B 3 9015 00212 955 2 University of Michigan BUHR

Arbeiten

aus dem

~ NEUROLOGISCHEN INSTITUTE

(österr. interakademisches Zentralinstitut for Hirnforschung)

an der Wiener Universität.

Begründet von Hofrat Prof. Dr. Heinrich Obersteiner +

fortgeführt von

Prof. Dr. Otto Marburg. XXXI. Band.

Mit 69 Abbildungen im Text und 10 Tafeln.

Leipzig und Wien. FRANZ DEUTICKE. 1929.

Verlags-Nr. 3287.

Maszsche Buchdrackerei, Wien IX. 2315

Inhaltsverzeichnis.

Usawa, T., Zur Frage der Konstitution des Glioms. Mit 5 Abbildungen .

Yaskin, J. C., Über Entwicklungsanomalien von Kleinhirnembryonen als Grund- lage pathologischer Bildungen. Mit 8 Abbildungen

Yaskin, J. C., Zur Frage der (iefäßschädigungen bei Hirntumoren. Mit 3 Ab- bildungen : :

Uchida, K, Pathologisch- anatomisch Untersuchungen a: an Gehirnen nach Urämie. Mit 6 Abbildungen

Auersperg, A., Beobachtungen am ` menschlichen Plexus chorioideus der Seiten- ventrikel. Mit 16 Abbildungen

Nishii, B., Uber Ganglienzelleinschlüsse und Korndegenertionen bei Encephalitis

lethargica . Hazama, T., Über dia bulbäre "Lokalisation von Atemstörungen. Mit 3 Ab-

bildungen ;

Ishikawa, E., Weitere Untersuchungen über die “Lokalisation “der Zentren für den Uter us

Nishii. B., Zur Kenntnis ‘der diffusen Sarkomatose des Nervensystems, Mit 6 Ab- bildungen .

Deutsch, H., Die Veränderungen dės Corpus geniculatum ern bei tabischer Optikusatrophie. Mit 6 Abbildungen und 10 Tafeln

Nishii, B., Untersuchungen über das Vorkommen von we und minute bodies“ bei der multiplen Sklerose .

Nielsen, J., Zur Pathologie der Dystrophia müsculorim jrogresaivá (Rücker markbefunde)

Tara, K., Zur Kenntnis der senilen multiplen Sklerose. “Mit 8 Abbildungen

Kurosawa, T., Über die Grundlagen der nervösen Cee bei der Osteo- malazie. Mit 7 Abbildungen A

Tsiminakis Y., Über die Anordnung der ` Ganglienzellen im Vorderhorn der Lumbalanschwellung. Mit 1 Abbildung

96

. 110

. 116

. 129

. 163

. 158 . 163

. 173

. 188

Zur Frage der Konstitution des Glioms.

Von Takeshi Usawa, Tokio (Japan).

Mit 5 Abbildungen.

Es geht nicht an, einen Tumor lediglich aus seiner Konstitution erklären zu wollen. Es gehören dazu alle jene Momente, welche charakteristisch sind, um ein als Tumor bezeichnetes Gebilde in die richtige Gruppe einzureihen. Das ist zunächst neben der Konstitution zellige Elemente das Wachstum, das Verhalten der Blutgefäße, die Frage, ob er singulär oder multipel aufzu- treten pflegt, die eventuelle Metastasierung und besonders das Verhalten der Umgebung gegenüber. Bei der Einteilung der Tumoren, besonders des Glioms, wird diesen Momenten viel zu wenig Rechnung getragen und ınan geht immer nur darauf aus, bestimmte Zellgruppen zu finden und aus ihnen dann die Gliome zu differenzieren. Man darf aber nicht vergessen, daß die Gliazellen nicht nur abhängig sind von ihrer Entwicklung, sondern daß sie auch in den Tumoren ihren verschiedenen Funktionen dienen können. Auch weiß man, daß infolge verschiedener vaskulärer Einflüsse die Trophik des Tumors in mannigfacher Weise beeinflußt wird, so daß auch diese dystrophischen Störungen mit ins Kalkül gezogen werden müssen, wenn man die zellige Zusammensetzung eines Tumors studiert.

Ich will deshalb im folgenden eine Reihe von Gliomen genau unter- suchen, um zu zeigen, welchen Momenten ınan Beachtung schenken muß, um die Konstitution eines Glioms richtig abzuschätzen.

Ich habe dabei nicht nur die gewöhnlichen Färbemethoden angewendet, sondern auch spezifische Gliamethode (Mallory-Pollak), dann die Binde- gewebsfärbung von Mallory, ferner die Silbermethoden, sowohl die von Bielschowsky als auch die von Rio de Hortega.

I. Fall (Nr. 3976).

Der I. Fall stammt von einer 30jährigen Frau, H. O. Die Patientin erkrankte im April 1924 zunächst mit Ziehen im rechten Arm und Schmerzen, die immer stärker wurden. Dann traten Jakson-epileptiforme Krämpfe auf, ungefähr in Inter- vallen von vier Wochen, später einer Woche, wobei die ‘Zuckungen vorwiegend die rechte Seite betrafen. Es trat eine zunehmende Rechts-Parese auf, wobei die obere Extremität stärker betroffen war wie die untere und die Sehnenreflexe außer- ordentlich lebhaft waren. Der Augenbefund ist negativ, der Ohrenbefund und Wasser- mann gleichfalls. Im Röntgenbilde zeigt sich eine Usur des linken Parietalbeines. Ohne

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd. 1

2 Takeshi Usawa.

weiter auf eine genauere klinische Untersuchung eingehen zu wollen, sei hier nur dia Diagnose wiedergegeben: Tumor der linken Hemisphäre, in der Nähe der moto- rischen Region, ungefähr der Mitte der Zentralwindung entsprechend. An dieser Stelle, und zwar mehr im Parietallappen sitzend, wurde eine Zyste gefunden mit einem sehr schlappen graubraunen Gewebe an der Basis. Man konnte nur daran gehen, einzelne Stückchen zu entfernen, die sich bei der Untersuchung als ein Gliom erwiesen.

Nach der Operation besserte sich der Zustand. Die Anfälle wurden geringer, aber die Parese blieb, wenn auch in geringerer Intensität, bestehen. Drei Monate nach der Operation trat Sprachverlust ein. Es besserte sich aber dann diese Sprachstörung wieder, ohne daß ein Eingriff vorgenommen worden wäre. Die Patientin wurde einer Röntgentiefenbestrahlung unterworfen. Sie kam dann aber im September 1926 wieder an die I. chirurgische Klinik wegen heftiger Kopfschmerzen und Erbrechen. Auch jetzt keine Stauungspapille. Sie wurde neuerdings operiert, eine mächtige Zyste ge- funden, die entleert wurde, worauf sich die Sprache mit einem Schlage besserte. Später wurde die Patientin wiederholt punktiert, da der Knochendeckel weggenommen worden war, und es trat jedesmal nach der Punktion eine Besserung auf. Die Sprach- stérung, die sich bei der Patientin ausgebildet hatte, war eigentlich mehr eine Sprach- erschwerung als eine Aphasie. Da sich der Zustand immer wieder verschlimmerte, besonders der Kopfschmerz, da die Patientin außerdem durch einen Sturz sehr ge- litten hatte, wurde neuerlich operiert und es zeigte sich bei dieser Operation eine ge- waltige Hirndrucksteigerung. Beim Einschneiden in die Zyste wird reichlich eine gelb- liche Flüssigkeit entleert, worauf das Gehirn zu pulsieren beginnt; man gelangt in cine glattwandige Höhle, ohne einen Tumor sichten zu können. Auch diese Operation hatte wieder zur Folge, daß eine Besserung im Befinden der Patientin eintrat aber nur für eine kurze Zeit. Dann bildete sich ein Prolaps aus. Es wurde immer wieder operiert, ohne daß eine dauernde Besserung zu erzielen war. Erst im Februar 1927 trat eine deutliche Verwaschenheit der Papille auf und Zunahme aller Erschei- nungen der Drucksteigerung. Man entschloß sich demzufolge, ein Gegenventil zu machen. Nach dieser Operation trat dann ein pulmonaler Prozeß auf, dem die Patientin ungefähr drei Wochen nach der Operation erlag.

Bei der Obduktion zeigte sich nun tatsächlich ein Tumor in der Nähe der moto- rischen Region und diese selbst betreffend, mit einem Durchmesser von 4:3 cm, der sehr schwer hämorrhagisch destruiert ist und nur in seiner kranialen Umrandung intaktes Tumorgewebe zeigt. Hauptsächlich liegt er im linken Stirnhirn. Dazu trat dann der Hirnprolaps, der es nicht ermöglicht, die nähere Umgebung des Tumors nach außen genauer zu begrenzen. Der Tumor wächst nach hinten in den Parietal- lappen und vergrößert die Hemisphiire gegenüber der rechten um die Hälfte, wobei er außerdem noch die Hemisphäre nach rechts verdrängt. Der Tumor hat also vom April 1924 bis März 1927 bestanden, also man kann wohl sagen drei volle Jahre. Bei seiner Beurteilung müssen wir berücksichtigen

t. die wiederholten operativen Eingriffe und Punktionen,

2. die lange Zeit durchgeführte Röntgenbestrahlung.

Die histologische Untersuchung ergibt nun folgendes:

Betrachtet man einen Schnitt aus dem Tumor, so erweist er sich als ein klassi- sches Gliom. Seine Konstitution sind typisch plasmatische Gliazellen (Abb. 1), voll ausgereift. Einzelne von ihnen zeigen einen nur geringen Plasmasaum, andere da- gegen lassen eine leichte Vermehrung des Plasmas erkennen, ohne daß die Form einer gemüsteten Zelle erreicht wird. In einzelnen sieht man zwei, auch mehrere Kerne. Es ist auffällig, daß an verschiedenen Stellen, ohne daß man einen äußeren Grund erkennen könnte, nekrotische Partien vorhanden sind, welche nekrotischen Partien stellenweise kleine zystöse Bildungen erkennen lassen. Es ist wie eine einfache Nekrose, trotzdem Gefäße an diesen Partien vorüberstreichen. Man kann in diesen zystösen Bildungen mitunter noch ein ganz abgeblaBtes Gliaretikulum mit eingestreuten kernlosen, aber auch kernhaltigen Zellen wahrnehmen. An einzelnen

Zur Frage der Konstitution des Glioms. 3

Stellen dieses Tumors man kann die Lage nicht genau feststellen, sicher aber mehr gegen die Peripherie sieht man diese Nekrose viel stärker und in diesen Partien finden sich auch mächtige plasmatische Gliazellen. Auffällig ist nur, daß diese Gliazellen keine Fibrillen bilden und daß gerade in diesem Gebiete das Glianetzwerk äußerst spärlich ist. Auch Gliarasen sieht man hier. Man kann wohl sagen, daß es sıch hier um eine ziemlich weitgehende Degeneration des Parenchyms handelt, denn man sieht zahlreiche Fragmente von Gliafibrillen neben diesen Zellen und man sieht auch zahlreiche zugrunde gegangene Gliazellen. Aber gleich daneben findet sich eine vollständig frische unveränderte Partie von Gliazellen. Inmitten dieses Gewebes nun gibt es vollständig nekrotische Inseln, die aber ein wenig anders gebaut sind als die erstgeschilderten mit Zystenbildung. Hier überwiegt das zellige Material, das homogen und eingeschmolzen erscheint, während von Fibrillen sehr wenig und das nur an

Abb. 1 (Fall I). Typisches Gliom.

der Peripherie zu sehen ist. Es ist eine Homogenisation des ganzen Gewebes. Am auffallendsten erscheinen mir die Gefäße (Abb. 2). In deren Wand findet sich nämlich eine Wucherung von Zellen, die sicherlich nicht der Glia angehören, sondern zum Teil endothelialen Charakter tragen, zum Teil wohl der Adventitia angehören mögen (Abb. 3). Dies ist nicht an allen Gefäßen zu sehen, sondern nur an einzelnen. Interessant ist auch der Übergang des Tumors in das normale Gewebe. Man sieht ein ganz allmähliches Hinübergleiten, wobei auch die Gliazellen in dem noch nor- malen Gewebe hauptsächlich plasmatische Formen erkennen lassen. Die Wand der großen Zyste besteht aus einer dicken Gliamembran, vorwiegend fibrös.

Nehmen wir nun ein Gieson-Präparat, so zeigt sich vor allem, daß das ganze Gewebe die typische Färbung der Glia angenommen hat, d. h. die Kerne sind mit Hämalaun blau gefärbt. Das kernlose Gewebe hat einen mehr gelblichen Farbton. Nur die Zellen an den Gefäßen zeigen sich rot gefärbt, eine rote Färbung, die typisch dern Bindegewebe entspricht. Hier handelt es sich entweder um eine fibrilloide oder um eine bindegewebige Umwandlung mit Homogenisation und eingestreuten epithel-

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Takeshi Usawa.

Abb. 2 (Fall I). Gefäßkonvolut.

Abb. 3 (Fall I). Vermehrung von Zellen in der Gefäßwand.

Zur Frage der Konstitution des Glioms. 5

ähnlichen Zellen. Das Gegenstück zeigt das Gliapräparat. Hier sieht man wiederum alles in typischer Gliafärbung. Nur an den Gefäßen zeigt sich eine gelbe, dem Binde- gewebe entsprechende Masse. Auch in manchen nekrotischen Partien kann man außer der Glia Körnchenzellen in einer gelblichen Masse wahrnehmen. Um ganz sicher zu gehen, daß die Gebilde an den Gefäßen bindegewebiger Natur sind, wurde auch eine Mallory-Bindegewebsfärbung vorgenommen und diese ergab nur, daß die an den Gefäßen befindlichen Zellformationen das typische Bindegewebsblau zeigen, das Korn- blumenblau, so daß an der Tatsache, daß wir es hier mit bindegewebigen Elementen zu tun haben, nichts zu ändern ist.

Bielschowsky-Präparate lassen im Innern des Tumors kaum mehr ein oder das andere Axon erkennen. Es sind auch nur die Kerne gefärbt. An einen nach Rio de Hortega gefärbten Präparat, zur Darstellung der charakteristischen Glia, kann man ebenfalls eigentlich nur die Kerne wahrnehmen, ohne daß sich hier gewisse Eigen- heiten der Glia abheben würden. Doch sieht man gerade an diesen Präparaten einzelne Axone deutlich gefärbt. Interessant ist, daß auch an diesen Präparaten an den Ge- fiiBen das Bindegewebe eine ganz andere Färbung zeigt als die Glia. Es erscheint rauchgrau gefärbt.

Wenn wir also diesen Tumor in bezug auf seine histologische Konstitu- tion beurteilen wollen, so zeigt sich ein doppeltes:

1. Er setzt sich aus protoplasmatischen, vollständig ausgereiften Glia- zellen zusammen.

2. Es finden sich neben diesen protoplasmatischen Zellen drei Gruppen von Zellen, das sind: gemästete Zellen und Gliarasen, also Elemente, wie wir sie bei Erweichungsprozessen zu sehen gewohnt sind,

3. besonders in den nekrotischen Gebieten, allerdings deutlich zu erkennen erst bei den spezifischen Gliafärbungen, Fettkörnchenzellen und

4. finden sich vollständig nekrotische Elemente, ohne jede Reaktion de Umgebung, also eine Art nekrotische Einschinelzung.

Es ist diese Art Nekrose eigentlich nicht sehr verständlich. Wir finden sie ja schon im Embryonalleben, wo sie Hochstetter in der Kommissuren- platte zuerst beschrieben hat. Auch Schaffer hat eine derartige Ein- schmelzung von Nervengewebe bei der Bildung der Hirnwindungen angenom- ınen. Es wäre nicht unmöglich, daß wir in diesen rasch sich bildenden Zellen des Tumors zu wenig Lebensenergien haben, als daß sich selbst bei normaler Ernährung die Zelle erhalten kann (Abiotrophie). Denn es ist auffällig, daß diese Nekrosen an ganz gut ernährten Stellen auftreten können, daß wir also hier einen ganz eigenartigen Prozeß vor uns haben müssen.

Ich kann diesen Prozeß kaum mit der Röntgenbehandlung in .Ver- bindung bringen, da er sich bei anderen, nicht bestrahlten Tumoren in der gleichen Weise findet. Übrigens hat Marburg kürzlich erst diese Frage berührt und gleichfalls zeigen können, daß das Auftreten mächtiger plasma- tischer Gliazellen oder Nekrosen nur in einem bedingten Zusammenhange mit der Röntgenbehandlung stehen kann.

Viel interessanter erscheint mir, daß in dem Tumor ein Teil der Gefäß- wände äußerst dünn ist, ein anderer Teil der (iefiBwinde aber eine mächtige Wucherung zeigt, in welcher sich ein mehr homogenes, in den Hortega-Präparaten aus allerfeinsten Fasern bestehendes Gewebe zeigt, mit

6 Takeshi Usawa.

eigentiimlichen Zellen in der Wand, die am ehesten als endotheliale zu bezeichnen sind, die aber zum Teil sicherlich adventitieller Natur sind.

Ich will auch dieser Frage hier nicht nähertreten, da solche Zell- massen in den Gefäßen von verschiedensten Autoren beschrieben wurden und Yaskin erst kürzlich dazu Stellung genommen hat. Es ist nur immerhin auffällig, daß wir in solchen Tumoren ein gleichzeitiges Wachstum ekto- dermaler und mesodermaler Elemente im pathologischen Sinne vor uns haben und es ist nicht unverständlich, daß es Autoren gibt, welche einen Übergang mesodermaler oder ektodermaler Elemente ineinander beobachtet haben wollen. Nur die Differentialfärbungen ermöglichen, den mesodermalen Charakter dieser Zellen festzustellen.

Als letztes Moment müssen wir noch das Wachstum des Tumors gegen das gesunde Gewebe hervorheben. Hier zeigen sich auffallend viele plasma- tische Gliaelemente. Trotzdem möchte ich nicht von einem infizierenden Wachstum sprechen, sondern eher meinen, daß der Tumor nicht nur infil- trativ, sondern auch expansiv wächst und die Gliazellen der Umgebung reaktiv verändert hat.

U. Fall (Nr. 3755).

A. L., immer gesund gewesen bis auf eine leichte gyniikologische Affektion. Mitte Dezember 1924 Zuckungen der linken Gesichtshälfte und Schwäche im linken Arm und Bein. Diese nehmen immer mehr zu und schon im Jänner 1925 tritt Be- nommenheit bis zur Bewußtlosigkeit hiezu. Auf Osmon besserte sich der Zustand. Mitte Jänner Stauungspapille Es wurde eine Jod-Quecksilber-Behandlung versucht, aber es trat darunter eine Verschlimmerung auf, so daß die Operation empfohlen wurde. Es bestand bei der Patientin eine komplette, schlaffe, linksseitige Parese, der linke Mundfazialis ist ebenfalls paretisch, Sprache und Intellekt frei, die Sehnenreflexe nicht sonderlich lebhaft, die Sensibilität ist normal.

Der Réntgenbefund zeigt keine Zeichen einer Drucksteigerung des Gehirns. Der Ohrenbefund ist ebenfalls nicht charakteristisch, spricht aber für einen hirndruck- steigernden Prozeß. Noch bevor die Patientin operiert wurde, kommt es unter zu- nehmender Herzschwäche zum Exitus.

Bei der Obduktion ergibt sich eine hypostatische Pneumonie und in der Gegend des rechten Para-Zentrallappens ein Tumor, der etwa 5 em in die Tiefe bis an den Seitenventrikel heranreicht. Im Tumor frische Blutungen. Der Tumor erwies sich als ein Gliom.

Der histologische Befund ergibt ganz analoge Verhältnisse wie im I. Falle. Der Hauptmasse nach ist der Tumor aus protoplasmatischen Gliazellen zusammen- gesetzt, die in ihrer Größe allerdings etwas wechselnd sind, aber im großen und ganzen sich ziemlich gleichmäßig erweisen... Das Interessante dabei ist, daß auch hier im Tumor Stellen typischer Nekrose zu finden sind, und zwar genau wie im I. Fall, in doppelter Weise. Zunächst eine Nekrose, bei welcher es zu einer scheinbar einfach glatten Einschmelzung der Zellen und des retikulierten Gewebes kommt, wobei keine weiteren Reaktionserscheinungen in der Umgebung zu schen sind. Dann aber zeigen sich Stellen, wo eine schwere Nekrose zu finden ist, die Zellen vollständig abgeblaßt sind und man kaum ein nennenswert intaktes Gebilde, auch an den Gefäßen nicht,’ wahrzunehmen imstande ist. Es ist nun interessant, daß ein Teil dieser Nekrose, und zwar der erstgenannte, wohl auf Ödem beruht, der andere Teil aber sicherlich nicht durch das Ödem bewirkt ist. An einzelnen Stellen in diesem Tumor treten nun, und zwar in der Nähe der größeren Nekrose, typisch plasmatische große Gliazellen auf, allerdings nicht in solcher Anzahl wie in dem anderen Falle. Was aber noch bedeu- tungsvoller ist, ist der Umstand, daß auch die Gefäße vollständig identisch sich ver-

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halten wie im I. Fall, d. h. daß an einzelnen Stellen eine mächtige Wucherung von Zellen um die Gefäße statthat (Abb. 4), Zellen, die nur zum Teil endothelialen Charakter tragen, an einzelnen Stellen sich zottenförmig um die Gefäße entwickeln. Auffällig ist, daß das Wachstum dieses Tumors nicht so infiltrativ ist wie das Wachs- tum in dem I. Falle. Nur an einzelnen Stellen ist das infiltrative Wachstum deut- lich, an anderen sieht man in der Umgebung besonders die Gefäße auffallend affi- ziert, das Gewebe 6dematés und auch hier sind plasmatische Gliazellen deutlich anzutreffen.

Schon im Gieson-Präparat kann man auch hier erkennen, daß die Gefäße, be- sonders diese zottenförmigen Bildungen an den Gefäßen, deutlich die bindegewebige Struktur erkennen lassen. Noch besser tritt das hervor an den nach Mallory gefärbten Präparaten. Die Bindegewebsfärbung ergibt hier tatsächlich, daß die Zotten ganz

Abb. 4 (Fall II). Gefäß aus dem Tumor mit Wucherung zelliger Elemente in der Wand.

aus Bindegewebe zusammengesetzt sind. Man sieht hier auch kleine Blutungen in der Nähe der Nekrose. Die Gliapräparate lassen deutlich die Konstitution des Tumors aus protoplasmatischen, im syneytialen Verbande stehenden Gliazellen er- kennen.

Im Bielschowsky-Präparat treten Besonderheiten nicht hervor, es sei denn, daß in den nekrotischen Partien ein rauchgrauer Farbton in Erscheinung tritt.

Ein nach Rio de Hortega gefärbtes Präparat läßt Einzelheiten nicht erkennen, da sich nur die Kerne gefärbt haben. Nur an den Gefäßen zeigt sich wiederum eine relativ dunkle Färbung der die Gefäße umgebenden zellulären Massen, die in einem homogenen oder feinfädigen Stroma gelegen sind. Es läßt also dieser Fall wiederum, genau» wie der erstgeschilderte, erkennen, daß das wesentlich zusammensetzende Element Spindelzellen sind, voll ausgereifte Gliazellen, daß es zwei Arten von Nekrosen in dem Tumor gibt, die eine, ohne daß irgend ein reaktives Moment zu finden wäre, die andere intensivere mit reaktiver Bildung großer protoplasmatischer Gliazellen. Und schließlich zeigt sich, daß auch hier, wenn man so sagen darf, eine

8 Takeshi Usawa.

Infektion der Gefäße statthat, die zur Bildung zottiger, an den Gefäßen befindlichen Gebilden Anlaß gibt. Das Wichtigste in diesem Falle aber ist, daß er —ohne jemals einer Röntgenbestrahlung ausgesetzt zu werden eigentlich das gleiche Bild zeigt wie der Fall, der durch die Röntgenbestrahlung geschädigt war. Was ihm fehlt, sind eigentlich nur die Zysten. :

IL Fall.

P. M., 38 Jahre alte Frau.

Seit drei Jahren Kopfschmerzen, die sich im November 1924 verstärkten und mit einer Mundfazialisparese der rechten Seite einhergingen. Außerdem -schleift die Patientin den linken Fuß beim Gehen nach.

Eine damals vorgenommene Untersuchung blieb, abgesehen von den zwei ge- nannten Symptomen, ohne Erfolg. Es wurden dann zwei Myome entfernt und erst nach dieser Operation traten heftige Kopfschmerzen und Brechreiz auf. Es ge sellte sich Bewußtlosigkeit hiezu, so daß die Patientin am 25. Jänner 1925 an die chirurgische Klinik aufgenommen werden mußte.

Die Somnolenz blieb auch an der Klinik bestehen. Die Temperatur zeigte eine Erhöhung auf 38°,

Ein neuerlicher Augenbefund ergab eine beginnende Stauungspapille und der Röntgenbefund eine leichte Steigerung des Hirndruckes.

Gegen Mitte Jänner wird die Patientin freier. Ein damals aufgenommener Augen- spiegelbefund ergab vollständig negative Verhältnisse. Die Beschwerden der Somnolenz behinderten auch die Untersuchung. Man konnte nur soviel entnehmen, daß die Re- flexe links eine Spur lebhafter waren als rechts und beiderseits Babinski bestand.

Die Patientin versank wieder in schwere Bewußtlosigkeit und starb am 25. Jänner 1925 an einer Lungenentzündung.

Bei der Obduktion fand sich ein Gliom, zum Teil nekrotisierend, zum Teil zystisch, fronto-parietal rechts. Beim Schneiden zeigte sich eine 6:5:4 cm große Höhle, in deren hinteren Wand sich ein großer Tumor vorwölbte. Die histologische Untersuchung des Tumors ergibt ganz analoge Verhältnisse, wie in den beiden erst- geschilderten Fällen, nur daß hier das nekrotische Gewebe noch viel intensiver ist als wie in den anderen Fällen. Man sieht fast durchwegs Nekrosen, die nur an der Peripherie von typischen Gliafaszikeln unterbrochen werden. Diese Glia zeigt wieder vollständig ausgereifte plasmatische Formen, nur mit dem Unterschiede, daß hier vielleicht die Zellen als Ganzes ein wenig plasmareicher sind, aber deutlich viel- körnige Elemente in sich erkennen lassen. Das Glianetzwerk tritt gegenüber den plasmatischen Zellen an einzelnen Stellen sehr zurück Auch liegen diese Zellen mitunter hart aneinander. Auffällig die vielen Nekrosen. An anderer Stelle wieder sieht man auch das Glianetzwerk deutlich und immer in der Umgebung der Nekrosen zahlreiche protoplasmatische Gliazellen vom Typus jener, wie sie in der Nähe von Erweichungen zu finden sind (Abb. 5). Man sieht in ihnen auch Vakuolen, was darauf hinweist, daß sie phagozytäre Funktionen übernommen haben. Hier ist es nicht leicht, Stellen zu finden, die den Beginn einer Nekrose anzeigen. Nur an ein- zelnen Gebieten kann man sehen, daß auch hier die Nekrose scheinbar unabhängig von Gefäßen erfolgt, indem ein Gewebsabschnitt abblaßt, seine Kerne schwinden, zu- sammensintert und dann ein grobkörniges, homogenes Gewebe bildet, in dem nur die Gefäße deutlich hervortreten. Wie schon erwähnt, ist die Umgebung dieser Gebiete reich an plasmatischen Gliazellen. An einzelnen Stellen zeigt der Tumor einen etwas anderen Charakter, indem hier die Fibrillogenese noch nicht vorhanden ist, die Zellen bipolar sind, aber sehr plasmareich. Man kann aber sehen, wie aus diesen bipolaren Zellen sich typische Astrozyten entwickeln, so daß wir annehmen müssen, daß hier stellenweise der sonst ausgereifte Tumor blastomatösen Charakter hat. Stellenweise sind sie normal, stellenweise aber findet man die gleichen Verhältnisse an den Ge fäßen, wie in den eben beschriebenen Fällen. Auffallend ist nur die große Anzahl von gemästeten Gliazellen, wie wir sie in der Umgebung von Malazien sehen. Der infiltrative Charakter dieser Geschwulst tritt deutlich hervor und wir müssen

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zugeben, daß auch in der normalen Umgebung die Glia sowohl zellulär als fibrillär eine Verdichtung zeigt.

Das Gieson-Präparat zeigt ebenso wie das Mallory-Bindegewebspriiparat nur wiederum, daß an den Gefäßen reichlich Bindegewebe vorhanden ist. Es ist nicht ohne Interesse, daß die Bindegewebsfärbung hier stellenweise den Charakter des Tumors verwischt, indem sich auch einzelne Tumorzellen dem Bindegewebe ent- sprechend färben. Ein Gliapräparat zerstreut aber vollständig die Zweifel, indem man sofort erkennt, daß hier die Zellen, welche im Bindegewebspräparat sich unklar gefärbt haben, im Gliapräparat die typische Reaktion der Glia zeigen.

Am Bielschowsky-Präparat sieht man viele Achsenzylinderbröckel wieder in den äußeren Abschnitten des Tumors. Das Hortega-Präparat vermag uns über den Charakter

Abb. 5 (Fall IHI). Plasmatische Gliazellen in der Nähe nekrotischer Partien.

der Geschwulst nicht Aufschluß zu geben, weil es sich nur um eine Färbung der Kerne handelt.

Auch dieser dritte Fall ist konform den beiden ersten ein Gliom, bei dem jedoch die Nekrosen einen sehr breiten Raum einnehmen. Die Ne- krosen sind sichtlich unabhängig von den Gefäßen, treten an verschiedensten Orten auf und erwecken dadurch den Eindruck eines pseudoalveolären Baues. Der Tumor ist der Hauptmasse nach aus reifen Gliazellen zusammen- gesetzt, protoplasmatischer Natur. Daneben zeigen sich aber typische blasto- matöse Zellen ohne jede Fibrillogenese, aber ganz anders wie die embryo- nale Zelle in bezug auf den Plasmahof. Es zeigen sich ferner hier, besonders in der Umgebung der Nekroseherde, große plasmatische Glia- zellen, welche große plasmatische Gliazellen ganz den Charakter jener haben, wie sie in der Umgebung von Malazien zu finden sind.

10 Takeshi Usawa.

Bezüglich der Gefäße bedarf es keiner besonderen Hervorhebung mehr, da sie vollständig analog jenen sind, die in den ersten beiden Fällen be- schrieben wurden.

Es ist nicht ohne Interesse hervorzuheben, daß die Gliazellen stellen- weise Bindegewebsfärbung nach Mallory geben und daß bei der Infiltra- tion in das gesunde Gewebe die Umgebung deutlich eine reaktive Glia- proliferation erkennen läßt.

Ich habe diese drei nahezu vollständig analogen Fälle von Gliom deswegen zusammengestellt, weil sie zeigen, daß es gewisse Formen von Gliom gibt, die im Grunde genommen ganz gleichartig gebaut sind. Ich könnte aus den Sammlungen des Institutes noch eine ganze Reihe solcher Fälle zusammenstellen, die alle uniform gebaut sind. Ich brauche nur auf die kürzlich erfolgte Publikation von Marburg und von Yaskin verweisen, die analoge Fälle beschreiben.

Wovon hängt nun die Konstitution eines Glioms ab? Darauf kann man nur erwidern, daß in allererster Linie der primäre Ausgangspunkt des Tumors von Bedeutung sein muß. Das Gliom im Kleinhirn kann z. B. eine ganz andere Konstitution haben als jenes des Großhirns und hier wieder wird das von der Peripherie aus sich entwickelnde anders konsti- tuiert sein als jenes des Marks.

Das zweite Moment, das wir in Betracht ziehen müssen, ist die Art der Entwicklung der Zellen im Gliom. Während in den ersten beiden Fällen typisch ausgereifte plasmatische Zellen den Tumor konstituierten, finden wir im dritten Falle sicher unentwickelte Elemente, die aber im Gegensatze zu den fötalen Gliazellen sowohl in bezug auf den Kern als auch in bezug auf das Plasma wesentlich mächtiger entwickelt sind. Wir können also in diesen Zellen eine Art Hemmungsbildung sehen, wobei die Zellen in einem bestimmten Entwicklungsstadium stehen geblieben sind und sich dann nicht mehr qualitativ, sondern nur mehr quantitativ entwickelt haben. Man mag daraus erkennen, wie vielen Momenten man bei der Zusammen- setzung der Gliome Rechnung tragen muß. Besonders aber muß ınan darauf Rücksicht nehmen, daß die reife Gliazelle im Gliom alle jene Umwand- lungen erleiden kann, wie sie ihrer Funktion entsprechen, d. h. sie kann zur Fibrillogenese herangezogen werden, wo es gilt, eine Zystenwand zu verdichten. Sie kann als plasmatische Gliazelle den Charakter der phago- zytären Abräumzelle annehmen, ohne ganz das Endstadium einer solchen zu erreichen. Sie kann in einem solchen Stadium zur dysplastischen Glia- zelle werden, alles Veränderungen, die nicht im Wesen des Tumors liegen, sondern sekundär durch die im Tumor ablaufenden degenerativen Verände- rungen bedingt sind. Denn es ist auffallend, daß wir in allen diesen drei Tumoren schwerste Nekrosen gefunden haben, die absolut nicht bedingt sein können durch eine vaskuläre Schädigung, d. h. Thrombose oder Blutung, sondern die vielleicht auf dem Wege über die Gefäße dystrophisch bedingt sind. Wir sehen zwei verschiedene Formen, die offenbar nur quantitativ

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verschieden sind, die eine mit einer langsameren Einschmelzung der Zellen, Erhaltenbleiben eines Teiles der Fasern, mit dem Endausgang in eine Art status spongiosus, die andere aber in einer massigen Nekrose mit Zugrunde- gehen aller in diesem Bezirke gelegenen Partien. Der Endausgang solcher nekrotischer Partien kann, aber muß nicht die Zyste sein.

Ein weiteres Moment, worauf ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist das Verhalten der Gefäße. Hier haben wir sicher ein proliferatives Wachstum von Zellen, die zum Teil als endotheliale, zum Teil als adventi- tielle zu bezeichnen sind, mit gleichzeitiger Bildung einer homogenen Masse, von feinfibrillärer Struktur, die sicher, nach der Bindegewebsfärbung zu urteilen, mesodermales Gewebe darstellt. Man muß bei solchen Tatsachen glauben, daß hier im Tumor vielleicht eine gleichsinnige Wachstumsenergie Glia und Gefäße betrifft, wenn man nicht annehmen will, daß der Reiz der wuchernden Glia die Gefäßwandveränderung bedingt.

Und schließlich muß man noch eines Momentes gedenken. Wir haben nirgends etwas von einem infizierendem Wachstume wahrnehmen können. Das Wachstum ist infiltrativ, wobei allerdings offenbar durch den Tumor- druck einerseits und durch das Ödem des Gewebes anderseits eine reaktive Gliazunahme in dem nicht vom Tumor besetzten Gebiete zu finden ist.

Resumiere ich also, so muß man sagen, daß die Konstitution eines Glioms von ganz verschiedenen Momenten abhängig ist, unter denen die Lage des Tumors und die sich in ihm abspielenden degenerativen Vorgänge eine große Rolle spielen.

Literatur:

Hochstetter, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des menschlichen Gehirns. 1. Teil, S. 123, F. f. 1919.

Schaffer K., Über normale und pathologische Hirnfurchung. Zeitschr. f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie, Bd. 38, 1918.

Marburg, Pathologische Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf Hirntumoren, zugleich ein Beitrag zur Histologie des Glioms. Arb. a. d. Wiener Neurol. Institut 1928, XXXI, 1/2 1.

Yaskin, Zur Frage der Gefäßschädigungen bei Hirntumoren. Ibidem XXXI, 3. H.

Ober Entwicklungsanomalien bei Kleinhirnembryonen als Grundlage pathologischer Bildungen.

Von

Dr. Joseph C. Yaskin, Philadelphia. Mit 8 Abbildungen.

Besonders am Kleinhirn sind bisher eigentlich keine zusammen- fassenden Untersuchungen über die Frage nach der Disposition pathologi- scher Prozesse gemacht worden. Und doch ist gerade das Kleinhirn ein Organ, welches wie kaum ein zweites zu Veränderungen im pathologischen Sinne neigt. Man darf nur an die Häufigkeit der Kleinhirnzysten, die bereits im jugendlichen Alter aufzutreten pflegen, an das häufige Vorkommen von Tumoren im Kleinhirn erinnern, die wohl den verschiedenen Gruppen angehören, die aber nach der Meinung neuerer Autoren, wie z. B. Bailey und Cushing, vielfach aus den Bildungszellen des Kleinhirns hervor- gehen (Medullo-Blastom). Zuletzt seien noch erwähnt die vielen Mißbildungen, die gerade das Kleinhirn in so reicher Weise betreffen und deren Genese auch heute noch nicht völlig klar ist.

Ich habe deshalb versucht, an einem größeren Material von Embryonen der verschiedensten Entwicklungszeit diesen Fragen der dispositionellen Ver- hältnisse nachzugehen. Es standen mir zehn Fälle zur Verfügung, um die diesbezüglichen Verhältnisse zu untersuchen.

Die Entwicklungsgeschichte des Kleinhirns ist dank der Untersuchung hervorragender Autoren ich nenne nur Bolk, Kuithan, Stroud, Sven Ingvar, besonders aber Hochstetter und Hayashi jetzt zur Genüge bekannt. Aber es sind auch bereits Anlagefehler oder gewisse Anomalien im Kleinhirn bekannt geworden, die ganz gut als Ursache für spätere Erkrankungen dienen können.

Als erste möchte ich die besonders von Hochstetter genau beschrie- bene sagittale Rinne erwähnen, die in der Mitte der Kleinhirnplatte, zwischen den zwei lateralen Teilen, entsteht. Hochstetter nennt sie Sulcus longi- tudinalis internus cerebelli.

Schon bei einer St. Sch. L. von mehr als 20 mm legen sich diese beiden lateralen Kleinhirnwülste, die durch das vorgeschrittenere Wachstum der lateralen gegenüber den medialen Teilen entstehen, so aneinander, daß sich der Grund der genannten Rinne zu einem sagittal gestellten kapillaren Spalt umwandelt, was auch Kuithan beim Schaf angegeben hat. Das

14 Dr. Joseph C. Yaskin.

Gleiche hat Sven Ingvar gezeigt und letzterer hat bereits betont, daB diese Verwachsung orokaudalwärts erfolgt. Diese Umwandlung in einen kapillaren Spalt läßt sich schon bei einem Embryo von 41 mm St.Sch.L. erkennen, wobei Hochstetter betont, daß in den kaudalen Gebieten dies nicht der Fall ist, was also in Übereinstimmung mit der Marburgschen Angabe steht. In etwas älteren Embryonen verwachsen dann diese beiden Seitenteile, wobei es entweder zum vollständigen Verschwinden der vor- handenen Furche kommt; mitunter aber bleibt am Grunde der Verwachsung ein äußerst enger, epithelausgekleideter Kanal, der an seinen beiden Enden in den IV. Ventrikel mündet, mitunter aber nur auf kurze, kleine Strecken erhalten bleibt. Schließlich verschwinden auch diese, ebenso wie der kom- plette Kanal. Man kann solche Kanalbildungen noch bei Embryonen bis zu 105 mm St.Sch.L. sehen, während in späteren Stadien Hochstetter der- artige Kanalbildungen nicht mehr finden konnte.

Ein zweiter, sehr wichtiger Befund bei Embryonen wurde von Essick zuerst erhoben. Es handelt sich um die Ausbildung eigenartiger zystöser Hohlräume in frühen Stadien der Entwicklung, die auf eine sehr merk- würdige Weise zustandezukommen scheinen und die als Inhalt Zellen zeigen, die am ehesten den Makrophagen ähnlich sehen. Solche zystische Hohl- räume wurden in verschiedenen Teilen des Gehirns gefunden. Auch diese sind von Hochstetter am besten beschrieben worden, desgleichen erwähnt und beschreibt sie Kodama. Wenn wir den Darstellungen Hochstetters folgen, so handelt es sich in den genannten Fällen wenn wir nur das Kleinhirn in Betracht ziehen um Ausbildung einer Zona spongiosa. Dieselbe stellt sich als eine eigenartige, perivaskuläre Zellveränderung dar, mit Aufhellung und Abblassung der Zellen, so daß das Ganze einen spon- giösen Eindruck macht. Aus dieser Zona spongiosa gehen später die zystösen Bildungen meist an der ventralen Seite des Kleinhirns hervor. Die Zellen in diesen Räumen sind ziemlich groß, reich an Protoplasma, das eine grobe Granulierung aufweist. Der Form nach sind sie rundlich oder polygonal. Es scheint, daß die Bildung dieser Zysten durch einen analogen Vorgang herbeigeführt wird, wie ihn Hochstetter für die Bildung des sogenannten Ventriculus septi pellucidi in der Kommissurenplatte beschreibt. Das Be- deutungsvollste aber erscheint, daß solche Zysten und eine Zona spongiosa, die der Zystenbildung vorausgeht, nur bei Embryonen bis 8 em St.Sch.L. vorzukommen scheinen.

Mit Rücksicht auf diese immerhin sehr bemerkenswerten Befunde, die mir für die Pathologie der Zystenbildung im Kleinhirn besonders wesent- lich erschienen, habe ich nun meine Untersuchungen an den mir zur Verfügung stehenden Embryonen vorgenommen.

Der kleinste dieser ‘Embryonen beträgt 85 mm St. Sch. L., gehört also noch in jene Zeit, in welcher Hochstetter die Kanalbildung beschrieben hat. Hier zeigt sich nun im Kleinhirn, ohne daß ich auf Einzelheiten eingehen will, folgendes:

1. Eine Verwachsungsstelle oder eine Kanalbildung wird in «den kaudalen Teilen vermibt,

Entwicklungsanomalien bei Kleinhirnembryonen als Grundlage pathol. Bildungen. 15

2. hier ist nirgends die Andeutung einer zystésen Entartung zu finden.

Dagegen findet sich an einzelnen Stellen, besonders perivaskulär, eine An- häufung von Keimzellen. Diese Anhäufung von Keimzellen, die in den kaudalen Partien des Kleinhirns eine verhältnismäßig geringe ist, wird in den oraleren Teilen des Kleinhirns stärker und nimmt dort, immer in der Nähe von Gefäßen gelegen, besonders die medialen Partien des Kleinhirns ein. Sie liegen im Wurmgebiet, und zwar im Oberwurm, aber ziemlich tief. Auffällig ist, daß das Gebiet des Unterwurms und der Flocke durch die Veränderung der Keimzellen eine Andeutung von Windungs- bildung zeigt, was sonst bei der ganz gleichmäßig verteilten Anordnung der Keim- zellen der Oberfläche nicht der Fall ist. Überhaupt macht das Gebiet des Unter- wurms und der angrenzenden Flocke einen viel weiter fortgeschrittenen Eindruck als das des Oberwurms und der Lobi laterales. Interessant ist, daß in dem oralsten Abschnitt, genau in der Mittellinie, streifenförmig Haufen von Keimzellen sich finden, die aber auch hier die enge Beziehung zu den Gefäßen erkennen lassen. Es wäre

Abb. 1. Ependymausgekleideter Kanal im oralen Kleinhirnabschnitt.

nicht unmöglich, daß es sich hier um letzte Reste des Sulcus longitudinalis cerebelli handelt. Das geht daraus hervor, daß diese Ansammlung in den Partien oral von dem .eben Geschilderten sich in der Medianlinie findet, ohne daß man hier die enge Bindung an die Gefäße wahrnehmen kann.

Interessant ist die ‘Anordnung der Gefäße in diesem Gebiete. Sie finden sich paramedian bilateral symmetrisch in Konvoluten vereinigt, während sie sonst nur vereinzelt auftreten. Ganz oral tritt dann medial die Anreicherung von Keimzellen ventral im Kleinhirn ein wenig zurück. Aber man kann sie bis weit nach vorn erkennen. Schließlich kann man in diesem Gebiete noch weiter oral ganz deutlich einen kleinen, epithelausgekleideten Hohlraum sehen, der offenbar jener von Hochstetter be- schriebenen Kanalbildung entspricht (Abb. 1). Die ganze Länge des Kanals beträgt 240 u. Er ist typisch wie ihn Hochstetter beschreibt.

In den vordersten Abschnitten des Kleinhirns lassen sich Anomalien nicht. erkennen, so daß wir resumierend sagen können, daß in diesem Kleinhirn Stadien vorhanden sind, die wir. als Keimzentren bezeichnen

16 Dr. Joseph C. Yaskin.

müssen, daß sich ventral deutlich eine Anhäufung embryonaler Zellen in der Mittellinie findet, die anfänglich nur die Gefäße begleitet, welch letztere vertikal gestellt sind, später aber ohne diese Begleitung zu sehen ist, daß letzten Endes in oraleren Partien an Stelle dieser Verdichtung der Keim- zellen ein kleiner Kanal auftritt, in der Länge von 240 u Epithel ausgekleidet mit einem vorderen und hinteren blinden Ende.

Il. Fall.

Embryo von 95 mm St. Sch. L.

im kaudalen Abschnitte, ‘dort wo der Recessus lateralis gerade auf der Höhe ist, zeigen sich deutlich, besonders in den lateralen Partien, Aufhellungen des Gewebes, die so auffallend sind, daß man glauben könnte, es handle sich hier um Zellausfälle.

Abb. 2 (Fall II, 95 mm 1. Embryo). In der Mitte ventral der Kanal.

Diese Partien zeigen ein feines Netzwerk als Grundsubstanz, in dem weniger Zellen als sonst eingelagert sind. Man kann eine bestimmte Stelle für diese Verdünnungen nicht anerkennen, doch scheint es, als ob die peripheren Partien bevorzugt sind.

Oralwärts fortschreitend, sieht man auch hier längs der medianen Gefäße perivaskulär Anhäufungen von 'Keimzellen. Auch die Lichtungsbezirke bleiben erhalten und es ist entschieden, daß in der Medianlinie die Zellen dichter sind als lateral. Dort, wo in der medianen Partie die Keimzellen dichter stehen, findet sich auf Schnitt 191, ganz nahe der ventralen Partie, eine kreisrunde, nahezu geschlossene Öffnung mit einem deutlichen Ependymbelag, der aber zwei Reihen Ependymzellen zeigt (Abb. 2 und 3).

In den späteren Schnitten macht er den Eindruck eines zusammengesinterten Zentralkanals. Doch ist das ganz ungleichmäßig, denn weiter oral sieht man ein ganz zartes, spaltförmiges Lumen, und dieses Lumen wieder deutlich umgeben von einer mehrfachen Reihe von ependymähnlichen Zellen. Auch hier fällt immer wieder auf, daß in dem ganzen Gewebe Lichtungsbezirke sich finden, ohne daß jedoch diese einen größeren Raum einnehmen. Einzelne dieser Lichtungsbezirke zeigen vollständige

Entwicklungsanomalien bei Kleinhirnembryonen als Grundlage pathol. Bildungen. 17

Zellverarmung und ein feines Netzwerk im Innern. Stellenweise ist auch dieses Faser- netz zugrunde gegangen und es zeigt sich die Andeutung einer kleinen Zyste.

Bei Schnitt 206 fehlt der Kanal bereits, so daß dessen gesamte Länge ungefähr 300 u beträgt.

Im vorderen Teile des Kleinhirns zeigt sich keine wie immer geartete Anomalie, es sei denn, daß das Mittelhirn hier sehr weit nach hinten reicht und infolgedessen gleich in der Mitte des Kleinhirns mit dem letzteren geschnitten erscheint.

II. Fall

zeigt gleichfalls eine Länge von 95 mm St. Sch. L.

Im kaudalsten Kleinhirnabschnitt zeigt sich hier ganz wesentlich eine Art Kitt- linie in der Mitte, die wiederum aus einer Anhäufung von Zellen besteht. Man kann auch hier beiderseits von der Mittellinie haufenförmig angeordnet, ziemlich isoliert

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Abb. 3. Detail aus Abb, 2 zwecks Darstellung des Kanals.

von der zellulären Mantelschicht, Häufchen von Zellen wahrnehmen. Sonst aber zeigt sich hier nichts Abnormes.

Etwas oraler tritt dann wieder der mediane Verdichtungsstreifen auf. Er ist aber hier nicht so dicht als wie in dem eben geschilderten Präparat. Dagegen zeigen sich hier perivaskulär Lichtungsbezirke in den lateralen Abschnitten des Zerebellums.

Sonst ist dieser Fall in der Entwicklung wesentlich weiter fortgeschritten als der eben beschriebene. Es zeigt sich nämlich, daß hier weit mehr Furchen angelegt sind als in dem gleich langen, erstbeschriebenen Fall. Es fehlt auch vollständig in der Medianlinie das, was wir Raphe genannt haben; es fehlt ferner auch jede Andeutung eines Kanals.

Die Furchenbildung ist auch in den Seitenlappen hier schon weiter fort- geschritten und man kann an einzelnen Stellen ein tiefes Einschneiden wahr- nehmen, wobei es ınitunter den Anschein erweckt, als wenn ein Furchendivertikel vollständig abgeschnürt im Innern des Kleinhirns liegt. Erfüllt ist ein solches Furchen- divertikel von den Zellen der Pia.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd. 2

18 Dr. Joseph C. Yaskin.

Fassen wir nun zusammen, was diese zwei gleich alten Kleinhirne bieten, so zeigt sich, daß in dem einen Verhältnisse vorliegen, wie sie bei dem erstgeschilderten viel jüngeren Embryo in die Augen fielen, während bei dem zweiten gleich alten die Entwicklung sehr wesentlich fortgeschrittener war, von einer Kanalbildung nicht mehr die Rede ist und auch die in der Raphe des Kleinhirns, wenn man diesen Namen überhaupt anwenden darf, alle jene Anhäufungen von Keimzellen fehlen, die wir in dem ersten Falle sehr deutlich gesehen haben. Auch hier ist das Mittelhirn sehr weit nach rückwärts geschlagen und zeigt seine Beziehung zum Kleinhirn.

IV. Fall.

Embryo von 125 mm St. Sch. L.

Dort, wo die Kleinhirnmasse kaudal zum erstenmal eine zusammenhängende

Abb. 4 (Fall IV). Plaque in der Keimzellenschichte.

Platte zeigt, findet sich ventral in der Mitte ein von einer homogenen, mit Eosin blaßrot gefärbten Masse ausgefüllte, wenige Zellen enthaltende Plaque. Sie ist rings von Keimzellen umgeben (Abb. 4).

Oralwarts wird diese Platte dreieckig und füllt sich mehr und mehr mit Keim- zellen. Sie bleibt aber auch dort, wo sie im Verschwinden ist, noch immer deutlich als ein wesentlich lichteres Gebilde bestehen (Lichtungsbezirk). Von dieser Stelle aus sieht man dann etwas oraler in der Medianlinie eine Art Raphebildung mit Anhäufung von Keimzellen, welche Keimzellen sich auch an den Gefäßen deutlich anhäufen. Aber die Intensität der Raphebildung ist eine geringere als in den jüngeren Stadien der Entwicklung. Außerdem kann man an diesen Stellen eine ganz kleine warzen- förmige Vorwölbung an der ventralen Seite wahrnehmen, die aber wieder verschwindet. Eine zystöse Bildung wird nicht gesehen, doch kann man erkennen, daß an einzelnen Stellen Lichtungsbezirke sich finden, die aber relativ klein sind.

In oraleren Schnitten, dort wo bereits das Mittelhirn, das sich nach rückwärts über das Kleinhirn schlägt, mitgetroffen ist, sieht man plötzlich eine Anhäufung von endothelialen Elementen, ohne daß sich noch ein Lumen bemerkbar macht. Diese

Entwicklungsanomalien bei Kleinhimembryonen als Grundlage pathol. Bildungen. 19

Anhäufung wird schlieBlich zu einem Kanal, der von einem mehrschichtigen Endothel umgeben, in seinem Innern ein feines Netzwerk erkennen läßt.

Einige Schnitte nach vorn und man sieht von diesem Kanal nichts mehr als ein paar Zellen, so wie sie im Beginne zu sehen waren. Es ist also hier die Länge des Kanals nur 120 p. Aber der Kanal ist deutlicher ausgeprägt als in dem vorher be schriebenen Fall.

Weiter oralwärts tritt dieser eben geschilderte Kanal neuerdings deutlich auf, zeigt dieselben Charaktere wie früher, reichlich endotheliale Wucherung um eine mit einer homogenen, fädigen Masse gefülltes Lumen.

Noch ein paar Schnitte nach vorn zeigt sich dann, daß diese Fäden scheinbar Fortsätze der Zellen sind und an ihrem Ende eine Platte bilden, die ein wirkliches Lumen einschließt. Dieses Lumen erhält sich und wird nach vorn zu fast noch deutlicher. Während der Kanal sich ziemlich weit nach vorn verfolgen läßt und an- fänglich offen bleibt, wird er gegen das Ende zu wieder geschlossen und erscheint als ein Haufen von Ependymzellen. Er nähert sich dabei der ventralen Keim- schichte (periphere Körnerschichte), bei der er eine kleine dorsale Vorwölbung bildet. Dann geht er vollständig in dieser auf und bildet eine Furche, die ventral offen ist, aber deutlich sich als aus anderen Zellen zusammengesetzt erweist wie die periphere Körnerschichte. Dieses Verhalten ist jedoch nur auf eine ganz kurze Strecke sicht- bar und man ist dann nicht mehr in der Lage, zu erkennen, wo der Kanal gewesen ist. Die ganze Strecke also, in welcher sich dieser Kanal zeigt, ist 680 u lang, so daß wir hier einen Kanal in zwei Abteilungen zu sehen bekommen und gleichzeitig dessen Übergang zur ventralen Längsfurche erkennen können.

Knapp vor dem Velumgebiete hört der Kanal auf. Wir haben also in diesem Falle einen deutlich ausgebildeten Kanal, mit Unterbrechung und Übergang des Kanals in die ventrale Sagittalfurche, zu sehen. Zystenbildung wurde in diesem Falle nicht gefunden.

V. Fall.

Embryo von 130 mm St. Sch. L.

Hier zeigt sich schon kaudal in der Mittellinie, und zwar bilateral symmetrisch, eine Verdichtung der Keimzellen. An einer Stelle, etwas weiter oral von der eben geschilderten kaudalsten Partie, findet sich ventral, nahe der Mittellinie, eine Auf- hellung (Abb. 5). Diese Aufhellung zeigt in ihrem Innern Zellen. Diese Zellen sind jedoch eigentlich von den Keimzellen sehr wenig verschieden; nur einzelne lassen sich als etwas größer und blasser, mit hellem Kern unterscheiden. Es liegt diese Aufhellung genau an der Stelle, wo vordem eine Verdichtung der Keimzellen zu sehen war. Auch oral zeigt sich wiederum nur eine Anhäufung von Keimzellen an der Stelle, wo diese eigentümliche Aufhellung zu sehen war. Besonders in der Medianlinie, auch längs der Gefäße, sind solche Anhäufungen von Keimzellen zu finden.

In oraleren Schnitten sind gröbere Veränderungen nicht mehr nachzuweisen. Man kann zwar an einzelnen Stellen von Lichtungsbezirken sprechen, besonders um die Gefäße, aber es ist nicht sicher, ob es sich nicht hier bei diesem sehr fragilen Material um artefizielle Veränderungen und Einschmelzungen handelt. Einzelne dieser Lichtungsbezirke sind allerdings vollständig unabhängig von den Gefäßen. Wir finden sie sowohl in den Seitenlappen als auch in den Mittellappen.

VI. Fall.

Embryo von 130 mm St.Sch.L.

Auch in dem zweiten gleich großen Embryo zeigen sich median und paramedian Anhäufungen von Keimzellen, die besonders ventral perivaskulär größere Dimensionen annehmen. Eine Zystenbildung aber und eine Kanalbildung wird hier kaudal ver- mißt. Dort, wo die beiden Teile des Unterwurms aufeinandertreffen, zeigt sich an einer Stelle ein kleines in den Ventrikel vorragendes Wärzchen. Die Keimzellen zeigen

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20 Dr. Joseph C. Yaskin.

hier eine asymmetrische Anordnung, d. h. man sieht zahlreiche, wie in einer Raphe vereinigte Zellen dorsalwärts sich verbreitern. Auch sonst sind hier perivaskulär zahl- reiche Zellanhäufungen zu sehen. Diese Raphebildung bleibt lange Zeit bestehen und geht von der ventral im Kleinhirn sitzenden Bildung des Nodulus aus. Je oraler wir kommen, desto mehr reicht sie dorsalwärts. Dort, wo diese Raphebildung des Nodulus aufhört, sieht man ventral eine kleine Zacke in den Ventrikel vorspringen. Entsprechend diesem kleinen, ventralen Vorsprung liegt ganz medial, aber ventral dorsaler als in den früheren Fällen, ein typischer Kanal mit Endothelumsäumung und einem ganz feinen Lumen im Innern. Die ganze Länge beträgt cca. 100 u. Die ventrale Leiste im Kleinhirn bleibt weiter bestehen. Sie erscheint hier nicht voll- ständig bedeckt von der äußeren Körnerschichte. Weiter nach vorn sinkt dann diese mediane Leiste ein und ist wieder vollständig bedeckt von Keimschichte.

Oralwärts zeigt sich dann kein abnormer Befund, so daß wir in diesen zwei gleichaltrigen Fällen eine doppelte Veränderung gesehen haben.

Abb. 5 (Fall V). Aufhellungsbezirk.

Zunächst in dem ersten Fall eine ventral sitzende Aufhellung, die am ehesten analog zu werten ist, wie die eben beschriebene Zyste. Sie ist rund, enthält nur sehr wenige Keimzellen, ein zartes Stroma, in dem einzelne Zellen sich finden, die den Keimzellen nicht adäquat sind. Sie sind größer, blasser und zeigen einen größeren Kern.

In dem zweiten Falle sahen wir dann wiederum einen Rest eines zentralen Kernes, der, wie auch schon in den früheren Fällen, mehr an den oralen Partien des Kleinhirns saß und dort nur eine ganz kurze Strecke einnahm. In beiden Fällen war stellenweise die Mittellinie reich an Keimmaterial, das sich besonders längs der Gefäße erstreckte. Ferner konnte man in dem zweiten Falle eine kleine ventrale Ausbauchung dort finden, wo sich der Kanal befand, die aber über das Areal dieser Kanal- bildung hinausgeht.

Entwicklungsanomalien bei Kleinhirnembryonen als Grundlage pathol. Bildungen. 21

VII. Fall.

Embryo von 155 mm St. Sch. L.

Im kaudalen Ende zeigt sich ein leichtes Odem und Hyperämie. An einzelnen Stellen kommt es zu einem Schwund des Gewebes, das ganz umschrieben bleibt und keine Reaktion der Umgebung erkennen läßt. Oraler tritt dann wiederum in der Mittellinie und paramedian eine Anhäufung von Keimzellen längs der Gefäße und besonders ventral in der Mittellinie auf, die aber nur eine ganz kurze Strecke be- stehen bleibt. Erst dort, wo die ersten Zeichen des Unterwurms sich zeigen, wird

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Abb. 6 (Fall VIII). Ansammlung von Keimzellen median und paramedian,

diese mediane und paramediane Anhäufung von Keimzellen wieder deutlicher. In diesem medianen Streifen tritt dann etwas oraler ganz deutlich wieder der mit Ependym besetzte Kanal hervor, der ein ganz zartes Lumen erkennen läßt und sich ganz analog verhält wie im vorigen Fall. Ventral davon ist eine kleine Vorwölbung gegen den Ventrikel zu sehen, die stellenweise nicht von der äußeren Kérnerschichte be- grenzt ist, sondern die im Innern eine Anhäufung von Keimzellen erkennen läßt. Nach vorn zu wird dieser Kanal deutlicher und die ventrale Vorwölbung ver- schwindet vollständig. Das Lumen des Kanals wird nach vorn zu etwas deutlicher. Aber sonst zeigt er keinerlei Differenz gegenüber dem Kanal in den anderen Fällen. Auch hier ist die Endothelbekleidung eine sehr mächtige. Der Kanal schwindet dann plötzlich und ist also hier 600 u lang.

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Dr. Joseph C. Yaskin.

Weiters ist auffällig an diesen Präparaten, daß die äußere Körnerschichte an verschiedenen Stellen ganz ungleichmäßig ist, d. h. daß sie an einzelnen Stellen sehr gut entwickelt erscheint, an anderen aber weniger dicht ist. Sicherlich ist, selbst wenn man einen Teil dieser Veränderungen als artefizielle gelten läßt, eine Ungleichmäßigkeit der äußeren Körnerbedeckung zu konstatieren.

VIIL Fall.

Embryo von 185 mm St. Sch. L.

Dieser Fall ist sehr schwer zu verwerten, weil es sich um einen Schrägschnitt handelt und man infolgedessen die beiden Seiten nicht leicht miteinander vergleichen kann. Auch in diesem Falle sah man wieder entlang einiger Gefäße, die paramedian gelegen sind, Anhäufungen von Keimzellen. Auch in der Mittellinie selbst sind solche Anhäufungen zu sehen. Noch weiter oral tritt dann ein mächtiger Streif von Keim- zellen in der Medianlinie auf, der hauptsächlich in den ventralen Partien sich aus- breitet (Abb. 6). Paramedian davon sieht man gleichfalls um die Gefäße herum solche Keimzellanhäufungen, die nur eine Strecke weit sehr deutlich und hier mehr als in jedem bisherigen Fall entwickelt sind. In diesen medianen Kejmzell- anhäufungen tritt plötzlich ein anfangs vollständig geschlossener Haufen von ring- förmig angeordneten Endothelzellen auf. Die nächsten Schnitte schon zeigen, daß es sich hier wiederum um die Kanalbildung handelt. In diesem Falle ist der Kanal wieder sehr gut entwickelt. Doch ist die Kanalbildung schon nach wenigen Schnitten 120 u lang, dann verschwindet er, aber es finden sich hier in der Mittellinie und besonders paramedian mächtige Anhäufungen von Keimzellen ganz isoliert. Diese Anhäufungen von Keimmaterial in der Medianlinie schwinden oralwärts mehr und mehr, doch lassen sie sich auch in oraleren Gegenden noch ganz deutlich als solche erkennen, wenn auch die Bildung der Furche im Wurm hier bereits so große Fort- schritte gemacht hat, daß man die Verhältnisse der Mittellinie nicht mehr so deutlich übersehen kann.

IX. Fall.

Embryo von 200 mm St. Sch. L.

In dem Gebiete, wo die ersten Zeichen des Nucleus dentatus sich zeigen, liegt ventro-lateral von ihm eine eigenartige Anhäufung von Zellen, die keineswegs den Charakter des Dentatusgebietes erkennen läßt. Diese rundliche Gruppe liegt näher dem Dentatus als der Peripherie. Es zeigt sich, daß die Konstitution dieses Knötchens eine ganz andere ist als die der anderen Gruppe. Man sieht zwar hier Keimzellen, aber es gibt darunter Zellen mit einem viel größeren Plasmahof, fast kubisch. Auch die Kerne sind größer als es den Kernen der Keimzellen entspricht. Es ist wohl möglich, daß ein Teil dieser Zellen ähnlich ist jenen, wie wir sie als analoge des Dentatus sehen, nur mit dem Unterschiede, daß sich hier kubische Zellen finden. Wir sehen diese Veränderung auf einer Strecke von 300 u. Es schwindet dieses kleine Knötchen noch lange, bevor der Nucleus dentatus seine größte Entwicklung erreicht hat. Auf der Gegenseite finden wir keine derartige Veränderung. Auch sind Anomalien wieder etwas oraler zu finden, und zwar sieht man im Unterwurm unilateral eine Aufhellung, wie wenn sich ein Furchenstück abschnüren wollte, ohne daß es jedoch zu einer solchen Abschnürung gekommen wäre, da diese Aufhellung weder bis an die Peripherie reicht noch sonst den vollen Charakter einer Furchenbildung annimmt. Es ist nur eine Andeutung eines zentral gelegenen Furchenstückes. Wesentlicher erscheint hier jedoch, daß sich dort, wo der Dentatus bereits die höchste Entwicklung erreicht hat, ventral ein Sulcus im Wurm zeigt. Im Wurmgebiete lassen sich hier drei Etagen von Windungen erkennen. In der mittleren dieser Etagen, die wiederum zweiteilig erscheint, kann man ganz in der Mitte dorsal noch eine Anhäufung von Zellen sehen, die ependymalen Charakter trägt, offenbar ein letzter Rest des Canalis cerebelli. Die ventrale Furche ist auch noch weiter zu verfolgen, während die Stellen, wo wir einen Kanal ver- muten, schon nach wenigen Schnitten verschwunden ist. Oralwärts kann man dann ‚erkennen, daß auch hier in der Mittellinie oder knapp daneben an den Gefäßen

Entwicklungsanomalien bei Kleinhirnembryonen als Grundlage pathol. Bildungen. 23

noch eine Verdichtung von Keimzellen zu finden ist. Auch nach vorn zu kann man Inseln von Keimzellen paramedian wahrnehmen. Besonders kann man in dieser Gegend an den Gefäßen immer wieder Anhäufungen von solchen Zellen finden. Das sieht man besonders dann in den vordersten Partien des Kleinhirns im Unterwurm, wo die ganze Mediane durch Keimzellmassen besetzt erscheint.

Wir sehen also in diesem Falle, abgesehen von den in der Medianlinie befindlichen Keimzellmassen, besonders in den vorderen Partien, eigent- lich keine Zeichen von einem Kanale, denn der Kanal befindet sich vor- wiegend oral und hier haben wir kaudal Häufchen von Zellen gesehen, die ependymalen Charakter besitzen, aber keineswegs für den Zentralkanal in Frage kommen können. Dagegen zeigt sich ventro-kaudal von dem sich entwickelnden Nucleus dentatus eine knötchenförmige Anhäufung von

Abb. 7 (Fall X). Ventrale Zona spongiosa.

Zellen, die größer sind als die gewöhnlichen Keimzellen, kubisch, mit größerem Kern und die vielleicht eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen Zellen haben, die bereits im Dentatus angelegt sind. Dieses Knötchen ist ziemlich weit entfernt von der Dentatusbildung und tritt bei seiner serienweisen Verfolgung nirgend in enge Beziehung zum Dentatus.

Ob es sich nicht doch um ein eingesprengtes Stück dieses Kernes handelt oder ob es sich hier um eine andere Auffassung handelt, ist nicht sicherzustellen, sicher ist nur, daß diese Anlage sich nur einseitig findet.

X. Fall.

Embryo von 210 mm St. Sch. L.

In diesem Falle ist eine deutliche Hyperämie zu sehen, die hauptsächlich die Gefäße in den Meningen betrifft. Außerdem aber zeigt sich auch eine Hämorrhagie der meningealen Gefäße. Ferner befindet sich beiderseits, knapp neben dem Wurm, ein Gefäß bilateral-symmetrisch, mit einer perivaskulären Hämorrhagie. Weiters kann man erkennen, daß hier der Ventrikel größer ist als in den anderen Fällen. In dem ventralsten, gegen den Ventrikel sich vorwölbenden Abschnitt des Kleinhirns zeigt sich ein eigentümliches, netzartiges, wenige Zellen enthaltendes Gewebe, das stellen- weise relativ reich sein kann (Zona spongiosa) (Abb. 7). Dieses Gewebe findet sich

24 Dr. Joseph C. Yaskin.

nicht in den anderen Partien, die keinerlei solches Gewebe enthalten. Doch sieht man Blutungen auch hier an den anderen Partien, aber hauptsächlich in den seit- lichen Partien. Die Blutungen sind perivaskulär. Man sieht allerdings sind die Präparate in Formalin gehärtet sehr viel rostrotes Pigment in feinsten Körnchen, aber auch konglomiert. Man sieht auch in der Umgebung ein leichtes Ödem, so daß man die Blutungen nicht als ganz frische bezeichnen kann. Auch im Dentatus sind solche Blutungen zu sehen. Oralwärts fortschreitend zeigen sich dann, ventral in der Mittellinie, wieder Anhäufungen von Keimzellmaterial, besonders an den Gefäßen. Dabei steht der mediale ventrale Abschnitt wie ein Bürzel gegen das Lumen des

IV. Ventrikels, das sichtlich erweitert ist. Auch oralwärts sieht man dann die medialsten streifenförmigen Keimschichten sehr deutlich. Hier findet sich ein sagittaler Spalt von Ependym besetzt mit einem auch sagittal gestellten, aber unterbrochenen Lumen ganz ventral, größer als in den früheren Schnitten (Abb. 8). Der Spalt wird später ganz klein und rund und findet sich nur in einer Länge von 200 u. Nach vorn zu ist dann im Kleinhirn nur eine überaus starke Hyperämie sichtbar. Hie und da auch noch kleinste Hämorrhagien.

Zusammenfassung.

Hier zeigen sich wieder in der Medianlinie besonders perivaskulär reichliche Anhäufungen von Keimzellen, ungefähr der Mitte des Kleiphirns

Entwicklungsanomalien bei Kleinhirnembryonen als Grundlage pathol. Bildungen. 25

entsprechend. Ferner sehen wir große Hämorrhagien, von denen besonders zwei symmetrische ventral hervortreten. Weiters zeigt sich auch in diesem 210 mm langen Embryo deutlich ein ventral an der typischen Stelle sitzender Kanal, der aber hier nicht wie in den anderen Fällen rundlich, sondern sagittal gestellt ist und sich eigentlich nur auf eine kurze Strecke hin verfolgen läßt.

Aus dem vorliegenden Material ergibt sich zunächst, daß die Embryonen, die ich zu untersuchen Gelegenheit hatte, weit älteren Stadien, angehören, als sie von den eingangs erwähnten Autoren angegeben wurden. Trotzdem haben sich in diesen älteren Embryonen gleichfalls schwere Veränderungen gefunden, die darauf hinweisen, daß Prozesse, die eventuell später die Ursache für die pathologische Bildung abgeben könnten, auch in späteren Entwicklungsstadien vorhanden sind.

Ich beginne zunächst mit der Kanalbildung. Sowohl bei einem 85 mm langen Embryo wie bei einem 210 mm langen Embryo fand sich die Kanal- bildung im Kleinhirn. Das erscheint von ganz besonderer Bedeutung schon aus dem Grunde, weil, wenn man von den weniger gelungenen, schlecht konservierten Präparaten absieht, ich in allen Zwischenstadien gleichfalls solche Kanalbildungen angetroffen habe. Ihre Länge ist allerdings eine recht geringe. Sie erstreckt sich höchstens auf 100 bis 680 p. Das Lumen eines solchen Kanals ist oft kaum sichtbar, in anderen Fällen aber ganz deutlich erkennbar; es ist meist rund, doch gibt es auch Fälle, wo er einen vertikalen Spalt bildet. Gerade in den älteren Embryonen war das der Fall. Ferner zeigt sich, daß dieser Kanal von ganz gut entwickelten Ependym- zellen ausgekleidet ist, die in einer, mitunter aber auch in zwei Reihen den Kanal umgeben. Es ist ein Blindsack, der keinerlei Verbindung mehr mit dem Ventrikel zeigt. Seine Lage ist immer streng median, sehr nahe der ventralen Oberfläche, ungefähr entsprechend jenem Teil, in welchem der Dentatus bereits die Höhe seiner Entwicklung erreichte. Wir werden wohl nicht fehlgehen, wenn wir mit Rücksicht auf die eben erwähnten Befunde annehmen, daß solche Kanalbildungen auch in der späteren Fötalzeit persi- stieren können und daß sie möglicherweise die Grundlage für eine patho- logische Bildung abgeben. Wenn wir die Meinung Ströbes anerkennen, so hätten wir hier eines der schönsten Beispiele für die Disposition zur Gliombildung. Aber wir könnten hierin auch den Ausgangspunkt für die häufig ganz median und ventral sitzende Zystenbildung im Kleinhirn finden.

Wie gleichfalls eingangs erwähnt, haben Cushing und Bailey Tumoren beschrieben, von denen sie annahmen, daß sie aus Bildungszellen des Kleinhirns entstehen. Es ist kein Zweifel, daß eine ganze Reihe solcher Tumoren bei Kindern vorkommen können, wie es Nishi kürzlich zusammen- gefaßt hat. Wenn auch der Autor zu einem etwas anderem Resultate kommt als Cushing und Bailey in bezug auf die Konstitution, so muß man doch untersuchen, ob überhaupt die Möglichkeit vorliegt, daß solche Tumoren an der genannten Stelle entstehen können, daß also Keimmaterial

26 Dr. Joseph C. Yaskin.

des Kleinhirns hier in abnormer Weise erhalten bleibt. In fast allen Fallen, die ich untersuchte, zeigte sich nun sowohl median als paramedian hier besonders um die Gefäße eine Anhäufung von Keimzellmaterial, und zwar wiederum hauptsächlich median und paramedian, besonders in den ventralen Gebieten. Im Oberwurm ist so etwas nie hervorgetreten, sondern nur in der von Hochstetter besonders beschriebenen Schließungslinie der Seiten- lappen. Auffälligerweise ist diese Anhäufung von Keimmaterial nicht so sehr kaudal als oral hervorgetreten. Aber immer gehört diese Anhäufung in allererster Linie den ventralen, medianen und paramedianen Partien an. Möglicherweise haben wir immer vorausgesetzt, daß diese Anhäufung von Keimzellen auch in späterer Zeit bestehen bleibt hierin eine Ursache für die spätere Gliombildung.

Wie verhalten sich nun die von mir untersuchten Embryonen bezüglich der ventralen Kleinhirnzysten, die in Föten bis zu 7 em zu beobachten sind? Tatsächlich habe ich in keinem der untersuchten Fälle eine typisch ventrale Zyste gefunden; dagegen konnte ich in zwei Fällen eine deutliche Zona spongiosa wahrnehmen, die an einer Stelle zu finden ist, wo sich sonst die Zyste entwickelt. In einem Falle bestand eine ventrale Plaque, die viel Ähnlichkeit mit der Zystenbildung zeigt. Es ist natürlich nicht zu sagen, ob aus einer solchen Zona spongiosa später sich Zysten entwickelt hätten. Aber es ist doch auffällig, daß nicht nur die frühesten Entwicklungs- stadien Anlagen für solche zeigen, sondern daß man auch in den späteren Entwicklungsstadien derartiges nachzuweisen imstande ist.

Hier muß noch zweier Befunde gedacht werden. In einem Falle fand sich lateral im Kleinhirn ein rundlicher Herd, der allerdings viel höher war als die Zysten, die man sonst beschreibt und auch in der Konstitution ein wenig anders sich verhielt. Es war nämlich eine rundliche Anhäufung von Zellen da, die allerdings ganz den Charakter jener Zellen besitzen, wie wir es in den embryonalen Kleinhirnzysten sehen, d. h. protoplasma- reiche Zellen mit randständigem Kern und einer eigentümlichen Granu- lation im Plasma, rund und auch polygonal. Es wäre ja möglich, daß wir hier doch eine solche Zyste vor uns haben, die sich in ein späteres Ent- wicklungsstadium hinüber gerettet hat und die dann Ausgangspunkt für eine pathologische Bildung sein kann.

In einem zweiten Falle sahen wir gleichfalls eine Anhäufung von Zellen, doch war diese so gelegen, daß man nicht entscheiden konnte, ob es sich nicht um eine Absprengung der Dentatusanlage handelt. Freilich ließen bei genauer Untersuchung die Zellen des isolierten Abschnittes keine Ähnlich- keit erkennen mit jenen des Dentatus, so daß ich diesen Fall unentschieden lassen muß.

Als letztes Ergebnis meiner Untersuchung zeigt sich in einem Falle eines Embryo von 210 mm St. Sch. L. bilateral-symmetrisch ventral ein ziemlich erweitertes Gefäß mit einer Hämorrhagie, die perivaskulär bilateral symmetrisch das Kleinhirn betrifft. Auch einzelne kleine isolierte Blutungen

Entwicklungsanomalien bei Kleinhirnembryonen als Grundlage pathol. Bildungen. 27

in der Nachbarschaft ließen sich erkennen. Der Befund einer Kleinhim- blutung während der Fötalzeit ist an sich vielleicht nicht sehr bedeutungs- voll, aber dieser bilateral-symmetrische Sitz und die isolierte Affektion der Lobi laterales zeigen, daß tatsächlich in der Fötalzeit auf vaskulärem Wege Schädigungen einsetzen können, die, falls die Entwicklung trotz dieser Schädi- gung weiter schreitet, sicherlich zu schweren Entwicklungsstörungen Veran- lassung geben würde, Entwicklungsstörungen, deren Symmetrie den Gedanken nahe legen, daß es sich um eine endogene Entstehung handelt. Ich will mich aber über dieses Moment nicht weiter äußern, weil ich in meinen Fällen nur einmal solche Blutungen gefunden habe.

Es genügt, auf die Untersuchungen von Schwarz hinzuweisen, um zu erkennen, von welch weittragender Bedeutung so frühzeitige Schädigungen des zentralen Nervensystems sind. Es ist nur auffällig, daß auch das Klein- hirn von diesen Prozessen nicht verschont bleibt.

Wenn ich also resumiere, so lassen sich im Kleinhirn eine ganze Reihe der verschiedenartigsten Anomalien zeigen, die, ohne daß wir dafür einen Beweis erbringen können, ganz gut Ursache einer späteren Erkrankung werden können. Das Wichtigste ist die Persistenz eines ependymausgekleideten Kanals, dann folgt die mediane und paramediane Anhäufung von Keim- zellen und schließlich, wenn auch nicht die Zyste selbst, so doch eine Veränderung an der ventralen Seite des Kleinhirnlappens, die als Zona spongiosa den fötalen Zysten vorausgeht. Und schließlich kann man im Kleinhirn der Föten auch Blutungen wahrnehmen, die eigenartig lokalisiert sind und sehr gut als Ursache späterer Mißbildungen angesehen werden können.

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Nervenerkrankungen, Bd. 49, 1912.

Zur Frage der Gefäßschädigungen bei Hirntumoren.

Von

Dr. Joseph C. Yaskin, Philadelphia (Pennsylvanien). Mit 3 Abbildungen.

Die Neigung einer großen Anzahl von Tumoren zu Hämorrhagien hat mich veranlaßt, den Gefäßen in solchen Tumoren meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich habe zunächst vier Fälle von Gliom nach dieser Richtung hin untersucht und möchte gleich eingangs hervorheben, daß in allen Fällen positive Resultate in bezug auf schwere Gefäßschäden zu erheben waren.

Gefäßveränderungen im Tumor sind ja wiederholt beschrieben worden. Ohne des genaueren auf die Literatur einzugehen, möchte ich nur erwähnen, daß Rosenberg Veränderungen in den großen Hirngefäßen bei Tumoren beschrieben hat. Es hat dann weiter Nishikawa aufmerksam gemacht, daß bei den Neurinomen besonders in der Umgebung es zu kolossalen Erweiterungen der Gefäße kommen kann, die, mit einer äußerst dünnen Wand versehen, sehr leicht zu schweren Blutungen Veranlassung geben können, besonders dann, wenn man solche Fälle operativ angreift.

In dem kürzlich erschienenen Werke von Bailey and Cushing wird allerdings nur in den Abbildungen darauf hingewiesen, daß eine Homogeni- sation und Verbreiterung der Adventitia in manchen der dort angeführten Tumoren zu finden ist.

Wie verhalten sich nun tatsächlich die Gefäße im Gliom? Man findet, wie meine Fälle erweisen, zunächst eine auffallende Verbreiterung aller Gefäße. Diese erweiterten Gefäße sind strotzend mit Blut gefüllt und erweisen sich zumeist nur aus einem oder zwei Häutchen bestehend, d. h. es fehlt ihnen die Media vollständig. Ist in einem Gefäße die Wand etwas weiter, so läßt sich durch Bindegewebsfärbung zeigen, daß auch hier die Ver- breiterung nur auf Kosten der Adventitia zustande kommt. Ferner kann man sehen, daß solche Gefäße vielfach nekrotisieren, und zwar in schwerster Form, indem es zu einer Homogenisation und zu Kernschwund kommt. In diesen Fällen braucht sich das Gefäß nicht zu verbreitern. Es gibt aber eine zweite Form von Gefäßveränderungen, bei welcher es zu einer mächtigen Verbreiterung der Gefäße kommt. Diese Verbreiterung erfolgt auf Kosten der Adventitia. Auch hier schwinden die Zellen nach und nach, es kommt zu einer Homogenisation und Abblassung der Wand. Dabei ist noch zu

30 Dr. Joseph C. Yaskin.

berücksichtigen, daß in diese Homogenisation auch die Intima einbezogen wird und daß die Verbreiterung so fortschreiten kann, daß das Lumen des Gefäßes nahezu schwindet. Ferner muß man hervorheben, daß wohl solche veränderte Gefäße auch im frischen Tumorgewebe vorkommen können, daß sich aber solche veränderte Gefäße zumeist in degenerativ veränderten Tumorpartien finden. Es ist ja wahrscheinlich, daß gerade diese Gefäß- degeneration Ursache der Tumornekrose ist. Anderseits aber darf man nicht vergessen, daß es möglich wäre, daß beide Veränderungen durch eine gleiche Noxe bedingt sind. Und noch eines Momentes muß man bezüglich der Gefäße gedenken. Das ist, daß Tumormassen in die Adventitia eindringen, vielleicht zunächst nur in die Gefäßscheiden, dann aber direkt in die Wand, die sie sogar durchbrechen können.

Auffallend ist, daß die Gefäße der nächsten Umgebung des Tumors verhältnismäßig wenig gelitten haben. Es handelt sich hier meist um Stauungen und ganz minimale Wandschädigung. Ganz im Gegensatze dazu kann ich die. Befunde Rosenbergs bezüglich der großen Hirngefäße bestätigen. Auch ich habe in den großen Hirngefäßen, die hier nicht einmal aus der Umgebung des Tumors stammen, fast immer eine mäßige oder auch stärker betonte Intimaverdickung gefunden, die sich sogar mit einer deutlichen Veränderung der Elastika verknüpfen kann und eine Ver- breiterung der Media erkennen läßt. Wir haben es also mit einer Arterio- pathie der großen Hirngefäße bei den Tumoren, und zwar offenbar in der Mehrzahl der Fälle, zu tun, was nur beweist, wie eingreifend die Schwan- kungen des Hirndruckes für die Gefäßwände sind.

Es scheint mir verfrüht, heute schon Schlüsse bezüglich der Bedeutung dieser Gefäßveränderungen zu ziehen. Vielleicht wird es einmal gelingen, dieselben künstlich zu provozieren und damit einen Weg zu finden, den Tumor zur Nekrose zu bringen.

1, Fall (Nr. 3904).

Gliom.

Der Tumor selbst ist sehr gefäßreich. In der Umgebung des Tumors findet sich ein deutlich malazischer Prozeß. Sieht man ein größeres im Tumor befindliches Gefäß an, so zeigt sich, daß die Adventitia auffallend blaß gefärbt ist, nicht sonder- lich dichtes Bindegewebe enthält und nur stellenweise eine normale Struktur aufweist. Man kann Lücken und Vakuolen auch in der Adventitia wahrnehmen. Die Media ist in ein nahezu vollständig nekrotisches Gewebe umgewandelt, welche Nekrose auf die Intima übergreift (Abb. 1). Dabei ist das nekrotische Gewebe um ein Vielfaches gegen die Norm verbreitert. In den äußersten Lagen der Adventitia sind pigmenthaltige Zellen. Sieht man ein kleineres Gefäß im Tumor an, so geht diese Nekrose durch alle Wände. Es ist kaum ein Gefäß zu sehen, das einen etwas normaleren Eindruck macht. Alles was in den Schnitt fällt, zeigt schwerste Nekrose der Wandpartien. Ein zweites auffilliges Moment ist bei ziemlich weiten Gefäßen die auffallende Dünne der Wand. Man sieht Gefäße, die ganz den Eindruck der Kapillaren machen und die Weite einer Arterie mittleren Kalibers oder sogar großen Kalibers aufweisen.

Vergleicht man die Gefäße des Tumors mit jenen der Umgebung, so fällt zu- nächst die geringe Menge dieser Gefüße auf. Auch sieht man in dem Gewebe nur Arterien geringeren Kalibers und Kapillaren von normalem Kaliber. Hier kann man von einer Nekrose der Wand nicht sprechen. Auch sind die Kapillaren wenn man von

Zur Frage der Gefäßschädigungen bei Hirntumoren. 31

einer leichten Schwellung der Gefäßendothelien absieht normal. Die Venen sind etwas gestaut, aber sonst ist ihre Wand nicht sehr wesentlich verändert.

In dem Präparat, das nach Mallory-Bindegewebefärbung tingiert wurde, zeigt sich ein Gleiches wie in dem Ubersichtspriparat (Hämalaun-Eosin), nämlich, daß die adventitiellen Lagen, wenn auch dehiszent und abgeblaßt, erhalten sind, während das übrige Gewebe deutlich die Nekrose auch im Bindegewebepräparat erkennen läßt. Dabei nimmt die Wand der Gefäße mittleren Kalibers manchmal eine ganz homogene dunkle Färbung an. Hier kann man an einzelnen Gefäßen an der Adventitia repara- torische Vorgänge wahrnehmen, d. h. Verdichtung und Vermehrung des Bindegewebes. Jedenfalls unterscheidet sich das so gewonnene Bild in nichts von dem Übersichtsbild.

Nimmt man nun die größeren Gefäße der Hirnoberfläche aus der Umgebung des Tumors, so zeigt sich folgendes: Die Adventitia ist verhältnismäßig normal, die

Abb. 1 (Fall I). Gefäßnekrose.

Media verbreitert und homogenisiert, die Elastika zeigt deutlich Schlängelung, aber keine Spaltung. Die Intima ist in den untersuchten Präparaten ziemlich normal. An einer anderen Stelle desselben Gefäßes zeigt sich die Elastika stellenweise dege- neriert und an diesen Stellen finden wir typische Endarteritis. Sonst ist aber das Endothel zart. Jedenfalls ist der typische Befund einer Endarteritis zweifelsohne.

Zusammenfassung.

Wenn wir die drei Gefäßgruppen ins Auge fassen, die des Tumors, die im Gewebe, das den Tumor umgibt, und die größeren oberflächlichen Gefäße in der Nachbarschaft des Tumors, so zeigen sich ganz gewaltige Differenzen. Im Tumor selbst handelt es sich um eine schwere Gefäß- nekrose, um eine Erweiterung kapillarer Gefäße auf ein Vielfaches und um

32 Dr. Joseph C. Yaskin.

eine auffallende Vermehrung der GefiiBe selbst, wenn man den Reichtum an Gefäßen in der Nachbarschaft ins Auge faBt. In dem Gewebe der Nachbar- schaft zeigen die kleineren Gefäße eigentlich keine Abweichung von der Norm. Man kann höchstens eine leichte Stauung, vielleicht euch eine Quellung der Zellkerne wahrnehmen. Um so auffallender ist die schwere Veränderung der großen Gefäße in der Umgebung des Tumors. Hier zeigt sich die Media im Zustand einer Verbreiterung aber auch degeneraliven Veränderung, da die Kerne nicht mehr deutlich sichtbar sind. Es zeigt sich eine allerdings nur stellenweise vorkommende Degeneration der Elastika und eine typische Endarteriitis.

Abb. 2 (Fall II). Adventitiawucherung.

II. Fall (Nr. 4064).

Gliom.

Der Tumor ist ein ziemlich zellreiches Gliom. Die Gefäßwandveränderung ist hier, im Gegensatze zu dem I. Fall, eine gerade entgegengesetzte. Es zeigt sich näm- lich, wenn man die Gefäße betrachtet, eine mächtige Wucherung des adventitiellen Bindegewebes, die stellenweise so groß ist, daß das Lumen des Gefäßes nahezu ver- schwindet. Dabei sind die Gefäße, genau wie im I. Falle, mächtig erweitert. Aber im Gegensatze zu dem I, Fall ist hier die Wucherung des adventitiellen Gewebes eine sehr beträchtliche. Aber dieses Gewebe ist nicht normal, sondern es zeigt sich eine Homogenisation mit Schwund der Zellen und Kerne, ohne daß man von hyalinem Gewebe sprechen könnte, weil die Färbung mit Hämalaun-Eosin eher blab als lebhaft rot ist (Abb. 2). An einzelnen Gefäßen ist diese homogene Wand, bei der man schließlich nichts mehr unterscheiden kann, so gestalte, daß man an eine Intimawucherung glauben könnte. Ferner kann man schen, wie die Glia der Umgebung

Zur Frage der Gefäßschädigungen bei Hirntumoren. 33

an solche Gefäße herantritt, und zwar tumorartig verdichtet, und wie sie in diese Gefäßwand einbricht, wie wenn es sich um ein totes Material handeln würde. In ein- zelnen dieser Gefäße besitzt die Wand noch Zellen. Doch kann man nicht ent- scheiden, ob es sich hier nicht um exsudierte Zellen handelt, da sie so ganz anders gefärbt sind als die Zellen der Gefäßwand. Diese Homogenisation des Bindegewebes mit nahezu völligem Verschluß des Gefäßes kann so weit gehen, daß plaqueartige Bildungen entstehen, als ob ein Ödemerguß erfolgt wäre. Dort, wo die Gefäße noch ihre normale Konfiguration erhalten haben, sieht man eine enorme Wandverdünnung bei kolossaler Erweiterung des Gefäßes, das strotzend mit Blut gefüllt ist. Man sieht das Endothelhäutchen und an der Außenseite höchstens noch ein fibröses Gewebe, ohne daß man sagen könnte, welcher Natur es ist. Es ist nicht zu leugnen, daß esin dem Tumor auch Gefäße gibt, bei denen Nekrosen in der Wand vorkommen. Aber ge- wöhnlich ist die Umwandlung so, daß eine Homogenisation der gesamten Wände erfolgt mit gleichzeitiger Abblassung, ein Prozeß, der von der Adventitia auszugehen scheint. Auch am Übergang in das normale Gewebe verhalten sich die Gefäße in der gleichen Weise. Um einzelne Gefäßwände sieht man auch pigmenthaltige Zellen und es ist eine Vakuolisation der Wand deutlich zu sehen. Die Mallory-Bindegewebs- färbung zeigt deutlich, daß alles, was man in der Gefäßwand sieht, die bläuliche Bindegewebsfärbung annimmt und daß man es also hier tatsächlich mit einer binde- gewebigen Masse zu tun hat. Man kann hier noch besser als im Hämalaun-Eosin- Präparat ersehen, wie zerklüftet diese bindegewebige Membran mitunter sind. Auch die Heidenhainsche Färbung zeigt die Gefäßwand bindegewebig entartet. Es sind immer Zellen in der Wand, die entweder von einem Gliom stammen, oder exsudierte Zellen. í

Betrachtet man nun die Gefäße der Umgebung des Tumors, so zeigt sich eigent- lich ein verhältnismäßig normales Bild. Die Gefäße sind etwas gestaut, die Intima- zellen vielleicht ein wenig geschwollen, die Wand nicht so scharf gefärbt, als es bei normalen Gefäßen der Fall ist, eine Spur blasser, aber die Struktur der Wand zeigt keine Veränderung. Das gilt auch für die strotzend gefüllten Kapillaren. Auch das Bindegewebspräparat zeigt keine wesentliche Abweichung von der Norm. Es wurden hier die Basalarterien untersucht und es zeigte sich dabei, daB man eine leichte Ver- breiterung der Media fand, während die Elastika eigentlich verhältnismäßig gut ent- wickelt ist, ebenso wie die Intima. Aber an einer einzigen Stelle befindet sich auch hier wieder eine deutliche Endarteriitis mit Auflagerung einer fibrösen Membran.

Zusammenfassung.

In diesem Falle zeigt sich die Veränderung der Gefäßwand im Tumor nach einer anderen Richtung. Es ist keine Wandnekrose wie in dem ersten Falle, sondern es ist eine Fibrose der Gefäßwand mit mächtiger Dinde- gewebsentwicklung und nachfolgender Homogenisation und degenerativer Veränderung. Dabei kann sich das Lumen des Gefäßes unendlich verengern. In der Mehrzahl der Gefäße aber ist auch hier das Lumen ein sehr weites und die Gefäßwandveränderung kann auch in den weiten, sehr dünnwandigen Gefäßen ein oder das anderemal eine einfache Wandnekrose sein. An jenen Stellen, wo der Prozeß am weitesten vorgeschritten ist, erscheinen die Gefäße wie eine Odemmasse, ganz blaB, homogenisiert. Zum Unterschiede von diesen Veränderungen im Tumor ist die Umgebung des Tumors verhält- nismäßig, wenn man von der Stauung absieht, intakt. Die großen Hirngefäße, in diesem Falle die Basalarterie, zeigt eine typische Endarteriitis. An cin- zelnen Stellen der Gefäßwand im Tumor sieht man Einbrüche der Glia- zellen, an anderen sieht man exsudierte Blutgefäße.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Rd. 3

34 Dr. Joseph C. Yaskin.

III. Fall (Nr. 3976).

Ein Tumor, dessen Natur nicht ganz sicher steht, der Stellen zeigt, die voll- ständig einem Gliom ähneln, und dann wieder Stellen, die mehr sarkomatösen Charakter tragen. Während aber auch hier die Zellen syncytialen Zusammenhang zeigen, finden sich die Gefäße in verschiedener Weise verändert. Zunächst finden wir wiederum Stellen, wo die Gefäßwand stark verdickt ist, wieder auf Kosten der Adventitia. Hier sind aber diese Veränderungen noch nicht so weit gediehen und man kann tatsächlich erkennen, daß die Intima intakt ist und daß der Prozeß von der Adventitia ausgeht. Es ist wie eine Homogenisation, Nekrose der ganzen Wand, wobei aber, im Anfange wenigstens, noch die Zellen deutlich erhalten sind. Später gehen diese Zellen zugrunde und man sieht wiederum jene blasse Bindegewebsmembran mit nekrotischer Media und Intima (Abb. 3). Es ist nun interessant, daß neben diesen Veränderungen

Abb. 3 (Fall III). Adventitia homogen Media nekrotisch,

ziemlich weite Gefäße vorhanden sind, die sich vollständig intakt zeigen, wobei allerdings zu bemerken ist, daß auch die Gefäßwände sehr dünn sind, hauptsächlich in den Gebieten, wo die Sarkomatose die Oberhand hat, sind die Gefäße normal, während dort, wo sicheres Gliagewebe vorhanden ist, die Gefäße Veränderungen zeigen. Es ist natürlich, daß in einem solchen Gebiete das Gesamtgewebe nekrotisch er- scheint. In diesem Falle sieht man mitunter auch den Prozeß nur an einer Seite der Wand sich entwickeln, während die anderen Partien der Wand intakt sind. Auch hier kann man das Einbrechen der Tumorzellen wahrnehmen. Mallory-Bindegewebs- färbung zeigt tatsächlich hier noch eine Differenzierung der Wand, indem man erkennen kann, daß der pathologische Prozeß bzw. der Wucherungsprozeß von der Adventitia ausgeht und erst sekundär auf die anderen Wände übergreift. Im gesunden Gewebe sieht man ein perivaskuläres Ödem, sonst aber die Gefäßwand verhältnis- mäßig intakt, nur daß die Gefäße sehr erweitert sind.

Auch hier wurde die Basalarterie geschnitten. Es zeigte sich diffuse End- arteritis mit einer ziemlich beträchtlichen Verbreiterung der Intima und einer auf-

Zur Frage der Gefäßschädigungen bei Hirntumoren. 35

fallenden Homogenisation der Media, während die Adventitia verhältnismäßig intakt ist. Die Elastika zeigt das normale Bild. Vielleicht jan einzelnen Stellen leichte knotenförmige Auftreibungen.

.

Zusammenfassung.

Dieser Fall ähnelt bis zu einem gewissen Grade dem vorher beschrie- benen, nur daß die Intensität des Prozesses keine so weitreichende ist. Man sieht an den Gefäßwänden das Bindegewebe sich von der Adventitia aus entwickeln, während die Media und Intima anfänglich wenigstens noch intakt sind.

IV. Fall (Nr. 3954).

Dieser Fall ist ein reines Gliom, doch sieht man in diesem sehr zellreichen Gliom Stellen, in welchen die Zellen blastomatösen Charakter haben. Sieht man nun in diesen Partien die Gefäße an, so zeigt sich, daß sie erweitert sind und sehr diinnwandig. Man kann hier das Verhältnis Gefäß und Tumor sehr gut studieren, indem man sieht, daB Tumorzellen direkt in die Gefäßwand einbrechen. Man sieht dann ein dünnes Endothelhiutchen eines sehr weiten Gefäßes und die Wand des GefiiBes mit den Endfüßchen der Tumorzellen besetzt. An einer anderen Stelle nun brechen aber die Zellen direkt in das Gefäß ein und bilden eine syncytiale Anhäufung. Dann folgt ein Übergang zu einem mehr nekrotischen Gebiet, und zwar sind die Gefäß- wände ganz im Sinne der vorher geschilderten Verhältnisse verändert, d. h. die Ad- ventitia ist verbreitert, homogenisiert, die Intima ist stellenweise noch kenntlich, eine Media ist nicht abzuscheiden. In den ganz nekrotischen Gebieten zeigen die Gefäße eine homogene, glasige, Haemalaun-Eosin blaßblau gefärbte Membran ohne Kern. Immer steht im Vordergrunde die mächtige Wucherung der Adventitia. Es ist nun nicht ohne Interesse zu sehen, daß diese Gefäße auch in den Randgebieten des Tumors sich finden. Solche Gefäße liegen dann neben den sehr erweiterten der erstgenannten Art und zeigen in ihren Wandungen vereinzelt eingebrochene Gliazellen. Noch besser sieht man die Umwandlung der (Gefäßwand in dem Mallory-Präparat. Hier ist die Homogenisation der Wand und deren mächtige bindegewebige Verbreiterung auch an Stellen zu schen, wo noch keine auffallende Degeneration vorhanden ist. Es ist schwer, das elastische Gewebe in diesen umgewandelten Gefäßen nachzuweisen. Jedenfalls ist das Vorhandensein desselben sehr gering.

Da der Tumor infiltrativ wächst, so reicht er sehr weit in die Umgebung hinein. Aber im gesunden Gewebe, hart an der Grenze des Tumors, zeigt sich auch hier wieder nur eine Stauung, die allerdings eine ziemlich beträchtliche ist. Die Gefäß- wände erscheinen aber dunkler gefärbt als es der Norm entspricht. Das Binde- gewebspräparat zeigt keine Differenz.

Das basale Hirngefäß, das hier zur Untersuchung kam, zeigt an einer Stelle eine ganz minimale Intimaverbreiterung und eine ganz merkwürdige Verdickung der Elastika. Die Elastika ist nicht nur verbreitert, sondern man sieht einzelne Granula in ihr, wie wenn es sich um eine Auflösung handeln würde. Darüber ist die Intima ein wenig verbreitert und homogenisiert, was sonst bei diesem Gefäße nicht der Fall ist.

Zusammenfassung.

Auch in diesem vierten Falle von Gliom zeigen sich schwere Verände- rungen der Gefäße im Tumor. Während ein Teil der Gefäße eine mächtige Verbreiterung erfährt bei relativ dünner Wand, ist der andere Teil der

36 l Dr. Joseph C. Yaskin.

Gefäße, besonders an den Grenzen des nekrotischen Gebietes und in dem nekrotischen Gebiete selbst, schwerst verändert. Die Adventitia ist verdickt, homogenisiert und schließlich betrifft diese Homogenisation das ganze Gefäß. An einzelnen Stellen zeigt sich ein Einbrechen der Geschwulst- zellen in die Gefäßwand, die stellenweise vollständig von der Geschwulst- masse durchsetzt wird, wobei Geschwulstzellen in das Innere des Lumen hineinragen. In der Umgebung zeigen die Gefäße die gewohnte Stauung ohne sehr deutliche Wandveränderung. An den basalen Gefäßen zeigt sich auch hier eine Endarteriitis, allerdings sehr mäßigen Grades, und an einer Stelle eine sehr merkwürdige Veränderung der Elastika.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urämie.

Von Dr. Kensuke Uchida, Saitama (Japan). Mit 6 Abbildungen.

Die Mitbeteiligung des Gehirns bei der Urämie hat viele Autoren bewogen, nach den Ursachen dieser Mitbeteiligung zu forschen. Es wurden dabei verschiedene Wege betreten; der klinische, der zumeist gezeigt hat, daß es sich um eine schwere Nierenschädigung handle, bei welcher der Reststickstoff im Blute vermehrt oder das Verhältnis zwischen Flüssig- keit und festen Stoffen gestört war oder aber, wie das in neuerer Zeit häufiger geschieht, eine Azidose schuld an diesen Veränderungen war.

Eine zweite Gruppe von Autoren bemühte sich zunächst festzustellen, aus welchem Grunde irgendwelche Blut- oder Harntoxine das Gehirn an greifen können. Paul v. Monakow hat als erster die Meinung vertreten, daß eine schwere Schädigung des Plexus chorioideus den Angriff toxischer Substanzen auf das Gehirn ermöglichen kann. Die Untersuchungen Tannen- bergs geben diesem nur zum Teil recht. Aber nicht nur diese, sondern auch die Untersuchungen Saitos haben eigentlich gezeigt, daß Plexus- veränderungen bei den verschiedensten Erkrankungen vorkommen können, ohne daß man sie in direkte Beziehung zur Schädigung des Gehirns bringen könnte. An dieser Tatsache ändert auch nicht die weitere Mitteilung Paul v. Monakows, die sich gegen die Anschauung Tannenbergs richtet. Es soll keineswegs in Zweifel gezogen werden, daß bei Urämie Plexus- veränderungen vorkommen. Aber sie in ätiologische Beziehung zur Genese der Krankheit zu setzen, erscheint zum mindesten ungewiß.

Wenn wir die Literatur über diesen Gegenstand genauer ins Auge fassen und auf die frühere Zeit zurückgehen, so hat zunächst Raymond urämische Delirien rein klinisch beschrieben.

Der Fall von Walzer, bei dem es sich um eine Eklampsie post partum handelte mit embolischen Erscheinungen, gehört wohl kaum hicher.

Es folgt dann eine nicht uninteressante Arbeit von Spanbock, der die Harnleiter unterband, anfangs eine Zunahme der Erregbarkeit der motori- schen Rinde beobachtete, später aber eine Abnahme. Das Wesentlichste

38 Dr. Kensuke Uchida.

ist, daß er zu erweisen sucht, daß diese Erscheinungen durch Veränderungen bedingt sind, welche die Rindenzentren selbst erleiden.

Auf einem anderen Wege hat Rithman die Wirkung der Urämie zu ergründen gesucht, indem er zeigte, daß die bei Nephritiden vorhandenen Erblindungen rein peripher bedingt und durch ein Ödem der Optikus- scheiden ausgelöst werden. Er selbst fand bei einer Obduktion nur eine leichte Verdickung der Optikusscheiden und der kleinen Gefäße. Auch durch Blutungen können Amaurosen eintreten. Jedenfalls ist das Prinzipielle ein Ödem in den Optikusscheiden.

Dercum beschreibt eine Hemiataxie nach Urämie und meint, sie sei pathologisch-anatomisch schwer zu erklären, da man bei urämischer Hemiplegie und Konvulsionen eigentlich anatomisch keine Veränderungen gefunden hat. In seinem Falle ist er allerdings geneigt, eine anatomische Veränderung anzunehmen.

J. Crocq (Brüssel) nimmt in einem Falle von Polyneuritis Urämie als Ursache an, eine Annahme, der jedenfalls mit großer Vorsicht zu begegnen ist.

W. Semidaloff spricht nur klinisch über Psychosen bei Urämie, ähnlich wie Fouque.

In einer Arbeit aus dem Wiener Neurologischen Institute hat sich Murachi über die Quellungsfähigkeit des urämischen Nervengewebes gegen Wasser geäußert. Sie ist geringer als jene des normalen Nervengewebes. Was aber das Wichtigste ist, das ist der Umstand, daß das Gehirn gegenüber stärkeren Säuren eine dem normalen Gehirn nicht nur identische, sondern sogar verstärkte Quellungsfähigkeit besitze. Die Azidität des (Gehirns bei Urämie zeigt keine Zunahme, scheint vielmehr von der Zeit abhängig zu sein, die zwischen dem Tod und der Untersuchung verstrich.

Eine anatomische Untersuchung eines urämischen Gehirns, bei dem eine Vagusparalyse bestand, hat Silvan vorgenommen, der neben Ganglien- zellveränderungen im Hirnstamme perivaskuläre Infiltration der Gefäße fand, aber auch im Virchow-Robinschen Raume rote Blutkörperchen nachweisen konnte. Diese Veränderungen waren diffus, sowohl in der weißen als in der grauen Substanz. Was das Wichtigste ist, es bestanden keinerlei Beziehungen zur Pia mater und die Veränderungen waren im Bulbus medullae am stärksten ausgesprochen.

Die Arbeit v. Monakows wurde schon erwähnt, ebenso die Angaben Tannenbergs. Wenn man letzterem folgt, so zeigt der Plexus entweder ein normales Verhalten, oder Sklerosierung, oder schwere Veränderungen im Sinne v. Monakows. Von seinen sieben urämischen Fällen zeigt einer normalen Plexus, vier Fälle geringe Sklerosierung und nur zwei Fälle schwere Veränderungen. Solche aber fanden sich auch in sechzehn Fällen anderer Genese, was übrigens ja auch Saito bereits zu beobachten Ge- legenheit hatte, weshalb Tannenberg die Annahme v. Monakows ablehnt. Wie schon erwähnt, konnten auch die neueren Untersuchungen v. Mona- kows nichts Überzeugendes für seine Annahme beibringen.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urämie. 39

Sehr wichtig erscheint mir eine Arbeit von Olaf Bang. Es ist nur nicht klar, was er unter aseptisch-eitriger Meningitis versteht. Der Umstand, daß in der Spinalflüssigkeit wohl polynukleäre Leukozyten, nie aber Mikroben nachzuweisen waren, beweist doch nichts gegen eine Infiltration. Er erwähnt Chaufard, der Entzündungserscheinungen in den Meningen Urämischer anzweifelt. Ich glaube kaum, daß die isolierte Untersuchung der Spinal- flüssigkeit beweisend für derartige Annahmen sein kann.

Die Arbeiten von Roth und Lax sind hier von weniger Belang. Da- gegen hat James S. Anderson gezeigt, daß die Harnstoffwerte im Liquor bei einem tödlich verlaufenden Falle von Urämie gesteigert sein können.

Die Arbeit von Larsson hat für uns wenig Wert. Dagegen beschreibt Avezzu eine Polyneuritis bei einer alten Frau, die er in Beziehung zur Urämie bringt.

Während die Arbeit von Claude und Ceillier nur die klinische Tat- sachen des Bestehens urämischer Psychosen erbringt, hat Rives zwei Gehirne von an Urämie Gestorbenen untersucht und gefunden, daß die IH. und V. Schichte der Zellen im Rindengrau affiziert war, ein Teil der (ianglien geschwunden und die Schichten dadurch gelichtet waren. Weiters fand er ein Gleiches in der Calcarina in der V. und VII. Schichte. Sehr wichtig erscheint die Angabe einer in den obersten Schichten bestehenden Gliose, die sich in die Tiefe fortsetzte. Von großer Bedeutung sind auch die Angaben über die Ammonshornveriinderungen, die sich vollständig gleich verhalten jenen bei Epilepsie. Dagegen konnte er keine Amöboidose nachweisen.

Franke, Goertz und Krzyzanowski haben sich mit der Frage der chemischen Untersuchung des Liquor befaßt und gemeint, daß bei der Urämie eine Sensibilisierung des zentralen Nervensystems nötig sei, wobei es scheint, als ob sie sich in ihren Erwägungen jenen Paul v. Monakows nähern würden.

Die Arbeit Warburgs ist hier nicht sehr von Interesse, da es sich hier mehr um ein diabetisches Koma handelt.

Es sei vielleicht hier noch eine Arbeit über die Veränderungen des Zentralnervensystems bei experimenteller Säurevergiftung erwähnt, weil, : wie bekannt, die Azidosis als Ursache der urämischen Hirnveränderungen ange- sehen wird. Heß und Pollak haben im Wiener Neurologischen Institute gezeigt, daß es bei experimenteller Säurevergiftung zu schweren Parenchym- schädigungen kommen kann, besonders im dorsalen Vaguskern zu Vakuoli- sierung von Zellen und Veränderung perizellulärer Strukturen. Mehr minder grobe Klümpchen umranken die Zellperipherie. Sie identifizieren das mit Inkrustation der Golgi-Netze. Ferner zeigt sich eine geringgradige Glia- reaktion sowie eine Schwellung der Gefäßendothelien, eine proliferative Veränderung der Adventitia und Erfüllung des Virchow-Robinschen Raumes mit Abraumzellen.

Mein eigenes Material betrifft drei Fälle, die ich im folgenden genau beschreiben will.

40 Dr. Kensuke Uchida.

I. Fall.

A. N.. 26 Jahre alt. Der Kranke hat mit 15 Jahren eine Osteomyelitis über- standen und wurde fünfmal operiert; danach Heilung. Seit kurzer Zeit Mattigkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen. Im Harn 21/5%0 Eiweiß-Erythrozythen, hyaline Zylinder. Urämische Symptome treten auf. Drei Monate nach dem Beginne der Erkrankung Exitus.

Die klinische Diagnose lautet auf chronische Urämie.

Hirn- und Lungenödem, sekundäre Schrumpfniere, alte Osteomyelitis der rechten Unterschenkelknochen, alte Schußverletzung an der linken Seite; Angustitas vasorum.

Der anatomische Befund ergibt, abgesehen von dem kleinen Hirndefekt durch die Schußverletzung, links im Stirnhirn ein mächtiges Hirnödem, auch hochgradiges Lungenödem mit einzelnen lobulären Verdichtungsherden. Mäßige Vergrößerung der linken Herzhälfte. Unveränderter Klappenapparat, Stauungsleber.

Abb. 1 (Fall I). Drusenähnliche Gebilde in der Hirnrinde (Weigertfärbung).

_ Die Nieren sind stark verkleinert, die Oberfläche fein und ziemlich gleichmäßig granuliert, die Farbe weißlichgelb mit einzelnen punktförmigen Blutungen. Nieren- becken unverändert.

An einem Gefrierschnitt der Niere zeigen sich in der Nierenrinde ausgedehnte Schwielenfelder mit vollständig atrophischen Harnkanälchen, zahlreiche Glomerulus- narben, vereinzelte Reste von Glomerulis mit frischen Halbmonden, in denen noch erhaltene, meist dilatierte Harnkanälchen sich finden, hyaline und Blutzylinder und Verfettung des Epithels. Die Arteriolen sind teilweise in ihrer Wand verdickt und verfettet.

Der pathologisch-anatomische Befund lautet:

Atrophia renum und Nephritis chronica. Von den übrigen Details kann man absehen.

Die histologische Untersuchung ergibt:

Frontallappen:

Die Meninx ist entschieden verbreitert, und zwar fibrés. Kein Ödem in der Meninx. Sie erscheint von dem Gehirn abgehoben. Die Molekularschichte derb, ver-

Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urämie. 41

breitert, aber am Rande dichte Glia. Ein deutliches perivaskuläres Odem, das sich nicht nur an den Arteriolen, sondern auch an den Kapillaren nachweisen läßt. Die perivaskulären Räume sind von einem fädigen Netzwerk erfüllt, das am ehesten der Glia entspricht, nicht Fibrin. Im Mark analoge Verhältnisse.

In der II. Rindenschichte finden sich zahlreiche amöboide Zellen. Die Ganglien- zellen, besonders der III. Schichte, zeigen stellenweise Schwellungen. Das Tigroid ist nicht sonderlich gut erhalten, aber in den Kernen zeigt sich nichts Pathologisches. Auch die Zellen in den tieferen Schichten lassen Ähnliches erkennen.

Die Markscheidenfärbung dieses Gebietes zeigt die Radien intakt, den Mark- strahl desgleichen, aber die feinen Fasern der Rinde erscheinen wegdifferenziert. Sehr interessant ist nun, daß in einzelnen Zellen, aber auch außerhalb der Zellen, im Weigert-Präparat, deutlich dunkle Körnchen zu sehen sind, wie sie sonst nicht

Abb. 2. Detail aus Abb, 1.

gefunden werden. Es ist ein analoges Verhalten, wie man es bei der amaurotischen Idiotie zu sehen pflegt, und handelt sich wahrscheinlich um eine Anhäufung von prälipoiden Substanzen in den Zellen. Auch neben den Gefäßen liegen drusenähnliche Gebilde, die ungefähr aussehen wie Pseudokalk, aber eigentlich nur durch das Weigert-Präparat deutlich zur Darstellung kommen (Abb. 1 und 2). Am Hämalaun- Eosin-Präparat haben diese Gebilde eine ganz blaßblaue Färbung. Sie finden sich in den- verschiedenen Rindenschichten. Die Glia ist deutlich verdichtet, die Gefäß- wände verbreitert, Endothelschwellung, stellenweise auch eine Auflockerung und Aufhellung der Wand der größeren Rindengefäße.

Zentralwindungen:

Im Gebiete der Zentralwindung ist stellenweise die Fibrose der Meninx noch stärker wie im vorigen Präparat. Die Gefäßwände sind dicker, besonders die der Meningen, mit deutlicher Wandbildung, aber einer Homogenisation der Media. Das Ödem wie früher. Hier, wo die Ganglienzellen sehr groß sind, kann man erkennen, daß überall Schwellungen bestehen und die Tigroide eigentlich verhältnismäßig gut

42 Dr. Kensuke Uchida.

erhalten sind. Nur in einzelnen treten Bilder hervor, die an axonale Degeneration erinnern. Aber in der Mehrzahl der Fälle zeigen sich die Zellen intakt. Auch hier amöboide Gliazellen.

Das Weigert-Präparat zeigt hier auch die feineren Fasern ganz gut gefärbt, aber genau so wie früher, deutliche drusenförmige Bildungen, und zwar hier haupt- sächlich in der III. Schichte, die am Hämalaun-Eosin-Präparat wenig hervortreten, im Weigert-Präparat aber durch ihre dunkle Farbe ins Auge fallen.

Die Ganglienzellen sind hier freier und nicht von den schwarzen Schollen erfüllt wie in den Stirnpartien.

Parietallappen:

In dem Parietallappen ist besonders in den Sulci die Verdickung der Meninx ziemlich beträchtlich, sonst aber verhältnismäßig gering. Das Rindenbild zeigt eine sehr gute Ausbildung, das Ödem ist gering; nur an einer Stelle zeigt sich ein mehr umschriebener Herd mit einem mächtigen Ödem. Betrachtet man das Gefäß dieses Herdes, so ist es besonders dickwandig und zeigt nur ein kleines Lumen.

Entsprechend dem geringen Ödem sind die Ganglienzellen hier verhältnismäßig gut erhalten. Man findet auch weniger amöboide Gliazellen.

Die Weigert-Färbung zeigt ganz normale Verhältnisse. Nur an der Peripherie und vielleicht bis in die Il. Schichte reichend, wieder die eigentümlichen drusen- ähnlichen Gebilde. Hier sind die Ganglienzellen ziemlich frei von den sonst sicht- baren schwarzen Niederschlägen im Weigert-Präparat.

Fissura calcarina:

Die Pia ist hier wesentlich zarter, als wie in den frontalen Regionen. Das Ödem ist vorhanden, aber deutlich geringer. Auch hier wieder stellenweise die eigen- tümlichen Niederschläge schon am Hämalaun-Eosin-Präparat sichtbar. Das Faserbild ist tadellos erhalten, doch zeigt sich auch hier an einzelnen Stellen, und zwar ganz eigenartig angeordnet, der merkwürdige Niederschlag. Er reicht hier von den äußersten Schichten an einer Stelle bis hinein in die IV. Schichte. Auch hier kann man wieder an den Ganglienzellen kleinste schwarze Körperchen wahrnehmen.

Temporallappen:

Die Gefäße sind dickwandig, sklerosiert, die Rinde verbreitert, die Glia ver- dichtet, das Ödem ziemlich beträchtlich, fast so wie im Stirnteil. Keine auffallende Schwellung der Ganglienzellen. Hier fehlen die Niederschlagsbildungen der früheren Gebiete. Auch in den Ganglienzellen kein Pigment, dagegen sind die Gefäße sehr schwer verändert.

Stammganglien:

Schwerste Schädigung der Gefäße. Perivaskuläre Ödeme auch an den Kapillaren. Auffallend die intakten Ganglienzellen, wiewohl man an einzelnen deutliche Schwellungserscheinungen erkennen kann. Hier sind nirgends jene in der Rinde be- schriebenen, drusenähnlichen Gebilde nachzuweisen. Auch in den Ganglienzellen fehlen die Niederschläge.

Zusammenfassung.

In einem Falle, der im urämischen Koma zugrunde ging, zeigt die Him- rinde folgenden Befund: schwere Meningo-Fibrose, vorwiegend frontal, nach occipital abklingend, ferner ein schweres Ödem, vorwiegend perivaskulär, das auch in den Stammganglien nachzuweisen ist. Schwere Veränderungen der Gefäße im Sinne einer Wandverbreiterung, Homogenisation und Ver- engerung des Lumen. Klemes umschriebenes Ödem im Gewebe. An einzelnen

Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urämie. 43

Stellen der Rinde drusenartige Niederschläge mit Hämalaun schwach blau gefärbt, mit Weigert-Hämatoxylin schwarz gefärbt, in den zentralen Partien auch in den Ganglienzellen mit Weigert-Hämatoxylin dunkel gefärbt.

I. Fall.

L. W., 22 Jahre alter Mann.

Dieser Fall wurde von Leo Heß und Eugen Pollak da er unter dem Bilde der zerebralen Oligopnoe zugrunde gegangen ist im Wiener Archiv für innere Medizin, 1927, Bd. XIV, S. 440, bereits wegen dieser Oligopnoe veröffentlicht. Der 22 Jahre alte Patient hat als Kind Masern, Schafblattern, Keuchhusten und Scharlach überstanden. Es besteht Hochdruck, leichte Albuminurie und enorme Stickstoff- Retention im Blute. In den letzten Tagen ante exitum bei freiem Sensorium und normaler Temperatur tritt hochgradige Atemverlangsamung ein, und zwar sechs bis sieben sehr tiefe Atemzüge in der Minute.

Die Diagnose lautet: chronische Nephritis und Urämie. Linksseitige Herz- hypertrophie, hämorrhagischer Infarkt der rechten Lunge.

Der Obduktionsbefund ergibt auch hier hochgradiges Hirn- und Lungenödem mit frischen hämorrhagischen Infarkten in der Lunge, Stauungsblutungen. Beträchtliche Vergrößerung des Herzens, Verwachsungen mit dem Herzbeutel, die Klappen zart, auch die Koronargefäße. Stauungsleber, Stauungsmilz. Die rechte Niere beträchtlich verkleinert und geschrumpft, beide von zäher, lederartiger Konsistenz. Die Struktur ist vollständig verloren gegangen, die Rinde verschmiilert. Rechts zahlreiche, steck- nadelkopf- bis hanfkorngroße dünnwandige Zystchen.

Histologisch zeigt die Niere eine mächtige, narbige, interstitielle bindegewebige Wucherung mit kleinzelliger Infiltration und mächtiger Gefäßsklerose bis zur völligen Obliteration des Lumen der kleineren und kleinsten Gefäße. Glomerulusschwielen, Wucherung der Tubuliepithelien, so daß man histologisch teils eine genuine Schrumpf- niere, teils eine sekundäre Schrumpfniere anerkennen muß.

Die histologische Untersuchung ergibt:

Frontallappen:

Die Pia ist hier eher zart. In dem ‚Gewebe selbst ist ein ganz minimales aber deutliches Ödem, besonders um die Gefäße. Hier ist aber der Prozeß an den Gefäßen ganz anders als im I. Falle. Es zeigt sich nämlich perivaskulär eine deutliche Des- integration, während das eigentliche Ödem verhältnismäßig gering erscheint. Die Desintegration ist nicht ganz gleichmäßig. An einzelnen Gefäßen ist sie besonders intensiv, an anderen fehlt sie vollständig. Auch hier ist die Molekularschichte etwas breiter und dichter und an der Grenze zur II. Schichte zeigt sich eine Autlocke rung. Das Intimaendothel ist geschwollen, die Media homogenisiert und verbreitert und stellenweise sogar etwas nekrotisch. Die Adventitia ist etwas verbreitert. Hier sieht man Anreicherung von kleinen Gliazellen im Gewebe. Die Ganglienzellen sind eigentlich nicht wesentlich verändert. Man sieht vor allen ‚Dingen verhältnismäßig wenig Schwellungen. Einzelne zeigen geringe Neuronophagien.

Das Weigert-Präparat zeigt die Faserfärbung nicht sonderlich günstig in der Rinde, obwohl auch hier die feinen Fasern gefärbt sind. Keine Nielerschlags- bildungen.

Zentralwindungen:

Hier ist das Ödem deutlicher. Die Gefäßveränderung ist besonders in den Meningen eine sehr beträchtliche. Auch sieht man hier wiederum die schwere Meningo-Fibrose (Abb. 3). Stellenweise sieht man sogar an einzelnen Gefäßen beginnende Verkalkung der Elastica. Das Ödem ist viel deutlicher als in den vorigen Schnitten, ist diffus und betrifft nicht nur das Gebiet unt die Gefäße. Auch hier ist an einzelnen Gefäßen eine Desintegration in der Peripherie zu sehen, die weitreichender ist als die im Frontallappen. Jedenfalls ist hier ein sehr ausgesprochenes Ödem vorhanden.

44 Dr. Kensuke Uchida.

Das Nissl-Präparat dieses Gebietes zeigt die Ganglienzellen verhältnismäßig gut erhalten. Auch sieht man hier nichts von besonderen Schwellungen, vielleicht daß die großen Ganglienzellen, die sogenannten Riesenzellen, eher eine Andeutung von Schwellung zeigen als die kleineren und mittelgroßen.

Das Weigert-Präparat zeigt die feinen Fasern sehr gut gefärbt, nirgends Spuren eines Niederschlages. Auch in den Ganglienzellen sieht man nicht die schwarzen Körperchen, wie sie im I. Falle zu sehen waren.

Parietalregion:

Die Meningo-Fibrose ist auch hier sehr deutlich. Die Gefäßveränderung wie in der Zentralregion. Das Ödem tritt hier etwas zurück, aber auch hier sind stellen- weise Herde mit großen Desintegrationen perivaskulär. Diese Herde sind nicht nur in der Rinde, sondern auch im Mark deutlich zu sehen.

Im Nissl-Präparat zeigen sich hier eher kleine leichte Schwellungen als wie

7 EEE ä

Abb. 3 (Fall II). Meningofibrose.

in den früheren Schnitten. Aber im großen und ganzen sind auch hier die Zell- formen gut erhalten. Nur die Molekularschichte hat gelitten. Hier sieht man eine Verdichtung und auch eine leichte Verbreiterung der Schichte, die sich nach innen zu auflockert.

Das Weigert-Präparat läßt wiederum verhältnismäßig normale Zustände erkennen. Auch hier keinerlei Niederschläge.

Fissura calcarina:

Auffällig ist hier die Zartheit der Pia. Während noch im Parietallappen die Pia vielleicht acht- bis zehnmal so breit war, als es der Norm entspricht, ist hier die Pia kaum gegenüber der Norm verbreitert. Dagegen sind die Gefäße analog verändert wie in den anderen Lappen. Außerdem sieht man auch hier deutlich das Ödem, be- sonders perivaskulär und auch diffus im Gewebe. Die Desintegrationen sind jedoch hier nicht so deutlich. Jedenfalls nicht so, wie in den anderen Lappen.

DieZellveränderungen sind sehr geringfügig, kaum daß man eineSchwellung erkennt. Auch sonst sind Reizungen der Glia nicht wahrzunehmen, d. h. es fehlen neurono- phagische Vermehrungen der Satelliten.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urämie. 45

Die Färbung der Rinde im Weigert-Präparat ist vollständig normal. Auch die tangentiale Faserschichte erweist sich als völlig normal.

Temporallappen:

Gegenüber dem Parietallappen zeigt der Temporallappen, bei dem leider die Pia abgerissen ist, ein viel stärkeres Ödem, das alle Schichten der Rinde durchsetzt und besonders perivaskulär hervortritt. Man sieht auch in einzelnen Gefäßen Stauungen und eine Vermehrung der Randglia. Um solche Gefäße sieht man dann auch in der Peripherie Desintegrationen. Stellenweise macht diese Vermehrung der Randglia ganz den Eindruck, als ob es sich um ein Infiltrat handeln würde. Hier ist die Reizung der Glia eine stärkere, da wir auch in der Rinde eine Vermehrung der Satelliten sehen können, bei eigentlich nicht sehr wesentlich veränderten Ganglienzellen. Die Rindenfärbung

Abb. 4 (Fall II). Desintegration (Stammganglien).

ist hier ähnlich dem Occipitallappen, so daß wir alle Schichten deutlich gefärbt haben. Ausfälle sind kaum vorhanden.

Stammganglien:

In den Stammganglien ist das Ödem fast noch stärker als in der Rinde. Hier sieht man deutlich Desintegrationen. Am stärksten ist diese Desintegration im Putamen (Abb. 4, 5). In den Stammganglien sind die Zellen ziemlich blaß, einzelne auch geschwollen, aber die Mehrzahl von normaler Konfiguration.

Im Weigert-Präparat zeigen jedoch diese Zellen im Innern zarteste Körnchen. Auch finden sich Niederschläge stellenweise, die jedoch nicht das gleiche Aussehen haben wie jene im ersten Falle. Sie sind weniger drusenförmig und werden am

Hämalaunpräparat vermißt. Zusammenfassung.

In diesem Falle handelt es sich gleichfalls um eine Meningo-Fibrose, die auffallenderweise aber über den zentralen Windungen am stärksten

46 Dr. Kensuke Uchida.

ist, occipital fast verschwindet. Es zeigt sich ferner ein diffuses Odem, das ziemlich hohe Grade erreicht und zu einer perivaskuliren Desintegration fiihrt, die allerdings nur stellenweise deutlich ist; stellenweise erreicht sie beträchtliche Grade. Die Schwellung der Ganglienzellen ist hier gering, dagegen die Reizung der Glia vorhanden und man sieht an einzelnen Gefäßen sehr beträchtliche Vermehrung der Gliakerne. Ferner ist auffallend, daß die II. Schichte verbreitert und sklerosiert ist, trotzdem die Fasern ziemlich normal erscheinen. Niederschläge werden in der Rinde vermißt. Nur in den Stammganglien zeigen sich Niederschläge, die aber leicht als

Abb. 5. Detail aus Abb. 4. Gefäßwandnekrose und perivaskuläre Desintegration.

Artefakt erkannt werden und ganz von denen verschieden sind, die im ersten Falle zur Beobachtung kamen.

HI. Fall.

E. L., 62 Jahre alter Mann.

Der Patient erkrankte unter Schüttelfrost, stechenden Schmerzen in der rechten Brustseite und Fieber. Nach zwei Stunden unter Schweißausbruch Besserung. Es nahm dann plötzlich die Urinmenge ab bis auf 250 g. Es trat Erbrechen auf.

Der klinische Befund ergab eine rechtsseitige Pneumonie und eine Überempfind- lichkeit der Nieren.

Die Diagnose des rasch verstorbenen Kranken war demnach Pneumonie und Urämie.

Auch hier ergab der Befund ein Ödem des Gehirns, kruppöse Pneumonie des rechten Unterlappens, beiderseits adhäsive Pleuritis, Stauungsorgane.

Beide Nieren waren stark vergrößert. Die Kapsel nur mit Substanzverlust abzieh- bar. Die Oberfläche sowie die Schnittfläche bunt, indem gelblichweiße und rote

Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urimie. 47

Partien miteinander abwechseln. Am Gefrierschnitt zeigt die Niere in allen Kanälchen reichliche wachsartige Zylinder. In den Glomeruli einzelne Kapillarschlingen homogen, wie hylinisiert. Diese geben bei Methylviolett-Färbung Amyloidreaktion, so daß es sich also hier um eine subakute Amyloidose der Niere handelt.

Die histologische Untersuchung des Gehirns ergibt:

Frontallappen:

Auch hier ist die Pia mater wieder sehr stark fibrös verbreitert. Die Binde gewebsbalken sind wie in den anderen Schnitten sehr breit. Ein Infiltrat aber wird vollständig vermißt. Das Ödem in diesem Gebiet ist sehr deutlich und ganz ent- sprechend jenem der anderen Fälle, d. h. es breitet sich hauptsächlich perivaskulär aus. Man kann beinahe sagen, daß die Intensität des Ödems parallel geht mit der Verbreiterung der Pia. Auch hier sind an einzelnen Gefäßen Desintegrationen wahr- zunehmen, selbst in den Kapillaren. Aber die Mehrzahl ist davon frei. Die Gefäß- wände selbst sind etwas verdickt, homogenisiert, die Endothelien der Intima sind gequollen. Aber im großen und ganzen sind keine schweren Gefäßveränderungen zu sehen. Dagegen ist die Molekularschichte wieder verbreitert, sehr dicht in der Glia.

Eine spezifische Veränderung der Ganglienzellen ist hier nicht zu sehen. Das einzige, was sich zeigt, sind einzelne etwas geschwollene Zellen, aber mit gutem Tigroid und einer sogenannten Reizglia.

Im Weigert-Präparat fällt auf, daß die tangentiale Faserschichte und die super- radiären Fasern hier sehr defekt sind, während die Radien und der Markstrahl voll- ständig intakt erscheinen. Aber die Störung in den tangentialen Fasern bezieht sich nieht auf das ganze Gebiet. In den Ganglienzellen lassen sich nicht so deutlich wie im I. Falle schwarze Niederschläge erkennen. Auch sonst ist die Niederschlags- bildung sehr gering. Aber doch erkennt man im Weigert-Präparat einzelne Partien mit Niederschlagsbildung.

Zentralwindungen:

In den Zentralwindungen zeigt sich gleichtalls eine Verdickung der Pia, etwas weniger stark als in den früheren Präparaten. Hier ist eigentlich auffällig die Unregel- miBigkeit des Ödems, indem an einzelnen Stellen ein solches nahezu fehlt, an anderen vorhanden ist. Dagegen findet sich eine deutliche Stauung im Gewebe, besonders im Markstrahl. Auch die Desintegrationen sind hier deutlich zu sehen. In diesem Gebiet ist die Grliareaktion vielleicht am stärksten, jedenfalls so stark wie im Frontal- hirn, indem man die Trabantkerne vermehrt findet, stellenweise sugar echte Neurono- phagie. Auch in den Gefäßen ist die Glia vermehrt. Es zeigt sich auch an einzelnen Zellen ein Schwellungsprozeß. Aber im großen und ganzen sind auch hier die Zellen

ganz gut erhalten. Das Faserbild ist besser wie im Stirnhirn. Hier kann man nun da die Präparate besser differenziert sind deutlich erkennen, daß in den Ganglien-

zellen im Weigert-Präparat schwarzgefärbte Granula ziemlich reichlich vorhanden sind.

Parietallappen:

Hier ist die Pia wieder dicker als über der Zentralwindung, aber sie ist stellen- weise viel lockerer gefügt als wie im Frontallappen, wie wenn ein Ödem die dicken Bindegewebsbündel auseinanderdrängen würde. Die Gefäße in der Pia sind alle dilatiert und zeigen, abgesehen von der Schwellung der Intimazellen, besonders in der Adventitia eine auffallende Homogenisation. Auch die Mediakerne sind blasser. Das gleiche gilt auch für die Gefäße im Cortex. Das Ödem ist hier von mäßiger Inten- sität, die Stauung dagegen stärker. Desintegrationen sind relativ wenige. Auch hier Reizglia bei verhältnismäßig intakten Ganglienzellen. Auffallend gut ist die Färbung der feinen Fasern, sowohl in der tangentialen Schichte als tiefer. Nur dort, wo die Pia auffallend verdickt und dehiscent ist, zeigt sich die Verbreiterung der Mole- kularschichte und die schlechtere Entwicklung der tangentialen Fasern bis zu deren Schwund. Hier ist ein mehr diffuser Niederschlag, von dem sich nicht entscheiden

48 Dr. Kensuke Uchida.

läßt, ob er artefiziell ist oder da die Präparate im allgemeinen sehr rein er- scheinen nicht doch durch den Krankheitsprozeß bedingt erscheint.

Fissura calcarina:

Auffallend geringe Verbreiterung der Pia, die nur in den Sulci erkennen läßt, daß eine Verdickung statthat. Die Gefäße der Pia wie früher. Das Ödem der Rinde vorhanden, aber gar nicht besonders intensiv. Hier kann man sogar Gefäße sehen, bei denen der perivaskuläre Raum keine Erweiterung zeigt. Die Molekularschichte ist stark verbreitert. Auch hier auffallende Reizglia bei intakten, kaum geschwollenen Ganglienzellen.

Im Weigert-Priparat normale Verhältnisse, besonders im Vicqu'-d’Azyrschen Streifen. In den Ganglienzellen deutlich feinste Niederschläge, deutliche Granula-

Abb. 6 (Fall III). Verbreiterung des Virchow-Robinschen Raumes.

bildung, doch finden sich solche Granula auch in der Molekularschichte, und zwar in den Gliazellen.

Temporallappen:

Im Temporallappen ist die Pia leider größtenteils abgerissen. Wo sie vorhanden ist, besteht Verdickung, und zwar sehr beträchtliche Verdickung. Hier treten besonders die Gefäße deutlich hervor und zeigen eine nicht unbeträchtliche Wandverdickung und eine Erweiterung des Virchow-Robinschen Raumes auf ein Vielfaches (Abb. 6). Das Ödem in der Rinde ist an verschiedenen Stellen verschieden intensiv. Hier ist eigent- lich das Mark mehr geschädigt als die Rinde. Denn im Mark sieht man das Ganglien- zellbild wenig verändert. Einzelne Schwellungen sind wohl deutlich erkennbar, aber im großen und ganzen normale Verhältnisse. Hier ist wieder die Oberfläche und die feinen Fasern stellenweise sehr wesentlich geschädigt, die Radien aber intakt. Die Dehiszenzen im Mark treten nicht auffällig hervor. Auch hier ist ein mehr diffuser Niederschlag, doch kann man erkennen, daß die Ganglienzellen deutlich mit Hämatoxylin gefärbte dunkle Körnchen enthalten.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urämie. 49

Stammganglien:

Auch hier tritt das Ödem hervor sowie die perivaskuläre Desintegration. Auch die Gefäße zeigen die gleiche Schädigung wie in der Hirnrinde. Stellenweise ist die perivaskuläre Desintegration sogar stärker, als sie in der Rinde zum Ausdrucke ge- kommen ist. Auch in den Ganglienzellen zeigt sich eine deutliche Schädigung, ebenso wie die Gliakerne vermehrt sind. Auch hier ist besonders der ProzeB am stärksten ın den ventralen Putamenpartien. An der Faserung kann man keine auffallenden Veränderungen wahrnehmen. Hier sind keine deutlichen Niederschläge im Gewebe zu finden. Doch kann man an den Zellen auch hier eine durch die Weigert-Hämatoxylin- färbung schwarzgefärbte Körnelung erkennen. Sie ist aber wesentlich geringer als in der Rinde.

Zusammenfassung.

Auch in diesem Falle zeigt sich eine schwere Meningo-Fibrose und eine starke Erweiterung der peripheren Rindeuschichte. Dementsprechend sieht man an der Peripherie die feinen Fasern stellenweise geschwunden, stellenweise aber sind gerade die feinen Fasern intakt. Auch hier ist ein diffuses Odem sowohl in der Rinde als in den Stammganglien zu sehen, mit reichlichen perivaskulären Desintegrationen, wobei zu bemerken ist, daß in diesem Falle die Desintegrationen auch im Mark vorhanden sind. Ferner zeigt sich eine Reizglia bei verhältnismäßig intakten Ganglienzellen. Die venöse Stauung ist hier deutlicher als in den anderen Fällen. In diesem Falle sind diffuse Niederschläge in der Rinde, die aber einen artefiziellen Charakter an sich tragen. Außerdem aber zeigt sich, allerdings nicht überall, eine durch Weigert-Himatoxylin schwarz gefärbte Granulation in den Ganglien- zellen. Der Prozeß klingt sichtlich von frontal nach occipital ab, zeigt aber ein ungleichmäßiges Befallensein der einzelnen Partien.

Uberblickt man die angeführten Arbeiten, so sind nur wenige darunter, die Aufschluß über die pathologischen Veränderungen im Gehirn bei Urämie geben. Nur in den beiden Arbeiten, wo über Verlust von Zellen in bestimmten Hirnschichten berichtet wird und in einer weiteren, wo eine Verbreiterung der äußersten Rindenschichte angeführt ist, ist etwas derartiges festzu- stellen, wobei aber bemerkt werden muß, daß dies keinerlei Aufklärung über die urämischen Symptome ergibt.

In den drei Fällen von Urämie, die ich selbst untersucht habe, ist nur eines absolut sicher, daß es sich in zwei Fällen um echte Urämie ge- handelt hat, in einem Fall aber Amyloidose der Niere zu ähnlichen Erschei- nungen geführt hat. x

Uberblickt man diese wenigen Fälle, so zeigt sich in ihnen doch ein Gemeinsames, das mir für die Urämie von größter Bedeutung erscheint.

1. Es handelt sich bei diesen Fällen um eminent chronische Prozesse, nicht etwa um eine akute Veränderung. Diese chronischen Prozesse be- treffen in allererster Linie die Meningen. In allen drei Fällen bestand eine schwere Meningo-Fibrose. Wenn man von zwei Beobachtungen absieht, die eine nicht infektiöse eitrige Meningitis infolge des Ausfalles des Lumbal-

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd. 4

50 Dr. Kensuke Uchida.

punktes annehmen lassen, so ist über eine solche chronische Meningo- Fibrose bei der Urämie in den zitierten Berichten nichts vermerkt. Die über- mäßige Verbreiterung der Meningen ist sicherlich die Folge eines chronisch entzündlichen Prozesses. Man kann allerdings in den drei von mir unter- suchten Fällen nirgends ein Zeichen einer akuten Veränderung wahrnehmen. Dagegen sind in den Meningen die Gefäße aufs schwerste verändert. Auch hier handelt es sich nicht um eine Arteriosklerose, auch nicht um eine akute Veränderung der Gefäße, sondern um eine alle Wände betreffende Schädigung, im Sinne einer Verbreiterung der Wand und Schwellung der Intimazellen. Auffälligerweise sind destruktive Veränderungen kaum wahr- nehmbar. Diese Schädigung der Meningen ist keine generelle. Sie findet sich vorwiegend im Stirnhirn, über den Zentralwindungen, im Temporal- lappen, weniger schon im Parietallappen, am wenigsten im Occipitallappen, wo die Pia scheinbar vollständig normal ist. Es macht fast den Eindruck, als ob es sich hier um Ausbreitungen im Gebiete der Arteria fossae Sylvii handelt, während die occipitalen Partien und hinteren parietalen, die diesem Arteriengebiete nicht mehr angehören, relativ verschont sind. Daß aber diese Meningo-Fibrose nicht abhängig ist von der Grefäßveränderung, beweist der Umstand, daß auch die occipitalen Partien in den Meningen ver- änderte Gefäße aufweisen.

2. Es ist nun selbstverständlich, daß bei einer so schweren Ver- änderung der Meningen auch die molekulare Schichte der Hirnrinde eine Veränderung aufweist, und zwar im Sinne einer Sklerose. Man sieht ein derbes Glianetz, ohne daß jedoch eine Proliferation desselben in die Pia erfolgt wäre. Es ist auch auffällig, daß trotz dieses derben Glianetzes eigentlich die tangentiale Faserschichte stellenweise wenigstens vollständig erhalten ist, daß aber stellenweise, ohne daß man gerade sagen kann, daß hier der meningeale Prozeß ein stärkerer wäre, die tangentiale Faser- schichte fehlt. Es ist aber sicher: vollständig normale Verhältnisse in den superradiären und tangentialen Faserlagen sind nicht vorhanden. Die Ver- dichtung der Glia läßt eigentlich kaum erkennen, daß hier ein besonderes Ödem besteht, obwohl stellenweise, besonders nach innen zu, eine An- deutung eines Lückenfeldes zu sehen ist. Die Hauptveränderung des Rinden- graues besteht

3. in einem vorwiegend perivaskulär zum Ausdrucke kommenden Ödem. Die Rindengefäße sind genau wie die Gefäße der Pia verdickt. Auch hier zeigt sich eigentlich nur eine generelle Verdickung der Wand, nicht so sehr eine destruktive „Veränderung. Aber perivaskulär und mitunter auch im Virchow-Robinschen Raume sieht man deutliche Ödeme. Stellenweise führt dieses Ödem zu perivaskulären Desintegrationen im Gewebe und so wird es begreiflich, daß manche Autoren von Ausfallssymptomen bei urämisch Erkrankten berichten können. Ein diffuses Ödem der Rinde wird eigentlich vermißt. Auch ist der Prozeß in der Rinde stärker als im Mark. Gelegentlich sieht man auch eine venöse Stauung, doch tritt diese nicht allenthalben gleichmäßig hervor.

Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urämie. 51

Die Ausbreitung dieses eben geschilderten Prozesses ist diffus, soweit die Hirnrinde in Frage kommt, und betrifft auch die Stammganglien inklu- sive den Thalamus. Auch in den Stammganglien kann man gelegentlich eine deutliche Desintegration um die Gefäße wahrnehmen.

Das sind die drei hauptsächlichsten Veränderungen, die sich in der Rinde und in den Stammganglien bei der Urämie zeigen. Vergleicht man da- mit die Schädigungen des Parenchyms, zunächst jene der Ganglienzellen, so können wir die Befunde von Rivés nicht bestätigen. Zu generellen Aus- fällen in der III. und V. Schichte ist es in meinen Fällen nicht gekommen und es bestehen absolut deutliche Schwellungszustände in den Ganglien- zellen der Rinde, die jedoch nicht von besonderer Intensität sind, und was das Hauptsächlichste ist, nicht zur vollständigen Zerstörung der Zellen führen. Allerdings kann man aus dem Verhalten der Glia erkennen, daß diese Schädignng schon längere Zeit besteht. Denn sie erscheint deutlich gereizt und nimmt stellenweise sogar neuronophagischen Charakter an.

Es wurde schon erwähnt, daß auch die Nervenfasern leiden, und „war besonders die feinen Nervenfasern der Oberfläche, aber daB wir es hier nicht mit einem generellen Prozesse zu tun haben, sondern einer wahr- scheinlich durch die piale resp. gliöse Schädigung der äußeren Rinden- schichten bedingten Störung.

Was nun die Glia anlangt, so tritt ihre Veränderung in drei Formen hervor: Sklerose der äußeren Schichte, Auftreten von Reizglia auch an den Gefäßen und schließlich, wenigstens im ersten Falle, auch Amocboidose einzelner Gliazellen.

Letzten Endes muß noch ein Befund erwähnt werden, der sehr inter- essant, vielleicht auch von einer gewissen Bedeutung für das Wesen des Prozesses ist. Im ersten’ Falle zeigten sich eigentümliche Niederschläge, drusenartig, sowohl im Hämalaun als im Weigert-Präparat kenntlich, im ersteren Präparate schwach blau, im letzteren deutlich die Weigert-Hima- toxylinfärbung annehmend.

Da nun Heß und Pollak bei der Azidose des (Gehirns eigentümliche Inkrustationen an den Ganglienzellen beschrieben haben, so muß man diesen Niederschlägen, auf die ich hier nicht näher eingehen will, da Kubo und Buscaino sich erst kürzlich mit dieser Frage beschäftigt haben, doch eine gewisse Bedeutung beimessen. Nur muß man sich davor hüten, sie besonders hoch zu werten, da im dritten Falle ganz einwandfrei Nieder- schläge als Artefakte zu erkennen waren. Wenn man also auch diesen extra- zellulären Niederschligen keine besondere Beachtung schenken kann, so gilt das nicht für die eigentümliche Metachromasie granulärer Gebilde, die in den Zellen sich finden. Denn diese Gebilde färben sich mit Weigert- Hämatoxylin schwarz, ähnlich wie wir es bei den sogenannten Priilipoiden der amaurotischen Idiotie finden.

Ich führe diese Tatsachen an, ohne auf den Stoffwechsel der Zellen hier näher einzugehen, weil wir ja nicht wissen, welcher Prozeß der urä- mischen Degeneration zugrunde liegt.

4*

52 Dr. Kensuke Uchida.

Aus dem eben angeführten aber geht hervor, das es begreiflich erscheint, wenn wir beim Urämiker schwere zerebrale Erscheinungen bekommen, die unter Umständen zu lokalisierten Ausfällen führen können. Es ist eine Meningo-Encephalo-Pathie mit perivaskulärer Ödembildung und einer

Parenchymschädigung, deren Wesen uns allerdings noch nicht erfaßbar erscheint.

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Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel.

Von Alfred Auersperg. Mit 16 Abbildungen.

1. Involutionserscheinungen am menschlichen Plexus chorioideus im extrauterinen Leben.

Mit Riicksicht auf die reiche Literatur, die dem Plexus chorioideus gewidmet ist, glauben wir gut zu tun, unmittelbar an Bekanntes anknüpfend, ohne weitere Einleitung in medias res zu gehen.

In seiner jüngst erschienenen Arbeit über die Altersveränderungen des Plexus chorioideus resumiert Zalka seine Beobachtungen an 139 Fällen ungleichen Alters und verschiedener Todesursachen wie folgt: Die gewöhn- lichsten Veränderungen des Plexus chorioideus lassen sich mit dem Lebens- alter in Zusammenhang bringen. Sie treten in vorgerücktem Alter ziemlich regel- mäßig auf. Zu den Altersveränderungen sind zu rechnen von Seite der Epithelzellen die Vakuolen- und Pigmentbildung, die Abflachung; von Seite des Bindegewebes die diffuse und herdförmige Sklerose, die Entwicklung der Plexuszysten, der Psammomkörper sowie die hyalinen Tropfen und die Verkalkung.

Zalka bestätigt damit auf breiter Grundlage und in Zusammenfassung der Einzelheiten die schon von den alten Autoren (Luschka, Haeckel, Findlay usw.) gemachten Einzelbeobachtungen. Auch die von uns zu be- schreibenden 45 Fälle, zum großen Teil solche vorgerückten Alters, zeigen die besprochenen Verhältnisse. Es wurden untersucht

von O— 2 Jahren amaurotische Idiotie . 2 Fälle Pertussis . FE a kee N 1 Fall » 10—18 » Meningitis cerebrospinalis . 1 ,, Hydrocephali occlusi . 2 Fille » 30—40 ,„ Lues go ls 1 Fall Coma diabeticum . ‘re Diffuse Hirnsklerose . 2 Fälle Gliom . o Coe ake 1 Fall Organische Hirnerkrankung 2 Fälle

56 Alfred Auersperg.

Fälle über 60 Jahre: Marasmus. . . a 8 Encephalomalazie. . . . . 4 Ventrikelblutung . . , . . 2 HirnabszeB . . . .... 1 Fall Lues cerebrospinalis. . . . 2 Fälle Hydrocephalus congenitus . . 1 Fall

Urämie. . . . . . . . . 2 Fälle Pneunomie . . . . . . . 1 Fall

Pyelonephritis . 1 Tuberkulose . svat & ana F Mykosis fungoides. . . . . 1 Fall Ca. ventriculi 4F Cholelithiasis 2

Das Querschnittsbild des Plexus von Neugeborenen mit seinem zarten Bindegewebsstroma, der reichen Entfaltung seiner Zotten, an denen sich kaum mehr wie Kapillare und Epithel unterscheiden läßt, kontrastiert in der Regel schon bei Lupenvergrößerung in auffälliger Weise mit dem plumpen Organe des alten, das sowohl in dem arachnoidealen wie im pialen Anteile des Bindegewebes verdickt, in seiner Zottenoberfläche merklich reduziert erscheint.

Was die schon von Findlay beobachtete, von Imamura eingehender beschriebene zirkumskripte Zottensklerose betrifft, so konnten wir diese ziemlich zahlreich schon an einem 18jährigen Falle von Meningitis cerebro- spinalis (Abb. 1), geradezu. massenhaft bei Altersfällen, so insbesondere bei drei Fällen von Marasmus (Abb. 2), bei einem Falle von Ca. ventriculi einer 7ljährigen und drei Erweichungen beobachten. Überhaupt sind bei älteren Individuen zirkumskripte Zottensklerosen zwar quantitativ verschieden, aber immer vorhanden.

Diese den funktionell bedeutsamsten Anteil befallende Veränderung verdient gerade deshalb besondere Betonung. Um die Zottenkapillaren ent- wickelt sich ein hyalinisierender Bindegewebsbausch, der die Kapillare vom Zottenephitel abdrängt. Dieser Prozeß scheint schließlich zur völligen Ok- klusion, ja zum Schwunde der Kapillaren zu führen.

Die sogenannte Plexushydatide, die zystische Umwandlung des Glomus chorioideus des Hinterhornes hat als ein schon makroskopisch suffälliges Gebilde von jeher die Aufmerksamkeit der den Plexus untersuchenden Histologen auf sich gezogen, obwohl sie die scheinbar vollkommene Indiffe- renz dieser im Alter so häufig zu beobachtenden Bildung für ihren Träger übereinstimmend anerkennen.

Luschka, Van Gert, Schnopfhagen, Obersteiner u. a. definieren die Plexuszyste als eine Flüssigkeitsansammlung zwischen beiden Gefäß- blättern des meningealen Plexusstromas.

Findlay vermutet, daß freigewordene Corpora arenacea im Sinne des Flüssigkeitsstromes fortgeleitet, schließlich die Abflußwege verlegen und so

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 57

Abb. 2. Plexus eines Falles von Marasmus senilis; Zotten zu massiven Gruppen ver- schmolzen; Kapillaren im Gebiete der Spitzensklerose Immamuras obliteriert, zum Teil verkalkt.

58 Alfred Auersperg.

durch den Druck der gestauten Flüssigkeit zu dem Auseinanderweichen der Gefäßblätter Anlaß geben.

Schrant und Förster glauben die Zyste von hyperplastischen Epithel- zellen des Plexus, die das Bindegewebe verdriingend von diesem umwachsen werden, ableiten zu können. Eine Auffassung, die noch von ihren Zeit- genossen einstimmig abgelehnt wurde.

Nach Haeckels Meinung geht der Zyste eine geschwulstbildende Wuche- rung von Bindegewebszellen voraus. An diesen ist in der Folge eine Infiltration mit hyalinen Substanzen in Kugelform zu beobachten. Erst die Erweichung und konsekutive Verflüssigung dieses „eigentümlichen Neo- plasmas“ bedingt die Verwandlung des ursprünglich soliden Gebildes zu einer Zyste mit mehr oder weniger konsistentem bis wasserklarem Inhalte.

Askanazy hält die Zysten für den Ausdruck agonalen Ödems.

Zalka fand in zwei Fällen der von ihm beschriebenen 34 Zysten hyaline Tropfen. An einem dieser konnte er auch die von Haeckel be- schriebene intrazelluläre Lage dieser nachweisen. Im allgemeinen deutet Zalka diese Flüssigkeitsansammlung um die größeren Gefäße des menin- gealen Plexusstromas als eine Altersveränderung eben dieses Bindegewebes.

Ein Vorgang, der sich mit besonderer Deutlichkeit gerade an dieser Bildung auswirkt, scheint bisher der Beobachtung entgangen zu sein: die Involution der Plexuszotten und die dadurch verursachte Reduk- tion der freien Oberflächen im fortschreitenden Alter.

Eine Plexuszyste, die den ganzen zottigen Glomus des Hinterhornes ersetzt, überschreitet in der Regel nicht etwa Erbsengröße. Aus der Literatur sind uns nur zwei Fälle bekannt, bei denen die Zyste Wallnußgröße erreicht haben soll. Die eine, ein Befund Rokitanskys, bei Haeckel zitiert, die zweite ebendort beschrieben, aus eigener Beobachtung. Abb. 3 zeigt die typische Konfiguration des Zystenquerschnitts. Die spärlichen kurzen Zottenreste flottieren als Appendizes am ovoiden Körper der Zyste. Die ganze Bildung ist von typischem, meist etwas abgeplattetem Epithel überzogen. Vergegenwärtigt man sich, welche beträchtliche, durch seine reich ver- zweigten Zotten vervielfältigte Oberfläche der Glomus chorioideus des Hinter- hornes darstellt, so erscheint die Deckfläche der kaum erbsengroßen Zyste um ein sehr Vielfaches kleiner (Abb. 13, 14). Eine bloße Entfaltung des Zottenepithels von innen her, sei es durch den Druck der Flüssigkeit, sei es durch die Zellwucherung im Plexusbindegewebe nach Haeckel, kann die Umgestaltung des zotten- und damit oberflächenreichen Glomus zu der relativ glatten und daher oberflächenarmen Zyste nicht erklären. Es ergibt sich zwingend, daß im Verlaufe der Zystenentwicklung eine Involution der Zotten stattgehabt haben muß, um die wesentliche Oberflächenreduktion vom Plexusglomus zur Plexuszyste zu bedingen:

Es wurde schon erwähnt, daß auch die diffuse Sklerose des Plexus augen- scheinlich mit einer Reduktion des epithelialen Anteiles des Organes einher- geht. Nachdem aber dieser Prozeß aus später zu erörternden Gründen gerade

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 59

am Glomus chorioideus am besten erweisbar ist, so wollen wir der ein- gehenderen Betrachtung der diffusen Sklerose die Beschreibung der Umbildung des Plexusglomus zur Plexuszyste voranstellen.

Der Plexus des einen Falles amaurotischer Idiotie, der im ersten Lebens- jahre zur Obduktion kam, zeigte allenthalben das typische Querschnittsbild des frühkindlichen Plexus mit schmalen Zotten und zartem, spärlichen Binde- gewebe. Der Glomus chorioideus war vom iibrigen Organ nur quantitativ durch die reichere Zottenentfaltung verschieden, verhielt sich aber qualitativ, speziell im Verhältnis des Epithels zum Stroma ganz wie das übrige Organ. Bei den zwei anderen frühkindlichen Plexus war der Glomus zu einem soliden Knötchen zusammengeschlossen. Plexuszysten werden von sämtlichen Autoren

Abb. 3. Plexushydatide.

über diesen Gegenstand als Altersveränderungen aufgefaßt. Geschlossene Bildungen des Glomus beim Kinde wurden unseres Wissens nicht beschrieben. Unser Material ist ein zu geringes, um die Seltenheit derartiger Bildungen im Kindesalter abzuschätzen. Wenn wir auch an unseren übrigen Fällen am Plexusglomus eine viel weiter gehende Sklerose und Involution beobachten als am übrigen Organ, so sahen wir doch an keinem der übrigen Fälle eine so massenhafte Zusammenbackung der Zotten, wie an den zwei zu besprechenden Fällen. Nun ist wohl mit Sicherheit nicht auszuschließen, daß diesen zwei Plexusknötchen ein anderer Prozeß als der gewöhnlich zur Bildung der Plexus- hydatide führende, etwa eine Hemmungsmißbildung, zugrunde liegt. Doch ist es gerade bei der Betrachtung der sogenannten Alterveränderungen des Plexus auffallend, daß man zwar wohl fast niemals den Plexus eines Greises mit jugendlicher Entfaltung, wohl aber relativ häufig bei in mittleren Lebensjahren

60 Alfred Auersperg.

Verstorbenen, Plexus mit fortgeschrittener Sklerose (Abb. 10) zu Gesicht bekommt, was dafür spricht, daß dieser Prozeß zu individuell ganz verschie- denen Zeiten einsetzen kann. Auch zeigen die Plexusknötchen der zwei früh- kindlichen Fälle im histologischen Bilde so viele verwandte Züge mit der Zyste, daß wir sie auch genetisch in der Beschreibung der Zystenentwicklung voransetzen zu können glauben. Es folgt der Befund am Glomus des Hinter- hornes des zweiten Falles von amaurotischer Idiotie, gestorben im Alter von 11/, Jahren an einer Sinusthrombose infolge von Otitis media: schon bei makroskopischem Augenschein erscheint an Stelle des Glomus ein spindelförmiges, solides Gebilde, etwa von der Größe eines Apfelkernes. Der Querschnitt ist zum überwiegenden Teil von einer weißen Gewebsmasse erfüllt. An der Peripherie zeichnet sich deutlich ein Kranz von unregel- mäßig konturierten Bluträumen .ab, dicht daran ein grauer Saum, der Rest der Zotten des Glomus. Das histologische Bild zeigt im bindegewebigen zentralen Anteil ein relativ kernarmes Gewebe, durchzogen von kem- reichen Bindegewebssträngen, die besonders um die größeren Gefäße zu finden sind. Das locker gefügte kernärmere Bindegewebsareal zeigt stellen- weise eine Lockerung des Gefüges, Zeichen von Zerfall, im Fettpräparat ein- zelne Nester von Fettkörnchenzellen. Dies mag vielleicht als Vorzeichen zystischer Umwandlung gedeutet werden. Näheres über das Verhalten der bindegewebigen Zwischensubstanz auszusagen, ist technisch unmöglich. Dieser Fall wurde mit Rücksicht auf beabsichtigte Fettfärbung in Gelatine eingebettet. Wegen diffuser Mitfärbung der Einbettungsmasse sind elektive Bindegewebs- färbungen nicht zu machen.

Unsere besondere Aufmerksamkeit richtet: sich aber auf die periphere Zone dieses Gebildes (Abb. 4). Sie ist gegen innen zu durch einen kern- reichen Saum fast in der ganzen Zirkumferenz wohl abgegrenzt. Die äußere Oberfläche ist grob- und kurz-villös, stellenweise gegen die Tiefe zu zer- klüftet und allenthalben von Plexusepithel überzogen. Die periphere Zone als solche zeigt schon bei schwacher Vergrößerung eine Fülle von Einzelheiten Dicht nebeneinander liegen die Querschnittslumina kleinster Gefäße, nach allen Richtungen, von Zellsträngen durchzogen. Die schon makroskopisch sichtbaren, unregelmäßig konturierten Gefäßlumina liegen ebenfalls inner- halb der besprochenen Zone, wobei am histologischen Bilde die Größe sowie die abenteuerliche Vielgestaltigkeit der Lumenquerschnitte ganz be- sonders auffällig ist. Bei starker Vergrößerung (Abb. 5) lassen sich die zelligen Stränge eindeutig als Abkömmlinge des Plexusepithels erkennen. Sie stehen stellenweise in kontinuierlichem Zusammenhange mit der cepi- thelialen Oberfläche. Die Kerne dieser Zellen sind vorwiegend rund, die Zellen relativ plasmareich, das Plasma zeigt bei Fettfärbung den leicht gelblichen Ton der Plexusepithelzellen der Oberfläche. Meist sind sie, wie gesagt, in ihrer epithelialen Kontinuität erhalten, stellenweise aber von Bindegewebe durchwachsen, kommt es zur Bildung einzelner Zellnester. Die gehäuften Querschnitte kleinster Gefäße sind von perithelial angeordneten Zellen ringformig umschlossen. Die großen, unregelmäßig konturierten,

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 61

T Sea Abb. 5. Detail aus der Randzone der Abb. 4.

62 Alfred Auersperg.

strotzend gefüllten Bluträume zeigen keine eigentliche Wandbildung und sind wohl dem venösem Systeme zuzuteilen.

II. Fall.

1 Jahr alt, gestorben an Pertussis. Ähnliches Gebilde wie im Fall I. Etwas kleiner als dieses. Im histologischen Schnitt erweist sich die Oberfläche zum größten Teil der Zirkumferenz als geschlossen. Nur am äußersten Ende zeigt sich eine ähnliche plump-zottige Verzweigung wie im Fall I. Die bindegewebige Mitte ist ähnlich konfiguriert wie im eben beschriebenen Plexus. Unter der glatt dahin- ziehenden epithelialen Oberfläche der seitlichen Grenzflächen beobachtet man ein Konvolut von epitheloiden Zellsträngen und Kapillaren. In der periphersten Schichte dieser Involutionszonen (Abb. 6) läßt sich noch an der Anordnung von Epithel und

Abb. 6. Äußere Schichte der Involutionszone des Plexusknötchens eines Falles von Pertussis. (Gestorben im 2. Lebensjahre).

Kapillare der Zottenquerschnitt mühelos erkennen. Gegen die Tiefe zu (Abb. 7) nehmen die epitheloiden Stränge immer mehr den Charakter schmaler hyaliner Bänder an. Aber schon aus den in regelmäßigen Abständen angeordneten runden Kerne läßt sich der Ursprung dieser schmalen hyalinen Bänder vom Plexusepithel ableiten. Inner- und unterhalb dieser mit epitheloiden Gebilden erfüllten Schichte zeichnen sich die in ihren bizarren Konturen schon mehrfach erwähnten venösen Blut- räume ab. Gegen das kernarme Bindegewebe der Mitte ist die Involutionszone durch die Kernanreicherung des Bindegewebes, stellenweise einen förmlichen Saum bildend, abgegrenzt.

Wir sehen also im wesentlichen die gleichen Verhältnisse wie im vorher beschriebenen Falle, weiter fortgeschritten vielleicht, was die Reduk- tion der Oberfläche betrifft, denn diese ist im ersten Falle noch zottig, im zweiten in größerem Umfange glatt, weniger weit gediehen, was den

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 63

Schwund der involvierten Zotten betrifft. Denn wie betont, ließ sich in diesem Falle in dem massigen Konvolut von überwiegend epitheloiden Zellsträngen die typische Zottenkonfiguration noch wohl erkennen, während der erste Fall, überhaupt ärmer an epitheloiden Elementen, dies nicht mehr so deutlich erkennen ließ.

Die Frage über den Schwund der epithelialen Anteile der in das solide

Abb. 7. Innere Schichte der Involutionszone des Falles der Abb. 6.

Gebilde einbezogenen Zotten läßt sich auf Grund der eben beschriebenen Fälle nur ungenügend beantworten. Wie bei Fall II schon angedeutet, zeigen die tiefer gelegenen Reste der Epithelien eine merkliche Reduktion des Plasma, sie scheinen wie schmale homogene Bänder, die weder Zellgrenzen noch die für die Plexuszellen mit langer Sektionszeit und Formolfixierung typische, wabig-vakuoläre Struktur erkennen lassen. Diese Verschmälerung kann soweit gehen, daß die Kerne in den Plasmasträngen buckelförmig vorspringen. Doch solche Formen sind nur spärlich zu finden, da das umgebende Bindegewebe bis dahin die Zellstränge schon soweit durch-

64 Alfred Auersperg.

wachsen und aufgespalten und somit die Kontinuität der Zellstränge zerstört hat, daß das Erkennen der vom Plexusepithel abzuleitenden Zellen ein höchst unsicheres ist. Die Kerne der Epithelzellen zeigen sich erstaunlich resistent.

Die Embryologen lassen die Plexuszotten durch Faltung der epithelialen Lamelle und Einwachsen des reich vaskulasierten meningealen Stromas, also durch Ausstülpung von innen her entstehen.

Während bei den eben beschriebenen Bildungen die Zotten zusammen- geschlossen sind, zeigt der embryonale Plexus in allen Entwicklungsphasen eine freie Oberfläche, weshalb wir in den zwei eben besprochenen Fällen eine Hemmungsmißbildung mit einiger Wahrscheinlichkeit ausschließeri zu können glauben.

Das Bindegewebe der Randzone der eben besprochenen Fälle ist, ab- gesehen von dem Verhalten der Gefäße, durch seinen Kernreichtum von dem mehr retikulären kernärmeren Bindegewebe der Mitte wohl abgesetzt. An reiferen Fällen, speziell an der Zyste des hohen Alters, kann die zellreiche Randzone endotheliomartigen Charakter annehmen und eine zellige Zysten- membran bilden.

Die von perithelialen Zellen umgebenen kapillaren Querschnitte wurden beim ersten Fall beschrieben; eine mehr konvolutartige Anordnung der Kapillaren, z. T. noch von Zottenepithel umkleidet, wurde bei der Beschreibung der kompakten Involutionsmasse der Randzone des Glomus des zweiten Falles erwähnt.

Die großen unregelmäßig konturierten Bluträume wurden in beiden Fällen beobachtet.

Sowohl die gehäuften Querschnitte als auch eine mehr konvolutarlige Anordnung kleinster Gefäße, kann man stellenweise auch an manchen Zysten des Greisenalters beobachten (Abb. 8). Desgleichen auch die großen venösen Bluträume, wenn auch meist regelmäßiger konturiert (Abb. 9).

So sehr man versucht wäre, auch die Gefäßquerschnitte der Randzone der Zysten des hohen Alters von den Kapillaren der involvierten Zotten abzuleiten, so wird doch mit Rücksicht auf den so häufigen endotheliom- artigen Charakter des Randgewebes, wegen des höchst wechselvollen Ver- haltens der Vaskularisation dieser Art Geschwulstgewebes, eine gewisse Zurück- haltung geboten erscheinen. Die bei ähnlichen Geschwiilsten häufig beob- achteten Psammomkörper sind auch an der Zyste, vor allem in der Rand- zone zu finden (Abb. 3).

Hier sollen diesen Gebilden einige allgemeine Bemerkungen gewidmet werden. Die Corpora arenacea sind wohl in keinem Plexus älterer Individuen zu vermissen. Besonders zahlreich sind sie im Gebiete der Plexushydatide zu finden. Soweit stimmen alle Autoren überein. Was die Entstehung der Corpora arenacea betrifft, so wurden die differentesten Meinungen geäußert. Virchow sah in ihnen Kalkkonkretionen, die jeder organischen Grundlage entbehren. Haeckel glaubt im amorphen Kern noch Reste von Zellen, Blutkörperchen oder Corpora amvlacea zu entdecken. Diese seien nun von

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 65

Abb. 8. Konvolutartige Anordnung der Kapillaren der Randzone einer Plexuszyste

Abb. 9. Zystische Bildung mit großen Blutriumen eines Falles von Marasmus senilis. (Gestorben im 68. Lebensjahre.)

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. Bd. XXXI. 5

66 Alfred Auersperg.

mehrfachen konzentrischen Bindegewebslagen gleichsam als Fremdkörper abgekapselt worden. Die ganze Bildung imprägniere sich mit einer hyalinen Masse und könne schließlich verkalken. Doch sah Haeckel auch läng- liche Gebilde mit Schichtung und gleichem optischen Verhalten, die er von Gefäßen ableitet. Auch Findlay gibt für einen Teil der Corpora arenacea einen Entstehungsmodus an, der uns im Zusammenhange mit dem cben (tesagten interessieren muß. Nach ihm können Gefäße in allen Wand- bestandteilen zu einer hyalin-homogenen Masse entarten, diese zerfalle in der Folge und aus den Fragmenten gingen schließlich die Schichtkugeln hervor. Im übrigen lassen Findlay, Heldt und Zalka die Corpora arenacea in mehr oder minder enger Abhängigkeit vom adventitiellen Bindegewebe der Gefäße, also aus zellulärer Grundlage hervorgehen. Die Auffassung der Corpora arenacea als denaturierte Fettkörper, wie dies Scaczio und Scaglione geäußert, steht vereinzelt da.

Es kann heute als gesichert betrachtet werden, daß die Schichtung der Corpora arenacea in der Anordnung der Zellen, aus denen sie sich bilden, nicht präformiert ist. Die zelluläre Grundlage dieser Gebilde scheint, ehe eine Schichtung nachweisbar ist, bis auf den letzten Kern geschwunden. Irgend eine physikalisch-chemische Zustandsänderung dieser anfänglich meist schwach färbbaren Zerfallsmassen scheint die eigentümliche Schichtung zu bedingen. Näher auf die hypothetischen Ursachen dieses Phänomens einzu- gehen, würde unsere Kompetenz überschreiten, doch sei in diesem Zu- sammenhang auf Liesegangs „Die Entstehung der Achate‘‘ hingewiesen, aus der sich in bezug auf die rhythmischen Fällungsphänomene vielleicht manche Analogien für die Entstehung der Corpora arenacea ableiten ließen. Die Corpora arenacea zeigen eine ausgesprochene Affinität zu den ver- schiedensten Farbstoffen. So sind sie mit Hämalaun (auch wenn nicht verkalkt), Eosin, Fuchsin und Fettfarbstoffen, wie Sudan, Nilblau, Smith- Dietrich, Fischler zwar in bezug nach Individuum und Schichte verschieden, zumeist intensiv färbbar. Auch die Eisenreaktion war in einzelnen Fällen positiv, was vielleicht nach Spielmeyer auf eine stattgehabte Verxalkung zurückzuführen ist. Ob diese ungeheuere Farbavidität auf eine chemische Umwandlung des Körpers selbst zurückzuführen oder nur der Ausdruck der Ad- und Absorbtion differentester Stoffe aus der Umgebung ist, die ihrer- seits je nach ihrer Spezifität die Farbstoffe annehmen, kann nicht ent- schieden werden. Die Möglichkeit der Entstehung eines Teiles der Corpora arenacea auf Grundlage obliterierter Gefäße soll nicht bestritten werden. In Abb. 8 sehen wir die Corpora arenacea und die Gefäßquerschnitte in ähn- licher Anordnung in dem Grenzareal, der Involutionszone, nebeneinander vor- kommen. Dazwischen sieht man runde, hellere Flecken, von denen man wohl annehmen kann, daß sie die Vorstufen der Corpora arenacea darstellen. Da und dort lassen sie noch Kernreste erkennen. Eine geschlossene Beob- achtungskette verschiedener Umformungsstufen von der Kapillare zum Corpus arenaceum konnte nicht erbracht werden. Die besprochene Behauptung hat also vorläufig rein hypothetischen Charakter. Doch muß hier noch aus-

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 67

drücklich betont werden, daß die obliterierten Kapillaren der Involutions- zone gewiß nicht den einzigen Bildungsstoff der Corpora Arenacea vor- stellen (Abb. 10), z. B. zeigt im Gebiete der Mitte eine mit Hämatoxylin tief- gefärbte Plaque, von der sich massenhaft kleinste Corpora arenacea zu entbündeln scheinen. Die im photographischen Bild als homogene Fläche erscheinende Plaque ist im Nativpräparat in massenhafte, kleinste Corpora arenacea aufzulösen. Lage und Entstehung sind hier zweifellos von den oben geschilderten Bildungsverhältnissen grundverschieden.

Über die Entstehung sowie über die Umwandlung der bindegewebigen

Abb. 10. Zerfallsher arenacea. (Zwei schwarze Plaques in dunkelgefärbter Umgebung.)

Mitte zur flüssigkeitsgefüllten, von Septen und Trabekeln durchzogenen Hohl- raum können die untersuchten Fälle keinen bündigen Aufschluß geben. Wir sahen in den noch vorwiegend soliden Bildungen kleine Zerfallsherde mit fetzigen Rändern und von degenerierten Zellen erfüllt, sowie Nester von Fettkörnchenzellen. An anderen Zysten waren die mehr oder weniger wohl- konturierten Hohlräume mit einem Hämatoxylin schwach färbbaren Kolloid erfüllt. An einem anderen Präparat war dieses in Tröpfchen zu finden. Ein Fall zeigte mehr schollige Zerfallsmassen, die den Sudanfarbstoff in leichter Orangefärbung annahmen. Schließlich wären auch noch die vorhin genannten Plaques kleinster Corpora arenacea zu erwähnen. Die meisten Zysten zeigten wohlkonturierte Hohlräume und wasserklaren Inhalt. Es ist auf Grund dieser Befunde unmöglich zu sagen, ob hauptsächlich Degenera-

5*

68 Alfred Auersperg.

tion und Verflüssigung oder ödematöse Aufspaltung zur endgültigen Zysten- konfiguration führe. Wir wären wohl geneigt anzunehmen, daß beide Momente eine wesentliche Rolle spielen. Die Zystenbildung ist, wie wir schon ein- gangs betont haben, nur der Endausgang an einem vorgebildeten, soliden Körper. Aber im hohen Alter ist die bindegewebige Mitte nur selten in ihrer Gesamtheit durch den zystischen Hohlraum ersetzt. Insoferne stimmen unsere Befunde mit denen Haeckels überein. Doch konnten wir den von Haeckel beschriebenen Ablauf der Degeneration in der von ihm geschilder- ten Form an keinem unserer Fälle bestätigen.

Abb. 11. Groblappige Zystenbildung.

Es ist unmöglich, alle beobachteten Querschnittbilder des Hinterhorn- plexus zu beschreiben, die wir ja als verschiedene Phasen der involutiven Umbildung des Plexusglomus auffassen zu können glauben, als deren End- produkt die Plexushydatide entstehen kann. Doch resultieren neben der zystisch gerundeten auch andere Formen, wie dies Abb. 11 illustrieren mag.

Es ist nun noch ausständig, einige Einzelbeobachtungen an der peri- pheren Zone der Zyste anzuführen, die sich einigermaßen mit unseren Beobachtungen decken, nur zumeist anders gedeutet wurden.

Haeckel beschreibt die zellreiche „Membran“ der Zyste und glaubt eben aus dieser umschließenden Wucherungszone, im Widerspruche zu Luschka, auf den Neubildungscharakter der Zyste schließen zu können.

Findlay beschreibt zahlreiche, unregelmäßig konturierte, venöse Blut- räume, die eine kavernöse Anordnung vortäuschen. Wir glauben nicht fehl-

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 69

zugehen, wenn wir dieser Beobachtung die mehrfach besprochenen Blut- räume der Grenzzone zugrunde legen.

Imamura beobachtet das gehäufte Auftreten der Corpora arenacea in der äußeren Wandschichte der Zyste. P. v. Monakow spricht bei der Beschrei- bung der schwer sklerosierten Plexus bei Urämie von einer Verkleinerung der Oberfläche, einem Schwund von Zotten. Diese Beobachtung glauben wir auf die meisten Fälle diffuser Plexussklerose anwenden zu können. Im histologischen Bilde ist das Erkennen einer Verschmelzung der Zotten unter- einander mit konsekutiver Involution am zottig entfalteten Plexusquerschnitte gewiß wesentlich schwieriger wie an den im Falle I und II beschriebenen soliden Gebilden, wo von einer Masseninvolution gesprochen werden kann. Stellenweise Verwachsungen können im histologischen Schnitte durch eine hohlgetroffene Falte vorgetäuscht werden usw. Aber auch mit Berücksichtigung dieser Fehlerquellen können Stellen, wie in Abb. 1, 2, 12, kaum anders ge-

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Abb. 12. Involution und Knotenbildung des Plexus des Seitenventrikels.

deutet werden. Dieses Bild zeigt auch, daß solide Körper, deren Bildung eine Masseninvolution von Zotten zugrunde liegt, nicht nur im Glomus auftreten können. Dieser ist vielmehr nur als eine Prädilektionsstelle zu betrachten. Auch die makroskopische Anatomie bestätigt die Tatsache der stattgehabten Zotteninvolution am diffus sklerosierten Altersplexus. Würde sich nämlich das Anwachsen des Bindegewebes bei intakter Oberfläche vollziehen, so müßte der Altersplexus schon makroskopisch hypertrophisch erscheinen. In Wirk- lichkeit ist aber eher das Gegenteil der Fall.

Der Ablauf der Involution und Sklerose des Plexus chorioideus im Verlaufe des extraunterinen Lebens zeigt individuell große Schwankungen. Daß infektiöse und toxische Prozesse die Veränderungen beschleunigen, ist anzunehmen, aber noch nicht zu überblicken. Monakows histologische Befunde bei Urämie sind von Tannenberg, Saito und Zalka als nicht spezifisch aufgefaßt worden. Der eine der von uns untersuchten Urämie- fälle und der Fall eines Coma diabeticum zeigen am Plexus ein dem Alter vollkommen entsprechendes Verhalten. Bei dem anderen Falle von Urämie

70 Alfred Auersperg.

sehen wir eine innerhalb unserer Beobachtungsreihe für das Alter des Falles geradezu einzig dastehende Entfaltung und scheinbare Intaktheit der Zotten. Wir konnten deshalb den Längsschnitt durch den Glomus gerade dieses Falles dem Längsschnitte durch eine Zyste im photographischen Bilde entgegenstellen, um die differenten Oberflächenverhältnisse von Zyste und zottig entfaltetem Plexusglomus zu illustrieren.

Wenn Zalka an seinen 132 Fällen verschiedenen Alters von Neu- geborenen bis zum Greise in 24% der Fälle eine Umbildung des Glomus zur Zyste beobachtet, so will damit wohl nicht gesagt sein, daß in Jen übrigen Fällen der Plexusglomus des. Hinterhornes voll entfaltet sei. An

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Abb. 13. Plexusglomus eines Falles von Urämie. (Gestorben im 64. Lebensjahre).

unserem Materiale waren von 17 Hinterhornplexus von Fällen über 60 Jahren 15 zu teils soliden, teils zystischen Körpern verwandelt. Die übrigen Ninter- hornplexus, speziell von jugendlichen Individuen, zeigten alle Übergangs- formen von fortgeschrittener Sklerose bis zur Plexushydatide des Greisen- alters.

Wir sehen also im Verlaufe des Alterns, eine sekretorische Funktion des Plexus vorausgesetzt, höchst funktionsbeschränkende Veränderungen an diesen. Zwar nach Individuum und Alter höchst verschieden, sowohl an Intensität als an Extensität, im hohen Alter aber nach unserer Beob- achtung immer in deutlicher Ausprägung vorhanden.

Es wurde schon eingangs bemerkt, daß sämtliche Autoren, die diesen Gegenstand behandeln, sowohl die zirkumskripte als auch die diffuse Sklerose

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 71

sowie die Zystenbildung als Altersveränderungen betrachten, die auch nicht die geringsten schädlichen Folgen für ihren Träger zu erkennen geben. Dies ist nun doch sehr verwunderlich, wenn man den Plexus die sowohl quantitativ als qualitativ bedeutsamste Rolle bei der Bildung des Liquor cerebrospinalis zu- schreibt. Bedeutet doch die oft massenhaft auftretende zirkumskripte Zotten- sklerose funktionell eine Ausschaltung der einzelnen ergriffenen Zotten, die diffuse Sklerose eine Funktionsbeschränkung durch die Verringerung der Ober-

Abb. 14. Typisch konfigurierter Plexusknoten. Gleiche Vergrößerung wie Abb. 13.

fläche, der Zystenbildung schließlich geht eine Zotteninvolution großen Stiles voraus.

Aber auch die Art und Weise, wie sich der letztgenannte Vorgang voll- zieht, beinhaltet diesbezüglich Bemerkenswertes. Besonders beim zweiten Falle sahen wir ganze Zottenmassen mit scheinbar intaktem Epithel und ebensolchen Kapillaren dicht aneinander gelagert. Bei einem sezernierenden Organe wäre doch wohl anzunehmen, daß sich innerhalb dieser Zone unter dem Sekretionsdrucke der scheinbar noch ziemlich intakten Drüsenzotten flüssigkeitserfüllte Hohlräume, Zysten, Tubuli usw. bilden würden. Dies ist aber nur ganz vereinzelt zu beobachten. Allenthalben sind die einander anliegenden Epithelien fest miteinander verbacken.

Schließlich wäre an dieser Stelle in Erinnerung zu rufen, daß der

72 Alfred Auersperg.

eingangs beschriebene Plexus einem Falle mit Hydrozephalus auf ent- zündlicher Grundlage entstammt. Ein weiteres sehr eindrucksvolles Bild fortgeschrittener Plexussklerose bietet Abb. 1 eines Falles von Meningitis cerebrospinalis mit Hydrozephalus eines 18jährigen. Am Plexus eines ange- borenen Hydrozephalus einer 56jährigen beobachten wir eine derart fort- geschrittene Zottenkapillarsklerose, daß wir kaum ein Gefäß als intakt befinden konnten. Die zwei Hydrocephali occlusi zeigten leichte Sklerose, keine Infiltrate und überhaupt nichts Auffallendes. Schließlich sei noch der höchst auffallende Befund an den Plexus der Seitenventrikel in einem Falle von einseitigem Hydrozephalus erwähnt. Abgesehen von spärlicher Infiltration der Plexus beider Seiten zeigt der Plexus der gesunden Seite ein im wesentlichen normales Verhalten. Der Plexus des hydrozephalen Ventrikels ist dagegen zum großen Teil in eine regelrechte Zyste verwandelt. Die Innenschichte der Randzone zeigt alle Einzelheiten einer statthabenden Zotteninvolution, wodurch die Zahl und Oberfläche der freien Zotten merk- lich reduziert erscheint. Leider fehlt über diesen Fall jeder weitere klinische und pathologisch-anatomische Befund. Es ist uns daher unmöglich zu sagen, ob und in welcher Weise der schwer veränderte Plexus der einen Seite an dem Zustandekommen der Hydrozephalie seines Ventrikels beteiligt war. Doch ist allein die Tatsache, daß in unserem Falle gerade dem hydrozephalen Seitenventrikel der in seinem zottigen Anteile schwer regressiv veränderte Plexus entspricht, von Interesse. Um nicht allzu sehr vom Thema abzu- weichen, müssen wir es uns versagen, in diesem Abschnitt eingehender auf das Problem Plexus und Hydrozephalus einzugehen. Die Erfahrungen auf diesem Gebiete seien nur kurz referiert. Claisse und Levi beschreiben einen idiopathischen Hydrozephalus mit Makroplexie. Dieser Befund ist in der Folge nur noch einmal, und zwar von Davis erhoben worden. Kita- bayashi dagegen beobachtete einen Fall von idiopathischen Hydrozephalus mit Mikroplexie. Parkes, Weber, Burr, Mc Carty, Tsiminakis be- schreiben Infiltrate am Plexus bei Hydrozephalus. Saito findet diese Ver- änderungen nicht spezifisch, da einerseits Hydrozephali ohne Infiltration des Plexus beobachtet werden können und umgekehrt. Gerhard findet an drei Fällen von Hydrozephalus sklerotische Veränderungen des Plexus. Monakow rechnet die Plexusveränderungen bei Hydrozephalus zu seiner IV. Gruppe, d. h. zu den im wesentlichen atrophisch-sklerotischen Verände- rungen des Bindegewebes, Kitabayashi zu seiner I. Gruppe: zu den primär- bindegewebigen Veränderungen, zu denen er unter anderem auch die von Monakow beschriebenen urämischen Plexus rechnet. Zalka findet die an seinem Falle von idiopathischem Hydrozephalus erhobenen Befunde als nicht irgendwie spezifisch. Zylberlast-Zant meint, daß die bei Hydrozephalus gefundenen Veränderungen eher für eine Funktionsbeschränkung als eine Hyperaktivität des Plexus sprechen. Taft beobachtet am Plexus von mehreren Paralysefällen mit Hydrozephalus und Drucksteigerung cine derart weit- gehende, ausgedehnte zirkumskripte Zottenkapillarsklerose, daß er seinen Zweifel an der ätiologischen Wirksamkeit des Plexus chorioideus zum

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Zustandekommen der Drucksteigerung, ja sogar an der liquorbildenden Funk- tion des Plexus chorioideus überhaupt ausspricht. Wüllenweber und Dietrich stellen sich die Frage, ob die bei Hydrozephalus gefundenen Veränderungen nicht eher für eine Resorptionsbehinderung sprechen, und setzen dieser Überlegung eine vorwiegend resorptive Funktion des Plexus chorioideus voraus. Speziell unsere Beobachtung am Plexus des ange- borenen Hydrozephalus einer ö6jährigen kann den Zweifel an einer aktiven Beteiligung des Plexus chorioideus an der Überproduktion des Liquor bei Hydrocephalus hypersecretorius nur als berechtigt erscheinen lassen.

Zalka führt als Altersveränderung der Epithellzellen die Va- kuolen- und Pigmentbildung, die Abflachung an. Ciaccio und Scaglione, Petit und Girard machten am noch lebenswarm fixierten tierischen Plexus die Beobachtung, daß die Epithelien nur bei fast augenblicklicher Übertragung des Plexus nach dem Tode des Individuums in die jeweilige Fixierungs- flüssigkeit die vitalen Struktureigentümlichkeiten zeigen. Diese für Unter- suchungen an formolfixiertem menschlichem Obduktionsmaterial entmutigende Erkenntnis läßt es für geraten erscheinen, bei Beurteilung des Plexus- epithels nur das Eindeutigste zu registrieren.

Was die Abflachung betrifft, so scheint uns diese des öfteren der Aus- druck einer Dehnung zu sein. Sei dies nun unter dem Drucke des wuchernden Bindegewebes oder der Spannung der flüssigkeitsgefüllten Zyste, etwa so wie sich Meek die Umformung des zylindrischen Plexusepithels des Ratten- embryo zum kubischen des erwachsenen Tieres vorstellt. Hier wie dort spricht auch ein Auseinanderweichen der Kerne für diese Auffassung.

Mit der Vakuole des alternden Plexus meint Zalka, wie aus dem vorhergehenden Texte seiner Arbeit hervorgeht, die Lipoidvakuole Valen- tins. Dieser hat dieses viel diskutierte Lipoidtröpfehen der Plexusepithel- zelle als erster beschrieben. Nach ihm haben sämtliche Autoren diesen schon im Nativpräparat auffallenden Zelleinschluß an gereiften Individuen beobachtet. So Haeckel, Findlay u. a. Meek hält diesen Tropfen eigen- tümlicherweise als nur für die Kaninchen spezifisch und glaubt in ihnen einen akzessorischen Sekretstoff zu sehen. In seiner histo-chemischen Arbeit über die Plexusepithelzelle weist Imamura in der Vakuole Valentins neben anderen Stoffen vorwiegend Lipoide nach. Er hält den Vakuoleninhalt für das eigentliche Sekret des Plexus. Askanazy fand bei einem am Spina bifida operierten Kinde im Plexusepithel Körnchen von Blutpigment. Auf Grund dieser Beobachtung einer Resorption sowie in der Überlegung, daß die Vakuole Valentins, wenn sie die Bestimmung hätte, lipoide Baustoffe für das C.N.S. zu liefern, nicht in den späten Jahren, sondern vor allem zur Zeit der Markreifung zu finden sein sollte, sieht Askanazy in den Lipoidvakuolen resorbierte Abbaustoffe des C.N.S. Nun konnte zwar Pe- lizzi an den Föten verschiedenster Säugetiere Fettstoffe sowohl in mobilen Elementen des Bindegewebes als auch im Plexusepithel nachweisen. Doch mit der Geburt schwindet das Fett wieder, um erst nach Jahren wieder aufzutreten. Dieses Wiederauftreten der Lipoide am reifen Tiere deutet

74 Alfred Auersperg.

auch Pelizzi als den Ausdruck einer Resorption der Abbaustoffe des C.N.S. aus dem Liquor. In dieser Annahme bestärkt ihn die Wahrnehmung einer Vermehrung der Lipoide im Plexusepithel bei dekortizierten Tieren und in der Schwangerschaft. Ciaccio und Scaglione. beobachten eine Lipoidvermehrung im Plexusepithel bei Phosphor- und Arsenvergiftung, wie auch bei Infektionskrankheiten, enthalten sich aber jeder Deutung. Jedenfalls wäre als auffallend zu betrachten, daß die bei Phosphor- und Arsen- vergiftung beschriebenen Fettstoffe als Lipoide gekennzeichnet sind und nicht den neutralen Fetten angehören, welches letztere eher für eine Ein- bringung dieser Fettstoffe in das Plexusepithel aus der Blutbahn sprechen würde. Die uns zu Gebote stehenden histo-chemischen Farbreaktionen auf Fette und fettähnliche Substanzen geben uns allerdings nur sehr unvoll- kommenen Aufschluß über die Natur der zu untersuchenden Substanzen. Die Möglichkeit einer dritten Entstehungsform der Lipoidzyste Valentins, näm- lich aus der Zelle selbst in Beziehung zu diversen Zellgranula, wie dies Joshimura und Saito angenommen haben, ist mit Sicherheit nicht auszu- schließen.

Inzwischen ist die Auffassung Askanazys, daß dem Plexus eine selektiv resorbierende Funktion zukäme, mehrfach bestätigt worden. Wüllen- weber fand an drei Fällen von Ventrikelblutung Blutpigment im Plexus. Hassin beschreibt an einer Reihe von pathologischen Fällen mit reich- lichem Gewebsabbau im C.N.S. eine Anhäufung von Lipoiden im Plexus. Hassin hält die Resorption für die vornehmliche Funktion des Plexus chorioideus und schließt jede aktive Beteiligung des Plexus chorioideus an der Liquorbildung aus. Auch Harven erhebt ähnliche Befunde am Plexus von Kriegsverletzten. Schließlich konnte Dustin eine Anreicherung von lipoiden Substanzen im Ependym und Plexus eines Schimpansen sowohl innerhalb der Epithelzellen als auch in mobilen Bindegewebselementen nachweisen. Dustin vermutet, daß die Lipoide vom Ependym in den Liquor ausgeschieden und vom Plexus resorbiert werden. Kalwarjiski sieht in dem Bürstensaum der Plexusepithelzelle per analogiam mit dem Epithel der Tubuli contorti der Niere das Zeichen einer elektiv resorbtiven Funk- tion des Plexusepithels. Die experimentellen Resultate über die Frage der elektiven Resorption widersprechen einander diametral, so daß die Frage von dieser Seite noch nicht geklärt ist.

Wir untersuchten 21 Fälle auf Fettstoffe mit Sudan III in der üblichen Weise und nach Modifikation Romeis, ferner nach Smith-Dietrich, Fischler und mit Nilblau. Davon waren Fälle über 60 Jahre: vier Gehirn- erweichung, eine zerebrale Kinderlähmung, zwei Lues, eine Urämie, zwei Ca. ventrieuli. Zwischen 20 bis 30 Jahren: zwei diffuse Hirnsklerosen, zwei organische Hirnerkrankungen, eine Meningitis cerebrospinalis, ein Gliom, ein Coma diabeticum. 1 bis 2 Jahre: zwei Fälle von amaurotischer Idiotie, ein Fall von Pertussis. Zur Nachfärbung der Kerne eignet sich bei Gelatin- schnitten nach unserer Erfahrung Ehrlichsches Hamatoxylin in fünffacher Verdünnung der sonst üblichen Lösung am besten.

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An unseren frühkindlichen Fällen von amaurotischer Idiotie und Per- tussis konnten wir an einem der Fälle von amaurotischer Idiotie ein ziemlich reichliches Auftreten von Lipoidgranula an den Plexusepithelzellen, an den anderen eine mehr diffuse Gelbfärbung des Epithels, die sich optisch nicht auflösen läßt, konstatieren. Der Fall von Pertussis zeigte einzelne spärliche Fettgranula. An keinem der frühkindlichen Fälle konnten wir eine Vakuole im Sinne Valentins erkennen.

Zwischen dem zweiten und achtzehnten Jahre zeigt unser fettgefülltes Material eine empfindliche Lücke. Am Plexus der Meningitis cerebrospinalis

Abb. 15. Reine Sudanfärbung. Lipoidvakuole und Pigment,

erscheinen im Epithel große, mit Sudanfarbstoff dunkle, orangegefärbte Vakuo- len, ebenso in dem Adergeflecht einer 28jährigen, an einer organischen Hirn- krankheit (der genaue Befund ist noch nicht erhoben) verstorbenen Frau (Abb. 15). Das gleiche gilt von dem Lipoidgehalte des Plexus eines im Alter von 30 Jahren an einer organischen Hirnkrankheit verstorbenen Mannes, dessen histologischer Befund gleichfalls noch nicht erhoben ist. Der Plexus des Coma diabeticum mit Hydrozephalus zeigt spärliche, kleine, mit Sudan nur hellorange gefärbte Vakuolen. Von den zwei Fällen diffuser Hirnsklerose wies der eine, im mittleren Alter verstorben, eine reiche Fülle mit Sudan dunkelorange gefärbter Vakuolen auf. Der andere, ein 32jähriger Fall, enthielt, obwohl Fettpräparate vom Parenchym ebenso reichlich lipoide Abbaustoffe erwiesen, im Plexus nur relativ spärliche, helle Vakuolen. Der Plexus des Gehirns eines 32jährigen, dessen ganzer linksseitiger Frontallappen von

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einem riesigen Gliom eingenommen war, ließ sowohl linker- wie rechterseits gleich spärliche, kleine, mit Sudan nur hellgefärbte Vakuolen erkennen. Ein Rückblick über diese Befunde an den lipoiden Einschlüssen des Plexus chorioideus der ersten Lebenshälfte des Menschen läßt keinen kündigen Schluß auf die Genese dieser Lipoide zu. Die Lipoidgranula des Plexus der amaurotischen Idiotie kann auch nur eine Teilerscheinung der allge- meinen Lipoidose nach Pick, muß nicht der Ausdruck einer Lipoidresorption aus dem Ventrikelliquor sein.

Allein der Umstand, daß die Lipoidvakuole um die Zeit der Pubertät auftritt, macht ihre ausschließlich durch Resorption von lipoiden Abbau- stoffen aus dem Ventrikelliquor bedingte Entstehung wenig wahrscheinlich. Damit will noch nicht gesagt sein, daß sich diese Vakuole im Falle der Anreicherung des Ventrikelliquors an lipoiden Abbauprodukten nicht mit diesen Stoffen auffüllen kann und im gegebenen Falle eine merkliche Vergrößerung und intensivere Sudanfärbung, häufig auch eine Vervielfältigung erkennen läßt. Diesbezüglich zeigen nun die Fälle zwischen 19 bis 30 Jahren ein höchst wechselvolles Verhalten. Während die Fälle von organischer Him- erkrankung, ein Fall von diffuser Hirnsklerose, der Fall von Meningitis cerebrospinalis in ihrer Lipoidanreicherung, der Plexus des Coma diabe- ticum in seiner Lipoidarmut einen dieser Vorstellung gut entsprechenden Befund abgeben, zeigen die Ergebnisse der histologischen Untersuchung am Plexus des Gliomfalles und des einen Falles der diffusen Hirnsklerose ein abweichendes Verhalten.

Von den Altersfällen über 60 enthielten der Plexus des Urämiefalles und des einen der Karzinomfälle für das Alter des Individuums relativ spärliche kleine Vakuolen. Die Plexus der vier Fälle von Erweichung, der zwei Fälle von Lues cerebrospinalis, des einen der zerebralen Kinder- lähmung und des einen der Karzinomfälle ließen durchwegs reichliche, große, mit Sudan tieforange gefärbte Vakuolen erkennen. Bei zwei Erweichungen und einer Lues cerebrospinalis wurden außerdem reichliche Lipoidgranula, ja stellenweise geradezu eine Infarzierung der Epithelien mit Fettstoffen beobachtet. An diesen war der Kern mehr oder weniger difform, zum Teil aber überhaupt geschwunden. Auch die eben beschriebenen Befunde am Epithel des Altersplexus lassen einen sicheren Schluß auf die Provenienz der besprochenen Lipoide nicht zu, wenn auch im allgemeinen eine Lipoid- anreicherung im Plexus chorioideus in Fällen von reichlichem Abbau im C.N.S. zu bemerken ist. Auch die im Ependym gefundenen kleinsten Lipoid- tropfen und Granula zeigen in bezug auf ihr Auftreten ein höchst wechsel- volles Verhalten. Von dem an sechs Fällen untersuchten Ependym des Seiten- ventrikels konnten bei der amaurotischen Idiotie Lipoide nachgewiesen werden. Ebenso an zwei Fällen von Erweichung. Demgegenüber zeigten sich zwei ebensolche Fälle lipoidfrei. Die Fälle von diffuser Sklerose zeigten stellenweise kleinste, sudangefärbte Granula. Die zwei Fälle von organischer Hirnerkrankung ließen trotz reichlicher Lipoide im Plexusepithel solche im Ependym vermissen. Die Lipoide des Ependyms sind durchwegs bedeutend

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spärlicher vorhanden wie im Plexus. Sie liegen meist granulär oder klein- vakuolär in den seitlich vom Zellkerne gelegenen Zonen. Zwischen Lipoid- gehalt des Ependyms und des Plexus kann also auf Grund unserer Beob- achtung ein ätiologischer Zusammenhang weder abgelehnt noch angenommen werden.

Die Fettfärbung des Plexus chorioideus läßt am Bindegewebe folgende bemerkenswerte Tatsache erkennen. Wie schon Kawamura in jüngster Zeit beschrieben hat, sind die zirkumskripten Zottensklerosen mit lipoiden Stoffen inbibiert, die alle angewandten Fettstoffe annehmen (Abb. 16). Speziell im Vergleiche der mit Hämalaun und der Fischler gefärbten Präparate

Abb. 16. Spitzensklerose Immamuras (Sudan, Hämatoxylin).

scheint das Vorhandensein von Fettsäuren als auch von fettsauren Kalken in den Sklerosen der Zottenspitzen erweisbar.

Bei lipoidreichem Plexusepithel kommen im Zottenstroma des öfteren Fettkörnchenzellen zur Beobachtung. Vielleicht mögen diese den Weg der Abbaustoffe vom Plexusepithel zu den Gefäßen bezeichnen. Aber auch aus den histologischen Befunden an den fettgefärbten Plexusbindegeweben läßt sich an unserem Materiale kein stringenter Beweis für die resorbtive Natur der gefundenen Lipoide erbringen, wenngleich sie einigermaßen wahrschein- lich erscheint.

Schließlich sei noch das Vorkommen von Fettkörnchennestern in der bindegewebigen Mitte des involvierten Glomus posterior wiederholt, des- gleichen der Befund von scholligen Massen an einem in zystischer Um-

18 Alfred Auersperg.

wandlung begriffenen Knoten des Hinterhornplexus, welche mit Sudan- färbung in leicht rötlichem Tone färbbar erscheinen.

Die vorzügliche Färbung der Elastika bei lipoidreichem Plexus, wie dies Kawamura beschreibt, konnten wir bestätigen, desgleichen die oft intensive Fettfärbung der Corpora arenacea. Allerdings sind die einzelnen Corpora arenacea untereinander oft sehr verschieden intensiv gefärbt. Auch scheinen bei dem einen vorzüglich die Peripherie, beim anderen die Mitte, beim dritten die dazwischenliegende Zone besonders lipoidreich. Einzelne Corpora arenacea verhielten sich aber auf alle angewandten Fettfarbstoffe refraktär.

Wohl nicht zu den Altersveränderungen gehörig, aber vielleicht vom Standpunkte der elektiv resorbtiven Funktion des Plexus interessant, sind die von Pilcz beschriebenen schwarzbraunen Körnchen, die sowohl im Epithel als auch im Bindegewebe, ja in den Bluträumen vorhanden sein können. Besonders der letztere Umstand ließ Saito in diesen durch lange Formolfixierung bedingte Niederschläge vermuten. Im Epithel liegen die Körnchen häufig innerhalb der Valentinschen Vakuole, im Bindegewebe teils frei, oft mit kleinsten Fetttröpfchen gemischt, aber auch dicht in einzelne mesodermale Zellelemente eingeschlossen. Schließlich erscheinen sie oft massenhaft im Gefäßendothel. In den Bluträumen sind sie zum größten Teil an leukozytäre Elemente gebunden. Diese organisch geordneten Lagever- hältnisse der besprochenen, teils runden, teils eckigen Kérnchen hat schon Pilcz als Hauptgrund betrachtet, in diesen Pigmentkörnchen nicht nur zu- fällige, durch lange Formolfixierung bedingte Niederschlagsbildungen zu sehen. Auch konnten wir an unseren Präparaten seine Beobachtung bestätigen, daß das Auftreten dieser Granula von der Länge der Formolfixierung unab- hängig ist. In einem Falle von Ventrikelblutung sahen wir an Plexuszellen, an denen Blutkörperchen angelagert waren, eine deutliche Anreicherung von Körnchen der oben beschriebenen Art, was an eine Formolfällung hima. togenen Pigments im Sinne Stengels denken ließe. Doch waren diese zwar quantitativ verschieden, aber in fast jedem unserer Präparate vorhanden. Auf Eisenreaktion verhielten sie sich absolut refraktär, erwiesen sich in Azeton, Ather, absolutem. Alkohol als völlig unlösbar, auf Behandlung mit Fssig- säure und Natronlauge zeigten sie sich vollständig indifferent. Allein nach der Vorbehandlung der Plexusschnitte mit gelbem Schwefelammon erschienen sie fast sämtlich gerundet, etwas heller und ein wenig voluminöser, wohl als Ausdruck einer stattgehabten Quellung. Doch war auch diese Veränderung kaum merkbar. Nach ihrem optischen Verhalten kann man zwei Formen unterscheiden. Die einen leuchten bei tiefer Mikrometereinstellung rot, die anderen bei hoher Einstellung grünlich auf. Für die Resorptionstheorie des Plexus mag einmal, wenn die Natur dieses Pigments aufgeklärt sein wird, von Bedeutung sein, daß in allen Fällen von Anreicherung des Pigments im Plexus auch ein solches im Ependym zu beobachten ist.

Zusammenfassend wäre zu sagen, daß aus der Untersuchung des Plexus des Seitenventrikels, speziell im (iebiete seiner größten Entfaltung, dem

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Glomus des Hinterhorns, hervorgeht, daß eine Masseninvolution der Zotten den Plexusglomus zu einem bindegewebsreichen Kérper umformt, aus den in der Folge die bekannte Plexushydatide entstehen kann. Dieser mit einem Massen- ausfalle von Zotten verbundene Vorgang sowie die diffuse Sklerose und die oft sehr ausgebreitete zirkumskripte Zottensklerose sind als für den Träger scheinbar völlig indifferente Altersvorgänge aufzufassen. Nimmt man dazu, daß die erstere zweifellos höchst funktionsbeschränkende Veränderung schon im frühkindlichen Alter einsetzen kann, so erscheint der Zweifel, ob dem Plexus chorioideus im Verlaufe des extrauterinen Lebens die ihm von der Mehrzahl der Autoren zugeschriebene essentielle Rolle bei der Bildung des Liquor cerebrospinalis wirklich zukommt, gewiß als begründet.

Die Fettpräparate am Plexus chorioideus machen eine resorbtive Pro- venienz der Lipoide zwar wahrscheinlich, doch konnten an unserem Mate- riale wegen der höchst wechselvollen Verhältnisse bindende Schlüsse nicht gezogen werden.

Die von uns unternommenen Untersuchungen am menschlichen Plexus unter dem Gesichtspunkte fortschreitender, vorwiegend regressiver Verände- rungen im Laufe des extrauterinen Lebens können gewiß nicht den An- spruch auf Vollständigkeit erheben. Einerseits wurde mit Rücksicht auf die möglichste Intakterhaltung des Gehirnes für andere Nachforschungen meist nur der Hemisphärenplexus entnommen und untersucht. Anderseits ist auch die dem Alter nach geordnete Beobachtungskette nichts weniger wie ge- schlossen. Schließlich ist es natürlich zu beklagen, daß die untersuchten Plexus einem Material entstammen, das zum großen Teil in seinem C.N.S. pathologisch verändert ist. Trotzdem glauben wir, in der Annahme, daß speziell die an unseren Präparaten des Glomus so deutlichen Bilder einer stattgehabten Involution im Laufe des extrauterinen Lebens physiologischer weise ablaufende Vorgänge zugrunde liegen, wobei wir besonders auf das frühzeitige Einsetzen dieses Prozesses an unseren eingangs geschilderten frühkindlichen Fällen hinweisen.

Hieß, Loeper, Pelizzi u. a. verlegen die Zeit der mächtigsten relativen Größenentfaltung des Plexus zwischen den dritten und sechsten Embryonal- monat. Nach Mihalkowicz, Reichert und Leo Alexander zeigen z. B. die epithelialen Gebilde des Lateralrezessus beim Embryo eine weit größere Entfaltung, so daß der letzte der Autoren sich veranlaßt sah, die von ihm beim Erwachsenen gefundenen hyperplastischen Veränderungen des Lateral- rezessus als Hemmungsmißbildung zu deuten.

Wollen wir unseren Befunden die Beobachtung der genannten Autoren voransetzen, so stellt sich der Plexus chorioideus als ein Organ dar, welches im Laufe des Embryonallebens bis zum sechsten Monate ständig anwächst, von dieser Zeit an im Wachstume gegen das umgebende Hirnparenchym allmäh- lich zurückbleibt und schließlich im Laufe des extrauterinen Lebens teils invo- lutive, teils schwer funktionsbeschränkende Veränderungen erleidet. Es ist wohl naheliegend, der am histologischen Bilde erweisbaren Blüte und Rück- bildung des Organs die Kurven einer steigenden und absinkenden Funktions-

80 Alfred Auersperg.

entfaltung parallel zu setzen. Die frühzeitige und reiche Entfaltung des Plexus im Laufe des embryonalen Lebens ist von vielen Autoren, wie Luschka, Loeper, Goldmann, Monakow, als Ausdruck einer durch Abscheidung des Ventrikelliquors geleisteten Ammenfunktion des Plexus gegenüber dem sich entwickelnden Gehirn gedeutet worden. Eine integrie- rende Beteiligung des Plexus an der Bildung des Liquor cerebrospinalis auch im Verlaufe des extrauterinen Lebens vorausgesetzt, müßten Involutions- veränderungen am Plexus ein Absinken der Liquormengen im Verlaufe des Alterns zur Folge haben. Von dem kann natürlich nicht die Rede sein. Im Gegenteile. Der Liquor kompensiert den Parenchymschwund des Greisen- gehirnes in der Bildung des Hydrocephalus ex vacuo. Überdies erscheint der Liquordruck bei Greisen in der Regel etwas erhöht. Somit mag eine gewisse Skepsis gegenüber der allzu einseitigen Betonung des Plexus als Bildungsstätte des Liquor im extrauterinen Leben angebracht erscheinen.

2. Plexus und Liquor.

Dieser zweite Teil unserer Arbeit soll einen Versuch darstellen, die aus dem geschilderten Material erhobenen Befunde und gezogenen Schlüsse den bestehenden Erfahrungen über die Liquorbildung logisch einzuordnen. Natürlich kann in diesen knappen Zeilen kein geschlossener Überblick über alle zur Liquorgenese bezughabenden Erfahrungen geboten werden. Es muß uns genügen, nur die markantesten Punkte zu bezeichnen, die eine Orientierung in dieser komplizierten Frage einigermaßen ermöglicht. Die unvermeidlichen Mängel einer bloß skizzenhaften Behandlung mégen von diesem Standpunkt aus entschuldigt werden.

Lage und Morphologie des Plexus chorioideus haben seit Faivre alle Gelehrten, die sich mit diesem Organe befaßten, veranlaßt, den Plexus chorioideus in irgend welche Beziehungen zu der ihm umgebenden Flüssig- keit, dem Ventrikelliquor, zu setzen. Das Nächstliegende ist wohl, den Plexus, den Obersteiner in seiner Gestaltung mit einer umgestülpten Drüse vergleicht, als das Bildungsorgan des Liquor cerebrospinalis aufzufassen. Auch heute noch kann diese Ansicht als die meistvertretene angesehen werden. Die so eingestellte Literatur gibt hiefür folgende Gründe:

1. Die übereinstimmende Meinung der Histologen.

2. Das Experiment.

3. Die Embryologie.

4. Die Zusammensetzung des Liquor.

5. Die Pathologie.

Ad 1. Es würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, wenn wir der Besprechung des ersten Punktes eine Schilderung der Histologie des Plexus voraussetzen wollten. Hier sollen nur die jeweiligen histologischen Kriterien angeführt werden, aus denen die Autoren eine sekretorische Funktion des Plexus folgern zu müssen glaubten.

Luschka widmet dem Plexus, dessen drüsenähnliche Gestalt schon Purkinje und Faivre festgestellt hatten, die erste ausführliche Monographie.

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 81

Er betrachtet das Plexusepithel als mehrschichtig. Davon sei die äußerste die reifste, die eigentliche sezernierende Zellschichte. Kern und Plasma verschmelzen in ihren Zellen zu einer hyalinen Masse und werden ausge- stoßen. Die leere Zellmembran kollabiere, könne sich aber wieder auffüllen. Nach dem Vergleiche des Autors ähnlich wie die nach einer Hungerperiode kollabierte Fettzelle sich wieder mit Fettstoffen erfüllen könne. Eine große Zahl der Zellen löse sich aber als Ganzes aus dem Verband und gehe in den Liquor über. Letzteres wäre also als eine Sekretion ähnlich dem holokrinen Typus aufzufassen.

Findlay schließt sich Luschkas Ansicht an. Mit der Erkenntnis der Einschichtigkeit des Plexusepithels wurde diese Auffassung hinfällig.

Galleotti läßt aus dem Kerne Granula hervorgehen, die sich im Plasma vergrößern und schließlich ausgeschieden werden., Außerdem trete auch Nukleolarsubstanz über das Plasma in den Liquor über. Schließlich glaubt Galleotti hyaline Tropfen zu sehen, die sich unter Zurücklassung einer Vakuole ebenfalls dem Liquor beimische.

Engel bestätigt im wesentlichen Galleottis Befunde.

Auch Francini hält den Sekretionsprozeß des Plexus für vorwiegend granulär, sieht aber auch Vakuolen daran beteiligt.

Schlaepfer und Pelizzi beschreiben in den „Globi“ das nach ihrer Meinung einzige Sekret des Plexus. Diese Globi seien lipoidumhüllte Vakuolen, die nach ihrem färberischen Verhalten das Vorhandensein eines Glykoproteins vermuten lassen. Dies sei auf ihren Ursprung von aus dem Zellkern ausgetretenen Körnchen zurückzuführen, die über das Stadium eines kleinen Tropfens ,,Globuloplasten“ schließlich in die oben genannten relativ großen Globi übergehen und in den Liquor ausgestoßen werden.

Joshimura sieht in der Lipoidzyste Valentins, deren Chemismus er eingehend untersucht, das spezifische Plexussekret.

Petit und Girard halten die Globuloplasten Schlaepfers für kada- veröse Veränderungen des in seinen feineren vitalen Strukturverhältnissen sehr labilen Plexusepithels. Ciaccio und Scaglione fassen die von Galleotti und Engel beschriebenen, vom Kerne der Zellen abgeleiteten Granula als postmortale Derivate mitochondrialer Bildungen auf.

Petit und Girard, Hworostuchin, Meek, Ciaccio und Scaglione vertreten die heute wohl gangbarste Meinung, daß der Sekretionstypus des Plexus ein flüssig-vakuolärer sei. Eine vakuoläre Aufschließung und Aufhellung der peripheren Zone der Epithelzelle ist nach ihnen der Ausdruck erhöhter Zellaktivität. Die genannten Autoren, speziell Ciaccio und Scaglione be schreiben am noch lebenswarm fixierten Plexus von diversen Säugetieren in der zirkumnukleären Zone ein dichtes Gefüge stibchenf6rmiger und granu- lärer Gebilde mitochondrialer Natur. Eine eigenartige Bestätigung dieser Beobachtung auch an menschlichem Materiale mag darin erblickt werden, daß viele Jahre vor diesen Autoren Vonwüller am lebenswarm fixierten Plexus einer durch Perforation entfernten Frucht zirkumnukleare Filament- bildungen beschreibt, die nach Anordnung und Gestalt eingehend geschildert,

Arbeiten ans dem Wr. neurol. Inst. Bd. XXXI. 6

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zweifellos dem oben beschriebenen mitochondrialen Bildungen entsprechen, wie solche später Saito beschrieb, wenn auch Vonwüller damals in diesen Stäbchen den Rest der Flimmerwurzel zu erblicken glaubt. Während nun Hworostuchin die um den Kern gelegenen Kérnchen in das Sekret übertreten läßt, hält Ciaccio diese für Organulae der Zelle, welche als Exponenten .des Stoffwechsels nur indirekt mit der Sekretion zu tun haben.

Aus dieser nur flüchtigen Skizze ergibt sich, daß es unmöglich ist, aus dieser Fülle von Beobachtungen und Meinungen eine Resultierende zu ziehen. Die Angaben der Autoren scheinen. aneinander geradezu auszu- schließen. Von einer „übereinstimmenden‘“ Ansicht der Histologen über diese Frage kann also nicht die Rede sein.

Der vergleichenden Anatomie des Plexus liefert die Arbeit von Fernande Coupin einen Beitrag, indem sie feststellt, daß bei den verschiedenen untersuchten Selachiergehirnen eine proportionelle Größenbeziehung zwischen dem Ventrikelinhalt, also der Liquormenge und der Plexusmasse, nicht bestehe.

Ad 2. Hughson hat eine Beobachtung aus der Embryologie zum Beweise der Liquorbildung aus dem Plexus chorioideus herangezogen. Er beobachtet nämlich an Schweineembryonen eine gleichzeitige Differenzierung des embryonalen Meningealgewebes zum trabekulären Bau der Pia-Arachnoi- dea mit dem ersten Sichtbarwerden der Anlage des Plexus. Dieses zeitliche Zusammentreffen der Entstehung des Subarachnoidalliquors (die fötale Ven- trikelflüssigkeit besteht ja schon mit der Anlage der primitiven Hirnblasen) mit dem ersten Auftreten des Plexus wurde vom genannten Autor im Sinne einer plexogenen Liquorentstehung gedeutet. Aber unter dem Gesichts- punkte, daß das Plexusstroma ja nichts anderes darstellt als ein Anhangs- gebilde der Meningen, erscheint diese Koinzidenz nicht auffallend. Doch mag in diesem Zusammenhange betont werden, daß hier nicht über die Funktion des embryonalen Plexus diskutiert werden soll, die ja möglicher- weise eine bedeutend ausgiebigere sein mag wie die des Erwachsenen.

Ad 3. Im Anschluß an die Histologie des Plexus möge nun das Experi- ment besprochen werden, da ja dieses gerade durch die ursprünglich ange- nommene Übereinstimmung mit histologischen Befunden der Liquorproduk- tion durch den Plexus chorioideus einst die gewichtigste Begründung zu geben schien.

Petit und Girard, Meek, Ciaccio und Scaglione, um nur die wichtigsten zu nennen, haben das oben beschriebene, dem Zustande höchster Aktivität bezeichnende Zellbild des Plexusepithels an mit Pilokarpin vorbe- handelten Tieren erhoben, ja den ganzen Vorgang der Sekretion des Plexus geradezu von diesen abgeleitet, während sie das Stadium der Inaktivität an atropinisierten Tieren beschrieben haben. Dieses Vorgehen basiert auf einer experimentellen Beobachtung Cappellettis, der an mit Pilokarpin und Muskarin behandelten Tieren aus einer Liquorfistel einen gesteigerten Liquor- fluB zu konstatieren glaubte, während das Atropin die Liquorprodüuktion zu hemmen schien. Allein die Natur dieser Pharmaka und ihrer Wirkung ließ

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auf eine driisige Provenienz des Liquor cerebrospinalis schlieBen. Die Beob- achtungen der Histologen am Plexus ebenso vorbehandelter Tiere lieBen aber die Beweiskette, daB der Plexus chorioideus der eigentliche Liquorproduzent sei, geschlossen erscheinen. Nun zeigt es sich aber, daß mit der ver- feinerten, modernen Technik die experimentellen Beobachtungen Cappellet- tis unhaltbar sind. Becht und Gunnar, Siccard, Dixon und Haliburton, Cestan, Riser und Laborde, schlieBlich an dem hiesigen Institute Hoff, stimmen darin überein, daß die genannten Pharmaka die Liquorproduktion nicht merklich beeinflussen. Damit ist aber auch den obgenannten histolo- gischen Beobachtungen, soweit diese dahin gedeutet wurden, daß dem Plexus eine quantitativ ausgiebige Beteiligung an der Liquorbildung zukomme, geradezu das Fundament entzogen.

Die interessanten Befunde von Dixon und Haliburton, die bei intra- venöser Injektion von Plexusextrakten und ebensolchen des C.N.S. eine Steigerung der Liquorproduktion beschreiben, wie die Beobachtungen hormo- naler Einflüsse auf die Liquorbildung, sind für den Ort des Übertrittes des Liquor cerebrospinalis nicht bezeichnend und sollen deshalb hier nur genannt sein. In jüngster Zeit hat Weed seine Beobachtungen am Plexus von Tieren, die nach intravenöser Injektion einer hypotonischen Kochsalzlösung eine erhebliche Liquordrucksteigerung zeigten, beschrieben. Die Epithelzellen zeigen eine Erhöhung und vakuole Aufhellung ihrer freien Oberfläche, stellen- weise fließen die Tröpfchen zu großen Blasen zusammen, die die Ober- fläche der Zelle sprengen, daher auch häufig Zellen mit fetziger Kontur angetroffen werden. Jedoch beschreibt Weed gleichzeitig eine ungeheuere ödematöse Flüssigkeitsanreicherung des Parenchyms und seiner Gefäß- scheiden, die wohl an sich genügen, die Drucksteigerung zu erklären. Auch könnte die Art der geschilderten Zellveränderungen ebensogut als Folge einer osmotischen Schädigung wie als Ausdruck eines hypersekretorischen Vor- ganges gedeutet werden.

Diesen experimentellen Befunden seien die Beobachtungen Cushings und Jakobis am eröffneten Ventrikel angeschlossen. Cushing konnte unter diesen wenig physiologischen Umständen an dem Plexus chorioideus einen Flüssigkeitsaustritt beobachten. Jakobi konnte unter besonderen optischen Vorkehrungen an dem Ependym einen Übertritt von Flüssigkeit und eine Flüssigkeitsfüllung der perivaskulären Scheiden der Plexusgefäße photogra- phisch festhalten. So interessant diese Beobachtungen an sich auch sein mögen, so erscheinen sie doch ungeeignet, in der Frage der Liquorgenese entscheidend verwertet zu werden. Denn Jakobi konnte die Auffüllung der scheinbar kollabierten perivaskulären Scheiden des Plexus chorioideus mit Lymphe erst eine Zeit nach, und wie der Verfasser selbst meint, infolge des gesetzten Reizes der Ventrikeleröffnung beobachten. So wäre denn der beobachtete Flüssigkeitsübertritt aus dem Plexus chorioideus ebensogut als eine unphysiologische Reizreaktion aufzufassen. Aber wie die Dinge auch liegen mögen, auf die Frage der quantitativ entscheidenden Beteiligung des Plexus an der Bildung des Liquor cerebrospinalis lassen diese Beobachtungen

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keine Deutung zu. Und dies ist ja gerade die Frage, die hier zu verhandeln ist. Die Möglichkeit einer sekretorischen Funktion des Plexus chorioideus als solche soll hier nicht bezweifelt werden.

Andere Experimente zur Lösung der Frage über den Ursprung des Liquor, wie etwa die künstliche Erzeugung eines Hydrozephalus, wie sie speziell von Seite amerikanischer Autoren ausgeübt wurden, mögen kurz im Zu- sammenhange mit dem Problem des Hydrozephalus; die zahlreichen vital- färberischen Befunde und die Resultate der Permeabilitätsprüfungen sollen anschließend mit der Natur des Liquors in sinngemäßerem Zusammenhange besprochen werden.

Hiemit kommen wir zum vierten Beweispunkte der Vertreter der plexo- genen Liquorentstehung, der besagt, daß der Liquor cerebrospinalis nach seiner Konstitution als ein Produkt spezifisch wirkender Membranen, die diese Autoren im Plexus chorioideus zu erblicken glauben, aufgefaßt werden muß. Die Zusammensetzung des Liquor ist nach Mestrezat normalerweise im wesentlichen Alb. 0,18 g, Zucker 0,53, Kochsalz 7,32 in 1000 ccm, Gegenüber der bisher untersuchten Lymphflüssigkeit und der Flüssigkeit seröser Höhlen sind speziell die auffallend niedrigen Eiweißwerte und der hohe Kochsalz- und Zuckergehalt auffallend. Je nach der Auffassung der Autoren ist der Liquor in bezug auf seine genetische Beziehung zum Blute als ein Trans- sudat, ein Filtrat, ein Dialysat und schließlich als ein Sekret definiert worden. Speziell in dem die Konzentration dieser Substanzen im Blute übersteigenden Kristalloidgehalt des Liquors wurde ein Ausdruck aktiver Zelltätigkeit gegen das Konzentrationsgefille, ein Beweis des sekretorischen Ursprunges des Liquor cerebrospinalis erblickt. Mestrezat hingegen sieht darin vielmehr das rein physikalische Bestreben, die molekularen Druckdifferenzen zwischen Blut und Liquor, die durch die Zurückhaltung der nicht diffusiblen Eiweiß- körper im Blute bedingt wären, durch einen erhöhten Übertritt von Kristal- loiden auszugleichen. Im allgemeinen hält Mestrezat den Liquor für eine als Dialysat physikalisch wohl definierte Flüssigkeit. Diese Dialyse des Liquors setze aber eine ganz besonders fein differenzierte Membran voraus, welche Mestrezat in dem Epithel des Plexus zu erblicken glaubt, Die Tatsache einer Abhängigkeit der Konzentration des Liquors an einzelnen Stoffen, wie Zucker, Harnstoff usw., von dem Gehalte des Blutes an den entsprechenden Substanzen gehört heute zu dem gesicherten Bestand unseres Wissens. Über die Abhängigkeit des physikalischen Verhaltens des Liquor (Gefrierpunkterniedrigung, Leitfähigkeit usw.) vom Blutplasma hat in letzter Zeit Teschler eine aufschlußreiche Arbeit veröffentlicht.

Doch ein Phänomen am Liquor cerebrospinalis widerstrebt jeder einfach physikalischen Deutung. Es ist dies die elektive Permeabilität resp. Impermea- bilität der liquorbildenden Grenzmembran gegenüber verschiedenen im Blute kreisenden resp. in das Blut eingebrachten Stoffen, was einen vitalen Selektionsprozeß an der Grenzmembran vom Blute zum Liquor voraussetzt.

Das Fehlen von Schutzkörpern bei mit Typhus vorbehandelten Hunden im Liquor bei gleichzeitigem reichlichem Vorhandensein in den übrigen

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Gewebsfliissigkeiten desgleichen das Fehlen von Bilirubin im Liquor von durch Unterbindung des Ductus choledochus ikterischen Tieren, das nicht Übertreten verschiedener Substanzen, wie Jod, Quecksilber, Salizylsäure usw., alles dies sind Beobachtungen, die schon längere Zeit zurückliegen und mit einiger Modifikation auch heute noch Geltung haben.

Desgleichen die Ergebnisse der Vitalfärbung Goldmanns, welche er- brachten, daß bei intravenöser Trypanblauinjektion das C.N.S. allein völlig farbfrei bleibe.

Unter dem Namen „Permeabilität des Plexus“, „Permeabilität der Menin- gen“, „Barriere haemato-encephalique‘ wurde diese Besonderheit des Liquors, besser gesagt, diese Eigenschaft seiner Bildungsmembran, in höchst bedeutungsvollen Arbeiten weiter erforscht. Wir müssen es uns versagen, auf die Verdienste von Hauptmann, Weil, Kafka, Walter, Stern und Gautier u. a. zur weiteren Aufklärung dieses hoch aktuellen Problemes im einzelnen einzugehen.

Unserem Orientierungsversuche gilt es vor allem festzuhalten, daß der Bildungsmembran des Liquors die Eigenschaft der vitalen Selektion von im Blute kreisenden Stoffen zukommt, welche sie je nach dem biologischen Charakter durchläßt oder nicht.

Diese Eigenschaft gewinnt aber erst ihren eigentlichen physiologischen Wert in der Beobachtung der oben genannten und anderer Autoren, daß in das Blut eingebrachte differente Stoffe nur dann eine Reaktion in dem C.N.S. auszulösen imstande sind, insoweit sie in den Liquor cerebrospinalis übergetreten erscheinen. Stern und Gautier machen es speziell an ihren Atropinversuch am Hund und Kaninchen wahrscheinlich, daß die scheinbar ungleiche Empfindlichkeit des C.N.S. verschiedener Tiere für das gleiche Gift wohl weniger im C.N.S. selbst, als vielmehr in der verschiedenen Durch- lässigkeit seiner Barriere haemato-encephalique für das betreffende Gift begründet ist.

Aus dem Umstande, daß das jeweils applizierte Pharmakum am stärksten zur Wirkung kam, insoweit es im Ventrikelliquor nachweisbar war, folgerten Stern und Gautier, die speziell von Monakow vertretene Meinung, daß der relativ zuckerreiche Ventrikelliquor als eine Ernährungsflüssigkeit des Gehirmes vom Plexus chorioideus abgeschieden werde und von den Ven- trikeln aus das Parenchym gegen den Subarachnoidealraum hin durch- dringe. Der relativ zuckerarme Liquor des Subarachnoidealraumes sei mithin als Abwasser des Gehirnes aufzufassen.

Was diese von Stern und Gautier gemachte Beobachtung betrifft, so dürfte sie wohl bei einem Teil der verwendeten Mittel in der periventri- kulären Lage der affizierten Zentren begründet sein. Übrigens muß dem Befunde der raschesten und ausgiebigsten Wirkung der jeweilig verwendeten Pharmaka bei Einbringung in den Ventrikelliquor die Beobachtung von Ahrens gegenübergestellt werden, der bei subarachnoidealer Applikation von Kongorot eine ungleich rascher einsetzende Reaktion von klonisch-tonischen Krämpfen beobachtete, wie bei der Injektion des gleichen Mittels in die Ven-

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trikel, wobei die klonischen Krämpfe den tonischen vorangehen. Bei vitaler Färbinjektion in den Subarachnoidealraum sind die Grenzflächen der Ven- trikel nach Spatz nur in einem schmalen Saum und schwach gefärbt. Der Befund eines Vordringens intraventrikulär injizierter Eisensalze in das Parenchym gegen die Lymphscheiden der Gefäße ist wohl auf die durch die gleichzeitige hypertonische Kochsalzinjektion veränderten osmotischen Verhält- nisse zu beziehen. Doch sind diese Befunde von Weed, Nannagas, Wislocki und Putnam für die Auffassung der heute noch gänzlich ungeklärten Liquor- strömung zweifellos von größtem Interesse. Und es erscheint wohl nicht ausgeschlossen, daß auch unter physiologischen Verhältnissen unter Um- ständen eine ähnliche Umkehrung der Strömungsrichtung des Liquors ein- treten kann. Die venösen Bluträume des Lumbalsackes und des Schädel- raumes sowie die kleinsten Gefäße des Hirnparenchyms stellen eine der- artige Vielfältigkeit der Resorptionsmöglichkeiten des Liquor cerebrospinalis dar, daß aus der jeweiligen funktionellen Überwertigkeit der einen oder der anderen genannten Resorptionsmechanismen, die einander oft diametral gegenüberstehenden Befunde der jeweils wahrgenommenen Strömungs- richtung des Liquor einigermaßen erklärlich scheinen.

Der im Ventrikel gegen den Subarachnoidealliquor erhöhte Zuckergehalt ist wohl der häufigere Befund, nach Dietel aber nicht als gesetzmäßig zu betrachten. So waren bei vergleichenden Untersuchungen des Zisternen- und Lumbalpunktates in 71,8% das Zisternenpunktat zuckerreicher als das Lumbalpunktat, in 7,7% gleich, in 20,5% aber war der Zuckergehalt des Lumbal- punktates höher als der im Zysternenliquor gefundene.

Doch allein die Überlegung, daß das Gehirn, wie Tigerstedt auf Grund der Bemessungen Jensens feststellt, neben der Schilddrüse und der Nebenniere das am reichsten mit Blut versorgte Organ darstellt, läßt die Annahme, daß das Gehirn den größten Teil seiner Nahrungsstoffe über den Plexus aus den zarten Arteriae choriodeae beziehe, schwer vorstellbar erscheinen.

Aber auf dieser Einstellung basiert die Ansicht Monakows, Gold- manns, Fleischmanns u. a., daß in dem Plexus chorioideus ein Schutz- organ des (rehirnes der eigentliche Sitz der Barriere haemato-encephalique zu erblicken sei. Goldmann kommt durch die Speicherung feinster Farbkörnchen im Plexus bei intravenöser Trypanblauinjektion zu dieser Meinung. Ein Befund, den Zylberlast-Zant übrigens nicht bestätigen konnte.

Monakow beobachtet bei der Urämie ein plötzliches Einbrechen von Harnsäure und Kreatinin in den Liquor, die bis zum Ausbruch des urä- mischen Komas nur in einem Bruchteil der in dem Blute vorhandenen Konzentration in dem Liquor zu finden sind. An seinen Fällen zeigte sich der Plexus sklerotisch schwer verändert. Monakow und Kitabayashi beschrieben außerdem Veränderungen des Plexus chorioideus speziell in ihrem epithelialen Anteile bei Schizophrenie und bringen diese Erkrankung in kausale Beziehung zu der Veränderung dieser schützenden Membran des C.N.S.

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Fassen wir aber, wie Weil, Kafka, Walter, Spatz u. a., die Gesamt- heit der Grenzflächen zwischen Blut und C.N.S. als den Sitz der Barriere auf, so wäre nach den Befunden Monakows und Kitabayashis der Plexus geradezu als das Punctum minoris resistentiae zu betrachten, doch ist auch hiefür der Beweis noch nicht erbracht. Denn die von Monakow an dem Plexus seiner Urämiefälle gefundenen Veränderungen scheinen nach den histologischen Untersuchungen Tannenbergs, Saitos, Zalkas und den im vorigen Abschnitte geschilderten Befunden weder konstant noch spezifisch zu sein. Überdies ist es auffällig, daß Kitabayashi gerade bei der Schizophrenie, bei der die Permeabilität herabgesetzt erscheint, eine primär epitheliale Schädigung des Plexus beschreibt, von der wir doch eher ein Undichtwerden der Barriere erwarten würden, während bei der sklerotischen Veränderung des Plexus der Urämie, wo eine Herabsetzung der Permeabilität eher vorstellbar wäre, gerade das Gegenteil der Fall ist.

So haben wir denn, um das (tesagte nochmals kurz zu wiederholen, in dem Liquor eine Flüssigkeit zu sehen, welche in ihrer Zusammensetzung von der bisher untersuchten Lymphe sowie von den serösen Flüssigkeiten verschieden ist und von einem eigenen Schutzmechanismus vor dem Ein- dringen bestimmter Stoffe bewahrt wird. Diese Flüssigkeit durchdringt das Nervengewebe, um den Ausdruck Stern und Gautiers zu gebrauchen, nach Art der Gewebslymphe.

Die Beobachtung der genannten Autoren, daß Stoffe, die in der Gewebs- flüssigkeit des Gehirns gefunden werden, auch im Liquor vorhanden sind und umgekehrt, zwingen zu dem Schlusse, daß auch den Kapillarendothelien des Gehirns eine Lymphbildung aus ihnen, wie doch selbstverständlich vorausgesetzt, die Eigenschaften der Barriere zukommen müssen. Auch Walter, Weil, Kafka sehen sich auf Grund ihrer Beobachtungen der Permeabilität bei verschiedenen psychischen und organischen Hirnerkran- kungen veranlaßt, den Sitz der Barriere vornehmlich in das Kapillar- endothel zu verlegen, was unter anderen Autoren auch Spatz annimmt. Damit ist aber schon eine der grundsätzlichen Spezifitäten der Bildungsstätte des Liquor, die den Anhängern der plexogenen Liquorentstehung einen Beweis für den drüsigen Ursprung des Liquors bedeutet, auch dem Kapillar- endothel der Gefäße des C.N.S. zuzuerkennen. Aber noch mehr. Nach der Ansicht einer Reihe von Autoren entsteht der Liquor des Rückenmark- kanals an Ort und Stelle aus den Gefäßen. Walter, Weigelt, Weinberg, EBkuchen, Kafka u. a. beobachten im Subarachnoidealsacke des Rücken- marks eine Art Sedimentierung der Elemente, die jede wesentliche Strömung in diesem Gebiet auszuschließen scheint.

Schönfeld und Luipold erweisen den Übertritt von Uranin und Askulin 11/, bis 2 Minuten nach intravenöser Injektion im Lumballiquor. Die kurze Zeitspanne zwischen Injektion und Auftreten im Lumballiquor beweist den Übertritt an Ort und Stelle.

Dieser Beobachtung hat aber Walters bekannter Fall eines im Gebiet des Thorakalmarks den ganzen Subarachnoidealraum obliterierenden

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Gummas den Schlußstein aufgesetzt. Der Lumballiquor dieses Falles verhielt sich bei einer qualitativ und quantitativ erschöpfenden Analyse bis auf eine geringe Zell- und Eiweißvermehrung und einem positiven Wassermann gänzlich der Norm entsprechend. Eine Herkunft des Liquors vom Plexus war in diesem Falle durch die komplette Blockade der Liquorräume des Rückenmarks, die sowohl intra vitam als auch insbesondere bei der Obduk- tion einwandfrei festgestellt wurde, vollkommen ausgeschlossen. Damit kann es als erwiesen gelten, daß die Gefäße an sich imstande sind. Liquor zu bilden und damit fällt der vierte Beweisgrund für eine ausschließlich plexogene Ableitung des Liquor auf Grund seiner Zusammensetzung und es erscheint damit der ubiquitären Liquorentstehung, wie Walter seine der Quinckeschen Auffassung nahestehende Meinung bezeichnet, in steigender Wahrscheinlichkeit.

Im wesentlichen sind der Ventrikelliquor und der Subarachnoidealliquor einander gleich. Schmorl hat als erster leichte Abweichung in der Zu- sammensetzung des Ventrikelliquors und des Subarachnoidealliquors konsta- tieren können. In letzter Zeit haben Cestan, Riser, Laborde, Ayer, James usw., sowie Dalström und Widerö, diesem Gegenstand ihre Auf- merksamkeit gewidmet. Der gegen den Subarachnoidealraum erhöhte Zucker- gehalt des Ventrikelliquor wurde im Anschluß an Monakows Theorie bereits besprochen. Der in pathologischen Fällen in der Regel höhere Zell- und Eiweißgehalt des subarachnoidealen Liquor sowie die Verschiedenheiten der Befunde bei der Wassermann- und Goldsol-Reaktion an möglichst gleich- zeitig entnommenen Ventrikel- und Lumbalpunktat dürfte sich wohl unge- zwungen aus der differenten Natur der umgebenden Liquorräume erklären lassen, ohne daß sich daraus die Forderung einer verschiedenen Entstehungs- art der besprochenen Liquores ergeben würde. Übrigens sind die oben genannten Verhältnisse keineswegs konstant. So. konnten durch James, Harry, Ayer, Salomon im Falle eines tief sitzenden Glioms, das aber die Ventrikelfläche nicht erreichte, eine deutliche Eiweißvermehrung des Ventrikelliquors gegenüber dem Subarachnoidealliquor nachgewiesen werden.

Bevor wir auf die Pathologie eingehen, möchten wir nun den Versuch unternehmen, uns auf Grund des bisher Gesagten eine Vorstellung von der Liquorgenese zu bilden, um sie dann unseren Betrachtungen über die Pathologie des Liquor cerebrospinalis zugrunde legen zu können. Schon das Wort Versuch soll bezeichnen, daß auch wir die folgenden Überlegungen als vorläufig hypothetisch betrachten.

Die eingreifenden Altersveränderungen am Plexus chorioideus, welche absolut symptomlos verlaufen, sowie die einer Hypersekretion des Plexus oft geradezu widersprechenden histologischen Befunde am Plexus bei soge- nanntem Hydrocephalus hypersecretorius ließen uns an einer quantitativ relevanten Beteiligung des Plexus chorioideus an der Liquorbildung im extrauterinen Leben sowohl normalerweise als auch unter pathologisch veränderten Verhältnissen zweifeln. Ein Überblick der histologischen und experimentellen Erfahrungen auf diesem Gebiete sowie die Ergebnisse physio-

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chemischer und biologischer Untersuchung der Natur des Liquor cerebro- spinalis konnte uns in dieser Annahme einigermaßen bestärken.

Es wäre denkbar, daß bei dem Lymphtransport gegen die Ventrikel auch die dem Gefäßverlauf entsprechend vorwiegend von außen nach innen zu ablaufende Pulswelle durch gleichsinnige Abpressung der umgebenden Lymph- räume wirksam sei, wie dies schon Burckhardt einmal bemerkte.

Ein experimenteller Befund von Ahrens könnte wohl in diesem Sinne gedeutet werden. Bei subarachnoidealer Injektion einer Farbflüssigkeit und folgender Erzeugung einer Embolie der Gehirngefäße fand Ahrens ein Vordringen des Farbstoffes längs der Gefäßscheiden bis zum Embolus; von da ab waren die Gefäßscheiden farbfrei.

Im Zusammenhang mit dem Besprochenen dürfte es von Interesse sein, daß auch die Auffassung über die Rolle der Kapillarendothelien bei der Lymphbildung überhaupt noch als umstritten zu betrachten ist. Während die einen diesem Prozeß rein physikalische Determinanten zugrunde legen wollen, sehen sich die anderen auf Grund der Unzulänglichkeit der erstgenannten Versuche genötigt, in der Lymphbildung den Ausdruck eines vitalen Vor- ganges des Kapillarendothels zu sehen, welchem die Eigenschaft zukäme, organ-spezifische Lymphe quasi zu sezernieren. Unter diesem Gesichts- punkte dürfte es begreiflich erscheinen, daß die Lymphe des C.N.S., soweit wir den Liquor cerebrospinalis als eine solche aufzufassen geneigt sind, der Höchstdifferenzierung und einzigartigen Reagibilität dieses alle Organe be- herrschenden Gewebes entsprechend eine der bisher untersuchten Lymphe so differente Zusammensetzung hat. (Nach Tigerstedt wurde allein die Lymphe des Brustganges einer qualitativ und quantitativ erschöpfenden Ana- lyse unterzogen; Mestrezat gibt noch eine ebensolche der Lymphe aus der Oberschenkelfistel einer Frau bekannt.)

So scheint es demnach geboten, innerhalb der Theorie einer ubiqui- tären Liquorentstehung, die von Spina, Lewandowsky, Becher, Hassin u. a. betonte Komponente der Liquorgenese aus den Kapillaren bzw. dem Gehirne nach Art der Gewebsflüssigkeit als die eigentliche quantitativ aus- schlaggebende Quelle des Liquor cerebrospinalis zu betrachten.

Der Vorgang der Liquorbildung würde sich von diesem Standpunkt aus betrachtet etwa folgendermaßen vollziehen. Die Kapillaren des C.N.S. lassen die spezifisch konstituierte Lymphe in das Parenchym übertreten. Ein Teil der Lymphe wird, wie dies ja bei der Gewebsflüssigkeit aller Organe die Norm ist, in den intraparenchymatösen Venen rückresorbiert. Die auf diesen Wegen nicht resorbierte Lymphe, welche in anderen Organen durch das Lymphgefäßsystem, welches dem C.N.S. fehlt, abgeleitet wird, wird im C.N.S. an der gesamten Oberfläche, d. h. einerseits in den Sub- arachnoidealraum inklusive den Virchow-Robinschen Räumen, anderseits in die Ventrikel abgegeben.

Die vielfachen Abflußwege des Subarachnoidealraumes sorgen für die Ableitung der ursprünglichen Gehirnlymphe. Für die lipoiden Abbaustoffe des C.N.S. ist die Abgabe dieser in die Virchow-Robinschen Räume und

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den Subarachnoidealraum sichergestellt. Das nach Hassin ebenso erweis- bare Ubertreten lipoider Abbaustoffe des Gehirns in den Ventrikelliquor und ihre Resorption durch den Plexus scheint wohl auch nach unseren Befunden wahrscheinlich, wenn auch nicht eindeutig sichergestellt. SchlieB- lich sei hier nochmals auf den Befund einer Anreicherung von Eiweißstoffen im Ventrikelliquor im Falle eines tief sitzenden Glioms im Stirnhirn, wie dies Ayer und Salomon beschrieben haben, hingewiesen.

Ad 5. Der in unserer Einleitung letztgenannte Beweis, der für die Liquorgenese aus dem Plexus chorioideus angeführt wird, betrifft die Patho- logie und pathologische Anatomie, speziell bei Hydrozephalus. Diese konnte aber der genannten Theorie nur solange eine Stütze sein, als der Einzel- befund von Claisse und Levi als typisch aufgefaßt wurde. Wie wenig dies der Fall ist, konnten wir schon in dem ersten Teil unserer Arbeit in Kürze ausführen.

Nach den entwickelten Gesichtspunkten einer Ableitung des Liquor cerebrospinalis von den Kapillaren nach Art einer spezifischen Gewebs- lymphe wäre die Pathogenese des Hydrozephalus natürlich eine wesentlich andere, als im allgemeinen angenommen werden dürfte. Beim Hydrozephalus pflegt man vom ätiologischen Standpunkt aus drei Formen zu unterscheiden. Den Hce. occlusus, den He. non resorbtivus und den Hc. hypersecretorius.

Ein Hindernis des Liquorabflusses von den Ventrikeln zu den resorb- tiven Subarachnoidealriumen muß auch von unserem Standpunkt aus zu einer Liquorstauung im Ventrikel führen. Desgleichen eine im Verhältnisse zur Liquorproduktion herabgesetzte Resorption, wie dies der Entstehung eines Hc. non resorbtivus kausalgenetisch zugrunde gelegt wird. Experi- mentelle Hydrozephali, die etwa durch die Anlage eines mechanischen Hindernisses im Aquädukt oder nach Weed durch Provokation einer sterilen Meningitis durch Lampenrußeinblasung und konsekutiven Verschluß der Foramina Luschkae und Magendii ausgelöst wird, sowie die Gewinnung von Liquor cerebrospinalis durch Katheterisation des Aquädukts, wie dies Weed unternommen, mag ebensogut unserer als der plexogenen Auffassung der Liquorgenese zur Stütze dienen. Die experimentellen und operativen Befunde nach Exstirpation des Plexus (Dandy und Blackfan) dürften kaum als schlüssig betrachtet werden können, da es doch kaum möglich sein dürfte, den Plexus ohne Hinterlassung einer künstlichen Drainage zwischen Ven- trikel und Subarachnoidealraum zu entfernen. Doch sind die durch Setzung eines Ventrikelblockes experimentell erzeugten Hydrozephali wohl dazu ge- eignet, die Annahme der Entstehung des Hc. durch Behinderung der Resorp- tion des Plexus chorioideus, wie dies Dietrich und Wüllenweber vertreten zu widerlegen. Die resorbtive Funktion des Plexus chorioideus wäre somit als eine rein elektive zu betrachten.

Was den He. hypersecretorius betrifft, so machen die Experimente von Bungart, Falkenhayn, Hermann, Howell, Hoff, Neunyn und Neu die Ansicht, daß der sogenannte Hydrocephalus hypersecret. wirklich durch eine Hypersekretion des Plexus entstehen sollte, wenig wahrscheinlich. Die

Beobachtungen am menschlichen Plexus chorioideus der Seitenventrikel. 91

genannten Autoren konnten nach subarachnoidealer Injektion von relativ großen Quantitäten einer physiologischen Kochsalzlösung ein ungemein rasches Abfallen der ursprünglichen Drucksteigerung auf die Norm, eine überraschend prompte Resorption feststellen. Angesichts dieser Tatsache scheint es kaum denkbar, daß die außerordentlichen resorbtiven (Qualitäten innerhalb des Subarachnoidealraumes durch eine Übersekretion des nur von den zarten Arteriae chorioideae mit Flüssigkeit versorgten Plexus über- kompensiert werden könnten.

Eine der Gewebslymphe entsprechende Liquorgenese vorausgesetzt wäre wohl anzunehmen, daß zwischen dem Auftreten eines Hirnödems und eines Hc. kausal genetische Beziehungen bestünden. Faktisch ist nun das Auf- treten von Hirnödem oder Hc. bei gleicher Ätiologie höchst auffallend. Bei komatösen Zuständen (Urämie, Diabetes) sind Hirnödem ebenso wie He. häufige Befunde. Im Experiment erzeugte d’Abundo als erster durch Ver- letzung des Hirnparenchyms unreifer Tiere Hydrozephalus. Die Meningitis serosa traumatica, die Commotio cerebri seien in diesem Zusammenhange genannt. Mit den Methoden intravitaler Ventrikeldarstellung zeigt es sich, daß als Folge eines erlittenen Traumas der Hc. ein ungleich häufigerer Befund sei, als bisher angenommen wurde. Hier sei auch erwähnt, daß es schon Quincke aufgefallen ist, daß bei Disposition zu vasoneurotischem Ödem häufig auch ein He. zu finden sei, was den Gedanken nahelegt, daß unter Umständen in dem Hydrozephalus das Analogon des Ödems anderer Organe zu sehen sei. Ebenso scheint das Auftreten von Hc. bei Tumoren, die den Ventrikelliquor in seinen Abflußwegen keineswegs behindern, unter dem Gesichtspunkte der Abpressung kollateraler Ödemflüssigkeit einigermaßen erklärbar.

In allen letztgenannten Fällen wäre die primäre Ursache zur Ent- stehung des Hc. in einer Alteration der Gehirngefäße, in einer erhöhten Flüssigkeitsdurchlässigkeit der Kapillaren zu suchen. Nun habe das in seinen kolloidalen Verhältnissen so labile C.N.S. das Bestreben, diese Odem- flüssigkeit abzupressen. In dem mit resorbtiven Möglichkeiten reich ausge- statteten Subarachnoidealräumen kommt diese überschüssige Flüssigkeit rasch zur Ableitung. Nicht so in den Ventrikeln, die dieser resorbtiven Mechanismen entbehren.

Mit der Meinung, daß der Hc. die Folge einer entzündlichen Veränderung des Ependyms sei, hat diese Auffassung nichts zu tun. Das ependymale Parenchym scheint doch allzu spärlich vaskularisiert, um die Ansicht zu rechtfertigen, daß es als solches die zum Zustandekommen eines He. nötigen Flüssigkeitsmengen produziere, gleichwohl kommt ihr als Grenzschichte zwischen Gewebsflüssigkeit und Ventrikelliquor zweifellos eine spezifische Bedeutung zu. Schrottenbach faßt das refraktäre Verhalten des ependymalen Gewebes gegen Goldimprägnation nach Cajal bei seinem Falle von idio- pathischem Hc. als Folge des Druckes auf, doch konnten wir das gleiche auch an den ventrikulären Grenzflächen zweier Normalfälle beobachten, somit dürfte es sich da um eine Eigentümlichkeit dieses Gewebes als solchen handeln.

92 Alfred Auersperg.

Noch eine Beobachtung diirfte dazu dienen, die geschilderte Anschauung wahrscheinlicher zu machen. Es ist dies die auffallende Intaktheit der um den III. Ventrikel gelagerten Nervenkerne bei Hc. Dies nachzuweisen hatten wir bei drei Fällen von Hc. permagnus Gelegenheit, von denen der eine als kongenitaler, die anderen zwei als Verschlußhydrozephali zu betrachten sind. Diese Tatsache, die uns schwer verständlich scheint, wenn wir an- nehmen, daß die ungeheuere Erweiterung der Ventrikel passiv unter einem von außen her wirkenden Flüssigkeitsdruck entstanden ist, erscheint unserem biologischen Denken begreiflicher, wenn wir uns vorstellen, daß dieser hydrozephalen Umformung des Gehirns der aktive Prozeß der Abpressung von überschüssiger Gewebsflüssigkeit des Gehirns selbst zugrunde liegt.

GewiB müssen auch die eben geschilderten Anschauungen über die Pathogenese des Hc. als durchaus hypothetisch betrachtet werden. Jedoch glauben wir unsere eingangs geschilderten Befunde am Plexus chorioideus mit den bestehenden Erfahrungen auf diese Weise einigermaßen !n Einklang gebracht zu haben.

Unsere Arbeit beschränkt sich darauf, bezüglich der Funktion des Plexus chorioideus eine direkte quantitativ relevante Beteiligung an der Liquorbildung zu bezweifeln. Der Theorie einer elektiv resorbtiven Funktion des Plexus wurde der Beitrag unserer Beobachtungen am fettgefärbten Plexus gewidmet, ohne daß wir aus ihnen bindende Schlüsse in diesem Sinne hätten ziehen können. Wenn wir aber immerhin die resorbtive Natur der im Plexus gefundenen Lipoide als wahrscheinlich zugegeben haben, so soll damit nicht gesagt sein, daß dies die einzige oder auch nur vornehmliche Funktion des Plexus chorioideus sei. Man denke nur an Analogien z. B. mit der Glandula pinealis und der Thymus, die auch fötal, resp. frühinfantil ihre Hauptwirkung entfalten, ohne jedoch in späteren Jahren ihre Wirkung einzubüßen.

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Über Ganglienzelleinschlüsse und Kerndegenerationen bei Encephalitis lethargica.

Von

Dr. R. Nishii, Tokio (Japan).

Schon seit dem Jahre 1910 ist man durch Bonhoff aufmerksam gemacht worden, daß bei Poliomyelitis sich eigentümliche, bis 4 » große Körperchen sowohl in den Ganglien- als in den Gliazellen, als auch in der Gefäßwand nachweisen lassen, die sich nach Mann und Lenz färbten.

Diese Granula sind von einer ganzen Reihe von Autoren, zuletzt von Kraus und Gerlach, auch bei experimenteller Poliomyelitis nachgewiesen worden.*) Dann wurden von Da Fano und Ingleby schon im Jahre 1921 auch bei der Encephalitis lethargica eigentümliche kleinste Granula im Ganglienzellprotoplasma beschrieben, die von einer Kapsel eingescheidet erscheinen und die als „minute bodies“ bekannt geworden sind. Alkohol- fixierte Präparate wurden einfach mit Toluidinblau gefärbt und zeigten diese eigentümlichen Granula. Gleichfalls im Jahre 1921 hat dann Mittasch in einigen Fällen von Encephalitis lethargica in den Ganglienzellen, besonders der Haubengegend, mit der Lenzschen Färbung Zelleinschlüsse nachgewiesen, die teils leuchtend rote Kügelchen, teils kleine, scheibenförmige, runde, auch längliche Gebilde darstellen, teils sich als Konglomerate kleiner komma- förmiger Körperchen darstellten, die rosettenförmig angeordnet sind. Auch Henry E. Meleney beschreibt in den Nervenzellen der Hinterhauptrinde, der Basalganglien, der Brücke und der Oblongata 0,5 Mikren im Durch- messer haltende, scharf begrenzte und stark lichtbrechende Granula, die sich gleichfalls mit Eosin-Methylenblau oder Säurefuchsin-Methylengrün purpurrot bzw. leuchtend rot färbten. In den Vorderhornzellen fehlen sie. Es ist inter- essant, daß der Autor diese Granula ebenso bei der Poliomyelitis als bei der tuberkulösen Meningitis findet und sie nur in kranken Ganglienzellen beobachten will.

Auch Herzog findet in zweien seiner Fälle reichlich Einschlüsse im

* Nach Abschluß der Arbeit hat F. Paul die eben geschilderten Granula als zum Lipofuscin gehörend hingestellt. Er kontaminiert allerdings das Pigment der Subst. nigra und jenes des Vaguskernes mit dem Lipofuscin, was unrichtig ist; auch hat schon Bauer (Arb, a. d. Neurol. Inst, XVIL Bd., Nr. 435, 1909) nachgewiesen, daß bei Tieren selbst in der Subst. nigra das Pigment fehlt.

Ganglienzelleinschliisse u. Kerndegenerationen bei Encephalitis lethargica. 97

Kern- und Zelleib bei Enzephalitis und vergleicht sie mit Negrischen Körperchen.

Da Fano ergänzt später seine ersten Berichte und erwähnt, daB diese auffallenden kleinen, von einer helleren peripheren Hiille umgebenden Körperchen mitunter Diplokokkenform zeigen. Interessant ist, daB Da Fano diese Körperchen durch Nissl-Färbung darstellt.

Luzzato und Riltti dagegen negieren das Vorkommen der Da Fanoschen minute bodies.

Lucksch hat dann im Kern pigmentierter Ganglienzellen bei der Enze- phalitis eigenartige Einschlüsse festgestellt, die den von Jost nachgewiesenen Einschlüssen der Bornaschen Krankheit der Pferde ähnlich sehen.

1923 berichtet Lefeve de Arric bei Herpesenzephalitis über eosino- phile Einschlüsse in den Zellen.

Ebenfalls bei experimenteller Herpesenzephalitis hat weiters Da Fano eosinophile Granula intranukleär gefunden, die er als verändertes Kern- chromatin ansprach, ferner extra- und intrazellulär ziemlich große Granula, offenbar durch Kernzertrümmerung bedingt, und schließlich die von ihm schon früher beschriebenen minute bodies, die gleichfalls intra- und extra- zellulär gelegen sind, von denen es aber fraglich erscheint, ob sie als

letztes Stadium einer Kernzertrümmerung aufzufassen sind oder aber da sie sich auch in epithelialen Gebilden und im Inhalte von Herpesbläschen fanden nicht vielleicht doch dem Virus selbst entsprechen.

Guiraud findet gleichfalls bei der Encephalitis lethargica intranukleär azidophile Körnchen, die er auch intrazellulär findet, auch in Scheiben- und Rosettenform, wie das ja auch andere Autoren beschrieben haben. Hauptsächlich findet er sie im Ammonshorn und im Thalamus. Sie ähneln sehr den Negrischen Körperchen.

Eine sehr wichtige, aufklärende Arbeit über die besonders im Kern vorhandenen Körperchen ist die von Luger und Lauda. Sie bezeichnen diese Veränderungen als oxychromatische, und zwar als oxychromatische Degene- ration. Statt des basophilen Kernchromatins treten im Kern selbst azidophile Granula auf, die nicht regelmäßig rund,. mitunter die Kernwand umsäumen. Das Basichromatin kann dabei vollständig aus dem Kern schwinden.

Speziell die Herpesliteratur möchte ich hier nicht in ihrer Gänze an- führen und nur darauf hinweisen, daß Levaditi selbst die ganze Frage zusammenfassend behandelt hat und gleichfalls enzephalitische intranukleäre Körperchen, ähnlich wie Luger und Lauda, zur Darstellung bringt. Er hat mit der Methode von Mann auch bei Menschen in der Gegend des Locus coeruleus solche runde Körperchen gefunden und analogisiert sie ebenfalls mit den Negrischen Körperchen.

Es genügt diese Aufzählung, um zu zeigen, daß korpuskuläre Elemente verschiedenster Art meist azidophiler Natur, meist in den Kernen und Ganglienzellen gefunden werden, besonders bei der Poliomyelitis, bei der Herpesenzephalitis, aber auch bei der Encephalitis lethargica.

Ich habe nun versucht, in einigen Fällen von Encephalitis lethargica

Arbeiten ans dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd. 7

98 Dr. R. Nishii.

dieser Frage nachzugehen und will in Kürze über meine eigenen Befunde berichten.

Ich habe in diesen sechs Fällen von Encephalitis lethargica nach den verschiedensten Methoden untersucht, um zu sehen, ob bei diesen Fällen, die sowohl akut als auch chronisch waren, die von den Autoren beschrie- benen Veränderungen zu finden sind.

I. Fall.

Schon am Hämalaun-Eosin-Präparat kann man erkennen, daß der Kern der Ganglienzellen eigenartige Veränderungen aufweist. Das Kernchromatin zeigt sich nur in den wenigsten Zellen noch in der bekannten Netzform erhalten. In der Mehrzahl der Zellen sieht man eigentümliche, schollige Gebilde, manchmal auch stäbchenförmige, die wie aus einzelnen Granulis zusammengesetzt erscheinen, mit- unter Kernwandhyperchromatose. Die Präparate, die mit Hämalaun etwas überfärbt sind, so daß das Eosin nicht so deutlich in ‚Erscheinung tritt, lassen diese Gebilde in einer Mischfarbe zwischen Hämalaun und Eosin erscheinen. In dem Protoplasma der Zellen kann man ganz kleinste, rundliche Vakuolen erkennen, ebenso feinste Körnchen, die aber nicht immer in einer Vakuole liegen. Auch hier ist die Färbung unscharf. Im Nissl-Präparat sieht man am besten mit der Immersion die eben geschilderten Gebilde im Kerne sehr deutlich. Es macht den Eindruck, als wenn stäbchenförmige Gebilde, die sich aus kleinen Körnchen zusammensetzen, mitunter aber diese Konstitution nicht erkennen lassen, entweder von der Kernmembran aus gegen das Innere, oft fächerförmig angeordnet zu sehen sind, mitunter aber ein Dreizack bilden oder aber Kugelform aufweisen. Immer aber sind diese Gebilde in dem nach Da Fano mit Toluidinblau gefärbten Präparat blau gefärbt.

Interessant ist, dad man mit der Immersion an diesen Präparaten an einzelnen Zellen ganz deutlich jene Struktur erkennen kann, die Da Fano beschrieben hat, nämlich kleinste Körperchen, die von einem lichten Hof umgeben sind. Es macht aber mehr den Eindruck, als wenn der lichte Hof das Bezeichnende wäre und es sich um eine wabig-vakuoläre Degeneration der Ganglienzellen handelte, wobei in ein- zelnen dieser Vakuolen Körnchen aufscheinen. Wie erwähnt, sind alle diese Gebilde sowohl im Kern als auch in den Ganglienzellen mit Toluidinblau blau gefärbt.

Bei der Färbung im Mannschen Gemisch, Eosin-Methylgrün, erscheinen die Brocken im Kerne rot gefärbt. Im Plasma selbst kann man nichts erkennen außer einer diffus roten Färbung. Nur in einzelnen Zellen sieht man kleinste Vakuolen. Die Da Fanoschen Körperchen dagegen sind nicht zu erkennen. An ganz vereinzelten Elementen kann man jedoch auch diese feinsten Granula wahrnehmen, ganz in der Art, wie sie Da Fano abgebildet hat. Sie sind rötlich gefärbt.

In den mit Eisen-Hämatoxylin gefärbten Präparaten (Heidenhain) kann man im Kerne mitunter die eigentümlichen Spangen, Stäbchen und kugeligen Gebilde geschwärzt sehen. Sie sind hier manchmal deutlicher wie in den nach anderen Methoden gefärbten Präparaten, mit Ausnahme der Toluidinblau-Präparate Auch Vakuolen kann man im Plasma wahrnehmen, doch fehlen die feinen Granula.

Die mit Eisen-Hämatoxylin nach Weigert gefärbten Präparate zeigen analoge Bilder wie die vorigen, nur vielleicht etwas deutlicher.

Zusammenfassung.

In einem Falle akuter Enzephalitis wurde ein kleines Gebiet der Brücke auf das genaueste nach verschiedenen Methoden untersucht, um die zellu- lären Einschlüsse aufzudecken. Am besten erwies sich dabei die Färbung mit Toludinblau nach Da Fano. Diese Färbung ergab im Kern eigentüm- liche stibchenformige oder kugelige Chromatinbrocken, die sich mit basi-

Ganglienzelleinschlüsse u. Kerndegenerationen bei Encephalitis lethargica. 99

schen Farben blau gefärbt haben, die, mit sauren Farbstoffen gefärbt, auch diese angenommen haben. Im Hämalaun-Eosinpräparat erschienen sie rötlich-blau gefärbt. Ferner zeigte sich im Plasma der Zellen ganz undeutlich was vielleicht durch die Formolfixierung bedingt ist ein feinstes Wabenwerk, ferner aber nicht in allen Waben kleinste Körnchen, so wie sie Da Fano beschrieben hat.

Il. Fall.

Es war nicht ohne Interesse nachzusehen, ob bei den stark pigmentierten Zellen der Substantia nigra nicht auch ähnliche Verhältnisse sich finden wie bei den anderen Zellen. Was die Kerne anlangt, so kann man wohl ein Gleiches finden, nämlich Ver- klumpung des Kernchromatin, Umwandlung in streifen- und stäbchenförmige Gebilde. Im Zellplasma aber läßt sich infolge der Deckung durch die Pigmentmassen keine Änderung wahrnehmen.

An den nach Mann gefärbten Präparaten sieht man in der Nachbarschaft der Zellen der Substantia nigra Zellen, die von allerfeinsten bis gröberen, aber ganz gleich- mäßig rotgefärbten Körnchen erfüllt sind. Man kann deutlich sehen, daß wenigstens Jie größeren dieser Körnchen dem Zellpigment entsprechen, während die kleineren nicht ganz sicherzustellen sind. Jedenfalls ist kein hellerer Hof um diese kleinsten Körnchen wahrzunehmen, so daß es doch am wahrscheinlichsten ist, daß es sich hier nur um Zellpigment handelt.

III. Fall.

Gleichfalls Gegend der Substantia nigra. Hier zeigt sich die typische Degene- ration der Zellen der Substantia nigra durch Schrumpfung, Zerfall und Übrigbleiben von Pigmentkliimpchen. Die Zellen, die erhalten sind, zeigen schwerste Kernschiidi- gung, aber Einlagerungen sind hier am Hämalaun-Eosin-Präparat nicht wahrzunehmen. Der Entzündungsprozeß in diesem Falle ist noch akut. Auffallend gut erhalten sind die Zellen der Umgebung der Substantia nigra, besonders jene des Nucleus inter- stitialis von Cajal.

IV. Fall.

In diesem Falle sind die Veränderungen im Kerne stellenweise ganz dieselben wie die in der ersten Beobachtung. Auch hier ist noch die Akuität des Prozesses nachzuweisen. Einzelne Zellen aber sind tadellos erhalten. Man sieht an einzelnen Zellen grobe vakuoläre Degeneration, d. h. die Zelle enthält große Vakuolen.

Im Toluidinblaupräparat sieht man die Kernveränderung besonders deutlich. Im Plasma selbst kann man stellenweise eine ganz kleinwabige Veränderung wahr- nehmen. Man kann auch in diesem Gebiete mit Toluidinblau blaugefärbte, rundliche Körperchen aufscheinen sehen, die aber mit den Waben nur in cinem losen Zu- sammenhange stehen. In anderen Zellen sieht man (immer nur mit der Immersion) ganz feinste Granula, die jedoch keinen hellen Hof erkennen lassen, die auch so klein sind, daß man sie nicht mit dem Pigment identifizieren kann.

Das nach Mann gefärbte Präparat unterscheidet sich nur insofern, als diese feinen Granula rote Farbe annehmen. Leider lösen die Eisen-Hämatoxylin-Präparate die feine Struktur nicht sehr gut auf. Aber man kann doch außerhalb des Zellpigmentes einzelne mit Eisen-Hämatoxylin schwarz gefärbte kleinste Granula wahrnehmen.

V. Fall.

Auch dieser Fall zeigt noch die Erscheinungen der Akuität: deutliche, peri- vaskuläre Infiltrate, aber auch ein diffuses Ödem. Auch hier zeigt sich ein feines Wabenwerk in der Zelle, aber die Granulationen sind durch die zu dunkle Färbung verdeckt. Dagegen zeigt sich in den nach Heidenhain gefürbten Präparaten in einzelnen Zellen eine ganz feine Granulation, wie wenn die Zelle bestäubt wäre. Die Kernveränderung läßt sich eher erkennen.

100 Dr. R. Nishii.

VI. Fall.

Auch der VI. Fall läßt in der untersuchten Gegend die Akuität erkennen, indem auch hier noch dichte, perivaskuläre Infiltrate vorhanden sind. Die Kerndegeneration in diesem Falle ist nicht sonderlich deutlich, dagegen sieht man im Plasma ganz scharf kleinste, mit Toluidinblau blau gefärbte Körnchen. Auch das feinste Wabenwerk kann man erkennen. Man muß deutlich unterscheiden zwischen groben Körnchen, die dem Pigment angehören, und feinsten Körnchen, die wie in einem feinen Wabenwerk eingeschlossen sind.

Auch an den nach Mann gefärbten Präparaten tritt das hervor. Hier hat man auch den Eindruck einer vakuolären Kerndegeneration.

Auch das Heidenhain-Präparat läßt feinste Körnchen erkennen.

Überblickt man die Resultate der vorliegenden Untersuchungen, so zeigt sich, daß in allen sechs Fällen entsprechende Veränderungen nachzuweisen waren. Daß diese Veränderungen nicht so charakteristisch zum Ausdrucke kamen, wie sie z. B. Da Fano dargestellt hat, liegt in dem Umstande, daß wir nur formalinfixiertes Material zur Verfügung hatten und es immerhin möglich ist, daß dieses Material die feine Struktur nicht mehr so deutlich zur Darstellung bringen läßt. Trotzdem konnte ich in allen Fällen mit mehr oder minder großer Deutlichkeit, oft nur generell, oft nur einen Teil der Zelle betreffend, vorhandene Veränderungen zur Darstellung bringen, und zwar:

1. Veränderungen im Zellkern.

Es ist kein Zweifel, daß es sich um eine schwere Schädigung der chromatischen Substanz im Kern handelt, die ihren Netzcharakter verliert und sich in fädige oder körnige Gebilde umwandelt. Es gewinnen manche Kerne dadurch den Eindruck, als ob sie Einschlüsse enthielten. Aber es unterliegt keinem Zweifel, daß es sich nur um schwere destruktive Prozesse handelt. Da sich diese Chromatinmassen sowohl mit basischen als auch mit sauren Farbstoffen imprägnieren, so kann man sie wohl nicht recht als oxychromatische Degeneration bezeichnen, wie dies Luger und Lauda wollen. Jedenfalls sind sie der Ausdruck einer schweren Kernschädigung. Gleichzeitig mit dieser Veränderung, aber auch unabhängig davon, zeigt sich

2. eine Veränderung im Plasma. Ich möchte das Hauptgewicht dieser Veränderung darin sehen, daß sich ein feinstes Wabenwerk in der Zelle bildet. Mitunter scheinen in diesem Wabenwerke feinste Körnchen auf, die sowohl mit Toluidinblau als auch mit Eosin gefärbt werden können, aber auch in Eisenhämatoxylinpräparaten deutlich zu erkennen sind.

Es ist nicht leicht, eine Beurteilung dieser eigentümlichen Gebilde vorzunehmen. Es ist wohl kein Zweifel, daß sie mit den von Da Fano gefundenen Körperchen identisch sind. Während aber Da Fano diese „minute bodies“ als Körperchen beschreibt, die von einem hellen Hof umgeben sind, habe ich den hellen Hof als eine mehr wabig-vakuoläre Degeneration ange- sehen, wobei in diesem Wabenwerk Körnchen eingeschlossen erscheinen.

Bevor wir auf die Natur dieses Prozesses eingehen, müssen wir uns fragen, ob nicht auch normalerweise körnchenartige Gebilde in den Zellen vorhanden sind, die die eben erwähnten Färbungen annehmen. Da muß

Ganglienzelleinschlüsse u. Kerndegenerationen bei Encephalitis lethargica. 101

man zunächst die lipoiden Substanzen erwähnen. Die lipoiden Substanzen zeigen jedoch eine viel gröbere Granulation, färben sich mit Toluidinblau meist schmutziggrün, bei Mann-Färbung lassen sie ein Ockergelb erkennen. Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß es prälipoide Substanzen gibt, die die genannten Färbungen annehmen können, und daß sie auch zum Unter- schiede von den lipoiden Substanzen, welche sich meist in der Nähe des Kernes, am Abgang des Achsenzylinders, finden, mehr diffus in der Zelle angetroffen werden. Es scheint mir aber, daß allein die Größe der Körnchen, die so klein sind, daß sie nur mit der Immersion erkannt werden können, gegen eine Zugehörigkeit zu den lipoiden Körnchen spricht.

Weiters muß man nicht vergessen, daß im Zellplasma feinste azidophile Körnchen de norma vorhanden sind, die man als Neurosomen kennt und die allerdings nicht mit jeder Methode deutlich sichtbar werden. Es wäre nicht unmöglich, daß gerade beim Schwund der Tigroide, bei Anwendung bestimmter Färbemethoden, an dünnen Schnitten mit der Immersion die Neurosomen zur Ansicht kämen. Jedenfalls ist die Regelmäßigkeit, mit der sich die Körnchen in den Zellen finden, schon ein Moment, das gegen ihre Zugehörigkeit zu irgend einer Mikrobenform spricht. Sieht man Zellen an, bei denen diese Körnchen entweder ausgefallen sind oder aus sonst einem Grunde fehlen, so zeigt sich, daß auch ohne diese Körnchen das Plasma ein feinstes Wabenwerk aufweisen kann. Und das spricht doch dagegen, daß diese Körnchen, die in den nach den genannten Methoden gefärbten Präparaten aufscheinen, von einer Hülle umgeben sind. Ich neige deshalb mehr der Anschauung zu, daß es sich bei den granulären Bildungen im Zellkörper, soweit sie bei der Enzephalitis bekannt geworden sind, um einen offenbar degenerativen Prozeß eigener Art handelt, der in Parallele zu setzen ist mit dem degenerativen Prozeß im Kern.

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Über die bulbäre Lokalisation von Atemstörungen.

Von

Dr. Tokiharu Hazama, Osaka (Japan).

Mit 3 Abbildungen.

Die Frage nach der Lokalisation der einzelnen Funktionen im dorsalen Vaguskern ist eine noch immer ungelöste. Ohne weiter auf die gesamte Literatur eingehen zu wollen, möchte ich darauf verweisen, daß Pollak und Heß zeigen konnten, daß im Falle schwerer Atemstörungen Verände- rungen im Gebiete des dorsalen Vaguskernes und des Locus coeruleus ge- funden wurden, Veränderungen, die im erstgenannten Kem hauptsächlich das dorsale Gebiet betrafen.

Es ist nicht immer leicht, Fälle, die geeignet sind, solche Fragen zu entscheiden, zu finden. Man kann aus positiven und negativen Erscheinungen schließen. Sind Atemstörungen vorhanden, dann muß der Kern eine ent- sprechende Schädigung aufweisen; fehlen solche, dann muß diese ent- sprechende Stelle vollständig intakt erscheinen.

Ich möchte nun drei Fälle von Atemstörungen aus ganz verschiedener Genese nebeneinander stellen, lediglich um zu zeigen, daß bei Läsion bestimmter Kernpartien im dorsalen Vaguskern Atemstörungen aufzutreten pflegen.

Ich will zunächst kurz über diese drei Fälle berichten:

I. Fall (Nr. 3845).

F. H., 36 Jahre alter Mann, mit belangloser Anamnese, bis auf eine im Jahre 1915 im Kriege überstandene Dysenterie. Im März 1925 erkrankte der Patient an einer Halsentzündung und schon wenige Wochen später trat ein Schwächegefühl und Paraesthesien der Beine auf, die im Mai 1925 bereits deutlich waren; Anfang August war der Patient nur mehr mit Unterstützung zu gehen imstande; Ende August Unvermögen zu gehen. Um die gleiche Zeit traten dann brennende Schmerzen in den oberen Extremitäten auf. Auch hier zunehmende Schwäche. Mitte Oktober erste bulbäre Erscheinungen; Atembeschwerden, Verkutzen beim Essen, die Sprache ver- hältnismäßig gut, nur das Atmen beim Sprechen erschwert.

Die Untersuchung ergibt etwas forcierte, frequente Atmung rein thorakal. 24 Atem- züge in der Minute. Zeitweise Beteiligung der auxiliären Atemmuskulatur. Puls 50. Hirnnerven, auch Gaumensegel frei. Die oberen Extremitäten zeigen eine schlaffe Lähmung mit vasomotorischen Störungen der Extremitätenenden. Es besteht eine Atrophie der gesamten Muskulatur. Der Erbsche Punkt und die drei Armnerven sind druckempfindlich. Keine fibrillären Zuckungen. Die Tiefensensibilität der Finger- gelenke ist etwas herabgesetzt. Die Sensibilität erscheint ziemlich frei. Elektrisch

104 Dr. Tokiharu Hazama.

weder vom Nerven noch vom Muskel eine Zuckung erhältlich. Das gleiche gilt für die unteren Extremitäten, die vollständig schlaff gelähmt sind, bei fehlenden Sehnen- reflexen und einer leichten Störung der Tiefensensibilität der Zehen. Auch die Rumpf- und Bauchmuskulatur ist beteiligt. Die Bauchdeckenreflexe fehlen. Es sind alle Zeichen einer Zwerchfellbeteiligung vorhanden.

Anfang Dezember wird unter zunehmenden Erscheinungen der Atmung (zu- nehmende Zwerchfellparese) die Stimme aphonisch. Der Kranke vermag nicht mehr den Schleim auszuwerfen, es kommt zu einer schweren Bronchitis und unter den Erscheinungen einer Pneumonie geht der Kranke am 12. Dezember 1925 zugrunde.

Die klinische Diagnose schwankt zwischen Polyneuritis und Enzephalitis.

Uns interessierte hier nur das Verhalten der Vaguskerngruppe, wobei aufmerksam zu machen ist, daß die Atemstörung zum Teil wohl durch die Zwerchfellparese

“a Ur es À Abb. 1 (Fall I). Degeneration im dorsalen Vaguskern. Hämorrhagien in dessen Umgebung.

bedingt ist, während die Pulsverlangsamung und die Stimmlosigkeit in erster Linie auf eine Affektion des Vaguskerngebietes zu beziehen ist. '

Nun zeigt sich folgendes:

Im dorsalen Vaguskern sind die Gefäße stark erweitert und gerade hier ist eine relativ frische Entzündung durch ein perivaskuläres, vorwiegend aus Lymphozyten be- stehendes Infiltrat kenntlich sowie frische Blutungen (Abb. 1).

Betrachtet man die Ganglienzellen, so zeigen sie eine axonale Degeneration mit Randstellung des Kernes und Schwund einzelner Zellen. Am auffälligsten ist, daß die dorsalste Gruppe des dorsalen Vaguskernes am meisten gelitten hat. Sehr schön sind die Degenerationen im Nucleus ambiguus. Die Zellen lassen kaum mehr einen Kern erkennen. Ein Teil von ihnen ıst geschwunden und es zeigt sich im Gewebe eine Gliaanreicherung. Der Prozeß ist bilateral, und es ist interessant, daß gerade nur im Vaguskerngebiet, und zwar ganz dorsal, der entzündliche Prozeß sehr deutlich hervortritt, während er ventral nahezu fehlt. Auffällig ist, daß der Prozeß ganz kaudal im Vaguskerngebiete nicht vorhanden ist oder hier überhaupt jede Spur iner Entzündung fehlt. Erst im Gebiete der Mitte des dorsalen Vagus-

Über die bulbäre Lokalisation von Atemstörungen. 105

kernes zeigen sich die mächtig erweiterten Gefäße und sogar kleine Hämorrhagien, offenbar Stauungsblutungen infolge der Suffokation. Hier ist auch der entzündliche Prozeß am besten ausgesprochen. Sonst zeigt sich eigentlich nur ein degenerativer Prozeß, wie schon erwähnt, und zwar in der dorsalen Gruppe des dorsalen Vagus- kernes und in den Zellen des Ambiguus, wobei gerade im Ambiguus eine Lokalisation schwer zu machen ist.

Die entsprechenden Weigert-Präparate zeigen die spinale Glossopharyngeuswurzel vollständig der Norm entsprechend entwickelt. Der ein- bzw. austretende Vagus selbst zeigt hier deutlich erkennbare Ausfälle der Fasern.

Zusammenfassung.

Entsprechend dem Krankheitsverlaufe, der erst knapp vor dem Tode Erscheinungen seitens des Vagusgebietes zeigt, handelt es sich in diesem Falle um den allerersten Beginn eines entzündlichen Prozesses der Medulla oblongata, wobei die dem dorsalen Vaguskern benachbarten Gefäße eine besondere Veränderung aufweisen: Erweiterung, kleine Hämorrhagien, Zeichen beginnender Entzündung. Dementsprechend sieht man deutlich degenerierte Ganglienzellen, welche nur in den mittleren und oraleren Ab- schnitten mehr die dorsale Gruppe des dorsalen Vaguskernes ergreifen. Ferner zeigen sich auch im Nucleus ambiguus schwere Zelldegenerationen, dagegen fehlt es in diesem Gebiet an entzündlichen Veränderungen.

H. Fall (Nr. 3914).

Dieser Fall betrifft eine 62jährige Frau, R. W., die ungefähr 20 Jahre nerven- krank war. Sie bietet das typische Bild einer Syringomyelie mit schwerer Muskel- atrophie und Krallenhandstellung, dissocciierte Empfindungslähmung, die auch den Trigeminus betrifft. Ohne auf das Nähere in der Krankengeschichte einzugehen, zeigt sich von bulbären Erscheinungen eine bei längerem Sprechen hervortretende Undeut- lichkeit der Sprache. Auch Doppeltsehen soll bestanden haben (links Abducensparese), typischer Nystagmus, keine Zungenparese, aber der Gaumensegelreflex deutlich herab- gesetzt.

Die Obduktion ergab in diesem Falle in der Nähe der Olive an der Stelle der Pyramide, links in der Medulla oblongata, einen großen roten Fleck hyperämischen Gewebes. Nach der Kreuzung der Pyramidenbahn typische Syringomyelie.

In diesem Falle zeigt sich keine auffallende Störung der Atmung und des Pulses. Es handelt sich um eine Syringobulbie.

Betrachtet man einen Schnitt aus der ungefähren Höhe der größten Entwicklung des dorsalen Vaguskernes, so zeigt sich, daß der Spalt genau in der Richtung dieses Kernes auf einer Seite sich entwickelt, ventral zwei Drittel des Kernes in sich auf- nimmt, das dorsale Drittel aber frei läßt. Der Spalt zieht lateral in der gewohnten Weise durch die Substantia gelatinosa des Trigeminus his ziemlich an den Rand der Medulla.

Auch in diesem Falle ist auffällig, daß der kaudale Abschnitt vollständig frei ist und der Prozeß sich in mehr oraleren Teilen entwickelt. Es ist der typische Befund eines syringomyelischen Spaltes, scheinbar wie ein Einriß aussehend, mit einer ziemlich dichten Gliawucherung in der Umgebung. Auffallend ist, daß lateral von dem Spalt eine mächtige Anhäufung von Corpora amylacea zu sehen ist, gegen welche sich der Spalt in höheren Ebenen wendet. Es ist im ganzen Gebiete das gleiche Bild: dorsale Zellen im dorsalen Vaguskern sind intakt, ventrale Zellen ge- schwunden (Abb. 2). Die übrigen Verhältnisse sind für die vorliegenden Fragen ohne

Belang.

106 Dr. Tokiharu Hazama,

Zusammenfassung.

In einem Falle schwerer Syringobulbie yon mehr als zwanzig Jahre langer Dauer besteht ein Spalt seitlich in der Medulla, der das ventrale Zweidrittel des dorsalen Vaguskernes, dort wo er auf der Höhe der Ent- wicklung ist, auf einer Seite vollständig vernichtet, die andere Seite ist absolut intakt. In diesem Falle wird weder von Atmungsstörungen, noch von Pulsveränderung etwas berichtet. Einzig und allein eine Verlangsamung

der Sprache wird betont, für die keine wesentliche Grundlage in den vor- liegenden Präparaten gefunden werden konnte.

Ohne auf das Nähere dieser Befunde einzugehen, fällt bereits bei der ersten Untersuchung, ungefähr in der Mitte des Jahres 1925, ein abgeschwächtes Atmen auf. Die Kranke leidet ständig unter Atemnot, hat zwei- bis dreimal täglich einen Krampfhusten. Auch Herzklopfen tritt auf. Von Zeit zu Zeit fällt ein inspiratorischer

III. Fall (Nr. 3890).

W. P., 55 Jahre alte Frau, mit belangloser Anamnese. Drei Jahre vor dem Tode typische Enzephalitis. Seit längerer Zeit kränklich, besonders Schwäche der Extremi- täten. Bei ihrer Aufnahme zeigt die Patientin das typische Bild des Parkinsonismus.

Uber die bulbäre Lokalisation von Atemstörungen. 107

Stridor auf, der ganz den Charakter eines funktionellen zeigt. Es entwickelt sich all- mählich das Bild eines hypokinetisch-hypertonischen Syndroms mit Haltungsanomalien. Die Kranke geht an allgemeinem Marasmus und schwerem Dekubitus zugrunde.

Die histologische Untersuchung der uns interessierenden Gegend ergibt:

Auffällige Zellverarmung im dorsalen Vaguskerngebiete (Abb. 3), wobei hauptsäch- lich der dorsalste Abschnitt am meisten gelitten hat. In diesem Gebiete zeigt sich ein ganz deutliches Ödem und eine Verdichtung der Glia, ohne besonderen Kernreichtum derselben. Der Prozeß ist beiderseits gleich. Man kann auch schwer atrophisch er-

Abb. 3 (Fall III). Ausfall und Degeneration von Zellen des dorsalen Abschnittes vom dorsalen Vaguskern.

krankte, ganz homogenisierte Ganglienzellen an diesen Schnitten erkennen, während in den mehr ventralen Schnitten die Ganglienzellen verhältnismäßig gut entwickelt sind.

Von Interesse ist, daß auch ventral einzelne Zellen eine axonale Degeneration erkennen lassen. An anderen Stellen kann man deutlich das Zugrundegehen der Zellen verfolgen. Man sieht neben axonal degenerierte geschrumpfte mit Tigrolyse und Kernwandhyperchromatose. Zeichen einer Entzündung sind in diesem Abschnitte nicht zu erkennen. Es handelt sich lediglich um ‘degenerative Veränderungen. Es sei hervorgehoben, daß dieser Prozeß nicht in allen Teilen gleichmäßig ist, sondern stellenweise, besonders auf der Höhe der Entwicklung des Kernes, die deut- lichsten Veränderungen aufweist.

108 Dr. Tokiharu Hazama.

In diesem Falle wurde auch der Locus coeruleus geschnitten. Auch hier läßt sich ein leichtes Odem konstatieren und einzelne der Zellen sind ganz klein und atrophisch. Viele Zellen sind zerstért und es liegt viel freies Pigment im Gewebe.

Zusammenfassung.

In einem Falle von Parkinsonismus, nach Enzephalitis, entstand ein ungefähr drei Jahre anhaltendes hypokinetisch-hypertonisches Syndrom. Eines der signifikantesten Symptome desselben war eine Atemstörung, die zum Teil in einer generellen Schwäche der Atmung bestand, zum Teil inspiratorischen Stridor zeigte. Als anatomisches Substrat dieser Verände- rungen wurde im dorsalen Vaguskern, und zwar wiederum in der dorsalen Gruppe am meisten, eine degenerative Veränderung der Ganglienzellen ge- funden ohne bestimmte Art, eine Veränderung, die bis zum Schwund der Zellen führte, wobei gleichzeitig ein ganz zartes Ödem in diesem Gebiete nachzuweisen war. Ferner zeigte sich im Locus coeruleus ein Ausfall an Zellen, ohne daß man erkennen konnte, in welcher Weise dieser Ausfall zustande kam.

Die Nebeneinanderstellung dieser drei Fälle, besonders des ersten und zweiten, zeigen mit einer gewissen Eindringlichkeit, daß tatsächlich der dorsale Abschnitt des Vaguskerngebietes mit der Atmung in irgend einem Zusammenhange stehen muß.

Im ersten Falle zeigten sich ganz schwere Veränderungen in dem genannten Gebiete. Der Fall, klinisch nicht ganz klar, ob Polyneuritis oder Enzephalitis mit Polyneuritis, zeigt im Vaguskerngebiete gerade im dorsalen Abschnitt eine enorme Erweiterung der dort befindlichen Gefäße mit Blutaustritt. Das könnte eventuell noch als Suffokationserscheinungen gedeutet werden. Daneben aber besteht eine deutliche Entzündung, kenntlich an dem peri- vaskulären lymphoiden Infiltrate. Dazu tritt dann die schwere Degeneration, besonders der dorsalen Vaguskerngruppe, so daß man nicht annehmen kann, daß es sich hier um eine terminale akute Erscheinung handle, sondern daß man eine solche von längerer Dauer annehmen muß. Stellt man diesem Falle die zweite Beobachtung entgegen, so zeigt sich, daß auf einer Seite ein Spalt den Vaguskern vernichtet hat, mit Ausschluß des dorsalen Ab- schnittes. Dieser ist vollständig intakt. Wenn man nun auch annehmen könnte, daß es sich hier nur um eine einseitige Schädigung handelt und diese darum keine besonderen Ausfallssymptome zu haben braucht, so ist das schon darum unwahrscheinlich, weil wir ja auch sonst bei einseitigen Herden vaskulärer Natur solche Erscheinungen finden. Demzufolge stellen diese beiden Fälle Gegenstücke dar, die erweisen können, daß tatsächlich der dorsale Abschnitt des dorsalen Vaguskernes in Beziehung zur Respira- tion steht.

Analoges hat auch Uchida kürzlich in seinen Fällen von Urämie er- weisen können.

Über die bulbäre Lokalisation von Atemstörungen. 109

Aber auch der dritte Fall kann als Beweis für die Annahme von Pollak und Heß gelten. In diesem Falle zeigt sich eine deutliche, schwer degenerative Veränderung im Vaguskerngebiete, wiederum mit besonderer Beteiligung des dorsalen Abschnittes, neben Veränderungen im Locus coeruleus von ganz signifikantem Charakter.

Es scheint demzufolge berechtigt, die dorsalen Abschnitte des dorsalen Vaguskernes mit der Atmung in Zusammenhang zu bringen.

Literatur:

Heß Leo, Über Störungen der Atmung bei Parkinsonismus. Ein Beitrag zur Pathologie der Dyspnöe. Wiener klin. Wochenschr., Jg. 40, Nr. 21, S. 670—673, 1927.

Heß u. Pollak, Über zerebrale Atemstörungen. Wiener Arch. f. innere Medizin, Bd. 12, S. 477, 1926.

Dieselben, Zerebrale Oligopnoe. Wiener Arch. f. innere Medizin, Bd. 14, S. 435, 1927.

Uchida, Pathologisch-anatomische Untersuchungen an Gehirnen nach Urämie. Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst., gleiches Heft.

Weitere Untersuchungen über die Lokalisation der Zentren für den Uterus. Befunde nach Uterusexstirpation.

Von

Dr. Eisuke Ishikawa, Tochigi (Japan).

In Fortsetzung meiner Arbeiten über die Lokalisation der Zentren für den Uterus im Rückenmark habe ich eine Reihe von Fällen - untersucht, wo bei Menschen der Uterus infolge neoplastischer Bildungen total exstir- piert wurde. Die Exstirpation ist jedenfalls so erfolgt, daß alle im Uterus befindlichen Nerven mit exstirpiert wurden, so daß es möglich war, da auch die Zeit zwischen Obduktion und Uterusentfernung eine ziemlich beträchtliche ist und gewöhnlich mehrere Jahre betraf, nach Zellausfällen im untersten Rückenmarksende zu suchen.

Ich möchte zunächst über die einzelnen Fälle berichten und bemerke, daß ich bezüglich der normalen Verhältnisse mich im wesentlichen den im Atlas von Marburg enthaltenen Angaben anschließe.

Der I. Fall betrifft eine 64 Jahre alte Frau, der vor 2 Jahren der Uterus exstir- piert wurde und die an einem Lokalrezidiv unter pneumonischen Erscheinungen gestorben ist. :

Coccygealsegment:

Intakt sind hier die Marginalzellen, die Zellen der Substantia gelatinosa, die kleinen Zellen des Hinterhornkopfes. Auch die großen Mittelzellen sind vorhanden. Dagegen sind die mittelgroßen Zellen dieses Gebietes sehr spärlich und was von ihnen vorhanden ist, zeigt eine eigenartige Atrophie. Auch die basalen Zellen des Hinterhornkopfes sind spärlich. Dagegen erscheint das Vorderhorn verhältnismäßig zellreich.

Auffällig erscheint im untersten Sakralsegment, daß die großen Marginalzellen lipodystrophisch verändert sind. Die großen Mittelzellen dagegen sind vollständig intakt und man sieht auch hier wieder im Gebiete der kleinen Zellen zahlreiche ganz atrophische Elemente Es würde sich also hier um eine Degeneration im Nucleus sympaticus sacralis lateralis, im Sinne Jakobsons handeln. Aber der Prozeß trifft auch die anderen Zellen im Zwischengebiete und besonders basale Hinterhornzellen. Hier sieht man auch stellenweise eine leichte Gliareaktion. Auffällig intakt ist das Vorderhorn,

Im IV. Sakralsegment zeigen die großen Mittelzellen ein vollständig normales Verhalten. Auch die Marginalzellen sind erhalten und normal, obwohl sie gegenüber den großen Mittelzellen mehr lipodystrophisch verändert sind. Es sind wiederum Aus- fälle kleinerer Zellen ganz lateral zu sehen, aber auch medial sind solche Ausfälle sichtbar.

Weitere Untersuchungen über die Lokalisation der Zentren für den Uterus. 111

IV. Sakralsegment, oberer Abschnitt:

Hier fehlt die laterale Zellgruppe im Zwischengebiete nahezu völlig, während die großen Zellen, die hier vorhanden sind, intakt sind. Im Vorderhorn zeigt sich keine wie immer geartete Zelldifferenz.

Im Ill. Sakralsegment ist auch eine Verarmung von Zellen im Zwischen- stück unverkennbar, hier vielleicht noch deutlicher wie in den tieferen Gebieten. Sonst normales Verhalten.

Im II. Sakralsegment kann man schon kaum eine Änderung gegenüber der Norm wahrnehmen. Hier sind auch die im Zwischenstück befindlichen kleinen Zellen schon ganz gut erhalten und zeigen keinerlei Spuren einer Degeneration. Das gleiche gilt für das I. Sakralsegment. Vom Vorderhorn ist überhaupt nicht zu sprechen. Die Zellen im Vorderhorn sind vollständig der Norm entsprechend.

Auffallend erscheint sowohl im oberen Sakralsegment als auch in dem an- grenzenden Lumbalsegment eine verhältnisinäßige Verarmung der medio-dorsalen kleinen Zellen des Vorderhorns. Hier sieht man auch wiederum eine leichte Vermehrung der Glia.

Im IV. Lumbalsegment sind die Verhältnisse vollständig der Norm gleich,

Zusammenfassung. Bei einer Frau, der zwei Jahre ante exitum der Uterus exstirpiert

wurde, zeigen sich nur an den untersten Sakralsegmenten von S 3 abwärts deutliche Zellausfälle, die am meisten die lateralen Zellen der Zwischen- zone, aber auch die basalen des Hinterhornkopfes treffen. Eine Zellver- armung zeigt schließlich auch der medio-dorsal gelegene kleinzellige Kern des Vorderhorns in den oberen sakralen und unteren Lumbalpartien.

Auch der II. Fall betrifft eine Frau von 41 Jahren, der 1!’, Jahre ante exitum der Uterus total exstirpiert wurde und die an einem Rezidivkarzinom zugrunde gegangen ist.

Coccygealmark:

Auch hier ist auffällig, wie gut erhalten die großen Zellen des Zwischenstückes sind, ebenso wie die Marginalzellen, während die kleinen Zellen des Zwischenstückes große Ausfälle erkennen lassen, besonders im lateralsten Abschnitt. Es sei betont, daß außer einer leichten fettigen Entartung die großen Mittelzellen im Coccygeal- mark vollständig intakt sind, hingegen die kleinen Zellen deutliche Ausfälle und atrophische Veränderungen erkennen lassen.

Am deutlichsten sieht man das im V. Sakralsegment. Hier sind die Zellausfälle lateral ziemlich beträchtlich, aber ebenso sieht man auch medial eine gewisse Zell- verarmung. Ein vollständiges Fehlen der kleinen Zellen wird vermißt. Auffällig ist hier, daß die Marginalzellen des Hinterhorns verhältnismäßig spärlich vorhanden sind. Im untersten Sakralsegment treten die Mittelzellen, und zwar die großen Elemente, auffallend stark hervor. Dagegen scheint es, als ob überhaupt die kleinen Elemente vollständig verschwunden wären. Man sieht einzelne Elemente, welche erhalten sind, aber die Mehrzahl fehlt. Die Atrophie betrifft nicht nur die lateralen Partien, sondern das ganze Zwischenstück inklusive den basalen Hinterhornzellen. Das ist im IV. Sakralsegment dorsal der Fall, wobei es auffällt, daß die Vorderhorn- zellen vollständig intakt erscheinen. Es ist auch auffällig, daß im IV. Sakralsegment die Mittelzellen, und zwar die großen Exemplare, sehr zahlreich sind und weit nach hinten reichen. Hier sind die großen Mittelzellen sehr gut erhalten. Entschieden handelt es sich um eine schwere Atrophie der kleinen Zellen des Zwischenstückes. Besonders lateral und auch medial und basal sind zahlreiche Zellausfälle zu schen.

Im IH. Sakralsegment zeigen sich einige Zellschwellungen in den Vorderhorn- zellen lateral, die aber ganz akut sind. Im Hinterhorn sieht man im Zwischenstücke wiederum Defekte, wobei die großen Zellen aber erhalten bleiben. Auch hier große

112 Dr. Eisuke Ishikawa.

Zellausfälle in den basalen Hinterhornzellen. Mit dem Schwund der großen Mittel- zellen treten jetzt deutlich mittelgroße Zellen im Zwischenstücke lateral auf und sind ganz gut erhalten. Aber auch hier sieht man noch im Zwischenstück deutliche Aus- fälle. Das gilt für den oberen Teil dieses Segments.

Im IJ. Sakralsegment sind dann die Verhältnisse ziemlich der Norm ent- sprechend. Nur fällt hier auf, daß die medial befindlichen kleinen Zellen des Vorder- horns zellärmer sind. Im II. Sakralsegment tritt das weniger hervor. Dagegen sieht man im obersten Sakralsegment ungleichmäßige Ausfälle in den dorsomedialen kleinen Zellgruppen.

Das Lendenmark erweist sich hier frei.

Zusammenfassung.

In einem Falle, wo 1!/ Jahre vor dem Exitus der Uterus entfernt wurde, zeigte sich vom Coccygeal- bis zum oberen Sakralmark ein Ausfall der kleinen Zellen lateral im Zwischenstück am meisten, aber auch medial und in den basalen Zellen des Hinterhorns. Auffallend gut erhalten sind die großen Mittelzellen und auch die zonalen Zellen. Abgesehen von akuten De- generationen im Vorderhorn sind hier nur spärlicher als im ersten Falle im dorso-medialen Abschnitt an der Grenze zwischen Lumbal- und Sakralmark einzelne kleine Zellen ausgefallen.

Vom dritten Falle wissen wir nur, daß es sich um eine 53 Jahre alte Frau handelt, die im Jahre 1924 operiert, im Jahre 1927, also drei Jahre später, ein Rezidiv bekam, dem sie 31/, Jahre nach dem ersten Eingriff erlag.

Die zonalen Zellen und die großen Zellen des Mittelstückes sind im Coccygeal- mark vollständig intakt, vielleicht mit Ausnahme einer gewissen Lipoidose. Die benachbarten kleinen Zellen ganz lateral, sind zum Teil geschwunden, teilweise sind sie aber vorhanden. Medial fehlen zahlreiche Zellen und man sieht ganz deutlich ein gliöses Netzwerk, das dichter ist, als es der Norm entspricht. Auch die basalen Hinterhornzellen sind spärlich. Es ist kein Zweifel, daß hier viele ganz atrophische Zellen lateral im Zwischenstücke zu sehen sind. Noch besser sieht man das in den höheren Partien des Coccygealmarks. Am besten kommt das am Übergange zwischen Sakral- und Coccygealmark zum Ausdrucke.

Im V.Sakralsegment überwiegen dann die großen Zellen. Man sieht zwischen den großen Zellen die atrophischen kleinen Zellen oder an anderen Stellen ein deutliches gliöses Maschenwerk. Es ist kein Zweifel, daß es sich hier um einen ausgedehnten Schwund von Zellen handelt. Auch die basalen Zellen des Hinterhorns sind spärlich. In den mittleren Partien des Zwischenstückes sind die Zellen besser erhalten wie in den medialen Partien. Im IV. Sakralsegment ist das Zwischenstück auch sehr zellarm, aber man sieht am Rande des Hinterhorns lateral auffallend viele kleine Zellen. Lateral im Zwischenstücke sieht man viele atrophische Zellen, die für beginnenden Zellschwund sprechen. Jedenfalls kein Vergleich mit den normalen Verhältnissen. Auffallend ist nur die Intaktheit der großen und auch mittelgroßen Zellen. Nur die kleinen sind geschädigt.

Auch im II. Sakralsegment sieht man noch zahlreiche Defekte in diesen lateralen Zellgruppen. Es sind aber einzelne Zellen ganz gut erhalten. Diese gehören den mittelgroßen Elementen an. Auffallend ist aber doch die Zellarmut dieses Gebietes, nicht vergleichbar mit dem normalen. Intakt sind immer die großen Zellen. Auch die basalen Zellen des Hinterhornkopfes haben gelitten.

Im II. Sakralseement sind die Zellen des Zwischenstückes viel reicher. Aber man kann doch auch hier noch deutlich sehen, wie ganze Flecke ohne Zellen sind. An diesen Stellen zeigen sich manchmal Kernreste, sonst nur Glia. Auffallend ist, daß die größeren Zellen scheinbar resistenter sind, wenn sie auch durch Schrumpfung

Weitere Untersuchungen über die Lokalisation der Zentren für den Uterus. 113

und homogene Färbung hervortreten. Der Vergleich mit den großen Zellen, die normal gefärbt sind, zeigt ihre pathologische Veränderung.

Viel reicher ist die Zellzahl im I. Sakralsegment. Aber auch hier muß man noch veränderte Zellen und Zellausfälle anerkennen. Der dorso-mediale Vorderhorn- kopf erscheint hier verhältnismäßig intakt.

Abgesehen von einigen axonal degenerierten Zellen, ist das V. Lumbalsegment vollständig normal. Das gleiche gilt auch für das IV. Segment.

Zusammenfassung.

In diesem Falle, in dem die Frau die Uterusentfernung am längsten über- lebt hat, zeigen sich genau wie in den früheren die Ausfälle in den untersten Sakralsegmenten, besonders von drei abwärts, ganz lateral im Zwischenstück und betreffen die kleinen Zellen. Gleichzeitig sind auch die basalen Zellen des Hinterhornkopfes und einzelne im Zwischenstück affiziert. Sonst ist eigentlich alles der Norm entsprechend, wenn man von einigen axonal degenerierten größeren Zellen absieht.

IV. Fall. In diesem Falle erfolgte der Tod nach totaler Exstirpation des Uterus bereits 22 Tage nach dem operativen Eingriff. Es bestand eine schwere Eiterung.

Coccygealsegment.

Im Hinterhorn sind die Zellen sehr gut erhalten. Im Zwischenstücke sind die eroßen Zellen ohne jede Veränderung. Dagegen sieht man Schwellungen der kleinen Zellen. Manche sind nur mehr Zellschatten. Man sieht auch im Zwischenstück ein deutliches Ödem, deutlicher als in den anderen Partien. Die basalen größeren Zellen des Hinterhorns sind tadellos erhalten. Dagegen sınd im Zwischenstücke nicht nur die lateralen, sondern auch mehr mediale Zellen affıziert. In den höheren Coceygealabschnitten sieht man auch ein oder die andere große Zelle vollständig verfettet, aber keine Degeneration. Dagegen sind die kleinen Zellen stellenweise, besonders am Rande, schwer geschädigt. Es ist nicht eine axonale Degeneration, sondern es entspricht eher einem akuten Zellschwund.

Auch im V. Sakralsegment sind ganz lateral im Zwischenstücke gelegene Zellgruppen schwer geschädigt. Abgesehen von Ausfällen, sieht man hier auch degene- rative Veränderungen, im Sinne eines Plasmaschwundes, während der Kern rand- ständig, aber intakt ist. Auch unter den medialen Zellen sind einzelne degenerierte, besonders an der Basis des Hinterhorns. Sonst sind die großen Mittelzellen intakt. Auffällig ist auch in den obersten Partien des Sakralsegmentes die Intaktheit der großen Mittelzellen, die ziemlich reichlich vorhanden sind.

Im IV. Sakralsegment ist ein auffallender Schwund der kleinen Zellen lateral im Zwischenstücke zu konstatieren. Bei genauer Durchsicht sieht man dann, wie diese Zellen zum Teil noch als ganz blasse Schatten vorhanden sind, aber zumeist sind sie total zerstört. Man kann auch Schwellungen mit eingelagerten Stippchen sehen, wogegen die Zellkonturen geschwunden sind. Auffallend dagegen ist die Intaktheit der großen Mittelzellen, die das Tigroid sehr deutlich erkennen lassen. Auch sonst in den Zwischenzellen einzelne degenerierte Elemente. Die basalen Zellen des Hinterhorns verhalten sich genau so wie die medialen des Zwischenstückes.

Im III. Sakralsegment ändert sich das Bild nicht sehr wesentlich. Die großen Mittelzellen sind noch auffallend reichlich vorhanden, die dazwischen gelegenen kleinen Zellen nahezu geschwunden. Auch medial sieht man deutlich einzelne Zellausfälle. Die Vorderhornzellen sind sehr gut gefärbt. Im oberen Abschnitt des III. Sakral- segments zeigen sich lateral sehr wenige Elemente, einzelne von ihnen schwer ge- schädigt.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd. 8

114 Dr. Eisuke Ishikawa.

Am Ubergange zum Il. Sakralsegment, wo also die Mittelzellen nicht mehr die großen Zellen erhalten, sieht man mittelgroße Zellen ziemlich intakt, aber eine ganz deutliche reaktive Gliawucherung in diesem Gebiete. Kleine Zellen fehlen hier. Auch im II. Sakralsegment sind noch ganz lateral einzelne Zellen ganz abgeblaßt und undeutlich. Aber die Mehrzahl der dort vorhandenen Zellen zeigen schon normales Verhalten.

Die Zellen des Processus reticularis sind sehr gut erhalten. Die mittelgroßen Zellen im Zwischenstücke zeigen auch normale Konfiguration. Auch im II. Sakral- segment ist noch lateral eine relativ geringfügige Anhäufung von Zellen wahrzunehmen.

Im I. Sakralsegment sind auch einzelne Zellen im Zwischenstücke nicht ganz der Norm entsprechend.

Die dorsal im Vorderhorn gelegenen kleinen Zellen des V. Lumbalsegments zeigen normale Konfiguration.

Auch im IV. Lumbalsegment erscheinen keine Abweichungen von der Norm.

Zusammenfassung.

In diesem Falle handelt es sich um eine mehr akute Schädigung im Bereiche der Zentren für die Uterusmuskulatur. Es ist auffällig, daß hier in den unteren Sakralsegmenten ein Schwund von Zellen zu sehen ist, ferner daß einzelne Zellen, und zwar lateral im Zwischenstück, schwere degenerative Veränderungen erkennen lassen.

Überblickt man nun diese vier Fälle, von denen drei 11/,, 2 respektive 31/, Jahre nach der Totalexstirpation zur Untersuchung kamen, und vergleicht sie mit dem akuten Falle, so ergibt sich in bezug auf die Lokalisation der veränderten Zellen ein Gleiches. Es betrifft immer die am weitesten lateral gelegenen Zellen des Zwischenstückes sowie basale Zellen im Hinterhorn, wobei keineswegs gesagt ist, daß ein totaler Ausfall dieser Zellen statthat, sondern daß in allererster Linie die kleinen Zellen schwinden, die mittel- großen erhalten bleiben, wenn auch atrophisch sind, während die großen Mittelzellen, wenn man von der Lipoidose absieht, eigentlich ein normales Aussehen zeigen. In einzelnen schien es, als ob auch die dorso-medial gelegenen Zellen des Vorderhorns in höheren Ebenen (erstes Sakralsegment, unteres Lumbalsegment) geschädigt wären. Aber das ist nicht absolut sicher, da uns eine nahezu lückenlose Serie zur Verfügung stand, so kann es sich nicht um zufällige Differenzen in der Zellzahl handeln. Auch spricht die besonders in dem Falle, der 31/, Jahre bestanden hat vorhandene Glia- vermehrung sehr gegen einen Zufallsbefund. Auffällig ist auch in dem akuten Falle der Schwund der Zellen, so daß wir hier ein Analoges vor uns haben, wie bei den Körnerzellen des Kleinhirns, die auch bei degenera- tiven Prozessen einfach schwinden. Anderseits kann man bei etwas größeren Elementen deutliche Veränderungen im Tigroid sehen, das schwindet und Stippchen bildet, bei Randstellung des Kernes. Aber im großen und ganzen herrscht der Zellschwund vor. Bei den älteren Fällen sieht man, daß die Zellen geschrumpft sind, ganz homogenisiert erscheinen oder daß man gerade noch einen Zellschatten wahrnehmen kann.

Es ist interessant, daß damit ganz analoge Verhältnisse gefunden sind,

Weitere Untersuchungen über die Lokalisation der Zentren für den Uterus. 115

wie beim Tierexperiment, wo ja auch der Zellschwund das hervorstechendste Merkmal war. Es ist weiters interessant, daß die Lokalisation ebenfalls sich mit dem Tierexperimente berührt, indem wir sagen können, daß eigentlich der Prozeß des Zellschwundes erst im dritten Sakralsegment ausgesprochen ist und von da ab bis in die Coccygealsegmente reicht. Es sei betont, daß darüber hinaus auch noch in den oberen Sakralsegmenten einzelne Zellen geschädigt erscheinen. Und es sei ferner betont, daß der Zellschwund, respektive die Zelldegeneration nicht alle Zellen betrifft, die wir lateral im Zwischenstücke finden. Ferner sei besonders hervorgehoben die völlige Intaktheit der großen Mittelzellen und der marginalen großen Zellen in den geschädigten Partien. Zum Unterschiede davon sind an der Basis des Hinter- horns gelegene, medial befindliche Zellen stellenweise affiziert. Auch sonst sind einzelne Zellen im Zwischenstücke getroffen. Es scheint also, daß eine ganz streng auf eine Zellgruppe beschränkte Lokalisation für die Muskulatur des Uterus nicht Geltung hat. Auch darf man nicht vergessen, daß die operativen Eingriffe ja sicherlich nicht ganz gleichmäßig gewesen sind und möglicherweise Reste von Nerven erhalten geblieben sind, so daß die Differenzen in den einzelnen Befunden sich auf diese Weise erklären. Eines nur kann man mit Sicherheit betonen, daß die Lokalisation der Uterus- muskulatur oder besser gesagt, die Lokalisation für die den Uterus ver- sorgenden Nerven, vom dritten Sakralsegment abwärts im Zwischenstücke zu suchen ist, hauptsächlich in dessen lateralen Partien.

gt

Zur Kenntnis der diffusen Sarkomatose des Nerven- systems (Medullo-Blastom).

Von

Dr. R. Nishii, Tokio, Japan. Mit 6 Abbildungen.

In einer überaus bemerkenswerten Arbeit haben Bailey und Cushing sich bemüht, eine Differenzierung gewisser Formen von Tumoren auf Grund besonderer histologischer Methoden durchzuführen. Ohne auf die zusammen- fassende Darstellung der Differenzierung der Gliome hier eingehen zu wollen, möchte ich nur eine Gruppe dieser Tumoren hervorheben, die sie als Medullo- Blastom bezeichnen. Man versteht darunter Tumoren, die sich vom Dache des IV. Ventrikels aus an der Unterfläche des Kleinhirns entwickeln, ge- wöhnlich so groß werden, daß sie den IV. Ventrikel. erfüllen und die Eigen- tümlichkeit haben, auch in die Leptomeningen einzubrechen und auf diesem Wege bis in das Rückenmark hinab zu wachsen. Die Autoren bemerken, daß es sich bei den diese Tumoren konstituierenden Zellen eigentlich um undifferen- zierte Elemente handelt, die früher als Spongioblasten von Strauß und Globus bezeichnet wurden, ähnlich wie das Ribbert etwa gleichzeitig getan hat. Gewisse Eigentümlichkeiten dieser Tumoren aber haben Bailey und Cushing bewogen, diese Zellen nicht als Spongioblasten anzusehen, sondern mit jenen Zellen in eine Linie zu stellen, welche, wenn ich recht verstehe, die äußere Körnerschichte an der Oberfläche des Kleinhirns for- mieren, also die Bildungszellen des Kleinhirns darstellen. Auffallenderweise bezeichnen sie dann diese Tumoren als Medullo-Blastome. Wenn es sich hier auch nur um einen konventionellen Ausdruck handelt, so sollte man doch, bevor man nicht die absolute Sicherheit der Identität dieser Zellen besitzt, nicht mit einem solchen Begriff operieren.

Es ist zunächst ins Auge zu fassen, daß ja die Konstitution einer Geschwulst allein nicht ihren Charakter bestimmt, sondern daß dazu noch die Art des Wachstums, das Verhalten zum Mesoderm, die Vaskularisation und schließlich die Frage der Metastasierung tritt. Gerade in bezug auf das Wachstum und die Metastasierung zeigen die originären Tumoren des Zentral- nervensystems gemeinhin ein anderes Verhalten als die Tumoren anderer Organe. So wird man kaum je die Metastase eines originären Hirntumors in einem anderen Organe finden. Es ist in der Tat auffällig, daß in der

Zur Kenntnis der diffusen Sarkomatose des Nervensystems (Medullo-Blastom). 117

Literatur eine ganze Reihe von Fällen existieren, die den Forderungen von Bailey und Cushing entsprechen und es ist zu begrüßen, daß die genannten Autoren diese Fälle zusammenstellten. Es handelt sich fast vorwiegend um Kinder, die erkranken. Es handelt sich ferner fast ausschließlich um Fälle von Kleinhirntumoren und es zeigt sich, daß in der Mehrzahl dieser Beob- achtungen die Tumoren über das Kleinhirn hinaus in die Meningen einge- brochen sind und sich von hier aus fortsetzen. Wenn ich hier noch einmal alle Fälle ztisammenstelle, die mir erreichbar waren, so geschieht das nur aus dem Grunde, um zu zeigen, wie häufig solche Fälle vorkommen.

Schon im Jahre 1837 hat Ollivier den Fall eines einjährigen Knaben beschrieben, der sechs Monate lebte, allgemeine Hirndruckerscheinungen zeigte und bei dem sich ein Tumor im IV. Ventrikel fand. Auch das Rücken- mark war von Tumormassen eingescheidet. In diesem Falle wurde keine histologische Untersuchung vorgenommen.

Ferner wurde von Bailey und Cushing ein Fall von Roß aus dem Jahre 1877 erwähnt.

Dann gehört hieher der Fall von Schultze, der einen 7jährigen Knaben betrifft, der fünf Jahre gelebt hat und bei dem ein Tumor an der hinteren Oberfläche des Kleinhirns saß und die spinalen Meningen infiltriert waren. Die zerebralen erwiesen sich aber als normal. Es fand sich auch nur im fibrillären Stroma eine Unmasse kleiner Rundzellen.

Im Jahre 1885 hat dann Hadden einen 13jährigen Knaben beschrieben, mit einem Tumor an der Basis des Zerebellum und einer Infiltration der Riickenmarksmeningen, aber auch des Chiasma und des Tractus opticus. Auch hier war ein fibröses (Grundgewebe, m dem Rund- und Spindel- zellen eingebettet waren.

Turners Fall stammt aus dem Jahre 1886. Er betrifft ein l5jähriges Mädchen mit einem Tumor im IV. Ventrikel und gleichzeitiger Infiltration der Rückenmarkshäute, die wie ein Rundzellsarkom imponierten.

Ob der Fall von Coupland und Pasteur hieher gehört, möchte ich eher verneinen.

Bailey und Cushing erwähnen noch einen Fall von Richter.

Dann folgt der Fall von Busch aus dem Jahre 1896, der wiederum einen 9jährigen Knaben betrifft, wobei die Geschwulstmassen den Unterwurm und die Meningen des Kleinhirns einnahmen. Auch der IV. Ventrikel und der Aquädukt waren von Geschwulstmassen erfüllt. Desgleichen zeigte sich ein Infiltrat der Pia im Rückenmark.

Schließlich hat Nonne im Jahre 1897 eine ähnliche Geschwulst bei einem 7jährigen Knaben beschrieben. Nonne faßt den Fall als Sarkom des Kleinhirns und multiple Sarkomatose der Pia auf.

Den Fällen von Weaver (1898) und Michael (1902), die Bailey und Cushing zitieren, ist ein Fall von Spiller anzufügen, aus dem Jahre 1903, der allerdings aus dem Rahmen des Gewohnten fällt, indem er eine 21jährige Frau betrifft. Aber es bestand ein typischer Kleinhirntumor mit Infiltration

118 Dr. R. Nishii.

der Meningen und Eindringen der Zelle in das Rückenmark. Auch hier ein fibröses Stroma, in welches kleine Spindelzellen eingelagert erschienen.

Dagegen möchte ich von den Fällen von Rindfleisch nur den zweiten anerkennen, der ein 10 Jahre altes Kind betrifft, mit einem Tumor des Kleinhirns aus Rundzellen konstituiert. Rindfleisch spricht es als Rund- zellsarkom an. Der Tumor saß typisch im Kleinhirn und infiltrierte die Meningen.

Auch Dercum spricht seinen Fall (1906), der ein 17jähriges Mädchen betrifft, als Rund- und Spindelzellsarkom an.

Fraglich ist schon der Fall yon Rosenblatt. Auch hier ist ein 22jähriger Mann erkrankt an einem Tumor, der den IV. Ventrikel erfüllte und von dem aus die Meningen des Rückenmarks infiltriert werden. Der Autor Rosenblatt spricht von Sarkom. Es ist auch hier ein mehr alveoläres Stroma mit eingestreuten Rundzellen.

Die Fälle von Rach aus dem Jahre 1917 betreffen ein 4jähriges Mädchen und einen 3!/,jährigen Knaben. Bei beiden betreffen die Tumoren den IV. Ventrikel, also die Unterfläche des Kleinhirns, bei beiden waren die Meningen infiltriert. Rach hat seine Fälle als Spindelzellsarkom ange- sprochen.

Die Fälle von Martens und Seipert, Wimmer und Hall werden von Bailey und Cushing erwähnt. Ferner Button, bei dem der Prozeß einen 10jährigen Knaben betraf, mit einem Tumor im IV. Ventrikel und einer Infiltration der basalen zerebellaren Meningen, wobei es ganz verständlich ist, daß hier neben den Fortsetzungen des Tumors auf die spinalen Meningen sich Knötchen in den Wurzeln bildeten und die Tumormassen auch in das Großhirn eindrangen, was sonst eigentlich nicht beschrieben wird.

Eliasberg hat im Jahre 1916 einen 11/, Jahre alten Knaben beschrieben, der fünf Monate krank war und eine diffuse Geschwulst an der Unterseite des Kleinhirns zeigte. Auch die Hirnbasis und das Rückenmark war von Tumormassen eingescheidet, die als Rundzellsarkom beschrieben wurden.

In dem Falle von Kaiser, der einen 8jährigen Knaben betraf (1916), waren die Meningen infiltriert, aber von einer größeren Geschwulst nicht die Rede. Diese meningealen tumorartigen Bildungen brechen in die Ober- fläche des Gehirns ein. Die konstituierenden Zellen werden teils als sarko- matöse, teils als endotheliale angesprochen und es ist eine Entscheidung unmöglich, ob hier ein Sarkom oder Endotheliom vorliegt. Er möchte diese Geschwulst eher als Endotheliom und nicht als Sarkom ansprechen.

Frank A. Ford und Warfield Firor haben im Jahre 1924 zwei Fälle dieser Art beschrieben, ein Kind von 15 Monaten und ein Kind von 10 Jahren. Auch hier war ein Tumor im IV. Ventrikel mit einer Infiltration der Meningen kombiniert und schließlich hat Oskar Schubert im Jahre 1926 ein 2! ,jähriges Mädchen beschrieben, das einen Tumor im Kleinhirn aufwies und eine diffuse Sarkomatose der Meningen der Gehirnbasis und des Rückenmarks zeigt. Ob sein dritter Fall, der einen 25jährigen Mann betrifft, mit einem langgestreckten Gliom des IV. Ventrikels und diffuser Infiltration

Zur Kenntnis der diffusen Sarkomatose des Nervensystems (Medullo-Blastom). 119

der Haute des Kleinhirns und der Gehirnbasis hieher gehört, ist nicht sicherzustellen.

Wie man sieht, ist eine ganz beträchtliche Anzahl von Fällen bereits bekannt geworden, die, wenn man den Begriff von Bailey und Cushing annimmt, als Medullo-Blastome zu bezeichnen wären.

Ich will im folgenden zwei solcher Fälle genauer untersuchen, um an der Hand dieser zu einer Stellungnahme bezüglich der pathologischen Ana- tomie zu gelangen.

Der J. Fall betrifft einen 6 Jahre alten Knaben, J. J. Aus der Krankengeschichte sei nur kurz hervorgehoben, daß er vor einem halben Jahre an Masern erkrankt war. Zwei Monate vor seineın am 10. Juni 1920 erfolgten Exitus traten Kopfschmerzen und Erbrechen, später Kreuzschmerzen und Müdigkeit auf. Auch Schmerzen in den Beinen finden sich. Dann trat Lähmung eines Beines auf, zwei Tage später Ischuria paradoxa, gleich danach Paraplegie. Besonders war die glutaeale und die Muskulatur der unteren Extremitäten getroffen. Gleichzeitig bestand eine Stauungspapille, hori- zontaler Nystagmus, Fazialisparese beiderseits. Knapp vor dem Exitus skandierende Sprache, Intentionstremor, auch Lähmung der oberen Extremitäten. Nur soviel war bezüglich der Krankengeschichte zu eruieren.

Als Obduktionsbefund wurde ein Sarkom der Meningen angenommen.

Die genauere Untersuchung ergibt folgendes:

Der Tumor sitzt im IV. Ventrikel, den er vollständig ausfüllt. Man kann nirgends schen. daß er im Kleinhirn selbst sich ausbreitet. Untersucht man eine Partie des Haupttumors zunächst bei schwacher Vergrößerung, so zeigt sich ein bindexewebiges Gerüst mit eingelagerten Zellinseln, also ungefähr vom Aussehen eines alveolären Tumors. Die Tumorzellen sind nicht leicht zu charakterisieren. Es fällt vor allem der große Kern ins Auge. Er ist ungemein chromatinreich, in seiner Form wechselnd. Es gibt auch kleine, runde Kerne und größere ovale sowie vollständig deformierte ohne bestimmte Form. Ein Plasmasaum ist an einzelnen Kernen wohl zu sehen, bei der Mchrzahl ist er kaum merkbar. Einzelne dieser Kerne haben einen Fortsatz, auch sieht man zwischen ihnen ein allerdings sehr schwaches Retikulum. An einer Stelle, wo die Zellen mehr isoliert sind, kann man deutlich einzelne sehen mit einem oder mehreren Fortsätzen, die sich scheinbar syncytial verknüpfen. Aber dieses Netzwerk ist äußerst geringfügig und nur stellenweise deutlicher hervortretend. Sicher ist nur, daß die Netzbalken Fortsätze von Zellen darstellen. Stellenweise aber sieht man, wie das Bindegewebe die Netzbalken bildet. Auch in den dichten Bindegewebszügen brechen einzelne Tumorzellen ein und es hat den Anschein, als ob diese Tumor- zellen mit den Bindegewebszellen identisch sind. An einzelnen Stellen sieht man deutlich nekrotische Vorgänge, Kernschwund und Abblassung der Zellen. Auch kleine Hiimorrhagien sind im Tumor, der wohl sonst gefäßreich, aber nicht übermäßig gefäßreich ist. Das Bindegewebe des Tumors ist locker gefügt, auch dort, wo es sich um dicke Balken handelt, zwischen welche dann Tumorzellen einbrechen. Schon die einfache Van-Gieson-Färbung zeigt, daß es sich bei den die Zellen trennenden Balken um echtes Bindegewebe handelt. Im Gieson-Präparat kann man das Plasma der Zellen besser erkennen. Es erscheint gelblich gefärbt, im Gegensatze zu der roten Färbung des Bindegewebes. Im Nissl-Präparat zeigt sich keine Differenz gegen- über den anderen Färbungen.

Es ist nun von großem Interesse, daß dieser Tumor sich offenbar auf dem Wege über den Liquor in den Meningen des Rückenmarks ausgebreitet hat und von da aus auf das Rückenmark übergreift. Und zwar finden wir schon im Zervikalmark schwere Veränderungen, indem sich zunächst dorsal in den Meningen ein mächtiger Tumor entwickelt, der von der dorsalen Seite her in das Rückenmark einbricht und das Rückenmark erst im oberen Dorsaltmark verläßt (Abb. 1).

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Abb. 1 (Fall I).

Dr.

Einbruch

R. Nishii.

des Tumors

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Riickenmark.

Zur Kenntnis der diffusen Sarkomatose des Nervensystems (Medullo-Blastom). 121

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Die Zusammensetzung des Tumors in diesen Partien ist nicht ohne Interesse. Es zeigt sich nämlich, daß die ganze Meninx infiltriert ist und daß von dem Infiltrat der Meninx die Tumorzellen in das Rückenmark einbrechen. Sie sind zeilenförmig an- einandergereiht und zeigen hier deutliche Mitosen. Man kann sehr schön sehen, wie längs der Gefäßscheiden die Zellen weiterkriechen und um die Gefäße herum kleine Inseln von Tumor erzeugen (Abb. 2 und 3). Das ist ventral der Fall. Dorsal sieht man dann nur einen massigen Tumor, der in das Rückenmark einbricht, ohne

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Abb. 3 (Fall I). Vordringen der Tumorzellen.

eigentlich dessen Form sehr wesentlich zu verändern. Er wächst sowohl substitutiv als infiltrativ, als expansiv, wobei allerdings die Expansion eine verhältnismäßig ge- ringe ist. Gerade im Rückenmark finden sich zahlreiche Nekrosen im Tumor. Im oberen Dorsalmark sieht man dann nur mehr in den Hintersträngen und im Hinter- seitenstrang Einbrüche des Tumors, die zu inselförmigen Herden im Riickenmark geführt haben, wobei sich überall zeigt, daß der Gefäßprozeß das Wesentliche ist. Der Prozeß zieht sich immer mehr und mehr zurück und schon in der Mitte des Brustinarks ist nur mehr der dorsale Abschnitt der Hinterstränge betroffen.

Es ist nicht ohne Interesse, daß die von Tumormassen eingescheideten Wurzeln nur zum Teil abgeblaßt sind, zum Teil ihre normale Färbung zeigen. Auch im Rücken-

122 Dr. R. Nishii.

mark ist der Tumor nicht sonderlich gefäßreich und zeigt die eingangs erwähnten Charaktere.

Am Bielschowsky-Präparat zeigt sich das Bindegewebe des Tumors imprägniert und die Balken des Bindegewebes so angeordnet, daß sie zum Teil den alveolären Bau erkennen lassen, zum Teil aber kreuz und ‘quer die Alveolen durchsetzen. Stellenweise sieht man auch kleine, abgerissene, wellenförmig angeordnete Stückchen, von denen man nicht ganz sicher angeben kann, ob es Bindegewebe ist oder ob es sich um Achsenzylinderfragment handelt. Die Zellen treten im Bielschowsky-Präparat nicht sehr deutlich hervor. Die Kerne sind dunkel gefärbt und man kann um sie herum einen rauchgrauen Protoplasmahof sehen, der wohl einzelne Fortsätze erkennen läßt, ohne daß diese eine dunklere Färbung zeigen.

Um sicher zu gehen, daß es sich hier um ein bindegewebiges Gerüst handle, wurde die Bindegewebsfärbung von Mallory angewendet, die ergibt, daß

Abb. 4 (Fall I). Netzbalken im Tumor nach Mallory-Bindegewebsfärbung gefärbt.

tatsächlich alle die Züge, die den Tumor durchsetzen, bindegewebiger Natur sind (Abb. 4). Die Tumorzellen bzw. deren Kerne nehmen hier ein gelbliches Kolorit an. Auch hier kann man erkennen, daß an einzelnen Stellen das Bindegewebe in die Tumor- massen einbricht und ein feines netzförmiges Grundgewebe mit eingestreuten Kernen bildet.

Es ist nun interessant, den Präparaten von Mallory-Bindegewebsfärbung eines mit Gliafärbung gegenüberzustellen. Vor allem zeigt sich dabei, daß das Grundgewebe bei der Mallory-Pollak-Methode ungefärbt bleibt, dagegen haben die Zellkerne eine bläuliche Farbe angenommen. Das Plasma dagegen zeigt nur stellenweise eine ganz blaßblaue Färbung (vgl. Abb. 3). An solchen etwas dunkler gefärbten Partien kann man dann erkennen, daß tatsächlich diese Zellen Fortsätze haben und daß es sich um birnförmige, polygonale oder mehr spindelige Gebilde handelt, die scheinbar doch in syneytialem Verbande stehen.

Versuche, diesen Tumor nach Rio de Hortega zu färben, ergeben eigentlich nur eine Kernfärbung (Abb. 5), wobei die Kerne deutlich im Innern eine Granu-

Zur Kenntnis der diffusen Sarkomatose des Nervensystems (Medullo-Blastom). 123

lation aufscheinen lassen. Die Kerne sind dicht aneinandergereiht, das Bindegewebe erscheint vorwiegend an den Gefäßen gefärbt. Auch wenn die Schnitte äußerst dünn sind und Stellen zur Untersuchung kommen, bei denen die Zellen lockerer liegen, kommt kein anderes Bild heraus als eine Färbung der Kerne mit deutlich eingestreuten chro- matophilen Granulis.

Die Krankengeschichte des zweiten Falles ergibt:

2 Jahre alter Knabe, H. M. Hier existiert eine klinische Krankengeschichte aus der Klinik Prof. Pirquet, für deren Überlassung wir dem Leiter der Klinik zum größten Danke verpflichtet sind.

Der Knabe wurde am 14. Oktober 1927 aufgenommen. Ich will nur das für die Diagnose Wesentliche anführen.

Abb. 5 (Fall I). Tumorzellen nach Rio de Hortega (Gliafärbung).

Bis auf geringfügige Erkrankungen war der Knabe bis 14 Tage vor der Auf- nahme gesund. Damals begann er zu erbrechen, ohne sonst irgend etwas Auf- fälliges zu zeigen. Bei der Aufnahme zeigte sich vollständig freies Sensorium. Rechtsseitige Abduzensparese, kahnförmig eingezogener Bauch. Sonst eigentlich nega- tiver Befund.

Die Lumbalpunktion ergab nur eine leichte Eiweißvermehrung. Am Tage nach der Aufnahme zeigte sich schon eine lebhafte Steigerung der Reflexe der unteren Extremitäten. Links Babinski und Oppenheim. Das Kind wird teilnahmslos, erbricht. Der Fundus normal. Unter leichten Verwirrtheitszuständen bildet sich am 19. Oktober eine leichte Nackensteifigkeit aus, heftiges Erbrechen. Der Puls etwas bradykard. Am Nachmittag klonische Krämpfe mit deutlicher Nackensteifigkeit. Hinaufschnellen des Pulses. Auch jetzt zeigt sich wieder klarer Liquor, bis auf eine geringe Eiweib- menge vollständig normal. Im ganzen finden sich 7 Zellen, keine Tuberkelbazillen. Es steigt die Temperatur auf 38,5, der Puls auf 160. 14.200 Leukozyten im Blute, davon 61% neutrophile und 23% Lymphozyten.

124 Dr. R. Nishii.

Am 24. Oktober ist das Kind ‘wieder’ fieberfrei. Eine Röntgenaufnahme zeigt hydrozephales Kranium.

Eine neuerliche Augenuntersuchung am 26. Oktober gibt einen negativen Befund. Der Puls bleibt erhöht, die Temperatur normal. Es treten gelegentlich Krämpfe auf.

Am 1. November ist die Nackensteifigkeit, der Kernig geschwunden.

Am 23. November sind die Patellarreflexe verschwunden. Im Liquor zeigt sich nur ein feines Gerinnsel. Unter zunehmender Nackensteifigkeit, Steigerung der Pulsfrequenz tritt Bewußtlosigkeit auf und am 27. November stirbt das Kind.

Das Gehirn und Rückenmark wurde dem Neurologischen Institut zwecks Unter- suchung zugewiesen. i

Auch hier handelt es sich um einen Tumor des Kleinhirns, der sich an der Unterfläche entwickelt hat, also ungefähr dem Unterwurm entsprechend, und der in das Flockengebiet und in die Amygdala der einen Seite eingreift. Es ist auffallend, wie gering die Expansion dieses Tumors ist, der nur den IV. Ventrikel ziemlich aus- weitet. Er scheint von der Umgebung vollständig leicht ablösbar.

Betrachtet man zunächst einen Schnitt, der den ganzen Tumor betrifft, so zeigt sich auch hier wieder, wie in dem I. Falle, daß die Grenze des Tumors nur eine scheinbare ist, da er durch die Meningen weiterkriecht. An einzelnen Stellen ist er scharf begrenzt, bildet dort einen Knoten, zeigt alveolären Bau, ist überaus gefäß- reich und läßt im Hämalaun-Eosin-Präparat nur die Kerne erkennen und keine Zell- konturen. Bei genauerem Zusehen aber sieht man, daß die Grenzen des Tumors keine sehr scharfen sind, sondern daß er einfach in das Gewebe einwächst. Man kann auch längs der Gefäße ein Fortwachsen des Tumors sehen, wobei sich stellenweise kleine - Knötchen bilden. An anderen Stellen erscheint der Tumor allerdings schärfer be- grenzt, aber nie mit einer Kapsel versehen. Interessant ist das Verhalten des Tumors im Kleinhirn. Man sieht ihn an einer Stelle z. B. sich ventral von der Körnerschichte entwickeln. Vergleicht man nun die noch erhaltenen Körner mit den Tumorzellen, so sieht man sofort, daß, während die Körner rundlich sind, die Tumor- zellen die verschiedensten Kernformen zeigen und immer größer erscheinen als es einer einfachen Körnerzelle entspricht. Es soll jedoch nicht geleugnet werden, daß es Zellen gibt, die den Körnern ähnlich sehen, aber in der Mehrzahl haben die Zellen doch einen anderen Charakter.

Es ist auch möglich, daß, da der Tumor in das Kleinhirn einwächst und sich längs der Gefäße vorschiebt, Tumorzellen und Körnerzellen promiscue an einzelnen Stellen zu finden sind. Es wurde schon erwähnt, daß der Tumor sich längs der Meningen vorschiebt. Man kann auch hier ein mächtiges Infiltrat von Tumorzellen in den Meningen wahrnehmen, und zwar liegt das an einer Stelle, wo absolut im Kleinhirn gar keine Spur von Tumor wahrzunehmen ist.

Sehr interessant ist, daß die Medulla oblongata eigentlich fast frei vom Tumor ist und daß nur ventral die Meningen der medianen Partie infiltriert sind, besonders zwischen beiden Pyramiden, wo sich eine tumorartige Bildung in der Meninx ent- wickelt (Abb. 6). Es besteht ein ziemliches Ödem im Gewebe und es ist interessant, daß selbst dort, wo der Tumor in der Pia hart an das Gewebe herantritt, die Klein- hirnwindungen teilweise erhalten sind, soweit die Markscheidenfärbung in Frage kommt. Nur dort, wo der Tumor direkt das Gewebe substituiert und sich gegen die Kleinhirnläppcehen vorschiebt, haben wir selbstverständlich Ausfälle in den Fasern, ohne jedoch eine deutliche sekundäre Degeneration wahrzunehmen.

Untersucht man eine Stelle des Tumors an der ventralen Seite des Kleinhirns, so zeigt sich, daß die Kleinhirnläppehen ziemlich stark zusammengedrückt sind und daß man wohl an einzelnen Stellen ganz deutlich eine Grenze des Tumors wahr- nehmen kann, die ziemlich scharf ist, aber nicht so, daß eine Kapsel den Tumor umwibt. Man kann sagen, dab das Wachstum des Tumors ein vorwiegend substitu- tives mit Neigung zu Infiltration, meist längs der Gefäße, ist.

In der Umgebung des Tumors erscheint die Glia etwas dichter, aber am ehesten wie eine Kompressionselia, und man kann hier die Gliakerne mit Tumorkernen in

Zur Kenntnis der diffusen Sarkomatose des Nervensystems (Medullo-Blastom). 125

Konkurrenz treten sehen. Die Zellen stehen äußerst dicht. Gelingt es aber einmal, eine Stelle zu finden, wo die Zellen lockerer stehen, dann zeigt sich genau wie im I. Falle, daß die Kerne dominieren. Sie haben die verschiedensten Formen und auch die verschiedensten Größen, sind von einem kaum kenntlichen Plasmahof umgeben, der die verschiedensten Formen erkennen läßt. Meist wohl polygonale, aber auch birnförmige. Die Ränder sind deshalb schwer zu verwerten, weil die Konkurrenz der benachbarten Glia mit den Tumorzellen zu berücksichtigen ist. Man findet auch an den Rändern häufiger ein Retikulum als zentral.

Das Nissl-Präparat läßt keine wesentlichen Differenzen aufscheinen. Ich will nicht sprechen von den Veränderungen des Kleinhirns sekundärer Natur, sondern lediglich mich befassen mit der Beschreibung des Tumors, da es mir nur darauf ankommt, dessen Natur sicherzustellen. Da zeigt sich an dem Nissl-Präparat noch

won

Abb. 6 (Fall II). Tumor im Ventrikel und ventral zwischen den Pyramiden.

deutlicher wie im Hämalaun-Eosin-Präparat die Vielgestaltigkeit der Kerne, wobei es sich offenbar um verschiedene Entwicklungsstadien handeln kann, indem neben kleinen dunklen große helle Kerne der verschiedensten Form zu finden sind. Das Ungleichmäßige der Kerne ist vielleicht das Charakteristische. Auch im Nissl-Präparat tritt das Plasma der Zellen auffallend zurück und ist hier kaum angedeutet. Immer wieder tritt das Übergreifen des Tumors auf die Pia hervor, wo es stellenweise zu dichteren Anhäufungen des Tumors kommt.

Am Hämatoxylin-Eosin-Präparat sieht man den typisch alveolären Bau, wobei auch hier besonders stark das bindegewebige Syncytium des Tumors in die Augen fällt. Alle Bindegewebsfärbungen zeigen auch hier wieder, wie im I. Falle, daß das Grundgewebe reines Bindegewebe ist. Eine Gliafärbung unterscheidet sich in nichts von den im I. Falle beschriebenen Verhältnissen.

Auch hier tritt. wieder im Bielschowsky-Präparat das Bindegewebe sehr deutlich in Erscheinung, während in den nach Rio de Hortega gefärbten Präparaten wiederum die eigentümlich dichte Gruppierung der Massen von Kernen am auffälligsten hervor- tritt. Auch bier hat der Prozeß auf dem Wege durch die Meningen auf das Rücken-

126 Dr. R. Nishii.

mark übergegriffen und man sieht vor allem die Rückenmarksmeningen von den Tumormassen infiltriert. Im Rückenmark selbst kann man nur eine Erweiterung des Zentralkanals sehen, was einer Hydromyelie entsprechen würde, und an ein- zelnen Gefäßen ein sehr beträchtliches perivaskuläres Ödem. Ungefähr in der Hals- anschwellung bricht nun neben einer Wurzel aus der Pia der Tumor in das Rücken- mark ein, und da kann man besonders deutlich sehen, wie das Einbrechen längs der Gefäße erfolgt. Es handelt sich nur um einen Einbruch in der Nachbarschaft der Wurzel in den Hintersträngen. An dieser Stelle zeigt sich nun folgendes: Man erkennt daß auch Tumormassen im Innern des Zentralkanals sind, die offenbar auf dem Wege durch den IV. Ventrikel in den Zentralkanal eingewuchert sind. Das gleiche Ver- halten zeigt sich auch an anderen Stellen des Rückenmarks. Auffällig ist immer der Zentralkanal. Man sieht nämlich, daß innerhalb desselben eine Art Auflagerung auf dem Ependym besteht und daß allerdings nur stellenweise innerhalb des Zentral- kanals Tumormassen sind. Immer aber ist die Pia infiltriert und es bricht von der Pia aus, sei es diffus, hauptsächlich aber längs der Gefäße, der Tumor in das Rückenmark ein. Auch in den pialen Partien ist der Tumor äußerst gefäßreich. Das Rückenmark zeigt. sonst ein ziemlich diffuses Ödem. Der Prozeß setzt sich bis in das unterste Lendenmark fort.

Wenn ich nun meine Befunde mit jenen von Bailey und Cushing vergleiche, so muß man zunächst hervorheben, daß diese beiden Fälle nach jeder Richtung hin dem entsprechen, was die genannten Autoren als Medullo- Blastom bezeichnen.

Es erhebt sich nun die Frage, ob wir aus den gegebenen Tatsachen das Recht haben, diese Tumoren als ektodermale aufzufassen und nicht als mesodermale. Es unterliegt keinem Zweifel, daß in der Mehrzahl der be- schriebenen Fälle der Vorgang geradezu klassisch ist: Tumoren im Klein- hirn, respektive an der Basis des Kleinhirns im IV. Ventrikel, Dissemination der Tumormassen in die Meningen.

Ich will nicht jene Fälle heranziehen, die Erwachsene betreffen und bei welchen eine diffuse Sarkomatose besteht, sondern ich möchte nur einen einzigen Fall heranziehen, der ebenfalls ein Kind betrifft und der aus dem Rahmen des Gewohnten dadurch fällt, daß der Kleinhirntumor nicht vorhanden war. Ich meine den Fall Kaiser. Wenn man die ganz ausgezeichneten Abbildungen in der unter Erdheims Leitung entstandenen Arbeit ansieht, dann muß man sagen, daß es sich hier um einen voll- ständig identischen Fall gehandelt hat. In diesem Falle ist nicht anzunehmen, daß Bildungszellen des Kleinhirns der Ausgangspunkt der Geschwulstbildung waren, sondern daß es sich um einen höchstwahrscheinlich mesodermalen Tumor handelt, den man wohl am ehesten den sarkomatösen zurechnen kann, wobei es unbenommen bleibt, das Endothel mit bei der Geschwulst- bildung heranzuziehen. Aber ich glaube, wir können auch aus dem Tumor selbst den Schluß auf seine Konstitution ziehen. Es ist mir nicht bekannt, daß spezifische Bindegewebsfärbungen bei solchen Tumoren gemacht wurden. Meine diesbezüglichen Untersuchungen ergaben ein bindegewebiges Reti- kulum, das wohl bei gliomatösen Tumoren kaum vorkommt. Aber auch die Neurinome zeigen das Bindegewebe keineswegs in der hier gefundenen Anordnung. Ich habe, konform Bailey und Cushing, die Zellen nach Rio de Hortega gefirbt und muß gestehen. daß in meinen Fällen die

Zur Kenntnis der diffusen Sarkomatose des Nervensystems (Medullo-Blastom). 127

Bilder genau die gleichen waren, wie sie die genannten Autoren in ihren Abbildungen wiedergeben. Man sieht eigentlich nur Kerne und kaum Zellen. Ob man diese Medullo-Blastome noch in gliomatöse oder neurinomatöse unter- teilen soll, will ich hier gar nicht entscheiden. Es ist aus den konstituierenden Zellen nicht möglich, da sie so undifferenziert sind, sicher zu erkennen, welchem Gewebe sie angehören. Sie sind aber doch so weit entwickelt, daß man sie ohneweiters mit Sarkomzellen vergleichen kann.

Der Umstand, daß der Tumor eine solche Affinität zur Pia hat, daß er sich längs dieser ausbreitet, daß er mit den Gefäßen in das Gewebe ein- bricht, spricht gleichfalls für seine mesodermale Natur. Weder in der Konsti- tution, noch in dem Verhalten zur Umgebung, besonders zum Mesoderm, liegt ein Grund, diese Tumorgruppe aus jener der Sarkome herauszuheben. Ferner dürfen wir nicht vergessen, daß gerade bei Kindern diese sarkomatösen Geschwiilste häufig sind, so.daß ich also zu dem Schlusse komme, daß es durch nichts bewiesen ist, daß diese Tumoren aus Bildungszellen des Klein- hirns hervorgehen. Es ist freilich eine Frage, warum gerade am häufigsten die Unterfläche des Kleinhims zum Ausgangspunkt solcher Tumoren wird. Aber das ist eben eine andere Frage. Ich glaube auch, daß eine große Anzahl der als diffuse Sarkomatose bezeichneten Tumoren hieher gehört. Ich habe sie nicht aufgenommen, trotzdem ich alle Fälle dieser Art durchgesehen habe, weil ich nur die ganz im Sinne von Bailey und Cushing ablaufenden Tumoren hier heranziehen wollte.

Ich will auf das klinische Bild hier gar nicht eingehen, weil das zu weit führen würde, und nur erwähnen, daß die Kombination von Tumor- symptomen auf der einen Seite und meningealen auf der anderen Seite das Symptomenbild ziemlich charakterisiert, wobei die Erscheinungen natürlich zumeist auf die hintere Schädelgrube weisen.

Ich verkenne absolut nicht das große Verdienst der amerikanischen Autoren, diese Gruppe von Tumoren als selbständige herausgegeben zu haben. Es sind tatsächlich Tumoren bestimmter Qualität, deren undifferenzierte Zellen im Zusammenhange mit dem bindegewebigen Gerüst eine absolut sichere Diagnose der Zugehörigkeit nicht gestatten. Es sind offenbar blasto- matöse Tumoren, die den Sarkomen in vielem nahestehen.

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1885.

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum bei tabischer Optikusatrophie und ihre Bedeutung fiir die Kenntnis der Normalstruktur dieses Ganglions.

Von Hans Deutsch Ph. B. M.D., St. Louis, Mo. Mit 6 Textabbildungen und 10 Tafeln.

Die bisherigen Studien über die tabische Optikusatrophie beschränkten sich hauptsächlich auf Untersuchungen der peripheren Sehbahn, während Angaben über Veränderungen im Corpus geniculatum externum nur in ver- einzelten Fällen in der Literatur zu finden sind. Stargardt (1913) beschrieb in einer ausführlichen Arbeit über Optikusatrophie bei Tabes und progres- siver Paralyse die Zellveränderungen im Corpus geniculatum externum. In einer Serie von 24 Fällen beschreibt er nur zwei reine Tabesfälle, aller- dings ohne Optikusatrophie, während die zwei anderen Fälle von Tabes, sein Fall 8 durch eine später hinzugetretene progressive Paralyse und sein Fall 13 durch Arteriosklerose kompliziert sind. In den Fällen ohne Optikus- atrophie findet er das Corpus geniculatum völlig normal. Im Falle $ be- schreibt er das Corpus geniculatum als deutlich verkleinert. Die (ranglien- zellen weisen keine Verminderung ihrer Zahl auf. Sie sind bis auf wenige Ausnahmen vollkommen normal. An den veränderten Zellen, die in allen Schichten verstreut sind, findet sich ein Zerfall der Nissl-Substanz, Schwund des Protoplasma und Kerndegeneration. Im allgemeinen sind die Ver‘inde- rungen nur geringfügig. Hin und wieder aber sieht man auch schwer ver- änderte und selbst fast völlig zerstörte Zellen. Im Falle 13 stellt er primäre Zellveränderungen im Corpus geniculatum fest, welche er auf die bestehende Arteriosklerose zurückführt, die also für eine Beurteilung der reinen tabi- schen Optikusatrophie nicht in Betracht kommen. Stargardt meint, daß ein exsudativer Prozeß, welcher durch Vorhandensein von Spirochäten bedingt ist, der Atrophie sowohl bei der Tabes als auch bei der progressiven Para- lyse vorausgeht. An einer Stelle (S. 904) sagt er, daß bei der Tabes die exsudativen Prozesse isoliert von den exsudativen Prozessen im Rücken- mark an der Sehbahn entstehen und von hier auf das Gehirn übergreifen können. Auf S. 927 sagt er dagegen, „es ergibt sich jedenfalls aus Fall 12 (eine progressive Paralyse), daß homonyme Hemianopsien bei Tabes und

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Iust. XXXI. Bd. 9

130 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

Paralyse auch durch Übergreifen schwerer Prozesse vom zentralen Grau auf den benachbarten Traktus bedingt sein können“. Er erwähnt ferner, daß die exsudativen Prozesse bei der Tabes und der progressiven Paralyse nur selten in der Gegend der Traktus und Corpora geniculata lokalisiert sind.

Bei einer kritischen Durchsicht seiner Arbeit gewinnt man den Ein- druck, daß er wohl primäre Veränderungen im Corpus geniculatum bei Optikusatrophie in Fällen von progressiver Paralyse gefunden hat, aber daß er derartige Befunde bei der tabischen Optikusatrophie (Fall 13, wie oben erwähnt, ausgeschlossen) nicht bewiesen hat. Stargardt hat also nicht das Recht, von primären Veränderungen im Corpus geniculatum bei der reinen tabischen Optikusatrophie zu sprechen. Auch seine Beweise für das Übergreifen der exsudativen Prozesse vom benachbarten Grau auf das Chiasma sind nicht genügend, denn in diesem Falle müßten auch die Kommissuren, welche im Chiasma liegen, betroffen sein. Aus seiner Be- merkung S. 866, daß ihm nur wenige Schnitte aus dem Gebiete der Kom- missur zur Verfügung standen, kann man schließen, daß er das Verhalten der Kommissur bei der Optikusatrophie nicht genügend untersuchen konnte.

Moxter (1896), in der Arbeit von Stargardt zitiert, behauptet, daß in einem Falle von beiderseitiger tabischer Optikusatrophie die Guddensche Kommissur erhalten war und die Zellen des Kniehöckers und des Pulvinars unverändert blieben.

In der vorliegenden Arbeit soll nun zunächst das Verhalten des Corpus geniculatum bei der tabischen Optikusatrophie beschrieben werden. Zu diesem Zwecke wurden vier Fälle von beiderseitiger totaler, reiner, tabischer Optikusatrophie gewählt, als Kontrolle zwei Fälle von Tabes ohne klinische Augenbeschwerden und ein normaler Fall. Das Genikulatum wurde in allen Fällen in Serien geschnitten, in einem Falle horizontal und in den übrigen frontal. Die Färbungen wurden nach den Methoden von Weigert, Weigert- Pal, Bielschowsky, Nissl und Van-Gieson vorgenommen. Für die Unter- suchung des Optikus wurden die Methoden von Mallory und Weigert gewählt. (Zur Nissl-Methode sei noch erwähnt, daß, um der Säurereaktion bei länger formolfixiertem Materiale vorzubeugen, die Schnitte zwölf Stunden lang in einer kaltgesättigten Lösung von Lithionkarbonat vorbehandelt wurden. Nach kurzem Auswaschen in Aqua dest. wurden die Schnitte dann gefärbt. Das Resultat war, daß sich die Zellen besser färbten und die Grundsubstanz besser entfärbte als in dem nicht vorbehandelten Materiale.)

Die Beschreibung ist in zwei Gruppen geteilt. In Gruppe I sind die Nissl-Präparate mit ihren dazugehörigen N. optici oder tractus beschrieben, während Gruppe II die Beschreibung der Faserpräparate umfaßt. Am Beginne jeder Gruppe befindet sich eine Beschreibung des normalen Genikulatums.

Bei der Untersuchung des Materials stellte sich heraus, daß die Befunde in zwei Richtungen verwendbar sind. Erstens zur Kenntnis der tabischen Optikusatrophie und zweitens zur Beschreibung normaler Strukturverhält- nisse im Genikulatum, Form, Schichtung und Einstrahlung. Diese zwei Probleme werden in der Zusammenfassung getrennt behandelt.

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 131

Gruppe I.

Das normale Corpus Geniculatum. (Frontalschnitte nach Niss! gefärbt.)

Die Zellstruktur.

_ Im Corpus geniculatum findet man Ganglienzellen von dreierlei Größe: große, mittelgroße und kleine. Die mittelgroßen sind in der Mehrzahl und bilden die Hauptmasse des Genikulatums. Wir nennen diese Gruppe von Zellen Pars medio-cellularis. Die großen, unterhalb der Pars medio- cellularis angeordnet, nennen wir Pars magno-cellularis. Die kleinen Zellen findet man zerstreut zwischen den mittelgroßen und einige auch zwischen den großen. Die Form der Ganglienzellen variiert zwischen poly- gonal, birnförmig und dreieckig. Lipofuscin ist mehr oder weniger in vielen Zellen vorhanden.

Die Länge und Form des Genikulatums.

Die Länge, nach der Zahl der Schnitte à 20 p gemessen, beträgt unge- fähr 7000 p. Der Beschreibung halber teilen wir das Genikulatum von oral nach kaudal in vier Teile a 1750 p ein.

Im ersten Viertel (Taf. I, Abb. 7 u. 9) ist die Gesamtform eine unregel- mäßig dreieckige, mit einer kaudalwärts zunehmenden Zerklüftung des late- ralen und medialen Randes. Der ventrale Rand, die Basis des Dreieckes bildend, ist durch eine kaudalwärts zunehmende Einbuchtung, der Hilus genannt, gekennzeichnet. Das im oralsten Teile, ungefähr in der Mitte des Traktus gelegene kleine Dreieck vergrößert sich kaudalwärts. Gegen das Ende des ersten Viertels nimmt die Zerklüftung der Ränder ab, und zwar zuerst am lateralen Rand, der einen S-förmigen Verlauf annimmt, wodurch der latero-ventrale Winkel eine spornartige Form erhält: lateraler Sporn.

Am Beginne des zweiten Viertels (Taf. II, Abb. 11) ist auch der mediale Rand regelmäßig geworden und das Genikulatum nimmt eine gegen das Ende des zweiten Viertels (Taf. II, Abb. 13) immer deutlicher werdende Herz- form an. Die Spitze des Herzes nach oben gerichtet und abgerundet bildet die Kuppe des Genikulatums, welche kaudalwärts breiter wird. Der laterale Sporn erscheint kaudalwärts deutlicher und größer.

Im dritten Viertel (Taf. III, Abb. 15 u. 17) nimmt die Pars medio-cellu- laris durch eine Verkürzung ihres medio-ventralen Teiles eine kaudalwärts deutlicher werdende, nach oben gerichtete füllhornartige Form an. Wäh- rend die Pars magno-cellularis im ersten Viertel nur aus wenigen, am medialen Ende des ventralen Genikulatumrandes gelagerten Zellen bestand und kaudalwärts immer zellreicher wurde, wodurch sie sich gegen das laterale Ende des ventralen Randes ausdehnte, ist sie im dritten Viertel am zell- reichsten. Hier, von einem im medio-ventralen Winkel des Genikulatums ge- legenen und gegen das Ende des dritten Viertels dreieckig werdenden Feld ausgehend, verläuft sie parallel zum unteren Rande der Pars medio- cellularis und bildet so den untersten Saum des (tenikulatums.

g*

132 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

Im kaudalsten Viertel (Taf. IV, Abb. 19 u. 21) entsteht eine zunehmende Verkiirzung des medio-ventralen Endes der Pars medio-cellularis, wodurch der ventrale Rand mehr nach oben abgebogen wird und die Füllhornform der Pars medio-cellularis steiler nach oben gerichtet erscheint. Die Pars magno-cellularis verläuft unterhalb und parallel zum medialen und ventralen Rande der Pars medio-cellularis. Gegen das Ende des kaudalsten Viertels werden Pars medio- und magno-cellularis schmäler und kürzer, bis die Pars medio-cellularis als eine kleine, rundliche, den kaudalen Pol des Genikulatums vorstellende Zellgruppe übrig bleibt.

Die Ganglienzellschichten des Genikulatums.

Wir gehen in unserer Beschreibung, wie oben, vom oralen Ende des Genikulatums aus. Im ersten Viertel (Taf. I, Abb. 7 u. 9) zeigt die Pars medio-cellularis noch keine bestimmte Zelleinteilung. Am medialen Rande sondern sich durch Auftreten zellfreier Streifen einige Zellgruppen ab, die sich gegen das Ende des ersten Viertels zu einer Schichte vereinigen, welche bogenförmig über die Kuppe ziehend bis in den lateralen Sporn reicht. Dies ist die periphere Schichte des Genikulatums. Gegen das Ende des ersten Viertels erfährt die Pars medio-cellularis eine weitere Teilung durch einen vom medio-ventralen Winkel ausgehenden und nach oben bogenförmig verlaufenden zellfreien Streifen, welcher parallel zu dem ober- halb gelegenen, die periphere Schichte absondernden Streifen unter die Kuppe reicht. Wir sehen somit den Beginn der Teilung der Pars medio- cellularis in drei Schichten, eine periphere, intermediäre und ventrale. Diese Teilung erfolgt vorläufig nur in der medialen Hälfte der Pars medio- cellularis, während sie in der lateralen Hälfte noch eine einheitliche Masse bildet.

Die Pars magno-cellularis, welche kurz nach der Pars medio-cellularis als eine im medio-ventralen Winkel des Genikulatums gelegene Zeilgruppe beginnt (Taf. I, Abb. 7), reicht gegen das Ende des ersten Viertels mehr und mehr lateralwärts entlang des ventralen Randes der Pars medio- cellularis. Sie besteht aus gruppenförmig angeordneten Zellen, welche teil- weise in die Pars medio-cellularis hineinragen.

Am Beginne des zweiten Viertels (Taf. Il, Abb. 11) sehen wir die Dreiteilung der Pars medio-cellularis vorgeschritten. Medial zeigt die inter- mediäre Schichte noch eine kleine Verbindung mit der peripheren, aber im übrigen ist ihr oberer Rand von der peripheren Schichte deutlich abgetrennt, während ihr unterer Rand noch teilweise undeutlich von der ventralen Schichte getrennt bleibt. Gegen das Ende des zweiten Viertels (Taf. I, Abb. 13) erscheint die intermediäre Schichte, bis auf eine Ver- bindung zwischen ihrem medialen Ausläufer und der ventralen Schichte, als eine nach oben bogenförmige Schichte völlig getrennt zwischen der peripheren und ventralen eingelagert. Wir schen ferner einen zellfreien Streifen auftreten, welcher im lateralen Sporn beginnend sich bogenförmig medialwirts in der ventralen Schichte fortsetzt und diese teilt, je mehr

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 133

wir uns dem dritten Viertel nähern. Hier, durch eine Verbindung mit einem von dem medialen Rande ausgehenden Streifen, trennt er dann die ventrale von den übrigen Schichten der Pars medio-cellularis völlig ab.

Die Pars magno-cellularis, welche sich mehr und mehr lateralwärts ausdehnte, je mehr wir uns dem Ende des zweiten Viertels näherten, bildet nun hier den untersten Saum des Corpus geniculatum, indem sie jetzt zellreicher ist als in den oraleren Teilen des Genikulatums, wodurch die Zellgruppen ein mehr kontinuierliches Band bilden. Diese bandförmige Anordnung ist in der lateralen Hälfte sehr auffallend, weil hier die Pars magno-cellularis vom ventralen Rande der Pars medio-cellularis durch einen zellfreien Streifen getrennt ist, während der mediale und speziell der im Hilus gelegene Teil in die Pars medio-cellularis hineinragt.

Wenn wir uns der Mitte des Genikulatums nähern, sehen wir, daß dort die Ausdehnung dieses Ganglions am größten ist. Die Pars medio-cellularis erfährt hier ihre größte Entwicklung. Wir unterscheiden vier Schichten, eine periphere, eine ventrale und zwei intermediäre, d. h. eine obere und eine untere intermediäre Schichte, letztere durch Teilung der ven- tralen Schichte entstanden.

Im Beginne des dritten Viertels (Taf. IH, Abb. 15) nimmt die Pars medio-cellularis an Ausdehnung ab. Die medialen Ausläufer sämtlicher Schichten der Pars medio-cellularis werden kürzer, wodurch ihr Verlauf eine von lateral nach medio-dorsal aufsteigende Richtung erfährt. Die Verkürzung nimmt gegen das Ende des dritten Viertels mehr und mehr zu, so daß hier (Taf. III, Abb. 17) die Schichten, speziell die ventrale, in der medialen Hälfte des Genikulatums nach oben abgebogen erscheinen.

Während am Beginne des dritten Viertels die untere intermediire Schichte mit der peripheren medial und lateral in Verbindung steht, wodurch eine schnabelartig geschlossene Zangenform entsteht, in welcher die obere intermediäre Schichte wie eine Zunge eingeschlossen ist und die ventrale von den oberhalb gelegenen Schichten völlig getrennt ist, wird gegen das Ende des dritten Viertels die laterale Verbindung zwischen unterer inter- mediärer und peripherer Schichte durch die obere intermediäre Schichte unterbrochen, welche sich nun mit der ventralen verbindet. Durch diese Verbindung wird die untere intermediäre Schichte an ihrem lateralen Ende verkürzt, so daß sie wie eine Zunge zwischen oberer intermediärer und ventraler Schichte eingelagert erscheint (Taf. III, Abb. 17).

In dem durch die Verkürzung des medio-ventralen Anteils der Pars medio-cellularis freigewordenen medio-ventralen Winkel des (ienikulatums verbreitet sich die Pars magno-cellularis zusehends gegen das Ende des dritten Viertels. Hier unterscheiden wir in der Pars magno-cellularis zwei Schichten, eine Lamina magno-cellularis superior und eine Lamina magno-cellularis inferior, letztere kürzer in ihrem lateralen Verlauf als erstere. Sie sind voneinander durch einen breiten zellfreien Streifen ge- trennt und verlaufen parallel zum unteren Rande der Pars medio-cellularis. Die Lamina magno-cellularis ist von der ventralen Schichte der Pars medio-

134 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

cellularis getrennt und erstreckt sich bandförmig über die ganze Länge des ventralen Randes dieser. Die Lamina magno-cellularis inferior wird an ihrem medialen Anteile zusehends breiter, bis sie gegen das Ende des dritten Viertels ein dreieckiges, den medio-ventralen Winkel des Genikulatums aus- füllendes Feld bildet, von wo sie sich als eine bandförmige Schichte lateral- wärts fortsetzt (Taf. III, Abb. 17).

Im letzten Viertel sind die medialen Ausläufer sämtlicher Schichten der Pars medio-cellularis schmäler und kürzer geworden, wodurch sie eine medial noch mehr nach oben abgebogene Richtung als in den vorher- gehenden Vierteln erfahren. Durch diese Veränderung, welche gegen das kaudale Ende des Genikulatums zunimmt, verschwindet zuerst der mediale Ausläufer der ventralen Schichte (Taf. IV, Abb. 19), später kann man obere und untere intermediäre Schichte nicht mehr voneinander unterscheiden (Taf. IV, Abb. 21) und man sieht nunmehr zwei Schichten, welche in unserem Bilde von einem Blutgefäße durchsetzt sind.

Die Pars magno-cellularis, welche am Beginne des letzten Viertels noch aus zwei Schichten besteht, von denen die Lamina magno-cellularis superior medial über den medialen Ausläufer der ventralen Schichte hinauf- reicht, wird gegen das kaudale Ende des Genikulatums zellärmer, wodurch zuerst die Lamina magno-cellularis inferior verschwindet (Taf. IV, Abb. 21) und zuletzt auch die Lamina magno-cellularis inferior, so daß die Pars medio-cellularis, welche zunehmends kleiner wurde, als eine kleine rund- liche Zellgruppe übrig bleibt.

Die Zusammenfassung der oben angeführten Beschreibung des normalen Genikulatums heben wir uns für später auf, nachdem wir die in Betracht kommenden Schlüsse, welche wir aus der Untersuchung des pathologischen Materials gewonnen haben, hinzufügen können.

I. Fall (4059).

Tabes dorsalis ohne klinische Augenbeschwerden.

Frau, 59 Jahre alt.

Der Nervus opticus. l

Mit der Bindegewebsfärbung nach Mallory kann man an Querschnitten des Optikus feststellen, daß es sich hier um Verdickung der Bindegewebssepten handelt. Das Volumen des N. opticus ist nicht beeinträchtigt. An Weigert-Präparaten kann man einen Faser- ausfall nicht feststellen.

Das Genikulatum. (Frontalschnitte nach Nissl gefärbt, von oral nach kaudal beschrieben.)

Zellstruktur. Die Zellen weisen im allgemeinen keine Veränderung gegenüber der Norm auf.

Die Form und Schichtung.

Am Beginne des ersten Viertels zeigt sich die Pars medio-cellularis in rundlicher Form mit unregelmiBigem dorsalen Rand. Medial durch einen zellfreien Streifen getrennt ist eine längs des medialen Randes verlaufende Gruppe von mittel- großen Zellen. 200 u kaudaler wird die Gesamtform ungefähr dreieckig und im medio- ventralen Winkel zeigen sich Zellen der Pars magno-cellularis. Man hat den Eindruck, als würde hier die Pars medio-cellularis nicht die Ausbreitung haben, wie man es im nor-

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 135

malen Genikulatum zu sehen bekommt. Weiter kaudal im ersten Viertel tritt nun eine Zerklüftung am medialen Rande und im Innern der Pars medio-cellularis auf. Diese Zerteilung erfolgt hier anders als im erstbeschriebenen Genikulatum. Während man dort die Entwicklung der intermediären Schichte vom medialen Rande verfolgen konnte und der latero-ventrale Teil ungeteilt blieb, so zeigt sich hier nicht nur eine Zerteilung am medialen Rande, sondern auch im Innern der Pars medio-cellularis eine durch vom Hilus ausgehende zellfreie Streifen bedingte. Ferner besteht eine Unterteilung des latero-ventralen Teiles der Pars medio-ellularis. Der laterale Rand bleibt ungetrennt. Der Hilus ist hier von vornherein viel mehr ausgeprägt als im erstbeschriebenen Genikulatum.

Im Beginne des zweiten Viertels zeigt sich die intermediäre Schichte vom medialen Rande bogenförmig gegen den Hilus absteigend, so daß die ventrale Schichte dadurch geteilt wird, und zwar kommt ein Teil in den medio-ventralen Winkel des Genikulatums und der andere Teil in den latero-ventralen Winkel, wo eine Ver- bindung mit der peripheren Schichte besteht. Die periphere Schichte verläuft völlig getrennt von der intermediären Schichte, vom lateralen Sporn bis zur Kuppe des Genikulatums. Die Pars magno-cellularis besteht noch aus einer von gruppenförmig angeordneten Zeilen zusammengesetzten Schichte, welche im Hilus einen Knäuel bildet. Gegen Ende des zweiten Viertels nimmt das ganze Genikulatum eine regelmäßigere Form an, welche sich aber von der des erstbeschriebenen insofern unterscheidet, daß sie keine kartenherzähnliche ist, sondern daß die Ränder einen viel steileren Verlauf annehmen, wodurch eine umgekehrte U-Form entsteht, deren lateraler Rand in den lateralen Sporn verläuft. Diese Formbildung ist im Einklange mit dem tiefer einschneidenden Hilus. Hier unterscheiden wir bereits die vier Schichten der Pars medio-cellularis, welche auch einen Unterschied gegenüber dem erstbeschrie- benen Falle zeigen. Die periphere Schichte reicht bis in den medio-ventralen Winkel, wodurch die ventrale Schichte viel schmäler wird als im vorher beschriebenen Geniku- latum, wo die periphere Schichte nur bis zur Mitte des medialen Randes reichte und die ventrale Schichte den medio-ventralen Winkel eingenummen hat. Die Pars magno-cellularis läßt die Entwicklung der Lamina magno-cellularis inferior erkennen, welche als ein an zwei Stellen unterbrochenes Band bogenförmig im Hilus verläuft (Abb. 1).

Im dritten Viertel schneidet der Hilus zunehmend tiefer in das Innere des Genikulatums, so daß man etappenweise verfolgen kann, wie dadurch zuerst die periphere Schichte durch die nach oben gedrängte medial an die Peripherie gelangende obere intermediäre Schichte unterbrochen wird. Weiter kaudal wird die ventrale Schichte medial an die Peripherie gedrängt, so daß sie zwischen den abgetrennten unteren und den in der Kuppe bestehenden Teil der peripheren Schichte gelangt. Nun durchbricht die 'Lamina magno-cellularis superior und inferior die ventrale Schichte, indem sie am medialen Rande an die Peripherie gedrängt werden, so daß man jetzt im medio-ventralen Winkel des Genikulatums von außen nach innen ein Stück periphere und ventrale Schichte, ferner auch den medialen Ausläufer der Lamina magno-cellularis inferior unterscheiden kann. Letztere verläuft steil aufsteigend medio-dorsalwärts bis zur 'Peripherie und dort einen Bogen bildend abwärts, parallel zum medio-ventralen Rande des durch den Hilus abgetrennten Teiles der Pars medio-cellularis. Die Lamina magno-cellularis superior reicht nur vom lateralen Sporn bis zum medialen Rande des Genikulatums. Am CUbergange zum letzten Viertel durchschneidet der Hilus das Genikulatum vollständig. Hier ist aber der medio-ventrale Winkel nicht mehr von der Pars mediv-cellularis eingenommen, sondern von der Pars magno-cellularis, welche in mehrere Gruppen geteilt ist.

Durch die durch den Hilus hervorgerufene Trennung ist die vorher beschriebene Füllhornform im letzten Viertel des Genikulatums hergestellt und man findet nun die allmäbliche Abnahme der Schichten und allgemeine Verkleinerung gegen das kaudale Ende des Genikulatums so wie im vorhergehenden Falle vor sich gehen.

136 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

Zusammenfassend kann man sagen, daß man in einem [alle von Tabes ohne klinische Augenbeschwerden Veränderungen im Sinne einer Verdickung der Septen im Optikus feststellen kann. Von der weniger ausge- sprochenen Ausbreitung der oralsten Partie des Genikulatums, welche man nicht mit Bestimmtheit als pathologisch erklären kann, abgesehen, finden sich im Genikulatum dieses Falles keine pathologischen Veränderungen (Abb. 1). Hingegen sind die Form und Schichtungsunterschiede gegenüber

dorsal

Abb. 1 1. Fall. Frontalschnitt (nach Nissl gefärbt) gegen Ende des zweiten Viertels.

dem Genikulatum des Nichttabikers als rein individuelle Varianten anzu- sehen.

I. Fall.

Tabes dorsalis ohne klinische Augenbeschwerden.

Mann, 57 Jahre alt.

Der Nervus opticus.

An Weigert-Präparaten des rechten Optikus zeigt sich, daß in seinem Zentrum ein kreisförmiger Faserausfall besteht. Dieser Defekt läßt sich durch das Chiasma in den linken Traktus verfolgen, wo er auch seine zentrale Lage beibehält. Mit Mallory- Bindegewebsfärbung kann man feststellen, daß die gegen die Peripherie gelegenen Septen deutlich verdickt ‘sind, während im Zentrum keine Verdickung der Septen

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 137

zu erkennen ist. Die durch die Weigert-Färbung festgestellte degenerierte Stelle im Zentrum färbt sich blauviolett gegenüber den erhaltenen Fasern, welche rosaviolett gefärbt erscheinen.

Am linken Optikus kann man keinen Faserausfall feststellen. Mit der Binde- gewebsfärbung zeigt sich, daß die im Zentrum gelegenen Septen ihre normale Breite haben, während die gegen die Peripherie zu gelegenen deutlich verdickt sind. In dem medialen unteren Quadranten des Optikus zeigt sich die Verdickung der Septen speziell und hier erkennt man eine deutliche Verdickung der Blutgefäße.

Das linke Genikulatum. (Frontalschnitte nach Nissl gefärbt.)

dorsal

medial

Abb. 2 II. Fall. Frontalschnitt (Nissl-Färbungı. Beginn des zweiten Viertels.

Zellstruktur.

Gegenüber der Norm ist der Lipofuscingehalt auffallender. Man findet degene- rierende Zellen einzeln ohne bestimmte Lokalisation.

Die Form und Schichtung.

Am Beginne des ersten Viertels zeigt sich die Pars medio-cellularis als eine läneliche, nach oben verlaufende Zellgruppe im Zentrum des Traktus. 200 u kaudaler sieht man eine rundliche Zellgruppe und dorsal davon durch einen breiten zellfreien Streifen getrennt eine nach oben schleifenförmie verlaufende. In den folgenden Schnitten vergrößern sich beide Gruppen, treten näher aneinander und am Beeinne des zweiten Viertels erscheint die dorsale Zelleruppe, als periphere Schichte einen Bogen bildend, dessen lateraler Schenkel in Verbindung mit der ventralen Zellgruppe steht und dessen medialer Schenkel durch einen schmalen zellfreien Streifen von dieser getrennt ist. Der von dem Bogen der peripheren Schiehte eingeschlossene Raum enthält einzelne Ganglienzellen, aber im übrigen ist er zellfrei (Abb. 2). Daß

138 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

es sich hier nicht um einen Zellausfall handelt, beweist ein Heidenhainsches Marken- scheidenpräparat des angrenzenden Schnittes, welches zeigt, daß dieser zellfreie Raum von Fasern eingenommen ist. Die ventrale Schichte ist im Innern undeutlich zerteilt. Auffallend ist, daß der medio-dorsale Rand des Genikulatums deutlich abgeflacht ist (in Abb. 2 mit einem Pfeil bezeichnet) und daß man diese Abflachung an derselben Stelle bis zum Ende des dritten Viertels verfolgen kann, wo sie sich in der füllhorn- artigen Form des Genikulatums als eine Abflachung des dorsalsten Randes der Pars medio-cellularis bis zum kaudalsten Ende fortsetzt. Ich betone die Pars medio-cellu- laris, weil man im kaudalsten Schnitte deutlich sehen kann, daß es sich nicht um eine Abflachung des gesamten dorsalen Randes des Genikulatums handelt, denn hier ragt die Pars magno-cellularis über die Höhe des abgeflachten Randes der Pars medio-cellularis hinaus.

Es sei nur noch hervorzuheben, daß gegenüber den vorher beschriebenen zwei Genikulaten außer der schon oben beschriebenen Bildung der peripheren Schichte im zweiten und dritten Viertel noch weitere Unterschiede in der Schichtenbildung bestehen, welche man als individuelle betrachten muß. Während die Pars magno- cellularis in den oralen Abschnitten nur spärlich entwickelt ist, erscheint sie gegen Ende des dritten Viertels in der Form von drei bandförmig angeordneten Zellgruppen. Im dritten Viertel besteht ein breiter Hilus, welcher die Pars medio-cellularis teilt.

Im Falle II, in welchem anamnestisch keine Augenbeschwerden fest- gestellt wurden, zeigten sich pathologische Veränderungen in den Nervi optici, welche tinks und rechts verschieden waren. Rechts ein zentraler Faserausfall mit Septenverdickung und links nur Septenverdickung, welche in dem unteren medialen Quadranten des Optikus mehr ausgesprochen war, während im Zentrum keine Veränderung der Septen bestand. An dem vom rechten Optikus in den linken Traktus kreuzenden zentralen Faserausfall schloß sich eine Veränderung im linken Genikulatum. Hier zeigte sich im zweiten und dritten Viertel des Genikulatums eine Abflachung des medio- dorsalen Randes der Pars medio-cellularis, welcher sich im letzten Viertel als eine auf den dorsalsten Rand der Pars medio-cellularis beschränkte Abflachung bis zum kaudalsten Teil des Genikulatums fortsetzte (Abb. 2). Es zeigten sich auch individuelle Unterschiede in der Schichtenbildung und Anordnung gegenüber den zwei vorher beschriebenen Genikulata, besonders durch Bildung einer Lücke, welche nicht als ein Zellausfall anzusehen ist.

HI. Fall (4057).

Tabes dorsalis mit beiderseitiger Optikusatrophie.

Mann, 52 Jahre alt, 3 Jahre total blind.

Der Nervus opticus.

Makroskopisch erkennt man eine starke Volumenabnahme mit beträchtlicher Abflachung und graue Degeneration. Mikroskopisch, an Querschnitten erkennt man am ventralen Rande einige, erhaltene Fasern, welche in medio-dorsaler Richtung den Optikus durchziehen.

Das Genikulatum.

(Frontalschnitte nach Nissl gefärbt.)

Zellstruktur.

Schon bei einer Übersicht mit schwacher Vergrößerung (Taf. II bis IV, Abb. 12 his 22) ist die allgemeine Zellverkleinerung gegenüber der Norm (Taf. II bis IV, Abb. 11 bis 21) sehr auffallend. Noch deutlicher tritt dies hervor in einem Vergleiche zwischen den atrophischen Präparaten (Taf. I, Abb. 8 und 10, vergrößert) und den normalen Präparaten (Taf. I, Abb. 7 und 9). Hier bemerkt man auch einen leeren Raum

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 139

zwischen den Zellen. Dieser Zustand ist im ganzen Genikulatum erkennbar. Unter- sucht man bei starker Vergrößerung, so ist das Fehlen der kleinen Zellen sehr auf- fallend. Nur hin und wieder sieht man ganz atrophische, kernlose, in Zellschatten

III. Fall. (Nissl-Zellen der Pars medio-cellularis. (300fach vergrößert.)

umgewandelte kleine Ganglienzellen. In dem Bilde (Abb. 3), welches atrophische Ganglienzellen darstellt, bemerkt man gegenüber der Norm (Abb. 4) in erster Linie die Abrundung der atrophischen Zellen, so daß man einen Formunterschied zwischen den einzelnen Zellen, wie er unter den normalen Zellen (S. 131) beschrieben wurde,

Abb. 4 Normales Corpus geniculatum. Zellen der Pars medio-cellularis. (300fach vergrößert) Nissl.

nicht feststellen kann. Außerdem kommt es zu einer Veränderung des Zellinhaltes, der vorwiegend aus Lipofuscin besteht; ferner ist der Kern gegen die Peripherie gerückt. Obwohl man, wie schon erwähnt wurde, Lipofuscin normalerweise findet, so ist doch der reichere und auch auf viel mehr Zellen ausgedehnte Lipofuscingehalt in dem atrophischen Genikulatum als pathologisch anzusehen. Wandhyperchromatose, Kern-

140 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

schwund, Vakuolisierung, fettige Degeneration und Zellschatten findet man in Zellen aller Schichten. Hin und wieder findet man eine Ganglienzelle, welche außer Ver- kleinerung keine Veränderung zeigt. Im allgemeinen kann man sagen, daß das Gros der Ganglienzellen in der oben beschriebenen Weise pathologisch verändert ist.

Fibrillenstruktur (Bielschowsky-Färbung).

Hier zeigt sich ein lockeres Gewebe von Fibrillen im Innern des Genikulatums. Auffallend ist, daß außer den Axonen keinerlei Fortsätze an den allgemein rundlichen Zellen zu finden sind.

Die Länge und Form des Genikulatums.

Nach der Anzahl der Schnittea 20 u gemessen, beträgt die Länge des atrophischen Genikulatums 5800 gegenüber der normalen Länge von 7000 u. Wenn man die Ab- bildungen der atrophischen und normalen Präparate auf Tafel I bis IV vergleicht, so ist die allgemeine Verkleinerung des atrophischen Genikulatums deutlich bewiesen.

Betrachten wir nun die Formveränderungen in den einzelnen Vierteln des atrophi- schen Genikulatums (Fall III) von oral nach kaudal, so ergibt sich folgendes:

Im ersten Viertel (Taf. I, Abb.8 und 10) ist die Form am stärksten verändert. Man kann sagen, daß eine beträchtliche Verkürzung des Höhendurchmessers statt- gefunden hat. Von der Zerklüftung des medialen und lateralen Randes, wie man es in der Norm findet, ist hier nichts zu sehen.

Eine Abflachung ist auch noch im zweiten Viertel (Taf. II, Abb. 12 und 14) deutlich zu erkennen. Es besteht keine Kuppe, sondern der oberste, in der Norm durch die Kuppe gekennzeichnete Teil des Genikulatums erscheint lateral gerückt und spitzig. Die ganze Form ist dadurch in ein Dreieck umgewandelt, «dessen lateraler Rand durch den unteren Teil des S-förmigen Verlaufes des normalen Randes gebildet wird. Hierdurch bleibt der laterale Sporn in seiner normalen Form erhalten, aber mit den gesamten (renikulatum verkleinert. In der Gegend des Hilus erscheint das Genikulatum, als wäre es gleichsam zusammengesunken, wodurch die sonst in der Norm bestehende Einbuchtung verwaschen wird.

Im dritten Viertel (Taf. HI, Abb. 16 und 18) ist die Form näher der Norm als in den oraleren Teilen des Genikulatums. Immerhin ist der melio-dorsale Rand im vorderen Teile dieses Viertels noch deutlich abgeflacht und die Kuppe noch etwas zugespitzt. Der laterale Rand ist steil abfallend und verursacht eine Einknickung am Beginne des lateralen Spornes. Gegen Ende des dritten Viertels ist kein beträchtlicher Formunterschied gegenüber der Norm.

An einem Schnitte des letzten Viertels (Taf. IV, Abb. 20) bemerken wir einen Defekt in der Kuppe und eine beträchtliche Verschmälerung des lateralen Spornes gegenüber der Norm (Taf. IV, Abb. 19). Der Schichtung nach wäre der Schnitt des atrophischen Genikulatums (Taf. IV, Abb. 20) oraler als der des normalen (Taf. IV, Abb. 19), und doch ist der normale Schnitt 600 u vom kaudalen Ende des Geniku- latums entfernt gegenüber dem atrophischen, «dessen Entfernung nur 400 u beträgt, also aktuell kaudaler liegt als der normale. Wir müssen also annehmen, daß es sich um eine Verkürzung des kaudalen Endes des atrophischen Genikulatums handelt. Einen weiteren Beweisgrund hierfür liefert der nächstfolgende Schnitt (Taf. IV, Abb. 22), nur 200 u kaudaler als Taf. IV, Abb. 20. Hier bemerken wir eine momentane Ab- nahme des Genikulatums. In der Norm ist der Übergang ein mehr gradueller, sich auf eine Distanz von 800 p erstreckend, während im atrophischen Genikulatum dies schon auf 400 p erfolgt. An Taf. IV, Abb. 22, kann man auch eine Zunahme der Formverinderung feststellen.

Die Schichtung.

Im oralsten Teile des Genikulatums (Taf. I, Abb. 8 und 10) fehlen irgend welche Anzeichen einer Zerkliiftung, wie sie in der Norm zu finden sind. Ferner kann man eine allmähliche Schichtenbildung in der Pars medio-cellularis im Sinne der Norm nicht feststellen. Hingegen sieht man die periphere Schicht momentan auftreten, wäh- rend die Schichtentrennung im Innern verwaschen erscheint. Schon 400 u vor dem

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 141

Ende des ersten Viertels kann man eine Schichtung erkennen, während normaler- weise dies erst im zweiten Viertel möglich ist. Es scheint, als ob der oralste Teil des atrophischen Genikulatums verkürzt sei, so daß bei der Berechnung der einzelnen Viertel der Beginn des zweiten Viertels in das erste Viertel fällt. Diese Beobachtung steht im Einklange mit der mehr ausgesprochenen Formveränderung im oralsten Teil gegenüber der im zweiten und dritten Viertel gelegenen, so daß ınan sagen muß, daß mit der stärkeren Formveränderung auch eine stärkere Verkürzung im oralsten Viertel stattgefunden hat, denn wären alle Teile des Genikulatums gleichmäßig verkürzt, dann würde auch die Schichtentrennung in das zweite Viertel fallen, wie in der Norm.

Während im oralsten Teil des Genikulatums die Pars medio-cellularis durch die zwischen den Zellen gelegenen leeren Räume eine Aufhellung gegenüber der Norm zeigt, so ist dies im zweiten Viertel nur in den ventral gelegenen Partien der Pars medio-cellularis und in der Lamina magno-cellularis superior und inferior deutlich zu erkennen (Taf. II, Abb. 12). Am Ende dieses Viertels kann man alle Schichten deutlich erkennen, und es sei zu bemerken, daß der zellfreie Streifen um die obere intermediäre Schichte auffallend breit erscheint. Die im Hilus von lateral und medial absteigende Verlaufsrichtung der unteren intermediären und ventralen Schichte scheint durch eine Veränderung im Hilus bedingt zu sein. Es ist dieser durch die zwei oben genannten Schichten verwaschen (Taf. II, Abb. 14). Die allgemeine Verlaufsrichtung der Schichten ist im Einklange mit der Formveränderung abgeflacht und nicht, wie im normalen Genikulatum, nach oben bogenförmig verlaufend. Der laterale Teil der peripheren Schichte ist stärker eingebogen als es der Norm entspricht.

Im dritten Viertel ist die Schichteinteilung der Norm am ähnlichsten, doch ist der mediale Teil der peripheren Schichte abgeflacht und ihr lateraler Teil steil abfallend (Taf. HI, Abb. 16). Gegen Ende dieses Viertels ist das nicht der Fall. Man sieht eine allgemeine Aufhellung aller Schichten.

Vergleicht man Taf. IV, Abb. 20, mit Taf. IV, Abb. 21, so erkennt man wohl eine Abflachung der obersten Enden der peripheren und ventralen Schichte. Dies ist noch deutlicher in dem folgenden Schnitte (Taf. IV, Abb. 22) ausgesprochen. Eine allgemeine Aufhellung ist auch hier zu erkennen.

Zusammenfassung.

Wir finden in diesem Falle von Tabes mit beiderseitiger Optikusatrophie und drei Jahre bestehender Blindheit, daß das Genikulatum in allen Dimen- sionen verkleinert ist. Ferner, daß Formveränderungen bestehen, welche im ersten Viertel am ausgesprochensten und im zweiten Viertel noch deutlich sind, im dritten und vierten Viertel aber nur wenig hervortreten, während sie im letzten Teil des vierten Viertels wieder mehr zum Ausdrucke kommen. Der Typus ist im dritten Viertel dem des normalen Genikulatums sehr ähnlich gegenüber dem der Genikulaten des Falles I und II, welche in- dividuelle Verschiedenheiten aufweisen. Wir bemerken ferner, daß im oralsten Teil jede Anzeichen einer Schichtenbildung fehlen. Hingegen tritt die peri- phere Schichte deutlich hervor, während ventral die Schichtentrennung und der Hilus am Ende des ersten Viertels und im zweiten Viertel verwaschen bleibt. Am besten ist die Schichtung im dritten Viertel erkennbar. Die Veränderungen treten medial und ventral hervor.

Das Gros der Zellen ist pathologisch verändert, wobei man den reichen Lipofuscingehalt und die Randstellung des Kemes, ferner die Verkleinerung und Abrundung der Zellen und das Fehlen der Dendriten betonen muß. Die kleinen Zellen fehlen zum größten Teil.

142 Hans Deutsch Ph. B. M.D.

IV. Fall. Tabes dorsalis mit beiderseitiger Optikusatrophie. Frau, 45 Jahre alt, 8 Jahre blind.

Der Traktus (Weigert-Farbung).

Querschnitte knapp hinter dem Chiasma zeigen eine starke Abflachung der Tractus optici. Es sind nur einige Fasern im ventralen Gebiete zu sehen, im übrigen ‚besteht ein kompletter Faserausfall. Eine kleine Gruppe von Fasern (cf.), ventro-medial gelagert. kann man bis zum Corpus geniculatum verfolgen (vide Gruppe II, Abb. 5 u. 6).

Das rechte Genikulatum.

(Frontalschnitte nach Nissl gefärbt.)

Die Zellen sind im allgemeinen abgerundet und verkleinert. Man findet fettig degenerierte Ganglienzellen und Zellschatten und daneben wieder normaler erschei- nende Ganglienzellen in jeder Schichte. Die Lipofuscinanreicherung und die Rand- stellung des Kernes ist ins Auge fallend. Kleine Zellen werden zum größten Teil vermißt.

Form und Schichtung.

Im zweiten Viertel (der oralste Teil fehlt hier) sieht man eine gewaltige Form- veränderung. Das ganze Genikulatum bildet ein spitzwinkliges Dreieck, dessen lateraler und ventraler Rand eingebuchtet ist. Diese Form bleibt auch bis in das dritte Viertel bestehen. Die Schichten der Pars medio-cellularis scheinen durch Verlaufs- änderung des medialen Randes gegen den lateralen Rand gedrückt. Am Ende des dritten Viertels, dort wo die Pars magno-cellularis ihre größte Entwicklung erfährt, nimmt diese als ein dreieckiges Feld die mediale Hälfte des Genikulatums ein. Von diesem Felde zieht ein Band großer Zellen um den ventralen Rand der Pars medio- cellularis.

Im letzten Viertel ist die Verschmälerung des lateralen Spornes zu erwähnen. Es besteht eine allgemeine Aufhellung der Schichten.

Zusammenfassend können wir sagen, daß in diesem Falle, gegenüber Fall II, im zweiten und dritten Viertel eine stärker ausgesprochene Form- veränderung besteht, welche sich am medialen Rande zeigt. Hingegen sind die Zellveränderungen nicht erheblicher als im vorhergehenden Falle. Als individueller Unterschied sei die größere Ausbreitung der Pars magno- cellularis erwähnt. Ferner sei bemerkt, daß trotz achtjährig bestehender Blindheit noch färbbare Fasern im Traktus zu finden sind.

Das linke Genikulatum wurde in diesem Falle nach Weigert gefärbt und ist in der Gruppe der Weigert-Serien auf S. 146 beschrieben.

V. Fall.

Tabes dorsalis mit beiderseitiger Optikusatrophie.

Frau, 65 Jahre alt, 9 Jahre blind.

Das Chiasma (nach Weigert gefärbt).

An Horizontalschnitten zeigt sich, daß bis auf einzelne Fasern, welche hie und da zu finden sind, der Traktus und N. optikus vollständig degeneriert sind. Die Kom- missurenfasern sind hingegen erhalten.

Das rechte Genikulatum.

‘Horizontalschnitte nach Nissl gefärbt.)

Zellstruktur.

Es ist eigentlich keine Zelle vorhanden, die unverändert geblieben ist. Die all- gemeine Abrundung und Verkleinerung der Ganglienzellen, terner die ungemein stark verbreitete Lipofuscinanreicherung, wodurch der Kern förmlich an die Peripherie gedrängt wird, ist ins Auge fallend. Viele Zellen sind kernlos und in Fettklümpchen

Die Veriinderungen des Corpus geniculatum externum usw. 143

umgewandelt, andere zeigen wieder Wandhyperchromatose oder Homogenisierung. Diese Veränderungen finden sich von der basalsten bis in die dorsalste Partie des Genikulatums.

Form und Schichtung.

In einem Schnitte, welcher durch den basalen Teil der Markkapsel führt, bildet die Pars magno-cellularis einen auf das kaudale Ende beschränkten Kranz, welcher im Innern Gliazellen enthält. Oral von diesem Kranze folgt ein ganglien- zellfreier Raum, welcher bis zur Stelle reicht, wo sich der Traktus an den Him- schenkel anschmiegt. Dort kann man einen Streifen großer Zellen in medio-kaudaler Richtung entlang des Randes des Hirnschenkels verfolgen. Ungefähr auf ein Viertel der Gesamthöhe des Genikulatums erstreckt sich die Pars medio-cellularis oralwärts ein Stück über die eben erwähnte Stelle. Die Pars magno-cellularis besteht auf dieser Höhe aus zwei bandförmigen Schichten, einer kurzen, welche vom kaudalen Ende ungefähr ein Drittel der Länge oralwärts reicht, entlang des medialen Randes der Pars medio-cellularis, und einer längeren, medial von der kurzen gelegen und von dieser durch einen zellfreien Streifen getrennt. Letztere erstreckt sich vom kaudalen Ende oralwärts gegen den Hirnschenkel, biegt dort entlang des Randes ein Stück zurück und von der Stelle, wo sie zurückbiegt, erstreckt sich ein Band großer Zellen oralwärts bis zum Ende der Pars medio-cellularis. Längsverlaufende Schichten kann man in der Pars medio-cellularis nur undeutlich erkennen. Auf der Mitte der Gesamt- höhe des Genikulatums verkürzt sich das Genikulatum, wird aber breiter und bildet medial einen spitzen Winkel. Das Ganze erhält eine dreieckige Form. Die Schichten der Pars medio-cellularis treten deutlicher hervor, quer im leichten Bogen verlaufend. Die Pars magno-cellularis bildete zwei Schichten am medio-kaudalen Rande des Genikulatums. Dorsalwärts wird das Genikulatum kleiner und im dorsalsten Schnitt sieht man nur mehr ein kleines Oval, aus drei Schichten mittelgroßer Zellen be- stehend.

In diesem Falle können wir sagen, daß die pathologischen Zellverände- rungen mehr ausgesprochen sind als im Fall II und IV. Für die Struktur des Genikulatums sei erwähnt, daß die Pars magno-cellularis im unteren Viertel entlang des medialen Randes als eine bandförmige Schichte bis in den oralsten Teil des Genikulatums reicht und im kaudalen Drittel eine Doppelschichte bildet. In den höher gelegenen Partien des Genikulatums ist die Pars magno-cellularis nur kaudo-medial zu finden.

Gruppe II.

Das normale Geniculatum. (Frontalschnitte nach Weigert gefärbt.)

Hier gehen wir in unserer Beschreibung wieder vom oralen Viertel des Genikulatums aus.

Taf.V, Abb. 23 zeigt einen Schnitt aus dem ersten Viertel. Auffallend ist die das Genikulatum umgebende dicke Markkapsel, welche in den medialen Rand hineinragt und die oben erwähnte Zerklüftung bewerkstelligt. Im Innern des Genikulatums sehen wir zahlreiche quergetroffene Faserbündel diffus gelagert (q. e. F., Taf. V, Abb. 23).

Ein Schnitt aus dem zweiten Viertel (Taf. V, Abb. 25) zeigt, daß mit der Ausdehnung des Genikulatums die noch erkennbare, das Genikulatum umgebende Markkapsel dünner geworden ist. Im Innern des Genikulatums

144 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

ist eine durch Marklamellen erkennbare Schichtung aufgetreten und die quergetroffenen Faserbiindel sind geringer an Zahl und diinner geworden.

Betrachten wir nun einen Schnitt aus dem dritten Viertel (Taf. VII, Abb. 27: dieser ist vom linken anstatt vom rechten Genikulatum wie die vorhergehenden), so sehen wir, daß die quergetroffenen Faserbiindel nur mehr im lateralen Sporn und in der ventralen Schichte zu erkennen sind. Der ventrale Teil der Markkapsel ist lateral diinner als medial, wo er in einer Spitze (auf unserem Bilde nicht ganz gezeigt) endigt und von wo aus die Markkapsel entlang des medialen Randes des Genikulatums ungefähr bis zu dessen Mitte reichend aufsteigt. Während im ventralen und medio- ventralen Teil die Markkapsel einen Charakter aufweist, welcher dem der im ersten Viertel das Genikulatum umgebenden Markkapsel entspricht, weist sie dorsal einen ausstrahlenden Charakter auf.

Taf. VIII, Abb. 29 stellt einen Schnitt aus dem letzten Viertel dar. Wir sehen, daß der ventro-mediale Rand des Genikulatums durch zwei dichte Marklamellen gekennzeichnet ist, während zwei dünnere im Innern des Genikulatums zu erkennen sind. Quergetroffene Faserbündel sind im Innern des Genikulatums nicht mehr zu finden.

VI. Fall (hiezu Taf. V bis IX).

Tabes dorsalis mit beiderseitiger Optikusatrophie.

Mann, 48 Jahre alt, 12 Jahre blind.

Das Genikulatum.

(Frontalschnitte nach Weigert gefärbt.)

Im ersten Viertel (Taf. V, Abb. 24) ist der gewaltige Unterschied gegenüber der Norm (Taf. V, Abb. 23) erstens durch die gesamte Verkleinerung und zweitens durch den beinahe kompletten Ausfall der Markkapsel, welche nur dorsal wenige ausstrahlende Fasern aufweist, bedingt. Ferner ist das Fehlen der im Innern des Genikulatums diffus gelagerten, quergetroffenen Faserbündel auffallend. Ein Blick auf Taf. IX, welche eine Serie von Fall VI darstellt, beweist, daß sich ausstrahlende Fasern im dorsalen Gebiete zunehmend ansammeln, je mehr wir uns der Mitte des Genikulatums nähern.

Im zweiten Viertel (Taf. VI, Abb. 26, und Taf. IX, Abb. 6--8) enthält die Mark- kapsel markhaltige Fasern, welche von der Mitte des medialen Randes des Genikulatums einen nack oben allmählich breiter werdenden Streifen bilden, welcher dorso-lateral in ein ziemlich breites, aber noch teilweise unterbrochenes, aus ausstrahlenden Fasern bestehen- des Feld einmündet. Den lateralen Rand dieses Feldes bilden markhaltige Fasern, welche vom Beginne des lateralen Spornes entlang des lateralen Randes des Genikulatums aufwärts ziehen. Während der durch die oben beschriebenen markhaltigen Fasern sichtbare Teil der Markkapsel noch viel dünner ist, als es der Norm entspricht, be steht ein beinahe kompletter Ausfall von Fasern, von der Mitte des medialen Randes des Genikulatums abwärts entlang des ventralen Randes bis über die Spitze des lateralen Spornes reichend. Die Marklamellen im Innern des Genikulatums sind auch gegenüber der Norm (Taf. VI, Abb. 25) nur spärlich ausgebildet, während die uergetroffenen Faserbündel überhaupt fehlen.

Gegenüber der Norm bemerken wir noch eine beträchtliche Gesamtverkleinerung des Genikulatums mit einer Abflachung dessen medialen Randes. Dieser Unterschied ist hier weniger ausgesprochen als im ersten Viertel.

Im dritten Viertel (Taf. VIL, Abb. 28) ist der Formunterschied gegenüber der Norm (Taf. VIL Abb. 27) durch eine Abflachung des medialen Randes gekennzeichnet. Der Größenunterschied fällt in unserer Illustration nicht ins Auge, wenn man aber

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 145

den Maßstab der VergrréBerung des normalen Bildes (23:8) mit dem des atrophischen vergleicht (37:5), so ist der Unterschied wohl gegeben. Ein Faser- ausfali ist an der Markkapsel nur im ventralen Teil zu erkennen, und zwar in den lateralen zwei Dritteln deutlich, während das mediale Drittel eine Auf- lockerung aufweist. Die im normalen Schnitte des gleichen Areals (Taf. VII, Abb. 27) im lateralen Sporn und ventralen Teil des Genikulatums erkennbaren quergetroffenen Faserbündel werden im atrophischen Genikulatum vermißt. Gegenüber dem Schnitt aus dem zweiten Viertel (Taf. VI, Abb. 26) finden wir die Marklamellen besser entwickelt. Im Innern des Genikulatums besteht eine Auflockerung der gesamten Faserung. Der tiefe Hilus, welcher im atrophischen Genikulatum erkennbar ist, kann wohl durch einen Faserausfall besser ausgeprägt sein, aber er entspricht der nor- malen Variante, auf die wir noch später in unserer Zusammenfassung zu sprechen kommen werden.

Ein Schnitt aus dem letzten Viertel (Taf. VIII, Abb. 30) liegt oraler als das normale Vergleichspräparat (Taf. VIII, Abb. 29). Nachdem wir aus unserer Beschrei- bung von den normalen Nissl-Präparaten bereits wissen, daß das Genikulatum kaudal- wärts an Größe abnimmt, wäre es unrichtig, die Größenverhältnisse zwischen einem

ef Abb. 5 Querschnitt des Traktus, Fall VI. cf. = markhaltige Fasern.

oraler gelegenen Schnitt einerseits und einem kaudaler gelegenen anderseits in Be- tracht zu ziehen. Immerhin können wir mit Sicherheit feststellen, daß in den zwei am medio-ventralen Rande des Genikulatums gelegenen Marklamellen ein deutlicher Faserausfall besteht, und zwar vorwiegend an den ersteren. Diese pathologische Ver- änderung läßt sich auch noch an einem kaudaleren Schnitt der Serie (Taf. IX, Abb. 10) feststellen.

Zusammenfassend können wir sagen, daß der Faserausfall im ersten Viertel beinahe die ganze Markkapsel betrifft, während im zweiten Viertel der ventrale und untere mediale Teil der Markkapsel stark betroffen ist. Im dritten Viertel ist der Faserausfall nur im ventralen Gebiete bemerkbar und da mehr lateral als medial. Im letzten Viertel erstreckt sich der Faser- ausfall auf die zwei medialst gelegenen Marklamellen und reicht ventral um den lateralen Sporn. Im ersten und zweiten Viertel bemerkt man auch das Fehlen der quergetroffenen Faserbündel. Auch die Marklamellen im Innern des Genikulatums sind dünner als es der Norm entspricht.

Im Traktus (Abb. 5) kann man trotz zwölfjährig bestehender Blindheit markhaltige Fasern finden, mit cf. bezeichnet, und zwar in ventro-medialer Lage, in welcher sie bis in den Beginn des ersten Viertels des Genikulatums verfolgt werden können.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd. 10

146 Hans Deutsch Ph. B. M.D.

IV. Fall. Tabes dorsalis mit beiderseitiger Optikusatrophie. Frau, 45 Jahre alt, 8 Jahre blind.

Das linke Genikulatum.

(Frontalschnitte nach Weigert gefärbt.)

Am Beginne des Genikulatums zeigen sich dorsal im Traktus wenige dorso- lateral verlaufende Fasern und, ventro-medial gelagert, eine kleine Gruppe von Fasern, welche in ihrer Lage im Traktus oralwärts unverändert bleiben, während im übrigen die Markkapsel total fehlt. Im Innern des Genikulatums findet sich ein feines Netz- werk von Fasern. Im zweiten Viertel ist der Faserausfall latero-ventral mehr erkennbar als medio-ventral. Im Innern des Genikulatums sind die Marklarnellen dünner, als es der Norm entspricht, und quergetroffene Faserbündel sind überhaupt nicht zu finden.

Abb. 6. V. Fall. Horizontalschnitt, etwas unter der Mitte.

In den kaudalen Partien ist der Faserausfall in den zwei medialsten Marklamellen und um den lateralen Sporn zu erkennen, während in den kaudalsten Partien dies nur am medio-ventralen Rande der Fall ist.

V. Fall.

Tabes dorsalis mit beiderseitiger Optikusatrophie.

Frau, 65 Jahre alt, 9 Jahre blind.

Das linke Genikulatum.

(Horizontalschnitte nach Weigert gefärbt.)

Im basalsten Schnitt erkennt man am kaudalen Ende einen Kranz von Fasern. Dies entspricht dem Kranz von großen Zellen, welcher auf S. 143 beschrieben wurde. Entlang des Hirnschenkels sieht man einen Streifen von erhaltenen Fasern. Diesem Streifen entsprechend erkennt man am Nissl-Präparat (S. 143) einen Streifen von großen Zellen. Verfolgt man die Serie auf Taf, X, Abb. 1 bis 10, so erkennt man, daß in den basalen Ebenen der Faserausfall am stärksten ist. Der oral und medial be- stehende Faserausfall wird dorsalwärts durch eine sich allmählich entwickelnde

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 147

Markkapsel ersetzt. In dem oberen Viertel (Taf. X, Abb. 9) ist der Faserausfall noch kaudal zu erkennen, während im dorsalsten Schnitt (Taf. X, Abb. 10) das Genikulatum von einer dicken Markkapsel umgeben ist.

Auf Abb. 6 erkennen wir einen streifenförmigen Faserausfall in der ersten Schichte. Dies würde den quergetroffenen Faserbündeln, welche man auf den Frontalschnitten des normalen Genikulatums (Taf. V, Abb. 23 und Taf. VI, Abb. 25) sieht, entsprechen. Die Marklamellen, welche in den unteren Ebenen spärlich ausgeprägt sind, treten in den dorsaleren Ebenen zusehends deutlicher hervor.

I. Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum und ihre Bedeutung für die Kenntnis der tabischen Optikusatrophie.

Bei der kompletten tabischen Optikusatrophie kann man eine beträcht- liche Verkleinerung des Corpus geniculatum externum in allen Dimensionen feststellen. Neben dieser Verkleinerung bestehen auch Formveränderungen, welche oral und medial am ausgesprochensten sind. Hingegen kann man die Granglienzellveränderungen nicht in solch lokalisierter Weise bemerken, sondern diffus in allen Schichten. Auch bei partieller Schädigung der peri- pheren Sehbahn (Fall II) läßt sich keine umschriebene Zelldegeneration im Genikulatum feststellen. Augenfällig ist nur eine Formveränderung am medio- dorsalen Rande des linken Genikulatums bei einem zentralen Faserausfall im rechten Optikus. Das Areal, in welchem die Veränderungen in Fall II zu beobachten sind, entspricht der Makulagegend Brouwers.

Im allgemeinen zeigen die Zellschichten eine Aufhellung. Sehr auf- fallend ist die Verkleinerung und Abrundung der Ganglienzellen mit einer sackförmigen Lipofuszinanreicherung, wodurch der Kern an die Peripherie gedrängt erscheint. Zellschatten sind in geringerem Ausmaße verbreitet. Im Einklange mit der Abrundung der (Ganglienzellen besteht ein Fehlen von Dendriten. Die kleinen Ganglienzellen sind am stärksten betroffen und werden zum größten Teil vermißt.

Der Faserausfall ist im ersten Viertel des Genikulatums am auffallend- sten. Dort betrifft er, mit Ausnahme weniger dorsal ausstrahlender Fasern, die gesamte Markkapsel, während im zweiten Viertel die untere Hälfte des medialen Randes und der ventrale Rand des Genikulatums betroffen sind. Im dritten Viertel ist der Faserausfall am deutlichsten im ventralen Teil der Markkapsel zu bemerken und da mehr lateral als medial. Schließlich besteht im letzten Viertel der Defekt hauptsächlich in der Marklamelle, welche den medialen und ventralen Rand bildet und bis an den lateralen Sporn reicht. Im Innern des (ienikulatums erkennt man den Ausfall der quergetroffenen Faserbündel, welche normalerweise in den ersten zwei Vierteln diffus und in den um die Mitte gelegeneu Ebenen ventral, speziell im lateralen Sporn, zu finden sind. Die Marklamellen sind im zweiten Viertel sehr dünn und in den übrigen Ebenen zeigen sie eine allgemeine Auf- lockerung.

10*

148 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

Trotz bestehender Blindheit sind im N. opticus und Traktus markhältige Fasern anzutreffen. An Querschnitten des N. opticus erscheinen sie als partiell getroffene, in dorso-medialer Richtung ziehende Fasern. Im Optikus kann es sich kaum um andere als der Sehbahn angehörige Fasern handeln. Auffallend ist, daß sie in beiden Optici ventral und in derselben Richtung verlaufen. An Querschnitten des Traktus findet man im medio-ventralen Teil ebenfalls eine kleine Gruppe von Fasern. Diese kann man bis zum Genikulatum (Taf. V, Abb. 24 und Taf. IX, Abb. 1 bis 3 mit cf. bezeichnet) in die Gegend der großen Zellen verfolgen.

Daß sich pathologische Prozesse im N. opticus abspielen, ist schon aus der Verdickung der Septen zu erkennen, aber auffallend ist, daß um diese kein Faserausfall zu erkennen ist, sondern daß gerade dort, wo der Ausfall besteht (Fall II), die Septen nicht verdickt sind. Da die Kommissurenfasern, welche nicht zur Sehbahn gehören und im Chiasma bei Optikusatrophie (Fall V) erhalten bleiben, ferner da sich markhaltige Fasern im Traktus und N. opticus in einer speziellen Lage neben den komplett atrophischen Fasern vorfinden, muß man sagen, daß die Degeneration der betroffenen Fasern eine sekundäre ist. Das ist auch noch durch Fall II bewiesen, wo man die Kreuzung degenerierter Fasern im Chiasma verfolgen kann. Ferner macht die Degeneration nicht den Eindruck einer entzündlichen oder einer Pathie. Es wäre anzunehmen, daß die Markscheiden dem exsudativen Prozeß im N. opticus Widerstand leisten, daß aber an der Austrittstelle des N. opticus aus dem Bulbus, wo die Axone nicht so geschützt sind, die schädigende Wir- kung eher erfolgen kann. Fall I beweist, daß der tabische Prozeß das Genikulatum nicht direkt affiziert, denn wir haben in diesem Falle von Tabes ohne Optikusatrophie keine pathologischen Veränderungen im Geni- kulatum. Immerhin zeigt aber der Optikus in diesem Falle Zeichen eines pathologischen Prozesses. Ferner beweist Fall II, daß die Veränderungen im Corpus geniculatum gleichzeitig mit einer Atrophie im Optikus einher- gehen.

Man kann sagen, daß die tabische Optikusatrophie durch einen an der Austrittstelle des N. opticus vom Bulbus eingreifenden Prozeß bedingt ist, welcher eine aszendierende, sekundäre Degeneration der Optikus- und Traktus- fasern verursacht, also daß es sich um einen Prozeß handelt, welcher der Hinterwurzeldegeneration und der sich daranschließenden sekundären Hinter- strangsdegeneration im Rückenmark gleichzusetzen ist. Diese Degeneration ist von einer partiellen Atrophie des Corpus geniculatum externum be- gleitet, wobei die genikulo-kortikalen Fasern erhalten bleiben.

II. Die Bedeutung der pathologischen Veränderungen des Corpus geniculatum externum für die Kenntnis der Normalstruktur. Form.

Für eine Beschreibung der Formverhältnisse ist es zweckmäßig, eine Einteilung in Viertel vorzunehmen; denn wie man an den Abbildungen des

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 149

normalen Genikulatum (Taf. I bis IV) erkennt, ändert sich die Form in je- dem dieser Teile. Eine Beschreibung als Kartenherzform, wie das allgemein angenommen wird, würde im günstigsten Falle nur für die um die Mitte gelegenen Ebenen zutreffen. Selbst hier kann man aus Fall I ersehen, daß eher auch eine umgekehrte U-Form entstehen kann, welche durch einen tief einschneidenden Hilus zustande kommt.

Um die Form genauer zu beschreiben, müßte man folgendermaßen vor- gehen. Im ersten Viertel besteht eine ungefähr dreieckige Form mit unregel- mäßigen Rändern, welche gegen Ende dieses Viertels allmählich regel- mäßig werden. Gegen Anfang des zweiten Viertels nimmt der laterale Rand einen immer deutlicher werdenden S-förmigen Verlauf an, wodurch der latero-ventrale Winkel eine spornartige Form erhält und der dorsale Winkel allmählich zu einer Kuppe abgerundet wird. Der mediale Rand verläuft in sanftem Bogen. Eine ventrale Einbuchtung beeinträchtigt die Form des Genikulatum durch ihr variables Verhalten, so daß gegen Ende des zweiten Viertels mit der weniger einschneidenden Einbuchtung eine umgekehrte Kartenherzform und mit der tiefer einschneidenden Einbuchtung eine umge- kehrte U-Form entsteht, deren lateraler Schenkel im untersten Teil mit dem ventralen Rand einen spornartigen Fortsatz bildet. Das Genikulatum, welches im oralen Pol als eine kleine Gruppe von Zellen im Zentrum des Traktus beginnt, wird allmählich größer und erreicht seine größte Ausbreitung in der Mitte. Im dritten Viertel, mit der allmählichen Abnahme des medialen Teiles, entsteht eine füllhornähnliche Form, welche im vierten Viertel am deut- lichsten erscheint; allmählich kleiner werdend, endigt das Genikulatum in kaudaler Fortsetzung als eine kleine rundliche Gruppe von Zellen.

Die Ganglienzellen.

Da die kleinen Ganglienzellen bei der Optikusatrophie stärker betroffen sind als die übrigen, so wäre anzunehmen, daß sie der Einstrahlung näher stehen. Wenn es sich bei den im Traktus und N. opticus erhalten gebliebenen Fasern um zentrifugale Fasern handelt, dann wäre anzunehmen, daß die im oralen Viertel gelegenen großen Zellen diese Funktion haben, denn man kann diese Fasern (Taf. V, Abb. 24 und Taf. IX, Abb. 1 bis 3, mit cf. be- zeichnet) bis in die Gegend der großen Zellen verfolgen. Die übrigen Zellen der Pars magno-cellularis scheinen die Endstätte für die in der basalen Markplatte verlaufenden Fasern zu sein. Dies erscheint insofern wahrschein- lich, als die basale Markplatte vom dritten Viertel kaudalwärts in zwei La- mellen, von denen eine unterhalb der Lamina magno-cellularis superior und die andere unterhalb der Lamina magno-cellularis inferior, zu liegen kommt. Daß die Zellen der Pars medio-cellularis eine Endstätte für die einstrahlen- den Fasern bilden, ist allgemein angenommen, nur hat Brouwer (1928) in der letzten Zeit zeigen können, daß hier auch kortiko-fugale Fasern endigen.

Die Schichtung. Die von Minkowski vertretene Ansicht, daß die Schichtung der Pars medio-cellularis durch das Ineinandergreifen von zwei voneinander getrennten

150 Hans Deutsch Ph. B. M. D.

Schichten zustande kommt, läßt sich auf Grund der Beobachtungen in dieser Arbeit nicht feststellen. Hingegen gewinnt man den Eindruck, daß die Schichten durch einstrahlende Fasern abgespalten werden. Durch die ein- strahlenden Fasern schon deshalb, weil dort, im oralen Viertel, wo diese hauptsächlich ausgefallen sind, die sonst vorhandenen Anzeichen einer Schichtenbildung fehlen. Es sei auch noch zu bemerken, daß Környey gezeigt hat, daß die einstrahlenden Fasern bereits angelegt sind, wenn von den ausstrahlenden Fasern noch keine Rede ist. Die ausstrahlenden Fasern müssen aber auch eine gewisse Rolle spielen, denn wir sehen in der kaudalen Hälfte, wo diese am zahlreichsten vorhanden sind, die Schichtung auch bei einem kompletten Ausfall der einstrahlenden Fasern gut erhalten (Taf. III, Abb. 16 u. 18). Daß die Schichten an sich voneinander nicht getrennt sind, ist schon aus der Tatsache ersichtlich, daß sie oral eine kompakte Masse bilden. Man kann die allmähliche Zerteilung dieser Masse verfolgen. Be- trachtet man Taf. II, Abb. 11, so erkennt man, daß die intermediäre Schicht, welche weiter kaudal zur oberen intermediären Schichte wird, noch nicht sehr deutlich abgetrennt ist. Auf Taf. II, Abb. 13, sieht man dann die obere intermediäre Schichte deutlich abgetrennt und die untere intermediäre am Beginn ihrer Entwicklung. Ferner sei noch zu bemerken, daß alle Schichten eine Verbindung mit der peripheren Schichte in einer oder der anderen Ebene des Genikulatums zeigen. Die Schichtenbildung erfolgt nicht immer in derselben Weise. Sie kann auch durch Lamellen, welche sich vom Hilus aus entwickeln, beeinflußt werden, so daß die Spaltung nicht nur vom medialen und lateralen Rande her erfolgt, sondern daß auch im Innern des Genikulatums Zellgruppen abgespalten werden (Fall I). Fall II zeigt wieder eine andere Art der Schichtenbildung. In allen Fällen ist sie aber immer von der Art der Einstrahlung, wenigstens was die orale Hälfte anbelangt, abhängig.

Von der Pars magno-cellularis kann man kaum, wie Minkowski angibt, als einem ventralen Kranz sprechen. Hingegen zeigt sich an Quer- schnitten im ersten Viertel medio-ventral eine kleine Gruppe von Zellen, die sich kaudalwärts mehr und mehr entlang des ventralen Randes ausbreitet und im zweiten Viertel eine kleine Gruppe von Zellen, die medio-ventral gelegen, sich mehr und mehr entlang des ventralen Randes kaudalwärts ausbreitet und zuerst eine Schichte bildet. Am Ende des zweiten Viertels entwickelt sich die zweite Schichte, zuerst in der Gegend des Hilus und dann kaudalwärts allmählich weiter medial und lateral reichend. Im dritten Viertel erreicht die Pars magno-cellularis ihre größte Entwicklung, so daß man eine Lamina magno-cellularis superior und inferior unterscheiden kann. Die Lamina magno- cellularis superior ragt an manchen Stellen in die ventrale Schichte der Pars medio-cellularis und man findet sogar große Zellen stellenweise im Innern der Pars medio-cellularis. Im Fall I findet sich die Lamina magno-cellularis superior an einer Stelle des dritten Viertels bogenförmig bis zur Peripherie des medialen Randes reichend die ventrale und periphere Schichte durch- brechend. Im dritten Viertel verhält sich die Pars magno-cellularis in ganz

Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum usw. 151

variabler Weise. Sie zeigt medial eine Verdickung, welche (wie im Fall IV) die mediale Hälfte des Genikulatum einnehmen kann. Im letzten Viertel ist die Pars magno-cellularis nicht nur ventral, sondern sie erstreckt sich auch entlang des medialen Randes bis zur Höhe des obersten Randes der Pars medio-cellularis. Daß die Lamina magno-cellularis erst im dritten Viertel zur Entwicklung kommt, steht im Einklange mit der Teilung der in der basalen Markplatte verlaufenden einstrahlenden Fasern, welche in dieser Ebene in zwei Lamellen geteilt werden, so daß eine unterhalb der Lamina magno-cellularis inferior und die andere zwischen den zwei Schichten der Pars magno-cellularis verläuft.

Die Einstrahlung.

Aus den Vergleichspräparaten (Taf. V und VI) und an der Serie auf Taf. IX ist es leicht zu ersehen, daß im ersten Viertel die Markkapsel zum größten Teil aus einstrahlenden Fasern besteht und daß die ein- strahlenden Fasern von den ausstrahlenden dorsal allmählich ersetzt werden. Im zweiten Viertel finden wir dann die dorsale Markkapsel zum größten Teil von ausstrahlenden Fasern gebildet, während in den unteren Partien der dorsalen Markkapsel lateral und medial und in der basalen Markplatte zum größten Teil einstrahlende Fasern zu finden sind. In der Mitte (Taf. VII, Abb. 27 u. 28) finden sich einstrahlende Fasern nur mehr in der basalen Markplatte. Diese erscheint im letzten Viertel in zwei Lamellen geteilt, eine unterhalb der Lamina magno-cellularis und die andere zwischen der Lamina magno-cellularis superior und inferior, welche sich nun medial hinauf erstrecken. Die quergetroffenen Faserbündel (Taf. V, Abb. 23 und Taf. VI, Abb. 25) und die Zerklüftung der Ränder (Taf. I, Abb.? u. 9), Eigenschaften, welche im atrophischen Genikulatum fehlen, also folglich durch die einstrah- lenden Fasern hervorgerufen sind, geben Aufschluß über die Art der Einstrah- lung. Dies ist auch ersichtlich aus der Beschaffenheit der Lamellen, welche in der oralen Hälfte des Genikulatums viel dünner erscheinen als in der kaudalen Hälfte (Taf. VII, Abb. 28), daß ferner in der oralen Hälfte der größte Anteil von einstrahlenden Fasern gebildet wird und sich diese an allen Lamellen beteiligen. An Taf. X, Abb. 1 ist zu erkennen, daß die basalsten Fasern bis zum kaudalen Pol reichen.

Die Einstrahlung in das Genikulatum wäre also folgendermaßen anzu- nehmen. Der größte Teil der Einstrahlung erfolgt im ersten Viertel, und zwar zuerst die zentral im Traktus gelegenen Fasern, direkt in den oralen Pol des Genikulatum, in bündelartiger Weise sich allmählich in Lamellen an- ordnend. Die in der dorsalen Markkapsel gelegenen Fasern dringen am Rande des allmählich größer werdenden Genikulatum ein, mit welchem sie in Berührung kommen. Im zweiten Viertel erfolgt die Einstrahlung der dorsalen Markkapsel nur noch am unteren Teil des medialen und lateralen Randes und im lateralen Sporn. Die in der basalen Markplatte gelegenen Fasern dringen teilweise durch den Hilus ein und die noch übrigbleibenden Fasern erfahren im dritten Viertel des Genikulatums eine Teilung in zwei

152

Hans Deutsch Ph. B. M. D.

Lamellen, welche die Lamina magno-cellularis inferior zwischen sich ein- schlieBen und sich mit dieser entlang des ventralen und medialen Randes erstrecken.

1883

1893 1897 1898 1904 1905

1910 1911

1913

1913

1913

1914 1926 1926 1926 1926

1927

1928

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Untersuchungen über das Vorkommen von Spirochaeten und „minute bodies“ bei der multiplen Sklerose.

Von

R. Nishii, Tokio (Japan).

In weiterer Verfolgung meiner Untersuchungen über das Vorkommen von azidophilen Zelleinschlüssen, die von den verschiedenen Autoren be- schrieben, von mir bei der Encephalitis lethargica nachgewiesen wurden, habe ich nun versucht, ein Ähnliches auch bei der multiplen Sklerose durch- zuführen. Gleichzeitig damit aufmerksam gemacht durch die Steiner- schen Befunde von Spirochäten bei dieser Erkrankung, die mir eindeutig genug erschienen, um eine Nachprüfung vorzunehmen habe ich sowohl nach der Methode Steiners, als auch nach der von Jahnel versucht, die Spirochäte bei der multiplen Sklerose nachzuweisen.

Ich habe mich dabei auch strikte an die Forderung Steiners gehalten, der bekanntlich die These aufstellte, daß man in der Nähe des Ventrikel- Ependyms, und zwar nicht in den Herden selbst, sondern in den gesunden Partien am ehesten Spirochäten findet. In meinen Präparaten habe ich trotz aller Bemühungen nicht ein einziges Mal einwandfrei eine Spirochäte nachweisen können, trotzdem es sich um Fälle handelte, die noch florid waren. Dagegen fanden sich die auch von Steiner beschriebenen Silber- niederschläge, die ich jedoch nicht geneigt bin, in irgend einer Weise auf eventuelle zerfallende Spirochäten zu beziehen. Ferner zeigten sich an ein- zelnen Schnitten Gebilde, die man bei oberflächlicher Betrachtung wohl als Spirochäte hätte bezeichnen können. Bei genauerer Untersuchung mit der Immersion erwiesen sich diese Gebilde aber durchgängig als Achsen- zylinderfragmente. Stellenweise sah man wohl spirochätenartige Formen, die sich bei stärkerer Vergrößerung aber als aus kleinsten Granulis zu- sammengesetzt erwiesen. Bei den Mängeln, welche der Technik der Spiro- chätenfärbung noch immer anhaftet, erscheint es begreiflich, daß an dem kleinen Material von vier Fällen die Ungunst der Verhältnisse eine Färbung der Spirochäte nicht möglich gemacht hat. Allein es stehen diese Versuche der Spirochätendarstellung im vollen Einklang mit solchen, die bereits früher im neurologischen Institut vorgenommen wurden, so daß man der An- nahme, die multiple Sklerose sei eine Spirochätose, noch immer mit einer gewissen Skepsis begegnen muß. Unzweifelhaft ist das, was Steiner ab- bildet, Spirochäte. Aber, wie schon Marburg in der Diskussion zu Steiners

154 R. Nishii.

Vortrag in Hamburg (Naturforscherversammlung) bemerkte, wäre es nicht unmöglich, daß es sich in diesen Fällen um eine Komplikation mit Lues handelt, was erwiesenermaßen bei der multiplen Sklerose vorkommt.

Was nun die azidophilen Zelleinschlüsse anlangt, so kann ich darüber folgendes aussagen:

I. Fall (Nr. 4132).

Nisslfärbung, Präparat aus dem Rückenmark, einem Gebiet, in welchem Hinter- und Seitenstrang sklerotisch sind, der Vorderstrang aber frei ist.

Die Zellen verhalten sich verschieden. Zum Teil sind sie lipochromatös dege- neriert, zum Teil geschwollen, kaum eine geschrumpft. Es fällt auf, daß diese Zellen auffällig lange Fortsätze haben, die sehr wesentlich geschwollen sind und sich weit ins Gewebe hinein verfolgen lassen. Ein eigentümliches Verhalten zeigen die Tigroide. Sie sind keineswegs so angeordnet, wie das in den normalen Zellen des Vorderhorns der Fall ist, sondern klumpig und verschieden groß, lassen stellen- weise die Zelle leer, stellenweise sind sie in Häufchen aneinandergelegt. Am auf- fälligsten erscheint aber, daß ein Teil die Tendenz zu haben scheint, über die Ober- fläche hinaus zu wandern, so daß die Oberfläche einzelner Zellen so wie von End- knöpfen von solchen ausgewanderten Tigroiden besetzt ist. In einer einzigen Zelle fand sich ein Gebilde mehr der Peripherie der Zelle genähert, kreisrund, das im Zentrum eine rundliche Scholle zeigte, die von einem hellen Hof umgeben war.

Heidenhainpräparate zeigen Ähnliches wie die Nisslpriparate. Man kann jedoch hier eher rundliche Granula, die nicht den Tigroiden angehören, im Zell- innern sehen. Auch an der Oberfläche der Zellen befinden sich siderophile Granu- lationen, die äußerst fein sind und sicherlich den Endknöpfen entsprechen. Sie haben nichts zu tun mit dem die Oberfläche ausbuchtenden Tigroid. Mit der Immer- sion kann man dann in einer ganzen Reihe von Zellen unendlich feine siderophile Granula erkennen, die absolut nicht im Gebiete des deutlich abgrenzbaren Zell- pigmentes zu sehen sind.

Ein anderes Segment des gleichen Falles:

In nach Mann gefärbten Präparaten kann man allerdings sehr undeutlich azido- phile Granula wahrnehmen, die zum Teil auch von hellem Hof umgeben sind.

Nisslpräparate zeigen Ähnliches wie im erstbeschriebenen Segment.

Heidenhainpräparate lassen wiederum an der dem Pigment abgekehrten Seite feinste siderophile Granula erkennen. Die besten Einblicke in die feinere Struktur geben Zellen der Hirnrinde. An einzelnen, besonders den größeren Exemplaren, sieht man bei Mannscher Färbung, daß die großen Zellen dicht erfüllt sind von feinsten azidophilen Granulis, die gleichmäßig in ein Netz eingelagert sind, und auf diese Weise den Eindruck erwecken, als seien sie von einem Hof umgeben. Kein Teil der Zellen, ausgenommen der Kern, ist von diesen Körperchen frei. In einzelnen Zellen erscheinen diese Netzbalken etwas gröber, rundlich, so als ob die Balken aus mehreren zusammengesintert wären und im Innern sieht man die Körnchen. Nicht in allen Zellen ist dieses Bild gleich deutlich. Es ist selbstverstindlich, daß nur mittels Immersion und hohen Okularen ein voller Einblick in diese Strukturen zu gewinnen ist. Vom Pigment lassen sich diese Granula leicht differenzieren, da sie wesentlich kleiner sind als die Pigmentkörnchen.

Auch im Heidenhainpräparat dieser Gegend kann man an einzelnen Zellen die eben geschilderte Granulation in der gleichen Form wahrnehmen. Daneben aber sieht man Veränderungen im Kernchromatin, indem der Nucleolus aus seiner Medianstellung wandert und sich an der Peripherie des Kerns anlegt. An einzelnen Zellen läßt sich nun zeigen, daß ein dem Nucleolus vollständig gleichendes Gebilde außerhalb des Kerns in einem hellen Hof gelegen ist. Es ist immerhin auffällig, daß die Nucleoluswanderung zur Peripherie in diesen Zellen sehr häufig vorkommt und es

Untersuchungen iiber das Vorkommen von Spirochaeten usw. 155

ist wohl möglich, daß die eigenartigen Gebilde außerhalb des Kerns einem solchen ausgetretenen Nucleolus entsprechen.

II. Fall (Nr. 4170).

Im Nisslpräparat zeigen sich in den Vorderhornzellen verschiedene Stadien der Degeneration, besonders axonale. Während die Präparate nach Mann die feinen Granulationen infolge Schrumpfung nicht erkennen lassen, zeigen sich in Heiden- hainschen Präparaten an den Vorderhornzellen deutlich feinste siderophile Granulis Während im Rückenmark vielleicht infolge technischer Mängel sich die Verhältnisse nicht überblicken lassen, zeigt die Hirnrinde deutlich, wie in dem ersten Falle, bei der Mannschen Färbung feinste azidophile Granula in einem Netzwerk. Man kann sehen, daß diese azidophilen Granula mit der Heidenhainschen Färbung Eisen- reaktion geben. Ferner zeigen sich hier, genau so wie im ersten Falle, Veränderungen im Kernchromatin. Man sieht viel gröbere Brocken neben dem Nucleolus, der seiner- seits ziemlich vergrößert ist. Man sieht auch eine Wanderung dieses letzteren an die Peripherie. Aber ein Austritt des Kernkörperchens selbst kann man nicht wahr- nehmen. Auch scheint das Chromatingerüst in der Mehrzahl der Kerne die normale Struktur aufzuweisen.

IH. Fall (Nr. 4174).

Hier erweist sich das Rückenmark etwas besser gefärbt als in den früheren Fällen. An einzelnen Zellen, nicht in allen, kann man nun sehen, daß neben dem Pigment, das einen großen Raum der Zelle einnimmt, aber ganz charakteristisch ge legen ist, in dem vom Pigment abgewendeten Teil ein Netzwerk hervortritt (Mannsche Färbung), mit eingestreuten feinsten azidophilen Körnchen. Stellenweise sind die Netzbalken kreisrund, so daß die feinsten Körnchen wie von einem lichten Hof umgeben sind. Die Gefahr, Pigment mit diesen Körnchen zu verwechseln, ist leicht zu umgehen, da das Pigment viel gröbere Schollen hat, viel dichter aneinander liegt und bei der angewendeten Mannschen Färbung einen gelblichen Farbton zeigt. Die Kontrolle durch Heidenhainpräparate ergibt allerdings nur an einzelnen gelungenen Zellfärbungen feinste Granula, die siderophil sind. Auffallend ist wiederum die be- sondere Größe des Nucleolus, die Reichhaltigkeit an Kernchromatin und die Schwel- lung der Dendriten. Auch im Halsmark lassen sich nun in einigen Zellen, trotz nicht besonders gelungener Färbung, die im Lendenmark nachgewiesenen Strukturen zeigen. Dagegen ist im Heidenhainpräparat der Nachweis der siderophilen Körnchen viel leichter. Auch hier sind die größeren Rindenzellen viel besser gefärbt als die Zellen des Rückenmarks, trotzdem wir uns auch hier in der Nähe eines Herdes befinden. Man kann auch hier die azidophilen Körnchen neben dem Pigment deutlich nach- weisen. Sie liegen wiederum in einem netzigen Gewebe mit zum Teil runden Maschen. Auch die azidophilen Körnchen zeigen sich in manchen Zellen.

IV. Fall (Nr. 4178).

Wenn die früheren Fälle noch einen Zweifel über das Vorkommen der ge nannten feinsten azidophilen und siderophilen Granula aufkommen lassen würden, so wird dieser durch den vierten Fall hinfällig gemacht. Man sieht deutlich sowohl bei der Mannschen Färbung als auch bei der Färbung nach Heidenhain azidophile bzw. siderophile Granula in der geschilderten Weise im Zellkörper. Der Fall ist dadurch charakterisiert, daß in ihm auffallend viel akute Störungen vorhanden sind. Es treten in dem Maschenwerk der Glia des Seiten- und Hinterstranges jene eigen- tümlichen, mit Haemalaun tief dunkelblau gefärbten Körnchen auf, die zum Teil im Mannschen Präparat einen azidophilen zentralen Kern erkennen lassen. Im Heidenhainpräparat sind diese Körnchen kaum gefärbt, sehr blaB. Es handelt sich offenbar um Niederschlagsbildungen (Pseudokalk). Zum Unterschiede davon ist hier die Hirnrinde weniger gut gefärbt. Einzelne Zellen jedoch lassen auch hier die feinen Granulationen in typischer Form erkennen. Heidenhainpräparate haben versagt.

156 R. Nishii.

Wenn ich kurz resumierend über die Befunde in den Ganglienzellen bei multipler Sklerose berichte, soweit die in ihnen vorkommenden Granu- lationen in Frage kommen, so zeigt sich, daB hier ein analoges Verhalten vorliegt, wie bei der Encephalitis lethargica. An gelungenen Präparaten kann man neben dem Pigment, das sich deutlich durch seine gröberen Schollen, dichtere Aneinanderlegung und im Mannschen Präparat auch durch den gelblichen Farbton unterscheidet, feinste, mit den stärksten Luft- linsen eben noch erkennbar, mit der Immersion deutlich sichtbare, rund- liche Körperchen nachweisen. Diese sind azidophil und siderophil. Sie lassen meist erkennen, daß sie in ein Maschenwerk eingelagert sind, das rundliche Netzbalken hat, so daß es den Anschein erweckt, als wären die Granula von einem hellen Hof umgeben. Sie sind gleichsam wie ein nor- maler Bestandteil in den Zellen, d. h. sie finden sich im Rückenmark in den verschiedenen Ebenen, ebenso wie in der Hirnrinde. Sie unterscheiden sich in nichts von dem was man als „minute bodies“ bezeichnet. Auf- fällig ist ferner, daß in der Mehrzahl der Zellen die Kerne insoferne eine gewisse Änderung aufweisen, als sie eine Anreicherung des Kernchromatins zeigen, darin bestehend, daß die größeren Schollen in dem Chromatingerüst dicker sind als normal und daß auch das Kernkörperchen größer ist als es der Norm entspricht. Man kann weiters sehen, daß das Kernkörperchen mitunter an den Rand des Kerns gerückt ist, ja daß es in einzelnen Fällen aus dem sonst völlig intakten Kern ausgewandert erscheint und wie von einem hellen Hof umgeben ist. Es ist sehr fraglich, ob man es hier mit einem Artefakt oder einer Wanderung des Kernkörperchens zu tun hat. Eines ist sicher: Solche Gebilde machen den Eindruck einer Einlagerung in das Zellplasma und erwecken mitunter den Gedanken, als wenn es sich um etwas Ähnliches wie die Negrischen Körperchen handeln würde.

Auswanderung von Kernchromatin aber ist sonst nicht nachzuweisen und es wäre demzufolge nicht anzunehmen, daß die geschilderten Granula dem Kernchromatin entsprechen. Dagegen spricht allein die Azidophilie.

Nur eines möchte ich von vomherein behaupten, daß wir es hier nicht etwa mit korpuskulären Elementen zu tun haben, die als die Träger der Infektion zu gelten hätten; vielmehr liegt der Gedanke, daß sich bei diesen Methoden die Altmannschen Granula mitfärben, die nur gerade bei der genannten Methodik ‘infolge der eigentümlichen Ausfällung des Plasmas in ein Netzwerk zu liegen kommen, das den Eindruck eines hellen Hofes um jedes dieser Granula hervorruft.

Es haben deshalb die vorliegenden Untersuchungen auch für die mul- tiple Sklerose nicht den Nachweis bringen können, daß durch die ange- wendeten Methoden irgendein infektiöses Agens das für das Zustandekommen der Krankheit maßgebend wäre, zu erweisen ist.

Literatur:

Marburg O., Naturforscherversammlung 1928 (Hamburg).

Nishii R., Arbeiten aus dem Neurologischen Institute an der Wiener Universität 1929 (gleiches Heft).

Steiner G., Untersuchungen zur Pathogenese der multiplen Sklerose. Zentralbl. f. d. ges. Neurol. u. Psych., Bd. 47, S. 701 bis 704.

Derselbe, Spirochäten im menschlichen Gehirn bei multipler Sklerose. Der Nerven- arzt. I. Jahrg., H. 8, S. 457 bis 469, 15. Aug. 1928.

Zur Pathologie der Dystrophia musculorum progressiva. (Riickenmarkbefunde.)

Von

Dr. Johannes M. Nielsen (Battle Creek Mich.) U.S.A.

G. A. Mann, 21 Jahre alt.

Schon in seiner frühesten Kindheit war der Gang wackelig, unsicher. Es trat dann eine Verkühlung auf, nach der er schlaff gelähmt wurde. Es wurde dann eine Arthrodese vorgenommen, ohne daß es gelang, ihn auch mil dem Apparat zum Gehen zu bringen. Er rutschte auf den Knien, um sich fortzubewegen. Eigentlich begann die Krankheit schon im 3. Lebensjahr, wie sich nachträglich feststellen ließ. Eine genaue Unter- suchung ergab eine vollständig intakte Sensibilität, die Motilität der unteren Extremität bis auf geringe Bewegungen im Hüftgelenk vollständig verloren gegangen. Die Bewegungen der oberen Extremität sehr wesentlich einge- geschränkt, zumal eine Flexionskontraktur besteht; keinerlei fibrilläre Zuckungen. Das Aufsitzen ohne fremde Hilfe unmöglich. Die Beine sind in Streckkontraktur. Allerdings darf man nicht vergessen, daß hier durch den operativen Eingriff Knie- und Sprunggelenke ankylosiert waren. Kleine Bewegungen in den Zehen. Durch Palpation war kaum ein Muskelbauch nachzuweisen, dagegen war der Umfang der Extremität eher größer als der Norm entsprechend infolge von Fettgewebswucherung. Die Gliedmaßen waren haltlos, wackelten herum, ebenso der Kopf. Die Schultern waren vollständig schlaff. Die elektrische Erregbarkeit war nur quantitativ, nicht qualitativ geändert. Der Patient ging an einer Pneumonie_ inter- kurrent zugrunde. Die Diagnose lautete: Dystrophia musculorum progressiva, Pseudohypertrophie und Hydrocephalus.

Der Obduktionsbefund zeigte ganz besondere Veränderungen: Der Thorax auffallend weit; die Rippenknorpel und Thorax nur mit der Säge zu öffnen. Die Brustmuskulatur ganz geschwunden und an ihrer Stelle eine dünne Fetischichte. Die Interkostalmuskulatur und das Zwerchfell makroskopisch noch gut erhalten, erstere jedoch rötlichgelb. Das Abdomen stark aufge- trieben und weit über Thoraxniveau. Die Bauchmuskulatur vollkommen geschwunden und durch Fettersatz pseudohypertrophisch. Das Volumen der unteren Extremitäten annähernd normal. Die Hüftgelenke frei beweglich, die Knie- und Sprunggelenke fixiert, letztere in Spitzfußstellung. DieExtremi- tätmuskulatur völlig durch Fett ersetzt, die Knochen hochgradig atrophisch

Zur Pathologie der Distrophia musculorum progressiva 159

und das Knochenmark sowohl in den langen Röhrenknochen wie in den kleinen des Fußes Fettmark. Die kleinen Fußwurzelknochen infolge hoch- gradiger Porose beinahe mit dem Messer schneidbar. Das rechte Kniegelenk fibrös ankylotisch, der Knorpel teilweise erhalten, zum Teil auffallend dünn und den Gelenkskörper bläulich durchschimmern lassend; zum Teil ziehen von einem Gelenkskörper zum anderen bindegewebige Adhäsionen. Die Knorpel hochgradig geschrumpft. Die Gelenke der oberen Extremität frei, nur das rechte Ellbogengelenk in seiner Exkursion leicht eingeschränkt.

Schwere eitrige Bronchitis und kleine lobulär-pneumonische Herde im rechten Unterlappen und auch im linken. Partielle bindegewebige Anwachsung der rechten Lunge. Parenchymatöse Degeneration des Herzmuskels, der Leber und der Nieren. Die Aorta zart. Cholelithiasis. Das Gehirn hyper- ämisch, das Rückenmark ödematös, aber sonst ohne Veränderungen.

Es war nun nicht ohne Interesse, das Rückenmärk dieses Falles zu untersuchen, um festzustellen, ob diesem schweren Muskelschwund irgend- eine anatomische Veränderung im Rückenmark entspricht.

Beim ersten Anblick zeigte sich in der Halsanschwellung ein verhältnis- mäßig nicht auffälliger Schwund der Ganglienzellen. Wenn man aber die einzelnen Ganglienzellen betrachtet, so zeigt sich eine auffallende Schrumpfung bei erhaltenen Tigroiden, vollständige Pyknose und geschlän- gelte Dendriten. Andere Zellen daneben zeigen bereits vollständige Atrophie, wie es dem höchsten Senium zukommt.

Die zweite Gruppe der Veränderungen ist eine lipodystrophische, indem z. B. die Zelle vollständig mit Lipofuscin erfüllt ist. Die Glia ist reaktiv sehr wenig verändert. Auffällig ist die Intaktheit der Stillingschen Zervikalkerne und auch die Hinterhornzellen zeigen eigentlich nichts von einer hochgradigen Atrophie.

Im Heidenhainpräparat sind die Markscheiden der Stränge verhältnis- mäßig gut erhalten. Man sieht ganz deutlich, daß im Vorderhorn ein großer Schwund der Markscheiden statt hat, was sich auch auf die austretenden Wurzeln bezieht.

Ein Bielschowskypräparat zeigt allerdings in den Vorderhörnen etwas mehr Axone als es dem Heidenhainpräparat entspricht. Aber sie sind auffallend dünn. Die Ganglienzellen zeigen keine Fibrillen. An anderen Schnitten wieder sieht man deutlich Quellungen in den Axonen des Vor- derhornes.

An Übersichtspräparaten sieht man die Meningen ein wenig verbreitert, eine Spur diffuses Ödem besonders in der Pheripherie, die Gefäße auffallend verdickt, die Wände homogen. Pseudokalk im Gewebe.

Besser erhalten erscheint das Dorsalmark. Allerdings kann man auch hier im Vorderhorn zahlreiche Zellen sehen, die den typischen Charakter der senil atrophischen zeigen, aber es sind auch Zellen vorhanden, die normal entwickelt erscheinen. Auffallend ist die Intaktheit des Zwischen- stücks des Seitenhorns und der beginnenden Clarckeschen Zellen. Auch

160 Dr. Johannes M. Nielsen.

hier zeigen die Gefäße schwere senile Veränderungen. Ebenso zeigt sich auch hier ein leichtes Ödem.

Auch die Mitte des Brustmarks zeigt verhältnismäßig mehr intakte Ganglienzellen als das Zervikalmark. Aber man kann auch hier den Charakter des Prozesses erkennen. Es zeigt sich in diesem Präparat eine Erweiterung besonders der Venen, die über das Normalmaß einer einfachen Stauung hinausgeht. In den unteren Partien des Rückenmarkes (D 12) ist die Lipodystrophie vorherrschend. Hier sieht man auch Schlängelungen der Dendriten, aber auch der Achsenzylinder. Auffallend ist die absolute Intakt- heit der Clarckeschen Säule, die höchstens eine Vermehrung des Lipoids erkennen läßt. Auffallend ist auch die Intaktheit der Seitenhornzellen, während im Hinterhorn auch atrophische Zellen zu finden sind mit ge- schlängelten Dendriten.

Da die untere Extremität am stärksten betroffen ist, ist natürlich das Lendenmark von größter Bedeutung. Hier ist der Ausfall an Zellen am stärksten und sofort in die Augen fallend. Wir sehen die medialen Zellen fast ganz geschwunden, lateral vorn ebenfalls einen starken Zellenschwund, nur die zentralen Zellen zeigen sich etwas besser erhalten und auch die lateralen dorsalen sind wahrzunehmen. Die erhaltenen Zellen zeigen entweder ein verhältnismäßig normales Aussehen oder aber schwere Lipodystrophie, Veränderungen, wie wir sie an den oberen Partien gefunden haben: Schrumpfung, Schlängelung der Dendriten, Verdickung der Dendriten wird hier eigentlich vermißt. Das Wesentlichste ist der Zellschwund. Auffällig ist nur die Beschränkung auf das Vorderhorn, während das Hinterhorn verhält- nismäßig normale Zellen aufweist. Hier ist die Pia etwas verbreitert, die Gefäßwände typisch senil verändert; wiederum deutlich venöse Stauung, vielleicht auch eine leichte Verkleinerung der Vorderhörner. Im Seiten- strang zahlreiche Niederschläge von Pseudokalk. Das Bielschowskypräparat zeigt nichts, was nicht schon im Halsmark zu sehen gewesen wäre.

Wenn wir also zusammenfassen, so zeigen sich bei diesem 28 jährigen Menschen sowohl am Skelett, besonders aber im Rückenmark die Zeichen einer schweren Seneszenz. Sie kommt zum Ausdruck in einer Sklerose der Gefäße, einer Lypodystrophie der Ganglienzellen von verschiedener Inten- sität bis zum Schwund von Ganglienzellen und schließlich einer eigenartigen Atrophie der Ganglienzellen, Verkleinerung, Schrumpfung, Schlängelung der Dendriten, eventuell auch Schwellung dieser, alles Zeichen, die dem Senium eigen sind. Es ist auffällig, wieviele intakten Zellen noch vorhanden sind. Aber da man den Überschuß an Zellen für die einzelnen Muskelgruppen zur Genüge kennt, so darf einem das nicht Wunder nehmen.

Eine andere Frage jedoch ist die,ob wir den Zellschwund und die Zell- veränderung als Ursache der Dystrophie hinstellen können oder nicht.

In seinem fundamentalen Buch über die Histopathologie des Nerven- systems beschreibt Spielmeyer ausführlich einen Fall von spinaler Muskel- atrophie und führt wörtlich an: „Bei solchen fortschreitenden Degenerati- onen bestimmter Grisea begegnen wir den verschiedenen im Kapitel über

Zur Pathologie der Distrophia musculorum progressiva. 161

die Pathologie der Ganglienzellen erwähnten Zelltypen, am häufigsten der einfachen Schrumpfung und der Pigmentatrophie, nicht selten beide zusam- men im gleichen Element.“

Dieser Satz könnte ebenso für den vorliegenden Fall Geltung haben, obwohl es sich hier ohne jeden Zweifel um eine echte Muskeldystrophie handelt vom Typus einer Pseudohypertrophie und nicht einer spinalen Muskelatrophie. Auch hier fehlt wie z. B. in dem Falle von Silberberg, jede akute Degeneration der Nervenfasern. Allerdings ist die Schrumpfung der grauen Massen keine sehr intensive. Auch die Gliaverdichtung ist nicht besonders mächtig, obwohl unverkennbar.

Ich will nicht die gesamte Literatur über diesen Gegenstand anführen, da mir der Fall als Fundament für eine Auseinandersetzung über diesen Gegenstand nicht gelten kann. Aber eines kann man erwähnen, Es handelt sich auch bei den Ganglienzellen um einen schweren dystrophischen Vorgang, einen Vorgang, der schließlich auch die Knochen ergriffen hat und der auch in den Gefäßen ein gewisses Korrelat fand, die dem 28 Jahre alten Individuum nicht entsprechende schwere Veränderungen aufweisen. Wir werden alle diese Tatsachen nur registrieren und bis zu einem gewissen Grade, ähnlich wie das ja auch Silberberg getan hat, die pathologischen Befunde der verschiedenen Muskelatrophien einander nahe bringen. Ein Anderes ist es, ob die Dystrophie Folge dieses spinalen Prozesses ist oder ob der spinale Prozeß sekündär als Folge der Muskelveränderung anzusehen ist oder aber ob die beiden Prozesse, der spinale und der muskuläre, nicht Folge einer gemeinsamen Noxe einander koordiniert sind.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd. 11

Literatur:

1. Silberberg, Martin: Ober die pathologische Anatomie der Myatonia congenita und die Muskeldystrophien im allgemeinen. (Path. Inst. Univ. Breslau.) Virchows Arch. f. path. Anat. u. Physiol. Bd. 242, H. 1/2, S. 42—57, 1923.

2. Silberberg. Martin: Die anatomischen Grundlagen der neuromyopathischen Erkrankungen. Idem. Bd. 247, H. 3, S. 496—519, 1924.

3. Spielmeyer, W.: Histopathologie des Nervensystems. Bd. 1, Abschnitt 2. S. 282, 1922. (Arbeiten aus der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. Bd. 6, S. 282, 1922.)

Zur Kenntnis der senilen multiplen Sklerose.

Von Dr. Ken Taga, Fukuoka (Japan). Mit 8 Abbildungen.

Die Fälle, in denen die multiple Sklerose erst im vorgeschrittenen Senium Erscheinungen macht, sind so selten, daß die Beschreibung einer solchen Beobachtung gerechtfertigt erscheint.

Frau W. F., 74 Jahre alt, hat als Kind Masern überstanden und Varizellen. Sie hatte nur eine normale Geburt, war immer eine gesunde Frau, nur im Alter von 25 Jahren mußte sie einmal wegen neuralgischer Schmerzen das Spital aufsuchen.

Ungefähr 9 Jahre vor ihrem Tode traten bei der Patientin Schwäche- zustände der unteren Extremitäten auf. Bald hatte sie Schmerzen in der rechten, bald in der linken Hüfte, die in den Oberschenkel ausstrahlten. Die Beschwerden des schlechten Gehens nahmen sichtlich zu. 5 Jahre nachdem sie begonnen hatten, also am 27. Mai 1926, konnte sie das Zimmer nicht mehr verlassen. Sonst gibt sie gar keine wie immer gearteten Beschwerden an.

Bei der Aufnahme zeigte sich eigentlich nur eine leichte Ataxie deı oberen Extremitäten, Fehlen der Bauchdeckenreflexe, vollständige spastische Lähmung der unteren Extremitäten mit schlaffer atrophischer Muskulatur, Fuß- und Patellarklonus, beiderseitiger Babinski, links auch Oppenheim und Rossolimo. In den Zehengelenken links ist die Tiefensensibilität gestört. Außerdem besteht ein handtellergroßer Dekubitus in der Sakralgegend. Zeit- weise Urininkontinenz.

Erst am 8. Juli 1926 tritt leichter Nystagmus rechts, weniger nach links beim Blick nach der Seite auf. Es tritt Fieber ein und die Patientin geht an einer Lungenentzündung zugrunde.

Es ist noch nachzutragen, daß die Blut- und Liquoruntersuchung voll- ständig negativ ausfiel, ebenso die Wirbelsäulenuntersuchung.

Man hat klinisch eine Myelomalazie und Sepsis infolge des Dekubitus angenommen.

Der Obduktionsbefund ergibt ganz vereinzelte Herde multipler Sklerose im Großhirn, u. zw. ausschließlich in der weißen Substanz, keine am Ependym und keine subkortikal. Eitrige aszendierende Leptomeningitis bei verjauchtem Dekubitus sacralis und handtellergroßer Dekubitus in der Gegend des Trochanter major rechts. Multiple Sklerose des Rückenmarks mit ausge-

11*

164 Dr. Ken Taga.

dehnten Herden im ganzen Verlauf des Riickenmarks mit Bevorzugung der zentralen Teile. Das Gehirn ist makroskopisch ohne Veränderungen. Hoch- gradiges seniles Lungenemphysem, chronische Bronchitis. Lipomatosis cordis, parenchymatöse Degeneration des Herzmuskels, der Leber und Nieren. Chole- lithiasis mit solitérem Stein. Eitrige Cystitis, Uterus myomatosus, akuter Milztumor.

Wenn wir das klinische Bild überblicken, so handelt es sich hier um einen Fall, der absolut nicht den Eindruck der multiplen Sklerose machte. 9—10 Jahre vor dem Tode begannen bei der vorher gesunden Frau unter leichten Hüftschmerzen Schwäche der Beine, die sich allmählich steigerten und nach den Reflexen spastischen Charakter verrieten. Eine Cystitis weist darauf hin, daß auch Blasenstörungen bestanden haben müssen. Erst knapp vor dem Tode zeigten sich zwei Symptome, die den Prozeß als nicht lokali- sierten erkennen lassen: eine Spur Ataxie der oberen Extremitäten beim Finger-Nasenversuch und Nystagmus; denn die Störung der Tiefensensibilität der Zehen hätte man ohneweiters auf eine lokale Ausdehnung des malazischen Prozesses beziehen können.

Es handelt sich also hier um eine Erkrankung, die tatsächlich erst nach dem 60. Lebensjahre manifest geworden ist und da der anatomische Befund eine ganz klassische multiple Sklerose zeigt, so haben wir hier einen Fall von echter seniler multipler Sklerose vor uns.

Die histologische Untersuchung dieses Falles ergibt tatsächlich auch eine Reihe von Abweichungen gegenüber den typischen Fällen der multiplen Sklerose.

Ich möchte zunächst die einzelnen Präparate der Reihe nach schildern.

Rückenmark:

Die Herde sind hier an den verschiedensten Stellen in der typischen Weise zu sehen.

Im Lendenmark ist der Querschnitt größtenteils von Herden einge- nommen; beide Hinterstränge, der ganze Seitenstrang der einen Seite, der größte Teil des Vorderstranges und der grauen Substanz der einen Seite, auf der zweiten Seite nur der hintere Teil des Seitenstranges (Abb. 1). Das Typische der Herde ist dadurch charakterisiert, daß mitten im Herde Inseln intakter Fasern zu sehen sind. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, daß die Pia verdickt, aber nicht wesentlich infiltriert ist. Ein ganz mäßiges Infiltrat ist allerdings zu sehen. Die Gefäßwände sind schwer sklerotisch verändert. Das gleiche gilt für die Gefäße im Innern der Sklerose. Was hier besonders auffällt, ist, daß zahlreiche Corpora amylacea den ganzen Querschnitt erfüllen, auch das Gebiet der nicht sklerotischen Partien. Hier zeigt sich besonders eine Verbreiterung der Septen.

Sehr in die Augen fallend ist das Nisslpräparat. Die Zellen sind im allgemeinen etwas geschrumpft. Auch die Dendriten zeigen Schlängelungen, aber sie zeigen keine Degeneration. Das wesentlichste an den Zellen ist aber der stellenweise hervortretende Mangel an Lipoid, der soweit geht, daß in

Zur Kenntnis der senilen multiplen Sklerose. 165

einzelnen Zellen überhaupt nur eine Andeutung desselben wahrzunehmen ist. Auch in der Scharlachfärbung tritt das hervor.

Im Bielschowskypräparat sieht man deutlicher als in den anderen, daß doch Pigment vorhanden ist, aber in der Mehrzahl der Zellen in ganz geringer Menge. Die Axone im Herde sind größtenteils erhalten, aber man sieht deutlich

Abb. 1. Sklerotische Herde im Lendenmark.

Verdiekungen, Schlängelungen und auch Ausfall der Axone. Die Fibrillen in den Zellen sind zum Teile sichtbar, sehr dünn. Öfters sieht man ein Netzwerk. Dieses ist ziemlich dicht und zeigt in den Maschen Körnchen.

Abb. 2. Dorsalmark.

Im Dorsalmark sind die Herde symmetrisch, u. zw. so, daß die beiden Seitenstränge nahezu vollständig erhalten sind, Vorder- und Hinterstränge aber im Herd aufgehen (Abb. 2). Es handelt sich um typische alte Skleroseherde.

Im Halsmark ist ein Herd besonders charakteristisch (Abb. 3). Nahezu quadratisch, nimmt er den Seitenstrang ein, während ein zweiter vom Hinterstrang aus in die hintere Wurzel dringt. Hier sieht man im Halsmark auch besonders deutlich die Wirkung der Gefäßsklerose durch Verdichtung

166 Dr. Ken Taga.

der Septen, wobei es manchmal den Anschein hat, als ob hier ein beginnen- der sklerotischer Prozeß perivaskulär einsetzen würde. Auch im Halsmark sind allenthalben Corpora amylacea vorhanden, ebenso wie die deutliche Gefäßsklerose. Der kompakte Herd im Seitenstrang zeigt nichts, was von dem bekannten der multiplen Sklerose abweicht, mit Ausnahme vielleicht des Umstandes, daß die Herde sehr wenig Kerne enthalten, dafür Corpora amylacea und verhältnismäßig wenig Achsenzylinder. Auch im Halsmark zeigt sich das gleiche Bild der Vorderhornzellen: verhältnismäßig geringe Lipoidose, gut erhaltene Tigroide, leichte Schrumpfung mit Schlängelung der Dendriten.

Das Bielschowskypräparat zeigt auch im Herd weniger Achsenzylinder als sonst, aber doch deutlich erkennbare. Hier sind in den Ganglienzellen die Netzbildungen gut sichtbar.

An Scharlach gefärbten Präparaten kann man in den Herden nunmehr

Abb. 3. Halsmark; Herde im Seitenstrang und Hinterhorn.

sehr wenig lipoide Substanz wahrnehmen. Es handelt sich um dichte alte Sklerosen mit fast völligem Fehlen des malazischen Elementes.

čs wurden dann aus den verschiedenen Gegenden, wo sich Herde zeigten, Stücke aus dem Gehirn entnommen und nach den verschiedensten Methoden gefärbt.

Es zeigte sich zunächst in der Gegend außen vom Putamen und innen von der Insel eine Zyste mit unregelmäßigen Rändern (Abb. 4). Auffällig ist bei dieser Zyste, daß die Fasern der Umgebung anscheinend nicht gelitten haben. Der Rand der Zyste ist, soweit er nicht zerstört ist, durch eine Gliafaserlage gebildet, die ziemlich dicht ist und in eine ebenso dichte Glia übergeht, die unterhalb der Wand der Zyste gelegen ist. Stellenweise aber zeigt sich in dieser dichteren Glia eine kleine nekrotische Partie. Auffällig ist der geringe Kernreichtum dieser Zystenwand.

Nimmt man einen Herd, der der Hirnrinde näherliegt, so zeigt sich zunächst, daß die Pia mater stellenweise eine Verbreiterung besitzt und daß diese Verbreiterung nicht nur auf Kosten des Bindegewebes erfolgt,

Zur Kenntnis der senilen multiplen Sklerose. 167

sondern daß man deutlich ein vorwiegend lymphozytires Infiltrat nachweisen kann. Auffallenderweise ist keine Verwachsung zu sehen. Dagegen zeigt die Oberfläche des Gehirnes Einbuchtungen, Kerben, die allerdings nicht sehr tief gehen und zumeist durch die einwachsenden Gefäße bedingt sind. Diese zeigen die typische Sklerose, u. zw. in allen Teilen. An einzelnen dieser mitunter ganz homogenen Gefäße, deren Lumina weit sind, zeigt sich eine perivaskuläre Desintegration. Das gilt sowohl für die Gefäße, die nicht im Herd sind, als auch für solche im Herde selbst (Abb. 5). Das zweite Moment, das hier in die Augen fällt, sind die reichlichen Corpora amylacea. Neben diesen tritt aber vorwiegend lamellär in den tieferen Schichten ein eigentümliches

Abb. 4. Zysie am Putamen.

Verhalten der Ganglienzellen hervor, die zum Teile von kleinsten Körnchen besetzt sind, die nach ihrer Färbung zu urteilen, als Pseudokalk anzu- sprechen sind (Abb. 6). Sie finden sich nur strichweise und sind vorwiegend in der Ill. und IV. Schichte anzutreffen. Auch an den Gefäßen sieht man deutlich Corpora amylacea. Bei genauerer Untersuchung der Herde, die nahe der Hirnrinde gelegen sind, zeigt sich, daß neben den perivaskulären Desinte- grationen auch deutlich einzelne Gefäße ein Infiltrat aufweisen (Abb. 7). Es ist vorwiegend lymphozytiirer Natur, d. h., es sind meist mononukleäre Zellen mit einem geringen Plasmahof, doch kann man auch vereinzelte Leukozyten wahrnehmen und freie Adventitiaelemente. Dagegen sieht man hier keine Körnchenzellen. An anderen Stellen zeigt sich ein auffallendes

168 Dr. Ken Taga.

Abb. 5. Gefäß mit perivaskulärer Desintegration und Sklerose in der Nachbarschaft,

Abb. 6. ‘Pseudokalk schichtweise in der Rinde angeordnet.

Ödem der Rinde. Die Gefäßscheiden sind mächtig erweitert, aber leer. Hie und da sieht man ganz feine, fadenförmige Gebilde diese Hohlräume durch- setzen. Da es sich um vollständig gleiche Behandlung der Präparate handelt, da sie in der gleichen Flüssigkeit fixiert und gehärtet wurden, so kann

Zur Kenntnis der senilen multiplen Sklerose. 169

man nicht annehmen, daß es sich hier um ein Artefakt handelt. Die Ganglien- zellen der Rinde zeigen den typischen Charakter der senilen Zellen, vielleicht noch in einer etwas stärkeren Ausprägung als sonst. Die Zellen sind kleiner,

Abb. 7. Gefäßinfiltration.

Abb. 8. Nekroseherd.

lassen das Tigroid nicht mehr erkennen und zeigen geschlängelte Fortsätze.

Auch in den Zellen sieht man Ödem, aber auch nur stellenweise. Betrachtet man ein Weigertpräparat, so zeigt sich, daß die Rinde auffällig

gut gefärbt ist. Aber man kann deutlich fleckförmige Unterbrechungen

170 Dr. Ken Taga.

sehen, die kleinen Herden entsprechen. Besonders aber tritt die perivas- kuläre Desintegration im Weigertpräparat hervor. Es ist nun sehr interessant, daß neben typisch sklerotischen Herden sich ein Herd findet, der über die Desintegration hinausgehend, sich um ein Gefäß herumzieht und den Ein- druck eines nekrotischen Prozesses macht (Abb. 5). An zwei Seiten ist dieser Prozeß bereits soweit gediehen, daß der Ausfall durch Sklerose gedeckt ist. An den beiden anderen Seiten sieht man noch Lücken. Gerade in diesem Gebiete zeigt sich, daß auch in den echten sklerotischen Herden perivas- kulär Aufhellungen hervortreten. Ferner kann man ebenfalls in der Nähe eines Gefäßes eine einfach nekrotische Partie sehen, ohne daß os gelingt, die Beziehungen zum Gefäß sicherzustellen (Abb. 8). Es ist das typische Bild einer Erweichung rezenter Genese, wobei aber die Axone nicht erhalten sind, sondern das ganze Gewebe zerfällt.

Betrachtet man nun einen Plaque zum Zwecke der Beurteilung der Gliawucherung genauer, so unterscheidet er sich im Gehirn kaum von jenem des Rückenmarks. Es ist auch hier auffällig, daß eigentlich die Sklerose keine sehr dichte ist, sondern daß lockere Stellen mit einem verhältnismäßig zartem Glianetz mit dichteren Stellen wechseln, Stellen, bei welchen die Gliafasern dicker sind.

Das eigentümliche dieses Falles liegt in der Tatsache, daß kaum neun Jahre vor dem Tode, also in einem Alter über 65 Jahren, sich die ersten Zeichen eines scheinbar lokalisierten spinalen Prozesses bemerkbar machten, die allmählich progredient zu einer vollständigen Lähmung der unteren Extremitäten führten und durch Blasenaffektion auf der einen Seite, einem septischen Dekubitus auf der anderen Seite, den Tod herbeiführten.

Es ist nun selbstverständlich, daß der erste Gedanke, der sich dem Kliniker in diesem Falle aufdrängt, der war, daß es sich um eine Arterio- sklerose handle. Es fehlt klinisch eigentlich jedes Zeichen der multiplen Sklerose und nur in allerletzter Zeit fanden sich dann etwas Intentions- tremor und Nystagmus, welche diese Diagnose ermöglicht hätten. Und doch handelt es sich hier nicht um einen lokalisierten Prozeß, sondern um eine ganz ausgedehnte typische multiple Sklerose, die offenbar schon in jungen Jahren eingesetzt hat, denn die Patientin war schon im Alter von 25 Jahren wegen angeblicher Neuralgie in ärztlicher Behandlung.

Ist schon das klinische Bild sehr bemerkenswert, so zeigt sich auch anatomisch manches, was den pathologischen Prozeß von dem der multiplen Sklerose in jüngeren Jahren unterscheidet: das erste in die Augen fallende ist das Verhalten der Gefäße. Sie entsprechen einer ziemlich fortgeschrittenen Arteriosklerose, aber es zeigt sich um die Gefäße auch eine oft weitgehende Desintegration, die sich nicht nur in den herdfreien Stellen findet, sondern auch in den Herden selbst. Gelegentlich wird aus diesen Desintegrationen eine peri- vaskuläre Malazie, ein Vorgang, der aber unendlich langsam progredient zu sein scheint, da sich neben noch typisch malazischen Veränderungen, bereits sklerotische Prozesse zeigen. Gelegentlich kommt es, offenbar auch vaskulär

Zur Kenntnis der senilen multiplen Sklerose. 171

bedingt zu einem schweren Zerfall des Gewebes, ein Zerfall, der nichts von dem zeigt, was wir sonst bei akuter multipler Sklerose sehen. Denn hier ist Glia und Parenchym in gleicher Weise getroffen. Es ist also eine typische Nekrose. Auffällig ist nur, daß wir in diesem Falle, analog wie seinerzeit Bresitzky beschrieben hat, eine Zyste fanden, die ähnlich wie die von Bresitzky in dem Gebiete der Stammganglien sich zeigt, allerdings etwas mehr lateral gelegen. Die Zyste ist eine sehr alte und zeigt keine Zeichen ihrer Herkunft. Aber in der Wand der Zyste sieht man beginnende Nekrose des gliösen Gewebes, so daß man also wird schließen müssen, daß diese Zyste möglicherweise auch aus einer Nekrose hervorgegangen ist, die offenbar vaskulär bedingt erscheint.

Von anderen das Senium charakterisierenden Momenten sehen wir ein reichliches Auftreten der Corpora amylacea und eigentümliche Inkrustationen der Ganglienzellen, die lamellär angeordnet, nur stellenweise zu treffen sind. Man kann nicht gut annehmen, daß solche Ganglienzellen ihre normalen Funktionen ausüben, wie denn überhaupt die Ganglienzellen des Gehirns gegenüber jenen des Rückenmarks wesentlich schwerer gelitten haben. Denn im Rückenmark fällt auf, daß das Tigroid vollständig der Norm entsprechend erhalten ist, daß keine besondere Lipoidose besteht und die Zellen nur ein wenig geschrumpft sind und Schlängelungen der Dendriten zeigen. Nur das Bielschowskybild läßt ein oft sehr derbes Netzwerk erkennen, während in den Dendriten sehr dünne Fibrillenpakete wahrzunehmen sind.

Man sieht also hier das Zusammentreffen zweier Faktoren: eine typische multiple Sklerose und senile vaskulär bedingte Pro- zesse, die letzten Endes auch in einem sklerotischen Prozeß enden. Man sieht, daß die vaskulären Veränderungen nicht nur das normale Gewebe betreffen, sondern sich auch in dem sklero- tisch veränderten Gewebe fühlbar machen. Leider läßt das klini- sche Bild keinerlei Zeichen erkennen, die das Nebeneinander- vorkommen dieser beiden Erscheinungsreihen erklären würden.

Wenn man nun die Literatur nach Fällen von seniler multipler Sklerose durchgeht, so sieht man wohl gelegentlich solche erwähnt, (Literatur bei Müller und Marburg). Aber es handelt sich meist nur um klinische Beobachtungen, die sich in nichts von den Sklerosen der jungeren Indivi: duen unterscheiden. Nur in einem Falle muß eine Ausnahme gemacht werden, das ist in dem von Westphal. Er hat einen Fall beschrieben, bei dem eine schwere Arteriosklerose bestand und Herde im Rückenmark auftraten, die durch eine Gefäßsklerose bedingt sind, weshalb er von arteriosklerotischer Form der multiplen Sklerose spricht, die aber meiner Ansicht nach von der eigentlichen multiplen Sklerose zu trennen ist. Das Auffälligste erscheint auch hier die Inkongruenz des anatomischen Befundes und des klinischen Bildes, wie es auch sonst bei senilen Prozessen vorzu- kommen pflegt.

Kuttner hat erst jüngst im Wiener neurologischen Institut über solche Fälle berichtet und wenn man sie mit dem vorliegenden vergleicht, so

172 Dr. Ken Taga.

kann man nicht im Zweifel sein, daß wir hier zwei Prozesse nebeneinander vor uns haben, d. h., eine echte multiple Sklerose und die Ausbildung seniler Nekrosen, resp. Plaques.

Es erscheint mir besser, diese senilen, gleichfalls multipel auftretende Herde von der echten multiplen Sklerose zu trennen, und sie überhaupt nicht als multiple senile Sklerose zu bezeichnen. Sie erscheinen nur darum besonders wichtig, weil sie nicht erst im späten Greisenalter aufzutreten brauchen, sondern auch präsenil vorkommen und sicherlich auch bei einer echten multiplen Sklerose sich finden können. Es wird die Aufgabe sein, solche Fälle besonders klinisch genau zu untersuchen, um sicherzustellen, was auf Kosten der multiplen Sklerose und was auf solche der arteriosklero- tischen Degeneration zu beziehen wäre. Der vorliegende eigene Fall läßt jedenfalls eine sichere Differenzierung der verschiedenarligen Herde patho- logisch-anatomisch erkennen.

Literatur:

A. Berger, Eine Statistik über 206 Fälle von multipler Sklerose. Jahrbücher f. Psychi- atrie und Neurologie. Bd. XXV, S. 168, 1905.

E. Rresitzki, Der Parkinsonismus symptomaticus. 2. Mitteilung: Zur Frage des Parkin- sonismus polyscleroticus. Arbeiten aus dem neurologischen Institut an der Wiener Universität. Bd. 30. S. 59, 1928.

H. P. Kuttner, Senile Myelopathien auf vaskulärer Basis. Arbeiten aus dem neuro- logischen Institut an der Wiener Universität. Bd. 30, S. 247, 1928.

OÖ. Marburg, Die sogenannte akute multiple Sklerose. Multiple Sklerose, Deuticke, Wien-Leipzig, 1906, und Handbuch der Neurologie, Bd. 2, Spez. Neurologie, I. Teil, S. 911, 1911.

F. Müller, Multiple Sklerose, 1904.

H. Richter, Über einen Fall von atypischer multipler Sklerose. Zeitschrift f. d. gesamte Neurologie u. Psychiatrie. Bd. 38, S. 111, 1917.

A. Westphal, Über Encephalomyelitis disseminata und arteriosklerotische Erkrankungen des Zentral-Nervensystems in ihren Beziehungen zur multiplen Sklerose. Neuro- logisches Zentralblatt, 1909, S. 547.

Über die Grundlagen der nervösen Erscheinungen bei der Osteomalazie (Rückenmarksbefunde).

Von Dr. Tosihio Kurosawa, Osaka (Japan). Mit 7 Abbildungen.

Die Osteomalazie, früher eine Krankheit, die verhältnismäßig selten in Erscheinung trat, hat wahrscheinlich infolge des Krieges und der damit verbundenen schlechten Ernährung eine weitaus größere Ausbreitung erfahren, als je zuvor.

Die von Schlesinger in Österreich beschriebene Hunger-Osteomalazie hat in Polen ein Pendant gefunden, wenn auch Orzechowski die nutritive Komponente wesentlich einschränkt. Aber auch sonst steigert sich die Zahl der bekannt werdenden Fälle mehr und mehr. Das ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß man heute die Osteomalazie früher diagnostiziert als in den vergangenen Jahren, da die muskulären Erscheinungen noch ohne schwere Knochenveränderungen auftreten können und durch das Latzkosche Phänomen der Kontraktur, resp. Adduktorenbeschränkung leicht diagnosti- ziert werden. Was den Neurologen interessiert, ist in allererster Linie die im Verlaufe der Osteomalazie sehr häufig beschriebene Lähmung, für die sich einheitlich eine pathologische Basis bis jetzt eigentlich nicht gefunden hat. Man braucht nur die zusammenfassenden Darstellungen von Köppen, Stieda, Van der Scheer, Latzko und zuletzt die im Handbuch von Halban-Seitz erschienene zu überblicken und man wird sehen, wie schwer es ist, für die verhältnismäßig häufigen osteomalazischen Lähmungen eine einheitliche Grundlage zu finden.

Ich möchte daher kurz einen Überblick über die Anschauungen geben, die darüber in der Literatur bisher vorliegen. Es ist nicht ohne Interesse zu sehen, daß die ältesten Anschauungen jetzt wieder modern geworden sind.

Man muß auf Weber, Chambers (1853 resp. 1854) zurückgehen, um zu sehen, daß die Muskelerkrankung lange vor der Knochenerkrankung auftreten kann, daß es sich um eine mit Schmerzen einsetzende, all- mählich zunehmende lähmungsartige Schwäche der Beine handelt, bald mehr von spastischem Charakter, bald mehr vom Charakter einer spinalen Muskelatrophie, wobei hervorzuheben ist, daß klinisch die Lähmung keine besondere Intensität erreicht, dagegen Schmerzen, Schwäche, Kraftlosigkeit im

174 Dr. Tosihio Kurosawa.

Vordergrunde stehen, wodurch das Gehen unmöglich wird. Weber hat in den Muskeln eine Fettdegeneration gefunden, was jedoch bei der damaligen Technik nicht ohneweiters als richtig anzusehen ist. Die Unabhängigkeit der muskulösen von der Knochenerkrankung hat besonders Friedberg (1858), wie später auch v. Winckel (1864) betont. Während von Weber die Muskel- affektion als degenerative angesehen wurde, meinte Friedreich (1837), daß die Erkrankung der Muskeln entzündlicher Natur sei und setzt sie in Parallele mit der progressiven Muskeldystrophie. Litzmann dagegen hat schon im Jahre 1861 gemeint, daß diese Muskellähmungen durch eine Kompression des Rückenmarkes oder der Nervenwurzeln bedingt sind infolge osteomalazischer Veränderungen der Knochen. Wir sehen also hier bereits drei verschiedene Auffassungen: Muskelentartung, degenerative oder entzündliche auf der einen Seite, degenerative Prozesse im Nervensystem, bedingt durch Knochen- kompression auf der anderen Seite. Es konnte nicht fehlen, daß Henning (1873) diese verschiedenen Ursachen kontaminierte und gemeint hat, daß sie gemeinsam oder für sich allein, bald die einen, bald die anderen, wirk- sam werden.

Obwohl nicht hierher gehörend, muß man auch die Sakrallähmung von Lehmann erwähnen, der sie durch Druck der Beckenorgane auf die Plexus erklären will, weil sie immer wieder in den Arbeiten über die Osteomalazie Erwähnung findet.

Interessant ist die Anschauung von Pommer (1885), der sowohl die Knochenerkrankung als selbstverständlich auch die lähmungsartigen Erschei- nungen als nervös bedingt hinstellt.

Jolly tritt im gleichen Jahre wie Pommer aber wieder für die muskuläre dystrophische Genese der Lähmungen ein, da er neben starker Fettentwicklung in den Muskeln an einzelnen Stellen auch starke Atrophie fand, analog der Dystrophie.

Von größerem Belang für meine Ausführungen ist die Arbeit von Rentz (1886), da er ein neues Moment für die Erklärung der nervösen Erscheinungen anführt. Er meint nämlich und nicht mit Unrecht wie ich vorweg nehmen will daß der osteomalazische Knochenprozeß reaktiv eine Verän- derung in den Meningen bedingen könnte, nämlich eine Art chronischer Pachymeningitis externa, ein Umstand, den man jedenfalls mit ins Kalkül ziehen muß, wenn man an die meningealen Veränderungen denkt, die durch chronische, entzündliche oder andersartige Knochenprozesse bedingt werden.

Köppen (1896) hat allerdings nur Muskelstückchen exzidiert und Verände- rungen beschrieben, die ich im einzelnen nicht anführen will, da sie mir in ihrer pathologischen Valenz nicht einwandfrei zu deuten sind.

Wiederum ein neuer Faktor wird von Vierordt (1903) in die Pathogenese der osteomalazischen Lähmungen eingebracht, indem er einen Großteil der Erscheinungen auf neuritische Veränderungen bezieht, allerdings auch auf Veränderungen der Muskeln, die direkt durch die Knochenerkrankung bedingt sind.

Über Grundlagen nervöser Erscheinungen bei Osteomalazie (Riickenmarksbefunde). 175

Auch Hösslin (1905) nimmt Neuritis an, lehnt aber gleichzeitig die Abhängigkeit der Lähmungen von den Knochendeformationen ab, da sie ja, wie er mit Recht betont, schon früher da sein können, als die Osteomalazie. Er hebt den dystrophischen Charakter der Muskelaffektion besonders hervor.

Dräsecke (1806) hat an 15 Rückenmarken von Menschen, sowie drei Affen, Befunde am Rückenmark erheben können, allerdings nach rhachitischen Veränderungen der Knochen. Er geht damit auf die alte Hypothese Pommers zurück, der in seinen Untersuchungen über Ostoemalazie und Rhachitis meinte, daß diese „in abnormen Vorgängen und Zuständen im zentralen Nervensystem ihren Ursprung haben“. Was Dräsecke aber findet, und schon makroskopisch erkennbar ist, sind Schädigungen in den Seiten- und Vordersträngen, weniger in den Hihterstringen des Rückenmarks. Es handle sich nach ihm vorwiegend um Markscheidendegeneration, die ihr vitales Entstehen durch eine leichte Gliose erkennen läßt. Diese Angaben sind leider zu unbestimmt, um den Mechanismus des Prozesses zu verstehen.

Obwohl nur über klinisch beobachtete Fälle verfügend, muß ich Völsch (1907) hier erwähnen, der für die verschiedenartige Muskelparesen mechani- sche Momente verantwortlich macht. So führt er z. B. die isolierte Psoas- schwäche auf Formveränderungen des Beckens zurück, aber auch auf die Schmerzen, die sich mit der Dauerkontraktur der Muskeln einstellen: „Das Hineinsinken der Wirbelsäule in das Becken einerseits, das Höhertreten der Femora anderseits, bewirkt bei der ausgesprochen osteomalazischen Becken- veränderung eine Annäherung der Insertionspunkte der Ileopsoas, die wie mir scheint fast notwendig zu einer Aktionsstörung führen muß.

Im Jahre 1912 hat dann Pineles als einer der ersten auf die Ähnlich- keit der bei Osteomalazie vorkommenden Paresen und nervösen Erschei- nungen mit jenen bei parathyreopriven Menschen und Tieren hingewiesen, was um so beachtenswerter ist, als man ja auch die Osteomalazie auf die Epithelkörpercheninsuffizienz bezieht.

Ihm schließt sich auch J. Bauer (1912) an und für diese Anschauung spricht wohl auch ein Fall von H. Kahler (1913) mit klimakterischer Osteomalazie, der neben osteomalazischen Lähmungen Symptome von Tetanie zeigte.

= Reich (1917) negiert überhaupt das Vorkommen von Lähmungen und erklärt alles reflektorisch resp. vasomotorisch bedingt.

Sehr wichtig sind die Arbeiten Van der Scheers, der sich zunächst auf Latzko bezieht, welcher die Lähmungen muskulär erklären will. Er selbst führt. aber zwei Fälle an, einen, bei dem sich im Rückenmark ein tabisches Bild zeigt. Da aber nichts von Lues bei der Kranken zu finden war und die Kranke 6 Jahre vor ihrer Aufnahme plötzlich eine Lähmung der unteren Extremitäten aufwies, so ist es sehr unwahrscheinlich, daß hier eine Tabes vorliegt. Sein vierter Fall, einen Mann betreffend, erkrankte wenn wir von der Psychose absehen an einer Spondylose rhizomelique und wies Schwäche und Atrophie der Muskeln der unteren Extremitäten auf. Hier bestand eine chronische Leptomeningitis, eine mehr diffuse Seiten-

176 Dr. Tosihio Kurosawa.

und Hinterstrangsdegeneration des Rückenmarks, sowie eine leichte der Vorderstränge. Der Patient war erst 62 Jahre alt, als er starb und es ist ein Zusammenhang der Rückenmarksaffektion mit der Osteomalazie schwer nachweisbar, da die letztere erst vier Jahre vor dem Tode aufgetreten ist, Erscheinungen seitens der ersteren aber schon früher bestanden.

Die Nachkriegsarbeiten zeichnen sich hauptsächlich dadurch aus, daß sie auf der Basis der Schlesingerschen Befunde von Hunger-Osteomalazie ein ganz anderes ätiologisches Moment in die Frage der Osteomalazie ein- brachten, wobei noch hervorzuheben wäre, daß von Schlesinger auf die innige Beziehung von Tetanie und Osteomalazie auch in diesen Fällen hinge- wiesen wurde.

Im gleichen Sinne zeigen sich auch die Arbeiten von Edelmann und Schiff. Hitzenberger konnte im Jahre 1911 über einen Fall von Osteo- malazie mit Morbus Basedowii berichten und 13 analoge Fälle aus der Literatur anführen.

Noch einen Schritt weiter ging Curschmann, bei dem in sechs Fällen von Osteomalazie pluriglanduläre Symptome nachzuweisen waren, so daß er meinte, daß nicht die Erkrankung eines bestimmten Organes die Osteomalazie bedinge, sondern daß offenbar immer Kombinationserkrankun- gen verschiedener Organe Ursachen derselben seien, eine Anschauung, der sich später auch Schlesinger anschloß (1921), während Buttenweiser auf Grund elektrischer Untersuchungen den Zusammenhang mit Tetanie ablehnte.

Es sei noch auf einen Fall von Meyersohn hingewiesen, der eine Kombi- nation von Tabes mit Osteomalazie beschreibt, die jedoch mit einer spasti- schen Parese einsetzte, wonach sich erst später Verlust der Sehnenreflexe und Pupillenstarre zeigte.

Einen etwas abwegigen Standpunkt nimmt Orzechowski ein, der den nutritiven Faktor epidemisch auftretender Osteomalaziefälle negiert und ein Virus annimmt, das dieser Krankheit zugrunde liege. Allerdings sei dieses nur wirksam bei entsprechender Konstitution. Er schließt sich ferner dem von Curschmann und Schlesinger vertretenen Standpunkt der pluriglandu- lären Affektion an, wobei allerdings die Epithelkörperchen eine besondere Rolle zu spielen scheinen.

Wenn ich zum Schlusse noch die Anschauung Halbans wiedergebe, die er resumierend aus den verschiedenen vorliegenden Befunden zusam- menstellt, so nimmt auch dieser Autor an, daß es sich um eine selbständige Muskelerkrankung handle, die, obwohl nur ein Fall von Pseudohypertrophie vorliegt, der Muskeldystrophie am nächsten steht, eine Anschauung also, wie sie bereits Friedreich geäußert hat.

Wenn wir also zusammenfassend die verschiedenen Thesen und Befunde ins Auge fassen, so zeigt sich, daß die Mehrzahl der Autoren auf dem Standpunkt einer selbständigen muskulären Erkrankung stehen, sei es einer einfach degenerativen oder dystrophischen. Ferner gibt es Autoren, die die Neuritis als Ursache der Lähmung ansehen und schließlich ist man der Meinung, daß durch die veränderten Knochen entweder degenerativ oder auf

Über Grundlagen nervöser Erscheinungen bei Osteomalazie (Rückenmarksbefunde). 177

dem Umwege über die Meningen das Rückenmark geschädigt wurde. Nur einige der Autoren stehen auf dem Standpunkte Pommers, daß die Osteo- malazie eine nervös bedingte Erkrankung sei und dadurch auch die Lähmungen erkläre. Die wenigen Befunde der späteren Zeit haben immer nur eine Mark- scheidendegeneration, vorwiegend in den Seiten- und Vordersträngen, aber auch in den Hintersträngen gezeigt.

Im folgenden sollen nun zwei Fälle von Osteomalazie genauer be- schrieben werden, die klinisch als auch anatomisch das Bild einer echten Spinalerkrankung aufwiesen.

I. Fall.

T. A., 67 Jahre alte Frau, verwitwet.

Belanglose Anamnese Sie wurde mit 17 Jahren menstruiert, die Menses dauerten bis zum 52. Lebensjahre regelmäßig. Nach einem Abortus im zweiten Schwangerschattsmonat hatte sie vier normale Partus. Für Lues kein Anhaltspunkt. Wassermann negativ.

Im Jahre 1907, also im 51. Lebensjahre, knapp vor dem Klimakterium, stellte sich eine Schwäche des rechten Beines ein, die allmählich zunahm und später auch auf das linke Bein übergriff. Von Schmerzen wird nichts erwähnt, dagegen von einer Sensibilitätsabschwächung. Seit 1922 ist die Patientin gehunfähig. Erst in den aller- letzten Jahren trat auch eine Verkrümmung der Wirbelsäule ein. Aus der knappen Krankengeschichte kann man nur entnehmen, daß es sich um eine Verkrümmung der Wirbelsäule, des Thorax und des Beckens handelt. Die Rippen sind seitlich etwas druckempfindlich. Symphyse stark prominent. Es besteht eine spastische Parese der unteren Extremitäten. Der Patellarreflex rechts gleich links, sehr lebhaft, beider- seits Fußklonus, beiderseits Babinski.

Die Patientin gibt später geringfügige Schmerzen hie und da im Knie an, doch ist die Sensibilität ungestört. Es zeigt sich eine leichte Retentio urinae. Später wird diese Retention stärker. Trotz der schweren Parese beiderseits kann man erkennen, daß rechts der Zustand schlechter ist als links. Es hatten sich Paraesthesien gezeigt, die aber bald wieder schwanden. An der Diagnose Osteomalazie ist nicht zu zweifeln, Sie besserte sich unter dem Einfluß von Phosphor-Lebertran. Was sich aber nicht besserte, war die Lähmung der unteren Extremitäten und die Blasenstörung. Die Patientin akquirierte eine Lungenentzündung und starb am 11. April 1924.

Der Obduktionsbefund ergab:

Neben chronischer eitriger Cystitis und Pyelonephritis sowie einer Calculosis bestand eine chronische Tuberkulose des rechten Lungenoberlappens, und eine alte Totalpleuritis, fettige Degeneration der Eingeweide und Oelema cerebri, ferner abge- laufene Osteomalazie mit Verbildung des Beckens und des Thorax.

Die Untersuchung des Rückenmarks ergab:

Betrachtet man zuerst eine Partie aus der Halsanschwellung, und zwar an einem nach Weigert gefärbten Präparat, so zeigt sich, daß die weiße Substanz an vielen Stellen sklerosiert ist (Abb. 1). Dort, wo sich diese Sklerosen finden, sieht man bis gegen die Peripherie hin eine Art Ödem, aber nicht ganz gleichmäßig. Im Vorder- strang ist die Sklerose mehr diffus. Man erkennt aber, daß sie in der Tiefe dichter ist als gegen die Oberfläche hin. Sie ist symmetrisch, aber so, daß die eine Seite eine dichtere Sklerose zeigt als die andere. Sie umrahmt gleichsam die graue Substanz und klingt von innen nach außen ab, wobei sie in ein Lückenfeld übergeht. Noch deutlicher als im Vorderstrang sieht man in dem Seitenstrang der einen Seite das sklerotische Bild. Hier umrahmt eine bandförmige Sklerose das Vorderhorn, um gleichfalls bandförmig, ungefähr an der Grenze zwischen Spinozerebellartrakt und Pyramide ihre größte Intensität zu erreichen. Auch hier wird sie außen begrenzt von einem Lückenfeld. Auffällig ist, daß auch die Lissauersche Randzone und ein

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd. 12

178 Dr. Tosihio Kurosawa.

Teil der Hinterhörner derart sklerotisch sind, während die Hinterstränge eigentlich mehr eine diffuse aber leichtere Sklerose aufweisen und das Lückenfeld der Peripherie

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Abb. 2. Querschnitte der verdickten Axone im Bielschowskypräparat.

verhältnismäßig gering ist. Soweit das Weigertpräparat. Auffallend die Verbildung des Querschnittes.

Am Giesonpriiparat sieht man eine mäßige chronische Leptomeningitis ohne jedes Infiltrat, aber mit deutlichem Einwachsen von Glia in die Pia. Die Glia ist im allgemeinen verdichtet und dort, wo man am Weigertpräparat das scheinbar sklero-

Über Grundlagen nervöser Erscheinungen bei Osteomalazie (Rückenmarksbefunde). 179

tische Gewebe sieht, ist tatsächlich am Giesonpräparat eine echte Sklerose wahrzu- nehmen. Auch die Lückenfelder präsentieren sich sehr deutlich. Auffallend ist nur der Mangel jeder reaktiven Veränderung im Sinne einer Fettkörnchenzellbildung, ferner das Fehlen irgend eines Infiltrates an den Gefäßscheiden. Die Gefäße selbst sind

Abb. 3. Aufhellung im Vorderseitenstrang des Dorsalmarkes.

wandverdickt, im Gewebe zahlreiche Corpora amylacea. Die Ganglienzellen sind verhältnismäßig intakt, nur zeigt sich eine ziemlich starke Lipoidose. Das gilt für die großen Vorderhornzellen des Halsmarkes.

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ist a Abb. 4. Degenerierte Seitenhornzellen.

Ein Bielschowskypräparat dieser Gegend zeigt nur in der Peripherie die bekannten Bildchen der Axone und Markscheiden. Dort, wo man zur Sklerose fortschreitet, fehlen diese vollständig und man sieht dann nur sehr, sehr dicke, nebeneinanderliegende schwarz gefärbte Querschnitte, die keinesfalls den Charakter von Achsenzylindern zeigen (Abb. 2). Sie besitzen nicht die Rundung des gequollenen Achsenzylinders,

12°

180 Dr. Tosihio Kurosawa

nur gegen die Peripherie kann man solche gequollene Elemente wahrnehmen. Sicherlich ist auch ein großer Ausfall an Axonen zu verzeichnen.

Im Dorsalmark verhält sich der Prozeß ganz verschieden (Abb. 3). Man sieht z. B. eine leichte chronische Pyramidendegeneration, in den Hintersträngen es handelt sich um die Mitte des Dorsalmarks vielleicht im Gollschen Strang eine Aufhellung, dagegen auf der einen Seite im Vorderseitenstrang eine stärkere Verdichtung, ohne jedoch die Sklerose der oberen Partien zu erreichen. Auffällig ist eine deutliche schwere Degeneration der Zellen im Seitenhorn (Abb. 4). Im Lendenmark verändert sich das Bild insoferne, als hier neben den sekundären Degenerationen der Pyramiden- bahn, der Hinterstrang affiziert ist, u. zw. wiederum durch bandförmige Herde, die symmetrisch beide Hinterstränge einnehmen und etwas von der Peripherie entfernt sind, während das Gebiet bis zur Peripherie, wenn auch nicht sehr deutlich, so doch immerhin merkbar, Lückenfelder aufweist (Abb. 5). Hier sind allerdings auch Lücken- felder in der Tiefe. Die Herde haben genau denselben Charakter wie die im Halsmark.

Abb. 5. Bandförmige Sklerose im Hinterstrang.

Zusammenfassung.

Bei einer Patientin, die eine typische Osteamalazie darbot, mit beson- derer Beteiligung der gesamten Wirbelsäule, traten, noch bevor die Osteo- malazie deutlich in Erscheinung tritt, nervöse Erscheinungen auf, die 17 Jahre anhielten, chronisch progressiv waren und schließlich zu einer voll- ständigen spastischen Lähmung führen. Als anatomisches Substrat findet sich ein etwas verbildetes Rückenmark, das dorsoventral zusammengedrückt erscheint und auch in den Seitenteilen nicht die Form hat, wie sie sonst gewöhnlich gefunden wird. Es finden sich sklerotische Herde von band- förmigem Charakter, bei denen auffällig ist, daß sie ein klein wenig von der Peripherie entfernt, ungefähr in der Mitte der Stränge liegen. Man kann aber Übergänge yon diesen Sklerosen zur Peripherie in der Weise wahrnehmen, als von der dichten Sklerose zur Peripherie sich ein Lückenfeld erstreckt. Ferner ist diese sklerotische Partie dadurch charakterisiert, daß wenigstens an den Übergängen Achsenzylinderschwellungen vorhanden sind, während in der Tiefe die Achsenzylinder ganz eigenartige Formen annehmen. Die se- kundäre Degeneration ist verhältnismäßig geringfügig. Die schwersten Er-

Über Grundlagen nervöser Erscheinungen bei Osteomalazie (Rückenmarksbefunde). 181

scheinungen zeigt das Halsmark, leichtere das Lendenmark, am wenigsten affiziert ist das Dorsalmark.

ll. Fall.

J. P., 64 Jahre alte Frau. Die Anamnese ist hier ziemlich lückenhaft. Bis etwa zu ihrem 22. Jahre ziemlich gesund, bekam sie dann nach einer Geburt heftige Genital-Blutungen und es mußte eine Totalexstirpation des Uterus gemacht werden.

Im 25. Lebensjahre soll sie angeblich Dysenterie gehabt haben. Ihre eigentliche Krankheit beginnt nach dem Kriege. Sie bricht sich zunächst den linken, dann den rechten Oberschenkel, dann wiederum den linken Oberschenkel. Diese Brüche heilen nicht mehr aus. Es wurde bei der Patientin durch Blut-Wassermann eine venerische Krankheit festgestellt, andererseits aber auch ein osteomalazischer Prozeß im Sinne der Schlesingerschen Hunger-Osteomalazie. Durch genaueres Befragen erfuhr man endlich, daß die Patientin schon vor den Brüchen der Schenkel Parästhesien und Schmerzen der Beine gehabt hat.

Der objektive Befund ergab im Jahre 1923: normal reagierende Pupillen, fehlende Patellar- und Achillereflexe, Babinski positiv, eine Sensibilitätsstörung, die links stärker als rechts ist, links von D12, rechts von L, abwärts nachweisbar war. Es handelt sich um eine generelle Hvpästhesie, die an. den Unterschenkeln in Anästhesie über- geht. Eine hyperalgetische Zone bestand links: D,, und D,9, rechts Dio, Dis. Die Muskeln waren nicht tastbar, die Beweglichkeit infolge der nicht geheilten Brüche nicht zu prüfen. Die Patientin war natürlich gehunfähig. Bezüglich der Harnentleerung ist nichts Sicheres nachweisbar. Später scheint es, als ob «die Pupillen weniger gut reagierten. Infolge der sicher nachweisbaren Lues hat man bei der Patientin eine tabiforme Hinterstrangsdegene- ration angenommen, bei einer bestehenden Osteomalazie. Der Tod erfolgte durch eine pulmonale Embolie bei bestehender Thrombose der Vena femoralis. Ich übergehe den Befund der Knochenfrakturen und erwähne nur, daß auch bei der Obduktion die Osteomalazie erweisbar war.

Bezüglich des Gehirns zeigt sich, daß in den Leptomeningen keine Veränderung war, ebensowenig waren die basalen Gefäße verändert. Auch im Rückenmark zeigte sich keine meningeale Veränderung. Nur im Brustmark ließ sich in den Hintersträngen eine graue Degeneration erkennen. Außerdem bestand eine ganz leichte Mesaortitis luetica.

Wenn ich hier die Querschnitte vom Lumbal- zum Cervikalmark hinauf beschreibe, so zeigt sich im Lumbalmark eine eigenartige Degeneration, die keineswegs einer radikulären entspricht, sondern am ehesten jener von Bechterew-Trepinski beschrie- benen embrvonalen Felderung (Abb. 6). Die ventrale Partie, das ventrale Hinter- strangsfeld, das hintere äußere Feld, die dorsale Zone im Septum sind frei; das dazwischen gelegene Gebiet, die mittlere Wurzelzone, zeigt deutlich eine Sklerose von mittlerer Intensität. Man sieht deutlich, daß die Wurzeln hier ohne Veränderung in das Rückenmark einstrahlen.

Im Dorsalmark läßt sich diese Degeneration nicht mehr so deutlich abgrenzen. Sie liegt jetzt im Gollschen Strang, ohne dorsal und ventral die Peripherie zu erreichen, mehr paramedian. Der ganze Querschnitt zeigt besonders an den Rändern ein Ödem. Im Cervikalmark hat man dann eine typische Degeneration des ganzen Gollschen Stranges, wie das bei der sekundären Degeneration der Fall ist. Im Seitenstrang der einen Seite findet sich außen am Pyramidenareal eine schmale, leichte sklerotisierte Partie dorsal stärker als ventral. (Abb. 7).

Übersichtspräparate mit Hämalaun-Eosin gefärbt zeigen die Meningen verhält- nismäßig wenig verdickt. Deutliche Entzündung in den Meningen, u. zw. chronischer Natur, indem sich neben Iymphoiden Elementen an den Gefäßen auch eine leichte Wucherung der Adventitialzellen findet. Die Gefäße sind in ihrer Wand sehr ver- breitert, die Intimazellen geschwollen. Media und Adventitia ziemlich homogen. Auch hier zahlreiche Corpora amylacea. Die meningeale Affektion ist auch deutlich

182 Dr. Tosihio Kurosawa

im Brustmark zu sehen. Hier tritt das Ödem stärker hervor. Die Sklerose ist ganz deutlich, das Infiltrat zeigt deutlich luischen Charakter.

Die Veränderungen im Halsmark differieren nicht von jenen in den anderen Partien. Es ist immer die leichte Meningitis und schwere Gefäßschädigung.

Im Nisslpräparat zeigen die Ganglienzellen des Vorderhorns sich ausnehmend gut erhalten. Die Lipoidose ist nicht einmal besonders in die Augen fallend. Auch hier ist wieder eine deutliche schwere Degeneration in einzelnen Zellen des Seitenhorns

Abb. 6. Degeneration im Hinterstrang.

Abb. 7. Degeneration im Gollschen Strang und der linken Pyramide.

zu verzeichnen, was hier nicht ganz im Verhältnis zu den gut erhaltenen Zellen des Vorderhorns steht.

Auch im Halsmark sind die Vorderhornzellen gut erhalten. Zufälligerweise kam auch ein Spinalganglion zur Untersuchung. Soweit die Zellen dieses Ganglions in Frage kommen, zeigt sich, daß sie verhältnismäßig gut erhalten sind und nicht einmal eine auffällige Vermehrung der Kapselendothelien erkennen lassen.

Einen größeren Gegensatz als die pathologisch anatomischen Verän-

derungen in den beiden beschriebenen Fällen kann man sich wohl kaum denken.

Über Grundlagen nervöser Erscheinungen bei Osteomalazie (Rückenmarksbefunde). 183

Wenn ich den zweiten Fall zuerst anführe, so ähnelt er bis zu einem ge- wissen Grade ganz jenem Fall, den Meyersohn beschrieben hat. Auch hier war ein anfangs spastischer Prozeß in einen tabischen übergegangen, auch hier war eine Lues mit im Spiel. Ferner ist an einen Fall von Van der Scheer zu erinnern, der ein tabiformes Bild bot, ohne daß sich Lues erweisen ließ. In meinem Falle läßt sich die Spastizität noch durch den positiven Babinski erkennen. Sonst war das Bild tabiform, aber sicherlich nicht rein tabisch. So fehlten wohl die Reflexe. Es zeigte sich aber eine Sensibilitätsstörung in größerem Ausmaße, als es die spinale Affektion wahrscheinlich macht. Überhaupt muß man zugeben, daß die spinale Affektion keineswegs dem entspricht, was klinisch in Erscheinung tritt. Es handelt sich nicht um das typische Bild der Tabes, sondern es war, wie schon bei der Beschrei- bung hervorgehoben wurde, die sogenannte mittlere Wurzelzone ergriffen, und zwar in ihrer Totalität. Man sah keineswegs eine Affektion der Wurzel- eintrittszone, wie nach radikulärer Erkrankung. Die aszendierende Degene- ration ließ dann eine mehr diffuse Veränderung in den Hintersträngen auf- scheinen und keineswegs eine radikuläre. Außerdem zeigte sich eine ganz minimale Affektion der Pyramidenbahn, auf der einen Seite stärker wie auf der anderen Seite, lediglich bedingt durch eine etwas intensivere Glia- verdickung, die besonders an der Grenze zwischen Spinozerebellarbahn und Pyramidenbahn auf der einen Seite sich merkbar machte. Möglicherweise ist darauf das Vorhandensein des Babinskischen Zeichens zu beziehen. Auffallend ist, daB keine Störung der Tiefensensibilität da war. Leider konnten die pheripheren Nerven nicht untersucht werden, denn aus den spinalen Veränderungen läßt sich das klinische Bild zur Gänze nicht erklären. Es handelt sich auch nicht um eine echte Tabes, sondern um einen mehr intraspinalen Prozeß, bei dem ein System primär ergriffen wurde, das bei der Entwicklung der Markscheiden eine besondere Stellung einnimmt. Man kann eher bei paralytischer Tabes solche Veränderungen wahrnehmen als bei der unkomplizierten. Wie gesagt, ist dieser Fall identisch mit jenem von Meyersohn und es wäre wohl möglich, daß es sich hier nur um eine zufällige Komplikation handelt und daß die spinale Affektion gleich der der Knochen luisch bedingt ist. Allerdings darf man nicht wergessen, daß Dräsecke sogar experimentell die Markscheidendegeneration nachzuweisen imstande war, wobei die Lokalisation freilich mehr Seiten- und Vorderstrang betraf. Nicht zu vergessen ist im anderen Falle die Meningitis, die typisch luischen Charakter zeigt.

Ein ganz anderes Verhalten zeigt der erste Fall, den ich untersucht habe. Hier handelt es sich um eine klassische Osteomalazie. Die nervösen Erscheinungen sind den Knochenveränderungen entschieden vorangegangen, wie dies ja in vielen Fällen bekannt wurde. 17 Jahre haben sie bestanden und waren ganz entsprechend den bei anderen Osteomalaziefällen bekannt gewor- denen. Schließlich haben sie zur vollständigen Lähmung geführt. Die ana- tomische Basis dieser Veränderungen ist eine höchst merkwürdige, fast nicht aufzuklärende. Es ist ein sklerotischer Prozeß, dem jedes Zeichen der Entzün-

184 Dr. Tosihio Kurosawa.

dung fehlt, aber auch jedes Zeichen des Abbaues. Wir sehen nur einen voll- ständig abgelaufenen Prozeß und können uns schwer rekonstruieren, wodurch dieser Prozeß bedingt ist. Freilich könnte man aus zwei Umständen auf die Genese schließen. Der eine ist die Verwachsung der chronisch verdickten Pia mit dem Rückenmark und der zweite ist die Bildung von Lückenfeldern in der Umgebung der Sklerose. Vielleicht kommt noch ein drittes Moment hinzu. Das sind die Quellungen der Achsenzylinder. Das würde vielleicht dafür sprechen, daß es sich um ein chronisches Ödem handelt mit ganz allmählichem Zugrundegehen der Markscheiden und Quellung und späterem Zugrundegehen der Achsenzylinder. Für letztere spricht eine, wenn auch ganz minimale, sekundäre Degeneration sowohl in den Hintersträngen als in den Seitensträngen. Allerdings darf man nicht übersehen, daß ein Teil dessen, was als sekündäre Degeneration angesehen werden könnte, ein wenn auch nicht sehr ausgesprochener Herd ist. Das gilt besonders für den Hinterstrang. Auf den ersten Blick machen die Herde den Eindruck wie bei typischer multipler Sklerose. Gegen eine solche spricht allerdings schon der klinische Befund, der eine chronisch progressive Erkrankung aufweist. Und auch das anatomische Bild läßt eigentlich nirgend absolut sichere Zeichen der multiplen Sklerose erkennen. Es handelt sich in der Umgebung der eigen- tümlichen Herde nicht um Lückenfelder im Sinne der multiplen Sklerose, sondern um Ödeme. Freilich die meningeale Veränderung findet sich, wie das Schmelz seinerzeit gezeigt hat, auch bei der multiplen Sklerose. Dort aber fehlt trotz der Verwachsung der Meningen das Randödem, das allerdings zum sklerotischen Herd überleitet. Des weiteren ist zu bemerken, daß auch an der Innenseite des sklerotischen Herdes ein leichtes Ödem sich findet. Nirgend Zeichen einer Entzündung, nirgend Zeichen von Abbau, trotzdem der Prozeß bis in die letzte Zeit seine Progression gezeigt hat. Es ist keines- falls sicher zu entscheiden, ob hier nicht die zufällige Komplikation multiple Sklerose und Osteomalazie vorliegt. Bei der Annahme aber, daß es sich bei der Osteomalazie um die Wirkung eines Toxins oder Virus handelt, könnte man daran denken, daß dieses Toxin oder Virus, ebenso wie es auf die Knochen wirkt, ein oder das andere Mal auch bei entsprechender Disposi- tion das Rückenmark angreift. Denn wenn man die Axone ins Auge faßt, so muß man sagen, daß sie keinesfalls den Charakter jener zeigen, wie wir ihn bei der multiplen Sklerose finden. Es handelt sich hier offenbar um einen polysklerotischen Prozeß, dessen Genese eine andere ist als der bei der multiplen Sklerose. Die Annahme eines chronischen Ödems hat wenig Wahr- scheinlichkeit für sich, weil der Prozeß zu lokalisiert ist und weil die Sklerose nicht, wie das beim Ödem der Fall sein müßte, peripher stärker betont ist als in der Tiefe. Es macht den Eindruck, als ob der Prozeß sich an der Berührungsstelle zweier Gefäßgebiete im Seitenstrang entwickeln würde, nämlich an der Berührungsstelle der Vasocorona und der zentralen Gefäße. Das kann aber nur für den Seitenstrang Geltung haben, nicht für den Vorder- strang oder Hinterstrang. Vollständig ablehnen muß man einen von den Wirbeln ausgehenden Kompressionsprozeß. Denn dieser könnte kaum derartige

Über Grundlagen nervöser Erscheinungen bei Osteomalazie (Rückenmarksbefunde). 185

Wirkungen hervorbringen wie sie das vorliegende Riickenmark zeigt. Auch darf man nicht vergessen, daB die Axone in der Umgebung des sklerotischen Herdes bereits eine ziemlich beträchtliche Schwellung zeigen, ohne daß noch die Markscheiden oder die Glia eine reaktive Veränderung erkennen lassen. Vielleicht haben wir es hier nicht mit einem einheitlichen Prozeß zu tun, sondern mit einem Prozeß, der einer Vielheit von Ursachen das Entstehen verdankt. Auf der einen Seite ist es die Verbildung der Wirbel, die sicherlich auf die Nutrition einen Einfluß hat, auf der anderen Seite ist es ein ganz ein- wandfrei nachzuweisendes Ödem, vielleicht bedingt durch die meningeale Ver- wachsung. Und schließlich darf man wohl annehmen, daß irgend ein toxischer oder infektiöser Prozeß die schwere Veränderung des Rückenmarks bedingen kann. An funikuläre Myelitis erinnern diese Veränderungen überhaupt nicht.

Der Fall ist in der Literatur der Osteomalazie unikal. Es läßt sich darum nicht ein Vergleich mit anderen Fällen herbeiführen. Ich möchte nur noch betonen, daß möglicherweise die Osteomalazie, wie schon Pommer meint, Folge einer zentral nervösen Störung sein könnte und dann auch sekundär auftritt etwa im Anschluß an Nervenerkrankungen organischer Natur. Als solche kommen in erster Linie die Tabes in Frage oder eine tabiforme Erkrankung, in zweiter Linie ein polysklerotischer Prozeß, wenn man nicht annehmen will, daß beide Erkrankungen, die der Knochen und des Nerven- systems koordiniert durch ein gemeinsames Virus hervorgerufen werden.

Eines Momentes wurde bei der Besprechung dieser Verhältnisse nicht gedacht. Das ist das Verhalten der Zellen des Seitenhornes. Ich habe gezeigt, daß das Vorderhorn eigentlich verhältnismäßig intakt war und nur die dem Alter entsprechenden Veränderungen aufwies. Ich habe sowohl in dem ersten als in dem zweiten Fall aber schwere Veränderungen in den Zellen des Seitenhorns beobachtet. Vielleicht ist dieser Umstand maßgebend für die Störung der Knochentrophik. Aber auch hiefür kann man nichts sicheres anführen. Nur muß man diese absolut sicheren Befunde erwähnen, da sie geeignet scheinen, die Annahme, daß das Seitenhorn vielleicht auf dem Umwege der Gefäße einen trophischen Einfluß auf die Gewebe auszuüben imstande ist, zu stützen.

Wenn ich also nochmals kurz zusammenfasse, so habe ich in zwei Fällen von Osteomalazie der eine ein typischer Fall, der andere ein Fall von Hunger-Osteomalazie schwere Verän- derungen im Rückenmark gefunden. Im ersten Falle einen poly- sklerotischen Prozeß von unklarer Genese, im zweiten Falle ein tabiformes Bild, das wohl auf eine luische Infektion der Kranken zu beziehen ist.

Aber auch dieses Bild ist nicht charakteristisch, schon darum nicht, weil es sich mit Veränderungen im Seitenstrang, u. z. der Pyramidenbahn kombiniert und weil auch sonst Zeichen fehlen, die für die klassische Tabes Geltung haben. In beiden Fällen fanden sich auch schwere Degencrationen der Zellen des Seiten- hornes.

186 Dr. Tosihio Kurosawa.

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Über die Anordnung der Ganglienzellen im Vorderhorn der Lumbalanschwellung.

Von

Dr. Yanni Tsiminakis, Athen.

Mit einer schematischen Darstellung.

Als Ergänzung zu meiner Arbeit „Über die Anordnung der Ganglien- zellen im Vorderhorn der Halsanschwellung“ (Arbeiten aus dem Neu- rolog. Inst. d. Wiener Universität Heft 1/2, Bd. 30, Wien 1927) habe ich nun die Lumbalanschwellung untersucht und will im folgenden die Resultate dieser Untersuchung zusammenfassen.

In den Literaturangaben meiner ersten Schrift habe ich die Arbeiten von Bertrand und van Bogaert (7) und Bikeles (8) nicht erwähnt, da sie mir seinerzeit nicht zugänglich waren, weshalb ich sie jetzt heranziehe.

Trotz der größeren Menge ihres Materials kommen auch Bertrand und van Bogaert zu fast denselben Ergebnissen, wie ich sie in meiner früheren Arbeit erhalten habe. Der außerordentliche Wechsel der Zellbilder fast in jedem Schnitt fällt auch ihnen auf, ebenso wie die damit verbundenen Schwierigkeiten, ja sogar Unmöglichkeit einer Lokalisation, sei es muskulärer oder neuraler Art. 5

In der Annahme, daß vielleicht auf Basis der Menge des untersuchten Materials doch Schlüsse in Bezug auf die Lokalisation zu ziehen sind, haben Bertrand und van Bogaert sechs Rückenmarke untersucht, und zwar von verschiedenalterigen Individuen, um auch auf die Entwicklung Einblick zu gewinnen. Ihre größte Aufmerksamkeit wenden sie den An- schwellungen zu, obwohl sie das ganze Rückenmark durchuntersuchen, ohne weitere Aufschlüsse zu erlangen.

Die Arbeit von Bikeles, der in erster Linie die Lokalisation zu bestimmen versucht, kommt für mich nicht in Frage, da er den Zell- territorien als solchen keine Aufmerksamkeit schenkt.

Ich nahm diesmal zur Untersuchung ein 3cm hohes Stück zwischen D,. und S, von einem Riickenmark eines 30 jährigen männlichen Individuums.

Die Fixierung erfolgte in absolutem Alkohol, die Einbettung in Zeloidin und die Färbung der 20 u dicken Schnitte mit Toluidinblau. Es ergaben sich 1550 Schnitte, von denen jeder zehnte Schnitt, d. h. im ganzen 155 Schnitte, zur Untersuchung kamen. ;

Anordnung der Ganglienzellen im Vorderhorn der Lumbalanschwellung. 189

Ich bediente mich meiner früheren Einteilung und derselben Nomen- klatur (siehe Arbeiten Neurol. Inst. H. 1/2, Bd. 30, S. 145), die eigentlich wenig von der der anderen Autoren abweicht. Diese Einteilung konnte man zwanglos auch auf diese unteren Segmente übertragen, da die Abgrenzung der acht Zellgruppen, die ich unterscheide, eine ziemlich scharfe ist, wobei es gleich ist, ob diese Gruppen gut oder schlecht entwickelt erscheinen, oder ob sie aus großen oder kleinen Zellen bestehen.

Das außerordentliche Wechseln der Bilder von Schnitt zu Schnitt, was ich schon in meiner früheren Arbeit hervorgehoben habe, scheint mir auch hier in erster Reihe der Fall zu sein. Das gleiche gilt für das Vikariieren der einzelnen Zellgruppen, was ihre Entwicklung besonders an Zahl und in zweiter Linie an Größe der Zellen anbelangt.

Allerdings sind es immer die äußeren und die zentralen Zellgruppen, die hauptsächlich aus großen Zellen bestehen, während die inneren bis auf die ventrale fast ausschließlich aus kleinen Zellen zusammengesetzt sind.

Ich habe früher vorübergehend erwähnt, daß die Abgrenzung der einzelnen Zellgruppen voneinander eine ziemlich scharfe ist. Das gilt jedoch nicht allgemein, da einige Gruppen in bestimmten Höhen ineinander über- gehen, so daß an manchen seltenen Stellen ihre Abtrennung Schwierigkeiten bereitet. Mit Vorliebe ist es die zentrale Gruppe, die mit der apikalen und lateroventralen externen sich vermischt und seltener die laterodorsale Gruppe mit der apikalen.

Diese Verschmelzung, der vielleicht doch eine gewisse Aufmerksamkeit gebührt (da sie gerade auf die Unmöglichkeit einer Lokalisation hinweisen könnte), geschieht in einer bestimmten Höhe, und zwar im letzten Lumbal- segment, und sie ist in einer Reihe von Schnitten zu sehen.

Zur Erklärung der schematischen Darstellung sei erwähnt, daß die Zell- gruppen je nach ihrer Entwicklung und Größe der Zellen so dargestellt werden, daß volle Linien große Zellen bedeuten, punktierte kleine Zellen. Der Entwicklung nach wird das Fehlen der Gruppe auf die Ansatzlinie gezeich- net; mäßig gut entwickelte Zellgruppen 2 mm über der Ansatzlinie; gut entwickelte Zellgruppen 4mm über der Ansatzlinie und besonders gut ent- wickelte 8mm über derselben. Als Maß zur Beurteilung der Entwicklung einer Gruppe nahm ich die Zahl von fünf Zellen für die gut entwickelten und zehn Zellen für die besonders entwickelten Gruppen. Eine Gruppe mit weniger als fünf Zellen wird als mäßig entwickelt bezeichnet. Diese Menge von fünf Zellen nehmen übrigens auch Bertrand und van Bogaert in ihrer Arbeit an.

Bezüglich der einzelnen Gruppen gilt folgendes;

Die apikale Gruppe besteht fast ausschließlich aus großen Zellen. Kleine Zellen sind nur bis zur Mitte von L, zu finden. Am gleichmäßigsten ist diese Gruppe in der zweiten Hälfte von L und L; und am stärksten ebendort. Ein vollstän- diges Fehlen zeigt sich in fast allen Segmenten zeitweise und besonders stark in der unteren Hälfte von L}, im ganzen L, wo sie im Gegensatz zu der laterodorsalen und lateroventralen externen Gruppe am wenigsten entwickelt

Tsiminakis.

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190

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ersten Arbeit bes«

Anordnung der Ganglienzellen im Vorderhorn der Lumbalanschwellung. 191

Die laterodorsale Gruppe besteht in L, ausschlieBlich aus kleinen Zellen mit einer gleichmäßigen Entwicklung. Auch im Anfang von L} sind vorüber- gehend kleine Zellen zu sehen, die diese Gruppe bilden. Sehr stark und gleichmäßig ist diese Gruppe in L, entwickelt und diese Gleichmäßigkeit geht auch auf L, über, um erst gegen Ende dieses Segmentes wieder zu schwinden.

Die lateroventrale externe Gruppe besteht in ihrer ganzen Höhe aus großen Zellen mit nur sehr geringen Einlagerungen von kleinen Zellen. Sie ist bis Ly gut oder mäßig gut entwickelt, um sich in L, übermäßig zu ent- wickeln, gerade wie die vorher erwähnte laterodorsale Gruppe und im Gegen- satz zu der apikalen. Gegen Ende von L, sinkt ihre Entwicklung wieder.

Die zentrale Gruppe läßt vor allem ein Vikariieren mit der inneren latero- ventralen Gruppe erkennen, ist aber eher unregelmäßig entwickelt, so daBs wenig über sie zu erwähnen ist, außer diesem Vikariieren. Auch die Größe der Zellen, die diese Gruppe bilden, wechselt außerordentlich. Am gleichmäßig- sten ist sie bei Lg.

Die Ausbildung der lateroventralen internen Gruppe, besonders in L, und L, läßt viel zu wünschen übrig. Sie fehlt meistens vollständig und fängt erst bei L, an, sich zu entwickeln. Sie besteht einmal aus großen, dann wieder aus kleinen Zellen. Ihre größte Entwicklung ist in L}, und bei IL, ist sie wieder ziemlich gering angedeutet. Ein Vikariieren dieser Gruppe ist vor allem mit der mediodorsalen Gruppe zu sehen. Ihre stärkste Entwicklung zeigt sich dort, wo die mediodorsale am mangelhaftesten entwickelt ist.

Die mediodorsale Gruppe besteht bis auf einige große Zellen in der ersten Hälfte von L, nur aus kleinen Zellen. Sie ist von allen Zellgruppen die am mangelhaftesten entwickelte. In L; und L; fehlt sie fast völlig.

Die Medialis intermedia besteht auch nur aus kleinen Zellen. Über ihre Entwicklung läßt sich ebenfalls wenig sagen, da sie eine unregelmäßige ist. Interessant ist trotzdem, daß sie gerade dort am deutlichsten entwickelt ist, wo die vorige Gruppe und die nächstfolgende medioventrale Zellgruppe am schlechtesten ausgebildet sind, also bei Ly. Sowie die vorige, so ist auch diese Gruppen bei L; fast überhaupt. nicht mehr zu finden.

Die medioventrale Gruppe fängt bei L, mit einer ziemlich guten, aus großen Zellen bestehenden und regelmäßigen Entwicklung an. In L, sind schon Serien von Präparaten zu sehen, wo diese Gruppe aus kleinen Zellen besteht. Diese Einschübe von kleinen Zellen werden immer häufiger, und die Gruppe besteht inL, schon nur mehraussolchenkleinen Zellen. Auchistihr Vorhanden- sein nicht mehr so regelmäßig wie beiL,. Und gerade dort, wo die zwei früheren Gruppen, die mediodorsale und Medialis intermedia aufhören, d. h. in L; entwickelt sich wieder die medioventrale, aus kleinen Zellen bestehend.

Wie man daraus ersieht, ist das Vikariieren der Zellgruppen untereinan- der ein sehr auffallendes Verhalten. Man kann regelmäßig beobachten, daß dort, wo sich eine Gruppe stark oder übermäßig entwickelt, die angrenzenden verschwinden oder kaum angedeutet sind. Dabei verschmelzen die Gruppen mit den angrenzenden bis auf sehr seltene Stellen keinesfalls, wenn

AnA

Deutsch, Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum. TAI

Erste:

medial

7 ventral

8

Abbildung 7 und 9 normales Corpus geniculatum externum (23'8fach vergrößert). Abbildung 8 und 1 Optikusatrophie, Patient 3 Jab

Fs =, = an

10

schnitt aus derselben Ebene vom Corpus geniculatum Fall IHI Tabes dorsalis mit beiderseitiger blind (37’5fach vergrößert).

ON, or"

9,

TAFE

Zweites

Anfang des zweiten Viertels. aundb = Stellen, wo die Abtrennung der intermediären Schicht noch nicht erfolgte.

12

Abbildung 11 und 13 normal (23°8fach vergrößert).

1

‘jertel.

Ende des zweiten Viertels. a, = Beginn der Abspaltung der unteren intermediären Schicht.

14

Abbildung 12 und 14 Fall III (37’5fach vergrößert).

TAI

- Dritti

periphere Schi

obere intermei

untere intermt

ventrale Schic

lamina magno

lamina magno

16

Abbildung 15 und 17 normal (23°8 vergrößert).

Arbeiten aus dem Wr. neurol, Inst. XXXI. Bd.

| TIL

lertel.

eht.

icht.

sup.

of.

17

Gegen Ende des dritten Viertels.

Abbildung

18

16 und 18 Fall III (37°5fach vergrößert).

p. S.

0. i. 5. u. i. S.

TS:

ONL

20

Abbildung 19 und 21 normal (23°8fach vergrößert).

TAI Letzt

IV.

iertel,

21

Gegen Ende des letzten Viertels.

Abbildung 20 und 22 Fall III (87°5fach vergrößert).

Verlag von Franz Deuticke, Leipzig und Wien.

Deutsch, Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum.

TAFEL V.

Erstes Viertel. dorsal

medial lateral 9.6. F. 23 Normales Corpus geniculatum externum (23'8fach vergrößert). q. e. F. = quergetroffene einstrahlende Fasern. medial lateral

ef. 24 Querschnitt aus derselben Ebene wie Abb. 23 (37°5fach vergrößert). Corpus geniculatum Fall VI. Doppelseitige tabische Optikusatrophie. Patient 12 Jahre blind. Nur die aus- strahlende Faserung ist hier zu sehen.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd.

medial

TAFEL VI.

Zweites Viertel. dorsal

25 Normales Corpus geniculatum externum (23'8fachvergrößert).

26

VI. Fall. Querschnittt aus derselben Ebene wie Abb. 25 (37°5fach vergrößert).

lateral

OND

oF `

S

TAFEL VII.

Drittes Viertel. dorsal

medial

lateral

27 ventral Normales Corpus geniculatum externum (linkes Geniculatum) (23’8fach vergrößert).

lateral

medial

28 Ventral VI. Fall. Querschnitt aus derselben Ebene wie Abb. 27 (37°5fach vergrößert).

TAFEL VIII.

Viertes Viertel.

medial

medial

VI. Fall. Querschnitt etwas

30 oraler als Abb.

Verlag von

dorsal

lateral

lateral

29 (37'5fach vergrößert).

Franz Deuticke, Leipzig und Wien.

LN,

Deutsch, Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum.

TAFEL IX.

VI. Fall. Serie Frontalschnitte von oral nach kaudal (nach Weigert gefärbt, halb schemat.) dorsal

lateral

1—5 erstes Viertel, 6—8 zweites Viertel, 9 drittes Viertel, 10—11 letztes Viertel. Nur die ausstrahlenden Fasern sind hier erhalten. c. f. = Markhaltige Fasern, welche auch im Traktus oralwärts verfolgt werden können (s. Abb. 5, S. 145).

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Band. Verlag Franz Deuticke, Leipzig und Wien.

Deutsch, Die Veränderungen des Corpus geniculatum externum.

TAFEL X.

V. Fall. Horizontalschnitte (Weigert) hi

medial

caudal

Abb. 1. Basalster Schnitt. b. m. = basale Markplatte, hier atrophisch.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXI. Bd.

natisch.

oral

medial lateral

Abb. 10. Der dorsalste Schnitt.

Verlag von Franz Deuticke, Leipzig und Wien.

Arbeiten

aus dem

NEUROLOGISCHEN INSTITUTE

(österr. interakademisches Zentralinstitut für Hirnforschung)

an der Wiener Universität.

Begründet von Hofrat Prof. Dr. Heinrich Obersteiner + fortgeführt von Prof. Dr. Otto Marburg.

XXXII. Band.

Mit 108 Abbildungen im Text.

Leipzig und Wien. FRANZ DEUTICKE. 1930.

Verlags-Nr. 3858.

Manzsche Buchdruckerei, Wien IX. 2369.

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Jaburek, L., Über die Struktur der Nervenfaser. Mit 27 Abbildungen. . . 1

Nakamura, Dr. Tameo, Der Rollersche Kern. Mit 12 Abbildungen. . . . 61 Pollak, E. und Ph. Rezek, en und en

Mit 11 Abbildungen. . . . Sr . 95 Zellmann, cand. med. Grete, Zur Pathologie. det Ganglienzellen bei multipièr

Sklerose. Mit 4 Abbildungen . . . - . . 121

Zellmann, cand. med. Grete, Die Todesumache bei mältipler Sklerose - . . 129

Spiegel, E. A., und Lad. Tokay, Der Einfluß labtyrinthärer und kortikaler Rei- zung auf die Augenstellung nach Bee des hinteren Längs-

bündels. Mit 7 Abbildungen . . . . . . 138 Brzezicki, Eugen, Der Parkinsonismus sina ptomaticus, Mit 14 Abbildungen . . 148 Tokay, Dr. Ladislaus, Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des

Striatum zu dieser. Mit 3 Abbildungen . . . + . . 209 Kobayashi, Dr. Gisaku, Untersuchungen über die vetanderingeh je zentralen

Nervensystems bei Septiko-Pyämie. Mit 15 Abbildungen . . . . . 231 Nakamura, Dr. Tameo, Vergleichend-anatomische Untersuchungen über den s0-

genannten akzessorischen Abduzenskern. Mit 9 Abbildungen . . . . . 262 Kobayashi, Dr. Gisaku, Zur Frage der traumatischen Hämmorhagie. . . . 283

Godlowski, Dr. W. J., Über den Nucleus triangularis. Mit 6 Abbildungen. . . 289

Aus dem Neurologischen Institut der Universität in Wien, Vorstand Prof. Dr. Otto Marburg

und der Neurologischen Klinik der Universität in Lwow, Vorstand Prof. Dr. Henryk Halban.

Über die Struktur der Nervenfaser.

Versuch einer theoretischen Analyse des Baues und der funktionellen Beziehung der Faserelemente auf Grund von Quellungsbildern.*)

Mit 27 Abbildungen im Text. Von i

L. Jaburek

Assistent an der neurologischen Klinik der Universität in Lwów.

„Sich ein klares Bild von der Struktur der lebenden peripherischen Nervenfaser zu verschaffen, ist heute beinahe noch gerade so schwierig wie vor hun- dert Jahren. Das hat seine Ursache zweifellos darin, daß das nervöse Cytoplasma selbst den scheinbar mini- malsten technischen Eingriffen gegenüber eine außer- ordentliche Empfindlichkeit aufweist. Daher führt die Anwendung einer einzigen unserer heutzutage manch- mal recht komplizierten Färbe- und Imprägnierungs- methoden allzuleicht zu morphologischen Irrtümern und man muß also auf mannigfache Weise versuchen, die Bauelemente der Nerven- fasern zu analysieren.“ (Original ungesperrt.) Ph. Stöhr jr.: Die peripherische Nervenfaser. Möl- lendorffs Handbuch der mikroskopischen Anatomie des Menschen. Bd. IV. 1928.

Im Laufe einer Untersuchung über die Veränderungen an den Nerven- fasern bei der multiplen Sklerose hatten wir reichlich Gelegenheit, die Schwellung des Nervengewebes im mikroskopischen Präparate zu beobach- ten. Es fielen uns die eigenartigen Quellungsbilder der Nervenfasern auf, und als wir diese einer genaueren Betrachtung unterzogen, bemerkten wir, daß die quellende Markscheide und der quellende Achsenzylinder ein ganz bestimmtes, untereinander jedoch ungleiches Verhalten aufwiesen, wodurch ihre normale Lagebeziehung in stärker gequollenem Zustande weitgehend

*) Eine Mitteilung mit Demonstration über diese Frage wurde vom Verfasser in der Sitzung des Wiener Vereines für Psychiatrie und Neurologie am 11. Februar 1930 erstattet.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 1

2 L. Jaburek.

gestört erschien. Außerdem konnten wir die Beobachtung machen, daß so- wohl das Axon als auch die Markscheide anisodiametrisch, d. h. nach ver- schiedenen Achsen ungleich quellen, was mit ihrem optischen Verhalten gut übereinstimmt und einige Überlegungen über die Bedingungen einer solchen Quellung zur Folge hatte. Diese führten auf rein theoretischem Wege zu Ergebnissen, die sich in überraschender Weise mit den meisten Struktureigentümlichkeiten der Nervenfaser und insbesondere der Mark- scheide in Einklang bringen ließen. Der Umstand, daß über diese Eigen- tümlichkeiten in der Struktur des Myelinrohres die verschiedensten An- sichten herrschen, daß diese schließlich geradezu rätselhaft erscheinen und deshalb trotz ihrer großen Beständigkeit im Auftreten teils als Pseudo- strukturen, teils als grobe Artefakte bewertet werden, bestimmt uns zu ver- suchen, sie auf Grund der beobachteten Quellungsphänomene als Forderung eines theoretischen Studiums erscheinen zu lassen. Außerdem können wir an dieses einige Betrachtungen über die physiologische Beziehung der Mark- scheide und des Achsenzylinders anknüpfen. Inwiefern die Richtigkeit der Theorie durch die Tatsachen bestätigt und umgekehrt die Tatsachen durch das Theoretische geklärt erscheinen, soll durch die nachfolgende Entwick- lung des Gedankenganges an Hand einfacher Quellungsbilder dargetan wer- den. Es sollen die Worte Stöhrs beherzigt werden, daß man auf mannig- fache Weise versuchen muß die Bauelemente der Nervenfaser zu ana- lysieren.

Das Quellungsbild.

An Längsschnitten der weißen Substanz des Rückenmarks, die mit der Markscheidenmethode nach Spielmeyer und außerdem mit Sudan IH und Ehrlichschem Hämatoxylin gefärbt worden sind, bemerkt man inner- halh gequollener Bezirke, daß die Dicke der Nervenfasern bedeutend zu- genommen hat. Es fällt hiebei ins Auge, daß die Dickenzunahme haupt- sächlich den Achsenzylinder betrifft, der bandförmig erweitert, weite Strecken des Präparates durchläuft. Die Markscheide selbst scheint zunächst wenig verändert. Außer einer Erweiterung des Lumens, entsprechend dem ver- größerten Dickenausmaße des Axons, weist sie in leichteren Quellungsgraden keine Besonderheiten auf. In ausgeprägteren Fällen jedoch sieht man oft, wie sich ihr Markmantel, der bis dahin den Achsenzylinder eng umschlossen hielt, von diesem auf anfänglich kurzen Strecken abzuheben beginnt, wo- durch zwischen beiden ein kleiner, zirkulärer Spaltraum entsteht. Dieser wird in Fällen stärkerer Quellung größer, so daß die verdickte Markscheide in ihrem Verlaufe spindelige, ja selbst große kugelige Auftreibungen auf- weisen kann, deren Hohlräume der Achsenzylinder passiert, ohne sie in- dessen vollkommen auszufüllen. Innerhalb solcher Auftreibungen der Mark- scheide zeigt der Achsenzylinder ein charakteristisches Verhalten: er windet sich korkzieherartig um seine Längsachse oder zeigt Ansätze zu einer Schlingenbildung. Die Abb. 1, eine Mikrophotographie eines mit Sudan HI und Hämatoxylin gefärbten Schnittes (die Markscheiden färben sich Jeuch-

Cher die Struktur der Nervenfaser. 3

tend gelb, die Achsenzylinder leicht graublau), führt die dargestellten Ver- hältnisse vor Augen: man sieht eine mit ihrer Längsachse etwas schräg verlaufende spindelige Auftreibung der Markscheide, in ihr einen Teil der Axonspirale und unterhalb eine zweite, jedoch weniger stark gequollene Nervenfaser, die das untere Ende der Spindel überlagert.

Was das genauere Verhalten des Achsenzylinders anbelangt, so be- obachten wir, daß seine Dickenzunahme gegen die Markspindel zu immer stärker wird, um ihr Maximum innerhalb der Auftreibung auf dem Spiral- oder Schlingenabschnitte des Axons zu erreichen. Gleichzeitig können wir einige Unterschiede in seinem färberischen Verhalten konstatieren. Das ge

Abb. 1. Gequollene Nervenfasern in einem frischen Herd von multipler Sklerose. Sudan und Hämatoxylin, Mikrophotographie.

quollene Axon imprägniert sich bedeutend schwächer und bei weitem nicht so gleichmäßig mit Silber wie das normale, ein Umstand, der allgemein bekannt ist, und verrät überdies auf dem Höhepunkte der Quellung eine ausgesprochene Affinität zu Hämatoxylin, was wir einige Male ganz genau feststellen konnten. Auf Gefrierschnitten, deren Markscheiden nach der Me- thode von Spielmeyer gefärbt worden waren, sahen wir viele gequollene Achsenzylinder viel intensiver gefärbt als die Markscheiden selbst. Dies trat an entsprechend differenzierten Präparaten sehr schön hervor. Das- selbe konnte an Schnitten beobachtet werden, die mit Ehrlichschem Him. atoxylin behandelt worden waren. Auch im Alzheimer-Mann-Präparat färbi sich der gequollene Achsenzylinder in einem anderen Farbton als der ungequollene (rot anstatt blau), was von verschiedenen Autoren gelegent- lich hervorgehoben wurde.

1*

4 L. Jaburek.

Das Quellungsbild der Markscheide, das uns noch weiterhin zu be- schäftigen haben wird, zeigt außer der besprochenen Auftreibung keine an- deren besonderen Merkmale. Daß die Auftreibung selbst durch eine Quel- lung bedingt ist und nicht etwa durch Druckkräfte, die von innen wirken würden, ist daraus ersichtlich, daß die Dicke der Markwand trotz ihrer großen, durch die besagte Auftreibung hervorgerufenen Oberflächenvergröße- rung nicht nur nicht dünner geworden ist, sondern im Gegenteil eine fest- stellbare Dickenzunahme aufweist. Übrigens ist das Phänomen der Mark- scheidenquellung als solches bereits hinlänglich bekannt und in der Lite. ratur oft angeführt. So erwähnt Spielmeyer die Empfindlichkeit der Markscheide und betont, „daß das Mark leicht quillt und gerinnt und auch ungleich schrumpft. So kommen an Markscheidenpräparaten vom normalen Gewebe allerhand Auftreibungen und spindelige Blähungen zu Gesicht, die eben nicht als krankhaft bewertet werden dürfen. Jeder kennt solche Bil- der...“ Auch basieren die physikalisch-chemischen Untersuchungen von Spiegel auf der Tatsache, daß die Markscheide durch verschiedene Ein- griffe leicht zum Quellen gebracht werden kann.

Zusammenfassend läßt sich der Quellungsvorgang an den Nervenfasern so charakterisieren, daß in nicht weit vorgeschrittenen Stadien der Quellung die Markscheide und der Achsenzylinder ihren Kontakt noch (leidlich) zu be- wahren vermögen und daß dieser erst bei stärkerer Quellung aufgehoben wird. Aus der Aufhebung des Kontaktes zwischen Axon und Markscheide in gequollenem Zustande muß man schließen, daß sich der Quellungsprozeß bei diesen beiden Medien auf eine verschiedene Weise auswirkt oder kurz, daß sie beide ungleiche Quellungswerte besitzen. An den Achsenzylindern beobachten wir zunächst eine deutliche Vergrößerung des Ausmaßes in allen Radien, später auch eine ebenso ausgesprochene Vergrößerung in der Längs- achse. Dadurch wird bewirkt, daß sich der verlängerte Achsenzylinder, da ihm keine entsprechende Verlängerung des Raumes zu Gebote steht, not- gedrungen in eine Schlinge oder Spirale legen muß. Die Markscheide da- gegen quillt vornehmlich zirkulär (oder tangential), und zwar in einem höhe- ren Maß als das Axon radiär, woraus schließlich die beschriebene Spalt- bildung zwischen dieses beiden Körpern resultieren muß.

Die Markscheide.

Die Analyse des Quellungsbildes der Markscheide ergibt also, daß sich die Quellung hauptsächlich in einer Erweiterung des Markrohrvolumens kund. eibt. Der innere Durchmesser der geblähten Markscheide scheint um viele hundert Prozent vergrößert, was einer gleich großen prozentuellen Erweite- rung ihres Umfanges entspricht. Ebenfalls doch in einem geringeren Maße quillt die Myelinscheide in die Länge. Der durch die Quellung resultierende Längenzuwachs des Myelinrohres läßt sich offenbar bestimmen, indem man die Achsenlänge des gequollenen Abschnittes von seiner Profillänge sub- trahiert; bei einer kugelförmigen Aufquellung müßte er sich wie der halbe Kreisumfang zum doppelten Radius, d. h. wie ra:2r, verhalten, das ist

Uber die Struktur der Nervenfaser. 5

gegen 500%, betragen. In ähnlichem Maße scheint durch die Wasseraufnahme die Wanddicke des Rohres zugenommen zu haben. Eine ganz exakte Be- stimmung ist hier leider mit großen Schwierigkeiten verbunden, da die Nervenfaser zu oft die Schnittebene nach kurzem Verlaufe verläßt, doch kann man durch Vergleiche mit anderen ungequollenen Partien des Präparates herausfinden, daß sie überraschend gering ist und in keinem Verhältnisse zur Umfangsquellung des Myelinrohres steht. Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir die Wandverdickung des Myelinrohres maximal mit 50% bestim- men. Diese letzte Bestimmung kann aus der Mikrophotographie (Abb. 1) allein nicht getroffen werden. Hiezu ist ein reichlicher Gebrauch der Mikro- meterschraube unbedingt notwendig. Die schematische Abb. 2, eine Nach- zeichnung aus dem Präparat, gibt die Verhältnisse besser wieder. Demnach

Abb. 2. Schematische Darstellung einer gequollenen Nervenfaser. Achsenzylinder grau, Markscheide schwarz.

hätten wir gefunden, daß die Markscheide in verschiedenen Richtungen (Achsen), in der tangentialen, longitudinalen und radiären, verschieden stark, also anisodiametrisch dreidimensional quillt und damit ein Phänomen kon- statiert, das an organischen Gebilden (Fasern, Membranen) des öfteren be- obachtet wurde.

Die Vorstellung von den Quellungsrichtungen soll für die weiteren Aus- führungen von besonderer Bedeutung sein und deshalb möge eine andere Deutung des gefundenen Quellungsbildes berücksichtigt werden. Es geht um die Frage, ob nicht der Längenzuwachs der Markscheide bloß ein schein- barer ist, ob nicht die Spindelbildung des Markrohres lediglich als ein Re- sultat des Umfangwachstums bei der Quellung anzusehen wäre, wobei sich die Markscheide selbst durch die hiebei eintretenden Spannungskräfte in ihrer Achse zusammenziehen müßte. Abgesehen davon, daß man bei einer solchen Vorstellung ein freies Auf- und Abgleiten einzelner Nervenfasern innerhalb eines Rückenmarkstranges annehmen müßte, also einen so locke- ren Verband, wie er in Wirklichkeit zweifellos nicht besteht, widersprechen noch andere Tatsachen einer solchen Deutung der Profilausbuchtung des Myelinrohres. Sie sollen im folgenden erörtert werden.

Seitdem die Quellungsphänomene zur Erklärung der Muskelkontraktion herangezogen worden sind, ist auch das Problem der nach verschiedenen Achsen ungleichmäßigen, anisodiametrischen Quellung, wie wir eine solche

6 L. Jaburek.

auch an der Markscheide gefunden haben, eingehender studiert worden. Man kam allgemein zur Überzeugung (V. v. Ebner, Engelmann, Fürth), daß positiv doppelbrechenden Körpern (Myofibrillen, leimgebenden Bindegewebs- fasern usw.) besondere Quellungsachsen zukommen, längs welchen der Quel- lungsgrad verschiedene Höhen erreicht. Die optische Achse war immer die Achse der minimalsten Quellung. Ob sie sich auch unter besonderen Umständen (Säurequellung) verkürzen kann, ist, wie wir es noch aus den Literaturangaben ersehen werden, für die Quellungstheorie der Muskelkontrak- tion ein springender Punkt, hier aber belanglos. Für uns hat bloß das Prinzip Bedeutung, daß in der Richtung der optischen Achse die geringste Anzalıl von Wasserteilchen eingelagert wird.

Nun wissen wir aber, daß die optischen Achsen der Markscheide als eines gleichfalls positiv doppelbrechenden Körpers „im Querschnitte der Markscheide radiär liegen, senkrecht zur Längsachse des Nerven. Eine Ebene, welche durch die Längsachse der Nervenfaser gelegt wird, steht senk- recht zu den Querschnittsebenen, in welchen die optischen Kristallachsen liegen, sie schneidet diese Ebene in Geraden, die senkrecht zur Längs- richtung der Markscheide stehen“ (Spiegel). Nachdem wir also im mikro- skopischen Präparat eine Quellungsverdickung der Markwand in der Aus- dehnung der optischen Achse sichergestellt hatten, so muß folgerichtig auch eine mindestens ebenso große Quellung der Myelinscheide in der Längs- richtung angenommen werden. Die Spindelbildung des Markrohres der Nerven- faser als typisches Quellungsphänomen kann also nicht auf eine alleinige Quellung des Myelins in seiner zirkulären Ausdehnung zurückgeführt werden.

Wie hoch sich der Quellungsindex für die einzelnen Achsen der Mark- scheide stellt, kann aus histologischen Präparaten offenbar nicht angegeben werden. Exakte Messungen sind zu unseren Zwecken auch gar nicht not- ‚wendig. Es genügt uns festzustellen, daß sich das Quellungsverhältnis in den einzelnen Dimensionen ungefähr wie 8:1:1 verhält, wobei die Größe 8 für die zirkuläre (tangentiale) Richtung entfällt. Ja, wir können noch weiter gehen, und uns allein mit dem Befunde begnügen, daß die Markscheide aniso- diametrisch dreidimensional quillt, wobei die Quellung in zirkulärer Rich- tung bedeutend überwiegt; in den beiden anderen Richtungen scheint der Unterschied in der Quellungsintensität nicht groß zu sein.

Es drängt sich nun von selbst die Frage auf, welche besonderen Bedin- gungen in einem quellbaren Körper gegeben sind, die eine anisodiametrische Wasserspeicherung zur Folge haben. Wenn ein trockener Zelloidinwürfel unter Alkohol gesetzt, seine Flächenausmaße allseitig und gleichmäßig ver- größert, so kann dies durch eine vollkommen ordnungslose Aufnahme von Alkoholteilehen hervorgerufen sein, die in allen Richtungen regellos an- gelagert, schließlich eine vollkommene Quellungsisodiametrie resultieren las- sen; es könnte aber auch der Fall sein, daß in dem quellenden Zelloidin- würfel der Alkohol nach ganz bestimmten Gesetzen gebunden wird und daß diese Gesetze die Menge und Richtung der Alkoholansetzung und somit die Quellungsgleichheit von Zelloidin bestimmen. Anders ist es bei einem Kör-

Cher die Struktur der Nervenfaser. 7

per, der anisodiametrisch quillt. Hier ist es von vornherein ausgeschlossen, daß die den Körper zur Quellung bringenden Flüssigkeitsteilchen ordnungs- los eingelagert würden; in ihm müssen vielmehr ganz bestimmte, ein ge- wisses System verratende Bedingungen gegeben sein, die seine Ungleich- achsigkeit bei der Quellung zur Folge haben. Welche sind sie, worauf be- ruht das Wesen dieser Ordnung?

Vergleichen wir zunächst unsere Befunde mit ähnlichen, die an anderen organischen Körpern gemacht worden sind. Bei Fürth sind einige literarische Angaben zusammengestellt und wir übernehmen sie aus seiner Monographie. soweit sie hier von Interesse sind:

»V. v. Ebner gelangt zu der Anschauung, daß ganz allgemein organi- sierten anisotropen Körpern Quellungsachsen zukommen, d. h. Richtungen, nach welchen die Wasseraufnahme bei der Quellung verschieden groß ist.

Die Quellung in Säuren und Alkalien sagt v. Ebner... geschieht vor- züglich nach der Querrichtung der Sehne. In dieser Richtung wird offenbar viel Wasser eingelagert, während dies in der Längsrichtung nicht der Fall zu sein scheint... Die Verdickung in der Quere beträgt bei Quellung in verdünnter Essigsäure etwa 25000 des ursprünglichen Durchmessers...

V. v. Ebner beobachtete ferner das Verhalten von Haaren bei der Quel- lung in Natronlauge. Man bemerkt erst eine Verkürzung, dann aber eine Verlängerung. Namentlich an dicken Schweinsborsten zeigte es sich, daß schon im ersten Stadium der Quellung, während welcher das Haar sich ver- kürzt, die Dickenzunahme des Haares eine sehr bedeutende ist. Läßt man bei menschlichen Haaren die Quellung bis zur neuerlichen Verlängerung des Haarstückes fortschreiten, so ist der schließliche Effekt immer der, daß die prozentische Zunahme des Durchmessers mindestens dreimal größer ist als die prozentische Zunahme der Länge.

Engelmann... hat zahlreiche Beobachtungen über die Quellung von Violinsaiten in Säuren angestellt. Darmsaitenstücke (Violinsaite E) von 10cm Länge und etwa 0,6 mm Dicke wurden bei Zimmertemperatur in die zu prüfende Flüssigkeit eingelegt, sodann nach einiger Zeit herausgenommen und gemessen. So ergaben sich nach einem Tage in Wasser die Dimensionen 92 mm Länge, 1,2 mm Dicke,... in Milchsäure 50% :62 mm:4,5 mm; in HCI 1%0:72 mm:3 mm etc.

Gegen die Deutung der Engelmannschen Fundamentalversuche betref- fend der Säureverkürzung von Darmsaiten sind kürzlich durch Bernstein... schwerwiegende Einwände erhoben worden.

Bernstein bestätigt zunächst Engelmanns Beobachtungen als solche. Er weist auch auf die alten Erfahrungen hin, denen zufolge sich Stricke, Bind- fäden, Schnüre, Seile und Taue aller Art, die aus Hanf oder Flachsfasern zu- sammengedreht sind, bei Imbibition mit Wasser ebenso wie die Darmsaiten verkürzen und dabei eine bedeutende Kraftleistung zu entfalten vermögen. Nun basiert Engelmanns Hypothese auf der Annahme, daß sich die Binde- gewebsfasern als solche bei ihrer Quellung verkürzen. Demgegenüber stellt Bernstein fest, daß Strieke, Darmsaiten und dergleichen sich stets aus

8 L. Jaburek.

Strängen zusammensetzen, die spiralartig um eine Längsachse gedreht sind. Aufgedrehte Schnüre und Darmsaiten zeigen dagegen bei der Quellung keine merkliche Verkürzung; sie nehmen vielmehr nur in der Dickendimension zu. Die, Verkürzung gedrehter Stränge erklärt sich derart, daß die Fasern, indem sie bei der Quellung dicker werden, sich von der Windungsachse zu ent- fernen streben. Die Länge der einzelnen Fasern bleibt tatsächlich unver- ändert, die Achse der Spindel erscheint aber verkürzt.

Schließlich bestreitet Bernstein die prinzipielle Berechtigung des Grund- gedankens einer Verkürzung durch anisodiametrische Quellung.“

Aus dieser kurzen Literaturübersicht ersehen wir zweierlei. Erstens sehen wir unseren Befund, wonach die Markscheide anisodiametrisch quillt, insoweit bestätigt, als schon V. v. Ebner fand, daß allgemein organisierten Substanzen besondere Quellungsachsen zukommen, zweitens finden wir, wenn wir von einer Säurequellung und der mit ihr verbundenen strittigen Achsen- verkürzung absehen, daß wir hier mit anisodiametrischen Quellungsphäno- menen zu tun haben, die ungleich weniger kompliziert sind, als wir sie an der Markscheide gefunden hatten. Sie sollen einen Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen bilden.

Wie können wir uns die ungleichachsige zweidimensionale Quellung einer ins Wasser geworfenen Violinsaite erklären? Sobald diese nur in den beiden Achsen des Dickenausmaßes, in allen Radien gleichmäßig quillt, in ihrer Länge aber unverändert bleibt, so will das bedeuten, daß sich die Wasserteilchen in der Violinsaite in der Weise ansammeln, daß durch sie die einzelnen Stoffteilchen der Saite in radiärer und zirkulärer Richtung auseinandergeschoben werden, in longitudinärer Richtung dagegen ihren Zu- sammenhang bewahren. Mit anderen Worten: es kommen bei einer quellen- den Saite die Wasserteilchen nur in Ebenen zu liegen, die senkrecht zur Längsachse gestellt sind, also nur in den Querschnittsebenen; in den Längs- ebenen dagegen wird kein Wasser eingelagert. Dasselbe müßten wir von einem quellenden Haar oder einer quellenden Sehne sagen.

Die zur Erklärung einer bidimensionalen Quellung einzig mögliche Vor- stellung, daß einzelne Teilchen eines Körpers in gewissen Richtungen ihren Zusammenhang bewahren, führt uns unmittelbar in den organischen Struktur- begriff hinüber. Wir haben auch für solche zusammenhängende Stoffteil- chen, Strukturelemente einen besonderen Ausdruck; wir bezeichnen sie als Fasern oder Fibrillen. Wir werden also die Bedingungen für eine anisodia- metrische Quellung einer leimgebenden Bindegewebsfaser, einer Sehne, einer Violinsaite oder eines Haares in ihren fibrillären Strukturen suchen und auch finden. Bei einer kollagenen Bindegewebsfaser oder einer Sehne be- lehrt uns darüber ihr histologischer Bau, bei einer Saite oder einem Haar genügt der Versuch, diese Gebilde mit spitzen Nadeln zu zerzupfen.

Die Größe der einzelnen, sich zu Fibrillen zusammenkettenden Elemente ist offenbar bedeutungslos, bei verschiedenen organischen Gebilden ver- schieden. Bei einem Haar sind es ganze Zellen oder sogar Zellgruppen, die sich zu festeren Säulen formen, bei den Myofibrillen mögen es kleinste, ultra-

Uber die Struktur der Nervenfaser. 9

mikroskopische, im Protoplasma enthaltene Teilchen sein, quellungsfähige Molekularkomplexe, die „Inotagmen“ wie Engelmann meint. Maßgebend ist das organische Fibrillenprinzip, wie wir es im Muskel, in kollagenen Binde- gewebsfasern usw. beobachten und welches zur Folge hat, daß das Wasser nur in den Querschnittsebenen aufgenommen werden kann. Ein solches Prinzip müßten wir überall vermuten, wo wir eine zweidimensionale Imbibi- tion oder Quellung vorfinden (denn beide Erscheinungen können im physi- kalischen Sinne als gleichwertig betrachtet werden), selbst wenn es unseren optischen Mitteln nicht gelingen sollte, dieses Prinzip aufzulösen.

Ebenso wie die Größe der einzelnen Strukturelemente ist auch die Art ihres Aufbaues zu Fibrillen für unsere Erwägungen ohne Belang. Es genügt uns zu wissen, daß im Falle einer Imbibition, einer rein physikalischen Er- scheinung, die Stränge keine quer verlaufenden kapillären Räume bieten, die das Wasser aufsaugen könnten, in Fällen von Quellung dagegen die Be- dingungen nicht gegeben sind, daß Wasserteilchen in lockerer, leicht rever- sibler Bindung in den longitudinalen Ebenen einer Bindegewebsfaser oder einer Sehne eingelagert werden.

Gerade die Art der Anordnung dieser Quellungsbedingungen im Raume ist es, die wir suchen, weil sie die physikalische (irundlage bildet, auf der das Quellungsverhältnis der drei Achsen eines Körpers bestimmt wird. Quillt nämlich ein Körper, so entstehen mit Wasser angefüllte Räume, die ihn durchsetzen und vergrößern und deren Ausbreitung räumlich mit den be- sprochenen Quellungsbedingungen zusammenfällt. Zwischen diesen bei einer Quellung entstehenden Räumen ist nun die Materie des quellenden Körpers untergebracht. Sie wird durch den Quellungsvorgang in verschiedenen Rich- tungen auseinandergeschoben, gespalten und in kleine Stückchen zerlegt, während die Form der Spaltungsprodukte und deren gegenseitige Lagerung, die sich zu den Quellungsräumen wie ein Positiv zum Negativ verhält, nichts anderes ausdrückt, wie die Struktur der quellenden Materie selbst. Diese Struktur kann auch in Fällen stärkster Entquellung nicht verloren gehen, ebenso wie ein ins Wasser getauchter und dann ausgedrückter Watte- bausch seine Fasern nicht verliert. Wir werden also im folgenden beschäftigt sein zu ermitteln, wie die sich mit dem Quellungswasser anfüllenden Räume verlaufen und wie sie sich in dem quellenden Körper überall ausbreiten, nachdem sie nicht nur für die Entstehung der physikalischen Quellungs- phänomene, sondern auch für die Struktur des Körpers maßgebend sind.

Es ist nun höchst interessant unsere Vorstellungen über den Quellungs- vorgang. wie wir sie aus den angegebenen Vergleichen an der Imbibition entwickelt hatten, mit den diesbezüglichen, heutzutage geltenden Anschau- ungen über die Natur des Quellungsprozesses zu vergleichen. Bezeichnend ist schon der Umstand, daß Bayliss die Ausdrücke Quellung und Imbibi- tion synonym gebraucht, er spricht ausdrücklich von einer Imbibition der Gelatine —, das Thema aber direkt anfassend sind die Untersuchungen von Posnyak, der nach Bayliss drei Möglichkeiten des Quellungsvorganges aufstellt:

10 L. Jaburek.

1. Bei eintretender Quellung wird das Wasser auf der Oberfläche der Körnchen des Gels kondensiert, was zur Folge hat, daß die „kapillaren Räume“ zwischen ihnen ausgefüllt werden, während die Größe der Körnchen selbst unverändert verbleibt.

2. Die Quellung beruht auf einer einfachen Lösung der Flüssigkeit in der Körnchensubstanz, wodurch ihre Größe, ihre Dichtigkeit und ihre anderen physikalischen Eigenschaften verändert werden.

3. Beide Prozesse finden nebeneinander statt.

Posnyak ist nun der Ansicht, daß die dritte Möglichkeit die theoretisch wahrscheinlichste ist, während Bayliss aus den Ergebnissen seiner (Posnyaks) Experimente über den Einfluß des Druckes auf den Gehalt eines Gels an Lösungsmittel den Schluß zieht, daß sie gerade zugunsten der ersten Annahme sprechen. „Nach Zsigmondy ist die Herabsetzung des Dampfdruckes bei der Quellung der Kieselsäure in Wasser durch die Bildung eines konkaven Meniskus, nicht durch Bildung von Hydraten, zu erklären. Die Quellung besteht dann im Ausfüllen von Hohlräumen. Aber eine Vereinigung der kolloidalen Substanz mit Wasser findet nicht statt.“ (Original ungesperrt.) Bayliss führt noch weitere Argumente an, die den Quellungsprozeß als eine Kondensation des Wassers an den Gelkörnchen sehr wahrscheinlich machen.

Wir finden also, daß unsere ganz allgemein gehaltene Auffassung über die Natur des Quellungsvorganges (Wasseraufnahme in freien Quellungs- räumen zwischen den Substanzpartikelchen des quellenden Körpers) mit der anderweitig an (ielen gut begründeten Kondensationstheorie der Quellung zusammenfällt.

Der innige Zusammenhang zwischen Quellung und Struktur ist dem- nach ebenso klar, wie daß der Strukturbegriff nichts Absolutes beinhaltet. Nehmen wir einen Körper an, der in zwei verschiedenen Medien verschieden- artig quillt oder schrumpft. Wir müßten diesem Körper zwei verschiedene Strukturen zuschreiben und würden sicherlich keinen Fehler begehen. Denn „Struktur“ im organischen Sinn ist eben eine relative Größe, die für sich allein nichts aussagt. Wenn das Zellplasma einmal körnig, ein anderes Mal füdig erscheint, so liegt es eben an der verschiedenen Relation zwischen Plasma und den verschiedenen Fixierungen. Obwohl also keine einzige mikro- skopische Struktur etwas Unwahres ist, so werden wir doch behaupten können, daß es Strukturen gibt, die in Relation zu physiologischen, pathologischen oder gar ganz künstlichen Bedingungen (unsere Fixierungsmittel) zu bringen sind.

Die Quellung der Nervenfaser ist nun ein Vorgang, dessen Qualität nicht nur im Bereiche des Physiologischen liegt, sondern daselbst, wie wir noch schen werden, eine bedeutende Rolle zu spielen scheint, während die Quantität dieses Vorganges sich ins Pathologische steigern kann, wie wir es eben ganz zufällig bei der multiplen Sklerose gefunden hatten. Die Definie rung der Quellungsräume in bezug auf ihre Verteilung in der Markscheide und die Ermittlung des entsprechenden Positivs käme also einer Auffindung

Über die Struktur der Nervenfaser. 11

ihrer Struktur in normalen Verhältnissen gleich. Der Umstand, daß das Myelin anisodiametrisch quillt soll uns dazu verhelfen.

Die Lösung der aufgeworfenen Frage können wir am leichtesten aus einer Beantwortung einzelner einfacherer Fragen aufbauen. Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse an einem flächenhaften Gebilde von einem einfachen Umriß, also z. B. an einer rechteckigen Membran ab, die nur längs einer Seite (a) quillt. Wie wir bereits erkannt haben, läßt sich eine solche Quellung nicht anders erklären, als daß die Membran von einem System von Quellungsräumen durchzogen wird, die sich nur in der Aus- dehnung a erweitern, und zwar auf jedem Punkt des Abschnittes b gleich- mäßig. Daraus ergibt sich, daß dieses System die ganze Höhe b des Recht- eckes durchlaufen muß, daß es also aus einzelnen Spalten besteht, die die beiden Grundlinien des Rechteckes a b verbinden, und zwar so, daß sie mit

Abb. 3. Der Verlauf der Quellungsräume (schwarz) einer anisodiametrisch einachsig quellenden rechteckigen Membran a b.

diesen Grundlinien rechte Winkel einschließen. Auf diese Weise muß eine Streifenstruktur des Rechteckes entstehen (Abb. 3). Alle anderen Lösungen können nur unbedeutende Varianten dieses Prinzips sein und müssen sich auf dasselbe zurückführen lassen.

Diese Streifenstruktur einer Fläche entspricht projektionsgemäß einer Septenstruktur bei einem Körper, der quellend nur eine Achse vergrößert. Quillt dagegen ein Körper, z. B. der Quader abe zweiachsig in der Aus- dehnung a und c, dann muß durch die räumliche Projektion der Struktur- streifen der sich einachsig vergrößernden Flächen ab und be eine Fibrillen- struktur des Quaders abc erschlossen werden. Die Fibrillen müssen parallel zur Kante b verlaufen, ähnlich wie die Fasern eines aufgedrehten Taues, das sich mit Wasser bidimensional imbibiert.

Ungleich komplizierter wird das Problem an einer Fläche, die aniso- diametrisch und zugleich zweiachsig quillt. Um die Quellung in zwei auf- einander senkrecht stehenden Richtungen strukturell auszudrücken, müßten wir auch zwei senkrecht aufeinandergestellte Systeme von Quellungsräumen

12 L. Jaburek.

annchmen, deren Wasserkapazität aber ungleich sein müßte, um eine Quel- lungsungleichheit in den beiden Achsen zu erklären. Durch das zweite Sy- stem von Quellungsräumen müßten sich die Streifen in eine mosaikartige Struktur kleinster Flächenpartikelchen auflösen.

Die Natur der verschiedenen Wasserkapazität könnte nun eine drei- fache sein:

1. Chemisch: die ungleiche Wasserfüllung der Systeme wäre durch eine verschiedene Wasserbindungsfihigkeit längs verschiedener Seiten eines Flächenpartikels bedingt (Abb. 4a).

2. Physikalisch: die ungleiche Wasserfüllung der Systeme wäre auf eine ungleiche Anzahl von Quellungsräumen auf gleich langen Abschnitten, d. h. auf ungleiche Ausmaße eines Flächenpartikels zurückzuführen (Abb. 4b).

Abb. 4. Der Verlauf der Quellungsräume (schwarz) einer anisodiametrisch zweiachsig quellenden Membran. Ad a und b.

3. Chemisch-physikalisch: durch ein gleichzeitiges Zusammentreffen von 1 und 2.

Wie dem auch sei, müßte eine anisodiametrische Zweiachsenquellung einer Fläche oder eine anisodiametrische Dreiachsenquellung eines Körpers (wie es aus einer Projektion der entsprechenden Flächenstrukturen ohne weiteres hervorgeht) immer auf eine regelmäßige mosaikartige Struktur und eine ungleiche Wasserkapazität einzelner Quellungssysteme zurückgeführt werden.

Wir hätten uns also nach dieser Auffassung das Myelinrohr, das als ein längs einer Seitenfläche eingerollter Quader betrachtet werden kann, so vorzustellen, daß es aus kleinsten, untereinander gleich großen Partikelchen besteht, die wohlgeordnet nach den Seitenlängen oder Wasseraffinitäten, auf jedem Querschnitte des Rohres radiär verlaufen.

Über die Struktur der Nervenfaser. 13

Inwiefern eine solche kristallartige, räumliche Mosaikstruktur mit dem Begriff einer organischen Struktur zusammenfallen kann, ist bei der Rela- tivität des Begriffes offenbar schwer zu sagen. Wenn wir auch daran fest- halten wollten, daß ,,Kérnchen“ die primitivsten organischen Strukturbildun- gen sind, dann könnten die einzelnen Mosaikpartikel des Myelins bei ihrer undefinierten Größe mit irgend welchen protoplasmatischen Granulabildungen unschwer homologisiert werden. Daß die Beobachtung der Markscheide in vivo, ebenso wie das fixierte Präparat, nichts von diesen Körnchen erkennen läßt, ist allerdings ein Umstand, dessen Bedeutung noch besprochen werden wird. Die regelmäßige Mosaikstruktur dagegen kann nicht sonderbar er- scheinen, sobald fibrilläre Strukturen eine mindestens gleich große Regel-

Abb. 5. Das Achsenquellungsverhältnis a:b ist von dem Winkel a abhängig.

mäßigkeit im Aufbau der Teilchen voraussetzen. Auch ist zu bedenken, daß wir es in dem Myelin mit einem Mischkristall zu tun haben.

Wenden wir uns nunmehr der zweiten Lösungsmöglichkeit desselben Strukturproblems zu.

Nach dem oben durchgeführten Gedankengange haben wir herausgefun- den, daß die Ungleichachsigkeit bei der Quellung auf zwei Prinzipien beruht: erstens auf dem Prinzipe der räumlichen Mosaikstruktur und zweitens auf dem Prinzipe der ungleichen Wasserkapazität. Wie wir nun schen werden, läßt sich das Phänomen der ungleichachsigen mehrdimensionalen Quellung auf ein einziges Prinzip zurückführen. Es ist das unten zu entwickelnde Winkelprinzip der Quellungsräume.

Kehren wir noch einmal zu der rechteckigen Membran ab zurück und stellen wir uns vor, daß die Quellungsräume nicht senkrecht auf die Grund- linie a fallen, wie früher, sondern in einem stumpfen Winkel gegen sie ge- neigt sind. Durch das Auseinanderschieben der Streifen in einer Richtung, die senkrecht auf die Streifen fällt, so wie es ja bei einer Imbibition immer

14 L. Jaburek.

der Fall ist, wird sich das Rechteck ab in beiden Richtungen a und b gleich- zeitig vergrößern. In welcher Richtung die relative Dimensionsvergrößerung (a’, b’) überwiegt, hängt einzig von dem Winkel ab, den die Streifen mit der Grundlinie a einschließen. Bei einem Winkel von 45° müßte die Quellung nach beiden Seiten gleich groß sein.

b

a’

Abb. 6. Der Verlauf der Quellungsriiume (schwarz) einer anisodiametrisch zweiachsig quellenden rechteckigen Membran a b nach dem Winkelprinzip.

Die Abhängigkeit des Quellungsverhältnisses nach beiden Achsen von dem Neigungswinkel veranschaulicht Abb. 5. Auf Abb. 6 sehen wir das Rechteck ab mit einer Winkelstellung seiner Streifen in ungequollenem und gequollenem Zustande. Durch den Quellungsvorgang nehmen seine beiden Seitenlängen ungleichmäßig zu. Aus der Abb. 5, wo wir die nach dem

|

|

Abb. 7. Die volle Streifenwinkelstruktur zweier rechteckiger Membranen.

Kriifteparallelogramm von dem Neigungswinkel a abhängige Quellungsinten-

sität nach den beiden senkrecht aufeinandergestellten Richtungen mit a und

b bezeichnet hatten, finden wir, daß a= x cosa, b=x sina; da a? +b? =

=x? (cos? a -+ sin? a), so r= a? +-b? und cos a = —_ —. Es läßt sich Ya? + b

also aus einem bekannten Achsenquellungsverhältnis @:b der entsprechende

Neigungswinkel a leicht errechnen.

Über die Struktur der Nervenfaser. 15

Eine bidimensionale Quellung des Rechteckes ab nach dem obigen Winkelprinzipe hatte nun aber zur Folge, daB gleichzeitig seine Form in eine rhombusartige verzerrt wiirde (Abb. 6). Damit seine Form auch im ge- quollenen Zustande gewahrt bleibe, müßten die Streifen Winkel bilden, die bald gleichsinnig, bald gegeneinander gerichtet wären. Auf Abb. 7 sind zwei

Lik LiL £2227

N,

7 AN

Abb. 8. Das Winkelprinzip in der Struktur eines anisodiametrisch dreiachsig quellen- den Körpers. Ada, b und c.

rechteckige Flächen wiedergegeben, die das Winkelprinzip ihrer Quellungs- räume vor Augen führen. Ein kurzer Blick auf diese beiden Rechtecke läßt erkennen, daß beide anisodiametrisch zweiachsig quellen müssen, das erste a hauptsächlich in die Länge, das zweite b vorwiegend in die Höhe.

Wie wären nun derart angeordnete Quellungsräume in einem Körper zu denken? Wie es wiederum aus einer Projektion zweier ungleich quellen- den Flächen hervorgeht, könnten Fälle eintreten, wie sie auf der Abb. 8, a,

16 L. Jaburek.

b und c wiedergegeben worden sind. Wir haben dort (Abb. 8a) einen Würfel abc, der in seinen drei Achsen ungleich quillt. Wenn wir bloß der Würfelseite a b eine Streifenwinkelstruktur zuschreiben und damit den Quel- lungsindex der Achsen a und b bestimmen, dann ergibt es sich, daß wir die in der Richtung c verlaufenden Septen noch durch quergezogene, der Seite ab parallel verlaufende Schnittebenen in einzelne Fibrillen auflösen müssen, um die vorhandene Quellungskraft des Würfels auch in seiner Achse ¢ zum Ausdruck zu bringen; im Sinne der bisherigen Überlegungen wäre die Größe dieser Quellungskraft der Anzahl der so gezogenen Schnittebenen propor- tional. Die zweite Möglichkeit ist unter Abb. 8b dargestellt. Wir übertragen

Abb. 9. Das Winkelprinzip in der Struktur des Markscheidenquerschnittes. Parkett- artige Lagerung der Quellungsräume.

dort das Streifenwinkelprinzip auf zwei Flächen, und zwar auf die Flächen ab und bc. Aus einem Zusammenspiel dieser beiden ergibt sich, daB der ungleichachsig quellende Würfel abc wiederum aus Fibrillen besteht, die aber untereinander Winkel von zwei verschiedenen Größen einschließen. Die Winkel der einen Größe liegen alle in der Fläche ab, der anderen Größe in der Fläche bc. Bei Anwendung des Streifenwinkelprinzips für alle Flächen- paare des Würfels, d. h. für die Flächen ab, be und ac würden wir eine Struktur erhalten, wie sie in der Abb. 8c dargestellt ist. Der Würfel abc zerfällt durch die in ebenen Flächen liegenden Quellungsräume in einzelne Tafeln, die im Raume so liegen, daß sie bald parallel, bald gegeneinander gestellt sind und mit den drei Raumachsen Winkel von bestimmter Größe schneiden; diese müssen zur Folge haben, daß der Würfel abe ungleichachsig dreidimensional quillt.

Über die Struktur der Nervenfaser. 17

Nach dieser kurzen Besprechung des Winkelprinzips können wir von einer Analyse derjenigen Fälle absehen, in denen die Quellung ein-, zwei- oder dreiachsig ist, nach diesen Achsen gleich, nach den anderen ungleich, weil sie sich durch entsprechende Projektionen von selbst erklären. Wir wollen vielmehr versuchen, dieses Winkelprinzip der Quellungsräume direkt auf das Myelinrohr zu übertragen. Betrachten wir zunächst seinen Quer- schnitt. Dieser quillt hauptsächlich zirkulär und nur ganz unbedeutend in die Dicke. Die Strukturstreifen des Querschnittes müssen also so angeordnet sein, daß sie von einer radiären Aufstellung nicht um vieles abweichen, also wie etwa auf den Abb. 9, 10 und 11. Dabei wäre es möglich, daß die

Abb. 10. Das Winkelprinzip in der Struktur des Markscheidenquerschnittes. Radiäre Lagerung der Quellungsriiume.

Streifen ein parkettartiges Dessin bilden und nie in radiärer Richtung zu liegen kommen (Abb. 9), oder daß sie von Segment zu Segment radiär ge- zogen, durch parallele Aneinanderlagerung schließlich eine Winkelbildung resultieren lassen; die Größe der Segmente bestimmt die Größe der Winkel (Abb. 10 und 11). Nach der oben angegebenen Formel läßt sich für das Quellungsverhältnis 8:1 des Markrohrquerschnittes die Größe dieser Winkel, somit auch die Größe der Segmente und ihre Anzahl auf dem Rohrquerschnitt errechnen. Die errechnete Größe des Neigungswinkels der Strukturstreifen gegen den Querschnittsumfang beträgt etwa 7°; das macht ungefähr 51 Seg- mente auf dem Rohrquerschnitte. i

Damit wären die Möglichkeiten der Querschnittsstruktur erschöpft. Man sieht aus den Abbildungen, wie sich durch ein gleichmäßiges, paralleles Auseinanderschieben der Streifen neben einer geringen Wandverdickung des Markrohres eine bedeutende Zunahme seines Umfanges ergeben: muß.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 3 2

= Bms 3 a 5 : = T:

A a = 55 Zg rae g “as = = D os cs [1 £ a

T ae = Nn 3

= a

Über die Struktur der Nervenfaser. 19

Nun kommen wir zur Struktur des Längsschnittes. Wie wir gesehen haben, quillt die Markscheide in die Länge und in die Wanddicke annähernd gleich. Es kann also der Neigungswinkel der Quellungsräume auf dem Längsschnitte von 45° nicht um vieles abweichen. Durch abwechselnd parallele und entgegengesetzte Lagerung der Winkel erhalten wir eine Struktur wie auf Abb. 12.

Aus dem Zusammenspiele des Rohrquerschnittes mit dem Rohrlängs- schnitt ergibt sich aus dem zuvor an dem Würfel Gesagten, daß die Mark- scheide entweder aus Fibrillen oder Tafeln besteht. Im ersteren Falle müßten

Abb. 13. Theoretisches Strukturmodell der Markscheide. Die Markscheide ist in ihrer

Längsausdehnung halbiert, an der einen Seite quer durchschnitten, an der anderen

im Sinne der Quellungsräume konisch zugespitzt. Die Zeichnung des Querschnittes

vgl. mit Abb. 10 und 11, des Längsschnittes mit Abb. 12. An der inneren Mantel- fläche des Markrohres ergibt sich eine netzartige Zeichnung.

die Quellungsräume auf der inneren und äußeren Mantelfläche des Myelin- rohres eine netzartige Zeichnung schaffen (vide Abb. 8b, Fläche ac), im Falle einer Tafelstruktur dagegen eine Winkelzeichnung mit einer Linien- führung, die zur Längsachse des Rohres leicht schräg gestellt ist. Theore- tisch sind beide Möglichkeiten gleich gut; bei beiden bleibt dieselbe Zeichnung der Quellungsräume auf dem Querschnitt und auf dem Längsschnitt der Markscheide, wie wir sie bereits gefunden hatten, unverändert erhalten. Würde man versuchen, das Myelinrohr in der Richtung der Längsachse auseinanderzureißen, dann müßten sich konische bzw. kegelförmige Begren- zungsflächen des Querschnittes ergeben; bei einem Versuche dagegen von der Markscheide Längsfasern abzuheben, müßten tiefe, auf dem Querschnitte keilförmige Spalten entstehen mit beinahe radiär gestellten Wandungen.

gr

20 L. Jaburek.

Wir haben uns der Mühe unterzogen, ein Modell der Markscheide nach dem theoretischen Winkelprinzip der Quellungsräume aus Karton zu kon-

m | 3

Abb. 14. Vgl. Abb. 13. Dasselbe Modellstück auf den Querschnitt gestellt. Auch die äußere Mantelfläche des Markrohres trägt eine netzförmige Zeichnung. Der Mark- konus schwarz.

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Abb. 15. Vgl. Abb. 13 und 14. Ein anderes Modellstück. Die schwarzen Konus- flächen sind im Sinne der gegeneinander verlaufenden Quellungsräume entgegengestellt.

struieren. Teile dieses Modells bringen wir als photographische Reproduk- tionen in den Abb. 13, 14, 15, 16, 17 und 18 vor. Auf Abb. 13 bemerken wir einer Markrohrausschnitt mit der theoretischen Zeichnung des Längs-

Uber die Struktur der Nervenfaser. 21

und Querschnittes sowie der inneren Mantelfläche. Auf Abb. 14 sehen wir die Zeichnung der äußeren Mantelfläche, die mit derjenigen der inneren iden- tisch ist und bemerken, daß der Rohrausschnitt im Sinne des Fibrillenverlaufs

Abb. 16. Vgl. Abb.13 bis 15. Die schwarze Konusfläche des vorigen Modellstückes von oben sichtbar.

| p-

Abb. 17. Vgl. Abb. 13 bis 16. Die beiden Modellstiicke der Länge nach zusammen- gelegt. Zwischen beiden ein Spalt, der einer Entgegenstellung der Quellungsräume des Längsschnittes entspricht und nach innen die Konusfläche begrenzt.

konisch zugespitzt ist. Auf den Abb. 15 und 16 haben wir weitere Rohr- ausschnitte von einer Form, die sich aus unseren theoretischen Erwägungen ergibt. Auf der Abb. 17 legten wir zwei Rohrausschnitte so zusammen, daß auf dem Längsschnitte Aes Markscheidenmodells das Winkelprinzip der

22 L. Jaburek:

Quellungsräume zustande kommt. Die Abb. 18 zeigt uns schließlich die eigenartigen und komplizierten Strukturverhältnisse der Markscheide, wie sie sich aus einem Zusammenfügen der entsprechenden Modellteile und unter Beachtung unserer leitenden Prinzipien ergeben.

Alle strukturellen Bedingungen, die geeignet wären, eine ungleichachsige und zugleich dreidimensionale Quellung eines (organisch) einwertigen Körpers zu erklären, wären mit diesen zwei Vorstellungen von der kristallartigen, räumlichen Mosaikstruktur und der räumlichen Winkelstruktur erschöpft. Eine von diesen Vorstellungen müßte auch für die Markscheide zutreffend sein, auch wenn sie sich in Größen manifestieren sollte, die unter dem Auflösungsvermögen unserer optischen Mittel liegen würden. Diese sind

Abb. 18. Vgl. Abb. 13 bis 17. Die beiden Modellstücke zusammengelegt, doch nicht

ineinandergesteckt. Es sind die entgegengestellten Trichterflächen sichtbar, die Struk-

tur des Längsschnittes und die Zeichnung auf der inneren sowie äußeren Mantelscheide der Markscheide.

aber, wie bekannt, wohl imstande, einiges aus der Struktur des Myelinrohres aufzudecken und so muß es für uns vom höchsten Werte sein, die Resultate der diesbezüglichen histologischen Untersuchungen mit unseren theoretischen Ergebnissen zu vergleichen.

Der Kürze und Klarheit wegen wollen wir Stöhr zitieren:

„Man findet am frischen wie am fixierten Präparat, daß die markhaltige Partie des Neurilemms auch zwischen zwei Schnürringen keine kontinuier- liche Masse darstellt, sondern häufig schräge, trichterförmige Spalten auf- weist, die in unregelmäßigen Abständen aufeinanderfolgen und den Namen Schmidt-Lantermannsche Einkerbungen oder Inzisuren führen. Die Ein- kerbungen beginnen gewöhnlich ringförmig um den Achsenzylinder in gleicher Höhe und durchsetzen den Markmantel dann in schiefer Richtung von innen oben nach außen unten oder auch umgekehrt von außen oben nach innen unten in ganzer Dicke bis zum Achsenzylinder. So entstehen bald gleich- sinnig übereinandergelagerte, bald gegeneinandergestellte, trichterförmige

Über die Struktur der Nervenfaser. 23

Unterbrechungen des Markes. Einen Markabschnitt, der durch zwei Ein- kerbungen begrenzt wird, heißt man zylindrokonisches Segment. Es kommt auch vor, daß die Inzisuren nicht ringförmig, in gleicher Höhe der Faser auftreten, sondern einen spiraligen Verlauf nehmen. Die äußere Hülle zieht

un Beier

a b Abb. 19. a) Markhaltige Faser aus dem Vagus des Kaninchens. Osmiumsäure. Imm. 2 mm. Ok. 6. Vergr. 750fach. (Aus Stöhr Ph. jr.: „Die peripherische Nervenfaser“ in Möllendorffs Handbuch der mikroskopischen Anatomie des Menschen. Bd. IV. Nervensystem. J. Springer, Berlin. 1928.) b) Dieselbe Nervenfaser mit schematisch eingetragenen Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen.

über die Lantermannschen Einkerbungen, ebenso wie über die Schnür- ringe, stets hinweg.

Die Länge der zylindrokonischen Segmente ist eine verschiedene. An den zentralen Fasern werden die Segmente nicht beobachtet. Kölliker, Fürst u. a. halten die Inzisuren und die hiedurch bedingten Segmente für Artefakte. Es ist möglich, daß diese Anschauung das Richtige trifft.

Das Mark normaler, peripherischer Nervenfasern zeigt, allerdings nie im lebenden Zustand, aber häufig nach Gebrauch der verschiedensten Fixie-

24 L. Jaburek.

rungsmittel und Färbemethoden, zwei sonderbare Strukturen: ein aus feinen Maschen bestehendes fädiges Gerüst und eigentümliche Gebilde, die den An- schein erwecken, als sei das Mark aus ineinandergesteckten oder auch gegen- einandergestellten Trichtern zusammengesetzt.

Die Trichter (Zwischentrichter, Golgische Trichter) werden mit der Weigertschen Markscheidenfärbung, wie nach Golgi-Imprägnierung, nach Fixierung in Zenkers oder Müllers Flüssigkeit und Färbung in karmin- saurem Ammoniak, nach Formolfixierung und Bielschowsky-Versilberung

=a

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Ail) Ss

#

hi

a b c Abb. 20. a) Golgische Trichter, b) Golgische Spiralen, c) Neurokeratingerüst der Markscheide. (Aus Stöhr Ph. jr.: „Die peripherische Nervenfaser“ in Möllendorffs Handbuch der mikroskopischen Anatomie des Menschen. Bd. IV. Nervensystem. J. Springer, Berlin. 1928.) a und c nach Sala, b nach Braus-Elze, Anatomie, Bd. 3.

sichtbar: stehen sie dicht hintereinander, so rufen sie ein fischflossenartiges Aussehen hervor (Spielmeyer).

Nach verschiedenen Angaben sollen die Trichter nichts anderes sein, wie eine in den Lantermannschen Inzisuren befindliche Zwischensubstanz. Golgi, Sala und Maccabruni haben noch allerfeinste Fasern innerhalb der Markscheide beschrieben, welche mit den in den Trichtern befindlichen spiraligen Fäden in Verbindung stehen, und somit ein ganzes System ver- schlungener Fibrillen darstellen sollen, dem die Bedeutung eines Myelin- stiitzapparates zugeschoben wird. Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei dem ganzen ‚Stützapparat‘ um Artefakte gröbster Sorte...

.Nach Anwendung verschiedener Fixierungsmittel (Sublimat, Kalium- bichromat) tritt an Querschnitten von Nervenfasern eine deutlich erkennbare, feine radiäre Streifung der Markscheide hervor. Die Streifen durchziehen die

Ober die Struktur der Nervenfaser. 95

Abb. 21. a) Spongiosa-, Trichter- und Fischflossenbildungen des Markes peripherischer

Nervenfasern. Weigert-Methode. Imm. 2 mm. Ok. 8. Präparat von Prof. Sobotta.

(Aus Stöhr Ph. jr.: „Die peripherische Nervenfaser“ in Möllendorffs Handbuch

der mikroskopischen Anatomie des Menschen. Bd. IV. Nervenfasern. J. Springer, Berlin. 1928.)

b) Normale Strukturen der Markscheide bei peripherischen Nervenfasern gröberen

Kalibers. Trichter, Fischflossen und Spongiosa des Markgerüstes. Markscheidenfärbung

am Gefrierschnitt. (Aus Spielmeyer W.: „Die Histopathologie des Nervensystems.“ Bd. I. J. Springer, Berlin. 1922.

26 L. Jaburek.

ganze Dicke des Markes. Diese längst bekannten Pseudostrukturen unter- zogen später Fuchs, Ernst und Kamjo noch einmal einer genaueren Untersuchung, wobei aber nicht viel mehr herauskam wie der Name ‚Rad- speichenstruktur‘ statt der ‚Sonnenbildchenfigur‘ der alten Autoren. Ob- wohl Ernst eine radiäre Struktur als im Marke tatsächlich existierend an- nimmt, vermag er seine Ansicht trotz vieler Trypsinverdauungsversuche nicht zu beweisen. Es handelt sich eben um Kunstprodukte. Auch eine gelegentlich beschriebene, konzentrische Schichtung der Markscheide, wodurch ein Zer- fallen derselben in Lamellen ermöglicht würde (blätteriger Bau), gehört hieher.“

Abb. 22. Querschnitt markhaltiger Fasern mit deutlicher „radiärer Streifung“. Kalium-

bichromat, Haematein, s Kerne von Schwannschen Zellen; a Achsenzylinder;

r radiäre Streifung der Markscheide (Aus Braus-Elze: Anatomie. Bd. 3.) (Aus

Stöhr Ph. jr.: „Die peripherische Nervenfaser“ in Möllendorffs Handbuch der

mikroskopischen Anatomie des Menschen. Bd. IV. Nervensystem. J. Springer, Berlin. 1928.)

Um den Stand unserer heutigen Kenntnisse über den Bau der Mark- scheide zu veranschaulichen und eine Basis für die folgenden Vergleiche zu schaffen, bringen wir aus fremden Werken vier Abbildungen, die dieSchmidt- Lantermannschen Einkerbungen oder Inzisuren, die Golgischen Trichter, das neurokeratinöse Stützgerüst, die Fischflossenstrukturen sowie den Rad- speichenbau der Markscheide vor Augen führen (Abb. 19, 20, 21 und 22).

Die Ähnlichkeit der im histologischen Präparat zu findenden Struktur- merkmale der Markscheide ist mit der theoretisch abgeleiteten winkeligen Fibrillenstruktur des Myelinrohres so groß, daß wir uns zu einem Versuch ermutigt fühlen, dieselben in irgend einen Zusammenhang zu bringen. Diese Ähnlichkeit wird durch viele Momente begründet; sie läßt sich schon an Struktureigentümlichkeiten frischer Nervenfasern feststellen, und wird an solchen von entsprechend fixierten und gefärbten Präparaten vielleicht noch deutlicher. Da das frische Präparat die bestmögliche Gewähr dafür bietet, daß Kunstprodukte nicht in Erwägung gezogen werden, so sollen vorerst die auch an frischen Nervenfasern zu beobachtenden Schmidt-Lantermann-

Cber die Struktur der Nervenfaser. 27

schen Einkerbungen mit den Besonderheiten der Fibrillenwinkelstruktur ver- glichen werden. Es ergeben sich folgende Ähnlichkeitsmomente:

1. Die allgemeine Verlaufsrichtung der Schmidt-Lantermannschen Inzisuren deckt sich räumlich mit jenem System der erschlossenen Quel- lungsräume, die auf einem Längsschnitte der Nervenfaser zu beobachten sind. (Auch die Nervenfaser muß in ihrer Längsausdehnung untersucht wer- den, um die Einkerbungen zu Gesicht zu bekommen.) Im besonderen stim- men aufs Genaueste überein:

a) Die Größe des Neigungswinkels, der von der Schmidt-Lanter- mannschen Einkerbung und der Längsachse der Nervenfaser eingeschlossen wird, mit der Größe des Winkels, in welchem die Strukturfibrillen des Myelin- rohres von seiner Längsachse abgewendet sind. Er schwankt in praxi bei guter Fixierung und bei Vermeidung von Schrumpfungen sowie in der Theorie un 45° herum.

b) Der geradlinige Verlauf der Inzisur mit dem geradlinigen Verlauf eines auf die longitudinale Schnittebene projizierten Quellungsraumes. Es kommt vor, daß die Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen winkelig gebrochen, von der inneren zur äußeren Peripherie des Markrohres vor- dringen (vide Abb. 19a, b), doch setzt sich in diesem Falle die Inzisur auch aus geraden Teilstrecken zusammen, die in einem Winkel von mehr weniger 45° gegen den Achsenzylinder gerichtet sind. Die winkelige Abknickung der Inzisur findet ein vollendetes Gegenstück in der winkeligen Lagerung der Quellungsräume, die so ineinandergreifen können, daß Zickzackbildungen von bestimmter und konstanter Winkelgröße resultieren (vide Abb. 7a, b).

c) Die bald parallele, bald gegeneinandergestellte Verlaufsrichtung der Schmidt-Lantermannschen Einkerbung mit der theoretischen Forderung, daß die Neigungswinkel der Quellungsräume abwechselnd gleichsinnig und entgegengesetzt gestellt sein müssen, um eine ungleiche Mehrachsenquel- lung mit gleichzeitiger Wahrung der Form zu gewährleisten.

2. Ebenso wie die Inzisuren der optische Ausdruck einer kegelförmigen Fläche sind, die von außen nach innen vordringend, im Inneren des Mark- rohres positive und negative Kegelbildungen mit dem Gipfel in der Längs- achse entstehen läßt, ebenso sind die linearen Quellungsräume des Mark- scheidenlängsschnittes bloß ein Ausdruck der konischen, das Myelin zirkulär durchschneidenden Spalträume, so daß es selbst in Abschnitte zerfällt, die aus dem Querschnitte kegelförmig auslaufen, oder sich in diesem Querschnitte konisch vertiefen. Die Möglichkeit, daß die Schmidt-Lantermannschen Inzisuren nicht ringförmig in gleicher Höhe der Faser auftreten, sondern einen spiraligen Verlauf nehmen, entspricht dagegen diesen zulässigen Va- rianten der Fibrillenwinkelstruktur, die ihrem Prinzipe nicht zuwiderlaufen.

3. Die quere Aufteilung der Markscheide in einzelne Abschnitte, die zylindrokonischen Segmente, deren Grenzen durch die Schmidt-Lanter- mannschen Inzisuren markiert werden, hat ein Gegenbild in unserer Kon- struktion, wo wir das Myelinrohr in einzelne Abschnitte zerfallen ließen, um benachbarte Abschnitte durch entgegengesetzte Lagerung der Quellungs-

28 L. Jaburek.

räume quellungstechnisch entgegenzustellen. Der Umstand, daß wir diesen Abschnitten eine bestimmte Länge nicht verliehen hatten und so eine ge- wisse Freiheit in dieser Beziehung zum Ausdrucke brachten, findet sich in der Tatsache widergespiegelt, daß die Länge der einzelnen zylindrokonischen Segmente der Nervenfaser eine verschiedene ist.

Alle Ähnlichkeitsmomente zwischen den Eigentümlichkeiten der Fi- brillenwinkelstruktur und den Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen zusammenfassend werden wir sagen, daß sich die Ähnlichkeit nicht nur darin äußert, daß alle Forderungen dieser Struktur im Bau der Markscheide eingehalten werden, sondern auch darin, daß dort, wo die Konstruktion ge- wisse Freiheiten zuläßt, solche im Myelinrohr tatsächlich gefunden werden. Außerdem muß betont werden, daß keine einzige Eigenschaft der Schmidt- Lantermannschen Inzisuren in irgend einem Widerspruch zur Fibrillen- winkelstruktur steht, noch daß sich diese in irgend welcher Beziehung mit den Einkerbungen nicht in Einklang bringen ließe.

Höchst lehrreich ist in dieser Beziehung eine genaue Betrachtung der Abb. 19, wo eine markhaltige Nervenfaser aus dem Vagus des Kaninchens nach Stöhr reproduziert worden ist. In derselben Abbildung haben wir unter 5 den Verlauf der in dieser Faser enthaltenen Schmidt-Lanter- mannschen Einkerbungen schematisch eingetragen. Man bemerkt, was im Original weit weniger in die Augen springt, daß der größere Teil der Ein- kerbungen winkelig geknickt ist, und zwar von 15 mindestens 10, wovon wiederum zwei Inzisuren sogar doppelt geknickt sind. Auch ist es gut sicht- bar, daß alle Winkel (zwischen Inzisur und den Markscheidenkonturen sowie zwischen den Schenkeln der geknickten Inzisuren) untereinander mehr we. niger gleich groß sind. Diese Winkel hier sind sichtlich kleiner als 45°, etwa 30 bis 35° Ob diese Winkelgröße der Gattung Kaninchen eigentümlich ist oder nur durch die Fixierung hervorgebracht wird, kann nicht ausgesagt werden.

Wie steht es nun mit den anderen, an der fixierten und gefärbten Mark- scheide aufgefundenen Strukturen ?

Da wäre zunächst die „Sonnenbildchenfigur“ oder die „Radspeichen- struktur“ zu besprechen, da sie auf dem Querschnitte der Markscheide auf- tritt und sich im Sinne einer weiteren Übereinstimmung zu den Strukturen des Längsschnittes so verhalten sollte, wie der quere Schnitt durch die Quellungsräume zu dem Längsschnitt. Da die Quellungsspalten des Quer- schnittes nach dem zuvor Gesagten eine Richtung einschlagen müssen, die nur ganz wenig von einer radiären abweicht, so hätten wir zu erwarten, daß eventuelle Strukturen des Markscheidenquerschnittes auch nicht anders verlaufen. Dies ist, wie schon der Name dieser Strukturen besagt, tatsächlich der Fall; sie erstrecken sich in radiärer Richtung von der inneren zur äußeren Peripherie der Wand des Markrohres. Übrigens verdient es noch einmal hervorgehoben zu werden, daß die Quellungsspalten des Querschnit- tes, wie die Abb. 10 und 11 zeigen, auch eine von Segment zu Segment ge- nauest radiäre Richtung einschlagen können, ein Umstand, der sich in der

Uber die Struktur der Nervenfaser. 29

Markscheide wiederholt; denn die Radspeichenstruktur ihres Querschnittes ist eben dadurch charakterisiert, daß sie aus einzelnen Streifen besteht, die doch radiär verlaufend auch schmale Segmente begrenzen. Die gefundene Übereinstimmung ist also sehr weitgehend.

Gelegentlich ist nun aber auch eine konzentrische, auf dem Quer- schnitt sichtbare Schichtung der Markscheide beschrieben worden, wodurch ein Zerfallen derselben in Lamellen ermöglicht würde (blätteriger Bau). Eine solche konzentrische Schichtung bildet nun gerade das Gegenteil der radiären

Abb. 23. Die Beziehung der Schmidt-Lautermannschen Einkerbungen zur lamellär- konzentrischen Struktur der Markscheide.

Struktur, und so kann es eigentlich nicht verwunderlich erscheinen, wenn diese beiden Bauarten, als miteinander unvereinbar zu Artefakten degradiert und verworfen werden. Es ist klar, daß dort, wo benachbarte Rohrabschnitte (die zylindrokonischen Segmente) mit entgegengesetzter Lagerung der Quel. lungsräame zusammenstoßen, konische, das ganze Mark durchschneidende Spalten entstehen müssen. Wird das Rohr auf der Höhe einer solchen mikroskopisch wahrnehmbaren Spaltbildung quer durchschnitten, so muß auch ein schmaler, zirkulärer, das Rohr in zwei Blätter teilender Spaltraum . mikroskopisch wahrnehmbar werden. Die Entstehung von mehr als zwei Blättern erklärt sich hinwiederum durch den schon öfters betonten Um- stand, daß benachbarte Systeme von winkelig gegeneinandergestellten Quel. lungsräumen zackig ineinandergreifen können. Auf Abb. 23 sind diese Ver.

30 L. Jaburek.

hältnisse dargestellt. Daß diese lamellären Strukturen des Markscheiden- querschnittes weniger bekannt sind, könnte seine Ursache darin haben, daß die Wahrscheinlichkeit bei der Schnittführung auf solche konisch-kegelförmig vielmals ineinandergesetzten Spalträume zu stoßen auch weniger groß ist.

Zusammenfassend können wir wiederum betonen, daß es keine histo- logische Struktur des Markscheidenquerschnittes gibt, die nicht in unserer Konstruktion des Myelinrohres enthalten wäre.

Hier lohnt sich wiederum eine genaue Betrachtung der Abb. 22, wo quer- geschnittene Nervenfasern nach Fixierung in Kaliumbichromat (nach Stöhr aus Braus-Elze) dargestellt sind. Sie zeigt nämlich, daß die „radiäre Streifung“ der Querschnitte nicht strikt radiär in geometrischem Sinne ist. Wenn man sich in den einzelnen Querschnitten einen Mittelpunkt denkt, z. B. in dem Querschnitte rechts unten einen Mittelpunkt entsprechend dem Ende der Hinweisungslinie von a, so bemerkt man, daß nur ein Teil der „radiären“ Streifen gegen diesen Mittelpunkt zieht. Die anderen sind so geneigt, daß sie sich schon innerhalb der Markscheide selbst schneiden oder doch zu- mindest in ihrer Verlängerung knapp vor ihr. Ein solches Verhalten der „Streifen“ ist in jedem Querschnitte zu sehen. Diese Feststellung ist nun anscheinend bedeutungslos. In Wirklichkeit kann aber nur eine solche An- ordnung der Strukturstreifen eine anisodiametrische Quellung des Mark- scheidenquerschnittes in radiärer und tangentialer Richtung gewährleisten. Hier möchten wir wiederum auf die Abb. 10 und 11 aufmerksam machen, wo wir gerade eine solche Anordnung der Streifen theoretisch postulierten. In der besprochenen Abb. 22 verdient noch ein Zweites unser Interesse. An zwei Querschnitten und zwar dem schon zitierten rechts unten sowie einem weiteren links oben sehen wir, wie ein Teil der radiären Streifen in seinem Verlaufe von außen nach innen die innere Peripherie des Mark- ringes nicht erreicht. Hier beginnt eine zweite Reihe von Streifen, die nicht immer in der direkten Fortsetzung der ersteren liegend einen inneren Streifenring oder wenigstens Fragmente eines solchen formiert. Es handelt sich hier wohl zweifellos um die Andeutung des sogenannten lamellären Aufbaues der Markscheide, den wir zu den Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen in Beziehung gebracht hatten. Daß dieser lamelläre Aufbau im Querschnitte der Nervenfaser keine geschlossenen Ringe zu zeigen braucht, erklärt sich aus dem theoretisch zugestandenen spiraligen Verlauf der Ein- kerbungen um den Achsenzylinder und aus einer Übertragung unserer auf Abb. 23 gegebenen Erklärung auf die Abb. 19, wo die Einkerbungen auf beide Hälften des Myelinrohres nicht unbedingt symmetrisch verteilt sind.

Eine weitere Struktur, mit der unsere Ergebnisse verglichen werden müssen, sind die Golgischen (Zwischen-) Trichter und die Spiralbildungen der fixierten und gefärbten Markscheide. Viele Autoren nehmen an, daß die Trichter nichts anderes sind, wie eine in den Schmidt-Lantermann- schen Inzisuren befindliche Zwischensubstanz. Wir können zurückhaltender sein und uns vorläufig auf die Feststellung beschränken, daß sowohl die Trichter als auch die Einkerbungen, was ihr Aussehen und ihre räumliche

Uber die Struktur der Nervenfaser. 31

Anordnung anbelangt, völlig übereinstimmen, d. h. mit den Konstruktions- linien der Fibrillenwinkelstruktur zusammenfallen. An dieser Stelle möch- ten wir auf unser Modell (Abb. 13 bis 18) verweisen, wo gewisse Begren- zungsflächen der zylindrokonischen Abschnitte als Trichter und Kegel (schwarz dargestellt) zu sehen sind. Über die spiraligen Fäden, die in den Golgischen Trichtern sowie auf der Innen- und Außenfläche der Markscheide gefunden werden, werden wir ebenfalls aussagen, daß sie mit unseren Kon- struktionslinien zusammenfallen. Allerdings verlaufen die, diesen Fäden ent- sprechenden Linien in unserer Konstruktion nicht spiralig, sondern kreis- förmig und kommen (Abb. 13 bis 18) dadurch zustande, daß die jedem Rohr- querschnitt aufsitzenden trichter- oder kegelférmigen Begrenzungsflächen auf der inneren und äußeren Mantelfläche des Markzylinders fortlaufend Kreise

Abb. 24. Vgl. Abb. 13 bis 18. Eine Trichterfläche des dort besprochenen Modell- stückes, weiß mit eingezeichneten Kreisen (Golgische Trichterspiralen), wie sie sich aus einer Verbindung der Quellenspalten des Markscheidenlängsschnittes ergeben.

zeichnen. Besonders bezeichnend ist der Umstand, daß solche spiralige, dürfte wohl auch hier besser heißen: konzentrisch nebeneinander gelagerte Züge (obwohl echte Spiralen gar nicht ausgeschlossen zu werden brauchen) in den Trichtern selbst gefunden worden sind; diese, in ihrer Größe abneh- menden, konzentrisch kegelförmig übereinandergestellten Kreise finden sich nämlich als Linien in unserer Zeichnung wieder, und zwar dort, wo zwei Abschnitte mit entgegengestellten Quellungsräumen unter Bildung einer trichter- förmigen Fläche zusammenstoßen (Abb. 24).

Es soll hervorgehoben werden, daß es uns vorläufig nur daran ge- legen ist, die geometrisch schärfer definierbaren Strukturumrisse des Mark- scheidenpräparates mit den theoretisch abgeleiteten Konstruktionslinien zu vergleichen und ihre Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung oder so- gar einen eventuellen Widerspruch in ihnen aufzudecken. Auf ihre Deutung können wir uns noch nicht einlassen. In diesem Sinne werden wir auch von den „Fischflossenstrukturen“ der Markscheide, die sich (Abb. 21) durch eine gegen den Achsenzylinder schiefe, bald parallele, bald konträre Verlaufs-

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richtung auszeichnen, und von denen deshalb ausgesagt wird, daß sie durch eine dichte Ineinandersteckung der Golgischen Trichter entstehen, behaup- ten, daß ihr Aussehen mit unseren Ausführungen im allgemeinen überein- stimmt. Da diese letzteren nach streng geometrischen Gesichtspunkten auf- gebaut sind, so kann die mit den ,,Fischflossen“ zugleich zu beobachtende, geometrisch undefinierbare Markspongiosa (siehe Abb. 21a, b) nicht recht beurteilt werden. Jedenfalls müssen wir hier mit Nachdruck betonen, daß die unregelmäßig netzförmige Zeichnung dieser Markspongiosa viel Ähn- lichkeit mit unserer theoretisch aufgestellten netzförmigen Zeichnung der

b a Abb. 25. Schematische Wiedergabe der Markscheidenzeichnung: a) auf dem Quer- schnitt, b) auf dem Längsschnitt, c) auf der inneren und äußeren Mantelfläche.

Mantelflächen des Markrohres haben könnte. Ein Widerspruch ist nirgends aufzudecken.

Diese „schwammige“ Markstruktur leitet jene auf histologischem Wege in der Markscheide gefundene Gruppe von Strukturen ein, die sich zu streng geometrischen Vergleichen nicht eignen, weil sie sich einerseits aus der Konstruktion nicht unmittelbar herauslesen lassen, anderseits in ihr wohl enthalten sein können.

In diesem Sinne müssen wir auch -die Fäden bewerten, die ganze Gruppen von Golgischen Spiralen und Kreisen verbinden, wobei sie sich oft zu teilen vermögen, so daß ein ganzes Gerüst, das „Stützgerüst‘“ der Autoren entsteht. In diese Gruppe fällt weiter das Neurokeratingerüst, das durch Kochen der Markscheide in absolutem Alkohol erhalten wird und das Stöhr als ein kunstvolles Resultat großer Verständnislosigkeit der lebenden Materie gegenüber auffaßt. Auch das Lantermannsche „Marknetz‘“, dessen Gerüst sich durch Osmiumsiiure darstellen läßt, müssen wir hier aufzählen.

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Damit hätten wir aber auch alle in der Markscheide beschriebenen Struk- turen zu unserem Fibrillenwinkelprinzip in Beziehung gebracht.

Und nun wollen wir das Gesagte noch einmal kurz zusammenfassen. Theoretisch fanden wir den Markscheidenquerschnitt in Segmente zerlegt (Abb. 25a), praktisch ist dort die ,,Radspeichenstruktur“ zu beobachten. Auf dem Markscheidenlängsschnitt (Abb. 25b) errechneten wir schräg gegen das Axon gestellte Quellungsspalten, im Präparat sehen wir dort die Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen und die „Fischflossen“, sowie die Summe aller Einkerbungen im Kreise, d. i. die Golgischen Zwischen- trichter. Die Mantelflächen des Markrohres und der tangentiale Rohranschnitt zeigten theoretisch eine netzförmige Zeichnung (Abb. 25c), praktisch finden wir an diesen Flächen ein Wabenwerk, eine Spongiosa, ein netzartiges Neuro- keratingerüst und das Lantermannsche Marknetz.

Diesen Strukturen der Markscheide, die von unserer Fibrillenwinkelkon- struktion, wie eben gezeigt worden ist, nirgends nennenswert abwichen, in den meisten und wichtigsten Punkten aber mit ihr auf das Genaueste zu- sammenfielen, könnte nun nachgesagt werden, daß sie in dieser Deutlichkeit zum großen Teile nur im peripherischen Nervensystem auftreten. Die Mark- scheide der zentralen Nervenfaser, die selbst einen Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen bildete, zerfällt nämlich nicht in die zylindrokonischen Seg- mente (Stöhr). Trotzdem ist die zentrale Markscheide nicht völlig struktur- los. So schreibt Bielschowsky, daß sich ebenso wie an der peripheren Markscheide auch an der zentralen, besonders nach längerer Vorbehandlung mit konzentriertem Alkohol die Ewald-Kühneschen Neurokeratingerüste nachweisen lassen, sowie konzentrisch angeordnete Lamellen, deren Anord- nung an die Lantermannschen Trichterkegel erinnert. Diese histologisch sicherlich bemerkenswerte Tatsache, daß das Myelin nicht in allen Teilen des Nervensystems mit derselben Leichtigkeit auf seine mikroskopische Struk- tur zu prüfen ist und daß es nur in dicken (Extremitäten-) Fasern seine Bauart am ehesten verrät, soll nun vom Standpunkt unserer Theorie aus auch besprochen werden.

Schon früher, als wir uns daran machten, die Struktur der Markscheide auf dem bekannten Wege zu ermitteln, waren wir uns dessen wohl bewußt und hatten es auch betont, daß sich die abgeleiteten Strukturen in Größen manifestieren könnten, die unter dem Auflösungsvermögen unserer optischen Mittel liegen würden. Den gefundenen Myelinfibrillen konnten wir deshalb keine Größenausmaße beilegen und konnten wir auch nicht die Länge der einzelner zylindrokonischen Abschnitte bestimmen. Wir dachten uns viel- mehr, daß sich die Fibrillen im besten Falle von der inneren zur äußeren Peripherie der Markwand erstrecken könnten, und so zogen wir auch unsere Konstruktionsstriche als schön gerade, ungeknickte Linien durch die ganze Dicke des Myelinrohres, ohne freilich zu übersehen, daß wir auf diese Weise nur das Prinzip konstruktorisch ausdrücken und nicht etwa in Wirklichkeit existierende Größenverhältnisse bestimmen. In den Markscheiden dicker, peripherischer Nervenstämme fanden wir diese Konstruktionsstriche glück-

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII Bd. 3

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licherweise und in einer unerhofften Reinheit wieder. Wenn sie in anderen Teilen des Nervensystems (zentrale Fasern, diinne periphere Nerven, Re- maksche Fasern) nicht mit derselben Deutlichkeit beobachtet werden kénnen, so ist es, wie gesagt, ein morphologisch sehr bemerkenswerter Umstand, der aber nicht im mindesten gegen die Fibrillenstruktur der Markscheide ge- wendet werden kann. Unsere Ansicht darüber glauben wir mit folgendem Vergleiche gut auszudrücken: auch die Kristallform von Steinsalz bleibt erhalten, selbst wenn ein Würfel zu allerfeinstem Staub zerschlagen wird; doch um diese Kristallform an dem Salzstaub festzustellen benötigt man ganz andere optische Mittel als an dem großen Würfel. Irgend welche Schlüsse gegen das Fibrillenwinkelprinzip aus dem Mangel an Schmidt-Lantermann- schen Einkerbungen in den zentralen Nervenfasern zu ziehen, käme übrigens einer Behauptung gleich, daß das zentrale Myelin etwas anderes ist als das periphere, weil dieses Strukturen aufweist, die jenem fehlen. Die Bedin- gungen des ungleichen morphologischen Verhaltens der Markscheide werden wir eben nicht in dem Myelin, sondern in den Verhältnissen suchen, unter denen es gebildet wird. In Anlehnung an den obigen Vergleich könnten wir für die mikroskopischen Strukturunterschiede verschiedene Kristallisations- bedingungen verantwortlich machen. Daß diese Bedingungen an der Peri- pherio des Nervensystems andere sind als im Zentrum, erhellt daraus, daß die Myelinisation hier von den Schwannschen Zellen, dort von gliösen Elementen besorgt wird.

Nach alledem hätten wir uns zu entscheiden, ob wir für die Markscheide die kristallartige Mosaikstruktur oder die Fibrillenwinkelstruktur beanspru- chen werden. Die erstere dürfte sich im histologischen Präparat im besten Falle körnig präsentieren, was in Wirklichkeit nie der Fall ist, und könnte außerdem keine einzige der von verschiedenen Autoren beschriebenen Mark- scheidenstrukturen erklären. Wenn auch dem Ausbleiben der Markscheiden- granulierung an und für sich noch keine erkenntnistheoretische Bedeutung zugeschrieben werden könnte, so muß sie doch bei der Anwesenheit ganz anders gearteter Strukturbilder als tatsächlich nicht existierend angenommen werden. Dieses Problem, ob Granula oder Fibrillen bzw. Lamellen, das wir hier im kleinen vorfinden, ist übrigens im großen bereits beantwortet worden. So schreibt Studnička in seinem Aufsatz über die Organisation der leben- digen Masse in Möllendorffs Handbuch der Mikroskopischen Anatomie des Menschen (1929), daß als Organisationsbildner Elementarfibrillen ge- funden werden, „dann dickere Fibrillen, ganze Bündel von solchen, dickere und sogar sehr dicko Fasern oder Balken, und schließlich Gebilde, die schon nicht mehr faserförmig sind, die ‚Lamellen‘. Das wären die ‚Orga- noide‘, die Strukturelemente der lebendigen Masse, die ihre Größe, ihre Form und ihre anderen physikalischen Eigenschaften bestimmen“. „Die Fi- brillen sind“, schreibt noch weiter Studnička, „nicht die einzigen ‚Orga- noide‘ ihrer Art. Neben ihnen kann man mit Heidenhain... noch die Gra- nula anerkennen.“

„Die Granula können sich,‘ lesen wir weiter, „das hängt mit ihrem

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ganzen Charakter zusammen, nicht am Aufbau des Gesamtkérpers wohl auch einzelner Organe beteiligen, anders gesagt, sie sind nicht fähig, sich als ‚Bausteine‘, als ‚Elementarbestandteile‘ des Körpers zu betätigen; eben deshalb kommen sie in einem der ‚Organisation‘ gewidmeten Kapitel nicht weiter in Betracht.“ Nun befinden wir uns aber gerade in einem Kapitel, das über die Organisation der Markscheide als einer lebendigen Masse ver- handelt.

Ein weiterer Umstand, der vielleicht imstande sein dürfte, uns endgültig davon zu überzeugen, daß nicht das kristallartige Mosaikprinzip, d.h. besten- falls Granulabildungen, sondern das Fibrillenwinkelprinzip, d. h. Faserbildun- gen auf die Organisation der lebendigen Markscheide in allen Teilen des Nervensystems bestimmend einwirken, gleichgültig ob entsprechende Strukturspuren gefunden werden oder nicht, liegt in den schon erwähnten Polarisationserscheinungen des Myelins. Während V. v. Ebner gefunden hatte, daß anisotropen Substanzen besondere Quellungsachsen zukommen, haben neuere Untersuchungen (Schmidt) gezeitigt, daß gerade fibrilläre und faserige (iebilde Polarisationsphänomene an den Tag legen. Die Ver- kettung von Bedingungen und Erscheinungen ist hier unverkennbar, und in einer lebendigen Masse von selten anzutreffender Reinheit. Man sieht das fortwährende, ineinandergreifende Spiel: Faserstruktur Ungleichheit in den Quellungsachsen —, Doppelbrechung. Aus dieser Trias von Bedin- gungen bzw. Phänomenen haben wir zwei, die Quellungsanisodiametrie und die Anisotropie als Tatsachen, die nicht mehr umgestoßen werden können. Daß wir aus ihnen beiden schon eine faserige bzw. lamelläre Struktur der Markscheide erschließen können, erhellt daraus, daß dort. wo sich die faserige Struktur verwischt, auch die Doppelbrechung abnimmt. Da wir darüber keine eigenen Erfahrungen besitzen, so müssen wir wieder Stud- nitka zitieren. Dieser Autor schreibt:

„Einen anderen Fall stellen die elastischen Fasern (Balken) des Binde gewebes vor. Wohl gibt es auch wirkliche elastische Elementarfibrillen, doch meistens sieht man dickere, sogar sehr dicke Fasern dieser Art, die auch dadurch, daß sie Anastomosen bilden (wahr: Fibrillen bilden sie nie), den Bündeln kollagener Fibrillen ähneln. So wie an den Muskelsäulchen und in den Muskelbändern kann man auch hier eine Zusammensetzung aus Elementarfibrillen mit keiner Methode nachweisen. Sogar auch die Spalt- barkeit, die an den Muskelbändern manchmal deutlich ist, läßt sich an den elastischen Balken nicht beobachten, und merkwürdigerweise sind an ihnen auch die Polarisationserscheinungen bedeutend schwächer als z. B. an kollagenen Fibrillen. (Original ungesperrt.)

Mit der inneren Struktur der Fibrillen und der Fasergebilde stehen wohl im Zusammenhange die Polarisationserseheinungen, die man an ihnen beob- achten kann (Schmidt).“

In der Überzeugung, daß der Fülle des vorgebrachten und für die Fi- brillenwinkelstruktur sprechenden Materials einige Beweiskraft zukommt, wol- len wir jetzt versuchen, den wahren Aufbau der Markscheide auf Grund un-

ne

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serer theoretischen Ergebnisse und der bisherigen histologischen Unter- suchungsresultate zu rekonstruieren. Es ist nämlich zu bedenken, daß wir im Lichte des Winkelprinzips nur die äußeren Formen und Linienführung der Markscheidenstrukturen verstehen, nicht aber ihren Inhalt, ihre gegen- seitigen Beziehungen und ihre Beziehungen zu den anderen Elementen der Nervenfaser. Es werfen sich demnach folgende Kardinalfragen auf: als was sind die Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen, die Golgischen Zwi- schentrichter mit ihren Spiralen und die Fischflossenstrukturen zu betrach- ten, wie sollen der Radspeichenbau sowie alle übrigen Strukturen oder Strukturspuren der Markscheide aufgefaßt werden und wie sollen wir uns ihre Beziehung zu den Myelinfibrillen vorstellen? Schließlich wäre noch die zusammenfassende Frage zu beantworten: wie sieht also der ganze Aufbau der Markscheide in Wirklichkeit aus?

Wir werden, so gut es geht, danach trachten, durch eine weitgehende Berücksichtigung unserer diesbezüglichen Anschauungen und durch eine ent- sprechende Zurechtstellung der Fragen eine möglichst befriedigende Ant- wort zu erhalten.

Die Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen könnten auf zweierlei Art aufgefaßt werden; entweder haben wir es in ihnen mit normal und be- ständig existierenden, präformierten Strukturen der Markscheide zu tun, oder sic sind Gebilde, die bei der alleinigen Präexistenz der Myelinfibrillen erst unter gewissen Bedingungen zum Vorscheine treten. Die Natur dieser Be- dingungen könnte in physiologischen, wenn sie einen bestimmten Grenz- wert überschreiten in pathologischen Prozessen gelegen sein, oder müßte sich sonst auf Vorgänge zurückführen lassen, die in postmortalen Zustands- änderungen der Markscheide gelegen sind. Wenn wir die Einkerbungen als eine in der Markscheide präformierte Struktur auffassen, wozu wir jedenfalls sehr viel Ursache haben, sobald wir sie an ganz frischen und unfixierten Nervenfasern beobachten können, dann müssen wir sagen, daß diese Struktur aus einer Substanz aufgebaut ist, die mit dem Myelin nicht identisch sein kann, da sie doch nur einen verschwindend geringen, durch besondere Eigenschaften ausgezeichneten Bruchteil der Markscheide aus- macht. Die Verlaufsrichtung dieser Struktur stimmt, wie wir gesehen hatten, mit der Verlaufsrichtung der Quellungsräume überein, trennt also die Myelin- fibrillen oder verbindet sie miteinander auf ähnliche Art, wie es perifibril- läre Substanzen in faserigen Gebilden mit den Fibrillen sonst tun. Die Be- rechtigung eines solchen Gedankens wird dadurch gehoben, daß es tatsäch- lich den Anschein hat, als ob in einer lebendigen Masse von einem faserigen Charakter immer zwei Substanzen enthalten wären, eine strukturlose Peri- fibrillärsubstanz und eine zweite faserig strukturierte, die in der ersteren eingebettet ist. Daß unsere Myelinfibrillen echten faserigen Charakter haben, steht aber nach alledem, was wir über die Quellungsanisodiametrie und die Lichtdoppelbrechung erfahren hatten, außer Zweifel.

Über das Problem der interfibrillären Grundsubstanz äußert sich Stud- nicka wie folgt:

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„Entstehen die Fibrillen aus Zytoplasma oder aus einer Grundsubstanz, kann man voraussetzen, daß Reste dieser ‚Fibrillenmatrix‘ zwischen den Fibrillen übrig bleiben; das beobachtet man deutlich im Epithel-, Muskel- und Nervengewebe“... (Neurofibrillen).

„Nach meiner Überzeugung gibt es überall interfibrilläre Teile und diese sind es, die gerade die Fibrillen... voneinander trennen, sonst müßten die Fibrillen untereinander verkleben und wir würden sie nicht als selbständige (rebilde erblicken, oder wären die Fibrillen bloß durch Flüssigkeit voneinan- der getrennt. Man hat die Interfibrillärsubstanz auch als ‚Kittsubstanz‘ be- zeichnel... In der Praxis ist es jedenfalls manchmal beinahe unmöglich, das Vorhandensein einer Interfibrillärsubstanz (man spricht manchmal auch von einer ‚Grundsubstanz im engeren Sinne des Wortes‘) nachzuweisen...“

Nach der Auffassung, daß die Schmidt-Lantermannschen Einkerbun- gen normalerweise vorkommende interfibrilläre Spalten der Markscheiden- wand darstellen, die von einer Grundsubstanz ausgefüllt werden, müßten wir auch vermuten, daß sich diese „Grundsubstanz im engeren Sinne des Wortes“ allseitig zwischen den Myelinfibrillen ausbreitet und auf diese Weise Septen- bildungen entstehen läßt, die das ganze Markrohr im Sinne der Quellungs- räume durchziehen. Dort, wo Komplexe entgegengestellter Quellungsräume zusammenstoßen, könnte diese Grundsubstanz eine stärkere Ausbildung er- fahren, die gerade hinreicht, um mikroskopisch wahrgenommen zu werden; so würden auf dem Längsschnitt einer Nervenfaser die Schmidt-Lanter- mannschen Einkerbungen, auf dem Querschnitte der Radspeichenbau auf einem tangentialen Anschnitte dagegen die Markspongiosa sichtbar. Die Dicke aller anderen, zwischen die einzelnen Fibrillen eindringenden Septen müßte als unterhalb der Sichtbarkeitsgrenze liegend angenommen werden. An der Markscheide zentraler Nervenfasern hätten wir uns den Sachverhalt so vor- zustellen. daß dort nach dem schon zuvor Gesagten die einzelnen Komplexe von Quellungsräumen sehr klein sind und dementsprechend auch die Aus- bildung der strukturlosen Zwischensubstanz zwischen zwei Komplexen so gering ist, daß sie unsichtbar verbleibt.

Nach der zweiten Möglichkeit, daß die Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen Spalten sind, die bei vorhandener Präexistenz der Myelin- fibrillen erst unter gewissen Bedingungen hervortreten, werden wir nicht erst an tiefgreifende postmortale Veränderungen denken, sondern, da die In- zisuren auch frisch beobachtet werden können, unsere Aufmerksamkeit eher vitalen Vorgängen zuwenden. Die Entstehung von Spalten innerhalb eines Körpers bedeutet nun nichts anderes als Raumverlust von seiten der ihn aufbauenden Materie, der sich in bestimmten Richtungen abspielt. Die Ur- sache dieses Raumverlustes müßte, wenn an kompliziertere chemische Vor- gänge nicht gedacht wird (es ist kein Grund vorhanden, solche anzunehmen, in Substanzverlust gelegen sein; dieser hinwiederum könnte nur durch Wasserabgabe auf dem Wege der Verdunstung oder Osmose, jedenfalls durch Entquellung erklärt werden. Nach dieser Auffassung hätten wir also die Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen höchstwahrscheinlich als Risse

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oder Sprünge in der Markscheide anzusehen, die durch deren Eintrocknung entstanden sind. Daß diese Sprünge auf dem Längsschnitte der Nerven- faser keine andere Verlaufsrichtung haben können, als schräg gegen die Faserachse, ergibt sich aus der Fibrillenwinkelstruktur der Markscheide von selbst. Den Umstand, daß wir diese Risse in dem zentralen Myelin nicht beobachten, müßten wir darauf zurückführen, daß entsprechend den kleine- ren Fibrillenstrukturen die Sprunglinien dort viel zahlreicher, aber auch viel feiner sind.

Viele Momente sprechen dafür, daß in der Markscheide eine perifibrilläre Grundsubstanz tatsächlich enthalten ist. So lassen sich nämlich die Fisch- flossenstrukturen der Markscheide zum Beispiel, die sich mit der Weigert- schen Methode tiefschwarz färben, kaum mit einem Schrumpfungsprozeß der Myelinkomplexe erklären, während ihr Vorkommen bei der Annahme, es handle sich um eine gut färbbare Zwischensubstanz, sofort sehr begründet erscheint. Auch lassen sich die Golgischen Trichter am ungezwungend- sten dadurch erklären, daß durch die Färbung bzw. Imprägnation eben diese Zwischensubstanz elektiv dargestellt wird. Da sie von Abschnitt zu Ab- schnitt trichterförmig gegen das Marklumen vordringt, so muß auch das histologische Imprägnationsbild den Eindruck erwecken, als würde eine Reihe von Trichtern ineinandergesteckt oder gegeneinandergestellt (Abb. 21). Außerdem scheinen die Existenz einer strukturlosen Zwischensubstanz die Golgischen Spiralen und Netze zu bestätigen. Sie können am leichtesten als unvollkommene und nicht tiefdringende Imprägnationen der Grundsub- stanz gedeutet werden. Es ist nämlich ohneweiters klar, daß bei einer ober- flächlichen (im wahren Sinnel) Färbung der Zwischensubstanz diese nur da lingiert wird, wo sie am leichtesten zugänglich ist. Zugänglich ist sie aber dort, wo sie in ringförmigen, um die Markscheide laufenden Linien ihre äußere und innere Oberfläche erreicht. Wird an diesen Stellen die Grund- substanz tingiert, und dringt die Färbung, was bei Imprägnationen so oft vorkommt und wie wir es eben annehmen, nicht tief, dann müssen Ringe und Spiralen entstehen, wie sie Golgi zuerst beschrieben hat. Die färbe rische Darstellung der Trichter in den Schmidt-Lantermannschen Ein- kerbungen gelingt leichter und ist gewöhnlich vollkommener, weil in ihnen die Zwischensubstanz stärker ausgebildet ist. Die Ringbildungen auf den Trichtern selbst müssen ebenso aufgefaßt werden wie die Ringe auf der inne- ren und äußeren Mantelfläche des Markrohres, während das gelegentliche Vorkommen von verbindenden Fäden und Netzen (Abb. 20) in der frag- mentarischen Imprägnation der übrigen Zwischensubstanz gesucht wer- den muß.

Ohne die Annahme einer Zwischensubstanz kommen wir auch bei der Erklärung des Radspeichenbaues schwer aus. Wir müssen vielmehr, sobald wir im Präparat zwei verschiedenarlig imponierende Strukturen vorfinden, auch zwei verschiedene Substanzen annehmen. Dies trifft gerade für den Radspeichenbau zu, wo wir hellere Segmente von dünkleren, radiär verlaufen- den Strichen begrenzt finden (Abb. 22). Zu derselben Logik haben wir uns

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schon bei der Erwähnung der Fischflossenstrukturen bekannt (Abb. 21), in denen wir die trichterförmig ineinandergesteckte und strukturlose Zwischen- substanz vermuteten. Dasselbe miissen wir von der Markspongiosa (Abb. 21) und den anderen netzigen Strukturen (Neurokeratin, Abb. 20) der Mark- scheide sagen.

Eine wesentliche Stütze erfährt diese Anschauung in der bisherigen Literatur. Obwohl in der Frage nach der Struktur der Markscheide eine Einigung noch lange nicht erzielt und die ziemlich lebhafte Kontroverse über dieses Thema noch weiter ungeschwächt ist, so scheint doch die An- sicht durchzudringen, daß die Markscheide gewisser gut strukturierter Stütz- vorrichtungen nicht entbehrt. Zwar zeigt das „vollkommenste“ Fixations- mittel der Nervenfaser, die Osmiumsäure, nichts von diesen Vorrichtungen und läßt die Markscheide als ein glattes Rohr von durchaus homogener Be schaffenheit erscheinen, doch gibt es nicht viele der Autoren (Kölliker), nach denen sie eine vollkommen homogene, zähflüssige Masse ohne irgend welche Stützvorrichtung im Innern sein soll. Andere um die Histologie der Nervenfaser besonders verdiente Forscher wie Ranvier und Golgi räumen auch den anderen Fixationsmitteln mehr Bedeutung ein und sind der An- sicht, daß in der Markscheide in Wirklichkeit Lamellen existieren, die schräg von der Schwannschen Scheide zum Achsenzylinder hinziehen. Golgi und Rezzonico haben spiralig gedrehte Fasern beschrieben, die in den Kegel- trichtern enthalten sein sollen, während von Nageotte diese Mitteilung dahin korrigiert worden ist, daß es eher nebeneinanderliegende faserige Kreise sind als wirkliche Spiralen. Es sei daran erinnert, daß auch wir die- selbe Korrektur aus rein theoretischen Erwägungen vorgenommen haben, worin wir ein für unsere Anschauungen sehr stark sprechendes Argument erblicken. , ;

Etwas unsicherer als die Existenz der trichterförmigen Gebilde ist das präformierte Vorkommen der Ewald-Kühneschen Neurokeratingerüste, die sich auch nach einer eigenen Methode Platners und einer besonderen Me- thode Kaplans darstellen lassen. Auch von Besta rührt eine Methode her, die zu ähnlichen Ergebnissen führt. Capparelli dagegen, der das Myelin aus der Nervenfaser extrahierte und seine Methode als „physikalisch“ be zeichnet, bestreitet das Vorkommen einer neurokeratinösen Stützsubstanz. Gorowitz färbte Froschnerven intravital durch Injektionen von 3,5% Lithion- karminlösung in den Lymphsack und fand ein netzförmiges Gerüst, dessen fädige Balken wie beim Ewald-Kühneschen Neurokeratingerüst angeordnet waren. Nemiloff bediente sich bei seinen eingehenden Untersuehungen ‚über die Struktur der markhaltigen Nervenfasern bei Fischen und Säugetieren des Methylenblaus. Er fand, daß die Fortsätze der protoplasmatischen Aus- läufer der Schwannschen Zellen sich nicht bloß längs der Innenfläche der Schwannschen Scheide verzweigen, sondern auch in das Mark eindringen und dort eine dichte, wabige Protoplasmamasse bilden. Dieses dichte Netz, der von den Schwannschen Zellen gebildeten Protoplasmaverzweigungen hält Nemiloff mit dem Neurokeratingeriist von Ewald und Kühne für

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identisch. Die Lantermannschen Einkerbungen sind nach Nemiloff der Ausdruck dickerer, zum Achsenzylinder schräg hinziehender Scheidewände, die nichts anderes sind als bloß lokale Verdichtungen des allgemeinen Stromas.

Auch Dürck, der mit der Weigertschen Kupfer-Hämatoxylin-Eisenfär- bung nach Fixierung in Orthschem Gemisch arbeitete, beschrieb an Längs- schnitten von Nervenfasern eine scharfe Wabenzeichnung, auf dem Quer- schnitte den charakteristischen Radspeichenbau. Sehr eingehend waren ferner die Untersuchungen Doinikows. Nach diesem Autor werden die Mark- scheiden von den Schwannschen Zellen gebildet und bleiben dauernd in deren Substanz eingebettet. Doinikow spricht sich über das Verhältnis von Zelle zum Myelin an der peripherischen Nervenfaser folgendermaßen aus: „Das Plasma der Schwannschen Zellen besteht aus einem dichter gebauten perinukleären Hof und einem lockeren Wabensack, der die Markscheide eines interannulären Segments in seiner ganzen Ausdehnung durchdringt und in seinen Maschen das Nervenmark enthält. Das äußerst zarte Maschen- werk dieses (ieriistes wird durch dickere Balken verstärkt, die in der Längs-, Schräg- und Querrichtung ziehen und untereinander verbunden sind. Dies sind die vom perinukleären Plasmahof abgehenden Längsfortsätze, die reihen- förmigen, die Markscheide in gewissen Abständen voneinander umschließen- den Plasmastreifen und die von der letzteren zur Achsenzylinderoberfläche schräg ziehenden trichterförmigen Gebilde; an der Oberfläche der Mark- scheide und um den Achsenzylinder sind Verdichtungen der Struktur zu ver- zeichnen.“

Eine ähnliche Ansicht vertritt Reich. Er spricht einem interannulären Segmente, das höchst kompliziert aber einheitlich gebaut ist. die Bedeutung einer Zelle zu. Der Kern dieses Gebildes wäre der sogenannte Kern der Schwannschen Scheide; das Protoplasma dieses Gebildes setzt sich konti- nuierlich in die Schwannsche Scheide fort, von der nach innen zu trichter- förmige Septen zum Achsenzylinder hinziehen, um welchen herum eine Mem- bran gebildet wird (Mauthnersche Scheide). Nach Reich wird wahrschein- lich auch die perifibrilläre Substanz des Axons vom Plasma der Schwann- schen Zelle gebildet. Das Nervenmark füllt alle Lücken des protoplasma- tischen Wabenwerkes aus.

Auf die stoffliche Verwandtschaft zwischen Axoplasma und den Zwi- schentrichtern hat schon Kaplan hingewiesen; beide Substanzen zeigen die gleiche Farbreaktion gegenüber Anthrazengallustinte und Kaplan faßt sie des. halb unter dem gemeinsamen Namen Myeloaxostroma zusammen.

Ernst untersuchte, wie bereits angegeben, den Querschnitt der Mark- scheide mit besonderer Genauigkeit. Nach Fixierung in Sublimat oder in Zenker zeigt der Nervenfaserquerschnitt den Radspeichenbau. „Der Achsen- zylinder bildet die Nabe des Rades, die radähnliche Zeichnung wird von Stäbchen gebildet, die entweder durch die ganze Dicke der Markscheide (durchziehen, oder sich zu gitter- oder netzförmigen Figuren verbinden. Je unversehrter und gesunder der Nerv ist, um so schärfer und regelmäßiger,

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sozusagen geometrischer (nach Ernsts Ausdruck) sind die Rädchen. Diese Radspeichen des Querschnittes sind nur der Ausdruck eines wabigen Baues. Von der Seitenfläche gesehen stellt sich die Struktur als ein wabiges Netz aus Vielecken dar. Der Stoff, aus dem die Radspeichen bestehen, ist wahr- scheinlich mit dem Neurokeratin von Ewald und Kühne identisch. Die Radspeichen werden durch verschiedene Schädigungen des Nerven im Leben und nach dem Tode beeinträchtigt oder zerstört, und zwar konnten für ver- schiedene Schädigungen verschiedene Entartungsbilder aufgeführt werden. Die Beschaffenheit der Radspeichen in Nerven kann somit als Indikator feiner Veränderungen (Ernst) dienen. Alles spricht nach Ernst dafür, daß die Markscheiden im Leben den Radspeichenbau besitzen.“ (Doinikow.)

Zu ähnlichen Ergebnissen kam Fuchs.

Sehr interessant sind die aus neuester Zeit stammenden Untersuchungen von Cristini. Dieser Autor spricht von vermeintlichen Strukturen der mark- haltigen Nervenfasern und versucht diese zu chemisch-physikalischen Ver- hältnissen des Neuroplasmas zu bringen. Er gelangt unter anderem zu der Feststellung, daß das Myelin an bestimmten Punkten der Nervenfaser, und zwar an den Ranvierschen Schnürringen und den Schmidt-Lantermann- schen Einkerbungen unterbrochen ist. Die Längsform der zylindrokonischen Segmente führt er auf den Druck zurück, den die Schwannsche Scheide von außen her ausübt sowie auf den Gleichgewichtszustand des periaxonalen Protoplasmas. Nach Cristini ist das Myelin nicht der einzige Bestandteil der Markscheide. Das Myelin wäre eine chemisch komplexe, flüssig kristal- linische Substanz, die in einem anderen Kolloid mit differentem Dispersions- zustand suspendiert ist. Den fixierenden Reagentien gegenüber verhält sich dieses zweite Kolloid so, daß es zu Strukturen ausgefällt wird, die als Neuro- keratingerüst bezeichnet werden. Der Autor meint, daß man nicht von Struk- turen der Markscheide sprechen darf, sondern nur von Kolloiden mit ver- schiedenem Dispersionsgrad. Ihre ungleiche Gerinnungsfähigkeit täuscht das Bestehen von Strukturen vor, die bisher als anatomische Realitäten ge- deutet worden sind (Gamper).

Die Zahl der Autoren, die ein „Stützgerüst'“ in der Markscheide gesehen hatten und ein solches für präformiert erachten, ist in Majorität, und es zeigt sich aus den obigen literarischen Angaben, die wir zum Teil Doinikow verdanken, da uns nicht alle Originalarbeiten zugänglich waren, daß oft ver- schiedene Bezeichnungen für dieselbe Sache gebraucht werden. Ernst identi- fiziert die Radspeichen mit dem Neurokeratin, Reich, Nemiloff und Doini- kow fassen die trichterförmigen Gebilde als stärkere Balken eines allgemeinen Stützgerüstes auf, das eben schon von Ewald und Kühne beschrieben wor- den ist (Nemiloff). Es zeigt auf dem Querschnitte den geometrisch stren- gen Radspeichenbau von der Seite und auf dem tangentialen Anschnitt un- regelmäßige Vielecke, auf dem idealen Längsschnitte die Schmidt-Lanter- mannschen Einkerbungen, gerade so wie unsere Konstruktion.

In dieser Zusammenfassung aller Strukturdetails der Markscheide wie die Inzisuren, Zwischentrichter, Spiralen, Fischflossen, Markspongiosa, Rad-

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speichenbau und Neurokeratin in ein einziges einheitliches Gebilde, das Markwabenwerk, wie es sich aus den Resultaten der histologischen Forschung von selbst zwingend ergibt, gewinnen alle diese aufgezählten Strukturfrag- mente der Markscheide an Stärke gegenüber dem Einwand, es seien Arte- fakte. Abgesehen davon, daß dieser Begriff höchst unklar ist und in be. sonderen Fällen immer einer näheren Erklärung bedarf (was ist an einem histologischen Präparate kein Kunstprodukt?), kann er uns über die Tat- sache nicht hinwegbringen, daß in der Markscheide auch Substanzen gefun- den werden, die mit dem Myelin auf keinen Fall identifiziert werden können, was auch Cristini betont.

Der Sinn der Bezeichnung ,,Kunstprodukt“ wäre also der, daß die vom Myelin abtrennbaren Stoffe, die die Strukturen im mikroskopischen Prä- parate so schön und regelmäßig aufbauen, in der lebenden Markscheide zwar enthalten wären, jedoch in einer Verteilung, die mit dem Radspeichenbau, den Zwischentrichtern usw. nichts Gemeinsames hätte. Es wäre erst das Werk des Fixierungsmittels, die morphologisch unfaßbare Suspension dieser Struktursubstanz in eine morphologisch und geometrisch ausgezeichnet de finierte umzusetzen. Wir sind der Ansicht, daß eine solche Deutung von einem Fixierungsmittel zu viel verlangt. Seine artefaktorische Tätigkeit be wegt sich nach drei Richtungen hin: 1. in der Richtung einer „Fixierung“ als solchen, d. h. in der Überführung der flüssigen Hydrosole in feste Hydro- gele, die immer mit einer Verklumpung der sonst frei suspendierten kolloi- dalen Partikelchen und einer Gerinnselbildung einhergeht; 2. in der Richtung einer elektiven Darstellung gewisser Plasmakomponenten mit Vernachlässi- gung anderer (auch durch deren eventuelle Auflösung), wodurch eine mor- phologische Unvollständigkeit entsteht, die, wenn sich zu ihr noch eine Schrumpfung hinzugesellt, in eine Entstellung der tatsächlichen Verhältnisse ausarten kann; 3. in der Richtung einer mechanischen Verschiebung und Destruktion, die durch das Eindringen des Fixierungsmittels (durch Dif- fusionsströme) verursacht wird.

Wir nehmen selbstverständlich an, daß das Wabenwerk der Markscheide elektiv dargestellt wird, und je gründlicher dies ein Fixierungsmittel be sorgt, um so besser wird es für unsere Zwecke sein. Allein als bedeutungs- loses und ganz zufälliges Koagulationsprodukt können wir es auf keinen Fall ansehen, denn es wiederholt sich immer und an jeder Nervenfaser in einer Art und mit einer Regelmäßigkeit, die die Koagulation und die Schrump- fung als einzige Ursachen ihrer Entstehung ohneweiters ausschließen. Ge- wöhnliche und zufällige Gerinnungs- oder Schrumpfungsprodukte können doch nicht immer wieder dieselben geometrisch einfachen und untereinander we- sensgleichen Figuren zur Schau bringen. Dasselbe gilt für die Diffusions- ströme. Wir kennen ihre Wirkung beim Eindringen der Fixierungsfliissigkeit ins Gewebe und wissen, daß z. B. zelluläre Bestandteile durch die mecha- nische Wirkung dieser Ströme über den Haufen geworfen werden können. Es ist aber keiner Vorstellung zugänglich, wie auf solche Weise Golgische Trichter usw. entstehen sollten.

Über die Struktur der Nervenfaser. 43

Selbst Cristini, der sich die Substanz der Markscheide aus Kolloiden mit verschiedenem Dispersionsgrad aufgebaut vorstellt, kann über die Tat- sache der geometrischen Gleichheit vieler Markscheidenstrukturen nicht an- ders hinweggehen, als daß er annimmt, daß das Myelin in den Lantermann- schen Einkerbungen unterbrochen ist, was eben besagt, daß hier das Myelin- kolloid, welches nach Cristini in einem anderen Kolloid mit differentem Dispersionsgrad (wir nennen es kurz Zwischensubstanz) suspendiert ist, a priori räumlich zu einzelnen Komplexen von ganz bestimmter Form be- grenzt wird. Der Morphologe, dessen Aufgabe es eben ist, die Form zu unter- suchen und der sich dessen wohl bewußt ist, daß ihm die histologischen Präparate nur Äquivalentbilder liefern können, hat volles Recht, eine Struk- tur für präformiert, für eine anatomische Realität anzusehen, sobald er zur Einsicht gelangt, daß die Form des Äquivalents der Lebensform ent- spricht. Freilich sollte er sich aber von solchen Bezeichnungen, wie z. B. „Stützgerüst‘“ fernhalten, die nicht nur bei rein flüssigen Phasen, sondern auch bei der Markscheide völlig unmotiviert sind.

Cristini hält das „Neurokeratingerüst“ (nur das Neurokeratingeriist) für ein Gerinnungsprodukt ohne reale anatomische Basis. Dies mag stim- men, wir haben keinen Beweis für das Gegenteil, obwohl es in unsere Konstruktion der Markscheide in seinen allgemeinen Formen gut hinein- paßte. Immerhin haben wir auch Erwähnung getan, daß es sich geometrisch kaum definieren läßt, weshalb es von zufälligen Gerinnungsprodukten nicht zu unterscheiden ist.

So sieht man also, wie sich die Resultate der histologischen Forschung überall an unsere theoretischen Ausführungen eng anlegen lassen, wie beide eine weitlaufende Parallele bilden. Wir werden auch unsere Ansichten über die Bauart der (peripherischen) Nervenfaser folgendermaßen zusammen- fassen:

Im Bereiche eines interannulären Segmentes wird der Achsenzylinder vom Plasma der Schwannschen Zelle allseitig umgeben. Diese produziert in ihrem plasmatischen Körper das Myelin, welches dauernd in der Mutter- zelle eingebettet verbleibt. Die Entstehung des Myelins im Plasma der Schwannschen Zelle scheint nach bestimmten Prinzipien zu geschehen, solche lassen sich jedenfalls in der fertigen Struktur des Myelins erschließen. Es besteht aus Fibrillen, die alle in einem Winkel von etwa 45° gegen den Achsenzylinder gerichtet sind und abwechselnd bald eine parallele, bald eine entgegengesetzte Verlaufsrichtung haben. Durch diese eigenartige Lagerung der Strukturfibrillen zerfällt das Myelinrohr in seiner Längsausdehnung und im Bereiche eines interannulären Segmentes in eine größere Anzahl von Abschnitten, die konische oder kegelfürmige Begrenzungsflächen haben. Ein jeder zylindrokonische Abschnitt des Myelinrohres zeigt auf dem Quer- schnitte, daß er sich wiederum in eine größere Anzahl von Segmenten auf- lösen läßt. In einem jeden Segment zeigen die Fibrillen parallele Neben- einanderlagerung. Fibrillen benachbarter Segmente stoßen winkelig zusam- men. Zwischen den Fibrillen dehnen sich überall zarteste Ausläufer der zyto-

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plasmatischen Fibrillenmatrix aus der Schwannschen Zelle aus, die in ihrer Gesamtheit ein Werk von langgezogenen, die ganze Dicke der Mark- scheidenwand durchdringende Waben darstellen; in den Waben liegen die Fibrillen eingebettet. Diese wabenbildenden protoplasmatischen Ausläufer sind stellenweise stärker ausgebildet, und zwar dort, wo Systeme winkelig gegeneinandergestellter Fibrillen zusammenstoßen. Sie verlaufen auf dem Querschnitte radiär, auf dem Längsschnitte der Nervenfaser schräg gegen ihre Achse. Aus dieser Anordnung des protoplasmatischen Netzes ergibt sich, daß auf dem Querschnitte der Nervenfaser der Radspeichenbau zu sehen ist, auf dem Längsschnitte die Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen, die Fischflossen und die Zwischentrichter, oder bloß Fragmente dieser Bil- dungen, die sogenannten Golgischen Spiralen und Kreise. Als wirkliches Netz zeigt sich dieses Wabenwerk an tangentialen Rohranschnitten (Mark- spongiosa) oder von der Mantelfläche aus betrachtet (Ewald-Kühnesches Gerüst). Die den Myelinfibrillen von außen aufliegende protoplasmatische Schicht der Schwannschen Zelle bildet die Schwannsche, die von innen aufliegende, an den Achsenzylinder grenzende Schicht die Mauthnersche Scheide der Nervenfaser.

Im Anschluß an diese Darstellung der Verhältnisse wollen wir noch einen kleinen Vorschlag machen, der die Terminologie und insbesondere die gebräuchliche Bezeichnung „zylindrokonisches Segment“ betrifft. Wir halten den Ausdruck „Segment“ für ganz unzutreffend, da es sich doch um keinerlei Segmente, sondern um gewöhnliche Abschnitte des Myelinrohres handelt. Die Bezeichnung „zylindrokonisches Segment“ wäre also auf die den Verhältnissen entsprechende Bezeichnung „zylindrokonischer Abschnitt“ umzuändern. Da ein „zylindrokonischer Abschnitt“ aus Elementen niederer Ordnung aufgebaut ist, die segmentär aneinandergesetzt einen vollen Rohr- umfang ergeben, so wäre eben für diese niederen Elemente die Bezeichnung „zylindrokonisches Segment gerade recht. Nach unserem Vorschlage müßte man also sagen: die Markscheide zerfällt in ihrer Längsausdehnung in die einzelnen zylindrokonischen Abschnitte (Rohrabschnitte mit zylindrischen und konischen Begrenzungsflächen), die einzelnen zylindrokonischen Ab- schnitte dagegen in zylindrokonische Segmente (Rohrsegmente mit zylin- rischen und konischen Begrenzungsflächen).

Wir haben bereits oben angedeutet, daß die Entstehung der Myelin- fibrillen aus dem Protoplasma der Schwannschen Zelle nach gewissen Prin- zipien zu geschehen scheint, denn sonst würde ihre regelmäßige Anordnung im ausgebildeten Zustande unverständlich bleiben. Diese Prinzipien der Markbildung (Markreifung, Myelinisation) der Nervenfasern lassen sich aus dem Bauplane der Markscheide gut vermuten. Im Bereiche eines inter- annulären Segmentes zerfällt die Markscheide in eine größere Anzahl von morphologisch autonomen Myelinkomplexen, in die zylindrokonischen Ab- schnitte, die ihrerseits wiederum in morphologisch autonome Myelingruppen, die zylindrokonischen Segmente zergliedert werden können. Die morpholo- gische Autonomie dieser Komplexe oder Gruppen beruht darauf, daß eine

Cber die Struktur der Nervenfaser. 45

jede von ihnen aus Myelinfibrillen von derselben Verlaufsrichtung aufge- baut ist. Es müssen also in einem interannulären Segment der Markscheide mindestens ebensoviel Myelinisationsherde vorhanden gewesen sein als auto- nome Myelingruppen oder zylindrokonische Segmente gezählt werden können. Das würde praktisch an einer Faser mit deutlichen Strukturen der Mark- scheide (20 Abschnitte mit je 50 Segmenten) ungefähr 1000 Myelinisations- herde ergeben. Stehen die „Herde“ so dicht, daß sie einzeln nicht breit- wachsen können, dann ist auch der Bauplan der Markscheide im mikroskopi- schen Präparat verwischt, ihre sonst gut zu beobachtende Struktur kann nur undeutlich zum Vorscheine treten.

Mit einer solchen Annahme würde auch folgende Angabe Obersteiners gut verständlich: „Die peripheren Nervenfasern des neugeborenen Hundes beispielsweise sind zwar schon markhaltig, doch ist das Mark stellenweise noch derart ungleichmäßig angelagert, daß die Faser dadurch einer varizösen Nervenfaser sehr ähnlich wird. Vielleicht haben wir in dieser rosenkranz- ähnlichen Anlagerung der Markumhüllung die Ursache der Lantermann- schen Einkerbungen zu suchen.“

Zum Schlusse soll noch kurz dargetan werden, wie sich unsere Aus- führungen zu den bestehenden Theorien der Gelstrukturen verhalten. Nach Zsigmondy können die wichtigsten Theorien der Gallertstrukturen auf zwei Grundvorstellungen zurückgeführt werden:

yl. Die Gallertelemente sind sehr kleine, im Mikroskop nicht mehr sichtbare Kriställchen oder kristallartige Gebilde (Frankenheim, Nägeli u. a.). Ihren Zusammenhang erhalten diese Teilchen durch Anziehungs- kräfte zwischen den Gallertelementen, die im nassen Zustande durch Wasserhüllen voneinander getrennt sind; die kolloidale Auflösung erfolgt durch Zerfall in diese Elemente (Mizellartheorie Nägelis).

2. Die Gallerten bestehen wenigstens im Moment ihrer Entstehung aus zwei Flüssigkeiten, einer wässerigen, dünnflüssigen und einer zähen, öl- artigen, die ursprünglich in der Kolloidlösung homogen gemischt sind, bei der Gallertbildung aber sich voneinander trennen und infolge der Ober- flächenspannung allerlei Formen annehmen können, vorzugsweise aber Schaum- oder Wabenstrukturen (Quincke, Bütschli, Hardy, Wo. Ost- wald u. a.).“

Nägeli hat auf Grund seiner Mizellartheorie eine Reihe von Erschei- nungen in einfachster Weise erklärt:

„So die Doppelbrechung von pflanzlichen und tierischen Fasern, die Quellung fester Kolloide in Wasser, die kolloide Auflösung, die Formbestän- digkeit und Elastizität von (tallerten; das Gelatinieren verdünnter Gelatine- lösungen unter der Annahme, daß die Mizellen sich kettenartig aneinander- reihen und ein Gerüst von Balken mit weiten Maschen bilden, zwischen denen die Hauptmenge des Wassers nur lose gehalten wird, eine Vorstellung, die die leichte Abpreßbarkeit von Wasser aus diesen Gebilden viel besser erklärt als die Wabentheorie.“

46 L. Jaburek.

Außerdem konnte die moderne Entwicklung der Kolloidchemie und Ultramikroskopie, der Nachweis von Ultramikronen in Kolloidlösungen, „die Zweifel an der realen Existenz der von Nägeli supponierten ultramikro- skopischen Teilchen wohl endgültig“ beseitigen.

Unsere theoretischen Ausführungen passen in die Mizellartheorie Nä- gelis hinein; diese scheint aber die kolloid-chemischen Phänomene am besten zu erklären.

Der Achsenzylinder.

Bei der Beschreibung des Quellungsbildes der Nervenfaser haben wir, was den Achsenzylinder anbelangt, zwei Tatsachen besonders hervorgehoben. Erstens betonten wir, daß in nicht weit fortgeschrittenen Quellungsstadien der Achsenzylinder eine gleichmäßige Verdickung in allen seinen Radien er- fährt, ohne gleichzeitig in die Länge zu wachsen. Zweitens ist es uns auf- gefallen, daß dort, wo die Quellung extreme Grade erreicht, der Achsen- zylinder sein Verhalten ändert, indem er, was bis dahin nicht beobachtet worden ist, plötzlich in die Länge schießt. Aus diesem Verhalten des Achsen- zylinders wäre zu schließen, daß seine Quellung zwei Phasen durchläuft. Die erste Phase der Quellung beruht auf einem anisodiametrischen, bidimen- sionalen Raumzuwachs, der sich in den beiden Querachsen des Achsen- zylinders abspielt; der Raumzuwachs auf der Längsachse ist gleich Null. In der zweiten Phase kommt es zu einer fast reinen Längenquellung des Achsenzylinders; die Quellung in den Querachsen scheint zu Beginn der zweiten Phase bereits beinahe abgeschlossen.

Nachdem allen, was wir über das Verhältnis von Struktur zur Quel- lung bereits sehr ausführlich berichtet hatten, müssen wir aus dem Bilde der ersten Phase zwingend schließen, daß der Achsenzylinder aus Fibrillen aufgebaut ist, die alle parallel verlaufend ein überall gleichmäßig dickes Bündel bilden. Der Achsenzylinder müßte also so gebaut sein wie ein auf- gedrehtes Tau, von dem wir schon gehört hatten, daß es sich mit Wasser auch nur in seinen beiden Querachsen bidimensional imbibieren kann.

Die Tatsache, daß der Achsenzylinder aus Fibrillen zusammengesetzt ist, ist histologisch keineswegs neu und so werden wir unsere theoretischen Achsenzylinderfibrillen mit größter Wahrscheinlichkeit mit den anatomischen Neurofibrillen (Axofibrillen, Neuronemen) identifizieren können. Von den- selben Erwägungen wie bei der Markscheide geleitet, werden wir auch hier bei dem Achsenzylinder die Strukturfibrillen in einer strukturlosen, homo- gegen Grundsubstanz eingebettet vermuten. Diese Grundsubstanz müßten wir mit der auf histologischen Weg entdeckten perifibrillären Substanz (Neuroplasma, Axoplasma) für identisch halten.

Man sicht also, daß auch hier beim Achsenzylinder die theoretische Ana- Iyse des Quellungsbildes zu Ergebnissen führt, die mit den Resultaten der praktischen Forschung zusammenfallen. Wie wenig aber die letzteren im- stande sind, vollkommene Überzeugung auszulösen, wollen wir wiederum

Über die Struktur der Nervenfaser. 47

durch ein Zitat zeigen. So schreibt Stöhr in Möllendorffs Handbuch (1928):

„Die Neurofibrillen (argentophile Substanz, Cajal; Axofibrillen, Neuro- nemen) lassen sich sowohl mit Osmiumfixierung und nachträglicher Fär- bung mit Säurefuchsin (v. Kupffer), Rubin S. (Heidenhain) oder Häm- atein (O. Schultze) darstellen, wie fernerhin mit den spezifischen Silber. und Goldmethoden, sehr elegant zur Anschauung bringen. Da wir im frischen Zustand eine fibrilläre Streifung des Achsenzylinders nicht mit Sicherheit erkennen können, so scheint mir die Frage nach der realen Existenz der Neurofibrillen im lebenden Organismus von großer Bedeutung.

So wollen Levi und Burrows in der Kultur an lebenden Nervenfasern Fibrillen festgestellt haben. Doch hat Levi mit dieser Beobachtung wohl ziemliche Schwierigkeiten gehabt, da er ein konstantes Vorkommen der Fi- brillen in Abrede stellt, vielmehr in ihnen Strukturelemente von offenbar stark veränderlicher Natur erblickt. Somit mag die Existenz der Neuro- fibrillen im Leben als sehr wahrscheinlich gelten; ganz gesichert ist sıe aber bis jetzt noch keineswegs. Man muß nur immer bedenken, welchen überaus eingreifenden Prozeduren man das lebende Protoplasma unterwirft, ehe man die Fibrillen überhaupt zu Gesicht bekommt. Die Möglichkeit einer Arte- faktbildung läßt sich daher, wenn man die betreffenden Gebilde nicht lebend gesehen hat, nicht ohneweiters ablehnen.

Was zunächst die Frage der Längsindividualität (der Neurofibrillen) anbelangt, so ist diese bei der urfgeheuren Feinheit und großen Menge der Elemente nicht zu entscheiden. Wir haben also keinen gesicherten Anhalts- punkt, in den Fibrillen gesonderte Einheiten wie Kabeldrähte zu erblicken. Die Fibrillen können auch aus kurzen, oder verschieden langen, aneinander- gereihten Fadenstücken bestehen; vielleicht sind sie sogar aus allerfeinsten Körnchen zusammengesetzt.

Somit setzt sich der Achsenzylinder aus zwei verschiedenen morpho- logischen Elementen zusammen, einer offenbar homogenen Grund- oder Zwischensubstanz, dem Neuroplasma (Axoplasma, Waldeyer; perifibrilläre Substanz, Bethe) und einer je nach der Dicke des Achsenzylinders ver- schieden großen Anzahl von fädigen Gebilden, den Neurofibrillen (Neuro- nemen).“

Noch skeptischer betrachten das Neurofibrillenproblem die Physiologen. So schreibt Bayliss in seinem Grundriß der allgemeinen Physiologie (1926):

„Nach der Behandlung mit fixierenden Reagenzien erscheint der Inhalt des Achsenzylinders als eine Anzahl von Fädchen, ‚Neurofibrillen‘ genannt. Daß sie auch im lebenden Nerven vorkonmen, ist vollkommen unbewiesen, aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie Kunstprodukte, die durch die Einwir- kung der angewendeten Reagenzien entstehen. Mott... findet nichts in der lebenden Nervenzelle, woraus auf das Vorhandensein der Neurofibrillen geschlossen werden könnte.“

Die Tatsache, daß der Achsenzylinder während der ersten Quellungs- phase nur in seinen kurzen Achsen an Volumen zunimmt, muß als ganz strik-

48 L. Jaburek.

ter, objektiver Beweis für die Präexistenz von (Neuro-) Fibrillen angesehen werden. Das Quellungswasser wird nur in den Querebenen des Axons ein- gelagert, in den Längsebenen kann es nicht verankert werden. In der Längs- richtung hängen also die Strukturelemente des Axons (während der ersten Quellungsphase) untrennbar zusammen, sie müssen zu Reihen oder Ketten oder Fibrillen nach technischem Ausdrucke geformt sein. Eine andere Vor- stellung ist nicht nur bei der Annahme einer Kondensationstheorie der Quellung, sondern überhaupt und in jedem Fall ausgeschlossen. Die Neuro- fibrillen sind also keine Artefakte. Dagegen ist es gut möglich, daß sie bei ihrer Feinheit dann erst sichtbar werden, wenn sie zu einzelnen dickeren Strängen verkleben. Ein solches Verkleben der Neurofibrillen kann an Biel- schowsky-Präparaten immer beobachtet werden.

Quillt der Achsenzylinder anisodiametrisch und besteht er aus Fibrillen, so werden wir auch die dritte aus der Trias der bereits besprochenen Er- scheinungen, und zwar auch seine Doppelbrechung im polarisierten Licht erwarten können. Dies ist auch tatsächlich der Fall. So erwähnt Spiegel, „daß die positive Doppelbrechung der Neurofibrillen hervortritt. Daß der neurofibrilläre Apparat optisch positiv doppelbrechend ist, geht schon daraus hervor, daß die marklosen Nervenfasern von Embryonen optisch positiv sind (Valentin), sie ist neuerdings durch die Untersuchungen von Göthlin nahe- gelegt...“ Gewöhnlich wird die Anisotropie des Achsenzylinders durch die stärkere Doppelbrechung der Markscheide verdeckt.

Was bedeutet nun die zweite Phase der Achsenzylinderquellung und welche Folgerungen lassen sich aus ihr ziehen?

In der ersten Phase werden die Strukturfibrillen (Neurofibrillen) des Axons durch die Wasseraufnahme bei der Quellung in allen Radien gleich- mäßig auseinandergedrängt; nun fängt die Flüssigkeitsspeicherung auch in der Längsrichtung sehr intensiv einzusetzen. Zur Erklärung dieser Erschei- nung muß unbedingt eine immer stärker werdende Querspaltung der Neuro- fibrillen angefordert werden. Die zweite Phase der Achsenzylinderquellung beruht somit auf einer Auflösung der fibrillären Strukturketten in einzelne granuläre Strukturelemente. Andere Eventualitäten sind undenkbar.

Während die erste Quellungsphase des Achsenzylinders seinen allge- meinen Bauplan verrät (Fibrillen plus homogene Zwischensubstanz), so leuchtet die zweite Phase in das Strukturproblem der Neurofibrillen (körniger Zerfall) hinein. Sie sind als Ketten linienförmig aneinandergereihter Struktur- partikelchen von relativer Quellungsfestigkeit zu denken. Die kollagene Bindegewebsfaser besteht aus absolut quellungsfesten Fibrillen; der Quel- lungsprozeB mag bei ihr noch so hohe Grade erreichen, das Längenausmaß der einzelnen leimgebenden Fibrillen bleibt unverändert. Die Strukturketten der Bindegewebsfaser bleiben ungesprengt.

Diese theoretisch gefundene, relative Quellungsfestigkeit der Neuro- fibrillen entbehrt auch nicht praktischer, mit ihr im Einklange stehender Erfahrungen. Wir möchten auf folgende Momente aufmerksam machen:

Uber die Struktur der Nervenfaser. 49

1. Die klassische Lehre von den Neurofibrillen nimmt auf Grund histo- logischer Präparate und Kulturen an lebenden Nervenfasern an, daß sie im lebenden Zustand eine Längsindividualität besitzen.

2. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß schwerere degenerative Veränderungen des Axons in eine Phase des „körnigen Zerfalles“ der Neuro- fibrillen einlenken. So berichtet Spielmeyer: „ihr Zerfall geschieht am häufigsten in Fragmentierung und körniger Auflösung“. Den kör- nigen Zerfall hat auch Marinesco nach Nervenverletzungen beschrieben. Das Vorkommen dieser Erscheinung ist überhaupt so bekannt, daß wir sie

Abb. 26. Frischer Herd bei multipler Sklerose. Bielschowsky-Imprägnation. Achsen- zylinder in Degeneration: Stadium des „körnigen Zerfalles“. Mikrophotographie.

kurz mit der Abb. 26 (körniger Zerfall der Achsenzylinder in frischen Her- den bei multipler Sklerose) abfertigen wollen und mit der Bemerkung, daß man oft klassische Bilder einer körnigen Auflösung von Neurofibrillen bei Studien über Nervenendigungen, die mittels Methylenblau betrieben werden, erhält. So hatten wir überaus oft Gelegenheit, diese Erscheinung bei Am- phibien, Reptilien, Vögeln und Säugern gelegentlich eigener oder fremder Untersuchungen (Szymonowicz, Frank-Pittowa) in einer vollendeten Form zu beobachten. Die Neurofibrillen schienen manchmal wie aus aller- feinsten Staubkörnchen zusammengesetzt.

Der Übergang der ersten Quellungsphase des Achsenzylinders in die zweite scheint mit chemischen Veränderungen, die in den Neurofibrillen statt- finden, einherzugehen. Diese chemischen Veränderungen dürften irgend eine Lockerung der Strukturelemente, die zu Fibrillen zusammengekettet sind,

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 4

50 L. Jaburek.

herbeiführen. Sie lassen sich färberisch demonstrieren: der extrem ge- quollene Achsenzylinder imprägniert sich schlecht mit Silber, er färbt sich leicht mit Hämatoxylin; mit der Alzheimer-Mann-Methode behandelt, zeigt er in einem ganz anderen Farbton wie sonst, und zwar einen leuch- tend roten anstatt des blauen.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß der granuläre Zerfall des Axons (der Axofibrillen) eine Leitungsunterbrechung der Nervenfaser zur Folge hat.

Über die theoretische Struktur des Achsenzylinders, die auch diesmal die praktischen Ergebnisse bekräftigt und ergänzt, kann aus Quellungsbildern nicht mehr ausgesagt werden.

Die funktionellen Beziehungen zwischen Achsenzylinder und Markscheide.

Die Schlüsse, die sich aus gequollenen Nervenfasern ziehen lassen, sind doppelter Art. Einmal morphologisch, mit diesen haben wir uns oben be- faßt und anatomische Strukturen analysiert; ferner physiologisch, und diese sollen uns im nachfolgenden beschäftigen.

Kehren wir zurück zum Bilde einer typisch gequollenen Nervenfaser (Abb. 1 und 2). Es zeigt, was wir schon erörtert hatten, daß eine durch Quel- lung bedingte Wasseraufnahme von seiten der Nervenfaser den Zusammen- hang zwischen Axon und Markscheide lockert, und daß diese Lockerung so weit gehen kann, daß zwischen beiden ein zirkulärer Spaltraum entsteht. Normale Bilder von Nervenfasern belehren uns darüber, daß eben diese Spaltbildung als hauptsächliches Charakteristikum der Nervenfaserquellung bewertet werden muß. Leichter gequollene Nervenfasern, die sich von nor- malen, bloß durch eine Verdickung des Achsenzylinders, unterscheiden, könn- ten nicht von solchen auseinandergehalten werden, die gesund sind und in denen der Achsenzylinder a priori als stärkeres Bündel eingelegt ist, wenn nicht gleichzeitig feine Unterschiede in der Färbbarkeit vorhanden wären. Die Spaltbildung war auch die hauptsächliche Basis, auf welcher alle unsere Feststellungen, die die Anisodiametrie und die Struktur betrafen, entstan- den sind.

Auf Grund von zahlreichen analysierten Quellungsbildern fühlen wir uns also berechtigt, den Quellungsprozeß an der Nervenfaser folgendermaßen zu formulieren:

Bei Störungen des Wassergehaltes der Nervenfasern, die sich in der Richtung einer Wasservermehrung durch zunehmende (gleichzeitige) Quel- lung des Achsenzylinders und der Markscheide abspielen, kommt es einer- seits durch das verschieden anisodiametrische Verhalten dieser beiden Faser- elemente, anderseits durch ihre ungleichen Quellungsfähigkeiten, zu einer morphologischen Destruktion, die darauf beruht, daß die Markscheide als das außen gelegene und ausgiebiger quellende Medium ihren innigen Kon- takt mit der Markscheide aufgibt. Würden wir nun den so formulierten Quel- lungsvorgang durch alle Quellungsstadien zurückverfolgen, dann müßten wir an einem Punkt anlangen, in dem das normale Verhältnis, ein Gleichgewichts-

Über die Struktur der Nervenfaser. 51

zustand zwischen Axon und Markscheide, hergestellt wird. Bekannte Bilder von normalen Nervenfasern sind der morphologische Ausdruck dieses Gleich- gewichtszustandes.

Wir gebrauchen an dieser Stelle mit guter Überlegung den Ausdruck Gleichgewichtszustand, denn wir wollen darauf hinweisen, daß in der Phy- siologie oder Pathologie auch solche Störungen des Wassergehaltes von Nervenfasern gut möglich, jedenfalls aber denkbar sind, die sich in der Rich- tung einer Wasserverminderung durch zunehmende Entquellung des Achsen- zylinders und der Markscheide abspielen. Da nun die Entquellung einen der Quellung entgegengesetzten Prozeß darstellt, so müssen auch ihre Folgen entgegengesetzte sein. Sinkt der Wassergehalt einer Nervenfaser unter die Norm, dann ist zweifellos zu erwarten, daß die Markscheide in demselben Maße ihr Kaliber stärker verringert, als sie früher bei der Quellung dieses Kaliber stärker vergrößerte. Aus der Entquellungsungleichheit zwischen Axon und Myelinrohr entstehen also Zustände, in denen das Axon unter einen Druck gesetzt wird, der auf ihn allseitig von der Markscheide her einwirkt. Je stärker der Wasserverlust der Nervenfaser, um so stärker muß auch die Kompression des Myelinrohres auf ihren Inhalt, d. h. auf den Achsenzylinder, werden, und dieser kann kaum ohne Einfluß auf seine Funktion bleiben.

Auf diese Weise erhält das behandelte Quellungsproblem eine physio- logische Seite. Bevor wir uns daran machen, sie näher zu betrachten, wol- len wir aus den Untersuchungen Spiegels einige Sätze anführen:

„Die leichte Reversibilität der Quellung legt ihre große Bedeutung in der Physiologie und Pathologie nahe. Reichardt hat bekanntlich zuerst die Bedeutung der Hirnschwellung in der Pathologie der Psychosen erkannt und die scharfe Abgrenzung dieses Begriffes vor allem vom Ödem durchzuführen versucht. Als Hirnschwellung haben wir nach ihm einen’ Sammelbegriff für solche Volumsvermehrungen des Gehirns zu verstehen, welche nicht Folgen von Hyperämie, von Anwesenheit freier Flüssigkeit sind, welche auch nicht durch Geschwulstbildungen restlos erklärt werden können. Die Hirnschwel- lung unterscheidet sich nach ihm vom Hirnödem durch das Fehlen freien Organwassers. Man muß sich also vorstellen, daß die Volumsvergrößerung des Gehirns vor allem durch Flüssigkeitsaufnahme in die Substanz des Ge- hirns, durch intravitale Quellungsvorgänge zustande kommt.“

So sehen wir, daß von der Norm abweichende Quellungszustände des Nervengewebes als pathologischer Faktor bereits erkannt und in der Lite- ratur Behandlung erfahren haben. Inwiefern sich aber solche Quellungs- zustände pathologisch auswirken sollten, ist aus dem bisherigen Schrifttum nicht so einfach zu entscheiden. Spiegel meint, daß die Tatsache, daß Quellung der Markscheide mit einer Abnahme bzw. Umkehrung ihrer Doppel- brechung einhergeht, uns ein Mittel in die Hand gibt, um die Abtrennung einer Hirnschwellung vom Hirnödem schärfer durchzuführen „und festzustellen, ob und inwieweit eine vorhandene Volumsvermehrung auf Quellung der Markscheide zurückzuführen ist“. Mit diesem Mittel in der Hand stellte Spiegel weitere Untersuchungen an, die darauf hinzielten, einen intravital

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entstandenen Quellungszustand der Markscheide zu erreichen. In Anlehnung an die Theorien von Martin Fischer, nach denen die Säuerung des Organis- mus also eine Vermehrung von H’-Ionen als ein ursächliches Moment bei der Entstehung von Hirnschwellung zu gelten hat, verwendete Spiegel, um „endogene Säuerung“ zu erreichen, Uranylnitrat, ohne aber einen Quellungs- zustand der Markscheide herbeiführen zu können. Weitere Untersuchungen mit narkotischen Mitteln am Nervmuskelpräparat führten ihn dazu, größere Aufmerksamkeit auf die funktionelle Beziehung zwischen Achsenzylinder und Markscheide zu lenken:

„Eine Reihe von Tatsachen spricht dafür, daß’ der Zustand des Axo- plasmas und der Markscheide in inniger gegenseitiger Abhängigkeit stehen. So fand Stransky bei Vergiftung von Meerschweinchen mit Blei den Achsen- zylinder nur im Bereiche der affizierten Markscheidensegmente schwer ver- ändert, also eine lokale Veränderung der Markscheide auf jene Strecke be- schränkt, innerhalb der die Markscheide geschädigt ist. Auch bei der mul- tiplen Sklerose, für welche der diskontinuierliche Zerfall der Markscheide charakteristisch ist (Marburg), zeigen sich Schwellungen des Achsenzylin- ders (Marburg, Doinikow, Leiner). Umgekehrt tritt bei Zerfall des -Achsenzylinders im distalen Teile eines durchschnittenen Nerven auch ein Zerfall der Markscheide ein, der nicht auf die direkte Läsion des Markes zurückgeführt werden kann, da dieses an den einzelnen Ranvierschen Schnürringen eine totale Unterbrechung erleidet, sondern auf die Alteration des Achsenzylinders bezogen werden muß, wie an anderer Stelle gezeigt werden soll. Schließlich kommt es auch beim Ablauf einer Erregung im Nerven zu Veränderungen der Markscheide, Veränderungen, die sich allerdings mittels der Doppelbrechung bisher nicht nachweisen ließen, die sich jedoch aus den Befunden Stübels ergeben, der eine Erweiterung des Netzwerkes der Markscheide schon wenige Sekunden nach Beginn der Reizung feststellen konnte.“

Diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen Achsenzylinder und Mark- scheide glaubt nun Spiegel in der ,,Zygiosis“ erblicken zu können. Unter Zygiosis versteht er eine solche Verkettung zweier aneinandergrenzender, nicht mischbarer Flüssigkeiten A und B, daß irgend welche Änderungen der Oberflächenkräfte von A zu einer Änderung der Oberflächenkräfte von B und damit zu einer Konzentrationsänderung der auf der Oberfläche von B angereicherten Stoffe führt. Es müßte also eine Herabsetzung der Ober- flächenspannung der Markscheide (die nach Spiegel bei einer Quellung der Markscheide eintritt), eine Änderung der Ionenverteilung im Axoplasma und somit auch Änderungen in dessen Leit- oder Leistungsfähigkeit herbeiführen.

Diese so plausiblen Ausführungen Spiegels gehen, ähnlich jenen von Cristini, von dem Grundgedanken aus, daß in dem Myelin Oberflächen- spannung und Oberflächenkräfte in Erscheinung treten können. Druckkräfte, die mit ihnen in Zusammenhang zu bringen sind und die im Myelinrohr nach innen wirken, wären für das Zustandekommen der Doppelbrechung des Myelins verantwortlich zu machen; Herabsetzung der Oberflächenspan-

Cber die Struktur der Nervenfaser. 53

nung dagegen hätte eine Herabsetzung seiner Doppelbrechung und durch zygotische Nachbarwirkung eine Änderung der Ionenverteilung im Axoplasma zur Folge. Schmidt widersetzt sich dieser Auffassung: Oberflächenspannung kann nur in einer echten flüssigen Phase auftreten; flüssige Phase und Doppel- brechung sind aber unvereinbar. Damit wäre auch die Zygiosis in Frage gestellt. Schmidt vertritt (ebenso wie Ambronn und Göthlin) vielmehr entschieden die ältere Anschauung, daß durch die Glyzerophosphatide der Markscheide ihre typische Doppelbrechung bedingt wird, während die Doppel- brechung an sich durch eine kristallinische Struktur der Markscheide (durch Einlagerung kristallinischer Teilchen) verursacht wird. Unsere über den Bau der Markscheide entwickelten Ansichten stehen mit der alten Auffassung Göthlins im besten Einklange. Wir fanden, daß das Myelin aus Fibrillen oder aus Tafeln zusammengesetzt ist, die sich auf kristallinische Art zu Komplexen höherer Ordnung zusammentun oder auch in solche niederer Ordnung zergliedern lassen. Die normale Phase des Myelins ist fest; sie kann jedoch leicht durch irgend welche Schädigungen extravital in die flüs- sige übergeführt werden.

Somit stehen wir wiederum vor der unbeantworteten Frage, auf welche Weise von der Norm abweichende Quellungszustände des Nervensystems als pathologischer Faktor in Wirksamkeit treten könnten. Wir werden sie nach unseren Ausführungen mit Druckkräften in Zusammenhang bringen, die durch quellungsanisodiametrische Verhältnisse innerhalb der Nerven- fasern hervorgerufen, auf den Achsenzylinder einwirken und deren Größe von der in der Norm existierenden abweicht. $

Es wäre sicherlich verfrüht, weitergehende Theorien dieser Druckwirkung zu entwerfen. Solange das entwickelte Problem auf eine experimentelle Basis nicht gestellt ist (der Schwierigkeiten in dieser Richtung werden wir noch gedenken), müssen wir uns damit begnügen, bloß Perspektiven zu schaffen, die uns einen Ausblick auf die sich auftuenden Möglichkeiten gestatten. Die Kardinalfrage lautet: was für einen physiologischen Wert kann ein auf den Achsenzylinder ausgeübter Druck haben? Die nächstliegende Antwort ist die, daß er als ein auf das Axon einwirkender Reiz bewertet werden muß. Je nach dem Grad des Quellungszustandes der Nervenfaser wechselt also der auf die Neurofibrillen ausgeübte Reiz. In Fällen steigender Entquellung wird der Reiz in wachsendem Grade übernormal, in Fällen steigender Quellung unternormal. Mit anderen Worten: ceteris paribus ändert sich die Erregbarkeit einer Nervenfaser mit ihrem Wassergehalt, und zwar so, daß eine Wasser- vermehrung ein Sinken, ein Wasserverlust ein Steigen ihrer Erregbarkeit zur Folge hat. Die Gültigkeit dieses Satzes hätte offenbar natürliche Grenzen. Würden wir die Quellung so weit ansteigen lassen, daß sich die Markscheide vom Achsenzylinder loslöst, dann würde auch der Druck bis auf Null sinken und eine weitere Quellung könnte im Sinne einer Druckwirkung auf die Er- regbarkeit des Nerven keinen Einfluß mehr ausüben; ihre Wirkung würde lediglich darauf beruhen, daß durch den zunehmenden Quellungsvorgang die Neurofibrillen schließlich der Quere nach aufgeteilt werden, was mit

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ihrer Leitungsunterbrechung einherzugehen scheint (multiple Sklerose). Auch die steigende Entquellung könnte als reversibler Prozeß nur soweit gedacht werden, solange der zunehmende Überdruck das Leben der Neurofibrillen nicht vernichtet. ,

Im Ausschnitte der so gewonnenen Perspektive erscheinen klar die Tat- sachen, daß ein herausgeschnittener und austrocknender Nerv seine Erreg- barkeit zunächst vergrößert, dann wieder allmählich bis zum vollkommenen Schwunde verliert und daß ein quellender Nerv seine Erregbarkeit sofort (ohne vorheriges Erregungsstadium) allmählich einbüßt, bis diese auf Null sinkt. Das schematische Diagramm auf Abb. 27 veranschaulicht das Ver- hältnis des Wassergehaltes (x-Achse) zur Erregbarkeit (y-Achse). Auch die Tatsache, daß im Nervmuskelpräparate der Muskel Zuckungen aufweist, wenn

X

Abb. 27. Ein Diagramm, das die Beziehung von Erregbarkeit zur Quelleng in einer Nervenfaser veranschaulicht. x-Achse : Quellung; y-Achse : Erregbarkeit.

man auf den Nervenstanım Kochsalz streut, könnte durch eine plötzliche anisodiametrische Entquellung der Nervenfaser und eine schnelle Einschnü- rung des Achsenzylinders gedeutet werden. Für einen solchen Mechanismus ließe sich noch eine Reihe anderer, aus der Physiologie gut bekannter Tat- sachen anführen.

Wir sind weit davon entfernt, in diesen aus der Physiologie der Nerven geholten Argumenten einen Beweis für die Richtigkeit unseres Gedanken- ganges zu erblicken, oder durch ihn physiologische Phänomene selbst weit- gehend erklären zu wollen. Änderungen in der Erregbarkeit oder Leitfähigkeit von Nervenfasern haben ihre letzte Ursache in Veränderungen des Axons selbst (Tonenverteilung, Ionenkonzentration), und uns ist es nur daran ge legen, zu demonstrieren, wie weit diese Veränderungen von der Markscheide abhängig zu sein scheinen. Es muß doch immer die Tatsache vor Augen gehalten werden, daß der ganze nervöse Kabelapparat des lebenden Organis- mus (von den Anfangs- und Endstrecken abgesehen) in einem Markrohr eingebettet liegt und daß dieses Markrohr in einer breiten Skala der Aus- bildung zum Vorscheine tritt, und zwar von einer kaum merklichen, aber doch feststellbaren Entwicklung wie bei den Remakschen Fasern bis zu

Über die Struktur der Nervenfaser. 55

solcher Mächtigkeit, wie bei den Extremitätennerven. Im Anschlusse daran leistet auch die von Ambronn und Held gefundene Tatsache, daß die Anisotropie der Markscheiden von Nervenfasem mit dem Beginn ihrer Funktion zeitlich zusammenfällt, eine Garantie dafür, daß der Markscheide eine ganz hervorragende Rolle in der Tätigkeit und Leistungsfähigkeit des Nervensystems zukommt. Diese ist jedoch, wie auch Bayliss betont, in größtes Dunkel gehiillt. Die Annahme, daß die Markscheide das Axon mit Nahrungsmaterial versieht, ist sehr unwahrscheinlich, da es sehr zweifel- haft ist, ob in der Nervenfaser ein Stoffwechsel stattfindet, also eine Nahrungszufuhr nötig ist (Bayliss). Als ein eventueller „Isolator“ ist sie nicht notwendig, da Nervenfasern, die die Myelinhülle verloren hatten (multiple Sklerose), ihre Aufgabe der isolierten Reizleitung weiterhin zu erfüllen vermögen. Allerdings scheinen da die ihrer Markscheiden beraubten Nervenfasern weniger leistungsfähig zu sein, was aber durch den Begriff der fehlenden Isolation einem Verständnisse kaum näher gerückt wird.

Ganz andere Ausblicke gewährt der oben begründete Gedanke, daß alle Nervenfasern durch ein harmonisches Spiel von Quellung und Entquellung, welches sich vielleicht mit dem Spiel der Kapillaren vergleichen ließe, eine harmonisch abgestufte und sich anpassende Erregbarkeit des Nervensystems in allen seinen Teilen zur Folge haben, und daß im Anschluß daran pathologisch gedacht sich alle Störungen dieses Spieles als Störungen des zusammenklingenden Erregbarkeitsakkordes des Nervensystems manifestieren müßten. Wie immer wäre auch hier in der verschiedenen Lokalisation dieser Störung, in ihrer Ausdehnung und in ihrer Intensität eine Quelle von zahl- losen Variationen des klinischen Bildes gegeben. Trotz jeglicher Zurückhaltung denkt man da leicht an neurasthenische Zustände, an die gestörten Assozia- tionen und an die funktionellen Erkrankungen des Nervensystems überhaupt. Es entspricht nämlich dem Wesen dieser Störungen des Quellungszustandes, daß ein besonderer histologischer Befund kaum erbracht werden kann. Ab- gesehen davon, daß wir ein ideales Fixierungsmittel zur Verfügung haben müßten, welches nicht die geringsten Schrumpfungen und Quellungen a po- steriori herbeiführen dürfte und daß wir beinahe intravital zu sezieren ge- zwungen wären, um bei der hohen Empfindlichkeit der Markscheide kada- verösen Veränderungen vorzubeugen, wären die morphologischen Verände- rungen überhaupt zu gering, um mikroskopisch wahrgenommen zu werden. In Fällen von Quellung hätten wir nämlich sicher keine so monströsen Veränderungen zu erwarten, wie sie uns frische Herde von multipler Sklerose geboten hatten. In Fällen von Entquellung wäre die Sache vielleicht noch schlimmer; hier stünden uns überhaupt keine praktischen Kriterien zu Gebote. Es ist zu beachten, daß bei den bestehenden, vom mechanischen Standpunkte betrachteten Verhältnissen ganz minimale Änderungen des Wassergehaltes genügen, um sehr hohe Druckunterschiede hervorzurufen. . Wir schließen uns der Ansicht Spiegels an, daß vielleicht nur das Polarisa- tionsmikroskop imstande wäre, diese minimalen Veränderungen an ganz frischem Material aufzudecken.

56 L. Jaburek.

Zum Schlusse möchten wir noch der Schwierigkeiten Erwähnung tun, die sich einer experimentellen Behandlung des aufgeworfenen Problems ent- gegenstellen. Uns sind noch die Bedingungen unbekannt, unter denen sich intravitale Änderungen des Quellungszustandes der Nervenfasern abspielen. Darauf abzielende Bestrebungen blieben ohne Resultate (Spiegel); das lebende Nervensystem hält mit großer Zähigkeit an seiner normalen Wasser- menge fest, Änderungen in plus oder minus sind auf künstliche Weise nicht zu erzielen. Ein Beweis, daß solche Bedingungen aber doch möglich sind, liegt in dem Umstand, daß entzündliche Prozesse eine Ülberwässerung der Nervenfaser zur Folge haben.

Zusammenfassung.

1. Eine Analyse von Quellungsbildern der Nervenfasern ergibt, daß der Achsenzylinder zweiphasig quillt. In der ersten Phase beobachten wir eine reine Dickenzunahme des Axons, in der zweiten eine überwiegende Längen- zunahme desselben. Die Markscheide quillt einphasig. Bei zunehmender Wasseraufnahme vergrößert sie hauptsächlich ihren Umfang (ihr Kaliber), in bedeutend geringerem Maße ihre Länge und ihre Wandstärke. Das Quellungsverhältnis der zirkulären Richtung zur longitudinalen und radiären beläuft sich beim Myelinrohr ungefähr wie 8:1:1. Durch den Quellungs- vorgang vergrößert die Markscheide ihr Kaliber in einem höheren Maße als der Achsenzylinder seine Dicke. Aus diesem Verhalten resultiert bei hoch- gradigen Quellungszuständen der Nervenfaser eine zirkuläre Spaltbildung zwischen. Achsenzylinder und Myelinscheide.

2. Die an der Markscheide und dem Achsenzylinder gefundenen Be- sonderheiten der Volums- und Formveränderungen haben alle Merkmale einer anisodiametrischen (ungleichachsigen) Quellung. Der Achsenzylinder quillt in der ersten Phase nur in seinen beiden Querachsen, in der zweiten Phase in allen drei Achsen; die Markscheide, die als ein aufgerollter Quader betrachtet wird, quillt in allen drei Achsen. In der Längsachse und in der Dickenachse (Wanddicke des Myelinrohres!) annähernd gleich, um ein Viel- faches intensiver in der Breitenachse (Umfang des Myelinrohres!). Mit der anisodiametrischen Quellung der Markscheide und des Achsenzylinders stehen in guter Übereinstimmung ihre optischen Eigenschaften. Beide Medien brechen das Licht positiv doppelt.

3. Wir gehen von dem Grundgedanken aus, daB eine anisodiametrische Quellung ganz besondere Struktureigentümlichkeiten des quellenden Mediums voraussetzt. Auf Analogien, die sich aus einer Imbibition ergeben, gestützt, kann man auf theoretischem Wege solche Strukturen erschließen, die imstande wären, eine Quellungsanisodiametrie hervorzurufen. Die ganz besonderen Quellungsverhältnisse in Nervenfasern gestatten auch in ihnen ganz be- sondere Strukturen aufzustellen. So hatten wir durch Zuhilfenahme eines theoretischen „Winkelprinzips der Quellungsräume‘ gefunden:

a) Die Markscheide besteht aus Myelinfibrillen (Myelintafeln), die so verlaufen, daß auf dem Querschnitt des Myelinrohres eine segmentär gestreifte,

Uber die Struktur der Nervenfaser. 57

radspeichenartige Zeichnung hervorgerufen wird. Durch ein ZusammenstoBen der Radsegmente werden solche Winkelgrößen gebildet, die das Achsen- quellungsverhältnis des Markscheidenquerschnittes (8:1) begründen. Der Ver- lauf der Myelinfibrillen ist auf dem Längsschnitt der Nervenfaser gegen den Achsenzylinder in einem Winkel von etwa 45° geneigt. Die Fibrillen ver- laufen bald parallel, bald stoßen sie winkelig zusammen, so wie es das ,, Winkel- prinzip der Quellungsräume‘“ voraussetzt. Durch diese Verhältnisse wird die gleiche Achsenquellung des Markscheidenlängsschnittes (1:1) bestimmt.

b) Die theoretische Strukturzeichnung des Myelinrohres deckt sich mit geradezu idealer Vollkommenheit mit den meisten und wichtigsten anato- mischen Strukturgebilden der Markscheide. Insbesondere erscheinen die Schmidt-Lantermannschen Einkerbungen, die Golgischen Trichter und ihre Spiralen, die Fischflossenstruktur, der Radspeichenbau, die Markspongiosa und das neurokeratinöse Wabenwerk als natürliche Folgen dieser eigenartigen in homogener Grundsubstanz eingebetteten Fibrillenstruktur.

c) Der Achsenzylinder besteht aus einem Bündel von Fibrillen, die bei stärkerer Quellung körnig zerfallen. Diese theoretischen Fibrillen identifizieren wir mit den anatomischen Neufibrillen, die bei Degenerationsprozessen des Axons auch kérnig aufgelöst werden.

4. Die Quellungsverhältnisse in Nervenfasern müssen zur Folge haben, daß Änderungen des Wassergehaltes Änderungen in der Erregbarkeit des Axons nach sich ziehen. Wassergehalt und Erregbarkeit verhalten sich zu- einander entgegengesetzt proportional.

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Aus dem neurologischen Institute der Universitat Wien, Vorstand Prof. Dr. O. Marburg.

Der Rollersche Kern.

Eine vergleichend anatomische Untersuchung. Von Dr. Tameo Nakamura, Assistent Prof. am anatomischen Institut Jikei, med. Hochschule zu Tokio. Mit 12 Abbildungen im Text.

Wie bekannt, befindet sich ventral vom großzelligen Hypoglossuskern eine Zellgruppe, die eigentlich zum ersten Male genauer von Roller be- schrieben wurde, obwohl schon Meynert (1872) sie andeutungsweise er- wähnt hat.

Diese Zellgruppe, die seit der Beschreibung von Roller als Rollerscher Kern im engeren Sinne bezeichnet wird, ist in ihrem Wesen bis heute noch nicht erfaßt. Da wir nun pathologisch-anatomisch kaum in die Lage kommen, die Beziehungen dieses Kerns sicherzustellen und da auch die experimen- tellen Untersuchungen bisher diese Frage nicht mit Sicherheit entscheiden konnten, so will ich im folgenden versuchen, die phylogenetische Entwick- lung dieses Kerns genau zu studieren, um zu sehen, welche Beziehungen derselbe hat und wie er bei den verschiedenen Tierklassen entwickelt ist. Vielleicht läßt sich auf Grund meiner Untersuchungen dann ein Urteil über die Bedeutung dieses Kerns fällen.

Wenn man von der Beschreibung Rollers aus dem Jahre 1881 aus- geht, so ist schon die Titelbezeichnung „ein kleinzelliger Hypoglossuskern“ charakteristisch. Denn Roller liest aus seinen Präparaten heraus, daß Hypoglossusfasern in diesem Kern entspringen. Die Beschreibung Rollers (nicht aber seine Schlußfolgerung) ist auch heute noch für den Menschen maßgebend. S o y

Etwa in der Mitte der Längsausdehnung des Hypoglossuskerns treten ventral von diesem kleine Zellen auf, die vereinzelt auch schon kaudaler zu sehen sind und sich oral zu einer kompakten rundlichen Masse sammeln. Die Zellen sind wesentlich kleiner als die des Hypoglossuskerns (15 p gegen- über 60), sind auch in der Form mehr rundlich oder eckig, von einem dich- teren Gewebe umgeben als die großen Zellen des Hypoglossus. Ihre Tinktion ist etwas blasser. Sie bilden schließlich eine Kernsäule, die ventral vom Hypoglossuskerne gelegen, sich oralwärts verfolgen läßt. Was nun die Be-

62 Dr. Tameo Nakamura.

ziehung dieses Kerns zu den Fasern anlangt, so meint er, daB Hypoglossus- fasern aus diesem Kern entspringen, hauptsächlich aus dem Grund, weil das kompakte Wurzelbündel sich in der Nähe des kleinzelligen Kerns auffasert, wobei es dann schwer zu entscheiden ist, wieviel Fasern in den kleinzelligen und wieviel in den großzelligen Kern eintreten. Stellen- weise hat es den Anschein, als ob die Mehrzahl der Hypoglossuswurzeln aus dem kleinzelligen Kerne stammen. Er nimmt als sicher an, daß dieser kleinzellige Kern ein Hypoglossuswurzelkern ist. Er beschreibt auch schon die später von Ziehen genannten Kranzfasern des Hypoglossus und findet, daß der kleinzellige Kern oraler durch die lebhaftere Färbung der Grund- substanz besser hervortritt. Es scheint ihm sicher, daß er aus den Zellen Axone in den N. Hypoglossus verfolgen kann. Das ist besonders der Fall in den oralsten Gegenden des Hypoglossus, wobei die Fasern, 'um den kleinzelligen Kern zu erreichen, sich medial wenden, wodurch ein dem großzelligen Hypoglossuskerne ventral bogenförmig anliegendes Bündel (Ansa hypoglossi) aufscheint. Diese zwischen kleinzelligem und großzelligem Kerne gelegenen bogenförmigen Fasern gehen zum Teil in die Fibrae arcuatae, zum Teile wenden sie sich dem groß- und kleinzelligen Kern zu, wobei aber deren Verfolgung sehr schwierig erscheint. Ferner meint er, daß von den Hypoglossusfasern einzelne auch noch oralwärts vom Kern anzutreffen sind, die, um den letzteren zu erreichen, kaudal umbiegen müssen und am Querschnitte demzufolge quer getroffen sind.

Schließlich wird noch eine Bezjehung zwischen hinterem Längsbündel und den aus dem groß- und kleinzelligen Kerne stammenden Hypoglossus- fasern angenommen.

Duval hat bekanntlich schon im Jahre 1876 akzessorische Kerne des Hypoglossus beschrieben, und zwar findet er in den vorderen Partien des Hypoglossuskerns, dorsal von der dorsalen Nebenolive, einen in der retiku- lierten Substanz gelegenen Kern, der einzelne Herdchen bildet. Er bezieht diesen Kern, der große Zellen hat, den er funktionell mit dem Deitersschen Kern identifiziert, auf den Hypoglossus, d. h. er meint, einen zweiten Hypoglossuskern hier gefunden zu haben. Er fügt ihn als antero-externen oder akzessorischen Kern dem Hypoglossuskern an.

Im Gegensatze zu den Ausführungen Rollers stehen die Untersuchungen von Koch (1887), der zum Teil die Existenz des Rollerschen Kerns negiert und nur behauptet, daß lateral von den Wurzelfasern des Hypoglossus eine Zellgruppe liegt, die er ähnlich beschreibt wie Duval. Koch geht zu weit, wenn er die Existenz des Rollerschen Kerns in der Beschreibung Rollers leugnet. Dagegen sind seine Anschauungen über den Ursprung der Hypoglossusfasern aus dem großzelligen Kerne (Stillings) überaus ein- leuchtend.

Zwei Jahre später (1889) nimmt O. Schäffer einen vermittelnden Standpunkt ein, indem er annimmt, daß eine Beteiligung des akzessorischen Hypoglossuskerns am Ursprunge des N. hypoglossus nicht zu leugnen ist. Dagegen hat Forel im Jahre 1891 zum erstenmal experimentell die Be-

Der Rollersche Kern. 63

ziehungen des N. hypoglossus zu den in Frage stehenden Kernen beschrieben und gezeigt, daß der kleinzellige Kern absolut keine Beziehungen zum Hypoglossus haben kann. Alle Hypoglossusfasern entstammen dem groß- zelligen (Stillingschen) Kern.

Muratoff hat (1891) den guten Einfall gehabt, Fälle von amyotrophi- scher Lateralsklerose zu untersuchen, bei denen der Hypoglossus total zer- stört war. Auch er findet den Dorsalkern vernichtet, während der Roller- sche Kern, wie in der Literatur der kleinzellige Kern genannt wird, völlig intakt geblieben ist. Das gleiche gilt aber auch für jene großen Zellen, die im Verlaufe der Fasern des N. hypoglossus liegen (Duval-Kochscher Kern).

Staderini hat dann im Jahre 1895 die Untersuchungen Forels wieder aufgenommen und bei zehn jungen Kaninchen den Hypoglossus einseitig ausgerissen. Er kommt zu einem vollständig analogen Resultat wie Forel, indem auch er keine Beziehungen des Rollerschen Kerns zum Hypoglossus (Kaninchen und Hunde) finden kann. Aber auch die von Duval-Koch be- schriebenen großen Zellen im Verlaufe des Hypoglossus sind bei diesen Tieren nach Läsion des Nerven intakt.

Köllicker hat im Jahre 1896 den Versuch unternommen, an Präparaten von Embryonen den Verlauf des Hypoglossus zu verfolgen. Auch er kommt zu dem Resultat, daß kein Beweis zu erbringen sei, daß der Rollersche Kern Hypoglossusfasern entsendet.

Im gleichen Jahre hat Djelow seine Untersuchungen aus dem Bechterew- schen Institut veröffentlicht. Seine an Kaninchen und Hunden gemachten Versuche zeigen, daß sowohl der Rollersche Kern als der großzellige Kern von Duval-Koch nichts mit dem Hypoglossus zu tun hat.

Mahaim (1898), der gleichfalls experimentell den Hypoglossus aus- gerissen hat, konnte zeigen, daß auch mit der Methode nach Nissl, wie früher nach der Methode von Gudden, der Rollersche Kern keine Be- ziehung zum Hypoglossuskern besitzt, also ein Resultat konform jenem Forels.

Interessant ist, daß Bechterew im Jahre 1899 sich trotzdem noch nicht sicher ausspricht, ob der Rollersche Kern Beziehungen zum Hypo- glossuskern hat oder nicht.

Edinger (1900) negiert einen Zusammenhang des Hypoglossus mit dem Rollerschen Kern.

In der Arbeit von Parhon und Goldstein, die bei einem Zungen- krebse mit sekundärer Degeneration eines Teiles der Hypoglossusfasern den N. Hypoglossus untersuchten, ist ein Zusammenhang von Hypoglossus- fasern mit dem Rollerschen Kerne nicht zu erweisen.

Bezüglich des Rollerschen Kerns nehmen die Autoren an, daß er die vasomotorische Innervation für die Zunge leite. Demgegenüber hat Kosaka und Yagita, gleich «den bereits erwähnten Autoren, experimentell festgestellt, daß der Rollersche Kern mit dem Hypoglossuskern nichts zu tun hat (Kaninchen, Hunde, Katzen). Dagegen haben sieh nach partieller

64 Dr. Tameo Nakamura.

Zungenresektion auf einer Seite veränderte Zellen im Rollerschen Kerne beobachten lassen. Aber diese Zellveränderungen waren nicht konstant und auch auf der der Läsion entgegengesetzten Seite anzutreffen. Es ist wahr- scheinlich, daß ihre SchluBfolgerungen richtig sind und es sich um artefi- zielle Komplikationen handle.

Biancone hat im Jahre 1903 einen Fall von einseitiger Zungenatrophie untersucht, und, abgesehen davon, daß er auch auf der Gegenseite Ver- änderungen nachweisen konnte, fand er im Rollerschen Kerne der gleichen Seite Veränderungen, die ihn bestimmten, diesen als Wurzelkern des Hypoglossus anzusehen. Der großzellige Kern von Duval dagegen war intakt.

Hudovernig untersuchte Fälle von Zungenkrebs und konnte Biancone nicht bestätigen. Wenn er auch in der engsten Nachbarschaft des Roller- schen Kerns degenerierte Hypoglossuszellen findet, so war doch dieser Kern sowie jener von Duval und Koch vollständig intakt geblieben.

Interessant ist eine Anschauung von Ramon y Cajal, der meint, daß der Rollersche Kern einen Rest von Vorderhornzellen darstellt, der zu den sogenannten funikularen Zellen gehört, d. h. gleichsam eine Relais- Station bildet von Fasern, die aus übergeordneten Zentren in die graue Substanz tieferer Ebenen eintreten sollen.

Aus dem gleichen Jahre (1909) stammt dann die Arbeit von Jacob- sohn. Jacobsohn nennt den Rollerschen Kern N. sublingualis und läßt ihn sich zusammensetzen aus Gruppen mittelgroßer Zellen, die ventral am großzelligen Hypoglossuskern gelegen sind. Sie sind leicht von den Nuclei interfasciculares zu unterscheiden, da sie rundlich sind und ge- drängter zusammenliegen. Allerdings kommt es oft vor, daß diese beiden Kerne ineinandergreifen. Er findet den Rollerschen Kern nur in Nestern, die bald an der ventro-lateralen, bald an der ventro-medialen Peripherie des Hypoglossuskerns gelegen sind. Der Ausdruck ‚Nest‘ läßt schon darauf schließen, daß der Kern kein Kontinuum bildet. Interessant ist, daß Jacob- sohn einen Teil der Zellen des Rollerschen Kerns (N. sublingualis) oral in den N. intercalatus übergehen läßt, der auch sympathische Vaguszellen aufnimmt. Dieser Umstand und die Form und Lagerung der Zellen spricht dafür, daß es sich um sympathische Zellen handelt.

Obersteiner spricht sich gegen den Ursprung von Hypoglossusfasern aus dem Rollerschen Kern aus.

Ziehen hat Recht, wenn er den Namen N. sublingualis bemängelt, und es als unsicher hinstellt, daß er ein Sympathikuskern ist. Er meint, daß diese Gruppe vielleicht identisch ist mit dem, was Meynert als vor deren Hypoglossuskern bezeichnete. Ziehen, der eine genaue anatomische Untersuchung des Rollerschen Kerns gibt, meint, daß man ihn unterhalb der Mitte der Längsausdehnung des Hypoglossuskerns am besten findet. Er spricht sich gegen die Annahme aus, daß er mit dem Hypoglossus etwas zu tun hat. Er nimmt an, daß auch neben den kleinen Zellen (10 bis 20 p Größe) einzelne große (40 bis 60 u) in ihm zu finden sind, die er aber wohl

Der Rollersche Kern. 65

mit Sicherheit als versprengte Zellen des großzelligen Kerns ansieht. Die Form der Zellen ist sternförmig, am Nissl-Präparat oval. Interessant ist, was er über den Verlauf der Axone sagt. Sie ziehen regellos nach den ver- schiedensten Richtungen, geben Kollateralen ab, teilen sich in auf- und absteigende Äste, die schließlich längsverlaufende Fasern der Substantia reticularis lateralis oder medialis bilden können. Nach Ramon y Cajal sollen auch Fasern die Mittellinie überschreiten. Er schließt sich der Meinung Cajals an, daß es sich um Strangzellen handelt, die in sensiblen Bahnen eingeschaltet sind. Die Beziehung zum Vorderhornrest, wie es Cajal annimmt, hält Ziehen für unwahrscheinlich.

, Mingazzini kann zunächst beim Menschen keine Beziehung des Rollerschen Kerns zum Hypoglossus feststellen. Er nimmt an, daß es sich hier um eine Anhäufung von Zellen handelt, die der Formatio reticularis angehören. Sehr wesentlich ist seine Angabe, daß er weder bei der Katze noch beim Kaninchen Zellgruppen finden konnte, die dem Rollerschen Kerne des Menschen entsprechen. Das gilt sogar auch, wie er meint, von dem Affen.

Takagi, dem es hauptsächlich darauf ankam, die Beziehung des Nucl. praepositus hypoglossi zum Hypoglossuskern festzustellen, hat auch den Rollerschen Kern bei der Ratte genau beschrieben, was eigentlich ent- gegen der Anschauung Mingazzinis ist, der den entsprechenden Kern bei Tieren nicht findet.

Marburg lehnt eine Beziehung des Rollerschen Kerns zum Hypo- glossus ab.

Schwentker beschreibt innerhalb des Hypoglossus gelegene kleine Zellen, die er vom Rollerschen Kern, und zwar mit Recht abtrennt. Es sind das jene Zellen, die man gewöhnlich als Popoffsche Kerne bezeichnet.

Ariens Kappers nimmt in seiner vergleichenden Anatomie des Gehirns wenig Notiz von dem Rollerschen Kern und meint nur, daß auch der groß- zellige Hypoglossuskern von kleinen Zellen begleitet werde, wie das gemein- hin für die großen motorischen Zellkerne gilt.

Bei so verschiedenen Anschauungen will ich an folgendem zunächst einen Überblick über das Vorkommen des Rollerschen Kerns bei den verschiedenen Tierklassen geben.

Selachier.

Selache maxima.

Schon ganz im Beginn des Hypoglossuskerns zeigt sich ventral von ihm eine Gruppe kleiner Zellen, die gegenüber den riesigen Hypoglossuszellen auffallend klein sind, jedenfalls nicht ein Viertel der Größe dieser Zellen erreichen. Sie sind spindelig, birnförmig, auch polygonal und liegen geschlossen in einer Gruppe beisammen. Es ist kar kein Zweifel, daß diese Zellen in engstem Zusammenhang mit dem Hypoglossus- kern stehen. Ein Fasernpräparat dieser Gegend zeigt das Hypoglossusgebiet auffallend wenig von Fasern durchzogen, wohingegen der kleine Kern deutlich Fasern zeigt, die sich aus Bogenfasern abheben. Auch nach Eröffnung des Zentralkanals sieht man deutlich den kleinzelligen Kern, der jetzt aber auch mehr ventro-lateral gelegen ist als früher. Er bildet eine ziemlich geschlossene Gruppe von kleinen Zellen. Oral

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 5

66 Dr. Tameo Nakamura.

rückt er wieder etwas mehr medialwärts, ohne daß jedoch die Zellen dieses Kerns eine Änderung des Charakters aufweisen. Er ist an den einzelnen Schnitten nicht gleichmäßig entwickelt, indem einmal bald mehr, das andere Mal weniger Zellen vorhanden sind, also Nesterbildung im Sinne Jacobsohns. Gegen das vordere Ende des Hypoglossus nimmt diese Zellgruppe wieder etwas ab, ohne jedoch ganz zu ver- schwinden. Sie liegt dann im Gegensatz zu den später zu beschreibenden Tieren mehr ventro-medial als lateral, aber immer in unmittelbarer Nachbarschaft des Hypoglossus- kerns. Hier treten dann in diesem Gebiete große Zellen auf, und zwar zuerst lateral. Doch lassen sich vereinzelte kleine Zellen noch weit nach vorn hin verfolgen.

Mustelus laevis.

Bei diesem Tier sind die Verhältnisse schwerer zu verfolgen, weil der Hypo- glossuskern wesentlich weiter ventral gelegen ist, fast in der Substantia reticularis und weil die ganze Substantia reticularis von grauen Massen durchzogen wird, Doch kann man auch hier ganz deutlich noch bei geschlossenem Ventrikel sehen, wie ventral von den großen Hypoglossuszellen ziemlich zahlreiche kleine Zellen ver- schiedenster Form in losen Gruppen anzutreffen sind. Es stehen allerdings nur mit Alaun-Cochenille gefärbte Präparate zur Verfügung, die nach Pal vorgefärbt waren, so daß der Überblick hier ein ziemlich schlechter ist. Man kann aber auch hier sehen, daß die kleinen Zellen von einem dichten Fasernwerk durchsetzt werden.

Carcharias Glaucus.

Schon im Beginn des Hypoglossuskerns zeigen sich ventral von diesem deutliche kleine Zellen. Sie bilden keine geschlossene Gruppe, sondern liegen vereinzelt ventral vom Kern. Oraler reichern sich diese kleinen Zellen an und bilden Grüppchen. Sie sind gegenüber den riesigen Zellen des Hypoglossus und auch gegenüber den Zellen des Vaguskerns auffallend klein. Stellenweise zeigen diese Grüppchen Unterbrechungen.

Lamna cornubica.

Auch hier verhält sich die Sache wie bei den anderen Selachiern. Es zeigen sich zunächst vereinzelte große Zellen vom Vorderhorntypus, begleitet von einzelnen kleinen Zellen. Erst oral gruppieren sich diese kleinen Zellen. Dann treten ventral oder ventro-lateral von den großen Hypoglossuswurzeln Grüppchen kleinerer Zellen auf, die gegenüber den Hypoglossuszellen unendlich an Größe zurücktreten und auch kleiner sind als die Vaguszellen.

Teleostei.

Trigla.

Hier finden sich kaudal sehr viele große Zellen in einem Gebiete, das ähnlich gebaut ist wie das Vorderhorn. Erst knapp vor Eröffnung des Ventrikels lassen sich sehr große Zellen abscheiden, die entsprechend dem Hypoglossuskern gelegen sind. Sie sind ventral begleitet von einer großen Menge kleinerer Zellen, von denen ein Griippehen ganz deutlich abzuscheiden ist und ventral von den Hypoglossuszellen liegt. Die letztgenannten Zellen sind auch hier wiederum auffallend klein, aber sie sind so deutlich, daß an der Existenz eines dem Rollerschen Kern adäquaten Gebildes nicht zu zweifeln ist. Eine Fasernverbindung läßt sich jedoch hier nicht sicherstellen, da das ganze Gebiet der Substantia reticularis von mächtigen Fasern durchzogen wird.

Zusammenfassung.

Aus dieser allerdings spärlichen Anzahl von Fischen ergibt sich tat- sächlich das Vorkommen kleiner Zellen, die im Anschluß an den groß- zelligen Hypoglossuskern auftreten, Nester bilden und sich bis in die oralsten Ebenen des großzelligen Kerns verfolgen lassen.

Über die Faserverbindungen kann ich bier nichts aussagen.

Der Rollersche Kern. 67

Reptilia.

Crocodilus vulgaris.

Der Hypoglossuskern liegt auffallend weit medial, ähnlich wie eine Kappe, auf dem Fasciculus longitudinalis post. Solche Zellen liegen, wenn auch deutlich durch Septen getrennt, auch lateral vom F.l.p. Trotzdem kann man erkennen, daß in diesen Septen ventral vom Hypoglossuskern Zellen zu finden sind. Infolge mangel- hafter Färbung der Schnitte sind genauere Angaben über die Form der Zellen nicht zu machen. Auffallend ist nur, daß sie sehr klein sind.

Python.

Dem sehr mächtig entwickelten Hypoglossuskern liegen ventral diffus kleine Zellen an. Sie haben polygonale, birnförmige, spindelige Formen, sind gegenüber den Hypoglossuszellen sehr klein, ziemlich zahlreich, ohne jedoch eine rundliche Gruppe zu bilden. Gegen das vordere Ende des Hypoglossus wird diese ventral ihm anliegende Zellgruppe geschlossener, viel deutlicher als früher und im Weigert- präparat sieht man, wie sie ventral von den Kranzfasern gelegen ist und ein dichtes Fasernwerk erkennen läßt, das jedoch bestimmte Beziehungen nicht zuläßt, Auch hier kann man sehen, wie Bogenfasern, die lateral vom Hypoglossuskern ventral streichen, in dieses Gebiet einmünden.

Zusammenfassung.

Die Verhältnisse liegen hier sehr ähnlich wie bei den Fischen.

Aves.

Phoenicopterus.

Auf der Höhe des Hypoglossuskerns sieht man ventral von den Kranzfasern kleinere Zellen, die eine keilférmige Gruppe bilden. Die kleineren Zellen sind ver- mischt mit großen Zellen, die noch dem Hypoglossuskern angehören. Da hier nur mit Alaun-Cochenille nachgefärbte Präparate vorhanden sind, ist eine genaue Abgrenzung der Zellen nicht durchzuführen. “s fällt nur auf, daß solche Zellen oraler reichlicher sind als kaudal und sich hier dann auch dorsal von den Kranzfasern nachweisen lassen. Sie sind aber von den Zellen des Triangularkernes ganz deutlich abzuscheiden. Schließlich treten wieder größere Zellen in dieses Gebiet, offenbar dem Praepositus angehörig.

Grus cinerea.

Die etwas intensivere Färbung in diesem Präparat läßt erkennen, daß der Hypoglossuskern ziemlich tief unter die Kranzfasern reicht und daß sich ventral an ihn deutlich auf der Höhe seiner Entwicklung kleinere Zellen anschließen. Diese kleinen Zellen sind deutlich getrennt von etwas größeren, welche medial von den Hypoglossusfasern, lateral von F.l.p. ungefähr in gleicher Weise wie die kleinen Zellen anzutreffen sind. Die ganze Substantia reticularis ist ungemein zellreich und es läßt sich demzufolge ein scharf umschriebener Rollerscher Kern nicht abgrenzen. Aber es sind deutlich ventral vom Hypoglossuskern kleine Zellen anzutreffen.

Anser domesticus.

Hier zeigt sich das Verhältnis der drei eben beschriebenen Zellgruppen sehr deutlich. Dorsal und unter die Kranzfasern reichend die großen Zellen des Hypo- glossuskerns, ventral davon im F.l.p. eine Gruppe sehr tief hinabreichender großer Zellen, lateral von diesen, knapp ventral unter dem Hypoglossuskern in einer drei- eckigen Gruppen kleine Zellen. Oraler nehmen dann die großen ventralen, offenbar spinalen Zellen ab, der Hynoglossus reichert sich an, die kleinen Zellen sind ziemlich reichlich. Sie schließen sich jetzt in einem Bogen zusammen, der den Hypo- glossuskern ventral umgibt. Auch sie sind später in Dreieckform angeordnet. Oraler nehmen die kleinen Zellen zu, ohne sich jedoch in ihrer Anordnung gegenüber früher

68 Dr. Tameo Nakamura.

zu ändern. Man kann schließlich lateral vom F.1.p., ventral von dem Hypoglossus- kern ganz oral einen deutlichen Streifen kleiner Zellen wahrnehmen, die bis an die kleinen Zellen am Boden der Rautengrube medial reichen, ohne mit diesen zu ver- schmelzen.

Anas boschas.

Auch hier treten die im Beginn des Hypoglossuskerns sichtbaren drei Zellgruppen, eine dorsale großzellige, der Hypoglossuskern, eine ventro-mediale großzellige auf und knapp am Hypoglossuskern ventral eine ziemlich beträchtliche Anzahl von kleinen Zellen in Dreieckform. Die großen ventralen Zellen schwinden allmählich, die kleinen bleiben und finden sich in einem ventralen Bogen am Hypoglossuskern. Dann liegen sie gegen das Ende des Hypoglossuskerns streifenförmig am F.l.p. und an ihre Stelle treten wiederum von lateral her große Zellen. Sie erreichen nicht die Größe von Zellen, die oral vom Hypoglossuskern zu finden sind.

Zusammenfassung.

Bei den Vögeln lassen sich ventral vom Hypoglossuskern, schon vom ersten Auftreten dieses letzteren, kleine Zellen nachweisen. Anfangs in einer dreieckigen Gruppe, mit weiter dorsaler Basis, bilden sie später einen Streifen, der den Kern ventral umsäumt. Schließlich werden sie von lateral her durch große Zellen eingeengt und liegen oral, lateral vom F.1l.p. Diese ‚auffallend kleinen Zellen sind nicht zu vergleichen mit den später am Boden der Rautengrube auftretenden kleinen Zellen. Eine Faserbeziehung ist nicht sicher nachzuweisen, die Grundsubstanz jedoch sieht ähnlich aus wie bei den anderen beschriebenen Tieren. Die ventromediale, groBzellige Gruppe ist in den Rollerschen kleinzelligen Kern nicht einzubeziehen.

Marsupialia.

Dasyurus ursinus. `

Noch bei geschlossenem Zentralkanal, noch vor der höchsten Entwicklung des Gollschen und Burdachschen Kerns, zeigt sich ventro-lateral vom Zentralkanal deutlich der Hypoglossuskern. Er besteht aus großen typischen motorischen Zellen, ist ‘aber auffallend zellarm. Es sind deutlich ventrale Kranzfasern zu sehen, welche sogar zum Teil den Kern durchsetzend, in die Mittellinie gelangen und dort in der Raphe kreuzen. Sie entziehen sich der weiteren Verfolgung. Ein Teil dieser Fasern stammt aber aus ventraleren Gebieten. Die aus den ventraleren Gebieten stammenden Fasern kommen von einem ventral vom XII. Kern gelegenen Kern, der wesentlich kleinere Zellen enthält. Diese letztgenannten Fasern sind auch dünner, begeben sich aber auch zur Mittellinie, indem sie zunächst ein wenig aufbiegen und in der Mehrzahl den F.l.p. dorsal umschlingen. Da das Präparat sehr hell gefärbt ist und die quergetroffenen Bündel locker liegen, sieht man auch aus dem Gebiet des motorischen Vaguskernes Fasern gegen den genannten kleinzelligen Kern ziehen. Wenn man die Zellen dieses Kernes beschreibt, so sind sie im wesentlichen kleiner als die des Hypoglossus. Ihre Form ist spindelig, birnförmig, aber auch polygonal. Es handelt sich nicht um eine ganz scharf begrenzte Zellgruppe, besonders nicht nach der ventralen Seite hin, während medial die Grenzen ziemlich scharf sind.

Mit der Zunahme des XII. Kernes nimmt auch der ventral von ihm gelegene Kern zu. Er zeigt ein viel dichteres Fasernnetz in seinem Innern. Man kann deutlich sehen, wie die Fasern aus dem Netz sich entbündeln, cin wenig dorso-medial auf- steigen, dann den F.l.p. umschlingen, um ventral steigend die Mittellinie zu über- schreiten. Ebenso kann man sehen, daß Radiärfasern in diesen Kern eindringen. Es scheint, daß ein Teil dieser Radiärfasern den Kern nur durchsetzen. Auch an den folgenden Schnitten sind die Radiärfasern auffällig deutlich. Ein Teil derselben kommt

Der Rollersche Kern. 69

wohl aus der spinalen Trigeminuswurzel, ein anderer Teil aber sicher aus ventraleren Ebenen. Es läßt sich auch hier nicht entscheiden, was den Kern durchsetzt und was in ihm endet. Die Zellen sind in den oberen Ebenen deutlich kleiner als die des XII. Kerns. Aber auch in den höheren Ebenen erscheint das Fasernetz in dem Kern dichter als jenes im Hypoglossus. Die Wurzelfasern des XII. Kerns durchsetzen diesen. Es zeigt sich, daß ventral an diesen Kern anstoßend einige größere Zellen zu finden sind. Mit der Ausbreitung des F.].p. wird der kleinzellige Kern mehr lateral gedrückt und nimmt eine dreieckige Form an. Er liegt nicht mehr direkt unter dem Hypoglossus, sondern ventro-lateral von ihm. Auch hier sieht man Bogenfasern in ihm eintauchen, auch radiäre Fasern, die an verschiedene Zellen treten, welche in der Substantia reticularis alba verstreut sind.

Am oberen Ende des Hypoglossuskerns sieht man den genannten Kern nur mehr kaum angedeutet. Es macht wirklich den Eindruck, als ob Hypoglossusfasern aus ihm sich entbündeln würden. Auch hier ist das Fasernetz in ihm dichter als im Hypoglossus. Man kann nicht mit Sicherheit sagen, welche Fasern ihn «durchsetzen und welche Fasern aus ihm entspringen.

Während der Hypoglossuskern eine Länge von etwa 0,575 mm aufweist, ist die Länge des ventral von ihm gelegenen kleinzelligen Kerns 0,485 mm. Der Kern beginnt erst nach dem Auftreten des Hypoglossuskerns, endet aber hier bereits vor dem Ende des Hypoglossuskerns. Er besteht aus wesentlich kleineren Zellen als der erstere, zeigt aber wenigstens an den vorliegenden Präparaten ein dichteres lasernetz. Es ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, welcher Art seine Fasern sind, doch kann man erkennen, daß ein Teil der aus ihn entstammenden Bündel schräg dorso-medial um den F.l.p. zieht, sich dann in der Raphe ventral senkt und die Seite kreuzt. Ferner kann man erkennen, daß Bogenfasern vorwiegend aus den (rebieten der spinalen Trige- wninus-Wurzel und radiäre Fasern aus den verschiedensten Gebieten der Substantia reticularis alba in diesem Fasergewirr un.ertauchen. Er ist durch mächtige Bündel von Kranzfasern vom Hypoglossuskern getrennt. Ventral liegen ihm große Zellen an, die die Hypoglossuswurzeln begleiten.

Macropus giganteus.

Im ersten Beginn des XII. Kerns sieht man ventral und lateral von ihm von diehten Bogenfasern durchzogene kleine Zellen. Das Fasernetz dieser Zellgruppe ist so dicht, daß man nur erkennen kann, daß Radiärfasern in den Kern eintauchen.

Der Kern ist hier lange nicht so deutlich als bei dem vorgenannten Tier. Auch hier ist seine Faserdichte auffällig, aber eine Verfolgung der Fasern ist hier aus- geschlossen. Die Zellen sind klein, polygonal und in der Substantia retieularis ein- gebettet, ohne daß man in der Lage wäre, sie mit irgendwelchen Fasern in Beziehung zu bringen. Erst in den höheren Ebenen wird der Kern etwas deutlicher, weil sich das Fasergewirr in ihm lichtet. Doch ist das Kranzfasersystem so breit, daß man nicht erkennen kann, ob ähnliche Beziehungen der Fasern sich finden wie bei dem vorigen Tier. Doch kann man erkennen, daß auch hier radiäre Fasern und Bogen- fasern sich einsenken. Auffällig ist, daß seine Zellen in einem Winkel liegen, der vom XII. Kern und den austretenden XII. Wurzeln gebildet wird. Man sieht lateral den N. XII. umschlingende Fasern durch diesen Kern hindurchtreten, vielleicht auch in ihm enden. Das wird gegen das obere Ende zu deutlicher, wo diese Fasern sich dadurch von den Hypoglossusfasern unterscheiden, daß sie wesentlich dünner sind. Es macht den Eindruck, als ob sie aus dem Gebiete des dorsalen Vaguskerns stammen.

Beim Macropus ist die Länge des Hypoglossus nur 0,4 mm, die Länge der kleinen Zellgruppe, die ventral vom Hypoglossus gelegen ist, aber beträgt nur 0,13 mm. Die Zellgruppe ist hier allerdings sehr unscharf, so daB man eine Grenze der Aus- dehnung nicht leicht bestimmen kann. Ferner ist das Fasergewirr im Kern von den durchziehenden Fasern so dicht, daß man Beziehungen von Fasern kaum aufstellen kann. Nur fällt gegen das obere Ende des Kerns auf, daß Fasern, die sich aus dem Gebiete des dorsalen Vaguskernes, resp. des dorsalen Längsbündels entbündeln oder

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in ihm enden, im Bogen um den Hypoglossus ziehen und in das genannte Kerngebiet gelangen. Es ist nur fraglich, ob sie hier enden oder ob sie den Kern nur durchziehen.

Phascolarctus cinereus.

Auf der Höhe der Hypoglossusentwicklung sieht man hier sehr deutlich, wie Fasern aus dem Gebiete dorsal von der spinalen Acusticuswurzel ventralwärts gelangen und hier scheinbar sich in dorsale Kranzfasern des Hypoglossus fortsetzen. Ein Teil dieser Fasern aber hat die Tendenz ventral zu ziehen und man sieht nun aus dem Gebiete der Kerne, lateral vom Hypoglossus, Fasern gegen den ventral vom XII gelegenen, kleinzelligen Kern gelangen. Von diesem Kern ziehen auch Fasern ventralwärts. Sie treten in Konkurrenz mit den Radiärfasern. Ein anderer Teil der Fasern scheint mit den Kranzfasern zur Mittellinie zu ziehen. Wir haben diesen oralen Schnitt als ersten gewählt, weil sich die Verhältnisse hier in bezug auf die Fasern sehr deutlich ausprägen. Gehen wir nun ein wenig kaudalwärts, so sehen wir, daß der R.K. deutlich von Kranzfasern gespeist wird und daß deutlich Fasern ventralwärts ziehen oder in ihn münden, die ein wenig lateral von den Hypoglossus- wurzeln abweichen. Man könnte sie fast mit den Hypoglossuswurzeln verwechseln. Hier finden sich außer dem genannten Kern zahlreiche Zellen in der Substantia reticularis eingebettet, sowohl medial als lateral, dorsal und ventral. Während in den oraleren Ebenen der N. R. deutlich eine selbständige ventro-lateral am N. XII gelegene Gruppe darstellt, wird er kaudaler ein mehr diffuser Herd, ventral vom N. XII und seine Fasernbeziehungen sind nicht mehr deutlich. Auf der Höhe des Vaguskerns kann man diese Zellen fast nicht mehr unterscheiden, dagegen sind zahlreiche Zellherde in der Substantia reticularis medial. Gegen das Ende des Hypoglossuskerns zeigen sich analoge Verhältnisse wie kaudal, d. h. der Kern bildet eine mehr diffuse Masse. Man ist nicht in der Lage, ihn deutlich zu erkennen oder seine Beziehungen festzustellen, da der Kern überhaupt nur an einzelnen Stellen als umschriebene Zellmasse hervortritt, sonst aber mehr diffus in einem dichten Faser- netz gelegen ist. Es hat den Anschein, als ob hier Fasern aus dem Cochleariskerngebiet resp. Vestibulariskerngebiet aus dem Vagus sowie der Substantia reticularis Beziehungen zum R. K. aufweisen.

Zusammenfassung.

Die kleineren Zellen des Rollerschen Kerns bilden hier bereits mehr geschlossene Gruppen ventral bzw. ventro-lateral von N. XII. Ihre Be- ziehungen zu den umgebenden Fasern sind mannigfach. Ein den N. XH lateral umschlingender Faserzug scheint in ihm zum Teil wenigstens zu endigen. Ferner steht er mit Radiärfasern der Medulla oblongata in Ver- bindung und schließlich gelangen Fasern aus ihm auf die Gegenseite, wo sie den Fasc. long. post. umschlingen und in Radiärfasern der Gegen- seite übergehen.

Edentata.

Dasypus septemeinctus.

Im Beginne des Hypoglossuskerns der hier sehr mächtig ist, sieht man ventral von ihm, von den Wurzelfasern des XII. Kerns durchsetzt, ein sehr faserreiches, zell- armes, ziemlich ausgedehntes Gebiet. Dieses Gebiet läßt sich oralwärts verfolgen und dort, wo der Ventrikel bereits völlig ausgebildet ist, liegen ventral vom Hypoglossuskern deutliche Nester von kleineren Zellen, die als R. K. angesprochen werden können (Abb. D. Die Faserbezichungen sind nicht sicherzustellen. Auch ist der Kern rechts und links nicht gleich entwickelt. Sicher ist, daß er nicht in einer hellen Grundsubstanz gelegen ist. sondern daß er ein dichtes Fasernetz aufweist. Der Kern ist auch in höheren Ebenen ganz deutlich selbständig abzuscheiden. Die Zellen sind wesentlich

Der Rollersche Kern. 71

kleiner. Hie und da tritt er deutlicher hervor, an anderen Stellen ist er wieder infolge der ziemlich zahlreichen Fasern undeutlich. Wie gesagt ist hier eine Faserbeziehung nicht sicherzustellen, gegen das Ende des Hypoglossuskerns wird der ventrale Kern mächtiger. Er bricht zum Teil sogar in die lateral vom F.1. p. gelegenen Bündel ein. Er ist auch noch vorhanden am Kopfende des Hypoglossuskerns. Infolge inkompletter Serie ist die Länge des Kerns nicht anzugeben, dagegen kann man hervorheben, daß hier die Entwicklung eine besonders gute ist.

Abb. 1. Dasypus septemcinctus. Die Aufhellung ventral vom Hypoglossuskern ent- spricht dem Rollerschen Kern.

Zusammenfassung.

Hier ist nur die Existenz eines Rollerschen Kerns sicherzustellen, der die charakteristischen Eigenheiten (Nesterbildung, Faserreichtum) des bei den Marsupialiern gefundenen Kerns zeigt.

Natantia. Balaenoptera rostrata.

Im kaudalen Drittel des Hypoglossuskerns sind noch keinerlei kleine Zellen ventral von ihm zu sehen, vielleicht eine oder die andere zeigt sich in der Nähe der ventralen Zellgruppe. Oraler sieht man dann, wie der Hypoglossus eigentlich aus drei Teilen besteht. Einem Teil, der dorsal von den Kranzfasern liegt, und zwei Teilen, die sich ventral an diese dorsale Partie anschließen. Vielleicht, daß der laterale Abschnitt dieses ventralen Anteiles kleinere Zellen enthält und daß die Grundsubstanz dieser ventralen Partie heller ist als die des dorsalen Kerns. Aber die Zellen sind in bezug auf Größe ganz verschieden. Erst ziemlich weit oral, wenn die ventralen großen Zellgruppen zurückweichen, sieht man auch kleinere Zellen ventral yom Hypoglossus- kern auftreten. Sie gruppieren sich ein wenig lateral verschoben, zu einer rundlichen Gruppe, sind aber nicht besonders zahlreich. Auch schwinden sie bald als Gruppe

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und sind mehr diffus angeordnet. Sie sind auch kleiner als die entsprechenden Vagus- zellen. Noch auf der Höhe der Entwicklung des Hypoglossuskerns sieht man diese Zellen verschwinden. Oral sieht man wiederum solche kleine Zellen ventral von dem Hypo- glossuskern, aber in einer sehr schlechten Ausprägung. Auch in den oralen Ebenen des Hypoglossuskerns nehmen die ventral davon befindlichen kleinen Zellen keine Gruppierung an. Sie sind oral wieder etwas zahlreicher, aber diffus im Gewebe. Unter solchen Umständen ist von einer Fasernbeziehung nicht zu sprechen, da das Fasern- gewirr in der Medulla oblongata viel zu dicht ist, um Beziehungen der einzelnen Zellen feststellen zu können.

Delphinus tursio.

Der Hypoglossuskern liegt hier im beginnenden Olivengebiet ganz ventral, fast in der Substantia reticularis. Ganz deutlich sieht man ventral von ihm in einem dichten Fasernetz der Substantia reticularis kleine Zellen eingebettet. Diese kleinen Zellen lassen sich oraler als einen rundlichen Herd charakterisieren, der ventral vom Hypoglossus sitzt, während die Hypoglossusfasern medial davon ventral streichen. Allerdings durchsetzt ein Teil der Fasern auch diesen Kern. Die kleinen Zellen sind deutlich erkennbar. Sie sind auffallend klein und gar nicht zahlreich. Sie lassen sich deutlich von den Vorderstrangsresten unterscheiden, die am Hypoglossuskern gelegen sind. Mit dem Emporrücken des Hypoglossus treten dann lateral von dem Hypoglossus Zellen auf, die kleiner sind als die des Hypoglossus und am ehesten jenen des Vagus entsprechen. Sie bilden eine längliche dorso-ventral orientierte Kernsäule in einer ziemlich hellen Grundsubstanz. Oraler werden dann diese Zellen von einem dichten Faserfilz durchsetzt und sind ziemlich zellreich. Sie finden sich auch dort noch, wo der Hypoglossus bereits geschwunden ist. Sie sind vollständig analog gebaut jenen Zellen, die dorsal von dem großzelligen Hypoglossus liegen und wesentlich klein- zelliger sind als dieser. Es hat aber deutlich den Anschein, als ob auch aus diesen kleineren Zellen Fasern in den Hypoglossus ziehen. Auf der Höhe des Vaguskerns jedoch schwinden diese genannten Zellen allmählich. An Zellpräparaten kann man sehen, daß das, was wir als dorsalen Abschnitt des Hypoglossuskerns bezeichnet haben, vollständig analog gebaut ist, mit dem, was latero-dorsal am Hypoglossuskern liegt.

Aus den Untersuchungen geht hervor, daß der Hypoglossuskern hier zwei Teile besitzt. Einen ventralen, vollständig analog gebauten wie bei den anderen bisher beschriebenen Tieren, nur daß seine Lage in der weißen Substanz eine andere ist; einen dorsalen, aus kleineren Zellen be- stehenden, der auch lateral von dem großzelligen, einen Herd aufweist. Zu diesen drei verschiedenen Kernen tritt nun als vierter ein ganz kleinzelliger Kern, ventral am Hypoglossuskern gelegen, der sehr schwer zu verfolgen ist und keine besondere Ausdehnung besitzt.

Delphinus delphis.

Noch am ersten Beginn des IIypoglossuskerns lassen sich ventral von diesem, etwa der Spitze dieses Kerns entsprechend, einzelne kleine Zellen nachweisen. Aber es sind in der Tat ganz wenige Elemente, die hier gelegen sind. Bei weiterer Entwicklung dieses Kerns nehmen diese Elemente eine Spur zu und gehen direkt in größere Zellen über, die dem Vorderhornrest entsprechen. Die eigentümliche Lage des Hypoglossuskerns lateral vom F.1. p., die mächtigen Bündel, die aus ihm ventral streichen, verdecken diese nicht sehr zahlreichen Zellen. Auch dort, wo der Vagus- kern schon seine volle Ausbildung hat, sind die ventral vom Hypoglossuskern gelegenen kleinen Zellen verhältnismäßig wenig zahlreich. Sie liegen ganz deutlich in dem Fasern- gewirr. daß durch die Hypoglossuswurzeln einerseits und durch die Substantia reticularis lateralis anderseits gebildet wird, und sind wesentlich kleiner als die Hypoglossuszellen Sie rücken auch vielleicht in oraleren Ebenen etwas mehr lateralwärts. Auch gegen das

Der Rollersche Kern. 73

orale Ende des Hypoglossus zu sieht man keine besondere Anreicherung in dem genannten Zellareal. Allerdings sind die zur Verfügung stehenden Schnitte sehr stark abgeblaßt. Jedenfalls kann man nicht erkennen, daß es sich hier um einen umschrie- benen Kern handelt, sondern mehr um eine abgesprengte Zellmasse. Lateral vom groß- zelligen Hypoglossuskern tritt eine mittelzellige Gruppe in oraleren Ebenen auf, die sich mit dorsal von dem großzelligen Hypoglossus gelegenen Zellen vereinigt. Es ist un- möglich, in dem dichten Faserngewirr irgendwelche Beziehungen dieser Zellen fest- zustellen.

Abb. 2. Equus caballus. N. XII, N. hypoglossus; N. R., N. Roller. Der helle Streif stellt Fasern dar.

Phocaena communis.

In Bezug auf den Hypoglossuskern ist hier ein ganz analoges Bild, wie beim Delphin. Auch hier sieht man den mächtigen Kern lateral vom F.l.p. und kann ventral von ihm ganz zarte kleine Zellen erkennen. Es ist in Bezug auf diese kleinen Zellen förmlich ein porträtähnliches Verhalten gegenüber dem Delphin.

Zusammenfassung.

Die eigentümliche Entwicklung des Hypoglossuskerns bei den Delphinen, die eine aus großen motorischen Zellen bestehende ventrale, und eine aus mittelgroßen Zellen bestehende dorsale, bzw. dorso-laterale Abteilung er- kennen läßt, bringt es mit sich, daß die Wurzelfasern dieses Kerns äußerst mächtig entwickelt sind. Da sie direkt ventral streben und hier natürlich die quergetroffenen Fasern der S. ret. kreuzen müssen, so ent- steht ein unendlich dichtes Faserngewirr. In dieses eingelagert sind ventral

74 Dr. Tameo Nakamura.

vom Ilypoglossus immer einzelne kleine Zellen zu verfolgen, die jedoch kaum einen geschlossenen Herd bilden Die Zellen unterscheiden sich deutlich von jenen des Vorderhornrestes.

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Abb. 3. Equus caballus. Einstrahlung von Fasern aus dem dorsalen Längsbündel von Schiitz in den Rollerschen Kern.

Ungulaten. Equus caballus.

Erst dort, wo der Ventrikel sich öffnet, treten in der ventralen Spitze des XII. Kerns kleine Zellen auf, die eine rundliche Gruppe bilden, und zwischen den Fasern des ventralwärts ziehenden Hypoglossusnerven gelegen sind, Die Zellen sind sehr deutlich, wesentlich kleiner als die des Hypoglossus, zeigen multipolares oder birn- förmiges Aussehen und sind ziemlich gleich groß. Ein Faserpräparat dieser Höhe zeigt sie ganz deutlich ventral von den Kranzfasern, von einem feinen Fasernetz durchzogen. Ob dieses aber aus den Vaguskernen stammt, oder aus radiären Fasern, oder Fasern, welche sich zur Mittellinie begeben, läßt sich hier nicht entscheiden, da das Fasernetz im allgemeinen viel zu dicht ist. Der Kern des Vorderhornrestes ist deutlich am Hypoglossus ventral zu schen.

Der Rollersche Kern. 75

Etwas oraler, dort wo der Glossopharyngeusherd sich zeigt, kann man deutlich sehen, wie Fasern aus der Vestibulargegend auch in dieses Gebiet strahlen. Besonders scheint es, als ob aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz, das hier lateral vom XII. ein mächtiges Bündel bildet, Fasern direkt an den Kern gelangen, um sich hier aufzusplittern. Der Kern reichert sich oralwärts ein wenig an, liegt immer an der gleichen Seite ventral von der Spitze des XII. (Abb. 2 und 3).

Auch oralwärts sieht man einen radiär aus der Gegend des Schützschen Bündels stammenden Faserzug gegen diesen Kern strahlen; aber nur ein Teil löst sich auf, der andere Teil mündet in radiäre Fasern oder in Bogenfasern, die zur Mittellinie ziehen. Auch gegen das vordere Ende des Hypoglossus ist dieser Kern ganz deutlich sichtbar und ziemlich zellreich. Die aus dem Längsbündel von Schütz stammenden Fasern

Abb. 4. Camelus dromedarius. (Übersichtsbild.) Lateral von den Hypoglossuswurzeln liegt knapp unter dem Hypoglossuskern der Rollersche Kern. Man sieht von dorsal her ein diekes Bündel einstrahlen.

schwinden in dem Maße, als der dreieckige Kern sich besser entwickelt. Es läßt sich nicht entscheiden, ob die Zellen des ventral von XII gelegenen Kerns über den Hypoglos- sus hinausgehen, da sich dann eine ganze Reihe kleiner Zellen hier finden.

Es charakterisiert sich dieses Tier dadurch, daß

1. kein Zweifel an der Existenz des Rollerschen Kerns besteht,

2. daß aus lateral vom Hypoglossus gelegenen Querschnitten sich ein Faserzug entbündelt, der -direkt gegen diesen Kern zieht und sich scheinbar in ihm, zum Teil wenigstens, auflöst.

Camelus dromedarius.

Erst bei Eröffnung des Ventrikels tritt ventral von den Kranzfasern des Hypo- glossus, hier ziemlich weit medial gelegen, eine kleinzellige aber deutlich abgrenzbare Zellgruppe auf.

Zwischen den Hypoglossusfasern wesentlich ventraler eine zweite kleinzellige Gruppe und schließlich noch ventraler, aber dorsal von der Olive, die großen Zellen des Vorderhornrestes. Die Zellen sind keineswegs so deutlich wie beim Pferd. Auch hier sieht man Fasern ventral von dem dorsalen Längsbündel aus in das kleinzellige Gebiet strahlen (Abb. 4). Aber diese Fasern vereinigen sich mit Kranzfasern, so daß eine

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deutliche Verfolgung hier nicht so gut möglich ist wie beim Pferd. An einzelnen Stellen sieht man jedoch auch hier Fasern, die zum Teil aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz stammen, zum Teil lateral aus vestibularen Gebieten sich zu entbündeln scheinen, lateral am Hypoglossus ventral streichen und dort in das Gebiet des Roller- schen Kerns ziehen. Doch geht nur ein kleiner Teil der Fasern in diesem auf ein anderer zieht lateral von diesem weiter (Abb. 5). Oraler sieht man dann, wie die kleinen ventraler gelegenen Zellmassen mit dem zweiten am Hypoglossusnerven gelegenen dor- saleren Zellherd verschwimmen. Man erkennt dadurch die auffällig helle Grundsubstanz,

Abb. 5. Detail aus Abb. 4. Zwecks Darstellung der in den Rollerschen Kern ein- strahlenden Fasern.

kann aber nicht entscheiden, welche Fasern in dieses Gebiet einstrahlen, da die Kranzfasern alles überdecken. Doch sind hier deutlich Radiärfasern zu sehen, die in das genannte Gebiet einstrahlen. Oraler gegen das Ende des XII. Kerns zu wird der Kern unscharf, was hauptsächlich durch die Zunahme der hier befindlichen verschiedenartigen Faser- systeme bewirkt wird. Es hat den Anschein, als ob das immer nur vorübergehend ist und als ob dann wieder plötzlich ein größeres Nest solcher Zellen auftreten würde. Das ist besonders gegen das vordere Ende des Hypoglossus der Fall. Faserbeziehungen sind hier nicht sicherzustellen. Auch nach Aufhören des Hypoglossuskerns sieht man ventral vom Boden der Rautengrube in der Substantia reticularis zahlreiche kleine Zellen, die denen des Rollerschen Kernes ähnlich sehen. Sie sind aber geschlossen.

Während sich also hier die Faserbeziehungen nur stellenweise sehr deutlich zur Darstellung bringen lassen, zeigt sich der Kern ganz deutlich anfangs in zwei Herden,

Der Rollersche Kern. 177

später aber geschlossen, um dann wieder diffus zu werden und über den Hypoglossus hinauszureichen.

Cervus capreolus.

Auf der Höhe der vollen Entwicklung des Hypoglossuskerns sieht man ventral von den Kranzfasern kleine Zellen keineswegs im Herd. Hier kann man wieder deutlich sehen, wie von dem dorsalen Längsbündel von Schütz, das zum Teil lateral vom Hypoglossuskern gelegen ist, Fasern ventral in das genannte Gebiet gelangen. Stellenweise ist das Bild ähnlich wie beim Pferd, doch sieht man hier mehr radiäre Fasern ventro-dorsalwärts streichen. Höher oben wird der Kern sehr deutlich und breitet sich zwischen den Wurzelfasern des Hypoglossus aus. Er liegt wesentlich ventraler als im Anfang. Die Zellen sind aber vollständig gleich. Über die Faserverbindung vermag man nichts auszusagen. Noch oraler rückt dann diese mehr ventral gelegene Säule dorsalwärts und liegt jetzt dort, wo wir im allgemeinen den Rollerschen Kern vermuten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir es hier mit einem solchen zu tun haben. Die Grundsubstanz ist durch ein feines Fasernetz charakterisiert, keineswegs identisch mit jener der Sympathikuskerne. Es ziehen sehr viele Fasern durch den Kern, so daß eine Beziehung desselben zu den Fasern nicht festzustellen ist. Er ist auffallend deutlich und findet sich noch dort, wo der Hypoglossus bereits geendet hat, und zwar als geschlossener Kern. An seine Stelle treten oral größere Zellen, offenbar dem N. interfascicularis hypoglossi entsprechend.

Bos taurus juvenilis.

Schon bei offenem Ventrikel sieht man in der ventralen Spitze des N. XII kleine Zellen auftreten, die förmlich in die Wurzeln des Nerven eingelagert sind. Sie sind spärlich. Ferner treten solche Zellen etwas ventraler auf, die aber mit den genann- ten kleinen Zellen sichtlich in Zusammenhang stehen. Hier sieht man wieder, daß der Kern nicht eine gleichmäßige Säule bildet, sondern daß sich hier kleine Herde zeigen, die sogar rechts und links verschieden sein können. So kann er z. B. auf der einen Seite einen geschlossenen Herd bilden, auf der anderen Seite nur ein paar infiltrierende Zellen. Das dichte Fasernetz läßt eine Beziehung zu Fasern nicht zu. Auch hier kann man wieder am N. hypoglossus drei verschiedene Zellherde erkennen. Einen dorsalen, einen knapp davon gelegenen ventraleren und einen mehr ventralen, aber noch immen ziemlich weit von der Olive entfernten. Wir können nur annehmen, daß der dorsale Kern vielleicht auch der intermediär gelegene, dessen Zellen dem dorsalen gleichen und knapp unter ihm zu finden sind, die sich mit den erstgenannten mischen, zusammen- gehören und dem Rollerschen Kern entsprechen. Auch hier wieder sieht man, wie dann die Zellen dem N. reticularis der Medulla oblongata weichen. Die Faserbeziehun- gen sind nicht sicherzustellen.

Sus scrofa domestica.

Während in kaudalen Ebenen der Hypoglossuskern ventral keinerlei begleitende Zellen zeigt, sehen wir ungefähr in der Mitte des Kerns ventral ein Häufchen kleinerer Zellen auftreten. Noch oraler sieht man dann, wie sich der Hauptkern dorso-lateral zurückzieht und wie ventral von ihm eine große Menge mittelgroßer Zellen sich finden. An diese schließen sich wiederum ventral und mehr lateralwärts, aber in direkter Fortsetzung, Zellen an, die den eben geschilderten sehr ähnlich sehen, doch kann man sie von diesen unterscheiden. Während nun die medioventrale Gruppe des Hypoglossus- kerns in oraleren Ebenen schwindet, wird nun diese der letztgenannten Zellen, die ventral vom großzelligen Kern sich entwickelt, deutlicher sichtbar und formiert sich zu einer einheitlichen Gruppe. Was nun die Beziehungen dieser eben geschilderten Zellen anlangt, so ist es unendlich schwer, sie aus dem Gewirr der Hypoglossus- fasern und der Fasern der Substantia reticularis zu erkennen. Es ist tatsächlich unmög- lich zu sagen, ob Bogenfasern hier hineinmünden oder Radiärfasern, denn beide durch- setzen das Gebiet.

78 Dr. Tameo Nakamura.

Zusammenfassung.

Bei den Ungulaten findet man zwei Gruppen kleiner Zellen ventral vom Hypoglossuskern, die sich in oraleren Ebenen vereinigen. Die dorsale dieser beiden Gruppen bleibt an ihrer Stelle liegen, die ventralere rückt dorsalwärts.

Besonders beim Pferd sieht man längsgetroffene Fasern aus lateral vom N. hypoglossus gelegenen Querschnitten des dorsalen Längsbündels von Schütz sich entbündeln und zu den genannten kleinen Zellen ziehen. Auch Radiär- und Bogenfasern tauchen in dieses Zellgebiet.

Rodentia.

Lepus cuniculus.

Ventral vom Hypoglossuskern liegen zahlreiche kleine Zellen verschiedenster Form, lateral von den Hypoglossusfasern, aber so von den Fasern der Substantia reticularis gedeckt, daß es schwer ist, den Kern genauer zu umschreiben. Der geschilderte Kern läßt sich auch zwischen die Hypoglossusfasern verfolgen. Es handelt sich hier um eine mehr diffuse Anordnung der grauen Substanz. Oraler auf der Höhe des Hypoglossus- kerns liegen diese Zellen ziemlich weit dorsal, aber auch nicht in einer scharfen Gruppe beisammen, sondern mehr diffus. Noch oraler treten dann medial von den Hypoglossuswurzeln im F.1. p. zahlreiche Zellen auf, die fast ein zusammenhängendes Grau bilden. Brücken führen durch die Wurzeln quer zu den kleinen Zellen ventral vom Hypoglossus. Oraler reichert sich die Masse der kleinen Zellen lateral von den Hypoglossusfasern an und sie bilden einen geschlosseneren Kern. Dieser Kern liegt dann immer noch ventral vom Hypoglossus in einer Mulde von Bogenfasern und zeigt eine deutliche Auffaserung eines aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz stammenden Faserzuges. Freilich ziehen auch Radiärfasern in dieses Gebiet hinein, das jetzt seine volle Selbständigkeit erkennen läßt. In der Gegend des N. praepositus wird dieser Kern wiederum diffus und verschwindet dann beim Auftreten des Triangularis.

Cavia cobaya.

Hier sind die Verhältnisse wie bei Lepus cuniculus. Auch hier besteht anfangs eine mehr diffuse Zellanordnung ventral vom Hypoglossuskern, worauf sich dann eine mehr geschlossene Gruppe förmlich einsprengt. In diesem Kern zeigt, mit hellerer Grundsubstanz und Einstrahlen von Bündeln aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz. Der Umstand, daß auch Radiärfasern hier einstrahlen, läßt den Anschein erwecken, als ob Hypoglossuswurzeln hier entspringen würden. Auch dieser Kern schwindet im Praepositusgebiet. Seine Zellen sind jedoch kleiner als die des Praepositus und ähneln eher denen des Triangularis.

Hystrix cristata.

Der Hypoglossuskern buchtet hier die Substantia reticularis ventral stark ein, so daß ein Teil der Zellen lateral vom F.1. p. zu liegen kommt. Die Wurzelfasern entbün- deln sich mehr medial, auch die Kranzfasern ziehen tief in das Gebiet der Substantia reticularis. Ventral vom Hypoglossus sind mehr diffus deutlich kleine Zellen vorhanden. An der typischen Stelle liegt dann der Duval-Kochsche Kern. Dieses Bild zeigt sich knapp nach der Eröffnung des Zentralkanals. Oraler verdichten sich dann die ventralen kleinen Zellen. Noch weiter oral sieht man eine Differenz beider Seiten, auf der einen Seite sind die kleinen Zellen noch erkennbar, auf der anderen Seite ziehen die großen Zellen des Hypoglossus noch mehr ventral und stoßen fast zusammen mit den Resten des Vorderhorns. Lateral von der Hypoglossuswurzel liegen sehr viele große Zellen, die ihn ventralwärts begleiten. Medial von der Hypoglossuswurzel und in ihr selbst, zwischen ihr und dem F.l.p. kann man vereinzelt kleine Zellen wahrnehmen, Dieses Verhalten

Der Rollersche Kern. 79

geht bis an das orale Ende des Hypoglossus, wobei allerdings zu bemerken ist, daß oraler die ventralen Zellen etwas kleiner werden. Am vordersten Ende tritt an die Stelle des Hypoglossuskerns ein kleinzelliger Kern auf, von dem ventral deutlich ebenfalls kleinere Zellen durch Kranzfasern abgeschieden sind. Das Fasernetz ist sehr dicht, so daß man eine Beziehung von Fasern nicht feststellen kann. Diese ventral vom vordersten Ende des Hypoglossuskerns gelegenen Zellen wechseln ihren Charakter konstant.

Mus rattus.

Hier finden sich nur diffus angeordnete kleine Zellen lateral vom Nervus hypoglossus, ventral vom Hypoglossuskern. Es stehen allerdings nur wenige Zellpräparate zur Ver- fügung, so daß über die genaueren Beziehungen dieses Kerns nichts Bestimmtes aus- zusagen ist.

Abb. 6. Gerbillus. Einstrahlung der Fasern aus dem Gebiete des dorsalen Längs- bündels in den Rollerschen Kern.

Mus musculus. Hier liegen ganz ähnliche Verhältnisse vor wie bei Mus rattus.

Gerbillus.

Hier zeigt sich ein sehr merkwürdiges Verhalten. Es liegen nämlich die kleinen Zellen nicht ventral von den Kranzfasern, sondern zum Teil dorsal knapp am ventro-lateralen Pol des Hypoglossuskerns. Oralwiirts sieht man dann eine ganz deutliche Zellgruppe und man kann bemerken, wie die bogenförmig um den Hypo- glossusrest ventral ziehenden Fasern aus dem dorsalen Längsbündel oder aus dem Gebiet des Triangulariskerns in diese helle Substanz eintauchen und sich dort, zum Teil wenigstens, aufsplittern (Abb. 6). An weiteren Präparaten kann man sehen, daß sicherlich auch andere Fasern an dieser Aufsplitterung Teil haben. Ferner kann man erkennen, daß am vorderen Ende des Kerns die Zellen in das Gebiet des Praepositus gelangen und sich mit den kleineren Zellen dieses Areals vermengen.

80 Dr. Tameo Nakamura.

Zusammenfassung.

Nicht nur, daß hier ein deutlicher Rollerscher Kern zu sehen ist, es zeigen sich auch hier gleich wie bei den Ungulaten Fasern, die lateral vom Hypoglossuskern ventral streichen, und sich im Gebiet des Rollerschen Kerns aufsplittern.

Insectivora. Talpa europaea.

Auch dieses Tier zeigt das eigenartige Verhalten des Hypoglossuskerns, der sich weit ‘ventral senkt und lateral die Wurzelfasern begleitet. Hier sieht man eingesprengt in den F.1.p. bilateral eine ziemlich deutliche Zellmasse von kleineren Zellen. Auch ventral vom Hypoglossuskern sind solche kleinere Zellen zu sehen. Oraler rücken dann diese, im F.l.p. gelegenen Zellen etwas dorsaler, so daß sie den dorsalen Rand des F.1. p. erreichen. Auch liegen lateral vom Hypoglossusnerven, ventral vom Kern, kleine Zellen ziemlich angehäuft. Noch oraler ist die Zellgruppe im F.l.p. vollständig ge- schwunden, die lateralen Zellen haben sich etwas mehr angereichert. In ihnen sind schon große Elemente zu finden. In der Gegend des Glossopharyngeus-Herdes sind diese Zellen aber auch verschwunden.

Zusammenfassung.

Das Verhalten bei Talpa erinnert im wesentlichen an das Verhalten bei den Rodentieren.

Pinnipedia. Phoca vituluna.

Der Hypoglossuskern liegt hier an typischer Stelle, ventral von ihm medial und lateral von den austretenden Fasern deutlich kleine Zellen. Sie bilden keinen um- schriebenen Kern, sondern sind mehr diffus angeordnet. Oraler sieht man dann im Gebiete des N. eminentiae teretis zwischen den Hypoglossusfasern Zellen auftreten, die aber größer sind als die erstbeschriebenen, ventral vom Hypoglossus gelegenen. Erst am oralen Ende des Hypoglossuskerns tritt ventral von den Kranzfasern inner- halb der Wurzeln eine größere Masse von Zellen auf. Ihre innige Beziehung zu den medial vom Hypoglossuskern gelegenen Zellen lassen sie als bereits zum N. eminentiae gehörig erkennen. Eine umschriebene Zellmasse ist nicht wahrzunehmen.

Zusammenfassung.

Hier finden sich nur diffuse Zellen ventral vom XII. Kern.

Carnivora. Ursus maritimus.

Der Hypoglossuskern ist hier sehr mächtig, liegt dorsal von der Substantia reti- cularis, die er nicht einbuchtet. Ventral von den Kranzfasern aber sind zahlreiche kleine Zellen, die sehr diffus angeordnet sind. Oraler treten dann vollständig analog den Hypoglossuszellen gebaute Zellen ventral von den Kranzfasern auf. Die kleinen Zellen sind kaum erkennbar, aber sie liegen diffus lateral, zum Teil sogar auch zwischen den großen Zellen. In den folgenden Schnitten schwinden diese großen Zellen wieder und es sind nunmehr kleine Zellen vorhanden, die hier mehr zirkumskript angeordnet sind. Gegen das vordere Ende zu findet sich wiederum keine scharf umschriebene Zellgruppe, immer nur kleine Zellen ventral von den Kranz- fasern. In dem dichten Fasergewirr ist ein Erkennen der Faserbeziehungen nicht möglich.

Der Rollersche Kern. 81

Nasua socialis.

Dort, wo der Hypoglossuskern bereits voll entwickelt ist, zeigt sich, daß einzelne seiner Zellen auch ventral von den Kranzfasern gelegen sind. Dann folgt eine Reihe von Querschnitten und medial und lateral von den Hypoglossuswurzeln ein deutlich geschlossenes graues Feld mit Zellen, die wesentlich kleiner sind als jene des Hypoglossus. Dieses Feld bleibt dann eine Zeitlang bestehen und man sieht deutlich radiäre und Bogenfasern sich in diesem Feld dicht durchflechten. Die Zellen bleiben klein, gar nicht zu vergleichen mit jenen des Hypoglossus. Ventral schließer sich an diese kleinen Zellen größere Zellen an. Je weiter man oralwärts kommt, desto mehr schwinden die medial vom Hypoglossusaustritt liegenden Zellen und es bleiben nur die lateralen übrig. Noch oraler sieht man dann paramedian größere Ganglienzellen, die den F.l.p. unterbrechen und bandförmig lateralwärts durchsetzen. Diese Bänder reichen bis in den letztbeschriebenen Kern. Auch gegen das Ende des Hypoglossus zu sieht man ihn wieder mehr geschlossen, ohne mit dem medialen Kern verbunden zu sein. Ganz oral liegt er dann knapp ventral unter den Kranzfasern und ist ziemlich zellreich. Auch hier gehen wieder die Bänder des medialen Kerns bis an den kleinzelligen Kern ventral vom Hypoglossuskern. Ganz oral treten dann größere Zellen in den Kerngruppen auf und dringen auch lateralwärts, ohne jedoch das Kerngebiet der kleinen Zellen ventral vom Hypoglossuskern zu tangieren. Auch am vordersten Ende des Hypoglossuskerns sieht man noch ventral kleinere Zellen. Aber die vorbeschriebenen großen Zellen rücken nahe an diesen Kern heran.

Man kann also bei diesem Tier sehr deutlich sehen, daB die Zellgruppe der kleinen Zellen ventral vom Hypöglossuskern ungleichmäßig in den verschiedenen Ebenen entwickelt ist. Sie liegt kaudal etwas ventraler als oral, besteht aus wesentlich kleineren Zellen als jene des Hypoglossuskerns, ist stellenweise geschlossen, stellen- weise mehr diffus, läßt sich von einem ventral davon befindlichen größerzelligen Kern leicht differenzieren, während sie mit einem medial befindlichen, ebenfalls kleinzelligen Kern durch Brückenbildung in einem Kontakt zu stehen scheint. Doch ist dieser Kontakt nur stellenweise. Oral rückt der Kern dorsalwärts, ist von allen Nebenkernen separiert und mischt sich vor Aufhören des Hypoglossus mit großen Zellen der Substantia reticularis.

Lutra vulgaris.

Weniger ausgesprochen als bei dem vorbesprochenen Tier liegen hier die Ver- hältnisse. Auch hier beginnt gleich nach Eröffnung des Ventrikels eine kleinzellige Kernsäule ein wenig ventral vom Hypoglossuskern. Sie ist wenig geschlossen, aber mehr diffus, medial und lateral von den Hypoglossusnerven. Sie rückt oraler ein wenig dorsalwärts und läßt hier, nicht wie bei Nasua, Beziehungen zu medialen oder ventralen Kernsäulen erkennen. Mitunter hat es den Anschein, als wenn Hypo- glossusfasern das ganze dorsoventral isoliert durchströmen würden. Es ist aber fraglich, ob es sich nicht nur um Kranzfasern handelt. Doch läßt sich infolge der Faserdichte eine sichere Beziehung nicht feststellen.

Mustela foina.

Diese Präparate sind vorwiegend auf Zellen gefärbt (Van Gieson), so daß man deutlicher als in den vorhergehenden die Verhältnisse überblicken kann. Auch hier sieht man ventral vom N. XII gleich nach Eröffnung des Ventrikels eine klein- zellige Gruppe, die sich jedoch von den Kernen der Substantia reticularis, die hier sehr reichlich sind, nicht deutlich differenziert. Oraler ist das besser der Fall. Und schließlich sieht man auch hier, wie beim vorgenannten Tier, kleine Zellen, die jedoch ein bißchen mehr lateral gegenüber dem Hypoglossus verschoben sind. Sie liegen der medialen Seite des Intercalatus an; oraler umgeben diese Zellen wie ein Kranz den Hypoglossuskern. Aber erst dort, wo der Boden des Ventrikels vollentwickelt ist, also dem vorderen Drittel des Hypoglossuskernes entsprechend. sieht man ventral von diesem Kern deutlich eine kleinzellige Gruppe. Diese ist jetzt so distinkt, daß man

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 6

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sie mit den anderen hier befindlichen Zellen nicht verwechseln kann, zumal diese anderen Zellen größer sind, fast so groß wie die Zellen des Hypoglossuskerns. Die Zellen gehen über das Areal des Hypoglossuskerns hinaus, um dann in den Gruppen der Substantia reticularis aufzugehen.

Es entfernt sich also dieses Tier in bezug auf die kleinen Zellen sehr wesentlich von den bisher beschriebenen, da hier besonders in den oralen Schnitten ein ge- schlossener, rundlicher, kleinzelliger Kern ventral vom Hypoglossus gelegen ist, während in den hinteren Abschnitten die Zellen mehr diffus sind und keinerlei Beziehungen zu anderen Gruppen erkennen lassen.

Herpestes ichneumon.

Hier liegen die Verhältnisse etwas schwieriger. Die kleinen Zellen, ventral vom Hypoglossus, sind schon in verhältnismäßig kaudalen Ebenen vorhanden, aber sie sind diffus angeordnet und man kann an keiner Stelle eine rundliche Zellmasse erkennen. Dagegen treten im F.l. p. ziemlich lateral große Massen von kleinen Zellen bandförmig auf, die bis fast an die ventrale Seite des Hypoglossuskerns reichen. Es ist aber keine Beziehung zu den lateral gelegenen kleinen Zellen zu sehen. Die Faserdichte läßt hier überhaupt bei der diffusen Anordnung der Zellen keine wie immer geartete Beziehung der Fasern zu den Zellen erkennen.

Paradoxurus hermaphroditus.

Der Hypoglossuskern ist schon knapp nach seinem Beginn ventral von kleinen Zellen begleitet, die in Nestern meist lateral von den Hypoglossuswurzeln liegen. Oral tritt dann ventral vom Kern und lateral von den Austrittswurzelfasern ein deut- licher rundlicher Zellhaufen auf, der sowohl nach der Lage als Form der Zellen dem Rollerschen Kern entsprechen würde. Er steht jedoch in innigster Beziehung zu den Zellen, die sich knapp lateral vom F.l.p. in großen Mengen entwickeln, ziemlich weit ventral reichen und eine deutliche Verbindung mit den lateral von den Hypoglossusfasern gelegenen Zellen zeigen. Die medial von den Hypoglossusnerven gelegenen Zellen erscheinen rundlicher und stellenweise größer als die lateralen. Aber eine sehr scharfe Differenzierung ist besonders oral nicht möglich, wo die lateral von den Hypoglossusfasern gelegenen Zellen sich noch mehr ausbreiten und auch ventralwärts sich vergrößern. Nur in den oralsten Gebieten zeigt sich deutlich, daß die medial vom Hypoglossus gelegenen Zellen größer sind als die lateralen. Ganz oral lösen sich dann diese Zellnester auf und es zeigen sich nur diffuse Zellen, die am ehesten den Vaguszellen an Grüße gleichen.

Canis vulpes.

Im wesentlichen gleich dem vorgeschilderten Tier, doch lassen sich hier aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz, und zwar aus dessen mehr latero-ventral gelegenen Partien Fasern in Bündeln direkt in den geschlossenen kleinzelligen Kern, ventral vom Hypoglossus verfolgen (Abb. 7). Es ist kein Zweifel, daß diese Fasern nicht alle für den Kern bestimmt sind, wenigstens nicht für die gleiche Höhe. Auch radiäre Fasern kann man hier sehr deutlich zu diesem Kern ziehen sehen. In den oraleren Ebenen schwindet dieses Bündel und wir sehen dann wiederum nur den medialen Kern sich im F.l.p. entbündeln und mit den lateralen Kernmassen in Beziehung treten: die Ausdehnung des medialen Kerns nach der ventralen Seite ist hier gering.

Canis familiaris.

Im wesentlichen analoge Verhältnisse wie bei dem vorher beschriebenen Tier. Hier hat es den Anschein, als ob direkt Fasern aus dem Hypoglossusgebiete in den ventralen Kern einstrahlten, um sich dort aufzusplittern. Man kann aber erkennen, daß diese Fasern nicht dem Hypoglossus angehören, weil sie wesentlich dünner sind. Sie stammen aus dem Gebiet um den Hypoylossuskern. Auch hier ist der Rollersche Kern sehr gut ausgebildet, fast noch größer als bei den vorherigen Tieren und zeigt nieht nur eine dorsale Verbindung mit den im F.l.p. gelegenen

Der Rollersche Kern. 83

Zellen, sondern auch eine ventrale, allerdings nur für ganz kurze Strecken. Oraler sind die beiden Kerne voneinander geschieden. Man sieht den kleinzelligen Kern auch noch am allervordersten Ende des Hypoglossus und im Gebiete des Praepositus.

Felis domestica.

Der Hypoglossuskern geht hier mit einer Spitze bis ventral unter die Kranz- fasern. Ferner zeigt sich ein netzförmiges Grau mit mittelgroßen Zellen im F.l.p. und schließlich liegen ventral vom Hypoglossuskern deutlich kleine Zellen, aber im Anfang nicht geschlossen, später werden sie, besonders gegen das Ende des Hypoglossuskerns, deutlicher. Sie nehmen hier auch einen mehr umschriebenen Charakter an. Von unten und von lateral her treten dann große Zellen in dieses Gebiet ein und erst im Praepositusgebiet schwinden diese kleinen Zellen. Eine Faserverbindung läßt sich nicht sicherstellen, da die Färbungen dazu nicht ausreichen.

Abb. 7. Canis vulpes. Der Rollersche Kern liegt ventral vom Hypoglossuskern und empfängt zarte Fasern aus dem lat. Abschnitte des dorsalen Längsbündels.

Zusammenfassung.

Die kleinen Zellen ventral vom Hypoglossuskern zeigen anfangs keine Gruppierung, oral bilden sie eine rundliche Gruppe und stehen stellen- weise durch Bänder mit medial vom N. hypoglossus gelegenen ebenfalls kleinzelligen Gruppen in Verbindung. Sie vermischen sich ganz oral mit Zellen der Substantiae reticularis.

Bezüglich der Faserverbindungen sind die Verhältnisse gleich den Ungulaten.

Chiroptera.

Pteropus edulis.

Erst auf der Höhe der Entwicklung des Hypoglossuskerns kann man deutlich ventro-lateral von ihm kleine Zellen sehen, die von den sonst diffus die ganze

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Substantia reticularis durchsetzenden Zellen isoliert sind. Aber bald vereinigen sie sich wieder mit ventraler gelegenen Zellen zu einer gemeinsamen Masse. Es ist ein sehr großes Zellmaterial in der ganzen Substantia reticularis vorhanden, das sich dorsalwärts bis in die Nähe des Hypoglossus drängt. Es sind immer einzelne, kleine Zellen, die eine gewisse Selbständigkeit beanspruchen, aber ein scharf umschriebener Kern ist nicht zu finden. Am oralsten Ende des Hypoglossuskerns dringen Zellen dieses letzteren ventral von den Kranzfasern und sind ventral und lateral von sehr zahlreichen kleinen Zellen begleitet. Aber auch diese lassen sich nicht von den darunter befindlichen der Substantia reticularis trennen.

Zusammenfassung. Hier ist von einem umschriebenen Rollerschen Kern nicht zu sprechen.

Prosimii.

Chirogaleus.

Erst wenn sich der Zentralkanal öffnet, treten ventral vom Hypoglossuskern zahl- reiche Zellen auf, die meist lateral, später aber auch medial von den Wurzelfasern gelegen sind. Ein Teil dieser Zellen begleitet bandförmig die dorsale Seite des F.1. p. Es stehen diese Zellen in lockerer Verbindung mit weiter ventral gelegenen, diffus die Substantia reticularis lateral einnehmenden Zellen. Die laterale Masse der eben geschilderten kleinen Zellen differenziert sich oralwärts mehr und mehr, liegt lateral von den Fasern des Hypoglossus und ist kranzförmig von Fasern umgeben. Aber man sieht auch netzförmige Durchdringung dieses Gebietes, die Fasern entbündeln sich alle aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz, um ventral zu gelangen.

Ein Nisslpräparat aus diesem Gebiete zeigt einen rundlichen, kleinzelligen Kern ventral vom Hypoglossuskern. Die Zellen sind polygonal, birnförmig, sehr wesentlich verschieden von denen des Hypoglossus. Einzelne größere Hypoglossus- zellen liegen auch diesem kleinzelligen Kern medial an. Noch oraler treten dann immer mehr große Zellen auf, und zwar medial von der Hypoglossuswurzel, während der laterale kleinzellige Kern deutlich erkennbar bleibt. Mit dem Schwund des Hypo- glossus schwindet auch der ventrale Kern, während die großen, eben geschilderten Zellen sichtbar bleiben.

Lemur catta.

Bei Lemur catta ist das Verhalten ein analoges. Zunächst treten diffus kleine Zellen auf, die in der ganzen Substantia reticularis lateral gefunden werden können und bis an den ventralen Rand des N. XII reichen. Oral, dort, wo der Vaguskern schon gut entwickelt ist, sieht man ganz deutlich eine rundliche Zellmasse lateral von den XII-Wurzeln, ventral vom XII-Kern in einer hellen Grundsubstanz, kreisförmig einge- schlossen von Fasern. Auch kann man hier sehen, wie aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz Fasern ventral ziehen, die zum Teil in Kranzfasern übergehen, zum Teil aber dem oben geschilderten Kern zustrahlen (Abb. 8). Es ist interessant, daß die Kerne der beiden Seiten nicht gleichmäßig sind und daß zwischen den Fasern des Hypoglossus große Zellen auftreten, fast so groß als die Hypoglossuszellen selbst. Dieser Kern wird dann beiderseits gleichmäßig und man sieht auch von ventral her Fasern in sie einstrahlen und Bogenfasern zur Mittellinie ziehen. Erst gegen das vordere Ende des Hypoglossuskerns wird der kleinzellige Kern vollständig entwickelt. schwindet aber in dem Maße, als der Hypoglossuskern schwindet. Auch verliert er gegen Ende der Hypoglossusfasern seine Geschlossenheit und bildet nunmehr ein paar kleine Zellen ventral von den Kranzfasern.

Pitheci. Hapale ursula.

De: Kern beginnt ziemlich weit oral deutlich zu werden. Er bildet auch hier eine anfangs mehr diffuse Anhäufung, später eine rundliche Anhäufung. Der Kern ist hier

Der Rollersche Kern. 85

Abb. 8. Lemur catta. Rollerscher Kern mit einstrahlenden Fasern aus dem dor- salen Längsbündel.

Abb. 9. Hapale ursula. Besonders entwickelter Rollerscher Kern mit Einstrahlungen aus dem dorsalen Längsbündel.

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viel zellreicher als bei früheren Tieren. Man sieht hier ein breites Band von Fasern aus dem Gebiete des dorsalen Liingsbiindels gegen diesen Kern ziehen und es ist gar kein Zweifel, daß sich solche Fasern hier aufsplittern (Abb. 9). Auch hier ist der Kern von Bündeln von Kranzfasern dorsal und ventral umsäumt. Auch nach Beendi- gung des Hypoglossuskerns sind hier noch kleine Zellen zu sehen, die ein geschlossenes, rundliches Areal lateral vom F.l.p. und knapp unter dem Rautengrubenboden an- nehmen. Diese Zellen aber schwinden sehr rasch.

Cebus capucinus.

Hier zeigt sich ein kleinzelliger Kern ganz ventral vom N. XII ebenfalls geschlossen, wie beim vorigen Tier. Es sind aber noch eine ganze Reihe anderer kleiner Zellgruppen latero-ventral vom Hypoglossuskern zu sehen, Während die erste die geschlossene, mehr rein ventral vom N. XII und lateral vom F.l. p. gelegen ist. Es treten dann zahlreiche kleine Zellen lateral vom F.l.p. auf, die weit ventral reichen. Infolge einer etwas schrägen Schnittrichtung sind die Beziehungen hier unklar.

Ateles ater.

Während anfangs in dem «dichten Faserngewirr Zellen an dem etwas blab- gefärbten Präparat nicht zu erkennen sind oder nur andeutungsweise sich finden. kann man oraler einen ziemlich großen Kern ventral von den Kranzfasern lateral von den XII-Wurzeln sehen, der ganz die Charaktere der früher bei den Affen beschriebenen Kerne trägt, d. h. kleine Zellen, lichte Grundsubstanz, Umrahmung von Fasern. Aber es läßt sich hier eine Beziehung der Fasern nicht aufstellen. Ehensowenig läßt sich der Kern nach vorne zu verfolgen, da die Kerne der Substantia reticularis lateral ihn verdecken.

Cynocephalus hamadrias.

Auf der Höhe des Hypoglossuskerns treten hier deutlich ventral fast in den Kranzfasern gelegen, lateral von den Hypoglossuswurzeln kleine Zellen hervor. Sie reichern sich oraler an und werden durch den ventraler tretenden Hypoglossuskern ventral abgedrängt. Sie bilden stellenweise ein deutlich umschriebenes Gebiet. Gleich- zeitig damit treten ventral größere Zellen auf, die mehr zwischen den Fasern des Hypoglossus gelegen sind. Die vordersten der genannten Zellen sind nicht von den Zellen des Triangularis zu unterscheiden.

Inuus nemestrinus.

Erst gegen das vordere Ende des Hypoglossuskerns treten die bisher mehr diffus angeordneten Zellen ventral vom Hypoglossuskern zu einer geschlossenen Gruppe zusammen. Hier kann man die zuführenden Fasern schwer differenzieren, dagegen sieht man, wie aus dem Kern Fasern gegen die Mittellinie ziehen und dorsal vom F.l.p. sich gegen die Raphe schwingen, um dort zu kreuzen. Der Kern enthält trotz heller Grundsubstanz ein deutliches Netz von Fasern, die feiner sind als die im Hypoglossuskern. Er liegt auch lateral von den Hypoglossusfasern und setzt sich oralwärts über den Hypoglossuskern hinaus fort, wobei allerdings dann seine Selb- ständigkeit verloren geht, indem von den etwas anders gestalteten Zellen des Prac- positus und auch des Triangularis in dieses Gebiet einbrechen. Medial liegt am Hypoglossus ein weitaus größerzelliger Kern, den wir ja auch schon bei «den früheren Tierklassen beschrieben haben.

Cercopithecus fuliginosus.

Von diesem Tier stehen uns Nisslpräparate zur Verfügung. Hier bemerkt man schon im kandalen Drittel des Hypoglossus, allerdings erst nach «essen voller Ent- wicklung, ventral begleitende kleine Zellen, die etwas lateral und ventral am Hypo- glossus velegen sind und sich scharf von den dort befindlichen Zellen absetzen. Dann treten mehr oral, also direkt ventral vom Hypoglossuskern, ebenfalls kleinere Zellen hervor. die lateral bis an den Fl. p heranreichen. Schließlich sicht man drei Gruppen

Der Rollersche Kern. 87

von Zellen: eine direkt ventral vom N. XII, die zweite knapp lateral am F.1. p. und die dritte innerhalb des F.l.p. ganz dorsal gelegen.

Hier fehlt eine so scharfe runde Zellgruppe wie bei den früheren Vertretern. Die Zellen sind, soweit die Größe in Frage kommt, in diesen letztgeschilderten drei Gruppen insoferne verschieden, als die mediale und laterale Gruppe größere Elemente enthält als die intermediäre. Oraler treten dann die lateralen Kerne als runde Gruppen deutlicher hervor wie am vorhergeschilderten Tier. Man kann diesen Kern dann später vom N. praepositus nicht loslösen, da sich dessen Zellen ventralwärts senken. Aber die Zellform und auch die Größe dieser beiden Kerne ist verschieden.

Semnopithecus entellus.

Gleich nach Eröffnung des Zentralkanals sieht man lateral von den Hypoglossus- wurzeln von isolierten Fasern dieses Gebietes durchzogen, eine leichte Aufhellung in der Substantia reticularis. Diese Aufhellung ist erfüllt von kleinen Zellen, die sehr wesentlich kleiner sind als die des Hypoglossuskerns, dessen Entwicklung bereits vollzogen ist. Das Gebiet ist von Kranzfasern durchsetzt und dorsoventral streichenden Fasern, deren Zugehörigkeit zum Hypoglossus nicht sicherzustellen ist. In diesem Gebieta treten dann zwischen den kleinen Zellen, aber meist mehr medial gelegen, zwischen den Hypoglossusfasern größere Zellen auf. Die kleinen Zellen aber bleiben weiter bestehen und gehen sogar ein wenig über die Kranzfasern dorsalwärts und schließen sich ventral vollständig dem Hypoglossuskern an. Die großen Zellen dringen dann an das Gebiet des F.l.p. vor. Der Kern ist ziemlich zellreich, die Zellen, soweit an den vorliegenden Präparaten ersichtlich, sind spindelförmig, birnförmig und in ihrer Größe etwas kleiner als die Vaguszellen. Sie werden auch weiterhin flankiert von großen Zellen, die medial zwischen den Hypoglossuswurzeln gelegen sind. Oralwärts wird der kleinzellige Kern dann ziemlich groß, reicht ziemlich weit ventral und hat eine mehr oblonge, nicht rundliche Form. Dort, wo der Hypoglossus- kern bereits im Abnehmen ist, aber immer noch deutlich erkennbar, ist der Roller- sche Kern auf der Höhe seiner Entwicklung und läßt jetzt kaum mehr ein oder die andere große Zelle in seinem Gebiet erkennen. Diese großen Zellen sind alle medianer gerückt. Der Kern erreicht seine größte Entwicklung im vorderen Drittel des Hypo- glossuskerns (Abb. 10). Dann treten graue Massen zwischen den Hypoglossusfasern und im F.l.p. auf, die mächtiger sind als der genannte Kern. Faserbeziehungen lassen sich schwer feststellen. Es hat nur den Anschein, als ob aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz Fasern in diese Gegend gelangen.

Ganz am vorderen Ende des N. hypoglossus, fast schon im Gebiete des Prae- positus sieht man noch die kleinen Zellen, die aber nur mehr einen geringfügigen Herd bilden und ventral von großen Zellen flankiert werden, Nach dem Schwinden des Hypoglossuskerns sieht man auch diesen kleinen Herd nicht mehr.

Deutlich ausgebildeter Rollerscher Kern von ziemlich großer Ausdehnung, hauptsächlich im vorderen Drittel des Hypoglossuskerns.

Hylobates siamang.

Die Verhältnisse sind hier analog denen, die eben geschildert wurden. Nur daß die kleine Ansammlung nicht so deutlich ist. Oralwärts hat es den Anschein, als ob die Zellen sich mit solchen des Bodens der Rautengrube verbinden, die entweder dem Praepositus angehören oder aber bereits dem Nucl. vestibularis triangularis.

Simia satyrus (I).

Im kaudalen Drittel sieht man lateral von den Wurzelfasern des Hypoglossus einzelne kleinere Zellen in der Substantia reticularis. Ganz dorsal gelegen, aber diese Zellen scheinen keine zusammenhängende Säule zu bilden, da man sie in aufeinanderfolgenden Schnitten oft nicht wiederfindet. Erst gegen die Höhe der Ent- wicklung des Kerns sieht man ganz unter den Kranzfasern gelegen die kleineren Zellen reichlicher werden. Erst ganz oral tritt dann eine schöne, rundliche Gruppe kleinerer Zellen hervor, die aber auch nur in wenigen Schnitten sichtbar ist. Sie

88 Dr. Tameo Nakamura.

schwindet oder vermischt sich mit den etwas ventraler tretenden Zellen des Nucl. vestibularis triangularis.

Verhältnismäßig schlecht ausgebildeter Rollerscher Kern, ziemlich weit oral auftretend, rundlich, aber ohne sicher darstellbare Faserverbindung.

Simia satyrus (II).

Knapp nach Eröffnung des Ventrikels zeigt sich ventral von den Kranzfasern eine graue Substanz an der Stelle des Rollerschen Kerns ganz unregelmäßig ange- deutet, aus deutlich kleineren Zellen bestehend, wie der Hypoglossuskern selbst. Auf der Höhe des Hypoglossuskerns kann man wenigstens auf einer Seite bereits einen kleinen, rundlichen, ventral vom Hypoglossuskern gelegenen kleinzelligen Kern

Abb. 10. Semnopithecus entellus. Der Rollersche Kern liegt knapp lateral an der Hypoglossuswurzel. Man sieht nur zarte Fasern aus dem dorsalen Längsbündel gegen den Kern strahlen.

wahrnehmen, der von großen Zellen sowohl lateral wie medial flankiert wird, aber nicht auf beiden Seiten gleich (Abb. 11). Hier sieht man besonders deutlich, wie aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz, Fasern im Bogen lateral um den XII. Kern ziehen und in das ventrale Gebiet der kleinen Zellen gelangen, ohne daß man jedoch sagen könnte, daß sich die Fasern hier aufsplittern. Auch hier fällt die Ungleichmäßigkeit, zum Teil auch die undeutliche Entwicklung des Rollerschen Kerns auf. Auffallend ist ferner, daß vom lateralen Abschnitt des Hypoglossus große Zellen ziemlich weit unter die Kranzfasern zu verfolgen sind. Der Kern läßt sich an einzelnen Schnitten jedoch nicht deutlich nachweisen und wird hier nur von Einzelzellen repräsentiert. Auffallend ist, daß auch hier im F.l.p. eine deutliche Kerngruppe auftritt, die hier bis an die ventrale Peripherie des Hypoglossuskerns reicht. Der im F.l.p. gelegene Kern rückt dorsal und liegt schließlich als klein- zelliger, runder Kern medial von den Hypoglossusfasern, lateral von den dorsalsten Fasern des F.l.p. ventral vom Hypoglossuskern. Der Kern ist charakterisiert durch seine helle Grundsubstanz sowie die relative Fasernarmut. Gegen das vorderste Ende

Der Rollersche Kern. 89

des Hypoglossuskerns ist er noch deutlich zu sehen, aber nicht mehr so scharf abge- grenzt. Auch ziehen jetzt die Fasern des Hypoglossus nicht lateral, sondern medial von ihm, ventralwärts. Auch hier läßt sich in den vordersten Partien keine scharfe Grenze ziehen zwischen seinen Zellen und Zellen, die als Nucl. triangularis in Erscheinung treten, obwohl die des Rollerschen Kerns etwas größer erscheinen als die anderen Zellen.

Gorilla.

Im kaudalen Drittel des XII. Kerns lassen sich kaum einzelne, kleinzellige Elemente ventral vom XII. Kern wahrnehmen. Erst im mittleren Drittel treten solche Elemente in reicherer Anzahl auf und liegen auch hier mehr medial als lateral. Auffällig ist hier, daß der Hypoglossuskern zwei deutlich voneinander abgegrenzte

Abb. 11. Simia satyrus. Wohlausgebildeter Rollerscher Kern knapp ventral vom Hypoglossuskern.

Partien hat und daß der Rollersche Kern ungefähr in der Mitte dieser zwei Gruppen lateral und medial von den austretenden Hypoglossusfasern in Erscheinung tritt. Man kann aber doch sehen, daß, ähnlich wie bei dem Orang, der laterale Teil auf der Höhe des Hypoglossuskerns schon beim Übergang in das vordere Drittel eine rundliche Zellmasse darstellt, die eine scharfe Grenze erkennen läßt und eine helle Grund- substanz hat. Aber auch lateral besteht der Kern aus zwei Teilen, einem lateralen und einem medialen. Hier ist der laterale geschlossener. Diese Ortsbestimmung bezieht sich auf die Lage zu den austretenden Hypoglossusfasern. Sonst finden sich in den oralen Teilen die gleichen Verhältnisse wie beim Orang.

Zusammenfassung.

Bei den Affen zeigt sich mit dem Auftreten des Hypoglossuskerns ventral von diesem diffus angeordnete kleine Zellen. Erst gegen das vordere Drittel schließen sich diese Zellen zu einem rundlichen Kern zusammen, der

90 Dr. Tameo Nakamura.

bald medial, bald lateral von den Hypoglossusfasern liegt. Deutlich lassen sich bei einzelnen Repräsentanten Beziehungen zum dorsalen Längsbündel aufstellen.

Ferner finden sich überall in enger Verbindung mit dem kleinzelligen Kern auch größere Zellen.

Schließlich läßt sich der Rollersche Kern nicht an jedem Schnitte gleichmäßig hervorheben und auch sein orales Ende ist nicht immer sehr deutlich.

Abb. 12. Homo sapiens. Rollerscher Kern ventral vom Hypoglossuskern.

Bimana.

Homo sapiens.

Noch im kaudalen Drittel des Hypoglossuskerns sieht man ganz deutlich ventral von diesem kleine Zellen auftreten, die zu kleinen Grüppchen vereinigt sind. Es ist auffallend, daß diese Zellen auch hier lateral und medial von den austretenden Wurzeln des Hypoglossus gelegen sind und daß sich auch hier einzelne im Gebiete des F.1. p. finden. Sie schließen sich jedoch oralwärts mehr und mehr zusammen und bilden eine deutliche rundliche Gruppe, knapp ventral vom XII. Kern, und zwar der Mitte dieses Kerns entsprechend. Auch beim Menschen zeigt sich, so wie beim Gorilla, eine laterale und eine mediale Abteilung des XII. Kerns. Der Rollersche Kern hat jedenfalls eine größere Ausdehnung wie bei den bisher beschriebenen Tieren (Abb. 12). Seine Ausdehnung ist aber immer wesentlich kleiner, als die des Hypo- glossus und einzelne der Hypoglossuszellen rücken ganz nahe an ihn heran, ja, es kann vorkommen, daß sie bis in den Kern eindringen. Das alles läßt sich nur im vorderen Drittel des Hypoglossuskerns wahrnehmen. Der Kern ist hier immer geschlossen und gar nicht zu vergleichen in bezug auf die Mächtigkeit mit den Kernen, die wir

Der Rollersche Kern. 91

bisher bei den Tieren beschrieben haben. Oralwärts mit der Abnahme des Hypoglossus- kerns bildet er keine runde Masse, sondern liegt ihm streifenförmig ventral an. Die Zellen sind klein bis mittelgroB, birnförmig, spindelig, auch rundlich und polygonal. Sie haben deutliches Tigroid und einen meist exzentrisch gelegenen Kern (Nissl- präparate). Im Nisslpräparat ist die Grundsubstanz cher dunkler als die des Hypo- ylossuskerns. Es ist, als ob irgendeine homogene Masse (velatindse Masse) in diesem Kerngebiet liegen würde. Oralwiirts im Gebiete des Nucl. praepositus hat es den Anschein, als ob sich die Zellen dorso-medialwärts vorschieben würden und mit den dort auftretenden Triangulariskernen in Verbindung treten. Es ist aber auch möglich, daß es sich hier um eine zufällige Berührung zweier Kerngruppen handelt, denn man kann an den verschiedenen Schnitten noch immer eine deutliche ventrale und eine mehr fusiforme, dorso-mediale Gruppe erkennen. Die ventrale ist sicher Roller- scher Kern, die dorso-mediale fraglich. Mit dem Austreten dieser letzteren, die sicher zum Vestibulariskern Beziehungen hat, schwindet auch die ventrale Gruppe.

Ergebnisse.

Ariens Kappers hat in seiner großen vergleichenden Anatomie dem Rollerschen Kern fast keine Bedeutung beigelegt. Er meint, daß kleine Zellen überall um die großen motorischen Zellen herum zu finden seien, also auch im Hypoglossus.

Wenn man die Fische und die Reptilien betrachtet, so bestehen diese Angaben von Kappers vollständig zurecht, denn es handelt sich hier, wenn wir unsere allerdings spärlichen Serien betrachten, tatsächlich nur um kleine Zellen diffus ventral vom Hypoglossuskern.

Auch bei den Vögeln kann man noch von einer gewissen Selbständigkeit des Kerns schwer sprechen, obwohl sich hier bereits Gruppenbildung zeigt.

Erst von den Marsupialiern aufwärts kann man eine Kernsäule sehen, die mit dem Rollerschen Kern des Menschen vollständig zu ver- gleichen ist. Sie ist wesentlich kürzer als der Hypoglossuskern, findet sich vorwiegend in den vorderen Abschnitten desselben und läßt ganz eigentüm- liche Faserbeziehungen erkennen. Drei von ihnen sind ziemlich sicherzu- stellen. Die erste Gruppe besteht aus Fasern, die sich vom Boden der Rauten- grube aus dem Gebiet des dorsalen Längsbündels von Schütz ventralwärts wenden, lateral den Hypoglossus umziehen, um in der genannten Kerngruppe sich wenigstens teilweise zu verästeln. Weiters sieht man Radiärfasern aus der ganzen Medulla oblongata von der spinalen Trigeminuswurzel bis ziemlich weit medial gegen diesen Kern streichen. Und schließlich kann man Fasern verfolgen, welche aus dem Kern sich entbündeln, das hintere Längs- bündel dorsal umschlingen, die Seite kreuzen und auf der Gegenseite in Radiärfasern übergehen. Dieser Rollersche Kern zeigt bei den verschiedenen Tierklassen ganz verschiedene Ausbildung. So nähern sich die Edentaten den Marsupialiern. Die großen Wassersäuger lassen den Kern schwerer erkennen. Man kann infolge der mächtigen Entwicklung des Hypoglossus und seiner Fasern keine umschriebene Zellgruppe wahrnehmen. Vielleicht ist Schuld daran auch die Mangelhaftigkeit der zur Verfügung stehenden Serien, die zum Teil nicht einmal Zellfärbungen besitzen, so daB man nicht immer in der Lage ist, mit Sicherheit die Verhältnisse zu erschließen. Ähnlich ist auch bei den Rodentiern der Kern nicht überall so scharf abgrenzbar,

92 Dr. Tameo Nakamura.

dagegen zeigt sich bei ihnen die Faserbezichung ganz analog wie sie die Marsupialier aufgewiesen haben.

Bei den Karnivoren treten die rundlichen Zellgruppen ganz deutlich hervor und liegen etwas ventral und lateral am Hypoglossuskern. Auch die Faserverbindungen sind die gleichen wie bei den Marsupialiern. Oral sieht man einen Ubergang der kleinen Zellen in ebenso kleine Zellen am Boden der Rautengrube. Ferner treten hier besonders netzartige graue Balken im F. l. p. hervor, die allerdings nur nahe an den Rollerschen Kern heranreichen, ohne mit ihm eine engere Beziehung zu haben.

Bei den Ungulaten sind die kleinen Zellen ventral vom Hypoglossus zunächst in zwei Gruppen angeordnet. Eine dorsale und eine ventrale. Oral vereinigen sich die beiden, indem die ventrale dorsalwärts rückt. Hier ist wieder die Verbindung zum dorsalen Längsbündel von Schütz ungemein deutlich, die übrigens auch bei den Karnivoren hervorgetreten ist.

Interessant ist, daß die Insektivoren den Rodentiern nahestehen, während die Pinipedier und die Chiropteren, soweit das mangelhafte Material ein Urteil gestattet, cher eine diffuse Ansammlung von Zellen zeigen.

Sehr interessant ist das Verhalten bei den Affen. und zwar ist dieses gleich für die Halbaffen, für die Affen der neuen und der alten Welt. Immer zeigt sich zunächst kaudal eine diffuse Anordnung kleinerer Zellen ventral vom Hypoglossuskern. Erst gegen das vordere Drittel dieses wird aus diesen diffusen Zellen ein rundlicher Kern, der bei den verschiedenen Gruppen aber nicht immer lateral, sondern auch medial von den Hypoglossusfasern liegt. Die Faserverbindungen sind hier die gleichen, wie wir es schon bei den Marsupialiern beschrieben haben. Es sei besonders erwähnt, daß der Roller- sche Kern scheinbar keine kontinuierliche Zellsäule darstellt, sondern offenbar stellenweise zellreicher, stellenweise zellärmer ist, demzufolge an manchen Schnitten weniger gut darstellbar wird. Fügt man noch hinzu, daß die Ver- hältnisse beim Menschen ähnliche sind wie bei den Affen, so ergibt sich, daß eigentlich in allen von mir untersuchten Tierklassen kleine Zellen ventral vom Hypoglossuskern sich finden, die bei den Säugern in den oraleren Ebenen des Hypoglossuskerns eine geschlossene Zellsäule bilden und mit Fasern in Verbindung stehen, die zum Teil aus dem dorsalen Längsbündel von Schütz stammen, zum Teil den Radiärfasern der Substantia reticularis angehören, zum Teil den gleichen Fasern der Gegenseite sich anschließen.

Wenn wir von den Anschauungen Jungoro Takagis ausgehen, so konnte dieser zeigen, daß Fasern aus dem Nucleus triangularis in das dorsale Längsbündel von Schütz gelangen, und zwar zum Teil auf dem Wege des Triangularis-Interkalatusbündels von Fuse. Ein zweiter Teil dieses Systems erscheint direkt lateral am Hypoglossus vorbei ventral zu streichen. Die Fasern des dorsalen Längsbündels faßt Takagi nur als Fasern auf, die die Aufgabe hätten, Impulse des Vestibularis-Triangularis weiter kaudalwärts zu bringen, da sie sich schließlich in der gleichen Weise verhalten wie die direkten Fasern des Triangularis-Interkalatusbündels F uses.

Der Rollersche Kern. 93

Nun haben die vorliegenden Untersuchungen gezeigt, daß ähnlich wie der Nucleus praepositus hypoglossi auch der Rollersche Kern in das Gebiet jener Kerne gehört, die offenbar enge Beziehungen zum Nucleus Triangularis besitzen. Dafür spricht bei dem Rollerschen Kern auch der Umstand, daß man bei einzelnen Tierklassen tatsächlich sehen kann, wie kleine Zellen dieses Kernes sich mit kleinen Zellen am Boden der Rautengrube mischen. Wir werden demzufolge im Rollerschen Kern irgendeine Relais-Station für vestibuläre, resp. besser trianguläre Rezeptionen haben. Die Lage im Hypoglossuskern würde gleichfalls damit zu erklären sein, wenn wir uns der Anschauung Spitzers anschließen, der im Nucleus triangularis einen mit der Nahrungsaufnahme, bzw. deren Verarbeitung im Zusammenhang stehen- den vegetativen Kern sieht. Seine Lage am Hypoglossuskern würde eben nichts anderes besagen, als daß er irgendeine Funktion bei der Nahrungs- aufnahme und Nahrungsverarbeitung besitzt, die sich an die Funktion der Zunge anschließt. Eines ist sicher, der Kern beansprucht eine gewisse Selbständigkeit und ebenso geht aus den Befunden hervor, daß er Faser- beziehungen nach drei Richtungen besitzt: Solche zum dorsalen Längsbündel von Schütz und solche zu den Radiärfasern der gleichen Seite und der Gegenseite.

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Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. Von E. Pollak und Ph. Rezek. Mit 11 Abbildungen im Text.

Die Veränderungen des Zentralnervensystems nach Kohlenoxyd- vergiftungen sind seit langem bekannt. Der charakteristische Befund der bilateralen, symmetrischen Erweichung im Globus pallidus war den Unter- suchern bald aufgefallen. So charakteristisch auch dieser Befund ist, der unserer Erfahrung, die sich im übrigen mit jener weit größeren von Meixner deckt, auch pathognomonisch und konstant zu sein scheint, so gehen doch die Meinungen über die Pathogenese dieser Veränderungen erheblich aus- einander. Solange nur der Befund im Pallidum als einzige charakteristische Veränderung nach CO-Intoxikation bekannt war, kämpften im wesentlichen jene Auffassungen miteinander, die einerseits die vaskuläre Theorie (Kolisko), andererseits die chemische Besonderheit der affizierten Territorien vertreten. Beide Theorien ließen sich bekräftigen durch Momente und Tatsachen der pathologischen Reaktionen, der Gruppierung, Lage, ihrer Begrenztheit aber eigentlich nur so lange, als die Veränderungen nach CO-Einatmung auf das Pallidum begrenzt zu sein schienen. Beide Theorien sind aber sofort schwankend geworden, sobald auch ähnliche pathologische Folgezustände in anderen Abschnitten des Nervensystems gefunden wurden. Heute wissen wir auf Grund zahlreicher, ausgezeichnet beobachteter und untersuchter Fälle (Hiller, Grinker, Meyer, Weimann, Altschul usw.), daß neben der Pallidumveränderung auch namhafte, anders lokalisierte Erweichungen in solchen Fällen vorkommen können. Versuche, z. B. die Erweichungen im Bereiche des Subst. nigra, für die Zusammengehörigkeit von Pallidum und Nigra heranzuziehen, erscheinen uns nicht richtig, da letztere doch nicht allein neben der pallidären Veränderung vorkommen. Es kann daher unserer Meinung nach die gleichzeitige Affektion von Pallidum und Nigra in einem Bruchteil der Fälle weder eine Stütze für eine topisch-chemische Erklärung der CO-Veränderungen des Z.N.S. sein, noch auch im Sinne von Hiller für die angioarchitektonische Erklärung verwertet werden. Alle bisher ver- wendeten Auffassungen haben jede für sich viel Bestechendes und sicher auch einen die pathologischen Veränderungen nach CO determinierenden Einfluß. Keine der Theorien kann alles erklären. Daß das CO-Gas rein toxisch das Parenchym alterieren kann, ohne daß man zu irgend einer vaskulären

96 E. Pollak und Ph. Rezek.

Theorie greifen muß, sieht man doch schließlich an den direkten Wirkungen am peripheren Nerven. Hier wird man kaum eine Eigenart der Gefäße ver- muten dürfen, sondern wahrscheinlich eine direkte Nerveneinwirkung ver- antwortlich machen, wobei aber sicherlich ein vaskulärer Faktor eine mit- entscheidende Bedeutung besitzt. Es ist uns an Fällen der Praxis aufgefalten, daß die peripheren Lähmungen nach einer CO-Vergiftung stets in jenen Ge- bieten aufgetreten waren, die durch die Körperlage des Bewußtlosen scheinbar schlechter durchblutet waren. So konnte der eine von uns (P.) einen Fall beobachten, der im bewußtlosen Zustande, während der CO-Einwirkung aus dem Bette glitt, auf eine Schulter, bzw. Oberarm fiel und in diesem Zu- stande bis zum Auffinden verharrte. Es war hier zu einer schlaffen Lähmung dieser oberen Extremität gekommen (besonders das Radialisgebiet war be- troffen), während die andere freie Extremität keine Störungen zeigte, wobei auch sonst keine anderen peripheren Symptome aufgetreten waren. Hier wird wohl die Druckschädigung die Gifteinwirkung begünstigt haben, wobei selbstverständlich der Gefäßkomponente eine wesentliche Bedeutung bei sol- chem Zustandekommen zuzusprechen ist. Ohne Zweifel werden dem ganzen Me- chanismus der CO-Einwirkung entsprechend die Blutgefäße eine Hauptbedeu- tung für das Zustandekommen der charakteristischen Veränderungen im Z.N.S. besitzen und je ausgebreiteter die Veränderungen sind, desto wahrschein- licher wird unserer Meinung nach die dominante Bedeutung derselben. Die in den letzten Jahren beschriebenen Veränderungen des Großhirnmarkes haben wohl stark den Boden einer topisch-chemischen Theorie abgebaut und auch die neue Theorie von Hiller scheint keine wesentliche Bedeutung mehr zu besitzen, da auch sie mit wichtigen Tatsachen der CO-Pathologie im Widerspruch steht. Da die Veränderungen des Pallidum sich nur im vordersten Anteil des Ganglions abspielen, trotzdem der ganze Globus pallidus im Sinne von Hiller vaskularisiert ist, so ist auch dieser wertvollen Hypothese der sichere Boden entzogen. Wir wollen damit allerdings dieser Meinung von Hiller nicht jede Bedeutung für das Verständnis der Ver- änderungen im Pallidum nach CO-Vergiftung absprechen, da sicherlich das dürftige kapilläre Netz in diesem Abschnitte des Z.N.S., wenn auch keine grundlegende, so doch wenigstens eine mitbestimmende Bedeutung besitzen kann. Letzteres gilt allerdings unserer Meinung nach nicht für die primäre Schädigung im Bereiche des Pallidum, sondern wirkt sich erst in den späteren Phasen des pathologischen Prozesses aus. Dies begründen wir mit einer Tatsache, die zunächst das Interesse erwecken muß und in unserer vor- liegenden Arbeit berücksichtigt werden soll: Wir müssen in erster Linie bei der CO-Vergiftung zwei differente anatomische Bilder unterscheiden, erstens den Befund bei solchen Fällen, die in der CO-Atmosphäre gestorben sind und zweitens jenen anatomischen Zustand des Z.N.S. solcher Fälle, die noch einige Zeit nach der Vergiftung gelebt haben, Im zweiten Falle scheint es eigentlich wenig Bedeutung zu haben, wie groß das Intervall zwischen Intoxikation und letalem Ausgang war. Diese beiden Gruppen der CO-Vergiftung unterscheiden sich, wie wir noch darzulegen haben werden,

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 97

sehr beträchtlich und diese Differenz dürfte auch manches im Problem der strittigen, pathogenetischen Punkte beleuchten. Was den anatomischen Be- fund bei jenen Fällen anlangt, die in dem gaserfüllten Raume tot aufgefunden wurden, so ist dieser, was das Z.N.S. anlangt, eigentlich in der Mehrzahl der Fälle negativ. Hat zwar schon seinerzeit Kolisko intuitiv die sogenannte Erbleichung der vorderen Linsenkernanteile an ihrer Grenze gegen die innere Kapsel als einen wichtigen Befund erkannt, und ist dieser wahr- scheinlich auch meist zu erheben, so ist dieses Bild doch nur für den sehr erfahrenen Anatomen von Bedeutung, da diese oft nur angedeutete Farbveränderung leicht übersehen werden kann. Besonders im Pallidum, das von Haus aus doch eine bleiche Farbe zeigt, kann man diese oft nur geringfügige Veränderung leicht übersehen, oder auch hineindeuten. Kolisko und dic Wiener Schule der gerichtlichen Medizin (Meixner) betonen auch, daß zur Darstellung dieser Frühveränderungen die Horizontalkappung des Gehirns am offenen Schädel besonders geeignet ist, eine Sektionstechnik, die sich aber für die systematische Untersuchung des Z.N.S. nicht eignet. Dies dürfte auch der Grund sein, warum die von der Wiener Schule konstant gefundenen Veränderungen im Pallidum nicht allgemein anerkannt wurden (Lewin), da diese Sektionstechnik nicht überall geübt wird. Wenn man nun von dieser feinen Abweichung vom normalen Bild absieht, so ist, wie bereits bemerkt, der Z. N. S.-Befund in der überwiegenden Mehr- zahl der einschlägigen Fälle von CO-Vergiftung eigentlich negativ. Man ist also bei dieser Gruppe von Fällen darauf angewiesen, aus der histologi- schen Untersuchung Kriterien einer charakteristischen Veränderung des Z. N. S. zu erschließen. Diese Untersuchungsergebnisse wollen wir im ersten Teil unserer diesmaligen Arbeit berücksichtigen.

Anders steht es um die zweite Gruppe der CO- Vereifiungen; also jene Fälle, die noch lebend aus der CO-Atmosphäre herausgebracht wurden und dann erst nach Stunden oder Tagen gestorben sind. Hierher gehören dann auch jene relativ selten beobachteten Fälle, die sich nach einer CO-Vergiftung vollkommen erholt haben, und beschwerde-, bzw. symptomenlos weiter- gelebt haben, oder nach vielen Jahren an irgend einer Erkrankung in einer Heilanstalt gestorben sind, wo bei der Obduktion auch noch die Spuren der ehemaligen CO-Veränderung des Z.N.S. gefunden werden können. Alle diese Fälle haben nach den Mitteilungen der Literatur und auch nach unseren eigenen Erfahrungen einen durchaus charakteristischen Befund im Z.N.S.: nämlich die bilateral symetrische Nekrose der vorderen Pallidum- anteile, also jener Gebiete, an welchen Kolisko auch im Frühtode die Erbleichung, das vermutliche Vorstadium dieser Nekrose, feststellen konnte. An dieser Konstanz kann heute kaum mehr gezweifelt werden. Höchstens in jenen Fällen, die nur wenige Stunden nach ihrer Auffindung gestorben waren, sind die Veränderungen nur unter jenen Bedingungen bereits makro- skopisch zu entdecken, auf die Kolisko und die Wiener Schule Wert legen (s. 0.). Sicher ist, daß je weiter das Datum des Todes von jenem der Ver- giftung entfernt ist, der charakteristische Pallidumbefund mit größter Deutlich-

Gi é

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd.

98 E. Pollak und Ph. Rezek.

keit hervortritt und wie wir noch darlegen werden, dann auch dauernd bestehen bleibt.

Wie wir also sehen, besteht zwischen den Früh- und den Spätbefunden im Z.N.S. nach CO-Intoxikation ein wesentlicher Unterschied, eine Tatsache auf die eigentlich bei den Forschungen bezüglich der Pathogenese der Ver- änderungen im Gehirn wenig Wert gelegt wurde.

Diese merkwürdige Differenz der Befunde beim Früh- bzw. Spättod (letztere Bezeichnung gilt für die nicht in der CO-Atmosphäre Gestorbenen) muß auch für die Beurteilung dieser Spätveränderungen berücksichtigt werden. Ebenso wird in unseren Darlegungen auch darauf geachtet werden, daß die Veränderungen der sogenannten Spätfälle quoad Pallidum durchaus gleich- artige sind, daß die Dauer dieser Prozesse keinen abändernden Einfluß auf Charakter und Form des Prozesses ausübt.

Schließlich bietet uns das, uns zur Verfügung stehende Material Gelegen- heit, noch eine Tatsache ddr CO-Pathologie zu erörtern, die unseres Er- achtens auch eine Bedeutung für die allgemeine Pathologie besitzt. Wir mei- nen damit die Bedeutung des Lebensalters für den Grad, die Lokalisation und die Art des Prozesses. Dieses Moment hat unserem Wissen nach bis heute keine Berücksichtigung erfahren. Die Zunahme der Leuchtgasvergiftungen, heute die Mehrzahl der CO-Vergiftungen, ist bei der steigenden Verbreitung dieses Heizmittels in den Städten besonders stark und bei der Zunahme der Selbstmorde, Häufigkeit des Ausströmens von Sickergas, bzw. Leucht- gas aus defekten Leitungen und Heizkörpern, kommt eben ein reiches Material zur anatomischen Untersuchung. Die Ungunst der Zeit führt aber auch dazu, daß Eltern nieht nur sich, sondern auch ihre Kinder mitvergiften und auf diese Weise können Menschen mit verschiedenen Lebensaltern unter den ganz gleichen Bedingungen zugrunde gehen.

Ein Fall solcher Art ist der Ausgangspunkt unserer Untersuchungen. Durch das Entgegenkommen des Vorstandes des Institutes für gerichtliche Medizin, Professor Haberda dem wir zu großem Danke verpflichtet sind haben wir unter anderen Fällen, die wir diesmal nicht weiter be- rücksichtigen wollen, zunächst eine Gruppe von drei Gehirnen heraus- gehoben: Eine Mutter hatte ihre drei Kinder von 4, 5 und 6 Jahren durch Leuchtgasausströmung mitvergiftet und alle drei wurden im leuchtgas- erfüllten Raume tot aufgefunden. Die Obduktion der Gehirne war bis auf eine starke Hyyperämie vollkommen negativ.

Histologische Befunde des Zentrainervensystem. Fall 4191 (4jähriges Kind).

Schnitt durch den Globus pallidus und das Striatum. Es besteht in keinem Anteile des Linsenkerns irgend ein gröberer Defekt. Die histologische Struktur ist an allen Stellen vollkommen normal. Die Färbbarkeit des Gewebes ist im allgemeinen unverändert; doch finden sich namentlich in den dem Linsenkern benachbarten Kapsel- abschnitten Stellen, wo eine verminderte Fiirbbarkeit besteht und sich das Gewebe nur mit einer schmutzig-grauen opaken Farbe darstellen läßt.

Was den Globus pallidus selbst anlangt, so zeigt sich eine Veränderung des

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 99

Blutgefäßapparates folgender Art: Wir sehen eine Erweiterung der perivaskulären Räume, die von verschiedenartigen Bestandteilen erfüllt sind. Teils sind es schlecht färbbare, meist homogene Massen, die eine genauere Struktur nicht erkennen lassen und die vermutlich geronnener Serumflüssigkeit entsprechen dürften. In Lymphräumen mancher Gefäße sieht man meist geringfügige Ansammlungen von roten Blutkörperchen und Netze von Fibrin. Die Mehrzahl der pallidären Gefäße läßt charakteristische Zeichen einer Wanderkrankung vermissen, ein Befund, der sich sofort ändert, wenn es sich um Gefäße handelt, in deren Scheiden Blutungen erfolgt sind. Hier ist viel- fach eine durchaus unscharfe Wandzeichnung zu bemerken; es bestehen scheinbar fortschreitende Nekrosen der Gefäßwände, die sich nicht zuletzt auch in den regressiven Kernveränderungen nachweisen lassen. Zerfallserscheinungen an den Kernen weisen

Abb. 1. Perivaskulär-gruppierte Blutung und Ödem. Striatum. Hämatoxylin-Eosin. Fall 1 (4191).

nämlich darauf hin, daß eine nekrotisierende Reaktion eingesetzt hat, die sich auch am umgebenden Gewebe der Gefäße kenntlich zu machen beginnt.

Interessanter sind aber die Veränderungen der Gefäße im Bereiche des Striatum. Fast alle Gefäße namentlich jene größeren Kalibers zeigen eine Erweiterung der perivaskulären Lymphräume, die mit roten Blutkörperchen vielfach erfüllt sind und auch Blutergüsse in die Umgebung der Gefäße. Im Gegensatz zu den pallidären Gefäßen sind die Blutungen hier bei fast allen Gefäßen vorhanden und erreichen mit- unter recht beträchtliche Grade. Die Gefäßwände zeigen oft eine sehr starke Auf- lockerung der Schichten, so daß Spalträume entstehen, in denen wir gleichfalls Blutelemente finden können. Die Kerne der Gefäßwandzellen sind vielfach regressiv verändert und man sieht in stark vorgeschrittenen Stadien eine Gerinnung der gesamten Wand zu einem schlecht färbbaren, homogenisierten Gebilde. Wichtig ist, daß die Blutungen aus größeren Gefäßen viel häufiger sind als aus jenen kleinen Kalibers, so daß man im allgemeinen annehmen muß, daß der Hauptteil der Hämorrhagien nicht kapillären Ursprungs ist.

An einer einzigen Stelle der inneren Kapsel knapp an ihrer Grenzlinie gegen das Pallidum sieht man in den Lymphscheiden einer Präkapillare ein entzünd-

7*

100 E. Pollak und Ph. Rezek.

Abb. 2. Perivaskuläre Infiltration, Stase, Odem. Innere Kapsel. Hämatoxylin-Eosin. Fall 1 (4191).

Abb. 5. Zellerkrankung. Area giganto-pyramidalis, Betz-Zelle. Toluidinblaufärbung. Fall 1 (4191).

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 101

liches Infiltrat, welches größtenteils aus Lymphozyten, bzw. Gefäßwandelementen zusammengesetzt ist und lediglich auf das Wandgebiet selbst beschränkt bleibt. Poly- morpbkernige Leukozyten finden sich hier nicht.

Was die Parenchymveränderungen anlangt, die wir im Strio-Pallidum finden, so müssen wir feststellen, daß der Grad derselben überaus gering ist. Man sieht akute Schwellungen einzelner Ganglienzellen sowohl im Pallidum wie im Striatum; ganz besonders hervorstehend sind die akuten Schwellungsreaktionen an den Zellen des Nucl. ansae. Sonst findet sich überall ein mäßiges Ödem. In der Umgebung der Blutgefäße läßt sich eine Vermehrung perivaskulärer Gliazellen nachweisen, was besonders im Gebiet der inneren Kapsel hervortritt. Auch hier sehen wir neben den früher beschriebenen Veränderungen auch Schwellungsvorgänge an den Gefäßwand- zellen sowie eine leichte Vermehrung der Glia.

In der Hirnrinde, Ammonshorn, Hippocampus finden sich keine wesent- lichen Abänderungen von der Norm. Weder an den Kapillaren, noch an den größeren Gefäßen lassen sich auffallende Wandveränderungen feststellen. Lediglich an den Hirnhautgefäßen größeren Kalibers ist die Hyperämie sehr auffallend; öfters kann man auch eine lackförmige Gerinnung des Inhaltes sehen. Blutungen finden sich nirgends und ebenso fehlen Ausschwitzungen serüser Massen. An einem einzigen Gefäß der Pia mater sieht man ein ziemlich umfangreiches Infiltrat, welches sich durchaus aus mononucleären Elementen zusammengesetzt und sich ebenfalls nur auf die perivaskulären Lymphräume beschränkt. Am Parenchym dieser Abschnitte lassen sich namhafte Veränderungen der nervösen Elemente nicht feststellen.

Lediglich an den großen Pyramidenzellen (Betzschen Zellen) der vorderen Zentralwindung sind schwerere Veränderungen zu finden. Fast alle Zellen dieser Type zeigen eine schwere Plasmaerkrankung im Sinne einer Tigroidauflösung und des Verlustes der typischen Schollenstruktur. Einzelne Zellen lassen auch eine Auflüsung des Kernes bei Randverklumpung des Tigroids erkennen. Namentlich bei erfolgter Kernauflösung ist die zentrale Tigrolyse typisch und die Verklumpung an der Peri- pherie im Vordergrunde. Sonst sieht man noch Gerinnungsvorgänge an den basophilen Chromatinstrukturen, Kernwandhyperchromatose, bzw. alle übrigen Veränderungen akuter Zellschädigungen. An den Blutgefäßen dieser Gebiete läßt sich ein pathologischer Befund nicht erheben.

Fall 4192 (5jähriges Kind).

Im Bereiche des Stanımganglien (Striatum + Pallidum) lassen sich irgendwelche grobmorphologische Veränderungen im Sinne einer Nekrose nicht wahrnehmen. Ebenso muß man feststellen, daß an keinem Punkte eine Blutung stattgefunden hat. Die Gefäße sind meist strotzend mit Blut gefüllt, hie und da kann man beginnende Leukozytenthromben entdecken. Nur bei ganz wenigen Gefäßen sieht man geringe Spuren einer serösen Ausschwitzung, die sich mit einer Inundierung des perivasku- lären Gebietes vergesellschaftet, wobei das Grundgewebe ödematös durchtränkt erscheint. Einzelne solcher Stellen lassen den Beginn einer schweren Gewebserkrankung ver- muten. Eine nennenswerte Veränderung der Gefäßwände liegt auch an solchen Punkten nicht vor. Wichtig ist hingegen die Beobachtung, daß die Mehrzahl der Ge- fäße eine Infiltration der Wände erkennen läßt, ein Prozeß, der stellenweise sehr hohe Grade erreichen kann. Bezüglich der Lokalisation dieser Gefäße ist es besonders bemerkenswert, daß sie fast ausschließlich in der weißen Substanz gelegen sind, daß hingegen die Gefäße der ganglionären grauen Massen so gut wie niemals diese pathologische Veränderung zeigen. Die Infiltratzellen sind mononucleäre Elemente, doch lassen sich namentlich bei sehr starkem Infiltratmantel ganz vereinzelte Leuko- zyten nachweisen. Diese Infiltrate sind in der Regel auf die Gefäßwände, bzw. Lymphräume beschränkt: die infiltrierenden Zellen liegen dann meist in einem Maschenwerk, in das sich die Gefäßwand aufgelockert, bzw. umgeformt hat. Beachtens- wert ist das Vermissen wesentlicher Gewebsreaktionen in der Umgebung solcher Gefäße.

102 E. Pollak und Ph. Rezek.

2 AN AI BRS RR Pe ee SARK Abb. 4. Dichtes monozytäres Infiltrat. Laterale Striatumgrenze an der Capsula externa. Hämatoxylin-Eosin. Fall 2 (4192).

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Abb. 5. Detailbild von Abb. 4. Übersicht über den Monozytentypus des Infiltrats. Häma- toxylin-Eosin. Fall 2 (4192).

Am Zellbild nach Nissl zeigen sich im allgemeinen nur geringgradige Verän- derungen; weder im Globus pallidus, noch im Striatum erreichen die vorhandenen Abänderungen von der Norm einen wesentlichen Grad. Man sieht zwar beginnende akute Reaktionen, sowohl an den Zellen des Pallidum, als auch vielleicht ein wenig ausgeprägter an den großen Zellen des Striatum.

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 103

Wesentlicher sind allerdings jene Ganglienzellverinderungen, die wir in den Kerngebieten der Wand des 3. Ventrikels finden. Hier sieht man schwerste Degenerations- bilder akuter Erkrankungsformen.

Auch in der Hirnrinde sieht man freilich nur mäßiggradige, Infiltrationen von Blutgefäßen. Wir sehen solche Prozesse auch in der grauen Rindensubstanz, gleichgültig, ob in der weißen Substanz gleiche Veränderungen bestehen oder nicht. Bemerkenswert ist auch das Vorkommen infiltrativer vaskulärer Reaktionen an den Meningen: diese Prozesse müssen jedoch keine reaktiven Veränderungen in dem darunter befindlichen Rindengewebe wecken. Interessant sind weiters kleine perivasku- läre Reaktionsherde im Rindenmarke, die sich fast ausschließlich aus polynucleären Leukozyten zusammensetzen und im wesentlichen wohl kleinen Nekroseherden ent- sprechen. Eng benachbarte Gefäße solcher Stellen zeigen ein rein monozytäres In- filtrat. An den Ganglienzellen solcher Rindenabschnitte sieht man gewöhnlich keine wesentlichen Veränderungen, wenngleich vereinzelt pathologische Zellbilder vorkommen.

Fall 4193 (6jähriges Kind).

Der histologische Befund dieses Falles deckt sich vollends mit den beiden vorher- gehenden. Auch hier finden sich Blutungen im Striatum und entzündliche Infiltrate monozytärer Forın an den Gefäßen der Strio-Pallidumgrenze bzw. der Pallidum-Kapsel- Grenze. Kleine Herde im Rindenmark finden sich auch hier.

Zum Vergleiche mit diesen drei kindlichen Fällen führen wir den Befund bei einer CO-Vergiftung bei einer erwachsenen Person an. Auch hier erfolgte der Tod in der CQ-Atmosphire. Der Obduktionsbefund des Gehirns war gleichfalls, bis auf eine deutliche Hyperämie, negativ.

Fall 4190 (A. P. 24 Jahre alt).

Hier liegen die Verhältnisse wesentlich anders als in den beiden ersten Fällen. Hier können wir bereits bei oberflächlicher Betrachtung der Präparate von den Stamm- ganglien wesentliche Abweichungen vom normalen Bilde feststellen. Man sieht sowohl im Bereiche des Globus pallidus, als auch im Gebiete des Nucl. ansae, ganz besonders stark aber im Inselmarke fleckférmige Defekte, in denen das Grundgewebe ein wenig porös erscheint. Bei genauerer Betrachtung sieht man dann, daß es sich meist um Lakunenbildung um Gefäße herum handelt und daß diese perivaskulären Höhlen teils durch Ödem bedingt sind, teils aber auch durch Einschmelzung perivaskulären Ge- weben nach Umformung in eine zerstörte Masse sich entwickeln. Mitunter sieht man Reste einer Blutung, meist aber fehlt diese Komplikation. Der lakunäre Raum ist oft —- keineswegs immer -- von zelligen Elementen durchsetzt. Die in den Lakunen zentral gelegenen Gefäße lassen sehr oft Wandveränderungen abgesehen von spur- weise angedeuteten Infiltrationsvorgängen vollkommen vermissen. Die infiltrativen Veränderungen selbst sind wesentlich geringer als in den beiden vorhin beschriebenen Fällen, zumal man hier nur in ganz vereinzelten GefiiBscheiden ein kompakteres Infillrat finden kann. Was die Lokalisation solcher lakunärer Erweichungshöhlen anlangt, so ist die Mehrzahl dieser pathologischen Bildungen im Pallidum und im Mark der Insel zu finden, während sie im Striatum erheblich an Zahl zurück- treten. Ausgesprochene perivaskulär gruppierte Blutextravasate finden sich am häufigsten in den verschiedenen Marklamellen, während sie in den grauen Zentren ein wenig zurücktreten. Im Inselmark hat diese spongiös-lakunäre Entartung einen solchen Umfang angenommen, daß sich fast um jedes größere Gefäß ein solcher krankhafter Gewebsdefekt entwickelt hat.

Wäs sonst die Veränderungen am Parenchym anlangt. sind die Reaktionen an den Ganglienzellen verhältnismäßig gering. Es finden sich zwar ganz akute Schwellungs- und Verfettungsvorgänge, besonders an den Zellen des Pallidum und des Nucl. ansae, ebenso ähnliche, allerdings quantitativ geringgradigere Reaktionen an den Zellen des Striatum, wobei besonders die großen Zellen alteriert zu sein scheinen,

Von sonstigen Befunden am Z. N. S. ist besonders eine auffallende Hyperämie der Blutgefäße im Kleinhirn hervorzuheben, eine Blutfülle, die sich nicht nur an den

104 E. Pollak und Ph. Rezek.

Abb. 6. Geringe perivaskuläre Infiltration, Ödem und lakunäre Nekrose. Pallidum- Striatumgrenze. Hämatoxylin-Eosin. Fall 4 (4190).

Abb. 7. Perivaskuläre lakunäre Nekrose und Ödem. Basales Pallidumgebiet am Rande des Nucl. ansae. Hämatoxylin-Eosin. Fall 4 (4190).

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 105

intrazerebellaren Gefäßen, sondern auch in denen der Hirnhäute zeigt. Die Gefäße, die blutstrotzend gefüllt sind, erscheinen erweitert und mitunter findet sich auch ein Extravasat in den perivaskulären Lymphräumen. An einzelnen Meningealgefäßen über dem Kleinhirn sieht man dann flächenhafte kleine Blutungen, welche mit einem Ödem der obersten Teile der Molekularschicht des Kleinhirns kombiniert sind.

Die ersten drei Fälle sind dadurch ausgezeichnet, daß eine grobe Läsion im Sinne einer typischen Pallidumerweichung nicht vorhanden ist. Überhaupt läßt sich feststellen, daß der Globus pallidus relativ gut erhalten ist und die Veränderungen eigentlich deutlicher im Striatum, bzw. der - angrenzenden inneren Kapsel vorkommen. Immerhin zeigt sich auch im Pallidum vielleicht die Einleitung einer perivaskulären Nekrose-Reaktion, die

Abb. 8. Perivaskuläre Ödem-Nekroseherde. Mark der Insel. Van Gieson. Fall 4 (4190).

allerdings in diesen Frühstadien noch nicht zum Ausdrucke kommt. Keineswegs kann man hier von irgend einer typischen Erkrankung sprechen, wenngleich die immerhin vorhandenen regressiven Zustände an den Blutgefäßen Jugend- licher beachtenswert sind und sicherlich auf die Wirkung des CO-Gases zurückgeführt werden müssen. Anders ist es im Striatum, wo Blutungen ge- funden werden und gröbere Gefäßveränderungen vorhanden sind als im Pallidum. Besonders beachtenswert ist jedoch die Infiltration der Blutgefäße im Striatum, bzw. an den angrenzenden Teilen der inneren Kapsel, eine Ver- änderung, welche lediglich auf diese Stellen beschränkt bleibt. Sonst ist im Z.N.S. sehr wenig Pathologisches zu finden, höchstens feinere Ver- änderungen an den Ganglienzellen in der Großhirnrinde und kleine Nekrosen im Rindenmarke. Im Gegensatze zu diesen drei Fällen zeigt der vierte andere pathologische Befunde. Hier finden sich Ödem, lakunäre Raum- bildungen um die Gefäße, besonders im Pallidum und im Mark der Insel, ferner Blutungen und nur ganz geringe Infiltrate. Die übrigen Veränderungen des Parenchyms sind gleichfalls nur sehr dürftig.

106 E. Pollak und Ph. Rezek.

Wenn wir auf Grund dieser Befunde Stellung nehmen zum Pro- blem der akuten CO-Gasvergiftung und deren Folgewirkung auf das Gehirn, so haben wir hier bei diesen drei Fällen Gelegenheit, verschie- dene bemerkenswerte Tatsachen dieses Gebietes der Pathologie zu er- örtern. Zunächst ist es auffallend, daß gerade bei den drei Kindern ein Befund besonders deutlich vorhanden ist, den wir sonst in der Mehrzalıl der Fälle nicht zu beobachten gewohnt sind. Wir meinen hier in erster Linie die Infiltrate; Mitteilungen über diesen Befund existieren wohl schon in der Literatur und namentlich hat Altschul in letzter Zeit auf derartige Infiltrate hingewiesen. Es ist bemerkenswert, daß es sich auch hier um Fälle handelte, welche größtenteils in der Kohlendunstatmosphäre ge- storben sind oder knapp nachher tötlich geendet haben. Weiterhin ist es in den Altschulschen Fällen wichtig, daß es sich auch dort um durchwegs jugendliche Individuen handelte, eine Tatsache, auf die wir noch zu sprechen kommen werden.

Was nun die Infiltrate selbst anlangt, so sind diese stets monozytär, ohne auch nur die geringste Beimischung polymorphkerniger Leukozyten. Auch dies hat Altschul bereits bei seinen Fällen registriert. Diese Tatsache ist bei der kurzen Dauer der Gifteinwirkung überaus bemerkenswert und läßt sich vielleicht für die Frage der histiogenen Entwicklung der Lympho- zyten verwenden. Es wäre immerhin merkwürdig, daß bei einer eventuellen Exsudation nur monozytäre Elemente, also Lymphozyten, chemotaktisch abwandern, während die Diapedese der Leukozyten unterbleiben soll. Diese Auffassung hat ja auch sonst keine Analogie und sie wäre gewiß bis zu einem gewissen Grad unverständlich. Auch spricht gegen die exsudative Her- kunft der Lymphozyten die Tatsache, daß dort, wo nekrotische Reaktionen bereits einsetzen, die Auswanderung von Leukozyten bereits sichtbar ist, daß also dort, wo eine Exsudation stattfindet, polymorphkernige Elemente auch den Durchgang durch die Blutgefäßwand finden. Immerhin bleibt eine Möglichkeit der isolierten chemotaktischen Wirkung auf Lymphozyten offen. Wir möchten daher meinen, daß die an relativ wenigen Stellen des Nerven- systems gefundenen Lymphozyten Gewebsabkömmlinge sind, daß also in relativ kurzer Zeit die histiogene Entwicklung der Lymphozyten ermöglicht wird. In dieser Hinsicht ist vielleicht dieser Befund sehr bedeutungsvoll für die Frage anderer nicht eitriger Enzephalitiden. Weiterhin sehen wir in diesen Befund eine Bestätigung für die heute immer mehr und mehr durch- greifende Auffassung, daB auch nur durch reine Giftwirkung eine infiltrative Erkrankung der Blutgefäßwände entstehen kann. Das Vorkommen solcher Reaktionen beweist dann auch deutlich die Notwendigkeit der eingehenden Revision des Entzündungsbegriffes überhaupt. Es zeigt sich immer mehr und mehr, daß in den meisten Fällen die infiltrative Komponente der patho- logischen Gewebskonstellation nicht als Ausdruck eines exsudativen Momentes zu werten ist, sondern daß die Infiltratzellen Teilbild einer produktiven Gefäß- wandaktion darstellen. Von den übrigen produktiven Funktionen und Bildungen von Gefäßwandelementen unterscheiden sich die infiltrativen Zellen in einem

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystern. 107

ähnlichen Ausmaße wie die verschiedenen Reifeformen bei Tumoren, wo wahrscheinlich gewisse funktionelle und keimmäßig verankerte Prinzipien die Form der Zelltypen bestimmen. Ohne Zweifel kommt den Infiltratzellen eine viel weniger differenzierte Funktion zu, als den übrigen produktiv gewucherten Gefäßwandelementen, deren Bau bereits auf eine der Grundfunktion nahe- stehende Tätigkeit hinweist. Die Infiltratzellen sind sicherlich nicht dem syneytitialen Verbande der Bindegewebsstrukturen zugehörige Elemente und wahrscheinlich als Reservematerial für verschiedene Funktionsleistungen be- stimmte Typen. In erster Linie für die Tätigkeit bei Abbauvorgängen be- stimmt, sind sie eben auch morphologisch am wenigsten differenziert.

Es fällt uns auf, daß sowohl die Intensität wie die Existenz solcher Infiltrate, gerade bei den jugendlichen Individuen so stark ausgeprägt ist und daß scheinbar im vorgeschrittenen Lebensalter diese pathologische Re- aktion nur angedeutet bleibt, oder überhaupt nicht zur Entwicklung kommt. Die geringe Anzahl von CO-Vergiftungen jugendlicher Individuen, die bisher zur Beobachtung kamen, ließ also unserer Meinung nach diese bemerkenswerte Tatsache der Zerebralpathologie bis heute unbeachtet. Die wenigen Fälle infantiler CO-Vergiftungen sind meist günstig ausgegangen oder waren Fälle, die erst längere Zeit nach der Einwirkung des Giftes gestorben sind. Besteht doch in der Literatur vielfach die Meinung, daß jugendliche Individuen gegen die CO-Vergiftung resistenter sind als Menschen im vorgeschrittenen Lebens- alter (Lewin). Infolgedessen sehen wir, daB uns auch die Durchsicht der heute nicht mehr unbeträchtlichen Literatur gar keine Berichte über Gehirne von Kindern mit Leuchtgasvergiftung zeigt, eine Lücke, deren Ausfüllung auch der Zweck der vorliegenden Publikation ist.

Das Infiltrat, das wir bei diesen Fällen finden scheint aber wieder nur ein transitorisches Produkt zu sein, das sich wahrscheinlich schon kurze Zeit nach seinem Bestande wieder rückbildet. Beim Erwachsenen dürfte es nur in einer sehr geringen Zahl der Fälle beobachtet werden und auch in unserem vierten Falle findet sich ein derartiger Befund. Da aber zahlreiche Angaben der Literatur trotz genauer Untersuchung des Materials diesen Be- fund vermissen lassen, sein Vorkommen zum Teile bezweifeln oder kritisch zu widerlegen trachten (Weimann), so ist jedenfalls die Annahme gerecht- fertigt, daß diese infiltrative Veränderung nur eine Frühepisode des patho- logischen Prozesses der CO-Gasvergiftung im Gehirn darstellt. Dazu möchten wir noch eine weitere Einschränkung machen. Wir glauben, daß die Frage des Alters eben eine entscheidende Rolle für das Zustandekommen dieser infiltrativen Komponente abgibt. Der eine von uns (P.) hat schon früher darauf hingewiesen, daß die Bindegewebsreaktionen bei pathologischen Pro- zessen in gewisser Hinsicht vom Alter abhängig sind. Die Reagibilität der mesodermalen Anteile des Gehirns ist in den verschiedenen Altersstufen scheinbar doch nicht die gleiche. Die Ansprechbarkeit des Bindegewebes quoad produktiver Aktivität ändert sich scheinbar mit dem Alter und die bereits deutlich nachweisbaren morphologischen Differenzen im Aufbau des mesodermalen Bindegewebes im Alter lassen es auch wahrscheinlich sein,

108 E. Pollak und Ph. Rezek.

daß unter pathologischen Bedingungen dieses Gewebes in den verschiedenen Lebensphasen anders reagiert. Daß ein schon im Stadium der Involution befindliches Gefäßsystem mit seinen mehr oder minder markanten Wand- veränderungen eine andere Matrix vorstellt für neu zur Entwicklung ge- langendes Gewebe, ist mehr als selbstverständlich und die degenerative Ver- bildung auf der einen Seite, die pathologische Umformung des Gefäßbinde- gewebes zur Zeit der Involution auf der anderen Seite, macht sicherlich eine determinierende Wirkung im Mechanismus der Produktion geltend. Dazu kommt noch ein Moment, das Berücksichtigung finden muß. Es handelt sich hier um die Tatsache, daß unreifes Nervengewebe unter pathologischen Bedingungen durchaus anders reagieren wird, als ein in der Differenzierung und Reifung bereits abgeschlossenes. Wir wollen dabei selbstverständlich von jenen andersartigen Reaktionen des Parenchyms beim unreifen Z.N.S. absehen, wie die Untersuchungen von Spatz gezeigt haben, sondern lediglich die Frage des Mesoderms in Rechnung ziehen. Den Blutgefäßen kommt sicher im ersten Dezennium des menschlichen Lebens, also der postfötalen evolutio- nistischen Phase, eine wichtige Bedeutung zu. Ohne Zweifel werden dem Z.N.S. für den Reifungsprozeß der Hirnsubstanz reiche Stoffe zugeführt, in einem Ausmaß und einer Form, wie sie später nicht mehr vorhanden sind. Es ist klar, daß diese Permeabilität der Gefäßwände sich nicht nur in physikalisch-chemischen Reaktionen ausdrücken wird, sondern daß auch morphologische Differenzen, als Anpassungsphänomene an diesen physiologi- schen Mechanismus, bestehen werden. Die Zufuhr von Aufbauprodukten an die Nervenelemente wird neben der starken Inanspruchnahme des zwischen Blutwege und Nervenparenchym interkalierten Gliasynsytiums auch eine starke funktionelle Belastung des mesodermalen Bindegewebes bedingen, eine Mehrleistung, die sicherlich auch zu einer morphologischen Abänderung dann führen kann, wenn das normo-physiologische Funktions- programm durch eine krankhafte Einwirkung gestört wird. Es ist klar, daß zur Erhaltung des evolutionistisch gerichteten Gleichgewichtes zwi- schen Nährstraße (= Blutgefäß plus Glia) und Nervengewebe Material heran- geschafft wird, welches neben der Beherrschung der krankhaften Noxe auch die normale Weiterentwicklung gewährleisten soll. Infolgedessen besteht sicherlich in der frühen postfötalen Phase ein latenter, auch morphologisch immanenter Faktor, der eben unter Umständen sofort eingeschaltet wird, um jenes Manko zu decken, welches unter pathologischen Bedingungen mit Leichtigkeit entsteht. Daß sich diese Störung am Blutgefäßapparat in schwerster Form auswirkt, beweist schon der seinerzeit von Schmorl, Geipel gezeigte Befund, nach welchem bei der CO-Gasvergiftung sehr bald Verfettungsvorgänge an den Blutgefäßen aller Kaliber vorkommen. Auch in unseren Fällen konnten wir die übermäßigen Anhäufungen lipoider Substanzen in den Gefäßwänden sehen. Es ist nun klar, daß vielleicht die Infiltration in irgend einem Zusammenhang auch mit diesen lipoiden Pro- dukten steht. Es ist uns aufgefallen, daß wir besonders stark die Fett- anhäufungen an jenen Gefäßen geschen haben, wo die Infiltration stark

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 109

ausgesprochen war. Wir werden wohl annehmen müssen, daß wahrscheinlich unter der Einwirkung des CO-Gases eine Veränderung der Permeabilitits- verhältnisse der Blutgefäßwand erfolgt ist. Auffallend ist es, daß die lipoiden Produkte sich durchwegs im Bereiche der Gefäßwand selbst zeigen, daß wir nicht die Fettprodukte extravaskulär finden. Dies zeigt vielleicht, daß es sich hier nicht um lipoide Produkte handelt, welche vom Gewebe zur Blut- bahn transportiert werden, denn sonst müßten wir ja zahlreiches Fett in der Umgebung der Blutgefäße sehen, sondern wenigstens zum größten Teil als Retentionsfett aufzufassen ist. Diese Erkenntnis ist für die Weiterentwick- lung unseres Gedankenganges von Wichtigkeit. Ohne Zweifel hat das Blut- gefäßsystem der Jugendlichen eine besondere Stellung im Fettstoffwechsel, da wir doch wissen, daß der Aufbau der lipoidreichsten Anteile des Z.N.S. erst in die postfötale Phase fällt. Es unterliegt also keinem Zweifel, dab die Permeabilität der Blutgefäße für Fettprodukte im frühen Lebensalter eine andere sein muß, als im vorgerückten Stadium. Es wundert uns daher nicht, daß wir auch bei Kindern nach CO-Gasvergiftung lipoide Stoffe in der Blut- gefäßwand finden, wenngleich wir weit davon entfernt sind, dieses Bild eventuell mit einer infantilen Atheromatose zu identifizieren. Jedenfalls sehen wir in diesem morphologischen Verhalten nur eine Blockade der Fett- resorption im Blutgefäßsystem, eine Reaktion, die sich am unreifen Z.N.S. selbstverständlich ganz anders auswirken muß, als am reifen. Durch diese Blockade wird ja auch die weitere Zuweisung lipoider Produkte an die Marksysteme unterbunden und es unterliegt keinem Zweifel, daß eben Maß- nahmen geweckt werden, welche diese wesentliche Einschränkung zu kom- pensieren trachten werden. Hier wird das Bindegewebe mit seiner jugend- lichen Aktivität herangezogen werden, eine Kompensation des Stoffwechsel- transportes zu schaffen, in dem der gestörte physikalisch-chemische Mechanismus osmotischer Vorgänge oder Diffusionsprozesse durch eine zelluläre Brücke wettgemacht wird. Wir glauben daher, in dem Infiltrate der Blutgefäßwände bei CO-Gasvergiftung Jugendlicher einen Ersatz- mechanismus des gestörten Stoffwechsels zu schen und wir erkennen in den Lymphozytenhaufen den morphologischen Versuch, durch eine andere Form des Stoffaustausches die Fortentwicklung vitaler Funktionen zu er- reichen. Dies ist auch der Grund, warum vielleicht im Reifestadium des Z.N.S. bei der CO-Gasvergiftung dieser Infiltrationsmechanismus fehlt, da die evolutive Phase bereits abgeschlossen ist, und damit gewisse latente präformierte Mechanismen auch unter krankhaften Bedingungen nicht mehr geweckt werden. Immerhin ist es bemerkenswert, daß diese infiltrative Epi- sode nur, wie dieser Ausdruck bereits sagen soll, Sinnbild einer kurzen Phase ist, daß diese später nicht mehr erkenntlich ist. Diese Tatsache ist eigentlich nicht überraschend, zumal wir diese Beobachtung einer initialen vaskulären Reaktion auch bei anderen pathologischen Prozessen kennen. Es wundert uns daher nicht, daß in den späteren Stadien der CO-Vergiftung diese Ver- änderung vermißt wird vielleicht auch dann, wenn es sich um jugendliche Individuen handeln sollte. Wir denken hier an gewisse Analogien mit der

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Enzephalitis epidemica und deren Folgezuständen, auf deren Beziehungen auch aus klinischen Gründen einzugehen interessant ist. Wir haben jüngst durch Stengel gehört, daß nach CO-Gasvergiftung jugendlicher Menschen eigenartige Charakterveränderungen auftreten können, Symptombilder, die in gewisser Hinsicht an moral insanity mahnen, teils aber auch Ähnlich- keiten haben mit jenen Charakterveränderungen, die wir im Gefolge der Enzephalitis epidemica Jugendlicher sehen. Es ist nun nicht uninteressant, daß wir an unserem kindlichen Material eigentlich einen Befund erheben, der in gewisser Hinsicht an Enzephalitiden mahnt, wobei wir selbstverstänil- lich auch nicht im entferntesten daran denken, andere Momente als jene der kortikalen Lokalisation im allgemeinen und der infiltrativen vaskulären Reaktion. im besonderen, heranzuziehen. Es ist nun vielleicht möglich, daß kortikale Enzephalitiden bei jugendlichen Individuen besonders leicht zu jenen eigenartigen Charakterveränderungen führen und das Vorkommen solcher gleichsinniger Veränderungen im Gehirn CO-vergifteter Kinder, die Beschreibung von Charakterveränderungen Jugendlicher nach CO-Gas- vergiftung läßt hier eine gemeinsame Basis vermuten. Diese Tatsache weist dann neuerdings auf das eigenartige Problem hin, das wir mehrfach heute bereits beleuchtet haben, nämlich der ungleichen Wirkungsweise und Folgen krankhafter Noxen beim unreifen und ausgebildeten Gehirn.

Neben diesem besonders typischen Befund haben wir bei unseren Früh- fällen auch noch andere, uns wesentlich erscheinende Tatsachen gefunden. Zunächst lokalisatorische Phänomene. Während wir, wie wir weiter unten noch ausführen werden, in den späteren Stadien der CO-Vergiftung im Pallidum die signifikanten Zeichen der zerebralen Schädigung finden, ist dieser Hirnanteil in jeder Hinsicht bei unseren Frühfällen weniger affi- ziert. Eine kleine Einschränkung soll auch hier gemacht werden. Es be- steht immerhin eine Differenz zwischen den Kindern und der 24jährigen Frau. Während die Kinder im Pallidum sehr dürftige Veränderungen zei- gen, ist dieses Ganglion bei dem erwachsenen Menschen erheblich schwerer affiziert. Auch hier also eine Differenz des Lebensalters. Liegt also das Schwer- gewicht der Veränderungen der alten CO-Vergiftung im Pallidum, so ist es in unseren jugendlichen Fällen in das Striatum und besonders in die angrenzen- den Anteile der inneren Kapsel verschoben. Dazu kommt noch die wesentliche Mitbeteiligung der übrigen weißen Massen des Großhirns und der Rinde. Im Vordergrund stehen Blutungen, ein Befund, der nicht neu ist, der sich vielfach beschrieben findet und der in unseren Fällen gerade im Pallidum fehlt. Die Ursache dieser Blutungen liegt auf Grund unserer Befunde in einer Wanderkrankung (Auflockerung der Schichten und regressive Kern- veränderungen, also Befunde, die wir bei den Blutungen auch anderer Ursachen stets gefunden haben). Es unterliegt also keinem Zweifel, daß durch das CO-Gas die Gefäßwände geschädigt werden, wobei besonders die Endothe- lien betroffen sind, deren Alteration unserer Meinung nach für das Zustande- kommen von Blutungen am wichtigsten ist. Die übrigen Veränderungen im Gehirn sind eigentlich weniger beachtenswert. Im Hinblick auf die wichtigen

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 111

Beschreibungen von Meyer, über Degenerationsherde im Großhirnmark wollen wir hier noch auf die im Falle II, deutlich vorhandenen miliaren Nekroseherde im Rindenmark hinweisen, die vermutlich der Ausgangspunkt für die von Meyer beschriebenen ausgedehnten Markveränderungen sind.

Stellt die infiltrative Komponente des Prozesses den charakteristischen Befund der initialen infantilen CO-Vergiftungen dar, so haben wir an dem Gehirn der in der CO-Atmosphäre verstorbenen erwachsenen Person einen Befund vor uns, der dem jugendlichen Gehirn nicht eigen ist. Wir meinen hier die Lakunenbildung durch Ödem oder Blutung, kurz und gut die Ein- schmelzung des perivaskulären Gewebes. Es besteht also ein prinzipieller Gegensatz zwischen der infantiten Reaktion: Infiltration der Gefäßwände, Blutungen und Intaktheit des perivaskulären Gewebes und der reifen Reaktion: perivaskuläre Nekrose bei geringfügigen oder fehlenden Infiltraten. Es scheint also der Intoxikationsmechanismus beim Erwachsenen sehr schnell zu einer degenerativen Veränderung des perivaskulären Gewebes zu führen und namentlich scheint in diesem Stadium die Störung des Wasserhaushaltes im Vordergrund zu stehen, wo eben leicht Ödembildung resultiert, die sich mit Gewebsnekrosen von lakunärem Typus kombiniert. Auf Grund dieser Tatsachen sehen wir, daß die Frühtodesfälle von CO-Vergiftung einen Befund zeigen, der von den Spätfällen erheblich abweicht und daß bei dieser Gruppe selbst wieder das Alter einen determinierenden Einfluß auf den Charakter des morphologischen Prozesses hat.

Im Gegensatze zu den vier Fällen von CO-Intoxikation, wo der Tod noch in der Giftgasatmosphäre eintrat, wollen wir nunmehr noch über einen weiteren Fall berichten, der über fünf Jahre nach der Leuchtgaseinatmung gestorben ist. Wir entnehmen der Krankengeschichte kurz folgendes:

Karl D., geb. 1857, Tischlermeister. Stets gesund, erlitt in der Nacht vom 23. Oktober 1917 während des Schlafes durch ausströmendes Leuchtgas eine Ver- giftung. Er erwachte erst am folgenden Tage nachmittags im Spital. Patient war noch einige Tage benommen; weder Kopfschmerzen noch Erbrechen. Stechende Schmerzen in beiden Füßen, Schwäche der Beine und der linken Hand. Dieser Zustand hielt angeblich zur Aufnahme in das Versorgungsheim August 1918 an.

Befund August 1922: Pupillen normal, Hirnnerven frei. Obere Extremitäten rechts: unverändert. Obere Extremitäten links: Bewegungen im Schulter- Ell- bogengelenk frei mit guter Kraft; aktive Bewegungen in den Interpalangealgelenken infolge Streckkontraktur unmöglich. Keine wesentliche Atrophie; beiderseitiger leich- ter grobwelliger Tremor, Sehnenreflexe lebhaft. r > 1.

Bauchdeckenreflexe vorhanden, ebenso Kremasterreflex.

Laségue beiderseits.

Untere Extremitäten: leichte Atrophie der Oberschenkelmuskel links. Mäßige Atrophie beider Unterschenkelmuskel. Aktive Bewegungen im Hüftgelenk frei, leichte stumpfwinkeliga Beugekontraktur des rechten Kniegelenkes. Füße in Equinusstellung, schwache Beweglichkeit in den Fußgelenken r.< l. Geringe Zehenbewegung nur links möglich. PSR. beiderseits vorhanden, normale ASR. fehlen beiderseits. Keine Py-Zeichen.

Sensibilität: an den Unterschenkeln und Füßen Empfindung für Schmerz und Berührung leicht herabgesetzt; oft stechende Schmerzen in den Füßen. Leichte Störung der Tiefensensibilität an den Zehen. Stehen und Gehen der Kontraktur des Beines wegen unmöglich.

112 E. Pollak und Ph. Rezek.

Bei Beklopfen der Achillessehnen lebhafte Kontraktion der gleichseitigen Abduk- toren. Elektrische Erregbarkeit: N. peron. l. Far. 5,5. KSZ. 3,2, ASZ. 4,6. N. peron. r. Far. KSZ. 7,0. ASZ. 16,0 MA.

Diagnose: Status nach Kohlenoxydneuritis.

Gestorben bei unverändertem Zustand am 19. März 1923 nach einer schweren Hiimoptoe. i

Obduktionsbefund: Subakute Miliartuberkulose. Käsige Pneumonie des rechten Oberlappens. Pleuritische Verwachsungen besonders rechts. Perforierendes Aortenaneu- rysma (Ascendens) in die Lungenarterie. Subakuter Milztumor, parenchymatöse De- generation der Eingeweide.

Das Gehirn zeigt makroskopisch ein vollkommen normales Bild. An Frontalscheiben zeigt sich beiderseits im vordersten Pallidumdrittel eine linsengroße, unscharf gerän- derte zystische Höhle. i

Mikroskopischer Befund:

Iın vordersten Anteil des Striatum besteht ein diffuses Etat criblé. Auch in der Umgebung kleinster Gefäße sieht man eine Auflockerung des Grundgewebes. Oft sind es Lakunen nicht geringer Ausdehnung. Größere Gefäße lassen in ihrer Umgebung oft schwerere Grade dieser Entartung erkennen; es ist aber wichtig, daß das Kaliber der Blutgefäße nicht entscheidend für den Grad der Erkrankung der Umgebung ist. So besteht oft in der Umgebung größerer Gefäße lediglich ein geringgradiges Ödem, während sich wieder um kleine Gefäße ein ausgedehnter Degenerationsvorgang des umgebenden Grundgewebes angeschlossen hat. Die Bindegewebsfärbung zeigt, daß trotz des oft recht weit vorgeschrittenen Degenerationsprozesses eine Beteiligung des Bindegewebes nicht nachweisbar ist, daB sich also weder an den Blutgefäßen selbst, noch in ihrer nächsten Umgebung eine Aktivität des Bindegewebes zeigt. Abgesehen von dem Zugrundegehen der Grundsubstanz mit Einschluß von Ganglien- zellen im Bereiche der Lakunen, werden sonstige gröbere Veränderungen vermißt. Das Bild der striären Zytoarchitektonik ist unverändert und Ganglienzellen sind nur im Bereiche der Lakunen oder Criblüren erkrankt.

Schließlich findet man auch einen kleinen, unscharf begrenzten Gewehsdefekt, eine Auflockerung und schließlich auch völlige Konsumption der Nervensubstanz. Die Ganglienzellen sind hier vollkommen ausgefallen und gewucherte Gliazellen und Fasern erfüllen die verödeten Abschnitte. Man sieht plasmatisch gewucherte gliöse Zellen, die sich mit Fett, bzw. Eisenpigment beladen haben. Eine Einwucherung von Bindegewebe in die krankhaft veränderten Umgebungsgebiete der Gefäße findet auch hier nicht statt und die dürftige Narbenbildung wird lediglich von der nur in mäßigem Grade gewucherten Neuroglia besorgt.

In einem, dem bereits makroskopisch erkennbaren Gewebsdefekt im vorderen Pallidum entsprechenden Schnitte zeigen sich selhstverständlich sehr schwere Ver- änderungen. Es besteht ein großer, unscharf begrenzter Defekt, der gegen die Höhle keine Bildung einer Membran oder sonst einer Abschlußzone aufweist. An allen Stellen der Kavität ragen Gewebsteile mit unscharfer Begrenzung in die Erweichungshöhle hinein, wobei nur die eine Tatsache beachtenswert ist, daß nämlich die Randgebiete der Erweichung an den verschiedenen Punkten ungleichen Reaktionstypus zeigen. Besonders deutlich fällt dies dort auf, wo der Erweichungsherd bis an die innere Kapsel stößt. im Gegensatz zum eigentlichen pallidären Rand der Nekrosezone. Wo die Erweichung bis zur inneren Kapsel reicht, setzt der Defekt oft relativ scharf ab, ohne dal im angrenzenden Fasergebiet der Kapsel auch nur nennenswerte Verände- rungen nachgewiesen werden können. Anders am pallidären Rand der Erweichungs- höhle. Hier besteht eine diffuse Auflockerung des Grundgewebes, welche sich auch weiler weg von der Haupthöhle zu einer mehr oder minder starken Kavitäten- fornierung verstärken kann, wodurch das Pallidum durchaus den Charakter einer porösen Entartung angenommen hat. Überall wo die poröse Entartung besteht, findet sich eine allerdings graduell verschiedene Gefäßerkrankung. Es ist allerdings

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 113

auch beachtenswert, daß es Ausnahmen von dieser Regel gibt. So sehen wir z. B. Gewebsausfälle auch an Stellen, wo eine Gefäßveränderung nicht kenntlich ist. Es besteht hier allerdings die Möglichkeit, daß es sich an solchen Stellen nur um ange- schnittene Lakunen handelt, wo das direkt verursachende Gefäß nicht getroffen ist und statt dieses nur eine feine Kapillare mit unveränderter Gefäßwand nachzu- weisen ist.

Die Gefäße selbst zeigen eigenartige Veränderungen. Zunächst sind die Wände fast aller Gefäße auffallend verdickt; dies gilt für Gefäße aller Kaliber. Es fällt zunächst eine Wucherung der Endothelien auf, dann eine Quellung der Elastica, ferner eine homogenisierende wolkige Veränderung der Media und schließlich eine noch später zu besprechende Umwandlung der Adventitia. Alle Gefäße sind in ihren Schichten stark zerklüftet und sowohl zwischen den einzelnen Wandteilen, als auch innerhalb der verschiedenen laminären Gebiete haben sich Spalten und Hohlräume entwickelt. So sehen wir unterhalb des gewucherten Endothels eine Ablagerung von Pigment- schollen und sonstigen amorphen Massen, dunkelgefiirbten Körnchen und Brückel, die sich mit gewucherten Bindegewebszellen vermengt haben. Ebenso sieht man zwischen Elastica und Media ähnliche Ansammlungen und Reaktionen, wobei eine gewisse Imbibition einzelner elastischer Züge mit Pseudokalkmassen kenntlich ist. Die Media ist gewöhnlich schlecht färbbar, zerklüftet und an ihrer Grenzfläche gegen die Adventitia auch von Blutpigment und gewucherten Zellen umgürtet. Die Adventitia hingegen zeigt entweder in toto oder auch nur in einzelnen Sektoren eine eigen- artige Veränderung. Sowohl das innere Blatt als auch der äußere piale Anteil und der dazwischen gelegene Virchow-Robinsche Raum ist von eigenartigen Massen erfüllt, bzw. durchtränkt. Die bindegewebigen Blätter der Außenhaut zeigen entweder allein oder auch mit Einschluß des Lymphraumes bei Hämatoxylinfärbung eine gleich- mäßige, scharfkonturierte Dunkelblaufärbung, wobei die scheinbare Homogenisierung der eingeschlossenen Massen nur durch eine dichte Aneinanderlagerung von korpus- kulären Elementen vorgetäuscht wird; denn bei genauer Ansicht bemerkt man, daß die Adventitia und die Lymphräume von dunklen Körnern erfüllt, bzw. durchsetzt sind, wobei es typisch ist, daß diese korpuskulären Elemente sich streng an die ad- ventitiellen Bindegewebsnetze halten und nicht über diese hinaus in das Parenchym eindringen. Dies fällt umsomehr auf, weil Blutpigment sich auch in der näheren oder weiteren Umgebung der erkrankten Blutgefäße findet. Diese Körnchen, vermutlich aus Pseudokalk, kommen ganz selten auch in den inneren Schichten der Gefäße vor, jedoch scheinbar nur dann, wenn hier Spalträume entstanden sind, in welchen es eben zur Ablagerung. bzw. Niederschlag dieser Stoffe gekommen ist. Eine Variante dieser soeben beschriebenen adventitiellen Veränderung ist der Befund, wonach unter Um- ständen die Adventitia selbst frei gefunden wird, dafür aber die Lymphspalten von diesen Körnchen erfüllt sind. Außerdem kann auch relativ häufig nur das äußere Blatt unverändert sein. Interessant ist es, daß diese Veränderung nicht zwangsläufig zu einer Zerstörung des umgebenden Gewebes führt, sondern relativ unverändert gefunden werden kann, trotzdem sich z. B. auch wieder Blutpigment in der nächsten Nähe solcher Gefäße zeigt. Diese Gefüßveränderungen zeigen sich in mehr oder minder ausgepriigtem Grade an verschiedenen Stellen des Pallidum. Die eigenartigen Ver- kalkungserscheinungen finden sich vorwiegend im Bereiche der Erweichung und kommen nur ganz selten weiter weg von dieser vor. Aber auch an solchen ent- fernteren Stellen mit Verkalkungsreaktionen am Gefäß besteht ein Etat lacunaire. Neben diesen Pseudokalkeinlagerungen sieht man aber auch andere Gefäüßverän- derungen degenerativer Natur (Spaltbildungen, Schichtdegeneration, Einlagerung von Zellen, Pigment zwischen den einzelnen Schichten). In der Umgebung derart ver- änderter Gefäße findet man Blutpigment, das selten frei, meist aber an Zellen ge- bunden ist. Diese Pigmentzellen finden sich nicht nur in den Lymphriiumen der Ge- fäße, sondern in weit größerer Zahl diffus im Gewebe. Selbstverständlich ist diese Pigmentablagerung in der nächsten Umgebung der Erweichungshöhle am stärksten, doch sieht man sie auch an Stellen ohne nekrotische Reaktion. Beachtenswert für

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 8

114 E. Pollak und Ph. Rezek.

die Eigenart des Gesamtprozesses ist die auffallende Torpidität des Mesoderms; weder in der nächsten Umgebung der Erweichung noch weiter von dieser entfernt läßt sich eine produktive Reaktion des Bindegewebes erkennen. Man sieht weder eine Infiltration, noch eine wesentliche Vermehrung des mesenchymalen Gewebes, noch eine nur halbwegs energische substitutive Wucherungtendenz im Interesse einer Narbenbildung. Infolgedessen besteht das lakunär oder umfangreicher erweichte Gewebe und die Umgebung des nekrotisierten Hauptherdes lediglich aus Glia und Gewebsdetritus. `

In der Hirnrinde zeigt sich auch ein diffuses Etat lacunaire, das in seiner Intensität mit jenem im Striatum übereinstimmt, stellenweise stärker ausgeprägt ist und sowohl in der grauen Rinde wie im Mark vorkommt; auch hier fehlt jede meso- dermale Reaktion.

Wie wir sehen, besteht also in diesem Fall ein pathologischer Befund, der im wesentlichen jenen Beobachtungen gleicht, die zahlreich in der Literatur niedergelegt sind. Das Bemerkenswerte dieses Falles ist die Tat- sache, daß eigéntlich ganz gleiche Veränderungen vorhanden sind, wie in ` jenen Fällen, die wenige Wochen oder Monate nach der Vergiftung zu- grunde gegangen waren. Daß die Erweichungshöhle im Pallidum in gleicher Form vorhanden ist wie in den früheren Stadien dieser charakteristischen Erkrankung, braucht uns nicht Wunder zu nehmen; gleichwohl ist es inter- essant, daß keine narbige Substitution erfolgt ist, daß also der Defekt in gleichem Umfange wie bei Beginn der Affektion besteht. Daß dies der Fall ist, beweist schon die anatomische Untersuchung in der Richtung hin, daß weder eine gliöse oder bindegewebige Narbe in der Umgebung des Defektes besteht, welche darauf hinweisen könnte, daß ein Teil wenigstens des er- weichten Bezirkes substitutiv überbrückt wurde. Diese Torpidität des Pro- zesses dürfte vermutlich auf zwei Faktoren beruhen. Die Inaktivität des Bindegewebes wird wohl zusammenhängen mit den noch zu besprechenden Gefäßveränderungen. Die Blutgefäße, die durchwegs im Bereiche der Er- weichung und der nächsten Umgebung schwere Wandveränderungen zeigen, stellen eben keine geeignete Basis für eine Neubildung bindegewebiger Formationen vor. Der zweite Exponent eventueller narbiger Gewebe, die Glia, ist im Bereiche der Erweichung selbstverständlich mit zugrunde ge- gangen und das Pallidum, dessen Gehalt an faserbildender Glia nicht über- mäßig groß ist, ist sicherlich nicht der Ort, der für eine Entwicklung umfang- reicherer gliöser Narben disponiert ist. Immerhin scheint auch die Ent- wicklungsfähigkeit der Neuroglia an eine gewisse Relation zu normalen Zirkulationsverhältnissen gebunden zu sein, deren Wegfall auch die Ent- wicklung fasergliöser Struktur verhindert. Infolgedessen bleibt auch hier die dichte Fasernarbe aus und lediglich in der Peripherie des Erweichungsherdes ist eine Zunahme von Gliafasern zu erkennen.

Ein zweites histologisches Detail ist überraschend. Man findet im Be reiche der Erweichungshöhle selbst, als auch in deren nächsten Umgebung Zeichen von Abbauvorgängen in einem Ausmaße und einer Form, wie wir sie auch in jüngeren Stadien dieser Erkrankung sehen. Wieso es zur Persistenz oder vielleicht zur Neubildung degenerativer Formationen kommt, ist eigent- lich unklar. Es besteht wohl die Möglichkeit, daß in der Umgebung des

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 115

Erweichungsherdes neue degenerative Bezirke auftreten können. Das Terrain, in dem sich der pathologische Prozeß abspielt, zeigt doch besonders im vorgeschrittenen Lebensalter auch beim normalen Menschen häufig solche degenerative Umformungen, zumal perivaskuläre Nekrosen, Lakunenbildungen mit den Zeichen des Gewebsabbaues und kleinsten Blutungen gar nicht zu den Seltenheiten am sogenannten normalen Gehirn älterer Menschen gehören. Wir werden daher gut tun, vielleicht einen Teil der vorhandenen Neu- erweichungen auf diese außerhalb des Prozesses stehenden Involutions- vorgänge zu beziehen. Daß vielleicht das erkrankte Territorium diese Vor- gänge begünstigt, ist nicht von der Hand zu weisen, zumal die Umgebung der Erweichung besonders an den Gefäßen Veränderungen zeigt, welche das Zustandekommen weiterer degenerativer Prozesse sicherlich erklären. Immer- hin ist es aber auch möglich, daß die vorgefundenen Zeichen des voraus- gegangenen Zerstörungsprozesses nicht durchaus neuesten Datums sind, sondern vielleicht sogar in die Phase des Krankheitsbeginnes rückverlegt werden können. Daß noch Zerstörungsprodukte aus alter Zeit des Prozesses gefunden werden können, erscheint uns durchaus nicht unmöglich, zumal, wie wir noch auszuführen haben werden, Gefäßveränderungen bestehen, die sicherlich aus der frühesten Zeit des pathologischen Vorganges resultieren. Es wäre daher leicht möglich, daß gerade die Erkrankung der Blutgefäße ihre vollständige Lahmlegung und Inaktivierung für jede Stoffwechselaus- tauschfunktion die Abfuhrwege blockiert, so daß Produkte an Ort und Stelle festgehalten werden, die unter anderen Umständen längst an die Lymph- und Blutwege abgegeben sein würden. Hier führt also vielleicht die Störung der Abflußwege zur Erstarrung eines Krankheitsprozesses in seiner im An- fange vorhandenen Form.

Der dritte Befund, der uns von Wichtigkeit erscheint, ist die eigen- artige Gefäßveränderung, die wir vorhin genauer charakterisiert haben. Wie wir aus der Beschreibung ersehen können, handelt es sich um eine In- krustation der Gefäßwände mit einer Masse, die wir als Pseudokalk wohl identifizieren können. Das Interessante ist, daß diese (iefäßveränderung durchaus wieder jenen Typus zeigt, wie jene Fälle, welche erst Wochen oder Monate bestanden haben. Auch hier also eine Fixierung eines Zustandes aus der Frühperiode der Erkrankung, eine Erstarrung in einem einmal ge- setzter krankhaften Reaktionsprozeß. Es ist wichtig, daß diese Gefäß- veränderung in den Frühfällen, wie wir sie beschrieben haben, fehlen, was auch in der Literatur allgemein bekannt ist. Die Imbibition der Gefäßwand mit diesem Stoff ist also ein Phänomen, das nicht sofort zur Zeit der CO-Giftwirkung entsteht, sondern sich erst scheinbar einige Zeit nach der Vergiftung entwickelt. Wir müssen wohl annehmen, daß diese Gefäß- wandveränderung an diesen Stellen auf einer toxischen Schädigung der Gefäßwände beruht, welche durch eine Veränderung der Permeabilität be- dingt ist, indem Stoffe retiniert werden, welche sonst wahrscheinlich freie Passage finden, unter diesen Verhältnissen jedoch zurückgehalten und ge- bunden werden. Dazu dürfte die Steigerung des krankhaft veränderten Stoff-

gt

116 E. Pollak und Ph. Rezek.

wechsels kommen, und die kolloidale Bindung von Eisen und Kalksalzen wird hier unter pathologischen Bedingungen erfolgen. Interessant ist, daß diese Niederschlagsbildung in den Gefäßwänden sowohl in einzelnen Wand- schichten selbst zu sehen ist, als auch in weit größerem Maße in den zwischer. und in den Schichten befindlichen Saftspalten erfolgt. Diese Koagulation, die hauptsächlich in den äußeren Zonen der Gefäße zu sehen ist, erfolgt in Form von feinen Tropfen, Kügelchen, die allerdings unter Umständen auch zu flächenhaften Massen gerinnen können. Wahrscheinlich handelt es sich hier um Substanzen, welche aus dem Blute bzw. dem zerstörten Gebiete des Pallidum stammen und hier in den Gefäßwänden hängen geblieben sind, da die Permeabilität der Wand durch den patho- logischen Prozeß aufgehoben oder verändert wurde. Diese Tatsache scheint uns auch ein Beweis für die vorhin angeführte Beobachtung zu sein, daß die Fixierung frühpathologischer Vorgänge auf der Änderung der Permeabili- tät der Gefäße beruht, welche den Abbau des pathologischen Prozesses zur reinen Narbe verhindert und das Festhalten frischer Veränderungen auch im späten Stadium der Erkrankung ermöglicht. Die vom zerstörten Ge- webe der Blutbahn zugeführten und auch die von der Bluthbahn stammenden Substanzen bleiben in den äußeren Randzonen der Saftwege stecken, gerinnen unter pathologischen Bedingungen und sind auf diese Weise das Symbol der kompletten Inaktivierung des Stoffwechselaustausches solcher Gebiete. All dies sind auch die Tatsachen, welche die Monotonie des Prozesses trotz jahrelangen Bestandes bedingen.

Sonst zeigen sich eigentlich nur relativ geringfügige Veränderungen im Bereiche des Z.N.S., Abweichungen, die letzten Endes nicht einmal auf die primäre Erkrankung durch CO-Gas bezogen werden müssen, sondern auch als Attribut der involutiven Konstellation des Z.N.S. gelten können. Wir erwähnen dies mit besonderem Nachdrucke deswegen, weil eine Beob- achtung der Literatur seitens Meyer vorliegt, welche schwere Verände- rungen des Z.N.S. nach vielen Jahren als Folge einer früheren CO-Vergiftung beschreibt. Wir können uns an der Hand unseres Falles nicht überzeugen, daß eine schwere Veränderung an übrigen Gebieten des Z.N.S. besteht. trotzdem dieser Fall seit der CO-Gasvergiftung an nervösen Störungen gelitten hat, also als ein gewiß nicht leichter Fall zu deuten ist. Die Veränderungen im Pallidum sind ganz typisch und charakteristisch, doch fehlen, wie gesagt. sonst jene Veränderungen, wie sie Meyer beschrieben hat. Wir haben viel- mehr den Verdacht, daß die im Falle Meyer beschriebenen extrapalli- dären Veränderungen nichts mit der vorausgegangenen CO-Vergiftung zu tun haben. Gerade die von diesem Autor als beweisend angeführte Tatsache der gleichsinnigen Veränderungen beim Bruder, der ebenfalls die CO-Gas- vergiftung erlitt, erscheint uns bei der Differenz der Beobachtungszeit wenig beweisend. Wir möchten vielmehr vermuten, daß es sich in diesen Fällen um Mißbildungen handelt, und der Charakter der von Meyer beschriebenen Rindenveränderungen sprieht mehr für eine Mißbildung, als für eine durch einen exogenen Reiz bedingte krankhafte Reaktion des Großhirns. Nicht

Kohlenoxydvergiftung und Zentralnervensystem. 117

nur der äußere Formcharakter der Großhirnrinde, sondern auch die histo- logische Analyse seines Falles zeigt so viele Ähnlichkeiten mit dysgenetischen Prozesses, daß wir kaum bezweifeln möchten, daß es sich um eine solche Erkrankungstype handelt.

Auf Grund dieser Beobachtungen möchten wir noch an dem von der Wiener Schule festgehaltenen Prinzipe der Pallidumerkrankung als typisches Zeichen vorausgegangener CO-Vergiftung festhalten und in ihr den signifi- kanten Hinweis auf eine Vergiftung erblicken, welche nach einem Intervalle selbst von Stunden oder Tagen zwischen Vergiftung und Tod auftritt. Wir möchten uns auf Grund unserer Erfahrungen durchaus den Beobachtungen Meixners anschließen und in dieser Hinsicht auch die Meinung vertreten, daß jede im vorderen Anteile des Pallidum gelegenen Erweichung Merk- zeichen einer ehemaligen CO-Vergiftung ist, auch dann, wenn die Anamnese scheinbar negativ ist. Wir wollen damit nicht leugnen, und dies haben auch unsere Frühfälle gezeigt, daß auch an anderen Stellen des Z.N.S. durch die Leuchtgasvergiftung Veränderungen entstehen können, daß diese Veränderungen auch bestehen bleiben und selbstverständlich sich klinisch auswirken können. Wir würden z. B. sicher annehmen, daß in jenen Fällen, wo Zeichen eines Parkinsonismus Folge der Vergiftung sind, eine Mit- erkrankung der Substantia nigra bestehen wird, eine Lokalisation, die wir auch aus den Fällen von Hiller besonders kennengelernt haben. Daß die pallidäre Herderkrankung, die wir mit absoluter Konstanz bei der CO-Ver- giftung finden, unmöglich Ursache des pärkinsonistischen Syndroms sein kann, braucht wohl kaum besonders betont zu werden, da die Seltenheit des Parkinsonismus im Widerspruch stehen würde zur Konstanz der Pallidum- veränderung. Im Gegenteil, die CO-Intoxikation erscheint unseres Erachtens ein wichtiger Beweis dafür zu sein, daß die Erkrankung des Pallidum nicht für das Parkinson-Syndrom verantwortlich gemacht werden kann. Nur dann scheint dieses Syndrom bei CO-Intoxikation zu entstehen, wenn die Substantia nigra, bzw. das Mark des Stirnhirns in Mitleidenschaft gezogen wurde und somit ein anatomisches Substrat besteht, das wir auch beim postenzephali- tischen Parkisonismus zu finden gewohnt sind.

Zum Schluß unserer Ausführungen wollen wir nochmals zu jenem be- sonders stark umstrittenen Gebiete der Pathologie der CO-Vergiftung Stellung nehmen, nämlich der Frage, warum gerade im vorderen Pallidumanteil diese Erweichung auftritt?

Die Beantwortung ist gewiß nicht leicht. Dafür sprechen schon die zahl- reichen Theorien, welche dieses eigenartige Verhalten zu erklären suchen. Immer wieder muß man zu der genialen Theorie von Kolisko zurückgreifen, deren wichtigster Kern: die Eigenart der Gefäße im vorderen Pallidumanteil, nach wie vor als unumgänglicher Faktor jeder Erklärungsform gelten muß. Daß alle Theorien, welche von einer chemischen Pathoklise sprechen, hin- fällig sind, erscheint bei der isolierten Befallenheit des vorderen Pallidum- abschnittes selbstverständlich. Die Eigenart des Chemismus des Pallidum ist, soweit man es beurteilen kann, vermutlich in sämtlichen Anteilen dieses

118 E. Pollak und Ph. Rezek.

Ganglions gleich. Der starke Eisengehalt, der als Kennzeichen eines be- sonderen Chemismus gewertet wurde, findet sich an allen Punkten des Pallidum. Ebensowenig kann aber, wie bereits Meyer, Grinker, Jakob,

Abb. 9. Fettfüllung der Gefäße des Striatum in einem Fall von zerebraler Fettembolie. Sudan.

Abb. 10. Fettdispersion um die Gefäße des Pallidum (caudale und basale Partie) bei zerebraler Fettembolie. Sudan.

betont haben, die Auffassung von Hiller genügen, da schließlich der von ihm gefundene Kapillarcharakter in sämtlichen Pallidumanteilen besteht, somit keineswegs eine hinreichende Erklärung dafür geben kann, daß diese patho- logische Wirkung nach CO-Intoxikation gerade nur im vorderen Anteil auftritt. Immerhin scheint aber doch das Moment der vaskulären Versorgung, der Eigenart des Aufbaues der Gefäße, eine Rolle zu spielen, und die schon von

Kohlenoxydvergiftung und Zentrafnervensystem. 119

Kolisko betonte Eigenheit gerade der feinen Kapillaren im vorderen Pallidumdrittel scheint uns ein wichtiger Hinweis für die isolierte Bedeutung dieses Abschnittes darzustellen. Wir möchten nun noch zur Erhellung in dieser Frage eine Beobachtung mitteilen, welche uns die spezifische krank- hafte Reaktion der Pallidumgefäße im allgemeinen und im vorderen Drittel desselben im besonderen anzeigt.

Wir hatten Gelegenheit, einen Fall von zerebraler Fettembolie zu unter- suchen, wo nun die Verhältnisse an den Blutgefäßen der Stammganglien uns ein ganz charakteristisches Bild geben. Makroskopisch hatten sich in diesem Falle nur ganz geringfügige petechiale Blutungen in der Hirnrinde und im Mark des Großhirns gezeigt, und ganz vereinzelt waren auch

Abb. 11. Fettfüllung und Fettdispersion in und um die Gefäße im vorderen Pallidum- drittel bei zerebraler Fettembolie. Sudan.

Blutungen kleinsten Formats im Striatum gefunden worden. Die histologische Untersuchung dieses Falles, der im übrigen seinerzeit von Frauendorfer publiziert worden war, zeigt nun ein äußerst bemerkenswertes Ergebnis: während die Blutgefäße des Striatum von Fett erfüllt sind, so daß das ganze Lumen derselben von den Fetttropfen ausgefüllt ist, zeigen die Gefäße des Pallidums ein durchaus anderes Verhalten. Hier finden wir relativ wenig Fett in den Lichtungen der Gefäße, hingegen reiche tropfige Ansammlungen lipoider Massen perivaskulär angesiedelt. Dieser Typus findet sich nur im Pallidum, während sonst die Gefäße übriger Gebiete des Z.N.S. lediglich die auch im Striatum beschriebene Füllung des Lumens mit Fett erkennen lassen. Hingegen zeigt auch das Pallidum selbst eine gewisse Differenzierung in der Art der Gefäßalteration, indem, wie die Abb. 11 zeigt, der vordere Anteil des Pallidums eine auffallende Erweiterung und plastische Darstellung des kapillären Netzes aufweist, wobei ein Zustand besteht, der ein Mittel- ding der striären und pallidären Grundform fettembolischer Prozesse zeigt.

120 E. Pollak und Ph. Rezek.

Wir sehen also, daß im dilatierten Kapillarnetz reichlich Fett im Gefäß- innern und extravaskulär vorhanden ist. Es scheint also tatsächlich dieser orale Anteil des Pallidums eine spezielle Type der Gefäße zu besitzen, wobei wahrscheinlich unter pathologischen Bedingungen von übrigen Ge- bieten abweichende Veränderungen geweckt werden müssen. Diese peri- vaskulären Fettansammlungen lassen sich von den Haufen des so- genannten Pallidumfettes (Kodama) trennen. Doch ist in diesem Falle auch das Pallidumfett sicherlich vermehrt. Diese Veränderung im vor- deren Pallidumanteile, bei der zerebralen Fettembolie, und ihre Differenz gegenüber den übrigen Bezirken des Globus pallidus scheint einen Hinweis auf die Sonderstellung dieses Gebietes zu geben, und vielleicht auch dadurch den Befund bei der CO-Intoxikation verständlich zu machen. Das Vorhanden- sein eines vom übrigen Pallidum differenten Befundes im oralen Anteile des Pallidums bei einem embolischen Prozeß entbindet uns auch von der Notwendigkeit, gerade bei der CO-Gasvergiftung in vasomotorischen Momenten die Ursache der Veränderungen bei der CO-Intoxikation zu sehen, zumal wir die Möglichkeit haben, in der veränderten Durchlässigkeit der Gefäße des Pallidums infolge CO-Gaseinwirkung das wesentliche Moment der konstanten Pallidumnekrose zu erblicken. Daß diese nicht von allen Autoren gefunden wurde, beruht wahrscheinlich auf einer Differenz der Sektionstechnik, deren Anwendung, wie Meixner richtig ausführt, stets zur Aufdeckung der Er- weichung im Pallidum führen wird. Diese Veränderung allein stellt den für alle Fälle pathologischen Befund nach CO-Einatmung vor und alle übrigen Veränderungen sind akzidentelle Befunde, wie sie bei jeder Vergiftung, welche das Z.N.S. trifft, gefunden werden können. Die spezifische Bauart der Blutgefäße im Pallidum bzw. besonders dessen oralen Anteils, die damit zusammenhängende Eigenart der Durchlässigkeit, ist das Moment, auf der der wichtigste Teil der zerebralen Veränderungen beruht.

Literatur:

Altschul, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 111, 1927 und 116, 1928. Frauendorfer, Beitr. z. ger. Med., Bd. 6, 1924.

Geipel, Münch. med. Wochenschr., 1920, S. 1245.

Grinker, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 98, 1925.

Hiller, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 93, 1924.

Kolisko, Beitr. z. ger. Med., Bd. 2, 1914.

Meixner, Beitr. z. ger. Med., Bd. 6, 1924.

Meyer, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 100, 1926 und 112, 1928. Pollak, Wien. med. Wochenschr. 1926.

Pollak-Rezek, Virchow-Arch., Bd. 269, 1928.

Schmorl, Münch. med. Wochenschr., 1920.

Stengel, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 122, 1929.

Weimann, Zeitschr. f. d. ges. Neur. u, Psych., Bd. 105, 1926 und 116, 1928.

Zur Pathologie der Ganglienzellen bei multipler Sklerose.

Von cand. med. Grete Zellmann. Mit 4 Abbildungen im Text.

In der reichhaltigen Literatur über histopathologische Veränderungen bei multipler Sklerose, finden sich hauptsächlich Untersuchungen über Ver- änderungen der Achsenzylinder und Markscheiden, relativ wenige über solche der Ganglienzellen. Wo diese untersucht wurden, kann man selten über- einstimmende Ergebnisse beobachten, meist divergieren die Meinungen der Autoren. Sie seien hier kurz wiedergegeben:

Als erster erwähnt Charcot Veränderungen an Zellen, wie Schrumpfung und Pigmentation, die sich aber meist nur auf ältere Herde bezogen.

Köppen und Rossolimo fanden sie überhaupt unverändert. Mit Nissl- Färbung kommt Thomas zu folgendem Resultat: alle Ganglienzellen sind verändert, jedoch nicht so hochgradig, daß sie die Ursache einer primären Erkrankung wären. Die Veränderungen sind durchaus von degenerativem Charakter: Verlust der Struktur der Fortsätze, Randstellung der färbbaren Substanz; blasiges Aussehen des Kerns, Auftreten von Vakuolen im Kern- körperchen; in alten Herden völlige Chromatolyse. In frischen Herden sollen die Zellen nur wenig verändert sein. Spuren von Zerfall der färbbaren Substanz ist in allen Zellen zu finden. Es sei gleich hier darauf hinge- wiesen, daß in dieser Arbeit bei fast allen Fällen eine Anzahl vollkommen intakter Ganglienzellen auffallen. Schob findet in stärker erkrankten Be- zirken die Zahl der Zellen vermindert, einzelne Zellen sind verschmälert und atrophisch, andere auch glasig gequollen und von homogenem Aus- sehen. Von diesen Veränderungen abweichende Formen beschreiben Mari- nesco und Minea. Im Lumbosakralmark fallen Zellen durch ihr Volumen auf, durch gebuchtete, unregelmäßige Konturen und durch die Größe ihrer Fortsätze. Mehrere haben in ihrem Inneren in der Nähe des Kerns Vakuolen von verschiedener Größe. Im übrigen sind alle Zellen geschwollen und haben eine veränderte Orientierung ihrer Neurofibrillen. Marinesco unterscheidet: 1. Zellen mit atypischen, ungeheuren Fortsätzen, 2. gefensterte Zellen (ein ` Verhalten, das sonst in der ganzen Literatur nicht geschildert wird und auch in der vorliegenden Bearbeitung nicht nachgewiesen werden konnte), 3. Zellen,

122 cand. med. Grete Zellmann.

an denen beide Erscheinungen gemeinsam vorkommen, die als appendices ou pedicules bezeichnet werden. In den gefensterten Zellen befinden sich häufig Satelliten, inde nomen cellules satellites. Schuster und Biel- schowsky beschreiben einen staubförmigen Zerfall der Tigroidschollen, eine Degenerationsform, die der axonalen entspricht. Marburg findet in den Fällen der sogenannten akuten multiplen Sklerose, die fettigpigmentöse Degeneration Obersteiners, die auf eine offenbare periaxiale Degeneration der Nervenfasern zurückgeführt wird. Wohlwill bestreitet Müllers Auf- fassung, demzufolge sich die Ganglienzellen dem Prozesse gegenüber weit- gehend resistent verhalten sollen, und faßt die von anderen Autoren ver- einzelt gefundenen Merkmale zum erstenmal als die für multiple Sklerose typischen zusammen. Das Nissl-Bild ergab: staubförmigen Zerfall, Chro- matolyse, Quellung und Vakuolisation. Protoplasmafortsätze sind schlecht färbbar und aufgerollt; intrazelluläre Fibrillen sind rarefiziert, besonders an der Basis der Protoplasmafortsätze verdickt, ihre Maschen erweitert. Auch der Kern ist verändert, bisweilen randständig. Neuronophagie und Erweiterung der perizellulären Räume. Schließlich hat Neuburger über die Zellhistologie bei multipler Sklerose berichtet, jedoch nichts auffallendes gefunden, viel- leicht mit Ausnahme des Umstandes, daß hie und da an Stellen, wo eine Vorderhornzelle zu vermuten gewesen wäre, Gliarosetten auftraten.

Im folgenden soll nun über die Zellveränderungen in sechs Fällen mul- tipler Sklerose berichtet werden, die nach Spielmeyer zur Lokalisation der Herde, nach Nissl für die Zellstruktur, nach Bielschowsky zur Dar- stellung der Fibrillen gefärbt wurden.

1. Fall (Alter 38 Jahre).

Der Fall weist eine ausgedehnte Querschnittsläsion im Zervikalmark auf, die sowohl graue als weiße Substanz in ihrer Gänze einnimmt. Das Nissl-Bild zeigt teils eine Schwellung der Ganglienzellen, die sich auch in die Dendriten fortsetzt, teils eine Schrumpfung «derselben, manifestiert einerseits durch die dichtgedrängte Lage der Tigroide im verkleinerten Zelleib, andrerseits durch die Schlängelung der Dendriten. Die geblähten Zellen enthalten das Tigroid nur mehr in feingekörnter, pulverisierter Form, und zwar schreitet die Tigrolyse vom Zentrum gegen die Peripherie hin fort. Vereinzelt findet man den Kern an die Wand gedrängt. Auffallend ist die starke, fettige Degeneration der Zellen, die bei einem Alter von 38 Jahren weit das physio- logische Ausmaß überschreitet. Die Fibrillen im Bielschowsky-Präparat zeigen eine netzartige Anordnung, die sich zum Teil über die ganze Zelle erstreckt, zum Teil nur am Rand Raum für etwas dicke, parallel verlaufende Fibrillen läßt.

Letzteres Verhalten zeigt sich auch in den Dendriten, die, wie erwähnt, auch Schlängelung erkennen lassen. Ebenso findet sich hier eine Überpigmentation.

Im Lumbosakralmark sitzt der Prozeß im ganzen Vorder- und Hinterstrang und im dorsalen Anteil des Seitenstranges. Die graue Substanz läßt nur ganz verein- zelt Markscheiden erkennen. Hier fällt vor allem in den durchwegs vergrößerten Zellen eine Chromatolyse auf, die in der Mehrzahl der Zellen eine sehr weitgehende ist, und zu staubförmigem Zerfall der Tigroide führt: stellenweise beginnt die Auflösung vom Rande her. Mitunter sieht man nur ganz schattenhafte Überreste und voll- ständige Verbildung der Zellen. Auch hier deutliche Schwellung der Dendriten. Die Schlängelnne derselben ist ganz selten eben angedeutet, ebensowenig sind hier veschrumpfte Zellen wahrzunehmen. Äußerst starke Degenerationen finden sich in

Zur Pathologie der Ganglienzellen bei multipler Sklerose. 123

Abb. 1. Geblähte Zellgruppe aus der Gegend des Stillingschen Lumbalkerns. 38 jährige Patientin.

Abb. 2. Einzelne Zelle aus der Gruppe von Abb. 1.

der Gegend des Stillingschen Lumbalkerns (Abb. 1 und 2). Die Zellen hier sind stark gebläht, in ihrem Inneren homogen tingiert, an wenigen nur am Rande ein schmaler Saum mit einreihigen, feingekörnten Tigroiden. Der Kern liegt exzentrisch, buchtet die Zellenwand vor, zeigt Kernwandhyperchromatose. Auch kommt es zu einer Lipoiddegeneration; manche Zellen bestehen überhaupt nur aus einer Lipoid- ansammlung mit einem blauen, verwaschenen Saum.

124 cand. med. Grete Zellmann.

2. Fall (42 Jahre).

Im Lumbosakralmark nimmt der pathologische Prozeß die medialen Anteile des Hinterstranges ein, ein keilférmiges Areal lateral vom Hinterhorn (bilateral) und das Gebiet, in welchem die Neuriten der Vorderhornzellen die Marksubstanz des Rückenmarks durchziehen, um nach dem Austritt die vordere Wurzel zu bilden. Auch das Vorderhorn selbst ist stellenweise in Mitleidenschaft gezogen. Die Degenera- tionen betreffen die Form der Zellen, die eine Schwellung aufweisen, den veränderten

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Abb. 3. Geschrumpfte Zellgruppe aus dem Vorderhorn des Rückenmarks einer 42 jährigen Patientin.

Stoffabbau, der durch die Lipodystrophie zum Ausdruck kommt. In den stark ver- fetteten Zellen sind die Tigroide bis auf wenige große Klumpen reduziert, bisweilen perlenschnurartig an die Peripherie gedrängt. Im übrigen auch hier staubförmiger Zerfall der Nissl-Schollen, Schwellung der Dendriten an den großen Zellen, Schlän- gelung an den geschriimpften Zellen. Das Silberpräparat zeigt teils eine punkt- förmige, teils eine netzförmige Anordnung der Fibrillen, manchmal sind fast Schollen argyrophiler Substanz zu sehen. Relativ dicke Fibrillen verlaufen parallel in den verbreiterten Dendriten. Vakuolisation tritt auf, mit deutlich abgegrenzten, nicht konfluierenden Aufhellungen, die sich mitunter in den Anfangsteil der Fortsätze verfolgen lassen.

Zur Pathologie der Ganglienzellen bei multipler Sklerose. 125

Im Zervikalmark sitzt der Herd bilateral im Hinterstrang, der Gänze nach im Seitenstrang, während der Vorderstrang nicht betroffen ist. Dagegen hat er eine eigen- artige Ausdehnung in der grauen Substanz, und zwar besetzt er die ventromedialen Zacken und die lateralen Anteile des Vorderhorns, während eine intermediäre Zone freibleibt. Die Nissl-Färbung ergibt eine axonale Degeneration. Randstellung der färbbaren Substanz mit zentraler Tigrolyse. Auch der Kern zeigt Veränderungen: wie Randstellung, großes blasiges Aussehen mit deutlicher Kernmembran, Kernfalten. Besonders stark verändert sind die kleinen Zellen, unter diesen am meisten die ventro- medial gelegenen. Manche Zellen fallen durch die Länge und die Dicke ihrer Dendriten auf, in welchen Nissl-Struktur nachweisbar ist, andere durch die starke Schlängelung derselben (Abb. 3 und 4). Charakteristisch ist fast bei allen Zellen die Überpigmentation.

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Abb. 4. Einzelne Zelle aus der Gruppe von Abb. 3.

3. Fall (Alter 38 Jahre).

In der Zervikalanschwellung befindet sich ein kleiner dreieckiger Herd im Hinterstrang der einen Seite, der auch im geringen Ausmaße die Wurzeleintritts- stelle tangiert. Sonst nur eine ganz diffuse Markscheidenzerstörung im Seitenstrang derselben Seite.

Es konnte auch bei Toluidinblaufärbung nichts auffallendes gefunden werden; die Ganglienzellen sind sehr deutlich im Tigroid und gut erhalten. Der Lipoidgehalt ist der Norm entsprechend. Bemerkenswert wäre nur die ziemlich ausgeprägte Schlängelung der Dendriten. An der dem Herd entsprechenden Stelle befinden sich länglich geschrumpfte Zellen, ebenfalls mit stark gewundenen Dendriten. Außerdem weist das Hämatoxilinpräparat einen schweren Entzündungsprozeß auf, welcher noch nicht abgelaufen ist. Ein gleiches gilt für das Lumbalmark mit seinen zahlreichen Knötchenbildungen und Gefäßveränderungen. Da hier die Markscheidenfärbung nach Spielmeyer für den Nachweis von Herden negativ ist, d. h. die graue Substanz vollkommen normales Aussehen liefert, die weiße Substanz nur andeutungsweise aufgehellt ist, verwundert die allseitige Degeneration im Nissl-Bild, analog dem oben beschriebenen: ballonartige Quellung der Ganglienzellen, staubförmiger Zerfall der Tigroide, häufig durch die Lipoidanreicherung an die Wand gedrängt oder zu groben Schollen reduziert. In gleicher Weise zeigt sich das plumpe Aussehen der Dendriten. - Stellenweise Zellschattenbildung und Kolliquationsphänomene. Die Silberimprägnation zeigt geblähte Zellen, die teils homogenes Aussehen haben, teils mehrere Vakuolen ent- halten. Wo Fibrillen zu sehen sind, zeigen sie eine netzartige Anordnung, nicht nur

126 cand. med. Grete Zellmann.

dort, wo Pigment ist, sondern auch an anderen Stellen. Deutlich sieht man den Ubergang des Fibrillennetzes in geordnete Fasern am Abgang der verdickten Dendriten. Der Gesamteindruck ist der eines bestehenden, aktiven Degenerationsprozesses, der sich noch nicht dem Endstadium genähert hat.

4. Fall (Alter 62 Jahre).

Lumbosakralmark. Hier befällt die Sklerose den Seitenstrang, besonders stark in den ventralen Partien, von wo aus sie auf das Vorderhorn übergeht, und sich von hier auch auf die zentralen Anteile der grauen Substanz und auf die Basis des Hinterhorns erstreckt. Der Prozeß ist auf der einen Seite stärker ausgeprägt. Die Herdzone dokumentiert sich auch im Nissl-Bild in einer Veränderung der Zellen, die sehr vergrößert sind und das Tigroid öfters perinuclear, oder in anderer abnorm lokalisierter Anordnung enthalten. Die Nucleoli zeigen in ihrem Inneren die Vakuole sehr deutlich. Die Lipoidablagerung in den Zellen ist sehr stark, in manchen Fällen ist überhaupt nur mehr ein Zellschatten vorhanden. Die Dendriten sind an ihrer Ab- gangsstelle sehr verbreitert, nicht geschlängelt.

An der Basis des Hinterhorns befinden sich einige Zellen von der Größe der motorischen Vorderhornzellen, die die schwerste Degeneration aufweisen, einen Ver- flüssigungsprozeß mit allen seinen Merkmalen. Bei Bielschowsky-Färbung kann man eine Auflösung der Fibrillen, von der Mitte ausgehend, bemerken, teilweise bilden sie ein großmaschiges Netzwerk, und sind bis auf wenige an der Peripherie rarefiziert. Zellen sowie Fortsätze sind geschwollen. Auch hier starke Vakuolisation. Im Zervikal- abschnitt ist auf einer Seite das Hinterhorn befallen, Basis frei, der Seitenstrang in Form eines Dreiecks, dessen Spitze im Winkel zwischen Vorder- und Hinterhorn die graue Substanz berührt. Das Vorderhorn selbst ist intakt. Auf der anderen Seite ist nur der Vorderstrang, die ventromedialen Partien des Vorderhorns, die dorso- medialen des Hinterstranges und die Lissauersche Randzone frei von Herden. Es sind hier viele normale Vorderhornzellen zu sehen, einige sind geschrumpft und haben geschlängelte Dendriten und grobe Nissl-Schollen, einige sind dicht mit staubförmig zerfallenen Tigroiden übersät. Das Vorkommen von Pigment ist relativ normal.

.

5. Fall (Alter 45 Jahre).

Im Gebiet des Pyramidenseitenstranges und des dorsalen Kleinhirnseitenstranges sitzt ein ausgesprochener Herd auf einer Seite des Lumbosakralmarks, Markschatten- herde an der ganzen Peripherie des Seitenstranges beiderseits. Das Caput des Hinter- horns hat durch die Sklerose ein spongiöses Aussehen erhalten, was auf der Seite des Herdes stärker zum Ausdruck kommt. Das Zellbild ist nahezu ein normales, vielleicht etwas vergrößerte Zellen und leichte Schwellung der Dendriten. Allerdings besteht in diesem Fall eine Hydromyelie, der Zentralkanal hat Divertikel aufzu- weisen, in manchen Segmenten bestehen sogar zwei getrennte Lumina. Überall ein leichtes Ödem. Interessant ist, daß die Zellen in der Marginalzone zu enormer Größe anwachsen und degenerative Veränderungen zeigen. Die Silberimprägnation ist in der intrazellulären Struktur der Fibrillen in der, bei der Quellung der Zellen üblichen Weise alteriert: erweiterte Maschen und auch klumpige Schollen von Fibrillensubstanz. Das Zervikalmark bietet das Bild einer alten Sklerose, die in der weißen Substanz zu einer starken Verheerung führte. Die Zellen sind von einer eigentümlichen An- ordnung, indem sie mit ihrer Längsachse zueinander parallel verlaufen, bilateral symetrisch. Ihre Form ist länelich und schmal und durchwegs geschrumpft, die Dendriten sind hochgradig geschlängelt. Pigmentation hie und da etwas reichlicher, aber noch im Bereiche des Normalen.

6. Fall (Alter 58 Jahre).

Der Krankheitsprozeß hat einseitig die Lissauersche Randzone, den Apex des Hinterhorns betroffen, die Neuriten der Vorderhornzellen bis zu ihren Austritt aus dem Rückenmark, und das Gebiet der Pyramidenbahnen im Seitenstrang. Die

Zur Pathologie der Ganglienzellen bei multipler Sklerose. 127

Nissl-Färbung bewirkt ein deutliches Hervortreten der Tigroide in den kleinen ge- schrumpften Zellen. In anderen Zellen von normaler Größe kommt auch Tigrolyse vor. Einige sind bereits in einem total verfetteten Stadium. Dendriten sind häufig geschlängelt. Das Bielschowsky-Präparat konnte nicht verwertet werden.

Zusammenfassend ist über das vorliegende Material folgendes zu sagen: die Ganglienzellen des Rückenmarks sind fast in ihrer Gesamtheit erhalten, jedoch größtenteils in eigenartiger Weise verändert. Drei Arten von Degene- rationsmerkmalen sind prävalierend. Erstens Schwellung der Ganglienzellen und ihrer Fortsätze mit gleichzeitig einhergehender Tigrolyse; zweitens Atro- phie der Zellen und Schängelung der Dendriten mit Verklumpung der Tigroide; drittens die fettige Degeneration, die ohne Rücksicht auf das Alter in allen Fällen sehr ausgedehnt, als pathologisch zu werten ist. Charakteristisch für alle veränderten Zellen ist die Fibrillolyse. Es ist natürlich nicht sicher- zustellen, ob die Schwellung nicht ein Vorstadium der späteren Atrophie bzw. Schrumpfung ist. Anderseits aber darf man nicht verkennen, daB die Schwellung der Ganglienzellen ganz den Charakter jener der axonalen De- generation zeigt, da man nun aber weiß, daß auch bei der Sklerosis multi- plex Axone zugrunde gehen können, so darf man vielleicht einen Teil des Schwellungszustandes auf diesen Umstand beziehen.

Weiters ist hervorzuheben, daß die Zellen in einem von einem Herd befallenen Segment nicht in ihrer Totalität, sondern nur partiell, und zwar gruppenweise ein abnormes Verhalten zeigen. Ebenso wie die multiple Sklerose in der Marksubstanz nur stellenweise und inselförmig Herde schafft verändert sie in der grauen Substanz des Rückenmarkes die Zellen nur disseminiert.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die verschiedenen pathologi- schen Formen der Ganglienzellen bei jedem Alter anzutreffen sind.

Sowohl Fälle von 38 Jahren wie auch solche von 62 Jahren zeigen Schwellung und Schrumpfung der Ganglienzellen, ebenso wie die Verfettung. Die Ursache scheinbar so gegensätzlicher Veränderungen liegt meines Er- achtens darin, daß offenbar frische, d. h. mehr akute, mit abgelaufenen Pro- zessen hier verknüpft sind. Es ist nicht unmöglich, daß die einen in die an- deren übergehen, wiewohl es keineswegs sichersteht, denn auch die Schrump- fungsprozesse sind gelegentlich bei akuten Fällen beschrieben worden.

Literatur:

Bartels, Über das Verhalten der Nervenzylinder bei multipler Sklerose. Deutsche Zeitschrift fiir Nervenheilkunde. 24.

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Doinikow, Über De- und Regenerationserscheinungen an Achsenzylindern bei mul- tipler Sklerose. Zeitschrift f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie. Orig. 27, H. 2, 1914. :

Marburg, Neue Beiträge zur multiplen Sklerose. Wiener med. Wochenschrift. 1908. S. 2147.

Marburg, Jahrbuch f. Psychiatrie. 27. 1906. S. 211.

Marinesco, Nouvelles contributions à Vétude de l’histopathologie de la sclerose en plaques. An. de méd. 16 Nol. 1924.

Marinesco et Minea, Contributions à Vhistopathologie de la sclerose en plaques. Rev. neurol. 1909. S. 957.

Neuburger, Zur Histopathologie d. multiplen Sklerose im Kindesalter. Zeitschrift f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie.. Bd. 76, H. 3. 1922.

Schob, Ein Beitrag zur pathologischen Anatomie der multiplen Sklerose. Monats- schrift f. Psychiatrie 22. 1907.

Thoma, Zur patholog. Histologie d. multiplen Sklerose. Deutsche Zeitschrift f. Nerven- heilkunde 17. 1907.

Wohlwill, Multiple Sklerose (Patholog. Anatomie u. Pathogenese). Zeitschrift f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie 7. 1913.

Die Todesursache bei multipler Sklerose. Von cand. med. Margarethe Zellmann.

Es kann heute keine Problemstellung mehr sein, ob die an multipler Sklerose Erkrankten an dem Leiden selbst oder an einer interkurrenten Krankheit zugrunde gehen. Allgemein ist die Meinung vertreten und durch die Tatsachen bewiesen, daß die multiple Sklerose als solche nicht die Todes- ursache ist, daß sie den davon Betroffenen vor allem in der normal ab- laufenden Motilität einschränkt und oft schwer schädigt, durch vollkommene Lähmung hinfällig macht und schließlich solche Kranke dauernd ans Bett fesselt, indem durch die Spasmen eine komplette Akinese der Extremitäten eintreten kann. Es ergeben sich ferner Komplikationen durch eine Reihe von Krankheiten, die, ganz unabhängig vom ursprünglichen Leiden, den Tod herbei- führen; darunter vor allem die Lobulärpneumonie, Erkrankungen der Atmungs- organe, wie chronische Bronchitiden mit putridem Verlaufe, hypostatische Pneu- monien, also Prozesse, die auf ein langes Krankenlager hinweisen; in zweiter Linie Zystitis, Uretritis, Pyelitis, Pyelonephritis, kurz Schädigungen des uro- poetischen Apparates, erklärt durch die Blasen- und Mastdarmlähmungen, die ein häufiges Symptom der multiplen Sklerose sind. Das sind die beiden Hauptgruppen der terminalen Komplikationen; dazu kommen in ganz seltenen Fällen natürlich auch Krankheiten, die kardial oder vaskulär bedingt, mit dem ursächlichen Prozeß in keiner Verbindung zu stehen scheinen, Stenokardien, apoplektische Insulte und senile Erkrankungen.

Diese Arbeit befaßt sich mit einer statistischen Zusammenfassung der Relationen von Alter, Geschlecht, Art und Dauer der multiplen Sklerose und mit den Todesursachen. Zur Untersuchung gelangten 50 Krankheits- fälle, die mir von Herrn Prof. Pappenheim, dem Leiter der Nervenabteilung des Wiener städtischen Versorgungshauses, freundlichst zur Verfügung ge- stellt wurden; ich möchte ihm auch an dieser Stelle meinen Dank dafür aussprechen.

I. Zahlenverhältnis zwischen Männer und Frauen.

Unter 50 Patienten entfallen 16 auf das männliche, 34 auf das weib- liche Geschlecht, es sind also mehr als zwei Drittel Frauen davon betroffen. Da es außer Frage steht, daß dieser prozentuale Frauenüberschuß mit dem allgemeinen im Ejnklange steht, haben wir es hier mit einer vorwiegend

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd 9

130 cand. med. Margarethe Zellmann.

weiblichen Krankheit zu tun. Davon kommt auf Jugendliche unter 16 männ- lichen Patienten nur einer, unter 34 weiblichen gar keine.

II. Alter, in dem die Krankheit manifest wird.

In den untersuchten Fällen finden sich bei beiden Geschlechtern nahezu alle Altersstufen vertreten, das 17. bis 64. Lebensjahr bei den Männern, das 23. bis 76. Lebensjahr bei den Frauen. Man kann beobachten, daß das vierte Dezennium, besonders die erste Hälfte (30. bis 35. Jahr) mit 27 von 50 Pa- tienten vom Auftreten der Krankheit bevorzugt ist, ziemlich gleichmäßig (18,790 zu 17,700) auf Männer und Frauen verteilt. Die nächste Altersklasse liegt, hauptsächlich in der zweiten Hälfte, zwischen dem 20. und 30. Jahr, mit ähnlichen Proportionen. In weiterer Folge kommt das fünfte Dezennium mit 12% (6,2% zu 14,7%), das sechste Dezennium mit 4% (6,2% zu 3,190). Das siebente Dezennium ist durch einen weiblichen Patienten vertreten. Die Manifestation der Krankheit im jugendlichen Alter bietet ein 9jähriger Knabe und ein 16- und 17jähriges Mädchen. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, daß Manifestwerden der Krankheit und Beginn derselben keineswegs zu- sammenfallen, da der schleichende Beginn des Leidens vielfach übersehen wird.

Tabellarische Übersicht des Alters der Manifestation der Krankheit.

I. II. HI. IV. V. Vi. VII. Dezennium | Dezennium | Dezennium | Dezennium | Dezennium | Dezennium | Dezennium

m o w | m. | w. | ms w f m | w jmi w|m| w | m w. Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre 9 : —|— |} 16] 21: 21 32 | 31 | 50 | 42 | 59 | 51 | 66

17 23 25 83 31 43 27 | 27 | 34 | 31 43 29 | 28 | 35 | 33 46 i 29 | 36 | 34 47 j 30 | 36 | 34 ! 30 | 38 | 34 i j | 31 35 | 35 | | 85 i 36 36 36 38 2 | | 40 | 40 | I a = | = 1 | | 2] 4] s| ojis] sfafa] |

Ill. Dauer der Krankheit.

Die Häufigkeit der Dauer beträgt in fallender Reihe 1 bis 4 Jahre, 6 bis 9 Jahre und 10 bis 14 Jahre.

Die Todesursache bei multipler Sklerose. 131

Dabei verhält sich die häufigste zur zweit- und dritthäufigsten, wie 16 zu 13 zu 13. Hier ist interessant, daß die Frauen an der häufigsten Dauer (1 bis 4 Jahre) mit 44%, die Männer nur mit 6,25% beteiligt sind, während sich, durchschnittlich die Dauer von 8 bis 12 Jahren gleichmäßig mit 250 auf die Männer, mit 26,4% auf die Frauen verteilt.

Seltener überschreitet der Krankheitsprozeß zwei und drei Dezennien, 20 bis 26 Jahre kommen mit einer Häufigkeit von 8% vor, bei Männern doppelt so oft, wie bei Frauen. Die Dauer von 30 bis 35 Jahren macht 400 aus, nur das männliche Geschlecht betreffend.

Zur Übersicht der Krankheitsdauer diene folgende Tabelle:

Zusammen Prozent

Dauer Männer Prozent Frauen

häufigste Dauer 2—4 J. 32 8—10 J. 50 2—4 J. 44 kürzeste Dauer 2--4 J. 32 2 J. 6'25 2—4 J. 44 längste Dauer 30—35 J. 4 30—35 J. 12°5 21—25 J. 6

Zahlenmäßig würde diese Tabelle darauf hinweisen, daß die Frauen im allgemeinen sehr bald der Krankheit erliegen, die Männer ihr eine größere Widerstandskraft entgegensetzen, wenn man davon absieht, daß der Verlauf in den einen und anderen Fällen schwerer, stürmischer, den Organismus mehr alterierend, einherging. Im übrigen ergibt sich, je länger die Dauer ist, desto mehr nimmt die Zahl der davon Betroffenen ab, beim Vergleich zwischen Männern und Frauen, bei ersteren relativ zu.

IV. Dauer in Relation zum Alter des Auftretens der Krankheit.

Welchen Einfluß das Alter im Entstehen der Krankheit auf die Dauer derselben hat, dürfte kaum von Bedeutung sein. Einigermaßen verständlich dadurch, daß jeder Krankheitsverlauf von vielen Momenten abhängt, wie Konstitution, Vererblichkeit (bei multipler Sklerose zwar umstritten, doch als Dispositionsfaktor sicher miteinzubeziehen), vom Ernährungszustand des Patienten zur Zeit des Auftretens des Leidens, vom akuten stürmischen, oft rezidivierenden, oder schleichenden Charakter der Krankheit. Es konnte an vorliegendem Materiale festgestellt werden, daß die Dauer, in welchem Dezennium auch immer entstanden, zwischen 1, 12 und 20 Jahren schwankt. Die Differenzen der jugendlich Erkrankten konnten infolge der geringen Zahl von untersuchten Fällen nicht ermittelt werden.

V. Charakter der Krankheit.

Darüber ist nicht viel auszusagen. Es handelt sich durchwegs um chronisch-progressive Fälle, die jedem Behandlungsversuche trotzten. So- genannte akute Fälle kamen nicht zur Beobachtung.

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132 cand. med. Margarethe Zellmann.

VI. Interkurrente Krankheiten.

Die im Verlaufe der Krankheit sich ergebenden Komplikationen sind durchaus einheitlicher Natur. Es kommen in Betracht Zysto-Pyelo-Nephritiden, Sepsis, Pneumonien; hinzu kommt als Folge eines durch lange Bettligerigkeit geschwächten Organismus Dekubitus, bei Männern mit 62,59, bei Frauen mit 47%. Daß Dekubitus auch mit der Dauer der multiplen Sklerose zusammen- hängt, steht fest; durchschnittlich tritt er bei Männern nach 12 Jahren, bei Frauen nach 7 Jahren auf. Auch hier sieht man die geringere Resistenz der letzteren gegenüber dem Prozesse, da sie ja, wie auch schon oben gezeigt wurde, diesem bedeutend früher erliegen. Verwischt wird dieses Durchschnitts- resultat noch dadurch, daß beim weitaus größten Teil der Frauen Dekubitus bereits im 2. bis 6. Jahr auftritt, nur bei dreien im 13. und 25. Jahr un! in diesen Fällen nicht wie sonst durchwegs mit dem allgemein toxisch- infektiösen Prozessen des Körpers im Zusammenhang steht, sondern die Wirkung einer lange dauernden kompletten Paralyse ist. Was die zystitisch- pyelitischen Prozesse anbelangt, kann man beobachten, daß die Männer um 150%% mehr als die Frauen davon verschont bleiben. (Betroffen sind 56,3%, Männer, 71,8% Frauen.) Diese Krankheiten sind zwar beständige Begleiterscheinungen der multiplen Sklerose, führen aber erst in zweiter Linie durch Übergreifen der Infektion den Tod herbei.

VII Todesursache.

Als häufigste Todesursache ist an erster Stelle die Pneumonie mit 580%, (68,7% zu 5300) zu nennen, an zweiter Stelle Sepsis (verjauchen- der, gangränöser Dekubitus, eitrig hämorrhagische Zystopyelitis, eitrige Leptomeningitis, Peritonitis und Nierenabszeß) mit 36% (25,1% zu 419%); drittens Stenokardie mit 6%, gleichmäßig 6% zu 600 verteilt. Die Männer sterben also größtenteils an Pneumonie, die Frauen an septischen Prozessen. Wenn man ferner in Betracht zieht, daß Pneumonie, wie aus den Tabellen ersichltich, hauptsächlich alte Leute, das vierte, fünfte, sechste Dezennium, Sepsis vorwiegend das dritte und vierte Dezennium beherrscht (im Sinne der Todesursache) und mit obigen Resultaten bezüglich des Alters im Tode vergleicht und die Obduktionsbefunde, die in nahezu allen Fällen zystitische Prozesse konstatiert, heranzieht, kommt man zu dem Schlusse, daß die drohende Gefahr für die Frauen vor allem die Sepsis ist, die in ihrer mildesten Form als Zystitis sehr früh bei multipler Sklerose auftritt, und daß die Frauen relativ jung daran sterben, während die Männer, mit einer besseren Abwehrkraft gegenüber den Entzündungskrankheiten, diese länger vertragen und dann an Folge der längeren Krankheitsdauer an Pneumonie zugrunde gehen. Jedenfalls ist die multiple Sklerose selbst nie unmittelbar an dem Tode beteiligt. Problematisch ist daher nur die Ver- hütung aller dieser Komplikationen, auf die man nun das besondere Augen- merk wird richten müssen.

Die Todesursache bei multipler Sklerose.

133

Dauer | | Alter Krank- Charakter ee Todesursache beit | der Krankheit | Komplikationen Obduktionsbefund ‚Jahre | Jahre | | | | Cystitis, Decubitus, par- m 48. 16 | partielle schlaffe Pa- Cystitis, Decubitus, . enchymatöse Degenerat. : | ralyse Sepsis | d. Nieren, hypost. Pneu- | monie <1: | Cystopyelitis, Decu-' Decubitus, Gangrän m. 17. 8 E Jar PAE bitus, Sepsis, Bron- | Bronch. pululenta ' Ben chitis Cystopyel. pululenta i geringe Bewegungs- 24: Cystopyelitis, Lobularpneu- m. . 39 | 6 | möglichkeit, spast. p monie, ! Parese. y Marasmus | ; Decubitus, Cystopyelitis Decubitus Cysto- m. j 41 20 ı spast. Parese | ae - purulenta, parenchym. | | | Pyelitis, Sepsis degen. d. Herzens m. 64 30 Ä gehfähig Bronchitis Ve : Re sadela een EI: zen 2 l ' ` Decubitusgangran Cystitis, m. 44 17 ' spast. Parese ı Decubitus, Cystitis Parenchym. Degen. des , ; ' | Herzens nn me a TEE a ae ' { 1 . m. | 26, 2! Paralyse Decubitus, Sepsis ee Progrë ; | | See best - at Saa a i i ; Lobulärpneumonie m. | 40 | 9 a a A e Pneumonie, ETE Parenchym. Degen. des i | y Herzens und der Nieren l : Sees S ! j 2 | Lobulärpneumonie m. . 61 | 11 komplette Paralyse eg 'Cystitis, Decub. Parench. , Degen. d. Leber u. Niere t - = $ u Lobulärpneumonie, Decubitus, Bronchi- | Cystitis, Decubitus par- m ; 53 | u spasti Parese tis, Cystitis enchym. Degen. d. Leber ! und Niere | komplette spasti- Lobulärpneumonie, Paren- m. , 41 | 11 sche Lähmung Decubitus E chym. Degen. d. Herzens : | | |

cand. med. Margarethe Zellmann.

Davee Alter | Krank- Charakter ae Todesursache _ _ | beit | der Krankheit Komplikationen Obduktionsbefund Jahre | Jahre j Bronchitis Lobulärpneumonie, eitrige m. | 76 26 Paralyse Pneumonie Cystitis, Parenchym. Pleuritis Degen. d. Herzens Bronch ; ie, H i A 3 ronchopneumonie, Herz- m. | 43 8 | spastische Parese | Bronchopneumonie stillstand m. | 71 35 ; spastische Parese er a reg putride Pneumonie & ; m. | 49 11 | komplette Paralyse Pleuritis Lobulärpneumonie w. | 50 8 | spastische Parese Pneumonie Lobulärpneumonie komplette, schlaffe | 7 Lobulärpneumonie, Decu- wo 3 6 Paralyse Decubitus bitus ee DEE. a z S i A Cystitis Cystopyelitis, Nephritis, w. | 38 7 | spastische Parese Peritonitis Peritonitis durch Nieren- abszeB Cystopyelitis, Parenchy- w. | 30 2 | spastische Parese Cystitis matöse Degener. d. Her- I zens ; Cystitis Tbe. Tbe. Peritonitis we =) ebastische Parese Peritonitis Cystitis Pyelone phritis . a | Decubitus Decubitus, Cystitis we 1 | spastische Parese Cystitis Pyelonephritis . Cystitis | Lobulärpneumonie w. | 32 2 schlaffe Parese Pleuritis | Cystitis 38 ə spastische Parese- Decubitus. Sepsis | Decubitus y; Dekubitus Cystitis Cystitis

Die Todesursache bei multipler Sklerose.

135

Dauer | Alter | grenk- Charakter ere Todesursache heit | der Krankheit | Komplikationen | Obduktionsbefund Jahre | Jahre : 7 Lobulärpneumonie

woo 44 10 ` spastische Parese er Bronchi- Decubitus, eitrige Bron- = chitis | l Pleuritis Lobulärpneumonie

w. | 45 11 | spastische Parese Bronchitis, Cystitis Cystitis, Lae Degen.

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CEE e ae | £ = | s i ae Hämatom an der Hirn- w. | 33 3 | spastische Parese Cholecystitis basis, eitrige Cholecystitis Se NE a 1— gs SENS an | Lobulärpneumonie

w. | 58 11 : spastische Parese Decubitus Stauung der Nieren i Decubitus i ! Apicitis Eitrige Cystopyelitis, par-

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_ le MO aah eee GA 5 E

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w. | 58 7. spastische Parese | phritis, Pleuritis, D u ` l f egen. d. Herzens, Decu- Decubitus bitus | Eitrige Cystitis,

w. | 45 12 spastische Parese Cystitis parenchym. Degen. d. i Herzens, Leber, Nieren | i Lobulärpneumonie

w. | 48 13 . spastische Parese Decubitus Decubitus, parenchym. | Degen. d. Herzens |

136

cand. med. Margarethe Zellmann.

pad Alter Kronk- Charakter ae Todesursache heit | der Krankheit | Komplikationen Obduktionsbefund Jahre | Jahre | | i Lobulärpneumonie, gan- w. | 41 4 ` spastische Parese | Decubitus gränöser Decubitus, paren- l chym. Degen. d. Herzens | u. Niere | ee Decubitus, Lobulärpneu- f ecubitus : monie, Cystopyelitis, par- Fap 3 spastische Parese | Cystopyelitis | enchym. Degen. d. Herz- | | zens : | Bronchitis ' ; . Pleuritis | Lobulärpneumonie, Cysti- w. 50 | 12 spastische Parese Otitis media | tis, Decubitus | Cystitis 2 $ TEn inthis, t es en | Decubitus | eitrige Leptomeningitis, w. | 74 8 spastische Parese Bronchitis ! Decubitus, Cystitis, Ma- | Cystitis Tasmus Decubitus | x ; l ER Lobulärpneumonie, w | 37:6 schlaffe Parese Meningitis x saliti ; i Cystopyelitis Cystopyelitis, Decubitus | = 2 Bas, ut TE mu Zen | | s: Cystitis, Pyelonephritis, w | 31 16 | spastische Parese vee , Parenchym. Degen. d. | Nieren und Leber Bu EN Erg 23 pe as ae Pe a As fe, of 1 | ; Cystitis Cystitis, Pyelometritis, Lo- w | 23) 2 rs = A Pyelometritis bulärpneumonie, paren- Zi Bronchitis ' chym. Degen d. Herzens Br F Bronchitis ' Herdpneumonie, paren- wel oP 8 spastische Parese | Pneumonie chym. Degen. cordis | | a eS me i | | Herztamponade, eitrige w. | 68 25 | spastische Parese Decubitus | Tracheobronchitis, paren- N chym. Degen. cordis | EN EEE 3 | Cystitis . Cystopyelitis, parenchym. w. 48 21 | spastische Parese as ` Degen. d. Herzens, Niere ' y i und Leber Eu a _Lobulirpaeumonie, eitrige ' Decubitus : ae : w. | 50 4 , spastische Parese Nephritis Cystopyelitis, Decubitus, | Bronchitis parenchym. Degen. des

Herzens und der Leber

Die Todesursache bei multipler Sklerose. 137 | Daner ‚Alter | Krank- Charakter rae Todesursache | heit | der Krankheit | Komplikationen Obduktionsbefund [Jahre | Jahre | | | Grippe x 3 = i . E Lobulärpneumonie, Hä- w. | 38 7 | spastische Parese Cystitis morrh. Cystitis DER EEE ARTEN Bi Neuritis as = i ai 3o spastische Parese j Decubitus | Meningitis, eitrige Cystitis, | Meningitis | gangranöser Decubitus Cystitis 7 m. ; 36 , 13 spastische Parese Neuritis Lobularpneumonie, Decu- $ bitusgangrän ! i 5 Decubitus w. | 44 , 4 © spastische Parese | Furunkulose eitrige Cystitis , i Cystitis

Aus dem Neurologischen Institut der Universität Wien, Vorstand: Prof. Dr. Marburg. Experimentalstudien am Nervensystem. XVI. Mitteilung.

Der Einfluß labyrinthärer und kortikaler Reizung auf die Augenstellung nach Durchschneidung des hinteren Längsbündels.

Von E. A. Spiegel und Lad. Tokay, (Nervenklinik Szeged, Ungarn), Mitglied des Colleg. Hung. in Wien. Mit 7 Abbildungen im Text.

Im allgemeinen wird als feststehend angenommen, daß das hintere Längs- bündel die Bahn sowohl der labyrinthären als auch der kortikalen Er- regungen zu den Augenmuskelkernen enthalte (siehe die zusammenfassende Darstellung ‘von A. Spitzer!). Nun hat in der letzten Zeit Lorente de Nö?) gezeigt, daß man bei Kaninchen noch trotz Durchschneidung des Fasciculus longitudinalis posterior durch, Labyrinthreizung Nystagmus aus- lösen könne. Spiegel?) hat diesen Befund an Katzen bestätigen können, wenn sich auch nach der Durchtrennung des genannten Bündels nicht mehr die normalerweise zu beobachtende strenge Abhängigkeit der Nystagmusrich- tung von der Drehrichtung und der Kopfstellung nachweisen ließ. Er hat ferner zeigen können, daß doch die Bedeutung des hinteren Längsbündels für die Entstehung des labyrinthären Nystagmus nicht unterschätzt werden dürfe, da noch nach ausgedehnter Zerstörung der Substantia reticularis beider Seiten, einer Zerstörung, die bis knapp an das hintere Längsbündel heran- reichte, labyrinthäre Nystagmus auslösbar war.

Die genannten Beobachtungen beziehen sich auf akute Versuche, in welchen die Möglichkeit gegeben war, daß Störungen im Ablauf des Nystagmus nach Durchschneidung des hinteren Längsbündels zum Teil infolge Schock- wirkung auf die benachbarten Bahnen der Substantia reticularis bestanden. Damit schien es von Interesse, die Folgen der Durchschneidung des hinteren Längsbündels an Tieren zu studieren, welche den Eingriff durch längere Zeit überlebten, an denen sich also etwaige Nachbarschafts- oder Schock- wirkungen rückgebildet haben konnten. Das Studium von Tieren, an welchen

1) Arb. Neurol. Inst, Wien, 25, 423, 1924.

*) L. de Nó, Labyrinthreflexe usw., Urban-Schwarzenberg, 1928.

3) Zeitschr. f. Hals-, Nasen- usw. Heilk., 25, 200, 1929.

Der Einfluß labyrinthärer und kortikaler Reizung auf die Augenstellung usw. 139

die Durchtrennung des in Rede stehenden Systems vor längerer Zeit vorge- nommen worden war, schien aber vor allem aus dem Grunde nötig, um festzustellen, ob auch für die kortikofugalen Erregungen zu den Augenmuskel- kernen neben dem hinteren Längsbündel ein zweiter Weg über die Substantia reticularis bestehe, wie es z. B. für die bei Thalamusreizung beobachteten Augenbewegungen nach den Versuchen von Blohmke‘) der Fall zu sein scheint.

Die Versuche wurden an jungen Hunden vorgenommen, bei welchen in einem ersten Akt nach Eröffnung der Membrana atlanto-oceipitalis posterior, Abtragung des angrenzenden Teils der Hinterhauptsschuppe und Freilegung des Bodens der Rautengrube durch Emporheben des Kleinhirn- wurms ein medianer Einstich im oralen Abschnitt des Bodens der Fossa rhomboidalis vorgenommen wurde. Zu verschiedenen Zeiten nach dem ge- nannten Eingriff wurde außer dem allgemeinen Verhalten der Tiere die Aus- lösbarkeit von Nystagmus durch Drehreize und schließlich der Effekt von Stirnhirnreizung auf die Augenstellung geprüft. Der Hirnstamm der Tiere wurde in Serie geschnitten und mit Toluidinblau, resp. nach Heidenhain gefärbt.

Im folgenden seien einige gekürzte Protokollauszüge wiedergegeben:

Hund 1.

25. November 1929: Medianer Einstich im vorderen Teil der Rautengrube.

3. Dezember 1929: Kopf in Normalstellung fixiert.

10 Rechtsdrehungen: einzelne Zuckungen nach links am rechten Auge deutlicher als am linken (links Trübung der Cornea).

10 Linksdrehungen: Nystagmus am r. Auge nach rechts, am l. Auge nach unten und rechts.

7 Rechtsdrehungen: einzelne Zuckungen am r. Auge nach links, keine Zuckun- gen am I. Auge.

10 Rechtsdrehungen: Nystagmus nach unten am l. Auge, r. Auge Nystagmus nach rechts.

Kopf um die oro-okzipitale Achse gedreht, r. Ohr liegt unten.

10 Rechtsdrehungen: Nystagmus am r. Auge nach oben, am |. Auge nach oben und links.

10 Linksdrehungen: Zuckungen am r. Auge nach rechts und unten, dann rota- lorischer Nystagmus nach rechts und hinten; am l. Auge zuerst Deviation nach unten, dann ein bis zwei Zuckungen nach oben.

10 Rechtsdrehungen: am 1. Auge drei bis vier Zuckungen nach links und etwas nach oben, am r. Auge keine sichere Reaktion.

Kopf um die oro-okzipitale Achse gedreht, I. Ohr nach unten.

10 Rechtsdrehungen: l. Auge zeigt einige Zuckungen nach aufwärts, keine sicheren Zuckungen am r. Auge. ,

10 Linksdrehungen: Deviation beider Augen nach außen und oben.

Freilegung beider motorischen Regionen: das r. Auge ist etwas nach außen deviiert, das linke steht normal.

Reizung der linken motorischen Region: 6,5 em Rollenabstand, beide Augen zeigen eine kurzdauernde Zuckung nach links (zur Reizseite).

Reizung der rechten motorischen Region: das |. Auge deviiert nach links und unten, r. Auge (?), allgemeine epileptiforme Krämpfe (6.5 cm Rollenabstand).

4) Blohmke, Zeitschr. f. Hals- usw. Heilk., 24, 520, 1929.

140 E. A. Spiegel und Lad. Tokay.

7,5 cm Rollenabstand: es lassen sich wiederum allgemeine Krämpfe, aber keine Augenbewegungen auslösen.

Reizung der linken motorischen Region mit 6,5 em Rollenabstand: man beob- achtet am r. Auge einige horizontale Zuckungen ohne bestimmte Richtung, am ]. Auge keine sicheren Augenbewegungen.

Eine halbe Stunde später lassen sich vom Kortex aus wohl noch Zuckungen der Vorderpfote, aber nicht mehr Augenbewegungen auslösen.

Nach Sektion des Gehirns wird zur Seitenbezeichnung in die Ventralfläche des Hirnstammes rechts ein Einschnitt vorgenommen.

Histologische Untersuchung des Rauten- und Mittelhirns.

Abb. 1. Hund 1. C. tr. = Corp. trapezoides, L. = Läsion, m. V. = motor. Trigeminuskern, Ol. s. = Oliva super., Py. Pyramidenbahn, R.— Seitenmarkierung (rechts).

An Schnitten in der Ebene des Fazialisknies beginnt die Läsion. Sie betrifft beide hinteren Längsbündel, das linke stärker als das rechte, indem sich der Ein- stich in zwei divergierende Äste teilt, von denen der nach links abgehende weiter nach lateral reicht (Querschnittsebene durch die motorischen Trigeminuskerne, Abb. 1). Auf der linken Seite ist hier auch das Höhlengrau von der Verletzung betroffen. Im vordersten Teil der Brücke bzw. am Übergang derselben zum hinteren Vierhügel durch- setzt die Verletzung das linke hintere Längsbündel bzw. ist eine Narbe ventral von demselben anzutreffen (Abb. 2). Im Bereiche der vorderen Vierhügel ist eine zweite Verletzung anzutreffen, die das rechte hintere Längsbündel und den rechten Okulo- motoriuskern betrifft (Abb. 3).

Hund 2.

25. November 1929: Medianer Einstich im vorderen Teile des Bodens der Rautengrube.

16. Dezember 1929: Kopf in Normalstellung.

10 Rechtsdrehungen: an beiden Augen intensiver Nystagmus nach links.

10 Linksdrehungen: an beiden Augen intensiver Nystagmus nach rechts.

Kopf um die Okzipito-nasale Achse gedreht, r. Ohr unten.

141

III.

Py. Abb. 2. Hund 1. Br. c. = Brach. conjunctiv., sonst wie Abb. 1.

L.

Abb. 3. Hund 1. III. = Oculomotoriuskern, N.r. = Nucl. ruber, sonst wie Abb. 1.

Br. c.

142 E. A. Spiegel und Lad. Tokay.

10 Rechtsdrehungen: am r. Auge einige Zuckungen nach unten, am |. Auge kommt es erst nach einer längeren Latenzzeit zu einzelnen Zuckungen nach unten.

10 Linksdrehungen: einzelne Zuckungen nach oben an beiden Augen, am |. Auge deutlicher und mit einer Komponente nach links.

Kopf um die oro-okzipitale Achse gedreht, mit dem |. Ohr nach unten.

10 Rechtsdrehungen: am r. Auge Nystagmus nach aufwärts, und etwas nach rechts, 1. Auge (?).

10 Linksdrehungen: an beiden Augen sehr frequente vertikale Zuckungen; in- folge deren hoher Frequenz ist die Richtung der schnellen Komponente nicht sicher angebbar.

F.l.p. L.

——

Abb. 4. Hund 2. cer. V. = zerebrale V. Wurzel, F.1. p. = hinteres Längsbündel, ZL. = Läsion.

8 Linksdrehungen: an beiden Augen eine Zuckung nach unten.

8 Rechtsdrehungen: einzelne Zuckungen nach aufwiirts, an beiden Augen deut- lich, mit einer rotatorischen Komponente in der Uhrzeigerrichtung.

8 Linksdrehungen: deutlich fiinf bis sechs Zuckungen nach unten, ein- bis zwei- mal auch Rollung in der Uhrzeigerrichtung.

8 Rechtsdrehungen: beiderseits mehrere Zuckungen nach aufwärts mit Rollung in der Uhrzeigerrichtung.

Beiderseits Freilegung des Stirnhirns und der Gyri sigmoidei.

12 Uhr mittags: Bei Reizung der r. bzw. der l. motorischen Region und des Stirnhirns lassen sich bei 7 wie auch 8 cm Rollenabstand immer auf der Gegen- seite Extremitätenbewegungen, Fazialiszuckungen auslösen, ohne daß es aber zu Augenbewegungen kommt.

4 Uhr 30 Minuten nachmittags: Reizung der 1. motorischen Region; das r. Auge deviiert ganz gering nach unten, manchmal auch etwas nach innen. Deutliche tonische Krämpfe der rechtsseitigen Extremitäten. Das l. Auge führt einmal eine Bewegung

Der Einfluß labyrinthärer und kortikaler Reizung auf die Augenstellung usw. 143

nach links aus, dann aber sind keine sicheren Bewegungen mehr nachweisbar, trotz- dem die Rindenreizung öfters wiederholt wird.

Nach Sistieren der Reizung der l. motorischen Region führen beide Augen langsame tonische Bewegungen abwechselnd im Sinne der Divergenz und der Kon- vergenz aus. s

Reizung der r. motorischen Region; Konvergenz beider Augen, allgemeine Klo- nismen; derselbe Befund bei Wiederholung der Reizung.

Linksseitige Rindenreizung: allgemeine Klonismen- und Konvergenzbewegung beider Augen. Dieser Befund läßt sich von beiden Seiten aus wiederholt erheben.

L. Po. Abb. 5. Hund 2. L. = Läsion, Po. = Brückenkerne, 5S. n. = Subst. nigra.

Histologischer Befund: Die Verletzung beginnt in kaudalen Abschnitten der hinteren Vierhügel. Hier findet sich eine quere Narbe, die vom linken zum rechten hinteren Längsbündel reicht. Während das linke Bündel nur leicht beschädigt erscheint (vor allem Oedem und Quellung der Fasern), ist an Stelle des rechten eine Glianarbe zu finden (Abb. 4). Der Einstich erstreckt sich weiter nach vorn in das Bereich der vorderen Vierhügel, wobei er immer weiter nach ventral reicht und die Mittellinie überschreitet; er findet sein Ende in einer quergestellten, in der Median- linie und rechts von dieser gelegenen Narbe, die sich am Frontalschnitt etwa in der Mitte zwischen Aquaeductus und Sub. nigra findet (Abb. 5).

Hund 3.

25. November 1929: Einstich im vorderen Anteile der Fossa rhomboidalis.

7. Februar 1930: Das Tier hält den Kopf ziemlich normal, das |. Ohr steht nur etwas tiefer als das rechte, normale Augenstellung; das Tier läuft in gerader Rich- tung, kann Stiegen hinauf- und hinunterlaufen, jedoch etwas besser in der Richtung

144 E. A. Spiegel und Lad. Tokay.

nach ab- als nach aufwärts. Im letzteren Falle sind die Bewegungen etwas langsamer, insbesondere in den Hinterbeinen.

Kopf in Normalstellung frei.

10 Rechtsdrehungen: Nystagmus an beiden Augen nach links.

10 Linksdrehungen: Nystagmus an beiden Augen nach rechts. Während der Drehung wird der Kopf entgegengesetzt zur Drehrichtung gewendet.

Kopf um die oro-okzipitale Achse gedreht, fixiert, 1. Ohr steht unten.

10 Rechtsdrehungen: vertikale Zuckungen beider Augen nach oben mit einer Komponente nach rechts.

I F.l.p. L.

Abb. 6. Hund 3. D. = Nucl. Deiters, F. l. p. = hinteres Längsbündel, . = Läsion.

10 Linksdrehungen: beiderseits vertikaler Nystagmus nach abwärts.

Kopf um die oro-okzipitale Achse gedreht, mit dem r. Ohr nach unten, fixiert. In dieser Stellung hat das Tier Spontannystagmus nach unten am l. Auge, nach oben am r. Auge.

10 Rechtsdrehungen: sehr starker vertikaler Nystagmus nach abwärts, am r. Auge noch immer Nystagmus nach oben.

10 Linksdrehungen (der Kopf steht während der Drehung nur um etwa 45° um die oro-okzipitale Achse gedreht, so daß das r. Ohr nur etwas tiefer als das linke steht): nachher Nystagmus am l. Auge nach innen, am r. Auge nach oben und außen ziemlich stark.

10 Linksdrehungen: Nystagmus am l. Auge nach abwärts, am r. Auge nach aufwärts, ziemlich im selben Ausmaße wie vor der Drehung.

10 Rechtsdrehungen: nachher deutliche Verstärkung des Nystagmus nach ab- wärts am l. Auge, am r. Auge nur schwacher Nystagmus nach aufwärts.

10. Februar 1930: Auf einen Sessel gesetzt, ist das Tier sehr ängstlich, traut sich nicht herunterzuspringen. Bei Schiefstellen des Sessels rutscht er von diesem herab und fällt ziemlich ungeschickt auf die Vorderbeine. Auf einen etwas höheren

Der Einfluß labyrinthärer und kortikaler Reizung auf die Augenstellung usw. 145

Laboratoriumssessel mit schmaler Sitzfläche gesetzt ist das Tier noch ängstlicher, rutscht wieder beim Schiefstellen des Sessels herab, schlägt sich hiebei an den ge- beugt gehaltenen Vorderpfoten an.

11. Februar 1930: Freilegung beider motorischen Regionen bzw. des Stirnhirns beider Seiten. Beide Augen stehen im äußeren Augenwinkel.

Reizung der rechten motorischen Region (Rollenabstand 7 em): Konvergenz- bewegung beider Augen, tonisch-klonische Krämpfe der linksseitigen Extremitäten.

Reizung der linken motorischen Region: Trotz wiederholter Reizung lassen sich keine Augenbewegungen erzielen, dagegen epileptiforme Krämpfe der rechten Körper- hälfte.

L. V:

er ay J é u 2 oF 7 pt ki aT wd Fin ig Abb. 7. Hund 3. Vorderer Teil der Brücke. R.=Raphe, L.—=Läsion (Narbe), V. = Ventrikeloberfläche.

Reizung rechts: die Divergenzstellung des r. Auges wird einmal leicht ver- stärkt, sonst lassen sich nur Klonismen der linksseitigen Extremitäten erzielen.

Eine Stunde später wird noch einmal die rechte motorische Region gereizt; Dila- tation beider Pupillen, am r. Auge Deviation nach innen und dann nach unten. Kein sicherer Effekt am |. Auge.

Histologischer Befund: In den oralsten Ebenen der Medulla oblongata findet sich eine oberflächliche, von der Mittellinie nach beiden Seiten reichende Ver- letzung des Ventrikelbodens, die zu einer Wucherung der subependymalen Glia ge- führt hat. Knapp kaudal vom Abduzenskern zeigt sich an Querschnitten, welche beiderseits den Deiterschen Kern treffen, innen von demselben auf jeder Seite eine Glianarbe als Zeichen einer Verletzung, welche die oberflächlichsten Bogenfasern aus dem Deiterschen Kern beiderseits, rechts mehr als links, getroffen hat (Abb. 6). Im vorderen Teile der Brücke findet sich schließlich in Frontalebenen, welche den motorischen Trigeminuskern treffen, eine Läsion, die vom Ventrikelboden ausgehend, nach medioventral gerichtet ist, und das linke hintere Längsbündel durchsetzt (Abb. 7). Die der Fossa rhomboidalis anliegenden Wurmanteile sind durch Quetschung leicht geschädigt.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 10

146 : E. A. Spiegel und Lad. Tokay.

Überblicken wir unsere Beobachtungen, so scheint es geboten, den Einfluß labyrinthärer und den kortikaler Reizung auf die Augenmuskulatur getrennt zu betrachten. Nach Labyrinthreizung ließ sich tatsächlich trotz der Läsion der hinteren Längsbündel Nystagmus auslösen, der bei längerem Über- leben der Tiere im großen und ganzen mit seiner schnellen Komponente an beiden Augen in normaler Richtung schlug, so daß Störungen im Nystag- musablauf in der ersten Zeit nach Durchschneidung des hinteren Längsbündels (vgl. Hund 1) wohl zum Teil wenigstens auf Schockwirkung auf benachbarte Systeme zu beziehen sind. Es muß betont werden, daß die Auslösbarkeit des Nystagmus sowohl für die normale Kopfstellung als auch für Seitenlage des Kopfes gilt, daß also nicht nur horizontaler, sondern auch vertikaler Nystag- mus bei längerem Überleben der Tiere in der zu erwartenden Richtung hervor- gerufen werden konnte (vgl. Hund 2 und 3). Diese Feststellung erscheint deshalb wichtig, weil man für Fälle, in welchen die Läsion das hintere Längsbündel kranial vom Abduzenskern betrifft, annehmen könnte, daß hier der Nystagmus einfach auf dem Reflexweg von den Labyrinthkernen zum Abduzenskern zustandekomme, nachdem wir ja aus den Versuchen von de Kleijn5) wissen, daß das Erhaltensein bloß des Musculus rectus externus genügt, um einen horizontalen Nystagmus in seinen beiden Komponenten zustandekommen zu lassen. Nun haben wir aber gesehen, daß auch vertikaler Nystagmus noch trotz der Verletzung der hinteren Längsbündel durch Dreh- reize ausgelöst werden kann. In diesem Falle muß also die labyrinthäre Erregung die mesenzephalen Augenmuskelkerne erreichen, was in diesen Versuchen anscheinend in der Hauptsache durch die von de ange- nommenen, in der Substantia reticularis gelegenen Verbindungen geschieht.

Angesichts des weitgehenden Erhaltenbleibens vestibulärer Augenreak- tionen, resp. der weitgehenden Restitution dieser Reaktionen nach den beschriebenen Verletzungen hätte man erwarten sollen, daß ähnliches auch für die durch Kortexreizung hervorgerufenen Augenbewegungen der Fall sein werde. Diese Erwartung hat sich aber nur teilweise erfüllt. So ließ sich z. B. bei Hund 1 eine Woche nach der Rautenhirnverletzung von der linken motorische Region aus eine kurz dauernde Augenzuckung zur Reizseite, von der rechten motorischen Region wohl eine Deviation des linken Auges nach links und unten auslösen, ein Effekt, der aber, trotz Erhaltenbleibens der kortikalen Erregbarkeit bald wieder verschwand. Bei Hund 2, bei dem die Rindenreizung drei Wochen nach der Verletżung des Rautenhirns vorge- nommen wurde, konnten durch diese Reizung in der Hauptsache bloß Konvergenzbewegungen beider Augen, nicht aber die erwartete Déviation conjuguée zur Gegenseite hervorgerufen werden. Noch auffallender ist der Befund bei Hund 3, bei dem die Rindenreizung über zehn Wochen nach der Rautenhirnverletzung vorgenommen wurde und bei der histologischen Untersuchung nur eine unvollkommene Läsion der aus den Labyrinthkernen in die hinteren Längsbündel strahlenden Faserung, resp. dieser Systeme

5) de Kleijn, Graefes Arch., 107, 480, 1922.

Der Einfluß labyrinthärer und kortikaler Reizung auf die Augenstellung usw. 147

selbst festzustellen war. Bei diesem Tiere konnten am ehesten noch Konver- genzbewegungen beider Augen, einmal auch eine Verstärkung der Divergenz- stellung des rechten Auges, ein anderes Mal eine Deviation desselben nach innen unten, vor allem auch beiderseitige Pupillendilatation durch den Rindenreiz erzielt werden. Wies schon die letztere Beobachtung auf die gute Erregbarkeit der Rinde, so wurde dieselbe auch noch durch die leichte Auslösbarkeit epileptiformer Krämpfe bewiesen. Trotzdem fehlte die normaler- weise zu erwartende konjugierte Deviation beider Augen zur Gegenseite des Reizes.

Wir sehen also einen merkwürdigen Gegensatz in der relativ guten Reaktion der Augenmuskeln auf labyrinthäre Reize und der nur rudimen- tären, bzw. gegenüber der Norm veränderten Reaktion bei kortikaler Reizung. Diese Verschiedenheit mag zum Teil damit zusammenhängen, daß das Labyrinth durch einen adäquaten Reiz, den Drehreiz, in Erregung versetzt wurde, der Kortex dagegen durch faradische Reizung, die wohl die natür- lichen Reize imitiert, aber doch nicht voll zu ersetzen vermag. Es ist also wohl möglich, daß durch den Drehreiz die Labyrinthe, bzw. ihre Endkerne stärker, resp. vollkommener in Erregung versetzt werden, als der Kortex und seine zentrifugale Faserung durch die faradische Reizung. Diese Ver- schiedenheiten der Reizform, bzw. der Stärke der durch diese Reize hervor- gerufenen Erregungen können aber die Unterschiede in der Auslösbarkeit von Augenbewegungen durch kortikale, resp. vestibuläre Reize nach Ver- letzung der Faserung des hinteren Längsbündels nur zum Teil erklären. Beweist ja die leichte Auslösbarkeit epileptiformer Krämpfe, daß der Kortex in diesen Versuchen recht gut ansprechbar war, auch zeigte die Auslösbar- keit von Pupillendilatation durch den Kortexreiz (vgl. Hund 3), daß tatsäch- lich kortikofugale Erregungen zur inneren Augenmuskulatur vordrangen.

Wir müssen demnach zu der Anschauung gelangen, daß die Intaktheit des hinteren Längsbündels für das Zustandekommen konjugierter Augenbewegungen bei Kortexreizung wichtiger ist, als für das Entstehen labyrinthär ausgelöster, resp. daß die Zerstörung dieses Systems in bezug auf die erstere Funktion schwerer kom- pensiert werden kann, als in bezug auf die letztere. Für die laby- rinthär hervorgerufenen Augenbewegungen scheint dem durch Bahnen der Substantia reticularis dargestellten Nebenweg eine größere Bedeutung zuzu- kommen, als für die kortikalen Blickbewegungen.

(Aus der Neurol.-Psych. Universitätsklinik in Krakau, Dir. Prof. Dr. Jan Piltz und aus dem neurol. Institut der Wiener Universität, Vorstand Prof. Dr. Otto Marburg.)

Der Parkinsonismus symptomaticus.

V. Mitteilung: Zur Frage des Parkinsonismus bei Kohlenoxydvergiftung. Von Eugen Brzezicki, Krakau. Mit 14 Abbildungen.

Die Diskussion über die Vergiftungserscheinungen durch Kohlenoxyd am Gehirn, besonders die über Veränderungen in den Basalganglien, ist noch weit entfernt von dem Moment, wo sie als abgeschlossen gelten darf. Und doch wäre die Veröffentlichung einiger Fälle von CO-Vergiftung als kasuisti- sche Beiträge allein nicht gerechtfertigt. DieLiteratur über diese Erkrankung enthält Beobachtungen aus vielen Jahrzehnten und ist in den letzten Jahren in umfassender Weise bearbeitet und ergänzt worden. Man muß jedoch zu- geben, daß alle diese Arbeiten nicht alle Gebiete, die den heutigen Neurologen interessieren, erschöpfen. Die vielen Arbeiten, die Ruge in seiner Unter- suchung im Archiv für Psych. u. Neurol. 1921 zusammengebracht hatte, ergeben, daß es im besonderen die sogenannten „Linsenkern“-Erweichun- gen sind, die dem Hirnbefund bei CO-Vergiftung sein charakteristisches (iepriige geben. Deswegen sind auch diese Berichte unzulänglich, da es für uns unerläßlich ist, das Striatum vom Pallidum streng zu trennen. Auffällig ist noch weiter die überraschend große Unklarheit, der wir in der Beurteilung des Zustandekommens der Erweichung bei der CO-Vergiftung begegnen. Jetzt ist uns klar geworden, daß die Methodik der Untersuchungen, die gerade beim Z.N.S. besondere Anforderungen an den Untersuchenden stellen und die durch die Menge der untersuchten Fälle keineswegs kompensiert werden können, als nicht auf der Höhe stehend anzusehen war. Erst die allerletzten Arbeiten sind in dieser Hinsicht einwandfrei. In den letzten Arbeiten wurden auch die verschiedenst lokalisierten krankhaften Veränderungen berücksich- tigt, ohne dabei selbstverständlich das Pallidum außer acht zu lassen. Des- wegen sind auch die Arbeiten von Hiller, Meyer und Grinker bis jetzt, vom analtomo-pathologischen Standpunkt genommen, unübertroffen. Sowohl die Pathogenese wie auch die pathologischen Veränderungen sind dort genau und ausführlich besprochen. In diesen Berichten wurde es versucht, nicht

Der Parkinsonismus symptomaticus. 149

nur das uns interessierende Problem mit dem vollen Riistzeug moderner Histopathologie anzugehen, sondern auch aus den histologischen Bildern eine Stellungnahme zur Ursache der Veränderungen zu finden. Dazu gehört vorläufig noch ein gewisser Mut, da man bis jetzt nur Hypothesen aufstellen kann. Nichtsdestoweniger nahm man dazu Stellung und besonders Hiller wie auch Meyer glauben im Kohlenoxyd ein spezifisches Gift der Hirngefäße „ein exquisites Gefäßgift‘‘ sehen zu können. In keiner aber von diesen Arbeiten konnte der Zusammenhang zwischen den anatomischen Veränderungen und den Bewegungsstörungen bewiesen werden. Und es ist auch zu verstehen, daß diese Frage nur einfach gestreift wird. Die allzu ausgedehnten Verände- rungen im Z.N.S. nämlich erlaubten es nicht, eine Stellung zu dieser ganz besonders interessanten Frage zu nehmen. Dazu müßte man Fälle untersuchen, die keine oder wenigstens nur minimale Veränderungen, außer solchen im Pallidum zeigen und eine Motilitätsstörung im Sinne einer Pallidum-Akinese oder Starre in der Klinik aufweisen.

Wir möchten aber noch auf eine Tatsache die Aufmerksamkeit lenken, welche in den bisherigen Arbeiten sehr stiefmütterlich behandelt wurde, nämlich auf die ganz exakte Lokalisierung der Pallidumherde sowohl auf Grund der Vogtschen fronto-kaudalen Topistik, wie auch auf Grund der Unter- suchungen von Kleist, welcher dem inneren Glied des Pallidum andere physiologische Tätigkeiten als dem äußeren zuschreibt. Der Bericht unserer eigenen Untersuchungsergebnisse möge bestätigen, wie außerordentlich wichtig diese exakte Lokalisation der Pallidumherde und Nigraschädigungen bei mini- malen Veränderungen des ganzen Z.N.S. bei der Frage der Motilitäts- störung ist.

Bekanntlich teilen O. und C. Vogt alle Basalganglien somatotopisch in dieser Weise ein, daß Kopf, Gesicht und Sprache in den vorderen Teilen, Arme im Mittelstück, Rumpf und Beine in den hinteren Teil der Basal- ganglien repräsentiert sind. Diese somatotopische Einteilung ist zu sehr bekannt, um sie hier erst ausführlich zu besprechen. In meinen bisherigen Untersuchungen über den Parkinsonismus symptomaticus, wie auch in anderen Untersuchungen hat sie sich als fast immer den Tatsachen entsprechend, erwiesen.

Das Wesen und die Lokalisation der psychomotorischen Störungen kann nur auf diese Weise aufgeklärt werden, daß immer oder vorwiegend bei gleich- artigen motorischen Störungen dieselben anatomischen Veränderungen auf- gefunden werden. Als Kleist mit seinen Untersuchungen begann, waren noch keine Herderkrankungen bekannt, deren Symptome völlig mit psycho- motorischen Störungen der Geisteskranken übereingestimmt hätten, sondern es gab nur gewisse Ähnlichkeiten: einerseits zwischen den parakinetischen Erscheinungen und der choreatisch-athetotischen Unruhe bei Herden in den Stammganglien und ihren Kleinhirnverbindungen, andererseits zwischen psychomotorischer Akinese und dem Bewegungsausfall bei Stirnhirnherden. Kleist lokalisierte die psychomotorischen Störungen daher in seinen ersten Versuchen vornehmlich im Stirnhirn, entsprechend der damals noch allgemein

150 Eugen Brzezicki.

bestehenden Überschätzung der Bedeutung der Hirnrinde. Spätere Unter- suchungen verlegten dann den Schwerpunkt in die Stammganglien, so daß die akinetisch-kataleptischen Erscheinungen in das Pallidum und die Substan- tia nigra die hyperkinetischen Symptome wie auch die Parakinesen und Iterationen in das Striatum verlegt wurden. Neue Beobachtungen führen über diese lokalisatorisch zu wenig differenzierte Erklärung hinaus und zeigen, daß Leistungsunterschiede selbst zwischen Pallidum ext. und int., sowie zwischen Kaudatum und Putamen bestehen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß psycho- motorische Störungen bei Erkrankungen des Striatum nur dann auftreten, wenn das Kaudatum mitbeschädigt ist, obwohl bei vorwiegend kaudären Herden auch eine gewisse Bewegungsarmut mit Stereotypie einzelner Bewe- gungen vorkommen kann. Dies ist jedoch nicht immer der Fall, wie auch unter anderem meine Untersuchungen zeigten, wo eine Putamenvernichtung eine Akinese zur Folge hatte. Meistens ist jedoch bei gewissen myostatischen Störungen Chorea, Athetose, Torsionen innerhalb des Striatum haupt- sächlich das Putamen, manchmal aber auch nur dieses d.h. ohne das Kaudatum erkrankt. Kürzlich hat Steck bei Katatonikern mit Iterationen und Stereotypien einen Ausfall der großen Zellen im Kaudatum und Putamen beschrieben. Neue Befunde an Pallidumherden haben gezeigt, daß Akinese und Rigor meistens nur dann auftritt, wenn das innere Glied des Pallidum zerstört ist. Es gibt aber auch Pallidumherde mit kataleptischen Erscheinungen wie z. B. Flexibilitas cerea. In solchen Fällen ist nach Kleist das Pallidum externum allein, oder in Verbindung mit dem Pallidum internum erkrankt. Im letzteren Falle besteht dann neben der Katalepsie auch ein mehr oder weniger deutlicher Rigor. Nach Kleists Ausführungen ist es wahrscheinlich, daß die Organe „der Psychomotorik" Kaudatum und Pallidum extern doppelseitig innervieren. Die Träger der „Myostatik‘ Putamen und Pallidum internum innervieren einseitig, und zwar kontralateral.

In den weiteren Arbeiten muß man auf diese zwei Punkte Rücksicht nehmen, die eben besprochen wurden, d. h. auf die somatotopische Gliederung des Pallidum und auf seine funktionelle Gliederung. Erst dann werden diese Arbeiten auch der Klinik dienen können. Selbstverständlich wird das oft unmöglich sein, da das CO im ganzen Gehirn multiple und diffuse Herde erzeugen kann, die die Beurteilung der amyostatischen Erscheinungen stark beeinträchtigen können.

Hillers Einstellung in seiner umfangreichen anatomisch-pathologischen Arbeit, wie auch die höchst interessanten mikroskopischen Befunde Meyers auf menschlichem, wie auch tierischem Materiale sind vom Standpunkte der pathogenetischen Grundeinstellung rein vaskulär, wenn auch in einem tieferen und komplizierteren Sinne, als es vor Rickers Arbeiten üblich war. Sowohl Hiller wie auch Meyer erblicken auf Grund ihrer Untersuchungen den wesentlichsten Faktor in einer schweren Funktionsänderung der Gefäße, die -— äußerlich kenntlich durch eine zum Teil enorm starke Gefäßerweiterung -- - auf Atonie der kontraktilen Gefäßwandelemente beruht und zur Prästase oder Stase im Sinne Rickers führt. Meyer betont erstens „die qualitative

Der Parkinsonismus symptomaticus. 151

Blutverschlechterung‘“ durch die Hämoglobinbindung, die eine wesentliche pathogenetische Bedeutung besitzt und dann die Dürftigkeit der Gefäß- versorgung des Pallidum, was besonders aus Hillers Untersuchungen ersicht- lich ist. Damit ist allerdings nur bewiesen, daß CO-Veränderungen so entstehen können, nicht aber, daß sie so entstehen müssen. Das biologische Geschehen ist meistens viel komplizierter als es der schematisierenden Tendenz unseres Denkens entspricht. Der materiellen Gefäßveränderung, die durch das CO-Gift direkt zu einer Wandwucherung angeregt werden oder sogar zu einer Wand- vernichtung führen kann, wird jede Bedeutung abgesprochen. Auch die von C. und O. Vogt begründete, von A. Jakob u. a. fortgebildete Lehre von der „Pathoklise‘“ wird von Hiller und Meyer abgelehnt. Bekanntlich versteht man unter der generellen Pathoklise einer topischen Einheit die größere Vulnerabilität gegenüber anderen Einheiten. Unter topistischer Einheit wieder- um versteht O. Vogt jegliche Zusammenfassung von Teilen des Z.N.S. auf Grund einer gemeinsamen funktionellen und dementsprechenden physiko- chemischen Besonderheit. In der Neigung eines einzelnen Griseum, auf eine besondere Noxe isoliert mit einem ganz speziellen pathologischen Prozeß zu reagieren, erblicken sie den Ausdruck einer speziellen Pathoklise. In Fort- führung dieser Gedanken wird nun die Erweichung des Pallidum bei der Kohlenoxydvergiftung als eine spezielle Pathoklise des Pallidum aufgefaßt, die ihre Wurzel in einer Eigentiimlichkeit des Physiko-Chemismus dieses Kerns hat. Die Untersuchungen von Spatz haben nämlich gezeigt, daß verschiedene Kerne der Basalganglien bestimmte Mengen von Parenchymeisen besitzen. Bekanntlich gehört das Pallidum sowie die rote Zone der Substantia nigra zur I-en Gruppe.

Die neuerlichen Ausführungen Warburgs, welcher für einen direkten Angriff des CO auf Bestandteile der Zellen plädiert, scheinen durch die Arbeiten von Haggard ins Schwanken gebracht worden zu sein. Haggard hat experimentell nachgewiesen, daß Kulturen von Hühnernervengewebe in 706%0iger CO-Atmosphäre sich in normaler Weise entwickeln können. Auch andere Autoren (Runeberg und Kobert, ferner Boni) verlegten den Hauptangriffs- punkt des Kohlenoxyds in die Ganglienzellen.

Die meisten Anschauungen jedoch lassen sich im großen und ganzen in zwei Gruppen teilen. Die eine Gruppe verlegt den Schwerpunkt in die im Z.N.S. gefundene Gefäßveränderung bzw. Eigenheiten der Gefäßversorgung und Thrombenbildung in den Gefäßen; die andere Gruppe will den Haupt- schaden in einer Encephalitis haemorrhagica oder disseminata sehen. Die Be- deutung der Thrombenbildung durch Stase rückt besonders Wachholz in den Vordergrund, sich auf sehr interessante und langwierige Tierexperimente und anatomische Untersuchungen an akut verlaufenden Fällen stützend. In seinen Arbeiten ist eine höchst interessante Tatsache besonders hervorzu- heben, nämlich, daß man mit seiner Methode oder mit der Methode von Fodor-Gaglio Kohlenoxyd im Blute noch lange nach der Intoxikation nach- weisen kann. Darauf werden wir noch später zurückkommen.

Aus den Untersuchungen von Kolisko, Monakow und anderen geht

152 Eugen Brzezicki.

hervor, daß der Globus pall. von kurzen, sogenannten Zentralarterien, die von der Art. cerebri ant., aber auch zum Teil von der Art. cerebri media und Art. chorioidea ant. abgehen können, versorgt wird. Diese Arterien zeigen über eine lange Strecke hin einen rückwärts gerichteten Verlauf, sind besonders feinwandig und zeigen keine Anastomosen. Der an ihnen oft recht frühzeitige Ansatz von Pseudokalk erhöht vielleicht ihre besondere dispositionelle Be- deutung noch mehr. Außerdem hat Kolisko noch darauf hingewiesen, daß eine Verschiebung der Ursprungsstellen der genannten Arterien infolge ab- normer Erweiterungen und Schlängelungen der Karotis eine große Bedeutung beizumessen sei. In neuerer Zeit wird auch von E. Pollak, der durch enorme Entwicklung des menschlichen Stirnhirns bedingte rückläufige Verlauf der Versorgungsarterien betont. Das regelmäßige Vorkommen jedoch von palli- dären Veränderungen bei CO-Vergiftung bei Hund und Katze, die nur eine mäßige Stirnhirnentwicklung zeigen, macht vielleicht diese Annahme unwahr- scheinlich.

Nach den neuesten Erfahrungen zeigt es sich, daß neben dem Pallidum als konstantester Befund die Läsion des tiefen Hemisphärenmarks, häufig mit Einschluß des Balkengebietes, zu nennen ist. Meyer kommt selbst zu dem Schlusse, daß die Veränderungen des Hemisphärenmarks an Häufigkeit kaum hinter der Pallidumläsion zurückbleiben. Diese Auffassung hat für meine Untersuchungen eine große Bedeutung und wir werden auf diese Äußerung noch zurückkommen. ;

Grinker glaubt auf Grund einer amerikanischen Statistik, daß nervöse Folgezustände nach CO-Vergiftung verhältnismäßig selten vorkommen und daß die meisten in Heilung übergehen. Im Einklang damit steht seine Äußerung, daß es eine chronische CO-Vergiftung mit extrapyramidalen Erscheinungen im eigentlichen Sinne nicht gibt. Man sieht zwar bei Menschen, die durch längere Zeit kohlenoxydüberladene Luft einatmen müssen, nervöse Störungen wie Schlaflosigkeit, Mattigkeit, Kopfschmerz, Schwindel usw., die jedoch schnell verschwinden. Amyostatische chronische Erscheinungen wie etwa bei Manganvergiftung sollen also nicht vorkommen.

Nach dieser groben Skizzierung der wichtigsten Fragen und Äußerungen, die die Frage der Kohlenoxydgasveränderungen im Z. N. S., seiner Pathogenese und Klinik betreffen, möchten wir jetzt auf unsere eigene Arbeit die Aufmerk- samkeit lenken. Wir wollen zwei Fälle von chronischer CO-Vergiftung, die in Heilung übergingen, zuerst besprechen und uns dann zu dem dritten Fall wenden. Der dritte Fall beansprucht deshalb ein besonderes Interesse, weil er lange nach der CO-Vergiftung am Leben blieb und dabei bemerkenswerte Störungen bot, aus denen bereits klinisch auf eine Pallidumnekrose geschlos- sen werden konnte. Daneben fiel eine eigenartige Motilitätsstörung mit Mutis- mus und motorischem Negativismus auf, die in jüngster Zeit die viel disku- tierte Frage nach den Beziehungen zwischen pallidären Herden und katatoni- schen Symptomen aufrollen könnte. Außerdem haben wir noch weitere zwei Fälle von akuter Kohlenoxydgasvergiftung zwecks Vergleichung anatomisch bearbeitet.

x sis NT

Der Parkinsonismus symptomaticus. 153

Die zwei chronischen in dieser Arbeit publizierten Fiille sind mir in liebenswürdigster Weise von Herrn Professor Piltz aus seiner Privatpraxis zur Beschreibung überlassen worden. Der dritte Fall, der letal endete und charakteristische Motilitätsstörungen aufwies, war in der Klinik behandelt worden und wurde mir auch vom Direktor der Klinik, Prof. Piltz, liebens- würdigster Weise zur Bearbeitung übergeben.

Aufs tiefste verpflichtet fühle ich mich dem Herrn Prof. Olbrycht, der mir aus dem Institut für gerichtliche Medizin der Universität in Krakau (Dir. Prof. Dr. Wachholz) mehrere akute Fälle von CO-Vergiftung zur mikroskopi- schen Untersuchung überließ.

Die Fälle liegen kurz folgendermaßen:

l. Fall.

Ing. St. Ch., 29 Jahre alt, verheiratet, erscheint am 12. Juli 1924 mit einem Empfehlungsbrief von einem der hervorragensten Internisten in Warschau mit der Diagnose: hypochondrische Neurasthenie. Heredität 0. Die Eltern leben, waren gesund. Luem negat, potum negat. In der Kindheit war der Patient gesund, lernte gut, war aber immer sehr nervös. Im 18. Lebensjahre akquirierte er eine Gonorrhée, im 20. Lebensjahr erkrankte er an einer Trigeminusneuralgie der rechten Seite, die sehr lange andauerte. Vor einem Jahre heiratete er. Seit einigen Monaten fühlt er sich krank. Er ist in gereizter Stimmung, ist aufbrausend, zankt wegen jeder Kleinigkeit. Die Hände zittern so stark, daß er nicht zeichnen kann, auch hat er Kopfschmerzen in der Stirngegend. Anfallsweise treten starke Bauchschmerzen auf, die mit ganz eigenartigen Bauchmuskelspannungen verbunden sind. Diese Bauchmuskelspannungen treten rechts viel stärker auf als links, was dem Patienten den Gedanken nahe legte, daß er an einer Appendizitis leide. Dieser Gedanke ist ihm unerträglich und regt ihn sehr auf. Außer diesen Beschwerden klagt er über Angstgefühle, ein inneres „Beben“, Unlust zum Weiterleben und Schwindelanfälle.

Status praesens: Der rechte mittlere Ast des Trigeminus ist nur ein wenig emp- findlich, sonst sind die Kranialnerven o. B. Die vorgestreckte Zunge zittert. Die Pu- pillen reagieren sowohl auf Licht wie auch auf Akkommodation beiderseits gleich. Das Gesicht ist sehr blaß mit auffallend roten Lippen. Alle Reflexe, sowohl die periostalen wie auch die Sehnenreflexe, sind lebhaft. Die ausgestreckten Hände zittern stark. Dermographismus +-+-+. Der Kranke schwitzt heftig, und zwar hat er an- fallsweise auftretende Schweißausbrüche. Puls 72. Lungen, Herz, Bauchorgane o. B. Der Appetit ist normal. Stuhlgang: seit einigen Monaten Verstopfung. Starkes, lästiges Durstgefühl. Schlaf ist unruhig. Wird durch Herzklopfen geweckt. Unlust zur Arbeit. Auf Grund der Anamnese, des Empfehlungsbriefes und des negativen Befundes wird er mit der Dgn. Neurasthenie nach Hause geschickt.

Nach drei Wochen erscheint er wieder. Patient gibt an, daß er sich im all- gemeinen nicht besser fühlt, nur nach der Einnahme von Medikamenten. Während der drei Wochen hatte er Anfälle von Bauchschmerzen gehabt, die immer mit den schon beschriebenen Bauchmuskelspannungen verbunden waren. Die Hände zittern auffällig, das Zittern ist kleinschlägig. Die oberen Extremitäten zeigen einen erhöhten Tonus, der die Bewegungen hemmt und sie verlangsamt. Er klagt über anfallsweise auftretendes Herzklopfen, welches ihn in der Nacht stark stört und ihn oft weckt. Angstgefühle, Gefühle, daß er sterben wird, fortdauerndes Gefühl von Kälte, obwohl es draußen warm ist, Stirnschmerzen über den Augenhöhlen, welche durch Pulver nicht gelindert werden. Inneres Beben. Anfälle von neuralgieformen Schmerzen im 3ereiche des rechten Trigeminus. Schwindelanfälle Pelzigsein oder Kribbeln in den Fingern der oberen und unteren Extremitäten (als ob das Glied „eingeschlafen“ wäre). Verstopfung. Starkes Durstgefühl, Erschwerung der Miktion. Anfallsweise auftreten-

154 Eugen Brzezicki.

des Schwitzen, die Schweißtropfen auf der Stirn sind groß. So weit die Angaben des Kranken bei der zweiten Untersuchung.

Status praesens: Ein leicht maskenartiges Gesicht ohne Salbengesicht. Die Stirn mit Schweißtropfen benetzt. Die Augen glänzen stark. Der Gang ist unsicher, etwas schwankend, vielleicht kleinschrittig. Der Kranke steht unbeweglich, etwas nach vorn flektiert, ähnlich wie ein Parkinsoniker. Der Geruch ist normal. Er sieht normal, hat nie doppelt gesehen, die Bewegung der Augäpfel ist normal (leider wurde die Augengrunduntersuchung vernachlässigt). Die Licht- wie auch die Akkommodations- reaktion ist normal. Die Druckpunkte des Trigeminus sind schmerzhaft. Facialis, Acusticus normal. Die ausgestreckte Zunge zittert. Obere Extremitäten: Die Arme im Ellenbogengelenk leicht flektiert, die Hände, in angedeuteter Pfötchenstellung, zittern, plastischer Tonus leicht erhöht. Das Zahnradphänomen leicht positiv. Die Sehnen, wie auch die Periostalreflexe lebhaft. Die Bauchdeckenreflexe bds. gleich, normal, Kre- masterreflexe normal. Untere Extremitäten: In den Beinen kann man vielleicht eine leichte plastische Hypertonie konstatieren, die dem Kranken nur kleine Schritte auszuführen erlaubt und ein Gefühl von leichtem Gebundensein hervorruft. Sonst ist nichts pathologisches zu registrieren. Die Reflexe sind normal. Lungen, Herz, Bauch- organe o. B. Puls 72. Aschner +++. Czermak +++.

Ergänzend gibt der Kranke noch an, daß er zwischen der ersten und zweiten Visite einen Nasen- und Rachenkatarrh mit Steigerung der Temperatur durchmachte. Weiters gibt Patient an, daß er nie früher an Schlaflosigkeit oder Schlafsucht ge litten hat. Da seine Gemahlin nach seinen Angaben ähnliche Symptome zeigt, wurde er ersucht, das nächste Mal mit seiner Frau zu erscheinen. Dgn.: Striäre Erschei- nungen, Intoxikationserscheinungen? Parkinsonismus postencephaliticus?

Zwei Wochen später erscheint er mit seiner Frau. Er fühlt sich viel schlechter. Die Blutuntersuchung zeigt einen negativen Wassermann. Seine Beschwerden äußern sich in leichten, von seinem Willen unabhängigen Hyperkinesen in den Fingern, die zusammen mit dem konstanten Zittern sein Zeichnen immer mehr erschweren. Außer- dem hat er ein ganz besonderes Gefühl in den Armen bei Verrichten von manueller Arbeit, nämlich ein „Gebundensein“, beim Schreiben werden seine Buchstaben immer kleiner, undeutlicher, so daß sie zuletzt ganz unleserlich werden. Außerdem läßt er beim Schreiben einzelne Buchstaben, aber auch ganze Wörter aus. Seine vegetativ bedingten Beschwerden bereicherten sich um ein neues Symptom, welches asthma- tischen Anfällen am meisten glich, außerdem Herzklopfen, anfallsweise auftretendes Schwitzen, Blaßwerden, Anfälle von Ohnmachten, fortwährend andauernde Müdigkeit, Bauchschmerzen und Verstopfung. Konstante Kopfschmerzen über den Augenhöhlen, Angstanfälle mit schmerzhaftem zusammenschnürenden Gefühl in der Herzgegend unfreie Bewegungen.

Status praesens: Ein leicht maskenartiges Gesicht ohne Salbengesicht. Die Haut blaß, mit Schweiß ständig benetzt. Augen stark glänzend. Die Druckpunkte des rechten Trigeminus sind schmerzhaft, sonst sind die Kranialnerven o. B. Die Licht- und Akko- modationsreflexe sind normal. Die Zunge zittert stark. Die Unterlippe ist bläulichrot. In den oberen Extremitäten bemerkt man eine leichte plastische Hypertonie (wie bei der letzten Untersuchung) mit lebhaften Reflexen. Kleinschlägiger Tremor der Hände. Herz, Lungen, Bauchorgane o. B. Puls 78. Bauchdeckenreflexe =. Die unteren Ex- tremitäten zeigen vielleicht eine leichte extrapyramidale Hypertonie. Der Gang ist trippelnd.

Bei der Untersuchung konnte man keine Hyperkinesen beobachten; auch die Schrift zeigte sich normal. Aus der Anamnese der Frau ging ganz klar hervor, daß wir es mit einer chronischen CO-Vergiftung zu tun haben (siehe unten).

Den.: Parkinsonismus nach chronischer CO-Vergiftung.

Drei Wochen später.

Patient verreiste auf zwei Wochen ins Gebirge und ist vollkommen befreit von allen Beschwerden zurückgekommen. Die Untersuchung zeigte jedoch: ein amimisches Gesicht, glänzende Augen, leichter amyostatischer Symptomenkomplex, der sich in

Der Parkinsonismus symptomaticus. 155

leicht flektierter Haltung, charakteristischer Händestellung, etwas trippelndem Gang und gesteigertem, plastischem Tonus, besonders in den oberen Extremitäten, mani- festierte. Patient gibt an, daß, wenn er auf der Bahnstation verweilte, wo viel Rauch in der Luft sich befand, sowie, wenn er zufälligerweise hinter einem Automobil stand, dessen Motor in Bewegung war, wenn er weiters in der Nähe von Koksöfen in einer Schmiede verweilte, kurz, wenn er in das Bereich von ausströmenden Kohlenoxyd kam, sich ein Brechreiz, Kopfschmerz in der Stirngegend, Pelzigsein der Finger zeigte. Die- selben Erscheinungen treten auf, wenn er einen Anzug, der nicht gelüftet war und der in seiner Wohnung aufbewahrt war, anzieht. Die Zimmerluft in seiner Wohnung, die daraufhin mit der Methode von Fodor-Gaglio und Katayama untersucht wurde, zeigte einen starken Prozentgehalt von CO. Die Ursache dieses Zustandes liegt nach der Meinung der Ingenieure, die die Wohnung untersuchten, darin, daß im Moment, wo die Öfen im Grundstock ausgelöscht wurden, die kalte Luft das Kohlenoxyd von oben hinunter drückte, so daß es durch die Fugen und Risse im Kamin in die Wohnung einströmen konnte. Alle Personen, die in dieser Wohnung verweilten, wur- den krank. Am meisten erkrankten unser Patient, seine Frau und ein Beamter der- selben Kohlengrube. Allgemeine Beschwerden, die sich in Kopfschmerzen, Verdriß- lichkeit, Schwäche, Herzklopfen usw. äußerten, konnte man bei allen drei und den Dienern konstatieren, den amyostatischen Symptomenkomplex nur bei unserem Pa- tienten und auch bei seiner Frau, dort war er jedoch viel schwächer ausgeprägt.

Unser Patient zeigte sich noch zweimal: zuerst einen Monat und dann ein Jahr später. Die Öfen wurden remontiert; eine starke Ventilation der Feuerherde erlaubt jetzt ein vollständigeres Verbrennen der Kohle. Es war erstaunlich, wie sich die extrapyramidalen Erscheinungen zurückbildeten, so daß nach einem Jahre nur eine Andeutung von Amimie und Akinese zuriickblieb.

IL Fall.

Frau Amalie Ch., Gattin des vorher zitierten Patienten, erscheint am 27. August 1924. Sie ist 25 Jahre alt, war immer gesund. Seit einem Jahre verheiratet. Vor vier Monaten erkrankte sie. Brechreiz ohne Erbrechen, Bauchschmerzen in den unteren Bauchteilen, Kopfschmerzen, Herzklopfen, Schweißanfälle. Der Hausarzt konstatierte eine Appendizitis, da sie schon früher eine chronische Appendizitis durchgemacht hatte. Da sie im dritten Schwangerschaftsmonat stand, hatte man erst eine Abrasion der Gebärmutter durchgeführt und erst dann die Appendektomie „a froi“. Nach der Ope- ration verschwanden alle Beschwerden, so daß Patientin vollkommen beschwerdefrei nach Hause zurückkam. Dort kehrten alle Symptome, die sie in den Operationssaal gebracht hatten, wieder zurück. Der Arzt konstatierte Blutarmut und Neurasthenie (Traumatische Neurose nach der Abrasion). Zu diesen Symptomen gesellten sich noch Atembeschwerden, Fingersteifheit, Kältegefühl, internes Beben, starke, allgemeine Schwäche, die der Kranken das Treppensteigen unmöglich machte, kribbeln in den Extremitäten, Schweißausbrüche, Gefühl des „Gebundenseins“. Sie ist erregbar, zankt wie niemals früher mit ihrem Manne, wurde schreckhaft, weinerlich. Sie weint oder lacht oft ohne Grund. Auch fröstelt sie oft. Fühlt keine Lebenslust, kann keine Arbeit verrichten. Der Schlaf wird durch Herzklopfen oft unterbrochen. Appetit normal, Stuhlgang: Verstopfung. Urin -- normal. Patientin gibt noch an, daß sie wegen der großen Wohnungsnot in einem großen neuen Gebäude wohnen muß, welches noch nicht ganz fertig ist. Sie wohnt über dem Zentralheizungsraum und einer Hilfs- schmiede. Obwohl es Hochsommer ist wird es geheizt, um das Gebäude zu trocknen.

Status praesens: Die Gesichtsfarbe ist grünlichblaß. Auf den Wangen rote Flecken. Die Unterlippe bläulichrot. Schweißtropfen auf der Stirn. Starres, amimisches Gie- sicht. Die Augen stark glänzend. Pupillen weit, reagieren gut sowohl auf Licht wie auch auf Konvergenz. Die Kranialnerven o. B. Obere Extremitäten: Zittern. Bei passiven Bewegungen spürt man den plastischen Tonus erhöht (bei aktiven Bewegun- gen verspürt die Kranke das Gefühl von „Gebundensein“). Die Sehnen- und Periostal- reflexe normal. Die Venen auf dem Handrücken sind schmal und wie mit einem

156 Eugen Brzezicki.

blauen Stift gezeichnet. Untere Extremitäten: Vollkommen normal. Keine Akinese, keine Rigidität. Reflexe normal. Lungen, Herz, Bauchorgane normal (Narbe nach der Appendektomie). Bauchdeckenreflexe =. Puls 78.

Dgn.: Parkinsonartiger Symptomenkomplex nach CO-Vergiftung.

Nach sieben Wochen fühlt sich Patientin vollkommen geheilt. Besondere Emp- findlichkeit auf CO (am Bahnhof, im Auto, beim Tragen von ungelüfteten Kleidern, die im Schrank in der Wohnung hangen). Sie erinnert sich, daß Bekannte, die ihre Wohnung verließen, immer über Kopfschmerzen, Brechreiz und Schläfrigkeit klagten. Der Beamte, der mit ihnen wohnte, ist seit der Ausbesserung der Öfen vollkommen gesund.

Die objektive Untersuchung ergab: ein amimisches Gesicht, leichte Akinese der oberen Extremitäten und des Rumpfes. Sonst o. B.

Nach einem Jahre. Die Patientin ist vollkommen gesund. Kein Maskengesicht, keine Akinese, kein Rigor.

Kurz zusammengefaßt stellen sich die beiden Krankengeschichten folgen- dermaßen dar: ein Ehepaar, welches in einem neuen feuchten Gebäude wohnt und unter ihrer Wohnung schlecht brennende Öfen hat, erkrankt an allgemeinen CO-Vergiftungserscheinungen, die sich in Labilität der Gefühle, Erregbarkeit, Weinerlichkeit äußert. Außerdem zeigten sich Bauchmuskel- krämpfe, die eine Appendizitis simulierten und zu einem unnötigen künstli- chen Abort und Appendektomie bei der Frau führten. Miteinander gemein hatten noch diese Fälle das innere Beben, Zittern und eine bläulichrote Unter- lippe. Ihres seltenen Vorkommens wegen höchst interessant sind die amyosta- tischen Symptome, die beide Fälle charakterisieren. Sicher ist der Mann viel stärker betroffen als seine Frau, die nur eine leichte Amimie, glänzende Augen und eine Akinese des Rumpfes und der oberen Extremitäten zeigt. Bei ihm selbst trat die flektierte Haltung, leichter Rigor und Akinese aller Extremitäten, Maskengesicht, angebliche Mikrographie, Trippelgang in den Vordergrund. Dieser amyostatische Symptomenkomplex, der uns hier beson- ders interessiert, hat unbedingt keine Encephalitis ep. zur Grundlage, da er erst spät zum Vorschein kam und zuletzt vollkommen verschwand. Er war also transitorischh was das merkwürdigste an der ganzen Kranken- geschichte ist.

Diese zwei Fälle bieten uns Gelegenheit, einige Fragen epikritisch zu be- leuchten. 1. müssen diese Fälle als selten angesehen werden, da über- lebende Fälle von chronischer CO-Vergiftung mit amyostatischem Symptomen- komplex nicht oft in der Literatur zu finden sind. Eine extrapyramidale Hyper- kinese auf 258 Fälle und noch ein Fall, den Winkelmann beobachtete, ist alles, was Grinker aus der Literatur zusammentragen konnte. Akinetische Fälle wurden noch von Stiefler, Kant eingehend studiert und in diesen Arbeiten findet man die nötigen Literaturangaben. Es ist daraus zu ersehen, daß die vielen Fälle, die einen Parkinsonismus zeitigten, meistens letal endeten. Wenn wir nun diesen Parkinsonismus auf eine diffuse Pallidumschädigung zurückführen wollen, so ergibt sich daraus, daß diese Pallidumschädigungen erst bei so schweren Vergiftungserscheinungen entstehen, die meistens letal enden. 2. Beide Patienten hatten eine viel stärker ausgeprägte Akinese in den oberen Extremitäten, was mit den bisherigen angegebenen Pallidumläsionen

Der Parkinsonismus symptomaticus. 157

im Sinne der Topistik übereinstimmt. Wir wissen nämlich, daß die hintersten Teile des Pallidum entweder völlig intakt sind oder wenigstens ein starkes Nachlassen der Veränderungen erkennen lassen. 3. Beide Patienten zeigten außer den Allgemeinerscheinungen besonders schmerzhafte Bauchmuskel- krämpfe, die zu einer bedeutenden Fehldiagnose führten. Das CO ist ein Gift, das direkt auf das Muskelgewebe einwirkt (Wachholz). Diese Krämpfe, die ein charakteristisches Merkmal der Kohlenoxydvergiftung sind, sollten sofort unsere Aufmerksamkeit auf diese Vergiftungsart lenken, was besonders Wachholz und auch Luden von der Mayoklinik hervorheben. Wir sind sicher, daß, wenn man bei chronischen CO-Vergiftungen, welche doch meistens in die Hände der Internisten gelangen, mehr auf die leichten amyostatischen Symptome achten würde, man viel öfters, als es bis jetzt der Fall ist, in der Literatur über diese so interessanten motorischen Erscheinungen Beschreibun- gen finden würde. Es ist selbstverständlich, daß eine leichte Amimie des Ge- sichtes oder Akinese einem praktischen Arzt nicht in die Augen fallen wird. Es ist auffallend, daß Fälle von CO-Vergiftung, die vor der großen Enzephalitis- epidemie zur Sektion kamen und Pallidumnekrosen aufwiesen, dennoch nach der Krankengeschichte urteilend, keine amyostatischen Symptome zeigten. Es ist klar, daß Parkinsonismen nach CO-Vergiftung nicht erst jetzt entstanden sind. Nur hat man auf diese motorischen Ausfallserscheinungen damals weniger geachtet, als es jetzt geschieht. Immerhin spricht Lewin in seiner Mono- graphie über einen schon vor 100 Jahren mitgeteilten Parkinsonismus, hebt aber diese Tatsache eher als Kuriosum hervor. In unseren modernen Zeiten wird der chronischen CO-Vergiftung eine immer größer werdende Bedeutung zugeschrieben. Das Verweilen in großen Städten, die Arbeit in Fabriken, wo überall in der Luft CO in oft toxischen Mengen zu finden ist, wird eine immer größer werdende Gefahr für die Menschheit. Selbst Autoreisen in geschlosse- nen Wagen können bei Defekten der Auspuffröhren eine Ursache einer CO- Vergiftung werden.

4. Ich möchte noch hervorheben, daß wir gewöhnt sind, jede Art von Parkinsonismus, Akinese und extrapyramidaleın Rigor als eine irreversible Erscheinung zu betrachten. Die Wilsonsche Starre, die Paralysis agitans, der Parkinsonismus postencephaliticus, auch Parkinsonismen nach Vergiftungen (Manganvergiftung usw.) sind Zustände, die sich im großen und ganzen nicht nur niemals bessern, sondern eher verschlechtern. Hier haben wir Fälle vor uns, die sich nicht nur besserten, sondern bei denen die Erscheinungen sogar ganz zurückgetreten sind. Es ist daraus ersichtlich, daß hier keine komplette Zerstörung des Pallidum, sondern nur eine Hemmung seiner physiologischen Funktionen im Spiele war.

5. In unseren zwei Fällen kommt ausgesprochen ein Zittern der Hände zum Vorschein. Die meisten Fälle von Pallidumnekrosen verlaufen bemerkens- werterweise ohne Zittern. Das Zittern, das wir bemerkt haben, ist aber dem „neurasthenischen Zittern‘ ähnlich und nicht dem Ruhetremor der Amyo- statiker. Wir glauben also, obwohl wir uns nur auf klinisches Material stützen können, daß das Zittern nicht den „amyostatischen Charakter“ trug. Wohl-

158 Eugen Brzezicki.

will berichtet, daß er auf acht Fälle von CO-Vergiftungen sechsmal eine Palli- dumerweichung feststellen konnte. Aus diesem Befund ist ersichtlich, daß die Pallidumerweichung bei schwerer CO-Vergiftung fast in der Regel auftritt. Es ist verständlich, daß wir alle extrapyramidal-motorischen Symptome bei diesen Fällen besonders diesen Veränderungen zusprechen müssen. Dagegen können selbst Fälle, wo man eine Pallidumnekrose zufälligerweise bei der Sektion (z.B. eines Tabikergehirns Pineas) entdeckte, die bei Lebzeiten keine Starre bedingten, nicht als Gegengewicht benützt werden.

HI. Fall.

Frau Josephine W., 40 Jahre alt.

Aus der Anamnese ist ersichtlich, daß der Vater der Kranken im 63. Lebens- jahre an Ca. hepatis gestorben ist. Von Gemüt aus war er ernst, jedoch gesellig, etwas empfindlich und kränkte sich leicht. Alkohol genoß er mäßig. Die Eltern des Vaters sind im späten Alter gestorben. Der Vater des Vaters war sehr des- potisch und aufbrausend. Die Mutter des Vaters war normal, höchstens etwas emp- findlich. Der Bruder des Vaters starb an Lungentuberkulose. Die Schwester des Vaters litt an starker Nervosität, war empfindlich und exaltiert. Daraus ergibt sich, daß die Heredität, was psychische Krankheiten anbelangt, väterlicherseits negativ ist. Die Mutter der Kranken ist 68 Jahre alt und lebt. Sie ist reizbar, empfindlich und ärgerlich. Im 40. Lebensjahre war sie in einer Nervenheilanstalt eines ner- vösen Leidens wegen untergebracht. Eine Schwester der Mutter war paralytisch, die andere war geisteskrank. (Also seitens der Mutter Belastung mit Geisteskrank- heiten.)

Die Geschwister der Patientin: 1. Bruder, 42 Jahre alt; reizbar, jedoch kein Alkoholiker. 2. Die Patientin selbst. 3. Schwester, 38 Jahre alt; empfindlich, sonst normal. 4. Bruder, 30 Jahre alt; gesund, empfindlich.

Einzelanamnese: Die Patientin entwickelte sich in normaler Weise. Sie hatte Windpocken, Bauchtyphus mit Rezidiven und Lungenentzündung durchgemacht. Als Kind war sie gesund, hatte keine Enuresis, auch keinen Pavor nocturnus und keine Krämpfe. In der Schule lernte sie anfangs sehr gut, später aber, nach über- standenem Bauchtyphus, etwas schlechter.

Sie war immer ruhig, mild, empfindlich, verschlossen, nicht sehr gesellig, etwas steif und motorisch verhalten. Im 18. Lebensjahre erkrankte sie an Flecktyphus mit nachfolgender schwerer Anämie, im 19. Lebensjahre an Lungenspitzenkatarrh, später an einer Herzneurose. Nach der Heirat machte sie zwei Aborte durch. Ein Sohn lebt. Ihr Mann aquirierte vor 20 Jahren eine Lues.

Am 9. November 1927 wohnte sie in einem Höhenkurort, wo sie zusammen mit ihrem Sohne zufälligerweise durch Kohlendunst vergiftet wurde. Beide verweilten besinnungslos in der Kohlendunstatmosphäre von 9 Uhr abends bis 8 Uhr früh. Am Morgen rettete man die beiden Verunglückten mit Koffein, Kampfer und künst- licher Atmung. Der Sohn starb nach einigen Tagen, ohne die Besinnung wieder er- langt zu haben. Die Patientin war ungefähr 24 Stunden besinnungslos, obwohl sie schon nach vier Stunden auf Licht- und akustische Reize reagierte. Nach dem Er- wachen von dem Sopor war sie wie erstarrt, apathisch, äußerte keine Wünsche und klagte über keinerlei Schmerzen. Es war auffällig, daß sie keine Kopfschmerzen fühlte. Sie erkannte ihre Umgebung gut und antwortete klar auf alle ihr gestellten Fragen. Die Schwester der Patientin sah sie 48 Stunden nach dem Vorfall und erzählt, daß damals die Kranke einen ganz normalen Eindruck auf sie gemacht habe. Zwar bemerkte sie das starre, steinerne Gesicht, aber alle Bewegungen waren frei und normal und der psychische Zustand konnte auch als normal angesehen werden. Die psychische Apathie faßte die Schwester als selbstverständliche Folge einer so schweren Vergiftung auf. Die Kranke hütete das Bett durch fünf Tage;

Der Parkinsonismus symptomaticus. 159

eigentlich hätte sie aufstehen können, zeigte jedoch keine Lust dazu. Die ganze Zeit über hatte sie keinen Appetit, von selbst hätte sie nie eine Speise verlangt. Sie hatte dabei eine Diarrhoe (6 bis 8mal täglich) von grünlicher Farbe, die zwei Wochen dauerte und erst durch Bismut gelindert werden konnte. Die Harnabgabe erfolgte normal. Die Gesichts- und Hautfarbe war blaß, jedoch fast normal. Auch die Temperatur zeigte keine bedeutenden Abweichungen vom Normalen. Nach der Intoxikation blieb sie weitere zwei Wochen in dem Kurort. Ihr Benehmen war steifer als vorher, jedoch fiel der Unterschied nicht allzusehr auf. In Gesellschaft ihres Mannes und ihrer Schwester fuhr sie nach Hause. Zu Hause verschlechterte sich ihr Zustand etwas, das Gesicht wurde noch mehr maskenartig, die Augen waren immer auf einen Punkt gerichtet. Spontan redete sie niemals jemanden an. Ant- wortete aber auf Fragen sofort, jedoch so kurz wie möglich. Sie lachte sehr selten, aber wenn sie lachte, da erschien diese mimische Äußerung mehr wie eine schmerz- liche Grimasse. Sie lachte nur mit dem Mund, das Gesicht blieb regungslos. Die ganze Zeit über war sie apathisch, konnte nicht lesen, selbst das Ansehen von Bil- dern war mit Schwierigkeiten verbunden. Die Kranke äußerte öfters ihre Verwun- derung darüber, daß sie keinerlei Schmerz und Trauer über den Tod ihres ge liebten Sohnes verspiire. Sie sagte, daß ihr das Denken Schwierigkeiten mache, überhaupt fühle sie sich wie erstarrt. Die Apathie und der psychische Zustand besser- ten sich jedoch so weit, daB sie am Begräbnis ihres Sohnes, dessen Leichnam in den Heimatsort überführt worden war, schon eine rege Teilnahme zeigen konnte. Sie beschäftigte sich mit dem Besorgen der Kränze, den Vorbereitungen in der Küche und dem Empfang der Gäste. Trotzdem wurden aber ihre Bewegungen mit der Zeit immer langsamer und starrer. Plötzlich, während dieser psychischen Besse- rung, sperrte sich die Kranke am 17. Dezember 1927 in ihrem Badezimmer ein. So oft jemand anklopfte, so antwortete sie: „Bitte mich nicht zu stören“. Erst ihr Mann konnte nach seiner Rückkehr nach Hause die Tür öffnen und fand sie am Klosett sitzend vor. Auf seine Frage nach der Ursache dieses merkwürdigen Be nehmens gab die Kranke zuerst keine Antwort, sondern schaute lediglich verwun- dert umher. Nach einer Zeit jedoch konnte sie schon ganz adäquate und logische, jedoch höchst kurze Antworten geben. Am nächsten Tage fiel die besonders steife Haltung der Kranken auf. Speziell stark war der Rücken und der Nacken versteift, so daß in der Rückenlage der Kopf immer hoch über dem Polster gehalten wurde. In den nächsten Tagen verschlimmerte sich diese Versteifung des Rückens und des Nackens so, daß es zu einer leichten Andeutung eines Opistotonus kam. Die Kranke bewegte sich so, als ob sie einen Stock verschluckt hatte. Die Arme und Beine waren normal beweglich. Etwas später prägte sich das Maskengesicht viel stärker aus, das Gesicht war fettig glänzend (Salbengesicht) und die Arme leicht tlektiert, was linksseitig etwas stärker hervortrat. Die Hände waren zyanotisch links stärker als rechts. Es trat eine sehr auffallende Retropulsion ein. Die Arme zeigten Spannungen und eine gewisse Rigidität, doch die Beine waren nicht steif. Die Kranke mußte von nun an das Bett hüten. Sie antwortete noch immer ganz logisch auf ihr gestellte Fragen und hatte keine Illusionen und Halluzinationen. Die Steif- heit der oberen Körperhälfte verstärkte sich zusehends, jedoch auf den Boden ge- stellt beugten sich die Beine so, daß sie nicht mehr ohne Stütze stehen konnte. Auf Befragen, warum sie so steif sei, warum sie nicht stehen könnte und nicht von sich selbst spräche, antwortete sie immer, sie möchte dies gern, könnte es jedoch nicht. Außer den Spannungen im Nacken entwickelte sich außerdem eine Spannung in den Masseteren, so daß die Kranke den Mund nicht aufmachen konnte. Später fiel es ihrer Umgebung auf, daß sie nicht mehr essen sowie sprechen wollte oder konnte. Von nun an mußte sie mit einem Kaffeelöffel gefüttert werden. In diesem Zustande wurde sie nach Krakau in ein Privatsanatorium gebracht. Die Punktion brachte keinen pos. Befund. Prof. Piltz, der sie untersuchte, konstatierte: Allgemeine leichte Starre und Akinese, welche links stärker ausgeprägt war. Die Beine waren auffallend weniger rigid. Vollkommener Mutismus, Trismus, starke Nackensteifheit.

160 Eugen Brzezicki.

Die Nahrungsaufnahme geschah nur durch Löffelfütterung. In diesem schweren Zu- stande wurde sie am Abend des 4. Oktober 1928 in die Klinik gebracht. Die ganze Nacht hindurch schlief die Kranke gut, am Morgen frühstückte sie nicht. Es kam während der Nacht zu einer Incontinentia urinae. Einige Tage hindurch hielt Stuhl- verstopfung an. Man konnte mit der Kranken in keinen Kontakt treten. Manchmal hatte man den Eindruck, als ob die Kranke einiges Interesse an ihrer Umgebung zeigte. Meistens jedoch schaute sie in die Ferne, ohne den Blick auf einen Gegen- stand zu fesseln und das so weit, daß sie oft nicht einmal die elektrische Taschen- lampe zu fixieren imstande war. Dann wiederum konnte eine Fixationstendenz be merkt werden. Die Pupillen waren weit, rechts > als links, die Lichtreaktion war schwach. Das Gesicht war ziemlich blaß, amimisch, starr, fettglänzend und mit Schweißtropfen bedeckt. Die Zähne hielt sie fest aufeinandergepreBt. Auf Stich reagierte die Patientin mit einem schmerzlichen Mundverziehen. Beim Einflößen von Flüssigkeiten oder beim Berühren der Lippen kam es zum Auslösen eines Saugreflexes, das Schlucken jedoch ging nur langsam von statten. Nach einigen Löffeln hielt sie die Flüssigkeit lange im Mund und der Saugreflex verschwand. Der Kopf wurde starr über den Polster gehalten. Passive Seitenbewegungen des Kopfes waren möglich, das Neigen nach vorn und rückwärts aber sehr erschwert. Der Rumpf war steif und in der letzten Zeit im Gegensatze zu früher leicht flektiert. Die oberen Extremitäten wurden in Beugestellung gehalten und man spürte eine er- höhte plastische Starre, die im Schultergelenk stärker als im Ellbogengelenk aus- geprägt erschien. Die passiven Bewegungen im Handgelenk und in den Fingern konnten meistens leicht ausgeführt werden. Nach wiederholten passiven Bewegun- gen, öfters aber schon bei der ersten Bewegung, kommt es zu Spannungszuständen, die eine aktive Tendenz zeigen. Dieses „Gerenhalten“, dieser motorische Negativis- mus, ist sehr oft, aber nicht konstant zu registrieren. In dem Moment, wo bei passiven Bewegungen kein negativistisches (iegenhalten vorhanden ist und wo nur der erhöhte formgebende Tonus zu verspüren ist, scheint der Widerstand bei Flek- tieren stärker zu sein als beim Extendieren. Bei Berühren der Händefläche zeigt sich der Greifreflex. Von Zeit zu Zeit, jedoch nicht allzuoft, kommt es zu wahr- scheinlich unwillkürlichen zuckenden Hyperkinesen von kleinen Exkursionen. Diese Zuckungen treten auch in den unteren Extremitäten auf. Lungen, Herz, Bauchorgane o. B., Puls 130, Temperatur 39,2. Die B. D. R. nicht vorhanden. Die unteren Extremitäten sind nicht hypertonisch. Von Zeit zu Zeit zeigen sich tonische Aus- spannungen in allen Muskeln. Die P.S.R. und die A.S.R. sind beiderseits gleich und normal. Kein Klonus, sowie keinerlei pathologische Reflexe sind zu bemerken. Das linke Bein wird von den tonischen Spannungen öfters befallen als das rechte.

Der zugezogene Internist konnte an den inneren Organen nichts Abnormales finden. Er verordnete einen Aderlaß, Hypodermoklyse und Coramin. Schon bei der Abendvisite halte sich das Bild etwas geändert. Die extrapyramidale Starre, die doch stärker als die negativistischen Spannungen ausgeprägt war, ist ganz in den Hinter- grund getreten. Merkwürdigerweise war aber auch der Spannungszustand in den vorderen Nackenmuskeln verschwunden. Anstatt dessen trat eine Spannung in den hinteren Nackenmuskeln auf, so daß der Kopf etwas nach hinten geneigt und in dieser Position starr fixiert wurde, ohne jedoch das Kernig- oder Brudzinski-Phänomen zu zeigen. Man konnte auch bemerken, daß die Muskeln der oberen Extremitäten leicht angespannt waren. Jede Berührung, jede Probe, die gegebene Stellung der Arme zu verändern, rief sofort eine größere Spannung der Antagonisten, also ein regel- rechtes „Gegenhalten” hervor. Dieselben Spannungen traten auch in den unteren Extremitäten hervor. Die Patientin ist weiter mutistisch, liegt mit verschlossenen Augen da und widersetzt sich die Augen zu öffnen. Wenn man dann wiederum die Augen eine Zeitlang gewaltsam offen hält, so fixiert sie vorgehaltene und verfolgt auch sich bewegende Gegenstände und will dann die Augen nicht mehr schließen. Von Zeit zu Zeit überläuft ein generelles Zittern den ganzen Körper, es treten auch „Ausdrucksbewegungen” in dem linken Arm auf. Sie schluckt die dargereichten

Der Parkinsonismus symptomaticus. 161

flüssigen Speisen so langsam wie vorher. Am nächsten Tag, d. i. am 6. Jänner, gibt die Pflegerin an, daß die Patientin die ganze Nacht gut geschlafen habe. Morgen- temperatur 39,3, dieselbe negativistische motorische Einstellung wie am vorhergehen- den Abend. Der Nacken ist weiter steif, der Kopf liegt aber schon am Polster gestützt. Auch die Masseteren zeigen schon geringere Spannung. Der Rumpf ist noch immer starr. Bei Versuchen, die Extremitäten zu bewegen, verspürt man einen, der angewendeten Kraft entsprechenden Widerstand. Die Kranke wurde zur photographischen Aufnahme auf die Beine gestellt, was die ersten Male nicht ge- lang. Die Beine knickten nämlich im Kniegelenk zusammen. Allmählich vergrößerte sich die Starre in den Beinen, so daß die Kranke mit leichtflektierten Beinen, von zwei Pflegerinnen gehalten, am Boden stehen konnte (Abb. 1). Der Kopf ist starr

Abb. 1. Pat. in katatonischer Starre.

nach hinten gelenkt, das Gesicht amimisch, feucht, fettig glänzend, mit halb ge- öffneten Augen. Der Rumpf wird in halb flektierter Stellung starr gehalten. Die Arme sind halb flektiert. Als sich die Kranke vor der Kamera stehend sah, pro- bierte sie langsam die Pubisgegend mit den Händen zu verdecken. Bald aber gingen die Arme wieder in die halb flektierte Stellung zurück.

Die Punktion ergibt normalen Hirndruck sonst o. B.

Es wurde eine Injektion, 1 mg Scopolominum hydrobrom., gegeben. Nach 15 Minuten ist eine allgemeine Tonusherabsetzung festzustellen, die es erlaubte, alle Bewegungen viel leichter durch den Untersuchenden auszuführen. Zu nor- malem Tonuszustand aber kam es nicht. Es treten beiderseits Tendenzen zu patho- logischen Reflexen auf, so zu Babinski und Oppenheim. Bei Betasten der Lippen kommt es leicht zur „Schnauzebildung“ und zum Saugreflex. Der Greif- reflex ist viel leichter hervorzurufen als vorher. Einige Minuten später fiel die Kranke in tiefen Schlaf mit röchelndem Atmen. Starkes allgemeines profuses Schwit- zen und Querzuckungen aller vier Extremitäten trat eine Stunde nach der Einsprit- zung auf. Ebenso traten Zuckungen in den Gesichtsmuskeln auf. Die Starre trat

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 11

162 Eugen Brzezicki.

nach 40 Minuten wieder allmählich ein. Die Kranke schlief zwei Stunden hindurch. Nach dem Erwachen status quo ante, d. h. negativistische Rigidität. Mutismus; eben- so ist die Tendenz zu pathologischen Reflexen verschwunden. Die Abendtemperatur betrug 39,6, dabei schwitzt die Kranke sehr profus. Auf schmerzhafte Reize und Stiche reagiert sie nur mit einem Verziehen des Gesichtes. Die negativistische Starre ist unverändert und ebenso wie vorher verweigert die Kranke jegliche Nah- rungsaufnahme. In der Nacht status idem., Puls 160, Temperatur 39,8. Am 7. Jänner 1929 Temperatur 39,3, Puls 130, schwach. Der neurologische Befund lautet wie bisher. Um die Mittagszeit Coma. Die Starre ist verschwunden, es treten agonale Erscheinungen auf, Exitus erfolgt um 3 Uhr 15 Minuten nachmittags.

Dgn.: Enzephalomalazie nach CO-Vergiftung im Bereiche der Pallida (rechts größer).

Die Sektion konnte nicht ausgeführt werden, nur das Gehirn wurde zwei Stun- den nach dem Tode herausgenommen. Die Schädelknochen waren dick, die Dura glänzend und etwas hyperimisch. Nach Aufschneiden der Dura floß klare Flüssig- keit unter normalem Druck aus. Das Gehirn wog 1360 g. Die Pia war normal. Die Gehirnoberfliche war etwas hyperimisch. Das Gehirn wurde in Scheiben zerlegt. An der Stelle der größten Entfaltung des Pallidum sieht man beiderseits malazische Herde in diesen Kernen (rechts > links). Sonst scheint das Gehirngewebe mit Aus- nahme einer mäßigen Hyperämie normal zu sein. Das Gehirn wurde teilweise in Alkohol, teilweise in Formalin gehärtet und fixiert. Die Basalganglien in toto, die Brücke und das verlängerte Mark wurden zum größten Teil in Zelloidin eingebettet, um Serienschnitte zu gewinnen, kleine Teile wurden jedoch in Paraphin eingebettet und auf Gefrierschnitte vorbereitet, um Bielschowsky-Färbung, Fettfärbung, Spiel- meyer, Cardillo (Gliafärbung) und Biondi zu ermöglichen. Paraffinschnitte wurden für Thionin, van Gieson, Eosin, Perdrau und Bielschowsky-Maresch vorbereitet. Zel- loidinschnitte wurden mit Kresylviolett, van Gieson, Mucikarmin, Eosin, Perdrau, Re sorzin-Fuchsin, Klarfeld serienweise gefärbt. Von Gliafärbungen wurden Holzer, Car- dillo, Globus-Hortega, Alzheimer VI., angefertigt. Aus der Gehirnoberfläche wurden 40 Ausschnitte beiderseits gemacht. Die Cornua Ammonis, die motorische Rinde, die Frontalrinde und Sprachrinde wurden besonders sorgfältig untersucht, ebenso das oberflächliche und tiefe Mark. Die Ausschnitte wurden nach der üblichen Methode von Spielmeyer gewählt, doch wurde auch auf die Einteilung von Economo-Koskinas Rücksicht genommen. Das Rückenmark konnte leider nicht untersucht werden.

Die anatomisch-mikroskopische Untersuchung ergab folgendes: Die Pia der Groß- hirnrinde zeigt im allgemeinen nicht allzu große Veränderungen. Man sieht zwar Er- weiterung der Lumina der Arterien wie auch der Venen, kann aber keine größeren Blutungen auffinden. Hie und da sind ganz minimale venöse Blutungen anzu- treffen. In allen Gefäßen befindet sich Blut und zu kleinen Häufchen geballte Leukozyten. Diese sehr spärlichen Blutungen sind nur auf die unmittelbare Nachbar- schaft der Venen beschränkt. Überall zeigt sich die Hirnrinde, die mit größter Genauigkeit untersucht wurde, intakt. Man sieht keine Störung der Architektonik, nur trifft man hie und da ganz minimale herdförmige Aus- fälle der Zellen an, die aber ganz unauffällig sind und nur in diesen Präpa- raten gefunden werden, bei denen Formolfixierung angewandt wurde. In diesen Präparaten sieht man auch einige Schattenzellen. Alle diese Veränderungen sind aber in dem mit Alkohol fixierten Material nicht sichtbar. Die Fettfärbung zeigt keine Vermehrung der Fettsubstanz, nicht einmal in den Gefäßwandzellen. Die Gefäße je doch sind erkrankt und man muß zugeben, daß sie überall verändert sind. Die am meisten in die Augen fallende krankhafte Veränderung der Rindengefäße besteht in einer sehr erheblichen Erweiterung und starken Blutfüllung. Selbst die kleinen Ar- terien strotzen von Blut. Die Intima der Arterien ist etwas verdickt. Außer dieser, sehr gut sichtbaren Intimawucherung sieht man noch entzündlich infiltrative Vorgänge in der Adventitia: Einlagerungen von Rundzellen (l.ymphozyten), ohne jedoch Plasma- zellen zu schen. Auch um die Gefäße herum sieht man nicht allzu selten ein Rund-

Der Parkinsonismus symptomaticus. 163

zelleninfiltrat. Die Media ist meistens im Nissl-Präparat stark lichtbrechend und im van Gieson-Präparat leuchtend rot. Wir haben also die sogenannte Hyalindegeneration vor uns. Die Weigert-Resorzin-Fuchsin-Präparate zeigen meistens eine schlechte Ela- stikafärbung. Obwohl die Rinde sehr sorgfältig durchgemustert wurde, konnten wir nirgends größere und namhaftere Veränderungen, außer den oben genannten, fest- stellen. Alle fünf Rindenhauptareale und außer den die Felder Fa, Pc, FB, FcBm, Fpa, FDm, FE, Fr, (TE, Oc, Oa, Ha), JA, PEm, Pr, PEm Pc, Tc, Ta. Te, nach Economo-Koskinas wurden untersucht. Viele von den sogenannten normalen Ge hirnen zeigen nach Formolfixierung ähnliche „Ausfälle“. Desgleichen konnten wir in den Ammonshörnern keine markanten Veränderungen antreffen, die uns gestattet hätten, etwaige Schlüsse auf pathologische Veränderungen zu ziehen. Selbst der so oft verändert gefundene Sommersche Sektor (Allocortex) scheint uns intakt zu sein. Selbstverständlich sind hier, wie überall, die Gefäße stark erweitert und mit Blut gefüllt und zeigen Rundzellinfiltrationen, Hyalinisierung der Media sowie Intirna- proliferationen ebenso, wie in verschiedenen Teilen des Isokortex.

Die Glia scheint intakt zu sein. Sowohl Nissl-Präparate wie auch Alzheimer VI- Präparate zeigen, daß die Glia nicht beschädigt ist. Die Markfaserung der Rinde er- scheint, wenn auch nur in Heidenhain-Präparaten (Formalin, Zelloidin), intakt.

Die Veränderungen des Markes sind im ganzen und großen genommen minimal. Das Hirnmark wurde an allen Hirnrindenpräparaten untersucht, was einen Einblick in den Zustand der Zone, die unter der Rindenmarkgrenze liegt, erlaubt. An allen diesen untersuchten Stellen des Gehirns ist das Hemisphärenmark in den Myelin- präparaten wie auch bei der Bielschowsky-Imprägnation vollkommen normal. Auch die Gliafärbung, die doch ein Negativ der Myelinfärbungen darstellt, zeigt keine Ab- weichungen vom normalen Bau der Glia. Hie und da sieht man Gliaknötchen, die an Stelle der ausgefallenen Myelinfasern entstanden sind. In der Herxheimer- schen Fettfärbung sieht man vereinzelte Fetttröpfchen, die jedoch sehr spärlich sind. Ganz besonderen Wert haben wir auf die Untersuchung des tiefen Markes gelegt, da die Untersuchung des oberflächlichen Markes fast negativ ausfiel. Im NiBl-Bilde sieht man im Frontalmark, im Balken und im Okzipitalmark an einigen Stellen kleine Herde von proliferierender Glia in Form von kleinen Gliaknötchen, die im Schnitte aus 5 bis 7 Oligodendrogliazellen bestanden. Die Weigert-Palsche und die Kulschitzky- Färbung zeigte keine Abweichungen von der Norm. Dasselbe gilt auch für die Biel- schowsky-Methode. Ganz besonders müssen wir das Intaktsein des Balkens hervor- heben. Die Glia zeigt dort eine normale Architektonik und ist außer den schon oben beschriebenen Knötchen nicht verändert. Die Gefäße der weißen Substanz zeigen keine Intimaproliferation, keine Hyalinisierung und keinerlei Infiltrate. Das Areal der Stabkranzfasern zeigt schon normalerweise lichtere Flecken im Vergleiche mit dem Oberfliichenmark, dem Balken und der Capsula interna. In den Mark- faserfärbungen auf der Höhe der Commissura anterior fand sich eine leichte Aufhellung in der Corona radiata, die über den Putamina und auch lateral von ihnen liegt und eine nicht größere Fläche als 1 gem einnimmt. Diese Aufhellung schien uns jedoch stärker zu sein als in normalen Fällen. Die sorgfältigere Untersuchung mit stärkeren Linsensystemen zeigte in den äußeren Zonen der Lichtung keine direkten Ausfälle der Markfasern, dagegen eine unverkennbare allgemeine leichte Lichtung der Fasern, die manchmal herdförmig etwas stärker akzentuiert war. Gegen das Innere der Lich- tung zu, änderte sich dieses im ganzen recht ruhige Bild und man bekam noch dazu leicht erkennbare Ausfälle der Myelinfaserung zu sehen. An den Stellen des Myelinfaserausfalles kam es zu einer Gliafaserproduktion, die besonders gut in Glia- faserpräparaten sichtbar ist. Diese spongiöse Struktur hat aber keinen größeren Um- fang als 0,5 gem und klingt, wie gesagt, lateralwärts ab, um in eine Aufhellung über- zugehen. In Gliafaserpräparaten sieht man schöne faserbildende Astrozyten und eine anisomorphe Gliose, die jedoch den schon älteren, sich aber im Status spongiosus noch befindenden Herd, nicht auszufüllen imstande war. Die sich mannigfaltig über- kreuzenden Bündel der Gliafaserung zeigen dieselben Verhältnisse, die in der Spiel-

11°

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meyerschen Histopathologie, S. 326 und 327, abgebildet sind. Zwischen diesen Biindeln sieht man Astrozyten und wahrscheinlich gliogene Körnchenzellen in nicht zu großer Menge. Diesen kleinen Herd konnten wir jedoch nur 15 bis 16 mm weit verfolgen. Wir hatten nämlich leider nur Stammganglienserienschnitte, so daß dieser Herd bald verschwand. Es konnte sich nicht um einen Teil der Balkenfaserung handeln, da der Balken intakt war. Es war höchstwahrscheinlich ein Assoziations- bündel, das jedoch in kein funktionell wichtiges Rindenareal zog, da wir alle diese Stellen, besonders die motorischen, untersucht und intakt gefunden hatten. Die Herxheimerschen Fettpräparate zeigten etwas Fett in Form von kleinen Tröpfchen. Das Fett war aber nur dort zu finden, wo der Myelinausfall stattgefunden hatte. In der Zone, wo es nur zur Aufhellung gekommen war, konnten wir kein Fett finden. Der Ausfall in beiden Hemisphären ist fast identisch. Nirgends konnten wir eine Stelle finden, wo der oben beschriebene Status spongiosus sich in einen Erweichungs- herd, d. h. in einen nekrotischen Herd mit Körnchenzellbildung umgewandelt hätte. Die Gefäße in der Marksubstanz sind alle maximal dilatiert. Die Arterien sowohl die kleineren wie auch die größeren zeigen eine nicht proliferierte Intima. Die Intimazellen zeigen aber viele Vakuolen im Zellplasma und eine Vergrößerung und Aufhellung des Kernes. Die Elastika zeigt sehr oft eine Aufsplitterung der elasti- schen Membran, ohne jedoch eine Neubildung von elastischen Fasern aufzuweisen. Die Media ist meistens verdickt und hyperplastisch, die Färbung ist jedoch normal. Die Kerne scheinen nur einfach vermehrt zu sein. Die Adventitia zeigt keine größeren Abweichungen von der Norm. Die Venen sind aufs höchste dilatiert und strotzen von Blut. Die Venenwände scheinen nicht verändert zu sein.

Die Stammganglien wurden nach der Zerlegung des Gehirns in Scheiben heraus- geschnitten und dann wurden die Scheiben abwechselnd im Alkohol und in Formol fixiert. Da die Scheiben dann auf Blöcken aufgeklebt wurden, kann man eigentlich von keiner lückenlosen Serie sprechen. Wir haben jedoch vermieden, viel von den ersten Schnitten zu verlieren, so daß man doch von einer fast lückenlosen Serie sprechen darf. Zu unseren Zwecken war diese Art von Einbettung nötig und für unsere Zwecke auch genügend. Auch die Gefrierschnitte waren serienmäßig her- gestellt worden. Zelloidinschnitte waren auf 15 u geschnitten, Paraffin und Gefrier- schnitte auf 10 u.

Schon die Lupenbetrachtung des Pallidums hatte verraten, daß es sich in dem befallenen Herd um eine Erweichung handelt. Die mikroskopische Untersuchung be- stätigte diesen ersten Eindruck. Betrachten wir nun entsprechend unserer Richtlinie zunächst das Kaudatum, dann das Putamen und zuletzt das Pallidum, so ergibt sich folgendes:

Das Kaudatum ist im ganzen und großen nicht geschrumpft, die durchziehenden Myelinfasern sind nicht verdickt, aber auch nicht verschmälert. Die großen Zellen des Kaudatum (wir sprechen nur von Blöcken, die in Alkohol fixiert worden waren) zeigen im allgemeinen eine viel dunklere diffuse Tinktion des Kernes, welcher etwas exzentrisch gelagert ist. Alle Zellen zeigen eine größere Menge von Abnutzungs- pigment, was vielleicht auch der Grund der Verschiebung des Kernes ist. Das Plasma zeigt keine Tigroidschollen und ist etwas verwaschen. Man kann aber auch große Kaudatumzellen finden, die keine Kerngrenze aufweisen und bei denen das Plasma so verschwonmene Struktur hat, daß es unmöglich erscheint, die Zellen von der Grundsubstanz abzugrenzen. Die Zahl der Kaudatumzellen scheint etwas vermindert zu sein; Zählungen der Zellen zeigen im Vergleiche mit den großen Putamenzellen ein Verhältnis wie 2:3. Die großen Zellen haben wie immer viele Trabanten. Die besprochenen, pathologisch veränderten Zellen zeigen keine Trabantzellenvermehrung. Die kleinen Kaudatumzellen scheinen normal zu sein. Allerdings ist zu betonen, daß nur ausgedehntere Veränderungen in diesen Zellen, deren Zahl in die Millionen geht, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten. Die Stützsubstanz scheint im Nissl- Präparat normal zu sein. Die Gliazellen, sowohl die groBen wie auch die kleinen, zeigen normale Verhältnisse, Man sieht keine Gliahäufchen, selbst an solchen Stellen,

Der Parkinsonismus symptomaticus. 165

wo man einen Ausfall der Ganglienzellen hätte vermuten können. Selbst Schatten- zellen zeigen keine Anziehungskraft für die Gliazellen. Alle Gefäße sind maximal erweitert und zeigen die schon in der Rinde beschriebenen Veränderungen. Sehr interessant ist die Frage der Kapillarversorgung dieses Gebietes. Wir haben auf diesen Punkt ganz besonderen Wert gelegt und eine gründliche Untersuchung in allen uns interessierenden Kernen der Basalganglien durchgeführt. Da die bisherigen Me thoden nicht allzu sicher arbeiten, so haben wir mehrere Färbungsarten vorgenommen. Es hat sich ergeben, daß die Heidenhain-Eisenhämatoxylinfärbung auf Formalinblöcken sehr brauchbar für diesen Zweck sein kann, da sie die roten Blutkörperchen schwarz färbt. Bei der Stase, die ja in unserem Falle sehr stark war, hat sich diese Methode als brauchbar erwiesen. Außerdem haben wir die Methode von Perdrau, die an Zelloidinpräparaten meist gut gelingt, und die ausgezeichnete Biondi-Methode an- gewendet. Die Klarfeldsche Methode hat sich allzu inkonstant erwiesen, als daß man sie empfehlen könnte. Vergleichende Untersuchungen mußten selbstverständlich auch auf anderem Gehirnmaterial durchgeführt werden. Es scheint uns, daß das Kaudalum eine sehr dichte Kapillarversorgung, die noch etwas dichter als im Pu- tamen ist, besitzt. Selbstverständlich zeigen verschiedene Gegenden verschiedene Dichtegrade, so daß man auch im Putamen Stellen finden kann, welche dichter als das Kaudatum vaskularisiert sind. Jedoch der Vergleich von vielen photographischen Bildern erlaubt es uns, die obige Vermutung auszusprechen. Wir können deshalb von keiner vollkommenen Sicherheit unserer Hypothese sprechen, da schließlich der Ver- gleich nie vollkommen objektiv sein kann, da er nur auf optischem Wege zustande kommt. Die Kapillaren zeigen eine reiche Verästelung, so daß man das von ihnen versorgte Gebiet mit einem Platz von vielen kleinen abgebrochenen Ästchen ver- gleichen kann. Die relativ selten von Myelinfasern durchzogenen Stellen im Striatum zeigen eine höchst dürftige Kapillarversorgung.

Die Myelinfaserung im Kaudatum ist im allgemeinen etwas schütterer als im Putamen. Besonders kaudalwärts scheint diese Tatsache stärker in die Augen zu springen. Diese Myelinfasern färben sich überall sehr intensiv, so daß man von keinem, selbst nicht dem geringsten Ausfall sprechen darf. Auch die Bielschowsky-Methode zeigt normale Nervenfibrillen.

Das Putamen zeigt ganz normale große Ganglienzellen. Es ist doch auf- fallend, daß dieser Kern, welcher doch per continuitatem in das Kaudatum über- geht und eigentlich, anatomisch genommen, eine untrennbare Einheit mit dem Kaudatum darstellt und deswegen auch „Striatum“ benannt wurde, trotzdem ein ab- weichendes Bild gibt. Der Kern der großen Ganglienzellen ist in mit Alkohol fixierten Präparaten hell, zeigt eine deutlich sichtbare Faltung der Membran und ist mit gut- gezeichneten Kernkörperchen ausgestattet. Die Menge des Abnützungspigments ist dem Alter entsprechend vergrößert, jedoch nicht in dem Maße wie im Kaudatum, wo es den Kern periphärwärts verdrängt. Auch hier läßt sich die Nissl-Substanz nicht gut abgrenzen, sondern sie ist etwas verschwommen und ebenfalls gegen die Peri- pherie abgedrängt. Das Plasma ist normal, hat scharfe Grenzen und ist hyperchro- matisch. In jedem Gesichtsfelde sieht man 1 bis 2 große Ganglienzellen, so daß im Vergleiche mit dem Kaudatum die großen Zellen im Putamen sichtlich zahlreicher vorkommen. Wir konnten keine Zelle finden, die sichtbare und bedeutendere patho- logische Veränderungen gezeigt hätte. Die kleinen Putamenzellen waren genau so wie im Kaudatum anscheinend vollkommen normal. Sowohl die großen wie auch die kleinen Gliazellen zeigten keine Abweichungen von der Norm; ebenso haben die großen Ganglienzellen die gewöhnliche Anzahl von Trabantenzellen und auch die Grundsubstanz zeigt keine abnormale Struktur. Das eisenhaltige Pigment, das oft bei Erkrankungen des extrapyramidalen Systems im Striopallidum ausgeschieden wird und dann in kleinen grünlichblauen Schollen im Nissl-Präparat sichtbar ist, ist in normaler Verteilung und Menge vorhanden. Nur in der Nähe von größeren Gefäßen sieht man manchmal in den Adventitiaspalten etwas mehr von diesen Schollen als im normalen Zustand. Jedenfalls sieht man im Putamen viel weniger von diesem Pigment

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als im Kaudatum. Die Gefäße des Putamen zeigen dasselbe Bild wie die des Kauda- tums. Man sieht dennoch dieselben Veränderungen, die man bei veralteten Fällen von Luesinfektion anzutreffen gewohnt ist. Außerdem sieht man eine kolossale Erweite- rung und Blutfüllung der Gefäße, so daß die meisten von ihnen schon makroskopisch sichtbar sind. Die Kapillaren sind so stark erweitert und so von Blut strotzend, daß eigentlich alle Färbemethoden die große Zahl der Kapillaren und ihre Verzweigungen gut ersichtlich machen. Schon die Thioninpräparate, aber besonders die Kresyl- violetipräparate zeigen die große Menge der Kapillaren, da sich das Blut metachro- matisch färbt. Um jedoch die Kapillaren in den Vordergrund treten zu lassen, haben wir die Heidenhain-Eisenhämatoxylinfärbung, die Weigert-Elastikafärbung und die im- prägnierenden Methoden von Perdrau und Biondi angewendet. Es scheint uns, daß das Putamen sowie auch andere Kerne nicht ganz gleichmäßig vaskularisiert sind. Ab- gesehen von den durchziehenden Myelinfasern, die hier viel dichter als im Kaudatunı vorkommen und die gefäßarm sind, kommen außerhalb dieser Stellen kleine Orte vor, die dürftiger oder reichlicher als normal vaskularisiert sind. Im all- gemeinen haben wir den Eindruck, daß das Putamen vielleicht nicht so reichlich wie das Kaudatum mit Kapillaren versorgt ist. Der Unterschied ist zwar nicht groß, aber uns scheint er doch merkbar zu sein. Die Ramifizierung der Kapillaren ist dieseibe wie im Kaudatum, das heißt, man sieht 50 bis 150 u lange, in 2 bis 4 Aste sich auf- lösende Kapillaren. Alle diese Kapillaren sind nicht nur durch Silber, sondern auch durch Resorzin-Fuchsin färbbar. Die Myelinscheiden verlaufen in Bündeln, welche gut fiirbbar sind und wie sonst im normalen Putamen in größerer Menge vorkommen als im Kaudatum.

Das Pallidum mißt auf unseren Frontalschnitten ungefähr 21.350 u, und zwar 12.700 u das Pallidum ext. und 8650 u das Pallidum int., vom frontalen bis zum kau- dalen Pol. Vom frontalen Pol bis zur Comissura ant. mißt das Pallidum ext. 4050 u. Der Herd ist 2700 u weit vom frontalen Pol des Pallidum entfernt. In dieser Gegend, noch verhältnismäßig weit vom frontalsten Anteile der Comissura ant., sicht man die zwei großen Kopfteile des Striatum durch die Faserung der Capsula interna voneinander getrennt, und an die Ca. int. sich anlehnend, den Anfang des äußeren Kernes des Pallidum. In dem medialen Teile sieht man zwei dünne, lange Venen sich gabelartig vereinigen und gegen die Stria terminalis ziehen und in einer der Terminalvenen enden. Rund um diese zwei Venen im Pallidum sieht man Anfänge einer Erweichung mit den charakteristischen Bildern der Körnchenzellbildung. Außerdem sprossen Fibro- hlastenziige in relativ sehr großer Menge aus den Wänden der Vene vor. Weiters treten Lymphozyten und Rundzelleninfiltrate, kurz und gut alle Vorgänge, die dem Abbau der Abräumung und der Reparation angehören, auf. Diese Kolliquationsnekrose ist in diesem Präparate noch in ihren Anfängen und beschränkt sich nur auf eine ganz kurze Strecke und nur auf das ganz naheliegende Nachbargewebe in der Umgebung der Vene. In unseren Präparaten sind diese zwei Venen der Länge nach getroffen und in einer so glücklichen Weise, daß man beide Venen nicht nur bis zur Ver- einigung, aber auch weiter bis zur Terminalvene verfolgen kann.

Wie gesagt, ist die Venenwand dünn, die Endothelzellen sind normal und die Intima ist nicht proliferiert. Der Rest der Adventitia scheint auch an den meisten Stellen normal zu sein. Höchst auffallend ist in aufeinandergelegt gedachten Serien- schnitten der Lumendurchmesser, Diese Vene zeigt nämlich perlenschnurartige Auf- treibungen des Lumens; manchmal ist sie auffallend kollabiert und schlitzartig, an anderen Stellen wieder rund und sehr stark erweitert. Nur an wenigen Stellen ist die Vene bluthaltig und dann sind die Blutzellen ausgelaugt und ihr Umriß verschwom- men. Außerhalb der Vene sieht man ganz minimale Mengen von Blutpigment und sehr starke Quellungserscheinungen. Dieses eben skizzierte Bild gilt natürlich nur für diesen Teil der beiden in Frage kommenden Venen, die außerhalb der Nekrose liegen und auf Serienschnitten leicht zu verfolgen waren. In der Nekrose sieht man eine kolossale Hyperplasie des mesodermalen Gewebes, das aus der Wand der Vene stammen muß. Diese Nekrose entsteht zwischen zwei Ästen der Vene, so daß die Nekrose, sowohl die

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eine wie auch die andere, gleichsam wie in einer Schere zwischen zwei kleinen Venen liegt, aber außerdem die Venen selbst muffartig umschlingt. Der am oralsten liegende Teil der Nekrose umringt einfach die kleine Vene; erst zwischen den kaudaler ge- legenen Venen konımt es außer den umringenden Nekrosen noch zu solchen Nekrosen, die im Zwischengebiete mehrerer Venen entstehen und sich zuletzt in eine allgemeine Nekrose umwandeln.

Alle Zellen in dieser ganz oralen, mikroskopischen, aber sich lang hinziehenden Nekrose sind gut färbbar. Bevor noch die Vene die Pallidumgrenze erreicht, ver- schwindet die Nekrose, jedoch begleiten leichte Quellungserscheinungen diese Venen bis zu der Terminalvene. Es ist charakteristisch, daß beide oralst gelegenen kleinen Venen, dann auch die größere aus den beiden entstandene, wie gesagt, stellenweise kollabiert sind und nur wenige Blutkörperchen in ihrem Lumen bergen, und daß erst die Terminalvene etwas stärker mit Blut gefüllt ist. Alle anderen, nicht von dem Nekroseherd umringten Venen des Pallidums sind sehr erweitert und mit Blut an- gefüllt. Es scheint uns auch, daß in diesen besprochenen Herden die Körnchenzellen aus den dichten fibroblastischen Netzen entstehen und nicht nur gliogener Herkunft sind. Die fibroblastischen Netze entstehen meistens aus der im Bereiche des Nekrose- herdes befindlichen Vene und verzweigen sich sehr reichlich, weiters bilden sie auch neue Kapillaren. Lateralwärts, wo noch dieselbe Vene sichtbar ist, und wo es noch zu keinen sichtbaren Zerfallserscheinungen gekommen ist, sieht man schon eine Menge von diesen Fibroblastenzügen, die von der Vene aus in das umgebende, schein- bar sich noch gut färbende Gewebe, eindringen. In der Umgebung der Vene sind Blut- körperchen oder Blutpigmente nur höchst selten sichtbar. Leukozyten wurden nicht gesehen. In der besprochenen Vene konnten wir unter dem Endothel sich bei Nissl- Färbung dunkelblau, mit Hämatoxylin sich schwarz färbende Brocken und Schollen entdecken, «die aber sonst in keinen anderen Venen oder Arterien dieser Pallidum- gegend sichtbar waren. In den nächsten Schnitten vergrößert sich, wie schon gesagt, die Zahl der Gefäße und deren Länge nach und nach, und rundherum entstehen kleine rohrartige Nekrosen. Wir haben auch hier den Eindruck, daß alle diese Gefäße Venen sind, die zu den Terminalvenen ziehen. Wir können aber keine Beweise dafür er- bringen, da diese Gefäße schon keine charakteristischen Wandungen mehr haben, weil im Bereiche des Herdes aus ihnen frische Kapillaren, neue Gefüäßchen und auch Sprossungen entstehen, wodurch das Bild verwischt wird. Die Zahl der zusammen- hängenden länglichen Nekroseherde, die dem Verlaufe der Gefäße folgen, nimmt kaudalwärts an Menge zu, so daß sich dort aus diesen vielen Herdchen ein großer Herd entwickelt. Anfänglich zeigt dieser große Herd von unregelmäßiger Konfiguration noch keine Lücken und Ausfälle der Grundsubstanz, da die große Menge von Ge fäßen und Sprossungen des mesodermalen Gewebes die ektodermale Grundsubstanz so stark durchflechtet, daB es noch nicht zu Lückenbildung kommen kann. Bei der Vergrößerung des Herdes aber genügt mit der Zeit die Nachbildung der Narbe nicht mehr und es kommt zu einigen relativ großen Höhlenbildungen. Diese Höhlenbildung zeigt keine Tendenz zur Ausbreitung medial- und lateralwärts, sondern nur fronto- kaudalwärts. Die mediale und laterale Begrenzung der Höhle ist meist abrupt mit Ausnahme einer einzigen Stelle, wo sich die Nekrose längs eines GefiiBes lateralwärts vergrößert. Die Höhlenbildung verjüngt sich kaudalwärts schlitzartig, mit einer hori- zontal liegenden Schlitzhöhle, und endet in derselben Art und Weise wie im fron- talen Anteil. Wir könnten jedoch in den kaudalen Schnitten den Zusammenhang der Nekrose mit der Venenbahn nicht mehr so gut beweisen, da uns unsere Schnitte schon keine sicheren Beweise in die Hand geben. Wir glauben, daß, wenn wir die Größe der Höhle in zwei Dimensionen darstellen werden, d. h. in den fronto-kaudalen und in Flachschnitten, man imstande sein wird, sich die Höhlengröße und ihre Ausbrei- tung zu rekonstruieren. Im oralsten Teile des Pallidum ext. beginnt die Erweichung gabelartig, horizontal, sie vergrößert sich schnell, mehr auf das Pallidum int. über- gehend, wo sie einen großen Teil, mindestens zwei Drittel des Innenkernes, einnimmt, aber einen Arın in das Pallidum ext. entsendet. Die Höhle bzw. die Erweichung hält

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sich knapp an die Grenzen der Capsula int. Sie verjüngt sich schnell, um horizontal schlitzartig zu enden. Sie endet 7100 u vom Frontalpol entfernt, hat also 5400 u. Wenn wir uns diese Aushöhlung an Horizontalschnitten vorstellen wollen, so müssen wir uns eine längliche Höhle denken, die sich knapp an die Ca. int. hält und von

Abb. 2. Bilaterale Pallidumveränderungen.

vorne oben nach unten rückwärts zieht. Sie liegt also fast ganz medial, beschädigt oben nur das äußere Glied des Pallidum, geht nach unten auf das innere Glied über, um zuletzt unten fast nur dieses zu beschädigen. Diese Art der Nekrose ist beider- seits gleich, nur ist das rechte Pallidum ungefähr zweimal so stark beschädigt wie das linke (siehe Abb. 2 und 3)

Abb. 3. Nekrose im Pallidum.

Die Ganglienzellen, die im Bereiche der Erweichung sich befinden, verhalten sich verschieden. Die in dem oralsten Teile der Nekrose liegenden scheinen äußer- lich nur wenig geschädigt zu sein. Obwohl wir nur Formolpräparate vor uns hatten, was uns nicht erlaubt, bindende Schlüsse aus diesen Bildern auf die pathologischen Zustände, die sich innerhalb der Zelle abgespielt haben, zu ziehen, so glauben wir, daß diese Erweichung ganz jungen Datums ist. Schon in der Zone, wo die Erweichung

Der Parkinsonismus symptomaticus. 169

größer ist und wo auch Körnchenzellen auftreten, sind die Pallidum-Ganglienzellen sehr stark entfirbt; sie erscheinen homogen, sind sehr stark verkleinert und verschmälert, mit meistens eckigem, dunkel gefärbtem Kern. Andere wieder zeigen außerdem eine Einstreuung abnorm imprägnierbarer Stoffe rund um die Zelle und um die Fortsätze herum. Es kommt direkt zu einer mantelartigen Inkrustation der Dendriten und des Axons. Diese Zellen sind vielleicht die Vorläufer späterer solcher Bilder, die auf den Präparaten kaudalwärts sehr oft vorkommen. Es handelt sich nämlich um eine mehr oder weniger ausgeprägte Verkalkung der Ganglienzellen, die aber nur im Bereiche des nekrotischen Herdes auftritt. Die Glia spielt in der Erweichungszone unseres

Abb. 4. Gruppe verkalkter Gliazellen mit amorphen Konkrementen im Pallidum.

Falles keine so hervorragende Rolle, wie meistens in Nekrosen anderer Herkunft. Sie verhält sich fast gleichgültig. Selbstverständlich kann man hier von keinen rein mesodermalen, sondern eher von einem mesodermal-gliösen Abbau sprechen, obwohl die Reperation fast völlig, die Abräumung und der Abbau zum großen Teile meso- dermal sind. Besonders interessant ist das Verhalten des gliösen Apparates den Gang- lienzellen gegenüber. Bekanntlich umringen die sogenannten Trabantzellen verhältnis- mäßig selten die Pallidumzellen. In unseren Präparaten sieht man dasselbe auch im Abbau; die großen Zellen verschwinden ohne sichtbarer Anteilnahme der Glia an diesem Prozeß. In der Nähe des Nekroseherdes schon dort, wo die Fibroblastenzüge ein dichtes Netz bilden, sieht man große Gliakerne, die der faserbildenden Glia an- gehören. Man sieht auch rein protoplasmatische Glia, die im Nissl-Bild den „ge- mästeten“ Gliaformen ähnlich sind. Diese Glia ist aber, der Glioarchitektonik des Palli- dum konform, seltener zu sehen. Auffallenderweise konnte ich keine Gliarasen ent- decken. Diese Gliaelemente verwandeln sich in der Nekrose und in der nächsten Umgebung derselben in gliöse Körnchenkugeln bzw. Gitterzellen. Die charakteristische Kernstruktur und das in unseren Präparaten gut sichtbare Abtrennen von der Grund- substanz ist ein genügender Beweis für diese Abstammung. Manchmal sieht man in

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diesen gliogenen Körnchenzellen Mitosen. Jedenfalls konnten wir im Inhalt keiner Körnchenzelle Blutpigment nachweisen. Alle färbten sich aber hoch- rot in Scharlachfärbung. Da die meisten Gliazellen im Pallidum aus dem Kleintypus sich rekrutieren (aus Oligodendroglia und Mikroglia), so ist es wahrscheinlich, daß auch diese zahlreiche „Mastglia‘“ mit den großen, hellen, exzentrisch gelegenen Kernen aus dem kleinen Gliatypus entstanden ist. In der Umgebung des Herdes sieht man oft genug verkalkte Gliazellen (Abb. 4). Der Herd selbst ist durch Gefäßsprossungen in einige Höhlen geteilt worden. In der Erweichungszone rund um die Höhle sieht man keine Spur vom eigentlichen Nervengewebe, sondern nur Körnchenzellen in großer Menge, die teilweise epithelartig dicht aneinandergelegt sind.

Die Gefäße des Herdes zeigen eine erhebliche Proliferation ihrer Wandzellen, außerdem gar nicht selten lymphozytire Infiltrate mäßigen Grades und da und dort einige Mastzellen. Die Wandproliferation besteht aus einer Intimaverdickung. Man sieht oft einige Reihen von Intimazellen, die jedoch nie zu einem Verschluß des Ge- fäßes führen (Abb. 5). Die Elastika ist meistens erkrankt. Man sieht in ihr Pseudo- kalkablagerungen, und zwar in Form von Schollen, was wir sonst in der Intima nie

Abb. 5. Körnelige Pseudokalkinkrustation der Wand einer Arteriole mit vorgeschrittener Wandnekrose der äußeren Schichten und obliterierender Endarteriopathie.

bemerken konnten. Besonders an den längst getroffenen Gefäßen sieht man diese pathologische Veränderung sehr deutlich. Besonders klar sieht man den Anfang dieser Erkrankung, nämlich minimale Körnchen und Fäden, in denen sich eine ,,Pseudo- kalkdegeneration“ abspielt. Diese Pseudokalkbröckelchen und -körnchen sieht man auch in der umgebenden Grundsubstanz, wie es Hueck schon früher besonders her- vorgehoben hat. Zuletzt zerbröckelt die degenerierte Elastika in Körnchen, oder aber sie zerfällt in konzentrische Ringe. Die Media erkrankt viel später usw. erst dann, wenn die Elastikaveränderung schon weit vorgeschritten ist. In der Adventitia sieht man einzelne „Kalkpartikeln“ in Staubform, die auch rund um das Gefäß herum zu finden sind. Auf eine Tatsache noch möchte ich die Aufmerksamkeit lenken, näm- lich auf solche Staubpartikelchen, die neben den in Hämatoxylin sich schwarz färben- den, als solche von bräunlicher Farbe, auftreten. Auch kommen in der Elastika ab- getrennte, sichtbare Fäden vor, die sich bei Färbung ebenso verhalten wie die Staub- partikelchen. Sie scheinen auch nicht so elastisch zu sein, da sie nicht so wellen- förmig wie andere elastische Fasern verlaufen. Solche Fasern wie auch die staub- förmigen Pseudokalkpartikeln färben sich in allen Nuancen von leichter Anfärbung bis zum tiefsten Ton des gebrauchten Färbemittels (Hämatoxylin, Nissl). Wir glauben, in diesen Fäden eine Prä-pseudo-kalk-degeneration sehen zu dürfen und in dem Staub, eben Ablagerungen von Prä-pseudo-kalk, der sich mit der Zeit in Pseudokalk, den Spatz als erster hervorgehoben hat, umwandelt. Daß diese Substanz keinen echten Kalk darstellt, zeigen die mit negativem Erfolg angewandten Kalkreaktionen. Es ist

Der Parkinsonismus symptomaticus. 171

jedoch auffallend, daß diese Pseudokalkablagerungen so entstehen, wie es Hueck bei Kalkabsonderungen in die Gefäßwände beschrieben hat. Diese Ablagerungen müssen deswegen als pathologisch angesehen werden, da sie in relativ ganz ungeheueren Massen auftreten (Abb. 6). Wenden wir uns jetzt der Gefäßneubildung und -sprossung im Bereiche des Herdes zu, so ergibt sich, daß diese Hyperplasie eine höchst er- hebliche Höhe erreicht hat. Die Färbungen mit van Gieson, das Elektivverfahren von Perdrau und Klarfeld veranschaulichen die Ausdehnung dieser Neubildungen und er- gänzen sich gegenseitig. Wir können noch hinzufügen, das die Methode von Perdrau uns besonders gute Dienste geleistet hat. Sie veranschaulicht nämlich den mesen- hymalen Filz, den Reichtum an sogenannten „Cordons unitifs in unseren Präparaten ganz ausgezeichnet.

Abb. 6. Gruppe verkalkter Gefäße im Bereiche der Erweichung des Pallidum.

Die Venen wurden bisher in der Pathologie des Gehirns vollkommen stief- mütterlich behandelt. In unseren Präparaten sieht man nicht nur eine kolossale Er- weiterung der Venen, aber auch eine Verdickung der Elastika, die spröde wird und zu Spaltungen neigt. Aber auch die Adventitia ist proliferiert, oft hyalinisiert und mit Kalkkonkrementen inkrustiert. Diese Veränderung der Venen macht sie den Ar- terien so ähnlich, daß wir ganz besondere Elektivfärbungen anwenden mußten, um eine kleinere Vene von einer Arterie unterscheiden zu können. Es ist aber auf- fallend, daß nur in den Basalganglien und ganz besonders im Pallidum solche Bilder auftraten, was jedoch zum Teil durch die Zartheit der Arterienwände verständlich wird. Die Kapillaren in den geschädigten Teilen zeigen an mehreren Stellen eine Fibrosis der Wand, was besonders in Perdrau- und Biondi-Präparaten prachtvoll zum Vorscheine gekommen ist. Im Gebiete der Nekrose sieht man eine kolossale Hyper- plasie der Kapillaren. Aus den Gefäßen und Kapillaren sprossen ganze Züge von dicht aneinandergefügten Fibroblasten vor, die das Nachbargewebe infiltrieren. Merk- würdig ist nur, daß diese Proliferation und Infiltration des noch nicht vernichteten

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Gewebes in der fronto-kaudalen Achse viel stärker als in den anderen Achsenführun- gen vor sich gegangen ist.

Die Myelinfasern sind im Bereiche der Nekrose vollkommen entmarkt und exi- stieren eigentlich nicht mehr. Das Myelin befindet sich, im Fett umgewandelt, in Unmassen in den Körnchenzellen. Die Höhle und die Erweichung hält sich scharf an die Grenzen des Pallidum. An der Capsula int. macht die Erweichung scharf halt und nirgends greift sie auf die Fasermassen der inneren Kapsel über. Auch die Grenze gegen das Putamen zu, wird eingehalten. Die Erweichung geht nicht über die, das Pallidum vom Putamen trennende, Marklamelle hinaus. Da dabei diese Markschicht an einzelnen Stellen fast völlig in der Erweichung aufgegangen ist, ist es sehr merk- würdig. daß die angrenzenden Putamenteile völlig unversehrt geblieben sind. Daß sich hie und da reaktive Erscheinungen in der Putamenrandschicht finden, kann natürlich den Wert dieser pridilektiven Lokalisation der Erweichung keineswegs ein- schränken. Das Pallidumgewebe außerhalb des Herdes zeigt auch leichte pathologische Merkmale. Die Zahl der Ganglienzellen, d. h. die der großen spindeligen Pallidum- zellen, ist, wenn auch nicht erheblich, vermindert. Dies trifft jedoch nicht in allen Teilen gleichmäßig zu. Es gibt Teile im Pallidum, die sehr viele und gut erhaltene Ganglienzellen aufweisen. An anderen Stellen dagegen finden wir vereinzelte schatten- hafte, noch gut als Ganglienzellen erkennbare Gebilde. Diese Zellen finden sich nicht nur in der nächsten Umgebung des Herdes. Wie gesagt, befinden sich die noch er- haltenen zumeist in recht gutem Zustande. Bisweilen ist allerdings ihre Nissl-Substanz recht verwaschen; Zeichen einer schwereren Erkrankung weisen sie jedoch nicht auf. Diese soeben besprochene herdförmige Pallidumzellen-Degeneration ist ebenso stark im Pallidum ext. wie im Pallidum int. ausgeprägt. Selbstverständlich sind die Zellen des Pallidum int. wie sonst normalerweise größer und plumper wie die des Pallidum ext. An der zelligen Glia sind die Proliferationserscheinungen in der Nähe des Herdes sehr markant. Meistens trifft man Faserbildner, oft aber auch Exemplare von Mastglia. In den weiteren Regionen findet man, wenn überhaupt, Proliferations- erscheinungen dann in nur noch unbedeutendem Ausmaße. Die Grundsubstanz zeigt stellenweise Anzeichen der sogenannten Desintegrationserscheinungen, die sich bis zur Bildung eines Status praelacunaris steigern können. Man sieht dann nicht nur rund um die Gefäße Lichtungen und Auflockerungen der Grundsubstanz, die besonders schön im Heidenhain- und van Gieson-Präparaten auftreten, sondern man findet oft im Parenchym selbst runde, fast wie ausgestanzte Ausfälle, die nicht größer wie Ganglienzellen sind und die nebeneinander liegen und dem sogenannten Status spon- giosus teilweise ähnlich sind. Wenn wir die Gefäße betrachten, so sehen wir, daß die Arterien diesen Veränderungen anheim gefallen sind, die wir bei Betrachtung des Herdes beschrieben haben. Wir sehen demnach Erscheinungen, die vielleicht der sogenannten Arteriosklerose ähnlich waren, jedoch keine Arteriosklerose im wirk- lichen Sinne des Wortes sind. Diese Auffassung der Gefäßveränderungen bei CO- Vergiftung unterstreichen besonders Jakob und Spielmeyer. In unserem Falle haben wir aber auch Beweise einer Luestoxikose an den Gefäßen, was unseren Fall komplizierter macht. Das Endothel der Arterien ist nicht geschädigt, jedoch ist die Intima gewuchert. Elastika und Media verhalten sich ebenso, wie wir es schon früher bei Beschreibung der Gefäße des Herdes erörtert haben, die Adventitia aber ist außer- halb des Herdes sichtlich verdickt. Um die Arterien herum sind die Desintegrations- erscheinungen meistens stark ausgeprägt. Rund um die Gefäße sieht man eine mehr oder minder gut ausgeprägte Rundzellinfiltration. Die Venen sind stellenweise stark erweitert, die Intima scheint normal zu sein, wie auch das Endothel. Nur in einzelnen Exem- plaren sieht man leichte Proliferationen der Intima. In denselben Venen sieht man dann auch Pseudokalkkonkremente in der Elastika und Adventitia. Die Kapillaren sind erweitert und zeichnen sich in den Elastika-Präparaten und Perdrau-Präparaten gut ab. Wir konnten auch, ähnlich wie Hiller, eine gewisse Dürftigkeit der Kapillar- versoreung des Pallidumgebietes feststellen. Deswegen haben wir auch auf Ver- eleichsmaterial viele Zelloidin- und Gefrierschnitte vorbereitet und mit Elektivverfahren'

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nach Biondi, Perdrau, Weigert (Fuchsin-Resorzin) und Heidenhain gefiirbt bzw. im- pragniert. Aus unseren Untersuchungen hat es sich ergeben, daß, wie schon erwähnt wurde, die Kapillaren im Pallidum relativ diirftig sind. Sie stellen sich meistens in langen, verhältnismäßig geraden Röhrchen dar, die meistens keine oder nur seltene Abzweigungen entsenden, wenngleich sie auch eine Knäuelform manchmal an- nehmen können. Selbstverständlich findet man auch im Pallidum Stellen, welche verhältnismäßig dürftiger, andere, welche besser vaskularisiert sind. Wir konnten Stellen finden, die dem Putamen, was die Menge der Kapillaren anbelangt, sehr nahe stehen. Vergleichende Serienschnitte mit Nissl gefärbt, scheinen manch- mal zu ergeben, daß Stellen, die reich an Zellen sind, besonders gut, mit Kapillaren versorgt sind, daß aber umgekehrt Stellen, die mehr Myelinfasern besitzen, wie alle myelinreichen Stellen, verhältnismäßig kapillararm sind. Man darf jedoch nicht glau- ben, daß die konkrete Zahl der Kapillaren vom Zellenreichtum direkt abhängig ist. Nach unseren Untersuchungen scheint es eher, als ob dort, wo die Zellen reichlicher auftreten, mehr Äste von den Stammkapillaren absprossen. Die Myelinfasern zeigen vollkommen normale Verhältnisse. Wir haben, wie gewöhnlich bei normalen Individuen, verhältnismäßig viel mehr Nervenfibrillen in Silberpräparaten entdeckt als es aus den Myelinfärbungen erscheinen möchte. Dies beweist jedoch nur, daß das Pallidum immer ınyelinfreie Nervenfasern besitzt. In der Umgebung der größeren Gefäße färben sich die Myelinfasern schwächer, was wir zum Teil auf Quellungsvorginge zurückführen zu dürfen glauben. Wegen der Stase des in den ungemein stark erweiterten Gefäßen langsam kreisenden Blutes könnte es zu einem Durchdringen der Gefäßwand durch Blut- serum kommen, was (Juellungserscheinungen in der Umgebung der Gefäße hervor- rufen würde. Eisenpigment, das meistens im Pallidum in größeren Quantititen als grünlichblaue Schollen in Nissl-Präparaten sichtbar ist, konnten wir nur in verhältnis- mäßig kleinen Mengen, meistens nur in der Adventitia der Gefäße, konstatieren, was besonders in den oralen Teilen stärker ausgeprägt ist. In der Umgebung größerer Venen sieht man manchmal Reihen von Amyloidkörperchen zusammengruppiert. Der Thalamus muß besonders besprochen werden. Obwohl wir in diesem mächtigen Kern- konglomerat keine Erweichungen zu finden imstande waren, so müssen wir doch hetonen, daß einzelne Kerne sich bei der Färbung anders verhalten haben wie nor- malerweise. Der Nucleus anterior Thalami, der Nucleus internus, der Luyisische Kern, das Pulvinar, zeigen im großen und ganzen normale Verhältnisse. Die Ganglienzellen zeigen eine so große Menge von Abnützungspigment, daß die ganze Zelle oft eine gelbe Tinktion annimmt. Andere Zellgruppen wieder sind stark hyperchromatisch. Wir wissen jedoch, daß diese Eigenschaften auch bei normalen Menschen in mehr oder weniger stark ausgeprägter Form gefunden werden. Deshalb muß man die obigen An- gaben als in der Grenze des physiologischen liegend betrachten. Die Stützsubstanz zeigt nichts besonderes, wie auch die Gliakerne, die sich nicht anders wie in Prä- paraten von normalen Individuen verhalten. Die Gefäße zeigen dieselben Verände rungen wie in anderen Teilen des Gehirns, so daß wir uns nicht wiederholen wollen. Man sieht überall dieselben «diskreten luetischen Veränderungen, die durch Des- integrationserscheinungen rund um die Gefäße kompliziert sein können. Verkalkungen haben wir nicht gefunden. Was die Kapillaren dieser Kerne anbelangt, so haben wir konstatiert, daß der Thalamus viel firmer an Kapillaren ist als das Striatum. Jedoch decken sich Anhäufungen von Zellen im Nissl-Präparat mehr oder weniger mit einer größeren Zahl von Kapillarästehen im Biondi-Präparat. Über die Kapillaroarchitektonik der Basalganglien haben wir keine sehr sorgfältigen, vergleichenden Untersuchungen durchführen wollen, da das eine Arbeit ist, die als spezielle Publikation erscheinen wird. Wir haben zu dieser Arbeit nur schr viele Stichproben gemacht, ohne Meßinstrumente zu benützen und unsere Resultate durch den visuellen Eindruck, den sie machten, ab- geschätzt. Deshalb muß der Eindruck für jeden Beschauer subjektiv sein. Eine Arbeit über die Kapillararchitektonik der Basalganglien werden wir, wie gesagt, dieser Pu- blikation nachfolgen lassen. Im allgemeinen genommen sind die Ästehen der Kapil- laren im Thalamus in viel geringerer Menge vorhanden als z. B. im Putamen. Die

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Aste sind fast so lang wie im Pallidum, ohne daß sie viele Verzweigungen abgeben wiirden; manchmal sind sie wieder sehr kurz, wie abgebrochen, was ein Beweis von starken Windungen und Knickungen im Verlaufe der Kapillaren sein muß. Dort wo die Myelinfasern in stärkeren Bündeln verlaufen, fehlen die Kapillaren fast voll- ständig.

Wir konnten jedoch schon in einzelnen gut gelungenen, 50 u dicken Biondi- Präparaten feststellen, daß wir im Nucleus ext. im Bereiche der arteria striothala- mica Gefäßchen finden konnten, die zahlreiche Anastomosen aufwiesen. Auf serien- weise sich deckenden Biondi-Präparaten kommt dieses Bild noch schöner zum Aus- druck. In diesen Präparaten konnten wir leider nicht vollkommen sicher feststellen, ob es sich um Arterien oder Venen handelt; dem Verlaufe nach jedoch zu urteilen, der in der Richtung der striothalamischen Arterien geht, glauben wir Arterien gesehen zu haben. Jedenfalls, gleichgültig, ob wir eine Arterie oder Vene vor uns haben, war man der Meinung, daß diese Arterien und Venen keine Anastomosen bilden. Unsere Bilder dagegen zeigen offensichtlich das Gegenteil (Abb. 7). Die Myelinscheiden sind überall normal. Ganz besonders ausführlich wollen wir den äußeren Kern des Thala- mus beschreiben. Dieser Kern, welcher in dem hinteren äußeren und unteren Teile große, motorisch imponierende Zellen besitzt, zeigt Veränderungen, die nicht außer

Abb. 7. Anastomosierende Gefäße im äußeren unteren Teil des Thalamus.

acht gelassen werden dürfen. Man sieht zwischen diesen großen, meißt hyperchro- matisch sich färbenden Zellen mit viel Abnützungspigment, Zellen, die so vollkommen mit dieser Lipoidsubstanz angefüllt sind, daß man außer dem, ganz an die Peripherie gedrängten Kern und der Lipoidsubstanz, nichts mehr vom Plasma sieht. Deshalb fällt eine solche Zelle durch ihren blaßgelben Ton auf und muß auch als pathologisch angesehen werden, da die Patientin nicht mehr als 40 Jahre alt war. Außer diesen Zellen sieht man viele Schattenzellen ohne Gliophagie, demnach Zellen, die sich ein- fach verflüssigen, ohne anscheinend die Glia zum Abbau und Abtransport zu be- nötigen. Freilich sieht man auch regelrechte Gliarosetten an Stelle abgestorbener Ganglienzellen; diese Bilder finden sich jedoch nur in der Minderzahl. Fast alle Zellen dieses Teiles des Nucleus ext. zeigen eine Chromolyse, die im Zentrum der Zelle bedeutender ist als an der Peripherie. Von der wabigen Zellveränderung haben wir schon gesprochen. Die Glia ist, wie gesagt, wenig aktiv. Wir möchten zwar nicht wagen, zu behaupten, daß das CO direkt auf die Glia paralytisch wirkte, denn die Experimente von Haggard schließen einen solchen Gedankengang fast aus; doch ist diese Inaktivität des Gliaapparates gerade in unserem Falle sehr auffallend. Die Ge fäße sind im Nucleus ext. thalami, ebenso wie in anderen Teilen des Gehirns, er- weitert und mit Blut vollgepropft. Auch die luetische Gefäßwanderkrankung ist hier ebenso stark ausgeprägt wie anderswo. Die Kapillaren scheinen in diesem Kerne in der gleichen Weise verteilt zu sein wie in den anderen. Damit wollen wir nicht behaupten, daß wir keinen Unterschied zwischen den einzelnen Kernen des Thalamus beobachten konnten. Diese Frage werden wir jedoch in einer besonderen Arbeit be- sprechen. Die Myelinfasern scheinen sich normal zu färben. Leider konnten keine

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Bielschowsky-Präparate angefertigt werden, die vermocht hätten, die Nervenfasern der vernichteten Zellen sichtbar werden zu lassen.

Der rote Kern, das Corpus Luysii, die Subst. innominata Reicherti, die Brücke, das verlängerte Mark und das Kleinhim zeigten trotz sorgfältigster Untersuchung keine Abweichungen von der Norm. Gleichfalls konnten wir keine Veränderungen in der Chorioidea, im Ependym und im subependymalen Gewebe ausfindig machen. Das Rückenmark konnte wie gesagt nicht untersucht werden. (Ein spinales Angreifen des Kohlenoxyd wird aber von Sibelius, Pohlisch u. a. als ungewöhnlich ange- sehen.)

In der Capsula ext. konnten wir einen minimalen, mikroskopischen Erweichungs- herd ausfindig machen. Daß dieser Herd aus einer Blutung entstanden ist, beweisen die prall mit Blut angefüllten Venen, die mit ausgetretenen Blutkörperchen umringt sind und die große Menge des Blutpigmentes, welches wir im Erweichungsherde fanden. Wir haben den Eindruck gewonnen, daß basal- und kaudalwärts die Stase etwas größer zu sein scheint und daß mikroskopisch kleine Blutaustritte manchmal vorkommen.

Zuletzt müssen wir uns noch dem Tuber cinereum und der Substantia nigra zuwenden.

Das Tuber cinereum mit seinen vegetativen Zentren wurde von uns deswegen so gründlich untersucht, da das anatomische Substrat für das Salbengesicht, die pro- fusen Schweiße und alle vegetativen Erscheinungen, die wir bei der Patientin be ınerken konnten, aller Wahrscheinlichkeit nach im Tuber zu suchen ist. Deswegen war auch unsere Enttäuschung groß, als wir im Tuber nicht nur keine Erweichungen, sondern nicht einmal besonders große Veränderungen fanden. Es mag sein, daß diese im Präparat nur unbedeutend erscheinenden Veränderungen, die wir gleich beschreiben werden, schon genügen, um das vegetative Gleichgewicht zu stören; dies müssen wir aber schon der individuellen Auffassung des Lesers überlassen. Die Zellen des Nucleus supraopticus zeigen zahlenmäßig keine Verminderung. Ein Drittel der Zellen jedoch zeigen im Zellplasma eine schaumhafte Konstistenz von wabenartigem Bau. Man sieht diese kleinen Vakuolen im Zellplasma. Der Kern liegt exzentrisch, was aber nicht als pathologisch gelten darf. Alle Zellen färben sich auch etwas schwächer als normal. Die Menge des Abnützungspigments, welches sich im Nissl-Präparat nicht gelblich sondern tiefblau färbt, scheint nicht vermehrt zu sein. Auch die Zellen des Nucleus para- und periventricularis zeigen dieselben Veränderungen wie der Nucleus supraopticus. Die Stützsubstanz, wir meinen damit das gliale Grundgewebe, zeigt keine Abweichung von der Norm. Am Boden des III. Ventrikels sehen wir nur eine Infiltration der mesodermalen Substanz in Form von Fibroblasten und Mesenchym- fibrillen aus der verdickten Pia in die nervöse Stützsubstanz, ohne anscheinend eine Grenze zwischen Ekto- und Mesoderm zu bilden. Die Glia zeigt im Tuber keine so großen Veränderungen, als daß wir sie hätten bemerken können. Die Gefäße dieser Gegend zeigen, wie überall, eine enorme Blutfülle und Erweiterung. Sonst findet man auch hier dieselben Veränderungen wie im ganzen übrigen Gehirn. Auch die Kapillar- architektonik aller drei Kerne wurde untersucht. Es scheint uns, daß die Kapillaren hier sehr dicht nebeneinander liegen, viel dichter als zum Beispiel im Putamen. Man sieht in dieser bekanntlich sehr dichten Zellenmasse viele Zellen von zwei Ka- pillarästehen wie mit einer Zwinge umrahmt. Vergleiche mit anderen Gehirnen haben uns gezwungen, eine individuelle Verschiedenheit in gewissem Sinne anzunehmen. Die Myelinfasern, d. h. Fasern, die aus einzelnen Kernen ziehen, zeigen normale Verhältnisse. Wir konnten im Tuber einige kleine Blutungen finden, die per diapedesin entstanden sind.

Die Substantia nigra wurde in zwei Zonen geteilt, so wie es die Arbeiten von Spatz anempfehlen. Wir haben die Zona rubra und die Zona nigra besonders unter- sucht. Die Zellen der Zona rubra zeigen normale Bilder. In der Grundsubstanz sahen wir, besonders in der Nähe von Gefäßen, einige kleine Schollen von ausgefällten Eisenpigment. Auch in der Nähe von Ganglienzellen sieht man etwas von diesem Pigment, welches im Nissl-Priparat als blaugrüne Schollen zu schen ist. Jedenfalls

176 Eugen Brzezicki.

ist im Grundgewebe des Pallidum weitaus weniger von dieser Substanz zu sehen als in der roten Zone der Substantia nigra. Aus diesen und vielen anderen Griinden glauben wir, daB man diese zwei Kerne doch nicht so ohneweiters identifizieren darf. Die Gefäße der roten Zone zeigen wieder dieselben Eigentümlichkeiten, die wir schon anzutreffen gewohnt sind. Die Untersuchung der Kapillaren zeigt eine gar nicht so auffallende Übereinstimmung in Bau, Länge und Dichtigkeit dieser Gefäße mit denen im Pallidum, wie es manche Autoren hervorheben. Die Kapillaren sind zwar meistens langgestreckt und senden keine Äste ab, sind plump und dickwandig und in nur geringer Anzahl vorhanden, was, wie wir glauben, im gewissen Grade von der Zahl der Zellen im gegebenen Gebiet abhängt. Auch hier sieht man individuelle Unterschiede, und im Kern selbst sind stärker und schwächer vaskularisierte Gebiete

Abb. 8. Verödung und Atrophie des lateralen Teiles der Substantia nigra.

vorhanden, gleichwie in anderen Gehirnteilen. Deshalb würden auch beigegebene photographische Abbildungen nichts allgemein Gültiges bringen, wir könnten nämlich Abbildungen vorlegen, die verhältnismäßig reich, andere wieder, die ganz besonders arm an Kapillaren sind. Schematische Zeichnungen, die ein durchschnittliches Bild zu geben imstande wären, wären eher der Wirklichkeit angemessen. Die Glia zeigt keine Veränderungen. Unsere Präparate, die jedoch nicht elektiv für Glia gefärbt sind, geben anscheinend keine Anhaltspunkte für eine Behauptung, daß das Eisen- pigment in den Gliazellen aufgespeichert ist. Die Pigmentklumpen sind nämlich meistens zu weit von den Gliakernen entfernt, um so etwas annehmen zu können. Die Myelinfasern sind vollkommen normal. Die schwarze Zone der Substantia nigra zeigt die großen melaninhaltigen Zellen in normaler Größe, Verteilung und mit nor- malem Pigmentgehalt. Die Zellen müssen wir deshalb als normal betrachten. Nur in dem lateralen Gebiete der S. N. kann man eine kleine Verödungszone feststellen (Abb. 8). Die Zellen sind hier viel dürftiger wie normal und Schattenzellen sind häufig. Das freie Pigment liegt in Schollen in der Grundsubstanz, ohne anscheinend

Der Parkinsonismus symptomaticus. 177

die Glia als Abräumungselement an sich anzuziehen. Die interzelluläre Stützsubstanz zeigt keine Vergrößerung des Gehaltes an Eisenpigment und eben darin liegt in un- serem Präparate der Unterschied zwischen der roten und schwarzen Zone der Sub- stantia nigra. Hie und da sieht man in den medialen Teilen einige Pigmentkörner, doch konnten wir dieses Bild auch bei normaler Beschaffenheit der S.N. in anderen normalen Gehirnen finden. Die Glia zeigt keine Veränderung und kann als normal angesprochen werden. Die Gefäße der schwarzen Zone zeigen dasselbe mikroskopische Bild wie in anderen Kernen des Mittelhirns. Die Kapillaren sind unseres Erachtens nach unbedingt von den Kapillaren des Pallidum etwas verschieden. Zwar sieht man sie auch als ziemlich langgestreckte Röhrchen, was ein Beweis dafür sein könnte, daß sie weniger geschlängelt sind und hauptsächlich latero-medialwärts verlaufen. Weiters sind sie plump, dickwandig und manchmal fibrös und zeigen zum Unter- schiede von den Pallidumkapillaren ziemlich viele Abzweigungen, die manchmal die Nigrazellen zangenartig umschlingen.

Es ist nun nach allen unseren bisherigen Untersuchungen wahrscheinlich, daß die Abzweigungen der Kapillaren sich dort viel lebhafter ausgebildet haben, wo viele Zellen sich befinden. Man könnte fast behaupten, daß jeder Kern eine besondere Art von Kapillaren besitzt. Sie können sich im Präparate langgestreckt, demnach wenig geschlängelt, feinwandig (Pallidum), dickwandig, kurz (geschlängelt), verästelt oder gerade darstellen. Jedoch dort, wo viele Zellen vorhanden sind, dort haben wir immer starke Verästelungen konstatieren können. In der S.N. zum Beispiel sehen wir viele Verästelungen. Um klare Bilder zu bekommen, lohnt es sich, die melaninhaltigen Zellen aus den Klischees zu retouschieren, da sie in Übersichtsbildern auch als kurze Kapillarbröckeln imponieren können; im anderen Falle wirken sie stark störend. Auch fetthaltige Zellen schwärzen sich im Biondi. Man muß immer das Fett vor der Fär- bung auslaugen, obwohl dann dadurch die Färbung selbst etwas schwieriger ist.

Hie und da trifft man Desintegrationserscheinungen im Parenchym selbst und nicht, wie man gewohnt ist, um ein Gefäß. Was die Myelinfasern der S.N. an- belangt, so sicht man hier ein höchst interessantes Bild. Auf einem Schnitt etwas kauda! vom Roten Kern, d. h. auf der Höhe des Endes der Decusatio brachiorum conj., sieht man eine leichte Degeneration des Fasciculus pallidopeduncularis von Marburg-Poppi. Da jedoch leider unsere Präparate nur mit Heidenhain gefärbt sind, welche Methode nicht immer ganz klare und einwandfreie Bilder gibt, so wollen wir diesen Befund nur streifen. Im Zusammenhange mit dieser leichten Degeneration wird der oben beschriebene Verödungsherd im lateralen Teil der S.N. verständlich. Sonst scheinen die Myelinfasersysteme in der S.N. ganz intakt zu sein. Daß nur ein kleiner Teil des Fasciculus pallido-peduncularis aus den sonst intakten Kamm- fasern ausgefallen ist, wird durch die Schädigung nur eines Fünftels des Pallidum vollkommen erklärlich. Man sollte unbedingt bei den nächsten Fällen von Pallidum- schädigungen nach CO-Vergiftung auf die pallidären Faszikeln mehr achten, da diese Fälle manchmal für die faser-anatomischen Untersuchungen von großem Werte sein können. Leider haben wir bei der Einbettung auf diese Tatsache nicht genügend gründlich geachtet.

Die uns hier beschäftigenden klinischen Symptome und anatomopathologi- schen Befunde des Falles können im folgenden kurz zusammengefaßt werden:

Eine 40 Jahre alte Frau, in deren Anamnese wohl eine luische Infektion erwähnt ist und welche mütterlicherseits mit Psychosen belastet war, erlag einer CO-Vergiftung. Danach lebte die Patientin noch 60 Tage, d. h. zwei Monate. Aus der Krankengeschichte verdient hervorgehoben zu werden, daß sie 24 Stunden nach der Vergiftung die Besinnung wieder erlangte, obwohl sie elf Stunden in konzentrierter Kohlendunstatmosphäre verweilt hatte. Der Umgebung fiel das starre Gesicht, eine allgemeine Bewegungsunlust und

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 12

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Apathie auf, die sich aber langsam zuriickbildeten. In diesem gebesserien Zustande konnte sie nach Hause reisen, der Bestattung ihres ebenfalls ver- gifteten Sohnes beiwohnen und ihre normale Lebensweise weiterführen. Sie war jedoch schwer zum Lachen und spontanen Sprechen zu bewegen, zeigte aber keinerlei deutliche Anzeichen einer Akinese oder Starre. Langsam ver- besserte sich ihr Zustand noch weiter. Fünf Wochen nach der Intoxikation kam es zu einem, einige Stunden dauernden Verwirrtheitszustand, der bald verschwand. Parallel mit diesem leichten, psychopathologischen Zustand entstand eine ausgesprochene Starre und Akinese, die im Gesicht und der oberen Körperhälfte besonders stark ausgeprägt war. Es zeigte sich aber nicht die gewöhnliche Vorbeugestellung, sondern eine opistotonusartige Starre mit flektierten Armen, ein Zustand, der auch manchmal im Parkinsonismus post- encephaliticus vorkommt. Die Kranke konnte sich nicht bewegen, konnte nicht viel sprechen und nicht essen. Über die Ursachen dieses Zustandes konnte sie sich aber keine Rechenschaft geben. Zuletzt kam es zu Spannungen in den Nackenmuskeln sowie in den Masseteren, so daß die Kranke den Kopf hoch über den Polster hielt. Infolge der Unmöglichkeit, selbst Speisen zu sich zu nehmen, mußte sie gefüttert werden. Es trat auch ein vollkommener Mutismus auf. In diesem schweren Zustande wurde sie in die Klinik gebracht. Unsere Observation ergab, daß man mit der Kranken in keinen Kontakt treten konnte und sie zeigte die eben beschriebenen Symptome. Die Augen wanderten von einen. Punkt zum anderen und nur selten gelang es, die Aufmerksamkeit der Patientin auf einen leuchtenden Gegenstand zu lenken. Die Arme und der Rumpf waren steif, so wie es bei Parkinsonikern gefunden wird, jedoch konnte man eine Andeutung eines katatonischen Negativismus in Form von (jiegenhalten konstatieren. Zuletzt kam es zu einer starren, leichten Flexion des Rumpfes mit nach hinten gebogenem Kopfe, starrem Gesichtsausdruck mit halb offenem Munde und Halbflexion der Arme. In den Beinen konnte man keine regelrechte Starre konstatieren, nur von Zeit zu Zeit trat in ihnen eine kurz andauernde Steifheit auf, so, daß die sich normalerweise im Kniegelenk leicht beugenden Beine so rigid wurden, daß die Kranke mit Hilfe von Pflege- rinnen zu stehen imstande war. Wir glauben auch, daß die Kranke sich im allgemeinen doch orientieren konnte. Bei Vorzeigen von Gegenständen nämlich schickte sie den Blick manchmal nach den sich bewegenden Körpern und als sie nackt photographiert werden sollte, trachtete sie, die Pubisgegend mit den Händen zu bedecken.

Das Gegenhalten war sehr interessant: je größer die angewendete Kraft war, desto größer war das Widerstreben, das die Patientin äußerte. Sie zeigte auch einen vollkommenen Mutismus. Von Zeit zu Zeit machten sich in der linken Hand Ausdrucksbewegungen bemerkbar. In diesem Zustand starb die Kranke. Auffallend war die ausgesprochen pallidäre Starre mit opistotonischen Kennzeichen und starr vorgeschobenem Kopf, Trismus und Mutismus. In den letzten Tagen trat eine katatonisch gefärbte Bewegungslosigkeit, negativisti- sches Gegenhalten mit dem besprochenen Mutismus auf, die neben der palli- dären Starre deutlich bestanden. Bei der Kranken konnte man nämlich bei

Der Parkinsonismus symptomaticus. 179

bestehendem Parkinsonismus manchmal stärkere, andere Male wieder schwä- chere katatone Züge bemerken. Auf diese nebeneinander bestehenden Sym- ptomenkomplexe möchten wir die Aufmerksamkeit lenken. Ebenso möchten wir noch hinzufügen, daß die vegetativ bedingten Erscheinungen, wie profuse Schweiße, Salbengesicht und die Mittelhirnsymptome, darunter hohes Fieber, durch uns konstatiert wurden. Da der Internist in den Lungen nichts Pathologi- sches finden konnte, darf ınan vielleicht vermuten, daß die Temperatursteige- rungen zentralen Ursprungs waren. Bemerkenswert ist ferner, daß es in diesem Falle zu keinem regelrechten Tremor gekommen ist, was, aus der Literatur urteilend, ein spezifisches Merkmal der CO-Parkinsonismen sein soll. Die anatomopathologische, makroskopische und mikroskopische Untersuchung, die sehr sorgfältig durchgeführt wurde, hat viel Wichtiges ergeben. Zuerst möch- ten wir angeben, daß die Rinde zwar nur in Stichproben, da jedoch möglichst präzise, untersucht wurde, und zwar wurden beiderseits 40 Ausschnitte gemacht. Alle Rindenstellen, die uns durch eine besondere Abart der Archi- tektonik bekannt sind, wurden untersucht. Gleichfalls wurde das Kleinhirn, die. Cornua Ammonis auf eventuelle pathologische Anzeichen untersucht. Der Hirnstamm mit den basalen und den Mittelhirnkernen wurde serienmäßig bearbeitet. Diese Methode, die von vielen vielleicht als unnütz und zuviel zeit- raubend angesehen wird, hat so viele Vorteile, daß wir sie trotz aller Schwierig- keiten nur wärmstens empfehlen können. Darauf werden wir noch zurück- kommen. Die Marksubstanz wurde an vielen Stellen besonders untersucht, außerdem war sie ja an allen Präparaten automatisch sichtbar. Auf Einzel- heiten verzichtend, die in extenso schon beschrieben wurden, können wir feststellen, daß die Rinde keine Abweichungen von der Norm gezeigt hat. Das Kleinhirn, die Brücke, das verlängerte Mark waren auch überall intakt, abgesehen von der Gefäßerweiterung, die überall in gleicher Intensität zu finden war. Auch die Marksubstanz war gänzlich unver- ändert, mit Ausnahme eines kleinen Herdes, der über dem Putamen in der Corona radiata gelegen war. Der Herd war ungefähr einen halben Quadratzentimeter groß, zog sich etwa 2 cm frontkaudalwärts und zeigte die durch Meyer schon beschriebenen Markveränderungen. An Stelle der ausgefallenen Myelinfasern ist es zu einer gliösen Proleferation gekommen, die durch faserbildende astrozytäre Elemente zum Ausdruck kam. Diese einzige degenerierte Stelle konnte nicht weiter verfolgt werden, so daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine herdartige Degeneration ohne Nekrose handelt, da man keine Degenerationen im Corpus callosum und in den vielen untersuchten Rindenstellen finden konnte. Wir können daher dieser einzig gefundenen Markdegeneration keine größere Bedeutung beimessen. Unter der Rinde konnten im tiefen Hemisphärenmark nirgend andere Herde gefunden werden, auch war die U-Faserung intakt. In den serienweise untersuchten Zen- tralganglien haben wir zwei symmetrische Herde in den Pallida gefunden. Die Nekrose rechts war etwas größer als links, sonst stimmten alle Befunde an den Nekroseherden in allen Einzelheiten überein, so daß wir beide Herde zu- sammen besprechen werden. Der Nekroseherd liegt beiderseits in den oralen,

12°

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oberen Teilen des Pallidum ext. und geht kaudalwärts und nach unten auf das Pallidum internum über. Die Nekrose hält sich scharf an die Grenze des Pallidum und greift auf das benachbarte Putamen und die Capsula interna nicht im geringsten über. Sie hält sich vielmehr streng an die mediale Grenze zwischen Pallidum und Capsula interna, vernichtet also mehr den oberen Teil des Pallidum ext., kaudalwärts und abwärts mehr das Pallidum int. Höchst merkwürdig und schon durch Meyer gesehen, sind die zackigen Aus- dehnungen der Nekrose, die in unserem Falle das Pallidum ext. beschädigen und U.E. nach an Gefäße gebunden sind. Was für Gefäße das sind, ob Venen oder Arterien, läßt sich jetzt wegen der großen Zerstörungen und Prolifera- tionserscheinungen nicht mehr entscheiden. Diese Nekrose liegt nur im medialen und oralen Teil des Pallidum, so daß nur ein Fünftel dieses Kernes

Abb. 9. Nekrose um eine Vene im Pallidum.

zerstört wurde. Alle lateralen Teile des Pallidum sind durch die Nekrose nicht tangiert. Die Nekrose beginnt ganz in den oralen Teilen des Pallidum ext., und zwar in folgender Weise: Wir sehen zwei Venen, die noch im Gebiete des Pallidum in eine einzige zusammenlaufen und dann in eine der Terminalvenen in der Stria cornaee einmünden. Rund um diese zwei kleinen Venen bilden sich röhrenförmige, langgestreckte Nekrosen, die jedoch an den medialen Teilen der sich so bildenden Schere stärker ausgeprägt sind (Abb. 9). Diese Nekrosen enden noch vor der Verbindung der Venen, jedoch umringt ein röhrenförmiges Quellungsgebiet die Vene bis zur Einmündung in die Terminal- vene (Abb. 10). Es ist auffallend, daß noch vor dem Moment, wo das Grund- gewebe abgestorben zu sein scheint, und sich infolge dessen noch nicht schlechter färbt, schon so starke proliferative Reaktionen seitens der Gefäße bestehen. Bei elektiven Färbungen sieht man in diesem Gebiete schon viele Fibroblastenzüge und Gefäßsprossungen. Es scheint, als ob diese oralen Teile der Nekrose ganz frischen Datums wären, was ein Beweis für ein Vorschieben des Herdes frontalwärts wäre. Der Abbau scheint hier vorwiegend mesodermal

Der Parkinsonismus symptomaticus. 181

zu sein, obwohl wir uns bewußt sind, wie schwer es ist, eine gliöse von einer mesodermalen Körnchenzelle zu unterscheiden. Kaudalwärts zu vergrößert sich die Zahl der nach der Terminalvene ziehenden kleinen Venen, die einen Nekrosemuff aufweisen, zusehends. Infolgedessen werden die dazwischen lie- genden unversehrten Gewebestellen immer spärlicher. Wir müssen jedoch gleich bemerken, daß wir an diesen Schnitten, an denen das Kaudatum schon nach oben gerückt ist, nicht mehr erkennen konnten, ob die Nekrosen um Venen oder Arterien herum entstehen, da wir uns hier nur nach der Gefäß- wandstruktur, nicht aber nach den Verlaufseigentümlichkeiten richten konnten. Es ist nämlich manchmal sehr schwer, im Pallidum, wo die Arterien sehr dünn- wandig sind, sich ein Urteil nur aus den Wandstrukturen zu bilden, um so

Abb. 10. Quellungsgebiet rund um eine Vene, vor ihrer Mündung in eine Terminalvene.

mehr als die Wände sowohl der Arterien, wie auch der beteiligten Venen erkrankt und verändert waren. Wir müssen noch erwähnen, daß fast alle im Pallidum sich befindenden Venen und zum Teil auch Arterien von Blut strotzen. Nur djese Venen, die von einem Nekroseherd umgeben waren, waren größtenteils kollabiert, enthielten keine größeren Mengen von Blut und ihre Wände zeigten an Serienschnitten perlenschnurartige Form, d. h., sie waren an einigen Stellen maximal dilatiert, an anderen wiederum verengert. Alle zeigten auch Pseudokalkablagerungen, jedoch nicht in so großen Mengen wie die Arterien. Auch die in Frage kommende Terminalvene zeigt einen mehr geschlängelten Verlauf, ist nicht so stark mit But gefüllt wie die anderen und ist durch die Erschlaffung der distendierten und nicht prall angefüllten Wand in Falten gelegt. Gegen die Mitte der Nekrose zu sieht man ein lockeres Ge- webe, das sich aus einem mesenchymalen Gerüst und noch bestehenden Grundgewebe bildet. Sowohl von den Gefäßen, wie auch vom Grundgewebe lösen sich Zellen ab, die alle Merkmale der sogenannten Körnchenzellen haben.

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Man sieht auch verkalkte Ganglien- sowie Gliazellen im Gebiete der Erwei- chung. Die Gliazellen des Nachbargewebes zeigten deutliche reaktive Erschei nungen. Die Zellen des Pallidum außerhalb des Herdes scheinen nicht stark verändert zu sein, wie es in diesen Fällen üblich ist. Aus den Präparaten ist ersichtlich, daß der mittlere Teil der Nekrose älteren Datums sein dürfte; nicht so die oralen und kaudalen Teile. Man kann erkennen, daß sich die Nekrose in diesen zwei Richtungen vielleicht bis zum Tode langsam vorgeschoben hat. Ferner scheint es uns, daß sich diese Nekrose lateralwärts nicht vergrößerte. Überall sieht man an den Gefäßen Anzeichen einer „lui- schen‘‘ Infektion. Es ist auch wahrscheinlich, daß die starke mesodermale Reaktion im Bereiche des Herdes, wie auch die mesodermalen sehr lebhaften Proliferationserscheinungen, die viel stärker ausgeprägt sind, als wie es in solchen Fällen bis jetzt beschrieben wurde, durch die Lues und luetische Gefäßwandveränderungen bedingt wurden. Dies ist besonders merkwürdig, da die meisten Fälle, die bis jetzt beschrieben wurden, eine stärkere Beteili- gung der gliösen Komponente als die der mesodermalen zeigten, was besonders Grinker, auch Meyer hervorheben. Solche Bilder, die wir eben beschreiben, hat Meyer bei CO-Vergiftungen der Tiere beobachten können. Die meisten Gefäße zeigen in unseren Präparaten ein Rund- zelleninfiltrat, Intimaproliferation bis zur Bildung der Endarteriitis, sowie Media und Elastikaverkalkung. Die Pseudokalkablagerungen be- ginnen in staubartiger Form, sind zuerst schwach tingierbar und könnten Präc-pseudo-kalk genannt werden. Mit der Zeit wandeln sie sich in stark tingierbare Staubpartikelchen um, und sind in der Media, Elastika und Adven- titia, ja selbst in der nächsten Umgebung der Gefäße zu finden. Die Elastika wird spröde, teilt sich in Fäden, die in der Längsrichtung ziehen und später auch verkalken, oder sie teilt sich in nicht elastische Ringe, die zuletzt ver- kalken. Dieser Prozeß beginnt unbedingt immer in der Elastika, erst später geht er auf die Media über. Eine Arteriosklerose im Sinne einer Arteropathie haben wir nirgends finden können. Im Gebiet der Nekrose haben wir eine riesige Proliferation des mesodermalen Gewebes vor uns. Besonders in Silberpräpara- ten sieht man dies besonders schön. Zwischen den einzelnen Gefäßen ziehen „Cordons unitifs und andere Silberfibrillen, die ein dichtes Gitter bilden.

Außer dem Pallidum ist noch der äußere, hintere, untere -Teil des Thala- mus und die Substantia Nigra stärker beschädigt. Der Nucleus ext. Thalami in seinem äußeren, hinteren, unteren Teile zeigt die Mehrzahl seiner Zellen degeneriert. Man sieht viele Schattenzellen und andere Degenerationsbilder. Merkwürtigerweise sieht man keine Vermehrung der Glia rund um die unter- gehenden Ganglienzellen. Der Rest des Nucleus ext. Thalami, wie auch andere Kerne des Thalamus zeigen außer einer ungemein großen Lipoidvermehrung im Innern der Zellen keine größeren Abweichungen von der Norm.

Die Substantia Nigra wird, wie es schon üblich geworden ist, auch von uns in die Zona Rubra und Compacta geteilt und besonders besprochen. Die rote Zone zeigt nichts Auffallendes, dagegen zeigt die schwarze Zone im lateralen und kaudalen Anteile eine nicht besonders große, jedoch ganz deut-

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liche Degeneration der melaninhaltigen Zellen, man sieht dort Schattenzellen, geborstene Zellen und freies Melanin im Grundgewebe, ebenso auch eine Degeneration des Fasciculus pallido-peduncularis. Wir nehmen mit Mar- burg und Poppi an, daB diese Bahn eine pallido-nigrale Verbindung darstellt, die in den lateralen Zellen der S.N. endet. Eine Vernichtung des Pallidum bringt, wie unsere Präparate schon öfters in anderen Arbeiten gezeigt haben, oft eine homolaterale Degeneration der Nigrazellen mit sich. Diesen Tat- bestand haben wir schon früher in der Arbeit über den Parkinsonismus post- apoplecticus besprochen, und deshalb möchten wir uns hier nicht mehr wiederholen.

Die vegetativen Zentren im Tuber cinereum müssen auch als pathologisch verändert angesehen werden. Man bemerkt zwar keine gröberen Ausfälle, jedoch die Zellen des Nucleus supraopticus para- und periventricularis zeigen einen schaumartigen Plasmabau und es ist vielleicht möglich, daß diese Ver- änderungen das anatomische Substrat für die vegetativen Erscheinungen, die bei Lebzeiten der Patientin stark hervorgetreten sind, bilden. Wir erinnern an die profusen Schweiße und das Salbengesicht, was eben auf eine Beschädigung der Tubergegend schließen ließ. Andere Kerne und Hirnteile, wie auch die Medula oblongata zeigen keine Abweichungen von der Norm.

Nun wäre noch der Zustand der Gefäße zu besprechen. Wir sahen überall alle Gefäße enorm stark erweitert und mit Blut angefüllt. An einigen, ganz seltenen Stellen fanden wir Blutungen, die ganz klein waren und „per diape- desin“ entstanden sind. Im allgemeinen haben wir den Eindruck gewonnen, daß die Blutfülle der Kapillaren und Venen nicht im ganzen Gehirn regelmäßig stark war. Es scheint uns, daß die mittleren Teile der Basalganglien die am stärksten angefüllten Gefäße hatten, jedoch war die Blutverteilung vollkommen unregelmäßig. Deshalb kann man nicht ohne weiteres von einer Segmentwahl sprechen, obwohl dieser Gedanke recht verlockend zu sein scheint. Die Arterien zeigten eigentlich außer „luisch“ bedingten Veränderungen keine besondere Blutfülle, obwohl auch dieser Zustand manchmal zu finden war, jedoch nie so stark ausgeprägt, wie bei den Venen. Die eben genannten „lui- schen“ Veränderungen wurden von A. Meyer auch bei Tieren gefunden, so daß es möglich ist, anzunehmen, daß die produktive Endarteriitis und die infiltra- tiven Erscheinungen der Adventitia zum Teil auch der Wirkung der CO-Ver- giftung zuzuschreiben sind. Den mikroskopisch kleinen Erweichungsherd, den wir in der Ca extrema gefunden haben, müssen wir uns durch Blutung ent- standen vorstellen. Dieser Herd hat aber keine Bedeutung.

Wir müssen noch das Striatum, d. h. das Putamen und Kaudatum bespre- chen. Abgesehen von möglichen Veränderungen der kleinen Zellen, die wir jedoch nirgends antreffen könnten, scheinen die großen Putamenzellen mehr oder weniger normal zu sein. Dies bezieht sich jedoch nicht auf das Kaudatum, dessen große Zellen in bedeutendem Maße der Zellschattenbildung anheim gefallen sind, ohne jedoch die Glia zu mobilisieren. Zuletzt verschwanden viele von diesen Schattenzellen, so daß wir dann nur noch zwei Kaudatum, auf

184 Eugen Brzezicki.

drei Putamenzellen feststellen konnten. Wir konstatierten also einen maBigen Schwund der groBen Kaudatumzellen.

IV. Fall.

Fräulein Bronislawa L., 20 Jahre alt, Stubenmädchen.

Aus der Anamnese der Arbeitsgeberin geht hervor, daß das Mädchen in der letzten Zeit eine Liebesaffäre hatte. Ihr Bräutigam verließ sie nämlich vor einiger Zeit. Dieses Unglück konnte sie nicht überleben und öffnete die Gashähne in der Küche und legte sich dann schlafen. Am nächsten Tage roch man im Vorzimmer neben der Küche Leuchtgas, brach die zugesperrte Tür auf, fand aber das Mädchen schon in tiefem Koma. Der herbeigerufene Arzt konstatierte agonale Erscheinungen, die auch durch künstliche Atmung, Kampferinjektionen nicht mehr behoben werden konnten. Die besinnungslose Kranke starb nach zwei Stunden. Sie hatte in der Kohlenoxydatmosphäre von 10 Uhr abends bis 8 Uhr früh verweilt.

V. Fall.

Fräulein Sophie S., 21 Jahre alt, Modistin.

Sie hatte immer ein schweres Leben gehabt. Als Tochter eines Alkoholikers, der sie und die Mutter tagtäglich prügelte und das ganze Geld vertrank, wuchs sie in größtem Elend auf. Sie verliebte sich in einen jungen Mann, der ihr Heirat und gute Lebensmöglichkeiten versprach. Er infizierte sie mit einer Gonorrhoe und machte sie schwanger. Als ihm ihr Zustand bekannt wurde, verließ er sie und verschwand aus Krakau. Vergeblich forschte sie ihm einige Wochen nach und eines Abends öffnete sie aus Verzweiflung im Geschäft, wo sie arbeitete, alle Gashähne und wurde am Morgen tot aufgefunden.

Da die Sektion und die mikroskopischen Veränderungen im Gehirn in beiden Fällen fast identisch waren, wollen wir sie der Kürze wegen zusammen besprechen.

Besonders komplizierte Organveränderungen, außer alten Pleuraadhäsi- onen, zeigte die Sektion weder des einen noch des anderen Mädchens. Die Ge- hirne, die schon sechs Stunden nach dem Tode seziert wurden, zeigten makro- skopisch keine Veränderungen, außer einer ziegelroten Tinktion der weichen Hirnhäute und einer riesengroßen Erweiterung der Piagegefäße. Die mikro- skopischen Präparate, die nur vergleichshalber mit Fall HI untersucht wurden und außerdem als Material zur Untersuchung der Kapillarversorgung aller Basalganglien dienten, wurden teilweise in Celloidin eingebettet und teilweise uneingebettet, auf Gefrierschnitten, untersucht. Wir haben dieselben Methoden, die wir im Falle IIl benützten, angewandt, ohne jedoch besondere Gliafiirbungen zu benützen. Selbstverständlich wurden keine Serienschnitte angefertigt. Die Pia zeigte von Blut strotzende Venen, die öfters kleine um- ringende Blutextravasate um sich zeigten, die „per diapedesin‘ entstanden sind. In den Venen konnte man meistens die Zellumrisse der Blutkörperchen gut abgrenzen, nur in wenigen Venen fanden wir das Lumen durch verklumpte Erythrozyten verschlossen, was für eine beginnende Thrombosierung sprechen dürfte. Die Rindenzellen waren überall normal. Die Gefäße waren auf das äußerste erweitert. Die Fettfärbung zeigte auch normale Verhältnisse. Die weiße Substanz, d. h. das tiefe Mark, zeigte im Pal-, Bielschowsky- und Herx- heimerpräparat keine größeren Abweichungen von der Norm, außer Odem-s erscheinungen, die stark in den Vordergrund treten. Alle Basalganglien wurden

Der Parkinsonismus symptomaticus. 185

sorgfaltig untersucht, da wir eine Unmenge von Gefrierschnitten fiir Biondi und andere Färbungen vorbereiteten, um die Kapillarversorgung und Anastomi- sierung der Kapillaren zu veranschaulichen. Wir konnten auch auf 50» dicken Schnitten Anastomosen der Arteriolen und der verschiedenen Kapillarsysteme im Putamen und Thalamus ext. sehr oft feststellen. Dagegen gelang uns (lies bis jetzt im Pallidum und in der Capsula interna nicht einwandfrei. Alle Zellen des Putamen und des Kaudatum, sowohl die großen wie auch die kleinen, er- wiesen sich morphologisch als annähernd normal. Dasselbe gilt auch für die Thalamuszellen. Man könnte vielleicht von einer leichten Schwellung der Zellen und Tigrolyse sprechen. Alle durch manche Autoren erwähnten Zell- veränderungen, wie Vakuolenbildung, Plasmazertriimmerung, Zellzerreißung, wie auch korkzieherartige Windungen, Fragmentierung der Dendriten usw. konnten wir in diesen zwei Fällen nicht finden. Die Glia war nirgends ver- ändert. Nur eines müssen wir gleich hinzufügen, nämlich, daß sich die Schnitten mit Anilinfarbstoffen wie auch mit Hämatoxylin sehr schlecht und schwer färbten, im Gegensatz zu dem Imprägnationsverfahren, die ausge- zeichnet gelangen. Im Pallidum fanden wir eine besonders schlechte Färb- barkeit der Ganglienzellen. Hier war das Plasma so verwaschen, daß die Tigroidschollen gar nicht zum Ausdruck kamen, was besonders in den oralen Teilen des Pallidum zu sehen war. Auch die Bielschowsky-Methode zeigte hier keine schönen Zellbilder. Die Zellen der Kerne, die kaudalwärts vom Pallidum liegen, waren auch nicht sichtlich verändert, ebenso wie das Striatum und der Thalamus.

Von vaskulären Veränderungen haben wir in den Basalganglien auch die schon früher erwähnten Erweiterungen der Gefäße gesehen. Es ist interessant, daß der Grad der Hyperämie an verschiedenen Stellen außerordentlich stark wechselt, und es kommen Stellen vor, wo sie ganz fehlt. Bei der überwiegenden Mehrzahl war sie jedoch vorhanden und erreichte vielfach eine Intensität, die zu Blutungen per diapedesin führte. Außerordentlich konstant war die Erweiterung und Überfüllung der Venen und der Kapillaren in den mittleren Teilen der Rindenschichten, den mittleren und unteren Teilen der Basal- ganglien und im Hemisphärenmark. Bei den Diapedesinblutungen dringen sehr häufig die Erythrozyten nicht nur in die Lymphkammern der Gefäße, sondern sofort bis in das Hirngewebe. Alle Blutungen, die wir in diesen zwei Fällen bemerken konnten, sind nicht kapillarer Herkunft, sondern stammen aus klei- nen Venen. Ihr Hauptsitz sind die Meningen, das Hemisphärenmark und die Stammganglien. Rhexisblutungen konnten wir nicht finden. Thrombosen, zu- mindestens Bilder von beginnender Thrombosis sind manchmal zu sehen.

Rundzelleninfiltrate konnten wir in den Fällen IV und V nicht finden. Solche Infiltrate wurden durch manche Autoren beschrieben. U. E. nach ist das aber nur bei Fällen, die nach der Intoxikation etwas länger am Leben bleiben und bei solchen, die mit Lues infiziert sind, möglich.

Nur im Falle V konnten wir einige kleine Arteriolen des Pallidum sehen, deren Wände kalkhaltig waren. Es ist jedoch auffallend, daß sich schon bei einem so jungen Individuum Pseudokalkkonkremente in den Gefäßen finden,

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was wahrscheinlich konstitutionell bedingt sein muß. Fettfärbungen der Basalganglien zeigten normale Verhältnisse. Selbstverständlich war das Fett im Pallidum reichlicher vorhanden, als anderswo, ebenso wie das durch Spatz beschriebene Parenchymeisen, das in kleinen Schollen und Körnern neben den Ganglienzellen, besonders aber neben den Gefäßen zu finden war. Zuletzt haben wir an einigen normalen Gehirnen die Kapillaren der Basal- ganglien untersucht. Die Resultate wurden bei Fall III besprochen. Um über die Vasoarchitektonik des Pallidum im klaren zu sein, haben wir in einigen Gehirnen versucht, Berlinerblau in heißer Gelatine und chinesische Tusche in die Art. cer. ant., bzw. med. einzuspritzen. Diese Proben haben wir des- halb durchgeführt, da zwischen den Angaben von Foix und Nicolescu und Jacob über die Vaskularisation des Pallidum keine Übereinstimmung besteht. Die französische Schule ist der Meinung, daß das Pallidum ext., besonders die oralen Teile desselben durch die Arteriae lenticulostriales, welche von der A. cerebri media stammen, vaskularisiert sind. Der Teil des Pallidum ext., der der Capsula interna am nächsten liegt, die Capsula interna selbst und das Pallidum int. wird durch die Art. chorioidea ant., also auch meistens durch die Arteria cerebri med. versorgt. Jakob dagegen meint, daß der vordere Teil des Pallidum ext. und der vordere Schenkel der inneren Kapsel durch besondere zwei kleine Arterien versorgt werden, die von der Art. cerebri ant. stammen. Außerdem gehen vom Hauptstamm der Art. cerebri ant. zahlreiche kurze Arterien ab, die ebenfalls das vorderste Drittel des Pallidum, die angrenzenden Teile der inneren Kapsel und deren Knie vaskularisieren. Der vordere Teil des Pallidum wird außerdem noch von dünnen Ästen, die von der Art. cerebri med. stammen, versorgt, was, wenn wir Jakob gut verstehen, heißen soll, daß das vordere Drittel des Pallidum gleichfalls durch die Art. cerebri ant. und med. versorgt wäre. Dies wäre unseres Erachtens eine gute Siche- rung für die Blutversorgung dieses Teiles des Pallidum, welches eben der Nekrose am häufigsten anheimfällt. Wir müssen sofort hinzufügen, daß unsere Untersuchungen auf einem unbedingt nicht genügend umfangreichen Material durchgeführt waren. Es ist jedoch sicher, daß die Versorgung des Pallidum individuellen Schwankungen unterworfen ist. Wir konnten jedoch konstatieren, daß das vorderste Drittel des Pallidum manchmal nur durch die Arteria cerebri ant. versorgt wird. Es ist vielleicht möglich, daß eben diese Fälle der Nekrose anheimfallen, wenn sie länger in der CO-Atmosphäre verbleiben. In anderen Fällen wurden die vorderen Teile des Pallidum durch die Arteriae lenticulo striales oder chorioidea ant. versorgt. (Die Art. chorioidea entspringt manchmal auch von der Art. cerebri ant.) Wie gesagt, war unser Versuchsmaterial nicht so groß, daß wir aus unseren Durchschnittsdaten eine Regel aufstellen könnten, jedoch ist es uns verhältnismäßig selten gelungen, zu bemerken, daß der vordere Teil des Pallidum sowohl von der Arteria cerebri anterior, als auch von der Art. cerebri media vaskularisiert wäre, was für eine besondere Sicherung dieser Teile hätte sprechen können. Es ist vielleicht möglich, daraus den Schluß zu ziehen, daß die Capsula interna, die in derselben Art vas- kularisiert ist, und mit ihrer schwachen Kapillarisierung ohne „Sicherung“

Der Parkinsonismus symptomaticus. 187

von Seite anderer Arterien aus bleibt, so oft von okklusiven Prozessen der Arterien befallen wird, die dann zu den so gut bekannten Hemiplegien führen. Ob die besprochenen Stellen nur durch Endarterien versorgt sind (Monakow), muB noch dahingestellt bleiben, da wir bis jetzt im Pallidum und in der Capsula interna noch keine Anastomosen finden konnten, und uns solche Arbeiten nicht bekannt sind, die diese Möglichkeit zugeben. (Vgl. dazu Pfeifer.) ,

Allgemeine SchluBfolgerungen.

Wir miissen uns jetzt allen, durch uns beschriebenen Fallen zuwenden und uns bemühen, das hervorzuheben, was wirklich von Interesse sein kann und welch neues Material unsere Fälle und Untersuchungen aufzuweisen haben. '

Die ersten zwei Fälle von chronischer CO-Vergiftung, die einen transi- torischen Parkinsonismus zur Folge hatten, sind höchst interessant, da wie uns scheint, ähnliche Fälle in der Literatur noch nicht beschrieben wurden. Wir kennen zwar einen Fall von Parkinsonzustand, der nach CO-Vergiftung während des Krieges auftrat. Es handelte sich damals um einen Militärarzt, der in einem Mannschaftswagen, welcher mit einem Ofen versorgt war, reiste und eines Tages besinnungslos aufgefunden wurde. In diesem Falle entwickelte sich eir typischer Parkinsonismus, der sich aber langsam besserte und zu- letzt gänzlich verschwand. Jetzt dient der gewesene „Parkinsoniker'‘ weiter beim Militär und ist vollkommen gesund. Über diesen Fall bekamen wir alle Daten mündlich von Privatdozent Dr. Artwinski (Krakau), welcher damals behandelnder Arzt war und sich während der Diskussion über unsere Fälle in der neurologischen Gesellschaft an diesen Fall erinnerte. Da sich dies aber während der großen Enzephalitisepidemie ereignete, kann man s.E. eine Enze- phalitis ep. nicht ganz ausschließen. Da jedoch der Parkinsonismus erwiesener- maßen nach der Kohlenoxydvergiftung entstand, ist diese Einschränkung u. E. nach nicht notwendig. Wir sehen also, daß der Parkinsonismus nicht nur stationär oder fortschreitend sein muß, sondern sich auch bessern, bzw. ganz verschwinden kann. Das ist eine interessante Tatsache, die wir an dieser Stelle hervorheben möchten. Unsere zwei Fälle sind aus dem eben genannten Grunde so interessant, da der Parkinsonismus sicherlich nur durch die CO-Vergiftung entstanden ist, sich durch die chronische Wirkung des Giftes verschlechterte, dann aber mit dem Aussetzen der Wirkung besserte und zuletzt ganz ver- schwand. Von den Giften, die chronisch wirkend, einen Parkinsonismus hervor- riefen, kennen wir nur wenige, und zwar Mangan, Thallium, Strychnin (Wiener) und Salvarsan (Matzdorf). Die CO-Vergiftung, die neurologische Symptome bietet, ist nicht so selten. Verhältnismäßig selten dagegen tritt nach dieser Vergiftung der Parkinsonismus auf, der, soviel uns bekannt ist, sich nie besserte und zuletzt fast immer letal endete. Fälle, bei denen der Parkinsonis- mus Jahre hindurch dauerte, gehören zu den größten Seltenheiten. Die chro- nische CO-Vergiftung ist jetzt schon, und wird in noch viel stärkerem Maße in der Zukunft eine typische Krankheit der zivilisierten Länder sein. Wir

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dürfen nicht vergessen, daß der großen Ausbreitung des Automobilismus wegen die Luft der engen Straßen der Großstädte schon jetzt einen gefährlich hohen Prozentsatz von Kohlenoxyd enthält. Deswegen müssen alle Krankheits- möglichkeiten, die mit diesem Übel der modernen Zivilisation verbunden sind, unser besonderes Interesse erwecken. Unsere Fälle beweisen, daß chronische CO-Vergiftungen außer der oft beschriebenen banalen Erscheinungen auch einen echten parkinsonischen Symptomenkomplex hervorrufen können. Pathogenetisch kann man sich die Sache so vorstellen, daß das CO- Gift solche Veränderungen im Pallidum und in der Substantia nigra hervorrufen kann, die nicht irreparabel sind. Da wir uns keines Sek- tionsmaterials bedienen können, muß die pathogenetische Erklärung rein hyypothetisch bleiben, ohne sich auf feste Tatsachen stützen zu können. Dieselben zwei Fälle zeigten charakteristische Muskelkrämpfe, die zu schmerzhafter Muskelwulstbildung führten und klinisch deswegen so interes- sant sind, da sie zu unnötigem künstlichen Abort und zu einer ebenfalls über- flüssigen Apendektomie geführt haben. Diese Muskelkrämpfe wurden auch von verschiedener Seite beschrieben und besonders Wachholz hat experimentell an Fröschen und anderen Tieren bewiesen, daß das CO direkt auf das Muskel- gewebe wirkt und lange im Muskelplasma festgehalten wird. Die Muskeln werden infolge des CO-Gehaltes zu Krämpfen disponiert. Diese Tatsache, die eben durch Wachholz experimentell bewiesen wurde, wird für die Klinik der kryptogenen chronischen CO-Vergiftung von großem Wert werden.

Der Fall Ill bringt uns viele höchst interessante Tatsachen, welche wir von verschiedenen Seiten beleuchten wollen. Zuerst glauben wir behaupten zu können, daß es niemand bestreiten wird, daß die vielen Untersuchungen von Vergiftungsfällen sehr wichtige Beiträge zur Lokalisationslehre mancher Arten von Akinesen geliefert haben. Wenn sich auch die überwiegende Mehr- zahl der Sektionsbefunde dieser Art auf Fälle bezieht, in denen wegen zu raschen Todes oder wegen Verdeckung durch sonstige Symptome keine extrapyramidalen Bewegungsstörungen beobachtet werden konnten, so haben doch manche Fälle den sicheren Beweis erbracht, daß reine und symmetrische Pallidumherde reine Pallidumsymptome mit sich bringen. Die bis jetzt be- schriebenen Fälle von kataleptoidem Verhalten, von Negativismus, vorzeiti- gem Versiegen begonnener aktiver Bewegung, werden durch manche Autoren auch auf Pallidumherde zurückgeführt. Wir müssen aber zur Aufklärung hinzufügen, daß in diesen Fällen das tiefe Mark nicht untersucht wurde, oder, wenn dies geschah, wie im Falle von Grinker, so fanden sich starke Ver- änderungen der Marksubstanz vor. Deswegen kann man keinen von diesen Fällen als beweisend hinstellen. Wenden wir uns der klinischen Seite des Falles II zu, so bemerken wir, daß nach der CO-Vergiftung nur Apathie und Müdigkeit aufgetreten war. Sonst machte die Patientin einen normalen Ein- druck auf ihre Umgebung. Erst nach fünf Wochen wurde sie von einem, einige Stunden dauernden amentischen Zustand befallen, der jedoch bald verschwand und an dessen Stelle eine parkinsonistische Starre trat. Diese Tatsache ist deswegen bemerkenswert, da wir in den meisten CO-Parkinsonismen, sowie

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auch bei Encephalitis epidemica eine Latenzzeit zwischen der Vernichtung der Zentren und den motorischen Ausfallserscheinungen finden. Wir hatten Gelegenheit, Gehirne zu untersuchen, die drei Tage nach Beginn der Enze- phalitiserscheinungen zur Sektion kamen. Es zeigte sich, daB die Substantia Nigra ganz auffallend beschädigt war, ohne daß dies bei Lebzeiten der Patientin eine Akinese oder Rigor hervorgerufen hätte. Dasselbe gilt auch für die Parkinsonfälle nach Kohlenoxydvergiftung. Die Akinese zeigt sich meistens erst nach geraumer Zeit, in unserem Falle nach fünf Wochen. Die Pallidum- nekrose eventuell die Substantia Nigraschädigung dagegen entstehen fast gleich nach der Vergiftung. Das ist eine unbedingt interessante Tatsache, die aber schwerlich zu erklären sein wird. Für Hypothesenbildner ist hier ein weiter Wirkungskreis geschaffen. Eine andere uns interessierende Frage ist die Herkunft der Starre selbst. Die neuesten, aber auch die älteren Arbeiten beweisen, daß das anatomische Substrat für ihr Zustandekommen immer Pallidum- oder Nigraherde sind. Ein Übergreifen der Pallidumherde auf die Capsula interna oder das Putamen findet man selten, und wenn, so ist es von nur geringer Ausdehnung. Es ist weiters ersichtlich, daß Pallidum- herde immer einen Rigor und eine Akinese mit sich bringen, wie das besonders Fälle von Erweichungen und Blutungen im Pallidum zeigen. Wir wissen nun, daß durch Striatumläsion, auch wenn dabei nur die großen Zell- elemente mitbetroffen sind, rigide Zustände ausgelöst werden können. Dabei trat der Rigor einmal bei autoptisch gesicherten Fällen von Zerstörung der Striata durch Blutung oder Tumor, wie es auch unsere Arbeiten über den Parkinsonismus bei Blutengen und Tumoren zeigten, auf, dann wieder konnte man ihn in den Anfangsstadien von Wilson-Krankheit und Status marmoratus, wie auch bei Untergang der großen Striatumzellen bei Paralysis agitans nachweisen. Dieser Rigor wird aber auch durch Läsion der Substantia nigra hervorgerufen, wie es der Fall von Charcot-Blocq-Marinesco, ferner Erfah- rungen beim spätenzephalitischen Parkinsonismus zeigen. Abgesehen von dem Nigra-Rigor kann möglicherweise eine Pallidumläsion allein auch deswegen schon eine Starre entwickeln, da durch das Pallidum viele Striatumfasern hindurchziehen. `

Mit der Abgrenzung der Akinese, d. h. der Gebundenheit in Haltung und Bewegung vom Rigor, sind wir bereits zu einem sehr wichtigen Problem der extra-pyramidalen Erscheinungen gekommen, die uns im Verständnis dieses Syndromes einen Schritt weiter geführt haben. Ob wir im Pallidum ein Bewegungsantriebszentrum zu suchen haben, ist mehr als zweifelhaft, da wir die Akinese auch bei Striatum-, Thalamus- und Nigraherden beobachten können. Lotmar glaubt, „irgendwo im Höhlengrau des rückwärtigen Thala- musabschnittes des Hypothalamus und Aquaeduktes ein Zentrum des instink- tiven Bewegungsantriebes“ vermuten zu dürfen. Auch die triebhafte psychische Aktivität wird von vielen Autoren in diesen Regionen lokalisiert. Unsere Stellungnahme zu dieser höchst interessanten, wenn auch noch sehr dunklen Frage werden wir noch später besprechen. Die Akinese unterliegt denselben somatotopischen Gliederungsprinzipien, wie die extrapyramidale Starre. In

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unserem Falle konnte man eigentlich zuletzt keine extrapyramidale ,,Gebun- denheit“ konstatieren. Im Anfange der Krankheit war sie markant, zuletzt ging sie in eine Störung des höheren willkürlichen Bewegungstriebes über, der mit einem ausgesprochenen motorischen Negativismus verbunden war. Bei Besprechung des Negativismus kommen wir auf diese Fragen noch zurück.

Der Tremor fehlt bei den meisten Fällen der CO-Vergiftung. Dasselbe gilt für unseren Fall III. Auch dort konnte man nie einen Tremor beobachten. Einige Stunden vor den agonalen Erscheinungen ist es zwar zu zuckenden Bewegungen gekommen, die aber dem gewöhnlichen Ruhetremor der Amyosta- tiker gar nicht ähnlich waren. Die Erweichungsherde anderer Herkunft im Pallidum haben auch keinen Tremor zur Folge gehabt, was für die Unmög- lichkeil des Vorkommens eines rein pallidär bedingten Tremor sprechen dürfte. Trotzdem kann die Frage noch nicht als erledigt gelten, da unter ande- rem Stiefler einen Tremor in einem sehr typischen Parkinsonzustand, der als Spätfolge einer im Felde erlittenen Gasvergiftung entstand, beschrieben hat. Sehr bemerkenswerterweise fehlte in Richters Fällen, ebenso wie in demjenigen Grinkers auch jede Andeutung vegetativer Begleitsymptome wie Hyperhidrosis, Speichelfluß und Salbengesicht, so daß für die Hyper- hidrose im Falle Pineas Veränderungen im Tuber verantwortlich zu machen sind. Leider wurde der Fall nicht sorgfältig genug untersucht. In unserem Falle konnten wir von Anfang an Salbengesicht und profuse Hyperhidrosis konstatieren. Dementsprechend haben wir auch Veränderungen im Tuber gefunden, die höchst wahrscheinlich das anatomische Substrat für diese vegetaliven Erscheinungen bieten. Es wird durch manche Autoren angegeben, daß der Nucleus paraventricularis und supraopticus den Wassergehalt des Körpers regulieren. In unserem Falle nun waren beide sichtlich verändert, wie es aus dem mikroskopischen Befunde gut ersichtlich ist.

Im Anfang dieser Arbeit haben wir schon die Kleistsche Theorie er- wähnt, die das Pallidostriatum in zwei motorisch sich different verhaltende Einheiten trennt. Wie gesagt, soll das Kaudatum und Pallidum externum das Zentrum für die Psychomotorik bilden, das Putamen und das Pallidum' intern. dagegen das Zentrum der Myostatik. In unserem Falle fanden wir einen beträchtlichen Ausfall der großen Kaudatumzellen, außer dem charakteristi- schen Pallidumherd, der in seinem oralen Teil größtenteils das Pallidum exter- num lädierte. Außer der Starre konnte man hier, wenn auch kelten, so doch ganz deutlich Pseudospontanbewegungen beobachten, und zwar Emporheben der linken Hand mit gestrecktem Zeigefinger, berühren der Stirn und Wange mit diesem*Finger sowie kratzende Bewegungen. Alle diese Bewegun- gen wurden langsam, gleichsam zögernd ausgeführt. Es wäre vielleicht mög- lich, diese Bewegungsstörungen im Sinne der Kleistschen Hypothese und auf Grund seiner Untersuchungen auf den Ausfall der Kaudatumzellen und die gleichzeitige Schädigung des Pallidum ext. zurückzuführen. In unserem Falle ist es zwar zu keiner „Flexibilitas cerea“ gekommen, die gewöhnlich bei Herden im Pallidum ext. vorkommt, doch ist diese katatonoide Motilitits-

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störung wahrscheinlich durch andere Motilitätsstörungen derselben Gruppe wie durch das Gegenhalten abgeschwächt, bzw. verdeckt worden. Das Gros der pallidären Läsion hatte seinen Sitz im Pallidum internum, worin man mindestens zum größten Teil den Grund der Starre suchen könnte. Ob die geringe Schädigung der Nigra einen Einfluß auf die Starre haben konnte, ist u. E. zweifelhaft.

Die letzte klinisch wichtige Frage, die wir hier berühren wollen, ist die Frage nach der Ursache der negativistischen Einstellung der Kranken. Bis jetzt hat man das Problem der katatonischen Bewegungsstörungen von zwei extremen Standpunkten aus zu erfassenversucht, und zwar vom hirnpatho- logischen und psychologischen. In der nächsten VI. Mitteilung über den Parkinso- nismus möchten wir diese Frage von einem etwas abweichenden Standpunkt betrachten, indem wir versuchen werden, den Negativismus in einen motori- schen und einen psychischen zu teilen. Wir konnten nämlich einige Kranken- geschichten von Katatonikern zusammentragen, die keine psychotischen Er- scheinungen darboten, nur motorisch verhalten waren und an einer katatoni- schen Akinese im reinsten Sinne des Wortes litten. Wegen ihres Mutismus hielt man sie für Schizophreniker mit Katatonie. Sicherlich veranlaßt die Uneinheit- lichkeit der Katatonen Symptome, und die phänomenologisch verschiedene Ein- stellung der Patienten, ihren Störungen gegenüber zu solcher Auffassung. Wir werden in der nächsten Mitteilung auf Grund von Krankengeschichten zu be weisen trachten, daß es auch primitivere „neurologische“ katatonakinetische Fälle gibt, die nur anscheinend psychotische Anzeichen zeigen und die wir als katatonische Akinese anderen katatonischen Zuständen, die immer auch psychotische Anzeichen darbieten, gegenüberstellen wollen. Eine Verlegung aller katatonischen Störungen in die Basalganglien, wie es Fränkel und Steiner machten, oder wie es Bielawski, Berze und Küppers denken, ist momentan etwas verfrüht und deshalb auch durch die meisten Psychiater abgelehnt. Auch eine Identifizierung der Bewegungsstörungen bei Enzephaliti- kern und akinetischen Katatonen ist, wie es Bostroem auf Grund tief gehender Analysen bewiesen hat, nicht berechtigt. Es gibt jedoch Analogien und Ähnlichkeiten, welche man nicht übersehen darf. Anatomisch genommen kommt es bei Enzephalitis zu einer Vernichtung, bei der „katatonischen Aki- nese“ nur zu einer Hemmung verschiedener Zentren in den Basalganglien. Unser Fall III ist ein höchst interessanter Beitrag zu dieser sehr aktuellen Frage. Die motorischen Erscheinungen sind von vornherein klar. Man konsta- tiert eine Muskelstarre, und ein motorisches Gegenhalten, welche sich ineinander verflechten. Wenn wir uns die Krankengeschichte zurück ins Gedächtnis rufen, so hatten wir anfangs eine, einem opistotonus ähnliche Starre, die mit einem Emporheben des Kopfes über den Polster kombiniert war. Später trat eine typisch negativistische Einstellung und „Gegenhalten“ und kompletter Mutismus auf, die wieder mit parkinsonartiger Vorbeuge- stellung kombiniert waren. Auch wenn man die Augen öffnen wollte, kam es zu einem Widerstand, der einer aktiven Bewegung ähnelte. Wir sehen, wie sich diese negativistisch-katatonischen mit den akinetisch-hypertonischen

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Symptomen verflechten. In vieler Beziehung ähnliche Fälle bringen uns Kant und auch Kräpelin. Den Fall von Pineas kann man auch in diese Gruppe der Kohlenoxydvergiftung einreihen. Diese Fälle sind also, wenn sie auch äußerst selten auftreten, doch in der Literatur beschrieben. Kräpelin er- wähnte im Jahre 1919 einen katatono-kataleptischen Vergifteten, der zuletzt rein organische, choreatische Zuckungen gezeigt hatte. Kant beschreibt einen sehr interessanten Fall, der nach einer chronischen CO-Vergiftung das Bild einer katatonen Hyperkinese bot, welche in eine rigorfreie Starre, verbunden mit einer motorisch bedingten Verlangsamung aller psychischen Reaktionen und in einem Mangel an Spontaneität überging. Dabei war er völlig geordnet und affektiv in normaler Weise ansprechbar; irgendwelche Intelligenzdefekte waren nicht vorhanden. In diesem Falle könnte man die Behauptung ris- kieren, daß die psychotischen Erscheinungen, die einer Amentia ähnlich sind und die mit Hyperkinesen verbunden sind, auf den zweiten Plan zurück- gestellt werden müssen, während die akinetischen katatonen Erscheinungen ohne psychotische Erscheinungen an erster Stelle stehen. Leider waren die Fälle von Kräpelin und Kant rein klinisch untersucht, nur der Fall von Pineas war anatomisch bearbeitet und es wurden dort diffuse Schädigungen der Ganglienzellen festgestellt. In unserem Falle können wir die akinetisch rigide Komponente auf’ die Zerstörungen des inneren Gliedes des Pallidum, die negativistische Komponente dagegen zum größten Teil auf die zweite gefundene anatomische Veränderung, nämlich auf die Schädigung des Nucleus externus Thalami bzw. auf seinen äußeren, unteren, hinteren Teil zurückführen. Wie wir uns erinnern, war die Rinde vollkommen intakt. Die kleinen Veränderungen im tiefen Mark, die wir beschrieben haben, haben höchstwahrscheinlich keinen Einfluß auf die motorisch katatonischen Symptome ausüben können. Da Kleist wie gesagt bei organischen Läsionen des Thalamus das „Gegen- halten“, d. h. eine negativistische Einstellung der Kranken gefunden hat, so scheint es, daß diese Annahme von Kleist trotz aller Kritik, die an ihr geübt wurde, durch unseren Fall gestützt wird. Es ist jedenfalls berechtigt, motorische, d. h. sowohl akinetische wie hyperkinetische Erscheinungen zu lokalisieren, ganz gleich, ob sie bei neurologischen oder psychiatrischen Fällen festgestellt wurden. Nur gegen die Lokalisierung psychischer Zu- stände kann man Bedenken hegen.

Die meisten Autoren geben zu, daß heute der Negativismus oder die „katatonische Akinese“ nicht mehr als Symptom der Schizophrenie angesehen werden darf. Die katatonische Akinese kommt sowohl bei der Schizophrenie, wie auch bei Paralysis progressiva, bei Alkoholismus, klimakterischen Psy- chosen, weiters bei der CO-Vergiftung, bei Enzephalitis, bei der Alzheimer- schen Krankheit, ebenso bei Tumor cerebri, bei Verletzung des Frontalhirns und bei anderen organischen Erkrankungen vor. Man darf daraus vielleicht den Schluß ziehen, daß die katatonische Akinese eine neurologische Kom- ponente eines Krankheitssyndromes darstellt, mag dieses nun Tumor cerebri oder Schizophrenie heißen. Unser Fall ist ein Beweis dafür, daß man die motorische Komponente der Katatonie, die wir „katatonische Akinese“

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nennen möchten mindestens zum Teil lokalisieren darf. Wir glauben, daß wir nicht fehl gehen werden, wenn wir in unserem Falle das „Gegenhalten“ und die negativistische Einstellung der Kranken mit Kleist im Thalamus lokali- sieren werden.

Zuletzt möchten wir noch der somatotopischen Gliederung, die durch C. und O. Vogt aufgestellt wurde, einige Worte widmen. Von größter Bedeu- tung ist die, schon von Mingazzini gemachte, aber durch die Vogtschen Forschungen weiter ausgebaute Entdeckung, daß im Pallidum eine weit- gehende somatotopische Gliederung in orokaudaler Richtung besteht, und zwar derart, daß ganz oral die willkürliche Muskulatur der Sprache, dann die der Mimik, weiter rückwärts die der Arme und des Rumpfes und ganz kaudal die der Beine vertreten ist. Da in den meisten Fällen der CO-Vergiftung nur die vorderen Teile des Pallidum lädiert sind, so wird man als natürliche Folge erwarten, irgendwelche Schädigungen der Motorik des Gesichtes, der Sprache und der Arme, schon seltener solche des Rumpfes und fast nie die der Beine antreffen. In unserem Falle trifft diese Vermutung in auf- fallender Weise zu. Und zwar war die Ausdrucksfähigkeit des Gesichtes herab- gesetzt, die Sprache beeinträchtigt und die Arme waren von einer Starre befallen. Die Starre des Rumpfes dagegen war schon weniger ausgeprägt und in den Beinen konnten wir eigentlich eine regelrechte Starre überhaupt nicht konstatieren.

Die Experimente und Untersuchungen von Wachholz haben ergeben, daß bei Überleben akuter CO-Vergiftungen das Kohlenoxyd nur langsam aus dem Blute entweicht und im Muskelplasma und anderen Organen haften bleibt und erst allmählich den Körper verläßt. Diese Experimente haben für die Klinik der CO-Vergiftung eine große Bedeutung, indem sie uns vielleicht erklären, warum die Pallidumnekrose sich weiter vergrößern kann und warum es zu Schwankungen der Blutfülle in den Gefäßen kommt. Wir wissen, daß das Kohlenoxyd auf die Vasomotoren der Hirngefäße lähmend wirkt, so daß es zu einer Art „Neuritis“ der Vasomotoren kommt. Nach einiger Zeit kann sich der Kreislauf wieder bessern und dann wieder ver- schlechtern, was man mit einem kleinen Transport des CO in die Gehirngefäße erklären kann, was bei der Sensibilisierung der Vasomotoren auf CO eine frische Lähmung hervorrufen kann. In unserem Falle ist es auch zu einer solchen besonderen Labilität der Vasomotoren gekommen, da wir nach zwei monatlicher Dauer der Krankheit eine bedeutende Blutfülle der Hirngefäße vorfanden, die der Blutfülle der akuten Fälle nicht nachsteht. Die Ernährung der Gehirnsubstanz mußte infolgedessen stark leiden, und das besonders in den Gebieten, die dazu schon prädisponiert sind. Auf diese Art kann man sich die weitere langsame Verbreitung der Nekrosen leichter erklären.

Das Entstehen der Nekrose ist eine Frage, die alle Untersuchenden auf das regste interessierte. Die Genese dieser Erweichung ist, wie es scheint, noch nicht völlig bekannt, obwohl manche Autoren glauben, daß sie die Sache vollkommen geklärt haben. Da man fast in allen Fällen von Erwei- chungen Gefäßveränderungen finden kann, glauben manche Autoren, daß die

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 13

194 Eugen Brzezicki.

Lues auf die Ausbildung der Nekrose einen Einfluß ‘hat. Bei der Durchsicht der uns interessierenden Literatur ist uns aufgefallen, daß die meisten Fälle von Parkinsonismus nach CO-Vergiftung entweder eine Lues in der Anam- nese hatten oder aber bei älteren Leuten auftraten, die schon von arteriosklerotischen Veränderungen befallen waren. Es ist demnach anzu- nehmen, daß sowohl die Lues, wie auch die Arteriosklerose die Bildung der Nekrose erleichtern, obwohl sie nicht die alleinige Ursache bilden können. Was den Pseudokalk anbelangt, so zeigen schon normale Gehirne selbst junger Leute Pseudokalkablagerungen sowohl in den pallidären, wie auch in den Dentatum-Gefäßen. Andererseits weisen der Fall von Hiller und die Tier- experimente Meyers merkwürdigerweise keine derartigen Kalkablagerungen auf. Doch in der Mehrzahl der Fälle finden wir den eben besprochenen Pseudo- kalk, was besonders an den Gefäßen der Erweichungsherde deutlich hervor- tritt. Man kann vermuten, daß der Pseudokalk konsekutiv nach der Schädi- gung entsteht und als Beweis eines ungenügenden Stoffwechsels betrachtet werden muß. Auch sonst müssen diese Pseudokalkablagerungen, die in „ge- sunden“ Pallida gefunden werden, als Resultat besonders ungünstiger Stoff- wechselverhältnisse angesehen werden, die im Pallidum auch normalerweise herrschen können.

In der Literatur der letzten Jahre wird nicht mehr über Gefäßzerreißung in den Pallida gesprochen, wie es früher der Fall war. In unseren Fällen konnten wir auch nie eine Rhexisblutung konstatieren. Wenn es zu einer „Encephalitis haemorrhagica“ kommt, so sind das nur koagulationsnekrotische, mikroskopisch kleine Herde, die Ringblutungen bilden können und die Wei- mann beschrieben hat. Endothelschädigungen, die einen solchen Grad errei- chen würden, daß sie zu Blutungen führen, haben wir nie gesehen.

Viele Autoren glauben, daß Thrombenbildung die Ursache der Nekrose sein kann. Obwohl in der letzten Zeit die Thrombenbildung im Pallidum und in der Nigra negiert wird und wir auch keine sicheren Beweise dafür geben können, so ist diese Annahme doch nicht so ohne weiteres abzulehnen und es erscheint theoretisch möglich, daß man solche Dinge finden kann.

Primäre Parenchymschädigungen des Pallidum werden auch für das Entstehen von Nekrosen verantwortlich gemacht. Für diese Theorie sprechen jedoch keine konkreten Beweise, so daß wir sie nur kurz streifen. Lewin beschreibt als konstantes Symptom bei Kohlenoxydvergiftung das Hirnödem. Wir können dies nur bestätigen. Besonders in akuten Fällen, wie in unserem Falle IV und V, war diese Folgeerscheinung der schweren Kreislaufstörung deutlich zu sehen.

Es bleibt uns jetzt noch übrig, die heute am festesten begründeten Theorien zu besprechen, nämlich die pathoklitische von O. und C. Vogt und die funktionelle von Ricker.

Wir wissen, daß die Nekrose meistens im Pallidum, das besondere Eigen- tümlichkeiten aufweist, zu finden ist. Das Pallidum hat nämlich viel mehr Parenchymeisen als andere Zentren und das Eisen ist dort so verteilt, daß

Der Parkinsonismus symptomaticus. 195

die oralen Teile reichlicher damit bedacht sind als die kaudalen. Das Pallidum ist ferner fettreicher und das Fett liegt in kleinen Schollen frei im Gewebe. Auch hat dieser Basalkern eine eigenartige Kapillarversorgung, die nach Hiller viel spärlicher als in anderen Gehirnteilen ist. Danach könnte die Nekrose in den oralen Teilen leichter auftreten.

Wir wissen aber auch, daß das CO ein spezifisches Gefäßgift ist, welches zu einer kollossalen Erweiterung der Gefäße führt. Aus diesem Grunde und auch der schwachen Herzaktion wegen, kommt es nach Hiller zu einer Stase in den Gefäßen, die den normalen Gasaustausch in den Kapillaren unmöglich macht. Infolgedessen kommt es zu einer Nekrose, besonders da die Kapillarversorgung des Pallidum sehr dürftig ist. Die oralen Teile werden deswegen leichter vernichtet, da sie besonders schlecht vaskularisiert sind.

Die Stase selbst mit ihren unmittelbaren Folgeerscheinungen kann unbe- dingt nicht die alleinige Ursache der Nekrose sein. Obwohl die Stase bei CO- Vergiftung wirklich sehr weitgehend ist, so darf man doch nicht außer acht lassen, daß bei Phosgenvergiftung, wie dies besonders Groß betont, die Hyperämie gleichfalls sehr stark sein kann, ohne aber derartige Folgen her- vorzurufen. Weimann wieder beschreibt eine große Stase bei Veronal- vergiftung und selbst bei der so oft auftretenden Eklampsie hat Sioli eine ungemein große Stase der Hirngefäße beobachten können. In keinem dieser Fälle ist es aber, sowohl was den Umfang, wie den Typus angeht, zu so enormen Veränderungen gekommen, wie bei der Mehrzahl der Kohlenoxyd- vergiftungen.

Meyer führt als weitere Teilursache die „Blutverschlechterung“ an, die auch unbedingt bei Bildung der Nekrose eine große Rolle spielt. Unsere Untersuchungen, die wir nach den verschiedensten Richtungen hin durchgeführt haben, haben auf Grund von Injektionspräparaten an normalen Gehirnen den sicheren Beweis erbracht, daß manchmal das oralste Drittel des Pallidum nur durch die rücklaufenden Abzweigungen der Arteria cerebri ant. vaskularisiert sein kann. Wir müssen noch einmal betonen, daß dies nur manchmal der Fall ist. Es wäre deshalb möglich, daß eben Gehirne mit einer solchen abweichenden Vaskularisierung bei CO-Vergiftungen der Nekrose anheimfallen können, da dann die Blutversorgung zu schwach ist. Die meisten Gehirne zeigten die vorderen Teile der Pallida durch die a. cerebri media versorgt. Alle die Arterien, die das Pallidum Striatum, den Thalamus und die Capsula interna versorgen, sollen Endarterien sein. Diese Theorie sollte nicht so apodiktisch ausgesprochen werden, da diese Arterien meistens nur im physiologischen Sinne Endarterien sind. Wir haben nämlich Gefäßpräparate angefertigt, die mindestens 50 p dick waren, die wir aber sogar bis 100 u Dicke gebracht haben. In diesen Präparaten sieht man nicht nur viele Anastomosen im Bereich der Kapillarschlingen, sondern auch Anastomosen von Arteriolen, was besonders im Striatum und Thalamus opt. deutlich in Er- scheinung tritt. Im Pallidum, sowie in der Capsula interna wollte uns dieser Nachweis leider nicht so ganz einwandfrei gelingen, doch erlauben uns die gefundenen Bilder es als möglich hinzustellen, daß, wenn auch vielleicht die

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größeren Gefäße keine Anastomosen bilden, doch Anastomosen der Arteriolen bzw. der kleinen Venen und der Kapillaren vorhanden sind.

Die Kapillarversorgung haben wir besonders langwierigen Untersuchungen unterworfen. Wir haben dabei alle Methoden angewandt, die ein gutes Resultat zu geben versprachen. Die besten Bilder erhielten wir mit der Biondi- Methode, die aber nur an 50—100 u dicken Präparaten ausgeführt werden sollte. Bilder in gewöhnlichen 15—20 u dicken Schnitten geben nicht die- selben Resultate. Dies geschieht dadurch, daß der Verlauf der Kapillaren in manchen Kernen mehr geradlinig, in anderen dagegen stark wellenförmig ist. Die dünnen Schnitte geben dadurch eine nur unvollkommene Einsicht in den Bau und die Verteilung der Kapillaren. Da z. B. die Kapillaren im Putamen

Abb. 11. Kapillaren im Putamen.

oft stark geschlängelt verlaufen, werden sie an dünnen Schnitten mehrmals angeschnitten, so daß man verschiedene Kapillaren vor sich zu sehen glaubt. Im Striatum gehen die Astchen von den Kapillaren meistens fast im rechten Winkel ab und sind ganz besonders zahlreich, so daß sie in dünnen, wie in dicken Schnitten gut zu sehen sind. Die Kapillaren des Pallidum, die oft eine Knäuelform annehmen, und die der weißen Substanz verlaufen meistens in leicht wellenförmigen Linien ohne Abzweigungen. Entsenden sie aber schon Äste, so gehen diese in spitzem Winkel ab. Deshalb sieht auch ein dünnes Pallidumpräparat sehr oft anders aus als ein dickes. Im dünnen Präparat findet man nur wenige Kapillaren in der Schnittfläche, oder nur kleine Teile derselben. Das dicke Präparat zeigt ein verhältnismäßig viel reicheres Bild, so daß dort der Unterschied zwischen Striatum und Pallidum nicht so markant hervortritt, wie dies an dünnen Präparaten der Fall ist. Es muß auch hervorgehoben werden, daß die Kapillaren im Striatum meist regelmäßig verteilt sind, was man von denen im Pallidum nicht behaupten kann. Das Pallidum externum, besonders die äußere Marklamelle,

Der Parkinsonismus symptomaticus. 197

zeigt U. E. nach eine dichtere Kapillarisierung. Das Pallidum internum hat dünnere Zweige und zeigt abwechselnd kapillarreichere und -ärmere Stellen. Dieses Bild hängt nicht von der Menge der Myelinfasern ab. Im Striatum dagegen sind die Myelinfaserbündel besonders kapillararm. Wenn wir nun

Abb. 12. Kapillaren im Kopf des Pallidum ext.

Abb. 13. Kapillaren im Pallidum int.

die einzelnen Kerne der Basalganglien der Reihe nach auf die Dichte der Kapillarversorgung hin untersuchen werden, so ergibt sich, daß das Kaudatum und das Putamen am reichsten versorgt sind (Abb. 11). Vielleicht ist die Menge der Arteriolen nicht viel größer im Vergleich zu anderen Ganglien und selbst zum Pallidum, nur ist die Zahl der kleinsten Astchen, die wie bei einem

198 Eugen Brzezicki.

Tannenbaum abgehen, sehr groß. Die Kapillaren dieser Gegenden sind meistens sehr zart. Man könnte eventuell von einem größeren Reichtum an solchen Abzweigungen im Bereiche des Kaudatum sprechen. Wir wollen hier nicht alle Basalganglien noch einmal miteinander vergleichen, da das schon einmal in der anatomischen Besprechung geschehen ist, wir möchten nur noch über den Thalamus, das Pallidum (Abb. 12 u. 13), die Substantia nigra und die Capsula interna einige Worte sagen. Der Thalamus ist auch sehr dicht vasku- larisiert, und die Art und Weise, wie sich die Kapillaren verzweigen, stellt ein Mittelding zwischen Striatum und Pallidum dar. Die Gefäße zeigen hier oft Anastomosen und es scheint uns wahrscheinlich, daß sowohl hier, wie auch in anderen Ganglien, die Zahl der Abzweigungen von der Menge der Zellen abhängt. Die Substantia nigra steht mit der Anzahl ihrer Kapillaren

Abb. 14. Kapillaren in der Capsula interna.

an nächster Stelle. Die Kapillaren scheinen hier aber etwas dicker zu sein und sind öfters fibrös verändert. Die Zona Rubra der Substantia Nigra zeigt ähnliche Verhältnisse. Wie gesagt, sind aber die Kapillaren nicht so spärlich, wie man glauben könnte, wenn man nur dünne Präparate vor sich hätte. Sehr arm an Kapillaren ist die Capsula interna (Abb. 14) und manche Gegenden der weißen Substanz. Daraus ergibt sich also, daß, wenn die Nekrose nur von der Menge der Kapillaren abhängen würde, sie nicht an das Pallidumgewebe gebunden sein dürfte, sondern ursprünglich in der Capsula interna auftreten müßte. Bekanntlich ist dies nun nicht der Fall.

Wie gesagt, haben wir das Pallidum serienmäßig untersucht. Da wir in der Nekrose selbst, als in einem vernichteten Gebiet, nichts besonderes finden zu können glaubten, richteten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf den Anfang und Ende der Nekrose, da sie unserer Meinung nach fortschreitend ist. In den oralsten Teilen des Pallidum fanden wir das schon besprochene Bild der Muffnekrose um (kleine) Venen herum, die aber alle im Pallidum-

Der Parkinsonismus symptomaticus. 199

gebiet lagen. Die Venen vereinigten sich dann in eine einzige und diese zog zur Terminalvene. Rund um diese Vene, wie auch um die Terminalvene, konnte man deutlich ein Quellungsgebiet unterscheiden. An diesen Partien derselben Venen, die kleine Nekrosen aufwiesen, sehen wir oft eine Quellung und eine sehr reiche Proliferation des Mesenchymalgewebes in Form von Kapillarsprossen und Fibroblastenbündeln. Die Muffnekrosen, welche nota bene an der Seite, wo an einem nebenliegenden Gefäß eine andere Muff- nekrose zu finden war, weiter in das gesunde Gewebe hineinragten, flossen zusammen und bildeten den Beginn der allgemeinen Nekrose. Dasselbe Bild sah man im kaudalen Ende der Erweichung. Wir konnten uns an den Serien- schnitten überzeugen, daß diese Gefäße sowohl in den oralen, wie auch in den kaudalen Teilen nur aus Endothel, Intima Elastica und dünner Adven- titia bestanden, was dafür spricht, daß wir Venen vor uns hatten. Außerdem konnten wir in den oralen Teilen einwandfrei feststellen, daß alle diese Gefäße zu der Terminalvene, die in der Stria cornaee zieht, verlaufen. In unserem Falle handelt es sich nicht um eine einzige, sondern um mehrere, nebeneinander liegende Terminalvenen. In eine von dieser Vene, die die charakteristischen Wandbestandteile zeigt, münden die besprochenen palli- dären Venen ein. Es ist bemerkenswert, daß auch um die Terminalvene herum ein leichtes Quellungsgebiet zu sehen ist. Sowohl die erwähnten Palli- dumvenen, wie auch die in Frage kommende Terminalvene wiesen in keinem von den vielen Serienschnitten einen Thrombus auf. Die Erythrozyten sind sowohl in den pallidären Venen wie auch in der Terminalvene gut abgrenzbar und zeigen keine Tendenz zur Verklumpung. Auch sind diese Gefäße nicht so prall angefüllt, wie die anderen Venen der Umgebung, die jedoch keine Muffnekrose um sich zeigen. Die in Frage kommenden Venen ` haben an einigen Stellen mäßig mit Blut gefüllte Lumina, an anderenStellen wiederum zeigen sie im Gegensatz dazu sogar etwas kollabierte und gefaltete Wandungen. Interessant sind auch die hie und da stark gedehnten Wände und andererseits viel engere Lumina, an anderen Stellen, was zum Teil an sine Perlenschnur erinnert. Manchmal zeigen die Wände dort, wo sie erweitert sind, Einlagerungen von Kalkkonkrementen, die wir nirgends anderswo ange- troffen haben. Es ist interessant zu wissen, daß auch Pohlisch solche Fälle zitiert, in welchen sackige aneurysmatische Erweiterungen der Kapillaren bzw. Präkapillaren gefunden werden.

Ähnliche Bilder von Nekrosen rund um Gefäße, die jedoch nicht als Venen bekannt wurden, beschreibt Weimann. Diese Gefäße waren aber thrombosiert. Wichtig ist nur, daß Weimann solche Bilder auch in frischen Fällen beobachten konnte. Wir schen also, daß in unserem Falle die Nekrose vom oralen Teile des Pallidum ausgegangen ist. Die Nekrose hat muffartig rund um kleine Venen herum begonnen. Sie ist nicht im Parenchym selbst entstanden, ist also wahrscheinlich nicht kapillogener Herkunft.

Wie kann man sich nun die Entstehung der Nekrose auf Grund unserer Präparate vorstellen ?

200 Eugen Brzezicki.

Die CO-Vergiftung stellt uns vor die Tatsache prädilektiver Lokali- sation von Erweichungen in besonderen Hirnteilen und es muß besonders hervorgehoben werden, daß hauptsächlich die graue Substanz des Gehirns von diesen Erweichungen befallen wird. Zwar hat Meyer an seinen Tier- experimenten gezeigt, daß die sonst viel weniger empfindliche Marksubstanz auch Ernährungsstörungen erliegen kann und ihnen in der Tat auch sehr oft, viel öfter, als man bis dahin annahm, erliegt; diese sind aber ganz anderer Natur. In den meisten Fällen kommt es zuerst zu einer prädilektiven Erweichung des Pallidum außerdem kann es zu kleinen Erweichungsherden auch in allen anderen Teilen des Hirngraus kommen. Man trifft solche Er- weichungen in der Substantia Nigra, in allen möglichen Rindenteilen und Rindenschichten an, doch typisch für die CO-Vergiftung bleibt immer die Erweichung des Pallidum. Wie aber haben wir uns diese prädilektive Er- krankung des Pallidum zu erklären? Aus den Untersuchungen von Meyer ist es ersichtlich, daß dem kaudalwärts gerichteten Verlauf der Pallidum- arterien keine größere Rolle beizumessen ist. Auch wollen wir hier auf die Bedeutung der angetroffenen Anastomosen der Arteriolen keinen besonderen Wert legen, da jedenfalls diese Anastomosen viel zu schwach sind, um einer eintretenden Nekrosenbildung vorzubeugen. Dagegen kann nicht als bedeu- tungslos betrachtet werden, daß wir in einigen Fällen feststellen konnten, daß nur die Arteria cerebri anterior den oralen Teil des Pallidum versorgt, und es ist sicher, daß Gehirne „ohne Sicherung“ leichter Nekrosen nach Zirkulationsstörungen aufweisen werden, als andere. Diese enge Abhängig- keit vom Gefäßsystem definiert aber nicht unsere Auffassung von der beson- deren Prädilektion zu Veränderungen. Diese kann nämlich nur durch spezi- fische Verteilungs- und Baueigentümlichkeiten der Gefäße nicht restlos erklärt werden.

Da meistens im Pallidum, an anderen Stellen des Gehirns dagegen nur viel seltener Nekrosen vorkommen, so müssen wir die so stark angefoch- tene Pathoklisentheorie von Vogt eingehender würdigen. Sowohl Hiller, Grinker wie auch Meyer geben zu, daß ein bisher noch unerforscht ge- bliebener Faktor X sich in gewissen Hirnteilen vermittelnd zwischen die allgemeine Störung der Blutversorgung und das nervöse Gewebe einge- schoben und zu der frühzeitigen und prädilektiven Erkrankung des Pallidum Anlaß gegeben hat. Hiller wie auch andere Autoren nehmen eine „mittelbare Pathoklise“ an, die sie in der Dürftigkeit der Kapillaren sehen. Es scheint uns aber, daß die Stärke der Kapillarversorgung des Pallidum der biologischen Funktion dieses Kernes angemessen sein muß. Außerdem findet die Nekrose nur im oralen Teile des Pallidum ihren Predilektionsplatz, was sich mit der bewiesenen großen Einheitlichkeit in der Kapillarversorgung im Bereiche des ganzen Pallidum nicht deckt. Weiters ist die Kapillar- versorgung der anliegenden Capsula interna sogar noch viel, viel ärmer. Man sollte demnach Nekrosen eher in der Ca. int. antreffen. In den oralen Teilen des Pallidum aber konnte Spatz mehr Parenchymeisen als in den hinteren Teilen aufweisen.

Der Parkinsonismus symptomaticus. 201

In unserem Falle zeigte sich, wie gesagt, eine gut sichtbare Quellung rund um die Venen der oralsten Teile des Pallidum. Es ist merkwürdig, daß im Gebiete des Pallidum die Quellung in Erweichung überging, während außer- halb des Pallidum dieselbe Quellung, die die Venen bis zur Terminalvene begleitet, es zu keiner Nekrose bringen konnte. Darf man demnach den Patho- klisebegriff so ohne weiteres ablehnen? Selbstverständlich dürfen wir diese Pathoklise oder den Faktor X oder wie wir das sonst nennen wollen, nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Eisen- oder Kalkstoffwechsels betrachten, da uns das Wort ,,Pathoklise“ alle Möglichkeiten der Erkrankungsbereitschaft darstellen muß. Es ist ein vorläufiger Sammelbegriff für heute noch unbe- kannte Krankheitsursachen der nicht als nutzlos verworfen werden darf. In diesem Sinne wird er auch von anderen Autoren als heuristisch wertvoll anerkannt. Die „Blutverschlechterung“ allein kann auch nicht als hinreichende Ursache betrachtet werden, was auch Meyer selbst zugibt.

Die befruchtende Wirkung der Lehre von den funktionellen Gefäßstörun- gen auf andere Gebiete der Pathologie muß besonders hervorgehoben werden, Es wird jetzt allgemein angenommen, daß das CO-Gift zu einer starken und lange dauernden Atonie der Gefäßwand führt. Durch diesen Zustand, wie auch durch Herzschwäche kommt es im Gehirn zu einer Stase im Sinne Rickers i die ohne Thrombenbildung zu schweren Parenchymschädigungen führen kann. Hiller zeigte, daß die Parenchymschädigung in der Stauung in den Kapillaren ihre Ursache hat. Damit ist allerdings nur bewiesen, daß CO-Veränderungen auf diese Weise so entstehen können, nicht aber, daß sie immer so entstehen müssen. Deshalb muß hier die Frage aufgeworfen werden, ob nicht weniger die Störung im arteriellen Teil des Kreislaufes zu den umschriebenen herd- förmigen nekrobiotischen Vorgängen geführt haben, als vielmehr die venöse Kreislaufstörung. Es ist von vornherein zugegeben, daß eine vollkommene funktionsmäßige Trennung der Störung in den beiden Kreislaufschenkeln weder möglich noch statthaft ist. Die gleiche Ursache hat sich am venösen wie arteriellen Gebiet des Kreislaufes ausgewirkt, wie auch ein Erlahmen der motorischen Herzkraft in Rechnung gezogen werden muß. Unsere Tat- sachen sprechen jedoch dafür, daß wir mit Recht die Ursache der Erweichung in unserem Falle im Versagen der arteriellen Blutversorgung, verbunden mit der superponierten Störung im Venenkreislauf sehen müssen. Jedenfalls sind die Venen viel stärker durch das Gift betroffen wie die Arterien, was beim Beschauen der Präparate hauptsächlich in die Augen springt. Es ist interessant zu wissen, daß die Untersuchungen von Marchand ergeben haben, daß Thrombosen, wie überhaupt Zirkulationsbehinderungen in den großen Venen meist eher zu einer Anämie als einer Hyperämie in der gegebenen Stelle führen und daß sie in erster Linie Erweichungen in den spärlicher mit Kapillaren versorgten Gebieten zur Folge haben.

Kolisko sah an einem großen Material bei ganz akut tödlich ver- laufenden CO-Vergiftungen die vorderen Teile des Globus pallidus, im Gegen- satz zu der Hyperämie der Umgebung, völlig blutleer.

202 Eugen Brzezicki.

In unserem Falle konnten wir in der Nekrose fast kein Blutpigment nach- weisen, was eher für eine Anämisierung des Gebietes spricht. Auch die Ge- fäße im oralen Teile des Pallidum, die eben die Schuld an der Nekrosebildung tragen, waren, wie wir es besonders hervorgehoben haben, eher kollabiert und blutarm, als mit Blut überfüllt.

Wir stellen uns die Sache so vor, daß es in unserem Falle, solange das Blut noch einigermaßen mit Sauerstoff gesättigt war und obwohl es schon das CO-Gift in Mengen enthielt, nur zu einer Stase kam. Demnach konnte dieses „verschlechterte Blut“ auch die Kapillaren passieren, ohne dabei eine Nekrose hervorzurufen. Durch die große Stase und die Kreislaufverlangsamung wurde der O-Gehalt auf Null reduziert. Und erst dieses Blut, das nur CO, -4+ CO enthielt, brachte es in den kleinsten Venen des besonders empfindlichen (Faktor X) Pallidum dazu, daß es hier zu spastischer funktioneller Vasokonstriktion, zur Quellung des umgebenden Gebietes, infolgedessen zur Anämisierung und zu tiefgreifenden Veränderungen in der Um- gebung kam, was die Möglichkeit einer Nekrosebildung begünstigt hat. Besonders verdient die rege mesodermale Proliferation, die noch dazu in einem solchen Gebiete zu entstehen schien, das noch keine mikro- skopisch faßbaren Beweise einer Nekrose zeigte, hervorgehoben zu werden. Möglicherweise kam es hier zu einer materiellen Gefäß- veränderung, vielleicht infolge einer größeren Empfindlichkeit der Gefäß- wandzellen, die durch das CO-Gift direkt zu einer Wucherung angereizt sein konnten. Diesen materiellen Veränderungen müßte dann neben den funktionellen unbedingt auch eine pathogenetische Bedeutung zukommen. Jedenfalls fehlt uns noch der Beweis, ob es sich überhaupt um primäre Ver- änderungen der Gefäßwandzellen handelt. Aus unseren Befunden konnte man vielleicht den Schluß ziehen, daß das durchgedrungene CO-haltige Blutserum zuerst den Anreiz zu einer regen mesodermalen und dann erst zu einer gliogenen Reaktion gibt. Es ist auch ersichtlich, daß das CO-Gift mit der Zeit auf die Wandungen der Gefäße einen schädlichen Einfluß haben muß. In unseren Präparaten sieht man die Gefäße, die erst zwei Monate nach der Vergiftung zur Sektion gekommen sind, von Blut strotzen. Außerdem zeigen sie eine Stase und enthalten so starke Pseudokalkablagerungen in den Wänden, wie wir sie in diesem Alter bei normalen Verhältnissen nie finden würden. Auch erbringt die in unserem Falle vorhandene perlenschnurartige Konfi- guration der Venen, wenn sie nota bene nicht als Artefakt zu werten ist, einen Beweis für den dauernden Reiz, den das Gift ausübte, und der nicht nur funktionell, aber anatomisch faßbar sein müßte. Die zackige Begrenzung des Herdes, die an manchen Stellen schlanke, in das gesunde Gewebe hinein- ragende Ausbuchtungen zeigt, ist noch ein Beweis dafür, daß sich die Nekrose- bildung an die Gefäße hält. Damit wollen wir nicht sagen, daß alle CO-Ne- krosen so entstehen müssen, sondern nur, daß sie auch auf diese Art entstehen können. Da wir bei Lebzeiten der Patientin Besserungen des Allgemeinzustan- des bemerken konnten, so müssen wir auch Schwankungen in dem Grade der Anfüllung der Gefäße und in der Stärke der Stase annehmen.

Der Parkinsonismus symptomaticus. 203

Wenn man von Erweichungen im Pallidum spricht, und wenn man an- nimmt, daß diese vaskulärer Natur sind, so wird man auch an andere Erwei- chungen denken miissen, die derselben Art sind und bei Hypertonikern meistens in der Capsula interna in der Nahe des Pallidum unter dem Namen des Hirnschlages auftreten. Die Pathogenese ist hier selbstverständlich eine ganz andere, die Erweichungserscheinungen dagegen selbst sind oft identisch. Wenn wir von dem „funktionellen“ Hirnschlag im Sinne von Ricker und Neubürger ausgehen werden, so sehen wir, daß wir weder hier noch dort irgendwelche organische Gefäßerkrankungen und mechanische Behinderungen des Kreislaufes ermitteln können und daß wir nur eine örtliche funktionelle Störung des Kreislaufapparates in dem oben angedeuteten Sinne annehmen müssen. Tun wir dies, so wirft sich folgerichtig die Frage auf: Wie kommt diese Störung zustande und welcher Art ist sie? Wenn wir eine posttrauma- tische funktionelle Störung bei einem Hirnschlag, bei Commotio cerebri, wie es Neubürger beschreibt, annehmen werden und wenn wir die dort gefun- denen Venen mit denen des Falles III vergleichen werden, so sehen wir ähnliche Bilder. Im Herdbezirk selber sind die Gefäße fast blutleer und kolla- biert, ganz im Gegensatz zu ihrem Verhalten in der näheren und weiteren Umgebung; dies ist auch besonders bei CO-Vergiftungen der Fall. Danach dürfte eine funktionelle Sperre in dem vorgeschalteten Arterienbezirk be- standen haben, die eine normale Blutfüllung nicht zuließ. Dies brachte die besonderen Verhältnisse in den kleinsten Venen, die wir schon eingehends besprochen haben, mit und führte auch zur Nekrose rund um die Venen herum. Diese Verhältnisse verursachten eine ischämische Nekrose, die unter dem Namen weiße Erweichung, besser bekannt ist. Diese Nekrose beginnt mit einer ödematösen Durchtränkung des anliegenden Gewebes. Aus den Erörte- rungen von Ricker kann man entnehmen, daß eine Nekrose im Gehirn nur durch Stase, nicht aber durch spastische Ischämie entstehen kann. Neu- bürger ist aber der Ansicht, daß eine spastische Ischämie im Gehirn un- mittelbar nekrotisierend zu wirken vermag. Damit würden auch die histolo- gischen Bilder der Gefäße im Nekrosebereich übereinstimmen, was Neu- bürger auch hervorhebt, Alle diese Erkrankungen lassen durch ihre Lokali- sation und Ausdehnung vermuten, daß sie sich an ein bestimmtes Gefäßgebiet halten, was wiederum Schwartz betont. Der Unterschied möchte dann nur in den Prädilektionsstellen liegen: bei CO-Vergiftung ist es das Pallidum, bei Hirnschlag die Capsula interna. Beide Erweichungen können im Gebiet derselben Arterien vorhanden sein, in einem Gebiet, das in dem einen wie im anderen Falle ebenfalls schwach kapillarisiert ist. Wir müssen also wieder zu dem „unbekannten Faktor X“ zurückkehren.

Manche Autoren glaubten, daß sie aus Untersuchungen an einem Falle, welcher ihnen als typisch erschien, allgemeine Schlußfolgerungen auf die Pathogenese aller CO-Vergiftungen ziehen dürften. Wir dagegen glauben, daß, theoretisch genommen, jeder Fall verschiedene pathogenetisch wirksame Eigenschaften in sich birgt. Deshalb scheint es uns, daB es Fälle gibt, bei denen die Nekrose durch die Kapillarstase und wieder solche, bei denen die

204 Eugen Brzezicki.

Nekrose durch Venenstase bzw. durch Venenthrombose usw. entstehen kann. Auch der Faktor X, den wir letzten Endes Pathoklise nennen können, muB von Einfluß sein, da die Nekrose im Pallidum entsteht. Da die Nekrose im oralen Teil des Pallidum ihren Anfang nimmt, ist möglicherweise eine Folge der besonderen Arterienversorgung dieser Teile, obwohl man gleich hinzufügen muß, daß die Kapillarversorgung des ganzen Pallidum im großen und ganzen genommen die gleiche ist. Unsere Untersuchungen erlauben uns nicht, daran zu glauben, daß die schwache Kapillarversorgung an sich genügen kann, um die Nekrose herbeizuführen; denn erstens ist das Pallidum relativ nicht so kapillararm und zweitens gibt es andere Stellen, die noch viel schlechter kapillarisiert sind.

Wir möchten zum Schlusse noch auf das Mißverhältnis zwischen der Proliferationstätigkeit der Glia zum Zellschwund und zur Nekrose und auf die ungemein große Aktivität des mesodermalen Apparates, der im allge- meinen bei den CO-Vergiftungen in nicht so starkem Ausmaße vorkommt, aufmerksam machen. Das geht so weit, daß z. B. die Körnchenzellen in unse- rem Fall vorwiegend mesodermalen Ursprungs sind, während sie in den bisher bekannten menschlichen Fällen im wesentlichen gliogen waren. Ein derartiges Verhalten ist bei Tieren allgemein. Vielleicht ist in unserem Falle die Lues der spiritus movens für diese abnormale Erscheinung.

Schlußwort.

Aus unseren Untersuchungen über Parkinsonismen bei CO-Vergiftung darf man folgende Schlüsse ziehen:

1. Wir konnten beweisen, daß der parkinsonistische Symptomenkomplex auch nach chronischer Kohlenoxydvergiftung entstehen kann.

2. Der Parkinsonismus nach CO-Vergiftung muß nicht immer als irre- parabler Zustand betrachtet werden, welcher entweder bestehen bleibt oder sich verschlechtert. Er kann auch transitorisch sein.

3. Wir haben einen Fall anatomisch untersuchen können, in welchem nach einer akuten CO-Vergiftung ein Parkinsonismus auftrat.

4. Die gefundenen Veränderungen in der Hirnsubstanz beschränkten sich in unserem Falle auf a) beiderseitige symmetrische Nekrosen des Pallidum, b) auf einen nicht allzu großen Ausfall der großen Kaudatumzellen, c) auf Veränderungen der Zellen des Nucleus extern. Thalami, d) auf Ver- änderungen im Tuber, e) auf eine minimale Schädigung der Substantia Nigra.

5. Die Rinde erwies sich morphologisch im großen und ganzen intakt und zeigte keine bedeutenden Veränderungen.

6. Die Veränderungen im Pallidum teilen sich in a) Veränderungen des Pallidum externum. (Wir glauben die Ausdrucksbewegungen der Kranken auf diese Veränderungen im Zusammenhange mit denen im Kaudatum zurückführen zu können.) b) Veränderungen im Pallidum internum. (Diese Schädigung machen wir für die Starre verantwortlich, da die Schädigung der Nigra zu wenig ausgesprochen war.

Der Parkinsonismus symptomaticus. 205

. Der ausgedehnteren Nekrose im rechtsseitigen Pallidum entsprachen es Symptome in der linken Körperhälfte.

8. Die Veränderung in den äußeren, unteren, hinteren Teilen des N iceus ext. Thalami fassen wir als das wahrscheinlichste anatomische Substrat der negativistischen Erscheinungen mit Mutismus im Sinne von Kleist auf.

9. Die Veränderungen in den Tuberkernen beschuldigen wir für das Entstehen vegetativer Erscheinungen in Form von Salbengesicht und Schweiß- ausbrüchen.

10. Die somatotopische Gliederung im Pallidum wird durch unseren Fall bestätigt. Die orale Nekrose hatte nämlich eine Starre der oberen Körperhälfte hervorgerufen.

11. Unsere Präparate lassen die Vermutung zu, daß sich die Nekrose in der frontokaudalen Richtung bis zum Tode weiter vergrößert hat.

12. Die großen Mengen von Pseudokalkablagerungen im Pallidum müssen wir nur als Folge und Resultat der ungünstigen Stoffwechselverhält nisse in der geschädigten Zone auffassen. Sie sind dementsprechend kon- sekutive Erscheinungen.

13. Die Nekrose ist in unserem Falle durch das Zusammenfließen kleiner Muffnekrosen, die rund um die Venen herum sich gebildet haben, ent- standen. Da diese Venen eher kollabiert als erweitert erscheinen, und wir keine Thrombose ausfindig machen konnten, scheint es, als ob in unserem Falle der Stase keine allzugroße Bedeutung in der Nekrosebildung beizu- messen wäre. Wir müssen die wichtige Frage, wie es zu dieser Nekrose gekommen ist, vorläufig noch offen lassen, obwohl wir uns in den allge- meinen Schlußfolgerungen über dieses Thema schon ausgesprochen haben.

14. Diese Muffnekrosen halten sich an die Grenzen des Pallidum. Dieselben weiterziehenden Venen, die durch die Ca. int. gegen die Vena Terminalis laufen, zeigen höchstens muffartige Quellungserscheinungen.

15. Unsere Untersuchungen über die Kapillaren des Pallidum erlauben uns die Annahme, daß, obwohl sie in diesem Basalkern dürftiger als in anderen vorhanden sind, sie doch der biologischen Inanspruchnahme ent- sprechen. Da die Kapillaren der Ca. int. noch viel dürftiger verteilt sind und dort keine Nekrose entsteht, so können wir der Theorie, die nur der Kapillar- versorgung in allen Fällen die Hauptrolle beim Entstehen von Nekrosen zuschreibt, nicht beistimmen.

166 Unsere Untersuchungen zeigten, daß manchmal die oralen Teile des Pallidum im Versorgungsgebiet nur einer einzigen größeren Arterie liegen (Ast der Art. cerebri ant.). Da aber dieses Gebiet sich auch auf die Ca. int. erstreckt, können wir durch diese Tatsache die besondere Vulnerabilität des Pallidum nicht restlos erklären.

17. Da sich die Bildung der Nekrose mit der vaskulären Theorie und der „Blutverschlechterung“ nicht vollständig erklären läßt, so müssen wir noch einen unbekannten Faktor X (die Pathoklise) zur Hilfe ziehen.

18. Es wäre noch hervorzuheben, daß vielleicht eine Lues oder Arterio- sklerose die CO-Nekrosenbildung einigermaßen erleichtern kann. Die meisten

206 Eugen Brzezicki.

aus der Literatur zusammengebrachten Fälle von CO-Parkinsonismen zeigten luetische oder arteriosklerotische Erscheinungen.

19. Vorläufig ist es unmöglich zu erklären, warum der Parkinsonismus sowohl nach CO-Vergiftung, wie auch nach einer überstandenen Encephalitis epidemica meistens eine Latenzzeit braucht, bevor er zum Ausbruch gelangt, obwohl die irreparablen Veränderungen von Anfang an bestehen.

20. Wir haben in dem lateralen Teil der Substantia Nigra eine leichte Verödung der Ganglienzellen feststellen können; auch der Tractus pallido-pedun- cularis scheint uns nicht ganz intakt zu sein. Wir glauben, daß sowohl der Ausfali der Ganglienzellen, wie auch die leichte Degeneration des Tractus pallido-peduncularis eine Folge der homolateralen Vernichtung eines Teiles des Pallidum ist.

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Aus dem neurologischen Institute der Wiener Universität (Vorstand: Prof. Dr. Otto Marburg).

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Striatum zu dieser. Von Dr. Ladislaus Tokay Assistent der Klinik für Neur. u. Psych. der k. ung. Franz Josef-Universität in Szeged, Ungarn. Mitglied des Colleg. Hung. in Wien. Mit 3 Abbildungen im Text.

Trotz vieler darauf gerichteter Bemühungen ist die Choreafrage heute noch immer kontrovers. Die beiden Gruppen von Fällen, die uns zur Beant- wortung der verschiedenen, diese Krankheit betreffenden Fragen zur Ver- fügung stehen, die Chorea chronica progressiva auf der einen Seite und die Herdchorea auf der anderen Seite, lassen scheinbar eine einheitliche Auf- fassung nicht zu.

Wir wollen zunächst einmal sehen, inwieweit die lokalisatorische Frage des choreatischen Prozesses derzeit geklärt ist durch die Gegenüberstellung eines Falles von chronischer progressiver Chorea und eines von Herdehorea.

Als Ausgangspunkt soll die Literatur der Chorea chronica progressiva näher ins Auge gefaßt werden.

Wir gehen dabei von dem Falle von Oppenheim und Hoppe aus, der allerdings bereits aus dem Jahre 1893 stammend sowohl histologisch als topisch nicht sicher zu verwerten ist. Es handelt sich um eine eigenartige Form disseminierter Enzephalitis, wobei die Rinde nahezu generell, aber auch der Subkortex affiziert war. Auffällig sind eigenartige Zellen, besonders im Gebiet der Zentralwindungen in der molekularen Schicht. Auch in den Basalganglienzellen sind solche zellige Herde zu finden. Im Putamen scheint ein HerdprozeB mit reaktiver Gliose zu sein. Ferner finden sich zahl- reiche scheinbare Pseudokalkkugeln. Auch der übrige Linsenkern ist ziemlich schwer affiziert. Das Kleinhirn ist relativ gut erhalten, ebenso das Rücken- mark.

Auch im zweiten Falle finden sich solche disseminierte Veränderungen, so daß die Autoren als Grundlage des Prozesses eine disseminierte miliare Enzephalitis annehmen, die sich kortikal in der motorischen Zone sowie sub- kortikal findet. j

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 14

210 Dr. Ladislaus Tokay.

Jelgersma beschreibt bei der Huntingtonschen Chorea eine starke Atrophie des Kopfes des Nucleus caudatus und der hier entspringenden Bahnen. Besonders in die Augen fällt bei dem auf ein Drittel seines Volumens reduzierten Kerne die mächtige Wucherung der Glia.

Kölpin berichtet zu gleicher Zeit über die Veränderungen, die sich in der gesamten Hirnrinde, aber auch in den subkortikalen Ganglien und dem Kleinhirn zeigten. Auffällig war, daß er in erster Linie die Zellen der dritten Schichte vernichtet fand, wobei auch die Schichten selbst auf einer infantilen Stufe stehen blieben und die Zellen vorwiegend degenerativ ver- ändert waren. Entzündliche Erscheinungen fehlten, so daß Kölpin die ent- zündliche Genese des Prozesses negiert und das Ganze für eine Abiotrophie hält, die sich auf dem Boden einer minderwertigen Anlage des zentralen Nervensystems entwickelt.

Dem widerspricht Alzheimer, indem er meint, daß die Rindenerkran- kung allein als Substrat der choreatischen Bewegungen bezweifelt werden müsse. Er findet die schwersten Veränderungen im Corpus striatum, indem in zwei besonders vorgeschrittenen Fällen in diesem Gebilde kaum eine Zelle mehr zu sehen war, die funktionstüchtig blieb. Auch die Regio sub- thalamica hatte gelitten, so daß er sowohl die Hirnrinde als das Striatum, als die Regio subthalamica, als die wesentlichsten Partien betrachtet, die für das Zustandekommen der Chorea verantwortlich sind.

Auch in andersartigen Fällen von Chorea hat er dort die Läsionen gefunden.

Auch Kleist findet vor allem den Nucleus caudatus und das Putamen atrophisch, die Zellen auf den vierten bis fünften Teil der Norm reduziert. Er zeigte, daß dementsprechend die Glia gewuchert sei, sonst aber das Gehirn verhältnismäßig weniger gelitten hatte, obwohl Globus pallidus, Corpus sub- thalamicum und Nucleus ruber ebenso wie der Cortex besonders im Stirn- hirn Veränderungen aufwiesen. Er findet weiter neben der einfachen Zell- atrophie kalkähnliche Einlagerungen im Gewebe, Atherose der Gefäße des Linsenkerns, die er aber nicht als die Ursache der Erkrankung hält.

Kalkhof und Ranke, die über eine Chorea Huntington-Familie be- richten, konstatierten in dem von Ranke untersuchten Gehim neben einer Piaverdickung frontal und okzipital und einer vorwiegend im Frontalgebiet bestehenden Atrophie eine Ependymitis granularis der Ventrikel und einen Tumor im Rückenmark, der sich konform jenem bei Gliose vom Halsmark bis zum Lendenmark erstreckte. Die Ganglienzellen der Rinde und auch der Stamm- ganglien waren zum Teil lipoid degeneriert, zum Teil zeigten sie die chronische Erkrankung Nissls; Gliawucherung, Abbauprodukte in den degenerierten Ge- bieten, Veränderungen der Gefäße. Diese eben erwähnten, ausgesprochen degenerativen Veränderungen zeigten sich auch in den anderen Partien des Gehirns, wenn auch nicht in der gleichen Intensität.

Pfeiffer, der über zwei Fälle von progressiver Chorea berichtet, findet sowohl in der frontalen als zentralen Region des Gehirns als auch im Striatum, aber auch im Sehhügel Veränderungen. Die Ganglienzellen waren

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Striatum zu dieser. 211

im ganzen und großen sklerotisch und zeigten Verfettung; auffällig gut erhalten waren die großen motorischen Zellen. Auch er betont die mächtige Vermehrung der Glia besonders in den unteren Rindenschichten und dem Striatum. Er findet aber auch Veränderungen an den Gefäßen, besonders Verdickung.

Marie und L’Hermitte haben gleichfalls in vier Fällen sowohl den Cortex, besonders frontoparietal, als das Striatum ergriffen gefunden. Neben der Zelldegeneration finden auch sie eine Gliaproliferation und Gefäß- veränderungen. Sie machen auch auf geringe sekundäre Degenerationen aufmerksam. Die Autoren sind der Meinung, daß es sich hier um eine auf dem Boden hereditärer Disposition sich entwickelnde toxische Enzephalitis handle. Sie beziehen, wie die Mehrzahl der Autoren, die psychischen Ver- änderungen auf die Hirnrinde, die motorischen auf die Streifenhiigel.

Auffällig muß es sein, daß Margulis die Gliaproliferation in den Vorder- grund stellt, woran sich eine Atrophie der parenchymatösen Elemente, besonders der Ganglienzellen, anschließt. Diese ist stärker in der Rinde als in den subkortikalen Ganglien. Gleichzeitig damit gehen auch die feinen Fasern der Rinde zugrunde. Er sieht also als pathologisches Substrat der Chorea eine kongenitale, degenerative, chronische Gliose an, wobei das gesamte Zentralnervensystem ergriffen ist. Sehr wichtig ist eine Bemerkung von Margulis bezüglich des konkomittierenden Hydrozephalus. Er meint, daß dieser für die Pathogenese der Krankheit von wesentlicher Bedeutung sei. Er erwähnt die Fälle von Stier, Facklam, Weidenhammer, die ähnliches beobachteten, und meint, daß die mangelhaften Obduktionsprotokolle schuld seien, daß ein solcher Befund nicht öfters erhoben wird. Vielleicht handelt es sich um einen Hydrocephalus ex vacuo infolge der Atrophie der Him- substanz, vielleicht um Stauungsprozesse infolge der pialen Erkrankungen. Allerdings lehnt er für seinen Fall diese Ursachen ab, da Ependym- und Glia- wucherung sich bei mechanischem Hydrozephalus nicht finden. Demzufolge meint er, daß dies auf einen kongenitalen Ursprung hinweise und daß eine chronische Ependymitis oder ein dieser nahestehender Prozeß die Ursache für dessen Zustandekommen sei.

Kiesselbach findet neben einer vorwiegend im Stirnhirn bestehenden pialen Verdickung eine diffuse Atrophie des Gehirns, die aber im Stirn- hirn besonders ausgeprägt ist, während die Zentralwindungen auffällig gut erhalten waren. Die Ventrikel sind stark erweitert. Auch er bemerkt eine auffallende Atrophie der basalen Ganglien. Wenn man von den Veränderungen der Pia absieht, so findet der Autor in der linken ersten Stirnwindung, etwa dem Felde 9 Brodmanns entsprechend, einen auffälligen Schwund der Nervenfasern und in der Umgebung kleinere Herde mit sekundärer Gliose. Auch in der Brocaschen Windung, im linken Gyrus supramarginalis und Gyrus angularis ließ sich sowohl links als auch rechts fleckweiser Ausfall des Marks und auch der Zellen finden. Frische Erweichungsherde im Globus pallidus. Der Autor faßt diese Herde als Nekrose infolge Gefäßerkrankung auf. Sonst sind diffuse Veränderungen an den Pyramidenzellen, schwerere

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212 Dr. Ladislaus Tokay.

an den kleinen Zellen der Körnerschichte und auch an den polygonalen der unteren Schichten zu finden. Es ist eine Art seniler Erkrankung; hochgradiger Zellschwund im Nucleus caudatus und Putamen. Die erhaltenen Zellen sind schwer verändert. Es scheint, daß alle Zellarten gelitten haben. Auffallend ist dagegen, trotz der Herde im Globus pallidus, die Erhaltung der Zellen in diesem letzteren, die verhältnismäßig weniger gelitten haben wie die des Striatum. Auch der Thalamus opticus, die subthalamische Region und das Kleinhirn sind, wenn man von der allgemeinen Atrophie absieht, verhältnis- mäßig intakt; nur der Nucleus dentatus hat etwas mehr gelitten. Kiessel- bach hebt dann besonders die Atrophie des Marks hervor, die im Feld 46 z.B. zu einem völligen Schwund der tangentialen und superradiären Fasern geführt hat. Besonders auffällig ist auch hier im Striatum der Markschwund, während im Pallidum eine Abnahme des Markreichtums kaum aufscheint. Aufffällig ist die Vermehrung der Glia, die auch sonst verschiedenartige Veränderungen reaktiver Natur aufweist.

Cecil und Oscar Vogt haben bei einer 31jährigen Frau mit einer bilateralen, fast die gesamte Muskulatur betreffende Chorea nur im Striatum und kaum im Pallidum, am geringsten im Corpus Luisii eine Schrumpfung gefunden, die auf den Untergang der kleinen Ganglienzellen mit sekundärer Gliose zurückzuführen war. Interessant war in diesem Falle die Intaktheit der Markfasern, die durch ihre dichtere Lagerung einen Etat fibreux hervor- gerufen haben. Dagegen waren die Fasern, welche das Striatum mit dem Pallidum verbinden, zugrunde gegangen.

Auch in zwei anderen Fällen chronischer Chorea konnten sie einen gleichen Befund erheben. Bei Huntingtonchorea ist diese Veränderung mit gleichzeitiger Großhirnerkrankung verbunden; hauptsächlich ist die vierte Schichte betroffen oder das Gebiet zwischen der dritten und vierten Schichte dort, wo die vierte fehlt.

Ein weiterer Fall zeigt hydrozephale Erweiterung, ein anderer Atrophie des Gehirns und ebenso einen Hydrozephalus. Auch hier waren wiederum die genannten Schichten der Rinde atrophisch. Der Hydrozephalus wird auf die Schrumpfung des Striatum bezogen.

Einige Schritte weiter als Vogt geht Bielschowsky. Er berichtet über zwei Fälle von chronischer Chorea, bei denen die Rindenveränderungen fehlten, dagegen solche des Striatums deutlich ausgeprägt waren. Er hebt besonders hervor, daß, wenn auch die kleinen Zellen im Striatum am schwersten getroffen waren, doch auch die großen ziemlich schwere Schädi- gungen aufwiesen. Er spricht sich demzufolge gegen die Auffassung von Hunt aus, wonach nur die Schädigung der kleinen Zellen für das Auftreten der Chorea maßgebend sei. Sehr wesentlich erscheint, daß er mitteilt, daß bei längerer Krankheitsdauer der Prozeß weitergreift, und zwar auf die Zellen des Pallidum und des Corpus subthalamicum sowie die diesbezüglichen Fasern. Die Art des Zerfalls entspricht ungefähr einer Nekrose, bedingt durch die Störung des Gleichgewichtes zwischen Abbau und Ersatz. Sonst sind die Veränderungen, die er beschreibt, analog jenen der anderen Autoren, soweit

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Stratium zu dieser. 213

Glia und Gefäße in Betracht kommen. Bielschowsky meint, daß nur dort, wo psychische Störungen vorhanden sind, die Hirnrinde mitbetroffen sei.

Jakob, der über echte Huntingtonsche Chorea berichtet, bestätigt gleich- falls die bisherigen Beobachtungen und ergänzt sie. Auch in seinen Fällen ist das gesamte Striatum zerfallen, besonders der vordere Teil des Nucleus caudatus. Er betont, die auffallende Verminderung an kleinen Ganglienzellen bei rela- tivem Erhaltensein der großen. Auch den status fibrosus von Vogt hebt er in diesen Partien hervor. Entsprechend der weit vorgeschrittenen Erkran- kung sind auch alle jene Teile mitaffiziert, die nach Bielschowsky sekundär entarten. Die Hirnrinde ist besonders in den kleineren Elementen geschädigt, was ja ebenfalls den Befunden der früheren Autoren entspricht. Dagegen meint er, daß die innere Körnerschichte und die drei untersten Rinden- schichten mehr gelitten haben als die dritte Schichte, trotzdem auch hier der Zellausfall ein großer sei. Der Charakter der Veränderung ist der der Sklerose, gelegentlich auch fettige Degeneration. Die Gliareaktion ist die ge- wohnte. Sehr wertvoll ist der zweite von ihm beobachtete Fall deshalb, weil er nach zweijährigem Bestehen bereits zum Exitus kam und schließlich genau die gleichen Veränderungen aufwies als der ersterwähnte Fall. Nur die Intensität des Prozesses ist eine geringere. Charakteristisch konform Vogt ist also der vorwiegende Untergang der kleinen Ganglienzellen im Striatum, der inneren Kömerschicht und der inneren Rindenschichten in der Rinde. Auch die anderen Fälle, die er diesbezüglich erbringt, ergänzen seine Angaben.

Auch F. H. Lewy bestätigt die Befunde Vogts, nur meint er, daß bei einer progressiven chronischen Chorea auch dort, wo die psychischen Erscheinungen geringfügig sind, sich Rindenveränderungen zeigen. Die Lokali- sation derselben ist vollständig gleichgültig. Ein einziger Unterschied zwischen der hereditären und der einfachen progressiven Form bestünde in der bei ersterer mehr diffusen, bei letzterer mehr umschriebenen Gliawucherung. Außerdem bemerkt er, daß die Degeneration der Zellen etwa jener der chroni- schen Zellerkrankungen Nissls entspricht. Die ganze Differenz zwischen der Auffassung von Lewy und jener Vogts besteht eigentlich nur darin, daß bei der progressiven einfachen Chorea der Prozeß mehr herdförmig ist, während er bei der hereditären mehr diffus ist. Sonst sind aber die Ver- änderungen nur quantitativ different.

Peter hat zwei Fälle beobachtet, deren einer wohl eine senile Chorea war und infolge Kombination mit kleinen Herden nicht ganz rein das gewohnte Bild der progressiven Chorea ergab. Der zweite Fall dagegen ist eine heredi- täre Chorea und zeigt im wesentlichen den Befund der anderen Autoren. Das Interessante ist nur, daß eine anatomische Differenz der beiden im Wesen verschiedenen Fälle nicht gefunden wurde, weshalb Peter meint, daß in beiden Arten von Chorea dieselben schädigenden Faktoren wirksam sind. Er glaubt, daß weder klinisch noch anatomisch diese zwei Formen der Chorea zu differenzieren sind.

Auch die Fälle von Terplan ergeben nichts, was sie gegenüber den

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anderen bisher mitgeteilten Fällen differenzieren könnte. Auffällig ist, daß er hervorhebt, daß in der Rinde die dritte Schichte besonders getroffen ist und daß die von Jakob besonders betonte gliöse Zellwand zwischen dritter und fünfter Schichte sich nicht gefunden hat, was übrigens auch Peter hervorhebt. Prochäzka bestätigte im wesentlichen die früheren Befunde und findet gleichfalls hauptsächlich die kleinen Zellen im Striatum affıziert. Clancy, bei dem sich die Huntingtonsche Chorea mit Endokarditis und Polyarthritis verband, konnte auch keine anderen Veränderungen als die erwähnten erheben, nur daß er betont, daß sich der RindenprozeB haupt- sächlich in den vorderen Rindengebieten abspielt. Dasselbe gilt für die Fälle von Bellavitis, der gleichfalls in den frontalen Partien eine besondere Affektion fand. Nur in einem einzigen Falle waren die Veränderungen diffus in der ganzen Rinde. Selbstverständlich war auch hier das Striatum affi- ziert. Dunlaps Meinungen unterscheiden sich in nichts von denen der anderen Autoren.

Überblickt man alle diese Fälle, so ergibt sich, daß eigentlich die Beschreibungen von Anfang an die gleichen waren. Es han- delte sich immer um eine Koinzidenz kortikaler und subkorti- kaler Affektionen: leichte Piaverdickung, Atrophie, besonders der frontoparietalen Gehirnregion, mächtige Atrophie im Striatum, Übergreifen des Prozesses auf die Anhangsgebilde des Striatum, Pallidum, Corpus subthalamicum, Nucleus ruber, eventuell sogar Kleinhirn. Die Veränderungen werden bald als degenerativ, bald als entzündlich aufgefaßt, wobei aber die erstere Auffassung obenan steht. Sie trifft mehr die Zellen als die Fasern und von ihnen vorwiegend die feineren. Durch Zusammenrücken dieser Fasern entsteht eine gröbere Bündelung in dem atrophischen Nucleus caudatus, der Status fibrosus. Als Reaktion auf diese Degeneration des Parenchyms erfolgt eine mächtige Gliawuche- rung, vorwiegend zellulär. Immer sind auch die Gefäße schwerst betroffen und die Autoren bemühen sich zumeist festzustellen, daß diese Gefäßveränderungen nicht die Ursache des Prozesses seien. Derselbe sei ein rein degenerativer, abiotrophischer auf der Basis eines minderwertigen Gehirns, obwohl auch einzelne Autoren von Enzephalitis sprechen. Immer werden die psychi- schen Ausfallserscheinungen auf die Rinde, die motorischen auf die Stammganglien bezogen. Es scheint, als ob im allgemeinen die kleineren Elemente des Parenchyms weniger resistent wären als die größeren, sowohl in der Rinde als auch in den Stamm- ganglien. Wenn auch zugegeben werden muß, daß auch größere Elemente zugrunde gehen können, so trifft auch der Prozeß in der Rinde in allererster Linie die innere Körnerschichte und die unterhalb dieser befindlichen Zellschichten, ohne aber die dritte Schichte zu verschonen. Da sich nun an Stelle des Ausfalls der Körner Gliazellen finden, so hat man früher diesen Ausfall

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Striatum zu dieser. 215

mehr übersehen und die dritte Schicht als die vorwiegend er- krankte bezeichnet. Charakteristisch aber ist diese Gliazell- anreicherung in der vierten Schichte keineswegs für die Hun- tingtonsche Chorea. Der Charakter der Zelldegeneration ist der der chronischen Nissls resp. der lipoiden.

Erwähnt sei noch der Hinweis von Margulis auf den kon- komittierenden Hydrozephalus.

Nun möchte ich zunächst in Kürze meine eigene Beobachtung an- fügen:

S. M., geboren am 15. April 1858, gestorben am 11. Oktober 1929. Abgesehen von Typhus, vollkommen gesund. Im Jahre 1914 bekam sie geschwollene Beine, 1920 offene Ulzerationen am linken Knöchel, 1924 ähnliches am linken Unterarm. 1914 beginnt allmählich die jetzige Erkrankung, die konstant fortschreitet (näheres nicht zu erfahren).

Die Kranke bietet das Bild ständiger Unruhe, und zwar des ganzen Körpers inklusive des Kopfes. Die Zuckungen sind blitzartig, typisch choreiform. Willkürliche Bewegungen werden auf Aufforderung verhältnismäßig gut ausgeführt, spontane Bewe- gungen verstärken die Zuckungen. Auch das Sprechen ist verwaschen, kaum verständ- lich. Temperatursteigerungen waren nie vorhanden, die Motilität und Sensibilität eigentlich ohne Befund. Deutliche psychische Einschränkungen. Sie ist zeitlich nur mangelhaft orientiert, über die Zeitereignisse kaum orientiert. Addieren und Subtra- hieren kann sie nicht, sie weiß auch nicht die Preise der im Hause gebrauchten Waren anzugeben. Sie leidet an einem Lupus vulgaris. Auffallend ist, daß im Schlafe vollkommene Ruhe besteht. Im allgemeinen apathisch, spricht sie mit niemandem. Sie ist vom Jahre 1924 bis zum Jahre 1929 im Versorgungshaus in Behandlung, kommt am 11. Oktober 1929 infolge einer Pneumonie zum Exitus. Es finden sich, abgeschen von der Pneumonie, partielle concretio cordis cum pericardio, abgelaufene Endocarditis der Mitralklappe, ausgedehnte Atheromatose am Arcus und der Aorta ascendens; Cholelithiasis; perenchymatöse Degeneration des Herzmuskels, der Leber und Nieren, arteriosklerotische Schrumpfniere. An den Schnittflächen des Gehirns starker Hydrocephalus, starke Atrophie der Hirnrinde mit Erweiterung der Sulci.

Zusammenfassung:

71 Jahre alte Patientin mit schwerer Atheromatose und einer seit 1914 progressiven Erkrankung, einerseits einer generellen Chorea, anderseits einer psychischen Insuffizienz. Die Krankheit ist progressiv und führte durch Pneu- monie zum Tode. Sichere hereditäre Belastung oder das Vorkommen ähnlicher Erkrankungen in der Familie ließ sich nicht nachweisen. Demzufolge kann der Fall nur als Chorea chronica progressiva angesprochen werden.

Der histologische Befund ergibt:

Frontallappen (Areal 6, nach Brodmann), molekulare Schicht breit, ziemlich reichliche Gliaelemente in ihr. Zweite Schichte auffallend zellarm. Dasselbe gilt für die dritte Schichte, aber nur für die kleineren Elemente derselben. Stellenweise sind die Ausfälle der dritten Schichte ganz besonders mächtig. Auch in den tieferen Schichten ist der Ausfall der Ganglienzellen ein sehr beträchtlicher. Immer sind die großen Zellen verhältnismäßig gut erhalten. Der Charakter der Zelldegeneration ist weder der der Sklerose, noch der der lipoiden Degeneration. Auffallend sind dic zahlreichen Kernfalten, gelegentlich Kernwandhyperchromatose. Das Tigroid schwindet, die Zelle zeigt im Innern Netzbalken. blaßt ab und zerfällt. Es bleiben Stippchen von Zellfragmenten übrig. Das Bild der senilen Veränderung fehlt vollständig. Auffallend

216 Dr. Ladislaus Tokay.

ist nur, daß die großen Zellen verhältnismäßig gut erhalten sind, wenn man gelegent- lich auch hier eine Tigrolyse findet. Die Glia ist im Gewebe zellulär vermehrt. Ein besonderes Befallensein einzelner Schichten tritt nicht in Erscheinung. Es macht den Eindruck, als ob hier, mit Ausnahme der großen Zellen, alle Schichten getroffen sind. Wenn auch die Gefäßwände verdickt sind, so ist doch keineswegs eine auffallende Arteriosklerose oder Verkalkung zu sehen. Eher sieht man degenerative Veränderungen in der Gefäßwand, besonders Vakuolenbildung. Ein deutliches Ödem der Rinde ist sicht- bar. Nirgends ein Gefäßverschluß.

Die motorische Region ist zellreicher, auffallend gut erhalten die Betzschen Riesenzellen; jedenfalls ist der Zellausfall hier deutlicher in den tieferen als in den oberen Schichten; doch ist die zweite und dritte Schicht auch in der motorischen Region sehr stark befallen und man sieht in beiden Schichten ganz deutlich Zellreste. In der sensiblen Rinde fällt das Fehlen der vierten Schicht in die Augen, obwohl auch hier die größeren Zellen erhalten sind, aber die kleineren fehlen vollständige. Hier ist die Gliazellvermehrung sehr deutlich. Es hat eher den Anschein, als ob die zweite, dritte und vierte Schichte stärker betroffen sind als die darunter befindlichen. Das Ödem, die Gliaveränderungen sind die gleichen. Hier zeigen die Gefäße mehr sklerotischen Typus, besonders in den Meningen, die sonst nur fibrös verdickt sind. In den einzelnen Teilen des Parietallappen (Areal 7) ist die Rindenatrophie eine besonders starke. Auch hier ist die dritte Schicht auffallend stark getroffen, weniger die zweite; die vierte Schichte ist auffallend gut erhalten. Auch die inneren Schichten sind hier wesentlich besser erhalten als die äußeren. Je weiter okzipitalwärts, desto besser ist die Rinde des Parietallappens im ganzen erhalten.

Das Striatum ist in seiner Gesamtheit atrophisch, die Atrophie ist auffälliger- weise im Nucleus caudatus fortgeschrittener als im Putamen. Anderseits finden sich gerade im Nucleus caudatus sowohl kleine als große Zellen verhältnismäßig intakt. Das läßt sich im Nisslbild sehr leicht erkennen. Ferner sieht man hier reichlich Gliazellen, aber auch Gliafasern. Auffallenderweise sind im Putamen die Zellen viel mehr geschädigt als im Nucleus caudatus. Hier ist der Ausfall der kleinen Zellen in die Augen fallender, während die großen Zellen zum Teil schwerste Degenerationen, aber keinesfalls im Sinne einer lipodystrophischen, zeigen. Auch hier ist die Glia zellulär und fibrillär vermehrt, ohne daß man irgend welche besonders hervorstechende pathologische Formen der Glia erkennen konnte. Auch das Pallidum zeigt Verinde rungen im Sinne einer Degeneration der Zellen, aber lange nicht so weitgehend wie im Striatum. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen die Gefäße hier. Sie sind durchgehends verändert, aber nicht gleichmäßig. Ein Teil zeigt einfache Wand- verdickung, wobei die Adventitia am meisten verdickt ist, ein anderer Teil zeigt eine isolierte Verkalkung der Media und eine Verdickung und stellenweise auch Homogenisation der Adventitia. Perivaskulär findet sich meist ein feines Fibrin- gerinnsel, wie denn überhaupt das ganze Gebiet, konform der Rinde, ödematös erscheint. Neben dem Ödem aber kann man deutlich an einzelnen Gefäßen desinte- grative Herde von verhältnismäßig geringem Ausmaß erkennen. Schließlich sei noch die große Menge von Pseudoglia erwähnt, die sich keineswegs anders verhält wie sonst im senilen Gehirn. Vielleicht kann man auch hier von einem status fibrosus sprechen, wohei es auffallend erscheint, daß die Fasern verhältnismäßig, trotz der weitgehenden Zellschädigungen, intakt sind. Ein Moment muß noch hervorgehoben werden: An einzelnen Gefäßen, und zwar knapp an der perivaskulären Glia, in derselben und zum Teil sogar im perivaskulären Raume sind eigenartige Zellen von der Größe der großen Ganglienzellen, die ganz dem Typus der Ganglienzellen ent- sprechend gebaut sind und täubchenförmig angeordnet sind. Sie zeigen wohl charakteri- stische Kernkörperchen, lassen aber ein ganz homogenes Plasma erkennen. Sie sind zum Teil rundlich, zum Teil mehr spindelig oder birnförmig. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß es sich hier um anormale Anhäufung von Zellen handelt, sicherlich vom Charakter der Mißbildung. Die Verhältnisse auf der Gegenseite sind ähnlich, doch zeigt sich hier ein etwas ausgedehnterer Zustand von Desintegration,

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Stratium zu dieser. 217

wobei sich ventral um das Putamen bereits kleinste Zystchen erkennen lassen. Auf- fällig ist auch hier, daß die großen Zellen verhältnismäßig intakt sind, die kleinen Zellen zum großen Teil verschwunden und durch Glia ersetzt erscheinen. Auch der Thalamus zeigt deutliche Atrophie und Ödem, aber die Zellen sind nur stellenweise affiziert. Am Körper des Nucleus caudatus sind kleine Zystchen zu erkennen. Die Kleinhirnrinde zeigt eine auffällige Abnahme der Purkinjeschen Zellen. Sie stehen unendlich lose, d. h. die Lücken zwischen den einzelnen Zellen sind ungemein breit, stellenweise ist überhaupt keine Zelle wahrzunehmen. Die vorhandenen Zellen sind verhältnismäßig gut erhalten, vielleicht nur, daß sie in ihren Dendriten etwas gebläht erscheinen. Auch eine Verminderung an Körnern ist deutlich, aber die Gesamtstruktur des Kleinhirns erscheint gewahrt. Die Hauptatrophie betrifft den Nucleus dendatus. Hier sind die Zellen zum größten Teil geschwunden und die erhaltenen zeigen schwere Lipodystrophie oder einfache Atrophie (Sklerose); nur wenige lassen noch die normale Größe erkennen, sind abgeblaßt und ihr Tigroid nicht mehr erkennbar.

Schließlich fällt eine deutliche hydrozephale Erweiterung der Ventrikel auf. Ependym normal; Kompressionsglia subependymär.

Wenn wir nun zusammenfassen, so hat sich bei einer 71jährigen Frau in ihrem 56. Lebensjahr eine chronische progressive generelle Chorea ent- wickelt. Parallel mit dieser geht eine psychische Schwäche, die ebenfalls progressiv, anscheinend nicht einen besonders hohen Grad erreicht hat. Sie war aber immerhin so deutlich, daß sie klinisch in Erscheinung trat. Wir haben also hier das Bild der sogenannten chronisch-progressiven degenera- tiven Chorea vor uns. Das anatomische Substrat dieses Prozesses ist ein doppeltes.

Zunächst finden wir, konform den Angaben der Literatur, schwerste Zellschädigungen; dieselben sind keineswegs senil, sondern sie entsprechen schweren Degenerationen und nur an einzelnen Stellen sind sie lipodystro- phisch. Das Ende der Degeneration ist der Zellschwund. In der Rinde betrifft dieser Zellschwund in allererster Linie die dritte Schichte, wenn auch an ein- zelnen Stellen im Parietallappen die vierte Schichte und die tieferen Schichten schwere Ausfälle zeigen. Aber generell erscheint die dritte Schichte am meisten geschädigt. Es sind vorwiegend die kleineren Zellen betroffen, ferner findet sich eine hochgradige Atrophie mit Abflachung des Nucleus caudatus. Doch ist der Zellreichtum in diesem Kerne ein verhältnismäßig guter und betrifft nicht nur die größen, sondern auch die kleinen Zellen. Im Gegensatz dazu ist das Putamen sehr zellarm, die kleinen Zellen vielfach geschwunden, die großen Zellen schwer degeneriert. Auch hier fehlt die lipodystrophische Degeneration zumeist. Auch die Pallidumzellen haben gelitten, desgleichen jene des Thalamus, aber keineswegs in so weitgehendem Maße als die des Striatum. Sehr schwer ist auch der degenerative Prozeß im Cerebellum. Hier sind ganze Reihen von Purkinjeschen Zellen ausgefallen, die anderen zeigen Schwellungen der Spitzenfortsätze. Auch die Körnerschichte läßt schwere Ausfälle erkennen; am meisten aber hat der Nucleus dendatus gelitten, bei dem der größte Teil der Zellen geschwunden ist, ein anderer Teil schwerste Degeneration, Schrumpfung, Ablassung und Schwund zeigt.

Es ist auffallend, daß die Gliareaktion sich in diesem Falle eigentlich in normalen Grenzen hält; wir sehen den Ausfall sowohl zellulär als fibrillär

218 Dr. Ladislaus Tokay.

einfach gedeckt. Pathologische Gliaformen sind nur vereinzelt zu sehen. Inter- essant ist das Verhalten der mesodermalen Bestandteile. Trotz des vorge- schrittenen Alters zeigen die Gefäße eigentlich im allgemeinen keine auf- fallende Arteriosklerose. Man sieht eine Verdickung der Media, mitunter eine Homogenisation und Verbreiterung der Adventitia. Nur in einigen wenigen Gefäßen des Putamens zeigen sich streifige Mediaverkalkungen, dement- sprechend sieht man dann auch Herde von Desintegrafion in erster Ent- wicklung, ferner ventral im Putamen solche, die etwas weiter fortgeschritten sind. Ein mehr diffuses Ödem dürfte wohl seine Ursache in der terminalen Pneumonie haben. Schließlich sei noch der Befund abnormer, ganglienzellen- ähnlicher Gebilde in einzelnen Gefäßwänden oder hart an diesen erwähnt. Des weiteren bei völlig zartem Ependym das Bestehen eines Hydrazephalus.

Es ist einleuchtend, daß diese Veränderungen im großen und ganzen mit jenen übereinstimmen, welche in der Literatur bei der chronischen, pro- gressiven Chorea bekannt geworden sind, eine Differenz ist vielleicht nur darin zu sehen, daß in der Rinde der Prozeß sich vorwiegend in der dritten Schichte abspielt und im Striatum vorwiegend im Putamen und daß ferner das Klein- hirn hier eine auffallend starke Beteiligung erkennen läßt. Eine weitere Differenz besteht in dem Verkalken einzelner Gefäße, was jedoch bei dem Alter der Patientin verständlich erscheint. Es vereinigt sich eben der chro- nisch degenerative Prozeß mit dem senilen, wodurch der erstere offenbar verstärkt wird; denn es ist ausgeschlossen, daß der degenerative Prozeß nur vaskulär bedingt ist. Es handelt sich sicher um eine toxische Schädigung; von Entzündungen ist keine Spur zu sehen.

Es ergibt sich nun die Frage, ob es möglich ist, aus der Anamnese irgend ein toxisches Moment zu erkennen.

Die Patientin leidet seit Jahren an Cholelithiasis. Es bestand eine ziemlich bemerkenswerte Gallenstauung, desgleichen eine Leberschädigung, eine parenchymatöse Degeneration der Organe. Wenn wir nun annehmen, daß die Patientin eine dispositionelle Veranlagung für die Erkrankung hatte, was anatomisch durch den Befund abnormer Zellen im: Putamen zum Aus- druck kommt, und wenn wir weiters anerkennen, daß die Gefäße bei der Patientin eine weitgehendere Schädigung aufweisen als sonst in den Fällen progressiver Chorea, so könnten wir bei Vorhandensein dieser zwei Momente in einer, wenn auch vielleicht nicht so exzessiven Leberschädigung den Grund für den degenerativen Prozeß in dieser letzteren erblicken. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Zusammentreffen dreier schädigender Fak- toren: einer dispositionellen Minderwertigkeit, seniler vaskulärer Nutritions- störung und Leberschädigung uns das Zustandekommen der Erkrankung erklärt. Die verschiedenen kleinen Varianten in den Bildern der progressiven degenerativen Chorea dürften offenbar auf solche mehrfache ursächliche Komponenten zu beziehen sein.

Noch eines Faktors muß hier gedacht werden. Wir haben in unserem Falle einen ganz ausgesprochenen Hydrozephalus. Es ist nun interessant,

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Striatum zu dieser. 219

daß eine ganze Reihe von Autoren über einen derartigen berichten. Vogt, Jakob, Peter, Kiesselbach, Kalthof und Ranke, auch Raecke, Stier, Facklam, Weidenhammer, Stern beschreiben einen solchen. Nur Mar- gulis nimmt davon besonders Notiz und meint, daß er über das Maß des H. ex vacuo hinausgehe. Wir können diese Tatsache nur registrieren und meinen jedenfalls, daß es sich hier um einen ziemlich konstanten Befund handle, der vielleicht auch für die Symptomatologie nicht ganz bedeutungslos sein dürfte. Wir registrieren ihn und sind mit Margulis der Meinung, daß er nicht nur durch die Atrophie des Striatums zu erklären sei, sondern, daß hier offenbar -ursiichliche Momente anderer Art vorliegen müssen, um ähn- liches zu erzeugen.

Diesem Falle von chronisch progressiver Chorea möchte ich nun eine Beobachtung an die Seite stellen, bei der es sich mehr um eine Herd-Chorea gehandelt hat. Da der Herd jenseits des Thalamus lag, so möchte ich aus der Literatur nur jene Fälle heranziehen, bei denen der Herd nicht mehr im Thalamus selbst, sondern jenseits desselben auf der Strecke bis zur Hirnrinde oder in dieser selbst sich befunden hat.

Vogt beobachtete bei einer Geisteskranken im 67. Lebensjahr zunächst eine choreatische Unruhe im rechten Arm. Diese verbindet sich mit einer leichten Parese des rechten Armes und breitet sich dann auf das rechte Bein aus. Die Dauer der Krankheit war etwa zwei Jahre. Es findet sich ein Herd, der links den Kopf des Nucleus caudatus und das vordere Ende des Putamen zerstört hat. Die sonst noch in diesem Gehirn befindlichen Läsionen sind für die Chorea nicht von Belang.

Sehr wichtig erscheint ein Fall von Jakob (Fall VIII), in welchem apoplektiform in der rechten Gesichtshälfte eine choreatische Unruhe aufge- treten war, die über ein Jahr dauerte. Als anatomisches Substrat fand er arteriosklerotisch bedingte, zystische Erweichungsherde im ventro-oralen, dem Ventrikel benachbarten Teile des linksseitigen Kaudatumkopfes.

Ob man aber den Fall 18 von Jakob hier verwerten kann, erscheint mehr als fraglich. Hier bestand auffälliges Grimassieren der Gesichtsmusku- latur und zeitweilig in der linken Hand und in dem linken Arme unwillkür- liche rhythmitische Bewegungen. Der Kranke litt an syphilitischem Parkin- sonismus. Anatomisch zeigte sich eine schwere Gefäßerkrankung. Das gesamte Striatum und Pallidum zeigte einen Status cribratus vorwiegend rechts, links auch einen Erweichungsherd in den mittleren Ebenen des Pallidum und den angrenzenden Teilen des Striatum. Nach einem Schlaganfall bildeten sich diese unwillkürlichen Bewegungen zurück, während eine schlaffe Lähmung auftrat. Da nun die Rindenherde, darunter ein größerer im Parietalhim, als alte beschrieben werden und von einer Pyramidendegeneration nicht ge- sprochen wird, so ist es schwer verständlich, wodurch es zum Schwinden der unwillkürlichen Bewegungen gekommen ist.

Lloyd und Winkelman fanden in einem Falle von rechtsseitiger Hemi- plegie bei einem 59jährigen Manne plötzlich eine linksseitige Chorea, vor-

220 Dr. Ladislaus Tokay.

wiegend Kopf- und Gesichtsmuskeln betreffend. Abgesehen von einem die rechtsseitige Hemiplegie erklärenden alten Erweichungsherd links in der Gegend der inneren Kapsel und im Striatum war rechts eine frische Er- weichung auf einen schmalen Streifen im inneren Rande des Putamen beschränkt, die auch etwas auf das Pallidum übergriff. Aber auch der hintere Schenkel der inneren Kapsel zeigte eine schmale Zone von Erweichung. Auch das Corpus Luysii und der Hirnschenkelfuß waren beteiligt.

Von großem Interesse ist der Fall von Mysliveček. Eine 71jahrige Patientin erkrankte zwölf Tage vor ihrem Tode, der durch Pneumonie erfolgte, an choreatischen Zuckungen. Es fand sich eine schwere Arterio- sklerose der Gehirngefäße, hämorrhagische Infiltration der Meningen, eine größere Blutung an der Unterseite des rechten Hinterhauptlappens; sonst eigentlich nur diffuse arteriosklerotische Veränderungen des Gehirns, Ganglien- zelldegenerationen, wie sie dem Senium entsprechen, vielleicht im Striatum etwas stärker als in den anderen Teilen. Der Autor meint, daß die Blutung im Hinterhauptlappen als agent provocateur das funktionelle Gleichgewicht des Gehirns erschütterte, wodurch dann die Chorea aufgetreten sei, ohne daß das pyramidale oder extrapyramidale System betroffen war.

Fragnito und Scarpini fanden bei einem 80jährigen Patienten, der nach einem apoplektischen Insult vor drei Jahren eine linksseitige Hemi- chorea bekam, als Basis dieser kontralateral im Kopfe des Schweifkerns und im Putamen einen alten Erweichungsherd, der ein wenig in den Globus pallidus hineinreichte. Ferner bestand auf der linken Seite ein kleiner Herd im Thalamus, der nichts für die Chorea zu bedeuten hat.

Von größter Bedeutung erscheint der Befund von Kinnier Wilson. Hier bestand bei einer 88jährigen Frau elf Jahre lang eine rechtsseitige Hemi-Chorea. Als einzige Grundlage dieser klinischen Erscheinung findet er eine starke Schrumpfung der postzentralen Windung mit Ausfall von Zellen besonders in den Pyramidenarealen und entsprechender Sklerose. Von großer Wichtigkeit ist, daß in diesem Fall das Striatum sich in nichts von dem sonst im Senium üblichen unterscheidet und auch sonst im Gehim keinerlei wesentliche Ausfälle vorhanden waren. Wilson wendet sich ganz entschieden gegen die Striatumtheorie und meint, daß es sich bei der Chorea-Athetose um eine Reizung der Pyramidenbahn handle, die durch Fortfall eines regu- lierenden cerebello-cerebralen Systems ausgelöst wird, also eine Art Regu- lierungsstörung der Bewegungen. Afferente Impulse werden an kortikalen Verbindungsstellen in efferente Erregungen umgeformt. Wilson schreibt wörtlich: „Ich nehme an, daß die cerebello-cerebrale Komponente der Bewe- gung -- ihr regulatorischer Einfluß da in Wirksamkeit tritt, wo diese Um- formung von der afferenten nach der efferenten Seite vor sich geht, d. h. in der senso-motorischen Rinde oder sicherlich irgendwo vor den parietalen Windungen. Das Fehlen dieser Regulierung bewirkt, daß die afferenten Reize auf motorische Einheiten eine übermäßige Aktivität entfalten. Nach dem Gesagten wäre also das Auftreten von unwillkürlichen Bewegungen so zu verstehen, daß die Reize, die sonst die Bewegung auslösen, durch das

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Stratium zu dieser. 221

cerebello-cerebrale System gehemmt werden und daß der Wegfall dieser Hemmung die Wirkung der peripheren Reize oder sollten dabei nicht auch intrazentrale einwirken? ins Maßlose steigert.“ Er führt ferner noch den Faktor der transkortikalen Hemmung an, da es nahezu unmöglich ist, eine choreatische Bewegung willkürlich zu hemmen. In der Debatte über den seinerzeitigen Vortrag Wilsons hebt Marburg nur hervor, daß auch ohne Störung transkortikaler Regulation das Bild der Chorea oder Athetose sich entwickeln könne durch Läsion der cerebello-cerebralen Bahn, an welchem Punkte immer diese getroffen sei. Es unterliegt keinem Zweifel, daB das, was wir klinisch als Chorea bezeichnen, nicht immer die gleiche Form besitzt und daß diese Differenzen sicherlich abhängig sind von der Lokali- sation des Prozesses. Wir sind heute noch sehr weit entfernt, diese kompli- zierten Mechanismen in ihrem Wesen zu erfassen, und es geht nicht an, aus Einzelfällen die striäre Hypothese einfach ungültig zu erklären. Sie gehört ebenso mit in das System, wie die Läsion der hinteren Zentralwindung hineinzugehören scheint, vielleicht nicht der ganzen, da wir ja heute noch nicht genau wissen, wo sich das Ende der cerebello-cerebralen Bahn befindet.

Wilson stützt seine Annahme zunächst auf einen Fall von Horsley. In diesem Falle handelt es sich um eine lange Jahre bestehende Athetose der linken Seite mit Hemiplegie. Der Fall wurde operiert. Bei der Operation wurde der rechte untere Abschnitt der vorderen Zentralwindung entfernt, worauf die Athetose schwand. Aus den Darlegungen Horsleys geht nur hervor, daß auch die hintere Zentralwindung verschmälert war (narrow). Der Fall Horsleys könnte höchstens dazu benützt werden, zu zeigen, daß die athetoiden Bewegungen durch Exzision des motorischen Zentrums unter- drückt werden. '

Der Fall von Anschütz ist wohl kaum zu verwerten, denn hier wurde, ähnlich wie es ja auch Horsley getan hat, das motorische Zentrum des rechten Armes -- es bestand eine rechtsseitige Hemi-Athetose in Mark- stückgröße abgetragen. Damit hörten die Krämpfe auf. Die Untersuchung des exzidierten Stückchens ergab normale Verhältnisse. Das bewiese höchstens, daß die Pyramidenbahn auch für die Athetose in Frage kommt.

In einem ähnlichen Falle, den Payr im Jahre 1921 in Leipzig vorgestellt hat, wurde durch Unterschneidung des entsprechenden Rindenfeldes, wie es im offiziellen Protokoll heißt, eine weitgehende Beseitigung der Symptome erzielt. Die Anschauung, die Bumke in der Aussprache äußert, ist deshalb von Belang, weil er meint, daß Hyperkinesen nicht allein durch Erkrankung der Linsenkerne entstehen. Aber solche Fälle, wie die zuletzt angeführten, können wohl kaum als Beweis für oder gegen die Linsenkerntheorie ange- führt werden, weil es sich in diesen Fällen um Entfernung eines offenbar superponierten Zentrums handelt, das die gesamte Kinetik, wie ja auch Wilson annimmt, beherrscht.

Nießl von Mayendorf kommt wiederholt auf die Frage des Zu- sammenhanges von Chorea und Linsenkern zu sprechen, zuletzt erst kürzlich in einer zusammenfassenden Arbeit. Er geht von einer Patientin aus, die,

222 Dr. Ladislaus Tokay.

23 Jahre alt, anscheinend apoplektisch, eine linksseitige Lahmung mit Aphasie bekam. Drei Jahre danach trat eine eigenartige choreiforme Unruhe denn man kann das wohl nicht als echte Chorea bezeichnen im linken Arme auf, wenn auch der Arm nicht allein beteiligt war. Diese unwillkiirlichen Bewegungen verbanden sich mit einer spastischen Parese und Beugekontraktur des linken Armes. Aber auch die Sensibilität war gestört. Besonders trat eine partielle taktile Agnosie in der kranken Hand auf. Von den anderen Erscheinungen will ich hier nicht Notiz nehmen. Als pathologisches Substrat der klinischen Erscheinungen findet sich eine 5 cm lange Erweichungszyste, die den Gyrus supramarginalis und den größten Teil des unteren Scheitel- lappens einnimmt, aber auch die untere Hälfte des Gyrus centralis posterior subkortikal lädiert und die erste Schläfewindung mit einbezieht. In diesem Falle ist aber auch ein weiterer Herd vorhanden, der den vorderen unteren Abschnitt der Ill. Stirnwindung und den vordersten Inselteil zerstört. Einzelne kleinere Herde finden sich im zentralen Höhlengrau über dem roten Kerne in der temporalen Querwindung im angrenzenden Abschnitt der großen Schläfewindung. Hier interessiert uns natürlich nur der Herd in der Nähe des roten Kerns, der angeblich, trotzdem Zacken und Läppchen in die obere Kapsel dieses Gebildes einzudringen scheinen, den Kern vollständig respek- tieren. Außerdem finden sich sehr viele kleine Herdchen im Thalamus links über dem rechten Schweifkern im Stabkranz. Sekundär degeneriert sind einzelne Pyramidenbündel, die er als durch den Hauptherd bedingt annimmt. Ferner wird eine Entmarkung im Linsenkerngebiet beschrieben, die sich über den hintersten Linsenkernanteil, das Putamen hinaus, nach vorne auf den hintersten Globus pallidus erstreckt. Da eine auffallende Atrophie und Ent- färbung des medialen Kniehöckers vorhanden ist, so nimmt der Autor an, daß ein durch den Hauptherd zur Entartung gebrachter Faserzug, welcher hier nicht in seinem ganzen Verlauf überblickbar ist, existieren muß. Er nimmt also eine Verbindung des medialen Kniehöckers zum Gyrus supramarginalis oder der hinteren Zentralwindung an. Als System, dessen Ausfall die chorea- tischen Bewegungen bedingt, wird aber im wesentlichen die Linsenkern- schleife, d. h. Fasern zentripetaler Art, welche unter dem Linsenkern hindurch- schlüpfen und die postzentrale operkulare Region erreichen, angesehen. Er meint allerdings, daß auch das Zerebellum dabei etwas zu tun habe, glaubt weiter, daß dies auf dem Wege der zentralen Haubenbahn geschehe; dem muß man entgegen treten, da man doch nicht vergessen darf, daß diese ja ein zentrifugales und kein zentripetales System darstellt. Er widerspricht Wilson bezüglich des transkortikalen Einflusses, da dieser nicht Bewegungen hemmen, sondern Bewegungen sperren müßte. Das Wesentlichste aus seinen Aus- führungen ist, daß er sich gegen die Striatumtheorie oder, wie er in aller- erster Linie meint, Putamentheorie der Chorea wendet. Er führt auch drei Fälle von zerstörtem Striatum ohne Chorea an und meint, daß wir nicht von extrapyramidalen Bewegungen oder striären Störungen sprechen dürfen, da es sich bei der Chorea um Störungen der Koordination innerhalb der Pyra- midenbahn handelt, welche durch den Fortfall von sensiblen Fasern be-

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Striatum zu dieser. 223

stimmter Qualität bedingt werden. Er nimmt an, daß die Läsion der den Streifenhügel durchsetzenden Fasersysteme für die Chorea verantwortlich sei.

Hier muß man sich zunächst mit dem Begriff Linsenkernschleife aus- einandersetzen. Aus den Darlegungen NieBl von Mayendorfs geht hervor, daß er darunter Fasern versteht, die scheinbar ohne Unterbrechung im Tha- lamus zur Rinde ziehen. Sie durchsetzen dabei den Linsenkern. Der Autor nimmt an, daß es sich hier um ein System handle, welches Lage und Richtungsempfindungen der Bewegungen vermittelt. Auf diese Weise ist das System für jede motorische Koordination von Bedeutung. Da diese Faser- gruppe unterhalb der Bindearme in der Haube ganz nahe am roten Kerne vorbeistreift und anderseits das Areal des Linsenkerns durchsetzt, meint der Autor, daß hier die Brücke sei, welche die Bindearmtheorie der Chorea mit der Linsenkerntheorie vereint. Demgegenüber muß man jedoch bemerken, daß bei ausgedehnten Schleifendegenerationen, wie z. B. bei Syringomyelie, eigentlich ein solcher Faserzug durch den Linsenkern nicht zu bemerken ist, und weiters, daß bei der Huntington-Chorea in der Mehrzahl der Fälle eine Degeneration von solchen den Linsenkern durchsetzenden Fasern vermißt wird.

Sowohl Wilson als auch Nießl von Mayendorf ist eine Beobachtung Marburgs entgangen, die aus dem Jahre 1914 stammt und einen ganz analogen Fall, wie jenen von dem letztgenannten Autor, in bezug auf den Herd beschreibt. Es handelt sich hier um eine apoplektische Zyste bei einer Patientin mit lokalisiertem Schütteltremor, die etwas über Taubenei groß, knapp unter der Hirnrinde im Marklager, etwa entsprechend dem ventralen Drittel der hinteren Zentralwindung, dem angrenzenden Gyrus supramarginalis und nach oben etwas in das Gebiet des oberen Scheitelläppchens hineinragt. Der Linsenkern wird von der Zyste nicht berührt. Sie liegt knapp hinter ihm. Marburg erwähnt vier ähnliche Fälle, die allerdings nur klinisch beobachtet waren, und meint, daß diese Fälle im Zusammenhalt mit klinisch analogen aus der Literatur den Weg erschließen lassen, den jene Fasern nehmen, welche den Schütteltremor bedingen. Er beginnt im Bindearm, geht durch den roten Kern über den Thalamus, Linsenkern, durch das Marklager kaudal von diesem und erreicht die Rinde des Operkulargebietes. Das ist etwa auch der Weg, den Nießl von Mayendorf annimmt, dessen Ausfall allerdings bei Nießl choreatische Zuckungen herbeiführt, während in Marburgs Fällen nur ein dem Tremor der Paralysis agitans ähnlicher Tremor bestanden hat. Auch von Monakow nimmt an, daß die Bindearmfasern nur das operkulare Gebiet und den Frontallappen erreichen können. Und es scheint tatsächlich, daß die Hauptmasse derselben in den ventralen Abschnitten der hinteren Zentral- windung und dem angrenzenden Gyrus supramarginalis ihr Ende nimmt. Als wirklichen Beweis für diese Tatsache sind nur die drei Fälle anzusehen, die Marburg, Wilson und Nießl von Mayendorf beibringen.

Meine diesbezügliche Beobachtung ist folgende:

L. H., 76 Jahre alte Frau, wurde am 25. Mai 1920 im Wiener Versorgungshaus aufgenommen. Die Patientin, die sonst eine belanglose Anamnese bietet, leidet seit dem

224 Dr. Ladislaus Tokay.

Jahre 1917 an Chorea. In der letzten Zeit hat sich bei der Patientin eine Psychose ausgebildet, die am ehesten als Presbyophrenie angesprochen werden kann. An der Chorea sind Muskelgruppen der oberen Körperpartien beteiligt. Die Bewegungen sind ruckartig, ganz vom Charakter der choreatischen. Die Unruhe ist eine ständige. Sie macht Dreh- und Nickbewegungen mit dem Kopfe, auch mit dem Rumpfe. Auch die Gesichtsmuskulatur ist ständig in Bewegung, so daß auch der Gesichtsausdruck ständig wechselt. Stirne, Lippen und Zungenmuskulatur, ebenso auch die des Unterkiefers, gelegentlich auch die des Kehlkopfes sind beteiligt. Die obere Extremität zeigt links stärkere choreatische Zuckungen als rechts. Die unteren Extremitäten sind im allge- meinen ruhiger. Der Gang ist wie bei trepidanter Abasie, erfolgt in tänzelnden, hüpfenden Schritten, wobei die choreatische Unruhe des Körpers zunimmt. Die Reflexe der Extre- mitäten sind zwar lebhaft, aber alle Pyramidenzeichen fehlen. Ausgesprochener Spas- mus mobilis. Die Sprache ist infolge der Chorea unverständlich. Dieser Zustand bleibt in mehr oder minder wechselnder Intensität bis zum April 1929 bestehen. Schließlich bekommt die Patientin Fieber, verfällt körperlich auffallend. Eine Woche nach Beginn des Fiebers plötzliches Sistieren der choreatischen Bewegungen, vier Tage danach Exitus.

Der Obduktionsbefund ergibt: seniles Lungenemphysem, Fettherz, schwerer Darm- katarrh, geringe Fettleber, chronischer Milztumor, Zystitis und Trabekelblase, Atrophie des Gehirns, geringgradiges Atherom der basalen Hirngefäße. An den Schnittflächen des Gehirns nichts Pathologisches.

Die Untersuchung des Gehirns ergibt folgendes:

Im Frontallappen rechts sind die Meningen fibrös verdickt, aber nicht mit dem Gehirn verklebt. Die Gefäße sind dickwandiger, ohne auffallende Arteriosklerose. In der Molekularschichte sind Gliazellen vermehrt, besonders in der Peripherie. Die zweite Schichte ist auffallend zellarm, die dritte besser erhalten. Dort, wo die vierte Schichte vorhanden ist, sind die kleinen Zellen verhältnismäßig reichlich, jedenfalls reicher als die Zellen in der zweiten Schichte. Das Gleiche gilt für die Zellen der fünften und sechsten Schichte. Im Areal der Zentralwindungen gleiche Meningo-Fibrose. Hier ist vielleicht der Zellausfall geringer als in den frontalen Partien. Die Zellen selbst zeigen eine gewisse Atrophie und Schlängelung der Spitzen- fortsitze und man kann weder in der Form noch in der Struktur grobe Veriinde rungen wahrnehmen. Auffällig ist nur die breite Molekularschichte, die etwas höckerig ist und sicherlich eine ziemlich weitgehende Sklerose aufweist. In der hinteren Zentralwindung ist der Zellreichtum ein auffallend guter. Nirgends lassen sich große Zellausfälle wahrnehmen. Weder in der Schichtenordnung noch in der Zellzahl sind Besonderheiten hervorzuheben. Nur die äußere Schichte ist höckerig und sklerotisch. Auch hier besteht die Meningo-Fibrose. Eher kann man an den hinteren Abschnitten des Parietallappens, ähnlich wie im Frontallappen, Zellausfälle wahr- nehmen.

In auf Markfasern gefärbten Präparat der Rinde zeigt sich, daß sogar die tangen- tiale Faserschichle in den gröberen Fasern erhalten ist, daB die Radien und das Marklager ziemlich intakt erscheinen, vielleicht mit Ausnahme einer gewissen Ver- dünnung der Fasern. Bei den nach Heidenhain gefärbten Präparaten fehlen die superradiären und zum größten Teil auch die interradiären Flechtwerke.

Betrachten wir nun den rechten Streifenhügel und Linsenkern, so zeigt sich eine auffallende Abflachung des Kopfes des Streifenhügels und schon makroskopisch sieht man Lückenbildungen im Putamen.

Bei der histologischen Untersuchung ergibt sich, daß eine dichte Sklerose des Nucleus caudatus besteht, eine ebensolche aber weniger intensive auch im Putamen, daß ferner die Randschichten des Nucleus caudatus größtenteils Lückenfelder dar- stellen, daß die kleinen Zellen fast vollständig fehlen, wohingegen die großen ver- hältnismäßie gut sichtbar sind. Besonders gegen die Vena striae terminalis hin ist eine dichte Gliamasse vorhanden mit eingelagerten Pseudokalkkörnchen. Im Putamen deutlicher Status desintegrationis mehr ventral. Auch die Fasern sind etwas abgeblaßt.

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Stratium zu dieser. 225

Vielleicht, daß man in den Fasern wenigstens im Nucleus caudatus einen Status fibrosus erkennen kann. Von einer Degeneration von Fasern ist weder hier noch in der Kapsel etwas wahrzunehmen.

Ganz oral befindet sich auf der rechten Seite, knapp am Nucleus caudatus, in der inneren Kapsel ein Erweichungsherd, der ganz umschrieben ist und das dorsale Drittel der Kapsel einnimmt. Es handelt sich um eine Ebene, die ungefähr dem Frontalschnitt 2 der Tafel 26 des Atlas von Marburg entspricht. Diese Erweichung ist älteren Datums und greift von medial her auf den ganz geschrumpften Nucleus caudatus-Kopf über. In diesem Querschnitt ist auch die oberflächliche kribröse Veränderung besonders deutlich. (Abb. 1.)

Noch oraler greift dann die Erweichung ganz auf den Kopf des Caudatus über und ersetzt ihn völlig. Das Putamen ist verhältnismäßig frei. Die Umgebung der Er- weichung ist sklerosiert und ödematös. Die Erweichung ist sicher eine sehr alte.

Abb. 1. Herd in der Caps. interna und N. caudatus rechts,

Die Fettkörnchenzellen in ihr sind merkwürdig verändert, keineswegs so, wie sie etwa frischen Körnchenzellen entsprechen. Es sieht fast so aus, wie wenn sie in situ fixiert und sklerosiert wären.

Links zeigt die agranuläre Frontalrinde eigentlich gar keine Zeichen eines besonderen Ausfalles. Im Gegenteil, die Zellen erscheinen auffallend gut erhalten. Nur die Molekularschichte ist etwas dichter als normal. Das Gleiche gilt auch für die Zentralwindung. In der Tiefe ist ein wenig Ödem zu sehen. Auch im Parietal- lappen läßt sich kaum ein besonderer Ausfall feststellen, wenn auch der Zellreichtum natürlich nicht dem eines jugendlichen Individuums entspricht. Auch hier ist wiederum die besondere Gliaanreicherung und höckerige Umwandlung der Molekularschichte hervorzuheben. Auch die Heschelsche Windung zeigt ein entsprechend normales Bild. Dagegen kann man im Striatum (Abb. 2 und 3) auch links deutlich, und zwar im Kopfe des atrophischen Nucleus caudatus an der Oberfläche, vor allem einen deut- lichen Status cribratus sehen, der jedoch gegen die Tiefe zu abnimmt. Die Fasern sind stellenweise gut erhalten. Im Putamen sieht man die Gefäße hier eher verkalkt und perivaskuläre Desintegrationen auch bei den kleinen Gefäßen. Die großen Zellen des Nucleus caudatus sind deutlich vorhanden, aber zeigen schwerste atrophische Veränderungen. Von den kleinen Zellen sieht man fast gar nichts. Hier ist im

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 15

226 Dr. Ladislaus Tokay.

Abb. 2. Atrophie des N. caudatus links.

St. er.

Abb. 3. Detail aus Abb. 2. E. Ependymgebiet; St. cr. Status cribrosus.

Linsenkern gelegentlich auch ein Status cribratus zu sehen, aber nur an ganz um- schriebenen Stellen. Die Zellverhältnisse sind gleich denen im Caudatus. Trotz der

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Stratium zu dieser. 227

Gliose sind in den Rindenpartien die tangentialen Fasern vorhanden. Nur die Netz- werke zwischen den Fasern haben etwas gelitten, aber auch verhältnismäßig wenig. Die Kleinhirnrinde zeigt die Schichten vollständig der Norm entsprechend. Die Schichte der Purkinjeschen Zellen läßt einzelne Ausfälle erkennen. Die erhaltenen Zellen zeigen das von Spiegel und Sommer beschriebene Bild der senilen Ver- änderung, besonders Schwellung der Spitzenfortsätze. Die Körnerschichte ist stark rarefiziert. Auffallend gut erhalten ist der Nucleus dentatus. Seine Zellen sind sogar besser als es dem vorgeschrittenen Senium entspricht. Allerdings ist eine ziemlich starke Pigmentation vorhanden. Das Faserbild des Kleinhirns zeigt keine Veränderung gegenüber der Norm. Sogar die Netze in den Körnerschichten sind sehr deutlich.

Im Thalamus opticus besteht ein leichtes Ödem und beginnende perivaskuläre Desintegration nur an ganz wenigen Stellen. Keine auffälligen Ausfälle von Ganglien- zellen. Die Gefäßwände sind verdickt, homogenisiert, aber das Lumen ist erhalten und Verkalkungen fehlen. Unter dem Ependym Gliaverdichtung, auch Pseudokalk. Die Venen sind unter dem Ependym etwas erweitert. Im Nisslpräparat erweist sich die Struktur der größeren Zellen des Thalamus im großen und ganzen erhalten, nur das- Lipoid ist etwas vermehrt, wie es dem Alter entspricht. Schrumpfungen und atrophische Zellen werden jedoch vermißt. Auch die Zellkerne sind gut erhalten. Die Glia ist zart. Nur perivaskulär und subependymär die schon erwähnte Verdichtung. Die Zellen der Substantia nigra sind intakt, ebenso zeigt das Corpus subthalamicum keine Ver- änderung seiner Struktur.

Wenn wir also diesen Fall zusammenfassend betrachten, so zeigt sich ein choreiformes Bild, das hauptsächlich den Kopf und die oberen Extremi- täten betrifft. Und hier ist es wiederum die linke obere Extremität, die wesentlich stärker betroffen ist als die rechte. Da sich auch psychische Störungen in diesem Falle gezeigt haben, so wird es Autoren geben, die diesen Fall der Gruppe der Huntingtonschen Chorea zurechnen. Die psychischen Störungen waren jedoch nicht progressiv und entsprachen eigentlich nur dem Senium der Patientin. Sie zeigen eine presbyophrene Färbung, ohne besonders hervorzutreten, vor allem ohne eine Progression zu zeigen. Im Gegenteil. Es wird angegeben, daß die Patientin bessere und schlechtere Tage hatte. Wir haben in der Hirnrinde eigentlich kein auffälliges Substrat für diese Störung gefunden, es sei denn eine Sklerose der Molekularschichte. Denn die Zellverhältnisse entsprechen vollständig denen des senilen Gehirns und senile Plaques wurden vollständig vermißt. Möglicherweise ist ein mehr chronisches Ödem der Rinde schuld an dem eigentümlichen psychischen Verhalten. Immerhin kann man. diesen Fall als zwischen einer lokalisierten und degenerativen Chorea stehend ansehen.

Wenn wir mit Rücksicht auf die von Wilson und Nießl von Mayen- dorf vorgetragenen Anschauungen zunächst einmal die Rinde ins Auge fassen, so ist der Teil, der für das eventuelle Zustandekommen der unwill- kürlichen Bewegungen in Frage käme, in unserem Falle intakt. Es ist über- haupt alles lediglich dem Senium entsprechend verändert, mit Ausnahme der Striata, und hier zeigt sich, daß das Striatum rechts weit wesentlicher getroffen ist als links. Vom Striatum ist es in erster Linie der Kopf des Nucleus caudatus und der vordere Abschnitt des Putamen, während der hintere eine verhältnismäßig normale Ausbildung aufweist. Die Veränderungen des Kopfes des Streifenhügels sind zweierlei. Erstens mehr chronische, durch

15*

228 Dr. Ladislaus Tokay.

den Status cribratus bedingte nebst einem schweren Ausfall von Zellen, be- sonders kleiner Zellen. Aber auch die groBen Zellen sind schwer degeneriert, die Glia gewuchert. Dazu kommt auf der rechten Seite ein schwerer, mehr sub- chronischer ErweichungsprozeB fast des ganzen Kopfes des Nucleus caudatus und der angrenzenden Partien des Putamen, ferner ein Erweichungsherd in der inneren Kapsel, der etwa ein Viertel des fronto-thalamischen Systems ein- nimmt. Da nun die choreiformen Erscheinungen auf der linken Seite ent- schieden stärker waren, die Herdaffektion rechts intensiver war, so liegt es doch nahe, diese auf die Verstärkung der Chorea zu beziehen. Inwieweit das fronto-thalamische System eine Rolle spielt, vermag ich nicht zu entscheiden. Der Umstand, daß Kapselläsionen in diesem Gebiet sonst keinerlei unwillkür- liche Bewegungen hervorrufen, spricht gegen einen Einfluß dieses Systems auf die unwillkürlichen Bewegungen. Mangels anderer Veränderungen im Gehirn müssen wir mit Rücksicht auf die bei der degenerativen Chorea hervor- gehobenen Tatsachen unbedingt auf dem Standpunkt stehen, daß der Nucleus caudatus in irgend einer Beziehung zum Auftreten der unwillkürlichen Bewe- gungen steht. Es stimmt außerdem hier die Lokalisation der Bewegungs- störungen mit der Lokalisation im Striatum überein. Nach den Untersuchungen der Mehrzahl der Autoren (Vogt, Mingazzini u. a.) wissen wir, daß die oralen Abschnitte den Kopf und die sich daran anschließenden zunächst die obere Extremität, dann die untere Extremität vertreten. In meinem Falle war der Kopf und die oberen Extremitäten an der Chorea besonders beteiligt, demzufolge saß der Herd in den oralen Partien des Striatum. An der Tat- sache, daß nach Läsionen des Striatum choreiforme oder athetoide Bewe- gungen auftreten, ist also nicht zu zweifeln. Es fragt sich nur, wie wir das Striatumsystem in das Bindearmsystem eingliedern können, dessen Läsion die Störung der Bewegungsregulation mit Sicherheit bedingt. So wie es NieBl von Mayendorf meint, daß die den Linsenkern durchsetzenden Fasern eventuell dabei beteiligt seien, geht schon darum nicht an, weil ja in einer überwiegenden Mehrzahl der Fälle ein Status fibrosus beobachtet wurde, bei dem es sich also um eine Intaktheit der durchsetzenden Fasern handelt. Vielleicht kommen wir durch folgende Überlegung zu einem Verständnis der Sachlage. Wird jemand das Kleinhirn als Zentrum für die Koordina- tion um ganz allgemein zu sprechen ‘ausschalten, weil wir auch bei Großhirnherden Koordinationsstörungen bekommen? Wir kennen neben der zerebrellaren die frontale Ataxie, aber auch eine solche bei temporalen Läsionen, und es ist sicherlich oft schwer, eine Differenzierung dieser beiden vorzunehmen. So scheint es auch bezüglich des Kortex und des Striatum bei den unwillkürlichen Bewegungen zu stehen. Von beiden aus sind solche auszulösen, vom ersten jedoch nur dann, wenn die Endausbreitungen des Bindearmsystems getroffen sind. Meine Fälle sind nicht solche, um diese Frage vollständig zu entscheiden. Ich will deshalb in eine weitere Diskussion nicht eintreten. Nur soviel kann man sagen, daß das Striatum in jene Mecha- nismen hineingehört, deren Läsion unwillkürliche Bewegungen provoziert. Es scheint, daß, wie Marburg annimmt, die propriozeptiven und laby-

Studien über die Chorea chronica und die Beziehung des Stratium zu dieser. 229

rinthär regulierenden Impulse über das Kleinhirn und Striatum zur Rinde gelangen und daß die beiden genannten Zentren, je höher wir in der Tier- reihe aufsteigen, desto mehr in ihrer Bedeutung zurücktreten, was besonders aus dem Gegensatz der Erscheinungen zwischen Kind und Erwachsenem zum Ausdruck kommt. Da wir nun vom Striatum keine direkte Rindenverbindung kennen, so müssen wir annehmen, daß auch diese rücklaufend über den roten Kern oder Thalamus zur Rinde erfolgt. Die Verschiedenheit der klini- schen Erscheinungen ist nur durch verschiedene Affektion der einander koordinierten Bahnen und Zentren zu verstehen. Es wird niemand leugnen, daß eine Störung, wo immer sie im zentripetalen Bindearmsystem erfolgt, eine adäquate Bewegungsstörung zur Folge haben wird. Aber in dieses System hinein gehören die subkortikalen Zentren des Striatum.

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Aus dem Neurologischen Institut der Universitat Wien, Vorstand Prof. Dr. O. Marburg.

Untersuchungen über die Veränderungen des zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyämie. Von

Dr. Gisaku Kobayashi (Tokio, Japan). Mit 15 Abbildungen im Text.

Die Tatsache, daß in neuerer Zeit immer mehr Krankheitsgruppen er- kannt werden, bei denen das Zentralnervensystem, wenn auch nur sekundär, mitbeteiligt ist, läßt es wünschenswert erscheinen, zunächst ganz allgemein Untersuchungen des Gehirns vorzunehmen bei Krankheiten, die mit einer allgemeinen Infektion oder Intoxikation einhergehen.

Ich habe nicht Wert darauf gelegt, daß diese von mir untersuchten Fälle klinische Erscheinungen seitens des Zentralnervensystems geboten haben. Es erschien mir nur wertvoll festzustellen, welcher Art die allgemeine Infektion gewesen ist.

Ich ging von Sepsis bezw. Septikopyämie aus und will im folgenden versuchen zu zeigen, welcher Art die Veränderungen des Gehirns bei septi- schen Prozessen im allgemeinen sind. Es ist verständlich, daB darüber eine ziemlich große Literatur vorliegt. Ich möchte mit einem der bedeutendsten Autoren in bezug auf diese Frage beginnen, und zwar mit Nonne, der in seinen Arbeiten über die perniziöse Anämie auch die septischen Prozesse mit untersucht hat. Dabei muß es auffallen, daß er in der aus dem Jahre 1899 stammenden Arbeit in vier Fällen von ulzeröser Endokarditis keine nennenswerte Anomalie fand. Er ging von dem Gedanken aus, daß es sich bei den septischen Prozessen letzten Endes um Bluterkrankungen handle, die, wie er meint, metastatisch in den verschiedenen Organen Herderkrankungen hervorrufen können. Es war nun naheliegend, auch nach solchen im Gehirn zu forschen. Seine Befunde, die sich allerdings in erster Linie auf das Rückenmark bezogen, ähneln in gewisser Form Frühfällen von letalen -Anämien. Es ist also eine vorwiegende Affektion der weißen Substanz mit beginnenden Desintegrations- oder Nekroseherden. Die graue Substanz hält er für nur sekundär affiziert. Ob die nach Marchi nachweisbaren Schwär- zungen in den Fasersystemen nicht vielleicht artefiziell sind oder ob, wie Nonne meint, sie trophischer Natur sind, läßt sich heute kaum entscheiden. Fälle, wie die von Nonne angeführten, bei welchen kapilläre Embolien vor-

232 Dr. Gisaku Kobayashi.

kamen (Leyden, N. Weiß), gehören eigentlich nur sekundär hierher, weil es uns darum zu tun ist, mehr die generelle Schädigung des Nervensystems bei septischen Prozessen zu erforschen als lokalisierte.

Sehr wertvoll für unsere Frage sind die Studien von Eugen Fränkel, der bei einfachen Infektionen nach den spezifischen Krankheitserregern im Gehirn gesucht hat. Gelegentlich hat er solche bei reichlichem Keimgehalt im Blut auch im Gehirn gefunden, gelegentlich aber auch nicht. Interessant ist, daß einmal beide Hälften des Gehirns gleichmäßig, das andere Mal bei gleicher Infektion nur die eine erkrankte. Besonders bei Streptokokken- infektion kann das Gehim, trotzdem das Blut bereits frei ist, reichlich Kokken enthalten. Typhusbazillen fanden sich unter sechs Fällen nur einmal im Gehirn, Kolibazillen in der Hälfte der Fälle, der Pneumokokkus fast immer, ebenso Strepto- und Staphylokokken. Diphtheriebazillen konnte er weder im Blut noch im Gehirn nachweisen. Für uns ist also bei der Berücksichtigung von septischen Prozessen die Tatsache maßgebend, daß Streptokokken- und Staphylokokken-Invasionen ins Gehirn bei Vorhandensein dieser Mikroorganismen im Blut die Regel sind. Es ist einleuchtend, daß diese Mikroorganismen sich vorwiegend in den Gefäßen, aber auch in den Lymphräumen finden, selten aber im Gehirn selbst, daß sie also die Blut- liquorschranke respektieren. Es finden sich eigentümliche Fibrinthromben, dann eigenartige verästelte, an Mastzellen erinnernde Gebilde im Gefäß- lumen. Gelegentlich sind spärliche Ansammlungen von Lymphozyten und Gewebsnekrosen zu sehen. Das Wesentlichste ist, daß diese Veränderungen für keine Infektionsart spezifisch sind. Man ist außerstande, aus der Art der Veränderung einen Schluß auf den Charakter der Infektion zu ziehen.

Auch Sawada hat in seinen Fällen von Infektionskrankheiten septische Prozesse untersucht, und zwar waren es Fälle von maligner Endokarditis nach Influenza mit nachfolgender Sepsis, wobei sich in der serös-eitrigen Meningitis Streptokokken nachweisen ließen. In einem anderen Falle fand sich nach einer Perityphlitis eine Sepsis gleichfalls mit Streptokokken, aber auch Staphylokokken im Blut (Fall 4 und 6). Wie in den anderen Fällen von Infektionskrankheiten, so zeigte auch die Sepsis meningeale Ver- änderungen im Sinne einer serösen Meningitis, die in einem Falle mehr serös-eitrig, im anderen Falle einfach serös und umschrieben war. In einem weiteren Falle fanden sich eitrige Infiltrate auch in der Umgebung der Nervi optici und oculomotorii. Die Seitenventrikel enthielten eine getrübte gelblich-bräunliche Flüssigkeit. Im Infiltrat findet er bei Sepsis vereinzelt atypische Plasmazellen. Sonst aber ist das meningeale Infiltrat vorwiegend aus Lymphozyten und uninukleären Leukozyten zusammengesetzt. In seinem Fall 5, der gleichfalls eine Sepsis betrifft (Peritonitis nach Gonorrhöe), findet er Streptokokken in den Gefäßen der Arachnoidea. Es bestand nur eine Blutung und mäßige Leukozyteninfiltration der Arachnoidea. In diesem Falle zeigten sich auch Mastzellen im Infiltrat.

Interessant ist ein von Pantano und Trenti beschriebener Fall von Sepsis, der angeblich durch Meningokokken bedingt war. In diesem Falle

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyämie. 233

waren die Meningen im allgemeinen frei und es fand sich nur eine kleine Eiterung über dem Kleinhirn.

In dem fundamentalen Werk von Spielmeyer über die Histopathologie des Nervensystems findet sich bezüglich der septischen Prozesse der Ver merk, daß das Ganglienzellbild hier mehr das einer Verflüssigung des Plasmas zeigt, während die gewöhnliche Intoxikation und Infektion eher das Bild der von Nissl als akute Zellveränderung beschriebenen Schädigung der Zelle aufweist. Man muß wohl auch annehmen, daß die Verfettung der Ganglienzellen mitunter akut oder subakut auftreten kann und, wie Spielmeyer meint, auch gelegentlich Folge einer allgemeinen Infektion sein kann. Sonst erwähnt Spielmeyer nur eine progressive Veränderung der Glia bei Sepsis. i

Dock berichtet über einen ganz eigenartigen Fall von Meningokokken- Sepsis, wobei eigentlich der Prozeß erst im letzten Stadium zu zerebralen Erscheinungen geführt hat. Im Gehirn fand sich nur eine Hyperämie und ein Ödem sowie fleckweise eitrige Auflagerungen. Sonst war der Befund negativ. Dagegen ließen sich in der Milz Meningokokken von paranormalem Typus züchten. Dieser septische Prozeß war ohne jede Zeichen einer Meningitis abgelaufen.

Einen ähnlichen Fall haben Gulland, Lovell und Logan beschrieben, bei dem es durch Monate zu Temperatursteigerungen kam neben allgemeiner körperlicher Schwäche. Symptome seitens des Nervensystems fehlten. Auch im Liquor war weder eine Zellvermehrung noch Bakterien. Erst zwei Monate nach dem Beginn der Erkrankung fanden sich Staphylokokken und Gram-negative Diplokokken im Blut. Letztere blieben dann allein und fanden sich auch noch einen Monat später. Schließlich waren nach weiteren vier Wochen die Blutkulturen steril. Erst fünf Tage vor dem Exitus ergab der Liquor einen pathologischen Befund mit intrazellulären Diplokokken, die die Autoren mit Sicherheit als Meningokokken ansprachen. Interessant ist, daß bei der Autopsie nur eine an der Basis und über dem Zerebellum be- findliche Meningitis zu sehen war, die Meningokokken also in diesem Falle, genau wie bei dem von Dock, keine besondere Affinität zum Nervensystem besaßen. Von großer Wichtigkeit erscheint die Tatsache, daß die Meningo- kokken in dem Augenblick aus dem Blut verschwanden, als die Meningitis einsetzte.

Nyberg versucht festzustellen, welche Erreger für die eitrige Menin- gitis in Frage kommen. Abgesehen von dem Meningokokkus Weichsel- baums und dem Bac. meningitidis septicaemiae Cohens, dem Pseudo- Influenza-Bazillus, sind eigentlich die Pneumokokken, Streptokokken, In- fluenzabazillen (Pfeiffer) in erster Linie maßgebend. Sehr selten findet man Typhusbazillen, Staphylokokken, Sarcinen, Pyocyaneus und Bacillus coli, wobei es sich hier eigentlich meist nur um agonale Komplikationen handelt. Es ist dieser Umstand deshalb von Bedeutung, weil wir aus ihm ersehen, daß die meningealen Veränderungen an das Vorhandensein bestimmter Bak- terien im Blut geknüpft sind, von denen bei den septischen Prozessen wohl

234 Dr. Gisaku Kobayashi.

in erster Linie der Streptokokkus in Frage kommt, wenn wir nicht die Meningokokken-Sepsis, die wohl recht selten ist, hier mit anführen. Denn auch hier ist die meningeale Affektion terminal.

In seiner Arbeit über herdförmige protoplasmatische Gliawucherungen erwähnt Scholz auch zwei Fälle pyämischen bzw. septischen Charakters, wobei sich typische Gefäßherdchen (Gliaknötchen) fanden, aber auch in der Pia und an den Rindengefäßen spärliche Infiltrationszellen, Lymphozyten. In der Medulla oblongata war die Infiltration stark. Die Ganglienzellen zeigten bei dem 42 Jahre alten Patienten ziemlich starke Verfettung, Neuronophagie und, wie erwähnt, die bereits angeführte knötchenförmige Gliawucherung. Sehr wichtig ist, daß Scholz bemerkt, daß vereinzelte Gliaknötchen gar keine Bedeutung besitzen. Erst wenn sie sich häufen, oder größer sind, weisen sie auf eine entzündliche Gehirnerkrankung. Kleine Herdchen sind bei degenerativen Veränderungen des Parenchyms außerhalb des den Herd umgebenden Reaktionswalles zu finden. Bei größeren Herd- chen finden sich natürlich auch mesodermale Elemente. Sie sind nicht charakteristisch für eine spezifische Erkrankung, wenn auch einzelne Affek- tionen, wie Fleckfieber und Enzephalitis durch sie charakterisiert werden können. Sie haben sicher Bezug auf infektiöse oder toxische Allgemein- erkrankungen.

Dürck äußert sich über die Veränderungen im Zentralnervensystem bei Infektionen und Intoxikationen sowie Blutkrankheiten in dem Sinne, daß er meint, daß das Gehirnödem sich schon bei solchen Krankheiten durch die Lokalisation auszeichnet, indem das Lückenwerk sich vorwiegend in den obersten Schichten, also in dem Stratum zonale und in der Schicht der kleinen Pyramidenzellen erkennen läßt. Bei den eitrigen septikämischen und pyämischen Prozessen finden sich miliare Embolien und Abszesse ohne jede Gliareaktion. Schließlich erwähnt er die Purpura hämorrhagica, Diapedesis- blutungen an den Gefäßen. An Stelle der Blutungen kann auch am Gefäß eine mehr minder große Nekrosezone auftreten mit reaktiver Gliawucherung. Dürck erwähnt ferner die Gliaknötchen. Bei Sepsis können diese Glia- knötchen größeren Umfang annehmen. Auch das Gliastrauchwerk im Klein- hirn, das Spielmeyer zuerst beschrieben hat, ist bei Sepsis zu finden. Er sieht darin einen guten Index für die Schädigung nervöser Zellelemente. Er erwähnt besonders die Ausdehnung solcher Strauchwerke.

Eine für die septische Erkrankung des Gehirns sehr wichtige Arbeit ist die von Pette. Er fand bei seinen Vakzine-Herpesstudien, daß ein Teil der von ihm mit Vakzine geimpften Kaninchen in verhältnismäßig kurzer Zeit nach der Impfung starben. Die Todesursache war eine tödliche Sepsis, herbeigeführt durch einen als Saprophyt im Körper befindlichen Bacillus bipolaris. Es wurde demnach dieser Bazillus durch die Vakzineimpfung nicht nur mobilisiert, sondern auch virulent. Es war nun interessant zu sehen, daß vakzineimmunisierte Tiere in einem großen Prozentsatz der Fälle gegen diese eigenartige Sepsis immun blieben. Es ist tatsächlich diese Be- obachtung von größter Bedeutung, weil sie zeigt, daß sonst für den Organis-

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyämie. 235

mus nichtvirulente Bakterien bei irgendeiner Infektion virulent werden können.

Eine überaus interessante Arbeit liegt von Weimann vor, der eine Reihe von Sepsisfällen nach Abortus zu untersuchen Gelegenheit hatte. Makroskopisch fand er außer einer Hyperämie oder Hirnödem nichts von Belang. Zweimal sah er größere Blutungen, häufiger piale Blutungen. Hirnpurpura dagegen, wie sie sonst bei Sepsis vorzukommen pflegt, fand er nicht. Sehr wichtig ist seine Bemerkung, daß das Gehirn trotz schwerster Sepsis verhältnismäßig wenig geschädigt sein kann. Es zeigt sich gelegent- lich eine mehr minder intensive Degeneration von Ganglienzellen (akute Zellerkrankung Nissls), Verflüssigung dagegen fand er nicht oder nur an wenigen Elementen des Kleinhirns und der Brückenhaube. Schrumpfung und Verfettung fanden sich auch nicht, dagegen waren die Gliareaktionen leb- haft, sowohl an den Gefäßen als auch an den degenerierenden Zellen. Die Gefäße selbst zeigten in ihren Wandzellen Reizerscheinungen sowie eine Proliferation der Gefäßendothelien, die fast nie fehlt und ubiquitär ist. Gefäßinfiltrate, vorwiegend aus Lymphozyten, manchmal auch Plasmazellen, selten Leukozyten, werden ebenfalls beobachtet. In den Gefäßen Leukozyten- ansammlungen; Kokken-Embolien und meningitische Reizerscheinungen schließen das Bild. In dem Augenblick, als eine septische Thrombose der Ovarialvenen oder eine Endocarditis ulcerosa vorhanden ist, bilden sich größere Herde. Meningitische Entzündungen, durch Kokken-Embolie bedingte Abszesse, die sowohl in den Meningen als im Gehirn sitzen können, sind dann zu sehen. Es ist wichtig, daß bei diesen aus Leukozyten zusammen- gesetzten Abszessen sich auch Gliazellen finden, so daß Übergänge vom Abszeß zum Gliaherd oder zum enzephalitischen Herd entstehen. Wein- mann erwähnt ferner ähnliche Herde wie bei der Anämie oder wie sie Wohl- will bei Masern beschrieben hat, die wieder Ähnlichkeit mit den Befunden von Dürck bei Malaria und von Scholz bei den verschiedenen Infektionen haben. Sehr wichtig ist, daß er einen Teil der Ringblutungen, wie sie der Purpura cerebri eigen sind, als entzündlich charakterisiert. Auch Nekrose- herde finden sich vorwiegend in der Rinde. Ähnlich Spielmeyer, hat er eine ischämische Nekrose des lockeren Bandes im Amonshorn wiederholt gefunden. Ferner beobachtete er eine isolierte Affektion der Oliven, wo- bei die Zellen scheinbar eine ischämische homogenisierende Erkrankung aufwiesen und die Glia gewuchert war, in einem Falle so stark, daß die ganze Olive betroffen erschien. Er erwähnt einen ihm von Neubürger zur Verfügung gestellten Fall, wo bei einen Staphylokokken-Septikopyämie ein ähnlicher Befund zu erheben war. Er schließt aus anderen Tatsachen, daß neben dem Amonshorn, der Kleinhirnrinde auch die Olive für toxisch- infektiöse Prozesse besonders vulnerabel sei.

Brinkmann hat in drei Fällen septischer Endokarditis deutliche Hirn- veränderungen gefunden; in zwei derselben bestanden endarteriitische Gefäßprozesse, die zu herdförmigen Schädigungen des Parenchyms geführt hatten. Hauptsächlich aber handelt es sich um diffuse Prozesse im Gehirn

236 Dr. Gisaku Kobayashi.

mit gelegentlich leichten peribasalen Infiltraten, die die Blutliquorschranke nur wenig überschritten haben. Der Autor betont, daß der Prozeß nicht bakteriell, dagegen eher toxisch bedingt sei. Ferner hebt er die geringe Reaktionsfähigkeit sowohl der mesodermalen als der gliösen Elemente hervor.

Wie verschiedenartig die neurotropen Mikroorganismen sein können, beweist der von Beaulieu, Marcel und Desbuquois beschriebene Fall einer durch Pneumo-Bazillen hervorgebrachten Septikämie, die nur ganz geringfügige Symptome seitens der Lunge und der Meningen aufwies. Im Gegensatz zu dem positiven Liquorbefund blutig-eitrig fanden sich, was wohl überaus merkwürdig ist, sowohl makroskopisch als mikroskopisch keine pathologischen Veränderungen an den Meningen. Eine Erklärung für diese merkwürdige Diskrepanz war von den Autoren nicht zu erbringen. Sie halten sie für die Septikämie durch Pneumo-Bazillen für charakteristisch (sollte nicht ein lokaler epiduraler Abszeß [blutig-eitriger Liquor] punktiert worden sein?).

In dem großen Referat, das Pette und Spielmeyer in der Jahresver- sammlung der Gesellschaft deutscher Nervenärzte in Würzburg im Jahre 1929 erstattet haben, zeigt sich bei den beiden Referenten ein tief- gehender Gegensatz. Während nämlich Pette meint, daß doch gewisse In- fektionen sich durch bestimmte Veränderungen im Zentralnervensystem zum Ausdruck bringen, meint Spielmeyer, daß bei allen möglichen bakteriellen Infektionen ein und dieselbe Noxe sehr verschiedene Veränderungen im Zentralnervensystem setzen kann. Es ergibt sich aus den Auseinander- setzungen nur, daß man heute noch ohne Kenntnis der genauen ätiologi- schen Faktoren außerstande ist, eine Zusammenfassung pathologisch-anatomi- scher Veränderungen zu einer gemeinsamen Gruppe durchzuführen. Das gleiche, was für die Klinik gilt, nämlich, daß eine spezielle Symptomatologie oder spezielle Symptomengruppe charakteristisch sei für bestimmte noso- logische Einheiten, gilt auch für pathologische Veränderungen. Wir wissen ja gar nicht einmal, wie die Noxe in das Zentralnervensystem gelangt. Wir können nur vermuten, daß auf dem Umweg über die Blutbahn oder die Lymphe die Infektion erfolgt. Wir werden aber gerade aus den Fällen von Sepsis, bei denen die pathologischen Veränderungen im Zentralnervensystem äußerst geringfügig sind, vielleicht erkennen, wie sich der Modus der In- fektion abspielt. Ein Weiteres ist, daß wir heute gar nicht mit Sicherheit feststellen können, ob Infektion oder Intoxikation nicht ein Gleiches hervor- rufen kann, so daß wir auch diesbezüglich großen Schwierigkeiten in der Deutung der Veränderungen begegnen.

Meine eigenen Fälle sind die folgenden:

I. Fall. H. F., 15 Jahre alt, hat als Kind Scharlach überstanden. Seit seinem 13. Lebensjahr Schmerzen im Hüftgelenk, die sich aber wieder verloren haben. Acht Tage vor seiner am 10. März 1930 erfolgten Aufnahme in das Krankenhaus steigerten sich die Schmerzen. Es trat hohes Fieber auf. Es zeigte sich diffuses Rasseln über beiden Lungen. Zwei Tage später fand sich schon Delir. Die Herztätigkeit ver.

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyämie. 237

schlechterte sich, die Temperatur war über 40 Grad gestiegen und am 13. März nachts, also kaum drei Tage nach seiner Aufnahme, starb das Kind.

Die Obduktion ergab eine Osteomyelitis ossis ilei sinistri cum eburneatione. Abscessus periostalis huiussce regionis; Pyarthros articulationis coxae sinistrae; Pyaemie, Abscessus renum, pulmonum, Tonsillitis suppurativa recens. Daneben bestand eine parenchymatöse Degeneration der Leber, akuter Milztumor und eine fibrinöse Pleuritis des rechten Lungenunterlappens.

Nach der bakteriellen Untersuchung handelt es sich um eine Staphylokokken- Pyamie, scheinbar von ganz kurzer Dauer.

Die Veränderungen des zentralen Nervensystems sind nun folgende:

Abb. 1. Fall I. Ödem der Meningen.

Die Untersuchung des Gehirns zunächst über den Zentralwindungen ergibt deutlich eine Verbreiterung der Meningen. Man kann schon von einer Leptomeningitis sprechen. Das äußere Blatt der Pia ist derb, zellreicher, zum Teil auch ödematös (Abb. 1). Nach innen zu ist die Pia aufgelockert. Man sieht vereinzelt im Gewebe lymphoide Elemente, ferner Zellen mit großen dunklen Kernen ohne Fragmentation, gelegentlich ein oder das andere rote Blutkörperchen. Auch die Bindegewebszellen sind etwas gebläht. Hier besteht vor allem ein Ödem der Meningen. Auffällig ist der Blutreichtum der Gefäße. An den Gefäßen sieht man deutlich die In- tima etwas geschwollen. Die Kerne springen in das Lumen vor. Auch in der Hirn- rinde deutliches Ödem. Selbst die Molekularschichte scheint ein wenig aufgelockert, doch kann man in ihr stellenweise eine Vermehrung der Gliakerne sehen ohne Knötchenbildung. In der Tiefe der dritten Schichte finden sich an einzelnen Stellen unregelmäßige, mitunter kleeblattförmig gestaltete Gebilde, die bei hoher Einstellung wie homogen aussehen, bei tiefer Einstellung der Mikrometerschraube eine fein granu- lierte Grundsubstanz erkennen lassen, daneben auch Kernkörperchen. Der Rand dieser Gebilde erscheint ein wenig verdichtet. Es hat den Anschein, als wenn hier drei

238 Dr. Gisaku Kobayashi.

runde Kerne eng aneinander getreten wiiren und in Nekrose begriffen sind. Solche ganz unregelmäßige Gebilde sieht man an mehreren Stellen. Sie haben die ver- schiedensten Formen. Es macht immer den Eindruck, als wären sie aus Körnchen zusammengesetzt. Hervorzuheben wäre noch, daß sie nicht in den Gefäßen, sondern immer an Ganglienzellen gelegen sind. An Nissl-Präparaten ist zunächst die Degene- ration der Ganglienzellen in die Augen fallend. Die großen Pyramidenzellen sind etwas geschwollen, homogenisiert, zeigen keine Spur von Tigroid. In einzelnen ist der Kern vorhanden und in anderen fehlt er. In diesen letzteren ist die Grundsubstanz

Abb. 2. Fall I. Parietallappen, Ganglienzelldegeneration.

wabig. Immer tritt die Quellung hervor, die auch die Dendriten und das Axon er- greift. Auffällig geringfügig ist die Gliareaktion im Gewebe. An einzelnen Zellen sieht man auch Kerndegenerationen, nicht nur Faltenbildung, sondern eine Auflösung des Chromatinbalkenwerks mit beginnender Wandhyperchromatose Die Zelldegene- ration trifft sowohl die großen wie die kleinen Zellen. An den Gefäßen, besonders den Kapillaren, sind die Intimazellen wieder gequollen. Die begleitende Glia ist nicht vermehrt. Exsudation ist nicht zu sehen. Auch im okzipitalen Gebiet ist das Ödem der Pia sehr deutlich, ebenso die Hyperämie und das Vorspringen der Endothel- zellen in das Lumen. Hier ist auch eine größere Blutung wahrzunehmen. Die Glia- reaktion ist hier ein wenig stärker, d. h. es finden sich sowohl an den Gefäßen als auch im Gewebe selbst die Gliakerne etwas vermehrt, ohne jedoch Gliaknötchen zu

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyämie. 239

bilden. Die Ganglienzellveränderungen sind hier zum Teil die gleichen wie in der motorischen Region, zum Teil sieht man hier Schrumpfung und korkzieherartig ge- wundene Dendriten. Es überwiegt aber die akute Degeneration Nissls und die wabig- vakuoläre (Abb. 2). Sie tritt besonders in den großen Zellen deutlich hervor, wäh- rend bei den kleineren Schrumpfungsprozesse deutlich zu sehen sind.

Auch in den Stammganglien ist das Odem die am meisten hervortretende Ver- änderung. Hier zeigt sich im Ventrikel subependymär eine deutliche Vermehrung der Glia- kerne. Dieses gliöse Gebiet ist stellenweise vom Parenchym abgehoben, da gerade zwi- schen gliöser Rindenschichte und Parenchym das Ödem am stärksten zum Ausdruck kommt. An einzelnen Stellen sieht man schon Nekroseherde frei im Gewebe, die aber wie aus Ödem entstanden erscheinen. Je tiefer, desto mehr ausgesprochen ist das Ödem, be- sonders in der Capsula interna und im Putamen. Hier zeigt sich auch eine auf-

Abb. 3. Fall I. Perivaskuläre Desintegration.

fallende Gliakernvermehrung, wobei es manchmal zu ganzen Mänteln um die Ganglien- zellen kommt und auch bereits Knötchenbildung in Erscheinung tritt. Auch längs der Gefäße sieht man die Glia vermehrt. Nirgends ist aber in der Tiefe eine Blutung zu sehen. Auch eine Extravasation mesodermaler Elemente läßt sich nicht sicher- stellen. Die Ganglienzellen sind ähnlich wie die der Hirnrinde getroffen.

Gegenüber dem massigen Ödem in der Kapsel und auch im Striatum, ist das Ödem im Thalamus verhältnismäßig geringer. Dagegen kann man hier die Hyperämie und stellenweise auch die Vermehrung der Gliazellen am Gefäß erkennen. Auffällig ist an einzelnen Gefäßen der Status desintegrationis (Abb. 3). Es läßt sich an der Wand solcher Gefäße nichts erkennen als die bereits wiederholt betonte Intima- veränderung. Auch hier finden sich die eigentümlichen in der Rinde erwähnten Gebilde. Doch liegen sie hier an den Gefäßen. Die Ganglienzellveränderungen zeigen die bereits beschriebenen Typen der vakuolären Störung oder Schwellung mit Homo- genisation und der beginnenden Kernzerstörung.

An der Basis des Gehirns ist das Ödem der Meningen geringer. Aber auch im Ge- webe der Brücke zeigt sich periependymär ein deutlicheres Ödem. In der Tiefe ist es

240 Dr. Gisaku Kobayashi.

nicht sehr beträchtlich. Vorwiegend ist es perivaskulär in der Meninx. Lateral an der Brücke sind die Gefäße erweitert und strotzend mit Blut gefüllt. Hier erinnert das Bild an die Verhältnisse über dem Großhirn. Auch hier fällt wieder die schwere Ganglienzellschädi- gung auf. Einzelne Zellen zeigen Bilder wie bei axonaler Degeneration, andere wieder sind ganz homogen, schattenhaft mit gewundenen Dendriten. Auch pyknotische Zellen finden sich. Daneben kann man wiederum Zellen sehen, die in ihrem Aufbau ver-

Abb. 4. Fall I. Paramediane Zellen der med. oblongata in Degeneration.

hältnismäßig nicht zu stark gelitten haben. Aber die Mehrzahl zeigt schwerste Störungen.

Die Medulla oblongata zeigt die Pia ziemlich schwer affiziert mit Blutungen in der Pia. Das Ödem selbst ist wieder etwas deutlicher wie in der Brücke. Es findet sich sowohl am Boden des Ventrikels als in der Tiefe. Die Olivenzellen sind auf- fallend schwer degeneriert. Sie sind auch im Nissl-Präparat ganz homogen, sicherlich geschrumpft und auch in ihren Kernen kaum mehr der Norm nahe. Stellenweise sind die Kerne überhaupt geschwunden, die Zellen alle erfüllt von einem Netzwerk oder sie sind geschrumpft und ihre Dendriten geschlängelt. Es ist kein Zweifel, daß die Zellen schwer gelitten haben. Während diese Zellen aber geschrumpft sind, sind die Zellen des Fazialis geschwollen, blaß, mit ebenfalls geschwollenen Dendriten und einem noch deutlich sichtbaren Kern. Auffallend weit lassen sich die Zellfortsätze

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyimie. 241

im Gewebe verfolgen. Die Tigroide treten aber nirgends deutlich hervor. Auffallend ist eine teilweise Degeneration von Zellen paramedian in der Medulla. Einzelne Zellen sind hier schattenförmig verändert (Abb. 4).

Auch im Kleinhirn ist ein Ödem und man sieht auch hier perivaskulär deutliche Desintegrationen. Es bleiben nur die Glialücken, aber auch die nicht immer voll- ständig erhalten. Die Ganglienzellen zeigen Schwellungen; auch eine Vermehrung lymphoider Elemente findet sich. Eine Vermehrung der Gliakerne ist eigentlich nicht deutlich zu sehen. In der Molekularschichte zeigt sich eine Andeutung von Glia- strauchwerk Auch sind hier sicherlich einzelne Gliazellen verändert. Man kann kleinste Elemente sehen, die wie die protoplasmatischen Fortsätze aufweisen. Die Purkinjeschen Zellen sind teilweise schon ausgefallen, teilweise sieht man sie geschwollen, homogenisiert, mit dicken Fortsätzen. Das Tigroid zeigt zuerst einen

Abb. 5. Fall I. Degenerierte Zellen des N, dentatus.

feinkörneligen Zerfall, dann verschwindet es. Die Zelle wird homogen, blaß, etwas geschwollen. Die Kerne sind zum Teil gleichfalls homogenisiert, zum Teil sind sie noch deutlich erkennbar. Der Schwund der Körner läßt sich im Nissl-Bild sehr deut- lich erkennen. Die Körner blassen ab und schwinden, ohne daß ein Ersatz an Glia schon vorhanden wäre. Die tiefen Kerne des Kleinhirns zeigen schwerste Degeneration. Der Nucleus dentatus läßt kaum eine Zelle erkennen, die normal ist (Abb. 5). Die Veränderung der Zellen sind analog jenen der Olive. Die Zelle wird homogen, schrumpft ein wenig, die Fortsätze werden ganz dünn, der Kern ist kaum mehr an- deutungsweise zu erkennen. An manchen sind die Spitzenfortsätze spiralig. Hier sieht man auch die Gliazellen manchmal wie atrophisch, indem auch sie deutliche Fort- sätze zeigen, die nach allen Richtungen hin streben. Jedenfalls ist die Veränderung im Nucleus dentatus wesentlich anders und vorgeschrittener als in dem Rinden- gebiete. Diese Veränderungen des Kleinhirns lassen sich deutlich durch das ge- samte Kleinhirn verfolgen, nur daß stellenweise an der Oberfläche das Ödem so intensiv ist, so daß der Eindruck eines Status cribrosus hervorgerufen wird.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 16

242 Dr. Gisaku Kobayashi.

Auch im Brückengebiet zeigt die Pia deutliche Verändernugen im Sinne des Ödems und der serösen Meningitis. Auch die Gefäße lassen die gleichen Veränderungen erkennen. Es ist nirgend an den Gefäßen eigentlich eine deutliche Exsudation wahr- zunehmen, auch nicht an den Gefäßwänden. Man sieht nur Intimaquellung und peri- vaskuläre Desintegration.

Im Rückenmark fällt auch vielleicht noch auf, daß die Media der Arteriolen weniger gut gefärbt ist. Das Ödem ist auch hier deutlich, ebenso die Ganglienzell- veränderung ganz im Sinne der in den höheren Ebenen beschriebenen. Es findet sich Schwellung der Zellen, auch der Dendriten, Homogenisation bei noch intakten Kernen oder bei bereits geschädigten Kernen. An anderer Stelle oder knapp daneben sieht man auch noch Schrumpfung. An einzelnen Gefäßen kann man hier Ödemflüssigkeit perivaskulär wahrnehmen.

Abb. 6. Fall I. Vorderhornzellen in Degeneration. Man beachte den Dentriten der ventralen Zelle, der nach oben zieht.

Auch hier ist das Nebeneinander stark gequollener und stark geschrumpfter Zellen auffällig (Abb. 6). Die ersteren sind blaß, die anderen intensiv dunkel gefärbt. Die Vorderhornzellen zeigen verschiedene Grade der degenerativen Veränderung. Auch hier fällt die Schwellung und Tigrolyse, die wabig-vakuoläre Degeneration auf, an ande- ren Stellen wieder die Schrumpfung. Hier sind auch einige Zellen in der Weise degene riert, daß das Tigroid sich vom Rande auflöst und nur um den Kern herum Stippchen zu erkennen sind. Die Gliareaktion ist hier vielleicht eine Spur stärker, obwohl auch sie verhältnismäßig geringfügig ist. Die Hinterhornzellen nehmen an dem degenerativen Prozesse teil. Diese Veränderungen des Rückenmarks setzen sich durch alle Gebiete hin fort. Gelegentlich sieht man an ein oder der anderen Stelle einen ganz minimalen Blutaustritt. Am häufigsten aber sieht man perivaskulär ein fibrinoides Netz. Auch im Rückenmark sind die perivaskulären Desintegrationen stellenweise sehr deutlich zu sehen.

Weigert-Original-Präparate des ersten Falles zeigen nur stellenweise eine mehr generelle Abblassung der Markfasern.

Zusammenfassend läßt sich folgendes anführen: Bei einem 15 Jahre alten Knaben, der an einer Osteomyelitis litt, entwickelt sich in wenigen

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyämie. 243

Tagen eine Septikopyämie, die in kürzester Zeit zum Tode führt. Der eigent- liche letale KrankheitsprozeB dauerte vier Tage, die gesamte Krankheit, soweit sie Erscheinungen machte, zwölf Tage.

Klinisch war, abgesehen von einer über 40 Grad erreichenden Tem- peratursteigerung, nur ein deliranter Endzustand zu bemerken.

Am Nervensystem bestand erstens ein Odem der Meningen mit serösem Exsudat ohne Eiterkörperchen und gelegentlichen Blutungen. Der Prozeß war diffus.

Zweitens zeigten die Gefäße eine deutliche Schädigung der Intima, charakterisiert durch Schwellung der Zellen, die in das Lumen vorspringen, ferner Ödem perivaskulär und schließlich an vielen Stellen des ganzen Gehirns deutliche Zeichen von perivaskulärer Desintegrationen, wobei zumeist die Glia noch intakt blieb, ähnlich einem Status cribrosus. Letzterer war als Verstärkung des Ödems auch an einzelnen Stellen an der Oberfläche der Rinde des Groß- und Kleinhirns zu sehen. Sonst nur diffuses Ödem.

Drittens fand sich eine schwere Degeneration der Ganglienzellen gleich- falls diffus. Nebeneinander bestehen Schwellungszustände mit totaler Homo- genisation und Abblassung bei noch normalem oder bereits schwer ver- ändertem Kern. Auch die Dendriten nehmen an den Schwellungen teil. An den geschwollenen Zellen wabig-vakuoläre Zustände. Weiters sieht man typische Schrumpfung mit dunklerer Verfärbung und korkzieher- artiger Veränderung der Dendriten. Diese Veränderungen können neben- einander vorkommen, doch finden sich die letzteren vorwiegend in der Olive und im Nucleus dentatus cerebelli, die beide aufs schwerste ge- troffen sind. Gelegentlich findet sich auch eine Auflösung der Tigroide vom Rande. Eine norınale Zelle mit klumpigem Tigroid ist überhaupt nicht zu schen, sondern das Tigroid fällt hier nur körnchenförmig aus. An einzelnen Cajal-Präparaten kann man auch Quellung an den Axonen wahrnehmen. Die Glia zeigt eine auffallend geringfügige Reaktion. Sie ist nur vermehrt. In den Randschichten, also in der gliösen Rindenschichte, subependymär, ferner an einzelnen Gefäßen im Striatum; eben beginnende Andeutung eines Glia- strauchwerkes findet sich im Kleinhirn. Es scheint, als ob auch die Glia gelitten hätte, denn man sieht viele ihrer Zellen geschrumpft, ganz homogen, mit spießigen Fortsätzen, die äußerst dünn sind.

Die genaue Untersuchung der verschiedenen Schnitte auf Bakterien er- gab einwandfrei nur an einer einzigen Stelle Kokken. Es hatte zwar an an- deren Stellen auch den Anschein, als ob Kokken im Gewebe sich finden, aber bei den reichlichen Kerndegenerationen läßt sich eine sichere Entschei- dung diesbezüglich nicht treffen.

ll. Fall. S. A. 24 Jahre alte Frau. Zystitis, Furunkulose, Sepsis. Die Patientin wurde am 29. März auf die Hautklinik aufgenommen. Alle Untersuchungen ergaben bis auf die Furunkulose und Zystitis ein negatives Resultat. Die ‚Patientin verweigerte jede Nahrungsaufnahme. Die Temperatur beginnt erst am 3. April zu steigen, und zwar nur auf 37,9; am 5. April Exitus.

Es wurde die Milz, der Uterus und die Furunkel auf Mikroorganismen unter- sucht und es fanden sich im Uterus Gram-positive Diplokokken, kulturell auch in

16*

244 Dr. Gisaku Kobayashi.

der Milz Staphylokokkus pyogenes aureus, hämolysierende Streptokokken und Bac- terium coli. x

Der Obduktionsbefund ergab eine Endometritis, Cysto-pyelitis pseudo-membra- nacea mit beiderseitiger Pyelonephritis, allgemeine Furunkulose.

Der histologische Befund des Zentralnervensystems ergibt über dem Kleinhirn ein Ödem der Meningen. Hier finden sich einzelne mesodermale Elemente, im Gewebe auch Leukozyten, Hyperämie der Gefäße, mächtiges Ödem der Gehirnrinde. Hier sieht man an den Gefäßen stellenweise bereits Rundzellen, aber sehr selten. Auch hier ist die Intimaschädigung der Gefäße deutlich. Einzelne strotzend gefüllt mit roten Blut- körperchen bei deutlicher Erweiterung (Stase), nirgend aber eine Blutung. Die Gefäß- erweiterung ist ziemlich hochgradig. An manchen Gefäßen sieht man in der Um-

Abb. 7. Fall II. Glia (Cajalfärbung).

gebung deutliche Desintegration. Die perivaskulären Kammern sind sehr weit und vollständig leer. Auch hier zeigt sich im Nissl-Präparat eine schwere Degeneration der Ganglienzellen der Rinde. Fast nirgend sieht man die Tigroide der Norm entsprechend. Meist ist ein Netzwerk in den Zellen, die etwas geschwollen sind, manchmal ganz abgeblaßt, deutliche Kernwandhyperchromatosen, Randstellung des Kerns; gelegentlich sieht man noch einzelne gröbere Schollen an der Peripherie größerer Zellen. Auch hier fällt die Verbreiterung des Spitzenfortsatzes auf. Neuronophagie wird vermißt. Doch sind die Gliakerne im Gewebe etwas vermehrt. Im Vordergrund der Zellschädigung ist wiederum die Schwellung und die Gitterbildung im Innern der Zellen. Bei stärkerer Vergrößerung sieht man in den Blutgefäßen deutlich Eiterkörper- chen, aber nicht in der Form von Leukozytenthromben. Im Gewebe selbst fehlen diese. Aber es ist kein Zweifel, daß hier die Glia stärker angereichert ist und Zeichen von progressiver und regressiver Veränderung zeigt (Abb. 7).

Parietal ist das Ödem weniger stark als in den eben beschriebenen frontalen Partien. Auch das Ödem der Rinde ist in dieser Gegend verhältnismäßig gering, nur in den Sulci kann man es an einer fädigen Gerinnung erkennen. Hauptsächlich peri-

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyämie. 245

vaskulär tritt es auch im Okzipitallappen auf. Außerdem sieht man die eigentümlichen, schon im ersten Fall beschriebenen Gebilde im Mark, während sie in der Rinde selbst fehlen. Die Zelldegeneration ist generell. Auch hier ist die Reaktion nicht sonderlich groß, aber doch deutlicher wie im ersten Fall, indem sich hier schon Häuf- chen von Gliakernen im Gewebe zeigen. Das Ödem der Pia ist hier geringer als im ersten Fall, die Hyperämie deutlicher, sicherlich die Pia auch reicher an mesoder- malen Kernen. Die Zellschädigungen sind überall die gleichen. Im Striatum haben wir das gleiche Ödem wie in der Rinde, vielleicht sogar stellenweise etwas

Abb. 8. Fall II. Gefäß mit veränderter. Wand, die Ventrikelwand vorbauchend.

stärker. Auch hier wiederum perivaskulär die Desintegrationen sehr deutlich. An einzelnen Stellen sieht es aus, als ob Pseudokalk im Gewebe wäre. Es ist aber nicht sicherzustellen, ob es sich nicht nur um Farbstoffniederschläge handelt. Hier sind auf- fallend viele Blutkörperchen in den sehr weiten Gefäßen. Die Venen sind überdehnt, ohne daß in ihrem Verhalten Zeichen der Stauung zu erkennen wären. Auch hier ist die Gliareaktion eine etwas stärkere als im ersten Fall. Die Zellen zeigen die gleiche Schädigung wie in der Rinde. Man sieht nirgend Tigroide, dagegen Schwellung der Fortsätze, Netzbildung im Zellinnern, Randstellung des Kerns. Auch im Nissl- Präparat fällt die enorme Erweiterung mancher Gefäße, besonders der Venen auf. Das läßt sich durch das ganze Striatum verfolgen. Subependymär sieht man auch hier deutlich die Glia etwas dichter und an einzelnen Gefäßen, die in das Lumen des Ventrikels vorspringen, eine vollständige Homogenisation der Wand (Abb. 8). Das läßt sich an anderen Partien des Gehirns nicht feststellen und ist nur neben dem Ventrikel

246 Dr. Gisaku Kobayashi.

zu sehen. Sonst fällt auch in diesem Gebiete nur die exzessive Erweiterung der Venen auf. Das Ödem im Thalamus, besonders aber in der inneren Kapsel, ist sehr mächtig und geht hier fast über in einen Status cribratus. Hier sind die Gefäße weniger affiziert als in den anderen Gebieten. Einzelne Gefäße zeigen hier eine Wandverdickung. Man sieht deutlich neben der Elastika Lücken im Gewebe des Ge fäßes. Die Media ist derb, die Adventitia stellenweise abgelöst, perivaskulär Des- integration und deutlicher Blutaustritt, welcher die Adventitia aufspaltet, aber nicht in das umgebende Gewebe geht, das deutlich den beginnenden Status desintegrationis aufweist (Abb. 9). Die Zellen in diesem Gebiete sind auch in der gleichen Weise ver- ändert. Auch im Dach des IV. Ventrikels zeigen sich ganz analoge Gefäße wie in der Gegend des III. Ventrikels. Auffallend ist, daß in dem benachbarten Kleinhirn außer der mächtigen Stauung die Gefäße deutlich in der Wand normal sind. Was nun

Abb. 9. Fall II. Perivaskuläre Desintegration.

das Kleinhirn anlangt, so ist auch hier ein deutlicher Kernschwund nachzuweisen. Die Meninx zeigt kein Ödem, aber leichte Reizung, dagegen ist das Ödem im Ge webe sehr deutlich. Auch die perivaskuläre Desintegration ist hier deutlich. Die Purkinje- schen Zellen sind hier besser erhalten als in dem ersten Fall. Sie sind allerdings auch hier abgeblaßt, aber das Tigroid zeigt sich hier deutlicher. Der Nucleus dentatus da- gegen zeigt wieder schwere Degeneration, doch ist hier mehr Schwellung und Tigrolyse zu sehen. Am Rande sind immer einige größere Schollen erhalten, auch kleinere Schollen zeigen sich. Hier ist die Gliareaktion wohl deutlich erkennbar, aber nicht sonderlich groß. Es findet sich eben erste Andeutung von Knötchenbildung. Nirgend Neuronophagie. Diese Veränderungen im Kleinhirn sind generell. In der Medulla oblongata zeigt sich nur im Brückenwinkel eine ähnliche Gefäßveränderung wie sub- ependymär. Die Pia ist hier durch dickes kernarmes Bindegewebe etwas verbreitert. Die Arteria basilaris zeigt eine etwas verbreiterte Media, aber sonst wohl kaum eine Änderung gegenüber der Norm, jedenfalls kein Zeichen einer luischen Erkrankung. Ödem auch hier in allen Teilen. Auch hier wieder in der Nähe des Ventrikels die Ge fäße mehr geschädigt als abseits von ihm. Die Olivenzellen sind kaum zu erkennen (Abb. 10 und 11). Man sieht spurweise schattenhafte Gebilde, die absolut keine

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Abb. 11. Fall II. Detailbild der Zelldegeneration der Oliva inferior.

Struktur mehr erkennen lassen und nur einen hellen Kern ohne Kernkörperchen zeigen. Gleich benachbart gelegene Zellen lassen die normale Tinktion erkennen, wenn sie auch sonst schwer geschädigt sind. Sie zeigen die verschiedenartigsten Formen der Degeneration, besonders charakterisiert durch Schwellung und weite Ver-

248 Dr. Gisaku Kobayashi.

folgbarkeit der Dendriten. Die Gliareaktion ist hier vorhanden aber wenig lebhaft. In anderen Abschnitten ist die Olive etwas besser gefärbt, aber auch hier zeigen sich die schwersten Degenerationen. Es nähern sich dieselben mehr jenen im ersten Fall beschriebenen, indem auch hier sehr dunkle Zellen sind, die zum Teil axonal, zum Teil schwere Degeneration, zum Teil Schrumpfung mit dunklerer Färbung aufweisen.

Die Pia des Rückenmarks ist eher verbreitert, kein Infiltrat, leichtes Ödem im Mark selbst. Die Vorderhornzellen sind verhältnismäßig gut erhalten, vielleicht ein wenig geschrumpft. Jedenfalls nicht schwer degeneriert. Die Hinterhornzellen sind eher geschä- digt. Auch hier überwiegt die Schrumpfung. Die Gefäße zeigen normale Veränderungen. In etwas tieferen Ebenen ist die Schrumpfung so weitgehend, daß die Dendriten kork- zieherartig verlaufen. Das Auffälligste in diesen Gebieten ist die mächtige Ver- breiterung der Pia mit einer Quellung des Bindegewebes und einer Homogenisierung und gleichzeitiger Abnahme des Kernreichtums. Die in diesen Gebieten gelegenen Gefäße zeigen in ihrer Wand ein ähnliches Verhalten. Homogenisation der Wand. Auffällig sind auch hier die Zellen verhältnismäßig gut erhalten, nur die kleineren sind deutlich atrophisch.

An nach Cajal gefärbten Präparaten sieht man deutlich die Glia. Hier hat es den Anschein, als ob die protoplasmatische Glia, besonders die an den Gefäßen, deutlich angereichert wäre. Die Präparate machen den Eindruck von Golgi-Präparaten.

Bielschowsky-Präparate zeigen die Axone etwas dicker als normal. Die Fibrillen- färbung ist nicht gelungen.

Die Rinde erscheint sehr gut gefärbt. Auch die interradiären und superradiären Flechtwerke zeigen keine beträchtliche Differenz gegenüber der Norm. Vielleicht daß die Tangentialfasern weniger deutlich sind und an einzelnen Stellen auch die super- radiären Flechtwerke. Das gleiche gilt für das Kleinhirn, wo ebenfalls eine viel bessere Färbung als im ersten Fall vorherrscht.

Zusammenfassung.

In diesem Fall von Sepsis, die sich nach einer Geburt, offenbar infolge allgemeiner Furunkulosis, entwickelt hat und mit einer Zystopyelo-Nephritis einherging, findet sich eine mehr diffuse Verbreiterung der Meningen, be sonders im Rückenmark, mit gleichzeitiger degenerativer Veränderung der Bindegewebsfibrillen, ferner eine enorme Erweiterung der Venen, die oft strotzend mit Blut gefüllt sind, eine leichte Veränderung der Intima. Am auffälligsten ist aber eine subependymäre schwere Wandschädigung der Arterien, die von oral bis kaudal in gleicher Weise nachzuweisen ist. Die schwere Ganglienzellschädigung ist hier mehr im Sinne von Schwellung und Tigrolyse und trifft wiederum am meisten die Olivenzellen, welche stellenweise fast vollständig “geschwunden sind. Am wenigsten gelitten hat das Rückenmark, obwohl auch hier besonders die kleinen Zellen Schrumpfungsprozesse aufweisen. Die Gliareaktion ist eine verhältnismäßig geringe, aber deutliche.

HI. Fall. M. P., 76 Jahre alte Frau, wird komatös in das Krankenhaus auf- genommen, und zwar am 22. April 1930.

Am 10. April 1930 klagt sie über Schmerzen im Mund und Hals. Sie bekam rechts eine leichte Schwellung in der Halsgegend unter dem Kieferwinkel. Die Schmerzen nahmen zu, ebenso die Schwellung. Es kam zum Erbrechen. Leichtes Fieber. Der Arzt stellt die Diagnose Mumps.

Bei der Einlieferung in das Krankenhaus zeigte sich ein deutlicher Ikterus, Schwellung in der Parotisgegend beiderseits, ebenso auch in der Sublingualis und Sub- maxillaris, vollständige Benommenheit, Nackensteifigkeit.

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyimie. 249

Der Nervenbefund ergibt: links Babinski positiv, rechts angedeutet. Starke Zyanose. Gefäße schlecht gefüllt. Abstrich aus den Speicheldrüsen ergibt vereinzelt Gram- positive Diplokokken, ‘kulturell Staphylococcus pyogenes aureus. 24 Stunden nach der Aufnahme Exitus.

In den Speicheldrüsen fanden sich bei der Obduktion grünliche Eiterpakete. Die Organe sind fast vollständig eitrig eingeschmolzen, das Bindegewebe der Umgebung ist ödematös. Außerdem findet sich ein Abscessus cholangiticus des rechten Leber- lappens, eine Cholelithiasis, parenchymatöse Degeneration der Organe, akuter Milz- tumor.

Es hat sich also in diesem Falle um eine reine Infektion mit Staphylococcus pyogenes aureus gehandelt.

Die Untersuchung des zentralen Nervensystems ergibt: Deutliche Hyperämie in der Pia mit venöser Stauung und Blutaustritten. Am auffälligsten ist die Stauung; leichte Meningo-Fibrose. Die Gefäße sind auffallend verändert, zeigen aber keine schwere Arteriosklerose. In der Rinde zeigt sich ein deutliches Ödem, das aber keine exzessiven Grade erreicht. Die Stauung ist viel deutlicher als das Odem. An einzelnen Gefäßen sieht man ein deutliches lymphoides Infiltrat ganz umschrieben in den Meningen. Im Gewebe selbst sind die Gefäße auffällig wenig sklerotisch verändert und zeigen in ihrer Umgebung nur an einzelnen Stellen Desintegrationen. Über dem Okzipitallappen ist ein deutliches Ödem und ein Einwachsen der Glia in die Pia zu sehen. Hier sieht man auch freie Zellen im Gewebe, aber auch hier tritt in aller- erster Linie die starke Dilatation der Venen hervor. Einzelne Gefäße sind von Leukozyten-Thromben erfüllt. Es muß immer wiederholt werden, daß die Gefäße ver- hältnismäßig zart sind, in ihren Wandungen keineswegs dem Alter entsprechend. Das größere Ödem findet sich in der weißen Substanz. Hier sieht man schon starke Lücken und daneben auch eine Quellung des Gewebes, besonders der Axone.

Wenn wir nun die Ganglienzellen ins Auge fassen, so sind sie diffus degeneriert, zeigen aber auch hier keine so intensive Zerstörung wie in den früheren Fällen. So kann man besonders bei einzelnen größeren noch ein feinkörniges Tigroid sehen, wobei die Zellen geschwollen sind. Hauptsächlich findet sich die schwere Degeneration Nissls mit Stippchen und Auflösung vom Rande. Es besteht auch hier cin ziemlich starker Zellausfall, besonders in den peripheren Schichten, außerdem gerade in diesen Schichten Schrumpfungsprozesse in den Zellen. Die Glia zeigt hier eine starke Reaktion. Es kommt an einzelnen Stellen zu Strauchwerkbildung. Auch sonst sieht man die Glia mehr fibrös als zellig im Gewebe vermehrt. Wie schon erwähnt, betrifft der Prozeß das Mark mehr als die Rinde. Hier ist das Ödem stärker, die Gliazellenwucherung deutlicher und besonders deutlich die Schädigung der Achsenzylinder. Der Prozeß in den Stammganglien zeigt wiederum die Stauung in den Gefäßen, aber auch ein sehr deutliches Ödem besonders unter dem Ventrikel. Auch ein Status desintegrationis ist zu sehen. Das Ödem ist hier sehr deutlich. Perivaskulär sieht man geronnene Ödem- flüssigkeit. Die Zellschädigung ist eine sehr weitgehende und betrifft sowohl die groBen als die kleinen Zellen. Die Zellen sind homogen oder zeigen im Innern ein Wabenwerk mit feinsten Septen. Auch hier ist die Veränderung im Mark stärker als in der grauen Substanz. Nirgend eine Spur von Blutung oder Erweichung zu sehen, nur Ödem, vor allem aber venöse Stauung. Es ist bei dem Alter der Patientin wohl selbstverständlich, daß in den Zellen eine ziemlich hochgradige Lipoidose sich findet; die Homogenisation aber und die wabig-vakuoläre Degeneration herrschen in den Zellen vor. Auch im Thalamus und den angrenzenden Partien des Thalamus finden sich analoge Verhältnisse.

Im Brückengebiet zeigen sich zahlreiche Corpora amylacea, die sonst in den beschriebenen Gebieten nicht sehr reichlich waren. Hier sind die Zellen zum Teil erhalten, zum Teil axonal degeneriert, besonders die des Locus coeruleus. Im Brücken- fuß ist das Ödem viel stärker und die Zellen sind homogenisiert, etwas geschrumpft. Auch hier sieht man die Gliawucherung bereits sehr deutlich.

Im Kleinhirn ist die Pia ganz analog wie im Großhirn. Die Molekularschichte

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zeigt Strauchwerk, die Körnerschichte deutlichen Ausfall der Purkinjeschen Zellen. Der Kern ist homogen und läßt keine Differenz zwischen Kernkörperchen und Kern erkennen. Auch im Nucleus dentatus ist Homogenisation. Aber die Zellen sind eher gebläht, trotzdem der Kern homogen geschrumpft ist. Die sonst im Senium be merkten Veränderungen des Kleinhirns, wenn man von der Körnerschichte absieht, sind nicht wahrzunehmen. Es handelt sich im wesentlichen um einen Ausfall von Purkinjeschen Zellen, schwere Schrumpfung auch bezüglich des Kerns. Auffallender- weise ist die Glia. wenn man vom Strauchwerk absieht, hier nicht sonderlich ver- mehrt.

Die Medulla oblongata zeigt sehr reichlich Corpora amylacea sowohl in der Peripherie als auch diffus. Kein Gebiet ist verschont; Ödem und Stauung. Auch hier fällt wieder die schwere Affektion der Olivenzellen zunächst ins Auge. Sie sind vollständig homogen geschrumpft, mit spießigen Fortsätzen. Ein großer Teil ist ge- schwunden und man kann diesen Schwund verfolgen, indem solche Zellen abblassen, ganz homogen werden und als Zellschatten schwinden. Auch hier sind reichlich Corpora amylacea und es hat manchmal den Anschein, als ob eine Zelle in ein solches Corpus amylaceum übergehen würde. Auch die übrigen Zellen der Medulla oblongata haben schwer gelitten.

Das Rückenmark zeigt die Gefäße etwas weniger gut, die Pia verdickt, die Pia- balken homogen. Auch die Gefäße zeigen eine Homogenisation der Wand, auffallendes Ödem der weißen Substanz, weniger der grauen. Auch hier wieder leichte Schwellung der nicht zugrunde gegangenen Axone.

Die Ganglienzellen sind, soweit die großen in Frage kommen, verhältnismäßig gut erhalten. Die kleinen Zellen zeigen Degeneration und Schwund, doch tritt auch hier überall das Ödem sehr deutlich hervor. Hie und da sieht man wohl in den ab- hängigen Partien des Rückenmarks, das ist also in der Lumbalanschwellung und im Sakralmark, eine diffuse axonale Degeneration.

In Cajal-Präparaten sieht man eine deutliche Gliavermehrung.

In diesem Fall ist stellenweise die tangentiale Faserschichte sehr gut gefärbt. Stellenweise läßt die Färbung aus. Es ist von großem Interesse, daß gleichzeitig mit der besseren Färbung der tangentialen Faserschicht auch die Fasern in der Tiefe besser gefärbt sind.

Im Striatum sieht man deutlich die Bündel gut gefärbt. Nur an einzelnen Stellen sind Aufhellungen zu sehen, die sicherlich pathologischer Natur sind.

Etwas weniger gut ist das Kleinhirn gefärbt, indem hier die feinen Fasern zum Teil zugrunde gegangen sind.

Fassen wir zusammen, so zeigt sich bei einer 76 Jahre alten Frau, die an einer Cholelithiasis gelitten hat und dann durch eine Infektion von Staphylococcus pyogenes aureus, Speicheldrüsenabszeß bekam und inner- halb weniger Tage zugrunde ging, ein verhältnismäßig nicht so schwerer Befund wie in den früheren Fällen.

Die Pia zeigt vorwiegend Stauung der Venen, hie und da ein kleiner Infiltratherd und nur im Rückenmark Quellung der Bindegewebsfibrillen. Die Gefäße sind für das Alter auffallend zart. Keine Spur irgendeiner Ver- kalkung, vielleicht daß sie ein wenig dichter in der Wand sind, aber jeden- falls außer der Hyperämie kein auffallendes degeneratives Moment in der Wand zeigen. Nur im Rückenmark sieht man wiederum die Homogenisa- tionen. Auch perivaskulär ist die Desintegration verhältnismäßig gering. Das Ödem betrifft weniger die graue als die weiße Substanz, wo auch Quellungserscheinungen deutlicher sind. Die Ganglienzellen sind diffus ver- ändert, die Verfeltung verhältnismäßig geringfügig, am häufigsten die schwere

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Degeneration, keineswegs die im Senium sonst so häufigen Schrumpfungen und Homogenisationen. Auffälligerweise betrifft diese nur die Purkinjeschen Zellen und die Olivenzellen, die stellenweise auffallen. Der Nucleus dentatus, der gleichfalls schwer getroffen ist, zeigt die Zellen eher gebläht. Auch in den abhängigen Partien des Rückenmarks ist axonale Degeneration an den Vorderhornzellen zu finden. Die Glia ist mehr fibrös als zellulär vermehrt. Nirgend eine Blutung oder größere Erweichung.

IV. Fall. R. G., 21 Jahre alte Frau. Belanglose Anamnese. Ein normaler Partus (Mitte September 1929). Ende November 1929 plötzliches Auftreten von Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Ödem der Augenlider. Diese Ödeme generalisieren sich. Die Patientin wird im Krankenhaus aufgenommen. Trotz aller Behandlungsversuche starb sie am 25. April 1930.

Die Obduktion ergibt eine Nephrosis lipoidea. Qedema anasarca. Hydrothorax dexter. Hydropericardium. Hydrops ascites. Oedema cerebri et leptomeningum. Rhinitis catarrhalis, haemorrhagica acuta subsequente septicaemia pneumo- mycotica, Erosiones superficiales cutis regionis genitalis et perinei pneumococcus infectae. Pneumonia lobularis lobi medii et infer. dextri.

Vom Hirn wird noch bemerkt, daß die harte Hirnhaut stark gespannt, die weichen Hirnhäute sowie die Hirnsubstanz selbst hochgradig flüssigkeitsreich.

Abstrich aus der Schnittfläche der großen Labien ergibt: Leukozyten, Diplokokken, Streptokokken und plumpe Gram-positive Stäbchen.

Die histologische Untersuchung ergibt:

Starkes Odem der Meningen, die aber zart sind. Ziemlich viel freie Zellen in den Meningen. Sie sind lymphoider und leukozytärer Natur. Starkes Ödem der Hirn- rinde. Die Gefäße sind stellenweise strotzend mit Blut gefüllt. Hier sind deutliche Wandveränderungen sichtbar, die nicht nur die Intima treffen, sondern auch die anderen Wandteile, die zu Homogenisation neigen. Auffallend sind an einzelnen Gefäßen die Desintegrationen der Umgebung, aber nur an einzelnen, keineswegs an allen. Nirgend ist eine Blutung zu sehen. An einzelnen Stellen sieht man, besonders im Nissl-Priiparat, in der Pia reichliche Infiltratzellen. Das Infiltrat läßt neben lymphoiden Elementen deutlich Leukozyten, mono- und polynukleären, auch solche mit fragmentierten Kernen erkennen. Bei genauerem Zusehen sieht man auch in der Hirnrinde selbst an einzelnen Gefäßen teils die Glia vermehrt, teils einzelne lymphoide Elemente an der äußeren Wand. Auffällig ist die Schwellung der Endothelzellen und in der Molekularschichte eine sichtliche Zunahme von Gliaelementen. Ferner zeigt sich in den Zellen schwerste Degeneration. Einzelne Zellen zeigen ein grobes Netz im Innern, das vom Rande her wie eingerissen ist, außerdem eine feinste Granulierung. Die Kerne sind kaum zu erkennen und wo sie noch deutlich sind, liegt das Kemkörper- chen gewöhnlich am Rand und die Kernwand ist verbreitert und verdickt. Manche Zellen sind in ein feinstes Wabenwerk aufgelöst. Auch die großen Zellen zeigen eine Verklumpung des Tigroids oder Auflösung in feinste Körnchen oder aber ebenfalls ein Wabenwerk in der Zelle. Die Gliareaktion ist verhältnismäßig nicht sehr stark, aber in diesem Falle schon deutlicher, ohne jedoch zu Knötchenbildung Veranlassung zu geben. Auch die Gliazellen zeigen Auflösungserscheinungen. Die Veränderungen sind in allen Schichten ziemlich gleich. Manchmal ist eine der vakuolisierten Zellen ge- schrumpft und abgeblaßt. An einzelnen Stellen des Gehirns, z. B. im Okzipitallappen, zeigt sich fast eine veritable Meningitis. Die Zellen sind hier besonders in den tieferen Schichten geschädigt. Auch zeigt sich in diesen tieferen Schichten, ähnlich wie in den höheren, eine Vermehrung der Satelliten. Das Ödem in der weißen Substanz ist stärker wie in der grauen. Im Striatum ist das Ödem auch sehr ausgesprochen (Abb. 12). Hier sieht man die Desintegration an einzelnen Gefäßen besonders gut. Man kann auch einen kleinen Nekroseherd erkennen, der bereits eine reaktive Gliawucherung in der Umgebung zeigt. An einzelnen Stellen ist ein direkter Status cribrosus zu sehen.

Dr. Gisaku Kobayashi.

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Abb. 12. Fall IV. Desintegration im N, candatus.

Abb. 13. Fall IV. Gefäßwandinkrustation.

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Subependymär Stauung in den Gefäßen. Die Zellschädigung ist hier eine sehr weit- gehende und trifft große und kleine Zellen. Die ersteren sind vielfach geschwunden. Das Ödem ist auch in den kaudaleren Abschnitten hier viel größer als in der Rinde. Die Gefäßwände sind vollständig homogenisiert. In den Gefäßwänden eigentümliche Einlagerungen von Konkrementen (Abb. 13). Auch sonst im Gewebe eigentümliche Detritusmassen, die an Hämalaun-Eosin-Präparaten blau gefärbt sind. Alle Gefäße, die hier zu sehen sind, zeigen diese Inkrustationen. Nochmals sei die schwere Degene- ration der Zellen in diesem Gebiete betont. Auch in den tieferen Partien ist das Ödem sehr dicht, so im Thalamus und im Mesenzephalon. Hier gilt für die Gefäße das gleiche. Sie sind allenthalben schwerst geschädigt. Auch in der Brücke sieht man ein Gleiches. Die mitgeschnittene Zirbeldrüse ist auffallend mächtig entwickelt, zeigt kaum noch Involu- tionserscheinungen. Nur an einer einzigen Stelle ist ein Gliaplaque und an einer anderen eine Zyste zu sehen, Corpora arenacea werden vermißt. Im Cerebellum ist die Pia gleichfalls verändert. Das Ödem ist besonders im Mark, aber auch in der Rinde sehr ausgeprägt. Auch hier ist der piale Prozeß entzündlich. Am stärksten ist das Ödem in der Tiefe um den Nucleus dentatus herum. Die Parenchymschädigung trifft die Purkinjeschen Zellen, die aber, zum Unterschied von denen der vorderen Abschnitte, eher dunkler gefärbt sind, homogenisiert. An einzelnen zeigt sich eine Verbreiterung der Fortsätze. Die Körner sind weniger geschädigt, wie denn überhaupt hier das Ödem der Rinde wesentlich geringer ist als im Mark. Sehr geschädigt sind wieder die Zellen des Nucleus dentatus, die deutlich Schrumpfungserscheinungen erkennen lassen, mit Homogenisation und deutlicher Gliawucherung. Auch Ausfälle an Zellen sind sichtbar. Die Glia ist selbst in der Rinde verhältnismäßig wenig beteiligt.

Medulla oblongata: Auch hier Ödem und Gefäßveränderungen. Auffallend gut erhalter. ist der Hypoglossuskern und der Vaguskern. Die Olive zeigt ähnliche Ver- hältnisse wie der Nucleus dentatus, d. h. die Zellen sind mehr homogenisiert, nur einzelne sehr blaß; sichtlich sind die Zellen geringer als es der Norm entspricht. Jedenfalls ist auch hier die Olive am schwersten geschädigt.

Medulla spinalis: DiePia ist analog den oberen Partien verändert, die Gefäße diekwandig, aber nicht so homogenisiert wie im Striatum. Auch hier Ödem, besonders in der weißen Substanz. Die Vorderhornzellen sind verhältnismäßig gut erhalten, wenn ausgesprochen.

Cajal-Präparate der Hirnrinde zeigen die Glia reichlich, aber ohne deutliche patho- logische Formen. Besonders fehlt die Amöboidose. Auffallend gute Färbung der Rinde, die nur in den Partien mit etwas Ödem fleckig wird. Im Striatum sind die Bündel, die das Striatum durchsetzen, etwas aufgehellt. Im Kleinhirn deutlich Färbung auch der Fasern in der Körnerschichte.

Zusammenfassung.

Bei der 21 Jahre alten Patientin hat sich im Anschluß an eine Geburt eine Nephrose entwickelt mit Ödem, offenbar von den Labien aus septische Infektion mit Pneumokokken.

Dieser Fall ist für die Beurteilung deshalb schwer, weil man hier die Konkurrenz einer Nephrose mit einer Pneumokokkensepsis in Betracht ziehen muß und sich überdies noch Streptokokken und Gram-positive Stäbchen im Ausstrich finden. Hier ist eine echte Nephritis im Vordergrund. Das Exsudat besteht aus lymphoiden Elementen und Leukozyten und auch Zellen mit fragmentierten Kernen und ist generell sowohl im Gehirn als auch im Rückenmark. Das Ödem ist sehr ausgesprochen. Am wesentlichsten sind die Gefäßschädigungen bei dem verhältnismäßig jungen Individuum. Diese fanden sich besonders ausgesprochen im Striatum, wo sich reichlich Niederschläge von Pseudokalk sowohl an den Gefäßen als frei im Gewebe zeigen. Ferner

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kann man perivaskulär auch schon in der Rinde, besonders aber wiederum im Striatum, Desintegrationen wahrnehmen. Nirgend eine Blutung. Die Ganglienzellen der Rinde sind schwerst gestört. Auch die größeren zeigen als charakteristischeste Veränderung eine feinnetzige Grundsubstanz oder feinste Körnchen im Innern. Solche Zellen schwinden, indem sie sich vom Rande her auflösen. Sehr viele schwere Kerndegenerationen sind hier zu sehen. In den übrigen Teilen ist eigentlich vorwiegend die Olive, der Nucleus dentatus und auch andere große Zellen ergriffen, aber ohne die Zeichen der Zellveränderung der Hirnrinde. Sie sind mehr homogen, tief dunkel gefärbt, geschrumpft und ohne Kern. Die Gliareaktion ist hier etwas stärker als in den früheren Fällen, ohne jedoch die Knötchenbildung zu zeigen. Abnorme Gliazellen oder schwere Degeneration der Glia wird ver- mißt.

V. Fall. P. J., 10 Jahre alter Knabe. Der Patient steht seit zwei Monaten in Zahnbehandlung. Acht Tage vor seiner am 21. April 1930 erfolgten Aufnahme bekam der Patient starke Zahnschmerzen, eine Schwellung um den erkrankten Zahn und Eiter- entleerung daselbst. Die Geschwulst wurde mit einem unsterilen Löffel zu Hause er- öffnet. Die Beschwerden wurden ärger. Zwei Tage später Schwellung der Halsdrüsen. Am 22. isl der Patient apathisch. Am 23. wird der erste Molar links extrahiert und ein bogenförmiger Schnitt längs des linken Mandibularbogens ausgeführt, um dem Eiter Abfluß zu verschaffen. Am 24. nimmt die Temperatur ab. Der Patient fühlt sich leichter, die Schwellung der Wange aber hat zugenommen. Am 26. ergibt der dermato- logische Befund eine Pyodermie, die nach ihrer atypischen Anordnung einer meta- statischen Pyämie entsprechen wird. Am 27. starke Schmerzen und am 28. April um 3 Uhr früh exitus letalis.

Die Obduktion ergibt:

Periostitis acuta suppurativa supramandibulam totam e carie dentis VII inf. lateralis sin. subsequente phlegmone late extensa textus faciei et regionis retromandi- bularis colli. Thrombophlebitis venae jugularis sin. subsequente septicopyaemia. Absces- sus metastatici pulmonum et renis dextri. Degeneratio parenchymatosa viscerum.

Die histologische Untersuchung ergibt:

In der Pleura reichliche Gram-positive Kokken, vorwiegend in Haufen. In der Milz keine Mikroorganismen. In der Haut und in der Lunge reichliche Staphylokokken. Im Kiefer finden sich Gram-positive Kokken in Ketten und Haufen, zarte, plumpe Gram-positive Stäbchen und Gram-negative Kokken und Stäbchen. In den Halslymph- driisen finden sich Staphylokokken. Die Kulturen ergaben in allen Organen Staphy- lococcus pyogen. aureus.

Die Pia zeigt deutliche Hyperämie und Ödem. An den Gefäßwänden sieht man bereits eine Homogenisation. Ein Infiltrat selbst wird vermißt. Die Hirnrinde zeigt gleichfalls ein deutliches Ödem, besonders perivaskulär. Hier sind aber perivaskulär Häufchen von Exsudatzellen zu sehen, jedoch nur an den Arteriolen. Man sieht Leuko- zyten, mononukleäre und solche mit kipfelförmigem Kern, auch Lymphozyten, aber keine Eiterkörperchen. Die Intima dieser sehr weiten Gefäße zeigt die Kerne ganz flach, längsgestreckt, wie wenn sie komprimiert wären. Eine Struktur des Kerns ist nicht mehr zu erkennen. Die Intima selbst ist auf ein ganz zartes homogenes Häutchen reduziert. An anderen nicht so ausgedehnten Kapillaren kann man zunächst eine deut- liche Quellung der Kerne erkennen. Aber man sieht alle Übergänge von Quel- lungen zu dieser eben geschilderten schweren Degeneration. Eine Blutung ist in diesem Gewebe nirgends zu sehen. Dagegen kann man erkennen, daß an einzelnen Gefäßen perivaskulär eine leichte Desintegration sich findet. Die Ganglienzellen zeigen ver- schiedene Grade der Degeneration. Sehr viel wabig-vakuoläre Degeneration mit Auf-

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lösung von der Peripherie ist hier vertreten. Im großen und ganzen sind die Zellen aber in ihrer Form erhalten. An einzelnen sieht man feine Granulationen, manche sind dunkel, manche abgeblaßt. Der Zellkern selbst zeigt schwere Veränderungen, besonders Wand- hyperchromatose. Auch Quellungen sieht man an den Ganglienzellen. Die Gliareaktion ist auffallend stark. Man sieht hier schon stellenweise Knötchenbildung und begin- nende Neuronophagie. An einzelnen Stellen des Frontallappens wird das Ödem der Meningen mächtig und es tritt auch eine deutliche Vermehrung der zelligen Ele-

Abb. 14. Fall V. Brückengebiet, Gefäßwandinfiltrat. Ganz dorsal kleiner embolischer Herd.

mente auf. Auch hier fällt auf, daß diese Elemente wohl Leukozyten und Lymphozyten, ferner ganz degenerierte Zellen sind, aber Eiterkörperchen werden vollständig vermißt. Auch in den anderen Partien der Hirnrinde läßt sich die Gefäßschädigung sehr leicht nachweisen. Nirgend ist ein Eiterkörperchen zu sehen, überall nur Leuko- bzw. Lympho- zyten. Auch die Vermehrung der Glia an einzelnen Stellen ist deutlich; man kann hier wohl schon von Entzündung sprechen. An anderen Stellen zeigt sich wiederum nur die übermäßige Erweiterung der Gefäße, die strotzend mit Blut gefüllt sind und die charakteristische Wandveränderung aufweisen. Nirgend aber ein Blutaustritt. Auch in der Gegend des Amonshorns finden sich die gleichen Verhältnisse. Im Striatum tritt gleichfalls eine starke Gefäßschädigung hervor. Es liegen sonst die Verhältnisse analog

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wie in der Hirnrinde. Auch hier ist die Vermehrung der kleinen Gliazellen sehr deut- lich. Stellenweise sieht man ganz kleine Nekroseherde dicht angeschlossen an die Ge- fäße. Auch die Ganglienzellen sind schwerst geschädigt. Die subependymalen Gefäße sind besonders schwer geschädigt. Einzelne der Gefäße sind stark mit Blut gefüllt und zeigen eine fast aneurysmatische Erweiterung. Um einzelne Gefäße im Nucleus caudatus befindet sich perivaskulär ein Ödem, das ein feinfädiges Netzwerk darstellt. Im Thalamus opticus findet sich an einer umschriebenen Stelle zunächst ein kleinerer Nekroseherd, der keinerlei zellige Elemente zeigt, nur ein Netzwerk aus Glia. Hart

Abb. 15. Fall V. Degenerierte Zellen aus dem Seitenhorn des Rückenmarks.

daran liegt dann eine Anhäufung von Zellen, und zwar Leukozyten mit typischen Kernen, mononukleären und polynukleären, aber auch solche mit fragmentierten Kernen. Betrachtet man die Gefäße der Umgebung, so zeigen sie neben der gewohnten Er- weiterung verhältnismäßig wenig Infiltratzellen, weniger jedenfalls als im Cortex. Eher läßt sich noch das Ödem am Gefäße nachweisen. Im ganzen Gebiete des Thalamus und der angrenzenden Mittelhirnpartien ist die Tendenz zur Nekrotisierung sehr deutlich.

Im Brückengebiet zeigt sich der Ventrikel etwas erweitert, die Veränderungen sonst konform den eben beschriebenen. An einzelnen Gefäßen macht sich eine Homo- genisation der Wand bemerkbar sowie Herde von weißen Blutkörperchen (Abb. 14).

Im Kleinhirn fällt zunächst das Ödem auf, das genau die Dimensionen wie im Großhirn zeigt. Die Purkinjeschen Zellen zeigen eine deutliche Schwellung ihrer Fort-

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sätze. Sie sind stark vermindert. Die erhaltenen lassen aber außer der geschilderten Quellung nur eine Hoimogenisation, gelegentlich eine Abblassung und einen körnigen Zerfall des Plasmas erkennen. Das Plasma besteht aus lauter kleinen Körnchen. Auffallend ist der Schwund der Kerne, der ganz das Bild des senilen an sich trägt. Im Nucleus dentatus findet sich sehr schwere Degeneration. Hier sind die Zellkerne homogen geschrumpft, die Zellen homogen. Von einzelnen sind nur mehr Schatten vorhanden.

Medulla oblongata: Hier fällt vor allem die schwere Zelldegeneration ins Auge. Sie betrifft weniger die großen Zellen des Hypoglossus als jene des Vagus, die von der axonalen Degeneration angefangen bis zur Schattenbildung alle Veränderungen erkennen lassen. Gegenüber diesen an sich schon schweren Veränderungen ist aber die Veränderung der Olive besonders hervorzuheben. Hier sind alle Kerne homogen ge- schrumpft, die Zellen ebenfalls ganz homogen, einzelne ausgefallen und ganz blab. Die Pia zeigt auch hier wieder dieses eigentümliche, schon an früheren Präparaten beschriebene Bild der Quellung der Bindegewebsfasern, die zu einer homogenen, im Hämalaun-Eosin-Präparat blaß-rötlich gefärbten Masse zusammensintern.

Die Gefäße sind stark erweitert. Ödem im Gewebe. Auch der Zentralkanal in den unteren Teilen der Medulla zeigt eine starke Erweiterung.

Im Rückenmark ist eine Piaverdichtung, Ödem besonders in der weißen Substanz. Die Vorderhornzellen sind verhältnismäßig gut erhalten. Der Zentralkanal ist er- weitert, auffallend schwere Degeneration der Zellen im Seitenhorn (Abb. 15). Im Dorsalmark sind auch die Vorderhornzellen stärker affiziert, am schwersten aber sind die Seitenhornzellen betroffen, die das Bild der schweren Degeneration zeigen, wäh- rend die Vorderhornzellen verhältnismäßig gut erhalten sind.

Im Lendenmark zeigen sich die Vorderhornzellen verhältnismäßig intakt. Die kleineren Zellen im Hinterhorn lassen jedoch Quellungserscheinungen besonders an den Dendriten erkennen. Cajal-Präparate zeigen in der Rinde eine auffallend gute Färbung der plasmatischen Gliazellen, besonders jener an den Gefäßen.

Hier fehlen die feineren Fasern auffallend. Dagegen sind die Radien gut gefärbt. Im Striatum sieht man auch hier gelegentlich im Zentrum der Bündel Aufhellungen. Das Kleinhirn zeigt sich keineswegs so gut gefärbt wie in den vorigen Fällen. Im Rückenmark läßt sich eine Differenz in der Färbung gegenüber der Norm nicht er- kennen.

Zusammenfassung.

In einem Fall von Staphylokokkus-Pyämie, bei dem daneben eine In- filtration mit Gram-positiven Kokken zu finden war, zeigt sich stellenweise nicht nur Ödem der Meningen, sondern beginnende Meningitis. Die Gefäße sind hier in doppelter Weise geschädigt:

1. durch Quellung der Intima,

2. durch Überdehnung, Homogenisation der dünnen Wand, beginnende Nekrose der Kerne. An einzelnen Stellen nimmt diese Überdehnung nur umschriebene Partien ein und bildet kugelförmige Auftreibungen. Peri- vaskulär die Einschmelzung des Gewebes verhältnismäßig gering. Dagegen findet sich an einzelnen Stellen ein lymphoides und leukozytäres Exsudat. An einer einzelnen Stelle im Thalamus läßt sich ein kleiner Herd von Leukozyten, zum Teil schon mit fragmentierten Kernen, an eine Nekrose anstoßend finden. Das Parenchym ist in bezug auf die Ganglienzellen in dreierlei Weisen geschädigt:

a) durch schwere Degenerationen: Wabig-vakuoliire in den Rinden-

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 17

258 Dr. Gisaku Kobayashi.

zellen, den Zellen des Striatum; weiters Zellausfall und mehr Quellung in den Purkinjeschen Zellen des Kleinhirns,

b) Homogenisation und Schrumpfung von Zellen und Kernen in der Olive und im Nucleus dentatus und

c) zeigt sich im Seitenhorn des Riickenmarks eine schwere Degenera- tion der Zellen bei verhältnismäßig intakten Vorderhornzellen; ferner auf- fällige Wucherung der Gliakerne fast bis zur Bildung von Knötchen und be- ginnenden Neuronophagie.

Wenn wir auch nur fünf Fälle haben, so wurden diese Fälle doch durch das gesamte Zentralnervensystem untersucht und es ergaben sich immerhin bemerkenswerte Aufschlüsse zum Verständnis der Veränderungen, die bei pyämischen bzw. septiko-pyämischen Prozessen im Gehirn nachzu- weisen sind.

Zuerst wollen wir ein paar Worte über die Frage der Infektionen anführen.

Es ist immerhin auffällig, daß wir eine einfache Infektion nur in einem Falle finden, wobei es auch hier nicht sicher ist, ob nicht auch dieser Fall eine Doppelinfektion gezeigt hat. Ob es sich bei einer solchen um das Eindringen eines zweiten Infektionserregers gehandelt hat oder aber ob hier durch die Infektion ein zweiter Erreger mobilisiert wurde, läßt sich natürlich nicht entscheiden. Aber es ist doch auffallend, daß unter fünf Fällen in vieren eine Doppelinfektion nachzuweisen war.

Was nun die Veränderungen im Zentralnervensystem anlangt, so müssen wir unterscheiden: erstens Veränderungen des Parenchyms, d. h. der Ganglienzellen und Nervenfasern, zweitens solchen der Glia und drittens solchen des Mesoderms.

Bezüglich der Ganglienzellen können wir anführen, daß in keinem Falle Veränderungen gefehlt haben, daß aber in keinem Falle die Verände- rungen spezifisch gewesen sind. Wir konnten nebeneinander wabig-vakuoläre Degeneration, die schwere Degeneration Nissls, in einzelnen Fällen axonale Degeneration und das, was Nissl als chronische Ganglienzellerkrankung ansieht, finden.

Es ist interessant, daß diese Veränderungen nicht in allen Teilen gleich sind, sondern daß sich schwere Veränderungen oder wabig-vakuo- läre Veränderungen vorwiegend in der Hirnrinde finden. Die Homogeni- sation also, das was man vielleicht als Koagulationsnekrose bezeichnen kann, zeigt sich vorwiegend im N. dentatus cerebelli und in der Olive. Die axonale Degeneration läßt sich in der Medulla oblongata und auch im Rücken- mark erkennen, wobei keineswegs gesagt ist, daß nicht auch hier in ein- zelnen Zellen schwere Degeneration oder Koagulation sich findet. Auch das Kleinhirn zeigt in den Purkinjeschen Zellen mitunter Schwellungserschei- nungen. Wie man sieht, sind also alle Formen von Ganglienzelldegeneration im Gehirn und Rückenmark nachweisbar, nur mit dem Unterschied, daß an einzelnen Stellen besondere Degenerationstypen hervortreten. Am meisten fällt

Untersuch. üb. d. Veränderungen d. zentralen Nervensystems bei Septiko-Pyämie. 259

in die Augen, daß die Olive und der N. dent. fast immer degeneriert waren und daß in einem Fall besonders die Zellen des Seitenhorns im Rückenmark eine schwere Degeneration aufwiesen. Das ist deshalb besonders bedeutungs- voll, weil die klinischen Erscheinungen solcher septischer Prozesse viel- leicht auf diesem Wege eine Erklärung finden, besonders Erscheinungen seitens des Tonus und der Vasomotoren. Es erscheint mir auch wichtig darauf hinzuweisen, daß die verschiedenen Abschnitte des Gehirns in be- zug auf die Ganglienzellveränderung ein ganz verschiedenes Verhalten zeigen und dab man auf diese Eigentümlichkeit wird Rücksicht nehmen müssen.

Was nun die Glia anlangt, so hat sie verhältnismäßig wenig gelitten. Sie zeigt deutliche Zeichen der Aktivität. Anderseits aber muß man zu- geben, daß besonders die Oligodendroglia auch Zeichen destruktiver Ver- änderungen aufweist. In allen Fällen ist ein deutliches Ödem zu sehen, demzufolge die Gliamaschen an einzelnen Stellen ziemlich weit sind.

Am wesentlichsten erscheinen uns die Veränderungen des Mesoderms. Wir sehen ein Ödem der Meningen stellenweise so weit vorgeschritten, daß man von entzündlichem Ödem sprechen kann. Ferner sehen wir schwere Veränderungen an den Gefäßen. Gerade dieser Umstand erscheint hier be- deutungsvoll. Abgesehen von einer Schwellung der Intimazellen und einer Homogenisation und blasseren Färbbarkeit der Elastika, kann man in ein- zelnen Teilen auch eine vollständige Homogenisation der Media und Adventitia wahrnehmen; ja in einem Falle ist es bereits zur Verkalkung des Gefäßes gekommen, trotzdem unsere Fälle kaum 14 Tage bestanden hatten und es sich zum Teil um ganz junge Individuen handelte. Nirgend haben wir eine Blu- tung gefunden. Auffallend war es auch, daß in einer Reihe von Gefäßen bei verhältnismäßig intakter Wand perivaskulär ein Ödem auftrat und daß es hier auch perivaskulär zu Desintegrationsherden gekommen ist. Es sind durchwegs schwere Gefäßschädigungen, die man hervorheben muß. Es er- scheint diese Tatsache von ganz besonderer Bedeutung, weil sie zeigt, daß nicht nur das funktionelle Moment bei der Frage der Gefäßschädigungen in Betracht zu ziehen ist, sondern auch das anatomische und daß wenige Tage septischer Infektion genügen, um schwere Schädigungen in der Gefäßwand und deren Umgebung herbeizuführen.

Nur in einem einzigen Fall haben wir einige kleine embolische Herde gefunden. Sonst war der Prozeß immer ein genereller. Auffallen muß es ferner, daß, wenn wir von dem entzündlichen Ödem absehen, eine reine Entzündung im Nervensystem nicht nachzuweisen war, lediglich schwerste Störungen des Parenchyms und auch des Mesoderms. Wie erwähnt, sind die Fälle, die wir beobachteten, alle nur von kurzer Dauer, so daß wir vielleicht in diesem Umstand die Ursache für das Ausbleiben weitergehender Schädigungen haben. Jedenfalls zeigt sich, daß das Zentralnervensystem bei septischen oder pyämischen Prozessen in schwerster Weise in Mitleiden- schaft gezogen wird, wobei alle Teile des Zentralnervensystems betroffen erscheinen.

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Aus dem Neurologischen Institut der Universitit Wien, Vorstand Prof. Dr. O. Marburg.

Vergleichend-anatomische Untersuchungen über den sogenannten akzessorischen Abduzenskern. Von

Dr. Tameo Nakamura (Tokio). Mit 9 Abbildungen im Text.

Ahnlich wie beim Hypoglossuskern, findet man auch in der Nahe des Abduzenskerns Gruppen kleinerer Zellen, die von den verschiedenen Autoren verschieden beurteilt werden.

Schon im Jahre 1893 hat van Gehuchten bei einem Hühnerembryo beobachtet, daß nicht alle Wurzelfasern des N. VI aus einem einheitlichen Kern kommen. Er schreibt (Übersetzung): „Eine große Anzahl dieser Fasern haben ihre Ursprungszelle in einer grauen Masse in der Nachbarschaft des N. facialis gelegen.“ Ferner meint er, daß er nicht wisse, ob dasselbe auch beim Menschen der Fall ist.

Ein Gleiches berichtet auch Held aus dem gleichen Jahre. Der N. ab- ducens kommt nach ihm zum Teil aus dem Abduzenskern. Vereinzelte Wurzel- fasern kommen jedoch auch aus zerstreuten multipolaren Ganglienzellen der Formatio reticularis.

Lugaro befaßt sich des näheren mit diesen aberrierenden Fasern und meint, sie fänden ihren Ursprung in einer Zellgruppe, die zwischen dem eigentlichen Fazialiskern und dem Kaumuskelkern derart eingeschaltet ist, daß er fast wie eine Verbindung der beiden Kerne erscheint. Er ist der erste, der aufmerksam macht, daß die Zellen dieses Sekundärkerns kleiner sind.

Die genaueste Beschreibung dieses akzessorischen Abduzenskerns gibt Pacetti. Er hat durch Zufall einen Fall mit einer rechtsseitigen angeborenen Abduzenslähmung gefunden. Er findet Zellen zwischen den Fasern der radi- kulären Abteilung des N. facialis und meint, sie seien größer als die eigent- lichen Zellen des Abduzens, was im Widerspruch mit den Angaben von Lugaro steht. Er bezeichnet diese Zellgruppe als akzessorischen Abduzens- kern. Allerdings bemerkt er scine Inkonstanz auch bei Tieren. Deshalb meint er mit Rücksicht auf die Tatsache, daß der Kern von van Gehuchten bei einem Hühnchen gefunden wurde, daß es sich in seinem Falle um eine Rückschlagsbildung handle.

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 263

Giannuli, der diese Zellgruppe gleichfalls findet, schlieBt sich einer Anschauung von Siemerling und Bédeker an, die meinen, daß es sich hier um abgesprengte Teile des Fazialiskerns handle, zumal er ihn bei Menschen nach Atrophie des Abduzenskerns völlig normal gefunden hat. Die eben genannten deutschen Autoren hatten nämlich in allen Fällen bei Menschen diesen sogenannten akzessorischen Abduzenskern bald näher, bald weiter vom Kern des Fazialis gelegen, gefunden. Er wird, wie das ja auch Pacetti beschrieben hat, von den Wurzelfasern des Fazialis (Wurzelschenkel) durchsetzt. An einzelnen Schnitten sahen sie nur drei bis vier, an anderen bis zwölf Zellen. Das Wesentlichste ist die Tatsache, daß sie ihn selbst in schwersten Fällen von Abduzenszerstörung nicht degeneriert fanden. Im Gegensatz dazu hat van Gehuchten experimentell feststellen können, daß dieser Kern nach Durchschneidung des N. VI stets degenerierte, während nach Durchschneidung des Fazialis die Degeneration ausblieb.

Bach dagegen meint, daß der Kern absolut nicht zum Abduzenskern gehöre.

Etwas näher befassen sich Kaplan und Finkelnburg mit diesem Kern von van Gehuchten bzw. dem sogenannten ventralen Abduzenskern. Er reicht spinalwärts nur bis etwa zum proximalen Drittel des Fazialiskerns. Er liegt keineswegs wie beim Kaninchen in der Mitte zwischen dem VI. und VII. Kern, sondern näher dem Abduzenskern, und zwar ein wenig lateral ver- schoben gegen eine Verbindungslinie, die den VI. und VII. Kern verbindet. Die Nervenfasern des Fazialis durchsetzen ihn, oder sie hüllen ihn ein. Die Zellen sind groß und zeigen die Charakteristika der motorischen Zellen. Auch sie nehmen an, daß die Zellen größer seien als die des Abduzenskerns, was sie zum Teil als Impression infolge der isolierten Lage ansehen. Sonst seien sie an Gestalt und Struktur den Abduzenszellen gleich. Sehr wichtig ist, daß sie die Behauptung Pacettis bestätigen können: Auf der Seite des atrophischen Abduzenskerns lasse auch der akzessorische Kern sich nicht nachweisen. Anderseits fanden sie den Kern bei Fazialiserkrankung intakt. Trotzdem sind sie sehr vorsichtig in der Zuteilung dieses Kerns zum Ab- duzenskern, weil seine Degeneration möglicherweise ein zufälliges Zusammen- treffen sein könnte, obwohl die Autoren selbst diese Annahme für unwahr- scheinlich halten. Das Wesentlichste ist, daß sie seine Konstanz beim Men- schen hervorheben und doch bis zu einem gewissen Grad die Zugehörigkeit zum Abduzenskern erweisen. Sie nennen ihn nicht ventralen Abduzens- kern, sondern um ganz objektiv zu bleiben, Van Gehuchtenschen Kern.

Später hat dann Wyrubow experimentell gezeigt, daß der in Frage stehende Kern zum Fazialis gehört. Er beschreibt ihn als im Niveau des N. reticularis pontis und der proximalen Partien des Fazialiskerns gelegen, etwas lateral und ventral vom Abduzenskern, medial von der austretenden Fazialiswurzel. Diese Lagebestimmung ist eigentlich nur zum Teil mit jener identisch, welche die anderen Autoren geben, die den Kern etwas weiter medialwärts gelegen gefunden haben. Er findet, daß die Zellen dieses Kerns

264 Dr. Tameo Nakamura.

vollständig identisch sind mit jenen des motorischen Fazialis und bezeichnet ihn deshalb als akzessorischen oder oberen Kern des N. facialis.

Tsuchida bestätigt im wesentlichen die Befunde von Held und Pacetti. Das Wesentlichste seiner Befunde ist jedoch, daß er sie nicht konstant er- heben konnte und daß er sie den kleineren Zellen der Substantia reticularis gleichstellt.

Vielleicht geben die Untersuchungen von Ariens Kappers über die Verlagerung der motorischen Oblongatakerne in phylogenetischer Beziehung einen Aufschluß über die ätiologischen Angaben der Autoren. Er zeigte nämlich, daß bei den Fischen der Fazialiskern mehr dorsal, der Abduzens- kern mehr ventral gelegen ist, während bei der weitergehenden phylogeneti- schen Entwicklung das Umgekehrte der Fall ist. Bei den Vögeln z. B. liegt der größere Teil des Fazialiskerns bereits ventral und nur ein kleiner Teil davon ist dorsal geblieben. Er meint, daß ein Ähnliches auch beim Abduzens- kern der Fall sei, indem der größere Teil bereits dorsal gelegen wäre, während ein ganz kleiner Teil sich noch in der ursprünglich ventralen Lage findet. Mit diesen phylogenetischen Auseinandersetzungen ist jedoch der Zusammenhang dieses isolierten Kernes nicht erklärt. Man müßte denn annehmen, daß zwei bestehen, einer für den Fazialis, einer für den Abduzens.

In den Darstellungen Hudovernigs über den Fazialiskern zerlegt er diesen in zwei Teile, einen dorsalen und einen ventralen. Der dorsale, der an den oberen Enden mit den ventralen konfluiert, ist absolut nicht ein- heitlich. Denn in der Längsmitte des Kernes lösen sich von ihm je zwei lateral und ventral gelegene akzessorische Kernsäulen los. Schon diese Schilderung allein genügt, um den Beweis zu erbringen, daß hier unmöglich der akzessorische Abduzenskern bzw. Fazialiskern gemeint sei. Die Drei- teilung des ventralen Abschnittes ist hier nicht von Interesse.

Jacobsohn anerkennt den N. accessorius Nervi facialis und meint, daß diese akzessorische Gruppe früher auftritt als der Abduzenskern und ver- schwindet, wo dieser bereits einigermaßen entwickelt ist. Außerdem findet er eine zweite Gruppe von Zellen, die erst sichtbar werden, wenn der Abduzenskern bereits voll entwickelt ist. Er meint, daß diese Zellen mehr denjenigen des Fazialiskerns gleichen. Im oralen Pol des VIE. und auch des VI. Kerns tritt eine dritte Gruppe von Zellen auf. Sie ist etwas größer als die vorhergeschilderten Zellmassen und enthält große polygonale Zellen. Da kurz danach der motorische Trigeminuskern auftritt, möchte er diese oralste kleine Gruppe als N. motorius retrotrigeminalis bezeichnen. Jacobsohn sieht in diesen drei Gruppen nichts anderes als Übergangszellen vom Fazialis zum Trigeminus. Er erwähnt zunächst, daß es einen dorsalen und ventralen Fazialis bei den Säugern gäbe und daß die kleine intermediiire Gruppe beim Menschen eventuell der Rest des dorsalen Fazialiskerns sei. Auch die von Kappers hervorgehobene Tatsache erwähnt er. Während die vom Fazialis abgesprengte Gruppe etwas kaudal zurückgeschoben erscheint, meint er, daß auch der Trigeminuskern eine solche im Niveau des oralen Pols des Abduzenskerns beginnend besitze, die in der Konkavität des aus-

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 265

tretenden Fazialisschenkels gelegen ist. Die Zellen sind größer als die des Abduzenskerns und liegen an der gleichen Stelle, wo später der motorische Quintuskern sich findet.

Van Valkenburg hat sich gleichfalls mit diesem Kern beschäftigt und ihn zunächst bei Föten, dann aber auch beim Kind und später beim Erwachsenen studiert. Er beschreibt ihn als nahe dem frontalen Ende des Fazialiskerns gelegen, als eine Zellgruppe dorso-medial vom Hauptkern, latero-ventral vom Abduzenskern. Die Zellgruppe ist bei Föten 200 p lang und umfaßt ungefähr 70 Zellen. Auch er zeigt, daß diese Zellen die Tendenz haben, ihre protoplasmatischen Fortsätze gegen den Fazialiskern zu senden. Neu an den von ihm gebrachten Befunden ist die Annahme, daß es sich um den Ursprungskern für die Fasern der Chorda tympani handelt, während er sonst eigentlich im wesentlichen die Annahme von Ariens Kappers an- erkennt.

Obersteiner referiert die Angaben der Literatur, meint aber, daß der Gedanke, der sogenannte ventrale Abduzenskern könnte Fazialiswurzeln ent- lassen, vielleicht dadurch entstanden ist, daß der Kern zu nahe dem aus- tretenden Fazialis gelegen ist und so den Eindruck erwecken könnte, als ob hier Fazialisfasern entspringen.

Auch Ziehen äußert sich in seinem fundamentalen Werk noch nicht präzise über die Bedeutung dieses Kerns.

Ariens Kappers schreibt in seiner vergleichenden Anatomie des Nervensystems über den dorsalen Fazialiskern, von dem er zwei Abschnitte, einen vorderen und einen hinteren, annimmt. Er identifiziert ihn mit dem von Pacetti beschriebenen Kern, meint aber, daß die Annahme Pacettis unrichtig sei und teilt ihm auch, wie van Valkenburg, eine mehr sym- pathische Funktion zu.

Das sind die wesentlichsten Angaben über diese Kerngruppe, aus wel- chen nur soviel hervorgeht, daß die Zuteilung zum Abduzenskern auf der einen, zum Fazialiskern auf der anderen Seite betont wird, daß schließlich die Meinung der Schule von Kappers dahin geht, hier einen vegetativen Kern zu erblicken, der in gewisser Beziehung zum Fazialis steht, indem er Fasern in die Chorda tympani entsendet.

Homo sapiens.

Dorsal vom Fazialiskern (Abb. 1) liegen immer, von diesem durch eine ganz schmale Gewebsbrücke getrennt, einige Zellen, gewöhnlich nicht mehr als fünf bis sechs, die sich von den Zellen des Fazialiskerns vielleicht dadurch unterscheiden, daß sie etwas größer sind. Das ganze Gebiet dorsal von dieser Kerngruppe bis zum Abduzenskern zeigt gleichfalls Zellen. Diese sind jedoch wesentlich kleiner, nicht einmal so groß wie die Zellen des Abduzens und sie sind auch keineswegs ge- schlossen, sondern erfüllen die Substantia reticularis mehr diffus. Diese Zellen sind an den einzelnen Schnitten nicht ganz gleichmäßig entwickelt. An einem sieht man mitunter nur eine Zelle, an den anderen mehrere Zellen: sechs bis sieben. Immer liegen diese in einer Grundsubstanz, die scheinbar mehr Glia entwickelt als die des Fazialiskerns. Auch ventro-medial vom Abduzenskern sieht man deutlich Zellgruppen kleinster Zellen. Weiter oral rücken dann diese großen Zellen dorsaler und liegen ungefähr in der Mitte zwischen dem Fazialis und Abduzens. Auch in dem Austritts-

266 Dr. Tameo Nakamura.

schenkel des Fazialis befindet sich eine kleine Gruppe von Zellen. Es gibt Schnitte, wo man diesen Kern iiberhaupt nicht sieht und andere, wo er wieder ziemlich deut- lich in Erscheinung tritt. In den oralen Partien ist er deutlicher als in den kaudalen. Er findet sich auch noch nach dem Aufhören des Abduzenskerns, aber immer nur dort, wo der Fazialiskern vorhanden ist.

An der vorliegenden Serie des Menschen finden sich also vereinzelte Zellen in einer kleinen Gruppe, die kaudal in der Nähe der dorsalen Zirkum- ferenz des Fazialiskerns gelegen sind, dann zwischen Fazialis und Abduzens ungefähr in der Mitte liegen, und zwar in einer direkten Verbindungslinie dieser beiden Kerne. Ein zweiter kleinerzelliger Kern liegt in gleicher Höhe im Austrittsschenkel des Fazialis.

Abb. 1. Homo sapiens. Ventral Fazialiskern, dorsal akzessorischer Kern.

Pitheci.

Gorilla.

Beim Gorilla sind die Verhältnisse ganz analog. Die Zellen liegen zunächst nahe dem dorsalen Rand des Fazialis in dem Wurzelschenkel. Doch reicht der Fazialis- kern als ganzer viel weiter dorsalwärts als beim Menschen. Der Abduzenskern ist gegenüber dem Fazialiskern sehr weit kaudalwärts verschoben, so daß also hier der kleine in Rede stehende Kern nicht in der direkten Verbindungslinie zu dem Abduzenskern und Fazialiskern liegt, sondern ein wenig lateralwärts verschoben.

Da wir bei diesem Tier nicht über Nißl-Präparate verfügen, so ist es schwer, sich ein Urteil über den Kern zu bilden. Es hat den Anschein, als ob Fasern aus diesem Gebiete gegen die Medianlinie ziehen und dort in der Raphe kreuzen. Eine Verfolgung nach der anderen Seite ist nicht möglich. Es scheint nur, als ob die Fasern sich dorsalwärts wenden würden. Hier ist der Abduzenskern oraler als der Fazialiskern, der relativ früh endet und mit ihm auch die dorsal gelegenen Zellen, während vom Abduzenskern noch deutlich Zellen vorhanden sind.

Simia satyrus.

Bei diesem Tier liegen Zellen, und zwar ziemlich reichlich mehr dorso-lateral dem Fazialiskern an. Sie liegen in der Substantia reticularis, sind so groß wie die

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 267

Zellen des Fazialiskerns und liegen zwischen den Fasern des Wurzelschenkels und ganz lateral fast bis an den Austrittsschenkel an. Dieser Kern ist viel zellreicher als bei den bisher beschriebenen Beispielen. Die Zellen sind größer als jene des Abduzenskerns. Eine Faserbeziehung läßt sich nicht feststellen. Der Kern ist auf der einen Seite besonders entwickelt, auf der anderen kaum sichtbar. Während bei dem ersten Orang die Verhältnisse sich fast analog jenen des Menschen entwickeln, zeigt sich bei der zweiten Orangserie ein scharf umschriebener Kern in der Sub- stantia reticularis, mehr dorso-lateral vom Fazialiskern gelegen. Er ist auf der einen Seite mehr ausgeprägt als auf der anderen und läßt keine Faserverbindung erkennen.

Hylobates siamang.

Beim Hylobates ist der Kern sehr deutlich. Er liegt dorsal vom Fazialiskern ziemlich nahe von diesem. Auf der Gegenseite ist er ein wenig lateralwärts gelegen, so wie bei Simia satyrus. Vielleicht daß die Zellen eine Spur kleiner sind als jene des Fazialiskerns. Jedenfalls haben sie nichts mit dem Abduzenskern zu tun, der ganz dorsal und medial gelegen ist. Oraler werden die Zellen stellenweise unscharf. Sie nähern sich den Zellen des motorischen Trigeminus.

Semnopithecus entellus.

Hier liegt der Fazialiskern, der sehr mächtig ist und am Querschnitt beutel- förmig erscheint, fast völlig im Wurzelschenkel. Nur eine diffuse Ansammlung kleinerer Zellen liegt mehr lateral im Wurzelschenkel und schließt sich oralwärts zu einer deutlichen Gruppe zusammen. Die Größe der Zellen ist in den einzelnen Schnitten nicht ganz gleich. Sie erreicht in manchen vollständig die der Fazialiszellen, nur liegen sie ganz deutlich mehr lateral als beim Menschen und dem Fazialiskern mehr genähert. Wenn man eine die beiden Mitten des Abduzens- und Fazialiskerns ver- bindende Gerade zieht, so liegt der Kern lateral von dieser, dem Fazialis genähert. Auch hier sieht man die, die Substantia reticularis querenden Fasern dieses Gebiet durchsetzen, erkennt aber deutlich deren Zugehörigkeit zu den Trapezfasern. In der Gegend des Austrittsschenkels sieht man die Zellen zwischen Wurzel und Aus- trittsschenkel gelegen. Es ist interessant, daß der Abduzenskern hier erst später auf- tritt als der Fazialiskern und sehr mächtig entwickelt ist. Die vorerwähnten Zellen liegen an der gleichen Stelle, wo nach Aufhören des N. facialis die ventralsten Kerne des motorischen Trigeminus zu sehen sind.

Cercopithecus fuliginosus.

Hier stehen Nißl-Präparate zur Verfügung. Da zeigt sich, daß dorsal vom .

Fazialiskern, zwischen diesem und dem Abduzenskern, eigentlich drei verschiedene Zellgruppen zu finden sind. Zunächst einzelne größere Zellen, die ganz den Charakter der Zellen des Fazialis haben und im Wurzelschenkel des Fazialis gelegen sind. Dann eine runde Gruppe ziemlich zahlreich, lateral davon bis an die Substantia gelatinosa herangerückt und schließlich ventral vom Abduzenskern, zwischen den quer verlaufen- den Fasern der Substantia reticularis, vereinzelte Zellen, ohne einen deutlichen Kern- charakter zu besitzen. Die Gruppe der kleineren Zellen liegt zwischen dem Kern und dem Wurzelschenkel des Fazialis. Man sieht aus diesem Gebiete deutlich Fasern zur Mittellinie ziehen. Aber da diese Fasern mit anderen ähnlichen aus anderen Gebieten sich verflechten, so ist es schwer zu entscheiden, ob diese Kerne tatsächlich Ur- sprungsstätten für solche Fasern sind. Auch am vorderen Ende des Fazialis sieht man diese kleinerzellige Gruppe deutlich hervortreten. Sie rückt wohl in die Nähe des Trigeminuskerns, ohne sich mit ihm zu verbinden.

Inuus nemestrinus.

Die Verhältnisse bei diesem Affen sind analog den eben geschilderten, d. h. im Wurzelschenkel finden sich vereinzelt große Zellen und lateral davon eine dem Trigeminus anliegende rundliche kleinerzellige Gruppe. Die großen Zellen sind hier deutlicher als beim vorigen Tier. Sie bilden eine scharfe abgegrenzte Gruppe, die etwa in der Mitte zwischen Abduzens- und Fazialiskern, dem letzteren aber mehr

268 Dr. Tameo Nakamura.

genähert, gelegen ist. Diese Gruppe läßt sich auch noch jenseits vom Abduzenskern verfolgen.

Cynocephalus hamadrias.

Auch hier sind die Verhiltnisse ganz analog wie beim vorbeschriebenen Tier. Auch hier sieht man die groBen Zellen dorsal, die kleinen Zellen mehr dorso-lateral vom Fazialiskern. Die Fasern kommen mit den Trapezfasern und den Fasern aus dem Trigeminus, welche die Substantia reticularis querend, in der Raphe kreuzen, in Kollision.

Abb. 2. Lemur catta. Der dorsale akzessorische Kern liegt zwischen den Wurzel- fasern des N. facialis.

Ateles ater.

Bei Ateles ater ist infolge einer nicht sehr deutlich hervortretenden Zellfärbung die Darstellung der in Rede stehenden Gruppe nicht sicherzustellen. Nur eines kann man mit Sicherheit sagen, daß auch hier im Verlauf des Wurzelschenkels des Fazialis große Ganglienzellen eingesprengt erscheinen.

Hapale ursula.

Bei Hapale sind die Verhältnisse etwas schwieriger zu deuten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß auch hier drei Gruppen von Zellen zu sehen sind. Zunächst vereinzelt große Zellen dorsal vom Fazialiskern, dann am Austrittsschenkel, lateral von

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 269

diesem erstgenannten gelegen, kleinere Zellen und schließlich ventral von dem hier sehr großen Abduzenskern, Zellen der Substantia reticularis, die sichtlich von diesem runden Kern abgetrennt sind. Der Fazialiskern reicht stellenweise dorsaler und es hat den Anschein, als ob auch aus den eben geschilderten großen akzessorischen Zellen Fasern mit dem Wurzelschenkel nach aufwärts strahlen.

Prosimii. Lemur catta.

Hier ist der Fazialiskern viel breiter und zeigt ganz deutlich zwischen den Fasern des Wurzelschenkels den akzessorischen Kern (Abb. 2). Die Zellen sind in

Abb. 3. Chirogaleus. Weigert-Palfärbung, deutlich die Selbständigkeit des akzesso- rischen Kerns zeigend.

nichts von denjenigen des Fazialis zu differenzieren und man kann natürlich nicht sehen, ob die Fasern mit dem Wurzelschenkel dorsalwärts gelangen oder ob sie in Fasern übergehen, die zur Mittellinie ziehen. Bezüglich der anderen Zellen verhält sich die Sache so wie bei den früher beschriebenen Tieren. Lateral von den großen akzessorischen Zellen findet sich ein rundlicher Kern aus kleineren Zellen. Er ist deutlich von der spinalen Trigeminuswurzel geschieden. Es gibt hier Schnitte, wo man die großen Zellen im Wurzelschenkel nicht erkennen kann. Diese lateralen Zellen sehen eher aus wie die des Abduzenskerns, weniger wie die des Fazialis.

Lemur varius.

Die Verhältnisse liegen hier vollständig identisch mit dem vorher beschriebenen Tier.

270 Dr. Tameo Nakamura.

Chirogaleus.

Hier ist der dorsal vom Fazialiskern gelegene Kern besser entwickelt als bei den früheren Tieren (Abb. 3). Die großen Zellen sind ziemlich geschlossen und man kann hier ganz deutlich erkennen, daß die Fazialisfasern, welche den Wurzelschenkel bilden, sich ganz analog verhalten wie in dem Hauptkern. Auch bezüglich der anderen Kerne ist hier kein Unterschied gegenüber jenen der vorbeschriebenen Tiere, nur daß, wie eben erwähnt, der großzellige Kern hier deutlicher ist, als bei den anderen Tieren. Vergleicht man im Nißl-Präparat die Zellen des Fazialiskerns mit jenen dieses akzessori- schen Kerns, so sind die letzteren fast noch größer als jene des Fazialiskerns.

Zusammenfassung.

Bei den Affen liegen die Verhältnisse ziemlich analog wie beim Menschen. Es finden sich in dem in Rede stehenden Gebiet drei voneinander zu differen- zierende Kerne. Der erste liegt dorsal vom Nucleus facialis zwischen den Fasern des Kernschenkels dieses Kerns und besteht aus großen Zellen, welche den Zellen des Fazialis ähnlich sehen, stellenweise sogar größer sind als jene des Fazialis. Es hat den Anschein, als ob die Grundsubstanz in bezug auf die Fasern sich vollständig so verhielte, wie der Fazialiskern. Dann findet man lateral davon, zwischen Kern und Wurzelschenkel des Fazialis, eine rundliche Gruppe kleinerer Zellen, welche viel reichlicher sind als die erstgenannten. Es hat den Anschein, als ob von diesen Zellen, vielleicht auch von den ersten, Fasern horizontal gegen die Mittellinie streichen. Doch kommt man bei der Beurteilung dieser Fasern in Kollision mit den Fasern des Corpus trapezoides und den sekundären des Trigeminus. Schließlich finden sich ventral vom N. VI in der Substantia reticularis zerstreute Zellen, die keine geschlossenen Kerne bilden und infolge ihrer Lage zwischen den Fasern mehr horizontale Ausdehnung gewinnen. Diese letzteren Zellen ähneln eher, wie die zweit- geschilderte Gruppe, den Zellen des Abduzenskerns.

Chiroptera.

Pteropus edulis.

Der Fazialiskern stellt eine ganz an der Basis lateral gelegene mächtige Kerngruppe dar. Sowohl zwischen den Wurzelschenkeln als auch lateral davon sind weitere Zellen wahrzunehmen, die dorsal von dem Kern gelegen sind. Oralwärts reichern sich diese Zellen etwas an und man sieht nur, daß sie hier lateraler liegen als bei den früheren Tieren. Sie sind so gelegen, daß sie die mediale Abteilung des kleinerzelligen lateralen Kerns einnehmen. Während an einzelnen Schnitten diese Zellen verhältnismäßig spärlich sind, sind sie an anderen Schnitten sehr mächtig ent- wickelt und deutlich von denen des Fazialis zu unterscheiden. Sie erscheinen fast immer größer als diese Zellen. Ihre Zahl ist verschieden. Oraler liegen sie auch medialer zwischen den Fasern des Wurzelschenkels, während die kleinen Zellen auch dort, wo der Fazialis bereits austritt und vom Kern fast nichts mehr zu sehen ist, sieht man die Gruppe der großen akzessorischen Zellen noch sehr deutlich. Es unter- liegt keinem Zweifel, daß deren Fasern dorsalwärts streben, wenn auch nicht mit Sicherheit daraus zu schließen ist, daß ein Teil der Fasern medialwärts in der Rich- tung der zur Raphe ziehenden Fasern einbiegt. Auch die kleinen Zellen gehen weit über den Fazialis hinaus.

Rhinolophus ferrum equinum.

Auch hier ist der Fazialiskern sehr groß und auch hier sieht man, wenn auch nicht so deutlich wie bei dem eben geschilderten Tier, zwischen den Wurzelfasern

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 271

große und lateral von den aszendierenden Fasern kleine Zellen, die immer medial vom Austrittsschenkel gelegen sind.

Vesperugo. Vesperugo nähert sich vollständig den Verhältnissen wie bei Rhinolophus. Auch hier ist die Zellgruppe stellenweise ziemlich gut entwickelt und liegt wiederum mehr

lateral als bei den Affen. Sie ist in den oralen Teilen besser zu sehen als kaudal. Auch die Faserverbindung scheint die gleiche.

Zusammenfassung.

Bei den Fledermäusen ist der akzessorische Kern entlang den Wurzel- schenkeln des Fazialis besonders gut ausgeprägt. Er liegt ein wenig mehr lateral als bei den Affen und ist besonders in den oralen Abschnitten gut ent- wickelt. Seine Lage bringt es mit sich, daß er hart an die Körnerzellen stößt, die medial vom Austritts- und lateral vom Wurzelschenkel des Fazialis gelegen sind. Auch diese Zellen lassen sich über das vordere Ende des Fazialiskerns verfolgen. Ventral vom Abduzenskern gelegene Zellen konnten infolge der eigenartigen Färbung hier nicht sichergestellt werden.

Carnivora,

Felis domestica.

Auch hier ist der Fazialiskern sehr mächtig und auch hier kann man gleich im Beginn zwischen den Fasern des Wurzelschenkels große Ganglienzellen sehen, die jedoch nur stellenweise umschrieben, meist diffus zwischen den Fasern gelegen sind. Auch hier liegen kleinere Zellen lateral von diesem Kern. Auch ventral vom Abduzens- kern sieht man kleinere Zellen. Auch hier schließt sich dieser Kern erst in oraleren Ebenen zusammen, liegt ebenfalls mehr lateral als wie bei den Affen und stößt an die kleineren Zellen medial vom Austrittsschenkel. Es ist hervorzuheben, daß die Zellen des Kerns nicht überall gleichmäßig entwickelt sind und an manchen Schnitten überhaupt nicht zu sehen sind.

Canis familiaris.

Auch bei dem Canis familiaris ist der Kern kaudal kaum sichtbar, währen: er oral eine scharf umschriebene Gruppe bildet, die medial vom Austrittsschenkel ge- legen, an kleine Zellen stößt, die gleichfalls medial vom Austrittsschenkel des Fazialis sich finden. Man sieht dann, wie von diesen Zellen aus Fasern dorsalwärts streichen, ganz im Sinne der Fasern des Wurzelschenkels. Ob auch Fasern medialwiirts ziehen, läßt sich hier nicht entscheiden. Noch oraler wird der Kern immer größer und liegt dorsal von der Olive. Hier ist der Kern mächtiger als bei den anderen beschriebenen Tieren.

Canis vulpes.

Auch bei dem Canis vulpes ist der Kern sehr mächtig, aber erst in den oraleren Schnitten (Abb. 4). Es lassen sich hier sogar mehrere Abteilungen erkennen. Eine ventrale Gruppe, dorsal vom Fazialiskern gelegen, und eine dorso-laterale, zwischen den lateralen Fasern des Wurzelschenkels gelegene. Die kleinen Zellen sind unver. ändert. Jedenfalls ist auch der Kern durch einen besonderen Zellreichtum ausge- zeichnet. Auch hier sind die einzelnen Schnitte ganz verschieden, indem es Schnitte gibt, wo nur ein oder zwei Zellen vorhanden sind, während an anderen wiederum der Kern sehr zellreich erscheint. Hier sind auch längs des Abduzensaustrittes eine Reihe von Zellen zu sehen, die sich aber nicht zu einer Zellgruppe zusammenschließen. Auch sie sind so groß als die Zellen des Fazialis. Beim Austritt des Trigeminus liegt der Kern als selbständiges Gebilde hart am motorischen Trigeminus.

Paradoxurus hermaphroditus.

Hier liegen die Verhältnisse ganz analog wie bei dem vorher beschriebenen Tier.

Tameo Nakamura.

Dr.

272

3.

Ahnliches Verhalten wie Abb.

Abb. 4. Canis vulpes.

röße des akzessorischen Kerns.

Man beachte die Zellg

Mustela foina.

Abb.

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 273

Herpestes ichneumon.

Auch hier ist die Zellgruppe zwischen dem Kernschenkel des Fazialis sehr groß und liegt ungefähr in der Mitte zwischen dem Abduzens- und Fazialiskern. Auch lateral vom Wurzelschenkel gelegene Zellen sind deutlich. Es ist nicht ohne Interesse, daß die beiden Seiten des Präparats die Zellgruppe nicht gleichmäßig entwickelt zeigen und daß wir auch an einzelnen Schnitten die Zellen überhaupt nicht sehen, so daß man also mit einer rosenkranzähnlichen Anordnung der Zellen rechnen muß. Hier ist der Kern, der zwischen dem Kern und Austrittsschenkel des Fazialis gelegen ist, be- sonders mächtig. Der Abduzenskern selbst stellt keine scharf umschriebene Kern- gruppe dar. Er findet sich erst weit höher als der Fazialiskern und auch der akzesso- rische Kern ist hier beim Auftreten des Abduzenskerns schon verschwunden.

Mustela foina.

Im Kernschenkel des Fazialis sieht man vom Hauptkern angefangen bis zum akzessorischen Kern kleinere Zellen, die sich lateral etwas stärker anhäufen. Dann folgt der großzellige Kern, der nur aus wenigen Zellen besteht, aber diese sind deut- lich entwickelt und größer als die Zellen des Fazialiskerns (Abb. 5). Auch hier sind die Zellen nur an einzelnen Präparaten gut entwickelt. Auch sie schwinden bereits vor der vollen Entwicklung des Abduzenskerns. Jedenfalls sind sie aber noch vor- handen, wenn der Fazialiskern bereits geschwunden ist.

Mustelina vulgaris: Ist gleich dem vorigen Tier.

Lutra vulgaris.

Auch hier ist der Kern ausgezeichnet ausgeprägt, liegt zwischen den Fasern des Kernschenkels ein wenig lateral, ist hier beiderseits sehr gut zu sehen und ist fast noch mächtiger entwickelt als bei den früheren Tieren. Es zeigt sich auch hier, daß er erst gegen Ende des Fazialiskerns seine volle Entwicklung erfährt. In der Substantia ret. ventral vom Abduzenskern lassen sich gleichfalls kleinere Zellen abscheiden, obzwar der Kern weiter oralwärts reicht, ist er doch nach der vollen Entwicklung des Abduzenskerns verschwunden.

Nasua socialis.

Hier gilt das gleiche wie für das eben beschriebene Tier, nur mit dem Unter- schied, daß der Kern wesentlich näher dem Hauptkern des Fazialis gelegen ist. Auch hier reicht er sehr weit oralwärts, liegt dann dorsal von der Olive als ein großes, rundliches Zellpaket. Auch dort, wo der Fazialis bereits austritt, finden sich ver- einzelt solche Zellen, also über die höchste Entwicklung des Abduzenskerns hinaus.

Ursus maritimus.

Auffallend gering entwickelt scheint der Kern bei diesem Tier. Allerdings kann man vereinzelte große Zellen zwischen dem Kernschenkel sehen, aber keineswegs vergleichbar mit denen der anderen Tiere. Nur ganz dorsal, dort wo der Abduzenskern bereits seine volle Entwicklung zeigt, sieht man lateral in den Wurzelschenkeln die charakteristischen großen Zellen. Sie sind größer als die Zellen des Abduzenskerns, der übrigens hier eine ganz eigenartige Zweiteilung erfährt. Ein Teil liegt dorsal, ein Teil ventral von den Kranzfasern, die den Boden der Rautengrube queren. Erst ganz oral, also schon nach dem Austritt des Abduzens, sieht man an der entsprechenden Stelle einen großzelligen Kern, der sich dann dem motorischen Trigeminus anschließt.

Fassen wir zusammen, was bei den Karnivoren als Wesentlichstes hervorzuheben ist, so zeigt sich, daß die Entwicklung des genannten Kerns hier eine besonders gute ist und daß wir die Zellen deutlich zwischen den Wurzelschenkeln des Fazialis in einer Gruppe zusammenfinden. Diese Zellen sind entschieden größer als die Zellen des Fazialis und wesentlich größer als die Zellen des Abduzens. Sie sind nicht an allen Schnitten zu sehen,

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 18

274 Dr. Tameo Nakamura.

lassen sich meist nicht bis in die Héhe der Entwicklung des Abduzenskerns verfolgen, sondern enden knapp nach dem vorderen Ende des Fazialis. Daneben befinden sich sowohl zwischen den Fasern des Wurzelschenkels des Fazialis, als auch jenseits von diesem zwischen dem Austrittsschenkel und dem Wurzelschenkel kleinere Zellen. Nur beim Ursus maritimus ist die Lage des Kerns eine andere. Die Zellen liegen weiter dorsal, aber auch ent- sprechend dem Wurzelschenkel.

Abb. 6. Phoca vitulina. Besonders scharfe Abgrenzung des akzessorischen Kerns.

Pinnipedia.

Phoca vitulina.

An den uns zur Verfügung stehenden Präparaten läßt sich auch hier der Kern sehr gut abscheiden. Er bildet eine scharf umschriebene, rundliche Zellmasse, die die Wurzelfasern des Fazialis durchsetzen, hier aber auch gequert werden von Bogen- fasern (Abb. 6). Es ist unmöglich zu entscheiden, nach welcher Richtung hin die Ursprungsfasern dieser Zellen ziehen. Auch der kleinerzellige Kern ist vorhanden. An einem Weigert-Pal-Präparat macht es den Eindruck, als ob Fasern aus diesem Kern mit den Wurzelfasern des Fazialis dorsalwärts gelangen. Es scheint aber auch, daß hier eine Aufsplitterung von Fasern stattfindet, denn man sieht im Kern ein feines Fasernetz.

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 275

Insectivora. Talpa europaea. Auch hier ist der Kern besonders groß, liegt etwas ventraler als bei den anderen Tieren. Auch der kleinzellige Kern ist deutlich zu sehen. Seine Lage ist gegenüber der der anderen Tiere sonst nicht verschieden.

Talpa caeca. Ganz analog dem eben beschriebenen Tier.

Rodentier. Hystrix christata. z Auffallend gering entwickelte Zellgruppen im Fazialis, besser entwickelt die kleineren Zellen medial vom Austrittsschenkel, dagegen wenig entwickelt die kleinen Zellen ventral vom Abduzenskern.

Gerbillus.

Beim Gerbillus treten innerhalb des Wurzelschenkels überhaupt keine Zellen auf, die dem akzessorischen VI-Kern entspriichen. Dagegen liegen medial vom Austritts- schenkel deutlich Zellen, die etwas größer sind als jene, die man gewöhnlich in dieser Gegend sehen kann.

Mus musculus. Mus musculus zeigt deutlich zwischen den Wurzelfasern die großen Zellen und medial vom Austrittsschenkel kleinere.

Mus rattus.

Noch deutlicher zeigt Mus rattus, die einen großen Kern am Wurzelschenkel des Fazialis erkennen läßt, aus großen Zellen bestehend und lateral davon, einwärts vom austretenden Fazialis deutlich kleinere Zellen. Auch ventral vom Abduzens- kern finden sich kleinere Zellen. Der erstbeschriebene Kern geht über den Fazialis- kern hinaus, d. h. er ist oraler von diesem noch zu finden.

Cavia cobaja.

Hier liegt der akzessorische VI-Kern weiter oral und dorsal als bisher, einwärts vom Fazialisaustritt, aus einer Gruppe größerer Zellen bestehend. Ventral und lateral davon sind dann die kleineren Zellen, die wir sonst beschrieben haben. Der groß- zellige Kern reicht weit über das Ende des Fazialis hinaus und berührt sich mit dem motorischen Trigeminus, so daß es nicht sicher steht, ob diese dorsal beschriebenen Zellen nicht dem Trigeminus angehören. Innerhalb der Wurzelfasern des Fazialis sicht man kaum ein oder die andere Zelle.

Lepus cuniculus.

Auch bei Lepus cuniculus fehlen die großen Zellen im Wurzelschenkel des Fazialis, dagegen sind die kleinen Zellen deutlich sichtbar. Auch ventral vom Ab- duzenskern sind deutlich kleine Zellen zu sehen. Die bei Cavia beschriebenen dorso- lateral gelegenen großen Zellen fehlen hier.

Auffallend geringe Entwicklung des im Wurzelschenkel des Fazialis ge- legenen großzelligen Kerns; der medial vom Austrittsschenkel gelegene klein- zellige Kern ist deutlich, auch die ventral vom Abduzenskern gelegenen kleinen Zellen sind deutlich erkennbar.

Ungulaten. Elephas indicus. Die großen Zellen im Wurzelschenkel des Fazialis sind auch hier sehr deutlich vorhanden. Sie sind nicht sehr zahlreich und unterscheiden sich deutlich von den Zellen des Fazialis. Sie sind zum Teil größer, zum Teil kleiner als diese und zeigen

18*

276 Dr. Tameo Nakamura.

eine viel deutlichere polygonale Form als die Fazialiszellen. Sie sind größer als die des Abduzens und lateral von ihnen befinden sich allerdings sehr spärlich kleinere Zellen.

Sus scropha domestica.

Viel weniger deutlich als beim Elephanten sind die Zellen beim Schwein. Doch kann man sie auch hier deutlich unterscheiden. Reichlicher sind die lateral gelegenen Zellen. Sie sind oraler als bei dem vorher beschriebenen Tier zu finden, aber sie sind deutlich.

Bos taurus juvenilis. :

Auch bei dem Bos taurus juvenilis sind die großen Zellen schlecht entwickelt. Nur in den oralen Teilen sieht man dann den ganzen Querschnitt durchsetzt von gleich- mäßigen großen Zellen. Die kleineren Zellen sind besser entwickelt.

Cervus capreolus.

Beim Cervus capreolus sind die Verhältnisse wieder ähnlicher den früher be- schriebenen Tieren. Man sieht sowohl die großen Zellen als auch die kleinen Zellen gut entwickelt, allerdings nur oral. Die Zellen gehen fast direkt in den Fazialis- kern über.

Camelus dromedarius.

Beim Camelus dromedarius läßt sich folgendes sehr deutlich differenzieren:

1. daß die in Rede stehenden Zellen zwischen den Wurzelfasern doch im großen und ganzen mit jenen des Fazialiskerns nicht übereinstimmen, sowohl an Größe als an Form, obwohl sie ihnen sehr nahestehen;

2. daß sie sich sehr wesentlich differenzieren von den riesigen medial gelegenen Zellen der Haube und daß sie verhältnismäßig spärlich sind, an manchen Schnitten vollständig fehlen, während sich hier mehr kleinere Zellen finden, wie sie bei den früheren Tieren wiederholt beschrieben wurden. Eine Faserverbindung läßt sich nicht aufzeigen. Jedenfalls ist der Kern hier wesentlich kleiner als bei den früheren Tier gruppen und wird vielfach von den großen Haubenzellen überdeckt.

Equus caballus.

Auch beim Equus caballus ist der Kern schlecht entwickelt, zeigt nur wenige Zellen und geht teilweise in die kleineren Zellen über. Eine Faserverbindung läßt sich demgemäß nicht zeigen.

Die Ungulaten lassen nur andeutungsweise die großen Zellen am Wurzel- schenkel erkennen, zum Teil werden sie überdeckt von den wesentlich größeren Zellen der Haube. Auch die kleinen Zellen medial vom Fazialis- austritt sind hier wenig entwickelt, ebenso die ventral vom Abduzenskern gelegenen. Eine Faserverbindung läßt sich hier nicht sicherstellen.

Natantia.

Phocaena communis.

Hier ist der Fazialiskern sehr stark entwickelt. Er liegt so hoch, daß er von den Fasern des Corpus trapezoides gequert wird. Dadurch wird ein Teil der Zellen schein- bar von der Hauptmasse abgetrennt. Latero-dorsal davon, aber knapp an ihm, liegen dann in einer hellen Grundsubstanz ziemlich reichlich Zellen, die stellenweise wohl etwas größer sind, meist aber die Größe der Fazialiszellen erreichen. Lateral davon sind kleine Zellen und dorsal in der Nähe des Abduzens ebenfalls kleine Zellen. Es hat den Anschein, als ob die Fasern aus den großen ventralen Zellen nicht in die Fazialiswurzel einbiegen, sondern schräg dorsalwärts sich gegen die Mittellinie begeben. Es ist allerdings nicht genau zu verfolgen. Oralwärts reichert sich der großzellige

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 277

akzessorische Kern stark an (Abb. 7). Es liegt so, daß er doch vom Fazialis vollständig getrennt erscheint. Er rückt dann weit medialer und liegt später so, daß er den gleichen Eindruck wie bei den anderen Tieren erweckt.

Delphinus tursio.

Hier ist ein ganz analoges Verhalten zu sehen wie bei Phocaena, vielleicht daß

der Kern noch deutlicher abgesetzt ist. Auch hier läßt sich nicht erkennen, in welcher Weise sich die Fasern verhalten. Es zeigen sich sogar zwei Gruppen solcher Zellen.

Abb. 7. Phocaena communis. Besondere Größe des akzessorischen Kernes, dessen Zellen deutlich größer sind als die des Fazialis.

Die kleinen lateral gelegenen Zellen sind wohl vorhanden, aber keineswegs deutlich. Hier kann man erkennen, daß die zunächst dorso-lateral vom Fazialis gelegenen Zellen oraler mit dem Hauptkern verschwimmen und daß der eigentliche Kern, der uns inter- essiert, an der typischen Stelle zwischen den Wurzelfasern gelegen ist. Er ist auch hier wesentlich größer als bei den anderen Tieren ganz deutlich zu erkennen. Seine Zellen sind auch deutlich von jenen des Fazialis verschieden, da sie größer sind als die Fazialiszellen. Delphinus delphis.

Auch bei diesem Tier kann man sehen, daß dorso-lateral der Fazialiskern eine eigene Abteilung hat, die sich später mit dem Hauptkern vereinigt. Aber auch hier ist

278 Dr. Tameo Nakamura.

der zwischen den Wurzelfasern gelegene Kern sehr mächtig entwickelt und zeigt deut-

lich sowohl vom Abduzens als auch Fazialiskern Unabhängigkeit. Er ist zwar zell-

reicher, erstreckt sich aber nicht sehr weit oralwärts und kaudalwärts. Balaenoptera rostrata.

Hier ist der zwischen den Wurzelfasern befindliche Kern wesentlich kleiner. aber der Fazialiskern sehr groß. In bezug auf den Bau, die Anlage jedoch verhält sich der Kern des Fazialis und der akzessorische Kern vollkommen entsprechend den früher ge- schilderten Tieren.

Zusammenfassung.

Bei den Natantiern ist der Fazialiskern äußerst mächtig entwickelt. Es zeigt sich, daß ein dorso-lateraler Abschnitt von dem oralen gelöst erscheint und anfänglich den Eindruck des akzessorischen Kerns hervorruft. Man kann jedoch die Verbindung mit dem Fazialis durch serienweise Verfolgung er- kennen. Erst gegen die Mitte der Entwicklung des Fazialiskerns treten dann an der gleichen Stelle wie bei den übrigen Tieren die großen Zellen auf, hier mächtiger entwickelt als bei den anderen Tieren. Man kann auch hier eine Faserverbindung nicht sicherstellen, doch hat es den Anschein, als ob Fasern nicht in die Fazialiswurzel direkt sich begeben, sondern schräg dorso-medial- wärts ziehen. Auffällig gering entwickelt sind hier die kleinen Kerne.

Edentata.

Myrmecophaga.

Auch hier ist der Fazialiskern sehr mächtig entwickelt. Zwischen den Wurzel- fasern desselben sieht man, allerdings hier undeutlich, auch Zellen des akzessorischen Kerns, wohingegen die kleinen Zellen lateral von den Wurzelfasern besser ent- wickelt sind, besser jedenfalls als bei der vorherigen Zellgruppe.

Dasypus septemcinctus.

Bei diesem Tier ist der Fazialis ziemlich groß und der akzessorische Kern mittelgut entwickelt. Die kleinen Zellen, dorso-lateral vom Hauptkern des Fazialis, ebenso wie die kleinen Zellen am Abduzenskern, zeigen eine gute Entwicklung.

Diese Gruppe unterscheidet sich kaum von den anfangs beschriebenen Tierklassen.

Marsupialia. Macropus giganteus. Hier ist der akzessorische Kern nicht deutlich zu erkennen, dagegen die kleinen Zellen dorsal wie ventral.

Phascolarctus cinereus.

Der Fazialiskern ist hier sehr breit. Dorsal von ihm, ihm ziemlich genähert, finden sich viel größere Zellen als jene des Fazialiskerns, die dem akzessorischen Kern entsprechen könnten, es sei denn, daß die mächtige Ausbreitung des Fazialis vielleicht Ursache ist, daß die groben Zellen der Substantia reticularis hier zwischen den Wurzelfasern gelegen sind. Eine Faserverbindung läßt sich auch hier nicht sicher erweisen.

Didelphis cinerea.

Dieses Tier nähert sich wieder mehr dem Makropus. Man sieht wohl einzelne Zellen. Sie sind aber wesentlich kleiner als bei dem vorangegangenen Tier. Die kleinerzellige Gruppe sowohl lateral als dorsal ist vorhanden.

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 979

Dasyurus ursinus.

Bei diesem Tier sind die Zellen eine Spur dorsaler und medial zwischen den Wurzelfasern des Fazialis zu sehen. Wie bei den früheren Tieren ist auch hier die Grundsubstanz auffallend hell. Es ist wie ein eingesprengtes Stück in den Wurzel- fasern. Bezüglich der anderen Zellgruppen ist kein Unterschied.

Hier ist ein differentes Verhalten zu sehen. Von der kaum zu erkennen- den bis zur deutlich entwickelten Zellgruppe finden wir Übergänge. Die Zellen liegen in einer hellen Grundsubstanz und sind wie eingesprengt. Nur bei einem Einzelvertreter sind sie viel größer als die des Fazialis und bilden eine ziemlich mächtige Gruppe. Die kleinen Zellen verhalten sich wie bei den anderen Tieren.

Abb. 8. Anser stratus. Deutliche Differenzierung des akzessorischen Kerns.

Aves.

Struthio camelus.

Der Fazialiskern besteht hier aus einer Reihe von Zellgruppen, die bis hoch hinauf in die Wurzel reichen. Es ist nicht sicherzustellen, ob ein akzessorischer Kern hier vorhanden ist, oder ob es sich um eine etwas isoliert stehende Zellgruppe des Fazialis handelt.

Anser stratus.

Auch hier sieht man in der Gegend des Abduzenskerns ein flaches Band von Zellen des Fazialis ventral, etwas dorsaler davon eine ganz isoliert stehende Gruppe gleicher Zellen und noch dorsaler, genau in der Mitte zwischen dem Abduzens- und Fazialiskern, eine dritte Gruppe. Später verschmelzen die zwei freien Gruppen mit- einander, behalten aber immer eine gewisse Selbständigkeit gegenüber dem ventral gelegenen Fazialiskern bei. Oraler wird dann die dorsale Gruppe allein ziemlich mächtig und liegt näher dem Abduzens- als dem Fazialiskern (Abb. 8).

280 Dr. Tameo Nakamura.

Grus cinerea.

Hier ist der Fazialiskern viel mächtiger entwickelt und man sieht auch hier eine dorsal von ihm gelegene selbständige Zellgruppe, die sicherlich eine gewisse Selb- ständigkeit beansprucht. Die Zellen erscheinen etwas größer als die des Fazialis- kerns. Hier sieht man auch kleine Zellen lateral von der erstgenannten. Es ist kein Zweifel, daß es sich auch hier um den akzessorischen Kern handelt, der eine besonders mächtige Entwicklung hat. Eine Faserverbindung scheint nur insofern deutlich, als die Fasern mit den Wurzelfasern des Fazialis dorsalwärts streben.

Phoenicopterus roseus.

Auch hier ist der akzessorische Kern sehr deutlich und gut entwickelt, besser fast als der Fazialiskern (Abb. 9). Er liegt an gleicher Stelle wie bei den anderen

Abb. 9. Phoenicopterus. Scheinbarer Austritt von Fasern, die mit dem N. facialis verlaufen, aus dem akzessorischen Kern.

beschriebenen Vögeln. Hier kann man deutlich sehen, wie die Fasern dieses Kerns schräg dorso-lateralwärts ziehen, einzelne dorso-medialwärts. Im Trigeminusgebiet ziehen von diesem Kern aus Fasern zur Trigeminuswurzel.

Psittacus.

Ganz analoge Verhältnisse wie bei dem eben geschilderten Tier.

Bei den Vögeln zeigt sich der Fazialiskern verschieden entwickelt. Zu- meist läßt sich dorsal von diesem eine Zellgruppe abscheiden, die ungefähr in der Mitte zwischen dem Abduzens- und Fazialiskern gelegen, sich an der typischen Stelle des akzessorischen Kerns findet. Die Zellen sind etwas ver- schieden von jenen des Fazialis und es gelingt gelegentlich zu sehen, wie Fasern aus diesem Kern dorsalwärts biegen, um lateral auszutreten, wobei es

Vergleichend-anatomische Untersuchungen usw. 281

nicht sicherzustellen ist, ob das mit dem Fazialis oder dem Trigeminus ge- schieht. Der Kern liegt ziemlich weit oral, ist aber auch kaudal schon an- gedeutet.

Ergebnisse.

Wenn wir tiberblicken, was sich uns bei den verschiedenen Tierklassen in bezug auf den akzessorischen Kern ergeben hat, so muß man vor allem ablehnen, daß dieser Kern in irgendeiner Weise mit dem Abduzens zusammen- hängt. Schon die Form der Zellen spricht dagegen, dann aber auch die Lage, die in einer absolut sicheren Abhängigkeit von den Wurzelfasern des Fazialis steht. Immer finden sich Zellen, die mitunter gleich, mitunter größer sind als jene des Fazialiskerns in dem Raum zwischen den Ursprungsfasern des Fazialis. Diese Zellen sind gewöhnlich erst in den vorderen Teilen des Fazialiskerns zu erkennen, sind mitunter kaum angedeutet, mitunter aber ziem- lich reichlich und bilden dann eine in einer verhältnismäßig hellen Grund- substanz gelegene Zellgruppe. Es ist unendlich schwer, bei diesen Zellen eine Faserverbindung sicherzustellen. Bei einzelnen Tieren schien es mir, daß die Zellen Fasern gleichlaufend mit den Fazialiswurzeln entließen. In anderen Fällen dagegen hatte es den Anschein, als ob die Fasern schräg dorso-medial gegen die Mittellinie ziehen würden. An Weigert-Präparaten ohne sekundäre Degeneration läßt sich freilich eineSicherheit über dieses Verhalten nicht erzielen.

Wenn wir die phylogenetische Reihe nach abwärts steigen und nur bis zu den Vögeln heruntergehen, so kann man bei diesen letzteren an der gleichen Stelle wie bei den höheren Vertebraten eine rundliche Kernmasse sehen, die deutlich Fasern dorsalwärts sendet, welche nach außen umbiegen, um mit dem Fazialis nach außen zu treten. Es ist, wenn man die Marsupialier damit vergleicht, bei denen wenigstens bei einzelnen der Kern ebenfalls eine bessere Entwicklung zeigt, höchstwahrscheinlich, daß es sich um ein gleiches Verhalten handelt.

Der in Rede stehende Kern wird von Kappers als dorsaler Fazialiskern bezeichnet. Auch in den Zeichnungen von Edinger findet er sich. Aber es ist doch die Frage, ob wir es hier mit einem Fazialiskern zu tun haben oder mit einem Kern, der nur den Fazialis benülzt, um auf dem gleichen Wege das Gehirn zu verlassen.

Auch bei den Vögeln erscheinen die Zellen des dorsalen Kerns größer als die des ventralen Kerns. Überhaupt nähern sich manche dieser Zellen sehr den großen, diffus in der Haube verstreuten Retikulariszellen. Dem- zufolge wird man mit seinem Urteil zurückhalten und solange nicht degenera- tive Untersuchungen vorliegen, diesem Kern eine gewisse Sonderstellung ver- leihen und ihn eher wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Fazialiskern als akzessorischen Kern des Fazialis bezeichnen. Damit ist keinesfalls vorweg- genommen, daß dieser Kern nicht vielleicht vegetative Funktionen hat.

Das Wesentlichste ist, daß dieser Kern bei allen von uns untersuchten Vertebratengehirnen, inklusive jenen des Menschen, vorkommt und es ist unwahrscheinlich, daß dieses Vorkommen lediglich dadurch bedingt ist, daß

282 Dr. Tameo Nakamura.

bei der Wanderung des Fazialiskerns nach der ventralen Seite ein paar Zellen dorsal liegengeblieben sind. Es muß sich hier schon um ein selbständiges Kerngebilde handeln, dessen Funktion allerdings nur schwer zu erschließen ist, aber sicher jener des Fazialis in irgendeiner Weise nahesteht. Vielleicht werden mir experimentelle Untersuchungen, die ich in dieser Beziehung an- stellen werde, ermöglichen, die Bedeutung des Kerns zu erschließen.

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Ziehen, Anatomie des Zentralnervensystems. 2. Abt, 1. Teil, 1913.

Zur Frage der traumatischen Hämmorhagie. Von Dr. Gisaku Kobayashi (Tokio, Japan).

Die Frage nach dem Mechanismus einer Hirnblutung ist auch heute trotz der umfassenden Darstellung von Schwarz nicht gelöst. Es wird von der Mehrzahl der modernen Autoren wohl der funktionelle Standpunkt beson- ders betont, der in Ricker seinen hervorragendsten Vertreter gefunden hat.

Um nun wenigstens für das Trauma nachzuweisen, was die Ursache von schweren Hirnblutungen ist, suchte ich nach einem Fall, bei dem ohne knöcherne Verletzung des Schädels reichliche Blutungen im Gehirn aufzu- finden waren.

Ausgangspunkt meiner Feststellung wurde folgende Beobachtung. Ein Mann, über dessen Anamnese und Alter wegen seiner totalen Bewußtlosig- keit nichts auszusagen war, wurde durch ein Auto von seinem Motorrad geschleudert. Er wird im Laufe des Vormittags nach dem Unfall in die Unfallstation der I. chirurgischen Klinik eingeliefert, zeigt dort neben seiner Bewußtlosigkeit ein tief stertoröses Atmen, das zeitweise aussetzt, ausge sprochenen Druckpuls von 62 Schlägen. Es finden sich multiple Erosionen im Gesicht, der linke Bulbus etwas protrudiert, starkes konjunktivales Hämatom, leichte Blutung aus der Nase. Sonst keine Zeichen einer Schädel- fraktur. Abgesehen von einem großen Hämatom im Bereiche der Lenden- wirbelsäule, die auch nach innen imprimiert erscheint, nur Erosionen am Körper. Die Lumbalpunktion ergibt rein hämorrhagischen Liquor.

Schon einige Stunden später geht der Druckpuls in einen kleinen fre- quenten Puls über, der zeitweise aussetzt. Trotz Lobelin wird die Atmung immer schwächer und der Patient kommt um 3!/, Uhr nachmittags zum Exitus. Jedenfalls hat die ganze Krankheit keine 12 Stunden gedauert. Knapp vor dem Ende zeigte sich rechts in der oberen Extremität ein tonischer Krampf und eine Parese der linken unteren Extremität. Reflexe waren nicht auslösbar.

Die Obduktion ergab eine Hirnquetschung, zahlreiche blutunterlaufene Hautabschiirfungen im Gesicht, an der rechten Halsseite, der Streckscite des rechten Unterarmes und der ganzen Vorderfläche des rechten Knies, Schwellung und Blutunterlaufung der Lider beider Augen, starke Blutunter- laufung der weichen Schädeldecke am Hinterhaupt, reichliche Blutung im Schädelraum, namentlich über der rechten Großhirnhälfte, ausgedehnte Blut-

284 Dr. Gisaku Kobayashi.

unterlaufung der weichen Hirnhäute und Quetschung beider Scheitel- und Hinterhauptlappen des Gehirns, deren Rindenschichten von mehrfachen klei- nen Blutaustritten durchsetzt sind. Dies der Obduktionsbefund des gericht- lich-medizinischen Instituts.

Die histologische Untersuchung des Gehirns ergibt folgendes:

Frontallappen: Die Meninx ist durchblutet, auffallend dick, gar nicht einer normalen Meninx entsprechend. Auch die Gefäßwände sind etwas dicker als es der Norm entspricht. An zwei Gefäßen sieht man deutlich einen Einriß in der Wand. Die Wand ist aufgebogen, nach außen evertiert, in der Umgebung eine frische Hämorrhagie. Andere Gefäße sind vollständig normal, andere zeigen eine leichte Schwellung der Intima, aber auch kleine Lücken im Gefäß. Auch an der Stelle des großen Hämatoms zeigen sich nirgends in den Gefäßwänden Blutkörperchen, sondern das Blut ist immer nur außerhalb des Gefäßes, so daß man also nirgends Zeichen einer Diapedesis nachweisen kann. Auffällig ist nur die merkwürdige Dicke der Meningen, ebenso wie die vermehrte Dicke der Gefäßwände. Dort wo die Gefäße von Blut selbst eingescheidet sind, zeigen sich schon jetzt Wand- veränderungen im Sinne einer Homogenisation. Im Gewebe selbst ist das Ödem der Rinde auffällig. Es ist ein diffuses Ödem, trifft aber auch das Gewebe um die Gefäße ganz auffallend stark. Im Stimhirn sind kleine Blu- tungen im Gewebe nachzuweisen.

Die Blutungen sind hauptsächlich an Kapillaren. Man sieht nur rote Blutkörperchen, die eine Kapillare entweder am Querschnitt oder am Längs- schnitt ringförmig einscheiden. Auch an Arteriolen kann man Ähnliches nach- weisen. An ein oder der anderen kleinen Arterie sieht man eine ganz deut- liche Ruptur der Wand, d. h. man sieht eine Unterbrechung der Wand an einer Stelle und die Ränder dieser Unterbrechung sind nicht ganz gleich- mäßig. An einzelnen Gefäßen sieht man auch weiße Blutkörperchen in den Hämorrhagien, aber ohne daß eine Schichtung stattgefunden hätte. Es finden sich also im Frontallappen selbst ganz analoge Verhältnisse wie in den Meningen.

An einer anderen Stelle des Stirnhirns zeigt sich auch an einem großen Gefäß der Pia mater, das bereits eine leichte Wandveränderung erkennen läßt, ein Einriß. Bei stärkerer Vergrößerung erkennt man, daß sich zahl- reiche Lücken in einzelnen Gefäßwänden finden; an einer Stelle deutlicher Austritt von Blut. In der Wand selbst keine Spur von Blut. Auch hier ist nur das Ödem der Rinde am hervorstechendsten, weniger die Hämorrhagien.

Ein Schnitt aus dem Gyrus cent. post. zeigt, daß auch hier die Meningen etwas breiter sind als es der Norm entspricht, aber keineswegs so breil als im Gyrus frontalis. Ein mächtiges Gefäß in der Meninx zeigt wiederum das Blut außerhalb des Gefäßes, und zwar in einer großen Ansammlung. Wenn man hier die Wand genauer untersucht, so zeigt sich die Intima kaum angedeutet, die Media fibrös, die Adventitia durchsetzt von Blutkörperchen, und zwar roten und weißen. Hier liegt tatsächlich Blut in der Gefäßwand und die Adventitia ist durch dieses Blut fast ganz zerklüftet und kaum zu

Zur Frage der traumatischen Hämmorhagie. 985

erkennen. An einer Stelle ist die Gefäßwand ganz dünn, aber nicht gerissen. Hier ist die ganze Wand durchblutet.

An Nißl-Präparaten dieser Gegend zeigt sich in der Umgebung der Blu- tung, daß die Gefäße enorm erweitert sind, die Wände auffallend dünn.

Die serienweise Durchmusterung einer Gehirnpartie aus dem Gyrus parietalis superior zeigt im wesentlichen ein gleiches Bild wie im Stirnhirn. Im Vordergrunde steht die meningeale Apoplexie. Auffällig ist hier nur der Umstand, daß außer den roten Blutkörperchen eine eigentümliche Form der Gerinnung in die Augen fällt, wobei das geronnene Blut ganz homogen und glasig aussieht. Man kann in diesem homogenen Gewebe einzelne weiße Blut- körperchen nachweisen. Auch hier zeigt sich, daß die Gefäße bereits be- ginnende Wandveränderung aufweisen und daß wir an einzelnen ganz sicher Einrisse erkennen können, die die ganze Wand durchsetzen. Es ist aber an dieser serienweisen Verfolgung auch ersichtlich, daß einzelne Gefäße ohne Einriß der Wand von Blut umscheidet sind, wobei sich zeigt, daß die Adventitia durch rote Blutkörperchen gespalten ist.

Das Kleinhirn zeigt auch kleine Blutungen. Die Gefäße, die im Blutherd liegen, zeigen bereits eine sehr weitgehende Veränderung der Wand.

Im Corpus striatum findet sich nur ein sehr ausgebreitetes Ödem sowie ein fibrinöses Netzwerk an einzelnen Gefäßen und nur im vordersten Ab- schnitt eine Blutung. Auch die Medulla oblongata zeigt nur Ödem, besonders Randödem. Auch im Vaguskerngebiet ist nur Ödem zu sehen. Die großen Gefäße wie die Arteria basilaris oder Arteria cerebri media sind in ihrer Wand etwas verdickt, zeigen aber sämtliche Schichten intakt. Die Intima ist etwas geschwollen. Auch hier zeigen sich an einzelnen Stellen merk- würdige Lakunen.

Fassen wir also zusammen, was dieser innerhalb 12 Stunden zum Exitus gekommene Fall zeigt, so lassen sich zunächst drei verschiedene Ver- änderungen, die auf das Trauma zu beziehen sind, erkennen:

1. meningeale Apoplexien,

2. kleine Hämorrhagien im Gewebe selbst und

3. ein sehr ausgebreitetes und schweres Ödem besonders in den äußeren Schichten.

Wenn man die Blutungen zunächst ins Auge faßt, so sind sie sicher sowohl durch eine Rhexis als auch durch Diapedesis bedingt. Das kommt besonders an den meningealen Gefäßen zum Ausdruck. Am auffälligsten erscheint, daß bei der Kürze der Dauer der Affektion bereits Veränderungen in den Gefäßwänden nachzuweisen sind, und zwar typisch degenerativer Natur. Der Sitz der Blutungen war hauptsächlich die Oberfläche. An erster Stelle stehen die Meningen, dann aber sowohl die graue als weiße Substanz. Auffällig geringfügig fanden sich Blutungen im Hirnstamm, wobei eigentlich nur der vorderste Teil des Striatum solche aufweist.

Auch im Kleinhirn haben wir sowohl in den Meningen als in der Sub- stanz desselben Hämorrhagien nachzuweisen. Es erscheint nun immerhin be- merkenswert, daß die großen Gefäße des Gehirns, wie die Arteria basilaris,

286 Dr. Gisaku Kobayashi.

die Arteria cerebri media, gänz ähnlich wie die kleinen, aus denen die Blutungen erfolgt sind, eine deutliche Wandveränderung erkennen lassen, die also offenbar bereits vor dem Unfall bestanden hat. Es handelt sich hier um eine ziemlich beträchtliche Verdickung der Wand, an einzelnen Stellen auch bereits Übergang in Homogenisation. Und das ist vielleicht die Ursache, daß es hier neben der Diapedesis zur Rhexis kam. Sicherlich haben wir ein schon vorher geschädigtes Gefäßsystem vor uns. Eines ist gewiß. Es sind sowohl Rhexisblutungen als Diapedesisblutungen hier vorhanden und man kann an einzelnen Stellen ganz deutlich sehen, wie das Blut die Adventitia lamelliert.

Der Umstand, daß die Spinalpunktion nur blutigen Liquor ergeben hat, sprach schon in vivo dafür, daß es sich um Hämorrhagien besonders in die Meningen gehandelt haben muß. Diese waren auch in einer überaus mäch- tigen Ausdehnung in allen Teilen des Groß- und Kleinhirns nachweisbar. Freilich war die Pia keine normale, sondern sie war schon, offenbar durch eine vorangegangene Krankheit, schwer verändert (Meningo-Fibrose). Da- mit erschienen auch die Gefäße wie erwähnt verändert, und zwar im Sinne einer Verbreiterung der Wand, ohne jedoch irgend welche Formen von end- arteritischer oder hyaliner Degeneration erkennen zu lassen. Nun kann man an einzelnen der Gefäße, besonders den kleineren, deutlich sehen, daß Rupturen vorhanden sind, die in direkter Kommunikation mit dem Bluterguß stehen. Anderseits aber muß man zugeben, daß auch perivaskuläre Blu- tungen vorhanden sind, ohne daß wir einen Einriß an einem Gefäße nach- weisen konnten. Blutungen in der Gefäßwand, besonders in der Adventitia, finden sich ebenfalls, wenn auch selten.

Wenn man der Frage nach den traumatischen Blutungen nachgeht, be- sonders den experimentellen von Jakob, so zeigt sich, daß dieser in aller- erster Linie kleine kapillare Blutungen im Gehirn, und zwar in der Rinde, im Mittelhirn, aber auch im Kleinhirn sowie in der ganzen Medulla oblon- gata nachweisen konnte, daneben auch Nekroseherde. Auch Bianchi hat Untersuchungen nach Verletzung der Hirnrinde vorgenommen und nicht nur in der Umgebung dieser Verletzung, sondern auch weitab davon Verände- rungen gefunden. Er stellt sich mehr auf den Standpunkt der einfachen dege- nerativen Veränderung nach Trauma, weniger der vaskulären. Marburg hat bei seinen Untersuchungen das mechanische Moment der Gefäßwandschädi- gung besonders betont und eine totale oder partielle Zerreißung von Gefäß- wänden auf der einen Seite, eine Lockerung der Wände infolge Differenz der Elastizitätskoeffizienten auf der anderen Seite hervorgehoben. Wie schon eingangs erwähnt, sind die hauptsächlichsten Untersuchungen der letzten Zeit von Ricker und ganz zuletzt von Schwarz gemacht worden, der eigentlich auf den Rickerschen Anschauungen fußt und das funktionelle Moment in den Vordergrund stellt, d. h. Stase bzw. Prästase infolge Vaso- motorenschädigung und darauffolgende Diapedesisblutung. Diese Auffassung scheint für das Trauma durch einen klassischen Fall von Meints be- stärkt zu werden, der bei einem 11jährigen Mädchen, das eine Verletzung der linken Stirnseite hatte und nach zirka 24 Stunden plötzlich gestorben

Zur Frage der traumatischen Hämmorhagie. 287

war, keine Rhexis der Gefäße fand. Es zeigte sich eine ausgedehnte Blutung im linken Hinterhauptlappen, Blutansammlung zwischen Dura und Pia und in der Gegend des linken Cuneus ein walnußgroßer Blutherd. Das Wesent- lichste ist, daß die Intima aller Gefäße zart und die Herzklappen vollständig intakt waren. Er konnte einen zweiten ähnlichen Fall beibringen. Wilson und Winkelmann sprechen nur über die Häufigkeit pontiner traumatischer Blutungen. Askanazy äußert sich eingehend über den mechanisch-trauma- tischen Einfluß als Krankheitsursache. Aus seinen Ausführungen geht her- vor, daß er auf dem Standpunkt steht, daß durch das Trauma sowohl Ver- schluß als auch Zerreißung von Arterien auftreten kann. Colemann weist auf die Häufigkeit subduraler Hämatome nach Traumen hin, wobei es natür- lich oft schwierig ist, die Lokalisation dieser Blutungen festzustellen. Über die Gefäßveränderungen ist nichts erwähnt. Auch Hammes beschreibt die subduralen Hämatome als häufige Folge von Traumen.

Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man mit Rücksicht auf die Unter- suchungen der Autoren in der letzten Zeit, besonders auch jenen von Pollak und Rezek, auch für das Trauma nicht eine einheitliche Ursache der Blu- tungen annimmt.

Es ist unzweifelhaft, daß nach den Befunden in meinem Falle und nach den Untersuchungen einer Reihe von Autoren sich Blutungen bei völlig in- takten Gefäßwänden fanden, so daß auch beim Trauma die Lehre von Ricker und Schwarz vollauf zu Recht besteht. Anderseits aber kann man nicht zweifeln, daß in einzelnen Fällen, wie z. B. in dem vorliegenden, auch Rupturen der Gefäße vorkommen können. Möglicherweise ist letzteres haupt- sächlich dann der Fall, wenn, wie in meiner Beobachtung, die Gefäße bereits eine Schädigung erlitten haben. Vielleicht ist das auch die Antwort auf die Frage, warum gelegentlich das eine, gelegentlich aber nur das andere vorkommt oder warum beides gleichzeitig in Erscheinung treten kann. Die ganz deutliche meningeale Affektion in meinen Fall mit der gleich- zeitigen Veränderung der Gefäße enthält vielleicht den Hinweis, daß für das Zustandekommen größerer Blutaustritte in den Meningen, besonders solcher nach Rupturen, eine gewisse Prädisposition notwendig ist.

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Aus dem Neurologischen Institut der Universität Wien, Vorstand Prof. Dr. O. Marburg.

Über den Nucleus triangularis.

Von

Dr. W. J. Godlowski Assistent der neurol. Universitätsklinik in Krakau. Direktor Prof. Dr. J. Piltz. Mit 6 Abbildungen im Text.

Nachdem die Forschungen von Forel und Onufrowicz zu einer scharfen Abgrenzung des Ramus vestibularis von dem Ramus cochlearis octavi geführt haben, ist man allmählich zu den jetzt herrschenden Vor- stellungen gelangt, die vier Kerne, d. h. den N. vestibularis descendens, N. triangularis, N. Deiters und N. angularis oder den Bechterewschen Kern, als Endigungsstätten des Vestibularis anerkennen.

Da nun die Arbeiten von Cajal wesentlich zu dieser Auffassung bei- getragen haben, möchte ich zuerst seine Schilderung, die wir in seinem großen Werk über den Bäu des Zentralnervensystems finden, anführen.

In oralen Teilen unterscheidet Cajal folgende Vestibulariskerne: N. magno-cellularis Deiters, N. angularis Bechterew und den dorsalen klein- zelligen Kern, der medial vom Deitersschen Kern liegt, und dem N. triangu- laris entspricht. Die Zellen dieses Kerns schildert er als dreieckig, spindel- förmig oder sternförmig, mit reichverästelten Dendriten. Dieser Kern reicht vom oralen Ende des Hypoglossuskerns bis zum Abduzenskern oder noch etwas weiter. In der Höhe, wo der Hypoglossuskern aufhört, hängt er mit dem N. fasciculi solitarii und mit dem Deitersschen Kern zusammen. In den kaudalsten Teilen der Oblongata findet er nur einen Vestibulariskern, und zwar Ganglion vestibularis descendens, das in zwei Teile zerfällt, einen äußeren mit kleinen Zellen medial und größeren lateral und einem inneren, den er N. triangularis descendens nennt. Die Zellen dieses letzten Kerns bilden direkte Fortsetzung der Zellen des dreieckigen Kerns der vorderen Regionen.

Diese Einteilung läßt vermuten, daß er einen Unterschied zwischen dem oralen Triangulariskern und dem N. triangularis descendens machen will. Seine Bemerkung aber über den Bau des letzteren verwischt diesen Unterschied vollkommen.

Die Wurzelfasern des Vestibularis nach dem Eintritt in die Medulla teilen sich dichotonisch und bilden auf diese Weise einen absteigenden und auf-

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 19

290 : Dr. W. J. Godlowski.

steigenden Ast. Im Triangularis sollen die Fasern des absteigenden Astes enden.

Auch Marburg bildet in seinem Atlas in den oralen Teilen des Hypoglossuskerns den N. triangularis descendens und weiter oral den N. triangularis ab, ohne sich näher in die Beziehungen dieser Kerne ein- zulassen. Jedenfalls aber hält er den N. triangularis descendens und den N. intercalatus für zwei kaudale Ausläufer des Triangularis.

Im diesbezüglichen Abschnitt des „Handbuches der Neurologie des Ohres“ läßt Marburg im Gegensatz zu Cajal das Griseum formationis fasciculatae vom N. triangularis unterscheiden. Dagegen steht nach ihm der zentrale Abschnitt des Bechterewschen Kerns vielleicht in enger Be- ziehung zum Triangularis. Die Fasern, die aus dem Triangularis medialwärts ziehen (auch das Fusesche Bündel), überschreiten nach Marburg zum größten Teil die Mittellinie und begeben sich dann zur Area acclinis, um in ihr als sekundäre sensible Vestibularisbahn oralwärts zu ziehen.

Endlich will Marburg folgende allgemeine systematische Einteilung im Vestibulariskernsystem durchführen: Die kleinen Zellen des Bechterewschen Kerns und des Griseum formationis fasciculatae homologisiert er mit den kleinen Zellen des Hinterhorns. Die Triangulariszellen sollen den Hinterstrang- kernzellen entsprechen. Endlich sind die mittelgroßen Zellen des Triangu- laris und der Formatio fasciculata den Zellen der Clarkschen Säule analog und schicken ihre Axone ins Kleinhim hinein. Im Gegensatz zu diesem sensiblen Vestibularissystem steht der Deiterssche Kern, der einen motori- schen Kern im Dienste der Vestibularisreflexe darstellt.

Kohnstamm ist auf Grund seiner Tierversuche zur Abgrenzung von zwei Zellsystemen im Deiters-Gebiete gelangt, und zwar nimmt er einen dorso-oralen Deiters mit Riesenzellen, der seine Axone spinalwärts in den Fasciculus Deiterso-spinalis sendet und einen ventro-kaudalen Deiters, dessen Axone zum homolateralen und gekreuzten hinteren Längsbündel ziehen, an. Dieser ,,ventro-kaudale Deiters‘ liegt nahe dem Triangularis und die Zellen beider Kerne konfluieren im ventralen Winkel des Triangularis. Die Zellen des „ventro-kaudalen Deiters“ sind mittelgroße bis große Zellen, motorischen Typus.

Ziehen findet eine große Übereinstimmung in dem Bau des N. triangu- laris und des N. vestibularis descendens. Unter dem N. triangularis descen- dens versteht er jenes Gebiet, in dem sich den Zellen des N. triangularis die der Hinterstrangkerne beimischen. Er ist sich aber selbst nicht ganz klar über die morphologische Bedeutung dieser Formation. Weiter hält er den N. intercalatus für einen Teil des Triangularis, und von dem Niveau ab, wo diese beiden Kerne zusammenfließen, will er nur von einem N. trian- gularis sprechen. Nun ist es bemerkenswert, daß er trotzdem noch in der Höhe des Fazialiskniees den Nucleus interealatus nennt. Was die Fasern dieser Region betrifft, so will ich nur kurz zusammenfassend bemerken, daß Ziehen

Über den Nucleus triangularis. 291

1. Fibrae obliquae et transversae Nuclei triangularis, die dorsal vom Tractus solitarius oder durch ihn hindurch ziehen und zur Subst. ret., zu den Fibrae coronariae hypoglossi oder zur Raphe sich wenden.

2. Die Fasern, die aus dem N. triangularis in die Area fasciculata ge- langen und zum größten Teil als Fubrae arcuatae extrenae weiterziehen (der umgekehrte Verlauf ist auch nicht ausgeschlossen).

3. Fibrae radiales, die aus den Wurzeln des Vagus und Glossopharyngeus oder aus dem Fasciculus solitarius austreten und nur scheinbar zum Trian- gularis ziehen, in Wirklichkeit enden sie alle im sensiblen Vaguskern.

4. Fasern, die ganz senkrecht dem lateralen Rand des N. triangularis entlang nach unten ziehen und wahrscheinlich sich in den Fibrae arcuatae internae verlieren.

Ziehens Ansichten in dieser Beziehung gehen also dahin, im Trian- gularis einen Kern des Vestibularis zu sehen, der sich in der Höhe seiner größten Entwicklung von der Raphe bis zur Area fasciculata ausdehnt, sich weiter kaudal in zwei Säulen fortsetzt, die den Zusammenhang mit- einander verloren haben, d. h. im N. intercalatus und N. triangularis descen- dens. Dagegen lehnt Jacobsohn entschieden den Versuch, Triangularis und Intercalatus (N. funiculi teretis von ihm) als einen einzigen Kern zu- sammenzufassen, ab.

Nun muß es auffallen, daß dieses Vestibularisfeld in großer Ausdehnung das Ventrikelgrau bildet, daß es also das Gebiet um den Sulcus limitans einnimmt, ein Gebiet, das sonst den vegetativen Zentren zugewiesen wird. Mit der Aufklärung der Frage der Beziehungen des Triangularisgebietes zu den vegetativen Zentren und Funktionen haben sich besonders die Arbeiten des Wiener Neurologischen Instituts befaßt. Hier ist zuerst die Arbeit Spitzers zu nennen, der den Triangularis in enge Beziehung zur Nahrungsaufnahme stellt, auf seine Beziehungen mit den Kernen des XII. bis IX. Paares hin- weisend.

Dann hat Spiegel gezeigt, daß die reflektorische Blutdrucksenkung nach Vestibularisreizen nach der Triangulariszerstörung ausbleibt.

Endlich haben Takagi und Nakamura eingehende vergleichende anato- mische Studien über den medialen Anteil des Triangularisgebietes unter- nommen. Sie haben festgestellt, daß der N. intercalatus in den oralen Gegen- den außer eigenen Elementen aus großen Zellen (N. praepositus Marburgs), die aus der Subst. ret. stammen und die von Ziehen fälschlich als Hypo- glossuszellen aufgefaßt wurden, besteht, und daß der so konstituierte Kern mit vielen Fasern aus Vestibularisgebieten in Verbindung steht. Da der Kern besonders bei Ungulaten mächtig entwickelt ist, will Takagi ihn mit der Rumination in Beziehung bringen. Nakamura hat dieselbe Abhängigkeit vom Vestibularissystem für den Rollerschen Kern erwiesen und ist zum Schlusse gekommen, daß es nicht unwahrscheinlich ist, daß diese For- mation etwas mit Erbrechen zu tun habe.

Es wurden also im medialen Triangularisgebiete zwei Kerne abgegrenzt, die zwar in Abhängigkeit vom Vestibularis stehen, sonst aber selbständig

19*

292 Dr. W. J. Godlowski.

sind und wahrscheinlich Beziehungen zu wichtigen vegetativen Funktionen haben.

Da, wie aus den Literaturangaben zu sehen ist, die morphologischen Verhältnisse der Teile des Triangularisgebietes keinesfalls als geklärt gelten können, habe ich auf Veranlassung von Herrn Professor Marburg Unter- suchungen über diese Gegend unternommen. Besonders habe ich versucht, folgende Fragen zu beantworten:

1. Bilden der N. triangularis und der N. triangularis descendens einer- seits und der N. triangularis und N. intercalatus anderseits eine morpho- logische Einheit? l

2. Woher stammen die Fasern, die wir im Triangularis finden?

Bei solcher Problemstellung gehören andere Vestibulariskerne mit Aus- nahme des Triangularis nicht in mein Untersuchungsgebiet, darum habe ich auch die Arbeiten von Kaplan und Fuse nicht berücksichtigt.

Als Untersuchungsmaterial habe ich die Säugetiere-Gehirnserien des Wiener Neurologischen Instituts, die nach Weigert gefärbt und mit Cochenil- Alaun nachgefärbt wurden, und mehrere Nißl-Serien benützt.

Mensch (Nißl-Frontalserie):

Schnitt 6 (ungefähr 3 mm nach der Eröffnung des Zentralkanals). Man sieht im Ventrikelboden von innen nach außen den Hypoglossuskern, den Interkalatus, den dorsalen Vaguskern und den N. fun. solit. Latero-dorsal vom Fasc. solit. findet man in vertikaler Richtung ausgezogene Zellgruppen, aus kleinen Zellen bestehend, die sich vom N. fasc. solit. scharf abhebt, obwohl ihre Zellen denen des N. fasc. solit. ähnlich sind. Weiter außen sieht man die großen Zellen der Hinterstrangkerne.

Schnitt 10 (ungefähr 320 p weiter). In dem früheren kleinzelligen Gebiet der Area acustica treten jetzt große Zellen auf. Sie sind in Gruppen über das ganze Gebiet verteilt. Die großen Zellen sind kleiner als die des Monakowschen Kerns.

Schnitt 25 (2 mm weiter). In der Gegend, dorsal vom Fasc. solit. (Triangularis', treten neue Zellen auf, die größer als die Zellen des N. fasc. solit. sind. Sie sind spindel- oder birnförmig und beginnen sich nach außen auszubreiten.

Schnitt 29 (320 u weiter). Die mittelgroßen Zellen haben die großen Zellen der Area acustica nach außen etwas weggedrängt. In dem mittelgroßzelligen Gebiet treten auch etwas größere Zellen, die aber kleiner und blässer sind als die großen Zellen der Area fasc., auf.

Schnitt 31 (180 u weiter). Der Hypoglossuskern ist verschwunden. An seiner Stelle finden sich die großen Zellen des Präpositus, weiter lateral eine lange Reihe von Zellgruppen des Interkalatus, an den sich lateral die Reste des dorsalen Vaguskerns anschließen. Weiter lateral und dorso-lateral von dem sensiblen Vaguskern sieht man ein großes Gebiet mit mittelgroßen und übermittelgroßen, ziemlich blassen Zellen von birnförmiger Gestalt Triangularis. Die Zellen der Area fasc. unterscheiden sich von den Triangulariszellen ganz deutlich.

Schnitt 45 (1120 u weiter). Der N. triangularis ist noch größer geworden. Er kommt in eine innige Berührung lateral mit dem Interkalatus, doch unterscheiden sich die Zellen beider Kerne untereinander stark. Nur die großen Zellen des Triangularis zeigen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Interkalatuszellen.

Schnitt 64 (1120 p weiter). Ganz medial sieht man den großen N. fun. ter., dann die Zellen des Interkalatus, die spärlicher und kleiner geworden sind, endlich die des Triangularis, die weit medial reichen und im allgemeinen größer sind. Durch diese Umwandlungen sind die Unterschiede zwischen beiden Kernen weniger augen- fällig. Sie bestehen nichtsdestoweniger weiter. In den lateralen Teilen des Triangularis kommen große Zellen vereinzelt vor. Sie stammen vielleicht von der Area fasc.

Über den Nucleus triangularis. 293

Schnitt 85 (1680 u weiter). Der Interkalatus ist verschwunden. Es tritt der Abduzenskern auf. Das Gebiet des Triangularis bildet nur einen Streifen unter dem Ventrikelboden.

Schnitt 97 (1200 p weiter). Die Triangulariszellen sind durch den Deitersschen Kern auf einen kleinen Raum unter dem Ventrikelboden verdrängt. Sie sind etwas kleiner geworden, bewahren aber ihre typische Gestalt.

Schnitt 106 (720 p weiter, die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Man findet keine Triangulariszellen mehr. Ihr früheres Gebiet ist fast zellfrei.

Länge des Triang. desc. 2,6 mm, die des Triangularis 6 mm.

Mensch (Weigert-Frontalserie) :

Schnitt 92*) (25 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Aus den kaudalsten Bündeln der Area fasc. treten einzelne Fasern dorso-medial in das Gebiet des Trian- gularis, der außerdem von Fibrae arc., die aus den Hinterstrangkernen stammen, in ventro-medialer Richtung durchquert ist, ein. .

Schnitt 93. Der Triangularis hat schon eine beträchtliche Größe erreicht. Seine Fasern stammen aus der Area fasc. (sie ziehen in medio-dorsaler Richtung). Andere Fasern beginnen im Triangularis unter dem Ventrikelboden und ziehen ventro-medial als Fibrae arc. dorsal vom Fasc. solit. Sie umkreisen die Nester von gelatinöser Substanz und verlieren sich in der Subst. ret.

Schnitt 108. Der Triangularis von derselben Größe, aber faserreicher. Die Fasern haben denselben Verlauf wie früher. Ein Bündel von Fasern, die ihrem Verlauf nach aus der Area fasc. stammen, zieht durch das faserfreie Feld von Vaguskernen in der Richtung des Interkalatus, ohne ihn zu erreichen (Fuse). Vaguswurzel tritt in den dorsalen Vaguskern ein, einzelne Fasern scheinen mit dem Interkalatus in Beziehung zu treten.

Schnitt 115 (oraler Pol vom Hypoglossuskern). Triangularis und Interkalatus sind durch eine Faserbrücke miteinander verbunden. Die Hauptmasse dieser, beide Kerne verbindenden Fasern, stammt aus der Area fasc., besonders aus ihrem ventralen Teil treten zahlreiche Fasern in den Triangularis ein und ziehen an dem ventralen Rand der Brücke entlang zum Interkalatus. In dorsalen Teilen scheinen weniger Fasern aus der Area fasc. in den Triangularis einzutreten. Dagegen aus der Region oberhalb der Area fasc. treten Fasern in den Triangularis ein, durchziehen ihn in ventro- medialer Richtung und begeben sich teils in die Gegend des Interkalatus, teils als Fibrae arc. int. oberhalb des Fasciculus solit. in die Subst. ret., in der sie weiter der Mittellinie zustreben. Aus dem Interkalatus treten Fasern nach unten in die Subst. ret. hinein.

Schnitt 125. Die ersten Striae acusticae erscheinen unter dem Ventrikelboden. Der Triangularis ist mit dem Interkalatus verbunden. Sie stellen eine einzige Faser- masse dar, doch sind die Fasern im Interkalatus dichter und bilden ein gröberes Netz. Die Fasern aus der Area fasc. und Triangularis treten in den Interkalatus und das dorsale Längsbündel von Schütz weiter hin. Die aus der Area fasc. scheinen dann oit einen großen Bogen in ihrem Verlauf durch den Triangularis zu machen. Fibrae arc. ziehen wie früher durch den ventro-lateralen Winkel des Triangularis nach unten. Umgekehrt scheinen aus der Area fasc. andere Fasern zwischen den unteren Bündeln der Area fasc. nach unten und außen zu ziehen. Aber man sieht jetzt ganz deutlich ein neues Fasersystem im Triangularis. Es sind fächerförmig aus der Gegend des Fasciculus solit., oder richtiger gesagt, aus seiner Subst. gelat. austretende und nach allen Richtungen im Triangularis sich ausbreitende, dünne, gerade Fasern. Einzelne aus der lateralen Peripherie des Fasc. solit. stammende Fasern durchziehen dabei, che sie in den Triangularis eintreten, die unterste Gegend der Area fasciculata. Es ist dabei zu bemerken, daß jetzt die Wurzel von X., IX. in den Fasc. solit. einstrahlt. Die Fasern aus der Gegend des Interkalatus sind bis zum Ambiguus zu verfolgen. In anderen

*) Die Nummern der Weigert-Serien sind lediglich Orientierungsnummern und haben mit dem wirklichen Abstand der Schnitte voneinander nichts zu tun.

294 Dr. W. J. Godlowski.

Schnitten dieser Gegend sieht man auch, wie die medialsten Fasern der X., IX. Wurzel in den Interkalatus eintreten.

Schnitt 136. Die Striae acusticae sind deutlicher geworden. Auch die Fibrae arcuatac aus der Area fasc., die dorsal vom Fasc. solit. ziehen, sind ganz mächtig geworden. Der Triangularis und Interkalatus sind mit sehr dichtem Fasergewirr aus- gefüllt. Es ist unmöglich, den Verlauf der einzelnen Fasern zu bestimmen, doch unter- scheidet man noch immer radiäre, fächerförmige Strahlen, die nach unten mit dem stark verkleinerten Fasc. solit. und der IX. Wurzel in Zusammenhang stehen.

Schnitt 144. Der Triangularis, besonders aber der Interkalatus, sind kleiner ge- worden. Auch die Striae acusticae sind nur in spärlicher Zahl unter dem Ventrikel- boden vorhanden. Dagegen durchziehen den Triangularis massive Bündel aus der Area fase. und aus dem Cochleariskern, die unterhalb des Interkalatus zur Mittellinie ziehen. Man sieht den Intermedius die obere Partie der absteigenden V. Wurzel durch- queren und in den sogenannten Rollerschen Kern eintreten. Daß aber nur ein Teil seiner Fasern hier endet, ist sicher. Andere ziehen medial und lateral davon direkt zum Triangularis, wo man sie weit nach oben verfolgen kann. Vom Intermedius zweigt sich ein Ast ab, der weit unter dem gustatorischen Kern sich nach innen wendet.

Schnitt 146. Hier sieht man noch deutlicher diese Einstrahlung des Intermedius, seine Fasern gehen auch in den Interkalatus hinein. Außerdem sieht man ein kleines quergetroffenes Bündel als Fortsetzung des Fasc. solit.

Schnitt 150 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Triangularis und Interkalatus sind noch kleiner. Die radiäre Faserung im Triangularis deutlich. Die trans- versalen Fasern in beiden Kernen sind sehr mächtig.

Schnitt 157. Der Zusammenhang der radiären Strahlung mit der Intermedium- wurzel (die aufgehört hat in die Medulla einzutreten) ist nicht mehr nachzuweisen. Dagegen aus dem Fasc. solit. treten medial und lateral Fasern in dorsaler Richtung auf, die in der radiären Strahlung sich fortsetzen.

Schnitt 175 (die Höhe des absteigenden Fazialiskerns). Die Vestibularisfasern sind bis zum Ventrikelboden zu verfolgen.

Primaten.

Gorilla (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 262 (40 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). Dorso-lateral vom Fasc. solit. ein Feld mit kleinen Zellen (kleiner als die Zellen des angrenzen:en N. fasc. solit.). Lateral davon sieht man größere Zellen, die noch dem Hinterstrangkern angehören. Medial grenzt der N. triangul. an den sensiblen Vaguskern, der noch bis zur Oberfläche reicht.

Schnitt 258, In das oben beschriebene Triangularisgebiet treten die Fasern aus dem kaudalen Ende der Area fasc.

Schnitt 245. Einzelne Fasern aus der Area fasc., nachdem sie den Triangularis, der jetzt mit einem ziemlich dichten Fasergewirr ausgefüllt ist, durchzogen haben, treten in das Gebiet der Vaguskerne zum Fasc. Schütz und N. intercalatus ziehen! (Fusesches Bündel). Andere Fasern aus der Area fasc. ziehen als Fibrae arc. int. durch den Triangularis oberhalb des Fasc. solit.

Schnitt 242. In dem Triangularis finden sich zerstreut außer den kleinen Zellen große Zellen.

Schnitt 232. Oberhalb und nach außen vom Hypoglossuskerne ziemlich großer Interkalatus. Der N. dorsalis X. hat sich in zwei Gruppen geteilt, deren obere in Kontakt mit dem N. triang., der seinen Bau unverändert behalten hat, tritt.

Schnitt 225. Oraler Pol vom Hypoglossuskern. Der Interkalatus und Triangularis sind durch eine breite Faserbrücke verbunden. Die Faserbeziehungen sind wie früher. Nur treten aus der Wurzel des X. und IX., die jetzt in den Fasc. solit. einstiahlen, einzelne feine Fasern in die ventrale Triangularisecke.

Schnitt 223. Man sieht, wie die X. und IX. Wurzelfasern in den Triangularis eintreten. Einzelne von ihnen durchziehen die untersten Area-fasciculata-Bündel.

Über den Nucleus triangularis. 295

Weiter kann man sie als radiäre fächerartig, sich in allen Teilen vom Triangularis fast bis zum Ventrikelboden ausbreitende Fasern verfolgen. Am unteren Rande der Ver- bindungsbriicke, zwischen dem Triangularis und Interkalatus, sieht man Fasern, die Fuse als besonderes Biindel beschrieben hat. Die motorische IX. Wurzel tritt in die Interkalatusgegend ein.

Schnitt 212. Die groBen Zellen des Triangularis sind verschwunden. An ihrer Stelle treten etwas kleinere, viel blassere, dagegen aber dichter angeordnete Elemente ein. Die Radiärfaserung hat in dieser Gegend stark abgenommen. Auch die Einstrahlung von IX in den Fasc. solit. hat aufgehört. Es gibt keine Verbindung zwischen den großen Zellen des Triangularis und den Interkalatuszellen.

Schnitt 201. Der Flockenstiel verbindet die Medulla mit dem Kleinhirn. Die Radiärfasern in dem Triangularis sind wieder reichlicher geworden. Ein mächtiges Bündel von ihnen durchzieht das Grenzgebiet vom Triangularis und Interkalatus. Der Triangularis ist dicht mit transversalen Fasern (Striae medullares, Fasern aus der Area fasc. usw.) ausgefüllt.

Schnitt 191. Man sieht noch immer im Triangularis für ihn charakteristische Zellen. Im Interkalatus trifft man nur kleine Elemente.

Schnitt 185. Immer noch treten radiäre Fasern im Triangularis auf und ziehen weiter in der Intermediuswurzel, die sich sicher nicht vollständig im Rollerschen Kern erschöpft, durch die Radix descendens V zur Peripherie, wo sie zusammen mit dem Vestibularis die Medulla verlassen.

Schnitt 178 (die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Dasselbe Bild. Weiter oralwärts sind schon keine Zellen vom Triangularis mehr zu finden.

Orang (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 1114. Dorsal vom Fasc. solit. unter dem Ventrikelboden findet sich ein Feld, gebildet von feinen Fasern, die hauptsächlich in dorso-medialer Richtung ziehen und aus den letzten Bündeln der Area fasc. stammen Triangularis. Aus diesem Feld ziehen auch nach unten dicke Fasern, die lateral von Solitarbündeln in die Fibrae are. int. übergehen. Die Zellen des Triangularis, wie man im Schnitt 1115 sieht, sind ganz kleine Elemente.

Schnitt 1096. Area fasc. ist deutlicher ausgebildet. Die Triangularis ist weiter von ihren Fasern durchzogen. Ein Teil von ihnen geht zum Interkalatus und dem Bündel von Schütz. der andere, als die Fibrae arc. int. dorso-medial vom Fasc. solit., nach unten. Außer den kleinen finden sich auch große Zellen. Die beiden Zellarten sind auch in der Area fasc. zu treffen (Schnitt 1101).

Schnitt 1064. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Die Zellen des Trian- gularis haben eine Veränderung erfahren. Sie sind etwas kleiner als vorher hier vor- kommende Zellen, dichter gelagert und blasser, von den dunkler gefärbten und mehr polygonalen Zellen des Interkalatus unterscheiden sie sich deutlich. Zugleich treten im Triangularis radiäre Fasern auf, die in die Gegend des Solitarius sich begeben.

Schnitt 1063. Die radiären Fasern gehen, teilweise auch zwischen den Bündeln der Area fasc. durchziehend, in die X. und IX. Wurzel ein.

Schnitt 1046. Man kann die Fasern, die radiär in dem Triangularis angeordnet sind, manchmal bis zum Austritt aus der Medulla verfolgen, besonders die medialen. Der Triangularis wird von Striae medullares und Fibrae arc. int. durchquert. Seine Zellen unterscheiden sich von denen des Interkalatus.

Schnitt 1030. Der Intermedius tritt durch die Radix descendens V in die Gegend des Rollerschen Kerns, den er mit seinen Ästen umgibt, ein. Ein Teil seiner Fasern zieht direkt in den Triangularis bis in seine oberste Gegend.

Schnitt 1027. Der Triangularis ist stark verkleinert. Seine Zellen sind auf ein knappes Areal unter dem Ventrikelboden beschränkt. Der Interkalatus ist verschwunden. Die ventralsten Triangulteile sind von Deiters-Zellen eingenommen.

Schnitt 1008. Der Vestibularis reicht mit seinen Fasern in das frühere Trian- gularisgebiet. Der Charakter der Zellen hat sich verändert.

296 Dr. W. J. Godlowski.

Simia satyrus (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 439 (35 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). Oberhalb des Fasc. solit. unter dem Ventrikelboden ist ein kleines feinfaseriges Feld aus dem Fibrae arc., lateral vom Fasc. solit., nach unten ziehen.

Schnitt 438. In diesem Triangularisfelde finden sich nur kleine Zellen.

Schnitt 426. Aus der Area fasc. ziehen Fasern in dorso-medialer Richtung in den Triangularis ein. Ein Teil von ihnen reicht weiter bis zum Interkalatus und bildet auf diese Weise eine Verbindungsbrücke zwischen dem Triangularis und dem Interkalatus. Eine Anzahl endlich von dicken Fasern der Area fasc. durchzieht den Triangularis in ventro-medialer Richtung und zieht weiter als Fibrae arc. int. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Die Reste des in die Tiefe getretenen dorsalen Vaguskerns reichen weit lateralwärts in die Gegend des Triangularis. Hier sieht man mittelgroße, blasse Zellen. An der Grenze der Area fasc. finden sich größere Zellen.

Schnitt 420. Der Glossopharyngeus tritt in den Fasc. solit. ein. Einzelne seiner Fasern, die Fibrae arc. int. durchquerend, treten als fächerartig sich ausbreitende Fasern in den Triangularis ein. Ein Teil der Area-fasc.-Fasern, die zum Interkalatus ziehen, biegen nach unten um und treten in die Subst. ret. ein. Die Zellen des Trian- gularis unterscheiden sich durch ihre Form und Blässe von den etwas dunkleren und mehr rundlichen Interkalatuszellen. ;

Schnitt 408 (linke Seite). Durch die Radix desc. V tritt der Intermedius, vom Vestibularis deutlich geschieden, in die Medulla ein. Man verfolgt den Verlauf seiner Wurzel bis tief in den Triangularis, wo er sich aufsplittert.

Schnitt 407. Die Zellen des Triangularis sind auf einen ziemlich schmalen Streifen unter dem Ventrikelboden beschränkt. Die Zellen in der Interkalatusgegend sind schwer von dem Triangularis zu unterscheiden. Lateral und ventral grenzt das Gebiet an den Deitersschen Kern. Der eintretende Intermedius umgibt mit seinen Ästen den Rollerschen Kern. Mit einer Anzahl seiner Fasern reicht er aber weiter dorsal.

Schnitt 404. Der Vestibularis beginnt in das frühere Triangularisgebiet einzu- strahlen.

Hylobates (Weigert-Frontalserie) :

Schnitt 86 (11 Schnitte nach der Eréffnung des Zentralkanals). Dorso-lateral von dem Fasc. solit. unter dem Ventrikelboden in der Area acustica, die eine Vor- wölbung bildet, finden wir medial ein Feld mit feinen Fasern, die entweder in dorso- medialer Richtung ziehen oder parallel zum Ventrikelboden nach innen durchlaufen und an der medialen Grenze des Feldes enden. Diese beiden Faserarten stammen aus dem lateralen Teil der Area acustica (Area fasc.). Es finden sich endlich Fasern, die von oben nach unten verlaufen und weiter medial vom Fasc. solit. als Fibrae arc. int. vorbeiziehen. Diese Fasern stammen entweder aus der Area fasc. oder vielleicht ent- springen sie auch im N. triangularis selbst. Die Zellen sind in dem medialen Teil der Area acust. (Triangularis) klein. Im lateralen Teil (Area fasc.) außer den kleinen finden sich auch große Elemente. Die Zellen des Gollschen Kerns werden nach unten weg- gedrängt.

Schnitt 92. Die Fasern, die aus dem Triangularis nach innen ziehen, haben eine Verbindungsbrücke mit dem Interkalatus und dem Schützschen Bündel gebildet. In der Mehrzahl stammen sie aus der Area fasc. Ein Teil von ihnen bildet medial ein scheinbar selbständiges Bündel (Fuse). Einzelne Fasern aus der Vestibularisgegend an der Grenze des Interkalatus angelangt, ändern ihren Verlauf und ziehen nach unten in die Subst. ret. hinein. Die großen Zellen, die früher nur lateral zu treffen waren, finden sich jetzt auch im Triangularis.

Schnitt 102 und 103. Die Triangulariszellen haben eine Veränderung erfahren. Sie sind etwas größer und länglicher als früher. Vom Interkalatus sind sie durch ein kleines Feld kleiner Zellen getrennt. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der dor- sale und sensible Vaguskern sind in die Tiefe getreten. Durch den Fasc. solit. treten einzelne Wurzelfasern des Vagoglossopharyngeus in die medialen Partien des Trian-

Cber den Nucleus triangularis. 297

gularis, wo sie radiär zur Oberfläche ziehend feine Bündel bilden. Die motorische Vagoglossopharyngeuswurzel tritt scheinbar in den Interkalatus ein. Die Zellen des Interkalatus unterscheiden sich deutlich durch ihre dunklere Farbe, Gestalt und Dichte von den Triangulariszellen.

Schnitt 112. Der Glossopharyngeus tritt weiter mit seinen beiden Wurzeln scheinbar in den Triangularis und Interkalatus ein. Striae acust. durchziehen den Triangularis. Auch aus der Area fasc. entspringen mächtige Bündel, die den Trian- gularis in ihrem Wege nach innen durchqueren. Unter dem Triangularis erscheinen Gruppen von größeren Zellen.

Schnitt 124 und 125. Die Höhe des Abduzenskerns. Der Interkalatus ist ver- schwunden. Der Triangularis ist stark nach oben verdrängt. In dem Gebiet unter dem Triangularis verzweigen sich reichlich Fasern aus der Area fasc. und aus dem Vestibularis, ohne aber in den Triangularis einzutreten.

Schnitt 132 (die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Die Triangularis- zellen sind nicht mehr sichtbar.

Zusammenfassung.

Der kaudale Teil des Triangularis bis zur Höhe des Hypoglossuskern- endes besteht aus großen und kleinen Zellen. Weiter oral treten ganz neue Zellen im Triangularis auf, mittelgroße in dem dorsalen, größere im ventro- medialen Teil. Diese stehen sowohl mit dem Interkalatus als mit dem dor- salen Vaguskern in Zusammenhang. Weiter oral verschwinden die größeren Zellen und nur die mittelgroßen reichen bis zum vorderen Pol des Kerns, der ungefähr in der Höhe des absteigenden Fazialisschenkels sich befindet.

Die Fasern im Triangularis sind außer dem dichten Grundnetz schräg und horizontal nach innen und unten zum Interkalatus, Fasciculus Schütz zum dorsalen und prädorsalen Längsbündel verlaufende Fasern. Außerdem finden sich hier radiäre, senkrecht zu den erstgenannten verlaufende Fasern, die scheinbar mit dem Glossopharyngeus und mit dem Intermedius, eventuell durch Vermittlung des Solitarius, in Verbindung stehen.

Simiae.

Cercopithecus:

Schnitt 570 und 569 (20 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). In der vorgewölbten Area acustica finden sich kleinere und große Zellen, die letzteren überwiegen in den lateralen Partien, d. h. in dem Area-fasciculata-Gebiet.

Die Fasern treten aus der Area fasc. nach innen und durchziehen den Trian- gularis. Ein Teil von ihnen wendet sich nach unten und zieht als Fibrae arc. int. lateral vom Fasc. solit. weiter.

Schnitt 586. Die Fasern aus dem Triangularis ziehen unter dem Ventrikelboden medialwärts und treten in das Schützsche Bündel, das erst jetzt eine beträchtlichere Größe erlangt,. ein. Andere Fasern ziehen oberhalb und unterhalb des Fasc. solit. nach innen. i

Schnitt 600. Nißl-Färbung. Wir befinden uns an dem oralen Pol des Hypo- glossuskerns. Dorso-lateral von ihm sieht man den Interkalatus mit kleineren rund- lichen und großen multipolaren Zellen. Weiter lateralwärts sind die Reste von dem dorsalen Vaguskern, der aus kleinen Elementen besteht, und in zwei Teile, einen dorsalen und einen ventralen, zerfällt. In der Lücke zwischen dem dorsalen Vagus- kern und dem Triangularis finden wir ein paar mittelgroße, spindelförmige oder bipolare Zellen. Im Triangularis sehen wir in seinem dorso-medialen Teil eine dichte Zell- ansammlung, die in den Markscheidenpräparaten als Subst. gelatinosa imponiert. Die Zellen sind mittelgroß und ziemlich dunkel gefärbt. Weiter lateralwärts finden sich

298 Dr. W. J. Godlowski.

große und mittelgroße Zellen, die lockerer gefügt sind und die allmählich in die Zellen der Area fasc. übergehen.

Schnitt 609. Markscheidenfärbung. Der N. hypogl. ist verschwunden. Auch das Nest der gelatinösen Substanz im Triangularis ist nicht mehr zu sehen. Der Interkalatus und Triangularis hängen eng zusammen, Sie sind durch zahlreiche Fasern verbunden. Aus der Area fasc. in den Triangularis ziehende Fasern scheinen in dorso-medialer Richtung bis nahe an den Ventrikelboden zu kommen, dann umzubiegen, um in das Schützsche Bündel und in den Interkalatus zu gelangen. Die Faserung des Triangularis hat ihren Charakter etwas verändert. Es gibt mehr vertikale und weniger horizontale Fasern.

Schnitt 610. Nißl-Färbung. Die Triangulariszellen haben ihr Aussehen gänzlich verändert. Es sind nämlich jetzt blasse Zellen, die gewöhnlich als langgezogene bipolare Gebilde erscheinen. Bei anderer Schnittrichtung aber auch birnförmig und wenn sie mehr quergetroffen sind, oval. Sie sind mittelgroße und sind gleichmäßig verteilt. In den medialen Teilen des Kerns finden sich auch andere mehr polygonale und sich dunkler färbende Elemente, die an die Interkalatuszellen erinnern. Der Inter- kalatus ist durch eine Lücke vom Triangularis getrennt, in der Tiefe finden sich die letzten Zellen des dorsalen Vaguskerns.

Schnitt 615. Markscheidenfärbung. Aus dem Fasc. solit. selbst und aus seiner Umgebung treten zarte Fasern in die Höhe, in den Nucl. triangularis ein.

Schnitt 625. Nißl-Färbung. Die Zellen des Triangularis sind etwas größer ge- worden. Sie bewahren ihre Form und unterscheiden sich von den Interkalatuszellen. In den lateralen Partien findet sich hie und da eine große vereinzelte Zelle, die der Area fasc. angehört.

Schnitt 627. Markscheidenfärbung. Die Glossopharyngeuswurzel tritt mit einem Teil ihrer Fasern lateral und medial vom Fasc. solit, die Fibrae arc. int. durch- kreuzend, in den N. triangularis ein. Andere Wurzeln treten in den Interkalatus hinein. Der N. fasc. solit. ist hier nur mehr angedeutet.

Schnitt 630. Nißl-Färbung. Der Triangularis besteht aus typischen Zellen, die aber jetzt mehr locker liegen. Der Interkalatus als distinkter Kern ist nicht abzu- grenzen. Latero-ventral vom Triangularis finden sich große Deiterssche Zellen.

Schnitt 631. Radiäre Fasern im Triangularis sind sehr deutlich. Besonders gut kann man die Wurzelfasern verfolgen, die an der Grenze des Interkalatus und Trian- gularis bis zur Oberfläche aufsteigen.

Schnitt 640. Nißl-Färbung. Die Abgrenzung des Interkalatus vom Triangularis ist hier schwieriger, da im Interkalatusgebiet die Zellen spärlicher und kleiner ge- worden sind. Trotzdem findet man immer noch Unterschiede. Die Zellen des Deiters- schen Kerns sind ziemlich weit nach oben vorgerückt und nehmen die ventralen Partien des Triangularis ein. Hier enden auch die Fasern der Area fasc.

Schnitt 650. Der Interkalatus ist verschwunden. Der Triangularis ist sehr klein. Den Rest seines früheren Gebietes nimmt jetzt der Deiters- und Abduzenskern ein.

Schnitt 660. Nißl-Färbung. (Die Höhe des aufsteigenden Fazialisknies.) Es sind hier keine Triangulariszellen mehr mit Sicherheit zu finden. Das Gebiet ist fast zellfrei.

Semnopithecus:

Schnitt 189 (40 Schnitte nach dem Anfang der Rautengrube). Unter dem Ventrikelboden, dorsal von den Hinterstrangkernen und lateral von dem sensiblen Vagus- kern finden wir eine kleine Area fasc. und medial von ihr den Triangularis, dessen Fasern nach unten als Fibrae arc. int. ziehen. Im Triangularis und in den medialen Teilen der Arca fase. finden wir kleine Zellen, lateral in der Area fasc. große Zellen.

Schnitt 210. Jetzt sieht man im Triangularis außer den kleinen auch größere Zellen. Die Fasern ziehen in großer Zahl aus der Area fasc. durch den Triangularis zum Interkalatus, zum Schütz, einzelne auch an der Grenze des Interkalatus nach unten mit dem Rollerschen Kern in Berührung tretend.

ee

Uber den Nucleus triangularis. 299

Schnitt 216. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Aus der Gegend des Fasc. solit., in den jetzt IX. und X. Wurzel eintreten, ziehen gerade Fasern in die medialen Teile des Triangularis ein. Sie durchqueren auch die untersten Bündel der Area fasc., obgleich zu bemerken ist, daß die Fasern, die aus dem Triangularis als Fibrae arc. nach unten ziehen, den gleichen Verlauf einschlagen. Die Zellen des Triangularis sind blasser und länglicher geworden, sie unterscheiden sich deutlich von denen des Inter- kalatus.

Schnitt 229. Die Fasern des Glossopharyngeus strahlen vom lateralen Rand des Fasc. solit., sich fächerförmig ausbreitend, in den Triangularis ein.

Schnitt 237. Die Radiärfasern sind weniger zahlreich. Die Fasern aus der Area fasc. treten in die untersten Teile des Triangularis ein. Hier sieht man auch größere Zellen, die sicher dem Deiterskern angehören. Die oberen Partien des Trian- gularis werden von den Striae acust. durchzogen.

Schnitt 244. Radiäre Fasern im Triangularis sind wieder zahlreicher. Sie scheinen mit dem Intermedius, der sich jetzt scheinbar mit dem Rollerschen Kern ver- einigt, in Verbindung zu stehen (auch Schnitt 249).

Schnitt 258. Die fächerförmigen Fasern treten weiter nach unten aus dem Triangularis und Interkalatus aus. Beide Kerne lassen sich gut voneinander unter- scheiden. Der Deiterssche Kern hat den Triangularis stark eingeengt.

Schnitt 269 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Die Fasern aus dem Deitersgebiet verästeln sich bis zur Ventrikeloberfläche.

Zusammenfassung.

Der Triangularis descendens besteht aus kleinen und großen Zellen. Das Schützsche Bündel tritt erst dann auf, wenn die Fasern der Area fasc. nach innen zu ziehen beginnen. Der Triangularis ist in seinem sagittalen Durchmesser etwas kürzer als bei den Primaten. In seinem kaudalen Teil findet sich ein gelatinöser Herd. Sonst keine Unterschiede.

Prosimiae. Lemur catta (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 157 (24 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). lateral von Fasc. solit. die ersten Bündel der Area fasc. Aus ihr treten nach außen die Fibrae arc. Von oben scheinen sie noch von Hinterstrangkernen begrenzt zu werden.

Schnitt 165. Medial von der Area fasc. ist ein kleines Feld des Triangularis. Es treten die Fasern der Area fasc. in dasselbe hinein. Die Fasern der Fibrae arc. ziehen aus diesem Triangularisfelde nach unten. Es finden sich hier kleine Zellen mit einigen großen vermischt.

Schnitt 171. Die Fasern, die aus der Area fasc. in den Triangularis eintreten, ziehen jetzt in das Areal des Interkalatus und des Schützschen Bündels hinein. Die Hauptmasse zieht unter dem Ventrikelboden, die Vaguskerne von dorsal her über- wölbend. Einige ziehen aber auch ventral vom Vagusgebiet nach innen zum Inter- kalatus.

Schnitt 178. Man findet mehr große Zellen im Triangularis. Einzelne Fasern, die zum Interkalatus ziehen, treten dann direkt nach unten in die Subst. ret. oder in den Rollerschen Kern.

Schnitt 197. In der oberen medialen Ecke des Triangularis ist ein Herd von gelatinöser Substanz. In ihm finden sich die gleichen Zellen wie im übrigen Trian- gulariskern. Die Fasern, die dem unteren Rand der Vereinigungsbrücke entlang zum Interkalatus ziehen, entspringen direkt aus der Area fasc. und scheinen dann im Interkalatus nach unten abzubiegen.

Schnitt 213. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Auch im Triangularis ist keine Substantia gelatinosa mehr. Die Zellen des Triangularis sind jetzt blasser und

300 Dr. W. J. Godlowski.

unterscheiden sich scharf von denen des Interkalatus. Nur in den medialen Teilen des Kerns sieht man auch dunklere Zellen. Die Wurzeln des X. und IX. treten in die untere Ecke des Triangularis ein. In diesem sieht man die radiären Fasern.

Schnitt 217. Diese Fasern treten zum Teil auch zwischen den Bündeln dex Area fasc. hindurch. Andere ziehen ganz dem medialen Rand der Area fasc. entlang in die Höhe. Auch in den Interkalatus tritt eine Nervenwurzel hinein.

Schnitt 247. Die Intermediuswurzel tritt medial von der Radix desc. V in die Medulla ein und zieht senkrecht bis in die Höhe der Triangularisgrenze. Es ist nicht möglich, ihren weiteren Verlauf genau zu verfolgen, wegen zahlreicher transversaler Fasern, die aus der Area fasc. aus dem Cochleariskern und vielleicht auch aus dem Zerebellun stammend, die unteren Teile vom Triangularis in dichten Massen durch- queren. Man sieht jedenfalls im Triangularis sehr zahlreiche feine Fasern, die von der Oberfläche senkrecht oder etwas schräg ventral ziehen. Ein kleiner Herd von Subst. gelat. findet sich an der oberen Grenze des Triangularis.

Schnitt 264 (die Höhe des Abduzenskerns). Das Triangularisgebiet ist stark durch den Deitersschen Kern eingeengt. Man findet in ihm viele quergetroffene Fasern.

Schnitt 283. Noch ein kleines Gebiet zwischen dem Abduzenskern und dem Angulus des IV. Ventrikels ist von Triangulariszellen eingenommen. Feine Fasern ziehen noch nach unten.

Hapale ursula (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 185 (20 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). Dorso-lateral von dem Fasc. solit. sieht man das kaudalste Ende vom Triangularis und der Area fasc. Es treten aus diesem Gebiete die Fibrae arc. int. lateral vom Fasc. solit. nach unten herab. Die Zellen beider Formationen sind klein.

Schnitt 195 und 196. Außer den kleinen treten auch große Zellen im Trian- gularis auf. Dieselben Zellen trifft man in der Area fasc. Zahlreiche Fasern ziehen ober- halb der Vaguskerne aus dem Triangularis in den Interkalatus hinein, wahrscheinlich einen Bogen nach vorne beschreibend. Sie stammen aus der Area fasc.

Schnitt 203. Besonders die Fasern an dem unteren Rand der Verbindungs- brücke sind mächtig. Man hat den Eindruck, daß sie zum Rollerschen Kern ziehen.

Schnitt 217. Es treten außer den oft in derselben Richtung verlaufenden Fibrae arc. radiäre Fasern im Triangularis auf, die fächerförmig nach unten zu- sammenlaufen. Hier scheinen sie in Zusammenhang mit der in den Tractus solit. ein- tretenden Wurzel zu stehen. Die Zellen des Triangularis sind etwas blasser geworden und sind gleichmäßiger verteilt. Sie unterscheiden sich sowohl von den Interkalatus- als auch von den Area-Fasciculata-Zellen.

"Schnitt 236. An dem oberen Rand des Triangularis findet sich eine dichte Schicht von quergetroffenen Fasern, welche die Fortsetzung des Schützschen Bündels bilden. In den Interkalatus tritt immer noch eine Wurzel ein.

Schnitt 250. Es treten noch immer Fasern in ventro-lateraler Richtung aus dem Triangularis und Interkalatus heraus, besonders dicht an der Grenze beider Kerne. Diese sind leicht voneinander zu unterscheiden. Der Triangularis ist durch den Deiters- schen Kern stark verkleinert.

Schnitt 362 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Die quergetroffenen Fasern im oberen Teil des Triangularis haben sich in längsgetroffene verwandelt und ziehen ventralwärts.

Schnitt 382 (die Höhe des absteigenden Fazialisknies). Der Rest des Trian- gularis, der zwischen dem Abduzenskern, den Anfängen des Bechterewschen und dem Deitersschen Kern gelegen war, verschwindet.

Macacus rhesus (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 89 (3 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Aus der Area fasc., die sich oberhalb des Areals der Hinterstrangkerne an der Peripherie der Medulla be- findet, treten horizontale Fasern in das kleine Triangularisgebiet ein. Sie ziehen dann nach innen, doch biegen sie dabei nach vorne um, so daß ihr ganzer Weg zum Fasc.

Uber den Nucleus triangularis. 301

Schiitz an einem Schnitt nicht sichtbar ist. Andere Fasern aus dem Triangularis bzw. aus der Area fasc. durchziehen den Triangularis in schräger Richtung nach unten und ziehen weiter medial und lateral vom Fasc. solit. als Fibrae arc.

Schnitt 89. Die Fasern, die aus den Fibrae arc. int. medial vom Fasc. solit. aus dem Triangularis und aus der Area fasc.-ziehen, sind sehr mächtig geworden. Zahlreiche Fasern ziehen auch zum Schützschen Bündel und zum N. intercalatus, beide Kerne verbindend und das Vagusgebiet von oben umgebend. In der medio-dorsalen Ecke des Triangularis ist ein Herd von Subst. gelat. Aus ihm treten auch Fibrae arc. aus.

Schnitt 86 (Ende des Hypoglossuskerns). Der Triangularis ist größer geworden. Besonders nach ventral hat sich seine Grenze vorgeschoben. Er ist eng mit dem Interkalatus verbunden. Die Fasern in ihm sind dichter angeordnet. Außer transversal verlaufenden finden sich fächerartig aus der Fasc.-solit.-Gegend bis zur Oberfläche reichende Fasern. In den Fasc. solit. tritt gerade jetzt die Glossopharyngeuswurzel ein.

Schnitt 83. Die unteren Teile des Triangularis sind bereits von Fasern aus der Area fasc. und von den Striae acust. eingenommen.

Schnitt 82 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Der Triangularis nimmt nur ein kleines Gebiet unter dem Ventrikelboden ein. Aus ihm ziehen feine Fasern vertikal nach unten. Der Rest des Gebietes wird mit. den Fasern aus der Gegend des N. Deiters ausgefüllt.

Schnitt 81 (die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Man sieht unter dem Ventrikelboden ein zellfreies Gebiet, dem sich die Vestibularisfasern nähern.

Zusammenfassung.

Der Triangularis ist etwas größer als bei den Simien. In seinem kau- dalen Teil finden sich auch Herde gelatinöser Substanz. Sonst nichts Be- sonderes.

Chiroptera.

Pteropus: r

Schnitt 321 (13 Schnitte nach dem Anfang der Rautengrube). Zwischen dem N. fasc. solit. und der Area fasc. sieht man ein kleinzelliges Feld, aus dem Fasern ventralwärts als Fibr. arc. ziehen. Das ist der Triangularis.

Schnitt 313. Die Area fasc. und der Triangularis bilden ein gemeinsames Feld. Es finden sich kleine Zellen mit größeren vermischt. Der Fasc. solit, der hier sehr dorsal liegt, trennt den Triangularis von den Vaguskernen.

Schnitt 293. Der Interkalatus und Triangularis gehen ineinander über. Zahl- reiche Fasern ziehen aus dem Triangularis und aus der Area fasc. zum Interkalatus. Einige von ihnen bilden ein distinktes Bündel, das dem Fuseschen Fasciculus ent- spricht.

Schnitt 280. Man hat den Eindruck, daß aus dem Fasc. solit., in den jetzt eine Nervenwurzel eintritt, Fasern zum Triangularis ziehen.

Schnitt 266 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Der Triangularis und Interkalatus sind ganz klein geworden. Die Fasern in ihnen sind spärlich. Die Zellen beider Kerne unterscheiden sich voneinander, indem die des Interkalatus kleiner und mehr rundlich sind.

Schnitt 260. Ende des Triangularis.

Vesperugo:

Schnitt 129 (16 Schnitte nach der Eröffnung des Ventrikels). Medial von der Area fasc., dorsal vom Fasc. solit. liegt der Triangularis. In ihm enden Fasern der Area fasc. und aus ihm treten Fibr. arc. int. et ext. heraus.

Schnitt 137 (Ende des Hypoglossuskerns). Der Triangularis und Interkalatus sind mit Fasern verbunden, welche hauptsächlich aus der Area fasc. zu stammen scheinen.

302 Dr. W. J. Godlowski.

Schnitt 141. Fasern aus dem Fasc. solit. treten in den Triangularis ein.

Schnitt 150. Die Intermediuswurzel tritt in die ventro-laterale Ecke des Trian- gularis ein.

Schnitt 168. Ende des Triangularis.

Zusammenfassung.

Der Triangularis und der Interkalatus sind mäßig entwickelt. Die Zellen beider sind ziemlich schwer voneinander zu unterscheiden. Auch der Ur- sprung der radiären Fasern aus dem Glossopharyngeus und Intermedius ist nicht sehr deutlich.

Carnivoren. Felis domestica (Nißl-Frontalserie):

Schnitt 45 (ungefähr 1 mm nach der Eröffnung des Zentralkanals). Dorso-lateral vom Fasc. solit. sieht man Stränge von ganz kleinen dichtgedrängten Zellen, die die kaudalsten Bündel der Area fasc. umgeben. Von außen und oben sind sie von den großen Zellen der Hinterstrangkerne umschlossen. Von innen grenzen sie an den N. fasc. solit., der hier schon ganz klein geworden ist und dessen Zellen größer sind.

Schnitt 51 (348 p weiter). Die kleinen Zellen des Triangularis reichen jetzt bis zum Ventrikelboden, wo die Zellen der Hinterstrangkerne verschwunden sind. Sie sind den Zellen des N. fasc. solit. ähnlich, nur dunkler gefärbt. Zwischen den Bündeln der Area fasc. finden sich jetzt hauptsächlich große, dreieckige Zellen.

Schnitt 53 (128 u weiter). Zwischen den kleinen Zellen des Triangularis finden sich jetzt auch große Zellen der Area fasc. Die Vaguskerne sind in die Tiefe getreten, so daß die Pole des Triangularis und Interkalatus sich nähern.

Schnitt 56 (192 p weiter). Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Im Trian- gularis, der etwas zellärmer ist, sehen wir die kleinen und die größeren dreieckigen Elemente. Im latero-dorsalen Winkel sieht man eine größere Ansammlung mittelgroßer Zellen von demselben Typus. Der Triangularis und Interkalatus sind noch immer voneinander durch eine Lücke getrennt.

Schnitt 57 (64 u weiter). In der dorso-medialen Ecke des Triangularis, welcher sich dem Interkalatus nähert, sieht man Zellen auftreten, die sich sowohl ihrer Grüße als auch ihrer Gestalt nach von den Zellen, sowohl des Interkalatus als des bisherigen Triangularis unterscheiden. Sie sind mittelgroß, länglich, oft birnförmig, mit netzartigem Tigroid. Sie liegen unter dem Ventrikelboden, dorsal von den Resten des dorsalen Vaguskerns.

Schnitt 60 (192 p weiter). Die neuen Zellen, die etwas größer geworden sind und etwas polymorph erscheinen, haben die großen Zellen, die früher hier zu finden waren, nach außen und unten weggedrängt. Medial an den Triangularis schließt sich jetzt der Interkalatus an, und zwar findet sich als Verbindungsstück eine kleine Gruppe von kleinen rundlichen Zellen. Weiter medial folgt der Interkalatus.

Schnitt 67 (448 u weiter). Die Zellen des Triangularis sind mittelgroß. Sie unterscheiden sich auch durch ihre birnförmige und längliche Gestalt von den Inter- kalatuszellen.

Schnitt 75 (520 u weiter). (Orales Ende des Tuberculum acusticum.) Die Trian- gulariszellen sind ziemlich gleichförmig, und zwar mittelgroß, birnförmig oder bipolar, mit zartem Tigroid. Sie erfüllen den ganzen Raum zwischen der Area fasc. und dem Ventrikelboden. Nach unten zu gehen sie in ein Gebiet über, dessen Zugehörigkeit schwer zu bestimmen ist. Es finden sich hier kleine Zellen und zerstreut etwas größere. Diese letzteren ähneln ein wenig den Interkalatuszellen. Der Interkalatus be steht aus kleinen ovalen Zellen, die ohne scharfe Grenze in den Triangularis übergehen. In den ventralen Teilen finden sich auch große multipolare Zellen. In der Chergangs- zone zum Interkalatus finden sich kleine, rundliche oder ovale Zellen. Nach unten

Über den Nucleus triangularis. 303

geht der Triangularis in ein Gebiet, wo größere Zellen auch zerstreut zu finden sind (sensibler Vaguskern), über.

Schnitt 82 (448 u weiter). Der Triangularis kommt in seiner dorso-lateralen Ecke mit einer Gruppe von Zellen der Area fasc. in Berührung. Der Interkalatus ist etwas deutlicher geworden.

Schnitt 87 (320 p weiter). Der Triangularis ist durch die Area fasc. und den sich in ihr entwickelnden Deitersschen Kern kleiner geworden. Die Deiters-Zellen kommen mit den Triangulariszellen an seiner unteren Grenze in Berührung. Die Triangularis- zellen sind kleiner geworden. Auch der Interkalatus ist kleiner und unterscheidet sich vom Triangularis. Zwischen beiden Kernen findet sich ein kleines Feld mit kleinen Zellen.

Schnitt 97 (640 u weiter). Der Interkalatus ist fast verschwunden. Oberhalb des Fazialisknies finden sich nur einzelne kleine, blasse Zellen. Der Triangularis ist von ihm gänzlich getrennt. Er nimmt nur einen kleinen Raum unter dem Ventrikelboden ein. Seine Zellen sind kleiner geworden, bewahren aber im allgemeinen ihre birn- artige Form. In ganz lateralen Teilen finden sich etwas mehr rundliche Zellen.

Schnitt 104. Das frühere Areal der Triangularis, von unten und außen von dem N. Deiters, von innen von den Zellen des Abduzenskerns und von dem absteigenden Fazialisschenkel begrenzt, ist vollkommen zellfrei.

Der Triangularis descendens ist ungefähr 0,75 mm, Triangularis ungefähr 3 mm lang.

Felis domestica (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 437. Dorso-medial vom Fasc. solit. treten die ersten Bündel der Area fasc. auf. Medial von ihm sehen wir ein kleines Feld, aus dem die Fasern ganz ähnlich wie aus der Area fasc. nach unten als Fibrae arc. ziehen Triangularis. Beide For- mationen reichen nicht zur Oberfläche und sind von oben und außen von dem Goll- schen Kern umgeben.

Schnitt 467. Der Triangularis ist größer geworden und liegt als ein dreieckiges Feld zwischen dem Ventrikelboden dorsal, der Area fasc. lateral und dem Vaguskern ventromedial. Es ziehen zahlreiche Fasern, die aus der Area fasc. stammen, durch ihn zum Interkalatus und zu dem Schützschen Bündel. Andere Fasern ziehen ventralwärts und treten medial oder lateral vom Fasc. solit. in die Fibrae arc. int. ein. Ein Bündel von Fasern zieht vom Triangularis zwischen dem Ventrikelboden und der Area fasc. zum Corpus restiforme. Seine Verlaufsrichtung ist schwer zu bestimmen.

Schnitt 489. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der Triangularis und Inter- kalatus bilden eine zusammenhängende Fasermasse. In dem Fasergewirr des Trian- gularis kann man Fasern, die aus der Area fasc. bis zum Interkalatus ziehen, wegen ihrer Dicke unterscheiden. Auch andere dicke Fasern verlaufen nach unten, medial vom Fasc. solit., in den jetzt die X., IX. Wurzel eintritt als Fibrae arc., dann biegen sie me- dialwärts um und ziehen zur Mittellinie, einige von ihnen verlaufen unter dem Inter- kalatus.

Schnitt 517. Die Triangularis-Interkalatusmasse reicht weit nach unten. Der Triangularis wird durch dicke Fasern der Striae acust. durchquert. Einzelne Fasern der Area fasc. schlagen auch ihren Weg nach innen durch den Triangularis ein. Die Inter- mediuswurzel tritt in die Medulla ein. Sie umkreist von oben die Radix des. trig. und tritt in die dorso-laterale Ecke des Triangularis ein. Ein Teil ihrer Fasern zieht zwischen den Bündeln der Area fasc. durch. Von dieser Stelle scheinen seine Fasern weiter nach oben und innen zur Oberfläche zu streben. Der sogenannte Rollersche Kern ist hier nicht vorhanden.

Schnitt 545 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Der Triangularis liegt nur in einem ganz kleinen Areal zwischen dem Ventrikelboden und den Striae acust., die ihn mit einer mächtigen Fasermasse von unten begrenzen. Die Fasern in ihm sind fein, hauptsächlich schräg- oder quergetroffen. Man hat den Eindruck, daß er in keiner Faserbeziehung zu den angrenzenden Feldern steht. In die Gegend ventral von der Striae acust. strahlen Vestibularisfasern ein.

304 Dr. W. J. Godlowski.

Schnitt 569 (die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Die Fasern aus dem Rest des Triangularis treten senkrecht nach unten aus. Bald danach ist dieses Gebiet fast faserfrei und später beginnt hier der Vestibularis einzustrahlen.

Canis vulpes (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 272 (40 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). Zwischen den ersten Bündeln der Area fasc. und dem Fasc. solit. ist ein kleines Feld, durch welches die Fibrae arc. aus der Area fasc. hindurchziehen. In diesem Felde, das den Anfang des Triangularis darstellt, finden sich kleine Zellen, die sich von den angrenzenden Zellen des Vaguskerns durch ihre kleinen Dimensionen und ihre dunklere Farbe unterscheiden.

Schnitt 287. Der Triangularis ist größer geworden. Es ziehen in ihm die Area-fasc.-Fasern hinein. Aus ihm ziehen die Fasern der Fibrae arc. int. nach unten hinaus. Außer den kleinen Zellen finden sich einzelne größere, die aus der Area fasc. stammen

Schnitt 301. Fasern aus der Area fasc. ziehen durch den Triangularis in die Interkalatusgegend. Andere dicke Fasern ziehen aus dem Triangularis nach unten, größtenteils medial vom Fasc. solit, auch durch die Vaguskerne hindurch als Fibrae arc. int. Ein Teil von ihnen biegt bald nach unten um und endet in der Gegend des Rollerschen Kerns. Andere ziehen mehr ventral der Mittellinie zu.

Schnitt 311 und 312. Der Hypoglossuskern ist nicht mehr vorhanden. In den Fasc. solit. treten X., IX. Wurzel ein. Aus ihr treten scheinbar einzelne Fasern in den Triangularis ein. Die Zellen des Triangularis sind etwas blasser geworden und sind gleichmäßig mittelgroß. Sie unterscheiden sich hauptsächlich durch ihre Farbe von denen des Interkalatus. In den medialen Teilen des Triangularis finden wir eine Zell- gruppe, die an die Interkalatuszellen erinnert.

Schnitt 325. Man sieht ziemlich gut die fächerartig aus der Fasc.-solit.-Gegend nach oben in den Triangularis einstrahlenden Fasern. Gleichzeitig tritt die motorische X., IX. Wurzel in den Interkalatus ein.

Schnitt 330. Es tritt eine mächtige Glossopharyngeuswurzel durch die Area fasc. in den Triangularis und zieht dann seinem lateralen Rand entlang dorsalwärts.

Schnitt 350. Es entwickelt sich im Triangularis unter dem Ventrikelboden ein Bündel quergetroffener Fasern. Außerdem sieht man im Triangularis einzelne radiäre Fasern nach unten durch die mächtig gewordenen Striae acust. ziehen. Sie ver- laufen in der Richtung der Intermediuswurzel, deren Eintritt in den vorigen Schnitten zu beobachten war.

Schnitt 360 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Aus dem quer- getroffenen Triangularisbündel scheinen Fasern an der Grenze des Interkalatus, d. h. durch die Abduzenskerngegend ventral auszutreten.

Schnitt 377. Der Triangularis ist durch die Striae acust. stark verkleinert worden. Das quergetroffene Bündel verwandelt sich in schräggetroffene Fasern und wird kleiner. Es hat jetzt keinen Zusammenhang mit dem Schützschen Bündel.

Schnitt 401. Die bisherigen Fasersysteme verschwinden. Das Triangularisgebiet wird mit einem Fasergewirr ausgefüllt, das dem Deiters angehört.

Canis familiaris (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 995 (30 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). Aus dem kleinen und kleinzelligen N. triangularis treten Fasern nach unten aus. Es sind Fibrae arc.

Schnitt 988. Zahlreiche Fasern, in ein Bündel vereinigt, treten aus der Area fasc. in den Triangularis ein.

Schnitt 871. An dem medialen Rande des Triangularis (an der Grenze des sensiblen Vaguskerns) tritt ein Herd gelatinöser Substanz mit großen rundlichen Zellen auf. Die Zellen des Triangularis werden blasser.

Schnitt 963. Ein anderer solcher Herd, noch mehr medial gelegen, scheint direkt aus dem dorsalen Vaguskern zu stammen.

Uber den Nucleus triangularis. 305

Schnitt 962. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der Triangularis und Inter- kalatus hängen zusammen. In dem dichten Fasergewirr des Triangularis sieht man dickere Fasern, die aus der Gegend der Area fasc. entweder unter der Ventrikelober- fläche oder durch die Mitte des Kerns zum Interkalatus ziehen. Einzelne scheinen seine Oberfläche nur zu streifen und nach unten in die Subst. ret. einzutreten. In die Fibrae arc. int., medial vom Fasc. solit., treten außer den Fasern aus der Area fasc. auch solche aus dem Triangularis selbst ein.

Schnitt 942. Aus dem Fasc. solit., wo jetzt der Glossopharyngeus endet, treten Bündel in die untere Ecke des Triangularis ein. Der weitere Verlauf dieser Fasern ist schwer zu verfolgen. Gleichzeitig scheint die motorische Wurzel in den Interkalatus einzutreten.

Schnitt 936. Man sieht deutlicher den radiären Verlauf der Fasern, die aus der Solitarius-Gegend stammen. Sie reichen fast bis zum Ventrikelboden. In den oberen Schichten des Triangularis sieht man ein Band von quergetroffenen Fasern, die analog dem Fasc. Schütz unter dem Ventrikelboden liegen. Dort, wo sich diese beiden Faser- systeme an der Grenze des Triangularis und des Interkalatus berühren, treten Fasern in die Tiefe (in die Subst. ret.?).

Schnitt 910. Der Intermedius, der durch den oberen Teil der absteigenden Trigeminuswurzel hindurchtritt, zieht in das Triangularisgebiet und breitet sich hier fächerförmig aus, die mächtigen Bündel der Striae acust. und der transversalen Fasern aus der Area fasc. durchkreuzend. Das quergetroffene Triangularisbündel ver- hält sich wie früher.

Schnitt 902. Die Striae acust. beginnen den Triangularis von unten abzugrenzen. Er ist sehr faserarm geworden. Nur ganz unter der Oberfläche sieht man wieder das quergetroffene Bündel. Lateral und medial ist der Triangularis von Fasern begrenzt. die nach unten ziehen.

Schnitt 866 (Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Die quergetroffenen Fasern unter dem Ventrikelboden haben stark an Zahl abgenommen. Sie verwandeln sich in mehr parallel zur Schnittebene verlaufende Fasern und scheinen nach unten auszutreten. Doch ist ihr Verlauf weiter nicht zu verfolgen. Bald nachher fängt der Vestibularis an, in das frühere Triangularisgebiet einzustrahlen.

Nasua socialis:

Schnitt 928 (die Anfänge des Triangularis). Es beginnen die Fasern aus ihm in medialer Richtung zu ziehen. Nach unten treten die Fibrae arc. lateral vom Fasc. solit. aus. Die Zellen im Triangularis und in der Area fasc. sind klein und gleichen sich vollkommen (Schnitt 927).

Schnitt 914. Die Fasern aus der Area fasc. und eventuell aus dem Trian- gularis treten in den Fasc. Schütz und in den N. intercalatus ein. Zwischen ihnen be- findet sich auch das Fusesche Bündel. Außer den kleinen finden sich im Triangularis auch größere Zellen.

Schnitt 893. Der dorsale Teil des N. dors. vag. tritt mit dem Triangularis in Berührung.

Schnitt 864. Der Vagoglossopharyngeus löst sich im Fasc. solit. auf, mit einer Anzahl von Fasern tritt er aber in den Triangularis ein (auch Schnitt 858).

Schnitt 863. Die Zellen des Triangularis sind jetzt mittelgroß, bla}. Am medialen Rand findet sich eine Gruppe dunkler Zellen.

Schnitt 831 und 829. Der Intermedius tritt, ohne mit dem Fasc. solit. in Zu- sammenhang zu stehen, mit seinen Ästen in das Triangularisgebiet ein. Andere seiner Fasern ziehen horizontal zur Mittellinie. Unter dem Ventrikelboden im Triangularis findet sich eine Schicht quergetroffener Fasern, die eine laterale Fortsetzung des Schütz- schen Bündels bildet. Auch an der Grenze zwischen dem Interkalatus und Triangularis findet sich eine Ansammlung von Fasern.

Schnitt 813 (die Höhe des Fazialisknies). Aus dem Triangularis ziehen nach unten Fasern, die in den Fasc. solit. einstrahlen. Man kann keinen Rollerschen Kern entdecken.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 20

306 Dr. W. J. Godlowski.

Schnitt 798. Der Solitarius verschwindet mit der Radix desc. V verschmolzen. Unter der Oberfliche immer noch Triangulariszellen.

Schnitt 788 (die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Keine Triangularis- zellen mehr.

Marder:

Schnitt 564. Aus den ersten Anfängen des Triangularis, medial von der Area fasc., ziehen Fasern nach unten als Fibrae arc. int. Die Zellen im Triangularis sind ganz klein und dicht angeordnet.

Schnitt 557. Die Fasern aus der Area fasc. treten in den Triangularis ein. Ein Teil von ihnen zieht weiter nach unten innen als Fibrae arc., andere unter der Ventrikeloberfläche zum Interkalatus. Ein Teil der Fibrae-arc.-Fasern stammt aus den Hinterstrangkernresten. Die Zellen des Triangularis sind kleine Elemente. Außerdem finden sich zerstreut ganz große Zellen. Das Bild stimmt mit dem der Area fasc. überein, nur daß die Zellen zahlreicher sind.

Schnitt 552 (vorderer Hypoglossuskernpol). Die großen Zellen der Area fasc. sind aus dem Triangularis verschwunden. Dagegen treten in seinem medialen Teil andere größere Zellen auf, die allerdings kleiner sind als die zuletzt erwähnten, die mit dem dorsalen Vaguskern in Zusammenhang zu stehen scheinen.

Schnitt 549. Einige Fasern der Vagoglossopharyngeuswurzel scheinen in den Triangularis einzutreten, obwohl das nicht sehr deutlich zu sehen ist. Auch die Radiär- faserung ist spärlich.

Schnitt 531. Der Triangularis ist mit mittelgroßen blassen Zellen ausgefüllt. Sie unterscheiden sich sowohl von den Zellen des Interkalatus als auch von denen der Area fasc.

Schnitt 526. Die Intermediuswurzel tritt oberhalb der Radix desc. V in die Medulla ein, umgibt mit ihren Fasern die Reste des Fasc. solit., aber mit einer Anzahl von ihnen scheint sie weiter in den Triangularis in dorso-medialer Richtung zu ziehen. Ihre ventrale Wurzel scheint mit dem Interkalatus in Beziehung zu stehen (Schnitt 523).

Schnitt 511. Der Triangularis und Interkalatus sind klein geworden. Der Trian- gularis ist von unten durch Striae acust. begrenzt. Man findet in ihm keine trans- versale, dagegen reichlich quergetroffene Fasern.

Schnitt 192. Man findet keine Zellen vom Triangularis mehr. Der Vestibularis reicht bis zum Ventrikelboden.

Herpestes ichneumon:

Schnitt 97 (35 Schnitte nach dem Anfang der Rautengrube). Aus dem Trian- gularis, der einen Streifen medial von der Area fasc. bildet, ziehen Fibr. arc. int. nach unten. Das Gebiet ist kleinzellig.

Schnitt 117. Der Triangularis ist durch Fasern mit dem Interkalatus verbunden. Auch die Zellen beider gehen ineinander über. Sie unterscheiden sich aber voneinander. Der Vagoglossopharyngeus strahlt in den Fasc. solit. ein. Weiter dorsalwärts kann man seine Fasern nicht verfolgen.

Schnitt 185. Die Intermediuswurzel tritt in die untersten Partien des Trian- gularis ein.

Schnitt 200. Der Fazialis tritt aus der Oblongata aus. Keine Triangularis- zellen mehr.

Paradoxus hermaphroditus:

Schnitt 195 (40 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Der Triangularis wird von Fasern aus der Arca fasc., die weiter entweder unter dem Ventrikelboden zum Interkalatus oder nach unten als Fibr. arc. ziehen, durchzogen. Außerdem ent- springen aus ihm selbst Fasern, die in die Fibr. arc. int., lateral vom Fasc. solit., über- gehen. Das Gebiet besteht aus kleinen und großen Zellen.

Uber -den Nucleus triangularis. 307

Schnitt 207. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der Triangularis ist mit dem Interkalatus in Beziehung getreten. Seine Zellen sind jetzt blasser geworden.

Schnitt 213. Fasern des Vagoglossopharyngeus, die durch den Fasc. solit. hin- durchtreten, strahlen in den Triangularis ein.

Schnitt 163. Der Intermedius tritt durch die Radix desc. trig. ein. Er zieht ein Stück dorsal und medial, dann biegt er ganz medialwärts um und scheint zur Mittel- linie zu ziehen. Im Triangularis sieht man spärliche Fasern nach unten ziehen.

Schnitt 273. In der Höhe des absteigenden Fazialisschenkels sieht man keine Triangulariszellen mehr.

Zusammenfassung.

Der Triangularis descendens enthält große und kleine Zellen. Der Trian- gularis und Interkalatus sind mäßig entwickelt (am schlechtesten bei der Katze). Die größeren Zellen im kaudalen Triangularisteil sind bei der Katze diffus, beim Hund und beim Fuchs in distinkten Gruppen (Subst. gelatinosa) angeordnet. Das quergetroffene Längsbündel in dem dorsalen Triangularis- teil ist besonders mächtig. Der Zusammenhang der Radiärfasern ist im all- gemeinen besser mit dem Intermedius als mit dem Glossopharyngeus zu er- weisen.

Pinnipedien.

Phoca vitulina:

Schnitt 150 (10 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Fasern aus der Area fasc. ziehen in den Triangularis hinein und scheinen teils hier zu enden, teils ziehen sie weiter medialwärts unter dem Ventrikelboden zum Interkalatus. Andere endlich, medial vom Fasc. solit., senken sich in die Subst. ret. und ziehen teilweise zur Mittellinie.

Schnitt 142. Der Hypoglossuskern ist nicht mehr vorhanden. Aus dem Fasc. solit. treten einzelne Fasern in den Triangularis ein. Die Fasern aus der Area fasc., ihrem medialen Rand entlang im Triangularis nach unten ziehend, haben einen ähn- lichen Verlauf, biegen dann aber lateral vom Fasc. solit. medialwärts um.

Schnitt 137 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Der Triangularis ist stark verkleinert durch den Deiterskern, der mit seinen Zellen die ventralen Trian- gularispartien einnimmt. á

Schnitt 135. Die radiären Fasern aus dem Triangularis treten nach unten innen und verlieren sich medial vom oberen Trigeminuswurzelpol.

Zusammenfassung.

Der Triangularis ist nur mäßig entwickelt. Auch die radiären Fasern sind nicht sehr zahlreich.

Insektivoren.

Talpa europaea:

Schnitt 1 (10 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). Dorso-lateral vom Fasc. solit. zwischen den Hinterstrangkernen und dem N. fasc. solit. findet sich ein kleinzelliges Gebiet, das dem Triangularis und der Area fasc. entspricht.

Schnitt 6. Es treten aus ihm Fasern, die lateral und besonders stark medial vom Fasc. solit. ventralwärts ziehen.

Schnitt 10 (Ende des Hypoglossuskerns). Fasern aus dem Triangularis ziehen unter der Ventrikeloberfläche zur Interkalatusgegend.

Schnitt 17. Die Fasern aus dem Fasc. solit., in dem jetzt der Glossopharyngeus endet, treten in dorso-medialer Richtung in den Triangularis ein. Man kann sie bis zur Oberfläche verfolgen. Der Triangularis und Interkalatus sind gut entwickelt.

20*

308 Dr. W. J. Godlowski.

Schnitt 21. Der Intermedius tritt in die Medulla oblongata ein und zieht zum Rest des Fasc. solit. Man kann seinen Verlauf weiter nach oben durch die dichten transversalen Fasermassen, die aus der Gegend des Deitersschen Kerns nach innen ziehen, und den Triangularis von unten begrenzen, nicht verfolgen. Der Triangularis und Interkalatus sind kleiner geworden und nehmen nur das Gebiet unter dem Ven- trikelboden ein.

Erinaceus europaeus:

Schnitt 4 (10 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Aus dem Feld, medial von der Area fasc., ziehen Fasern als Fibrae arc. lateral vom Fasc. solit. nach unten in die Subst. ret.

Schnitt 19 (oraler Pol vom Hypoglossuskern). Die Fasern aus dem vergrößerten N. triangularis und die durch ihn aus der Area fasc. hindurchziehenden Fasern ziehen zum Interkalatus (zwischen ihnen auch das sogenannte Triangulo-intercalatus-Bündel von Fuse).

Schnitt 28. Aus dem Fasc. solit. treten Fasern als die Fortsetzung der Vago- glossopharyngeuswurzel in dorso-medialer Richtung in den Triangularis ein. Aus der Area fasc. stammende Fasern durchziehen noch immer den Triangularis und die ihn mit dem Interkalatus verbindende Brücke in ihrem Wege nach innen.

Schnitt 38 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Zahlreiche Fasern treten aus dem Triangularis ventralwärts und verlieren sich in der Subst. ret.

Schnitt 45. Der Intermedius tritt in den Fasc. solit. ein. Ein Teil seiner Fasern scheint zum Triangularis aufzusteigen.

Schnitt 63. In der Gegend des Triangularis sind nur Vestibularisfasern zu

finden.

Zusammenfassung.

Der Triangularis descendens unterscheidet sich in seinem Zellbau von dem Triangularis. Dieser ist mäßig stark entwickelt. Die radiären Fasern sind ziemlich zahlreich.

Rodentien. Lepus cuniculus (Basale Nißl-Serie):

Schnitt 19. Wir sind dicht über dem Niveau des Hypoglossuskerns, der von der Schnittfläche schon verschwunden ist. Lateral sehen wir die Säule der Area fasc. mit ihren Kernen. In der Höhe des Fazialisknies kommen die Zellen des Deiterskerns bis nahe an die Mittellinie heran. Medial von der Area fasc. finden wir in den hin- teren Teilen des Schnittes die gemeinsame Säule des sensiblen und des dorsalen Vagus- kerns. Sie enden gleichzeitig etwas nach vorne von dem Ende des Hypoglossuskerns. Dicht am Ventrikel liegt die Interkalatussäule. Sie reicht mit ihrem kaudalen Pol weiter nach hinten als das vordere Ende des X-Kerns. Mit ihrem vorderen Ende umgibt sie da3 Fazialisknie. Zwischen dem Intermedius und der Area fasc., dort, wo die Vagus- kerne schon aufgehört haben, sieht man ein Feld mit zerstreuten Zellen, in das sowohl der dorsale Vaguskern als auch der Interkalatus überzugehen scheinen. Die Zellen bilden ihrer Form nach ein Übergangsglied zwischen den Zellen dieser beiden Kerne.

Schnitt 24 (160 u dorsaler). Vor dem Pol des dorsalen Vaguskerns sieht man ein Feld, das zwischen dem Interkalatus und der Area fasc. liegt, und aus Zellen, die ganz denen des Interkalatus gleichen, besteht. Weiter nach vorne werden die Zellen spärlicher. Endlich verlieren sie sich ganz und es erscheint zwischen dem Inter- kalatus und der Area fasc. eine zellfreie Lücke.

Schnitt 27 (ungefähr 100 u weiter dorsal). Der Interkalatus ist ganz schmal und zellarm geworden. Lateral von ihm sieht man einen fast zellfreien Raum. Da- gegen vor dem oralen Pol des Vaguskerns ein Areal mit rundlichen Zellen, die denen des dorsalen Vaguskerns sehr ähnlich sehen.

Über den Nucleus triangularis. 309

Schnitt 37 (320 u weiter dorsal). Der Interkalatus und N. dors. vag. sind gänz- lich verschwunden. Der Triangularis kommt in seiner ganzen Ausdehnung zum Vor- schein. Man sieht nämlich von kaudal angefangen, an dem medialen Rand der Faser- bündel der Area fasc. einen schmalen Streifen kleiner Zellen, in denen man einzelne größere findet, der etwa bis zur Höhe des Hypoglossus reicht. Hier sehen wir dann einen neuen Kern auftauchen, welcher keine Ähnlichkeit mit dem vorigen hat, und auch keinen Übergang zu ihm aufweist. Es ist der eigentliche Triangularis mit seinen mittel-

es z Abb. 1. Basale Kaninchenserie. Schnitt 37.

großen, birnförmigen Zellen. Er nimmt den ganzen Raum zwischen der Area fasc. und dem Ventrikel ein. Er reicht nach vorne bis vor den oralen Pol des Fazialisknies.

Der kaudale kleinzellige Kern biegt dagegen nach außen um und geht in die Zell- stränge der Area fasc. über (Abb. 1).

Lepus cuniculus (Nißl-Frontalserie):

Schnitt 33 (ungefähr 1,2 mm nach Eröffnung des Zentralkanals). Man sieht unter dem Ventrikelboden, von der Raphe nach außen, den Hypoglossuskern mit dem Rollerschen Kern ventral und den Interkalatus mehr dorso-lateral. Letztgenannter be- steht aus ganz kleinen, rundlichen und einigen mittelgroßen ovalen Zellen mit grob- scholligem Tigroid. Weiter lateral begegnet man dem dorsalen Vaguskern, an den sich

310 Dr. W. J. Godlowski.

lateral der N. fasc. solit. eng anschließt. Noch weiter lateral, dorsal vom Fasc. solit , sieht man eine Gruppe von ganz kleinen Zellen von rundlicher oder etwas längs- gestreckter Form, die den Zellen des N. fasc. solit. ähnlich sind, aber sich von ihnen dadurch unterscheiden, daß sie kleiner sind und sich dunkler färben. Medial berührt diese Formation den N. fasc. solit., die Grenze ist ganz scharf. Lateral sind die ersten Faszikeln der Area fasc. in diese kleinzellige Masse eingelagert. Lateral und ventral werden diese kleinen Zellen von den großen und mittelgroßen Zellen in einem Bogen umsäumt (Abb. 2).

Schnitt 38 (320 u weiter). Der Hypoglossuskern ist bereits verschwunden. An seine Stelle tritt der Interkalatus mit drei Arten seiner Zellen. Lateral von ihm ist der dorsale Vaguskern mit dem N. fasc. solit, der noch bis zum Ventrikelboden reicht.

Abb. 2. Frontale Kaninchenserie. Schnitt 33.

Endlich lateral davon, das oben beschriebene Gebiet, das seine Gestalt insofern ver- ändert hat, als die Zellen etwas größer sind, fast die Größe der sensiblen Vaguskerne erreichen und sich außerdem hier große multipolare Elemente mit dicht gedrängtem Tigroid und mächtigen Dendriten finden. Das ganze Gebiet hat an Größe zugenommen und erstreckt sich in einem breiten Streifen in vertikaler Richtung vom Ventrikel- boden bis unter den lateralen Rand des Fasc. solit. In seinem lateralen Teil sind die Faszikel der Area fasc. eingebettet. Unmittelbar an sie lateralwärts grenzt der Monakowsche Kern.

Schnitt 41 (200 u weiter oral). Dorsal von dem N. dors. vagi (der in die Tiefe getreten ist) und von dem N. fasc. solit. sieht man eine kleine Gruppe von mittel- großen Zellen, die sowohl mit dem dorsalen Kern des Vagus als auch mit dem Inter- kalatus in kontinuierlichem Zusammenhange zu stehen scheinen, und beiden ähnlich gebaut ist. Lateral grenzt sie an den N. triangularis desc., der nur insofern eine Ver- änderung aufweist, als seine großen Zellen an Zahl und Größe abgenommen haben, und die Area fasc. wegen der Faserzunahme sich besser abhebt.

Uber den Nucleus triangularis. 311

Schnitt 45 (250 u weiter oral). Man sieht den Interkalatus medial mit seinen kleinen rundlichen Zellen und anderen großen polygonalen oder ovalen, die haupt- sächlich ventral gelagert sind. Lateral von ihm, vom Ventrikelboden entfernt, sieht man den Rest des dorsalen Vaguskerns, dem sich ventro-lateral auch der stark verkleinerte sensible Vaguskern anschließt. Das Triangularisgebiet hat sein Aussehen vollkommen verändert. Man sieht nämlich im ganzen dorso-medialen Teil zwei Arten von Zellen. Zuerst finden sich Zellen von mittlerer Größe, rundlich oder oval, mit gut färbbarem Tigroid, die den oben beschriebenen Zellen dorsal vom dorsalen Vaguskern gleichen, also den Zellen dieses Kerns und den mittelgroßen Zellen des Interkalatus ähnlich sind. Daneben aber sehen wir als Hauptkontingent des Kerns Zellen von sehr charak- teristischem Bau. Es sind mittelgroße Zellen von birnförmiger Gestalt, mit ausge-

Abb. 3. Frontale Kaninchenserie. Schnitt 50.

zogenem feinen Fortsatz und feinem netzartig angeordneten spärlichen Tigroid, wel- chem Umstand die Zellen ihre blasse Farbe verdanken. Wovon diese Zellen stammen, kann man insofern vermuten, als man dicht an der dorsalen Ecke des dorsalen Vagus- kerns mit seinen Zellen zusammenhängend, einige prächtig entwickelte Exemplare dieser Art findet, so daß man glauben kann, daß sie sich von der Umgebung dieses Kerns nach oben und außen vorgeschoben haben. Man findet weder im eigentlichen Interkalatus, noch im dorsalen Vaguskern solche Zellen, während das ganze Trian- gularisgebiet mit ihnen übersät ist und nur in der ventro-lateralen Ecke sich die früher hier befindlichen großen multipolaren Zellen und kleinen Zellen finden. Auch in der Area fasc. findet man nichts von birnförmigen Zellen.

Schnitt 50 (320 u weiter oralwärts). Jetzt bilden alle Kerne im Boden der Rautengrube bis zur Area fasc. eine zusammenhängende Zellmasse, und zwar der N. intercal. mit seinem klein- und großzelligen Anteil, der Rest des N. dors. vag., N. fasc. solit. und N. triang. Sie gehen alle ineinander über, ohne aber ihre Selbständig- keit zu verlieren. Was den N. triangularis betrifft, so ist er größer als vorher, von

312 Dr. W. J. Godlowski.

rhomboidaler Gestalt und besteht weiter aus den beiden oben genannten Zellarten (Abb. 3). Wenn seine größeren Zellen den Zellen des Interkalatus gleichen, obwohl sie mit ihnen nicht identisch sind (sie finden sich hauptsächlich am unteren und medialen Rande des Triangularis), so sind die birnförmigen oder kaulquappenförmigen Zellen für ihn ganz charakteristisch und finden sich sonst nirgends,

Schnitt 59 (580 u weiter). Der Interkalatus setzt sich deutlicher vom Trian- gularis ab, obwohl nirgends eine freie Lücke besteht. In der Übergangszone finden sich kleine Zellen. Im Interkalatus überwiegen die kleinen Zellen. Die blassen Zellen des Triangularis haben dagegen etwas an Größe zugenommen und sitzen lockerer als in den früheren Schnitten. Die größeren dunklen Zellen nehmen hauptsächlich den unteren Rand des Kerns ein und sind jetzt weniger zahlreich. Der dorsale Vagus- kern ist verschwunden. Der sensible Vaguskern fließt gänzlich mit der Substantia gelat. V zusammen.

Schnitt 65 (380 u oraler). Die Lücke zwischen dem Interkalatus und Trian- gularis ist etwas deutlicher, aber mit einem Fortsatz reicht der Interkalatus unter die ventro-mediale Ecke des Triangularis. In diesem finden sich fast ausschließlich blasse Zellen.

Schnitt 70 (320 p weiter). Die beiden Nuclei hängen wieder eng zusammen. Die Zellen des Interkalatus, und zwar die großen ventralen Zellen, reichen weit lateralwärts unter den unteren Rand des Triangularis.

Schnitt 76 (400 u weiter). (Die Höhe des Tuberculum acusticum.) Der Inter- kalatus und Triangularis sind voneinander geschieden. Letzterer hat etwas an Größe abgenommen, ist aber noch immer mächtig entwickelt und besteht ausschließlich aus blassen, birnförmigen Zellen. Der Interkalatus enthält weiter kleine, rundliche und große ovale Zellen.

Schnitt 88 (780 u weiter). Der Interkalatus ist merklich kleiner und zellärmer. Sonst sind beide Kerne ohne Veränderung. Es treten die Deitersschen Zellen auf.

Schnitt 96 (500 p weiter). Der Interkalatus ist vom Triangularis vollkommen geschieden. Im Interkalatus sind nur wenige kleine rundliche Zellen und ein paar größere, auch von rundlicher Gestalt. Im Triangularis sind die birnförmigen Zellen größer geworden und haben etwas mehr Tigroid. Vom Nucleus Deiters ist der Trian- gularis stark abgegrenzt. :

Schnitt 100 (260 u weiter). (Höhe des Abduzenskerns.) Über dem Fazialisknie sieht man vielleicht noch Reste vom Interkalatus in Gestalt von kleinen blassen Zellen. Der Triangularis ist nun wesentlich kleiner. Seine Zellen sind mittelgroß, birnförmig. Zwischen den ventralsten finden sich die Zellen des Deiterskerns.

Schnitt 108 (500 u weiter). Der Interkalatus ist verschwunden. In der Area acustica ist noch eine Gruppe von typischen Triangulariszellen sichtbar. Die großen und kleinen Deiterszellen umgeben diese Zellgruppe.

Schnitt 114 (380 u weiter). (Orales Ende des Abduzenskerns.) Hier finden sich keine Triangulariszellen mehr. Ihr Gebiet unter dem Ventrikelboden ist nerven- zellfrei, ventral davon die Deiterszellen.

Die Länge des Triangularis descendens beträgt ungefähr 1 mm, die des Trian- gularis selbst ungefähr 4,4 mm.

Lepus cuniculus (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 123 (ungefähr dem Schnitt 30 der NiBl-Serie entsprechend). Man sieht unter dem Ventrikelboden an der Raphe den großen Hypoglossuskern, ventral von den Fibrae coronariae, dorsal vom ınächtigen Fasciculus longitudinalis post. von Schütz, in dem man die Zellen des Interkalatus findet, begrenzt. Lateral davon ist der N. dors. vag.. in dem sich die motorische X-Wurzel einsenkt. In dem Gebiet weiter lateral sieht man Fasern aus dem Fasciculus solit. einstrahlen. Dorso-lateral vom Fasc. solit. sieht man die ersten Bündel der Area fasc. Ihnen dorso-medial schließt sich ein kleines Feld, das dem Triangularis desc. entspricht, an. Aus diesem Feld scheinen die Fasern der Lunula alae cinereae, die unter dem Ventrikelboden

Uber den Nucleus triangularis. 313

in den Fasc. von Schiitz ziehen, auszutreten. AuBerdem stammen aus diesem Felde und aus der Area fasc. die Fibrae arcuatae, die sowohl ventral als dorsal vom Fasc. solit. verlaufen und der Mittellinie zustreben. Einige von den dorsaleren dieser Fasern gehen ohne Zweifel, den Vagusstamm überkreuzend, in das Interkalatusgebiet über, bzw. in das Schützsche Bündel. Andere treten mehr ventral teilweise als Fibrae coronariae hypogl. in den Fasc. longit. dors. und praedorsalis ein, bzw. sie enden noch früher zwischen den Faszikeln der Subst. ret. In das Gebiet des Triangularis treten auch Fasern aus der Area fasc. ein.

Schnitt 135. Der Hypoglossuskern ist kleiner geworden. Im Interkalatus sieht man einen Haufen von gelatinöser Substanz. Aus der Gegend des Interkalatus zieht das von Nakamura beschriebene Bündel in den Rollerschen Kern ein. Aus der Gegend des Hypoglossuskerns treten Fasern in ventro-lateraler Richtung in die Subst. ret. ein. Der Zusammenhang einzelner von ihnen mit dem Schützschen Bündel, das hier etwas kleiner geworden ist, ist sicher. Die Area fasc. und Triangularis haben an Dimension stark zugenommen. Die Fasern, die aus dieser Gegend stammen, sind im allgemeinen dieselben wie im vorigen Schnitt, nur daß sie alle mächtiger sind. Die Fasern, die unter dem Ventrikelboden in das Schützsche Bündel ziehen, bilden einen breiten Streifen. Die untersten von ihnen bilden das, was Fuse als ein be. sonderes Bündel beschrieben hat, obgleich ihm sicher keine Selbständigkeit zukommt. Die Fibrae arc., dorsal und ventral vom Fasc. solit. ziehen wie früher teils zum Inter- kalatus, teils zum Fasc. longitud. dors. und zur Subst. ret. Es ist schwer, den An- fang einzelner Fasern zu bestimmen, jedenfalls scheinen die dorsalen von der Area fasc., die ventralen vom N. triangularis zu stammen. Die Vaguswurzeln treten in vorhergeschilderter Weise ein.

Schnitt 149. Hier sind die letzten Zellen vom Hypoglossus sichtbar. Der große Interkalatus ist durch breite Faserbrücke mit dem Triangularis verbunden. Außer den Fasern, die in der Richtung von oben außen nach innen und unten den Triangularis durchqueren, sehen wir Fasern, die von oben und innen nach unten und außen ziehen. Sie verlieren sich in der Ecke zwischen dem Solitarius und der Area fasc. Die motorische Vagoglossopharyngeuswurzel tritt in den N. inter- calatus ein.

Schnitt 159 (die Höhe des Glossopharyngeuseintrittes). Der Interkalatus und Triangularis sind ganz zusammengeschmolzen und ganz ausgefüllt von einem Faser- gewirr, das allerdings im Interkalatus dichter ist und aus dickeren Fasern besteht. Die aus der Area fasc. austretenden groben Fasern scheinen den Triangularis nur zu durchqueren und in den Fibrae arc. int. weiterzuziehen. Die radiären Fasern des Triangularis, die fächerförmig nach unten und außen ziehen, scheinen direkt in die Glossopharyngeuswurzel einzutreten.

Schnitt 167. Die Glossopharyngeuswurzel ist noch sichtbar. Die Fasern aus der Area fasc. durchqueren den N. triangularis und ziehen weiter als Fibrae arc. Einzelne scheinen in der Gegend des Interkalatus abzubiegen und als vertikale Fasern nach unten in die Subst. ret. zu ziehen. Der Faszikulus von Schütz ist in die feinfaserige Masse des Interkalatus und Triangularis eingebettet. Die Fasern, die durch den Triangularis nach unten und außen ziehen, verlieren sich lateral vom Tractus solit.

Schnitt 187 (orale Hälfte des Tuberculum acusticum). Striae acusticae durch- ziehen in dicken Bündeln die latero-ventrale Gegend vom Triangularis. In dorsalen Regionen des Triangularis unter der Oberfläche sieht man eine schmale Zone quer- getroffener feiner Fasern, gleichsam eine Fortsetzung des allerdings dichteren Schütz- schen Bündels.

Schnitt 197 (die Höhe des Intermediuseintrittes und des aufsteigenden Fazialis- schenkels). Die Striac acusticae sind weiter mächtig. In ihrem Bereiche finden sich große Deiterssche Zellen. Die nach außen unten ziehenden Fasern bilden ziemlich dicke Bündel, besonders in den medialen Teilen des Triangularis. Vielleicht stehen sie im Zusammenhange mit der Intermediuswurzel.

314 Dr. W. J. Godlowski.

Schnitt 213 (die Höhe des Fazialisknies). Die Striae acust. sind stark verkleinert. Die Radiärfasern nach unten außen werden besonders deutlich. Sie kommen ganz nahe an den Ventrikelboden, aber sie lassen sich nur bis zwischen die Striae acust. ver- folgen. Die quergetroffenen Fasern unter dem Ventrikelboden sind noch reichlicher geworden.

Schnitt 232 (die Höhe des Abduzenskerns). Der Triangularis bildet jetzt nur ein ganz kleines Gebiet unter dem Ventrikelboden. Er ist von den Striae acust. von unten begrenzt. Es ziehen von ihm noch immer Fasern nach unten und außen. Außer dem Vestibularis, der sich mächtig im Deiters-Gebiete verästelt, treten feinere Bündel durch die spinale Trigeminuswurzel in die Medulla oblongata ein. Sie scheinen dem Inter- medius anzugehören. Das Schützsche Bündel umgibt in einem Bogen das T'azialis- knie und den Abduzenskern.

Schnitt 241 (die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Der Vestibularis reicht in das frühere Triangularisgebiet ein. Der Fasciculus von Schütz ist stark ent- wickelt.

Stachelschwein (Weigert-Frontalserie):

Schnitt 708 (bald nach Eröffnung des Zentralkanals). Dorso-lateral vom Fasc. solit., der hier sehr groß ist, sind die ersten Bündel der Area fasc. Aus ihr ziehen spärliche Fasern dorso-medial in das Triangularisgebie, das ganz klein ist und medial an ein Feld grenzt, dessen Fasern aus dem Fasc. solit. stammen.

Schnitt 696. Der Triangularis ist größer geworden. Seine Fasern stammen aus der Area fasc. Einzelne Fasern streben unter dem Ventrikelboden dem Interkalatus zu. Andere Fasern der Area fasc. ziehen dorsal vom Fasc. solit. als Fibrae arc. int. Im Triangularis sind nur kleine Zellen vorhanden. `

Schnitt 688. Der Triangularis hängt durch eine Brücke mit dem Interkalatus zusammen. Die Fasern strahlen entweder in das Schützsche Bündel oder in den Kern selbst ein. Lateral vom Hypoglossuskern, der schon klein geworden ist, sieht man das Bündel, das vom Interkalatus zum Rollerschen Kern zieht. Die Fasern aus dem Fasc. Schütz strahlen in ventraler Richtung in die Subst. ret. ein. Außer den Fasern zum Triangularis ziehen aus der Area fasc. andere Fasern als Fibrae arc. int. ober- halb des Fasc. solit. und begeben sich unter dem Hypoglossuskern zur Mittellinie.

Schnitt 668. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der Triangularis ist klein. Seine Fasern sind hauptsächlich die von der Area fasc. zum Interkalatus ziehenden Fasern. Die Fibrae arc., dorsal vom Fasc. solit. sind schwach entwickelt. Die Vagus- wurzel (motorisch) strahlt gegen den Interkalatus. Die langen Fasern aus der Inter- kalatusgegend ziehen weit nach unten. Im Triangularis sieht man jetzt mittelgroße und weniger zahlreich große Zellen.

Schnitt 650. Die großen Zellen des Triangularis haben etwas an Zahl abge- nommen. Im allgemeinen sind die Zellen des Interkalatus größer und dunkler gefärbt als die des Triangularis. Die Fasern aus der Area fasc. ziehen, wie vorher, durch den Triangularis in die Gegend des Interkalatus. Der ganze Interkalatus und die angren- zenden Teile vom Triangularis sind mit quergetroffenen dichten Fasern ausgefüllt. Aus der Interkalatusgegend treten die Fasern nach unten aus.

Schnitt 631. Die größeren Zellen, die aber auch blasser sind als vorher, trifft man im Triangularis hauptsächlich ventral und medial. Im Interkalatus findet man ziemlich viele große Zellen. Die Fasern aus der Area fasc. durchziehen den Trian- gularis in verschiedenen Richtungen und scheinen sich nach dem Interkalatus zu begeben. Der Triangularis ist weiter verhältnismäßig klein. Die Wurzeln des Vago- glossopharyngeus scheinen in den Interkalatus, sowie in den Fasc. solit, der stark an Dimension eingebüßt hat, einzutreten.

Schnitt 610. Der Fasc. solit. ist verschwunden. Die Fasern des Glossopharyngeus strahlen direkt in den Triangularis ein und verbreiten sich fächerförmig in der Rich- tung nach oben und innen. Die großen Zellen im Triangularis sind nicht mehr zu finden.

Uber den Nucleus triangularis. 315

Schnitt 599. Die fächerförmige Strahlung, die mit der Glossopharyngeuswurzel zusammenhängt, ist im Triangularis noch deutlicher ausgeprägt. Die Fasern der Area fasc. durchziehen nur die unteren Teile des Triangularis und enden in der Raphe bzw. in dem Fasc. longitud. dors.

Schnitt 589. Die unteren Triangularisteile sind jetzt von den Striae acusticae eingenommen. Hier findet man keine Zellen des Triangularis mehr, sondern die Zellen des Deiterskerns. Die Zellen des Triangularis, auf einen kleinen Bezirk unter dem Ventrikelboden angewiesen, sind mittelgroß, blaß, dagegen sind die Zellen des Inter- kalatus viel dunkler.

Schnitt 571 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Die Fasern in den Resten des Triangularis schlagen fast ausschließlich einen senkrechten Verlauf nach unten ein. Sie durchqueren die horizontalen Fasern und verlieren sich ventral von ihnen. Die Fasern in den Resten des Interkalatus verlaufen mehr nach außen.

Schnitt 539 (die Höhe des absteigenden Fazialiskerns). Der Vestibularis reicht mit seinen Fasern bis zum Ventrikelboden.

Gerbillus (Frontale Weigert-Serie):

Schnitt 273. Dorsal vom Fasc. solit. finden wir ein Gebiet, das sich stark von dem angrenzenden N. fasc. solit. abhebt, obwohl seine Zellen den N.-fasc.-solit.-Zellen ähnlich sind. Dieselben Zellen finden sich auch zwischen den Bündeln der Area fasc. Die Fasern aus der Area fasc. treten in dorso-medialer Richtung in das oben genannte Feld, das nichts anderes als den kaudalen Pol des Triangularis darstellt. Die Fibrae arc. int. ziehen aus der Area fasc. dorsal vom Fasc. solit. nach innen.

Schnitt 265. Die Fasern, die aus der Area fasc. und Triangularis in den Inter- kalatus ziehen, bilden eine breite Brücke zwischen diesen beiden Kernen. Einige von ihnen treten direkt, die laterale Wand des Interkalatus nur berührend, nach unten in die Subst. ret. hinab.

Schnitt 263a (vorderer Pol des Hypoglossuskerns). Die mächtigen Fibrae arc. treten aus der Arca fasc. und aus dem Triangularis heraus und ziehen durch die lateralen Partien des Glossopharyngeusherdes nach unten und innen. Der Interkalatus und Triangularis sind durch durchziehende Fasern eng verbunden.

Schnitt 256. Man sieht, wie im Triangularis außer den Fasern aus der Area fasc., die in der Richtung von außen und oben, nach innen und unten verlaufen, andere Fasern die ersteren durchkreuzend, nach unten und außen ziehen. In der ventro-lateralen Ecke des Kerns, unter der Area fasc. treten sie in die Glossopharyngeus- wurzel ein. Die Zellen im Triangularis sind etwas größer, aber zugleich blasser ge- worden. Sie unterscheiden sich von denen des Interkalatus. Der Triangularis ist ver- hältnismäßig groß.

Schnitt 250. Das Triangularis- und Interkalatusgebiet wird durch Striae acusticae stark eingeschränkt. Es ziehen zahlreiche Fasern aus dem Triangularis nach unten, parallel zu den aufsteigenden Fazialisfasern. Sie scheinen sich in der absteigenden Trigeminuswurzel zu verlieren.

Schnitt 245. Die Vestibulariswurzel tritt in das Deitersgebiet ein. Die nach unten aus dem Triangularis ziehenden Fasern schlagen aber einen mehr medialen Weg ein.

Schnitt 239. Der Vestibularis beginnt in die lateralen Partien des Triangularis- gebietes einzustrahlen.

Cavia cobaya (Nißl-Frontalserie):

Schnitt 41 (bald nach der Eröffnung des Zentralkanals). Dorso-lateral vom Fasc. solit., lateral von der Tänia ventr. quarti, sieht man einen schmalen Streifen von kleinen Zellen, den Zellen des N. fasc. solit. ähnlich, denen aber einige größere Zellen beigemischt sind. Lateral grenzt das Gebiet an den Monakowschen Kern, medial geht es in seinem dorsalen Teil in den N. fasc. solit. über. Weiter medial liegen unter dem Ventrikelboden, der mit dem N. fasc. solit. zusammenhängende N. dors. vagi und N. hypoglossi mit dem Rollerschen Kern.

316 Dr. W. J. Godlowski.

Schnitt 48 (ungefähr 500 p weiter oral). Man sieht, wie die oben beschriebenen Zellen die Faszikel der Area fasc. umgeben.

Schnitt 52 (ungefähr 240 u weiter). Der Hypoglossuskern ist bereits ver- schwunden. An seiner Stelle findet man den Interkalatus. mit seinen kleineren rund- lichen und großen multipolaren Zellen, die hauptsächlich ventral liegen und in die Subst. ret. hineinreichen. Diese größeren Zellen sieht man auch lateral vom Inter- kalatus an der Grenze des Triangularis und in ihm selbst. Der letztere hat eine voll- ständige Umwandlung erfahren. Sein Gebiet ist viel größer geworden und ist mit Zellen ausgefüllt, die keine Ähnlichkeit mit den vorher beschriebenen zeigen.

Es sind nämlich entweder kleine, birnförmige Elemente oder größere Zellen mit deutlichem Tigroid. Beide Kerne (Interkalatus und Triangularis) gehen kontinuierlich ineinander. Doch die Struktur der beiden ist eine andere. Im Interkalatus findet man keine birnförmigen Zellen, die die Hauptmasse der Triangulariszellen ausmachen. Lateral von dem Triangularis sehen wir das scharf von ihm abgegrenzte Gebiet der Area fasc. mit seinen typischen Zellen. Der N. dors. vagi, als ein distinkter Kern, ist verschwunden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß in’ dem Übergangsgebiet zwischen Triangularis und Interkalatus einzelne Zellen ihm zugehören.

Schnitt 57 (ungefähr 300 p weiter). Der Triangularis enthält nur die mittel- großen Zellen von länglicher oder birnförmiger Gestalt mit einem sich sehr blaß färbendem Tigroid. Die größeren Zellen sind stark vermindert. Eine Gruppe von ihnen findet man unter der medio-ventralen Ecke des Triangularis. Der Interkalatus unter- scheidet sich seinem Bau nach total vom Triangularis, obwohl beide ineinander über- gehen. Schnitt 61 (250 u weiter oral). Die Lücke zwischen Triangularis und Inter- kalatus fängt an. Zwischen dem Triangularis und dem N. fasc. solit. sind immer Gruppen von größeren Zellen eingeschaltet, die mit dem Interkalatus zusammen- zuhängen scheinen.

Schnitt 69 (ungefähr 500 u weiter). (Die Höhe des Tuberculum acusticum.) Die Zellen des Triangularis sind etwas größer geworden. Sonst kein Unterschied gegen- über den früheren Schnitten. Die größeren Zellen sind hie und da in den ventralen Gegenden zerstreut.

Schnitt 79 (ungefähr 600 p weiter). Der Triangularis ist noch immer mächtig. Er unterscheidet sich vollkommen vom Interkalatus, dessen Zellen jetzt im allgemeinen kleiner und mehr rundlich sind. Die Triangulariszellen sind größer geworden. Ihr Tigroid weist eine sehr typische Netzstruktur auf. Die ersten Deiterszellen treten in der Area fasc. auf.

Schnitt 82 (ungefähr 200 u oralwärts, unmittelbar vor dem Eintritt des Flocken- stiels). Der Triangularis. ist merklich verkleinert. Die Zellen des Deitersschen Kerns treten näher von außen und unten an ihn heran. Der Interkalatus ist auch klein geworden.

Schnitt 86 (ungefähr 250 u weiter, die Höhe des Abduzenskerns). Der Inter- kalatus ist verschwunden. Der Triangularis nimmt nur ein ganz kleines Gebiet unter dem Ventrikelboden ein. Seine Zellen sind kleiner geworden. Er ist von den Zellen des Deilerskerns umsäumt.

In den folgenden Schnitten findet man keine Triangulariszellen mehr. Die Länge des Triangularis descendens ist ungefähr 0,6 mm, die des Trianguiarıs ungefähr 2,3 mm. f

Cavia cobaya (Frontale Weigert-Serie):

Schnitt 1 (bald nach der Eröffnung des Zentralkanals). Latero-dorsal vom Fasc. solit. sind die ersten feinen Bündel der Area fasc. sichtbar. Aus ihr gehen spärliche Fasern in dorso-medialer Richtung hervor. Auch einzelne Fasern der Hinterstrangkerne scheinen diesem Gebiet zuzustreben. Außerdem gehen feine Fasern, aus der Area fase. stammend, in die Lunula alae cinereae hinein und mit ihr ziehen sie in das Schützsche Bündel. Gröbere Fasern aus der Area fasc. durchziehen das faserfreie

Über den Nucleus triangularis. 317

Gebiet dorsal vom Fasc. solit. und streben dem Interkalatus zu. Die dicksten endlich ziehen als Fibrae arc. int. oberhalb des Fasc. solit. und dann strahlen sie unter dem Hypoglossuskern in das dorsale und prädorsale Bündel ein. Aus dem Fasc. Schütz strahlen die Fasern in ventro-lateraler Richtung in die Subst. ret. ein. Man kann sie sehr weit ventral verfolgen. In dem oben beschriebenen Gebiet des Triangularis und in der Area fasc. finden sich kleine rundliche Zellen.

Schnitt 14 (orales Ende des Hypoglossuskerns). Der Triangularis und Inter- kalatus hängen durch eine Brücke miteinander zusammen. Diese Brücke wird durch die Fasern, die aus der Area fasc. und aus dem Triangularis stammen, gebildet. Ein- zelne von ihnen berühren nur die laterale Seite des Interkalatus und biegen ab, indem sie in die Subst. ret. ziehen. Der Triangularis und die Area fasc. sind größer geworden. Die Zellen in ihnen sind identisch, außer den kleinen finden sich auch größere Elemente. Die Fibrae arcuatae schlagen ihren Weg dorsal vom Fasc. solit. ein.

Schnitt 25 (die Höhe der Auflösung des Fasc. solit.). Der Triangularis und Interkalatus hängen breit zusammen. Die Fasern der Area fasc. durchqueren in allen Richtungen den Triangularis, medialwärts ziehend, wo sie in den Interkalatus und den Faszikulus von Schütz eintreten. Eine Verdichtung von Fasern findet sich in der medio-ventralen Ecke vom Triangularis. Sie ziehen dann zumeist nach unten in die Subst. ret.

Schnitt 29. Außer den oben beschriebenen Fasern finden sich im Trian- gularis Fasern, die in schräger Richtung von oben innen nach unten außen ziehen. Man hat den Eindruck, daß sie fächerartig aus der Glossopharyngeuswurzel austreten.

Schnitt 41 (die Höhe des Tuberculum acusticum). Die Fasern aus der Area fasc. durchziehen fast nur die ventro-laterale Partie des Triangularis. Der obere Teil ist von gröberen Fasern frei.

Schnitt 54. Die radiären Fasern, die nach unten außen ziehen, sind reichlich vorhanden. Sie finden ihre Fortsetzung in den Bündeln, die die obere Partie der Radix spinalis trig. durchqueren.

Schnitt 61 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Der untere Teil des Triangularis ist von den Striae acust. und den Fasern aus der Area fasc. durchzogen. Die radiären Fasern streben immer noch der ventro-lateralen Ecke des Kerns zu. Den weiteren Verlauf kann man nicht verfolgen.

Schnitt 70 (die Höhe des Fazialisknies). Der Triangularis ist stark verkleinert. Sein ventrales Gebiet ist von den Striae acust. und von den Fasern aus der Area fasc. ausgefüllt und von großen Zellen besetzt. Die radiären Fasern treten immer von oben nach unten außen aus. Sie sind auch zwischen den Bündeln der Striae acust. sichtbar. Unter dem Ventrikelboden sieht man einen Streifen von quergetroffenen Fasern, welche die laterale Fortsetzung des Schützschen Bündels bilden.

Schnitt 82 (Eintritt des Vestibularis in die Medulla). Das Triangularisgebiet ist ganz klein geworden. Es ist auch recht faserarm. Die obere quer durchschnittene Faserschicht hat sich aufgelöst. Ihre Fasern scheinen nach unten zu ziehen. Das Schützsche Bündel ist auch schmächtig geworden.

Schnitt 96. Die Vestibularisfasern strahlen in das frühere Triangularisgebiet ein.

Neugeborene Ratte (Nißl-Frontalserie):

Schnitt 16 (130 u nach der Eröffnung des Zentralkanals). Man sieht unter dem Ventrikelboden eigentlich nur drei Gebilde. Das ist der N. hypoglossi, lateral eine zusammenhängende Masse der Vaguskerne und noch weiter dorso-lateral den N. trian- gularis und die Zellen der Area fasc. Die Zellen sind überhaupt sehr schwach differenziert, so daß man sie schwer nur ihrer Form nach voneinander unter- scheiden kann.

Schnitt 19 (92 p weiter). Die Masse der Vaguskerne ist von dem Ventrikel- boden in die Tiefe getreten. Ihr sitzt wie eine Kappe ein dreieckiges Feld auf, das zwischen die laterale (akustische) und die intermediäre (Vagus) Zellzune einge keilt ist (Abb. 4).

318 : Dr. W. J. Godlowski.

Schnitt 20 (32 u weiter). Die neue Formation (Triangularis) hat sich weiter medial ausgebreitet, überwölbt gänzlich die Vagusregion und geht die Verbindung mit dem an die Stelle des bereits verschwundenen Hypoglossuskerns getretenen

Interkalatus ein. Schnitt 23 (96 u weiter). Der Triangularis und Interkalatus hängen zusammen.

Ihre Zellen unterscheiden sich aber voneinander. Der Vaguskern geht nach unten. Die Zellen der Area acust. werden nach außen verdrängt.

Abb. 4. Frontale Rattenserie. Schnitt 19.

Schnitt 29 (192 u weiter). Der Unterschied zwischen den Triangularis- und Interkalatuszellen ist weiter evident, obgleich die beiden Kerne eng zusammen- hängen. Schnitt 44 (470 u weiter, die Höhe des Tuberculum acusticum). Der Inter- kalatus wird durch eine kleine Lücke vom Triangularis geschieden. Beide Kerne sind durch den vorrückenden Deiterskern etwas nach innen verdrängt.

Schnitt 52 (240 u weiter). Der Abduzenskern tritt auf. Ende des Triangularis. Man sieht unter dem Ventrikelboden dunkler gefärbte Zellen.

Die Länge des Triangularis descendens ist 200 u, die des Triangularis unge-

fähr 900 u.

Über den Nucleus triangularis. 319

Mus rattus (Weigert-Frontalseric)

Schnitt 4 (5 Schnitte nach der Eröffnung des Zentralkanals). Man sieht zwischen den Hinterstrangkernen und dem Fasc. solit. ein kleines Feld mit quer- und längsgetroffenen Fasern, das dem Triangularis und der Area fasc. zusammen ent- spricht. Aus ihm treten Fibrae arc. nach innen und unten aus.

Schnitt 9. Es ziehen Fasern aus dem oben beschriebenen Gebiet unter dem Ventrikelboden in die Hypoglossuskerngegend ein.

Schnitt 14. Man sieht jetzt die Area fasc., aus der medio-dorsal austretende Fasern das Triangularisfeld bilden. Einzelne dieser Fasern ziehen als Lunula alae cinereae dem Hypoglossuskern zu. Aus der Area fasc. ziehen außerdem die Fasern medio-ventral als Fibrae arc. int. und ventro-lateral als Fibrae arc. ext.

Schnitt 29 (Ende des Hypoglossuskerns). Der Triangularis und Interkalatus sind mit der gleichen Fasermasse ausgefüllt und gehen ineinander über. Die Fasern aus der Area fasc. ziehen wie früher zur Interkalatusgegend. Aus dem Interkalatus ziehen Fasern in ventro-lateraler Richtung in die Subst. ret. ein.

Schnitt 40. Die Vagoglossopharyngeuswurzel tritt in den Fasc. solit. ein. Ein- zelne Fasern lassen sich scheinbar in das Innere des Triangularis verfolgen, obwohl sie in dem Fasergewirr nicht gut zu unterscheiden sind.

Schnitt 67 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). In dem Triangularis, der stark verkleinert ist und faserarm erscheint, da alle Fasern, die von außen nach innen verlaufen, ventral von seinem Gebiet vorbeistreichen, sieht man senkrecht nach unten auftretende Fäserchen, die bis zur absteigenden Trigeminuswurzel zu verfolgen sind und mit dem Intermedius in Zusammenhang zu stehen scheinen.

Schnitt 69. Dasselbe ist noch deutlicher zu sehen.

Schnitt 79. Der Vestibularis strahlt in das frühere Triangularisgebiet ein.

Zusammenfassung.

Der Interkalatus und der Triangularis sind gut entwickelt. Der Triangu- laris descendens unterscheidet sich deutlich durch seine kleinen Zellen vom Triangularis. Seine Länge beträgt ungefähr ein Viertel der Triangularis- länge. In kaudalen Teilen des Triangularis finden sich medio-ventral Zellen, die einen Zusammenhang mit dem Nucl. dor. vagi und dem N. intercalatus zeigen. Sie sind nicht sehr scharf von den anderen Zellen des Triangularis abgegrenzt. Außer dieser Ausnahme bilden der Interkalatus und Triangularis verschiedene Kerne. Der Ursprung radiärer Fasern aus dem Glossopha- ryngeus und Intermedius ist oft gut zu sehen. Das quergetroffene Längs- bündel im dorsalen Teil des Triangularis ist mäßig entwickelt.

Proboscidien.

Elephas indicus:

Schnitt 334 (40 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Ein schmales Triangularisfeld liegt medial von der Area fasc. und wird von den Fasern, die zum Interkalatus unter dem Ventrikelboden die Lunula alae cinereae bildend ziehen, durch- quert. Seine Zellen gleichen denen der Area fasc. Andere Fasern ziehen nach unten als Fibrae arc. int.

Schnitt 353. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der dorsale Vaguskern hat sich in zwei Teile geteilt. Der dorsalste besteht aus größeren Zellen und ver- schiebt sich etwas dorso-lateralwärts. Lateralwärts an ihn schließt sich der Nucleus sensibilis vagi an. Und noch weiter lateral und dorsal vom Fasc. solit. sehen wir den Triangularis mit großen und kleinen Zellen, die ganz den Zellen der Area fasc. entsprechen.

Schnitt 363. An der Stelle, wo sich früher der dorsale Teil des N. dors. vagi befand, also unter dem Ventrikelboden, dorsal vom Fasc. solit., treten jetzt mittel-

320 Dr. W. J. Godlowski.

große, birnförmige Zellen, die sich von denen an dem medialen Rand der Area fasc. unterscheiden, auf.

Schnitt 367. Die oben beschriebenen neu aufgetretenen Zellen haben das ganze Gebiet zwischen der Area fasc. und dem Interkalatus eingenommen und haben die alten Zellen des Triangularis nach auBen weggedringt. Sie unterscheiden sich durch ihre längliche Form und durch ihre Blässe von den Interkalatuszellen.

Schnitt 368. Zugleich sieht man, wie aus dem Fasc. solit., in dem sich die X. und IX. Wurzel auflösen, Fasern nach oben in den Triangularis ziehen. Der Trian- gularis ist verhältnismäßig klein. In das dichte Fasergewirr, das ihn ausfüllt, treten stärkere Fasern aus der Area fasc., die ihn horizontal durchqueren, zum Interkalatus, zur Mittellinie und in die Subst. ret., auf.

Schnitt 374. Der Triangularis und Interkalatus haben keine beträchtliche Größe erreicht. In ihren ventralen Partien sind sie von mächtigen Fasern aus der Area fasc. durchzogen. Diese Fasern ziehen hauptsächlich zur Mittellinie in die Gegend des Fasc. longitudinalis dorsalis, der den Interkalatus von der Raphe weg- gedrängt hat. Die gegen den Triangularis aus dem noch immer beträchtlichen Fasc. solit. ziehenden Fasern sind spärlich.

Schnitt 386. Der Triangularis und besonders der Interkalatus sind kleiner ge- worden. Die transversale horizontale Faserung ist immer noch außerordentlich mächtig. Der Intermedius zieht in die Gegend des Fasc. solit. hinein. Man kann ihn aber weiter nach oben nicht genau verfolgen. Seine Äste scheinen sich besonders medial zu wenden.

Schnitt 393. Reste des Interkalatus befinden sich medial vom Fazialisknie, ganz vom Triangularis getrennt.

Schnitt 403. Keine Triangulariszellen mehr. Das Gebiet ist zellfrei.

Zusammenfassung.

Der Triangularis und Interkalatus sind verhältnismäßig klein. Der Triangularis descendens unterscheidet sich deutlich vom Triangularis. Die transversalen Fasern sind sehr mächtig. Sonst keine Unterschiede gegen- über den früher beschriebenen Tierklassen.

Artiodactyla.

Sus scropha:

Schnitt 407 (35 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Die Fasern der Area fasc. treten in den Triangularis, ein Fasergewirr bildend, ein. Eine Anzahl von ihnen zieht weiter medialwärts oder nach unten durch die Vaguskerne zum Inter- kalatus und die Subst. rest. Die Zellen im Triangularis und der Area fasc. sind klein.

Schnitt 376. Im Triangularis sehen wir jetzt größere Zellen, die aus dem dorsalen Vaguskerne zu stammen scheinen. Außerdem ist er von mittelgroßen blassen Zellen erfüllt.

Schnitt 392. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der Triangularis hängt durch Fasern mit dem, Interkalatus zusammen.

Schnitt 389. Aus dem Fasc. solit, in den jetzt die Nervenwurzel eintritt, ziehen Fasern in den Triangularis.

Schnitt 372 und 374. Der Triangularis ist von dem Interkalatus, der ganz klein geworden ist, durch eine zellfreie Lücke getrennt. Ihre Zellen unterscheiden sich deutlich voneinander. Striae acust. ziehen durch den Triangularis nach innen. Ein mächtiges Bündel, das nichts anderes sein kann, als die Intermediuswurzel, zieht medial von Fasc.-solit.-Resten nach oben und innen, seine Fasern in der Richtung des Interkalatus und Triangularis aussendend. Auch aus dem Fasc. solit. senken sich Fasern durch die transversalen Bündel in den Triangularis ein.

Schnitt 357 (Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Kein Triangularis mehr.

Über den Nucleus triangularis. 321

Camelus dromedar:

Schnitt 344. Noch bei geschlossenem Zentralkanal sieht man die Bündel der Area fasc. unter der Medulla-Oberfläche, dorso-lateral vom Fasc. solit. Aus ihr treten die Fasern in ein schmales Feld medialwärts. Dieses Feld entspricht dem Triangularis. Die obersten von diesen Fasern ziehen unter der Oberfläche und dann ventro-medial als Lunula alae cinereae und treten endlich in den Fasc. Schütz ein. Im Triangularis und der Area fasc. finden sich kleine Zellen.

Schnitt 322. Die Fasern aus der Area fasc., die den jetzt größeren Triangularis durchziehen, treten entweder in den Interkalatus und das Bündel von Schütz oder in die Fibrae arc. int. ein. Einzelne von ihnen ziehen auch direkt zum Rollerschen Kern.

Schnitt 319. Der Hypoglossus ist verschwunden. Der N. dors. X mit seinen lateralen Teilen reicht in den Triangularis hinein. Jetzt hat sich das Zellbild dieses Kerns verändert. Es treten in ihm große Zellen, die aus dem N. dors. X oder aus seiner Umgebung zu stammen scheinen, auf. Außerdem sieht man hier kleinere läng- liche blasse Zellen, die jedoch größer sind als die, die früher bier zu finden waren. Der Triangularis ist hier sehr groß. Seine Fasern ziehen zum Interkalatus und in die Fibrae arc. int.

Schnitt 312. Die großen Zellen, die früher im Triangularis zahlreich waren, sind gänzlich verschwunden. Jetzt finden sich hier nur mittelgroße blasse Zellen. Aus der Gegend des Fasc. solit. treten radiäre Fasern in dorso-medialer Richtung in den Triangularis ein. Es ist zu bemerken, daß außerdem in derselben Richtung Fasern verlaufen, die als Fibr. arc., lateral vom Fasc. solit., austreten.

Schnitt 305. Ein Herd gelatinöser Substanz in dorso-medialen Teilen des Trian- gularis. Die Zellen des Interkalatus unterscheiden sich von denen des Triangularis. Die Radiärfaserung ist noch immer deutlich.

Schnitt 296. Die Radiärfasern sind immer stark, ziehen nach unten in der Richtung der Intermediuswurzel. Unter der Oberfläche ist eine Schicht quergetroffener Fasern zu finden.

Schnitt 387. Der Triangularis ist auf Kosten des Deitersschen Kerns verkleinert. Der Interkalatus ist noch immer groß, liegt oberhalb des Fazialisknies.

Bos taurus: °

Schnitt 423 (16 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Aus der Area fasc. ziehen Fasern in dorso-medialer Richtung in den Triangularis hinein.

Schnitt 415. Eine Anzahl von dicken Fasern zieht horizontal direkt aus der Area fasc. in den Interkalatus, und zwar durch die Vaguskerne, hinein (Fuse). Im Triangularis (413) finden sich nur kleine Zellen.

Schnitt 405 (Ende des Hypoglossuskerns). Der Charakter der Triangulariszellen hat sich gänzlich verändert. Es finden sich jetzt mittelgroße, bipolare und birnförmige Elemente, die in die Interkalatuszellen übergehen, sich von ihnen aber durch ihre Blässe unterscheiden.

Schnitt 403. Aus dem Fasc. solit. treten zahlreiche Fasern in den Triangularis und breiten sich fächerförmig bis zur Oberfläche aus. Sie überkreuzen die Fasern, die aus der Area fasc. durch den Triangularis zur Mittellinie ziehen.

Schnitt 392. Die Radiärfasern sind spärlich geworden.

Schnitt 390. Der Triangularis ist vom Interkalatus durch eine Lücke getrennt, in der sich kleine Zellen finden.

Schnitt 380. Die Radiärfasern im Triangularis, die an Zahl zugenommen haben, sind jetzt sehr deutlich geworden. Die Fasern ziehen von der Oberfläche durch die horizontalen Fasern der Area fasc. hindurch, in die Gegend, in der der Rest des Fasc. solit. mit seiner gelatinösen Substanz liegt. Der obere Teil vom Triangularis ist von quergetroffenen Fasern eingenommen.

Von Schnitt 368 bis 361 kann man den Verlauf der Intermediuswurzel in der Oblongata verfolgen. In Schnitt 368 (Abb. 5) sehen wir einen kompakten Strang sich im Triangularis verästeln.. In den folgenden Schnitten können wir beobachten,

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 21

322 Dr. W. J. Godlowski.

Abb. 5. Bos taurus, frontal, Weigert-Pal. Schnitt 368

Abb. 6. Cervus capreolus; Weigert-Pal. Schnitt 183.

Ober den Nucleus triangularis. 323

wie diese Wurzel immer weiter nach unten tritt, und endlich in Schnitt 361 vor dem Austritt des Fazialis sehen wir die Intermediuswurzel an dem medialen Rand der Radix desc. V aus der Medulla oblongata austreten.

Schnitt 347. Der Triangularis ist verschwunden.

Cervus capreolus:

Schnitt 139 (25 Schnitte nach Eréffnung des Zentralkanals). Der Triangularis ist von den Fasern aus der Area fasc., die in Fibrae arc. tibergehen, durchzogen. Er ist kleinzellig, aber außer den kleinen Zellen finden sich einzelne große.

Schnitt 148. Der Triangularis, der für diese Gegend verhältnismäßig sehr groß ist, besteht aus kleinen und großen Zellen und gleicht in seinem Bau vollkommen der Area fasc.

Schnitt 173 und 174. Die Zellen des Triangularis sehen jetzt anders aus. Sie sind blasser und unterscheiden sich von denen der Area fasc. Zahlreiche Fasern ziehen aus der Area fasc. und dem Triangularis zum Interkalatus durch die Vagus- kerne. Einzelne von diesen Fasern ziehen auch direkt nach unten in die Subst. ret. Der Triangularis und Interkalatus hängen jetzt eng zusammen.

Schnitt 183. Aus dem Fasc. solit. ziehen Fasern in dorso-medialer Richtung in den Triangularis ein (Abb. 6).

Schnitt 209. X.- und XI.-Wurzelfasern treten in den Triangularis ein und ziehen in ihm in Gestalt von radiären Fasern dorsalwärts (auch Schnitt 217).

Schnitt 235 (die Höhe des aufsteigenden Fazialiskerns). Mächtige Striae acust. durchziehen den Triangularis, der schon kleiner geworden ist. f

Schnitt 257. Die Hauptmasse des Intermedius umgibt den gelatinösen Herd dorso- medial von der Radix desc. V. Aber ein Teil ihrer Fasern scheint dorsalwärts in den Triangularis einzustrahlen.

Schnitt 267 (die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Ende des Trian- gularis.

Zusammenfassung.

Der Interkalatus und Triangularis sind groB. Man unterscheidet deutlich den N. triang. desc., den N. triangularis und den N. intercalatus vonein- ander. Der N. dors. vagi setzt sich mit einem Teil seiner Zellen im Trian- gularis fort. Der Zusammenhang der Fibrae radiales mit dem Glossopha- ryngeus (Cervus) und mit dem Intermedius (Bos) ist deutlich. Das quer- getroffene Längsbündel im dorsalen Teil des Triangularis ist mächtig ent- wickelt.

Perissodactyla.

Equus caballus:

Schnitt 33 (30 Schnitte nach Anfang der Rautengrube). Medial von der Area fasc. sieht man die Zellen des Triangularis, die medial von den sensiblen Vaguskern- zellen begrenzt sind. Der Triangularis ist mit Fasern aus der Area fasc. ausgefiillt. Ein Teil von ihnen zieht ventro-medial zum Rollerschen Kern.

Objektträger 40. Die Zellen des dorsalen Vaguskerns beginnen sich nach oben und außen in der Richtung des Triangularis zu verschieben.

Objektträger 49 und 50 (vorderer Hypoglossuskernpol). Im Triangularis treten nun Zellen auf, die größer sind als die bisherigen und blasser erscheinen. Der Trian- gularis hat sich vergrößert und sich dem Interkalatus genähert. Die Fasern aus der Area fasc. ziehen weiter zum Interkalatus und zum Rollerschen Kern.

Objekttriger 55. Der dorsale Vaguskern steht immer noch durch seine dorsalen Zellen mit dem Triangularis in Beziehung. Diese Zellen sind größer als die ventralen.

Objektträger 57. Das Fusesche Bündel, aus der Area fasc. entspringend, und teils in dem Interkalatus, teils in dem Rollerschen Kern endend, ist immer noch sehr mächtig.

21*

324 Dr. W. J. Godlowski.

Objekttriger 61. Dicht dorsal an den Fasc. solit. grenzt eine Gruppe großer Zellen, die mit dem Dorsalis X in kontinuierlichem Zusammenhang stehen.

Objektträger 74. Aus dem Fasc. solit. und aus seiner Gegend treten feine Fasern in dorso-medialer Richtung in den Triangularis hinein. Sie sind weit in die Höhe zu verfolgen. In den oberen Teilen des Triangularis finden sich viele quergetrof- fene Fasern. Der ventrale Teil dagegen ist von horizontalen Fasern aus der Area fasc. eingenommen.

Objektträger 98. Der Intermedius tritt mit seinen Fasern in den ventralen Teil des Triangularis ein. Die Fasern ziehen geradlinig in die Höhe, fast bis zur Ven- trikeloberfläche (in 101 Austritt des Intermedius aus der Oblongata).

Objektträger 109. Der Triangularis nimmt nur ein ganz kleines Areal unter dem Ventrikelboden ein. Der Rest des Gebietes ist von den Deiters-Zellen ein- genommen.

Zusammenfassung.

Der Triangularis ist gut entwickelt. Das quergetroffene Triangularis- Querbündel ist ziemlich mächtig. Der Zusammenhang des Triangularis mit dem N. dors. vagi ist deutlich. Der Eintritt des Intermedius in den Trian- gularis ist gut sichtbar.

Cetaceen.

Delphinus tursio (Weigert-Cochenille-Serie):

Schnitt 110. Unter dem Ventrikelboden, der ganz flach ist, sehen wir neben der Raphe einen großen Hypoglossuskern, weiter lateral einen gut entwickelten grob- zelligen, im Schützschen Bündel liegenden Interkalatus, noch mehr lateral einen großen dorsalen Vaguskern, der lateral und ventral vom sensiblen Vaguskern umgeben ist. Lateralwärts (nach außen von der Taenia ventr. quarti) kommen dann die Reste der Hinterstrangkerne mit großen und kleinen Zellen. Sie sind kenntlich durch ein dichtes Fasergewirr. Ventral von ihnen liegt ein mächtiges Solitärbündel und lateral von ihm, schon gut entwickelt, die Area fasc., die mit ihrer längeren Achse nicht vertikal, son- dern horizontal gestellt ist. Über die Area fasc. zieht ein Bündel von Fibrae arc., die in den Hinterstrangkernen ihren Anfang nehmen und dem Ventrikelboden parallel laufen. Zwischen diesem Bündel und dem Rand der Area fasc., also auch in medio- lateraler Richtung ausgezogen, findet sich ein kleinzelliger Kern, der als N. triangularis zu betrachten ist. Seine spärlichen Fasern stammen aus der Area fasc.

Schnitt 119. Die Fasern aus der Area fasc. ziehen entweder nach unten lateral vom Fasc. solit., als Fibrae arc. int., oder sie ziehen durch den Triangulariskern und spalten sich dann. Die einen ziehen auch als Fibrae arc., aber medial vom Fasc. solit, nach unten, die anderen schlagen einen horizontalen Weg ein, durchqueren die Vaguskerne und treten in den Interkalatus ein. Sie entsprechen also dem Bündel, das Fuse als Fasc. triangulo-intercalatus beschrieben hat.

Schnitt 122. Zellfarbung. Der Triangularis ist größer geworden, da die Hinter- strangkerne verschwunden sind. Er ist kleinzellig, nur in ventralen Teilen, d. h. an der Grenze der Area fasc. finden sich auch große Zellen. Medio-dorsal vom Fasc. solit. finden wir Zellen dieses Kerns, die entweder ganz klein sind oder etwas größer und länglich.

Schnitt 131. Das Gebiet oberhalb des Fasc. solit., das früher nur wenig Fasern zeigte, hat sich vergrößert und ist faserreicher geworden. Außer den feinen Fasern, die ein gleichmäßiges Gewirr bilden, das kontinuierlich in den Interkalatus übergeht, sehen wir Fasern, die aus der Area fasc. durch den Triangularis kommen und in der Richtung zum Interkalatus horizontal verlaufen, und Fasern, die senkrecht vom Fasc. solit. bis zum Ventrikelboden aufsteigen.

Schnitt 132. Zellfärbung. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der Inter- kalatus ist mächtig geworden. Der dorsale Vaguskern ist etwas kleiner und seine

Cber den Nucleus triangularis. 325

Zellen mehr zerstreut. Unmittelbar lateral an ihn schließt sich eine Zellgruppe aus birnförmigen, mittelgroßen Elementen bestehend, die im Zusammenhang mit dem N. fasc. solit. zu stehen scheint und der Zellform nach sich deutlich von den oberhalb der Area fasc. gelegenen Triangulariszellen unterscheidet, an.

Schnitt 137. Das neue Triangularisgebiet, dorsal vom Fasc. solit., ist größer geworden, obgleich es im Vergleich mit den Oblongatadimensionen sehr klein ist. Lateral hört es weit medialwärts vom Ventrikelwinkel auf. Medial geht es in den Interkalatus über. Es umgibt von oben die Reste des dorsalen Vaguskerns, der noch immer vorhanden ist. Lateral von diesem Triangularisgebiet finden sich die oben beschriebenen Zellen, dorsal von der Area fascic. Es sind kleine Zellen, mit großen vermischt, die sich deutlich von den blassen, birnförmigen Zellen des neuaufgetretenen Kerns unterscheiden.

Schnitt 139. Die Vagoglossopharyngeuswurzel tritt in den Fasc. solit. ein, aus diesem oder direkt aus der Wurzel treten radiäre Fasern in die Höhe in den Triangularis ein, bis zum Ventrikelboden reichend. Das von ihnen eingenommene Gebiet entspricht genau der von den birnförmigen mittelgroßen, blassen Zellen ein- genommenen Gegend.

Schnitt 149. Das Triangularis- und Interkalatusgebiet ist schon sehr klein geworden. Es ist stark von den transversalen Fasern aus der Area fasc., dem Klein- hirn usw. an den Ventrikelboden gedrängt. Jetzt tritt der Intermedius mit zahlreichen Ästen in das Ventrikelgrau, und zwar sowohl in den Triangularis als auch in die Interkalatusgegend. In den Zellpräparaten ist es schwer, diese Gebilde abzugrenzen. Dagegen unterscheiden sie sich deutlich von den lateral liegenden Deiters-Zellen.

Schnitt 158 (die Höhe des aufsteigenden Fazialisschenkels). Der Triangularis und Interkalatus ist sehr klein. Es treten aus ihnen noch immer Fasern nach unten. Die Intermediuswurzel ist aber verschwunden.

Schnitt 167 (die Höhe des absteigenden Fazialisschenkels). Die Triangularis- zellen sind mit Sicherheit nicht mehr zu finden. Große Deiters-Zellen treten bis an den Ventrikelboden heran.

Phocaena (Weigert-Serie):

Schnitt 328 (12 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). Dorsal von der Area fasc., die weit in der Tiefe liegt, sehen wir das Triangularisfeld. Außer von den Fasern aus der Area fasc. ist es von den Fibrae arc. aus den Hinterstrangkernen durchzogen.

Schnitt 304 und 305. Im Triangularis, der ganz lateral oberhalb der Area fasc. liegt, finden sich kleine Zellen. Aus der Area fasc. ziehen Fasern durch das Vagus- kerngebiet in den Interkalatus.

Schnitt 300 und 301. Aus dem Fasc. solit., in den jetzt die Wurzelfasern ein- treten, ziehen fächerförmig in das Gebiet oberhalb des Fasc. solit. sich ausbreitende Fasern heraus. Dieses Gebiet, das offenbar dem Triangularis entspricht, ist außerdem von in verschiedenen Richtungen verlaufenden Fasern durchzogen. Seine Zellen sind blaB, mittelgroB und scheinen aus dem Vaguskerngebiet zu stammen. In dem früher be- schriebenen lateralen Anteil des Triangularis findet man nur spärliche Zellen ganz anderer Art. Sowohl das mediale Triangularisgebiet als auch seine radiären Fasern sind verhältnismäßig schwach entwickelt.

Schnitt 288. Der Intermedius tritt in den immer noch ansehnlichen Fasc. solit. ein. Einzelne seiner Fasern ziehen weiter dorsalwärts und breiten sich im Inter- kalatus aus.

Schnitt 280. Der Vestibularis beginnt bis zum Ventrikelboden einzustrahlen.

Balaenoptera:

Schnitt 377 und 378. Lateral von dem sehr großen Hypoglossuskern liegt der Interkalatus, weiter lateralwärts die Vaguskerne und dorsal vom Fasc. solit. der Triangularis desc. Seine kleinen Zellen unterscheiden sich ganz deutlich von den Interkalatuszellen. Er ist von Fasern der Area fasc. durchzogen.

326 Dr. W. J. Godlowski.

Schnitt 354 und 355. Der Hypoglossuskern ist viel kleiner geworden. Der Interkalatus größer. Im Triangularis finden wir zwei Arten von Zellen. Die einen sind mittelgroß, blaß, länglich, die anderen größer, dunkler, vom Typus der motori- schen Zellen. Sie scheinen mit dem dorsalen Vaguskern zusammenzuhängen. Außer den Fasern, die horizontal aus der Area fasc. nach innen durch den Triangularis ziehen, finden sich hier Fasern, die aus dem Fasc. solitarius dorsalwärts ziehen. Der Trian- gularis ist verhältnismäßig sehr klein.

Schnitt 338 und 339. Der Triangularis ist noch kleiner geworden. Die großen Zellen sind verschwunden. Nur mittelgroße, blasse sind geblieben. Zahlreiche horizon- tale Fasern durchziehen den Triangularis, radiäre Fasern fehlen.

Schnitt 323 und 324. Der Triangularis und Interkalatus sind ganz klein geworden. Die Stelle des Triangularis nehmen die Zellen des Deitersschen Kerns ein.

Zusammenfassung.

Der Triangularis descendens liegt oberhalb der Area fasc., lateral vom Fasc. solit. (Delphin, Phocaena). Der eigentliche Triangularis entsteht nach dem Hypoglossuskernende im Gebiet des sensiblen Vaguskerns, oberhalb vom Fasc. solit. Der Interkalatus und besonders der Triangularis sind sehr klein. Die Radiärfasern sind auch spärlich, ihr Zusammenhang mit dem Fasc. solit. ist sehr deutlich.

Marsupialia.

Kinguruh:

Schnitt 1260 (70 Schnitte nach Eréffnung des Zentralkanals). Der Triangularis bildet einen Streifen an dem medialen Rand der Area fasc. Er besteht aus kleinen Zellen und wird von den Fasern der Area fasc., die nach unten und innen ziahen, durchsetzt.

Schnitt 1249. Eine breite Faserbrücke, oberhalb der Vaguskerne, verbindet den Interkalatus und den Triangularis. In ihr befinden sich die dorsalsten Zellen des dorsalen Vaguskerns. Zu ihnen scheint ein Ast der motorischen Vaguswurzel zu ziehen.

Schnitt 1246. Die Zellen des Triangularis sehen jetzt ganz anders aus. Es sind mittelgroße, blasse Elemente. In medialen Teilen sind sie etwas größer.

Schnitt 1237. Die Vagoglossopharyngeuswurzel tritt in den Fasc. solit. ein. Ein Teil seiner Fasern zieht in dorso-medialer Richtung durch den Triangularis, der von dicken Bündeln aus der Area fasc. zum Interkalatus und zur Subst. ret. durch- quert wird.

Schnitt 1226. Der Hypoglossuskern ist inzwischen verschwunden. Im Trian- gularis tritt unter der Ventrikeloberfläche ein gelatinöser Herd auf. Unter dem Ventrikel- boden liegt im Triangularis eine breite Schicht quergetroffener Fasern. Radiäre Fasern sind weiter sichtbar. Sie ziehen zur Gegend des Fasc. solitarius oder in die Gegend zwischen dem Fasc. solit. und der Area fasc., um sich lateralwärts zu wenden. Den weiteren Verlauf kann man nicht verfolgen. Doch hat man oft den Eindruck, daß sie mit der eintretenden sensiblen X. und IX. Wurzel in Verbindung stehen. Einen ähn- lichen Weg schlagen die Fasern, die aus dem Triangularis an seiner ventro-lateralen Ecke austreten und weiter als Fibrae arc. int. zum Fasc. longitudinalis dorsalis und prädorsalis ziehen, ein.

Vom Schnitt 1142, wo sie sich tief in den Triangularis einsenkt, bis zum Schnitt 1133, wo ihr Austritt aus der Medulla sichtbar ist, kann man die Inter- mediuswurzel verfolgen. Sie verästelt sich reichlich im Triangularis und im Inter- kalatus. Der untere größere Teil des Triangularis ist vom Deitersschen Kern ein- genommen.

Schnitt 1130. Die quergetroffenen Triangularisfasern biegen in die Längs- fichtung um und treten scheinbar durch die Abduzenskerngegend ventralwärts.

Über den Nucleus triangularis. 327

Schnitt 1101. Der Fazialis tritt aus der Oblongata aus. Hier sind keine Trian- gulariszellen mehr zu schen.

Phascolarctus: .

Schnitt 684 (10 Schnitte nach Eröffnung des Zentralkanals). In das Feld medial von der Area fasc. treten Fasern aus ihr hinein. Anderseits ziehen aus diesem Felde (Triangularis) erstens Fasern nach der Gegend des Schützschen Bündels und des Interkalatus durch die Vaguskerne hindurch, zweitens die Fibrae arc. nach unten. Die Zellen im Triangularis und Interkalatus sind klein und dicht gefügt.

Schnitt 678. Eine Anzahl von Fasern der Area fasc. zieht durch den Trian- gularis hindurch, tritt in den Interkalatus ein, um dann weiter zum Rollerschen Kern zu gelangen. Der Fasc. solit. ist auffallend klein.

Schnitt 672. Dicke Fasern aus der Area fasc. ziehen zum Schützschen Bündel. Im Triangularis, der größer geworden ist, und durch eine Faserbrücke mit dem Interkalatus zusammenhängt, sieht man dorsal von dem dorsalen Vaguskern einen gelatinösen Herd mit Zellen, die denen des dorsalen Vaguskerns gleichen. Die Zellen des Triangularis haben eine Veränderung erfahren. Sie sind mittelgroß, blaß und unter- scheiden sich deutlich von denen der Area fasc.

Schnitt 671. Fasern der motorischen IX. und X. Wurzel treten in den Inter- kalatus ein. Einzelne ihrer Fasern enden im medialen Teil vom Triangularis.

Schnitt 662. Man hat den Eindruck, daß die X. und IX. Wurzel von der Peripherie auch durch die Area fasc. ziehen, um in den Triangularis zu gelangen. Derselbe ist sehr groß, enthält medial noch immer einen gelatinösen Herd.

Schnitt 659. Man sieht deutlich, wie die Glossopharyngeuswurzel in den Triangularis eintritt.

Schnitt 655. Unter der Ventrikeloberfläche sieht man medial im Triangularis einen zweiten gelatinösen Herd. Unter dem Ventrikelboden liegt eine Schicht quer- getroffener Fasern gleichsam eine laterale Fortsetzung des Schützschen Bündels. Im Triangularis reichliche radiäre Faserung.

Schnitt 630 (die Höhe des Fazialisknies). Die Fasern aus dem Triangularis strömen zum Rest des Fasc. solit. fiicherartig zusammen. Die quergetroffenen Fasern scheinen nach unten, dem lateralen Rand des Abduzenskerns entlang, herabzutreten.

Schnitt 622 (Höhe des absteigenden Fazialisknies). Ende des Triangularis.

Zusammenfassung.

Der Triangularis und Interkalatus sind gut entwickelt. Im medialen Gebiet des kaudalen Teils des Triangularis bilden die Zellen, die den dorsalen Vagus- kernzellen und den Interkalatuszellen ähnlich sind, gelatinöse Herde. Die Radiärfaserung ist gut entwickelt. Sie entspringt direkt aus dem Fasc. soli- tarius, aus der IX. Wurzel und dem Intermedius. Auch die quergetroffenen Längsfasern im Triangularis sind gut entwickelt. Der Triangularis descen- dens verhält sich wie bei den anderen Tierklassen.

Edentata.

Dasypus (Frontale Weigert-Cochenille-Serie):

Schnitt 793. Dorsal vom großen Fasc. solit. und medial von der Area fasc. findet sich ein kleines Triangularisfeld, aus dem Fibrae arc. medial und lateral vom Fasc. solit. herausziehen. In ihm, wie auch in «der Area fasc., finden sich kleine, dunkel gefärbte Zellen.

Schnitt 785. Die Fasern aus der Area fasc. und aus dem Triangularis ziehen dorsal von den Vaguskernen zum Interkalatus und zum Rollerschen Kern.

Schnitt 745 und 744. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der Triangularis ist ziemlich klein. Seine Zellen sehen jetzt blasser aus, nur an dem ventralen Rand

328 Dr. W. J. Godlowski.

finden sich dunklere Zellen, denen des Interkalatus ähnlich. Zahlreiche Fasern, hauptsächlich aus der Area fasc. stammend, verbinden den Triangularis mit dem Inter- kalatus.

Schnitt 737. Ein Faserbündel zieht aus dem Fasc. solit. in die lateralen Partien des Triangularis hinein. Die radiären Fasern im Triangularis sind nicht zu sehen. Sein oberer Teil ist von den quergetroffenen, sein ventraler Teil von längs- getroffenen, nach innen aus der Area fasc. ziehenden Fasern durchzogen.

Schnitt 717. Der Intermedius tritt durch die Radix desc. V ein. Er verästelt sich in Form von radiären, fächerartigen Fasern im Triangularis. Der Triangularis ist stark verkleinert. Dorsal von dem Facialisknie Reste vom Interkalatus.

Zusammenfassung.

Der Triangularis ist mäßig entwickelt, bietet sonst keine Besonder- heiten dar.

Monotremata.

Eiechidua:

Schnitt 1295. Die Fasern aus dem Triangularis, der medial von der Area fasc. liegt, ziehen medialwärts in den Fasc. Schütz und durch den Hypoglossuskern zur Mittellinie. Andere Fasern ziehen nach unten als Fibrae arc.

Schnitt 1277. Der Hypoglossuskern ist verschwunden. Der Triangularis ist mit dem Interkalatus durch aus der Area fasc. stammende und den Triangularis durch- ziehende Fasern verbunden. Die IX. und X. Wurzel tritt in den Fasc. solit. ein. Ob er Fasern nach oben sendet, ist mit Sicherheit nicht zu entscheiden.

Schnitt 1175. Ende des Triangularis.

Zusammenfassung.

Der Triangularis ist etwas schwächer entwickelt als bei den anderen Tierklassen.

Meine Untersuchungen beziehen sich auf 40 Weigert-Cochenille-Serien und 6 Nißl-Serien verschiedener Säugetiere, unter denen sich die Vertreter fast aller Familien finden, so daß wir imstande sind, uns eine ungefähr genaue Vorstellung über das Verhalten des Triangularis in der Säugetierreihe zu bilden.

Zuerst ist festzustellen, daß der Triangularis ein konstant bei allen Säugern vorkommendes Gebilde ist, obwohl er in seinen Dimensionen er- heblichen Schwankungen unterliegt. Auch weist er in seinem feineren Bau trotz gewisser Unterschiede eine große Übereinstimmung bei allen unter- suchten Tieren auf, so daß seine einzelnen Teile leicht zu homologi- sieren sind.

Bevor wir uns diesen Besonderheiten des Baues der einzelnen Gat- tungen zuwenden, betrachten wir den allgemeinen Bauplan dieses Kerns, der allen Tieren eigen ist. Wir werden diese Beschreibung von dem kau- dalen Pol des Kerns, wie er heute allgemein angegeben ist, also vom Anfang der Area fasc., beginnen.

Gewöhnlich sieht man schon mit dem Auftauchen der ersten Area-fasc.- Bündel in der kaudalen Medulla oblongata an ihrem medialen Rande einen schmalen Streifen von ganz kleinen, sehr dicht gelagerten Zellen, die auch

Über den Nucleus triangularis. 329

zwischen den Biindeln der Area fasc. liegen (Abb. 2). In Abhängigkeit von der Lage dieser Biindel findet man den Kern mehr oder weniger von der Ventrikeloberflache entfernt, dorso-lateral vom Fasc. solit. liegen. Weiter oral wird dieser Zellstreifen etwas breiter, erreicht hier eine beträchtliche Größe. Zugleich treten in der Area fasc. außer den kleinen auch große Zellen auf, die manchmal auch im Triangularis erscheinen. Das geschieht aber nicht immer. Zum Beispiel ist dieser Teil des Triangularis bei den Ungulaten bis zu seinem vorderen Ende kleinzellig (Kamel).

In oralerer Gegend erreicht der Triangularis immer die Medullaober- fläche (mit Ausnahme der Cetaceen). Ventromedial grenzt er an den N. fasc. solit.

Dieser kleinzellige Kern reicht bis ungefähr zur Höhe des vorderen Hypo- glossuskernpols (Abb. 1). Bei manchen Tieren erreicht er ihn nicht (Kän- guruh, Phascolarctus), bei anderen erstreckt er sich weiter oral. In dieser Höhe beginnt seine Säule nach außen abzubiegen und tritt endlich in die Area fasc., wo sie in ihren Zellsträngen zu verfolgen ist, ein, während von unten und innen an seine Stelle ganz andere Elemente treten. Es sind das zwei Arten von Zellen, und zwar zuerst die Zellen, die wir Hauptzellen des Triangularis nennen wollen. Es sind mittelgroße Elemente mit netz- artigem, spärlichem Tigroid, welchem Umstand sie ihr blasses Aussehen ver- danken, von länglicher Gestalt, die in dünnen Schnitten, gewöhnlich birn- förmig oder kaulquappenförmig erscheinen, in dickeren oft bipolar sind. Diese Zellen nehmen hauptsächlich die dorsalen Teile des Kerns ein. In den medio-ventralen Teilen erscheinen die Zellen zweiter Art. Sie sind größer als die Hauptzellen, rundlich oder polygonal, mit reichlichem Tigroid, ent- sprechen jedenfalls dem Typus der motorischen Zellen und erinnern sehr sowohl an die Interkalatus- als auch an die dorsalen Vaguskernzellen. Was ihre Verteilung anbelangt, so verhalten sie sich sehr verschieden. Während sie bei vielen Tieren (Hund, Rüsselbär, Affen und Haibaffen, Känguruh) distinkte Zellgruppen bilden, die oft als Herde gelatinöser Substanz imponieren, liegen sie bei anderen Gattungen mehr zerstreut (Rodentien, Katze, Ungulaten).

Der Triangularis nimmt jetzt eine beträchtliche Größe an, breitet sich nach unten und innen, die Vaguskerne verdrängend, aus und kommt mit dem Interkalatus in Berührung.

Beide Arten der Triangulariszelien kann man weiter nach vorne ver- folgen, und zwar bis ungefähr zur Höhe, wo die letzten Glossopharyngeus- wurzeln eintreten. Hier erreicht der Triangularis auch die größten Dimen- sionen. Zugleich verschwinden die Zellen des motorischen Typus, die schon spärlicher geworden sind, und der Triangularis besteht hier ausschließlich aus seinen Hauptzellen, die mehr locker gelagert sind. Der Kern beginnt sich zu verkleinern, vom Deitersschen Kern von außen und unten umrahmt. Seine Zellen, die immer ihre Lage unter der Ventrikeloberfläche bewahren, reichen bis zur Höhe des absteigenden Fazialisschenkels.

Auf Grund dieser Beschreibung müssen wir rein cytoarchitektonisch im Triangularisgebiete drei Teile unterscheiden:

330 Dr. W. J. Godlowski.

1. den kaudalen schmalen kieinzelligen Teil,

2. das Mittelstück, das aus zwei Anteilen, nämiich aus den Zellen von motorischem Typus und den Hauptzellen, besteht, und (Abb. 3)

3. dem oralen Teil, der ausschließlich die Hauptzellen aufweist.

Was die Verhältnisse der Teile zueinander anbelangt, so stellen wir fest, daß der kaudale Teil seiner Zellstruktur nach keine Ähnlichkeit mit den oralen Gegenden des Triangularis bietet. Man kann auch nicht sagen, daß seine Zellen in die Zellen der oralen Teile übergehen. Er biegt einfach nach außen um und es legen sich medial an ihn ganz neue Zellen an. Endlich ver- schwindet er aus der Gegend medial von der Area fasc. vollständig, sich in ihr verlierend. Die basalen Schnitte der Kaninchen-Oblongata demon- strieren die Unabhängigkeit beider Teile voneinander deutlich.

Hier möchte ich die Beschreibung dieser Verhältnisse bei den Cetaceen anschließen, da sie von jenen der anderen Tiere stark abweichen und des- wegen manche Tatsachen klarer erscheinen lassen.

Beim Delphin (wie auch bei Phocaena) liegt der kaudale Teil vom Trian- gularis nicht medial, sondern dorsal von der Area fasc., welche hier weit in der Tiefe liegt und die Oblongataoberfläche nie erreicht. Er nimmt also eine ganz ungewöhnliche Lage lateral und nicht dorsal vom Fasc. solit. ein. Er erstreckt sich von dem kaudalen Ende der Area fasc. bis weit nach vorne, wo er immer kleiner wird und endlich den Deitersschen Zellen Platz macht. Erst jetzt entwickeln sich die oralen Teile des Triangularis und liegen in ganz anderer Gegend, nämlich dorsal vom Fasc. solit. im Areal der Vagus- kerne. Sie treten eigentlich überhaupt nicht mit dem kaudalen Teil in Be- rührung. Eine Strecke weit bestehen beide Teile nebeneinander.

Auf Grund dieser Tatsachen müssen wir feststellen, daß der kau- dale Triangularisteil, der dem N. triang. desc. entspricht, in kei- ner wesentlichen Beziehung zum Hauptkern des Triangularis steht, daß wir hier zwei ganz verschiedene und voneinander un- abhängige Formationen vor uns haben, die nur wegen der zufällig gemeinsamen Lage an dem medialen Rand der Area fasc. eine beiderseitige Zugehörigkeit vortäuschen.

Dagegen müssen wir den mittleren und den vorderen Teil des Triangu- larıs als ein zusammenhängendes Gebilde betrachten. Gemeinsam ist ihnen der Haupttypus der Zellen, die sich in beiden Teilen vollkommen gleichen. Der Unterschied besteht nur darin, daß der Mittelteil außer den Haupt- zellen ein fremdes Element in Gestalt von Zellen vom motori- schen Typus enthält. Sonst aber sieht man, daß der Triangularis vom Hypoglossuskernende bis zum vorderen Fazialiskniepol ein einziger ein- heitlich gebauter Kern ist (Abb. 1).

Betrachten wir nun die Verhältnisse des Triangularis zu den angrenzen- den Gebilden, so wird uns dies Aufschluß über die Zugehörigkeit oder Nicht- zugehörigkeit des N. intercalatus zum Triangularis und eventuell auch die über die Herkunft der Triangulariszellen verschaffen.

Uber den Nucleus triangularis. 331

Was nun den N. triangularis desc. anbelangt, so haben wir gesehen, daß er in innigstem Zusammenhang mit den Zellen der Area fasc., also mit dem sogenannten N. vestib. desc. steht. Dagegen ist er scharf abgegrenzt von dem medial und ventral von ihm liegenden N. fasc. solit. Seine Zellen sind kleiner als die des sensiblen Vaguskerns und fast fortsatzlos.

Der eigentliche N. triangularis kommt an seiner ganzen lateralen Seite mit der Area fasc. und deren Kernen in Berührung. Auch kommt es oft vor, daß im lateralen Rand des Triangularis einzelne Zellen oder winzige Zell- gruppen des N. vest. desc. eingesprengt sind. Sie unterscheiden sich deut- lich von den Triangulariszellen. Weiter oralwärts, wo der N. Deiters auftritt, beginnen sich dessen Zellen immer mehr gegen die Basis des Triangularis vorzuschieben und die Zellen des Triangularis weichen immer weiter in der Richtung zur Ventrikeloberfläche aus. Es ist aber nicht zweckmäßig, wie es Fuse tut, von einem Triangularisanteil des Deiterskerns zu sprechen. Zu einer wirklichen Vermischung der Zellen beider Kerne kommt es nie. Nur einzelne Zellen geraten gelegentlich in fremdes Gebiet, wie es bei zwei angrenzenden Kernen häufig der Fall ist.

Etwas komplizierter liegen die Dinge an der medialen Triangularis- grenze. Der mediale Rand des Triangularis ist vom Anfang bis fast zum Ende des Kerns vom Interkalatus flankiert. Die beiden Kerne kommen auch in eine sehr nahe Berührung, trotzdem man bei genauerem Zusehen die Über- zeugung gewinnen muß, daß es sich um zwei differente Kerne handelt (Abb. 2). Und wir werden gleich sehen, warum trotzdem zuweilen der Ein- druck der Einheitlichkeit erweckt wird. Die Hauptzellen des Triangularis unterscheiden sich durch ihre Blässe, ihre birnförmige Gestalt unzweifel- haft von den Zellen des Interkalatus, die in der Hauptsache aus mittelgroßen, rundlichen und großen polygonalen Elementen bestehen. Auch kommen nie typische Triangularishauptzellen im Interkalatus vor. Anders verhalten sich die Zellen des motorischen Typus, die in der ventro-medialen Gegend des mittleren Teiles des Triangularis vorkommen. Diese zeigen eine ausgesprochene Ähnlichkeit mit den Interkalatuszellen, und zwar sowohl mit den mittel- großen als auch mit den großen Interkalatuszellen. Außerdem kann man sehr oft eine Verbindungsbrücke aus Zellen an dem ventralen Rand des Triangu- laris und Interkalatus finden. Im allgemeinen sind jedoch die beiden Kerne voneinander getrennt. In den oralen Gegenden des Triangularis ist eine Lücke zwischen beiden Kernen deutlich. Und das hilft hier den Interkalatus, dessen Zellen kleiner und blasser geworden sind, aber immer eine rund- liche Gestalt bewahren, vom Triangularis zu unterscheiden.

Wir müssen also die Frage der Zugehörigkeit des Interkalatus zum Triangularis verneinend beantworten, wenn es sich um die Gesamtheit des Kerns handelt. Die Beziehungen des „motorischen“ Teils des Triangularis zum Interkalatus werden wir bei Besprechung der Herkunft dieser Zellen später erörtern.

Nun kommen wir zur Frage der ETET der beiden Vaguskerne (dorsaler Vaguskern und N. fasc. solit.) zum Triangularis.

332 Dr. W. J. Godlowski.

Wenn wir die Frontalserie der neugeborenen Ratte betrachten, finden wir, daB gleich nach dem Ende des Hypoglossuskerns sich von der Peripherie der Vaguskerne (motorischer und sensibler Teil ist schwer zu unterscheiden) ein Zellhaufen abtrennt, der unter dem Ventrikelboden den Vaguskernen wie eine Kappe aufsitzt (Abb. 4). Diese Zellmasse steht mit dem Interkalatus in Verbindung, anderseits beginnt sie sich lateralwärts vorzuschieben, den N. triangularis desc. wegdrängend. Es ist der Hauptkern des Triangularis. Bei den Ungulaten (Kamel, Rind, Pferd) sieht man, wie der dorsale Vagus- kern sich in zwei Teile teilt. Der dorsale Teil verschiebt sich lateralwärts und gelangt so in den Triangularis, in dem sich seine Zellen ausbreiten. Auch an den Basalschnitten durch die Kaninchen-Oblongata sieht man, wie am vorderen Pol des dorsalen Vaguskerns sich dessen Zellen fast konti- nuierlich in die oraleren, ähnlichen Zellen der ventralen Triangularispartien fortsetzen.

Es erscheint also wahrscheinlich, daß die ‚motorischen Triangularis- zellen“ aus dem vorderen Pol des dorsalen Vaguskerns hervorgehen. Auf diese Weise würde dieser „motorische Triangularisanteil‘ eine direkte Fort- setzung des dorsalen Vaguskerns bilden. Anderseits sieht man an denselben Sagittalschnitten den Zusammenhang dieser „motorischen Triangularis- zellen‘ mit dem Interkalatus, dessen Zellen er noch mehr gleicht.

Was den Zusammenhang des Triangularis mit dem N. fasc. solit. anbe- . langt, so ist es noch schwerer, eine sichere Antwort zu geben. Man sieht gewiß sowohl beim Menschen als beim Kaninchen, wie sich die Haupt- zellen des Triangularis von der Gegend des Fasc. solit. an auszubreiten beginnen. Die Oblongata der neugeborenen Ratte zeigt das noch deutlicher. Endlich bei den Cetaceen, wo der N. triangularis desc. wegen seiner lateralen Lage das Bild nicht stört, entwickeln sich die Triangularishauptzellen direkt im Gebiete des N. fasc. solit. Der Gestalt nach aber kann man sie immer leicht von den sensiblen Vaguskernzellen unterscheiden. Die Triangularis- hauptzellen sind beträchtlich größer und haben die oben erwähnte charakte- ristische Gestalt.

Nach der Besprechung der Ergebnisse der Untersuchung von Zell- präparaten wenden wir uns den Markscheidenpräparaten zu, um die Frage des Ursprungs der Fasern in der Triangularisgegend, die wir uns am Anfang gestellt haben, zu beantworten. Wir sind uns von vornherein klar dariiber, daß wir kaum zu einer befriedigenden Lösung dieses Problems kommen wer- den, da wir die Untersuchungen nur an normalen Weigert-Serien gemacht haben und weder das experimentelle noch das entwicklungsgeschichtliche Material herangezogen haben. Trotzdem werden wir versuchen, das Problem nach Möglichkeit zu lösen.

In den kaudalsten Teilen des Triangularis desc. haben die ersten Fasern, die hier erscheinen, einen fast senkrechten Verlauf ventralwärts. Sie ziehen lateral vom Fasc. solit. in die Subst. ret. Hier biegen sie nach innen um, um in die Gegend des prädorsalen Längsbündels zu gelangen. Sie scheinen im N. triang. selbst ihren Anfang zu nehmen. Etwas weiter oralwärts werden

Über den Nucleus triangularis. 333

die Fasern des Triangularis zahlreicher. AuBer den schon erwihnten sieht man Fasern, die aus der Area fasc. stammen und den Triangularis so durchsetzen, daB die obersten fast horizontal nach innen ziehen, die ven- traleren dorsomedialwärts. Außerdem sieht man dicke Fasern, die aus der Area fasc. oder aus der Gegend oberhalb der Area fasc. stammen, ventro- medial durch den Triangularis verlaufen und medial vom Fasc. solit. in die Subst. ret. gelangen.

Ein Teil von ihnen bildet die Fibrae coronariae des Hypoglossuskerns. Noch weiter oral beginnen die einzelnen Fasern aus der Area fasc., die den Triangularis horizontal oder quer dorsomedialwärts durchziehen, sich unter dem Ventrikelboden in die Richtung des Interkalatus zu begeben. Sie tragen also zur Bildung der von Ziehen so genannten Lunula alae cinereae bei. Sie gehen in den Fasc. Schütz über.

Von hier an beginnen immer zahlreichere Fasern den Triangularis mit dem Interkalatus zu verbinden. Sie ziehen mehr oder weniger horizontal durch das Gebiet des dorsalen und sensiblen Vaguskerns hindurch, solange diese noch nicht ventralwärts getreten sind. Unter ihnen verdient ein Bündel besondere Erwähnung, das von Fuse als Fasc. triangulo-intercalatus be- schrieben wurde. Es ist gar nicht konstant. Selbst bei Tieren derselben Fa- milie ist es vorhanden oder fehlt vollkommen. Was seinen Ursprung anbe- langt, so ist es sicher, daß es nicht im Triangularis, sondern in der Area fasc. entspringt. Bei allen Tieren findet man Bilder, die dafür sprechen. Be- sonders schön aber sieht man seinen Verlauf vom Anfang in der Area fasc. bis zu seinem Ende in dem Interkalatus (bzw. auch im N. Roller) beim Kamel und Delphin.

Je weiter nach vorne, desto breiter wird die Faserbrücke, die den Trian- gularis und den Interkalatus verbindet, bis endlich in der Höhe des eigent- lichen Triangularis (nach dem Verschwinden des Hypoglossuskerns) der Interkalatus und Triangularis eine einheitliche Fasermasse bilden. Der ganze Triangularis ist außer den erwähnten Fasersystemen, deren Verlaufsrichtung man ungefähr verfolgen kann, von einem dichten Fasernetz ausgefüllt. Die Fasern dieses Netzes sind ganz dünn. Man kann weder ihren Anfang noch ihr Ende finden. Medial geht dieses Faserfeld des Triangularis in ein ähn- liches des Interkalatus über. Lateral grenzt es an die Area fasc., ventral- wärts an den Fasc. solit. mit seiner Subst. gelat. und endlich an die Subst. ret.

Außer dem feinen Fasernetz finden wir weiter in dem Kern alle oben- genannten Fasersysteme. Die Fasern, die mehr oder weniger horizontal nach innen verlaufen, sind besonders zahlreich. Man hat den Eindruck, daß alle diese Fasern, die dicker sind als das Grundnetz, aus der Area fasc. stam- men und den Triangularis einfach nur durchqueren. Ihr Verlauf ist davon abhängig, ob sie vom unteren oder vom oberen Teil der Area fasc. stam- men, also mehr horizontal oder schräg ziehen. Sie gelangen zum Fasc. Schütz und zum Interkalatus; besonders zu erwähnen sind Fasern, die sich nach

334 Dr. W. J. Godlowski.

ihrem Anlangen an den lateralen Rand des Interkalatus bzw. des Fasc. Schiitz ventralwarts wenden und senkrecht jn die Subst. ret. ziehen.

Was nun den Fasc. Schiitz anbelangt, bildet er noch eine Zeitlang nach der Verbindung des Interkalatus mit dem Triangularis eine Grenze zwischen den beiden. Später ist er nur auf den Raum oberhalb des Interkalatus be- schränkt.

In der Höhe des nun ganz entwickelten Triangularis tritt ein neues Fasersystem auf. Es sind dünne Fasern, die fächerförmig sich aus der Gegend des Fasc. solit. zur Ventrikeloberfläche ausbreiten. Zuerst sind sie spärlich, werden dann immer zahlreicher, am zahlreichsten in dem Niveau, wo die Glossopharyngeuswurzel in den Solitarius eintritt. Man kann auch oft den Zusammenhang dieser Fasern mit der Wurzel des Glossopharyngeus beobachten. Sie scheinen also sowohl vom Fasc. solit. als auch direkt von der Nervenwurzel zu stammen.

Die fächerartigen Fasern finden sich bei allen Tieren. Wir möchten sie mit Ziehen, im Gegensatz zu den horizontalen und transversalen Fasern, die früher besprochen wurden, radiäre Fasern nennen. Der Zusammen- hang mit dem Glossopharyngeus, eventuell mit dem Fasc. solit., ist auch fast immer festzustellen, obgleich nicht gleich deutlich bei allen Serien (gut beim Menschen, Ungulaten, Stachelschwein). Es muß bemerkt werden, daß eine ähnliche Verlaufsrichtung wie diese centripetalen die früher erwähnten aus dem Triangularis und aus der Area fasc. lateral vom Fasc. solit. ventral- wärts ziehenden Fasern einschlagen. Sie sind nichtsdestoweniger von den radiären Fasern zu unterscheiden, da sie mehr vertikal verlaufen und dann medial abbiegen (Abb. 5).

Die radiären Fasern kann man bis zur Oberfläche des Triangularis verfolgen. Sie sind nach oben immer dünner und scheinen in dem Trian- gularis selbst zu enden.

Nach dem Ende des Glossopharyngeuseintrittes werden die Fasern, die den Triangularis in horizontaler Richtung durchziehen, immer zahlreicher. Bei Menschen und bei den höheren Affen sind schon früher die Striae me dullares unter der Ventrikeloberfläche aufgetreten. Außerdem aber werden bei allen Gattungen die transversalen Fasern besonders in den ventralen Teilen des Triangularis angereichert. Es sind Fasern, die aus der Area fasc. und aus den Cochleariskernen zur Mittellinie ziehen. Sie scheinen haupt- sächlich im Fasc. longitudinalis dorsalis zu enden, bzw. die Mittellinie zu überschreiten. Andere Fasern, die auch aus der Area fasc. kommen, durch- ziehen den Triangularis auch vertikal und treten dann am ventralen Rand heraus, um als Fibrae arc. int. in die Subst. ret. zu gelangen. Noch weiter oral werden die radiären Fasern, die vorher etwas spärlicher geworden sind, wieder zahlreicher. Sie ziehen durch die mächtigen transversalen Fasern hindurch dorsalwärts bis zur Ventrikeloberfläche, sowohl in den medialen als auch in den lateralen Teilen des Triangularis.

Der dorsale Teil des Kerns weist jetzt schon ein nicht mehr so dichtes Fasernetz auf wie früher. Die transversalen Fasern fehlen in ihm fast voll-

Über den Nucleus triangularis. 335

ständig, dagegen findet man unter der Oberfläche eine Schicht quergetroffener Fasern, die eine laterale Fortsetzung des Schützschen Bündels bildet. Sie ist bei verschiedenen Tieren sehr ungleichmäßig ausgebildet, aber mindestens angedeutet findet sie sich immer. Am besten ist sie beim Hund, Fuchs, den Ungulaten, entwickelt. Sie reicht fast bis zum vorderen Ende des Trian- gularis, immer an Größe und Dichte abnehmend. Ihre Fasern scheinen dann in der Richtung ventralwärts abzubiegen und an der Grenze zwischen dem Interkalatus und dem Triangularis, also in der Gegend des Abducenskerns, ventralwärts in die Subst. ret. einzutreten. Das kann man besonders gut bei den Tieren, wo das Triangularislängsbündel gut entwickelt ist, beob- achten.

Wir haben früher gesehen, daß in dem oralen Teil des Triangularis die radiären Fasern wieder zunehmen. Nun ist es auffallend, daß ihre zweit- größte Entwicklung in jener Höhe auftritt, in welcher die Intermediuswurzel in die Oblongata eintritt. Und man kann fast bei allen Tieren beobachten, daß aus der Intermediuswurzel, die in der Gegend des sogenannten Roller- schen Herdes, d. h. einem Herd der Subst. gelat., medio-dorsal von der Radix desc. trigem., sich aufsplittert, feine Fasern, ganz ähnlich wie es beim Glossopharyngeus der Fall war, geradlinig dorsalwärts in das Gebiet des Triangularis ziehen, um sich hier fächerartig auszubreiten. Der Zu- sammenhang der radiären Fasern mit dem Intermedius ist besonders gut sichtbar beim Pferd und Rind (Abb. 6).

So sind wir fast an dem oralen Pol des Triangularis angelangt. Er ist hier ganz klein, liegt nur unter dem Ventrikelboden. Die früher zu ihm gehörenden ventralen Teile sind jetzt von den dichten Fasern, die aus der Area fasc. und dem N. Deiters kommen, eingenommen. Man findet aber, daB diese Fasern nie in das Triangularisgebiet hineinziehen. Der Triangu- laris ist jetzt faserarm, da sowohl das Längsbündel als auch die Radiär- fasern abgenommen haben. Endlich in der Höhe des absteigenden Fazialis- schenkels finden wir das kleine Feld unter dem Ventrikelboden, wo früher der Triangularis lag, bei einigen Tieren fast faserfrei, bei anderen finden wir gröbere Fasern, die mit der Deitersschen Formation in Beziehung stehen.

Wenn wir jetzt systematisch diese Befunde zusammenfassen und be- sonders nach dem Ursprung verschiedener Faserkategorien fragen, so finden wir im Triangularisgebiete außer dem

1. dichten Fasernetz, bei welchem weder der Ursprung noch das Ende der Fasern bestimmbar ist,

2. zuerst die Fasern aus der Area fasc., die sich zum medialen Teil des Bodengraues, also zum Fasc. Schütz, zum Interkalatus und zum Roller- schen Kern begeben und dabei den Triangularis in mehr oder weniger hori- zontaler Richtung durchziehen, ohne in ihm zu enden;

3. Fasern aus der Area fasce., die in schräger Richtung den Trian- gularis durchziehen und medial aler lateral vom Fasc. solit. in die Fibrae arc. int. übergehen und als solche sowohl zur Subst. ret. als auch zum Fasc. longitud. dors, und prädors. ziehen;

336 Dr. W. J. Godlowski.

4. Striae acust. und Fasern aus dem Deitersgebiete und eventuell aus dem Kleinhirn, die auch mehr oder weniger horizontal durch den Trian- gularis gegen die Mittellinie verlaufen.

Neben diesen transversalen Systemen finden wir

5. in der Gegend des eigentlichen Triangularis die radiären Fasern, die scheinbar mit dem Fasc. solit., mit der Wurzel des Glossopharyngeus und Intermedius in Zusammenhang stehen und in fast senkrechter Richtung verlaufen;

6. das System von quergetroffenen Fasern, das besonders in den oralen Gegenden gut entwickelt ist und bei manchen Gattungen ein abgegrenztes Längsbündel bildet. Mit diesen Fasern in Zusammenhang scheinen die Fasern, die teilweise durch die lateralen Schenkel des Schützschen Bündels, teilweise unabhängig von ihm, an dem medialen Rand des Triangularis in die Subst. ret. treten, zu stehen.

Was nun die Beziehungen des Triangularis zur Area fasc. und zum Vestibularis anbelangt, so scheinen die Fasern der Area fasc. sicher im N. triang. desc. zu enden. Dagegen die dickeren Fasern, die wir im eigent- lichen Triangularis aus der Area fasc. eintreten sehen, scheinen den Trian- gularis nur zu durchziehen, ohne in ihm zu enden. Natürlich ist es un- möglich, an der Hand von Weigert-Präparaten festzustellen, daß keine dün- neren Fasern der Area fasc., eventuell auch in dem eigentlichen Triangularis enden.

Zur Frage der radiären Fasern ist zu bemerken, daß sie, wie wir ge sehen haben, von Ziehen beobachtet wurden. Er hat sie als Fasern des Glossopharyngeus aufgefaßt, die etwas mehr dorsalwärts steigen, dann aber abbiegen, um in den Nucl. Fasc. solit. einzutreten. Das erscheint mir ganz unwahrscheinlich. Die Bilder sprechen entschieden dafür, daß es Fasern sind, die ihr Ende im Triangularis selbst finden. Auch ist der Zusammenhang eines Teiles von ihnen nicht nur mit dem Glossopharyngeus, sondern auch mit dem Intermedius sehr wahrscheinlich. Dabei ist zu bemerken, daß die radiären Fasern ausschließlich im eigentlichen Triangularis vorkommen und daß sie im Triangularis desc. vollkommen fehlen.

Was die Beziehungen des Triangularis zum Interkalatus betrifft, so halte ich die dickeren Fasern, die aus dem Triangularis zum Interkalatus und zum Schützschen Bündel ziehen, für Area-Fasciculata-Fasern. Aber da das Faser- geflecht des Triangularis direkt in ein solches des Interkalatus übergeht, er- scheint es höchst wahrscheinlich, daß eine ganze Anzahl von Faserverbin- dungen zwischen ihnen besteht.

In den dorsalen Teilen des Triangularis finden wir ein längsverlaufen- des Bündel, das wahrscheinlich später seine Fasern ventralwärts in die Subst. ret. sendet. Es ist möglich, daß es sich hier um Fasern handelt, die im Triangularis selbst entstehen.

Somit haben wir die Besprechung der rein morphologischen Tatsachen, die sich aus unseren Untersuchungen ergeben, beendet. Nun möchten wir

Uber den Nucleus triangularis. 337

kurz nur das erwähnen, was sich auf ihrem Grund über die physiologische Bedeutung der untersuchten Gebilde aussagen läßt.

Den N. triangularis desc. darf man mit größter Wahrschein- lichkeit als Endigungsstätte von Vestibularisfasern betrach- ten. Dafür spricht der sensible Charakter seiner Zellen, die Gleichheit der- selben mit den Zellen des N. vestib. desc. und endlich die Tatsache, daß wir in seinem Gebiete die Fasern aus der Area fasc. enden sehen. Die Fasern, die von ihm nach unten und innen ziehen, kann man als seine sekundäre, sensible Bahn eventuell als eine reflektorische Bahn betrachten.

Dagegen finden war, was den N. triangularis sensu strictiori betrifft, keine genügenden Gründe, um ihn mit Sicherheit in das Vestibularissystem einzurechnen. Wir haben gesehen, daß die Fasern, die aus der Area fasc. in ihn hereintreten, ihn wahrscheinlich nur durchziehen. Seine Zellen unter- scheiden sich deutlich von den Zellen der Area fasc.; endlich findet man vergleichend anatomisch keine direkte Abhängigkeit zwischen der Entwick- lung der Area fasc. und dem Triangularis. Bei den Cetaceen, wo die -erste sehr mächtig ist, ist der Triangularis ganz schmächtig.

Wir haben im Triangularis ein Gebilde vor uns, das aus zwei differenten Elementen besteht, aus dem, was wir Hauptzellen genannt haben, und aus den motorischen Zellen in seinem kaudalen Anteil. Die Hauptzellen kann man als sensible Zellen betrachten, die eine besondere morphologische Dif- ferenzierung erfahren haben. Dagegen ist die Zugehörigkeit der zweiten Art von Zellen zum dorsalen Vaguskern und zum Interkalatus, also zu den vegetativen motorischen Kernen, nachdem was wir früher ausgeführt haben, sicher. Wir sollen diese beiden Elemente des Triangularis als besondere Kerne betrachten, die nur in sehr innigen Beziehungen zueinander stehen. Wir ver- treten also den Standpunkt, daß wir in den Hauptzellen des Triangu- laris einen sensorischen, in den der motorischen Art einen vege- tativ-motorischen Kern vor uns haben (Abb. 3).

Wenn es sich jetzt zuerst darum handelt, festzustellen, mit welchem sensorischen System der zuerst genannte Kern in Zusammenhang stehen kann, so haben wir gewiß kein Recht, seine Beziehungen zum Vestibularis vollkommen auszuschließen. Die Tatsache jedoch, auf die wir hier auf- merksam machen wollen, ist die, daß ein Teil des Intermedius, Glossopha- ryngeus, eventuell Vagusfasern, und zwar sensible Fasern, aller Wahrschein- lichkeit nach in den Triangularis endet. In welchem Ausmaße das geschieht, können wir nicht entscheiden. Jedenfalls scheint die Zahl dieser Fasern beträchtlich zu sein.

Man muß erinnern, daß schon von Stilling der Triangularis als Glosso- pharyngeuskern angesprochen wurde. Diese Annahme wurde aber von Clarke widerlegt und ist seither nie mehr ernstlich zur Diskussion gelangt. Jedoch können wir uns auf zwei Autoren berufen, deren Forschungen unsere An- nahme der Endigung der sensiblen Nervenwurzeln im Triangularis stützen. Und zwar handelt es sich nicht um den Glossopharyngeus, sondern um den Intermedius.

Arbeiten aus dem Wr. neurol. Inst. XXXII. Bd. 22

338 Dr. W. J. Godlowski.

Wie bekannt, hat Nageotte einen Fall von kompletter Intermedius- degeneration, den er mit der Marchi-Methode untersucht hat, beschrieben. Auf Grund seines Befundes hat er als Endigungsstätte des Intermedius eine Zellgruppe beschrieben, die lings des oralen Teiles des Fasc. solit. gelegen ist. AuBer den Fasern, die dort ihr Ende finden, hat er eine Anzahl von auch degenerierten Fasern gesehen, die weiter in die Héhe ziehen und im Ventrikelgrau enden. Es kann sich also nur um unsere radiären Fasern im Triangularis handeln. Lewandowsky hat bei einer Medulla-Oblongata- Verletzung eine gekreuzte Degeneration der Fasern in dem Gebiete unter dem Ventrikelboden gefunden. Er bezeichnet das Gebiet als N. Bechterew. Doch nach der Zeichnung, die er gibt, fällt es noch in den Bereich des Triangularis. Lewandowsky hält diese degenerierten Fasern für gekreuzte Vestibularisfasern. Kohnstamm jedoch korrigiert diese Annahme, indem er beweist, daß es sich nur um den Intermedius handeln kann. Diese patho- logischen und experimentellen Befunde scheinen also unsere morphologisch gewonnene Annahme, daß die Radiärfasern des Triangularis sensible Inter- medius- bzw. Glossopharyngeus-Fasern sind, zu stützen. Nun sind diese beiden Nerven in erster Linie die Leiter der Geschmackseindrücke. Es drängt sich also von selbst die Annahme auf, daß der Triangularis mit der gustatorischen Funktion in irgend welcher Beziehung steht. Wir wollen keinesfalls be- haupten, daß er ein Geschmackszentrum ist. Es ist möglich, daß die Fasern der oben erwähnten Nerven nur einen Teil ihm zufließender Reize aus- machen. Es ist auch möglich, daß nur Kollateralen der Wurzelfasern des Glossopharyngeus, Vagus und Intermedius im Triangularis enden.

Die Frage der gustatorischen Zentren kann jedenfalls nicht als end- gültig abgeschlossen betrachtet werden. Die Gründe, die gegen ihre Ver- legung in die nächste Fasc.-solitarius-Gegend sprechen, hat Kappers ange- führt. Und jedenfalls ist es auffallend, daß ein so wichtiger und differenzierter Sinn, wie der Geschmack, keine morphologisch differenzierte Endstätte für seine Rezeptionen haben soll.

Noch auf eine Tatsache wollen wir verweisen, die sich aus unseren vergleichend anatomischen Untersuchungen ergibt. Wenn wir die Entwick- lung des Triangularis in der ganzen Säugetierreihe betrachten, so finden wir, daß er am besten bei den Ungulaten, bei den Nagern, bei den Affen und Menschen entwickelt ist. Sonst ist er auch immer ein beträchtliches Ge- bilde, eine auffallende Ausnahme bilden in dieser Hinsicht nur die Cetaccen. Der Triangularis wie auch der Interkalatus “(obgleich dieser nicht so auf- fallend) sind hier sehr schlecht entwickelt. Auch verhältnismäßig klein ist der Triangularis bei den Elefanten und bei der Echidna. Nun wissen wir, daß bei den Cetaceen der Geschmacksinn sehr gering entwickelt ist.

Die Entwicklung des Triangularis geht parallel mit der Entwicklung des Interkalatus. Auch die Beziehungen beider Kerne sind sehr nahe. Die Ar- beiten des Wiener Neurologischen Instituts haben gezeigt, daß es sich im Interkalatus um einen Kern handelt, der im Dienste der vegetativen beson- ders mit der Nutrition zusammenhängenden Funktionen steht. Wenn wir

Über den Nucleus triangularis. 339

bedenken, wie wichtig für diese Funktionen die Reize, die durch den Inter- medius und Glossopharyngeus vermittelt werden, sind, erscheint uns diese Korrelation verständlich.

Noch ein paar Worte über den „motorischen“ Kern des Triangularis. Es scheint, daß das was wir so nennen, dem N. dors. vagi lateralis von Obersteiner und Marburg entspricht, den Ziehen aber für einen Teil des sensiblen Vaguskerns erklärt. Allem Anschein nach handelt es sich hier um einen vegetativen reflektorischen Kern, der vielleicht seine Fasern in den Glossopharyngeus sendet. Das können wir nur mit größter Vor- sicht behaupten. Jedenfalls die Faserbilder, z. B. beim Känguruh, sprechen sehr dafür. Die sehr innigen Beziehungen dieses vegetativen Kerns zum sensiblen Anteil des Triangularis weisen auf eine besonders große funktio- nelle Abhängigkeit beider. `

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Klinische und anatomische Beiträge zur Pathologie des Gehirns. Von

Professor Dr. Salomon Eberhard Henschen.

VIII. Teil. I. Lichtsinn- und Farbensinnzellen im Gehirn. Eine Studie. Stockholm 1930. Verlag des Verfassers.

Dieses Werk des 83jährigen Forschers beweist vor allem die Tatsache, daß schöpferische Kraft und großer Willen jedes körperliche Siechtum be- zwingen kann.

Henschen, dem wir grundlegende Forschungen über die Sehzentren verdanken, der die Area striata abgegrenzt, die Projektion der Retina be- gründet hat, der in seinen monumentalen Beiträgen zur Frage der psychi- schen Leistungen der Sehrinde wesentliches beibrachte, hat mit diesem Werk seine Arbeiten gekrönt.

Ausgehend von der Tatsache, daß die Zapfen der Netzhaut dem Farben- sinn, .die Stäbchen dem Lichtsinn dienen, hat er es unternommen, vergleichend anatomisch die Calcarina und das Geniculatum bei Tag- und Nachtaffen zu untersuchen. Dieser fruchtbringende Gedanke erschloß ihm die Tatsache, daß die Nachtaffen in der Calcarina vorwiegend größere Zellen zeigen, die einen großen hellen Kern aufweisen, während diese Zellen beim Tagaffen in ver- hältnismäßig geringer Anzahl vorhanden sind, dafür aber kleine Zellen mit chromatinreichen kleineren Kernen. So erklärt sich vielleicht der Umstand, daß beim Menschen z. B. die Calcarina von v. Economo und Koskinas als Koniokortex staubförmige Rinde bezeichnet werden konnte.

Henschen findet weiter, daß bei den Nachtaffen, deren bester Re- präsentant ein Perodicticus Potto ist, die Dreiteilung des Gennarischen Streifens fehlt, daß sowohl im Kalkarinaboden, als in der Mündung die Zellen diffus angeordnet sind, die mediale Rinde unscharf ist und auch am Pol, wo wir das Makulafeld auch nach den Henschenschen Feststellungen zu suchen haben, bei den Nachtaffen eine diffuse Anordnung vorhanden ist. Es zeigt sich zwar, daß auch bei einzelnen Nachtaffen, z. B. bei Lemuriden Farbenzellen vorkommen, aber die niedrige Entwicklung des Kalkarinagebietes ist auch hier vorherrschend. Erst die höheren Affen zeigen dann den drei-

342 Professor Dr. Salomon Eberhard Henschen.

schichtigen Gennarischen Streifen, und wenn auch hie und da eine Gruppe nicht ganz in das Schema paßt, wie z. B. der Rhesus, so muß man wohl auch hier mit individuellen Schwankungen rechnen.

Sehr wertvoll erscheint die Annahme, daß dem monokularen Halbmond ein größerzelliges Areal an der Mündung der Area striata zu entsprechen scheint. Des weiteren wird festgestellt, daß auch im Geniculatum laterale Seh- und Farbenzellen voneinander zu scheiden sind, daß auch diese in bezug auf die Größe, resp. den eigenartigen Kern differenzieren.

Auch im Geniculatum nimmt er an, daß dem monokularen Halbmond die ventral gelegenen großen Zellen entsprechen, während die für Farben- und Lichtsinn selbst bestimmten Zellen mehr rundlich sind und die schon in der Calcarina hervorgehobenen hellen, resp. dunkleren Kerne enthalten.

Es ist selbstverständlich, daß sich diese Farbensinnzellen auch bei den Nachtaffen zeigen und bei den Tagaffen natürlich nicht überall gleich sich finden, sondern sich an die phylogenetische Reihe halten. Es ist nun nicht uninteressant, daß auch die Farbensinnzellen verschiedene Größen zeigen und möglicherweise dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie verschiedenen Farben dienen. i

Es folgen Angaben über die genaue Ausdehnung des Farbenzentrums, das manchmal das Kalkarinagebiet überschreitet. Sicher aber ist das Mün- dungsgebiet meist am ärmsten von Farbensinnzellen eingenommen.

Aber nicht nur die Feststellung dieser Tatsachen, auch die Ausblicke, die Henschen gibt, sind von großer Bedeutung, da sie neue Fragestellungen bezüglich der Sehsphäre erschließen. Auch durch diese Befunde wird der Nachweis erbracht, daß die anatomische Organisation der Retina, des Geni- culatum und der Calcarina gleichmäßig ist. Selbst die Teilung des Gen- narischen Streifens in drei Teile findet eine Erklärung. Der infragennarische Streifen ist monobinokulär, der supragennarische Streifen nur binokulär. Es ist auch die Frage angeschnitten, ob für die Farben- und für die Licht- zellen nicht selbständige Leitungen vorhanden seien. Spezifische Zellen für Raumauffassung aber lehnt er ab.

Es ist nicht möglich, in einem so kurzen Referat auf die vielen Einzel- heiten, die durch ausgezeichnete photographische Abbildungen illustriert werden,. einzugehen. Es zeigt aber auch dieses Werk die bewundernswerte Leistung, vor der wir uns in Ehrfurcht beugen müssen, wobei wir wünschen, daß es nicht der Schlußstein des genialen Gebäudes sei, das sich Henschen in der Wissenschaft errichtet hat.

Marburg.

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