiedenen Zeiten zusammen geflicktes Ganze.
In dieser Gegend wurde im Jahre 1813 der fran- zösische Kommandant von Bremen erschossen. Das Osterthor ist noch mit einem Thurm überbaut, den man die Glocke nennt, welcher, so wie der Zwinger, zum Verwahren der Gefangenen dient.
Das gewölbte Osterthor mit seinem Thurm hat nichts besonderes. Die schöne lateinische Inschrift habe ich nicht mehr gesehen, welche sagte: Eine Stadt mufs anstatt mit Mauern und Steinen durch die Tugend ihrer Bürger befestigt seyn. Sind diese durch Eintracht fest, so ist keine Mauer unüberwindlicher.
*) Er kam durch Bremen in der merkwürdigen Fehde, als die Friesen hinter haushohen * Eismassen bei Rodenkirchen ver- schanzt standen und dem Herzog Trotz boten.
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Das zunächst hauptsächlich in die Augen fal- lende Gebäude ist das Koinö dienhaus , das so gebaut ist, dafs es mit den Wallanlagen ein Ganzes aus- macht, und beide sich gegenseitig zur Zierde dienen.
Das Frontispitz, nach den Häusern des Walls zu gerichtet, wird von vier hölzernen Säulen getragen. Die Inschrift heifst: Interponite gaudia curis. Es liegt bedeutend höher, als der Graben, an einer Seite zieht sich ein schon gehaltener Rasen hinab, an der andern Gebüsche, und das Haus selbst ist mit Pap- peln umpflanzt. In der Nähe desselben sieht man Quercus rubra, und Rhus typhinum mit grofsen ro- then Früchten, den Kreuzdorn und Hippophae rham- noides, einen Dünenbaum, der hier geblüht hat, was einige Botaniker nach seiner Verpflanzung nicht be- merkt haben wollen.
Vom Komödienhause kommt man an mehreren wohlgebauten Häusern vorbei.
Von hier aus breitet sich in ziemlicher Tiefe ein üppiges Acacienwäldchen am Wasser hin ; eine stille, anziehende Parthie! Darauf erhebt sich rechts ein bedeutender Hügel, der Ueberrest einer Bastion, auf welchem später ein Tempel gestanden , gegen- wärtig aber nur ein Baum zu sehen ist. Die Aus- sicht ist hier ganz unterhaltend. Darauf kommt ein Ausgang, den man die Bischofsnadel oder das Bi- schofsthor nennt *). Man glaubt, der Bischof habe
*) Andere Glossarien aufser dem bremische« haben das Wort nicht unter der Bedeutung eines Thors. Denkt man sich einen
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hier ein ihm eigenes Thor gehabt, um zu jeder Stunde aus der Stadt kommen zu können, welches aber doch kaum denkbar, da an dieser Stelle nie eine Brüche gewesen.
Ein schmal fortlaufendes mit Baumgruppen be- setztes Ufer erweitert sich sodann zu einem weiten Rasen, der die vortreffliche Pavthie am Heerden* thor bilden hilft. Dieses Thor wurde also genannt, weil diejenigen Bürger, welche Vieh hielten, es aus diesem Thor zur Bürgerviehweide trieben. Es ist im Jahr 1563 gewölbt worden, und hatte die einfa» che, aber viel sagende Inschrift;
Bremen wes gedecktig Laat nick mer in Du syst erer mecklig,
Das Thor wurde vor einigen Jahren abgebro- chen, und an seiner Stelle ist jetzt ein freundlicher weiter Platz und eine breite Ausfahrt. Zu den Sei- ten stehen einige der schönsten Gebäude Bremens,
Die zierliche Wache und das neu gebaute Reit- haus an der andern Seite des Grabens werden nicht übersehen werden. Ueberhaupt zeichnet sich, was zu beiden Seiten des Heerdenthors zwischen der Bi~
dünnen runden, spitz zulaufenden Thurm, mit dem Pförtchen «'in der Erde, so liegt die Aehnlichkeit mit einer Nadel nicht «sehr fern. In einem lateinischen Dokument von 1377 wird dieses Thor defswegen acus genannt.
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schofsnadel und dem Ansgariithor gebaut ist, sehr aus, und man kann diese Reihe Häuser ohne Bedenken den schönsten Theil der Stadt nennen. Das An- bauen am Wall schreibt sich von den Anlagen her, da rormals Jeder, der ländlich wohnen wollte, in der freundlichen Neustadt sich Haus und Garten ver- schaffte. Daher sind die Grundbesitzungen in der Neustadt aus Mangel an Nachfrage im Preise sehr ge- sunken, indefs die Bauplätze auf dem Wall sehr theuer bezahlt werden.
Zwischen dem Heerden- und Ansgariithor sind beide Seiten des Walls vorzüglich schon, mehr von der geputzten Schönheit als von der ländlichen, wozu nicht wenig die zierliche Rotunde des Belvedere, so wie die stattlichen Gebäude am Heerdenthor, die sich von beiden Seiten im Wasser spiegeln, beitra- gen. Bald darauf wird Alles wieder ländlicher: man findet am Wasser die schöne Bandweide, die im Frühling so lichtgelb blüht; und indem man aus dem verwachsenen Weg herauskommt, befindet man sich in der offenen reizenden Parthie am Ansgariithor. Dieses Thor ist noch im Innern in seiner alten Ge- stalt, gewölbt und mit einem nicht ausgezeichneten Thurm überbaut. Es ist vom Jahr 1571. In dem Thor ist über dem Eingang auf den Schul dthurm ein Bild auf Stein gehauen, welches einen Mann mit einem Maulkorb am Munde, einer Peitsche in der Hand und einem Hasen zu seinen Füfsen vorstellt, mit der Inschrift:
Hic fraudum terminus esto !
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Eine andere lateinische Inschrift an diesem Thor sprach diesen Sinn aus:
Durch Gerechtigkeit und Frieden wächst der Staat, durch Frömmigkeit wird er erhal- ten. Die Eintracht stärkt, die Zwietracht schwächt den Staat.
Von hier bis zum Abbenthor ist die neu ange- legte Lindenesplanade , die zu ihrer Zeit eine der ersten Zierden des Walls seyn wird. Von da bis zum Doventhor thut man wohl am Wasser vorbei zu gehen. Da steht eine Bank, wo man links die Schwaneninsel sieht und rechts auf der Bastion eine Windmühle. Wer sich im Sommer Abends um sechs Uhr auf diese Bank setzt, sieht ein sehr angeneh- mes Landschaftsbild. Der hier sehr breite Graben bildet einen Busen. Der Vordergrund liegt im Schat- ten; die Höhe jenseits, welche den Busen umfafst, ist von der Abendsonne beleuchtet. Ueber dem Ufer breitet ein Acacienwäldchen sein hellgrünes reizen- des Laubwerk, und aus demselben blickt halb eine gewöhnlich von Holz gebaute, aber eben darum zur Landschaft passende Windmühle hervor. An der anderen Seite ist ein regelmäfsiger mit Pappeln be- setzter W eg. Dieses Alles spiegelt sich hell in dem stillen Wasser, das nur eine gelinde Bewegung er- hält, wenn eine Ente mit ihrer weifsen Flotte die stille Fluth durchsegelt. Einige wenige Spaziergän- ger spiegeln sich fern in dem Wasser und Alles ist so ruhig, dafs man die Stadt vergifst.
Am Doventhor (das in unsern lateinischen Schrif-
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ten über Bremen Porta Surdorum genannt wird) wai als es noch stand , eine gute lateinische Inschrift zu lesen, die folgenden Sinn aussprach: Die Staaten haben nächst Gott kein sichereres Bollwerk als die Tugend der Bürger. Der ist aber ein Bürger, der sein Vaterland aufrichtig liebt, und wünscht, dafs es allen Redlichen wohl gehen möge.
Auf dem Wege nach dem Stephanithor ist der Weg am Wasser hin zu beachten, besonders eine hieine Parthie nahe bei der Windmühle , wo in einer Meinen Vertiefung ein gar anmuthiges Häus- lein in romantischer Umgebung steht. An der im Jahr 1660 neu angelegten Brücke am Stephani- thor hielten zwei Löwen das Bremer Wappen, und dabei waren folgende Reimen zu lesen;
Schau hie die Löwen an wie innig dafs sie halten Den Schlüssel dieses Reichs; sie lassen Gott stets walten $ TV ann Gottes rechte Hand die Thore schliest auf und zu* So hat die Bremer Stadt den siifsen Fried* und Ruh.
Man sieht aus diesen Versen , dafs die alten Bremer im Lateinischen geistreicher waren, als im Deutschen, so gut gemeint und wahr gesagt das Wort auch seyn mag.
Am Stephanithor vorbei erscheint Alles sehr ländlich, keine ausgezeichneten Gebäude, wenn man das Armenhaus ausnimmt, erinnern an eine grofse Handelsstadt, man blickt unmittelbar hinaus in die
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Gärten und Bauernhäuser , und das Landleben schliefst hier eng mit dem Stadtleben zusammen. Der Stadtgraben wendet sich in einer Krümmung wieder der Weser zu, und von demselben umfafst erhebt sich die hohe St. Stephans-Bastion , vormals die äufserste Befestigung Bremens, jetzt eine Plattform mit Gebüsch umgeben und mit Bänken besetzt. Sie wird gern von solchen besucht, welche die Weser dicht unter sieh sehen, und des Ueberblicks über den ganzen Strom hinauf bis zur Brücke und hinun- ter bis nach Woltmershausen mit allen seinen Schif- fen nebst der gegenüber liegenden Neustadt gemes- sen wollen. Dieser Stephaniwall sammt der Bastion wurde im Jahr 1602 angelegt.
Der Wall zeigt in verschiedenen Tags- und Jahreszeiten verschiedene Menschenklassen. Früh Morgens im Sommer sieht man höchstens einzelne Hausbesitzer, die im Neglige in der Nähe ihres Hau- ses sich ergehend ein Cigarrendankopfer dem Mor- gen spenden; aufser ihnen sieht man einige, die den Brunnen trinken, und dabei auf- und nieder gehen. Im Ganzen aber kümmern sich nicht viele Menschen in Bremen um den schonen Frühmorgen, sondern das warme Bett hat mehr Anziehungskraft. Der Wall wird erst lebendiger, wenn die Kindermädchen mit ihrem Gefolge heranziehen. Wird die Sonnen- hitze stärker, so entsteht Stille, wenn nicht Arbeiter um zwölf Uhr über den Wall nach Hause zum Mit» tagessen gehen, oder Kaufleute ^Tor dem Anfang der Börse um ein Uhr sich noch eine kleine Bewegung
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machen. Erst gegen Abend um sechs oder sieben Uhr oder noch später sieht man eigentlich den Wall in seinem Glänze. An solchen Tagen, wo auch der Handwerker mit der Eheliebsten spazieren geht, ist der Hauptwall yorzüglich von dieser Klasse bevöl- kert, und wer das Gedränge nicht angenehm findet, zieht nach der Contrescarpe auf der andern Seite des Grabens, wo alsdann mehr die Beau-Monde zu finden ist. Diese Parthie ist besonders angenehm an den Tagen,, wo Abends in den öffentlichen Gärten Musik erschallt, wozu freilich die Kegelkugeln einen fata- len Diapason machen. Aber an keinem Tage sieht man den Wall mehr mit Menschen besetzt, als wenn an dem grofsen Bufs- und Bettage schönes Wetter ist. An diesem Tage sind nämlich alle öffentlichen Häuser bis zu einer gewissen Stunde geschlossen, und alle Arbeit wird unterlassen ; kein Zeitvertreib bleibt also übrig, als der Spaziergang auf dem Walle. Auch geschieht es, um das Glockengeläute zu hören.
Dafs viel für die Unterhaltung und Verschöne- rung unseres W alls gethan wird, würde nicht allein hinreichen , denselben in dem Zustand des Aufputzes zu erhalten, worin man ihn immer sieht. Es ist eine Art Patriotismus, welche die Schonung alles dessen, was zu den Wallanlagen gehört zur Gewis- senssache macht: und sodann sind auch der lieben Jugend besondere Spielplätze auf dem Wall einge- räumt, wo sie sich nach Lust ergötzen kann, ohne welche Absonderung die der Jugend so eigene Zer- störungslust sich überall auslassen würde.
III.
Kirchen, Kapellen und Klöster, die einst bestandenen und noch bestehenden.
Kirchen, Kapellen und Klöster.
Die Kenner altdeutscher Baukunst, namentlich Moller, haben gefunden, dafs in den ältesten deut- schen Kirchen sich eine gemischte Manier zeigt, worin südliche Formen, z. B. flache und nicht sehr hohe Dächer und halbkreisförmige Bogen und Gewölbe vorherrschen; in der zweiten Bauart sieht man noch den antiken Halbkreis, allein das dem Norden ange- messene hohe Dach kommt dazu. Diese spitze und hohe Form des Daches verlangte in harmonischer Bedingung auch die spitz anlaufenden Fenster-, Thür- und andere Gewölbe, wenn auch gleich in den kleinen Verzierungen der Halbkreis noch beibe- halten wurde, Aber auch diese mufsten endlich die allgemeine spitz aufstrebende Form annehmen. Durch dieses Aufstreben erscheinen seit dem zwölf- ten und dreizehnten Jahrhundert alle Verhältnisse der Baukunst schlanker, leichter und kühner. Somit war die Spitzbogen -Bauart in ihrer reinsten Ausbil- dung vorhanden, und erreichte auch sogleich ihr Höchstes, denn der Dom zu Cölln ward im Jahr 1248 und das Münster zu Strasburg im Jahr 1276 ange- fangen; so dafs nur die zweite Hälfte des dreizehn-
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ten Jahrhunderts die Blüthezeit dieser Baukunst ge- wesen zu seyn scheint.
Wenn man die vorerwähnten Grundsätze auf die kirchlichen Gebäude in Bremen anwendet, so findet sich, dafs der Bau der drei ältesten Pfarrkir- chen (die Stephanskirche ist neuern Ursprungs, we- nigstens in der Gestalt, wie sie jetzt steht), so wie der beiden Klosterkirchen, in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts begonnen hat. Die Spitz- bogenform ist daher allenthalben und durchgängig beobachtet, abgerechnet was später angeflickt wor- den ist. Was die übrigen Attribute der Baukunst des dreizehnten Jahrhunderts betrifft, nämlich Leich- tigkeit, Kühnheit, Gefälligkeit der Form, da stehen die drei Pfarrkirchen den beiden Klosterkirchen bei weitem nach. Unter jenen ist die Liebfrauenkirche, obgleich gar nicht ausgezeichnet, doch die beste, und Ansgariikirche, ihren herrlichen Thurm abgerechnet, die schlechteste. Die Kirche selbst mufs einen an- dern Baumeister gehabt haben, als der Thurm, Dafs jener nicht viel verstanden haben kann, beweist der Einsturz eines Gewölbes, der während des Baues schon statt fand. Unter den Klosterkirchen ist die- jenige, die man nun zur katholischen Kirche be- stimmt hat, ohnstreitig in den Verhältnissen die schönste. Stände St. Paulskloster noch, oder hatte man treue Risse und Abbildungen davon, so liefse «ich, da dieses schon früh im zwölften Jahrhundert gebaut worden, der eben beschriebene Uebergang der Architektur erkennen. An der abgerissenen Wil-
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lehadskirche war nur der Thurm aus einer Zeit vor dem dreizehnten Jahrhundert, der wegen seiner Stärke bei einem Neubau der Kirche stehen geblie- ben seyn mochte. Der Thurm hatte noch lauter Halbkreisbogen, die Kirche aber nur Spitzbogen. Die kleine Urkunde auf Pergament vom Jahr 1340, die man bei dem Abbrechen des Thurms im Dache gefunden, zeigt wenigstens, dafs der Thurm früher als um das Jahr 1340 vorhanden war.
Wir wenden uns zum Dom, der in merkwür- diger Zusammenflickung das eilfte, das dreizehnte und den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts an sich trägt, und Stoff zu mancherlei Betrachtung bietet.
Der Dom.
Ausserhalb der altern Stadt Bremen, auf einer hohen Haide, wo einst der heilige Willehad mit Ge- fahren, Schwierigkeiten und manchen Unterbrechun- gen, bald von Karl dem Grofsen beschützt, bald von heidnischen Sachsen bedrängt, dem Apostelfür- sten Petrus ein Heiligthum von Holz geweihet, er- hob sich durch Bischof Willerich eine steinerne Kirche, die, obwohl Bremen dreimal von den Hun- nen ausgeplündert und verbrannt wurde, dennoch wegen ihrer abgesonderten Lage unversehrt blieb.
Ein Geistlicher und Verwandter des Erzbischofs Bezelin, auch Alebrandt genannt, der sich in der Hoffnung, die Stelle eines Domprobstes zu erhalten, getäuscht sah, steckte diesen zweiten Dom, nach-
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dein er zwei hundert und siebenzig Jahre gestanden, aus Rachsucht in Brand, wodurch auch ein grofser Theil der Stadt, das Domldoster, der Kirchenschatz, die Bücher und Mefsgewänder verzehrt wurden. Der Erzbischof war gerade in Friesland, als diefs ge- schah; er eilte zurüch, legte das Fundament und erbaute einen neuen Tempel *).
Das Unglück geschah im Herbst. Den Som- mer darauf waren schon die Fundamente gelegt, standen schon die Säulen, Bogen und Seitenmauern. Bezelin würde ihn schnell vollendet haben, aber Imrz vor Ostern des folgenden Jahres 1043 starb er an den Folgen einer Procession, die er baarfufs mitgemacht, wurde die Weser hinauf nach Bremen gebracht und in dem Dom neben Willehads Ruhe- stätte beerdigt.
Sein Nachfolger war der bekannte Adalbert, un- ternehmend, durchgreifend, Freund der Künste, selbst ausübend und Pracht liebend. Nicht cöllnisch, nicht deutsch, in fremderer Weise sollte diese seine Kathedralkirche und das Kloster erbauet werden.
*) Ad formam ecclesiae coloniensis, sagt Ad. Brem. 177. Wolter verändert es in ad ritum eccl. col. Der berühmte cöllnische Dom ist nicht damit gemeint, denn der war noch nicht ange- fangen. Erzbischof Konrad von Hochstedten legte im Jahr 1248 den Grund, um 1320 wurde der Gottesdienst im hohen Chor begonnen. Der Bau dauerte fort bis ins sechzehnte Jahrhun- dert, wo er stockte. Doch konnte der alte, von Willibert ge- baute, nachmals abgebrannte Dom in Cölln noch stehen.
Ecclesia bedeutet übrigens in dem Latein des Mittelal- teis meistens eine Pfarrkirche.
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Schon im ersten Jahre der Ordination hatte Adalbert mit zu grofser Uebereilung, um nur erst den Dom zu vollenden, die von seinem Yorgänger angefange- nen Stadtmauern, als das minder Nothwendige , ab- brechen, und die Steine zum Dom verwenden las- sen. Zu demselbigen Zweck wurde auch der pracht- volle Thurm von sieben Stockwerken, den Bezeiin zur Befestigung der Stadt, an dem westlichen Thor in italischer Manier*) erbauen lassen, niedergerissen. Was Bezeiin nach dem Vorbild der cöllnischen Kir- che angefangen , hat Adalbert nach dem Vorbild des Doms zu Benevent, der von dem griechischen Bau- meister Landolfi im Jahr 1114 erweitert worden, fortgesetzt.
Nach sieben Jahren war das Werk so weit ge- diehen, dafs der Hauptaltar der Jungfrau Maria und der in der westlichen Abseite **) dem heil. Petrus geweihet wurde. Wegen Mangel an Geld blieb das Werk bis ins vier und zwanzigste Jahr der Regie- rung Adalberts unvollendet; als er nun selbst nach Bremen kam, wurden die Wände geweifst und die westliche Crypta dem heil, Andreas geweiht. Von einem italienischen Maler Transmandus liefs er den Dom mit Gemälden ausschmücken.
Die nach dem Brande wieder erworbenen Kost- barkeiten des Doms wurden durch Adalbert selbst verschleudert, theils um den König sich geneigt zu
*) Ad. Brem. Lindenbr. 73. **) Ad. Brem. 81 und ff.
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machen, tlieils um Lustdirnen und Günstlinge zu beschenken. Goldene Krüge und Kelche, von Edel- steinen schimmernd, Vieles, was die Gräfin Emma geschenkt, wurde zerschlagen, um es zu verschen- ken oder zu Gelde zu machen, und der fromme Goldschmidt, der die Heiligthümer zerbrechen sollte, glaubte bei jedem Schlage des Hammers die Wagende Stimme eines Kindes zu hören.
Unsere Chronisten sagen , der von Adalbert ge- baute Dom habe auch unter Liemarus durch Brand gelitten, worauf dieser abermals viel daran gebauet, Die hohe Spitze auf dem Domsthurm ist sogar erst 1446 fertig geworden. So ist also theils Zufall, theils die egoistische Sucht des menschlichen Stol- zes, nur selbst zu gründen statt fortzuführen, Stif- ter statt Tollender zu heifsen, Schuld gewesen, dafs der Dom nicht ganz das geworden ist, was er wer- den konnte. Ueber anderweitige Veränderungen bis zum sechzehnten Jahrhundert finden sich keine schrift- liche Nachrichten.
Ums Jahr 1502 wurde durch den Baumeister Cord Poppelken die Nordseite zu der Höhe des Hauptschiffes hinaufgeführt. Ueber diesem Bau ver- flossen zwanzig Jahre, und was seinem Plane gemafs noch am Dome hätte weiter geschehen können, un- terblieb durch die von der Reformation herbeige- führten veränderten Verhältnisse.
Was nun ferner im Innern und Aeufsern, seit- dem der Dom von den Lutheranern gebraucht wurde, verändert worden, mit Ausnahme der gänzlichen Um-
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gestaltung des Chors, welches nach der Analogie des ganzen Styls eine andere, etwa fünfeckige Form ge- habt haben mufs, ist zu unbedeutend, als dafs es in der allgemeinen Form die Betrachtung über die Bauart der Kirche stören könnte.
Wenn uns die Geschichte nur so wenig die Hand zur Erklärung des Doms bietet, so müssen wir uns an die Steine wenden, und sie reden lassen.
Die Form des Doms, so grofsartig und einfach, zeigt einen eigentümlichen , aber edeln Geschmack: nur wenige Verzierungen, nicht die Menge über einan- der gesetzter, mit zierlichen Steinarbeiten überladener Strebepfeiler, nirgends Bogen über Bogen, dagegen ein erhabenes Verhältnifs der Länge zur Breite und Höhe. Das Widersprechende läfst sich aus den hau figen Veränderungen in verschiedenen Zeitaltern er- klären.
Die Vorderseite stellt sich dar mit zwei Porta- len und zwei gleich grofsen dazwischen liegenden Blenden mit halbzirkelformigem Bogenschlag.
Wenn wir das Portal betrachten, so zeigt sich die entschiedenste Aehnlichkeit mit denjenigen an den Domen zu Worms und zu Mainz, welche aus dem zehnten und eilften Jahrhundert, folglich aus einer Zeit herrühren, in welcher auch Ton Bezelin kurz vor seinem Tode der neue Bau in Bremen un- ternommen worden *). Hier ist die Halbkreisform durchgängig noch sichtbar, und es ist gewifs, dafs
*) S. Miller Denkmäler der deutschen Baukunst.
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die Vorderseite des Doms der älteste Theil dessel- ben ist. Das ergiebt sieb aufs bestimmteste aus der Bauart, indem die Thüren des Doms an der Vorder- seite durchaus den reinen Halbkreisbogen haben; der sich an keinem andern Gebäude in Bremen mehr findet. — Die Thüre zeigt verdorbene römische Bau- art mit deutscher Eigenthümlichkeit. Die Römer baue- ten nämlich ihre Thüren im Verhältnifs zu dem Ge- bäude , daher hat der Eingang im Pantheon in Rom 36 Fufs im Lichten. Im Mittelalter und in einem kalten Lande suchte man die Unzweckmäfsigkeit der Ungeheuern Thüren mit dem Verhältnifs des Gebäu- des sinnreich zu vereinigen. Daher erweitert sich an unserer Domsthüre die innere Thüröffnung in schiefer Linie nach Aufsen, und die beiden sich er- weiternden Seiten sind mit Säulen verziert.
Ueber den Thüren standen die beiden Thürme. Zwischen denselben erhebt sich die vordere Seite mit spitzem Giebel und halbkreisförmigen Verzierun- gen, und einem grofsen Fenster, das zur Rose be- stimmt, jetzt aber nur noch die runde Form, sonst keine Verzierung hat. Nur der eine jener Thürme, der höchste einst in ganz Niedersachsen, steht noch, ist jedoch jetzt nur 162 Fufs, bis wo das alte Mauerwerk aufhört, mit der neuen Spitze aber 182 Fufs hoch, seitdem er durch einen Wetterschlag im Jahr 1656 seine hohe Spitze verloren hatte.
Am 14. Februar 1656 schlug nämlich um halb neun Uhr Vormittags mitten in einem heftigen Schneegestöber der Blitz in den noch stehenden
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Domsthurm. Es zeigte sich bald, dafs die hohe Spitze in Brand war. Bald brach die Flamme mit furchtbarem Ungestüm und Krachen zwischen den Kupferplatten hervor. Das Blei Hofs wie Wasser in den Meinen Domshof. Zu helfen war nicht, denn jeden Augenblick war der Einsturz des hohen Thurm- dachs zu befürchten, und die Tausende harrten nur angstvoll, wohin es fallen würde. Der Wind we- hete Tom Dom nach dem Rathhause und drohete noch grösseres Unglück.
Jetzt stürzten brennende Balken nieder , bald sah man die Spitze wanken , endlich gegen ein Uhr hob die Flamme die Spitze etwas empor, die dann hinab auf das Dach der Domkirche fiel, zerbrach und das Dach anzündete, Der Knopf stürzte in zwei Theilen auf den kleinen Domshof.
Der Sturz des Thurms rettete die Kirche, in- dem man sich nun hinan wagen konnte. Das In« nere blieb unversehrt, besonders das Chor, weil es einen besondern Giebel hatte. Der Rath ging nicht auseinander bis den folgenden Tag, wo das Feuer gelöscht wurde. Niemand blieb todt, oder ward be- schädigt. Der Zeiger der Domuhr blieb bis auf ein Viertel yor zwölf stehen ; nach eins ging er bis auf ein Viertel vor zwei und dann wieder auf eins* Man hörte die Domsglocke zum letztenmal zwölf schlagen.
Auch was das Leblose zu leiden scheint, bleibt bei so grofsem Unglück yon der theilnehmenden Menge nicht unbemerkt,
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Den folgenden Tag flog bei hellem Wetter, Sonnenschein und starkem Frost ein Storch um 3 Uhr Nachmittags über der Stadt und kreiste über Liebfrauen -Kirchhof mehrmals. Eine Menge Men- schen liefen hin, es zu sehen. Der Chronist, so diefs erzählt, wünscht andächtig, dafs das frühe Er- scheinen dieses Sommergastes heine böse Folgen haben möge *).
Der andere Thurm, in welchem die Glocken hingen, und der mit der Spitze nur etwas höher war, als das Mauerwerk des ersteren, stürzte im Jahr 1638 mit acht Glocken und der Uhr zusammen, zerschmetterte zwei Häuser, und acht Menschen ver- loren das Leben. Ein Knabe, der unter einem klei- nen Tische safs, um und über welchem sich Berge von Ungeheuern Steinen gethürmt hatten, blieb un- versehrt, und wurde mit grofser Mühe befreit. Der Senat beklagte sich in öffentlichen Schriften, wie die Domherren, nur auf köstliches Leben verses- sen, leicht durch zeitige Reparatur diesem Un- glück hätten vorbeugen können. Von diesem Thurm sieht man äufserlich nichts mehr, indem derselbe sammt dem sehr schönen Portal von einem Hause überbaut ist.
*) Wie der Dom nach dein Brande ausgesehen, sieht man aus zwei radirten Blättern von Nutzhorn, die selten geworden sind. Es ergiebt sich daraus, dafs alles Dachwerk bis auf das hohe Chor, so auch das Dach des am Domsthurm angebauten Hauses verbrannt war. S. Pet. Costers Chronik. MS.
An der Vorderseite des Doms finden sich, wie schon gesagt, Rundbogen, an den übrigen Theilen, in Fenstern und iimern Gewölben durchgängig Spitz- bogen.
Nach Büschings Theorie, womit die bisher an- gestellten Nachforschungen in ganz Deutschland über- einstimmen, würden jene vor das dreizehnte Jahr- hundert zu setzen seyn, diese nach demselben. Die nördliche Seite rührt aus dem Anfang des sechzehn- ten Jahrhunderts her.
Im Innern zeigt sich das Hauptschiff mit dem mächtigen Gewölbe , dessen Gurten in die runden Säulen an den Pfeilern sich verlieren. Ein Quer- schiff vor dem Chor bildet die Form des Kreuzes. An den Seiten des Schiffes führen breite Gänge, jeder mit seinem besondern Gewölbe, nach dem Chor, und hierauf folgen die meistens zu Kapellen bestimmt gewesenen Abseiten, wovon in diesem Dom nur noch eine ist, indem die nördliche bis zur Höhe des Schiffes hinaufgeführt worden.
Der in der Sandstrafse sichtbare fliegende Stre- bepfeiler, der das Chor stützt, zeigt deutlich, dafs die Breite und Höhe dieser Abseite gerade so wie die der entgegengesetzten gewesen, auf welcher letztern sämmtliche fliegende Pfeiler in der ganzen Länge noch vorhanden sind. Die untere Fensterreihe hat in der Spitze jene einfachen Spitzbogenverzierungen, die mit der Halfschen Weidenruthen -Architektur übereinkommen. Die Spitzen der zweiten Fenster- reihe sind kunstreicher, und das letzte Fenster in
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der Sandstrafse verdient besondere Betrachtung; doch sind diese Verzierungen nicht so auffallend, dafs wir bei Betrachtung derselben in die schönen Verse des Dichters ausbrechen könnten:
_____ — — __ Mondenschein Blickt durch dünn Gesäul von Stein j, Das Laubbildwerk schön verband. Hat aus W eidenzweigen schwank , Zwischen Pappeln hoch und schlank j Wohl geschlungen Feenhand Manch verworren phantastisch Band j Und durch Spruch > als es vollbracht j Das Gezweig zu Stein gemacht ?
Dafs aber dem Baumeister des eilften Jahrhun- derts die Idee seines Baues Mar aufgegangen, dem aus dem sechzehnten aber nicht, zeigt sich deutlich* Ein gewaltiges Werk , jäh von allen Seiten him- melan steigend, widersprach dem Schönheitssinn des Baumeisters, weil es ungeheuer erschien. Durch Ansetzung von nur halb so hohen Abseiten erhob sich das Hauptschiff majestätischer, indefs das Auge durch die allmäiige Schmalerwerdung beruhigt wurde. Die auf die niedrigen Abseiten aufgesetzten Strebe- pfeiler, gleichsam Arme, die das Ganze hielten, gestatteten die mannigfaltigsten Verzierungen, wie man sie besonders im Dom zu Cölln bewundert, indem diesen Strebepfeilern durch die spitzenar- tige Durchbrechung die Schwerfälligkeit benommen
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wurde. Die norddeutschen Kirchen haben selten diese Verzierungen der Pfeiler, so auch nicht un- ser Dom, und eben so wenig die schone Marienlur- che in Lübech.
Indem Cord Poppelken im Anfang des sech- zehnten Jahrhunderts das Seitenschiff am Domshof breiter machte , und es bis zur Höhe des Haupt- schiffes beinahe erhob, hat er bewiesen, dafs ihm die wahre Idee des ersten Baumeisters nicht aufge- gangen, dafs überhaupt die deutsche Baukunst von dem Zeitalter nicht mehr begriffen war. Doch be- wundern wir des Baumeister Cords treffliches Ge- webe der Gewölbegurten oder Bippen, obgleich die Gewölbe, wie es sich an den vielen eisernen Rie- geln zeigt, zu schwach sind; und wir haben uns über gestörte Symmetrie überhaupt nicht zu bekla- gen, da die alte beibehaltene Südseite gar nicht in Verbindung mit der neuen von Aufsen gesehen wer- den kann.
Indessen läfst sich nicht leugnen, dafs jene halb dunkeln, dämmernd grofsen Massen des Mittelalters zum protestantischen Gottesdienst nicht mehr pafs- ten, und so wie die Begriffe heller wurden, auch auf gröfsere Helle der kirchlichen Gebäude gesehen wurde. Auch erforderte der protestantische Got- tesdienst einen grÖfsern, einer ganzen Gemeinde Zugleich nutzbaren Raum. Jene erhöhete Abseite unsers Doms hat denselben so hell und heiter und so viel geräumiger gemacht, dafs wenigstens nicht mehr mit Snaollet an Uebereinstimmung der Bauart
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des Mittelalters mit der maurischen zu denken ist, welches wir ohnehin nicht zugeben können *).
Der Dom ist 297 Fufs lang, 124 breit; die Hohe hat 102 bis 105 Fufs. Er bildet mit dem Domsum- gang ein Viereck, wovon er eine Seile ausmacht. Die nach dem Umgang gerichtete Abseite ist noch in ihrer ursprünglichen Form, Höhe und Breite, mit den fliegenden Strebepfeilern oder überschlagenden Bogen, um dem Druck des Dachs zu widerstehen, und gerade so ist auch die Nordseite gewesen. Diese, bis an das Dach der Kirche erhöhet, be- durfte nun nicht mehr der fliegenden Pfeiler, son- dern stützte das Dach durch eigene Kraft und mit Hülfe der mit der Mauer eine Masse bildenden Stre- ben. Die Verzierung des Geländerwerks in dem Umgang gehört in die Spitzbogenform, und ist ohne zierliche Ausführung.
*) Er sagt: „Wenn ich die gewaltigen allen Sonnenschein fast ausschliefsenden Massen in der guthischen Architektur be- trachte, so kann ich nicht umhin, an eine Architektur mauri- schen oder südlichen Ursprungs zu denken, wo es darum zu thun war, kühle Gebäude zu schaffen. Betrachtet man selbst in Spanien die Ueberreste maurischer Palläste, so dringt es sich gleich auf, dafs hier von keiner Zierlichkeit, Heiterkeit, Symmetrie die Rede war, sondern lediglich von Kühlheit. Ein Gebäude in einem heifsen Laude, das für zahlreiche Versamm- lung bestimmt war, erforderte doppelt jenes Abgeschiedenseyn von der Sonne, und da in jener Zeit die mathematischen Wis- senschaften von den spanischen Mauren ausgegangen sind, warum nicht auch eine andere Architektur ? Bestätigung findet sich in den ältesten spanischen Kathedralen." Diese Ansicht, so unstatthaft und der Geschichte der deutschen Baukunst entgegen, ist doch immer noch besser als die Half/sehe Wei- dearuthen-Theorie.
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Fragt man nun nach den Merkwürdigkeiten des Doms, so ist von den ersten Reformatoren Bremens trefflich gesorgt worden, dafs Altäre, Heiligenbilder von Stein und Holz, und Gemälde hinausgeschafft würden, und die leeren Wände sehr vernünftig und kalt sich darstellen möchten; auch konnte manche schöbe kupferne Tafel auf einem Grabmahl gut zu Gelde gemacht werden, und mufste zum Kupferschmidt wandern. Im Jahr 1586 wurden auf Verlangen der Geistlichkeit alle Hochaltäre aus den bremischen Kirchen weggeschafft. Was also noch jetzt vorhan- den , ist kaum der Rede werth. UrFenbach sah noch im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in einer Seitenkapelle des hohen Chors den Platz, wo Cos- mus und Damianus begraben gelegen. Ueber dem Ge- wölbe waren sie auf zwei Feldern klein in Stein ge- hauen, der eine verbindend, der andere Oel auf- giefsend, weil sie Aerzte gewesen. Tor der OefF- nung des Gewölbes war ein kleiner Altar ; die Steine der Treppe, die zu demselben führte, sollen von den vielen Gläubigen ganz abgekniet gewesen seyn. Die Gebeine der beiden heiligen Aerzte sind nach der Reformation an einen Bischof von Paderborn für viel Geld verkauft worden. Die alten Grabsteine, er- zählte der Küster unserm gelehrten Reisenden, wür- den oft herumgedreht, und neue Grabschriften drauf gehauen. »Solche Veneration und Verstand, ruft er mit Recht aus, hat man in einer solchen vornehmen S tadt vor alten Monumenten ! «
Unter das Wenige, was wir von den vormali-
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gen Merkwürdigkeiten des Doms wissen können, ge- hört ein auf Pergament mit goldenen Buchstaben geschriebener Psalter, den die Kaiserin Hildegardis gebraucht, und welchen Karl dem Pabst Hadrian, dieser dem ersten Bischof von Bremen, Willehad, geschenkt hatte. Er wurde über acht hundert Jahre lang im Dom als ein besonderes Heiligthum ver- wahrt, und mit andern Reliquien an hohen Festta- gen dem Volke zur Verehrung gezeigt. Nach der Reformation kam er, man weifs nicht wie, nach Wien *). Von Kaiser Karl dem Grofsen waren noch ein silbernes, vergoldetes , mit Edelsteinen eingefafs- tes Kreuz, sein kaiserlicher Rock, in welchem an hohen Festtagen das Evangelium im Dom gelesen werden sollte, eine silberne Flasche mit Heiligen- bildern verziert, seine prachtvollen Handschuhe und Sandalen dem Willehad geschenkt worden.
Eine Dombibliothek ist nicht vorhanden. Die Königin Christine von Schweden liefs dieselbe mit dem nach Stade versetzten erzbischöflichen Archiv nach Schweden bringen, und das Schiff ging auf der Fahrt unter.
Das Holzschnitzwerk an den Chorstühlen mit allerlei grotesken, oft anstöfsigen Figuren kann für
*) Ob das Horarium, welches ein englischer Reisender noch im Jahr 1820 in der kaiserl. Bibliothek, gesehen, und von wel- chem ihm gesagt worden, dafs es der Hildegardis gehört habe, das Buch sey, das einst unser Dom besessen ist mir ungewifs. Jenes Horarium, wie es der Reisende vielleicht fälschlich be- nannt hat, ist auf Pergament mit goldenen Buchstaben.
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eine halbe Stunde Unterhaltung gewähren. Einiges Bildwerk aus feinem Sandstein, auf s Sauberste und Geschmachvollste in Arabeskenmanier ausgearbeitet, ist nur ein trauriger Beweis, dafs einst Schönes in diesem Dom vorhanden war; aber auch dieser Ueber- rest ist versäumt. Besonders hat die Gallerie an der Nordseite ein treffliches, aus Stein gearbeitetes Geländer. Aehnliches sieht man unter der Orgeh
Eine alte aus Eisen gegossene Taufe, anderthalb Zoll dick, rundum mit vergoldeten Zierrathen, ohne Inschrift, ruht auf vier bronzenen Gestalten, die ge- wifs ein höheres Alter, als die Taufe haben, und nicht ursprünglich zu diesem Zweck bestimmt ge- wesen zu seyn scheinen, indem sie in keinerlei Weise befestigt sind. Zwei Männer und zwei Frauen reiten auf vier Löwen, jene frei, die Arme in die Seite gestemmt, diese ängstlich, krumm, die Löwen an den Ohren fassend. Diese Bilder schei- nen von uraltem Machwerk.
Yon so vielen Reliquien, deren sich vor Alters der Dom berühmte, und den kostbaren Behältern, worin sie sich befanden , von der heil. Scholastica, dem St. Benedikt, der heil. Anna, Mutter der Mut- ter Gottes, und andern heiligen Leichnamen, so auch von dem Schwerdt, womit Petrus dem Malchus das Ohr abgehauen, ist, wie begreiflich, nichts mehr vor- handen.
Die mystischen Gemälde an den Lettnern sind kläglich. Das jüngste Gericht, ein sehr grofses Oeh gemälde , ein ex voto einer bremischen Bürgerin,
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ist etwas besser, ohne ausgezeichnet zu seyn. Da der Teufel auf diesem Bilde in stahlblauer Farbe erscheint, so sagt der gemeine Mann in Bremen, der lutherische Teufel sey blau. Unter dem Ge- mälde steht H. Berichau fec. Hamb. An. 1698.
Das Wahrzeichen des Bremer Doms für die Handwerksbnrsche ist eine auf einem Grabmahl ab- gebildete Windmühle des Walls, die gerade über Adams Haupt erscheint, der eben mit Eva den Apfel versucht. Auf einem andern Denkstein sieht man den Senior Friedrich Schulte, der ganz un- entschlossen nach der blutenden Wunde Christi und nach der Brust der Mutter Gottes blicht, und der gute Mann weifs nicht, wohin er sich wenden soll, ob zu den Wunden des Sohnes, ob zu den Brüsten der Mutter; vel ad yulnera filii, vel ad ubera matris, so sagt die Inschrift.
Im Kreuzgang findet sich auf einem Stein das Wappen der Stiftsvasallen von Stein, zwei flache Hände. Die Sage aber erzählt, ein Knabe habe seine Mutter geschlagen , und als er gestorben sey, habe die Erde die ruchlosen Hände nicht bedecken wollen, bis die Mutter mit der Ruthe darauf ge- schlagen.
Von dem Denkmal des Friesenhäuptlings Gerold ist oben gesprochen.
Zu einem hölzernen, fleifsig angestrichenen Al- tar im Chor möchte man sagen: Que me veux-tu? Gleiches zu Gleichem! Wird das Alte auch nicht erreicht, so suche man sich ihm doch wenigstens zu
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nähern. So sehr die Kunstrichtung irgend eines Zeitalters mit den Sitten, der kirchlichen und politi- schen Verfassung zusammenhängt, und also in einem veränderten Zeitalter nicht wiederherzustellen ist, so mag doch wenigstens das Vorhandene als Vorbild bei Reparaturen oder Zusätzen dienen.
Unter den auffallenden Festen , die in dem Dom und den andern bremischen Kirchen gefeiert wur- den, war das Lanzenfest zum Andenken und zur Verehrung der Lanze , womit der römische Kriegs- knecht Christo in die Seite gestochen *). Es wuixle zuerst im Jahr 1353 in Bremen gefeiert. Erzbischof Rode's Missale enthält die lateinische Hymne auf die- ses Fest, wovon die letzten Strophen also lauten **).*
Qrufs dir , Eisen des Triumphes! In die Brust des Hohen dringend Oeffnest du die Himmelsthür.
Du j, mit seinem Blut befeuchtet j Speer > verwunde unsre Herzen Mit des Opfers Liebe, du,
Mögen durch das Blut befeuchtet Ifnd befestigt durch die Nägel Unsre Herzen immer seyn.
*) Innocens VI. hat es im Jahr 1353 auf Verlangen Kaiser Kails des Vierten gestiftet, und auch (S. die Bulle in J. H. von See- len Miscell. T. 1. 394.) im Stift Bremen angeordnet.
**) Hodiernae festum lucis etc.
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Gru fs dir , Jesus Nazarener , Der j um unsre Schuld zu tilgen, Uebernahmst den bittern Tod.
Den erhabnen T^ater sühne j Dafs mit seines Himmels Sei' gen Ewig kröne uns sein Ruhm.
Berühmte Todte sind nicht in dem Dom beer- digt, aufser den Bischöfen Willehad, Anschär, Her- mann, Bezelin, Adalbert, Liemarus, Hildebold, Gi- selbert, Florens, Otto, Albert, Otto II., Johann, Balduin, Gerhaid III., Johann II.
Der bekannte Freiherr Adolph yon Knigge, han- noverischer Landeshauptmann in Bremen, ein Mann, der durch ein gutes Liebhabertheater den Geschmack für die dramatische Kunst unter den Bremern be- lebte, und dessen beifsender Witz sich noch in vie- len Anekdoten im Andenken erhalten hat, ruht im Chor bei den alten Erzbischöfen. Sein Buch: Ueber den Umgang mit Menschen ist leider nur in zu vieler Menschen Hände gekommen, und hat nicht wenig zur frivolen Ansicht des Lebens in seiner Zeit beigetragen. Nicht Schauspiel und Ro- man wirkt so verderblich, als eine dem grofsen Hau- fen zugängliche leichte Philosophie, in welcher jeder Flachkopf seine eigene Nichtswürdigkeit auf schein- bare Vernunftgründe gestützt findet.
Unter den spafshaften Grabschriften des Doms finden sich folgende; Anno D. 1397 Sabb. post as-
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censionis obiit: Habe qui cum Elisabe uxore sua etc., und diejenige auf den Donrvikar und Leh- rer Christoph Stein, die aber nicht mehr zu sehen:
Unter diesem Stein liegt ein andrer Stein,, Gott wolle der Seelen gnädig seyn *).
In dem Dom findet man den Grabstein einer Frau von Mandelsloh, deren Mann, gewesener Struc- tuar am Dom, zu Braunschweig, wohin er sich in den schwedischen Unruhen geflüchtet, begraben ist. Dort wurde er auf einem Kirchhof krank, setzte sich auf einen Leichenstein und starb. Er hatte sich in Bremen zur Zeit einer Pest einen schönen Sarg machen lassen, in welchem er ruhen wollte. Diesen füllte er jedes Jahr ganz mit Korn, welches er an Arme vertheilte. Ein Dr. von Büren hatte diesen Sarg lange auf seinem Boden stehen, und liefs end- lich im Jahre 1725 seinen Hofmeier in Osterholz hineinlegen.
Eine der bekanntesten Merkwürdigkeiten Bre- mens befindet sich in unserem Dom; es ist der be- rühmte Bleikeller. Die Bleitafeln, womit der Dom zum Theil gedeckt ist, sollen in diesem Gewölbe gegossen worden seyn. Zufällig wurde vor beinahe zwei hundert Jahren die Eigenschaft an demselben entdeckt, dafs seine Luft todte Körper vor Yerwe-
*) Aus einem Manuscr. Inscriptiones Brem.
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sung schützte. Mehrere Leichname, auch vierfüfsige Thiere und Vögel erscheinen in einem ausgetrock- neten Zustande ohne Spur von Verwesung. Die Gebeine sind wie mit Pergament überzogen, Zähne, Haare und Nägel sind geblieben ; die Farbe ist weifs, und man kann bei dem Anblich dieser Körper bei weitem nicht an Mumien denken. Die hohe Lage des Doms und die trockene und scharfe Luft in dem Gewölbe, die durch vier vergitterte Oeffnungen hereinströmt, erklären vielleicht diese Erscheinung, welche häufiger ist, als man glaubt. Ja selbst in der Gruft der Familie Erskine in unserm Dom fand man beim Eröffnen eines Sarges ein Frauenzimmer in wohl erhaltenem Zustande.
Der German Spy (vor 90 Jahren) sagt: Vor ei- nigen Jahren wurde dieses Gewölbe bei Reparirung der Orgel einem Bleigiefser eingeräumt, um die Pfei- fen zu giefsen. Die Särge wurden bei Seite und auf einander gesetzt, um Platz zu machen. Einer der Arbeiter, in der Hoffnung etwas zu finden, oder aus Neugierde, öffnete einmal, als er allein war, einen Sarg, und fand den Leichnam trocken. Er erzählte diefs den Uebrigen, man öffnete auch die an- dern Särge, und fand sämmtliche Leichname in deni- selbigen Zustande.
Der Dom liegt nur von zwei Seiten vorteil- haft; ein Theil der Vorderseite, und das nördliche hohe Seitenschiff, seitdem die zwischen den Strebe- pfeilern eingeklebten Häuser weggebrochen sind, steht ganz frei an dem weiten Domshofe; die andern Seiten
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sind mehr oder weniger von Häusern versteckt. Ihn von allen Seiten freizustellen ist nicht ausführbar, und könnte es geschehen , so müfste der einge- stürzte Thurm wieder erbauet, und die südliche niedrige Abseite mit den fliegenden Pfeilern breiter und höher werden, sonst würde das Ganze einen unangenehmen Eindruck machen. An solche grofse Unternehmungen ist nicht zu denken, da es wirklich eine Menge öffentliche dem Mittelalter unbekannte Bedürfnisse giebt, die wichtiger sind, als solche Bauten. Und wozu auch, da man nie so viel von den umgebenden Häusern wird wegbrechen können, dafs der Dom als ein Ganzes erscheint?
Die Geschichte der bremischen Erz bi schüfe knüpft sich natürlich an unsern Dom. Die wichtig- sten sind jedoch mit ihren vorzüglichsten Unterneh- mungen gelegentlich genannt. Von der Unwissen- heit der bremischen Domherren hat sich eine selt- same Anekdote erhalten. Sie feierten einst schon das Osterfest, ob aus Unwissenheit oder aus Acht- losigkeit ist ungewifs, als andere Christen erst den Sonntag Oculi begingen; darüber wurde ihnen der Yers zum Spott gemacht:
Asini Bremenses cantaverunt : Resurrexi Cum populus Dei cantavit : Oculi mei.
Die vortreffliche, aber schwer zu spielende Or- gel ist im Jahr 1698 von Schnlttger, einem in ganz Europa berühmten Orgelbauer, verfertigt worden.
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Die kurzen Nachrichten, die ich nur nach Tie- . lern Nachforschen über unsern Dom zusammenbrin- gen konnte, schliefse ich mit einer allgemeinen Be- trachtung. Man hat oft gefragt, ob sich denn jene so herrliche deutsche Baukunst , wovon auch unser Dom so treff liche Proben giebt, nicht wieder ins Leben zu- rückrufen lassen könne ? Darauf dient eine vielleicht einfältige, aber doch von Manchem nicht bedachte Antwort, nämlich, wenn alle die Umstände wieder zurückkehren, unter denen jene Bauart zeitgemäfs wurde, so wird auch wieder so gebauet werden, und wenn diefs nicht der Fall ist, so wird alle Be- mühung in dieser Rücksicht vergebens seyn. So lächerlich es erscheint, wenn gothische Fenster, Thüren oder andere Verzierungen modernen Gebäu- . den aufgeflickt werden, so unangemessen erschei- nen die Reparaturen in der Manier der griechischen oder römischen Baukunst in den Kirchen des Mittel- alters. Es ivSt schon schlimm genug, dafs diese von den Protestanten nun gebrauchten Kirchen , wo das Anhören der Predigt ein Hauptzweck ist, da hin- gegen in den katholischen Kirchen das Niedersinken, Anbeten aus der Tiefe, wenn das Allerheiligste er- hoben wurde, Zweck war, nun mit Lettnern ver- unstaltet worden. Findet man aber vollends höl- zerne Säulchen, winzige Kapitälchen in jonischer und korinthischer Ordnung, Urnchen, Galleriechen, Alles fein säuberlich angepinselt, so mufs man sich besinnen, durch welchen Unstern diese Sächelchen in einen hehren Christentempel des dreizehnten
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Jahrhunderts gekommen. Ich zähle mich nicht zu den Rigoristen, die alles Widerstrebende mit Stumpf und Stiel verwerfen wollen. Die festen Gebäude sind einmal da; niederreifsen und neu erbauen wäre in aller Art unsinnig; aber da ihre erste Bestim- mung nicht mehr ist, da sie zum protestantischen Gottesdienst eingerichtet werden mufsten, und nach Maafsgabe, als die Gemeine wächst, Neuerungen nothwendig sind, so wäre es nun hier eine schöne Aufgabe, sich von dem Genius des ursprünglichen Erbauers wenigstens in so weit warnen zu lassen, dafs nicht, wie Horaz sagt, Menschenkopf und Pfer- dehals vereinigt werden. Auch hierin ist ein grofses Verdienst von unsern Architekten zu erwerben, wenn ihnen anders freie Hand gelassen wird.
»Gewifs ist es,« sagt ein schätzbarer gelehrter Architekt, »dafs Schönheit und Zweckmäfsigkeit nicht an eine einzige Bauart und an die Autorität berühm- ter Männer gebunden sind, dafs jedes Kunstwerk nur nach den Gesetzen innerer Vollkommenheit beur- theilt werden kann, und dafs jedes Gebäude, was in seinen Theilen unharmonisch und unregelmäfsig er- scheint, schlecht ist, es heifse gothisch, römisch, griechisch oder modern. Es ist zu wünschen, dafs diese Ueberzeugung recht allgemein werden möge; denn in keiner Wissenschaft oder Kunst scheint so häufig der Schlendrian und die Befolgung alter so- genannter Kunstregeln, mit alleiniger Schätzung, ob ein Gebäude sich mehr oder weniger dem römi- schen oder griechischen Styl nähert, mit Nichtach-
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tung der ewigen Regeln des Menschenverstandes verbunden zu seyn , als gerade in der Baukunst.«
Liebfrauen - Kirche.
Ob diese Kirche von Willerich dem Zweiten, Bischof von Bremen, der fünfzig Jahre seine geist- liche Würde bekleidete, und viele Kirchen bauen Hefs, oder von Ansgarius unter dem Namen St. Veits- Kirche errichtet worden, ist nicht sicher, gewifs aber war sie die erste Pfarrkirche in Bremen. Sie war zuerst von Holz , und wurde bei dem Ueberfall der Hunnen im Jahre 916 verbrannt. An ihre Stelle ward eine neue errichtet, aber auch diese schon im Jahre 1160 wieder abgebrochen, und die jetzt noch vorhandene von (Quadersteinen aufgeführt. Die Gemeine hatte seit der ersten Stiftung so zugenom- men, dafs kaum zehn Geistliche hinreichten, um die Pfarrdienste zu verrichten. Durch ein Breve Gre- gors des Nennten wurde daher Erzbischof Gerhard der Zweite beauftragt, die Gemeine in drei Pfarren zu vertheilen. Diese Kirche hat zwei Thürme; einer, die Tresenkammer dieser Kirche, enthält das ge- heime Archiv der Republik, das jedoch nur grofs- tentheils die Originalien derjenigen Urkunden in sich fassen soll, die längst abschriftlich in Aller Händen sind; also nur darum geheim und heilig ist, weil es Niemand anrührt, nach dem bekannten französischen Yers. Auf dem Rande der grofsen Glocke, die, nachdem sie einmal geborsten war, wieder umgegos-
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sen wurde, stehen einige gute lateinische Verse in folgendem Sinne :
Als ich der Jungfrau einst geweiht noch war, da zer- brach ich ,
In der neuen Gestalt dien' ich dem Heiland allein !
Du, so oft dein Ohr vernimmt die rufenden Töne 3
Sprich: Kor des Weltrichters Thron heißt mich er- scheinen der Klang.
Erz bin ich, du Staub ; mögf länger dauernd als Erz
sejn
Dieses Gebäud? \ und stets hallen 'vom Preise des
Herrn.
Zwei Prediger versehen den Gottesdienst an dieser Kirche. Die Orgel ist ein Meisterstück von geschmackloser , überladener Verzierung. Sie ward im Jahre 1635 verfertigt und kostete vier tausend Beichsthaler *). Der Organist erhält aufser seinem Gehalt zwei Bremer Mark aus der Rhederkammer für die Verpflichtung, jährlich das Vasmerk reuz in der Vorstadt zu besichtigen, damit dasselbe im Stande erhalten werde.
Unter der Orgel stand eine im Jahre 1317 ge- gossene kupferne Taufe. Sie wurde im Jahre 1723 weggenommen und verkauft. Sie wog 582 Pfund,
*) Coslers Chronik. MS.
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Ob sie alterthiimliehen Kunstwerth gehabt; ist un- bekannt.
Noch im Jahre 1567 wurden Lichter in dieser Kirche beim Gottesdienst gebraucht. Von den letz- ten Seelbädern *) ist im Jahre 1565 die Rede. Seit dem Jahre 1527 werden die Geistlichen nicht mehr Kerkherren, sondern Prädikanten in L. F. K. ge- nannt.
Mehrere ziemlich grofse Grabmäler zeichnen sich durch Kunst nicht besonders aus. Die Glasge- mälde an den Fenstern verdienen besehen zu wer- den. Diefs ist durchaus Alles, was von den innern Merkwürdigheiten dieser Kirche aufgefunden werden konnte. Die Architektur derselben heischt unmittel- bar nach dem Dom und den Klosterkirchen ihren Rang, ohne sich jedoch auszuzeichnen.
Die Brüderschaft der Mutter Maria der Barm- herzigkeit hatte eine wohl ausgezierte Kapelle in L. F. K. , wo das Sonnenbild der Jungfrau Maria hing. Das Bild war von Holz, wohl angemalt. Mut- ter und Kind mit einem Heiligenschein. Von allen Seiten gingen Sonnenstrahlen aus.
So wenig eine Grabschrift die Versicherung ge- ben kann, dafs sie in Wahrheit das Verdienst desje-
*) Man hat diesem Ausdruck noch andere Bedeutungen beilegen wollen. Er ist aber wirklich wörtlich zu nehmen, denn Seel- bad nannte man ein Bad, das zum Besten der Seele des Stif- ters den Dürftigen bereitet wurde. Wenn mehrere zugleich solche Seelbä'der nahmen, so mochten sie aus langer Weile viel schwatzen, daher vielleicht das Wort: Saalbadern.
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nigen ausspricht, den der Stein bedeckt, so finden sich doch manche , die von unwiderstehlicher Wahr- heit zeugen, und bei deren Betrachtung man sich der Trauer nicht erwehren kann, wenn man sieht, wie es immer mehr abzukommen scheint, dafs die Ueberlebenden die Todten durch Stein und Schrift ehren. In dieser Kirche ist eine lateinische Grab- schrift auf eine Frau Adelheid Alers, eine edle fromme Matrone, ein seltenes Muster der Beschei- denheit, im Hause sparsam, gegen Dürftige freige- big, die beweinte Mutter von sechs mit eige- ner Brust aufgesäugten Töchtern.
Am .Sonnenweiser dieser Kirche steht ein latei- nischer Vers folgendes Sinnes:
Wie dem Zeiger der Schatten j so folgt der Tod unser n Schritten.
St. Martini - Kirche.
Pabst Gregor der Neunte verordnete durch ein vom 1. August 1227 datirtes Breve die Vertheilung des bisher einzigen Kirchspiels U. L. F. in drei ver- schiedene, deren Grenzen noch heut zu Tage, so wie sie im Breve angegeben, genau zu erkennen sind. Durch die starke Zunahme der Bevölkerung war diese Maafsregel no Inwendig geworden. St. Mar- tini-Kirchspiel umfafste das älteste von der Balge und der Weser begränzte Bremen. Die auf Kosten der Bürger im Jahre 1376 durch den Bathmann Arend üoneldey begonnene und in acht Jahren vollendete
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Kirclie konnte ohngeachtet mancher Anstalten nicht gegen Ueberschwemmungen gesichert werden , die oft lange Unterbrechungen des Gottesdienstes mit sich führten, bis durch eine Erhöhung des Bodens, wie des die Kirche umgebenden Terrains, diesem Uebel auf immer abgeholfen wurde. Alle diese Be- schädigungen, so wie die geringen Einkünfte, konn- ten nur durch oft ertheilten Ablafs für Alle, wel- che für die Kirche etwas stiften würden , gedeckt werden.
Auch diese Kirche hat gar nichts im Innern für den Beschauenden, ist auch als yormalige katholi- sche Kirche, wie alle in Bremen, sehr lästig einge- richtet, so dafs dem Geistlichen das Predigen schwer wird, und bei aller Anstrengung der Vortrag in man- chen Theilen des Gebäudes undeutlich schwirrt, wenn die Stimme auch vernehmbar ist. Zwei Pre- diger sind an derselben angestellt.
Tieman, der den Streit wegen der Ubiquität gegen Hardenberg anregte, und dadurch zu so man- chen den kleinen Staat beunruhigenden Streitigkei- ten Veranlassung gab, war Prediger an dieser Kir- che. In neuern Zeiten hielt der liberale, geistrei- che und gelehrte, seit kurzem in Zürich verstor- bene J. J. Stolz eine lange Beihe von Jahren hin- durch hier seine der Martinigemeine unvergefsliche Vorträge , die , obgleich ohne empfehlenden Vor- trag, ja auch nur mit wenigem Schmuck der Diction, dennoch auf die Zuhörer einen grofsen Eindruck machten, indem sie dieselben auf ihr Inneres ver-
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wiesen , ihnen für die geschäftige Woche zu den- ken gaben , und so wesentlich zur moralischen und geistigen Ausbildung dieser Gemeine beitrugen.
St. Ansgarii - Kirche.
Es wäre nicht Recht, wenn wir den vornehm- sten Heiligen der Bremer Kirche, einen Mann, der wegen Verbreitung des Christenthums dem ganzen nördlichen Deutschland, wie den scandinayischen Ländern, sehr wichtig ist, unberührt lassen wollten.
Der heil. Ansgarius war in Frankreich geboren, verlebte seine Jugend in dem Kloster Corby bei Amiens, wurde dann im Jahre 823 in das kurz zu- vor von Ludwig dem Frommen gestiftete Kloster Corvei an der Weser versetzt, predigte das Evan- gelium in Jütland, und wurde von Kaiser Ludwig dem Frommen zum Erzbisehof des neu errichteten Erzstifts Hamburg ernannt, und von Drogo, Bischof von Metz *) in Worms 831 im Beiseyn vieler geist- lichen Oberhirten geweihet ; Gregor der Vierte ernannte ihn zum Legaten über alle Norderlande. Er fuhr fort in Dänemark und Schweden das Evan- gelium zu verkünden, entwich aber vor zu star- ker Verfolgung nach Flandern, wo er Rembertus seinen Nachfolger kennen lernte, und zum Gehülfen
*) In mehreren Abschriften der Runnerschen Chronik heiftt er fälschlich Drogo von Mentz. Drogo, ein unehelicher Sohn Karls des Grofsen war Bischof von Metz.
Der erhaben triumphiret , Seliger Ansgarius.
Auf genährt in Corbit's Höhlen , Bald in Heiligkeit erhaben Steigt er auf zur höchsten Stufe, Steigt hinauf zum Erzbifsthum.
Und es füllt der Wind die Segel , Zu den Dänen geht der Heilige, Und das Himmelslamm 'verkündet
Er selbst an dem Ziel der Welt.
Der Barbaren dürre Herzen Tränkt er aus dem süfsen Brunnen Gottes Wortes,, und mit Zeichen Und mit hohen Tugenden.
Sieger wird er dreier Reiche, Stürzt der Heiden Tempel nieder, Und den eiteln Dienst der Götzen Treibet er von ihnen aus.
Und von Glauben stralen Dänen, Und die Schweden und Norweger , Und Grönländer und Isländer Unter Bremens Erzbischof
Seele du, nach Oben strebend, Salz und Licht der weiten Erde,
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Stets von ew'gem Glänze stralend , Unterm Scheffel nicht versteckt.
Mit emporgehobnem Herzen Lebewohl sagt er den Brüdern ■ Schwebt hinauf in sei' gern Fluge
Zu des Himmels Engelschaar.
O Ansgarius frommer HirtCj Sey du Führer dieses Lebens Allen j die dich heut verehren
Auf dem Pfad der Tugenden.
Leit* in diesem Pilgerthale Du zur Hürde deine Heerde Dafs grausamer TV^ölfe Rachen Morde nicht die irrende.
Der heilige Ansgarius oder Anscharius ist von besonderer Wichtigkeit für die bremische Kirche.
Unter seinen Stiftungen wurde diejenige zum Unterhalt zwölf armer Männer die berühmteste. Aus ihr ging die Ansgarii- Kirche hervor. Hartwich der Zweite verwandelte mit päbstlicher Bestätigung diese Stiftung *) in ein Kollegiatstift für zwölf Kanoni-
*) Das in Menk Script. Rer. germ. fehlerhaft abgedruckte Doku- ment ist vom Jahre 1187. Es ist aufser von Geistlichen auch von erzbischöflichen Ministerialen unterzeichnet.
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eben zur Ehre Gottes, seiner heiligen Mutter und des heil. Ansgarius, und vergabte ihm manche Gü- ter, die durch den westphälischen Frieden von der Königin Christina von Schweden, als ersten weltli- chen Beherrscherin des Erzstiftes Bremen , eingezo- gen wurden.
Die Bestätigung Clemens des Dritten ertheilt dem Ansgarii-Kapitel das Vorrecht, wenn das ganze Land im Interdict wäre, bei verschlossenen Thüren, ohne Läuten der Glocke , mit leiser Stimme den Gottesdienst zu feiern, auch den Probst sich zu wählen, und die Präbenden, an wen es will, zu vergeben. Auch schenkte Hartwich diesem Kapitel seine eigenen bedeutenden Grundbesitze. Die Kano- nichen hatten in Willehadi und St. Michaelis ihren Gottesdienst 37 Jahre lang gehalten, bis die Kirche nach der Theilung der Liebfrauen -Kirche gebauet wurde. Nach Chrodegangs Regel lebten sie in en- gen Klausen beisammen in einem Hause. Darauf bezogen sie Jeder sein eigenes Haus. Unwannus hat diese monasterische Regel in die kanonische ver- wandelt, aus Mönchen wurden Canonici reguläres, aus diesen seculares.
Renners kurze Beschreibung der Kostbarkeiten dieser Kirche giebt uns von der Arbeit keinen Begriff.
Der Stifter und Wohlthäter dieses Stifts, Hart- wich, war nach seinem Tode 1207 im Dom beige- setzt worden. Als aber im Jahre 1243 Ansgarii- Kirche fertig geworden, wurde sein Leichnam von
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den Kanonichen mit vieler Feierlichkeit dahin ge- bracht, und sein Gedächtnifs jährlich begangen.
Kurz nachdem die beiden Kirchspiele aufser der Liebfrauen -Kirche durch Erzbischof Gerhard waren bezeichnet worden, schritt man zur Erbauung der Ansgarii-Kirche. Nur dreizehn Jahre hatte der Bau gedauert, und im Jahre 1243 stand das Ganze da, wie es noch zu sehen. Der Thurm soll sich durch eigenes Gewicht tragen und ohne Fundament gebaut seyn. In so fern ein spitziger Thurm, eine Form, die, wenn sie auch durch diejenige der Obe- lisken und Pyramiden der Aegypter alterthümlich geheiligt seyn mag, dennoch geschmacklos und un- zweckmäfsig genannt werden mufs, ja auch den Mi- narets der Mahomedaner nachgeahmt ist, schön seyn kann, mag der Ansgarii- Thurm zu den schönsten gerechnet werden. Er steigt in sehr edlen Verhält- nissen bis zu einer Hohe von 324 Fufs. Nirgends zeigt sich die kunstreich durchbrochene Arbeit, jene Nachahmung der Spitzen und der Stickerei, die man so sehr an andern Thürmen des Mittelalters bewun- dert, und deren Festigkeit bei all dem zahllosen Gesäul und Gebild den Baumeistern unserer Zeit als ein Wunder erscheint.
In verschiedenen Zeiten wurden von frommen Bremern eine Menge Altäre in dieser Kirche gestif- tet, und viel Land dazu vergabt, theils als Gelübde aus Frömmigkeit, theils zur Seelenruhe verstorbe- ner Angehörigen , so dafs das Eigenthum der Kirche bedeutend wurde.
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Diese Kirche besteht aus einem dreifachen Schiff: Die reiche dahin eingepfarrte Gemeine sorgt lobens- werth für Sauberkeit und Heiterkeit des Innern, so dafs die Kirche, obwohl alt, dennoch hell und freundlich, wie die neuesten, erscheint; dagegen bilden aber auch manche kleine, unpassende Verzierungen einen unangenehmen Kontrast mit den alterthümli- chen Formen des Bauwerks. Im Allgemeinen aber verdient auch die Architektur dieser Kirche kein besonderes Lob, und entspricht keinesweges dem schönen Thurm. Die bekannten Streitigkeiten zwi- schen Reformirten und Lutheranern hatten zur Fol- ge, dafs an die reformirte Ansgarii- Kirche zum erstenmal ein lutherischer Geistlicher gewählt wurde. Auf diese Weise hat die Ansgarii-Gemeine das erste Beispiel einer Yereinigung beider Konfessionen in ge- wisser Art gegeben, also den ersten Schritt in einer Sache gethan, die vor einigen Jahren so vielfach in Deutschland verhandelt und besprochen worden ist, ohne dafs einer Seits die Ausführbarkeit, anderer Seits die Nützlichkeit und Nothwendigkeit einer sol- chen Maafsregel ganz klar geworden wäre.
Ansgarii-Kirche besafs früher einige Kunstwerke ; selbst der Stifter , Erzbischof Hartwich , hatte ein treffliches Crucilix, eine Madonna und silberne Am- peln geschenkt; jetzt ist sie noch die einzige 'in Bremen, die sich eines schonen Altar- Gemäldes zu erfreuen hat. Vor ohngefähr vierzehn Jahren wurde dem neapolitanischen Tischbein, der seit geraumer Zeit in Eutin lebt, der Auftrag gegeben y ein Altar-
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Gemälde für diese Kirche zu verfertigen, und durch eine Sammlung in der Gemeinde wurden zwei tau- send Thaler zusammengebracht, und ihm dafür be- zahlt. Er wählte dieScene, wo Christus sagt: »Las- set die Kindlein zu mir kommen u. s. w.« In der Zeit, als dieses Bild entstand, wurde zu viel davon gerühmt. So gut gedacht das Bild auch ist , so läfst sich doch leicht erkennen, dafs Tischbein mehr homerischer, als christlicher Maler ist. Er und Flax- mann haben um das Homerische in den bildenden Künsten, das zu einer Zeit einmal ganz vorherr- schend wurde , und das Kirchliche verbannte , das- selbe Verdienst, was Vofs um das Homerische in der Poesie. Beide Künste sind in den letztern Jah- ren fein albern, mystisch und afterreligiös gewor- den, und verständige Leute beten noch immer: »Herr, erlöse uns von dem Bösen !«
In Ansgarii- Kirche ist das steinerne Denkmal Arnolds von Gröpelingen. Er ward von der herrsch- süchtigen Parlhei des Frese im vierzehnten Jahrhun- dert auf dem Krankenlager überfallen, und mit sei- nem Diener, der sich über ihn neigte, um ihn zu schützen, ermordet. Auf dem Steinbilde sieht man den Bitter auf seinem Bett, die Hand zieht das Hemd von der Brust, als wenn damit die Wunde angedeutet werden sollte , und hinter ihm , das Kopf- kissen lüftend, erscheint in kleiner Gestalt der Die- ner. Die Inschrift dieses von Arnolds Söhnen gesetz- ten Denkmals ward im siebenzehnten Jahrhundert erneuert, und der Stein, der wahrscheinlich auf
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einem Sarcophag gelegen , oder auch nur ein Lei- chenstein gewesen , ward nun , unnatürlich genug , in die Wand gefügt, und aus einem liegenden Gröpe- lingen ist nun ein stehender geworden *).
Unter den Denkmälern der Ansgarius-Kirche sieht man auch dasjenige des berühmten Kirchenlichtes Friedrich Adolph Lampe, dessen Angedenken einer grofsen Klasse von Christen mit Piecht unschätzbar ist. Nach dem Geschmach der Zeit ist seine Grab- schrift mit Anspielungen auf seinen Namen erfüllt.
Schau j hie liegt ein Licht begraben >
Das von Gottes Eifer brannt , Dem zu Dienst es seine Gaben
Sich verzehrend angewandt.
Doch diefs Grab kann's nicht verdunkeln* Lampen's Schriften machen wohl ,
Dafs , so lang die Sterne funkeln , Sein Gedächtnifs leben soll.
Könnt' st du j Bremen . in dem Lichts Nicht gar lange fröhlich seyn ß
Bete, dafs Gott mehr zurichte
Lampen von so hellem Schein.
k) Die Inschrift heifst also: Monumentuni Dn. Arnoldi de Grö- peling viri nobilis et consularis Reip. Brem, una cum pro- tectore famulo sub agone mortis nefarie confossi A. C. MCCCVII a filiis ejusdem Gotefrido et Arnoldo de Gröpeling quondam erectum. Renovatum ab Aedilibus divi Ansgarii.
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In dieser Kirche ruhen auch die irdischen Reste eines der ausgezeichnetesten Erzbischöfe von Bremen, Hartwichs des Zweiten.
St. Stephani-Kirche.
Auf der erhabenen Stelle, wo diese alte Kirche jetzt steht, stand einst Galgen und Rad und zwar aufserhalb den ältesten Grenzen der Stadt. Dort be- fand sich auch ein Nonnenkloster. Ein Bösewicht lockte drei dieser Kloster jungfern eine nach der an- dern heraus, mordete sie nahe bei dem Gericht, und begrub sie in den Sand. Vielleicht steht die Sage yon der weifsen Frau , welche dort nächtlich ihre Wanderungen hält, mit dieser Greuelthat in Ver- bindung.
Den Tag zuvor war ein Verbrecher aufs Rad geflochten worden, der ein neues Barett auf dem Kopfe trug. Eine Magd des Bürgermeisters hatte um einen neuen Rock gewettet , dafs sie in der Nacht dem Verbrecher das Barett vom Kopfe nehmen wollte. Sie war kühn genug , ihre Verheifsung wahr zu machen, und begab sich auf den Platz. Als sie aber eben die Hand nach dem Barett ausstreckte, sah sie wie der Bube die dritte Jungfrau tödtete und begrub. Die muthige Magd schwang sich bei die- sem furchtbaren Anblick rasch auf des Mörders Pferd, das an das Rad gebunden war, ritt in die Stadt, band das Pferd an des Bürgermeisters Haus auf der obern Strafse , an dem Gäfschen das hinab zur Hun~ destrafse führt.
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Der Mörder, der sein Pferd hatte wegtraben hören, in der Meinung, es wäre entlaufen, folgte nach, fand es, und wollte sich, als wenn nichts ge- schehen, darauf setzen, yerrieth sich aber dadurch selbst, und erhielt seinen gebührenden Lohn.
Erzbischof Adalbert stiftete die St. Stephans- Präpositur und eine Kapelle, die aber wahrscheinlich nicht der Kirche die Entstehung gab, sondern nur yon einigen durch Almosen unterhaltenen alten Frauen bewohnt wird. Die Kanonichen von St. Ste- phan und St. Willehad, da jedes einzelne dieser Ka- pitel nicht hinreichende Einkünfte zum Unterhalt hatte , vereinigten sich. Albero bestätigte diese Vereinigung, erlaubte auf dem St. Stephansberge ein Kloster zu bauen und bestimmte die dazu gehö- rige Kirche zu einer Pfarrkirche , wohin die Einwoh- ner von Walle, Uthbremen u. s. w. eingepfarrt seyn sollten. Wer etwas zu der Kirche giebt, soll An- theil an der Gemeinweide haben, und die Pfarrkirche soll von der Gerichtsbarkeit des Domkapitels frei seyn.
Dieses Stift hatte nach dem dreifsigj ährigen Kriege gleiches Schicksal mit den andern geistlichen Stiftungen. Im Jahr 1179 scheint die noch ste- hende Kirche schon da gewesen zu seyn. Die Thurm- spitze brannte im Jahr 1754 ab, die Glocken und die Orgelpfeifen zerschmolzen, und obgleich diese wieder hergestellt wurden, so erhielt doch der Thurm seine Spitze nicht wieder.
An einem Pfeiler des Thurms steht folgende
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plattdeutsche Inschrift, die sehr kräftig und kurz an die Gleichheit der Stände im Tod erinnert:
Hyr hyt yderman lyck unde recht
Hyr licht herr , frowe j maget und kriecht
Gelerde un Kinder Hg gen ock hir by
Dunket dy dat unterschet der person sy ,
So kam und schowe se alle wol an
Un segge^ welker is de beste daryan.
Diese naive Erinnerung an die Gleichheit aller Menschen im Tode spricht sich auch auf einem Lei- chenstein in St. Stephan aus:
lfr at ick was dat bis tu Tf^at ick bin dat wars tu. Ho die mihi Cras tibi.
Aus Seefahrern und Fischern besteht der gröfste l'heil der Stephansgemeinde. In keinem der Bremer Kirchspiele hat sich so viel Eigenthümliches erhalten, Sagen und alte Volkslieder sind hier zu Hause, auch die Sprache hat etwas Besonderes.
Die Pfarrkirche St. Pauli in der Neustadt.
Als im siebenzehnten Jahrhundert die Neustadt mit Festungswerken umgeben wurde und die Bevöl- kerung zunahm, richtete man ein grofses Wohnhaus
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zur Kirche ein. Vierzig Jahre später ward die jetzt noch vorhandene Neustadts -Kirche erbaut, und im Jahre 1682 geweihet.
St. Remberti- Kirche in der Vorstadt.
Als der heil. Ansgarius vor den Verfolgungen der Heiden aus seinem Erzstift nach Flandern fliehen mufste, lernte er dort Rembertus, ein treffliches Rüstzeug für das Werk des Herrn kennen , nahm ihn mit, bediente sich seiner in manchen Verhält- nissen, auch als Missionar unter den Heiden der Nor- derlande. Nach so manchen Verdiensten ward er sein Nachfolger, der fünfte Bischof von Bremen.
Nach diesem heiligen Rembertus nun wurde, nach allgemeiner Annahme, jedoch nicht mit historischer Gewifsheit, ein in ungewisser Zeit, doch wahrschein- lich während den Kreuzzügen gestiftetes Hospital für Aussätzige (wohin nachmals überhaupt Unheilbare ge- bracht wurden) aufserhalb Bremens Ringmauern be- nannt. Dabei war eine Kapelle, die später zu einer Kirche *) erweitert wurde. Nach Zerstörung dersel- ben in der Belagerung Bremens im Jahre 1547 ver- sammelte sich die Gemeine in dem steinernen Wirth- schaftsgebäude des Hospitals. Dann ward eine neue Kirche im Jahre 1596 errichtet, zu welcher die in der Nähe wohnenden Vorstädter, als zu ihrer Pfarr- kirche , sich anfingen zu halten. Diese Kirche war
*) In den Urkunden heifst sie Ecclesia Leprosorum , Kirche der Aussätzigen, auch de S ecken Karke, d. h. die Siechenkirche.
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aber nach 140 Jahren auch schon baufällig. Die jetzt noch stehende heitere Kirche wurde im Jahre 1737 fertig. Ihre Umgebungen sind ländlich und still, und man hat in neueren Zeiten nicht versäumt, auch den Kirchhof mit Gartenanlagen zu schmücken.
Der erste Geistliche von St. Rembert, der sich zur Reformation neigte, Johann Bornemacher, hatte ein trauriges Schicksal. Er war nach Wittenberg ge- reist, um Luther von Angesicht zu Angesicht kennen zu lernen, häufte seine Schriften, aber zugleich auch eine Menge von Heiligthümern , die aus den nun nicht mehr katholischen Kirchen in Wittenberg und anderswo verworfen worden. Als er auf der Rüchreise durch Verden kam, ergrimmte er über die Aeufserung des Dompastors auf der Kanzel zum Lob der Jungfrau Maria und widersprach ihm laut und heftig. Ein fürchterlicher Leim entstand in der Kirche. Erzbi- schof Christoph, der sich damals in Verden auf- hielt, liefs ihn festhalten, und ihm durch den Scharf- richter die Tortur geben, worauf er bekannte, dafs er eine Nonne geheirathet habe, in Wittenberg ge- wesen sey u. s. w. Auf dieses Geständnifs wurde er zum Feuertod verurtheilt und aufserhalb der Stadt lebendig verbrannt.
Das St. Remberti Hospital war anfangs für Aus- sätzige bestimmt. Später rechnete man die mit der Liebesseuche Behafteten zu diesen Aussätzigen, die man von dem Verkehr mit Gesundern zu entfernen suchte. Lazarethe für Kranke solcher Art, die man lang für unheilbar hielt, wurden immer aufserhalb
den Thoren angelegt. Das Siegel dieses Hauses zeigt einen abgezehrten Kranken auf seinem Lager, der mit der Rechten nach einem Kreuze zeigt und mit der Linken sich auf sein Lager stützt. Aus seinem Munde kommt der Name Lazarus. Umher steht Sigillum infirmorum in Brema. Das Hospital war nämlich hernach in ein Armen- und Krankenhaus verwandelt worden.
Nach der Zerstörung des Hospitals wurden meh- rere kleine Häuser gebaut, in welche gesunde Leute aufgenommen wurden, die der wenigen noch übri- gen Mittel der Stiftung bedürftig waren. Sie hiefsen Brüder und Schwestern von St. Rembeit.
Später fanden sichPersonen beiderlei Geschlechts, ja auch Familien, die gegen eine gewisse Einlage freie Wohnung, Nahrung und Feurung erhielten- Sie hatten auf diese Weise eine Präbende, daher werden sie Pröyener, die Stiftung selbst aber der Pröven genannt, ein Ausdruck, der jedoch auch frü- her yon den aufgenommenen Kranken schon gebraucht worden war *). Sie besteht aus der Kirche, der Pre- diger- und Schullehrerwohnung, und fünf und zwan- zig kleinen Häusern, die einen viereckigen Hof um- geben, und gar nicht unlieblich anzusehen sind. Die Einlage beträgt 500 Rthlr. Die Möbeln des verstor- benen Pröveners verbleiben der Anstalt, oder er zahlt zwanzig Thaler zu der Einlage, dann fallen sie
*) „Johann Wetenkamp, eyn uthsetti.sch Prövener" u. s. w. so fingt eine von Cassel mitgetheilte Urkunde rom Jahr 1502 an.
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an seinen Erben. Ein Bürgermeister und ein Raths- herr sind Provisoren, und ein unentgeldlich aufge- nommener Pro vener versieht das Amt des Pförtners.
Die Trefflichkeit einer solchen Anstalt anzuprei- sen, wäre eine überflüssige Arbeit. Alters- und Standesgenossen finden hier eine stille Freistätte von Mühen des Lebens. Nirgends erscheint der krän- kende Anblick, weder der Armuth, noch des Reich- thums. Dieses Zusammenleben in einer Begränzung, ohne zusammen seyn zu müssen durch Bewohnung desselben Zimmers; dieses Klösterliche, das an die frühesten Gemeinschaften solcher Art erinnert, wo ganze Familien in Aegypten gegen die Verfolgungen in den Einöden Schutz fanden, und noch an keine Absonderung von Geschlechts- und Staatsverbindung gedacht wurde: das Alies schmeichelt dem Beschauer ums Herz, wenn er gleich bei näherer Bekanntschaft auch finden würde, dafs das Bild des Friedens nicht immer auch den Frieden voraussetzt. Die Erde, die zwischen der Venus und dem Mars im Weltgebäude schwebt, kann nie und nirgends, so wenig zu Sa- turnus, als zu Casars Zeit aufhören zwischen Hafs und Liebe und Krieg und Friede zu schweben, und so mögen denn auch an den St. Remberti Pröven nicht mehr Ansprüche gemacht werden, als von dem ganzen Menschengeschlecht verlangt werden können.
St. Michaelis - Kirche.
Wo jetzt die Tuchrahmen aufser der Stadt zwi- schen dem Ansgarii- und dem Doventhorswall zu
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sehen sind, stand eine vom sechsten Bischof , Adai- garins, gestiftete und dem Erzengel Michael gewei- hete Kirche. Die Erzbischöfe Adalgar, Hojer, Re- ginbald und Adaldag fanden in derselben ihre Ru- hestätte.
Im Jahre 1524 verbot der Senat die Einführung des Hamburger Biers, um die vormals berühmten Brauereien Bremens wieder in Flor zu bringen. Wer solches verbotene Bier auskundschaftete , sollte den dritten Theil zur Belohnung erhalten. Einige Bürger berauschten sich bei Gelegenheit eines sol- chen Fundes, zogen im trunkenen Muthe zum Thor hinaus, und rissen die Michaelis-Kirche nieder. Die Sache wurde nie untersucht ; vielleicht mochte es dem Rath lieb seyn, weil es in den Unheil drohen- den ersten Zeiten der Reformation für die Sicher- heit der Stadt erspriefslich war, dafs ausserhalb der Befestigung hein steinernes Gebäude, das dem Feinde zum festen Punkte dienen konnte, stehen bliebe, und man geistliches Gut von Staats wegen nicht gerne antasten mochte. Das Ereignifs von St. Pauls -Klo- ster diente zum Vorgang. Yon den Baumaterialien und den geringen Einkünften wurde eine Kapelle im nahen Dorfe Walle gebaut und fundirt. Die zuneh- mende Bevölkerung gab Veranlassung, dafs an einer andern Stelle eine neue Kirche desselben Namens erbauet und im Jahre 1700 geweihet wurde.
An diese Vorstadts-Kirche stöfst ein ländlich an- muthiger Kirchhof, auf welchem manche Denkmäler die Ruhestätten der Verstorbenen bezeichnen. Leider
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dafs auch hier, wie fast überall, der Geschmack sel- ten auf eine angemessene Form des Monuments und das Gefühl selten auf eine willkommene Inschrift stöfst, wo doch das Einfachste und Natürlichste in beiden wohl auch das Zwechmäfsigste gewesen wäre.
Willehadi- Kirche.
Der heilige Willehad, ein Engländer, aber von sassischem Stamm, kam als Heidenbekehrer zu Karls des Grofsen Zeit über die See in das Land, wo seine Vorfahren gewohnt, predigte in Frieslaud, baute an der Weser einige Kirchen , ward bald von Wittekind vertrieben , und seine Jünger und An- hänger wurden erschlagen. Er entfloh hierauf zu Schiff die Weser hinab nach Friesland, ging von da nach Rom, dann nach Frankreich. Aber sein Herz führte ihn trotz aller zu erwartenden Mühen und Gefahren in seinen alten Wirkungskreis, wo er ein beschauliches Leben in der Einsamkeit führte, bis er von Karl dem Grofsen zum Bischof zu Bremen ver- ordnet wurde. In seinen Bemühungen um die Ver- breitung des Christenthums wurde er von den Frie- sen in Blexum ermordet. Sein Leichnam wurde nach Bremen in die von ihm gestiftete St. Peters- Kirche gebracht. Bischof Willerich liefs ihn 70 Jahre später, aus Furcht, die Seeräuber möchten ihn we- gen des Rufs der Wunder, die an seinem Grabe ge- schahen, zu entführen suchen, was damals häufig der Fall war, in die kleine Willehads -Kirche brin-
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gen. Er ward schon frühzeitig canonisirt. Sein Fest wurde am achten November gefeiert.
Ansgarius brachte den Leichnam Willehads aus jener Kapelle, in welche er von Willerich vor den Normannen versteckt worden, wieder in St. Petri, und beschrieb sein Leben und seine Wunder.
Willehads-Kirche, wenn wir ihr Alter bis 1013 zurückführen (wir haben wenigstens keine Nachricht, dafs sie seitdem neu gebaut worden), würde der Theo- rie, dafs vor dem dreizehnten Jahrhundert keine Spitz- bogen Regel gewesen, widersprechen, wenn nicht der Thurm mit seinen Rundbogen bewiese, dafs er älter, und die Kirche selbst nach dem dreizehnten Jahr- hundert neu gebaut worden. Man hat beim Abbre- chen gar nichts Interessantes gefunden, aufser einer kleinen Urkunde vom Jahr 1340, die in dem Gebälke des Thurms versteckt gewesen, und ohnstreitig für das hohe Alter desselben zeugt.
Das bei dieser Kirche vom Erzbischof Adalbert gestiftete Kollegium von Canonichen vereinigte sich, weil die Einkünfte nicht hinreichten , mit dem später gestifteten St. Stephans - Kapitel , zu einem gemein- schaftlichen Kollegiatstift, dessen Kirche fortan vorzugs- weise von diesen Canonichen gebraucht wurde. Beide wurden, nachdem die Präbenden seit der Reformation zur Besoldung verdienstvoller Männer und Gelehrten waren verwandt worden , wie die übrigen zeitlichen Stiftungen im dreifsigj ährigen Krieg von den Schwe- den eingezogen. Die Kirche selbst, nebst drei klei- nen Wohnungen blieb ein Eigenthum der lateini-
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sehen Schule, war eine Zeitlang ganz verschlossen, wurde dann als Zeughaus, spater als Hopfenmagazin gebraucht, wefs wegen sie auch die Hopfenkarken hiefs , wo der Stadtweinkeller den Hopfen , wovon er das Monopol hatte, verwahrte. Seit das Monopol aufhörte, war St. Wülehadi - Kirche ein Weinlager, bis sie abgebrochen wurde.
Im Jahre 1287 wurde vom Domprobst verord- net, dafs wenn ein fremder Kaufmann in Bremen stürbe , er begraben werden könnte wo er wollte, jeder andere Durchreisende oder Besuchende aber soll in St. Willehad begraben werden.
Und so hatte denn die Kirche, die dem ersten Apostel der Niederweser, dem Stifter der ersten Christengemeinde und des ersten Gotteshauses in Bre- men, dem ersten Bischof geweihet war, die seinen Namen führte, deren Boden sein Leichnam geheiligt hatte , das seltsame Schicksal , von ihren Canoniehen bald verlassen, dann dem Kriege, dann dem Bier, endlich dem Wein , also geistigen wenn auch nicht geistlichen Zwecken geweihet worden zu seyn. Seit einem Jahr ist keine Spur mehr von ihrem Daseyn. Sie stand, wenn man vom Markt nach der Doms- haide geht , rechts in der Loopstrafse, und war we- nig zu sehen.
Heilige - Geist - Kirche.
Nicht weit vom Osterthor, wo die Compter- strafse noch durch ihren Namen das Verschwundene bezeichnet, war die deutsche Ordenscommenthurei
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mit der dazu gehörigen Kirche zum heil. Geist. Als der letzte Comterherr mit Tode abging, häufte die Stadt sämmtliche Comthureigüter. Diese Kirche, der Schauplatz jener grauenvollen Ermordung des Comthur von Bardewisch und seiner Knechte, die in der Geschichte erzählt ist, und zu dessen Andenken noch vor nicht langer Zeit ein Steinbild daselbst zu sehen war, diese Kirche, vom Yolhe Kan- tersaal genannt, dient wenigstens jetzt nicht mehr zu kirchlichen Zwecken, jedoch ist die Form mit dem Strebepfeiler noch sichtbar.
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Veits - Kirche.
Sie lag aufser dem Osterthor und war vonUnwan- nus, dem zwölften Bischof von Bremen, erbaut wor- den. Sie ist wahrscheinlich schon im vierzehnten Jahrhundert, als der Administrator Moriz die Stadt belagerte, zerstört worden. Nur ein Thurm war stehen geblieben, der noch einige Jahrhunderte als Wartthurm diente. Es ist nicht zu vergessen, dafs Ansgarius dem heiligen Vitus, dem Schutzpa- tron der Abtei Corvei, wo Ansgarius als Mönch ge- lebt, zu Ehren, auf der Stelle, wo jetzt Liebfrauen- Kirche steht, eine Vitus-Kirche gebaut hatte.
Unter den Kirchen, die theils gar nicht mehr oder nur zum Theil vorhanden sind, nennen wir noch die Jahobihirche , deren Chor der Schmiede- zunft zur Versammlung dient, und wo man noch einen schönen bronzenen Leuchter sieht, den die Schmiede bei der Zerstörung des Pauli - Klosters
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(1523) erbeutet; der Kirchhof dieser Kirche ist nun bebauet.
In der weiland Nikolai-Kirche haben jetzt einige alte Frauen ihre Wohnung, Dieses Wittwenhaus wird jetzt neu gebaut.
Die Maria -Magdalenen- Kirche war in des Bi- schofs Palatio , und zwar an der Stelle des Hauses, welches das Rathhaus und das jetzige Stadthaus ver- bindet.
Klöster.
Die Geschichte unserer bremischen Klöster ist sehr karg. Nicht das gleichförmige Wirken stiller Naturkräfte prägt sich der Erinnerung der Menschen ein, sondern die Wuth und Zerstörung der Ele- mente. Wo Mord und Kampf, Plünderung und Brand vorgefallen, das erzählt die Sage, aber von dem stillen, geräuschlosen Wirken eines Klosters, sey es im Guten, sey es im Bösen, schweigt sie *).
St. Paul.
St. Pauls-Kirche war durch Erzbischof Adalbert von einem Theil der Güter des von Ansgarius gestif- teten Gasthauses erbauet und fundirt worden, auf
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*) Die Verwaltungspapiere der bürgerlichen Vorsteher sind noch vorhanden, die Papiere der Mönche sind verschwunden. Man glaubt, sie hätten sie bei drohender Aufhebung nach anderen Klöstern weggeschafft,
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der Stelle aufserhalb dem Osterthor, die noch jetzt der Paulsberg heifst.
Graf Trudbert von Stotel, der letzte von dem direkten Geschlecht dieses grofsen und alten Hauses, war Mönch geworden, hielt sich in jener Pauls- hapelle auf, und hatte die Absicht , da ein Kloster zu stiften. Sein weltlicher Bruder, der regierende Graf Ulrich, der ohne männliche Erben, als letzter des Stammes, gestorben war, hatte seine Grafschaft der Kirche zu Bremen vermacht. Als diefs jener geistliche Graf Stotel vernahm , und er Tücken und Ueberlistung in der ganzen Sache erkannte, griff er zu den Waffen, und that vorzüglich auch der Bremer Bürgerschaft bedeutenden Schaden auf der Weser. Ueber solchen Versuchen fiel er in die Hände der Bremer, und wurde auf dem Paulsberge, als Land- friedenbrecher, enthauptet. Ein Verwandter von andrer Linie, Gerbert von Stotel, fühlte sich durch die dem Grafen Trudbert angethane Gewaltthat, so wie durch den Schimpf der ganzen Familie empört, kündigte Fehde dem Erzbischof, wie der Stadt. Diefs machte solchen Eindruck, dafs ein Vertrag zu Stande kam, Kraft dessen der Bischof *) und die Stadt auf der Stelle, wro Trudbert enthauptet wor- den, das Paulskloster stiften und dem Gerbert von Stotel die Schirmvogtei übertragen mufsten, wofür er das Kloster noch aus eigenem Vermögen begabte;
r) Adalbero. Ep regierte von 1124 bis 1148.
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mit dem Beding jedoch, dafs er dem Erzstift keine Dienste zu leisten, dafür aber auch keine Dienste, noch Einkommen zu fordern habe, aufser dem Ge- bet der Mönche von St. Paul; aber die dem Stift zugedachte Grafschaft behielt er nun auch *).
St. Pauls-Kloster war im Jahr 1138 mit Benedik- tinern besetzt worden, und stand lange in bedeuten- dem Ansehen. So war es noch kurz vor der Refor- mation, als der Kardinal -Legat Raimund bei sei- nem Aufenthalt in Bremen in diesem Kloster seine Wohnung aufgeschlagen hatte. Die hohen und fe- sten Gebäude dieses Klosters lagen so nahe bei der Stadt, dafs sie im Falle einer Belagerung von Fein- den zum Nachtheil derselben benutzt werden konn- ten. Der Rath hatte umsonst den Mönchen ein an- deres Lokal im Umkreise der Stadt angeboten.
Um die Zeit der Reformation hatten sich Kriegs- leute des Erzbischofs in das Kloster gelegt, und der Abt fragte beim Rath an, was nun zu thun sey? Man machte ihm das nämliche Anerbieten , wie frü- her, und als die Bürgermeister vor dem Rathhause zufällig einen Lohgerber fragten, wie wohl das Klo- ster am besten niedergerissen werden könne, wel- ches der Abt selbst wünsche, so setzte dieser die Stadt in Bewegung. Alles stürmte hinaus, das Klo- ster ward in einem Tage bis aufs Mauerwerk zu- sammen gerissen. Die Mönche wurden , so lange
*) Die Urkunde bei Mushard Mon. nob. 43.
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sie lebten, von dem Domkapitel, das die Klostergü- ter behielt, versorgt. Die Schmiedezunft erhielt ein ganzes Jahr Befreiung von Wachten und Umpflich- ten, um in den Feierstunden alles noch übrige Mauerwerk niederzureifsen. Mit den Steinen wurde der Weg von der kleinen Weserbrüche bis zum Wartthurm gepflastert. Die Schmiede bewahren noch in ihrem Zunfthause zum Andenken einen me- tallenen Leuchter aus jenem Kloster, dessen einsti- ges Vorhan den seyn auch kein Stein mehr bezeichnet,
St. Katharinen - Klos ter.
Schon zehn Jahre nach der Stiftung ihres Or- dens erschienen die Dominikaner in Bremen. Ihre Unabhängigkeit von der Gerichtsbarkeit der Bischöfe, ihr Zweck, an allen Orten zu predigen, wefswegen sie auch Predigermönche hiefsen, machte sie den Fürsten, wie den Reichsstädten angenehm, beson- ders da sie auch nach dem durch Bischöfe und Erz* bischöfe ausgesprochenen Interdict nichts zu fragen hatten. Sie sowohl, als die grauen Mönche, die Fran- ziskaner, waren Bettelmönche, also, wenn gleich dem Pabste wichtig und vorzüglich dienstbar, doch den Bi- schöfen, wie der gesammten W eltgeistlichkeit verhafst. Daher wurde ihr Unternehmen, ein Kloster in Bre- men zu bauen, auch nicht von der hohen Geistlich- keit, wohl aber und allein von der Bürgerschaft unterstützt.
Die erste hölzerne Kirche war schon im Jahr 1253 gebaut. Das Kloster wurde später fertig.
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Jene Kirche war lieine Pfarrkirche , indem die Stadt- gegend des schwarzen Klosters, welches mit seinem Zubehör den Raum zwischen der Sögestrafse, dem Schöttelkorb, der Katharinenstrafse und der Queren- strafse füllte, zu Liebfrauen-Kirche eingepfarrt war; daher mufsten die Mönche sich auf andere Art ihr Auskommen suchen, errichteten unter verschiedenen Zünften Brüderschaften *) , um für ihre Verstorbe- nen Seelenmessen zu lesen u. s. w.
In einem Zeitraum von 152 Jahren findet sich von diesem Kloster keine einzige Urkunde.
Der Name des Priors und des ganzen Convents unter wichtigen Verträgen des Erzbischofs zeigt ihr grofses Ansehen **). In dem Kreuzzuge gegen die Stedinger zeigten sie sich, wie ihre Brüder gegen die Albigenser in Süd -Frankreich. Bremer Domi- nikaner waren es, die in Holland, Westphalen, Flan- dern, in den rheinischen Provinzen umherzogen, Ablafs denen, die das Kreuz nahmen, erthcilten, die- jenigen in den Bann thaten, die nicht so willfahrig waren, und so 40000 Pilger oder Kreuzfahrer zu- sammenbrachten. Bremer Dominikaner waren es, die in der Schlacht gegen die Stedinger auf einer Anhöhe stehend, das grausenhafte Media vita san- gen, und sechs tausend tapfere Feinde triumphirend
*) Sie entstanden in den im Mittelalter so oft wiederkehrenden Pesten, um sich von dem überflüssigen Verdienst der Mönche etwas zuzueignen.
**) So unter andern in dem früher erwähnten Vertrag Ger- hards II. mit der Stadt wegen des Stedinger Krieges.
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von weit überlegenen Gegnern niederhauen sahen. Zwei Dominikaner waren kurz vorher von den Ste- dingern, denen sie das Kreuz predigen wollten, ge- tödtet und als Märtyrer nach Bremen gebracht worden.
Wenn jedoch der Rath dieses Kloster begün- stigte und den Mönchen ein Asyl zu demselben ge- stattete, wohin sich jeder, der in Noth war, flüch- ten konnte, das jedoch immer offen und nur mit einer vier Fufs hohen Umzäunung umgeben seyn sollte: so sah er doch bald ein, dafs Beschränkung^ nothwendig war. Beweise finden sich in den Statu- ten und Verträgen. Ein belehnter und geweihe- ter Pfaff soll mit andern gleich nahen Verwandten nicht erben, er sey denn einziger Erbe *). Nie- mand soll Geistliche zu Vormündern setzen. Einer, der mit seinen Kindern abgetheilt, konnte sein übri- ges Erbe geben, wem er wollte, doch nicht an geistliche Leute, weder durch Schenkung, noch durch Kauf (Stat. 11.). Niemand konnte eine Hand- feste oder Weichbild **) auf den Namen eines Geist- lichen schreiben lassen, dieser konnte es also nicht eigenthümlich besitzen (Stat. 6.) ; er konnte nur in wenigen Fällen gerichtlich zeugen, auf jeden Fall nur, wenn es ihm vom Bischof erlaubt war (Urth. 38.)*
*) Oelrichs Statuten. S. 354.
**) Wikbelde bedeutet die Stadt und das Gebiet, dann aber auch die Immobilien in der Stadt. Von jedem Erwerben einer Handfeste sagte man, man habe Wikbelde erworben.
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(Sehr vernünftig, denn was tonnte sonst der Eid vor der Obrigkeit helfen?) Aebte und Prioren in den Klöstern sollen keine Kleider tragen ^ die den weltlichen an Gestalt und Farbe gleich kommen *). Im Jahre 1450 wurden in Bremen Steinkanonen ge- gossen , zu den Kosten mufsten die Mönche Accise vom Korn geben.
Die Dominikaner und Franziskaner in Bremen hatten Freiheitsbriefe gegen die grofsen Geistlichen des Landes und die weltliche Obrigkeit, welcher zu gehorchen, nachdem sie einmal in Bremen warm geworden und festen Fufs gefafst, sie sich auch nicht verpflichtet glaubten, gemifsbraucht* Die des- wegen in 50 bis 60 Jahren gehabten Unruhen be- stimmten den Senat zu der Verordnung, dafs von nun an keine mehr als die wirklich eingezogenen grauen und schwarzen Mönche von dieser und an- dern Regeln sich hier niederlassen und Häuser in der Stadt anschaffen sollten, besonders auch darum, damit die Anzahl der Geistlichkeit weder zu sehr vermehrt, noch durch die vielen und grofsen Ge- bäude mit Vorplätzen, Gärten, Kirchhöfen, die Stadt beenget, noch durch das beständige Almosenfordern die Bürgerschaft mehr und mehr beschwert werde **).
*) Ein gutes Gesetz, das auch noch auf manche protestantische Geistliche in Deutschland in Anwendung zu bringen wäre.
**) S. Cassel über das Katharinen-Kloster. In dem Nichtbesitzen- dürfen eines Grundstücks liegt aber auch die Erklärung eines Umstandes , wovon sich Mancher einen falschen Begriff macht. Wenn es heifst , ein Grundstück oder ein Haus wird dieser
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Im Ganzen waren jedoch die Klöster durchaus im Interesse des Staats. Rath und Bürgerschaft verwalteten ihre Stiftungen , die auch meistens von der Stadt herrührten, dagegen verpflichteten sie sich, Messen lesen und singen zu wollen, selbst wenn die Stadt im Interdict läge (144-3). Eine merkwürdige Sache , dafs diese Mönche im Mittelalter es für zweckdienlicher hielten, es mit der weltlichen, als der geistlichen Obrigkeit zu halten. Uebrigens wa- ren diese Interdicte eine Prellerei; es brauchten sich nur einige Buben in der Kirche geprügelt zu haben, so wurde es ausgesprochen, und die Lösung geschah durch Geld.
Durch diese Beschränkungen der Klostergeist- lichheit haben wir denn in Bremen eine Menge mil- der Stiftungen, Gasthäuser, Armen- und Kranken- häuser gehabt, aber — Danh der Weisheit der Vor- fahren — nur zwei Klöster, mit Ausnahme des ausser- halb der Stadt gelegenen St. Pauls-Klosters.
Zu dem schwarzen Kloster gehörten auch die Beginnen, die deshalb in dessen Nähe wohnten. An- derswo nannte man diese Art Nonnen auch Seelwei-
oder jener geistlichen Corporation vergabt, so blieb dasselbe unter der weltlichen Jurisdiction, und trug weltliche Lasten; nur der Zins wurde bezahlt, und dieser Zins ging auf jeden neuen Besitzer des Grundstückes über, indem nur das Grund- stock den Zins bezahlte. So hatten manche Klöster Fleisch- bänke u. s. w. Zinsen von Mobilien oder Geld galten ja für schändlich, man mußte also die Sache umgehen, und einen andern Namen brauchen.
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ber, in Bremen hiefsen sie auch wegen ihrer Klei- dung schwarze Nonnen. Sie warteten den Kranken auf, redeten Sterbenden Trost ein, wenn kein Prie- ster da war, standen im Verdacht, manche der christlichen Lehre entgegengesetzte Grundsätze zu haben und zu verbreiten, weil sie an den Sterbe- betten durch die tägliche Betrachtung des Todes die UnanWendbarkeit vieler damaliger Glaubenslehren wohl bemerkt haben mochten *).
Die Beguinen in Bremen hatten keine eigenen Priester, waren daher zu reichlichem Schutz und Schirm ihrer Keuschheit (wie der Brief des Erzbi- schofs Hildebold sagt), zu den schwarzen Mönchen eingepfarrt, bei denen sie beichten und zum Abend- mahl gingen. Sie standen unter einer Magistra. Sie hiefsen auch Katharinenjungfern. Der Rath konnte sie im Jahre 1602 nur durch ernsten Befehl dahin bringen, ihr seit 400 Jahren bewohntes Asyl zu verlassen, und in ihre neue Wohnung im Schöttelkorb zu ziehen.
Almosen, Messen, Vigilien hörten nach dem Anfang der Reformation in Bremens Klöstern auf; mithin waren die besten Erwerbsquellen der Mönche versiegt, und im Jahre 1527 zeigte der Rath den Dominikanern an, sie sollten ihren Ceremonien ein Ende machen. So wurde das Kloster zum Behuf einer lateinischen Schule geräumt, das weitläuftige Grundeigenthum aufser den Gebäuden wurde zu Bau- plätzen verkauft; ein Theil der Sögestrafse, der
*) Gemeiner Geschichte von Regensburg.
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Schöttelkorb, die Katharinen- und Querenstrafse ha- ben sich auf dem Grund des schwarzen Klosters er- hoben. Die Mönche erhielten sich eine Zeitlang, so gut sie konnten, zum Theil durch den Verkauf ihrer kirchlichen Kostbarkeiten , bis der Rath ihnen ein bestimmtes Einkommen auf Lebenszeit und Woh- nung im Kloster zusagte.
Die Kirche dieses Klosters war zuerst yon Holz, spater ward ein stattliches Gebäude, obgleich in sehr unreinem Geschmack mit runden Pfeilern aufgeführt. Nachdem die Bestimmung derselben durch die Re- formation aufgehört, ward das vorher auf dem Doms- hof befindliche Bussenhaus oder Zeughaus hinein verlegt. Zwischen den Jahren 1820 und 1821 ist eine grofse Veränderung mit dieser Häusermasse vorgegangen. Die Dominikaner-Kirche wurde zusam- mengerissen und in ein Wohn- und Packhaus ver- wandelt. Man wird bald kaum den Ort noch ken- nen, wo sie gestanden.
So weicht alles lang Bestandene weniger der zehrenden Gewalt der Zeit, als der Allgewalt des Zeitgeistes. Welcher Sterbliche traut es sich unge- straft zu, dem aufstrebenden Menschengeist Fesseln anzulegen? Wie geschieht Manches so ganz anders, als die Klugen, welche auf die Menschheit, wie auf eine Maschine zu wirken geglaubt, sich gedacht hatten I
Das Johannis - Klo ster.
Die Franziskaner kamen im dreizehnten Jahr- hundert nach Bremen, und erhielten von der Bür-
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gerschaft am Fufse der Hohe , auf welcher der Dom mit seinen Curien sich erhob , einen grofsen Platz zur Erbauung eines Klosters und einer Kirche. Die Mönche mufsten yertragsmäfsig dem Rath verspre- chen, dafs sie selbst im Interdict den Gottesdienst fortsetzen wollten. Die Dignitarien dieses so wie anderer Klöster waren der Prior, der Guardian, der Lesemeister und der Custos.
Die Einkünfte dieses Klosters bestanden aufser milden Gaben nur in Messen und Vigilien. Auch konnten die grauen so gut wie die schwarzen Mön- che aufser ihrer Kirche in allen Kapellen und Hospi- tälern predigen, wo keine ordentlichen Priester wa- ren. Die Menge wohl dotirter Altäre gab ein re- gelmäfsiges Einkommen. Diefs Alles fiel, als die Re- formation nach Bremen kam, weg, und daher war auch dieses Kloster arm. Aber so wie der Rath demselben einst die Ausbreitung und Grundbesitzer- werbung durch Statuten gehemmt, eben so liefs er die Mönche auch jetzt nicht im Elend; sie blieben bis zum Aussterben mit geziemendem Unterhalt im Kloster.
Im Jahr 1531 wurde das Johannis - Kloster zum Armen- und Krankenhause verordnet, und die Ein- künfte von Gertruden- Gasthaus wurden dazu ge- schlagen. Arme Wegfahrer, Schiffbrüchige und an- dere Nothdürftige sollten, wie zuvor im Gertruden- Gasthaus, aufgenommen und eine Nacht, jedoch ab- gesondert von den gemeinen Kranken, gespeist, ge- tränkt und gebettet werden. Vorsichtig wurde aber
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verordnet, dafs, wenn das neue Gasthaus aufgeho- ben würde, die von Gertruden genommenen Ein- künfte wieder an dasselbe zurückfallen sollten. Vorab hatten bremische Bürger und Bürgerinnen, die nach Gottes Rath an ihren zeitlichen Gütern verarmt waren, Anspruch auf die Aufnahme, jedoch mit Ausnahme deren, die durch Verschwendung oder Leichtsinn herunter gekommen. Wenn der Prövener stirbt, so fällt nicht nur das, was er mit hineingebracht, sondern auch sein übriger Nachlafs, oder was ihm während seines Aufenthaltes im Klo- ster angeerbt worden, dem Kloster anheim. Die Aufgenommenen hiefsen Prövener (Präbende , Prö- ven). Unter den Prövenern sind immer drei Arme von der Schuhmacherzunft, sonst Corduaner *) ge- nannt, weil diese Zunftgenossen als Mitstifter des deutschen Hauses von dem deutschen Orden das Versprechen erhalten, dafs derselbe ihre Kranken und Unvermögenden in sein Armenhaus aufnehmen wolle. Als hernach der Rath die Güter des Ordens an die Stadt kaufte, übernahm er die Verbindlich- keit gegen die Corduaner.
Die Gestalt des Klosters ist schwer zu erken- nen, da es sehr verbauet zwischen andern Häusern steckt. Es bildet drei Flügel des Vierecks, dessen Vorderseite die Kirche einnimmt. Die Länge ist 136, die Breite 80 Fufs. Aufser der Konventstube
*) Cordewanarios (s. Cassel ungedruckte Urkunden. S. 525.)
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zählt es 72 Zimmer; für jeden Prövener ist eins; die meisten können geheitzt werden. Die sogenann- ten Dorenkisten sind starke, eichene, sehr enge Verschlage, in denen der Tolle neben seinem La- ger sich nur ein wenig bewegen kann. Für noch schlimmere Unsinnige sind kleine Gewülbe. Ein grofses Zimmer, wo nun Wäsche getrocknet wird, heifst noch die Lieberei, weil hier die Mönche ihre Bibliothek gehabt,
Die Klosterkirche ist nach dem Dom unstreitig das schönste kirchliche Gebäude in Bremen. Die Pfeiler sind schlank und leicht, die Gewölbe kühn. Acht Pfeiler tragen das Gewölbe. Der ganze Raum mifst 200 Fufs in der Länge , 62 in der Breite. Die Höhe ist 60 Fufs. Der Chor allein ist 70 Fufs lang, Schon yor zwei hundert Jahren ist in Bremen eine französische reformirte Gemeinde gewesen. Vorzüglich hatten sich mehrere Brabänter, ver- scheucht durch die* spanische Inquisition und Her- zog Albas Blutdurst, nach Bremen gezogen. Auf dieselbe Weise kamen nach dem Tode Heinrichs des Vierten yor und nach bedrängte Hugonotten. Diese bildeten eine französische Gemeinde , und feierten ihren Gottesdienst in der Johannis -Kloster- Kirche. Auch andere Gemeinden Bremens versam- melten sich hier, wenn ihre Kirchen wegen Repara- turen und Unfällen (wie z. B. Martini- Kirche >ve« gen Austretung der Weser) , nicht besucht werden konnten.
Bis zum Jahr 1775 predigte auch ein für da*
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Armen- und Krankenhaus angestellter Prediger alle Donnerstage in dieser Kirche.
Als merkwürdig für die Geschichte des deut« sehen Theaters ist bei dieser Kirche zu erwähnen, dafs im Jahr 1783 der bekannte Schauspieler Abt, Direktor des Bremer Theaters, sehr feierlich in die- selbe beerdigt wurde, welches um so mehr zu Ver- handlungen in Druckschriften, namentlich in Schlö- zers Staatsanzeigen, Veranlassung gab, da nicht lange vorher der Sinn der Bremer weit von einer solchen Toleranz entfernt gewesen, auch der Stadt- kommandant von Bentheim in derselben Zeit ganz still war beerdigt worden. Ifland schrieb bei dieser Gelegenheit, wie eine Regierung den Schauspieler- stand heben und veredeln solle.
In dieser Kirche liegt auch ein Prinz, Louis Francois de Bourbon Conti, Graf de la Marche, be- graben, der im Jahr 1757, als der Herzog von Ri- chelieu in Bremen stand, hier an den Blattern starb *).
Diese Kirche mit ihren Umgebungen bildet, aus der Gelehrtenschule herab in angemessener Be- leuchtung gesehen, ein anziehendes Gemälde, viel- leicht die einzige malerische Häusergruppe im In- nern von Bremen. Die wenigen vorstehenden Bäu- me im sonnenhellen Frühlingsgrün gegen das dun- kelbraune alterthümliche Gebäude, wie Gegenwart
*) Cassel sagt , es say ein Duc d'Antin , Marechal de France, gewesen.
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und Vergangenheit, stimmen das Gemüth zu elegi- scher Betrachtung.
Die Kloster -Kirche, lange als Waarenlager be- nutzt, geht nun einer würdigen Bestimmung entge- gen. Sie ist der katholischen Gemeinde zum Got- tesdienst übergeben, und wir wünschen, dafs die nöthigen Renovationen in derselben nicht im Wider- spruch mit dem ganzen Baustyl stehen mögen.
Dafs die Kirchen in Bremen, obgleich gröfsten- theils aus der schönsten Zeit der deutschen Bau- kunst herrührend , sich doch so wenig auszeichnen, läfst sich schwer erMären. Entweder war Bremen da- mals nicht so reich und wichtig, als man es sich zu denken geneigt ist, oder die Neigung an Kirchen und Klöster das Seinige zu verschenken und dem rechtmäfsigen Erben das Nachsehen zu lassen, war hier nicht so grofs, als in andern Städten von ähn- licher Gröfse, so dafs nur das nächste Bedürfnifs bei Erbauung der Kirchen berücksichtigt wurde. Auf letztern Gedanken führen leicht die früher angeführ- ten bei Errichtung der Klöster von der Stadt gemach- ten Verordnungen; und wer weifs, ob die Grund- sätze der benachbarten Stedinger in Betreff des An- sehens der Geistlichkeit nicht ziemlich allgemein an der untern Weser waren *)■. Eine gänzliche, blinde
*) Von den Friesen, zu deren Stamm auch die Stedinger ge- hörten, wissen wir es. Gezwungen gab der Friese den Geist- lichen, seinem Priester, Dekan oder Bischof keinen Kreuzer, und wider seinen Willen konnte ihm der Bischof kein Huhn nehmen. Die Friesen waren das einzige Volk in der Christen-
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Unterwerfung unter ihre Gewalt und Führung ver- trug sich schwerlich mit dem alt angestammten Frei- heitssinn der Bewohner dieses Landes. Wollte man anführen, dafs die Wichtigheit des Handelskapitals in einer Handelsstadt keine grofse baare Verwen- dung an solche öffentliche Gebäude zuläfst, die nicht unmittelbar zum Dienste der Kaufmannschaft und zum Schutze des Gemeinwesens bestimmt sind, so läfst sich die damals wichtigere Handelsstadt Lübeck anführen, die mit sehr schönen Kirchen prangt.
heit, welche? von den Abgaben der Zehnten und der Erst- linge frei war. Auch seinen Hausfrieden sicherte der Friese dadurch, dafs er keinen unverh eirath eten Priester unter sich duldete. Wiarda Ostfries. Gesch. 1 B. 252.
IV.
Milde Stiftungen und. wohlthätige Anstalten der altern und neuern Zeit
Milde Stiftungen und wohlthätige Anstal- ten der altern und neuern Zeit.
Sankt Jürgen Gasthaus. Dieses älteste Gast- haus *) ist von dem heiligen Erzbischof Ansgarius gestiftet und aufser dem Heerdenthor zur Verpfle- gung der Armen und Kranken gebaut worden. Seine Nachfolger Rembertus, Adaidagus und die beiden Lubentius verbesserten und erweiterten dasselbe; Lu- bentius der Erste wartete sogar täglich selbst den Armen auf. Adalbert dagegen, dem es weniger um Beförderung des Guten, was seine Vorfahren ge- than, als um Verherrlichung seines eigenen Namens zu thun war, nahm demselben die meisten Güter, und stiftete davon die St. Pauls -Kirche ausserhalb Bremen. In einem Zeiträume von 24l Jahren ist nicht mehr die Rede von dem beraubten Hospi- tal. Erst ums Jahr 1300 findet es sich, dafs Rath und Bürgerschaft, durch neue Schenkungen wohlthä- tiger Einwohner unterstützt, ohne Zuthun der Erz- bischöfe das Gasthaus von Neuem hergestellt und verwaltet haben, bei welcher Gelegenheit auch be-
*) Gast hiefs überhaupt jeder Fremde, der auf Hospitalita't An- spruch macht.
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schlössen wurde, dafs es fernerhin innerhalb der Stadt seyn solle. Es wurde demnach an der Ecke längs der Hutfilz er strafse gebaut, an der Strafse, welche darum die kurze Wallfarth heifst, weil die Geistlichkeit von St. Ansgarii, wenn sie wegen un- günstiger Witterung ihre feierlichen Umgänge nicht weit fortsetzen konnte, von der Kirche über den Kirchhof durch diese Strafse zog, und durch das eine Ende der Molkenstrafse wieder an die Kirche kam. Von einer Menge wohlthätiger Bürger und Bürgerinnen waren unter andern Vermächtnisse, um den Armen an gewissen Tagen im Jahre ungewöhn- liche Gastmähler zu geben , damit sie auch ihre Freudentage haben sollten, und war es nur ein Weitzenbrod für Jeden, (Wegane, en Wegge) gewe- sen , so Dietrich Rycmer am Tag vor Mariä Verkündi- gung zu vertheilen verordnet. Im Jahr 1369 stifteten zwei Rathsherren zu diesem Gasthause das Bild des St. Hulpe und Erzbischof Albrecht der Zweite be- stätigte es urkundlich. Dieser auch anderwärts ver- ehrte Heilige hatte seinen Tag am Montag nach Tri- nitas und wurde unter die wichtigsten bremischen Heiligen gerechnet. Wie nun die Imago beati Mar- tyris Sancti Hulpi ausgesehen, weifs man nicht, doch sieht man ein Bild der Art in der Buchtstrafse *).
*) Karl der Grofse liefs zum Dank für einen doppelten Sieg im Jahr 783 zwei Kapellen errichten und nannte sie sanctum ad- jutorium. Hieraus entstand wohl der St, Hulpe und viel- leicht das in Bremen bekannte Jodute-Rufen.
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Die Verse in Renners Meiner Reimchronik, wel- che auf einen aufserordentlichen Reichthum des Gasthauses zur Zeit des Erzbischofs Burchard Grelle schliefsen lassen, widerlegen sich theils von selbst, theils durch die Yergleichung mit den Schenkungs- briefen. Sie lauten also:
Sankt Jürgens Gasthus was so rick, Dat men dar konde dagelick Sostein hundert un veertig Mann *) Spesen, dat is nu all gedahn **).
Drei und siebenzig Jahre später, im Jahr 1413, verordnete der Rath, dafs nur vier und zwanzig Personen in dem Gasthause unterhalten werden und nur wenn sich die Einkünfte besserten mehrere auf- genommen werden sollten. Im Jahr 1597 brannte das Gebäude ab; an eine Wiederaufbauung, ohne den Kapitalbesitz der Stiftung anzugreifen, war nicht zu denken , daher wurden die Pro vener und Armen von St. Jürgen in das Johannis-Kloster verlegt, und der Bauplatz der Brandstelle wurde zum Besten der Armen verkauft. Ein Bürger baute sein Wohn- haus auf die Stelle, das im Jahr 1793 in ein Gast- haus nach unsern Begriffen, wo Hospitalität für Geld ausgeübt wird, verwandelt und auch dem Aus- lande unter dem Namen »das blaue Haus« be-
*) 1640 Mann.
**) Das ist nun Alles vorbei.
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kannt geworden ist, nun aber auch nicht mehr als solches fortdauert.
Sankt Gertruden Gasthaus. Um fremde Bettler und arme Pilgrime, die durch Bremen wan- dern würden, eine Nacht zu beherbergen und mit Trunk und einem Weitzenbrod zu erquicken (den länger Verweilenden sollte nichts gereicht werden), hat der bremische Bürgermeister Hermann von Ru- ten im Jahre 1366 sein Eckhaus bei St. Martini- Kirchhof im Osten nebst einigen Einkünften be- stimmt, wogegen der Rath die Stiftung von allen bürgerlichen Lasten frei erklärte.
Im Jahr 1531 vereinigte man Rutens, so wie alle spätem Schenkungen an das Hospital , mit dem Johannis -Kloster, das zu einem Armen- und Kran- kenhause war eingerichtet worden; das Haus selbst wurde zum gemeinen Stadt-Kornhaus bestimmt. Die Kellerwohnungen unter diesem Hause nennt man noch jetzt Gottesbuden, d. h. unentgeldliche Wohnun- gen für arme Leute, die von frommen Bürgern mit Aufwartung und Einkünften begabt waren. Man fin- det ähnliche mit diesem Namen bezeichnete Armen- wohnungen in verschiedenen Gegenden der Stadt.
Sankt Ilsabeen Gasthaus. Das Gasthaus der heil. Elisabeth wurde von Rath und Bürgerschaft im Jahr 1499 gestiftet, um armen Kranken in dem- selben Obdach zu geben, da es, wie die Stiftungs- urkunde sagt, nicht ungewöhnlich sey, dafs in Win- terszeit die Armen auf Kirchhöfen und Strafsen trost- und hülflos, und ohne Sakramente verschei-
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den mufsten. Zu dem Zweck wurde ein Haus in der Hutfllzerstrafse gekauft. Eine gewisse Frau Alecke Gherdt Busen bewies vorzüglich ihre Mild- thätigheit gegen dieses neue Gasthaus, erklärt aber in der Vermächtnifsurkunde, deren Inhalt in der Be- stätigung des Raths (von 1499) angeführt ist, höchst verständig: »Alles Vorgeschriebene sollte auf ewige Zeiten bleiben, es wäre denn, dafs der Rath in zu kommenden Zeiten etwas Besseres für die Ar- men und des Hauses Beste sonder Arglist finden könnte« *). Liegt das nicht stillschweigend in dem Sinn aller Stiftungen? Leider hat man in der neuern Zeit dieses erster e allzu gut erkannt, nicht aber auch das wichtige Wort der frommen Wittwe Alecke beobachtet, nämlich: »etwas Besseres für die Armen und des Hauses Beste sonder Arglist.« Kann man sich überall in Deutschland rühmen, dafs die eingezogenen Stiftungen ihrem Zwecke gemäfs in veredeltem Sinn auch wieder angewandt werden, wie in Bremen?
Als in Bremen andere Armen an stalten aufkamen, wurde diese Bestimmung zur Wirklichkeit gebracht, und dieses Gasthaus zwanzig betagten Frauen oder Jungfrauen zur Wohnung angewiesen, wobei sie auch einen grofsen Theil ihres Unterhalts fanden. Sie schliefen nun zusammen in einem grofsen Räu- me, doch jede in einem besondern Bette, wozu ein
*) S. Cassel über das Usabeen Gasthaus.
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Weiner Platz gehörte. Als dieses Zusammenseyn zu Streit und andern unangenehmen Auftritten führte, wurde das Gasthaus in Meine abgesonderte Zimmer vertheilt, wo nun jede besonders wohnt, speist, und monatlich ihr Gewisses an Geld , Lebensmitteln und Feuerung erhält. Dagegen mufs jede seitdem ein Eintrittsgeld von 200 Rthlr. bezahlen. Da sie bei Tage ausgehen können, so steht es ihnen frei, sich auch durch Handarbeit noch etwas zu verdienen. Ein grofser Garten nebst andern Gebäuden gehört zu dem Hause, so dafs dieser Anstalt nichts fehlt, um den Frauen, wenn sie zufrieden seyn können, ein erfreuliches Asyl für das höhere Alter zu ge- währen. Dreimal im Jahr wird in diesem Gasthause von einem der Prediger von St. Ansgarii das Abend- mahl ausgetheilt.
Das Beguinenhaus. Das Kloster dieser hei- ligen Jungfrauen stand bis an das Ende des sech- zehnten Jahrhunderts in der Hutfilzerstrafse der Nikolai-Kirche gegenüber. Sie lebten unter ihrer Magistra (s. oben vom schwarzen Kloster). Als das- selbe in ein Waisenhaus verwandelt wurde , wies man den Beguinen eine Wohnung in der Strafse Schüsselkorb an. Die Zahl dieser Jungfrauen ist zwölf, ihre Vorsteherin heifst Domina. Die frühe- ren Verhältnisse sind nicht mehr, sondern die Be- stimmung dieser Stiftung ist auf eine zweckmäfsige Weise verändert, indem sich jetzt Frauenzimmer in die Wohnung und gewisse damit verbundene Ein- künfte einkaufen, und so ohne Sorge, wenn sie
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freundlos sind, dem hohem Alter entgegen sehen können. Im Jahr 1820 ist das alte, ungemüthliche Haus niedergerissen und ein neues geschmackvolles und ansehnliches an die Stelle gebaut worden, so dafs mit erhöhterem Einsatz auch Frauenzimmer von bessern Ständen, wenn sie übrigens zu dieser Le- bensart Neigung fühlen, hier eine anständige Woh- nung finden können, indem sie nicht gemeinschaft- lich, sondern in abgesonderten Zimmern wohnen.
Das Alte -Mannhaus. Eine ähnliche, wie die eben geschilderte Anstalt für Frauen , ist für zwölf bejahrte Männer gestiftet, und befindet sich auf dem Armenhause in St. Stephani-Kirchspiel, ohne jedoch mit demselben in irgend einer andern Ver- bindung zu stehen.
Sankt Nikolai Wittwenhaus. Von der Nikolai-Kirche in der Hutfilzerstrafse stand nur noch das Chor, und dieses war zur freien Wohnung für bejahrte Witt wen eingerichtet worden. Auch dieses Haus wird nun neu gebaut.
Auf der Tiefer, nicht weit von der Holzpforte, stand vormals ein Gasthaus für Pilger, die nach St. Jago di Compostella wallten. Noch jetzt, ob- gleich dieses Gebäude nur von Wittwen bewohnt ist, sieht man über der Hausthüre den Jakobus Major in Pilgerkleidung mit Pilgerstab und Muschelhut, und der gemeine Mann nennt ihn Joks Major. Der Fremde , der ihn sehen will , mag sich durch ein Labyrinth von GäCschen führen lassen , sonst kann er sich leicht verirren.
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Das P etri - Wit t w e nh au s. Es Hegt in der Buchtstrafse. Es leben mehrere Wittwen in dem- selben» Vor der Thiire ist ein Brunnen, auf wel- chem ein Bischof abgebildet ist, der einem hnieen- den Bettler in die dargehaltene Schale etwas ein- giefst. Der bekannte englische Reiseschriftsteller Holcroft hat über dieses Bild sentimentale Betrach- tungen angestellt. Auch diesem Hause steht eine Reform bevor.
Die Seefahrt. Wer die Hutfilzerstrafse hin- untergeht, sieht an dem Eingang eines Gebäudes rechts Schiffer und Schifferembleme abgebildet. Die- ses Haus ist die sogenannte Seefahrt und wurde im Jahr 1545 durch Kaufleute und Schiffer, zur Versor- gung alter unvermögender Schiffer und deren Wittwen errichtet. Ueber der Hauptthür e stand ein ausge- hauenes Bild, welches ein Schiff im Sturm vor- stellt, mit der trefflich gewählten Inschrift: »Navi- gare necesse est, yivere non necesse est.« (Schif- fen ist nöthig; Leben ist nicht nöthig). Im Jahr 1663 wurde die Seefahrt neu gebaut. Die mangelhaften Einkünfte werden durch eine jährliche Sammlung in der Stadt verstärkt.
Das Armenhaus. Am St. Stephans-Thor in einer gesunden Lage war seit dem Jahr 1696 ein Haus gebaut, bestimmt um ganz unvermögenden Bürgern beiderlei Geschlechts , ohne Unterschied der Confession Aufenthalt, Unterhalt, Kleidung, ärzt- liche Hüffe und See! sorge zu geben. Die in dem- selbigen Jahre angestellte Sammlung in der Stadt
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brachte 11591 Rthlr. Dieses Haus hat eine Kirche mit einer Orgel.
Es ist jetzt im Plan, das Krankenhaus in der Neustadt nach der Altstadt, und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach auf die St. Stephans -Ba- stion zu verlegen. Dafs hiervon eine treffliche An- stalt zu erwarten ist, darf nicht bezweifelt werden, wenn man die Vorliebe unserer Bürger für Unter- nehmungen der Wohlthätigkeit kennt.
Die Armenanstalt, welche ebenfalls unter bürgerlicher Verwaltung steht, und den Zweck hat, theils durch freiwillige Beiträge, theils durch zweck- mäfsige Beschäftigung die Armen vom Betteln abzu- bauen, verdient in ihrer ganzen Einrichtung das höchste Lob. Es wird freilich, wie überall, wo man sich auf solche Art der Armen annimmt, die beü übende Erfahrung gemacht, dafs mit jedem Jahr die Zahl der Armen zunimmt, und die Beiträge ver- stärkt werden müssen. Eine angemessene Beschäfti- gung könnte hierbei viel helfen, da stehen aber die zünftigen Handwerker im Weg, und der Menschen- freund findet sich in seinen besten Absichten hier überall gehemmt, kann nur das Uebel beklagen, aber demselben nicht abhelfen. Indessen könnte der Schade leicht noch gröfser werden, wenn die von Einigen begünstigte Armensteuer eingeführt würde. Es giebt kein wirksameres Mittel , die Zahl der Ar- men schnell zu vermehren, als die Armensteuer. England ist es gewahr geworden, und keine Maafs- regel bleibt der Regierung übrig, das so hoch ge-
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stiegene Uebel wieder auf eine tiefere Linie zurück- zuführen.
Waisenhäuser.
Eins der sehenswürdigsten Gebäude am Doms- hof ist das Petri- Waisenhaus. Kein fühlender Mensch wird dieses musterhafte Institut ohne innige Aner- kennung seiner trefflichen Einrichtung besehen und verlassen. Sein Ursprung ist klein. Im Jahr 1681 waren durch gute Verwaltung der Armengefälle des Doms 100 Rthlr. auf Zinsen verliehen worden. Diese Summe nahm bis zu 1000 Rthlr. in sechs Jahren zu, und man beschlofs ein Waisenhaus da- mit zu gründen. Der König von Schweden , damali- ger Besitzer der Herzogthümer Bremen und Verden, schenkte zu dem Zweck eine Domcurie und allen Grundbesitz, der zu derselben gehört hatte. Redli- che Diakonen besorgten die Einrichtung des Hauses, Handwerker aller Art erboten sich zu unentgeldli- chen Arbeiten , eine vom König bewilligte Collecte in beiden Herzogthümern vermehrte die Mittel, und so konnte die treffliche Anstalt am 10- Novem- ber 1(592 einge weihet werden. Zehn Knaben und fünf Mädchen war die Zahl der Waisen, und mit der zunehmenden Zahl nahm auch die W ohlthätigkeit der lutherischen Gemeine zu.
Als die Menge der Waisen und die Baufälligkeit des Hauses im Jahr 1782 ein neues Gebäude nöthig machten , da gestattete König Georg der Dritte einen bequemen Platz dazu. Binnen vier Tagen kamen
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in Bremen 22000 Rthlr. durch Collecte zusammen, und als man später noch mit dieser Summe zu dem trefflichen Gebäude nicht zureichte, so wurden vor und nach über 5000 Rthlr. von wohlhabenden Glie- dern der Gemeinde zusammen gebracht. Bei der Einweihungspredigt fanden sich in den Bechen über 1200 Rthlr. und weil noch die innern Einrichtungen nicht bestritten werden konnten, so schössen sech- zig Gemeindeglieder abermals 6000 Rthlr. ohne Zin- sen auf zwölf Jahre vor. Was Handwerker ohnent- geldiich gearbeitet, wurde auf 620 Rthlr. ange- schlagen.
Aber auch jetzt noch ist die Wohlthätigheit für diese treffliche Anstalt nicht erhaltet. Drei Sammlungen werden jährlich angestellt. Die letz- ten hurz vor den französischen Zeiten an den Thü- ren des Doms brachten jedesmal über 2000 Rthlr. ein. Das Yolk betrachtet mit besonderer Zärtlich- heit seine Waisenhäuser. Tritt einer, der hier er- zogen worden, hernach mit Bedeutung im Leben auf, so kann man rechnen, dafs ihm vorzügliche Begünstigung unter der Bürgerschaft zu Theil wer- den wird. Die Bürger sagen dann mit Stolz, be- sonders die Frauen: das ist unser Waisenkind, das haben wir erzogen. Diese innige Theilnahme des Volks an seinen Waisen zeigt sich auch an dem jährlichen frohen Tag, wo sämmtliche Kinder zu einer einfachen Lustbarkeit aufs Land ziehen. Wenn sie Abends zurückkommen, sind Spaziergänge und
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Strafsen bis weit zum Thor hinaus mit Menschen bedeckt, um die geliebten Waisen zurückkommen zu sehen, sie zu empfangen, sie bis an ihre Woh- nung zu begleiten.
Es würde zu weitläuftig seyn , alle Einrichtun- gen dieser trefflichen Anstalt zu schildern, die man nur zu sehen braucht, um an der Schönheit und Reinlichkeit des Gebäudes, an den gesunden, wohl gekleideten, bescheiden frohen Kindern sich von der guten Verwaltung einen Begriff zu machen. Die Anzahl der Kinder beträgt hundert zwei und siebenzig. Sie dürfen bei der Aufnahme nicht unter sechs und nicht über zwölf Jahre alt seyn. Die Vorsteher sor- gen dafür, dafs die entlassenen Knaben bei Hand- werkern, die Mädchen bei guten Herrschaften unter- gebracht werden ; erstere werden im sechzehnten, letztere im siebenzehnten Jahr entlassen. Zu dem Behuf erhalten sie eine zweckmäfsige Aussteuer an Kleidungsstücken. Aber auch selbst der Welt hin- gegeben kommen sie nicht ganz aus den Augen der Vorsteher, die von Zeit zu Zeit Erkundigungen über sie einziehen.
Durch eine zweckmäfsige Einth eilung der Zeit zwischen Arbeiten und Lernen wird es bei der so reichlichen Unterhaltung dennoch möglich die Ko- sten für jedes Kind jährlich mit 50 Rthlrn. zu be- streiten, was in einer theuern Handelsstadt gewifs nicht viel ist. Zwei Lehrer und drei Lehrerinnen besorgen den Unterricht.
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Alles, was hier von dem lutherischen Waisen- hause gesagt worden, hätte eben so gut von dem reformirten gesagt werden können. Alle Um- stände passen hier wie dort, und der Fremde, wel- cher musterhafte Anstalten dieser Art hennen lernen will, hann sich in dem einen wie in dem andern auf gleiche Weise belehren.
, Handlung und Schifffahrt, Wissenschaft, Kunst.
Gegeneinanderstellung des Zustandes der Sittlichkeit alter und neuer Zeit.
W^enn man genau beobachtet, was uns an dem Alterthümlichen des deutschen Mittelalters so anzie- hend ist, so findet sich, dafs aufser dem Reiz, den überhaupt das Alterthum hat, insofern es unsere Nation, folglich auch unsere Vorfahren anging, es vor- züglich der Umstand ist, dafs die Menschen damals ihren Leidenschaften freiem Lauf liefsen, Liebe und Hafs unbeschränkter und unbemäntelter äußerten, im Leben auf ihres Körpers Kraft und kampfge- wandte Hand, im Tod auf eine sichere Versöhnung mit Gott durch Reue, Stiftungen und priesterliche Vermittelung rechneten. Dazu kam noch etwas Be- sonderes bei den grofsen Bürgerschaften freier Städte, was die neuere Zeit in Betrachtung so wichtiger Aenderungen, die seitdem Statt gefunden, nicht ohne im Innersten davon durchdrungen zu werden, be- denken kann. Wie standen diese stolzen Städte im Vertrauen auf ihr Recht, auf ihre Tapferheit und auf ihre mächtigen Bollwerke selbst siegreich gegen mächtige Fürsten ! Wie zogen ganze Heere von Bürgern und Söldnern aus ihren Thoren gegen die- selben! Wie oft waren Krone und Scepter und an-
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dere Kostbarkeiten der Fürsten bei den reichen Bür- gern der Städte verpfändet! Wie stolz, wie trotzig waren diese Bürger, wie glänzend in ihrem Aufzog, wie solid prächtig in ihrem häuslichen Leben! Und diese Städte regierten sich mit unstudierter , in der Anwendung aber desto erprobterer Politik, ohne dieses Wort zu kennen.
Die vorzüglichsten Tugenden unserer Altvordern hatten ihren Grund in der Zeit und in den Verhält- nissen. Treue und Worthalten zum Beispiel war durchaus unentbehrlich in einer Zeit, wo man, we- gen der häufig mangelnden Schreibekunst, nicht über jedes Versprechen eine schriftliche Uebereinkunft machen konnte. Tapferkeit, Geschicklichkeit in Füh- rung der Waffen war in einem Zeitalter Bedürfnifs, wo ein Jeder stets zur Selbsthülfe bereit se)n mufste. Solche Tugenden werden weniger bemerkt, wenn die besondere Gelegenheit zu ihrer Ausübung und Ausbildung fehlt; kommt diese, so werden die- selben augenblicklich wieder sichtbarer.
So viel aber kann man behaupten , dafs in den deutschen Städten des Mittelalters, besonders in de- nen, wo grofser Handel getrieben wurde, Sitte mit Sittlichkeit in weit höherm Grade verbunden wai\ als an den Höfen. Jene war das Resultat des ge- sellschaftlichen Lebens und eines hohen Grades von Reichthum und daraus entspringenden Wohllebens; diese die nothwendige Bedingung, ohne welche der Handel gar nicht aufkommen kann. Zugleich zeigt sich eine Religiosität, die nicht blofs auf einem blinden
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Mitmachen gewisser vorgeschriebener Hebungen und Cereinonien beruhte , sondern auf das Leben ein- wirkte, ja auch das Ansehen des Priesterstandes nur so weit gelten liefs, als es sich mit dem bürgerlichen Gemeinwohl und der Ruhe der Familien vertrug. Beispiele hiervon in Betreff der Stadt Bremen finden sich zerstreut in diesem Buch.
Wie dem allen ohngeachtet dennoch Greuel man- nicht altiger Art in Bremen Statt gefunden, wie nicht blofs Mordthaten in Zorn oder aus gereizter Rache in den Strafsen von einzelnen Personen begangen wor- den, sondern sogar ungescheut eine ganze Gesellschaft sich zu den frechsten Unthaten aller Art vereinigte , die Strafsen mit Mord , die Häuser mit Wehklagen er- füllte, und sich in ihrem festen Hause der Schandtha- ten sicher freute: das alles sahen wir mit Erstaunen in den Geschichten einer Stadt, die jetzt des ausge- zeichnetsten Rufs der Sittlichkeit geniefst.
Zugleich sieht man mit Bedauern, wie die Gerech- tigkeit, selbst mit dem besten Willen, irre geht, wenn die Aufklärung fehlt. In dem Jahr 1513 wurden an einem und demselben Tage zwei Hexen verbrannt. Im Jahr 1515 erhielten zwei Personen den Staubbe- sen, weil sie Liebestränke bereitet, und eine dritte, weil sie das durch Zauberei vereitelte Buttern durch Zauberformeln wieder hergestellt. In dems elbigen Jahr wurden zwei Frauenspersonen verbrannt, weil sie Zauberkünste getrieben. Was soll man mehr be- klagen, die Dummheit so vieler Menschen, die an sol- che Zauberei glaubten, oder die Dummheit derObrig-
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heit und der Geistlichkeit, welche solchen Unsinn der furchtbarsten Bestrafung werth hielten?
Nicht lange nach der Reformation wufsten sich die Prädicanten einen sehr grofsen Einfmfs zu ver- schaffen. Sie drangen auf eine grüfsere Strenge der Sitten, und die Bürger lernten ihre Strafreden yon der Kanzel herab bald so sehr fürchten, dafs man das Mifslingen des gefährlichsten Aufruhrs in dieser Stadt zu einem grofsen Theil ihrem lauten Tadel desselben beimessen hann. Leider war mit dieser gröfsern Strenge der Sitten nicht auch zugleich Auf- klärung verbunden. Jener frühere Aberglauben dau- erte eben so fort, als wenn das Wort Reformation nie genannt worden wäre. Im Jahr 1520 wurde ein Mann zum Feuer verurtheilt, dann aber aus Gnade enthauptet, der den Leuten den Gefallen gethan, die ihnen gestohlenen Sachen durch Zauberkunst nachzuweisen. Im Jahr 1530 wurde ein Mann wegen Zauberei enthauptet, zwei Jahre später zwei Men- schen aus demselbigen Grunde verbrannt. Die He- xe sollte mit dem Teufel Hurerei getrieben, der Hexenmeister aber den Geist eines verstorbenen zwi- schen Himmel und Erde sclrwebenden Kindes durch Zaubersprüche zu sich herunter gezwungen haben. Koch acht andere Personen wurden in demselbigen Jahrhundert wegen solcher eingebildeter \ erbrechen verbrannt oder enthauptet.
War das Zeitalter nicht so wreich!ich wie das unsere, so lag ihm dagegen auch das Erbarmen und Mitgefühl mit den Leiden der Creatur sehr ferne.
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Wir schaudern, wenn wir lesen, dafs im Jahr 1514 ein Falschmünzer und abermals im Jahr 1629 ein gewifser Hans Peters von Eschen wegen desselben Vergehens öffentlich auf dem Markt in einer Pfanne lebendig gesotten worden *'); dafs im Jahr 1539, freilich, aus Vergeltungsrecht gegen den Junker Bal- thasar von Esens, achtzig Seeräuber ohne Gnade nacheinander enthauptet wurden, nachdem die Geist- lichkeit versichert hatte, dafs durch ihre Ermahnun- gen diese ruchlosen Seeräuber gute Menschen gewor- den; dafs ein Dieb, der mehr als eine halbe Mark, d. h. 16 Grote, gestohlen hatte, gehangen, wenn darunter, im Gesicht gebrandmarkt wurde. Die Tor- tur wurde unter grausenden Umständen leicht ange- wandt. In Ansehung der Bestrafung der Selbstra- che hatte der Bürger Reinen Vorzug vor dem Frem- den in den Gesetzen, was in den Rechten anderer Städte nicht allgemein war. Wegen gewisser Ver- gebungen, die theils in unseren Tagen nicht mehr vorkommen, theils nicht für gleich wichtig gehalten werden, sollte der Verbrecher auf dem Hoste gebra- ten werden. Für diese Strafe werden im Statut zu-
*) In den Statuten heifst es (Urth. 102.): „Einen falschen Mün- zer soll man um sein falsches Geld sieden, und das falsche Geld auf dem Markt verbrennen. Diese Todesstrafe kann nach Gutbennden des Raths mit einer andern geliuderen ver- wechselt werden, selbst wann dem Missethäter bereits das Urtheil gesprochen ist." Es scheint, dafs der Rath sein Be- gnadigungsrecht nicht leicht ausgeübt hat. Es lag in den Sitten der Zeit.
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sammen genannt ein abtrünniger Christ , ein Zaube- rer, ein Giftmischer und ein Verräther.
Man weifs, dafs es im Mittelalter mit den in ganz Deutschland so genannten Frauenhäusern nicht so schlimm stand, und so genau gehalten wurde wie heut zu Tage *). Ich glaube, man Rann die darauf haftende grofsere Schande von der Zeit an datiren, wo eine schändliche Krankheit in Europa sich äufser- te, die Jahrhunderte hindurch für unheilbar gehal- ten wurde. In Bremen war ein solches privilegirtes Haus. An Festabenden durfte es jedoch nicht be- sucht werden, auch wurde scharf gewacht, dafs h ei- ne verheiratheten Männer hinein gingen. Im Be- tretungsfalle wurden diese sogleich ins Gefängnifs ge- führt. Später entstanden mehrere solche privilegir- te Frauenhäuser. Die Prädicanten hatten sehr viel über die Unzucht zu sagen, und der Bath jagte im Jahre 1571 sämmtliche Dienerinnen der Lust zum Thor hinaus. Doch wurde nicht lange strenge darauf ge- halten, weil die Buhe und das Glück ehrliebender Familien ohne das Bestehen jener freilich stets ta-
*) Unter den Ehrenbezeugungen, die der Rath von Bern dem Kaiser Siegmund bei seinem Besuch in jener Stadt erwies, war auch die unentgeldÜGhe Anweisung an die Frauenhäuser für seinen Hof. Die Stadt bezahlte. Die quittirten Rechnungen %verden dort noch verwahrt. S. Joh. Müllers Schweizergeschichte. Der Rath in Regensburg hatte nnter andern Verfügungen zu Gunsten fremder Kaufleute auch ihr Verhiiltnifs zu den soge- nannten armen Töchtern, d. h. Lustdirnen bestimmt. S. Ge- meiners Geschichte von Regensburg, Jahr 1147.
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delnswürdigen Häuser mehr gefährdet ist als mit denselben.
Gesetze zur Beschränkung des Aufwandes , an deren Notwendigkeit man mit Recht heut zu Tage nicht mehr denkt, wurden bei verschiedenen Veranlas- sungen gegeben *). Man erkennt daraus eine mit einer freien Verfassung kaum verträglich scheinende genau abgemarkte Rangordnung von vier Ständen, den Bür- germeistern und Rathsherren; den Aeltermännern , angesehensten Kaufleuten, Brauern und den Vermö- gendsten aus den wichtigsten Zünften; den gemei- nern Zunftgenossen, Schiffern und andern ehrbaren Bürgern, und endlich den Bootsleuten, Dienstboten und andern Personen der niedrigsten Volksklafse.
Jeder Abtheilung wurde genau zugemessen, was für Festlichheiten, wie lange Zeit dazu, wie viele Gäste, und wie viele Schüsseln zu der Feier erlaubt seyen. Die Zahl der Gäste ward von zweihundert in der höchsten Klasse bis zu sechzig in der untersten bestimmt; für die über diese Zahl Eingeladenen mufste ein Strafgeld bezahlt werden. Aus dem, was gesetzlich erlaubt war, sieht man, welch eine Uebertreibung bei solchen Gelegenheiten Statt ge- funden haben mufs. Vorzügliches Gepränge wurde bei solcher Gelegenheit auf dem Markt und unter der Gallerie des Rathhauses getrieben , und dieses dauerte gewöhnlich so lange, dafs die Geistlichkeit, die indefsen warten mufste bis das Brautpaar 2ur
*) Vom Jahr 1577, hernach öfter wiederholt.
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Kirche harn, sich drein legte, bis auch endlich dieses von der Obrigkeit beschränkt wurde. Nur die El- lern und Geschwister durften dem Brautpaar Ge- schenke geben. Nur einer Braut vom ersten Bang durfte von den Rathsmusikanten zur Kirche und wie- der zurük vorgespielt werden; einer vom zweiten nur vor ihrem Hause und dem Kosthause, wo der Schmaus gegeben wurde. Die beiden andern Stände mufsten ihre Feierlichkeit ohne Musik abmachen; da- gegen konnten sie sich bis Nachts eilf Uhr mit dem Tanz ergötzen, indefs jene schon um neun Uhr ausein- ander gehen mufsten. Bei Kindtaufen und Begräbnis- sen fand übermäfsige Ausgabe Statt; ohne kostbare Mahlzeiten und andere Erfrischungen konnte nichts ab- gethan werden, ja sogar die Landlente waren von die- sem Wetteifer der Verschwendung ergriffen; auch dagegen wurde vom Rath weislich verordnet. Je ungebildeter ein Zeitalter ist, desto fester klebt es an dem Herkömmlichen, und keiner wagt sich von dem, was seinem Stande gemäfs gehalten wird, loszu- reifsen , sollte auch Hab' und Gut darüber zu Grun- de gehen. Ein Zeitalter verdient hohes Lob, wo der Mensch in allem dem, worin er unabhängig han- deln kann, nach seiner besten Einsicht zu Werke geht, und nichts nach dem fragt, was man Bolis- beutel nennt. Das Beispiel eines einzigen schätzba- ren Mannes zieht oft eine ganze Gemeinheit nach, wenigstens diejenigen seines Standes.
Indem wir jedoch in jenem zweiten Rang neben den Aeltermännern und angesehensten Kaufieuten
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auch die Vermögendsten aus den wichtigsten Zünf- ten genannt sehen, so erscheint uns der Handwerhs- stand in einer höhern Würde, als man ihn sich jetzt anderwärts zu denken gewohnt ist. Dieses zeigt sich auch bis tief ins siebenzehnte Jahrhundert in der Mi- litärverfassung unserer Stadt.
Man kann sich oft nicht denken , woher die Städte im Mittelalter die Geldkräfte hernahmen, um neben den bewaffneten Bürgern bedeutende Söldnerschaa- ren zu unterhalten , welche nach Verhältnis des Geldwerthes mehr hosteten, als unsere besoldete Krieger. Es erklärt sich, so lange kein Artillerie- train vorhanden, oder nicht bedeutend war, oder sich höchstens nur auf die Belagerungsstücke be- schränkte, denn dieser verursacht hauptsächlich die schweren Kosten der stehenden Heere unserer Zeit. Mit zunehmender Bevölkerung entstand Concurrenz solcher Leute, die um Lohn ihre Haut zu Markte trugen , und der Sold ging herunter.
Nach der letzten Belagerung Bremens durch die Schweden zeigt sich das Bürgermilitärwesen nur als Spielerei , die jedoch im Angedenken alter Thaten ernstlich und feierlich genug behandelt wurde.
Vor dem sechzehnten Jahrhundert liefern un- sere Chroniken nur gelegentliche Sittenzüge, ohne Absicht dieselben geben zu wollen, Wären die Pa- piere unserer Klöster bei ihrer Aufhebung nicht ver- loren gegangen , so würde uns vielleicht nicht so Vie- les aus der früheren Sittengeschichte fehlen. Auf jeden Fall gestaltet sich Vieles seit der Reformation
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ganz anders. Das Erzstift Bremen kam durch den dreifsigjähiigen Krieg an Schweden ; die An- sprüche an oberherrlichen Besitz der Stadt Bremen gingen auf diese Krone über und wurden geltend gemacht; die Stadt mufste als Kriegsmacht mehr- mal auftreten und hatte mit Schwierigkeiten aller Art zu kämpfen, welche verbunden mit dem neuen religiösen Geiste ungewöhnliche Verhältnisse herbei führten.
Was zuerst unserer Zeit entgegensteht, ist die höhere Würde des Handwerkstandes. Die Ursachen derselben, so wie ihrer Abnahme, zu entwickeln, ge* hört nicht hieher. Das Zunftverhältnifs hat es al- lein nicht ausgemacht, denn sonst bestände jene Würde noch. Gewifs ist es aber, dafs als die Hand- werke noch mit den Künsten in gleichem Range stan- den , sich schon durch die höhere Ansicht des Ge- werbes ein gewisser Stolz erzeugen musste , der oft genug in Aufruhr ausbrach. Besonders aber war die WafFenführung der Handwerksgenossen und die Geschicklichkeit darin, auch die häufige Veranlas- sung, dieselbe im Ernst anwenden zu müssen, das- jenige, was den Zünften etwas ritterliches ertheil- te. Als die Städte keine Kriege mehr zu führen hatten , wie das im Allgemeinen nach dem westphäli- schen Frieden der Fall war, versank jener kriege- rische Geist in Spielerei, und hörte am Ende ganz auf, bis die neueste Zeit auf das Verlorene und Ver- säumte aufmerksam machte. Hier nur einzelne Züge.
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Seit langer Zeit, man weifs nicht wann es an- fing, jedoch nicht ohne mehrjährige Unterbrechung, wie denn in Friedenszeiten leicht kriegerische Uebun- gen aufser Brauch und Ehre kommen, bestand eine Schützen- Compagnie von ungefähr 271 Mann, zu- sammengesetzt von den jüngsten Meistern der Zünfte. Die meisten waren aus den Schustern , Schnei- dern , Schmidten und Krämern. Am dritten Pfingst- tag hielt diese Compagnie ihren Aufzug und schofs im Werder mit Armbrüsten nach dem Vogel *), seit dem Jahre 1599 aber mit Büchsen nach der Scheibe auf dem davon genannten Schützenwall. Früh um sieben Uhr versammelten sich die Schützen auf dem Osterthorswall. So wie um zehn Uhr der Gottes- dienst vorbei war, wurden die Fahnen geschwenkt und Trommeln und Pfeifen ertönten zum Marsch. Vorauf zog in glänzendem Harnisch ein Raummacher, der mit seinem blanken Schlagschwert geschickte Hiebe führte (statt des heutigen Tambourmajors) und die Gasse breit machte ; dann kam der Frei- schütz mit dem Spiefs , der die Compagnie anführte. Hinter demselben wurden die Preise für den Kö- nig, und die, welche nach ihm den besten Schufs hatten , getragen. Dann folgten die drei Schottherrn, ein Herr des Raths, ein Kaufmann und ein Krämer in Mänteln. Sie führten zwischen sich den König des vorigen Jahres, der auch im Mantel ging und
*) Ein Papagai , popinjay in Schottland , wo ebenfalls nach dem Papagai geschossen wurde.
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einen silbernen vergoldeten Papagai am Halse trug, Sie trugen alle vier Schützenhüte *).
Dann folgten die Schützen, die Schiefsenden mit Feuerrohr und Seitengewehr, die Abgehenden mit Pike oder Muskete ; die Freischützen aber führ- ten breite Schlagschwerter auf den Schultern und hatten aufserdem ein Seitengewehr.
In der Mitte vor dem Fähnrich ging ein Mann im Kürafs, der mit einem Säbel allerlei Stellungen und Geberden machte. Hinter dem Fähnrich, der unablässig die Fahne schwenkte, ging sein Leib- schütze, ein wohlausgeputzter Jüngling.
Auf dem Markte wurde eine Salve gegeben, dar- auf ging es nach dem Ansgariithors - Wall, und auf dem Abtsrondeel wurde eine zweite Salve gegeben. Hierauf zogen sie in den Schützenwall, wo jede Zunft ihr eigenes Zelt hatte.
Um zwölf Uhr begann das Schiefsen. Zweimal kam an jeden Schützen die Reihe. Wer den besten Schufs gethan, ward mit dem vergoldeten Papagai geschmückt, und am Abend mit Trommel und Pfei- fenklang von seinen und andern Zunftgenossen nach Hause begleitet.
*) Weifse oder grau zugespitzte Hüte , an welchen zur Seite ein silberner Pfeil geheftet ward. Die Kleidung war schwarz , ein. bis auf die halben Schenkel hängendes weites Warn ms mit einer Reihe Knöpfe ganz herunter. Der Schütze trug ein ledernes Wehrgehenke , eine Beffe und graue Strümpfe. Der Freischütz aber trug sein Seilengewehr an einer schwarzen Schärpe und trug schwarze Strümpfe. Die Schuhe mit rothen Absätzen waren reich mit Bändern gebunden.
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Dies war nicht allein eine grofse Ehre, sondern sein Königsjahr hindurch war er von Accise und Bürgerwache frei, und nach Verlauf des Jahrs wurde er so ehrenvoll, wie vorerwähnt, aufgeführt. Glückte es einem Schützen, dreimal hinter einander König zu werden, so wurde ihm der silberne Papagai ge- schenkt, und er war aufs ganze Leben accise- und wachtfrei. Dieses Glück hatte in der Mitte des sieben- zehnten Jahrhunderts der Schneider Johann Schriefer. Mittwochs und Donnerstags darauf waren herrliche Gastereien auf dem Schütting, und so gings die ganze Woche fort. Der Fähnrich hatte jedoch die Ehrenlast, dafs er die Schottherrn und Freischützen auf eigene Kosten tractiren mufste. Dies war oft auch für den vermögenden Handwerker drückend, und man kann sich von dem Wohlstand des damaligen Handwerkstandes einen Begriff machen, wenn man hört, wie damals oft der Fähnrich über 600 Rthlr. aufwenden mufste. Die Obrigkeit unterliefs nicht, zuweilen beschränkende Gesetze zu dem Behufe zu erlassen.
Die Schützen- Compagnie hatte das ehrenvolle Vorrecht, an Tagen der Gefahr voraufzuziehen. Als aber im Jahre 1654 die Schützenfahne hinaus gegen den Grafen Königsmark sollte, der die Burg (drei Stunden von Bremen) belagerte, da fehlte die Lust. Die geäufserte Abneigung, Feigheit oder Widerspen- stigkeit ward jedoch nicht vergessen. Zur Strafe wurde der Aufzug nächste Pfingsten zwei Monate später untersagt, und im Jahr 1664 wurde die Com-
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pagnie ganz aufgehoben, die Fahne ins Zeughaus ge- bracht, und der Fähnrich, ein Schustermeister, harn ohne Kosten davon.
Wenn es zum Kriege kain, pflegten aufser den pfiichtigen noch freiwillige Compagnien zusammen- zutreten. Die zahlreichen Zünfte bildeten jede ihre eigene Compagnie. Bei verschiedenen Gelegenheiten zeichneten sich diejenigen der Schuster - und Schnei- dergesellen durch Haltung und Benehmen aus.
Dafs es in einer Zeit, wo Jedermann Seitenge- wehr trug, wo sogar der Rath ein Verbot wegen der Gymnasiasten , die eine Klinge an der Seite trugen, erlassen mufste *), läfst sich leicht denken, wie beim Trunk, ja überhaupt bei jedem Wortstreit Blut flofs und Mord die Folge war.
Was soll man mehr bewundern, die Schnell- fertigheit im Hinrichten von Seiten der Obrigkeit, oder die Häufigheit des Mordes und anderer viehi- schen Verbrechen? Ja wahrlich, wer das Mittelalter sammt der Zeit bis zum achtzehnten Jahrhunderte über unser Zeitalter setzt, weifs nicht, was er will, oder er hat keinen Büch in die Specialgeschichten geworfen. Das siebzehnte Jahrhundert sah acht und vierzig Mord- thaten in der Stadt Bremen. Vierzig Personen wurden, oft noch unter schauderhafter Vergrößerung und Ver-
*} Als die Gymnasiasten keine Klingenwehr tragen durften , so prügelten sie sich mit Stöcken, forderten sich heimlich heraus, duellirten sich, so dafs der Rath durch eine Verordnung das Tragen der Mäntel, das Schliefsen aller Fechtbüden anzubefehlen, das Lernen und Lehren des Fechtens zu verbieten sich veran- lafst sah. 3. Verordnungen des Raths vom 16. Februar 1681.
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längernng der Qual, mit dem Schwerdte gerichtet, nachdem sie meist alle erst die Tortur erlitten. Keine Mordthat konnte durch mildernde Umstände eine ge- ringere Strafe als das Schwerdt erhalten. Nur Flucht oder Selbstmord rettete den Mörder. Vierzehn Ver- brecher wurden gehenkt. Diese entehrende Todes- art war besonders für die Soldaten. Nach den Sta- tuten *) mufste der Dieb, der über den Werth einer halben Mark gestohlen, hängen; war es weniger, so bekam er den Staubbesen und wurde gebrandmarkt. Ein Räuber aber wurde wegen der Räuberei ent- hauptet; der Mörder, der Kirchenräuber, der Mord- brenner wurde gerädert; der falsche Münzer wurde gar gesotten in einem grofsen Kessel. Diese Strafe wurde noch im Jahre 1629 an einem Hanns Peters von Essen vollzogen, obgleich er den Falschmün- zern doch nur behülflich gewesen.
Da das Statut sagt , dafs der Rath diese fürchter- liche Strafe mit einer andern vertauschen könnte, so begreift man nicht, warum er hier sein Begnadigungs- recht nicht ausgeübt. Ein Zeitgenosse bemerkt als etwas auffallendes , dafs zwischen 1644 und 1676 kei- ner in Bremen gehenkt worden. Man staunet auch oft, wenn man sieht, wie manchmal in gleichen Fäl- len, wenn es sogar anderen noch scheufslichern Ver- gehen galt, als Mord, doch nicht gleiches Urtheil gefällt wurde, und wie die städtische Obrigkeit we-
*) Ordeel 102.
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gen Hemmung von Wien aus nicht gerechtes Ge- richt vollziehen konnte,
Gustav Adolph Münzbruch, der Sohn eines an- gesehenen schwedischen Beamten in Osnabrück, ein frecher Bursche von 17 Jahren , der die Bremische Schule besuchte, erstach am 4. März 1678 Abends, um unbedeutender Ursachen willen, einen Bremer Bürgerssohn, und verstechte sich. Die Thore wur- den zwei Tage verschlossen gehalten, und so ergriff man ihn endlich bei einem Schneider; zwei Tage darauf ward er zum Tode verurtheilt. Die Hinrich- tung sollte auf dem Osterthorswall vollzogen werden.
In den acht Tagen, die zwischen der That und der Strafe verstrichen, waren indessen die Freunde des Mörders nicht müssig gewesen; einige benach- barte Fürsten legten Fürsprache ein , und in dem Augenblicke, wo er zum Tode hinausgeführt werden sollte, protestirte der kaiserliche Resident, Namens seines Herrn , und die Hinrichtung unterblieb.
Der Yater benutzte diese Zeit, brachte die Sache an das kaiserliche Hofgericht, die nun, Gott weifs durch welche Mittel, bis in den Juli hingehal- ten wurde, bis zur Geburt des kaiserlichen Erb- prinzen. Dieses dem Kaiser so erfreuliche Er'cignifs wurde benutzt, um von ihm die Begnadigung des Verbrechers zu erbitten. Obgleich zwar der kai- serliche Befehl anlangte, ihn auf der Stelle ohne alle Strafe freizulassen, so mufste doch der Befehl drei Monate später wiederholt werden, ehe die Stadtsich darin ergab. Der Bursche blieb zu frechem Hohn
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der Obrigkeit noch fünf Tage nach seiner Befreiung in der Stadt. Zehn Jahre später kam er wieder nach Bremen und sah zu aller Menschen Verwunderung zu Pferde sitzend der Hinrichtung eines Franzosen zu. Um die Zeit, wie dieser freche Mörder losge- lassen werden mufste , wurde eine arme verzweifelte Kindesmörderin mit dem Schwerdte gerichtet.
Dafs erst sehr lange nach der Reformation eine ihrer schönsten Früchte, Befreiung yon Aberglauben, überhaupt Aufklärung (wir können uns ja wieder dieses einst gemifsbrauchten Ausdrucks bedienen) erfolgte, zeigt auch die Geschichte Bremens.
Noch im Jahre 1630 hatten sieben protestanti- sche Prediger eine Frau, die sieben Jahre vom Teufel besessen gewesen, von Morgens früh bis Nachmittags vier in U. L. Frauen -Kirche in der Arbeit, und haben mit Beten und Singen und Fasten den Teufel glück- lich ausgetrieben. Das genauere Ob und Wie ist unbekannt geblieben.
Jede Unthat, jedes Unglück wurde unmittelbar dem Teufel zugeschrieben. Spitzbuben, welche die Kunst verstanden, die Schlösser zu öffnen, hatten dieselbe dem Teufel zu verdanken. Selbstmord war die Folge böser Eingebung, und es wurde mit be- sonderer Angst und Heimlichkeit davon gesprochen. Ein Chronist aber ist verständig genug einzusehen, dafs die in der protestantischen Kirche aufgekommene Schwärmerei oft Frauenzimmer zum Selbstmord brachte.
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Ein sehr geachtetes, treffliches Frauenzimmer, Tochter und Gattin eines Rathsherrn, wurde von den pietistischen Vorträgen des Predigers Theodor ündernick an St. Martini sehr angezogen, so dafs sie nebst mehreren anderen Frauen, die auch über die- sem Prediger nicht rechts noch links sahen, nicht aliein keine seiner Predigten versäumte, sondern davon so ergriffen wurde , dafs sie in tiefe Melan- cholie versank, an ihrer Seligheit verzweifelte, und auf das innigste Befragen ihrer Freunde nur Selbst- anhlagen, Thranen und Seufzer zur Antwort gab. Eines Morgens ging sie vor Tag in ihren Nachtklei- dern hinaus, wartete am Stepkanithor , bis es geöff- net wurde, ging dann jammernd und händeringend weiter. Sie wurde vermifst und gesucht, und end- lich nach vier Tagen todt in einem Graben nahe bei der Stadt gefunden.
Leser, wenn du die Weser hinunter fährst und kommst an die einsame moorlose Kirche, so denke an diese und so viele andere unglückliche Opfer der Schwärmerei , und bete : » Gott behüte uns vor Fröm- melei , wie vor falscher Aufklärung«; denn die Selbstmörderin, welcher man, nach damaliger Sitte, kein Grab auf einem städtischen Kirchhofe oder in der Kirche geben konnte, fand dort ihre Ruhestätte.
Der Glaube an Hexenkunst war allgemein und keinem Bedenken unterworfen. Die Hexenprocesse und die Verbrennung alter triefäugiger Frauen waren nicht ungewöhnlich. ,
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Ton einem gewissen Kaltau , Bürger und Markt- vogt in Bremen , der wegen vieler gottlosen Strei- che im Jahr 1640 an den Pranger gestellt wurde, und hei seinem Weggehen munter erklärte: darauf soll mir ein Römer Wein gut schmecken, wurde geglaubt, dafs er ein Bündnifs mit dem Teufel ge- habt. Folgende Geschichte unter vielen andern wurde nicht bezweifelt.
Kaltau fuhr einst gegen Abend mit einer La- dung Heringe von Eickhuysen nach Bremen. Der Wind ist gut, sagte er zu dem Schiffer, aber wie ist es mit Segel und Tau, sind sie fest genug? Als dies alles bejaht wurde, sagte er zu dem Hollän- der: „So geht nur schlafen Schiffer, ich will das Steuer wohl wahren." Ein gleiches rieth er dem Knecht, der sich dieses nicht zweimal sagen liefs. Aber als sie am andern Morgen aus ihren Kojen hervorkrochen , lag das Schiff voll Baumblätter schon in Bremen an der Schlachte, zu ihrer und aller Menschen, die es hörten, Verwunderung.
Kaltau wurde, kurz nachdem er in Bre- men am Pranger gestanden, in Burgdamm von ei- nem Schmidt , den er geschlagen , erstochen , und von den Bauern in die Heide begraben.
Ein Schusterjunge, der für seinen Meister Wa- che stand, zankte mit einem andern wegen des Schilderns, ob es fünf Uhr sey oder nicht, und beide hatten sich für die Wahrheit ihrer Behaup- tung dem Teufel ergeben. In demselben Augenblick aber verschwand der Junge von der Wache zu al-
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ler Menschen Verwunderung. Als er wieder zu sei- nen Eltern kam, erzählte er, in jenem Augenblicke des Fluchens sey ihm der Teufel erschienen, habe ihm angeboten, die Wache für ihn zu thun, habe ihn aber bis jenseits Arsten geführt, in den Schlamm geworfen, ihm zugesetzt, er solle sich ihm erge- ben. Auf seine Weigerung habe er ihm den Degen von der Seite gezogen, ihn gehauen, ihm darauf Geld geboten, und mehrere Goldstücke in die Schuhe gesteckt. Als alles nicht geholfen, habe er end- lich abgelassen. Die Goldstücke seyen aber her- nach Pferdemist geworden. Das ehrwürdige Mini-- sterium verhörte und untersuchte den Jungen und überzeugte sich von seiner Aussage durch die an ihm bemerkbaren Hiebe.
Als im siebzehnten Jahrhundert mitten im Fe- bruar bei heftigem Frost der Blitz in den Doms- thurm einschlug, und bald darauf ein Storch mehr- mahl über U. L. F. Kirche kreifste, ergriff bange Ahnung Aller Herzen , und die Klage erging: Ach was wird der Blitz und die Erscheinung dieses Sommergastes zu so ungewohnter Zeit noch schlim- meres zu bedeuten haben! Es war damals für Bre* men eine Zeit wo man wohl auf vieles Schlimme gefafst seyn konnte *).
*) Im Jahre 1416 kam ein Paar Störche, wahrscheinlich aus Flandern oder Holland, wo diese Vögel sind, zufällig nach Schottland, machten ihr Nest auf St. Giles Kirchendach in Edin- burg, und als die Wanderzeit kam flog es weg, und kam nie wieder. Da der Storch ein Fremdling in Schottland ist , und
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Unter so manchen Scenen groben Aber- glaubens und fühlloser Grausamkeit wird auch zu- weilen das Herz durch traurige Ereignisse bewegt , gegen welche selbst die rohe Natur eines weniger gebildeten Zeitalters nicht fühllos blieb. Ein Stu- dent von Cassel der mit einer Jungfrau Hartmann, die bei dem Aeltermann Huneken auf St. Martinistrase wohnte , versprochen war , brachte der geliebten Braut bei Nacht ein Ständchen mit Blasmusich. Als die Wache patroullirte und zu den Trompetern kam, verlangte sie von diesen , sie sollten inne halten. Der Bräutigam befahl fortzufahren, darüber kam es zu Thätlichheiten. Die Braut lag im Fenster, horch- te entzückt der nächtlichen Musick, als sie plötzlich das Schreien vernahm; sie glaubte ihren Geliebten in Gefahr, eilte zum Zimmer hinaus, wollte hinab um ihn herein zu lassen. Leider stand die Luke offen, die Eile und die Dunkelheit liefs sie dies nicht bemerken und so stürzte sie hinab und brach das Genicke. Wie war die Freude in Trauer ver- wandelt, als man dem Bräutigam das Haus öffnete, und er nun den Leichnam der Geliebten fand, und wie grofs war seine Verzweiflung, als er vernahm, dafs sie den Tod gelitten, als sie ihm zu Hülfe ei-
ern Vogel den die Menschen oft mit einer Art abgöttischer Verehrung zu betrachten pflegten , so haben die schottischen Chronisten das Kommen eines Storchs eben so sorgsam auf- gezeichnet wie ein wichtiges Natur- oder Staats -Ereignifs.
Heron History of Scotland III. 220.
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len wollte ! Sein erster Entschlufs war, sich selbst zu tödten; die Zeit schien nur wenig seinen Schmerz zu lindern, und man mufste ihn durch zwei Soldaten be- wachen lassen, bis er zu seiner Familie nach Cassel zurückgebracht werden konnte.
Das Characteristische der Bremischen Frauen- Kleidung war das Trphoihen, ein schwarzer Mantel, der bei gemeineren Frauen über den Kopf gehängt wurde und nur die Arme bedeckte, bei den Vorneh- meren aber so lang als das Kleid herab hing, und auf dem Kopf mit einem langen schwarzen Horn, oder einer hohen Quaste versehen war. Den Namen Hoi- hen führen noch jetzt die bei der geringem Volks- klasse üblichen Regentücher. Die spitzen Kragen in weiten Falten, das schwere Zeug an der Kleidung, gab eine gewisse Stattlichheit. Eine sammtene Pelzmütze, ein schwarz sammtenes Oberhleid, das mit Goldschnü- ren genestelte rothe Leibchen, sammt rothein falten- reichen Roch und weifser Schürze war hochzeitlich, und das Hoihen blieb alsdann bei Seite.
Unter andern hat man noch die Abbildung einer Mode, welche nach meiner Meinung an Zierlichheit und Sittsamheit von keiner andern deutschen übertreffen wird. Sie wurde leider im siebzehnten Jahrhundert Yon der französischen verdrängt. Die schwarz sammtene Vorhaube, mit einer weifsen über das Gesicht vorstehenden Besetzung, der blofse Hals mit reicher goldner Kette verziert, ein sehr breiter Spitzenkragen über einem schwarzen Mäntelchen, das nur den Oberarm bedeckt. Die übrige faltenreiche
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Kleidung schwarz, die schmale Schütze weifs, die schwarzen Schuhe immer mit rothen Sohlen und Ab- sätzen.
Als vor sechs Jahren bei den Frauenzimmern liier die altdeutsche Kleidung so sehr in Aufnahme kam, hätte man sich zu dieser wirklich geschmackvollen und einer deutschen Frau würdigen Kleidung der Bremer Urmütter, statt zu der unkleidsamen, umständlichen, die man in Kupierstichen zu Ritterromanen gesehen, wenden sollen. Damals wurde aber nicht die Ge- schichte und der Geschmack um Rath gefragt, son- dern die Deutschheit, und was man in Ritterroma- nen vom Mittelalter gelesen und gelernt hatte.
Jene beschriebene Kleidungen hatten bei manchen kleinen Abänderungen doch etwas Stabiles, daher wählte man die Zeuge von der schwersten, haltbar- sten und kostbarsten Art; und so erklärt es sich, dafs Urenkelinnen noch in den Prachtkleidern der Ur- grofsmütter stolzirten. Als aber nach dem west- phälischen Frieden, sagt ein Bremischer Chronist, der zu jener Zeit lebte, die französischen Moden aufkamen, wandte man sich zum wohlfeilen Flitter- staat, indem' man nicht von einem halben Jahr zum andern wufste , was die Mode neues gebieten würde.
Dafs ein achtzehnjähriger Mohr in St. Remberti*) mit grofsem Gepränge getauft wurde, war der Ge- meine eine wichtige Sache. Ob derselbe seinem neuen Glauben Ehre gemacht, ist nicht zur Kunde
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dieser Zeit gekommen. Schlimm genug aber gings mit einem Juden. Schon im Jahre Ibl 6 hatten durch ein Vorwort des Landgrafen von Hessen sechzehn jüdische Familien sich um Aufnahme an den Rath ge- wandt. Der präsidirende Bürgermeister Hoyers fragte darüber bei der Geistlichheit an, wahrscheinlich um seine Antwort bei dem Landgrafen rechtfertigen zu können. Es erfolgte ein bestimmtes Nein und die Juden blieben draufsen. Im Jahre 1699 wurde der oben erwähnte Jude zu allgemeiner grofsen Erbauung in der Klosterkirche getauft, und er liefs sich in Bremen nieder. Der Vortheil des Bürgerrechts und die Gelegenheit, manche fromme Seele zu betrügen, hatte ihn wohl zu dem Uebertritt hauptsächlich be- wogen; denn nachdem er viele angesehene Einwoh- ner um namhafte Summen durch Lug und Trug, namentlich den Pastor , der ihn getauft, und oft Bürge für ihn geworden war, fast um all das Seinige ge- bracht hatte , lief er mit seinem Weibe davon. Man erfuhr hernach, dafs er zwei Weiber zugleich zur Ehe gehabt. Ein sauberer Convertite ! Unsere Zeit seheint es wenig zu begreifen, wie selten ein Apo- stat aus reiner Absicht es ist. In vieler Rüchsicht scheint das Wort Aufklärung nur ein Modewort ge- wesen zu seyn, wenn man sieht, wie unklar sich das Zeitalter noch immer geblieben ist.
Die Fastaachtslust mufs in Bremen, so wie an anderen Orlen sehr fröhlich, und der herrschsüchti- gen Geistlichkeit sehr zum Anstois gewesen seyn. In einer der Verordnungen des Raths aus dem 17. Jahr-
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hundert, heifst es, dafs da Christus und Belial nim- mer übereinkommen können, hiemit die aus dem Heidenthum herkommenden Larvereien, Saufereien und Zechungen verboten seyen. Es wurden zu sol- cher Gelegenheit Schinken, Mettwürste, Geld und andere Sachen zusammen collectirt. In derselbigen Verordnung wird den Barbierern und Haarschnei- dern ihr Gewerbe auf den Sonntag zu treiben unter- sagt.
Trotz der Barbarei der Zeiten hielt man auf gewissen Tugenden so fest, dafs die Uebertretung derselben mit Strafe belegt war. Die Schimpfwörter Lügner und Hurensohn wurden für gleich abscheulich gehalten *). Beim Barte zu reifsen war ein schweres Vergehen, und wurde, wenn vorsatzlich, dem Prü- geln mit einem Stock gleich gesetzt und bestraft. Dieses Gesetz wurde jedoch in spätem Zeiten be- schränkt. Auf Nothzüchtigung, wenn ohne Verlauf der Nacht die Klägerin auftrat, stand Enthauptung: eben so , wer nur diesen Versuch machte an einer Ehefrau, oder ihrer Tochter, oder Nichte, die vor ihr her zur Kirche gehen. Dagegen war die Strafe des Ehebruchs durch die kundige Bolle ziemlich herabgesetzt, indem die Schuldigen die Wahl hatten, am Pranger zu stehen, oder sich mit Geld los zu
*) S. Stat. 94. Auch in der Amtsrolle der Bremischen Gold- schmiede heifst es also: Welk Amptmann (d. h. zünftiger Meister) den andern lochnet im Torne offte mit Vorsate, de schall geven dem Amte (der Zunft) ein half Pundt.
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taufen, und zwar traf dieselbige Strafe den doppel- ten wie den einfachen Ehebruch.
Wenn aber Töchter und Nichten in dem Statut als solche bezeichnet werden, die vor der Mutter zur Kirche gehen, so bemerkt man mit Vergnügen und Rührung, dafs diese uralte Sitte auch jetzt noch üblich ist, wenn man so manche würdige Mutter Sonntags mit ihren Töchtern und andern weiblichen Hausgenossen vor sich her sittsam zur Kirche ziehen sieht»
Neue Zeit.
Ein Meiner alter Freistaat, dessen hauptsäch- liches Gewerbe der Handel ist, mufs, wie ähnlich auch das Menschengeschlecht im Allgemeinen in sei- nen Bestrebungen und Leidenschaften sejn mag, doch zu jeder Zeit ein eigen thümliches Gepräge der Sitt- lichkeit und des gesellschaftlichen Lebens an sich tragen, das selbst unter den wildesten Stürmen der Zeit nicht ganz verlöschen kann.
Militärisch streng erscheint nichts in den Ver- hältnissen dieser Stadt. Das Regieren wird wenig bemerkt; oder anders gesagt, wenn hin und wieder Schroffes hervortritt, so liegt das nicht an den Re- gierungsmaximen, sondern an der Regierungssucht Einzelner, die theils durch Character, theils aus Un- lande von jener Maxime abweichen. Manches wird berichtigt durch die Vermischung der Gesellschaft. Ueberraschendes , Schroffes kommt demnach selten plötzlich zum Vorschein. Und wenn dieses nicht
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auffallende Regieren auch manchmal das erzeugt, was Tacitus den Fehler der Freiheit *) nennt, der auf unsern Bürgerconventen vorzüglich bemerkt wor- den ist und bei den neuesten Veränderungen der Constitution Berücksichtigung veranlafst hat, ohne viele Besserung zu bewirken, so scheint selbst dieser Fehler ein Hauptingredienz in der Masse von Glück unseres, so wie vielleicht jedes kleinen, Freistaates zu seyn. Aus der daraus entspringenden behaglichen Zwanglosigkeit entsteht denn auch , dafs Aeufserungen der Unzufriedenheit durchaus nicht so zu fürchten sind, wie sie in monarchischen Staaten, vielleicht oft auch ohne Grund, gefürchtet werden. In andern Staaten habe ich in ihrer liberalsten Zeit nie so die Maasregeln der Regierung frei, oft frech, oft un- gegründet tadeln, nirgends habe ich kleine Ver- irrungen und Fehler im Regieren (die im kleinen Staat leicht zu bemerken) so ans Licht ziehen gehört, wie hier; dennoch, fällt man dem Tadler ins Wort, so wird er freudig eingestehen: Ich lobe mir mein Bremen, und bin hier lieber, wie anderswo: „Ost, Süd, West — Bremen best." Die Regierung kann ruhig ihre Maximen befolgen, ohne Gefahr von dem Tadel zu befürchten , wenn sie stets die rechte Stim- mung nicht verschmäht, eben so wenig aber auch
*) Illud ex übertäte vitium , quod nun siinul, nec jussi , con- veniunt , sed et alter et tertius dies cunctatione coeuntium absumitur. Tacitus de uior. Germ.
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durch die unrechte sich irre machen läfst. Nichts war daher ungegründeter, als jener Ruf, dafs Bremen ein Feuerheerd demagogischer Umtriebe sey. Ein begei- sterter Kanzelredner hat zuweilen einen Blich auf die Lage Deutschlands geworfen, ein geistreicher Zei- tungsredacteur hat zuweilen seinem Unmuth oder auch seiner scherzhaften Laune Luft gemacht — das war es! Die Bürger haben dies gern gehört und gelesen, ohne aber über ihre eigenen staatsbürgerlichen Ver- hältnisse mifsvergnügt zu werden, noch andern Mifs- vergnügten beistimmen oder helfen zu wollen. Der Senat befand sich dabei zwischen dem, was den Bür- gern unverwehrt bleiben könnte, und dem, was aus- wärtige Regierungen klagten , oft in Verlegenheit. Ist der Mensch in seiner Wirksamheit überall gehemmt, so hat er die Sehnsucht nach dem Verbotenen, und einmal über die Grenze getreten , findet er keinen Halt mehr, bis alle bürgerliche Ordnung in Trüm- mer stürzt; findet der Mensch wenig Hemmung, so fällt es ihm kaum ein, über die Grenze zu treten, weil er keine sieht. Das ist der Segen der Freiheit !
Von Publicität durch Druckschriften weifs man hier herkömmlicher Weise nichts, man geht still neben einander her, und läfst sich gewähren. Die früher zweifelhafte Lage Bremens wegen der Imme- dietät, das Verhältnifs zwischen Rath, Aeltermännern und den Zünften , endlich der Standpunkt zu den benachbarten Staaten: dies alles brachte dieses Stille- seyn und Gutseynlassen hervor. Es wird hier ein Blatt herausgegeben unter dem Titel Bürgerfreund
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Wer sollte nicht denken , dafs in einem so betitel- ten Blatt bürgerliche Angelegenheiten verhandelt, Materien, die sich zum Vortrag auf dem Convent eignen, discutirt würden! Man findet von allem dem fast nichts, und ein neuer Bürger würde sich um- sonst in diesem Blatt nach Belehrung über seine bürgerlichen Verhältnisse umsehen, dagegen aber Gedichte, Erzählungen und Räthsel finden. Ich tadle damit dieses Blatt nicht, welches nicht gut anders seyn kann, als wie es ist; allein es ist auffallend, dafs so gar nichts, was den Staat angeht, zur öffent- lichen Sprache kommt. Eine gewisse Gleichgültigkeit gegen alles, was das öffentliche Wohl oder Weh' angeht, wird durch diesen Mangel an Publicität doch etwas genährt, und wenn man manchen Bürger über seinen Staat und dessen Angelegenheiten fragte, würde er antworten, wie jener Pariser Krämer einem Eng- länder : pourvu que la boutique aille son train, quest ce que ca nous regarde? Uebrigens mufs man zur Steuer der Wahrheit gestehen, dafs durch die Ver- mischung der Gesellschaft und die Freimüthigkeit der AcuJserung alle öffentliche Angelegenheiten so viel- seitig in Betracht gezogen werden, dafs schriftliche Discussionen fast überflüssig sind.
Eine andere Absonderung in gesellschaftlichen Verhältnissen, als die aus dem Grade der formellen Bildung hervorgeht, findet hier nicht Statt. Im Mu- seum findet man Rath, Aelterleute und Bürgerschaft in zwanglosem und herzlichem Umgang und Gespräch, und das Hochtragen der Nase, das man an den Be-
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aniten monarchischer Staaten, wie vielmehr an den köhern oft bemerkt, würde dem, der sich eine solche Morgue anmafsen wollte , nur lästig und schädlich werden.
Orden und andere Auszeichnungen finden in un- serm Freistaat nicht Statt. Es giebt aber Auszeich- nungen würdigerer Art, die zwar mit Beschwerden, aber auch mit bürgerlicher Ehre verbunden sind. Wenn einem Bürger nachgesagt wird, er habe die unentgeldlichen, zeitraubenden Verwaltungsstellen an Kirchen, Schulen, Armen-, Kranken- und Waisen- häusern, er habe Curatelen thätig, würdig und un- eigennützig verwaltet, er habe in den verschiedenen Commissionen sich einsichtsvoll und thätig bewiesen, er sey ordnungsliebend aber mild (Strenge könnte den besten Bürgerruf vernichten): so steht ein sol- cher Bürger in allgemeiner Achtung, man erkennt ihn ohne Neid, aber auch ohne demüthige Vereh- rung, für das, was er ist und was er gethan; sein Wort gilt, seine Fürsprache wird geehrt, seine Mei- nung wird berücksichtigt: und wahrlich, das ist nächst dem eigenen Bewufstseyn der menschlich schönste Lohn , welcher bürgerlicher Tugend zu Theil werden kann. Selbst durch seine Mitbürger zum Aelt ermann und Senator gewählt zu werden, ist als- dann nicht eine Auszeichnung mehr, sondern wird nur als eine Beförderung betrachtet, welcher sich gesammte Bürgerschaft mehr zu freuen hat, als der Beförderte selbst. Ein Bremer Bürger, im schönen Sinn des Wortes , sieht die Erwerbung dessen , was
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er dem Staat zu seinen Bedürfnissen, so wie zu wohlthätigen Zwecken giebt, eben so als den Gegen- stand seines kaufmännischen Strebens an, als das, was er zu seinem und der Seinigen Unterhalte braucht. Es sind hier viele Bürger von altem, ächten Schrot und Korn, die nach gar nichts anderm fragen, wenn ihre Beiträge in Anspruch genommen werden , als : Ist es ein gemeinnützlicher Zweck? Nun so ist keine Frage, dafs wir mit dazu helfen. Und wie wollte dies auch anders seyn, da alle bürgerlichen Aemter, Intendanzen der Waisenhäuser, der Kirchen, der Baulichkeiten, der Strafsen, des Wasserbaues, der Schulen u. s. w. , wenn gleich mit grofsem Zeitverlust und bedeutenden Beschwerden verbunden, ganz un- entgeldlich verwaltet werden. Kann dem, der seine Zeit dem allgemeinen W ohl opfert, es schwer fallen, ihm auch von seinem Yermögen zu opfern?
Die Aussicht auf jene bürgerliche Ehre, beson- ders in sofern sie schon Menschen alter hindurch auf der Familie geruht, zügelt den Knaben und den Jüngling. Den Söhnen und Töchtern einheimischer Familien läfst sich selten Böses nachsagen, so sehr beobachtet schon die Jugend jene Sitte und Ord- nung, w7elche allein zur bürgerlichen Ehre führt. Bedeutende jugendliche Yerirrungen würden ein ewi- ger Vorwurf bleiben, und nur ein späteres ausge- zeichnet exemplarisches Leben könnte das Publicum geneigt machen, milder zu urtheilen. Ich will damit nicht sagen, dafs hier überhaupt streng geurtheilt wird, man entschuldigt im Gegentheil fast zu gern;
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Vergehen gegen Sittlichkeit , als durchaus das Bürger- glück zerstörend, wird mit Recht strenge gerichtet.
Wenn in den Gesellschaften nicht verläumdet wird, so ist der wichtigste Grund davon wohl ein hoher Grad von moralischer Ausbildung; ein zweiter, dafs man fast in keiner Gesellschaft seyn kann , wo nicht ein naher Verwandter des Gegenstandes der Verläumdung ist, da in Bremen fast alle gute Fami- lien verwandt sind; ein dritter Grund ist der Mangel an demjenigen hämischen Witz, der in der Verleum- dung erwünschten Stoff findet»
Nirgends läfst sich in Bremen eine ächte ins Leben übergegangene Religiosität verkennen. Es hat in neuern Zeiten nie an gelehrten , beredsamen und aufgeklärten Geistlichen gefehlt, welche, da es ihnen mit Verbreitung ächter Religiosität Ernst war, sehr viel Gutes gestiftet haben. An Kopf hängerei hat es aber auch in keiner Zeit gefehlt, und man thäte Unrecht, die Weise der Jünger immer auf Kosten des Meisters schreiben zu wollen. Wer oberfläch- lich urtheilt, könnte hier alles sagen, wenn er be- merkte, dafs der Gottesdienst sehr besucht, die Theil- nahme für den Vortrag der Prediger sehr lebhaft ist, die Prediger selbst sehr geehrt und einflufsreich sind; dafs aber auch die Anwendung des Gehörten auf's Leben nicht fehlt, wird man gewahr, wenn man Gelegenheit hat, in das innere Leben der guten Familien einen Einblick zu thun. Findet eine enthu- siastische Uebertreibung Statt, so mag es Bremen nicht allein, wenn auch vielleicht etwas mehr als
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andern Städten , nachgesagt werden , dafs sie ge- wöhnlich von dem weiblichen Geschlecht ausgeht. Und so mufs es auch fast seyn, dafs das reizbarere, in engere Gesichtskreise gehemmte Geschlecht das anregende; dagegen das festere, kältere, in der Welt lebende Geschlecht das mäfsigende, zum Ziel ordnende sey. So mag das Gute durch zu viele Be- rechnung eben so wenig unterbleiben, als es durch kränkliche Heftigkeit übereilt unter Weges stirbt, sein Ziel gar nicht oder gar ein verkehrtes erreicht. Lavaterianismus und mystische Phrasen , Magnetismus sammt der Hellseherei, Deutschthümelei, ein wenig zur Carricatur sich neigend, und in den neuesten Zeiten Polemik für Missionsanstalten, und — warum soll ich es nicht sagen? — manchmal auch Enthu- siasmus für einen durchreisenden Sänger oder Ton- künstler, wenn er auch kein anderes Verdienst als seine Kunst hat — haben in unserer Stadt ihre Pe- riode gefunden, und man hat die Bemerkung ge- macht, dafs die Bremer, obgleich Nordländer, von sehr erregbarer Art sind. In der neuern Zeit scheint durch allgemeiner gewordene Bildung, durch viele, oft ausgesuchte Leetüre, durch Reisen in alle Welt- theile in den Jahren der Jugend, der Blick bei dem grüfseren Theil der Bürgerschaft klarer geworden zu seyn, ohne dafs das innere Heiligthum des Frie- dens bedeutend angetastet worden wäre.
Man fürchtete sehr für moralisches Verderbnifs durch den langen Aufenthalt der Franzosen. Man hat mir gesagt, die Annehmlichkeit des Umgangs und
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überhaupt des gesellschaftlichen Lebens habe seit je- ner Zeit sehr gewonnen. Ein solcher Gewinn ist nicht zu verachten. Ob aber dieser Gewinn auf Kosten der Moralität erlangt worden (im Staatsverhältnifs betrachtet, ist wohl das schrecklichste Yerderbnifs, wenn Egoismus an die Stelle des Patriotismus tritt), wird sich aus einigen einfachen Thatsachen ergeben.
Es ist gewifs, dafs die Staatsöconomie wenig Kopf brechen mehr verursachen würde, wenn die Abgaben von dem reinen Einkommen der Staatsbür- ger erhoben werden könnten. Dies im Allgemeinen auszuführen würde eine Verinögensincruisition nöthig machen, und somit alle bürgerliche Freiheit und Wohlfarth, und durch den unmittelbar mit der In- quisition verbundenen Betrug alle Moralität Vernich- ten. Es auf die Ehrlichkeit des Gebers ankommen lassen, würde in monarchischen Staaten erst für die bessere Welt aufzusparen seyn. Nicht bis dahin hat man in Bremen zu warten, wo schon seit Jahrhun- derten jene Erhebungsart , wenn sie in ungewöhn- lichen Fällen durch Rath und Bürgers chlufs decretirt wird, auf Bürgersinn und Redlichkeit gebaut, immer das erwartete Resultat gegeben hat. Ware unser Staat nicht frei, wäre er nicht klein, so würde dies nicht der Fall gewesen seyn. Der Bürger taxirt sich selbst und legt ungesehen in Gegenwart der Commission seine Abgabe (man nennt sie hier Schofs zum Unterschied von andern Abgaben), in einen verdeckten Kasten nach einem angenommenen Maas- stab nach Procenten vom Einkommen berechnet. Die
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zu erwartende Summe läfst sich ungefähr veranschla- gen, indem die Procente, die jeder von seinem Ver- mögen zu verschossen hat, angegeben werden. Trifft die gesammte Einnahme durch den Schofs ungefähr zu, so ist redlich gesteuert worden. Zwar hat die kundige Rolle das Gesetz, (§. 11.) dafs, wenn der Rath oder die Schofsherrn den Verdacht hätten , dafs einer oder der andere nicht redlich geschofst, man ihm sein angegebenes Vermögen bezahlt, und was er mehr hat, zum Besten der Stadt verwendet ; aber dies ist in einem kaufmännischen Staat sehr schwer zu vermuthen, es bleibt also immer noch die Mög- lichkeit des unredlichen Schossens, und es ist er- freulich, wenn man aus den Resultaten sieht, dafs redlich geschofst worden ist.
Als Bremen nach dem Abzog der Franzosen seine goldene Freiheit wieder erhielt, war die Frage: Wird ims der Schofs das wieder leisten, was früher? Werden unsere Bürger unter der Zwangsherrschaft nicht egoistischer, gewissenloser geworden seyn? Werden die vielen fremden Kaufleute, die sich in der Zwischenzeit hier etablirt , die Grundsätze des Patriotismus und der Rechtlichheit, welche die hier Geborenen zum Erbtheil von ihren Vorfahren empfangen , mit welchen sie aufgewachsen , in deren Ausübung sie ins Alter vorgerückt, ehren und nach- ahmen? Das Schwanken der menschlichen Natur liefs das Schlimmste fürchten ! Dennoch wurde vertrauensvoll der Versuch gemacht» Er täuschte nicht!
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Die feurigste Theilnahme zeigte sich in dem Kriege gegen Frankreich augenblicklich mit den be- deutendsten Aufopferungen, die nach so langer Nah- rungslosigkeit, nach so langer Aussaugung durch die Franzosen, yon doppelt verdienstlicher Art waren. Es wird nie vergessen werden, dafs ein Bremer Bürger auf eigene Kosten eine Compagnie Jager aus- rüstete und sie selbst ins Feld führte; es wird nie vergessen werden , wie sich vornehmlich hier zuerst der Frauenverein zum Besten der Krieger bildete ; wie von hier aus nicht blofs sehr bedeutende Sum- men Geld, nicht blofs alter Wein, Kleidungsstücke, Bettwerk , kurz alles, was dem kranken wie dem genesenden Krieger dienlich seyn konnte, gesandt wurde, sondern auch Abgeordnete männlichen und weiblichen Geschlechts selbst auf die Schlachtfelder nachzogen, in die Lazarete sich begaben, um die richtige Anwendung der Gaben zu fördern, zu hel- fen , zu pflegen ; und lür Deutsche waren diese Opfer gebracht, nicht blofs für die Bremer oder Hansea- ten; es wird nicht vergessen werden, wie eine Schaar hochgesinnter Jünglinge aus den besten Fa- milien alle Annehmlichkeiten ihrer Verhältnisse dran gaben, um ihre Brust dem Feind entgegen zu stellen; und auch der treffliche Herrmann von KaprT, der von allen Bremer Freiwilligen allein mit dem Leben bei S. Amand zahlen mufste, wird in den Annalen Bremens unvergessen bleiben, wenn auch mit der Zeit sein Denkmal, das ihm Altersgenossen gesetzt,
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wie alles, was unter der Herrschaft der Zeit steht, in Trümmer sinken sollte!
Obgleich schwerlich solche reichliche Vermächt- nisse mehr für Stiftungen und wohltha'tige Anstalten in Bremen gemacht werden, wie dasjenige der Bür- germeisterin Alehe Trupen *), so ist doch Wohl- thätigheit immer noch einer der schönsten Züge in dem Character der Bremer, und w7ollte Gott, dafs sie nie in falsche Canäle geleitet würde! Es ist un- glaublich, welche Summe jährlich, ohne dafs der Geber sich nennt, den Armenverwaltungen überge- ben werden. Als das Armeninstitut in dem harten Winter 1819 — 20, durch Einbufse yon mehreren Jahren, einen Monat lang den Armen nur die Hälfte des Gewöhnlichen geben konnte , kamen in wenigen Tagen Tausende von unbekannten Gebern ein, und mit grofser Bereitwilligheit wurden Unterzeichnungen gemacht, dafs das Armeninstitut erhalten werden konnte. Es giebt Ausnahmen von dem, was ich hier als Regel aufstelle, doch, zur Ehre unserer Stadt sey es gesagt, diese Ausnahmen sind selten.
Das Armenwesen wird hier, wie überall, immer hostbarer, seitdem die Bettelei abgeschafft und regel- mäfsige Armenversorgungsanstalten eingerichtet wor- den sind. Wer in Bremen das Mitleid in Anspruch zu nehmen weifs , ist Herr über den Beutel der Bürger; aber da, wo eine überlegte, auf Ge-
*) Im Jahr 1520. Cassel Sammlung ungedruekter Urkunden,
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sanimtwirkung berechnete Wohlthätigkeit ausgeübt werden soll, das Herz also nicht von den speciellen Leiden des Individuums erweicht wird , da geben Viele mit Unwillen und nicht nach Verliältnifs des Vermögens, besonders wenn die Betrachtung hinzu kommt, dafs man schon für besondere Fälle so viel im Jahr ausgegeben. Man hat daher seit zwei Jahren zu dem wirklich traurigen Mittel greifen müssen, die Geber und ihre Gaben zum Besten der Armenanstalt drucken zu lassen. Diejenigen, welche es in ihrer Gewalt haben, durch Erregung des Mitleids reichliche Gaben für einzelne Fälle zu gewinnen, mögen wohl bedenken, dafs es etwas Gröfseres und Wichtigeres ist, für eine grofse, entscheidende Maasregel, deren Wirkung man nur im Ganzen sieht, mit Verstand zu wirken, als für den einzelnen Fall, und dafs eine weiche Empfindung nicht gerade eine Tugend ist.
Dafs Bremen im Stande ist, wohlthätig zu seyn, hat es dem richtigen Maas im Leben zu danken. Es ist hier ein Wort, dafs derjenige Bürger keinen Credit verdient, der ohne hunderttausend Thaler zu besitzen , dennoch Equipage hält. Auffallender Luxus ist daher höchst selten; wer ihn triebe, müfste sich selbst am Ende zur Last werden, da er Niemand finden würde, der mit ihm in Erwiederung gesell- schaftlicher Freuden leben mochte. So ist auch das Leben durchgängig mäfsig, das Essen substantiös, aber nicht vielerlei; gilt's aber ein Tractement, so versteht sich der Bremer auFs Reichliche wie auf s Wohlschmeckende, und alle Welttheile müssen ihren
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Tribut zu seiner Mahlzeit spenden, Wein aus Frank- reich, vom Rhein, von Madeira, aus Portugall, ein- gemachte Früchte aus Westindien u. s. w. Dieses Maas und Ziel im Leben hat denn auch den Erfolg gehabt, dafs in dem traurigen Wechsel der Zeiten in Bremen nach Verhältnifs wenig Bankerotte aus- gebrochen sind , und in den guten alten Familien ein altererbter Reichthiim sich erhalten hat.
Bremen ist fast nach allen Seiten von einer wei- ten Wüste umgeben , bedeutendere Städte liegen daher zu fern, als dafs sich, wenn auch das Repu- blicanische und die früheren Verhältnisse zu den Nachbarstaaten (um nur der Streitigheiten wegen des Elsflether Zolls mit Oldenburg zu erwähnen, die erst vor Kurzem in Frankfurt entschieden worden) nicht schon von selbst eine gewisse Absonderung mit sich brächte, eine solche Gemeinschaft entspinnen könnte, die zu gegenseitigen längern Besuchen, oder gar Familienverbindungen Veranlassung gäbe, Bremen ist also im eigentlichen Sinn isolirt. Der Bremer verläfst auch nicht gern seine Stadt auf immer. So ist es denn gekommen, dafs in einer gewissen Art von bürgerlichen Verhältnissen fast alle Familien sich verwandt sind, sich fort und fort unter einander verheirathen , so dafs ein Zusammenhalten solcher Verwandtschaftsgrade, die anderswo als sehr nahe betrachtet werden würden , hier kaum möglich ist, weil der Familienkreis sonst eine zu grofse Ausdeh- nung bekommen würde.
Wenn das
Ou peut-on etre mieux
Qu'au sein de sa famille? irgendwo seine volle Anwendung findet, so ist es in Bremen. Was allerdings dem Fremden höchst lästig erscheinen mag, ist dem Einwohner eine reiche Quelle der reinsten und seligsten Freuden. Die so- genannten Familien- und Kindertage, die hier allge- mein üblich sind , schlingen um sämmtliche Familien- glieder ein Band, das immer fester sich schlingt, bis der Tod des Grofsvaters die zu stark angewachsene Familie endlich veranlafst, sich zu trennen, und sich, nun wieder an die angeheiratheten Verwandten an- zuschliefsen.
Durch diese Familientage bleiben die Alten in jugendlich heiterer Berührung mit der sie umgeben- den mittlem und jüngern Menschenwelt; sie fühlen sich nicht verlassen und versäumt, nicht blofs auf den Umgang ihrer Altersgenossen, der so leicht früh alt macht, beschränkt; die Jugend hat hinwiederum den erfreulichen und belehrenden Zutritt zu dem nicht zurückschreckenden Alter. Die Zwanglosigkeit, die in diesen Familienkreisen herrscht, thut jedem Fremden wohl, der Gelegenheit hat, sie kennen zu lernen. Unsere freie Stadt, wie früher fast alle deutschen Reichsstädte, steht im Auslande in dem Ruf der gesellschaftlichen Förmlichkeit. War dies in vergangenen Zeiten der Fall, so finden sich doch jetzt nur wenige Spuren davon. Wer sich von der Wahrheit dieser Versicherung überzeugen will,
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braucht nur die Familien - und Kindertage kennen zu lernen: wobei sich jedoch der Fremde selbst hü- ten mufs, nicht den förmlichen, den schweigenden, den beobachtenden Gesellschafter zu spielen. Dafs solche Familienabsonderung zu Einseitigheit, zu Stolz (jeder hält gern seinen Kreis für den besten), zu unbesiegbaren Vorurtheilen führen bann; dafs die Jugend in der vertraulichen Annäherung zum Alter Veranlassung findet, sich höher als gebührlich zu setzen, vorlaut zu seyn, sich zu viel herauszuneh- men, ein Fehler, worüber viel gehlagt, aber den- noch nie eine Reform versucht wird: wer wollte das leugnen? Es ist ja eben die Aufgabe, dafs das sich aus der Natur des Verhältnisses von selbst Entspin- nende durch verständige Menschen zum Guten ver- webt werde.
Ich erwähnte vorhin , die Zeit der französischen Herrschaft hätte dem geselligen Tone Vortheil ge- bracht. Man bann als Beförderungsmittel äufserlicher Manierlichheit und eines ungezwungenen Wesens auch die öffentlichen Spaziergänge ansehen.
Noch jetzt herrscht in manchen Gegenden Deutsch- lands ein Yorurtheil gegen das gesellschaftliche We- sen der Bremer. Man spricht von Bochsbeutel, von reichsstädtischem Stolze, von schwerfälligem Luxus. Wer so urtheilt, vergifst, durch welche Zeiten die letzte Generation Deutschlands gegangen ist, und Bremen eben so gut. Was vor dieser Zeit gewesen, wie verschieden von dem, wie es jetzt ist! Es ist eine Zeit in Bremen gewesen, wo Hexen verbrannt,
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wo wegen des Ubiquitätsstreites redliche Geistliche vertrieben, die höchsten obrigkeitlichen Personen ihres Amtes entsetzt worden sind. Wer wird solche Zeiten für die Gegenwart anführen? Wer Bremen in dem vor ohngefähr neunzig Jahren herausgekom- menen German spy nur kennen gelernt hätte, würde sich angenehm überrascht fühlen, dies alles jetzt sehr anders zu finden. Käme der Englische Reisende jetzt wieder, so würde er nicht, wie damals, bei sei- nem Eintritt in die Stadt glauben, dafs eine epidemische Krankheit hier herrsche, weil er die Männer nur in schwarzen Mänteln gehüllt, die Frauen nur mit schwarzen Regentüchern überhangen sah; er würde nicht in dem Schütting, wie damals, einen Gasthof finden, nicht ein Sabbathschänder gescholten wer- den, weil er sich Sonntags nach einem Caffee- oder Weinhause umsah, die an einem solchen Tage ver- schlossen seyn mufsten : ob er sich gleich im Stillen an vier und zwanzig Groten Bier und Wein mit sei- nem Wirth ganz angenehm unterhielt; er würde nicht mehr aus dem Fenster des Schüttings auf ei- nem damals noch vorhandenen runden Gebäude mitten auf dem Markte eine arme Dienstmagd auf Begehren ihrer eifersüchtigen Hausfrau ausgepeitscht und ge- brandtmarkt sehen ; er würde nicht mehr blos Platt- deutsch in allen Gesellschaften sprechen hören, und aus grofsen Gläsern Brandtwein von den Honoratio- ren, ja sogar von den Damen trinken sehen; er würde nicht mehr den grofsen Zwiespalt zwischen Reformirten und Lutheranern sehen; er würde finden,
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dafs jene Kopfhängerei nicht mehr ist, die unter dem Schein der Yerschmähung dieser Welt sich heimlich schadlos hält , und dafür die sogenannten Kinder die- ser Welt verläumdet ; er würde nicht mehr die alten Spottbilder, Stadtsoldaten genannt, zu belachen Ver- anlassung finden, sondern eine begeisternde kriege- rische Musik und ein stattliches Militär würde ihn staunen machen, das so lange gut bleiben wird, als das Neue noch nicht alt geworden, oder je nachdem sich von Zeit zu Zeit Gelegenheit finden wird, in das Stagnirende wieder neues Leben zu bringen; er würde nicht mehr den sehr ausführlich geschilderten Rathsweiler als den einzigen Versammlungsort der Bürger, wohl aber noch jene trefflichen Weine nur um so trefflicher finden, da sie seit seiner Zeit neun- zig Jahre länger gelegen; das Armenhaus, das er da- mals schon so lobte, würde er noch weit mehr loben; was die Gastereien aber anbetrifft, so würde er jetzt noch einiges nicht sehr viel anders finden, wie damals, als er von einem A eltermann in sein Haus in der Neu- stadt eingeladen worden , wo ihm die mancherlei Weine, die Menge Speisen, der Nachtisch aus frem- den Welttheiien, das Reihumtrinhen der Gesundheiten auffielen; dahingegen würde er Anderes nicht mehr oder doch weniger finden , nämlich die Steifheit und Förmlichheit der Damen gegen die durch die Gesundhei- ten ein wenig freier und lebhafter gewordenen Männer, das Entsetzen auf allen Gesichtern bei dem Vorschlag Tanz folgen zu lassen, und widerrufen würde er die Aeufserung, dafs ein Tanzmeister für ein gefahrlicheres
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Thier gehalten würde als ein Dorfstier, dafs der Pfaffe das Tanzen nie erlaubte, seihst nicht am Hoch- zeitstag, und der es dennoch wagte, yon ihm auf der Kanzel herunter gemacht werden würde.
Lafst sich nicht leugnen, dafs dieser Engländer, dessen Buch übrigens yoller Lügen ist, vor hundert Jahren Yieles in Bremen sehr richtig gesehen hat, wie man aus mündlicher Ueberlieferung und schrift- lichen Nachrichten wohl weifs, so ist es dagegen zum Erstaunen, dafs hundert Jahre später ein Engländer, Namens Hodgkin, der in zwei dicken Bänden eine Reisebeschreibung durch Norddeutschland *) heraus- gegeben, so Yieles in Bremen falsch gesehen hat. „Die Männer tragen altmodische Kleider, und befol- gen altmodische Sitten, u (Welche Männer? doch nur die alten? So wird es in England ja auch wohl seyn.) „ die Frauen haben noch den altmodischen Gebrauch, dafs sie mit ihren Männern öffentliche Plätze besuchen; mit den Eigenthümern dieser Gärten und Kegelbahnen haben sie des Ersparnisses wegen regelmäfsige Con- tracte, dafs jene ihnen heifs Wasser, Tassen u. s. w. gegen eine Meine Remuneration liefern, sie selbst aber Kaffe, Zucker und Kuchen mitbringen.'" (Die Engländer wären zu bedauern, wenn der im ersten Satz ausgedrückte Gebrauch bei ihnen altmodisch ge- worden wäre ; im zweiten Fall ist es klar , dafs der Reisende nur eine gewisse Art Belustigungsörter um
*) Travels in the North of Germany by Thomas Hodgkin. Edin- burgh 1820.
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die Stadt her kennen gelernt und in den bessern Zirkeln nie Zutritt erhalten hat. Wann werden die Reisenden doch einmal in ihren Reisebeschreibungen vorsichtiger urtheilen lernen!) ,,In Bremen ist nur ein Buchhändler von Bedeutung, und nur eine cir- culirende Bibliothek." (Wir haben uns wörtlich dieses letztern ganz englischen Ausdrucks bedienen müssen. Es ist allerdings nur eine grofse Leihbi- bliothek hier; es sind aber wenigstens an die sechs und dreifsig historische, philosophische, medicinische, naturhistorische, juristische, theologische und ästhe- tische Lesegesellschaften hier, die eine sehr grofse Menge Mitglieder zählen. Wir haben zwei gute Buchhandlungen. Hätte Hodgkin andere Leute ken- nen gelernt, als die für zwei Groten auf den Kegel- bahnen Kaffe trinken , oder ihm im Schauspiel nicht zu sagen wufsten , wie das Stück heifse, was gespielt würde: (Th. 1. S. 274) so würde er gefunden ha- ben , dafs unsere Kaufmannschaft an Geistesbildung der englischen im Allgemeinen nicht nachsteht.)
Es war eine ächt deutsche Sitte *) , dafs in Bremen nichts Allgemeines abgethan werden konnte, ohne eine gehörige und vollständige Mahlzeit dabei zu feiern. Die aufgeklärte Zeit, die, in grofser Selbsttäuschung befangen, der geistigen Sättigung über der körperlichen so viel Vorzug eingeräumt
*) Diem continuare potando nulli probrum, sagt Tacitus von den Deutschen. Von den Norddeutschen wäre dies eher vom Essen, von den Süddeutschen vom Trinken tu sagen.
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hat, dafs Uebersättigung Folge davon gewesen, bat für zweckdienlich gefunden , diese altdeutschen Mahl- zeiten zu beschränken , und mancher traurige Rück- blick auf die gute alte Zeit beweist, dafs diese Neue- rung nicht allgemeinen Beifall hat. Doch bei der Wahl neuer Rathsherren, so wie bei dem halbjäh- rigen Wechsel des Präsidiums, fehlt es nicht an stattlichen Schmausen, und dafs diese von den Alten nicht als unwesentlich angesehen worden, zeigt die Verordnung (s. die Statuten vom Jahr 1433, Statut 3, §.6»), dafs der Rathsherr im ersten Jahr seiner Würde der ganzen Witheit und dem Rathsschreiber ein Tractament geben soll, aber nicht über sechs Schüsseln ; des andern Morgens aber hann er seinen Verwandten und den Rathsdienern sechzehn Schüs- seln geben. Doch ist diese Verordnung mehr wegen des Zuviel, als wegen des Zuwenig. So oft bei be- sondern Veranlassungen auf dem wegen seiner Gaste- reien berühmten Schütting geschmaust wurde, unter- lassen unsere Chronisten nicht, es zu erwähnen, mit dem Zusätze, dafs bei ausgebrachten Gesundheiten die Meinen Stücke, die auf einem im Vorplatz an- gebrachten Schiffchen lagen , tüchtig gefeuert hätten.
Auch die Schmause der verschiedenen Brüder- schaften, des Jacobus major u. s. w. erhalten sich in alter Fülle und Trefflichkeit. Die Seefahrtsmahlzeit, die alle Jahre einmal gehalten wird, hat zum Haupt- gericht den Stockfisch, wird daher auch Stockfisch- mahlzeit genannt. Sie hat das Eigenthümliche , alt Gastliche, dafs alle fremde Kaufleute, die an dem
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angesetzten Tage sich zufällig in Bremischen Gast- höfen befinden, als Ehrengäste eingeladen werden, weil nach der Ueberschrift an dem Eingang diese Anstalt von Kau Heuten und Schiffern gestiftet wor- den. Für dieses Fest wird ein besonderes dickes, hostbares Bier, Seefahrtsbier genannt, gebrauet. Die Quappenmahlzeit, welche von den Kämmerern der Fischerzunft gegeben wurde und manches Ei- genthümliche und Seltsame hatte, hat aufgehört.
Die Beiselust ist eine Eigenthümlichheit der Bremer. Sie haben dies mit den Engländern gemein, und ich möchte behaupten, dafs es heine andere Stadt von gleicher Gröfse in ganz Deutschland gibt, wel- che so viele zum Vergnügen Reisende in die Welt sendet. Es würde ein Wunder seyn , wenn im Som- mer in den merkwürdigsten Gegenden Deutschlands, in der Schweiz, in Italien, in England nicht Bremer Familien zu finden wären, die zum Vergnügen rei- sen. Der Bremer hat heine Gelegenheit, Berge, Fels- massen, tiefe Thal er, Wasserstürze und Burgtrümmer auf schroffen Felsköpfen zu sehen; die Leetüre so mancher malerischen Reisen erregt also in ihm von Jugend auf eine unauslöschliche Sehnsucht nach den beschriebenen romantischen Gegenden, und diese Materie wird bei aller Veranlassung so lebhaft bespro- chen, dafs selbstKinder sich schon über dasReisen als die köstlichste Sache unterhalten, und es den Erwachse- nen den gröfsten Genufs gewahrt, wenn sie im Winter die Vorlesungen der Gelehrten im Museum hören, die ihre Ferien -Reiseberichte mittheilen. Man kann sich
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daher die Wonne denken, wenn nun der lang und feurig gehegte Wunsch endlich in Erfüllung geht.
Auch die Badelisten fast aller bekannten Bäder enthalten Bremer Namen. Wenn man darnach auf yiele Kränklichkeiten schliefsen wollte, so würde man sieh doch irren; aber eine Badereise gehört so sehr zu dem Leben eines gebildeten Bremers, dafs die Ferien der Gelehrten, sie seyen Geistliche, Schulmänner oder Juristen, Brunnensaison genannt werden, mögen sie nun am Brunnen zugebracht wer- den oder nicht. Ueberall aber machen sich die Bremer durch ein verständiges , anständiges und stilles Wesen beliebt, und man findet an ihnen die Gabe, wenn auch nicht lebhaft und feurig, doch mit einer gewissen Wohlredenheit und zusammenhängend zu sprechen, eine Uebung, die durch die Verfassung und durch die Veranlassung, häufig öffentlich zu reden , erwor- ben wird. Es ist eine Gabe, die man unter dem Kaufmannstande in andern Provinzen Deutschlands weniger findet, obgleich sich bei öffentlichen Ver- anlassungen zum Reden bei Vielen das aussetzen läfst, was Plinius von einem deutschen Volke sagt: Naturale enim est, ut affectare velint defectum na- turae copia verborum.
Es ist gewifs, dafs nicht allein Sicherheit vor der Gewalt der Tyrannen, nicht die Lage allein den Handel in den freien Reichsstädten gehoben hat, sondern, da bei dem Mangel anderer Auszeichnun- gen nur das Verdienst der Redlichkeit, Treue und Verständigkeit grofses Zutrauen bei der Gemeine
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gewinnen und wichtige A eint er geben konnte, so war diese von den Vor altern geerbte, von Jugend auf angenommene Gemüthsrichtung gerade auch die- jenige, welche am eisten kaufmännisches Zutrauen erwerben konnte. Und wirklich kann in der Regel der Kaufmann kaum würdiger und rechtlicher er- scheinen als in Bremen , indem ein unrechtlicher, in den Geschäften Ränke machender Kaufmann auch als Bürger in keiner Achtung stehen würde, und wäre sein Reichthum auch noch so grofs; in- dem die Eigenschaften, wodurch der Bürger geachtet ist, eben auch gerade diejenigen sind, die dem Kauf- mann Zutrauen gewinnen; und der moralische Credit den ersten, der intellectuelle den zweiten, der phy- sische, wenn ich so sagen darf, der sich auf das Vermögen gründet, oft nur den dritten Rang ein- nimmt, wenn das Erste dabei fehlt. Von einem grofsen Buchhändler ist vor einiger Zeit in den Zei- tungen gerühmt worden, er habe die von einem frühern Falliment zurückgebliebenen Schulden nach- bezahlt , nachdem er in bessere Umstände gekommen. Dies ist hier etwas so Gewöhnliches, dafs man nicht besonders viel darüber spricht, der Mann aber, der dies gethan, doch in der öffentlichen Werthschätzung steigt.
Indessen könnte hier ein Bankerott nur dann in der öffentlichen Meinung schaden , wenn er muth- willig zu Weg gebracht, durch wilde Speculation? durch Leichtsinn, durch Unvernunft, durch Ver- schwendung: und würde ein solcher Fallirter in der
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Folge gar zu seiner frühern Lebensart zurückkeh- ren, ohne seine Schulden bezahlt zu haben, so könnte das gewifs nicht ohne Unwillen und Verach- tung bemerkt werden.
Ueberhaupt wird in einem Seeplatz der Banke- rott mit ganz andern Augen angesehen, als auf Binnenplätzen, wo derselbe so häufig die Fol^e un- verhältnifsmäfsiger Ausgaben, der Liederlichkeit oder der Unordnung ist. Jeder kennt und fühlt das Un- sichere mancher Geschälte, und wie leicht man selbst mit der besten Ueberlegung zu Schaden kommen kann. Es wird daher sehr unterschieden, wie der Bankerott entstanden und ob derselbe in einem Au- genblick erklärt worden, wo noch nicht Alles verloren war. Findet sich Rechtlichkeit und Schuldlosigkeit, so beeifert sich ein jeder ächte Bremer von altem Schrot und Korn, dem Gefallenen wieder aufzuhel- fen, und an ein strenges Urtheil in der öffentlichen Meinung ist vollends gar nicht zu denken.
Ein berühmter deutscher Schriftsteller hat mit einem harten Ausdruck gesagt, der Deutsche sey von Natur eine ernsthafte Bestie. Die Kunst, fein zu scherzen und die Neigung, es zu thun, kann schwer- lich Ersatz für den Mangel edierer Eigenschaften einer würdevollen Natur geben ; aber wenn Socrates und Cicero in den Augen der Mitlebenden wegen ihrer Gefälligkeit im Scherzen, lobenswerth, ja be- wundernswerth erschienen, so ist Würde des Cha- raeters und Freiheit und Schnelle des Geistes, Ernst und Anmuth recht gut zusammen zu denken; und
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dasjenige gesellschaftliche Verhältnifs ist immer man- gelhaft, wo für eines yon beiden die Neigung und das Yerständnifs fehlt. In wiefern ich diese allge- meine Bemerkung in einem Buche yon Bremen zu machen Veranlassung habe, brauche ich wohl nicht naher zu bezeichnen. Nur dem, der Geistesüberle- genheit fürchtet, erscheint der gutmüthige Scherz als Spott.
Das Ausland erkennt dem Bremischen Frauen- zimmer Geistesbildung zu, ohne wirklich die Be- schaffenheit dieser Geistesbildung zu kennen. Es ist nothig, etwas darüber zu sagen. In Bremen wird es mit dem Unterricht des weiblichen Geschlechts ernstlich genommen. Vor achtzehn Jahren werden die Töchter selten confirmirt, bis dahin gelten sie für Kinder, besuchen theils den öffentlichen, theils den Privatunterricht, der durchaus auf Grundsätze gebaut, yon dem weiblichen Geschlecht eben die Gründlichkeit verlangt, besonders in der deutschen Sprache, wie yon der studir enden männlichen Jugend. Auch die englische Sprache wird viel cultivirt, zu deren Aussprache der Mund der Niederdeutschen vor- züglich organisirt ist. Das Französische lernen sie selten gut aussprechen. Da nun solche Frauenzimmer noch wenig in Betracht kommen, kein junger Mann ihnen Artigkeiten über ihre Geschicklichkeiten vor- sagt, überhaupt die Erziehung in dieser Rücksicht auch ziemlich gleichförmig ist, so ist an ein einge- bildetes, pedantisches Wesen gar nicht zu denken, sondern die edelste Bescheidenheit verhüllt fast an
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sehr manche vorzügliche Talente und Eigenschaften : fast nur bei Gelegenheit und sehr selten zeigen sie sich, und wenn davon die Rede kommen mufs, so sieht man nur Beschämung.
Indem wir dies als etwas Vorzügliches anerken- nen, so können wir doch auch nicht ein daraus her- vorgehendes Tadelnswürdiges verschweigen, je mehr es wahrhaft für die gute Ausbildung des Geschmacks verderblich ist, ich meine ein zu grofses Mifstrauen zu dem eigenen Urtheil; vielleicht kein grofses Uebel! aber als Folge davon ein gar zu bereitwilliges Anleh- nen an das Urtheil selbst oberflächlicher und geist- loser Männer. Und wie viele giebt es deren allent- halben, die sich ein Urtheil über Alles zutrauen, selbst über das, wovon sie nie das Geringste gewufst, noch verstanden haben! Man hat daher oft das Widersin- nigste, Geschmackloseste preisen hören, das Geniale und Schätzbare unbeachtet oder gering geschätzt ge- sehen; Ideen sind in Ansehen gekommen, die dem gesunden Menschenverstand widerstrebten, und wenn bei einzelnen Individuen an denselben appellirt wur- de, so berief man sich darauf, dieser oder jener habe es gesagt, man hätte es zwrar auch anders gemeint, aber es nicht sagen mögen, weil Andere es anders ge- sagt hätten. Dem Umstand, dafs das Bremische Frauenzimmer bei aller Geistesbildung doch so selten dem eigenen Urtheil zu vertrauen wagt, haben wir es fast allein zuzuschreiben, dafs namentlich die Kün- ste hier so schwer nur gedeihen können.
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Beim Tadeln hat man sich oft zu hüten , dafs ein wirklich Gutes dadurch nicht vernichtet werde. Sonst würde ich hier anführen , dafs dem j ungern weiblichen Geschlecht oft zu viel zum Lernen aufgebürdet wird, was seinem Zweck fremd ist und die Vernachlässi- gung wichtigerer Pflichten zur Folge hat. Jedes Ge- schlecht hat seine constitutionellen Anlagen , über welche hinaus jedes Streben für Körper und Geist verderblich ist. Ich habe immer geglaubt, dafs tie- fes abstraktes Denken dem männlichen Geist Nah- rung, dem weiblichen Vernichtung bereitet. Aufser- dem liefse sich auch noch anführen , dafs hier wie in andern Städten das übermäfsige Stichen, womit doch am Ende kein Kunsterfordernifs befriedigt wird, man- che gute Constitution verdirbt.
Das Mitleiden, dieses Himmelskind, das ganz Herz ist, aber oft nicht gut sieht, spielt in Bremen eine wichtige Rolle. Wie manche , von der Ge- meindewahl abhängige Stelle wird vergeben, ohne Rücksicht auf Geschick und Amtseifer, an einen Mann, von dem gesagt wird, er sey ein so gutmüthiger Mann und habe Frau und Kinder. Die Frage, ob er auch zu dem Amte tauge, ob nicht zehn tauglichere da seyen? kommt gewöhnlich zuletzt, oder gar nicht in Betracht. Höchst klägliche Theaterstücke haben oft das Haus ganz gefüllt, weil weichliche Scenen in denselben vorkamen. Wie mancher Taugenichts fand Unterstützung, weil er Ansprüche auf Mitleid geltend zu machen wufste. Das wahre vernunftmäfsige Mitleid geht aber dem Uebel auf den Grund, sucht
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der Wurzel des Elendes beizukommen, und hütet sich, durch ein schwächliches Gefühl sich hinreifsen zu lassen , das gewöhnlich mehr verdirbt als gut macht. Unser Armeninstitut lehnt sich auf ein gu- tes Princip , nämlich dem fleifsigen Armen Gelegen- heit zum Broderwerb zu verschaffen. Aber wird dies je zur Ausführung kommen, so lange der Zunft- zwang hier herrscht? Leichtsinnig urkundliche Rechte zu vernichten, ist nicht gut, aber einzelnen Corpo- rationen Rechte zu lassen, die ein Unrecht gegen den ganzen Staat sind, ist auch keine kleine Unter- lassungssünde. Durch verständige Entschädigung läfst sich ein gegen einander streitendes Interesse schlichten.
Die plattdeutsche Sprache ist national. Der ge- meine Mann kann sein Bestes, Stärkstes und Innig- stes nur in dieser Sprache sagen, und nur wer ihn in dieser Sprache anredet, findet sein Herz. Es ist den gebildetem Ständen begreiflich, dafs sie diese Sprache eben darum nicht versäumen dürfen, wenn sie auch in dem eigenen häuslichen Kreise oder in Gesellschaft überflüssig, oft unpassend wäre. Juristen und Prediger, freilich jene nicht in öffent- lichen Verhandlungen, diese nicht in den gottes- dienstlichen Reden , haben doch immer Veranlassung unter geringem Bürgern und Bauern zu verkehren, wo ihnen die Geläufigkeit im Plattdeutschen noth- wendig erscheinen rnufs. Dem ohngeachtet wird das Plattdeutsche mit der Eigentümlichkeit seiner Aus- drücke, sprüchwörtlichen und bildlichen Redens-
arten nach und nach verschwinden; schon jetzt lefst sich fast sagen , dafs das Hochdeutsche nur auf platt- deutsch gesprochen wird, so wie der Savoyarde rühmt, man müsse tanzen: il ballo francese con gambe savoyarde.
Was die Körperlichheit der Bremer anbetrifft, so zeigt sich durch das fast allgemeine Zusammen- halten der Familien eine gewisse Familienähnlichkeit unter der vermögendem Volksklasse. Im Allgemei- nen findet sich unter beiden Geschlechtern das in Bremen, was man ein schönes Blut nennt, nieder- deutsche Schönheit, nämlich bei den Frauenzimmern feine weifs und rothe Haut, blaue Augen, blondes oder lichtbraunes Haar, zarter Wuchs, aber häufig vernachlässigte Haltung, weil wirklich, Gott sey ge- dankt, sehr wenig Coquetterie zu finden ist. Jene römischen robusten Schönheiten, oder die zarten kleinen, aber feurigen Brünetten des südlichen Eu- ropa's findet man nicht.
Die zwei wichtigsten geschlossenen Gesellschaf- ten haben in ihrer Entstehung einen wissenschaftli- chen Zweck zum Theil oder ganz gehabt.
Von dem Museum ist anderswo die Bede. Vor nicht vielen Jahren fühlten einige verständige Kauf- mannslehrlinge und Diener, wie wenig sie ihre freien Stunden, wenn sie sich gesellschaftlich erholen woll- ten, zweckmäfsig anwenden könnten. Die Familie des Principals kümmerte sich wenig um sie, öffent- liche Wiitkshäuser zu besuchen, deuchte ihnen kost- spielig und der Bildung nicht förderlich. Einige
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wenige so gesinnte Jünglinge traten zusammen, such- ten sich in einem Meinen gemietheten Local mit Leetüre und anderm angemessenen Zeitvertreib zu unterhalten. Bald schlössen sich viele an, die ein ähnliches Bedürfnifs fühlten, und so entstand die jetzt bestehende grofse, über vierhundert Mitglieder zählende Gesellschaft Union, welche in ihrem weit- läufigen Local eine gewählte Bibliothek besitzt, wo- bei zugleich die wichtigsten in- und ausländischen Zeitschriften gehalten werden. In dem schönen Con- certsaal werden im Winter regelmässig Concerte, grofstentheils nur von den musikalischen Mitgliedern der Gesellschaft, aufgeführt.
Wie sehr diese in ihren Grundsätzen glücklich bedachte Einrichtung auf den Geist und die Gesin- nung der angehenden Kaufleute wirkt, ist seitdem sehr deutlich erkannt worden. Wenn ein Jüngling den Wunsch hegt, einem gemeinen Zeitvertreib ent- zogen zu werden, so findet er hier die beste Ge- legenheit. Freilich derjenige, dem der Eintritt nur eine gewünschte Gelegenheit gibt, seine vom Comptoir erledigte Zeit, die wohl zweckmäfsiger ausgefüllt werden könnte, mit dem Billard oder den Karten zu verbringen, der hat im Tausche nur zum Theil ge- wonnen, und der wohlmeinende Principal wird dann nicht viel zu rühmen haben; da jedoch jene eisten Stifter nun selbst schon längst geachtete Bürger und Principale sind und wissen, was Noth thut, so wird darüber gewacht, dafs nicht leicht ein Handelslehr- ling als Mitglied der Union aufgenommen wird, ohne
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dafs der Wunsch seines Principals erst berücksich- tigt wäre.
Wenn nun dem gröfsten Theil unseres kaufmän- nischen Publicnms eine vielseitigere Bildung zuge- schrieben werden kann, als man sie an manchen andern Handelsplätzen findet, so haben diese zweck mäfsigen gesellschaftlichen Veranstaltungen und die damit verbundenen Leseinstitute gewifs nicht wenig dazu beigetragen, und Jeder, der es mit Bremen wohl meint, wünscht ihnen ein fröhliches Gedeihen und Fortschreiten.
Die gesellschaftlichen Zirkel haben selbst unter den gebildeten Ständen nicht einerlei Physiognomie. Wo sich jüngere Frauenzimmer versammeln, da wird viel vorgelesen bei der Handarbeit, und zwar meistens ausgesuchte Leetüre. Daher sind ihnen die deutschen Klassiker, vorzüglich Schiller, fast bis zum Auswendigwissen vertraut. In gemischten Ge- sellschaften werden häufig Schauspiele mit vertheil- ten Piollen gelesen, in andern Witzspiele geübt, die meistens nur Wenigen zur Freude , den Meisten zur Qual zu gereichen pflegen. Gesellschaften, die sich nicht oft sehen, müfsten die Stunden lieber mit geistreicher und munterer Unterhaltung ausfüllen; dazu mufs freilich Lust zum Sprechen, die Gabe, anziehend zu erzählen, Witz und Laune mehrern Gliedern der Gesellschaft eigen seyn , wenn die Un- terhaltung nicht stocken, oder durch das Reden ei- nes Einzigen lästig werden soll. Die Zuflucht zu den Karten, die in den meisten Gesellschaften ge-
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nommen wird, wenn die Unterhaltung stocken will, ist dann nicht ganz zu verachten. Die Gesellschaft kommt dann zur Ruhe, sammelt sich, und wenn das Spiel beendigt ist, sucht man gern wieder Jemand, mit dem man sich unterhält. Eine Gesellschaft, die allzu geistig seyn will, ist sich selbst mehr zur Last, als sie es sich gestehen mag» Die musikalischen Gesellschaften leiden etwas an Uebertreibung. Von sieben Uhr Abends bis eilf in der Nacht in einem weg spielen und singen zu hören, mit dem stillschwei- genden Beding, nie durch Plaudern seine Langeweile zu erkennen zu geben, das ist wirklich ein schreck- licher Zustand» Was hier zuviel geschieht, fehlt in andern Zirkeln ganz; da ist es, als wenn die Musik etwas Widerwärtiges, nie genug zu Meidendes wäre: da steht wohl ein Klavier, aber ein gesellschaftliches oder geistreiches Lied zu verlangen, fällt keinem Menschen ein. Vielleicht unterläfst man es auch aus Furcht , dafs die singenden und spielenden Liebha- ber und Liebhaberinnen kein Ende zu finden wissen, wenn sie einmal in Gang gebracht worden sind.
Im Ganzen mnfs man jedoch sagen, dafs in Bre- men sich allgemein ein Streben offenbart, den ge- sellschaftlichen Zusammenkünften eine höhere und bessere Tendenz zu geben, als sie gewöhnlich anderswo haben» Trifft dies nicht immer zu, so mufs man sich mit der reinen und aufrichtigen Absicht trösten, und dafs so manches in der Welt ist, was man unvollkommen lassen mufs , ohngeachtet man das Bild des Vollkomm- neren in sich trägt.
Handel und Schifffahrt der Bremer.
Den bedeutendem Handel Bremens kann man seit jenem yon Otto dem Grofsen dem Erzbischof Adal- dagus ertheilten Privilegium rechnen. Damals be- kam die Stadt einen Jahrmarkt und der Vortheil ihrer Lage begann sieh zu entwichein. Was aber vorzüglich forderte , war der in den ersten Jahrhun- derten bedeutende Umfang des erzbischöflichen Kirch- sprengeis von Bremen und Hamburg. Mit jenen Aposteln, die zur Bekehrung des Nordens auszogen, sogar bis nach Island, Grönland und den Orkadi- schen Inseln, dem heil. Magnus u. a. , oder doch ihren Spuren nach, zogen die Kaufleute. Unter ihrem Schutze, unter dem Schutze ihrer Altäre konnten sie es wagen , mit fremden barbarischen Völkern in Verkehr zu treten, Sicherheit für ihre Person, wie für ihre Waaren zu erlangen. Dann aber hatten die Skandinavischen Völker häutig Veranlassung, in ihren Angelegenheiten an den erzbischöflichen Hof nach Bremen zu kommen, v/o, doch besonders zu des viel- herrschenden und prachtliebenden Adalberts Zeiten, das kleine Bremen dem päbstlichen Rom vergleich-
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bar war *). Dies wurde Ton Handeltreibenden be- nutzt, die in Gemeinschaft mit jenen an den erzbi- schöfiichen Stuhl Abgeordneten reisten , so dafs dar- aus eine bedeutende Handelstätigkeit in Bremen ent- stand, und jene Meere, welche, nach Tacitus Zeugnifs, den Römern unbekannt waren, weil es besser sey, an die Geheimnisse und Macht der Götter zu glau- ben, als sie zu kennen, von Bremer Schiffen befah- ren wurden **% So wurde das Christenthum das Band, welches die durch Meere und Barbarei ge- trennten Völlier in Verbindung brachte.
Wie die Theilnahme an den Kreuzzügen auf den Handel der Bremer gewirkt, ist unbekannt; schwer- lich wird es bedeutend gewesen seyn. Wichtiger war die Colonisirung in Liefland im Jahr 1160 und die Handelsverbindung dahin. Als Bremen in die Hansa aufgenommen zu werden wünschte , war ihr Streit mit der Stadt London eine bedeutende politische Bedenk- lichkeit.
Lange zuvorhatten die Bremer sich Vortheile zu verschaffen gewufst, die ihrem Handel sehr förder- lich waren. In der Zeit, als Woldemar der Zweite,
*) Ita affabilis (Adalb.), ita largus, ita hospitalis , ita jocun- dus , ita cupidus divinae ac humanae gloriae, ut parvula Brema ex illius virtute instar Romae divulgata , ab omnibus terrarum partibüs devote peteretur, maxime ab aquilonalibus populis. Ad. Brem. 93.
**) Negotiatores , qui ex omni parte terrarum Bremam solitis frequentabant mercibus. Ad. Brem. H6.
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König von Dänemark, sehr unzufrieden über Ham- burg und Lübeck war, wandte sich die Stadt Bremen durch ihren Erzbischof Gerhard den Zweiten an ihn wegen Vergünstigung in Ansehung des Strandrechts. Unter diesen Umständen wTar die Stimmung des Königs ihrem Ansuchen sehr geneigt, und er gab ihnen das Recht, ihr auf den Küsten seines Reichs Gestrande- tes, sowohl Schiff als Gut, zu sammeln.
Woldemars Enkel, Erich, Herzog yon Jütland und Schleswig, ertheilte den Bremischen Handelsleu- ten nicht allein sicheres Geleit und Aufenthalt, son- dern sicherte ihnen auch zu, dafs alles Entwendete ihnen doppelt ersetzt werden sollte (1265.)«
Selbst ehe noch Bremen förmlich in die Hansa aufgenommen war, hatte es schon durch eine, nur der Bremer Bürgerschaft *) ertheilte , besondere Ur- kunde Theil an den vom König Magnus dem Sechsten von Norwegen der Hansa ertheilten bedeutenden Han- delsbegünstigungeu, aus denen hervorgeht, dafs die nordischen Könige es für ein Glück hielten, wenn diese Weser - Kaufleute ihre Staaten besuchen wollten.
Als Erich, des Königs Magnus Nachfolger, mit den Wendischen Hansestädten in Unfriede war, nahm Bremen, obgleich bereits in der Hansa, keine Par- thie , und wurde darüber aus dem Bunde ausgeschlos- sen. Ihr Handelsvortheil gebot den Bremern diese
*) Ad instantiam itaque prudenturn virorum Consulum et civitatis communitatis Brem. Siehe die durch Cassel mitgethr ilte Urk. vom Jahr 1279.
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Politik, denn sie hatten das Vorrecht, gegen einen unbedeutenden Zoll an den Norwegischen Küsten Heringe zu fangen. Als demohngeachtet Erich spä- ter diesen Zoll erhöhete, wandte sich die Stadt durch den Erzbischof Giselbert und die ganze Bre- mische Geistlichheit an den König und stellte ihm ihr längst erworbenes Recht vor. Dies Vorwort fand trefflichen Eingang und es ist erfreulieh, bei dieser wie bei andern Gelegenheiten zu sehen, wie in dem barbarischen Mittelalter ein wohlerworbenes Recht selbst des schwächern gegen den stärkern Staat ge- ehrt wurde. König Erich erklärte sich wegen der yon den Bremern ihm und seinen Vorfahren erwie- senen Dienste nicht allein sehr geneigt für sämmtliche Bremische Handelsleute überhaupt, sondern setzte den Zoll für die Heringsfänger nur auf fünf Pfenning Sterl. für die Last (1292). Damit nicht zufrieden, suchte auch Erich den um seinetwillen entstandenen Zorn der ostseeischen Städte gegen seine lieben Bürger zu Bremen zu beseitigen, und brachte zu dem Zweck einen Vergleich zu Stande.
Kurz darauf erliefs Erich einen für Bremen noch weit schmeichelhafteren und yortheilhafteren Frei- heitsbrief. Er sagt, er habe die Bremer unter die Zahl seiner vertrautesten und speciellen Freunde aufgenommen, und sie vor allen übrigen deutschen und englischen Kaufleuten seiner besondern Vertrau- lichkeit gewürdigt. Ja, er nennt sie mehrmals als seine und seines Reichs Gönner, und setzt, um diese seine freundschaftliche Gesinnung recht zu
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beweisen, den ohnehin schon niedrigen Zoll für die Bremischen Heringsfänger auf 3 Pf. herab.
Durch ein Privilegium Friedrichs des Dritten (1663) wurde den Bremern ihre eigene Jurisdiction in der Stadt Bergen und die Gleichheit des Zolls mit den eigenen Unterthanen bewilligt, jedoch so, dafs die letztern sechs Tage den Verkauf der yon den Bre- mern gebrachten Güter haben sollen, ehe diese selbst an Jedermann verkaufen *).
Häufig wurde das Interesse der Stadt Bremen mit demjenigen des Erzbisehofs und seiner Vasallen verwechselt. Wer durch jenen oder diese verletzt zu seyn glaubte, pflegte auf Bremische Bürger oder Waaren Beschlag zu legen. Oft wurden Reisende in irgend einer Stadt angehalten , um für das , was einer ihrer Mitbürger gefrevelt oder schuldig ge- worden, Genugthuung zu geben. Aueh für solche Fälle hat Bremen mit norddeutschen Städten Ver- träge zum Vortheil des ungehemmten Handelsver- kehrs abgeschlossen.
Der Freiheitsbrief, den die Bremer nach Be- fehdungen der Schottischen Seefahrer im Jahr 1453 von Jacob dem Zweiten von Schottland erhielten, war höchst wohlthätig für ihre Handlung. Auch der Verkehr nach Lissabon wurde durch Privilegien der Könige von Portugall begünstigt. Unter den Waa-
*) Die Urkunden , aus welchen diese Notizen gezogen sind , hat Cassel nebst andern diese Materie betreffenden drucken lassen.
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ren, so die Oesterlinge oder Hansestädte dahin ge- bracht, werden Messing, Kupfer, Zinnober, Queck- silber, Masten, Pech, Theer, Kugeln, Pelzwerk und Wollentuch genannt. Sie mufsten 10 Procent Ein- fuhrzoll davon bezahlen. Der directe Handel nach den Colonien war ausgenommen. Sie führten zurück vorzüglich Spezereien und Farbehölzer *). Sie durf- ten vor keine Obrigkeit, aufser vor einen einzigen genannten Richter gezogen werden» Von allen Waa- ren, welche die deutsche Societät zur Bekleidung ihrer Glieder und deren Diener gebraucht, sollte kein Zoll bezahlt werden. In Allem sollen sie den eigenen Unterthanen gleich gehalten seyn. Sie kön- nen auch ihre Waffen tragen. Noch später erhiel- ten sie das Bürgerrecht. Dann wurden die Oester- linge aus Deutschland vom Zoll auf Schiffbauholz, auch von der einheimischen Kleiderordnung befreit, und es wurde eine früher gegebene Erlaubnifs auf Pferden und Mauleseln zu reiten wiederholt **).
Mit den nächsten Nachbaren bedurfte Bremen besonderer Verträge, um sich gegen Seeräubereien zu sichern, die doch oft nur kurze Zeit halfen, so mit den Wurstfriesen, dem Lande Würden und man- chen andern Friesischen Häuptlingen. Die Victualien- brüder oder Vitalianer, jene Seeräuber, welchen die
*) Priv. vom König Emanuel 1503.
**) Cassel, von den Privilegien und Handlungsfreiheiten, welche die Könige von Portugall ehedem den deutschen Kaul'ieuten und den Hansestädten ertheilt haben.
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Städte Wismar und Rostock sichere Aufnahme in ihren Hafen versprachen, wenn sie gegen die Köni- gin Margarethe ziehen wollten, und welche hernach ihr Raubgewerbe auf eigene Hand, besonders von der Insel Helgoland aus, fortsetzten, fanden bei den Friesen geneigte Aufnahme, welche gern die erbeu- teten wohlfeilen Waaren häuften. Nicht allein durch Kriege und Verträge, von Seiten der nordischen Hansen gemeinschaftlich, wurden die Friesischen Häuptlinge nach und nach bestimmt, den Vitalianern den Aufenthalt zu versagen , sondern auch durch die Stadt Bremen insbesondere *) , welche Wachtschiffe, damals Auslieger genannt, auf die Weser legte.
Ein anderes beträchtliches Hindernifs war das Strandrecht und die Grundrüre. Ein Theil der den Schiffbrüchigen geraubten Güter gehörte sogar mit zu den Einkünften des Erzbischofs **). Schon im Jahr l!269 wurde ein Vertrag mit den Wurstern und nach und nach auch mit andern Nachbaren wegen des Strandrechts geschlossen und öfters erneuert.
*) Cassel, ungedruckte Urkunden S. 488, wo Graf Christian von Oldenburg den Städten Lübeck, Bremen und Hamburg für Ede Wymmeken, Häuptling in Rüstringen, verspricht, dafs dieser in acht Tagen die Vitalienbrüder abschaffen soll (1398).
**) Es war doch nicht so schlimm, als die dem Bischof von Win- chester zugetheiiten Abgaben von offen Ii ich in seinem Sprengel angeordneten Bordellen , weswegen ihm der Herzog Humphrey von Gloster den Vorwurf macht :
Thou , that giv'st whores indulgences to sin. S. Sbakesp. King Henry VI. Ist part.
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Da der Ausflufs der Weser, wegen der bedeu- tenden Sandbänke, nur von sehr erfahrenen Schiffern befahren werden kann, und überhaupt die Friesi- schen Küsten gefährlich sind, so wurde yon den Bre- mern schon früh ein Leuchtethurm oder Bake in der Mündung der Weser errichtet, und schon seit dem zwölften Jahrhundert weifse und schwarze See- tonnen yon Ferne zu Ferne in den Flufs befestigt, um die sichere Wasserstrafse zu bezeichnen.
Der sogenannte Barsemeister , der diese Tonnen am Anfang des Winters herauszunehmen , im Früh- jahr wieder zu legen hat, untersucht für diesen letz- tern Fall, ob in dem Flufsbett eine Veränderung während des Winters vorgegangen, und richtet sich darnach. Hiervon schreibt sich die Schiffabgabe, die man in Bremen Tonnengeld nennt , dessen He- bung, so wie die Besorgung des Tonneniegens eine Sache des Aeltermannscollegiums ist *).
Die Handelsgegenstände waren der Stadt Bremen mit den übrigen Hansestädten gemein. Eigenthüm- liche städtische Industrie -Producte waren vorzüglich Jahrhunderte hindurch ein treffliches , weit und breit begehrtes Bier. Das Bierbrauen, obwohl es durch die Concurrenz der Hamburger in Verfall kam **),
*) In den Jahren 1426 und 1483 fanden TTebereinkünfte zwischen dem Rath und den Senioren der Kaufmannschaft Statt , wie viel diese für die im Flusse zu legenden Tonnen zu fordern hätten.
**) Die Fehde mit dem vertriebenen Frese und seinen Anhängern, ein in derselbigen Zeit erfolgter Brand und daraus entstandene
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blieb immer noch bedeutend genug, um denen, die sich damit beschäftigten, vorzügliches bürgerliches Ansehen zu geben. Ein anderes ansehnliches Ge- werbe war wollen Tuch und Zeuge , die auch in's Ausland geführt wurden. Manchfaltige und grofse Ausbildung der Fabrication wurde theils durch das Zunftwesen unterdrückt, theils nahm auch der Han- del die Capitalien in Anspruch, die nur mit minde- rem Nutzen auf Fabrication hätten verwandt werden können. Getraide - und Weinhandel wurde bedeu- tend. Die Waaren des Osten und Norden nach dem Süden und Westen von Europa zu bringen, und so umgehehrt, und dies mit dem Yortheil grofscr Zoll- begünstigungen von beiden Seiten — das war Bre- mens Handel. Sehr viel verlor der Handel dieser Stadt, als Emden aufblühte, und hauptsächlich den Handel mit den Landesproducten Ostfrieslands er- langte , der früher in den Händen der Hamburger und Bremer gewesen war. Der sogenannte Berger- handel nach Norwegen, die Heringsfischerei, der Walllischfang, waren bedeutende Gewerbszweige.
Wann die erste Grönlandscompagnie gegründet worden, habe ich nicht finden hönnen. Sie war im J. 1656 zerfallen, und im J. 1674 wurde eine neue gestiftet, die jedoch keinen bedeutenden Vortheil gab, oder doch nur in so weit von Erfolg war, dafs
Armuth, hatte zur Folge, dafs Haferbier unter dem Namen des vormaligen guten ausgeführt wurde ; dieses machte sich Ham- burg und Wismar zu Nutze. So erzählt Renner.
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Vortheil und Schaden nach Abzug der Unitosten sich ziemlich gleich blieben. Im J. 1692 brachten sieben Schiffe achtzehn Fische, wovon das eine allein acht binnen 24 Stunden gefangen hatte, dessen Vortheil auf 20,000 Thlr, angeschlagen wurde. Im Jahr 1693 brachten sechs Schiffe nur sechs Fische. — Das Jahr 1696 war unstreitig eines der ergiebigsten für den Wallfischfang. Die beiden Schiffe der Gebrüder Löning hatten allein 17, welche 890 Kardelen Speck gaben. Von den zwölf ansgesandten Schiffen brachten zwei nichts, ein anderes war verunglückt, die übrigen zehn hatten 43 Wallfische. Das Fischbein allein wurde auf 43,000 Thlr. geschätzt. Eins dieser Schiffe hatte einen Narwal erlegt und brachte den Kopf mit dem Horn nach Bremen, welches ein neuer An- blich für sämmtliche Einwohner war und den Beweis gab, dafs das in den Naturalien - Cabinetten vorkom- mende Einhorn nichts weiter, als das Horn dieses Fisches sey.
Doch alles bisherige Glück der Grönlandsfahrer wurde von dem Jahr 1697 übertroffen. Der schöne Fang des vorigen Jahres hatte Math zu stärkeren Unternehmungen gemacht. Diesmal wurden sech- zehn Schiffe ausgerüstet. Diese brachten 117 Fische. Der Thran sank von 17 auf 9, das Fischbein von 70 auf 25 Rthlr. , so dafs der Gewinn der Interessen- ten so sehr beträchtlich nicht ausfiel, und nur die Consumenten den Segen Gottes zu preisen hatten, wie es denn alle Tage mit allen Gewerben geschieht, so dafs der Mensch am Ende nicht mehr weifs, wie
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viel oder wie wenig Glück er seinen Unternehmungen wünschen soll. — Im Jahr 1698 brachten 15 Grön- landsfahrer 108 Fische. In dein Jahr 1700 brachten 15 Grönlandsfahrer 62 Fische.
Am glänzendsten erscheint das achtzehnte Jahr- hundert in seiner ersten Hälfte in der Geschichte der Grönlandsfahrt , zu welcher sich im Jahr 1725 auch die Fahrt nach der Strafse Davis gesellte, die von zwei Schiffen, womit sie anfing, sich im Jahre 1732 bis zu sieben erhob , mit dem Jahre 1738 sich aber wieder verlor, und dann zuletzt, aber nur auf einige wenige Jahre, 1788 wieder geweckt wurde. Aus den genauen vor uns liegenden Verzeichnissen über den Bremischen Wallfisch - und Mobbenfang seit 1695 er- giebt sich folgendes.
Die meisten Schiffe, nämlich 25, gingen ab in den Jahren 1723, 1724, 1725. Der reichste Fang war im Jahre 1740, in welchem von 20 Schiffen 190 Fi- sche gefangen wurden. Dann
1701 von 18 Schiffen 147 Fische.
1705 von 19 Schiffen 145 —
1711 von 20 Schiffen 122 —
1722 von 24 Schiffen 107 —
Dagegen waren schlechte Jahre :
1730, wo 20 Schiffe nur 3 Fische fingen. 1810, wo 18 Schiffe ebenfalls nur 3 Fische fingen.
1807, wo 15 Schiffe nur 4% Fisch mit- brachten.
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Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts verfiel die- ser Gewerbszweig so, dafs in den Jahren 1757 bis 1759 und i7C0 nur Ein Schiff auslief und noch dazu leer wieder kam. Daher denn der Stillstand von 1761 bis 1764, während welcher Zeit gar nichts unternom- men wurde. Vom Jahre 1766 datirt sich die Wieder- belebung der Fahrten, jedoch steigt die Zahl der aus- gerüsteten Schiffe nicht höher als auf 11, und von 1789 bis zu dem Jahr 1822 hat sie zwischen dieser und der Zahl vier geschwankt. In den Jahren 1808 bis 1813 incl. findet sich gar nichts notirt. Die Mittel- zahl der jetzigen Ausrüstungen ist seitdem 7 gewesen. In den beiden letzten Jahren, nämlich 1821- 1822, sind in jedesmal 7 Schiffen 24 und 20 Fische ange- bracht worden. Für das Jahr 1770 findet sich der „reine Segen" aus 27 Fischen auf 140,165 Thaler angeschlagen, als die höchste von allen namhaft ge- machten Summen.
Die auf Actien gegründete Heringsfischerei hat bis jetzt den Interessenten wenig Vortheil gebracht.
Der Handelsverkehr mit England wurde durch einen Freiheitsbrief Carls II. begünstigt. Es wurde den Bremern gestattet ( 1661 ) , auf Bremischen Schiffen unter Bremischen Schiff scapitänen deutsches Product, aber auch nur dieses, frei nach England zu bringen.
Die Weserlachse, die jetzt so selten und theuer sind, waren vormals in grofser Menge, so dafs eine Verordnung vom Rath soll erlassen worden seyn, ( die ich aber nicht gesehen habe) welche den Herr-
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schaften vorschreibt , wie oft nur in der Woche sie ihrem Gesinde Lachs zu essen geben dürften , weil wahrscheinlich dieses sich über das Zuviel beschwert hatte. Solche Verordnungen sollen auch in Schott- land erlassen worden seyn *). Im Jahr 1644 zeigte sich eine solche Menge dieser Fische in der Weser, dafs oft auf einen Zug hundert Stück gefangen wor- den, und zwei Pfund mit einem Schilling bezahlt wurden.
Auch an Seeabentheuern fehlte es den Bremern nicht. Im Jahr 1529 begegneten einem Bremer Schiff ganz seltene Dinge. Es war mit Weizen und an- dern Waaren beladen und nach Lissabon bestimmt. Mehrere Bremische Bürger fuhren mit. Es waren im Ganzen fünfzehn Mann. Es dauerte nicht lange, so bemerkten sie, dafs sie ganz yom Wege abgekom- men, und dafs der Steuermann, welcher glaubte , sie waren an den französischen Küsten, ganz in der Irre war. Die Mannschaft wurde darüber so erbost, dafs sie den unwissenden Steuermann über Bord werfen wollte. Dieser kniete nieder und bat flehent- lich um sein Leben, welches ihm auch geschenkt ward.
Nach langem Fahren auf's Gerathewohl erblick- ten sie eine Stadt, sandten sechs Mann, um sich zu
*) Heron hist. of Scotland ; und Tales of my Landlord, vol. IV, 170. Der Verf. des letztem Werks, Walter Scott, führt es aus dem sechszehnten Jahrhundert an , und die Verordnung habe bestimmt , dafs dem Gesinde nur fünfmal die Woche Lachs gegeben werden dürfe.
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erkundigen, wo man wäre, und das Getreide anzu- bieten. Man fand Christenmenschen. Das Aner- bieten des Getreides kam, weil es theure Zeit war, er. wünscht und viele kleine Fahrzeuge näherten sich dem Bremer Schiff.
Aber die Mannschaft glaubte, ihre sechs Gesel- len wären gefangen oder ermordet, und die Bewoh- ner der Stadt kämen nun mit starker Hand, um auch sie zu fangen. Man lichtete also rasch die Anker, entfernte sich und liefs die sechs im Stich. Man segelte darauf noch fünf Tage. Die Hitze wurde unerträglich; die Fässer, welche nasse Waare ent- hielten, zersprangen und der Inhalt lief aus. Der Durst wurde so schrecklich, dafs sich die Mann- schaft um ein ekelhaftes Getränk stritt. Sie wurden nun eins, das Schiff zu durchbohren, sinken zu lassen, und an dem Lande, welches sie seit einiger Zeit gesehen hatten, ihr Heil zu versuchen. Sie wandelten am Ufer hin durch Salz, wie durch Schnee.
Da die iXoth immer gröfser wurde, gingen zwei tiefer in's Land, um Trinkwasser zu suchen, aber die Kräfte verliefsen sie und sie blieben liegen. Ton den andern, die am Ufer entlang gingen, san- ken auch einige erschöpft um. Ein Apfelbaum mit lieblichen Früchten erfreute endlich die Armen , aber wie sie in die Frucht bissen, fühlten sie ein hefti- ges Brennen und am Munde entstanden Blasen. Kurz darauf sahen sie ein Schirl, welches auf ihr Winken und Rufen herzukam. Es war von den Canarischen Inseln. Durch Zeichen sahen die Bremer zu ver-
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stehen, dafs sie noch einige Cameraden zurück hät- ten. Der Canarier gab ihnen einige Pferde, die auf dem Schiffe waren, um damit schnell die Ihrigen aufzusuchen. Einige waren noch am Leben, wur- den gelabt und erholten sich, bis auf Einen, der zu eilig trank.
Hierauf segelten sie auch zu dem verlassenen Schiff, nahmen ihre Habseligkeiten heraus und ka- men nach den Canarischen Inseln, wo sie mitleidig aufgenommen wurden, nachdem man sich übe: zeugt, dafs sie keine Seeräuber, sondern deutsche Kauf- leute waren.
Als die Güter der Unglücklichen inventirt wur- den, fand man unglücklicherweise Bücher, auf denen der Name Martin Luther stand, den die Portugiesen wohl lesen konnten. Auf der Stelle wurden sie als Ketzer, als solche, die den Luther als Gott anbete- ten, in Banden gelegt. Sie wurden hierauf sammt den Büchern nach Teneriffa zum Gouvernement ge- sandt. Hier fand sich zum Dollmetscher der Bücher ein Spanier, der Deutsch konnte, und früher selbst in Bremen gewesen war. Der Gouverneur liefs sich von ihm den Inhalt der Bücher mittheilen. Als es aber an das Buch über die Mifsbräuche des Sacra- ments kam, erklärte der Dollmetscher den Bremern: Wenn ich dies Buch richtig dollmetsche , so seyd ihr eures Lebens verlustig. Nun ging es an ein Jammern und Versprechen, dafs es einen Stein hätte erbarmen mögen , und der Spanier war gutmüthig genug, das Buch so zu übersetzen, dafs man die
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Armen für die besten Christen von der Welt er- klärte , sie los liefs und ihnen die Erlaubnifs ertheilte, an den Kirchthüren gute Christen um eine Gabe an- zusprechen. Eine reiche Wittwe zeichnete sich be- sonders durch Wohlthätigkeit aus. Johann Cantor, der sein Lebelang ein Schalk gewesen, sagte auf deutsch zu einem, der ihn beschenkte: Wenn du wüfstest, wat ik vor einer bin, du wördest mi so vele Döget nicht dohn. Und es war dem Bremer Schalk keine kleine Freude, dafs er ihm das sagen konnte, und jener meinte, es wäre ein grofser Dank, Aber Hans van Veerden tadelte ihn darob heftig. Einmal versuchten sie auch, bei Nacht sich eines Schiffes zu bemächtigen, wurden aber zu laut dabei und wa- ren glücklich genug , dafs sie sich in der Dunkelheit unbemerkt wieder in ihre schlechte Behausung zurück- ziehen konnten.
Endlich wurden sie nach Spanien üb er geschifft. Von da begaben sie sich über England nach Hause. Die sechs Zurückgelassenen waren schon in grofsem Elend früher zurückgekommen. Es fand sich, dafs es die Westküste von Afrika war, an welcher sie sich versegelt hatten.
Unter den Waffenthaten der Bremer zur See zeichnen sich folgende aus.
In dem Krieg von 1438, den die Hansestädte mit den Holländern, die anfingen, ihrem Handel bedeu- tenden Schaden zuzufügen, führten, hingen die Hol- länder und Seeländer, stolz auf ihr Glück, Besen an ihren Masten auf, zum Zeichen, dafs sie die Meere
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von den Schiffen der Feinde gereiniget hätten *). Der Danziger Abgeordnete, Heinrich Rapesilver, hatte den Hansestädten, weil sie keinen Vergleich eingehen wollten, gesagt: Der Löwe schläft, lafst ihn schlafen (Leonem stertentem non excitandum); weckt ihr ihn, so seht zu, wie ihr ihn wieder in Ruhe bringt ( ad yexillum alludens militare Hollandiae, leone inscriptum).
Bremen wurde in diese Fehde gemischt. Der Rath klagte bei Philipp dem Gütigen, Herzog von Burgund (1445), dafs seine Unterthanen den Bremer Bürgern das Ihrige genommen und die Schiffe ge- plündert. Sie verlangten Erstattung und als diese verweigert wurde rüsteten die Bremer ihre Kriegs- schiffe, kaperten dreizehn mit Salz beladene Schiffe, eben so einige gröfsere an der Norwegischen Küste, zwei holländische mit Getreide , die von Danzig ka- men , und zerstörten durch Wegnehmung der Netze die Heringsfischerei der Niederländer. Der Bremi- sche Capitän Harger Rotermund traf auf eine grofse Burgundische Krake, welche er trotz ihrer Ueber- legenheit an GrÖfse und Mannschaft, nach vorläufiger Berathung mit seinen Leuten, muthig angriff. Die Krake aber war hoch und fest gebaut, es kostete also Mühe, hinaufzukommen und die Entscheidung
*) Dieses Symbol brauchte auch Admiral Tromp. Als er den englischen Admiral Blake im J. 1653 geschlagen hatte , heftete er neue Besen an seinen Hauptmast, um damit anzudeuten, er wolle das Meer von allen englischen Schilfen rein fegen.
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wankte. Da sammelte H arger nochmals seine Besten, und rief sie zur Tapferkeit im Namen der Vaterstadt auf. Nochmals boten sie ihre äufserste Kraft auf, griffen zu ihren Hachen, Hellebarden und anderm Gewehr, und bemächtigten sich endlich des Fahrzeugs, nach- dem sie fünfzig Mann getödtet. Das Schiff war mit Mab asier, Gewürz und andern hostbaren Kaufmanns- gütern beladen; auch fand man zwei lebendige Lö- wen auf demselben. Das Schiff wurde mit der Ladung nach Bremen gebracht, und die zwei Löwen in ei- nem Kefigt bei dem Rathhause eine Zeitlang unter- halten. Ein grofser silberner Pokal yon der Beute wurde den Rathsherren verehrt, die sich über hun- dert und fünfzig Jahre lang desselben bedienten, wenn sie zu Felde zogen. Im folgenden Jahre kam zwischen dem Herzog und Bremen die Aussöhnung zu Stand , in welcher letzteres durchaus mit glei- chem Vortheil wie der Herzog aus der Sache schied*).
Unter den Convoyschiffen, welche Bremen den Kauffahrern zum Schutze mitgab , zeichnete sich das- jenige aus, welches im Jahr 1691 vom Rath ausge- rüstet und dem Befehl des Holländers Georg Baek untergeben worden war. Er erhielt monatlich 50 Thaler Gage, ungerechnet die Accidentien, und man überliefs es ihm, das Schiff zweckgemäfs innerlich einzurichten und die Mannschaft anzunehmen. Es führte 46 Stücke und sechs Drehbassen, und hatte
*) Das weitläufige und merkwürdige Document über diesen Frie- den in Ylämscher Sprache hat Cassel mitgetheilt.
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eine Besatzung von zweihundert Mann. Er convoyirte zuerst eine Ladung Waaren nach England, die man auf fünf Tonnen Goldes schätzte. Binnen einem halben Jahr wurde die Fahrt dreimal wiederholt. Im folgenden Jahr jagte er einem Dünkircher Kaper drei Prisen ab, convoyirte überhaupt glücklich vier- mal nach England und zurück, und wufste sich zu grofser Gefahr eben so gut zu entziehen als der angemessenen zu begegnen.
Im Anfang des Dec. 1694 hatte der Bremische Bergerfahrer Hermann Wilson ein Abentheuer, wo- bei er eben so viel List als Gegenwart des Geistes zeigte. Er kam von Bergen mit Bergerwaaren und stiefs unter Wegs auf einen Dünkircher Kaper, der sein Schiff eroberte, sechs Mann hineinsetzte, und die Matrosen, aufser dem Kapitän und dem Steuer- mann, in sein Schiff nahm und nach Dünkirchen se- gelte. Der Wind zeigt sich dem Wilson günstig zur Flucht, er läfst sich also mit drei der Räuber in ein Trinkgelag ein und macht sie so betrunken, dalg sie sich niederlegen und schlafen. In demselben Augenblick zieht Wilson ein bedenklich Gesicht, die drei Andern fragen, Avas das zu bedeuten habe. „Was das zu bedeuten hat?" sagt Wilson, „das sollt ihr bald sehen, wir sind verloren, das Schiff wird stranden." Voll Angst steigen die drei in den Mast- korb, um sich umzusehen. Wie sie oben sind, ruft er ihnen zu: „Bleibt, wo ihr seyd, kommt ihr her- unter, so hauen wir euch Hand' und Füfse ab.u Der Schiffer erhielt von einem vorüberfahrenden Schiff
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noch einige Leute an Bord, benutzte den günstigen Wind und rettete sein Schiff. Seine Leute aber wur- den gegen die yon ihm gefangenen ausgewechselt.
Capitän Wilson führte auf seinem Schiffe Yeritas 32 Stück und 80 Mann und fuhr nach Genua. Auf der Rückkehr, die er in Gesellschaft eines holländi- schen Schiffes machte, nahm er im Canal einen fran- zösischen Kauffahrer, der mit Linnen beladen war, das nach der Türkei sollte. Die Ladung brachte er nach Cadix. Er und seine Rheder bekamen die Hälfte, Matrosen und Soldaten bekamen einen Monat Gage. Hierauf fuhr er nach England, yon da mit dem englischen Convoyer und einigen Hamburger Schiffen nach der Eibe. Auf dieser Fahrt begegne- ten ihnen acht französische Kaper. Der Bremer liefs seine Flagge wehen, erhielt yon dreien der Fran- zosen eine tüchtige Lage, und sah sich genöthigt, allein drei Stundenlang sich tapfer mit ihnen herumzu- schlagen, da der andere Conyoyer zum Schutz der Kauffahrtheischiffe bleiben mufste. Er schofs so glück- lich, dafs der gröfste Kaper den Hauptmast verlor. Da jedoch Capitän Wilson auch einen Schufs unter dem Wasser erhalten, so war es ihm angenehm, dafs die Kaper yon ihm ablassen mufsten , um ihre Schiffe wieder in Stand zu setzen. Er hatte nur einen Ver- wundeten und keinen Todten. Ein späterer Versuch der acht Kaper war umsonst, da Wilson sich indessen mit den andern Schiffen wieder vereinigt hatte. Seine Reise hatte im Ganzen sieben Monate gedauert. Die Ladung bestand in Oel, Reis, Baumwolle, Wein,
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Limonien u. s. w. und brachte den Theilhabern bedeu- tenden Gewinn.
Der nämliche Capita'n Wilson segelte am 4. Juli 1697 von der Weser , kam nach Genua , nahm seine Ladung ein und wollte weiter, mufste aber westlich um Corsika herum, weil er hörte, dafs zwischen der italienischen Küste und Corsika sechs französische Kaper kreuzten. Auf dieser Fahrt begegneten ihm die türkischen Schiffe, der fliegende Fisch und der halbe Mond, die zusammen 54 Stücke führten, und stark mit Musketiren bemannt waren. Er fafste seineü Entschlufs, wie ein muthiger Mann, schofs sich mit ihnen drei Stundenlang herum, und richtete sie so zu, dafs sie von ihm ablassen mufsten. Er hatte fünf Todte und acht Verwundete, und brachte als Denkmal von dem Schusse, den er an die Stirn bekommen, eine starke Narbe und einen Knochensplitter zurück nach Bremen. Doch damit war seine Gefahr noch nicht beendigt, er wurde noch yon drei französischen und zwei türkischen Schiffen verfolgt und kam mit genauer Noth nach Malaga. Von da segelte er nach Cadix und weiter nach England. Er brachte eine reiche Ladung mit, aber wegen schwerer Unkosten hatten die Inter- essenten wenig Nutzen davon.
In den letzten 20 Jahren des 17ten Jahrhunderts seheint überhaupt Bremens W7ohlstand vorzüglich ge- blüht zu haben. Die Bevölkerung scheint seitdem nie höher gestiegen zu seyn. Man rechnet über 40,000 Einwohner. Das Brückenthor, die Börse, das alte Waisenhaus zu St. Petri, das grofse Armenhaus und
die Kirche zu St. Michaelis in der Vorstadt, wurden in diesen glücklichen Jahren gestiftet und erbaut.
Es ist nicht uninteressant, das Verhältnifs der Bankerotte des siebenzehnten und des neunzehnten Jahrhunderts zu kennen. Das Jahr 1700 zeichnete sich durch viele Bankerotte und Fallimente aus , aber seltsam genug, dafs unter den genannten Fallirten kein Speculant ist, sondern die meisten sind Krämer, Brauer und Handwerker, darunter sogar zwei Bar- bierer, und obgleich die stärkste der Fallitmassen nur 14000 Thaler betrug , so entstand doch daraus eine solche Bedenklichkeit, dafs sehr viele Rentenirer ihre Capitalien aufkündigten, welches denn noch meh- rere Bankerotte zur Folge hatte. Um dem leichtsin- nigen Accordiren zu wehren, wurde eine Verordnung erlassen < dafs kein Accord mehr genehmigt werden solle.
Unter den Verordnungen wegen der Ausfuhr be- merkt man in der kundigen Rolle das Bandholz, wel- ches zu Reifen gebraucht wurde, also Weiden u. dgl. eben so konnte Bauholz nur zu eigenem Gebrauch gekauft und nur mit Bewilligung der Stadtbaumeister ausgeführt werden, eben so wenig Torf, Kohlen oder Brennholz und Getreide ohne Erlaubnifs des Raths. Der Handel mit Mühlensteinen war ein Vor- recht des Raths, der das Privilegium dazu vergab. Man unterschied Rheinische und Bergsteine: i'ene kamen aus Holland über See von Andernach, diese wurden in den Wesergebirgen gebrochen und kamen den Flufs herunter.
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Bringen fremde Handelsleute Elsassische oder Rheinische Weine zum Verllauf nach Bremen, den die Stadt - Weinherrn nicht häufen wollen, so können die Fremden, mit Bewilligung des Raths, den Wein anstechen und maasweise verkaufen, aber hein Bürger soll mit dazu in Compagnie gehen, oder den Ge- winn mit ihnen theilen ( Stat. 66.).
Schon frühzeitig fand der Rath nöthig, Verord- nungen wegen der Veruntreuungen der Kahnführer auf der Weser zu machen, eine Noth, die noch bis auf diese Stunde den Bremer Kaufmann drückt.
Von St» Martini bis St. Peter stand es beim Schif- fer und bei den Befrachtern, ob sie ein Schiff' aus- laufen lassen wollten oder nicht, indem der erstere die Fahrt aufgeben, letztere die Fracht zurücknehmen konnten.
So wie es aber überhaupt eine besondere Politik der Stadträthe des Mittelalters war, bei allen Fürsten durch Verträge ihren Kaufleuten Sicherheit nach Aufsen zu verschaffen, so sorgten sie auch durch weise Gesetze, dafs ihr Handel überhaupt in gutem Credit blieb. Die Verfälschung der Waaren war in Bremen gesetzlich verboten, so dafs sogar Niemand Dänische Butter für Friesische , anderes Salz für Lü- neburger verkaufen durfte *).
Als Holland und England, Spanien und Frank- reich in den Besitz von Colonien kamen , knüpfte sich mit diesen der bedeutendste Handel für Bremen an, ohne dafs man jedoch die Colonialproducte an Ort und
*) Kundige Rolle §. 58. 81. 82.
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Stelle holte, und blieb sich einige Jahrhunderte hin- durch fast gleich bis zu der Befreiung von Nordame- rika. Bis dahin waren keine Bremer Schiffe nach aufsereuropäischen Häfen gegangen, als etwa nach Grönland und der Davisstrafse. Es fiel damals Nieman- den ein , die Hansestädte zu verlästern , dafs sie von jenen Nationen die Colonialwaaren aus zweiter Hand er- hielten, und dennoch stieg der Beichthum Deutschlands.
Die erste Unternehmung nach Nordamerika, bald nachdem dieses sich frei gemacht hatte, mifslang gänz- lich; ein Versuch nach Ostindien lochte wenigstens zu heinem zweiten. Noch im Jahr 1786 war das Ver- hältnifs so, dafs 101 Schiffe aus Frankreich (aus Bor- deaux allein 58), 61 aus England, 3 aus Italien, 6 aus der Türkei, 27 von Norwegen und Schweden, 28 von der südlichen Ostseeküste, 5 aus Amerika, 81 aus Holland, 160 aus Friesland, Hamburg, Oldenburg u. s. w. in Bremen abluden. Sechs Grönlandsfahrer brachten 39 Fische. Zusammen 478 Schiffe.
Indefs hatte jener erste mifslungene Versuch nach Amerika nicht abgeschreckt, obgleich der Handel da- hin erst seit dem Seekriege im Jahr 1793 zum Haupt- handel Bremens so heranwuchs, dafs die Zahl der in den Jahren von 1796 bis 1799 eingekommenen Schiffe zusammen über 4000 betrug. Der Neutralitätszustand hatte den Bremern grofsen Vortheil gebracht, zu- gleich aber auch einen künstlich erhöhten, weit über das natürliche Kapital hinausgehenden Handelsschwin- del geschaffen, der durch irgend welche Stöfse grofsen Nachtheil nach sich ziehen mufste, so wie der durch
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raschen Geldumlauf gestiegene Luxus aller Stände schon ein grofser Nachtheil war. So sehr ein Luxus, der sich auf einen dauernden Reichthum stützt, wohl- thätig ist, so verderblich ist derjenige, der schnell aus einem vorübergehenden glänzenden Flor der Ge- werbe erwächst.
Als demnach der Credit im Jahr 1799 anfing zu wanken, wurden durch Ueb er einkunft von Senat und Bürgerschaft zur Begründung einer Waarenbank für eine Million Thaler Staatsbillets geschaffen, und auf eine dem Handelsverkehr günstige Art in Umlauf ge- setzt demselben aber in der Folge wieder entzogen ; eine Maasregel, welche die erwünschtesten Folgen hatte*).
Im Jahr 1796 kamen 1521 Schiffe, darunter nur 112 englische. Da nun im Jahr 1786 unter 478 Schif- fen 61 in England verladene waren , so ist es klar, dafs sich das Verhältnifs sehr geändert hatte, und nicht zum Vortheil der englischen Ausfuhr , indem im Jahr 1786 auf 478 Schiffe 61 englische, im Jahr 1796 auf 1521 nur 112 englische kamen.
In den drei Jahren 1818 bis 1820 importirten 1236 Schiffe, exportirten 455 ( die übrigen gingen mit Bal- last) unter Bremer, englischer und amerikanischer Flagge, ungerechnet die Küstenfahrer, an der Zahl 2019 Schiffe. Letztere machten zusammen 52,000 Last. Die ganze Zahl der in den benannten drei Jahren
*) S. in Smidts Hanseatischem Magazin 3. B. 2. Heft. Bremen 1800- Etwas über die Ursachen der letzten Handels - Krise und ihren Einflufs auf Bremen.
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in Bremen eingelaufenen Schiffe beträgt also 3255. Bremen hat allein mit seinen Schiffen in jenen Jahren 279 Schiffsladungen importirt und 128 exportirt, also bei weitem mehr , als irgend eine Nation, welche mit dieser Stadt in Verbindung steht, Ladungen nach Bremen in eigenen Schiffen gesandt hat*
Die Importation schwebte in den Jahren 1815 bis 1820 zwischen 14 und J6 Millionen Thalern jährlich, umfafste aber gröfstentheils rohe Gegenstände , welche in deutschen Fabriken verarbeitet werden, als rohe Baumwolle, Farbestofte , rohen Zucker, unbereiteten Tabak, nebst Kaffee, Thee, Wein und Gewürzen. An ausländischen Manufacturwaaren wurden in den genannten sechs Jahren nur für 000,000 Thaler einge- führt, also auf das Jahr für 150,000 Thaler.
Die Ausfuhr schwebte zwischen vier bis sechs Millionen Thalern jährlich, umfafste dagegen fast nur deutsche fabricirte Waaren. In den Jahren 1818 bis 1820 betrug die Ausfuhr der Leinwand allein 8,057,910 Reichsthaler (Louisaor zu 5), wovon der gröfste Theil nach Westindien ging. In den ge- nannten drei Jahren führte Bremen für 1,743,661 Rthlr. deutsche Waaren nach Grofsbritannien und Irland.
Im Allgemeinen betrugen die durch Bremen ein- gebrachten ausländischen Manufakturartikel nur den acht und achtzigsten Theil der gesammten Einfuhr.
Die Lage Bremens hat manches Nachtheilige für den Handel; die Kaufmannschaft dieser Stadt bedarf daher ganz vorzüglicher Thätigkeit und Sparsamkeit, um bei so manchen Schwierigkeiten dennoch mit
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andern Seeplätzen wetteifern zu Können. Die Re- gierung mufs zu dem Behuf mit grofser Weisheit zu Werlte gehen, dafs ein gutes Verhältnifs mit andern Mächten aufrechterhalten, dafs alles, was dem Handel mittel- oder unmittelbar entgegenwirken kann, ver- mieden und das Gegentheil gefördert, besonders aber, dafs der patriotische Sinn des Bürgers auf alle mögliche W7eise aufrecht erhalten werde, welches nur dann geschieht, wenn er nie zu vergessen braucht , dafs er wirklich der freie Bürger eines wahrhaft freien Staates ist. Wenn er diefs aber ohne Ursache vergifst, so verkennt er offenbar sein Glück, und verdient nicht, an den Vorzügen, die unser kleiner Freistaat seinen Gliedern gewährt, Theil zu haben. Auch darf nie das gehörige Maas im Leben vergessen werden , in dessen Beobachtung die Vorfahren Reichthümer erwarben, welche noch jetzt das Fundament der Wohlhabenheit unserer guten Familien ausmachen. Ein plötzlich entstehender ungewöhnlicher Flor des Handels hat ganz zuverlässig ein eben so ungewöhnliches Stocken desselben zur Folge* Wer sich durch jenen nicht gleich zu gröfserem Aufwände verleiten läfst, wird in diesem nicht genöthigt seyn, sich herabzustimmen, oder zu falliren. WTird diefs Alles beachtet, so werden manche natürliche Hindernisse weniger Scha- den bringen, als man auf den ersten Anblick glauben möchte *).
*) Das Ausführliche über den Handel der Bremer findet man in meiner Schrift: „Ueber das Verhältnifs der freien Hanse- städte zum Handel Deutschlands. Von einem Bremer Bürger. Bremen 1821 , bei loh. Georg He^se."
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Der Welirstand der Bürger, f
Bremens Bürger vertraten schon in den ältesten Zeiten die Waffen ehre der Vaterstadt und behaupteten sie rühmlich in Bedrängenden Belagerungen und of- fenen Feldschlachten. Die spätere Einrichtung von Soldtruppen beschränkte den wehrhaften Bürger auf die persönliche Behandlung seines eigenthümlichen Feuergewehrs und auf den Schutz der innern Buhe bei aufserordentlichen Begebenheiten mittelst beson- derer Aufforderung, wozu die Bürgerschaft in 30 Compagnien nach den Districten der Alt- und Neu- stadt und den Vorstädten eingetheilt war. Das besoldete Stadtmilitär von 500 Mann verrichtete den eigentlichen Garnisonsdienst, in Fällen der Unzulänglichheit von den Bürger- Compagnien unterstützt. Die Bewohner des Gebietes leisteten keinen Waffendienst. Die Ein- verleibung Bremens an Frankreich lösete im Frühjahre 181 i das Stadtmilitär auf, und entwaffnete zwar spater die Bürgerschaft, liefs aber die Formen der bürgerlichen Wehrverfassung unberührt, die sich auch von Zeit zu Zeit, namentlich im Frühlinge und Sommer 1813, mit Gewehren vorsichtig wieder versehen, activ zeigte. In allen Perioden bewährte die nie ganz aufgegebene, wenn auch den Umständen und Ereignissen nach mehr oder minder durch Form oder wirkliche Thätigkeit einschreitende Bürgerbewaffnung die Wohlthätigkeit ihrer Aufrechthaltung.
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Die kriegerischen und politischen Umwälzungen im Herbste IS 13 veränderten mit der ersten Morgen- rölhe unserer wiedererlangten Freiheit nach der Zeit angemessenen Grundsätzen die ganze Gestalt der Be- waffnung, die der unverloren kräftige Geist deutschen und freien Sinnes belebte und leitete. Schon standen, während der Usurpator unsere conscribirten Söhne unter fernen Himmelsstrichen noch in seinen Reihen gefesselt hielt, und der letzten Blüthe unserer Jugend uns durch Errichtung der Ehrengarden beraubte, viele Bremische Männer und Jünglinge unter den Befreiern Deutschlands, und die Stämme eigener Bremischen Banner begannen, sich bereits vom Ende Octobers 1813 an, noch vor dem Abzüge des Feindes aus unsern Gegenden, zu bilden. Ein Bataillon Fufsvolk von 800 Mann, eine Schwadron Uhlanen von 150 Mann, und eine Compagnie Büchsen jäger von 120 Mann (letztere, von einem wachern Bremischen Bürger auf eigene Kosten errichtet, ausgerüstet, besoldet, auch von ihm als Hauptmann commandirt) , standen in wenig Monaten , mit allen Erfordernissen versehen , zum Dienste des wiedergebornen Vaterlandes bereit, und rückten bereits am isten Februar 1814, unter den Oberbefehl des Kronprinzen von Schweden gegeben , ins Feld gen Frankreich. Das hohe Gefühl der Bremer für den ernsten Schritt der Zeit beschränkte sich nicht auf den Muth seiner waffen- fähigen Männer ; gleich laut und rührend verkündete es sich in den Opfern der Liebe und des Patriotismus, womit nach erschöpfenden Bedrückungen und Er-
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pressungen der freie Wille die Gabe des Reichen und Armen, des Vornehmen und Geringen, des Mannes und Weibes, des Greises und Kindes, zur Bestreitung der vielen Kriegsbedürfnisse auf des Vaterlandes Altar legte. Zugleich, schnell, kräftig und mildthätig trat die Wirksamkeit edler Frauen und Jungfrauen aus deren Verein ins Leben. Unvergefslich viel verdanken ihrer Sorgfalt die leidenden und thätigen Krieger aller verbündeten Heere. Aber, dafs die bedeutungsvolle Zeit ganz aufgefafst und gewürdigt war, bewiesen Bremens Obere und Bürger in der zeitgemäfsen völli- gen Umgestaltung der Bürgerbewaffnung, Schon Anfang Januars 18 14 ward diese organisirt, zu dauern- der Erhaltung des aus beabsichtigter Zertrümmerung neu und kräftiger hervorgehenden Volksgeistes, zur Abwehrung innerer und äufserer Gefahren, zur Ge- wöhnung und Ausbildung kriegerischer Erfordernisse. Unter dem Namen Bürgergarde wurden drei Infanterie- Bataillone, welche sämmtliche männliche Bewohner der Stadt und des Landgebietes vom 20sten bis 50sten Jahre umfafsten, errichtet, völlig militärisch bekleidet, bewaffnet, gleichmäfsig, unter den all er notli wendig- sten , kaum merklichen, bürgerlichen Berücksichti- gungen, disciplinirt und in kriegerisch-regelmäfsigen Waffenübungen ausgebildet. Die vier Compagnien jedes Bataillons theilten sich nach ihren Districten ein; jede einzelne von einem Hauptmann, einem Ober- und zwei Unterlieutenants , nebst Feldwebel und übri- gen Unterofficieren, befehligt. Den Stab des Batail- lons bildet der Major nebst Quartiermeister und Ad-
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jutant. Das rein-militärische Ober-Commando säinmt- iielier Bataillons fuhrt als Oberst und Regimentschef ein Bürger. Diesem unmittelbar untergeordnet und in der technischen Leitung des Commando's, der Ver- waltung und Ausbildung im Einzelnen und in Massen, so wie in der Erledigung der Dienstgeschäfte zur Seite stehend, ist ein besoldeter General- Adjutant ange- stellt, der, jenen Erfordernissen zu entsprechen, ein militärisch- gebildeter Officier seyn mufs. Die oberste Leitung und nächste Verfügung über das Ganze ruht in den Händen einer aus Rathund Bürgerschaft nieder- gesetzten Commission, welcher der Oberst unmittelbar verantwortlich ist, und in deren Mitte er Sitz und Stimme führt. Das Regiment hat seinen eigenen Ge- richtsstand in den untern Instanzen. Der Dienst dieser zahlreichen, der Linien- Infanterie ähnlich exercirten Bürgerbewaffnung , begreift, aufser obigen Bestim- mungen, den Wach -und Garnisondienst des regulären Militärs im Fall dessen Ausmarsches oder sonstiger Un- zulänglichkeit.
Nach der Rückkehr dieses letzteren aus dem Felde im Juni 1814 ward die im Friedensstande dem Staate damals nicht benöthigte Reuterei und die Jäger - Com- pagnie des Hauptmanns Böse aufgelöset; das Infanterie- Bataillon bis auf die für den täglichen Wacht- und Polizeidienst erforderliche Mannschaft verringert.
Rechtfertigte weises Streben nach erlaubten Er- sparungen in einem von frühern Erschöpfungen noch leidenden Zeiträume solche Mafsregeln , so ward nicht minder der gleichgebliebene vaterländische Geist ge-
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rechtfertigt, als Deutschland 1815 nach seinen Söhnen rief. Ein vollzähliges Bataillon , eine noch zahlreichere als früher gewesene Jäger- Compagnie , letztere mit bedeutendem eigenen Kostenbeitrage wieder von dem inzwischen zum Obersten der Bürgergarde ernannten Hauptmann derselben (Heinr. Böse) errichtet, stand im möglichst kürzesten Zeiträume schlagfertig und stiefs in Frankreich zur Armee des Herzogs von Wellington, während eine sich selbst völlig ausrüstende Anzahl frei- williger Jäger zu Pferde und zu Fufs im Preufsischen Heere unter dem Fürsten Blücher , und zunächst unter dem Obersten v.Lüzow, ihrem nachherigen Mitbürger, diente. Bremens Söhne kämpften in den Actionen und Schlachten dieses kurzen, entscheidenden und blutigen Feldzuges , und nach errungenem Frieden empfing sie die edelherzig dankbare Vaterstadt mit rührender Auszeichnung wieder in ihrer Mitte.
Die Hand der Meisten , die das Schwert der Be- freiung geführt , widmete sich wieder dem bürgerlich- segnenden Gewerbe. Nur der Stamm eines Infanterie- Bataillons verblieb zur Verrichtung des innern und Garnisons - Dienstes.
Während jenes Feldzuges ward dieser Dienst ausschliesslich von der Bürgergarde geleistet, die sich gerechter Ansprüche auf Achtung ihrer Mitbürger und des zahlreich einquartirten fremden Militärs ver- sicherte. Der Chef des zweiten Bataillons, Major, nachmaliger Oberst, Oelrichs, erwarb sich besondere Verdienste in dem vielfach schwierigen Posten eines Platzcommandanten.
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Im Jahre 1817 ward nach bisher praktisch ge- sammelten Erfahrungen eine Reorganisation der Bür- gergarde, die nun zugleich den Namen Bürgerwehr erhielt, vorgenommen. Die Wehrpllichtsjahre wurden auf das Alter vom vollendeten 20sten bis zum voll- endeten 35sten beschränkt. Die drei bisherigen Ba- taillone bildeten sich aus den zehn letzten Jahrgängen nach der alten Eintheilung der Bataillons- und Com- pagniedistricte. Ganz neu hinzu kam ein viertes leichtes Bataillon, aus den vollendet 20jährigen bis vollendet 25jährigen formirt, dessen hin und wieder von der der drei ersten Bataillons abweichende Verfassung auch durch weit zahlreichere Waffenübungen einer völlig militärischen Einrichtung und Fertigkeit gleicht. Ein beträchtlicher Theil der Officiere und Unterofficiere hat bereits im Felde gedient. Die freiwilligen Krieger der letzten Feldzüge bilden keine abgesonderte Ab- theilungen, weil dieses, den Gemeingeist verdrängend. Sectirungen im gleichen Berufe freier Bürger veran- lassend, gewifs sehr richtig erachtet ward, Dagegen hat des Staates freie Dankbarkeit ihnen Vorzüge bei bürgerlichen Anstellungen und Versorgungen bewilligt. Wie hier sind sie auch im Waffendienste bei gleichen Talenten die nächst Berücksichtigten.
Diesemnach zählt Bremens Gesammtbewaffnung unter seinem Stabe ein Regiment Bürgerwehr von drei Linien-Bataillonen und einem leichten Bataillon, deren Dienst sich im Friedensstande zunächst nach Mafsgabe der Waffengattungen auf kriegerische Uebungen , auf Postenbesetzung bei Brandfällen und in besonderen
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Ereignissen auf Unterstützung oder Vertretung der Militär- Garnison beschränkt, und ferner für diese Garnison ein mafsiges Feldbataillon , aus vier Com- pagnien und einem Scliützenzuge bestehend. Die Kriegspflicht wurde bei Eröffnung des Feldzuges von 1815 durch Rath und Bürger -Beschlufs für die einge- bornen Jünglinge ausgesprochen.
Zur Bedienung der Löschanstalten ist seit meh- reren Jahren ein aus Officieren, Unterofficieren und Brandmännern bestehendes besonderes Corps unter Leitung einer Raths« und Bürger- Commission zwech- mäfsig und neu organisirt. Die Verpflichtung dazu tritt nach vollendetem Wehrpflichtsalter unter früherer Berücksichtigung einiger dazu vorzüglich geeigneter Gewerbe, als Maurer und Zimmerleute , Schornstein- feger u. s. w- ein.
Kirchliche Verfassung, f
Schon seit frühern Zeiten rühmt sich Bremen, eine Herberge der Kirche zu seyn; und wenn sich da des Herrn Kirche findet, wo in seinem Geiste, möglichst frei von menschlichen Bestimmungen, die Wahrheiten des Evangeliums verehrt und zur Be- förderung des religiösen Lebens genutzt werden, mag es sich dessen wohl rühmen. Seit Heinrich v. Zütphen zwei Jahre lang von 1522 bis 1524 in der Ansgarius- Kirche gepredigt, hatte die Reformation unter allen Klassen und Ständen der Bürger zahlreiche Freunde gefunden. Allein bald wurde es diesen schwer, sich
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über die Streitigkeiten der protestantischen Theologen zu vereinigen, von denen ein Theil meinte, nicht bindend genug das Uebersinniiche durch bestimmende Begriffe beschränken zu können. Es schien , als würden die Anstrengungen der Geistlichen, welche für diese Bestimmungen eiferten, den Sieg davon tragen 5 der freiere Geist der Bürger aber behielt die Oberhand. Man gab dem Gelehrtern, Sanftem und Freisinnigem unter den ersten Reformatoren Deutsch- lands den Vorzug, trat förmlich zu dem Frankfurter Recefs vom Jahre 1558, und duldete hochherzig die Drangsale, welche zum Theil Folge dieses Beitritts waren. Von dieser Zeit an bestanden bis zum Jahre 1638 beide Partheien, die strengere und die freiere, neben einander; jene, die kleinere, ohne öffentlich anerkannt zu seyn; diese, die gröfsere, vom Staate emporgehalten und durch Traktate geschützt. In dem genannten Jahre ward die ehemalige Domkirche zu einer Gottesverehrung nach dem Ritual der luthe- rischen Confession , wie sich diese in dem Verlauf eines Jahrhunderts ausgebildet hatte, eröffnet, und den Lutheranern eine freie Religionsübung zugestanden, so weit sie mit den Rechten der bestehenden Confes- sion , die sich während dieses Zeitraumes den Ge- bräuchen und der Lehrform der Reformirten mehr genähert hatte, verträglich war. Eine herrschende Kirche setzt überall der Freiheit der nicht begünstigten lästige Schranken; wie viel mehr in Zeiten , wo man sich, um das Heil der Seelen zu befördern, nur in dem engen Kreise gewisser Lehrsätze und Uebungen
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meinte bewegen zu dürfen. Doch auch diese Be- schränkungen sind durch die Veränderungen, die sich im deutschen Vaterlande ereigneten, durch die sich immer mehr vom Roste der Zeit reinigende Denk- und Sinnesart, und durch die von dem Senate und der Bürgerschaft getroffenen -weisen und angemessenen Veranstaltungen gegenwärtig völlig entfernt. Die lu- therische Petrigemeine geniefst jetzt dieselben Rechte, wie die Pfarrgemeinen der Stadt; in der Constitution gibt es heine Hindernisse, wodurch dem Lutheraner der Zugang zu den Staatsämtern mehr erschwert würde, als dem Reformirten; der Unterschied beider Confessionen besteht unter den gebildeten Bürgern nur in dem Namen , und es läfst sich hoffen , dafs auch dieser noch zuweilen lähmende Unterschied . wenn gleich die Menge sich noch immer an die Namen hängt, bald der äufsern Vereinigung zu Einer Kirche weichen werde.
Da sich das Verhältnifs des Staats zur Kirche in Bremen nach den Grundsätzen bildete, von denen die der Augshurgischen Confession verwandten Reichs- stände ausgingen , so gelangte auch der Senat nach dem Vorgange der übrigen protestantischen Fürsten zur x\usübung der bischöflichen Rechte; dagegen hatte sich das Innere der einzelnen Gemeinen der Stadt schon früh zu einer freiem Verfassung gestaltet. Jede Gemeine hat zwei Weitesten , welche unter dem Namen Bauherren die Angelegenheiten derselben leiten. Einer von ihnen wird aus den Mitgliedern des Senats gewählt, wenn sich deren in dem Kirchspiele linden.
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Mit diesen bilden die Prediger, acht Diakonen und die angesehenem Kirchenglieder einen Ausschufs, der über Gegenstände von geringerer Bedeutung ohne Zuziehung der Gemeine Bestimmungen trifft, die^ jenigen, über welche die ganze Gemeine zu entschei- den hat, vorbereitet, und die Subjecte zur Besetzung erledigter Kirchenämter vorschlägt. Die Gemeine wählt aus den Vorgeschlagenen , und versammelt sich dazu, wie zu Verhandlungen über Gegenstände allge- meiner Berathung, in Conventen, welche von dem dirigirenden Bauherrn präsidirt, und deren wichtigere Beschlüsse von dem Senate bestätigt werden. Diese Einrichtung , deren Vorrechte bis zum Jahre 1814 nur die vier Pfarreien der Altstadt genossen, seit der Zeit aber auch die Petrigemeine und die in der Neustadt mit ihnen theilt, ist im Wesentlichen dieselbe; nur haben einige Kirchspiele sich in den letztverilossenen Jahren der, den Reformirten eigentümlichen, Presbyterial« verfassung mehr zu nähern gesucht. An den Ver- sammlungen der Petrigemeine können wegen ihrer Gröfse , da die Glieder derselben mehr als die Hälfte der Einwohner Bremens ausmachen, nicht alle Ge- nossen derselben Theil nehmen ; ihre Kirchenconvente werden daher nur durch einen Ausschufs , der aus den vier Bauherren, vier Predigern, vier und zwanzig Diakonen, weiche früher dies Amt verwaltet haben, den Gelehrten und anderen in öffentlichen Aemtern stehenden Mitgliedern der Gemeine besorgt. Die beiden Gemeinen der Vorstadt haben nur das Recht, ihre Prediger zu wählen, stehen aber in allen übrigen
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Kirchen- und Schulsachen unmittelbar unter einer besondern Inspection aus dem Senate. Ebenfalls hängt das gesammte Kirchen - und Schulwesen in dem Gebiete unter Oberaufsicht des Senats von zwei Mitgliedern desselben ab, welche den Namen der Inspectoren oder Visitatoren der Kirchen und Schulen auf dem Lande führen. Doch ist die Gemeine im Flechen Vegesack, gleich den vorstädtischen Gemeinen , zur Wahl ihres Predigers aus einem von der Inspection formirten Wahlaufsatze berechtigt. Die Angelegenheiten ihrer Hauptschule besorgt jede Stadtgemeine durch ihre Bauherren und einen denselben zugeordneten Aus- schufs. Das allgemeine Armenwesen wird unter einer Direction aus dem Senate von Bürgern administrirt, und die Verwendung der Hülfsleistungen von den Dia- honen der Stadt- und Vorstadtgenieinen besorgt. Aehnliches findet auch bei den frommen Stiftungen Statt. Das Verhältnifs der römisch -katholischen Ge- meine wird definitiv bestimmt werden , sobald es nach den Verhandlungen verschiedener deutschen Fürsten und der freien Städte mit dem römischen Stuhl und der dadurch herbeigeführten päpstlichen Bulle vom 20sten August 1821 wird regulirt werden können. Ge- genwärtig führt eine obrigkeitliche Inspection, welche aus einigen Mitgliedern des Senats besteht, über diese Gottesverehrung, bei welcher zwei Prediger und zur Verwaltung des Kirchengutes mehrere Vorsteher an- gestellt sind, die Aufsicht. Den Katholiken, welche ungefähr 1500 Seelen zählen, ward vor einigen Jahren vom Senate eine schöne Kirche angewiesen, zu deren
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Benutzung jetzt Anstalt gemacht wird. In dieser ver- schiedenen Beziehung zum Staate bestehen gegenwärtig neben der lutherischen Petrigemeine sieben reformirte Pfarrgemeinen in der Stadt und den Vorstädten, — von denen die zum H. Ansgarius durch die Wahl eines lu- therischen Predigers mehrere Familien dieser Confes- sion mit sich vereinigt hat, — dreizehn in dem Gebiete. Von letzteren sind eilf reformirt, eine lutherisch : die Einwohner des Flechens Vegesack haben sich zu einer evangelischen Gemeine vereinigt. Das Ministerium, zu welchem die zwölf Prediger der sieben Pfarrkirchen in der Stadt und den Vorstädten gehören, hat nur eine beirathende Mitaufsicht in Kirchensachen, und über- gibt seine Vorstellungen an den Senat dem Präsidenten desselben. Es hat die Besorgung der einzuführenden Liturgie und des Gesangbuches, prüft die berufenen Prediger, Candidaten und Schullehrer, verpflichtet und ordinirt die ersten , und veranstaltet mit den Pre- digern im Gebiete und dem Prediger des Armenhauses zur Erhaltung des kirchlichen Lebens auf eine davon den Kirchenvisitatoren gemachte Anzeige, beliebige Zusammenkünfte. Den Vorsitz bei seinen Versamm- lungen führt abwechselnd einer der vier Hauptprediger an den Kirchen der Altstadt unter dem Namen eines Direktors, durch den alle die Kirche betreffenden Vorstellungen an den Senat gelangen , so wie dessen Anzeigen und Beschlüsse durch ihn an das Ministerium kommen.
Schul-
und Gelehrt en gesch i cht e Bremens, f
Die Geschichte des wissenschaftlichen Lebens geht in Bremen j wie in ähnlichen deutschen Städten, von den dafür errichteten Stiftungen, von den Schulen, aus. Diese waren sofort da unentbehrlich , wo zur Gründung, Befestigung und weitern Verbreitung des Christenthums neue Bisthümer gegründet wurden; daher fällt der Anfang literarischer Regsamheit un- streitig mit der Stiftung des Bisthums zusammen , d. h„ in das letzte Viertel des achten Jahrhunderts. Zwar gibt es keine bestimmte Angabe von der Errichtung einer Schule unter dem ersten Bremischen Bischof Wülehadus; allein erwägt man, dafs dies Bisthum auf der Gränze nicht nur der Karolingischen Monarchie, sondern auch der damaligen christlichen Welt, und mit dem Ausblich auf Erweiterung derselben nach Norden und Osten hin errichtet wurde: so mufste wohl sofort an eine Anstalt zur Bildung junger Geist- lichen , insbesondere künftiger Missionare , gedacht werden. Denkt man sich weiter hinzu, was theiis von Karl dem Grofsen selbst, theiis auf Synoden im Allgemeinen zur Verbreitung des Christenthums und des damit verknüpften Beginnens wissenschaftlichen Lebens verordnet wurde; und darf man aus dem Um- stände , dafs in einem von Karin der Stadt Osnabrück gegebenen Privilegium schon ausdrücklich Graecae et Latinae Scholae als daselbst bestehend er-
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wähnt werden, analogisch auch auf andere Sächsische Cathedralen schliefsen : so erhält die Vermuthung , dafs in Bremen mit demBisthume zugleich auch eine Schule gegründet sey , fast Gewifsheit.
Auch das erste historische Datum vom Bremischen Schulwesen bestätigt diese Vermuthung. Im zehnten Jahrhundert wird schon ein Rector der Bremischen Schule Namens Triadhelmus erwähnt, der im Kloster Corvey von Octricus nachherigem Erzbischof von Magdeburg, dem gelehrtesten Manne seiner Zeit, ge- bildet, der hiesigen Schule Ruf mufs erworben haben ; denn unter den Schülern dieses Triadhelmus wird ein dänischer Prinz Odincar genannt; ferner die beiden Bischöfe Osmund und Vicelin, von welchen der letztere sich den rühmlichen Beinamen eines Apostels der Slaven erwarb, werden als Zöglinge dieser Schule erwähnt.
Freilich mögen diese ersten Blüthen wissen- schaftlichen Lebens im Sachsenlande sehr gelitten haben in der bald eingetretenen rauhern Zeit. Das gemeinsame Leben der Geistlichen an den Bischofs- sitzen, diefs wohlthätige Institut Chrodegangs von Metz, das sich so segenreich verbreitet hatte, zerfiel, hier in Bremen namentlich , unter den Erzbischöfen, Unwan und Bezelin. Normannen und Magyaren ver- störten wechselseitig das haum begonnene stillere Leben überhaupt und die Ruhe der Bischofssitze und Klöster insbesondere. Doch fällt noch in den Anfang dieser stürmischen Zeit die rastlose geistige und geistliche Thätigheit des frommen nordischen Apostels Ansgarius,
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der sich um Bremen in so mancher Rücksicht verdient gemacht hat* Im folgenden Jahrhundert bringt das Zeitalter der Ottone Italien mit Deutschland abermals in Verbindung; unter Otto dem Zweiten kommt der Sächsische Kaiserhof sogar mit Griechischer Kultur in Berührung. Der zarte Spröfsling des Römisch-Deut- schen und Griechischen Kaiserhauses , Otto der Dritte, pflegte mit jugendlicher Wärme was ihm aus dem Heimathlande der frühern Humanität sich anbot , und sammelte um sich und unterstützte und beförderte zu den bedeutendsten Wirkungskreisen die gelehrtesten und gebildetsten Männer seiner Nation und seines Stammes. — Alles diefs mufs vortheilhaft auf das nörd- liche Deutschland und auch hier zur Belebung des wissenschaftlichen Strebens und der Institute für dasselbe gewirkt haben.
Auch ist hierbei nicht zu übersehen, dafs zu gleicher Zeit das Leben der Laien an einem Orte wie Bremen, wo Flufs- und SeeschiftTahrt sich begegnen, bald regsamer werden mufste , als an Orten von nicht so begünstigter geographischer Lage. Die Befreiung von der Macht der Potestaten , welche Otto der Grofse der Stadt gewährte, setzt voraus, dafs freieres und durch eigene Anordnung in Schranken gehaltenes Le- ben unter den Einwohnern schon entstanden war. Auch diefs mufste bei der Wechselwirkung, worin im Mittelalter Laien- und Kirchliche Welt zu einander stehen, auf die letztere anregend, belebend und er- frischend einwirken, zumal, da beider Stände Strebe- ziel, bei den Laien Erweiterung der Handelskreise,
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beim Clerus der bischöflichen Sprengel, sie auf den nämlichen Bahnen noch eine geraume Zeit zu trauten Gefährten verbinden konnte.
Die Bettelorden mögen bei ihrer ersten Ansied- lung in den Städten einigen Ersatz für das verfallene gemeinsame Leben der regulären Chorherren und das damit verfallene Schulwesen gewährt haben \ aber hoch läfst sich diefs nicht anschlagen, bei dem einseitigen, das Interesse des Ordens rastlos verfolgenden Geiste dieser Institute und der steigenden Dürre des Schola- sticismus. Die Dominicaner bereiteten wenigstens durch die Aufführung des Catharinenhlosters und sei- ner Nebengebäude den spater so erfreulich daselbst aufblühenden Lehranstalten ein geräumiges Local; was sie selbst und die Franziscaner in den von ihnen er- öffneten Schulen der Jugend boten, hat sich schwer- lich über das gewöhnliche geistlose Treiben in sol- chen mönchischen Instituten erhoben ; wenn es auch von den Schulen dieser Orden heifst, dafs sie dieselben nach dem Muster der Oxfordischen , Parisischen und anderer Schulen und Academien eingerichtet. Weder hohe noch niedere Lehranstalten waren in dem stechen- den Zeitalter, das vor der Reformation hergeht, geist- anregend. Selbst auf der höchsten Lehranstalt in Deutschland, zu Prag, sieht es nach dem Studienplan Kaiser Karls IV. höchst dürftig aus; selbst da spielt das Doctrinale, eine in Leoninischen Versen abge- fafste schlechte lateinische Grammatik, noch eine grofse Rolle , und in den niedern Schulen herrschen neben diesem Doctrinale noch barbarischere Bücher,
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z. B. der Cisio-Janus *), Mammaetractus , Geraraa gemmarum u. s, w. — Alles wurde aaswendig gelernt und nur als Gedäehtnifssache behandelt.
An die Muttersprache wurde in diesen Schulen gewifs nicht weiter gedacht, als dafs man darin etwa auch lesen lernte: aber auch zu dem, was jetzt schon in Italien und bald weiter die Quelle alles freiem gei- stigen Lebens wurde, zu dem classischen Alterthume führte das Auswendiglernen jener lateinischen Schul- bücher nicht. Das einzige Gcmüthanregende mag das gewesen sevn , dafs die lateinischen Kirchenge- sänge doch auch gesungen wurden, und Beschäf- tigung mit der Musik und Singübungen, der Kirche wegen, in den Schulen fleiJ'sig getrieben werden raufst en.
In diesen dürresten Zeiten des Scholasticismus zeigen sich desto erfreulicher im nordwestlichen Deutschland, die Niederlande noch mit eingerechnet, wie von unsichtbarer Hand angepflanzt und gepflegt. Oasengleiche Stellen, wo das innigste geistige Leben sich mit unermüdlichem Fleifse zur Hervorrufung einer lichtem Zeit im Stillen vereinigt und geräuschlos schafft.
Es ist nicht überflüssig, dieses erfreuliche Phä- nomen in der allgemeinen Literar - Geschichte hier mit
*) Cisio-Janus ist ein aus 24 lateinischen Versen bestehender Calender . dessen unverständliche Worte, nach ihren einzelnen Buchstaben enträthselt . zur Bestimmung der Kirchenfesle im Jahre Anleitung geben.
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ein Paar Worten zu erwähnen, da sich das Besondere aus dem xUlgemeinen da nur erklären läfst, wo der speciellern historischen Angaben über jenes zu we- nige sind.
Gerhard Groot, ein Geistlicher, stiftete in der letzten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts zu Deven- ter, seiner Vaterstadt, eine Bildungsanstalt für die Jugend, die man als den ersten Lichtpunct ansehen kann, von wo aus für das ganze nordwestliche Deutsch- land noch vor der Reformation ein neuer Tag anbrach Die Brüder und Schwestern seiner Congregation soll- ten sich nicht blofs mit dem Unterricht , sondern recht eigentlich mit der Erziehung beschäftigen; dabei sollten sie durch ihrer Hände Arbeit selbst sich das Nothdürftige erwerben; in beiderlei Rücksicht bil- den sie also einen völligen Contrast mit den Bettel- orden. Die Arbeit der Brüder dieser Congregation bestand vornämlich im Abschreiben bildender Schrif- ten , wohin Groot auch die der heidnischen Sitten- lehrer rechnete. Schnell verbreitete sich dies un- scheinbare Institut durch die Niederlande, Westphalen und Niedersachsen. Eben seine Unscheinbarkeit mochte es im ersten Beginnen der xAufmerksamkeit der Orden entziehen; die nicht gehemmte Verbreitung aber dann um so rascher von Statten gehen, als im deutschen Volke der Durst nach geisterhebender Be- lehrung gerade in dieser Zeit, wo die in unverständ- liche Spitzfindigkeiten ausgeartete scholastische Theo- logie ihm nichts Ansprechendes mehr bot, immer heftiger wurde. Genug, es blühen Lehranstalten,
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wahre Bildungsanstalten , in fröhlichem Wetteifer auf. Der Nachfolger Groots, Fulgentius, erzog unter andern trefflichen Schülern den so berühmt gewordenen Tho- mas a Kempis, yon dessen Schülern eine ganze Schaar junger kräftiger Männer sich über Deutschland ver- breitet. Unter diesen ragen am meisten hervor : Ru- dolf von Lange , Moritz von Spiegelberg , Anton Liber, Ludwig Dringenberg, Alexander Hegius und endlich Rudolf Agricola. Die Vermögendem der Genannten zogen auf des alten geliebten Lehrers Ermunterung nach Italien, dort die aus Griechenland angelangten Männer zu hören und fleiisig in den Werken des Griechischen und Römischen Alterthums zu studieren; die Unbemittelten blieben zwar zurück, aber schafften sich bald in der H-eimath als Vorsteher von Schulen einen bedeutenden Wirkungskreis. Hegius, um 1480 Rector der Schule zu Deventer, erzog dort den Her- mann von dem Busch, den ersten Adelichen in Deutschland, der nach dem Muster Italienischer Edel- leute auf hohen und mittlem Schulen als Lehrer auf- trat, und den noch weit berühmtem Erasmus von Rot- terdam. Rudolf von Lange hob zu Münster die Schule so, dafs er aus derselben die trefflichsten Lehrer nach allen Gegenden Deutschlands entsenden konnte; wahrscheinlich ist auch der erste Rector der Bremischen Schule, Johann Oldenburg, aus ihr her- vorgegangen.
Aus diesen wenigen Anführungen erhellt hinläng- lich, dafs schon vor der Reformation und ehe noch die lateinische Schule hier errichtet wurde , ganz un-
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abhängig von dem , was die Lehranstalten der Mönche boten , so sehr gebildete Männer sich hier und in der Umgegend finden konnten, als z. B. von der Wyk und Gröning gewesen seyn müssen, die zu Rom in Reuch- lins Procefs so tliätig mit auftreten. — Als dieser be- rühmte Procefs Reuchlins gegen den Dominicaner und Inquisitor Hochstraten , nachdem ihn Reuchlin in Deutschland schon gewonnen, von den Ketzerjägern von neuem zu Rom war anhängig gemacht, und der bedrängte Reuchlin nun dort keinen Procurator finden konnte, weil jeder die Macht und Rache Hochstratens und seines Ordens scheute, so erbot sich ihm zum Vertheidiger der nachherige Bremische Syndicus Joh. von der Wyk, der eben damals in Rom sich aufhielt. Und als nun Hochstraten durch Uebergebung einer höchst ungetreuen Uebersetzung des Reuchlinischen Augenspiegels noch zu siegen hoffte, wies Dr. Martin Gröning aus Bremen, der gerade auch zu Rom sich befand, in der übergebenen Uebersetzung dreihundert Verfälschungen nach und lieferte eine getreue, deren Richtigkeit er gegen jede Anfechtung der Gegen- partei männlich darthat.
Auch kann es nach diesen Andeutungen nicht be- fremden , dafs die Reformation sogleich im nordwest- lichen Deutschland und namentlich in den grÖfsern Städten einen so vorbereiteten Boden fand; aber auch das kann nicht anders als erwartet werden, dafs man hier die ganze wissenschaftliche Kultur, aus welcher sie hervorgegangen war, und an der sie den kräftig- sten Beistand sofort gefunden, ins Auge fafste, und
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nicht blofs die Kirche, sondern auch die Schule, d. h. die wissenschaftliche Bildung, meinte.
In Bremen fällt die Stiftung der neuen Lehranstalt auch fast zusammen mit der Einführung der Reforma- tion selbst. 1522 predigte Heinrich von Zütphen hier zuerst die evangelische Lehre, 1525 brachten es die beiden durch Heinrich von Zütphen empfohlenen und hierher berufenen Prediger Probst und Tiemann da- hin, dafs der evangelische Gottesdienst i& allen Kirchen der Stadt eingeführt wurde, und schon 1528 wurde das Catharinen -Kloster zu einer lateinischen Schule gemacht.
Von diesem Jahr 1528 an läfst sich ein reges Stre- ben für wissenschaftliche Kultur in Bremen nachwei- sen. Es war wohl mühsam , erstlich nur die Mittel zu einer Schule aufzubringen. Zu Maasregeln, wie sie im Hessischen, Chursächsischen und Würtembergi- schen im Grofsen zur Ausstattung und festern Begrün- dung des Schulwesens konnten genommen werden, fehlten so reiche geistliche Güter, als dort sich fan- den; denn Bürgerschaften, die ihr Gemeinwesen nach eigener Anordnung freier gestalten tonnten, hatten frühe gesorgt, nicht zu viel Gut an die geistliche Hand kommen zu lassen, wovon die nachtheiligen Folgen ihnen bei kleinem Staatshaushalte sehr bald in die Augen fallen mufsten. Die dem Rath übergeben en Klostergüter reichten so wenig aus , dafs noch im Stiftungs jähre der Schule Einkünfte des Gertruder Hospitals zu Hülfe genommen werden mufsten; was noch fehlte, schaffte die Mildthätigkeit patriotischer
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Bürger herbei. — Weiter zeigt sich in der Wahl der Männer, die bei der neuen Schule angestellt wurden, eine kluge Sorgfalt. Der erste Rector, Johann Olden- burg, ist wahrscheinlich, wie schon erwähnt wor- den, ein Zögling der Münsterschen Schule. Er stand von 1528 an sechszehn Jahre der Schule vor. Bald darauf wurde ein hochberühmter Mann bewogen, nach Bremen zu ziehen und der Schule sich wenig- stens zum Theil zu widmen. Euricius Cordus, als lateinischer Dichter, wie sein vertrautester Freund Eobanus Hessus, längst durch ganz Deutschland be- rühmt , durch Reisen in Deutschland ( worunter auch die nach Worms in Luthers Gesellschaft 1521 ist) und Italien, wo er zu Ferrara Doctor der Medicin wurde , weiter gebildet , befand sich in Marburg, wohin er als Professor der Medicin 1527 berufen war, in einer ihm nicht zusagenden Lage. Dies bewog den Senat, dem berühmten Mann eine Professur in Bremen anzutra- gen. Er kam zur Freude der ganzen Stadt. Seine Ge- dichte bezeugen noch, dafs er sich hier glücklich fühlte, und zugleich, mit welcher innigen Achtung er hier aufgenommen wurde , die der Trauer über seinen frühen Verlust (er starb schon am Ende des Jahrs 1535) gleich kam. Doch es gab gegen die Mitte des sechs- zehnten Jahrhunderts der Männer viele , die sich den Geist im klassischen Alterthum geklärt hatten, und gerade der Umstand, dafs sie so häufig, da sie fast alle Freunde Mclanchthons waren, von den dogmati^ sehen Ultras gedrängt wurden , erleichterte es , Treff- liche unter ihnen der Schule zu gewinnen.
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Um die Zeit, als die Ubiquitätsstreitigheiten an- fingen das protestantische Deutschland in so grofse Unruhe zu setzen, um 1553, befand sich die Schule in einem blühenden Zustande. Das Scholarchat, nach dem Tode des ersten thätigen Scholarchen Lüder Hals , dem damals auch im Auslande schon geachteten Bürgermeister Daniel von Büren und einem Senator auf zwei Jahre anvertraut, sorgte, so wie die Nach- folger jener beiden Männer, angelegentlich auch für die Temporalien der Lehranstalt. So wurde z. B. 1545 mit den Canonicis zu St. Stephan eine Uebereinhunft getroffen, dafs die Präbenden nur an Männer, die den Wissenschaften oblägen, gegeben werden, und diese Vergebung in den sogenannten mensibus papalibus dem Senat zustehen sollte, der darauf das erste er- ledigte Canonicat, dessen Besetzung ihm anheim fiel, dem damaligen Bector Christian Stella verlieh ; so wurden einige Einkünfte des Gasthauses der Schule abgetreten und wüstliegendes Land vor dem Oster- thore um 1552 mit Meiern besetzt, deren jährlicher Meierzins ebenfalls dem Schul -Aerare zugewandt wurde.
Erfreulicher noch blühete unterdessen die Lehr- anstalt selbst unter trefflichen Lehrern auf. Dahin * müssen gewifs gerechnet werden die beiden Bremer, Anton Grevenstein, Lehrer von 1533 bis 1544, und dann noch bis 1571 zugleich Lehrer an der Schule und Prediger zu U. L, F. und Hermann Winkel , der 43 Jahre lang geachtet und geliebt ein Lehramt an der Schule bekleidete. Zu diesen gesellte sich, aber
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freilich jetzt noch als Gast in Bremen, Johann Molanus (vir scholar um bono natus), der 1553 als Flüchtling aus seinem katholischen Vaterlande Flan- dern zu Bremen ankam , gerade als der Bürgermeister Detmar Kenkel , einer der eifrigsten Gegner Harden- bergs, Scholaren wai\ Molanus war ein erWärter Freund Hardenbergs; dennoch verschaffte ihm der Rufseiner Gelehrsamkeit und Verdienste nicht nur die Achtung Aller, sondern auch Beweise der Werthschätzung selbst von diesem Gegner seiner theologischen An- sichten* Als Molan, begleitet von mehreren jungen Flandrischen Edelleuten, die ihren Lehrer in der Verbannung unterstützten, und nicht verlassen woll- ten, in Bremen eingezogen war, ehrte ihn der Senat durch Befreiung von allen Abgaben, durch Einräu- mung einer Wohnung und ein jährliches Geschenk, wogegen Molan eine griechische Lection in der Schule übernahm. So lebte er damals hier sechs Jahre, und Kenkel entliefs ihn, als er 1559 nach Duisburg be- rufenwurde, nicht ohne ein», ehrendes Reisegeschenk von Seiten des Scholarchats-
Auch wo sonst unter den Gelehrten der Stadt sich ausgezeichnetes Talent zeigte, da suchte man es der Schule mehr oder weniger zuzuwenden. So über- nahmen bald nach Molans Abreise, wo eine Lücke fühlbar seyn mochte, der Canonicus zu St. Stephan, Johann Sloengraben , und der Arzt und Stadt -Phj- sicus, Johann von Ewich, aus eigenem Antriebe Lehrstunden in der ersten Klasse.
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Unterdessen hatte der heftige dogmatische Krieg über die Ubiquitat recht seinen Heerd zu Bremen ge- funden, und von da aus ganz Niedersachsen, nament- lich die grofsern Städte, Brau» schweig, Magdeburg, Lübeck, Hamburg, gegen ihre Schwesterstadt, wo Büren seinen Freund Hardenberg männlich schirmte, entflammt. Auch die Schule überstand diesen Sturm nicht ohne Einbufse. Schon der Abzug des gelehrten Fremdlings war Verlust; Winkel wurde als Freund Hardenbergs abgesetzt, auch Grevenstein; andere Lehrer, der Gegenparthei geneigt, entwichen nach Bürens Siege 1562 mit den austretenden Mitgliedern des Raths. — Dafs der Schaden sich bald wieder er- setzte, verdankt die Stadt, scheint es, vorzüglich der Mitwirkung des in diesem Kampfe so unerschütterlich feststehenden Bürgel meisteis von Büren, obgleich er damals das Scholarchat noch nicht von neuem über- nommen hatte.
Die damaligen Scholarchen Vasmar und Steding riefen die verdrängten Lehrer zurück und gaben dem nach Marburg gerade reisenden Canonicus Sloengraben den Auftrag, sich auf seiner Reise noch nach andern tüchtigen Lehrern umzusehen. Es gelang ihm, drei zu finden, die sofort angestellt wurden. Aufserdem arbeiteten Sloengraben selbst und Ewich , wie schon erwähnt, mit an der Schule* Es fehlte nur noch ein Haupt; denn auch der Rector Ziegenhagen war mit den Anti-Hardenbergianern fortgezogen. Da sehnte man sich wieder nach Molan. Auf wiederholte Ein- ladungsschreiben alter Freunde, besonders des Bürger-
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meisters von Büren , kehrte er von Duisburg zurück und trat J 563 das Rectorat der Schule an . der er bis zu seinem Tode 1583 vorstand. Er lebte ihr mit gan- zer Seele, und war, ob er sich gleich in seinen Briefen gewöhnlich nur Custos puerorum, seltener Rector scholae unterschreibt, beides ganz. Die Zeit, weiche ihm etwa noch sein Amt übrig liefs, w idmete er seinen in der Spanisch - Katholischen Heimath geängsteten Freunden, deren er viele zu sich einlud, in Bremen mit ihm in ungestörter Gewissensfreiheit zu leben.
Aus der Aufnahme , die Molan als Fremdling und Vertriebner hier fand , ergibt sich eine hohe Achtung für ausgezeichnete Talente und Gelehrsamkeit bei dem wissenschaftlich - gebildeten Theil der Bürger. Allein es ergibt sich weiter noch aus der Geschichte des Sturmes, zu welchem Hardenberg unschuldig Veran- lassung gab . auch eine besonnene Unbefangenheit der gesammten Bürgerschaft, die in einer sonst wieder so befangenen Zeit fast befremden mufs. Dafs jene Un- befangenheit vorhanden gewesen ist. zeigt der Aus- gang des Kampfes. Schwerlich hätte von Büren bei aller seiner Ruhe und Festigkeit aus diesem lieblosen Gezanke über die orthodoxeste Ansicht vom Mahle der Liebe und dem noch lieblosem Getreibe fast aller lauten Wortführer gegen die beiden Freunde , gegen ihn und Hardenberg, so unversehrt hervortreten können, wenn nicht der Kern der Bürgerschaft, unter dem verwirrenden Geschrei tobender Eiferer doch gesunden Blickes und Herzens bleibend, ihrem biedern und kräftigen Bürgermeister in der heifsesten Stunde
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des Kampfes ruhig-fest gewärtig gewesen wäre. Hatte vielleicht der Anblich verdrängter Brabanter, Flande- rer und Hugenotten Milde und Besonnenheit und Wi- derwillen gegen verfolgende Eiferer erzeugt? Auf allen Fall hat dies Benehmen in dem Hardenbergischen Streite auch durch die nicht beabsichtigten und ent- ferntem Folgen desselben auf geistige Bildung vor- teilhaft eingewirkt, wie sich aus der weitern histo- rischen Darstellung ergeben wird.
Unter diese nicht beabsichtigten Folgen gehörte vornemlich, dafs die Stadt achtzehn Jahre später, als der Sacramentsstreit bis zur Concordienformel gedie- hen war, bei überwiegendem Melanchthonianismus sich lieber den Reformirten , als der zwietrachtsvollen Eintrachtsformel anschliefsen wollte. fS. Gerdesii scrinium antiquarium. Tom V. pars j. pag. 89 et {IQ.)
Bald nachdem dieser Schritt geschehen war, starb Molan. Sein Verlust wurde tief gefühlt. Die Scho- larchen von Büren und Steding, beide Bürgermeister, traten mit dem Superintendenten Pezelius und dem Arzt Ewich in Berathung über die Besetzung der er- ledigten Stelle. Man sondirte Cruciger in Wittenberg und Gocclenius in Marburg. Die ablehnende Antwort beider mochte mitwirken zu dem Entschlüsse, ein Gym- nasium illustre zu errichten; doch scheint es mir, dafs die triftigsten Beweggründe für das Scholarchat zu- nächst in der gegenwärtigen Lage des Kirchenwesens möchten zu finden seyn , das in der Stadt nun anders geworden war, als in der übrigen protestantischen Umgebung derselben. Die Melanchthonisch- gesinnte
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Stadt hatte einerseits , eben weil sie als solche in der ganzen deutschen Umgebung nun schon für völlig calvinistisch galt , eine eigene höhere Lehranstalt für ihren theologischen und kirchlichen Bedarf nöthig; anderseits konnte sie, sobald diese in einiger Voll- ständigkeit vorhanden war, Flüchtlingen aus den Niederlanden , vom Rhein und von Frankreich her, desto mehr entgegen sehen und durch deren Zu- strömen selbst beträchtlich gewinnen. Denn diese von verfolgender Unduldsamheit aus der Heimath gestofse- nen Flüchtlinge brachten geistige und leibliche Seg- nungen der sie aufnehmenden und schützenden Stadt. Es waren zum Theil edle und bemittelte Familien, oder doch erwerbsame und in manchem Zweige der Industrie kenntnifsreichere und erfahrnere Leute. Die gewaltsam fortgedrängten Mitglieder einer Ecclesia pressa sind ja in der Regel die geistig -freiem und sittlich - bessern ihrer Nation. Auf jeden Fall mufste nun theils die Confessions -Verwandtschaft an sich schon, theils der Zuzug verfolgter Confessions -Ver- wandten, nähere Verbindung mit dem reformirten Aus- lande, den Niederlanden, dem Rhein, der Schweiz und selbst mit Frankreich einleiten. Besonders wohl- thätig konnte innigere Bekanntschaft mit den refor- mirten Theologen Frankreichs werden, unter denen früh ächte Gelehrsamkeit blühete und Männer von freisinnigem Geiste und klassischer Geschmacksbildung schon jetzt sich fanden, und wo in der Folge noch allgemeiner auch unter den Nicht- Gelehrten gesellige Kultur und eine gewisse Feinsinnigkeit im häuslichen
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wie im bürgerlichen Leben sich entwickelte. In der Cultur - und Gelehrten - Geschichte der Mark Branden- burg fällt dies mehr im Grofsen in die Augen ; allein man kann von dem, was dort offenbarer sich als Ein- flufs der reformirten Flüchtlinge zeigt, analogisch auch auf eine einzelne Stadt Zurücks chl iefsen , wo noch früher solcher Zuzug Statt hatte. Und so mögen überhaupt die reformirten Puncte im nördlichen Deutschland für das Ganze einen nicht unbeträcht- lichen Nutzen gehabt haben. Seit der Aufhebung des Edicts von Nantes ergossen sich diese Segnungen be- nachbarter Intoleranz noch über mehrere deutsche, auch nicht-reformirte Länder und lassen sich da über- all gewahr werden.
Am l4ten October 1584 wurde auf dem abge- räumten Bibliothekssaale des ehemaligen Klosters die Stiftung des Gymnasiums mit einer Einweihungsrede von Ewich gefeiert. Ein berühmter und durch ganz Deutschland schon bekannter trefflicher Schulmann wurde an die Spitze der neuen Anstalt berufen, Joa- chim Meister aus Görlitz, wo er damals schon fünfzehn Jahre dem dortigen Gymnasium vorgestanden. Ein inniger Verehrer Melanchthons hatte er sich dort be- wogen gefunden , zu resigniren , und wandte sich nun nach Bremen. Er zog , umgeben von jungen Preufsen, Polen, Böhmen und Deutschen, die von dem ver- ehrten Lehrer sich nicht hatten trennen wollen, in Bremen ein. Leider entrifs ihn eine Krankheit schon am lOten Febr. 1587 der neuen Lehranstalt. — Sein Tod wurde auch zu Görlitz unter Läuten aller Glocken
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bekannt gemacht, in der Kirche sein Lebenslauf ab- gelesen und das Ecce rruomodo moritur justus feierlich abgesungen ; in der Hauptkirche daselbst wurde von dankbaren Schülern sein Bildnifs mit einer ehrenden Inschrift aufgerichtet; eine Feier, die nicht blos den Werth des Mannes bezeugt, sondern auch ein erfreulicher Zug in dem Charakter dieser Zeit um so mehr ist , als diesen übrigens Hafs und Verfolgungs- sucht so oft entstellt. — In Bremen und an der kaum aufblühenden Anstalt wurde Meisters Verlust nicht weniger gefühlt. Glücklicherweise hatte das Gym- nasium damals schon mehrere treuliche Männer, die, bis sich ein würdiger Nachfolger gefunden, die Lücken auszufüllen strebten. Professor der Theo- logie war Meisters vertrauter Freund Christoph Pe- zelius , den als Melanchthonianer die Torgauer Artikel von Wittenberg und seiner theologischen Professur daselbst vertrieben hatten. Pezelius las über Exegese, Moral und Geschichte, in allen diesen Fächern zu- gleich Schriftsteller. Einen trefflichen Juristen hatte der Verfolgungsgeist jener Zeit aus Köln hergeführt, Caspar Alteneich. Obgleich schon bejahrt, über- nahm er doch die Professur der Rechte und war auch aufserdem als Staatsbürger und Rechtsgelehrter der Stadt in ihren Angelegenheiten zur Hand. Er starb, ein neunzigjähriger Greis, 1605, nachdem er 21 Jahre noch hier mit Beifall gelehrt hatte.
Die Professur der Medicin bekleidete der schon oft genannte Arzt und Physicus der Stadt, Johann von Ewich. Er war aus seiner Vaterstadt Kleve als Pro-
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testant früh vertrieben, dann erst nach Oberdeutschland und darauf nach Italien gegangen, seine Kenntnisse überhaupt, und in der Arzneiwissenschaft besonders, zu erweitern. Mit der Doctorwürde in der letztern kehrte er aus Italien zurück und wandte sich dann, da ihm die Heimath noch keine Sicherheit gewährte, nach Bremen. Er mufs als Arzt, Lehrer und rathender Freund viel gegolten haben und sehr thätig gewesen seyn, was theils schon aus dem von ihm Angeführten erhellt, theils durch die Titel seiner wenigen Schriften einigermafsen angedeutet wird. Eine seiner kleinen Schriften handelt von der Pflicht der Obrigkeit, den Staat zur Zeit der Pest vor Ansteckung zu bewahren; eine andere von den Hexen und Giftmischern, bei Gelegenheit einer Hexenverbrennung in der benach- barten Herrschaft Kniphausen, zog ihm einen Gegner an Scribonius in Marburg zu, der die Wasserprobe wenigstens gegen Ewich retten wTollte. Ewichs Epi- taphium in der Ansgarikirche bezeugt auch noch, dafs er ein sorgfältiger Bibelforscher, Baccalaureus der Rechte und sehr erfahrner Kenner nicht blofs der alten, sondern auch vieler neuern Sprachen gewesen sey.
Das Rectorat des Gymnasiums übernahm jetzt, aber nur auf einige Zeit, Johann Esych, entsprossen aus einer Bremischen Familie, die in zwei Jahrhun- derten der Stadt eilf Mitglieder des Senates und darunter mehrere Bürgermeister gegeben hatte, ein Schüler Molans, der Freund des gelehrten Lipsius, und eine Zeitlang Erzieher und Lehrer des Belgischen
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Achills, Moritz von Oranien. Die Leitung des Päda- gogiums wurde zu gleicher Zeit dem H. Oldenburg übertragen. Beide Männer lehnten das ganze Rectorat ab und verpflichteten sich auch nur so lange für die Leitung des übernommenen Theils, bis ein würdiger Nachfolger Meisters gefunden sey.
Diesen fanden endlich die Scholarchen von Büren und Steding an Nathan Chytraeus, Professor der Dichtkunst und Pädagogiarch zu Rostock. Auch die- sem friedliebenden Dichter wurde zu Rostock von zwei Theologen das Leben sauer gemacht ; denn er gerieth in den Verdacht des Crypto - Calvinismus. Von Büren und Steding , denen seine Lage bekannt wurde , säumten nicht , ihn zu dem nur interimistisch besetzten Rectorat vorzuschlagen. Der hart Bedrängte und schon zum Auswandern Entschlossene empfing freudig die Vocations- Schreiben; doch trübte ihm die Halcyonischen Tage, welche er nun in Bremen zu finden hoffte , gleich ein Verlust : der Tag seiner An- kunft war auch der Beerdigungstag seines Freundes und Beschützers von Büren, der 12te Juli 1593. — Chytraus hatte sich auch durch Reisen gebildet; ev hatte nicht nur fast alle Universitäten Deutschlands besucht, er war auch in Oxford, Paris, in Basel, P;- dua, Rom und Neapel gewesen; einen ganzen Som- mer hielt er sich bei einem ausgezeichneten Päda- gogen, dem Reetor Georg Fabricius in Meilsen, auf, um die Methode dieses Mannes genauer zu erforschen. Schade, dafs ein so sehr ausgerüsteter Lehrer der
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Stadt sobald durch den Tod entrissen wurde. Er starb 1598.
Cbytraus zeichnete sich auch als lateinischer Dichter aus. Man findet dies von mehreren der bisher genannten und noch folgenden Gelehrten angeführt, welches in mehr als einer Rüchsicht bemerkenswerth erscheint. Mehr als irgend eine andere Facultäts- Wissenschaft es damals vermochte, bildete die Dicht- kunst das ganze Gemüth , vor allem wurde das Talent eines anschaulichen und lebendigen Vortrags dadurch ausgebildet. Die Gelehrten dieser Zeit, welche zu- gleich Dichter waren, glänzten daher auch als die bessern Lehrer und Erzieher. Und wurde die Gabe der Dichtkunst bei ihnen auch vorzugsweise nur zu Ge- legenheitsgedichten benutzt, so sind doch gerade diese selten ohne historischen Werth, da sie in einzelnen charakteristischen Zügen die Vergangenheit oft mit vollerer Lebendigheit vergegenwärtigen 7 als es irgend eine Chronik vermag.
Den Uebergang aus dem sechszehnten ins sieben- zchnte Jahrhundert macht in der Bremischen Schul- end Gelehrten-Geschichte am füglichsten H. Krefting. Molan zeichnete diesen verdienstvollen Mann schon als Schüler aus. Er war eine Zeitlang schon Chur- pfalzischer Rath und Professor in Heidelberg gewesen, als er 1591, noch nicht dreifsig Jahre alt, in den Senat gewählt wurde. Von da an wies er die ehrenvollsten Anträge patriotisch ab? und förderte das Wohl der Vaterstadt nicht nur in den gewöhnlichen Geschäften eines Rathmannes, sondern auch als Gesandter und
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Schriftsteller. Com ing schrieb gegen seinen Discursus de republica Bremensis (der nur im Manuscript vor- handen ist), um die Ansprüche des Erzstifts gegen den patriotischen Reichsstädter zu vertheidigen. An des bekannten Dilichs Chronicon hat Krefting den gröfsten Antheil. Durch eine wohlthätige Stiftung für arme Studierende hat er sich endlich ein Denkmal gesetzt, das noch unter uns seinen Namen erhält.
Die Bremische Gelehrten- Geschichte des 17ten Jahrhunderts zählt mehrere Namen von Männern , die auch der allgemeinen Gelehrten - Geschichte ange- hören und immer angehören werden. Heerd und Mittelpunct des gelehrten Strebens ist in diesem Jahr- hundert immer noch das Gymnasium , welches 1613 auf den Wunsch der Professoren nun auch eine eigene Buchdruckerei erhielt. Sie wurde von den aus Hanau dazu Herberufenen , Thomas und Berthold de Villiers, eingerichtet.
In dem zweiten Jahrzehend des siebenzehnten Jahrhunderts bilden Martini, Crocius und Isselburg ein denkwürdiges Gelehrten - Triumvirat nicht blofs in Hinsicht auf unsere Schulanstalten, sondern auch in der damaligen kirchlichen Welt» Um den ersten, Martini, zu erhalten, ging der Bremische Senator Davemann nach Emden, und bewog daselbst die Bürgerschaft, die ihren geliebten Prediger, um dessen Besitz sie schon mit dem Grafen von Nassau gewettei- fert hatte, nicht wollte ziehen lassen, ihn Bremen zu überlassen. — Er entsprach jeder Erwartung. Das Pädagogium erhielt sofort von ihm eine neue Ein-
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richtung, die es im Ganzen bis zum Jahre 1765 be- halten hat. Es wurde in sechs Klassen getheilt ; neun Lehrer, von welchen der älteste der Pädagogiarch war und nur in Prima lehrte, die übrigen jeder in zwei Klassen, einer als Cantor auch im Singen, ein anderer auch im Rechnen Unterricht gaben , vertheil- ten sich in sämmtliche Lectionen, die Morgens von acht bis zehn und Nachmittags von zwei bis vier Uhr gegeben wurden. Das Gymnasium wurde zusehends blühender. Studierende strömten herbei aus Däne- mark, Polen, Ungarn, vornämlich aus Böhmen und Mähren; denn der gut eingerichteten Gymnasien gab es damals noch wenige , und Martini s Ruf verbreitete sich über Deutschlands Gränzen hinaus. Seine grofse philologische Gelehrsamkeit bezeugt das noch immer geschätzte Lexicon etymologicum , aus dem sich ins- besondere eine damals noch gewifs sehr seltene Kennt- nifs der arabischen Sprache ergibt. In Martini s theo- logischen Werken finden sich als etwas Eigenthiim- liches die von seinem Schüler Job. Coccejus nachher weiter ausgebildeten dogmatischen Ideen der Bundes- und Haushaltungs -Theorie , die später in dem Bremi- schen Catechismus, dem Gnadenbunde von Fr. Ad. Lampe, zur Grundlage des ganzen Religionsunterrichts gemacht wurden.
Martinfs Amtsgenosse als Professor am Gymna- sium und später dessen Nachfolger im Rectorat , Ludw. Crocius, wird als ein trefflicher, heiterer Lehrer ge- schildert. Er hatte seine gelehrte Bildung zu Mar- burg, dann zu Bremen, Basel und Genf erhalten. Im
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Jahr 1610 nach Bremen berufen, lehnteer alle weitere Anträge ab, obwohl auch hier die Orthodoxie des für sein Zeitalter fast zu liberalen Theologen angefochten und er des Photinianism und Socinianism selbst von einem ehemaligen Schüler, den er weiter empfohlen, sehr mit Unrecht beschuldigt wurde.
Aber es war die Zeit der Dordrechter Synode, wohin diese beiden Männer mit dem dritten hervor- ragenden Bremischen Theologen und Lehrer am Gym- nasium, Heinr. Isselburg, den ein lateinischer Dich- ter, der Bremische Senator, Matth. Chytraeus, als einen ausgezeichnet friedliebenden Theologen preiset, vom Senat jetzt geschickt wurden. Schade, dafs der Erzieher Morizens von Oranien, Joh. Esych, schon todt war; er hätte dies Triumvirat liberaler Theologen dort noch nützlich verstärken können.
Die Absendung solcher durch freiere Ansichten und Friedensliebe , wie durch ihre Gelehrsamkeit her- vorragenden Männer zu jener berüchtigten Synode erscheint als ein Beweis, dafs auch zur Zeit des heftigsten Eiferns reformirter Dogmatiker Harden- bergisch-Bürenscher Geist in Bremen vorwaltete. Wie Hardenberg 50 bis 60 Jahre früher im Nachtmals- streit männlich -bescheiden als Theologe, Büren als treu » schirmender Freund und unerschütterlicher Staatsmann, den Eiferern gegenüber standen: so diese im Kampf über die Gnadenwahl den von Moriz unter» stützten Supralapsariern ; — ita, sagt Conr. Iken in seiner Oratio de Schola Bremensi, ut Gomarus non solum projectä chirothecä Martinium ad certamen
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provocaret, sed et plus semel in ipsum aeque ac Cro- cium acriter invelieret. Ebenderselbe versichert, dafs sie zur mildern Abfassung einiger Decrete nicht wenig beigetragen und darnach erst ihre Orthodoxie, ohne ihre besondern Ansichten aufzugeben , durch Unter- schrift der Acten bezeugt hatten. Man könnte sie nach ihrem Benehmen auf dieser Synode vielleicht nicht unpassend die reformirten Melanchthonianer daselbst nennen.
Während des dreifsigj ährigen Krieges und auch noch später bleibt zwar die theologische Facultät noch immer im Vordergrunde unsers literarischen Lebens, doch so , dafs die juristische Facultät ihr mehr zur Seite tritt und von jetzt an sehr hervorragende Männer bietet. Dahin gehören Gerh. Coccejus, der ältere Bruder des noch berühmtem Theologen, die beiden Wachmanne, die beiden Cöper (Georg und Johann), die Schöne (Christian und Herrn.); der Denkwürdigste unter diesen Hervorragenden ist für Bremen der jüngere Johann Wachmann, der damals, als über die Stadt in den Streitigheiten wegen des Elsflether Zolls die Acht verhängt war, zu Regensburg, Nürnberg, Augsburg, bei Kaiser und Ständen, unter den mifslichsten Um- ständen , mit Erfolg sich rastlos bemühete und dabei so viele persönliche Achtung sich erwarb, dafs ihn der Kaiser nach bewirkter Aufhebung der Acht, durch ausgezeichnete Gunstbezeugung ehrte. Nicht weni- ger zeichnen ihn seine diplomatischen Anstrengungen aus in den Bedrängnissen der Stadt wegen der von Schweden streitig gemachten Reichsfreiheit, die 1656
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den Stader Vergleich und endlich nach abermaligen Irrungen 1666 den Habenhauser Frieden herbeiführten» Er war die Seele aller dieser Verhandlungen und ist Verfasser fast aller der Staatsschriften, welche in den Verhandlungen mit Schweden von 1653 bis 1667 erschienen sind. Auch die mit ihm vorher Ge- nannten haben sich auf Sendungen Verdienste um ihre Vaterstadt erworben. Die näheren Lebensumstände dieser und der noch folgenden denkwürdigen Gelehr- ten können um so eher übergangen werden , da Roter- munds Lexicon aller Bremischen Gelehrten seit der Reformation Notizen darüber und noch weitere Nach- weisungen so reichlich enthält. Statt dieser Einzel- heiten also nur ein paar allgemeine Bemerkungen. Fast alle diese ausgezeichneten Staatsmänner haben ihre spätere Bildung, nach humanistischer Grundlegung zu derselben auf dem hiesigen Gymnasium, vornämlich holländischen Universitäten zu danken und sie dann durch oft sehr ausgedehnte Reisen zu vollenden ge- sucht. Fast Alle, mit Ausnahme etwa des altern Johann Wachmanns, sind dann noch erst einige Jahre Pro- fessoren am Gymnasium gewesen, ehe sie in öffent- lichen Geschäften sich auszeichnend auftraten. Es mag daher auch das als ein nicht unbedeutender Vor- theil der Stiftung des Gymnasiums erwähnt werden, dafs es den auf Academien und Reisen gebildeten jungen Männern vor ihrem Eintritt in Staatsgeschäften Gelegenheit bot, noch nach der Promotion, auf dem Catheder ihre gelehrte Bildung zu fördern. Zumal so lange die lateinische Sprache in solchen Verhand-
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lungen noch gebraucht wurde, oder doch unentbehr- lich dabei war, konnte die gröfsere Gewandtheit in derselben, die der öffentliche Lehrer sich eigen ma- chen mufste , schon aliein ein persönliches Ueber- ge wicht geben: aber auch später vermochte es, und wohl noch mehr, die vollendetere wissenschaftliche Bildung, welche eine solche Laufbahn so viel erreich- barer macht. Da die ausgezeichneten Rechtslehrer in der Regel nach einigen Jahren in den Senat gewählt wurden, so konnten Tiele sich dieses vollendenden langsamen Ueberganges zu den öffentlichen Geschäften erfreuen, der für einen kleinen Staat , so fern dieser vornemlich persönlich gewichtiger Männer in seinen Verhandlungen bedarf, doppelt von Werth ist.
Noch verdient unter den Gelehrten des sieben- zehnten Jahrhunderts und nach dem obengenannten theologischen Triumvirat vornämlich genannt zu wer- den, der geliebteste Schüler Marti n is , Johann Coc- cejus. Der treffliche Lehrer ahndete in dem auf- strebenden Jünglinge den Mann , der in der theo- logischen Welt ein neues Leben, Epoche machend, beginnen konnte. In Coccejus Jünglingsjahren kam der vielgereisete Grieche Metrophanes Critopulus unter andern auch nach Bremen. Martini ermunterte seinen Schüler, der sich schon an den Fremdling ge- macht und anfangs dem griechisch Redenden nur la- teinisch antwortete, sich ihm noch weiter durch eine griechische Rede , de Turcarum religione , zu em- pfehlen, zu welchem Zweck Coccejus schon damals fleifsig den Koran studirte. Weiter rieth Martini dem
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gereiftem Zöglinge , nun noch nach Hamburg zu reisen, und dort im Rabbinischen sich mehr zu vervoll- kommnen. Er konnte schon damals am Gymnasium einen trefflichen Grund zu seiner Kunde der orien- talischen Sprachen gelegt haben; denn neben Martini lehrte hier zugleich der nicht weniger aller Dialecte hundige Orientalist Gerh. Hanewinkel , der 58 Jahre lang ein Lehramt an der Schule bekleidete. So bildete sich Coccejus zu dem Manne, der, wie Spittler in seiner Kirchengeschichte sagt, sich das grofse Ver- dienst erwarb, zu einer Zeit, wo die ganze Theo- logie nichts als Polemik oder Wirbelphilosophie war, die Bibel und ihre Ideen wieder mehr in Gang zu bringen. Die volle Ernte des von ihm mit so uner- müdlichem Fleifse bestellten Feldes ging , wie Spittler ebendaselbst bemerkt, freilich von ihm nicht mehr erlebt, erst unter den Männern auf, die nach ihm auf diesem Felde arbeiteten , unter Momma , Burmann, Braun, Witsius und endlich dem gröfsten seiner Schüler, Vitringa.
Doch nicht blofs in Holland, wo er zuletzt zu Leiden Professor war, auch in Bremen, wo er früher als Professor der hebräischen Sprache lehrte, hatte Coccejus seiner würdige Nachfolger. Seinem vor- leuchtenden Beispiel ist es wohl vornemlich zuzu- schreiben, dafs das Studium der orientalischen Spra- chen und der Hülfswissenschaften dazu unter den Bre- mischen Theologen des achtzehnten Jahrhunderts so viele Verehrer und gründliche Bearbeiter fand, als es an den beiden de Hase (Cornelius und Theodor), an
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Conr. Iken und zuletzt noch an dem trefflichen Joh. Peter Berg, der erst 1800 als Professor zu Duisburg starb, gehabt hat. Ueber Leben, Verdienste und Schriften dieser Männer gibt Rotermunds schon an^ geführtes Lexicon weitere Auskunft. Von Conrad Iken, dessen Compendium der hebräischen Alterthü- mer den gelehrten Theologen immer noch bekannt bleibt, verdient noch bemerkt zu werden, dafs er besonders durch die Anmerkungen zu seiner Oratio de illustri Bremensium schola einen wichtigen und sehr genauen Beitrag zur Bremischen Gelehrten - Ge- schichte geliefert hat. — Alle diese Männer waren, wenigstens eine Zeitlang, Professoren am Gymnasium, Cornel. de Hase und Iken auch Rectoren desselben. — Auch der Holland so sehr als Bremen seinem Wir- kungskreise nach angehörende Theologe Friedr. Ad. Lampe verwaltete eine Zeitlang das Rectorat. Denk- würdiger ist er noch für Bremen geworden durch seine zahlreichen catechetischen und ascetischen Schriften , die zu ihrer Zeit hier wie in Holland auf Anfachung des religiösen Leben3 bedeutend einge- wirkt haben, indem sie einerseits Coccejus eigenthüm- liche alt-testamentliche und überhaupt biblische Ideen dem Verstände populär auseinander setzten, anderseits durch Beschäftigung der Einbildungskraft und my- stische Anklänge ihre Leser fesselten. Witz, Einbil- dungskraft und inniges, religiöses Gefühl haben auf seine theologische Sinnesart, die hier bleibende Spuren nachgelassen hat, stark eingewirkt. Aufser-
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dem hat er als gelehrter Exeget und Kirchenhictor?.ker sich Ruf und Verdienste erworben.
Mit Iken noch gemeinschaftlich und nachher alkin war um die Mitte des achtzehnten Jahrhundertc D. Nicol. Nonnen Rector des Gymnasiums, das nur unter ihm noch den lange erhaltenen Flor behauptete. — ■ Als Theologe und Gelehrter überhaupt strebte dieser, auch sehr beliebte Prediger zu U. L. Fr. , eine Univer- salität an, wie sie in jenen Zeiten nicht gewöhnlich seyn mochte, wodurch er auch in geselligen Zirkeln man- ches anregte. Mit der englischen theologischen Lite- ratur der Zeit vertraut, bewirkte er hier wohl vor- nämlich die nähere Bekanntschaft mit derselben , unter andern auch durch Empfehlungen der aus dem Eng- lischen übersetzten theologischen Schriften; wie denn zu seiner Zeit und noch nach ihm die Schriften von Tillotson, Watts, Doddridge und selbst von Clarke neben den Lampischen zu den sehr gelesenen hier gehörten.
D. Elard Wagner, ebenfalls Prediger zu U.L. Fr., zeichnet sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr- hunderts als Gelehrter aus durch ein Kirchenhistori- sches Werk: Hardenberg im Dom zu Bremen ge- führtes Lehramt , Bremen 1779. Gründlichkeit, An- ordnung und Diction geben diesem Buche bleibenden Werth. Als Kanzelredner und das menschliche Herz tief erforschender Sittenlehrer erinnert Wagner nicht weniger als durch sein historisches Werk an den be- rühmten Mosheim. — Ein anderer beliebter Kanzel- redner und zugleich kritischer Kenner und Würdiger
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der Fortschritte , welche damals in der deutschen Li- teratur so rasch gemacht wurden , war der Prediger in Ansgarii, Dr. Conr. Klughist. Beide Männer haben wohl am meisten Verdienst um das 1767 erschienene neue reformirte Gesangbuch , welches unter den gleichzeitigen sich lange als ein vorzügliches be- hauptet hat. — Dafs man bei der Auswahl der Gesänge so weit ging , als es damalige Ansichten nur eben zu- liefsen, läfst eine von Klughist verfafste Rechtferti- gungsschrift vermuthen : „ Gründe , warum das refor- mirte Ministerium zu Bremen bei der Ausgabe eines neuen Psalm- und Gesangbuches nicht die sämmt- lichen 150 Psalmen beibehalten hat." Klughist war selbst geistlicher Liederdichter, aber noch reich- lichere Beiträge in diesem Fache der poetischen Lite- ratur, wo sich die deutsche Nation vor andern durch ihren Reichthum auszeichnet, lieferten später der Domprediger Heeren und Wagners Nachfolger im Amte , Dr. Meister.
Ueber zwei berühmte Rechtsgelehrte des acht- zehnten Jahrhunderts , über Gerh. von Mastricht, der zum Theil dem siebenzehnten Jahrhundert noch ange- hört, und Eberhard Otto geben Juglers Beiträge zur juristischen Biographie genauere Auskunft; der erste hat sich auch um die theologische Welt durch seine kritische Ausgabe des griechischen Neuen Testaments verdient gemacht. Des andern Thesaurus iuris Ro- mani hat, obgleich es fünf Foliobände sind, eine neue Auflage und einen Nachdruck erlebt, was allein schon bei einem Werke von solchem Umfange für den
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Werth desselben spricht. Beide waren Bremische Syndici, Otto vorher Professor zu Duisburg und dann zu Utrecht.
Mehr auf seine Vaterstadt beschränkte sich , so ehrenvolle auswärtige Anträge ihm auch gemacht wur- den, als Gelehrter und Staatsmann der in beiderlei Rücksichten verdienstvolle Bürgermeister Dieterich Smidt, der. nachdem er einige Jahre Professor am Gymnasium gewesen, 1741 in den Rath gewählt wurde. Eine ununterbrochene Thätigheit im Gemein- wesen der Stadt zeichnet von da an bis zu seinem Tode 1787 sein Leben aus. Unter seiner Leitung kam die neue Einrichtung des Pädagogiums zu Stande \ eine Bremische Gerichtsordnung und eine Menge obrig- keitlicher Verordnungen sind von ihm abgefafst; bei andern öffentlichen Anordnungen war sein ehemaliger Lehrer Otto noch sein Mitarbeiter; an den auswärti- ger Geschäften der Stadt hatte er vorzüglich Antheil. Seine gelehrte Mufse wendete er vornemlich den Bremischen statutarischen Rechten zu ; aber der Er- trag derselben, eine vollständige Geschichte der Bre- mischen Gesetze , so wie eine ausführliche Erläute- rung der Statuten, ist leider handschriftlich geblieben, weil er das Horazische Nonum prematur in annum über ihre volle Zeitigheit hinaus verlängerte.
Vor Andern, die hier noch genannt werden könnten, mufs endlich noch hier angeführt werden, namentlich auch wegen wichtiger gelehrten, zum Theil handschriftlich gebliebenen Arbeiten, der erste Archivarius der Stadt Bremen, Hermann Post. In
dem ausführlichen Lebenslauf desselben, der von seinem Nachfolger dem Archivar und Professor Dr. I. A»Ahasverus verfafst und der Trauerrede von Dr. Klug- lust beigefügt ist, fällt es bei der Jugendgeschichte des verdienstvollen Mannes recht in die Augen , wie viel damals in angesehenen und begüterten Familien auf eine vollendete Ausbildung der Sohne verwandt wurde. Noch nicht achtzehn Jahre alt, 1711 , reisete er in Gesellschaft eines gründlichen Rechtsgelehrten, des nachherigen Senators David Dwerhagen, nach Frankfurt, die Feierlichheiten der Krönung Karls VI anzusehen; 1713 bezog er die Universität Utrecht; von da ging er nach Leipzig, dann in Mascov's Ge- sellschaft nach Erfurt, wo er Doctor wurde; von da in Begleitung desselben Reisegefährten nach Regens- burg, dann an den baierschen und kaiserlichen Hof; weiter nach Venedig, Mailand, Rom und Neapel* Von da kehrten beide Freunde durch die übrigen kleinen italienischen Staaten Florenz, Piemont und Savoyen nach der Schweiz zurück, wo sie sich trenn - ten; Post, um noch nach Paris zu gehen, von wo er über Brüssel und Haag 1718 zu Bremen wieder anlangte.
Der Werth eines so liberal angelegten Bildungs- ganges mufs an ihm in die Augen geleuchtet haben; denn um ihn sofort für den Staat in Anspruch zu nehmen, wurde ihm die damals erst errichtete Stelle eines Archivars übertragen. In diesem Amte , das er 37 Jahre verwaltete, hat er sich bleibende Verdienste um das Archiv erworben, sowohl im Allgemeinen
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durch genaue diplomatische Untersuchung des Vor- handenen und Anordnung der Urkunden , Briefe und übrigen Schriften, als auch insbesondere durch die von ihm eigenhändig geschriebene Sammlung Bremi- scher Urkunden in acht Folianten. Der Verfasser des Lebenslaufs bemerkt, dafs der gelehrte Sammler vorzüglich dasjenige aus eigenem Urkunden - Vorrath und durch seine literarischen Verbindungen zusam- men zu bringen gesucht habe, was im Archive noch bisher gefehlt, und bei dem Abschreiben sich eine solche Genauigkeit und Nettigkeit der Abschriften zum Gesetz gemacht habe, dafs ein einziger Schreib- fehler ihn schon bewogen, ganze Bogen umzuschrei- ben. Diese Sammlung machte er kurz vor seinem Tode dem Archive der Stadt zum Geschenk, so wie seine Sammlung zu einem Bremischen Idioticon der damals schon mit einer ähnlichen Arbeit sich be- schaff ig enden deutschen Gesellschaft. Durch eine wohlthätige Stiftung hat sich endlich dieser, gelehrte Bildung und Anstalten dafür so sehr schätzende, Patriote noch um seine Vaterstadt verdient gemacht, durch ein Stipendium nämlich für auswärtsstudierende Söhne hiesiger Professoren , Prediger und Präceptoren. Diese Stiftung, durch eine sorgfältige Verwaltung in den sechszig Jahren die seit ihrer Gründung ver- flossen sind, noch beträchtlich angewachsen, kann jetzt jährlich drei auf Academien sich befindende Jünglinge, jeden mit 150 fl. unterstützen. — Wie manchem aufstrebenden Talent mag sie in dieser Zeit die Mittel zur vollständigem Entwicklung geboten, wie
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manchen Yater in den Stand gesetzt haben, sorgen- freier seinem Lehramte obzuliegen , und wie oft mit- gewirkt haben, tüchtige Lehrer, deren studierenden Söhnen sie mit seltenen Ausnahmen ausschliefsend bestimmt ist, den hiesigen Lehrämtern zu gewinnen und zu erhalten!
Die vorhererwähnte deutsche Gesellschaft wurde am lsten Febr. 1748 gestiftet. Ihren Zweck gab sie selbst nur so an : sie sey zusammen getreten , sich in der deutschen Beredsamkeit und Dichtkunst zu üben; wodurch sie auch schon vorzüglich ihren jüngern Mitgliedern unter den am Gymnasium Studierenden recht nützlich wurde , zumal da sie diese verpflichtete, auch während ihres Aufenthaltes auf Academien Ar- beiten einzusenden. Allein bald konnte sie ihren Zweck weiter ausdehnen und sich durch die Bearbei- tung und Herausgabe des Bremisch-Niedersächsischen Wörterbuchs, das die frühern ähnlichen Arbeiten von Lichny und Strodtmann an Vollständigkeit so sehr übertrifft, um den Anbau der deutschen Sprache we- sentlich verdient machen. — Noch eine denkwürdige Folge dieser Stiftung war die, dafs sie den von der hannöverischen Regierung in Bremen angestellten Gelehrten, wie den Einheimischen, und überhaupt den Gebildeten in der ganzen Umgegend, einen wissenschaftlichen und freundschaftlichen Vereini- gungspunct bot. Einer der thätigsten Mitarbeiter war der damalige Subrector an der Domschule, S. C. Lap- penberg, nachher Prediger zu Lesum, der so man- ches Treffliche zur Geschichte des Erzstifts Bremen in
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die bekannten Sammlungen von Pratje geliefert hat; ferner der damalige Stadtvogt L. F. Renner, weicher der Gesellschaft besonders durch seine genaue Kennt- nifs des Niederdeutschen, wovon das plattdeutsche Gedicht Henninh de Han den besten Beweis liefert, nützlich wurde. Auch mehrere Oldenburger waren thätige Mitglieder und der damalige Statthalter von Oldenburg und Delmenhorst, Graf Rochus von Lynar, eine Zeitlang Obervorsteher der Gesellschaft.
Zu den Veränderungen, die J 765 mit der von Martini noch herrührenden alten Einrichtung deö Pä- dagogii vorgenommen wurden , bewog theils der ver- änderte Zeitgeist, theils örtliche Veranlassungen. Das Schulgebäude war im siebenjährigen Kriege zum Lazareth für englische und hessische Soldaten ange- wiesen worden ; auch einige Lehrer hatten ihre Woh- nungen neben dem Schulgebäude deswegen räumen müssen; die Lectionen mufsten hier und da in Privat- häusern gegeben werden. Aufser diesem Umstand wirkte noch manches während der Kriegsjahre auf den Flor der Anstalt nachtheilig ein. — Die Veränderung bestand im Wesentlichen darin, dafs die Anzahl der Classen von 8 auf 4 vermindert, die Ferien abgekürzt, die Zahl der Lehrer und der täglichen Lectionen da- gegen vermehrt, und als neue Gegenstände aufge- nommen wurden: der Unterricht in der deutschen und französischen Sprache , ein mathematischer Cursus und Uebungen im Zeichnen. — Allein auch nach dieser Veränderung nahm die Frequenz der Schule, wenn auch in den ersten Jahren etwas zu, doch bald und
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zwar von Jahr zu Jahr immer mehr ab , wozu die Ur- sachen, aufser den nähern, wohl in dem allgemeinen Um- schwünge liegen, welchen damals mit dem Erziehungs- wesen selbst die Ansichten darüber unter den Deut- schen, zumal in den protestantischen Ländern, nah- men. Die vorherrschende Richtung auf practische Brauchbarheit, auf reale Nützlichheit, welche Fried- rich der Grofse so sehr seiner Mitwelt gab , erleich- terte es unter andern auch dem entschiedenen Gegner des alten Schulsystems, Basedow , dem Philanthropinis- mus überall Eingang zu v erschaffen. Mit und nach ihm traten eine Menge theoretischer und practischer Erzieher zur Bekämpfung des seit der Reformation in den Schulen waltenden, aber nach und nach freilich auch sehr ausgearteten Humanismus hervor und mach- ten sich geltend. Vor allen mufste in Handelsstädten die überhandnehmende Richtung des Zeitalters auf Brauchbarkeit fürs Leben leicht sich mittheilen lassen und allgemeiner werden können; und eben an den Kaufmannsstand wohlhabender Städte und den sonst begüterten Bürgerstand richteten zunächst die neuen Pädagogen ihre mit Zuversicht versprechenden An- kündigungen. Hatte man daher schon vor der philan- thropischen Zeit hier angefangen, Söhne, die nicht studieren sollten, in Pensionsanstalten nach Celle, Hannoverund Braunschweig zu schicken, oder doch in die Privatschulen der meist aus dem Anhaltischen hierhergekommenen Candidaten: so wurde dies nun fast allgemeine Sitte. Begüterte scheuten selbst die Kosten des Dessauischen Philanthropins nicht, auch
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wurden im Geist dieser gepriesenen Anstalt hier Er- ziehungs - Institute unternommen, und endlich durch alles dies das Pädagogium gegen das Ende des Jahr- hunderts fast zur Antiquität.
Aber auch das Gymnasium illustre sah seinen alten Glanz unter dem unaufhaltbaren Einilufs anderer Zeiten erbleichen. Bis gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts dauerte noch die enge wissenschaftliche Verbindung mit Holland fort, der Bremen vielleicht mehr zu danken hat, als beim ersten Anblick erhellt, daher hier noch eine Bemerkung darüber Platz finden mag.
In Holland blüheten nicht nur , wie auf dem er- giebigsten Boden, die humanistischen Studien herrlich auf; nicht nur begünstigten seine reichdotirten Uni- versitäten und Gymnasien Anstrengungen und Unter- nehmungen für dieselben, wie sie anderswo nicht leicht möglich waren, sondern in den unter lang- wierigem , beharrlichem Kampfe endlich doch frei ge- wordenen Staaten war auch der republikanische Geist der alten Muster - Völker zu neuem Leben erwacht. Die Grotius, Heinsius, de Witt, schrieben nicht blos , sie lebten und starben im Geiste der grofsen Alten. Unsere verdientesten Staatsbürger im sieben- zehnten und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahr- hunderts, die fast alle dort studiert hatten, kehrten von da in die Heimath zurück, nicht blos mit voll- endeter wissenschaftlichen Bildung, sondern auch mit befestigtem republikanischen Sinn , mit dem geklärten Blick in alle öffentliche Verhältnisse , mit der Beharr-
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lichkeit und Unerschütterlichkeit , die das Leben der Wachraanne und der mit und nach ihnen Hervorragen- den auszeichnet. Aber Bremen hat sich auch dankbar bewiesen und mancher seiner Gelehrten, der seine Bildung auf Hollands Hochschulen vollendet halte, hat auch seine besten männlichen Jahre auf ebenden- selben mit Ruhm und Beifall lehrend verlebt. Die Zahl Bremischer Gelehrten, die als Professoren hol- ländischen Universitäten zur Zierde gereichten, ist nicht gering. Mit gelehrten Schweizern und Franzo- sen waren sie es , die den Ruf der Hochschulen Hol- lands aufrecht erhielten, als die Dordrechter Synode die gelehrtesten Landeskinder theils ächtete, theils sie in ihrem gelehrten Wirkungskreise lähmte.
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zogen die deutschen Universitäten nach und nach im- mer mehr an; unter denselben zunächst die neu ge- stiftete Georgia Augusta mit ihren ersten berühmten Männern: Pütter , Böhmer , Michaelis, Heyne, Feder, Gatterer, Schlözer u. a. m. Der raschere Gang auf den deutschen Universitäten in halbjährlichen Cursen, die practischere Tendenz der Vorlesungen, bald auch der Umstand , dafs Alles deutsch gelesen wurde , ent- sprach mehr dem Zeitgeist und den Zeitbedürfnissen. — Schnell theilte sich dann das Forteilen aus den Schulen zu den Universitäten, das da, wo von der Anciennität das Fortrücken abhängt , allerdings einen triftigen Grund hat, auch uns hier mit. Die Zeit, welche ^onst zwischen der Schule und Universität dem Bremischen Jünglinge nützlich verf lofs , wurde immer
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mehr abgekürzt, zuletzt fast nur noch zu einer Pause, in der man sich auf die Reise zur Academie rüstete. So sank auch das Gymnasium, mit Ausnahme eini- ger propädeutischen Collegien zur Antiquität fast herab. Das ganze Institut pafste , so wie es nun war und immer mehr wurde, nicht mehr zur Zeit, und konnte, weil es, bei einseitiger Benutzung zumal, nur halbe Beschäftigung bot, lang verweilenden Jüng- lingen gar nachtheilig werden , durch die viele Mufse, welche ihnen übrig blieb, falls äufsere Umstände nicht nöthig machten , die leeren Stunden mit Unterricht- geben auszufüllen. Seit dem Jahre 1798 haben da- gegen einzelne Professoren des Gymnasiums , denen auch andere Gelehrte sich angeschlossen, von Zeit zu Zeit Vorträge über wissenschaftliche Gegenstände für erwachsene und gebildete Personen beiderlei Ge- schlechts in einer Reihe von Vorlesungen eröffnet. — Allgemeine Geschichte, Kirchengeschichte, Päda- gogik, Physik, Chemie, Naturgeschichte, Botanik u. s. w. sind von ihnen, vor zahlreichen Auditoren wiederholt, mit Beifall vorgetragen worden, und für die Bildung angehender Chirurgen, Apotheker und Hebammen sind die Professoren der Medicin, die Physiker und andere unserer gelehrten Aerzte , durch besondere Unterrichtsanstalten fortwährend thätig ge- blieben.
Ehe von Entstehung einiger neuen und der Ver- jüngung der alten literarischen Institute die Rede ist, mögen hier vorzugsweise diejenigen Bremischen Ge- lehrten noch erwähnt werdenderen schriftstellerische
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Arbeiten sich mehr oder weniger auf Bremen be- ziehen. Dahin gehört der Professor L P. Cassel als fleifsiger Sammler von Bremensien und als Erläuterer mancher einzelnen Puncte der Bremischen Geschichte und Alterthümer, vornemlich in Einladungsschriften. In diesen und seinen Bremensibus sind viele Urkunden zum erstenmale abgedruckt worden. In seines j ungern Collegen L. N. Rollers Geschichte der Stadt Bremen findet man alle diese einzelnen Vorarbeiten zur Bremi- schen Geschichte gelegentlich angeführt und benutzt. — Gerh. Oelrichs, kaiserlicher Rath und seit 1768 Syn- dicus der Aelterleute , hat sich durch seine voll- ständige Sammlung alter und neuer Gesetzbücher der Stadt Bremen aus Originalschriften, und um die Er- läuterung der Sprache, worin sie geschrieben, durch sein Glossarium ad Statuta Bremensia antiqua sehr verdient gemacht um unser statutarisches Recht. Schade, dafs bei seinen spätem Arbeiten in diesen Fächern ihn vor ihrer Vollendung der Tod übereilte.
Gleich bemüht um vaterländisches Recht und Geschichte war sein Amtsgenosse imSyndicat, I. L. F. Gildemeister, vorher Professor der Rechte in Duis- burg, wie aus seinen Beiträgen zur Kenntnifs des vaterländischen Rechts (2 Bände), so wie aus seinen Abhandlungen über Handvesten und Pfandrechte er- hellt. Unter den Beiträgen , die er zum Hanseatischen Magazin geliefert hat, darf ein künftiger Bearbeiter der Bremischen Geschichte nicht die im Museum ge- haltene Vorlesung: „Warum Bremen noch keine Geschichte habe?" übersehen; und gleich in dem-
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selben Hefte (im 2ten des VIten Bandes) gibt der Aufsatz: „Ueber das älteste Gesetzbuch der Stadt Bremen" (auch ursprünglich eine Vorlesung im Mu- seum) einen Beweis, wie er selbst forschte*
Sehr bedeutende, aber handschriftlich gebliebene Werke über Bremische Geschichte hat der Bürger- meister Chr. Abr. Heinecken ausgearbeitet, wozu ifen wie keinen andern seine reiche Sammlung von Quellen und Hülfsmitteln zur Bremischen Geschichte in den Stand setzten. Von der ausgezeichneten Sorgfalt und Genauigkeit, womit er arbeitete, gibt die nach trigo- nometrischen Vermessungen entworfene Karte des Gebiets der Stadt Bremen, deren neuer Stich von 1806 ist, eine Probe.
Oelrichs, Gildemeister und der als Arzt und Schriftsteller rühmlich bekannte A. Wienholt sind endlich auch hier zu nennen als Mitstifter und sorg- liche Pfleger des Instituts , das mit dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts als eine denkwürdige Er- scheinung in das literarische Leben der Stadt eintritt, des Museums. — Ueber die Entstehung und weitere Ausbildung dieses Instituts gibt Wienholt im zweiten Bande des Hanseatischen Magazins ausführliche Aus- kunft; hier genüge es, die Stimmung anzudeuten, in der es entstand und dann eine nicht geradezu beab- sichtigte Wirkung desselben mehr hervorzuheben.
Das Ideal des Bürgerstandes war , zumal in Handels- städten, die mit Amerika in Verkehr standen, um die Zeit des amerikanischen Krieges — Benjamin Franklin, Wie Friedrich der Grofse sein Zeitalter auf Nützlich-
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keit und Brauchbarkeit hingewiesen, wie er demselben danin vorherrschend die Richtung gegeben hatte, so wurde jetzt der Mann, der den gemeinnützigen Ge- lehrten, den patriotischen Bürger, den grofswirken- den Staatsmann und den innigsten Verehrer der Reli- gion des Herzens in hin dli eher Einfachheit vereinigte, wiewohl im schlichten Bürgerroch bleibend , doch ein hohes Vorbild allen Gebildeten, Patrioten und Bie- dern. Die dem Geiste jenes Mannes analoge Stimmung blitzte , wie ein heiterer Sonnenblick im ersten Früh- ling, gewifs vielerwärts belebend und treibend auf; auch hier wurde Theilnahme an wissenschaftlicher Bildung und Gemeinnützlichkeit im Kreise der Mitbür- ger die Losung ; und Freunde gemeinnützlicher Kennt- nisse und die das Nihil human i a me alienum puto im Kopf und Herzen trugen, gesellten sich zu einander. Zwar hatte ein Zweig dieser Verbindung, die Geseih schaft zum guten Endzweck, nicht lange Bestand, allein ihr Daseyn zeigt doch die vorhandene Stimmung, gemeinnützig und patriotisch thätig zu weiden, und die durch sie genährte Stimmung mag Einzelne, die vermögend waren zu Unternehmungen , wie diese Ge- sellschaft sie beabsichtigte , geführt haben. So war es z. B. um diese Zeit, dafs der biedere P. Wilkens, der bei reichlichem Vermögen gern patriotisch -gemein- nützig umherblickte, sich der Noth so vieler ver- armten Strumpfwirker -Familien annahm, und ihnen durch Errichtung eines Lagerhauses Abnahme der fertigen Arbeit sicherte.
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Dauernder aber hat das Museum zur Verbreitung gemeinnützlicher Kenntnisse durch seine Sammlungen, Bibliothek und Lesegesellschaft, und durch die mon- täglichen Vorlesungen fortgewirkt. Bedeutend scheint auch noch eine andere Wirkung, die sich allmählig, von selbst, und daher fast unbemerkt, ergab. — Was die deutsche Gesellschaft den Gelehrten lutherischer wie reformirter Confession und unter diesen den Hannoverischen wie den Stadt -Bremischen Beamten schon gewährt hatte, einen Vereinigungspunct zu ge- meinsamen Bestrebungen, das gewährte noch im weitern Kreise das Museum. Von beiden Seiten fanden sich hier die Gebildetem zusammen und im täglichen Verkehr. Die Domprediger Vogt, Heeren, später auch Bredenkamp , so wie mehrere refoi mirte Pre- diger, gehörten zu den fleifsigsten Vorlesern und thä- tigsten Mitgliedern. Die angesehensten und einsichts- vollsten Kaufleute lutherischer und reformirter Con- fession gehörten nicht blofs dem Museum an und nahmen an der Direction desselben Theil, sondern waren vorzüglich häußg in den Vorlesungen wie an andern Tagen zugegen , so dafs man behaupten kann, schon vor der vollen politischen Einheit Bremens (1802) habe hier Interesse an gemeinnützlichen Kenntnissen die sonst aufser dem Geschäftsverkehr mehr Getrennten einträchtig zusammen verbunden.
Das lebende gelehrte Bremen ist im Jahre 1801 in einem Aufsatze des Hanseatischen Magazins (Bd> 5. Heft 2.) von dem damaligen bremischen Professor und Prediger, J.J.Stolz, näher g^ schildert , uad das seitdem
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(1818) in zwei Bänden erschienene Rotermundische Lexicon aller Gelehrten, die seit der Reformation in Bremen gelebt haben , gibt darüber eine noch voll- ständigere Auskunft. Im Allgemeinen sey dieses hier anbemerkt, dafs in den neuesten Zeiten aufser der Theologie und Kanzelberedsamkeit, für welche Bre- men fortwährend bedeutende und auch aufser unsern Mauern gefeierte Namen aufzuweisen hatte, z. B. I. D. Nicolai, I. I. Stolz (Uebersetzer des neuen Testaments;, I. C. Häfeli, I. L. Ewald, G. Menken, I. H. B. Dräseke u. s. w. , dies nicht minder in andern Wissenschaften der Fall war. Yor allen hat sich Bremen seit einer Reihe von Jahren ausgezeichneter gelehrter Aerzte zu erfreuen gehabt. — Die Namen A. Wienholt, W. 01bers,I. Heinecken, G. N. Treviranus (Biologie und Philosophie der lebenden Natur I. A. Albers (Preisschrift über den Croup oder die häutige Bräune) u. s. w. , erinnern nicht blos an die ersten wissenschaftlichen Beobachtungen der Erschei- xYimgen des Magnetismus in Deutschland, sondern an eine lebhafte und folgenreiche Mitwirkung der Bre- mischen Gelehrten an den neuesten Fortschritten aller Zweige der medicinischen Wissenschaften und der Naturkunde überhaupt. Dem letztgenannten , vor
) Auch die Untersuchungen dieses Gelehrten über den innern Bau der Arachniden verdient hier erwähnt zu werden. Nicht blos der Text ist von ihm , sondern auch die mit der gröfsten Ge- nauigkeit ausgeführte Zeichnungen und mehrere dazu gehörige Kupferplatten sind meisterhaft von ihm bearbeitet.
einigen Jahren in der BKithe seines Lebens und un- ermüdeter Thätigkeit zu früh verstorbenen Arzte ge- bührt insbesondere noch das Verdienst, durch seine ausgebreitete Correspondenz mit auswärtigen, be> sonders französischen, brittischen und amerikanischen vergleichenden Anatomen, Naturforschern und Aerz- ten, die Verbindungen und die Wirksamkeit der deutschen Gelehrtenrepublik in diesen Fächern be- deutend erweitert zu haben. Als gründliche Kenner und wissenschaftliche Erweiterer der Pflanzenkunde sind die Bremischen Professoren L. C. Ti eviranus (jetzt Prof. der Botanik in Breslau) und F, C. Mertens im In- und Auslande bekannt geworden. — Von dem Letztern, der vorzugsweise die verborgen blühenden Wassergewächse (Hydrophyten) beobachtet und be- schrieben, wird nächstens im Verlage der Wilmans- schen Buchhandlung in Frankfurt am Main eine nach einem umfassenden Plane bearbeitete Flora Deutsch- lands erscheinen. — Vor Allem hat die Astronomie seit einer Reihe von Jahren in Bremen einen günstigen Boden gefunden. W. Olbers, der Entdecker zweier Planeten (Pallas am 28sten März 1802 und Vesta am 2Östen Marz 1803) hat seiner Vaterstadt und der durch ihn begründeten Bremischen Sternw arte einen bleibenden Namen gemacht. Seine Berechnung meh- rerer ^on ihm theils entdeckten, theils in ihrer Lauf- bahn durch fortwährende Beobachtungen verfolgten Kometen, so wie seine vielfachen sonstigen astrono- mischen Schriften und Correspondenzen , werden nicht minder in der Geschichte der Sternkunde unverges-
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ren bleiben. — Als Literator hat der noch lebende Prediger Roterinund (Fortsetzung des Jöcherschsn Ge- lehrten-Lexicons und Bremisches Gelefcrten-Lexicon) sich bekannte Verdienste erworben ; und nicht minder verdient der gegenwärtige Bremische Bibliothekar, Prof.Rump, ein tliätiges Mitglied der Frankfurtischen Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde , hier genannt zu v/erden. — Dr. Braubach ist durch seine nautischen Schriften bekannt.
Die Wahl würde bedenklich scheinen , um unter den ausgezeichneten Bremischen Gelehrten hier noch mehrere namhaft zu machen, doch darf nicht unerwähnt bleiben, dafs auch ein noch lebendes Bre- misches Frauenzimmer (Betty Gleim) durch gründliche Schriften über Pädagogik und deutsche Sprache sich vortheilhaft ausgezeichnet hat.
Die im Bremischen Staate vorhandenen Gelehrten- und Schulanstalten erfordern jetzt noch eine kurze Erwähnung
Die altere Geschichte der bis zum Jahre 1802 einem fremden Staate (zuerst dem Erzbisthum, von 1648— 1719 Schweden und von 1719—1802 Hannover) angehörigen lateinischen Domschule und des dainr verbundenen Athenäums findet sich in Pratjes Versuch einer Geschichte der Schule und der Athenäen bei dem königl.Dom in Bremen, ausführlich geschildert ; — sie kann daher hier füglich übergangen und nur da begonnen werden, wo sie in die Schul - und Gelehrtengeschichte des Freistaats Bremen wirksam einzugreifen beginnt, d. h. seit dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts,
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oder noch etwas früher. — Als noch die Verschieden- heit der Confessionen Dom- und, Stadtgemeinden strenger schied und die beiderseitigen Prediger mei- stens nur polemisirend von einander Notiz nahmen, standen auch die verschiedenen Schulanstalten in ge- ringer Berührung und Wechselwirkung. Wie indefs die Controverspredigten mit dem polemischen Zeitalter aufhörten und die Stiftung der deutschen Gesellschaft mehr gemeinsames Leben unter den Gelehrten, dann das Museum unter den beiderlei Confessions -Ver- wandten überhaupt förderte: da verglich wohl man- cher Vater heranwachsender Söhne beide lateinische Schulen schon in der Absicht, um die für seine Kinder zu wählen , welche ihm das , was er von einer Schule begehrte, am besten zu gewähren schien. Bei solcher Vergleichung mufste sich bald eine Verschiedenheit ergeben , die der lateinischen Schule am Dom im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts, auch noch ehe eine Veränderung mit derselben gemacht wurde, allerdings sehr zu Gunsten war. Beide Sehulen waren damals noch altlateinische; die reformirte hatte 1765 nur durch einige Lectionen etwa damaligen neuen Bedürfnissen einigermaafsen zu entsprechen gesucht- allein die am Dom war meist mit jungen Lehrern besetzt, die nach einigen Jahren zu Predigerstellen im Herzogthum Bremen befördert wurden, wofern sie nicht aus Neigung das Schulamt vorzogen. Am Päda- gogium, wo heine Auskunft der Art Statt hatte, be- hielten die Lehrer in der Regel ihre Stelle bis hohes Alter es nothwendig machte, sie in den Ruhestand zu
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setzen, oder der Tod ihr langes Tagewerk endigte. Aus diesem einzigen Umstände läfst sich schon ab- nehmen, dafs die Domschule früher und leichter, auch noch vor Abänderung des Lehrplans, sich den Zeitbedürfnissen nähern konnte. Daher besuchten seit dem vorletzten Decennium des achtzehnten Jahr- hunderts Söhne reformirter Aeltern nicht selten die Domschule; aber auch umgehehrt liefsen die am Athenäum Studierenden sich häufig auch am Gymna- sium einschreiben; und mancher, dessen Bildungsjahre in jene Zeiten fielen, bewahrt noch in dankbarer Ver- ehrung das Andenken an treffliche Lehrer in beiden Anstalten. Im Jahre 1794 entwarfen endlich die Leh- rer an der Domschule einen neuen, den veränderten Zeitbedürfnissen und den Ortsverhältnissen ange- messenen Unterrichtsplan. Der Domprediger Breden- kamp, damals zugleich noch Rector der Schule, beschreibt diese Veränderung ausführlich im Han- seatischen Magazin im zweiten Hefte des fünften Bandes.
Auch zwei ganz neue Lehrinstitute fallen noch in das letzte Jahrzehend des achtzehnten Jahrhunderts. Beide Privatunternehmungen und beide ein sprechen- der Beweis des damals lebhaft rege gewordenen pa- triotischen Gemeingeistes. Durch das eine dieser In- stitute, die Navigations - Schule , wurde einem Be- dürfnisse abgeholfen, das sich seit dem nordamerika- nischen Kriege, wo Bremens Handlung und Schiff- fahrt so sehr sich erweiterte, von Jahr zu Jahr fühl- barer gemacht hatte. Dem Plane der Stifter gemäfs,
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sollten in dieser Lehranstalt Bürgerkinder, die sich dereinst dem Seedienste widmen wollten, unentgeld- lich in den nöthigen Vorkenntnissen unterrichtet , und andere, welche schon einige Zeit als Matrosen zur See gefahren hatten, durch zweckmäfsige Anweisung zur Bekleidung höherer Stellen tüchtig gemacht werden.
Wie schön diese Anstalt aufblühete, schildert Prof. Mertens im nämlichen Hefte des Hanseatischen Magazins , S. 307. Sie hat Bestand gehabt bis zum Jahre 1805.
Das zweite Institut, was noch im scheidenden Jahrhundert errichtet wurde, die Bürgerschule, hat zwar auch in der kurzen Zeit ihres Bestehens wohl- thätig gewirkt, allein mehr noch verdient sie Erwäh- nung als Vorläuferin der Veränderungen und Erweite- rungen, welche im neunzehnten Jahrhunderte mit dem gesammten Schulwesen der Stadt nach und nach vor- genommen wurden. Das erste Verdienst um die Ent- stehung dieser Schule hat der damalige Prediger an der Ansgariikirche Bi\ Häfeli (starb alsBernburgischer Superintendent und Consistorialrath 1811)* Seit er in Bremen eintrat (1793), suchte er für die Ver- besserung der Kirchspielsschulen und der übrigen in der Gemeine befindlichen kleinem Schulen thätig zu werden* Die Schwierigkeiten, auf welche er stiefs, erzählt er selbst im Hanseatischen Magazin im ersten Heft des vierten Bandes. Erst als 1796 auch Doctor Ewald (starb als badenscher Kirchenrath 1822), als Prediger an St. Stephani berufen, nach Bremen kam
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und mit ihm sich vereinigte, gelang es nach einer Vorlesung des Letztern im Museum, aber nun auch rasch, den Plan zu einer Bürgerschule auszuführen» Wie liberal patriotische Bürger die Ausführung unterstützten , erzählt Ewald in demselben Aufsatze des Hanseatischen Magazins.
Auch die weitere Absicht der Errichtung dieses Instituts, dafs es zur Verbesserung der gesammten Kirchspiels- und Meinem Schulen den Weg bahnen sollte, ist allmählig erreicht worden. Eine Com- mission aus Mitgliedern des Senats untersuchte mit Zuziehung einiger Mitglieder des Ministeriums den Zustand der niedern Schulen und Privatinstitute. Hä'feli und Ewald gaben unter obrigkeitlicher Auto- rität eine kurze Anleitung für Schullehrer und Schul- lehrerinnen heraus. Bald regte sich auch in den Ge- meinen der Wunsch lebhafter, die Kirchspielsschulen den gesteigerten Bedürfnissen der Zeit angemessen eingerichtet zu sehen. Die Gemeine zu U. L. F. er- nannte in einem Kirchenconvente zu diesem Zwecke aus ihrer Mitte eine zahlreiche Deputation, und ge- nehmigte sodann den Entwurf dieser Deputation in einem abermaligen Conyente den 19ten August 1802. (Ein Abrifs der neuen Einrichtung ist gedruckt Bre- men 1803.) Die Veränderungen bestanden nicht blos in einer angemessenem Auswahl der Unterrichts - Ge- genstände, zweckmässigem Anordnung der Lectionen und in Feststellung bestimmter Schulgesetze , sondern auch in einer Verbesserung der Lage des Schullehrers und seines Gehülfen, in der Anordnung einer fort-
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dauernden Inspection und endlich in der zweckmäfsi- gern Einrichtung des neuen hellen und geräumigen Schulzimmers.
Diese Schule hat sich seitdem im Flor erhalten und zur Bestätigung dessen, was vom allmäliligen Ver- schwinden des Confessions-Unterschiedes schon früher erwähnt worden, verdient hier namentlich be- merkt zu werden, dafs weit über die Hälfte der Kinder, die diese Schule eines reformirten Kirchspiels be- suchen , nicht reformirt sind.
Die übrigen Gemeinen folgten, die eine früher, die andere später, diesem Beispiele und bildeten, je später, desto umfassender und den abermaligen Fort- schritten der Zeit genügender, die alten Schulen um.
Schon ein Jahr früher , als die Kirchspielsschulen anfingen sich umzugestalten, erlitt das Pädagogium eine bedeutende Veränderung. — Unstreitig war hier am schwierigsten zu helfen. Mehrere Lehrer hatten das Greisenalter erreicht; andere waren dem- selben näher gekommen. Ihnen die längstverdiente Ruhe zu gewähren und jüngere Lehrer an ihre Stelle zusetzen, schien die Kräfte des Schulfonds schon zu übersteigen, und doch mufste noch für vieles andere ein nicht kärglich bemittelter Fond da seyn, wenn radical geholfen, wenn die Lehranstalt selbst den Zeiter- fordernissen gemäfs erweitert und genügend vervoll- kommnet werden sollte. — Die Schule selbst wurde unter diesen Umständen immer mehr verödet , die Schüler Privatinstituten oder leichter umzuändernden öffentlichen Schulen zugesandt. — Und da die frühere
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Umgestaltung des Pädagogiums gleich nach dem siebenjährigen Kriege so wenig bleibenden Erfolg ge- habt hatte und jetzt Manches doch noch unwegräumbar blieb , so fehlte selbst das Vertrauen zu einem aber- maligen Versuch. Gleichwohl verjüngte sich jetzt rund um die alte Lehranstalt her so vieles; so manches ganz Neue schofs fröhlich empor. Auch in der Brust der jungem Lehrer regte sich die allgemeine Früh- lingsstirnmung. Sie hatten , mit Genehmigung des Scholarchats, schon in der alten Schule selbst, nämüch in einer leeren Klasse derselben, unabhängig von der übrigen Anstalt , besondere Lectionen für die der Handlung sich bestimmende Jugend eröffnet und Er- folg gesehen. Endlich wurde eine Umgestaltung ver- sucht und ham wirklich zu Stande unter dem Scho- larchat und der besondern Leitung des damaligen Senators , nachherigen Bürgermeisters H. Lampe (starb 1817). Dem sonst noch mit der Rechtspflege und manchem Verwaltungs- und Regierungsfache so sehr beschäftigten Manne fehlte doch nie die Stunde, in alle Einzelheiten des neuen Plans einzugehen. Vorschläge und Wünsche einzelner Lehrer wurden möglichst berücksichtiget und den Zeiterfordernissen, so weit irgend die sorglichste Verwendung der vor- handenen Mittel es möglich machte , genügt. Die ge- nehmigte Umgestaltung wurde dann dem Publicum mitgetheilt in einer Meinen Schrift, unter dem Titel: „Ueber die veränderte Einrichtung des Pädagogii; „ eine Fortsetzung der beiden Aufsätze im zweiten und „vierten Bande des Hanseatischen Magazins über die
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„ offen tlichen Schulanstalten der Stadt Bremen. Vom „ Professor Rump. Bremen 1802." — „ Die wesent- liche Veränderung besteht," heifst es darin, „in „einem Versuche, an die Stelle der bisherigen „lateinischen Schule eine Lehranstalt für die ge- „ sammte Jugend aus den gebildeten Ständen treten zu „lassen;" und weiter unten: „Da die Erweiterung „der Lehranstalt gar nicht zur Absicht hat, den „Schulcursus zu verlängern, sondern ihn blofs der „verschiedenen Bestimmung der Jugend genauer an- lassen und dadurch, wo möglich, verkürzen soll, so „hat man es nicht nöthig gefunden, die bisherige An- „zahl der Klassen zu vermehren. Durchaus erforder- „ lieh für den angegebenen Zweck schien es aber zu „seyn, in den beiden obern Klassen eine Abtheilung „zwischen den Schülern, welche sich dem gelehrten „Stande, und denen, welche sich der Handlung oder „ einer damit verwandten Beschäftigung widmen wol- „len, zu machen, um jede dieser Abtheilungen in den „ihnen besonders nöthigen und nützlichen Vorkennt- nissen und Geschicklichkeiten besonders unterrich- ten zu können." — Quarta wurde, wie sich weiter aus dieser Schrift ergibt, eine Vorbereitungsklasse, auch in Tertia noch nicht auf besondern Stand Rück- sicht genommen; erst in Secunda und Prima waren acht parallellaufende besondere Lectionen für künftige Gelehrte und Kaufleute angesetzt.
Zur glücklichen Ausführung des neuen Plans trug sehr viel bei, dafs in der Vorbereitungsklasse ein junger Mann angestellt wurde, der als trefflicher
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Lehrer sich seit ein Paar Jahren schon an der Bürger» schule bewährt hatte, und dadurch dem älterlichen Publikum hinlänglich empfohlen war, Frikke. Schade, dafs sein früher Tod ihn nach wenigen Jahren schon der Schule entrifs. Er starb 1805.
Dem Greise, der, jetzt schon seinem Amts- jubiläum nahe stehend , bisher in der untersten Klasse Hauptlehrer gewesen war , H. YS . I. Heger, wurde noch eine Stunde täglich darin gelassen , weil der alte Kinderfreund von seiner Arbeit, wofür ihn mit den Kräften noch nicht die Lust verlassen hatte, nicht scheiden mochte, und sein jugendliches Gemüth ihn bei der Anhänglichkeit der Kinder noch immer fähig erhielt, sich eine Stunde mit ihnen zu beschäftigen. In der allgemeinen Theilnahme, womit im folgenden Jahre sein Jubiläum gefeiert wurde, sprach sich die Achtung der Stadt und insbesondere seiner ehemaligen Schüler gegen den unermüdlichen Lehrer auf eine Weise aus, die ihn nicht blofs jeder Sorge für den Rest seiner Tage, sondern auch für die Seinigen möglichst enthob. — Nur zwei Lehrer wurden höhern Alters wegen völlig zur Ruhe gesetzt; die übrigen altern Lehrer suchten auch bei dem veränderten Gange der Arbeiten sich der neuen Anstalt noch, so lange ihre Kräfte reichten, nützlich zu machen; die jüngern fafsten neuen Muth, und beide, jüngere und ältere, fühlten sich durch ein plötzliches Auf- blühen der Anstalt, die alle ihre Erwartungen über- traf, wie von neuem belebt. Schon im folgenden Jahre 1803 machte das Zuströmen der Schüler eine
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neue Klasse, Quinta, nothwendig; 1806 mufste Tertia in zwei und bald auch das neue Quinta noch weiter in zwei Klassen abgetheilt werden , so dafs im Ganzen sieben zahlreich frequentirte Klassen entstanden. In den gedruckten Einladungsschriften zu den jährlichen öffentlichen Prüfungen, Redeübungen und der Aus- th eilung der Prämien findet sich auch die Zahl der jährlich entlassenen Schüler. Es ergibt sich daraus, dafs die Schule damals auch von Hannoveranern, Oldenburgern und vorzüglich Ostfriesen stark be- sucht wurde.
In den letzten Jahren vor der französischen Oc» cupation (1810) wurde endlich auch noch ein Schul- lehrer-Seminar von einigen patriotischen Bürgern er- richtet. Es wurden zunächst dazu die Zinsen eines Kapitals angewiesen, das von den Beiträgen für die 1804 wieder aufgehobene Bürgerschule noch übrig war; das noch Fehlende suchte man durch weitere Privatbeiträge zu sammeln. Diese Anstalt hat unter allen Bedrängnissen der nächstfolgenden Jahre sich behauptet, und mancher Zögling derselben steht jetzt als tüchtiger und beliebter Lehrer theils Kirchspiels-, theils anderen Schulen vor.
Die Schlacht bei Jena hatte für das nördliche Deutschland, insbesondere für die Hansestädte, die bekannten Folgen. In ihrem eigentümlichen Leben endlich völlig gelähmt, mufsten diese Städte nur auf Erhaltung und Rettung der Institute, die ihr Wohlstand
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einst geschaffen , genährt und gepflegt hatte , sich be- schränken, bis die furchtbare Krisis überstanden seyn möchte. Dies Erhalten und Retten wurde auch nicht aufgegeben, als das grofse Reich uns immer näher kam und uns endlich in sich aufnahm. Doch schien alles Schirmen und Decken nur eine kurze Fristung des schwachen Lebens erringen zu können , als mit der Ankunft Cüviers und Noel's die Einfügung und Unterordnung aller unserer Lehranstalten unter die grofse Universität als unausweichliches Schicksal uns vor Augen schwebte. — Der Himmel rettete und er- muthigte die Deutschen zum letzten Kampfe gegen mehr als römische Ueberwältigung ihres eigenthüm- lichen Seyns. — Vieles war nach den Jahren der grofsen Kämpfe und Siege herzustellen; zu dem ersten, wozu Bremens Senat und Bürgerschaft sich vereinigten, gehört die Erneuerung der Anstalten für den öffentlichen Unterricht. — Was dafür seit dem ersten ruhigen Augenblick des wieder gewonnenen freien Lebens geschehen ist und noch geschieht, mag jetzt den heitern Schlufs dieses Abrisses ausmachen. Der Ausführlichkeit wird es hier um so weniger bedürfen , da sich auf Nachrichten und Be- kanntmachungen, die Allen zugänglich sind, hin- weisen läfst.
Im Jahre 1817 den 23sten September erschien die Bekanntmachung wegen Verbesserung des öffentlichen Unterrichts. Eine gemeinschaftliche Deputation aus Rath und Bürgerschaft hatte diese wichtige Angele- genheit erwogen; der Punct, worauf zunächst Alles
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ankam, Vermehrung der bisher zu beschränkten Schul einkünfte war jetzt bald erledigt und der Senat nunmehr in den Stand gesetzt, eine Anstalt für die Jugend männlichen Geschlechts aus den bemittelten Ständen in einem Umfange und mit einer Vollständig- heit sofort ins Leben zu rufen, wie sie früher nur in der Idee vorhanden gewesen war und höchstens als pium desiderium hatte in Anregung kommen können.
Diese Anstalt, die Hauptschule genannt, besteht: a) aus einer Vorschule, der als Ziel aufgegeben ist, die allgemeine Bildung zu begründen, welche in jedem Verhältnisse den Werth der menschlichen Natur hervorhebt, zu jedem anständigen Berufe die Tüchtig- keit vermehrt, und selbst die Wahl zu dem passend- sten Beruf leitet. Die Zahl der Klassen ist auf vier festgesetzt, allein die Zahl der besondern Abtheilun- gen, deren jetzt zwölf sind, richtet sich nach der Zahl der Schüler. Jede Abtheilung hat ihr eigenes Lehrzimmer und ihre besondern Lectionen. Ueber- steigt die Schülerzahl in einer derselben dreifsig, so wird für eine neue Abtheilung gesorgt.
Die Hauptunterrichtsgegenstände sind: Religion, deutsche, lateinische und französische Sprache, Ge- schichte, Erdbeschreibung, Naturkunde und Mathe- matik, Schreiben, Rechnen und Zeichnen. Der Theil- nahme an allen diesen Lectionen darf sich kein Schüler ohne besondere von dem Vorsteher genehmigte Gründe entziehen. In der obersten Klasse wird aufser der gewöhnlichen Schulzeit Unterricht in der griechi- schen und englischen Sprache ertheilt, dessen Be-
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nutzung von den Wünschen der Aeltern und Vor- münder und yon der Absicht der Weiterbildung ab- hängt. Ueber alles Weitere, besonders auch über das schöne Local der Schule, gibt der Vorsteher der- selben, Prof. Friedr. Strack, ausführliche Nachricht in seiner Schrift: „Ueber die Vorschule. Bremen bei J. G. Heyse.4' — In Ansehung des Locals ist daraus hier etwa noch zu bemerken, dafs mit dem geräumigen und lichten Gebäude auch ein Garten verbunden ist, der zum Spielplatz für die Schüler umgewandelt worden, und, da die harmonische Ausbildung der gei- stigen und körperlichen Kräfte als Hauptzweck auch dieser Unterrichtsanstalt in der Bekanntmachung aus- gesprochen ist, noch einige Vorrichtung zu Turn- übungen enthält.
Aus der Vorschule empfangt die etwa mit vierzehn Jahren daraus entlassenen Schüler entweder: b) die Gelehrten- oder c) die Handelsschule. Die Aufgabe der ersten, die ebenfalls einen besondern Vorsteher, jetzt Prof. Sanders, hat, ist: bei fernerer Beachtung der allgemeinen menschlichen Bildung ihren besondern Zweck nunmehr, da sie nicht zu- gleich für die eigenthümlichen Ansprüche anderer Stände zu sorgen hat, desto vollständiger zu ver- folgen. Die Lehrgegenstände sind : lateinische , grie- chische und französische Sprache , klassisches Alter- thum, Geschichte, die in der obern Klasse in die der Staaten und der Religions- Gesellschaften zerfällt, Erdbeschreibung, Mathematik, Stylistik und Logik. — Die Gelehrtenschule hat drei Klassen. Die Handels-
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schule trägt diesen Namen nur , theils um sie von den andern Abtheilungen zu unterscheiden, theils -weil unter den verschiedenen Geschäftskreisen , an die sie ihre Zöglinge entläfst, der Kaufmannsstand in einer Handelsstadt doch immer vorzügliche Berücksichtigung erfordert. Aufser der Berücksichtigung solcher Ge- schäftskreise im Allgemeinen hat diese Anstalt die Hauptbestimmung: dem Jüngling den gröfsern Ge- sichtspunkt zu öffnen, welcher dem hiesigen Bürger, sofern er berufen ist, an der Verwaltung, Gesetz- gebung und allen staatsbürgerlichen Rechten Theil zu nehmen, stets vor Augen liegen mufs. Diese ihre Hauptbestimmung sucht sie nicht allein durch eine sorgfältige Wahl des Unterrichtsstoffes zu erreichen, der aus den Sprachen und Wissenschaften besteht, welche theils die allgemeine menschliche Bildung, theils die Berufsfertigkeit befördern; (zu welchem Zweck sie besonders zu den Fertigkeiten in münd- lichen Vorträgen, Buchhalten, Rechnen und Schön- schreiben anleitet,) sondern auch durch die Lehr- weise, eingedenk, dafs die Bildung für die Welt, für den Stand und die Gesellschaft hier vollendet werden mufs, da die Jünglinge dieser Anstalt nicht noch eine höhere, wie die Jünglinge der Gelehrten- schule die Academie , vor sich haben. — Die Handels- schule besteht jetzt aus zwei Klassen , wovon die un- tere zwei Abtheilungen hat. Vorsteher ist Professor Mertens. Die Hauptschule besitzt in liegenden Gründen und andern ständigen Revenuen ein be- deutendes jährliches Einkommen. Bei der Ausdeh-
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nung, welche diese Anstalt in den letzten Jahren ge- nommen , und bei der consequenten Durchführung des Grundsatzes , sobald eine Klasse über dreifsig Schüler zählt, eine neue Abtheilung zu bilden und Lehrer für dieselbe anzustellen, reicht jenes Einkommen aber nicht völlig aus,, und das Fehlende wird aus der Staatshasse zugeschossen. — Im Ganzen werden jähr- lich über 30,000 Thaler auf die Hauptschule ver- wendet.
Nach der Anordnung der Hauptschule für die Jugend männlichen Geschlechts aus den bemittelten Ständen blieb noch ein grofses und schwieriges Unter- nehmen übrig: Verbesserung der niedern Volks- schulen. Für diesen Zwech wurde in dem Convente vom 3ten December 1819 eine Deputation aus Rath und Bürgerschaft bestellt, und ihr Geschäft aufser dem Hauptzwecke noch ausgedehnt auf Berathung wegen Errichtung einer Navigationsschule, da die 1798 als Privatunternehmen errichtete 1805 eingegangen war; sodann auch auf Berathung wegen einer Bildungs- anstalt für junge Künstler und Handwerker, wozu auch schon ein Privatunternehmen bestand; auch sollte sie überlegen, in welchem Maafse das als Privat- anstalt noch fortdauernde Schullehr er- Seminarium von Seiten des Staats zu unterstützen sey.
Die Deputation begann ihr Geschäft mit einer sorgfältigen , mühevollen Untersuchung aller vorhan- denen Schulen , Kirchspiels- und Landschulen ausge- nommen, und fand nach angestellter Untersuchung,
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dafs in 75 Schulen von 24 Lehrern und 51 Lehrerin- nen ungefähr 4100 Kinder beiderlei Geschlechts Unter- richt erhielten. Ich übergehe die ins Besondere und Einzelne gehende Resultate dieser Nachforschungen, so wie die darauf angestellten Berathungen , aus den letztern blos die wichtigsten der Vorschläge aushebend, welche yon der Deputation ihren Committenten , dem Rath und der Bürgerschaft, vorgelegt und von diesen sodann sämmtlich genehmigt worden sind. Sie be- stehen: 1) In Errichtung des Seminars für junge Schullehrer. 2) In der Anordnung von Instructoren zur practischen Unterweisung angehender Schullehrer und Schullehrerinnen , und zur allmähligen Einfüh- rung einer zwechmäfsigen und möglichst gleichför- migen Lehrmethode. 3) In der gänzlichen Trennung der Armen -Freihinder und der Selbstbezahlenden in verschiedene Schulen. 4) In der Aufhebung der Abendschulen, an deren Stelle Unterrichtsstunden an den Nachmittagen des Mittwochs und Sonnabends oder am Sonntage einzuführen. 5) In der Bildung einer eigenen Schulpflege durch Bürger aus den nämlichen Gegenden der Stadt und Vorstadt, in welchen Schu- len dieser Art befindlich sind, und soviel möglich aus gleichem Stande und Berufskreisen mit den Aeltern, deren Kinder die ihrer Pflege empfohlenen Schulen besuchen; welchen Schulpflegern im Allgemeinen die Achtsamheit auf die Erhaltung und Verbesserung die- ser Schulen, und besonders die Sorge für den regel- mässigen Schulbesuch der Kinder, so wie die mit der
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Inspection gemeinschaftlich anzustellende Berathung über die Bedürfnisse der Schulen und der Lehrer zum Behuf der dafür vom Staat zu leistenden Unter- stützung, auch vorläufige Erkundigung nach dem Lebenswandel und den Eigenschaften neuanzustellen- der Lehrer obliegen wird.
Endlich ist auch noch von Rath und Bürgerschaft festgesetzt worden , dafs die bisherigen Armenschu- len der verschiedenen Confessionen vereiniget und deren, ohne fernere Rüchsicht auf Confession, so viele errichtet werden sollen, als das Bedürfnifs fordert, und dafs der Staat künftig, so weit die eigenen Fonds dieser Schulen nicht zureichen , zu der neu- festge- setzten bessern Einrichtung und den erhö'heten Be- soldungen das Fehlende zuschiefse.
Die Kosten für das laufende Jahr sind von der Deputation auf mindestens 4000 Rthlr. angeschlagen, mit Inbegriff des Seminars , dem sein Fortbestehen nach einem erweiterten Plan jetzt gesichert ist. Die patriotischen Gründer desselben haben dagegen, nach- dem ihr Institut nun vom Staat übernommen ist, das ihnen noch übrig gebliebene Capital von 1000 Rthlr. welches schon durch Beiträge wieder sich mehrt, zur Gründung einer wohlthätigen Stiftung bestimmt, welche Lehrern an niedern Schulen theils beim Ein- tritt in ihren Berufskreis, theils wenn Alter oder Krankheit Hülfe fordert, oder auch diesen Schulen sich widmenden Jünglingen, wenn sie zu Erwartungen berechtigen , und in ihrer Vorbereitungs - und Bil-
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dungszeit Unterstützung bedürfen, in sochlen Fallen Erleichterung, Hülfe und Unterstützung gewähren soll. — Diese sämmtlichen Vorschläge sind in der ersten Hälfte des gegenwärtigen Jahres (1822) auf dem Bürgervereine s o discutirt und durch Rath- und Bürgerschlufs sämmtlich genehmigt worden, so dafs man sich bereits mit der Ausführung derselben be- schäftigt.
Aufser dem Seminar ist auch die Errichtung einer Navigationsschule nach einem vereinfachten Plane be- schlossen; ferner eine Anstalt zur practischen Aus- bildung junger Künstler Und Handwerker, in welche die bisherige Zeichenschule, die seit 1819 schon 124 Handwerkern aller Art, vorzüglich Tischlern, theils unentgeldlich, theils gegen Bezahlung, Sonntags zum Zeichnen und zur Verfertigung von Modellen practisch Anleitung gegeben hat, nunmehr übergeht.
Die Deputation schlofs ihren ausführlichen Be- richt mit der Aeuferung, dafs sie einsehe, wie viel den vorgeschlagenen Einrichtungen noch fehlen werde , um alsbald einen vollkommenen Zustand der von ihr untersuchten Schulen herbeizuführen; dafs sie aber sicherer und heilsamer zu verfahren geglaubt, für jetzt nur die festen Grundlagen eines Zustandes zu beschaffen, aus welchen die Vervollkommnung all- mählig sich entwickeln müsse. — Wohl läfst sich, scheint es, noch von einer andern Seite her die Hoff- nung, und zwar in Hinsicht unsers gesammten Schul- wesens, verstärken, dafs nicht blofs Vollkommneres sich entwickeln, sondern in den sich vervollkomm-
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nenden Anstalten auch der hochwichtige Zweck der- selben immer leichter vollständig zu erreichen seyn werde. Es ist nämlich eine unausbleibliche Folge wohlangelegter und sorglich gepflegter Schulanstalten, dafs sie in ihrem Kreise auch die häusliche Erziehung bald heben, und daran allmählig, ich mag nicht sagen einen Beistand, nein, einen wenigstens zur Hälfte mitfördernden Genossen ihres Geschäfts haben. Schon hat sich dies bei uns zu bewähren angefangen, am sichtbarsten vielleicht bei der Vorschule; doch auch am reifenden Jünglinge zeigt sich die väterliche Theil- nahme an den Fortschritten und dem Gedeihen dessel- ben nicht weniger fördernd, als die der Mutter beim zarten Alter; und der treffliche Vorschlag der Depu- tation zur Anordnung einer Schulpflege aus Haus- vätern , die in dem Sprengel der Schule wohnen und den Aeltern der sie besuchenden Jugend auch sonst näher stehen , läfst noch viel für angelegentliche Theilnahme des älterlichen Hauses in allen diesen Be- zirken hoffen. Bei solcher wetteifernden Wechsel- wirkung aber könnte sich bald der in der Theorie noch nicht geschlichtete Streit zwischen den beiden Er- ziehungsweisen , dem Humanismus und dem Philan- thropinismus bei uns auf practischem Wege friedlich lösen, indem die Schule vornemlich das Heilsame des ersten , das älterliche Haus vornemlich alles Gute des zweiten sich aneignet und Beide zusammen- wirkend der aufblühenden Nachkommenschaft ge- währen, was aus beider Zusammenwirkung doch am Ende nur allein hervorgehen kann: eine vollständige
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den gesamniten Menschen fördernde und für seine ganze weitere Bestimmung vollendende Erziehung.
Es hat sich in der kurzen Darstellung der Bremi- schen Schul- und Gelehrtengeschichte bisher kein passender Ort finden wollen , von der Stadtbibliothek ein Wort zu sagen; daher ich ihrer jetzt nachträglich erwähnen mufs.
Der Anfang derselben fällt ins Jahr 1534, wo vom Rath beschlossen wurde, eine gute Liberei, jedoch nur aus den Schriften der Kirchenlehrer be- stehend, zum öffentlichen Gebrauch anzulegen. Un- gefähr hundert Jahre später vermachte der zu Prag 1628 gestorbene Bremische Syndicus Buxtorf seine aus historischen, publicistischen und juristischen Wer- ken bestehende Büchersanimlung dem Rath, der damit die öffentliche Bibliothek vermehrte. Dazu kam durch Ankauf die Bibliothek des Melchior Goldast von Haimensfeld, eines zu seiner Zeit (er starb 1635) sehr lleisigen Sammlers und Forschers nach literarischen Schätzen, woher vornemlich der handschriftliche Reichthuiu der Bibliothek rührt, der bald darauf durch die Opera omnia manuscripta des berühmten Joh. Coccejus noch einen bändereichen Zusatz er- halten hat. Weiter wurde die Bibliothek noch ver- mehrt durch die vom Prof. Cassel hinterlassene Samm- lung der auf Bremen irgend sich beziehenden Schrif- ten; endlich ist auch die Büchersammlung der einge-
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gangenen deutschen Gesellschaft hinzugekommen. — Die Bibliothekare haben sie dann nach Maasgabe der zum Anhäufe neuer Bücher ausgesetzten sehr geringen Summe (jetzt auf 100 Rthlr. jährlich bestimmt) mit Schriften, die ehemaligen Staatsverhäitnisse des deut- schen Reichs, die Reichsgeschichte, die Geschichte überhaupt und ihre Hülfs Wissenschaften betreffend, zu vermehren gesucht; auch hat das Fach der alten Literatur, der Alterthümer , der Numismatik insbe- sondere, der Literar- Geschichte , und von den Fa- kultätswissenschaften, die juristische und theologische (letztere jedoch nur im kirchengeschichtlichen Fache), durch gelegentlichen Ankauf nach und nach nicht un- beträchtlich gewonnen , obgleich dabei an keine Voll- ständigkeit vor der Hand kann gedacht werden. — Die Idee des jetzigen Bibliothekars, an den so zufällig zu- sammengekommenen alten Bücherschatz ein neues, ge- meinnützliches und der gesammten gebildeten Bürger- schaft zugängliches Institut zu knüpfen, ist nicht ohne Beifall aufgenommen , und seitdem mit beträchtlichen Kosten das ehemalige theologische Auditorium des alten Schulgebäudes zu einem würdigen Local für die Bibliothek eingerichtet worden, das auch geräumig genug ist, für das bisher Vorhandene und so mäisigen Zuwachs, als sich aus der jetzigen Einnahme der Bibliothek kann erwarten lassen. Soll aber jene Idee ganz ins Leben treten, so mufs an Erweiterung des Locals gedacht werden, wozu glücklicherweise das alte Schulgebäude noch in demselben Stockwerke überflüssig Raum bietet. Die Aufstellung und Anord-
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uung in dem neuen Locale ist jetzt erst beendigt und der Bibliothekar seitdem Dinstags und Freitags, mit Ausnahme der Schulferien, für Besuchende gegen- wärtig. — Zunächst ist genug erreicht, wenn nur hin- längliches Locale , auch zu beträchtlicher Vermeh- rung, vorhanden bleibt. Entspricht der Thätigheit, wo- mit jetzt die Verbesserung des gesammten Schul- wesens schon bets ieben worden ist und noch betrieben wird, die aus derselben zu erwartende Wirkung, so wird das Bedürfnifs eines Instituts, wie es in den Museums -Vorlesungen über eine auf Nationalbildung berechnete öffentliche Büchersammlung für eine deutsche Stadt, entworfen ist, mit jedem lahre mehr gefühlt werden; und da dies nicht ausbleiben Hann, so läfst es sich mit Zuversicht erwarten, dafs in we- nigen Jahren nicht nur für eine reichere Einnahme zum Ankauf, sondern auch für Pflege und Bedienung und tägliche Zugänglichheit des unter diesen Bedin- gungen erst wahrhaft gemeinnützlich werdenden In- stituts das Erforderliche geschehen werde.
Kunst in Bremen.
Die Umgebungen Bremens waren vormals mir wenig geeignet, den Genius zu wecken und zu be- feuern; was von Kunstwerken der Bildhauerei und Malerei in den Kirchen gewesen seyn konnte, war durch die Bilderstürmerei des ersten Jahrhunderts der Beformation verschwunden, doch läfst sich kaum glau- ben, dafs je etwas bedeutendes von Kunst in den Kir-
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chen gewesen sey, wie denn z. B. kein einziger Pfei- ler des Doms die geringste Spur irgend eines Denkma- les früherer Zeiten verräth. Wenn nun die so anhal- tende, Zeit und Geist einengende, Beschäftigung eines bestimmten Standes, der eben ohne andere Umstände nie der Kunst förderlich war, dazu kam, so läfst es sich erklären, dafs sie eben nicht besonders in Bre- men gedeihen konnte.
Aus einer von Cleve hierhersezosjenen Familie Tile- mann genannt Schenk, die hier zu bürgerlichen Ehren gelangte *), nun aber bis auf einige Nachkömmlinge weiblichen Geschlechts ausgestorben ist, stammte der rühmlich bekannte Historien - und Portrait -Maler die- ses Namens, der früher, bei seinem Aufenthalte in Italien, sich einen Namen erworben. Als Portrait -Ma- ler ist er an die Seite der grofsten Maler gestellt wor- den. Er malte viel zu Wien und lebte noch im Jahre 1668. Seine Tochter malte vortrefflich Blumen und Landschaften in Wasserfarben» Sein Vater war Pre- diger zum Horn bei Bremen gewesen. — Man nennt auch einen bremischen Bildhauer Th. Wilh. Frese, der in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Italien lebte. Er war Schüler des italienischen Bildhauers Romans, der in Bremen gearbeitet und daselbst ums Jahr 1730 gestorben seyn soll. Der neueste Bildhauer von Geschick und einigem Ruf war Beling. Auch ein
*) Ich habe zwölf dieses Namens gezählt, die in Bremen Be- amte gewesen.
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Maler Tiling, der in Berghems Styl Landschaften ge- arbeitet haben soll, war in Bremen geboren. Gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts sah Bremen einige treffliche Künstler unter seinen Bürgern. Rull- mann malte Historie ; der Rubensche Styl gelang ihm vorzüglich. Mansiehtnoch hin und wieder Bilder und Skizzen von ihm. Er ging von hier nach Paris und man weifs seit geraumer Zeit nicht, was aus ihm geworden. Wie selten weifs der Künstler den zeitlichen Vortheil mit dem Himmelreiche seiner Phantasie in üeberein- Stimmung zu bringen!
Einer der ausgezeichnetesten Medailleurs war Johann Blum oder Bloom. Ob er ein Bremer von Ge- burt war, ist nicht ausgemacht, aber er hat die meiste Zeit seines Lebens in Bremen zugebracht. Er war vermuthlich ein Schüler Sebastian Dadlers. Seine Münzen gehen vom Jahre 1631 — 1650. Es sind meh- rere sogenannten Rolands - Münzen darunter, d. h. solche auf denen unsere Rolands - Säule abgebildet ist. Die erste derselben ist vielleicht in Ansehung der feinen Arbeit nie übertroffen worden. Ferner sind mehrere Medaillen auf den westphälischen Frieden von ihm; eine auf den Tod Gustav Adolphs; drei auf die Eroberung von Breisach mit dem Brustbilde Bern- hards von Weimar mit der Ueberschrift: Brisach for- tis sed fortior Deus fuit et Weimarius 1638. Seine schönste Denkmünze ist unstreitig diejenige auf die Vermahlung Wilhelms Prinzen von Nassau und der Prinzessin Maria von England im Jahre 164l. Auf der vordem Seite ist das Brautpaar, welches sich die
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rechte Hand reicht; über der Braut wie über dem Bräutigam schwebt ein Engel mit dem Myrthenkranze, weiter oben ist eine Taube. Unten ist ein Theii der Stadt London , wo die Trauung geschah. Auf der Rüchseite erscheint der Prinz, begleitet von der Pal- las mit blofsem Schwerdt, dabei Krieffseeräth. Bei- lona liegt zu Boden; die Göttin des Friedens und Ce- res erscheinen, nebst Amor, der das Pfeilbündel der sieben holländischen Provinzen trägt, und dem Prin- zen wird der Oelzweig überreicht. Diese Medaille gehört ohne Zweifel zu den vortrefflichsten dieser Art. Noch hat man Denkmünzen von ihm auf den Ge- neral Banner, Christian den Vierten von Dänemark, auf Herzog Friedrich von Celle; eine auf Friedrich Herzog von Holstein, eine auf Friedrich den Dritten König von Schweden, eine auf die Stadt Danzig. Un- ter den vielen Trauungs -Medaillen ist diejenige aus- gezeichnet, die auf der Rüchseite eine Henne führt, welche auf ihren Küchlein sitzt. Fast alle diese Me- daillen sind in der schönen Sammlung des Herrn Burk- hard zu sehen.
Job. Heinr. Menken schien von der Natur be- stimmt der Niederdeutsche Maler in vollem Sinne des Worts zu seyn. Er erkannte früh was Poetisches in den ilachen Wesergegenden verborgen lag. Dafs die Natur da ist, reicht nicht hin, sie will auch gesehen, sie will gefühlt, sie will in ihren geheimen Schönheiten erkannt seyn. Dafs eine malerische Eiche die Phan- tasie oft eben so in Anspruch nimmt, als ein mächtiges Gebürge, fühlt jeder, der für das Malerische Sinn hat.
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Menken rifs im vierundzwanzigsten Lebensjahre sich aus dem Kaufmannsstande los und durch Männer, welche sein Talent kannten und schätzten, gefördert, widmete er sich ganz der Kunst, ging nach Dresden, wo Ruys- daels Charakter der Landschaft ihn gewann und Klen- gel in einem gewissen Sinne sein vorzüglichster Lehrer ward. Dort, wie nach seiner Rüchhehr in die Vater- stadt, malte er eine Menge schätzbare Bilder, in welchen ein eigentümliches Genie und ein poetisches Gemüth sich offenbarten. Durch eine Sammlung sehr geist- reicher radirter Blätter ist er auch denen bekannt ge- worden, die seine Gemälde nicht kennen.
Das Genie des Vaters ist auf den Sohn überge- gangen. Dem Jünglinge Gottfried Menken gefielen die charakteristischen Centanren, die der letzte Krieg vom Don her in unsere Gegend führte, ihre malerische Kleidung ihre kühne und leichte Haltung auf dem Pferde. Dazu kam die Begeisterung, welche die An- kunft jener fernen Gäste, die die Stadt Bremen von dem fränkischen Joche erlösten in der jungen Seele erregte. Kein Maler hat diesen Kriegern und ihren ma- geren Hussen so ihre Eigentümlichkeit abgesehen , als Gottfr. Menken. Seine Bilder stellen Ereignisse dar, die bei und in Bremen vorgefallen sind: denKosackem Angiift auf das Osterthor, ein Kosacken - Lager auf der Domsheide u. s. w.
Auch nennt Bremen den genialischen Anton Al- bers, der sich jetzt zu Lausanne aufhält und aus eigener Kraft sieh in Claude Lorrains Styl mit dem gröfsten Glücke hineingearbeitet hat , den seinigen.
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Die Sammln n gen des Herrn Dreiers und des Herrn Garlichs wird kein Kenner unbesehen lassen, um so weniger, da die früherinn in den alten Familien vorhandene Kunstschätzc fast sämmtlicli ausgewandert sind. In der Sammlung des letztgenannten Freundes der Kunst sieht man mehrere Bilder aus der Nieder- ländischen Schule, einen Hondekoeter, Backhuyzen, van der Velde, Ketscher, van der Neer, wie man sie in wenigen Sammlungen schöner finden mögte.
M u s i k i 11 Bremen f *) .
Was seit Guido von Arezzo , Domcapitular in Bremen und Erfinder der seitdem gebräuchlichen fünf Linien und der Bezeichnung der Tonleiter mit ut, re, mi u. s. w. hier für die Musik geschehen ist, darüber habe ich nur Unbedeutendes finden können. Im sie- benzehnten Jahrhundert gab ein Organist, Knoop, an St. Stephani , eine Sammlung Tänze heraus und auf Hochzeiten und bei anderen feierlichen Gelegenheiten spielten die Rathsmusikanten. Noch vor vierzig Jah- ren gab es hier keine öffentlichen Concerte, da doch so lange vorher schon in Hamburg die Musik geblüht hatte, wo ein Ludwig Kaiser, Händel, Carl Philipp Emanuel Bach u. a. ein erwünschtes Feld für ihre Talente gefunden hatten. Im hiesigen Dom und auch in andern Kirchen wurden damals zwar auch geistliche Musiken aufgeführt, aber mit einem sehr magern Or-
*) Zum Theil vom Prof. Storck.
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ehester, so dafs Pauken und Trompeten das Beste thun mufsten, wobei es denn auch an erbaulichen Pos- sen nicht fehlte: z.B. „Spielet leise, nach Assaphs Weise! (fortissimo). Reifst nicht! (pizzicato).44 — An Beistand von Liebhabern war nicht zu denken , da Eltern es unanständig hielten, ihre Kinder öffentlich auftreten und sie, aufser etwa Klavier oder Flöte, ir- gend ein Instrument lernen zu lassen.
Unstreitig gebührt dem Doctor Müller als Leh- rer und Kantor an der Domschule und zugleich Vor- steher eines Privat-Erziehungs-Instituts der Preis, hier die Musik zuerst auf eine höhere Stufe erhoben zu haben. Er sorgte in seinem Institut für Unterricht in Gesang und Spiel, zog einen Violinspieler Wiele aus Oldenburg hieher, der leichte Symfonien für das Orchester seiner Zöglinge setzte, die dann in seinen Privatconcerten aufgeführt wurden. Sein Unterlehrer M e i s n e r , jetzt Professor der Naturgeschichte in Bern, ein geschichter Violoncellspieler, der verstorbene Kaufmann Arnold Oelrichs, der Mäckler F ehr- mann und andere eifrige Musikfreunde leisteten thä- tigen Beistand, und so ertönten in diesem Kreise bald auch Symfonien und Quartetten von Pleyel, Gyrowetz, Wranizky und Haydn, so wie die damals gangbaren Ciaviersonaten von Kotzeluch u. a. Auch an den Kir- chenmusiken im Dom unter Müllers Direction nah- men die in seinen Concerten gebildeten jungen Leute als Sänger und Spieler Theil, und bald hörte man dort und in Concerten gut besetzte und ausgeführte Stücke
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aus Athalia, den Tod Jesu und andere gröfsere Mei- sterwerke.
Gleichzeitig fanden auch in andern Privathäusern, vorzüglich bei dem Bürgermeister Ilten, dem Frei- lierrn vonKnigge u. a. Privatconcerte Statt, woraus bald regelmäfsige öffentliche und das sogenannte Lieb- haberconcert einer geschlossenen Gesellschaft ange- sehener Familien hervorgingen. In dem Letzteren mufsten auch Anfänger sich obligat hören lassen, wur- den mit Nachsicht beurtheilt und auf jede Weise auf- gemuntert, Musiker von Profession aber für jeden obligaten Vortrag besonders honorirt, und so entstand ein allgemeines Streben nach höherer musikalischer Ausbildung. Leider ist dieser schöne Verein später eingegangen und in dieser Ausdehnung nicht wieder hergestellt, was um so mehr zu beklagen ist, da es seitdem für Liebhaber an Aufmunterung fehlt, als Obli- gatspieler neben Künstlern vor einem gröfseren Publi- kum aufzutreten.
Unter den Künstlern dieser Periode zeichneten sich aus: der gründliche Organist Rauschelbach, Schüler des Carl Philipp Emanuel Bach, der sein In- strument würdig und mit Verschmähung aller kleinli- chen Klavierkünste zu behandeln wufste. Ferner der Concertmeister Frese, dessen Hauptinstrument die Flöte war. Sein Ton und Vortrag, besonders in lang- samen Tempos, war äufserst rein und lieblich, oft wahrhaft rührend. Dann der Musikdirektor Löwe, jetzt bei seinem Bruder in Bromberg privatisirend, auch als Komponist von drei hübschen Klaviersonaten
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bekannt. Er war in der Kapelle des Markgrafen von Schwedt erzogen und ausgezeichnet in der Kunst, Feh- ler des Orchesters zu decken, indem er jede Lücke in irgend einer Stimme auf der Stelle ausfüllte, so dafs die Zuhörer davon selten etwas merkten. Für Violin« concerte war sein Ton nicht glänzend genug, in Quar- tetten und in der Begleitung von Klaviersonaten aber, wo es mehr auf leichte gefällige Manieren , Präcision und festes markirtes Spiel ankommt, ward er gewifs von Wenigen erreicht oder übertroffen.
Seine Stelle ward durch den geschickten Yiolin- und Klavierspieler Ochernal glücklich ersetzt, un- ter dessen Leitung auch die grofsen Beethovenschen Symfonien oft vortrefflich ausgeführt werden. Der jün- gere Ochernal bildet sich gegenwärtig in Cassel un- ter Spohr zum Virtuosen auf der Violine aus und be- rechtigt zu den gröfsten Erwartungen.
Eine wesentliche Verbesserung erhielt des Orche- ster durch die Feldmusik des 1813 errichteten Linien- bataillons, welche der leider zu früh verstorbene Mu- sikmeister Klingenberg, ein vorzüglicher Clarinet- tist, trefflich organisirte und einübte.
Dafs unter dem Liebhaberpersonal das weibliche Geschlecht sich vor dem männlichen auszeichnet, darf Niemanden wundern, der bedenkt, dafs in einer Han- delsstadt der eigentliche Beruf die Thätigkeit der Män- ner zu sehr in Anspruch nimmt. Unter den Ciavier- spielerinnen zeichnet sich die Tochter des bereits er- wähnten Doctor Müller durch grofse Fertigkeit und kräftigen Vortrag, besonders der Beethovenschen Sa-
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eben, auch als gefühlvolle Componistin , Frau S eng- st ack aber durch vorzüglichen Anschlag und tiefes Eindringen in den Geist und die Nationalität jedes Componisten aus.
Die grÖfsten Fortschritte machte seit einigen Jah- ren unstreitig die Singmusik. Der Organist Grabau eröffnete zuerst eine Singschule, bereitwillige Gemü- ther, durch die Torgeschrittene allgemeine Bildung des Geistes in Bremen geweckt, vereinigten sich mit lebhafter Tlieilnahme in seinen Uebungen. Man hörte endlich gröfsere Chöre aus den besten Opern und ganze Canta- ten. Der treffliche, durch Reisen gebildete Tenorsän- ger Lange *), schätzbar auch als Theoretiker, schlofs sich an, und so war alles jetzt auf dem besten Wege.
Es würde jedoch schwer gehalten haben, dafs so viele junge Talente den rechten Weg eingeschlagen hätten, wenn ihnen nicht ein unvergleichliches Vor- bild erschienen wäre. Frau Sengstack, geborne Grund, von den gröfsten Meistern in Hamburg gebildet , kam durch Heirath nach Bremen und entzückte durch ihre seelenvolle Stimme und ihren ausdrucksvollen Vor- trag alle Menschen, die Sinn für das wirklich Schöne hatten.
Es dauerte nicht lange, so suchten andere junge Talente sich ihre Singweise anzueignen und es war er- staunlich, wie schnell sich schone Stimmen und aus- drucksvoller Vortrag ausbildeten. Diese treffliche Sängerin ist auch noch jetzt die Zierde der Singaca-
*) Er hat auch ein »ehr schätzbares Choralbuch herausgegeben.
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demie , und was oben von ihrem Spiel gesagt worden, gilt in noch höherem Maafse von ihrem Gesänge.
Imlahre 1813 wurde der durch seine genialischen Claviercompositionen bekannte Ri em als Domorga- nist hierher berufen. Mit ihm begann eine neue Aera für die Musik in Bremen. Er wufste die Gemüther für Kirchenmusik im strengeren Styl zu gewinnen. Ihm verdanken wir die Errichtung einer Singacademie, welche sich wöchentlich einmal auf der Börse versam- melt, um die unsterblichen Meisterwerke aller Zeiten im strengen und edleren Styl zu üben und vorzutra- gen. Eine Menge Menschen denken noch mit Ent- zücken daran, als unter seiner Leitung die hiesige Academie im Herbst 1819, unterstützt durch auswär- tige Musiker, Händeis herrliches Oratorium, Judas Mac- cabäus, in dem für solche grofse Musiken geeigneten Dom aufführte. Es waren schöne Tage, an welchen das Bremer Publikum an die Macht der begeisternd- sten aller Künste glauben lernte und gleichsam ein electrischer Schlag die Herzen von Tausenden in Schwingung setzte.
Vorher und nachher sind grofse Messen, Orato- rien, Kantaten und Motetten von Händel, Sebastian Bach, Gallus, Hammerschmidt, Homilius, Emanuel Bach, Mozart, Haydn, Schneider und Riem aufgeführt worden und man konnte bei jeder späteren Leistung bedeutende Fortschritte bemerken.
Gute klingende Stimmen sind hier jedoch selten. Vielleicht hat das feuchte oft abwechselnde Klima die Schuld, dafs das Organ der Stimme sich so wenig aus-
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bildet. Es ist gar nicht selten, dafs im Winter die Hälfte der Singacademie an Brusterkältung leidet.
Der Enthusiasmus für Singmusik, der gründliche Unterricht, den Grabau, Lange, Ochernal, Riem und Frau KÖhl-Valesi, vormals Oldenburgische Kammer- sängerin, ertheilen, und das öftere Hören klassischer Werke wird sicher auch die Instrumentalmusik heben, die Neigung zu ihrer Ausübung befördern und die Theilnahme an den Instrumental- Concerten immer all- gemeiner machen.
Das Theater f-
Die strenge Ascetik der Reformation, und der vorherrschende Einflufs der Geistlichkeit, welche die von der Lehr- und Sittenverbesserung ausgehenden neuen Bildungsinstitute vorzugsweise leitete^ und da- her in den ihr eigenthümlichen Kreisen festzuhalten sich bemühte, verstärkten die ökonomischen Schwie- rigkeiten und politischen Bedenklichkeiten, welche das Aufkommen der Schauspielkunst in kleinen Staaten und vor allen in kleinen Freistaaten neuerer Zeit fast allenthalben gefunden hat, auch in Bremen lange so sehr, dafs eine Eröffnung von Thaliens Tempel hier erst seit etwa 30 Jahren aufgehört hat meteorischen Erschei- nungen zu gleichen , deren genufsreicher Anblick von Gewissensscrupeln nicht unverkümmert blieb, und für deren fortwährenden Bestand sich lebhaft interessiren den Verdacht moralischer und religiöser Libertinage auf sich ziehen hiefs.
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Es gehörten daher immer besonders eintretende Umstände dazu , um eine solche Regel von der Aus- nahme statt finden zu lassen, und die Obrigkeit wufste ihre Concessionen nicht vorsichtig genug zu beschrän- ken und zu modificiren , um den nie ausbleibenden Ge- genvorstellungen der Geistlichkeit einigermafsen zu begegnen, und die Ausübung des öffentlichen Kanzel- strafamtes, wozu diese bei solchen Veranlassungen, ein göttliches Recht zu haben behauptete , möglichst zu vermeiden.
Im Jahre 1688 erhielt die KurfürstL Sächsische Hofschauspieler- Gesellschaft Erlaubnifs, eine Anzahl Vorstellungen zu geben, und es wurde eine Kommis- sion des Senats zu vorgängiger Prüfung der aufzufüh- renden Stücke ernannt.
Im Jahre 1695 eröffnete der Kapellmeister Kreyen- burg ein Theater in einem Privathause auf der Lan- genstrafse , in welchem mit vielem Beifalle Opern auf- geführt wurden.
Im Jahre 1718 bemühte sich die Haskarlische wandernde Truppe vergebens um die Erlaubnifs , ihre Bühne in Bremen aufschlagen zu dürfen. Sie wen- dete sich dann mit glücklicherem Erfolge an die Han- noverschen Behörden, und eröffnete ihr Theater in dem nur eine halbe Stunde von Bremen belegenen, damals unter Hannöverischer Hoheit stehenden Dorfe Hastedt, wo sie von Bremen aus grofsen Zuspruch fand , der aber zu so vielen Unordnungen führte , dafs der Senat sich veranlafst fand, den Bürgern den Be- such der Hastedter Bühne , unter der Drohung, dafs
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den des Abends von derselben Heimkehrenden die dann geschlossenen Thore nicht wieder geöffnet wer- den sollten, zu untersagen. Darüber beschwerte sich das Collegium der Aeltermänner , als über eine Beein- trächtigung der bürgerlichen Freiheit, jedoch umsonst.
Im Jahre 1739 wurde der Veltheimischen Gesell- schaft der Schützenwall für ihre Vorstellungen einge- räumt , die indefs nicht lange dauerten , da in diesem Jahre ein Blitzstrahl den Pulverthurm am Weser Brü- chenkopfe in die Luft sprengte, wobei viele Menschen ihr Leben verloren, und der grofse Haufe darin ein Strafgericht Gottes zu erkennen glaubte, welches Bufse und Entsagung weltlicher Gelüste predige.
Das Vorherrschen ähnlicher Ansichten führte mehreren anderen Theaterunternehmern, welche in Bremen concessionirt zu werden wünschten , ab- schlägige Antworten herbei. So namentlich der be- kannten Neuberin, obgleich sie in ihrer Vorstellung erklärte, dafs sie den Harlequin sowohl als den un- fläthigen Hanswurst ganz von ihrem Theater verbannt habe, und ihre Gesellschaft sich auch aufser der Bühne des befsten Lebenswandels befleifse.
Im Jahre 1745 hatte eine wandernde Truppe ihre Bude eine Zeitlang auf dem Schwachhauser Felde un- weit des Barkhofes , damals unter Hannöverischer Ho- heit stehend, aufgeschlagen. — Den Unordnungen, zu welchen dies Feldleben Veranlassung gab , glaubte man durch eine temporäre Erlaubnifs zur Verlegung dieser Bühne in die Heerdenthorsvorstadt vorzubeu-
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gen; es wurde dabei ausdrücklich bestimmt, dafs keine geistlichen oder biblischen Gegenstände vorge- stellt werden sollten.
Im Jahre 1762 sahen die Einwohner Bremens eine Zeitlang die Josephische Bande in einer Bretterbude zwischen den beiden Weserbrüchen agiren. — J0_ sephi verdankte seine Aufnahme einer dringenden Empfehlung des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, dem er lange als Kammerdiener aufgewartet hatte. Er mufste sich verbindlich machen, die aufzuführen- den Stücke einer Commission zur Genehmigung ein- zusenden , auch wöchentlich den Ertrag einer Vorstel- lung an das Armenhaus abzuliefern. — Das Publikum fand indefs diesesmal an einem Vergnügen, das ihm von einer im Laufe des siebenjährigen Krieges mehr als einmal unfreundlich erschienenen Hand aufgedrun- gen war , kein sonderliches Behagen. Das Schauspiel- haus wurde so wenig besucht, dafs Josephi bereits nach zwei Monaten von dannen zog. Dagegen fand die berühmte Ackermannische Gesellschaft aus Ham- burg, in der auch Echhof und Schröder glänzten , wie sie im Jahre 1765 auf einige Monate nach Bremen kam, eine desto wiHkoinmnere Aufnahme.
Im Frühling 1780 kam Abt mit seiner Frau von Holland nach Bremen , wo er den Virtuosen Romberg mit seinen beiden Söhnen antraf. Er vereinigte sich mit diesen zu einer Reihe von Concerten auf der Börse, bei denen besonders Abts Gattin als Intermez- zo's kleine Melodramen (Medea, Ariadne auf Naxos u. dergl.) so anmuthsvoll zu geben wufste, dafs die
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Neigung fürs Schauspiel dadurch aufs Neue aufgeregt •ward. Man veranlafste Abt um die Concession zur Errichtung einer Bühne anzuhalten, die ihm auch er- theilt ward. Er zog dann den Schauspieldirector Wä- ser mit seiner Truppe an sich, trennte sich aber bald wieder von ihm , um eine eigne Gesellschaft zu errich- ten, mit welcher er bis zu seinem 1783 in Bremen erfolgten Absterben spielte. Abt erhielt sich fortwäh- rend in Achtung und gutem Rufe, wodurch die gegen das Theater herrschenden Vorurtheile allmahlig zu yerstummen oegannen; seine Leiche wurde mit grofser Feierlichheit in der Klosterhirche beerdigt. Nach seinem Tode setzten die Schauspieler Kessel undDied- richs als Regisseure die Unternehmung mit der vorma- ligen Abtschen Gesellschaft fort, jedoch mit weniger Talent und Beifall, wodurch denn nach einigen Jah- ren deren Auflösung herbei geführt wurde.
Unterdessen hatte sich bei fortschreitender Gei- stesbildung auch die Neigung zum Theaterwesen mehr in allen Ständen entwickelt, und da wegen schlechten Erfolgs einiger ephemerischer Directionen das öffent- liche Schauspiel ganz einging, so bildete sich unter der Anleitung des bekannten Freiherrn von Knigge, der selbst mit ausgezeichneten Anlagen für die Bühne ausgestattet war, ein Liebhaber -Theater für eine ge- wählte Anzahl von Zuschauern, von welchem alle, die es noch gesehen, mit grofser Zufriedenheit sprechen. Diejenigen, denen der Zugang zu diesemTempel Tha- liens auf dem Saale der Domschule nicht verstattet war, gingen nach dem Neuen - Lande, wo ein zweites
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Liebhaber -Theater, auf welchem einige Barbiere, Handwerker-Gesellen und Nätherinnen ligurirten, in einem Bauerhause errichtet war; so sprach sich da- mals der Geschmack an theatralischen Vorstellun- gen aus.
Kein Wunder also, dafs, da der jetzt noch lebende Hofrath Dr. Schütte den genialen Grofsmann zu bewe- gen gcwufst hatte, nach Bremen zukommen, um auf dem gedachten Knigge'schen Liebhabertheater einige Rollen zu spielen, der Wunsch, diesen grofsen Künst- ler hier mit einer guten Gesellschaft zu sehen, so allge- mein wurde, dafs der Senat keinen Anstand nahm, demselben im Sommer 1792 die Erlaubnifs zu spielen, auf 5 Jahre zu ertheilen. — Da es an einem schickli- chen Locale fehlte, so wurde in einer Bastion amOster- thore das jetzt noch stehende Schauspielhaus aufActien in Zeit von 6 Wochen erbaut. Am 17. October zogen endlich die Musen des Drama, nachdem sie bisher in Scheunen, Buden und Reitbahnen unbehaglich ge- hauset hatten, in einen ihnen geweihten Tempel ein.
Nach Grofsmanns Tode übernahm Koch, gegen- wärtiges Mitglied des Nationaltheaters in Wien, die Direction für die Grofsmannischen Erben, und Ignatz Walter, jetziger Director der Regensburger Bühne, die Regie der Oper» — Im folgenden Jahre kaufte der Hofrath Schütte das Haus in Verbindung mit eini- gen anderen Theilnehmern und unterzog sich der Lei- tung der Bühne mit lobenswerthem Eifer. Die Oper wurde vorzüglich begünstigt; aufser dem Genüsse, welchen ein vortreffliches Orchester gewährte, in wel-
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chem die Herren Löwe, Galmus, Ries, Schöne, Zuc- cada als eben so viele Virtuosen auf ihrem Instru- mente glänzten , gab uns Madame Lange, der Tenorist Marschall, die Bassisten Scholz und Schlegel, der Ko- miker Eimenreich, unyergefsliche Abende.
Diese Unternehmung endete 1800, oder ging ei- nigermafsen in eine andere über, die der Advocat Rei- neke und Ignatz Walter mit der in Hannover spielen- den Truppe bis zum Jahre 1806 fortsetzten.
Im folgenden Jahre erhielt der Hofrath Schütte und die Schauspieler Städler und Sehwadike eine neue Concession auf fünf Jahre, während welchen wir mehrere ausgezeichnete Künstler aufs er den beiden dirigirenden Schauspielern, namentlich einen Vespermann, Gafsmann, Wachsmuth, Pistor, Leo, Hanf, Spengler, eine Karly, eine Karschin die unseren nannten und auch IrYland, Opitz, Frau Händel und Fräulein Bock in Gastrollen zu bewundern Gelegen- heit hatten. Leider scheiterte diese Unternehmung schon 1811.
Bis zum Jahre 1816 kränkelte die Unternehmung unter mehreren Directionen. Herr Pichler über- trug sie endlich dem Herrn Gerber, dieser dem Herrn Ringelhardt, der sie — - aber ohne besondere Theil- nahme des Publikums daran, — bis zum Frühjahr 1S20 führte. Ein Versuch, die Bühne durch Actien zu ei- ner sogenannten Nationalbühne unter der Leitung sachverständiger Bürger zu erheben , ward rückgän- gig, aus Mangel an lebhaftem Interesse, welches sich fast bei dem ganzen Publikum aus mancherlei Ursa-
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chen verloren hatte. Herr Pichler erhielt daher im September 1820 die nachgesuchte Concession von neuem auf 5 Jahre.
G e r i c h tswesen. f
Die Quellen des bürgerlichen und peinlichen Rechts sind für Bremen zunächst einheimische Rechtsnormen und in deren Ermange] ung das ge- meine Recht.
Die Grundlage jener einheimischen Rechtsquellen findet sich in dem Stadtbuche, welches aus den beiden ältesten uns bekannten Gesetzsammlungen von den Jahren 1303 und 1428 entstand und im Jahre 1433 publicirt ward *). Es besteht aus 106 Statuten, 5 Artiii ein, welche für gewisse Verbrechen und Ver- gehen Strafverfolgungen enthalten (Ordeele sunder Gnade), und aus 102 Rechtssprüchen (Ordeelen). Aufser einigen Bestimmungen über Verfassungs- und Verwaltungs - x\ngelegenheiten enthält es Vorschriften für Gegenstände des bürgerlichen und peinlichen Rechts, der Polizey, wie aucli des Processes, indem es überhaupt das damals in Bremen geltende Recht darstellen sollte. Denn, wie es im zweiten Statut heifst, der Rath und die ganze Gemeinheit zu Bremen hatten den Entschlufs gefafst, dafs sie ihr Recht be-
*) Vgl. Vollständige Sammlung alter und neuer Gesetzbü- cher der Kaiserl. und des heil. Rom. Reichs freien Stadt Bremen, aus Original - Handschriften herausgegeben von Gerh. Oelrichs. Bremen 1771.
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schreiben wollten, so wie es dort beschrieben steht, und wie es ewig bleiben und gehalten werden sollte für alle gleich, für den Reichen wie für den Armen.
Vielfache bürgerliche Unruhen hatten im Jahre 1534 ein zweites Grundgesetz, die sogenannte neue Eintracht, zur Folge, wodurch die entstandenen Unruhen beigelegt und Maafsregeln gegen künftige aufrührerische Versuche getrofTen wurden.
Endlich gehört hierher auch noch die Kundige Rulle, welche aus der Mitte des fünfzehnten Jahr- hunderts herstammt. Sie enthalt indefs gröfstentheils nur polizeiliche Vorschriften.
Alle diese Gesetze sind in plattdeutscher Sprache abgefafst. Sie tragen das Gepräge ihres Zeitalters und man darf daher bei ihnen weder systematische Ord- nung noch Vollständigheit erwarten. Aber indem sich der eigenthümliche Geist unsrer biedern Vorfahren darin ausspricht , indem sie uns Aufschlüsse über da- malige Sitten, Gebräuche und städtische Einrichtun- gen ertheilen, gewährt ihr Studium ein vielfaches In- teresse. Ein grofser Theil derselben hat zwar durch den Untergang der Institute, worauf sie sich beziehen, so wie durch neuere Gesetze seine practische Bedeu- tung verloren, aber bei vielen wichtigen Verhältnissen z. B. in Ansehung der Vermögensrechte der Ehegatten, der gesetzlichen Erbfolge u. s. w. bilden sie fortwäh- rend die hauptsächlichste Entscheidungsnorm.
Seit jener Zeit hat das Bedürfnifs verschiedene neue gesetzliche Bestimmungen veranlafst. Mit der Erweiterung des Handels und Verhehrs bildeten sich
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Institute, für welche selbst das seitdem eingeführte Römische Recht nicht ausreichte, oder wenigstens o^ine Verletzung ihrer Eigenthümlichheit nicht wohl anwendbar war. Manche sonstige Localverhaltnisse erforderten bei ihrer rechtlichen Beurtheilung eine besondere Rüchsicht. So entstanden das Hanseati- sche See recht, eine Wechselordnung, eine Gesindeordnung und mehrere einzelne gesetz- liche Vorschriften, wodurch theils eine Abänderung des geltenden Rechts, theils eine Ergänzung der darin sich zeigenden Lüchen bezwecht ward. — Von allen diesen Verordnungen sind zwechmäfsige Sammlungen veranstaltet.
Einen besondern Abschnitt in der Bremischen Rechtsgeschichte bildet die Einführung des Französi- schen Rechts im Jahre 1811, wodurch, ohne Rüch- sicht auf Individualität der Verhältnisse , eine fremd- artige Gesetzgebung die Stelle der gröfstentheils seit Jahrhunderten bestandenen und bewährten Rechtsnor- men einnahm. Bald nach der Wiederherstellung der Bremischen Verfassung ward indefs das frühere Justiz- wesen — wiewohl mit schonender Berüchsichtigung der unter den Französischen Gesetzen entstandenen Rechtsverhältnisse und mit einigen Abänderungen der vormaligen Organisation der Justizbehörden — wie- der hergestellt.
Der Verbesserung der Justizpßege hat man in Bremen in neuern Zeiten eine vorzügliche Sorgfalt ge- widmet, überzeugt, dafs in einem Staate, wo ein leb- hafter Handel und Verhehr herrscht, dieser Theil der
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Gesetzgebung eine besondere Rücksicht erheischt. An die Stelle der altern Gerichtsordnung führte man bei Aufhebung des französischen Rechts eine neue ein, wodurch eine grüfsere Vereinfachung der Ju- stizbehörden und des gerichtlichen Verfahrens be- wirkt wurde. In Folge des zwölften Artikels der- deutschen Bundesacte ward im Jahre 1819 von den freien Städten ein gemeinsames Ober- Appel- lationsgericht zu Lübeck angeordnet, welches nicht nur eine durch die Aufhebung der vormaligen Reichsgerichte entstandene Lücke , ohne mit den Ge- brechen jener Gerichte behaftet zu seyn, ausfüllt, son- dern auch nach seiner Organisation und nach der bis- herigen Erfahrung eine wohlgeordnete Rechtspflege in höchster Instanz zu verbürgen scheint. Zugleich wurde auch die im Jahre 181.4 publicirte Bremische Gerichtsordnung einer gänzlichen Revision un- terworfen, theils um dieselbe zu verbessern, theils um die in Beziehung auf das Ober- Appellations- gericht erforderlichen abändernden Bestimmungen zu treffen. Durch diese revidirte Gerichtsord- nung wird in Verbindung mit derjenigen, welche für das Ober- Appellationsgericht erlassen ist, der Wirkungskreis der Justizbehörden und das Verfahren bei denselben geregelt. Es liegt ihr der gemeine deutsche Procefs zum Grunde, wobei indefs mehrere Controversen entschieden, manche Verfahrungsarten abgekürzt und vereinfacht, und verschiedene durch Local Verhältnisse herbeigeführte Vorschriften getrof- fen sind.
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Aufser dem Ober- Appellationsgerichte, welches für Bremen in allen bedeutenden bürgerlichen und peinlichen Sachen in letzter Instanz entscheidet, sind in Bremen selbst folgende Justizbehörden:
1) Das Obergericht, welches für alle Civil- sachen, deren Gegenstand den Werth von dreihundert Reichsthalern übersteigt, so wie in bedeutenden Kri- minalfällen die erste Instanz bildet und in allen andern Rechtssachen in zweiter Instanz zu entscheiden hat.
9) Das Untergericht. Vor dieses gehören alle Civilsachen , für welche nicht das Obergericht die erste Instanz bildet. Für besonders geringfügige Sa- chen ist bei demselben ein sehr summarisches Ver- fahren , wobei die Partheien in der Regel persönlich erscheinen müssen, angeordnet.
3) Das Kriminalgericht, welches in allen peinlichen Fällen die Untersuchung führt, und, inso- fern es sich nicht um eine Strafe handelt, die nur vom Obergerichte erkannt werden kann, die Ent- scheidung erläfst.
4) Das Amt Vegesack. Dieses hat für den Flecken Vegesack den dem Untergerichte und dem Kriminalgerichte für die Stadt und den übrigen Theil des Gebiets zustehenden Wirkungskreis.
5) Die sogenannten Morgen sprachen, in welchen alle Zunftsachen in erster Instanz entschieden werden.
Verbrechen , deren sich Wehrmänner oder Militärpersonen in Dienstsachen schuldig machen, werden von Gerichten, die aus Mitgliedern der
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Bürgerwelir oder des Stadtmilitärs für jeden ein- zelnen Fall gebildet werden, abgeurtheilt.
Staatshaushaltung. f
Nur zu sehr hat sich in der Geschichte der neueren Staaten bewährt, dafs Geld der Nerve des Staats- organismus sey. In früherer Zeit fand einfaches Be- dürfnifs leicht die Mittel der Befriedigung. Einfach war daher die Finanzverwaltung in den Ländern, die jetzt zum grofsen Staatensystem gehören. Tausend- fache Verwickelungen und mit ihnen entstandene un- zählige Bedürfnisse haben genothigt, die Mittel zu vervielfachen, und das Finanzwesen ist jetzt das Hauptgetriebe des Staatslebens.
Den nemlichen Weg hat auch unser Meiner Frei- staat wandern müssen. Wie die jetzige Verfassung in ihrem Entstehen auf sehr einfachen Grundlagen beruht und sich erst in der Zeit ausgebildet hat, so war auch der Staatshaushalt ursprünglich höchst ein- fach. Das tägliche Bedürfnifs bestritte der Senat aus seinen Domainen; war aufserordentliche Aufwendung nöthig, so gab die Bürgerschaft dazu einen Zuschufs, nicht durch bleibende Abgaben, sondern durch Bei- träge, für welche zwar das Verhältnifs festgesetzt ward, die aber hernach jeder selbst ohne Nachfor- schung der Regierung nach seinem Vermögen auf Treue und Glauben berechnete und einlieferte (Schofs). Regelmäfsige Abgaben führte vomemlich erst der
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dreifs ig jährige Krieg herbei. Historisch erklärt es sich, dafs bei der Bewilligung wie bei der Verwen- dung des Bewilligten die Bürgerschaft eine Stimme nahm und erhielt. Wenn aber so die Zeit, welche die Bedürfnisse schuf, auch zu den Mitteln führte , ihnen zu begegnen, so erklärt es sich daher nicht minder, dafs für die Einsammlung dieser Mittel und für deren Verwendung jedesmal eine abgesonderte Behörde ge- ordnet wurde. So entstanden fast für alle verschie- denen Zweige des Staatshaushalts besondere Departe- ments (Stationen), gebildet aus Mitgliedern des Senats und der Bürgerschaft, die zwar in der Ober- aufsicht des Ersteren und dem bei Rath und Bürger- schaft beruhenden Dispositionsrecht über die Staats- kräfte ihr Centrum fanden, sich aber doch möglichst selbstständig und getrennt zu halten strebten, und dadurch den richtigen Ueb erblich und mit ihm oft die angemessenste Verwendung für das jedesmalige drin- gendere Bedürfnifs hinderten.
Auf das höchste angespannt wurden die Anfor- derungen seit der französischen Revolution, sich immer mehr steigernd in dem ersten Jahrzehend unsers Jahrhunderts. Abgaben aller Art, wie die neueste Staatshunst sie nur ersonnen hat, mufsten im Drange der Noth bewilligt werden» Aber auch sie reichten nicht aus, um so weniger bei den widernatürlichen Beschränkungen, die des Staates Hauptkraft, der Handel, erleiden mufste, wodurch mit seinen Quellen die Einflüsse , die von daher dem Haushalte zukommen sollten, sich minderten. Von neuem mufste die Fi-
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nanzkunst aushelfen, auf dem Wege, der so manche Staaten zu einem unnatürlichen Zustande geführt hat. Schulden wurden auf Schulden gehäuft und auch hierbei wurde dem Staate die Anwendung nicht vieler der Aushülfen erlassen, die der geschwächte Kredit anderer Staaten dafür ausgefunden hat.
Der vielgepriesene Reichthum der Hansestädte bestand Gottlob nie in dem schreienden Gegensatz grofser Reichthümer in einzelner Hand zu tiefer Ar- muth der Menge, sondern in einer ziemlich allgemein verbreiteten Wohlhabenheit, dem Ergebnifs einfacher Sitten und treuen Zurathehaltens des Erworbenen. Aber in jener unseligen Zeit, die im raschen Fluge das Ersparte verschlang und zugleich die Quellen ge- wohnten Erwerbes verschlofs, sank dieser Wohlstand, mit ihm auch der öffentliche Kredit. Das lästigste aller Mittel, dem gegenwärtigen Staatsbedürfnisse ab- zuhelfen , gezwungene Anleihen , war zuletzt der einzig übrig gebliebene Ausweg. So hatte Rremen bis zum Augenblick der Einverleibung des nördlichen Deutschlands in das grofse Kaiserreich fast eine Million Reichsthaler Schulden angehäuft.
Ordnung und Einheit in dieses so zersplitterte und auf das höchste zerrüttete Finanzwesen zu brin- gen, und zugleich die Einnahme mit dem Bedüif'nifs auszugleichen , war nach W iedererstehting der alten Verfassung eine schwierige , fast unauflösbar sich darstellende Aufgabe, bei den in den ersten Kriegs- jahren des allgemeinen Freiheitskampfs gesteigerten Anforderungen und bei den jetzt noch sich mehr und
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mehr trübenden Aussichten nutzenbringender Anlage des ohnehin geschwächten und zerstreuten Handels- kapitals der Klasse der Bürger, die dem Staate seine Hauptkraft verleihen.
Dennoch ist es den von dem besten Willen be- lebten und von dem klaren Blich, den der Handel gibt, zu konsequenten Maasnahmen geleiteten Be- strebungen Aller , die für das Staatswohl mitzuwirken berufen waren, und der Einigkeit, die zwischen dem Senat und der Bürgerschaft gewaltet hat, früh genug gelungen.
Es ist erreicht, dafs Ordnung und Klarheit im Staatshaushalte herrscht; dafs den Ungeheuern Be- dürfnissen der ersten Kriegsjahre begegnet ist, ohne die früheren Schulden zu mehren ; dafs die Zinsen- rückstände der französischen Zeit gleich in den ersten Jahren und ohne Abzug nachbezahlt werden konnten; dafs durch Gründung eines Schuldentilgungsfonds der allmählige Abtrag der Schulden eingeleitet worden, und dennoch die Friedens) ahre zu manchen nützlichen Werken und Anstalten benuzt werden konnten.
Als die hauptsächlichste Ursache , die diese wohl- thätigen Erfolge herbeigeführt haben dürfte , müssen wir die Centralisirung aller früher getrennten Finanz- departements und dadurch zersplitterten Staatskräfte in eine einzige Generalkasse und die Uebertra- gung der gesammten oberen Leitung des Finanzwesens an einen Finanzausschufs, angeben, weil da- durch eine klare Uebersicht der vorhandenen Mittel, eine genaue Abwägung der Einkünfte mit den Bedürf-
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nissen und eine sorgfältige Berücksichtigung der jedes- maligen angemessensten Verwendung erreicht ist»
Die Finanz deputation, aus Tier Senatoren und zwölf Bürgern gebildet , ist indessen nicht blofs verfassungsmäfsig von Rath und Bürgerschaft abhängig, sondern mufs auch alljährlich ein toii ihr ausgearbei- tetes und von Rath und Bürgerschaft geprüftes und festgestelltes Budget sich zur genauen Richtschnur dienen lassen. Ihr Hauptwirkungskreis ist die allge- meine Finanzkontrolle und die nächste Aufsicht auf das Hauptrechnungswesen , womit zugleich verschie- dene SpezialVerwaltungen, als die der Domanial- Aufkünfte, des Bauwesens u. s. w. verbunden sind. Doch hat man die Absicht, die Kontrolle künftig ganz von der Verwaltung zu trennen. Die andern Spezial- verwaltungen , wie die des Militärwesens , des Strom- baues, der Abgabenerhebungen u. s. w. werden theils durch besondere Deputationen, theils durch eigene Beamte besorgt» Alle Einnahmen aber fliefsen in die Generalkasse und alle Ausgaben werden unmittelbar aus dieser bestritten, mittelst Anweisungen der Finanz- deputation, an die sich die SpezialVerwaltungen zu wenden haben, auf den dafür im Budget ausgesetzten und ohne besondern Beschlufs von Rath und Bürger- schaft nicht zu erhöhenden Spezialfonds. Besondere Kassen linden überall nicht mehr Statt.
Die Staatseinnahmen bestehen theils in Do- manialaufkünften , theils in directen und indirecten Abgaben. Unter jenen ist eine an sich nur mäfsige Grundsteuer (2 per Mille vom Schätzungswerth) die
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hauptsächlichste, unter diesen eine Konsumtionssteuer, die jedoch nur yon den Stadtbewohnern getragen wird. An Stempelgebühren und mehreren Luxus- steuern, desgleichen an verschiedenen Handels- abgaben, die indessen zum Theil wieder unmittelbar zum Besten des Handels und der Schifffahrt ver- wandt werden , wie namentlich das sogenannte Con- voy- und Tonnen-, das Schlacht- und Hafengeld, fehlt es auch nicht. — Am wenigsten belastet sind die Gebietsbewohner, indem sie nur die Grundsteuer mitbezahlen und dazu etwa 11000 Rthlr. beitragen. — Der Hafenort Vegesack ist hierbei nicht mitgerechnet, der zwar für die Handlung wichtig ist, aber fast nicht die Verwaltungshosten aufbringt.
Haben aber die Abgaben, die vor der franzö- sischen Zeit eingeführt worden , nicht vermindert vielmehr noch durch Hinzufügung einiger andern ver- mehrt werden müssen, so darf man nach dem ordent- lichen Eingang derselben dennoch annehmen, dafs sie nicht drückend sind. Ihre regelmäfsige Verth eilung und der Umstand , dafs sie vornemlich nur den Wohl- habendem treffen, während der geringere Bürger wenig davon berührt wird, mögen die Ursache seyn.
Wenn diese ordentlichen Staatseinnahmen nicht hinreichen, wird als aufserordentliches Hülfsmittel ein sogenannter Schofs bewilligt. Diese aus den ältesten Zeiten beibehaltene Vermögenssteuer, die, wie schon gesagt ist, das Eigenthümliche hat, dafs jeder sich selbst schätzt, und mit seinem darnach selbst berechneten verhältnifsmäfsigen Ansatz allein
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seinem Gewissen überlassen bleibt, indem er ihn in
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die verdeckte Schofski^ a zu dem andern Gelde wirft, bedarf zwar jedesmal einer besondern Bewilligung, pflegte aber sonst regelmäfsig alle Jahr in bald gröfserem, bald geringerem Verhältnisse (von yi8 bis zu %, in höchstseltenen Fällen x/2 pro Cent) wiederzukehren, ist aber jetzt seit mehreren Jahren nicht erforderlich gewesen.
Unter den Staats ausgab en machen die Zin- sen der Staatsschuld bei weitem die gröfste aus. Eben weil, um sie zu berichtigen, eine Menge Abgaben haben geschaffen werden müssen, die nach deren Tilgung zum Theil aufhören können, läfst sich der Gesammtbetrag der ordentlichen Einkünfte nicht wohl angeben. Jedoch die in mehreren statistischen Schrif- ten angegebenen 300,000 fl. Rhein, dürften wohl zu gering seyn, und man konnte, um der Wahrheit am nächsten zu kommen, beinahe Reichsthaler dafür setzen.
Die Amtseinkünfte der Mitglieder des Senats be- standen sonst in den Intraden der ihm privativ ge- hörenden Güter, in den Aufkünften der Gerichtsbarkeit und in mancherlei Sportein. In neuerer Zeit hat er sich mit der Bürgerschaft dahin vereinigt, dafs er alle seine Privatdomänen zum gemeinen Staatsgut ge- schlagen hat und alle sonstige Einkünfte in die Ge- neralkasse fliefsen läfst, wogegen ihm aus derselben jährlich eine feste Summe als Entschädigung in mo- natlichen Raten ausgezahlt wird, deren Yertheilung unter seinen Mitgliedern nach vereinbarten Sätzen von
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ihm selbst beschafft wird, eine für die Regierung eines Freistaats gewifs tingleich würdigere Stellung.
Dieser Ehrengehalt der Regierung, so wie der Beitrag zu den Kosten des neuerrichteten Oberappel- lationsgerichts , die Besoldungen der Staatsdiener, die Unterhaltung aller öffentlichen Gebäude , Anstalten und Anlagen, der Sold und die Verpflegung des Mili- tärs, die bedeutenden zum Besten des Handels und der Schifffahrt, besonders für die SchifTbarerhaltung der Weser, zu machenden Aufwendungen nehmen den übrigen Theil der Einnahmen in Anspruch.
Hat auch in diesen Jahren vieles neugebaut oder angelegt werden müssen, was theils in der französi- schen Zeit verfallen, theils durch veränderte Einrich- tungen notliwendig oder aus andern Gründen gemein- nützlich war, so waren es weniger die Ueberschüsse der ordentlichen Einnahme, als verschiedene aufser- ordentliche Einflüsse und Hülfsquellen , die dazu be- nutzt wurden.
Besonders wohlthätig hat sich die schon im Jahre 1816 errichtete Schuldentilgungsanstalt be- währt, welche unter der besonderen Aufsicht von zwei Senatoren und acht Bürgern steht. Nicht wie in manchen anderen Staaten erhält sie ihre Zuflüsse aus Ueberschüssen der ordentlichen Einnahmen, noch hat man zu Zinsreductionen seine Zuflucht nehmen mögen, sondern sie ist auf den einfachen Grundsatz gebaut, dafs alles, was vom Kapitalbestande des Staatsvermö- gens realisirt wird, zum Abtrag der Schulden ver- wandt werden mufs. Es wurde daher beschlossen?
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von den Domänen die entbehrlichsten bis zum Be- laufe einer gewissen Summe allmählig zu verkaufen und mit dem Erlöse den Tilgungsfonds zu dotiren. Diesen Fonds sollte die Anstalt anwenden, zinstra- gende Staatsschuldbriefe anzuhäufen und mit den da- für zu erhebenden Zinsen weiter operiren. Um in- dessen auch die Staatshasse durch die allmählige Schuldentilgung zu erleichtern, besonders weil ihre Einkünfte durch den Verkauf der Staatsgüter ver- mindert wurden , ward festgesetzt, dafs die Tilgungs- anstalt von den angehäuften Schuldbriefen nur die halben Zinsen erheben, die andere Hälfte der Staats- hasse verbleiben soll. Mehrere Generationen werden zwar darüber hingehen, bis auf diesem Wege Bremen zu dem Zustande zurückgeführt seyn wird, in dem sein Staatshaushalt sich beim Schlüsse des vorigen Jahrhunderts befand; allein, wird auch die Wirk- samkeit des Tilgungsfonds geschwächt und der völ- lige Abtrag der Staatsschuld hinausgeschoben, da- durch, dafs die vierprozentigen Schulddokumente schon über 90 pro Cent, die zu höheren Zinsen ste- henden al Pari oder wenig darunter gelten , er sie also zu einem höheren Preise ankaufen mufs , als man bei der Errichtung berechnet hat: der Einsichtsvollere bedauert es nicht, denn es erscheint ihm als ein Zei- chen des Glaubens an die Gewissenhaftigkeit des Staats und an die Dauer des allgemeinen Friedens- zustandes.
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Die Neustadt, f
1) Entstehung derselben.
Wer mit einem aufmerksamen Blicke die Neu- stadt Bremens betrachtet und sich dabei der Periode erinnert, in der sie ihr Entstehen erhielt, mufs sich wundern , wie ein Werk von solchem Umfange , das an der Weserseite die Länge der ganzen Altstadt ein- nimmt, an der Landseite aber mit einem Festungsgra- ben yon 7620 Fufs Länge eingeschlossen ist, gerade in den trübsten Zeiten, die über Deutschland herein- gebrochen waren, mitten unter den Stürmen des dreifsig jährigen Krieges, habe beschlossen und aus- geführt werden können; zu einer Zeit, wo fast keine Gegend Deutschlands unverwüstet blieb , viele Städte gänzlich zerstört, andere ihres Wohlstandes so be- raubt wurden, dafs die Spuren davon noch immer sichtbar geblieben sind.
Nur dann wird dies erklärbar, wenn man sich erinnert, welcher Glücksstern in jenen blutigen Jahren über Bremen waltete, wie es, damals von Schweden begünstigt, im Yerhältnifs zu andern Städten wenig zu leiden hatte , und wie für Bremen die schwereren Tage erst nach dem Westphälischen Frieden, welcher das Erzstift dem Schwedischen Zepter unterwarf, her- ein brachen. Schwerlich aber würde man damals, dieser Verhältnisse ungeachtet, ein so bedeutendes
Werk unternommen haben , hätte nicht die gegründete Sorge für die Selbsterhaltung dazu aufgefordert.
Bios das Stephani - und Dovethor waren seit dem Jahre 1602 mit Bastionen nach der neueren Kriegs- kunst befestigt; von dort an bis zum Osterthors- zwinger umgab nur ein einfacher Wall und Graben, wenig Schutz gewährend, die Landseite der Stadt. Noch offener aber lag die Wasserseite , wo sie von den Blockhäusern auf dem Stavendamme (der Morgen- stern genannt) der Achenburg und Wicheinburg nur schwach vertheidigt, fast offen und jedem Anfalle, jeder Zerstörung Mos gestellt lag.
Am 24sten Januar 1615 ernannte daher der Senat zu Prüfung der auf sein Verlangen durch einen ge- schickten niederländischen Ingenieur, Johann von Valkenburg, entworfenen Pläne zu vollständigerer Befestigung der Stadt eine Kommission aus seiner Mitte, und wiederholte demnächst die erforderlichen Untersuchungen an Ort und Stelle mit dem General- artilleriemeister der Hansestädte, dem Obrist -Lieu- tenant Dado von Kniephausen, welcher durchgehends sich mit Yalkenburgs Plänen einverstanden erklärte.
Die Sorge vor einem befürchteten Ueberfalle des spanischen Heerführers Spinola, der, mit einem be- träch 1 1 i cli e n K o rp s in den Niederlanden stehend, Miene machte, in das nördliche Deutschland, wo der Pro- testantismus schon vorherrschend geworden, einzu- fallen, veranlafste indefs vor der Hand alle Kräfte an die Festungswerke der Altstadt zu legen, und so gelangte man erst am 2Ssten Juni 1618 dazu, die projectirten
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Werlte der Neustadt abstecken zu können. Biese sollten dem Osterthorswalle gegenüber beginnen und sich der Steplianibastion gegenüber endigen, aus sieben Bastionen , denen noch eine achte im Werder beigefügt wurde, bestehen und mit zwei Thoren ver- schen werden. Den dadurch eingeschlossenen Raum, die jetzige Neustadt, wollte Valkenburg, außer einem Wege an der Weser, dem jetzigen Deiche, ihrer Länge nach mit drei Hauptstrafsen , ihrer Breite nach aber mit neun Strafsen durchschneiden, von diesen letz- tern sollten fünf eine solche Breite haben, dafs sie in der Mitte, nach Art mehrerer holländischen Städte, mit fünf Ruthen breiten Kanälen versehen werden könnten.
Den vollständigen Rifs der neuen Werke übergab Valkenburg jedoch erst im Juli 1619, und noch lang- samer schritt man zur Ausführung. Da theils die Aufbringung der grofsen Kosten Schwierigkeiten machte, theils bei vielen Altstädtischen Bürgern eine Eifersucht gegen diesen neuen Theil der Stadt sich äufserte, die im Verfolge der Arbeit noch oft hin- dernd einwirkte. Einige fürchteten einen Abbruch an ihren Geschäften durch die neuen Ansiedler zu leiden, andere die Verminderung des Werthes ihrer Häuser durch den Anbau der Neustadt erwarten zu müssen, und eben deshalb waren viele gegen die An- legung der erwähnten Kanäle gestimmt, weil die daran zu erbauenden Kaufinannshäuser durch das erleich- terte Ein- und Ausladen der Kähne unmittelbar vor den Packräumen einen zu bedeutenden Vorzug vor
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den Altstädtischen Häusern gewinnen würden. Be- der>klichkei:en dieser Art nöthigten wenigstens wohl eben so sehr, wo nicht noch mehr, wie die besorgte Verschlammung der Kanäle in den Sommernionaten, von deren Anlage abzustehen.
Ueber dergleichen Hindernisse und deren Besei- tigung verstrichen wieder einige Jahre, ohne dafs die Befestigung an der linhen Weserseite begonnen wurde, und doch lag von dorther die Stadt so offen, dafs man, nach einer im Jahre 1621 dem Senate ge- machten Anzeige, bei dem damaligen niedrigen Wasserstande die Weser von dem Stephani- Werder und der Gröpelinger Weide bis zumTheerhofe durch- waden konnte.
Erst am 21sten März 1622 entschlofs man sich endlich, einen in Emden sich aufhaltenden Ingenieur, Joh. v. Leer, mit einigen Gehülfen in Dienst zu nehmen, um durch diese die längst projectirten Ar- beiten ausführen zu lassen, und wahrlich schien es dazu die höchste Zeit, denn schon war der Graf Mansfcld mit seinem Heere bis Lingen vorgerückt und mehrseitige Warnungen ergingen, gegen Tilly auf der Hut zu seyn, der es auf die Stadt abgesehen habe. Bei dieser dringenden Gefahr, wo man schon damit um- ging, die Landleute des Gebietes zur Vertheidigung der Stadt einzuberufen, begann die Arbeit, und wie am Ilten Dec. der Rath der Bürgerschaft die Not- wendigkeit vorstellte, dieselbe noch thätiger zu be- treiben , erklärte diese , der Rath möge die Wall- arbeiten nur anordnen, jeder Bürgerkompagnie aber
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eine gewisse Strecke anweisen, die dann diese selbst oder durch gedungene Arbeiter fertig liefern solle. Im folgenden Frühjahre änderte man dies dahin, dafs man beschlofs, den noch unvollendeten Theil der Ar- beiten an Unternehmer zu verdingen, und setzte eine gemeinschaftliche Deputation von vier Rathsherren und vier Bürgern nieder, dies ins Werk zurichten, die dann auch am 22sten Mai 1623 mit dem Wall- meister Jacob Claufsen einen Kontract schlofs, wor- nach dieser die Vollendung der Werhe nach Talken- burgs Rissen, für die Summe von 102,000 Bremer Mark und unentgeldliche Anweisung eines Wohn- platzes innerhalb der neuen Festung, übernahm.
Eine neue Schwierigheit erhob sich indefs jetzt, indem der damalige Domprobst, Herzog Friedrich von Braunschweig- Lüneburg , es nicht zugeben wollte, dafs verschiedene zur Domprobstei gehörige Lände- reien theils in den Bereich der neuen Werhe gezogen, theils zu denselben verwendet würden; der Rath er- wiederte ihm aber, dafs diese Arbeiten sowTohl zur Sicherung der Stadt, als auch des Erzstiftes und des ganzen niedersächsischen Kreises unternommen wür- den, dafs man ihm die eingezogenen Ländereien billig vergüten werde, und fuhr des fortgesetzten Ein- spruches ungeachtet mit der Arbeit fort.
Nicht so leicht zu überwinden waren die Schwie- righeiten zu Herbeischaffung der Geldmittel, indem der Verkauf der neuen Bauplätze, auf welchen man vorzugsweise gerechnet hatte, nur äufserst langsam und schlecht von Statten ging, während die wüchent-
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liehe Ausgabe sich auf 2000 bis 3000 Bremer Mark belief. Als endlich alle Quellen erschöpft waren, mufste man sich sogar zu dem nur durch die äufserste Noth zu entschuldigenden Mittel entschliefsen , einen Vorrath von 10,000 Mark ungangbarer, sogenannter Fürstengroschen mit dem Bremer Stempel zu verse- hen und das Stück für sechs Schwäre bei den Wall- arbeiten auszugeben, wo sie dann als Stadtmünze in Umlauf harnen.
Im Sommer des Jahres 1624 suchte der Ingenieur Valhenburg, der bis dahin die Aufsicht über die Werke geführt hatte, um seine Entlassung nach, weil er nun- mehr das Seinige gethan habe, und eine zur Besich- tigung der Werke abgeordnete Kommission berichtete am 17t en Sept., dafs er entlassen werden könne.
Am l4ten Mai 1625 waren die Werke so weit vorgerückt, dafs der Bau des Buntenthors undHohen- thors vorgenommen werden konnte, indefs fehlte noch so viel an deren gänzlichen Vollendung, dafs sie schwerlich hinreichende Sicherheit gewährt haben würden, wären die Absichten der Liga zur Aus- führung gekommen, gegen welche der Statthalter Moriz vonOranien schon im Anfange des Jahres 1625, unter Anerbietung schleuniger Hülfe im Nothfalle, den Senat warnte, und wegen deren die verbündete Stadt Magdeburg mehrere Gefahr drohende Pläne vertrau- lich mittheilte. Dringend forderte unter diesen Um- ständen der Rath die Bürgerschaft zu noch beschleu- nigter Beihülfe auf, und so gelangte man dahin, dafs noch in diesem Jahre die Aufführung des Deiches
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verdungen, im folgenden 1626sten Jahre aber die Arbeit an den Bastionen undCourtinen beendigt werden konnte. Schwerlich möchte dies aber erreicht worden seyn , hätte nicht das Einrücken des , die zu Lutter am Barenberge geschlagenen Danen verfolgenden, Grafen Anhalt in das Holler- und Werdeland die Beschleuni- gung der Arbeit dringend geboten, und dies zugleich Gelegenheit gegeben, dieselbe durch die vielen von Haus und Hof gejagten und zur Stadt geflüchteten Landleute kräftig zu fördern. Endlich war die Fe- stungslinie vollständig geschlossen, allein der Anbau der neuen Stadt rückte wenig vorwärts , wiewohl der Senat, um denselben zu fördern, im Jahre 1630 den Bau einer eigenen Kirche begann, welche, da man sie nachher bei der Errichtung der jetzigen an der Wehre liegenden Kirche wieder verkaufte, ein der nunmehrigen Kirche gegenüber stehendes Wirthshaus ist. Nur in der Nähe des Buntenthors, der Braut- strafse und des Deichs geschahen einige Ansiedelun- gen, da die Abneigung der Altstädtischen Bürger gegen die neue Kolonie noch zu vorherrschend war, um dieser ein schnelles Gedeihen zu sichern. Noch im Jahre 1632 , als die Schweden sich des Erzstiftes bemächtigt hatten , und man von Seiten des Generals Tott einen Angriff fürchtete, trug die Bürgerschaft am 25sten März darauf an : die Werke jenseits der W eser so enge und genau zusammenzuziehen , als nur immer möglich; dann aber das grofse weitläuftige Werk der neuen Stadt wieder zu demoliren, da jeder sich überzeugen würde, dafs dieses nur das Verderben und
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der Untergang der Altstadt seye. Einen gleichen Wider- willen äufserte die Bürgerschaft noch in dem Konvente vom 25sten Juni 1638 , in welchem sie sich behlagte : „ dafs mit so unsäglich grofsen Kosten und zu unwider- bringlichem Schaden der Stadt diese Neustadt auf- geführt sey, die doch zu jedermanns Despect und „nicht geringer Verwunderung den Winter über im „Wasser schwimme, des Sommers aber mit Schafen, „Schweinen und Kühen bestallt würde. "
Die Bevölkerung der Neustadt war damals so ge- ring , dafs sich bei einer vorgenommenen Zählung nur sechszig zum bürgerlichen Wachtdienste fähige Ein- wohner in derselben fanden, vermehrte sich indefs nachgehends durch verschiedeneren neuen Anbauern bewilligte Begünstigungen, wenn man gleich den im Jahre 1635 von einer Gesellschaft englischer Kauf- leute gemachten Antrag: ein bedeutendes Quartier der Neustadt anbauen, dann aber in diesem eine eigene Kolonie unter einem Courtmaster bilden zu wollen, ablehnen zu müssen glaubte. Ein im Jahre 1664 von Caspar Schulz in Kupferstich herausgegebener Grund- rifs der Neustadt zeigt dieselbe schon fast durchgängig angebaut.
Die Ansprüche des Domprobstes Friedrich auf einen Theil des Grunds und Bodens der neuen Festung, waren indefs während des Baues unerledigt geblie- ben, und dieser Gegenstand wurde, nachdem das Erzstift zu Gunsten Schwedens säcularisirt worden, um so bedenklicher, da dies bald alles hervorsuchte, was ihm zum "Vor wände eines Anspruches an die Stadt
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dienen konnte, und in dieser Hinsicht daraufhindeu- tete, dafs wenn man nicht ein ungeheures Geldopfer bringen wolle , man die Neustadt selbst als zum Theil wenigstens auf königlichem Grund und Boden ange- legt, zu sich nehmen werde. Der Senat mufste daher alles anzuwenden suchen, diese Ansprüche zu besei- tigen, und es gelang nach vielen desfallsigen Ver- handlungen die Krone Schweden zur Aufgebung ihrer Ansprüche zu bewegen und sich diese durch den vierzehnten Artikel des bekannten Stader Recesses vom Jahre 1654 garantiren zu lassen , wodurch dann dieser Streitpunct für immer beseitigt wurde.
2) Jetziger Zustand.
Nach und nach gewann die jüngere Schwester- stadt die Zuneigung der altern. Sie verschönerte sich; stattliche Häuser erschienen in der Hauptstrafse, wenn auch gleich die meisten übrigen breiten , schnur- geraden Strafsen das Ansehen kleiner niedlichen Land- städtchen behielten. Die reichen Altstädter bauten sich Gartenhäuser längs der Weser hinab an dem so- genannten Deiche, brachten daselbst ihre Sommer- monate zu, und bewirtheten ihre Freunde; daher noch vor kaum verflossenen fünf und zwanzig Jahren dieser Theil der Neustadt an Sonn- und schönen Wochen- tagen ein recht glänzendes Ansehen hatte. Obgleich dieses jetzt aufgehört hat, so besitzt die Neustadt doch an dem Deiche eine der schönsten Parthien, welche daher auch , wie die damit zusammenhangende Allee, wie in früheren Zeiten, ehe die Wallanlagen
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zu Stande gekommen waren, noch jetzt zum Spa- ziergehen benutzt zu werden verdient. Die an dem Deiche liegenden ehemaligen Gartenhäuser sind jetzt zu beständigen Wohnhäusern geworden, aus deren vorderen Seiten man die durch Fahrzeuge belebte Weser und die ansehnlichen Kaufmannshäuser und Waarenlager längs derselben erblicht.
Die Neustadt wird nach der Landseite durch zwei Thore , das Bunte - und Hohethor, geschlos- sen. Jenes führt auf die Rheinische Strafse , dieses ist die Strafse nach dem Oldenburgischen. Derjenige Theil der Neustadt , der auf der Halbinsel oder zwischen den beiden Brüchen der grofsen und kleinen Weser liegt, heifst die Herrlichheit, und verlängert sich links in den Werder, rechts hinab in eine ver- längerte Spitze, den Theerhof.
Für die Altstadt rechnet man gegenwärtig eine Bevölkerung von 20,754 Seelen, für die Neustadt 7,920, auf die Vorstädte 8,354 Im Ganzen 37,028 Menschen. Die Anzahl der Bewohner des Stadtgebiets kann man auf 12,000 anschlagen,
Stadtgebiet von Bremen, f
Das zur Stadt Bremen gehörende Gebiet ist etwa fünf Quadratmeilen grofs und wird durch die Weser zerschnitten , dann auch von den kleinen Flüssen Wümme ( die etwa eine Stunde von ihrem Ausflusse bei dem Eintritt der Hamme in dieselbe den
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Namen Leesum annimmt), und Ochtum oder Ochum theils begränzt, theils durchzogen.
Die Umgegend von Bremen theilt daher mit der ganzen untern Wesergegend die Natur des Bodens; aus sumpfigen und moorigten Niederungen mit hie und da angehäuften Sanddünen bestehend. Darum finden sich in den ältesten Urkunden häufig die Aus- drücke: paludes et deserta oder insula Bremensis. Unter insula Bremensis wird eigentlich nur das Wer- derland verstanden , so wie der zuerst angebaute Theil des Ober- und Niederviehlandes sich als insula Lechter bezeichnet findet. S. Wersabe über die Niederländ. Kolonien S. 91.
Auch hier waren ohne die künstliche Beschrän- kung durch Deiche diese Flächen zu keiner Jahreszeit vor Ueberschwemmung sicher, daher schon in den frühesten Zeiten auf die Anlegung von Deichen grofser Fleifs gewandt worden. Vorher, und selbst nach den ersten Versuchen des Eindeichens, da diese noch unvollkommen genug seyn mochten, war an Ackerbau, aufser auf den höherliegenden, der Ueber- schwemmung nicht ausgesetzten Stellen (Wurteni, daher die Wurstner oder Wurstsaten, die auf den Wurten sich angesetzt hatten), kaum zu denken. Viehzucht war die Hauptsache.
Die Unterhaltung der Deiche an der Weser, Wümme und Ochtum liegt den Landbesitzern nach Verhältnifs ihres Landes ob und ist für sie eine be- schwerliche Last, wird aber mit grofser Sorgfalt beachtet, weil ihr Wohlseyn davon abhängig ist.
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Wann die Eindeichungen zuerst geschehen sind, läfst sich nicht mehr genau ausmitteln. Aus einer Stelle in Renners Chronik vom Jahre 1020 und der daraus verfafsten Reimchronik
Der Elbe und der TVesser Floth Sind dusser Tiedt geworden grot Und hebben groten Schaden dahn Darup man is to Schade ghan Dan man den Wesser Diek gelecht
u. s. w. schliefst man , dafs damals die Weserdeiche zuerst angelegt worden. Allein es ist nicht zu be- zweifeln, dafs die Deiche schon früher, wenn auch im unvollkommenen Zustande, vorhanden gewesen sind. So viel ist aber gewifs, dafs erst die durch die Erz- bischöfe Friedrich (1106) und Siegfried (1180) zum Anbau der wüsten und sumpfigen Strecken des Holler- landes herbeigerufene Belgier die Eindeichung und den Deichbau zweckmäfsig betrieben haben.
Eine von jeher ausgeübte strenge Aufsicht auf das Deichwesen von Seiten des Senats hat die Be- schaffenheit der Deiche, vornemlich an der Weser, allmählig sehr verbessert, wenn gleich auch hier Eis- gang und heftige Sturmfluthen häufig genug zeigen, dafs die Gewalt der Naturkräfte alles Menschenwerk verhöhne. Wegen des dadurch entstehenden unge- meinen Schadens ist die Handhabung der Oberdeich- polizei von grofser Wichtigkeit, und macht deshalb einen bedeutenden Geschäftszweig einiger besonders damit beauftragten Mitglieder des Senats aus, (ehemals der Gohgräfen, jetzt der Landherren) mit Ausnahme
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des Blocklandes, wo die Gutsherren berechtiget sind, aus ihrer Mitte einen Deichrichter ( Deich gräfen) zu wählen, welche Wahl jedoch seit mehreren Menschen- altern immer ein Mitglied des Senats getroffen hat.
In den ältesten Zeiten war , wie schon früher ge- zeigt worden, das Verhältnifs der Unterthanen im Stifte Bremen wie in einem grofsen Theil des übri- gen Deutschlands. Nur der Landesherr, die Edlen, die Stifter, die Klöster und die Städte besafsen den Boden; die Bauern waren unfrei und an den Boden gebunden, und wurden mit demselben oder ohne den-, selben verllauft und vertauscht. Dafs dieses Verhält- nifs noch neben dem durch das jus hollandricum und das daraus hervorgegangene Meierrecht gebildeten freieren Landbesitze Jahrhunderte lang fortbestanden hat, zeigen urkundlich Beispiele von 1363 und 1407.
Allein zu spärlich war das sumpfige Land noch mit Anbauern besetzt, und durch die Vortheile, welche die Kreuzzüge selbst den unter der Härte ihrer Bande und der Undankbarkeit des Bodens erliegenden Leib- eigenen darboten, (Dominus non audebat prohibere servum; Omnibus liberum erat iter propter timo- rem et amorem Dei (Bei Mabillon; und in Bothos Braunschweigischer Chronik: da Buren lopen von dem Ploge oppe den Velde u. s. w. S. Pütters deutsche Geschichte S. 202) verlor das Land noch viele seiner Bewohner, so dafs Friedrich der Erste, Erzbischof von Bremen im Jahre 1 106 theils um die Bevölkerung zu mehren, theils um der Natur des Bodens zu Hülfe zu kommen, Holländer (eigentlich Auswanderer aus
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den Landstrichen diesseits des Rheins, die man da- mals alle mit dem Kollehtivnamen Holländer bezeich* nete; eis Rhenum commorantibus , epii dieunturHol- landi, sagt die Urkunde), als Kolonisten heranzog, und sie in das jetzt sogenannte Hollerland setzte, weiches im Jahre 1180 Erzbischof Siegfried der Stadt Bremen verkaufte. (Wahrscheinlich war die Marsch schon längst bevölkert und angebaut, und wurden diese Kolonien nur zu Anbauung der Moore oder Brüche angelegt. Indessen ist diese Ansiedelung der Belgier im Hollerland nur ein Beispiel. Ihre Kolonien verbreiteten sich über einen weiten Strich Nord- deutschlands. S. das gründliche Werk des Ober- hauptmanns von Wersabe : Ueber die niederländischen Kolonien in Norddeutschland. Und Eelking Dissert. de Belgicis Sect. XII. in Germaniam advenis). Diese neuen Anbauer konnten aber nur durch ein besseres bäuerliches Verhältnifs gelockt werden, als das be- stehende war. Es wurde ein Grundstück, wovon der Erzbischof Eigenthümer blieb, zur Benutzung, und zwar mit Erbrecht, dem neuen Kolonisten übergeben, dessen Hauptverpflichtung war, es urbar zu machen, und ausserdem nur einen unbedeutenden nicht zu erhöhenden jährlichen Grundzins (einen Denar oder etwa 18 Pfennige heutigen Geldes) dem Grundherrn und den Zehndten der Kirche zu entrichten hatte. Dagegen wurde ihnen das Recht zugestanden, ihre Streitigkeiten selbst zu schlichten, unter Vorbehalt der Berufung an den Erzbischof, und zu dem Ende sich aus ihrer Mitte einen Gemeinderichter zu
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wählen. Dieses Rechts verhältnifs nennt man das jus hollandicum; es hatte zur Folge, dafs sich auch an- dere Leibeigene gern ihren Herren entzogen und sich in die Länder begaben, wo jenes Recht galt, um des Vortheils desselben theilhaftig zu werden. Doch hatte dieses zuweilen Kriege zur Folge , wie den mit dem Grafen von Hoya. Wollten also die Grundeigen- thümer auf diese Art nicht ihre Unterthänigen ganz verlieren und dem Ackerbaue alle Hände entzogen sehen, so mufsten sie ihnen das nemliche Recht ver- leihen. Solchergestalt bildete sich allmählig das Meierrecht, wie es jetzt im Bremischen Stadtgebiet als Regel besteht, aus, und die eigentliche Leibeigen- schaft war im vierzehnten Jahrhundert schon fast ganz verschwunden , wenn gleich Spuren davon in dem meierrechtlichen Verhältnisse stehen geblieben sind und es gleichsam eine Verschmelzung der Leib- eigenschaft mit dem jure hollandico wurde. Durch das neunundzwanzigste Statut ward dieses Verhältnifs noch stabiler gemacht, weil nach demselben nur Bür- ger Grund eigenthum erwerben und besitzen durften. So konnte der Bauer zu keinem freien Grundbesitze gelangen, sondern nur durch Abschliefsung von Meierkontrakten das Benutzungsrecht erwerben. Zwar scheint es, dafs der Bauer durch Erwerbung des Bremer Bürgerrechts , welches durch Erlegung einer nicht bedeutenden Summe zu erlangen war, sich zu- gleich die Fähigkeit , eigenen Grundbesitz zu erwer- ben , aneignen konnte, indem kein Staatsgesetz dem entgegen stand; allein es werden sich dafür kaum Beispiele auffinden lassen. Der Meiernexus hatte im
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Laufe der Zeit gewissermafsen den Charakter eines väterlichen Schutzverhältnisses angenommen, das dem Bauer durch Gewohnheit lieb geworden war, wes- halb auch in der französischen Zeit, wo durch ein eigenes kaiserliches Dekret die Ablösung des Meier- bandes verstattet war, nur wenige diese Freiheit be- nutzt haben.
Doch waren die Ideen der neuern Zeit bei einigen Landleuten des Bremischen Gebiets nicht ohne Ein- wirkung geblieben. Sie trugen im Jahre 1818 darauf an , dafs die Landbewohner bei der Anordnung solcher Verfügungen, die ausschliefslich oder vorzugsweise das Land beträfen , zugezogen werden möchten. Nur durch Einräumung einer direkten Repräsentation der Landleute bei der Gesetzgebung war dieses ausführ- bar, und schon im Jahre 1815 bei den Vorarbeiten zur Verbesserung der Verfassung war davon die Rede gewesen.
Zur Beschliefsung allgemeiner Gesetze konkurri- ren nur Rath und Bürgerschaft auf den sogenannten Bürgerkonventen, von denen sie ausgeschlossen wa- ren, und wenn auch die Bürgerschaft an der Ver- waltung des Gebiets keinen verfassungsmäfsigen An- theil hat, so haben doch auch die Landleute dabei keine Stimme, sondern die für dieselben zu erlassenden besondern Verfügungen gehen vom Senat allein aus.
Um sie aber zu dieser direkten Repräsentation zu befähigen, schien es nöthig, dafs sie erst in freie Gutsbesitzer umgewandelt werden müfsten, und dafs daher unter Aufhebung des angeführten Prohibitiv-
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gesetzes ihnen die Gelegenheit verschafft würde , die gutsherrlichenRechte anihrenMeierländereien abzukau- fen und sonstiges Grundeigenthum erwerben zukönnen.
Hierauf hat daher der Senat bei der Bürgerschaft angetragen, und ist einer Deputation die Berathung übertragen, welche auch gegen eine Idee nichts ein- zuwenden gefunden hat, die der allgemeinen Volks- stimme entspricht. Man darf schon jetzt den Senat und die Bürgerschaft über die Aufhebung des neun- undzwanzigsten Statuts, wodurch jene Scheidewand niedergerissen wird, einverstanden achten, und wer- den nur die Modalitäten noch näher berathen. (S. den kommissarischen Bericht über die Aufhebung des neunundzwanzigsten Statuts und den Loskauf der Meierpflichtigkeit der Meiergüter im Bremischen Ge- biet. Bremen 1820.)
Dafs durch jene Befreiung vom Meierrechte aus wenigen wohlhabenden eine Menge unbegüterter Bauern entstehen werde , ist nicht zu fürchten. Einer unbegränzten Parcellirung der Höfe wird die Gesetzgebung vorzubeugen wissen, und eine Ver- theilung des Bodens innerhalb der durch die Umstände gebotenen Gränzen wird hoffentlich eine sorgfältigere Kultur des Bodens, die in manchen Feidmarhen noch sehr zurück ist, einen höhern Aufschwung der Be- völkerung, der Wohlhabenheit und der Civilisation herbeiführen. Das Stadtgebiet hat ohngefähr 12000 Einwohner, also (ohne die Stadt) ohngefähr 2400 Seelen auf die Quadratmeile, was auf einem Terrain, das gröfstentheils nur zu Wiesen und Weideland be-
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nutzt werden kann, überreichlich scheint; allein der Besitz des Bodens ist se'ir ungleich vertheilt. Die Anfertigung eines allgemeinen Katasters, das neben anderen Vortheilen auch eine richtigere Anlegung der Grundsteuer möglich machen würde, und die Anle- gung eines Deichverbands für das ganze Gebiet ge- meinschaftlich oder in geeigneter Abtheilung , gehört zu den ferneren Wünschen, welche für dasselbe laut geworden sind und deren Verwirklichung nicht mehr fern zu seyn scheint.
Das Gebiet der Stadt Bremen wird , wie die Stadt selbst, durch die Weser in zwei ungleiche Hälften getheilt.
Vor dem Jahre 1802 verhielt es sich damit also : Auf dem rechten Weserufer lag 1) das Gowgericht Hollerland mit den Dörfern Horn, Lese, Vahr (Lese und Vahr zum Theil ) , Rockwinkel, Oberneuland und Osterholz. In dieser Gowe sind die meisten und schönsten Landgüter der Bremer, unter welchen die der HH. Dr. Schultz , Bürgermeister Heineken und Se- nator Löning zu Oberneuland und des Herrn Dr. Post und Herrn Focke zu Horn Erwähnung verdienen.
2) Das Gowgericht — Blockland, welches sich in Ober- und Niederblockland theilt.
3) Das Gowgericht Werderland, enthaltend die Dorfschaften Walle, Gröpelingen, Aslebshausen, Gramke, Mittelsbühren, Dunge und Lesumbrok.
4) Das Gericht Borgfeldt mit den Dorfschaften Borgfeldt, Wart, Butendiek, Timmersloh und Veren- moor, sonst ein Patrimonialgericht unter Bremischer
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Hoheit, der Familie von der Lit gehörig. Von zwei Brüdern verkaufte der eine 1595 die Hälfte des Ge- richts an den Rath zu Bremen, die andere Hälfte kam durch Erbschaft an die Familie Brandt, deren Nach- kommen sie bis in die neueste Zeit besessen haben. Vor einigen Jahren sind abermals einige Stammthcile von der Stadt angehäuft worden.
Am linken Weserufer: 1) Das Gowgericht Obervieland mit den Dorfschaften: Neueland, Ha- benhausen, Arsten, Kirchhuchting, Mittel- und Brok- Huchting.
2) Das Gowgericht Niedervieland; mit den Dörfern: Voltmershausen , Rablinghausen, Lankenau, Strohm, Seehausen und Hasenbüren.
Dieses Gebiet wurde durch den Regensburger Reichsdeputationshauptschlufs vom Jahre 1802 in der Art abgerundet, dafs Kurhannover an Bremen den Flechen Vegesack, den Barkhof, die Dörfer Schwach- hausen, Hastedt, Vahr (den übrigen Theil) und alles zwischen den Flüssen Weser, Wümme, den Gränzen des bisherigen Stadtgebiets und einer von der Sebalds- brücke durch die Hemelinger Mühle bis an das linke Weserufer gezogene Gränzlinie Gelegene, Oldenburg aber das Grolland abtrat, welche Gränzlinie durch nochmalige nähere Uebereinkunft einige unerhebliche Veränderungen erlitt. Zugleich erlangte Bremen die im Stader Vergleich von 1741 an Hannover abge- tretene Hoheit über die zwischen den gedachten Flüs- sen belegenen Dörfer : Mohr, Gramke, Mittels- und Niederbühren, Burg, Aslebshausen , Wasserhorst,
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Wumsiel, Nieder-Blockland und einige kleinere Theile wieder. Jeder Gow stand unter einem Mitglied des Senats, als Gowgräfe, der die niedere Jurisdiktion und zugleich die Polizei und Administration hatte. Borgfeldt hatte seinen eigenen Richter.
Die ebenangegehene Eintheilung in Gowe und Gerichte hat seit der Wiederherstellung der Verfas- sung ganz aufgehört. Die niedere Civil- und Krimi- nalgerichtsbarkeit ist dem Untergerichte der Stadt zu- gewiesen. Hinsichtlich der Administration und Polizei ist das Gebiet in den Distrikt am rechten und lin- ken Weserufer getheilt. Jedem steht ein Mitglied des Senats (die Landherren) yor. Uebrigens hat jede Dorfschaft einen oder mehrere Landgeschworene als Vorsteher, welches Amt jährlich unter den Land- besitzern nach Verhältnifs ihres Landes wechselt. Durch diese Geschwornen sind die Ortschaften der alten Gowen noch in einer gewissen Verbindung ge- blieben, indem die Geschwornen jeder Gowe für die gemeinsamen Angelegenheiten derselben eine Körper- schaft bilden, deren Vorstand Landesvorsprecher heifst. Vegesack hat seinen besonderen, vom Senat ernannten Amtmann, der für die Kriminal Verwaltung Ortsvorstände zur Seite hat.
So wie die Weser das Gebiet in zwei Hälften theilt, so theiltsich auch die Natur des Bodens. Auf der linken Weserseite, zwischen der Weser und Ochum, ist vortrefflicher Marschboden, der in seinen höhern Lagen reichliches und treffliches Getreide liefert und in den niederen grasreiche Weide dar-
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bietet. Aufserhalb und weiter von der Ochum ent- fernt, ist schlechter Moorboden. Auf dem rechten Ufer hat das Werderland meistens Geeste- oder Sand- boden, auf welchem in den höhern Lagen Getreide gezogen wird, das aber meistens kärglich, nur nach Mittelsbüren hin etwas ergiebiger wächst. In den Nie - derungen sind gute Wiesen. Das Blockland bringt nur schlechtes Heu. Das Hollerland hat zum Theil Marsch-, zumTheil Moor - und Sandboden. Die höhere Gegend wird zum Korn, die niedrige als Grasland benutzt. Treff- liche Eichen stehen noch in dieser Gegend und geben vornemlich Oberneuland und Rockwinkel einen be- sonderen Reiz. Unterirdische Spuren zeigen, dafs hier einst dichter Wald gewesen ist, und vorzüglich in der Nähe der Wümme finden sich auf einer grofsen Fläche, wenige Fufs unter dem Boden, dichte Lagen von halb vermoderten Baumstämmen in ununterbro- chener Reihe, die auf eine Naturrevolution hinweisen, welche nicht in die entfernteste Vergangenheit gehört. Das Obst ist auf der Geest nicht so häufig , als auf der Marsch, aber wohlschmeckender. Der Geesthanf ist feiner, als der auf der Marsch, und wird dort fleifsig gebaut.
Die Viehzucht ist wegen der trefflichen Weiden in diesem wasserreichen Lande der wichtigste Theil der Landökonomie. Der Kornbau reicht aber bei weitem nicht zum heimischen Bedarf hin. Wenige Dörfer können einen Ueberschufs an den Markt bringen. Roggen ist die Hauptfrucht, Flachs wird nur nothdürftig zum eigenen Verbrauch,
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Hanf etwas zum Verltauf gezogen. Rationelle Land- wirthschaft war bisher so wenig im Gebiete zu Hause, dafs die Stadt sogar noch bedeutendes Geld bezahlen mufste, um den Strafsenunrath wegzuschaffen. Doch vermindert sich diese Ausgabe allmählig, mit der Ver- mehrung der Chausseen. Aufhebung des Meierrechts durch Abkauf und daraus hervorgehende bessere Yertheilung des Bodens würde die Bauern bald aus ihrem Schlendrian aufscheuchen.
Weiden und Erlen sind in einer den Ueber- schwemmungen ausgesetzten Gegend eine Wohlthat der Natur» Sie sind daher häufig in unserm Gebiet zu finden, und der fleifsige Landwirth sorgt für ihre Unterhaltung, weil sie zum Deichbau und zu den der Verbesserung der Strombahn wegen angelegten Schiengenwerken unentbehrlich sind , und ihm daher manchen baaren Gewinn verschaffen. Pferde werden nur zum Bedarf des Landmanns gezogen. Auch die Hornviehzucht liefert geringen Ueberschufs für die bedeutende Konsumtion der Stadt. Der Krieg und einige ungünstige Jahre nach dem Frieden haben den Viehstand auf den Bauerhöfen sehr heruntergebracht, und erst jetzt fängt er an, sich wieder etwas zu heben. Darum werden die herrlichen Weiden am linken Ufer der Weser meistens mit in Ostfriesland und dem Ol- denburgischen aufgekauftem, magern Vieh besetzt. Bienenzucht kommt wenig in Betracht, Schafzucht eben so wenig. Die Schweinmast, welche von den Eichen im Hollerland gewonnen wird, ist dagegen bedeutender. Das Bauholz reicht zum eigenen
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Bedarf nicht hin. Die Jagd ist unbedeutend und die Weser wird vornemlich nur von der städtischen Fi- schergilde beschifft, deren Fischereigerechtigheit sich indessen nicht blos auf den das Gebiet durchströmen- den Theil des Flusses beschränkt, sondern sich auch weiter hinab in das angränzende Flufsgebict erstreckt. Nur einige Dörfer dürfen einen beschränkten Antheii an der Weserfischerei nehmen, wogegen aber den Landbewohnern die Beschiffung der Wümme, Lesum und Ochum einen nicht unergiebigen Nahrungszweig darbietet, Auch an mannigfachem andern Erwerbe fehlt es ihnen nicht. Die Schifffahrt, besonders die Grönlandsfahrt auf den Wallfischfang, die den Ma- trosen nur einen Theil des Jahrs beschäftigt und ihm noch immer Zeit zu seinen ländlichen Geschäften läfst, desgleichen der Schiffbau auf mehreren Werften zu Vegesack und in der Burg, und der Betrieb, der durch drei Ziegelbrennereien , einige Kalkbrennereien u.s.w. geschafft wird, müssen zunächst angeführt werden. In einigen Dörfern halten die Landleute be- sondere Gespanne von Pferden zu Frachtfuhren, in andern beschäftigen sich die Häuslinge mit Strafsen- pflastern und machen auf dieses Geschäft weite Wan- derungen, selbst bis nach Rufsland; Flechten von Netzen, Körben und Matten im Winter, Leinweberei (wenn gleich durch die Eifersucht der städtischen Zunft unnatürlich beschränkt) und dergleichen dient zum Geldgewinne , vornemlich den geringeren Land- bewohnern, deren übergrofse Menge ohne die Nähe einer reichen Stadt auf dem zum Theil schlechten,
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zum Theil aus Mangel an Industrie versäumten und schlecht gebauten Boden unmöglich bestehen könnte. Doch auch hierin ist in neuerer Zeit schon vieles besser geworden. Die nächsten Umgebungen der Stadt darf dieser Vorwurf kaum mehr treffen : alle Spuren von Heide sind bis auf einige kleinen Stellen, die kaum eines Anbaues fähig sind oder diesen wenig- stens nicht lohnen möchten, verschwunden, und schöne Saaten wallen da, vermischt mit Gemüse- pflanzungen aller Art, wo noch vor wenigen Jahren nichts als öder Boden oder dürrer Sand zu sehen war, Anmerkenswerth ist es, wie von Jahr zu Jahr der Kornbau dem Gemüsebau mehr und mehr weichen mufs, und dieser immer gröfsern Raum einnimmt, nicht ohne günstigen Einflufs auf die entfernten Dörfer, wo, durch Nacheiferung aufgereizt, auch mehr Reg- samkeit sich zu zeigen beginnt.
Vieles hat dazu die Anlegung und kräftige Durch- führung der vier Kunststrafsen gethan. Die dadurch vermehrte Leichtigkeit und Sicherheit des Absatzes aller Erzeugnisse des Bodens, der leichte Transport und die Wohlfeilheit des Düngers, sind die wirksam- sten Beförderungsmittel des Anbaues gewesen, die ihren Einflufs mit jedem Jahre immer mehr bewähren, und abermals einen Beweis ablegen werden, dafs die Geldopfer, welche die Staatskasse für dergleichen Anlagen bringt, wenn sie auch durch direkte Ein- nahmen keine sonderlichen Zinsen für ihr Anlage- Kapital erhält, mittelbar die schönsten und reichlich- sten Früchte tragen.
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Erwähnt mufs deshalb noch einer andern ähnlichen Anlage neuerer Zeit werden , deren Nützlichkeit sich immer mehr zeigt. Ein an der Östlichen Seite der Vorstädte befindlicher Kanal ( der Kuhgraben ) , schon im dreizehnten Jahrhundert zum Schutz gegen unerwartete feindliche Anfälle angelegt, dient durch seine Verbindung mit der Wümme vornemlich dazu, aus den hanjiövei sehen Aemtern Lilienthal und Otters- berg den Torf herbei zu fuhren. Diese Zufuhr war aber für den grofsen Bedarf unzureichend und das Meiste mufste aus den innern Moorgegenden des Her- zogthums Bremen auf einem grofsen Umwege durch die Hamme , Lesum und so auf der Weser nach Bre- men geschafft; werden, nicht ohne beträchtliche Ver- theuerung dieses nothwendigen Bedürfnisses. Jetzt ist auch an der westlichen Seite der Vorstädte ein ähnlicher Kanal gegraben, der mit anderen Kanälen im Hannoverschen korrespondirt, und den neuen Moorkolonisten in dem Amte Osterholz und den ent- fernten Aemtern, Gelegenheit gibt, selbst ohne Zwi- schenkunft von Aufkäufern ihren Torf und andere Produkte an die Stadt zu bringen.
Zunftmäfsige Gewerbe dürfen im Stadtgebiete in der Regel nicht getrieben werden. In dem Flecken Vegesack, der eine besondere Municipaleinrichtung erhalten, ist dies anders gestaltet. Dann haben aus- nahmsweise Hastedt und Schwachhausen, wo vor 1803 unter hannoverscher Hoheit mehrere Handwerker sich befanden, denen Fortbestand versprochen ist, den Vorzug, dafs sich daselbst eine Menge Gewerbsleute
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aufhalten, wodurch namentlich Hastedt mehr das An- sehn einer grofsen Vorstadt, als eines Dorfes erlangt hat. Hier allein ist auch noch einigen früher dort an- sässig gewesenen jüdischen Familien der Aufenthalt gestattet.
Vegesack.
Da, wo die Lesum und die Aue in die Weser münden , liegt zwischen Sandhügeln der Flechen Ve- gesack , zum Gebiete der Stadt Bremen gehörig. Die Häuser sind reinlich und wohnlich; man sieht, dafs hier gröfstentheils Schiffer hausen, denen es durch den Aufenthalt auf den Schiffen zur andern Natur ge- worden ist, sich auch auf dem Lande im kleinen rein, bequem und zierlich einzurichten; daher haben in äl- teren Häusern die Zimmer viele Aehnlichheit mit den Kajüten; holländische Bauart läfst sich nicht ver- kennen. In neuerer Zeit neigt man sich jedoch auch hier mehr zur moderneren Bauart.
Vegesack ist für den Seehandel Bremens sehr wichtig. Als daher 1741 mit dem Amte Blumenthal auch Vegesack an Hannover abgetreten wurde, ver- blieb der Stadt nicht nur der Hafen daselbst mit dem Hafenhause , sondern auch die niedere Jurisdiction über den Ort. Im Jahre 1803 wurde die Landeshoheit über Vegesack und Zubehör an Bremen zurückge- geben. Der 1619 zuerst angelegte wohlverwahrte Hafen, in welchem die er.tfr achteten Seeschiffe lie- gen, steht unter der nächsten Aufsicht des Hafen- meisters, und dieser unter der ihm vorgesetzten De-
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putation aus Rath und Bürgerschaft. Seine Obliegen- heiten sind in einer am 26sten März 1821 erlassenen Rathsverfügung deutlich ausgedrückt. Schiffe von zweihundert bis fünfzig und wenigeren Lasten zahlen für die Durchwinterung in den Monaten November bis März von zehn bis vier Reichsthaler. Der Hafen- meister wohnte sonst im Hafenhause und trieb zugleich Wirthschaft* Jetzt ist der Dienst von der Wirthschaft getrennt; doch dauert diese fort und ist man dort wohl bedient und aufgehoben.
In den Berathungen über Verbesserung der Bre- mischen Verfassung wurde beschlossen , nach Vege- sack einen, nicht wie vorher zum Rath gehörenden, Rechtsgelehrten als Amtmann zu setzen, dem die Un- ter-Civil- und Unter -Kriminal - und Polizei- Gerichts- barkeit und die Administrationspolizei aufgetragen ist.
Aufserdem hat der Ort im Jahre 1819 eine eigene Gemeindeordnung erhalten. Eigene von den Ein- wohnern selbst gewählte Vorstände besorgen die Orts- angelegenheiten und verwalten die durch einige ihr zugewiesenen Staats- und Lohaleinhünfte reichlich ausgestattete Geraeindekasse.
Wer das Seeschiffswesen nicht kennt , kann hier manches sehr Interessante sehen, und auf echt -see- männische Art wird alles freundlich gezeigt. Auf den Schiffsbauplätzen ist manche sinnreiche Vorrichtung kennen zu lernen, und erhaben ist das Schauspiel, wenn nun das fertig gewordene Schiff, das Meister- stück des menschlichen Verstandes , vom Stapel läuft. Es ist ein heiterer Sonntag, Tausende von festlich-
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geputzten Menschen bedecken das Ufer, oder schwe- ben in leichten Fahrzeugen auf dem Flufs; die Fen- ster sind gedrängt voll ; alles ist in der gespanntesten Erwartung. Das neue Schiff ist mit Menschen ange- füllt, welche seinen ersten Weg auf die Wasserbahn begleiten wollen. *) Auf der Spitze stehen Musikanten. Das Signal wird durch drei Kanonenschüsse gegeben ; die Flagge wallt, und ein donnerndes Freudengeschrei braust in die Lüfte; Hüte und Tücher werden ge- schwenkt. Man fühlt sich wie im Schwindel, wenn die ungeheure Masse sich regt; man hält es für Schein, bis erst langsam und majestätisch der künftige Bewoh- ner der See, der den tropischen Stürmen Trotz bieten soll, seine Geburtsstätte, die schmale Fiufsbucht, verläfst, rasch Schnelligkeit gewinnt und dann brau- send mit dem Vordertheil tief hinab in den Strom schiefst, sich von dem Sturz gewaltig wieder auf- richtet, dafs die Wellen nach dem andern Ufer stür- zen, dafs alle Kähne und Schiffe auf dem Flusse tanzen, dafs weithin, was nur die Augen erreichen
*) Dafs dies zuweilen nicht ohne Unglück abgeht, hat die Stadt Emden im Jahre 1651 zu beklagen gehabt. Viele hundert Menschen erfüllten ein Schiff, das vom Stapel lief. Beim Ablaufen stürzte es um, so dafs der Boden in die Luft ragte. Obgleich augenblicklich Löcher in den Boden gehauen und so manche Menschen gerettet wurden, so fanden dennoch 225 den Tod. In Emden war fast keine Familie , die nicht in Trauerkleidern ging. Die Zimmer- leute waren nicht vorsichtig genug gewesen, sonst hatte dieses sonst sehr seltene Unglück nicht geschehen können. Wiarda, Ostfries. Gesch. VI.
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können , die sommerlich • glatte Fluth wie plötzlich von Winden durchwühlt erscheint; und welch' ein wahrhaft zauberisches Schauspiel, als einmal hei einer solchen Veranlassung das zierliche Dampfboot, mit allen seinen Reisenden gleichsam nach dem Takte der Musik Kreise zog, wie tanzend im Wasser gleich einer Najade scherzte, auf den erregten Wogen sich hob und senkte, und dann, wie triumphirend, den Flufs hinauf gegen den Strom hinwegschwebte, indefs die es in Bewegung setzenden Dämpfe schräg hinauf in das blaue Luftreich wogten.
Die lutherischen Einwohner Vegesacks waren ehemals nach Lesum und die reformirten nach Blumen- thal eingepfarrt, haben aber nun, besonders durch die ausserordentlich reichen Gaben der Bremer unter- stützt, auf einem wohigelegenen Platze eine treff- liche, für jetzt hinlänglich geräumige, aber bei zu erwartender gröfserer Bevölkerung des Orts wohl zu kleine Kirche erbaut. Derjenige, dessen Bemühun- gen man hauptsächlich dieses Werk zu verdanken hat, ist der nach Verdienst geschätzte Amtmann Wilmanns, indem er bei dem Reformationsfeste im Jahre 1817 die erste Anregung dazu gab , dafs die Einwohner be- schlossen, sich zu einer evangelischen Gemeinde zu vereinigen. Dieser von vielen mit Beifall aufgenom- mene Gedanke erweckte zuerst die allgemeine Theil- nahme, die dann durch den unverdrossenen Eifer des Beamten rege gehalten wurde. Um die Idee ganz ins Leben zu führen , glückte es, einen trefflichen Mann als Prediger für diese Kirche zu gewinnen, und so hat
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die kleine Gemeinde der Stadt Bremen das erste Muster zu einer Kirchenvereinigung gegeben.
Der wissenschaftlich Gebildete besucht den Doctor Roth , den Ersten , der eine Flora Deutsch- lands geschrieben, und seinen botanischen Garten, auf dem höhern Ufer der Weser, wo man sich einer sehr weiten und angenehmen Aussicht erfreut. Das trefflich angebauete fruchtbare Stodingerland an dem andern Ufer der Weser übersieht man hier wie einen Garten. Manchem, der keine weite Badereise machen will, ist es erwünscht, bei dem Landaufenthalt in Ve- gesack hier auch eine Badeanstalt zu finden»
Seitdem das Dampfboot regelmäfsig geht und bequeme und angenehme Fahrt täglich gewährt, wer- den nicht allein häufig Lustparthien nach Vegesack gemacht, sondern förmliche Yileggiaturen da gehalten und nicht mit Unrecht. Das Land hat hier weit mehr Abwechselungen von Höhen, Wald und klaren Bächen, als näher bei Bremen. Die Spaziergänge nach Ron- liebeck und Blumenthal sind wirklich reizend. Diese Dörfer, besonders Blumenthal, sind auf der Landseite von den schönsten Waldungen eingefafst. Hier stehen die Häuser nicht gedrängt zusammen, wie am Rhein, sondern jedes bildet ein Gehöfte» Viele haben den Blick auf die Weser, welche hier zu beiden Seiten flache , weite aber fruchtbare Ufer darbietet. An dem Ufersaum stehen zu beiden Flufsseiten Gehöfte an Gehöfte hinter den Deichen, und jedes bildet für sich ein kleines idyllisches Bild. In der Ferne sieht man Seeschiffe liegen; Kähne voll Marktleute, die in
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Bremen ihre Naturalien abgesetzt, fahren zurück in das Stedingerland. Männer und Frauen auf leeren Korben, Tonnen und Sachen sitzend, plaudern zu- sammen , und ihre Gestalten spiegeln sich in dem stil- len Wasser. Solche Scenen hat Bonav. Peters gemalt, wenn er sich erinnerte, dafs nicht blofs dies feuchte Element in seiner Schrechlichkeit malerisch ist, son- dern auch in seiner Ruhe auf dem Landsee und dem Flusse.
Bei den geringen historischen Erinnerungen, die sich an die Orte um Bremen knüpfen , darf nicht ver- gessen werden, dafs Lipsius in seinem Commentar zum Tacitus das idistarische Schlachtfeld in die Genend yon Vegesack versetzt, welches längst widerlegt ist.
Erwiesener ist es, dafs der dänische König Sueno, als er mit seinen Normännern ins Erzstift brach, in dieser Gegend von den Dienstmannen des Erzbischofs gefangen worden. Dieser nahm ihn jedoch freundlich und gastlich auf, und hielt es der Klugheit gemäfs , ihn wieder zu entlassen. Auch die Askomannen, welche die Weser hinauf bis Lesum raubten , wurden in dieser Gegend auf dem Rückzüge geschlagen.
Eine der schönsten Landschaften der rsiederweser zeigt sich, wenn man von Bremen zu Wasser kom- mend, eben indem man bald den Damm von Vegesack berühren will, sich mit dem Gesicht nach der Mündung der Lesum und zu dem Brök wendet. Die Höhe des Ufers der Lesum, die Baumgruppen auf dem Brök, die zerstreuten Hütten, das weidende Vieh, segelnde
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Schiffe und die schöne Wasserfläche — das Alles gibt ein ruhiges und malerisches Landschaftsbild.
Bremens Umgebungen, nähere und entferntere, f
Die Nordwestküste Deutschlands ist dem Meere abgewonnenes Land. Einzelne hieine Hügel und Hügelstrecken, welche auch in der Umgegend Bre- mens sich hie und da sparsam über die Fläche der- selben erheben und jetzt mit schattigem Laubholze geschmückt sind, mögen früher als kahle Sanddünen den Meereswellen einen Damm geboten haben, wie gegenwärtig nach vermehrten Anschwemmungen die Watten an der Mündung der Weser. — Diese wenigen kleinen Anhöhen und das eigenthümliche Leben, wel- ches einer der bedeutendsten schiffbaren Ströme Deutschlands und einige kleinere in denselben sich ergiefsende Nebenströme auf ihre Ufer verbreiten, abgerechnet, besteht das Anziehendste, dessen Ge- nufs wir dem Freunde der schönen Natur bei uns an- zubieten haben, aus Landschaften in Ruysdaels oder Waterloos Style. An diesen fehlt es unsern Umge- bungen indefs nicht, und der in Bremen so allgemein vorherrschende Sinn für das Landleben hat die minder reichlichen Gaben der Natur um so dankbarer zu be- nutzen verstanden. — Wo immer an den Ufern der Weser, der Wümme und der Lesum oder in den Schatten der tausendjährigen Eichen des Hollerlandes eine ausgezeichnet genufsreiche Aussicht oder ein lieb-
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liches Plätzchen der Ruhe sich bot, fand es sich seit Jahrhunderten mit Landhäusern und Gärten versehen, in denen die wohlhabenden, durch ererbten Land- besitz begünstigten Bremischen Familien die schön- sten Sommermonate zu verleben gewohnt waren. Aus ihren einfachen Vorwerken sind in den letzten fünfzig Jahren nicht wenige geschmachvolle Villen und Lust- gärten erwachsen , und in der jüngsten Zeit ist fast kein Jahr verstrichen, welches nicht neue anmuthige Schöpfungen dieser Art entstehen sah.
Auch auf die Mittelklasse der Bewohner Bremens hat sich das Bedürfnifs, einen Theil der Sommerzeit, und vorzugsweise den Monat August, der für unsere sämmtlichen zahlreich besuchten Schulen als Ferien- monat zu gelten pflegt, im Freien zu verleben, so sehr ausgedehnt, dafs es ein bedeutender Nahrungs- zweig mehrerer von der Natur begünstigten Dörfer des Bremischen Gebiets geworden ist, in den Häusern der Landleute einzelne Zimmer zur Sommeraufnahme der Städter zu erbauen und einzurichten und ihren Aeckern und Holzungen einen beschatteten Rasenplatz für sie abzugewinnen. So werden manchen Sommer drei-- bis vierhundert städtische Familien gezählt, welche sich einer freiwilligen Beschränkung auf den engsten Platz und auf die nothdürftigsten Geräthe bei ländlicher Kost mit Freuden unterziehen , um in einem solchen ländlichen Sorgenfrei, das mehr oder minder geräumig und gesucht um den Miethzins von zwei bis zehn Louisdor für einige Monate zu haben ist, der erfrischenden Landluft zu geniefsen. Der
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weibliche Theil der Familie ist hier dann ganz hei- misch, während die durch ihr Geschäfte zu einem öfteren Besuche der Stadt genöthigten Männer zu- gleich die Landstrafsen durch eine gehäuftere Zahl von Fuhrwerken , Reitern und Fufsgängern Morgens und Abends, gehend und kommend, beleben.
Wem sein Vermögen oder der Drang der tägli- chen Arbeit eine solche Ausspannung nicht erlaubt, der sucht sich wenigstens durch einen Sonntagsbesuch auf dem Lande zu entschädigen; in manchen Gegenden sind die Wirthshäuser dann von den übrigen Häusern nicht zu unterscheiden, jedes Bauerhaus ist gefüllt, die Vorhöfe sind mit geselligen Tischen übersäet, es sieht allenthalben aus, als würde ein Jahrmarkt ge- halten.
Der Anblick , welchen die Dörfer in den nörd- lichen Gegenden Niedersachsens und Westphalens darbieten, ist überhaupt von dem der Dörfer des südlichen Deutschlands so durchaus verschieden, dafs ein Reisender aus unserm Umkreise , wenn sein Weg ihn nach Oberdeutschland führt, behaupten mochte, man komme dort nirgends in ein Dorf, man sehe nur Landstrafsen und gröfsere und kleinere Städte und Flecken. Wenn uns dagegen Walter Scott in seinem vielgelesenen Ivanhoe die Wohnungen der Sachsen in Britannien schildert, so verstehen wir ihn voll- kommen, es ist uns, als wären wir zu Hause.
Um über die Lage und den Anblick der Dörfer dieser Gegenden etwas sagen zu können, ist es er- forderlich zuvor die einzelnen Wohnungen, aus denen
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sie gebildet worden, näher kennen zu lernen. Das Haus eines Bauern, so nennt man hier den eigen- thümlichen oder meierrechtlichen Besitzer eines gröfsern Grundstiichs, (die Wohnungen kleinerer Besitzer, Halbbauern, Köther, Brinksitzer genannt, sind weniger in der Art , als in der Gröfse von jenen unterschieden) ist ein grofses geräumiges Gebäude, etwa 150Fufs lang und halb so breit, nie von mehr als einem Stocke. Die Wände sind gröfstentheils von Fachwerk erbaut und mit Backsteinen ausgemauert, selten ganz massiv. Das grofse drei Viertel der Höhe des ganzen Gebäudes einnehmende, oben spitzzulau- fende Giebeldach ist zu gröfserer Winterwärme für Menschen und Vieh nicht mit Ziegeln, sondern mit Schilfrohr oder Stroh dicht und künstlich gedeckt. Vor dem Hause befindet sich ein grofser viereckiger Vorhof, dessen Raum oft den Flächeninhalt des Hau- ses übersteigt, an dessen Seiten oft eine oder mehrere Scheunen, der mit Ziegeln gedeckte Backofen, die Mistgrube und der Stall für die Schweine, das einzige Vieh, welches nicht mit ins Haus aufgenommen zu werden pflegt, befindlich. Hinter oder neben dem Hause ein grofser Obst - und Gemüsegarten, alles dies in der Regel von einem Kranze hochstämmiger Eichen, Linden, Erlen, Eschen, oder wenigstens hoch aufgezogenen Weidenbäumen eingeschlossen. Die höchsten Bäume sind zum Schutze gegen Sturm und Regen dicht um das Haus gepflanzt und ragen mit ihren Wipfeln hoch über dasselbe hinaus, so dafs sich der auf der Spitze des Rohrdachs nistende Storch
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ihres Schirms erfreut. — Die Gebäude sind in der Regel zum Schutz gegen Ueberschwemmung auf einer kleinen Erhöhung (Wurth, Werft) erbaut, deren Abhänge zu dem Vorhofe und den Gärten benutzt sind. Eine grofse bogenförmige Flügelthüre , welche einem hoch und breit geladenen vierspännigen Fuder Heu von sechszehn bis zwanzig Zentnern bequeme Einfahrt verstattet, führt vorn in das Wohnhaus; neben derselben ist eine kleine Oeffnung zum Ein- und Ausgang für das Federvieh und den nirgends feh- lenden grofsen Haushund angebracht. Zu beiden Seiten der Hausthüre in den beiden Ecken der Haus- fronte finden sich zwei kleinere Thüren, deren eine in den Kuhstall, die andere in den Pferdestall führt. Diese erstrecken sich im Innern des Hauses längs der mit einem Lehmboden belegten Hausdiele bis zum Hintertheile des Hauses unter dem auf sie herab- fallenden Strohdache, das oberhalb der Stalle noch Raum zu Schlafstätten, für Knechte und Mägde, zur Aufbewahrung der Ackergeräthe , so wie zur Nachtherberge für das zahlreiche Federvieh bietet, mit welchem die zwischen den Spalten der Hausbalken nistenden Schwalben sich freundlich vertragen. Nach den Ställen folgen die Milch- und Vorrathskammern zu beiden Seiten der Hausdiele. Auf dieser erhebt sich dann in der ganzen Breite derselben ein Pflaster von kleinen, bisweilen nach einer grofsen Symmetrie mosaisch geordneten Kieselsteinen, welches zu dem der Hauptthür gegenüber liegenden Heerde führt, wo das Feuer nie erlischt, und welches die der Küche
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vorstehende Hausfrau bei Tage selten verläfst, indem sie das auf der Hausflur beschäftigte Gesinde, die nach der Seite derselben offenen Ställe , den Ein- und Ausgang des Federviehs, kurz die ganze häusliche Wirthschaft mit sorgsamen Blicken von hieraus überschaut. In diesem weiten Hausraume werden nemlich alle nicht auf dem Felde vorzunehmenden ländlichen Arbeiten verrichtet, und hier wird Heu und Korn eingefahren und vom Wagen durch eine Oeffnung mit grofsen Heugabeln auf den geräumigen Hausboden gebracht. Von demselben wird es im Winter durch die nemliche Oeffnung wieder herabgeworfen, und auf der Haus- diele ausgedroschen. Hier wird Hanf und Flachs be- reitet und das Ackergeräth reparirt. Hier wird bei Hochzeiten und anderen häuslichen Festen getanzt, und für die Bewirthung zahlreicher Gäste gesorgt.
Von dem gepflasterten Platze im Hintertheil des Hau- ses führen zwei Seitenthüren auf den Hof oder in den Garten zum Brunnen, Bleichplatz und zu dem seitwärts angebrachten vorerwähnten Nebengebäude. Endlich kommen hinter diesem Platze und dem Heerde die die ganze Hinterseite des Hauses einnehmenden Wohn- zimmer. Die Wand, durch welche die Thüren zu diesen Zimmern führen, so wie das Gesimse des Heerdes , sind mit zahlreichen grofsen zinnernen Schüsseln, Krügen und sonstigen Geräthen geziert, die in der Regel schon beim Beginnen der Haushal- tung als Hochzeitgabe von Verwandten, Freunden und Nachbarn zugebracht und mit dem eingegrabenen Namen der Schenker versehen zum Gebrauche bei
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festlichen Gelegenheiten aufbewahrt werden. Diese Ziergeräthe schimmern im Glänze des hochauflodern- den Heerdes bis an die Decke, von der ein grofser Vorrath geräucherter Schinken, Würste und Speck- seiten auf denselben herabhängt.
Nur ein einziges Zimmer, in welchem zugleich der Hausvater und die Hausmutter mit den kleinen Kindern ihre in der Wand angebrachte Schlafstellen (Alkoven) finden, dient der Familie zum täglichen Bedarf, die übrigen werden zum Sonntagsgebrauch, zu Besuchen und im Sommer zum Vermiethen an herausziehende Städter in ungestörter stets reinlicher Ordnung gehalten.
Kein Haus gränzt dicht an das andere. Nur mit Ausnahme einzelner, besonders der der Stadt zu- nächst gelegenen Dörfer, wo der Ackerbau nach und nach in Gemüsebau überzugehen begonnen und damit auch die Wohnungen einander näher gerückt hat, wohnt jeder Bauer auf seinen Wiesen oder seinem Ackerfelde und erst da, wo seine fünfzig, hundert oder zweihundert Morgen Landes , die eines anderen Besitzers begränzen, erblickt er das Wohnhaus seines Nachbars — Kirchen und Schulwege werden dadurch freilich weit, aber die zur Schenke werden es nicht minder, und die gröfsere Sittsamkeit auf dem Lande möchte wohl in den Dörfern zu finden seyn, wo die isolirte Lage der Wohnungen jenes patriarchalische Leben ungestört erhalten hat.
Die Weser durchschneidet das Bremische Gebiet in zwei ungleiche Hälften, die kleinere auf dem linken
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Weserufer wird von der Ochum, die gröfsere am rechten Weserufer von der Wümme (später Lesum), sowohl oberhalb als unterhalb der Stadt, wo sich diese Meinen Flüsse in die Weser ergiefsen, theils durch- schnitten, theils begränzt.
Interessante Parthien und Aussichten sind auf dem linken Weserufer und den hohen Weser- dämmen (Deichen), die zugleich einen Kranz von Dörfern um die fetten, gröfstentheils mit Wiesenwachs versehenen Ländereien bilden, anzu- treffen. Besonders ist dies unterhalb der Stadt im Niedervielande der Fall , wo vorzugsweise die Dörfer Woltmershausen, Rabblinghausen und Lankenau interessante Landsitze und besuchte länd- liche Gasthöfe darbieten. Das Klattesche Haus zu Lankenau , eine kleine Stunde von der Stadt, zeichnet sich unter diesen besonders aus. Zahlreiche LustschifFe mit flaggenden Wimpeln führen demsel- ben an jedem schönen Tage auch aus den höheren geselligen Zirkeln viele Gäste zu, die seit einigen Jahren das Dampfschiff, welches auf seinen täglichen Fahrten nach Vegesack, Braake u. s. w. hier einen kleinen Anhaltspunkt zu machen pflegt, sehr zu ver- mehren begonnen hat. Geräumige reinliche Zimmer und schattige Lauben am hohen Weserdeiche nehmen die Wallfahrenden freundlich auf. Die Bewirthung ist prompt und anständig und der schöne Blick auf die Stadt und auf den zwischen grünen Wiesenufern mit zahlreich kreuzenden Schiffen fluthenden Weser- strom geben der Landschaft ein eigenes heiter ge-
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seiliges Leben. Vor allem ist es, wenn nach an- haltendem östlichen Winde, der die Seeschiffe vom Einlaufen in die Mündung der Weser zurückgehalten hat, ein plötzlicher Wechsel eintritt, sehr interessant hier einen schönen Tag im Freien zu verleben. Oft sieht man dann bei günstigem Nordwest fünfzig bis hundert Lichter schiffe oder Kähne mit schwellenden Segeln, einem Schwanenzuge gleich, hintereinander die Weser heraufschweben* Der ganze Flufs stellt ein lebendiges Panorama dar, an dem das Auge sich nicht satt sehen kann.
An der Südseite des Niedervielandes bietet die Weine fischreiche Ochum mit ihren unzähligen Windungen längs dem Dorfe Strohm den Freunden der Einsam- heit manches trauliche belaubte Plätzchen bei den an dem Ufer zerstreuten Wohnungen. Auch hier giebt es einen zur Aufnahme von Gästen eingerich- teten, obgleich minder besuchten freundlichen Ver- gnügungsort.
Auf dem rechten Weserufer werden in der Nähe der Stadt und an den äufsersten Gränzen der Vor- städte oberhalb die Kaffeehäuser am Eisenradsdeiche, wo zugleich mehrere Badehäuser auf der Weser zu finden sind , und unterhalb die freundliche Kohrmann- sche Wohnung, an dem nach der Thranbrennerei füh- renden Bollwerke, zu Nachmittagsspatziergängen fleifsig benutzt; das Dorf Gröplingen, eine kleine Stunde unterhalb Bremen, vorzüglich zur Erdbeerenzeit. Bei weitern Ausflügen nach dieser Seite , durch eine in diesem Jahre (1822) vollendete Chaussee ungemein
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erleichtert , pflegt man nicht eher zu rasten , bis man bei dem Dorfe Burg, eine gute Meile von der Stadt, die schönen Ufer der Lesum erreicht hat , wo die Wahl schwer fällt zu der ferneren kleinen Meile bis Vegesack den Weg an dem linken Lesumufer durch die Bremischen Dörfer Dungen und Lesumbrook, oder die Burgbrücke passirend, an dem rechten, durch die hannoversche Dörfer Lesum, St. Magnus und Groden vorzuziehen, oder endlich, was bei heiterem Wetter und günstiger Stromzeit (denn Ebbe und Fluth wollen hier zu Rathe gezogen seyn) wohl den vorzüglichsten Genufs gewähren dürfte, auf einem bei den Schiffs- werften zur Burg oder am Dunger Deiche gemietheten Nachen den lieblichen Strom bis zu seiner Vereini- gung mit der Weser hinabzugleiten.
Die Erdzunge zwischen der Weser und der Lesum bietet einen weiten, zur Sommerzeit mit dem schön- sten weidenden Rindvieh bedeckten grünen Wiesenplan dar, der an den Ufern mit einem Kranze von baum- umpflanzten, auf den schützenden Deichen erbauten Dörfern eingefafst ist. Der Spatziergang durch den- selben längs des Lesumflusses ist vorzüglich reizend, da sich an der gegenüberstehenden Seite, von der Brücke zur Burg an, eine freundliche Hügelkette erhebt , mit den malerischen Dörfern Marsol, Lesum (die Kirche und der Kirchhof gewähren ausgezeichnete Ansichten und Aussichten), St. Magnus und Groden, die sich mehr oder minder scharf auf den Flufs herabsenken. Hier fanden sich vor undenklichen Zeiten wahrschein- lich die hohen Ufer des damals mit der Lesum eine
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Wasserfläche bildenden Weserstroms, bis die Land- zunge des Lesumbrooks durch Eindeichung demselben entwunden ward. Die Windungen des Lesumflusses um jene Hügel sind ungemein lieblich. Mehrere Schiffsbauwerfte , die immer lebhafte TorfschirTfahrt, der Wohnsitz mehrerer GrÖnlandsfahrcr , deren zahl- reiche Schaluppen nach geendigter Reise hier ihren Ruheplatz finden, ein emsiger Fischereibetrieb , der Ueberzug der Prahnen mit beladenen Heu- und Korn- wagen zum Austausche der verschiedenartigen Pro- dukte beider Ufer, die Yegesacher Lustfahrtböte, das auf dem einzeln vorspringenden Aussendeichs- lande weidende Rindvieh , — alles dieses trägt zur Be- lebung dieser anmuthigen Gegend so sehr bei, dafs schon seit den ältesten Zeiten die Städter sich hier anzusiedeln aufgefordert waren. Der Landbesitz zu Dunge und Lesumbroh steht noch jetzt gröfsten- theils einzelnen Bremischen Familien zu , die hier ihre Sommerwohnsitze haben, und auf den Hügeln von St. Magnus sind deren seit einer Reihe von Jahren ebenfalls mehrere in einem sehr vorzüglichen Ge- schmack erbaut. *)
*) Der Verfasser des gröfsten Theils dieser Blätter hoffte vergebens der reinen Luft der Höhen von St. Magnus die Wiederbelebung seiner gestörten Gesundheit abzuge- winnen ; er verlebte hier die letzten Sommermonate seines thätigen Lebens , mit der Vollendung dieser seiner letzten Arbeit beschäftigt. Wir geben daher mit seinen eigenen Worten, was sich unter seinen hinterlassenen Papieren an historischen und topographischen Notizen über diesen seinen Lieblingsaufenthalt vorgefunden hat. (S. am Schlufs die Anlage A.)
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An St. Magnus schliefst sich das eben so freund- liche auf den Lesumhügeln hart am Flusse belegene hannoversche Fischerdorf Groden an, bis man über den Auebach, der hier in die Weser fällt, kurz nach- dem sich die Lesum mit der Weser yereinigt hat, in den Bremischen Flecken Vegesack und damit auf einmal wieder in ein völlig seestädtisches Leben tritt. Der schöne geräumige Hafen mit zahlreichen Seeschiffen gefüllt, deren dichtgedrängte Masten und WTimpel schon von den benachbarten Hügeln herab einen überraschenden Anblick gewähren, das immer lebendige Getöse der S chiffs werfte , das Läuten der Arbeits- und Feierstundsglocken, die Ruderschläge der immer abfahrenden und ankommenden Böte und das ganze nicht im Einzelnen zu beschreibende , Auge und Ohr zugleich in Anspruch nehmende Gewühl und Getreibe, welches ein Seehafen darbietet, gewährt hier den mannigfaltigsten Genufs.
Der sich immer vergröfsernde Flecken, der in seiner Ausdehnung manche Stadt am Rhein übertrifft, ist in holländisch- englischem Geschmacke erbaut, die neuen Häuser ganz yon Backsteinen, die ältern zum Theil ganz yon Fachwerk. Reinlichkeit ist allenthalben vor- herrschend und die Gewohnheit der Seeschiffer, ihre Kajüten und Schiffsger athe fast in jedem Jahre neu mit Oelfarbe anstreichen und kein Stück Holz ungetheert zu lassen, scheint auch auf die Behandlung ihrer Wohnungen auf dem festen Lande einen unwider- stehlichen Einflufs zu äufsern.
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Das eigentümliche Leben dieses Orts, die schone Lage desselben am Zusammenflufs zweier schiff- baren Ströme, die gesunde bei dem täglichen Ebbe- und Fluthwechsel immer neu erfrischte Luft und die Nähe vielfach und mannigfaltig schöner Gegenden haben Vegesack, besonders seitdem dieser im Jahre 1741 an Hannover abgetretene Flechen im Jahre 1802 wieder unter Bremische Landeshoheit zurück gekehrt ist, zu einem vielbesuchten Sommeraufenthalt der Städter gemacht. Aufser dem an der schönsten Stelle des Hafens belegenen, zur Aufnahme zahlreicher Gesellschaften mit geräumigen Sälen und Zimmern versehenen Hafenhause , gibt es mehrere andere gute Gasthöfe, und in einer Menge Privathäuser, besonders in denen der auf Seereisen befindlichen Schiffskapi- täne, werden während der Sommermonate oft ele- gant möblirte Zimmer vermiethet und vorzugsweise von denen gesucht, deren Geschäft einen häufigem Verkehr mit der Stadt erfordert» Das Dampfschiff gibt hier zur täglichen Kommunikation mit derselbeu Gelegenheit. Die Person bezahlt für die über zwei Meilen betragende Fahrt von Bremen nach Vegesack und umgekehrt 48 Groten (16 gGr.) — für einen Platz in einem Miethwagen , deren täglich mehrere hin und zurück fahren , die Hälfte.
Der westliche Theil des Fleckens, Neu- Vegesack, zieht sich amphitheatralisch auf die höchsten Weser- dämme hinauf Die reizende Aussicht, deren man hier geniefst und wodurch vorzüglich der hier bele- gene schöne Garten des auch als Botaniker bekannten
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Dr. Roth sich auszeichnet, steht der von den hohen Elbufern zwischen Hamburg und Blankenese wenig nach. Vor allen gewahrt die Ankunft der mit vollen Segeln dem Hafen zueilenden Seeschiffe in der Mitte einer Menge leichter Fahrzeuge, von denen der Strom nie leer wird , von hier aus den genufsreichsten Anblich.
Vegesack ist besonders dazu geeignet, den Genufs des Landlebens mit der Befriedigung städtischer Be- dürfnisse auf die leichteste Weise zu vereinigen. An geselligen Zirkeln, selbst an Klubbs und Bällen, fehlt es bei der Menge durch die Schifffahrt und aus der Umgegend hier zusammenkommender Fremden schon in der minder begünstigten Jahreszeit und vollends im Sommer nicht. Lebensmittel aller Art sind in Ueber- flufs zu haben, an Handels - und Kaufläden ist kein Mangel. Arzt, Wundarzt, Apotheker, Badeanstalten und ein ausgezeichneter Prediger werden nicht ent- behrt. Dabei gibt es im Umkreis einer Stunde der genufsreichen , ländlichen Umgebungen so viele, dafs die Auswahl schwer wird, und man nicht besorgen darf, die gesellige ländliche Excursion auf einen Flecken zusammen gedrängt zu finden und so der Ge- sellschaft nicht entfliehen zu können , wenn man die Einsamkeit suchte. Aufser den zahlreichen Wasser- fahrten auf der Weser und Lesum sind Blumenthal *)
*) Ueber Blumenthal hat sich in dem Nachlasse des verstorbe- nen Prof. Storck das unten (Anl. B.) folgende Fragment gefunden.
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mit seinen herrlichen Eichen , Ronnebeck, Burgwalde, Lehnihorst, Hohnforst , Heltforst, Wohla und die an- niuthigen mit den schönsten hohen Buchen besetzten Hügel von Schönebeck zu den einladendsten Nach- mittagsspatziergängen geeignet.
Das Hollerland am rechten Ufer der Weser und am linken der Wümme auf der Nordostseite der Stadt bietet eine andere , von vielen noch Torgezogene , in- teressante Parthie des Bremischen Landlebens dar. Landgüter, Vorwerke, Lustgärten, Treiohäuser, zu Spatziergängen heckenartig ausgehauenes Gehölz, theils einfach, theils mit ausgezeichnetem Geschmack erbaut und angelegt, freundliche zur Aufnahme von Städtern geeignete Sommerwohnungen auf den Bauer- hÖfen, alles dies ist hier noch in bei weitem gröfserer Anzahl , wie längs den Ufern der Weser und Lesum zu finden* Auch an öffentlichen mit Wirthschaft ver- sehenen Vergnügungsorten fehlt es nicht, unter denen die Häuser von Jürgens zu Oberneuland, kleineres Holz zu Rockwinkel , das Rosenthal zur Vahr und das Knochsche Landhaus zum Horn die besuchtesten sind. Letzteres läfst selbst den Feinzünglern aus den ersten Gesellschaftszirkeln nichts zu wünschen übrig.
Diese Gegend ist ganz flach; der Boden, mitunter von Sand und Moor gemischt, ist weniger zur Vieh- zucht, wie zum Ackerbau und zu Holzungen geeignet. Alle Felder sind von malerischem Gebüsch umfafst und wunderschöne uralte Eichen umschatten Dörfer und Wohnungen. Zwei neuangelegte Kunststrafsen erleichtern die Kommunikation. Die erste führt neben
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einer grofsen der Kommune der Stadt zustehenden Viehweide, auf welcher im Sommer über tausend Milchkühe grasen , vorbei, über Schwachhausen, Rhins- berg (mit einer schonen Eichenstrafse) , Horn, Lehe, Landruh nach Rockwinkel und Oberneuland. Hier vornemlich sind die lieblichen Eichenhaine mit ihrer w underbaren Mannigfaltigkeit derFormen, der Stämme und des wechselnden Lichts und Schattens zu Hause, welche auf Johann Heinrich Menkens vielgesuchten Gemälden so glücklich und so charakteristisch darge- stellt sind. In dieser anmuthigen Gegend zum Haden- berg , an der Gränze der Dörfer Oberneuland und Rockwinkel, blüht seit einer Reihe von Jahren das treffliche Institut des Arztes Dr. Friedrich Engelken zur Heilung von Gemüthskranken , dessen zweck- mäfsiger und sorgsamer Behandlung viele dieser Un- glücklichen , auch aus entfernten Gegenden Deutsch- lands, ihre völlige Herstellung verdanken. Auch sein Bruder, Dr. Hermann Engelken, hat nicht weit davon eine ähnliche Anstalt seit kurzem errichtet, ob mit gleichem Erfolge , ist uns nicht bekannt. Die andere Chaussee fuhrt auf der Strafse nach Hamburg durch Hastedt, einen oberhalb Bremen an der Weser be- legenen fleckenähnlichen, mehr zur Vorstadt, als zum Lande gehörigen Dorfe, nach Sebaldsbrück, wo die Eichenschatten schon wieder beginnen, dann nach den noch reichlicher damit versehenen, auf dieser Seite äufsersten Bremischen Dörfern Osterholz und Tenever; dieses lehnt sich seitwärts an die Wümme,
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die, hier schon für Torfschiffe fahrbar, hinter Ober- neuland nach Borgfeldt führt, wo der Einflufs von Ebbe und Fluth auf dieselbe schon bedeutend sichtbar wird. Eine mit den kleineren Dörfern Verenmohr, Timmersloh und Butendiek besetzte grofse Wiesen- strecke dehnt das Bremische Gebiet hier noch be- trächtlich über das rechte Wummeufer aus. An diese schliefst sich das mit anmuthigen Gehölzen und einer im Sommer fleifsig besuchten Badeanstalt versehene hannoversche Dorf Lilienthal *), noch vor kurzem der Wohnsitz des verstorbenen berühmten Astronomen Schröter, dessen Sternwarte in der Ge- schichte dieser Wissenschaft einen bleibenden Namen behaupten wird. Die trefflichen Instrumente, worunter ein achtundzwanzigfüfsiger Spiegelteleskop, besitzt seit seinem Tode die Universität Göttingen.
Nordwestwärts von Borgfeldt bildet die Wümme wieder die Gränze des Bremischen Gebiets, indem
*) Auf Vandamme's grausamen Befehl wurde das Dorf Lilien- thal im Frühlinge 1813, wo die Vortruppen der Ver- bündeten sich zuerst in der hiesigen Gegend sehen liefsen, von französischen Truppen angezündet und niederge- brannt. Kaum retteten die Einwohner ihr Leben. Ein grofser Theil des Viehs und Geräthes wurde ein Raub der Flammen. Der Vorwand war ein blofser, bei der späteren Untersuchung völlig ungegründet befundener Verdacht , dafs einzelne Einwohner des Dorfs mit den Kosacken auf die französischen Truppen geschossen haben sollten. Der Ort wurde indessen nach Abzug der Fran- zosen schöner wieder aufgebaut. Bremische Mildthätigkeit zeigte sich auch hier mit reichlicher Hülfe.
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sie die zu derselbigen gehörigen Dörfer Ober- und Niederblockland umströmt, bis sie bei Wasserhorst, sich mit der Hamme vereinigend, die Lesum bildet, welche nach einer guten halben Stunde das Bremische Dorf Burg erreicht, von wo aus des weiteren Laufes derselben bis zu ihrer Vereinigung mit der Weser bei Vegesack schon oben gedacht ist.
Das Blockland mit seinen Umgebungen stellt eine wenig besuchte, aber in ihrer Art ganz eigenthümliche und in manchen Jahrszeiten wirklich höchst anmuthige Parthie unserer Umgebungen dar. Die grofse Wiesen- fläche, welche mit der obengeschilderten Viehweide schon in der Vorstadt Bremens gegen Norden be- ginnt, erstreckt sich in allmähliger Abdachung bis an die Wümme , vor deren Fluthen sie durch einen den vielfachen Windungen dieses Flusses in seinen Krüm- mungen folgenden Deich geschützt wird. In der Bichtung nach demselben ist das Land allenthalben mit Gräben und mehreren zur Erleichterung des auf der Wümme vorzüglich stark betriebenen Torfhandels gegrabenen schiffbaren Kanälen durchschnitten. An diesem das Stadtgebiet nordwärts in einem Halbzirkel umkreisenden Deiche sind die blockländischen Bauern- höfe auf einzelnen, zu der Höhe des Deichs aufge- fahrenen Anhöhen, jeder in der Entfernung mehrerer Büchsenschüsse von dem anderen erbaut. Offenbar ist diese Gegend viel zu frühe eingedämmt worden und wird daher in jedem Winter und Frühlinge von dem durchziehenden Wasser überschwemmt, das durch
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vielfache Abzugsgräben und Schleusen erst allmahlig wieder abgeführt werden kann, und bei nassen Som- mern in der niederen Gegend der Abdachung oft so lange verweilt, dafs das Gras noch im Wasser stehend gemäht und dann auf dem Deiche oder einzelnen höher belegenen Stellen aufgehäuft und ge- trocknet werden mufs, ehe es in die Wohnung und Scheunen gebracht werden kann. Pferde werden hiei deshalb nur ausnahmsweise gehalten, statt der Heu- wagen sieht man dagegen das Feld von gröfseren und kleineren Heuschiffen übersäet. — Erst seit den letzten fünfzig Jahren ist der Blockländer Deich, durch ver- besserte Konstruktion und Aufsicht vor Durchbrüchen sorgfältiger gesichert, bequemer geworden. Früher fanden dergleichen fast in jedem Winter Statt und liefsen da, wo der Strom sich durchgewühlt hatte, grofse oft fünfzig bis hundert Fufs tiefe mit Wasser gefüllte Schluchten, sogenannte Braaken, zurück, deren noch jetzt fast bei jeder Wohnung zu finden sind, und neben derselben einen mitunter einem hiei- nen Landsee ähnlichen grofsen Teich bilden, den eine unter dem Deiche durchgeführte Schleuse mit der Wümme verbindet. Diese Teiche, an deren Ufern sich die Gemüsegärten der Blockländer zu erstrecken pflegen , so wie die Wohnungen auf dem Deiche , sind mit einem Kranze von hohen Eschen und Weiden- bäumen (die hier nicht gekappt, sondern hochstämmig gezogen werden und so oft sehr malerische Baum- gruppen bilden) umgeben, dessen Grün von den
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braunen Rohr- und Strohdächern der Häuser in mannigfaltigen Schattirringen gebrochen wird. Bei dem Amphibienleben der Blockländer bleiben Jagd und Fischfang von ihren Feldarbeiten, für welche Tag und Nacht keine bestimmten Abtheilungen bilden, unzertrennlich; sie sind geborne Fischer und Schützen von Wasservögeln , besonders Wasserschnepfen, wilden Gänsen und wilden Enten. Letztere sind hier so sehr zu Hause , dafs selbst die zahme Hausente sich ihnen näher verwandt zu fühlen scheint, und durch die Kunst der Landleute zum Lochen derselben abge- richtet wird. Eine solche dressirte Lochente, welche dem blockländischen Jäger statt des Hundes dient, wird mit einem Thaler und darüber bezahlt.
Ein Spatziergang oder Spatzierritt an einem schö- nen Frühlingstage von Bremen über Horn oder Borg- feJd durch das Blockland nach der Burg gewährt ein ganz eigenthümliches , nur in wenigen Gegenden an- zutreffendes Landvergnügen. Auf dem an beiden Seiten fast bis zum obersten Rande vom Wasser be- spülten , kaum für zwei Fufsgänger nebeneinander Platz lassenden Deichrücken, wandert man in be- ständigen Krümmungen zwischen zwei kaum abseh- baren Wasserflächen, links in weiter Ferne von den Thürmen der Stadt, rechts von dem des hannover- schen Kirchdorfs St. Jürgen begränzt, wie mitten im Meere , über vier Stunden lang , alle fünf bis zehn Minuten von der Oase eines freundlichen, auf einer kleinen Anhöhe zwischen hohen Baumgruppen, mit
seinem Strohdache hervorschimmernden , von Fischer- netzen und Körben umhangenen, von Menschen und Vieh zahlreich bevölkerten Hauses angenehm unter- brochen, und, will man mit einem Gerichte Hechte, geräucherter Aale, Wasservögel oder Schinhen sein Mittagsmahl machen, freundlich aufgenommen *), bis man mit der Höhe von Wasserhorst ein enger und zahlreicher bebautes Dorf erreicht, von dessen hohem
*) Die Lust zu dergleichen Delikatessen und jugendlicher Uebermuth veranlasste in einem der auf die Schlacht bei Jena folgenden Jahre, wo Bremen und dessen Umge- bungen von Einquartierung fremder Truppen unauf- hörlich belastigt wurden, eine Anzahl muthwilliger junger Leute bei einem Abendzechgelage in der Vorstadt, sich zu einem nächtlichen Streifzuge in das Blockland zu vereinigen. Mit aufgesuchten alten Gewehren und Mon- tirungsstiicken versehen, von einem Bauernhofe zum andern ziehend , gab man sich dort für fremde Einquartirung aus und lies nach militärischer Sitte des Tages vom Besten auftischen. Die Nacht begünstigte anfangs eine glückliche Durchführung dieses Muth willens. Die geängstigten Block- länder, durch die Gunst ihrer insularischen Lage von dem wasserscheuen Militär bis dahin fast gänzlich ver- schont geblieben, gaben, was sie hatten; aber wie mit Tagesanbruch die junge Mannschaft der Eingesessenen mit ihren Flinten vom Enten- und Aalfang allenthalben zurückkehrte, ward der Irrthum bald entdeckt. Das ganze Wasserfeld ertönte von Signalschüssen — die flachen Böte mit ihren bewaffneten Fischjägern strömten von allen Seiten herbei und die Bolle der Fürchtenden und Ge- fürchteten wechselte nun schnell. Ohne Blutvergiefsen mufste sich Alles ergeben, und gebunden in ihre Böte gelegt schafften die rüstigen Blockländer die Gefangenen nach der Stadt zur Ueberlieferung an die Polizei.
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Kirchhofe eine der interessantesten Aussichten den Wanderer vollends belohnt. Der Blick südwärts auf die Stadt hin fällt hier auf ein Wasserbecken von solchem Unifange, dafs man einen Theil des Bodensees in seinen niedrigen Ufern vor sich zu sehen glauben könnte, während nordwärts jenseits des Zusammen- flusses der Wümme und Hamme die lieblichen An- höhen von Marsel, Bitterhude und des waldigten han- noverschen Osterholz, und in noch weiterer Ferne die Höhen des Weiherberges die Wasserfläche freundlich begränzen.
Dafs bei dieser Beschaffenheit der Bremischen Gegenden auch der Winter hier seine eigenthümlichen Beize habe, dafs für Schrittschuhlauf und Schlitten- fahrten die mannigfaltig wechselndsten Gelegenheiten und Vergnügungsörter sich darbieten und benutzt AVer- den, bedarf wohl kaum einer ausdrücklichen Erwäh- nung. Jeder längere städtische Sommer auf enthalt auf dem Lande führt im Winterseine kürzer erscheinenden Bevenants herbei und findet allenthalben vorbereitete freundliche Aufnahme. Eine besonders in unseren Gegenden zahlreich gebaute Gattung braunen Winter- kohls, der bei sorgfältiger Kultur eine Höhe von sechs bis sieben Fufs erreicht und völlig gefroren für die schmackhafteste Zubereitung am geeignet- sten ist, pflegt mit geräucherten Fleischspeisen aller Art bei diesen ländlichen Winterparthien das Haupt- gericht zu bilden. Der Anblick dieser in einer Farbenmischung von braun, grün und violett zwi-
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sehen dem Schnee hervorschimmernden und die zer- streuten Landwohnungen in der Ferne zu einem Ganzen verbindenden hohen Kohlfelder ist ein cha- rakteristisches Merkmal jeder Winterlandschaft des nördlichen Deutschlands.
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Anlage A.
(Zu S. 556.)
Der Wigmodurgau führte seinen Namen von der Wümme oder Wimme, welche unterhalb des alten Erbsitzes der nun ausgestorbenen Freiherren yon Marsel (Marisgate), indem sie sich mit der Hamme vereinigt, ihren Namen in Lese oder Lesum ver- wandelt.
Dieser fischreiche Flufs entspringt im Herzog- thum Lüneburg, strömt durch leicht zu überschwem- mende treffliche Viehweiden und theilt sich in dem weichen Boden in viele Arme, welche sich hier und da wieder vereinigen. Nach ihm nannten sich jene alten Herren von Lesmon *) oder Lesmund (Mündung der Lese), und ihr Hof, wo jetzt noch das Dorf Lesum zu sehen ist. Der Ursprung dieses Geschlechts geht hinauf bis zur Zeit Karls des Grofsen.
Nur kurze Zeit werden jedoch die Lesmon ge- nannt , bis unter Otto dem Grofsen der Sohn Hermann Billings von Sachsen, Lothar der Zweite, diesen Titel wieder führte. Seine Wittwe war die heilige
*) In Urkunden Lismona, Lismonia, Liastmona , Listmuone, Liesmunde , Liestimunde u. s. w. Sie heifsen auch Grafen von Wigmodia. S. Mushard Brem. Rittersaal.
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Emma , Schwester Bischofs Mainards von Paderborn, die im Dom zu Bremen begraben liegt und sich durch Schenkung der Bin gerviehweide um die Stadt Bremen verdient machte. „Se gaff' och der Stadt eine grosse Wische und Weide, weiche nu de Bürger- Weide het, up welhern de Beester hene Noth hebben von Brümsen, Wöspen oder Fliegen, and düt was anno 1032 u, sagt Kenner. Die zum Curtis Lesmon gehö- rige Güter *) schenkte sie dem Kaiser Conrad, der sie hinwiederum dem Stifte zu Bremen übergab.
Erzbischof Adalbert von Bremen, der gewinn- süchtige, vielbedürftige, schlaue Priester, trachtete ihrem Schwager Ditmar, Bruder Lothars, die ganze fürs Erzstift wohlgelegene Grafschaft zu entreifsen. Als daher Heinrich der Vierte von Bremen nach der Grafschaft Lesmon, oder, wie Andere wollen, nach St, Magnus, wo Ditmar gewohnt haben soll, zog, um den Grafen zu besuchen, brachen aus einem Busche, wahrscheinlich von dem Erzbischof dazu verordnet, Bewaffnete hervor, und wie durch Zufall mufste es Adalbert seyn, der den Kaiser aus den Händen der Mörder rettete.
Ditmar, dem dieser Frevel, auf das Zeugnifs seines bestochenen Knappen, Schuld gegeben wurde, mufste sich durch einen Zweikampf reinigen, und als er in demselben erlag, häufte Adalbert die an den Kaiser verfallene Grafschaft für neun Pfund
*) 700 mansi und das Land Hadeln. Ad. Br.
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Gold*), und stiftete da, wo die Herren von Lesmon gewohnt, eine Probst ei und Kirche , hielt sich in späteren Jahren wegen der gesunden Luft und des an- muthigen Anbiichs auf das tieler liegende Land gerne da auf, und mag besonders, als sein Bruder, der Pfalzgraf Friedrich, ihn in St. Magnus besuchte, um ihm ins Gewissen zu reden , dort manchmal in Be- trachtung der Eitelkeit aller menschlichen Gröfse mit Reue auf sein früheres Leben zurückgeblickt, haben. Wie noch mehr, als er den schrecklichen Traum ge- habt, in welchem ihm in der Kirche alle seine Vor- fahren im Amte erschienen waren und ihm seinen Hochmuth vorgeworfen hatten , nach welcher Zeit er. nie wieder froh wurde. In Goslar ereilte ihn der Tod und im Chor der Domkirche zu Bremen ward er begraben.
Die Grafschaft Lesmon ward nach Adalberts Tode zertheilt. Die Kirche zu Lesmon sammt dem Zehn- ten des Dorfes wurde dem von Volda nach Lilienthal verlegten Kloster gegeben ; das Vieland (insulae Bre-
*) Gründliche Untersuchungen über dieses Ereignifs findet man in Wersabe über die niederdeutschen Kolonien. Nach dem bei Eelking angeführten Diplom Heinrichs des Vierten erstreckten sich Adalberts bei dieser Ge- legenheit gemachte Erwerbungen auch auf bedeutende Striche am linken Weserufer. „Curtem Liestmuone in comitatu Marchionis Uddonis (von Stade) et in pago Wigmodia cum insulis ibi sitis, nec non paludibus Linne- broch, Aldeiiebroch , Weigeribroch, Huchtingebrock, Brins- oimibrock, Weigenbrok, Adalberto Archiep. donavit. "
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mensis paludis) kam an die Stadt Bremen; das Werder- land ebenfalls, durch Yerheirathung der adeligen Ge- schlechter von Gröpelingen und Walle; das Bloch- land und Burgdamm durch die Junker von Marsein.
Dafs auf den Höhen der Lesum noch oft Bremer Erzbischöfe sich aufgehalten , zeigt der vom Erz- bischof Gerhard mit der Stadt Bremen geschlossene merkwürdige Vergleich, der von Lesmona (1246) datirt ist. Abgerechnet, dafs wenn von Lesmon in den ältesten Nachrichten die Rede, hierunter nicht nur der Wohnplatz, sondern die ganze so genannte Besitzung mit siebenhundert mansi verstanden ist, so mag es doch nicht unwahrscheinlich seyn, dafs das ganze Ufer an der Lesum mit allen seinen Häfen Les- mon insbesondere genannt wurde und die Benen- nung St. Magnus später allgemein wurde. Magnus war ein Zeitgenosse Adalberts, der ihn nach dem Norden schichte. In Kistwall in Nordschottland ist ihm eine Kirche gewidmet.
Auf den Höhen nun , wo einst der Stammsitz der uralten Grafen von Lesmon sich erhoben, wo einst der Lieblingsaufenthalt des Erzbischofs Adalberts war, deren längst in dem Strom der Zeiten untergegangene Wohnungen hein Stein und keine Trümmer bezeich- nen, liegt nun mit zerstreuten ländlichen Hütten, im Schatten von Obst- und wilden Bäumen, das Dorf St. Magnus, dessen Bewohner eben so wie den Boden das Meer durchpflügen , zugleich sich den Wellen der See als Westindienschiffer und Grönlandsfahrer an- vertrauen, im Frühling und Sommer den Wallfischen
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nachtrachten und im Herbst das Getreide einfahren; manche beschäftigen sich auch mit Schiffszimmern. Die Abreise wie die Rückkunft der Grönlandsfahrer ist für die Einwohner Lesumbroks, St. Magnus und der Um- gegend das wichtigste Ereignifs im Jahr. Das Unter- nehmen ist gefahrvoll und von einem günstigen Fang hängt viel der Jahreserwerb des baaren Geldes ab. Ihre Todten werfen sie auf der Fahrt nicht ins Meer. Mit rührender Pietät hat vor einigen Jahren ein St. Magnusser Grönlandsfahrer einen Haus Yater, der schon auf der Hinreise gestorben war, auf dem Schiffe be- halten und ihn nach vollendetem Robbenschlag und Wallfischfang zurückgebracht , damit er unter seinem Volke ruhen möge.
Nur in Sagen noch erhält sich das Andenken an eine dem heiligen Magnus geweihte Kirche. Die kleine Umwallung, die auf dem sogenannten Henizberg sicht- bar ist, diente vielleicht zur Befestigung dieser Kirche, so wie denn alle Kirchen in den Niederweserlanden befestigt waren und als Burgen gebraucht wurden. Die Einwohner von St. Magnus sind nach Lesum ein- gepfarrt.
Wenn die Bremer sich den Anblick der Gebirgs- länder im Kleinen verschaffen wollen, so wallfahrten sie nach St. Magnus. Dieses Dorf liegt auf einer ziem- lichen Höhe, deren Fufs die sanftfliefsende Lesmona (Lesum) bespült. Die Höhe selbst ist mannigfaltig durch Getreidefelder, kleine zu den verschiedenen Höfen gehörige Hoch Waldungen, die sehr gut unter- halten sind, und Oekonomiegärten. Dieses Alles ist
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sehr ländlich und gewährt dem zufriedenen und ge- nügsamen Spatziergänger, vorzüglich dem Kenner landschaftlicher Eigentümlichkeit, in welcher Gestalt die Natur auch immer erscheinen mag, manchen an- muthigen Genufs.
Der Blick von St. Magnus hinab beherrscht ein von der Lesum und Weser eingeschlossenes weites Grasland. Breite mit Schilf bewachsene Gräben zie- hen sich nach allen Richtungen hindurch und geben dieser Fläche eine gewisse Regelmäfsigkeit. In ver- schiedener Gestalt erscheint dies Grasland in dem fri- schen Frühlingsgrün, in der Ueppigkeit des Sommers, mit unzähligem Rindvieh bedeckt, das hier weidet, bis endlich, wie aufgestellte Truppen, lange regel- mäfsige Reihen von Heuhaufen die gelbgrüne Fläche bedecken. Hin und wieder findet sich ein höherer Grund, wie eine Oase, auf welcher, sicher vor Ueber- schwemmungen , sich der Landmann vor Alters ansie- delte und seine Hütte mit Bäumen umpflanzte. Man nannte sie Tungen (erst Dungen), vielleicht Land- zungen, zur Zeit, als dieses Grasland, welches der Brook ( Bruch) genannt wird *) , noch unter Wasser
*) Ein Brook ist eigentlich halb Marsch , halb Moor. Der Grund ist Moor. Er brennt getrocknet wie Torf. Er ist nur mit einer Kruste von Marscherde überzogen, und nur nach vieljähriger Kultur ist er, vermittelst Durch- ziehung mit Gräben und Beweiden mit Vieh , so nutzbar geworden, dafs man ihn zum Marschboden rechnet.
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stand. Später wurden es Landsitze angesehener Bre- mischen Familien, und noch jetzt wird ein grofser Theil der Feldmark, die nun diesen Namen fuhrt, durch die daselbst befindlichen Landgüter gebildet. Die dazugehörenden Landhäuser und Gartenanlagen geben der Fläche eine angenehme Unterbrechung.
Wie anders erscheint dies niedrige Land wenn die Aequinoctialstürme anfangen zu wehen, Wasser Alles bedeckt, die Bewohner der Oasen nur mit Käh- nen ihre Gehöfte verlassen können, im Falle, dafs nicht besondere Verbindungsdeiche vorhanden, oder nicht im Stande sind; und wie, wenn endlich nur eine Eisfläche nah und fern erscheint! Aber auch selbst im Anfang des Sommers ist ein Theil dieser Fläche oft noch so überschwemmt, dafs das Gras unter dem Wasser gemäht, schwimmend aufgenommen und in Kähne geworfen werden mufs. An dem Weserufer dieses Graslandes liegt Dorf an Dorf; zwischen ent- fernteren und näheren Bäumen ragt eine vorzüglich hohe Baumgruppe hervor, zu dem ehemaligen Sitze der in Bremen erloschenen , in Schweden noch fort- blühenden Familie Steding, to den Föten, am Ausflufs der Lesum gehörend, und wenn der Tag hell ist, er- kennt man zwischen derselben die Moorlose Kirche (mutterlose? Filial, das die Mutter verloren) an der Weser, dem Dorfe Mittelsbüren zugehörend. In blauer Ferne dahinter, liegt das Oldenburgische mit den Anhöhen Nutzhorn und Kloster Hude. Links hin- aus sieht man die Stadt Bremen liegen und dicht un- terhalb ist der mit Dämmen befestigte Rand der Lesum,
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ganz mit Hütten besetzt, die anmuthig in ihrer Baum- fülle theils von Obstbäumen theils von Eschen ruhen. Auch drängt sich an jedem Bauerhaus, an jeder Scheune ein alter knorriger Hollunderbaum, der oft sich zur Laube wölbt, im Frühjahr durch seine weifsen Blüthen das Grün erheitert und dem Landmann für das ganze Jahr seine Universal -Medicin bietet.
Die Gegenden, die man stromabwärts auf den Höhen von Vegesack und St. Magnus zum Theil über- sieht und die sich jenseits bis Blexen, diesseits bis Lehe ziehen, sind sehr fruchtbar. Marsch und Moor dienen zur Viehzucht und zum Acherbau, und das letztere spendet auch in dem Torf ein treffliches und wohlfeiles Brennmaterial. Nur das Vieland *) hat Sandboden.
Auch der kommende Sturm hat auf diesen Höhen etwas Erhabenes. Dann fliegen die Vorboten des Sturms, die Seemöven, kreischend den Flufs herauf; ihr weifses Gefieder schneidet sich scharf an dem schwarzen Gewölh ab, indem sie auf und nieder schiefsen.
*) Vi e kommt nicht von Vieh , sondern das V i e heifst eine am Wasser leicht überschwemmte Gegend. Der Graf von Stotel vermachte dem vor dem Osterthore in Bremen lie- genden St. Pauli Kloster Einkünfte im Vie. Daher also auch wahrscheinlich die Benennung der beiden Stadt Bre- mischen Gowe Ober- und Niedervieland, die hier im Texte nicht , sondern der Landstrich gleiches Namens im Herzog- timm Bremen gemeint sind.
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Zu andern Zeiten ist es anmuthig, die weifsen Segel fern die Weser auf und nieder gehen zu sehen zwischen Dörfern, Bäumen und Wiesen, wo man kein Wasser geahnet hätte, und von den Schiffen selbst, aufser dem Segel, nichts sichtbar ist.
Sieht man diese Flächen, die einen grofsen Theil des Jahrs bis auf die kleine zum Hof benutzte Höhe überflössen sind, so wundert man sich über die Rich- tigkeit der Aeufserung Plinius des Äeltern, wenn er von dem Lande der Chauken also schreibt: „Die Fluth überströmt dieses Land und läfst zweifeln, ob man Erde oder Meer vor sich hat. Das arme Chauken • volk hat sich durch seiner Hände Arbeit Höhen aufge- worfen und Hütten darauf gebaut, die, während die Ueberschwemmung da ist, wie Schiff bruchtrümmer erscheinen. Tritt das Wasser zurück , so fangen sie mit ihren Schilfnetzen die Fische, die ihre Nahrung ausmachen, da sie weder Vieh, noch Wild, noch Pflanzen haben. Ihr Trank ist in Gruben gesammeltes Regenwasser, ihre Feuerung eine Erde, die mehr von Wind als von Sonne trocknen mufs. Und da nun dieses arme, aber freie Volk von den Römern besiegt wird, so fühlt es sich, w7ie in einem Sklavenzustande." Aber wir lachen, wenn er uns erzählt, wie in dieser Meergegend die Römer erschraken, als sich stehend schwimmende Bäume mit der Ebbe vor die Schiffe legten, und die Römer, eine Kriegslist erwartend, sich kampfbereit machten; und doch ist es leicht denkbar, dafs ein Baum, der im Moor steht, sammt dem durch
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die Wurzeln zusammen gehaltenen Boden durch die Wellen losgerissen und fortgeführt wird *).
Yor ungefähr fünfzig Jahren wurde ein Bremer Kaufmann auf die reizende Lage des Dorfes St. Magnus aufmerksam und richtete sich eine Meine ländliche Wohnung ein, die theils durch die nächsten Um- gebungen theils durch die weite Aussicht noch jetzt die Freude derer ist, die hier zu seyn Gelegenheit haben. Jener erste Besitzer, der bald die Wohnung zu enge fand, erbauete daneben ein schönes Landhaus mit angemessenen Umgebungen, das jedem, der von Bremen herkommt, angenehm von fern in die Augen leuchtet und dem Herrn von Heymann gehört. Das dazu gehörige Waldthal ist eine schön ersonnene An- lage. Hier ist wahrhafte Einsamheit und Waldesnacht, und doppelt erfreulich sind die wenigen gebrochenen Sonnenblicke, die zwischen dem Dunkel der Blätter herein spielen.
Einige Jahre später wurden die trefflichen, seit einigen Jahren dem Kaufmann Focke gehörigen An- lagen gemacht, die durch geschmackvolle Disposition,
*) In der schrecklichen Weihnachtsfluth im Jahre 1717 wurde in Ostfriesland ein Haus, das auf Moorgrund stand, mit der ganzen Familie und dem Vieh nach einem anderen Orte versetzt , der eine Stunde entfernt lag. Bei Ayenwald kamen sechs Aecker mit grüner Roggensaat angetrieben. Bei Westerholz hatten sich zweitausend Quadratruthen Land, drei bis vier Fufs dick, losgerissen und auf ein an- deres Land gesetzt. ( Wiarda Ostfriesl. Gesch.)
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durch weise Benutzung des Vorhandenen, des Kenners Auge erfreuen. Das Wohnhaus dieses reizenden Land- guts, das von dem jetzigen Besitzer erbaut worden, ist einfach, aber geschmackvoll, und bildet mit dem Hof und den Nebengebäuden ein wohl zusammenstim- mendes und gefälliges Ganze. Die Natur bot hier reiche Mittel. Auf den verschiedenen wohlange- brachten schattigen Sitzen auf der Höhe des Ufers die Wirkungen der Morgen- oder Abendbeleuchtung zu sehen, mufs selbst dem, der romantische Gegenden kennt, herrlichen Genufs gewähren. Zwischen den in röthlichen Duft gehüllten Ufern wallt die Lesum in der mildern Gluth der Abendsonne. Das Grün der Viehweiden verliert sich allmählig in das Blau des fernem Horizonts. Still liegen die Hütten am Ufer hin zwischen Weiden, Eichen und Eschen, und nur einzelne Fischerkähne beleben dieses sanfte idyllische Gemälde.
Auch dicht am Wasser vorbei den Schiffsbauplatz hindurchzu wandeln, wenn die Sonne am Untergehen ist, erfüllt ein fühlendes Herz mit stiller Freude. Dann schwebt die Sonne nur kaum noch über der weiten Wasserfläche , ihr Bild verlängert sich zitternd in der kräuselnden Fluth bis zu uns her* Der röthliche Ton umf liefst die Schiffe, die Segel, die Menschen und die entfernteren Baumgruppen , und gibt allen Gegenständen eine zauberische, warme Tinte. Oft zeigt auch der Abendhimmel, wie in allen wasser- reichen der See nahen Gegenden, jene seltsamen Ge- stalten, wobei man an die Fata Morgana denkt:
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Wie wenn hinab die Sonne zieht.
In tausendfarbigen Geweben
Der heitre Sommerhimmel glüht ,
Und in der lichten W^ölkchen Schweben j
Die aufgereizte Phantasie
Gedräng von Feen und Ritterji sieht. *)
Und dieser Flufs, die Lesum, oder wie die Alten wohl- klingender ihn nannten , Lesmona, geht überall so behaglich in mancherlei Windungen und bewässert die reichsten Viehweiden. Das schönste Hornyieh steht in seinen sanften Wellen, wenn der Sommer glüht und nährt sich von dem üppigen Gras , dem sein Wasser Gedeihen gibt. Manches Dorf, mancher Edelsitz, mancher Hof und manche malerische Fischerhütte, durch Granitblöche geschützt und be- festigt, von Eschen umgrünt, stehen an seinen niederen Ufern, blichen hinter seinen Deichen hervor, oder schauen von den sanft aufsteigenden Höhen herab. Die Ufer haben keinen trockenen, sandigen oder stei- nigen Rand, wie die Gebirgsflüsse , sondern theils durch die herauf dringende Fluth, theils durch die Natur des Bodens ist dieser Flufs von einem grünen Ufer eingefafst, das sich bis dicht ans Wasser zieht.
*) W. Scott, Fräulein vom See, Gesang VI. Diese Schilde- rung möge nicht mit der wirklich verhafsten Landschafts- ziererei der malerischen Reiseheschreiber verwechselt werden; es galt nier die Individualität einer bestimm- ten Natur demjenigen zu schildern der sie nicht durch Anschauung kennt.
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Und die näher am Wasser stehenden Hütten sind voll Schwalbennester, nicht blofs von aufsen, sondern auch von innen. Das fliegt aus und ein durch das weite Thor, ungestört durch die darin wohnenden und wirkenden Menschen. Lautes Gezwitscher tönt am Tage, und spät Abends das leise Plaudern der Alten und Jungen im Neste. „Einst erwachte ich Morgens,44 erzählte mir eine Frau, „da konnte ich vor allem Gezwitscher mein eigenes Wort nicht hören , und als ich aus der Kammer trat, war das ganze Haus schwarz von Schwalben , die bei mir zur gemeinsamen Abfahrt sich versammelt hatten. Ein andermal hörte ich Mor- gens ein lebhaftes Klopfen am Fenster; als ich zusah, so waren es meine zurückgehehrten Frühlingsgäste, die Schwalben , die das Thor zugeschlossen gefunden hatten, und nun, an dem Fenster pickend, Einlafs begehrten."
Erst vor wenigen Jahren erbauete der Kaufmann Heymann, der durch langen Aufenthalt in London dem heimathlichen Boden seine Neigung nicht ent- zogen hatte, auf derjenigen Höhe, welche die Um- wohnenden den Heinzberg nennen , sein Tuskulanum, aber nicht blofs zum Sommeraufenthalt, sondern um da für immer zu wohnen. Die Lage dieser im Ge- schmack der englischen Landhäuser gebaueten Villa ist vortrefflich , der Garten ist zwar nicht grofs , wird aber, wenn erst die Pflanzungen herangewachsen sind, von den Freunden der Natur eben so der Anlage als der Aussicht wegen mit Vergnügen besucht wer-
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den. Leider nur zu kurz war es dem braven, gast- freundschaftlichen Manne vergönnt, sich seines Tus- culanums zu erfreuen j er ruht auf dem Kirchhofe des benachbarten Vegesack und er war der erste Todte der dort auf dem neuen Kirchhofe beerdigt wurde.
Der Weg von Bremen nach St. Magnus ist zu weit, zu sandig, die Kaufleute können nicht so leicht nach vollendeten Geschäften zu den Ihrigen , die auf dem Lande wohnen, kommen, sonst würden die Höhen der Lesum schon in allen Richtungen mit Landhäusern besetzt seyn. Eine in diesem Jahre vollendete Kunst- strafse, wenigstens bis zur Burg, wird die Verbindung erleichtern und Veranlassung zu neuen Anlagen geben.
Ein viel besuchter Platz in der Nähe von St Magnus ist der Fuchsberg, dessen runde Form und isolirte Lagen auf der Ebene einen altdeutschen Grab- hügel vermuthen lassen *)♦
Jetzt haben Füchse den Hügel unterwühlt, Bäume sind überall herausgewachsen und wölben sich über dem Rasensitz. Der einzige Anblick rechts beherrscht die weite Gegend über die Weser hinaus ins Olden- burgische. In der Nähe sind Getreidefelder, weiter-
*) Im Jahre 1647 hat man in der Gegend von Lehe und Bederkesa Chaukengräber gefunden mit irdenen Vasen, welche Asche und Gebeine enthielten ; auch Wurfspiese, verrostetes Eisengeräth , Zierrathen und zerschnittene und polirte Steine.
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hin an den Ufern der Lesum Grasland und dazwischen durch blickt oft ein weifses Segel hervor. Das Wäld- chen, in welchem dieser Grabhügel liegt, wird viel zum Spatzieren benutzt und hin und wieder ladet eine Bank zum Ausruhen ein.
Die Höfe Wellen, Holthorst, Hohnhorst, werden mit Vergnügen besucht. Weite Getreidefelder mit Wald umgeben, an dessen Rand die langen Höfe liegen, dann tiefer liegende Wiesenthäler : solcherlei bildet diese kleinen Landschaften. Das Dorf Wolda vereinigt vorzüglich Alles, was eine solche Natur Schönes haben kann, und man überzeugt sich auch hier, dafs die Stifter der Klöster nicht die schlechte- sten Gegenden zur Anlegung derselben wählten. Uebrigens ist keine Spur mehr von dem Nonnenkloster vorhanden, das schon früh nach Lilienthal verlegt, aber auch dort einige Zeit nach der Reformation auf- gehoben wurde. Der Landstrich zu dem Kloster Wolda wurde im Jahre 1188 vom Erzbischof Hartwich dem Zweiten dem Junker Wilken von Marsel abge- kauft. Das leere aber bewohnbare Schlofs Schöne- beck*) mit seiner Wassermühle bildet besonders in der Abendbeleuchtung ein anziehendes Gemälde. Sein brei-
*) Die Herren von Oumiinde , Vasallen des Erzstifts , baueten Schönebeck und nannten sich darnach. Joh. von Ou- miinde kommt zuerst mit dem Namen Schönebeck in einer Urkunde vom Jahre 1357 vor. Von jener altern Burg ist keine Spur. Die SchÖnebeckschen Güter kamen an das Haus von der Borg.
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ter Graben ist mit mancherlei Wasserpflanzen erfüllt, die gelbe und weifse Wasserlilie (Nymphaea alba und lutea) mit den breiten runden Blättern haben ihn in eine blumenreiche Wiese verwandelt. „Wo unter Rohr und Binsen auf ihrem grünen Thron die grofse Lilie als des Wassers Königin sitzt *)♦ Das daran» stofsende Holz mit den herzengeraden , hohen und dicken Buchen mufs man am Abend durchwandeln, wenn die Strahlen der scheidenden Sonne schräg zwi- schen den hohen Stämmen herein fallen, in dem Laube spielen und die Riesenschatten der Stämme sich weithin strecken. Anmuthig ist es auch, auf den Hü- geln am rechten Ufer der Lesum zu wandeln, wo in uralten Zeiten das freiherrliche Geschlecht Marisgale (Marsel) seinen Sitz hatte. Es wird genannt vom Jahre 1188 bis 1457- Hier wurde auch Willehads Jünger, Atrebanus, von den Heiden erschlagen.
Der Charakter der Natur ist sich hier zwar überall ziemlich gleich. Wer aber diese einfachen Scenen in den verschiedenen Tageszeiten zu beobachten weifs, und nicht allein Salvator Rosas wilde Gebirgsgegen- den, sondern auch Waterloo's und Ruysdaels Land- schaften in ihrer Eigentümlichkeit schätzen gelernt hat, wird diese niederdeutschen mit Stroh oder Ried bedeckten langen Höfe, mit den sie umgebenden Scheunen, und die gewaltigen Eichen, welche ihr
*) Where — upon her throne of green, Sits the large Lilj as the walers queen.
Crabbe, The borough,
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dunkles Grün über die grauen bemoosten Dächer breiten, sehr malerisch finden. Vor Allem aber, was dem Grofsstädter , der dem Geräusch und dem Men- schengedränge entflohen ist, so lieblich ums Herz schmeichelt, ist die Ruhe und Stille dieser noch in ihrer urdeutschen Form bestehenden Höfe und ihrer Eichenhaine; und die männliche Schönheit unserer alten deutschen Eichenwälder, das lebende saftige Grün deutscher Wiesen, das die sonst so gepriesenen südlichen Länder Europens nicht bieten, wird auch den Verehrer deutscher Freiheit und Eigentümlich- keit zu manchem erhebenden Gedanken stimmen!
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Anlage B.
(Zu Seite 559.)
Schon seit Jahrhunderten ist die Gegend von Blumen- thal bei den Bremern beliebt gewesen. Dilich erklärt, der poetische Name komme von der Anmuth, welche die Natur so reich über diesen Fleck der Erde aus- gegossen, indem auf der einen Seite die anmuthigsten Gehölze, von der anderen Höhen von heiterem und reizendem Anblich und weite Triften erscheinen.
Die Geschlechter von Steding, Oumünde, Reten, Borch und Weyhe erbauten im Jahre 1355 die Burg Blumenthal und errichteten eine Burgmannschaft. Was man hinter dem Amthause noch jetzt den Burg- wall nennt ist wahrscheinlich die Burg gewesen; man sieht noch Erhöhungen, die wohl Reste des Walls seyn könnten.
Aus dieser Burg mögen die Bremer manche Be- einträchtigungen ihres Handels und Wandels erlitten
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haben. Friedliche Versuche wurden daher erst ge- macht, die räuberischen Burgmänner in Blumenthal zur Ruxie zu bringen. Seit dem Jahre 1380 machten die Herren von Oumünde, von Reten, später die von Schönebeck und von Weyhe mit der Stadt wieder- holte Verträge, einmal, dafs dies Schlofs zwölf Jahre lang für die Stadt Bremen offen seyn sollte, zu zwei anderen Malen, dafs die Junker sich aller Gewalt wider die Bremer zu Wasser und zu Lande enthalten, auch dem Rath zur Folge bereit seyn wollten. Sie mögen aber nicht lange diesem Versprechen nach- gelebt haben, und es entstand Fehde, welche durch die Vermittlung des Erzbischofs Balduin in der Art beigelegt wurde, dafs die von der Borch Blumenthal der Stadt Bremen einräumten, und dafür i400 Pfund Pfennige erhielten (i486). Bas Schlofs war darauf als Pfand im Verlauf der Jahre in den Händen ver- schiedener adlichen Familien. Die Zeit, wann die alte Burg zerstört oder auch vielleicht dem Verfall überlassen worden , kennt man nicht *). Das Amt Blumenthal sammt dem Gericht Neuenkirchen ist seit? dem von Bremen besessen und durch ein Mitglied des Senats als Drosten verwaltet worden* Die Erzbischöfe haben aber fortwährend auf die Landeshoheit Anspruch gemacht, bis endlich durch den Stader Vergleich vom 28sten November 1654 und den Habenhauser Frieden
*) Dreizehn Urkunden in Cassels Sammlung: Bremische Urk. S. 337. ff. geben diese Resultate.
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1666 die Hoheit der Krone Schweden eingeräumt ward, im übrigen es aber noch Bremen verblieb. Die völlige Abtretung geschah erst durch den zweiten Stader Vergleich 1741.
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Anhang,
Berichtigungen, Erläuterungen und Zusätze,
(Siehe die Vorrede.)
Zu Seite 31. Eine sehr interessante wissenschaftliche Er- örterung über den Ursprung und Inhalt des ältesten Bremischen Gesetzbuches von 1303. findet sich in einem Aufsatze des Dr. J. F. Gildemeister, in Smidts Hanseatischem Magazin 6ten Bandes 2tem Heft. Bremen bey Seyffert 1804-
S. 35- Es giebt mehrere historische Spuren, welche es wahrscheinlich machen, dafs Bremens Eintritt in die Hanse schon früher als im Jahre 1284- statt fand. Auch gehörte Bremen eine Zeitlang zum Rheinischen Städtebunde , dessen Anfang in das Jahr 1254. fällt. Ausser Bremen nahmen noch drey andere deut- sche Städte, die zugleich Hansestädte waren, (Com, Wesel und Münster) an demselben Theil.
S. 47. Note: Das alte Wort "Gleve,, bezeichnet ur- sprünglich eine Lanze oder einen Spiefs , daher auch die damit bewaffneten Reuter Gleven, und die also ausgerüsteten Bürger der Städte , Glevcnbürger hiefsen. Im uneigentli- chen Sinne versteht man unter einer Gleve auch wohl ein Häuf- lein von 4 bis 5 Glevenreutern. So hat es der Verfasser hier in der unter dem Text befindlichen Note gedeutet. Die 600 Lanzenträger mit denen Graf Engelbert von der Mark der Stadt zu Hülfe kam, bildeten aber in jener Zeit schon eine sehr be- deutende Kriegsschaar und es ist nicht wahrscheinlich , dafs ihm
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deren 3000 zu Gebote gestanden. (Man vergleiche Adelungs Wörterbuch unter dem Worte Gleve und Sartorius Geschichte der Hanse 3te" Bands Seite 197.)
S. 67. Note. Gicht oder G i c h t i n g heifst ; Bekenntnifs. Der Rath gab seine Gichting darin, will so vief sagen, als er berief sich auf das frühere Bekenntnifs des Delinquenten. — S. das Bremisch Niedersächsische Wörterbach und Adelung un- ter dem Worte Gicht. — Desgleichen Deneken Bruchstücke zur Bremischen Geschichte S. 57«
S. 69. Nicht auf dem Paulsberge, sondern in der Nähe des Pauls - Klosters in der sogenannten Fedelhören, wo noch jetzt das steinerne Kreuz sich befindet, war die Richtstätte des unschuldigen Vafsmer.
S. 72- Das Geschlecht der Vafsmer ist nicht ausgestor- ben. Abkömmlinge der männlichen Linie leben in Holstein, der weiblichen in Bremen.
S. 73, Die hier erwähnte neueste Veränderung betrifft blos die Ergänzung des Senats , wobei die Bürgerschaft, in Ge- mäfsheit des im Jahre 1816. beschlofsenen neuen Statuts über die Rathswahlen, gegenwärtig coneurrirt. Es ist merkwürdig, dafs der Senat selbst auf diese Theilnahme der Bürgerschaft bei der Wahl seiner Mitglieder antrug , nachdem die Bürger- schaft bei Gelegenheit der Verhandlungen über die Revision der Verfassung bereits einige Monate früher erklärt hatte , dafs sie mit der Fortsetzung der Selbstergänzung des Senats einver- standen sej. Der erste ausführlich motivirte Antrag zu dieser Abänderung welchen der Senat, auf einem Convente vom 22steu September 1815. der Bürgerschaft machte, findet sich vollstän- dig abgedruckt im Octoberhefte des Niederelbischen Merkurs Hamburg 1815.
S. 76. Heinrich Möller von Zütphen hielt seine erste Reformationspredigt in der Ansgarii Kirche zu Bremen am 8teii November 1522*
S. 117. richtiger: Bürgermeister Statius Speckhan — ■ er resignirte erst im December 1654-
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S. 120- — 125. Die Aeltermänner oder Ackerleute, wie man sie Früherhin nannte, waren ursprünglich Vorsteher der Kaufmannschaft, und so konnte es nicht fehlen dafs sie bei allen Berathungen des Senats mit der Bürgerschaft vorzugsweise zugezogen wurden. Diese Zuziehung wurde ihnen, obgleich die Neue Eintracht dem Rathe darin freie Hand gelassen hatte, mehrmals von demselben zugesichert. Es wurde deshalb nicht blos jeder Aeltermann persönlich , sondern auch das ganze Col- legium gemeinschaftlich zu den Bürgerconventen eingeladen. Hier traten sie zwar nur wie einfache Bürger in den Reihen der übri- gen und im Range nach den graduirten Gelehrten auf, und die Bürgerschaft bewahrte ihre Rechte eben so eifersüchtig ge- gen sie, wie gegen den Rath. Dennoch mufste ein sehr bedeu- tender Einflufs derselben auf die Verhandlungen der Bürgerschaft sich schon dadurch gestalten , dafs die Bürgerschaft als solche, kein eignes Archiv besafs, und die Akten jener Verhandlungen, seit dieselben aus mündlichen zu schriftlichen erwuchsen , von dem Collegio der Aeltermänner auf dem Schüttinge aufbewahrt zu werden pflegten. Die Mitglieder dieses CoUegii waren also die einzigen, welche sich in einer fortlaufenden genauen Kunde des geschichtlichen Fadens erhalten konnten , und der Syndi- kus oder Consulent des Collegii, wozu gewöhnlich einer der aus- gezeichnetesten Bechtsgelehrten von demselben gewählt wurde, war daher vorzugsweise geeignet, das Resultat der Berathungen und Beschlüfse der Bürgerschaft zusammenzufassen und dem Senat vorzutragen; sich seiner dazu fast ohne Ausnahme zu be- dienen, war seit langer Zeit herkömmlich geworden. — Auch konnte es unter diesen Umständen nicht fehlen , dafs bei der Bestellung aller gemeinschaftlichen Ausschüfse , seltene Aus- nahmen abgerechnet, jederzeit auch einige Aeltermänner unter die Deputirten der Bürgerschaft gewählt zu werden pflegten, wodurch denn dieser Einflufs auch auf die besonderen Verwal- tungszweige ausgedehnt ward. Dafs den Aeltermännern aber als Collegium eine besondere Rechenschaft über die Verwaltung der Stadtgüter abgelegt sey, dafs sie als solches zu Krieg, Frie-
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den und Bündnissen hätten ihre Zustimmung geben müssen, wie der Verfasser S. 120. erzählt, ist irrig. Die Deputirten bei der Rhederkammer, bei den sogenannten Sorten u. s. w. waren nicht Deputirte des Collegii und der Bürgerschaft , sondern unter den Deputirten der Bürgerschaft befanden sich auch Mitglieder des Collegii. — Die bei den Verwaltungsbehörden angestellten Bür- ger wurden anfangs gröfstentheils vom Rathe ernannt, später von der Bürgerschaft, niemals aber von den Aeltermännern als Collegium. Blofs zur Mitaufsicht über den Wasserschout wählte es als Handelskammer selbst zwei aus seiner Mitte.
S. 122. u. 123. Der Aeltermann Burchhard Lösekanne, wurde nicht eines blofsen Verdachts halber, sondern als durch sein eignes Geständnifs überwiesener Staatsverräther enthauptet. Bei seiner Arretirung fand man ihn gerade mit einem Schreiben an die Schwedische Regierung beschäftigt, woraus seine Absicht, die Stadt den Schweden in die Hände zu spielen, hervorging. Nach geschlofsener Untersuchung erfolgte am 12ten May 1654« gegen ihn das Todesurtheil , worin es heifst : "dafs er , als ein geborner Bürgerssohn, auch nachgehends wirklich geschworner Bürger und Aeltermann, der seinen Eid nimmer aufgerufen, nicht allein in der Oldenburger Zollsache für ein Stück Geld alles was er nur penetriren können dem Gegentheil offenbart, son- dern auch vornehmlich dieser Stadt Feinden , den Königlich Schwedischen Ministern, gleichfalls für ein Stück Geld und Hoff- nung , dadurch ein grofser Mann zu werden , alles eröffnet , was er erfahren können, dieselben auch immerfort wider diese gute Stadt animirt, auch worin Mangel gewesen, und was er sonst im- mer gefährliches gewufst , seinem eigenen Bekennt nifse nach, seine Gedanken , auch consilia , wie dieser Stadt am be- sten beizukommen, entdeckt habe, u. s. w. weshalb ihm die beiden Schwörfinger der rechten Hand abgehauen und er dann geköpft werden solle. „
Der neue Aeltermanns Eid, dessen hier erwähnt wird, war schon im Jahr 1653. von Lösekanne, welcher damals Subsenior des Collegii der Aeltermänner war, entworfen und eingeführt;
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er wurde von dem Rathe für nichtig erklärt, weil es dessen Be- hauptung nach einer Corporation nicht zustehen könne ihre Mitglieder durch eine nicht von der Regierung sanctionirte sondern vor derselben geheim gehaltene Eidesleistung zu ver- pflichten. Von dieser Cassation appellirten die Aelterleute an den Kaiser, es wurden aber, unter dem Verbot, Neuerungen vorzunehmen, Appellationsprozesse nicht erkannt, dagegen durch ein Kaiserliches Rcscript vom 28sten Februar 1679 dem Könige von Dännemark als Herzog von Holstein aufgetragen, einen gütlichen Vergleich zu befördern, welchem durch ein späteres Kaiserli- ches Rescript vom Igten April 1681 der Kaiserliche Resident von Kurzrock surrogirt ward. Um sich nach Einlegung der gedachten Appellation im Besitze zu erhalten , hatte das Colle- gium am 30stea Januar 1679 schnell einige neue Mitglieder ge- wählt und sich von denselben den erwähnten neuen Eid able- gen lassen. Diese neuen Aeltermänner wollte der Rath als sol- che nicht anerkennen, und liefs deshalb ihre Wappen, welche sie mit ihren Namen unter Hinzufügung ihrer Aeltermanns - Ei- genschaft in ein Fenster des Hafenhauses zu Vegesack hatten einsetzen lassen, aus demselben wieder herausnehmen.
S. 125. Der Ausdruck Rescript ist hier unpassend ge- wählt. Die Declaration welche Georg der 2le von Richmond den iy25sten May 1731 datirt erliefs, war nichts anders als die Erfüllung einer der Bedingungen, unter welchen er die In- vestitur mit den Herzogtümern Bremen und Verden erhalten hatte. Bei den früheren Schwedischen Bestreitungen der Im- medietät der Stadt hatten Kaiser und Reich fortwährend die letztere unterstützt. Die Gelegenheit der Abtretung jener Her- zogtümer an Churbraunschweig war daher besonders günstig diese Fehde für immer zu beendigen und die desfallsigen Un- terhandlungen der Stadt am Kaiserlichen Hofe halten den glück- lichsten Erfolg. König Georg der 2te wurde vom Kaiser bewo- gen, eine feierliehe, demnächst den Investituracten annectirte Erklärung auszustellen, dafs die Stadt Bremen der Reichs Im- medietät, des Sitzes und der Stimme auf Reichs - und Kreiscon-
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Tenten , des unmittelbaren Beitrags ihrer Contingente zu Reichs- Steuren, desgleichen des Reichsstädtischen Prädikats geniefsen und gebrauchen möge. Diese Anerkennungsakte wurde vom Kaiser der Stadt mitgetheilt. Sie findet sich abgedruckt in Rol- lers Versuch einer Geschichte der kaiserlichen und reichsfreien Stadt Bremen 3ter Theil Bremen bei Sevffert 1802.
S. 126. Aus den in der Vorrede angeführten Gründen wird es erklärbar, weshalb des Merkwürdigsten in den Ereig- nissen Bremens von der Zeit des siebenjährigen Krieges bis zum 19ten Jahrhundert, wozu gewifs nicht der dreitägige Handwerks- gesellentumult im Jahre 1791 gehörte , hier erst nachträglich gedacht werden kann.
In diese Zeit fällt die praktische Ausbildung der Bremi- schen Verfassung, wie sie gegenwärtig im Leben existirt. Was der Verfasser Seite 130 Reform der Verfassung nennt, wurde nemlich nicht erst nach der französischen Occupation als etwas Neues begonnen. Diese Reform war vielmehr ihrem Wesen nach an der Hand der Zeit und im Laufe der Begeben- heiten bereits allmählig erwachsen; die gewaltigen Ereignifse der letzten dreifsig Jahre hatten diesen Wachsthum beschleu- nigt, und in der Hauptsache handelte es sich bei den seit der Befreiung von der fremden Herrschaft statt gefundenen, und noch fortwährend statt findenden constitutionellen Berathungen zwi- schen dem Senat und der Bürgerschaft nicht sowohl von der Anordnung einer neuen Verfassung, als von der Art und Weise, wie die bereits existirende, in einer aus gemeinsamer Ueberein- stimmung hervorgehenden Urkunde, eine gesetzliche Beschrei- bung erhalten könne.
Die letzte constitutionelle Urkunde , die sogenannte Neue Eintracht vom Jahre 1534, wodurch das revolutionäre Regiment der 104 Männer beseitigt ward, trug den Charakter einer vol- len Ermüdung durch die vorhergegangenen Volksstürme und eines allgemeinen Widerwillens gegen jeden Gedanken an deren mögliche Erneuerung. Dafs man nicht Gefahr laufen möge, die unterste Volksklasse sich einmal wieder fast ausschliefslich des
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Regiments bemächtigen zu sehen, war das durchgreifende Mo- tiv aller in diesem bürgerlichen Vertrage enthaltenen Anordnun- gen. Die Zeit der Anstellung von Bürgerconventen wie die Wahl der dazu einzuladenden Bürger wurde daher dem Rathe fast gänzlich in die Hände gegeben. „Wenn der Rath es nöthig und erforderlich halte , mit mehreren Leuten Rücksprache zu nehmen" heifst es im 18teu Artikel der Neuen Eintracht, „so könne er aus der Gemeinheit , den Kaufleuten und den Zünften dazu einladen lassen, welche ihm die verständigsten und tüch- tigsten dünkten, und die sonst nach dem Wohlstande dieser guten Stadt, nach Liebe und nach Frieden trachteten, und sol- che gern fortgesetzt und befördert sähen."
Diese Willkühr fand aber bald und zum Theil durch An- schließen an frühere Gewohnheit ihre Schranken in einer fort- gesetzten Observanz, und das Herkommen bildete sich dahin aus , dafs aufser den weltlichen graduirten Gelehrten und den Aeltermännern , die Bürger der Altstadt, welche die Hauptab- gabe, den Schofs bezahlten, zu den Conventen eingeladen zu werden pflegten, sobald sie mehrere Jahre in der Stadt ansäfsig gewesen und ein Gewerbe getrieben hatten, von dem sich ei- nige Bildung für die Berathung öffentlicher Angelegenheiten er- warten liefs. Die Diakonen, welche die Bürger in den Kirch- spielsconventen zur Besorgung des Armenwesens, der Waisen- und Krankenhäuser und anderer frommen Stiftungen selbst wähl- ten und dadurch als ihres Vertrauens werthe Personen bezeich- neten, unterliefs der Senat nicht bei den bürgerlichen Bera- thungen zuzuziehen. Wessen JName einmal auf der Einladungs- liste stand , wurde von derselben nur dann wieder gestrichen, wenn ein Fallissement die Abnahme seines Vermögens notorisch gemacht hatte , oder was sich selten zutrug , wenn eine enteh- rende Bestrafung über ihn verhängt war.
Diese Bürgerconvente wurden indefs sehr sparsam gehalten. Oft verstrichen ein und mehrere Jahre darüber, und äussere Bedrängnisse des Staats gaben häufiger Veranlassung dazu , als die Wiederkehr eines regelmässigen finanziellen Bedürfnifses.
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Die Staatskasse (Rhederkasse genannt) , in welche anfangs alle öffentliche Einnahmen aus den Gütern und Gefällen der Stadt, so wie von einzelnen ständigen Abgaben flofsen , wurde von ei- nigen Mitgliedern des Senats unter der Controlle mehrerer bür- gerlichen Deputirten verwaltet, und reichte in der Regel für die Bedürfnifse des Staats und für die Zinszahlung der in drang- vollen Zeiten auf den Credit desselben aufgenommenen Capi- talien aus. Wenn ausserordentliche Umstände ein Mehreres er- forderten , rief der Senat die Bürgerschaft zusammen , ihr das Bedürfniis vorzulegen und sie zur Abhülfe desselben unter mehr oder minder detaillirten Vorschlägen aufzufordern. Es wurde dann eine sofort baar zu erlegende Vermögenssteuer (Schofs) oder eine andere in längerer Frist zu erhebende , doch immer auf eine bestimmte Zeit beschränkte Abgabe gemeinschaftlich beliebt, und die Bürgerschaft ernannte Deputirte zur Erhebung derselben, welchen der Senat seine Commissarien hinzufügte. Eine solche sogenannte gemeinschaftliche Deputation erlosch dann mit der Dauer der Abgabe von selbst, und die Mitglieder derselben blieben ohne weiteren Einflufs auf die allgemeine Verwaltung der Finanzen. Bei Gelegenheit der Bewilligung solcher aufserordentlichen Abgaben trug die Bürgerschaft denn auch wohl einzelne besondere Wünsche oder Beschwerden (so- genannte gra^amina) vor, deren Grund oder Ungrund dann weiter erörtert und bis zur Abstellung oder Berichtigung durch- geführt ward; alles auf die neinliche W>ise, wie sich das Ver- hältnifs zwischen Regierung und Ständen damals auch unter den monarchisch regierten deutschen Staaten gestaltet hatte.
Ueberhaupt lasteten die Ereignisse der nächsten auf die Annahme der Neuen Eintracht folgenden Jahrhunderte so schwer auf der Regierung, wie auf den Bürgern, dafs an Ruhe und Mufse zur Ausbildung der Verfassung wenig gedacht wer- den konnte. Die Reformation , welcher Bremen sich mit vol- ler Energie hingegeben hatte , mufste durchgekämpft werden. Der Schmalkaldische Krieg brachte die Stadt mehrmals ins Ge- dränge. Dann folgten in der letzten Hälfte des 16ten Jahrhun-
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derts die Hardenbergischen Unruhen, Seeräuberkriege, Fehden mit Holland und mit Oldenburg. Im siebenzehnten die Weser- zollstreitigkeiten und der furchtbare 30 jährige Krieg, an dessen Beendigung sich die Immedictätshändel mit Schweden unmittel- bar anschlofsen, deren 1720 auf Hannover übergegangene Erb-, schaft erst im Jahre 1731 durch die Verzichtleistung Georgs des 2teu und durch den 1741 abgeschlofsenen Stader Vergleich völlig liquidirt und beseitigt ward. — Bald nachher begannen die Leiden des siebenjährigen Krieges, und mit ihnen eine grös- sere Bedrängnifs des Finanzzustandes der Stadt als sie seit lan- gen Zeiten erprobt worden war. Die französischen und alliirten Truppen occupirten wechselsweise die Stadt , und die nothge- drungene Aufnahme derselben wurde von jedem Theile als eine Begünstigung des Feindes ausgelegt, deren "Vorwand zur For- derung beträchtlicher Kriegscontributionen berechtigen dürfe. Im Jahre 1758 erlaubte sich der Herzog Ferdinand von Braun- schweig sogar eine solche Contribution, welche über 100,000 Thaler betrug , von den Mitgliedern des Senats durch Geifsel- Aushebung persönlich zu erpressen und die Wiedererstattung derselben von Seiten der Bürgerschaft anter militärischen Dro- *• hungen ausdrücklich zu untersagen. Diese Wiedererstattung, welche indefs mit den aufgelaufenen Zinsen nach Beendigung des siebenjährigen Krieges im Jahre 1766 dennoch erfolgte, hatte inzwischen zu ausführlichen Verhandlungen zwischen dem Senat und der Bürgerschaft über das Finanzwesen der Stadt Veranlassung gegeben, wovon eine bedeutende Reform und eine gröfsere bleibende Theilnahme der Bürgerschaft an der Reguli- rung und Verwaltung desselben die Folge war. Die Deckung und der allmählige Abtrag der Kriegsschulden, so wie der Schulden der einzelnen Verwaltungsdepartements , wurde von nun an geregelter betrieben , als es früher der Fall gewesen war. Es wurde beliebt, dafs in jedem Frühlinge ein besonde- rer Bürgerconvent gehalten werden soüe, um das etwanige Deficit der verschiedenen Verwaltungscasson jährlich übersehen und auf dessen Deckung Bedacht nehmen zu können. Diese
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Finanzverhandlungen, so wie die Bewilligung der Kosten für das stehende Militair, welche die Bürgerschaft manchmal auf einen kurzen Zeitraum beschränkte, veranlafsten nun häufigere Bür- gerconvente, und die Gelegenheit derselben wurde zu Anträgen und Verhandlungen über andere das Staatswohl und den Staats- haushalt überhaupt betreffende Gegenstände sowohl von Seiten des Senats als der Bürgerfchaft fieifsig benutzt.
Dann folgte der Amerikanische Krieg, seit welchem der mit Ausnahme der Grönlandsfischerei bis dahin nur Europäi- sche Seehandel Bremens zum Welthandel erwuchs, und sich nicht blofs nach den vereinigten Staaten des neuen Continents, sondern selbst nach West- und Ostindien Bahn machte. Eine Menge neuer Einrichtungen, Institute und gesetzlicher Modi- ficationen wurden dadurch nach und nach herbeigeführt. Alle diese Gegenstände wurden von dem Senate mit der Bürgerschaft berathen, in gemeinschaftlich bestellten Ausschüfsen discutirt, und die erforderlichen Verwaltungsbehörden gemeinschaftlich organisirt.
Die dann auf den Ausbruch der französischen Revolution folgenden Kriegsjahre Deutschlands und die gemeinsame JXoth während derselben bildeten dies Verhältnifs vollends aus und brachten in den Gang der Verhandlungen zwischen dem Senat und der Bürgerschaft eine so regelmäfsige Praxis, dafs die völ- lige Theilnahme der letzteren an der gesetzgebenden Gewalt und an der Verwaltung der Finanzen jetzt als eine entschie- dene Thatsache da steht. — Anträge, Vorschläge, geschehen fortwährend auf den Bürgerconventen sowohl von dem Senate als der Bürgerschaft. Die erforderlichen vorbereitenden Bera- thungen werden durch Ausschüfse vorgenommen, zu denen der Senat wie die Bürgerschaft eine beliebige Anzahl von Mitglie- dern bestellen. Die Berichte derselben werden dem Senate ein- gereicht, welcher sie der Bürgerschaft auf einem Convente mit- theilt. Von beiden Seiten erfolgen dann die weiteren Erklärun- gen darüber, bei deren etwaniger Verschiedenheit man sich wechselseitig einander zu nähern sucht, bis durch TJebereinstim-
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mung die gemeinsam beliebte neue Anordnung zu einem Staats- gesetze erwächst.
Wem das eigentümliche Leben dieser innern Verhandlungen unsers kleinen Freistaats fremd ist, der pflegt wohl zu fragen, was denn daraus werde, wenn man sich nicht vereinigen könne, und ob es nicht nothwendig sey, für solche Fälle eine definitiv ent- scheidende Behörde zu organisiren, damit nicht Alles beim Alten bleibe. Wir können darauf nur erwiedern, dafs wir das bis jetzt nicht nöthig gefunden haben, und dafs es nie beim Alten bleibt, wenn die Unzufriedenheit mit demselben sich in der öffentlichen Meinung ausspricht. Denn da es immer gemein- schaftliche Interessen sind, welche bei diesen Verhandlungen zur Sprache kommen, und das Erfordernifs einer zwiefachen Zustimmung als erprobte Garantie gegen Uebereilung und Ein- seitigkeit in den gesetzlichen Bestimmungen betrachtet wird , so führt das gemeinsame Bedürfnifs die Vereinigung, sobald sie wirklich Noth ist, immer herbei. Wo aber dies Bedürfnifs sich nicht geltend machen könnte , würde man sich der Mühe einer ausführlichen Berathung und Discussion nicht unterziehen , und eine Vertagung bis zur wirklichen Anerkennung des Bedürf- nifses dann nur in der Ordnung erscheinen. Etwanige unüber- legte Motionen Einzelner verhallen sofort in den Mauern des besonderen Versammlungssaals, denn nur was durch die Mehr- heit beliebt ist, wird protokollirt , und darf als Antrag förm- lich vorgebracht werden. Eigensinniges Beharren auf einer ein- seitigen Ansicht, so wie leidenschaftliche Verkennung einer mit Gründen unterstützten Meinungsverschiedenheit, können aber da, wo bei dem, jedem Theile zustehenden Veto gar nichts damit gefördert wird, und wo sie die Mehrheit, welche etwas geför- dert sehen will, immer gegen sich haben, unmöglich aufkom- men. Es ist daher erfreuliche Sitte geworden, die Discussionen durch ruhige Aufstellung der verschiedenen Motive zu würzen und wo man nicht sofort überzeugen zu können glaubt den Gegenstand der Motion nur im Allgemeinen anzuregen und gleich auf Niedersetzung eines gemeinschaftlichen Ausschufses
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zur Prüfung und Berichtserstattung anzutragen, wodurch der Zweck dann selten verfehlt wird. Durch diese Verfahrungs- weise ist es denn dahin gekommen , dafs in der Regel jährlich nicht mehr als 8 — 10 Nachmittage zu den förmlichen Ver- handlungen zwischen dem Senate und der Bürgerschaft erfor- dert werden.
S. 126 — 129. Schon vor dem Anfange des 19ten Jahr- hunderts begann Bremen von den Folgen berührt zu werden, durch welche die französische Revolution auch für die Ge- schichte seines kleinen Freistaats einen der wichtigsten und ein- flufsreichsten Abschnitte herbeiführte.
Den Begebenheiten der drei ersten Jahre nach dem Aus- bruche dieser Umwälzung hatte Bremen in der Ferne noch ru- hig zuschauen können. War der friedliche Seehandel mit Frank- reich auch in einzelnen Häfen desselben durch den Wechsel der revolutionairen Partheien nicht immer unbeeinträchtigt geblieben, so wufste kaufmännische Klugheit und Vorsicht die- sen Nachtheilen doch so zu begegnen , dafs keine bedeutenden Verluste daraus erwuchsen, und die nächsten Landprovinzen des Bremischen Handels blieben von dem ausgebrochenen Kriege noch unberührt. Der Papierhandel hat hier niemals aufkom- men können, da die herrschenden Creditansichten unserer Börse Jedem, der sich damit zu befassen Lust haben mogte, im- mer mehr sichern Nachtheil als der dabei mögliche Gewinn unsichern Vortheil versprach. Dem Fallen und Steigen der französischen Finanzen konnte man daher ruhig zusehen.
Wie aber im Spätjahre 1792 französische Heere über- mächtig in die Niederlande eindrangen und den Fortschritten derselben kein Ziel gesetzt zu seyn schien, wie schon vom No- vember dieses Jahres an, 4ö mit österreichischer Artillerie be- ladene Schiffe sich von Holland in die Weser zu flüchten be- gannen , wie die von dort in Bremen ankommenden Emigranten eine lebendige Ansicht der erlebten Schreckensscenen mitbrach- ten, und sich nicht genug verwundern konnten, in den hiesi- gen Zirkeln nur Zeitungsansichten über die Begebenheiten des
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Tages und keine politische Partheiungen vorzufinden, da begriff man die Gefahr, mit welcher dieser Krieg nicht blos das Eigen- thum, sondern auch den bürgerlichen und Familienfrieden be- drohen zu wollen sich ankündigte.
Von dieser Ansicht geleitet , forderte der Senat die Bürger- schaft in einem am Ute» December 1792 gehaltenen Bürger- Convente zu eiaem heroischen Entschlüsse auf, welchen dieselbe sofort zu dem ihrigen machte. Er stellte derselben vor, dafs das sicherste Mittel einen kleinen Freistaat unter bedrängenden Umständen dieser Art aufrecht zu erhalten nur in einer frei- willigen temporären Koncentrirung der Staatsgewalt zu finden seyn dürfte, da ein schneller Entschlufs, Bereithaltung der er- forderlichen Mittel zu seiner Ausführung und volle Verschwiegen- heit im Drange kriegerischer Begebenheiten eben so nothwendig erschienen, als ruhige Ueberlegung, sorgsame Auswahl und reife Prüfung des Zweckmäfsigsten, mit voller Offenheit des Verfahrens als Regel des Benehmens im glücklichen Friedensstande gelten müsse. Zu diesem Zwecke schlug der Senat der Bürgerschaft vor , eine Anzahl von Männern aus ihrer Mitte , denen sie ihr volles Vertrauen schenke , zu wählen , und dieselben mit einer so ausgedehnten Vollmacht zu versehen, als sie es mit der bürgerlichen Freiheit nur irgend verträglich glaube. Die Bürgerschaft genehmigte diesen Vorschlag und wählte sofort zwölf Bürger , denen sie die Vollmacht ertheilte , in allen An- gelegenheiten, die Verschwiegenheit erforderten und keinen Aufschub litten, mit dem Senate Berathungen anzustellen und Beschlüsse zu fassen, diese in Ausführung zu bringen, die dazu erforderlichen Gelder anzuschaffen und zu verwenden, damit die äufsere Lage des Staats erhallen und die Quellen seines Wohlstandes weder vorübergehend beeinträchtigt , noch verloren gehen mügten. Der Senat ordnete diesen Bevollmächtigten sechs seiner Mitglieder zu. — Man nannte diesen Ausschufs die Ge- heime Deputation. Die in dieselbe gewählten Bürger stat- teten vor dem versammelten Bürgerkonvente einen Eid ab, durch welchen sie sich nach Analogie des Rathseides zu ge-
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wissenhafter und verschwiegener Ausrichtung ihrer Geschäfte verpflichteten. Die gegebene Vollmacht wurde von Zeit zu Zeit erneuert und nach Maafsgabe der mehr oder minder gefahrvoll sich gestaltenden Umstände in einzelnen Punkten bald erweitert, bald beschränkt. Sie hat achtzehn Jahre gedauert und das Ver- trauen des Senats und der Bürgerschaft sich jederzeit zu erhalten gewufst. Vielfaches Unheil ist durch ihre Thätigkeit theils ab- gewendet, theils bedeutend vermindert, und die vortheilhafte Stellung , welche Bremen bei Gelegenheit der Regensburger Reichstagsverhandlungen in den Jahren 1802 und 1803 einnahm und behauptete , wäre ohne ihre thätige Mitwirkung schwerlich erreicht worden.
Der drohende Sturm am Ende des Jahrs 1792 ging^ zwar glücklich vorüber , und der Kriegsschauplatz entfernte sich wieder aus Bremens Nähe.
Aber schon im Jahre 1795 flüchtete sich eine Menge fran- zösischer und niederländischer Emigranten nach Bremen, deren gastfreie Aufnahme von ihren republikanischen Landsleuten durch Beeinträchtigung der Bremischen Schifffahrt und Handlung nach Frankreich nicht ungeahndet blieb und manches Opfer nach sich zog. Auch wurde die Stadt im Drange der kriegerischen Begebenheiten in diesem Jahre nicht auf die freundlichste Weise von hannöverischen und englischen Truppen und einzelnen Emigrantencorps eine geraume Zeit militärisch occupirt.
Im Jahre 1796 nahm Bremen an den Kreistagsberathungen zu Hildesheim und an der dort beschlossenen Demarkationslinie für das nördliche Deutschland Theil, sandte auch im Jahre 1797 einen Bevollmächtigten zum Rastadter Kongrefs.
JXeue Bedrängnisse begannen mit dem Anfange des neun- zehnten Jahrhunderts. Die preufsische Besitznahme des Kur- fürstenthums Hannover im Jahre 1801 und die bei dieser Gele- genheit beabsichtigte aber nicht durchgeführte Sperrung der Elbe und Weser gegen die englische Schifffahrt führte im April dieses Jahrs eine militärische Besetzung Bremens durch preus-
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sische Truppen herbei, welche indefs die Stadt nach drei Mo- naten wieder verliefsen.
Erfreulicher waren die Resultate der Jahre 1802 und 1803, wo die von Bremen sehr thätig betriebenen Regensburger Reichs- friedensdeputationsverhandlungen nicht blos die Erhaltung der Selbstständigkeit desselben bei dem Untergang so vieler anderer freien Reichsstädte zur Folge hatten , sondern auch seine Theil- nahme an den dort beschlossenen Säkularisationen der geist- lichen Staaten und damit verbundenen Gebietsaustauschungen und Abfindungen der übrigen konservirten deutschen Reichs- stände.— Es gelang ihm bei dieser Gelegenheit , einen Theil des früher an Schweden und Hannover abgetretenen Gebiets wieder abgetreten zu erhallen , und den seinen Handel so drückenden Elsüether Weserzoll aufgehoben zu sehen. — Anstände , welche die Vollziehung eines Theils dieser Beschlüsse wider Erwarten verzögerten , wurden späterhin durch besondere Enterhandlungen und abgeschlossene Vergleiche, (mit Hannover am 16ten August 1804, mit Oldenburg am 25sten August 1819) glücklich er- ledigt.
Die im Jahre 1803 erfolgte Occupation des Kurfürstenthums Hannover durch französische Truppen veranlafste eine englische Blockade der Weser und EBbe , wodurch der Bremische Handel manche Beeinträchtigung erlitt. E'ebrigens wurde die Neutra- lität der Stadt von den französischen Truppen vollkommen re- spectirt. Um das Gebiet derselben nirgends betreten zu lassen, wurde bei den Dislokationen der Truppen kein Umweg ge- scheut.
Mindere Achtung fand diese Neutralität von Seiten der Al- liirten im Jahre 1805 , wo der Abzug der französischen Truppen aus dem Hannöverischen zwar die Aufhebung der englischen Blockade der Elbe und Wreser zur Folge hatte , die preussische Occupation des Kurfürstenthums aber, verbunden mit dem Zu- sammenziehen russischer, schwedischer, preussischer und eng- lischer Truppen im nördlichen Deutschland, von den beiden
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letzten wieder eine temporäre militärische Besetzung der Stadt und damit verbundene grofse Einquartierungslast veranlafste.
Nach einer kurzen Unterbrechung führte auch das Jahr 1806 ähnliche Belästigungen wieder mit sich. — Bei der noch- maligen preußischen Besetzung des Hannoverischen erneuerte sich die englische Blokade der Strome des nördlichen Deutschlands und die preussische Besetzung ihrer Ausflüsse. Vom Februar bis Junius dieses Jahres war Bremen wieder von preussischen Truppen occupirt.
Am 6tea August 1806 wurden die alten Bande , in welchen Bremen sich so lange mit den übrigen deutschen Staaten ver- einigt gesehen , durch die Abdikation des Kaisers und die Los- sprechung aller Reichsstände von ihren sämmtlichen Reichs- pflichten vollends gelost , und die Gefahren einer völlig isolirten, durch kein Bunuesverhältnifs gesicherten Souveränität be- gannen sich schon nach einigen Monaten von ihren drohendsten Seiten zu zeigen.
In der Zwischenzeit geschah, was für den xlugenblick ge- schehen konnte , um von den Lücken , welche der aufgehobene Reichsverband sofort darbieten mufste , das Dringendste wenig- stens vorläufig zu ergänzen. Dafs die Anknüpfung neuer Sicherungsverhältnisse durch freundliche Beziehungen zu andern Staaten nur Sache des Bremischen Staats und nicht der ein- zelnen Staatsbürger desselben seyn könne und dürfe , mufste sofort so vollkommen einleuchten, dafs ein Gesetz, wodurch die Annahme fremder Titel, Aemter und Würden, gewissen, bereits herkömmlich gewordenen Beschränkungen nun durch förmlichen Rath- und Bürgerschiufs , und durch eine sich darauf beziehende Modifikation des Bürgereides, unterworfen ward, bereits am 29äteu August 1806 erfolgte. — Das Nächste war dann ein innigeres Aneinanderschliefsen der seit Jahrhunderten neben dem Reichsverbande noch enger mit einander verschwistert gebliebenen drei Hansestädte , welche deshalb jetzt durch Be- vollmächtigte in Lübeck zusammentraten, und bei dieser Ge- legenheit unter andern einen Plan zu einem gemeinschaftlich zu
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errichtenden Oberappellationsgerichte bearbeiten liefsen, der in- defs erst in späteren und glücklicheren Zeiten seine Ausführung fand. Durch besonders in jeder Stadt errichtete neue oberste Gerichtsinstanzen wurde inzwischen dem Mangel der Reichs- gerichte vorläufig begegnet. — Statt der Benennung kaiserlicher freier Reichsstädte wurde die „ freier Hansestädte " beliebt , und über die diplomatischen Verhältnisse derselben , so wie über die Grundsätze der von ihnen unter den vorliegenden gefahr- vollen Verhältnissen zu beobachtenden Politik freundliche Ver- einbarung getroffen.
Nur zu schnell wurde diese kaum begonnene Reorganisation durch die gewalttätigsten Ereignisse unterbrochen. Die han- seatischen Bevollmächtigten waren noch in Lübeck versammelt, als mit der Kunde von der Schlacht bei Jena ( 14tea October 1806) zugleich auch die der Annäherung der besiegten und siegenden Heere erschallte. Am 5ten November schlug man sich und plünderte in Lübeck; am 19teu wurde Hamburg, am 20sten auch Bremen von französischen Truppen gewaltsam besetzt.
Um die beschlossene Blockade der brittischen Inseln geltend zu machen, wurden die Flüsse wieder gesperrt. Alles englische Eigenthum , alle von englischen Unterthanen in Kommission oder Konsignation erhaltenen Waaren und Kolonialgüter mufsten bei Todesstrafe aufgegeben werden, und zur Vermeidung der aus- gesprochenen Konfiskation derselben blieb den Bewohnern der Städte , die ein sehr bedeutendes eigenes Opfer weniger scheuten, als auch nur den Schatten eines Verdachts bei anvertrauten fremden Gütern fahrläfsig gewesen zu seyn, nichts anders übrig, als der Abkauf dieses Raubes. Der fortgesetzten energischen Thätigkeit der geheimen Deputation hatte man es zu verdanken, dafs dieses Opfer, wenn es gleich für Bremen sehr bedeutend war und einige hunderttausend Thaler betrug, doch bei weitem nicht so beträchtlich ausfiel, als es ohne diese Mitwirkung der Fall gewesen seyn würde.
Wie in den folgenden vier Jahren die militärischen Be- setzungen Bremens durch die französischen und mit denselben
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verbündeten Truppen (Holländer, Westphälinger) gar nicht auf- hörten, und unter dem äufsern Schein der Schonung der Un- abhängigkeit dennoch die gewaltsamsten Maasregeln statt fanden ; wie nicht blofs eine zahlreiche Einquartierung mit allen Lebens- mitteln in den Häusern der Bürger und Gebietsbewohner versorgt werden mufste, der Landmann aufserdem noch durch tägliche Kriegerfuhren geplagt ward , sondern auch Requisitionen jeder Art an Kriegs- und Lebensbedürfnissen für die Heere und zur Füllung der Magazine derselben hinzukamen; wie die von den Chefs und ihrem Generalstabe erprefsten Tafelgelder alles Maafs überstiegen; wie täglich neue Bedrückungen versucht wurden, um deren Abkauf durch bedeutende Geldsummen zu veranlassen, und dann wieder andere zu gleichem Zweck an die Stelle derselben traten ; wie Geldanleihen zur Bezahlung des rückständigen Soldes, Schilfe und Matrosen geliefert werden mufsten ; wie die Stadt fortwährend mit Hospitälern angefüllt ward, die Kranken und Gefangenen weit und breit her der- selben zur Versorgung zugeführt wurden; — wie ein Heer von sogenannten Employes bei jedem neuen Truppenzuge sich mit einzuschleichen und unter militärischer Begünstigung mit allem versorgen zulassen wufste; — wie immer Bezahlung versprochen und niemals geleistet ward; wie der Handelsbetrieb der Stadt unter dem Drucke immer gesteigerter Pafs- und Certificat- gebühren fast gänzlich in Stocken gerieth; wie, wenn das Un- mögliche geleistet schien , dennoch die sogenannte mauvaise volonte vorwerfend , immer neue und immer härtere Ansprüche gemacht wurden ; kurz wie , wenige seltene Ausnahmen abge- rechnet, ein vollkommen organisirtes militärisches Raubsystem, während dieser vier Jahre , an der Tagesordnung war : Dies im Detail zu schildern, erscheint der diesen ergänzenden Zu- sätzen verstattete Raum viel zu eng, so wünschenswerth es übri- gens immer bleibt, dafs die Erfahrung dieser Trübsalszeit noch ehe die Augenzeugen derselben zu ihren Vätern versammelt werden , ihre Geschichtschreiber finden möge. — In den drei Jahren der Reunion mit Frankreich (vom December 1810 bis
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October 1813) sind von demselben an ordinären und extra- ordinären Steuern , Kontributionen und Abgaben über zehn Millionen Franken in Bremen erhoben worden, aber wenn man zusammenrechnet , wie theuer der Stadt die Jahre 1806 bis 1810 durch fremde Bedrückung geworden sind, so möchte der Betrag jene Summe wohl übersteigen.
In der innern Organisation des Staates wurde in dieser Zeit nichts geändert. Die äufseren Bedrängnisse führten im Innern ein um so vollkommneres gegenseitiges Vertrauen herbei. — So fabelhaft es klingt, es verhält sich dennoch der Wahrheit ge- mäfs, dafs in diesen Jahren dreimal gezwungene Staatsanleihen bis zu zwei Prozent vom sämmtlichen Vermögen, in Gemäfsheit eines deshalb erfolgten Bath - und Bürgerschlusses , auf Treu und Glauben nach eigener Schätzung jedes Bürgers , und unter voller Bewahrung des Geheimnisses des Beitrags jedes Einzelnen statt fanden.
Diese Aufgabe wurde folgendergestalt gelöset: Die Gröfse der als Anleihe zu zahlenden Vermögensquote wurde nach Maafs- gabe des Bedürfnisses unter Berücksichtigving des Ertrags frü- herer gewöhnlicher kleinerer Vermögenssteuern durch Bath und Bürgerschaft bestimmt, und ein Zeitraum von vier Wochen zur Auszahlung desselben angesetzt. Jedem Bürger wurde die Frei- heit gelassen, seinen Beitrag nicht blofs nach eigener Schätzung zu bestimmen , sondern denselben auch in Verbindung mit an- dern Beiträgen seiner Freunde und Bekannten in runden Summen abzuliefern. Für das Abgelieferte wurde ihm eine oder mehrere au porteur lautende Staatsobligationen , welche vier Prozent Zinsen trugen , so grofs oder klein er sie bis zum Betrag der angeliehenen Gesammtsumme zu haben wünschte, (jedoch nicht unter \2V2 Thaler) ausgestellt und eingehändigt, deren Ver- theilung unter die Theilnehmer an der ausgezahlten Gesammt- summe man ihm überliefs. Bei den Zinszahlungen mufsten die Obligationen freilich vorgezeigt werden , aber da kein Gläubiger in denselben benannt war, und die au porteur lautenden Papiere bald einen Kurs erhielten und beim täglichen Verkehre von
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einer Hand in die andere gingen , konnten sie das Geheimnifs der Beitragsquote des ersten Darleihers nicht verrathen. Bei diesen Anleihen fand überhaupt keine weitere Kontrolle Statt, als dafs nach Ablauf der vierwöchentlichen Einzahlungsfrist jeder Bürger einen Bevers zu unterschreiben hatte , in welchem er auf seinen geleisteten Bürgereid versicherte, dafs er sich gewissen- haft geschätzt und seine Quote in Gemäfsheit dieser Schätzung selbst oder durch andere in die Staatskasse geliefert habe. Ob- gleich bei diesem Verfahren alles nur auf Treu und Glauben berechnet war und kein Gewissenloser die Entdeckung seiner Unredlichkeit zu besorgen hatte , trugen diese Anleihen doch das ein , was man nach einem allgemeinen Ueberschlage davon erwartet hatte. Dafs dergleichen in kleinen Freistaaten aus- führbar ist , gehört zu den Geheimnissen der republikanischen Gesinnung , oder wenn man lieber will , zu der aufgeklärten Finanzpolitik republikanischer Bürger , welche das Recht haben, sich ihre Abgaben selbst zu bestimmen. Dem gesunden Menschen- verstände leuchtet es ein , dafs eine Abgabe , die der Kontrolle bedarf, das eigentliche Bedürfnifs um soviel übersteigen mufs, als die Kosten der Kontrolle erfordern. Um diesen Mehrbetrag bu ersparen , zahlt man lieber völlig gewissenhaft das , was ge- zahlt werden mufs , und wenn man einmal aus Erfahrung weifs, dafs diese Ansicht bei der grofsen Mehrzahl die herrschende ist, räumt man zwar gern ein , dafs es Einzelne geben möge , die bei dieser Selbstschätzung nach laxeren Ansichten verfahren, glaubt indefs , solange die Erfahrung noch zeigt, dafs das Ge- ringe, was durch solche Unredlichkeit dem Staate entgehen mag, in keinem Verhältnifs zu den Kosten einer strengern Kon- trolle steht, in finanzieller Hinsicht am besten zu fahren, wenn man dergleichen von Seiten des Staats ignorirt und jedem vor dem Richterstuhl des eigenen Gewissens zu verantworten über- lädt. — Die Obligationen jener sogenannten gezwungenen An- leihen werden mit unsern übrigen Staatspapieren gegenwärtig durch allmähligen Ankauf von Seiten der hiesigen Schulden- amortisationsanstalt allmählig getilgt und die Zinsen jährlich
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aum rollen bezahlt , wie auch die während der dreijährigen französischen Usurpation schuldiggebliebenen Zinsen seitdem nachbezahlt sind. Während der Reunion mit Frankreich sank der Werth der Obligationen dieser gezwungenen Anleihen bis auf 15 Prozent. Jetzt stehen sie wieder gegen 90 Prozent.
Ein anderes Beispiel der Fortdauer ächten Gemeinsinnes und Festhaltens an der Staatsehre der Republik , auch während jener Unglückszeit und der darauf folgenden dreijährigen Unter- drückung der Selbstständigkeit Bremens, verdient hier ebenfalls erwähnt zu werden.
Einige Jahre vor dem temporären Untergange des Kurfürsten- thums Hessen in das ephemere Königreich Westphalen hatte die Stadt Bremen ein Kapital von zweihunderttausend Thalern von dem Kurfürsten zinslich angeliehen, — Wie Napoleon sich des Landes für seinen Bruder bemächtigt und die Domänen desselben mit ihm getheilt hatte, glaubte man auch die von dem Kur- fürsten ausgeliehenen Kapitalien als zur Erbschaft des Ganzen gehörig, in Ansprach nehmen zu können, und machte, wo man dergleichen wufste oder vermuthete, die vortheilhaftesten An- träge zur Ausbezahlung eines Theils dieser Kapitalien gegen die Quittirung über das Ganze der Schuld. — Auch bei Bremen war das der Fall, und es wurden sogar Drohungen hinzugefügt, woraus indefs eine Ungewifsheit über die dermalige Lage der Sache hervorging. Der Senat und die zwölf Mitglieder der Bürgerschaft bei der geheimen Deputation, welche die Anleihe kontrahirt hatten, verpflichteten sich gegenseitig zur konse- quenten Durchführung eines verschwiegenen zweckmäfsigen Be- nehmens in dieser mifslichen Angelegenheit , woran alle Späher- blicke der Gegner scheiterten, und dem Kurfürsten wurden auch während seiner Verbannung die Zinsen richtig ausgezahlt. Während der darauf folgenden dreijährigen Reunion mit Frankreich mufste diese Zinsenzahlung freilich unterbleiben ; es erfolgte deren Nachzahlung indefs nach hergestellter Freiheit, und das Geheimnifs , um welches in Bremen zweiundvierzig Personen wufsten , blieb den Franzosen während dieser ganzen
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Zeit unverrathen. — - Der Kurfürst war sehr gerührt, wie ihm im Jahre 1814 wider alle Erwartung vom Senat angezeigt wurde, dafs ihm jene Summe geborgen sey, und dafs man diese Schuld fortwährend anerkenne. — Er wünschte seine sämmtlichen Kapitalien in Bremen belegt zu haben.
Es ist oft gefragt, wie es zugegangen, dafs die Hansestädte sich dem Rheinbunde niemals angeschlossen, da doch mehrere andere kleinere Staaten des nördlichen Deutschlands demselben, wenn auch nicht gleich anfangs, beizutreten rathsam fanden, und gern in denselben aufgenommen wurden? — aber es ist wenig bekannt geworden, dafs Napoleon wirklich am Ende des Jahres 1809 Verhandlungen darüber mit den Städten eröffnen liefs. Die Bedingungen , welche von seiner Seite vorgeschlagen wurden , waren indefs der Art , dafs sie nur abgelehnt werden konnten. Unter andern wurde von den Städten begehrt, dafs sie den französischen Adler in ihre Wappen und Elaggen mit aufnehmen, dafs sie die Ausübung der haute police dem Kaiser als Protector des Bundes überlassen , und einen sogenannten Sjndic imperial in die Mitte jedes Senats aufnehmen sollten der seine Instructionen vom Kaiser erhalte. Lieber wollten die Hansestädte es erwarten , wie es denn wirklich in Jahresfrist sich zutrug, ihre Selbstständigkeit durch Gewalt, die kein Recht geben konnte, unterdrückt zu sehen, als sich vertragsweise einer solchen mit ihrer Staatsehre unverträglichen Unterordnung fügen. Die Erfahrung hat gezeigt , dafs ihre Politik die richtige war.
Die erste Sorge Bremens nach der im November 1813 durch die siegreichen Armeen der verbündeten Mächte erfolgten factischen Beseitigung dieser gewaltthätigen Unterdrückung war daher dahin gerichtet, seine vor derselben bestandene völker- rechtliche Selbstständigkeit, als durch jene Gewaltthat nur äufserlich verletzt betrachtet und folglich als vollkommen her- gestellt, anerkannt zu sehen. Was die Heerführer bei Ver- treibung des Feindes erklärt hatten , konnte desavouirt werden, das Kriegsglüc k konnte wechseln. — Beim Frieden konnten neue Konjunkturen eintreten, welche das Recht der Politik
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weichen Liefsen. Dabei war Bremen die erste der drei Hanse- städte , welche , nachdem Hamburgs und Lübecks frühere energische Bestrebungen zur Abschüttelung des fremden Joches einen so unglücklichen Ausgang gehabt , von demselben befreit ward. Bremen glaubte es daher sich und seinen Schwester- städten schuldig zu sejn, mit der Vertretung und Besorgung ihrer gemeinschaftlichen höchsten Interessen, nicht zu säumen, und den ersten günstigen Zeitpunkt dazu zu benutzen. Schon am 3tea December 1813 sandte daher der Senat einen Bevoll- mächtigten in das Hauptquartier der Alliirten nach Frankfurt am Main , der bei den drei Monarchen akkreditirt und von ihnen nicht allein aufs günstigste aufgenommen ward , sondern in Be- antwortung der übergebenen Kredentialien von jedem derselben ein Schreiben eingehändigt erhielt , worin dem Begehren jener Anerkennung nicht blofs für Bremen , sondern auch für die beiden andern Hansestädte aufs vollkommenste entsprochen wurde. Diesem Bremischen Bevollmächtigten schlössen sich späterhin Lübeckische und Hamburgische Bevollmächtigte an; sie folgten den Monarchen während des Winterfeldzugs bis zur Einnahme von Paris und kehrten mit der frohen Botschaft des dort am 30sten Mai 1814 abgeschlossenen Friedens, welcher die Unabhängigkeit der deutschen Staaten und deren Vereinigung durch ein föderatives Band aussprach , so wie mit der Einla- dung , an den wegen der näheren Bestimmungen der Verhält- nisse dieses Bundes verabredeten Wiener Kongrefsverhandlungen Theil zu nehmen, in ihre Heimath zurück. — Wie hier denn solche Theilnahme wirklich Statt fand , wie die Städte in Ge- meinschaft der übrigen mindermächtigen deutschen Staaten bei dem Wiederausbruche des Krieges nach Napoleons Bückkehr von der Insel Elba , wegen ihrer Theilnahme an diesem Kriege, Accessionsverträge mit den verbündeten gröfsern Mächten ab- schlössen , und den dadurch eingegangenen Verpflichtungen Ge- nüge leisteten ; wie ferner auf diesem Kongresse am 8ten Juni 1815 der Abschlufs der deutschen Bundesakte , wobei die Städte als Compaciscenten auftraten, erfolgte, wie am folgenden Tage
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diese Bundesakte als integrirender Theil in die europäische Kon- grefsakte , ( der sie mit den übrigen deutschen Bundesstaaten wiederum accedirten ) aufgenommen ward und der deutsche Bund dadurch auch eine europäische völkerrechtliche Garantie erhielt , welche ehrenvolle Stellung den Hansestädten in Ver- bindung mit der freien Stadt Frankfurt in diesem Bunde au Theil ward , und wie dieselben in der mit der Besorgung der Angelegenheiten des Bundes beauftragten und seitdem in Wirk- samkeit getretenen Bundesversammlung ihren Platz eingenommen, wie sie auch dem zweiten Friedensschlüsse mit Frankreich acce- dirten und von den französischen Kontributionen ihren Antheil erhalten, wie sie der heiligen Allianz sich angeschlossen, den Vereinbarungen des Aachener Kongresses beigetreten , an den Mmisterialverhandlungen der deutschen Bundesstaaten zu Wien in den Jahren 1819 und 1820 Theil genommen, und wie sie in allen diesen Verhältnissen ihres selbstständigen politischen Lebens in erneuerter vaterländischer Genossenschaft sich bis diesen Augenblick frühlich zu erfreuen gehabt, — das alles gehört zur Geschichte unserer Tage und bedarf deshalb hier keiner wei- teren Ausführung.
S. 128- Nicht Departement der Unterwesermündung, son- dern der WTesermündung (Bouches du Weser).
S. 128. Aufser Kosacken und Lützowern auch eine Ab- theilung des Preufsischen Beicheschen Jägerkorps.
S. 129. Das Schreiben des Generals von Tettenborn an den Senat , worin derselbe im Auftrage des Kaisers von Bufs- land und des , die in diesen Gegenden versammelten Truppen damals kommandirenden Kronprinzen von Schweden , die Her- stellung der alten Verfassung als Selbstfolge der erfolgten Be- freiung von dem feindlichen Joche darstellte , wurde dein Bür- germeister , der , wenn die gewaltsame Vereinigung mit Frank- reich niemals erfolgt wäre, der Ordnung nach, das Präsidium des Senats zu führen hatte , am 6ten November von demselben zugesandt. Der Senat hatte die Bürgerschaft bereits am 5tea November auf den folgenden Tag zu einem Bürgerkonvente auf
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die herkömmliche Weise einladen lassen. Der Juhel dieses Tages kann nicht beschrieben werden.
Um die in allen Verhaltnissen des Gemeinwesens erforder- liche Reorganisation desto schneller und energischer betreiben und die Theilnahme an der kriegerischen Anstrengung gegen den gemeinsamen Feind ohne Aufschub zur That bringen zu können, benutzte man wieder das schon früher als zweckmässig erprobte Mittel einer Concentration der Staatsgewalt, durch einen mit weiter Vollmacht versehenen Aufschubs aus Rath und Bürgerschaft. — Der Senat bevollmächtigte noch am nämlichen ßten November 10 seiner Mtiglieder zur Betreibung aller dahin gehörigen Regierungsgeschäfte , und die Bürgerschaft ernannte 26 Repräsentanten aus ihrer Mitte , um statt des Zeit raubenden Verfahrens auf den Bürgerkonventen mit dem Ausschusse des Senats zu berathen und zu beschliefsen, was Noth sey. — So wie die Zeiten ruhiger wurden, traten zwar die ordentlichen Bürgerkonventsverhandlungen wieder ein; dennoch hat man jenen Aussehufs, wenn gleich mit verminderter Vollmacht, bis jetzt prolongirt , um in einzelnen Fällen der Eile , des Geheim- nisses , oder da , wo ein geringfügiges Bedürfnifs die Zeit und Mühe eines besondern Bürgerkonvents nicht verlohnt, einen gültigen Staatsbeschlufs fassen zu können.
S. 130. Ueber die seit der Befreiung von der französischen Herrschaft Statt gefundene Revision und Verbesserung der Ver- fassung sind die Schilderungen des Verfassers nicht so genau, als sie es hätten sejn können , wenn er an diesen Berathungen selbst Theil genommen, oder doch vollständigere Aktenstücke als die Entwürfe zu diesen Verbesserungen zu benutzen Gele- genheit gehabt hätte , welches ebenfalls nicht der Fall gewesen zu sejn scheint.
Ein Gutachten über die gemeinschaftlich festzusetzenden kon- stitutionellen Bestimmungen , wobei es vorzugsweise darauf an- kam , die schon im Leben bestehenden Einrichtungen und Ver- hältnisse , wie sie theils durch ausdrückliche Rath - und Bürger- schlüsse, theils durch vieljährige Observanzen sich gestaltet
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hatten , in einer formlichen Urkunde gesetzlich zu beschreiben, und die neuesten , durch die totale Desorganisation so mancher früheren Verhältnisse nothwendig gewordenen Abänderungen und neuen Bestimmungen in dieselbe mit aufzunehmen, ist in den Jahren 1814 und 1815 von einem gemeinschaftlichen Ausschusse des Senats und der Bürgerschaft ausgearbeitet und seit dieser Zeit in besonderen Bürgerkonventen zwischen beiden weiter discutirt worden. Ueber den bei weitem gröfsten Theil ist die Verein- barung bereits zu Stande gekommen, und wo es erforderlich war , ist das Vereinbarte durch besondere Rath - und Bürger- schlüsse gesetzlich sanctionirt und ins Leben eingeführt. Dies ist z. B. mit dem neuen Statut über die Ergänzung des Senats der Fall gewesen, desgleichen mit der Anordnung und Organi- sation eines gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts der vier freien Städte, so wie mit dem Regulativ der Wahlen zu der von Seiten Bremens bei diesem Gerichte zu besetzenden Richter- stelle , welche hier nach Analogie der Rathswahlen geschehen. — xAuch für die Ober- und Untergerichte der Stadt ist dergestalt eine neue Gerichtsordnung vereinbart; die Berathungen der Bürgerschaft nach Kirchspielseintheilungen ist abgeschafft; die Theilnahme der in der Neustadt wohnenden Bürger an den Konventen beliebt; über die Wehrpflichtigkeit der Bürgerschaft ist ein Gesetz erfolgt und andere Dinge mehr. Andere Gegen- stände dieser konstitutionellen Verhandlungen sind indefs noch weiteren Berathungen unterzogen , und nach Vollendung der- selben wird die Haupturkunde ausgearbeitet werden.
Zu den unrichtig dargestellten Verhältnissen gehört unter andern die Eintheilung des Senats in einen Administrations- und Justizsenat und die dabei angeführten Zahlen. Diese Benen- nungen fanden sich zwar in dem Gutachten vor, sind aber nicht üblich geworden. Dagegen ist die früher für die Regierungs- behörde übliche Benennung Witt h ei t, deren der Verfasser S. 132 gedenkt, abgeschafft. Der Senat, welcher aus vier Bürgermeistern, vier und zwanzig Senatoren und zwei Syndikern bestellt, welche letztern indefs nur konsultative Stimmen haben,
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bildet die Regierung , unter dem halbjahrig wechselnden Vor- sitze eines der vier Bürgermeister, welcher für das halbe Jahr seines Präsidiums Präsident des Senats heifst. Die Bürgermeister werden in eintretenden Vakanzfällen vom Senat durch Scrutinium und absolute Stimmenmehrheit aus der Mitte der Senatoren auf Lebenszeit erwählt. Die von der Regierung in ihren Zusammen- künften, Verhandlungen, Protokollen, Kanzleien u. s. w. durch- aus getrennte Justiz, wird in der Stadt und dem gröfsten Theile des Gebiets von einzelnen Mitgliedern desselben administrirt, worüber der Aufsatz über das Gerichtswesen Seite 501 nähere Auskunft gibt.
S. 131. Der Senat repräsentirt den Staat nicht blofs im deutschen Bunde, sondern überhaupt, wo es einer solchen Repräsentation bedarf, und delegirt dazu.
S. 133. Mit der Ausschliefsung der Verwandtschaftsgrade verhält es sich so, dafs zwei Brüder, Vater und Sohn, Grofs- vater und Enkel fortwährend nicht zugleich active Mitglieder des Senats seyn dürfen. Zur Wahl eines leiblichen Onkels oder Neffen oder Geschwisterkindes mit einem solchen Mitgliede, welche früher ganz untersagt, so wie zur Wahl eines Frauen- Bruders, Schwester- Mannes, Schwiegersohns oder Schwieger- vaters , eines derselben , welche früher völlig frei war , wird die Beschränkung erfordert , dafs von den acht Vorschlagenden aus dem Senate und der Bürgerschaft sechs darüber einverstanden seyn müssen. Ferner wird um in den Senat gewählt werden zu können, ein Alter von wenigstens fünfundzwanzig Jahren er- fordert. — Ein in Bremen geborner Bürger mufs zwei Jahre, ein Fremder fünf Jahre zuvor den Bürgereid abgelegt haben und in Bremen angesessen gewesen sejn.
S. 135. Es ist unrichtig , dafs bei den Konventsberathungen nach der Kirchspielseintheilung die Leitung den Aeltermännern zustand, dafs diese die Vota sammelten und ein Gemeinschaft- liches daraus bildeten. Vielmehr Mahlte jedes Kirchspiel beim Zusammentreten für die jedesmalige Versammlung seinen Wort- führer , nach völlig freier Auswahl unter den Anwesenden.
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Öefterer wurde ein Gelehrter als ein Aelterniann dazu gewählt.
Dieser Wortführer leitete die Deliberationen , führte das Proto- koll und verfafste das durch Mehrheit der Stimmen beliebte Kirchspielsvotum. Der Bürgerworthalter bemühte sich dann, die vier Kirchspielsvota in ein Gesammtvotum der Bürgerschaft xu vereinigen, trug solches nach erfolgter Genehmigung der zu diesem Zwecke zusammentretenden vier Kirchspiele in Gegen- wart der Bürgerschaft dem Senate mündlich vor , und übergab es demselben zugleich schriftlich.
Auf die Aufhebung dieser Kirchspielsberathungen und An- ordnung einer Plenarversammlung der Bürgerschaft wurde von dieser selbst angetragen, als die Berathungen über die Ver- besserung der Verfassung im Jahre 1815 das Unzureichende und Unbehülfliche jener alten Einrichtung immer deutlicher zeigte. Bei der Vereinigung der vier Kirchspiele in eine unge- teilte Versammlung beabsichtigte man besonders der Unzuträg- lichkeit vorzubeugen , welche sich ergab , wenn über Gegen- stände des Gesammtinteresses in vier verschiedenen Abtheilungen berathen und beschlossen wurde, die Vereinigung dieser vier verschiedenen Beschlüsse gewöhnlich aber nur durch solche Modifikationen erreicht werden konnte , welche keinem einzigen besondern Kirchspielsvoto vollkommen entsprachen. Ferner wollte man vermeiden , dafs , wie es beim Einfinden eines geringen Personals aus einzelnen Kirchspielen oft der Fall gewesen, die relative Majorität der einzelnen Kirchspiele , gegen die Meinung der überwiegenden Mehrheit der Anwesenden aus allen Kirch- spielen, einen Beschlufs zu fassen oder aufzuhalten vermöge. Endlich wollte man dem einzelnen verständigen Börger, dessen x4.nsichten bis- her nur in dem kleineren Kreise seines Kirchspiels geltend gemacht werden konnten, Gelegenheit zu einem erweiterten Wirkungskreise geben. Diese Bücksichten mufsten auch den Senat bewegen, diesem Vorschlag der Bürgerschaft seine Zustimmung zu ertheilen, und nicht eine Verminderung der Opposition , welche durch diese Abänderung ja vielmehr nur an Einheit und Stärke gewinnen konnte. Ueberhaupt scheint der Verfasser, welcher an den
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Konventsversammlungen niemals selbst Theil genommen , über diese von der grofsen Mehrheit der Bürgerschaft als nützlich und zweckmäfsig anerkannte Modification nur Einzelne damit unzufriedene gehört zu haben.
S. 138 — 140. Es ist allerdings richtig, dafs die Bürger- Konvente selten von der Hälfte der Bürger, welche auf -den- selben zu erscheinen berechtigt sind, besucht werden, und dafs die gesetzliche Zahl der erforderlichen Anwesenheit von fünfzig Bürgern durch die aufser ihnen sich einfindenden in der Regel nicht verdoppelt wird. Gewöhnlich besteht eine solche Versammlung der Bürgerschaft nur aus etwa achtzig Personen. Dieser Kontrast mit dem Drängen zur Theilnahme an ständi- schen Versammlungen in andern konstitutionellen deutschen Staaten, wo die einmal bestimmte Zahl der ständischen Reprä- sentation den Wünschen so Vieler, die sich ungern davon aus- geschlossen sehen, Schranken setzt, ist allerdings auffallend. Es verdienen indefs noch andere Ursachen dieser Erscheinung , als die von dem Verfasser angeführten, hier bemerkt zu werden. Sie liegen in dem geregelten Gange der öffentlichen Bedürfnisse eines kleinen, von keinen Leidenschaften und Partheiungen beweg- ten Freistaats, wo es keine verschiedene Stände gibt, welche einseitige Vortheile zu erstreben oder zu behaupten sich anstren- gen , wo es an Veranlassung fehlt , glänzende Rednertalente geltend zu machen , wo die Öffentlichen Kassen von den Bürgern selbst mit verwaltet werden und kein Gedanke an Mifsbrauch derselben im Publikum aufkommt. Die Mehrzahl derjenigen, welche von ihrem Rechte, die Bürgerkonvente zu besuchen, selte- nen Gebrauch machen, liÖrt man auf Befragen über ihre Gründe dieser Unterlassung nur erwiedern : Es gehen genug hin, um für das gemeine Beste zweckmäfsig zu sorgen ; ich weifs in der Regel vorher, was dort vorkommen und beschlossen werden wird und bin damit zufrieden , defshalb will ich durch einen längern Aufenthalt, der bei zahlreicheren Versammlungen un- vermeidlich ist, Anderen und mir die Zeit nicht verderben. Und dies ist denn in der That bei Vielen etwas mehr, als eine blose
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Entschuldigungsfloskel. Denn das Wesentlichste , was auf einem Bürgerkonvente beschlossen zu werden pflegt , ist zuvor nicht blofs in Ausschüssen diskutirt, sondern, da diese Diskussionen sich nur in seltenen Ausnahmsfällen zu einer Geheimhaltung eignen, auch in geselligen Zirkeln bereits vielfach besprochen und dadurch in der öffentlichen Meinung schon zu einem Be- schlüsse reif geworden, ehe dieser formell erfolgt. In den ein- zelnen Fällen aber, wo bei einem allgemein interessirenden Ge- genstande über den deshalb zu fassenden Beschlufs wesentlich verschiedene Ansichten im Publikum vorwalten, bleibt auch ein zahlreicherer Besuch der Bürgerkonvente nicht aus. Die nem- lichen Motive scheinen auch bei der Konkurrenz der Bürger- schaft zu den Wahlen in den Senat in Anwendung zu kommen. Wenn die öffentliche Meinung über den zu erwählenden Kan- didaten sich mit Zuversicht ausgesprochen hat, erwartet man kein anderes Resultat, und nur eine geringe Anzahl von Bürgern findet sich bei einem solchen Wahlkonvente ein ; im entgegen- gesetzten Falle wird der Versammlungssaal zahlreich gefüllt.
S. 141. Das älteste Mitglied des Kollegii der Aelter- männer führt den Titel Senior, eines der jüngern, welches den laufenden Geschäften vorsteht, heifst Praeses Collegii.
S. 147. Nicht Bobert und Erbbrochhausen , sondern Bobart und Erp von Brockhausen.
S. 148. Nicht Smith, sondern Smidt.
S. 164. Die in der Note angegebene Bedeutung des Worts: j,Wittheit'* mag vor dreihundert Jahren nicht ganz unrichtig gewesen seyn , wo Regierungs - und Justizgeschäfte weniger geschieden , und der erstcren so wenige waren , dafs der soge- nannte sitzende Rath , oder die das Obergericht bildende wech- selnde Hälfte des Senats in den dazu bestimmten Sitzungen aufserdem auch die minder wichtigen laufenden Regierungsan- gelegenheiten besorgte und nur in besonderen Fällen mit der anderen Hälfte ein die Wittheit genanntes Plenum für die wich- tigsten Regierungssachen bildete. Diese Plenarversammlungen des Senats, welche in alten Zeiten zu den Ausnahmen gehörten,
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wurden in der Folge die Regel für die Besorgung der Regie- rungsgeschäfte. — Die Benennung ,, Wiltheit" ist abgeschafft.
S. 174. Nach erfolgler Eidesleistung des neuen Senators begibt sich die Versammlung wieder in Procession nach dem Wohnhause desselben, und wird, dort auf altherkömmliche Weise mit Wein und Kuchen bewirthet, wozu auch die Nach- barn ihre Häuser willfährig öffnen und leihen , da die Wohnung des Neuerwählten selten grofs genug ist, die Einkehrenden zu fassen. Der Aufwand dieses Ehrentages , welchen der neue Senator aus eigenen Mitteln z,u bestreiten hat, erfordert in der Regel über tausend Thaler. Bei der Wahl eines Bürgermeisters findet eine ahnliche solenne Einführung Statt. (Eine bei Ge- legenheit der letzten Feier dieser Art an die Bürgerschaft ge- richtete öffentliche x\nrede des Präsidenten des Senats, welche zugleich von der in Bremen bei der Verwaltung der öffent- lichen Angelegenheiten vorherrschenden Gesinnung ein erfreu- liches Zeugnifs gibt , findet sich in der zu Ellwangen heraus- kommenden Nationalchronik der Deutschen , im Blatte vom 12teu October 1822, abgedruckt.)
S. 175. Auf dem Rathhause oder an dessen Eingange ist nichts an Hausircr vermiethet,
S. 177. Der Wein in dem sogenannten Apostelkeller ist aus dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts , meistens Hoch- heimer und Rüdesheimer. Die Weine aus dem siebenzehnten Jahrhundert werden blofs in der Rose aufbewahrt. Das älteste Stückfafs ist von dem Normaljahre 1624.
S. 178 — 187. Höchstwahrscheinlich ist die erste Rolands- säule erst gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zur Zeit des Interregnums, kurz vor der Regierung Karls des Vierten, oder gar erst während derselben errichtet. Dieser Kaiser hob vorzüglich die wachsende Macht der Städte , sicherte sie durch manche Privilegien gegen die Eingriffe der Vehmgerichte und setzte durch die goldene Bulle dem Faustrechte einen mächtigen Damm entgegen. Damals wird der Rolandssäule zuerst von gleichzeitigen Schriftstellern erwähnt. Sic wurde ohnehin so
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ganz im Geiste der damaligen Zeit gebildet, dafs der Kunst- kenner ihr Alter nicht höher anschlagen kann. Die gegen- wärtige Rolandssäule ist nicht, wie der Verfasser Seite 180 an- fahrt, im Jahre 1512 unter dem Erzbiichof Christoph, sondern wie eine aufbewahrte alte Rechnung ergibt, schon bei Gelegen- heit des Baus des jetzigen Rathhauses und zwar im Jahre 1404 errichtet. Die Kosten des Baus betrugen nach dieser Rechnung 170 Bremer Mark , nach jetzigem Geldwerthe ungefähr 600 Thaler.
Ein interessantes Factum ist es, dafs während der Reunioti mit Frankreich das damalige französische Baudepartement in Bremen , bei Gelegenheit einer Veränderung der Umgebungen des Markts , wirklich den Abbruch der Rolandssäule beab- sichtigte, und einen diese Veränderung bezeichnenden Rifs zur Genehmigung an die Oberbehörde nach Paris sandte, welcher von dieser, um die Zeit der Befreiung, mit der Randbemerkung: „ approuve , mais la statue sera conservee " wieder zurückkam.
S. 220. Wicht grofse Wall, sondern alte Wall.
S. 275. Nicht aus Seefahrern und Fischern besteht der gröfste Theil der St. Stephansgemeinde , aber der Wohnort sämmtlicher Fischer und eines grofsen Theils von Seefahrenden findet sich in diesem Kirchspiele , in der Nä;he der Weser. Die Mehrzahl der Schifiskapitäne wohnt indefs im Flecken Vegesack.
S. 292- Aufs er den beiden gedachten Mönchsklöstern gab es früher auch ein Nonnenkloster zu St. Stephani, dessen der Verfasser S. 273 auch selbst gedacht hat.
S. 296. Es ist unrichtig , dafs der Nachlafs eines Präbenders von St. Remberli und das , was ein solcher während des Auf- enthalts in der Stiftung ererbt, derselben anheimfalle. — Es geht damit vielmehr wie mit allen andern Erbschaften.
S. 306- Das St. Gertruden Gasthaus wurde nachmals zu einem Kornhause eingerichtet und später von der Stadt an tinen Privatmann verkauft.
S. 309. Aufser diesen Wittwenhäusern gibt es in Bremen eine Menge sogenannter Wittwenkassen , welche theils durch
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Stiftungen beträchtlich fundirt sind, theils durch Einkaufssummen und jährliche Beiträge unterhalten werden. So hat der Senat seine Wittwenkassc ; die Stadtprediger, die Landprediger, die Lehrer der höheren und niedern Schulen, die unteren Staats- beamten u. s. w. verwalten und unterhalten ebenfalls besondere Kassen dieser Art.
S. 310« Das Armenhaus gehört fortwahrend zu den wohi- thätigsten und bedeutendsten hiesigen Stiftungen. Gegenwärtig ist es mit 188 gröfstentheils alten Armen beiderlei Geschlechts besetzt , welche in demselben Wohnung , Nahrung , Kleidung, Arznei und sonstige Pflege erhalten. Ein eigener Prediger ist bei dieser Anstalt angestellt. — Ihre Unterhaltung erfordert jährlich gegen zwölftausend Thaler.
S. 311. Das Krankenhaus wird dem neuesten Beschlüsse zufolge nach der Grofsenstrafse an die Weser verlegt, wo das vormalige sogenannte blaue Kinderhaus, dessen Zöglinge in neueren Zeiten mit dem neugebauten reformirten Waisenhause an der Hudilterstrafse vereinigt worden, dazu eingerichtet, auch noch eine besondere Irrenanstalt damit verbunden werden soll.
S. 311. Die von allen jenen frommen Stiftungen völlig ge- sonderte allgemeine Armenanstalt, hier das Armen- Institut genannt, wurde in Folge der darüber zwischen dem Senat und der Bürgerschaft schon im Jahre 1775 begonnenen Berathungen im Jahre 1779, nach den damals in Deutschland zur Sprache gekommenen Ansichten über verbesserte Einrichtungen der Armenpflege, errichtet. Braunschweig ging mit seinem Bei- spiele voran, Bremen folgte und vervollkommnete, Hamburg lernte wieder von Bremen und vervollkommnete noch mehr.
Vor dem Jahre 1779 wurden die Bremisclien Armen theils von jenen Stiftungen und besonders von dem Ueberschusse des damals minder zahlreich besetzten Armenhauses , in dessen Kasse auch die in den Kirchen gesammelten Armengaben flössen , ver- sorgt , theils durch die Milde der Bürger , von denen die Wohl- habenderen lür eine Anzahl bestimmter Armen durch wöchent- liche Austheiiungen zu sorgen pflegten. Ais Surrogat fanden
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vierteljährige allgemeine Sammlungen zum Besten der Armen Statt. Eine lastige Strafsenbettelei konnte dabei nicht aus- bleiben, deren gänzliche Abstellung bei der neuen Anstalt vor- zugsweise beabsichtigt ward, und durch ihre Hülfe fortwährend in einem Grade erreicht ist , wie sich dessen wenige gleich stark bevölkerte Städte rühmen können.
Anweisung und Bezahlung von Arbeit für die arbeitsfähigen Armen, Unterstützung und Versorgung der dazii Unfähigen, ärztliche Behandlung und Pflege der kranken Armen, Unterricht armer Kinder und die Sorge für ein anständiges Begräbnifs der verstorbenen Armen , in allen den Fäüen zu leisten , wo die bestehenden milden Stiftungen diese Sorge nicht auf sich zu nehmen im Stande seyen , war der ausgesprochene Zweck dieses neuen Instituts, bei dessen Beginn alles Betteln sofort bei scharfer Strafe untersagt ward.
Die Kosten dieser x^nstalt sollten durch freiwillige wöchent- liche Beiträge der Bürger , für deren Leistung sich jeder am Ende eines Jahres für das nächstfolgende zu unterzeichnen hatte, herbeigeschafft , die Verwaltung derselben unter Direction eines Mitgliedes des Senats , von den Diakonen oder Armenvorstehern der Kirchen geführt werden, welche von den Gemeindegliedern derselben, herkömmlich in ihren Kirchenkonventen für bestimmte Frist gewählt und ergänzt wurden.
Ein Mifsgriff bei der ersten Einrichtung war es , dafs man nach dem Beispiel ähnlicher Institute an andern Orten den zu unterzeichnenden freiwilligen Beitrag auf ein gewisses Maximum beschränkte , um den Ehrgeiz der minder Wohlhabenden zu schonen und ihnen durch die Unmöglichkeit, sich den Gaben der Reicheren einigermafsen annähern zu können , die Anstalt nicht gleich im Anfange zu verleiden ; diese erkrankte sowohl daran , wie an dem Vv ohlthätigkeitseifer der Administration, welche bei dem grofsen Andränge der Armen das Maafs ihrer Ausgaben nicht immer nach dem ihrer Einnahmen beschränkte, in den ersten zehn bis zwölf Jahren ihres Bestehens, so. dafs
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ihr von Zeit zu Zeit durch Zuschüsse aus der Staatskasse, die nicht im Zwecke lagen, aufgeholfen werden mufste.
Eine im Jahre 1791 Statt gefundene Revision und Ver- besserung der Grundgesetze schaffte indefs jenes Maximum ab und sorgte für strenge Festhaltung der Regel, nach welcher für den ganzen Bedarf nur durch freiwillige Gaben zu sorgen sey, und eine einzige unbedeutende Ausnahme abgerechnet, fand dieselbe in den nächsten zwanzig Jahren, bis zur gewaltsamen Vereinigung der Stadt mit dem französischen Reiche, auch ihre konsequente Anwendung .
Bei der täglich zunehmenden Armuth in den drei un- glücklichen Jahren dieser Reunion und der eben dadurch auch verminderten Beitragsfähigkeit , war indefs wieder ein jährlicher Zuschufs aus der damaligen städtischen Ccntralcasse erforderlich und dieser konnte auch in den nächsten auf die Wiederbe- freiung folgenden Jahren nicht entbehrt werden, da die Wir- kungen nicht gleichzeitig mit der Ursache jener Unglückszeit sich verloren.
Im Jahre 1819 glaubte man es indefs an der Zeit, wieder zu der früheren Maxime zurückkehren zu können , und obgleich die sehr vergrüfserte Menge der Armen einen bei weitem be- trächtlicheren Aufwand wie früherhin erforderte, diesen doch von der freiwilligen Selbstschätzung der Bürger erwarten zu dürfen. Um den Wetteifer dazu zu beleben und durch Ver- gleichung einen richtigen Maafsstab dieser Selbstschätzung zu geben , wurde die Bekanntmachung der jährlichen Gaben , deren der Verfasser Seite 356 gedenkt , für einige Jahre beliebt. Auch früherhin waren diese Gaben nicht geheim gehalten, aber diese Bekanntmachung blieb in der Regel auf die verschiedenen Ein- sammlungsdistricte , in welchen die zu jedem derselben gehörigen besonderen Bücher circulirten , beschränkt.
Die öffentliche Aufforderung des Senats zur Unterzeichnung höherer Beiträge entsprach der Erwartung vollkommen. Die frei- willige Subscription, welche für das Jahr 1819 nur 20,583 Thaler 50 Groten betragen hatte, stieg im Jahre 1820 auf 30,174 Thaler
624
34 Groten, im Jahre 1821 auf 30,381 Thaler 66 Groten; für 1822 sind 29,815 Thaler 43 Groten subscribirt und da der weitere Bedarf durch Schenkungen , aufserordentliche Gaben und einige sonstigen Einkünfte des Instituts bisher immer ge- deckt worden ist, so hat auf Zuschüsse aus der Staatskasse nun nicht weiter Anspruch gemacht werden dürfen.
Die Einrichtung der Anstalt ist gegenwärtig folgende: An der Spitze derselben steht ein Mitglied des Senats als Director. Dieser hat den Vorsitz in den Sitzungen der Generalverwaltung und die Direction der Armen- Polizej. Bei der Verwaltung sind fünfzig Diakonen von den verschiedenen Kirchen angestellt , von denen zehn die Generalverwaltung leiten und vierzig die specielle Aufsicht über die vierzig Armendistricte , in welche die Stadt und die Vorstädte eingetheilt sind , als Armenpfleger führen. Von den zehn Mitgliedern der Generalverwaltung führt eins die Kasse und Rechnung , und hat nebenher die Aufsicht über die aus besondern Ursachen in Pension gegebenen Armen; ein zweites hat die Oberaufsicht über die Arbeitsanstalt, die Anschaffung der dazu erforderlichen Geräthe und Materialien und die Be- sorgung des Verkaufs der Arbeiten, ein drittes die Aufsicht über die Kranken und die damit verbundene besondere Kranken- speiseanstalt; andere Mitglieder der Generalverwaltung stehen dem Armen - Schulwesen vor , besorgen die Unterhaltung der sogenannten Todtenladen , in welche die Armen sich etwa vor ihrer Verarmung eingekauft, achten auf Erbschaften, die den Armen etwa zufallen könnten , und dergleichen mehr. — Jedem Mitgliede der Generalverwaltung sind vier Districtsarrnen- pfleger zugeordnet, mit denen es die Aufsicht in den denselben angewiesenen vier Armendistricten gemeinschaftlich führt. Diese in fortwährender Beachtung aller Umstände und Verhältnisse der Armen sich wirksam zeigende Aufsicht wird durch zweimal jährlich Stattfindende Generalvisitation aller Armen noch besonders geschärft. Besondere Reglements bestimmen , welche Verfügungen von den D'strictsarmenpfiegern für sich, welche mit Zuziehung des ihnen zugeordneten Mitgliedes der Generalverwaltung und
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welche nur in den regelmässigen wöchentlichen Sitzungen dieser getroffen werden können.
Die ganze Verwaltung wird unentgeldlich wahrgenommen, blos einige untergeordnete Beamte, Oekonomen, Werkmeister, Schreiber in dem Arbeitshause, ein Bote und eilf Armenvögte, welche die Stadt von allen Bettlern rein halten, werden be- soldet.
Die Unterstützungen, welche die Armen erhalten, bestehen in Geld, Kleidungsstücken, Betten und anderen dergleichen notwendigen Bedürfnissen , Darleihung von Arbeitsgeräthschaften, Anweisung zur Arbeit und zum Absätze derselben , Lieferung von Feurung im Winter, von Speisung und Pflege bei Krank- heiten, desgleichen Versorgung mit Arzt, Wundarzt und Arznei, unentgeldlichem Schulunterricht und freiem Begräbnifs. Diese Unterstützungen werden je nachdem die Umstände es mit sich bringen, auf längere oder kürzere Zeit bewilligt und verliehen. — Dem Senate wird jährlich Rechnung abgelegt.
Die Ausgaben , welche die verschiedenen Arten der Unter- stützung veranlassen , sind sehr beträchtlich ; sie waren bis zum Jahre 1819 so hoch angewachsen , dafs die Ausgabe für die von der Anstalt bewirkte Armenpflege in diesem Jahre 43,383 Thaler 70 Grote betrug, — Durch die seitdem eingetretene Wohlfeil- heit der Lebensmittel ist es jedoch möglich geworden, diese Ausgaben bedeutend zu vermindern, so dafs dieselben im Jahre 1820 sich auf 35,693 Thaler 46 Grote beschränkten und im Jahre 1821 nur 34,740 Thaler 7 Grote betragen haben.
Aufser den Armen, welche nur einzelne Unterstützungen erhielten , wurden im Laufe des Jahres 1821 eintausend drei- hundert siebenundachtzig Personen fortwährend versorgt , aufser- dem noch achtundfunfzig , welche auf dem Lande in Wohnung und Kost untergebracht waren.
Während der Dauer des Armeninstituts vom Herbst 1779 bis zu Ende des Jahres 1821 wurde von demselben überhaupt zur Unterstützung und Versorgung von Armen verwendet 1,166,159 Thaler 25 Grote. — Davon sind durch bestimmte
79
62G —
freiwillige Beiträge eingegangen 942,886 Thaler 60% Grote, die übrigen 223,272 Thaler 36% Grote sind theils durch aufserordentliche Gabin, Ueberschüsse von Todtenladen, Erb- schaftsgelder und andere Zuflüsse , der gröfseren Hälfte nach aber durch Zuschüsse aus der Staatskasse, gedeckt.
Das Armenwesen im Gebiete der Stadt steht mit dem städ- tischen Armenwesen in keiner Verbindung. — Jede Kirche auf dem Lande hat ihre besondere Armenkasse , welche ebenfalls durch freiwillige Beiträge, die von den Predigern und Kirchge- schwornen erhoben und verwendet werden, unterhalten wird.
Der grofsen Anzahl von Familien - und Privatstiftungen zur Vorbeugung der Ansprüche auf öffentliche Unterstützung, welche in Bremen existiren , hat der Verfasser nicht besonders erwähnt. Es finden sich deren unter allen Klassen der Einwohner. Auch der unbemitteltste Bürger pflegt sich doch in eine sogenannte Brüderschaft oder Todtenlade einzukaufen, um sich und den Seinigen ein anständiges Begräbnifs zu sichern. — Eine aus neuerer Zeit datirende Privatstiftung, wodurch die Zinsen eines Kapitals von 30,000 Thalern theils zu Stipendien für studierende und der Handlung sich widmende Jünglinge , theils zur Unter- stützung verschämter Armen bestimmt wurden , verdient hier noch einer besonderen Erwähnung.
Seite 315. Ein bereits früher zur Sprache gekommener Plan, die durch den alten thörichten Zwiespalt der beiden pro- testantischen Konfessionen begründete Trennung der Waisen nach der Konfession aufzugeben und dieselben in die beiden gleich zweckmäfsig eingerichteten und verwalteten Waisenhäuser nach dem Geschlechte zu vertheilen, scheint immer mehr Beifall zu finden, und die gegenwärtig unter dem verschiedenen Kon- fessionsverwandten vorherrschende Eintracht dürfte ihn daher zu seiner Zeit zur Ausführung bringen.
Seite 352 — 354. Der Schofs wird nicht nach Procenten vom Einkommen, sondern nach Procenten vom gesammten Vermögen bezahlt, wobei nach der Schofsordnung nicht blos das nutzbar gemachte Vermögen, sondern alles, was Geldes-
(527
werth hat, so wie man es an andere abzustehen erforderlichen Falls bereit wäre, gewissenhaft angeschlagen und darnach die eigene Schätzung Statt finden soll. Nur wer nach dieser Schätzung ein Vermögen von wenigstens 3000 Reichsthalern zu besitzen versichert , bezahlt diese Abgabe , mit welcher manche bürgerliche Vorrechte verbunden sind , und hat diesen Besitz durch Darlegung der Quote des Schofses für den Betrag dieser 3000 Thaler zu erweisen. Aller die Quote für diese Summe übersteigender Beitrag wird von dem Kontribuenten selbst ver- deckt in eine Kiste geschüttet, die erst, nachdem alle Schofser sich mit ihrem Beitrage eingefunden , geöffnet wird. — Von denen, welche nicht 3000 Thaler zu besitzen behaupten , welches ihnen auf ihr Wort geglaubt wird, da jeder, der irgend dazu im Stande ist, sich der Ehre, zu den Schofsern zu gehören, nicht leicht selbst entschlägt , wird statt des Schofses und nach Maafsgabe der jedesmaligen Gröfse desselben, eine geringere nach einer Klassensteuer vertheilte Abgabe unter dem Namen der Kollecten entrichtet , deren Gesammtertrag nur ungefähr dem zehnten Theile dessen, was ein Schofs einbringt, gleich zu kommen pflegt.
Uebrigens ist der Schofs keine gewöhnliche in jedem Jahre wiederkehrende Abgabe , obgleich es oft Fälle gegeben , wo zur Deckung gewisser Bedürfnisse , oder zum Abtrag kontrahirter Schulden , eine Schofserhebung mehrmals in einem Jahre , auch wohl zehn bis zwölf Jahre hintereinander , Statt gefunden hat. In der Regel aber wird der Schofs nur als Surrogat in be- sondern Fällen, die sich bei der Formation des jährlichen Budgets nicht im voraus berechnen liefsen , oder bei einem un- erwartet geringeren Ertrage der angenommenen jährlichen Ein- nahme beliebt und erhoben. Aber die Entrichtung vieler an- derer öffentlicher Abgaben geschieht demselben analog , und im gewohnten Vertrauen auf die Gewissenhaftigkeit der Zahlen- den ebenfalls nach eigener Schätzung. So werden z. B. mehrere Handels- und Konsumtionsabgaben ohne Kontrolle so erhoben, dafs jeder von dem Quantum der besteuerten Artikel, welches
628
er im Handel umgesetzt, in seiner Haushaltung verzehrt, oder zur Konsumtion in der Stadt verkauft hat (wie die Weinhändler) den gesetzlichen Betrag der Abgabe jährlich an die Behörde einsendet.
S. 381. Nicht Verkauf, sondern Vorkauf.
S. 385 — 397. Dieser Bremische Seeheld hiefs nicht Wilson, sondern Wulsen; die Familie esistirt noch in Bremen.
S. 398- Unter der hier erwähnten Verordnung ist wohl die gegen die sogenannten Winkel- Accorde zu verstehen.
S. 403. Der fünf in Bremen bestehenden grofsen Asse- kuranzcompagnien gegen Seegefahren verdient bei diesem Ab- schnitte doch gedacht zu werden. — Sie befinden sich sämmtlich in einem sehr blühenden Zustande. — Gegen Feuersgefahr gibt es in Bremen drei Versich er nngsanstalten , welche sämmtlich zweckmässig organisirt sind; eine derselben beschränkt sich blos auf die Stadt, eine andere versichert auch auswärts gelagerte Waaren. Die dritte ist ausschliesslich für das Gebiet der Stadt bestimmt.
S. 407. Statt Sitz und Stimme richtiger : „ Sitz und be- rathende Stimme" — statt: seinen eigenen Gerichtsstand, rich- tiger: „in Dienstsachen seinen eigenen Gerichtsstand."
S. 413. Nach den Worten: „vier und zwanzig Diakonen k' ist hinzuzufügen: „und denen."
S. 414- letzte Zeile — nicht vom Senate allein, sondern durch Rath - und Bürgerschlufs. Eine Sammlung zur Unter- stützung der kirchlichen Bedürfnisse der Katholiken in Bremen brachte gegen 12000 Thaler ein.
S. 415. JNoch eine andere Bremische Landgemeinde, die zum Horn , hat im Jahre 1822 ihre Genossen reformirter und lutherischer Konfession in eine gemeinschaftliche evangelische Gemeine vereinigt, — und die städtische St. Ansgarii - Gemeine hat sich in einem bei Gelegenheit der Säkularfeier der ersten vor dreihundert Jahren in ihrer Kirche gehaltenen Reformations- predigt Heinrichs vonZütphen am Sten November 1S22 gehaltenen Kirchenkonvente zu gleicher Vereinigung willig erklärt , sobald
— 629
die übrigen Stadtgemeinen daran Theil zu nehmen sich entr schiiefsen würden.
S. 449. Nicht 150 Gulden, sondern 150 Thaler. Es gibt in Bremen eine Menge Stipendien dieser Art zur Unterstützung von Studierenden wahrend ihres akademischen Cursus. Zu eiaer zweckmäfsigen Vertheilung dieser Eeneficien haben die Ver- walter derselben vor einigen Jahren die Verabredung unterein- ander getroffen , sich von ihren Bewilligungen gegenseitig zu unterrichten. Bei den Stipendien , deren Vertheilung dem Senate zusteht, ist der Grundsatz festgestellt, dafs eine solche Unter- stützung die Summe von 400 Thalern jährlich für ein Individuum nicht übersteigen dürfe. Diesem Grundsatze haben sich die übrigen Verwalter solcher Privatstiftungen grüfstentheils ange- schlossen.
S. 450. Nicht Liehny , sondern Richey.
S. 451. Einer der thätigsten Mitarbeiter an dem aus der deutschen Gesellschaft hervorgegangenen Bremischen Idiotikon oder Versuch eines Bremisch - Niedersächsischen Wörterbuchs war der im letzten Jahrzehend des verflossenen Jahrhunderts verstorbene Professor des Bremischen Gymnasii , Eberhard Tiling.
S. 469. nicht G. N. , sondern G. B. Treviranus.
S. 483. Was der Stadtbibliothek besonders an neueren historischen Werken und Reisebeschreibungen fehlt, wird durch die sich jährlich bedeutend vermehrende und jetzt schon über 16000 Bände zählende Bibliothek des Museums ersetzt, zu dessen Mitgliedern der gröfste Theil der hiesigen Gelehrten und Freunde der Wissenschaften gehört.
S. 504. Die hier erwähnte revidirte Gerichtsordnung ist unter dem Titel: Gerichtsordnung der freien Hansestadt Bremen, Bremen 1820, bei Heinrich Meier," im Druck er- schienen.
S. 505. lieber die näheren Bestimmungen eines ständigen Personab für das Obergericht haben im Spätjahre 1822 weitere Verhandlungen zwischen dem Senat und der Bürgerschaft Statt gefunden, nach welchen dasselbe künftig aus acht Rechtsge-
630
lehrten und zwei kaufmännischen Mitgliedern des Senats be- stehen und in dieser neuen Einrichtung im Anfange des Jahres 1823 in Wirksamkeit treten dürfte.
S. 508. Die Grofse der Bremischen Staatsschuldenlast be- trug bei der Einverleibung in das französische Reich nicht , wie es hier durch einen Druckfehler irrig angegeben ist: fast eine Million Reichsthaler, sondern fast vier Millionen Reichs- thaler.
Man vergleiche S. 512, wo richtig bemerkt wird, dafs der grofsere Theil der jährlichen Ausgaben durch die Verzinsung dieser Schuldenlast seine Bestimmung erhält.
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Namen- und
Sachregister.
A.
Abd ication (die) des Kaisers löst alle alten Bande der Stadt mit dem deutschen Reiche, 604-
Abentheuer der Seefahrer, 395.
Aberglaube, 321. 335-337. ff.
Abgaben (Schofs). Ausgezeich- nete Art, wie er gehoben wird, 352. 511.
Ablafs. Der päpstl. Legat Bischof von Gurk ist der Ueberbrin- ger, 192.
Abt (Schauspieldirector ) wird in die Klosterkirche be- graben , 296.
Acht und Oberacht wird aus- gesprochen über Bremen , 70.
Adalbert (Erzb.) gibt der Stadt Bremen einen hohen Glanz, 21. beendigt den Bau des Doms, 237. verschwendet die Kost- barkeiten desselben, idem reitet Kaiser Heinr. IV. von Mördern, 570. sein Tod , 571.
Adaidagus (Erzb.), 11. befreit die Stadt von den Königs- Vögten, 12- ist überhaupt ihr gröfster Wohlthäter, 13. 14. Einflufs seiner Begünstigungen auf die Bildung des Bürger- standes, 15. u. 19.
Aelterleute, vergl. 591. d. Berich- tigung wegen Aeltermanns Kollegium , 120. frühere Er- wähnung, 78. 86- ihre An- feindungen, 87. 88. 91. Zwist mit dem Rathe. 122. 593. ihr Geschäft und Einflufs auf den Konventen der Bürger, 135. neuere Veränderung, 141. Tonneniegen , 384.
Aeltermann Burchard Lösekanne wünscht eine Radikalverbes- serung, 121. fällt in Ver- dacht geheimer Einverständ- nisse mit den Schweden und wird enthauptet , 122- wegen dieses leztern s. die Berich- tigungen, 592.
Albers (J. A. ) der unerraüdet wirksame , 461.
Albert (Erzb.) seine vorgebliche Zwitterschaft , 55.
Allianz (die heilige), die Hanse- städte schliefsen sich an die- selbe , 612.
Altargemälde in der Ansgarii- kirche, beurtheilt, 270.
Amerikanischer Krieg erhebt Bremens Handel zum Welt- handel, 593.
Amtmann zu Vegesack, 541-
632
Anerkennung der Selbstständig- keit Bremens durch die alliir- ten Monarchen im December 1813, 611.
Anleihe (die hessische), Ge- wissenhaftigkeit des Senats und der Bürgerschaft hinsichtlich derselben, 609.
Ansgariikirche, sie hat aufser den zwei reformirten Predi- gern auch einen lutherischen, 413. Ihre Gemeinde hat sich zur Vereinigung in Eine Ev- angelische willig erklärt, 628.
Ansgarius, Erzbisch of von Ham- burg und Bremen, 10- Hymne auf ihn , 265.
Ansicht (allgemeine) der Stadt, 151.
Anstalt zu praktischer Aus- bildung junger Künstler und Handwerker, 479.
Anstalten (wohlthätige) . 303.
Apostel, die zwölf Apostel sind Weine aus dem Anfange des achtzehnten Jahrb., 177. 619.
Appellationsgericht , 504. schon frühe in Anregung gebracht, 605.
Arensberg ( Gottfr. Graf von), Domdechant und sein Gegner Moriz Graf von Oldenburg veranlafsen einen blutigen Krieg , 43.
Arrnenanstalt, 311.355. Armen- inslitut, vergl. besonders 621.
Armenhaus , 310. vergl. 621-
Armenschulen der verschiedenen Konfessionen werden verei- nigt, 478.
Assekuranzkompagnien , 628.
Aufführung , Ceremonie der „Aufführung" eines neuer- wählten Rathmannes aufs Rath- haus, 173. vergl. aber 619.
Aufopferung (patriotische) in der lczten Zeit , 354. 405. 408.
Aufstand zu Gunsten des Erz- bis'chofs , 52.
Aufwand - Gesetze , 325.
Auszeichnung der Bürger durch Ehrenämter , 348 f.
Ausfuhr, Verordnung und ver- botene Artikel, 398. Werth der Ausfuhr , 402-
Ausgaben, 512.
Ausschufs (noch bestehender) aus Rath und Bürgerschaft, 613.
B.
Balge, 8. Erklärung des Worts, 9.
Balthasar (Junker) von Esens, Krieg mit den Bremern , und Reichsacht, 104. Repressalien gegen die Bremer, 106. des- sen Tod, 107.
Bann über Bremen ausgespro- chen, 21. Acht und Ober- acht, 70.
Bankerotte, 367. 398.
Bardewisch (Rud. von), 80- 84. 102. 284.
Bauart der Stadt im Allgemei- nen, 153.
Bederkesa,Entweichung des Raths dahin während der Unruhen der Hundert und Vier, 94.
Befestigung der Stadt, 158-
633
Beguinen , 292. Beguinen-Haus, 308.
Berg (Joh. Val.), 444.
Besetzung (gewaltsame) der Stadt nach der Schlacht bei Jena, 605. Harte Bedrückung von dem verb. franz. Heer, 606.
Bezelin's prachtvoller Thurm am westlichen Thore , 237.
Bibliotheken (die) des Mu- seums, 208. u. 629. Stadt- bibliothek, 481. ff.
Bierbrauereien, 384.
Bilder (einige alte unbedeutende) noch auf dem Rathhause, 168.
Bischofsnadel, ehemals ein Stadt- thor, 158. 224.
Bleikeller und dessen einge- trocknete Leichname, 253.
Blockade ( englische ) der Elbe und Weser, 603. 604. aber- mals , 605.
Blockland, 563.
Blumenthal , 586. ff.
Boden, seine Bildung, 3. ff. nähere Beschreibung dessel- ben, 534.
Börse, 177.
Bornemacher (Joh.), Pred. an St. Rembert , wird in Verden verbrannt, 277.
Braunschweig (Herzog Ferdinand von), seine Kontribution, 597. Wiedererstattung und da- durch veranlafste Verhand- lung zwischen Rath und Bürgern , 597.
Braut und Bräutigam , ehemals Zwinger, flogen auf, 159.
Brücken über die Weser, 153. Büren (Dan. von), Scholaren
und Hardenbergs Freund, 426.
428. 438. Bürgerkonvent, s. Konvent. Bürgerfreund , ein Unterhalt
tungsblatt, 346. Bürgergarde, Bürgerwehr , 408.
409.
Bürgerschule , 465.
Bürgerwehrstand (alter), 328. neuester, nach völliger Ura- schaffung, 406-
Bundesakte , Abschlufs dersel- ben und ehrenvolle Stellung der Hansestädte in dersel- ben, 611.
Burchard ( Erzbischof ) stiftet Turniere, 188.
Busen (Frau Alecke Gerdt), ihre denkwürdige Vermächtnifs- Urkunde, 307.
a
Carl der Grofse macht Bremen zum Sitz des nördlichen Bis- thums, 8. seine Verfügungen in Sachsen, 11. 12.
Cassel, Prof. Sammler von Bre- mensien, 456-
Catharinen- (St.) Kloster, 288. es wird zu einer lat. Schule ein- gerichtet, 424.
Chaucen , ihre Wohnplätze , 7.
Christoph Graf von Oldenburg hilft zum Entsatz Bremens, 110.
Chjtraeus, Prof. am Gymn. , ein vielseitig gebildeter Gelehr- ter, 435.
80
634
Coccejus (Job.), 442. Coliecten, s. Kollecten. Collegium seniorum , s. Aelter- leute.
Compagnie (die grande), 47.
Comthurey , Plünderung dersel- ben in dem Tumulte gegen Rudolph von Bardewisch, 84.
(Kontributionen während der Reunion mit Frankreich, über zehn Millionen Franken, 607*
Convoischiff, 394»
Croning (Jobst), kaiserl. Feld- heer, zieht gegen Bremen, 108.
D.
Dado und Gerold 3 Gebrüder, 56. überfallen die Frede- burg, 56. werden zu Bremen enthauptet , 58. Rührender Auftritt dabei , 5S.
Dampfboot, 544.
Deichwesen, 525.
Deputation (die geheime), Con- centrirte die Staatsgewalt in den Zeiten der durch die fran- zösische Revolution herbeige- führten Gefahr, 601.
Det erden (furchtbare Schlacht bei) (1426), 61.
District am rechten und linken Weserufer, 534.
Dörfer dieser Gegend sind ganz verschieden von denen im übrigen Deutschland, 548. Beschreibung derselben, 549.
Dom, sein erster Bau, 157. 235.
fernere Schicksale, Ausbau u. Merkwürdigkeiten , 240—258. er wird zum lutherischen Gottesdienste geöffnet, 411«
Dominikaner in Bremen, 288. eifrige Verfechter in den Glaubenskriegen, 289.
Domshof, 187.
Domschule , 462.
Doneldej , Turniere.
Bürgermeister
Dordrechter Synode ; der Senat schickt drei gelehrte Männer dazu, 439-
Dove (Job.) , Gegner der Aelter- männer, 88. Unruhstifter und Haupt der Faction der Hundert und Vier, 90. 92. 95- seine Hinrichtung, 103-
Dove-Thor, Porta Surdorum,227.
Drakenburg, die Schlacht bei Drakenburg befreit Bremen von der Gefahr, mit welcher Eric!) v. Braunschweig drohte, III. 112.
Einfuhrgegenstände, ihr Werth, 402.
Einkünfte (Staats-), 512. Amts- Einkünfte der Senatoren, 512.
Eintracht (die alte und die neue), 73. 502, 594. Inhalt der letztern, 100.
Einwohnerzahl, 524. 53t.
ElsüetherZoll, Entstehen, Fort- gang und Ende, 141.
635
Emigranten (französische und niederländische ) , 602.
Emma, Gräfin von Lesum; ihre Schenkung an Bremen , 20. 570.
Englisches Eigenthum mufs den Franzosen bei Todesstrafe an- gegeben werden , 605. Ab- kauf, 605.
Erich von Braunschweig zieht gegen Bremen mit 29000 Mann, 109. das drohende TJngewitter wird glücklich abgewendet, 111.
Erich , König von Norwegen, be- günstigt sehr den Handel „sei- ner lieben Bürger in Bremen", 380.
Erzbischof von Bremen (erster), 10. Feierlichkeit der Ein- führung eines Erzbischofs, 193«
Erzbischöfe , ihre Verhältnisse zur Stadt, 22. f. Ihre Cessio- nen, 23. Ihr Streben, sich wieder in den frühern Besitz zu setzen , 50.
Erzeugnisse des Bodens des Stadtgebiets , 535 f.
Ewald , befördert die Anlegung der Bürgerschule , 468»
F.
Familienleben, 337 f. Fastnachtslust , 342. Finanzausschufs , 509. Flor, Bremens, besonders im
siebenzehnten Jahrhundert,
397,
Focke , Kaufmann , sein Land- haus zu St. Magnus, eine ge-
schmackvolle Nachbildung englischer Landhäuser, 578.
Franciscaner, 291. 294.
Französisch - reformirte Ge- meine in Bremen , 297.
Frauenverein . 354.
Frauenzimmer,seine Ausbildung, 369 f.
Fredeburg wird von den Friesen angegriffen , 56. mufs ge- schleift werden , 61.
Freiheit . sie kommt verschie- dentlich in Gefahr, 49.
Freiheitsbrief , zu Gunsten des Handels von Jacob IL von Schottland, 381. Emanuels von Portugal , 382. Carls II. von England, 388.
Freimüthigkeit im Beden , Ur- theilen und Schreiben, 344.
Frese ( Götje ) , sein aristokra- tischer Uebermuth und des- sen Folgen , 38. das Bathhuus steht an der Stelle seines Hauses, 163.
— (Joh), seine Thaten im Büstringer Kriege, 60. 62.
Friederich I. Kaiser, verleiht der Stadt Bremen Bechte , 20.
Friesen, Einfälle ins Bremer Ge- biet, 60. ihre Helden Ocko und Focko , 60.
Frömmelei, 336«
G.
Gasthaus für Pilger, 309. Gebiet der Stadt nach der neue- sten Abrund'.mg, 533.
636
Geest, 4.
Geist , heil. Geistkirche , Schau- platz der Unordnungen des Comthur Bardewisch , 283. Geistlicher , an Ansgarii Kirche wird zuerst ein lutherischer Prediger angestellt , 270. Gelehrte (die neuern), auf- geführt von J. J. Stolz, 459. und Roter mund, 460- Gelehrtengeschichte , 416. Gelehrtenschule, ein Zweig der
Hauptschule, 474. Gemäldesammlung , 488. Gemeine (die freie) , allgemeine Bildung derselben seit Otto dem Grofsen, 18- in den niederdeutschen Städten, 19. Adaidagus , Wiederhersteller derselben in Bremen, 19 f. wichtiger Fortschritt dersel- ben unter Erzbischof Giselbert, 30.
Gemüthskranke , Heilungsanstalt
dafür, 56. Generalkasse , 509.
Gerhard I. , Erzbischof, 15. Streitigkeit wegen der Zoll- freiheit, 26.
Gerichtsordnung , Bremische, 504.
Gerichtswesen, 501.615. Ober- und Untergericht , Kriminal- gericht, 505.
Gertruden (St.), Gasthaus, 300. später ein Kornhaus , 620.
Gesellschaft , die deutsche, 450.
Gesellschaft zum guten End- zweck , 458.
Gesetzbuch (ältestes) , 31, vergl. mit 589.
Gichting , was es heifse , 67. vergl. 590.
Gildemeister (J. L. F.) Sjndicus oder Consulent des Collegii Seniorum , Bremischer Ge- schichts - und Rechtsforscher, 456.
Giselbert (Erzbischof), unter ihm erhielt das Gemeinwesen wichtige Vergünstigungen, 30. Gleve , Bedeutung des Worts,
47. vergl. 589. Gowe , Gowgerichte , 532. diese alte Eintheilung des Stadt- gebiets hat aufgehört, 534.
Grabschriften u. Gräber (merk- würdige) im Dom, 252.
Graf von Hoya , Krieg mit dem- selben, 45.
Gröningk (Heinr. ), ein helden- müthiger Rathmann, 51.
Grönlandsfischerei, 385 ff.
Gröpelingen ( Arend von), sein unglückliches Schicksal wird schwer geahndet, 37 n°. sein Denkmal, 271.
Groot (Gerhard) stiftet zu De- venter die erste Bildungsan- stalt für die Jugend des nörd- lichen Deutschlands , 421.
Güding hegen, was es heifse, 166.
Günther (Anton), von Olden- burg setzt seine Ansprüche an den Elsflether Zoll durch , 143.
Gymnasium , Stiftung , 432. sinkt , 455.
637
H.
Ilabenhauser Vertrag, 118.
Häfeli , Prediger an Ansgarii Kirche, Verbesserer der nie- deren Schulen , 465.
Häuser , alte Bauart derselben im Allgemeinen, nach kauf- männischen Bedürfnissen, 155. ihre grofse Sauberkeit, 156. neue Wallhäuser zeichnen sich durch Regelmäfsigkeit aus, 156.
Hafen von Vegesack , Geschichte
desselben, 540. Handel, 377 ff. Zweige desselben,
385. Hindernisse desselben und
was für den Handel gethan
werden mufs, 403 ff. Handelsschule , ein Zweig der
Hauptschule , 474. Hannovers Occupation durch
die Preussen veranlafst die
Blockade der Weser und
Elbe, 603. Handwerker , Würde derselben,
o2ö»
Hanse , 33. Bremen in dersel- ben, 35. vergl. mit 589. aus- gestofsen, 49. 63. 70.
Hansestädte (die) treten näher zusammen, 604. freie Hanse- städte, 605.
Hardenberg ( Alb. ) veranlafst Religionsunruhen, 112 fg. die von unberechneten Folgen waren, 114.
Haren (Joh. von), 52.
Hartwich der Zweite wird ge- ächtet und bringt den Bann über die Stadt, 23. seine Ge-
beine ruhen in der Ansgarii- kirche, 273.
Hase, Gebrüder, 443.
Hauptschule, 473.
Heerdenthor, gewöhnlichHeeren- thor genannt , 225.
Heger (H. W. J. ), ein sehr würdiger Jugendlehrer , 470.
Heineken (Chr. Abr. ), Bürger- meister, tiefer Kenner der va- terländischen Geschichte, 457.
Heinrich der Löwe behandelt die Stadt feindselig, 14.
Hennink de Hahn , ein Bremi- sches literarisches Produkt. 451.
Heringsfischerei , 38S. Hexen werden verbrannt , 321. 336.
Heymanns geschmackvolles Wohnhaus zu St. Magnus, 578. 581.
Hildebold , Erzbischof , mufs der Kraft und Festigkeit der Bre- mer-Bürger nachgeben, 29.
Hildesheimer Kreistags - Bera- tung , 602.
Hodgkin der reisende Engländer wird abgefertigt , 362 f.
Holländer sind Kolonisten , 527. Jus Hollandicum, 527. 529.
Hollerland, seine Anmuth, 560.
Hollmann (Joh.), Seeräuber, 49. 51. sein Ende, 53.
Horn, diese Landgemeinde hat sich auch zu einer gemein- schaftlich evangelischen ver- einigt, 628.
638
Hulpe (St.), ein wichtiger Bremer Heiliger, 304.
Hundert und Vier, 87. diese Faction wird immer furcht- barer, 91. das Ende ihrer Herrschaft , 99. heilsame Fol- gen , die daraus hervorgingen, 100 ff. 594.
I (J).
Idistavisische (das) Schlachtfeld wird irrig in die Gegend von Vegesack verlegt, 545.
Iken (Conr.), 441.
Ilsabeen ( St. ) , Gasthaus , 306.
Immediatät der Stadt, Streitig- keit darüber, 116. endliche Entscheidung, 125.
Inschriften (alte) auf Glocken, 161. auf dem Rathhause , 169. im Weinkeller, 176- am Ro- land , 181 , ehemalige am Schütting, 196. am Oster- thore, 223. am Heerdenthore, 225. Ansgariithore , 227. Do- venthore , 228. Stephanithors- brücke , 228. merkwürdige des Seniors Friedr. Schulte im Dom, 250. auf der grofsen Glocke in U. L. F. Kirche, 259. auf A. v. Gröpelingen in der Ansgariikirche, 272. auf Friedr. Ad. Lampe, 272. am St. Stephanikirchthurm, 275.
Insula Bremensis , bedeutet das Werderland, 525.
Johann von der Tvver, der treu- lose Bürgermeister, 50. erhält seiuen Lohn.
Johann von Minden, der un- würdige Schwiegersohn Vas- mers, 68.
Johanniskloster . Jürgen ( St. ) , älteste, 304.
294.
Gasthaus
das
K,
Kaltau , Marktvogt , stand mit dem Teufel im Bunde , 337.
Kanalanlagen, 539.
Kanonen ( die ersten ) werden im Jahre 1448 zur Verteidi- gung der Stadt gegossen, 160. mehrere gofs man zur Zeit des SchmalkaldischenKrieges,160.
Kapff (Hermann von), ein Bre- mischer Freiwilliger , fällt bei St. Amand , 352 f.
Kasals - Brüder , eine Waffen- brüdergesellschaft, 41. Aus- gelassenheit derselben, ihr Ende, 42.
Katholiken, ihnen wird eine Kirche angewiesen , 414. Sammlung für ihre kirch- lichen Bedürfnisse, 628.
Kirchen , 234. Bau der ersten Kirche in Bremen, 9. alle zeichnen sich wenig durch Bauart aus, 299.
Kirchhof bei der St. Michaelis- kirche vor dem Doventhore, 280.
Kirchliche Verfassung , 410.
Kleidung, alte Tracht, 340.
Klöster, 285. und Klostergeist- liche, beschränkt und im Inter- esse des Staats , 292.
639
Kloster (das schwarze) wird zum Gymnasium eingerichtet, 293-
Klosterkirche, 234. 297. ist jezt dem katholischen Gottes- dienste eingeräumt, 299-
Klugkist (Dr.), Conr., 446.
Königsmark (Graf), schwedi- scher Statthalter der Herzog- thümer Bremen und Verden, befehdet die Stadt , 116. Fol- gen davon, 117.
Königsvögte und ihre Gewalt, 12.
Körperlichkeit der Einwohner, 373.
Kollecten, was darunter ver- standen wird , 627.
Kongrefs (der Wiener), 611.
Kontributionen ; auch die Hanse- städte bekommen einen An- theilan der Rückzahlung, 612.
Konvent, Bürgerkonvent, Be- stimmung in der neuen Ein- tracht , 595 fg. neue Anord- nung zur bessern Einrichtung desselben, 135. 136. 138. besonderer Frühlingskonvent, 597. allgemeineBerichtigungen darüber, 615 ff.
Krankenhaus, 311. vergl. 621.
Krefting (H.), ein ausgezeichneter Bürger Bremens in mehreren Verhältnissen, 437.
Kreuzzüge , Antheil der Erz- bischöfe daran und Folgen davon , 20. 21. Enthusiasmus dafür, 527.
Kreuzzug gegen die Stedinger, 28.
Kriege mit dem Domdechant Moriz, 43. mit dem Grafen
von Hoya, 45. gegen die Butjadinger. 55- mit dem Herzog von Braunschweig Lü- neburg, 55. mit den friesi- schen Seeräubern, 55» 57. mit dem Grafen von Olden- burg , 56. mit den Rüstrin- gern, 59. mit Philipp dem Gütigen von Burgund , 74. gegen den Grafen Gerhard von Oldenburg , 74- die gröfsie Niederlage in diesem Kriege, 75- mit Junker Balthasar von Esens und Witmund , 104. mit den Holländern , 392.
Kundige Rolle , 32-
Kunst in Bremen , 483.
Kunststrafsen durchs Gebiet der Stadt führend , 53S. 56'0.
Kurzrockischer Vergleich, 122 bis 124.
L.
Lachse , Weserlachse , Tradi- tion davon, 388.
Lage der Stadt Bremen , 7.
Lampe, Fr. Ad. , ein berühmtes Kirchenlicht. 272. 444.
Lampe ( H. ) , Bürgermeister, kräftiger Schulreformator, 468.
Lanzenfest in Bremen gefeiert, 251.
Lappenberg (S. C), zulezt Prediger in Leesum , 450.
Legat, der päpstliche Kardinal Bischof von Gurk, erhält grofse Ehre in Bremen, 190. Raimund, 287-
640
Leipziger Schlacht führt Bre- mens Befreiung vom franzö- sischen Joche herbei, 129- jährliche feierliche Begehung des Tages, 187.
Lesmona ( Lesum ) , Vergleich von , 572. Stammsitz uralter Grafen und Lieblingsaufent- halt des Erzbischofs Adalbert, 572.
Lesum (die), 569. schöne Parthien an den Ufern dieses Flusses, 555. 580. Dorf, 569.
Liebfrauenkirche , 258.
Lieder (alte), 184.
Liemarus (Erzbischof), 14-
Lilienthal, 562-
Löschanstalten, 410.
Lösekanne (Burchhard), Aelter- mann , 121. 123. Berichtigung, 592.
Lutherische Petrigemeinde, 412. zählt mehr als die Hälfte der Gesammteinwohner Bremens, 413. ihre innere Einrichtung, ebend.
M.
Magd (die unerschrockene), 273.
Magnus (St.), 572. Dorf und liebliche Gegend nach ihm benannt, 556. 572.
Mahlzeiten und Schmause (öf- fentliche) , 364.
Maler (frühere), 484. noch le- bende , 486 f.
Mannhaus (das alte), 309.
Maria, Herrin von Jever, sucht und erhält Hülfe vom Rathe, 106.
Markt, 163. Marsch, 4. Martinikirche, 261- Medailleur Blum. 485. Meierrecht, 527, 529. Aufhe- bung, 531.
Michaelis- (St.) Kirche, 279. wird von Betrunkenen nieder- gerissen, 280.
Milde Stiftungen, 303.
Ministerium , Einrichtung und Geschäfte, 415.
Mitleid, spielt in Bremen eine wichtige Rolle, 371.
Molanus, Schulvorsteher, 427. Moore, 5.
Morgensprachen, 505-
Moritz Graf von Oldenburg, Domdechant ; sein Gegner Gottfried Graf von Arens- berg; ihre blutige Fehde, 43. während welcher eine Pest die Stadt verödet, 44.
Münzbruch (Gust. Ad.) , ein frecher Mörder , 334.
Münzer, eines Falschmünzers schreckliche Strafe , 323. 333-
Museum , 196 — 209. Stifter, 457. Geschichte desselben, ebend. Einflufs auf das Pu- blicum , 459.
Museum (das alte), ein Gast- hof, 199.
Musik und ihre Beförderer, 488 ff. die neuesten ausge- zeichneten Künstler. 490 f. musikalische Zirkel, 376.
641
N.
Napoleon, begünstigte die Stadt bis zur Einführung seines Con- tinentalsystems , 127. nimmt Bremen in Besitz und macht es zum Hauptorte des Departements der Weser- mündung , 128.
Natur des Bodens im Gebiete Bremens , 534.
Navigationsschule , 464. ging nach einem Jahre wieder ein, 476. Einleitung zur Er- neuerung, 471.
Neustadt , 515 ff.
Neutralität der Stadt wird von den Franzosen mehr respec- tirt als von den Allürten , 603.
Nicolai (St.) , Wittwenhaus, 309.
Niederlande , wichtige Bolle derselben in Bremens Literär- geschichte, 420.
Nonnen (Nie), 445. Nonnenkloster zu St. Stephani, 620.
November (der sechste), Tag der Wiedergeburt , 612.
o.
Obergericht, 505- 629. Oelrichs (Gern.), Sammler der
Bremischen Gesetzbücher,456. Opposition im Staate, 139. Otto , Herzog von Braunschweig,
will die Vogtei in Bremen
wieder herstellen, 15. Otto, Kaiser, begünstigt den
Erzbischof Adaidagus sehr,
zum grofsen Vorth eil der
Stadt, 13 ff.
P.
Pädagogium, 424 ff Martini gab ihm die bis 1764 bestan- dene Einrichtung, 437. be- deutende Abänderung mit der ganzen Anstalt, 467.
Palatium, Sitz der alten Bi- schöfe, wird in der neuesten Zeit das Stadthaus, 193.
Patriciat, ursprünglich keines in Bremen, 16. es bildet sich eins, wird aber nie zu einem Geschlechterregimente , 37.
Pauli- (St.) Kirche in der Neu- stadt, 275.
Paulsberg mit Vasmers Denk- mahl , 72. vergl. 590.
Paulskloster (St.), 235. wird zerstört, 288.
Pest, 44.
Petri (St.) Waisenhaus, 312.
Petri ( St. ) , Wittwenhaus , 310.
Phabiranum des Ptolomäus, 7.
Post (Hermann von), erster Ar- chivar, eine der vornehmsten Zierden Bremens , 447 f. von Seiten des Kopfes wie des Herzens höchst schätzbar, 449.
Praeses Collegii (der Aelter- leute), 141. vergl. mit 618.
Probst (Jac. ), Prediger an TL L. F., ein Verfechter der guten Sache gegen die Faction der Hundert und Vier, 92. lafst sich zu einem Gewalt- streich gegen den Dom ver- leiten, 93.
Pröven (der), die Präbende zu St. Remberti, 278. eine Berichtigung darüber, 620.
81
642
R.
Rastädter Kongrefs, 602.
Rath (der): frühere Einrich- tung, 36- Bestimmung auf Sechs und Dreifsig, 40. 41. auf Vier und Zwanzig, 73. sitzender Rath , 40. man zählt über hundert Rathsglieder, 47. der Rath wird von der Bürger- schaft oft zu verderblichen Schritten gezwungen, 45. 46- "Widerspenstigkeit der grande Compagaie, 48- bessere Ein- richtung, 62- üble Stimmung der Bürgerschaft gegen den- selben , 63. der neue Rath, 62. Entweichung des alten, 62. und Verfügung gegen die Zurückgebliebenen, 64. Fe- stigkeit in den Unruhen der Hundert und Vier, 90. ent- weicht aber doch nach Beder- kesa , 94. glänzende Rück- kehr, 99. ist reformirt bis ins neunzehnte Jahrhundert, 115. Zwistigkeiten mit den Aelterieuten , 122 ff. neues Statut über die Rathswahlen, 132. vergl. 590. 615.
Rathhaus, 163.
Redlichkeit und Treue des Bre- mer Kaufmanns, 366.
Reform der Verfassung , 130. hierüber s. die Berichtigun- gen, 594.
Reformation der Kirche, 75. Energische Maasregeln des Raths zu deren Einführung, 76. Keinr. Möller v. Zütphen, 590. sie ändert die politischen Ver- hältnisse der Stadt, 115.
Regensburger Reichsdeputation von 1802 entledigt Bremen von drückenden Verhältnis- sen, 127. und rundet sein Gebiet, 533. sichert seine Selbsständigkeit , 603.
Reichsachtserklärung wegen der Elsflether ZoUgeschichte, 146- Aufhebung derselben nach dar- gebrachten Opfern , 147.
Reichsunmittelbarkeit endlich entschieden , 125.
Reiselust der Bremer, 365.
Religionsunruhen in Bremen,ver- anlafst durch Hardenberg, 112»
Religiosität (ächte), 350.
Reliquien und Alterthümer des Doms , s. Dom.
Rembertikirche (St.) in der Vor- stadt, 276. ein Hospital für Aussätzige , 276.
Rembertus, der fünfte Bischof von Bremen , 276.
Renner (L. T. ), Stadtvogt, Verfasser von Hennink de Han, 451.
Rescript Georgs IL, 125. Be- richtigung dieses Ausdrucks, 593.
Revision ( letzte ) der Verfas- sung , 613.
Revolution (französische), Ein- flufs derselben auf die Aus- bildung der Verhältnisse zwi- schen Senat und Bürgerschaft, 598. 600.
Rheder-Kasse , ist gleichbedeu- tend mit Staatskasse, 596.
Rheinbund Napoleons , woran
643
Bremen sich nicht ange- schlossen, 610.
Rheinischer Städtebund ; auch Bremen gehörte dazu, 589.
Riga wird von Bremern gegrün- det, 22.
Rixa Gräfin von Delmenhorst verwendet sich vergebens für Vasmer, 66.
Roland, 178- und 619. Bedeu- tung dieser Bildsäule , die ehemals hölzerne wird von Aufrührern verbrannt, 51- Volksglaube , 186. seine Er- haltung in der Franzosenzeit, 620.
Rolle ( die kundige ) , Samm- lung von Polizeivorschriften, 502.
Roller (Joh. Nie.) , Vorarbeiter für Bremens Geschichte, 456.
Rolves (Wulbern) , einer der Hauptwortführer unter der Faction der Hundert und Vier , 95- er entgeht der Strafe, 103.
Rose (die), das Allerheiligste des Bremer Weinkellers, 176. 619.
Rotermund (Dr.), Dompredi- ger, sein Lexicon Bremischer Gelehrten, 441. 444.
Rotermund Harger , ein kühner Bremischer Schiffscapitän , 392 ff.
Rudolph von Bardewisch , 80. veranlafst Unruhen wegen sei- ner Ansprüche an die Bürger- viehweide, 81. sein Tod, 84. Vergeltung, 102.
Rump , noch lebender Profes- sor, schildert die erneuerte Einrichtung des Pädagogii-, 468.
S.
Schauspiel , s. Theater. Schau- spielhaus, 224.
Schiffe ( Zahl der jährlich ein- laufenden), 400.
Schiffbau in Vegesack , 541. St. Magnus, 579.
Schmalkaldischer Bund , Bremen in demselben, 10S- geräth da- durch oft ins Gedränge, 109 ff.
Schneidergesellen- Aufruhr, 126- er war nicht das Merkwür- digste unter den Ereignissen seit dem siebenjährigen Krie- ge, 594.
Schönebeck, 583«
Schofs , eine Vermögenssteuer, 352. vergl. darüber 626. der dem Rathe verweigerte Schofs veranlafst viele nUnfug vonsei- ten der grande Compagnie, 48.
Schütting, 195. Versammlungs- haus der Aelterleute; sie müssen ihn den Hundert und Vieren einräumen , 91.
Schützen - Compagnie, 331.
Schützenschiefsen , 330.
Schulden, 50S. nicht Eine, son- dern Vier Millionen , 630.
Schuldentilgungsanstalt , 513«
Schulen , 416 ff. sie fallen mit der Einführung der Reforma- tion zusammen , 424. um- ständlichere Erwähnung, 462. intendirte Fraiizösirung der- selben , 472-
644
Schullehrerseminar , 471.
See - Abentheuer Bremischer Schiffe , 389 ff.
Seefahrthaus, 310.
Seeräuber , Hinrichtung von achtzig, 323.
Senat , seine gegenwärtige Ein- richtung und Ansehen, 131. 614.
Senior der Aelterleute , 141. vergl. mit 618.
Siebenjähriger Krieg , beein- trächtigt die Stadt trotz ihrer Neutralität, 125. 597.
Sitten und Sittlichkeit, 320.
Smidt (D-)? ausgezeichnet durch unermüdliche Thätig- keit im Gemeinwesen , 447.
Smidt (Joh. ), Bemühung um die Aufhebung des Elsfiether Zolls, 148.
Sommeraufenthalt auf dem Lan- de , 547.
Speckhahn (Statius), 117. Bürgermeister, Verräther der Stadt, 590.
Sperrung der Elbe und Weser für die -englische Schifffahrt, 602.
Sprache ( die plattdeutsche ) ist national, 372.
Spy, the german, würde Bre- men jezt anders rinden , als vor hundert Jahren , 360-
Staatsanleihen ( gezwungene ), 607.
Staatseinnahmen, 510. Staatshaiishaltung , 506.
Staatsobligationen , 609. werden nach und nach getilgt, 608.
Stader Vergleich von 1741, 125.
Stadt , schönster Theil dersel- ben, 226.
Stadtbuch , Sammlung der älte- sten Gesetze, 501.
Stadtgebiet, 524. theilt sich in zwei ungleiche Häiffcen, 532. 552. neueste Abrundung des- selben, 533.
Stadthaus, aus dem Palatiuni hervorgegangen, 194.
Stadtrecht, das erste, 31. und 589.
Stadtvogt oder Advocatus Ar- chiepiscopi , hält das Halsge- richt , 166.
Städte (älteste) in Norddeutsch- land , 10. Bremen , 19.
Statutenbuch , das erste , 31.
Steel inger Krieg , erweitert das Gebiet und die Rechte der Stadt, 26. Veranlassung dazu, 28. Fest wegen ihrer Eesie- gving, 264.
Stephanistadt , früherhin ge- trennt, 97. 188. Kirche, 273.
Stift Bremen , 8.
Stipendien, 629.
Sueno , König von Dänemark, wurde bei Vegesack gefangen, 545.
Sybeth, der Seeräuber, 74.
Stolz (Dr.), Prediger an St. Martini, zur Erinnerung an ihn, 362.
Strafen , Leib - und Lebens- strafen, 332. 343.
645
T.
Tafel oder alte Eintracht setzt den alten Rath wieder in seine vorige Rechte , 73.
Taufe ; die Bremer Taufe , grofse Niederlage , 75.
Tettenborn und die Kosacken vor Bremen , 128.
— Ueberbringer des Schreibens Alexanders , nach welchem die alte Ordnung wieder her- gestellt werden sollte , 612.
Theater, 494. 501.
Thürme (mehrere), zur Befe- stigung der Stadt gehörig, 159.
Thurm der Ansgariikirche ist einer der schönsten inNieder- Sachsen und dreihundert vier und zwanzig Fufs hoch, 269.
Tiling (Eberb.), Prof. und thä- tiger Mitarbeiter am Bremi- schen Idiotikon, 629.
Timann , Prediger an Martini, seine theologische Spitzfindig-
k keit über die Ubiquität, 113-
t 428.
Tiphoiken,eine charakteristische Frauenkleidung , 340.
Tonnen zur Sicherung der Flufsschifffahrt , 384.
Trupen, Aleke, eine wohlthätige Bürgerin , 355.
Tullier, französischer Comman- dant in Bremen , 128- wird erschossen und die Stadt be- freit, 129.
Turniere in Bremen, 188.
Tvver (Job. von der), 50 ff.
u.
Ubiquitatsstreitigkeiten hatten ihren Heerd zu Bremen, 428.
Umgebungen von Bremen , 546.
Union, ihre glückliche Wirkung auf Geist und Gesinnung kaufmännischer Jünglinge, 374.
Unruhen in der Stadt, 77. we- gen der Viehweide , 80 ff.
Unterricht (öffentlicher), lezte Verbesserung desselben, 472 ff.
Unternehmung ( Handels-) , er- ste nach Nordamerika verun- glückt, 400. neuere desto er- giebiger, 400-
Ursprung der Stadt Bremen , 7.
V.
Vasmer (Joh.), Vermittler un- ter den friesischen Häuptlin- gen, 62. vergebliches Bemü- hen , den neuen und alten Rath wieder zu versöhnen, 65, sein trauriges Schicksal und Ende, 66 ff. Vasmers Kreuz wird noch erhalten , 259.
Vasmer (Heinr.) , der Vergelter des seinem Vater erwiesenen Unrechts, 70.
Vasmer (Hermann), der lezte des Geschlechts , starb als Bürgermeister, 72. vergl. aber 590.
Vegesack , 540- 557. Bestim- mung darüber durch den Sta- der Vergleich, 125-540. durch den Regensburger Reichsde- putalionsschlufs , 127. 533. Amt, 505. 511. neue Kirche,
646
543- erste Vereinigung zu einer evangelischen Kirche bei uns , 543. Roth der Bota- niker, 544.
Veits Kirche, 284-
Vereinigung der protestantischen Confessionen , 270. 628-
Verfassung der Stadt , Reform derselben, 130. darüber ver- gleiche man : practische Aus- bildung derselben, 594. und 613- als Berichtigung.
Verfügung zum Besten des Han- dels , 399.
Verhältnisse zwischen Senat und Bürgerschaft, bilden sich vol- lends aus gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts , 597 fg.
Verwandtschafts - Grade , Aus- schliefsung einiger, 133. Be- richtigung derselben, 615«
Viehweide , Schenkung dersel- ben, 20- gibt zu schreckli- chen Unruhen Anlafs , 78. 93. 96.
Vieland, Kamensableitung, 576- Vierziger, ihre Wahl zur Aus- gleichung der Streitigkeit über die Viehweide , 85. sie ma- chen sich eine Parthei von Kundert und Vieren, 85. Vitalianer, oder die Vitaljen- Brüder fiuden ihr Widersa- cher an den Bremern, 383. Vögte (bischöfliche ) , sind lie- ber , als die weltlichen oder die Königsvögte , 15. Be- schränkung derselben, 29. Volksschulen (niedere), 476 Vorschule, ein Theil der Hauptschule , 473.
Vorurtheile des Auslandes ge- gen das gesellschaftliche We- sen der Bremer, 359.
w.
Waarenbank in der Kandelskrise
von 1799 , 401. Wachmann (Joh.), d. j. vertritt
die Rechte Bremens mit Glück,
440.
Waffenthaten der Bremer, 392.
Wagner (Dr. Elard.), 445.
Wahl der Senatoren, neues Statut darüber, 132.
Wahrzeichen von Bremen , 167.
Waisenhaus St. Petri , 312.
Waisenhaus (reformirtes) , 315.
Waisenhäuser , Lieblinge der Bremer, 313. 626.
Wall , 209 ff.
Wall (der alte), 220.
Wallfahrt (kurze), woher der Name , 304.
Walllisch (Balaena Boops) , aufs Land geworfen , Verhandlung deshalb mit Hannover, 173. sein Gerippe im Museum, 207.
Watt, was es heifse , 9.
W ehrstand ( alter ) , 328 ff. neuer , 404»
Weinkeller ( Raths- ) 175.
Wenzel, bestätigt die Privilegien der Stadt , 55.
Weser, ihr linkes Ufer bietet besonders unterhalb der Stadt interessante Parthien, 553. auf dem rechten oberhalb und unterhalb der Stadt sind eben- falls Vergnügungsörter, 554.
647
Weserzollstreitigkeiten , s. Els- fleth.
Westphälischer Friede , Wir- kung davon auf die kleinern Reichsstände und auch auf Bremen, 119.
Wienholt (A.), gründlicher Arzt , Stifter und Pfleger des Museums , 457.
Wigmodiagau, 569.
Willehad , erster Bischof von Bremen, 9. 281. Willehade Kirche, 234. 281. abgebro- chen, 283.
Wilkens (P.), ein Biedermann, 458.
Wrillerich (Bischof), erbaut die erste steinerne Kirche des Doms , 235.
Wilson (Hermann) , ein muthi- ger Schiffer ( er hiefs aber Wulsen, 628.)? s- Abentheuer mit einem Dünkircher Kaper, 395- mit französischen Kapern, 396. mit türkischen Schiffen, 397.
Wittheit , Bedeutung dieses Worts, 132. 164. vergl. aber 618. die Berichtigung; diese alte Bezeichnung der Regie- rungsbehörde ist abgeschafft, 614.
Wittwenkassen , deren eine Men- ge, 620.
Wörterbuch ( Bremisch-Nieder- sächsisches ) , herausgegeben von der deutschen Gesellschaft in Bremen , 450.
Woltke, Wöltken, (Heine), ein braver Patriote , 97. Tod vor Esens, 107.
Wrangel, der schwedische Ge- neral, beginnt Feindseligkeiten gegen die Stadt, 118.
Wriesberg, Kaiser Karls des Fünften Feldherr, belagert Bremen, 109. und abermals, 111. vergeblich.
Wulsen , s. unter Wilson.
Wümme , Gränzflufs , 562- 569.
z.
Zauberei , Glaube daran und Bestrafung, 322.
Zeit (neue), 344.
Zesterfleth (des Domdechanten) Beschuldigung des Erzbischofs Alberl, 55«
Zinsen aus der Franzosenzeit werden nachbezahlt, 609.
Zirkel ( gesellschaftliche ) , 375.
Zünfte , Unzufriedenheit der- selben über die Vorzüge der Aelterleute , 87 ff.
Zütphen (Heinr. Möller von), der Augustiner Mönch, pre- digt zuerst die evangelische Lehre in der Ansgariikirche, 75. 590. stirbt den Märtyrer- tod, 76.
Zug der Bremer nach Gallicien und Lissabon , 14-
Zwinger, ursprünglich drei, 158. der am Osterthore , 222.
Zwitterschaft (vorgebliche) des Erzbischofs Albert, 55.
648
D r u c k f e h 1 e r.
S. 31- Z. 8- von unten, statt Ordalien 1. Ordeele (Rechtssprüche).
— 75- muss 57- heissen.
— 128- Z. 4- st- UnterwesermündUngen 1. Wesermündungen.
— 148- - 7- — Smith 1. Smidt.
— 516. - 10. von oben , st. Achenburg lies Aschenburg.
— 521- - 16. - — — Wehre 1- Weser. _ 532. - - Lese 1- Lehe-
— 532. - 2. — unten — Werst 1. Warf.
— 533- - 1. —oben — Lit 1. Lith.
— 533- - 13. — — — Voltmershausen l. Woltmershausen.
— 534- - 9- — — — dem Untergerichte 1. den Untergerichten.
— 534- - 8. — unten — Kriminalverwaltung l.Kommunalverwaltung.
— 537- 9- — oben — Beschiffung 1. Befischung.
— 545- - 13« — — — idistavische 1- idistavisische-
— 550- - 4- — unten — grossen L gewissen.
— 551- - 8. — oben das erste und fällt weg-
— 554- * 7- —unten st. Kohrmannsche 1. Kehrmannsche-
— 556- - 9- — oben — Pralinen 1- Prahmen-
~ 560- - 2- — — — Lehmhorst 1- Lehnhorst.
— — _ — _ — •— Hohnforst 1- Hahnhorst- ______ _ _ Heltforst 1- Holthorst-
— — -19- — — — Kleineres 1. Klüvers.
— 561- - II- — — — Hadenberg I. Hodenberg-
— 564- - 14- — — — gesichert, bequemer 1- zu sichernbegonnen.
— 569- - 1. — — — Wigmodungau 1. Wigmodiagau- -571- - 2- —unten— Volda 1- Wolda-
— 572- - 14 — oben — Hafen 1- Höfen-
— 573- - 7- — — nach viel muss ein Komma stehen.
— 573« - 17. — — st- Henizberg 1- Heinzberg.
— 574- - 3- — unten — erst 1- jetzt-
— 576- - 2- der Note v- oben statt am lies vom-
— 5S0- - 4- — — — — — nier L hier-
— 600- - 14- v. unten st- herrschenden Creditansichten lies hcjri»
sehende Creditansicht.
— 607- - 10. v. unten st- wurde h wurden.
— 612- - 11. — oben — accedirten 1. accedirt-
— 614- - 15- — — — der 1. den.
— — - 17- — — — Richterstelle 1- Richterstellen.
— — - 19- — — — Berathungen 1- Berathung.
— 615- - 9- — — — desselben 1- des Senats.
— — - 22- nach Schwiegervaters ist hinzuzusetzen : Stiefsohnes oder
Stiefvaters.
— 616- - 15- v. oben st- zeigte lies zeigten.
— 625. - 24- — — — Ausgaben 1. Ausgabe-
— — - — — — — dieselben 1- dieselbe-
— 626- - 12. — — — Vorbeugung l- Verminderung-
— 630- - 3- — — — dürfte l« wird.
Buchdruckerei von Heinr. Wilnians u. Naumann in Frankfurt a. M.
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