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Mit vorliegendem Heft gelangt der XII. Band von

Geschlecht und Gesellschaft

URDUIRBEDUNNENIRDUDADTDBEDIDIRDTDSTADDEDTDOADINADTRDEDEDEDDTNLTDURDEBARERRDEDINDADNOADDRRANINBADRODRDRBTDOTLLDUUDRDRDRBTRDEDDRSALIDORDRRURDRANDEG zum Abschluß, den wir unter dem Haupttitel

Archiv für Menschenkunde

unter Leitung von Freiherrn F. von Reitzenstein erscheinen ließen. Die Erkrankung des bisherigen Schriftleiters und die Lösung des Ver- hältnisses zum Institut für Sexualwissenschaft veranlaßt uns, die Leitung wieder selbst in die Hand zu nehmen und die Zeitschrift wie in den ersten 12 Bänden als

Geschlecht und Gesellschaft

DUADOANAUAREAUAURAAOOOVO NEOON OA DAOACOOUUOVUR AOADA CAAA DO DAOTAUODA ORROA NAVONA DADOA OAOADOROROANA ONADA DADOA VA OAOA UO OAOA RO NANANA NADA EAVA ONOMAD Zeitschrift für Sexualwissenschaft, Hygiene, Biologie und Völkerkunde

weiterhin erscheinen zu lassen.

Die bewährten Mitarbeiter an den vorliegenden Bänden bleiben uns erhalten und so werden wir auch fernerhin unseren Richtlinien, die alle Fragen des öffentlichen und privaten Geschlechtslebens ohne Prüderie, aber mit sittlichem Ernst, in natürlich vornehmer Weise zu behandeln, in der bisher befolgten vorbildlichen Form treu bleiben.

Anschauliche Schilderungen aus der Kultur- und Sittengeschichte aller Zeiten und Völker, wertvolle Beiträge zur Sexualreform, die das Interesse jedes Gebildeten in Anspruch nehmen, werden den Haupt- inhalt des neuen XIV. Bandes bilden, von dem das erste Heft in Kürze zur Ausgabe gelangt.

So dürfen wir hoffen, daß das Wohlwollen, das unserem Unter- nehmen bisher entgegengebracht wurde, nicht nur erhalten bleibt, sondern im Gegenteil noch weiter gesteigert wird.

Verlag für Sexualwissenschaft R. A. Giesecke, Dresden-A. 24

TERIERER

ÜBER LIEBESZAUBER. Von GEORG BUSCHAN.

D“ Glaube an Liebeszauber, d. h. an die Kraft gewisser Maß- nahmen und Mittel, um béi einer Person, die man lieb hat und gern besitzen möchte, sei es auch nur zur sexuellen Befriedigung, - Entgegenkommen zu erwecken, findet sich über die ganze Erde verbreitet, weniger vielleicht bei den primitiven Völkern, als in höherem Maße gerade bei Kulturvölkern, “und dies bereits vom Altertum an bis in die Gegenwart hinein. Vorschriften um Gegen- liebe zu erzeugen, finden sich meines Wissens schon auf den assyrischen Tontafeln, ebenso wie in den altägyptischen Papyri an- gegeben. Auch die Bibel erwähnt eines solchen Mittels bereits (Dudaiim) in ihrem alttestamentlichen Teile (1. Mos. 30, 19). Bei den klassischen Schriftstellern der alten Griechen und Römer be- gegnen wir mehrfach Maßnahmen, um eine Person für sich einge- nommen zu machen. In der Hauptsache sind es Liebestränke, die man aus allen möglichen Bestandteilen zusammenbraute, die sogenannte Philtra. Ihnen schrieb man unfehlbare Kraft zu, um Personen, denen sie heimlich zu trinken gegeben wurden, auf Wunsch verliebt zu machen. So wird berichtet, daß Apulejus die reiche Pudantilla durch solche Mittel sich geneigt gemacht habe, und daß der Dichter Lucretius sich in seinem Liebestaumel, der bei ihm durch ein Philtrum hervorgerufen worden war, selbst entleibt habe‘). Die zu solchen Liebestränken verwandten Bestandteile setzten sich in der Hauptsache aus den gleichen Stoffen zusammen, die das Volk noch heute als geschlechtsanregend bezeichnet. Apulejus z. B. soll seiner bereits erwähnten ‚Geliebten einen Trank - aus Spargel, Krebsschwänzen, Fischrogen, Taubenblut und der Zunge eines mythischen Wesens, namens Iyop, verabreicht haben. Einer besonderen Wertschätzung erfreute sich bei den Völkern des klassischen Mittelalters der Hippomanes, ein schwarzer Auswuchs von der Größe einer getrockneten Feige, die angeblich auf der Stirn eines neugeborenen Füllens wuchern und zu Pulver zerrieben

` 1) Ploß-Bartels, Das Weib in der Natur- und Völkerkunde, 9. Aufl. Leipzig 1908, Bd. I, S. 644. a

514 Buschan: Über Liebeszauber

und in die Speise getan eine wunderbare Wirkung entfalten sollte’). Im Mittelalter waren Liebestränke nicht minder beliebt als im Altertum. Rezepte für ihre Herstellung sind in ziemlicher Anzahl auf uns gekommen. Nach Piytoff?) bestand ein beliebter Trank aus einer Mischung von Schierling, Baldrian, Efeu, Malve und Zypresse; Verwendung fanden ferner Schlangen, Eulen, Kröten, Geierköpfe, Wolfsschwänze, Asche von Bildern kanonisierter Heiliger, Haare u.a. m. Bedingung war meistens noch, daß alle diese und eine Unzahl anderer, zumeist ekliger Ingredienzien, wenn sie ordentlich mit einander ver- mischt waren, noch mittels geheimnisvoller Sprache geweiht werden. Ein Beispiel hierfür. „Man nehme eine lebende Kröte. Am Freitag vor Aufgang der Sonne zur Stunde der Venus hänge man sie an den Hinterbeinen in den Rauchfang auf. Man pulverisiere sie trocken, hülle sie in ein Blatt Papier, lege sie drei Tage unter einen Altar und hole sie am dritten wieder. Wenn auf diesem Ältar die Messe gelesen worden ist, so genügt es, um allen Frauen dir nachlaufen zu lassen, daß du eine Blume damit bestreuest“‘). In dem Neuen Kräuterbuch des Leonhardt Fuchs aus dem Jahre 1543 sollen „Lust zu den Weibern machen“ Koriander, Lein, Anis, Nessel, Spargel, Rüb- und Schnittlauchsamen, Fenchel und Pastinak, Schlangenkraut und Stendelwurtzwurzel, Knoblauch, Artischocken und Salbei; diese muß man entweder für eine Nacht in Wein legen, damit dieser die Säfte ausziehe, oder in Wein sieden und der Person, auf die man es abgesehen hat, zum Trinken verabreichen.

Die Verwendung derartiger Liebesmittel muß damals in hohem Grade um sich gegriffen haben, denn die christliche Kirche belegte das Veneficium amatorium mit Strafe. Die Stoffe, die im Mittelalter und bereits im Altertum zu Liebestränken benutzt wurden, haben sich zu einem großen Teile, wie bereits erwähnt, bis in die Gegen- wart beim Volke zu gleichem Zwecke erhalten. Sehr geschätzt werden noch immer Krebse, Fischlaich, im besonderen Kaviar,

Austern, Spargel, Sellerie, Eier, gewisse Gewürze, wie Pfeffer (von dem der Volksmund behauptet „er hilft dem Mann aufs Pferd, der Frau unter die Erd’“), Alkohol, Moschus, Ambra u. a. m. Die indische Ars amandi preist wieder andere, der dortigen Tier- und Pflanzenwelt entnommenen Stoffe, als Mittel an, um Liebe, im be- sonderen die geschlechtliche Begierde hervorzurufen.

2) Nach Porta, ebend. , ®) Hovorka-Kronfeld, Vergleichende Volksmedizin. Stuttgart 1900, Bd. II, S.169. t) Ebend.

Buschan: Über Liebeszauber ` 515

Zur gegenwärtigen Zeit spielen eine ganze Reihe von Pflanzen im Volksglauben eine große Rolle als Hilfsmittel um einer Person „die Liebe anzutun“ oder „damit die Mädchen einem nachlaufen“ oder wie sonst der volkstümliche Ausdruck dafür lautet. Großen Ansehens erfreut sich das Liebstöckel’). Schon sein Name be- sagt dies, obgleich er ursprünglich mit Liebe nichts zu tun hat, sondern eine Umwandlung des mittelalterlich-lateinischen levisticum (livisticum) ist, eines Wortes, das wahrscheinlich von ligustrum her- zuleiten ist. Die Mädchen in Schlesien tragen die Wurzel dieser Pflanze „zur Erwerbung von Liebe“ bei sich, ebenso die Rutheninnen und Türkinnen. Im Spessart wird ihre Blüte vorgezogen zu- sammen mit einem .Rosmarinbündel. Denn auch diese Pflanze®) steht zur Erweckung der Liebesleidenschaft im Ansehen bei den jungen Burschen und Mädchen. Die jungen Mädchen im Posen- schen nähen die Spitzen eines Rosmarinzweiges dem Burschen, den sie liebhaben, heimlich in den Brustlatz, damit er nicht von ihnen lasse. Den gleichen Ruf ’genießt die Wurzel der Zaunrübe’). Am Niederrhein legen sich die Mädchen, wenn sie zum Tanze gehen, Scheiben der von ihnen so genannten „Körcheswurzel“ in die Schuhe und sagen dabei einen Zauberspruch her: „Körcheswurzel in die Schuh’ /Ihr Junggesellen läuft mir zu“. Dadurch wird auch das dort ziemlich verbreitete Sprichwort verständlich: „Körfgeswurzel in den Schon, hat es manchem angedohn“®). Auch die jungen Burschen in Österreich-Ungarn schwören auf die Pflanze; sie nähen ihrem Mädchen sie heimlich in sein Kleid und erwarten eine unfehlbare Wirkung davon. Die Raute?) spielte gleichfalls im Liebesleben eine wichtige Rolle, wie überhaupt als Zaubermittel bei anderen Dingen im Volksaberglauben. Bereits in alten Handschriften wird ihre Bedeutung für diesen Zweck des öfteren hervorgehoben. In einer lateinischen, dem 16. Jahrhundert z. B. entstammenden heißt es, um die „Liebe zu einer Frau zu gewinnen“: „Gehe zu einer Raute am Sonntag vor Sonnenaufgang, laß deinen Harn darüber im Namen derer, die du liebst, und streue Salz darauf, und nach Sonnenunter- gang tue das Gleiche und grabe sie mit der ganzen Wurzel aus

$) Marzell, Unsere Heilpflanzen. Freiburg i. B. 1923, S. 112. Stern, Medizin, Aberglaube und Geschlechtsleben in der Türkei. Berlin 1903, S. 5.

6) Ploß-Bartels, S. 649; Marzell S. 137.

”) Marzell S. 26.

8) Marzell S. 199.

= °) Marzell S. 78. 33*

516 Buschan: Über Liebeszauber

und gehe nach Hause und lege sie in heiße Asche und sprich diese Worte: „el. ol. Omel, die ihr die Meister der Liebe seid, ich beschwöre und befehle euch, daß ihr, wie diese Raute da in dieser Asche verbrennt, die Sinne der N.N. in Liebe zu mir entbrennen lasset, daß sie keine Ruhe habe, bis sie meinen Willen getan hat“. In einem Zauberbüchlein der Iglauer Sprachinsel findet sich ein ähnlicher Zauberspruch: „Wenn die Raute blüht, so gehe früh vor Sonnenaufgang stillschweigend hin und sprich dreimal darüber: Rautenstaude, du adeliges Kraut, schöne gelbe Blume, ich, der ich geschaffen bin durch denselben, tu’, wir gebieten und beschwören dich beim lebendigen Gott und durch die Güte Gottes, daß du die Tugend an dir hast, so ich eins damit anrühre mich so lieb hat als Maria ihren Sohn liebte, da sie ihn gebar. Dies zähle ich dir zu, Buße im Namen Țft“. Die gleiche Wirkung wie der Zaunrübe wird noch anderen Pflanzen zugeschrieben, wenn man sie bei sich trägt. Deshalb führen die jungen Burschen die Ringelblume (Calendula) +°) in einem violetten Seidentüchlein bei sich, um die Neigung ihres Mädchens zu gewinnen, und umgekehrt stecken die Mädchen in der Bukowina das Basilienkraut in ihren Busen; dann wird der Liebste nicht nur an das Mädchen gefesselt, sondern alle etwaigen auf dasselbe gerichteten Zaubermittel anderer Mitbewerberinnen werden dadurch entkräftigt. Im Mittelalter scheint Baldrian*) als Liebeszauber beliebt gewesen zu sein. In einer Handschrift des 15. Jahrhunderts findet sich vermerkt darüber: „Wiltu gute freunt- schaft machen under manne und under weibe, so nym valerianum (d. i. Baldrian) und stoß die czu pulver und gib ins czu trinken in Wein“. Baufels behauptet in seinem. Kräuterbuch 1532 über den Baldrian: „Macht holdtselig, eyns und fridsam, wo zwey des Wassers trincken“. Das Sprichwort „Baldrian / Greif mir dran“ scheint in dem gleichen Sinne aufzufassen zu sein”), Auch Muskat und Näge- lein erfreuten sich im Mittelalter besten Ansehens, um Mädchen an sich zu locken. Ein alter, seit 1534 in alten Drucken unter der Aufschrift „Jungbrunn“ oder „Herzenschlüssel“ wiederkehrender Spruch lautet: „In meines bülen garten / Da sten zwei beumelein / Das ein das tregt Muskaten / das ander Negelein. / Muskaten die sind suesse/Die Naegelein, die sind vaess / Die gib ich meinen bålen,

10) Marzell, S. 233; Hovorka-Kronfeld, S. 170; Ploß-Bartels, nach Fahr S. 649. 1t) Marzell, S. 195. 12) Hovorka-Kronfeld, S. 170.

Buschan: Über Liebeszauber 517

Dass er mein nicht vergess.“ Das Knabenkraut (Orchis)"?) findet bei den Slowakinnen Beifall; sie berühren den entblößten Körper ihres Auserwählten mit einem „Christusbändchen“, der fingerförmig gespaltenen Knolle dieser Pflanze, um den Schatz so an sich zu fesseln, daß er sich nicht mehr loßreißen kann. In der Umgegend von St. Gallen wird die Wurzel der Bibernelle (Pimpinella)*‘) als probates Mittel empfohlen. Die Burschen stecken sie ihrem Mädchen heimlich in die Tasche, damit es ihnen nachlaufe. Nicht mit Un- recht vermutet Marzell, daß der bocksartige Geruch der Wurzel die Pflanze heißt daher in den Kräuterbüchern Bockspeterle, in der Schweiz Bockwürze diesem Aberglauben zugrunde liegt; der Bock spielt bekanntlich im Volksglauben in sexueller Hinsicht eine große Rolle. Schließlich wäre noch der vierblätterige Klee”) zu erwähnen, dem die Südslavinnen Dalmatiens und der Herzegovina, die Neugriechinnen, aber auch die Mädchen in Ostpreußen und in der Oberpfalz großen Einfluß auf die Liebeserhörung zuschreiben. Seine Verwendung ist eine mannigfache. Man steckt die Glücksblätter heimlich in die Tasche oder in die Schuhe der geliebten Person, um sie sich recht geneigt zu machen, oder röstet den Stengel der Pflanze), mahlt ihn darauf mit den Kaffeebohnen und kocht einen Trank daraus, oder man klebt sich je eins der vier Blätter auf die Stirn”), die beiden Wangen und das Kinn und küßt den Gegenstand seiner, Liebe unversehends. Oder man teilt den Stengel, an dem die Blätter sitzen, so, daß auf jeder Hälfte zwei davon hängen bleiben, bestreicht die eine Hälfte mit frischer Butter, die andere mit Honig und legt das Ganze auf dem Wege, den der junge Bursche kommen wird, nieder. Wenn er vorbeigegangen ist, nimmt das Mädchen die Blätter wieder auf und bewahrt sie bei sich1°).

Auch gewisse Tiere spielen beim Liebeszauber eine Rolle. Obenan steht die Fledermaus. Die Südslavin schlachtet ein solches Tier, vermengt sein Blut mit Storchenfett und beschmiert damit die Jacke oder die Hosen des Jünglings, den sie sich geneigt _ machen will’®). Auch setzt sie solchem Blut Bonbons bei, die sie

13) Anthropophyteia, Bd. V, S. 246.

u) Marzell, S. 107.

15) Hovorka-Kronfeld, S. 170; Ploß-Bartels, S. 649. 16) Anthropophyteia, Bd. V, S. 346.

17) Ebend.

18) Hovorka-Kronfeld, S. 178.

19) Anthropophyteia, Bd. Ill, S. 165.

518 Buschan: Über Liebeszauber

‚herstellt, und bietet diese ihrem Auserwählten an”). Sie benutzt schließlich auch die Eingeweide der Fledermaus, die sie mit einem Ei vermengt und mit Mehl oder geriebener Semmel zu einem Kuchen verbackt*‘), den sie dem Jüngling zum Essen reicht. Die Mädchen in der Steiermark verabreichen ihrem Schatz, um ihn willig zu machen, das Herz einer Fledermaus in Wein”). Die Südslavin trägt auch eine Fledermaus in ihrer linken Achselhöhle*®) aus dem gleichen Grunde bei sich, und das Mädchen in Ostpreußen berührt seinen Liebsten heimlich mit einer Fledermauskralle”‘), wobei es außerdem noch einen Zauberspruch hersagt. Die Bosniakin endlich umkreist den Jüngling dreimal mit einer lebenden Fledermaus in der Hand”). Recht umständliche Vorbereitungen dagegen muß ein Huzulenmädchen treffen, um die Fledermaus für ihre Wünsche ver- wenden zu können. Sie steckt das eingefangene Tier in einen neuen, mit kleinen Löchern versehenen Topf und vergräbt diesen in einen Ameisenhaufen. Nach einiger Zeit, wo man annehmen kann, daß die Ameisen das Tier abgenagt haben werden, wird das Skelett. herausgenommen und von dem Mädchen auf bestimmte Knochen hin untersucht, von denen der eine einer Gabel, der andere einem Rechen ähnelt; diese beiden werden von ihm dann verwendet. Wünscht es sich einen Jüngling zu eigen zu machen, dann zieht das Mädchen ihn heimlich mit dem rechenförmigen Knochen an sich, ist ihm dagegen ein Liebhaber lästig und unangenehm, dann stößt es ihn mit der Gabel von sich”). Von anderen Vögeln kommt für den Liebeszauber ein zweites Nachttier in Betracht, die Eule®”). Im Samlande nimmt das verliebte Mädchen mit diesem Tier die gleiche Prozedur vor, wie soeben geschildert und sucht mit dem Rechenknochen den ihm gefallenden Burschen an sich zu ziehen, den ihm lästigen dagegen abzustoßen. |

Eines großen Rufes beim Liebeszauber erfreut sich ferner der Frosch. In Schwaben, Hessen, Oldenburg, Deutsch-Böhmen, so-- wie bei den südslavischen Völkern fängt der Bursche, der in ein Mädchen verschossen ist und es sich gefügig machen will, einen

%) Anthropophyteia, Bd. Ill, S. 165.

21) Anthropophyteia, Bd. Ill, S. 165.

22) Ebend.

3) Anthropophytheia, Bd. II, S. 165.

%4) Ploß-Bartels, S. 649.

235) Ebend.

28) Hovorka-Kronfeld, S. 173. 7) Ebend.

Buschan: Über Liebeszauber 519

Laubfrosch verschiedentlich ist dazu der St. Georgstag vorge- schrieben, auch muß die ganze Prozedur vorgenommen werden . ohne daß ein anderer sie sieht, weil der Bursche sonst erblinden würde —, hängt ihn an den Schenkeln an einen umgestülpten Blumentopf auf und vergräbt diesen in einem Ameisenhaufen: man muß sich aber damit beeilen, damit der Frosch nicht zu quaken anfängt, was den Erfolg zunichte machen würde. Nach längerer oder kürzerer Zeit nimmt der Bursche das skelettierte Tier heraus und sucht zwei ebenfalls rechen- und gabelförmig gestaltete Knochen hervor, mit denen er an seinem Mädchen die gleichen Handlungen vornimmt, wie wir sie bereits kennen gelernt haben”). In der Ober- pfalz und in Deutsch-Böhmen kann man die Gegenliebe einer Person dadurch hervorrufen, daß man sie mit den Pfötchen eines am Lukas- tage gefangenen Frosches ritzt?®). Auch das Berühren mit dem linken Scheitelbeine einer Kröte wird als untrügliches Mittel empfohlen”). Die Mädchen in Kalabrien verwenden die Eidechse, um einen Burschen für sich zu gewinnen *'). Sie ertränken das Tier in Wein, trocknen es in der Sonne und zerstoßen es zu Pulver. Von diesem Pulver nimmt das Mädchen selbst ein und glaubt dadurch seinen Auserwählten zu zwingen, daß er ihm folge. Das Mittel scheint dort ziemlich häufig angewendet werden, denn ein Bursche pflegt zu sagen, wenn er sich in ein Mädchen verliebt hat, „sie hat mir das Pulver ge- worfen“.-— Auch das Gehirn der Eidechse, ebenso wie das einer Katze wird als unfehlbares Mittel um Gegenliebe zu erzeugen em- pfohlen®®). Die Rumänin legt mit Asche der Sterneidechse?®) ge- füllte Bänder um ihre Handgelenke, um Liebe zu finden, und die Friaulerin trägt einen gefleckten (Feuer-)Salamander®‘) auf dem bloßen Leibe aus dem gleichen Grunde. Daß Abkochungen der spanischen Fliege) einen gewissen Reiz auf die Geschlechtsorgane ausüben, ist nicht nur der Medizin bekannt, sondern auch dem Volke. In Franken verabreichen die Mädchen dieses Präparat im Kaffee ihrem Liebsten. Daß es im V.olksglauben auch auf einen anderen Körperteil angewandt, die Geschlechtslust anregt, lehrt uns

28) Anthropophyteia, Bd. V, S. 237. Pioß-Bartels, S. 649.

=) Pioß-Barteis, S. 678.

%) Pioß-Bartels, S. 653; Hovorka-Kronfeld, S. 170.

”1) Nach Karan, Ploß-Bartels, S. 649.

3) Hovorka-Kronfeld, S. 169.

33) Freimark, Liebeszauber, Zeitschr. f. seien .Bd. II, S. 283. 34) Ebend.

5) Pioß-Bartels S. 651.

520 ` Buschan: Über Liebeszauber

ein. Rezept aus einem Arnstädter Kräuterbuch. Wenn man hiernach nämlich die große Zehe des rechten Fußes sich mit Öl einreibt, in dem spanische Fliegen gekocht sind, so wird das „membrum virile wunderwürdig starren“.

Von den Säugetieren scheint nur der Maulwurf als Mittel um Liebe zu erwecken, eine Rolle zu spielen. Im Egerländischen tragen die jungen Leute zu diesem Zwecke ein Maulwurf-,Brätzlein“ (Maul- wurftatze) bei sich, die man ihnen als das Händchen eines neuge- borenen Kindes überläßt®®). Der Serbenjüngling glaubt Gegenliebe zu finden, wenn er mit einem in ein Tuch eingewickelten Maulwurf sein Mädchen berührt”).

Bei einer zweiten Gruppe von Liebeszauber handelt es sich darum, den Gegenstand seiner Neigung unbemerkt ein Stück des eigenen Körpers beizubringen. Dieser Aberglaube beruht auf der althergebrachten primitiven Vorstellung, daß dadurch etwas der eigenen Lebenskraft auf ihn übergehe und auf die seinige bestimmend einwirke. Unter diesem Gesichtspunkt liegt es nahe, dazu das Blut, den Träger des Lebens, dazu zu verwenden, vor allem, wo es sich um eine geschlechtliche Beeinflussung handelt, das Blut aus den Geschlechtsteilen, das Menstrualblut. Das südslavische Mädchen, ebenso das Mädchen im Spreewald, ritzt sich mit einer Nadel den kleinen Finger, fängt das hervortretende Blut auf und tut es heimlich in eine Speise oder ein Getränk für den Liebsten hinein. „Es kann das Blut auch auf ein Stückchen Zucker träufeln lassen und dieses seinen Burschen verabreichen; jedoch ist beim Einkauf des Zuckers Bedingung, daß dabei nicht gefeilscht wird. Auch in Ungarn, Syrien und Ostpreußen mischt das Mädchen einige Tropfen seines Blutes zu der Speise (Äpfel, Gebäck, Bier, Wein usw.), die es seinem Schatz anbietet°®). Weit verbreiteter ist aber das Hinzufügen von Menstrual- blut zu Speisen und Getränken für denselben, allerdings wenig appetitlich. In Deutschland war es im Mittelalter Sitte, daß man Menschenblut (und auch männlichen Samen) in ein „Liebesgebäck“ verbuk. Die Südslavin fängt. dasselbe auf ein Stück Zucker auf oder steckt dieses „zur Zeit ihrer Blüte“ in die Scheide und tut es in den Kaffee hinein, den sie ihrem Geliebten anbietet”). Von

3) Hovorka-Kronfeld, S. 173.

37) Anthropophyteia, V, S. 237.

3) Antrhopophyteia, I, S. 57; V,S.241; Ploß-Bartels, S. 652, Hovorka-Kron- feld, S. 172, 175 und 178.

3) Anthropophyteia, III, S. 165; Stern, S. 149.

Buschan: Über Liebeszauber 521

diesem Mittel verspricht es sich eine totsichere Wirkung, der Bursche muß ihm wie ein Verrückter nachlaufen. Daher sagt man, wenn ein junger Mann in ein Mädchen mächtig verschossen ist, dasselbe habe ihn „vertollt!“ und deswegen habe er den Verstand verloren. Die Frauen in Indien“) zeichnen sich ein Mal aus Menstrualblut vermischt mit Rindergallensteinen auf die Stirn und glauben sich dadurch die Liebe des Gatten dauernd sichern zu können. Bereits in früheren Zeiten erfreute sich das Menstrualblut zusammen mit Pflanzenextrakten, die in dem Rufe standen, die Geschlechtslust an- zuregen, großer Beliebtheit, um die männliche Potenz zu heben und außerdem langes Leben zu verleihen. Das Kamasutram, das indische Lehrbuch der Liebeskunst, empfiehlt angelegentlichst zu diesem Zwecke das Trinken des ersten Menstrualblutes eines Mädchens zusammen mit Abkochungen von Spargel, Asteracantha, Pfeffer usw. ‚Auch bei den Obschiwaut (nordamerik. Indianer) wird das Blut eines zum ersten Male menstruierenden Mädchens zusammen mit anderen die Potenz anregenden Pflanzensäften als Liebeszauber ver- wendet. Die Herstellung eines solchen Pulvers liegt den Mit- gliedern der höchsten Stufe eines Geheimbundes, den Mide, ob. Bei der Anfertigung müssen die Mide zuvor ein Opfer aus Tabak einem Geiste darbringen, darauf einen bestimmten Gesang anstimmen und eine Zauberrassel dazu in Bewegung setzen. Der wichtigste Bestandteil des Pulvers ist ein Stück Ginsang, eine Pflanze, der eine mächtige Kraft auf die sexuellen Fähigkeiten des Mannes zuge- schrieben wird, anscheinend aus dem Grunde, weil die Wurzel sich in zwei Teile gabelt, wodurch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Unterleib und zweien Oberschenkeln samt Genitalien, entsteht. Das Pulver wird, um Liebe einer Person anzuzaubern, unter ihr Lager heimlich gestreut. Ziemlich umständlich ist ein Verfahren, das die Madjarin verwendet, um einen Jüngling für sich zu gewinnen. Sie nimmt von der Stelle, wo dieser seinen Urin gelassen hat, etwas Erde, mischt diese mit ihrem Menstrualblut und wirft beides in das noch offene Grab eines zu beerdigenden Weibes, wobei es vor sich den Wunsch hinmurmelt: „Mich, die Lebende, oder diese Tote soll er zeitlebens lieben“. In Westböhmen wurde früher die Gebär- mutter einer brünstigen Hündin der Speise für den Jüngling bei- gemengt, um „ihm Liebe anzutun“. Die Chrovotinnen endlich reiben sich mit einem Tuch die Scheide ab und überreichen dasselbe beim

10) Stern, S. 148.

522 Buschan: Über Liebeszauber -

Kolotanz ihrem Burschen, damit er sich damit den Schweiß von der Stirne und Gesicht abwische, oder sie halten eine Zeitlang einen Apfel oder ein Veilchensträußchen an ihre Scheide und überreichen diese als Liebeszeichen ihrem Auserwählten. In Ostindien“) em- pfiehlt man den Frauen drei Tage lang eine Arecanuß in der Scheide zu tragen, sowie Silbernelken zu verschlucken, sie im Kote wieder zu sammeln,. beides zu Asche zu verbrennen, und diese zusammen mit Pfeffer und getrocknetem Menstrualblut in einem Betelpriem dem Geliebten zu überreichen. Der Ausstrahlung oder Ausdünstung der Geschlechtsteille wird demnach die gleiche Wirkung zu- geschrieben, wie dem Sekret aus demselben. Daher begnügt sich die Javanin damit, ihrem Geliebten Wasser zu trinken zu geben, über dem sie 'mit gespreizten Beinen gestanden hat oder das sie mit ihrem Sarong zugedeckt hat.

Auch die männlichen Geschlechtsteile und ihre Ab- sonderung stehen in gleicher Weise in dem Rufe Gegenliebe zu erzeugen bzw. dieselbe zu befestigen. Natürlich wendet sie der junge Bursche für seine Zwecke an. Der Südslave entwendet ein Tuch seines Mädchens, wischt sich damit das Glied ab und gibt das Tuch dann seiner Angebeteten zurück, damit es von ihm zum Schweißabtrocknen benutzt werde. Die Mädchen in Böhmen suchen die jungen Männer dadurch gefügig zu machen, daß sie ihren Samen = ihnen ins Getränke schütteten“*). Auch im alten indischen Liebes- leben spielte der männliche Same eine Rolle. Auch tierische Ge- schlechtsteile werden verschiedentlich als Liebeszauber angewendet. Bei den Serben röstet man die Hoden eines Katers“°) im Kohlen- feuer, pulverisiert sie und verabreicht sie in einer Speise. In Schwaben“) finden die Hoden, die „Geilen“, sowie die Rute eines Hirsches, sowie das Bibergeil für den gleichen Zweck eine ähnliche Verwendung. Falls der Beischlaf nicht recht gelingen will, wird bei den Südslaven folgendes Verfahren empfohlen. Wenn ein Stier eine Kuh bespringt, wird nach vollbrachtem Akt etwas Same mit einem Lappen aufgefangen, und dieser beim Beischlaf dem Weibe unter sein Gesäß gelegt, dabei gleichzeitig von dem männlichen Partner der Wunsch ausgesprochen: „Sowie der Stier und die Kuh --ihr Geschäft beendet haben, so sollen auch wir zum Ziele kommen.“

41) Hovorka-Kronfeld, S. 179. 49) Pioß-Bartels, S. 653.

43) Ebend.

4) Hovorka-Kronfeld, S. 170.

Buschan: Über Liebeszauber 523

Von anderen Körperteilen kommen für den Liebeszauber weiter die Haare, vor allem die Scham haare in Betracht. Die ungarischen Mädchen backen ihre Schamhaare ins Brot, in Kuchen oder eine andere Speise, die sie dem Jüngling, auf den sie es abgesehen haben, verabreichen“). Auch wird empfohlen, drei Schamhaare und drei aus der Achselhöhle auf einer Feuerschaufel zu verbrennen und die Asche einer Speise beizumischen‘®). Die Südslavin*’”) wickelt an einem Neumondsonntag - Schamhaare in eine Zigarette und bietet diese ihrem Liebhaber zum Rauchen an; umgekehrt sucht der Bursche an dem gleichen Tage in der Nacht seinem Mädchen, ohne daß es dies merkt, zwei Haare auszureißen; diese steckt er durch das Öhr einer Nadel und befestigt diese heimlich an des Mädchens Rock. Der Jüngling auf Ambou und den Uliase-Inseln übergibt seiner Ver- lobten als Antragsgebinde außer Schmucksachen, Kleidung und anderen Dingen Haare von seiner Scham, zum Zeichen, daß er ihr treu bleiben werde, und ein verliebter Jüngling in Bogadjim (Papua) wickelt in eine Zigarette ein Kopf-, Achsel- und Schamhaar, raucht dieselbe zur Hälfte auf und übersendet den Rest durch seine Mutter dem Mädchen, um\das er werben will; raucht dasselbe den Stummel auf, dann gibt es sein Einverständnis dadurch zu erkennen. Auch hier sollen die Haare offenbar als Liebeszauber wirken.

Schweiß und Nägel kommen gleichfalls als Mittel, um sich der Liebe einer anderen Person zu versichern, in Betracht. Daß Aus- dünstungen des Körpers, im besonderen Schweiß, imstande sind bei einer anderen Person einen sexuellen Reiz auszulösen, ist eine bekannte, auch von der Wissenschaft festgestellte Tatsache. Kein Wunder, daß das Volk dieses Mittel anwendet, um sich dadurch eine geliebte Person geneigt zu machen. Allenthalben begegnen wir der Sitte, daß Mädchen den Burschen beim Tanzen ein mit ihrem Schweiß durchtränktes Taschentuch zum Abwischen des Ge- sichtes in die Hand drücken“). Aus dem Mittelalter wird bereits ein ähnliches Vorgehen von verschiedenen Fürstlichkeiten berichtet. So soll Heinrich III. von Frankreich in unwiderstehlicher Liebe zu Maria von Cleve entflammt worden sein, als er zufällig sein Gesicht mit einem schweißdurchtränkten Tuche abgewischt hatte, das ihm von der Prinzessin beim Tanze überreicht worden war, und auf die

#5) Hovorka-Kronfeld, S. 171.

16) Hovorka-Kronfeld, S. 169; Pioß-Bartels, S. 653. 47) Anthropophyteia S. V, S. 241.

4) Pioß-Bartels, S. 653.

524 Buschan: Über Liebeszauber

gleiche Weise soll Heinrich IV. zur schönen Gabriele entbrannt sein‘). Von dem Herzog Eberhard von Württemberg wird be- richtet, daß bei ihm die Liebe der Herzogin dadurch entstanden sei, daß „ihr eine leichtfertige Kammerfrau am Hofe von der Leibwäsche des Herzogs verschafft habe, die sie in kleine Stücke geschnitten und in Branntwein gekocht, mit dem sie sich ihr Gesicht gewaschen habe). Um diesen Liebeszauber recht wirksam zu gestalten, tragen die Mädchen in Hessen, Franken, Thüringen und anderwärts ein Taschentuch in der linken Achselhöhle mit sich oder auch auf dem bloßen Leibe und überreichen dieses ihrem Burschen auf dem Tanz- boden, damit er sich damit den Schweiß vom Gesicht trockne. Auch backen sie Schweiß in Brot und Kuchen ein oder mischen ihn zwischen Obst, Zucker usw. und bieten diese Speise dem Gegen- stand ihrer Zuneigung zum Genuß an°*). Die Südslavin trägt ein Ei, das eine schwarze Henne als ihr erstes gelegt haben muß, sieben Tage lang in ihrer Achselhöhle während dieser Zeit darf sie aber keinen Mann wollüstig berühren mit sich herum und verrührt am achten Tage dieses Ei in eine Speise, die sie ihrem Geliebten zu essen gibt°?). Ähnlich verfährt die Indianerin Zentralbrasiliens. Um die Liebe ihres Mannes fester zu gestalten, setzt sie sich nackt in eine Schüssel mit Wasser, zerbricht über ihren Schultern ein Ei und läßt dessen Dotter über ihren Rücken in die Schüssel laufen. Darauf nimmt sie mit der Hand aus dem Wasser und verabreicht es in einer Speise ihrem Mann°®). Burchard von Worms erzählt, daß Frauen, die ihre Männer verliebter machen wollten, nieder- knieten, auf ihrem entblößten Gesäß Brotteig kneteten und von diesem Brote ihrem Gatten zu essen gaben’). Im 11. Jahrhundert war es in Deutschland noch Brauch, daß sich Frauen nackend mit Honig beschmierten und sich im Weizen herumwälzten, damit dieser mit ihren Ausdünstungen gleichsam imprägniert werde, und daß die Körner von ihrem Körper abgelesen, zermahlen und zu Brot für Liebeszwecke verbacken wurde.

Vereinzelt werden auch die Fingernägel zu dem gleichen Zwecke verwendet. So von den Syrern’’). Wenn hier ein Mann die Liebe

49) Pioß-Bartels, S. 651.

5) Hovorka-Kronfeld, S. 169.

51) Freimark, S. 284; Hovorka-Kronfeld, S. 172; Ploß-Bartels, S. 652. 52) Anthropophyfteia, Ill, S. 165.

53) Anthropophyteia, V, S. 241.

5) Anthropophyteia, V, S. 241.

5) Stern, S. 1.

Buschan: Über Liebeszauber. 525

seiner Frau steigern oder etwaiger Untreue ihrerseits vorbeugen will, dann verbrennt er seine abgeschnittenen Nägel und tut die Asche in eine Speise oder in ein Getränk für sie hinein.

Eine weitere Gruppe von Mitteln, um eine widerspenstige Person zur Liebe zu zwingen, geht von der Annahme aus, daß, wenn jemand eine symbolische Handlung an. einen Gegenstand vornimmt und dabei eine Zauberformel hersagt, in der er zum Ausdruck bringt, daß die Person seiner Sehnsucht seinen Wünschen gefügig sein möge (in analoger Weise, wie die betreffende Handlung sich ab- spielt) diese die gleiche Handlung (allerdings in übertragener Weise) dem gegenüber, der diesen Zauber vornimmt, ausführen muß. Man kann dies als Analogiezauber bezeichnen. So wickelt eine rumänische Schöne .eine metallene Violinsaite um ihren Finger und näht diesen Knäuel oder Ring in den Saum ihres Unterrockes ein. Darauf sagt sie dreimal am Tage folgende Formel her: „So wie sich diese Saite um meinen Finger gedreht hat, so möge sein Sinnen und Trachten ` sich nach mir drehen“). Oder sie knetet aus Wachs eine männ- liche Figur, die den Liebsten vorstellen soll, stellt sie an das Feuer und spricht dabei: „So wie dieses Wachs am Feuer erweicht, so soll das Herz meines Liebsten für mich weich werden“°”). Die Südslavin steckt sich am Tage des Neumond drei weiße Bohnen in jede Achselhöhle und in die Scham, zieht sich nackend aus und wirft in diesem Zustande die Bohnen in die lodernde Glut mit den Worten: „Wie diese Bohnen krachen, so möge mein Liebster mit mir krachen“ (d. h. coire). Sie kann auch in der Frühe Wasser aus einem Bach oder einer Quelle schöpfen und dieses in drei Portionen teilen, von denen sie am Freitag, Sonnabend und Sonntag vor Neu- „mond einen umgekehrt in den Boden gesteckten Rutenbesen be- gießt, das Wasser in einem darunter aufgestellten Gefäß auffängt und sich mit diesem Wasser vor Sonnenaufgang am Tage des Neu- monds wäscht. . Dabei sagt sie folgenden Spruch her: „Gott steht mir bei! Und du, Freitag Neumond, und du, Sonnabend Neumond, und du, Sonntag Neumond, und du, teuerste Gnadenfrau! Sowie das Wasser von diesem Besen hinabläuft, so soll deine Liebe zu mir laufen“°®). Sie kann auch folgenden originellen Analogiezauber ausführen. Sie kauft sich zwölf Nägel, kundschaftet aus, an welcher

56) Stern, S. 5. 57) Stern, S.5. 58) Stern, ebend.

526 Buschan: Über Liebeszauber

Stelle ihr Liebster zur mitternächtlichen Stunde seinen Urin läßt, schlägt hier elf dieser Nägel ein und beschwört ihn dabei mit den Worten: „Alle V...... (vaginae) mögen für ihn verstopft sein, nur die meine nicht“, Ein serbischer Jüngling wickelt ein Frauenhaar um sein Glied und. äußert dabei den Wunsch: „So wie das Haar sich um mein Glied windet, so möge mein Mädchen sich um mich winden“’®). Oder er nimmt Haare von seinem Mädchen, legt sie am Sonntag vor Neumond in die Nabe eines Wagen- rades und bekräftigt dies nun mit den Worten: „So wie das Haar im Wagenrad sich dreht, so drehe mein Mädchen sich um mich“ ®°). Auch kann er Weidenwurzeln, die durch fließendes Wasser hin und her bewegt werden, nehmen und dabei die Zauberformel aussprechen: „Wie das Wasser über dieser Wurzel fließt, so soll mein Mädchen mir zufließen“°‘). Schließlich erreicht er seinen Zweck auch, indem er auf dem Felde Schießpulver abbrennt und dabei wünscht: „So wie das Pulver hier kracht, so möge mein Mädchen nach mir _ krachen“). Ferner sucht der Bursche von seinem Mädchen drei ° Haare zu bekommen, die er in eine Baumspalte so einklemmt, daß sie nicht wieder herausfallen können, sondern mit dem Baume gleich- sam verwachsen. Dabei wünscht er sich, daß das Mädchen in ähn- licher Weise an ihn dauernd gefesselt sein möge°®®).

Ein Analogiezauber ist es auch, wenn die Serbin die Herzen von einem Taubenpaar (Täubrich und Taube) nimmt, sie mit kleinen Nadeln bespickt und an zwei kreuzweise über einander gebundenen Gabeln befestigt, die sie dann heimlich in der Nacht tief in der Erde vergräbt. Ein ähnlicher Brauch bestand bereits in Deutsch- land im 15. Jahrhundert; nämlich die Herzen zweier sich schnäbeln- der Turteltauben in Brot zu verbacken und dem Gegenstand der Liebe zum Essen anzubieten. In Österreich durchsticht man zwei in Begattung begriffene Frösche mit einer Nadel und heftet mittels dieser sein Gewand für einige Augenblicke an das der geliebten Person°®‘). Bei den Masuren genügt es: schon, wenn man mit einer einfachen Nadel dieses tut. Schließlich gehört auch in die Gruppe des Analogiezaubers, wenn die Friauler Mädchen, um sich die Liebe einer Person zu sichern, einen Aal, das Symbol für das männliche

3) Anthropophyteia, V, S. 241.

6) Ebend.

61) Anthropophyteia, V, S. 241.

62) Ebend.

63) Ploß-Bartels nach Wlisocki, S. 650; Hovorka-Kronfeld, S. 172. +) Ploß-Bartels nach Toeppen, S. 646; Freimark, S. 584.

Buschan: Über Liebeszauber 527

Glied, besprechen’). Ebenso eine Empfehlung des alten Matthiolis in seinem Kräuterbuch aus dem Jahre 1563, eine Stinkmorchel oder, wie sie auch heißt, einen Eichelschwamm (wegen der Ähnlichkeit mit einem männlichen Glied) zu trocknen, zu Pulver zu zerreiben und, mit Pfeffer vermengt, einzugeben, damit die „unkeuschen Glieder“ gestärkt werden.

Zum Schluß noch ein Beispiel, das in die gleiche Gruppe von Besprechungen fallen dürfte. Die Rumäninnen tun in eine mit Wasser gefüllte Schüssel ein mit roten Seidenfädchen umwickeltes Busuiockräutlein, eine Mütze und einen Erlenzweig und sprechen darüber folgenden Liebeszauberspruch: „Am Sonntag Morgen, als der Tag sich erhellte, bin ich aufgestanden und habe mich aufge- macht von meinem Hause, von meinem Tische auf den Weg, auf den Steg bis zur großen Straße. Die Leute, die mich sahen, sagten: Das ist Marghiola, die Schöne, nicht Diana, die Schöne, sondern Marghiola, die Liebreiche, die aus der ganzen Welt Erlesene! Wie der Busuioc auserlesen ist von allen Blumen, von allen Düften, wie der Pope nicht in die Kirche kann ohne Busuioc und ohne Isope so mögen die Burschen ohne mich nicht tanzen können. Alle andern Dirnen mögen ihnen neben mir wie Krähen dünken, wie schmutzige Krähen, die man über den Zaun wirft“ °®).

Der Name Gottes wird fast gar nicht bei derartigen Besprechungen angerufen, wohl weil man sich bewußt ist, etwas Unheiliges zu treiben. Ein Fall, daß die Südslavin die Jungfrau Maria bei ihrer Beschwörung um Hilfe anruft, wurde bereits oben erwähnt. In Westböhmen legen die heiratslustigen Mädchen einen Tierschädel mit dem Namen der ersehnten Person in einem Topf in einen Ameisenhaufen und beten drei Vaterunser im Namen der heiligen Dreifaltigkeit dazu, in der festen Voraussetzung, daß, wenn der Schädel abgefault ist, auch die Gegenliebe sich eingefunden haben wird. In Roskoff‘”), einem Badeorte in der Bretagne, war es Sitte, daß die Weiber den Staub der Kapelle de la Sainte-Union aufwirbelten und nach der Richtung hinbliesen, von der ihre Männer und Geliebten herkommen sollten, um sie recht fest an sich zu fesseln. Im übrigen wurde im Mittelalter den schon erwähnten Liebestränken auch die Asche verbrannter Heiligenbilder zugesetzt. In Ostpreußen wischt man sich heimlich nach dem Genusse des

#5) Freimark, S. 288. %) Stern, S. 5; Hovorka-Kronfeld, nach Cambry, S. 169. 6) Ploß-Bartels, S. 651; Hovorka-Kronfeld, S. 172

528 Buschan: Über Liebeszauber

Abendmahls mit einer Blume den Mund und überreicht diese seiner Liebsten, um sie für sich zu gewinnen®®). In der Nähe von Ispahan steht ein berühmtes Minaret, zu dem heiratslustige Mädchen wall- fahren, um sich einen Mann zu verschaffen. Auf jede der beiden Stufen, die zu diesem Heiligtum führen, müssen sie eine Nuß legen und diese mit ihrem Gesäß aufknacken, um zu ihrem Ziel zu ge- langen ®°). |

Auch das Nestelknüpfen findet beim Liebeszauber Verwendung, ein bei auch sonstigen abergläubischen Handlungen beliebtes Ver- fahren. Es besteht darin, daß man schwer zu lösende Knoten aus einem Bande (aus recht vielen Stoffarten zusammengesetzt) in ein- ander schlingt, in Papier wickelt, dabei Verwünschungen hersagt und bei der ersten Gelegenheit ganz heimlich in die Nähe der zu beeinflussenden Person bringt. Auch hierfür ein Beispiel von den Südslaven. Ein Frau, die die Liebe ihres Gatten zu sich befestigen oder gewinnen will, schlingt in sein linkes Hosenband neun Knoten, so fest, daß niemand sie lösen kann, legt dasselbe in sein Bett und läßt den Mann neun Nächte darauf schlafen. Nach Ablauf dieser Zeit holt sie es aus der Bettstatt wieder hervor und wirft es in, das Feuer eines Backofens; derselbe muß aber ganz neu sein und das Feuer das erste, das in ihm angezündet wurde. Sie hofft davon, daß fortan der Ehemann den Beischlaf an ihr so oft vollziehen wird, als sie es will. |

Ein weiteres Mittel, um Liebe einer Person anzuzaubern, besteht darin, daß man diese durch ein Loch ansieht. Bei den Süd- slaven nimmt der junge Bursche einen Trauring ganz gleich wem dieser gehört und schaut dreimal durch ihn in das Zimmer, wo seine Auserwählte schläft, dreht sich dann sofort um und geht nach Hause, ohne noch einmal rückwärts zu blicken’®). Oder er formt aus Wachs einen Kranz, umwickelt ihn mit einem Lappen unter Hinzufügen von Teilen einer Fledermaus, und sieht durch den Kranz nach seinem Mädchen, wobei er gleichzeitig den Wunsch äußert: „So wie diese Biene starb, so möge sie auch im Herzen nach mir hinsterben, und wie diese Fledermaus blind war, so werde sie auch nach mir blind“ ”'). Hier haben wir die verschiedenen Ver- fahren in einem vereint. Die Mädchen bei den Südslaven wenden ähnliche Mittel an. Sie sehen am Georgstage durch den Bügel eines

. 68) Pioß-Bartels, S. 651; Hovorka-Kronfeld, S. 172.

6) Stern, nach Polak, S. 8. ’) Anthropophyteia, V, S. 241. 7) Ebend.

.Buschan: Über Liebeszauber <- 529

Vorlegeschlosses. auf den Geliebten, schließen es mittels des Schlüssels ab und legen das Schloß an einen Kreuzweg nieder”’). Eine türkische Sage”®) erzählt, daß dadurch ein junger Mann zum Vatermörder wurde. Ein Mädchen, das es auf jenen abgesehen hatte, schaute auf ihn durchs Schloß, gleichzeitig traf ihr Blick aber auch den Vater des jungen Mannes. Beide entbrannten in Liebe zu dem Mädchen, und als es zu Streitigkeiten um die Geliebte kam, schlug der Sohn den Vater tot. Die slavischen Mädchen ziehen sich auch ihre Hosen ab, ohne daß der junge Bursche dies bemerkt und sehen durch das Hosenbein auf ihn unter Hersagen der Zauberformel: „So wie ich nicht ohne Hosen sein kann, so möge auch er mich nicht missen können“ ”). Daraufhin muß er das Mädchen liebgewinnen und heiraten. Weniger ästhetisch ist noch folgendes Verfahren. Beim Schweineschlachten schneidet das Mädchen, solange das Tier noch in Todeszuckungen liegt, ihm die Scheide („den Wasserlasser“) und auch wohl den After aus und spricht dabei die Worte: „Sowie dies Schwein platzt, so möge er auch zu mir hin platzen“. Zu Weihnachten muß das Mädchen darin noch durch diese Teile (beide gleichzeitig wie durch eine Brille) auf den Auserkorenen hinschauen und den soeben geäußerten Wunsch noch einmal wiederholen“ 7’).

Es bleiben noch einige ganz vereinzelt- dastehende Methoden des Liebeszaubers zu erwähnen. Zunächst das Hantieren mit Leichen. Wenn Eheleute sich entzweit haben, trägt die Frau bei den Südslaven einen Apfel zu einem verstorbenen unehelichen Kinde hin, läßt ihn in dessen Hand die Nacht über liegen und gibt ihn ihrem Manne zu essen”). Sie kann auch von einer unehelichen Kindesleiche Haare abschneiden”) und sie ihrem Gatten ins Hemd einnähen, damit er ihr treu bleibe. Um ihren Liebsten an sich zu fesseln, wird dem Mädchen auch empfohlen, neun Kreuzer auf dem Kirchhofe unter dem Kreuz einer fremden Person vor Sonnenaufgang zu vergraben, nach zehn Tagen wieder herauszuholen,. dafür Zucker oder sonst etwas Eßbares zu kaufen und dies dem Burschen zu essen zu geben”). Ist ein Mädchen zufällig mit einer sogen. Glückshaube alf die Welt gekommen, d. h. mit einem Stück Eihaut über dem Kopf, so braucht es damit heimlich nur einen jungen

129) Stern, S. 4; Hovorka-Kronfeld, S. 178.

73) Stern, S. 4.

%) Anthropophyteia, I, S. 57.

15) Ebend.

”) Anthropophyteia, III, S. 165.

17) Anthropophyteia, V, S. 241. z

530 ` Buschan: Über Liebeszauber

Mann zu berühren, um ihn für sich zu gewinnen °”). Ein eigen- artiger Brauch besteht schließlich in Rumänien. Hier streuen die jungen Burschen auf dem Tanzboden die Abfälle aus, die beim Striegeln der Pferde entstehen. Infolge des Staubaufwirbelns beim Tanzen fliegen diese Teilchen unter die weiten Röcke der Mädchen und reizen mechanisch ihre Geschlechtsteile °°).

Überblicken wir die zahlreichen Maßnahmen, die man anwendet, um bei seinem Partner Gegenliebe hervorzurufen, so beruhen sie, von ganz wenigen abgesehen, auf abergläubischen Vorstellungen. Diese wenigen Ausnahmen betreffen gewisse Ingredienzien der Liebestränke, die einen Reiz auf die Geschlechtslust auszuüben scheinen, allerdings wohl nicht direkt auf die Geschlechtsteile oder die Zentren für sexuelle Empfindungen, sondern vielmehr dadurch, daß sie auf dem Umwege der Harnorgane beim Ausscheiden des Urins einen Reiz auf die äußeren Teile hervorrufen. Alle übrigen Verfahren, um Liebeslust zu erwecken, wurzeln in primitivem Aber- glauben, daß eii Mensch imstande ist, durch irgend eine magische Handlung einem andern etwas anzutun, anzuzaubern, entweder Böses (Unglück, Krankheit, selbst den Tod) oder auch Gutes, jeden- falls ihn zu beeinflussen. Wenn solche Behandlung gelegentlich zum Ziele führt, dann mag dieser Erfolg sich einerseits dadurch erklären lassen, daß die Person, die diesen Zauber vornimmt, sich eine Wirkung suggeriert, fest an denselben glaubt, daher in seinem Lie- beswerben zuversichtlicher und zudringlicher wird, und dadurch einen Erfolg erringt. Andererseits kann auch die andere Person auf suggestivem Wege beeinflußt werden, sodaß auch sie die Überzeugung gewinnt, daß sie dem Liebeszauber verfallen ist und nicht anders handeln kann. Wir wissen von primitiven Völkern (Australiern), welche Macht die Zauberer hier ausüben, daß sie in der Tat einer Person durch ihren Hokuspokus eine Krankheit an- zaubern können und selbst den Tod; der Verzauberte steht so fest ‘in dem Banne der unfehlbaren Wirkung, daß er seelisch sehr darunter leidet und nicht selten an diesen Qualen zugrunde geht. Natürlich gehören für dieses Wechselspiel immer abergläubische, sensitive, primitive Personen. Wo es auf sozusagen Anhieb nicht gelingt, die Person, auf die man es in der Liebe abgesehen hat, seinen

’s) Ebend. ”) Stern, S. 330. æ) Hovorka-Kronfeld, nach Craciunusca, S. 178.

Buschan: Über Liebeszauber 531

Wünschen gefügig zu machen, da hilft die Zeit mit als Werbemittel. Daničić®*) erzählt von einer liebetollen Südslavin, wie sie einen ihrer Hausbewohner unermüdlich nachstelle, um ihn an sich zu fesseln. „Alle meine Zimmer waren täglich voll verschiedener Fäden, Fetzen und Haarwülste, von blutbeflecktem Zucker, verschiedenen Pulver- chen, aromatisch riechenden und vegetabilischen Ursprunges in buntem Papier und dergleichen Zauberwerk. Sie hatte keinen Zu- tritt zu meiner Wohnung und wußte doch alle diese Gegenstände in meine Zimmer zu praktizieren, durch die offenen Fenster oder durch Personen, die Zutritt hatten“. In diesem Falle versagten alle diese Versuche, weil der Betreffende einer höheren Bildungsstufe angehörte, als das Weib, das ihn besitzen wollte; es erscheint aber wohl selbstverständlich, daß eine Person von dem gleichen Kultur- niveau, die von dem Zauber überzeugt war, schließlich mürbe ge- worden und der Frau zum Opfer gefallen wäre. Daß die Sug- gestion eine große Rolle beim Liebeszauber spielt, betonte auch Omer Haleby®?), ein guter Kenner des türkischen Liebeslebens. Unter zahlreichen Zaubermitteln, die er aufführt, empfiehlt er be- sonders die „Blutbeschwierung“. Wenn ein Mann mit einer Frau den Beischlaf ausüben möchte und wenn die Frau ihm widersteht, so lege er alle seine Wünsche und seinen ganzen Willen in seine Augen. Wenn er dann die geliebte Frau erblickt, so fixiere er ihre Augen scharf und übe dabei auf seinen linken Arm genügenden Druck aus, um sein Blut in Bewegung zu bringen, und wenn die geliebte Person so nahe ist, daß sie ihn zu hören vermag, spricht er: Es gibt keinen Gott außer Gott. Und ebenso sicher ist, daß mein Blut eher versiegen wird, als daß meine Begierde, dich zu besitzen, erstickt werden kann. Dieses Zeichen des. Liebeswillens muß die Einbildung der Frau derartig beeinflussen, daß ihre Phantasie ein geschickter Advokat des Verliebten wird und für dessen Sache so- fort plädiert...... Hilft das Mittel beim ersten Male nicht, so wieder- hole man es ein zweites, selbst ein drittes Mal. Auch sende man der Geliebten rote Rosen, auf welche man dreimal nach einander mit ganzer Willenskraft seine Wünsche geblasen hat. Könnt ihr der Frau näher kommen, so beeinflußt sie noch mehr mit euren Blicken, fasziniert sie förmlich und befehlt ihr, euch zu lieben und auch an- zugehören. Wenn ihr sie nicht so nahe sehen könnt oder nicht in

81) Anthropophyteia, VII, S. 196. 8) Stern, S. 10. 34*

532 Buschan: Über Liebeszauber

die Lage kommt, zu ihr zu sprechen und vielleicht mit dem Zeige- finger ihre Stirn zu berühren, so reitet an ihrem Fenster vorbei; . tummelt kühn euer Roß oder stehet stundenlang vor ihrem Hause und fixiert es ununterbrochen. Auch Musik und Gesang sind mächtige Mittel intellektuellen Liebeszaubers. Sobald nämlich der Zauber des Blickes zu wirken begonnen hat und ihr der bezauberten Person nahe seid, legt die Hand auf ihr Haupt und befehlt ihr energisch, aber mit süßer Stimme und sanft das, was sie nach eurem Wunsche tun soll. Ist sie inmitten einer Menge, sagt ihr: Folge mir!... Diese Faszination wirkt ebensowohl bei der Frau, die man besitzen möchte, wie bei einem Tier, das man zähmen will.“

N

DIE PSYCHOANALYTISCHE ERFAHRUNG ÜBER DIE SYMBOLIK IM TRAUM.)

N Freuds grundlegenden, auf dem Experiment des freien Ein- falls aufgebauten, Erfahrungen über die Genese des Traumes ist nicht dasjenige, an das wir uns erinnern, als der eigentliche Traum zu betrachten, sondern der eigentliche Traum besteht in einem umfänglichen Gedanken-, Vorstellungs- und Affektmaterial, das allein durch eine bestimmte psychoanalytische Technik aus dem erinnerten Traum rekonstruiert werden kann. Der erinnerte, von Freud als manifester Trauminhalt bezeichnete Traum, hat sich aus den eigentlichen, latenten Traumgedanken entwickelt. Diese Entwickelung ist die Traumarbeit. Sie geschieht unter der Ein- wirkung einer auch im Wachleben vorhandenen Zensur, durch welche die latenten Gedanken zu einer Entstellung gezwungen werden, welche sie dem Bewußtsein annehmbarer erscheinen lassen. Diese Entstellungsarbeit bedient sich einer Reihe seelischer Mechanis- men, so der der Verschiebung und Verdichtung oder regressiver Aus- drucksformen wie der Übersetzung von Gedanken in visuelle Bilder, der Darstellung durch das Gegenteil usw., durch die in Form eines Kompromisses ein Doppeltes erreicht wird: Es wird nämlich einmal für Gedanken, Vorstellungen, Wünsche, Impulse, die den Bewußt- sein, selbst dem Traumbewußtsein, unerträglich wären, doch ein Abfuhrweg geschaffen, andererseits geschieht aber diese Abfuhr in einer Form, in der der Träumer selbst nicht mehr voll erkennt, was das ist, was ihn im Schlaf beschäftigt und bedrängt hat.

Diese hier in Kürze dargestellte Traumtheorie, die Freud in seinem großen maßgebenden Werke „Die Traumdeutung“ mit wissenschaft- licher Gründlichkeit und reichem empirischen Material ausgeführt

1) Aus einem Zyklus von Vorträgen über den Traum an der Lessing-Hochschule.

534 Die Psychoanalytische Erfahrung über die Symbolik im Traum

hat, soll uns heute nicht beschäftigen, sondern nur eine Einzel- erscheinung, die nicht allein im Traume, sondern auch außerhalb des Traumes vorkommt, nämlich die Symbolik.

Auch die Symbolik oder die Umwandlung latenter Gedanken in symbolische Ausdrücke gehört zu denjenigen Dingen, von denen die Zensur profitiert, die also den Traum für den Träumer selbst unverständlich machen, die aber nicht etwa erst durch die Zensur geschaffen worden sind. Vielmehr ist die symbolische Ausdrucks- form ähnlich wie die Mechanismen der Verdichtung und der Verschie- bung oder des Zusammenfallens der Gegensätze, etwas, was un- abhängig von dieser Zensur in der Psyche bereit liegt, und zwar in dem unbewußten Anteil der Psyche, der, sowohl was das Einzel- leben betrifft, eine zeitlich frühere Entwicklungsstufe seelischen und geistigen Lebens überhaupt darstellt.

Wie unterscheiden sich die Symbole von den anderen Elementen des manifesten Trauminhalts? Soweit die anderen Elemente fast durchweg nicht das Eigentliche sind, sondern Ersatzbildungen für dieses Eigentliche sind, ist kein Unterschied zu sehen. Aber während diese nichtsymbolischen Ersatzbildungen ganz individuell sind, wir aus ihnen ohne weiteres garnichts schließen können,’ sondern die Einfälle des Träumers haben müssen, um zu wissen, wovon ein solches Element nun das Überbleibsel ist, worauf es anspielt, ist es bei den Symbolen anders. Nehmen wir ein Element „Milchfrau“, so können wir unmöglich wissen, worauf das anspielt, ohne daß wir die Einfälle des Träumers hören. Oder das ‚Element „der helle Überzieher“ daraus läßt sich gar nichts schließen, wenn wir nicht von der Träumerin hören: ja, die und die Person meiner Bekanntschaft aus der und der Zeit hat diesen Überzieher getragen. Dann wissen wir, worauf das Element anspielt. Bei den Symbolen ist es anders. Symbole sind Elemente, die auch ein Ersatz für ein Eigentliches sind. Aber es sind Dinge, die relativ unabhängig von dem Individuum des Träumers sind. Sie sind wie feste Vokabeln, die etwas Bestimmtes bedeuten, und zwar bei jedem dasselbe be- deuten, ja, selbst vor den Nationen nicht Halt machen, bei den ver- schiedensten Nationen immer wieder dasselbe bedeuten, wenn auch nicht ein einziges Bestimmtes, so doch immerhin einen eng um- rissenen miteinander verwandten Kreis von Gegenständen bedeuten.

Wenn man fragt, wie sich def Träumer zu diesen Symbolen verhält, dann muß man sagen: verschieden. Wenn man sagt: was fällt ihnen dazu ein? wissen die meisten keine Einfälle zu bringen,

Die Psychoanalytische Erfahrung über die Symbolik im Traum 535

gleichsam als wollten sie unbewußt sagen: „Nun, ich habe es dir ja schon gesagt, das mußt du ja wissen, was das bedeutet“, trotz- dem sie selbst bewußt gar nicht wissen, ob es etwas und was es bedeutet. Andere können wieder zu den Symbolen auch etwas sagen, ohne daß sie über Symbolik etwas gehört haben; sie können sofort die Erklärung geben: das bedeutet das und das. Das ist aber die Minderzahl der Fälle.

Der Umkreis der Gegenstände und Vorgänge, die symbolisch im Traum ausgedrückt werden, ist verhältnismäßig recht klein. Er läßt sich eigentlich mit wenigen Worten sagen. Er erschöpft sich darin, daß dargestellt werden die Eltern und die Geschwister, der mensch- liche Körper mit allem, was in ihm und an ihm ist und in und mit ihm vor sich gehen kann, die Ausscheidungsvorgänge, Geschlechts- ‚verkehr, Schwangerschaft, Geburt und Tod das sind die Gegen- stände, die im Traum symbolisch dargestellt werden.

Im Gegensatz zu dieser kleinen Anzahl dargestellter Gegenstände ist nun die Zahl der Symbole, durch die sie dargestellt werden, außerordentlich groß, und zwar ist insbesondere die Zahl der Symbole für die sexuellen Gegenstände und Vorgänge groß. Wir werden uns nachher fragen: warum? wie ist das zu erklären? Eine Er- klärung liegt uns ja nahe: es wird mit der außerordentlich zentralen Bedeutung des Sexuallebens zusammenhängen, die wir ja bewußt nicht so gern und allgemein zugeben wollen und mögen, mit der es doch aber wohl seine Richtigkeit haben muß, denn wir sind da- von überzeugt, sobald wir uns mit dem Unbewußten beschäftigen. Aber wir werden nachher noch Zeit haben, uns die Frage noch einmal vorzulegen.

Nun wollen wir uns eine kleine Übersicht über die häufigsten Symbole, so wie sie mir gerade im Gedächtnis sind und ich sie mir notiert habe, verschaffen.

Das Ganze des menschlichen Körpers wird vor allen Dingen durch das Haus dargestellt, der Kopf durch das Dach oder durch den Boden, Hausboden, die Aus- und Eingangspforten des Körpers durch die Türen und die Fenster, durch letztere insbesondere die Augen; der weibliche Busen durch den Balkon oder auch durch Früchte, Äpfel; die Behaarung durch Wald, Laub oder Gras; das Körperinnere, der Darm durch verschlungene Gänge oder durch das Klosett; der Geburtskanal auch durch enge Schächte, Hohlwege oder Röhren; der Leib, insbesondere der Unterleib durch den Schiffs- körper, Schiffsraum, Höhengrotten, Zimmer. Körperliche Ver-

536 Die Psychoanalytische Erfahrung über die Symbolik im Traum

richtungen wie das Urinieren durch Regen oder etwa durch den Wasserstrahl einer Feuerwehrspritze. Aber das Urinieren wird auch durch das Gegenteil, nicht das Wasser, sondern durch Feuer dar- gestellt, etwas, das auch außerhalb des Traumes durchaus bekannt zu sein scheint. ‘Sie werden sich alle an den Struwelpeter erinnern, wo ganz augenscheinlich das Zündeln des Peters auf die Unart des Nässens hinweist, wie überhaupt in diesem Buche alle Unarten des Kindes symbolisch dargestellt sind. Das Stuhlmachen wird im Traum symbolisiert durch Verlieren und Herabfallen und auf dem Stuhl, Sessel oder Thron sitzen. | Das Hauptsymbol für die Eltern, wie sie es schon aus den Märchen kennen, sind Kaiser oder Kaiserin oder König und Königin. Wenn das Märchen anfängt: es war einmal ein König und eine Königin, dann sind es immer die Eltern. Überhaupt sind die Symbole und die Darstellungen, die in den Märchen enthalten sind, dieselben, die wir in den Träumen finden, sie betreffen jene immer wiederkehrenden typischen Vorgänge, die’ aus dem Ödipuskreis stammen, die Themen von Liebe, Haß und Eifersucht unter den Familienmitgliedern, die Kastration usw. Die Kinder sind dann natürlich dargestellt durch die Prinzen, der Vater des weiteren aber nicht durch den König, sondern überhaupt durch jede Art Respekts- person, durch den Lehrer, durch den Richter oder durch den Kon- trolleur, natürlich die Respektsperson auch wieder vom Gesichts- punkte des Kindes aus betrachtet, das ja in uns wirksam ist, wenn wir schlafen und träumen, oder durch den Aufseher. Ein Knabe . träumt etwa, daß er in einen Garten hinein will, der Aufseher er- laubt es aber nicht. Diese letzteren Formen nähern sich zum Teil schon vom Symbol der gewöhnlichen Ersatzperson. Doch ist immer zu unterscheiden, ob eine solche Figur wie der Lehrer auf eine wirkliche Person geht oder ob sie gar keine wirkliche einzelne historische Person meint, sondern in eigentlich symbolischer Bedeutung in den Traum hineingesetzt worden ist und den Vater repräsentieren soll. Die Mutter wird entsprechend symbolisiert durch Warte- und Pflegepersonen, Ammen, Dienstmädchen, aber noch allgemeiner, ursprünglich symbolischer durch das Haus, hier wieder in dem Sinne des schützenden, umhüllenden Zimmers oder durch Hof und Garten den Garten haben sie im Aufseherraum; er will in den Garten hinein, der Aufseher erlaubt es nicht oder durch die Erde, den Boden, die uns ja auch in ihrer symbolischen Bedeutung außerhalb des Traumes geläufig sind. Die Symbolik ist

Die Psychoanalytische Erfahrung über die Symbolik im Traum 537 ja nicht eine Eigentümlichkeit des Traumlebens, sondern unabhängig von seiner Wirksamkeit und Erscheinungsweise im Traum überall im Märchen, Mythen, im Kunstwerk anzutreffen. Unverständige Leute haben sich über die Traumsymbolik aufgeregt, die sie nicht verstanden, und haben so getan, als hätte Freud diese Symbolik quasi erst erfunden.

Dann ist die Mutter symbolisiert durch das Meer, oder jede Art Teich. Diese Symbolik ist verständlich aus der Beziehung auf die Herkunft des Menschen aus dem Fruchtwasser, das Stammen aus dem Wasser. Das alte Storchmärchen hat dieselbe Symbolik. Die Kinder werden aus dem Teiche geholt. Das ist ja nicht nur etwas, was die Wahrheit verschleiern soll, sondern sie ungleich symbolisch enthält. Es ist mit diesem Storchmärchen genau so wie mit dem Traum, es will entstellen, uns nicht wissen lassen, was wir denken; wir brauchen es bloß zu übersetzen.

Die Geburt schließt an das an, was ich eben sagte, sie wird symbolisiert durch das aus dem Wasserkommen, aber auch durch das Gegenteil, in das Wasser hineinfallen. Es ist nun nicht ohne weiteres aus dem Symbol als solchem zu verstehen, daß die Um- kehrung dasselbe bedeutet, sondern das müssen sie aus dem Gesetz des Zusammenfallens der Gegensätze im Traum verstehen. Im Traum werden häufig die Verhältnisse umgekehrt, insbesondere die Be- wegungsrichtung, also das Hinein bedeutet dasselbe wie das Heraus, das Herauf dasselbe wie das Herunter. So wird auch hier in der Verbindung von Symbol und dem Gesetze der Umkehrung die Ge- burt sowohl durch das „aus dem Wasser“ wie durch das „in das Wasser hinein“ dargestellt, durch ein Herabrutschen und ein Herauf- steigen, durch ein dus dem Backofen herausgezogen werden, wie durch ein in den Backofen hinein, wie im Märchen von Hänsel und Gretel. Häufig wird die Geburt geträumt durch das Herabrutschen kopfunter von einer Treppe oder von einem Abhang möglichst dann auch noch wieder in ein Wasser hinein oder durch das Herausfallen aus einem Fenster oder in der Umkehrung: durch ein in ein Fenster hineinkriechen.

Das Sterben hat ein sehr einfaches durchgängig gebrauchtes Symbol, das ist das Abreisen, das Abfahren mit dem Zuge. Das Totsein wird dargestellt durch Unbeweglichkeit oder dadurch, daß es heißt: der Betreffende ist kalt oder weiß oder blaß oder um- gekehrt schwarz, wie es in unserer Trauersymbolik auch ohne

538 . Die Psychoanalytische Erfahrung über die Symbolik im Traum

weiteres zum Ausdruck kommt, oder durch Kot, Stuhl, Stuhl und Leiche werden einander gleichgesetzt.

Eine ungeheure Fülle von Symbolen existiert für die Genitalien. Alles, was nur irgendwie z. B. an die Form des männlichen Genitale erinnern kann dutch seine Länge, wird als Symbol für das männ- liche Genitale verwandt, seien es Säulen, Türme, Stangen, Bleistifte, Stöcke, Schirme, Lanzen oder Zigarren, Zigaretten, Spargel, Bananen diese Aufzählung ließe sich außerordentlich weit fortsetzen.

Ich habe hier den Traum eines zwölfjährigen Mädchens, der lautet: ich bin in Polen und werde von einem polnischen Soldaten auf seine Lanze gespießt. Das ist so eine einfache Darstellung des männlichen Genitale durch die Lanze oder durch Waffen, Gewehre, Lanzen, Pistolen, Dolche, Messer, Säbel. Es ist hier bei der Sym- bolisierung durch die Waffe mehr ein anderer Moment im Vorder- grunde, das Moment der Gefahr, wie es überhaupt bei den Symbolen so ist, daß immer irgend ein Drittes, das dem Dargestellten und dem Symbol in gleicher Weise zukommt, im Einzelfall die Wahl des Symbols bestimmt. Wird das männliche Genitale als Ängst-. und Furchtgegenstand geträumt und als Gegenstand, mit dem einem etwas angetan werden kann, z. B. die Vergewaltigung oder die De- floration, in der ja.Blut fließt, dann ist die Waffe natürlich am Platze. Handelt es sich mehr um das Sehen des Gliedes, die Be- tonung seiner Form, dann kommt die erste Gruppe von Symbolen, die ich genannt habe, in Betracht oder auch die Darstellung durch Tiere, Fische, Schlangen, Aale, Raupen, Mäuse, Frösche. Hier ist es teils die Form, teils das Furchtmoment, das die Wahl bestimmt. Besonders Frauen haben auffällige Angst vor Schlangen oder em- pfinden das Eklige bei Raupen und Fröschen, bei Fröschen das Klitschige, auch bei Fischen. Den Frosch sehen sie im Märchen der Prinzessin, die den Frosch im Bette findet. Nachher wird ein Prinz daraus. Das ist dieselbe einfache Symbolik.

Oder das Glied wird dargestellt durch Wasserhähne, Gießkannen, die sprengen. Sie sehen hier auch wieder ein drittes Element, das die Wahl dieser Symbole bestimmt. Das ist, daß etwas. heraus- kommen kann, der Urin Strahl oder der männliche Samen.

Weiter durch Flugzeuge, Zeppeline, erklärlich durch ihre Form. Zurzeit, als der Zeppelin im Mittelpunkt des Interesses stand, wurde er von jeder Frau im Traum tapfer verwertet. Jetzt hat das sehr nachgelassen. Ich habe in den letzten Jahren kaum etwas von Zeppelinen in den Träumen von Damen gehört.

Die Psychoanalytische Erfahrung über die Symbolik im Traum 539

Aber auch durch Wert- und Schmuckgegenstände wird das . Genitale dargestellt, weil es im Unbewußten wirklich als der Schmuck, als der Wertgegenstand par excellence betrachtet wird, mit dem man sich identifiziert, das Kostbarste, was man hat. Deswegen tritt im Symbol das Genitale als Wertgegenstand auf, als Ring, Uhr, Schlips- nadel oder Schlips. Übrigens ist es nicht nur das Moment des Wertes, das die Symbolwahl bestimmt, sondern auch das andere Moment: man trägt es am Körper wie das Genitale und könnte es verlieren wie den Ring, die Uhr, die Schlipsnadel. Das ungeheuer wichtige, im Unbewußten mächtig wirksame Kastrationsmotiv ist hier das tertium comparationes. Ich habe es am Körper, aber es könnte auch verloren gehen. Deswegen können auch noch andere Dinge Symbole des Gliedes werden, denen man es wirklich so ohne weiteres nicht zutrauen möchte, z. B. Hut, Brille, Kleider, Mantel. Das Dritte ist immer wieder: ich habe es am Körper und könnte es aber auch nicht am Körper haben. Begreiflicher ist es schon, wenn Nase, Kopf, Arme, Beine, Zähne für das Glied eintreten. Auch hier heißt es: ich habe es am Körper, und es könnte mir abge- schnitten werden oder es könnte mir verloren gehen, besonders der Zahn, der ausfällt oder herausgerissen wird. Vom Zahn wird sehr viel geträumt. Er hat aber auch noch eine andere symbolische Bedeutung, auf die ich noch zu sprechen komme.

Das weibliche Genitale wird symbolisiert durch alles, was Ver- tiefung ist, durch Löcher, Gruben, Spalten, insbesondere Schlüssel- löcher zum Schlüsselloch gehört dann der Schlüssel oder Behälter jeder Art, in die etwas hineingetan werden kann, durch Kasten, Kisten, Koffer, Schachteln, Töpfe auf jeden Topf gehört ein Deckel, heißt es —, durch Gläser, Futterale, Taschen, aber auch ein Buch, das man Sufldanpen kann.

In allgemeinerer Bedeutung, mehr das Weib darstellend, durch jede Art von Stoffen oder Material für die Bearbeitung, durch Holz, Papier usw. |

Heute hörte ich eine Patientin von ihrem dreijährigen kleinen Mädchen eine sehr nette symbolische Äußerung erzählen. Das kleine Mädchen besieht sein Beinchen und sagt zur Mutter: ach nein, daß ich aber auch überall rund bin, immer nur überall rund, und ich möchte so gern eckig sein, irgendwo eckig sein. Da haben Sie die Symbolik von rund und eckig, Kreis auf der einen Seite und Drei- eck, Viereck auf der anderen Seite. Der Kreis des Oval ist das Weib, das Weibliche, das Eckige, der Mann. Bei der Ecke wird an

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das männliche Glied gedacht. Das kleine Mädchen wollte gern ein Glied haben. Die Mutter erinnert sich dann weiter, daß es sich einige Monate früher einmal direkter ausgedrückt hat; da hat sie es gesagt: ach, ich möchte doch gern ein Junge sein. Die ältere Schwester lachte es aus und sagte: du hast doch aber gar kein Zipfelchen. Darauf sagte die Kleine: ach, ich habe doch ein Zipfelchen. Es hat sich also doch noch immer in der Illusion er- halten wollen, es hätte auch ein kleines Glied. Jetzt, ein paar Monate später, wahrscheinlich schon unter der Wirkung der für sie Unlust erregenden Entdeckung, sie kann kein Junge werden, kommt sie symbolisch darauf zurück: ich bin rund, ich möchte so gern eckig sein.

Wir finden sehr häufig, daß verschiedene Gegenstände symbo- lisch durch ein und dasselbe Symbol ausgedrückt werden, Gegen- stände, die sich überdecken, z. B. der Mutterleib und das Grab und damit das Geborenwerden und das Sterben. Das geht umso eher, als, wie ich Ihnen schon sagte, die Umkehrung ja im Unbewußten. eine Rolle spielt. Das Geborenwerden, das Herauskommen aus dem Leib kann aufgefaßt werden als ein Hinein in den Leib, das wieder nähert sich dem „in den Leib der Mutter Erde, in das Grab hinein“, Und so sehen wir, daß im Unbewußten sehr häufig Mutterleib, Grab, Geburt und Tod einander überdecken. Es träumt z. B. jemand: „Ein nacktes Weib sehe ich, ich sehe ihr Genitale wie ein deutliches Loch“. Die Einfälle, die der Träumer dann aber dazu bringt, haben als Inhalt eine entsetzliche Angst vor dem Tode und vor dem Sterben. Wir sehen, daß also das Loch hier das Grab ist und Mutterleib und Grab sich überdecken. Oder wir sehen, wie ich Ihnen schon sagte, daß oft die Geburt durch ein „aus dem Fenster heraus“, aber „durch das Fenster hinein“ dargestellt wird.

Nun finden wir sehr häufig anläßlich der Geburt eines Ge- schwisters Ausprüche von kleinen Kindern wie diesen: ach, es soll nur wieder dahin gehen, wo es hergekommen ist, ich willl es nicht haben, was wollen wir damit? ich werfe es aus dem Fenster heraus. Wir sehen, das Fenster ist hier immer das Genitale, das man bei der Geburt passiert. Das Kind soll wieder dahin zurück, wo es her gekommen ist. Gleichzeitig bedeutet das aber sterben. Wir haben eine sehr hübsche Kindheitserinnerung von Goethe in,, Wahr- heit und Dichtung“, wo er eines schönen Tages das ganze Küchen- geschirr, soweit es zerbrechlicher Natur ist, aus dem Fenster. hin- auswirft. Freud hat diese Handlung als eine symbolische verstanden

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und festgestellt, daß sie kurz nach der Geburt einer jüngeren Schwester vorgefallen ist.

Die Onanie wird dargestellt durch Abreißen, durch Spielen auf Instrumenten, durch Klavierspielen oder durch Tätigkeiten wie Bürsten, Reiben, Wischen usw. |

Der Geschlechtsverkehr wird dargestellt durch jederlei Bearbeitung irgend eines Stoffes, vermittels eines Instrumentes durch Bohren, Pflügen, Hobeln, Bügeln, irgend etwas irgendwo hineintun, oder dadurch, daß jemand steht, liegt, sitzt auf einem Schrank oder einer Kiste oder irgend einem Behälter; oder durch jede Art rhythmischer Bewegung, durch Treppensteigen, Tanzen, Fahren, Reiten, Fliegen oder etwa auch so: jemand geht in eine Tür hinein. Die Tür gilt hier wieder als Genitale der Frau und die Person, die hineintritt, als Symbol des männlichen Genitales. Ich weise hin auf die typischen Einbrecherträume der Frauen, in denen der Einbrecher durchs Fenster kommt. Da ist der Einbrecher neben seiner Bedeutung als ganzer Person auch totum pro parte als männliches Glied gedacht und das Fenster als Genitale.

Die Kastration, ein außerordentlich wichtiger Gegenstand für die symbolische Darstellung, erscheint in jeder Art von Verwun- dungen oder im Abschneiden der Glieder, Haare, des Kopfes, der Nase. So wird etwa der Träumer von einem Indianer skalpiert. Oder ein 5*/,jähriger Junge erzählt: ich habe von meinem Daumen geträumt, der war ganz zerrissen und blutig, und die Anna hat ihn wieder zugenäht eine ganz einfache Kastrationssymbolik. Oder derselbe träumt: der Roland das ist ein Hund hat meinen Finger abgebissen.

In stark abgemilderter, abgeschwächter Form wird die Kastration dargestellt durch Verlieren, Fallenlassen, Ablegen, Zähneausfallen und -Ausschlagen.

Die Vergewaltigungs- und Deflorationsträume der Frau verwenden etwa eine Symbolik, wie die, daß ein Offizier mit dem Säbel eine Glasscheibe durchstößt, daß Porzellan oder andere Gefäße zerbro- chen werden. Ich erinnere Sie an die Sitte, daß am Polterabend Gefäße entzwei geworfen werden das ist nichts als ein symbo- lischer Hinweis auf die demnächst zu erwartende Entjungferung der Braut.

Ein Strumpf bekommt ein Loch, eine Frau wird mit einem Dolch oder mit einem Messer erstochen oder eine Frau wird geschlagen. Darin ist eine außerordentlich wichtige bedeutsame Symbolisierung

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des Geschlechtsverkehrs zu erkennen, insbesondere von der Frau aus gesehen, und mit Betonung der Vergewaltigung oder Ent- jungferung.

Nun, ich wies schon darauf hin, daß das Symbol nicht etwa ein Monopol des Traumes ist, sondern daß es sich auch außerhalb des . Traumes findet, in Mythen und Märchen, in der Kunst. Ich will jetzt hinzufügen: auch im Sprachgebrauch. Unsere Sprache enthält eine Fülle von Symbolen, gerade auch in den Redensarten. Z.B. sprechen wir von „alten Schachteln“ und meinen damit ältere Frauen. Wir wissen, die Schachtel ist ein Symbol der Frau oder des weib- lichen Genitale. Wir sagen: „einem aufs Dach steigen“. Wir meinen: „einem auf den Kopf kommen“. „Es ist nicht richtig im Oberstüb- chen“. Es wird von „Schraubenmuttern“ gesprochen und von „Matritzen“. Das Wort „Bügeln“ hat in einigen Gegenden Deutsch- lands, soweit mir bekannt geworden ist, direkt die Bedeutung des Geschlechtsverkehrs. Wir sprechen von den Kindern als „Würmern“, und Würmer, kleine Insekten, kleine Tiere sind im Traum Symbole für die Kinder. Wir sagen auch im Sprachgebrauch, wenn jemand stirbt oder sterben möchte: ach, er könnte ruhig abfahren. Oder wir sagen: er reist ins unbekannte Land.

Ich muß Ihnen hier ganz kurz eine Antwort auf die Frage geben, warum wohl das Sexuelle durch eine solche Überfülle von Symbolen ausgezeichnet ist. Auf diese Frage hat ein skandinavischer Forscher, namens Sperber, eine Antwort zu geben versucht, die einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich hat: die ersten Bezeichnungen, die die Menschen überhaupt für irgend etwas gemacht haben, werden die Haupttriebregungen des Menschen, werden das Sexuelle betroffen haben, es werden sexuelle Lockrufe gewesen sein und die Genitalien und den Geschlechtsverkehr bezeichnet haben. Als der Mensch sich weiter entwickelte, das Bedürfnis und die Notwendig- keit vorhanden war, auch anderes, nicht Sexuelles, als mehr Kul- turelles, von diesem primitiven Trieb Entfernteres zu bezeichnen was tat man da? Da nahm man als Bezeichnungen zunächst erst einmal die, die man schon hatte, man nahm sie vom sexuellen Ge- genstande fort und benannte nun den nichtsexuellen Gegenstand oder die nichtsexuelle Tätigkeit mit diesen vorher dem Sexuellen zugehörigen Worten. Es ist, wie wenn einer etwa ein Werkzeug herzustellen hat und kein Handwerker ist und die Sache nicht ordentlich machen kann und er nimmt das erste Beste, vielleicht einen Besen oder etwas anderes, was durchaus nicht gerade am

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besten dazu geeignet ist, daß man daraus das Werkzeug machte, und benutzt es zu seinem Zwecke. So ähnlich stellt sich Sperber das mit den Bezeichnungen vor. Es wird also bei Bedarf neuer Bezeichnungen immer erst der alte Vorrat genommen und so immer weiter. Auf diese Weise, meint er, haben einmal alle Bezeichnungen von Gegenständen und Tätigkeiten ursprünglich einen sexuellen Sinn gehabt. Es mußte natürlich immer eine neue Bezeichnung für das ursprünglich Sexuelle nachrücken, wenn die ersten weggenommen waren. Und so haben nun alle Gegenstände und Tätigkeiten ein- mal das Sexuelle passiert, und so ist von da aus gewissermaßen jede Bezeichnung geeignet, im Unbewußten wieder den ursprüng- lichen ersten Sinn anzunehmen. |

Für die Deutung der Träume haben die Symbole sicher einen großen Wert. Wir sehen, wir können hier auf die Einfälle ver- zichten. Wir können sozusagen vom Blatt weg übersetzen, wenn wir genügend Erfahrung im Symbolgebrauch haben und wissen, was die einzelnen Symbole bedeuten. Aber ein Traum ist nicht analysiert, wenn er symbolisch gedeutet ist, denn das Wesentliche, das uns im Traum interessiert, nämlich das individuell Bedeutsame, das individuelle Schicksal des Träumers, das im Traum seinen Aus- druck gefunden hat, ist natürlich aus den Symbolen nicht zu ent- nehmen. Im Symbol ist nur das Nicht-Individuelle, das Allgemeine, allen Menschen gleichmäßig zukommend, ausgedrückt. Deswegen ist die Symboldeutung etwas sehr Beliebtes und ist auch bei An- fängern in der Kunst und Wissenschaft der Psychoanalyse das Erste, worauf sie sich stürzen und womit sie gern Unfug treiben. Aber mit der Symboldeutung ist keine Analyse eines Traumes ge- geben; eine wirkliche Analyse muß Beiträge zur Individualhistorie des Träumers herausbringen, also das, was sein einzelnes Geschick, sein einzelnes individuelles Leben bedeutet, und das läßt sich nur durch die freien Einfälle erreichen. Nur wenn zu den einzelnen Elementen Erinnerungsmaterial gebracht wird, läßt sich daraus fest- stellen, was im einzelnen Traum aus dem Leben des Träumers zum Ausdruck gekommen ist. Darauf muß streng hingewiesen

werden.

BRRIEREUR

ERDBEBENPROGNOSE uno RUTENEMPFINDLICHKEIT.

Von Hedwig Therese Winzer, Dresden.

VE kurzem ging durch eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften der interessante Bericht einer Selbstbeobachtung vor Ausbruch einer Erdbebenkatastrophe, den die Umschau 1925, Heft 34, aus dem Französischen übersetzt, der Zeitschrift La Nature entnommen hatte.

„In verschiedenen Schilderungen von Erdbeben wird erwähnt, daß Tiere schon vor Eintritt des Naturereignisses unruhig werden, zittern, aus ihren Schlupfwinkeln hervorkommen oder fliehen. Mit der Er- klärung „Instinkt“ ist dabei eigentlich nichts erklärt. Hier können nur exakte Beobachtungen weiterhelfen, für die die Aussagen von Beteiligten post festum auch nur recht problematischen Wert haben. Von größter Bedeutung ist da eine Selbstbeobachtung, die der Stadt- bibliothekar von Algier, V. Cornetz, gemacht hat, dabei ist zu berück- sichtigen, daß er geschulter Tierpsychologe ist, der sich u. a. mit Ameisenforschung beschäftigt. Das Erdbeben, um das es sich handelt, ist das am 5. November 1924, das sein Epizentrum etwa 27 Kilometer von Algier bei Boufarik hatte und auf etwa 25 Kilometer im Umkreis spürbar war. Cornetz schildert seine Selbstbeobachtungen. wie folgt:

„Ich arbeitete an diesem Tage gegen 4 Uhr nachmittags in der Stadtbibliothek. Trotzdem ich von meiner interessanten Arbeit ganz in Anspruch genommen wurde, fiel es mir auf, wie mich nach einem für die Jahreszeit ungewöhnlich heißen Tage plötzlich ein Frösteln überlief. Später teilte mir eine andere Person mit, daß auch sie ein ungewöhnliches Kältegefühl gehabt habe. Als mir der Kopf dabei schwer wurde, dachte ich daran; daß das bei elektromagnetischen Schwankungen, wie sie Gewittern oder einem Schirokko vorausgehen, immer der Fall ist. Gegen 5 Uhr nahm der Schmerz immer mehr zu und äußerte sich als bohrende Neuralgie in der linken Schläfe und Augenhöhle. An solchen Kopfschmerzen leide ich aber sonst

nie. Es folgte dann eine Art Angstgefühl, Unruhe und schließlich

eine echte Erregung. Das Furchtgefühl nahm derart zu, daß ich meine Arbeit aufgeben mußte. Ich erhob mich und trat auf den Balkon hinaus, der auf die Bai von Algier geht. Ich bin wohl haupt- sächlich deswegen hinausgegangen, um freier atmen zu können.

Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit 545

Der eigenartige Anblick der Landschaft setzte mich in Erstaunen. Es war“schönes Wetter, windstill, dabei ein eigentümlich gelbliches Licht; eine Art Schleier. breitet sich über die Gegend, der. aber nicht von Nebel verursacht wird, denn die Luft ist sehr trocken. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mir über all die aufgezählten Phänomene keineglei Gedanken gemacht.

Doch gerade wie ich auf den Balkon hinaustrete, taucht in mir blitzartig das Wort „Kataklysma* (Erdumwälzung) auf. In diesem Sinne hatte augenscheinlich das Gehirn die gewonnenen Eindrücke verarbeitet. Ich gehe ins Zimmer zurück und rufe einen Freund, der im Nachbarsaal arbeitet. Ich führe ihn auf den Balkon und sage: „Sehen Sie sich den Ausdruck der Landschaft an; wir werden vielleicht ein Erdbeben bekommen“. Ich muß hier ausdrücklich betonen, daß ich noch nie ein Erdbeben miterlebt hatte. Nach Verlauf von ungefähr einer halben Stunde verschwand mein Unwoht- sein. Ich kehrte in meine Wohnung zurück und legte mich bequem auf ein Sofa, um zu lesen. Ungefähr zwei Stunden später, um 6 Uhr 45 Minuten, vernahm ich ein gewaltiges unterirdisches Rollen; mein Sofa schwankte wie das Bett einer Schiffskabine; ich versuche mich an der Lehne festzuhalten, greife daneben und stehe plötzlich aufrecht im Zimmer, ohne zu wissen, wie das zugegangen ist.

Am anderen Morgen tritt mein Freund in die Bibliothek und sagte lachend: „Sie sind ja ein Prophet! War das eine Vorahnung?“ Ich antwortete ihm: „Ich glaube nicht. Reagiert hat in mir das, was ich vom Tier in mir habe.“ Aber wir haben hier vielleicht eine Erklärung für die Instinktshandlungen der Tiere im gleichen Fall.

Setzt man zwischen Störungen auf der Sonne, elektromagnetischen Gewittern und Erdbeben einen Zusammenhang voraus, so liegt die Erklärung tatsächlich klar auf der Hand. Das, was ich gegen 5 Uhr gefühlt habe, war ein elektromagnetisches Gewitter. Dieses Phänomen ist es, das von den Tieren und einzelnen ıfervös sensiblen Menschen wahrgenommen wird. Nur das vorausgehende elektromagnetische Gewitter hat sich fühlbar geltend gemacht. Das eigentliche Erdbeben ist ohne jeden Eindruck auf den: Organismus vorübergegangen. Ähn- liche Wahrnehmungen haben außer mir noch drei andere Personen ge- macht. Zur Voraussage von Erdbeben reichen sie aber nicht aus. In meinem Falle traf elektromagnetisches Gewitter und Erdbeben zusammen. Aber nicht immer treten elektromagnetische Störungen und Erdbeben zusammen auf und dann muß eine auf Wahrnehmung

von Störungen gegründete Prognose versagen“. | 35

546 Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit

Soweit ist der Bericht in der Umschau wiedergegeben. Was mich nun am meisten interessiert, ist die auffallende Übereinstimmung der geschilderten physiologischen Erscheinungen mit meinen selbst- beobachteten Empfindungen als Rutengängerin .beim Aufenthalt in Häusern, die über Untergrundströmen stehen. _

Die Leser dieser Zeitschrift werden sich vielleicht noch meines Aufsatzes 1924, Heft 7—8: „Die Wünschelrute als physiologisches Problem“ erinnern, in dem ich meine Empfindungen und Erfahrungen ausführlich schilderte. Die Symptome, die Cornetz ausführt, und die so charakteristisch für die Reaktionen gegen elektro-physikalische Einwirkungen sind, möchte ich zusammengestellt aufzählen: ungewöhn- liches Kältegefühl, Frösteln, nervöse Verstimmung, Kopfschmerz, bohrende Neuralgie, Angstgefühle, Unruhe und schließlich eine echte Erregung. Diesen Erscheinungen möchte ich zur besseren Uebersicht und ein- drucksvolleren Veranschaulichung meine eigenen, bereits in dem erwähnten Aufsatz geschilderten, krankhaften Störungen gegenüber- stellen, als da sind: nervöse Störungen, innere Erregungszustände bis Schlaflosigkeit, Abmatten, gesteigertes Unbehagen bis ‚zu Fieber- schauern, Schleimhautreizungen, vasomotorische- und Sekretions- störungen, Unheimlichwerden des Ortes (was auf Angst- und Beklemmungsgefühle deutet) usw. Auch die Gesichtsnervenschmerzen sind mir gut bekannt, wenn sie sich auch bei mir nicht als aus- gesprochen einseitiger neuralgischer Schmerz äußern, jedoch waren die Schmerzen um Augen und Stirnhöhle oft so intensiv, daß ich mir schon verschiedentlich von Fachärzten die Stirnhöhle habe unter- suchen lassen, ohne daß etwas Krankhaftes gefunden werden konnte. Hier fällt unbedingt eine überraschende Uebereinstimmung in den geschilderten Selbstbeobachtungen auf. Wie soll: man sich nun Wirkung und Ursache erklären? Ich möchte mir nun erlauben, Erklärungsversuche zu weiteren Anregungen zu machen, betone aber ausdrücklich, daß ich mich nicht für maßgebend genug erachte, sie als genügend beweiskräftig auszugeben, aber vielleicht können meine Ausführungen dazu beitragen, die Forschungstätigkeit auf be- stimmte Richtungen aufmerksam zu machen, wo Aussicht auf Er- kennung und Erfassung der Ursachen gegeben zu sein scheint.

In Rutengängerkreisen ist die Beziehung zwischen Ruten- und Gewitterempfindlichkeit allgemein bekannt. Die Ursache muß in einer verwandten Energie zu suchen sein. So dachte auch Cornetz bei der ihn plötzlich überfallenden unbehaglichen Stimmung, der nervösen Verstimmung, sofort an elektromagnetische Schwankungen in der

Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit 547

Atmosphäre, wie sie einem Gewitter oder Schirokko vorausgehen, und er scheint diese Störungen im Befinden zu Kennen, denn er sagt: „wie dies immer der Fall ist“ Da er auf abnorme luftelektrische Zustände zu reagieren scheint, so würde es mich nicht wundern, wenn sich bei Herrn Cornetz eine Eignung zum Rutengange heraus- stellen würde, er also rutenempfindlich wäre.

Als ein besonders auffallendes Symptom betont Corneiz das Kälte- gefühl, wie ihm trotz heißer Jahreszeit ein Frösteln überlief. Auch dieses Gefühl kenne ich bis zu „Fieberschauern trotz intensivster Ab- lenkung“ nur allzugut; es wird durch Reize verursacht, die auf die Gefäße ausgeübt werden. Die eigenartige elektrische Luftbeschaffen- heit wirkt entweder gefäßverengernd oder -erweiternd. Im letzteren Fall, wie bei mir, ist die Wirkung des Reizes gefäßerweiternd, daher das Kältegefühl, das Frösteln. Hierbei möchte ich an die Versuche von Krawkow anknüpfen, über die Professor Weber 1924 in der Um- schau, Heft 18, referierte. Es wird über Versuche mit Giften von enormen Verdünnungen auf die Gefäße des isolierten Kaninchenohres berichtet und Wirkungen beobachtet, die eine einfache Erklärung nicht mehr zulassen und Krawkow spricht daher auch von der „elektrischen Energie, die beim allmählichen Verdünnen des Stoffes in Form von Elektronen frei wird“. Professor Weber führt eine höchst interessante Versuchsreihe mit kupfernen und silbernen Platten an, die dem Ohre des Kaninchens bis auf einen Abstand von */, bis 1 cm genähert würden. Bei Überdecken des Ohres mit einer solchen Platte tritt in den Gefäßen eine Verengerung ein, beim Entfernen der Platte sofort eine Erweiterung. Dies sind der Wirkung nach ähnliche Be- obachtungen, wie sie als durch elektrische Spannungsunterschiede veranlaßte Erscheinungen auftreten. Die Wirkung auf die Gefäße des menschlichen Organismus ist charakteristisch und so auffallend, daß sie ganz gewiß ein vorzügliches Beobachtungsmaterial zur Er- forschung dieses Problems abgeben würden. Ein hiesiger Arzt sagte mir einmal, diese vasomotorischen Störungen würden häufiger be- obachtet, die Ursache dazu sei aber unbekannt; man tappe da .noch völlig im Dunkeln, wie er sich ausdrückte. Die Anführung der Krawkow’schen Versuche sollten zugleich als eine Stellungnahme gegenüber etwaigen Einwürfen gelten, daß derart unfaßbar feine physikalische Einflüsse auf den Organismus nicht wirken könnten. Man muß nicht gleich mit dem schwersten Geschütz, dem stärksten Elektromagneten, auffahren, wie Dr. Trömmer in seinem Buch „Der

Hypnotismus“, wenn man die Wirkung unmeßbar feiner Energien 35*

548 Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit

*

nicht anerkennen will. Die scheinbare Wirkungslosigkeit des stärksten Elektromagneten ist kein Beweis gegen das Vorhandensein und die Wirkung allerfeinster physikalischer Kräfte.

Muß sich ein Rutengänger dauernd über diesen Reizursachen. aufhalten, die in geschlossenen Räumen also in Wohnungen sich doppelt unangenehm bemerkbar machen, da sich feste radio- aktive Körper, die sogenannte „Induktion“ (Emanation) an den Wänden und am Staube festsetzen und diese ihrerseits leitfähig machen (s. Dr. Franz Bauer, Luftelektrizität als klimatisches Element, Kosmos 1922, Heft 12), so müssen diese Reize, ununterbrochen ausgeübt, auf dazu disponierte Personen mit der Zeit empfindlich störend wirken und zu krankhaften Erregungen des Nervensystems physischer wie psychischer Art führen (s. Geschlecht und Gesellschaft 1924, Heft 7—8).

Auch der Wettersinn gehört ohne Zweifel hierher. So kommt Professor Pfaff 1925, Umschau, Heft 12, in seinem Aufsatz „Wie steht es mit dem Wettersinn?“ zur Überzeugung, daß Schwankungen der elektrischen Leitfähigkeit der Atmosphäre als Reizursache bei seinen beobachteten wetterempfindlichen Patienten angesehen werden müssen. Er führte als Beispiel einen im Kriege Verletzten und eine am schweren Rheumatismus leidende Dame an. Der erste Patient wird vermutlich die Überempfindlichkeit, mit der er gegen die atmos- phärischen Einflüsse reagiert, durch die Zerstörung der Nerven in ihren normalen Funktionen erhalten haben. So beobachtete ein im Kriege mit Bauchschuß verwundeter Hauptmann an sich, daß er seit- dem gegen unterirdische Wasserläufe mit auffallend starker Unlust reagierte, eine Erscheinung, die er früher nicht an sich gekannt hatte; und ein mir bekannter Rutengänger fühlt an Schmerzempfindungen seiner Blinddarmoperationsnarbe und der ganzen rechten Körperseite auch ohne Rute, wenn er sich über unterirdisch fließendem Wasser aufhält oder unter geeigneter Konzentration dieses überschreitet. Da- gegen ist Rheumatismus eine Krankheit, die man sich in Häusern über Untergrundströmen erwerben kann! Damit will ich nicht be- haupten, daß andere Ursachen ausgeschlossen sind. Dauernder Aufenthalt in Häusern über solchen Einflüssen kann mit der Zeit zu gesundheitlichen Störungen, oft bis zum Siechtum führen. Das ist eine Beobachtung, und eine Erscheinung, die wissenschaftlich noch wenig bekannt, von Ärzten wahrscheinlich noch gar nicht in Betracht gezogen worden ist, weil sie diese physikalischen Faktoren, die aus dem Erdinnern die Atmosphäre beeinflussen können, überhaupt noch

Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit 549

nicht kennen. Ich selbst habe an mir mit Hygrometer und Barometer über eine längere Zeit hinaus (in den Jahren 1920—22) die genauesten Beobachtungen angestellt, um meinem Manne, der Chemie und Physik studiert hat, und meinem Nervenarzt zu beweisen, daß mein Befinden nicht von Druckschwankungen, Luftfeuchtigkeitsgehalt oder Wetter- lagen abhängig ist, diese überhaupt nur relative Erscheinungen sein werden, sondern daß ganz andere Energien, wahrscheinlich luft- elektrischer Natur, die treibenden Kräfte sein müssen. Im Juni d. J. hatte ich Gelegenheit, einem hiesigen bekannten Wissenschäftler (Geologen), der sich für meine Fähigkeit zum Rutengänger sehr interessiert und mit mir wissenschaftlich überwachte Versuche ge- macht hat, darauf aufmerksam zu machen, daß wir vor einem be- deutenden Witterungsumschlage stehen müßten, ein starkes Minimum heranzurücken scheine. Zwei Tage darauf war meine Voraussage eingetroffen, ohne vorausgegangenes Gewitter. Ich betone nun aus- drücklich, daß wir zu jener Zeit eine Schönwetterperiode bei hohem Barometerstande hatten, daß ich weder die Wetterkarte noch den Wetterbericht kannte, sowie ich mir aller Fehlerquellen und der wissen- schaftlichen Einwände klar bewußt bin. Doch die scheinbar bestbe- gründete Skepsis muß irgendwann zum Schweigen kommen, sonst ver- fallen die Skeptiker in denselben Fehler, den sie der Gegenpartei vor- werfen. Da an mir früher eine so auffallende Empfindlichkeit luftelektri- schen Zuständen gegenüber nie beobachtet worden ist, nehme ich an, daß durch den dauernden Aufenthalt von zwei Jahrzehnten in Wohn- und Schlafräumen über Erdausstrahlungen sich eine Überempfindlich- keit des Nervensystems herausgebildet hat, die nun auf kleinste Reize reagiert. Um jedem Einwand von vornherein zu begegnen, daß ich vor der Ehe nicht auf unterirdische Einflüsse reagiert hätte, ließ ich die drei Häuser in Berlin, in denen ich längere Zeit meines Lebens zugebracht habe, von einem mir von Dr. Aigner empfohlenen Ruten- gänger, absuchen. Auf keinem der Grundstücke wurden Untergrund- ströme gefunden. Ich brauche wohl nicht erst hervorzuheben, daß der Rutengänger über den eigentlichen Zweck seiner Aufgabe in Un- kenntnis gelassen wurde. Selbstverständlich war auch mit der Psycho- therapie und Psychoanalyse alles versucht worden, mir zu helfen, aber bei der Natur der Sache ohne Erfolg, denn die Abstellung der physikalischen Reizursache aus dem Erdinnern, konnte dadurch nicht erreicht werden.

Es sind also nicht allein die Schwankungen in der elektrischen Beschaffenheit der Atmosphäre oder kosmisch-magnetische Kräfte,

550 Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit

sondern auch die Bodeneinflüsse, verursacht durch Strahlungen aus dem Erdinnern (Oberflächen-Spannungsunterschiede), die auf das Befinden gewisser Menschen störend wirken können. Aber nicht nur Rheumatismus, auch Gicht (ebenfalls Ischias und Neuralgie) sind Krankheiten, die über solchen Einflüssen entstehen, oder zum minde- sten ungünstig beeinflußt werden können. In Fachkreisen ist längst bekannt, wie gerade diese Patienten vor Ausbruch von Gewittern und vor Witterungsumschlägen (Föhn) zu leiden haben. Können durch luftelektrische Schwankungen physiologische Reaktionen ausgelöst werden, so wird es verständlich, wenn Personen, die die Disposition zur Empfindung solcher Zustände besitzen, in Häusern über Unter- grundströmen mit der Zeit erkranken müssen.

Auf der Tagung des Internationalen Vereins für Wünschel- rutenforscher in Aue i. E. September 1924 hatte sich bei der Ver- folgung des Verlaufes der unterirdisch fließenden Radiumquelle in Bad Oberschlema eine Dame aus den Zuschauerkreisen an den Ruten- versuchen beteiligt. Sie wurde durch die Stärke der Ausstrahlung derart ungünstig beeinflußt, daß sie Ohnmachtsanfälle erlitt und erkrankte. Da diese Dame völlig gesund war, so berichtete die „Wünschelrutenforschung“ 1924, Heft 3—4, ist daraus zu ersehen, daß eine direkte Einwirkung auf den Organismus des Menschen statt- finden müsse. Die starke und direkte Bestrahlung durch Strahlungen radioaktiver Natur von unterirdischen Substanzen ausgehend, namentlich aber beim Schlafen über Untergrundströmen, scheint hemmend auf die Sekretionen und auf den normalen Ablauf beim Auf- und Abbau der Zellen zu wirken. Daher die Unlustgefühle, die Störung des seelischen Gleichgewichtes, die Störungen in den Lebens- vorgängen und -Äußerungen, die sich bis zu Krankheitssymptomen steigern können und am wirksamsten in Gefäß- oder Gewebestörungen in Erscheinung treten (s. Geschlecht und Gesellschaft 1924 Heft 7—8).

Diese Fälle von Erkrankungen sind keineswegs so selten, wie man gewöhnlich annimmt, man hat leider kein Erfahrungsmaterial, denn es mangelt durchaus an der exakten Erforschung dieses Problems, das viel tiefer in das gesundheitliche Leben der Menschheit eingreift und sich als weit umfassender herausstellen wird, als überhaupt bis jetzt erkannt worden ist. Professor Walther, Halle, hat an Hand systematisch betriebener Versuche festgestellt, daß 15°/, aller Versuchs- objekte rutenempfindlich waren. Er benutzte Studenten als Material, die also durchweg jung, unverbraucht und gesund wie nur möglich waren. Man kann daher mit dem Einwand, daß es sich um krank-

Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit 551

hafte Dispositionen handelt, nicht kommen. Es ist klar, daß es nicht stichhaltig ist, wenn man eine Reihe von durchaus gesunden Ruten- gängern kennt, die sich in nichts von ihren Nebenmenschen unter- scheiden. Daß es sich in diesen Fällen um Hysterische und Psycho- pathen handeln sollte, wie ein Erklärungsversuch eines Psychiaters es haben wollte, ist durch nichts bewiesen. Dagegen wird mancher Fall, den man heute für hysterisch hält, bei tieferem Eindringen in das Walten geringster Energien, ihn als Folge von dauernden Reizursachen, durch physikalische Einwirkungen veranlaßt, angesehen werden müssen. Um- fangreiche Prüfungsversuche in Hubert-Altdorf (Schweiz) in bezug auf Wetterempfindlichkeit, die den Vorzug besitzen, sich auf junge, gesund- heitlich normale und kräftige Individuen zu stützen, erbrachten den einwandfreien Beweis, daß die elektrische Leitfähigkeit des mensch- lichen Körpers mit der Leitfähigkeit der Atmosphäre in Beziehung stehen müsse. E. K. Müller, Zürich weist in seiner Broschüre: „Über die Empfindlichkeit des menschlichen Körpers elektrischen und ver- wandten Kräften gegenüber“ darauf hin, wie das Resultat dieser Unter- suchungen zur Überzeugung führen müsse, daß die Sensibilität des Menschen der Elektrizität, feinsten elektrischen Durchströmungen gegen- über, eine eminent große zu sein scheine. Untersuchungen, die Dr. Albert, München, an Rutengängern in der Frauenklinik machte, zeigten neuropathische Reaktionen, eine Herabsetzung des Hauptwider- standes gegenüber elektrischen Einwirkungen. Nun möchte ich einmal das Problem von der anderen Seite anpacken und fragen, woher kommen überhaupt die neuropathischen Erkrankungen? Ich habe bisher Neurose immer in Häusern über Untergrundströmungen gefunden.

Wird nun durch den Reiz, der auf gewisse Nervenbahnen beim Rutengänger ausgeübt wird, ein Trieb zur Flucht nach Professor Sommer, Gießen ausgelöst, so kann es sich auch begreiflicherweise nicht um eine pathologische Erscheinung handeln, sondern wird als Selbstschutz der Natur, als Abwehr gegen schädliche Einwirkungen zur Erhaltung der Art angesehen werden müssen. Der Mensch wird vermutlich vom Urzustande an nicht geeignet gewesen sein, gewisse starke elektrische Kraftwirkungen zu vertragen, und hat darauf mit besonders ausgeprägten Unlustgefühlen reagiert, denn gewiß war alles Naturgeschehen in jenen Urzeiten viel elementarer und gewaltiger, als zu den uns bekannten historischen Zeiten. Der Rückgang jener Fähigkeit zur Auslösung von Fluchttrieben, kann meines Dafürhaltens als eine gewisse Anpassung, aber auch als Degenerationserscheinung aufgefaßt werden, als Verlust eines Warnungssignals, denn sonst

552 Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit

würden nicht so viele Menschen über diesen Einflüssen erkranken oder ‚in milderer Form dauernd kränkeln und leicht Erkrankungen erliegen. Wollen wir die Volksgesundheit fördern, will der Arzt ein Wohltäter der Menschheit sein, so müssen alle erdenklichen Faktoren, die zu Erkrankungen führen können, sollten sie auch. heute noch nicht mit Apparaten nachzumessen sein, in Betracht gezogen und in Berechnung gestellt werden.

Rutenempfindlich sein, heißt: Über ausgesprochene Reaktionen zu verfügen. Es gibt aber unendlich viele Menschen, die, obgleich sie nicht diese ausgeprägte Fähigkeit besitzen, immerhin fast unmerklich unlustig auf solche Einflüsse reagieren, bis schließlich einmal der Zusammenbruch als irgend eine ran SENSE SEN nun: meist ner- ‚vöser Natur, erfolgt.

. Goethe sagte einmal: „Der Mensch an sich selbst, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalische Apparat, den es geben kann. Und das ist eben das größte Übel der neueren Physik, daß man die Experimente gleichsam vom Menschen abgesondert hat und bloß in dem, was künstliche Instrumente zeigen, die Natur erkennen, ja was sie leisten kann, da- durch beschränken und beweisen will.“ Man erkennt aus diesen Worten den Wert, den Goethe auf das Gesunde dabei legt; er war in der Welt physikalischen Geschehens viel tiefer als wir ahnen, dank seiner intuitiven Naturerkenntnis, eingedrungen. Bekanntlich war Goethe ein außerordentlich feiner Wetterbeobachter und weist verschiedentlich auf seine Stimmungsabhängigkeit vom Wetter hin. Es hat aber wohl noch niemand die Behauptung aufgestellt, daß Goethe wahrscheinlich auch rutenempfindlich gewesen sein müsse. Eine Reihe von ver- schiedenen Äußerungen in den „Wahlverwandtschaften“, in „Wahrheit und Dichtung“ und nicht zuletzt in „Faust Teil II“ lassen aber diese Deutung zu. Goethe beschreibt diese eigenartigen Empfindungen des Rutengängers so treffend und genau, wie es eben nur ein „Wissender“ tun kann. So läßt er Mephisto im zweiten Teil ersten Aufzug sagen:

Ihr alle fühlt geheimes Wirken,

der ewig waltenden Natur,

und aus den untersten Bezirken,

schmiegt sich herauf lebend’ge Spur, wenn es an allen Gliedern zwackt,

wenn es unheimlich wird am Platz,

nur schnell entschlossen, grabt und hackt, hier liegt der Spielmann, liegt der Schatz.

Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit . 553

Demnach kennt Goethe auch das charakteristische Fluchtgefihl, das „Unheimlichwerden“ eines Ortes, infolge seiner unangenehmen Wirkung auf den Organisms. Er sagt sicher nicht ohne‘ tieferen Grund: Ihr alle fühlt geheimes Wirken usw.; was daraufhin deutet, daß er die physikalischen Wirkungen in bezug auf physiologische Vorgänge, wenn nicht kennt, so doch weitschauend ahnt. In Ecker- manns Gesprächen nennt er die Elektrizität: Die Weltseele, wobei zu bedenken ist, daß. man damals noch weit entfernt war von der vollen ‚Erkenntnis davon, welche umfassende Bedeutung die Elektrizität für ' das Weltgeschehen hat.

Auch Tiere scheinen die Disposition zur Einpfindung luftelektrischer -Zustände zu besitzen. So hat man beim Storch beobachtet, daß er das Nisten auf Häusern über Untergrundströmen meidet. Bekanntlich gilt er als Glücksvogel auf dem Lande, und der Bauer glaubt, daß

der Storch sein Haus vor Blitzschlag behütet. Das ist selbstverständlich

nicht buchstäblich der Fall, aber er sucht sich für sein Nest nur solche örtliche Bedingungen aus, die ihm bei der Ausgesetztheit seiner Nistgelegenheit ein ruhiges Brutgeschäft gewährleisten. Gewiß wird dem Storch der Aufenthalt auf Dächern von Häusern über Unter- grundströmen unbehaglich sein und er meidet sie deshalb zum ‚dauernden Aufenthalt. Bekanntlich folgen Blitze entweder starken Untergrundströmungen oder, und zwar ganz besonders, Kreuzungs- stellen zweier unterirdisch fließender Gewässer, wie Versicherungs- gesellschaften, die auch mit Rutengängern zusammenarbeiten, statistisch festgestellt haben. Somit erscheint diese besonders ausgeprägte Ab- neigung des Storches gegen luftelektrische Zustände, als eine Art von natürlichen, instinktivem Selbstschutz.

Nun ist in den Rutengängerkreisen bereits die Bebang gemacht worden, daß auch Haustiere dieselbe Disposition besitzen müssen; so hat der Rutengänger M. Beyer-Steglitz, selbst früher Landwirt, bei seiner Tätigkeit öfter die Gelegenheit gehabt zu beobachten, daß auf Gütern Tiere in Ställen über Untergrundströmen nicht gedeihen wollen und schnell Seuchen erliegen. Durch Stallwechsel ist in allen diesen Fällen Abhilfe geschafft worden. Ziegen scheinen in dieser Hinsicht besonders empfindlich zu sein. Domestizierte Tiere haben wie der Kulturmensch verlernt ihrem Instinkt zu gehorchen, sie haben die Fähigkeit verloren, dem ausgelösten Reiz des Fluchttriebes zu folgen. Wenn nun durch die Schwankungen der Leitfähigkeit in der Atmosphäre auf gewisse Nervenbahnen starke Reize ausgeübt werden, die das Allgemeinbefinden ungünstig beeinflussen können, so wird

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554 Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit

das Verhalten der in Freiheit lebenden Tiere, die noch über starke, unverdorbene und unmittelbare Triebe verfügen, vor großen Erdbeben- katastrophen ' verständlich sein. Elektromagnetische Schwankungen vor solchen elementaren Naturereignissen werden Reize ausüben, die die Tiere beunruhigen und schließlich in die Flucht treiben. Sie werden versuchen, aus der sie bedrückenden Zone elektromagnetischer Einwirkungen herauszukommen. So wurde Tage vor dem furchtbaren vulkanischen Ausbruch des Mont Pel&e auf der Insel Martinique beobachtet, daß wildiebende Tiere in Scharen aus den besonders gefährdeten Gebieten flüchteten, während gleichzeitig die geologische Sachverständigen-Kommission ihren Beschluß VErONIENNLICHTE, daß durchaus keine Gefahr vorliege.

Über interessante Versuche bezüglich der Eihwiiking elektrischer Wellen auf die Wünschelrute berichtete die Zeitschrift für „Wünschel- rutenforschung“ 1922, Heft 8. Landrat von Uslar hatte auf der Fahrt nach Argentinien an Bord des Dampfers Havenstein Gelegenheit mit seiner Kupferdrahtrute im Funkraum gutgelungene Rutenpeilungsver- suche zu machen, die von fünf maßgebenden Zeugen: schriftlich bestätigt wurden. Hervorgehoben sei, daß die Rute nur auf einen hart begrenzten Stand genau senkrecht und zwischen den beiden Zuführungsdrähten der Antenne wirksam war. Genau dieselben Er- gebnisse erzielte Professor Wendler, Erlangen, in einer Versuchsreihe mit dem Rutengänger Forstmeister Kelber, über die er in seiner Bro- schüre: „Experimentaluntersuchungen zum Problem der Wünschel- rute und biologischer Strahlung“ eingehend berichtet. Bei derselben Versuchsanordnung sagt Professor Wendler: „Indem sich der Rutengänger langsam im Kreise- drehte, ergaben sich auch Anhalts- punkte dafür, daß wie bei Herrn v. Uslar so auch bei Herrn Kelber eine Richtungsbestimmung, eine regelrechte Radiopeilung mit der Rute möglich zu sein scheint“. Da die Zeiten der Sendungen genau zu kontrollieren sind, so müßten derartige Versuche mit Rutengängern imstande sein, wertvolles Material zu liefern.

Professor Wendler weist in seiner Broschüre auf die elektro- magnetischen Versuche an Menschen von C.K. Müller, Zürich, hin, wie ondulierende magnetische Felder in elektro-physiologischer Be- ziehung auf den Organismus wirken können, dabei zählt er auf: Chemische Veränderung in der Blutbeschaffenheit, erhebliche Aus- scheidung von Unraten und Harnsäure, Herabsetzen des Blutdruckes und der Pulsfrequenz und endlich Herabsetzen des individuellen Ohm’schen Widerstands der elektrischen Leitfähigkeit des mensch-

Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit 555

lichen Körpers. Neuere Forschungen haben sich mit dem Einfluß elektrischer Wellen auf das Gehirn befaßt, so berichtet der Engländer Collins, daß sich bei Anwesenheit elektrischer Wellen an Versuchs- tieren die Leitfähigkeit des Gehirns ändert und will damit die Gewitter- furcht mancher Menschen und Tiere erklären. In einem anderen Falle wird von einem an der Nordsee lebenden jungen Mädchen berichtet, das schon lange vor Ausbruch von Gewittern Furcht zeigte; merkwürdig an dem Fall war, daß diese Gewitterfurcht auch im Winter zu bestimmten Stunden auftrat, was zunächst unerklärlich erschien, bis der sie behandelnde Arzt den Schlüssel zu. diesem Rätsel entdeckte und die Furchtsymptome in Verbindung mit den funkentelegraphischen Zeitsignalen brachte. Die elektrischen Wellen mußten also auf das Gehirn des Mädchens irgendeinen Einfluß aus- üben. Professor Wendler sagt in seiner Broschüre zu diesem Pro- bleme: „Hirnuntersuchungen Collins auf Kohärerwirkung der rest- farbenen Körnerschicht haben es wahrscheinlich gemacht, daß die Hirn- zellen, besonders die der zerebralen Rotsubstanz, auch im geschlossenen Schädel auf elektrische Wellen durch „Kohäsion“ reagieren. Dadurch würde, zum Teil wenigstens, die Einwirkungen von Gewitterwirkungen auf den Organismus (ganz nach Analogie radio-technischer Gewitter- . melder), die oben beschriebenen funkentelegraphischen Versuche mit Herrn von Uslar und Herrn Forstmeister Kelber und nach Maßgabe der in vorliegender Schrift mitgeteilten Versuchsergebnisse (mit der Wünschelrute) auf die Quellenempfindlichkeit des Rutengängers ihre Erklärung finden.

Zweier weiteren unerforschten Problemen möchte ich noch zum Schlusse gedenken, die anscheinend nicht hierher gehören und doch genau wie die erwähnten Fragen letzten Endes auf ein und dieselbe Energie als Ursache zurückzuführen sein werden, wie diese eng ver- knüpft sind mit allem, was organisches Leben heißt. Sie sollen beweisen, auf was für feinste Reize organisches Leben reagieren kann.

Das sind zuerst die sogenannten und umstrittenen Menstruations- gifte, deren Wirkung ich selbst an mir und anderen Frauen auf Pflanzen und Hefe ausprobieren konnte und die gewiß nicht von chemischen Wirkungen, sondern von physikalischen Bedingungen abhängen werden. Wenn es gelingen sollte, die Versuche amerikanischer Gelehrter über Vitamine nachzuprüfen und zu bestätigen, daß es sich bei Vitaminen nicht um stoffliche, sondern um physikalische Eigenschaften handelt, dann ist vielleicht damit ein Fingerzeig gegeben, wo man das Men- struationsgift suchen muß. Irgend ein Forscher hat die Vermutung,

556 Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit

daß es sich um Emanationen handelt, bereits ausgesprochen. Viel- leicht ist hiermit auch die Erklärung dafür gefunden, warum gerade das Weib besonders empfindlich gegen unterirdische Einflüsse zu reagieren scheint und warum sich in der Menstruationszeit eine körperliche und seelische Verstimmung stark bemerkbar macht. Es wird sich. um eine physikalische Selbstvergiftung handeln.

Und nun will ich zum Schluß auf noch eine allbekannte Er- scheinung aufmerksam machen. Ein jeder kennt doch die Ermüdungs- erscheinungen und das Schlafbedürfnis im beginnenden Frühjahre und man hat schon die verschiedensten Erklärungen herangezogen. Nach meinen Erfahrungen haben wir es hier auch mit luftelektrischen Zuständen zu tun, die in dieser Weise den Organismus beeinflussen. Durch Erwärmung der Erdoberfläche, sowie durch die allgemeine Belebung der Natur werden unbekannte Energien frei, die eine ver- änderte Beschaffenheit der Luftelektrizität bedingen, und diese braucht ja nur minimal zu sein, wenn man bedenkt, wie nach Krawkow die geringsten Spuren von Energien noch nachweisbar wirken können. Die Arbeit der Natur ist wie das feinste Präzisionswerk; sowie die geringsten Mengen an zu wenig, ebenso können die kleinsten Spuren an zu viel den ganzen Haushalt des Organismus aus dem Gleich- gewicht werfen. |

Wie schon Hellpach in seinem Werke: „Die geopsychischen Er- scheinungen“ betont, stehen „Wetter-, Erdbeben- und Quellen- empfindlichkeit“ in engen Beziehungen zu einander. Aber er legt den Wert ganz auf das Psychische der Erscheinungen, sowie überhaupt der Psyche viel zu großer Raum gegeben wird. Es muß noch wissen- schaftlich einwandfrei erwiesen werden, daß auch die Psyche, unab- hängig vom normalen Willen des Menschen, durch physikalische Zustände beeinflußt und aus ihrem Geleise geworfen werden kann! Das wird noch zum Fundamentalsatz der Nervenpathologie werden. Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Mich däucht, als hätte C.L. Schleich geradezu genial die ungeheure Wichtigkeit der Hauttätigkeit und ihre Beteiligung an innersekretorische Vorgänge erkannt, indem er die Haut „das Organ der Seele“ nannte. Damit hat er die ganze Tiefe des Problems erfaßt, ohne jedoch die letzten Reizursachen er- kannt zu haben. l

Man kann der Wissenschaft nicht eindrucksvoll genug vorhalten, daß -es sich hier nicht um eine Teilerscheinung einzelner Sensitiver handelt, sondern um einen ganzen Komplex von Problemen von größter Bedeutung für die gesamte Menschheit. Nicht die Über-

Winzer: Erdbebenprognose und Rutenempfindlichkeit 557 empfindlichkeit gegen elektro-magnetische Einwirkungen ist selten, wohl aber die ausgeprägt starke Empfindung einzelner Personen für unterbewußte Vorgänge, wie sie sich auch in dem Rutengänger offen- bart. Es tut sich mit der Erfassung dieser Probleme dem Physiker wie dem Mediziner, insbesondere .dem Physiologen, ein reiches Feld für ihre Forschertätigkeit auf, das ganz gewiß einen tiefen Einblick in die wichtigsten Lebensvorgänge gewähren wird, deren Erkenntnis von ungeahnter und umfangreicher Tragweite werden kann.

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Bücherschau.

Weib und Liebe. Studie über das Liebesleben des Weibes. Von Dr. Bern- hard Bauer. Verlag W. Braumüller. 1925. M. 18.—.

Als eine gewisse Ergänzung des vor wenigen Jahren erschienenen Buches „Wie bist Du, Weib?« ist die vorliegende Monographie aufzufassen. Bei dem Umfang und der Genauigkeit des ersterschienenen Werkes war schon eine aus- giebige Durcharbeitung des Sexuallebens des Weibes gegeben worden. Hier, wo in die tiefsten Falten des weiblichen Liebeslebens hineingeleuchtet wird, ist eine an Gründlichkeit kaum noch zu überbietende Studie geschaffen. Da das Buch für weitere Kreise bestimmt ist, so dürfen wir nicht immer eine wissen- schaftliche und tiefe psychologische Durcharbeitung verlangen und wir dürfen gewiß nicht alles kritiklos hinnehmen, was uns vorgesetzt wird. Aber da bis jetzt das Liebesleben des Weibes aus hier nicht zu erörternden Gründen unbe- dingt stiefmütterlich behandelt wurde, so müssen wir jede gründliche Veröffent- lichung, die sich mit dieser Materie befaßt, dankbar begrüßen, selbst wenn manchmal stark am Ziel vorbeigeschossen wird. Die älteren populär gehaltenen Arbeiten haben, soweit sie überhaupt einige Zeilen quasi mit niedergeschlagenen Augen und unter Erröten über die Sexualpsyche des Weibes brachten, keinen Nutzen gestiftet. Erst in jüngster Zeit sind wir soweit, das natürliche und das unnatürliche Liebesleben des weiblichen Menschen von frühester Jugend bis zum Erlöschen der Sexualfunktion mutig und offen darzustellen. Nur durch breite Popularisierung dieses Stoffgebietes können wir bei Männern und Frauen die Aufklärung schaffen, die wahrhaft nützlich mit alten, Schaden stiftenden Vor- urteilen aufräumt.

Das Buch im Einzelnen zu referieren, halte ich nicht für angängig, nur Weniges sei herausgegriffen.

Bei der kindlichen Liebe wird die Freudsche Auffassung der sexuellen Ein- stellung zu den Eltern abgelehnt, die Geltendmachung perverser Triebe (Oedi- puskomplex) in das Reich unbewiesener Hypothesen verwiesen (? Die Schrift- leitung.) Eine sexuelle Färbung bekommt das Liebesleben des weiblichen Kindes erst mit Beginn der Eierstocktätigkeit und der ersten Menstruation. Mit der Funktion der Pubertätsdrüse erwacht der Sexualtrieb. Dieser vom Großhirn, dem Seelenorgan, verarbeitete Sexualtrieb heißt Liebe.

Vorerst handelt es sich beim jungen Weibe mehr um einen unbestimmten Drang, um ein Liebesahnen, um eine Liebesbereitschaft. In dieser Liebes- bereitschaft spielt das sexuelle Moment keineswegs eine geringere Rolle, als beim Manne, höchstens stärker verschleiert, bis durch das Erwachen der körper- lichen Sexualität aus dem liebesbereiten Weibe das sich nach Liebe sehnende Weib wird. Mir erscheinen diese Gruppierungen und Einteilungen zu fein nuanciert, um praktisch verwendbar zu sein. Das zur Liebe erwachte und zur Liebe bereite Weib sehnt sich auch gleichzeitig nach Liebe und zwar ein- gestandener- oder uneingestandenermaßen nach körperlicher Liebe. Ich glaube, es sind Zustände, die absolut nebeneinander und nicht hintereinander bestehen. Beipflichten muß man dem Autor, wenn er das Leiden des mit seinen Gefühlen und den künstlich auferlegten Hemmungen kämpfenden Weibes mit Nachdruck betont.

Warme Worte findet Bauer für die Liebe des reifen Weibes, das in der Liebe nur die Erfüllung des Wunsches sieht, den einen Mann, den es wahrhaft liebt, zu beglücken. Freilich dürfen wir nicht übersehen, daß dies oft nur ein Ideal bleibt, das nicht immer erreicht wird.

Die vielgenannte platonische Liebe ist ein Widerspruch in sich; wenn zwischen geschlechtsreifen Menschen innere Bindungen bestehen, auf die man den Liebesbegriff anwenden darf, so ist es ein Trugschluß zu glauben, daß man

Bücherschau 559

das sexuelle Moment ausschalten kann. Wenn das Wollen und das Nichtkönnen in Konflikt liegen, wenn die Angst und die heiligsten Gefühle miteinander streiten, ' so nennt man diesen Zustand platonische Liebe. Wir müssen uns ganz auf die Seite des Autors stellen, wenn er den Begriff der platonischen Liebe ad absur- dum führt: es gibt zwischen Mann und Frau im geschlechtsreifen Alter keine Freundschaft, die Bestand hat oder haben soll, ohne sexuelle Färbung.

Im Abschnitt über die sexuelle Liebe vermag ich dem Autor leider nicht zu folgen, wenn er mit dem Seelenbegriff etwas Transcendentales, Ueberirdisches verbindet. Gerade bei einem für weitere Schichten bestimmten Werke halte ich es für einen Fehler, wenn ein Naturforscher und Arzt von einem Fortleben des Geistes, von einer Reinkarnation und von dem Walten überirdischer Mächte spricht. Und ob dieser große Apparat aufgeboten werden muß, um die seelische Anziehung der Geschlechter, die Sympathie, uns menschlich näher zu bringen, möchte ich füglich bezweifeln. Ich kann mich nicht in den Gedanken hinein-

versetzen, daß überirdische Mächte unser Schicksal beeinflussen und unsere

Liebe leiten und regieren.

Als Ursache des Willens zur Liebe, als das treibende Motiv jeglicher Liebe kommt nur der Wille zur Lust in Betracht. Trotzdem also die Liebe eigentlich stets als ein altruistischer Trieb hingestellt wird, tritt hier die egozentrische Einstellung deutlich in den Vordergrund.

Zu Mißverständnissen dürfte die Bemerkung des Autors Anlaß geben, daß der Orgasmus eine zwar gerne gewollte, aber durchaus nicht nötige Krönung des Liebeswerkes für das Weib bedeutet. Ich glaube, hier gibt es keinen Unter- schied zwischen Mann und Frau. Nüchtern ausgedrückt, ist der Orgasmus für beide Geschlechter, von allem Rankenwerk abgesehen, der Endzweck der Liebe. Bei der Schilderung des Liebesleides geht der Autor mit den Männern zu streng ins Gericht. Es gibt ja schließlich nicht nur Idealgestalten unter den Frauen und es sind genug Männerschicksale an enttäuschter Liebe zerbrochen. Auch hier muß man sagen: peccatur intra et extra muros! Die psychologische Schilderung des ehebrechenden oder „zu Fall“ kommenden Weibes ist äußerst geglückt, wie überhaupt dieses Kapitel über Liebe und Leid viele kluge Gedanken enthält und die tiefe Lebenskenntnis des Verfassers verrät.

Die Abschnitte „Irrwege der Liebe“ und „Liebe und Verbrechen“ zeigen, daß sie von einem gütigen „und verstehenden Seelenarzt geschrieben sind. Alle Irrungen, krimineller od ef nichtkrimineller Art, finden ihre Wurzeln in der tiefen, das ganze Seelenleben durchdringenden Liebe des Weibes. Volles’ Verständnis kann hier nur der gründliche Kenner der weiblichen Psyche und dies soll und muß der Frauenarzt sein aufbringen, niemals der Kriminalist mit dem toten Buchstaben des Gesetzes vor Augen. Ein gut Teil dieser weiblichen Vergehen ist auf die Beschränkung der Lebens- und Liebesfreiheit der Frau zurückzuführen. Dies führt uns hinüber zur Behandlung der freien Liebe, wobei der Ton auf „Liebe“ liegt. Schärf wird die herrschende Weltanschauung und soziale Ordnung gegeißelt mit der Unhaltbarkeit der heutigen staatlichen Ehe, auf die sich allerdings das ganze Streben des Weibes richtet. Hier liegt die Mitschuld des Weibes am jetzigen Zustand, hier liegt auch der Hebel, um eine Umwertung herbeizuführen. Nicht Gleichberechtigung, sondern Gleichwertigkeit soll: die Frau erstreben. Gleiche Pflichten für den Mann werden aus dem Weib als Lustobjekt die gleichgestellte 'Kameradin, schaffen. `

Mag sich der kritische Leser vernunft- oder gefühlsmäßig zahlreichen Einzelheiten gegenüber ablehnend verhalten, mag die Einstellung des Verfassers ihn in vielen Punkten eigene Wege führen, auf denen man ihm nicht folgen will, so bleibt doch der Eindruck, daß ein gütiger und verständiger Arzt die verschlungenen Pfade der weiblichen Liebe mit Erfolg zu entwirren versucht.

Das große Werk stellt das hohe Lied des Weibes dar. Dr. K. F. Friedländer.

560 Bücherschau

Die Onanie im Lichte der modernen Seelenkunde. Von Miroslaw Schlesinger.. Dr. Madaus & Co., Radeburg 1925. 48 S. M. 150.

Der Lauf der Zeiten hat eine Wandlung der Anschauingen. über die Folgen der’ Onanie bewirkt. Zweifellos ist es ein Verdienst Schlesingers, in seiner für die reifere Jugend, Eltern und Erzieher bestimmten Schrift klar und verständlich Stellung genommen zu haben. Gleich anderen erfahrenen Aerzten wendet er sich gegen den alten Aberglauben an die ungeheuerlichen Gefahren, wie er in sogenannten populären Schriften spukt, und versucht verhängnisvollen Irrtümern ein wohlverdientes Ende zu bereiten. Von den vom Bewußtsein ins Reich des

„Unbewußten“ verdrängten Energien ausgehend, sieht der Verfasser dort den seelischen Konflikt entstehen, wo die Umsetzung sexueller Triebe in andere Werte nicht gelingt. Durchaus mit Recht sieht Schlesinger in der Einstellung der Menschen, die schon beim Worte „Sexualität“ einen unangenehmen Bei- geschmack empfinden, ein Gemisch von Prüderie verdrängter Lüsternheit und Heuchelei und brandmarkt eine lächerliche, unwürdige Vogel-Strauß-Politik. Unter Onanie versteht der Verfasser jede zwecks Lustgewinnung am eigenen ‚Körper und ohne Mithilfe eines anderen unternommene bewußte oder unbewußte Handlung. Es folgt eine Besprechung der Arten der Onanie, sowie ihrer larvierten Formen. Uebrigens erscheint die Onanie auch als soziale Schutz- funktion. Werden doch in ihr verbotene Regungen sadistische, masochistische, fetischistische usw. befriedigt. So wird sie ein Schutz für die Gesellschaft. Völlige Unterdrückung, der Onanie bei gewissen Menschen würde nach Schlesingers Ansicht die Zahl der Sittlichkeitsverbrechen ins Ungeheure steigen lassen. Sehr verhängnisvoll kann das Schuldbewußtsein, das sich gegebenen- falls an den Akt knüpfen kann, bis zum Selbstmord führen. Damit wird eines der größten und tiefsten Gesetze unseres Seelenlebens: das Prinzip der Selbst- bestrafung, verwirklicht. Die Schrift deutet darauf hin, mit wie unzulänglichen Mitteln überhaupt der Kampf gegen die Onanie geführt wird, indem man zu den bereits vorhandenen inneren Konflikten neue äußere hinzufüg. Indem der Verfasser, wie schon betont, den Irrtum von den übertrieben schädlichen Folgen der Onanie zerstreut, weist er unter anderem auf die Autosuggestion hin, die alles das erzeuge, was die Angst vorgaukele. Eine erfolgreiche Behandlung der Onanie sieht Schlesinger in einer frühzeitigen, dem kindlichen Interesse an- gepaßten, schrittweisen sexuellen Aufklärung und ig einer unauffälligen Ab- lenkung durch Spiel und Sport.

Ich möchte das Schriftchen, das einen breitere Kreise fesseinden Inhalt in so leichtfaßlicher und menschlicher Form bietet, Eltern und Erziehern - warm empfehlen. Hier spricht ein Gegner des prüden Philistertums, und die letzten Worte besiegeln den Geist des Büchleins, das nicht richten, sondern verzeihen will. „Verzeihen, weil alles verstehen alles verzeihen heißt. K

Studienrat Gustav Jung.

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Fesselnde Einzelhefte aus früh. Jahrg. Geschlecht und

Betrachtungen über das Liebesleben xıjı von Ferd. Frhr. von Reitzen- stein. Die Fettsteißigkeit beim Menschen von Dr.Sokolowsky. Freie Eierstocküberpflanzung von Dr. med. Friedländer. Vom Geschlechtsleben afrikanischer Zauberkulturstämme von H. Fehlinger.

Strumpf und Strumpfband xıjı2

von Hofrat Pachinger. Evo-

lutionslehre und Weltanschau-

ung von Dr. J. Rutgers. Die Be-

kämpfung des Alterns von Dr.

Paul Kammerer. Der Prozeß-

der 'Giftmischerinnen von Karl Besser u.a.

Die Bedeutung der psycho- analytischen Methoden und Theorien für die praktische

Heilkunde XIJ4 von Dr. Bruno Saaler. Zweck und Liebe von Donisch. Be- trachtungen über das Liebes- leben von Ferd.Frhr.v Reitzen- stein. I. Internationale Tagung für Sexualreform aus sexual- wissenschaftlicher wissenschafflicher Grundlage. | Tanzwut. ____ !brechervonDr. Otto Goldmann,

Sexualvergehungen |Bilder aus der sexu-| Die Slavem XIN8 und Ahndungen vor 300 Jahren XIJ6

von Justizrat Dr. Rosenthal. Eheliche Rechte und Pflichten der Mohamedaner von Hans Fehlinger. Betrachtungen über das Liebesleben von Ferd. Frhr. v. Reitzenstein. I. Internationale Tagung für Sexualreform.

Ueber die grie- xıjıo chischen Hetären

von Dr. O. Kiefer. Pubertäts- drüse und Doppelgeschlechtig- keit. Über Rassen und Rassen- mischung in der Steinzeit Eu- ropas von Dr. med. K. Classen. „Sünde“, Sekretion und Suhne von Dr. Otto Goldmann usw.

=

in der Antike

X11[7, 8 von Dr. O.Kiefer. Die Frau im Leben der Grönländer von Dr. M. Heydrich. Menschen a. d. Eunuchen und Kastraten, von Dr. Berthold Frucht. Die Über- völkerungsfrage von Dr. med. J. Rutgers. Die Wünschelrute als physiologisches Problem

von Hedwig Winzer u.a.

Eros

Kulturkind und ihre

Gesundheit xııjıo von Prof.Dr. Külz. Über das Wesen des Umkleidungstriebes v. Dr. Lothar Goldmann. Über d Schamgefühl v.Prof. A. Witting. Pariser Prostitutionshäuser im

Weltkriege v. Dr. Vorberg.

Hemmungen und Störungen des Geschlechtslebens

xX11/9 von Hofrat Dr. J.Kratter. Kröte und Gebärmutter von Ferd. Frhr. v. Reitzenstein Über das Wesen des Umkleidungstriebes von Dr. Lothar Goldmann. Das Muttercoup®. Eine moderne

Tanzwut.

Bilder aus der sexu- ellen Ethnologie der

Hottentotten xıyıı von Dr. P. German. Über das Wesen des Umkleidungstriebes von Dr. Lothar Goldmann. Der heutige Stand des Neumalthu- sianismus von Prof. Dr. Roh- leder. Der Exhibitionist von Dr. Otto Goldmann.

Ueber das Wesen des Umkleidungs- triebes _xııı2

von Dr. Lothar Goldmann. Kröte und Gebärmutter von Ferd. Frhr. v. Reitzenstein.

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Südwest-Afrika xıls

von Kurt Falk. Bilder aus In- sulinde. Frauenleben auf Su- matra von H. Senn. Zur Psy- chogenese der Dirne von Dr. med. Hähnlein. Geschlecht und Gesellschaft in der Zeit der Menschwerdung von Dr. med. Hofschläger usw.

Mama, woher kom- men die Kinder? xi

von Dr.Mißriegler. Bilder aus Insulinde Ill von A. Senn. Die Bevölkerung Nordafrikas von Dr. Albr. Wirth. Vererbung und Alter von Prof. Dr. Paul Kammerer.

Die Bedeutung der psych-|_ Hemmungen | Die moderne Xlllß6 Syphilisbehandlung

von Dr. S. jJeßner. Neuere Forschungen über dieinnereSe- kretion und die Geschlechts- drüsen von Prof. Dr. Alex. Lipp- schütz. Wer soll Kinder auf- klären von Dr. med. Schwenn. Die Dirne in der neueren Lyrik von G. Jung. Der Sexualver- brecher von Dr. Otto Goldmann.

Die Slaven XIII/8

von Prof. Dr. F. Krauß. Sexu- alität im Zigeunerleben von Enuelbert Wittich. Das weib- liche Geschlecht und die Krimi- nalität von Dr. Frhr. v. Friesen. Zur Frage des Nackt- und Fa- milienbades auf dem Karls- ruher Bädertage von Walter Mang.

Sexualität x1119 im Zigeunerleben

von Engelbert Wittich. Die Salven von Prof. Dr. F. Krauß. Die Radiodiagnoskopie Bissky von Dr.Richard Rahner. Das Männerkindbett von Dr. H. Kunike.

Ueber die Wahrscheinlichkeit der polyphyletischen Ab- stammung des Menschen-Ge-

schlechts XI/7 von Prof. Dr. Hans Friedenthal. Das Sexualleben als Evolutions- faktor von Dr. J. Rutgers. Be- trachtungen über das Liebes- leben von Ferd. Frhr. v. Reitzen- stein. Der Neger und die weiße Frau.

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