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Über dieses Buch

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.

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ARCHIV FÜR: SEET RASSEN- UNDGE SELLSCHAFTS- BIOLOGIE

EINSCHLIESSLICH RASSEN- UND GESELLSCHAFTS-HYGIENE

ZEITSCHRIFT

FÜR DIE ERFORSCHUNG DES WESENS VON RASSE UND GESELLSCHAFT UND

IHRES GEGENSEITIGEN VERHALTNISSES, FÜR DIE BIOLOGISCHEN BEDINGUNGEN

IHRER ERHALTUNG UND ENTWICKLUNG, SOWIE FÜR DIE GRUNDLEGENDEN PROBLEME DER ENTWICKLUNGSLEHRE

WISSENSCHAFTLICHES ORGAN DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR RASSENHYGIENE

HERAUSGEGEBEN VON

DR. MED. A. PLOETZ IN VERBINDUNG MIT PROFESSOR DER HYGIENE DR.M. VON GRU- BER, MÜNCHEN, PROFESSOR DER RASSEN HYGIENE DR. F. LENZ, MÜNCHEN, DR. JUR.'A. NORDENHOLZ, ARGENTINIEN, PROFESSOR DER ZOOLOGIE DR.L. PLATE, JENA, UND PROFESSOR DER PSYCHIATRIE DR. E. RUDIN, BASEL.

SCHRIFTLEITUNG

DR. ALFRED PLOETZ UND PROF. DR. FRITZ LENZ HERRSCHING BEI MCNCHEN

17. BAND

Eden

J.F. LEHMANNS VERLAG/MUNCHEN

INHALTSVERZEICHNIN.

Erstes Heft.

Abhandlungen. Frey, Dr. med. Hans C. ei zur en en nee atrophica) .

Siemens, Dr. Hermann Werner (Privatdozent für Devindilogie in Miinchen). Ueber einen in der menschlichen Pathologie noch nicht beobachteten Ver- erbungsmodus: dominant-geschlechtsgebundene Vererbung

Ziesch, Dr. Hans (Dresden). Statistisch-genealogische Untersuchungen fiber die Ursachen der Rachitis, insbesondere ihre Erblichkeit .

W ulz, Dr. Gustav (Miinchen). Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen

Kleinere Mitteilungen. Koltzoff, Prof. Dr. N. K. (Moskau). Die rassenhygienische Bewegung in Rußland

Notizen.

Bevélkerungsbewegung in den Vereinigten Staaten 1910 bis 1920 (Lenz) Französische Sorgen (Scheidt) `, . .,

Kritische Besprechungen und Referate.

Plate, Ludwig. Allgemeine Zoologie und Abstammungslehre. 2.Teil. nn der Tiere (Prof. Dr. E. H. Ziegler, Stuttgart) . 2

Pictet, Arnold. Résultats négatifs d’experiences d’alcoolisme sur igs Gage -— Sur l'apparition de Cobayes anormaux dans les lignes non alcoolisées. 2. Ac- tion de vapeurs d’alcool éthylique sur le développement et la pigmentation des Lépidoptéres. Compte rendu de la société de physique et d'histoire naturelle de Genève (Dr. Agnes Bluhm, Berlin) . 2. a

Bauer, Julius. über a Konstitutions- und Vererbungslähre (Siemens)

Brugsch, Prof. Dr. Th. EE Prognostik (Lenz) Jörger, Dr. J. Psychiatrische Familiengeschichten (Lenz)

Müller, Dr. A. Bismarck, Nietzsche, Scheffel, Mörike. Der Einfluß nervöser ECH stände auf ihr Leben und Schaffen (Lenz)

Hamann, O. Biologie deutscher Dichter und Denker (Lenz)

Landwehr, O. Uebervölkertes Land. Eine em Studie über Gegenwart und Zukunft Europas (Lenz) ; :

Elster, Dr. jur. Alexander. Sozialbiologie (Bevölkerungswissenschaft ag Gesell- schaftshygiene). 8. Band des Handbuches der Wirtschafts- und Sozialwissen- schaften, herausgegeben von Adolf Giinther und Gerhard KeBler (Lenz)

Ausderrassenhygienischen Bewegung

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Inhaltsverzeichnis. SE ern:

Zweites Heft.

Abhandlungen.

Scheidt, Dr. Walter (Privatdozent für Anthropologie in Auen) u. Er- ` gebnisse: biologischer Familienerhebungen

v. Verschuer, Dr. Frhr. Otmar (Tübingen). Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale nach Untersuchungen an eineiigen Zwillingen

/ Paulsen, Dr. J. (Kiel-Ellerbek). Beobachtungen an eineiigen Zwillingen

Gschwendtner, L. Wirkt der moderne Sport rassenerhaltend und -er- tüchtigend?

Kleinere Mitteilungen.

Lenz, Prof. Dr. F. (München). Die große Begabtenforschung Termans Gutmann, Dr. M. J. (München). Zur Vererbung der Hammerzehe

Grotjahn, Prof. Dr. A., und EENS EE Zur RES der nn

` philishäufigkeit in Berlin ; Lenz, Prof. Dr. F. (München). Ueber die Häufigkeit der Syphilis i in Berlin

Kritische Besprechungen und Referate.

Passarge, Siegfr. Beobachtungen über Tier und Mensch (Scheidt) : Da }la Volta, A. La morfologia del padiglione dell’ orecchio nei gemelli (Scheidt)

Kronacher, Prof. Dr. Neuzeitliche ene eee und Tierzucht (A. Hink, Freiburg i. B.)

Kossinna, G. Die deutsche ne eine hervorragend daona Wissen- schaft (Scheidt)

Ebstein, Erich. Franz Joseph Gall im Kampf um seine Lehre a Grund un- bekannter Briefe von Bertuch usw. sowie im Urteile seiner an

Doz. Dr. H. W. Siemens, München) . . : x.

Kehrer, Prof. Dr. F., und Kretschmer, Prof. Dr. E. Die Veranlagung zu seelischen Störungen (Lenz) . .

Schmitt, W. Ist mit einer Schädigung der Nachkonmienschaft infolge einer vor der Befruchtung erfolgten EE der Mutter zu rechnen? (v. Verschuer)

Reid, R. W., und Mulligan, H. Communications from the EE Laboratory of the University of Aberdeen (Scheidt)

Pearson, K. Side Lights on the Evolution of Man (Scheidt)

Gierke, G. Die Tracht der Germanen in der vor- und [FREE SB chee Zeit, mit einen Anhange (Scheidt)

Jenness, D. Physical Characteristics of the Copper Eskimos (Scheidt) . Gameron, J. Osteology of the Western and Central Eskimos (Scheidt) .

A Survey of Race Relations onthe Pacific Coast (Scheidt) Ellis, Havelock. Moderne Gedanken über Liebe und Ehe (Fetscher, Dresden) Zeitschriftenschau Aus der rassenhygienischen Bewegung . ue Eingegangene Druckschriften EEGENEN Druckfehlerberichtigung . . . nn m nn ee

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Weseri d. H. Inhaltsverzeichnis.

Drittes Heft.

Abhandlungen.

Roch, Dr. med. Gotthold (prakt. Arzt in Grumbach b. Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung .

Fetscher, Dr. med. R. (Privat-Dozent für ie in Dresden). " Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern

Lenz, Prof. Dr. Fritz (München). Oswald Bees Hegn Ges Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie S. de e EE EEN

Kleinere Mitteilungen.

Paulsen, Dr. Jens (Kiel-Ellerbek). Der Untergang der Wikinger in Grönland

Bunak, Prof. V. V. (Moskau). Einige Daten über die Ge bei verschiedenen asiatischen Stämmen .

Weinberg, Dr. W. (Stuttgart). Weitere Fälle von Hämophilie in Württemberg Gutmann, Dr. M. J. (München). Zur Vererbung der Hämorrhoiden . Hanssen, Sanitétsrat Dr. (Kiel). Zur Erblichkeit der Retinitis pigmentosa .

Notizen. Eine Konferenz nordischer Rassenforscher (Dr. W. W. Krauß, Uppsala) Die sephardischen Juden (Gutmann, München) . Fünfter Internationaler Kongreß für Vererbungswissenschaft

Kritische Besprechungen und Referate.

Plate, Ludwig. Die Abstammungslehre (Dr. H. Duncker, Bremen) Iltis, Dr. Hugo. Gregor Johann Mendel (Dr. Agnes Bluhm, GroBlichterfelde)

Siemens, H. W. Die Zwillingspathologie, ihre Be ihre Methodik, ihre bisherigen Ergebnisse (Bluhm) .

Frets,G.P. Heredity of the Cephalic Index (Priv. ER Dr. w. Scheidt, Hamburg)

Frets, G. P. De beteekenis van het rn voor de mr. van den hoofd- index (Bluhm) er ;

Sullivan, L. R., und Helman M. The Punin EE (Scheidt)

Zavadovsky, M. Das Geschlecht und die ee seiner Merkmale E S. Weißenberg, Elisabethgrad) .

Zavadovsky, B. Das Problem des Alterns und de Verj iene im , Lichte der inneren Sekretion (Weißenberg) .

Handwörterbuch der E ME Herausgegeben von Max Marcuse (Fetscher)

Rohleder, Monographien über die Zone beim Menschen (Fetscher) .

Jeßner, S. Körperliche und seelische Liebe (Fetscher) . ;

Vaerting, M. Wahrheit und Irrtum in der Geschlechterpsychologie (Fetscher)

v. Hauff. Sexualpsychologisches im Alten Testament (Fetscher) . o A

Die russische rassenhygienische Literatur 1921 bis 1925. prot Dr. J. Philiptschenko, Leningrad

Aus der rassenhygienischen Bewegung

Eingegangene Druckschriften

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Inhaltsverzeichnis.

Viertes Heft.

Abhandlungen.

Fürst, Dr. Th. Oberstabsarzt a. D., und Lenz, Prof. Dr. Fr. (München). Ein Beitrag zur Frage der Fortpflanzung verschieden begabter Familien

Prokein, Franz, Medizinalpraktikant (München). Ueber die Eltern der schwach- sinnigen Hilfsschulkinder Münchens und ihre Fortpflanzung

Klein, W. und Osthoff, H. ee Rasse- und anthropologisch Merkmale

Kirchner, E., Studienrat EN Nietesches Lehren im "Lichte dér Rassenhygiene T a ce ae

Kleinere Mitteilungen.

Lenz, Prof. Dr. Fr. Erhalten die begabten Familien Kaliforniens ihren Bestand?

Lenz, Prof. Dr. Fr. Die Seen der GE im amerikanischen Heer

Wölfflin, Prof. E. (Basel). Ueber einen EN von Syndaktylie Meirowsky, Prof. (Köln a. Rh.). Kleinere Mitteilungen zur Erblichkeitslehre

Diskussionen und Erklärungen.

Duncker, Georg (Hamburg). Die Messung der Asymmetrie von Variationsreihen

Scheidt, Dr. Walter, Priv.-Doz. (Hamburg). Bemerkungen zu der vorstehenden Arbeit von G. Duncker: Die Messung der Asymmetrie von Variationsreihen

Lenz, Prof. Dr. Fr. Bemerkungen zu Dunckers Polemik

Kritische Besprechungen und Referate.

Correns, Carl. Gesammelte Abhandlungen zur a aus ji dischen Schriften 1899—1924 (Lenz) 1

Paudler, Dr. Fritz. Die hellfarbigen Rassen und ihre Sprachstämme, Kulturen und Urheimaten (Lenz) . :

Hemmes, Gerrit Diederik. Over hereditairen Nystagmus (Priv. Doz. Dr. H. w. Siemens, München) In

v.Behr-Pinnow, Dr. jur., Dr. med. h. c. . Die Zukunft der mensehllehen Rasse (Lenz) ;

Eleutheropulos, Prof. Dr. A Soziologie (Lenz)

Notizen.

Die Gesamtzahl der Juden auf der Erde (Dr. M. J. Gutmann, München) : Die Zahl der Juden in Kanada. 1871—1921 (Gutmann)

Von der richtigen Gattenwahl (Lenz)

Rassenfrage und Sozialismus (Lenz) . :

Ein zeitweiliges Alkoholverbot (L. Gschwerdiier, Linz) .

Aus der Gesellschaft für Rassenhygiene .

Zeitschriftenschau 3

Namenregister

Sachregister

353

360

371

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401 412 414

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441 443 443 444 447

448 448 468 473

Zeitschrift

ür die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft und ihres eer inter die biologischen

Herausgegeben von

‘Dr. med. A. PLOETZ in Verbindung mit Prof. d. Hygiene Dr. M. von GRUBER,

Prof. der Rassenhygiene Dr. F. LENZ, Dr. jur. AA NORDENHOLZ, Prof. der

Zoologie Dr. L. PLATE, Prof. der Psychiatrie Dr. E. RÜDIN und Professor der Ethnologie Dr. R. THURNWALD.

Sehriltleltungvon:

Dr. ALFRED PLOETZ und Prof. Dr. FRITZ LENZ in Herrsching bei München.

Jd. ERLEHMANNSVERLAG/MÜNCHEN

Ausgegeben im Juli 1925.

J.F.Lehmanns Verlag, Munchen, Paul Heyse-Straße 26 Archiv für Rassen- und Gesellschaits-Biologie

as Archiv wendet sich an alle, die den Fragen der Bevölkerungspolitik und der Volkserneuerung Interesse entgegenbringen, vor allem an diejenigen, in deren Hände die Schicksale unseres Volkes gelegt ‚sind, wie Lehrer, Politiker, Ärzte, Geistliche. Neben den Untersuchungen derallgemeinen Fragen der

Rassenbiologie (Vererbung, Auslese, Anpassung usw.), der Gesellschafts- `

biologie (soziale Auslese, Aufstieg und Verfall der Völker und Kulturen, biologische Grundlagen sozial bedeutender Einzelerscheinungen [Talent und Genie, Verbrecher- problem]) sowie der Rassenhygiene (Erforschung der günstigsten biologischen Erhaltungs- und Entwicklungsbedingungen der Rasse usw.) hat sich das Archiv das Ziel gesteckt, den durch den Krieg hervorgerufenen Gefahren so- wohl des Bevölkerungsrückganges als auch der Herabminde- rung der Güte des Nachwuchses entgegenzuarbeiten.

Der laufende Band umfaßt ca. 480 Seiten und erscheint in 4 Heften.

Preis eines jeden Heftes etwa Goldmark 6.—. Auslandspreis $ 1.50 / Dan. Kron. 7.— / sh. 6/6 / Holld. fl. 3.80 / Italien. Schweiz. Frk. 8.— / Jap. Yen 3.60 / Norw. Kron. 7.50 / Schwed. Kron. 5.50 / Schweiz. Frk. 8.— / Span. Peset. 10,50 / Originalbeiträge sowie Referate von Büchern, welche von der Schriftleitung geliefert werden, werden zur Zeit mit Gold- mark 56.—, andere Referate mit 80.—, Zeitschriftenschau mit Goldmark 160.— für den

16seitigen Druckbogen honoriert. Sonderabdrucke werden nur auf besonderen

Wunsch geliefert (zum Selbstkostenpreise). Beiträge werden nur nach vorheriger

Anfrage an Prof. Dr. Fritz Lenz, Herrsching bei München, erbeten. Besprechungsstücke bitten wir ebenfalls an die Schriftleitung zu senden.

INHALTSVERZEICHNIS:

Abhandlungen. Frey, Dr. med. Hans C. (Aarau), Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia

Seite

bayes. Sur l’apparition de Cobayes Seite

anormaux dans les lignes non alcooli-

sées. 2. Action de vapeurs d'alcool `

atrophica) . , 1 ethylique sur le développment et la Siemens,Dr. Hermann Worker (Privat- pigmentation des Lépidoptéres. Compte dozent für Dermatologie in München), rendu de la société de physique et Uber einen, in der menschlichen Patho- d'histoire naturelle de Genève (Dr. Er logie noch nicht beobachteten Ver- Bluhm, Berlin) , . 105 erbungsmodus: dominant-geschlechtsge- Bauer, Julius, Vorlesungen über allge- bundene Vererbung s 47 meine Konstitutions- und Vererbungs- Ziesch, Dr. Hans (Dresden), Statistisch- lehre (Siemens) . ee: y. genealogische Untersuchungen über die Brugsch, Prof. Dr. Th., Allgemeine Ursachen der Rachitis, insbesondere ihre Prognostik (Lenz) . . 108 Erblichkeit . . 61 | Jorger, Dr. J., Psychiatrische Familien- W ulz, Dr. Gustav (München), Ein Bei- geschichten (Lenz) . Er VER trag zur Statistik der Verwandtenehen 82 | Müller, Dr. A., Bismarck, Nietssche, Kleinere Mittellungen. Scheffel, Mörike. Der Einfluß nervöser Koltzoff, Prof. Dr. N. K. (Moskau), Zustände auf ihr Leben und Schaffen Die rassenhygienische Bewegung in Ruß- (Lenz) - 112 land RER 96 | Hamann, O,, Biologie deuischai Dich- renee ter und Denker (Lenz) . 113 Bevélkerungsbewegung in cee Vereinigten ` ` DE Su ET Land. an wg = ch (Lenz) 8 o Eine bevölkerungspolitische Studie über e $ > _ {| ~ Gegenwart und Zukunft Europas (Lenz) 114 Französische Sorgen (Scheidt) - 102 | Elster, Dr. jur. Alexander, Sozialbiologie Kritische Besprechungen und Referate. . (Bevölkerungswissenschaft und Gesell- Plate, Ludwig, Allgemeine Zoologie und schaftshygiene). 8. Band des Handbuches Abstammungslehre. 2. Teil: Sinnesorgane der Wirtschafts- und Sozialwissenschaf- der Tiere (Prof. Dr. E. H. Ziegler, Stutt- ten, herausgegeben von Adolf Giinther gart) . EEE DE: MCR: und Gerhard Kessler (Lenz) . 115 Pictet, Arnold, 1. Résultats négatifs Aus der rassenhygienischen d’experiences d’alcoolisme sur les Co- BEWeguns oce e x . 128

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Tafel I

2. Ida M. 2. Ida M.

8. Hans Jakob M. Vater von &. 4. Mathäus J.

Zu der Arbeit „Beitrag zur myotonischen Dystrophie* von Hans C. Frey.

Ardiio für Rassen= und Gesellschafts: Biologie. Mn Beilage zu Bd. 17. J.F. Lehmanns Verlag, München.

* Die Zahlen beziehen sich auf die Fallnummern der Kasuistik

Tafel II

Karl P

Sophie P...

WM a ee A

5 » pes » ei, y

Zu der Arbeit „Ueber einen in der menschlichen Pathologie noch nicht Beobachteten Verecbungs: modus: dominant» geschlechtsgebundene Vererbung“ von PrivatsDozent Dr. H. W. Siemens.

Archio für Rassens und Gesellschafts: Biologie. EN Beilage zu Bd. 17. J.F.Lehmanns Verlag, München.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica).

Von cand. med. Hans C. Frey aus Aarau (Schweiz).

Arbeit verfaBt mit Unterstiitzung der Julius Klausstiftung fiir Vererbungsforschung in Zürich.

(Bei der Redaktion am 11.Mai 1924 eingegangen.)

Inhalt: I. Einleitung III. Epikrise II. Kasuistik Stammbaume IV. Zusammenfassung

I. Einleitung.

Die myotonische Dystrophie wird heute der Gruppe der heredodegene- rativen Krankheiten zugerechnet. Sie wurde allmahlich von dem im Jahre 1886 zum erstenmal von Erb‘) genauer beschriebenen Morbus Thomsen der Myotonia congenita (Striimpell)?) als selbständiges Leiden abgegrenzt. Ä

Das Auftreten der myotonischen Symptome im vorgerückten Alter, kombiniert mit bestimmt lokalisierten Muskelatrophien und einer Reihe anderer dystrophischer Begleiterscheinungen, veranlaßten verschiedene Autoren, Thomsen-Fälle dieser Art als besondere nosologische Einheit auf- zufassen und als Krankheit sui generis (Hirschfeld)?) zu beschreiben. Die heute bald 200 Fälle (Greenfield)*) zählende Kasuistik wurde im Laufe der Jahre besonders durch deutsche (I), englische (II) und ameri- kanische (III) Autoren bereichert. Auch aus der französischen (IV), italie- nischen (A scenzi)*) und österreichischen (F uchs)*) Literatur sind ver- einzelte Fälle bekannt. Eine myotonische Dystrophie ist auch in Moskau beobachtet worden (Rossolimo)’), und ein ebenfalls hier zu nennender Fall ein Russe wird in der Kasuistik zweier amerikanischer Autoren (Kennedy and Oberndorf)?) beschrieben. Aus der Schweiz kennen wir erst die von Vogt in den Jahren 1921?) und 1922'°) publizierten Beob- achtungen.

I. 11—16, 19—24 und 33—44.

N. 4, 17, 32. II. 8, 18, 30, 31. IV. 28, 29.

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 1. 1

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Hans C. Frey:

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Dës Rrankbeitsbild der myotonischen Dystrophie ist heute in seinen Hauptzügen wohl hinreichend gezeichnet. Es stellt einen bunten, in seiner Genese bis jetzt noch unaufgeklärten Symptomenkomplex dar, der familiär auftritt und sich über mehrere Generationen eines Geschlechtes vererbt.

Das Bild ist kurz folgendes: Das Leiden beginnt im Gegensatz zur Myotonia congenita gewöhnlich im Alter von 20—40 Jahren (Grenzfälle: 10 (Hau ptmann)") und 55 Jahre (Rohrer)”) und führt durch Maras- mus oder eine interkurrente Krankheit frühzeitig zum Tode. Die ältesten bis jetzt bekannten Fälle erreichten ein Alter von 60 und 61 Jahren (V ogt)*). Myotonische Veränderungen sind meistens nur in den Unter- arm-Handmuskeln, der Zunge und in der Kau- und Schlundmuskulatur nachweisbar.. Die Patienten können gefaßte Gegenstände, beispielsweise Werkzeugstiele oder Korbhenkel, nicht sogleich loslassen; die Finger blei- ben krampfartig eingekrallt und können erst nach einer Weile wieder ausgestreckt werden (sog. Faustschluß). In der mit einem Perkussions- hammer beklopften Zunge entsteht eine 10—20 Sekunden lang stehen- bleibende Delle. Die Myotonie der Kau- und Schlundmuskulatur zusammen mit der der Zunge äußert sich in der langsamen, undeutlichen und breiigen Sprache sowie in Schluckstörungen. Atrophische Veränderungen treten nur in ganz bestimmten Muskelgruppen auf. Im Kopf-Halsgebiet werden besonders die Gesichts-, Kau-, Schlund- und Kehlkopfmuskulatur sowie die Kopfheber (Sternocleidomastoidei) befallen. Das Gesicht wird steif, mimiklos; es tritt die typische Facies myopathica auf. Harte Speisen können nicht mehr gebissen und gekaut werden. Die Sprache bekommt einen näselnden Beiklang, und die Stimme wird hoch, fistelnd. Die Schwäche der Kopfheber zeigt sich im Hängenlassen des Kopfes und in der Unmöglichkeit, denselben im Liegen zu heben. Schulter- und Becken- gürtel sowie Erector trunci und Oberschenkel werden seltener befallen. Dagegen atrophieren ebenfalls die kleinen Handmuskeln und der Musculus brachioradialis meistens. Die Patienten verlieren allmählich die Greif- kraft; das Melken beispielsweise, das Schubkarrenstoßen und ähnliche Manipulationen werden unmöglich. An der unteren Extremität schwinden besonders die Peronaeusgruppe und der Musculus tibialis anterior. Die Füße kommen in eine paretische Equino-Varusstellung, womit die Be- dingung zu dem typischen, stampfenden Steppergang gegeben ist.

Fibrilläre Zuckungen und Entartungsreaktion kommen in den myo- tonisch-dystrophisch veränderten Muskeln nicht vor.

Zu diesen myotonisch-dystrophischen Erscheinungen treten als ganz besonders charakteristisch hinzu: die praesenile Cataract (von besonderem Typus; Vogt), Hauptmann-Scily)"), Veränderungen des Integu- mentes: Haarausfall, besonders frühzeitige Stirnglatze, Glanzhaut, abnormes Nagelwachstum, eventuell trophische Geschwüre; ferner finden wir Stö- rungen in der Sexualsphäre, Erlöschen der Libido sexualis bei beiden Geschlechtern. Beim Manne Hodenatrophie mit Impotenz, beim Weibe Störungen der Menstruation, besonders frühe Menopause. Vermehrte Speichel-, Tränen- und Schweißsekretion gehören ebenfalls zum Vollbild dieser Krankheit. Negative Achilles- und Patellarreflexe sind ein häufiger

Bu Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 8

Befund. Weiter sind als Folge von Stoffwechselstérungen Skelettverände- rungen: Kyphosen, Skoliosen und Lordosen sowie Fettpolsterschwund mit allgemeiner Abmagerung beschrieben worden. Auch psychische Altera- tionen sind meistens vorhanden; die Manner sind leicht reizbar und mürrisch, die Frauen überempfindlich und von sehr labiler Stimmung. Fischer) beobachtete sogar eine echte Psychose.

Ptosis der Augenlider, Struma, Blutveränderungen, ausgesprochene Zahnkaries, auffallend niedriger Puls und das Auftreten des Chvostekschen Phänomens sowie des Rombergschen Phänomens sind Befunde, die nur in einzelnen Fällen beobachtet worden sind.

Pathologisch-anatomische Befunde über Veränderungen in den Mus- keln und im Zentralnervensystem liegen von Steinert), Heiden- hain-Rohrer") Greenfield*) und anderen vor. Wir übergehen sie in diesem Zusammenhange.

Was die Aetiologie betrifft, mache ich hier nur auf die heute von den meisten Autoren angeführte Annahme einer Störung der innersekre- torischen Organe (pluriglanduläre, innersekretorische Erkrankung, Nae- geli)'*) oder des autonomen Nervensystems (Sympathicusstörung, Scharnke und Full‘) aufmerksam.

Die Therapie ist eine symptomatische. Kataraktbehaftete Individuen lassen sich mit Erfolg operieren.

Zusammenfassend können wir sagen, daß von diesem Leiden befallene Individuen zu unbeholfenen und schwächlichen Menschen von elendem und stupidem Aussehen werden, die gewöhnlich nur noch untergeordnete, leichtere Arbeit verrichten können oder auch diese der Schwäche wegen später aufgeben müssen.

Dieser Symptomenkomplex der myotonischen Dystrophie tritt neben der soeben beschriebenen Form auch in unvollkommenen Typen auf. Wir treffen Fälle, bei denen die Katarakt oder der myatrophisch-myotonische Komplex als einziges Hauptsymptom vorhanden ist. Vollbilder und un- vollkommene Formen können in ein und derselben Familie zusammen mit gesunden Individuen vorkommen (vgl. Green field”) und unten die Stammbäume II und V). Diese noch wenig bekannten Grenzfälle sind theoretisch von besonderer Wichtigkeit.

In der Schweiz ist die myotonische Dystrophie, trotz ihrer relativen Häufigkeit, nur ganz wenigen Aerzten bekannt. Die ersten Fälle wurden 1921 von Prof. Vogt?) veröffentlicht, der unter seinen Starpatienten der Universitäts-Augenklinik in Basel verschiedene mit diesem Leiden behaftete Individuen entdeckte. 1922 erwähnt Prof. Vogt bereits Patienten aus 6 verschiedenen Familien?) Einen weiteren Hinweis für das Vorkommen dieser Krankheit in der Schweiz gibt uns eine amerikanische Publikation. Foster-Kennedy") beschrieb 1913 bei einem 46jährigen Schweizer einen typischen Fall von Myotonia atrophica mit Cataract.

Weitere Beobachtungen von myotonischen Dystrophien aus der Schweiz

konnten nicht in Erfahrung gebracht werden. 1*

4 Hans C. Frey:

Vorliegende Arbeit faßt kurz den derzeitigen Stand genealogischer Untersuchungen an 10 myotonisch-dystrophisch entarteten Geschlechtern zusammen. Verfasser möchte besonders zeigen, daß diese heredodegenerative Krankheit in der Schweiz relativ häufig ist, autochthon auftritt und wahr- scheinlich ubiquitär vorkommt.

In einer später folgenden Arbeit hoffen wir das übrige, hier nicht ver- öffentlichte Material nach Ablauf der noch ausstehenden Untersuchungen publizieren zu können und zugleich verschiedene in diesem Zusammen- hange nur andeutungsweise erwähnte Beobachtungen genauer anzuführen.

II. Kasuistik. Stammbäume.

1. Ernst A., 35 Jahre alt, gewesener Fabrikarbeiter von Egg, Kanton Zürich, wohnhaft in Eßlingen, Kanton Zürich.

a) Krankengeschichte der Augenklinik Zürich vom 21, Februar 1923.

Anamnesc: 1919 beiderseits Discision wegen Cat. pol. post. 1920 bds. Discision des Nachstars (zweimal).

1921 rechte Discision des Nachstars. Wurde entlassen mit Vis. bds. 6/6. Seit 3 Monaten ist die Sehschärfe am linken Auge geringer geworden. Er suchte deswegen die Poliklinik auf, wo man ihm Operation empfohlen hat.

Allgemeiner Status: Geistig reduziert. Urin: Eiweiß und Zucker negativ.

Augen: Rechts: Reizfrei, Cornea klar. V. k. tief. Pupille entrundet, zeigt einen RiB temporal, sonst Iris normal. Aphakie. In der Peripherie Reste der hintern Kapsel, im Zentrum große, schwarze Lücke. Fundus normal. Vis. + 9,0 = Cyl. + 2,0 : Axe 20° nasal 6/6.

Links: Reizfrei, Cornea klar, V. k. tief. Pupille entrundet, nach unten eine breite hintere Synechie. Dichte Nachstarmembran. Fundusreflex kaum zu sehen. Visus + 9,0, Fingerzählen in 2 m. Projektion prompt.

Krankengeschichte: 23. II. 1923: Discission oc. sin. 27. II.: Normaler Heilungsver- lauf. 28. II.: Im Zentrum große Lücke. Vis. + 9,0 = Cyl. + 1,0, 6/6. Entlassen.

Anmerkung: Anfangs Juni 1923 kam Pat. zwecks Nachstaroperation wiederum in die Augenklinik Ziirich. Prof. Vogt, der die myotonische Dystrophie von Basel her kennt, untersuchte zufälligerweise diesen Pat. persönlich und entdeckte bei ihm die charakteristischen Symptome des Steinertschen Symptomenkomplexes = myotonische Dystrophie. Pat. wurde nach der Nachstaroperation am 8. VI. 1923 auf die Medizinische Abteilung des Kantonsspilales Zürich transferiert.

b) Krankengeschichte der Medizinischen Abtcilung des Kantonsspitales Zürich vom 8 Juni 1923.

Anamnese: Vater starb an Gallenfieber, Mutter lebt noch und ist gesund. Ein Bruder starb zweijährig an Scharlach und Hirnhautentzündung, ein Bruder lebt, angeblich ge- sund, bis auf einmal Gelbfieber. Angeblich keine Kinderkrankheiten.

Mit 14 Jahren trat plötzlich starke Salivation auf (wie angeworfen, nach Angabe des Patienten), zugleich stellte sich allmählich die Sprachbehinderung ein, sonst keine Erscheinungen. Seit Pat. in die Seidenweberei ging (Fabrik Egg), litt er häufig an Husten, besonders im Winter hatte er häufige Erkältungen. 1914 oder 1915 wegen Nasenpolypen an der hicsigen otologischen Klinik operiert. 1918 Grippe mit einseitiger

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 5

Lungenentzündung (Fieber 40—41°), vollständig erholt. Januar 1919 unscharfer Sehen. Prof. Haab konstatierte Star. Operiert. Bis Ende März in der Augenklinik. Mit Brille gutes Sehen. Mai 1919 auch am linken Auge Staroperation (ohne Erfolg). Januar 1926 gelang die Operation links. 1921 Nachstar an beiden Augen wieder mit Erfolg operiert. September 1921 Sturz vom Velo. Mehrere Tage bewußtlos. Schädelfissur. Seitdem Sprachstörung und Salivation verschlimmert, ebenso die „Krämpfe“ in den Händen, deren Ursprung nicht angegeben werden kann (etliche Jahre). Potenz stark herabge- setzt. Juni 1923 Nachstaroperation links.

Status praesens: Mittelgroßer Mann in etwas reduziertem Ernährungszustand, sieht etwas beschränkt aus, maskenartiger Gesichtsausdruck, mit leichter Ptosis beider Augen- lider, halboffener Mund mit etwas herabhängenden Mundwinkeln und ziemlicher Sali- vation.

Kopf ist leicht nach vorne gebeugt, wird eigentümlich steif getragen. Die ganze Körperhaltung ist leicht vornübergebeugt, besonders die Lendenwirbelsäule steif (es fehlt die Lordose). Füße etwas nach auswärts gedreht, watschelnder, unsicherer Gang, Andeutung von Vorwärtsfallen bei jedem Schritt.

Kopf frei beweglich, doch erfolgt die Beugung des Kopfes nach vorne nur mit großer Mühe, ist er nach hinten gefallen, so kann ihn Pat. nicht mehr nach vorne bringen. Dabei läßt sich eine außerordentliche Schwäche der Sternocleidomastoidei sowie der kurzen vorderen Halsmuskeln konstatieren.

Augen: Bewegen sich frei nach allen Richtungen. Beim Blick nach rechts An- deutung von rechtsgerichtetem, feinschlagigem Nystagmus. Pupillen ungleich, rechte rund, linke entrundel, größer. Schwache Reaktion auf Licht und Akkommodation. Sclera leicht injiziert, weiß, ebenso die Konjunktiven etwas injiziert.

Nase: Verlegt, fast keine Nasenatmung. Schiefstand des Septums. Gehör o B.

Mund: Stets halboffen wegen der Mundatmung. Mundwinkel nach abwärts ver- zogen, etwas Speichelfluß. Zunge feucht, leicht weiß belegt. Tonsillen o. B. Rachen leicht gerötet.

Hals: Schmal, lang, wenig muskulös. Schilddrüse knotig vergrößert, besonders rechts ein weicher, kleinapfelgroßer Knoten zu fühlen, beim Schlucken leicht verschieblich. Keine Drüsen, keine Narben. Schildknorpel steht etwas schief, ist von der Struma nach links verdrängt.

Thorax: Schmal und flach, doch symmetrisch. Atmung regelmäßig, beiderseits gleich, kostoabdominal. Lungen o. B., bis auf rauhes Atmen über beiden Spitzen. Herz nicht verbreitert. Töne rein. 2. Pulmonalton deutlich akzentuiert. Aktion unregelmäßig, lang- sam, mit vereinzelten Extrasystolen.

Abdomen: Weich, flach, nirgends druckempfindlich. Leber und Milz nicht vergrößert.

Geschlechtsorgane: Linker Hoden klein, derb, rechter pflaumengroß, weich. Penis o. B., nicht verkümmert. Scham-, Brust- und Achselhaare reichlich. Männlicher Be- haarungstypus.

Muskulatur: Vordere Halsmuskeln und Erector trunci deutlich atrophisch, Unver- mögen, den nach hinten gefallenen Kopf nach vorn zu beugen. Das Aufrichten im Bett gelingt nur mühsam und nur mit Unterstützung der Arme. Die übrige Muskulatur ist eher hypertonisch, doch nirgends hypertrophisch. Keine abnorme Rigidität, keine Adiadochokinesis. Biegen und Strecken der Arme in rascher Folge gelingt gut. Bei den Beinen sind die betreffenden Bewegungen etwas verzögert. Dagegen vermag Pat. den Handschluß nur langsam und zögernd, anscheinend mit größter Mühe zu lösen. Beim Beklopfen der Tenarmuskulatur, auch des Bizeps, tritt ein träger, aber sehr starker Kontraktionswulst auf, der etwa 10 Sekunden stehenbleibt und nur allmählich ver- schwindet. Aehnliche Muskelwülste sind an allen Muskeln mehr oder weniger aus- gesprochen hervorzurufen.

6 Hans C. Frey:

Reflexe: Beiderseits starker Chvostek (II). Bauchdecken [oben und unten] bds. +. Cremaster bds. +. Patellar bds. +. Achillessehnen bds. +. Kein Babinski oder andere pathologische Reflexe. Fußsohlenreflex lebhaft.

Decursus morbi, 8. VI.: Aufnahme, Bettruhe, Beobachtung.

9. VI.: Pat. wird von einem sehr quälenden, bellenden, rauhen Husten befallen, der seinen Sitz mehr in der Trachea zu haben scheint und nur schwer auf Codein reagiert. Der Gang des Pat. ist, abgesehen vom Wackeln und dem Vornüberfallen, nicht besonders verändert. Insbesondere kann er sich sofort aus Ruhelage in Gang setzen, auch das Anhalten geschieht vollkommen normal.

12. VI. Elektrische Prüfung: Sternocleidomastoideus: K.S.Z. 6 Milliamp. (direkt), A. S. Z. 7 Milliamp, Keine sicheren Ermüdungszeichen, insbesondere keine Mya-Reak- tion. Adductor pollicis brevis rechts: direkte Reizung: K.S.Z. 2,8 Milliamp., A.S.Z. 3,2 Milliamp. Träge und andauernde Zuckung. Reizung vom Medianus aus in der Regio cubiti: K.S.Z. 2,4 Milliamp., A.S.Z. 3,0 Milliamp. Blitzartige Zuckung.

Biceps brachii: rechts: direkte Reizung: K. S. Z. 1,8 Milliamp., A. S. Z. 2,4 Milliamp., träge Zuckung. Reizung vom Nervenpunkt in der vorderen Axillargrube aus: K.S.Z. 1,4 Milliamp., A S. Z. 1,8 Milliamp., blitzartige Zuckung.

14. VI.: Magenaushebung: 95 ccm, davon 20 fest. Freie HCl 39, gebundene HCl 5. Gesamtazidität 61. Pepsin (nach Mett) in 24 Stunden: I. 27,5 mm. II. 26,0 mm. III. 27,0 mm. IV. 26,2 mm.

Duodenalsondierung: I. 25 ccm in 10 Minuten. Gelbe Galle. Bilirubin 100 mg. Trypsin 1,0 0,1 (De verdünnt). Diastase 1,0—0,1 +.

II. Nach MgSO,: dunkelgelbe, zähe Galle, 51 ccm in 10 Minuten. Bilirubin 150 mg. Trypsin 1,0—0,1 negativ. Diastase 1,0—0,1 +.

III. Nach Witte-Pepton: dunkelgelbe Galle, 22 ccm in 10 Minuten. Bilirubin 200 mg. Trypsin 1,0—0,25 +, 0,1 —. Diastase 1,0—0,25 +, 0,1 —.

16. VI. Blutstatus: Erythrozyten 5,480,000, Leukozyten 9250. Blutserum: Farbe hellgelb, Viskosität 1,60, Refraktion 53,1, Eiweißgehalt 6,8 %, Globulingehalt 35 %. Differenzierung: Neutrophile 68 %, Eosinophile 2 %, Basophile 1,3 %, Monozyten 5,3 %, Lymphozyten 23,4 %. Blutplättchen reichlich, Farbbarkeit o B. Polychromasie 0. Baso- phile Punktierung 0. Neutrophile gut segmentiert, keine pathologischen Zeichen. Mono- zyten gut gelappt. Lymphozyten klein.

26. VI.: Puls morgens stark verlangsamt. Atmung unregelmäßig. Elektrokardio- gramm gibt Vorhofflattern.

29. VI.: Wasserversuch zeigt gute Ausscheidung bei starker Hydrämie.

2. VII.: Gegen die starke Salivation werden versuchsweise zweimal 0,5 mg Atropin gegeben. Zur Verflüssigung des zähen Sputums dreimal 0,5 g Kali jod. f

8. VII.: Kleine Besserung der Salivation. Der Husten ist unter Kali jod. etwas milder geworden. |

28. VII.: In unverändertem Zustand entlassen.

Ergänzungen aus den Beilagen der Krankengeschichte: Temperatur schwankt zwi- schen 36 und 36,8°, mit einigen Anstiegen auf 37° und vereinzelten Remissionen unter 36°. Puls durchschnittlich 70. Respiration durchschnittlich 22.

Urin: Tagesmenge durchschnittlich 700—800. Spez. Gewicht durchschnittlich 1015. Fiweiß, Zucker, Blut, Indikan, Urobilin, Urobilinogen, Hay, Diazo alle negativ.

Körpergewicht: Eintritt 59,5 kg, Entlassung 60,7 kg.

Blut: Hbg. 77/90. Blutdruck 12 Messungen mit Schwankungen zwischen 85 und 110 mm Hg. Pirquet negativ.

Durchleuchtungsbefund des Röntgeninstitutes am Kantonsspital Zürich vom 16. VII. 1923: Seitliche Schädelaufnahme zeigt normale Schädelform, normale Schädeldicke. Sella o B. Keine Zeichen von Hirndrucksteigerung.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 7.

Lokalbefund der otolaryngologischen Abteilung des Kantonsspitales Zürich: Die Mundwinkel sind immer feucht infolge ausfließenden Speichels. Lippenschluß nur mit geringer Kraft möglich, leicht überwindbar, ebenso das Aufblasen der Wangen. Alveolar- fortsätze beiderseits etwas aufgetrieben. Dentition etwas unregelmäßig. Gaumen hoch. Zunge wird gerade herausgestreckt, ohne fibrilläre Zuckungen und Atrophie der Mus- kulatur. Beim Würgreflex erfolgt die Hebung des weichen Gaumens symmetrisch, aber der Abschluß nach dem Nasenrachenraum ist nur mangelhaft. Rachenreflex deutlich herabgesetzt. Sinus piriformes enthalten, wie übrigens die ganze Mundhöhle, reichlich Speichel. Larynx anatomisch o. B., nur verläuft die Rima etwas schräg von links hinten nach rechts vorne. Stimmbandbewegung symmetrisch, aber der Stimmritzenschluß scheint nicht sehr kräftig; jedenfalls ist beim Husten nur ein schwacher Stimmritzen- schluß vorhanden. Muskelatrophien nicht deutlich nachweisbar. Die Sprache ist etwas schmierend, undeutlich, die Stimme selbst normal. (Als Grund des undeutlichen Spre- chens sind neben den Muskelstörungen auch die Defekte der Zähne verantwortlich zu machen.)

Wassermann negativ.

Diagnose: Myotonia atrophica.

c) Krankengeschichte der Medizin. Abteilung des Kantons- spitals Zürich vom 22. Oktober 1923.

Myotonia atrophica.

Zusammenfassung: Vgl. Krankengeschichte 8. VI. 1923, ausführlicher Status. Pat.

kommt zu Demonstrationszwecken für kurze Zeit auf die Klinik. Keine Aenderung `

gegen früher, nur daß der Reizhusten merkwürdig rasch zurückgeht.

Anamnese: Vgl. Krankengeschichte vom 8. VI. bis 28. VII. 1923: Nach der Ent- lassung blieb der Zustand ganz unverändert, auch die Salivation und der Husten blieben sich gleich, trotz der mitgegebenen Medikamente (Tinct. Bell. und K. J.). Erst einige Tage vor Wiedereinberufung ins Spital soll der Husten etwas zugenommen haben. Als einzige Aenderung ist zu erwähnen, daß die Potenz angeblich stark zugenommen habe. Pat. wird auf den 23. X. 1923 ins Spital aufgeboten.

Status praesens: Absolut nicht verändert gegenüber dem Status vom VI. 1923, insbesondere besteht die gleiche Schwäche des Erector trunci sowie das mühsame Auf- richten aus sitzender Stellung. Augen unverändert. Pupillen nicht reagierend. Rauhe Stimme, bellender Husten.

Muskelphänomene: Erschwerte Oeffnung der geschlossenen Faust, bei Wiederholung besser. Träger Muskelwulst beim Beklopfen des Bizeps, Thenars oder Zunge; alles wie früher ausführlich beschrieben. Nur der Auskultationsbefund auf der Lunge zeigt inso- fern eine Aenderung, als heute auch über den Spitzen das Atemgeräusch rein vesikulär ist. Die Herzaktion bleibt gleich unregelmäßig wie früher. Das Elektrokardiogramm zeigt dasselbe Vorhofflattern. Reflexe o. B.

Decursus morbi: 22 X. 1923 Aufnahme, Bettruhe, Beobachtung. Tinct. Bell. und Codein. 24. X. Husten nimmt etwas ab, ebenso deutlich die Salivation.

28. X. Husten hat sich weiter vermindert. Dabei nahm Pat. zu Hause die gleiche Medizin ohne Erfolg.

1. XI. Husten stark gebessert. Allgemeinstatus o B. Ptyalismus kaum mehr vor- handen.

9. XI. Status idem.

13. XI. Nach Hause entlassen.

8 Hans C. Frey:

d) Genealogische Untersuchungen. Der Stammbaum I wurde nach Angaben des Patienten und seiner An- gehörigen sowie an Hand der Bürgerregister und Kirchenbücher von Egg, Esslingen und Stadel (beide im Kanton Zürich) zusammengestellt:

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Stammbanm 1.

Erklärung: Generation 1V Nr. 1, G. A. 40 Jahre alt, Kaufmann, sozial gut gestellt, unterhält seinen arbeitslosen, kranken Bruder und seine 60jährige Mutter. Starker Kurzsichtigkeit wegen militärfrei, sonst sehr gesund; ist verheiratet und hat ein ebenfalls gesundes, 13jähriges Mädchen.

Anm.: Prof. Vogt hatte die Freundlichkeit, diesen Fall auf Cataract genau zu untersuchen. Die Befunde waren in dieser Beziehung beiderseits negativ.

Gen. IV 2, ist obengenannter Patient, Ernst A. Er lebt zur Zeit bei seiner Mutter in Egg, besorgt kleinere Hausgeschäfte und hilft etwas in der Land- wirtschaft. Seiner Krankheit wegen kann er nicht mehr in der Fabrik arbeiten. Er muß von seinem Bruder unterhalten werden.

3, starb 2 Jahre alt an Hirnhautentzündung,

4, war eine Fehlgeburt. Weitere Tot-, Fehl- oder Frühgeburten sind nicht vorgekommen.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 9

Gen. III 1, Mutter des Patienten, R. K. zählt 65 Jahre und ist gesund, war das jüngste von 5 Kindern. 2 derselben starben kurz nach der Geburt, 2 andere verheirateten sich und haben beide gesunde Kinder. In der L bis V. Generation dieses mütterlichen Geschlechtes konnte außer einer hohen

Mortalität im frühen Kindesalter nichts von myotonischer Dystrophie ge- funden werden.

3, Vater unseres Patienten, sowie 3 im frühesten Kindesalter gestorbene Geschwister desselben waren uneheliche Kinder der A. A. Die 3 letzten stammen von einem deutschen Deserteur aus Reichenbach bei Freiburg im Breisgau. Derselbe lebte seit den 60er Jahren mit obiger A. A. zusammen; konnte sie aber nicht heiraten wegen fehlender Papiere (Angaben einer ent- fernten Verwandten). Nr. 3 wurde mit 40 Jahren beiderseits staroperiert. Die Krankengeschichte der Augenklinik Zürich vom 27. II. 1901 lautet: G. A., Dachdecker, von Esslingen.

Patient habe früher nie an Augenkrankheiten gelitten, habe stets gut gesehen. Keine Cataract in der Familie. Bei der Rekrutierung beiderseits S. = 1. Seit zirka einem Jahr begann die Sehschärfe beider Augen langsam abzunehmen. Mit 14 Jahren machte Pat. Lungen- und Brustfellentzündung durch; 1883 und 1885 Recidive dieser Entzündungen. Seit dem letzten Jahr rechtsseitiger Leistenbruch, sonst sei Pat. gesund gewesen. Er hätte immer etwas Auswurf gehabt, aber ohne weitere Beschwerden.

Status: Mittelgroßer, etwas magerer Mann, von gelblicher GesicHtsfarbe. Lungen- und Herzbefund normal. Urin ohne Eiweiß, ohne Zucker.

Beide Augen sind äußerlich normal, beiderseits leichte Blepharitis squamosa. Tränen- kanal bds. gut durchgängig. Bds. vordere Ciliargefäße gut gefüllt. Bds. Cornea klar und spiegelnd, nur eine kleine Fremdkörpermakula rechts nasal oben im Pupillarbereich. Bds. V. k. normal. Iris normal. Pupillen mittelweit, reagieren gut. Bds. kleine Trü- bungen der vordern Linsenschichten am vordern Pol und ausgebreitete Cataracta corli- calis posterior, rechts mehr als links (rechts mehr in Form einer Schale, am wenigsten temporal unten; links mehr in Form eines Sternes. Beim Durchleuchten gleicht die Trübung bds. einem Spinnengewebe). Im übrigen sind beide Linsen braun getrübt. Glaskörper klar. Fundus, Papille und Makulagegend, soviel man sehen kann, normal. Vis. rechts 3/36 + 1,0 (3/18), links (3/24) (—1,0, 3/24). Tonus bds. normal. Projektion bds. gut.

2. III. Primäre Discision der rechten Linse mit zwei Nadeln.

11. III. Die Quellung der Linse macht sehr langsame Fortschritte. T. stets normal.

12. 111. T. etwas vermindert. Ord. 1 Atrop. + 1 Cocain.

20. III. Seit 4 Tagen wurde das rechte Auge vorsichtig massiert. Es traten nie Schmerzen noch Rötung auf. Die Resorption und Quellung scheinen kaum Fortschritte zu machen, T. stets normal, bei täglich 1 Tropfen Atropin + 1 Tropfen Cocain. Einst- weilen Entlassung mit Atropinsalbe jeden 2. Tag.

7. XII. Wiedereintritt des Pat. Discision oc. dext. mit 2 Nadeln.

14. XII. Entlassen.

III. 1: Frau des Patienten gibt über ihren verstorbenen Mann folgende Auskunft: Vater habe als Knabe und später noch ein paarmal Lungen- entzündung durchgemacht, habe immer Auswurf gehabt, sei sehr mager gewesen. Die Leute hätten immer gesagt, man sehe ihm ja den Tod jetzt

10 Hans C. Frey:

schon an. Er soll bloß „Haut über Knochen“ gehabt haben. Habe undeut- lich gesprochen. Mit 40 Jahren, nach Fall von einem Dache, soll Steifigkeit in den Armen und Händen aufgetreten sein. Vater sei sehr ungeschickt geworden. Gefaßte Gegenstände Löffel beispielsweise hätte er beim Essen nicht sogleich loslassen können. Die Steifigkeit war besonders in der rechten Hand. In späteren Jahren gab er die Arbeit auf, sie soll ihm zu mühsam geworden sein. Starb 1912, 52jährig, konnte das Wasser nicht mehr lösen.

Gen. II 4, war das zweitälteste von 14 Kindern, soll gute Augen und gute Gesundheit gehabt haben, starb 74jährig an Wassersucht. Die Eltern dieser 14 Geschwister starben alt, der Vater mit 77 Jahren an Wassersucht, die Mutter, die etwas schwermütig war, mit 76 Jahren ebenfalls an Wassersucht.

Ihre Nachkommen wurden durch vier Generationen hindurch verfolgt. Außer Tuberkulose und einigen Fällen von.Geisteskrankheit konnten keine weiteren Krankheiten gefunden werden.

5, lebte in den 60er und 70er Jahren mit A. A. (II 4) in Uster. Angaben über seine Gesundheit konnten nicht eruiert werden. Seine Herkunft aus Reichenbach im Br. bezeugt eine Eintragung in die Bürgerregister des Zivilstandsamtes Egg; auf dem Registerblatt der Familie A. steht (da- selbst kopiert): „Tochter Anna A. gebar unehelich: Gottlieb, nat. 1860, 25. Dez., Bat. 1861, Januar 13. ex par. Gottlieb Sch. von Reichenbach O.-A. Emmendingen, Baden.“ Trotz fehlender weiterer Angaben über G. Sch. muß per exclusionem angenommen werden, daß die myotonische Dystro- phie durch diesen in den 60er Jahren von Süddeutschland in das Schweizer Geschlecht A. eingeschleppt worden ist. Diese Feststellung bestätigt auch die Annahme von Prof. Naegeli, daß der oben beschriebene Fall Ernst A. wahrscheinlich mit den württembergischen Myotonikerfamilien in Zusam- menhang stehe. Durch zuvorkommende Vermittlung von Herrn Prof. Naegeli schrieb Verfasser deswegen an Prof. Fleischer in Erlangen, der in Süddeutschland verschiedene solche Geschlechter genealogisch unter- sucht hat. In einem Schreiben vom 21. Juli 1923 teilt Prof. Fleischer fol- gendes mit: „Ein Name Sch. ist mir aus meinen Fällen von myotonischer Atrophie nicht bekannt. Natürlich ist ein Zusammenhang mit meinen Fällen aus der Gegend von Nagold sehr wohl möglich, da Auswanderungen von dem Schwarzwald in den Breisgau häufig sind. Möglich sind auch Zusammenhänge mit den Fällen, die Prof. Vogt in Basel gesehen hat.”

Zusammenfassend stellen wir fest: Die myotonische Dystrophie tritt nur in einem einzigen Zweig des großen Geschlechtes A. auf und in diesem konnten wir in zwei aufeinanderfolgenden Generationen nur je ein befallenes männliches Individuum nachweisen. Ferner fanden wir, daß die Krankheit in den 60er Jahren durch einen süddeutschen Auswanderer in die Schweiz eingeschleppt worden ist.

2. Ida M., 43 Jahre alt, Fabrikarbeiterin von und in Muhen, Kanton Aargau.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). il

Krankengeschichte vom 19. Juli 1923 (erganzt am 13. Januar 1924).

Familienanamnese: Vater starb mit 58 Jahren an Auszehrung, war Landwirt von Beruf. Soll mittelgro8 und in jiingern Jahren kraftig und gesund gewesen sein. Trug im Alter eine Brille. Hatte 14 Geschwister, wovon 6 bei der Geburt oder im frühen Kindesalter starben. Ein Bruder wurde beiderseits mit zirka 50 Jahren von Professor Horner in Zürich staroperiert. Der Vater dieser 15 Kinder starb 83jährig, war Schuhmacher von Beruf, er soll gute Augen gehabt haben. Seine Frau, ein Waisenkind aus dem Kanton Bern, wurde 85 Jahre alt und war nach Aussage der Angehörigen die Gesundheit selber.

Mutter lebt noch, ist 75 Jahre alt, geht ganz vornübergebeugt einher, sieht aber sonst gesund aus. Ihre Mutter starb mit 27 Jahren an Auszehrung. Der Vater wurde 83 Jahre alt und war stets gesund.

Ein älterer Bruder der Patientin leidet an derselben Krankheit wie diese. Er wurde 1921 von Prof. Vogt in der Augenklinik Basel als dystrophischer Myotoniker erkannt. Eine 42 Jahre alte, am Kindbett gestorbene Schwester hatte allen Angaben nach auch an derselben Krankheit gelitten. Ein jüngerer Bruder nahm sich mit 36 Jahren das Leben. Er war Knecht, soll gesund und fest gewesen sein. Zwei weitere Geschwister sind gesund und haben gesunde Kinder. Patientin selber ist ledig. Ueber das weitere Vorkommen der myotonischen Dystrophie in diesem Geschlecht siehe Stammbaum II.

Persönliche Anamnese: Pat. wurde 5 Wochen zu früh geboren, war stets etwas schwächlich und in der Entwicklung zurück. Hatte mit 2 Jahren „Knochenweiche“, konnte erst mit 4 Jahren gehen. Mit 6 oder 7 Jahren bemerkte Patientin, daß sie gefaßte Korbhenkel oder Zubergriffe nicht sogleich wieder loslassen konnte. Diese Steifigkeit in den Fingern bestehe heute noch, habe sogar zugenommen. Als Kind ein- mal Ohrenfluß gehabt, mit 14 Jahren Diphterie, zur Schulzeit mehrmals an Lungen- entzündung erkrankt. 1918 Grippe, im Anschluß daran Lungenentzündung. 1920 Reci- dive dieser Entzündung. 1922 wieder starker Ohrenfluß, ohne vorhergehende Erkrankung, deswegen längere Zeit in ärztlicher Behandlung. Vom 17. bis 26. Altersjahr als Spulerin in einer Weberei. Mit 26 Jahren wegen Abnahme der Sehkraft gröbere Arbeit gesucht. 1906 in Bürstenfabrik übergetreten, wo Pat. heute noch arbeitet. Mit 30 Jahren soll ` sich die Steifigkeit in den Fingern verschlimmert haben. Auch werden seit dieser Zeit bei geringster Kälte die Hände ganz weiß, gefühllos und besonders unbeweglich. Das ` Handöffnen geht nur langsam. Seit einigen Jahren habe Pat. Mühe beim Sprechen. besonders früh morgens, aber auch sonst nach längerem Schweigen. Ebenfalls könne sie bei kaltem Wetter im Anfang nicht so schnell und deutlich sprechen. Zu dieser Zeit traten nach anstrengender Arbeit Kreuzschmerzen auf. Ums Jahr 1910 wegen weiterer Abnahme der Sehkraft den Augenarzt aufgesucht. Verordnete ihr eine Brille, die Pat. heute noch trägt. Seit einer vor 2 Jahren durchgemachten Lungenentzündung starken Speichelfluß und Ueberlaufen der Augen. Pat. will viel schwitzen, besonders des Nachts, aber auch sonst bei jeder mühsamen Arbeit oder bei Aufregungen. Leidet viel an Husten und Schnupfen. Vor 2 Jahren stellten sich ebenfalls Schluckstörungen ein. Beim Trinken von Flüssigkeiten verschluckt sich Pat. oft. Das Getrunkene kommt jeweils die Nase herunter. Harte Speisen können nicht mehr gebissen werden, die Kaumuskulatur sei zu schwach, auch verspüre Pat. darin Schmerzen, und es sollen sich hin und wieder in diesen Muskeln Krämpfe einstellen. Das Gehen sei besonders in der Dämmerung erschwert. In den Oberschenkeln ab und zu Krämpfe.

Im Laufe der Untersuchung werden alle Bewegungen, auch die Sprache gelöster, das Handöffnen geht jetzt nach 5- bis 6maliger Wiederholung fast mit normaler Ge- schwindigkeit vor sich.

12 Hans C. Frey:

Menarche mit 17 Jahren. Menses immer regelmäßig und ohne Beschwerden, außer in letzter Zeit leichtere Störungen, Dauer derselben 4—5 Tage, statt wie früher 3—4, auch hin und wieder in ungleichen Zeitintervallen. Geschlechtliche Bedürfnisse werden verneint; die Libido sexualis scheint erloschen zu sein.

Status praesens: Pat. ist klein, in sehr reduziertem Ernährungszustand. Sieht elend und schwächlich aus und macht den Eindruck eines hilflosen, verschupften Wesens. Größe 153 cm. Gewicht 42 kg. Das Gesicht ist mimiklos, maskenartig, mit halboffenem Mund und tränenden Augen. Alle Bewegungen der Patientin sind unbeholfen. Die Steife und Ungeschicklichkeit der Hände fallen besonders auf. Dieselben erschweren der Pat. das An- und Auskleiden sehr. Knöpfe und Schuhriemen werden nur unter größter Anstrengung mit steifen, gekrallien Fingern oft erst nach mehrmaligen Versuchen geöffnet. Die Körperhaltung ist im Stehen und Gehen stets etwas vornübergebeugt. Der Kopf sitzt steif, auf den Boden starrend, einem dünnen Halse auf. Die Füße sind leicht einwärts gedreht.

Die Haut ist im allgemeinen etwas welk, altrophisch und von gelblicher Farbe. Ueber dem Nasenrücken ist sie gespannt und glänzend. Besondere Pigmentierungen, Exantheme oder Erytheme sind nicht vorhanden.

Pat. gibt auf alle Fragen relativ prompt und klar Auskunft. Das Gedächtnis ist verhältnismäßig gut. Die Intelligenz ist ihrem Berufe entsprechend eine mittlere und steht im Gegensatz mit dem beschränkten Aussehen der Patientin. Die Untersuchte ist psychisch sehr labil, weint leicht, will bei Aufregungen immer Fieber bekommen. Die Sprache ist undeutlich, schmierend, die Stimme hoch, eintönig, blechern. Dritte reitende Artilleriebrigade wird etwas gedehnt und unter Verwischung der R gesprochen.

Kopf: klein, spitzes, mageres Gesicht. Deutliche Atrophie des Temporalis und der Facialismuskulatur. Masseter als ein breites, dünnes Band fühlbar. Grobe Kraft gering. Pat. kann weder Aepfel noch hartes Brot beißen.

Haare spärlich. Augen tiefliegend, beiderseits Ptosis der Augenlider. Augen können nicht ganz geschlossen werden. Pat. macht beim Schließen derselben angestrengte Grimassen. Ohren o B. Stirnrunzeln und Pfeifen unmöglich. Mund stets offen, Unter- lippe hängt schlaff herab. Oberlippe kaum konfiguriert. Orbicularis oris scheint eben- falls stark atrophisch.

Augen: Pat. trägt Brille, Bikonkavgläser. Augen tränen beständig, die Lider ent- zündlich gerötet. Die von bloßem Auge sichtbaren Medien klar. Pupillen beiderseits schwarz, reagieren auf Lichteinfall und Konvergenz etwas träge. Finger auf 2 m Ent- fernung gut erkennbar, auf 4 m Visus rechts vermindert.

Ophthalmoskopischer Befund vom 18.1. 1924 (bei Gelegenheit einer Demonstration der Patientin in der Züricher Aerztegesellschaft vom Verfasser aufgenommen): Rechts: Pupille erweitert, zirka 8 mm Augenhintergrund o. B. An der Linsenperipherie keil- förmige Randtrübungen (Coronacataract). Mit Spaltlampe am hinteren Linsenpol feine, radiär angeordnete, strahlige Trübungen sichtbar. In der vorderen und hinteren Linsen- kapsel vereinzelte grün und gelb aufleuchtende Kriställchen. Die peripheren, sektoren- förmigen Trübungen bestehen aus dickflockigem Material. Kein weißer Staub im übrigen.

Links: Pupille nicht erweitert. Augenhintergrund o. B. Mit Augenspiegel keine Trübungen nachweisbar.

Ohren: Form o. B. Flüsterstimme auf 6 m beiderseits nicht hörbar. Spiegelbefund: Gehörgänge auf beiden Seiten mit eingetrocknetem Sekret belegt. Trommelfell links und rechts gerötete, höckerige Oberfläche. An der Peripherie wenig weißes, dünnflüssiges Sekret. Perforationen können nicht gefunden werden. Rechts gibt Pat. beim Einführen des Ohrtrichters Schmerzen an. Ohrmuschel und Processus mastoideus trotzdem beider- seits nicht druckempfindlich.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 13

Zähne: nur noch 10 vorhanden, alle kariös. Zunge: weicht beim Herausstrecken nach links ab, ist belegt. Beim Beklopfen mit dem Perkussionshammer entsteht eine 20 Sekunden lang stehenbleibende Delle.

Der harte Gaumen ist hoch und spitzbogenförmig. Das Gaumensegel scheint etwas atrophisch und ist schlecht beweglich. Der Pharynx ist sehr geräumig. Die Muskulatur erscheint schlaff. Die hintere Pharynxwand ist weiß, nicht rotfleischig, wie gewöhnlich. Mund- und Rachenschleimhaut frischrot. Ganzes Cavum oris mit Speichel belegt. Beim Sprechen starke Salivation, die, wie oben schon erwähnt, die Sprache undeutlich macht.

Hals schmal, von matscher Konsistenz, straffe Muskelresistenz fehlt. Thyreoidea kleinfaustgroß. Beide Lappen vergrößert, weich. Sternocleidomastoideus nicht fühlbar, nur beim Kopfdrehen wird sternales Ende als schnurdünner Strang tast- und sichtbar. Kopfheben im Liegen unmöglich. Beim Schlucken verschiebt sich das Kehlkopfskelett kaum. Es hängt mit Trachea und Speiseröhre als schlaffer, leicht verschicblicher Schlauch in den Halsmuskeln eingebettet.

Thorax: schmal, gracil gebaut. Skelett gut sichtbar. In der Halswirbelsäule leichte Kyphose. Tiefe Supraclaviculargrubden. Achselhaare spärlich. Mammae kaum aus- gebildet. Doppelte Achsel: Deltoideus stark atrophisch, dadurch Hervortreten des Akromions. Rückenmuskulatur scheint nicht atrophisch zu sein. Patientin kann sich aus Rumpfbeuge ohne Schwierigkeiten aufrichten. Aufsitzen aus dem Liegen sehr müh- sam, nur unter Mithilfe der stülzenden Arme.

Lunge: Grenzen o B., gut verschieblich, überall heller Lungenschall. Auf beiden Seiten verscharftes Vesikuläratmen über der ganzen Lunge. Auf beiden Unterlappen da und dort feuchte, nicht klingende, mittelblasige Rasselgeräusche.

Herz: Spitzenstoß im 5. Interkostalraum, 2 Querfinger innerhalb der Mammillarlinie, etwas hebend. Töne rein. Radialispuls flach, 78.

Abdomen: flach. Untere Lebergrenze 1 Querfinger unter Rippenbogen. Milz nicht fühlbar.

Obere Extremitäten: Oberarmmuskulatur gut konfiguriert. Grobe Kraft des Bizeps, Trizeps und des Coracobrachialis beiderseits gut, dagegen Unterarm- und Handmuskeln atrophisch. Skelett durch die Weichteile hindurch erkennbar. In den Flexoren, Exten- soren und Rotatoren myotonische Erscheinungen. Das Handoffnen geht nur sehr langsam. Typischer myotonischer Faustschlu8 vorhanden. Im Handgelenk rasche Extension und Flexion unmöglich. Auch Pronations- und Supinationsbewegungen nur langsam ausführbar. Thenar und Hypothenar fehlen beiderseits. Abductor digiti quinti, Abductor pollicis brevis und Adductor pollicis sind ganz atrophisch. Ihre grobe Kraft ist kaum nachweisbar. Die Greifkraft der Hände ist äußerst gering. Der Händedruck ist ganz schwach. Auch die Interossei sind von der Atrophie befallen. Das Finger- spreizen kann mit geringer Kraft verhindert werden, ebenso lassen sich die gespreizten Finger mit kaum merkbarer Anstrengung schließen. Mechanisch-myotonische Symplome sind nur am Musculus brachio-radialis nachweisbar. Auf Beklopfen entsteht beiderseits ein Muskelwulst. Myasthenisches Symptom: Vorgestreckte Arme sinken nach 3 Minuten.

Untere Extremitäten: Tibialis anterior und Peronaeusgruppe besonders atrophisch. Grobe Kraft der Oberschenkelmuskulatur gut, die der Unterschenkel stark vermindert. Treppensteigen geht frühmorgens schlecht, wenn einmal angelaufen, besser.

Beide Füße werden in Spitzfußstellung und proniert gehalten, ihre Beweglichkeit ist stark eingeschränkt. Dorsalflexion beiderseits bis zum rechten Winkel ausführbar. Pronation und Supination nicht möglich. Beiderseits Plattfüße. Gang unsicher, steif, parelisch, stampfend, mit starkem Hochheben der Knie.

Großzchennägel stark hypertrophisch. Nagelplatte ca. 3 mm dick.

Reflexe: Achilles- und Patellarreflex beiderseits negativ. Babinski negativ. Chvostek negativ. Romberg angedeutet.

Sensibilität o. B.

A mm, Au. 8 A pu e cary,

14 Hans C. Frey:

Zeigefingerversuch gut. Stereognostischer Sinn normal. Verschiedene Geldstücke werden sofort erkannt.

Blutdruck 80 mm Hg (dreimal gemessen).

Blutbefund vom 13. I. 1924: Differenzierung: Neutrophile 64 %. Kerne plump, wenig gelappt. Lymphozyten 20 %. Große Formen. Eosinophile 13,5 %. Basophile 1 %. Monozyten 1,5 %.

b) Genealogische Untersuchungen siehe Fall 3 unter c).

3. Frau Emma S.-M., 44 Jahre alt, Hausfrau, von und in Ober-Entfelden, Kanton Aargau.

a) Krankengeschichte vom 16. Oktober 1923.

Familienanamnese: Vater starb mit 65 Jahren an Pneumonie, war stets gesund und habe gute Augen gehabt. Hatte 13 Geschwister, wovon das älteste der Vater von Pat. 2 ist. Ein Bruder wurde mit ca. 50 Jahren beiderseits staroperiert, Im übrigen vgl. Krankengeschichte bei Fall 2 und Stammbaum II, Generation VI, Nr. 4—11.

Mutter starb mit 76 Jahren an hypostatischer Pneumonie nach Schenkelhalsfraktur. Hatte 5 Geschwister, eines blieb ledig und starb in hohem Alter. Ein zweites starb mit ca. 35 Jahren an Auszehrung, die anderen waren gesund und haben gesunde Kinder. Die Großeltern miitterlicherseits starben alt, die Großmutter an Pneumonie, der GroB- vater an Magenkarzinom. |

Pat. hat 3 Geschwister, alle drei sind verheiratet. Die beiden älteren Schwestern haben, die eine 4 Kinder, die andere eins. Alle sollen gesund sein. Ein jüngerer Bruder ist kinderlos und habe mit den Nerven zu tuf. Nach Angabe der zweilältesten Schwester sollen sechs weitere Geschwister kurz nach der Geburt gestorben sein. Die übrige Familiengeschichte siehe Stammbaum II, Generation VII, Nr. 21—30, und Generation VIII, Nr. 45—52.

Persönliche Anamnese: Pat. hatte als Kind Masern und Lungenentzündung, mit 16 Jahren Gliedersucht, soll dieselbe mit 26 Jahren ein zweites Mal gehabt haben. Trug Herzfehler davon. Sonst will Pat. als Kind immer gesund gewesen sein. Mit 37 Jahren wurde Periode unregelmäßig, setzte bald aus, bald dauerte sie eine ganze Woche und mehr, so bis zum 40. Altersjahr. Dann habe sie fast ein ganzes Jahr ununterbrochen Blut verloren und sei dadurch stark heruntergekommen. War damals in ärztlicher Behandlung (vgl. Krankengeschichte unten). Man hätte die Ursache dieser unregelmäßigen Blutungen eigentlich nie feststellen können, erst hätten die Aerzte Krebs vermutet, die pathologische Untersuchung habe aber einen negativen Befund ergeben. Bis 1908 war Pat. als Krankenschwester in der Irrenanstalt Basel tätig. Sie will ihren Beruf mit Freude und Interesse, ohne jegliche Beschwerde versehen haben. 1908 ver- heiratete sich Pat., wohnt seit dieser Zeit in Entfelden. Sie hat ein 12jähriges, gesundes Töchterchen, Zwillinge starben kurz nach der Geburt an Krämpfen. Pat. besorgt den Haushalt und spult nebenbei noch für die Seidenweberei in Aarau.

Befund: Pat. ist mittelgroß, sehr fest, sieht gesund aus. Alle ihre Bewegungen sind schwerfällig, langsam. Ihr Gesichtsausdruck hat etwas Starres, Mimikarmes. Besonders auffällig sind die eigentümlich gestreckt gehaltenen, scheinbar steifen Finger. Auf Befragen bemerkt Pat, daß ihre Finger etwas steif seien; wahrscheinlich noch von der Gliedersucht her, meint sie.

Die Untersuchung ergibt eine deutliche Flexorenmyotonie in beiden Händen. Nach kräftigem Faustschluß kann die Hand nur langsam und scheinbar unter Anstrengung wieder geöffnet werden. Die Myotonie zeigt sich auch beim Armausschlagen. Beider- seits besteht ein Bizepskrampf. Nach mehrmaligen Bewegungen verschwinden auch

x diese

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Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 15

hier diese Hemmungen vollkommen. Auch Kieferschluß ist nachweisbar. Nach festem Zubeißen kann Pat. den Mund nicht sogleich wieder öffnen. Zunge o B. Die Haut der Hände und Unterarme ist trocken, etwas gespannt und leicht glänzend. Im Gesicht ist sie etwas frischer und besser durchblutet.

Thenar und Hypothenar beiderseits etwas atrophisch. Uebrige typische Atrophien können keine festgestellt werden.

Körperhaltung aufrecht. Gang langsam, breitspurig. Pat. hat Plattfüße, „wie die meisten in unserer Familie“, bemerkt sie.

Patellar- und Achillessehnenreflexe links und rechts gut auslösbar.

Die Stimme läßt nichts Pathognomonisches erkennen. Die Sprache ist deutlich. Menses mit 14 Jahren begonnen, immer regelmäßig, bis zum 37. Altersjahr.

Pat. schwitzt leicht.

Pat. ist etwas psychopathisch veranlagt, hat ein außerordentlich labiles Gemüt. Ist etwas mißtrauisch und ängstlich. Sie ist sehr aufgeweckt und hat ein gutes Gedächtnis. Konnte über die nächsten sowie über die entferntesten Verwandten gut Bescheid geben.

Augen: Mit rechtem Auge schielt Pat. nach außen, dies nur in Ruhe. In der Schule soll der Lehrer sich immer über ihr Schielen aufgehalten haben. Im übrigen haben die Augen etwas eigenartig Starres und geben dem Gesichtsausdruck oft etwas Seelen- loses, Abwesendes. Visus links und rechts gut. Die Pupillen reagieren beiderseits gut.

b) Krankengeschichte der Gynäkolog. Abteilung der Kranken- anstalt Aarau vom 30. September 1921.

Krankheit: Suspicium Ca. uteri Metrorrhagien.

Therapie: Curettage, Röntgenbestrahlung.

Anamnese: Vater starb mit 64 Jahren an Pneumonie und Wassersucht, Mutter mit 76 Jahren an Pneumonie. 3 Geschwister gesund. 2 Geschwister an unbekannter Krank- heit ganz klein gestorben.

Frühere Krankheiten: Masern, Lungenentzündung, mit 16 Jahren Polyarthritis, mit 26 Jahren Rezidiv mit Herzkomplikationen.

Menarche mit 14% Jahren. Menses: dreiwöchentlich, fiinftagig. Stärke mäßig. Molimina keine. Letzte Menses siehe unten.

Seit 1908 verheiratet.

Entbindungen: Erste Geburt 1909. Zwillinge, Steißlage. Kinder starben 3 Wochen alt an Kieferkrampf. Zweite Geburt 1912, normal, Kind gesund.

Jetzige Beschwerden: Bis zum 3. X. 1920 regelmäßige Perioden, von da stark un- regelmäßig, bis 8 Wochen aussetzend, dann wieder 4 Wochen andauernd. Blutungen waren außerordentlich stark, „das Blut lief einfach von der Pat. weg“. Eine Aerztin verordnete Tropfen, die aber nichts nützten. Sie empfahl dann Pat. zur Aufnahme in das Kantonsspital. |

Diurese o B. Stuhlverhältnisse geregelt.

Status praesens: Allgemeines Aussehen: Ziemlich gut. Sehr guter Ernährungszustand. Lippen etwas blaß. Leichter Stich ins Gelbliche.

Herz: Grenzen nicht genau zu perkutieren, anscheinend nach rechis etwas ver- breitert. Kein Schnurren. Ueber der Mitralis systolisches, manchmal auch präsystolisches Geräusch. Zweiter Pulmonalton etwas klappend.

Lungen: o. B. Brüste o. B.

Abdomen: Weich, eindrückbar. Keine Druckempfindlichkeit, keine Dämpfung. Leber nicht vergrößert. Milz nicht palpabel. Nieren- und Blasengegend o. B.

Damm narbig, kurz, oben stark eingezogen. Vulva, Hymen: Geschlossen, mit Blut verschmiert. Vagina normal weit, etwas blaß. Portio an normaler Stelle, quer-

16 Hans C. Frey:

gespaltener Muttermund. Uterus: Wegen der Adipositas schwer durchtastbar, anschei- nend normal groß, frei beweglich, anteflektiert. Portio im Spiegelbild ganz normal.

Aus dem Muttermund tritt flüssiges, schwärzliches Blut aus. Ovarien, Parametrium frei. Douglas frei.

Urin o B. Benzaldehydreaktion negativ. Rektum: Frei.

Behandlung: Curettage, 1. X. 1921. Narkose: Skopolamin-Pantopon.

Anhaken der oberen Muttermundslippe, Joddesinfektion der Portio. Muttermund leicht penetrierbar, man kann gleich mit den höheren Nummern beginnen. Dilatation bis Hegar 9. Die Auskratzung mit der großen Curette gelingt sehr leicht. Es entleeren sich markige, weiche Massen mit Blut vermischt. Man spürt überall das Kratzen der Muskulatur. Ausschaben der Tubenecken. Aetzung mit Karbol-Alkohol.

5. X. Steht auf, fühlt sich wohl.

10. X. Röntgenbestrahlung.

13. X. Blutuntersuchung: Hb 32 %, Erythrozyten 3,308,000, Lymphozyten 5600. 14. X. Geheilt entlassen.

Pathologisch-anatomischer Befund von der Prosektur der Kant. Krankenanstalt Aarau vom 5. X. 1921: Frau S.-M., 41 Jahre.

Curettement. Klinische Diagnose: Ca. corp. uteri. Pathologisch-anatomische Diagnose: Chronische Endometritis, hämorrhagisch infiltrierter Korpuspolyp.

Ausführliche Beschreibung: Makroskopisch: Curettement. Mikroskopisch: Uterus- mukosa mit zahlreichen Drüsen und einfachem Zylinderepithel mit mittelständigen Kernen. Stromazellen nicht vergrößert, mit blassem Kern. Im Stroma verstreut zahl- reiche Lymphozyten. In einigen Stücken die Gefäße auffallend weit und prall mit Blut gefüllt. Das Stroma hämorrhagisch infiltriert, auch die Drüsen zum Teil mit Blut gefüllt. Im Stroma zerstreut zahlreiche polynukleäre Leukozyten. Die Oberfläche dieses Stückes ausgesprochen papillär mit hohem Zylinderepithel.

c) Genealogische Untersuchungen zu Fall 2 und 3.

Der Stammbaum II stammt aus dem Surental im Kanton Aargau. Er umfaßt zurzeit in neun Generationen 454 Individuen und reicht bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurück.

Der unten wiedergegebene Ausschnitt mit 127 Individuen zeigt uns die Generationen I—IV nach dem Originale, ebenso die Deszendenz des Stam- mes DV; B und CV sind gekürzt wiedergegeben. Sie enthalten nur die uns in diesem Zusammenhange interessierenden Familienglieder mit ihrer direkten Aszendenz. Der noch in Untersuchung stehende Stamm AV ist ganz weggelassen.

An Hand dieser Stammtafel konnten bis heute in den Generationen VI bis IX zwei Individuen mit präseniler Katarakt, vier mit myotonisch dystro- phischen Symptomen und drei mit beiden eruiert werden.') Fünf weitere Individuen sind nach Angaben der Angehörigen auf Myotonie sehr ver- dächtig, wovon zwei noch leben und bei Gelegenheit untersucht werden sollen.

Ueber das Vorkommen der myotonischen Dystrophie in der Aszendenz in den Generationen V—I fehlen außer der Lebensdauer jegliche Angaben.

1) Diese Einteilung ist eine grob schematische und dient lediglich statischen Zwecken.

I. Zeichenerklärung:

CH männliches Individuum

$ weiblich a E Totgeburt.

I "unter 5J. Y Zwillinge

` a Fehlgeburt od unter 114

é Rerbehaftetes Individuum

O myot. Dyltrephie ohne Cataract

(nicht unberfucht)

WW w 9 milCalarsck = (unterlucht) el aufn m verdachtig.

TR Unterhschkes Jadividoum Fall unferer Kaff

Beiden Perfenenzeichen: Zahl-Todesalter; Zahl mit j. = heutiges Alter des leben= den Individuums.

C.

4 5

UM. 9¢0.1739

HRM nod 1944

Gef 2 3 y O. d

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Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 17

Die Totenregister mit Angabe der Todesursache bestehen erst seit 1876, und die Erinnerungen der Dorfältesten und Angehörigen reichen auch nicht weiter zurück als in die 30er oder 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Neben den neun in diesem Stammbaumausschnitt auftretenden myo- tonischen Dystrophien interessiert uns die Aszendenz dieses Geschlechtes ganz besonders. In den Generationen I—V finden wir mit Ausnahme eines Individuums aus dem Kanton Bern (V, 7) ausschließlich Aargauer Bürger. In der II. bis V. Generation verehelichten sich sogar nur Ortsansassige untereinander oder Orisansässige mit Bewohnern des Nachbardorfes. Die Dörfer Muhen und Entfelden liegen in derselben Talschaft ungefähr 2 km auseinander. Verehelichungen mit anderen Kantonsbürgern oder gar Aus- ländern konnten nicht festgestellt werden.

(Stammbaum II siehe beigegebene Tafel.)

4. Mathäus J., 31 Jahre alt, Landwirt von Schännis, Kanton St. Gallen, wohnhaft in Eschenbach, Kanton St. Gallen.

ay Befund der Augenpoliklinik Zürich vom 18. November 1923.

Vater und eine Schwester des Vaters sahen nicht gut. Ersterer hatte Schwäche im linken Daumen. Ein Bruder mit Schwäche in den Händen, sieht ebenfalls nicht gut. Sieben Geschwister, sechs ohne Beschwerden. Pat. kann Finger der geschlossenen Hand nicht strecken. Aeußerlich keine sichtbaren Muskelatrophien. Sprache monoton, langsam. Pat. konnte früher gut jauchzen und singen; vom 16. Jahr an wurde ihm dies unmöglich. Schnurrbart in den mittleren Teilen auffallend schwach. Haarwuchs kräftig. O. B.: R. S. 6/18, L. 6/6. Hornhaut rechts mit kleinen Beschlägen der Rück- fläche. Linse mit typischer Cataracta complicata wie bei myotonischer Dystrophie. Punkttrübungen der hinteren Rinde, und zwar im hinteren Teil, auch Sternfigur in der Gegend des hinteren Poles, einzelne Vakuolen. Deutliche Linsenfaserzeichnung. Vordere Rinde mit Punkten und massenhaften, glänzenden (rot und grün) Kristallen. Deutliche Linsenfaserzeichnung subkapsulär. Uebrige Medien o B. Fundus o B. Die hinteren wie die vorderen Trübungen liegen nicht subkapsulär, jedoch farbenschillernd im Bereich der Kapsel, sondern vor ihr in der Abspaltungsfläche und vor dieser.

Diagnose: Katarakt bei myotonischer Dystrophie.

b) Krankheitsgeschichte vom 24. September 1924.

Familienanamnese: (Vgl. Stb. III.) Die Eltern des Pat. leben noch, wohnen aber getrennt. Vater M. J. (III. 4) ist 58 Jahre alt, wohnt zur Zeit in Näfels, Kanton Glarus.

Befund vom 17.1.1924: Pat. ist mittelgroB, hat mageres Gesicht mit eingefallenen Wangen, tiefliegenden Augen und leichten Temporalgruben. Seine Sprache ist undeutlich, breijig und etwas näselnd. Leichte Salivation vorhanden. Pat. klagt über Kraftlosigkeit ın den Händen, er könne schon seit einiger Zeit nicht mehr melken, überhaupt jegliches feste Zufassen sei ihm unmöglich. Wir stellen eine deutliche Atrophie der M. interossei, der Thenar- und der Antithenar-Muskulatur fest. Der Händedruck ist sehr schwach, ebenfalls ist Faustschluß vorhanden. Pat. trägt beiderseits Stargläser. Mit 30 Jahren soll ihm beim Installieren einer elektrischen Leitung ein Kupferdraht ins Auge gefahren sein und habe ihm die Hornhaut verletzt. Kurz darnach trat Star auf, der in Glarus operiert wurde. 1—2 Jahre später sei er auch am andern Auge staroperiert worden.

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 1. 2

18 Hans C. Frey:

Vater M. J. hat 3 Geschwister. Die älteste Schwester (III. 1), 60 Jahre alt, ist Mutter von 11 Kindern, die zum Teil erwachsen sind und auch wieder Kinder haben. Diese Frau Sophie H J., Schännis, wurde mit 44 Jahren links staroperiert. Sie ist eine mittelgroBe, kachektische Frau, mit tiefen Nasolabialfurchen und eingefallenen Wangen und Schläfen. Sie will früher immer mit Periode zu tun gehabt haben. Die- selbe soll stets sehr unregelmäßig, oft außerordentlich stark gewesen sein, so daß sie sogar hin und wieder den Arzt benötigte. Mit 30 Jahren bekam Pat. oben und unten Zahnprothese. Heute klagt sie über Verdauungsbeschwerden und bemerkt, daß sie immer mit dem Magen zu tun gehabt habe. Rechtes Auge: Cataracta matura. Ihre Kinder und Enkel sollen alle gute Augen haben und sollen gesund sein. 8

Eine jüngere Schwester, Christine J. (III. 5), Schännis, 55 Jahre alt, ledig, will seit zirka 7 Jahren am linken Auge nichts mehr sehen. Wir konstatierten bei dieser äußerst abgemagerten und schwächlich aussehenden Frau links eine Cataracta matura. Pupille weiß, reagiert nicht auf Lichteinfall, nur konsensuell. Rechtes Auge: Vis. gut. Pat. liest und strickt noch. (Diese und vorige Patientin verweigerten eine genauere Unter- suchung.)

Die jüngste Schwester, Frau S. J. (III. 6), Schännis, ist gesund und will 5 gesunde Kinder haben, wovon das älteste 10 Jahre alt ist.

Die Mutter unseres Patienten 4 (III. 3) wohnt mit ihren 5 jüngsten Kindern in Dürnten, Kt. Zürich. Sie ist eine gesunde, feste Frau und weiß nichts von Star oder Leiden, wie Mathäus es hat, aus ihrer Verwandtschaft zu berichten.

Der Großvater väterlicherseits (II.4) starb, 79 Jahre alt, an Altersschwäche, Nach Aussagen seiner Frau (II. 3), die trotz ihrer 82 Jahre noch rüstig und gesund ist, soll er blind gestorben sein. Er hatte 3 Geschwister, wovon 2 (II. 1 und 5) mit 60 Jahren, und eines (11.6) mit 84 Jahren starben. Die älteste Schwester (II. 1) war verheiratet, war kinderlos und die beiden jüngern Schwestern (II. 5 und 6) blieben ledig. Die Eltern (I. 1 und 2) dieser 4 Geschwister starben beide in hohem Alter. Sie waren Bürger von Schännis . Ueberhaupt soll nach Aussage der Obengenannten die Familie J. ein altes Geschlecht aus dem Gastergebiet sein, und ihre Vorfahren waren stets Bürger von Schännis. Einheiraten aus dem Auslande werden verneint. Die Großmutter väter- licherseits weiß nichts von schlechten Augen oder anderen Erbübeln in ihrer Familie.

Patient Mathäus J. ist das älteste von 8 Kindern. Der jüngere Bruder Franz leidet an derselben Krankheit wie Mathäus (s. unten). Eine 28jährige Schwester, von Beruf Schneiderin, ist verlobt; sie soll viel über kalte Hände und Füße klagen, sie sei mager und den beiden ältern Brüdern sehr ähnlich, Das vierte Kind starb 4jährig an Croup, die vier jüngsten Kinder, zwei Knaben und zwei Mädchen, sind gesund, das älteste ist 14 Jahre alt. Patient Mathäus J. ist mit einer gesunden Frau verheiratet und hat 4 Kinder, das älteste ist 8jahrig, alle sehen gesund aus.

(Stammbaum III siehe Beiblatt ]).

Persönliche Anamnese: Als Kind Keuchhusten, mit 8 Jahren Lungenentzündung, mit 24 Jahren Influenza mit Stirnhöhlenkatarrh und schwerer Augenentzündung. Jetzt noch hin und wieder entzündete Augen. Deswegen schon in der Augenklinik Zürich gewesen.

Rekrutenschule, verschiedene Wiederholungskurse und die ganze Grenzbesetzung als Gebirgsinfanterist ohne jegliche Beschwerden mitgemacht. 1916, 24jährig, zur Etappe versetzt wegen Bruch. Patient trug früher als Wildheuer oft schwere Heulasten von den Bergen ins Tal.

Seit 5 oder 6 Jahren Schwäche in den Händen, Melken unmöglich, ebenfalls Schub- karrenstoßen. Patient wundert sich sehr über diese allmähliche Abnahme der Greif- und allgemeinen Körperkraft. Mit 20 Jahren sei er doch beim „Häggeln“ (Spiel, bei welchem die beiden Partner einander mit hakenförmig gekriimmten, ineinandergehangten Zeige-

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 19

fingern über einen Platz ziehen) einer der Stärksten gewesen. Pat. beklagt sich, daß in der letzten Zeit seine Finger und Hände steif geworden seien. Beim Holzscheiten bei- spielsweise könne er den Beilstiel nach kräftigem Zugreifen nicht sogleich wieder los- lassen, die Hand bleibe eine Zeitlang am Griff fest angekrallt. Eine weitere Klage betrifft die allmähliche Abnahme der Sehkraft im rechten Auge, er könne mit diesem nicht mehr lesen (vgl. Augenklinik-Befund unten). Weitere Beschwerden gibt Patient zur Zeit nicht an.

Status: Pat. ist mittelgroß, macht beschränkten Eindruck. Als Körpergewicht gibt er 64 kg an. Der Ernahrungszustand ist ein mäßiger. Fettpolster an Gesicht, Hals und Extremitäten gering entwickelt. Keine ausgesprochenen Muskelatrophien feststellbar. Haut an Gesicht und Extremitäten rein, im Gesicht und an den Händen etwas trockener und weniger sukkulent als an den übrigen Körperteilen.

Patient hat einen etwas trägen Gedankengang, auch läßt sein Gedächtnis zu wün- schen übrig. Er ist gutmütig, folgt allen Aufforderungen während der Untersuchung willig. Alle seine Bewegungen sind langsam, scheinbar etwas gehemmt. In den Händen fällt eine besondere Ungeschicklichkeit auf; sie erscheinen steif.

Die Sprache ist deutlich, aber etwas träge und gedehnt. Die Stimme auffallend monoton.

Hände und Füße sind kalt, aber nicht cyanotisch. Pat. friert äußerst leicht an diesen.

Kopf: mittelgroß, zeigte keine Prognatie. Ohrform o B. Kopfhaare dicht, Schnurr- bart spärlich, von juvenilem Charakter. Gesichtsausdruck leidend ernst, verändert sich beim Sprechen nicht wesentlich. Etwas eingefallene Wangen und leichte Temporal- gruben verraten eine geringe Atrophie der Facialismuskulatur und des Musculus tempo- ralis. Beiderseits leichte Ptosis der Augenlider. Augenschluß gut. Stirnrunzeln geht nicht besonders gut, Pfeifen geht.

Augen: Vgl. vorstehenden Augenklinik-Befund a).

Ohren o B. Pat. hört beiderseits gut. Mund: Lippen gut durchblutet, Mundschleim- haut frisch, rot. Gaumen hoch. Weicher Gaumen gut beweglich. Seit 1915 oben und unten Zahnprothese. Zunge kann gerade und ruhig herausgestreckt werden, zeigt aus- gesprochene Myotonie. Beim Beklopfen mit dem Perkussionshammer entsteht eine nur langsam wieder ausflachende Delle. Schluckbeschwerden keine.

Hals: keine auffallenden Muskelatrophien. Thyreoidea nicht vergrößert. Kopf- heben im Liegen geht gut.

Thorax: Erector trunci sowie Schulter- und Beckengürtelmuskulatur scheinen nicht besonders atrophisch. Aufrichten aus der Rumpfbeuge geht ohne Schwierigkeiten,

Brust- und Bauch- sowie die inneren Organe konnten umständehalber nicht unter- sucht werden.

Extremitäten: Obere und untere etwas mager, grobe Kraft herabgesetzt. An der oberen Extremität leichte Atrophie des Musculus brachioradialis, der Thenar- und Anti- thenarmuskulatur. Hände steif, werden ungeschickt bewegt. Knöpfe können nur mit größter Anstrengung und Geduld geöffnet und eingetan werden. Beiderseits aus- gesprochener Faustschlu8. Händedruck sehr schwach. Untere Extremität ohne be- sondere Atrophien. Keine Spitzfüße. Beweglichkeit gut. Grobe Kraft ebenfalls gut. Nägel o. B.

Reflexe: Patellar- und Achillessehnenreflex beiderseits nur schwach auslösbar. Rombergsches Phänomen negativ. Chvostek negativ. Sensibilität an Gesicht und Extremitäten o. B.

Puls regelmäßig 70.

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20 Hans C. Frey:

c) Genealogische Untersuchungen siehe Fall 5 unter b).

5. Franz J., 30 Jahre alt, ledig, Landwirt von Schännis, wohnhaft in Dürnten, Kanton Zürich.

Patient ist ein Bruder des vorigen, wohnt bei seiner Mutter in Dürnten und wird von dieser unterhalten.

a) Krankengeschichte vom 25. November 1923.

Persönliche Anamnese: Als Kind Keuchhusten, mit 10 Jahren Lungenentzündung, zur Schulzeit stets entzündete, tränende Augen, auch jetzt oft noch Augenentzündungen. Mit 22 Jahren Lungenentzündung, 2 Jahre später Rezidiv mit Brustfellentzündung, 4 Jahre später abermals ein Rezidiv. Im Winter stets Husten. Vor 2 Jahren Unfall: Daumen und Zeigefinger der linken Hand abgefräst. Deswegen 17 Wochen im Asyl Rüti.

Rekrutenschule sowie alle Wiederholungskurse und Grenzbefestigungsdienst als Säumer bei der Gebirgsinfanterie ohne Beschwerden mitgemacht. Als Wildheuer früher oft einen Doppelzentner Heu vom Boden auf den Rücken gehoben. Zur Schulzeit hin und wieder mit einem Finger am Turngerät aufgehängt geturnt.

Heute beklagt sich Pat. über allgemeine Abnahme der Körperkraft, bei der Arbeit sei die Kraftlosigkeit der Hände besonders hinderlich. Diese soll seit dem 17. Jahr stets zugenommen haben. Schubkarrenstoßen unmöglich. Die Holmen entgleiten den kraftlosen Händen. Friere leicht an Händen und Füßen wie seine ältere Schwester. Klagt ferner über Druck auf den Magen, suchte wegen schlechter Verdauung vor einiger Zeit einen Arzt auf, welcher ihm leichtere Kost verordnete. Auch über allge- meine Abnahme der Sehkraft beschwert sich Pat.

Status: Mittelgroß, von schwächlichem Ausschen, in schlechtem Ernährungszustand. Wiegt 65 kg. Gesicht abgemagert, mimiklos; Augen tiefliegend, Schläfen und Wangen eingefallen. Konfiguration des Schädels o B. Ohren o B. Kopfbehaarung dicht, Schnurrbart gut entwickelt. Haut im Gesicht und an den Extremitäten feucht, kalt, glatt, doch nirgends gespannt und glänzend.

l Sprache eintönig, langsam. Intelligenz dem Berufe entsprechend eine mittlere. Ge- dächtnis besser als bei seinem Bruder, soweit gut. Durch Salivation wird Sprache etwas undeutlich, breiig und verwaschen. An der Zunge deutliche Myotonie nachweisbar. Harter Gaumen spitzbogenförmig gewölbt, weicher Gaumen gut beweglich. Oben und unten nur noch vereinzelte Zähne, die meisten sind kariös.

Stirnrunzeln unmöglich. Pfeifen geht. Der Gesichtsausdruck ist ein typisch myo- patischer, maskenartiger. Chvostek nicht auslösbar.

Augen: Lider leicht gerötet, Augen feucht, glänzend, tränend. Finger auf 2 m Ent- fernung gut erkennbar. Cornea klar. Pupille schwarz, reagiert auf beiden Seiten gut.

Ophthalmoskopischer Befund vom 18. I. 1924 (vgl. Krg. 2):

Rechts: Pupille ca. 8 mm erweitert: Augenhintergrund gut sichtbar, Gefäß- und Papillenkonturen erscheinen etwas unscharf, sonst o B. Am hinteren Linsenpol slern- förmige, aus Streifen und Fetzen bestehende Trübungen, die sich aus größeren und kleineren weißen Flocken zusammensetzen. In der vorderen und hinteren Linsenrinde wenig weißer Staub mit dazwischenliegenden rot, gelb, blau, grün oder braun auf- leuchtenden Kristallchen,

Links: Pupille klein: Augenhintergrund gut sichtbar, o. B.

Ohren: o. B., hört beiderseits gut.

Hals: Muskulatur schlaff, nirgends feste Muskelresistenz. Thyreoidea nicht ver- größert.

Thorax und Abdomen nicht untersucht.

Extremitäten; Im Unterarm-Handgebiet sind die Musculi interossei, die Musculi adductor pollicis, abductor pollicis brevis und abductor digiti quinti sowie der Musculus

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 21

brachioradialis atrophisch. Die Oberarmmuskeln beiderseits gut entwickelt. Rechte Hand steht in leichter Ulnarflexion. Der Händedruck ist beiderseits äußerst schwach. An Daumen- und Zeigefingerwurzel der linken Hand längliche, gut verheilte Operations- narbe. In beiden Händen ebenfalls Faustschluß. Die anteren Extremitäten sind mager, die Muskulatur deutlich atrophisch, die grobe Kraft vermindert.

Reflexe: Patellarreflexe beiderseits gut auslösbar, dagegen Achillessehnenreflexe links und rechts schwach auszulösen. Rombergsches Phänomen nicht vorhanden.

Gang langsam, nicht ataktisch,

Puls regelmäßig, 56.

Stuhl und Wasser können gut behalten und gut gelöst werden.

b) Genealogische Untersuchungen vgl. Familienanamnese bei Fall4 und Stammbaum Ill

6. Franz B., 49 Jahre alt, gewesener Bahnarbeiter von und in Freien- bach, Kanton Schwyz.

a) Auszug aus der Krankengeschichte der Augenklinik Zürich vom 23. August 1912.

Visusabnahme seit einem Jahr rechts. Visusabnahme seit einem halben Jahr links. Schwester wurde mit 34 Jahren wegen Altersstar operiert. Zuckerkrankheit soll in der Familie nicht vorkommen.

Allgemeiner Status: Kleiner, magerer Mann. Thyreoidea normal. Urin ohne Eiweiß und ohne Zucker.

Augen: Rechts: Cataracta fere matura. Links: Cataracta incipiens, sternförmige hintere Poltrübung.

29. X. 1912. Extraktion der Linse rechts nach Iridektomie; weiche Katarakt.

Nachtrag vom 7. III. 1914: Discision rechts mit 2 Nadeln (Cataracta sec.).

13. IV. 1914. Nach Hause entlassen. Da die Intelligenz sehr schwach, ist genaue Visusbestimmung nicht möglich.

b) Krankengeschichte vom 28 Oktober 1923.

Familienanamnese (vgl. Stb. IV unten): Mutter starb mit 63 Jahren an Herz- schwäche; hatte zwei gesunde Schwestern, die ebenfalls im höheren Alter starben. Vater verschied mit 64 Jahren, schwächte aus; war stets sehr mager; soll in den letzten Jahren oft über Rückenschmerzen geklagt haben. Hatte vier gesunde Ge- schwister mit ebenfalls gesunden Nachkommen. In der Verwandtschaft und Aszendenz keine Sehstörungen; auch nichts von Auszehrung oder ähnlichen Leiden bekannt.

Eine jüngere Schwester des Patienten habe an derselben Krankheit gelitten wie er. Sie war kinderlos verheiratet, wurde mit 34 Jahren staroperiert, schwächte allmählich aus und starb mit 40 Jahren an „unbekannter Krankheit‘,

Ein älterer Bruder starb mit 19 Jahren an Auszehrung; er war stets schwächlich und kränklich.

Das älteste Geschwister war nicht lebensfähig, starb ein paar Tage nach der Geburt.

Pat. selber ist verheiratet; die beiden ersten Kinder, Zwillinge, starben gleich nach der Geburt. Weitere Zwillinge sind 19 Jahre alt. Der Knabe soll nach ärztlicher Unter- suchung „Andeutung von Star“ haben. Das Mädchen sowie eine jüngere, 18jährige Schwester sind gesund.

Persönliche Anamnese: Kinderkrankheiten angeblich keine. Auch als Knabe stets gesund. 1895 Infanteric-Rekrutenschule ohne jegliche Beschwerden absolviert. 1896 bis 1906 als Hilfsarbeiter bei der Bahn tätig. 1906 33jährig dort definitiv als

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Streckenarbeiter eingetreten. Bei Anstellung wurde Pat. von Bahnarzt Dr. H. unter- sucht, Er sei als vollkommen gesund befunden worden.

Mit ca. 35 Jahren will Pat. bei der Arbeit eine Steifigkeit in den Fingern und Abnahme der Kraft in den Händen bemerkt haben. Nach einer Erkältung im Winter 1910 Zunahme dieser Beschwerden, daneben „kolossale“ Abmagerung, Rückenschmerzen, Haarausfall und vermehrte Speichelsekretion. Gleichzeitig trat auch eine große Müdig- keit auf, und das Gehen wurde mühsamer und ungeschickter. Auch friere Pat. seit dieser Zeit leicht an Händen und Füßen. 1911 am rechten Auge Sehstörungen, bald darauf auch am linken. 1912 Staroperation rechts. 1914 Nachstaroperation rechts. Links sieht Pat. heute nichts mehr. | V 2 3 4

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Stammbaum IV.

1916 wegen vollständiger Kraftlosigkeit in den Händen und Unsicherheit im Gehen Arbeit aufgegeben. Seit dieser Zeit der guten Pflege und Ruhe wegen an Gewicht etwas zugenommen. Pat. will auch wieder etwas dicker geworden sein. Die Kraft habe aber im allgemeinen eher ab- als zugenommen.

Abusus vini et veneris werden negiert.

Status: Pat. ist klein, in gutem Ernährungszustand. Alle Bewegungen sind unbe- holfen, langsam und steif, Der Mann macht einen etwas beschränkten, stupiden Ein- druck. Das Gesicht verändert sich beim Sprechen kaum. Die Intelligenz ist eine mäßige, das Gedächtnis schlecht. Die Sprache sehr undeutlich schmierend, von näselndem Bei- klang und monoton. Starke Salivation.

Der Kopf ist spärlich behaart. Das Antlitz ist vollkommen mimiklos, zeigt etwas Pastéses. Wangen, Unterlippe, Kinn, Unterkieferrand und Hals bedeckt ein eigenartig matsches Unterhautzellgewebe. Die muskulöse Unterlage fehlt vollkommen. Haut dar- über papierdünn, trocken und leicht glänzend.

An den Händen und Vorderarmen Haut etwas trocken, pastös. An den Unter- schenkeln und Füßen ebenfalls trocken, Fettpolster gering. Hände und Füße kalt, blaß, aber nicht zyanotisch.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 23

Augen: Rechts Aphakie, operatives Iriskollobom. Pupille reagiert auf Lichteinfall

\ etwas träge. Links: Pupille grau, reagiert nur konsensuell, Cataracta matura.

Mund: Halb offen. Mundwinkel mit Schleim belegt. Nur noch wenige Zähne. diese kariös. Thyreoidea nicht fühlbar.

Reflexe: Patellar- und Achillessehnenreflexe beiderseits erloschen. Romberg positiv. Pat. steht unsicher, greift beim Augenschließen nach Stütze.

Der Gang ist ebenfalls unsicher, scheinbar im Anfang etwas gehemmt. Die FuB- spitzen streifen den Boden, die Knie werden stark hochgezogen und die Beine nach vorn geschleudert. Keine Ataxie. Bei Richtungswechsel verliert Pat. leicht das Gleich- gewicht.

Im Gesicht und an den Extremitäten Sensibilität o B. Chvostek positiv.

Die Untersuchung des Thorax, des Abdomens sowie der inneren Organe umstände- halber nicht möglich.

Muskulatur: Gesicht starr, mimische Muskulatur atrophisch. Beiderseits Ptosis der Augenlider, Lidschluß sehr schwach, nur unter steifem, angestrengtem Grimassieren möglich. Mund stets halb offen. Auf beiden Seiten Temporalgruben. Masseteren nur als schmale Bänder fühlbar. Grobe Kraft der Kaumuskulatur sehr gering (Fleisch, Aepfel und hartes Brot können nicht gebissen werden). Cucullares beiderseits kaum tastbar. Am Hals fehlt überhaupt jede Muskelresistenz. Nur matsches, sulziges Gewebe fühlbar. Kopfheben im Liegen unmöglich.

Obere Extremität: Grobe Kraft gering, Händedruck beiderseits minim. Handteller ganz flach.

Untere Extremität: Quadriceps beiderseits atrophisch. Aufrichten vom Stuhl geht nur mit Unterstützung der Arme. Peronei und Tibialis anterior links und rechts atro- phisch. Füße in ausgesprochener paretischer Spitzfußstellung.

Myotonische Störungen: Beiderseits deutlich Faustschluß, beim Armausschlagen ` Bizepskrampf. Beim Beklopfen der Zunge sowie der Daumenballen Dellenbildung.

7. Konrad M.-O., 60 Jahre alt, gewesener Schmied von und in Thayn- gen, Kanton Schaffhausen.

a) Krankengeschichte vom 10. September 1923.

Familienanamnese (vgl. Stb. V): Vater (IV. 5) starb 85jährig an Altersschwäche, war von Beruf Hufschmied und verlor durch Unfall ein Auge, Eine „Bäsi“ (III. 5) desselben soll blind gewesen sein. Mutter starb mit 79 Jahren an Lungenentzündung, hatte beiderseits Star, wurde im Alter von ca. 58 Jahren operiert. Zwei jüngere Schwestern derselben litten ebenfalls an Star und wurden ungefähr im selben Alter operiert. Beide haben Nachkommen, unter diesen verschiedene befallene Individuen (IV. 8 und 14 und Nachkommen). Ein Bruder (IV. 17) war zweimal kinderlos ver- heiratet. Sechs weitere Geschwister starben kurz nach der Geburt (IV. 1, 3, 6, 19, 20 und 21). Zwei allein der insgesamt 11 Geschwister waren gesund (IV. 2 und 22). Unter deren Nachkommen konnten bis heute weder Katarakt noch Myotonie gefunden werden. Der Großvater (UL 4) väterlicherseits starb 57jährig, war Schmied, soll gute Augen gehabt haben wie seine 78 Jahre alt gestorbene Frau.

Der Großvater (III. 1) mütterlicherseits, von Beruf Kornhändler, soll groß und stark gewesen sein, starb 80 Jahre alt. Seine Frau (III. 2) erreichte 56 Jahre, starb an Pneumonie. Soll mittelgroß und mager gewesen sein.

Pat, selber (V. 11) hatte 10 Geschwister. Zwei starben im frühesten Kindesalter (V. 9 und 12), ein drittes war eine Totgeburt (V. 17), ein viertes’ verschied mit 18 Jahren an tuberkulöser Hirnhautentzündung. Der älteste Bruder (V. 8), von Beruf Tierarzt, ergab sich dem Trunke und war Morphinist, war stark kurzsichtig (ob kataraktbehaftet,

4

24 Hans C. Frey:

konnte nicht ermittelt werden), starb 32 Jahre alt an Lungenschwindsucht. Hinterließ 3 Kinder. 3 Schwestern des Pat. bekamen im mittleren Alter beiderseits Star. Die älteste (V. 10) ist 62 Jahre alt und hat 5 Kinder sowie bereits 5 Enkelkinder. Sie wurde mit 54 Jahren staroperiert. Die zweitjüngste Schwester, Frau W. M. (V. 16, Stb. V), operierte man mit 46 und 47 Jahren. Die jüngste (V. 18), von Beruf Schneiderin, wurde mit 46 Jahren am rechten Auge staroperiert, am linken Cataracta matura, hat Wolfsrachen und in früher Kindheit genähte Hasenscharte. Hat früher verschiedene Mittelohrentzündungen durchgemacht, ist taub.

Ein 54 Jahre alter Bruder (V. 13) ist in Amerika. Er litt vor seiner Auswanderung ~ an Knochentuberkulose, „man habe ihm den einen Fuß abnehmen wollen“. Er ist ledig.

Ein 58jähriger Bruder leidet an derselben Krankheit wie Patient (ist Vater des Patienten 8), zeigt ebenfalls das Vollbild des Steinertschen Symptomenkomplexes. Er hat eine gesunde Frau, mit demselben Geschlechtsnamen wie er, Verwandtschaft wird verneint. Sein Sohn ist Pat. 8 (VI. 28). Die Tochter (VI. 29) hat sich soeben ver- heiratet, sie soll gesund, groß und fest sein. Habe blaue Augen und soll dem Vater sehr nachschlagen. Wohnt zur Zeit im Kanton Thurgau.

Pat. hat von seiner ersten Frau mit demselben Geschlechtsnamen wie er 3 Kinder. Die älteste Tochter (VI. 24) ist kinderlos verheiratet, 28 Jahre alt, wohnt in Singen. Eine zweite Tochter (VI. 25), 26 Jahre alt, trägt einen Zwicker wegen Kurzsichtigkeit, ist schwächlich, zeigt aber bis jetzt keine myotonischen Symptome.

Das dritte Kind (VI. 26) starb 1 Jahr alt. Von der zweiten Frau hatte Pat. 1907 einen Knaben (VI. 27), derselbe ist zur Zeit in einer Erziehungsanstalt im Zürcher Oberland.

Persönliche Anamnese: Kinderkrankheiten keine. Mit 20 Jahren Gliedersucht, da- mals auch Ohrenfluß und Gehörsabnahme. In jüngeren Jahren dreimal Lungen- und Brustfellentzündung. Seit etwa 10 Jahren viel Husten. 1903, mit 39 Jahren, Aufgabe des Berufes wegen Abnahme der Sehkraft. 1904 Staroperation links (bei Dr. M. in Schaffhausen), 1905 rechts (bei Dr. M. in Basel), Nachstaroperation keine. Später bei Unfall linkes Auge verloren, heute links Prothese. Seit 1900 starke Abmagerung. Ursache unbekannt. Seit 1914 Steifigkeit in den Fingern, Pat. führt dieselbe auf Tätigkeit in Töpferei zurück, wo er von 1903 bis 1914 als Hilfsarbeiter schwere Arbeit verrichten mußte. Wegen Plattfüßen militärfrei.

Starke Abmagerung und allgemeine Kraftlosigkeit sind die einzigen derzeitigen Klagen. Das Allgemeinbefinden soll stets derart gewesen sein, daß Pat. nie einen Arzt aufgesucht habe.

Status praesens: Pat. mittelgroß, stupid aussehend, äußerst abgemagert. Gewicht 58 kg (mit Kleidern). Körperhaltung vornübergebeugt. Kopf auf den Boden starrend, steif auf dünnem Halse aufsitzend. Alle Bewegungen sind unbeholfen und langsam, schleppend, besonders fällt eine eigenartige Unbeweglichkeit der Hände auf.

Haut im Gesicht und an den Extremitäten trocken, etwas gespannt und nur wenig durchblutet.

Pat. gibt auf alle Fragen gut Auskunft, ist intelligent und hat ein sehr gutes Gedächtnis. Der Pfarrer soll ihn um dieses schon oft beneidet haben. Verblüffend wirkt ein köstlicher Humor bei vollständig maskenarligem, starrleidendem Gesichts- ausdruck. Typische Facies myopathica vorhanden. Sprache undeutlich, Stimme klang- los, eintönig, hoch, etwas heiser.

- Kopf: Nur Haut über Knochen. Augen tiefliegend, in scheinbar großen Augen- höhlen. Ausgesprochene Schläfen- und Wangengruben. Ausgedehnte Glatze bis Lambda- naht. Stirnrunzeln und Pfeifen unmöglich, ging früher gut. Beiderseits Ptosis der Augenlider, Schließen derselben geht ohne weiteres,

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 25

Augen: Rechtes aphakisch. Operationskollobom in der Iris, Pupille reagiert auf Lichteinfall etwas träge. Sehvermögen gut. Unterer Lidrand entzündlich gerötet. Links Prothese.

Ohren o. B. Hörvermögen beiderseits herabgesetzt.

Mund: Vordere untere Zähne eigen, die übrigen durch Prothese ersetzt. Harter Gaumen steil, hoch, weicher Gaumen etwas atrophisch, nicht gut beweglich. Zunge kann gerade herausgestreckt werden, zeigt ausgesprochene Myotonie. Klopfdelle bleibt 15—20 Sekunden stehen. Mäßiger Ptyalismus. Schluckstörungen bestehen nicht.

Hals: Mager und Muskelresistenz entbehrend. Sternocleidomastoidei sind nicht abtastbar. Kopf kann im Liegen nicht gehoben werden. Thyreoidea nicht vergrößert.

Thorax: Flach und starr, tiefe Klavikulargruben, tiefe Interkostalfurchen. Herz- grenzen o. B., Töne rein. Puls regelmäßig, äußerst langsam, 50.

Lungen- und Abdominalstatus konnten umständehalber nicht aufgenommen werden.

Obere Extremität: Hände und Unterarme in eigenartig steifer Haltung. Alle Be- wegungen derselben sind steif und unbeholfen. Knöpfe kann Pat. beispielsweise nur mit beiden Daumen Öffnen, die anderen Finger werden eingekrallt und steif gehalten. Besonders auffallend ist die Atrophie der kleinen Handmuskeln: tiefe Interkarpalgruben. Daumen- und Kleinfingerballen fehlen. Spreizen und Schließen der Finger geschieht mit äußerst geringer Kraft. Auch die Flexorengruppe an beiden Unterarmen ist stark atrophisch. Die Skelettkonfiguration ist durch die Weichteile gut sichtbar. Der Hände- druck ist beiderseits schwach, links etwas kräftiger. In beiden Händen ausgesprochene,. aktive Myotonie: nach kräftigem Faustschluß wird die Hand krampfartig ulnarflektiert und langsam wurmförmig löst und streckt sich ein Finger nach dem andern. Bei mehrmaliger Wiederholung dieser Bewegungen verschwinden die myotonischen Hem- mungen.

Mechanisch-myotonische Symptome sind nur in den Muskeln des Vorder- und Oberarmes erzeugbar. Beklopfen der Handflexoren und des Bizeps hinterläßt 5 bis. 10 Sekunden stehende Muskeldelle. Am Thenar und Hypothenar ähnliches nicht nach- weisbar, zu atrophisch.

Untere Extremität: Muskulatur schlaff, grobe Kraft gering. Beide Füße in Equino- varusstellung. Beweglichkeit derselben stark eingeschränkt. Deutliche Atrophie des Tibialis ‘anterior und der Peronei. Myotonische Erscheinungen fehlen. Die Füße fühlen sich kalt an, und ihre Haut ist wenig durchblutet.

Der Gang ist etwas unsicher, paretisch, die Füße sind einwärts gedreht, die Unter- schenkel werden stark hochgehoben, damit die Spitzfüße ohne Berührung des Bodens. nach vorne gebracht werden können. Das Treppensteigen der herabhängenden Spitz- füße wegen besonders mühsam.

Reflexe: Patellarreflex links und rechts schwach positiv, Achillessehnenreflex beider- seits positiv. Chvostek, Babinski und Romberg negativ. Sensibilität o. B.

b) Genealogische Untersuchungen siehe Fall 8 unter b). 8. Hans Jakob M., 23 Jahre alt, Landwirt von und in Thayngen, Kan- ton Schaffhausen.

a) Krankengeschichte vom 5. Januar 1924.

Familienanamnese (vgl. Stb. V): Der Vater (V. 13) ist 58 Jahre alt, ist ein Bruder des Vorigen. Wurde mit 39 Jahren beiderseits staroperiert und zeigt heute das typische Bild der myotonischen Dystrophie, mit Faustschluß, Atrophien, Sprachstörungen, Glatze und Kraftlosigkeit (vgl. Bild).

26 Hans C. Frey:

Die Mutter ist zur Zeit gesund, litt früher längere Zeit an Magengeschwüren. Er- holte sich aber davon vollkommen. Eine Schwester hat sich soeben verheiratet. Sie soll gesund und fest sein. Im übrigen verweisen wir auf die Familienanamnese des vorigen Falles und auf Stammbaum V.

Persönliche Anamnese: Mit 2 Jahren wilde Blattern, mit 3 Jahren schwere Lungen- und Brustfellentziindung: 3 Wochen 40° und mehr Fieber gehabt, 8 Tage bewußtlos ‚gewesen. 8jährig Masern mit Mittelohrentzündung, mit 12 Jahren Diphtherie; dabei Gaumenlähmung, konnte während 1 Monat nicht mehr sprechen und war deswegen längere Zeit in ärztlicher Behandlung. Zur Schulzeit an der linken Hand eine Blut- vergiftung durchgemacht, 1918 Grippe, hatte 8 Tage fast stets geschlafen. Vom 17. bis 20. Altersjahr war Patient Aktivmitglied des Turnvereins, will auch jetzt noch guter Turner sein. 1920 Passivmitglied geworden, aus Sparsamkeitsrücksichten, wegen Ein- tritt in den Schützenverein. Pat. ist guter Schütze, was verschiedene Schießkarten und Ehrenmeldungen beweisen, darunter sogar eine Auszeichnung an den drittbesten Schüt- zen des Endschießens im Oktober 1922.

Vor einigen Jahren beim Holzschlitteln den rechten Fuß verstaucht, kurz darauf auch den linken. Ein Stein soll auf die Ferse gefallen sein.

Pat. ist militärfrei. Will früher schon immer etwas schwächlich und mager gewesen sein. Mutter meint eben, er habe von dieser Lungenentzündung mit 3 Jahren etwas davongetragen. Seit 1921 bemerkf Pat. eine Steifigkeit in den Fingern, die ihn be- sonders beim kalten Wetter stört, ebenfalls habe die Kraft in den Händen abgenommen, kann ein Taschenmesser nicht mehr öffnen, was früher ohne weiteres gegangen ist.

Pat. klagt über unangenehm starken Fußschweiß.

Status praesens: Größe 163 cm. Gewicht 55 kg. Körperbau schwächlich. Ernäh- rungszustand mäßig. Muskulatur an den Extremitäten im allgemeinen gut entwickelt. Fettpolster mittel. Haut im Gesicht und an den Händen wenig sukkulent, leicht ge- spannt. Am ganzen Stamm leukodermartige Braunfärbung. Mamillen stark pigmentiert. Auf Brust, vereinzelt auch auf Bauch und im Kreuz gelblichbraune, leicht schuppende, 5 Rappen bis Handteller große, zum Teil konfluierende Effloreszenzen. Diese Hautver- änderungen sollen schon lange bestehen. Beginn kann nicht angegeben werden. Vater oder Mutter sollen keine ähnlichen Veränderungen aufweisen. Nach dem makroskopi- schen Befund handelt es sich wahrscheinlich um eine Pityriasis versicolor. Ein mikro- skopischer Befund fehlt.

Körperhaltung gerade, aufrecht. Alle Bewegungen im allgemeinen unbeholfen, an den oberen Extremitäten steif, an den unteren paretisch, schlaff.

Intelligenz eine mittlere. Gedächtnis mäßig. Pat. ist äußerst empfindlich und wehleidig.

Behaarung o. B.

Sprache undeutlich, breiig. Die Stimme ist hoch und monoton.

Kopf: Leichte Prognatie. Ohrlappchen frei beweglich. Kein Tuberculum Darwini. Spitzes, mageres Gesicht. Schläfen und Wangen eingefallen, Gesichtsausdruck leer. Beim Sprechen geringe Mimik. Stirnrunzeln und Mundspitzen geht schlecht. Beider- seits leichte Ptosis der Augenlider. Mund stets halb offen. Unterlippe wulstig, schlaff herabhängend.

Augen: Skleren rein, weiß. Pupillen rund, reagieren nur sehr träge auf Lichtein- fall und Konvergenz. Sehkraft beiderseits gut.

Hörvermögen links und rechts gut.

Mund: Mundschleimhaut frisch-rot. Zunge und Tonsillen rein. Harter Gaumen dachförmig, hoch, weicher symmetrisch, scheinbar nicht sehr gut beweglich. Cavum pharyngis sehr geräumig. Zunge nicht atrophisch, wird gerade herausgestreckt, zeigt deutliche mechanische Myotonie. Zähne zum Teil kariös, viele fehlen.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 27

Hals: Dünn, von schlaffer Resistenz. Sternocleidomastoideus schmales Band. La- rynx tritt als schlaffer Längswulst am Halse vor. Das Schlucken geht nur bei be- stimmter Kopfhaltung und akzessorischen Kopfbewegungen, Verschlucken häufig. Grö- Bere Speisereste können nicht ohne weiteres verschluckt werden, bleiben im Rachen stecken,

Thyreoidea nicht fühlbar vergrößert.

Thorax: Mittelbreit, etwas flach. Atembewegungen o. B. Hautveränderungen siehe oben. Leichte Supraklavikulargruben. Brustwirbelsäule ohne Verbiegungen. Die me- dianen Skapularränder stehen vor. Der Erector trunci ist deutlich atrophisch. Beider- seits der Wirbelsäule tiefe Langsfurchen. Deltoideus ebenfalls atrophisch. Das Akro- mion tritt deutlich hervor. Grobe Kraft im Schultergürtel leicht vermindert.

Herzgrenzen o. B. Töne rein. Herzaktion regelmäßig. Puls 70. Lungengrenzen o B. Ueberall heller Lungenschall. Ueber den Spitzen und Unterlappen überall Vesi- kuläratmen.

Abdomen flach, nirgends druckempfindlich, Leber und Milz nicht vergrößert. Geschlechtsorgane: Pubes reichlich, beide Hoden etwa nußgroß, von weicher Konsistenz. Penis gut entwickelt. Erektionen sollen selten sein.

Obere Extremität: Unterarm-Handgebiet steif erscheinend. Muskulatur gut kon- figuriert, aber etwas schwach entwickelt. Daumen- und Kleinfingerballen atrophisch, Handteller ganz flach. Beweglichkeit im Schultergelenk gut. Armausschlagen geht nicht rasch. Hemmender Bizepskrampf beiderseits. Beweglichkeit in den Händen vermindert. Die zur Faust geschlossenen Finger bleiben einige Zeit fest eingekrallt und können nur unter größter Anstrengung wieder langsam ausgestreckt werden. Dabei wird die Hand eigenartig ulnarflektiert. Mediale, ulnare und radiale Flexion sowie Extension der Hände bedeutend gehemmt. Nach mehrmaligen Bewegungen verschwinden die Hemmungen. Spreizen und Schließen der Finger sowie Ab- und Adduktion des Dau- mens geschehen nur mit geringer Kraft. Händedruck beiderseits ganz gering.

Beklopfen der Muskulatur mit dem Perkussionshammer erzeugt einen Wulst, am Bizeps besonders deutlich, Mechanische Myotonie an den Handballen nicht gut nach- weisbar.

Untere Extremität: Beide Füße in paretischer Equinovarusstellung. Atrophien be- sonders im Peronealgebiet und im Bereich des Tibialis anterior. Beweglichkeit in Hüft- und Kniegelenk gut, mit unverminderter Kraft, dagegen ist die Beweglichkeit der Füße stark eingeschränkt. Beiderseits können dieselben nicht rechtwinklig dorsalflektiert werden, die hebende Kraft fehlt. Passive Flexion bis zum rechten Winkel möglich. Pronation und Supination unmöglich. Fuß bleibt steif. Aktive und passive Myotonie nicht nachweisbar.

Gang: Typisch, wie bei allen dystrophischen Myotonikern, stampfend, lärmend, unter starkem Hochheben der Knie, mit herabhängenden Spitzfüßen.

Reflexe: Patellarreflexe rechts schwach positiv, links nicht auslösbar. Achilles- sehnenreflex beiderseits nicht vorhanden. Chvostek, Babinski, Romberg negativ. Sen- sibilität o. B.

b) Genealogische Untersuchungen zu Fall 7 und 8.

Die Stammtafel V wurde in Thayngen, im Kanton Schaffhausen, zu- sammengestellt. Sie zählt heute über 200 Individuen, umfaßt 6 Generationen und geht zurück auf 1750. Schon ums Jahr 1600 werden die Geschlechts- namen der Stammeltern in den Kirchenbüchern von Thayngen erwähnt. Einheiraten aus Deutschland oder aus der übrigen Schweiz konnten bis heute in der Geschichte dieses Geschlechtes nicht festgestellt werden. Die

28 Hans C. Frey:

Verehelichungen fanden, soweit der Stammbaum zurückreicht, stets zwi- schen Ortsbürgern statt. Die einzige Ausnahme betrifft ein Individuum der 4. Generation, das uns aber in diesem Zusammenhange nicht interessiert.

Bis heute konnten an Hand dieses Stammbaumes in der 2. bis 5. Ge- neration 11 Individuen mit Katarakt, 3 mit Myotonie und 2 mit beiden Symptomen aufgefunden werden. Von diesen 16 Fällen sind 5 Katarakt- behaftete bereits gestorben. Von den übrigen 11 Individuen sind zur Zeit 8 untersucht. Im übrigen vgl. Stammbaum V unten.

III. Epikrise.

Ausgehend von drei, dem Verfasser von Herrn Prof. V o g t freundlichst überlassenen Fällen, konnten im Laufe eines halben Jahres 14 neue be- fallene Individuen ausfindig gemacht werden. Ebenso gelang es, an Hand der Krankengeschichten der Universitäts-Augenklinik Zürich von 1900 bis 1923 weitere Ausgangspatienten zu bekommen, deren Angehörige abermals 25 Individuen mit Frühkatarakt, myotonischen Symptomen oder beiden lieferten.

Auf diese Weise stellten wir insgesamt 45 neue Fälle fest. Davon hat Verfasser bis heute 20 untersucht und darunter 6 Individuen mit praeseniler Katarakt (und dystrophischen Symptomen), 2 mit myotonisch-dystrophi- schem Syndrom und 12 mit beiden Veränderungen gefunden. Weitere ebenfalls untersuchte, atypische Fälle werden uns später in einem anderen Zusammenhange besonders interessieren.

In der vorstehenden Zusammenstellung wurden 8 unserer sämtlichen 20 positiven Fälle geschildert und ihre Krankengeschichten mit den zuge- hörigen Stammbäumen ausführlich wiedergegeben. Mit Ausnahme der ersten Krankengeschichte wurden alle vom Verfasser beim Besuche der einzelnen Patienten bei diesen zu Hause aufgenommen. Daß die Befunde da und dort unvollständig sind, wird jeder verstehen, der weiß, welchen Schwierigkeiten man begegnet, wenn man Leute bei ihrer Arbeit aufsucht und sie gar als Unbekannter untersuchen möchte.

Die Stammbäume der Fälle 1, 2, 3, 7 und 8 wurden an Hand von Kirchenbüchern, Bürgerregistern und mehrfach überprüften Aussagen von Angehörigen, Bekannten und Dorfältesten ausgeführt. Diejenigen von 4, 5 und 6 konnten bis heute noch nicht durch die zivilstandsamtlichen Bücher ergänzt und erweitert werden. Sie geben die Mitteilungen der nächsten Angehörigen wieder. .

Die sämtlichen 8 ausgewählten Fälle zeigen charakteristische Züge des eingangs kurz umrissenen Symptomenkomplexes, die uns mit Sicher- heit die Diagnose auf myotonische Dystrophie erlauben:

Fall 1 ist ein klassisches Beispiel. Wir finden bei dem 37jährigen Handlanger A. neben allgemeiner Abmagerung, typisch myatrophischen

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 29

Erscheinungen, die Facies myopathica, Ptosis der Augenlider, eine Schwäche des Musculus orbicularis oris, Sprachstörungen, einen unsicheren Gang; ferner deutliche Atrophie der vorderen Halsmuskeln, besonders des Mus- culus sternocleidomastoideus; daneben Atrophie des Erector trunci. Die Myotonie ist als eine aktive im Faustschluß nachweisbar, als eine mecha- nische ist sie in allen Muskeln vorhanden. Auch die elektrische Prüfung der myotonisch veränderten Muskeln ergibt eine spezifisch myotonische Reaktion; bei direkter Reizung die charakteristische träge und andauernde Zuckung und bei Reizung vom Nerven aus eine blitzartige Kontraktion.

Positives Chvosteksches Phänomen, ausgesprochene Salivation, beider- seitige Aphakie, geringe Vergrößerung der Thyreoidea sowie einseitige Hodenatrophie mit Abnahme der Potenz und ein niedriger durchschnitt- licher Blutdruck von 90 mm Hg ergänzen das Krankheitsbild zu seiner typischen Form.

Die positiven Tiefenreflexe sprechen nicht gegen die Diagnose. Aus der Literatur (vgl. Rohrer)) wissen wir, daß dieselben in ungefähr der Hälfte der Fälle negativ ausfallen. Auch Veränderungen des Integu- mentes sind nicht durchgehend nachgewiesen worden.

Die Blutbefunde zeigen nichts Abnormes. Die Werte der Magen- und Duodenalsondierungen sowie andere Einzeluntersuchungen übergehen wir hier, da uns Vergleichswerte von anderen myotonischen Dystrophikern ` fehlen.

Besonders aufiallend sind im Verlaufe dieses Krankheitsfalles der frühe Beginn und die Exazerbation durch einen Unfall. Nach Angaben des Patienten sollen die ersten Erscheinungen im Alter von 14 Jahren auf- getreten sein, und zwar in Form einer plötzlich einsetzenden Salivation und allmählich sich entwickelnder Sprachstörungen

Einen ähnlichen Fall hat 1919 Hauptmann") beobachtet, bei wel- chem zur Schulzeit mit ca. 10 Jahren ein Undeutlichwerden der Sprache und gleichzeitig auftretende Greifstörungen die Krankheit einleiteten. Auch Steinert"), Grund‘) und Tetzner”) veröffentlichten Fälle mit Be- ginn der ersten Erscheinungen in der Kindheit oder Adoleszenz.

Was den Unfall betrifft, wissen wir, daß ein Trauma nicht nur exa- zerbierend wirkt, sondern sogar als auslösendes Moment auftreten kann. Tetzner™)) hat nämlich bei zwei familiär nicht belasteten Arbeitern myotonische Dystrophien beschrieben, von denen der eine mit 32 Jahren und der andere mit 34 Jahren aus bester Gesundheit verunfallten. Auch Brasch?) hat einen Fall von myotonischer Dystrophie beobachtet, bei dem die ersten Erscheinungen bei einem 26jährigen Palienten 8 Monate nach einer Commotio cerebri aufgetreten sind. Vielleicht gehört eine Beob- achtung des Verfassers ebenfalls hierher, bei der es sich um myotonisch- dystrophische Erscheinungen bei einem familiär unbelasteten, 53 Jahre

30 Hans C. Frey:

alt gestorbenen Manne handelte, welchem in der Kindheit eine Kegelkugel an den Kopf fuhr. Patient soll ganz allmählich ausgeschwächt sein; er sei unbeholfen geworden, habe nicht mehr gehen können, sei vornüber- gebeugt mit schlierpendem Gange, mit einwärtsgedrehten Füßen einher- gekommen. Er wurde mit 42 Jahren beiderseits staroperiert.

Die Fabrikarbeiterin J. M. (Fall 2) führt uns ebenfalls ein Vollbild der myotonischen Dystrophie vor Augen. Sie zeigt ganz besonders ein- drücklich, zu was für elenden und hilflosen Geschöpfen diese Krankheit die befallenen Menschen macht. Die 43jährige, 153 cm große Patientin wiegt mit den Kleidern nicht mehr als 42 kg.

Für das abnorm frühe Einsetzen der ersten Krankheitserscheinungen ist in diesem Falle wahrscheinlich die zu frühe Geburt verantwortlich zu machen. Nach Angaben der Patientin und ihrer Angehörigen sollen ja Greifstörungen schon im Alter von 6—7 Jahren aufgetreten sein. Der Be- ginn der dystrophischen Erscheinungen kann nicht angegeben werden, sie seien im Laufe der Jahre allmählich aufgetreten.

Die oft rezidivierenden Pneumonien und die durch Ohrenfluß sich manifestierenden Mittelohrentzündungen sind fast regelmäßige Befunde in der Anamnese der myotonischen Dystrophiker. Die Pneumonie sowie auch das häufige Auftreten von Lungenphthise weisen mit Deutlichkeit auf eine verminderte Widerstandsfähigkeit des Organismus gegenüber Infekten hin.

Die Otitiden sind wohl als Folge der atrophierenden Pharynxmuskula- tur zu deuten. Es besteht einerseits durch Liegenbleiben der sich im Cavum pharyngis zersetzenden Speisereste eine stete Infektionsquelle für die eustachischen Tuben, und anderseits wird wohl durch die Atrophie der Schlundmuskeln die Tubenöffnung oft geschlossen.

Mit 26 Jahren mußte Patientin wegen Sehstörungen den Beruf wech- seln. Wahrscheinlich machte sich schon damals die heute festgestellte Cataracta incipiens geltend (siehe unten, Fall 4).

Daß die Kälte auf den Grad der Myotonie einen Einfluß hat, ersehen wir aus diesem Falle besonders deutlich. Auch beim Falle 8 finden wir in der Anamnese ähnliche Angaben. Bei der Kälte ist bei beiden Patienten .die Beweglichkeit, ganz besonders der Hände, vermindert, und die Sprache wird in vermehrtem Maße undeutlich und langsam.

Die Sprach- und Schluckstörungen stellten sich bei dieser Patientin erst in den letzten Jahren ein. Die ausgesprochene Salivation, der ständige Tränenfluß und das Schwitzen sprechen für eine Affektion des autonomen Nervensystems.

Die myotonisch-atrophischen Erscheinungen sind ebenfalls in cha- rakteristischer Weise vorhanden. Wir finden hier nicht nur in den Fle- xoren der Hand aktive Myotonie, sondern auch in den Extensoren ist diese nachweisbar. Die ausgesprochenen Schluckstörungen sprechen für Atrophie im Gebiete der Pharynxmuskulatur: Vielleicht handelt es sich

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). Al

hei diesen Störungen um eine Kombination von Atrophie mit myotonischen Erscheinungen im oberen Drittel des Oesophagus, wie sie von Hoff- man n”) seinerzeit an einem Falle nachgewiesen wurden.

Die Gangstörung, die wir auch in diesem Falle nicht vermissen, ist eine Folge der paretischen Spitzfüße, die durch Atrophie der Peronaeus- gruppe und des Musculus tibialis anterior zustandekommen. Der charak- teristische Steppergang ist in den späteren Stadien dieser Erkrankung stets vorhanden.

Veränderungen des Integumentes erkennen wir als Glanzhaut, Haar- ausfall und Hypertrophie der Zehennägel.

Der Blutdruck ist 80 mm Hg, also auch bei dieser Patientin ein auf- fallend niedriger.

In die Augen springend ist der abnorme Blutbefund mit den 13 % eosinophilen Leukozyten, doch auch dieser Befund ist uns nicht neu. Bei Andler, Fall 1 der Rohrerschen Kasuistik’”), finden wir in der Difie- renzierung des Blutbildes 11% eosinophile Zellen, auch Hauptmann") beschrieb 1919 einen Fall mit einer Eosinophilie von 6%. Meistens findet sich daneben eine Polycythaemie. Hauptmann möchte diesen abnor- men morphologischen Blutstatus im Sinne einer innersekretorischen Stö- rung deuten.

Die ausgesprochene Ueberempfindlichkeit sowie die Apathie und Ab- nahme der geistigen Regsamkeit deuten auch hier auf Veränderungen psychischer Art hin. |

Erwähnen wir noch das Erlöschen der Libido sexualis, so läßt sich auch dieses Krankheitsbild ohne weiteres den übrigen Vollbildern der Literatur anreihen.

Wir kommen zu Fall 3: Die 43jährige Hausfrau E. S.-M. fühlt sich absolut gesund, besorgt ihre Hausgeschäfte ohne Beschwerden und betreibt nebenbei noch Heimarbeit. Außer dem kurzen Spitalaufenthalt von 1921 war Patientin in den letzten Jahren nie in ärztlicher Behandlung. Bis zu ihrer Verheiratung mit 28 Jahren war sie als Krankenschwester tätig, und seit dieser Zeit besorgt sie als tüchtige, umsichtige Hausfrau ihr Heimwesen.

Frau S.-M. stammt aus derselben Familie wie Fall 2. Sie ist eine Cousine dieser und gehört mit J. M. einer Generation des Geschlechtes M. M. an (siehe Stammbaum II), in der wir in fünf Familien nicht weniger als sechs einwandfrei festgestellte myotonische Dystrophien fanden. Zudem gehört Frau S.-M. einer Familie an, in welcher nicht weniger als 6 Ge- schwister kurz nach der Geburt starben; eine Tatsache, die wir auch in anderen Myotonikerfamilien nicht selten konstatieren können. Somit lag der Verdacht, daß auch unsere Patientin oder ihre überlebenden Geschwister von diesem familiären Leiden betroffen sein könnten, nicht fern.

Eine genauere Untersuchung dieser Familie hat dann bei Frau S.-M. unsern Verdacht auch bestätigt. Trotzdem sich unsere Patientin soweit

32 | Hans C. Frey:

wohl fühlt und auch die Krankengeschichte von 1921 außer ungeklärten Metrorrhagien und einem Vitium cordis keine weiteren abnormen Befunde erwähnt, gelang es dem Verfasser, trotz verschiedentlicher Schwierigkeiten, einige Befunde zu sammeln, die uns auch hier an eine myotonische Dystro- phie denken lassen.

Die Bewegungsarmut, das ausdruckslose Gesicht, die Atrophien an den Händen, die myotonischen Erscheinungen beim Faustmachen, ferner die Veränderungen der Haut im Gesicht und an den Händen sowie die psychi- sche Labilität, das Mißtrauen und die Aengstlichkeit-erinnern doch gewiß an den Steinertschen Symptomenkomplex. Rechnen wir noch die unge- klarten Metrorrhagien als früh einsetzende (37—40 Jahre) klimakterische Blutungen hinzu denn diese Periodenstörungen lassen sich meines Er- achtens kaum anders deuten —, so gewinnt unsere Annahme noch eine Stütze mehr.

Weitere Beobachtung dieses Falles und eine event. genauere ophthal- meskopische Untersuchung werden in absehbarer Zeit wohl die Diagnose einwandfrei bestätigen.

Fall 4 und 5 sind Brüder. M. J. (Fall 4) wurde im November 1923 in der Augenpoliklinik von Dr. R. Klainguti als myotonischer Dystro- phiker erkannt. In diesem Falle sehen wir ganz besonders schön, wie das Leiden gesunde, vollkräftige Menschen langsam befällt und ihnen allmäh- lich die Kraft raubt. Patient absolvierte seinen Militärdienst als Gebirgs- infanterist ohne jegliche Beschwerden. Auch die Schießübungen machte er ohne irgendwelche Benachteiligung mit. Als Wildheuer konnte er früher schwere Lasten tragen, war mit 20 Jahren der beste beim „Häggeln“ und konnte als Knabe gut jauchzen und singen.

Also alles Beweise, daß der heute entkräftete, unbeholfene Mann ein- mal allen Kraftanstrengungen gewachsen war, daß er besonders in den Fingern viel Kraft besaß, die heute nicht einmal mehr zum Melken oder SchubkarrenstoBen ausreicht. Die Unmöglichkeit, nach dem 16. Altersjahr zu jauchzen und zu singen, weist darauf hin, daß hier die myotonisch dystrophischen Erscheinungen wohl im Gebiete des Kopfes zuerst einge- setzt haben. Die Kraftlosigkeit und Steife der Hände will Patient erst seit etwa 5 oder 6 Jahren bemerkt haben.

Auch hier sind es die Schstörungen gewesen, welche diesen Fall, wie so viele andere, in ärztliche Behandlung führte. Aus diesem Grunde be- greifen wir auch, weshalb dieses Leiden besonders häufig von ophthal- mologischer Seite beschrieben worden ist.

Auch M. J. zeigt eine typische Katarakt (siehe unten). Die Facies myopalica, beiderseits leichte Ptosis der Augenlider, allgemeine Abmage- rung und Abnahme der Kraft, typische mechanische Myotonie der Zunge, juveniler Schnurrbart, schwach auslösbare Tiefenreflexe und apathisches

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Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 33

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Wesen ergänzen auch dieses Krankheitsbild zum charakteristischen, myo- tonisch-dystrophischen Symptomenkomplex.

Bei F. J. (Fall 5) finden wir die Krankheit ungefähr in demselben Entwicklungsstadium wie bei seinem Bruder M. Die übermäßige Tränen- sekretion zur Schulzeit und die mit 17 Jahren einsetzende Kraftabnahme in den Händen sind wiederum Beweise, daß auch in diesem Falle die ersten Symptome vor dem 20. Altersjahr sich eingestellt haben. Trotz der Ungeschicklichkeit und Kraftlosigkeit in den Fingern konnte Patient den Militärdienst als Säumer angeblich ohne besondere Nachteile mitmachen.

Auch in dieser Krankengeschichte genügen wohl die angeführten Be- funde, um in diesen den Kern des Steinertschen Symptomenkomplexes zu erkennen.

Ob die Magenbeschwerden mit dem myotonisch-dystrophischen Syn- drom im kausalen Zusammenhang stehen, bleibe dahingestellt. Eine Se- kretionsstörung der Magendrüsen wäre ja neben den anderen Sekretions- anomalien gut denkbar. Aus der Literatur sind uns zur Zeit keine Stö- rungen von seiten des Magendarmtraktus bekannt, dagegen fand Verfasser bei anderen untersuchten Individuen ähnliche Magenbeschwerden. Ferner beschrieb uns ein Patient mit ausgesprochenem Vollbild der myotonischen Dystrophie nach dem Essen auftretende, würgende Erscheinungen im Be- reiche des Mediastinums, die nichts anderes sein können als Spasmen des Oesophagus. | |

Auf die ophthalmoskopischen Befunde der Gebrüder J. möchte ich hier noch besonders eingehen. |

Beide klagen über Abnahme der Sehkraft, bei beiden ergab eine ge- nauere Untersuchung charakteristische Linsentrübungen, wie sie Professor Vogt) 1921 bei myotonischer Dystrophie genauer beschrieben hat.

Verfasser durchleuchtete mit der Gullstrandschen Spaltlampe bei beiden die rechte Linse, die Pupille war dabei auf ca. 8 mm erweitert. Die Be- funde unterschieden sich nur graduell, prinzipiell waren sie gleich.

Verfasser fand am hinteren Linsenpol sternförmige, aus Streifen und Fetzen bestehende Trübungen, die sich scheinbar aus kleinen, weißen Flocken zusammensetzen. In der vorderen und hinteren Linsenrinde wenig weißer Staub mit ziemlich reichlich dazwischen liegenden, in verschiedenen Farben aufleuchtenden Kriställchen. Die Kerngegend der Linse schien frei von Trübungen.

Im Anschluß an diese Untersuchungen erwähnen wir gleich den oph- thalmoskopischen Befund bei Palientin 2.

Verfasser fand in diesem Falle ähnliche Trübungen. Der weiße Staub und die leuchtenden Kriställchen waren nur viel spärlicher vorhanden. Dagegen traten bei dieser Patientin noch deutliche Sektoren- und spieß- förmig radiär angeordnete Trübungen einer Koronar-Katarakt hinzu.

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbilogie. Bd. 17. Heft 1. 3

Hans C. Frey:

=

Aus der Familienanamnese des M. J. entnehmen wir, daB auch der Vater und 2 Schwestern von ihm an demselben Leiden erkrankt sind.

Verfasser möchte hier nur kurz auf die Befunde bei Frau S. H.-J. CHI. 1, Stb. III) eingehen. Trotz Verweigerung einer genauen Untersuchung konnten wir folgendes feststellen: Patientin bekam mit 30 Jahren oben und unten eine Zahnprothese, litt längere Zeit an schweren Menorrhagien, wurde mit 44 Jahren am linken Auge staroperiert und zeigt heute mit 60 Jahren rechts eine Cataracta matura; klagt über Magenbeschwerden und weist einen allgemein kachektischen Habitus auf. Myotonische Erscheinungen konnten nicht festgestellt werden; es wurde auch Faustschluß und Zungen- myotonie geprüft.

Neben der präsenilen Katarakt zeigt uns diese Patientin also eine Reihe anderer Symptome, die wohl in ursächlichem Zusammenhange mit dieser stehen und nicht als zufällige Einzelstörungen gedeutet werden können. Dies festzustellen, erscheint uns besonders wichtig. Aus unseren übrigen „Starfällen“ ist uns nämlich kein monosymptomatischer mit Katarakt allein behafteter Fall bekannt. Bei eingehender Untersuchung stellten sich bei allen myotoniefreien Starpatienten noch weitere dystrophi- sche Symptome heraus. So fand Verfasser frühzeitige Kachexie, kariöse Zähne, Störungen des Integumentes, auch vasomotorische Störungen sowie nervöse und psychische Veränderungen, ja sogar Entwicklungsstörungen, wie Hasenscharte und Wolfsrachen. Verfasser möchte deshalb nach eigenen Beobachtungen und gestützt auf ähnliche myotoniefreie Fälle, aus der Lite- ratur (vgl. Rohrer?) und Nickau*) solche Krankheitsbilder als Dy- strophia myotonica sine Myotonia auflassen.

Fall 6 zeigt uns neben ausgesprochener Myotonie und charakteristi- schen, dystrophischen Symptomen eine atypische Entwicklung des Unter- hautfettgewebes. Die Hyperplasie des Panniculus adiposus mit gleichzei- tiger Gewichtszunahme soll sich erst allmählich seit der Arbeitsaufgabe im Laufe der letzten 7 Jahre entwickelt haben. Nach Aussagen der Frau des Patienten und nach dem Status der Krankengeschichte von 1912 war Franz B. mit 38—40 Jahren ein kleiner, „kolossal magerer“ Mann, mit schwacher Intelligenz.

Diese Feststellung zusammen mit den heutigen Befunden, der aktiven Myotonie im Faustschluß und im Bizeps, der mechanischen Myotonie der Zunge und der Daumenballen, der Ptosis der Augenlider, den Sprach- störungen, der Salivation, der Kraftlosigkeit und dem typischen Stepper- gang weisen darauf hin, daß Patient wohl mit ca. 40 Jahren das typische Bild der myotonischen Dystrophie dargeboten hat.

Die Hyperplasie des Fettpolsters mit der angeblichen Gewichtszunahme ist also eine sckundäre Erscheinung und steht mit der Arbeitsaufgabe in engster Beziehung. Ob es sich hier nur um eine vorübergehende Ver- änderung (eventuell Erholung) des Fettstoffwechsels handelt, die bei einem

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). | 35 entarteten, minderwertigen Organismus bei Ausschaltung jeglicher Lei- stungen sich einstellte, sei nur als eine mögliche Erklärung hier beigefügt.

In bezug auf das Nervensystem sind bei diesem Falle besonders noch zu erwähnen: die negativen Tiefenreflexe der unteren Extremitäten, das positive Rombergsche Phänomen (ohne typische Ataxie) sowie der positive Ausfall des Chvostekschen Phänomens.

Daß die Krankheit bei unserem Falle 6 erst nach dem 33. Altersjahr aufgetreten ist, beweist uns die ärztliche Untersuchung bei der Aufnahme in das Bahnpersonal. Wir haben es also hier, im Gegensatz zu den vor- genannten Fällen, mit.einem relativ späten Beginn des Leidens zu tun.

Fall 7 und 8 stammen wieder aus ein und demselben Geschlecht. Der 60 Jahre alte Schmied K. M.-O. ist ein Onkel des 23jährigen H. J. M.

Patient K. M. (Fall 7) war früher ein angesehener, tüchtiger Schmied, spielte in verschiedenen Vereinen seines Heimatortes als ein intelligentes, umsichtiges Mitglied eine wichtige Rolle, und an Festlichkeiten soll sein Witz und Humor stets die ganze Gesellschaft unterhalten haben. Heute wohnt dieser Mann in einem der kleinsten und elendesten Häuser des Dorfes. Seit einigen Jahren ist er seiner „Auszehrung“ wegen gebrochen und lebt in Zurückgezogenheit. Der früher gesunde und starke Schmied ist heute bloß noch ein Skelett, bedeckt mit Haut und in Lumpen gekleidet. Mit diesen Worten ungefähr beschrieb eine Schwester des Patienten das Leben ihres Bruders K.

Diese knappe Beschreibung gibt in kurzen Zügen den charakteristi- schen, ergreifenden Lebenslauf eines dystrophischen Myotonikers wieder, wie er wohl kaum eindrücklicher geschildert werden kann. |

Das Leiden setzte hier, im Gegensatz zu den vorigen Fällen, mit dystro- phischen Erscheinungen ein. Mit 36 Jahren magerte Patient ab und verlor allmählich seine Kraft. 4 Jahre später wurde er dann staroperiert, und erst mit 50 Jahren will Patient myotonische Erscheinungen bemerkt haben.

Ein so spätes Einsetzen der Myotonie ist uns, bei schon bestehenden übrigen Symptomen, aus der Literatur nicht bekannt. Meistens treten die myotonischen Veränderungen kurz vor oder nach Einsetzen der dystro- phischen auf. Es wäre ja möglich, daß leichtere derartige Störungen im Gebiete des Kopfes schon früher unbemerkt bestanden haben.

Stellen wir auch in diesem Falle die Hauptsymptome des derzeitigen Befundes zusammen, so ergibt sich ohne weiteres der eingangs umrissene Symptomenkomplex.

Ganz besonders auffallend sind bei diesem Patienten der köstliche Humor und das gute Gedächtnis. Jedermann staunt, wenn er die tollen Witze dieses stupid und marantisch aussehenden Mannes hört, der mit stets gleichbleibendem, starrem Gesichtsausdruck wie durch eine Maske zu uns spricht.

3*

36 Hans C. Frey:

Der 23jährige Landwirt H. J. M. (Fall 8) ist von der nämlichen Krank- heit befallen, wie sein Vater und 4 Geschwister desselben. |

Die Anamnese erwähnt bis zum 20. Altersjahr, außer einer erhöhten Anfälligkeit im Kindesalter gegenüber Infekten, nichts pathognomonisches. Die Mitgliedschaft beim Turn- und Schützenverein sprechen gegen schwerere derzeitige Störungen seitens der Muskulatur und der Augen. Mit 21 Jahren setzten die ersten Beschwerden ein. Besonders bei kaltem Wetter sollen die Hände steif und kraftlos sein. Seit dieser Zeit ist auch starker Fußschweiß aufgetreten.

Heute finden wir einen gracil gebauten, abgemagerten, jungen Mann, mit eigentümlich steifen und unbeholfenen Bewegungen der Extremitäten, leichte Andeutung einer Facies myopathica, Ptosis der Augenlider, Schwäche des Orbicularis oris, Atrophie des Musculus sternocleidomastoi- deus, des Musculus deltoideus, des Erector trunci, der Thenar- und Anti- thenarmuskulatur, der Peronaeusgruppe und des Musculus tibialis anterior. Ferner sind deutlicher Faustschluß sowie mechanische Myotonie an der Zunge und am Biceps nachweisbar. Sprach- und Schluckstörungen sind in ausgesprochenem Maße vorhanden. Infolge der paretischen Spitzfüße zeigt auch dieser Patient einen deutlichen Steppergang. Leichtere Störungen in der Genitalsphäre, beginnendes Erlöschen der Tiefenreflexe sowie über- mäßige Schweißsekretion (Fußschweiß und Pityriasis versicolor) und Sali- vation vervollkommnen das Bild. Als Degenerationszeichen erwähnen wir die Prognatie, kariöse Zähne und den steifen, spitzbogenartigen Gaumen.

Die Kasuistik zeigt uns also in den Fällen 1, 2, 6 und 7 charakteristische Vollbilder der myotonischen Dystrophie, Fall 8 schließt sich als Frühfall mit bereits gut entwickeltem, myotonisch-dystrophischem Syndrom diesen an. 4 und 5 sind Formen in mittleren Stadien der Entwicklung und Fall 3 ist entweder als Spätform in ihrer ersten Entwicklung oder als oligo- symptomatisches Krankheitsbild demjenigen von Frau S. H. J. bei 4 an die Seite zu stellen.

Wir kommen zur Besprechung der Stammbaume:

Die Stammtafeln III und IV geben, wie eingangs schon bemerkt, ledig- lich die Aussagen der betreffenden Angehörigen über ihre nächste Ver- wandtschaft wieder. Die Stammtafeln I, II und V sind angefertigt nach zivilstandsamtlichen Aufzeichnungen, nach mehrfach überprüften Aussagen von Angehörigen, Bekannten und Dorfältesten; ferner nach ärztlichen Be- richten, nach Krankengeschichten aus Spitälern sowie nach persönlichen Untersuchungen.

Zeichenerklärung zu den Stammtafeln vgl. Stammbaum I.

Die Stammbäume rekapitulieren und ergänzen nun einerseits in über- sichtlicher Weise unsere Familienanamnesen und geben uns anderseits über die Vererbung dieses Leidens in 5 Geschlechtern Aufschluß.

Lage

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 37

Stammbaum I zeigt in Kürze einen Ueberblick über die Familie des Falles 1 und gibt zugleich ihre Ascendenz wieder. Die genealogischen Untersuchungen stellten fest, daß es sich um die Einschleppung der myo- tonischen Dystrophie aus Süddeutschland in ein im Kanton Zürich an- sässiges Geschlecht handelt.

Befallen sind zwei männliche Individuen, in Generation III 3 und in Generation IV 2, also Vater und Sohn. Beim Vater ist der Beginn des Leidens unbekannt. Nach Angaben seiner Frau und dem Auftreten des Stares Ende der 30er Jahre müssen wir ihn wohl auf die Wende des 3/4. Jahrzehnts ansetzen. Vergleichen wir diesen Zeitpunkt des Beginnes mit demjenigen beim Sohne, so konstatieren wir hier eine zeitliche Pro- gression des Leidens. Dieses frühere Auftreten in der Descendenz werden wir weiter hinten noch deutlicher sehen.

In den beiden Myotoniker-Familien der 3. und 4. Generation fällt be- sonders eine vermehrte Kindersterblichkeit auf. Drei Geschwister des Vaters starben vor dem ersten Jahr, ein Bruder des Sohnes verschied mit 2 Jahren und eine Schwester war eine Totgeburt.

Der Stammvater, Generation II 5, hat in der 5. Generation bloß einen einzigen Nachkommen. Dieses Erlöschen der Nachkommenschaft ist hier nicht ein zufälliger Befund, wir werden ähnliches weiter unten noch sehen.

Stammbaum II besprechen wir weiter unten mit Stammbaum V.

Stammbaum III faßt die Nachkommen eines im Gastertal im Kanton St. Gallen ansässigen Bauerngeschlechtes zusammen. In der III. und IV. Generation konnten bis heute 3 männliche und 2 weibliche befallene Indi- viduen nachgewiesen werden. Von Generation III wohnen 1, 5 und 6 in Schännis, im Kanton St. Gallen. III 4 im Kanton Glarus, IV 12 in Eschen- bach im Kanton St. Gallen und IV 13 in Dürnten im Kanton Zürich. Vom Urgroßvater II 4 wissen wir nur, daß er in den letzten 3 Wochen vor dem Tode blind war und daß er an Altersschwäche gestorben ist. Daß in dieser Il. Generation doch schon degenerative Momente vorhanden sein mußten, lassen die kinderlose Ehe der ältern Schwester von II 4 und das Ledig- bleiben der beiden jüngern Geschwister vermuten. Zu erwähnen ist auch die ledige, kataraktbehaftete III 5. Vielleicht ließe sich der reiche Kinder- segen von III 1 und III 4 als weiteres Degenerationszeichen anführen und in Parallele bringen mit entsprechenden Beobachtungen bei andern heredo- degenerativen Krankheiten. So finden wir zum Beispiel in den Stamm- bäumen der hereditären Ataxie (Frey”) und der Myoklonus-Epilepsie (Lundborg“*) auffalend kinderreiche Familien.

Weitere Schlüsse lassen sich vorläufig aus dieser Stammtafel nicht ziehen. Gelegentliche Untersuchungen an IV 1—7 und 9—11 sollen später diese Befunde ergänzen.

Stammbaum IV wurde im Kanton Schwyz aufgenommen. Er gibt kurz Aufschluß über die nächste Verwandschaft des Falles 6, der einem alten

0 Hans Frey: `

Geschlecht in Freienbach angehört. Laut Aussagen des Patienten B. (III 3) und seiner Frau konnte bis zur Zeit nur eine Schwester als mitbefallen eruiert werden. Die Angaben über den Vater des Patienten sind unge- nügend und lassen in bezug auf das Befallensein seinerseits nur Ver- mutungen zu. Ob der Sohn das nämliche Leiden wie Patient hat, wird eine spätere Untersuchung beweisen. Weiter merken wir uns frühzeitiges Sterben von III 1 und IV 1 und 2 kurz nach der Geburt. Auch wollen wir festhalten, daß ein Bruder des Patienten im Alter von 19 Jahren an Aus- zehrung starb. Auf ähnliche Befunde treffen wir nämlich weiter unten.

Stammbaum II gibt uns einen Ueberblick über umfangreiche gene- alogische Untersuchungen an einem Bauerngeschlecht im Kanton Aargau.

Die an Hand dieser Stammtafel II aufgefundenen myotonischen Dystro- phien stammen, mit Ausnahme von dreien, aus demselben Dorfe, aus Muhen. Fall VII 29 wurde in einem Nachbardorfe, in Entfelden, aufge- funden. Patientin VIII 3 und ihre Tochter wohnen im Kanton Bern; erstere in Burgdorf, letztere in Bern.

In den von uns aufgezeichneten IX Generationen finden wir in der VII. und VIII. typische Fälle von myotonischer Dystrophie. In der voran- gehenden einen Fall von praeseniler Katarakt; ob bei diesem 63 Jahre alt gestorbenen Manne noch weitere Störungen vorlagen, konnte nicht eruiert werden. Alle bis jetzt gesammelten Angaben über das Individium IX 1 sprechen für ein Befallensein auch der IX. Generation.

Ueber das Vorkommen von myotonisch-dystrophischen Symptomen in der Ascendenz konnte von der V. Generation aufwärts nichts in Erfahrung gebracht werden. Da aber das Leiden in den drei Aesten B, C und D auf- tritt, können wir mit Bestimmtheit sagen, daß schon in der V. Generation die Keimschädigung vorhanden sein mußte, wenn nicht objektiv nach- weisbar, so doch latent. Weiler müssen wir annehmen, daß diese Idio- plasmaschädigung schon der IV. Generation immanent war, sonst wäre eine Uebertragung auf die drei vorgenannten Aceste nicht möglich gewesen.

Wir stellen somit fest, daß in diesem Geschlecht die Keimschädigung über mindestens 6 Generationen vererbt wurde.

Gehen wir die von myotonischer Dystrophie befallenen Generationen durch, so läßt sich über die einzelnen Familien weiter folgendes sagen: Neben einer mittleren durchschnittlichen Kinderzahl finden wir ver- schiedene Tot-, Fehl- und Frühgeburten, eine große Kindersterblichkeit, gehäufte Sterblichkeit an Tuberkulose im mittleren Lebnsalter und ölteres Ledigbleiben. Kinderlose Ehen finden wir nur bei zwei männlichen Glie- dern. Da und dort treffen wir auch auf geistig Minderwertige, Trinker, Nervöse und auf Individuen mit Entwicklungsstörungen.

Die Inzucht geht aus dem in den genealogischen Untersuchungen zu Fall 2 und 3 oben Erwähnten klar hervor.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 39

Stammbaum V betrifft genealogische Untersuchungen an einem eben- falls alteingesessenen Bauerngeschlecht, und zwar von Thayngen im Kan- ton Sehaflhausen. Daß die myotonische Dystrophie in dieser Gegend be- sonders häufig auftritt, beweisen zwei weitere Stammbäume, die Verfasser ebenfalls in Thayngen aufnehmen konnte. In der Ascendenz dieser zwei Geschlechter finden wir dieselben Geschlechtsnamen wie in unserer Stamm- tafel V. Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen allen diesen Thaynger- fällen liegen also nahe. Weiter finden wir in den Kirchenbüchern von Thayngen im 17. und 18. Jahrh. sowie in den Bürgerregistern des 19. Jahrh. mit ganz vereinzelten Ausnahmen lediglich Verehelichungen unter Orts- ansässigen. Es kehren durch drei Jahrhunderte stets die gleichen zirka 15 Geschlechtsnamen wieder. Ob dieses Ineinanderheiraten schon vor 1600 bestanden hat, konnte nicht eruiert werden; es ist aber wahrscheinlich.

Die Gründe dieser ausgesprochenen Inzucht sind wohl folgende: Topo- graphisch ist diese Gegend durch Höhenzüge vom übrigen Kanton Schafl- hausen und durch den Rhein mit diesem von der Schweiz abgeschlossen. Politisch ist Thayngen eine Halbinsel im deutschen Hegau; und kon- fessionell bestehen zwischen dem protestantischen Kanton Schaffhausen und dem katholisch-badischen Gebiet große Gegensätze. Ob ethnographische Momente anderer Art noch bestehen, kann Verfasser nicht entscheiden. Die heute noch vorhandenen, alten Antipathien gegenüber den deutschen Grenznachbarn ließen sich vielleicht durch Rassenunterschiede näher be- gründen.

Die jahrhundertlang bestehende Inzucht ist gewiß auch hier für die Aetiologie dieses familiär-degenerativen Leidens von Bedeutung. Als ein weiteres belastendes Moment kommt vielleicht auch in diesem Falle der Alkoholabusus in Betracht.

Die mittels dieses Stammbaumes aufgefundenen myotonischen Dystro- phien stammen mit Ausnahme von dreien alle aus Thayngen. V 20 und VI 38 sind in Genf und VI 34 in Zürich.

In dieser Stammtafel V treffen wir über 4 Generationen befallene Indi- viduen. In Generation III und IV konnten wir bloß Katarakt auffinden. Ob diese starbehafteten Individuen wirklich monosymptomatische Fälle waren, läßt sich ungenügender Angaben wegen nicht entscheiden.

Nach unseren schon früher geäußerten Beobachtungen über solche Fälle glauben wir, daß es sich wohl auch bei diesen kataraktbefallenen Individuen um Dystrophien geringen Grades handelt. Wie sollen uns denn Nachkommen Auskunft geben über pathologische Veränderungen bei ihren Eltern oder Großeltern, die in mittlerer Ausprägung von den Befallenen kaum bemerkt, geschwiege denn von Aufienstehenden als abnorm regi- striert werden?

In der V. und NL Generation sind typische myotonische Dystrophien einwandfrei festgestellt. Unser Fall 7 ist aus der V. und Fall 8 aus der

NM nn. Ban C. Frey: p VI. Generation. Was die übrigen befallenen Individuen anlangt, verweisen wir auf die Stammtafel selbst. Patient V 24 sei an dieser Stelle besonders erwähnt. Er ist 50 Jahre alt, kinderlos verheiratet, hat weder Sehstörungen noch nachweisbare myotonische Erscheinungen, dagegen ist er schwächlich, wiegt 53 kg, war militärfrei, sieht kachektisch aus, hat seit den 40er Jahren eine Glatze, zeigt Prognathie, hat oben und unten Zahnprothese und ist impotent. Ferner hat er viel Husten, machte Mittelohrentzündungen durch und litt mit 35 Jahren an „Beingeschwüren“ am rechten Ober- und Unterschenkel. Im übrigen ersehen wir aus dem Stammbaum, daß seine Mutter katarakt befallen war, daß sein Stiefbruder ebenfalls Star hat; ferner, daß drei seiner Geschwister ganz klein starben, und daß zwei Stief- nichten typische myotonische Dystrophien aufweisen. Meines Erachtens gehört dieses Krankheitsbild ebenfalls in die Kasuistik‘der myotonischen Dystrophie. Vielleicht ist auch dieser Fall unseren bei Stammbaum III schon erwähnten Fällen von Dystrophia myotonica sine myotonia zuzu- rechnen. Nur kurz sei hier bemerkt, daß bei den Fällen V 10, 16 und 18 neben der Katarakt noch andere dystrophische Symptome nachzuweisen sind. In den befallenen Generationen finden wir hier eine etwas höhere durchschnittliche Kinderzahl als in Stammtafel II. Dagegen fallen auch in diesem Geschlecht verschiedene Totgeburten auf, eine außergewöhnlich hohe Kindersterblichkeit, häufiges Erkranken an Tuberkulose, häufiges Ledigbleiben und einige Psychisch-Defekte.

Folgende Tabelle drückt unsere Untersuchungen bezüglich der durch- schnittlichen Kinderzahl pro Familie, der Totgeburten, der Kindersterblich-

Durchschnittliche Kinder- zahl pro Familie: 6,1 5,3 !)

Totgeburten : 3,4°/o in den Gen. IV. VI.: in den Gen. VI.— IX.:

Kindersterblichkeit: 17,1°/o 8,45°/o ?) in den Gen. IV. NI: (im ersten Jahr) in den Gen. VI. IX.:

im 1.— 5. Lebensjahr Totgeburten

Ledige + Kinderlos —Ver- ehelichte:

1) aus Fleischer.

2) aus Feer: Lehrbuch der Kinderheilkunde: Sterblichkeit im 1.—5. Lebensjahr von 1911 in Deutschland.

3) Werte aus dem Original.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 41

keit und der Ledigen oder kinderlos Verehelichten der Stammbäume II und V (siehe Spalte 3 und 4) in Zahlen aus. Die Vergleichswerte in den beiden ersten Spalten sind entsprechenden Untersuchungen von Flei- scher“) an myotonischer Dystrophie und solchen von Lundborg”) an Myoklonus-EpHepsie entnommen (Zahlen aus Fleischer).

Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie zeigt keine auffallenden Abweichungen von der Norm. Die Totgeburten sind besonders im Stamm- baum V ziemlich hoch und nähern sich dem von Fleischer gefundenen Wert. Am auffallendsten ist die außordentlich große Kindersterblichkeit im Stammbaume V. Rechnen wir diesen 28,5 Prozent noch die Totgeburten von 2,9 Prozent zu, so können wir sagen, daß zirka ein Drittel der Nach- kommen vorgeburtlich oder in früher Kindheit gestorben ist. Die hohen Werte der Nachkommenlosen im Stambaum II und V weisen auf eine Minderwertigkeit dieser Individuen hin und verraten zugleich in diesen befallenen Geschlechtern die Tendenz zum Aussterben.

Aus der Gesamtheit unserer 5 Stammtafeln lassen sich in bezug auf die Heredität der myotonischen Dystrophie folgende Gesetzmäßigkeiten ableiten:

1. Die Krankheit vererbt sich über mehrere Generationen latent; tritt dann plötzlich auf und überträgt sich in der Descendenz dominant.

Einen einwandfreien Beweis für die latente Vererbung über 4 Gene- rationen finden wir im Stammbaum II im Aste V B. Die ganze Ascendenz von VIII 3 ist nach den genauen Angaben des jährigen, gesunden Groß- vaters VII 1 frei von irgendwelchen myotonisch-dystrophischen Symp- tomen. Weitere Beispiele zeigen V 6; VI 4 sowie VI 10 und ihre Nach- koininen. |

Beweise für die Dominanz des einmal in Erscheinung getretenen Symp- toınenkomplexes liefern VI 7 und seine Nachkommen. Auch die Stamm- haume III und IV zeigen diesen Vererbungsmodus. Aber ganz besonders schön tritt uns diese Dominanz in Stammbaum V in der Descendenz von VI 4 und VI 8 entgegen. Die Symptome vererbten sich hier über 3 Gene- rationen einwandfrei. Ob VI 7 befallen war, bleibt seines frühen Todes wegen unentschieden. Die 3 im frühesten Kindesalter gestorbenen Nach- kommen, die Totgeburt sowie das Befallensein des einzig überlebenden Descendenten lassen uns die Erkrankung auch seinerseits als wahrschein- lich annehmen. Somit würde sich eine Dominanz über 4 Generationen ergeben.

Fügen wir der latenten Heredität über 4 Erbreihen die dominante über ebensoviele bei, so ergibt sich

2. die Uebertragung einer Idioplasmasschädigung über 8 Generationen. Daß die primäre Schädigung noch weiter zurückliegen kann, wissen wir von genealogischen Untersuchungen an andern heredo-degenerativen

42 Hans C. Frey:

Krankheiten. Frey”) wies beispielsweise 1911 bei der hereditären Ataxie die Uebertragung einer Keimschädigung über 10 Generationen nach.

3. stellten wir fest, daß die Heredität eine homologe ist, in bezug auf die einzelnen Generationen homochrone und in bezug auf die Kollateralen eine progressive, potenzierte.

Die Stammtafeln II und V illustrieren in besonders übersichtlicher Weise diese Homologie. Das Leiden tritt in den verschiedenen Seitenlinien gleichzeitig in ein und derselben Generation auf. Die Homochronie ist in den einzelnen Erbreihen keine absolute; aber in bezug auf das parallele Fortschreiten des Leidens in der Descendenz können wir trotzdem von ihr sprechen. Drei Beispiele aus Stammbaum V mögen dies beweisen: 1. Die drei Schwestern der IV. Generation, 4, 8 und 14, wurden alle mit zirka 50—60 Jahren staroperiert. 2. Die kataraktbehafteten Individuen der V. Generation mußten sich im Alter von 34 bis 53 Jahren einer Star- operation unterziehen (V 10 mit 53 Jahren, 11 mit 40 Jahren, 13 mit 39 Jahren, 16 mit 46 Jahren, 18 mit 46 Jahren und 20 mit 34 Jahren) und 3. bei den Patienten VI 28 und 34 traten die ersten myotonischen Symptome im Anfange des 3. Jahrzehntes auf.

Die progressive Heredität haben wir oben in Stammbaum I schon ge- trofien. Auch in den übrigen ist sie ohne weiteres nachzuweisen. So finden wir in Stambaum II beispielsweise, daß Patientin S.-M., VI 7, mit 45—50 Jahren staroperiert wurde, und ihr Sohn S. E. M., VII 13, starb 41 Jahre alt blind. Ebenso starb die myotoniebehaftete Patientin M. R., VII 11, mit 33 Jahren und ihr Sohn VIII 25 ist 25jährig an einem ähnlichen Leiden gestorben. Auch im Stammbaum III finden wir dasselbe; die Befunde beim öSjährigen Vater (lII 4) weisen darauf hin, daß derselbe erst im 4. oder 5. Jahrzehnt erkrankte, währenddem seine beiden Söhne Mathäus und Franz heute mit Beginn des 3. Jahrzehntes schon verschiedene typische, myotonisch-dystrophische Veränderungen aufweisen. Das schönste Beispiel, das uns zugleich die Potenzierung des Leidens in der Deszendenz beweist, entnehmen wir Stammbaum V. Die Großmutter B. M.-H. (IV 4) wurde mit 58 Jahren staroperiert. Beim Vater G. M. (V 13) begann das Leiden im 4. Jahrzelint und dieser wurde mit 39 Jahren staroperiert. Der 23jährige Sohn, H.-J. M. (VI 28) zeigt heute schon das typische Bild der myotonischen Dystrophie in vollster Entwicklung. Wiederum dasselbe finden wir in einer kollateralen Linie: Großmutter E. H.-K. (IV 8) staroperierte man mit zirka 50—60 Jahren, der Vater J. H. (V 20) mit 34 Jahren und seine beiden Töchter (VI 34 und 36) zeigen schon seit Anfang des 3. Jahrzehntes myo- tonisch-dystrophische Erscheinungen.

Die Progression, zusammen mit der soeben mit Beispielen belegten Potenzierung, beweisen uns eine in der Deszendenz zunehmende Minder- wertigkeit der befallenen Individuen. Diese Minderwertigkeit äußert sich aber nicht nur bei einzelnen Individuen, sondern in der Gesamtheit der

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 43

myotonisch-dystrophisch entarteten Geschlechter (vgl. Stb. II und V). Als weitere degenerative Momente stellten wir oben gehäufte Tot-, Fehl- und Frühgeburten fest, große Mortalität im frühen Kindesalter, häufiges Er- kranken an Tuberkulose, ferner öfteres Ledigbleiben, kinderlose Ehen, Ent- wicklungsstörungen und geistige Minderwertigkeit.

Die logische Folge aller dieser heredodegenerativen Momente ist ein allmähliches Aussterben des pathologisch-variierten Stammes und damit eine Selbstreinigung der Spezies. Wir können auch hier mit Bing”) sagen:

„Die Natur verhindert mit grausamer Konsequenz, daß die familiäre Degeneration in eine Rassendegeneration ausartet.”

Das Resultat unserer genealogischen Untersuchungen ist folgendes:

Ausgehend von 5 einwandfrei festgestellten myotonischen Dystrophien fanden wir in den entsprechenden 5 Geschlechtern 30 neue Fälle (die drei dem Verfasser überlassenen Ausgangsfalle nicht mitgerechnet). Davon hat Verfasser 17 persönlich untersucht und unter diesen 12 mit myotonisch- dystrophischen Symptomen gefunden und 5 mit bloß dystrophischen Er- scheinungen, Fälle von Dystrophia myotonica sine myotonia.

Rechnen wir zu diesen neuen Fällen die eingangs erwähnten 7 hinzu, so sehen wir, daß die myotonische Dystrophie auch in der Schweiz nicht selten ist.

Beide Geschlechter sind ungefähr gleich befallen; wir fanden 17 befal- lene weibliche Individuen und 16 männliche.

Die Aszendenzen der Stammtafeln II und V beweisen uns ferner, daß das Leiden in der Schweiz autochthon auftritt. Im Gegensatz dazu zeigt uns Stammbaum I eine Einschleppung aus Süddeutschland.

Unsere Fälle verteilen sich auf die Kantone Schaffhausen, Zürich, St. Gallen, Glarus, Schwyz, Aargau, Bern und Genf. Weitere sind Ver- fasser aus dem Kanton Thurgau und Basel bekannt. Würden wir auch in den übrigen Kantonen nach diesem Leiden fahnden, so fänden wir gewiß die myotonische Dystrophie auch in diesen.

Nach allen unseren Untersuchungen tritt das Leiden ausschließlich familiär auf.

Die Vererbung einer Keimschädigung konnte über 8 Generationen re- konstruiert werden.

Ueber die Art der Vererbung stellten wir fest, daß sich die Krankheit zuerst über mehrere Generationen latent vererbt, dann plötzlich auftritt und sich dominant weiter überträgt. Ferner fanden wir, daß die Heredität eine homologe ist, in bezug auf die einzelnen Generationen eine homochrone und in bezug auf die Seitenlinien eine progressive, potenzierte.

An Hand zweier Stammbäume konnten wir nachweisen, daß als ätiologisches Moment auch bei der myotonischen Dystrophie wie bei an- deren heredodegenerativen Krankheiten die Inzucht in Betracht kommt.

44 Hans C. Frey:

Unsere Befunde bezüglich der Heredität und Degeneration decken sich mit den Kriterien (Homologie, generationsweise Homochronie und Progres- sion) der heredodegenerativen (früher heredofamiliären nach Bing)”) Krankheiten vollkommen, so daß wir die myotonische Dystrophie einwand- frei dieser Gruppe zurechnen können.

IV. Zusammenfassung.

A. Vorkommen der myotonischen Dystrophie:

1. Die myotonische Dystrophie ist bis heute beinahe in allen Staaten Europas und in Nordamerika beschrieben worden (ca. 200 Fälle).

2. In der Schweiz kommt die myotonische Dystrophie relativ häufig vor. Zur Zeit sind 26 Fälle einwandfrei nachgewiesen und eine Reihe anderer ist laut Berichten sichergestellt.

3. Das Leiden ist in der Schweiz autochthon.

4. Es scheint ferner, daß die Krankheit in der Schweiz ubiquitär auftritt; bis heute sind in 10 Kantonen Fälle nachgewiesen.

B. Die myotonische Dystrophie als heredodegenerative Krankheit: 1. Nach unseren Untersuchungen tritt die myotonische Dystrophie aus- schließlich familiär auf. 2. Die Krankheit vererbt sich über mehrere Generationen (4) latent, tritt dann plötzlich auf und überträgt sich dominant (über 4 Gen.) weiter. 3. Die Heredität ist ferner eine homologe, generationsweise homochrone, = und in bezug auf die Kollateralen progressive, potenzierte. 4. Die Uebertragung einer Idioplasmaschädigung konnte über 8 Genc- rationen rekonstruiert werden. . Jahrhundertelange Inzucht scheint auch bei diesem heredodegenera- tiven Leiden als ätiologisches Moment in Betracht zu kommen.

an

C. Zur myotonischen Dystrophie als nosologische Einheit: Neben typischen Fallen myotonischer Dystrophie fanden wir eine Reihe atypischer Fälle, und unter diesen verschiedene Individuen mit einer Dystrophia myotonica sine myotonia.

Meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. A. Vogt, möchte ich auch an dieser Stelle für die Ueberlassung der Ausgangsfälle, für die Vergütung der Untersuchungskosten und Druckkosten der Stammbäume durch die Julius Klaus-Stiftung sowie für das stete Entgegenkommen während meiner Untersuchungen den herzlichsten Dank aussprechen. Auch den verehrten Herren Prof. Naegeli in Zürich und Prof. Fleischer in Erlangen sei an dieser Stelle für ihre geschätzte Auskunft ebenfalls bestens gedankt. Nicht weniger verdanke ich den Herren Direktor Dr. Frey, Dr. Bircher und Dr. Hüssy in Aarau ihr bereitwilliges Ueberlassen von Kranken- geschichten und Literatur.

Zurich, im März 1924.

Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica). 45

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20) Tetzner, Myotonia atrophica nach Trauma. D. Zeitschr. f. Nervenheilk. 1913, Bd. 46,

21) Tetzner, Zur Kasuistik der atrophischen Myotonie. Neurol. Zentralbl. 1912. 22) Brasch, Muskeldystrophie und Myotonie nach Unfall. M. m. W. 1911, Nr. 2.

23) Hoffmann, Katarakt bei und neben atrophischer Myotonie. Arch. f. Ophth. 1912, Bd. 81.

24) Nickau, Ueber das Vorkommen . ... D. Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. 65. Ref. Schweiz. med. Wochenschr. 1922, Nr. 42.

25) Frey, Zwei Stammbäume von hereditärer Ataxie. D. Zeitschr. f. Nervenheilk. 1912, Bd. 44.

26) Lundborg, Medizinisch-biologische Familienforschungen . . .— Fischer, Jena 1913, 27) Bing, Die heredo-familiäre Degeneration .. . Med. Klin. 1906, Nr. 29 und 30.

28) Lannois, Myotonie avec atrophie musculaire. Nouv. Iconogr. de la Salpêtrière 1904, Bd. 17.

29) Nogués et Sirol, Maladie de Thomsen à forme fruste avec atrophie musculaire. Nouv. Iconogr, de la Salpêtrière 1898.

46 Hans C. Frey: Beitrag zur myotonischen Dystrophie (Myotonia atrophica).

30) Kenned y, Myotonia atrophica. Neurol. Zentralbl. 1914.

31) Bramwell and Addis, Myotonia atrophica. Neurol. Zentralbl. 1914. 32) Batten and Gibb, Myotonische Atrophie. Brain 1909.

33) Hirschfeld, Myotonische Atrophie. Neurol. Zentralbl. 1912.

34) Curschmann, Ueber familiäre atrophische Myotonie. D. Zeitschr, f. Nerven- heilk. 1912, Bd. 45.

35) Löhlein, Frühkatarakt bei atrophischer Myotonie. Neurol. Zentralbl. 1914.

36) Hauptmann, Die atrophische Myotonie. D. Zeitschr. f. Nervenheilk. 1916, Bd. 55.

37) Hirschfeld, Ueber myotonische Atrophie. D Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 1916, Bd. 34.

38) Fleischer, Ueber myotonische Dystrophie. M. m. W. 1917, Bd. 51.

39) Fleischer, Naegeli, Heidenhain, Ueber myotonische Dystrophie. M. m. W. 1918, Heft 3.

40) Bezold, Ueber myotonische Atrophie. Schmidts Jahrb. 1919, 330.

41) Curschmann, Beobachtungen und Untersuchungen bei atrophischer Myotonie. D. Zeitschr. f. Nervenheilk. 1915, Bd. 53.

42) Hauptmann, Der heutige Stand der Lehre von der myotonischen Dystrophie mit Katarakt. Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1918, Bd. 60.

43) Fleischer, Ueber myotonische Dystrophie mit Katarakt. Graefes Arch, f. Ophth. 1918, Bd. 96.

44) Fleischer, Untersuchung von 6 Generationen eines Geschlechtes ... . Arch. f. Rassen- u. Gesellsch.-Biolog. 1922, Bd. 14.

45) Sahli, Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden.

Ueber einen, in der menschlichen Pathologie noch nicht beobachteten Vererbungsmodus:

dominant-geschlechtsgebundene Vererbung.

Von Hermann Werner Siemens, Privatdozent für Dermatologie.

(Mit 3 Abbildungen und 5 Stammtafeln.)

(Aus der Universitats-Haut-Klinik und -Poliklinik in München; Direktor: Prof. LR e Zumbusch)

Der geschlechtsgebundene Erbgang ist in der menschlichen Pathologie an sich nicht häufig. Relativ am besten ist er von der Ophthalmologie her bekannt (Atrophia nervi optici, myopische Hemeralopie, Farbenblindheit) sowie von der Hämophilie. Unter Dermatosen wurde er, wie ich 1921 zeigen konnte, in mehreren sicheren Fällen nur bei der Anidrosis (dem angeborenen Fehlen der Schweißdrüsen mit Haarmangel, Zahnmangel, Verminderung der Talgdrüsen und ozänöser Sattelnase) angetroffen. Außer- dem gab es zwei einzelne, in Holland beobachtete, auch klinisch ganz un- gewöhnliche Krankheitsbilder, für die geschlechtsgebundene Erblichkeit so gut wie sichergestellt war: ein von Mendes da Costa und vander Valk (Amsterdam) beschriebener angeborener Blasenausschlag, der nach Angabe der Autoren nicht mechanisch bedingt ist, mit der Zeit zu fleckigen Pigmentierungen und Atrophien führt und mit Haarmangel, Akrozyanose, Ueberpigmentierung des Rumpfes und mit leichter Verkleine- rung des Schädels und der Finger einhergeht (er müßte symptomatologisch als „Bullosis spontanea pemphigoidea“ bezeichnet werden), und ein von dem Chirurgen Lameris (Utrecht) beobachteter Fall von Keratosis fol- licularis (Haarbalgverhornung) mit Degeneratio corneae (genuiner Horn- hauttrübung), Lichtscheu, Haarmangel und Kleinheit des Unterkiefers. Der höchst eigentümliche Fall Laméris war Mur von einer Demonstration her flüchtig bekannt, doch konnte ich seinerzeit den Stammbaum dieser Familie publizieren, da er mir von Laméris auf meine Bitte hin zur Ver-

48 Hermann Werner Siemens:

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fügung gestellt wurde (Abb. 1), und ich hatte auch im Frühjahr 1924 durch das liebenswürdige Entgegenkommen Lameris’ Gelegenheit, zwei be- haftete Familienmitglieder in der Klinik in Utrecht dermatologisch zu untersuchen.

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Abb. 1. Keratosis follicularis spinulosa decalvans (Beobachtung in Utrecht).

Hierbei konnte ich nun fesstellen, daß es sich in diesen Fällen nicht, wie es geschienen hatte, um eine gewöhnliche Follikularkeratose im Sinne des sog. Lichen pilaris handelt (vgl. Arch. f. Dermatol. 136, 80), sondern um ein höchst kompliziertes und höchst absonderliches derma- tologisches Krankheitsbild. Bei beiden Patienten konstatierte ich nämlich zarte weißliche Follikularkeratosen am Stamm, die zum Teil deutlich spinulös (stachelförmig) waren, was an sich schon selten ist. An den Armen und im Gesicht waren die meisten Follikel, an denen früher vermut- lich die gleichen Keratosen gesessen hatten, durch kleine punktförmige Narben ersetzt, so daß fast völlige Haarlosigkeit bestand. Aber nicht nur die Lanugohaare der Arme und der Bart, auch die Augenbrauen fehlten zım größten Teil, und im Nacken bestand eine ophiasisartige Alopecie, das heißt, der Daarwuchs hörte etwa 2 Finger breit oberhalb der normalen Haargrenze plötzlich auf, und an der Stelle des allmählich abklingenden „Haaransatzes“ sah man eine auffallend rote, völlig haarlose, von groben Furchen durchzogene, etwas glänzende Haut. Die Haut der Ohrmuscheln war besonders oben hinten ausgesprochen narbig, glänzend, gespannt, mit dem darunterliegenden Knorpel fest verbacken. Mikrognathie (Kleinheit des Unterkiefers) bestand nur bei einem der beiden von mir untersuchten Patienten.

In dem Utrechter Falle eines geschlechtsgebundenen Hautleidens be- steht also nach meinen Feststellungen eine Keratosisfollicularis, die vorwiegend oder zum großen Teilspinulösist, mitkonsekutiver Alopecie (Haarlosigkeit), mit fast völligem Verlust des Bartes, der Augenbrauen, des Haaransatzes im Nacken (Ophiasis), zum Teil auch der Zilien, mit narbiger Veränderung der Ohrmuscheln und nach den älteren Angaben mit Degeneratio corneae. Durch die genaue Erhebung des Hautbefundes wird also der Fall noch viel absonder- licher, als er so schon, nach der älteren aphoristischen Mitteilung, er- scheinen mußte.

Dominant-geschlechtsgebundene Vererbung. | 49

Ich betrachte es deshalb als einen höchst eigentümlichen, ja nahezu unglaubwürdigen Zufall, daß wenige Wochen nach meiner Rückkehr aus Utrecht auf unserer Poliklinik zwei Knaben erschienen, die auf den ersten

Blick nahezu das gleiche, bisher noch kaum beschriebene*) komplizierte Krankheitsbild darboten. Auch bei ihnen bestanden spinulöse Follikular-

keratosen, hier besonders im Gesicht und an den Armen, Mitbeteiligung der Augenbrauen und eine ophiasisartige Alopecie im Nacken; außerdem zeig- ten sie starke Entzündung der Lider mit Lichtscheu und schon makro- skopisch sichtbare Trübungen der Hornhaut. Auf Grund dieser Befunde stellte ich in Analogie zu meinen Utrechter Erfahrungen vermutungsweise sofort zwei weitere Diagnosen, nämlich „Degeneratio corneae“ und „Tezes- siv-geschlechtsgebundene Vererbung“. Beide Vermutungen erwiesen sich aber interessanterweise als falsch.

Die Hornhautveränderungen waren nämlich nach Untersuchung von Herrn Kollegen Groethuysen nicht als Degeneratio corneae anzu- sprechen, sondern als Hornhauttrübungen entzündlicher Natur, wohl eine sekundäre Folge der starken Lidentzündung. Diese Feststellung ist deshalb interessant, weil sie zeigt, daß klinisch der Utrechter Fall von dem Mün- chener doch wesentlich abweicht, vorausgesetzt, daß die zuweilen schwie- rige Diagnose der Degeneratio corneae bei dem Utrechter Falle auch wirk- lich zutrifft. `

Dagegen schien ich mit meiner Vorhersage des rezessiv-geschlechts- gebundenen Erbgangs anfangs Recht zu behalten. Der Vater der Knaben gab an, daß nur seine Söhne, ein Teil der Brüder seiner Frau und die Söhne einer Schwägerin behaftet seien. Diese Angaben waren für rezessiv-ge- schlechtsgebundene Vererbung nahezu beweisend. Als ich aber einige Tage später zwei Schwestern der behafteten Knaben untersuchte, mußte ich fest- stellen, daß dieselben bezüglich der Keratosis follicularis ein ganz ähnliches Krankheitsbild darboten; allerdings war das Leiden bei ihnen weniger ausgedehnt, denn der Haarbereich (Brauen, Nacken) blieb bei ihnen ver- schont, und es waren die Lider, und folglich auch die Augen selbst, völlig gesund. Die Angabe des Vaters hatte sich eben nur auf das Augen- leiden seiner Knaben bezogen, welches das für den Laien hervor- stechendste Krankheitssymptom ist, während er der „rauhen Haut“ seiner Töchter keine besondere Beachtung geschenkt hatte.

Durch die Feststellung, daß das sonst nur bei männlichen Personen beobachtete Krankheitsbild in abortiver Form auch bei zwei Mädchen an- zutreffen war, gewann aber der Fall ein noch größeres und für die ätio- logische Forschung prinzipielles Interesse. Denn nunmehr schienen ver- erbungspathologisch nur noch zwei Möglichkeiten in Betracht zu kommen:

*) Verwandte Krankheitsbilder sind gelegentlich als „Pseudopclade congénitale“ oder „Ulerythema ophryogenes“ mitgeteilt worden. Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 1. 4

50 Hermann Werner Siemens:

entweder konnten wir hier das gelegentliche Manifestwerden einer rezessiv- geschlechtsgebundenen Erbanlage auch bei heterozygoten Weibern beob- achten, ein Ereignis, das aus unten noch darzulegenden Gründen für die Zwillingspathologie von großer Bedeutung wäre, oder wir hatten es mit dominant-geschlechtsbegrenzter Vererbung zu tun, das heißt, mit einer gewéHnlich dominanten Erbanlage, die jedoch bei dem einen Geschlecht (hier dem weiblichen) nicht zu voller Auswirkung gelangt; aber auch dann läge hier ein Fall vor, der in der menschlichen Patho- logie etwas ganz Besonderes darstellt, und ich beschloß deshalb, diese Familie, die in der Tat dermatologisch ein Unicum und ver- erbungspathologisch ein Novum ist, genauer zu erforschen.*)

Das erschien allerdings schwierig, weil es natürlich notwendig war, alle behafteten und alle gesunden Familienmitglieder persönlich zu unter- suchen; denn die Beurteilung der „rauhen Haut“, ihre Abgrenzung von der gewöhnlichen Keratosis follicularis lichenoides (Lichen pilaris) erfordert spezialistische Schulung, so daß hier familienanamnestische Erhebungen nicht verwendet werden konnten. Es gelang mir aber im Sommer und Herbst 1924, die meist in der Gegend des Ammersees ansässige Familie fast vollständig kennen zu lernen. Von den 64 Familienmitgliedern der letzten 4 Generationen waren noch 44 am Leben, die ich alle persönlich unter- suchen konnte, mit Ausnahme von 4 Personen (Vater mit 3 Kindern), die bei Kempten wohnen, einem jungen Mädchen, das in Murnau im Dienst steht, und einem jungen Mann, der nach Amerika ausgewandert ist.**) Bevor ich aber auf die erhobenen Befunde näher eingehe, muß ich eine Be- schreibung des Krankheitsbildes geben, um das es sich hier handelt.

Die behafteten Knaben werden gesund geboren. Nach wenigen Wochen oder Monaten stellen sich Augenentzündung und Tränenträufeln ein; die rauhe Haut wurde erst nach % bis 3 Jahren bemerkt. Es ent: stehen an den Haarbälgen, besonders des Gesichts und der Arme, bis 2 mm lange, gelb- lichgraue, sehr harte und feine Hornstacheln. Eine sonstige Veränderung des Fol- likels besteht im allgemeinen nicht, auch keine entzündliche Rötung; nur an den Armen und Händen, und zwar besonders bei den erwachsenen Männern, manchmal auch an anderen Stellen, sitzen die Hornmassen auf einer kleinen, runden, nicht geröteten Papel; hier sehen wir denn auch meist keine weißlichen Spinulae, sondern hirsekorngroße, rundliche, geschichtete, bräunlichschwarze, etwas glänzende Hornkugeln, die in die Mündung des Follikels eingelassen sind (Uebergang zur „Keratosis follicularis aknei- formis“). Der Sitz der Follikularkeratosen sind eigentümlicherweise besonders die unbedeckten Körperstellen: das Gesicht, besonders Ohrmuscheln, Wangen und Nase, der Nacken bis zum Beginn des Hemdrandes, die Unterarme (an den Streck- seiten stärker), Handrücken und Dorsalseiten der Fingergrundphalangen,

*) Die dritte theoretische Möglichkeit, nämlich das Vorliegen dominant-geschlechts- gebundener Vererbung, hatte ich nicht ernsthaft in Betracht gezogen, da mir die Existenz dieses Modus bei menschlichen Krankheiten noch zu zweifelhaft erschien (vgl. meine „Vererbungspathologie“, S. 143).

**) Diese 6 nicht untersuchten Personen sind höchstwahrscheinlich sämtlich gesund.

Dominant-geschlechtsgebundene Vererbung. 51

in geringerem Maße die Oberarme, noch weniger die Beine, und nur noch in dissemi- nierter Form die Schultern und Gesäßbacken, während der übrige Stamm ganz oder nahezu ganz frei ist. Die Haut zwischen den erkrankten Follikeln ist im allgemeinen normal, nur im Gesicht und im Nacken erscheint sie bei den Erwachsenen auffallend glatt und glänzend, also atrophisch, und auffallend gerötet; auf den Wangen und Schläfen fällt bei den älteren Männern cine rotbraune, von Gefäßerweiterungen durch- zogene, großfleckige Pigmentierung auf (Chloasma), welche die Mitte des Gesichts mit meist scharfen konvexen Bogen frei läßt und nach hinten unmerklich in die rot- braune Nackenhaut übergeht.

Mit der Pubertät oder noch später kommt es zu einer teilweisen Selbst- heilung des follikulären Verhornungsprozesses, allerdings mit Hinterlassung von follikularen Narben. Während an den Hand- und Fingerrücken meist noch Haarbalgverhornungen bestehen bleiben, sind dann die Arme und das Gesicht meist völlig glatt; die follikuläre Vernarbung ist manchınal als punktförmiges Grübchen noch zu erkennen, meist aber nur noch aus der völligen Haarlosigkeit der befallenen Gebiete und infolge davon einer eigentümlichen Glätte der Haut (Gesicht, Nacken, Oberarme) zu erschließen. Nur unterhalb der Nase sowie an der Unterlippe pflegen noch ein- zelne normal entwickelte Haare stehenzubleiben.

Das Krankheitsbild wird dadurch kompliziert, daf der behaarte Kopf, die Brauen und die Wimpern stets mit ergriffen werden. Da in allen befallenen Follikeln durch die pathologischen Hornmassen die Haare verdrängt werden, so bildet sich im Nacken mit der Zeit eine völlig haarlose Hautfläche, die scharf gegen die behaarte Kopfhaut abgesetzt ist. Der unterste Teil der Hinterkopfbehaarung fehlt, und es entsteht so im Nacken das Bild, das die Alten als Ophiasis (Pelade en couronne, Saboureaud) bezeichneten. Auch die Glatzenbildung am vorderen Teil des Scheitels scheint mit dem pathologischen Prozeß zusammenzuhängen; denn eine vollständige oder nahezu vollständige Haarlosigkeit des Scheitels ist bei den Behafteten schon in mittleren Jahren allgemein, den Grund fand ich in einzelnen Fällen ungewöhnlich stark atrophisch oder selbst narbenartig sklerotisch verhärtet, und am Rande der haarlosen Fläche waren die noch vorhandenen Haare an ihrer Wurzel oft von peripilären Hornmassen umscheidet, die an die Befunde erinnerten, welche man beim Lupus erythe- matodes antrifft. Außer diesen Glatzenbildungen wiesen mehrere Behaftete bis fünf- markstückgroße, meist ovale Flächen auf dem behaarten Kopfe auf, in deren Bereich die Haare verschwunden und durch graue Hornstacheln ersetzt waren. Am Rande dieser Areae war die peripiläre Verhornung besonders deutlich.

Dem gleichen Zerstörungsprozeß wie große Teile des Kopfhaares fallen die Brauen anheim. Bei den Knaben sind sie, besonders ihre lateralen zwei Drittel, durch Horn- stacheln ersetzt, so daß sie ein sonderbares flaumiges Aussehen zeigen; bei den er- wachsenen Männern fand ich bald das gleiche Bild, bald ist an Stelle der Follikel- verhornung völliges Verschwinden der Follikel getreten.

Die verhängnisvollste Eigenheit des Leidens besteht aber darin, daß auch die Wimpern mit ergriffen werden. Denn die quälenden Augensymptome sind, wie ich wenigstens vermuten möchte, als eine Folge davon aufzufassen, daB an Stelle der meisten Wimpern harte Hornstacheln treten, die später meist verschwinden, so daß das Auge ganz wimperlos werden kann. Von Anfang an aber entzündet sich die Konjunktiva, es tritt Lichtscheu und starkes Tränenträufeln auf, die Lider zeigen Tylosis und Madarosis, sie sind mehr oder weniger ektropioniert, auf der Hornhaut entstchen Trübungen und Panni. Die Beschwerden sind nach Aussage der Patienten am stärksten bei Wind und Schnee, die Sonne übt keinen so unangenehmen Einfluß aus. Im Laufe der Jahre tritt meist eine geringe Besserung ein.

4*

52 Hermann Werner Siemens:

Die Nägel der behafteten Männer sind unverändert, ebenso die Schleimhäute. Die Palmae fand ich etwas tylotisch und an den Beugefalten rissig. Die übrige Ge- sundheit der Patienten läßt nichts zu wünschen übrig; alle machen einen intelligenten und verständigen Eindruck, die auf dem Lande lebenden befinden sich meist in recht guten wirtschaftlichen Verhältnissen.

Von der beschriebenen Krankheit waren in den 4 letzten Generationen der genannten Familie 10 (oder 11) Männer befallen. Aber die Frauen

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Abb. 2. Keratosis follicularis spinulosa cum ophiasi (Beobachtung in München).

+

waren, wenn sie auch niemals Augenveränderungen zeigten, doch nicht ganz frei: bei 10 weiblichen Personen traf ich das Hautleiden in abortiver Form an.

Bei den Weibern waren die Erscheinungen oft unbedeutend, aber doch von der gewöhnlichen lichenoiden Follikularkeratose mit großer Sicherheit zu unterscheiden. Die Lokalisation des Prozesses entsprach derjenigen bei den Männern, doch war der Haarbereich stets frei. In einzelnen Fällen waren die spinulösen Keratosen in Gesicht, an den Ohren, an den Oberarmen, und die bräunlichen Hornpfröpfe an den Unterarmen, Hand- und Fingerrücken so massenhaft vorhanden, daß der Befund hier fast ebenso eindrucksvoll war wie bei den männlichen Behafteten. Von diesen Fällen gab es aber alle Ucbergange bis zu solchen, die nur vereinzelte Follikularkeratosen aufwiesen, so daß sich das Krankheitsbild nur durch die absonderliche Form (sehr harte helle Stacheln, bräunliche Hornpfröpfchen) oder die absonderliche Lokalisation (Handrücken, Fingerrücken, Nacken) der Haarbalgverhor- nung von der gewöhnlichen Keratosis pilaris unterscheiden ließ. Die Manifestation der krankhaften Erbanlage ist hier also bei manchen Weibern mehr, bei anderen weniger unvollständig; sie ist also auch sehr unregelmäßig.

Bei der Untersuchung der Familienangehörigen zur Feststellung des Vererbungsmodus fiel mir zuerst auf, daß sämtliche Töchter behafteler Männer (5) gleichfalls behaftet waren. Da ich mich allmählich an die Vorstellung gewöhnt hatte, daß es sich um ein gewöhnlich dominantes Leiden handle, das bei den Weibern nur nicht zu voller Ausprägung kommt, schien mir diese starke Krankheitshäufung höchst auffallend. Erst später fiel mir ein, daß ja das Befallensein sämtlicher Töchter behafteter Männer ein Postulat des geschlechtsgebundenen Erbgangs ist. Dann mußten aber sämtliche Söhne behafteter Männer frei sein. Bisher hatte ich erst einen solchen Sohn untersuchen können. Die weiteren Untersuchungen er- gaben aber, daß in der Tat alle Söhne behafteter Männer (7) vollkommen frei waren. Allerdings war der eine dieser Söhne auswärts im Dienst, und

Dominant-geschlechtsgebundene Vererbung. 53

von ihm sagte der Pfarrer des Ortes aus, daß er „weiße, flaumige Augen- brauen“ habe und daß er mit den Augen „blinzele“. Wenn sich diese Angaben bewahrheitet hätten, dann wäre freilich Geschlechtsgebundenheit ausgeschlossen gewesen (die Mutter des betreffenden Knaben stammte aus: einer ganz anderen Familie und aus einem anderen Dorfe). Die Aussage: des Pfarrers zeigte aber nur wieder, daß Familienanamnesen, wenn es sich. um schwerer zu beurteilende Dinge handelt, der Regel nach falsch sind: der 13jahrige Bub hat vollkommen normale blonde Augenbrauen, normale Lider und völlig glatte Haut, also keine Spur von einem Befund, der auch nur zu einem Verdacht berechtigen würde.

Durch die Feststellung, daß die 5 Töchter der behafteten Manner samt- lich behaftet, die 7 Söhne der behafteten Männer sämtlich frei sind, läßt sich Geschlechtsbegrenzung als höchst unwahrscheinlich ausschließen und Geschlechtsgebundenheit annehmen. Die behafteten Weiber der gleichen Generation haben allerdings 5 behaftete Söhne und keinen ge- sunden. Diese Häufung dürfte aber eine zufällige sein; denn in der vor- hergehenden Generation sind von 9 Söhnen 4 frei, und von den 7 Töchtern der behafteten Weiber sind nur 3 befallen. Außerdem haben die beiden behafteten Weiber 2 nicht behaftete Schwestern (Abb. 2).

Offenbar liegt hier also ein Fall von geschlechtsgebundener Vererbung einer Dermatose vor; die krankhafte Erbanlage ist folglich nach der jetzt üblichen Vorstellung im Geschlechtschromosom lokalisiert. Auf Grund des vorliegenden Materials darf diese Feststellung schon jetzt als sicher gelten, soweit menschliches Ermessen reicht. Sollten aber noch irgendwo Zweifel bestehen, so wird es nach 10—20 Jahren, wenn die nächste Generation geboren ist, leicht sein, sie zu beseitigen und eventuelle Irrtümer zu korrigieren.

In den bisher beobachteten Fällen von geschlechtsgebundenem Erbgang menschlicher Krankheiten hat es sich ausnahmslos um rezessiv-ge- schlechtsgebundene Vererbung gehandelt. Dominan t- geschlechtsge- bundene Vererbung wurde zwar aus theoretischen Gründen vermutet und von Lenz auch bei einer ganzen Reihe von Krankheiten, z. B. der Base- dowschen Krankheit und dem manisch-depressivem Irresein, als hypothe- tische Möglichkeit erörtert, aber die Begründung solcher Annahmen lag immer nur in der Tatsache, daß diese Leiden Weiber etwas häufiger befallen als Männer. Ein Ueberwiegen der Weiber kann sich ja aber, ` wie bekannt, auch noch auf andere Arten erklären (Geschlechtsbe- grenzung, ätiologische Verschiedenheiten der einzelnen Fälle). Die domi- nant-geschlechtsgebundene Vererbung menschlicher Krankheiten blieb also bisher eine Hypothese. In der von uns beobachteten Familie bekommt diese Hypothese zum erstenmal eine empirische Stütze; wir haben hier zum erstenmal einen induktiven Beweis dafür, daß dominant-

54 Hermann Werner Siemens:

geschlechtsgebundene Vererbung bei menschlichen Krankheiten vorkommt.

Allerdings ist die Dominanz in dieser Familie keine vollständige. Bei den Weibern bewirkt der vorhandene krankhafte Erbanlagenpaarling zwar einen abnormen Zustand der Haut, aber diejenigen Symptome, die dem Laien zuerst als Krankheit imponieren: das Mitergriffensein der Haare und der Augenlider, fehlen. Es liegt also unvollständig domi- nant-geschlechtsgebundene Vererbung vor.*) Man könnte nun freilich daran denken, die Erscheinung auch von der anderen Seite her zu betrachten und zu sagen, das Leiden sei zwar rezessiv, aber die Rezessivität sei im Gegensatz zu den sonst beobachteten geschlechtsgebun- denen Krankheiten nicht vollständig, da sich bei den heterozygoten Weibern doch Anzeichen ihrer erbbildlichen Behaftung bemerkbar machen. Man könnte von diesem Gesichtspunkt aus auch von „intermediär-geschlechts- gebundenem Erbgang“ reden. Will man aber zwischen dominanter und rezessiver Geschlechtsgebundenheit eine Grenze ziehen, so kann sich diese m. E. nur an zwei Kriterien halten. Für das Prädikat der unvollständigen Dominanz muß man verlangen, 1. daß möglichst alle Heterozygoten (un- vollständig) behaftet sind, und 2., daß die Behaftung der Heterozygoten auch ohne weiteres feststellbar ist, also klinisch in die Erscheinung tritt. Beiden Anforderungen genügt der vorliegende Fall.**) Die Bezeichnung als unvollständig dominant-geschlechtsgebunden ist hier also ohne Zweifel am naheliegendsten und natürlichsten.

Die Dominanz der geschlechtsgebundenen Erbanlage ist aber in unserem Falle nicht nur unvollständig, sie ist auch unregelmäßig. Denn während von den weiblichen Behafteten die einen auf der sogenannten unbehaarten Haut das voll entwickelte Krankheitsbild zur Schau tragen, zeigen die anderen so geringe Symptome, daß nur eine sorgfältige dermatologische Untersuchung und der unmittelbare Vergleich mit der Haut der nichtbehafteten Familienmitglieder das zugrunde liegende Leiden aufdecken kann. Bei der einen Behafteten (Tochter einer behafteten Mutter, Schwester behafteter Brüder) schienen zum Beispiel an den Armen

*) Es wäre natürlich nicht unmöglich, daß auch der Utrechter Fall bei genauer Durchuntersuchung von seiten eines Dermatologen als unvollständig dominant- geschlechtsgebunden sich herausstellen könnte.

*) Anm. beiderKorr. Der während der Drucklegung dieser Arbeit erschienene Schluß der Schloeßmannschen Veröffentlichung zeigt, daß bei der Hämophilie die Verhältnisse anders liegen. Hier waren die Konduktoren nur ausnahmsweise mit abortiven hämophilen Symptomen behaftet, die Mehrzahl von ihnen war klinisch ohne jeden Befund. Und auch durch Laboratoriumsuntersuchung (Blutgerinnungsprüfung) gelang es unter 6 Fällen nur 5mal, den Konduktorcharakter festzustellen, im 6. Fall, in dem es sich auch um einen sicheren Konduktor handelte, ergab die Blutuntersuchung völlig normale Werte. Hier liegt also das geradezu typische Beispiel einer unvollständig rezessiv-geschlechisgebundenen Vererbung vor.

Dominant-geschlechtsgebundene Vererbung. 55

nur reichliche Follikularkeratosen vom gewöhnlichen Typus der Keratosis pilaris zu bestehen (nicht verfärbte Follikelschwellungen, darauf keine oder unbedeutende Hornschüppchen); erst bei genauem Zusehen war es möglich, dazwischen einzelne Effloreszenzen mit kleinen, sehr harten Horn- stacheln zu entdecken; vor allem zeigte aber die Patientin im Nacken eine ausgeprägte Keratosis follicularis vom gewöhnlichen Typus, die in dieser Lokalisation (mit dem Blusenrand aufhörend) eine vollkommene unge- wöhnliche Erscheinung darstellt. Bei einer anderen Behafteten (Mutter kranker Söhne und Töchter) bestand der ganze Befund bei normalem Nacken nur darin, daß an den sonst ganz glatten Armen, und zwar an den Ellbogen, den Außenseiten der Handgelenke und auf den Handrücken ganz vereinzelte Follikel einen dünnen und sehr harten Hornstachel gebildet hatten. Der Befund ist minutiös, läßt aber das Vorhandensein der krank- haften Erbanlage trotzdem mit Sicherheit erkennen, da ich bei der gewöhn- lichen Keratosis follicularis stets eine andere Effloreszenz fand (mehr Tol- likelschwellung, weniger und lockerere Verhornung) und niemals ein Be- fallensein einzelner Haarbälge des Unterarms und Handrückens bei freiem Oberarm.

Solche Personen müssen natürlich jedem Laien und auch jedem Arzt, der dem Leiden nicht ein besonderes Interesse widmet, als gesund er- scheinen, und so kann man sagen, daß die Unregelmäßigkeit in der Mani- festation der Krankheitsanlage bei den heterozygoten Weibern hier sehr. groß ist, denn wir treffen auffallend behaftete und (ausnahmsweise) prak- tisch fast freie Individuen nebeneinander an. Der Fall beweist deshalb; daß die „Manifestationsschwankungen‘, die bei den domi- nanten Leiden eine so große Rolle spielen (vergleiche meine „Vererbungs- pathologie‘), auch bei geschlechtsgebundenen Krank- heiten vorkommen können.

Diese Erfahrung hat eine große Bedeutung für die Zwillingspathologie. Bekanntlich wurden die eineiigen Zwillinge seit Galton und Weis- mann von allen Autoren für erbgleiche Individuen gehalten. Dieser Mei- nung bin ich entgegengetreten, indem ich betont habe, daß sich aus theo- retischen Gründen eine gelegentliche Erbverschiedenheit eineiiger Zwillinge (durch Idiokinese bei dem einen Zwilling oder durch Störungen bei der Reduktionsteilung) nicht ausschließen lasse. Im Anschluß hieran sind andere Autoren weitergegangen und haben geglaubt, die Erb- verschiedenheit eineiiger Zwillinge durch Hinweis auf die Fälle, in denen nur der eine Zwilling ein erbliches Leiden besitzt, beweisen zu können. In all diesen Fällen wirft sich aber doch die Frage auf, ob die Verschieden- heit der Zwillinge wirklich durch eine Verschiedenheit ihrer Erbanlagen bedingt ist, oder nur durch eine Verschiedenheit in der Manifestation dieser Erbanlagen.

56 Hermann Werner Siemens:

Daß sich eine „Manifestationsschwankung“ als Grund für die Ver- schiedenheit eineiiger Zwillinge nicht ausschließen läßt, liegt auf der Hand bei allen solchen Leiden, die dominant sind. Denn Manifestationsstörungen sind bei Dominanz eine sehr gewöhnliche Erscheinung. Es wurden aber auch zwei Fälle bekannt, in denen ein anscheinend rezessives Leiden (Epilepsie - S i e m e n s)*) beziehungsweise ein rezessiv-geschlechtsgebun- denes (Farbenblindheit-Nettleship) bei eineiigen Zwillingen dis- kordant auftrat. Besonders der letzte Fall schien einigen Autoren für Erbverschiedenheit eineiiger Zwillinge beweisend, da über Manifesta- tionsschwankungen bei rezessiv - geschlechtsgebundenen Leiden nichts bekannt war, abgesehen von einem älteren Fall von Merzbacher (Hypoplasie der weißen Gehirnsubstanz), in dem zwei offenbar heterozygote Weiber manifest krank waren (Abb. 3). Es scheint mir deshalb bemerkens- wert, daß in unserer Familie eine sehr unregelmäßige Manifestation einer geschlechtsgebundenen Erbanlage bei den heterozygoten Weibern an zahl-

Dee Se E SN E E GE GE Q ai ‘EG ? L99 >? ? Z y Q 9dQdQ ddo guud ggdeddodo WE d 535 58099 FETT PERL, Abb. 3. Hypoplasie der weißen Gehirnsubstanz (nach Pelizäus-Merzbacher).

reichen Fällen festgestellt werden konnte. Die früher von mir vertretene Auffassung, daß auch in dem Fall Nettleships der Unterschied zwischen beiden Zwillingen lediglich ein Unterschied der Manifestation seinkönne, gewinnt dadurch eine Stütze.*) Auch bei geschlechtsgebunde-

*) Ein möglicherweise analoger Fall von Pick (Alkaptonurie) ist noch nicht genauer mitgeteilt und daher noch nicht verwertbar.

**) Neuerdings teilt auch Schloe8 mann (Arch. f. Rass. 16, 29) bei der Hamophilie Falle mit, in denen die heterozygoten Weiber Bluterneigung haben (gehauftes Nasenblutcn, Verlangerung der Blutgerinnungszeit), so daB sie an diesen Symptomen als Konduk- toren zu erkennen sind. Der Schluß der Schloeßmannschen Arbeit ist noch nicht erschienen. Einer persönlichen Mitteilung von Herrn Kollegen Waarden- burg verdanke ich ferner die Kenntnis einer Familie, in der auch die Atrophia nervi optici bei sicher heterozygoten Weibern manifest wurde (Abb. 4). Der Fall wird von Herrn Kollegen Waardenburg in der „Klin. Mon. f. Aug.“ ausführlich publiziert. (Anm. bei der Korr.: Er ist unterdessen in Bd. 73, S. 619 erschienen.) Die Ansicht, daß der Fall Nettleships für Erbverschiedenheit eineiiger Zwillinge „beweisend“ sei, scheint mir nunmehr endgültig widerlegt. Der eventuelle Einwand, daß in den mitgeteilten Fällen die Manifestationsschwankungen durch Mixovariation und nicht, wie man bei den eineiigen Zwillingen annehmen müßte, durch Paravuariation zustande gekommen seien, hat zwar manches für sich, läßt sich aber unmöglich be-

Dominant-geschlechtsgebundene Vererbung. 57

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nen Leiden kommen also starke Manifestations- unregelmäßigkeiten bei den heterozygoten Weibern vor.

Zum Schluß hätten wir noch die Frage der Entstehung der von uns beobachteten geschlechtsgebundenen Erbanlage zu erörtern. Ich meine damit nicht die Frage, durch welchen idiokinetischen (erbändernden) Fak- tor diese Erbanlage wohl entstanden ist (denn unsere Kenntnisse von der Idiokinese sind noch so unvollkommen, daß mir das Aufwerfen dieser Frage als Spielerei erschiene), sondern die Frage, zu welcher Zeit etwa die in Rede stehende Erbanlage entstanden sein mag. Ich glaube nämlich, daß sich hierüber in unserem Fall mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Aussage machen läßt.

Die Krankheit wurde, soweit bekannt, zum ersten Male bei 5 Brüdern. und 2 Schwestern beobachtet, deren Vater noch am Leben und normal ist;. 4 weitere Brüder und 2 weitere Schwestern sind normal. Die Anlage muß also von der (vor einigen Jahren verstorbenen) Mutter, Thekla Wegele,

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Abb. 4. ee (nach Waardenburg).

herrühren.‘) Die Eltern dieser Mutter hießen Stephan Wegele und Johanna Karl. Stephan Wegele stammt aus Thaining (westlich vom Ammersee), wo sich seine Vorfahren weit zurückverfolgen lassen

weisen und bleibt daher unsicher. Allerdings sind speziell bei der Rotgrünblindheit meines Wissens Manifestationsschwankungen bei heterozygoten Weibern noch nicht beobachtet, das gleiche galt aber bis zu den soeben erscheinenden Arbeiten von Waardenburg und Schloeßmann auch von der Sehnervenatrophie und der Hamophilie; und eine größere Regelmäßigkeit der Verhältnisse bei der Rotgriin- blindheit würde nicht ausschließen, daß die prinzipiell mögliche UnregelmaBigkeit nicht auch hier ausnahmsweise einmal vorkommt. So sehr ich von Anfang an für die Möglichkeit einer Erbverschiedenheit eineiiger Zwillinge ein- getreten bin, die Tatsächlichkeit dieses Vorkommnisses kann vorläufig durch den Nettleshipschen Fall ebensowenig. wie durch die anderen analogen Fälle bei Hexadaktylie, Nystagmus, Epilepsie usw. (Koehler, eigene Fälle) erwiesen werden.

*) Ob der eine Bruder von Thekla Wegele die Familienkrankheit hatte (vgl. Abb. 2), läßt sich nicht mehr sicher feststellen. Er ist laut Protokoll des Kirchenbuchs in einem Münchener Spital „an einer Augenkrankheil“ gestorben. Wenn er mit der Familienkrankheit behaftet war, müßte die krankhafte Erbanlage von Thekla Wegeles. Mutter stammen.

58

Hermann Werner Siemens:

(Abb. 5). Johanna Karl ist in Geltendorf (nordwestlich vom Ammersee) geboren; ihre Eltern hießen EngelbertKarlund MariaDietrich. Die Trauung beider sowie ihre Geburtsurkunden (nach dem Sterberegister 1772 und 1791 geboren) lassen sich weder in Geltendorf noch in Mooren-

Mathias Wegele, Bauer

bei Thaining, geb. 1682 als Sohn von

Christoph Wegele

Maria Bichler

Johann Weiß, Ober- mühlhausen

Walburga ?

Joseph Wegele, Sohn von Bartholomäus We- gele, Bauer in Thaining

Maria Eichberger, Tochter von Johann Eichberger, Bauer

Dominicus Haas, Sohn von Joseph Haas, in Thaining

Maria Neumayr, Tochter von Johann Neumayr, Müller in Oberfinning

Simon Wegele, Schlegelbauer bei Thaining Wolfgang Wegele geb. 1761, Bauer bei Thaining ` Agathe Weiß geb. 1730

Ignatius Wegele*) Bauer in Thaining

Mar. Franziska Wegele, geb. 1774 in Thaining

Barbara Haas geb. 1747

Engelbert Karl, 1772—1855, Bausöldner, später Bauer, Geltendorf

wahrscheinlich: ThomasDietrich Bauer in Geltendorf, oder Josef Diet- rich, Bauer in Kaltenberg

Maria Dietrich, 1791—1849, Geltendorf

Barbara |

Schwickart oder

Anna Neumayr, Geltendorf

Abb. 5. Aszendenz-Tafel von Thekla Wegele,

Stefan Wegele 1811—94, Thaining, Geltendorf

Thekla Wegele, 1890—1921, Geltendorf

Johanna Karl, 1822 95, Geltendorf

*) Trauung mit Dispens dritten Grades wegen Verwandtschaft der Brautleute.

Dominant-geschlechtsgebundene Vererbung. 59

weis (woher die Patienten stammen) auffinden; doch lassen die Familien- namen darauf schließen, daß sie beide aus dieser Gegend stammen.

Die Vorfahren unserer Patienten lassen sich also mindestens 150 Jahre zurückverfolgen. Sie haben so lange schon in der Gegend westlich und nordwestlich des Ammersees gelebt, und nichts läßt darauf schließen, daß nicht auch ihre unmittelbaren, nicht mehr nachweisbaren Voreltern in der gleichen Gegend gelebt hätten. Durch diese Feststellung wird es aber sehr unwahrscheinlich, daß die Krankheitsanlage schon längere Zeit hindurch oder gar von Urzeiten her existiert. Denn wenn das der Fall wäre, müßten wir unbedingt erwarten, daß auch andere Leute in dieser Gegend mit dem Leiden behaftet wären. Das Leiden ist durch die Alopecie, besonders aber durch die starke, berufshemmende Lidentzündung mit ihrem dauern- den Tränenträufeln auch für den Laien so auffallend, daß es nicht gut über- sehen werden kann; auch hätten die Behafteten ein begreifliches Interesse daran, das Leiden auch in anderen Familien anzutreffen. Trotzdem wir aber in zahlreichen Dörfern dieser Gegend die Pfarrer und die Einwohner danach befragt haben, konnten wir stets nur negative Antworten erhalten. Uns scheint deshalb hier der Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür erbracht, daß eine krankhafte Erbanlage innerhalb historischer Zeiten, ja sogar innerhalb der letzten Generationen neu ent- standen sein kann. 5x {

Die ätiologische Erforschung erblicher Leiden und die genauere Dia- gnose des Erbgangs kann jederzeit unmittelbare praktische Bedeu- tung erlangen. Das zeigte sich auch in unserem Fall. Eine nichtbehaftete Frau, Schwester behafteter Männer, kam mit ihrer 17jährigen Tochter zu mir und bat mich unter Tränen, ihr und ihrem Manne zu sagen, ob sie ihre Tochter heiraten lassen dürften, oder ob kranke Buben zu erwarten seien. Ohne ein genaues Studium der Familie wäre hier eine Aussage, die einen Wert beanspruchen kann, unmöglich gewesen, vor allem deshalb, weil un- regelmäßige Dominanz und besonders rez ess iv - geschlechtsgebundene Vererbung hätte vorliegen können, wobei die Prognose doch gerade in diesem Fall dubiös gewesen wäre. So aber war ich in der Lage, ihr die beruhigende Versicherung zu geben, daß sich nach menschlichem Ermessen in ihrem Falle die Geburt kranker Knaben mit Sicherheit ausschließen lasse.

Ergebnisse.

1. Bei dem in Utrecht beobachteten Fall rezessiv-geschlechtsgebundener Degeneratio corneae mit „Lichen pilaris“ handelt es sich nach meinen Untersuchungen dermatologisch um das höchst eigenartige Krankheitsbild stachelförmiger Haarbalgverhornungen, die von Haarlosig- keit und Atrophien gefolgt sind, also um eine „Keratosis follicularis spinu- losa decalvans“.

60 Hermann Werner Siemens: Dominant-geschlechtsgebundene Vererbung.

2. In München ließ sich ein ähnlicher, aber nicht mit Degeneratio corneae komplizierter Fall beobachten. Auch hier entstanden stachel- formige Haarbalgverhornungen, die zu teilweisem bis völligem Verlust von ‘Wimpern, Brauen, Bart und Kopfhaar führten und mit schweren entzünd- lichen Veränderungen der Lider einhergingen.

3. Auch hier zeigte sich das volle Krankheitsbild nur bei Männern; doch hatten die mit der Anlage behafteten Weiber gleichfalls Hautveränderungen, die aber Haarbereich und Lider stets verschont ließen.

4. Von den 64 Familienmitgliedern der letzten 4 Generationen waren 44 ` noch am Leben, die mit Ausnahme von 6 nicht erreichbaren Personen sämtlich untersucht wurden. Es stellte sich dabei heraus, daß 10 Männer und 10 Weiber behaftet, 14 Männer und 10 Weiber frei waren. |

5. Die Geschlechtsgebundenheit der krankhaften Erbanlage ließ sich durch die Beobachtung sichern, daß sämtliche Töchter behafteter Männer (5) behaftet, sämtliche Söhne behafteter Männer (7) frei waren.

6. Durch den vorliegenden Fall wird die Existenz dominant-ge- schlechtsgebundener Vererbung bei menschlichen Krank- heiten zum ersten Male an einem empirischen Beispiel gesichert.

7. Allerdings ist die Dominanz unvollständig, so daß man ge- nauer von unvollständig dominant-geschlechtsgebundenem Erbgang spre- chen muß.

8. Die Manifestation ist bei den heterozygoten Weibern jedoch nicht nur unvollständig, sondern auch unregelmäßig. Die Beobachtungen erbringen daher (wie die gleichzeitigen Schloeßmannschen und Waardenburgschen) den Beweis, daß wesentliche Manifestations- unregelmäfßigkeiten, die ja bei einfach dominanten Leiden eine so große Rolle spielen, auch bei geschlechtsgebundenen Krankheiten vorkommen können.

9. Diese Erfahrung ist von Bedeutung für die „Zwillingspathologie“, denn sie zeigt, daß der bekannte Fall Nettleships, in dem von ein- eiigen Zwillingsschwestern die eine farbenblind, die andere farbentüchtig war, keinen unzweifelhaften Beweis für die Erbverschiedenheit dieser Zwillinge erbringt, sondern auch als Folge einer bloßen Manifestations- verschiedenheit aufgefaßt werden kann.

10. Durch Rückwärtsverfolgung der von uns erforschten Familie ließ sich wahrscheinlich machen, daß die krankhafte Erbanlage erst innerhalb der letzten Generationen neu entstanden ist.

11. Die gewonnene Kenntnis von der Art der Vererbung des in Rede stehenden Leidens ließ sich bei der von einem Familienmitglied gewünsch- ten Eheberatung auch praktisch auswerten.

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 61

Literatur.

Die zitierte Literatur ist zu finden in: Siemens, Ueber rezessiv-geschlechtsgebundene Vererbung von Haut- krankheiten. Arch. f. Dermatol. 136, 69. 1921.

m Einführung in die allg. und spez. Vererbungspathologie des Menschen, 2. Aufl. Berlin 1923. a Die Zwillingspathologie. Ihre Bedeutung, ihre Methodik, ihre

bisherigen Ergebnisse. Berlin 1924.

Die dermatologische Würdigung des beschriebenen Krankheits- bildes soll unter dem Titel „Ueber Keratosis follicularis“ im Archiv für Dermatologie erfolgen.

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Ursachen der Rachitis, insbesondere ihre Erblichkeit.

Von Dr. Hans Ziesch aus Dresden.

Aus der Kinderpoliklinik (Direktor Geh. Rat Prof. Dr. Seitz), der orthopädischen Klinik (Direktor Geh. Rat Prof. Dr. Lange) und der rassenhygienischen Abteilung (Prof. Dr. Lenz) des Hygienischen Instituts in München.

I. Einleitung.

Das Material der folgenden Untersuchung stammt zum größten Teil aus der Münchner Kinderpoliklinik; es umfaßt alle Kinder, bei denen in den Jahren 1916 bis 1923 laut Krankenblatt Rachitis festgestellt worden ist, sei es als Haupt-, sei es als Nebendiagnose. Der Rest des Materials stammt aus der Münchner orthopädischen Klinik und der orthopädischen Poliklinik, deren Leiter, Herr Geheimrat Lange, uns das Material der beiden Institute in entgegenkommender Weise zur Verfügung stellte.

Von den vielen zum Zwecke einer Nachuntersuchung in die Poliklinik bestellten Kindern erschienen jeweils nur etwa ein Drittel; und von den Hausbesuchen, die ich zum Zweck der Untersuchung vornahm, war etwa die Hälfte vergebens, indem ich teils überhaupt niemand antraf, teils nur die Eltern oder nur die Kinder. Zum Teil waren auch die Angaben der

62 Dr. Hans Ziesch:

Mütter so ungenau, daß ich sie zu meinen Erhebungen nicht verwerten konnte. Zu brauchbaren Unterlagen gelangte ich bei 230 Familien. Der Mängel, die einer solchen Untersuchung anhaften, war ich mir von vorn- herein bewußt. Es kann sich in dieser Arbeit nicht darum handeln, „Be- weise“ für neue, noch niemals ausgesprochene Hypothesen beizubringen; gibt es doch kaum einen überhaupt im Bereich des Möglichen liegenden Faktor, der noch nicht von diesem oder jenem Autor als Ursache der Rachitis in Anspruch genommen wäre. Das Ziel dieser Arbeit war viel- mehr, zu untersuchen, wieweit die Erfahrungen an dem Münchener Material mit den verschiedenen im Laufe der Zeit aufgestellten Hypothesen über die Ursachen der Rachitis übereinstimmen und inwieweit nicht. Auf diese Weise konnte immerhin erreicht werden, daß gewisse schon seit langer Zeit vertretene Hypothesen in ihrer Wahrscheinlichkeit wesentlich gestärkt werden konnten, während andere als mit unseren Erfahrungen nicht vereinbar erscheinen.

An dieser Stelle sollen Ergebnisse der Arbeit nur insoweit, als sie rassenbiologisch von Interesse sind, veröffentlicht werden. Auch von einer Besprechung der bisherigen Literatur soll hier abgesehen werden. Ich bin darauf in meiner (nicht im Druck erschienenen) Dissertation eingegangen. Dort sind auch die Ergebnisse meiner Erhebungen hinsichtlich des Ge- sundheitszustandes der Mutter, speziell während der Schwangerschaft, des Gesundheitszustandes des Vaters (Syphilis, Alkoholismus), der Lage des Kindes in der Gebärmutter, des Verlaufs der Geburt, der Reife des Kindes, von Zwillingsgeburt und Blutsverwandschaft erörtert, die sämtlich als wesentliche ursächliche Faktoren mehr oder weniger ausgeschlossen wer- den konnten und die daher hier nicht noch einmal ausführlich erörtert werden sollen.

Bei meinen Erhebungen wurden in jedem Falle folgende Fragen mög- lichst genau zu beantworten gesucht:

1. Name des Kindes.

2. Datum und Ort der Geburt.

3. Verlauf der Geburt (normal? Zange? etc.) Schwangerschaft?

4. Frühgeburt oder ‘ausgetragen?

5. Wann laufen gelernt? Wann erste Zähne?

6. Symptome der Rachitis.

7. Ist das Kind gestillt? Wie lange gestillt?

8. Welche künstliche Ernährung? Wann Vollmilch? Wieviel Milch pro Tag? Wann Beginn der Gemüsenahrung?

9. Beschaffenheit der Wohnung zur Zeit der Geburt des Kindes?

10. Wieviel Personen in wieviel Zimmer?

11. Wann ist das Kind zum erstenmal an die Luft gebracht worden? Ist es viel oder wenig an der Luft gewesen?

12. Ist das Kind längere Zeit auf dem Lande gewesen?

13. Wie war die Pflege des Kindes? War es in fremder Kost?

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 63.

14. Geschwister? Wieviel Brüder, wieviel Schwestern? Sind Geschwister gestorben,. woran?

15. Welche Geschwister haben Rachitis gehabt?

16. Für jedes rachitische Geschwister Fragen 1—13.

17. Vater? Beruf, Alter; wann hat er als Kind laufen gelernt? Hat er Rachitis gehabt? 18. Mutter? Beruf, Alter, Rachitis? Enges Becken? Osteomalacie?

19. War eins von den Eltern mehrmals verheiratet?

20. Besteht Blutsverwandtschaft unter den Eltern?

21. Alkoholismus, Syphilis oder sonstige chronische Krankheiten bei den Eltern? 22. Rachitis bei Großeltern, bei Geschwistern der Eltern und deren Kindern?

23. Sind Geisteskrankheiten, Mißbildungen, endokrine Erkrankungen in der Familie- vorgekommen?

24. Befanden sich die Eltern in den ersten Lebensjahren des Kindes in guten oder schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen?

IL Erblichkeit.

„Auf solche Art ist auch die Engelländische Krankheit ein erbliches. Uebel, und zwar aus meiner vielfältigen Erfahrung so gewiß, daß unter hundert Exempeln selten eines fehlt, da ich nicht die Merkmale an den Eltern und Großeltern von solcherlei Kindern hätte finden können. Die meisten solcher Kinder werden ohne Mangel geboren und fangen erstlich nach einer gewissen Zeit an, in diese Krankheit zu verfallen. Bei einigen habe ich auch gleich nach der Geburt Merkmale davon gefunden und daher deren Eltern im voraus gesagt, daß sie mit der Zeit in dieses Uebel. verfallen würden.“ So schrieb ein alter Arzt, namens Storch-Pelar- gus, im Jahre 1750, rund hundert Jahre nach dem Erscheinen von Glis - sons Werk. Ritter von Rittershain, der große Rachitisforscher neben Kasso witz im vorigen Jahrhundert sagt :,Den Ansichten insbesondere französischen Aerzten gegenüber, welche die Entstehung der Krankheit fast ausschließlich in dem Einfluß äußerer Schädlichkeiten suchen, lehren mich meine Erfahrungen, nicht minderes Gewicht auf die Momente einer direkten hereditären Uebertragbarkeit der Krankheit zu legen.“ Als Beispiel hierzu führt er einen Fall von neun Kindern an: „Sechs Ge- schwister davon hatten alle große eckige Köpfe und verengte Brustkörbe, an der Mutter sind Spuren von Rachitis zu entdecken.“

Kassowitz berichtet von einem Fall, wo „drei Kinder eines ge- sunden, kräftigen Elternpaares unter allergünstigsten äußeren Verhält- nissen von ausgeprägter Rachitis befallen wurden, und wo kein anderes aetiologisches Moment gefunden werden konnte, als daß die Mutter in ihrer Kindheit an hartnäckiger Rachitis gelitten hatte.”

1897 hat Feer in einer Festschrift: „Zur geographischen Verbreitung und Aetiologie der Rachitis“ geäußert: „Zahlreich haben die Aerzte der

64 Dr. Hans Ziesch:

schweizerischen Sammelforschung die Wichtigkeit der Heredität hervorge- hoben. Dem Urteil dieser Praktiker darf man in diesem Punkte ein großes Gewicht beimessen.“ Als Beweis für die Heredität führt er an, „daß aus Rachitisgegenden eingewanderte Mütter auch in rachitisfreien Orten rachi- tische Sprösslinge zur Welt bringen.“

Und zu Beginn des neuen Jahrhunderts schrieb der Prager Pädiater Fischl: „Die Heredität der Englischen Krankheit ist eine Sache, die sich schwer beweisen läßt. Die große Verbreitung der Rachitis in manchen Ländern bringt es mit sich, daß ein gutes Teil der Eltern rachitischer Kinder deutliche Merkmale des abgelaufenen Prozesses an sich trägt. Es ist gewiß auffällig, daß die Kindern von Eltern, die deutliche Stigmata schwerer, in ihrer Jugend überstandener Rachitis an sich tragen, gleichfalls oft und zwar auch unter günstigen Lebensverhältnissen mit Rachitis zur Welt kommen oder daran erkranken. Wenn ich auch zugebe, daß die Frage der Heredität noch nicht spruchreif ist, namentlich der Stütze durch ‚ausgedehnte ziffernmäßige Erhebungen bedarf, was bei der Beurteilung der Schwierigkeit der Sachlage nicht ganz leicht sein dürfte, so glaube ich dennoch, daß dieser Faktor unter den ätiologischen Momenten der Rachitis mehr Anerkennung verdient, als ihm bisher zuteil geworden ist.“

Der Gedanke, daß die Rachitis eine vererbbare Krankheit sei, ist also, wie wir sehen, schon recht alt, und doch hat man ihn zu allen Zeiten leb- haft bekämpft und zu widerlegen versucht, ohne freilich das Für und Wider beweisen zu können. Doch wir müssen eines bedenken; die Ver- erbungswissenschaft ist noch sehr jung, und die Methoden, die wir heute haben, um die Vererbung von Krankheiten zu studieren, fehlten den alten Aerzten des vorigen Jahrhunderts noch vollständig. Ihre Argumente für das Vorhandensein einer Vererbbarkeit erkennen wir heute zum größten Teil nicht mehr an. Wir arbeiten mit neuen, festen Grundlagen. So ist uns zum Beispiel heute die eine große Tatsache geläufig, daß das Fehlen der vererbten Merkmale bei den Eltern nicht gegen eine Vererbung spricht. Wir wissen ferner, seit Mendel, daß vererbte Symptome durchaus nicht bei allen Nachkommen eines Elternpaares vorhanden sein müssen. Und wir wissen, daß es verschiedene „Erbgänge“ gibt, einen dominanten, einen rezessiven, einen geschlechtsgebundenen. Trotzdem habe ich mehrere alte Autoren zitiert, um zu zeigen, wie alte, rein praktisch, das heißt in der Praxis gewonnene Erfahrungen, oft lange Zeit vorher, der Vorbote wissen- schaftlicher, systematischer Erkenntnis sein können.

Die erste größere Arbeit, die einmal im Zusammenhang der Frage der Vererbbarkeit der Rachitis nachging, sind die „Beiträge zur Lehre von der Rachitis“ von Siegert im „Jahrbuch für Kinderheilkunde“, 1903. „Und doch besteht die Heredität ganz allgemein und spielt unter den

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 65

ätiologischen Faktoren eine der maßgebendsten Rollen!“ Mit diesem Motto leitet Siegert seine Arbeit ein. An zahlreichen Beispielen familiär auf- tretender Rachitis glaubt er die Bedeutung der Heredität in der Rachitis- ätiologie bewiesen zu haben. „Die Heredität ist eine der wichtigsten ätio- logischen Faktoren der Rachitis. Sie wird durch die Mutter vermittelt.” So sein SchluBresultat. Die Arbeit ist außerordentlich interessant und wertvoll, basiert aber begreiflicherweise auf den damals geltenden Voraus- setzungen in der Vererbungslehre. So halt S i e g e r t das klinische Rachitis- bild als solches für vererbbar. Beachtenswert ist, daß er auch Fälle be- schrieben hat, wo eine gesunde Mutter von einem Mann, der in seiner Kindheit rachitisch war, mehrere rachitische Kinder, von einem nicht rachitischen Mann nur gesunde Kinder bekommen hat.

Von neuen Gesichtspunkten und neuen Voraussetzungen aus ist das Vererbungsproblem der Rachitis und anderer Diathesen des Kindesalters erst in jüngerer Zeit, etwa seit dem Jahre 1910, wieder in Angriff ge- nommen worden, vor allem unter der Führung von v. Pfaundler und Lenz.

Zunächst wurde der Begriff der Krankheit neu orientiert. „Einen biologischen Wesensunterschied zwischen Gesundheit und Krankheit gibt es nicht", sagt Lenz. „Es gibt alle Uebergänge zwischen voller Gesund- heit und schwerster Krankheit.“ „Unter Krankheit verstehen wir dem- gemäß den Zustand eines Organismus an den Grenzen seiner Anpassungs- fähigkeit. Leichte Abweichungen vom Zustande voller Anpassung bezeich- nen wir noch nicht als Krankheit, sondern als Anomalie.“

Auch der Begriff der Konstitutionsanomalie erschien in neuem Lichte, „nämlich als eine dauernde Abweichung vom Normalzustand der Körper- verfassung in bezug auf ihre Widerstandskraft gegenüber Einflüssen der Umwelt“ (Lenz). Daraus leitete man den Begriff der „Diathese“ ab. „Kon- stitutionsanomalien, die sich in gewissen funktionellen Eigentümlichkeiten äußern, die also vorwiegend in der chemisch-physiologischen Beschaffen- heit der Gewebe begründet sind, pflegt man als Diathesen zu bezeichnen. Diathesen sind also abnorme Anfälligkeiten gegenüber Einflüssen der Um- welt, die von der Mehrzahl der Menschen ohne Schaden vertragen werden“ (Lenz). Kurz gesagt: Diathese ist eine besondere Disposition für eine be- stimmte Krankheit. Von Pfaundler hat 1911 auf dem Kongreß für Innere Medizin in Wiesbaden zum ersten Male ausführlich über das Wesen der Diathesen im Kindesalter berichtet.

Diese Begriffsbestimmung mußten wir vorausschicken, um daraus zu erkennen, daß im allgemeinen für die Entstehung von Krankheiten, be- sonders aber derjenigen, die man auch klinisch als „Konstitutions- anomalien oder Diathesen“ bezeichnet, zwei Hauptfaktoren maßgebend

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 1. 5

66 Dr. Hans Ziesch:

sind: erstens ein endogener Faktor, die Disposition, die Veranlagung, d. h. die für eine bestimmte Krankheit in bestimmter Weise von der Norm abweichende Körperverfassung, und zweitens ein exogener Faktor in Form äußerer Schädlichkeiten.

Diese Tatsache muß uns klar sein, wenn wir nun darangehen, die Vererbung bei einer bestimmten Krankheit wie der Rachitis zu studieren. Die Rachitis ist eine typische und ausgeprägte Konstitutionsanomalie, eine Diathese im engeren Sinne, d. h. eine Krankheit, bei der die Veranlagung eine große Rolle, ja, wie ich schon hier betonen will, meines Erachtens die entscheidende Rolle spielt. Ausdrücklich aber soll noch einmal betont werden: wenn wir die Rachitis als eine erbliche Krankheit ansehen und im folgenden von der Vererbbarkeit der Rachitis sprechen, so bedeutet das nicht, daß die Rachitis als solche, d. h. als das uns bekannte, fertige kli- nische Krankheitsbild vererbbar ist, sondern vererbbar ist nur die Anlage zur Rachitis, der endogene Faktor, die Disposition. Ob die Rachitis klinisch manifest wird, hängt von exogenen Faktoren ab, über die wir zum Teil schon im ersten Abschnitt berichtet haben, zum Teil noch weiterhin zu berichten haben werden.

Diese Anschauung von der Vererbung von Krankheiten, besonders der Rachitis, steht in einem gewissen Gegensatz zu den früheren Ansichten, wonach wie auch Siegert noch glaubt die Krankheit selbst als fertige Krankheit vererbt werden sollte.

Ich fasse die bisherigen Feststellungen noch einmal mit Pfaund- lers Worten zusammen: „Klinische Beobachtung über die Rachitis weisen darauf hin, daß pathogenetisch zwei Momente maßgebend seien: erstens eine latente Disposition, beruhend auf spezifischer Vererbung, die ihrem Wesen nach völlig unbekannte Diathese (Konstitution) im engeren Sinne; zweitens auslösende, manifestierende Schäden, die extrauterin wirksam und in ihrem äußeren Gewande wohl ziemlich mannigfaltig sind.“

Der Vollständigkeit halber erwähne ich noch, daß Peiper im Jahre 1920 in einem Artikel „Krankheiten und Vererbung beim Kinde“ speziell auf die Rachitis als Beispiel einer erblich übertragbaren Konstitutions- anomalie näher eingegangen ist, aber ohne feste Grundlagen eines größeren Materials.

Die Schwierigkeiten der Erforschung des Erbganges der so außer- ordentlich häufigen rachitischen Diathesen sind natürlich sehr groß. „Die Erforschung des Erbganges der kindlichen Diathesen“, sagt Lenz mit Recht, „begegnet großen Schwierigkeiten, zumal ja die Eltern zur Zeit der Untersuchung meist keine Zeichen mehr davon zeigen und ihre An- gaben über die eigene Krankheit nur mit großer Vorsicht zu verwerten

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 67

sind“. Wir können am Ende unserer Untersuchung nur feststellen, ob und inwieweit die Ergebnisse mit großer Wahrscheinlichkeit für die Vererbbarkeit der Rachitis sprechen oder ob sie dagegen sprechen. Und damit ist ja schon viel gewonnen. _

Ich habe in jedem Falle, soweit irgend möglich, neben der Anamnese des betreffenden Kindes, das mir die betreffende Familie zuführte „Pro- band“ genannt auch die Anamnese der Geschwister, Eltern, Großeltern und deren Geschwister, kurz aller erreichbaren Aszendenten in der väter- lichen wie mütterlichen Linie einschließlich der Seitenlinien nach bestimm- ten Gesichtspunkten erhoben. Vor allem habe ich auf vorhandene oder vorhanden gewesene Rachitis und Spasmophilie gefahndet und mir Grad und Symptome der Rachitis aufgezeichnet. Ich habe dann von einer Reihe von Familien einen sog. „Stammbaum“ bzw. eine Sippschaftstafel angelegt und darin die mit Rachitis behafteten Personen besonders hervorgehoben. Zu meiner großen Freude konnte ich mittels dieser ,,individualstatistischen“ (genealogischen) Methode etliche Stammbäume aufstellen, die mir geeignet zu sein scheinen, einige Aufklärung für das Vererbungsproblem der Rachitis zu liefern.

Neben dieser Individualstatistik muß die summierende oder Massen- .

statistik zu ihrem Rechte kommen.

„Dabei drohen nun verschiedene Gefahren des Irrtums,“ sagt Lenz. So stellt unser Material eine Auslese dar insofern, als wir ja nur Familien untersucht haben, die mindestens einen Fall von Rachitis, den Ausgangs- fall, mit Bestimmtheit aufweisen. Es müßte deshalb im Interesse der Exakt- heit einer solchen Massenstatistik eigentlich in gleicher Weise in ebensoviel beliebigen Familien ohne Ausgangsfall nachgeforscht werden. Es fehlte mir indessen an Zeit, um diesen Vorschlag selbst in die Tat umzusetzen. Weiterhin ist zu bedenken, daß unsere Fälle als poliklinische Patien- ten fast ausschließlich dem Proletariat entstammen, und daß nur Stadt- bevölkerung zur Untersuchung gelangte. Es wäre deshalb zur Ergänzung dieser Arbeit durchaus angezeigt, in gleicher Weise die Verhältnisse bei den wohlhabenden Klassen und in der Landbevölkerung zu studieren und dann zu vergleichen. Eine Fehlerquelle liegt schließlich in der verhältnis- mäßig geringen Anzahl untersuchter Familien. Um Trugschlüsse zu ver- meiden, war daher die Berechnung des Fehlers der kleinen Zahl notwendig.

Beginnen wir zunächst einmal mit der summarischen Statistik!

In erster Linie ist die Kardinalfrage zu beantworten: Spricht unser Material dafür, daß erbliche Anlagen für das Zustandekommen der Rachitis überhaupt von Bedeutung sind? Dazu müssen wir nachprüfen, ob die Rachitis familiär gehäuft auftritt,

5*

68 Dr. Hans Ziesch:

Sehr schwierig ist es, die allgemeine Häufigkeitszahl der Rachitis zu erlangen. Die Angaben in der Literatur sind so schwankend, daß man daraus kein rechtes Bild gewinnen kann. Trotz meiner Bemühungen konnte ich weder vom Bayerischen Statistischen Landesamt noch vom Statistischen Amt der Stadt München Angaben über die Häufigkeit der Rachitis erhalten. Auf meinen Wunsch hin hat Herr Dr. Maurer, Assistenzarzt der Kinder- poliklinik, freundlicherweise die Häufigkeit der Rachitis bei unserem eige- nen Material der Kinderpoliklinik festgestellt und unter 1158 Kindern, die in den Monaten März bis September 1923 die Poliklinik aufsuchten, 603 Rachitiker aller Grade gefunden, d. h. also rund 52 Prozent. Die Zahl erscheint nach allgemeiner Schätzung eher zu niedrig, ist aber dadurch gesichert, daß jedes Kind, das im Jahre 1923 die Poliklinik aufsuchte, spe- ziell auf Rachitis untersucht und eine entsprechende Notiz im Krankenblatt gemacht wurde. Anderseits ist zu bedenken, daß unter den Kindern, welche die Poliklinik aufsuchten, die Rachitis häufiger als in der Gesamtbevölke- rung sein dürfte, da ein Teil der Kinder eben wegen Rachitis oder einer damit zusammenhängenden Störung in die Klinik kam.

Bei den Geschwistern unserer Rachitisfälle fand sich Rachitis mit einer Häufigkeit von 65 Prozent. Die Ausgangsfälle oder Probanden wurden gemäß der Weinbergschen Geschwistermethode bei dieser Berechnung nicht mitgezählt (andernfalls hätten sich zirka 90 Prozent ergeben). Jeden- falls ist unsere Zahl von 65 Prozent mit der noch als zu groß zu betrach- tenden Zahl von 52 Prozent einigermaßen vergleichbar, da beiden ein ähnliches Material zugrunde liegt und derselbe Maßstab, was die Umgren- zung der Rachitis betrifft, angelegt wurde. Die Zahl von 65 Prozent Rachi- tikern unter den Geschwistern der Rachitiker spricht daher für eine starke Beteiligung der erblichen Veranlagung am Zustandekommen der Rachitis.

Ich habe dann summarisch festgestellt, daß in 230 Familien in fünf Fällen beide Eltern, in 21 Fällen der Vater allein und in 34 Fällen die Mutter allein Rachitis gehabt haben. Zum Teil konnte ich mich selbst noch von den Spuren überstandener Rachitis bei den Eltern überzeugen, zum Teil durch Photographien von Eltern und Großeltern, zum Teil wurden mir glaubwürdige Angaben darüber gemacht. In 82 Fällen war Rachitis bei den Eltern fast mit Sicherheit auszuschließen. In 88 Fällen waren die Angaben zweifelhaft.

Leider hatten unter den fünf Fällen der Rachitisbelastung bei beiden Eltern nur zwei dieser Eltern mehrere Kinder, während in drei Fällen nur ein Kind da war. In den beiden ersten Fällen aber ergab sich, daß der größte Teil der Kinder rachitisch war, eine Tatsache, die für Erblich- keit spricht. In den anderen Familien, wo der Vater oder die Mutter

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 69

rachitisch waren, ebenso in den zweifelhaften Fällen fand ich, daß neben rachitischen Kindern auch nichtrachitische in wechselndem Verhältnis im Durchschnitt etwa 1:1 und ohne Beziehung zur Geburtsreihen- folge vorhanden waren. Auch das spricht für Vererbung. Und daß in 82 Fällen beide Eltern rachitisfrei waren, ist kein Beweis gegen die Ver- erbung, denn wir müssen uns ja immer daran erinnern, daß zur Aus- lösung der klinischen Rachitis neben der Anlage exogene Faktoren mit- wirken, die natürlich aus irgendwelchen Gründen nicht einzutreten brau- chen. Bei einfach rezessiver Vererbung sind zumeist beide Eltern klinisch gesund.

Läßt sich aus diesen summarischen Ergebnissen irgendein Schluß auf die Art des Erbgangs, ob dominant oder rezessiv, ziehen? Lenz sagt: „Findet man unter den Geschwistern der Probanden, deren Eltern frei von der Krankheit sind, 25 Prozent Merkmalsträger, so spricht das für rezes- siven Erbgang.“ Das trifft für unsere Fälle nicht zu; außerdem spricht auch gegen rezessive Vererbung, daß keine besondere Häufigkeit von Bluts- verwandtschaft der Eltern in unseren Familien festgestellt werden konnte, nämlich nur in 5 unter 230 Fällen. Allerdings ist bei erblichen Anlagen, die so häufig sind wie die Anlage zu Rachitis, auch keine deutliche Er- höhung der Häufigkeit der Verwandtenehen unter den Eltern zu erwarten, wie Lenz gezeigt hat. Daß in fast allen unseren Fällen, wo eins der Eltern Rachitis aufweist, im Durchschnitt die Hälfte der Kinder ebenfalls rachitisch ist, spräche eher für dominanten Erbgang. Ein geschlechtsge- bundener Erbgang konnte an unserem Material nicht gefunden werden. Unter den rachitischen Kindern wich die Verteilung der Geschlechter von dem gewöhnlichen Geschlechtsverhältnis nicht deutlich ab, wie auch schon Ritter von Rittershain, der die Verteilung der Rachitis auf die Geschlechter untersucht hat, zu dem Schluß kam, daß „kein Grund vor- handen sei anzunehmen, daß der Geschlechtsunterschied der Kinder eine verschiedene Entwicklungsdisposition für Rachitis bedinge“.

Einen einheitlichen Erbgang für die Anlage zur Rachitis nachzuweisen, ist uns nicht gelungen. Vermutlich kommen verschiedene Erbanlagen in Betracht, wodurch auch verschiedene Möglichkeiten des Erbganges bedingt sein mögen. Einzelne dieser Möglichkeiten sollen bei der Besprechung der einzelnen Stammbäume erörtert werden.

Ich habe besonderen Wert darauf gelegt, möglichst genaue Angaben über die Familienverhältnisse in genealogischer Hinsicht zu bekommen. Ein Stammbaum im Lenzschen Buche, eine Skoliosenfamilie darstellend, gab mir dazu den ersten Anlaß. Um sicher zu gehen, habe ich, soweit das angängig war, die einschlägigen Familien einer genauen Durchsicht an Ort

70 Dr. Hans Ziesch:

und Stelle unterzogen. Zum Teil aber konnte ich mich nur auf die An- gaben der Mutter stützen, die in zwei Fällen durch eine Photographie der Großeltern (O-Beine!) bestätigt wurden.

Ich gebe nunmehr die Stammbäume wieder, die mir bemerkenswert zu sein scheinen. |

OS o OoRododegod E LGE GC CStGEGk

SES rg!

Stammbaum I.

Zur Erklärung: Die schwarz ausgefüllten Zeichen stellen die mit Rachi- tis behafteten Familienmitglieder dar. P. bedeutet Proband (Ausgangsfall). Alle nicht absolut sichergestellten Fälle sind mit Fragezeichen versehen. Von der letzten Generation sind vier Kinder gestorben (+), von denen eins, eine Schwester, nach zuverlässiger Angabe der recht verständigen Mutter Rachitis gehabt hat. Die anderen Kinder und die Mutter habe ich selbst untersucht. Im übrigen ist der Stammbaum nach den glaubwürdigen Aus- sagen der Mutter angefertigt.

Bemerkenswert ist der Stammbaum einmal, weil er das Vorkommen von Rachitis in drei aufeinanderfolgenden Generationen zeigt, und zwar allgemeiner Rachitis, worunter folgende Symptome zu verstehen sind: Großer, viereckiger Schädel, Hühnerbrust, Rosenkranz, Froschbauch, ver- dickte Endphalangen, Kraniotabes, und zwar in variabler Kombination. Zweitens, weil in diesem Falle eine gesunde Frau in der Ehe mit einem rachitischen Mann rachitische Kinder (neben nichtrachitischen), mit einem nichtrachitischen Mann aber nur rachitisfreie Kinder bekommt. Der Stamm- baum spricht mit größter Wahrscheinlichkeit für eine idiotypische (erb- liche) Anlage zur Rachitis, und zwar scheint in diesem Fall der dominante Erbgang vorzuherrschen, weil die Rachitis in drei unmittelbar aufein- anderfolgenden Generationen auftritt und jeweils etwa 50 Prozent der Kinder (bei Rachitis eines der Eltern) befällt.

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 71

Die Angaben der Mutter, einer sehr gebildeten und verständigen Frau, die sich selbst lebhaft fir das Vererbungsproblem in ihrer Familie inter-

Stammbaum II.

Die von einem Ring umgebenen Zeichen be-

essierte, erschienen mir durchaus vertrauenswirdig. Von Kind, Mutter und Großvater wurde „starke Rückgratverkrümmung nach rechts“ angegeben, vom Urgroßvater „Verkrümmung, Buckelbildung“ (Kind und Mutter waren ärztlich untersucht). Anscheinend handelt es sich hier um die Vererbung der Anlage zu rachitischer Skoliose durch vier aufeinanderfol- gende Generationen, anscheinend nach dominantem Erbgang.

deuten typische rachitische Kypho-Skoliose. Daneben waren auch allgemein rachitische Symptome vor- handen. Die beiden Kinder und die Mutter habe ich selbst gesehen. Schwester der Mutter und Groß- mutter nach bestimmten, glaubwürdigen Angaben der Mutter. Der Stammbaum zeigt wiederum die Vererbung der rachitischen Anlage durch drei auf- einanderfolgende Generationen, und zwar speziell der Kypho-Skoliose. Auch hier scheint dominanter Erbgang vorzuliegen.

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Stammbaum III.

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Stammbaum IV.

Die mit einem Ring bezeichneten Individuen haben ausgeprägte X-Beine,

die mit einem Kreuz (X) versehenen O-Beine. Neben diesen hervorstechen-.

den Symptomen ergab die Untersuchung bei allen Kindern alle möglichen anderen rachitischen Symptome leichteren Grades (Froschbauch, Rosen- kranz, Hühnerbrust, leicht verdickte Endphalangen). Der Vater gibt selbst an, schwere Rachitis gehabt zu haben (Laufen mit 5 Jahren!) Ob X-Beine

72 Dr. Hans Ziesch:

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bei ihm selbst vorgelegen hatten, vermochte er nicht sicher anzugeben. Die außerordentliche Häufigkeit der Rachitis in dieser stattlichen Ge- schwisterreihe, insbesondere aber die spezielle Häufung von X- und O- Beinen, und zwar allerschwerster Art bei relativ günstigen äußeren Ver- hältnissen, läßt sich meines Erachtens nur durch idiotypische rachitische Veranlagung erklären, um so mehr, als sämtliche Kinder unter den gleichen guten Verhältnissen aufgewachsen sind (sämtliche Kinder sind z. B. ge- stillt!). Exogene Faktoren allein können also hier nicht in Frage kommen. Der Stammbaum: spricht wohl mehr für dominanten als für rezessiven

Erbgang,

Diese Familie zeichnete sich in eigen-

tümlicher Weise in zahlreichen Mitglie- d dern durch einen typichen großen rachi- en u tischen Schädel aus, der in allen Fällen

mit einem ausgesprochenen Froschbauch kombiniert war, während sonstige rachi-

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tische Allgemeinsymptome kaum vorhan- Gei - e Ä P

den waren. Absolut präzise Angaben

waren nicht zu erlangen.

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Stammbaum VI.

Stammbaum V,

Die Ringe bezeichnen O-Beine, die Kreuze eine Kyphose. Bemerkenswert ist, daß der Onkel der beiden Brüder, von denen der eine O-Beine, der andere Kyphose hat (beide kombiniert mit großem rachitischem Kopf), diese bei- den t ypisch rachitischen Symptome, O-Beine und Kyphose, kombiniert ge- habt hat, so daß auch hier irgendein erblicher Zusammenhang, und zwar

spezieller Art vorliegen dürfte. Es handelt sich um schwere Grade der

Rachitis.

In dieser Familie fanden sich Oe Q? Ce GE

schwerste Grade von Rachitis gehäuft (X-Beine, O-Beine, Skoliose). Die Kin- der wurden von mir untersucht, der Vater auch. Bemerken muß ich, daß in diesem Falle äußere Faktoren, be- sonders eine sehr feuchte Wohnung, für die Manifestierung eine wesent- liche Rolle mitspielen.

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Stammbaum VIL

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 73

Familiäres Auftreten schwerster Grade von Rachitis, und zwar vor- wiegend (neben anderen allgemeinen rachitischen Symptomen) typische Kypho-Skoliose (Kreuz), starke O-Beine (Ring) und enges Becken (X). Die

Stammbaum VIII.

gesamte Familie steht dauernd in ärztlicher Behandlung, die Angaben beruhen auf ärztlicher Untersuchung. Die O-Beine des Bruders der Groß- mutter und des Urgroßvaters habe ich auf Photographien bestätigt ge- funden. Von den Großeltern selbst konnte nichts Sicheres angegeben werden. Auch hier wieder eine Vererbung speziell lokalisierter Rachitis.

Großmutter und Mutter haben nach ärztlichen An- ei $ d gaben stark verengtes Becken, beide hatten mehrere Li Ge Zangengeburten wegen engen Beckens. Ueber die Stief- schwester der Mutter war zu erfahren, daß sie sehr si spät gelaufen sei und Rachitis gehabt habe. Das Kind, Ee der Ausgangsfall, weist Rachitis auf: Kopfschweiße, Froschbauch, leicht gekrümmte Extremitäten, anschei- 9 of

nend einfach dominanter Erbgang. Stammbaum IX.

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Stammbaum X.

Ausgesprochene idiotypische Anlage zu X-Beinen (X). Nachprüfung in der Geschwisterreihe der Mutter konnte leider nicht erfolgen.

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Bei allen schwarz bezeichneten Personen liegt allgemeine Rachitis vor, und spezell wurden mir „krumme Füße“ als besonders auffällig angegeben.

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Stammbaum XI.

Die drei Kinder und die Mutter habe ich selbst besichtigt, die Tante nicht. Anscheinend handelt es sich um einfach dominanten Erbgang.

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Stammbaum XIL

Wieder Rachitis durch drei aufeinanderfolgende Generationen! Und zwar ausschließlich Extremitätenrachitis (Großmutter enges Becken, sieben Zangengeburten!; Mutter Skoliose; ihr Bruder O-Beine; der Proband (Steiß- lage) und seine Schwester (Zangengeburt) gekrümmte Extremitäten.

Was ist aus diesen Stammbäumen nun zu entnehmen? Zunächst das, was die summarische Statistik uns bereits offenbart hatte, daß die Rachitis unbedingt familiär auftreten kann, d. h. daß die rachitische Diathese ver- erbbar ist. Außerdem aber zeigen die Stammbäume noch etwas Neues, was ich wenigstens in der Literatur nirgends vermerkt fand: daß es nämlich hierbei eine spezifische Vererbung zu geben scheint in der Weise, daß bestimmte Symptome oder Symptomgruppen des rachitischen Krankheits- bildes in bestimmten Kombinationen gehäuft in Familien auftreten. So z. B. im Stammbaum II und III die in drei Generationen auftretende Manifestation an der Wirbelsäule oder in Stammbaum IV das spezifische Symptom der X- und O-Beine. In Stammbaum VI O-Bein und Kyphose

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 75

kombiniert, in der letzten Generation aufgespalten. In Stammbaum VIII Kypho-Skoliose und enges Becken; demgegenüber in Stammbaum XI Lo- kalisation der Rachitis an verschiedenen Organsystemen in bunter Folge. Ob hierbei eine gewisse spezifische idiotypische Organschwäche mitver- erbt wird, oder ob spezifische Angriffstendenzen der idiopathischen Rachitis- anlage übertragen werden, das bleibt freilich dunkel. Was den speziellen Erbgang betrifit, so sprechen die meisten Stammbäume wesentlich für dominanten, und zwar für einfach dominanten Erbgang.

Zusammenfassung: Unsere Erhebungen haben ergeben, daß als die wesentlichste Ursache für die Entstehung der Rachitis mit größter Wahrscheinlichkeit die idiotypische Bedingtheit, d. h. die Erblichkeit an- zunehmen ist. Welcher Erbgang hierbei vorliegt, ist nicht sicher zu ent- scheiden. Vieles spricht für dominanten Erbgang. Die Stammbaumfor- schung hat außerdem ergeben, daß eine Vererbung spezifischer rachitischer Symptomgruppen auch in gewissen bestimmten Kombinationen, spezifische, familiär auftretende Lokalisation der Rachitis vorkommen. Die Manifestie- rung der rachitischen Diathese zum klinischen Krankheitsbild der Rachitis ist von äußeren, zur Vererbung hinzutretenden Faktoren abhängig.

IHI. Ernährung, Wohnung, Domestikation.

Daß die Ernährung in der Aetiologie der Rachitis eine gewisse Rolle spielen kann, ist wohl heute eine allgemeine Annahme. Nur über das Wie und das Was gehen die Meinungen auch heute noch völlig aus- einander. Für uns ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen, daß die Ernährung ebensowenig wie alle die anderen äußeren Faktoren primäre kausale Bedeutung für das Zustandekommen der Rachitis hat. Vielmehr, wenn überhaupt, nur als auslösender Faktor bei vorhandener ererbter Anlage anzusprechen ist.

So mannigfach die kindliche Ernährung, speziell die Säuglingsernäh- rung überhaupt ist, so mannigfach sind auch die Anschauungen darüber, welche Ernährungsweise als ein die Rachitis auslösendes Moment anzu- schuldigen ist. Die Milch, als das Alpha und Omega der Kinderernährung, spielt hierbei naturgemäß die erste Rolle. In der Rachitisliteratur nimmt das Für und das Wider in der Frage der Milchernährung und ihre Be- ziehung zur Rachitis einen so gewaltigen Raum ein, daß ich mir derartige Literaturangaben schenken möchte. Nur eine kurze Stelle aus dem vorigen Jahrhundert vom Altmeister Kassowitz sei angeführt: „Das wichtigste Resultat dieser Statistik bleibt aber, daß die Ernährung an der Mutterbrust durchaus keinen Schutz vor der Rachitis gewährt.“ Diese Erkenntnis war damals neu, heute ist sie uns geläufiger geworden und doch noch viel angefeindet und bestritten.

76 Dr. Hans Ziesch:

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Was sagt unser Material hierzu?

Ich fand, daß unter 230 rachitischen Kindern aller Grade 158 Kinder gestillt worden waren, und zwar durchschnittlich: je 15 Wochen, gleich fast vier Monate, d. h. also weit über die Hälfte der untersuchten Kinder ist trotz viermonatlicher also normaler Stillzeit an Rachitis aller Grade erkrankt. Die Muttermilchernährung verhindert demnach das Auf- treten der Rachitis durchaus nicht.

Unter den 158 gestillten Kindern befinden sich 6 mit ganz schwerer Rachitis, die zwischen 3 Wochen und 6 Monaten gestillt sind. Also auch das Zustandekommen schwerster Grade der Rachitis wird durch die Er- nährung an der Brust nicht gehemmt.

Anderseits stellen gerade unter den nichtgestillten Kindern die leicht und sehr leicht rachitisch Erkrankten ein ziemlich großes Kontingent dar. Von 72 nichtgestillten Kindern sind 30 leicht rachitisch, 34 mittelschwer und 8 sehr schwer rachitisch erkrankt. In bezug auf das Verhältnis zwi- schen der Stillungsdauer und der Schwere der rachitischen Erkrankungen ergibt unsere Statistik kein einheitliches und irgendwie typisches Bild. Bei allen drei Graden der Rachitis sind mir Stillperioden von einigen Tagen bis über zwei Jahre hinaus angegeben worden, ohne daß ich daraus irgend- einen bestimmten Zusammenhang zwischen natürlicher Ernährung und dem Grade der Rachitis ersehen könnte.

Ich habe dann ‘untersucht, ob die Zwiemilchernährung, d. h. eine Mischung von natürlicher und künstlicher Ernährung, sichtbaren Einfluß auf die Entstehung der Rachitis hat. Ich glaube aber hier jeden Einfluß ablehnen zu können.

Dann habe ich erhoben, ob der Zeitpunkt des Beginns der Gemüse- und Vollmilchernährung die Entstehung und den Verlauf der Rachitis merkbar beeinflußt, eine Annahme, der man auch öfter begegnet. Der Beginn der Gemüsenahrung liegt bei unseren rachitischen Kindern im Durchschnitt bei einem Jahre; vom gleichen Zeitpunkt setzt durchschnitt- lich auch die Vollmilchernährung ein.

Ein positiver Einfluß der Gemüsenahrung auf die Entstehung der Rachitis ist deshalb von vornherein abzulehnen, weil die Rachitis zumeist schon vor Ablauf von 12 Monaten klinisch manifest wird (vgl. Tabelle von Schmorl im Pfaundlerschen Lehrbuch).

Möglich aber und wahrscheinlich ist, daß der späte Beginn der Gemüse- ernährung im allgemeinen wird ja 6.—7. Monat als Beginn der Gemüse- nahrung angesetzt! —, also das Fehlen von Gemüsebeikost als ein weiterer, die Entstehung der Rachitis begünstigender Faktor eine Rolle spielt.

Leider konnte mir über Beginn und Art der Gemüseernährung ein großer Teil der Mütter keine präzisen Angaben machen, so daß ich hier- über zahlenmäßig keine Schlüsse aus unserem Material zu ziehen wage.

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 77

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Immerhin ist der recht späte Beginn der Gemüseernährung bei vielen unserer Rachitiker auffällig. Gerade auf diesen Punkt sollte bei weiteren statistischen Erhebungen besonders geachtet werden.

Ebenso wichtig ist die Frage, ob der Ueberfütterung eine kausale Be- deutung zukommt. „Ueberfütterung begünstigt das Entstehen von Rachitis ganz entschieden“ (Stoeltzner). Die Ueberfütterung bezieht sich vor-. nehmlich auf die Flaschenfütterung. Zugunsten dieser Anschauungen sprechen etliche unserer Fälle mit Deutlichkeit, bei denen unter sonst absolut guten äußeren Verhältnissen, also unter Ausschluß aller anderen exogenen Faktoren, bei einer in unmäßiger Menge (1% bis 2 Liter pro Tag) dargebotenen Flaschennahrung schwere und schwerste Rachitis zustande- gekommen war.

Das würde ja mit Pfaundlers Angaben übereinstimmen, der sagt, daß die schweren Formen namentlich bei überfütterten Flaschenkindern wesentlich häufiger als bei Brustkindern seien. Betonen möchte ich, daß gerade bei den sog. pastösen Rachitikern und bei den Rachitikern mit schwerer Extremitätenrachitis Ueberernährung und Vollmilchüberfütterung vorgelegen hatte. Natürlich handelte es sich auch hier nur um einen zur Veranlagung hinzutretenden aktivierenden Faktor.

Nun noch ein paar Einzelbeispiele, die zweifellos einen Einfluß der Ernährungsweise auf die Rachitis charakterisieren!

Ein Kind, gar nicht gestillt, wurde in der Hauptsache mit Bier und Leberkäs (!) und ganz geringer Menge Vollmilch aufgezogen. Folge: Rachitis gravissima. Die Mutter soll leichte Rachitis gehabt haben. Zwei weitere Kinder waren bei rationeller Milchernährung rachitisfrei. Also: einmal erbliche Anlage, anderseits Auslösung der klinischen Rachitis durch vollständig unzweckmäßige Ernährung, während es bei den Geschwistern durch vernünftige Ernährung nicht zur Manifestation kommt.

Weiterer Fall: Ein Kind bekommt nach dreiwöchentlicher Stillung einen Liter unverdünnte Kuhmilch pro Tag. Es entsteht schwere Rachitis. Hier liegt zweifellos Ueberfütterung zugrunde, ebenso im folgenden Fall: Kind, drei Wochen gestillt, erhält 1% Liter Milch pro Tag. Schwere Rachitis. Mutter Rachitis? Ein Geschwister, mit Nestles Kindermehl auf- gezogen, ebenfalls rachitisch, ein weiteres, % Jahr gestillt, rachitisfrei.

Und nun noch ein Beispiel dafür, daß eine noch so lange Stillung auch vor Rachitis nicht schützt: Kind, über zwei Jahre gestillt unter Bei- fütterung von Gemüse vom zweiten Jahre ab, hat bei sonst tadellos guten äußeren Verhältnissen schwerste Rachitis.

Erwähnt sei noch, daß unter unserem Rachitismaterial, auch unter den mittelschweren Fällen, eine ganze Reihe von Kindern sich befand, die längere Zeit hindurch mit Eiweißmilch ernährt worden waren.

78 Dr. Hans Ziesch:

Neben der Ernährung wird schon seit langem den Wohnverhält- nissen eine kausale Bedeutung für die Entstehung der Rachitis beige- messen. So schreibt z. B. Levy im Archiv für Soziale Hygiene 1913, daß „sehr deutlich zu erkennen sei, daß die Schwere der Rachitis gleichen Schritt hält mit der Höhe der Belegung der Wohnräume“.

Damit im Zusammenhang muß kurz auch der Begriff der „Domesti- kation“, wie ihn v. Hansemann gefaßt hat, gestreift werden: „Ich glaube also auch“, sagt Hansemann, „daß bei den Menschen die wesentlichste Ursache für das Zustandekommen der Rachitis die ist, daß der Kulturmensch domestiziert ist, d. h. daß er sich gewöhnt hat, unter Verhältnissen zu existieren, die seinen ursprünglichen physiologischen Ein- richtungen nicht entsprechen.“ Das wesentlichste Moment sieht Hanse - mann und nach ihm viele andere in der „engen Kasernierung‘“, in kleinen, von Licht und Sonne abgeschlossenen, von übermäßig vielen Menschen bewohnten Wohnungen, in allzu geringer Bewegung im Freien, . an der Luft, in der vorwiegend sitzenden häuslichen Beschäftigung, kurz, in einer unnatürlichen Lebensweise. Neuerdings will man ja an Hunden den experimentellen Beweis für die ursächliche Bedeutung der Domesti- kation zur Entstehung der Rachitis erbracht haben (Findlay).

Die allgemeinen Erfahrungen sprechen dafür, daß neben den zahl- reichen anderen bereits besprochenen Faktoren die Domestikation eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, worauf bekanntermaßen die Rachitistherapie besonders aufgebaut ist. Ich habe auch in unserem Material, soweit möglich, auf diese Faktoren mein Augenmerk gerichtet, indem ich erstens die Wohnverhältnisse der Familie zur Zeit der Ent- stehung der Rachitis bei den Kindern erforschte, anderseits feststellte, wann die Kinder zum erstenmal überhaupt an die Luft gebracht worden waren, ob sie im Verlauf des ersten Lebensjahres viel oder wenig der Luft und der Sonne ausgesetzt worden waren bzw. ob sie lange Zeit hindurch inner- halb der „vier Pfähle‘“, abgeschlossen von Luft und Licht, gehalten wurden. Dabei ergab sich, daß die Wohnverhältnisse hinsichtlich der pro Kopf berechneten Raummenge im allgemeinen recht schlechte waren, d. h. in den meisten Familien, mit Ausnahme nur weniger, herrschte eine beträcht- liche Ueberfüllung der Wohnungen, die ja meist nur aus ein oder zwei Räumen und der Beschreibung nach nicht gerade den hygienisch ein- wandfreiesten bestanden. Habe ich doch selbst bei meinen Hausunter- suchungen bis neun Personen in einem Raum wohnend gezählt. Das Ver- hältnis sieben Personen auf zwei kleine Räume ist mir vielfach begegnet.

Daß wie Levy sagt die Rachitis gesetzmäßig mit steigender Belegung der Wohnungen häufiger und schwerer zu finden wäre, kann

Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 79

ich nicht behaupten. Man müßte dazu Familien mit großen Wohnungen zum Vergleiche heranziehen.

Was die Eigenschaft der Wohnungen in bezug auf Trockenheit und Feuchtigkeit, Sonnenbeleuchtung und Dunkelheit anbelangt, so wurde zum größten Teil von den Müttern angegeben, daß die Wohnräume trocken und sonnig wären. Das sagt aus, daß in gutbeschaffenen Wohnungen die Rachitis mindestens ebenso blüht und gedeiht wie in schlechten. Sicher aber ist, daß ich in den wirklich feuchten, nassen, sonnenlosen Wohnungen leichte Grade von Rachitis niemals angetroffen habe, sondern nur schwere und schwerste Rachitis bis hinauf zu den furchtbaren Extremitäten- und Wirbelsäulenverkrüppelungen. Ein Kausalnexus besteht hier mit größter Wahrscheinlichkeit in dem Sinne, daß ungünstige Wohnverhältnisse, spe- ziell Feuchtigkeit, an der Schwere der Rachitis wesentlichen Anteil haben.

Im Gegensatz hierzu kann ich bei meinen Erhebungen nicht bestätigen, daß Kinder, die erst sehr spät, d. h. lange Zeit nach der Geburt zum erstenmal an die Luft gebracht worden sind, mehr und schwerer von Rachitis heimgesucht werden als diejenigen, die schon wenige Tage nach der Geburt Wind und Wetter ausgesetzt wurden. Anderseits konnte ich ersehen, daß alle die Kinder, die, nach Angabe der Mütter, im ersten Lebensjahre überhaupt wenig oder fast gar nicht an die Luft gebracht worden sind, ausnahmlos schwere Grade der Rachitis aufwiesen, wobei allerdings zu bedenken ist, daß vielleicht oft deshalb, weil die Kinder schwere Symptome von Rachitis schon haben, vorsichtige Eltern gerade diese Kinder streng im Hause gehütet haben; so lag vielleicht in etlichen Fällen eine Art circulus vitiosus vor, indem die schon durch andere Fak- toren ausgelöste manifeste Rachitis zur Domestikation (Im-Haus-Festhalten) führte und diese wiederum zur Weiterentwicklung der Rachitis beitrug.

Und eins müssen wir bei diesen Betrachtungen vor allem berücksich- tigen: die Angaben „viel und wenig an die Luft bringen“ sind so außer- ordentlich relative und subjektive Begriffe, daß wir daraus keine bindenden Schlüsse ziehen dürfen. Sichere Resultate würden sich ergeben, wenn man alle diese Resultate vergleichen könnte mit Untersuchungen an einer ebenso großen Zahl anderer, nicht nach Rachitis ausgewählter Kinder, wie denn überhaupt alle die statistischen Ergebnisse nur durch Vergleich Wert gewinnen.

Ein besonderes Verhältnis zwischen Stadtvierteln und Rachitis habe ich nicht entdecken können.

Ueber soziale Verhältnisse im allgemeinen und auftretender Rachitis etwas auszusagen, ist mir nicht möglich, da unser Material fast ausnahmslos nur proletarische Verhältnisse berücksichtigt hat und keine anderen zum Vergleich herangezogen werden konnten.

80 Dr. Hans Ziesch:

Daß uneheliche Kinder häufiger und schwerer an Rachitis erkranken als eheliche, kann ich nicht finden, und Kostkinder auch nur dann, wenn die oben geschilderten äußeren Faktoren, wie falsche Ernährung, schlechte Wohnung, allgemeine schlechte Pflege usw. zur erblichen Anlage hinzu- treten. Daß freilich das Eintreten solcher Momente bei Kostfrauen eher zu erwarten ist als im Haushalt einer Mutter, die um ihr eigenes Kind besorgt ist, das liegt auf der Hand. Und gerade der letztgenannte Faktor, die schlechte Pflege, die allgemeine Verwahrlosung des Kindes, scheint doch zur Begünstigung der Rachitis ein gut Teil beitragen zu können.

Noch ein kurzes Wort über einen Faktor, der, besonders im Laien- publikum, eine große Rolle spielt! Wie oft hört man sagen, daß Kinder dadurch rachitisch geworden wären, daß die Mutter ihr Kind viel zu zeitig hätte laufen lassen, mit anderen Worten, das zu frühe Laufen wird als ursächlicher Faktor für die Entstehung der Rachitis angegeben. In der Tat verhält es sich so, daß ein Kind eigentlich niemals eher auf die Beine gebracht wird, als es von selbst auf die Beine kommt, d. h. als es von selbst zu laufen beginnt, und wenn dann die Beine krumm werden, so ist das die Folge der schon vorhandenen Rachitis, die sich ja zumeist in diesen Fällen durch den „pastösen Habitus“ und andere Symptome längst geäußert hat. Daß natürlich das statisch-mechanische Moment seinerseits wieder die Entwicklung der krummen Beine begünstigen kann, ist zuzu- geben. Ein weiteres Beispiel für das Hinzutreten rein äußerer Faktoren zu der ererbten Anlage!

Zusammenfassung: Bei vorhandener rachitischer Erbanlage scheint nach unseren Untersuchungen die Ernährung als ein auslösender Faktor insofern eine Rolle zu spielen, als ein später Beginn der Gemüse- beifütterung ebenso wie Ueberfütterung, d. h. überreichliche Zufuhr von Milch in den ersten Lebensmonaten, dasAuftreten der Rachitis, und zwar schwerer und schwerster, entschieden begünstigt. Dagegen ergibt unsere Statistik, daß der Ernährung an der Mutterbrust als ein die Rachitis hem- mender Faktor nicht die Bedeutung zukommt, die ihr im allgemeinen bisher beigemessen worden ist.

Hinsichtlich der Wohnungsverhältnisse ergibt sich mit Sicherheit, daß wirklich nasse, feuchte Wohnräume, womöglich unter Ausschluß jeglicher Sonnebestrahlung, die Entwicklung der Rachitis bis zu den schwersten Graden außerordentlich fördern, während die Belegung der Wohnungen nach unseren Feststellungen weniger ins Gewicht fällt.

Der allgemeinen Domestikation ist sicher eine kausale Bedeutung für die Entwicklung der Rachitis nicht abzusprechen, was bei unseren Er- hebungen auch daraus hervorgeht, daß alle die Kinder, die im ersten Lebensjahre gleichsam „unter Luftabschluß“ aufwachsen, ausnahmslos schwere und schwerste Rachitis aufwiesen.

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Statistisch-genealogische Untersuchungen über die Rachitis. 81

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Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 1. 6

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Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen. Von Dr. Gustav Wulz, München.

(Aus dem hygienischen Institut der Universität München. Vorstand: Geheimrat Prof. Dr. v. Gruber. Abteilung für Rassenhygiene. Prof. Dr. Fritz Lenz.)

Der Aufschwung der Erblichkeitsforschung hat auch die Klärung eines Problems gefördert, das bisher zu vielen falschen Deutungen Anlaß gab. Über die oft nachteiligen Folgen der Verwandtenehe waren sich Kirche und Staat von jeher im Klaren. Die tieferen Ursachen ihrer schädlichen Folgen zu ergründen blieb jedoch der wissenschaftlichen Forschung der beiden letzten Jahrzehnte vorbehalten.

Es gibt viele krankhafte Erbanlagen, von denen eine für sich allein noch nicht zu einem manifesten Leiden führt; es muß vielmehr bei der

Befruchtung eine solche Anlage erst mit einer zweiten gleich-

artigen zusammentreffen, wenn ein krankhafter Zustand an den Tag treten soll. Die Verwandtenehe gibt nun derartigen Erbanlagen, die man rezessiv nennt, in besonders hohem Maße Gelegenheit zusammenzu- treffen, da ja Verwandte viel eher gleiche Erbanlagen besitzen als Nicht- Verwandte. Sie führt also öfter zu manifestem Auftreten eines Leidens, und darin besteht ihre Gefahr.

So wird angegeben, daß etwa ein Drittel aller albinotischen Personen von blutsverwandten Eltern stammt, während sonst die Häufigkeit der näheren Verwandtenehen höchstens einige wenige Prozent beträgt. Lehr- reich sind auch einige Fälle, wo albinotische Individuen aus Inzest her- vorgegangen sind. Bei diesen geschlechtlichen Verbindungen engster Blutsverwandtschaft ist die Gefahr des Zusammentreffens zweier gleich- artiger krankhafter Erbanlagen natürlich ganz besonders groß.

Taubstumme stammen zu einem außergewöhnlich hohen Bruchteil aus Verwandtenehen. Engelmann fand an einem Material von 3524 Taubstummen, daß der Prozentsatz der Verwandtenehen unter ihren Eltern 6,8% betrug; Hartmann und Bezold kamen zu ähn- lichen Zahlen. Wenn man jedoch nur die Taubgeborenen zählt, und auf die kommt es besonders an, so ergeben sich weit höhere Prozentsätze. Hammerschlag stellte fest, daß von 107 taub geborenen Kindern 42, also etwa 40% in Ehen Blutsverwandter erzeugt worden waren.

Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen. 83

Bei 513 Fällen von Retinitis pigmentosa ermittelte Schmid Ver- wandtenehe der Eltern in 25,5% aller Fälle. Auch von einer Reihe anderer Krankheiten nimmt man an, daß ihr Entstehen durch Ver- wandtenehen besonders begünstigt wird. So ist also das Bestreben zu verstehen, die Schließung von Verwandtenehen durch Beratung oder durch gesetzliches Gebot einzuschränken.

Gesetze, die die Eheschließung zwischen Blutsverwandten verbieten, gibt es ja bei allen Völkern seit unvordenklichen Zeiten. Die Ehe zwischen Eltern und Kindern, und die Ehe zwischen Geschwistern ist heute nirgends mehr möglich. Vielfach geht jedoch die Gesetzgebung ` noch weiter und verbietet auch Ehen zwischen Blutsverwandten ent- fernterer Grade.

Das Eherecht!) der verschiedenen Länder und Religionsgemein- schaften weist jedoch erhebliche Unterschiede auf. Die natürliche Folge davon ist, daß auch der Prozentsatz der Verwandtenehen in den einzelnen Ländern nicht der gleiche ist. So werden z. B. in katholischen Gebieten im allgemeinen weniger Verwandtenehen geschlossen werden als in protestantischen, weil das protestantische Kirchenrecht im Gegensatz zum katholischen eigentlich kein über das deutsche bürgerliche Eherecht hinausgehendes Ehehindernis kennt. Ebenso besteht zwischen Ländern wie Deutschland und der Schweiz ein gewaltiger Unterschied hinsichtlich der Vetternehen; Deutschland gestattet diese Ehen, die Schweiz ver- bietet sie unbedingt. In den Staaten aber, in denen Blutsverwandtschaft bis zu einem gewissen Grade kein unbedingtes Ehehindernis ist, wird sich die Verwandtenehe besonders in den Kreisen finden, die auf die Wahrung irgend eines Gutes gegenüber der großen Masse bedacht sind, mag dieses Gut nun Macht, Reichtum, Adel, Konfession, Volkstum oder sonstwie, heißen. Verwandtenehen kommen deshalb besonders häufig bei Fürstenfamilien vor. Vor allem die katholischen Fürstenhäuser Euro- pas, die Häuser Habsburg, Wittelsbach, Savoyen und Bourbon haben seit Jahrhunderten eine kaum zu überbietende Inzucht getrieben. Ebenso begegnet man der Verwandtenehe nur allzuhäufig bei der Aristokratie des Blutes und des Geldes. Dafür, daß die Juden mehr Verwandtenehen schließen als die Christen, hat Reutlinger beweiskräftige Zahlen ge- liefert. Er fand in zwei hohenzollerschen Kleinstädten unter 117 jü- dischen Ehen nicht weniger als 19 (= 16,2%) Vetternehen ersten Grades. Ähnlich wie bei den Juden verhält es sich hinsichtlich der Zahl der Verwandtenehen bei Gemeinden, die ringsum von andersgläubiger oder andersstämmiger Bevölkerung umgeben sind. Noch höher ist die Zahl der Verwandtenehen dort, wo fast unüberwindliche geographische Hindernisse wie Berge, Meer und Ödland die Wahl des Ehegatten auf

1?) Die im Eherecht der einzelnen Staaten vorgesehenen Verbote von Verwandten-

ehen sind auf der Tafel am Schluß zusammengestellt. 6%

einen kleinen Kreis beschränken. So soll vor allem auf einigen Inseln der Prozentsatz der Verwandtenehen sehr hoch sein. Darwin nennt die Insel Anholt mit 50%, Mayet erwähnt die Halbinsel Batz vor der Loiremündung und die Insel Schokland in der Zuidersee als klassische Beispiele dafür. |

Für die Erblichkeitsforschung ist es nun von großem Wert das Ver- hältnis zwischen der Zahl der Verwandtenehen und der Gesamtzahl der geschlossenen Ehen zu ermitteln. Zur Entscheidung der Frage, ob ein Leiden durch eine rezessive Erbanlage bedingt ist oder nicht, kann die Feststellung der Häufigkeit von Blutsverwandtschaft der Eltern wesent- lich mithelfen. Sobald nämlich bei Trägern einer bestimmten Krankheit eine gesteigerte Häufigkeit von Blutsverwandtschaft der Eltern nachge- wiesen werden kann, hat man Grund zu der Annahme, daß die Krank- heit auf eine rezessive Erbanlage zurückzuführen ist. Freilich wird man auf diesem Wege im allgemeinen nur solche rezessive Erbanlagen fest- stellen können, die nicht allzu sehr verbreitet sind; denn je häufiger ein durch rezessive Erbanlage bedingtes Leiden in der Bevölkerung ist, in einem desto kleineren Prozentsatz wird man Blutsverwandtschaft der Eltern bei den Trägern dieser Krankheit finden, da in diesem Falle zwei solche Anlagen auch ohne Verwandtenehe häufig zusammentreffen (Lenz). Zur Feststellung einer gesteigerten Häufigkeit von Verwandten- ehen ist natürlich die Kenntnis der gewöhnlichen Häufigkeit notwendig.

In seinem Aufsatz: ,,Verwandtenehe und Statistik“ bringt Mayet eine Reihe von Zahlen, die er aus der „Statistique de la France‘, dem „Movimento dello stato civile“, der „Preußischen Statistik‘ und der „Zeitschr. d. kgl. bayer. statistischen Büros‘ geschöpft hat. Nach ihnen betrug die Zahl der Verwandtenehen in den genannten Ländern, ausge- drückt in 0/00.

Land Zeitraum Geschw. | Onkel | Tante | Summe Bemerkung Kinder Nichte Neffe REEL Nun, = $ +) Hi hen di Frankreich 1875—1898 9,7 0,75*) 10,45 | Zi SE nr > . d Italien 1897—1899 4,51 0,62 0,05 5,18 und Nichte etwa % aus. Preußen 1875—1899 5,87 0,49 O,II 6,47 Bayern 1879—1899 5,82 0,52 0,19 6,53

Mayet sagt aber selbst, daB diese Zahlen nicht ganz der Wirklich- keit entsprechen können, da eine Reihe von Verwandtenehen der Statistik dadurch entgeht, daß die Erhebungen durch die Standesbeamten nicht mit der nötigen Genauigkeit gemacht werden. Lenz hat deshalb die Häufigkeit der Vetternehen 1. Grades im Durchschnitt auf I von 100 geschätzt.

Eine besondere Möglichkeit, die Zahl der Verwandtenehen festzustellen, ist durch die Benützung der katholischen Trauungsbücher gegeben. Wie

Ein Beitrag 2 zur ur Statistik der Verwandtenehen. 85

mu nl e nn

schon eingangs erwähnt wurde, dispensiert die katholische Kirche vom Ehehindernis der Blutsverwandtschaft. Es ist Pflicht des Geistlichen, bei blutsverwandten Ehepaaren die Dispensgenehmigung unter Angabe des Verwandtschaftsgrades in das Hochzeitsbuch einzutragen, und es macht daher keine große Schwierigkeiten, das Verhältnis der Ver- wandtenehen zu den übrigen Ehen festzustellen.

Diese Methode wurde in der vorliegenden Arbeit angewendet. Als Quellen dienten die Trauungsbücher von 42 Pfarreien des Dachauer Hinterlandes (nordwestlich von München). Für 40 Pfarreien mit reiner Landbevölkerung ergab sich folgendes Bild:

Gesamtzahl der Eheschließungen von 1848—1922: 16182.

Hierunter Ehen unter Blutsverwandten 228=1,40% (+ 0,09).

Sie verteilen sich auf die einzelnen Grade wie folgt:

Gradbezeichnung Zahl Ba Röm. Recht | Kan. Recht

3, DJ | Onkel Nichte 2 0,01 + 0,006 4. II Geschw. Kinder 98 0,60 + 0,06 -

5. II—UO | 19 T2 +0,03

6. II Geschw. Enkel 93 0,57 +0,06

7. IV—II 3 0,02 + 0,01

8. IN Geschw. Urenkel| 13 0,08 -+ 0,02 Summe; | 228 | 1,40 (+£ 0,09)

Zahl der Verwandtenehen, nach Zeiträumen und Graden verglichen: Zahl der geschlossenen Ehen: 1848 1872 = 5283 1873—1897 = 5706 1898—1922 = 5193

7 3. Grad 4. Grad 5. Grad 6. Grad 7. Grad 8. Grad Summe K | vU = | 00 3 | % E | % 1.8 | Se a | Blo K | Die 1848—1872 |— | |261|0,49| 4 | 0,08 | 27 | 0,51 -| | 4 |0,08] 61} 1,16 (+ 0,15)

|3|005|79| 1,38 (+ 0,16) 0,06 | 6 |0,12|88| 1,69 (+ 0,18)

1873—1897 | I |0,02| 370,65 | 6 |0,10 | 32 | 0,56 | 1898—1922 | I |0,02| 35 |0,67 | 9 10,171 34 |0,65 | 3

Diese Übersicht zeigt, daß die Ehen unter Blutsverwandten seit dem Jahre 1848 nicht unwesentlich zugenommen haben. Vielleicht hängt diese Tatsache mit der Einführung der Zivilehe zusammen (6. Februar 1875). Solange noch einzig und allein die Kirche das Recht hatte Ehen zu schließen, konnte sie auch eine Dispens vom Ehehindernis der Bluts- verwandtschaft jederzeit verweigern. Seit der Einführung der bürger- lichen Ehen jedoch wird die Kirche in den meisten Fällen dem be- stimmten Willen eines Brautpaares gegenüber nachgeben, da die Gefahr besteht, daß die Brautleute bei Verweigerung der Dispens sich mit der standesamtlichen Trauung begnügen.

86 Dr. G. Wulz:

Ganz auffallend aber ist die Zunahme der Verwandtenehen seit dem Jahre 1918, also seit Kriegsende, wie diese Gegenüberstellung beweist!):

5. Grad Zahl | Yo

6. Grad Zah! |

Zeitraum

1,25 0,18) 23 (+0,41)

1898—1918 IgIQ—1922

20 | 0,50 | 49 1,07 | 30

In den beiden Pfarreien Dachau und Fürstenfeld-Bruck, die teils bäuerliche, teils kleinstädtische Bevölkerung haben, war die Zahl der Verwandtenehen geringer. Hier fanden sich für die letzten 75 Jahre unter 5157 Eheschließungen 24 Verwandtenehen (= 0,47%). Hievon entfielen auf:

7. Grad Summe:

a | %

8. Grad

3

I

5. Grad d %

7

6. Grad IK,

6

4. Grad I"

0,18

3. Grad a |

I

1848—1922 0,02] 9 0,13 0,12 | 0,02 | 24| 0,47 (+ 0,095)

Auch hier haben die Verwandtenehen seit dem Kriege zugenommen. Gesamtzahl 3. Grad bis 6. Grad der „peschl.

en Zahl | le 1711 | 8 625 | 5

Zeitraum

0,47 (+ 0,17) 0,80 (+ 0,36)

1898—1918

1919—1922

Dies sind die Ergebnisse, wie sie sich bei der Benützung der pfarr- amtlichen Dispenseinträge boten.

Aber auch diese Art und Weise, die Zahl der Verwandtenehen fest- zustellen, kann nicht völlig befriedigen; denn erstens besteht die Mög- lichkeit, daß der Pfarrer die Dispensgenehmigung einzutragen vergißt. Das ist aber wohl eine Seltenheit. Zweitens kann es vorkommen, daß der Geistliche den Verwandtschaftsgrad nicht richtig bezeichnet. Dieser Fehler wird besonders da leicht begangen, wo es sich um recht kom- plizierte Verwandtschaften handelt, etwa bei Eheleuten, die miteinander im 5. und gleichzeitig im 8. Grade verwandt sind. Drittens aber ist es möglich, daß sowohl Pfarrer als auch Brautpaar keine Ahnung davon haben, daß die geschlossene Ehe eine Verwandtenehe ist. Das familien- geschichtliche Wissen der meisten Menschen reicht ja nicht über die Großeltern hinaus. Dieser Fall wird sich also um so häufiger finden, je entfernter die Verwandtschaft ist.

Soll daher die Zahl der Verwandtenehen in ganz einwandfreier Weise festgestellt werden, so ist es nötig, die Abstammung des Bräutigams

1) Die Verwandtenehen 7. und 8. Grades wurden unberücksichtigt gelassen, weil sie seit 1918 gestattet sind und ein Dispenseintrag deshalb nicht mehr erfolgt.

Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen. 87

und der Braut selbst zu erforschen. Die Quelle, aus der wir das Wissen von der Herkunft eines Menschen schöpfen können, sind die Tauf-, Hochzeits- und Sterbematrikeln der Pfarreien. Mit ihrer Hilfe läßt sich die Ahnentafel aufstellen, die nicht etwa wie der Stammbaum alle Träger eines bestimmten Namens, sondern die Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw. ohne Rücksicht auf den Namen verzeichnet. Das ist nun freilich eine mühsame Arbeit; denn Vater und Mutter sind oft nicht an dem gleichen Orte geboren, und die Großväter und Großmütter haben ihre Jugend oft wiederum an einem anderen Orte verbracht als die Eltern. Und sollen nun solche Ahnentafeln nicht nur für eine Person, sondern für viele aufgestellt werden, so bedeutet das auch auf dem Lande, wo die Bevölkerung doch viel seßhafter ist als in der Stadt, ein beständiges Hin- und Herwandern zwischen einer großen Anzahl von Pfarreien.

Die Forschungen nach dieser Methode mußten sich daher auf ein verhältnismäßig kleines Gebiet beschränken, auf eine Pfarrei. Es war dies der Pfarrbezirk Bergkirchen, westlich von Dachau; er umfaßt 8 Ortschaften mit annähernd 1200 Seelen. Die dortige Bevölkerung widmet sich durchwegs der Landwirtschaft und bekennt sich ohne Aus- nahme zur katholischen Kirche. Für die Wahl dieses Ortes war nur der Umstand bestimmend, daß Bergkirchen nicht allzuweit von München entfernt liegt und doch wieder so weit, daß Eheschließungen zwischen Münchnern und Bergkirchnern nicht stattfinden. Es war also nicht zu erwarten, daß hier mehr oder weniger Verwandtenehen geschlossen würden als in anderen Dorfpfarreien. |

Wenn nun in Bergkirchen die Ahnentafel für die 100 jüngsten orts- ansässigen Ehepaare ausgearbeitet wurde, so kam dies etwa gleich einer Ahnentafel der jetzt in der Pfarrei Bergkirchen in der Volikraft des Lebens stehenden Generation. Die für 5 Generationen aufgestellten Ahnentafeln reichten durchschnittlich bis zum Jahre 1750 zurück und umfaßten insgesamt 6200 Ahnen, die in etwa 100 Pfarreien und in an- nähernd 250 Ortschaften ansässig gewesen waren. 45 verschiedene Pfarreien mußten wiederholt aufgesucht werden.

Das Ergebnis dieser Untersuchungen bestätigte, daß die Zahl der Verwandtenehen, wie sie sich aus den Dispenseinträgen ergab, nicht genau der Wirklichkeit entsprach. So fanden sich unter 200 in Berg- kirchen geschlossenen Ehen folgende Verwandtenehen:

3. Grad | 4. Grad | 5. Grad

6. Grad | 7. Grad | 8. Grad

Auf Grund der Dispenseinträge . iT) In Ahnentafeln H e nn

Hiezu ist zu bemerken, daß eine Verwandtenehe 5. Grades als eine des 6. Grades bezeichnet und eine Verwandtenehe 6. Grades überhaupt

88 : Dr. G W ulz:

nicht eingetragen worden war. Außer den angegebenen 7 Ehen 8. Grades waren noch 2 weitere Verwandtschaftsverhältnisse 8. Grades unbekannt geblieben bei Ehepaaren, die bereits in einem anderen Verhältnis der Blutsverwandtschaft zueinander standen!). Ein ganz ähnliches Bild ergab sich für andere Pfarreien, in denen Forschungen vorgenommen wurden. Auch hier gelangten Verwandtschaftsehen des 7. und 8. Grades nur selten zur Kenntnis des Geistlichen, solche des 5. und 6. Grades dagegen blieben ihm fast nie verborgen. Daß aber eine Ehe unter Geschwister- kindern im Trauungsbuche nicht ihren Dispensvermerk bekommen hätte, kam überhaupt nicht vor. Man kann also sagen, daß die pfarramtlichen Dispenseinträge zur Feststellung der Verwandtenehen 3. und 4. Grades durchaus brauchbar sind. Ein Prozentsatz von 0,6 bis 0,7 % für Vettern- ehen dürfte demnach im Dachauer Gebiet der Wirklichkeit entsprechen.

Dagegen ist die Zahl der Verwandtenehen 5. und 6. Grades etwas und die der Verwandtenehen 7. und 8. Grades bedeutend größer, als man nach den Dispenseinträgen annehmen müßte.

Während nun nach der oben angeführten Statistik für die Dachauer Landpfarreien das Verhältnis der Verwandtenehen der Grade 3 und 4 zu denen der Grade 5 und 6 und zu denen der Grade 7 und 8

= 5:6:1,25 war, dürfte wohl ein Verhältnis von | 5:10:20 bei der Landbevölkerung des Dachauer Gebiets für richtig angenommen werden. |

Legt man auf Grund der genannten Statistik einen Prozentsatz von 0,7% für die Verwandtenehen 3. und 4. Grades zugrunde, so müßte demnach der Prozentsatz der Verwandtenehen 5. und 6. Grades 1,4% und der der Verwandtenehen 7. und 8. Grades etwa 2,80% betragen.

Zu ganz anderen Ergebnissen ist Spindler gekommen, der in den drei württembergischen Dörfern Hirschau, Wurmlingen und Unter- jesingen bei Tübingen die Zahl der Verwandtenehen festgestellt hat. Er fand bei 453 Ehepaaren 75 Verwandtenehen (bis einschließlich 8. Grad), die sich in folgender Weise auf die einzelnen Grade verteilten:

4. Grad 9= 2,00°/0 5. und 6. Grad 35= 77 » LL 8. A9 31 SC 6,9 LI Summe: 75 = 16,6 °/o = !/s aller Ehen.

1) Die den Geistlichen unbekannt gebliebenen Verwandtenehen 7. und 8. Grades waren alle vor 1918 geschlossen worden. Die Einsicht, daß Verwandtschaften des 7. und 8. Grades selten an den Tag kommen, hat zur Aufhebung des Verbots solcher Ehen geführt. l '

Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen. 89

Diese Prozentsätze sind anormal hoch, zumal, wenn man bedenkt, daß der Prozentsatz der Verwandtenehen 7. und 8. Grades nach dem ober Gesagten noch bedeutend erhöht werden muß; denn es ist aus- geschlossen, daß bei der seßhaften Landbevölkerung weniger Ver- wandtenehen 7. und 8. Grades als solche des 5. und 6. Grades -ge- schlossen werden. Spindler gibt uns selbst den Schlüssel zur Lösung der Frage, warum in diesem Gebiet so viele Verwandtenehen ge- schlossen werden. Von den drei Nachbardörfern sind Hirschau und Wurmlingen katholisch, Unterjesingen protestantisch. Es stößt also hier protestantisches an katholisches Gebiet. Diese Verschiedenheit des Glaubensbekenntnisses bedeutet für den Heiratskandidaten ein Hemmnis bei der Wahl seiner Gattin. Er kann sich seine Frau in der Regel nur dort holen, wo man seinem Glauben anhängt. Und da der Bauer, wie später nachgewiesen werden wird, sich im allgemeinen seine Frau in einem Umkreise sucht, dessen äußerste Grenze nicht weiter als zwei bis drei Wegstunden von seinem Heimatdorfe entfernt ist, so muß die Tatsache, daß ein bestimmter Gebietssektor dieses Kreises für ihn aus religiöser Rücksichten als Heiratsgebiet gar nicht in Betracht kommt, eine Häufung der Verwandtenehen im Restsektor zur Folge haben. Aus der Arbeit Spindlers geht hervor, daß die Zahl der Verwandten- ehen in den beiden katholischen Dörfern größer ist, als in protestan- tischen, obwohl doch sonst in protestantischen Gebieten im allgemeinen mehr Verwandtenehen geschlossen werden als in katholischen. Das kann nur daher kommen, daß das katholische Gebiet in ein größeres protestantisches eingeschoben ist. Ein Blick auf die Konfessionskarte Deutschlands bestätigt dies.

Gerade die Arbeit Spindlers zeigt, daß Verwandtenehen eht- fernterer Grade durch kirchliche Verbote kaum vermindert zu werden scheinen und daß sie sich am häufigsten dort finden, wo besondere Verhältnisse dem Heiratslustigen keine große Auswahl gestatten. Ja, es ist sicher keine Übertreibung, wenn man behauptet, daß die von der seßhaften Bevölkerung geschlossenen Ehen zum größten Teile Ver- wandtenehen sind und daß bei solchen Ehen die den Ehepaaren vielfach ganz unbekannte Blutsverwandtschaft meistens nicht nur eine einfache, sondern eine mehrfache ist. Um dies einzusehen, brauchen wir nur daran zu denken, daß nach dem 3ojahr. Kriege große Gebietsteile Deutschlands fast ganz entvölkert waren, daß aber die wenigen Über- lebenden die Vorfahren der jetzigen Bevölkerung sind; denn größere Einwanderungen haben seitdem nur in die Gebiete stattgefunden, nach denen sich der Strom der durch die Gegenreformation Vertriebenen richtete. Von diesem Strome aber ist das Dachauer Hinterland als rein katholisches Gebiet vollkommen unberührt geblieben.

Es leuchtet ohne weiteres ein, daß ein Bauer im allgemeinen die

90 Dr. G. W ulz:

meisten Blutsverwandten dort hat, wo er geboren ist. Er wird deshalb besonders dann Gefahr laufen, eine Blutsverwandte zu heiraten, wenn er sich sein Eheweib aus seinem Heimatsdorfe oder aus dessen nächster Umgebung holt. Damit ergeben sich folgende zwei Fragen: 1. Wie weit ist im allgemeinen bei den Bauern der Geburtsort des Ehemannes von dem der Ehefrau entfernt? 2. Welchen Umfang hat im allgemeinen die Blutsverwandtschaft einer Bauernfamilie in einem bestimmten Bezirk?

Die erste Frage kann auf Grund der für diese Arbeit gefertigten 100 Ahnentafeln, die für jede Person neben dem Datum auch den Ort der Geburt, der Hochzeit und des Todes angeben, beantwortet werden. Bei 10001) verschiedenen Eheschließungen, die in den verschiedensten Pfarreien zu den verschiedensten Zeiten erfolgt waren, so daß also von einem Vorhandensein besonderer örtlicher oder zeitlicher Ver- hältnisse nicht gesprochen werden kann, wurde mit Hilfe der General- stabskarte die Entfernung des Geburtsortes des Bräutigams (nicht etwa des Wohnortes unmittelbar vor der Hochzeit) von dem der Braut fest- gestellt. Das Ergebnis war folgendes:

Der Geburtsort des Bräutigams war von dem der Braut entfernt:

o km in 97 Fällen 9,5 lo 0,9 Io)

bis 2 » 148 ,, 15,0, (1,1 ,,) 2— 4 » » 234 23,5 » (+ 1,4 =) 4— 6 148 ,, 15,0 „p (+ı1 ,) 6— 8 9 » 117 II,5 (+ IO 5 ) 8—ı0 ,, » 82 4 80 (£0,86 ,, ) 10—12 » 44 » 45 » (£0,66 „) 12-14 , 34 3:5 (+ 0,59 ) 14—16 SR ji 25 nm 2,5 » 0,5 » ) 16—18 - ge 25 5 2,5 » (+ 0,5 i) 18—20 ,, = «ba Z 10, (£03 „) 20—30 ,, e I4 1,5 (+ 0,39 =) 3050 ,„ 4 0,5 » (+ 0,22 ») überso , » I6 e (0,39 „) Summe: in 1000 Fällen 100,00°lo Zusammenfassend: o— 6 km in 63,00 °/o aller Fälle 0-12 ,, 87,00 » » o-ı18 » 955 » um

Würce jedoch die Frage gelautet haben: „Wie weit ist im allge- meinen auf dem Lande der Wohnsitz des Bräutigams von dem der Braut zur Zeit des Eheverlöbnisses entfernt?‘‘, so würde sich das Bild

1) Es wurden die ersten 1000 Bräutigame des Alphabets genommen.

Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen. 91 zugunsten der geringeren Entfernungen verschoben haben; denn häufig sind in denjenigen Fällen, in denen hier die Entfernung eine größere ist, schon die Eltern des einen Teils in die Nähe des Geburtsortes des anderen Teils gezogen, während der Bräutigam (die Braut) selbst noch am früheren Wohnsitz seiner (ihrer) Eltern geboren war. Vielfach handelt es sich auch bei den großen Entfernungen der Geburtsorte weniger um Eheschließungen als um außereheliche Bindungen mit fremdem Dienstpersonal, durchziehenden Soldaten usw., die natürlich nicht unberücksichtigt gelassen werden dürfen. Zu bemerken ist noch, daß der jetzige Bauer durchschnittlich nicht weiter von seinem Dorfe wegheiratet als der Bauer des 19. und 18. Jahrhunderts.

In Hinsicht auf die Verwandtenehen aber ist die mit der vorher- gehenden in Zusammenhang stehende Frage, wie weit entfernt vom jetzigen Wohnort des Brautpaares die Eltern, Großeltern, Urgroßeltern usw. des Bräutigams wie auch der Braut geboren waren, sehr wichtig; denn würde der Geburtsort dieser Vorfahren häufig in zentrifugaler Richtung zum jetzigen Wohnort des Brautpaares gelegen haben, so würde die Zahl der Verwandtenehen sehr gering sein. Die Antwort auf diese Frage gibt folgende Tabelle, allerdings nur für die 100 Ehepaare der Pfarrei Bergkirchen.

(200) ) I V Be KU Die KU 72,5 43,0 27,0 16,5 14,5 82,0 55,0 38,0 27,5 25,5 94,0 79,0 79,5 60,5 55,5

Es wurden geboren von der Generation Ss | as | (1600

in der Pfarrei Bergkirchen . . . . . nicht weiter als 5 km entfernt .

UI Io LU

e PE Tha u 99,5 91,0 87,5 80,0 77,5 = e e. SO ` e 100,0 96,0 94,0 90,0 89,0 ý ee a we ji 96,5 95,0 92,5 91.5 j á e » i 97,0 96,5 94,5 94,0 K a oe, SO o 98,0 97,5 96,5 95,5

Es sind also z. B. von den 200 Personen der ersten Generation (Brautleute) 72,5% in der Pfarrei Bergkirchen geboren, 94% dagegen nicht weiter als ro km vom Dorf Bergkirchen entfernt; oder nicht weiter als 15 km von Bergkirchen entfernt sind von den 400 Personen der zweiten Generation (Eltern der Brautleute) 91%, von den 3200 Per- sonen der fünften Generation (Ururgroßeltern der Brautleute) 77,5% zur Welt gekommen.

Diese Aufstellung zeigt, daß die Vorfahren der Bergkirchner zum größten Teile aus Ortschaften stammen, die von Bergkirchen nicht weit abliegen. Daß das Zusammenleben so vieler Menschen in einem begrenzten Gebiet viele verwandtschaftliche Beziehungen hervorrufen

92 = _ Dr.G. Wulz:

muß, ist leicht einzusehen. Damit kommen wir zur Beantwortung der zweiten Frage, der Frage nach dem Umfang der u tochat einer Bauernfamilie.

Da für jede Person der 100 Ahnentafeln ein eigener Zettel mit An- gabe des Vorkommens (Ahnentafel Nr. 1—ı100) angefertigt wurde, so konnten bei der alphabetischen Einordnung dieser Zettel die Per- sonen mit gemeinsamen Vorfahren sofort festgestellt werden.

Unter der Nachkommenschaft der "oo Ehepaare bestehen rund 1800 Verwandtschaftsverhältnisse, so daß also jedes Kind eines solchen Ehepaares durchschnittlich mit den Kindern von 18 anderen Ehepaaren blutsverwandt ist. (Die Verwandtschaftsverhältnisse sind doppelt ge- zählt, z. B. Kinder des Ehepaares I verwandt mit den Kindern des Ehe- paares VII; umgekehrt Kinder des Ehepaares VII mit den Kindern des Ehepaares I.) Die größte Zahl an Blutsverwandten besitzen in Bergkirchen die Kinder eines Ehepaares, die mit den Kindern von 38 anderen Ehepaaren blutsverwandt sind; ıı Familien sind mit mehr als 30 Familien verwandt, 2 Familien dagegen mit keiner der übrigen 99.

Die Art der Verwandtschaft ist sehr verschieden, weil die Verwandt- schaft häufig keine einfache (4. Grad), sondern eine mehrfache (8. Grad und dreimal 11. Grad) ist. Insgesamt finden sich 97 Arten der Bluts- verwandtschaft; es wird deshalb bei der folgenden Übersicht nur jeweils der nächste Grad einer mehrfachen Verwandtschaft berücksichtigt. (Also bei Fami'ien, die im 4. und zweimal im Io. Grade verwandt sind, nur der 4. Grad.)

Es finden sich Verwandtschaften folgender Grade:

nn UI nn

2.Grad') | 3. Grad | 4. Grad | 5.Grad | 6. Grad | 7. Grad | 8. Grad | 9. Grad | 10. Grad n Gria 12. Grad

Die Zahlen für die Grade 9—ı2, besonders für 11 und 12, würden sich bei einer Erforschung der nächsten Ahnengeneration bedeutend erhöhen, da ja bei dieser Gelegenheit die Verwandtschaftsverhältnisse dieser Grade eigentlich erst offenbar werden.

Wie nun z. B. eine Vetternehe zur Folge hat, daß die Kinder eines solchen Ehepaares nicht vier, sondern nur drei Urgroßelternpaare aufweisen können eine Erscheinung, die man nicht ganz treffend als Ahnenverlust bezeichnet —, so verursachen die vielen verwandt- schaftlichen Beziehungen unter diesen 100 Bergkirchner Familien einen starken Gesamtahnenverlust der Bergkirchner Bevölkerung. Wenn unter den Bergkirchnern keinerlei Blutsverwandtschaft bestünde, so würden

1) Halbgeschwister.

Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen. 93

die roo Bergkirchner Ehepaare 200 verschiedene Elternpaare besitzen, dazu kämen dann in der nächsten Generation 400 verschiedene GroB- elternpaare usw. Wie es sich jedoch in Wirklichkeit verhält, das zeigt folgende Gegenüberstellung, bei der nicht etwa das Soll und Haben der einzelnen Generationen, sondern das Soll und Haben der bis zu einer bestimmten Generation erzielten Summe aller Ahnen verglichen wird, weil so auch die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Personen, die nicht der gleichen Generation angehören (Onkel Nichte), in Hin- sicht auf den durch sie hervorgerufenen Ahnenverlust erfaßt werden.

Ahnensumme:

Soll Haben 1. Generation . . . 200 192) = 96,0°/o von 209 2. Le Saw 2004+ 400 = 600 457 =76,0,, ,, 600 3. j Se a 600 + 800 = 1400 923 = 66,0, ,, 1400 4. u e . « 1400+ 1600 = 3000 1767 = 59,0,» u 3000 5. ʻi e . « 3000 + 3200 = 6200 3310 = 53,4» 6200

Nicht 6200 Personen der letzten fünf Generationen haben also die Erbmasse der jetzt heranwachsenden Bergkirchener Jugend geliefert, sondern nur 3310, also etwa die Hälfte der höchstmöglichen Zahl.

Wäre nun in den Bergkirchner Nachbarpfarreien in gleicher Weise die Ahnensumme der dortigen Bewohner festgestellt worden, so wäre ohne Zweifel die gleiche Erscheinung zutage getreten. Da aber die Bewohner einer jeden Pfarrei nicht nur in ihrer Pfarrei, sondern auch in den Nachbarpfarreien zahlreiche Verwandte besitzen, so wäre der Gesamtahnenverlust aller Pfarreien zusammen noch weit größer als bei Bergkirchen allein, die Ahnensumme würde nicht wie in Bergkirchen die Hälfte, sondern vielleicht nur den vierten Teil der erwarteten Zahl betragen. Ja, es würde sich vermutlich die fünfte Ahnengeneration schọn aus weniger Personen zusammensetzen als die vierte, obwohl die theoretische Personenzahl der fünften Generation doppelt so groß wäre, als die der vierten.

Daß nicht nur bei einer Verbreiterung der Forschungsbasis (Aus- dehnung der Forschung auf die Nachbarpfarreien), sondern auch bei einem Vordringen in die Tiefe (Ausdehnung der Forschung auf die 6., 7. und 8. Generation) der Prozentsatz des Ahnenverlustes beständig größer werden muß, braucht nicht bewiesen zu werden.

So wird klar, wie es möglich ist, daß einerseits jeder Mensch theoretisch eine ungeheuere Zahl an Vorfahren besitzt, und andererseits früher doch weit weniger Menschen die Erde bevölkerten als heute.

Bei einer Auswertung der soeben gewonnenen Ergebnisse muß nun freilich berücksichtigt werden, daß das verarbeitete Material verhältnis-

") 8 Personen haben eine zweite Ehe geschlossen.

94 Ä Dr. G. Wulz:

mäßig klein ist. Wenn aber diese Forschungen, wie schon angedeutet wurde, in Breite und Tiefe ausgedehnt werden könnten, so würde sich ein klares Bild vom Aufbau einer ländlichen Bevölkerung und damit auch ein Überblick über die Zahl der Verwandtenehen gewinnen lassen. Einstweilen jedoch sollen diese Ausführungen vor allem dazu dienen, einen neuen, wohl noch nicht begangenen Weg zu weisen und dazu anzuregen, diesen Weg weiter zu verfolgen.

Quellen- und Literaturnachweis.

a) Pfarrarchive: Tauf-, Hochzeits-, Sterbe- und Familienregister der kath. Pfarreien.

Altomünster Fürholzen Kleinberghofen Pfaffenhofen a. Gl, Ampermoching Fürstenfeldbruck Kollbach Röhrmoos Arnbach Giebing Kreuzholzhausen _Rottbach

Aubing Haimhausen Langenpettenbach Schwabhausen Aufkirchen Hebertshausen Maisach Sittenbach Bergkirchen Hilgertshausen Mammendorf Sulzemoos Dachau Hirtlbach Mitterndorf Vierkirchen Ebertshausen Indersdorf Niederroth Walkertshofen Egenhofen Inzemoos Oberroth Weichs

Einsbach Jarzt Pellheim Welshofen Emmering Jetzendorf Petershausen ` Westerholzhausen

Feldmoching

b) Literatur. Baur-Fischer-Lenz: Mensch Erblichkeitslehre. 2. Aufl. München 1923.

Friedberg Emil: Lehrb. d. kath, u. evang. Kirchenrechts. Leipzig 1909.

Hahn J.: Das Eherecht d. europ. Staaten. Berlin 1904.

Heiner Frz.: Grundriß d. kath. Eherechts. Münster i. W. 1910,

Kekule v. Stradonitz,

Stephan: Die Ahnentafeln der europ. Fürsten und Ffirstinnen. Berlin

1898— 1904.

Lenz Fr.: Die Bedeutung d. statist. ermittelten Belastung m. Bluts- verwandtschaft d. Eltern. M. m. W. 1919.

Mayet P.: Verwandtenehe und Statistik. Jahrb. internat. Vereinigung vergl. Rechtswissenschaft u. Volkswirtschaftslehre. Berlin 1903. H. 6/7.

Reutlinger: Über die Häufigkeit der Verwandtenehen bei den Juden in

| Hohenzollern, Arch. f. Rassenbiologie 1923.

Spindler E.A.: Über die Häufigkeit von Verwandtenehen in 3 württemberg.

Dörfern. Arch. f. Rassenbiologie 1922. Zimmermann H.: Über menschlichen Albinismus. Ebenda 1923.

Ein Beitrag zur Statistik der Verwandtenehen. _ 95

Anhang.

Blutsverwandtschaft als Ehehindernis im Eherecht der europäischen Staaten und Religionsgemeinschaften (nach Friedberg, Hahn, Heiner).

einzelne evang. Landeskirchen. haben Eheverbote (d 3u4Grad.

27 ne Katholilche Kirche, SSES der Zu A Grad bildet seč d. V. a Rufen. Ko 1918 hein Ehehindernis mehr.

ER BEEBEBE

| Montenegro. FA JJJ S ti Y YY YY Ly Ui Wish teen’ arin aan d

| | Rein Ehehindernis.

Ehehindernis mi Dispensmoglichkeil.

U9y jf, Erehindernis ohne Dispensmöglickkei£.

Kleinere Mitteilungen.

Die rassenhygienische Bewegung in Rußland. Von Prof. Dr. N. K. Koltzoff, Moskau.

In organisierter Form entstand die rassenhygienische Bewegung in Rußland erst vor wenigen Jahren, ihre wissenschaftlichen Grundlagen aber -waren bei uns schon lange befestigt. So erschien schon im J. 1866 ein Buch von Prof. W. M. Florinsky: „Über die Vervollkommnung und Entartung der Menschheit‘ (Petersburg, 206 S.), in welchem der Verfasser ein umfassend gebildeter Mediziner und Biologe, auch durch anthropologische, ethnologische und archäologische spezielle Arbeiten bekannt die Grund- prinzipien der Rassenbiologie scharf und wissenschaftlich dargelegt hat. Mit Erstaunen findet man in diesem Buche ganz moderne Ansichteh über Nichtvererbung dererworbenen Charaktere; über die zweischneidige Wirkung der Ehen von Blutsverwandten im Sinne der Häufung der erblichen Merk- male der guten, ebenso wie der schlechten; über mathematische Gesetze der Vererbung und Zersplitterung der erblichen Charaktere bei Kreuzung usw. Die Hauptursache der Evolution der Menschheit ist für W. M. Florinsky die Selektion. Die später als „Eugenik‘ oder „Rassenhygiene‘‘' bezeichnete Wissenschaft nannte er „Hygiene der Eheschließung“; aber auch rassen- biologischen Fragen im engeren Sinne widmete er etwa eine Hälfte seines Buches.

Die sozialreformatorische Bewegung seit 1917 brachte wie es auch -in anderen Ländern in der Zeit der Revolution üblich war den festen Glauben an die Allmacht der äußeren Bedingungen, der Kultur und der Erziehung mit sich. Die soziale Hygiene steht jetzt in Rußland auf dem Gipfel ihrer Entwickelung und jeder Beobachter, welcher die staatliche Bekämpfung verschiedener Epidemien in den letzten Jahren mit eigenen Augen gesehen hat, muß zustimmen, daß die Verbreitung der hygienischen Kenntnisse im russischen Volke jetzt sehr zugenommen hat. Der Schutz der Mutterschaft und der Kinder ist jetzt auch hoch ent- wickelt und die Kindersterblichkeit ist teilweise gesunken. Es sind einige Museen und Forschungsinstitute für soziale Hygiene eingerichtet, in allen medizinischen Fakultäten selbständige Lehrstühle für dieses Fach einge- richtet. Auch „Körperkultur‘‘ ist im heutigen Rußland in Mode; es gibt sogar eine Hochschule für ,„Körperkultur‘; und körperliche Übungen spielen in der Erziehung der Jugend eine ganz bedeutende Rolle. Diese Entwickelung der sozialen Hygiene kann man „lamarckistische Be- wegung“ nennen; in erster Linie wird sie von Medizinern geführt. Es scheint, daß auch in anderen Ländern, besonders in Frankreich, die meisten Ärzte bis jetzt mehr oder weniger zum Lamarckismus geneigt sind. In diesen Kreisen findet jeder neue „Beweis“ für Vererbung erworbener Eigenschaften stürmischen Beifall, wie z. B. die Experimente von Guyer und Smith über die erbliche Wirkung der Linsenantitoxine und besonders die Experimente von J. P. Pawlow über die Vererbung der bedingten Reflexe. Obgleich diese letzten Experimente vom wissenschaftlichen Stand- punkte aus sehr wenig begründet sind, für die Selektionisten ist es jetzt

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schwierig, die praktische Wirkung von Pawlows Anschauungen auf weitere Kreise abzuschwächen.

Die echte eugenetische, rassenhygienische Bewegung entwickelt sich in Rußland unabhängig von dieser sozialhygienischen Bewegung. Für die eugenetische Politik ist bei uns die Zeit sicher noch nicht gekommen. Die Hauptaufgaben der russischen Selektionisten bleiben die eugenetische Pro- paganda und die Organisation der anthropogenetischen Untersuchungen.

Im Jahre 1916 wurde in Moskau das Institut für experimentelle Biologie unter meiner Leitung gegründet; in der genetischen Abteilung dieses Institut entstand binnen kurzem eine genetische Station bei Anikowo (70 km von Moskau). Hier werden genetische Untersuchungen mit Hühnern, ` Meerschweinchen, Kaninchen, Schafen und Drosophila ausgeführt. Im Jahre 1919 wurde in meinem Institute auch eine eugenetische Abteilung einge- richtet; als deren Leiter wurde zuerst Prof. Dr. J. A. Philiptschenko berufen und später Prof. V. V. Bunak, da J. A. Philiptschenko in Leningrad (Petersburg) blieb und dort ein „Eugenetisches Bureau‘ ein- richtete. Das Leningrader Institut hat ein großes Material über russische Wissenschaftler, Künstler usw. gesammelt; die Resultate dieser Forschung wurden in zwei bis jetzt erschienenen Heften der „Nachrichten“ veröffentlicht (Leningrad; Zverinskaja N. 4 qu. 49). |

Die eugenetische Abteilung des Instituts für experimentelle Biologie in Moskau entwickelt ihre Forschungsarbeit in mehreren Richtungen. Erstens wurden verschiedene erbliche Eigenschaften des Blutes beim Menschen und bei einigen Arten domestizierter Tiere untersucht. Bei etwa 5000 Individuen wurde die Hämagglutinationsgruppe bestimmt (darunter über 100 volle Familien). Da bei Kreuzung zwischen Gruppe II und I (nach Jansky) Kinder von allen Gruppen geboren werden können, wurde statt der üblichen genetischen Formel: Gruppe I ab, II Abb, III aaB und IV AB eine neue Formel vorgeschlagen: Iaa; II ABC; III ABccund IV Abbcc, was als vorläu- fige Arbeitshypothese mit allen Tatsachen gut übereinstimmt. Zwischen Russen und Juden ist keine wesentliche Differenz in der Gruppenverteilung festzu- stellen. Um so interessanter erscheint die Differenz in der Gruppenverteilung bei einigen mehr oder weniger bestimmten Konstitutionstypen: bei Phty- sikern findet man viel weniger Repräsentanten der Gruppe I (nach Jansky mit stark agglutinierendem Serum), die Gruppen III und IV sind aber zahlreicher. Auch pathologische Prozesse scheinen bei den verschiedenen Gruppen etwas verschieden zu sein; und in den Gruppen III und IV findet man öfter fibröse Erscheinungen als in den Gruppen I und II. Weiter bei Patienten mit Malariarezidiven ist viel seltener die Gruppe I gefunden als in der Gesamtbevolkerung; die absoluten Zahlen sind aber nicht groB genug, um es sicherzustellen. Im Gange sind auch Untersuchungen über die Verteilung von Gruppen bei Krebskranken, bei Luetikern mit progressiver Paralyse (vielleicht eine konstitutionell bedingte Form der syphilitischen Erkrankung) und bei Arbeitern, deren schwere Be- schäftigung besonders starke Konstitution erfordert. Um vergleichbare Zahlen zu bekommen, ist es in allen diesen Fällen notwendig, wenigstens 1000 Individuen zu untersuchen.

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 1. 7

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Auch für eine andere Eigenschaft des Blutes, für die Gerinnungs- geschwindigkeit gelang es, zwei ungefahr gleich zahlreiche Gruppen bei Neugeborenen zu entdecken. Alle Kinder werden mit der normalen auch fiir den erwachsenen Menschen typischen Blutgerinnungsgeschwindigkeit ge- boren; und bei einer Hälfte bleibt diese Geschwindigkeit auch weiter unver- ändert; die andere Hälfte der Neugeborenen aber zeigt am 2. bis 7. Tage eine merkliche Herabsetzung der Blutgerinnungsgeschwindigkeit, was sich oft in mehr oder weniger merklicher Gelbsucht ausprägt. Am 7. Tag ver- schwindet gewöhnlich die Gelbsucht und die Blutgerinnungsgeschwindigkeit wird wieder normal. Daß hier eine Infektionskrankheit vorliegt, scheint wenig wahrscheinlich zu sein, und die Hypothese der konstitutionellen Be- dingtheit dieses Zustandes ist mehr am Platze. Es versteht sich aber von selbst, daß die Aufgabe, die Vererbung dieser Eigenschaft zu untersuchen, kaum durchführbar ist.

Andererseits haben wir in unserer genetischen Station bei Meerschwein- chen eine interessante Variabilität des Gehaltes des Enzyms Katalase im Blute gefunden. Bei mehr als 2000 Meerschweinchen ist der Gehalt der Katalase nach A.N. Bachs Methode bestimmt worden; der Index variiert zwischen o und 20 mit vier Gruppenanhäufungen bei o, 4, 11 und 17 (Grup- pen I, II, III und IV). Unter verschiedenen pathologischen und physiolo- gischen Verhältnissen variiert der Index phänotypisch merklich, ohne aber die für jede genotypische Gruppe bestimmten Grenzen zu überschreiten. Durch Kreuzung und Familienforschung wurde ein rezessiv homozygoter Charakter für die II. Gruppe (Index ca. 4) konstatiert; die meisten Meer- ` schweinchen mit hohem Index (ca. 17) scheinen dominant homozygot zu sein, die Meerschweinchen mit intermediärem Index ca. 11 scheinen heterozygot zu sein (Aa). Die erste Gruppe mit Index o ist bei uns noch sehr klein (zwei Eltern, ein Sohn und wenige andere aus über 2000 Exemplaren) und läßt noch keine sichere genetische Analyse zu.

Diese drei Bluteigenschaften und noch einige weitere werden auch bei einigen anderen Tieren untersucht, zum Teil mit gutem Erfolge. Alle diese Blutuntersuchungen wurden von zwölf meiner Mitarbeiter unter meiner Lei- tung durchgeführt und teilweise auch veröffentlicht.!)

Außer diesen hämatologischen Arbeiten wurden in der BE Ab- teilung des Instituts folgende Arbeiten unter der Leitung von Prof. V. V. Bunak ausgeführt: ı. Die Verteilung der Haarfärbung beim Menschen nach spektrophotometrischen Bestimmungen. 2. Die Verteilung der Augenfarbe beim Menschen. Diese beiden Arbeiten von GV Soboleva erscheinen bald in Bull. de la Soc. des Nat. de Moscou. Regelmäßig werden verschie- dene konstitutionelle pathologische Typen anthropologisch untersucht; anthro- pometrische Messungen an mehr als too Zwillingspaaren gesammelt; eine

1) In russischer Sprache: in „Fortschr. der Exp. Biol“, Vol. I H. 2—3, 1923; in „Bull, de la Soc. des Nat. de Moscou Sect. Biol. exper.“ Vol. I 1924; in „Die Genetik des Haushuhns“, Moskau 1925. In englischer Sprache in Science 1924, 1536. In italienischer Sprache wird mein ausführlicher Vortrag am 1. italienischen eugenetischen Kongreß (im September 1924) in Verhandlungen dieses Kongresses erscheinen.

Notizen. 99

Enquéte über Fortpflanzung unter 6000 Wissenschaftlern und Künstlern verbreitet usw.; zwei Untersuchungen über jüdische Familien in Mohilew und Mari (an der Wolga) durchgeführt usw.

Im Jahre 1920 entstand in Moskau im Anschluß an das Institut für Ex- perimentelle Biologie die Russische Eugenetische Gesellschaft; später wurden drei Ortsgruppen dieser Gesellschaft in Leningrad, Saratov und Odessa gegründet. Die Moskauer Abteilung hat in dieser Zeit über 50 öffent- liche Sitzungen abgehalten; der Vorstand besteht aus dem Vorsitzenden der Ge- sellschaft (Prof.Dr.N.K.Koltzoff), drei weiteren Mitgliedern: Prof. Dr. W.W. Bunak (Anthropologie), Prof. Dr. T.J. Judin (Psychiatrie) und Prof. Dr. A.N.Sysin (Soziale Hygiene); einem Geschäftsführer M.W. Wolotzkoy und einem Sekretär W.W.Sacharoff. Der Vorsitzende der Leningrader Abteilung ist Prof. Dr. J.A. Philiptschenko. Der Vor- sitzende der Gesellschaft wurde auch zum Vertreter von Rußland in der ständigen Internationalen Eugenetischen Kommission ernannt.

Seit 1923 erscheint als Organ der Gesellschaft „Die Russische Eu- genetische Zeitschrift‘ unter der Redaktion von N.K.Koltzoff und LA Philiptschenko. Bis jetzt ist der erste Band H. 1—4 veröffentlicht und Bd. II H.1—3. In dieser Zeitschrift werden in erster Linie die in den Sitzungen der Gesellschaft gehaltenen Vorträge veröffentlicht (s. Zeit- schriftenschau).

Adresse des Instituts für Experimentelle Biologie, der Russischen Eu- genetischen Gesellschaft und der Redaktion der Russischen Eugenetischen Zeitschrift: Moskau Sivzev Vragek 41.

Notizen.

Die Bevölkerungsbewegung in den Vereinigten Staaten ıgıo bis 1920. Im Jahre 1922 ist ein amtliches Werk über die Bevölkerungsbewe- gung der Vereinigten Staaten erschienen: Increase of Population in the United States 1910—1920 by William S. Rossiter. 25585. Washington 1922.

Wegen des großen Interesses für die Rassenbiologie geben wir einige Daten daraus wieder: Die Bevölkerungszahl betrug im Jahre 1790: 3929214, 1840: 17069453, 1890: 62947714, 1900: 75994575, 1910: 91972266, 1920: 105710620. Die Zunahme war im letzten Jahrzehnt in den verschie- denen Staaten sehr verschieden; die Staaten New-York, Pennsylvania, Cali- fornia nahmen um mehr als eine Million zu, nicht viel weniger auch Ohio, Michigan, Illinois, Texas, um etwa eine halbe Million auch New Jersey und Massachusetts. Drei Staaten hatten sogar eine Abnahme um je einige Tausend Einwohner zu verzeichnen, nämlich Vermont, Nevada und Missis- sippi.

Die fünf größten Städte waren im Jahre 1920: New-York 5620048, Chicago 2701705, Philadelphia 1 823779, Detroit 993 678, Cleveland 796 841.

Weiße Einwohner, die von in den Vereinigten Staaten geborenen Weißen

stammten, gab es im Jahre 1920 58421957 oder 55,3% der Gesamt- 7*

100 Notizen. bevölkerung. Die Nachkommenschaft der um 1790 vorhandenen Stamm- bevölkerung (,,the original or native stock“) wird für das Jahr 1920 auf 47 Millionen geschätzt; und der Verfasser gibt auf S. 183 der Ansicht Aus- druck, daß diese Stammbevölkerung nicht im Aussterben sei, sondern sich ziemlich normal vermehre. In den Vereinigten Staaten geborene Weiße gab

es im Jahre 1920 81108 161,

eingewanderte WeiBe

13712754,

10463 131, Indianer, Chinesen, Japaner und sonstige Farbige zusammen 426 574. Ä In Europa geborene Weiße gab es aus IQIO 1920 , England (mit Wales und Schottland) 1219968 1 134 461 ` Irland : è 1352155 I 037 233 Skandinavien (hne Finnland) 1 250 662 1178 606 Holland und Belgien 172518 207 037 Schweiz . 124834 118659 Frankreich : 117 236 118 569 Deutschland (mit Elsaß- Lothringen) 2311085 1720423 Österreich, Ungarn usw. 1351104 1504780 f Polen ; 937 884 1139978 RuBland, eos Finnland 1314051 1 685 381 Balkanstaaten 109 594 124 192 Griechenland 101 264 175972 Italien I 343070 1610109 Spanien und Portugal 79 600 116700

Im ganzen hat also der Anteil der Nordwesteuropäer (einschließlich der Deutschen) deutlich abgenommen, der Anteil der Süd- und Osteuropaer stark zugenommen. Wenn man die Rasse ins Auge faßt, so kann man sagen: die Einwanderer nordischer Rasse haben abgenommen, die von mediterraner, vorderasiatischer und mongolider Rasse zugenommen. In dem Bericht ist die Schweiz zu Nordwesteuropa gerechnet, Deutschland dagegen nicht, andererseits Frankreich nicht zu Mitteleuropa. Das scheint mir kein ganz deutliches Bild zu geben. Mit Rücksicht auf die Rassenzusammen- setzung tut man besser, entweder Frankreich, die Schweiz und die Nieder- lande zu Mitteleuropa zu rechnen oder Deutschland zu Nordwesteuropa. Tut man dies, so erhält man:

GI 1920 Nordwestliche Hälfte Europas (mit Ungarn) 3838337 446 8159736 Osteuropa (mit Balkan und Finnland) . 1423645 1 809 573 Südeuropa (mit Griechenland) 1523934 1902 781

In dieser Zusammenfassung wird die Klarheit des Bildes zwar auch etwas dadurch beeinträchtigt, daß Ungarn und Südslavien zur nordwest- . lichen Hälfte Europas gestellt sind, Finnland aber nicht. Immerhin kann man sagen: im Jahre 1920 gab es rund 700000 Einwanderer aus der nord- westlichen Hälfte Europas weniger als 1910, dagegen rund 800000 aus Süd- und Osteuropa mehr. Die Verschiebung in den vorangegangenen Jahrzehnten ergibt sich aus folgender Aufstellung: Es kamen Einwanderer aus:

3 » a a Si +. a EI >

a ° bw Ki » wi "y ee

= e e 8 -> - + à NM * ad a u o D s H > ie e a - = T ee

an Notizen. 1860—70 1880—90 1900—1910 Irland 435778 655 482 339065 Deutschland 787 468 I 452970 341 498 Italien 11728 307 309 2045 877 Rußland 4536 265088 1597 306

In den 40 Jahren von 1880 bis 1920 hat sich die Zahl der Italiener auf das 36fache vermehrt, die der Russen" auf das 39fache; der Bericht stellt dabei ausdrücklich fest, daß die eingewanderten Russen" hauptsächlich von jüdischem Blut sind. Etwa neun Zehntel aller im Jahre 1920 in den Ver- einigten Staaten ansässigen Russen" wohnten in Städten.

Im Jahre 1921 wurde ein Gesetz zur Beschränkung der Einwanderung erlassen, welches bestimmte, daß jährlich aus jedem Lande nur mehr 3% von jener Zahl, die 1910 an Einwanderern aus dem betreffenden Lande in den Vereinigten Staaten vorhanden waren, einwandern dürften. Die Zahlen sind nach der Tabelle auf S. 100 leicht zu berechnen. Es waren also z. B. 69 300 Einwanderer aus Deutschland jährlich zugelassen, 40 500 aus Irland, 40300 aus Italien, 39400 aus Rußland. Da auf diese Weise immer noch relativ viel Süd- und Osteuropder zugelassen waren, ging man im Jahre 1924 in einem neuen Einwanderungsgesetz in der Beschränkung weiter. Es wurde bestimmt, daß nur noch 2% der im Jahre 1890 vorhandenen Ein- wanderer aus jedem Lande jährlich zugelassen werden dürfen. Da im Jahre 1890 etwa drei Millionen deutsche und zwei Millionen irische Einwanderer vorhanden waren, ergibt das jährlich rund 60000 Einwanderer aus Deutsch- land und 40000 aus Irland, dagegen nur ca. 4000 aus Italien und 2000 aus Rußland. Auf diese Weise wollen es die Amerikaner erreichen, daß die Stammbevölkerung der Vereinigten Staaten in ihrer Rassenzusammensetzung durch die Einwanderung möglichst wenig geändert wird.

Die Zahl der Neger in den Vereinigten Staaten hat von 9828000 im Jahre 1910 auf 10463000 im Jahre 1920 zugenommen; da die weiße Bevölkerung indessen stärker zugenommen hat, ist der Anteil der Neger an der Gesamtbevölkerung in diesen ro Jahren von 10,7% auf 9,9% heruntergegangen. Am höchsten war er im Jahre 1790 mit 19,3%. In den Südstaaten betrug der Anteil der Neger im Jahre 1860 noch 92,20%, im Jahre 1910 89,0, im Jahre 1920 85,2. In dem letzten Jahrzehnt von 1910 bis 1920 sind ziemlich viele Neger von den Farmen des Südens in Indu- striestädte des Nordens ausgewandert, was weiterhin dazu beitragen wird, ihre Zunahme zu hemmen.

Indianer gab es im Jahre 1920 in den Vereinigten Staaten 244 437, Chinesen 61639, Japaner 111010. Da alle Personen mit einem Einschlag indianischen Blutes als Indianer gezählt werden, sind viele dieser Indianer von Weißen nicht zu unterscheiden. Die Chinesen sind zwischen 1860 und 1890 eingewandert. Dann wurde die Einwanderung von Chinesen verboten; und seitdem haben sie abgenommen. Da unter den 61639 Chinesen nur 7748 weibliche Personen sind, ist ihre Fortpflanzung sehr gering. Japaner gab es im Jahre 1880 im ganzen nur 148; sie sind also im wesentlichen

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se ee tee ee Si E A 102° Ter SC EE . Notizen.

erst in den letzten Jahrzehnten eingewandert. 1920 wohnten 64,8% der

Japaner in California. Seit 1924 ist ihre Einwanderung verboten.

Eine allgemeine Registrierung der Geburten findet in den Vereinigten Staaten immer noch nicht statt; doch ist es möglich, aus der tatsächlichen Zunahme der Bevölkerung in Verbindung mit den ziemlich genau be- kannten Zahlen über Ein- und Auswanderung den Geburtenüberschuß zu berechnen. Er betrug im Jahrzehnt 1871—80 19,0, 1881—90 16,3, 1891 bis 1900 15,2, IQOI—I10 13,2, I910—20 0,9. In den Gebieten mit Re- gistrierung der Geburten betrug die Geburtenziffer 1915 25,1, 1916 25,0, 1917 24,7, 1918 24,6, 1919 22,3. Auf eine in Amerika gebürtige weiße Mutter kamen nach den Zahlen des Jahres 1919 3,2 Kinder, auf eine aus- wärts geborene Mutter 4,0; die Zahl der überlebenden Kinder betrug 2,8 bzw. 3,4. Da die kinderlosen Frauen in dieser Aufstellung nicht berück- sichtigt zu sein scheinen, ist es doch wohl recht zweifelhaft, ob auch die eingesessene weiße Bevölkerung ihren Bestand noch erhält; denn dazu wäre es nötig, daß auf jede Ehefrau mehr als drei Geburten im Durchschnitt kämen. Vielleicht erhält die eingesessene weiße Bevölkerung gerade noch ihren Bestand; die Familien der gebildeten und besitzenden Schichten sind dann aber sicher in ziemlich schnellem Aussterben begriffen.

Von Interesse dürfte noch der Anteil der in der Landwirtschaft Be- schäftigten an allen Erwerbstätigen sein. Er betrug im Jahre 1919 in den Neu-Englandstaaten 12,500, in den mittelatlantischen 14,20), in den West- Staaten 44,60%, im mittleren Westen 70—80%,. Lenz.

Im „Hamburger Fremdenblatt“, Morgenausgabe vom 22. Febr. 1925, findet sich ein Bericht des Schriftleiters Dr. E. Geigenmüller: „Französische Sorgen“, der sich mit der bevölkerungspolitischen Be- wegung in Frankreich befaßt. Nach diesen Mitteilungen hat ein Herr Gilles Normand ein zweibändiges parlamentarisches Handbuch „Poli- tique et hommes politiques“ verfaßt, in welchem er den französischen Bürgern die Gefahren des Geburtenrückganges für Frankreichs Zukunft eindringlich darstellt. Dieses Buch und die ganze damit zusammenhän- gende Bewegung soll nach den Ausführungen von Dr. Geigen- müller in weiteren Kreisen Frankreichs viel ernstlichere Befürch- tungen wachgerufen haben, als die Berichte der Militärkontrollkommission. Die Ergebnisse der Bestrebungen zur Hebung der Geburtenziffer sind nach den Anschauungen Geigenmüllers zunächst nicht sehr groß, obwohl Frankreich im Jahre 1922 wieder einen Geburtenüberschuß von rund 70 000 hatte und die letzten amtlichen Veröffentlichungen für 1923 einen Ueber- schuß von rund 95000 angeben. G. schreibt darüber: „Es gibt einen obersten Geburtsrat, Geburtenkongresse und Geburtenvereinigungen, die unter der Devise arbeiten: „Frankreich in Gefahr“. Selbstverständlich genießen sie die lebhafte Anerkennung und Hilfe jeder Regierung, wobei allerdings hinzugefügt werden muß, daß die Unterstützung rein amtlicher Natur ist, denn: der Präsident der Republik, Doumergue, ist Jung- geselle, der Ministerpräsident Herriot hat keine Kinder, der Vizepräsi-

Notizen. 103

dent Renoult desgleichen, der Unterrichtsminister Frangois Albert, der Marineminister Dumesnil, der Wiederaufbauminister Dalbiez sind Junggesellen. Unter den nationalistischen Ministerien war die amt- liche Unterstützung ebenso lebhaft, die persönliche ebenso mager. Poin- care hat keine Kinder, Clemenceau erst recht nicht. Fernand Auburtin hat eine Artikelserie geschrieben, die als Titel die Frage enthält: „Wird es in 30 Jahren noch ein Frankreich geben?“ Er kommt zu dem Ergebnis: „Entweder tötet Frankreich die Entvölkerung oder die Ent- völkerung tötet Frankreich.“ Zur Bevölkerungsbewegung der jüngsten Zeit berichtet Geigenmüller, daß der Geburtenüberschuß in der Hauptsache den Departements im Norden und Nordosten, der Bretagne und der Insel Korsika zu verdanken sei, während in den Departements im Süden vielfach die Sterbefälle die Geburten überwiegen. Ueber die Mittel der geburtenpolitischen Bewegung heißt es: „Fruchtlosem Appell an die Moral hat man den Appell an das Interesse folgen lassen. Dem französischen Bürger wird vorgerechnet, daß eine stärkere Bevölkerung das Leben verbilligen und die Steuern mildern würde, denn viele Ein- richtungen, wie Eisenbahn und Post, würden, so wird dabei argumentiert, jetzt nicht genügend ausgenützt. Tatsache ist, daß Frankreich die Hilfe italienischer Erdarbeiter, spanischer Weinbergarbeiter, belgischer Ernte- arbeiter und polnischer Bergarbeiter nicht entbehren kann. Zahlreicher sind die Vorschläge, die den kinderreichen Familien staatliche Beihilfe gewähren wollen. Aber die französischen Finanzen sind so gespannt und der Franzose ist im allgemeinen ein so unwilliger Steuerzahler, daß Durch- greifendes nicht zu erwarten ist.“ Die politisch bedeutsamste Folge der Bewegung sieht Dr. Geigenmüller darin, daß mit ihrer Hilfe die Furcht immer wieder von neuem aufgerüttelt werde. Er sagt dazu u. a.: „Das Frankreich, das mit Kindern reich gesegnet war, das Frankreich, dessen Industrie auf dem Kontinent bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein überlegen war, gibt es nicht mehr. Dessen sind sich nicht nur die belesenen Franzosen bewußt; es ist tief in das Bewußtsein des französischen Volkes gedrungen und hat seine Denkart geändert. Es gibt heute ein Frankreich; das Furcht hat, wie es vor der Zukunft bestehen soll, das sich in seiner Resignation mit dem Dünkel tröstet, an der Spitze der Zivilisation zu stehen.“ Diese Furcht spricht vielfach auch aus dem genannten Buch von Normand, in dem es u. a. heißt: „Es gibt keine Gatten mehr unter dem schönen Himmel Frankreichs; es gibt nur noch Liebhaber. Daß die Todesfälle die Geburten überwiegen, stört niemandem die Nächte.“ ..... „Wir steuern der Null entgegen; mit Riesenschritten laufen wir darauf zu. Das Kind, das heute in Frankreich geboren wird, riskiert, wenn es nicht der Sklave eines anderen Volkes wird, einsam zu sterben, auf einem verödeten Gebiet, das sich Frankreich nannte.“ Scheidt.

Kritische Besprechungen und Referate.

Plate, Ludwig, Allgemeine Zoologie und Abstammungslehre. 2. Teil. Sinnesorgane der Tiere. Jena 1924. Gustav Fischer. 794 Seiten mit 726 Abbildungen.

Auf den ersten Band des großen Werkes, der früher hier besprochen wurde!), ist bald der zweite gefolgt, der ebenso inhaltsreich ist wie der erste. Er behandelt die Sinnesorgane der Tiere, also ein Gebiet, auf welchem die Histologie und die Physiologie zusammenwirken müssen. Der Wert des Buches liegt nicht allein in der Fülle von Tatsachen, die größten- teils der neueren Literatur entnommen sind, sondern vor allem darin, daß die vielgestaltigen Einzelbefunde durch die phylogenetische Betrachtungs- weise untereinander verknüpft sind. Von dem Standpunkt der Stammes- geschichte erkennt man die aufsteigenden Linien, die vom einfachen Organ zum komplizierteren führen, wobei oft in verschiedenen Abteilungen des Tierreichs parallele Entwicklung (Homoilogie nach Plate) oder Konver- genz zu beobachten ist.

Der erste Abschnitt behandelt die Haut-Sinnesorgane. Bei den wirbellosen Tieren bestehen sie aus primären Sinneszellen, die ursprünglich im Epithel stehen und oft unter dasselbe herabsinken. Bei den Wirbeltieren spielen die freien Nervenendigungen und die von solchen umsponnenen sekundären Sinneszellen eine große Rolle?). Den Sinnesorganen der Fische und Amphibienlarven ist ein besonderer Abschnitt gewidmet. Dann folgt eine eingehende Darstellung der statischen Organe und der Gehörorgane, beginnend mit den Klöppelorganen, Statokrypten und Statozysten der Medusen und aufsteigend einerseits zu den Chordotonal- organen und Hörorganen der Spinnen und Insekten, andererseits zu dem Labyrinth der Wirbeltiere und dem daraus entstehenden Gehörorgan mit seinen eigenartigen Hilfsapparaten. Ein großer Abschnitt betrifft die chemischen Sinnesorgane, also die Geruchs- und Geschmacksorgane der Tiere, wobei zunächst diejenigen der Mollusken und der Arthropoden eingehend behandelt werden, dann diejenigen der Wirbeltiere. Dabei kann beiläufig erwähnt werden, daß die Bedeutung des Jacobsonschen Organes darin gesehen wird, daß es die im Exspirationsstrom enthaltenden Riech- stoffe pertipiert, also die Beschaffenheit der zerkauten Nahrung erkennt. Die zweite Hälfte des Buches betrifft das Sehvermögen und die Seh- organe. Sie beginnt mit einer eingehenden Betrachtung des Phototropis- mus, dann folgt die große Mannigfaltigkeit der Augen der wirbellosen Tiere, welche nur durch die phyletische Auffassung verständlich wird. Konvergenz-

*) Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 15. Bd. 1923 S. 48—53.

*) Ob bei Amphioxus in den Hautsinnesorganen noch primäre Sinneszellen vor- handen sind, ist unsicher. Aber bei den Cranioten gibt es in der Haut keine primären Sinneszellen mehr (was Plate aus der Vielschichtigkeit des Epithels erklärt) und kommen primäre Sinneszellen nur in den zwei sehr alten Sinnesorganen vor: in der Nase und im Auge.

Kritische Besprechungen und Referate. 105 erscheinungen sind hier sehr häufig, und oft sind ähnliche Bildungen auf ganz verschiedenem Wege entstanden. Z. B. ist die Bildung eines becher- förmigen Auges mit einer Linse mehrfach vorgekommen und hat die Linse ganz verschiedenartigen Ursprung. Die Facettenaugen der Arthropoden sind viermal unabhängig voneinander aus Gruppen von Einzelaugen her- vorgegangen. Schließlich werden die Augen der Wirbeltiere besprochen, zunächst die mannigfaltigen Formen der Fischaugen, dann die Augen der Amphibien und Reptilien, aus welchen diejenigen der Vögel und der Säuge- tiere abgeleitet werden können. Die paarigen Augen der Wirbeltiere müssen im Laufe der stammesgeschichtlichen Entwicklung eine merkwürdige Lage- veränderung durchgemacht haben, da sie ontogenetisch zuerst oben auf der Medullarplatte auftreten und die Sehzellen invers gelagert sind. Einen ein- facheren Bau zeigt das unpaare Parietalauge der Amphibien und Reptilien, bei dem die Sehzellen nicht invers stehen. Nach Plate war ursprünglich ein Paar von Parietalaugen vorhanden und verkümmerte das rechte zuerst und wurde zu der drüsigen Epiphyse. Eine allgemeine Betrachtung über die Phylogenie der Sinnesorgane überhaupt!) schließt den Band ab.

Das große Buch, das viele Abbildungen enthält, bietet für jeden Leser Neues, auch für denjenigen, der andere Werke über die Sinnesorgane schon kennt. Es zeigt überall die eigene Geistesarbeit des Verfassers, welcher nicht nur bei den morphologischen und physiologischen Problemen seine eigene Ansicht ausspricht, sondern die Fülle der Tatsachen stets von dem phylogenetischen Standpunkt aus beleuchtet, der sonst bei diesem Thema meistens vernachlässigt wird. H. E. Ziegler (Stuttgart).

Pictet, Arnold, 1. Résultats négatifs d’experiences d’alcoo- lisme sur les Cobayes. Sur l'apparition de Cobayes anor- maux dans les lignes non alcoolisées. 2. Action de vapeurs d’alcool éthylique sur le développement et la pigmentation des Lépidoptéres. Compte rendu de la société de physique et d’histoire naturelle de Genéve. Vol. 41 Nr. 2. Janv.— Mars 1924.

Die erstgenannte Arbeit ist eine von jenen viel zu vielen, an denen die Keimgiftliteratur besonders reich ist. Es wurden im ganzen 4(!) Meer- schweinchenböcke und 1 (1!) Paar, erstere vom Beginn des zweiten, letzteres vom elften Lebensmonat an während 15 bzw. 12 Monaten täglich mittelst Alkoholdämpfen drei Stunden lang behandelt. Das Ergebnis war ı. stark vermehrtes Wachstum in den ersten sechs Monaten bei den jugendlichen Alkoholikern im Vergleich zu den (wie vielen wird nicht gesagt) Kontroll- tieren; 2. normale Fruchtbarkeit der Alkoholiker, gemessen lediglich an der Wurfgröße; über die Wurfzahl verlautet nichts; 3. erhöhtes Geburtsgewicht bei den 84 Alkoholikerkindern; die Väter waren mit einer Ausnahme mit nicht behandelten Weibchen gekreuzt worden. Während bei den Zuchttieren

D Darin stimme ich Plate nicht zu, daß er die Sinnesempfindung aus der Schmerz- empfindung ableitet. H. E. Ziegler, Die Phylogenie des Schmerzes, Zoolog. Anzeiger 61. Bd. 1924 S. 43—48.

106 Kritische Besprechungen und Referate.

des Institutes außer einer stark erhöhten Sterblichkeit bei der Geburt und in den ersten Lebenstagen, eine Fülle von Mißbildungen vorkam, wurde bei den 84 Alkoholikernachkommen nichts dergleichen beobachtet. Die Mißbildungen traten (sehr begreiflicherweise Ref.) am häufigsten bei den Abkömmlingen ein und derselben Linie auf. Offenbar waren Pictets Versuchstiere ausgelesene Individuen. Im Gegensatz zu Pictet und in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Autoren gewann Ref. bei einem Vorversuch mit weißen Mäusen den Eindruck, daß Alkoholisierung jugend- licher Individuen deren Wachstum stark hemmt. Tiere, welche erst nach Erzeugung eines Wurfes behandelt wurden, zeigten bei diesem Vorversuch, bei dem es sich um etwas mehr als 200 Junge handelt, bei mäßiger Alkoholisierung eine vermehrte Wurfgröße bei nicht. vermehrter Wurfzahl, während in dem vor ca. 6 Monaten begonnenen, bis heute rund 350 Junge umfassenden Hauptversuch die vermehrte Fruchtbarkeit auf seiten der Alkoho- liker umgekehrt durch eine vermehrte Wurfzahl bedingt ist. Die erhöhte Fruchtbarkeit wird aber in beiden Versuchen mehr als ausgeglichen durch die sehr verstärkte Kindersterblichkeit. Wenn Pictet hervorhebt, daß seine Ergebnisse mit denjenigen von Pearl bei Hühnern und von Harrison bei Schmetterlingen übereinstimmen, so ist das insofern nicht ganz richtig, als bei den Versuchen der beiden letztgenannten Autoren die durch größere Alkoholgaben bedingte Auslese der Nachkommenschaft eine entscheidende Rolle gespielt hat, während seine Dosis (täglich 5ccm, verbraucht bei 3stündiger Dampfentwicklung in einem 36 Liter fassenden Gefäß) offenbar zu gering war, um schädigend zu wirken. Daß 5—6 Ausgangstiere und 84 F, zu einwandfreien Vergleichen nicht ausreichen, liegt auf der Hand.

Die zweite Arbeit ist besser. Es handelt sich dabei um ein Gesamt- material von über 600 Individuen von Vanessa urticae, Van. io, Malacosoma neustria und Dendrolimus pini. Alkoholisierung der Raupen verkürzte das Raupen- und Puppenstadium. Die Puppen und Imagines zeigten stark ver- minderte Körpergröße. Der Effekt war derselbe wie bei Einwirkung er- höhter Temperatur (350 C) auf die Raupen. Der Zwergwuchs ist nach Verf. nicht als direkte Alkoholwirkung zu betrachten, sondern steht im Zusammenhang mit der beschleunigten larvalen Entwicklung. Die Sterb- lichkeit war weder bei den Raupen noch bei den Puppen erhöht. Alkoholi- sierung lediglich der letzteren bringt eher eine Verzögerung als eine Be- schleunigung der Entwicklung hervor. Die Größe der ausschlüpfenden Schmetterlinge wird nicht vermindert. Bei Alkoholisierung sowohl der Raupen als der Puppen kombinieren sich die Wirkungen der Einzel- beeinflussungen zeitlich. Bei Verfütterung von Alkohol durch Einstellen von Brennesselzweigen in 3 bzw. ıo prozentige Alkohollösung dauerte im ersteren Fall das Larvenstadium von Vanessa urticae 15, im letzteren 18 Tage (gegenüber 13 bei den nicht mit Alkohol gefütterten Tieren). Die Sterblichkeit der Raupen war sehr vermindert, diejenige der Puppen sehr beträchtlich erhöht (95%); auch blieben die 5% ausschlüpfender Schmetterlinge in ihrer Entwicklung zurück. Nach Pictet handelt es sich auch bei diesen Erscheinungen nicht um eine direkte Alkoholwirkung,

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sondern um eine Folge der durch den Alkohol bewirkten Austrocknung der Brennesselblätter.

Schließlich wurde noch beobachtet, daß Alkoholdämpfe, gleichviel, ob sie auf Raupen oder Puppen einwirken, Änderungen in der Pigmentierung der Imagines hervorrufen, die ebenso wenig erblich sind wie die durch andere Einflüsse (z. B. extreme Temperaturen bedingten Modifikationen der Pigmentverteilung). Die F, der alkoholischen Tiere zeigten eine große Sterblichkeit, für welche nach Verfasser nicht der elterliche Alkoholismus, sondern die Schwierigkeit der Überwinterung verantwortlich ist.

Agnes Bluhm.

Bauer, Julius, Vorlesungen über allgemeine Konstitutions- und Vererbungslehre. Mit 56 Textabb. 2. Aufl. (218 S.) J. Springer, Berlin 1923.

In der neuen Auflage sind vielfach kleinere Ergänzungen und eine Ver- mehrung der Literaturhinweise vorgenommen worden. An zwei Stellen finden sich auch umfangreichere Erweiterungen: Die Morgansche Hypothese vom Faktorenaustausch und die Goldschmidtsche Lehre von der quantitativen Grundlage der Vererbung (beide in ihrem Werte für die menschliche Ver- erbungslehre höchst fragwürdig. Ref.) sind ausführlich dargelegt, und im Anschluß an die Weinbergsche Probandenmethode wird eine Methode des Verf. und Aschners: erörtert („Kompensations-", bzw. „Exklusions- methode‘‘), welche erlaubt den Fehler zu korrigieren, der sich bei statisti- schen Berechnungen der Krankheitshäufung aus der Verschiedenheit der Manifestationszeit bestimmter Erbanlagen ergibt. (Die ältere, dem gleichen Zweck dienende Methode von Weinberg und Rüdin hätte dabei Er- wähnung finden sollen. Ref.)

Außer diesen Zusätzen hat das Buch keine Änderungen erfahren. Seine Vorzüge und seine Schwächen sind die gleichen geblieben wie in der ersten Auflage. Seine Vorzüge sieht Ref. besonders in der glänzenden flüssigen Darstellung, dem reichen Bilderschmuck, dem auffallend niedrigen Preise. Seine Schwächen liegen in der Überlastung mit Mathematik und mit anderen Dingen (besonders zytologischer Natur), die für die Vererbungslehre des Menschen gar keine unmittelbare Bedeutung haben, sowie in den be- kannten Eigenheiten des Verf. auf dem Gebiete der Begriffsbestimmungen. Zur Anleitung zu vererbungspathologischem Arbeiten für den Anfänger scheint das Buch daher weniger geeignet als zur Anregung und Belehrung für den, der sich mit dem Gegenstand schon näher vertraut gemacht: hat. Auffallend ist, daß das letzte Kapitel über Rassenhygiene inhaltlich viel besser ist als der gleiche Abschnitt in des Verf.s Hauptwerk (Die konst. Disp. zu inneren Krankheiten" 3. Aufl. 1923). Während dort der irre- führende Satz Tandlers, daß Individualhygiene selbsttätig zur Rassen- hygiene werde, in zustimmendem Sinne zitiert wird, kennzeichnet hier Verf. diese Anschauung als zu optimistisch und betont ausdrücklich: „Volkshygiene ist keine Rassenhygiene.‘' Bedenklich scheint dem Ref. nur die Bemerkung, daß das Erlöschen von Familiennamen kein biologisches Aussterben bedeute. Trotz der einleuchtenden Berechnung, mit der Verf. diese These statistisch

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belegt, sollte man sich doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Ver- schwinden von Familiennamen, wenn es sich regelmäßig ereignet, mit Sicherheit den zahlenmäßigen Rückgang der betreffenden Bevölkerungs- schicht beweist (vgl. meine „Vererbungspathologie‘‘ S. 99). Das Erlöschen von Familiennamen ist also rassenhygienisch durchaus nicht so harmlos, wie man nach den Erörterungen des Verf.s annehmen könnte.

Zum Schluß möchte Ref. noch auf eine Eigenheit des Buches hinweisen, die anderen Referenten anscheinend nicht aufgefallen ist. Das Buch besteht nämlich aus zwei Teilen, die ihrem Wesen nach so wenig zusammengehören, daß eigentlich eine Kombination von zwei verschiedenen Büchern vorliegt. Denn die Konstitutionsanomalien, die im zweiten Teil abgehandelt werden, sind ja sicher nur zu einem Teil streng erblich, zu einem anderen großen Teil mehr oder weniger nichterblich bedingt. Die Konstitutionsanomalien verhalten sich also in diesem Punkte prinzipiell nicht anders wie etwa die Hautkrankheiten, unter denen es ja auch erbliche und nichterbliche gibt. Es würdeaber doch gewiß niemandem einfallen, die Lehre von den Hautkrank- heiten und die Lehre von der Vererbung in einem Buche als gleichwertig neben- einander abzuhandeln. Die Begründung für eine so vollkommene Kombination von Konstitutions- und Vererbungslehre kann man m.E. nur darin sehen, daß in beiden Disziplinen mathematisch-statistische Methoden eine Rolle spielen, und die „Heterozygotie‘‘ des Bauerschen Buches würde nicht so unbe- merkt geblieben sein, wenn sich der Verf. nicht einer Terminologie bediente, die die Unterscheidung von konstitutionspatho- logischen und vererbungspathologischen Begriffen künst- lich verwischt. Denn das Wort „konstitutionell‘‘, das er im ersten Teil als synonym mit idiotypisch gebraucht, verwendet er im zweiten Teil auch in dem sonst üblichen Sinne, d. h. zur Kennzeichnung erblicher und nicht erblicher Zusammenhänge von Krankheiten und nichtpathologischen Eigenschaften. Gegen eine so weitgehende Verschmelzung von Konsti- tutions- und Vererbungslehre hat aber der Ref. ernste Bedenken, weil sie geeignet ist, stark übertriebene Vorstellungen von der Bedeutung der 'Erb- anlagen für die Entstehung der SE im ärztlichen Publi- kum großzuziehen. Siemens.

Brugsch, Prof. Dr. Th, Allgemeine Prognostik. 2. Aufl. 623 S. Berlin und Wien 1922. Urban und Schwarzenberg.

„Wir verstehen unter Prognostik die Lehre von der ärztlichen Beurtei- lung des Menschen, sei es, daß es sich um Gesunde oder Kranke handelt; es ist also Prognostik schlechthin medizinische Persönlichkeitslehre‘‘ (S. 6). Im Vorwort heißt es, daß die „Prognostik‘' ein reines Konstitutionsbuch sei; der Verfasser habe sich aber von der Beschränkung des Konstitutionsbegriffs auf das Erbgut freigehalten. „Am besten würde man überhaupt medizinisch den Ausdruck Konstitution ganz fallen lassen und ihn einfach durch ‚Person‘ ersetzen.

Im ersten Teil des Buches werden allgemeine Betrachtungen über Leben, Krankheit, Tod, Konstitution usw. gegeben. Der zweite trägt die Überschrift

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„Statische Beurteilung der Konstitution (Habitus und Struktur)“, der dritte Teil „Kinematische Beurteilung der Konstitution (Entwicklung)‘‘, der vierte „Funktionelle Beurteilung der Konstitution‘, der fünfte ,,Genetische Be- urteilung der Konstitution (Vererbung)‘‘, der sechste ,,Personalistische Be- urteilung‘‘. In dem Buche sind eine Fülle von somatometrischen, physio- logischen, experimentell pathologischen und klinischen Angaben zusammen- getragen. Zum Teil enthält es auch eigene Untersuchungen und Über- legungen des Verfassers.

Gegenüber der ersten Auflage ist der Stoff sehr beträchtlich vermehrt. Daß es bei vielen Ärzten Anklang gefunden hat, ist aus dem Umstande zu schließen, daß auf die erste Auflage vom Jahre 1918 eine zweite im Jahre 1922 folgen konnte. Die Besprechung an dieser Stelle hat sich verzögert, weil das Buch erst sehr verspätet in meine Hände kam. Für das Gebiet des Aıchivs ist der Inhalt nur teilweise von Interesse; es seien daher an dieser Stelle nur einzelne Gegenstände daraus besprochen.

Über das Leben liest man auf S. 21: „Über dem Nullpunkt der dynami- schen Leitungskurve aufwärts beginnt kraft der spezifischen Eigenheit vitaler Systeme »das Leben«, dessen Ausdrucksformen stets nur die inneren Bedin- gungen mit den äußeren Zusammenhängen repräsentieren, die wohl in quantitativer wie qualitativer Beziehung von einer Gruppe ähnlicher vitaler Systeme abweichen mögen; Leben ist ein Begriff für höhere molekulare Integration, als solches aber einheitlich.‘ Auf S. 302 heißt es über den Tod: „Hier ist es angebracht, den personalen Tod schärfer zu definieren: er ist die Vernichtung der Person oder Konstitution, Tod also = Deperso- nalisation oder Dekonstitution.‘ „Frühzeitiges Altern ist prämaturer Seni- lismus“ (S. 311).

Gleich mehreren anderen Autoren will Brugsch den Begriff des Nor- malen am Mittelwert der jeweiligen Population orientieren. Nach seiner Ansicht „haben wir die Möglichkeit, das Durchschnittsindividuum auf Grund der untersuchten Varianten für die Populationsgruppe festzulegen‘‘ (S. 59). Er will „ein derartiges nach Mittelwerten der Varianten konstruiertes Indi- viduum als idealen Normotypus der Population bezeichnen“. Meines Erachtens bestehen aber gewichtige Bedenken gegen das Bestreben, die Mittelmäßigkeit zur Norm zu erheben. Auch wäre zu bedenken, daß z. B. das mittlere Gewicht der Individuen einer menschlichen Population nicht einem Individuum von mittlerer Länge entspricht, sondern einem größeren. Auch ist nicht abzusehen, weshalb es nur einen einzigen normalen Typus für eine Bevölkerung geben solle.

Recht dankenswert sind die Mitteilungen über die Verteilung der Thorax- formen bei 226 erwachsenen Tuberkulösen. 67% waren engbrüstig, 17% mittelbrüstig und 162% weitbrüstig. Brugsch spricht dabei von Eng- brüstigkeit, wenn der Brustumfang weniger als 50% der Körperlänge be- trägt, von Normalbrüstigkeit, wenn er 50—559%% und von Weitbrüstigkeit, wenn er über 55% beträgt. Leider ist nicht angegeben, wie die Thorax- formen bei Nichttuberkulösen verteilt sind. Wenn man annimmt, daß die Verteilung im allgemeinen dieslbe ist wie die für die Körperlänge 169 bis

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170 cm angegebene, so würden im allgemeinen 35% engbrüstig, 539% normalbrüstig und 120% weitbrüstig sein. Die Engbrüstigen stellen also einen sehr viel höheren Prozentsatz an Tuberkulösen als die Normalbrüstigen, aber auch die Weitbrüstigen verfallen deutlich häufiger der Tuberkulose als die Normalbrüstigen. Und zwar stellt Brugsch fest, daß die Engbrüstig- keit den klinischen Erscheinungen der Tuberkulose vorangeht, also nicht einfach eine Folge dieser Krankheit ist, wie man wohl gemeint hat.

In der Frage des Kretinismus schließt Brugsch sich der Ansicht von Bircher an, daß es sich um eine Infektionskrankheit handle, die durch das Trinkwasser übertragen werde und deren organisches Krankheitsgift in ge- wissen marinen Ablagerungen hafte. Diese Ansicht dürfte sonst wohl kaum noch Anhänger haben.

Die Erblichkeitslehre hat auf die zweite Auflage der „Allgemeinen Pro- gnostik“ einen entschieden nachhaltigeren Einfluß ausgeübt als auf die erste. „Für die Beurteilung der Person in konstitutioneller Beziehung spielt die Vererbung eine große Rolle, wenngleich nicht verkannt werden soll, daß in der Medizin die Würdigung der Vererbungsfrage vielleicht noch nicht in dem Maße Grundlage ärztlicher Betrachtung ist, wie sie es verdiente‘‘ (S. 563). Verf. hält es sogar noch für nötig, in seinem für Ärzte bestimmten Buche in gesperrtem Druck hervorzuheben: „Unter Vererbung ist nicht eine solche im juristischen Sinne zu verstehen, son- dern nur im biologischen Sinne.“ Wenn er selber im Vorwort sagt, daß ‚die Vererbungsforschung außerordentlich wenig von wirklicher Bedeutung für die medizinische Beurteilung der Person bis jetzt geleistet*‘ habe, so ist dieser bedauerliche Umstand doch wirklich nicht der Erblich- keitslehre zur Last zu legen, sondern lediglich ihrer ungenügenden Anwen- dung seitens der Beurteiler der Person.

In dem Abschnitt über Erblichkeit gibt Brugsch einige recht inter- essante Stammbäume über Erblichkeit der Körperlänge und der Thorax- form. Allerdings spricht er auch der Lebensweise einen bedeutenden Ein- fluß auf die Körpergestaltung zu. „Geeignete äußere Beeinflussung (in der Jugend) vermag den sonst hereditär als engbrüstig zu erwartenden Inte- grationstypus in einen weitbrüstigen zu verwandeln, sofern nicht gewisse intrakonditionelle Bedingungen eine solche Erziehung zum breiteren Inte- grationstypus unmöglich machen" Als Beleg für diesen Satz führt er eine Familie an, in der von fünf Söhnen zweier engbrüstiger Eltern die beiden. ältesten einen Beruf mit sitzender Lebensweise ergriffen und engbrüstig wurden, während die drei jüngeren teils auf Kadettenkorps und teils aufs Land kamen und weitbrüstig wurden. Ich vermag darin freilich keinen Be- weis zu erblicken; denn abgesehen von der Möglichkeit, daß es sich einfach um zufälliges Zusammentreffen gehandelt habe, besteht auch noch die andere, daß gerade die schwächlicher gebauten Söhne sitzende Berufe ge- wählt haben, weil sie für den Offiziers- und den Landwirtsberuf nicht ge- eignet waren.

Von der Hypoplasie des Herzgefäßsystems gibt Brugsch an, daß sie „nicht in der Anlage vererbt" werde, daß sie aber „durch Schädigung des

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Keimplasmas‘‘ entstehen könne. Darin scheint mir ein Widerspruch zu liegen; denn wenn eine Anomalie durch Schädigung des Keimplasmas, d. h. der Erbmasse, entsteht, dann muß sie auch erblich sein. Die Keimschädi- gung wird an vielen Stellen von Brugsch als Ursache von Schwäche- zuständen herangezogen, ohne daß man aber eine rechte Klarheit über seine Ansichten in dieser Hinsicht gewinnt.

Ich teile dabei durchaus die Ansicht des Verf., daß es neben erblichen auch erworbene Konstitutionsanomalien gibt, oder anders ausgedrückt, daß man nicht gut tut, den Begriff der Konstitution auf die erbliche Veran- lagung zu beschränken. Sicher ist der körperliche und seelische Typus jedes Menschen zum Teil durch Umwelteinflüsse bedingt. Zu einseitig ist aber ein Satz wie der folgende: „Daß ein Schneider eine Mentalität eines Schnei- ders hat, der Schuster eine solche des Schusters, der Schauspieler wieder eine andere, kurz jeder Beruf seine eigene, ist alles nicht Erbgut, sondern aus Umweltbedingungen hervorgegangen.‘ Unzweifelhaft wirkt auch der Umstand, daß die Berufswahl zum Teil von den ererbten Anlagen abhängt, dabei mit, daß die verschiedenen Berufe auch in ihrem Typus verschieden sind, es handelt sich also nicht nur um paratypische, sondern zugleich auch um idiotypische Unterschiede. Gerade bei dem Schauspielerberuf, auf den Brugsch verweist, dürfte das besonders deutlich sein. Obwohl er der Kretschmerschen Lehre von den Temperamenten sieben Seiten widmet, scheint er mir Kretschmer nicht gerecht zu werden. Er wirft ihm einen „Salto mortale“ und einen „methodischen Kunstfehler‘' vor, der darin liegen soll, daB er die Einteilung in ,,Zyklothymie und Schizophrenie‘‘ (? Ref.) auf die Gesunden übertragen habe. Tatsächlich hat er offenbar Kretsch- mer mißverstanden, da dieser die Begriffe der Zyklothymie und der Schizo- thymie gar nicht mit „Psychosenkreisen‘‘, wie Brugsch meint, gleich- gesetzt hat.

Andererseits scheint er mir die Bedeutung der Fingerlinienstudien Polls stark zu überschätzen, wenn er meint, „daß ebenso wie die zerebrale Ver- kümmerung, aus der die Einschränkung intellektueller Fähigkeiten ent- springt, gewissermaßen auch die Verkümmerung der Hand- und Finger- linien zu finden ist, und daß eine psycho-physisch gebundene Vererbung stattfindet, so daß man aus den Fingerlinien vererbungsanalytisch die Ver- erbungsmöglichkeiten der Idiotie ablesen Kann" (S. 609). „Sicherlich wird sich das Verfahren von Poll noch weiter nach den verschiedensten Rich- tungen ausbauen lassen und hier in den Hand- und Fingerlinien vielleicht ein charakterologisches Instrument wissenschaftlich erweisen lassen. So würde die Wahrsagekunst der Zigeunerin zu einer vorwissenschaftlichen In- tuition höchsten Wertes werden konnen" Ich möchte glauben, daß Poll selber diese Meinung nicht teilt.

In den biologischen Grundlagen ist die „Allgemeine Prognostik“ noch recht verbesserungsfähig; und es ist zu hoffen, daß an der Hand der mo- dernen biologischen Literatur diese Verbesserung für eine neue Auflage auch durchgeführt werden wird. Auch durch Einschränkung der vielen anspruchsvollen Fremdworte (z. B. „Integrationstypus‘') würde die Wissen- schaftlichkeit des Buches gewiß nicht verlieren. Lenz.

112 Kritische Besprechungen und Referate.

Jörger, Dr. J, Psychiatrische Familiengeschichten. 116 S. Berlin 1919. J. Springer.

Diese Schrift enthält die Geschichte der „Familie Zero“, die erstmalig im Archiv für Rassenbiologie erschienen ist (1905) und die Geschichte der mit den Zeros verwandten „Familie Markus“. In einem Nachtrag vom Jahre 1918 finden sich Angaben über das Schicksal der Zeros seit 1905. Die Geschichte dieses Landstreichergeschlechtes hat etwas „Klassisches“, und sie wird in der rassenbiologischen Literatur stets ihre Bedeutung behalten. Diese kurze Anzeige soll daher hauptsächlich dem Hinweis dienen, daß die Geschichten der Familien Zero und Markus in Form eines besonderen Heftes käuflich sind. Die „Familie Zero“ ist auch ins Französische übersetzt worden. Lenz.

Müller, Dr. A, Bismarck, Nietzsche, Scheffel, Mörike. Der Einfluß nervöser Zustände auf ihr Leben und Schaffen. 102 S. Bonn o. J. Marcus u. Weber.

Verfasser gibt gedrängte Krankengeschichten der in der Ueberschrift genannten Männer und schließt jeweils seine Beurteilung des Leidens an. Bismarcks Krankheit sei eine „reine Erschöpfungsneurasthenie” ge- wesen ohne seelische konstitutionelle Grundlage; körperlich habe seine Ver- anlagung zu Muskelrheumatismus auch zur Entwicklung der Neurasthenie beigetragen.

Bei Nietzsche, der besonders ausführlich besprochen wird, zeigten sich krankhafte Erbanlagen in hochgradiger Kurzsichtigkeit, Kopfschmerz, nervösen Magenstörungen und Neigung zu Katarrhen. Sein Zustand vor dem 45. Lebensjahr sei als eine Neurasthenie schwerster Art anzusehen. „Die Anfälle von Schulkopfweh, der Rheumatismusanfall im 21. Jahre, die sogenannten Migräneanfälle, der Rückenschmerz sind Einzelerscheinungen dieser Neurasthenie, ebenso wie die Uebererregbarkeit, die ungewöhnliche Anfälligkeit, die Depression, die Erschöpfbarkeit und Schlaflosigkeit. Mit dem Anfall von Ende 1888 beginnt eine neue Krankheit, die Paralyse; diese hat mit der Neurasthenie keinen ursächlichen Zusammenhang.“ Auch die körperlichen Beschwerden der früheren Jahre seien auf rein funktionelle (nervöse) Störungen zurückzuführen, was die behandelnden Aerzte nicht herausgefunden hätten; allein seine Schwester habe eingesehen, daß es sich bei den Schmerzanfällen Nietzsches in erster Linie um Folgen von Ueberanstrengung handelte. Die AnsichtBinswangers, daßessich bei Nietzsches Geisteskrankheit um eine „atypische Paralyse“ gehan- delt habe, wird ohne Widerspruch angeführt.

„Die Krankheit Scheffels war eine schwere Neurasthenie. Ihre letzte Ursache war die schwere erbliche nervöse Veranlagung.“ „Der kon- stitutionelle Schaden, der bei ihm vorhanden war, machte die Wirkung des Alkohols besonders verderblich.“ Bei einem Vergleich der Krankheit Scheffels mit der Nietzsches kommt Müller hinsichtlich der (seisteskrankheit zu dem Schluß: „Bei Scheffel dauerte der Erregungs- zustand in akuter Form nur wenige Tage und führte nach einer Rekon-

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valeszenz von zwei Jahren zur Wiederherstellung der gewöhnlichen geisti- gen Fähigkeiten, bei Nietzsche indessen kam es zu einem viele Monate dauernden Zustand schwerster Erregung mit Benommenheit, der nach seinem Abklingen eine starke Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten hinterließ und unaufhaltsam zur Verblödung führte.“ Dieser Vergleich dürfte sogar noch bedeutungsvoller erscheinen, wenn man, wie ich es tun möchte, die Geisteskrankheit Nietzsches nicht für Paralyse halt.

Bei Mörike findet Müller ebenfalls „konstitutionelle Neurasthenie“ und „die typische Willensschwäche des Psychopathen.“ „Ein Ausdruck dieser Willensschwäche ist auch seine schon während der Schul- und Universitätszeit hervortretende Disziplinlosigkeit und seine ständige Flucht in eine krankhafte Phantasiewelt.“ Recht bezeichnend ist auch der Um- stand, daß Mörike von Beschwerden, die kurz vorher ein Arzt auf eine „unheilbare Rückenmarksaffektion“ bezogen hatte, von einem Pfarrer Blumhardt durch eine „Sympathiekur“ in kurzer Zeit befreit wurde.

Im letzten Kapitel sagt Müller: „Alle vier Männer, deren Entwick- lung wir verfolgt haben, waren, im Sinne des körperlichen oder geistigen Arbeiters gesprochen, erwerbsunfähig. Sie wären in einem freien oder kaufmännischen Berufe unfähig gewesen, ihren Lebensunterhalt zu er- werben. Bei Mörike liegt das offen zutage; Scheffel wurde nur durch sein Vermögen und den finanziellen Erfolg seiner Jugendwerke, Nietzsche durch sein Vermögen und seine Pension, Bismarck durch sein Vermögen und sein Amt vor demselben Schicksal bewahrt.“ Im übrigen scheinen mir die Aus- führungen des Schlußkapitels zum Teil recht anfechtbar zu sein, zum Bei- spiel die Ansicht, daß Bismarck, Nietzsche und Scheffel durch Massage von ihren Schmerzen hätten befreit werden können.

Hinsichtlich des Begriffes der „Neurasthenie' stützt Müller sich ab- sichtlich „nur auf den Untersuchungsbefund“; er faßt diese also nur als Symptomenkomplex auf und geht auf die zugrundeliegende ererbte Ver- anlagung nicht näher ein. Gerade das aber wäre für eine pathographische Betrachtungsweise doch wohl von besonderer Bedeutung gewesen. Neu- rasthenie als Zustandsbild wird man von keinem der betrachteten vier Männer bestreiten können; es wäre aber darüber hinaus wohl recht inter- essant gewesen, den Versuch einer Analyse zu machen, wie weit etwa schizoide oder hysterische Veranlagung den Krankheitsbildern zugrunde lag. Lenz.

Hamann, O., Biologie deutscher Dichter und Denker. 1915S. Zurich, Leipzig und Wien o. J. (1923). Amalthea-Verlag. i Die Ueberschrift verspricht mehr, als das Buch hält. Im zweiten Teil sind zwar mancherlei Angaben über die Lebensschicksale deutscher Dichter und philosophischer Schriftsteller zusammengetragen, von einer „Biologie deutscher Dichter und Denker“ müßte man aber mehr verlangen. Der erste Teil enthält allgemeine Betrachtungen, darunter auch über „Rassen- kreuzung, Vererbung und Eugenik“; auch diese lassen indessen biologisch viel zu wünschen übrig. „Die Tatsache, daß die Sonne nicht im Mittel- Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 1. 8

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punkt, sondern in einem Brennpunkt der elliptischen Erdbahn steht, ist die letzte Ursache für die Zweigeschlechtigkeit des Lebens“ (?!). Hier wie im dritten Teil, der „das Wesen des Geistes“ behandeln soll, kommt sogar eine deutliche Abneigung des Verfassers gegen eine wirklich biologische, d. h. naturwissenschaftliche Betrachtung zum Ausdruck. Demgemäß sind auch von den großen wissenschaftlichen deutschen Denkern in diesem Buche nur ganz wenige berücksichtigt, während unsolide Literaten zum Teil recht ausführlich besprochen sind. Auf Seite 30 ist ein „Grundriß der Biologie“ von „Uckermann“ (gemeint war ursprünglich vermutlich Mu k- kermann) angeführt, auf Seite 31 „W. W. Schallmeyer, Ueber die Ent- artung der Kulturmenschheit, Jena 1910“; hier ist W. Schallmayers Schrift von 1891 offenbar mit der 2. Auflage der „Vererbung und Auslese” durcheinandergebracht. Lenz.

Landwehr, O., Uebervölkertes Land. Eine bevölkerungspolitische Studie über Gegenwart und Zukunft Europas. 59 S. Wien und Leipzig 1923. Braumüller. 2,50 M.

Verfasser, der österreichischer Generalmajor war, gibt eine recht lehr- reiche Studie über die Folgen der Uebervölkerung. Einleitend legt er dar, daß in der Uebervölkerung eine Hauptursache des Krieges (auch des Welt- krieges) und der sozialen Umsturzbewegungen liegt. Die Bevölkerungsver- hältnisse der Erde werden an der Hand reichen Zahlenmaterials eingehend geschildert. Das Anwachsen der Großstädte wird einer besonderen Betrach- tung unterzogen. An der Lehre des Malthus wird ihr richtiger Kern gewürdigt: „Vom Standpunkt Europas ist also der Malthus-Satz richtig, und wir haben allen Grund, zu glauben, daß er bei weiterer Bevölkerungs- zunahme sich immer zutreffender erweisen werde. Auch für China, Indien und Japan stimmt er, also, kurz gesagt, für alle Uebervölkerungsgebiete.‘“ Um der Uebervölkerung zu steuern, macht Landwehr Vorschläge zur inneren Kolonisation, zur Kolonisation Osteuropas, schließlich auch zur Weltkolonisation. Dem Expansionsbedirfnis der Uebervölkerungsgebiete könne nur durch eine loyale Abgrenzung der Interessensphären Rechnung getragen werden. Allerdings sagt er selber: „Leider muß man bezweifeln, daß unsere heutige Zeit reif dazu ist, derartige Menschheitsfragen mit Er- folg in die Hand zu nehmen.“ „Solange Haß und Vergewaltigung die erste Geige spielen, ist an nützliche Resultate nicht zu denken.“ Und gerade das deutsche Volk, an das seine Schrift sich wendet, ist leider nicht in der Lage, die Vergewaltigung und den zu ihrer Rechtfertigung geschürten Haß von sich abzuwenden.

Ein Mangel der Schrift liegt darin, daß sie einseitig auf quantitative Betrachtung eingestellt ist. Von den Wesensunterschieden der Rassen, die für die aufgeworfenen Fragen von höchster Bedeutung sind, ist überhaupt nicht die Rede. Auch die tiefgreifenden Unterschiede in der Veranlagung der Menschen innerhalb derselben Bevölkerung sind nicht berücksichtigt. Andernfalls hätte der Verfasser wohl gesehen, daß auch umfangreiche Sterilisierung untüchtiger Elemente ein geeignetes Mittel gegen die Ueber-

Kritische Besprechungen und Referate. 115

völkerung wäre. Im übrigen zeichnet die Schrift sich durch großzügige

Betrachtungsweise und vorurteilslosen Blick aus; und sie kann daher zur

Orientierung über die Bevölkerungsfrage durchaus empfohlen werden. Lenz.

Elster, Dr. jur. Alexander. Sozialbiologie. (Bevölkerungswissen- schaft und Gesellschaftshygiene.) 8. Band des Handbuches der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, herausgegeben von Adolf Günther, Inns- bruck, und Gerhard KeBler, Jena. 483 S. Berlin und Leipzig 1923. de Gruyter u. Co. Geb. ıı M.

Es ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen, daß zwei so anerkannte Volkswirt- schaftler wie Adolf Günther und Gerhard Keßler sich nicht der Not- wendigkeit verschlossen haben, in dem von ihnen herausgegebenen „Hand- buch der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften‘‘ die biologischen Grundlagen der Wirtschaft und Gesellschaft eingehend zu berücksichtigen. Der Ver- fasser Elster sagt auf S. 19: „Die Sozialbiologie will eine Einführung der Nationalökonomen und Sozialwissenschaftler in biologische Probleme sein, soweit diese Probleme sie angehen; letzteres ist in ziemlich weitem Maße der Fall, weil die Sozialwissenschaft es mit dem Menschen als sittlichem, geistigem und körperlichem Wesen zu tun hat und weil sie eine der am wenigsten selbstherrlichen, vielmehr eine von dem Wissen aller Fakultäten sozusagen abhängige, überaus relative und beziehungsreiche Wissenschaft ist. Als solche bedarf sie mehr als bisher auch des biologischen Unterbaues für eine ganze Reihe ihrer Lehren und Erkenntnisse, und diese Lehren und Erkenntnisse werden sich immer wieder ihre Richtigkeit von den unverrückbaren Wahr- heiten der Natur bescheinigen lassen müssen. Erst dann vermag die Sozial- wissenschaft die wirtschaftlichen und sozialen Krankheiten der Zeit als solche zu erkennen und den Kampf gegen sie mit zuverlässigen Waffen aufzu- nehmen.'‘ Sozialbiologie will Elster als einen Teil der Sozialpolitik auf- gefaßt wissen, wobei er unter Sozialpolitik mit Adolf Günther ‚die auf das Ganze der Gesellschaft gerichtete, alle physischen und psychischen Kräfte vereinigende Arbeit an der Menschheit und ihrer vornehmsten Aus- drucksform, der Nation‘ versteht (S. 1). (Auch auf S. 14 wird die Sozial- biologie noch einmal als praktische Disziplin hingestellt, die das soziale Leben zu beeinflussen suche. Eine solche Disziplin würde man allerdings wohl besser als angewandte Sozialbiologie oder soziale Hygiene be- zeichnen, während die Sozialbiologie als theoretische Wissenschaft wohl besser frei von praktischen Zielen gehalten würde.) Auch die Wichtigkeit der Rassenhygiene wird an vielen Stellen betont, z. B. S. 5: „Es hat sich eine Wissenschaft der Eugenik und eine moderne menschliche Vererbungs- lehre seit Beginn dieses Jahrhunderts herausgebildet, die über die großen englischen Forscher Darwin und Galton weit hinausgeht und mit Hilfe der Forschungen von Mendel, Johannsen und anderen den Weg zu so wichtigen Erkenntnissen weist, daß die Sozialwissenschaft bedeutende Anregung davon erwarten darf.‘ Allerdings faGt Elster den Begriff der Rassenhygiene oder Eugenik viel weiter als es üblich und zweckmäßig ist, wenn er auf

8*

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S. 6/7 die gesamte Sozialhygiene dazu rechnet; die Hygiene des individuellen Zustandes haben die Angelsachsen vielmehr mit Recht als Euthenik scharf von der Eugenik unterschieden. Die Sozialhygiene ist also nicht einfach ein Zweig der Eugenik, wie auf S. 5 angegeben wird; eher ließe sich die Eugenik als ein Teil der Sozialhygiene auffassen. Mit erfreulicher Be- stimmtheit wird aber betont, „daß bevölkerungswissenschaftliche Frage- stellung ohne Berücksichtigung der biologischen Qualität eine Halbheit ist‘ (S. 53); der „qualitative oder eugenische Gedanke" ist vielmehr ‚zum Leiter moderner Bevölkerungswissenschaft berufen“ (S. 65).

Sehr mit Recht verlangt Elster eine Berücksichtigung sowohl des körperlichen als auch des seelischen Zustandes für die Sozialbiologie. „Körperliches und Seelisches lassen sich gar nicht, weder grundsätzlich noch praktisch, trennen zumal für eine soziale Betrachtung!‘ (S.27). Leider aber äußert er sich an vielen Stellen so, als ob die Biologie es an und für sich nur mit dem Körperlichen zu tun habe und als ob erst von der Sozial- wissenschaft her das Geistige in die Sozialbiologie komme. Es ist nicht zutreffend, daß das rassenbiologische Problem vom Körperlichen herkomme (S.9); im Gegenteil, schon G alton hat die Sorge um de geistige Tüchtig- keit der Rasse ganz in den Mittelpunkt seiner Eugenik gestellt. Andererseits sagt Elster selber: „Die soziale Praxis ist im Materiellen versunken, lebt im Banne des materialistischen Denkens und Strebens unserer Zeit" (S. 8). Tatsächlich ist es gerade die Rassenbiologie, welche vorzugsweise Berück- sichtigung des Psychischen in die Sozialbiologie bringt. Offenbar schwebt dem Verfasser die unhaltbare Trennung der Wissenschaften in Natur- und Geisteswissenschaften vor. ,,Sozialwissenschaft ist eine Geisteswissenschaft'' heißt es auf S. 8 und ähnlich auch an andern Stellen. Er scheint zu meinen, „Geisteswissenschaft‘‘ sei eine Forschungsweise, die vom Seelischen ausgehe, so wenn er auf S.188 sagt: „Aber ohne die biologische Urteilseinstellung fehlt der Sozialpolitik der exakte, auf natürliche (und somit einwandfreie) Tatsachen gegründete Mutterboden. Es ist ein sozusagen metaphysisches Unterfangen, Sozialpolitik unmittelbar aus Seelisch-Sittlichem herzuleiten.“ Nun gehört aber die Wissenschaft vom Seelischen, die Psychologie, ihren Zielen und Wegen nach unzweifelhaft zu den Naturwissenschaften, wie z.B. Rickert dargelegt hat. Die Antithese „Natur und Geist‘, welche schon soviel Verwirrung angerichtet hat, sollte doch endlich als verfehlt erkannt werden. Nicht darum handelt es sich, die Sozialwissenschaft zur Würdigung des Körpers oder die Biologie zur Würdigung der Seele zu veranlassen, sondern vielmehr darum, sowohl in der Biologie als auch in der Sozialwissen- schaft der Erbmasse im Gegensatz zur Umwelt zu der ihr gebührenden Be- achtung zu verhelfen. Elster scheint allerdings eigenartige Vorstellungen von dem Unterschied zwischen Körperlichem und Seelischem zu haben; auf S. 56 rechnet er das „Triebleben‘' zum Körperlichen und spricht von „körper- lichen Wünschen“; auf S. 49 wird sogar der „Intellekt“ zum „Körperlichen‘* gerechnet! Biologie sowohl als auch Volkswirtschaftslehre müssen von der empirischen Beobachtung körperlicher und seelischer Tatsachen und Vor- gänge ausgehen; und beide müssen über die bloße Empirie durch logische Verknüpfung der Einzelbeobachtungen spekulativ hinausgehen, um zur Er-

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kenntnis von Regeln und Gesetzen zu kommen. Ein grundsätzlicher Unter- schied der Methode besteht also nicht. Und da Elster die Sozialpolitik auf die biologischen Tatsachen als ihren Mutterboden" (1) verweist, so geht er ja selber von der Vorstellung ab, daß die Sozialwissenschaft eine „Geistes- wissenschaft“ in seinem Sinne sei.

Ich möchte vermuten, daß dem Verf. im Grunde gar nicht der Gegensatz zwischen Körperlichem und Geistigem vorgeschwebt habe, sondern vielmehr der zwischen Naturwissenschaft und Werttheorie. Die Naturwissenschaft kann keine letzten Werte begründen, auch die Wissenschaft vom Leben, die Biologie, kann das nicht. Alle Naturwissenschaft ist wertindifferent; sie handelt nur von dem, was ist und geschieht, nicht von dem, was sein oder geschehen soll. Gerade darüber aber scheint Elster sich einer Täuschung hinzugeben, so wenn er auf S. meint: „Schon in dem Begriff des Biologischen, des Lebens im Gegensatz zum Tode, liegt ein Wertbegriff.‘ Er beruft sich mehrfach auf Schopenhauer, z.T. in nicht besonders glücklicher Weise; aber das Eine hätte er von Schopenhauer lernen können, daß es durchaus nicht selbstverständlich ist, daß das Leben einen Wert habe; und ein solcher Wert läßt sich auch in keiner Weise wissenschaftlich begründen. Auch die Sozial- wissenschaft als solche kann nie und nimmer letzte Werte begründen, wie Elster anzunehmen scheint, wenn er auf S.20 ‚das Sozialprinzip als regelnde Kraft des Leiblichen‘‘ proklamiert. Warum soll gerade das Soziale wertvoll sein? Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Elster deduziert zwar auf S.53: „Jede sozial zusammenfaßbare Menschengruppe Staat, Nation, Rasse ist auf Dauer eingestellt...... Derjenige, von dem verlangt wird, daß er sich gesund erhalte, hat dieses Verlangen im Interesse der zur Zeit mit ihm Lebenden und der künftig nach ihm oder aus ihm Lebenden zu erfüllen. Das allein ist eine vernünftige Formel für eine sozial- biologische Ethik.“ Dagegen ist zu sagen: Aus der Aufzeigung gewisser Regeln als Erhaltungsbedingungen einer Gemeinschaft, folgt nicht die ethische Geltung dieser Regeln. Eine ,,sozialbiologische Ethik“ kann es daher nicht geben. Und wenn weder die Naturwissenschaft noch die Sozial- wissenschaft letzte Werte begründen können, so kann es auch keinen Wider- streit zwischen „Naturgesetz und Sozialgesetz geben, wie Elster meint (S. 24). =

Im Gegensatz zu den theoretischen Wissenschaften der Biologie und der Volkswirtschaftslehre setzen freilich die praktischen Disziplinen der Hygiene und der Bevölkerungspolitik bzw. Sozialpolitik notwendig Werte voraus. Elster sagt: „Von dem Werturteil kann in bevölkerungswissen- schaftlichen und sozialhygienischen Fragen schlechterdings nicht abgesehen werden. ..... Von einem Fortschritt, von einer Qualität, von einer Eugenik, einer Hygiene od. dergl. kann gar keine Rede sein ohne den Wertbegriff‘‘ (S. 50). Das ist gewiß richtig; aber eben weil diese praktischen Disziplinen Werte schon voraussetzen, können sie solche nicht begründen. Die Bemerkung Elsters, daß auch die „exakten“ Rassenhygieniker von wer- tender Betrachtung nicht frei seien, da sie „menschenzüchterische Ideale‘ hätten, ist also durchaus überflüssig. Daher liegt im Ethischen auch kein

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»GegenstoB gegen das Biologische“ (S.23). Das Ethische liegt vielmehr in einer ganz anderen Sphäre als das Biologische und das Soziale.

Die Wissenschaften von den Gesetzen und Regeln des Seins und Ge- schehens und dazu gehört sowohl die Biologie als auch die Volkswirt- schaftslehre können immer nur Mittel an die Hand geben, wenn ein Ziel bereits vorausgesetzt ist. Und eben damit gewinnen sie eine ungeheure praktische Bedeutung. „Denn der erfolgreiche Wille wird hier erst aus dem zureichenden Wissen geboren‘ (S.53). „Das Reale ist es, was unserer Sozial- biologie nicht nur die Eigenart, sondern geradezu das sichere Fundament gibt, ohne sich in naturkundlicher Exaktheit erschöpfen zu müssen: das Biologische, das sich experimentell erweisen, nachprüfen, demonstrieren läßt, ist nur das Fundament, auf dem das geisteswissenschaftlich Soziale sich aufbaut. Dieses kann sich immer wieder orientieren, sichern, bestätigen lassen an eben diesem biologisch festen Fundament“ (S.18). Jedenfalls also bedürfen die Volkswirtschaftler und Sozialwissenschaftler dringend der Kenntnis der biologischen Grundtatsachen.

Insofern wäre also das Buch Elsters mit großer Freude zu begrüßen wenn es nur in biologischer Hinsicht solider wäre. Elster gibt im Vor- wort an, daß er „wenn auch nicht die Berechtigung, so doch den Mut", das Buch zu schreiben, aus seinen Vorarbeiten entnommen habe, die einer- seits in eingehenden Studien über die Bekämpfung ‘des Alkoholismus andererseits in dauernder Berichterstattung über alle Zweige der sozial- hygienischen Disziplin für Zeitschriften bestanden. Leider aber ist es ihm nicht gelungen, das was sich ihm darbot, zu einer in sich geschlossanen Synthese zu verarbeiten. Es ist vielmehr ein Mosaik sehr ungleichwertiger und sich vielfach widersprechender Ansichten entstanden. Den Erzeugnissen gewisser Schriftsteller auf dem Gebiet der Biologie gegenüber hat er nicht die nötige Kritik aufgebracht. Elster ist offensichtlich bemüht gewesen, möglichst allen Seiten gerecht zu werden und zwischen entgegengesetzten Lehren zu vermitteln. Aber es gibt eben Dinge, die sich schlechterdings nicht vereinigen lassen. Ebenso wie auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre tummeln sich auch auf dem der Rassenbiologie allerhand wohlmeinende aber unkritische Propheten, welche die Menschheit mit ihren Ideen beglücken wollen; und von solchen hat Elster sich teilweise überreden lassen. Er hat z.B. die Lehre eines W.Fließ von der „Periodizität des Lebendigen‘ aufgenommen, die „Feststellung (!) der Zahlen 28 und 23 als männliche und weibliche Ziffer, die sich doppelgeschlechtig in jedem Menschen irgendwie mischen“ (S.234). Auch die Lehre eines Kisch von den ‚„Wellenbe- wegungen des Lebens“ (S.309) gehört dahin. Weiter beruft er sich auf die Schrift eines gewissen K. E. Weiß „Das siderische Pendel im Reiche des Feinstofflichen‘‘ (S. 135). Auch die geistreichen Phantasien Spenglers, über die „Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen", auf die sich Elster S.38—4I stützt, sind biologisch nicht ernst zunehmen. EbensoistSchopen- hauers Lehre vom „Willen“ (S.10 und 457) keine geeignete Grundlage für eine wissenschaftliche biologische Betrachtung. Wenn ein Biologe daran gehen würde, auf Grund fleißigen Literaturstudiums eine zusammenfassende Darstellung der Volkswirtschaftslehre für Biologen zu schreiben und wenn

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er dabei den Lehren eines Gesell, Feder und ähnlicher Volkswirtschaftler dasselbe Gewicht beimessen würde wie denen der soliden volkswirtschaft- lichen Forscher und Denker, so würde ein analoges Buch wie das Elsters entstehen.

Elster selbst sagt eingangs, er wolle „eine sozialwissenschaftliche An- schauung und Verwertung des Biologischen‘‘ geben „nicht im Sinne irgend- ` einer bestimmten biologischen oder entwicklungsgeschichtlichen Theorie (sei es im Darwin-Haeckel oder Lamarck-Weismannschen Sinne, sei es in Mendel-Johannsenscher oder rein ärztlich-hygienischer oder nur völkisch- ethischer Rassenauffassung, sondern in Wertung biologischer Tatsachen und Lehren aller Art“ (}). Kein Wunder, daß auf diese Weise keine organische Synthese, sondern ein unorganisches Nebeneinander und Durcheinander zustandegekommen ist. Schon die Verbindung der beiden Antipoden Lamarck und Weismann mittels Bindestrichs ist eine Ungeheuerlichkeit. Elster sagt zwar: „Wir maßen uns hier selbstverständlich nicht eine Kritik an biologischen Lehren in dem Sinne an, daß wir sagen wollen, irgendeine biologische Lehrmeinung, die ja doch meist auf sehr exaktem Grunde ruht, sei unrichtig“; tatsächlich übt er jedoch keineswegs diese angekündigte Zurückhaltung. So meint er auf S.12, „daß mit der naturwissenschaftlichen Ablehnung der Vererbung erworbener Eigenschaften die Sozialpolitik nicht viel anfangen, ja vielleicht von ihrem Standpunkt aus (I) dagegen berechtigte Einwendungen machen kann‘. Auf S. 13 verkündet er bereits „die Änderung des Erbguts durch das Individuum und die allmähliche Durchdringung des anscheinend nur leiblichen Keimguts durch seelische und ethische Be- lange“ (!). Dabei wird es in irreführender Weise so dargestellt, als ob andernfalls „eine Beeinflussung des Biologischen durch Umwelt und Er- ziehung gar nicht in Betracht käme‘. Da der Einfluß der Umwelt und Erziehung natürlich auf der Hand liegt und von niemandem geleugnet wird, so wird der biologisch ungebildete Leser durch eine derartige schiefe Gegen- überstellung nur zu leicht verführt, die phantastische Lehre des Psycho- lamarckismus welche Elster vertritt, als bare Münze anzunehmen. Dieselbe irreführende Gegenüberstellung bringt Elster noch mehrmals vor, so sagt er S.86, es sei keineswegs gleichgültig für den Geisteswissenschaftler, ‚ob die exakte Naturwissenschaft von persönlicher Einwirkung auf Soma (Körper) und Keimplasma nichts wissen will und alle Erblichkeit nur auf uralt vor- handenes Erbgut gründet, das nur kaleidoskopartig immer wieder zusammen- geschüttelt und gemischt neue Individualitäten ergibt oder ob jeder an sich selbst arbeiten kann zum Zweck nicht nur kultureller und praktischer Eigenanpassung während des kurzen Erdendaseins, sondern auch zum Zweck der Aufwärtsgestaltung der Nachkommen von Geburt an (ex ovo)“ (S.86). Wenn von den führenden Biologen die Erblichkeit individueller Anpassungen geleugnet wird, so bedeutet das selbstverständlich nicht, daß sie von persön- licher Einwirkung auf den Körper nichts wissen wollen oder daß sie alle nach ungünstig sind, sondern das ist einfach eine Erfahrungstatsache, die nun schon in Hunderten von Fällen, wo man Mutationen hat auftreten sehen, festgestellt ist. Und warum das so ist, das ist auch leicht verständ- lich. Die verschiedenen Arten der Lebewesen sind eben seit ungezählten

120 Kritische Besprechungen und Referate. Jahrtausenden so weitgehend an ihre Lebensbedingungen angepaßt, daß im allgemeinen wenn auch nicht ausnahmslos eine Änderung der Erb- masse eben eine Beeinträchtigung der Lebenstüchtigkeit mit sich bringt. Bei einem Lebewesen, das absolut vollkommen an seine Lebensbedingungen angepaßt wäre, würden überhaupt nur ungünstige Erbänderungen noch möglich sein. Bei den tatsächlichen Lebewesen, die nur relativ voll- kommen angepaßt sind, folgt daraus, daß die allermeisten, wenn auch nicht grundsätzlich alle, Erbänderungen ungünstig sein werden.

Elster hat sich eine phantastische Aufartungslehre zurechtgemacht, welche im wesentlichen mit der Lehre des sog. Psycholamarckismus zu- sammenfällt und welche sich meines Erachtens nur im Widerspruch mit der tatsächlichen biologischen Erfahrung als subjektive Illusion behaupten kann. Als solche scheint sie allerdings manchen Menschen ein Gemüts- bedürfnis zu sein. Der Mensch soll nach Elster ,,Geistes- und Seelen- kräfte‘‘ besitzen, „die das Mendelsche Gesetz und seine Anwendung stark und jeweils unerwartet zu beeinflussen vermögen (besondere menschliche Regeneration)" (S.7). In Molières „Malade imaginaire“ antwortet der medizinische Doctorandus auf die Frage, warum das Opium einschläfernd wirke: weil eine einschläfernde Kraft in ihm steckt. Elster antwortet auf die Frage, wie die Regeneration zustandekomme: weil ,,keimbessernde Kräfte von Einfluß werden" (S.457). Elster will diese mit der „inneren Sekretion‘ in Zusammenhang bringen. Von dieser heißt es auf S. 89, daß sie ‚allerlei Anregungen (auch aus der Umwelt!) verarbeitet, sobald die Verarbeitung tief genug geht: innerhalb der Erbmasse, der Keimzelle, des Inner- sten, was Seele, Leib, Mensch und Welt zusammenhält!‘‘ Nicht minder erstaunliche Dinge liest man auf S. 93: „Wenn beispielsweise Übersteige- rung der Kultur und Verknöcherung der Sitten wie im Rom der Kaiserzeit oder im modernen Europa einreißen oder wenn soziale Ungerechtigkeit den Lebenswillen lähmt, so ändert sich der innersekretorische Lebensprozeß des Einzelnen, die Freudigkeit, das Temperament, der Ablauf des Stoff- wechsels; die Säfte wollen nicht mehr frisch genug durch den Körper; es zeigen sich Entartungserscheinungen, und die für die Aufartung wesent- lichen Antriebe bleiben aus. Das ist ein vom Sozialen herrührender Einfluß auf das Biologische, der gar nicht geleugnet werden kann‘ (?!). Auf ent- sprechendem Wege soll dann auch eine Aufartung möglich sein: „Man er- innere sich an die Macht des Gemütes, Krankheiten zu verhüten; der Wille entsteht aus dem Leiblichen und bringt die Energie, die die Mechanik der Entwicklung beeinflußt; diese kann die Regeneration günstig be- einflussen, die Degeneration aufhalten‘ usw. Die Macht des Gemütes“ zur Verhütung von Krankheiten erstreckt sich im wesentlichen nur auf hysterische Störungen; Krankheiten wie Typhus oder Cholera können da- durch nicht verhütet oder gar geheilt werden und ebensowenig erbliche Leiden wie Taubstummheit oder Schwachsinn. Nur mittelbar kann die Erblichkeit nur auf uralt vorhandenes Erbgut gründen wollen, Auch Elster weiß an anderer Stelle (S. 194), daß es Erbänderungen (Mutationen) gibt, durch deren Auslese eine Änderung der Arten ohne jede Vererbung erworbener Eigenschaften möglich ist. Gegen seine irreführende Dar-

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stellung an andern Stellen muß daher Einspruch erhoben werden. Auf S.91 unten stellt er als Konsequenz der Nichterblichkeit erworbener An- passungen sogar folgendes hin: „Dann müßte ja doch alles, was der Mensch an sich selber und an seiner Leistung Kulturfortschrittliches erreicht hat, schon von vornherein in ovo in der Erbmasse seit Jahrmillionen also auch schon in dem Pithekanthropus oder etwas Ahnlichem! vorhanden gewesen sein und nur durch schließlich errungenes Auslesen danach der Fortschritt zum Kulturmenschen erzielt worden sein.“ Er ignoriert also mit konstanter Hartnäckigkeit die Tatsache, daß die ,,Selektionisten’* die Entwicklung nicht allein durch Auslese, sondern durch Erbänderung und Auslese er- klären. Auf S. 89/90 bringt er eine Deduktion eines gewissen Arthur Lasnitzki, welche in folgendem Satze gipfelt: „So muß auch jede lokali- sierte Veränderung des Organismus, sofern sie nur auf einer Beeinflussung seiner physikalisch-chemischen Struktur beruht, schließlich zu einer Ab- änderung seiner Konstitution führen und auf die Keimzellen übertragen werden“; und er (Elster) fügt hinzu: „Ich wüßte nicht, was gegen die ` Logik dieser Darlegung eingewendet werden könnte.‘ Tatsächlich folgt aus der Deduktion Lasnitzkis absolut nicht, daß ‚jede lokalisierte Ver- änderung des Organismus‘ zu einer Änderung der Erbmasse führen müsse; und selbst wenn sie es einmal tun würde, so wäre nicht abzusehen, warum eine solche Änderung der Erbmasse gerade Anpassungscharakter haben sollte, wie Elster es haben will. Im übrigen hat die Erblichkeitsforschung der letzten Jahrzehnte eine Fülle von Tatsachen beigebracht, welche zeigen, daß lokalisierte oder sonstige Veränderungen des Organismus eben nicht zu entsprechenden Änderungen der Erbmasse führen, und daß Erbände- rungen als solche nicht auf Anpassung gerichtet sind. Elster hat das viel mißbrauchte Schlagwort von der „direkten Bewirkung‘‘' aufgenommen; auf S. 263 wird den „strengen Selektionisten‘‘ nachgesagt, daß sie die „direkte Bewirkung‘‘ ablehnen; auf S. 440 heißt es: „Die Arbeitseignung ist ein Ergebnis aus Erbmasse, Erziehung (Bewirkung) und UmwelteinfluB."* Das bedeutet eine Verschiebung des Sinnes dieses von Nägeli eingeführten Begriffes; Nägeli hatte eben den Einfluß der Umwelt dabei im Auge. Auch die Erziehung gehört natürlich zu den Umwelteinflüssen. „Direkte Bewirkung‘‘ im Sinne des Umwelteinflusses leugnet natürlich kein Biologe; wie aber „direkte Bewirkung‘‘ zu Änderungen der Erbmasse im Sinne er- höhter Anpassung führen oder wie „persönliche Bewirkung gegen Entartung Front machen‘ (S. 416) könne, ist nicht abzusehen; und man muß von denen, die wie Elster derartiges behaupten, verlangen, daß sie Belege dafür beibringen.

Den Rassenhygienikern wird auf S. 75 nachgesagt, daß sie ‚gern‘ von der Entartung überhaupt ausgingen und nicht ganz einzusehen schienen, daß sich da schon eine petitio principii geltend mache: „sie nehmen die »Ent- artung«, die als sozialbiologische Tatsache in der gesamten Menschheits- entwicklung erst bewiesen werden müßte, als erwiesen an und leiten von daher die Aufgaben der Rassenhygiene her". Auch das ist durchaus irre- führend. Kein Rassenhygieniker hat behauptet, daß die Entartung eine „sozialbiologische Tatsache in der gesamten Menschheitsentwicklung sei,

es II EE m Se

und keiner hat seine Lehre auf den Begriff der Entartung im Sinne einer petitio principii gegründet. Ich muß Elster dringend ersuchen, Belege für diese und ähnliche Behauptungen beizubringen. Daß dagegen in den Be- völkerungen der Kulturländer der Gegenwart Entartung weit verbreitet ist, das ist durch eine Fülle von Erfahrungstatsachen belegt. Und davon gehen auch die Bestrebungen der Rassenhygiene aus. Auf S. 44 erklärt Elster, die Rassenhygieniker hätten „nicht das Recht, nur eine krankhafte Ent- artung der Erbmasse zu lehren, jede Aufartung aber zu leugnen‘. Diese Verdrehung ist geradezu erstaunlich. Kein Rassenhygieniker leugnet natür- lich die Möglichkeit der Aufartung; nur ist sie nicht so zu erreichen, wie Elster sich das vorstellt.

Erfahrungsgemäß fällt es vielen Nichtbiologen schwer, zu begreifen, daß Änderungen der Erbmasse in der Regel in der Richtung auf verminderte Lebenstüchtigkeit gehen. Offenbar stemmen sich vielfach gefühlsmäßige Gegengründe dieser Einsicht entgegen. Nur so kann ich es verstehen, wenn Elster auf S. 463 die bösen „Selektionisten‘‘' fragt, ob denn „logischer- weise der Entartung nicht auch eine Aufartung entsprechen müsse‘, und wenn er auf S. 464 meint, es sei nicht einzusehen, warum man die ,,Aus- bildung einer guten Konstitution“ grundsätzlich anders bewerten sollte, „als wenn diese nämlichen sozialhygienischen Maßnahmen (?) nur den Ab- stieg vom Normalen ins Unnormale und Krankhafte bewirken“. „Grund- sätzlich‘ ist dazu nur zu sagen, daß jede Spur eines Beleges dafür fehlt, daß individuelle Ertüchtigung zugleich eine Ertüchtigung der Erbmasse zur Folge habe. Was aber die Änderungen der Erbmasse betrifft, so ist es nicht ein böser Grundsatz der „Selektionisten‘‘, daß diese Änderungen der Regel „Macht des Gemütes‘‘ bei derartigen Leiden wirksam werden, bei Typhus und Cholera durch Vermeidung der Ansteckung, bei erblichen Leiden durch bewußte Auslese. Völlig unhaltbar aber ist es, wenn Elster auf S. 133 eine „durch die biologisch als überaus wichtig anerkannte innere Sekretion ge- leitete Auslese der Keime, Auslese der Zellen" dafür in Anspruch nimmt. „Es möchte fast wundernehmen, wenn eine unmittelbare Verbindung zwischen dem psychischen Auftrieb der Erotik zu der Auslese der Keimzellen auf dem Wege der inneren Sekretion nicht bestände‘‘ (S. 134). Bei Vernunftehen soll „die günstige innere Sekretion“ nicht entstehen. „Kinder der Liebe" dagegen soll man als „besonders gut angelegt‘‘, „Kinder aus reifen Eltern- jahren für geistig bedeutender erkannt“ (!) haben (S. 134). Elster beruft sich mit seiner phantastischen Lehre von der Aufartung auf Autoren wie C. L. Schleich, K.L. Weiß (siderisches Pendell), P. Kammerer und I. Kaup (J. Kaup ist ein Druckfehler), besonders auf den letzteren. Und in der Tat scheint Kaup die Ansichten Elsters zu billigen; denn er hat in einer Besprechung des Elsterschen Buches in der Münchener medizinischen Wochenschrift ihm nicht widersprochen, sondern vielmehr gesagt, Elster habe seine Aufgabe ausgezeichnet gelöst, und ausdrücklich ihm ‚das kühle Urteil eines Geisteswissenschaftlers‘‘ zugeschrieben. Ganz offenbar hat die biologisch so unzulängliche Streitschrift von Ignaz Kaup gegen die Rassen- hygiene Eindruck auf Elster gemacht. Unter Berufung auf Kaup verkündet er in gesperrtem Druck, ‚daß der gute und gesunde Typus des

Kritische Besprechungen und Referate. | 123 Menschen das Gegebene ist und sich fast immer wieder regenerativ herstellt‘“ (S. 87/88). Auf S. 93 erklärt er, wir müßten an dem „Gesetz‘ festhalten, daß die Nachkommenschaft die Tendenz (!) habe, möglichst bald (1) zum Typus zurückzukehren. „Die Glieder der Art kreisen um den Typus.‘ Regeneration und Degeneration seien „nur Oszillationen um den Typus‘. Elster stellt sich die Abweichungen vom „Typus“ also gewissermaßen als Pendelausschläge vor. Dieses Trugbild führt ihn zu dem Satz: „Es gibt Rück- schläge, die manchmal zu ganz ausgesprochenem Atavismus werden, wenn der Rückschlag zu stark ist“ (S. 93). In den biologischen Tatsachen finden diese Vorstellungen aber nicht nur keine Stütze, sondern sie werden ein- deutig dadurch widerlegt. In experimentellen Zuchten können Mutationen durch beliebig viele Generationen weitergezüchtet werden; und aus der menschlichen Erblichkeitsforschung wissen wir, daß krankhafte Erbanlagen sich unverändert durch die Generationen erhalten (Nachtblindheit, Chorea usw.), bis sie einmal durch Ausmerzung verschwinden. Mit der Vorstellung eines „gegebenen“ Typus des Menschen, der sich immer wieder herstelle, steht auch Elsters „Feststellung“ im Widerspruch, „daß es verschiedene . konstante Rassen der Menschheit gibt‘ (S. 34, ähnlich auch S. 194). Die Lehre von der Konstanz der großen Rassen, in der Elster sich an Günther anschließt, wird von ihm sogar offenbar übertrieben; jedenfalls aber ist sie mit den Vorstellungen Kaups, die er auf S. 87 als für die menschliche Abstammungs- und Vererbungslehre besonders geeignet erklärt, weil sie das „Willensmoment‘ im biologischen Geschehen ‚zu einer höheren Anerken- nung‘ bringe, unvereinbar. Im Gegensatz dazu steht auch auf S. 136 der Satz: „Da die Erbqualitäten des neu entstehenden Individuums auf der Mischung von urältesten Eigenschaften der Ahnenreihe beruhen, so ist, be- trachten wir es recht (l), jedes neu entstehende Wesen ein großer Atavis- mus.“ Hier macht Elster sich also eine Lehre, die er den von ihm be- kämpften Selektionisten an anderer Stelle zu Unrecht zuschreibt, selber zu eigen. Tatsächlich liegen die Dinge so, daß die einzelnen Erbeinheiten zwar sehr weitgehend, aber nicht absolut konstant sind (die Konstanz wird durch- brochen durch die ziellos, d. h. ohne Rücksicht auf Anpassungsbedürfnisse eintretenden Mutationen); auf der relativen Konstanz der einzelnen Erb- einheiten beruht ihrerseits die relative Konstanz der Rassen; denn die Erb- masse einer Rasse ist ja nichts anderes als eine Kombination von Erb- einheiten; und weiter beruht darauf auch die relative Konstanz des Arttypus der Menschheit, der aber nichts Einheitliches ist, sondern in dem wechseln- den Zusammenspiel recht verschiedener Erbeinheiten vorkommt. Ein ein- heitlicher Normaltypus ,,des‘‘ Menschen ist jedenfalls nicht ‚gegeben‘, sondern nur eine fiktive Konstruktion. Tatsächliche Existenz haben dagegen die verschiedenen einzelnen Erbmassen; und jede von diesen hat in sich eine relative Konstanz. Für eine Tendenz der Änderung dieser individuellen Erb- massen in der Richtung auf einen fiktiven Normal- oder Ausgangstypus fehlen alle Anhaltspunkte; die tatsächlichen Erfahrungen sprechen vielmehr eindeutig dagegen. Es kann keine Rede davon sein, daß Erbänderungen die „Tendenz“ hätten, zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren, geschweige denn „möglichst bald‘.

124 Kritische Besprechungen und Referate.

Auf S. 457 sagt Elster, „daß doch zweifellos sehr Vieles und gerade das Wichtigste seine Kraftim Erbgut und Keimgut des Menschen haben dürfte‘; und auf S. 92 heißt es: „Es sei durchaus zugegeben, daß die Bedeutung der Umwelt wesentlich geringer als die der Erbmasse ist." So weit braucht man meines Erachtens nicht einmal zu gehen. Ob man der Erbmasse oder der Umwelt die größere Bedeutung beimessen muß, das hängt ganz von der praktischen Aufgabe ab, die man gerade im Auge hat; und diese Frage läßt sich daher überhaupt nicht allgemein beantworten. Jedenfalls aber ist gerade das, was den Menschen zum Menschen macht, und was ihn vom Tier unterscheidet in der Erbmasse begründet; und von den Unterschieden der Menschen untereinander ein wechselnd großer Teil. Verkehrt aber ist Elsters Satz: „Die ausschlaggebende Konstanz der Erb- masse, die zielsicher arbeitet, aber mit Umwelteinflüssen einen Kampf zu bestehen hat, dessen Siegesglück wechselt, liegt eben zutiefst in der durch allerlei (auch äußere) Faktoren beeinflußten seelischen Körperlichkeit (inner- sekretorisch) begründet‘‘ (S. 105). Die Sache liegt vielmehr ziemlich genau umgekehrt: Die körperliche und seelische Konstitution liegt ihrem Kerne nach in der Erbmasse begründet; und der Zusammenhang zwischen der erblichen Veranlagung und der inneren Sekretion ist nicht dahin zu verstehen, daß die innere Sekretion die Erbmasse bedinge oder ändere, sondern viel- mehr dahin, daß die Organe der inneren Sekretion ihrerseits durch die Erbmasse bedingt sind; die innere Sekretion ist also einer der Wege, auf dem die Erbmasse sich auswirkt. Das hat kürzlich auch Th. H. Morgan, der führende Erblichkeitsforscher der Gegenwart, in einem lichtvollen Vor- trage auseinandergesetzt.

Durchaus unbegründet ist Elsters Glaube an eine zielstrebige Entwick- lung in der Natur, dem er z.B. auf S. 83 und auf S. 103 Ausdruck gibt: „Wenn es wahr ist, daß die Erbmasse von so ungeheurer (?) Konstanz und mithin (?) die Entwicklung des Menschengeschlechts von dieser Erbmasse in besonders hohem Maße abhängig ist, so liegt es sehr nahe, auch. eine gradlinige, einheitliche geisteskulturelle, also soziale Entwicklung zu er- warten, also sich vorzustellen, daß der Gedanke konstanten Erbguts mit einheitlicher Richtung für die Kulturentwicklung der Menschheit (ähnlich dem biologischen Grundgesetz der Korperentwicklung) maßgebend sei" Tatsächlich fehlt jede Unterlage für die Annahme einer derartigen ziel- strebigen Entwicklung. Wenn uns die Stammesgeschichte des Menschen vom anthropomorphen Standpunkt als eine Entwicklung zum Höheren er- scheint, so bürgt doch nichts dafür, daß diese Entwicklung in der gleichen Richtung weitergehe. Es gibt kein „Entwicklungsgesetz‘‘ in der Natur. Der Gang der weiteren Umgestaltung des Menschengeschlechts darf nicht auf Grund derartiger vorgefaßter Meinungen, sondern nur auf Grund der von der Erfahrung gebotenen Tatsachen und nur mit Vorsicht vorausgesagt werden; und die eingehende Betrachtung des gegenwärtigen Zustandes der menschlichen Bevölkerungen und der in ihnen herrschenden Auslesebedin- gungen zeigt, daß im ganzen eine überwiegend ungünstige Änderung der geistigen Veranlagung stattfindet. Zu einem „bevölkerungstheoretischen Optimismus“ (S. 83) fehlt daher jede Grundlage; es ist aber auch verfehlt,

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den „Selektionisten‘‘ „bevölkerungstheoretischen Pessimismus‘' nachzusagen; denn eben die selektive Rassenhygiene zeigt ja einen sicheren Weg, auf dem der Entartung Einhalt getan und eine Aufartung in die Wege geleitet werden kann. |

Das ganze Kapitel IIı, welches Elster ,,Vererbungslehre als sozial- biologische Kategorie“ überschrieben hat, ist überhaupt wissenschaftlich unzulänglich.

Recht wenig glücklich ist auch das Kapitel I4, welches die Überschrift „Geschichtliche Grundlagen sozialbiologischer Erkenntnis‘ trägt und welches stark unter dem Einflusse Spenglers steht: „Wellen des gleichen Ge- schehens sind es, die das junge anstürmende Germanenvolk oder die Hunnen, Azteken, Hereros, Mauren emporwarfen gegen Römer, Hermanrich, Mexiko, Deutsch-Südwest, Cordoba; Wellen des gleichen Geschehens sind es, die die Übervölkerung Babylons oder Londons und das Absterben der Volkszahl bei Überschreiten einer gewissen Kulturstufe mit sich führen‘ (S. 31). Das liest sich wie eine Parodie auf Spenglers „Untergang des Abendlandes". „Wenn die biologischen Forscher längst festgestellt ( ?) haben, daß sich hoch- kultivierte Geistestätigkeit nicht mit zeugungsfähigem Sexualleben verträgt, und wenn man weiter mit Recht darauf hingewiesen hat, daß das Individuum naturgemäß in seiner Produktivkraft Grenzen hat, so daß diese Produktiv- kraft entweder Kinder oder technische Erfindungen oder gelehrte Bücher erzeugt, so faßt Spengler hier die Erscheinung noch tiefer ( ?) in sozialpsychologischem Sinne als andere, die nur feststellen, daß mit der Höhe der Sprosse auf der sozialen Stufenleiter die Teilnahme am Fort- pflanzungsgeschäft abnimmt‘ (S. 39). Elster schließt sich der völlig grundlosen Meinung Spenglers an, daß sich in der „Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen" „eine durchaus metaphysische Wendung zum Tode‘‘ offenbare, denkt dabei aber nicht daran, daß er an andere Stellen einen „bevölkerungstheoretischen Optimismus‘ und den Glauben an „eine gradlinige, einheitliche geisteskulturelle Entwicklung‘' verkündet. Elster ist offenbar durch suggestive Schriften sehr leicht beeinflußbar; und er hat, als er die verschiedenen Kapitel seines Buches schrieb, anscheinend unter dem Einfluß recht verschiedener Geister gestanden. Nur so scheinen mir die erstaunlichen Widersprüche zwischen den einzelnen Teilen erklärlich zu sein; und als er dann „die Quersumme aus biologischen und sozialen Belangen“ (S. 399) gezogen hat, da ist es gegangen wie bei allen Quersummen: die einzelnen Ziffern sind ohne Rücksicht auf ihren Stellenwert addiert worden, und was herausgekommen ist, ist eben eine Quersumme.

Durchaus widerspruchsvoll ist auch seine Stellung zur Rassenhygiene. An vielen Stellen spricht er ziemlich verächtlich von der selektiven Rassen- hygiene: Die „rein eugenische Auslese des Passendsten‘ sei ‚eine mör- derische und pessimistische "Theorie" (S. 134 u.). Auf S.133 heißt es: „Diejenigen Fälle, in denen eine brauchbare Wahrscheinlichkeit für voll- wertige oder minderwertige Nachkommenschaft vorausgesagt werden kann, sind im Vergleich zum Walten der Natur und zu der unendlichen Fülle der in Betracht kommenden Fälle so verschwindend gering (?), daß man darauf

126 Kritische Besprechungen und Referate.

keine positive Lehre, geschweige denn praktische Maßnahmen der Be- völkerungspolitik aufbauen kann" (?). Auf S. 100 wieder ist „im Gegenteil die sorgsamste Auslese und Fortpflanzungshygiene bei solchen Gefährdungen, und wären sie nicht einmal regelmäßig nachweisbar, unbedingt am Platze", Auf S. 136 heißt es: „Es gibt bereits eine qualitative Bevölkerungspolitik und sie ist als grundsätzliche soziale Aufgabe zu erkennen und zu erfüllen. Die biologischen Erfahrungstatsachen und Vererbungstheorien genügen zwar noch nicht zu einer Lösung der unendlich weitschichtigen und schwierigen Probleme, die hier auftauchen, aber sie geben eine klare Richtung und reichen für bestimmte, vorsichtig abzuwägende und namentlich für hindernde Eingriffe durchaus hin, ja sie sind, wie namentlich auf Grund der neuen Auflage des Buches von Baur-Fischer-Lenz, insbesondere des Lenz- schen Teiles, gesagt werden muß, auf aussichtsreichstem Wege, bald noch sehr viel mehr auch für die soziale Auswertung der Erkenntnisse leisten zu können.‘ Ich vermag mich über diese Wendung in Anbetracht des Ganzen nicht zu freuen. Dem Studenten der Volkswirtschaftslehre, der aus dem Buche „eine sozialwissenschaftliche Anschauung und Verwertung des Biolo- gischen‘ (S. 10) zu gewinnen hofft, wird bei der Lektüre jedenfalls zumute werden wie dem Schüler im „Faust‘‘ bei den Ausführungen des Mephisto- pheles (Mühlrad).

Auf S. ı7ı wendet sich Elster gegen meine Darlegung, daß unter- durchschnittliche Fortpflanzung der sozial höheren Schichten eine Abnahme der Durchschnittsbegabung der Bevölkerung zur Folge habe, und er sagt dazu: „An diesen Thesen ist angreifbar die Annahme einer so festen, unverrückbaren sozialen Gliederung, daß Aufstieg und Abstieg nur in die vorhandenen höheren oder niederen Schichten möglich sei, eine Änderung der sozialen Lage der Schichten überhaupt, also eine Hebung der Kultur des ganzen Volkes ausgeschlossen sei ein Ergebnis, das offenbar unzu- länglich ist.“ Elster bringt hier die soziale Auslese mit der Hebung der Lebenslage durcheinander. Selbstverständlich habe ich nicht behauptet, daß eine Hebung der Kultur des ganzen Volkes ausgeschlossen sei; aber eine solche wäre doch nicht gleichbedeutend mit einer Hebung der erblichen Begabung; und nur von dieser habe ich an den von Elster „kritisierten“ Stellen gehandelt. Die erbliche Begabung aber geht herunter, wenn die höher begabten Schichten sich geringer fortpflanzen als die minder begabten. Ob sich gleichzeitig die wirtschaftliche oder kulturelle Lage der ganzen Be- völkerung hebt oder senkt, hat damit an und für sich gar nichts zu tun. Elster fährt fort: „Damit hängt zusammen, daß jene These auch die Be- gabung und mithin deren Durchschnitt als unverbesserbar im ganzen ansieht ein Ergebnis, daß alle Erziehung, alles Lernen, alle Bemühungen zur Hebung des Volksganzen Lügen straft und mithin (und das ist das Inter- essanteste dabeil) sowohl mit der sozialistischen Politik wie mit dem selektio- nistischen Aufstieg der Menschheit aus der Tierheit in vollkommenen Wider- spruch tritt.“ Gegen diese Entstellung muß ich scharfen Einspruch erheben. Wenn die Erziehung nur der jeweils lebenden Generation zugute kommt, so werden doch darum die Bemühungen zur Hebung des Volksganzen nicht „Lügen gestraft“. Das sollte doch auch Elster mittlerweile gelernt haben.

Kritische Besprechungen und Referate. 127

Und wenn die Begabung infolge ungünstiger Auslese heruntergeht, so heißt das doch nicht, daß sie „unverbesserbar‘‘ sei. Im Gegenteil, es folgt daraus. zugleich, daß durch günstige Auslese die Durchschnittsbegabung der Be- völkerung höchst wirksam gehoben werden könnte. Und vollends den ,,Auf- stieg der Menschheit aus der Tierheit‘‘ als in Widerspruch zu meinen An- schauungen hinzustellen, das zeugt von einer Verblendung, die einfach er- staunlich ist.

Es ist nicht möglich, an dieser Stelle alle die zahlreichen Unrichtigkeiten und Schiefheiten des Elsterschen Buches richtigzustellen; immerhin seien noch einige angemerkt. Die Überschrift des Kapitels II6 „Körperkonsti- tution und Klassenbildung‘‘ trifft nicht das, worauf es hauptsächlich an- kommt, die Abhängigkeit der Klassenbildung von der seelischen Kon- stitution. Auf S. 181 heißt es: „Die Erblichkeit der geistigen Begabung, die Lenz so stark vertritt, ist kein naturwissenschaftliches Gesetz, sondern eine Wahrscheinlichkeitsrechnung.‘‘ Hier ist die Gegenüberstellung verfehlt. Wenn wir hinsichtlich der Erblichkeit geistiger Anlagen einstweilen nur Wahrscheinlichkeitsvoraussagen machen können, so steht das nicht im min- desten im Gegensatz zu der streng gesetzlichen Bedingtheit der erblichen Begabung. Schief ist auch die Angabe: „Genies, wenn sie nicht als Kinder sterben, haben meist keine oder nur unbedeutende Nachkommen‘ (S. 206). Auf S. 197 schreibt Elster mir die Autorschaft für die Angabe zu, daß „Mulatten und Skandinavier-Lappen-Mischlinge‘‘ gegen Krankheiten weniger Auf S. 333 läßt Elster die „Erbsyphilis‘‘ als eine ,,konstitutionelle Krank- widerstandsfahig seien; ich habe diese Ansicht jedoch gar nicht vertreten. heit‘ „in der Erbmasse (!) begründet‘‘ sein, während es sich tatsächlich doch um eine Infektionskrankheit, also einen Umweltschaden handelt. Auf S.47 sieht er die Schädlichkeit des Stadtlebens in „dem geschäftigen Nahsein der Menschen mit seiner Überwucherung an Stickstoff ( ?l), während das kraft- spendende sauerstoffreiche Land fernab von Haus und Schaffen der Vielen liegen bleibt." Offenbar ist das Wort Stickstoff in diesem Zusammenhang auf eine ganz äußerliche Assoziation zurückzuführen. Auf S. 464 läßt er durch hockende Stellung in schlechter Luft „Pneumothorax“ ( ?!) entstehen; gemeint ist vermutlich ein paralytischer Thorax; ‚„Pneumothorax‘‘ bezeichnet einen Zustand, bei dem Luft in die Pleurahöhle eingedrungen ist. Auch an anderen Stellen haben fehlgegangene Fachausdrücke bzw. Fremdwörter nicht beabsichtigte Wirkungen. Durch das Denken in verschwommenen Bildern an Stelle präziser Begriffe (auf S. 261 z. B. „mündet“ etwas „aus allgemeinen + Erblichkeitsfluten‘‘) und die beliebte Verwendung anspruchs- voller Worte leidet an vielen Stellen die Deutlichkeit des Sinnes (auf S. 200 z.B. wird die „dynamisch-metaphysische Frage der qualitativen Bevölkerungs- politik" gestellt, „ob die verschiedene Lebensdauer der Rassen organisch bedingt ist‘).

Wo Elster über Gegenstände handelt, die weniger biologisches und philosophisches Urteil erfordern, da sind seine Ausführungen zum Teil recht wertvoll, nicht nur für den Volkswirtschaftler, sondern auch für den Biologen. So hat er in den Kapiteln „Mutter und Säugling‘, „Das gesunde und das kranke Kind‘, „Tuberkulose“, ,,Geschlechtskrankheiten", „Alkoholismus“

peed

Kritische Besprechungen und Referate.

manches lehrreiche Material zusammengetragen. Gerade biologisch ge- bildete Leser, die den Ansichten Elsters mit Kritik zu begegnen imstande sind, werden daher manchen Nutzen von dem Buche haben. Bei Volks- wirtschaftlern und Sozialpolitikern, für die es in erster Linie bestimmt ist, wird der Nutzen jedoch durch die Verwirrung der biologischen Begriffe leider wohl aufgehoben werden. Es ist zu befürchten, daß gerade mit Kritik be- gabte Volkswirtschaftler dadurch zu der Meinung verführt werden, auf dem Gebiet der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenbiologie sei so gut wie alles noch strittig und widerspruchsvoll. Zu eingehender Beschäftigung mit der biologischen Originalliteratur wird kaum ein einziger von den führenden Volkswirtschaftlern Zeit haben; und so wird Elsters Buch bei mancher unter ihnen dazu beitragen, daß sie auch weiterhin die biologischen Tat- sachen ignorieren werden ganz entgegen der gewiß gut gemeinten Absicht Elsters. Um einer solchen Wirkung nach Möglichkeit vorzubeugen, habe ich mich zu dieser Kritik der biologischen Lehren Elsters entschlossen. Über alle Gegensätze der Anschauung hinweg hoffe ich gerade dadurch seine Absicht zu fördern, den Volkswirtschaftlern und Sozialpolitikern die Wichtig- keit der biologischen Grundlagen für ihre Wissenschaft zum Bewußtsein zu bringen. Eine wirklich angemessene Würdigung werden die Tatsachen und Gesetze des Lebens aber doch wohl erst dann finden, wenn die Biologie als unentbehrlicher Bestandteil einer wirklich „humanistischen‘‘ Bildung, die ihr gebührende Stelle im Unterricht der Schulen und Hochschulen ein- genommen haben wird und wenn eine derart schon in der Jugend vorge- bildete Generation daran gehen kann, die Grundlagen der geistigen Kultur zu erneuern. Lenz.

Aus der rassenhygiensichen Bewegung. j

Im November 1924 ist eine „Wiener Gesellschaft für Ras- senpflege (Rassenhygiene)“ ins Leben getreten. Zum ersten Vorsitzenden wurde Univ.-Prof. Dr. Otto Reche, Direktor des anthro- pologischen Instituts, gewählt, zum zweiten Univ.-Prof. Dr. Reichel, Inhaber der Professur für soziale Hygiene, zum Schriftführer Dr. M. Hesch, Assistent am anthropologischen Institut, Wien IX, Van Swieten- gasse 1. Die Wiener Gesellschaft beabsichtigt, mit der Deutschen Gesell- schaft für Rassenhygiene zusammenzuarbeiten. Außerdem gibt es in Wien eine „Deutsche Gesellschaft für Rassenpflege“, deren Obmann Diplom- kaufmann R. Körber, Wien IX, Liechtensteinstr. 23, ist und die mehr politische Ziele verfolgt, während die „Wiener Gesellschaft für Rassen- pflege“ die wissenschaftliche Rassenhygiene in den Vordergrund stellt.

Der Untergang der großen Rasse

Die Rassen als Grundlage der Geschichte Europas.

| Von Madison Grant, Neu York. Einzige berechtigte Übersetzung von Prof. Dr. Polland, Graz. Preis geh. M. 6.—, geb. M. 7.—

Aus dem Inhalt: Rasse und Demokratie / Die physische Grundlage der Rasse / Rasse

und Wohnsitz / Der Kampf der Rassen / Rasse, Sprache und Nation / Die europäischen

Rassen in den Kolonieu / Der Mensch der Steinzeit / Die alpine (ostische) Rasse / Die

Mittelmeerrasse / Die nordısche Rasse / Das teutonische Europa / Die Ausbreitung des

Nordischen / Das nordische Vaterland / Die nordische Rasse außerhalb Europas/Rassen- Jähigkeiten / Der Ursprung der arischen Sprachen.

Dieses Buch, von dem in Amerika in wenigen Jahren vier Auflagen erschienen, zeigt in erschütternder Weise die Gefahren, die den Trägern unserer heutigen europa- ischen Kultur drohen. Ungenügende Vermehrung und dadurch Überwucher ung durch minder wertvolle Rassen ist das sichere Ende der nordischen Rasse und damit ihrer Er Seier Ger Kultur, wenn die nordrassige Menschheit nicht noch rechtzeitig die Gefahren erkennt und bekämpft. wie dies die Vereinigten Staaten z. B durch ihre Beschränkung unerwünschter Einwanderung in Angriff genommen haben. Es weist

die Wee dem Untergang des Abendlandes zu begegnen.

Der Rulturumsturz

Die Drohung des Untermenschen.

Von Lothrop Stoddard, A. M., Ph.D. (Harv.). Einzige berechtigte Ubersetzung von Dr. Wilhelm Heise. Preis etwa Mk, 7.—

Inhaltsverzeirhnis: Vorwort des Übersetzers / Vorwort / Die Bürde der Kultur / Das eiserne Gesetz der Ungleichheit / Das durch die Minderwertigen drohende Unheil / Die Lockung des Urtümlichen / Der Nährboden der weier Kat, Die Empörung des Untermenschen / Der Kampf gegen den Wirrwarr / Neu-Adel /Schlagwörterverzeichnis.

Stoddard untersucht die biologischen Ursachen der soon ace erg Unruhe, die nicht nur Mittel- und Osteuropa, sondern die ganze Welt ergriffen hat. Es handelt sich um einen Vorgang urtlicher Erschöpfung, der, wie er die großen Kulturen der Ver-

ngenheit vernichtete, nun auch unsere eigene zu zertrümmern droht. Unter solchen

iologischen Gesichtspunkten betrachtet der Verfasser sowohl die bolschewistische Auflehnungder primitiven Menschen gegen die Kultur wie die Uberschwemmung seiner amerikanischen Heimat durch einwandernde Scharen minderrassiger Fremder. Stod- dards Buch wird es hoflentlich gelingen, auch das deutsche Volk vor den Gefahren rassischen Niedergangs zu warnen,

Organische Kultur

Deutsche Lebensfragen im Lichte der Biologie.

Von Dr. R. von Engelhardt. 1925. Preis geh. M. 3.20, in Lwd. geb. M. 4.50.

Vom Standpunkt einer im Sinn unserer klassischen Epoche erfaßten Lehre vom Leben- digen, Organischen, wie sie in neuerer Zeit von Nietzsche, Dilthey, Simmel und insbe- sondere Bergson systematisch entwickelt wurde, sucht der Verfasser die heutige Zeit mit ihren verworrenen Bestrebungen kritisch zu beleuchten und den Weg zu gesunder Gestaltung organischer Kultur zu zeigen. Alle Zeichen der Zeit weisen darauf hin, daß der einseitige Wille des 19. Jahrhunderts, mit Hilfe des Verstandes sich die Welt, die Natur dienstbar zu machen, zu einer Mechanisierung unseres Lebens, zu einer nur rationalen Zivilisation geführt hat. dabei unsere Seele verarmte und die Kultur starb. Der Weltkrieg hat die drohende Katastrophe des Intellektes nur beschleunigt er war die letzte Auseinandersetzung zwischen dem endgültig zivilisierten, überratio- nalen Westen und dem nocn in seinen verborgenen Tiefen das Geheimnis des Leben- ‘digen, Organischen ahnenden Deutschen. Nicht der Verstand, sondern die dem Leben zugewandte innere Sehkraft (Intuition) und unmittelbare Erlebnisstarke ist imstande, an der Hand von Worten und Normen die Welt und sich selbst nach den eigenen inner- sten Lebensgesetzen zu formen und zu gestalten, nur organisches Denken kann uns wieder von dem Druck zwangsläufiger Systeme befreien,

J.FLEHMANNS VERLAG /MUNCHEN SW4

Rassenkundliche nnd rassenhygienische Werke

D D

Archiv für Rassen und Gesellschaftsbiologie (scritu.: Dr. a. Pleets u. Prof. Dr. F. Lenz.) Jährlich 4 Hefte je 7'/, Bogen zu je 6.— M,

Baur, Der Untergang der Kulturvölker im Lichte der Biologie. Geh. 0.50 M.

drig d enschlichen Erblichkeitslehr d Rassenh mp Baur- Fischer Lenz, (Aca o r edeg, Erb Ganzleinenband gebd. 20.-

Bd. l einzeln geh. 9.—, gebd. 11.50 M. Bd. TI einzeln geb. 7.— M., gebd Gerhart, Kurzer Abriß der Rassenkunde. 3. Aufl. mit 28 Abb. 1925. Geh. 0.50 M.

Gruber, Ursachen und Bekämpfung des Geburtenrückgangs im Deutschen Reiche. 2.— M.

° Wandtafel Alkobolfi 10 Tateln in Schleife (Taf. II Gruber-Kraepelin, Die einzelne Tafel kostet rom M. 1,50, auf Lwd. dt Weg

e ee th Rassenkunde des deutschen Volkes. 8. Aufl. mit 5% Abb. u. 20 Karten. Gebd. in UNTNET, Leinen 11.— M. gebd. in Halbleder 15.— M. 1925.

Günther, Kleine Rassenkunde Europas. Mit 20 Karten u. 353 Abbildungen. Preis gebd. &— M. Hoffmann, Die Rassenhygiene in den Vereinigten Staaten. Geh. 6.— M.

Hoffmann, Krieg und Rassenhygiene 0.80 M.

K Konstitution u. Umwelt im Lehrlingsalter: Heft I Kaup: Konstitutionsdienstpflicht 3.— M. aup, Hett II Epstein: Maschinenbauer, Schlosser, Schmiede. Alexander, Jugendliche Kaufleute 1.75 M.

Kaup, was kosten die minderwertigen Elemente dem Staat und der Gesellschaft 1.20 M.

Li chtbil d er 2 zur ER A Bilder aur 25 Platten 8'/,><10 cm. Kaufpreis

Meinhold, Deutsche Rassenpolitik. Rassenschutzgesetze in der deutschen Geschichte. 0.60 M.

Mosse-Tugendreich, krankheit und soziale Lage. Geh. 22.—, gebd. 25.— M.

Prausnitz, Grundzüge der Hygiene. 12. Aufl. Geb. 14.—, gebd. 16.50 M.

Rassenbilder, Eine Tafel 48x64 cm mit 32 Abbild. 1.— M., auf Leinen aufgezogen 2— M.

Reibm ayr, Hirer ta ic Aufsätze (2. Bd, des vergriffenen Werkes Talent und Genie).

Scheidt, naturwissenschafiliche Familienkunde. Geh. 5.— M., in Ganzleinen 7.— M.

= Familienbuch. Anleitung und Vordrucke (Tafeln) zur Herstellung einer biologischen Scheidt, Familiengeschichte. Gebd. 10.— M. .

S heidt Die eiszeitlichen Schädelfunde aus der Großen Ofnethöhle und vom Kaufertsberg bei CHEldT, Nördlingen. (Beiträge und Sammelarbeiten, Bd. L.) Geh. 14.— M., gebd. 16.— M.

e Die Rassen der jüngeren Steinzeit in Europa. (Beiträge und Sammelarbeiten, Bd. IL Scheidt, gen. 12.— M, aba 14.— M Be s )

Scheidt, Augemeine Rassenkunde, Erscheint 1925.

Siebert, Der völkische Gehalt der Rassenhygiene 2.50 M.

Grun e der Rassen lene und Einführung in die Vererbungslehre. 2. Au Siemens, geh. 1.80 M., gebd. 2.60 KH ? e ge =

über dle biologischen Grundlagen der Erziehung

Von Dr. Fritz Lenz, Prof. der Rassenhygiene in München. Preis Mk. 1.50.

Die Schrift ist entstanden aus einem Vortrag, den der Verfasser im Januar 1925 im Auftrag des Sächsischen Unterrichtsministeriums in Dresden gehalten hat. Wie sein bekanntes, gemeinsam mit den Prof. Baur und Fischer herausgegebenes Werk „Erblichkeitsiehre und Rassenhygiene” sind auch diese „Grundlagen“ nicht für den Fachmann allein, in diesem Fall unsere Lehrer- schaft, bestimmt. Nein, jeder, der aus allgemeinem Interesse an den grundlegenden Fragen der Erziehung teilnimmt, wird diese Schrift nicht ohne große Anregung lesen.

Ausführliche Prospekte auch über die medizinischen, naturwissenschaftlichen und politischen Verlagswerke kostenfrei!

J. F. LEHMANNS VERLAG, MÜNCHEN SW 4

EINSCHLIESSLICH RASSEN- uGESELLSCHAFTS-HYGIENE.

Zeitschrift

für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft und ihres gegenseitigen Verhältnisses, für die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung und Entwicklung,sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre.

Heft

Herausgegeben von

Dr med. A. PLOETZ in Verbindung mit Prof. d. Hygiene Dr. MJ vor BER, "Prof. der Rassenhygiene Dr. F. LENZ, Dr.jur. A. NORDENHOKS; Prof. der _ Zoologie Dr. L. PLATE, Prof. der Psychiatrie Dr. E. RUDNY: und Professor der Ethnologie Dr. R. THURNWALD. "7

Schriftleitung von:

Dr. ALFRED PLOETZ und Prof. Dr. FRITZ LENZ in Herrsching bei München.

Ausgegeben im Oktober 1925.

J.F. Lehmanns Verlag: München -Paul Heyse-Straße 26 Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie

as Archiv wendet sich an alle, die den Fragen der Bevölkerungslehre und der Volks-

erneuerung Interesse entgegenbringen, vor allem an diejenigen, in deren Hände

die Schicksale unseres Volkes gelegt sind, wie Ärzte, Biologen, Lehrer, Politiker, Geistliche. Neben den Untersuchungen derallgemeinenFragender Rassenbiologie (Vererbung, Auslese, Anpassung usw.), der Gesellschafts- biologie (soziale Auslese, Aufstieg und Verfall der Völker und Kulturen, biologische . Grundlagen sozial bedeutender Einzelerscheinungen [Talent und Genie, Verbrecher- problem]) sowie der Rassenhygiene (Erforschung der günstigsten biologischen Erhaltungs- und Entwicklungsbedingungen der Rasse usw.) hat sich das Archiv das Ziel gesteckt, den durch den Krieg hervorgerufenen Gefahren so- wohl des Bevölkerungsrückganges als auch der Herabminde-

rung der Güte des Nachwuchses entgegenzuarbeiten.

Der laufende Band umfaßt ca. 480 Seiten und erscheint in 4 Heften. >

Preis eines jeden Heftes Goldmark 6.—. Auslandspreis $ 1.50 / Dän. Kron. 6.20 / sh. 6/6 / Holld. fl. 3.80 / Italien. Schweiz. Frk. 8.— / Jap. Yen 3.60 / Norw. Kron. 7.50 / Scheed Kron. 5.50 / Schweiz. Frk. 8.— / Span. Peset. 10.50 / Originalbeiträge sowie Referate von Büchern, welche von der Schriftleitung geliefert werden, werden zur Zeit mit Gold- mark 56.—, andere Referate mit 80.—, Zeitschriftenschau mit Goldmark 160.— für den 16seitigen Druckbogen honoriert. Sonderabdrucke werden nur auf besonderen Wunsch geliefert (zum Selbstkostenpreise). Beiträge werden nur nach vorheriger Anfrage. an Prof. Dr. Fritz Lenz, Herrsching bei München, erbeten. Besprechungsstücke bitten wir ebenfalls an die Schriftleitung zu senden.

INHALTSVERZEICHNIS:

Seite | Ebstein, Erich, Franz Joseph Gall im Seite Kampf um seine Lehre auf Grund un- bekannter Briefe von Bertuch usw. so- wie im Urteile seiner Zeitgenossen (Priv.-

Abhandlungen, Scheidt, Dr. Walter (Privatdozent für Anthropologie in Hamburg), Einige Er- gebnisse biolog. Familienerhebungen . 129

v. Verschuer, Dr. Frhr. Otmar (Tü- Doz. Dr. H. W. Siemens, München) . . 204 bingen), Die Wirkung der Umwelt auf Kehrer,Prof.Dr.F.u.Kretschmer, die anthropologischen Merkmale nach Prof. Dr. E., Die Veranlagung zu seeli- Untersuchungen an eineiigen Zwillingen 149 schen Störungen (Lenz) . e . 205

Paulsen, Dr. J. (Kiel-Ellerbek), Beob- achtungen an eineiigen Zwillingen . . 168

Gschwendtner, L., Wirkt der mo- derne Sport rassenerhaltend und -er-

tüchtigend? . ... uo ae ae DED

Kleinere TERAN, Lenz, Prof. Dr. F. (München), Die große Begabtenforschung Termans . . . 180 Gutmann, Dr. M. J. (München), Zur Vererbung der Hammerzehe . . . 190 Grotja hn, Prof. Dr. A., u. Freuden- berg, K. (Berlin), Zur Frage der Sy- philishäufigkeit in Berlin . . 191 Lenz, Prof. Dr. F. (München), Ueber die Häufigkeit der Syphilis in Berlin . . 193

Kritische Besprechungen und Referate.

Passarge Siegfr., Beobachtungen über Tier und Mensch (Scheidt) . .

Dalla Volta, A, La morfologia ‘del padiglione dell’ orecchio nei gemelli (Scheidt) . . . 203

Kronacher, Prof. Dr. a Neuzeitliche Ver- erbungslehre und Tierzucht (A. Hink,

Freiburg i. B. . . 203

Kossinna, G., Die deutsche Vorge- schichte eine hervorragend nationale

Wissenschaft (Scheidt) . . . . . . 204

Schmitt, W., Ist mit einer Sch&digung der Nachkommenschaft infolge einer vor der Befruchtung erfolgten Keimdriisen- bestrahlung der Mutter zu rechnen? (v. Verschuer) . . . 207 Reid, R. W., u. Mulligan, H., ‘Com- munications from the Anthropometric Laboratory of the Weier of Aber-

deen (Scheidt) . . . . 208 Pearson, K., Side Lights on he Evo- lution of Man (Scheidt). . . . . 209

Gierke, G. Die Tracht der Germanen

in der vor- und frühgeschichtlichen Zeit

mit einem Anhange (Scheidt). . . . 209 Jenness, D., Physical Characteristics

of the Copper Eskimos (Scheidt) . . 209 Cameron, J., Osteology of the Western

and Central Eskimos (Scheidt) . . . 209 A Survey of Race Relations on

the Pacific Coast (Scheidt) . . 210 Ellis, Havelock, Moderne Gedanken über

Liebe und Ehe (Fetscher, Dresden) . 210 Zeitschriftenschau . . . ~~ sal Aus der rassenhygieniachen Bewegung . 237 Eingegangene Druckschriften. . . . . 239 Druckfehlerberichtigung . . . . . . 240

Dem Heiti hiegi ein Prospekt des Verlages von Ferdinand Enke in Stuttgart wei.

Tafel |

Oben: Zwilling Nr. 4 Unten: Zwilling Nr. 65 Zu der Arbeit „Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebung* von Priv.-Doz. Dr. W. Scheidt.

Archiv für Rassenz und Gesellschafts: Biologie. 8 Beilage zu Bd. 17. J.F. Lehmanns Verlag, München,

Tafel ll

Oben: Zwillinge Nr. 74 Unten: Zwillinge Nr. 72

Zu der Arbeit „Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebung* von Priv.-Doz. Dr. W. Scheidt.

Archivo für Rassen- und Gesellschafts: Biologie. ` Beilage zu Ba. I7. J.E. Lehmanns Verlag, München.

Tafel UI

Oben: Zwillinge Nr. 68 Unten: Zwillinge Nr. 70

Zu der Arbeit „Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebung“ von Priv.-Doz. Dr. W. Scheidt.

Archio für Rassen: und Gesellschafts: Biologie. > Beilage zu Bd. 17. J.F. Lehmanns Verlag, München.

Tatel 1V

Oben: Zwillinge Nr. 66 Unten: Zwillinge Nr. 71

Zu der Arbeit „Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebung“* von Priv.-Doz. Dr. W. Scheidt.

Archio für Rassen= und Gesellschafts: Biologie.

Beilage zu Bd. 17. J. E. kehmanns Verlag, München.

Tafel V

7a Tb 8a bs.

Zu der Arbeit „Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale nach Untersuchungen an eineiigen Zwillingen“ von Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer.

Archio für Rassen und Gesellschafts: Biologie. K Beilage zu Bd. 17. J. F. Lehmanns Verlag, München.

Tafel VI

10a 10b

1a 11b 12a 12b

150 13b 14a 14b

Zu der Arbeit „Die Wirkung der Umwelt auf die anıhropologischen Merkmale nach Untersuchungen an eineiigen Zwillingen“ von Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer.

Archiv für Rassen: und (iesellschafts:Biologie.

Beilage zu Bd. 17. J. FoLehmanns Verlag, München.

Tafel VII

Ba

"3 T

24a 24b

Zu der Arbeit „Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale nach Untersuchungen an eineiigen Zwillingen“ von Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer.

Archio für Rassen» und Gesellschafts: Biologie. S Beilage zu Bd. 17. J.E. Lehmanns Verlag, München.

Tafel VIII

Ba 25b 26a Ob

Zu der Arbeit „Die Wirkung der Umwelt auf die anthropolugischen Merkmale nach Untersuchungen an eineiigen Zwillingen“ von Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer.

Ardiio für Rassenz und Gesellschafts: Biologie. : 8 Beilage zu Bd. 17. J.E. Lehmanns Verlag, München.

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen.

Von Dr. Walter Scheidt, Privatdozent für Anthropologie an der Universität Hamburg.

(Mit 15 Abbildungen, 4 Tafeln und 1 Tabelle.)

Die folgenden Mitteilungen sind vorläufige Ergebnisse aus dem Beob- achtungsmaterial der „Beratungsstelle für biologische Familienforschung“ am Anthropologischen Institut der Universität München. Von den (ca. 50) angefangenen Familiengeschichten sind die meisten noch ergänzungs- bedürftig, da die Freizügigkeit städtischer Berufe die Erhebungen meist ziemlich umständlich gestaltet, und da selbst solche Familien, die aus eigenem Interesse familiengeschichtliche Aufzeichnungen machen, zu manchen Feststellungen längere Zeit brauchen. Immerhin dürften auch die bisherigen Erfahrungen schon von einigem Interesse sein.

In einer Großstadt gelangen zunächst solche Familien zur Beobachtung, . welche eine Auslese nach dem familiengeschichtlichen Interesse einzelner Familienmitglieder darstellen. Ich habe dabei gesehen, daß Vertreter ziem- lich aller Berufe und verschiedener gesellschaftlicher Schichten von dieser Auslese mit erfaßt werden. Ueberraschend ist jedoch auf den ersten Blick die (mindestens vorläufig bestehende) Tatsache, daß die Erhebungen in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Familien des Handwerkerstandes, der Gewerbetreibenden und der Angestellten in der Regel viel vollständiger ausfallen und weiter zurückreichen als in vielen Familien höherer (freier und beamteter) Berufe. Mit die unzulänglichsten Ergebnisse habe ich z. B. bei Universitätslehrern erhalten, auch da, wo der gute Wille und die Ernsthaftigkeit der Bemühungen seitens der betreffenden Familienmit- glieder außer Zweifel stand. Zum Teil mag dies daher kommen, daß die Vertreter solcher und ähnlicher Berufe für familiengeschichtliche Dinge (leider) nie Zeit finden; andererseits aber glaube ich auch, zuweilen eine allzu große Fremdheit naturwissenschaftlichen Dingen gegenüber, vor allem aber eine stark „individualistische“ Einstellung dafür verantwortlich machen zu sollen. Vom Standpunkt der Rassenhygiene aus betrachtet ist das natürlich in vieler Hinsicht sehr bedauerlich, und sowohl die immer noch äußerst mangelhafte Erforschung der Erblichkeit überdurchschnitt- Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 2. d

130 | Dr. W. Scheidt:

licher geistiger Veranlagungen wie die oft betonte rassenhygienische Ge- fährdung der führenden Schichten unseres Volkes mag darin zum Teil ihre Erklärung finden. :

In rassenkundlicher Hinsicht ist das Beobachtungsmaterial einer Groß- stadt denkbar ungiinstig. Einen Begriff davon gibt die Feststellung, aus welchen Landesteilen die einzelnen Linien einer Familie in II., III. und IV. Vorfahrengeneration stammen. Bis jetzt enthalten die mir vorliegenden Familiengeschichten aus der Münchener Bevölkerung noch nicht eine Familie, welche aus einer oder doch aus einigen nahe beieinander liegenden Gegenden Deutschlands stammte, ebenso keine „Münchener“ Familie (wor- aus der ständige Zuzug vom Land her ersichtlich wird), selbst nur vier ausschließlich „süddeutsche“ Familien (aus Gegenden südlich des Mains). Einheiraten aus außerdeutschen Familien sind nicht selten. Dabei umfassen die Angaben der untersuchten Familien zu allermeist vier Generationen (die Kinder jetzt lebender Eltern mittleren Alters einge- rechnet).

Von den zahlreichen aufgenommenen Einzelmerkmalen sollen einige hier angeführt werden, deren Erbbedingtheit bis jetzt erst durch wenige Beispiele belegt ist. Zur Beobachtung gelangte u. a. ein Fall fami- liärer Rothaarigkeit mit folgender Verteilung:

Dieselbe Familie zeigt auffallend

T aa Dik

i starke Sommersprossen bei folgen- "TO 2 UT® den (schwarz gezeichneten) Familien- © ne YOL | mitgliedern. d ren. in der sugend sosgefprochen rot. | © 33 OB vitor OD weg u © Abb. 1. ° Abb. 2.

Aus einem Vergleich der Abb. 1 u. 2 geht hervor, daß die Träger der Epheliden gleichzeitig rothaarig sind.

Ungewöhnlichstarke Körperbehaarung wurde in einer Familie beim Vater und bei einem Sohn gefunden, während die vier Ge- schwister des Vaters und die drei Geschwister des Sohnes das Merkmal nicht aufweisen.

Beim Vater und den vier Kindern einer anderen Familie fand sich übereinstimmend eine auffallend starke Krümmung der Fingernägel

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen. 131

in sagittaler und transversaler Richtung bei gleicher (großer, langer, schmaler) Gesamtform. Kleine, gerade, quergewölbte fächerförmige Nägel wurden beim Vater und den sechs Kindern einer weiteren Familie festgestellt.

Eine an Brachyphalangie erinnernde, jedoch auf das Endglied eines oder beider Daumen beschränkte Anomalie, welche in einer starken Verkürzung und Verbreiterung der Endphalange mit Verkümme- rung des Nagels besteht, fand sich in einer Familie beim Großvater mütter- licherseits (an beiden Daumen), nicht bei der Mutter und deren (drei) Geschwistern, jedoch bei zwei Töchtern (doppelseitig und einseitig). Beim Vater und in dessen Familie war nichts Aehnliches nachzuweisen. Der Befund scheint für polymere Bedingtheit brachydaktylieähnlicher Miß- bildungen zu sprechen.

Zur Auswertung metrischer Merkmale reicht das Material bisher nicht aus. Belangreich mag ein Fall abnorm geringer Körpergröße (142,9 cm, kein Anzeichen krankhaften Zwergwuchses) bei einem 56jährigen Mann erscheinen, dessen Mutter und dessen einzige Schwester gleichfalls ungewöhnlich klein sind, während der Bruder der Mutter stark übermittelgroß ist und die Schwester mit einem sehr großen Mann drei große (bis sehr große) Kinder hatte.

Starke Häufung einer ausgeprägt länglich-ovalen Gesichtsform (schwarz gezeichnet) zeigt die folgende Familie:

070 SCC YAE.

Abb. 3.

Das Gesamtbild nordischer Rassenmerkmale des Kopfes und Gesichtes kommt in dieser Familie jedoch nicht, auch nicht näherungsweise vor. In einer anderen Familie, welche durch eine Einheirat solche Merkmale nachweisbar aufgenommen hat, verschwinden sie phänotypisch bei den Kindern gänzlich. Vor allem die in dem,Erbstamm nordischer Herkunft und nordischen Gepräges deutliche Schmalgesichtigkeit kommt nicht mehr zum Ausdruck. Ohne daß man aus diesen Einzelfällen Schlüsse ziehen könnte, scheinen sie doch darauf hinzuweisen, daß die (sicher verwickelte) Erbbedingtheit physiognomischer Merkmale bei ähnlichen Phänotypen ver- schieden sein kann. Da in der ersterwähnten Familie mit gehäuftem Vor- kommen schmaler Gesichtsform drei Fälle (mit + versehen) den Eindruck eines lymphatischen Habitus machen, könnte man auch an eine

dk

132 Dr. W. Scheidt:

Erbbedingtheit des damit (d. h. mit der Anlage zur Hypertrophie lympha- tischen Gewebes, speziell zu adenoiden Vegetationen des Nasen-Rachen- raumes) vergesellschafteten Symptomkomplexes denken. Eine andere Fa- milie zeigt diese Anlage ausgepragt beim Vater (schmale Gesichts- und Nasenform, stark näselnde Sprache) und bei zwei (von sechs) Kindern (eines Gesichts- und Nasenform wie der Vater, das andere wiederholt Conjunctivitis und Otitis media). Bei einer weiteren Familie wurde der Befund adenoider Wucherungen der Nase bei drei von vier Geschwistern erhoben.

Die wohl unterscheidbare Gegenüberstellung verschiedener Nasen- und Gesichtsformen (m@= schmale, hohe Nase, schmales Gesicht, O O= breitere, niedrigere Nase, breiteres Gesicht) gibt in einer Familie folgende Verteilung der Typen:

Abb. 4

Deutungsschwierigkeiten in rassenkundlicher Hinsicht sind immer wieder entstanden bei der Untersuchung sog. mongolider Merk- male. Ein von der medizinischen Klinik zur Begutachtung überwiesener Fall ist besonders lehrreich dafür. Es handelte sich um eine 30 jährige Frau mit Keratokonus (kegelförmiger Hornhaut des Auges) und weichem Kropf, deren Gesamtphysiognomie durch mandelförmige, nach innen ge- neigte Lidspalte mit angedeuteter Deckfaltenbildung, schlichtes, etwas starres, schwarzbraunes Haar, breite, tiefeingesattelte Nase und gelblich- bräunliche Hautfarbe einen mongoliden Eindruck machte. Die Familien- erhebungen haben keinen Anhaltspunkt gegeben; die Herkunft der Familie weist nach Tirol. Wenn nicht inkretorische Störungen zur Erklärung herangezogen werden können (die Familie ist mit verschiedenen krank- haften Erbanlagen belastet), würde man wohl daran denken müssen, daß mongolide Einschläge der sog. alpinen Rasse gelegentlich wieder heraus- mendeln. Das Vorkommen mongolid aussehender Merkmale ist auch sonst nicht selten. Ich habe in dem bis jetzt vorliegenden Material zwei weitere Familien, welche wahrscheinlich „alpiner“ Herkunft sind und solche Merkmale zeigen. In der einen weist die Aszendenz nach Baden und nach

der Schweiz. Stark vortretende Jochbogen, kurzes breites Gesicht und etwas mongolider Gesamttypus findet sich wie nachstehend abgebildet (schwarz gezeichnet):

Dabei haben allerdings die meisten Familienmitglieder eine starke, fast wulstige Lippenform. Die Familie selbst führt die auffallende Physio-- gnomie auf die angebliche Einheirat einer „Mulattin“ zurück. Teil- weise Deckfaltenbildung und Epikanthus habe ich bei vier (von sechs) Kindern einer Familie alpiner Herkunft (südliches Würt- temberg und bayerisches Allgäu) beobachtet; bei den Eltern, Großeltern und deren Geschwistern sind ähnliche Merkmale (den Bildern nach) nicht aufzufinden.

Schließlich folge hier noch der Stammtafelauszug einer anderen württembergischen Familie mit deckfaltenähnlicher Formdes Oberlides, mandelförmiger Lidspalte (und Epikanthus?).

ul CO BOO Ka ® |

Abb. 6.

Dieses Merkmal scheint übrigens bei jugendlichen Personen deutlich häufiger nachweisbar zu sein als bei erwachsenen bzw. älteren Leuten.

An Krankheitsanlagen wurde gelegentlich (in Zusammen- arbeit mit dem Ambulatorium der II. Medizinischen Klinik) folgendes beobachtet:

Bei verschiedenen Mitgliedern einer Familie wurde das wiederholte Vorkommen von Lungenentzündungen (bei einer Frau der As- zendenz angeblich 8mal in ihrem Leben) festgestellt; neben dieser An- fälligkeit schien eine Neigung zu Anginen familiär zu sein.

134 Dr. W. Scheidt:

Extrem asthenischer Habitus fand sich in einer anderen Familie folgendermaßen:

Abb. 7.

An Refraktionsanomalien kam Uebersichtigkeit (Hyperopie)

zur Beobachtung: E-O ai ` E O

Abb. 8.

Außerdem waren in einer Familie Großvater und Enkel mit Stra- bismus und Schwachsichtigkeit auf einem Auge (mangelhaft gebildete Papille) behaftet.

Als Todesursache wurde in einer Geschwisterschaft bei drei (von fünf) Personen Carcinoma ventriculi angegeben (angeblich auf Grund ärztlicher Diagnose). „Magenleiden“ scheinen sich auch sonst in der Fa- milie häufiger gefunden zu haben.

Psychiatrisch belangreich ist eine (mit nicht näher bezeichneten Gei- steskrankheiten behaftete) Familie, in der Selbstmorde bzw. Selbst- mordversuche bei Vater und Tochter, Vatersschwester und Vaters- mutter vorkamen.

Aus der ärztlichen Gutachterpraxis sind gelegentlich Fälle zugegangen, bei denen angeblich traumatische Verbildungen auf die Möglichkeit erb- licher Bedingtheit geprüft werden sollten. Zwei einander ähnliche beob- achtete Fälle dieser Art sind Asymmetrien des Gesichtes und des Körpers. Die eine bestand in einem Tiefstand der rechten Orbita (um ca. 1 cm) mit Verkleinerung der gleichen Gesichtshalfte. Im anderen Fall lag eine Verkürzung des rechten Unterkieferastes, Verkleinerung der rechten Gesichtshälfte (Schiefstand des Kinnes), Unter- zahl von Zähnen und Verkürzung des rechten Oberarmes vor; damit war eine (an Kahnschädel erinnernde) Anomalie des Schädelbaues verbunden; außerdem fanden sich zahlreiche krankhafte (psychopathische) Anlagen in der Familie. (Der letztere Fall wird, da Verletzungen nach Ansicht der begutachtenden Zahnärzte und des Chirurgen nicht mit Sicherheit aus- geschlossen werden können, weiter bearbeitet.) Uebereinstimmend in den

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen. 135

beiden Familien der Mißbildungsträger ist das gehäufte Vorkommen von Alkoholmißbrauch (es handelt sich um eine Brauer- und eine Küfer- familie), so daß mir (auch in Rücksicht auf die wenig. übereinstimmenden Aussagen der Leute über die angeblichen Traumen) die Annahme von Keimschädigungen als Erklärung am nächsten zu liegen scheint. Dieselben oder ähnliche Aysmmetrien wie bei den Probanden sind in den Familien nicht nachzuweisen, abgesehen von der eigentümlichen Schädel- bildung des zweitgenannten Mannes, die sich ebenso bei seiner Mutter und in der mütterlichen Aszendenz fand.

In diesem Zusammenhang mag noch ein gerichtlicher Gutachterfall Erwähnung finden, bei dem es sich um die Untersuchung einer möglichen Vaterschaft handelte. Außer der allgemeinen Unähnlichkeit zwischen dem Kind und dem als Vater in Anspruch genommenen Mann ergab die Unter- suchung der Papillarleisten beim Kind (aber nicht bei dem betref- fenden Mann) eine Häufung so seltener Hautleistenmuster (neun einfache und zusamengesetzte Vortices), daß daraus ein wenn auch vorbehalt- licher Anhaltspunkt für die Unwahrscheinlichkeit des angenommenen Verwandtschaftsverhältnisses gewonnen werden konnte 2)

Eine vererbungswissenschaftlich besonders interessante Frage stand bei der Untersuchung einer Familie mit auffallend dunkler Hautfarbe einzelner Familienmitglieder zur Entscheidung: seitens der betreffenden Familie bestand die Annahme, daß die angeblich in der sechsten Ahnen- generation erfolgte Einheirat einer „Mulattin“ oder ,,Kreolin“ als Ursache anzusprechen sei. Die Erhebungen lieferten zunächst folgende Stammtafel:

Vorfahren heil g © ca

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Nachkomen [2]--O hell xx $ fi "i O O O D Ò OBO x °K EK dx en fix $ Te K | X k Ki PE AEGRES IV el ak mn 2 FP S | Oo BO gO ? As 83 I AMERRE S ST" S o © © eon 2 A B 1 87 Cy 5 y Abb. 9.

1) Anm. bei der Korrektur: Mittlerweile habe ich in Erfahrung gebracht, daß die Wiederaufnahme des gerichtlichen Verfahrens auch sehr starke Anhaltspunkte gegen die Vaterschaft des Angeklagten geliefert hat. D. Verf.

136 Dr. W. Scheidt:

Unmittelbare Beobachtungen konnten angestellt werden bei den Personen I, 2, A und B. Sie lieferten folgende Befunde:

I: 45 Jahre alt. Die Pigmentierung des Gesichtes ist ungleichmäßig (schmutzig-) graubraun mit dunkleren Bezirken um die Augen (Falten des Ober- und Unterlides), oberhalb der Superciliarbogen, am Jochbogenansatz und an den Beugefalten des Halses. Hellere Stellen finden sich an der Glabella, in den Haaransatzwinkeln, an der Nase und an den Ohren. Die Kopfhaut ist, soweit sie mit Haaren bedeckt ist, hell. Zahlreiche kleine, glatte, dunkle Pigmentnaevi finden sich an den verschiedensten Stellen des Ge- sichtes. Nach der Hautfarbentafel v. Luschans haben die dunkelsten Stellen des Gesichtes Nr. 27—28, die Stirn Nr. 17, die Nase Nr. 17, die Glabella Nr. 17, Augen- winkel und Umgebung Nr. 27, behaarte Kopfhaut Nr. 7.

Am Körper sind Brust, Bauch und Rücken ziemlich gleichmäßig gefärbt und be- trächtlich heller als das Gesicht (Nr. 9—10 v. Luschan), mit sehr zahlreichen dunkleren kleinen Naevi besetzt; die Sakralgegend ist wieder wesentlich dunkler (Nr. 26 v. L.). Sehr dunkel sind ein an der linken Halsseite sitzender größerer Naevus (Nr. 26 v. L.), die Achselhöhlen, besonders in den Hautfalten (Nr. 27 v. L.), die Brustwarzen (Nr. 28 v. L.) und der Nabel (Nr. 26 v. L.); kleine, etwa bohnengroße hellere Flecken finden sich in der Gegend der Pectorales gegen die Achselhöhlen zu. Am Oberarm ist die Beugeseite etwas heller (Nr. 11 v. L.), die Streckseite wie Brust und Rücken gefärbt, mit Ausnahme der Ellenbogengegend (Nr. 28 u. 29 v. L.); die Streckseite des Vorder- armes zeigt gleichfalls die Farbe von Brust und Rücken, die Beugeseite ist ziemlich hell (Nr. 8 v. L.), die Gegend des Handgelenkes etwas dunkler als die Streckseite im ganzen. Die Hände zeigen an der Volarseite eine Färbung von zirka Nr. 17 v. L., doch ist die Haut über den Interphalangealgelenken (besonders denen zwischen Grund und Mittelphalange viel dunkler (Nr. 27 v. L.); die Palma ist im ganzen wesentlich heller (Nr. 7 v. L.), doch sind die Beugefalten wieder sehr dunkel (Nr. 28 v. L.). Sehr zahl- reiche, scharf begrenzte, glatte Naevi von Stecknadelkopf- bis Bohnengröße (einzelne auch größer) mit der Tönung Nr. 27 v. L. finden sich, wie am ganzen Körper, so auch an der Vola und Palma der Hände. Die Lunula der Fingernägel fehlt an allen Fingern mit Ausnahme der Daumen, welche eine sehr kleine, hellere (hellrosa-bläuliche) Lunula aufweisen. Auffallend ist auch die hellere Färbung der Fingerbeeren von Daumen und Kleinfinger (Nr. 3 v. L., übrige Fingerbeeren Nr. 7 v. L.). Die Färbung der Beine ist ähnlich derjenigen der Arme und des Stammes; besonders dunkel sind wiederum die Streck- und Beugeseiten der Gelenke, die Glutaealfalten (Nr. 28 v. L.), ferner Penis (Nr. 35 v. L.) und Scrotum (Nr. 33—34 v. L.).

Die Farbe der Kopfhaare ist braunschwarz und entspricht der Nr. 5 der Haar- farbentafel von Fischer; dasselbe gilt für Bart- und Terminalhaare und Augenbrauen. Die Behaarung ist im allgemeinen schwach; die Kopfhaarform ist weitwellig. Die Iris- farbe ist hell, etwa hellblau mit einem grünlichen Schimmer, sehr wenig braunes Pigment umgibt ringförmig die Pupille.

Von den physiognomischen Merkmalen dürfte, in Hinsicht auf die eingangs auf- geworfene Frage, die mäßig vorstehende Form der Jochbogen (größte Breite ziemlich weit vorn gelegen, morphologischer Gesichtsindex 83.33, physiognomischer Obergesichts- index 55.5, also Euryprosopie und Mesenie) und eine leichte Obergesichtsprognathie der Erwähnung wert sein. Die Körpergröße beträgt 174.0 cm.

2: Ehefrau des I; irgendwelche Besonderheiten der Pigmentierung liegen nicht vor.

A: Tochter von I und 2; 17 Jahre alt. Die Pigmentierung ist vollkommen ähnlich der des I. An Farbabstufungen wurden nach v. Luschan festgestellt: Stirn Nr. 11, Nacken Nr. 26—27, Brust (über dem Sternum) Nr. 11, Brustwarzen Nr. 25—26, Achsel-

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen. 137

höhle Nr. 23, Ober- und Vorderarmstreckseite Nr. 14, Beugeseite Nr. 8, Handrücken Nr. 13, Dorsalflächen der Fingergelenke Nr. 18 (Hautfalten noch dunkler), Dorsalflächen der Endphalangen Nr. 17, Palma Nr. 7—8, Beugefalten Nr. 12—13. Außer den sehr zahlreichen kleinen Naevi am ganzen Körper (besonders am Hals) findet sich ein größerer über der rechten Scapula (Nr. 27), ein ebensolcher unterhalb der linken Mamma und ein weiterer gleicher unterhalb des linken Rippenbogens, ein etwa mark- stückgroßer an der rechten Wade (Nr. 32) und ein etwa doppelt markstückgroßer an der Lateralseite des rechten Unterschenkels (Nr. 18). Auffallend erscheint eine streifige Zeichnung der Glutaealgegend: hellere und dunklere Streifen, die sich deutlich vonein- ander abheben, streichen strahlenförmig divergierend von medial nach lateralwärts, ungefähr so, wie Hautfalten der Glutaealgegend bei Streckung der Beine und Dorsal- flexion des Rumpfes durch einen in der Lendengegend nach abwärts wirkenden Zug von Kleidungsstücken zusammengezogen werden können. Deutlich viel dunklere Farbe gegenüber der Umgebung zeigt auch die Haut über der Achillessehne.

Die Farbe der Kopf- und Terminalhaare und der Augenbrauen ist dunkelbraun- schwarz (im Mikroskop feinkörnige Verteilung des reichlichen Pigments im ganzen Haar), die Form der Kopfhaare schlicht bis flachwellig, die Körperbehaarung im all- gemeinen schwach. Die Irisfarbe ist hellgraublau ohne dunkles Pigment im Stroma und auf der Oberfläche. Die bei I erwähnten physiognomischen Merkmale sind auch vorhanden, aber viel schwächer ausgeprägt (morphologischer Gesichtsindex 87,02, phy- siognomischer Obergesichtsindex 56,49, also Mesoprosopie und Mesenie, an der Grenze gegen Leptoprosopie und Leptenie). Körpergröße 165,8.

B: Tochter von I und 2, 16 Jahre alt. Die Befunde stimmen weitgehend mit den bei I und A erhobenen überein. Pigmentierung nach v. Luschan: Stirn Nr. 11, Nacken Nr. 27—28, Brust über dem Sternum Nr. 14, Brustwarzen Nr. 21 (also etwas heller als bei A), Achselhöhle Nr. 26—27, Oberarmstreckseite Nr. 17 (Ellenbogen Nr. 26), Beuge- seite Nr. 13, Vorderarmstreckseite Nr. 16, Beugeseite Nr. 12—13 (Handgelenkgegend dunkler); Handrücken Nr. 14—15 (Falten über den Fingergelenken dunkler), Palma Nr. 10—11 (Beugefalten dunkler). Sehr zahlreiche kleine Naevi am ganzen Körper, besonders an Hals, Brust, Rücken und Oberarm, etwa markstückgroßer, länglicher Naevus unterhalb der linken Brust (Nr. 22), ein bohnengroßer lateral davon (Nr. 27), einige bohnengroße im Nacken (Nr. 28—29), ein etwa doppelt markstückgroßer, läng- licher Naevus am rechten Fußrücken (Nr. 26), ein ebensolcher über dem rechten äußeren Knöchel, und ein etwas kleinerer und hellerer an der Vorderseite des rechten Unterschenkels (Nr. 18). Auffallend sind einige hellere, etwa bohnengroße, scharf be- grenzte Flecken (so über dem Corpus sterni). Streifenzeichnung in der Glutaealgegend und dunklere Pigmentierung der Haut über der Achillessehne wie bei A.

Das Kopf- und Terminalhaar und die Augenbrauen sind dunkelbraunschwarz (mi- kroskopischer Befund wie bei A), die Kopfhaarform ist schlicht bis flachwellig. Im Stroma und auf der Oberfläche der hellgrau-grünlich gefärbten Iris ist kein braunes Pigment zu erkennen. Physiognomische Merkmale ähnlich wie bei A (doch noch weniger ausgeprägt). (Morphologischer Gesichtsindex 90,84, physiognomischer Obergesichtsindex 58,02, also Leptoprosopie und Leptenie.) Körpergröße 160,0.

Aus diesen Befunden wird zunächst die Art der Pigmentierung ersicht- lich, und man erkennt, daß es sich jedenfalls nicht um die intermediär aussehende, gleichmäßig getönte Hautfarbe handelt, die man bei Misch- lingen aus einer dunkelhäutigen und einer hellhäutigen Rasse zu sehen gewöhnt ist. Die Andersartigkeit ergibt sich außerdem auch aus einer

138 Dr. W. Scheidt:

Betrachtung der Stammtafel (Abb. 9): Alle in der Stammtafel nicht schwarz gezeichneten Personen weichen nach den (zuverlässigen) Angaben der Familie hinsichtlich der Hautfarbe von (im großen ganzen) hellhäutigen Menschen nicht ab. Nur für Ic wird „gelblich getönte“ Hautfarbe ange- geben. In der Deszendenz des Ehepaares IX—X sähe demnach die Ver- teilung der dunklen Pigmentierung wie die eines einfach-(monofaktoriell)- dominant bedingten Merkmales aus, das (mit der gegenteiligen hellen Pigmentierung) nur eine alternative Mannigfaltigkeit zeigt. Schwieriger gestaltet sich jedoch die Deutung in der Aszendenz von IX, da Angaben über die Hautfarbe des XIX und der XL nicht ermittelt werden konnten und die XXCII (deren Name und Personalangaben [1697—1735] feststehen) die fragliche „Kreolin“ sein soll. [Bei XXCI waren Angaben über die Familie auch noch für die 128er Reihe aufzutreiben.] IX soll der einzige Dunkle unter zehn Geschwistern gewesen sein, dabei aber graublaue Augen gehabt haben. Auch diese oft (bei IV, I, A und B) wiederkehrende Inkon- gruenz von Haut- und Augenfarbe spricht m. E. nicht eben für den als Rassenmerkmal bekannten Melanismus.

Nach all dem dürfte die (von Herrn Prof. E. Fischer mir gelegent- lich gesprächsweise geäußerte) Annahme an Wahrscheinlichkeit gewinnen, daß ein Melanismus im Sinn einer Pigmentierungsano- malie, gewissermaßen ein Gegenstück zum Albinismus, vorliegt. Dabei möchte ich es zunächst unentschieden lassen, ob die angebliche Rassen- mischung bei XXCI—XXCI ursächlich damit zusammenhängt oder nicht. Die Möglichkeit eines solchen Zusammenhanges ist immerhin nicht aus- geschlossen. Unter anderem haben Wieting und Hamdi (Physio- logische und pathologische Melaninpigmentierung. Zieglers Beiträge 1907, Bd. 42, S. 23) gezeigt, daß die Naevi allgemein stark pigmentierter Neger von der übrigen Haut nur graduell verschieden sind (größere Dicke: der an der Pigmentation beteiligten Epithelschicht, Unregelmäßigkeit der Pigmentablagerung und stärkere Pigmenthäufung im Corium). Für einen fremden Rasseneinschlag in der untersuchten Familie sprechen vielleicht außerdem die erwähnten physiognomischen Merkmale, die (nach Familien- bildern) auch bei Ic und IV vorhanden sind.

Der Erbgang der Melanismusanlage könnte, wie gesagt, einfach domi- nant sein. Eine bisher meines Wissens nicht beschriebene Besonderheit besteht außerdem in der Manifestierung bzw. der parakinetischen Beein- flußbarkeit der Anlage. Aus den oben geschilderten Befunden ergibt sich m. E. eindeutig, daß Körperstellen, deren Haut einer größeren mechanischen Beanspruchung (durch Druck, Zug, Spannung, Faltung, Reibung) ausgesetzt ist, eine dunklere Hautfarbe aufweisen. Dies gilt vor allem für die Haut an der Streck- und Beugeseite der Gelenke. Die Beugefalten der Palma pflegen meines Wissens bei dunkelhäutigen

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen. 139

Rassen heller zu sein als die Umgebung: in den geschilderten Fällen sind sie jedoch dunkler. Stärkere Beanspruchung durch Dehnung und Faltung erfährt auch die Haut des Nackens und des Halses, der Umgebung der Augen, der Glutaealfalte; die Streifenzeichnung der Haut der Glutaeal- gegend (mehr nach der Sakral- und Lumbalgegend zu) erkläre ich mir, da ich sie nur bei den beiden Mädchen, nicht bei I beobachtet habe, durch den Druck und Zug der Kleider bzw. die dadurch vielleicht verursachte Faltung der Haut beim Gehen. Druckwirkung auf die Achillessehne dürfte ziemlich bei jedem Schuhwerk vorhanden sein. Wenn diese Beobach- tungen richtig gedeutet sind, hätte man etwa ein Seitenstück zu der von Lenz gegebenen Erklärung der Akromelanie bei Russenkaninchen vor sich; in diesem Fall von menschlichem Melanismus würden die para- kinetischen Einflüsse in den mechanischen Reizen gegeben sein.

Besondere Aufmerksamkeit habe ich bei biologischen Familienerhe- bungen immer den geistigen Veranlagungenund seelischen Merkmalen zugewandt. Obwohl man immer wieder den Eindruck großer Aehnlichkeit in der Wesensart der Mitglieder einer Familie hat, ist die Feststellung bestimmter erblicher Anlagen doch meist nicht leicht, da die große Mixovariabilität dieser Anlagen sehr mannigfaltige Erschei- nungsbilder entstehen läßt und da die fast immer mitwirkenden Umwelt- verhältnisse besondere Vorsicht der Fragestellung notwendig machen. Einige gesicherte Feststellungen sind die folgenden:

Die Anlage zuHandfertigkeiten, handwerklichen, gewerblichen und kunstgewerblichen Betätigungen kann als erbbedingte Anlage oft auch in solchen Familien nachgewiesen werden, in denen ausschließlich geistige Berufe vorkommen. So fand sich ungewöhnliche Handfertigkeit bei zwei Schwestern (einer Familie höherer Beamter) und den beiden Töchtern der einen dieser beiden Frauen. Manche höheren Berufe haben aller- dings eine gewisse Handfertigkeit auch zur Eignungsvoraussetzung. So findet sich in der Aszendenz eines Orthopäden ausgesprochen große Hand- fertigkeit schon beim Vater und beim Großvater; in einer anderen Aerzte- familie sind der Vater und zwei (seiner drei) Söhne überdurchschnittlich praktisch begabt; in einer weiteren vornehmlich aus Aerzten bestehenden Familie kommt technische Begabung und Handfertigkeit in folgender Verteilung vor:

140 Dr. W. Scheidt:

Die Veranlagung zu Naturwissenschaften ist über- haupt nicht selten mit einer solchen zu technischen und praktischen Betätigungen verbunden. Diese Kombination wurde von mir einmal aus- geprägt bei Urgroßvater, Vater und Sohn einer Familie beobachtet, natur- wissenschaftliche Veranlagung allein in einer anderen bei Großvater, Vater und vier (von fünf) Kindern. Eine Familie bekannter Naturwissen- schaftler und Aerzte gibt folgende Stammtafel wieder:

070 870 N BOBO oo;jgsOo008 DU Ooosgedn Abb. 11.

Gelegentlich begegnet man dem Einwand, daß die Berufswahl und der äußere Erfolg mehr von Umweltverhältnissen als von der Veranlagung der Betreffenden abhängig sei. Dementgegen kann ich das Beispiel einer Familie anführen, in welcher auf einige Generationen hochbegabter und erfolgreicher Kaufleute (die sich besonders als Organisatoren, auch in öffentlichen Aemtern bewährten) einige (bis jetzt zwei) Generationen von Naturwissenschaftlern und Aerzten von Ruf folgten; ich habe den Ein- druck, daß eine Einheirat (aus einer Familie tüchtiger Landwirte) neue Erbanlagen in diese Familie hineingebracht hat, und daß so einige für die naturwissenschaftlichen Berufe günstige Mixovarianten entstanden sein mögen (daneben auch andere, wie die Erfolge dreier auf geisteswissen- schaftlichem Gebiete tätigen Familienmitglieder zeigen).

Hervorragendes bewährungstüchtiges Organisationstalent scheint gleichfalls auf eigenartiger erblicher Veranlagung zu beruhen. Es ist in einem Fall bei Großvater, Vater und Sohn, in einem anderen bei Großvater, Vater, Vatersbruder und zwei Söhnen durch Erfolge auf organisatorischem Gebiet belegt worden.

Neigung und Veranlagung zu Geschichte und Poli- tik habe ich in einer Familie bei beiden Eltern der Ehefrau und bei dieser selbst feststellen können; daß diese Frau einen hervorragenden tätigen Politiker heiratete, ist demnach wohl auch nicht Zufall, sondern Auslese. Die gleiche Veranlagung findet sich in einer anderen Familie bei Vater und Sohn.

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen. 141

Befähigung und Neigung zu Literatur (und Philosophie) spricht sich in folgender Stammtafel als erbliche Anlage aus:

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Abb. 12.

Konkordante Ehen so veranlagter Menschen sind öfter zu beobachten.

Die von der erbbedingten Wesensart offenbar weitgehend abhängige Einstellung zur Umwelt äußert sich u. a. in der Neigung zur Geselligkeit bzw. der Abneigung gegen solche. Von den vier (in gleicher Umwelt erzogenen) Kindern zweier in dieser Hinsicht ausge- sprochen gegensätzlicher Eltern legen zwei die Geselligkeitsabneigung des Vaters, zwei die Geselligkeitsvorliebe der Mutter an den Tag, ohne daß bei den ersteren etwa Mangel an Redegewandtheit oder dergleichen vor- handen wäre. In einer anderen Familie ist die Neigung zur Geselligkeit von den beiden Eltern auf vier von sechs Kindern übergegangen.

Ebenfalls lehrreich für die erbliche Bedingtheit bestimmter Neigungen ist die folgende Stammtafel der Nachkommen zweier Berufsforstleute (+), deren Söhne und Enkel ihre Vorliebe für Forstwesen und Jagd außerberuflich betätigten (++ ist Landwirt):

44

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Abb. 13.

Schließlich habe ich noch zwei Familien mit Fällen von ausgeprägt gutem Physiognomiegedächtnis gefunden:

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Abb. 14. Abb. 15.

142 Dr. W. Scheidt:

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Es ist selbstverständlich, daß alle diese Beispiele familiär vorkom- mender seelischer und geistiger Merkmalskomplexe nicht so gedacht werden dürfen, als handle es sich dabei nur um einfache erbbedingte Merkmale. Man wird vielmehr gerade bei psychologischen Beobachtungen berücksichtigen müssen, daß das, was wir als „Merkmal“ bezeichnen und mit einem Wort nennen, eine Aeußerungsform der Gesamtperson bedeutet und unter Umständen aus vielen einzelnen Erbeigenschaften und para- kinetischen Beeinflussungen zustande kommen kann. Der Nachweis wieder- holten Auftretens solcher Aeußerungsformen in Familien bei Menschen in verschiedenen Umweltbedingungen hilft jedoch den (sicher beträcht- lichen) Anteil der erblichen Veranlagung an ihrem Zustandekommen einigermaßen abschätzen.

An Sonderuntersuchungen habe ich in der Beratungsstelle für bio- logische Familienforschung (zum Teil zusammen mit Herrn Kollegen Siemens) Erhebungen bei einer Anzahl von Zwillingspaaren gemacht, deren Hauptergebnisse hier noch mitgeteilt werden sollen. (Zwei Fälle verdanke ich der Güte von Herrn Geheimrat Martin.) Patho- logische Befunde von einem Teil dieser Zwillingspaare sind von Sie- mens (Die Zwillingspathologie, Berlin 1924) bereits veröffentlicht worden. Bei der Gruppierung der Zwillinge bin ich (ähnlich wie Siemens, doch unabhängig von ihm) so vorgegangen, daß ich diejenigen Paare, deren allgemeine Aehnlichkeit mir für Eineiigkeit zu sprechen schien, in. Gruppe L zweifelhaftere Fälle in Gruppe Il und wahrscheinlich zweieiige Paare in Gruppe III unterbrachte. Als Kennzeichen der allgemeinen Aehn- lichkeit habe ich dabei die Komplexion, die Form der Ohren und der Hände mit ihren Einzelheiten und die physiognomische Unterscheidbarkeit herangezogen, Körpermaße absichtlich nicht, um, der von S iemens angestellten Ueberlegung folgend, nur als erblich bekannte Merkmale fir. die Homologiediagnose zu verwenden und aus der entsprechenden Grup- pierung wieder Rückschlüsse auf die noch weniger bekannten Erbanlagen metrischer Merkmale zu gewinnen.

Obwohl ich Siemens vollkommen darin recht’gebe, daß dieses Vorgehen bei größerem Material wohl sicher dazu führen muß, Gruppen von überwiegend eineiigen Zwillingen zu erhalten, in denen einige wenige etwa mit unterlaufende zweieiige Paare kaum eine große Fehlerquelle bedeuten, kann ich doch einige Bedenken dagegen nicht unterdrücken. Die Tatsache, daß gerade die Komplexion polymer bedingt zu sein scheint, und die weiter bekannte Tatsache des „Nachdunkelns“ scheinen mir dafür zu sprechen, daß auch dieses „Merkmal“ nicht unbeträchtlichen Umwelteinflüssen unterliegt, so daß man, zumal bei Kindern, wird vorsichtig sein müssen. Die Mehrzahl der von mir beob- achteten Paare ist hellhaarig; es finden sich nur fünf dunkelhaarige dabei (wovon ein Paar zweigeschlechtlich, also sicher zweieiig ist), so daß bei acht von zwölf Paaren an sich die Möglichkeit einer erst später hervortretenden Pigmentierungsverschiedenheit gegeben wäre. Eine Hauptschwierigkeit besteht meines Erachtens überhaupt darin, daß

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen. 143

sich Zwillingsbeobachtungen fast stets mit Kindern beschäftigen. Erbanlagen, welche als Summen von Reaktionsfähigkeiten eben erst im Laufe der Entwicklung durch die auftreffenden Summen parakinetischer Reize zu Merkmalen werden wenn man so sagen will —, brauchen auch im Fall der Identität auf gleichen zeitlichen Altersstufen der betreffenden Individuen nicht immer gradweise gleiche Merkmalsausprägungen zu bedingen, und man kennt wohl aus der Kinderheilkunde genug Beispiele von „vor- zeitiger‘ und „verspäteter“ Entwicklung, um beträchtliche Schwankungen in der Aus- prägung von Merkmalen für wahrscheinlich zu halten. Andererseits ist aber aus dem- selben Grund die tatsächliche Aehnlichkeit von Geschwistern an Kindern schwer fest- zustellen; ich war erstaunt über den Grad der Aehnlichkeit von Bildern, welche (nach- einander geborene) Geschwister und Eltern und Kinder im gleichen Alter darstellten, und ich glaube, daß diese Aehnlichkeit im allgemeinen wegen der Altersunterschiede und auf Grund rein theoretischer (nur auf die Erbähnlichkeit, nicht auf die Merk- malsähnlichkeit zutreffender) Ueberlegungen (Siemens, a. a. O. S. 10) eher unter- schätzt werden dürfte. Sie könnte in ihrem tatsächlichen Ausmaß nur festgestellt werden durch den Vergleich von Beobachtungen, welche an Geschwistern im gleichen bzw. in mehreren gleichen Lebensaltern angestellt worden sind; in solchen Beobachtungen sehe ich deshalb auch eine der wichtigsten Aufgaben der Familienkunde, die vielleicht noch mehr zu leisten imstande ist als selbst der Vergleich erwachsener Zwillinge einerseits und erwachsener Geschwister andererseits, da bei den letzteren schon viel mehr An- griffspunkte für nebenändernde Einflüsse gegeben waren als bei jüngeren Individuen. Auf solche Weise erklärt sich wohl auch die gelegentlich behauptete und wahrscheinlich zutreffende größere Aehnlichkeit zweieiiger Zwillinge gegenüber anderen Geschwistern: sie dürfte durchschnittlich kaum größer sein als die von nacheinander geborenen Ge- schwistern in gleichen Altersstufen, eher noch geringer als diese, sofern die Geschwister gleichen Geschlechts sind, während sicher feststellbare zweieiige Zwillinge eben die geschlechtsverschiedenen Paare sind und also mindestens die Geschlechtsunterschiede der Merkmale aufweisen werden. Beispiele für diese Ueberlegungen sind in meinem Material (siehe Tabellen) meines Erachtens die Fälle 67 und 170: die Identität der Kopfmaße beim Fall 67 führe ich auf das sehr jugendliche Alter dieser Kinder zurück und glaube, daß sie später ebenso verschwinden wird, wie sie bei den übrigen Paaren der Gruppe I nicht vorhanden ist; die Aehnlichkeit mancher Maße beim Paar 170 (verschiedenen Geschlechts) würde meines Erachtens keineswegs so groß sein, wenn es sich um erwachsene, nacheinander geborene Geschwister verschiedenen Geschlechts handeln würde (Schulterbreite, Beckenbreite, Kopfumfang, Körpergröße, Rumpflänge), und sie wird mit zunehmendem Alter, schon in der Pubeszenz der nächsten Jahre, natürlich geringer werden.

In der Vererbungspathologie liegen die Verhältnisse naturgemäß etwas günstiger als in der Rassenkunde. Zwar würde man gewiß auch bei erbbedingten Krankheiten eine kontinuierliche Mannigfaltigkeit der Ausprägungen finden, wenn man die Krank- heitsfälle graduell unterscheiden bzw. messen könnte wie irgendwelche Körpermaße; aber schließlich hat wohl nicht jeder Mensch Erbanlagen für Ichthyosis oder adenoide Wucherungen, während jeder irgendwelche ererbte Reaktionsfähigkeiten hat, von denen die Körpergröße mit abhängig ist. Das Maß der praktisch erkennbaren Er- haltungsbeeinträchtigung gibt eben in der Pathologie einen (wenn auch schwankenden) Anhaltspunkt für die Konstruktion einer alternativen Mannigfaltigkeit; dagegen sind die Beziehungen der sog. „normalen“, soll heißen nicht-krankhaften Merkmale zur Erhal- tungstüchtigkeit vielfach so lose oder auch so kompliziert, daß daraus praktisch kein Unterscheidungswert gewonnen werden kann. Der Vorteil, den die Vererbungspathologie daraus zieht, entfällt bei Zwillingsuntersuchungen allerdings dann, wenn die Diagnose der Eineiigkeit auf nicht-krankhafte Merkmale gestellt wird.

144 Dr. W. Scheidt:

Für die Verwertung von Zwillingsuntersuchungen für die Erblichkeitslehre hielte ich es für das Zweckmäßigste, möglichst viele voneinander wahrscheinlich unabhängig erbliche (bzw. als solche bekannte) Eigenschaften heranzuziehen. Eine Uebereinstim- mung darin, welche (durch die Zahl der übereinstimmenden Merkmale) die durch- schnittliche Uebereinstimmung verschiedengeschlechtlicher Zwillinge oder gleichaltrig- beobachteter Geschwister beträchtlich übertrifft, spräche, wie Siemens mit Recht betont, für Eineiigkeit. Das Maß der Merkmalsiibereinstimmung gleichaltriger Ge- schwister müßte aber erst gefunden werden. Ein weiterer (praktisch aber schwer erreichbarer) Vergleich von Belang wäre der zwischen Zwillingen und nacheinander geborenen Geschwistern ein und derselben Familie durch Beobachtungen in gleichen Lebensaltern. Außerdem kommt den Zwillingsbeobachtungen auch ohne erreichbare Sicherstellung der Eineiigkeitsdiagnose die Bedeutung zu, daß sie Untersuchungen an gleichaltrigen, ähnlich beeinflußten Geschwistern darstellen, daß also weitgehende Aehn- lichkeiten in solchen Reihen immer für Erblichkeit der betreffenden Merkmale sprechen und zuverlässiger sind als Beobachtungen an erwachsenen Geschwistern.

Das mir zur Verfügung stehende Material ist zur Anwendung der eben entwickelten Gesichtspunkte wie überhaupt zu einer genauen Aus- wertung zu klein. Ich habe deshalb die oben erwähnte Gruppierung vor- genommen und die Ergebnisse in der Tabelle auf S. 146 u. 147 zusammen- gestellt. Die Tabelle enthält die absoluten und relativen Unterschiede der. wichtigsten Maße, wobei die Prozentwerte jeweils auf das Mittel aus den Maßen der beiden Zwillinge (abgerundet und mittels Fürstscher Tabelle nachgeschlagen) berechnet sind. Ferner habe ich diejenigen Maßunter- schiede mit * bezeichnet, welche meines Erachtens die Grenze des durch die Meßtechnik bedingten wahrscheinlichen Fehlers überschreiten; diese Grenze habe ich absichtlich meist etwas höher angenommen, als sie nach meinen Erfahrungen im Durchschnitt meinem persönlichen Fehler ent- sprechen dürfte, um sicher keine zu geringfügigen Unterschiede zu be- rücksichtigen und meiner Meßfertigkeit nicht zuviel zuzutrauen. Ich will damit aber weder sagen, daß die geringeren Unterschiede Meßfehler sein müssen, noch daß die größeren keine solchen sein können; letzteres ist jedoch mindestens nicht in vielen Fällen wahrscheinlich.

Summarisch zeigt die Tabelle, daß in Gruppe I 44 von 124 festge- stellten Maßunterschieden (= 35,5 + 12,5 %) den wahrscheinlichen Meß- fehler überschreiten, in Gruppe II 35 von 69 festgestellten Unterschieden (= 50,72 + 18,0 %), in Gruppe III 33 von 54 (=61,11 + 19,8%). Bestimmte Schlüsse lassen sich daraus jedoch in Rücksicht auf den großen mittleren Fehler der Prozentzahlen nicht ziehen. Immerhin sind die entsprechenden Ergebnisse beiden KörpermaßenindendreiGruppenviel ähnlicher als bei den Kopfmaßen.

Wahrscheinlich größer als der MeBfehler sind bei den Körpermaßen: In Gruppe I 19 von 33, in Gruppe II 8 von 18, in Gruppe IlI 10 von 17,

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen. 145

bei den Kopfmaßen: In Gruppe I 25 von 91, in SP II 27 von 51, in Gruppe III 23 von 37 Unterschieden, was allenfalls auf eine größere Beeinflußbarkeit der Körper- maße deuten würde. Im Einzelnen muß man freilich mit den Deutungen vorsichtig sein. So zeigt z. B. die Körpergröße in keinem Fall einen wirklich wesentlichen Unterschied (abgesehen von dem nicht verwertbaren Fall 146, dessen eines Kind eine starke Skoliose hat), auch nicht, und zwar sehr bestimmt nicht, bei dem verschiedengeschlechtlichen Paar 170. Des- wegen sind aber doch Teilhöhenmaße des Körpers bei den meisten Fällen etwas (zum Teil nicht unbeträchtlich) verschieden. Wenn diese Erscheinung an größerem Material bestätigt würde, müßte man daraus meines Erachtens (für eineiige Zwillinge) den Schluß ziehen, daß die Körperlängenverhältnisse Nebenänderungen zugänglicher sind als die Körpergröße im ganzen bzw. (für zweieiige Zwillinge) daß unter Umständen die Mixovariation für die Körperproportionen die größere Rolle spielt als für die Körpergröße im ganzen. Beides ist theoretisch nicht unwahrscheinlich. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß die Unterschiede der Körpergröße eben der Meßtechnik wegen (Haltung des zu Messenden) erst bei größeren Beträgen sicherstehen. Länge und Breite des Fußes und der Hand, in Gruppe III merklich verschieden, verhalten sich bei den sonst ähn- lichen, möglicherweise eineiigen Zwillingen so, daß beim Fuß öfter die Breite, bei der Hand öfter die Länge merklich verschieden gefunden wird. Letzteres Ergebnis scheint mir wegen der diesbezüglichen Meßtechnik zweifelhaft; eine größere Beeinflußbarkeit der Fußbreite gegenüber der Fußlänge dürfte sehr wahrscheinlich und leicht erklärlich sein. Die Armlänge zeigt im allgemeinen (besonders bei Gruppe I gegenüber Gruppe III) seltener Unterschiede als die übrigen Teillängenmaße Ein Vergleich der Schulterbreite und der Beckenbreite ergibt, daß die erstere seltener (auffallenderweise aber z. B. gerade bei den sicher zweieiigen Zwillingen) annähernd übereinstimmt als die letztere, welche bei mutmaßlich eineiigen Zwillingen meist so gut wie gleich ist. Von den Kopfmaßen kann der Horizontalumfang ziemlich sicher auch bei eineiigen Zwillingen (als solche glaube ich bestimmt das Paar 4 ansprechen zu sollen) parakinetisch beeinflußt werden, und zwar so, daß größere Unterschiede herauskommen als unter Umständen bei zweieiigen Zwillingen (Fall 170); dieses Maß hängt natürlich mit den absoluten Durchmessern der Länge und der Breite (weniger mit der Höhe) zusammen, wie aus den Tabellen ersichtlich ist. Ich habe dabei zunächst den Eindruck, daß das Merkmal der Höhenentwicklung des Kopfes aus eben diesem Grund ein nicht zu unterschätzendes zu- verlässiges (d. h. wahrscheinlich weniger beeinflußbares) rassenkundliches Merkmal sein könnte, während Länge und Breite und ihr Verhältnis Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 2. 10

146 Dr. W. Scheidt:

MaBunterschiede (absolut und

| 1. a. f. 15. b. Länge Länge d a Länge Körpergröße | der vorderen || des rechten a r p des rechten Rumpfwand Beines EBENE Armes

0.6 | 050 0.25 || 3.7%| 5.73 3.5 | 2.69 | 26*| 6.84 | 1.2 | 1.69 II u». | m. 21. A F Physio- e EN gnomische a Kleinste Jochbogen- Die wee Ober- Nase Stirnbreite breite

gesichtshöhe

Nr. || absol.| % |; absol.| %o |jabsol.| %

o | o lo 2* i134] | | 2% |130| 1 {1.001 (oan ı 066 | 1 |100) 4* |322 5* | 3.31 | 1 1.00 | 6* | 468.

oo

o

4* |285; 0 0 0 2* | 1.43 | 3* | 2.89 | 0

1.00 1.73 1.90 3.39 6.00 1.62

Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen. 147

relativ) von Zwillingspaaren.

16 a. 15.

40. 45.

Länge Breite Breite ies d Horizontal- G Ohrhõhe der rechten || der rechten || zwischen den ie = en Umfang K ne des Hand Hand Akromien Seeche ag des hopfes op e Kopfes

absol. | %

Physio-

Unterkiefer- Breite : Breite h : zwischen den || zwischen den gnomische gnomische Winkel: inneren der Länge Breite Buche Augenwinkeln |Augenwinkeln Mundspalte des Ohres des Ohres absol. | WÉI || absol. WÉI

ee

1.79|| 1 3.171 0 0 0 0 1 1.79|| 2

10*

148 Dr. W. Scheidt: Einige Ergebnisse biologischer Familienerhebungen.

zueinander vielleicht auch in dieser Hinsicht überschätzt worden sind. Die Merkmale des Gesichtes (einschließlich der kleinsten Stirn- breite) weisen insgesamt bei der Gruppe I 'geringere Unterschiede auf als bei II und III (bei Gruppe I unter 60 beobachteten 11 wesentliche Unterschiede, bei Gruppe II unter 42 jedoch 22 und bei Gruppe III unter 24 12 solche). Dabei ist allerdings zu bemerken, daß die absolute Klein- heit von manchen dieser Maße natürlich auch zahlenmäßig in einer geringeren Schwankungsbreite zum Ausdruck kommt. Auffallend (wenn nicht als Zufall zu deuten) ist jedenfalls, daß die morphologische Ge- sichtshöhe, die Unterkieferwinkelbreite, die Mundspaltenbreite und die physiognomischen Ohrmaße bei Gruppe I gar keinen (letztgenannte auch bei Gruppe II und III gar keinen) Unterschied zeigen.

Die Tafeln I—IV stellen 8 Paare der untersuchten Zwillinge dar.

Von übereinstimmenden beschreibenden Merkmalen seien noch genannt: kielförmig vorspringende Stirn in Fall 73, Langskrimmung und Querwölbung der Fingernägel in den Fällen 69 und 65, gerade, quergewölbte und fächerförmige Fingernägel in den Fällen 4, 72 und 74, ganz gleiche Ausprägung und Form (Darwinsches Höckerchen 2, kleines freies Ohrläppchen) der Ohren in Fall 69.

Zur Verwertung der quantitativen Unterschiedsbeträge sowie zur weiteren Verfolgung der hier nur erst angedeuteten Fragen wird eine beträchtliche Vermehrung der Beobachtungen notwendig sein.

Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale nach Untersuchungen an eineiigen Zwillingen.

Von Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer.

Aus der Medizinischen Universitäts-Poliklinik Tübingen (Leiter: Prof. Dr. W. Weitz).

Die Bedeutung von Zwillingsuntersuchungen für die menschliche Ver- . erbungsforschung hat zuerst Galton erkannt. In neuerer Zeit ist dieser Forschungszweig an mehreren Stellen neu aufgegriffen worden, bei uns vor allem von Siemens, Weitz und J. Bauer. Die Untersuchungen dieser Autoren beschränkten sich aber auf die Erforschung von klinisch wichtigen, meist pathologischen Merkmalen. Anthropologische Zwillings- untersuchungen wurden zuerst durch Poll(*) angeregt; größere Unter- suchungsergebnisse liegen aber bis jetzt noch nicht vor. Ich bin deshalb Herrn Professor Weitz zu größtem Dank verpflichtet, daß er es mir er- möglichte, das umfangreiche Zwillingsmaterial, das er an der Medizinischen Poliklinik in Tübingen gesammelt hat, anthropologisch zu untersuchen.

Die Untersuchung bestand in einer anthropologischen Messung nach Martinscher Vorschrift, einer Körperbeschreibung und photographischen Aufnahmen des Kopfes von vorn, im Ganz- und Halbprofil. Die Anzahl der so untersuchten Zwillingspaare beträgt 42 (17 männliche und 25 weib- liche) und umfaßt alle Altersstufen zwischen 3 und 64 Jahren. Zur Be- zeichnung der einzelnen Zwillingspaare wurde dieselbe Numerierung ver- wendet wie in der Arbeit von Weitz (°), aus der auch alles klinisch wich- tige zu ersehen ist. Die Namen, Anschriften und genauen Anamnesen der untersuchten Zwillingspaare sind in der Dissertationsschrift von Fräulein Schneider(?) niedergelegt.

Durch die vorliegenden Untersuchungen soll die Aehnlichkeit bzw. Verschiedenheit von eineiigen Zwillingen auf einem bisher in größerem Ausmaße noch nicht bearbeiteten Gebiete gezeigt werden. Wir begegnen dabei dem günstigen Umstande, daß die Anthropometrie uns die Möglichkeit bietet, diese Aehnlichkeit bzw. Verschiedenheit der E. Z. (eineiigen Zwil- linge) durch Zahlenwerte auszudrücken.

Wie man sich auch zur Theorie der E. Z. stellen mag, ob man von ihrer Erbgleicheit überzeugt ist oder sie nur mit gewissen Einschränkungen

150 Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer:

gelten lassen will, jeder muß zum mindesten zugeben, daß wir in den E. Z. die erbähnlichsten Menschen besitzen. Diese Voraussetzung genügt für unsere Untersuchungen, da es sich hier nicht um Merkmale handelt, deren Vorhandensein oder Nichtvorhandensein wir untersuchen, um alsdann Schlüsse aus der Häufigkeit ihres Auftretens im Vergleich zu der Häufig- keit bei zweieiigen Zwillingen zu ziehen, welche Forschungsmethode zuerst von Siemens(*) angegeben wurde.

Wir untersuchen vielmehr im folgenden den Grad der Aehnlichkeit eines Merkmals, berechnet als Durchschnitt aus der Gesamtheit aller Zwil- lingspaare, und vergleichen ihn mit dem Grad der Aehnlichkeit eines andern Merkmals, berechnet als Durchschnitt aus denselben Zwillings- paaren. Bei gleichen Umweltbedingungen dürfen wir erwarten, daß die Maße in bezug auf ihre Variabilität nicht sehr verschieden sein werden. Wenn aber der eine Zwilling unter Umweltbedingungen lebt, die von dem andern sehr verschieden sind, dann erwarten wir größere Unterschiede zwischen den Zwillingen. Der Grad der Verschiedenheit der einzelnen Male gibt uns einen Anhalt für ihre Modifizierbarkeit durch Umwelt- einflüsse.

Die Beziehung eines Merkmals zu einem anderen, in unserem Fall also eines Maßes bei dem einen Zwilling zu dem bei dem anderen, wurde bisher meistens durch den Bravais’schen Korrelationskoeffizienten zahlenmäßig ausgedrückt. Neben der großen Umständlichkeit seiner Berechnung ist

PETG AL ef ët ud

H 7 Yt udea (0 (La

i 7 = dai e oo e ® +. L e e | See Au, Seine Anwendungsmöglichkeit für die vorliegenden Zwecke auch eine be- a GH $ e e e e | grenzte. So kann man zum Beispiel durch ihn nicht den Grad der ge- . ea D L LEI AN

E | samten körperlichen Aehnlichkeit eines Zwillingspaars mit der eines E Se Wee anderen vergleichen. Ferner wäre für den Vergleich des Grades der Aehn- ee Y lichkeit bestimmter Zwillingsgruppen (Alters-, Geschlechts- usw. -gruppen) eine sehr umständliche und zeitraubende Aufstellung zahlreicher Korre- lationstabellen (für jedes einzelne Maß getrennt!) erforderlich.

Ich habe deshalb. nach einer einfacheren Methode gesucht und glaube, sie in der Berechnung der prozentualen Abweichung gefunden zu haben.*)

Sie wurde in der folgenden Weise gewonnen: Das Maß des einen Zwillings wurde von dem des anderen subtrahiert, die so erhaltene Diffe- renz halbiert und zu dem kleineren Wert addiert (bzw. von dem größeren subtrahiert), was den mittleren Wert (das mittlere Maß) der beiden Zwil- linge ergibt. Die halbe Differenz wurde dann in Prozenten des mittleren

*) Anmerkung: Nach Abschluß der Arbeit teilt mir Herr Prof. Lenz mit, daß in der mir unzugänglichen Arbeit von Newman, „Biology of Twins“, ohne Literatur- angabe angegeben wird, daß Vernon bei einem Zwillingspaar für eine Anzahl Charak- tere eine mittlere prozentuale Abweichung („an average percentage difference’) von 0,28 gefunden habe, bei einem zweiten 0,71, und daf Weismann bei einem Paar 2,2 gefunden habe.

Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale usw. 151

Wertes ausgedrückt. Der Mittelwert der prozentualen Abweichungen, die mittlere prozentuale Abweichung, kann als Ausdruck der Verschiedenheit eines Maßes im Vergleich zu einem anderen und zum Vergleich desselben Maßes bei verschiedenen Altersstufen ‚oder Geschlech- tern verwendet werden. Außerdem wurde eine Anzahl von Indices be- rechnet, um die proportionalen Verhältnisse miteinander vergleichen zu können. |

Um einen ungefähren Anhalt zu bekommen, wie die mittleren prozen- tualen Abweichungen sich zu den entsprechenden Bravais’schen Korre- lationskoeffizienten verhalten, wurde letzterer bei zwei Maßen bestimmt. Es ergab sich dabei eine Korrelation zwischen den beiden Zwillingen für die Länge des rechten Armes von 0,988 + 0,0035 (mittlere prozentuale Ab- weichung = 0,62 + 0,07) und für die Breite zwischen den Darmbeinkämmen von 0,975 + 0,008 (mittlere prozentuale Abweichung = 1,10 + 0,13). Der Grad der Aehnlichkeit bzw. Verschiedenheit dieser beiden Merkmale bei unseren Zwillingen wird also durch die Methode der prozentualen Ab- weichung annähernd in gleicher Weise angegeben.

Neben der größeren Einfachheit der Berechnung bietet die Methode der prozentualen Abweichung noch weitere Vorteile: man kann für jedes Zwillingspaar die durchschnittliche prozentuale Abweichung aller Maße berechnen, wodurch man eine Zahl bekommt, die einen brauchbaren Anhalt für den Grad der körperlichen Aehnlichkeit eines Zwillings- paares insgesamt ergibt. Ferner braucht für den Vergleich des Grades der Aehnlichkeit bei bestimmten Zwillingsgruppen nur der Durchschnitt der einmal bestimmten prozentualen Abweichungen berechnet zu werden, wobei sämtliche Maße gleichmäßig ins Gewicht fallen.

Die so gewonnenen Zahlen sind aus Tabelle 1 und 2 zu ersehen. (Eine Wiedergabe sämtlicher Einzelmaße ist aus räumlichen Gründen nicht möglich.) Zu ihrer Erläuterung sei erwähnt: Die Anzahl der Maße ist nicht immer der Gesamtzahl der Zwillinge entsprechend, da aus äußeren Gründen in mehreren Fällen einige Maße nicht genommen werden konnten. Bei dem Mittelwert M muß man berücksichtigen, daß die Hälfte unserer Zwillinge sich im Kindesalter von 3—16 Jahren befindet, nur 15 Paare befinden sich jenseits des zwanzigsten Lebensjahres. In der dritten Spalte ist der Durchschnitt der tatsächlichen Abweichungen & a angegeben. Spalte 5 enthält die mittlere prozentuale Abweichung e mit dem einfachen Fehler der kleinen Zahl. Eine Formel zur Berechnung des mitt- leren Fehlersdermittleren prozentualen Abweichung gibt es bisher noch nicht. Nun sind aber, worauf mich Herr Prof. Lenz hinweist, durch die Prozentberechnung die Maße der Zwillinge ge- wissermaßen auf denselben Mittelwert reduziert. Dieser Mittelwert ist

- gleich 100, und Zwillinge, die ihm entsprechen, haben die Abweichung O.

Körpergewicht in kg

Körpergröße in mm : Länge der vorderen Rumpfwand ; Breite zwischen den Akromien . Breite zwischen d. Darmbeinkämmen Größte Breite des Brustkorbes . Sagitteler Brustdurchmesser .

Länge des rechten Armes

Länge der rechten Hand .

Breite der rechten Hand .

Länge des rechten Beines

Länge des rechten Fußes

Breite des rechten Fußes .

Umfang des Halses . i er Umfang der Brust bei ruhigem Alien Taillenumfang .

3,32 + 0,39 0,83 + 0,09 1,36 + 0,16 1,07 + 0,12 1,64 + 0,19 1,03 + 0,12 1,85 + 0,21 0,84 + 0,10 1,14 + 0,13 1,49 + 0,20 1,00 + 0,12 1,22 + 0,14 0,80 + 0,12 1,65 + 0,20 1,10 + 0,14 1,39 + 0,19

2,39 + 0,28 9,63 +0,07 0,99+ 0,12 0,70 + 0,08 1,10 +0,13 -0,64 + 0,07 1,10 +0,13 0,62 + 0,07 0,74 + 0,08 0,91 + 0,12 0,72 + 0,09 0,75 + 0,09 -0,51 + 0,08 1,07 +0,13 0,84 +0,11 1,02 + 0,14

Horizontalumfang des Kopfes . Ohrhöhe des Kopfes

Ganze Kopfhöhe . i Morphologische Gesichtshöhe

Größte Länge des Kopfes

Größte Breite des Kopfes Jochbogenbreite . Unterkieferwinkelbreite ; Breite zwisch. d. inner. eer Breite zwisch. d. äußer. Augenwinkeln Höhe der Nase

Breite der Nase s

Breite der Mundspalte . ; Physiognomische Länge des Ohres : Physiognomische Breite des Ohres .

1,11 +0,12 1,04 + 0,10 1,13 + 0,13 0,97 +0,11 1,35 +0,15 1,12+0,12 0,96 + 0,10 1,13 +0,12 1,31 +0,14 0,71 + 0,08 1,01 +0,11 1,26 + 0,14 1,48 + 0,16

0,72 + 0,08 0,65 + 0,07 0,67 + 0,07 0,54 + 0,06 0,96 + 0,11 0,83 + 0,09 0,63 + 0,07 0,73 + 0,08 0,68 + 0,07 0,36 + 0,04 0,48 + 0,05 0,66 + 0,07 0,67 + 0,07 0,61 + 0,07 0,55 + 0,06

Erläuterung: n = Anzahl der Zwillingspaare. M = Mittelwert aller Maße, ca {abs.) = Mittelwert der Abweichungen. c + m, = Standartabweichung mit einfachem quadratischen Fehler der kleinen Zahl. e+ fe = mittlere prozentuale Abweichung mit einfachem Fehler der kleinen Zahl. Te Fehler der mittleren prozentualen Abweichung

ee mittels der Formel Van berechnet. n

Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale usw. 153

e

Tabelle 2.

Die Variabilität der Proportionen.

Index-Bezeichnung

Kopf- + Halslänge in % der Körpergröße . . . 0,21 + 0,02 Rumpflänge in % der Körpergröße ..... . 0,24 + 0,03 Armlänge in % der Körpergröße . . . . 2... 0,22 + 0,02 Beinlänge in % der Körpergröße ...... . 0,19 + 0,02 Armlange in % der Beinlänge ....... . 0,34 + 0,04

Beckenbreite in % der Schulterbreite . . . . . 0,71 + 0,08

Wieviele ganze Kopfhöhen sind in der 10fachen Körpergröße enthalten? . . . 2 2 2 2.02. 0,57 + 0,06

Längenbreitenindex des Kopfes . . ..... .| 0,96 + 0,11

Längenhöhenindex des Kopfes ........ . 0,85 + 0,09 Breitenhöhenindex des Kopfes . . . . 2.2... 0,81 + 0,09 Morphologischer Gesichtsindex . . . . 2.2... | 0,80 + 0,09 Unterkieferwinkelbreite in % der Jochbogenbreite || 42 0,50 + 0,05 Höhenbreitenindex der Nase . ..... . . || 42 | 60,3 | 0,47 + 0,05

Physiognomischer Ohrindex . . . . . . . . ..42| 56,0 | 0,38 + 0,04

Erläuterung: n = Anzahl der Zwillingspaare. M = Mittelwert sämtlicher In- dexwerte. i + fi mittlere Indexabweichung mit einfachem Fehler der kleinen Zahl.

Die Abweichungen der einzelnen Zwillingspaare kann man so als Ab- weichungen von dem Mittelwert 100 auffassen. Unter dieser Voraussetzung ist die Formel vom Fehler der durchschnittlichen Abweichung (e) von

einem Mittelwert: Vax anwendbar. Die Formel für den mittleren Fehler

der mittleren prozentualen Abweichung lautet demnach: fe= -~ =

i g V 2n mittlere prozentuale Abweichung

Wurzel aus der doppelten Zahl der Fälle.

154 , Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer:

Zum Zweck der Kontrolle dieser Methode wurde der mittlere Fehler der mittleren prozentualen Abweichung auch noch auf folgendem Wege be- rechnet: Es wurde die durchschnittliche Abweichung ee der einzelnen prozentualen Abweichungen von ihrem Mittelwert e bestimmt. Unter der Voraussetzung binominaler Verteilung ist der mittlere Fehler dieses Mittel- wertes dann gemäß der gewöhnlichen Formel für den mittleren Fehler eines Mittelwertes ER _durchschnittl. Abweichung Es Ee Abweichungen von ihrem Mittel

Zahl der Fälle.

Die so erhaltenen Werte sind auf Tabelle 1 in Spalte 6 angegeben. Eine völlige Uebereinstimmung von re und kann natürlich nicht erwartet werden. Der Vergleich dieser beiden Werte zeigt aber, daß dieselben in der Mehrzahl der Fälle so ähnlich sind, daß die einfachere Berechnung von fe gerechtfertigt sein dürfte. In der 4. Spalte ist die Standard- abweichung angegeben; doch hat dieselbe sich nicht als das geeig- netste Maß für die Variabilität erwiesen, was an dem folgenden Beispiel gezeigt sei: Die mittlere prozentuale Abweichung für die physiognomische Breite des Ohres beträgt 0,55 + 0,18 (dreifacher Fehler der kleinen Zahl), für den Brustumfang 0,84 + 0,33. Die entsprechenden Standardabweichun- gen sind 1,16 + 0,39 bzw. 1,10 + 0,42. Bei letzteren Werten zeigt sich keiner- lei Unterschied. Sehen wir uns dagegen die gemessenen Zahlenwerte an, so haben wir bei einer durchschnittlichen Ohrbreite von 32 mm eine durch- schnittliche halbe Differenz von 0,2 mm, dagegen bei einem durchschnitt- lichen Brustumfang von 747 mm eine durchschnittliche halbe Differenz von 6,5 mm. Allerdings muß erwähnt werden, daß der Brustumfang schwerer genau und gleichmäßig zu messen ist als die Ohrbreite.. Der hohe Wert der Standardabweichung bei der Ohrbreite ist durch eine einmal vor- kommende Differenz von 3 mm entstanden, was bei der Kleinheit des Maßes einen hohen Prozentsatz ergibt. Es bestätigt sich also auch hier die von Lenz(*) vertretene Ansicht, daß die Standardabweichung, die extremen Varianten einen potenzierten Einfluß einräumt, zum Vergleich biologischer Variationsmassen weniger geeignet ist, als die durchschnitt- liche Abweichung. Es wurde deshalb zum Vergleich der Variabilität der anthropologischen Maße bei unseren Zwillingen nur die der durchschnitt- lichen Abweichung entsprechende mittlere prozentuale Aweichung ver- wendet.

Betrachten wir nunmehr im einzelnen die Variabilität der Maße, zu- erst der des Körpers. Wir bemerken eine große Aehnlichkeit der Längenmaße des ganzen Körpers und der Extremitäten, also des Armes und der Hand, des Beines und des Fußes. Auch die Breite des Fußes ist schr ähnlich, weniger die Breite der Hand. Sehr auffallend ist der

Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale usw. 155

Befund, daß die Aehnlichkeit der Körperlänge im ganzen größer ist als die der einzelnen Teile, aus denen sie sich zusammensetzt. Die Prozent- verhaltnisse der Länge der einzelnen Teile zur ganzen Körperlänge sind einander so ähnlich, daß wir daraus keine deutlichen Aufschlüsse be- kommen können.

Es wurden deshalb die Beziehungen zwischen der Richtung der Abweichung der einzelnen Maße vom Mittel untersucht und das Ergebnis auf labelle 3 dargestellt. In der letzten Spalte ist das prozentuale Ver- hältnis zwischen der Zahl der Fälle mit gleichsinniger und entgegengesetz-

Tabelle 3.

Die Beziehungen zwischen den Abweichungsrichtungen der anthropologischen Maße.

1. 2. 3. 4. 5.

; P ; : Verschie- Ein Maß Beziehung zwischen der Abweichungs- Gleiche | Beide Maße dene Rich- | verschied., Prozent-

: Richtun $ . KR SE der abe | berein, | tung der UE) atin weichung weichung | stimmend : Körpergröße und Rumpflänge . Beinlänge . . Kopf- + Halslänge Armlange ; ganzer Kopfhöhe . i Kopflänge Körpergewicht . Beinlänge und Armlänge » Rumpflänge .. . » Kopf- + Halslange . Rumpflange und Kopf- + Halslange Schulterbreite und Beckenbreite . Brustbreite und Brusttiefe . Brustumfang und Taillenumfang . Körpergewicht und Taillenumfang . Kopflänge und Kopfbreite . Ganze Kopfhöhe und Kopfbreite . Kopfumfang u. Ohrhöhe des Kopfes Jochbogenbreite u. Unterkieferbreite Jochbogenbr. u. morph. Gesichtshöhe

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Erläuterung: Spalte 5 ist das Prozentverhältnis von Spalte 1 + '/s Spalte 2 zu Spalte 3 + !/s Spalte 4.

Anmerkung: Für einige Maße wurde die Korrelation zwischen den prozentualen Abweichungen berechnet; die Werte sind: für Körpergröße und Beinlange k +0,6, für Körpergröße und Rumpflänge k = +0,5, für Schulterbreite und Beckenbreite k = +0,44, für Kopflänge und Kopfbreite k = +0,375.

*) Unter „Uebereinstimmung“ ist zu verstehen: für das Körpergewicht gleiche Zahl von Dezikilogrammen, für sämtliche Längenmaße gleiche Zahl von Millimetern, aus- genommen Brust- und Taillenumfang, die nur mit einer Genauigkeit bis zu einem halben Zentimeter gemessen wurden.

156 Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer:

ter Abweichung angegeben. Die linke Zahl (+) ist berechnet aus dem ganzen Wert der Spalte 1 und der Hälfte des Wertes von Spalte 2, die rechte Zahl (—) aus dem ganzen Wert der Spalte 3 und dem halben von Spalte 4.

Wir sehen hieraus, daß die Körpergröße eng verbunden ist mit der Beinlänge, das heißt, wenn ein Zwilling im ganzen größer ist als der andere, hat er auch fast immer die längeren Beine. Weniger eng sind die Beziehungen der Körpergröße zur Rumpflänge und zur Kopf- + Hals- länge: In etwa der Hälfte der Fälle hat der längere der beiden Zwillinge den kürzeren Rumpf oder den kürzeren Kopf + Hals. Weiteren Auf- schluß gibt uns die in etwa zwei Drittel der Fälle entgegengesetzte Be- ziehung zwischen Rumpflänge und Kopf- + Halslänge. Es hat also sehr oft der Zwilling mit dem längeren Rumpf den kürzeren Kopf + Hals und umgekehrt, so daß insgesamt doch wieder eine größere Aehnlichkeit der ganzen Körperlänge resultiert. Sehr deutlich sprechen noch folgende Deziehungen: Die Richtung der Abweichung ist bei

Körper-, Rumpf-, Kopf- + Halslänge gleichsinnig in 9 Fällen,

Körper- und Rumpflänge gleichsinnig, Kopf- + Halslänge entgegen-

gesezt in 14 Fällen,

Körper-, Kopf- + Halslänge gleichsinnig, Rumpflänge entgegenge-

setzt in 10 Fällen,

Rumpf- und Kopf- + Halslänge gleichsinnig, Körperlänge entgegen-

gesetzt in 2 Fällen.

Die größere Variabilität des Rumpfes gegenüber den Extremitäten zeigt sich auch noch in anderen Maßen; dem Umfang von Brust und Taille, der Tiefe des Brustkorps und der Breite des Beckens, dem Variabelsten von allen Maßen überhaupt. Nur die Breite der Schultern und des Brust- korbs sind konstanter. Was den Brustkorb anbelangt, so werden Umwelt- einflüsse also weniger eine Veränderung in die Breite als in die Tiefe bewirken. Brustbreite und -tiefe verhalten sich nicht in dem Sinne ent- gegengesetzt, daß zum Beispiel der Schmalbrüstigere der beiden Zwillinge den tieferen Brustkorb hätte, so daß derselbe Brustumfang resultieren würde. Die Verschiedenheit der Rumpfbreite in der Schulter- und der Beckenhöhe ist in den meisten Fällen eine gleichsinnige. Doch ist die Größe der Differenz bei Schulterbreite und Beckenbreite oft ziemlich ver- schieden. |

Das Körpergewicht weist die größte Modifizierbarkeit durch Umwelteinflisse auf. Es ist weniger von der Körpergröße als von der Umfangsentwicklung des Rumpfes abhängig.

Beim Kopfsind diephysiognomischen Maße Ohren, Nase und Augen innerhalb der Zwillingspaare am ähnlichsten. Die Aehn- lichkeit von Ohren und Nase drückt sich in den Indizes noch besser aus. Auch bei den älteren Zwillingspaaren ist die Aehnlichkeit der physio-

Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale usw. 157

gnomischen Maße noch so ausgesprochen, daß man schon auf Grund des Augenscheins der Umwelt keine allzugroße Einwirkung auf die grobe Gestaltung dieser Merkmale zuschreiben kann.

Etwas größere Variabilität weisen die anderen Maße des Gesichts- schädels auf, und zwar in der Reihenfolge mit zunehmender Un- ähnlichkeit: morphologische Gesichtshöhe, Jochbogenbreite, Breite der Mundspalte und Breite des Unterkiefers. Wenn wir die Abweichungs- richtung vergleichen, dann finden wir enge Beziehungen zwischen Joch- bogenbreite und Unterkieferbreite, das heißt, das in der Jochbogenhöhe breitere Gesicht des einen Zwillings ist auch in den Unterkiefern breiter. Dagegen finden wir nur geringe Beziehung zwischen Gesichtshöhe und -breite: in zahlreichen Fällen ist das breitere Gesicht auch absolut das kürzere. Dies erklärt auch die geringe Aehnlichkeit des morphologischen Gesichtsindex.

Die häufigsten und größten Verschiedenheiten am Kopf finden sich am Gehirnschädel, vor allem in der Länge und in der Breite, auch im Verhältnis dieser beiden Maße, dem Längenbreitenindex. Etwas weniger differiert der Kopfumfang, noch weniger die ganze Kopfhöhe und die Ohrhöhe des Kopfes.

Bei der näheren Betrachtung der extremsten Varianten des Gehirn- schädels ergibt sich eine auffallende Aehnlichkeit dieser Fälle: der eine Zwilling zeigt nämlich stets eine Schädelform, die durch auffallend ge- ringe Lange und große Höhe, mittlere Breite, flache hohe Stirn und flaches Hinterhaupt charakterisiert ist (siehe Tabelle 4). Siemens (*) hat zwei Zwillingspaare dieser Art bereits beschrieben.*) Es dürfte sich aber für diese nicht krankhafte Schädelform die Bezeichnung Hypsikephalie mehr empfehlen, damit der Name „Turmschädel“ für die pathologischen Formen reserviert bliebe. Es ergibt sich das des weiteren daraus, daß in unserem Material nicht etwa nur einzelne Fälle dieser Schädelabnormität zu finden sind; es lassen sich vielmehr von den ausgeprägtesten Fällen alle Uebergange bis zu völlig gleichen normalen Schädelformen finden. Außerdem ist die Hypsikephalie meist nur bei einem Zwilling vorhanden. Aus diesen Umständen ergibt sich, daß es sich wahrscheinlich nicht um ein pathologisches Merkmal handelt, sondern um die Varianten normaler Schädelform bei Zwillingen.

Es frägt sich nun, ob diese Verschiedenheit des Schädels lediglich eine solche der Form ist, oder ob auch der Inhalt des Schädels ver- schieden ist. Die Beziehung zwischen der Abweichungsrichtung der ver- schiedenen Schädelmasse gibt uns auf diese Frage nähere Auskunft. Die

*) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen hat Siemens fünf weitere Fälle von Hypsikephalie bei Zwillingen beschrieben: Virchows Archiv Bd. 253, H. 3.

158 Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer:

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Kopflänge und -breite verhalten sich in etwa der Hälfte der Fälle entgegengesetzt, ebenso die ganze Kopfhöhe und Kopfbreite, ferner der Kopfumfang und die Ohr- höhe des Kopfes. Es heißt das, daß in der Mehrzahl der Fälle die Zunahme des Schädels nach einer Richtung (zum Beispiel in die Länge) durch Abnahme in einer anderen Richtung (zum Bei- spiel Breite oder Höhe) ausge- glichen wird, so daß doch der- selbe oder sehr ähnliche Schädel- inhalt resultiert. Von den 13 Fäl- len, in denen der Schädel des einen Zwillings sowohl in der Länge als auch in der Breite kleiner ist als der des anderen Zwillings, ist die Ohrhöhe 6mal höher, 4mal gleich hoch und nur 3mal auch kleiner. Von diesen letzteren drei Fällen möchte ich einen als besonders charakte- ristisch hervorheben: 15jährige Mädchen (siehe Nr. 33 Tab. 4 und Abb. 25 und 26), die in den abso- luten Maßen sehr differieren; die erste ist um 3,2 cm kleiner als die zweite, im ganzen zierlicher ge- baut. Sie hat einen in allen Maßen kleineren Kopf, zeigte aber, und das ist das Wesentliche, eine sehr weitgehende Uebereinstimmung in den Proportionen. Die Diffe- renzen der Indizes, auch des Kör- pers, sind in der Mehrzahl kleiner als der errechnete Durchschnitt der Differenzen bei sämtlichen Zwillingen. Man kann alsosagen, daß die eine der beiden die ver- kleinerte Auflage der anderen ist.

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Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale usw. 159

Die Schädelform wurde früher als eines der wichtigsten Rassenmerk- male angesehen. Ihre Erblichkeit wurde durch Fischer(°) bei seinen Untersuchungen an den Rehoboter Bastards dargelegt. Dem scheinen nun unsere Zwillingsbefunde auf den ersten Blick zu widersprechen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang Untersuchungen von Wal- cher(’) erwähnen, der durch verschiedene Lagerung von Säuglingen ganz erhebliche Verschiedenheiten des Schädels erzielte. Er machte seinen Versuch auch an einem Zwillingspaar und erreichte dadurch eine Ver- schiedenheit des Längenbreitenindex von 8 Einheiten zwischen den beiden Zwillingen. Im gleichen Sinne einer Beeinflußbarkeit der Schädelform durch Umwelteinfliisse sprechen auch Versuche von Fischer(), der Ratten während bestimmter Zeit ohne Vitamin A ernährte. Dadurch blieben die Schädel nicht nur klein, sondern sie wurden auch runder. Der Langenbreitenindex der Versuchstiere betrug 38,8—46,7, der der Kontroll- tiere 34,9—38,0.

Wenn die kleineren Schädelunterschiede bei unserem Material durch verschiedene Lagerung nach der Geburt oder evtl. durch Verschiedenheiten in der Ernährung erklärt werden können ‚so doch auf keinen Fall die Befunde von ausgesprochener Hypsikephalie. In allen unseren Fällen soll nach den anamnestischen Angaben diese Schädelform des einen Zwillings schon von klein auf bestanden haben. Eine erbungleiche Teilung der Ur- sprungszelle und damit eine Verschiedenheit der Erbanlagen muß als theoretisch möglich zugegeben werden, darf aber nicht als Regel, sondern nur als seltene Ausnahme angenommen werden. Demgegenüber kommen Verschiedenheiten der Schädelform häufig vor; sie können also nicht durch ungleiche Teilung der befruchteten Eizelle bedingt sein. Außerdem spre- chen die Abstufungen in der Intensität der Ausbildung der Hypsikephalie dagegen.

Das Wahrscheinlichste scheinen deshalb entwicklungsmechanische Einflüsse während der Fötalzeit zu sein. Wir wissen, daß es bei der Ent- wicklung von E.Z.-Anlagen alle Uebergänge geben kann vom Fötus papyraceus über die Acardier und andere Mißbildungen zu den lebens- fähigen voll Entwickelten, von denen nicht allzu selten angegeben wird, daß der eine nach der Geburt so schwach war, daß man an seinem Auf- kommen zweifelte. Ist es deshalb erstaunlich, wenn durch die engen Raumverhältnisse im Uterus in erster Linie der Kopf betroffen wird? Bei der allgemeineren Verwertung unserer Schädelbefunde ist also große Vor- sicht geboten, da hier Bedingungen vorliegen könnten, die nur bei Zwil- lingen gegeben sind.

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160 Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer:

Wir sind damit schon in die Diskussion der Ursachen der Varia-

bilität eingetreten. Die spezielle Einwirkung einzelner Umweltfaktoren auf die Entwicklung des Phänotypus ist uns heute noch sehr wenig be- kannt. Auch unsere Untersuchungen geben uns nur einige grobe Hinweise; doch darf man erwarten, daß uns ausgedehntere Forschungen gerade auf diesem wichtigen Gebiet noch weiter führen werden.

Zuerst muß die Frage beantwortet werden, ob tatsächlich eine Pa- rallelität zwischen Umweltverschiedenheit und Grad der Paravariabilität besteht. Dazu wurden unsere Zwillinge in 3 Gruppen eingeteilt, und zwar Zwillingspaare

1. mit sehr ähnlicher Umwelt, 2. mit geringen Unterschieden der Umwelt, 3. mit beträchtlicher Verschiedenheit der Umwelt.

Zur ersten Gruppe wurden alle Zwillingspaare gezählt, bei denen die Anamnese keinerlei wesentliche Verschiedenheit der Umweltbedingungen ergab. Die dritte Gruppe umfaßt die Zwillingspaare, die unter sehr ver- schiedenen Lebensverhältnissen leben bzw. aufgewachsen sind, zum Bei- spiel Nr. 13: Der erste ist Maler, hat beim Militär gedient und treibt viel Sport; der zweite ist Schlosser, war nicht Soldat, hatte Gelenkrheumatis- mus durchgemacht und treibt keinen Sport. Nr. 20: Die erste ist kinderlos verheiratet, die zweite hat 9 Kinder. Nr. 34: Die erste ist Hausmeistersfrau und verrichtet nur leichte Hausarbeit, während die zweite als Taglöhners- frau schwer auf dem Felde arbeiten muß.

In die zweite Gruppe wurden alle dazwischenliegenden Fälle einge- reiht, also solche, die in verschiedener Geburtslage oder mit verschiedenem Gewicht geboren wurden, die nicht dieselben Krankheiten durchmachten, an verschiedenen Orten leben oder verschiedene Berufe haben.

Der Durchschnitt der mitlleren prozentualen Abweichungen sämtlicher Maße ist der folgende:

bei der ersten Gruppe = 0,61 + 0,11 (einfacher Fehler der kleinen Zahl), bei der zweiten Gruppe = 0,82 + 0,15, bei der dritten Gruppe = 0,95 + 0,25.

Wenn diese Zahlen wegen des Fehlers der kleinen Zahl auch noch keine endgültigen Schlüsse zulassen, so sind die Unterschiede der drei Gruppen doch unverkennbar. Wir können also unter Vorbehalt annehmen, daß die körperliche Variabilität bei EZ. eine Funktion der Umwelt ist. Der Grad der Paravariabilität ist dagegen bei den

Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale usw. 161

einzelnen Zwillingspaaren sehr verschieden: Es gibt sehr ähnliche Zwil- | linge mit relativ verschiedener Umwelt, und umgekehrt sehr verschiedene Zwillinge, bei denen eine Ursache für die Verschiedenheit in der Umwelt e y nicht zu finden ist. Wir müssen dabei allerdings hervorheben, daß un a EE Pe in den meisten Fällen die Verhältnisse in utero nicht bekannt sind, was bei diesen Fragen nicht unerheblich ins Gewicht fallen dürfte.

Um die Bedeutung der intrauterinen Verhältnisse für die spätere Ent- wicklung zu untersuchen, wurden die Zwillingspaare mit ähnlichem und verschiedenem Geburtsgewicht miteinander verglichen. Von 17 By E ER Zwillingspaaren sind die Angaben zuverlässig; davon haben 12 ein Ge- on burtsgewichf, das gleich ist oder weniger als 250 g verschieden ist, und x CC 5 ein solches, das mehr als 250 g bis zu 1 kg verschieden ist. Der Durch- DÉI CH

. e ; 8 Yang, del AY schnitt der mittleren prozentualen Abweichungen sämtlicher Maße ist a a ee bei den ersteren 0,64 + 0,13, bei den letzteren 0,88 + 0,28. Die Zahl der ee so Untersuchten ist zu klein, als daß die Frage nach der Bedeutung des Geburtsgewichts für Zwillinge schon endgültig beantwortet werden könnte.

Des weiteren wurde die Frage nach dem Alter und nach dem Ge- Fps yu, schlecht untersucht. Nimmt die Verschiedenheit mit dem Lebensalter zu? Besteht eine Differenz zwischen den beiden Geschlechtern hinsichtlich des Grades der Verschiedenheit? Zur Beantwortung der ersten Frage wurde der Durchschnitt der mittleren prozentualen Abweichung von sämt- lichen Maßen einmal bei den Zwilingspaaren zwischen 3 und 16 Jahren und dann bei den Zwillingspaaren zwischen 17 und 64 Jahren berechnet. Wir erhalten die Werte 0,75 + 0,12 und 0,79 + 0,13. Die entsprechenden Werte des Durchschnitts der mittleren Indexabweichungen sind 0,51 + 0,08 und 0,53 + 0,08. Die nahezu völlige Uebereinstimmung dieser Mittelwerte für die beiden Altersklassen spricht dafür, daß die körperlichen du SEN Unterschiede zwischen den Zwillingen mit dem spä-*/: we? teren Alter nicht wesentlich zunehmen. Wir können A. daraus schließen, daß Umwelteinflüsse hauptsächlich während der Jahre des Wachstums einen Einfluß auf die körperliche Entwicklung, soweit sie durch unsere Meßmethode erfaßbar ist, ausüben.

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Um die Bedeutung des Geschlechts für die Verschiedenheit der Zwillinge beurteilen zu können, wurde in gleicher Weise der Durchschnitt der mittleren prozentualen Abweichungen bei den männlichen und bei den weiblichen Zwillingspaaren berechnet. Das Resultat ist 0,73 + 0,16 E (männlich) bzw. 0,82 + 0,12 (weiblich). Die Uebereinstimmung des Durch- "Jr" schnitts der mittleren Indexabweichungen ist eine größere: 0,52 + 007 > icre (männlich) und 0,54 + 0,09 (weiblich). Aus diesen Werten können wir ? den Schluß ziehen, daß das Geschlecht für die Paravaria-

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 2. 11 |

162 Dr. Frhr. Otmar v. Verschuer:

bilität der anthropologischen Merkmale nur eine ge- ringe Bedeutung zu haben scheint.*)

Zusammenfassung:

1. Nach anthropometrischen Untersuchungen an eineiigen Zwillingen erwiesen sich

a) als wenig beeinflußbar durch Umwelteinflüsse: die Körpergröße, die Längenmaße der Extremitäten und das Verhältnis der Extremitäten zur Körpergröße, die physiognomischen Maße: Ohren, Nase und Augen; i

b) als stark beeinflußbar durch Umwelteinfliisse: die Längen-, Breiten-, Tiefen- und Umfangsmaße des Rumpfes (ausgenommen die Breite der Schultern und des Brustkorbs), das Körpergewicht, die Länge und Breite und der Längenbreitenindex des Schädels.

2. Bei einer größeren Zahl von Zwillingspaaren hatte der eine eine abweichende Schadelform (Hypsikephalie), die in allen Graden der Aus- bildung beobachtet werden konnte und vermutlich durch intrauterine Ver- hältnisse entstanden ist. |

3. Mit zunehmender Verschiedenheit der Umweltbedingungen, unter denen Zwillinge während der Wachstumsjahre leben, nimmt auch die körperliche Verschiedenheit zu.

4. Ein Einfluß des Geburtsgewichtes auf die spätere Entwicklung der Zwillinge erscheint wahrscheinlich.

5. Die Verschiedenheit zwischen den Zwillingen nimmt nach Abschluß

des Wachstumsalters mit den weiteren Lebensjahren nicht mehr wesent- lich zu.

6. Es besteht keine deutliche Differenz zwischen den beiden Geschlech- tern hinsichtlich des Grades der Verschiedenheit.

*) Anmerkung: Herrn Professor Lenz verdanke ich die Anregung zu dem Bedenken, daß wir von den äußeren Einflüssen nur jene Komponente fassen können, die bei beiden Zwillingen entgegengesetzt wirkt; daß es wahrscheinlich ist, daß viele äußere Einflüsse auf beide Zwillinge auch gleichsinnig wirken, und zwar auf die verschiedenen Merkmale und Maße in verschiedenem Grade, und daß man daher aus der größeren prozentualen Abweichung eines Merkmals nicht schließen dürfe, daß es allgemein paravariabler sei als ein anderes Merkmal mit kleinerer prozentualer Ab- weichung. Dieser Einwand muß als theoretisch durchaus zutreffend zugegeben werden. Ob er auch praktisch von Belang ist, werden weitere Forschungen erweisen. Einen Anfang in dieser Richtung habe ich dadurch gemacht, daß ich die Variabilität der körperlichen Maße bei E. Z. mit ihrer durchschnittlichen Verschiedenheit bei den Körperbautypen verglichen habe, wobei sich eine weitgehende Parallelität ergab. Es würde das dafür sprechen, daB mit wenigen Ausnahmen (z. B. Gehirnschädel) der Schluß von der prozentualen Abweichung eines Merkmals bei E. Z. auf den Grad seiner allgemeinen Paravariabilität erlaubt sein dürfte.

Abbild.

5u.6

7u.8

Ilu.12

13—15

16

17 u.18

19 u.20

Die Wirkung der Umwelt auf die anthropologischen Merkmale usw. 163

Erläuterungen zu den Bildern. L Bilder sehr ähnlicher Zwillinge.

Beide kamen in Schädellage zur Welt. I (der „ältere“ Zwilling, auf dem Bild stets links) war etwas kräftiger als II (der „jün- gere“ Zwilling, auf dem Bild stets rechts). Große Aehnlichkeit in allen Maßen.

I immer etwas kräftiger, begabter, II dafür etwas fleiBiger. Bei beiden die gleiche Entwicklung, auf der Schule beide gleich.

I ist Maler, war beim Militär, treibt viel Sport, II ist Mechaniker, war reklamiert, daher nicht Soldat, hatte 1919 Gelenkrheuma- tismus, treibt seitdem keinen Sport, I sehr nervös, gerät leicht in Zorn, II nicht so sehr.

I immer die Kräftigere, lernte % Jahr vor II das Laufen. Die Periode trat bei beiden im 16. Jahr auf, doch bei II um vier Wochen später; öfters Unregelmäßigkeiten, aber immer bei bei- den gleich.

Bis zum 10. Jahr I der Stärkere, bis zum 15. Jahr beide gleich, seitdem II der Stärkere, was sich vor allem beim Radfahren be- merklich mache. Beide sind Schreiner.

I arbeitet im Sommer auf dem Feld, im Winter näht sie in den Häusern, II geht in eine Strickwarenfabrik; II hat einmal ge- boren, I nicht.

Haben immer zusammengelebt und sich gut vertragen; bis zum 29. Jahr beide nebeneinander in einer Weberei gearbeitet, wo I auch jetzt noch arbeitet, während II seitdem wegen einer Syrin- gomyelie invalidisiert ist.

Beide Maurermeister und immer am gleichen Ort gelebt. Ver- ‚heiratet: I seit 1905, hat 1 Kind, II seit 1903, hat 4 Kinder. Im Kriege: I von 1916—1918, II von 1914—1918.

IL Bilder mit Verschiedenheit des Gehirnschädels.

12'/; | Tübinger Schulmädchen. Bei II ausgesprochene Hypsikephalie

Zwillinge Nr. Alter 12 9

29 10?/3 21 11 13 24 38 18

6 22 26 30

7 46 32 47 42 36 58'/s 11 18 16 44!)

1

(Tab. 4).

Beide Bauern, die sich sehr ähnlich sind, nur hat II schon von klein auf an der linken Kopfseite eine etwa faustgroße Verwöl- bung der Schädelkapsel.

In der Tübinger Frauenklinik als E. Z. geboren. I wog 3% Pfund, II 1% Pfund. I war in der Schule besser im Rechnen, Lesen, Erdkunde, II im Singen und Schönschreiben, Als Kinder ver- prügelten sie sich oft, auch jetzt noch, vertragen sich aber doch immer wieder. I mehr ruhig und still, II lustiger und lebhafter,

ist die geistig Führende. Bei II ausgesprochene Hypsikephalie (Tab. 4).

Körperlich immer gleich kräftig, dieselben Schulzeugnisse. I ist Gastwirt und Bauer, hat 10 Kinder, 1915—1918 beim Militär, Il ist Schreiner, diente aktiv bei den Grenadieren, von Kriegs- beginn an beim Militär. Bei II mittlerer Grad von Hypsikephalie (Tab. 4).

11*

Ke

164 Dr. Frhr. v. Verschuer: Die Wirkung d Umwelt a. d anthrop. Merkmale usw.

III. Bilder mit sonstigen Verschiedenheiten.

Abbild. Zwillinge Nr. | Nr. | Alter !

21u.22| 43 (KENG Zuerst war I die Schwächere, seit dem 2. Jahr ist I schwerer als IL Auf der Schule gleich, II etwas lebhafter, I etwas gemütlicher. Breite der Mundspalte um 4 mm verschieden.

23 17 9 I Gesichtslage, II Querlage. I immer etwas kräftiger. Nasenbreite

um 2 mm verschieden.

24 18 16 Bei II sei man lange im Zweifel gewesen, ob man ihn habe durch- bringen können, hat wegen seiner Körperschwäche den Schul-

besuch 1 Jahr später begonnen. Ohrlänge um 3 mm verschieden.

Siehe Text Seite 138. Normale Geburt bei beiden, I % Pfund leichter bei der Geburt. Zusammen aufgewachsen und zur Schule gegangen.

25 u.26; 33 15

27u.28| 48 27 I arbeitet in der Landwirtschaft, II in einem Schuhgeschäft. Ver-

schiedenheit der Nasenform.

29 u.30| 20 40 I kinderlos verheiratet, II hat 9 Kinder!

31u.32; 28 58'/s | Zusammen aufgewachsen, beide Kleinbauern im selben Ort. | mit 37 Jahren geheiratet, hat 7 Kinder, II mit 36 Jahren geheiratet,

hat 3 Kinder. Unterkieferwinkelbreite um 8 mm, Mundspalte um 4 mm verschieden.

Literatur.

. Poll: Ueber Zwillingsforschung als Hilfsmittel menschlicher Erbkunde. Zeitschr. f. Ethnol. 1914.

. Weitz: Studien an eineiigen Zwillingen, Zeitschr. f. klin. Medizin 1924. . Schneider: Ueber eineiige Zwillinge. LD Tübingen 1925. Siemens: Zwillingspathologie. Berlin 1924.

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mw m

. Lenz: Bemerkungen zur Variationsstatistik und Korrelationsrechnung und einige Vorschläge. Arch. f. Rass.- u. Ges.-Biol. Bd. 15, H. 4.

6. Fischer: Die Rehoboter Bastards und das Bastardierungsproblem beim Menschen. Jena 1913.

7. Walcher: Weitere Erfahrung in der willkürlichen Beeinflussung der Form des kindlichen Schädels. Münch. m. W. 1911, Nr. 3,

8. Fischer: Schädelform und Vererbung. Verh. d. Deutsch. Ges. f. Vererbungswissen- schaft 1923 in Zeitschr. f. ind. Abst. u. Vererb.-Lehre Bd. XXXIII, 1924.

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Beobachtungen an eineiigen Zwillingen. Von Dr. J. Paulsen, Kiel-Ellerbek.

Bei der Frage nach Art und Prognose einer Krankheit sucht der Arzt meistens durch die Familienanamnese Auskunft über die Konstitution des Kranken zu erhalten, weil diese zu einem großen Teil ererbt ist. Aehn-. licher aber noch als Kinder und Eltern oder Geschwister untereinander sind eineiige Zwillinge, die theoretisch in ihrem Erbgut völlig gleich sind, wenn auch Ausnahmen möglich erscheinen. Daher bieten sie bei der Er- forschung, ob und inwieweit Erblichkeit bei normalen Zuständen oder krankhaften Vorgängen eine Rolle spielt, mit das beste Beobachtungs- material, über das der Arzt verfügt. Ich habe daher, angeregt durch die Arbeit von Poll*), die sich allerdings nur mit normalen Zuständen be- schäftigt hat, auf eineiige Zwillinge geachtet und sie unter besonderer Berücksichtigung von Entwicklungsstörungen und Krankheitsverlauf teil- weise Jahre hindurch beobachtet. Inzwischen ist die grundlegende Arbeit von H. W. Siemens*) erschienen, der an mehr als 50 Paaren sorg- fältige Untersuchungen angestellt hat. Sie wird für alle weiteren Unter - suchungen die unentbehrliche Grundlage bilden. Die nachstehend dar- gestellten Beobachtungen mögen ein Beitrag auf diesem Gebiete sein. Ich gebe zunächst die Lebens- und Krankheitsgeschichten und schließe daran einige Schlußfolgerungen an.

Fall 1. 46 K. 3 Wochen alt, nach Aussage der Hebamme eineiig. Geburtsgewicht gleich, je 6 Pfund, Flaschenkinder; das eine Kind sieht blaB aus und gedeiht weniger gut. Mutter unterscheidet die Kinder an der Nasenbildung; ein Kind hat KlumpfuB.

Fall 2. 22 S. 2% Jahre alt. Ein Kind wog 50 g weniger bei der Geburt; beide 1 Jahr Brust. Dabei blieb das eine infolge exsudativen Ekzems stark in der Entwicklung zurück, das andere wurde sehr fett. Später erkrankten beide Kinder (das kleinere und magerere leichter) an Rachitis; das schwerere lernte daher erst mit 2% Jahren laufen.

Fall3 64 W. 3 Jahre alt. Arthur wog 6, Johannes 5% Pfund bei der Geburt. Mutter konnte die Kinder anfangs nicht unterscheiden; später

*) Ueber Zwillingsforschung als Hilfsmittel menschlicher Erbkunde. Zeitschr. f. Ethnologie 1914.

*) Die Zwillingspathologie. Berlin 1924. Springer.

166 Dr. J. Paulsen: hatte der Kleinere eine hellere Stimme. Sie lernten zu gleicher Zeit laufen und sprechen und hatten mit 2% Jahren in kurzem Zeitabstand eine Mittelohrentzündung. Körperlich sind sie völlig gleich; nur ist Johannes 2 cm größer und etwas magerer, Arthur etwas kürzer und breiter. Die vier oberen Schneidezähne bei beiden gleichmäßig kariös. Kopf- form völlig gleich; Haarfarbe und Haargrenzen ebenso; Augenfarbe gleich; Johannes hat etwas magerere Ohren, das Darwinsche Knötchen ist bei ihm kaum sichtbar, Arthur hat etwas fleischige Ohren mit schwachem Darwinschen Knötchen.

ball A 66 B. 6 Jahre alt, von deutlich digestivem Habitus nach dem Vater; beide schielen auf dem rechten Auge, der eine etwas weniger. Eine Schwester von 5 Jahren, wie ihre Mutter Asthenika, schielt gleichfalls. Zwillinge 1922 zu gleicher Zeit nach Scharlach Mittelohr- entzündung, der eine mit Eiterung auf einem, der andere auf beiden Ohren; Verlauf bei beiden wie auch bei der Schwester rasch und gutartig; später beide zu gleicher Zeit starke Bindehautentzündung unbekannten Ursprungs. 1923 zu gleicher Zeit Masern.

Fall 5. 66 F. 12 Jahre. Vaters Bruder und Schwester Zwillinge. Geburtsgewicht 5% und 4% Pfund. Brustnahrung nur 2 bzw. 4 Wochen. „Sie hatten es als Kinder fast immer am Magen zu gleicher Zeit, der klei- nere eine Stunde früher.“ Das kleinere Kind gedieh schlecht und war im ersten Lebensjahre ein Vierteljahr in einem Krankenhause; das andere gedieh normal. Beide hatten die Masern zu gleicher Zeit; der kleinere mußte an adenoiden Vegetationen operiert werden, der größere nicht; 1918 hatten beide Grippe, angeblich der größere schwerer.

Von dem anthropologischen Befund interessiert folgendes: Länge: 143 : 145,5 cm; beide haben am Kopfe 2 Wirbel. Umfang des Kopfes: 52:52,5 cm. Bei dem kleineren steht das Hinterhaupt etwas deutlicher hervor, und das Gesicht ist bei genauester Betrachtung etwas schmäler. Vor einem Jahre war dieser Unterschied bedeutend stärker ausgesprochen, während er auf Bildern der früheren Kindheit nicht zu sehen ist. Es ist also eine Wachstumshemmung für einige Zeit vorhanden gewesen, die jetzt allmählich sich ausgleicht. Kleine Naevi bei beiden verschieden lokali- siert. Haar und Augenfarbe gleich. Zu unterscheiden sind die Zwillinge an einer 1 cm langen, etwas größeren Ausbuchtung des Helix bei dem einen. Bei dem Großen stehen die Zähne weiter; der rechte Eckzahn oben fehlt. Geringe Sommersprossen bei beiden gleich lokalisiert. _

Fall6. 58 Kr. 14% Jahre. Geburtsgewicht 4% und 3'/: Pfund. Einer hat Diphtherie gehabt, beide zusammen Windpocken und Ma- sern. In der Schule gleich, beide musikalisch, gleich interessiert für Mathematik und Geschichte, nicht für Englisch. Größe: 156 und 157 cm; Gewicht ohne Kleidung: 42,5 und 41 kg. Kopf- form gleich, Umfang: 54 und52cm; sonst anthropologisch gleich. Akneknötchen bei beiden über der Nase und im Gesicht völlig gleich lokalisiert im Beginn der Pubertät.

Keuchhusten gleichzeitig. In der Schule gleich. Länge: 157 und 158 cm bei gleichem Gewicht von 43,5 kg. Ziemlich starke Venenentwick- | lung in der Lumbalgegend bei beiden übereinstimmend. Som- mersprossen gleich stark und gleich lokalisiert, Augen blau, nur bei einem kleiner, gelbbrauner Fleck in der Iris. Einzelne kleine Pigmentflecken bei beiden verschieden.

Fall 8 22 A. 15 Jahre. Geburtsgewicht je 7% Pfund! Zum Ver- wechseln ähnlich für Familie und Schule. Zeugnisseimmer gleich, Interesse für Sport bei beiden gleich, körperlich völlig gleich bis auf Ge- wicht und Länge: 54 : 55,5 kg und 157:158 cm. Eine hat Warzen, eine hat einen kariösen unteren Mahlzahn. Haare gleich blond und gelockt, Augen blau, Kopfform und Gesicht gleich. Sommersprossen gleichmäßig stark ausgebildet an Stirn, Gesicht, Nacken, schwach auf der Brust, stark an den Oberarmen. Ohren gleich, ohne Läppchen.

Fall 9. 22 N. 18 Jahre. Beide immer zum Verwechseln ähnlich, typische Asthenicae vom Vater her. In der Schule gleich, ebenso im Cha- rakter. Masernund Keuchhusten gleichzeitig. Im Sommer 1922 erkrankte die eine an Bleichsucht mit 40% Blutfarbstoff. Im Ver- lauf der Behandlung fiel mir auf, daß ein Mittel zu rasch verbraucht war; es stellte sich heraus, daß die Schwester zu gleicher Zeit unter fast ganz gleichen Erscheinungen erkrankt war! Der Verlauf war gleich und rasch. Menses sind bei der einen 3 Monate früher eingetreten als bei der anderen; sie erscheinen regelmäßig im Abstand von 3 Tagen.

Fall 10. 22 M. 39 Jahre. Schwester einer Großmutter hatte sehr ähnliche Zwillinge. Geburtsgewicht angeblich 4 und 2% Pfund. Häufig verwechselt. In der Schule waren die beiden nicht in allen Fächern gleich, die eine soll weniger musikalisch als die andere sein. Masern und Scharlach gleichzeitig, bei der kleineren Schwester leichter verlaufend. Bleichsucht mit 16 Jahren trat bei der kleineren ebenfalls leichter auf. Beginn der Menses gleichzeitig. Weisheitszähne brachen mit 23 Jahren in derselben Woche durch. Beide hatten im Wochenbett Bla- senbeschwerden; beide haben 2 Töchter und 1 Sohn. 1917 behan- delte ich die eine Schwester an Lungenentzündung; einige Jahre später hatte die andere Schwester an einem anderen Wohnorte dieselbe Krankheit. Beide haben vergrößerte Mandeln. Blinddarm- entzündung ist familiär. Die Mutter hat wahrscheinlich wiederholt Anfälle gehabt; ebenso eine ältere Schwester, ein Bruder ist mit 10 Jahren daran gestorben. Von den Zwillingen war die eine zuerst krank 1907 und 1909; 1910 brachte ich sie zur Operation; es fand sich: „Appendix nach oben hinten umgeschlagen, kein coecum mobile. Der andere Zwilling wurde 1919 auswärts operiert, Befund mir nicht bekannt; die Tochter der Erstbeschriebenen 1918, Befund: „Colon und Coecum abnorm beweglich, Wurm nach oben gerichtet, sehr lang, mehrfach geringelt.”

168 Dr. J. Paulsen:

Sonst ist noch erwähnenswert, daß das Ergrauen der Haare zu gleicher Zeit eingetreten ist; die eine ist in günstigeren wirtschaftlichen Verhältnissen und immer etwas schwerer und kräftiger gewesen, sonst auch heute noch zum Verwechseln ähnlich; die von mir behandelte er- kennbar an einemkleinen,braunenFleck in der sonst blauen Iris.

Fall 11. 86 Chr. 48 Jahre. Schwester des Vaters hat zwei Mehr- lingsgeburten gehabt (4 2 und ??5); von den letzteren sind die beiden °° am Leben geblieben. Mutter hat Zwillingsgeschwister ô °. Geburtsgewicht: 7 und 6 Pfund; der erstere ist immer etwas größer und schwerer gewesen, auch jetzt noch. Beide gute Mathematiker, beide hatten als Knaben eine ausgeprägte Vorliebe für Pferde und Hunde, die sie in der ganzen Um- gebung genau unterscheiden konnten. Immer gesund, nur vom Vater her beide zuRheumatismus geneigt; der eine verlor ihn im Kriege im warmen Klima Rumäniens, der andere erkrankte an der Somme schwer daran mit starken Versteifungen und war erst nach 2 Jahren ganz geheilt.

Die Diagnose konnte von mir nur zweimal nach den be- stimmten Angaben der Mutter bzw. der Hebamme gestellt werden. Sonst kann man, ohne in die Gefahr der Fehldiagnose zu geraten, eineiige Zwillinge annehmen, wenn die „Aehnlichkeit zum Verwechseln“ groß ist, und wenn daneben große geistige und Charakterähnlichkeit von den Eltern angegeben wird.

Bemerkenswert ist aber, daß bei eineiigen Zwillingen körperliche Ver- schiedenheiten sich doch nicht selten nachweisen lassen. So ist schon das Geburtsgewicht fast nie völlig gleich, und auch während des späteren Lebens bleiben dann meist Unterschiede des Gewichtes bestehen; dasselbe gilt hinsichtlich der Körperlänge; und ich habe mehrfach den gleichen Eindruck hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten gehabt, soweit man nach der kleinen Zahl der Fälle urteilen kann. Wir sehen daraus, daß äußere Einflüsse offenbar schon vor der Geburt wirksam sind. Ein Zwilling kann im Laufe der weiteren Entwicklung seinem Bruder nachkommen; er braucht es aber nicht. Eine auch anthropologisch bemerkenswerte Beobachtung machte ich z. B. im Falle 5. Der eine Zwilling war durch Ernährungs- störungen im ersten Lebensjahre in der Entwicklung stark zurückgeblieben, hatte seinen Bruder aber später völlig eingeholt, wie sich aus Bildern aus dem vierten Lebensjahre ergibt. Vor 2 Jahren nun, mit 10 Jahren, war das Gesicht aber deutlich schmäler; der Knabe war also wiederum seinem Bruder gegenüber zurückgeblieben; jetzt hat er das nachgeholt, und ich kann nicht den geringsten Unterschied mehr an den Gesichtern feststellen. Dagegen ist das Profil bei dem kräftigern deutlich steiler. Eine anthropo- logische Messung vor zwei Jahren hätte ihn zahlenmäßig unter eine ganz andere Typen- oder Rassenrubrik gebracht, trotzdem die Kenntnis seiner Vererbungsverhältnisse die Gleichheit beweist.

Größere Unterschiede am Schädel nach Form und Umfang hat Sie- mens nachgewiesen, teilweise ans Pathologische streifend. Diese Beob- achtungen beweisen, daß Schädelmaße und Form sowie Körperlänge und

Gewicht weitgehend von äußeren Einflüssen abhängen können. Die An- `

thropologie hat das schon früher an ihrem Material festgestellt, z. B. die

Zunahme der durchschnittlichen Rekrutengröße in mehreren Ländern, die -

Aenderung der Schädelform bei Einwanderern in Amerika u. a. m.

Wichtiger sind für den Arzt die Beobachtungen über Entwicklungs-

störungen und konstitutionelle Schwächen. Im Fall 2 waren exsudative `

Diathese und später Rachitis bei beiden Kindern ganz verschieden stark, trotzdem beide Brustnahrung erhielten. Im Fall 5 erkrankte das kleinere Kind schwer an Ernährungsstörungen bei Kuhmilch, während das andere

sich völlig normal entwickelte. Wir können daraus nur schließen, daß die

Reaktionsbreite häufig recht verschieden ist. Das gilt auch für die Ausbil- dung der Tonsillarhypertrophie und des Schielens; der Strabismus war bei dem einen Zwilling häufig kaum nachweisbar, bei dem anderen immer deutlich. Bei starken derartigen Manifestationsschwankungen wird ge- gebenenfalls die Manifestation ganz ausbleiben können. Besonders geistige und Charaktereigenschaften scheinen von uns bisher noch unbekannten äußeren Einflüssen stark abhängig zu sein. Wichtig wird es sein, an starken Begabungen und bei einer größeren Zahl Erwachsener diese Dinge zu ver- folgen.

Bei den Infektionen ist der Einfluß der gleichen Anlage auf den Ver- lauf der Krankheit bei Masern, Scharlach, Windpocken nicht so deutlich nachweisbar, weil erfahrungsgemäß bei gleicher Infektionsquelle auch bei Geschwistern die Krankheit meistens sehr gleichmäßig verläuft. Bemer- kenswert ist immerhin, daß Nachkrankheiten oft bei beiden auftreten. Die Neigung zu Lungenentzündung ist ebenfalls recht häufig familiär, ebenso die zu Blinddarmentzündung, wenigstens nach meinen Erfahrungen; es muß wohl eine anatomische Disposition, die dann bei eineiigen Zwillingen die gleiche ist, eine wesentliche Rolle spielen. Aeußere Einflüsse dagegen bestimmen, wie wir an dem letzten Falle sehen, den Verlauf einer rheuma- tischen Erkrankung ganz außerordentlich.

Medizinisch am interessantesten scheint mir die Beobachtung des Fal- les 9, wo bei beiden Zwillingen zu gleicher Zeit eine Bleichsucht auftrat und unter gleichem Bilde verlief. Daraus läßt sich wohl schließen, daß bei dieser Erkrankung der endogene Faktor eine ganz überragende Rolle spielt. Vielleicht wird sie sich als eine geschlechtsbegrenzte Entwicklungs- störung erweisen.

Soweit die bisherigen Erfahrungen an eineiigen Zwillingen reichen, zeigen sie, daß meistens eine sehr gleichmäßige Entwicklung stattfindet

Beobachtungen an eineiigen Zwillingen. 169

170 Dr. J. Paulsen: Beobachtungen an eineiigen Zwillingen.

von den ersten Monaten an beim Laufenlernen, Beginn der Pubertät, Durch- bruch der Weisheitszähne bis zum Ergrauen der Haare, ja bis zum Tode. Daneben gehen gleiche krankhafte Entwicklungsstörungen einher; auch Infektionskrankheiten verlaufen gleich; das kann das ganze Leben hindurch so bleiben. So kenne ich zwei Herren von 67 Jahren, beide Beamte, die ihr ganzes Leben nie krank gewesen sind. Ueber einen ähnlichen patho- logischen Fall verfüge ich bisher nicht. Ich zitiere daher den Fall von Michaelis*): Sehr ähnliche Zwillinge, der eine Landwirt, der andere höherer Beamter, letzterer ledig, in der Großstadt wohnend, erkrankten als 60er zur gleichen Zeit an Gehstörungen infolge Diabetes, Ulcus perforans einer Zehe und starben mit einem Zeitunterschied von wenigen Wochen an Uramie.

Solche Fälle sind aufs beste geeignet, uns die endogen bedingte ererbte Gleichheit der physiologischen Tätigkeiten des Körpers bei Zwillingen zu zeigen. Sie beweisen aber auch, daß bei einer Stoffwechselerkrankung wie Diabetes der endogene Faktor eine überragende Stellung einnimmt. Sie sind daher imstande, uns in der Prognose des Kranken weiterzubringen und schließlich sogar das letzte Ziel jeder Prognostik, die Lebensaussicht für das Individuum sicherer als bisher berechnen zu können. Weitere Zwillingsbeobachtungen sind daher dringend nötig, besonders bei Erwach- senen und ihr ganzes Leben hindurch.

Wirkt der moderne Sport rassenerhaltend und -ertiichtigend? VonL.Gschwendtner

(Wissenschaftlicher Mitarbeiter des o.-ö. Landesmuseums.)

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei gleich vorweggenommen, daß bei dem Worte „ertüchtigen“ in der Ueberschrift nicht an einen Ueber- gang körperlicher oder geistiger Uebungserfolge auf die Erbmasse gedacht ist, sondern lediglich an die Weckung und Hebung des Verantwortungs- gefühles gegenüber der Rasse. Diese Betonung scheint mir gerade heut- zutage, wo Staat und Gesellschaft fast unermüdlich, blind und taub gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis, Vermögen und Zeit rein individual- hygienischen Schwärmereien opfern, höchst notwendig zu sein. Unver- kennbar ist die Sucht nach Höchstleistungen. Die Gier nach Genuß, sei es jetzt das Herbeisehnen jenes Prickelns, das der waghalsige Kletterer in Lebensgefahr zu verspüren bekommt, sei es das Herausholen und An- spannen der letzten Kräfte des Wettläufers od. dgl., alles dies schafft jenen Reizhunger, der den Befallenen aus dem Geleise seines Alltagserwerbs zu

*) Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 1904, I, S. 198.

Wirkt der moderne Sport rassenerhaltend und -ertüchtigend? 171

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schleudern droht und den Professionalismus gebar. Im besonderen sei der in der Sportwelt schon bis ins Lächerliche gesteigerten Selbstgefälligkeit Erwähnung getan. Keine Zeitung, keine Zeitschrift für Körperkultur ist mehr zu finden, in der nicht gleich mehrere „neue Sportgrößen“ im Bilde erscheinen würden. Dieses wohlgefällige Sichsehenlassen im Zusammen- hang mit der auf dem Sportplatz erzielten Rekordleistung scheint mir eine der wichtigsten Triebfedern zum neuerlichen Sichüberbieten zu sein und damit eine nicht zu vernachlässigende Ursache von Lebensgefahr. Abge- sehen von der kindlichen Eitelkeit liegt in diesem selbstgefälligen Gebaren ein gewisser Grad mangelnden Pflichtbewußtseins gegenüber dem Leben verborgen. |

Wo bleibt da die in der Sportliteratur als „ethischer Endzweck" er- sehnte Ertüchtigung der Rasse? Abgesehen von den erhöhten Lebensge- fahren kann infolge des Bestrebens, als Sportgröße einmal eine Anstellung als Sportlehrer od. dgl. zu erhalten, der Gedanke einer Familiengründung naturgemäß erst sehr spät oder vielleicht überhaupt nie erwachen. Lo- gischerweise müßten aber gerade diese Sterne der Sportwelt zur Hebung der Rasse am besten geeignet sein. Wie soll aber eine Ertüchtigung statt- finden, wenn gerade diese Elite nie oder erst reichlich verspätet zur legi- timen Nachkommenerzeugung kommt? Wie soll die Rasse gehoben wer- den, wenn durch „gewerbliche“ Unfälle der Familienerhalter brotlos ge- macht oder schließlich der Ertüchtigte vor erfolgter Familiengründung ein Opfer seines Berufes geworden ist?

Man wird darauf einwenden wollen, daß der Hauptzweck des Sports das Herausholen des individuellen Maximums sei; und von gemäßigten Anhängern wird beigefügt werden, daß der Professionalismus im Interesse des „idealen“ Gedankens als moderner Auswuchs bedauerlich sei. Im sel- ben Augenblick fällt aber die Rassenertüchtigung in sich zusammen und alles Vermögen und manch kostbare Zeit ist vergeudet, da dieses Maximum viel billiger und weniger zeitraubend durch maßvolle Bewegung in freier Natur und Angewöhnen einer schönen, geraden Körperhaltung erzielt werden kann. Meines Erachtens ist es für die Allgemeinheit überdies über- flüssig, gerade immer das Maximum herauszuholen, es genügt im e esse der Allgemeinheit“ sicher das Medium.

Es wäre einseitig und unwissenschaftlich, wenn man sich bei der Beurteilung selbst des modernen Sports mit den hier angedeuteten nega- tiven Ergebnissen begnügen würde und die heute so wohlorganisierte sportliche Betätigung aus dieser Ueberlegung heraus schlechthin als be- langlos oder nachteilig für das Gedeihen der Rasse abfertigen wollte. Wenn man auch der Betätigung selbst lediglich individualhygienische Bedeutung beimessen kann, so ist doch die Frage berechtigt, ob in der Idee, die dem ganzen Bestreben zugrunde liegt, nicht auch Ziele nachweisbar sind, die

172 L. Gschwendtner:

rassenhygienisch vorteilhaft wirken. Und da scheint mir vor allem beach- tenswürdig, daß eine Strömung erkannt werden kann, die mit der Abkehr von der neuzeitlichen Humanität, von der modernen Einstellung des Ge- meinschaftsgeistes auf Leiden und Krankheit zumindest verwandt ist. Der Menschen Sehnen wird auf Gesundheit gelenkt, Gesundheit des einzelnen als auch seiner Nachkommen. Freilich gibt man sich bezüglich der Durch- führung Illusionen hin, die, wie schon erwähnt, das Ziel nicht erreichen, doch bedürfte es lediglich geschickter Anleitung, welche diese Strömung richtig erfaßt und den Leuten den entscheidenden Schritt zu machen bei- bringt. Daß dieses Experiment tatsächlich gelingen kann, hat hier in Linz Reg.-Rat Dr. Brenner bewiesen, der als Vorstand des „Turnvereins 1862“ den Versuch mit bereits deutlich merkbarem Erfolg unternimmt.

Weiter beachtenswert ist die Tatsache, daß die sportliche Betätigung die heute so entsetzlich gefährdete Jugend wenigstens teilweise von den Gefahren der Großstadt fernzuhalten vermag und damit unseren Nach- wuchs vor Alkohol und Geschlechtskrankheiten und den in den Städten in voller Blüte prangenden Korruptionen zeitweise schützt. Jede sportliche Ablenkung hinterläßt einen Eindruck, mit dem sich der junge Mensch mitunter stunden- und tagelang abgibt, je nach dem Gehalt des gehabten Erlebnisses und der Phantasie des Beschauers. Und jede Stunde ist kost- bar, die frei ist von der modernen Moral.

Es wäre nun sehr interessant zu erfahren, ob und wie stark bei den aktiven Sportfreunden das Verantwortungsgefühl gegenüber der Rasse aus- geprägt ist, ob und inwiefern durch deren Neigungen die Erhaltung und Tüchtigkeit der Rasse beeinträchtigt wird. Bekanntlich verfolgen die mei- sten Sportvereine, insbesondere die Turnvereine, abgesehen von der körper- lichen Ertüchtigung noch eine Anzahl Nebenziele, je nach der Gesinnung ihrer Gründer. Wohl sind es heute meistens parteipolitisch angehauchte Ideale, für die speziell die Turnvereine ins Schlepptau kamen, doch wird man neben diesen auch noch solche antrefien, die aus dem Wunsche nach Hebung der Volksqualität entsprangen. Vom Antisemitismus, dem wohl alle „arischen‘ Sportvereine fröhnen, will ich hier nicht sprechen, wenn- gleich auch diese Strömung, allerdings nur bis zu einem bestimmten Grade, der Rassenertüchtigung dienen mag. Die Antialkohol- und Antinikotin- bewegung erfährt von diesen Seiten kaum eine nennenswerte Förderung, das Gegenteil scheint mir, wenigstens was ich bisher gesehen, eher glaub- lich. Wohl aber konnte ich mich des öfteren überzeugen, daß man den jungen Leuten die Wichtigkeit sorgfältiger Gattenwahl, und zwar im Hin- blick auf das Wohl und Wehe der Nachkommen und der Erhaltung und Förderung der „germanischen“ Rasse bei mancherlei Gelegenheit einprägt. Auch konnte ich selbst beobachten, daß man aufrichtig bestrebt ist, den Leuten Ehrfurcht vor den Helden der vaterländischen Geschichte, Achtung

Wirkt der moderne Sport rassenerhaltend und -ertüchtigend? 173

vor den eigenen Ahnen einzuflößen. Vor noch nicht langer Zeit ging man auch daran, auf die Fragen der Rassenhygiene ein Augenmerk zu lenken. Freilich noch recht schüchtern und einseitig. Man knüpft dabei meistens an das Wort Rasse an und speziell hat man die Pflege der nordischen Rasse im Auge. Das Buch von Günther und die Spekulationen Otto Hausers, weiter auch die Rassenkunde Kraitscheks fanden allent- halben Eingang.

Um nun zu erfahren, ob die erwähnten schüchternen Versuche der Vereine bereits von Erfolg begleitet waren, insbesondere aber, ob und in- wieweit die Denk- und Willensart der aktiven Mitglieder einzelner Sport- vereinigungen bezüglich Ehe, Gattenwahl und Fortpflanzung dem Gedeihen der Rasse zuträglich ist, unternahm ich im Jahre 1924 den Versuch, Frage- bogen, die darauf Bezug nahmen, an besonders erfolgreiche Sportleute zu bringen. Die Anregung hierzu verdanke ich der Arbeit des Amerikaners H R. Hunt: Matrimonial views of university students.

Soviel ich weiß, hat bisher noch niemand in Oesterreich einen der- artigen „indiskreten“ Versuch, wie berufene Fachleute ihn nannten, unter- nommen. Doch ließ ich mich durch diese Beurteilung nicht abhalten und sammelte einige Unterschriften stadtbekannter Persönlichkeiten, die zu- gleich Gewähr boten, daß die Sache ernst aufgefaßt werde. Ebenso wie Hunt ließ ich die Fragebogen ohne Namensnennung beantworten und in zugeklebtem Briefumschlag durch Mittelspersonen an mich zurücksenden. Die Fragen waren von nachstehendem Schreiben eingeleitet:

Euer Hochwohlgeboren!

In dieser Woche wird an alle tüchtigen Turn- und Sportfreunde un- serer Stadt umstehender Fragebogen abgesendet. Die Unterfertigten bürgen dafür, daß das Gesamtergebnis der Beantwortung der Fragen durchwegs nur für eine äußerst bedeutsame wissenschaftliche Arbeit über Menschen- kunde verwendet wird. Gerade deshalb ersuchen wir Sie, diese Fragen vollständig wahrheitsgetreu und ohne jedes Vorurteil beantworten zu wol- len. Mit Rücksicht darauf, daß die geplante Arbeit völkisch von weittra- gender Bedeutung ist, wolle die Sache durchaus ernst genommen werden und jeder hier sehr schlecht angebrachte Scherz von vornherein vermieden werden.

Der ohne Namensnennung ausgefüllte Bogen wolle in das beigegebene braune Kuvert gesteckt und dieses zugeklebt dem Vermittler wieder zurück- erstattet werden, der diese unberührt dem übergibt, der jene Arbeit vorhat. Auf das Kuvert ist nichts zu schreiben.

Nachstehende Erklärungen zu Punkt 2 wollen beachtet werden:

ad Punkt 2: Hier ist alles, was zutrifft, anzugeben, wie: Turnen, Alpi- nistik, Schneeschuhlaufen, Schwimmen, Rudern, Ballspiel etc.

174

L. Gschwendtner:

Hier folgen nun die Unterschriften:

Primarius Dr. A. Brenner, Regierungsrat. Primarius Dr. Franz Ertl. Dr. Otto Hamann.

Dr. Theodor Kerschner, Vorstand der naturhist. Abteilung des

o.-6. Landesmuseums. Georg Obermüller, Kaufmann.

Dr. Josef Sommer, Direktor der Landwirtschaftskrankenkasse.

Die Fragenfolge habe ich derart gewählt, daß aus der Beantwortung die besonders erfolgreichen Sportleute erkannt werden können:

1. Geschlecht und Alter?

2. Arten der Körperübung, die Sie betreiben? 3. Welche mit besonderer Vorliebe? 4.

Erlangte Anerkennungen und Auszeichnungen und für welche Art der Körperübung wurden sie erreicht?

5. Ledig oder verheiratet?

A. Wenn verheiratet

I.

Betreibt die Gattin (der Gatte) irgendeine Körperübung und welche?

. Hat die Gattin (der Gatte) Anerkennungen erlangt und auf

welchem Gebiete der Körperübung? Größe Ihrer Familie (derzeitige Kinderzahl)?

. Gewünschte Familiengröße (wieviel Kinder würden Sie sich

wünschen)?

. Wie lange haben Sie Ihr Kind (Ihre Kinder) gestillt (für

jedes einzelne gesondert anzugeben)?

B. Wenn ledig

I. II.

II. IV.

Besteht Neigung zur Heirat?

Gewünschte Familiengröße (wieviele Kinder würden Sie sich wünschen)?

Gründe gegen die Heirat?

Art des (der) gewünschten Gatten (Gattin), [soll er (sie) eben- falls eine Körperübung betreiben; was für einen Beruf soll er haben; soll er (sie) reich sein etc.]?

A und B:

6. Bisher

durchgemachte Krankheiten?

Gerne hätte ich auch darum gefragt, ob der Befragte von Rassenhygiene bereits gehört, und was er darüber denke. Da jedoch die Gefahr bestand, daß die Leute hierdurch verwirrt werden könnten, unterließ ich den Zusatz.

Wirkt der moderne Sport rassenerhaltend und -ertiichtigend? 175

Insgesamt gab ich 350 Stück Blätter aus. In Betracht kamen nur Linzer Vereine. Die Verteilung war folgendermaßen: 100 Stück: Turnverein Jahn, 100 Stück: Turnverein 1862, 80 Stück: Christlich - deutscher Turnverein, 50 Stück: Oberösterreichischer Schiverband und 20 Stück: Sudeten-deut- scher Turnverein. Je nach der Umsicht des Vermittlers bekam ich einen größeren oder kleineren Prozentsatz der Fragebogen beantwortet zurück. Erwähnen muß ich, daß ich den Vermittlern nahelegte, womöglich nur die Leistungsfähigsten mit einem Fragebogen zu bedenken und vor allem jene, die bereits auf irgendeinem Zweig der sportlichen Betätigung Anerken- nungen erworben haben, wodurch dem Sinn des Ganzen nur gedient wer- den konnte. Die Weisung wurde zum größten Teil befolgt, wodurch aller- dings eine kleine Anzahl Fragebogen übrig blieb. Leider wurden mir die unbenötigten nicht zurückerstattet, weshalb der errechnete Prozentsatz dem tatsächlichen Ergebnis nicht vollkommen entspricht. Dies um so mehr, da, wie mir gestanden wurde, die Rückforderung etwas zu lässig betrieben wurde und überdies die Ausgabe in die Zeit der Urlaube (Mai—September) gefallen war. Es soll damit nicht geleugnet werden, daß die zurückerhal- tenen Fragebogen eine Auslese bedeuten und das Resultat sich ein wenig ändern könnte, wenn alle ausgegebenen Fragebogen zurückgesandt worden wären. Denn manche eingefleischten Junggesellen werden mit der Beant- wortung absichtlich bis zur Vergessenheit gezögert haben. Doch diesen gegenüber stehen wieder jene, die aus „Empfindlichkeit“ die Beantwortung unterließen. Da sich alle Für und Wider ungefähr die Wage halten werden, ist die Annahme berechtigt, daß durch eine größere Beteiligung das zahlen- mäßige Ergebnis bezüglich der gewünschten Familiengröße und Heiratslust keine überraschende Aenderung erfahren hätte. An erster Stelle steht der Christlich-deutsche Turnverein mit 47,5% (38 von 80), an zweiter der Su- detendeutsche Turnverein mit 40% (8 von 20), an dritter der o.-ö. Schi- verband mit 34 % (17 von 50). Schlecht schnitten die beiden größten Turn- vereine ab, was aber der ganz unzulänglichen Vermittlung zuzuschreiben ist. Turnverein 1862: 12%, Turnverein Jahn (der größte unserer Stadt): 7%. Die beiden letzten sind deshalb für die Berechnung der prozentuellen Beteiligung nicht in Betracht zu ziehen. So wären demnach 42 % der ver- sandten Fragebogen beantwortet worden.

Scherze wurden durchwegs unterlassen. Dies bietet die Gewähr, daß absichtliche Täuschungen ebenfalls vermieden wurden. Eine gesonderte Betrachtung männlicher und weiblicher Resultate ist bezüglich der einmal gewünschten Familiengröße wegen der geringen Anzahl beantworteter Fragebogen leider nicht durchführbar. Doch wird durch die Zusammen- legung das Gesamtbild nicht wesentlich verändert, da die Anschauungen beider Geschlechter nahezu gleich variabel sind, wie die Durchsicht der Fragebogen bewies. Eine Trennung von Ledigen und Verheirateten war

176 L. Gschwendtner:

dagegen angezeigt und auch zulässig. Insgesamt gelangten 82 Fragebogen zurück. Hiervon war 1 leer, 48 waren von Ledigen beantwortet worden, 33 von Verheirateten. Von den 48 Ledigen verneinten 11 (8 männliche, 3 weibliche) die Neigung zur Heirat. Die übrigen 37 erklärten sich prin- zipiell für geneigt. Als Ursache für die Unlust zur Ehe gaben 5 nichts Be- stimmtes bekannt, 1 (weiblich) begründet ihre Abneigung mit „schwacher Gesundheit“ unter Punkt 6 ist tatsächlich „Lungenentzündungen“ an- gegeben —, 3 motivierten ihre Abneigung mit der ungünstigen wirtschaft- lichen Lage; 1 (männlich) mit „Abneigung vor dem Zwang der Ehe“. Der letzte äußerte sich hierzu etwas ausführlicher: „Derzeit ganz abgeneigt; die Ehe ist bei Verantwortung sinnlos, ohne Verantwortung verbrecherisch. Kinder darf nur zeugen, wer sie mit Sicherheit vor der Not des Lebens zu schützen vermag; das kann niemand! Notwendigkeit zur Fortpflanzung besteht keine. Heiraten heißt seine Pflichten verdoppeln und seine Rechte halbieren.“ Ich glaube, ein Kommentar ist hierzu ganz überflüssig. Be- merkt sei, daß der Betrefiende 26% Jahre alt ist.

Von den übrigen 37 hatten einige (10), die oflenbar diese Frage zu aktuell aufgefaßt hatten, Gründe gegen eine (derzeitige) Verehelichung angegeben, und zwar 6 „die derzeitige Wirtschaftslage“, 1 außer dieser noch, daß er eine 60 jährige Mutter zu erhalten hat, 2 „jugendliches Alter“ (21 Jahre, 23% Jahre), 1 seine Invalidität (Armamputation infolge Kriegs- verletzung).

Nun die Frage der gewünschten Familiengröße. Es ist klar, daß diese Frage der Kernpunkt der ganzen Rundfrage ist. Hier zeigt es sich vor allem, ob die Denkart gesund, der Wille dem Gedeihen der Rasse zuträglich ist. Denn keine Erkenntnis scheint mir für die Frage der Tüchtigkeit eines Volkes tiefsinniger und wahrheitsgetreuer zu sein als die rassen- hygienische These, daß die Hebung der Qualität nur auf dem Umweg der Quantität erreicht werden kann. Zugleich ist der Wille zur zahlenmäßigen Erhaltung der Rasse ein Prüfstein für den sittlichen Wert eines Menschen. Hier zeigt es sich, ob die Erziehungskunst der Sportvereine imstande ist, gesunde Instinkte zu erhalten und die Vorstöße des Neumalthusianismus abzuwehren.

Als erstes sei das Ergebnis der Aeußerungen Lediger erwähnt. 46 Fragebögen kommen hierfür in Betracht, da 2 nur ganz allgemeine An- gaben enthalten (soviel es die Umstände erlauben). Ohne Hinzuzählung der 11 Heiratsunlustigen ist die durchschnittlich gewünschte Familien- größe (Anzahl der Kinder) 2,77. Mit Einbeziehung der 11 Heiratsunlustigen dagegen 2,2. Man sieht, selbst die günstigste Berechnung bietet der zahlen- mäßigen Familienerhaltung nicht mehr die Gewähr. Die ungünstige ist dem Zweikindersvstem schon sehr stark genähert. Nun die Verheirateten. Von den 33 Antworten scheiden 4 aus, 1 wegen allgemein gehaltener

Wirkt der moderne Sport rassenerhaltend und -ertüchtigend? 177

Formulierung, 3 als von Frauen herrührend, deren Männer durch einen Fragebogen vertreten sind. Die durchschnittlich gewünschte Familiengröße ist 2,57. Die derzeit schon vorhandene durchschnittliche Kinderzahl bei einem Durchschnittsalter der Antwortgeber von 35% Jahren ist 1,24.

Von den Ledigen wünschten die 11 Heiratsunlustigen keine Kinder,

2 15 2 9 2 2 1 2 .. Anzahl d. Antwortgeber loder2 2 2 oder 3 3 3 oder 4 4 5 6... Gewünschte Kinderzahl

Von den Verheirateten wünschten:

1 12 4 5 1 2 1 1 .. Anzahl der Antwortgeber loder2 2 2oder3 8 3oder4 4 4oder5 6 .. Gewünschte Kinderzahl

9 9 7 3 1.4.0.0. 0.25% Anzahl der Antwortgeber 0 1 2 3 RE Bereits vorhandene Kinderzahl

Die 4 von den Verheirateten, welche 3 bzw. 4 Kinder am Tage der Beantwortung besaßen, haben alle das 40. Lebensjahr überschritten.

Daß die soziale Stellung der Befragten in bezug darauf eine nicht unbedeutende Rolle spielt, ist nicht zu leugnen; maßgebend hierfür ist aber jedenfalls auch der gepflogene Umgang, die Meinung der Freundes- kreise, und dieser Einfluß gibt zweifellos der Denkart der Befragten sein Gepräge.

Stärker wie hier muß der Einfluß der in den Sportvereinen herrschen- den Anschauungen bei der Wahl des gewünschten Gatten zum Ausdruck kommen. Hier wird sich auch nachweisen lassen, ob und wie weit die oben erwähnten, rassenhygienisch angehauchten Bemühungen der Vereins- leitung bisher Erfolge erzielten. 31 von den 37 Ehegeneigten wünschten sich einen Lebensgefährten, der mindestens mäßigen Sport betreibt; die einen deshalb, weil ihnen damit für Gesundheit Gewähr geboten erscheint, die anderen wieder der „schönen und widerstandsfähigen Körperform“ halber, und die meisten deswegen, damit sie bei ihren Touren einen treuen Gefährten zur Seite haben. In dieser Beurteilung sind sich die männlichen und weiblichen Sportfreunde vollkommen einig. Zur Frage des Berufes haben sich naturgemäß meistens weibliche Antwortgeber ge- äußert, und zwar 7 von 10, während 18 von 27 männlichen diese Frage nicht beantwortet haben. 7 von den 9 männlichen, die sich hierzu geäußert, sind grundsätzlich gegen eine berufliche Tätigkeit der Frau nach ihrer Verehelichung, 2 hingegen würden es gerne sehen, wenn ihre Frau als Schneiderin oder Inhaberin eines kleinen Geschäftes mitverdienen würde. Die häusliche Tüchtigkeit einer Frau wissen hingegen alle als das Wert- vollste zu schätzen. 3 von den weiblichen Antwortgebern würden einen Mann mit „Intelligenzberuf“ vorziehen. 2 legen darauf den größten Wert,

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 2. 12

178: L. Gschwendtner:

daß ihr Mann einen Beruf ausüben wird, der seinen angeborenen Fähig- keiten entspricht. Den 2 letzten ist diese Frage gleichgültig, da ihrer Ueberzeugung nach „keine Arbeit schändet‘‘. Die Frage des Reichtums be- nützten die meisten zur Angabe besonderer Vorbedingungen und Wünsche. 4, und zwar männliche, setzen Reichtum voraus. 3 (ebenfalls männliche) ist Reichtum nicht unerwünscht. Andere 4 (1 männlich, 3 weiblich) er- warten sich von ihrer künftigen Ehehälfte soviel, daß ihre Familie vor Not geschützt ist, der männliche hinreichende Ausstattung, die 3 weib- lichen existenzfähiges Einkommen. 16 (13 männliche und 3 weibliche) sprachen sich mit mehr oder weniger ausführlichen Erklärungen gegen Vermögen und Reichtum aus. Der eine betont, daß der größte Reichtum einer Frau „Gesundheit und Fähigkeit zum Mutterberuf“ sei. Eine Turnerin schreibt: „Reichtum führt größtenteils zu Verweichlichungen aller Art. Geistige und körperliche Leistungsfähigkeit ist größter Reich- tum.“ Eine andere sieht in der gegenseitigen Zuneigung die Hauptsache. Ein Turner: „Was frag ich viel nach Gut und Geld, wenn ich zufrieden bin. Soll: die Losung eines deutschen. Familienvaters sein.“ Wieder ein. anderer: „Geldfragen spielen bei echten Turnern in solch schwerwiegenden Dingen keine Rolle‘ Von 10 wird Gesundheit vor allem betont. 7, und. zwar 4 Turner und: 3 Turnerinnen, setzen nordische Rassenzugehörigkeit voraus, die einen bezeichnen es direkt, die anderen bringen es mittelbar zum Ausdruck (groß, blond, blauäugig). Eine bestimmte nationale Zuge- hörigkeit wird von 3 Turnerinnen des sudeten-deutschen Turnvereins ge- wünscht (Sudetendeutscher oder Tiroler).

Ich glaube, diese Daten sind: so recht geeignet, in das Denken und Sinnen der Sportjugend Einblick zu gewähren. Der Gedanke der Rassen- erneuerung durch Auslese hat bereits Fuß gefaßt. Ein frischer Zug streicht durch die Reihen der Turner, der losgelöst ist vom philisterhaften Wohlleben der Alten. Man sieht, es erwacht die Erkenntnis, daß die materiellen „Glücksgüter“ für die Ehe zwar nicht vollkommen entbehrlich, jedoch eine Ehe, die rein im Vertrauen auf solche Grundlagen gegründet, von recht zweifelhaftem Werte ist: Man wird wohl einwenden. wollen, daß vom Vornehmen bis zur Ausführung noch ein sehr weiter Schritt ist, und nur allzuoft, speziell von unserer heutigen Jugend, im Momente des Handelns Ideale verwässert und vergessen werden. Zugegeben, daß ein Teil von diesen Vorsätzen noch zu wenig gefestigt sein wird und bei so manchen die Wirklichkeit etwas anders ausfällt. Doch berechtigt uns dieser Skeptizismus eine solche Kundgebung für den Gedanken der Aus- lese von vornherein für belanglos zu halten und die rassenhygienisch orientierte Arbeit der Turn- und Sportvereine vollkommen zu unter- schätzen? Ich meine das Gegenteil. Gerade dieses Ergebnis soll uns bewegen, diese Bildungsstätten der Jugend häufiger, als es bisher ge-

Wirkt der moderne Sport rassenerhaltend und -ertiichtigend? 179

sehehen, aufzusuchen und über rassenhygienisehe Fragen Vorträge zu halten, damit die vorhandenen Keime gedeihen und vor Schädigung durch Unberufene bewahrt werden. Ich habe des öftern bemerkt, daß speziell Turnvereine eine sehr aufmerksame Zuhörerschaft haben umd die Leute es sehr begrüßen, wenn ihnen über diese Probleme Aufklärung gebracht wird. Man muß die Jugend selbst aufsuchen und nicht darauf bestehen, daß sie zu uns kommen muß. Die jungen Leute sind einmal so. Zum Teil schon deshalb, weil sie befürchten, daß ihnen die Vorträge in den fachwissenschaftlichen Gesellschaften „zu hoch“ sind und sie davon kaum die Hälfte verstehen. Und diese Befürchtung ist nicht so unbegründet.

Von den Eheabgeneigten hat sich einer ebenfalls zu der Frage nach der Art der gewünschten Gattin geäußert, und zwar ist es der weiter oben schon einmal erwähnte 26% Jahre alte Mann. Wegen der Absonderlichkeit der Gedanken will ich den Inhalt erwähnen: „Wenn ich doch heiraten würde, müßte es ein Weib sein, das den Geist eines klugen Mannes und den Körper eines typischen Weibes besitzt, wobei ich mir den Ausdruck des Körpers durch die ihm innewohnende Kultur veredelt denke (Gesicht, Hände, Gelenke). Nordfranzösin, Slavin. Uebrigens gleichgültig, aber rein- lich.“ Dabei getraut sich dieser Mensch unter P. 6 noch zu behaupten: „frei von Zeitpsychosen.“

Was die Frage des Stillens anbelangt, so haben sich hierzu von den 20 Verheirateten, die bereits Kinder hatten, leider nur 12 geäußert. 3 haben ihre Kinder (1, 1, 3) überhaupt nicht gestillt. Die weiteren Ergebnisse lauten folgendermaßen: 2 Kinder: je 1 Monat; 2 Kinder: 8 und 6 Wochen; 1 Kind: 3 Monate; 2 Kinder: 3—4 Monate; 2 Kinder: weiblich 7 Monate, männlich 4 Monate; 2 Kinder: männlich 7 Monate, weiblich 6 Monate; 2 Kinder: je 9 Monate. Man sieht, die große Bedeutung, möglichst. langer Stilldauer scheint noch recht wenig bekanntgeworden zu sein.

Wenngleich auch die Anzahl der zurückerhaltenen Fragebögen nicht groß ist, dürfte das vorhandene Material doch genügen, zu der als Titel gewählten Frage Stellung zu nehmen. Ein gewisser Vorbehalt ist außer der geringen Anzahl der Antworten schon dadurch gegeben, daß der Haupt- sache nach nur Mitglieder von solchen Vereinen befragt worden waren, die nebst der körperlichen Ertüchtigung noch andere Ziele verfolgen, die teilweise von vornherein schon auf das Leben und Gedeihen des Volks- ganzen gerichtet sind. Und nimmt es da wunder, wenn auch einmal taug- liche Mittel zur Erreichung der Ziele gewählt werden? Jedenfalls würde sich m. E. das Gesamtbild wesentlich ändern, wenn auch der Fußballsport bzw. dessen Vereine vertreten wären.

Eine Ertüchtigung im Sinne einer Vererbung erworbener Uebungs- erfolge ist ja schon eingangs abgelehnt worden. Es bleibt nun nur noch zu erörtern, ob die von den Sportvereinen ausgehenden Lebensreformen ge-

12*

180 Kleinere Mitteilungen.

eignet sind, auf ihre Mitglieder in der Weise einzuwirken, daß durch deren Sinnesart die Rasse erhalten und gehoben wird. Die Erhaltung ist, wenn man das von Lenz errechnete Erhaltungsminimum von 3,6 für die Be- urteilung zugrunde legt, nicht gesichert, wie die Zahlen beweisen. Was nun die Ertüchtigung anbelangt, so muß man zugeben, daß gewisse un- erläßliche Vorbedingungen hierzu teilweise vorhanden sind. Die Bedeutung sorgfältigster Gattenwahl wurde bereits von einer ansehnlichen Anzahl erkannt und in den Willensbereich aufgenommen. Damit ist aber erst der leichteste Schritt eingeleitet, denn nichts scheint mir für die Hebung der Rasse unerläßlicher zu sein, als die Weckung des Sinnes für ausreichende Nachkommenzahl tüchtiger Eltern.

Kleinere Mitteilungen.

Die große Begabtenforschung Termans. Von Prof. Dr. F. Lenz, München.

Im Januar dieses Jahres ist der erste Band des großen Werkes er- schienen, das über die Forschungen des Psychologen Terman, Professor an der Stanford-Universität in Kalifornien, an begabten Kindern berichtet. Es trägt den Titel „Genetic Studies of Genius. Volume I. Mental and Phy- sical Traits of a Thousand Gifted Children.“ (Genetische Studien über Be- gabung. Band I. Geistige und körperliche Züge von tausend begabten Kindern.) By Lewis M. Terman. Stanford University Press 1925. Mit Rücksicht auf die große rassenhygienische Bedeutung dieser Forschun- gen möchte ich an dieser Stelle etwas eingehender darüber berichten.

Terman hat sich seit Jahren mit der Ausarbeitung der Methoden psychologischer Testprüfungen und ihrer Anwendung beschäftigt. Von ihm sind die sogenannten Stanford-Tests ausgearbeitet worden, die eine Fortentwicklung der von den französischen Psychologen Binet und Simon angegebenen Proben darstellen. Im Jahre 1916 hat Terman in seinem Buche „The Measurement of Intelligence“ (die Messung des Ver- standes) darüber berichtet. Seit dem Jahre 1921 hat er dann mit Hilfe beträchtlicher Stiftungen aus dem „Commonwealth Fund“ und dem „Tho- mas Welton Fund“ der Stanford-Universität, unterstützt von 14 Mit- arbeitern, spezielle Forschungen über die Eigenart und Abstammung von ungefähr 1000 begabten Kindern durchgeführt. Die bisher aufgewandten baren Auslagen belaufen sich auf 42300 Dollar; dazu kommt ein Arbeits- aufwand von Assistenten und andern Angehörigen der Stanford-Universi- tät, der auf mehr als 50000 Dollar zu schätzen ist. Das Ergebnis der Untersuchungen rechtfertigt durchaus diesen Aufwand, der nach deut- schem Gelde sich im ganzen auf etwa eine halbe Million Mark beläuft. Da

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uns in Deutschland derartige Mittel nicht zur Verfügung stehen, haben wir um so mehr Anlaß, uns mit den Ergebnissen der amerikanischen Forschung bekanntzumachen und, soweit das bei uns möglich ist, auch praktisch dar- aus zu lernen.

Die Auswahl der begabten Kinder geschah hauptsächlich auf folgen- dem Wege: Die Lehrer der kalifornischen Schulen wurden mittels Frage- bogen nach dem begabtesten, dem zweitbegabtesten und dem jüngsten Schüler in ihrer Klasse gefragt. Außerdem wurde besonderen Angaben über begabte Kinder nachgegangen. Die so erfragten Schüler, nicht ganz ein Zehntel der Gesamtheit, wurden nun einer psychologischen Testprüfung zum Zweck engerer Auswahl unterworfen. Die Anforderungen der Aus- wahl waren so, daß schließlich ein begabtes Kind auf ungefähr 200 Aus- gangsschüler kam. Aus äußeren Gründen konnten jedoch nicht alle Schul- kinder Kaliforniens, deren Zahl sich auf etwa eine halbe Million beläuft, dieser Auslese unterzogen werden, sondern hauptsächlich nur die Schüler in den Städten Los Angeles, San Francisco, Oakland, Berkeley und Ala- meda. Aus den Schülern der ersten acht Klassen wurden 643 Fälle ge- wonnen, die der weiteren Untersuchung zugeführt wurden, also immerhin ein beträchtlicher Teil von den etwa 2500 in Kalifornien vorhandenen Kindern des entsprechenden Begabungsgrades. Außer dieser Hauptgruppe I (main experimental group), die aus den Elementarschulen ausgelesen wurde, wurde noch eine zweite Gruppe von 309 begabten Schülern der höheren Schulen (high schools) untersucht (Gruppe II). Da es in Kalifornien etwa 220000 Zöglinge höherer Schulen gab, machten die ausgelesenen einen etwa ebenso großen Bruchteil von der Gesamtheit aus wie in den Elementarschulen. Da aber die Schüler der höheren Lehranstalten (high schools) an und für sich schon eine gewisse Auslese darstellen, ist die Auslese der Gruppe II als schärfer anzusehen als die der Gruppe I. Aus diesen 643 + 309 Fällen setzen sich die im Titel erwähnten 1000 begabten Kinder zusammen. Zum Vergleich wurden überall die Prüfungsergebnisse an 905 nicht ausgewählten, sondern stichprobenmäßig zusammengebrachten Kindern herangezogen.

In Gruppe I betrug das Geschlechtsverhältnis 352 Knaben : 291 Mädchen = 121 : 100. Eine eindeutige Erklärung für das Ueberwiegen der Knaben unter den begabten Kindern konnte nicht gefunden werden. Eine Bevor- zugung in den Vorschlägen seitens der Lehrer die Lehrkräfte sind in Amerika in der großen Mehrzahl Frauen konnte mit großer Wahrschein- lichkeit ausgeschlossen werden. Die Ergebnisse an der Kontrollgruppe zeigen, daß die Mädchen in intellektueller Hinsicht im Durchschnitt gleich- altrigen Knaben nicht nachstehen. Ich möchte allerdings bemerken, daß die Mädchen den Knaben im Durchschnitt in der Entwicklung etwas voraus- eilen; der Vergleich gleichaltriger Mädchen und Knaben ergibt daher kein ganz zutreffendes Bild. Damit stimmt es überein, daß der Anteil der Mäd- chen an den Begabten mit dem Alter relativ zurückgeht. In Gruppe II, welche Schüler höherer Lehranstalten und damit älterer Jahrgänge umfaßt,

182 Kleinere Mitteilungen.

‚war die Verteilung der Geschlechter 200 Knaben auf 109 Mädchen = 183: 100. Terman sagt dazu: „Es mag sein, daß die geistige Entwicklung der Knaben noch weitergeht, nachdem die der Mädchen schon aufgehört hat, was zutreffendenfalls einen ausgesprochenen Ueberschuß begabter Knaben in den höheren Altersstufen ergeben würde.“ „Was auch immer die Ursache sein möge, es scheint, daß in den mittleren und späteren Jahren des Heran- wachsens ein großer Ueberschuß von Knaben mit hohen Prüfungsleistungen besteht. Für 754 neu zugehende Studenten der Stanford-Universität, welche die Intelligenzprüfung nach Thorndike machten, lag das 99. Perzentil bei 105,7*), für 150 Studentinnen bei 99,7, und das trotz des Umstandes, daß die Studentinnen, deren Zahl auf 500 beschränkt ist, viel schärfer aus- gelesen sind als die männlichen Studenten.“

In dem Kapitel über die Abstammung der begabten Kinder wird über den Anteil verschiedener Nationalitäten bzw. Bevölkerungsgruppen an den Großeltern der Begabten berichtet. An erster Stelle stehen die Engländer mit 30,7 %, an zweiter die Deutschen mit 15,7 %, dann kommen die Schotten mit 11,3 %, die Juden mit 10,5 %, die Iren mit 9%, die Franzosen mit 5,7%. Die deutschen Juden sind nicht zu den Deutschen gerechnet, sondern dankenswerterweise für sich aufgeführt mit 1,8%, die russischen Juden mit 3,8%. Da das englische Element auch sonst den Hauptanteil der Bevölkerung Kaliforniens ausmacht, ist es nicht zu verwundern, daß es auch unter den Großeltern der Begabten an erster Stelle steht. Be- merkenswert ist aber der hohe Anteil der Schotten, der über den sonstigen Anteil beträchtlich hinausgeht. Aehnliches gilt auch von dem Anteil der Juden, speziell der russischen Juden. Da die Juden von der Bevölkerung der kalifornischen Städte ungefähr 5% ausmachen, übertrifft ihr Anteil an den Großeltern der begabten Kinder die Erwartung etwa um das Doppelte. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß Judenkinder relativ früh- reif sind, und daß die Auswahl begabter Schulkinder nach dem Intelligenz- alter teilweise auf eine Auswahl nach geistiger Frühreife hinausläuft. Ver- hältnismäßig sehr wenig sind Spanier und Italiener unter den Großeltern der begabten Kinder vertreten. „Der Prozentsatz an lateinischem Blut ist sehr gering.“ Entsprechendes gilt auch, wenn das Geburtsland der Eltern als Grundlage genommen wird. Hier übertrifft Rumänien mit 14 unter 248 Fällen die Erwartung allerdings fast um das Achtfache. Da aber unter den Großeltern das rumänische Element nur ganz geringfügig vertreten ist, handelt es sich bei den 14 Eltern vermutlich meist um Juden, die in Rumänien gebürtig waren. Die Neger bleiben mit 0,1% unter den Groß- eltern der begabten Kinder weit hinter ihrem Anteil an der Bevölkerung der kalifornischen Städte, der etwa 2% beträgt, zurück. Auch unter den begabten Kindern selber sind Negermischlinge nur mit 2 Fällen (= 0,3 %) vertreten, reine Negerkinder überhaupt nicht. Chinesische und japanische Kinder sind in dem Material Termans nicht vertreten; doch scheinen diese nach Untersuchungen von Yeung im Durchschnitt etwa dieselbe

*) Das heißt: 99 % der Studenten erreichten weniger als 105,7 Punkte und 1% mehr, während von den Studentinnen 99% unter 99,7 Punkten blieben.

Kleinere Mitteilungen. 183

Intelligenz wie weiße Kinder aus Kalifornien zu haben. Die Erhebungen über die Abstammung der begabten Zöglinge höherer Schulen (Gruppe II) zeigen im wesentlichen dasselbe Bild. Vielleicht ist es kein Zufall, daß die Juden mit 6,2% hier weniger vertreten sind als in Gruppe I (10,5 %); in den älteren Jahrgängen fällt der Vorsprung der Frühreifen eben nicht mehr so stark ins Gewicht. Die Geburtsorte der Eltern und der Großeltern der Begabten werden in einer Tabelle und in Gestalt von zwei Karten darge- stell. Terman bemerkt dazu: „Diese Kinder kommen in der Hauptsache aus sieben Volksstämmen aus dem nordwestlichen Europa und aus dem jüdischen Stamme Rußlands und Deutschlands.“ „Die lateinischen Stämme und die nichtkaukasischen Rassen sind praktisch überhaupt nicht vertreten; das beweist zwar keineswegs ihre Minderbegabung (inferiority), legt eine solche Annahme jedoch nahe.“

Hochinteressant sind die Erhebungen über die Herkunft der begabten Kinder aus den verschiedenen sozialen Schichten. Akademiker sind unter den Vätern zu 29,1 % vertreten, in der Bevölkerung aber nur zu 23,9%. Die Erwartung auf Grund des Durchschnitts ist also um das Zehnfache über- troffen. Nur ein einziger Vater war ungelernter Arbeiter, was 0,2% be- deuten würde gegenüber einem Anteil von 15 % ungelernten Arbeitern an der Gesamtbevölkerung. Aber auch dieser eine Fall ist ganz besonders gelagert; es handelt sich um einen kleinen Landwirt, der nach Berkeley, wo die Stanford-Universität sich befindet, gezogen ist und dort eine Stelle als. Arbeiter angenommen hat eigens zu dem Zwecke, um seinen Kindern das akademische Studium zu ermöglichen. Wenn die Berufe nicht nach der offiziellen Statistik, sondern nach Taussigs Klasseneinteilung grup- piert werden, so ergibt sich für die Väter der begabten Kinder folgende Verteilung:

1. Akademiker, Offiziere, höhere Beamte, Verleger usw. . 31,4%

2. Geschäftsleute . ......+.+.4.+. +... . . 500% 2a) Unternehmer, Großkaufleute usw. . . » 31,2% 2b) Kleinere Kaufleute und Geschäftsleute,. un- tere Beamte usw. ......... . 188% 3. Gelernte Arbeiter . . . ........... . 11,8% 4. Halbgelernte und angelernte Arbeiter . . . . . . . 66% 8. Ungelernte Arbeiter . . . . . 2 2 DD

Untersuchungen von Galton, de Candolle, Odin, Ellis, Cat- tell, Clarke haben gezeigt, daß hervorragende Männer weit überwie- gend aus den oberen Gesellschaftsschichten stammen. Dagegen ist oft ein- gewandt worden, daß diese Erscheinung vielleicht auf die Förderung durch die besonders günstige Umwelt zurückzuführen sei, in der die Angehörigen der oberen Stände aufwachsen, nicht zum wenigsten auch auf die verwandtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen als solche. Die Untersuchung von Terman zeigt nun aber, daß tatsächlich auch die durch objektive Testprüfungen festgestellte Begabung über die sozialen Schichten sehr verschieden verteilt ist.

184 Kleinere Mitteilungen.

F. E. Barr hat die verschiedenen Berufe nach dem Grade der Intel- ligenz, welche sie erfordern, von 30 Sachverständigen abschätzen lassen und auf diese Weise eine Rangordnung aufgestellt, wobei er 100 Berufe unterschied. Wenn man diese Skala zugrunde legt, so ergibt sich folgende Verteilung:

Grad der Intelligenz, Beteiligung der Verteilung in der

die der Beruf erfordert Väter der Begabten Gesamtbevölkerung 15 und darüber 26,8 % 2,2% 12—15 26,8 % 4,5% 9—12 36,1 % 37,0 % 6—9 8,9 % 13,4 % 3—6 1,3 % 42,9 %

Der Anteil von College Graduates, d. h. von Inhabern eines Hochschul- grades, der mindestens 4 Jahre Studium nach Absolvierung der höheren Schule voraussetzt, ergibt sich aus folgender Aufstellung:

Vater College Graduate . . . . . . . . 16,2% der Kinder Mutter College Graduate ....... 30% » » Beide Eltern College Graduates . . . 13% » »

Einer oder beide Eltern College Graduates 26,4% >

In mehr als 25% hat also mindestens einer der Eltern Hochschul- studien zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht. In den entsprechenden Altersstufen der Gesamtbevölkerung ist der Anteil der College Graduates nach Termans Schätzung nur ein Zwanzigstel bis ein Fünfzehntel so hoch. Unter den amerikanischen Wehrpflichtigen im Weltkrieg belief er sich auf zirka 1%. Das Durchschnittsalter der Rekruten war freilich un- gefähr 15 Jahre niedriger als das der Eltern der begabten Kinder, und zum Teil hatten die Wehrpflichtigen ihre Studien natürlich noch nicht abgeschlossen; da aber andererseits die Zahl der akademisch Gebildeten in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, kann der Prozentsatz der Akademiker unter den Vätern doch einigermaßen mit dem unter den Wehrpflichtigen verglichen werden.

In Gruppe II (Zöglinge höherer Lehranstalten) verteilten sich die Be- rufe der Väter folgendermaßen:

Akademiker ........... .31,2% Geschäftsleute ......... . .35,4% Landwirte `, .......... . 14,7% Gelernte Arbeiter . . . , . 163% Ungelernte und halbgelernte Arbeiter . . 24%

71 von 578 Familien waren mit 2 Kindern unter den Begabten der Gruppe I vertreten, 9 mit 3 oder mehr Kindern. Wenn man annimmt, daß Familien von gleicher Kinderzahl im Durchschnitt 2 Kinder in den öffentlichen Schulen haben, so wäre die Wahrscheinlichkeit, daß bei rein

Kleinere Mitteilungen. 185

zufälliger Verteilung der Begabung zwei begabte Kinder in einer Familie

wären, --1:10000. Die tatsächlich gefundene familiäre Häufung

1 1 100 °° 100 ist 1228mal so groß.

Von den 62 Mitgliedern der amerikanischen Ruhmeshalle konnten nicht weniger als 14 als Verwandte der begabten Kinder von Gruppe I festge- stellt werden. 15 von den begabten Kindern der Gruppe I waren mit min- destens einem dieser berühmten Amerikaner verwandt. Fünf von den Vätern der Gruppe I finden sich in dem biographischen Nachschlagewerk Who's Who, obwohl die meisten der dort verzeichneten Männer erst in späterem Alter darin aufgenommen werden. Ferner sind 4 Großväter und 35 andere Verwandte in Who’s Who enthalten. „Unter 58 andern hervor- ragenden Verwandten sind sechs Unterzeichner der Unabhängigkeitser- klärung, zwei Präsidenten und zwei Vizepräsidenten der Vereinigten Staa- ten, vier Generäle, sechs (bekannte) Schriftsteller, zwei Erfinder, vier Staatsmänner, drei (bekannte) Künstler und zwei Richter am Obersten Gerichtshof.“ Interessant sind auch die Mitteilungen über Häufung hoher Begabung in einzelnen Familienkreisen. In einem Verwandtschaftskreise konnten 34 bekannte Männer festgestellt werden. Aus einer Mischehe zwi- schen einem Japaner und einer Amerikanerin gingen vier begabte Kinder der Gruppe I hervor, während ein fünftes im Alter von einem Jahre noch zu jung zur Untersuchung war; beide Eltern stammen aus begabten Familien.

Der rassenhygienisch so bedeutsame Vergleich zwischen der Frucht- barkeit der begabten Familien und der der Bevölkerung im Durchschnitt ist durch zwei Umstände erschwert: erstens konnte die Fortpflanzung nur in 92 Familien als sicher abgeschlossen angesehen werden; und zweitens erscheint die Kinderzahl der Familien, wenn diese von Kindern als Aus- gangsfällen aus erfaßt werden, zu hoch; kinderlose Ehen im besonderen werden ja auf diese Weise überhaupt nicht erfaßt. Auf die 92 Mütter, deren Fortpflanzung abgeschlossen ist, kommen 308 Geburten, im Durchschnitt also 3,35. Die Eltern stammten im Durchschnitt aus Familien mit 5,50 Kindern. Nach einer Umrechnung, die Terman im Anschluß an Cat- tell gibt, würde dem eine Zahl von durchschnittlich 3,67 Kindern in der elterlichen Generation entsprechen; und er vergleicht nun damit die in der Generation der Probanden gefundene Zahl von 3,35. Hier scheint mir ein Versehen untergelaufen zu sein. Jene statistische Gruppe, der die Ge- schwister der Probanden (einschließlich der Probanden selber) angehören, ist nämlich ebenso einseitig ausgelesen wie die der Geschwister der Eltern, bedarf also auch derselben Korrektur. Insbesondere sind in der Rechnung nach Cattell kinderlose Ehen berücksichtigt, in der Zahl 3,35 dagegen nicht. Rechnet man nach der Methode Cattells, so erhält man 2,23 für die Probandengeneration. Diese Zahl stimmt fast genau mit der überein, dieGattellfür die Familien von 440 amerikanischen Naturwissenschaft- lern gefunden hat, nämlich 2,3. Jedenfalls ergibt sich eine starke Abnahme der Kinderzahl gegenüber der elterlichen Generation im Verhältnis 3,67:2,23,

186 Kleinere Mitteilungen.

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während Terman auf Grund des irrigen Verhältnisses 3,67 : 3,35 eine Abnahme für zweifelhaft erklärt. Auch die Familien, denen die von Terman ausgelesenen begabten Kinder angehören, erhalten also un- zweifelhaft ihren Bestand nicht mehr. Dabei wären die dauernd ehelos bleibenden Individuen noch nicht einmal berücksichtigt. Die Kinderzahl, welche auf eine weibliche Person im Durchschnitt kommt, würde also noch kleiner sein. Das ist eine zwar schmerzliche, aber zugleich so entschei- dende Erkenntnis, daß sie gar nicht scharf genug hervorgehoben werden kann. Auch innerhalb der 92 Familien zeigt sich eine deutliche negative Korrelation zwischen der Begabung der Kinder und der Geschwisterzahl; r = —0,271 + 0,062. Eine negative Korrelation zwischen der Bildung der Eltern, gemessen an dem erreichten Schul- bzw. Hochschulgrad, und der Kinderzahl ist weniger deutlich; r= —0,214 + 0,07. Immerhin ist auch diese Zahl rassenhygienisch recht bedenklich.

Terman hält es auf Grund seines Materials für wahrscheinlich, daß die Erstgeborenen unter den Begabten stärker vertreten seien, als ihrem Anteil entspricht. „Die Daten über die Geburtennummer, soweit sie als zuverlässig angesehen werden können, stimmen auffallend mit Cattells Zahlen überein, die ein Vorwiegen der Erstgeborenen unter den Begabten in Familien mit zwei oder mehr Kindern zeigen. Die Tatsache, daß höhere Begabung der Erstgeborenen ebenso klar in der Kindheit in die Erschei- nung tritt wie in den Leistungen des späteren Lebens, spricht dafür, daß die Ursachen eher in der natürlichen Veranlagung als in Umwelts- und Erziehungseinflüssen zu suchen sind.“ Vorher allerdings bemerkt Ter- man selber, daß es schwer, wenn nicht unmöglich sei, eine einseitige Aus- lese des Materials mit Sicherheit auszuschließen. In den 92 Familien, deren Fortpflanzung abgeschlossen ist, sind sogar weniger Erstgeborene unter den Kindern der Gruppe I vertreten, als ihrem Anteil entspricht, und zwar einfach deshalb, weil in diesen Familien die ältesten Kinder meist schon über die Elementarschule hinaus und daher nicht erfaßt worden sind.

Die begabten Kinder zeigen im allgemeinen auch körperlich eine über- durchschnittliche Entwicklung, beurteilt nach Körperlänge und Gewicht. Vermutlich ist allerdings auch diese Erscheinung zum Teil auf Frühreife zurückzuführen.

Soweit die Kopfform gemessen wurde, zeigen die begabten Kinder amerikanischer, englischer, deutscher, irischer, jüdischer und skandinavi- scher Abkunft einen Längenbreitenindex von 80 bis 81 im Durchschnitt, nur die Kinder schottischer Abkunft 78.

Die nach der Formel von Pearson und Lee berechnete Schädel- kapazität der begabten Kinder übertraf in allen Altersstufen die von Porteus angegebene Norm.

Die begabten Kinder scheinen im Durchschnitt länger gestillt zu sein als die sonstigen Kinder. 57,4 % wurden 8 Monate oder darüber gestillt gegenüber 39,2% bei kalifornischem Vergleichsmaterial von Dietrich.

Kleinere Mitteilungen. ‘187

Von den begabten Zöglingen der höheren Schulen wurden zwei Drittel sogar zehn Monate oder darüber gestillt. Natürlich wird die Ernährung an der Mutterbrust höchstens einen sehr geringen Einfluß auf die Begabung haben können. Im wesentlichen dürfte der Zusammenhang vielmehr so liegen, daß die einsichtigen Mütter der begabten Kinder besonders aus- giebig stillen.

Etwa die Hälfte von den begabten Kindern hat Operationen wegen zu großer Tonsillen bzw. adenoider Wucherungen durchgemacht (54% der Knaben und 42—44% der Mädchen) gegenüber zirka 25% bei den Kontroll- kindern. Eine Beziehung zwischen Begabung und adenoider Konstitution ist indessen daraus nicht zu erschließen, da unter den Kontrollkindern 38,5 % Mundatmer, unter den begabten aber nur 20,5 % sind. Es scheint vielmehr, daß die Eltern der begabten Kinder einfach häufiger vergrößerte Mandeln entfernen lassen, um ihren Kindern die Nasenatmung zu erleich- tern. Im übrigen sieht man aus den Zahlen, daß Mandeloperationen in Amerika viel häufiger als bei uns ausgeführt werden.

10,6 % der begabten und 4,7 % der Kontrollkinder tragen Brillen. Ver- mutlich sorgen die Eltern begabter Kinder regelmäßiger für Korrektur fehlerhafter Refraktion durch Gläser. Möglicherweise ist aber Kurzsichtig- keit bei Begabten auch tatsächlich häufiger.

Nervöse Erscheinungen zeigen die begabten Kinder in Termans Material nicht häufiger als andere Kinder.

Die häuslichen Verhältnisse, unter denen die begabten Kinder auf- wuchsen, waren im Durchschnitt günstiger als bei der Gesamtheit; doch spricht nichts dafür, daß die überdurchschnittliche Begabung durch künst- liche Methoden gesteigert worden sei oder gesteigert werden könne.

In den Schulleistungen übertreffen die begabten Kinder im Durch- schnitt sehr beträchtlich ihre Klassengenosen. Am größten ist ihr Vor- sprung in Denkfächern, nahezu Null dagegen in Fächern wie Schön- schreiben, Handarbeit, Spiel und Sport. In der Testprüfung auf Schul- kenntnisse in Naturwissenschaften, Geschichte, Sprachen und Kunst- fächern erreichten die Begabten der Gruppe II etwa die doppelte Punktzahl wie der Durchschnitt. Die begabten Kinder haben im Durchschnitt zwei halbe Klassen übersprungen; nach dem Urteil der Lehrer verdienten sie, im Durchschnitt noch weitere 1,3 halbe Klassen zu überspringen. Nach ihrem Intelligenzalter sind sie nach Absolvierung der ersten Klasse dem Durchschnitt um 2,8 Jahre voraus, nach der fünften sogar um fast 5 Jahre.

Im ganzen ist die Begabung der begabten Kinder für verschiedene Fächer nicht ungleichmäßiger oder einseitiger als die anderer Kinder; die Ungleichmäßigkeiten liegen bei ihnen nur auf einem höheren Gesamt- niveau. Einige von den begabten Kindern zeigen allerdings ausgesprochene Spezialbegabungen. Die zum Teil starken Unterschiede der Leistungen desselben Kindes in den verschiedenen Schulfächern können nicht wohl auf Unterschiede der Erziehung zurückgeführt werden; sie deuten viel- mehr auf Verschiedenheiten der Veranlagung.

188 Kleinere Mitteilungen.

Von Ausnahmen abgesehen, haben begabte Kinder mehr Interesse für abstrakte Fächer als für praktische. Die individuellen Interessen begabter Knaben ähneln denen anderer Knaben viel mehr als die Interessen be- gabter Mädchen denen anderer Mädchen. Begabte Kinder haben 1% mal so oft Sammlungen und mehr als doppelt so oft wissenschaftliche Samm- lungen. Begabte Kinder sind begeisterungsfähiger als der Durchschnitt; und ihre Interessen sind im allgemeinen nicht weniger gesund.

Soweit der Charakter nach Testprüfungen beurteilt werden kann, haben die begabten Kinder der Gruppe I mit 9 Jahren eine Entwicklungs- stufe wie sonst vierzehnjährige Kinder. In den meisten Proben zur Er- fassung von Charakteranlagen schneiden die begabten Mädchen etwas besser ab als die begabten Knaben, während in der Kontrollgruppe sich keine deutlichen Unterschiede ergaben. Nur die Ehrlichkeitsprüfung be- standen die Knaben in beiden Gruppen besser.

An den begabten Mädchen der höheren Schulen (Gruppe II) konnte festgestellt werden, daß die erste Menstruation beträchtlich früher als sonst im Durchschnitt auftritt. Zum Teil kann diese Erscheinung allerdings auch so gedeutet werden, daß die frühreifen Mädchen vorzugsweise als begabt ausgelesen werden. Terman widerspricht ausdrücklich der verbreiteten Ansicht, daß das intellektuell frühreife Kind in der Regel nervös oder sonst kränklich sei.

Die begabten Zöglinge der höheren Schulen haben im Durchschnitt 2,4 (Mädchen) bzw. 2,8 (Knaben) halbe Klassen übersprungen. Innerhalb einer gegebenen Altersgruppe sind die Ergebnisse der Intelligenz- und Leistungs- prüfung nicht besser bei Kindern, die eine längere Schulzeit durchgemacht haben. „Eine der erstaunlichsten Tatsachen, die sich aus dieser Unter- suchung ergibt, ist die, daß man das begabteste Kind einer Klasse mit größerer Wahrscheinlichkeit findet, wenn man die Geburtsdaten durch- sieht und das jüngste aussucht, als wenn man das vom Lehrer als das begabteste angegebene nimmt.“

Was die Leistungen der beiden Geschlechter in den Fächern der höhe- ren Schulen betrifit, so sprechen die allerdings nicht großen Zahlen, welche Terman in dieser Hinsicht gewonnen hat, dafür, daß das männliche Geschlecht im ganzen etwas besser abschneidet, beträchtlich besser in den Naturwissenschaften, etwas besser in der Geschichte und Staatsbürger- kunde, das weibliche Geschlecht dagegen etwas besser in Sprachen und Literatur, Musik und Kunst.

Die begabten Zöglinge der höheren Schulen (Gruppe II) lieben beson- ders Mathematik, Chemie, Physik, dramatische Literatur und Sport. Sie finden Mathematik und Naturwissenschaften besonders „leicht“. Am wenig- sten werden von den begabten Schülern die Kunstfächer, die Handfertig- keiten und die Volkstänze geliebt; sie finden diese Fächer auch am schwer- sten. Ebenso wie die Kinder von Gruppe I haben auch die von Gruppe II großes Interesse für Wörterbücher, Atlasse und Nachschlagewerke. Fast die Hälfte von Gruppe II will technische Fächer oder Naturwissenschaften

PR

Kleinere Mitteilungen. 189

studieren; von den Mädchen will über ein Drittel sich dem Lehrberuf zu- wenden. In beiden Geschlechtern will die große Mehrzahl studieren.

Im Schlußkapitel kommt Terman noch einmal auf die soziale Her- kunft der begabten Kinder zu sprechen: „Frühere Arbeiten haben nur die Ueberlegenheit der höheren Stände und Berufsgruppen hinsichtlich der Zahl fertiger hoher Begabungen dargetan; und es war ganz natürlich, daß manche Leute es vorzogen, diese Ueberlegenheit durch bessere Erziehungs- gelegenheiten zu erklären. Wir haben nun gezeigt, daß die Ueberlegenheit derselben Stände und Berufsgruppen nicht weniger ausgesprochen ist, wenn der Nachwuchs in einem Alter verglichen wird, in dem die Erziehungs- gelegenheiten ungefähr so vollständig gleichgemacht sind, wie eine er- leuchtete Demokratie es tun kann.“ „Die Tatsache, daß in einem Staate, der sich etwas zugute tut auf die Gleichheit der Erziehungsmöglichkeiten, die er den Kindern jeder Klasse und jeden Standes bietet, eine unparteiisch ausgewählte Gruppe begabter Kinder so überwiegend aus den oberen Be- rufsständen stammt und so wenig aus den niederen, bedeutet für die Um- weltlehre eine schwere Belastung. Trotz aller unserer Bemühungen, die Erziehungsgelegenheiten gleichzumachen, erreicht das zehnjährige Kind des ungelernten Arbeiters im modernen Kalifornien ebensowenig einen hohen Intelligenzquotienten wie der Sohn des ungelernten Arbeiters in Europa vor hundert Jahren den Rang hervorragender Begabung.“ Die Tat- sache, daß die oberen Stände den allergrößten Teil des höherbegabten Nachwuchses eines Volkes liefern, ist natürlich auch für die Fragen der praktischen Rassenhygiene von großer Bedeutung.

Terman betont noch ausdrücklich, daß man natürlich nicht erwarten dürfe, daß aus der Mehrzahl der von ihm untersuchten begabten Kinder berühmte Männer oder Frauen würden. Dagegen sprächen verschiedene Gründe. Zunächst sei hervorragende Begabung nicht gleichbedeutend mit tatsächlichem Erfolg. Der Erfolg in der Welt und damit die Berühmtheit sei in weitem Ausmaß von zufälligen Umständen abhängig. Sodann aber müsse man auch im Auge behalten, daß die begabten Kinder seiner Untersuchung zwar weit überdurchschnittlich veranlagt seien, aber doch nicht entfernt so weitgehend ausgelesen wie die berühmten Männer, die Galton, de Candolle, Ellis, Castle, Cattell und andere zum Gegenstand ihrer Forschungen gemacht hätten. Von Galtons berühmten Männern kam höchstens einer auf 4000 erwachsene Männer der Gesamt- bevölkerung; ein begabtes Kind der kalifornischen Untersuchung aber schon auf 200. Nur eines von zwanzig oder fünfzig von tausend würden daher mit Galtons hervorragenden Männern verglichen werden können.

Schließlich möchte ich noch einige Sätze aus dem Vorwort anführen: „Das Erscheinen von Galtons Hereditary Genius i. J. 1869 bezeichnet den Anbruch einer neuen Epoche. Seit diesem Zeitpunkt ist das Interesse an den individuellen Unterschieden der Menschen und ihren Ursachen dauernd gewachsen, bis diese Fragen Angelegenheiten von nationaler Be- deutung zu werden versprechen wie die selektive Beschränkung der Ein- wanderung, die ungünstige Auslese durch unterschiedliche Geburtenziffern,

190 Kleinere Mitteilungen. die Frage einer besonderen Erziehung für begabte Kinder und: einer wirt- schaftlichen Entschädigung für die schöpferisch Begabten.“ „Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, daß der Vorrat.eines Volkes an: intellek- tueller Begabung zu den höchsten Gütern gehört, die es überhaupt haben kann.“

Zur Vererbung der Hammerzehe. Von Dr. M. J. Gutmann, München.

„Die Hammerzehe ist eine selten angeborene, meist erworbene Flexionskontraktur im ersten Interphalangealgelenk einer oder mehrerer Zehen, meist der zweiten Zehe (Adams). Für die angeborene Form wird eine intrauterine Entzündung der Planta pedis angenommen; dann be- stehen aber meist noch andere Deformitäten (Schläpfer). Als weitere Ursachen werden Schädigungen durch Syphilis, Arthritis deformans und ganz besonders falsches Schuhwerk angegeben. Daneben gibt es aber richtig vererbte Fälle. Couteaud fand sie sehr häufig bei einigen stets bloß- füßig gehenden, stark mit Syphilis durchseuchten und vielfach mit anderen Mißbildungen der Glieder behafteten Stämmen der Hochebene von Mada- gaskar.

Trotzdem der Hammerzehe in der Vererbungslehre eine größere Be- deutung nicht beigelegt wird, sei hier der Stammbaum eines Falles aus der Praxis mitgeteilt. Es handelt sich auch hier um eine angeborene Anomalie oben bezeichneter Art an der zweiten Zehe des rechten Fußes bei einer Familie, in der weder Engzucht, noch Syphilis, noch sonstige be- achtenswerte Abweichungen von der Norm nachweisbar sind.*)

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Literaturnachweis: J. Bauer: „Konstitutionelle Disposition zu inneren Krankheiten.“ (2) S. 284. Berlin 1921. Couteaud: „Ham- merzehe.“ Rev. de chirurg. 28. Nr. 7. Ref. Zentralbl. f. Chir. 1908, S. 52. K. Schläpfer: „Die Hammerzehe“. D. Zschr. f. Chir. 147, 395. 1918.

*) Anmerk. der Schriftl. Auf meine Anregung hat Herr Dr. Gutmann noch einmal eine genaue Nachfrage über die befallenen Mitglieder der Familie angestellt und ausdrücklich bestätigt erhalten, daß, abgesehen von der ältesten Generation, die. nicht mehr kontrolliert werden konnte, alle behafteten Individuen die Anomalie nur an der zweiten Zehe des rechten Fußes, niemals aber links oder an beiden Füßen haben. Es handelt sich also um die Erblichkeit einer einseitigen Anomalie mit Einhaltung der Seite, was erblichkeitswissenschaftlich von besonderem Interesse ist. Lenz.

Kleinere Mitteilungen.

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Zur Frage der Syphilishäufigkeit in Berlin. Von Univ.-Prof. Dr. A. Grotjahn und K. Freudenberg, Berlin.

Am Schluß einer dankenswert ausführlichen Besprechung: der 3. Auf- lage meiner „Sozialen Pathologie“ (Diese Zeitschrift Bd. 16 N. 4. S. 455). kommt der Herr Referent F. Lenz darauf zu sprechen, daß mir bei der Wiedergabe seiner Schätzung der Syphilishäufigkeit in Berlin (F. Lenz, Menschliche Auslese und Rassenhygiene, 2. Aufl. S. 34) ein Rechenfehler unterlaufen ist. Das ist zuzugeben: und als ein Beweis dafür anzusehen, bis zu welchem Grade der Intellekt rezessiv werden kann, wenn der Affekt do- miniert. Dieser Affekt wurde aber in mir durch die aus der Paralysestatistik gefolgerte Behauptung wachgerufen, daß „etwa 60 % aller Männer in Ber- lin sich mit Syphilis infizieren“, eine Behauptung, die mir, der ich fast zwei Jahrzehnte in Berlin Allgemeinpraxis getrieben habe, nicht gerechtfertigt erschien. Weil ich jedoch mit dem Herrn Referenten in der Beurteilung der Syphilisgefahr für die großstädtische Bevölkerung grundsätzlich einig war, habe ich es unterlassen, in einem Briefwechsel, der Wichtigeres betraf, den Versuch zu machen, ohne Rechenfehler Lenz’ Zahlen herabzumindern. Da sein Referat jedoch auf die Zahl 60 % zurückkommt und auf ihr besteht, habe ich den Medizinalstatistiker K. Freudenberg, der jahrelang im statistischen Büro der Stadt Berlin gearbeitet hat, gebeten, den Gegenstand der Kontroverse nachzuprüfen. Seine Ermittlungen, die allgemeines Inter- esse beanspruchen können, darf ich hier wohl folgen lassen.

A.Grotjahn.

Will man zur Berechnung der Zahl der in Berlin (alten Umfanges). lebenden Syphilitiker von der Zahl der Paralytiker ausgehen, so hat man für die von Lenz berücksichtigten Jahre die Zahl der Todesfälle an Pa- ralyse im Berliner Gemeindegebiete nach Geschlecht und Alter zur Ver- fügung’), ferner für die erste Hälfte des betrachteten Zeitraumes die Zahl der in den drei Berliner Irrenanstalten gestorbenen Paralytiker nach Geschlechtern.) Nach den zitierten Quellen starben 1905—1914 in Berlin 498 Männer über 30 Jahre an Paralyse, ferner 1905—1909 in Berliner An- stalten 1092 männliche Paralytiker; diese dürfen fast ganz auf die Berliner Bevölkerung bezogen und die wenigen vor Vollendung des 30. Lebens- jahres Gestorbenen vernachlässigt werden. Verdoppelt man die Zahl dieser in Anstalten gestorbenen Paralytiker, um sie auf den zehnjährigen Zeit- raum beziehen zu können, und rechnet die in Berlin selbst gestorbenen dazu, so ergeben sich also 2682. Im ganzen starben 1905—1914 in Berlin 88 448 Männer über 30 Jahre, jene bilden also 3,0 % von diesen. Rechnet man mit dem von Lenz benützten Umrechnungsverhältnis von 7:100,

1) Tabellen über die Bevölkerungsvorgänge Berlins. 2) Verwaltungsberichte des Magistrats zu Berlin über die städtischen Irren- anstalten.

192 Kleinere Mitteilungen.

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gegen das kaum etwas eingewendet werden kann, so kommt man auf 43 % Syphilitiker.

Leider aber ist diese ganze Methode des Riickschlusses aus den an einer einzelnen Todesursache Gestorbenen statistisch sehr anfechtbar, sofern es sich nicht um eine „stationäre Bevölkerung“ handelt, was ja in diesem Falle nicht zutrifft, und sofern die betreffende Krankheit auf die Lebens- dauer nicht ohne Einfluß ist, was ja hier gleichfalls nicht zutrifft. Zur Ver- anschaulichung dieses Umstandes für den nicht mathematisch Geschulten sei ein Beispiel mit übertriebenen Zahlenverhältnissen gebracht, wie sie in der Wirklichkeit kaum vorkommen dürften. Es sei angenommen, eine Be- völkerung sei infolge Geburtenzunahme und Wanderungsüberschuß so zu- sammengesetzt, daß 10000 Männer 30—40 Jahre alt seien, 5000 40—50 und nur 2000 über 50 Jahre. Von diesen hätten 10 % vor dem 30. Jahre eine Sy- philis erworben und die Sterblichkeit der Allgemeinheit und der Syphiliti- ker sei so verschieden, wie es die folgende Tabelle annimmt; dann er- gibt sich

Gesamtbevölkerung davon Syphilitiker Alter Lebende ne Sterbende || Lebende ee Sterbende

30—40 50 1000 20 40—50 50 480 14 über 50 170

zusammen

Also obwohl nur 10 % dieser Manner eine Syphilis überstanden hätten, (bzw. von den Lebenden nur 9,7 %), würde die Betrachtung der Sterbenden doch auf 23 % schließen lassen.

So grotesk wie der hier dargestellte ist nun freilich der Altersaufbau Berlins nicht, aber es folgt aus dieser Ueberlegung doch, daß das Ergebnis von 43 % zu hoch ist.

Eine andere, wahrscheinlich bessere Methode zur Ermittelung der Zahl der Syphilitiker in der Bevölkerung wäre die Aufstellung einer (der Sterbe- tafel analogen) „Durchseuchungstafel”. Die Geschlechtskrankenzählung von 1919 ergab für Berlin (unter Beteiligung von zwar nur 49,2 % aller Aerzte, aber 96,2 % der Fachärzte für Geschlechtskrankheiten) folgenden Jahres- zugang von frisch-syphilitisch Erkrankten männlichen Geschlechts?):

im Alter von 15—20 Jahren 6,6 °/oo der Lebenden

Pop? 20—25 e 26,8 °/oo & ` Ni 25—30 S 20,8 fia A KE 30—40 2 10,0 °/oo S e ` 40—50 e 4,3 log e ae » 50—60 g 1,1 0/0 n ý de 3 über 60 x 0,8 °/oo š

8 3) Medizinalstatistische Mitteilungen aus dem Reichsgesundheitsamte. 22. Bd., 2 H.

Kleinere Mitteilungen. 193

Dann erkranken also (wenn man von der Uebersterblichkeit der Sy- philitiker absieht und nur 1000 bis ans Ende der normalen Lebensdauer am Leben Bleibende betrachtet und annimmt, diese wären proportional den vorher Gestorbenen)

im Alter von 15—20 Jahren 33 °/oo » e 20—25 e 134 °/oo

» » 3-30 , 104 oo » » » 30-40 , 100 Bag » » » 40-50 , A8 Yoo » » e 50-60 » 11o

Dann beträgt die Zahl der Lebenden mit überstandener Syphilis:

im Alter von 30—40 Jahren 321 °/oo der Lebenden u » 40—50 » 893 Blog , m Te » 50—60 » 420° , de SES über 60 » 425 °%00 S

im (gewogenen) Durchschnitt etwa 384 °/oo

Bei dieser Berechnung ist aber (außer der Uebersterblichkeit der Sy- philitiker) auch der Umstand noch nicht berücksichtigt, daß die Zahl der Erkrankten zweifellos kleiner ist als die Zahl der Erkrankungen (wegen der Reinfektionen bereits erkrankt Gewesener). Dies läßt darauf schließen, daß die wirkliche Zahl erkrankt Gewesener unter der mehr als 30 Jahre alten, männlichen Bevölkerung Berlins erheblich kleiner sein muß, als die oben errechneten 38,4 %; man kann sie wohl ohne allzu großen Fehler auf 30 % schätzen. K. Freudenberg.

Ueber die Häufigkeit der Syphilis in Berlin. Von Prof. Dr. F. Lenz, München

Vorstehende Ausführungen von Grotjahn und Freudenberg geben mir erwünschten Anlaß, die rassenhygienisch so außerordentlich be- deutsame Frage der Syphilishäufigkeit auf Grund der Erfahrungen und Er- kenntnisse der letzten Jahre einer Revision zu unterziehen.

e Zum erstenmal habe ich als Student im Jahre 1910 zu dieser Frage das Wort genommen, und zwar in dieser Zeitschrift Bd. 7 Nr. 3 S. 306ff. Obwohl meine damalige Publikation heute in mehrfacher Beziehung über- holt ist, hat sie meines Erachtens doch zur Klärung der Sachlage beigetra- gen. Ich habe damals gezeigt, daß die bis dahin gewöhnlich gemachte An- nahme, daß nur ca. 1% der Syphilitiker der Paralyse verfielen, unmöglich richtig sein könne, da um die Jahrhundertwende schon fast 3% von allen Männern in Berlin an Paralyse zugrunde gingen. Andererseits glaubte ich auch über die Zahl von 3% nicht hinausgehen zu dürfen. Wenn aber 3 % aller Syphilitiker paralytisch wurden, so hätte daraus folgen müssen, daß Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 2. 13

194 Kleinere Mitteilungen.

gegen % % aller Männer in Berlin im Laufe ihres Lebens syphilitisch wür- den. Inzwischen haben die Untersuchungen von Mattauschek und

Pilcz und andern gezeigt, daß der Prozentsatz der Paralytiker unter den °

Syphilitikern höher als 3 % ist. Dann aber läßt eine gegebene Zahl von Pa- ralytikern natürlich nicht auf eine so hohe Zahl von Syphilitikern schlie- ßen. Immerhin haben meine damaligen Ueberlegungen gezeigt, daß die Häufigkeit der Syphilis viel größer sein müsse, als man sich das vorstellte; hatte doch Blaschko, der auf diesem Gebiete als maßgebende Autorität galt, die Häufigkeit der Syphilis unter den Berliner Männern auf nur 10 % angegeben. Auch in der Problemstellung hat meine damalige Publikation einen Fortschritt gebracht, insofern, als sie die entscheidende Frage auf- warf, wieviel Prozent der erwachsenen Männer überhaupt während ihres Lebens syphilitisch würden. Gerade diese Frage war nämlich bis dahin kaum gestellt, geschweige denn beantwortet worden. Blaschko hatte noch eine jährliche Erkrankungshäufigkeit von 2% für die Berliner Män- ner angenommen und daraus auf eine Gesamthäufigkeit der Syphilis von 10 % für die Männer geschlossen. Demgegenüber hat Weinberg in einer Arbeit, die sich mit meiner genannten Publikation kritisch auseinander- setzt, bemerkt: „Die 10 % für die Gesamtheit sind falsch berechnet, da nicht bloß 5 Jahre des Ledigseins in Rechnung gesetzt werden durften, wenn jährlich 2 % die Gefährdung des Durchschnitts der Erwachsenen darstellen. Nach dem Vorgang von Lenz hätte auch Blaschko auf 45.2=90% kommen müsen!“ Von meiner Berechnungsmethode dagegen sagte W ein- berg: „Theoretisch ist dieses Verfahren durchaus legitim.“ Nur sei ich von zu ungünstigen Voraussetzungen ausgegangen. Aber auch Weinberg kam unter der Voraussetzung, daß 7 % der Syphilitiker der Paralyse verfal- len, zu dem Ergebnis, daß um 1880 von den erwachsenen Männern in Ber- lin mindestens 33—50 % im Laufe ihres Lebens eine Ansteckung mit Sy- philis erlitten.

Blaschko hat meine Berechnung zuerst jahrelang ignoriert, sich

dann aber meine Methode zu eigen gemacht und in einer Arbeit vom Jahre 1918‘) meine Fragestellung übernommen: „Das, was mich beson- ders interessierte und was meiner Meinung nach auch bei diesem ganzen Problem das wichtigste ist, ist die Frage, wieviele Menschen werden in einem Lande oder in einer Stadt, sagen wir in Deutschland oder in Berlin, im Laufe ihres Lebens go- norrhoisch, wieviele syphilitisch infiziert? Mit an- dern Worten: Wie groß ist für den Einwohner einer Stadt oder eines Landes die Wahrscheinlichkeit, im Laufe seines Lebens geschlechtlich zu erkranken?“ Und er kam nunmehr zu dem Resultat, „daß etwa 40 % der Männer in Berlin im Laufe ihres Lebens an Syphilis erkranken“. Dieses Resultat Blaschkos gründete sich auf eine neue Feststellung der Pa- ralysefälle für die Jahre 1905 bis 1914. Nach Blaschko starben in jenen 10 Jahren in den städtischen Irrenanstalten 2080 Paralytiker, in den Pri-

1) A. Blaschko: Die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten in Berlin. Dermat. Zeitschr. 1918, H. 1 u. 2.

Kleinere Mitteilungen. 195

vatanstalten 843 und sonst in der Stadt 462, im ganzen also 3385. Diese Zahl setzte er in Beziehung zu der der Männer, die in jenen zehn Jahren zwischen 30 und 70 Jahren starben, und erhielt auf diese Weise das Re- sultat, daß 4,2% aller Berliner Männer an Paralyse starben. Diese Rech- nung enthält insofern noch einen Fehler, als Blaschko auch die Todes- fälle der Männer über 70 Jahre hätte berücksichtigen müssen, um das wahre Risiko zu erhalten. Auch blieb die Zahl der von ihm erfragten Paralysefälle anscheinend ein wenig hinter der Wahrheit zurück. Er gab für die städtischen Irrenanstalten nur 2080 Todesfälle an Paralyse an; nach den dankenswerten Mitteilungen von Freudenberg wären aber 2184 anzunehmen. Auch die Zahl der Todesfälle in der Stadt hat Blaschko mit 462 etwas zu niedrig angegeben; nach Freudenberg sind 498 anzunehmen. Freudenberg seinerseits hat nun aber offen- bar die Paralysetodesfälle, welche in den privaten Irrenanstalten in der Umgegend Berlins vorkamen, übersehen. Nimmt man dafür die Angabe Blaschkos (843 Fälle) an, so erhält man als Gesamtzahl 3525. Das macht von den 88448 Männern, die 1905 bis 1914 in Berlin im Alter von mehr als 30 Jahren gestorben sind, ziemlich genau 4%, während Freudenberg infolge Uebersehens der Tadesfälle in den Privatanstal- ten nur auf 3% kommt.

Weiter ist mir bei neuerlicher Durchsicht der einschlägigen Zahlen der Umstand aufgefallen, daß in den Irrenanstalten der Provinz Branden- burg nicht weniger Paralytiker sterben, als in denen des Stadtkreises Berlin, obwohl Berlin erheblich mehr Einwohner als Brandenburg hat. Nach den vom preußischen Ministerium des Innern herausgegebenen „Medizinalstatistischen Mitteilungen“ starben in den Jahren 1910 bis 1914 männliche Paralytiker in Anstalten:

Jahr in Berlin in Brandenburg in Pommern 1910 292 282 35 1911 268 247 38 1912 280 312 32 1913 303 294 43 1914 298 320 54 1910—1914 1441 1455 202 pro Jahr 288 291 40

Brandenburg fällt mit 291 jährlichen Todesfällen an Paralyse ganz aus dem Rahmen der übrigen preußischen Provinzen, die sich in dieser Hin- sicht um die für Pommern angegebene Zahl von 40 gruppieren. Die un- verhältnismäßig hohe Paralysezahl für Brandenburg läßt sich zum Teil wohl durch den ungünstigen Einfluß Berlins auf die Syphilishäufigkeit der Provinz erklären, aber sicher nicht ganz. Zu einem erheblichen Teil dürfte die Ueberzahl für Brandenburg daher rühren, daß nicht wenige Berliner Männer in Anstalten der Provinz an Paralyse sterben. Dieser Umstand ist

13*

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196 Kleinere Mitteilungen.

geeignet, die Paralysegefährdung der Berliner Männer noch höher erscheinen zu lassen, als es nach den im Stadtkreise Berlin gezählten Fällen den An- schein hatte. Es sei ausdrücklich bemerkt, daß in den Zahlen für Berlin nicht nur die in den drei städtischen Anstalten vorgekommenen Fälle, auf die Freudenberg sich gestützt hat, sondern auch die aus den drei übrigen Anstalten inbegriffen sind.

Der Einwand Freudenbergs, daß man aus der Zahl der an einer bestimmten Todesursache Gestorbenen nicht die Gefährdung der Lebenden durch diese Todesursache feststellen könne, wenn es sich nicht um eine stationäre Bevölkerung handle, ist grundsätzlich zuzugeben. Um das mög- liche Ausmaß dieser Fehlerquelle beurteilen zu können, habe ich für die erwachsene männliche Bevölkerung Berlins für das Jahr 1909 folgende Aufstellung gemacht:

Altersklasse per Sterbelalle en Paralyse- | Paralysesterbl. Zahl der Taus, ın Taus. in Uo todeställe | der Syphilitiker |Syphil.i Tau:

1,374 1,357

1.818 5,963

Zusammen: 10,512

Der Altersaufbau der Bevölkerung und die Zahl der Sterbefälle sind aus dem Statistischen Jahrbuch der Stadt Berlin entnommen. Die Zahl von 340 Paralysetodesfällen wurde dadurch erhalten, daß zu der Zahl der im Durchschnitt der Jahre 1910—1914 in den sechs Berliner Irrenanstalten verstorbenen Paralytiker (288) die sonst in Berlin im Durchschnitt jener Jahre vorgekommenen Fälle addiert wurden. Es wurde der Einfachheit halber angenommen, daß die 340 Paralysefälle sich ausschließlich auf das vierte und fünfte Lebensjahrzehnt konzentrieren und daß die Gesamtge- fährdung der Syphilitiker durch Paralyse 7 % betrage, die Gefährdung im Durchschnitt jener beiden Lebensjahrzehnte pro Jahr also 3,5°/%. Weiter wurde der Einfachheit halber angenommen, daß alle Infektionen mit Syphilis vor dem 30. Lebensjahre erfolgen. Unter diesen Voraussetzungen würden sich die in der letzten Spalte angegebenen Zahlen für Syphilis in den einzelnen Altersklassen ergeben. Die Gesamtgefährdung der erwach- senen männlichen Bevölkerung würde dann tatsächlich nur etwa 34% sein (60 000 von 174000). Die 340 Todesfälle an Paralyse würden von den 10512 Todesfällen des Jahres 1909 zwar 3,2% ausmachen; die Paralyse- gefährdung der erwachsenen Männer würde aber tatsächlich nur gegen 2,4% betragen (100: 34 =7:2,4). Der Unterschied erklärt sich daraus, daß die Paralysefälle aus den in Berlin besonders stark besetzten mittleren Altersklassen stammen, die im übrigen eine verhältnismäßig geringe Sterblichkeit haben. Die Paralytiker sterben eben 2% bis 3 Jahrzehnte früher als der Durchschnitt ihres Jahrgangs. Die gesamten Todesfälle

Kleinere Mitteilungen. 197 eines Kalenderjahres sind daher eigentlich nicht zu den Paralysetodes- fällen desselben, sondern eines gegen 3 Jahrzehnte zurückliegenden Jahres in Beziehung zu setzen. Noch einmal aber sei betont, daß wahrscheinlich ein erheblicher Teil der Berliner Syphilitiker in der Provinz stirbt und daß daher die Syphilisgefährdung der Berliner Männer vermutlich doch bedeutend größer als 34% ist.

Die von Freudenberg versuchte Schätzung auf Grund der ärzt- lichen Antworten auf die Rundfrage von 1919 krankt an dem Umstande, daß ein großer Teil der Syphilisfälle unzweifelhaft der Erfassung ent- gangen ist. Seine Berechnung macht die stillschweigende Voraus- setzung, daß die von 49,2% der Aerzte gemeldeten Erkrankungen alle Syphilisfälle umfaßten. Die andere Hälfte der Aerzte wird sicher auch eine nicht geringe Zahl von frischen Syphilisfällen behandelt haben; und wenn von den Fachärzten auch nur 4% die Meldung nicht er- stattet haben, so sind doch auch diese 4% nicht zu vernachlässigen. Dazu kommt aber ein gewichtiger Umstand, auf den auch Blaschko in seiner Arbeit von 1918 hingewiesen hat: „Es fehlen aber die Nicht- behandelten und die Kurpfuscherpatienten.“ Und deren Zahl ist un- zweifelhaft sehr beträchtlich. Infolge der Vorurteile, die in weiten Kreisen der Bevölkerung gegen die Schulmedizin herrschen, lassen sich viele Syphilitiker nicht von Aerzten behandeln; und in einem erheblichen Teil der Fälle macht ja die Krankheit in den ersten Jahren oder auch dauernd nur geringfügige Beschwerden. Aus dem sehr lehrreichen Beitrag zur Sta- tistik der Syphilis, den Haustein für das Lehrbuch der Syphilis von Meirowsky und Pinkus geliefert hat, ist zu entnehmen, daß von den in den Jahren 1919 bis 1921 in Stockholm frisch zur Behandlung kom- menden Syphilitikern ein Viertel im primären Stadium sich überhaupt nicht hatte behandeln lassen. Und das waren noch jene Fälle, die wenig- stens im sekundären Stadium zur Behandlung gekommen waren. Da nun gerade im sekundären Stadium die Syphilis oft nur geringfügige Beschwer- den macht, so ist auf Grund dieser und ähnlicher Erfahrungen mit Sicher- heit anzunehmen, daß ein beträchtlicher Teil der Syphilitiker sich über- haupt nicht behandeln läßt oder doch nur von Kurpfuschern und damit der statistischen Erfassung entgeht. Ja, auch von den zur ärztlichen Be- handlung gekommenen Syphilisfällen dürften noch manche der statisti- schen Erfassung entgangen sein, da nicht alle Syphilisfälle von den prak- tischen Aerzten richtig erkannt werden. Blaschko bemerkt, daß ins- besondere die Diagnose Ulcus molle zu häufig gestellt werde. „Es sind dar- unter sicher nicht wenige Fälle von Primäraffekt.“ Auf die Rundfrage vom Jahre 1913 wurden in Hamburg für die Altersklasse 21 bis 25 Jahre 12,9% Erkrankungen an Ulcus molle und 12,4 an frischer Syphilis ge- meldet, für die Altersklasse 26 bis 30 Jahre 9,35 bzw. 8,6 %, während nach den sonstigen Erfahrungen der Fachärzte das Ulcus molle viel seltener als frische Syphilis zu sein pflegt. Es ist daher zu vermuten, daß in Ham- burg ein nicht unbeträchtlicher Teil der syphilitischen Schanker als Ulcus molle angesehen und gemeldet worden sei; und Entsprechendes wird auch

198 Kleinere Mitteilungen.

wohl für Berlin gelten. Die Zahlen für Syphilis sind also als Minimal- zahlen anzusehen. Die Zahl der Wiederansteckungen nach völliger Heilung einer früheren Syphilis, auf die Freudenberg hinweist, war in den Jahren 1905 bis 1914, als die Salvarsanbehandlung noch in den Anfängen steckte und völlige Vernichtung der Spirochaeten im Frühstadium sicher nur ausnahmsweise gelang, eine solche Seltenheit, daß sie praktisch ver- nachlässigt werden kann. Jedenfalls steht sie in gar keinem Verhältnis zu der der nicht ärztlich behandelten Fälle.

Ein schiefes Bild gibt auch Freudenbergs Auszählung der „Zahl der Lebenden mit überstandener Syphilis“, zumal die Berechnung eines „gewogenen Durchschnitts“ von 38,4 %. Wenn im Alter von 15 bis 20 Jah- ren 3,3 % ärztlich wegen frischer Syphilis behandelt wurden und im Alter von 20 bis 25 13,4 %, so sind im Alter von 25 Jahren eben unweigerlich be- reits mindestens 16,7 % infiziert; und entsprechend sind die Erkrankungs- prozente der späteren Altersklassen einfach zu addieren. Die Berechnung eines „Durchschnitts“ ist hier durchaus irreführend; denn wir wollen ja gerade wissen, ein wie großer Teil der männlichen Personen, die das er- wachsene Alter erreichen, im Laufe des Lebens syphilitisch wird. Dafür aber ergeben sich aus den ärztlichen Meldungen von 1919 nicht 38,4 %, sondern 42,5 %. Dazu kommen nun aber noch jene Fälle, die von den Aerzten, die nicht gemeldet haben, behandelt wurden, sowie die zahl- reicheren unbehandelten und von Kurpfuschern behandelten Fälle.

Die Uebersterblichkeit der Syphilitiker, auf die Freudenberg ver- weist, hat zwar zur Folge, daß der Prozentsatz der Syphilitiker unter den Lebenden der höheren Altersstufen ein wenig herabgedrückt wird, nicht aber, daß der Prozentsatz der Männer, die im Laufe ihres Lebens syphi- litisch werden, kleiner wird. Das aber ist die entscheidende Frage; und Freudenbergs Vorgehen bedeutet daher eine Verschiebung der Frage- stellung. Der Umstand, daß ein Teil der Syphilitiker schon im 4. Lebens- jahrzehnt stirbt (zumal auch an Paralyse) ist ganz und gar nicht geeignet, die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Fünfzehnjährigen herabzumindern. Freudenbergs Vorgehen erinnert an das des amtlichen Medizinal- statistikers Roesle?). der in dem Bestreben, einer Beunruhigung der Be- völkerung durch die von mir und Blaschko betonte hohe Syphilisgefahr- dung zu steuern, die Erkrankungswahrscheinlichkeit nicht für die Fünf- zehnjährigen, sondern für die Neugeborenen berechnet hat. Die Neugebo- renen haben selbstverständlich eine geringere Wahrscheinlichkeit, im Laufe ihres Lebens an Syphilis zu erkranken, als die Fünfzehnjährigen, ganz einfach deshalb, weil ein großer Teil im Säuglings- und Kindesalter an andern Krankheiten stirbt. Es ist aber natürlich ein schlechter Trost, daß ein Teil der Geborenen der Syphilis deshalb entgeht, weil er das mann- bare Alter nicht erreicht. Auch die von Haustein 1923 angegebenen Er- krankungswahrscheinlichkeiten, nach denen in Hamburg und Hannover

2) Roesle: Kritische Bemerkungen zur Statistik der Geschlechtskrankheiten. Archiv für soziale Hygiene 1919, H. 3.

Kleinere Mitteilungen. 199

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jeder vierte Mann der syphilitischen Infektion verfällt, geben noch ein zu optimistisches Bild, da sie von der Erkrankungswahrscheinlichkeit der Lebendgeborenen ausgehen. Die einzig richtige Fragestellung ist vielmehr die nach der Erkrankungswahrscheinlichkeit der ins erwachsene Alter Ein- tretenden für das ganze Leben berechnet.

Ich möchte zum Schluß noch das Ergebnis der Berechnung für Ham- burg und Hannover, jene beiden Städte, für die wir die besten Unterlagen über die Häufigkeit der frischen Syphilis haben, mitteilen. In Hamburg haben auf die Rundfrage, welche der Verband der deutschen Städtestatisti- ker i. J. 1913 hat ergehen lassen, von 800 Aerzten nur zwei nicht geant- wortet. Es ergab sich, daß auf alle Männer zwischen 15 und 50 Jahren eine jährliche Erkrankungsziffer von 1,3% an frischer Syphilis kam. Für die gesamte Zeit von 35 Jahren würde das eine Erkrankungswahrscheinlichkeit der Fünfzehnjährigen von 1,3 . 35 = 45,5 % ergeben; und diese Zahl ist in- folge der genannten Umstände (Verkennung mancher Syphilisfälle durch Aerzte, Behandlung anderer durch Kurpfuscher und Unbehandeltbleiben eines nicht unbeträchtlichen Teiles) noch als Minimalzahl anzusehen. Daß die Verhältnisse in Berlin günstiger liegen sollten als in Hamburg, ist sehr unwahrscheinlich. Unter den Rekruten der Jahrgänge 1903 bis 1905 wurden in Berlin 4,13 und in Hamburg 2,98 % mit Geschlechtskrankheiten infiziert gefunden (nach Schwiening, zitiert bei Haustein 1923). |

Für Hannover ist die Syphilishäufigkeit auf Grund der Rundfrage des Reichsgesundheitsamtes vom Jahre 1919 von Seutemann?) in einer vorbildlichen Arbeit dargestellt worden. In Hannover ist die Rundfrage von sämtlichen Aerzten mit Ausnahme eines Facharztes für Geschlechts- krankheiten beantwortet worden. Es ergab sich, daß, so wie die Verhält- nisse im Herbst 1919 in Hannover lagen, dort etwa 35 % aller Männer bis zum 50. Lebensjahr wegen Syphilis behandelt wurden. Allerdings war die Ausbreitung der frischen Syphilis in der Revolutionszeit besonders groß, nach Seutemann um zirka 50% größer als im Herbst 1913. Immerhin wird man unter Berücksichtigung der oben angeführten Umstände für Hannover in den letzten Jahren vor dem Kriege eine Erkrankungswahr- scheinlichkeit der Männer an Syphilis von mindestens 25% annehmen müssen. Daß die Verhältnisse nicht so schlimm wie in Hamburg und Berlin liegen, ist weiter nicht verwunderlich.

Für Berlin wird man die Syphilisgefährdung der erwachsenen Männer einstweilen auf mindestens 40 % schätzen dürfen; doch kann eine Gefähr- dung von mehr als 50% auf Grund des bisher vorliegenden Materials ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Es wäre dringend erwünscht, daß die Frage durch eine amtliche Rundfrage bei sämtlichen Aerzten der Klärung zugeführt würde.

3) K.Seutemann: Die Geschlechtskrankheiten in der Stadt Hannover Ende 1919. Archiv für soziale Hygiene 1921, H. 3.

Kritische Besprechungen und Referate.

Passarge, Siegfried, 1922, Beobachtungen über Tier und Mensch. (Erdkundliches Wanderbuch, II. Bd. Wissenschaft und Bildung. Bd. 171.) Leipzig, Quelle u. Meyer. 128 Seiten, VI Tafeln mit 11 Ab- bildungen.

Zu den wenigen Versuchen, zwischen den einzelnen Fachwissenschaften unserer Zeit den Zusammenhang herzustellen, gehört das Büchlein P.s, das für den Rassenkundler deshalb von Wichtigkeit ist, weil es sich in der Hauptsache mit der Wechselwirkung von Mensch und Landschaft be- schäftigt. Es ist natürlich kein Zufall, daß gerade P. eine neue Bearbeitung dieses (meist als Anthropogeographie bezeichneten) Gebietes versucht hat: er ist (jetzt Professor für Geographie an der Universität Hamburg) selbst von der Medizin her zur Länderkunde gelangt, also von Haus aus an bio- ‘logischen und rassenkundlichen Fragen interessiert. Das Bändchen umfaßt aber noch mehr als die Geographie des Menschen: es enthält gleichzeitig die Grundlagen einer Gesellschaftslehre und einer allgemeinen Kultur- geschichte, schließlich, wenigstens andeutungsweise, wichtige rassenbiolo- gische Probleme. Die Abhängigkeit der Tierwelt von der Landschaft wird durch zahlreiche Beispiele für Anpassung an das Leben in verschiedenen Klimaten, im Wasser, auf Eis und Schnee, in Gegenden mit verschiedener Bodenart, Pflanzendecke usw. erläutert. Unter der Überschrift „Einwirkung auf die Lebensweise und die geistigen Eigenschaften" folgt eine Veranschau- lichung der verschiedenen Ansprüche, welche das Leben in offener Land- schaft, im Wald usw. an den tierischen Organismus stellt. Das zweite Kapitel handelt vom Menschen. P. faßt die Anthropologie ungefähr ent- sprechend der üblichen Definition als „Lehre vom Körperbau der Rassen“ auf. Demzufolge scheidet er Rassen, Völker und Kulturverhältnisse. Die Rassen werden in drei Hauptgruppen eingeteilt: zu den „alten Rassen“ sollen gehören eine „altasiatische Rasse‘ (z. B. Aino, nicht-mongolide asiatische Stämme), eine ,,hamitische Rasse‘ (Ägypter, Teda, Fulbe, Wa- tussi, Somali, Berber, allenfalls z. T. auch die Herero) und „Zwergrassen‘ (Buschleute, Kongopygmäen, Wedda usw.); als „Hauptrassen‘‘ werden unter- schieden die „nigritische‘‘, die ‚„indoaustralische‘‘, die „mongolide‘‘, die „indianische‘‘ und die europäische" (in letzterer wiederum die nordische, die mittelländische und eine „alpine‘‘); endlich werden „Mischrassen‘ auf- geführt, als die wichtigste die ‚„armenoide‘‘ oder „westasiatische‘‘, für deren Entstehung P. etwa diejenigen Komponenten annimmt, welche nach v. Lun- han die Bestandteile des jüdischen Volkes ausmachen. Eine kurze An- leitung zu anthropologischen Beobachtungen erstreckt sich hauptsächlich auf die Beschreibung (des Kopfes und Gesichtes) und betont die Wichtigkeit photographischer Aufnahmen. Im folgenden Abschnitt sind die wich- tigsten Sprachgruppen und die wichtigsten Völker der Erde aufgezählt und

Kritische Besprechungen und Referate 201

kurz gekennzeichnet. Das dritte Kapitel wendet sich zur Betrachtung der Kulturverhältnisse; es werden abgehandelt: die Abhängigkeit des Men- schen von der Landschaft (Siedelungslage, Siedelungsart, Verkehrswege, Wirtschaftsformen, mit zahlreichen erläuternden Beispielen); die Abhängig- keit der Kulturerscheinungen von menschlichen Einflüssen (geistige Be- gabung und ihre ungestörte oder gestörte Entwicklung, Handelsbeziehungen, Tauschverhältnisse, Krieg, Unterwerfung usw.); die Kulturschichten (Kultur- entwicklung) und der „Völkergedanke“ (Bastian). Mit am anregendsten ist der nun folgende Abschnitt über die „Entwicklung der menschlichen Kultur“, die einzelnen aufeinanderfolgenden Wirtschaftsformen und ihre kulturellen Begleiterscheinungen. P. unterscheidet Sammler und Jäger, Hackbau, Gartenbau, älteren Pflugbau, Viehhaltung, Fischerei, Gewerbe und Handel der (jüngeren) Pflugbauzeit. Jede dieser Formen wird durch ge- drängte Darstellungen der Vergesellschaftung, der Religion, der Ahnenver- ehrung, der staatlichen Verhältnisse, der Lebensweise, des stofflichen und geistigen Kulturbesitzes, der Volksdichte, der Siedelungen und des Verkehrs gekennzeichnet und in ihrer ungefähren (zeitlichen und örtlichen) Verbrei- tung festgelegt. Als die jüngste Wirtschaftsform und Kulturstufe bezeichnet P. die ,,Maschinenkultur auf industrieller Grundlage‘ und was hierüber gesagt wird, gehört mit zum Eindruckvollsten des ganzen Büchleins. Die verheerenden Wirkungen der neuzeitlichen Maschinenkultur auf Volksgesund- heit und Rassengesundheit werden in lebendigster Weise geschildert. Der Erzieher P. (das Buch ist „der national gesinnten deutschen Jugend ge- widmet“) nimmt die Gelegenheit wahr, auf alle die schlimmen Erschei- nungen der heutigen städtischen Zivilisation, die wirtschaftlichen und politi- schen Wirren hinzuweisen und versucht, die Ursachen dafür in den Ursachen der Maschinenkultur auf industrieller Grundlage aufzudecken. Kurze An- leitungen zu völkerkundlichen Beobachtungen schließen sich an. Das Schlußkapitel endlich enthält den Versuch einer „erdkundlichen Weltanschau- ung‘ mit den Abschnitten über „das Problem der landschaftlichen Kultur- gipfelhöhe‘‘ und über „das Gesetz von der Charakterentwicklung der Völker‘. Das erstere wird in dem Sinne gelöst, daß eine zwangsläufige Be- dingtheit der kulturellen Entwicklung durch die Landschaft angenommen wird, das zweite, „noch höhere‘ Gesetz wird kurz gesagt in einer rassischen Bedingtheit der Wesensart der Völker gesucht.

Der hier kurz wiedergegebene Hauptinhalt des P.schen Buches mag wohl schon zeigen, daß der Verf. durchaus auf dem Boden der neueren (nicht der alten von ihm zitierten) Rassenlehre steht, wie sie z.B.von den Mitarbeitern dieses Archivs vertreten wird. Die Formulierungen sind aber vielfach so, daß man bei der Lektüre zunächst den Eindruck hat, als sollten direkte Bewirkungen im lamarckistischen Sinn in den Vordergrund gerückt werden. P. hat sich leider nirgends ganz klar darüber ausgesprochen, wie er sich die Wirkung der „Landschaft‘‘ vorstellt. Die Tatsache, daß für ihn z. B. auch die Stadt mit allen ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ein- flüssen „Landschaft“ ist (in der Einleitung ausdrücklich betont!), ferner die Tatsache, daß auch die Menschen mit dem, was sie geschaffen haben,

202 Kritische Besprechungen und Referate

mit der Kultur, zur „Landschaft‘‘ gehören wollen, zeigt aber wohl deutlich, daß Landschaft": einfach im Sinn von Umwelt, von ,,Peristase’* gemeint ist. Vielfach denkt P. dabei nun wirklich in erster Linie an die nebenändernde Umwelt, so z. B. bei den Ausführungen über die Gesundheitsschädlichkeit der Fabrikarbeit, nicht selten wohl auch bei den _ ,,Charakteranderungen™ durch die Umwelt. Andererseits ist er sich ebenso klar darüber, daß damit allein nicht auszukommen ist, wenn er z. B. ausdrücklich hervorhebt, daß „die geistige Entwicklung des Menschen‘ (gemeint ist hier sichtlich die anlagenbedingtel) „zusammen mit seinem stofflichen und geistigen Kulturbesitz die Kulturstufe bedingt‘. Unverkennbar wird die Annahme entscheidender selektorischer Wirkungen der Umwelt vollends an vielen Stellen, wo der Gegenauslese (z. B. in Großstädten, in höheren Berufen usw.) ausdrücklich gedacht wird. Der Satz: „Nur das freie Walten des grau- samen Kampfes ums Dasein verbürgt körperliche und geistige Gesundheit der Völker und damit Kulturfortschritt‘‘ läßt über die diesbezüglichen Anschauungen des Verf. wohl ebenso wenig einen Zweifel als seine Stellung zum Sozialismus der Gegenwart, bes. zu dessen Symptomen der ,,Volks- bildungsbestrebungen‘‘, der „sozialen Fürsorge“, der „Frau in der Offent- lichkeit“ vuam Im ganzen aber könnte, wie gesagt, beim Leser hier und dort die Verwechselung parakinetischer und auslesender Umwelteinflüsse unterstützt werden. So wäre es z. B. wohl gerade für den Geographen eine dankbare Aufgabe gewesen, bei den „Rückzugs-“ und „Vorzugs- gebieten“ auf die örtlich-auslesende (oder, mit einem vielleicht treffen- deren Ausdruck von Thurnwald, auf die „örtlich siebende‘‘) Bedeutung dieser Dinge (die mehrfach erwähnt sind) hinzuweisen u. dgl. mehr. Ähnlich macht es vielfach den Eindruck, als ob lediglich die „demoralisierende‘' (nebenändernde) Wirkung der Großstädte für die „menschliche Bruchware‘“, die sich darin angesammelt hat, verantwortlich zu machen sei. Demgegen- über kommt aber doch zweifellos gerade der ,,siebenden Wirkung‘ der Großstädte eine entscheidende Bedeutung zu, wenn man sich daran erinnert, wie sie gerade in der Nachkriegszeit die fragwürdigsten Elemente der Bevölkerung an sich gezogen haben. So dürfte noch manches, was ge- legentlich auf die Formel gebracht wird: „Die Landschaft macht den Menschen‘ eher ein Beispiel sein für die Richtigkeit der Anschauung: „Der Mensch sucht sich die ihm adäquate „Landschaft oder ‚die ‚Landschaft‘ sucht sich ihre Menschen" Damit soll natürlich nicht be- hauptet werden, daß dies immer der Fall sei. Vielmehr macht auch das Studium der nebenändernden Wirkungen der Landschaft einen Teil der Lehre von der Wechselwirkung zwischen Mensch und Landschaft aus. Aber in einem gewissen Unterschied zum Verfasser meint R., daß dieser Teil zu keinen „Gesetzen‘‘ führe, daß also jedenfalls die Lösung des „Problems der landschaftlichen Kulturgipfelhöhe‘‘ kein Gesetz oder doch viel weniger ein Gesetz erkennen lasse als die rassenkundliche Be- trachtung der Kulturgeschichte. Dieses letztere, P.s „Gesetz von der Charakterentwicklung der Völker“ macht aber schließlich auch den wesent- lichen Inhalt der in dem Buch entwickelten ,,erdkundlichen Weltanschauung“ aus, so daß man es, bei Licht betrachtet, wohl eher mit einer „rassen-

Kritische Besprechungen und Referate 203 kundlichen‘“ oder rassischen Weltanschauung zu tun hat. Daß an der Begründung einer solchen auch die Länderkunde mit der Erforschung der „siebenden und auslesenden‘‘ Wirkungen der Landschaft" wichtigen Anteil hat, ist selbstverstandlich. Ref. möchte nur hoffen, daß diese Aufgabe der Länderkunde in Zukunft weniger vernachlässigt wird als es bisher geschah. Vielleicht wird gerade Passarge mit einer nach weiteren Ausgestaltung dieser Seite seiner Forschungen der: Geograph, den die Rassenkunde notwendig braucht. Die wertvollsten Anfänge dazu liegen jedenfalls vor. Schließlich soll noch auf einige Einzelheiten verwiesen werden, die das Büchlein außerdem wertvoll machen: Bemerkenswert ist die (näher ausgeführte) Ansicht P.s von der verhängnisvollen Wirkung einer ständigen Zunahme vorderasiatischer Elemente in Deutschland. Er- zieherisch wichtig und erfreulich scheint Ref. der Exkurs über das mangel- hafte Nationalgefühl der meisten Deutschen, über die Stellung des Deutschen im Ausland und einiges Ähnliche. Die Rasseneinteilung P.s scheint dem Ref. nicht in allen Stücken glücklich; so dürfte die Annahme, die Arme- noiden seien eine Mischbevölkerung, wohl auf der kaum berechtigten Gleichsetzung der Armenoiden mit den Juden beruhen; die Abgrenzung und Stellung der sog. „alpinen Rasse‘ ist wahrscheinlich einer Revision bedürftig; die kurzschädeligen Elemente des Kaukasus sind nach Ans. d. Ref. wohl vornehmlich vorderasiatisch (armenoid); die alten Ägypter werden in der Hauptsache der mediterranen Rasse zugerechnet werden dürfen usw. Alle diese Sonderfragen bedürfen aber wohl noch vielfacher Klärung; sie sollten ja auch nicht den eigentlichen Gegenstand der P.schen Ausführungen ausmachen. Scheidt-Hamburg.

Dalla Volta, A., 1924, La morfologia del padiglione dell’orec- chio nei gemelli. Arch. Ital. di Anat. e di Embriol. Bd. 21, S. 114. Volta untersuchte 19 Zwillingspaare eingehend auf die Merkmale des

äußeren Ohres. Die Paare wurden in Gruppen nach der Wahrscheinlichkeit

der Eineiigkeit (gesamte morphologische Ähnlichkeit) eingeteilt. 4 Tabellen geben die Maße und die beschreibenden Merkmale im einzelnen wieder. Es zeigte sich, daß die Ähnlichkeit der Ohrform bei Zwillingen viel größer ist als bei Geschwistern, bei wahrscheinlich eineiigen Zwillingen wiederum größer als bei zweieiigen. Ohren derselben Seite sind bei eineiigen Zwil- lingen nahezu identisch. Die Erblichkeit der meisten Merkmale ist gewiß, doch scheint es sich um verwickelte Verhältnisse der Erbgänge zu handeln. Scheidt.

Kronacher, Prof. Dr. Neuzeitliche Vererbungslehre und Tierzucht. Verlag Dr. F. P. Datterer & Cie., Freising-Miinchen 1924. Der bekannte Direktor des Instituts für Tierzucht und Vererbungs- forschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover behandelt in diesem als Heft 2 der Sammlung „Naturwissenschaft und Landwirtschaft“ in er- weiterter Form erschienenen Vortrage, den er auf dem internationalen Kongreß für Rindviehzucht hielt, die Lehren vom Genotyp und Phänotyp, von den reinen Linien, der Mutation und dem Mendelismus und untersucht

204 Kritische Besprechungen und Referate in interessanter Weise, wie diese Lehren sich für die Tierzucht auswerten lassen (Probeanpaarung, Individualauslese, planmäßige Kreuzung, Aus- nützung der verbesserten Herdbücher, besondere Forschungsanstalten, Sammlung und Klärung beobachteter Fälle von auffallender Vererbung). Die deutliche Absage gegenüber der Irrlehre von der Vererbung erwor- bener Eigenschaften ist besonders erfreulich. A. Hink (Freiburg i. Br.).

Kossinna, G., 1925. Diedeutsche Vorgeschichte eine her- vorragend nationale Wissenschaft. 4. Aufl. VIII u. 255 Sei- ten, 516 Abb. und 62 Tafeln. Curt Kabitzsch, Leipzig. Die Begeisterungs- fahigkeit des Verfassers verleiht dem Buch einen gewissen Schwung, die überzeugte und sehr bestimmte Art, mit der darin Theorien entwickelt werden, mag bei vielen Lesern kritische Bedenken unterdrücken. So hat der ausgestaltete Vortrag vom Jahre 1911 die 4. Auflage erreicht und wohl auch in Laienkreisen weitere Verbreitung gefunden. Wenn dadurch dem Verständnis der deutschen Vorgeschichte die Wege geebnet worden sind, mag das auch denjenigen Fachleuten begrüßenswert erscheinen, welche K.’s Anschauungen nicht teilen. Das reiche Abbildungsmaterial zeugt von der allenthalben gerühmten umfassenden Fundkenntnis des Verf.; schon dieser Tafeln wegen wird das Buch in jeder Bücherei ein dauernd wert- volles Stück bleiben. Scheidt (Hamburg).

Ebstein, Erich. Franz Joseph Gall im Kampf um seine Lehre auf Grund unbekannter Briefe von Bertuch usw. sowie im Ur- teile seiner Zeitgenossen. Essays on the history of medicine. London- Zürich 1924, S. 269—322.

Franz Joseph Gall gehört zu den interessantesten und fesselndsten Erscheinungen in der neuzeitlichen Geschichte der Medizin. Dem Laien zwar ist er meist nur bekannt durch seine Lehre von der Lokalisation der psychischen Fähigkeiten, mit der er gewiß auch vielfach über das Ziel hinausschoß. Daneben aber erwarb er sich die größten Verdienste um die anatomische Gehirnforschung. Gall war der erste, der erkannte, daß der Sitz der höheren psychischen Funktionen die Gehirnrinde (die graue Substanz) ist, daß das verlängerte Mark nur den Rang eines Lei- tungssystems hat; von ihm stammt auch die große Entdeckung, daß die weiße Gehirnsubstanz nur aus leitenden Fasern besteht, daß alle Nerven in der grauen Substanz entspringen, daß die weißen Fasern isolierte Lei- tungsbahnen zwischen Rinde und sensorischen bzw. motorischen End- organen bilden, womit die Grundlage unserer ganzen modernen Auffassung von Bau und Funktion des Zentralnervensystems gegeben war. Einzel- heiten aus dem Leben dieses hervorragenden Naturforschers dürften des- halb auch weiteren naturwissenschaftlich interessierten Kreisen willkom- men sein. Verf. hat mit großer Sorgfalt Urteile von Galls Zeitgenossen über dessen Lehren zusammengetragen sowie Briefe, darunter 13 bisher unbekannte Briefe Galls an den Legationsrat Bertuch. Der Aufsatz

Kritische Besprechungen und Referate

2

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zeigt sehr anschaulich den Kampf eines großen Geistes gegen seine Zeit,

aber auch die Anerkennung, die er bei Weiterblickenderen schon damals

gefunden hat. Die Arbeit ist mit zwei Bildern Galls ausgestattet. Siemens.

Kehrer, Prof. Dr. F. und Kretschmer, Prof. Dr. E, Die Veranlagung

zuseelischen Störungen. 206 S. Berlin 1924. J. Springer. 12 M.

Zu der vorliegenden Monographie hat Kehrer einen allgemeinen Teil von 37 Seiten geliefert, während in den speziellen Teil sich beide Autoren geteilt haben. Kehrer behandelt die Veranlagung zu Psychosen, die durch bestimmte äußere Einflüsse oder durch besondere Perioden des Lebens ausgelöst werden, dazu auch die Veranlagung zu psychogenen Psychosen, zu Wahn- und Zwangskrankheiten. Kretschmer berichtet über die Veranlagung zu genuiner Epilepsie, zu Schizophrenie und ma- nisch-melancholischen Störungen, sodann auch über die Beziehungen zu den Konstitutionen der Gesunden und zu den Rassetypen.

Kehrer bemerkt im allgemeinen Teil: „Wenn man von Veranlagung zu seelischen Störungen spricht, meint man ungefähr das, was in der Somatopathologie als Disposition zu solcher (?) bezeichnet wird.“ „Wir definieren Disposition für unsere Zwecke als die ganz spezifische Bereit- schaft, unter bestimmten alltäglichen oder außergewöhnlichen Lebens- bedingungen bald aus vorwiegend erblicher, bald aus vorwiegend erwor- bener Anlage in einen krankhaften, d. h. das Individuum oder die Rasse gefährdenden Zustand zu verfallen, dessen Symptome und Verlauf ebenfalls durch individuelle Eigenschaften bestimmt wird.“ Für den Begriff der Konstitution schlägt er das deutsche Wort „Dauerverfassung“ vor. Bei mehreren erbbiologischen Fachausdrücken sind nicht die richtigen Autoren als ihre Urheber angegeben. Sachlich dagegen sind die biologischen Dar- legungen Kehrers so gut wie einwandfrei, was ja leider noch durchaus nicht von allen Klinikern, die über ähnliche Fragen schreiben, zu sagen ist. Nur die Bezeichnung der „Frage nach dem Grunde der Variabilität“ als »metaphysisch” (S. 8) scheint mir etwas irreführend zu sein; zweifellos handelt es sich hier um eine naturwissenschaftliche Frage, die hinsichtlich der Ursachen der Modifikationen als gelöst gelten kann und die hinsichtlich der Ursachen der Mutationen experimenteller Inangrifinahme wenigstens grundsätzlich zugänglich ist.

Von den speziellen Ergebnissen der Arbeit scheinen mir folgende der Mitteilung an dieser Stelle wert zu sein: „Ueber die Vererbbarkeit jener Konstitution, welche bisher in der Psychiatrie ‚hysterischer Charakter‘ ge- nannt wurde, wissen wir bislang merkwürdigerweise gar nichts“ (S. 93). Hinsichtlich der Zwangskrankheiten gewinne die Anschauung mehr und mehr an Boden, daß es sich um psychoneurotische Sondergebilde handle, die der schizophrenen Anlage zum mindesten viel enger verwandt seien als der zyklothymen. Zwangsvorstellungen fand Kraepelin in 29 bis 39 Prozent der Fälle bei Eltern und Kindern; auch Pilcz, Stöcker und Meggendorfer haben über Familien berichtet, in denen domi-

206 Kritische Besprechungen und Referate

nanter Erbgang nahezuliegen scheint. Bei den Abkömmlingen von Para- noikern tritt merkwürdig häufig Schizophrenie auf. Bei den Nachkommen von Querulanten tritt ungefähr zu einem Drittel Schizophrenie, zu einem zweiten Drittel psychopathischer Charakter auf. Die Erblichkeitsverhält- nisse bei Querulantenwahn, Paraphrenie, Paranoia und anderen Wahn- krankheiten scheinen ungefähr dieselben zu sein. Kehrer hat an der psychiatrischen Klinik in Breslau persönlich speziell Material über die Erblichkeit der Wahnkrankheiten gesammelt und er kommt auf Grund dieses Materials zu dem Schluß: „Die Wahrscheinlichkeit des Auf- tretens ausgesprochen schizophrener Prozeßpsychosen bei der Nach- kommenschaft von chronisch paranoischen oder paranoiden Eltern ist am geringsten bei den ‚lebensnahen‘ katathymen Wahnbildungen ero- tischer oder beruflicher Natur, noch relativ gering bei den halluzina- torischen Paranoiden, in denen die halluzinatorische Komponente durch exogene Einflüsse zum mindesten mitbedingt ist, sehr groß beim Querulantenwahn und bei den somaesthetischen Wahnbildungen der Paraphrenien“ (S. 123).

Aus dem Abschnitt Kretschmers seien folgende Resultate wieder- gegeben: Von der genuinen Epilepsie scheinen verschiedene erbbiologische Typen vorzukommen. Einzelne Stammbäume machen den Eindruck der Dominanz. In der Mehrzahl der Fälle dagegen liegt rezessiver Erbgang näher. In der Verwandtschaft der Epileptiker finden sich oft Individuen mit starker motorischer Erregbarkeit, Jähzorn und periodischer Trunk- sucht. Körperlich zeigen die Epileptiker oft hypoplastische und dysplasti- sche, speziell auch dysgenitale Typen, ferner athletische Typen mit auf- fallend plastischer Muskelentwicklung. „Schizoide Psychopathen darf man rein empirisch nach der Häufigkeit des Vorkommens in Präpsychose und nächster Blutsverwandtschaft der Schizophrenen vor allem nennen die Gruppen der schon von Kraepelin herausgehobenen affektlahmen Musterkinder, die mimosenhaft zarten hyperästhetischen Autisten, ander- seits gewisse Gruppen von kalten, schwierigen Egoisten, exzentrischen Idealisten und verschrobenen Sonderlingen“ (S. 163). „Es kann natürlich keine Rede davon sein, daß sich das große Gesamtgebiet der Alltagspsycho- pathen, Degeneres und Nervösen einfach in Schizoide, Zykloide, Epileptoide und vielleicht einige sonstige degenerative Spezialformen glatt zerlegen ließe“ (S. 164). Hoffmann fand unter den Nachkommen Schizo- phrener etwa 60 Prozent Schizophrene und Schizoide (unter Vorwiegen der Schizoiden), dagegen unter den Nachkommen Zirkulärer nur 8—9 Pro- zent Schizophrene und Schizoide. Umgekehrt fand er unter den Nach- kommen Zirkulärer gegen 60 Prozent Zyklothymiker, darunter etwa 40 Pro- zent Zirkuläre und Zykloide. „In Uebereinstimmung mit Kahn stellt Schneider die Neigung zu direkter gleichartiger Vererbung schizoider Psychopathien an 7 bzw. 10 Familien fest“ (S. 171). Die Beziehungen, welche Kretschmer zwischen Körperbau und Art der geistigen Störung aufgedeckt hat, sind inzwischen von einer ganzen Reihe von Nachunter- suchern bestätigt worden; genauere Zahlen werden in einer Tabelle auf

Kritische Besprechungen und Referate 207 S. 174 gegeben. Unter den Schizophrenen überwiegen bei weitem die asthe- nischen und athletischen Typen, unter den Zirkulären die pyknischen Typen. Dysplastische Typen sind bei den Schizophrenen häufig, bei den Zirkulären sehr selten. Auch die Kopfumfänge bei den beiden Gruppen waren recht verschieden verteilt; von den Schizophrenen hatten 26,0 Prozent einen Umfang unter 55 cm, 39,7 Prozent zwischen 55 und 56 cm, 34,3 Pro- zent über 56 cm; bei den Zirkulären waren die entsprechenden Zahlen 2,9 Prozent, 26,1 Prozent, 71,0 Prozent. Die Schizophrenen zeichnen sich durch verhältnismäßig kleine und kurze Köpfe aus. 223 Schizophrene hatten eine Körperlänge von 167,7 cm und ein Gewicht von 56,9 kg, 163 Zirkuläre 168,1 cm bzw. 64,4 kg. Kretschmer bezeichnet jetzt diejenigen ge- sunden wie verkümmerten Körperbautypen, die sich durch schmalen Wuchs, schmales Gesicht und scharfe Nase auszeichnen, als ,,leptosom"; die Bezeichnung „asthenisch“ trifft nur die extremen Kümmerformen dieser Richtung. Für die zyklothymen Temperamente hat Bleuler das Wort »synton” gebraucht, doch findet Kretschmer, daß es nur für die gesunden Mittellagen dieser Richtung treffend sei, nicht aber für die krankhaften Extreme. Bei Kranken mit der Diagnose „Schizophrenie“, die pyknischen Körperbau zeigten, war der Verlauf ihrer Geistesstörung regelmäßig ein periodischer. Bei Zirkulären mit leptosomem Körperbau war die Dauer der Geistesstörung im Durchschnitt viel länger als bei solchen mit pykni- schem Bau (16% gegen 5% Monate). Der leptosome bzw. der pyknische Kon- stitutionstypus fällt nicht etwa mit dem nordischen bzw. dem alpinen Rassetypus zusammen, wie Stern-Piper gemeint hat; es kann sich nur um eine teilweise Deckung bezüglich eines Teiles der Merkmale handeln. Da Kretschmer meint, daß meine Ansicht der von Stern- Piper nahestehe, möchte ich kurz meine abweichende Meinung folgender- maßen ausdrücken: Während Stern-Piper meint, daß der leptosome Typus ein schizothymes Temperament aufweise, weil er der nordischen Rasse entspreche, der pyknische ein zykloides, weil er der alpinen Rasse entspreche, möchte ich glauben, daß Menschen von nordischem Typus meist schizothym veranlagt sind, weil sie leptosom gebaut sind und Men- schen von alpinem Typus, zyklotym, weil sie pyknisch gebaut sind. Dem entspricht eine nur teilweise Deckung von Konstitutionstypus und Rasse- typus. Lenz.

Schmitt, W.: Ist miteiner Schädigung der Nachkommen- schaft infolge einer vor der Befruchtung erfolgten Keimdrüsenbestrahlung der Mutter zurechnen? (Aus der Zeitschrift „Die Strahlentherapie“, Bd. XVIII, H. 2, S. 410.)

Zusammenstellung und Besprechung aller bisher veröffentlichten Fälle von Schwangerschaften nach vorausgegangener Keimdrüsenbestrahlung der

Mutter unter Hinzufügung von 9 eigenen Fällen. Danach sind 88 Schwan-

gerschaften nach vorausgegangener Röntgen bestrahlung der Mutter be-

kannt. Davon endeten 20 mit einem Abort, 7 hatten zur Zeit der Mitteilung ihr Ende noch nicht erreicht, 57 Kinder kamen lebend zur Welt. Mit Aus- nahme von zweien waren sämtliche normal entwickelt und zeigten keine

208 Kritische Besprechungen und Referate Mißbildungen. 34 wurden später nachuntersucht, das älteste davon war 13 Jahre alt. Eine gröbere Entwicklungshemmung konnte bei keinem dieser Kinder festgestellt werden. Nach vorausgegangener Radium- bestrahlung der Mutter wurden bisher 47 Schwangerschaften beobachtet. Von diesen endeten 16 durch Abort; bei diesen hatte die Bestrahlung 5mal wegen Kollumkarzinom und 8mal wegen Uterusmyom stattgefunden, welche Erkrankungen auch als Ursache für den Abort angesprochen werden könn- ten. 3 Schwangerschaften hatten ihr Ende noch nicht erreicht. 25 Kinder kamen lebend, 23 normal entwickelt zur Welt. Ueber die weitere Entwick- lung der Kinder fehlen Nachrichten, nur von 6 Kindern wird ihr gutes Gedeihen berichtet. Ein abschließendes Urteil ist auf Grund dieser Be- funde nicht möglich. Es fehlen noch genauere und umfangreichere Nach- untersuchungen über die weitere Entwicklung dieser Kinder. Auch er- scheint Ref. die Frage ungeklärt, ob die Zahl der lebend geborenen, ge- sunden Kinder im Verhältnis zu der Anzahl der Schwangerschaften nicht kleiner ist, als sie einem etwa gleichwertigen Vergleichsmaterial entsprechen würde. Ebensowenig läßt sich durch diese Untersuchungen die Unschäd- lichkeit der Röntgenstrahlen auf die Erbmasse (rezessive Defekte) be- weisen. v.Verschuer. Reid, R. W. und Mulligan, H Communications from the An- thropometric Laboratory ofthe University of Aber- deen. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, Bd. 54, S. 287 (1924).

Der erste Teil enthält eine neue Aufarbeitung von Messungen aus dem Jahr 1896 (847 schottische Studenten). Der zweite Teil vergleicht die Ergebnisse mit denjenigen, welche in der Anthropologia Suecica von Retzius und Fürst und in der Möre Fylkes Antropologi von Bryn niedergelegt sind. Es finden sich u. a folgende Vergleichszahlen:

Körpergröße: © Nord-Ost-Schottland 174.1 + 0.18 Norwegen 171.9 + 0.11 Schweden 171.4 + 0.18 Längenbreitenindex: Nord-Ost-Schottland 78.6 + 0.87 Norwegen 79.2 + 0.06 Schweden 78.6 + 0.01 Gesichtsindex: Nord-Ost-Schottland 89.9 + 0.15 Norwegen 88.5 + 0.19 Nasenindex: Nord-Ost-Schottland 61.2 + 0.2 Norwegen 67.8

Von den Merkmalsgruppen finden sich bei 512 Studenten aus Nord- Ost-Schottland (Eltern ebendaher): Körpergröße > 170, Längenbreiten- index < 75.9, Gesichtsindex > 88.0 und Nasenindex < 69.9 58 Fälle; dieselben Merkmale, aber Längenbreitenindex 76—80.9 = 141 Fälle; Kör- pergröße > 170, Längenbreitenindex < 80.9, Gesichtsindex 84—87.9 und Nasenindex < 69.9=59 Fälle, d. h. die Hälfte der Studenten ist groß, mittel- bis schmalköpfig, schmalnasig und mittel bis schmalgesichtig. Kleine langköpfige und schmalgesichtige sowie kleine breitköpfige und

Kritische Besprechungen und Referate 209

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breitgesichtige Personen kommen unter den beobachteten schottischen Studenten überhaupt nicht vor. Während Schweden zu rund 75% Blonde hat, fanden sich in Norwegen nur 19.31 + 3.3, in Nord-Ost-Schott- land nur 25.39 + 6.0% Blonde. [Mittlerer Fehler der kleinen Zahl vom Ref. angegeben.] Die belangreichen Aufschlüsse der Arbeit hätten viel- leicht noch zahlreicher werden können, wenn an die Stelle komplizierter rechnerischer Aufarbeitung mehr biologische Gesichtspunkte getreten wären. Die Berechnung der Mittelwerte auf 4 Dezimalen ist wohl ebensowenig notwendig wie eine solche einfacher Mittelwertunterschiede und ihrer mitt- leren quadratischen Abweichungen. auf 4 Dezimalen. Daß Variationskoef- fizienten, ‚Chi-Square Test‘ (Pearson) u. 4., bündige Schlüsse auf die (biologische) „Homogenität“ des Materials zulassen, ist wohl auch einer der gangbarsten Irrtümer englischer Biometriker. Eine geringere mittlere Abweichung der Merkmale in einer Gruppe von Medizinstudierenden von bestimmter Herkunft gegenüber einer Gruppe von Wehrpflichtigen weniger bestimmter Herkunft dürfte nach der wahrscheinlichen Auslese beider Gruppen von vornherein zu erwarten sein; sie spricht jedenfalls noch nicht eindeutig dafür, daß „die“ schottische Bevölkerung „homogener“ sei als „die“ schwedische Bevölkerung. Scheidt (Hamburg).

Pearson, K., 1921: Side Lights on the Evolution of Man. Euge- nics Lecture Series XIII. Cambridge Univ. Press London. Zusammen- fassende Darlegung der vergleichend-anatomischen Femur-Studien des Verf. Scheidt (Hamburg).

Gierke, G., 1922: Die Tracht der Germanenin der vor- und frühgeschichtlichen Zeit mit einem Anhange: Vom heutigen landläufigen Germanenbildnisse. 2 Bde., 346 Abb., Leipzig, Curt Ka- bitzsch. Die Arbeit aus der Schule Kossinnas vereinigt wohl das ganze Tatsachenmaterial, das sich zur Kenntnis der Tracht germani- scher Völker beibringen läßt. Die zahlreichen Abbildungen erhöhen den Wert des Buches. Scheidt (Hamburg).

Jenness, D. 1923: Physical Characteristics of the Copper Eskimos. Report of the Canadian Arctic Expedition 1913—18, Bd. 12, Part B.

Cameron, J., 1923: Osteology of the Western and Central Eskimos. Report of the Canadian Arctic Expedition 1913—18, Bd. 12, Part C. Ottawa, F. A. Acland.

Zwei wertvolle Beobachtungsbeiträge zur Kenntnis der Eskimos. J. gibt die Maße und die wichtigsten Merkmalsbeschreibungen von 147 (101 d und 46 ?) Eskimos. Aus den Ergebnissen ist erwähnenswert, daß die Kör- pergröße bei einzelnen Gruppen (im Mittel o 164.8, ? 156.4) gar nicht gering ist; von 82 @' Eskimos sind 19 168—170 cm groß; von den Weibern übertrifft allerdings keines das Höchstmaß von 166 cm. Der Längenbreitenindex schwankt im Mittel etwa von 74—78 (bei einer Gruppe 81.6); die größte Kopflänge scheint allenthalben sehr beträchtlich zu sein (189—196 bei Män- nern, 181—1% bei Weibern). Verf. vermutet mit Boas, daß die beträcht-

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 2. 14

210 ` Kritische Besprechungen und Referate

lichere Körpergröße und die relativ größere Schädelbreite bei manchen Stämmen auf Vermischung mit Indianern hinweise. Unter den (42) leid- lich guten photographischen Aufnahmen findet sich auch ein (als „negrid“ bezeichneter) interessanter Typus. Die zweite Arbeit enthält Maße und Beschreibungen von 33 Eskimoschädeln verschiedener Herkunft. Die Maße einiger langer Knochen und sieben gute Abbildungen sind beigefügt. Scheidt (Hamburg). A Survey of Race Relations on the Pacific Coast. Jointly undertaken by five Pacific Coast Regional Committees and the Institute of Social and Religious Research New York City. San Francisco, California.

Die handliche, 14 Seiten umfassende Werbeschrift enthält den Plan und einige der vorläufigen Ergebnisse einer groß angelegten, rassenbiolo- gisch-statistischen Erhebung auszugsweise, in gemeinverständlicher propa- gandistischer Fassung. „Was lehren die Länder der Pacific-Küste über die ‚asiatische Invasion‘ in Nordamerika?“ „Hängt das Wohl der Pacific-Küste von der Arbeit der asiatischen Einwanderer oder von derjenigen anderer Bevölkerungsgruppen ab?“ „Welchen Weg geht die Nachkommengeneration der asiatischen Einwanderer?“ Solche und ähnliche Fragen werden auf- geworfen, und es wird erklärt, auf welche Weise die Erhebung den Beob- achtungsstoff zur Beantwortung dieser Fragen sammelt. Einige Diagramme zeigen die Bevölkerungsbewegung, das Geschlechtsverhältnis, die Alters- und Berufsschichtung usw. der Chinesen und Japaner in den Ländern der amerikanischen Pacific-Küste. Die eingehende Veröffentlichung der Ergeb- nisse, welche im Jahr 1925 erscheinen soll, wird sich außerdem u. a. mit der Frage der Rassenmischehen, mit vielen hundert Familiengeschichten eingewanderter Ostasiaten, mit den Folgen der Einwanderungsverbote usw. beschäftigen. Daß die Mittel zu dieser großen Arbeit (zirka 55 000 Dollar) auf privatem Weg aufgebracht worden sind bzw. noch aufgebracht werden sollen, zeigt wieder, wie lebhaft in Nordamerika das Interesse an rassischen Lebensfragen bereits geworden ist. Scheidt (Hamburg). Ellis, Havelock. Moderne Gedanken über Liebe und Ehe.

Uebersetzt von J. E. Kötscher. 119 S. Leipzig 1924. Verlag von Curt Kabitzsch. 2 M.

Die ersten Abschnitte befassen sich in anregender Weise -mit der Psychologie von Liebe und Ehe, sodann mit der Bedeutung der Ehe in biologischer Hinsicht. Ohne die letzten Abschnitte „Das Individuum und die Rasse“ wäre es ein empfehlenswertes Schriftchen. Zur Kennzeichnung der Auffassung des Verfassers diene folgendes Zitat von Seite 104: „Das laute Geschrei über ‚Rassenselbstmord‘ hat so wenig mit wirklichen Le- bensfragen zu tun, daß es gar nicht so leicht ist, ihn ernst zu nehmen, wenn man auch noch so ernst und grüblerisch veranlagt sein mag. Wir haben es hier mit Leuten zu tun, die in arroganter Weise sich anmaßen, die moralischen Dinge der Welt bis in die intimsten Privatangelegenheiten leiten zu wollen, ohne aber von den elementarsten Lebensregeln eine Ahnung zu haben, ohne selbständig denken oder rechnen zu können.

Fetscher (Dresden).

Zeitschriftenschau.

Actas y Memorias de la Sociedad Espanola de Antropologia, Etno- grafia y Prehistoria. 1921/22, Ano I, Tomo I, S. 23, Cabré Aguilo, J., Una necropoli dela primera edad de los metales, en Mona- chil, Granada. Im Tal von Monachil in der Sierra Nevada wurde eine Bestattung gehoben, welche den Beigaben nach der Kulturstufe von El Argar entspricht, also der frühesten Bronzezeit angehört. Von den Skelett- ` resten sind drei Schädel beschrieben und abgebildet. Sie zeigen die Cro- Magnon-ähnliche dolichokrane Gesamtform und ausgesprochene Cro-Ma- gnon-ähnliche Merkmale des Gesichtes, so daß sie Verf. wohl mit Recht. den entsprechenden Typen von El Argar vergleicht.

Scheidt (Hamburg).

Acta ophthalmologica, 1924. Bd. 2. (Nordische Zeitschrift in deutscher, englischer und französischer Sprache). S. 15—34. Göthlin, Congenital Red-Greenabnormalityincolour-vision,andcongeni- tal total colour-blindneß, from the point of view of heredity. Die totale Farbenblindheit kommt zweifellos familiär vor (Stammbaum), aber sie folgt nicht der Wilsonschen Formel, sondern sie be- traf in den bisher bekannten 18 Familien immer nur eine Generation und beide Geschlechter; ein Erbgang ist bei ihr noch nicht feststellbar. Die Bot grünblindheiten werden alle zusammengefaßt, die Anomalien als abge- schwächte Formen der Anopien betrachtet, da sie in ein und derselben Familie vorkommen, ohne selbständig zu sein (Stammbaum). Rot- und Grünblindheit scheinen in den Gameten nicht zu alternieren, da sonst nicht, wie in einem eigenen Fall, der eine Sohn einer gesunden Mutter rot-, der andere grün- blind sein könnte. S. 35—53. Heinonen: Ueber die Refraktion bei eineiigen Zwillingen, speziell in Hinsicht der asymmetrischen Fälle. Zwei Fälle von auch hinsichtlich der Augen und deren Brechungszustand vollkommen identischen Zwillingen, dazu ein Fall, wo drei Augen gleich waren, das vierte aber beim einen Bruder Astigmatismus, beim anderen mittlere Kurzsichtigkeit aufwies. Asymmetrien im Chromosomenaustausch werden hier als wahrscheinlicher angenommen als Milieueinflüsse. Scheerer (Tübingen).

American Journal of Ophthalmology. 1924, Bd. 7, S. 36—38, Brown, Hereditary Cataract. Von 9 Abkömmlingen des ersten Falles zeig- ten 7 in drei Generationen dieselbe Form von angeborenem Kernstar der Linse mit Augenzittern. Die Entstehungsweise ist noch unsicher; die soziale Fragwürdigkeit der Fortpflanzung derartiger Individuen wird noch erhöht durch häufige psychische Defekte. Scheerer (Tübingen).

The American Journal of Physiology, Bd. 62. Shimidzu: On the permeability to dyestuffs of the placenta of the albinoratandthe white mouse. Die Permeabilität der Plazenta für saure und basische Farbstoffe wird an albinotischen Ratten und weißen Mäusen untersucht. Die Plazenta war für alle basischen und für etwa die Hälfte der sauren Farbstofle durchgängig. Die Durchgängigkeit der Farben

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212 Zeitschriftenschau

entsprach dem kolloidalen Zustand ihrer Lösungen im Serum; die Pla- zenta wirkte als ein Ultrafilter. Im Hinblick auf die Größe der kolloidalen Teile, für welche die Plazenta durchgängig ist, muß man annehmen, daß Proteine in ihre Bestandteile zerlegt werden müssen, um von der Mutter zum Fötus zu gelangen. Jablonski.

L’Anthropologie. Tome 34, 1924, S. 193, Sarasin, F., Sur les rela- tions des Néo-Calédoniens avec le groupe de l’homo neanderthalensis. Verf. schließt aus den Ergebnissen eines mor- phologischen Vergleiches (Schädel und Skelett) zwischen dem Neandertal- menschen und den Neukaledoniern, daß die letzteren trotz mannigfacher Aehnlichkeiten mit dem Neandertalmenschen den rezenten Formen doch vielfach näher stehen. Die weitergehende morphologische Spezialisierung des Neandertalers lasse es wahrscheinlich erscheinen, daß sowohl der Neandertalmensch wie die rezenten Formen von einer gemeinsamen prä- neandertaliden Ausgangsform herzuleiten seien. Nach Ansicht des Verf. könnte vielleicht der neue Fund von Rhodesia ein Vertreter dieser gemein- samen Ausgangsform sein; dafür spreche die beträchtliche Aehnlichkeit des Rhodesia-Schädels mit den primitivsten rezenten Formen, als welche S. die austromelanesische Gruppe (Australier, Tasmanier und Melanesier) an- sieht. Scheidt.

Archiv für Augenheilkunde. 1924, Bd. 95, S. 78—83, v. Rötth, Ueber die Vererbung der Linsenektopie. Teilt einen einschlägigen Fall (Stammbaum) mit und ist der Ansicht, daß es sich um ein angeborenes Symptom handelt, dem in den einzelnen Fällen verschiedene (3—4) patho- logische Prozesse zugrunde liegen. Zusammentrefien mit Kurzsichtigkeit kompliziert die Verhältnisse. Aehnlich anderen Fällen wurde ein gehäuf- tes Auftreten von Herzkrankheiten beobachtet.

Scheerer (Tübingen).

Archives internationales de physiologie Vol. XXI, 1923. Terroine et Barthelemy: La composition des oeufs et des organısmes producteursaucoursdel’ovogen&sechezlagrenouille rousse (Rana fusca). Die Arbeit ist eine Fortsetzung früherer Unter- suchungen der Verfasser (S. dieses Archiv, Bd. 15, S. 335). Während der Winterperiode findet keine Synthese von Fetten auf Kosten der Gewebe statt, sondern die im Organismus, während der Sommermonate aufge- stapelten Fette werden in die Ovarien verlagert. Im Augenblicke der Eiab- lagerung enthält der Organismus abgesehen von den Ovarien nur minimale Mengen von Felt. Das Legen findet also in dem Momente statt, in dem eine weitere Entwicklung der Eier unmöglich wäre.

Jablonski.

Archiv für Ophthalmologie. 1924, Bd. 114, S. 593/4, Fueter, Ueber die Wahrscheinlichkeit des Auftretens geschlechts- gebundener Leiden. Die mathematischen Formeln zeigen, daß die prozentuale Häufigkeit beim einen Geschlecht abhängt von der Häufigkeit beim anderen. Daß die weiblichen Rotgrünsinnstörungen zehnmal seltener sind als die männlichen, ist nur richtig, wenn die Häufigkeit beim Mann zirka 10% beträgt. Wäre diese z. B. 25%, so wäre jene 6,25% usw. Ver- wandtenehen sind dabei nicht berücksichtigt. S. 255—266, Blatt, Die Vererbung der Anisometropie. Wichtige Stammbäume, aus

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denen die selbständige Erblichkeit der verschiedenen Brechungszustände, auch der Ungleichheit derselben auf beiden Augen, sowie der Schwachsich- ` tigkeit und des Schielens als nebeneinander bestehender, nicht in kausaler Korrelation stehender Faktoren hervorgeht. Der Erbgang ist verschieden, vorwiegend wohl rezessiv. S. 29—48, Peter, Ueber die Cornea- größeundihre Vererbung. Aus den Stammbäumen geht die bino- miale Verteilung der Scheibengröße der menschlichen Hornhaut hervor, die im Durchschnitt bei Knaben etwas größer ist als bei Mädchen und sich nach dem 5. Lebensjahr wahrscheinlich nicht mehr ändert. Beobachtet wurden sowohl bei unter- wie überdurchschnittlichen Hornhäuten Dominanz, an- scheinende Rezessivität und rezessiv-geschlechtsgebundene Vererbung. Die Uebergänge sind fließend und auch bei den Extremen zeigen Sehschärfe und Totalbrechzustand keine Abweichung vom Normalen. Scheerer (Tübingen).

Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 1924, Bd. 70, Heft 4. Raecke: Beitrag zur sozialen Psychiatrie: Beobach- tungen an den Insassen eines Mädchenschutzhauses. Beleuchtet die Bedeutung weiblicher Psychopathen, Debilen usw. für die Ausbreitung der Geschlechtskrankheiten, fordert Heilerziehungsanstalten, Psychopathenfürsorge und vor allem zeitgemäße Entmündigungsbestim- mungen und Schaffung eines besonderen Verwahrungsgesetzes. Heft 5, Goldbladt: Bruchstücke zur Kenntnis der familiären Mikrozephalie. Zwei Familien mit je drei mikrozephalen idiotischen Geschwistern; bei einer Familie fehlen nähere Angaben, bei der andern trank der Vater, ein Onkel von ihm war schwachsinnig, die Mutter war schlecht beleumundet. Zwei männlichen und einer weiblichen Mikro- zephalen standen drei gesunde, geistig normal veranlagte Schwestern gegenüber, bei einer der Kranken Wassermann stark positiv. Bd. 71, Heft 1. Mollenhoff: Zur Frage der Beziehungen zwischen Körperbau und Psychose. Verf. hat an dem Material der Leip- ziger psychiatrischen und Nervenklinik die psychophysischen Korrelationen nach Kretschmer nachgeprüft. Er fand zahlenmäßige Beziehungen zwischen asthenisch-dysplastischen und schizophrenen Formen einerseits, pyknisch-athletischen und zirkulären andererseits. Dabei gibt er aber zu bedenken, daß das Hauptkontingent der Schizophrenen vor dem 35. Lebens- jahre steht, der asthenische Habitus das jugendliche Alter bis zum 25. Jahr bevorzugt, der dysplastische relativ selten jenseits des 35. gefunden wird, während die Mehrzahl der Zirkulären das 35. Jahr bereits überschritten hat und gleichzeitig der pyknische Habitus im höheren Lebensalter ent- schieden häufiger ist. Auffallend oft wurde Grünäugigkeit unter den Schizophrenen im Vergleich mit den Zirkulären beobachtet (23:2). Im. ganzen sind die Resultate der mit genauen Methoden nach Martin ge- wonnenen beschreibenden und messenden Untersuchungen ziemlich dürf- tig. Heft 2, Kanowitz: Alkoholstatistik und Alkoholgesetz- gebung in Deutschland. Eingehende Darstellung, aus der die be- kannten Tatsachen über den Rückgang der Alkoholerkrankungen während der Kriegszeit und ihr neuerlicher Wiederanstieg hervorgehen, sowie Be- sprechung des Kampfes gegen den Alkoholismus nach bestehendem bzw. erst noch zu schaffendem Gesetz. Michel und Weber: Körperbau und Charakter, Nachprüfung und Bestätigung der Kretschmerschen

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Befunde am Material einer Landesirrenanstalt bei Graz. Ueberwiegen des pyknischen Habitus bei der zirkulären, der asthenisch-athletischen und dysplastischen Typen bei den schizophrenen Formenkreisen. Ein Zu- sammenhang zwischen Rassen- und Konstitutionstypen wird, allerdings ohne hinreichende Begründung, abgelehnt. Wollny.

Beiträge zur Klinik der Tuberkulose. Bd. 57, H. 1, S. 87, Dudden, E.: Ueber die körperliche Entwicklung des tuberkulösen Kindes. Es wurden 270 Kinder im Alter von 3—16 Jahren untersucht, davon über die Hälfte zwischen 7 und 11 Jahren, und zwar: 94 Nichttuber- kulöse, 82 Okkulttuberkulöse, 38 Lungentuberkulöse, 56 sonst manifest Tuberkulöse. Es wurden bestimmt: Körperlänge, Körpergewicht, Sitzhöhe, Brustumfang, Dicke des Bauchfettpolsters. Der Vergleich dieser Werte und einiger Indizes bei den einzelnen Gruppen ergibt keine wesentlichen Unter- schiede (Fehler der kleinen Zahl! Ref.), so daß Verf. schließt: „Es muß vor einer übertriebenen Einschätzung der Unterentwicklung in bezug auf Körperlänge, Gewicht, Körperfülle und Fettansatz für die Diagnose der Kindheitstuberkulose gewarnt werden.“ H. 3, S. 342, Gali, G.: Ueber das Verhältnis des Asthmas, des Ulcus ventriculiund der Hyperthyreosen zur Tuberkulose. Bei Vorhandensein dieser drei Erkrankungen fanden sich vorwiegend die mehr gutartigen, nicht fortschreitenden, zur Besserung oder Heilung neigenden Formen der Tuberkulose. Als Ursache wird der gemeinsame konstitutionelle Typ des Status thymico-lymphaticus angenommen, der sowohl bei den in Rede stehenden drei Erkrankungen als auch bei den gutartigen Formen der Tuberkulose haufig vorkommen soll. Diese Beobachtungen bedirfen aber noch sehr der Nachprüfung. Bd. 59, H. 1/2, S. 26, Zeitschel, C. Th.: Ueber erworbene Anlage zur Spitzentuberkulose. Ka- suistische Beitrage. Zusammenstellung einer Reihe von Spitzen- tuberkulosefallen, bei denen als alleinige Disposition fir die Erkrankung eine erworbene Anlage (z. B. Muskelatrophie und Schulterblattvorfall nach Durchtrennung des N. accessorius, Bechterewsche Krankheit, Ankylose der Schulter) angenommen werden kann. Es wird dies als Stütze für die An- sicht betrachtet, daß der Hauptwert weniger auf die Infektion als die indi- viduelle Anlage zu legen ist. Ein zwingender Beweis wäre aber erst dann erbracht, wenn es sich zeigen würde, daß die Häufigkeit der Erkrankung an Spitzentuberkulose’ bei den obigen Erkrankungen größer als bei dem allgemeinen Durchschnitt ist. Bei der großen Häufigkeit der Tuberkulose ist ein zufälliges Zusammentreffen bei Einzelfällen leicht möglich. S. 65, Schultz, W.: Pigmentation und Lungentuberkulose. An 3000 Heilstättenpatienten wurde die Pigmentation von Haaren, Augen und Haut mit der Schwere der tuberkulösen Erkrankung verglichen (Stadium I—III nach Turban, afebril oder febril, negative oder positive Bazillen- ausscheidung, gute, fragliche oder schlechte Prognose). Es ergab sich da- bei, daß die hellen Elemente eine bessere spezifische Widerstandsfähigkeit haben, und daß die stärker Pigmentierten und die Kranken mit gestörter Farbenkorrelation mehr zu ungünstigen Krankheitsprozessen neigen, was die von Lenz vertretene Ansicht bestätigt. v. Verschuer.

Bolletino d’Oculistica, 1924. Bd. 3, S. 128—164. Cavara, Sulladege- neratione famigliare della maculaedeisuoidintorni. Im Zusammenhang mit einer sehr eingehenden Besprechung der bisherigen,

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fast ausschließlich deutschen und englischen Literatur wird eine Familie von 4 Geschwistern beschrieben, von denen zwei Brüder und eine Schwester von Degeneration des gelben Flecks der Netzhaut befallen waren. Von den meisten Fällen unterschied sich die Familie dadurch, daß nicht alle Glieder im selben Alter erkrankten, daß die klinischen Bilder nicht unter sich über- einstimmten, und daß der im ganzen größere Ausfall im Fixierpunkt selber nicht absolut war. Zur Zeit des Beginns waren die einzelnen Glieder zwi- schen 20 und 35 Jahre alt. Wie in den meisten andern Fällen war nur die eine Generation erkrankt, und ließ sich die Ursache nicht auffinden. Scheerer (Tübingen).

Brain, 1924, 4. Bd., XLVII, Part. II, Paterson und Carmichael, A form offamilialcerebraldegenerationchieflyaffectingthe lenticular nucleus. Von 2 gesunden unbelasteten Eltern blieben unter 12 Kindern nur das 3. und 4. am Leben und gesund, die übrigen starben wenige Tage bis 2 Jahre alt, boten vorher die Erscheinungen einer allgemeinen Apathie, schluckten schlecht, konnten den Kopf nicht von der Unterlage heben, waren anscheinend blind, weshalb die Krankheit meist zu Unrecht als familiäre amaurotische Idiotie angesprochen wurde. Aut- optisch fanden sich bei zwei Fällen entzündliche Veränderungen an der Basis, hochgradiger Schwund der nervösen Elemente des Linsenkerns, mangelhafte Entwicklung und Entartung der Rinde. Aetiologie unklar. Martin, Acase of myotonia atrophica. Großmutter väterlicher- seits, Vater und drei Schwestern des Probanden litten an Catarakt, ein Bruder des Kranken soll ein ähnliches Leiden gehabt haben. Barnes, Cases ofprogressive lenticular degeneration and hepatic cirrhosis. Unter acht Kindern gesunder Eltern wurde bei dreien eine Lebererkrankung festgestellt, bei den zwei älteren gesellten sich im Lauf der Zeit noch Symptome von seiten der Basalganglien hinzu (Progressive lenticuläre Degeneration), ein viertes Kind soll ebenfalls Störungen von seiten der Leber aufweisen. Adie, Twocasesofcerebro-macular degeneration. Drei Geschwister mit einer Erkrankung des Gehirns und Augenhintergrundes, die der Beschreibung nach der Spielmeyer-Vogt- schen juvenilen amaurotischen Idiotie entspricht. Wollny.

Bulleti de l!’Associacio Catalana d’Antropologia, Etnologia i Prehistoria. 1923, Bd. I, S. 104, Batista i Broca, J. M, Contribucio a l’estudi antropologic dels pobles prehistorics de Catalunya. Verf. untersuchte die Skelettreste aus den neolithischen Bestattungen von Masia Nova (Vilanova) (drei Schädel), Salamo (Provinz Tarragona) (drei Schädel, mehrere lange Knochen) und von Torrvella de Montegri (vier Schädel). Bei den Schädeln handelt es sich durchwegs um medi- terrane Typen, d. h. Verf. spricht sie wegen ihrer dolichokranen hohen Gesamtform als solche an und stellt sie in einigen Untergruppen zusammen. Die (leider etwas dürftigen) Umrißzeichnungen lassen den dolichoiden Charakter überall deutlich erkennen. Den Maßen und Maßverhältnissen des Gesichtsschädels nach sind es vorwiegend schmalgesichtige und schmal- nasige Typen, doch finden sich auch einige andere dabei. Die Bevölkerung dieser Nekropolen scheint sich jedenfalls der übrigen langschädeligen Neo- lithbevölkerung Spaniens nahe anzuschließen. Aus den Maßtabellen des Verf. errechnete der Ref. eine mittlere Körpergröße von 165,1 cm für das männliche und 157,8 cm für das weibliche Geschlecht, was also etwa der

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heutigen Körpergröße der Mittelmeerrassen (Martin gibt für Portugiesen und Spanier ein männliches Mittel von 164,2 [nach verschiedenen Unter- suchern] an) entspricht. Scheidt (Hamburg).

Deutsches Archiv für klinische Medizin. Bd. 145, H. 1/2, S. 34, Amelung, W. und Sternberg, A.: DieEinwirkung der Frühsyphilis auf Herz und Gefäße. Von 275 Syphilitikern des Frühstadiums zeigten, nach. Ausschluß aller Kranken, deren Herzveränderungen sich auf andere Weise erklären ließ, 58 = 21 % Herzstörungen, die in subjektiven Be- schwerden, Pulsanomalien, Herzgeräuschen und Herzerweiterungen be- standen. H. 3/4, S. 139, Lignae, G. O. E.: Ueber Störung des Cystinstoffwechsels bei Kindern. Zu dem bisher einzigen Fall von Cystinurie (Abderhalden) mit dominantem Erbgang durch drei Generationen werden zwei Fälle hinzugefügt, die isoliert aufgetreten zu sein scheinen. Nähere Familienerhebungen sollen folgen. v. Verschuer.

Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde 1923. Bd. 77, Heft 1/6. Schuster: Ein Fall von spastischer Heredodegeneration, kombiniert mit Gliom. Sporadischer Fall, aus Vetternehe stammend. Bd. 81, Heft 1/4. Hallervorden: Ueber eine familiare Erkran- kung imextrapyramidalen System. Von 9 Kindern 5 Mäd- chen erkrankt; Beginn mit 8—10 Jahren; das Leiden führte unter Lähmungserscheinungen vorwiegend extrapyramidaler Natur und geistigem Verfall in den zwanziger Jahren zum Tode. Bei verwandten Zuständen (Pseudosklerose, Wiison) ist Familiarität häufig, rezessiver Erbgang wahr- scheinlich. Bd. 82, Heft 1/2. Wollny: Ueber die neurale Form der progressiven Muskelatrophie. Glaubt, daß unter den sporadischen spez. den atypischen Fällen sogenannter hereditärer Leiden manche exogene sind. Weitz: Kasuistisches zur familiären Trophoneurose an den Händen und Füßen. Untersucht wurden Onkel und Neffe. Der Bruder des ersten soll genau das gleiche Leiden, ein zweiter Bruder dagegen nichts Krankhaftes geboten haben. Vier Schwestern waren gesund, deren eine neben dem erwähnten zweiten Kranken noch einen gesunden Sohn hat. Stammeltern gesund, hochbetagt; keine Blutsverwandtschaft in der Ascendenz. Es bestanden trophische Ver- änderungen mit Geschwürsbildung, Veränderung der Hautbeschaffenheit, Knochenatrophie und -usurierung an den Extremitätenenden. Mitteilungen der Literatur zeigen ähnliches Krankheitsbild, durchwegs familiäres Ver- halten (Auftreten meist bei Geschwistern, einmal auch in der Generations- folge). Beziehungen zu Syringomyelie lehnt W., wohl mit Recht, ab. Weitz: Beitrag zur Aetiolgie der Syringomyelie. Eineiige weibliche Zwillinge, davon eine mit Syringomyelie, die andere gesund. W. schließt daraus, daß die Syringomyelie zum mindesten nicht rein idiotypischer Natur ist, daß Umweltseinflüsse bei ihrer Entstehung eine seiner Ansicht nach überwiegende Rolle spielen. Wollny.

Familiengeschichtliche Blätter. Herausg. v. d. Zentralstelle f. Deutsche Personen- und Familiengeschichte in Leipzig. Jg. 1924. H. 1/2, v. Wiese, R.: Die Ahnentafel Friedrich Hebbels. Hebbels Ahnen waren Handwerker und Bauern in den Dithmarschen. Verf. bringt die Ahnen- tafel bis zu den Urgroßeltern einschl. H. 5/6, Meyer, W.: Zu Kants Ahnentafel. Aus der bisher unbekannten Ahnentafel Immanuel Kants geht hervor, daß seine Vorfahren fast sämtlich dem Handwerker-

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stand angehörten. Kants Urgroßvater kam aus Schottland, sein Großvater von Mutterseite aus Nürnberg nach Ostpreußen. Besonders wertvoll ist die vom Verf. gebotene Zusammenstellung der Werke, in denen Material über Kants Voreltern zu finden ist. H 10, Plischke, H.: Rassen- und Familienkunde. In der Hauptsache ist der Aufsatz eine Beprechung von Günthers „Rassenkunde des deutschen Volkes“. H. 10, 11/12, v. Arns- waldt, W.: Ahnentafel des Dichters Klopstock. Klopstocks Ahnen waren zum größten Teil Pfarrer, Beamte und Kaufleute in Mittel- deutschland. Klopstocks Vater war in späteren Jahren gemütskrank und wollte in einem Zustand geistiger Umnachtung seiner Frau das Leben nehmen. Jg. 1925, H. 1, Prinz von Isenburg, Wilhelm Karl: Aus der Werkstatteines Ahnentafelforschers. Prinz von Isen- burg hat fir sich selbst eine Ahnentafel aufgestellt, die 14 Generationen mit 16383 Ahnen umfaßt. Der Ahnenverlust beträgt 78,75 %, d. h. die 16 383 Ahnen sind durch 3482 Individuen verkörpert. Landgraf Philipp d. Groß- mütige von Hessen, der Zeitgenosse Martin Luthers, erscheint 133mal als Ahne. Das Nationalitätengemisch ist ein buntes: Deutsche, Franzosen, Italiener, Ungarn, Holländer, Engländer, Polen, Schweden, Spanier und Russen sind in der Ahnentafel vertreten. G. Wulz (München).

The Journal of Physiology. Vol. 58. 1923/24. Marshall and Wood: On the ovarian factor concerned in the occurence of oestrus. Wenn alle Graafschen Follikel auf der Oberfläche des Eier- stocks beim Hunde kurz vor Eintritt der Brunst zerstört werden, so bleibt diese zunächst aus und tritt erst spät wieder auf. Die Brunst wird durch eine innere Sekretion der Follikel angeregt; die Sekretion, welche die Uterushypertrophie während der Schwangerschaft bewirkt, ist hiervon verschieden. Watson: The suprarenal cortex of the male throughout the oestrus cycle. Der Gehalt der Nebenniere an Lipoiden nimmt bei Maulwürfen zur Zeit der Brunst zu. Die Nebennieren speichern für die Zellen des Hodens die Lipoide, welche für die Produktion der Spermatozoen nötig sind. Lipschütz, Krause and Voss: Experi- mental Hermaphroditism on quantitative lines. Die Befunde von Steinach und von Sand, daß gleichzeitige Entwicklung männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere hervorgerufen werden kann, wenn Hoden und Eierstock gleichzeitig in demselben Organismus anwesend sind, werden beim Meeschweinchen bestätigt. Wenn vor Ein- pflanzung des Eierstocks ein Hoden entfernt war, gelangen die Versuche sicherer und schneller. Ebenso war ein schnelleres Resultat zu erzielen, wenn der eingepflanzte Eierstock einem erwachsenen Tiere, nicht einem jungen Weibchen angehörte. Jablonski.

The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland. 1924, Bd. 54, S. 211: Verneau, R, La Racede Neander- thaletla Race de Grimaldi; leur Réle dans l’Humaniteé. (The Huxley Memorial Lecture for 1924.) V. halt die Trennung des Nean- dertalers vom Homo sapiens nicht für gerechtfertigt. Er nimmt eine Um- bildung des Neandertalers in spätere jungpaläolithische und neolithische Formen an und bringt Neandertaler (als eine „durchaus nigritische“ Rasse) mit den Grimaldi-Menschen in Zusammenhang. Rezente Rassen sollen überall aus ,,nigritischen“ Elementen hervorgegangen sein, wofür V. neuere

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ist u. a. daß bei den Auseinandersetzungen über die Neandertaler G. Schwalbe nicht erwähnt ist. S. 251: Keith, A, Neandertal Man in Malta. Untersuchung der 1917 in Ghar Dalam (Malta) gefun- denen menschlichen Zähne. K. spricht die Funde als Neandertalreste an. S. 261: Sinclair, G, Ghar Dalam andthe Eurafrican Land Bridge. Geologische Untersuchungen über die Fundstelle auf Malta. Scheidt.

„Der Jude.“ VIII. Jg. 1924. Heft 1, Strauß, Das Judentum im deutschen Denken. S. 8-15. Tartakower, A, Zur Geschichte des jüdischen Sozialismus (Forts.) S. 16—38. Heft 3. Tarta- kower, S. 148—173 (Forts. aus H 2). Heft 4. Kutzinski, A, Sigmund Freud, ein jüdischer Forscher. Eine volkspsychologische Skizze. S. 216—221. Ein Versuch, in Freuds Forschermethodik wie in seinen Forschungsinhalten Merkmale jüdischer Eigenart nachzuweisen. Heft 5/6. Loew, Fr, Judentum und Volkskunst. S. 315—322. Berl, H. Die Juden in der bildenden Kunst der Gegen- wart. S. 323—338. Das Fehlen einer bildenden Kunst bei den Juden der Antike hatte äußere Ursachen; im modernen Expressionismus dagegen spielen die Juden eine führende Rolle: Wassily Kandinsky, Max Chagall, Lasar Segall, Jakob Steinhardt in Rußland, Pablo Picasso, Simon Levy in Frankreich, Max Pechstein, Ludwig Meidner, Lyonel Feininger in Deutschland. Insbesondere die Graphik ist das spezifisch jüdische Mittel des bildenden Ausdrucks; Zeich- nung (das Zeichen!) ist letzten Endes ein musikalisches Mittel. Und die Musikalität ist die zentrale Wesenstatsache der jüdischen Seele; sie ist das Bestimmende in der jüdisch expressionistischen Kunst, die Rhythmus und Bewegung darstellt. Heft 7..Schumann, W., Deutsche und jüdi- sche „Schuld“ und Aufgabe. S. 369—385. Tartakower, A., (Forts.), S. 386—399. Heft 8. Tartakower (Forts.). Locker, B, Die jüdische gewerbliche Arbeit in Polen. S. 488—491 (vgl. das große statistische Werk „Jüdische industrielle Unternehmungen in Polen“ von E. Heller): Die jüdische Arbeit ist in erster Linie in den Endstadien der Produktion beschäftigt. Tabelle. Heft 9. Cohn, H H., Frauenfragen. Die Stellung der Palästinenserin zur Gemeinschaft. S. 549—553. Heft 10. Michel, W., Deutscheund Juden. S. 561—566. Heft 11. Tartakower (Forts.) S. 638—661. Heft 12. Kaznelson, S., Der Zwang zur Weltpolitik. S. 689-697”. Kohn, DH. Das neue Arabien. S. 697—706. Glenn, H, JüdischeRentenbank. S. 706 bis 716. Preuß, W., Die Kwuzah. S. 716—727. Erörtert das Problem der kommunistischen Siedlungsgemeinschaften auf Grund des von Berl Katznelson, Tel Awiw herausgegebenen Sammelbuchs für Fragen

der Kwuzah und ihres Lebens. Mayer, G., Lassalle und das Judentum. S. 727—736. Adler, A, Die Agrarindustriein Palästina. S. 740—742. Gutmann (München).

Klin. Monatsbl. fiir Augenheilkunde. 1924, Bd. 73, S. 119—126, Franke, Ueber blaueSkleraundihren Zusammenhang mit Kno- chenbrüchigkeit und Otosklerose. Im ersten Fall bestand

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keine nachweisbare Vererbung, im zweiten Fall waren offenbar mehrere Familienmitglieder befallen, konnten aber nicht alle untersucht werden. Der Zusammenhang der Trias ist noch ungeklärt, und sie vererbt sich nicht als geschlossener Komplex, doch treten die beiden anderen Symptome nur bei solchen Familienmitgliedern auf, die blaue Lederhäute haben. S. 135 bis 141, Volmer, Erbliche,abnorme Mitbewegung des Ober- lides. Einseitige Zurückziehung des Oberlides beim Blick nach unten (wohl infolge narbiger Degeneration des oberen geraden Augenmuskels) bei sechs Mitgliedern in vier Generationen ohne bestimmten Vererbungs- typus, da nur ein Fall untersucht werden konnte und über zahlreiche andere Familienmitglieder nichts bekannt wurde. S. 302—311, Jablonski, Zur Genetik der Refraktionszustände: IV. Ueber die Vererbung der Achsenlänge des Auges. An Familien mit innerhalb der Fehlergrenze gleicher Hornhautkrümmung läßt sich die Achsenlänge des Auges isolieren; dabei zeigt sich an den mitgeteilten Stammbäumen, daß diese in der Deszendenz auch bei intermediärem Ver- halten die Neigung hat, der kürzeren Achse zu folgen, d. h. daß hinsicht- lich der Achsenlänge die Uebersichtigkeit sich dominant, die Kurzsichtig- keit sich rezessiv verhält. 1925. 74. 49—56. Jeß, Ueber kon- genitale und vererbbare Starformen der weißen Ratte, nebst Bemerkungen über die Frage des Verhaltens der Linsen bei vitaminfreier Ernährung. Bei der weißen Ratte kommen relativ häufig (34,6 Prozent unter 150 Tieren der untersuchten, z. T. miteinander verwandten Zuchten) angeborene Linsentrübungen der vorderen Rindenschichten vor, Dies ist bei jedem Versuch experimenteller Starerzeugung zu berücksichtigen. S. 128—133, Pagenstecher, Irismiß- bildungindreiGenerationen (teilweise Verdoppelung des mesodermalen Teils der Iris). Unter 14 Personen waren 8 von 9 Männern und 2 Frauen befallen, drei Frauen waren frei. Außerdem fand sich (ebenfalls in drei Generationen) Star sowie Bändertrübung der Hornhaut und Glaukom. Die Mißbildung vererbte sich dominant und hat mit der nach bisherigen Kenntnissen nicht erblichen, sog. persistierenden Pupillarmenbran nichts zu tun. Die andern Komplikationen betrafen z. T. dieselben Personen. Ursache unbekannt, aber sicher nicht entzündlich. S. 133—149, Frank—Kemenetzki, Eine eigenartige hereditäre Glaukomform mit Mangel des Irisstromas und ge- schlechtsgebundener Vererbung. Entgegen dem gewöhnlichen Glaukom tritt diese Form in sehr jugendlichem Alter auf und führt bis spätestens im 35. Lebensjahr zur Erblindung. Zugrunde liegt ein entweder angeborener oder schon in ganz frühen Jahren sich entwickelnder Schwund des bindegewebigen Irisvorderblatts, vielleicht auf Grund innersekretori- scher, die Grundlage der Erblichkeit bildender Störungen. Das Leiden wurde bisher nur bei. Männern des Gebietes von Irkutsk beobachtet, 2 mal waren Vettern befallen, 1 mal drei Brüder (und wahrscheinlich deren GroB- vater), in einem mitgeteilten Stammbaum ließ sich das Leiden in streng geschlechtsgebundener Form durch 4 Generationen verfolgen; bei zwei Mit- gliedern besteht nur erst die Irisanomalie, bei einem weiteren der allererste Beginn. Letztere Anomalie allein scheint in ähnlicher Form in vereinzelten Fallen auch sonst, aber ohne Glaukom beobachtet zu sein. S. 165—169, Reitseh, Viereckige Pupillen als kongenitale Anomalie. Geistig minderwertiger, junger Mensch. Die sehr weiten Pupillen bildeten

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auf die Spitze gestellte Vierecke. Die Mißbildung der (auch sonst minder- wertigen) Augen gehört in das Gebiet des angeborenen Irismangels, der auf einem Anlagefehler der Netzhaut beruhen dürfte. Andere Familien- mitglieder waren hier nicht befallen. Die sonst bei Irismangel hochgradige Erblichkeit legt bei diesem den Gedanken an Sterilisierung im Sinne von Böters nahe. S. 236 (Ophth. Ges. Wien, 26. 1. 25) Rieger, Familiäres Netzhautleiden. 3 Brüder, deren Eltern Vetter und Base waren. Periphere und zentrale Verschiebungen des Netzhautpigmentes mit ent- sprechenden Gesichtsfeldausfällen und Nachtblindheit; in dieser Form noch kaum beschrieben. Scheerer (Tübingen).

Klinische Wochenschrift. 3. Jahrgang. 1924. S. 309. Siemens, Einige Ergebnisse zwillingspathologischer Forschung auf dem Gebieteder Hautkrankheiten. Zusammenstellung der an einem größeren Zwillingsmaterial erhobenen dermatologischen Befunde mit Her- vorhebung der wichtigsten, sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen. S. 324, Hoffmann, Ueber hereditare Kolbendaumen. Mitteilung zweier Fälle mit Abbildung. Mit „Kolbendaumen“ bezeichnet Verfasser eine besondere Kürze der Endphalangen der Daumen, als deren Folge auch die Nägel kurz und breit erscheinen. S. 359, Mollweide, Die Auffassung der Schizophrenien als psychische Systemerkran- kungen (Heredo-Degenerationen). Verfasser glaubt im Gegensatz zu Kleist hervorheben zu müssen, daß es sich bei der Schizophrenie nicht um eine Gruppe verschiedener Krankheiten, sondern um eine Krankheitseinheit im ätiologisch-pathogenetischen Sinn handle. S. 437, Bumke, Die Auf- lösungderDementiapraecox. Kretschmers Schizoid scheint eine künstliche Konstruktion zu sein. Es besteht ein Widerspruch zwischen der Annahme des schizoiden Temperaments und der Feststellung anatomischer Veranderungen bei der Dementia praecox. Kahn sucht diesen Widerspruch dadurch zu beseitigen, daß er annimmt, das schizoide Temperament und die schizophrene Prozeßpsychose seien nicht bloß dem Grade nach, sondern auch qualitativ unterschieden. Sicher ist, daß eine Gruppe von Dementia praecox-Fällen sich vererbt; aber was für eine solche Gruppe klinisch ähnlicher Fälle gilt, braucht nicht für alle Schizophrenien zu gelten. Es muß noch die Frage beantwortet werden, ob es überhaupt eine Dementia praecox gibt. Setzen wir für die Schizophrenie die schizophrenen Reak- tionsformen, die durch verschiedene Anlässe bloßgelegt werden können, dann fällt die Schizophrenie als Krankheitseinheit; denn offenbar können schizophrene Krankheitsprozesse auch als symptomatische Psychosen in die Erscheinung treten. S. 798, Bonhöffer, Die Unfruchtbar- machung der geistig Minderwertigen. Der Umkreis der Krankheiten, bei denen heute schon mit erheblicher Wahrscheinlichkeit gesagt werden kann, daß die Vererbung der Erkrankung an die Nachkom- men zu erwarten ist, ist nach Verfasser gering. Eine nennenswerte prak- tische Bedeutung in rassenhygienischer Hinsicht kommt deshalb bei der Beschränkung auf die gewöhnlich in Betracht gezogenen Indikationen der Unfruchtbarmachung kaum zu. S. 928, Bauer, Jul, Gibteseinekon- stitutionelle Veranlagung zur ZeugungvonNachkom- men vorzugsweise eines Geschlechtes? Verfasser gelangt durch statistische Bearbeitung von über 2000 Familien zu dem Schluß, daß die Häufung von Kindern desselben Geschlechtes in einer Familie nicht öfter zu beobachten ist, als man den Gesetzen des Zufalls nach erwarten

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muß. S. 1027, Hoffmann, Nachtrag zur Arbeit: Ueber here- ditäre Kolbendaumen. S. 1180, Hirszfeld, Die Konstitu- tionslehreimLichteserologischer Forschung. Verfasser geht auch auf die Vererbung der Serumstrukturen und auf die geogra- phische Verbreitung biochemischer Rassen ein. S. 1222, Bauer, Jul., Be- merkungzurprinzipiellenBedeutungdesStudiumsder PhysiologieundPathologieeineiigerZwillinge. Polemik gegen Siemens. S. 1223, Siemens, Entgegnung auf die vorstehenden Be- merkungen J. Bauers zur Zwillingspathologie. S. 1249 und 1297, Kaup, Neue Grundregeln der Norm- und Konstitutions- forschung. Zu kurzem Referat nicht geeignet. S. 1308, Hirszfeld und Brokman, Untersuchungen über Vererbung der Disposi- tion bei Infektionskrankheiten, speziell bei Diphtherie. Die Vererbung der Empfindlichkeit für Diphtherie ist an die Vererbung der gruppenspezifischen Strukturen gebunden. S. 1327 und 1369, Jollos, ErgebnisseundProblemeder Vererbungslehre. Referat. a. 1670, Henkel, Die Korrelation von Habitus und Erkran- kung. Die Kurven von 100 Schizophrenen und 73 Zirkulären verhalten sich gerade für die wichtigsten konstitutionellen Habitusmerkmale nahezu entgegengesetzt. Die Kurve der Zirkulären ist nahezu ein verkleinertes Ab- bild derjenigen der ausgesprochenen Pykniker. S. 1817, Leven, Erb- lichkeitdes Papillarliniensystems und Erbgleichheit der Eineier. Polemik gegen Siemens, die in der Anschauung gipfelt, daß eineiige Zwillinge stets erbverschieden wären. S. 1820, Frankel, Eine Fünflingsmutter. Mitteilung eines Falles. S. 1919, Hof f- stadt, Dietuberkulöse Belastung. Ein Beitrag zur Frage: Dis- positions- oder Expositionsprophylaxe. Die „konstitutionelle Disposition“ wird vielfach geradezu zu einer dogmatischen Maxime erhoben. Diese ein- seitige- Betonung der familiären Belastung im Sinne eines unabänderlichen vererbbaren Faktors ist unberechtigt und gefährlich. Je zuverlässiger es gelingt, die Ansteckungsträger zu erfassen, um so sicherer werden wir mit der verheerenden tuberkulösen Seuche Herr werden. S. 2084, Hirszfeld, Krankheitsdisposition und Gruppenzugehörigkeit. Rassenbiologische Betrachtungen über die verschiedene Empfänglichkeit der Menschen für Krankheitserreger. S. 2150, Cohen, Ueber einen Fallvon „eineiigen“ Zwillingsschwestern mit unglei- cherAugenfarbe. Verfasser konnte auf Grund der Anamnese und auf Grund von Photographien den Nachweis führen, daß ein von Jul. Bauer als eineiig publiziertes Zwillingspaar mit ungleicher Augenfarbe in Wirk- lichkeit zweieiig ist. S. 2150, Bauer, Jul, Erwiderung auf obige BemerkungenvonGotthard Cohen. Siemens.

Medizinische Klinik, 1924. S. 812, Reiche, Ueber Konstitution und Vererbung bei der Lungenschwindsucht. Auf Grund statistischer Untersuchungen kommt Verf. zu dem Schluß, daß die idioty- pische Beschaffenheit des Organismus für Entstehung und Ablauf der Lun- gentuberkulose keine wesentliche Rolle spielt. Bezüglich der Widerstands- kraft gegen dieses Leiden findet man bei familiär Belasteten und bei Un- belasteten keinen Unterschied. S. 857, Cohn, Die vererbbaren Ver- knöcherungsdefekte der Scheitelbeine. Verf. beobachtete bei Mutter und 2 Töchtern auf der Höhe des Scheitels zwischen Stirn- und Hinterhauptsfontanelle eine beträchtliche angeborene Schädellücke von

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rhomboider Gestalt. Im Laufe der ersten zwei Jahre bildete sich in der Mitte des Schädels an der Stelle der Lücke eine ziemlich breite Knochen- leiste aus, so daß schließlich zwei gesonderte Knochenlücken im rechten und linken Scheitelbein übrigblieben. S. 1215, Meinicke, Ueber Kon- stitution und Vererbungbeider Lungenschwindsucht. Bemerkung zu der gleichnamigen Arbeit von Reiche. S. 1216, Reiche, Er- widerung. S. 1385, Schiff, Ueber die ungleiche numerische Beteiligung der Geschlechter an akuten Infektions- krankheiten. Verf. vermutet, daß die ungleiche Beteiligung der Ge- schlechter an den Infektionskrankheiten von ganz bestimmten, scharf defi- nierten Erbanlagen abhängt, die in den Geschlechtschromosomen lokalisiert sind. Sind diese Erbanlagen dominant, so überwiegt das weibliche, sind sie rezessiv, so überwiegt das männliche Geschlecht. Er gesteht aber zu, daß die methodologischen Schwierigkeiten, die sich dem Nachweis einer solchen Hypothese entgegenstellen, außerordentlich große sind. S. 1673 und 1720, Müller, KeimverderbnisundFruchtschädigung. Verf. unter- sucht kritisch, was wir über Schädigung des Keimes (im Sinne von Keim- zelle, nicht im Sinne von Erbplasma!) und der Frucht durch Krankheit der Eltern oder andere Einflüsse wissen. Er bespricht in diesem Sinne den Alkoholismus, Morphinismus, Blei- Hg- und Jodvergiftung, Störungen der inkretorischen Drüsen, Röntgenstrahlen, Unterernährung, Stofiwechsel- krankheiten, Lues, Tuberkulose, verschiedene Organkrankheiten. Die Aus- führungen sind besonders interessant durch die Einfügung zahlreicher in der Praxis beobachteter Einzelfälle. S. 1725, Fetscher, Ueberdas Ge- schlechtsverhältnisderNeugeborenenbeimMenschen. Kritisches Referat. Siemens.

Man. 1925, Bd. 25, S. 17: Stannus, H. S, A note on Mongolism in Nyasaland. Verf. ergänzt eine Mitteilung von Seligmann über das Vorkommen mongolider Typen bei Madi- und Nuba - Einge- borenen in Afrika. Nach St. finden sich Fälle von mongoliden Merk- malen der Lidspalte und der Lidform gelegentlich bei allen ostafrikani- schen Negerstämmen; diese Mitteilung wird durch eine kleine Statistik über beobachtete Epikanthusfälle bei Nyanja, Yao, Ngoni, Tonga und Wemba belegt. Auf den beigefügten 5 Abbildungen ist leider bei 4 Bildern die Augengegend so schlecht beleuchtet, daß man den mongoliden Aus- druck dieser Gesichter höchstens „erraten“ kann. Scheidt.

Nr. 3, S. 42: Migeod, F. W. H., Albinism at Mori on the Gold Coast and Elsewhere. M. beobachtete in dem kleinen Dorf Mori, 5 Meilen östlich von Cape Coast Castle, eine größere Zahl albinotischer Kinder (einmal 5 zusammen). Erwachsene Albinos konnte er damals nicht ausfindig machen. Das Dorf ist in sich ziemlich abgeschlossen. Einen Einzelfall eines erwachsenen Albinos beobachtete M. im Gold-Coast Regi- ment. Er war vom Stamm der Dagomba oder der Dagarti. Scheidt.

Man. 1924, Bd. 24, H. 6, S. 87, Pitt-Rivers, G, Variationsinsex ratios asindices of racial decline. A short summary of a paper read at the Melbourne Meeting of the Pan-Pacific Science Congress, Australia, 1923. Verf. schließt aus seinen Studien über die Bevölkerungs- bewegung pazifischer Gruppen, daß das Geschlechtsverhältnis (erwachsener, fortpflanzungsfähiger Individuen) einen Zusammenhang mit dem Bevöl- kerungszuwachs bzw. der Bevölkerungsabnahme erkennen lasse. Zuneh-

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mender Männerüberschuß zeige meist Bevölkerungsabnahme an, während wachsende oder doch nicht abnehmende Bevölkerungen stets eine Neigung zum Ueberschuß der (erwachsenen) Weiber zeigen.

Scheidt (Hamburg).

Man. 1924, Bd. XXIV, Nr. 121, Shrubsall, F. C., Haddon, A. C. und Dudley Buxton, LH The,WhiteIndians“ of Panama. Die Verf. beschreiben Falle von (anscheinend partiellem) Albinismus bei Indianern des Chucunaque-Flusses (Panama). Die 3 Albinos (1 weibl. und 2 männl.) sind angeblich nicht miteinander verwandt. Bei allen drei Kindern findet sich rosig-weiße Haut mit dunkleren, gelben bis braunen Pigmentflecken vornehmlich an den unbedeckten Stellen des Körpers, goldblondes Kopf- haar, pigmentloses („weißes“) Körperhaar, „grau-violette“ Irisfarbe, oph- thalmoskopisch spärliches Choroidal-Pigment, Nystagmus, Lichtscheu und verminderte Sehkraft. Alle übrigen Merkmale weichen von denen des Indianerstammes nicht ab. Die beiden Eltern des Mädchens sind dunkel- pigmentiert, doch soll eine Großmutter mütterlicherseits mit der Anomalie behaftet gewesen sein; sonst ist über die Verwandten, auch die der beiden Jungen, nichts ermittelt worden. Scheidt (Hamburg).

Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft Wien. 1925, Bd. 55,

S. 133: Pöch, H, Ueber Handlinien. Nach der Erläuterung eines

einfachen Schemas für die Beugefalten der Hohlhand berichtet Verf. über

die Verhältnisse, die an 66 Paar Händen von Embryonen, an den Händen

von 50 Neugeborenen und an einer Reihe von Affenextremitäten angetrof-

fen wurden. Beobachtungen an 60 wolhynischen Familien sind angefügt. Scheidt.

Münchener Medizinische Wochenschrift. 1922, S. 109, Mathes, Ueber Konstitution und Vererbung erworbener Eigenschaf- ten. Verf. nimmt für sich die Priorität (gegenüber Tandler und Jul. Bauer) dafür in Anspruch, die Begriffe Konstitution und Idiotypus gleichgesetzt zu haben. Er empfiehlt aber wegen der Schwierigkeiten, die sich aus dieser Begriffsbestimmung ergeben haben, das Wort Konstitution überhaupt ganz fallen zu lassen.

Erfahrungsgemäß sind die Keimzellen den Einflüssen der Außen- welt weitgehend entrickt. Was wir für die Vervollkommnung unserer selbst tun, kommt daher nur unseren Mitmenschen zugute, nicht unseren Nachkommen. S. 121, Kretschmer, Die Anthropologie und ihre Anwendung auf die ärztliche Praxis. Die kli- nische Art der Körperbauuntersuchung ist von der anthropologischen etwas verschieden. Beide Disziplinen müssen zusammenarbeiten. S. 164, Gaupp, Das Alkoholverbot in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Sehr optimistisches Referat über das Alkoholverbot. Der soziale Alkoholismus sei aus den Vereinigten Staaten verschwunden. Der Schmuggel sei teuer und gefährlich. Der ethische Gewinn sei groß. S. 199, Ebstein, Ueber das familiäre Vorkommen von Mi- grāne. Mitteilung einiger familiärer Fälle von Migräne aus der Literatur. Familiäres Auftreten soll so häufig sein, daß die Heredität als diagnostisches Hilfsmittel in Betracht kommt. Das Krankheitsbild der Migräne hat eine besondere Bedeutung durch seine häufige Kombination mit Urtikaria, Quinckeschem Oedem, Colitis mucosa und Asthma bronchiale; die gemein-

224 Zeitschriftenschau

nn ee a Th nn u m Iaol

same Grundlage aller dieser Erscheinungen soll die Eosinophilie sein. S. 227, v. Economo, Ueber den Wertdergenealogischen For- schung für die Einteilung der Psychosen speziell der Paranoia— und über die Regel vom gesunden Drittel. Verf. versucht eine „genealogische Methode“ der Erbforschung zu begründen

und legt großen Wert auf die Erfahrung, daß stets nur ein Drittel der |

Kinder eines geisteskranken Elternteiles geistig gesund zu bleiben pflege. S. 272, Siemens, Die Fachausdrücke der modernen Ver- erbungslehre. Alphabetisches Register der Fachausdrücke mit Erklä- rung ihrer Bedeutung sowie zwei Tabellen, die eine Uebersicht über die verschiedenen Synonyma geben. S. 383, Martin, Anthropometrie. Genaue, durch Abbildungen erläuterte Erklärung der anthropologischen Meßmethoden. S. 477, v. Zumbusch, Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Kritische Be- sprechung dieses Entwurfes mit sorgfältiger Erörterung derjenigen Punkte, die in ihrer Begründung falsch, in ihrer voraussichtlichen Auswirkung bedenklich sind. S. 542, Kämmerer, Beziehung des Bronchial- asthmas zu anderen Erkrankungen und neuere An- schauungen über seine Pathogenese und Therapie. Die Bedeutung akuter Infektionen der Respirationsorgane (Pneumonie). Verf. teilt u. a. den Stammbaum einer Familie mit, in der sich Gicht, Ekzem, Asthma und Psychopathie durch vier Generationen vererbt haben. S. 676, Mayer-Groß, Kretschmers Körperbaulehre und die Anthro- pologie. Verf. warnt vor übertriebener Einschätzung des Wertes der anthropologischen Meßmethoden für die Medizin, speziell für die Konstitu- tionspathologie. S. 691, Hering, Ueber den funktionellen Be- griff Disposition und den morphologischen Begrifi Konstitution vom medizinischen Standpunkteaus. Verf. stellt die Forderung auf, daß man in Zukunft in der Medizin den Begriff Disposition immer im funktionellen, den Begriff Konstitution immer im morphologischen Sinne gebrauchen soll. S. 709, Mathes, Ueber das WesenderKonstitutionsanomalie in eigener Sache. Ver- teidigung gegen gewisse, den Begriff des „asthenischen Infantilismus” be- treffende Angriffe von Jul. Bauer. S. 749, Weinberg, Zur Methodik der Vererbungsstatistik mit besonderer Berücksich- tigung des Gebietes der Psychiatrie. Verf. verteidigt seine Geschwistermethode gegenüber den Angriffen verschiedener Forscher. Die Einzelheiten müssen im Original durchgelesen werden. S. 964, Jaensch, Ueber psychophysische Konstitutionstypen. Verf. be- zeichnet Patienten mit einem bestimmten optischen Konstitutionszeichen (Anschauungsbilder und Verlängerung der Dauer der physiologischen Nach- bilder) als Eidetiker. Bei einem latenten Eidetiker mit einem leichten tetanoiden Zustand gelang es dem Verf., durch Verabreichung von Kalium- phosphat vorübergehend sehr starke Anschauungsbilder zu erzeugen. S. 1269, Wetzel, Die Stillersche Konstitutionsanomalie (Asthenia universalis congenita) im Säuglingsalter. Verf. konnte die genannte Anomalie schon bei Säuglingen nachweisen, allerdings ohne daß dabei der Grundcharakter der Asthenie, die Atonie (Stiller), vorhanden war; die Muskulatur der asthenischen Säuglinge war im Gegenteil hypertonisch. S. 1343, Nonnenbruch, Chronischhere- ditärerhämolytischer Ikterus mittödlichem Ausgang.

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`

Der Vater des Patienten, einer seiner vier Brüder und ein Bruder des Vaters litten gleichfalls an hämolytischem Ikterus. Pat. starb unter dem Bilde einer hämolytischen Krise und einer Cholecystitis mit Pigmentsteinen. Der Fall zeigt, daß der familiäre Ikterus doch nicht immer bloß ein ungefährlicher abnormer Zustand ist. S. 1356, Lenz, Vorschläge für Leitsätze der Deutschen Gesellschaft für Rassen- hygiene. S. 1503, Gans, Ein Beitrag zur Rassenpsychia- trie (Beobachtungen an geisteskranken Javanern). Verf. fand bezüglich der Häufigkeit und bezüglich der Art und Symptomatologie der Geistes- krankheiten an einem großen Material keine Unterschiede bei Europäern und Javanern. Auch die Paralyse traf er bei nicht wenigen Javanern an. S. 1544, Weinberg, Eine aussichtslose Methode der Ver- erbungsstatistik. Nachtrag zu der Arbeit des Verf. in dieser Wochenschr. 1922, S. 748. S. 1577, Leitsätze der Deutschen GesellschaftfürRassenhygiene. S. 1631, Vogel, Die Fach- ausdrücke der Konstitutionslehre. Begriffliche Erörterungen über den Konstitutions- und Dispositionsbegriff. Disposition wird nur als ein Sonderfall der Konstitution aufgefaßt. S. 1666, Lenz, Ferdinand Hueppes Stellung zur Rassenfrage. Verf. weist an Zitaten aus Hueppes Schriften nach, daß Hueppe im Gegensatz zu der Darstellung Kaups (diese Wochenschr. 1922, S. 1547) den Gobineauschen Rassentheorien durchaus nicht ablehnend gegenüber'stand. S. 1718, Mayer, Ueber die Bedeutung der Konstitution in der Geburtshilfe und Gynäkologie. Uebersichtsreferat; zu kurzem Bericht nicht geeignet. S. 1779, Plaut und Mulzer, Ueber die Wirkung verschiedener Spirochaetenstämme auf Liquor und Nervengewebe von Kaninchen, insbesondere nach Ueberimpfung von Hirnrinde menschlicher Paralytiker. Verff. gelang es, durch Ueberimpfung mit menschlicher paralytischer Hirnrinde bei Kaninchen eine Erkrankung des Nervensystems zu erzeugen und über drei Passagen fortzuführen, die sich histologisch von der Nervenlues, die vom Spirochaetenstamm eines Sekun- därsyphilitikers herrührt, durchaus unterscheidet. Siemens (München).

Münchener Medizinische Wochenschrift. 1923, S. 122, Hueppe, Volks- oder Rassenhygiene? Polemik. S. 123, Lenz, Nicht Volks- oder Rassenhygiene, sondern Volkshygiene und Ras- senhygiene. Entgegnung. S. 129, Mathes, Was bedeutet Kon- stitution? Nochmalige Betonung des vom Verf. vertretenen Standpunk- tes, daß unter Konstitution die Eigenart eines Menschen nur insoweit zu verstehen sei, als sie durch die Beschaffenheit der elterlichen Keimzellen verursacht ist. S. 403, Weigl, Die Ergebnisse der Schulkin- deruntersuchungen im Amtsbezirke Hipoltstein. Ganz gedrängte Mitteilung über die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen an 3768 Schulkindern. S. 469, Velhagen, AtypischesCGolobomairi- discongenitum beim Vater, Aniridiacongenita beiden Kindern. Das Colobom sitzt beim Vater auf dem rechten Auge nach innen oben; am linken Auge ist an gleicher Stelle nur eine Einkerbung des Pupillenrandes sichtbar. Von den vier Kindern zeigen zwei ein fast voll- ständiges Fehlen der Iris. S. 874, Brügger, Ueber angeborene Ankylosender Fingergelenke. Bei dem Patienten sind die Mit-

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 2. 15

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telgelenke des Mittel-, Ring- und Kleinfingers links und des Ring- und Kleinfingers rechts völlig versteift, die Grundgelenke frei beweglich. Statt des Mittelgelenkes fühlt man einen Wulst, die Hautfalten über dem Gelenk fehlen. Röntgenbefund: knöcherne Ankylose der prominenten Epiphysen- kerne der Mittelphalangen an den erwähnten Fingern. Von den sechs übri- gen Geschwistern sind noch drei behaftet, ebenso die Mutter, einige ihrer Geschwister, Neffen und Nichten, die Großmutter und die Ururgroßmutter; die Urgroßmutter soll frei gewesen sein. In einem anderen Fall waren die Daumenendgelenke versteift, die Falten über den Gelenken fehlten eben- falls; hier lag jedoch keine knöcherne Ankylose vor, sondern wohl eine bindegewebige. Sämtliche Angehörige hatten normale Finger. S. 986, Duken, Ueber angeborene Ankylosen der Fingergelenke. Bemerkungen zu der gleichnamigen Arbeit von Brügger. S. 1180, Ohly, Familiäres Auftreten von Ulcus im Gastroduodenal- traktus. Verf. teilt neun Ulcusfamilien und 60 weitere Fälle von Ulcus oder Karzinom des Gastroduodenaltraktus mit, bei denen entsprechende Erkrankungen in der Familie festgestellt werden konnten. Wie groß das Material ist, aus dem diese Fälle ausgelesen sind, geht aus der Arbeit nicht hervor. Als ulcuskrank wurden nur selbstuntersuchte Fälle betrachtet und solche, bei denen Magenblutung nachgewiesen werden konnte, oder von einem behandelnden Arzt die Diagnose Ulcus gestellt worden war; alle anderen, anamnestisch positiven Fälle wurden nur einfach als magen- leidend registriert. Von den 60 Fällen hatten 22 einen ulcuskranken Vater, 19 eine ulcuskranke Mutter. Ausgesprochen asthenischen Typ zeigten 16 Fälle, sechsmal war die Asthenie mit Lungentuberkulose kombiniert. Ausgesprochen neurasthenische Symptome im Sinne eines stark erregbaren und gereizten vegetativen Nervensystems konnten in 34 Fällen festgestellt werden. S. 1355, Rautmann, Klinische Medizin und Varia- tionsforschung. Verf. hofft mit Hilfe mathematischer Methoden, be- sonders mit Hilfe der Kollektivmaßlehre, die Norm zu einem Maß für die Variationsbreite des Gesundhaften machen zu können. Als normal ist nach ihm das zu bezeichnen, was mit einer bestimmten Häufigkeit „bei Gesun- den‘ (? Ref.) angetroffen wird. S. 1363, Hoffmann, Kropfund Tuber- kulose. Nach Verf. ist die Bildung eines Kropfes meist eine Abwehr- maßnahme des Körpers gegen eine tätige Tuberkulose; dementsprechend sollte man mit der Behandlung des Kropfes sehr vorsichtig sein. S. 1406, Seitz, Bericht der Kropfkommission der Münchener Ge- sellschaftfürKinderheilkunde. Da in Bayern die Kropfhäufig- keit zugenommen haben soll, wurden Fragebogen an Aerzte verschickt. Verf. hält eine Prophylaxe durch jodiertes Kochsalz für empfehlenswert, jedoch nur in den Bezirken mit endemischem Kropf. S. 1427, Pfaundler und Wiskott, Zur Kropffrage in Bayern. Kurze Darstellung der Ergebnisse der im vorigen Referat erwähnten Rundfrage. Eine Zunahme des Kropfes ist nicht sicher, offenbar gibt es sehr verschiedene Arten von Kropf, der Massenprophylaxe durch Jod stehen eine ganze Reihe von Be- denken entgegen. S. 1430, Trumpp, Betrachtungen zur Frage einer Kropfprophylaxe auf Grund der Berichte der bayerischen Bezirksärzte. Für die überwiegende Mehrzahl der Kröpfe ist die Ursache einheitlich, nämlich Jodhunger. Falls in der natür- lichen Jodzufuhr kropfreicher und kropfarmer Bezirke in Bayern auffal- lende Unterschiede vorhanden sind, erscheint eine Massenprophylaxe nach

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Schweizer Muster berechtigt. S. 1475, E. Fischer, Schadelform und Vererbung. Verf. machte Schädelmessungen an vitaminlos ernahrten Ratten und fand, daß bei ihnen der Längenbreitenindex über 38,8 lag, während er bei den Kontrolltieren 38,0 niemals überschritt. Allerdings wird durch die Avitaminose auch die Größe der Tiere sehr stark geändert, da die 12 Wochen alten Experimenttiere etwa 7 Wochen alten normalen Ratten entsprechen. Solche normalen Rattenschädel gleicher Größe haben Indices, die sich von denen der Experimentaltiere nicht wesentlich unter- scheiden. Immerhin ergibt sich aus den Messungen, daß man die Schädel- form (gemeinsam mit der Gesamtgröße!l Ref.) auf chemischem Wege ab- ändern kann. i Siemens (München).

Münchener Medizinische Wochenschrift, 1924. S. 11, Siemens, Die Leistungsfähigkeit der zwillingspathologischen Ar- beitsmethode für die ätiologische Forschung. Unter der Voraussetzung, daß die eineiigen Zwillinge im wesentlichen erbgleich sind, lassen sich durch systematische ärztliche Untersuchung von Zwillingen nicht nur Nichterb- lichkeit, sondern auch polyide Erblichkeit und geringgradige erbliche Dispo- sitionen nachweisen. S. 404, Leven, DieLeistungsfähigkeitder zwillingspathologischen Arbeitsmethode für die Atiolo- gische Forschung. Verf. tritt den Anschauungen von Siemens entgegen, da auf Grund eigener daktyloskopischer Befunde die Erbähnlichkeit der eineiigen Zwillinge zwar eine sehr hochgradige, aber keine vollständige sei. S. 443, Siedermair, Die operative Unfruchtbarma- chung der Blödsinnigen, Geisteskranken usw., gewürdigt von der rechtlichen Seite. Verf. tritt Boeters entgegen, welcher behauptet hat, die Unfruchtbarmachung sei gesetzlich erlaubt, sobald die Zustimmung des be- treffenden selbst oder seiner gesetzlichen Vertreter vorliegt. S. 508, Sie- mens, Hautkrankheiten und Diathese. Erörterung über den Begriff der Diathese und über die Methoden ihrer Erforschung. S. 554, Weinberg, Zwillingsforschung und Außenfaktoren. Verf. verwahrt sich gegen die Angabe von Siemens, daß er die eineiigen Zwillinge nicht als erbgleich aufgefaßt habe. S. 558, Dreyer, Wiesollsichder deutsche Arzt zur Frage deskriminellen Abortusein- stellen? Besprechung des Vorschlages von Jaschke, daß nur noch die Abtreiberin, nicht aber die Fruchtmutter bestraft werden solle. S. 5%, Siemens, ZurmethodologischenBedeutungderZwillings- pathologie. Verf. entgegnet Leven, daß die von diesem erhobenen Be- funde schon lange bekannt seien, daß sie nicht für Erbverschiedenheit, son- dern grade für Erbgleichheit der eineiigen Zwillinge sprächen, und daß im übrigen die zwillingspathologische Methode bei hochgradiger Erb- ähnlichkeit der eineiigen Zwillinge ebenso anwendbar ist wie bei vollstän- diger Erbgleichheit. S. 649, Siemens, Zwillingsforschung und Außenfaktoren. Verf. hat nie angenommen, daß Weinberg die eineiigen Zwillinge für erbverschieden gehalten habe (s. oi: dem Protest Weinbergs liegt also nur ein Mißverständnis zugrunde. S. 685, Boeters, Die operative Unfruchtbarmachung der Blödsinnigen, Geisteskranken usw., gewürdigt von der rechtlichen Seite. Erwiderung auf die Ausführungen Schiedermairs. S. 788, Kraft, Ein Beitrag zum Erbgang des Zwergwuchses (Nanosomia infantilis). Drei Be- haftete aus zwei Geschwisterschaften der gleichen Familie. Eltern beider Geschwisterschaften blutsverwandt lassen sich innerhalb 3 bis 4 Gene-

15*

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rationen alle auf die gleiche Ausgangsperson zurückführen. Anlage also wahrscheinlich rezessiv. Die Zwerge sind proportioniert, 107—130 cm hoch, der Zwergwuchs nicht angeboren. —S. 829, Moser, Bemerkungenzum Konstitutionsprobleminder Psychiatrie. Bevor man dar- an geht, den psychiatrischen Konstitutionsbegriff zu definieren, sollte man die Bausteine der Konstitution, den Temperaments- und Charakterbegriff begrifflich klären. Verf. warnt vor der überwertig gefärbten Einschätzung der psychischen Konstitutionslehre und weist besonders auf die verwirrende Vielheit auf dem Gebiete der Typenlehre hin. S. 837, Leven, Zur methodologischen Bedeutung der Zwillingspatholo- gie. Schlußwort. S. 852, Wachtel, Zur Frage derErblichkeit des Krebses. Statistische Arbeit über familiäre Krebshäufung, die den Verf. zu dem Resultat führt, daß ein wesentlicher Teil der Krebse rezessiv erblich sei, und ihn zu den weittragendsten „rassenhygienischen“ Schlußfolgerungen ermuntert. S. 946, Siemens, Zur methodo- logischen Bedeutung der Zwillingspathologie. Schluß- wort. S. 1002, Schenk, Ueber die Insulintherapie des Diabetes mellitus. Verf. teilt den Stammbaum einer jüdischen Familie mit, in der der Manifestationstermin der diabetischen Erschei-

nungen auffallend spät liegt (vgl. nebenstehende Skizze). S. 1134, rm O O O

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Schneider, Zur FragederErblichkeitdesKrebses. Verf. tritt den rassenhygienischen Forderungen Wachtels (s. 0.) entgegen. S. 1196, Kochs, Ueber die Vererblichkeitdesangeborenen Klumpfußes. Verf. teilt eine Familie mit, in der Klumpfuß bei 11 Be- hafteten (7 männl. und 4 weibl.) in 3 Generationen vorkommt. Bei 2 be- hafteten Kindern bestand gleichzeitig eine Spina bifida. S. 1200, Mei- rowsky, Ueber die Ursachen der Muttermäler. Verf. kritisiert: die zwillingspathologischen Untersuchungen von Siemens, nach denen die Muttermäler nicht in entscheidender Weise erblich bedingt sein sol- len. S. 1202, Siemens, Ueber die Ursachen der Muttermaler. Entgegnung auf Meirowskys Kritik. S. 1326, Carriére, Nor- wegens Kampf gegen den Alkohol. Die Regierung schlug eine Aufhebung des Alkoholverbotes vor, weil dadurch die Finanzen des Staates zu stark belastet würden, und weil das Verbot so großen moralischen Scha- den anrichte (Schmuggel, Mißachtung der staatlichen Autorität, Zunahme des „Sprittrinkens“). Da die Mehrheit des Parlaments trotzdem am Alkohol- verbot festhielt, wurde die konservative Regierung gestürzt. Die freisinnig- demokratische versucht nun, das Alkoholverbot weiter aufrecht zu erhalten,

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besonders durch die Durchführung des „Rezeptgesetzes“, das dem Rezept- schreiben der sog. Branntweindoktoren steuern soll. S. 1365, Jarotzky, Ueber die Definition des Begriffes Krankheit. Verf. er- hebt für sich und seinen Lehrer Ostr o u m o f f Prioritätsansprüche gegen- über Lenz in Sachen der Definition des Krankheitsbegriffs. S. 1365, Lenz, Zur Frage der Erblichkeit der Muttermäler. Verf. erklärt, daß es sich in dem von ihm (via Meirowsky) bekannt- gegebenen Fall von familiärem Muttermal um einen erhabenen pig- mentierten Nävus gehandelt habe, und daß die hierfür verwendete Bezeichnung „Fibrom (Leberfleck)“ durchaus nicht zweideutig sei. S. 1365, Meirowsky, Die Aetiologie der Muttermäler. Schluß- wort. S. 1366, Siemens, Die Aetiologie der Muttermäler. Schlußwort. S. 1601, Parrisius, Aerztliche Eindrücke von der deutschen Skimeisterschaft. Von 100 Teilnehmern der „Deutschen Skimeister- schaft 1924“ waren nur 24 körperlich fehlerfrei. Viele waren Kropfträger; bei sehr vielen wurden funktionelle Kreislaufstörungen, beim „Deutschen Meister“ ein organischer Herzfehler gefunden. 53 waren Astheniker. Unter den mehr oder weniger erschöpft am Ziel Ankommenden finden sich Leute aller Konstitutionen. S. 1616, Roesle, Die Bewegung der Bevöl- kerung in Frankreich und Deutschland inden Jahren 1920—23. Die Geburtenziffer ist nunmehr in Deutschland fast ebenso ungünstig geworden wie in Frankreich. Wenn die Geburtenüberschuß- ziffer im Deutschen Reich (nicht in den Großstädten) noch ein gut Teil höher ist als in Frankreich, so liegt das fast ausschließlich an der vor- läufig noch günstigeren deutschen Sterbeziffer. S. 1673, Mayer, Ueber Konstitution und Genitaltumoren. Verf. fand sicheres fami- liäres Vorkommen von Karzinom nur in 9,3% seiner Fälle. Auffallend oft ist die Mutter am familiären Vorkommen des Karzinoms beteiligt. Bei Ovarialtumoren wird nur sehr selten über familiäre Häufung berichtet; ähnlich liegen die Dinge beim Uterusmyom. S. 1789, Siemens, DieErb- lichkeitsfragebeimKropf.Esgibt Formen des sporadischen Kropfes, die streng erblich bedingt sind (gewöhnlich dominant-geschlechts- begrenzt). Dem endemischen Kropf der Münchener Schulkinder liegt eine, auf zwillingspathologischem Wege nachgewiesene erbliche Disposition zugrunde. Hieraus läßt sich mit Wahrscheinlichkeit auch auf eine idio- dispositionelle Natur des endemischen Kretinismus schließen. Siemens. Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie, Bd. 202, 1924. Haberlandt: Ueber hormonale Sterilisierung weiblicher Tiere Il. Durch Injektion von Ovarial-Opton trächtiger Tiere ebenso wie durch Be- handlung mit Placenta-Opton läßt sich im Tierversuch eine Ovulations- hemmung und somit eine temporäre Sterilität hervorrufen. Der Möglichkeit, das Gleiche beim Menschen zu bewirken, wird eine große Bedeutung für die Sozialhygiene sowie für eugenische Bestrebungen beigemessen. Bd. 203, 1924. Kraus: Ueber hormonale Sterilisierung weiblicher Tiere. Die Möglichkeit, eine temporäre Sterilisierung mit Hilfe von Corpus luteum-Extrakt an weiblichen weißen Ratten durchzuführen, wird experi- mentell bestätigt. Im einzelnen ergeben sich Differenzen mit den Ergeb- nissen ähnlicher Experimente von Haberlandt (Klin. Wochenschr. 1923, Nr. 42, und Münch. Med. Wochenschr. 1921, S. 1577), Differenzen, für die ein Erklärungsversuch gegeben wird. Jablonski.

230 Zeitschriftenschau ee en ae isn nn e Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. Bd. 10, 1924, S. 231, Pearl, R, Theinfluenceofalco- holonduration of life. Verf. hat bei über 6000 Personen in Balti- more eingehende Erhebungen gemacht, um die Wirkung mäßigen Alkohol- genusses auf die Lebenserwartung zu studieren. Die Statistik zeigt, daß die Lebenserwartung auf allen Altersstufen für die Gruppe der Gewohn- heits- und Gelegenheitstrinker am geringsten, für diejenigen mit mäßigem Alkoholgenuß am höchsten ist, während die Abstinenten die Mitte zwischen diesen beiden Gruppen halten. Ref. ist der Meinung, daß in der Gruppe der Abstinenten (in einem Land mit allgemeinem gewohnheitsmäßigem Alkoholgenuß, wie es Amerika bis vor kurzem noch gewesen ist) vermut- lich zahlreiche schwächlich veranlagte Personen vertreten waren, so daß ein Schluß auf günstige Wirkung mäßigen Alkoholgenusses nicht gezogen werden kann. Scheidt (Hamburg).

Revue neurologique, 1924, Jahrgang 31, I. Bd., Nr. 3, Laignel, Lavastine und Froelicher, Maladie de Recklinghausen avec dermato- lysie, Neurofibromatose bei Vater und Tochter. Nr. Barré und Reys, Syringomyelie chez le frère et la soeur. Die Krankheit trat bei den zwei einzigen Kindern gesunder Eltern auf, keine weiteren Falle in der Verwandtschaft. Die Autoren führen die Erkrankung auf eine kon- genitale Mißbildung zurück. Nr. 6 Leri, A propos de la sclérose en plaques héréditaire et familiale. Frau mit typischer multipler Sklerose. Ihre Schwester erkrankte kurz nach ihr mit spastischer Paraplegie der Beine, cerebellaren und vielleicht auch trophischen Störungen, noch etwas später die Mutter mit spastischer Paraplegie und Blasenstörungen, im übrigen nichts ähnliches in der Familie. L. registriert diese Beobachtung als Stütze für die Auffassung der multiplen Sklerose als einer Infektions- krankheit, lehnt, allerdings mit oberflächlichen Gründen, einen endogenen Faktor ab. Die Diagnose der beiden letzten Fälle erscheint nach den mit- geteilten Befunden nicht über jeden Zweifel erhaben. Ein endogener Faktor ist wohl doch in Gestalt einer verminderten Widerstandsfähigkeit der Pyra- miden gegeben. Im gleichen Heft lehnen Veraguth und Guillain in ausführlichen auf dem 5. internat. Neurol. Kongreß in Paris gehaltenen Referaten über die multiple Sklerose die endogene Natur des Leidens mit guten Gründen ab, bezeichnen sie als eine Infektionskrankheit. Die im Vergleich zur Häufigkeit des Leidens äußerst seltenen familiären Fälle be- weisen nichts dagegen. Wollny.

Russische Eugenetische Zeitschrift (in russischer Sprache). Bd. I, H. 1: Koltzoff, N. K, Die Rassenverbesserung beim Men- schen (Programmrede), S. 1—27. Judin, F. J, Die Vererbungder psychischen Krankheiten, S. 28—38. Gorbunoff, A. W., Ueber denEinflußdesKriegesaufdieBevölkerungsbewegung in Europa, S. 39—63. Koltzoff, N. K, Genealogie von Ch. Dar- winund F. Galton, S. 64—73. Serebrowsky, A.S, Die Genealo- gie der bekannten russischen Schriftstellerfamilie Axakoff, S. 74-81. Bunak, W. W., Die eugenetische Ver- suchsanstalt, ihre Zwecke und Arbeitsmethoden, S. 82 bis 97. Ueber die Tätigkeit der russischen eugeneti- schen Gesellschaft im Jahre 1921. Bibliographie. H. 2: Serebrowsky, A. S, Ueber die Ziele und Wege der

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Anthropogenetik, S. 107—116. Judin, F. J, Die Konstitu- tionslehreinderPathologieund ihre Bedeutungfirdie Eugenetik, S. 117—136. Bunak, W. W., Die Methoden der Erblichkeitsforschung beim Menschen: a) Einleitung; b) Die kasuistische Methode; c) Die statistische Methode; d) Die biometrische Methode; e) Grundprinzipien der mendelistischen Methode; f) Die elemen- tare mendelistische Analyse; g) Die komplizierte mendelistische Analyse; h) Die genealogische Methode; i) Zusammenfassung, S. 137—200. Wolotzkoi, M. W., Ueber die Sterilisation der erblich Minderwertigen, S. 201—222. Bunak, W. W., Zur Frage der biologischen Bedeutung des Krieges, S. 223—232. Eugenetische Notizen. Kritik und Bibliographie. H. 3—4: „Keltaeff;

Gala- keiten des Menschen: I. Einleitung II. a chische Fähigkeiten. 1. Das Temperament und seine Vererbung; 2. Triebe; 3. Emotionen; 4. Konstitutionelle Temperamentstypen. III. Nerven- psychische Fähigkeiten: 1. Unbedingte Reflexe und Instinkte; 2. Be- dingte Reflexe: a) Rezeptorische Fähigkeiten; b) effektorische Fähig- keiten; c) synthetische Fähigkeiten; d) interzentrale Tätigkeit; e) konstitu- tionelle Typen der höheren Erkenntnisfähigkeiten, S. 253—307. Tschulkoff, NP, Die Familien eschichteder Grafen Tolstoi. Gala- < cian, A. G. und Judin, F J. Ein “Versuch der erbbiolo- gischen Analyse einer manisch-depressiven Familie, S. 321—342. Mankowsky, BN. Zur FragederErblichkeitder paroxysmalen Lähmung, S. 343—347. Bunak, W. W., Zur anthropometrischen Charakteristik der Nachkom- menschaft der Luetiker (Resultate einer speziellen Expedi- tion), S. 347—357. Derselbe, Zur Bioanthropologie der Mari, S. 358—362. Eugenetische Notizen. Bd. II, H. 1: Koltzoff, N. K., Der Einfluß der Kultur auf die Selektion in der Menschheit, S. 3—19. Philiptschenko, J. A, Ueber den Einfluß der Kreuzung auf die Zusammensetzung der Population, S. 20—27. Judin, F. J, Die Zwillings- ähnlichkeit und ihre Bedeutung in der Erblich- keitsforschung, S 28—49. Wolotzkoi, M. W., Zur Geschichte dereugenetischen Bewegung: Das Buch von W.M. Flo- rinski:„VervollkommnungundEntartungderMensch- heit 1866, S. 50—55. Eugenetische Notizen. Kritik und Bibliographie.

Koltzoff (Moskau).

Sociedad Espanola de Antropologia, Etnografia y Prehistoria: Actas y Memorias. Ano I, 1922, Mem. III: Aguilo, Juan Cabré, Una necropoli de la primera edad de los metales, en Monachil, Granada. Beschreibung eines Fundes aus der frühen Bronzezeit, ähnlich dem von El Argar. Die drei Schädel stimmen nach Ansicht des Verf. mit den Cro-Magnon ähnlichen Langschädeltypen von El Argar überein. (MaBe und Abbildungen sind beigefiigt.) Comun. Nr. 17 (S. 102): Barras de Aragon, Medidas e indices de dos craneos guan- ches. Die beiden Schädel (Maße und Indices sind angeführt) werden vom Verf. den Cro-Magnons verglichen; neben bemerkenswerten Aehn- lichkeiten bestehen jedoch auch wichtige Unterschiede, so beträchtlich

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höhere Augenhöhlen bei den Guanchen. Ano II, 1923, Mem. XIII: Barras de Aragon, F. de Las, Notas sobre indices obtenidos de me- didas tomadas en vivo, de sujetos naturales de la pro- vincia de Sevilla y sus limitrofes. Die wichtigsten Kopf- und Gesichtsindices von einer Anzahl junger Leute (15—22 Jahre). Herkunft der Gemessenen und der Eltern ist angegeben. Was im Text die Angabe der „Schwankungsbreite“ und der Mittelwerte aus Reihen mit meist vier bis acht Individuen soll, ist schwer einzusehen. Die Indices sind auf . 53 Seiten Tabellen niedergelegt (die absoluten Maße fehlen); sie stellen einen erwünschten Materialbeitrag zur Merkmalsstatistik in Spanien dar. Mem. XV: Cabeza, A. D., Una seriede 17 cráneos proceden- tes de la isla de Mindanao. Beschreibung und Maße. Scheidt.

Wiener Medizinische Wochenschrift, 1924, Nr. 25. Abels, Keimschä- digungoderFruchtschädigungdurchRöntgenstrahlen. Im vorliegenden Fall eines stark unterentwickelten, zum Teil mißbildeten Kindes (Mikrophthalmus usw.) offenbar Fruchtschädigung. Nach Röntgen- keimschädigung bei Mäusen konnten degenerierte Formen mehrere Gene- rationen hindurch fortgezüchtet werden. Bestrahlte Frauen, die später gravid wurden, zeigten eine Neigung zu Fehlgeburt, ihre Kinder blieben anfangs in der Entwicklung zurück, im Alter von 8—10 Jahren erfolgte jedoch eine Angleichung an normale Kinder (Werner). Röntgenstrahlen bringen die Chromosomen bestimmter Zellen zum körnigen Zerfall, auf diese Weise können vielleicht Defektmutationen entstehen (Pollizer). Nr. 28, S. 1479, v. Müller, Keimverderbnis und Frucht- schädigung. Uebersicht über die praktischen Erfahrungen auf dem Gebiete. Nimmt vor allem bei Röntgenbestrahlung und Infektionskrank- heiten an, daß es entweder zu völligem Absterben der Keime bzw. der Früchte kommt, oder aber, daß die Fortpflanzungstätigkeit vollkommen ungestört bleibt, daß also eine „Degeneration“ der Nachkommenschaft nicht zu befürchten sei. Dem Alkohol kommt sicher eine keimschädigende Wir- kung zu, Morphium, Blei, Quecksilber scheinen erst in großen Dosen für die Nachkommenschaft gefährlich zu werden. Die Lues schädigt offenbar neben den Früchten auch die Keime. Rassenkreuzungen führen beim Men- schen nicht zu „minderwertiger“ Nachkommenschaft. Wollny.

Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. 1924, Bd. 74, S. 614—683, Münter, H., StellungderKoptenzuden Altägyp- tern. Eine kraniometrische Studie. Verf. hat 78 Koptenschädel gemessen und die Maße mit solchen von ägyptischen Schädeln (Oetteking) und Negerschädeln verglichen. Das Ergebnis soll eine stärkere Negerähnlichkeit der Altägypter gegenüber den Kopten sein; hingegen sollen sich unter den Kopten mehr vorderasiatische Elemente finden als unter den Altägyptern. Leider enthält die Arbeit nur Maßzahlen und gar keine Abbildung.

(Scheidt (Hamburg).

Zeitschrift für Augenheilkunde. 1924, Bd. 53, S. 342, van der Hoeve, VererbbarkeitdesKeratokonus. Nachtrag zur Arbeit in Bd. 52, 321. Die kegelförmige Hornhaut zeigt sich bei genauer Analyse in der betr. Familie als typisch rezessives Leiden. 1925. 54. 355—362. HeBberg, Ueber Mißbildung und Indikation zur Schwangerschafts-

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unterbrechungbzw.Sterilisierung.3 Kinder mit angeborenem lrismangel; beide Eltern infolge wahrscheinlich derselben angeborenen De- fekte in früher Jugend erblindet. Die im Titel angedeutete Frage wird be- sprochen und für derartige rezessive Leiden im wesentlichen bejaht. Scheerer (Tübingen).

Zeitschrift für Ethnologie. 1924, Jhg. 56, H. 1/4, S. 74, Boas, F. Be- merkungen über die Anthropometrie der Armenier. B. hat die Körper- und Kopfmaße von Armeniern, welche in Vorderasien ge- boren waren, und solchen, die in Amerika geboren waren, miteinander ver- glichen. Die Unterschiede (kürzere und breitere Köpfe, größere Jochbogen- breite bei den in Vorderasien Geborenen) deutet B. als Folge einer verschie- denen Behandlung der Kinder; er glaubt, daß die Art des Wickelns und die Lagerung kleiner Kinder bei den Armeniern „den planokzipitalen Charak- ter verstärkt“, daß diese Form „aber auch ohne diese Ursache ziemlich oft in die Erscheinung tritt“. Die bei Kindern gemessenen Maße des Kopfes sind zum Zwecke zuverlässigerer Schlußfolgerungen auf die Werte Erwach- sener reduziert. Der Unterschied des Längenbreitenindex zwischen Arme- niern aus Vorderasien und Armenierkindern aus Amerika beträgt 3,1 Index- grade im männlichen und 2,1 Indexgrade im weiblichen Geschlecht; der wahrscheinliche Fehler der betr. Mittelzahlen ist größer als dieser Unterschied (nämlich + 3,6 und + 4,7 bzw. + 3,0 und + 4,2). Den redu- zierten Maßen erkennt B. selbst nur angenäherten Wert zu. In bezug auf seine früheren Arbeiten meint Boa's diesmal, der Unterschied der Kopf- maße der beiden verglichenen Gruppen sei „so groß, daß es nicht wahr- scheinlich ist, daß er auf dieselben Ursachen zurückzuführen ist, die eine Aenderung der Körperform bei Italienern, Böhmen und Juden bewirken“. S. 94, Virchow, H., Zur Anthropologie der Nase. Das rassen- kundlich belangreiche Ergebnis dieser Arbeit welche auch eine ein- gehende und interessante Kritik der Meßtechnik enthält besteht in der von V. schon früher (1915) gezogenen Schlußfolgerung, „daß ein konstantes Verhältnis zwischen Weichnase und Knochennase nicht bestehe“. Dem Er- gebnis liegen in dieser Arbeit allerdings erst 29 Einzelbeobachtungen (an Weichteilnase und knöcherner Nase) zugrunde. Ref. möchte allerdings annehmen, daß sich bei größeren Reihen vielleicht doch eine gewisse posi- tive Korrelation zwischen Weichteilform und Knochenform finden würde, wenn man andererseits auch sehr wohl daran denken darf, daß eine ge- wisse Selbständigkeit der für die Form der Weichteilnase maßgebenden Erbanlagen bestehen kann. Die mannigfachen physiognomischen Rekon- struktionsversuche an fossilen Schädeln erfahren durch die Arbeit V.s neuerdings eine wenig ermutigende Kritik. Scheidt (Hamburg.)

Zeitschr. f. kulturgesch. u. biolog. Familienk. (Herausgeb. Willy Horn- schuch), Jg. 1, S. 13, 55, Fürst: Grundlagen und Quellen der Familienforschung. Die Bedeutung der Familienforschung für die Erblichkeitsforschung wird eingehend dargelegt. Einen breiten Raum nimmt das Kapitel Ahnenverlust ein. Behandelt wird auch die Frage der Aus- gestaltung der amtlichen Personenstandsurkunden für biologische Zwecke. S. 62, Stoll, A: Ueber Familienforschung und Vererbung. Verf. erläutert die Grundbegriffe der Erblichkeitslehre. Der dominante und rezessive Erbgang wird an praktischen Beispielen erläutert (Dominanz der

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dinarischen Hakennase über die alpine Stumpfnase). Starke Gegensätze der körperlichen, geistigen und seelischen Erbanlagen der Eltern führen nach Verf. bei den Kindern häufig zu Dissonanzen (typisch germanische und typisch semitische Seele). S. 73, Finckh, L: Neue Aufgaben. Finckh fordert dazu auf, die Abstammung des Proletariers zu unter- suchen. Er stellt die Frage: Ist das Proletariertum des einzelnen in seiner Herkunft (Erbmasse) oder in äußeren Umständen (z. D Unglück) begrün- det? S. 128, Kieret, W.: Das Familienrecht Sowjet-Ruß- lands. Die Ehe ist grundsätzlich aufrechterhalten, zur Trennung der Ehe genügt jedoch der Wunsch des einen der beiden Ehegatten. Wie das Eherecht zur Zerstörung der sittlichen, so führt das Erbrecht zur Zer- störung der materiellen Grundlagen des Familienlebens, da im Erbfalle der größte Teil des Vermögens an den Staat abgegeben werden muß. S. 145, Hock, J.: Verf. berichtet über seine anthropologischen Untersuchun- gen an mehreren hundert Gliedern der Familie Hornschuch. Das Material ist noch nicht ausgewertet. G. Wulz (München).

Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie, 1924, Bd. 87, Heft 4/5. Pussep: Die Geschwülste der Regio sellaeturcicae und ihre operative Behandlung nach der neuen Fron- toorbitalmethode. Erwähnt 2 Brüder, die beide mit 40 Jahren an Kopfschmerz und Erblindung erkrankten, als deren Ursache Adenome der Sellagegend nachgewiesen werden konnten. Bei dem Vater soll nach An- gabe der Kranken der gleiche Leidensverlauf sich gezeigt haben. Es wird auf Erblichkeit des Adenoms mit gleicher Lokalisation geschlossen. Geitlin, Zur Epilepsiefrage. Definiert die Epilepsie als eine orga- nische Gehirnkrankheit, bei der die Gehirnrinde hereditär oder durch eine Schädigung in der Entwicklungszeit minderwertig ist; infolge davon ge- störtes Seelenleben und Neigung zu Krampfanfällen, die stets bei ent- sprechend gelagerten und zahlreichen Rindenschädigungen auftreten. Die Anlage spielt eine wesentliche Rolle insofern, als solche Rindenschädigungen bei größerer Anfälligkeit gegen entzündliche Noxen häufiger auftreten. Bd. 88, Heft 1/3. Pötzl und Wagner, Ueber Veränderungeninden OvarienbeiDementiapraecox. Auf Grund histologischer Unter- suchungen wird angenommen, daß bei der Dementia praecox des Weibes als Ausdruck einer Keimdrüsenschädigung bzw. Minderwertigkeit die Rück- bildung der Corpora lutea eine Verzögerung erfährt. Fischer und Hirsch- berg: DieVerbreitungdereidetischenAnlageimJugend- alter und ihre Beziehungen zu körperlichen Merk- malen. Im Gegensatz zu Jaensch sehen die Verfasser die eidetische An- lage (Vermögen, gesehene Gegenstände nach Augenschluß subjektiv körper- lich wahrzunehmen) als eine sämtlichen Jugendlichen zukommende Eigen- schaft an, bestreiten Beziehungen zu einem tetanoiden bzw. basedowoiden Konstitutionstypus. Higier, Klinikderseltenerenfrühinfantil erworbenen Demenzformen. 2 Söhne vom Vater her mit Psycho- pathie belastet, erkranken an „Dementia infantilis“ (Heller—Weygand), einem vor dem Schulalter einsetzenden, rasch zu völliger Verblödung führenden, mit Sprachstörungen und verschiedenen Erregungszuständen ohne irgendwelche sonstige körperliche Erscheinungen einhergehenden Leiden; ihre 2 Schwestern blieben gesund. Bd. 88, Heft 4/5. Scholz, Zur Kenntnis des Status marmoratus. 2 Ge-

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schwister mit anfangs normaler Entwicklung; im 10. bzw. 11. Mo- nat Infektion bzw. Trauma, beide blieben von da ab in der Ent- wicklung zurück; Stehen, Gehen, Sprechen wurde nicht erlernt, auch traten Schluckstörungen usw. auf. In einem Falle wurde Status marmo- ratus im Striatum (Streifenhügel des Gehirns) autoptisch festgestellt. Die Eltern waren blutsverwandt. Des Vaters Vaterbruder litt anscheinend an einer ähnlichen Krankheit. Das Leiden, als infantile partielle Striatum- sklerose bezeichnet, wird als eine heredodegenerative Systemerkrankung aufgefaßt. Dafür soll das zuweilen beobachtete familiäre Auftreten, das nicht seltene Fehlen jeglicher erkennbaren exogenen Ursachen, die Sym- metrie im Befallensein der beidseitigen zentralen Ganglien sprechen. Auf alle Fälle gibt es eine besondere Disposition zur Erkrankung des Striatums. Schultz: Schizophrene mit pyknischem Körperbau. Be- schreibung zweier Fälle mit wiederholten Anfällen überwiegend schizo- phren gefärbter Geistesstörungen. Bd. 89, Heft 1/3. Reichmann: Zur Soziologie der Neurosen. Beleuchtet die sozial schädliche Be- deutung der Neurose (Schädigung der Allgemeinheit durch Kräfte- entziehung, psychische Infektion, Gefährdung des Fortpflanzungsgeschäfts durch Propaganda der Homosexualität). Henckel: Körperbau- studien an Schizophrenen. Eingehender Bericht über die Er- gebnisse bei hundert sicheren männlichen Schizophrenen, die in Münchner Irrenanstalten mit einwandfreier anthropologischer Methode nach Mar- tin untersucht und gemessen wurden. H. fand starkes Hervortreten des asthenischen und athletischen gegenüber verschwindend geringer Beteili- gung des pyknischen Typus. Reichliche Einmischung dysplastischer Stig- men. Es überwogen die ausgeprägten Typen gegenüber den Mischformen. (Asthenisch 34 %, muskulär 25 %, asthenisch-muskulär 27 %, dysplastisch 11%, pyknische Mischform 2%, unbestimmbar 1%). Der gegen- wärtige Stand der Epilepsieforschung. I. Reichardt: Kli- nisches, Konstitution, Hirn. Die Auflösung des Begrifis der genuinen Epilepsie ist noch nicht spruchreif. Das endokrine System steht offenbar in gewissen Beziehungen zu konvulsiven und epileptiformen Er- scheinungen; „degenerativer Habitus“ bei Epileptikern häufig. Einen ein- heitlichen epileptischen Konstitutionstypus scheint es nicht zu geben. Es bestehen Beziehungen zur Migräne, Linkshändigkeit, Enuresis, Sprach- störungen und ähnlichem. Wahrscheinlich gibt es verschiedene Formen: Unter den endogenen idiotypische Entwicklungsstörungen im Hirn, viel- leicht auch abnorme Anlagen im endokrinen Apparat; bei den exogenen spielen wahrscheinlich ebenfalls besondere (cerebrale, endokrine?) Dispo- sitionen eine gewisse Rolle IV. Rüdin: Genealogisches. Epilep- tiker haben ähnlich wie Dementia präcoxkranke etwa 9% in gleicher Weise kranke Kinder. Es gibt offenbar eine erbliche rezessive Form der Epilepsie (auch Seitenverwandte häufig erkrankt!), daneben vielleicht ver- einzelt Familien mit dominantem Erbgang. Entstehung der Epilepsie durch Trunksucht noch nicht erwiesen. Es scheint eine gewisse Häufung von epileptoiden Psychopathen, Anfallskranken ohne deutlich nachweis- bare genuin epileptische Demenz, gewissen Formen von Schwachsinn, Linkshändigkeit und Sprachfehlern in Epileptikerfamilien zu bestehen. Ueberschneidung mit anderen Erbkreisen möglich! Bd. 89, Heft 4/5. Donner: Die arteriosklerotische Belastung der Paraly- tiker und anderer Geisteskranker. Die Eltern der Paralytiker

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sterben durchschnittlich mehr an Arteriosklerose und Schlaganfällen, und vor allem bedeutend mehr an Gehirnapoplexien, als dies bei dem Durchschnitt der Geisteskranken der Fall ist, dem dagegen die Verhältnisse bei Dementia ‚präcox und zirkulärem Irresein entsprechen. Weit über dem Durchschnitt steht die Mortalität an Arteriosklerose bei den Eltern von Arterio- sklerotikern. Die Neigung zu Arteriosklerose findet sich nur bei den Paralytikervätern erhöht, nicht bei den Müttern. Curschmann: Ueber eine sehr chronische und gutartige Form der Wilson- schen Krankheit. Seit frühester Jugend bestand langsam zu- nehmende Unsicherheit und Verlangsamung besonders in der rechten Hand und den Beinen, Leberschädigung, Catarakt. Der Vater soll an einer ähn- lichen Gehstörung gelitten haben. Bd. 90, Heft 1/2. Higier: Familiäre spastische Paralyse vonzerebralem Typus und Heredo- lues. Bei drei Geschwistern trat etwa im gleichen Alter fortschreitende spastische Paraparese der. Beine, Ungeschicklichkeit der oberen Extremi- täten neben psychischen Störungen auf. Bei allen dreien war die Wasser- mannsche Reaktion im Blute positiv. Spezifische Therapie blieb ohne Er- folg. H. nimmt an, daß kongenitale Lues zusammen mit einer besonderen Konstitution bestimmter Teile des Nervensystems zu der Krankheit geführt habe. Bd. 91, Heft 1/2. Weber: Kastration und Sterilisation geistigMinderwertiger. Polemik gegen die Vorschläge Boeters. W. gibt zwar zu, daß jetzt, wo so viele unfähige, antisoziale Elemente aus finanziellen Gründen nicht dauernd in Anstalten gehalten werden können, so viele Verbrecher amnestiert werden, etwas zur Einschränkung der Massenvermehrung dieser unerwünschten Elemente geschehen müsse, er- achtet jedoch die Indikation zur Sterilisierung nur dann für gegeben, wenn mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ geistig und sozial minderwertige Nachkommenschaft zu erwarten ist, sowie dann, wenn bei wiederholter Schwangerschaft eine Schädigung der Mutter droht (Wochenbettspsychose, „soziale“ Indikation bei kinderreichen, armen Frauen). Er befürchtet, von einer gesetzlichen Regelung der Frage eine „Klassenjustiz fürchterlichster Art’. Wollny.

Zeitschrift für Tierzüchtung und Züchtungsbiologie. Unter Mitwirkung zahlreicher in- und ausländischer Forscher begründet und herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h. c. C. Kronacher, Hannover-Berlin, Verlag P. Parey, Bd. I, Heft 1, Preis 8 Mark, 1924. Diese seit März 1924 erscheinende Zeitschrift füllt eine schon oft empfundene Lücke auf dem Gebiete der Züchtungs- biologie in erfreulicher Weise aus. Der gleiche Verlag gab schon bisher die „Zeitschrift für Pflanzenzüchtung“ heraus, die sich die Nutzbarmachung der auf dem Gebiete der Züchtungsbiologie der Pflanzen erzielten For- schungsergebnisse bei der Zucht der Kulturpflanzen zur Aufgabe macht. Die neue Zeitschrift bringt Originalarbeiten aus den verschiedensten For- schungsgebieten der Tierzüchtung und ihren Grenzgebieten: Rassenkunde und Abstammungslehre, Vererbungs-, Entwicklungs-, Wachstums-, Kon- stitutions- und Akklimatisationslehre, Leistungsfeststellungen, Rassenserum- forschung, osteologische und skelettmechanische Untersuchungen, Tier- ernährung und -Hygiene. Daneben auch wissenschaftlich wertvolle Aus- züge und Sammelberichte, Referate und Bücherbesprechungen. Sie will auch eine enge Verbindung der Wissenschaft mit gebildeten und vorwärts- strebenden Praktikern herstellen und zu ernstem Meinungsaustausch an- regen. Im ersten Bande 3, auch einzeln käufliche Hefte bilden jeweils

Aus der rassenhygienischen Bewegung 237

einen Band ragt besonders eine Arbeit des Herausgebers hervor über nach einer neuen Methodik mit mehreren Mitarbeitern vorgenommene, bedeut- same Untersuchungen betr. das Haar von Rindern, Ziegen und Schweinen sowie die Wolle der Schafe. A. Hink (Freiburg i. Br.)

Zentralblatt fiir die gesamte Neurologie und Psychiatrie 1923, Bd. 31, S. 396. Stier: Familiäre Leseschwäche. Vater und drei Söhne lernten auffallend spät und schlecht lesen, während im übrigen Intelligenz, Schulleistungen, Fortkommen im Leben ohne besondere Auffälligkeiten bzw. gut waren. Drei Geschwister waren gesund. Bd. 32, S. 202. Merz- bacher: Ueber die Pelizaeus-Merzbachersche Krankheit. Spielmeyer: Der anatomische Befund bei einem zweiten FallPelizaeus-Merzbacherscher Krankheit. Bericht über die bekannte Familie und Mitteilung des anatomischen Befundes bei einer Schwester des Merzbacherschen Kranken. Beide anatomischen Befunde stimmen überein. In 4 Generationen wurden 14 Erkrankungen beobachtet, 12 davon bei Männern. Gesund bleibende Frauen vererbten die Krankheit auf ihre Söhne. Bd. 33, S. 170. Schulte: Ueber Katatonie bei Zwillingen. Eineiige männliche Zwillinge. Der erste Schub bei beiden im Alter von 17 Jahren nicht völlig synchron, beide Zustandsbilder ein- ander sehr ähnlich, Dauer bei beiden 8 Wochen. Ende des 22. Jahres ein neuer, fast gleichzeitig einsetzender Schub mit abermals auffallend ähn- lichen Zustandsbildern. 1924, Bd. 35, S. 262. Kehrer: Die Veran- lagung zu seelischen Störungen. Referat über eine Reihe schwebender Fragen. Erbverhältnisse bei den psychischen Anomalien be- sonders kompliziert, jeder einzelne Baustein und jeder komplizierteste Bau- block gesondert vererbbar, Festlegung einiger weniger bestimmter Erb- kreise bislang noch nicht möglich. Kretschmer, Veranlagung zu psychischen Erkrankungen. Hält folgendes für gesichert: Auf- fallende Häufigkeit von dysplastischen Körperbautypen bei der Schizo- phrenie im Gegensatz zur zirkulären Gruppe, starkes Ueberwiegen der Astheniker und Athletiker bei den Schizophrenen, der Pykniker bei den Zirkulären. Wollny.

Aus der rassenhygienischen Bewegung

In der Kieler Gesellschaft für Rassenhygiene wurden in diesem Sommer folgende Vorträge gehalten:

1. Dr. Paulsen behandelte einige Probleme der Rassenhygiene aus der Praxis. Er berichtete besonders von den Nachkommen verschiedener Trinkerfamilien. Die Nachkommen des ersten Vaters waren 6 Kinder, seine Frau hatte außerdem noch 7 Aborte durchgemacht. Die Kinder er- reichten alle nicht das Ziel der Schule, ein Sohn wurde aus der IV. Klasse konfirmiert, der andere aus der Ill. Ein vierter Sohn konnte nur die Hilfsschule besuchen. Die Nachkommen eines anderen Vaters, der Quar- talssäufer war, hatten ähnliche Schicksale. Ein Sohn wurde nie versetzt,

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238 Aus der rassenhygienischen Bewegung

war leicht schwachsinnig, aber in der Revolution bekleidete er eine ein- flußreiche Stelle im Arbeiter- und Soldatenrat. Vortr. ging dann auf die Einheitsschule ein; „sie ist aus Neid geboren“, dann auf die Frauenbe- wegung und ihren Einfluß auf die Kinderzahl der Ehen, auf den Einfluß der Revolution auf das Leben der Gebildeten.

2. behandelte Prof. Tönnies den Selbstmord als soziale Erscheinung in Schleswig-Holstein. Der Selbstmord ist eine Massenerscheinung, die sich regelmäßig wiederholt, er ist verschieden nach Jahreszeit und Geschlecht, im Sommer am höchsten, im Winter am seltensten, häufiger bei Unver- heirateten, am häufigsten bei Geschiedenen. Weibliche Dienstboten ver- üben oft Selbstmord. Bei den Protestanten ist er häufiger als bei Katho- liken. Geisteskrankheit spielt eine große Rolle, besonders bei den Frauen, bei den Männern der Alkoholismus. Neben Berlin und Brandenburg ist der Selbstmord in Schleswig-Holstein sehr häufig. Die Provinz Sachsen steht niedriger als Schleswig-Holstein. Es wurden dann die Selbstmord- ziffern in Schleswig-Holstein mit der Dichtigkeit der Bevölkerung, der Grundständigkeit derselben, der Ziffer der unehelichen Geburten verglichen. Wie im übrigen Deutschland ist auch bei uns ein Anstieg der weiblichen Selbstmordziffer zu beobachten. Die Kriminalität der geborenen Schleswig- Holsteiner ist gering, besonders der Gewalttätigkeit. Aber je weniger ge- walttätig ein Mensch von Natur ist, desto eher ist er geneigt zur Gewalt- tätigkeit gegen sich selbst.

3. sprach Prof. Bünger über das Inzuchtproblem in der Tierzucht. Er behandelte die verschiedenen Grade der Inzucht, ihre Geschichte in den letzten hundert Jahren, besonders der Pferdezucht. Der Kampf in dieser Frage ist noch nicht beendet. Die leistungsfähigsten Tiere ent- standen durch engere Inzucht mit freien Generationen. Die mittlere Ver- wandtschaftspaarung gibt die besten Ergebnisse. Auch der Stammbaum des Rasse-Rindviehes und der Schafe gehen auf einige wenige hervor- ragende Tiere zurück. Das Schwein soll gegen die Inzucht empfindlich sein, doch gibt es auch da Stammbäume mit vorzüglichen Tieren, die auf Inzucht begründet sind. Je ähnlicher sich die Elterntiere sind, desto mehr Gewähr hat man, daß die Nachkommen ihnen wieder ähnlich sind. Die Inzucht muß mit der Zuchtwahl geeigneter Tiere einhergehen. Die Paarung von Vater und Tochter scheint das beste Verfahren zu sein, eine Hochzucht zu erreichen. Bei heterozygoten Tieren ist die Vererbung un- sicher. Bei den Pflanzen ist das Verhalten verschieden, bei manchen ist Selbstbefruchtung die Regel, bei anderen wirkt sie schädlich.

4. behandelte Prof. Prinz die Rassen der Mittelmeerländer im Alter- tum. Er besprach zunächst die Kultur der alten Aegypter, ihre Ver- mischung mit Berbern und Semiten. Sodann das zweite Kulturvolk des Altertums, die Babylonier, ihre Sprache und das Aussehen dieses Volkes nach Bildnissen der Zeit. Weiter ging der Vortragende auf die Völker Kleinasiens, besonders die Hetiter ein, ihre Nase war gekrümmt, ihre Stirn fliehend. Die alten Griechen waren Indo-Germanen, blond und blau-

Aus der rassenhygienischen Bewegung 239

äugig. Zur Zeit des Hellenismus herrschten lange die Ptolemäer, sie hatten starke Ueberaugenwulste, ein starkes Kinn. Die älteste Bevölkerung Italiens waren die Ligurer, sie waren klein und dunkelhaarig, Jäger, keine Land- leute. Sie waren keine Indo-Germanen. Die Etrusker stammten aus Klein- asien, ihre Nase war gekrümmt. Cäsar zeigte starke Anklänge an den etruskischen Typus, im römischen Adel war viel etruskisches Blut. Hanssen.

Aus der rassenhygienischen Bewegung in Oesterreich

Durch entsprechende Kürzung im Lehrstoff der Geologie war es Pro- fessor Dr. Hermann Priesner heuer möglich, den mit Ende des Schul- jahres 1924/25 aus der Bundesrealschule der Stadt Linz scheidenden Septi- manern die wesentlichsten Grundzüge der Rassenhygiene vorzutragen. Es standen ihm 5 Lehrstunden zur Verfügung. 2 Stunden verwendete er für die allgemeine Vererbungslehre, 1 für die Vererbung beim Menschen, 1 für die menschliche Auslese und 1 für die Rassenhygiene selbst. Die Schüler zeigten lebhaftes Interesse. Viele schrieben den Vortrag mit. Priesner hat vor, nun jedes Jahr so vorzugehen, dabei aber jedenfalls zu trachten, durch ausgiebigere Kürzung des Geologie-Unterrichtes mehr Stunden, etwa 8 für die Rassenhygiene zu gewinnen.

Vor einiger Zeit ist Staatsrat Pauly, ein Mitglied unserer Gesellschaft, an uns mit dem Ersuchen herangetreten, für den kommenden Herbst einen Kurs über Vererbungslehre, Rassentheorie und Rassenhygiene für Lehrer der Volks- und Bürgerschulen unserer Stadt vorzubereiten. Der Kurs wird von den Herren Primarius Dr. R. Chiari, Professor Dr. Fr. Ertl, Fr. Gruber, L. Gschwendtner und Regierungsrat Dr. J. Starlinger gehalten werden. Als Einleitung hierfür erscheint demnächst in der Allgemeinen Lehrerzeitung 0.0e., die jede Lehrerin und jeder Lehrer von Amts wegen zu beziehen haben, ein Artikel „Schule und Rassenhygiene“.

L. Gschwendtner.

Eingegangene Druckschriften.

Arehivio Generale di Neurologia Psichia- | Basler, A. Einführung in die Rassen- und tria e Psicoanalisi. Vol. IV—V. 188 S. Gesellschaftsphysiologie. 154 S. Mit 93 Neapel 1923—24. Giannini & Figli. Abb. im Text. Stuttgart 1925. Frankh-

Bais und Verhoef. Het Verschijnsel der sche Verlagshandlung. M. 3.20. Iso-Haemagglutinatie en de anthropolo-

i j Correns, Carl. Gesammelte Abhandlungen gische Beteekenis Daarvan. S. A. aus

= : zur Vererbungswissenschaft aus perio-

Nederl. Tijdschrift voor Geneeskunde. dischen Schriften. 1899—1924. Mit 128 Jg. 68. Heft 2. Nr. 10. 20 S. 1924. Textfiguren, 4 Tafeln und einem Bild-

Banse, E. Sonnensöhne. 190 S. Bremen nis. 1299 S. Berlin 1924. Julius Sprin- 1925. Karl Schünemann. Gzin. 5,50 M. ger. 96 M.

an

Dungern, O. C. Mutterstämme. 36 S. Graz 1924. Leuschner u. Lubensky.

Fischer, Alf. Grundriß der sozialen Hy- giene. 2. vollständig neugestaltete und vermehrte Auflage. Mit 71 Abbildungen und 35 Zeichnungen im Text . 471 S. Karlsruhe i. B. 1925. C. F. Müller. 24 M.

Frets, G. P. The Cephalic Index and its Heredity. 95 S. Haag 1925. Martinus Nijhoff. 5 Gulden.

Heller, J. Die ärztlich wichtigen Rechts- beziehungen des ehelichen Geschlechts- verkehrs. Nr. 7 der Monographien zur Frauenkunde und Konstitutionsfor- schung. 47 S. Leipzig 1924. Curt Ka- bitzsch. M. 2.—.

Kossinna. Die deutsche Vorgeschichte eine hervorragend nationale Wissen- schaft. 4. vermehrte und verbesserte Auflage. VII, 255 S. mit 516 Abb. im Text und auf 62 Tafeln. Leipzig 1925. Curt Kabitzsch. M. 12.—.

Lenz, G. Protestantismus und allgemeine Staatslehre. 47 S. Tübingen 1924. J. C. B. Mohr. 1 M.

Leunbach, J. K. Racehygiejne. 95 S. Ko- penhagen u. Oslo 1925. Martin.

Lindner, E. Die Fliegen der palaearkti- schen Region. Lieferung 1. Stuttg. 1924. E. Schweizerbarth (E. Nägele). 15 Mk.

Eingegangene Druckschriften

NiBle, A. Richtlinien und Vorschläge für einen Neuaufbau der Kräfte und Lei- stungen unseres Volkes, 35 S. Freiburg i. Br. 1922. Emil Groß.

Plate, L. Die Abstammungslehre. 2. Auf- lage des „Leitfadens der Deszendenz- theorie“. Mit 94 Textabbildungen. 172 S. Jena 1925. G. Fischer. M, 6.—.

Rivers, W. C. Von menschlichen Trieben. Aus d. Engl. übers. von H. Müller. 203 S. Leipzig 1925. 2,70 M.

Schroeder, H. Das Problem der Unehe- lichen. Nr. 8 der Monographien zur Frauenkunde und Konstitutionsfor- schung. 76 S. Leipzig 1924. Curt Ka- bitzsch. M. 2.—.

Sehulze, K. E. Ethik der Dekadenz. 305 S. Leipzig 1925. Lehmann u, Schiippel. Geb. 6,50 M.

Sellheim, H. Das Geheimnis vom Ewig- Weiblichen. Zweite umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Mit einem farbigen Bilde und 49 Textabbildungen. 455 S. Stuttgart 1924. Ferdinand Enke. 16.50 M.

Thomsen, A. Der Völker Vergehen und Werden. 83 S. Leipzig 1925. R. Voigt- länder.

Wederwang, J. Om Seksualproporsjonen ved Fodselen. 438 S. Oslo o. J. Steenske Forlag.

Druckfehlerberichtigung.

In Heft 1 des laufenden Bandes muB es auf S. 102 Z. 8 von oben statt 1910—1920

0,9 richtig heiBen 1910—1920 10,9.

Die Zeilen S. 119 Z. 4 von unten bis S. 120 Z. 5 von unten sind beim Umbruch

leider an eine falsche Stelle geraten; sie sind auf S. 122 hinter Zeile 25 einzuschieben. Es muß also heißen: „Was aber die Aenderungen der Erbmasse betrifft, so ist es nicht ein höser Grundsatz der Selektionisten, daß diese Aenderungen der Regel nach ungünstig sind, sondern das ist einfach eine Erfahrun gstatsache“ etc.

Auf S. 127 sind die Zeilen 23 und 24 vertauscht.

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RASSENKUNDE `

In Vereinigung mit Dr. Richard Thurnwald, a o, Professor für Ethnologie an der Uni-

versität Berlin, Dr. Ernst Wahle, ao Prof. für Vorgeschichte an der Universität Heidel-

berg, Dr. Gero von Merhart, Privatdozent für Vorgeschichte an der Universität Innsbruck, und anderen Fachgenossen

Herausgegeben von Dr. Walter Scheidt, Privatdozent für Anthropologie an der Universität Hamburg

Band I: Allgemeine Rassenkunde als Einführung in das Studium der Menschenrassen

Von Dr. WALTER SCHEIDT

Mit einem Anhang: Die Arbeitsweise der Rassenforschung von Prof. Dr. Wahle und Priv.-Doz. Dr. Scheidt

` 687 Seiten mit 144 Textabbildungen, 15 schwarzen und 6 farbigen Tafeln 1925. Preis geh. M. 30.—, in Lwd. geb. M. 33.—

Aus dem Inhalt: Der Begriff der Rasse in der Anthropologie und die Einteilung der Menschenrassen (Geschichtlicher Überblick) Die Erblichkeit beim Menschen Die Mannigfaltıgkeit menschlicher Merkmale und Eigenschaften Die Auslese und Siebung beim Menschen Die Rasse beim Menschen Menschliche Erbeigenschafien und Rassenmerkmale Die Arbeitsweise der Rassenforschung.

Der Verfasser hat bis zum Sommer 194 an der Münchener Universität Vorlesungen über allgemeine Rassenkunde gehalten, seit dieser Zeıt vertritt er auf Grund eines Lehr- auftrags das Fach der Anthropologie an der Hamburger Universität. Als Abteilungs- vorstand des Museums für Völkerkunde ist er mit dem Ausbau von dessen rassen- ` kundlicher Abteilung betraut. Mehrere anthropologische Monographien und familien- biologische Arbeiten haben ihm rasch einen bekannten Namen verschafft.

In seinem neuen Werk, der ersten allgemeinen Rassenkunde, stellt er die Grundlagen der Lehre von den Menschenrassen unter Berücksichtigung der neuesten biologischen Forschungsergebnisse dar. Er zeigt dabei, daß die von Galton und seinen Nachfolgern eingeschlagene und von den heutigen Rassenhygienikeru festgehaltene Richtung, die die Vererbung und Auslese in den Kreis ihrer Beobachtung zieht, auch der Anthropologie fruchtbarere Arbeit ermöglicht. Die überkommenen, vielfach zweideutigen und veralteten Begriffe der Anthropologie werden dabei nicht einfach übernommen, sondern begrifflich und sprachlich geklärt und damit auch die so wünschenswerte Abgrenzung der Rassen- kunde gegeben. Ganz besonders ergiebig für die Klarstellung der Begriffe und überaus anregend in der Darstellung ist dabei die einleitende Ideengeschichte der Rassenkunde, die Gelegenheit bietet, die anthropologischen Fragen im Zusammenhang mit und in ihrer Abhängigkeit von den Zeitströmungen der Aufklärung, des Idealismus, der Romantik, des Materiali: us und der Entwicklungslehre zu betrachten. Auf dieser klaren begrifflichen Grundla: : baut sich der oben skizzierte Inhalt des Werkes uuf. Scheidt beschränkt sich hier nicht auf die sonst übliche gestaitliche Beschreibung und die Messung der körperlichen Merkmale, sondern er bringt gerade das, was die bisherigen Anth: vopologien vermissen ließen, die Vorgänge der Rassenbildung und Rassenumbildung, der Rassen- mischung und die Lebenserscheinungen der Rassenmischlinge. Aber auch die Einzel- ergebnisse sind in einem Abschnitt über die Rassenmerkmale und die erbbedingten Merkmale beim Menschen zusammengefaßt, wie denn überhaupt das Buch nirgends bei der Theorie stehen bleibt, sondern sie überall dem Leben nutzbar zu machen sucht. Das riesige Schrifttum des In- und Auslandes beherrscht Scheidt vollständig, so ist er in der Lage, in einem mehrere Bogen umfassenden Schriftenverzeichnis alle Belege für seine Darlegungen nachzuweisen.

Der Anlıang gibt jedem, der auf dem noch unerforschten Gebiet der Anthropologie forschend mitarbeiten will, das nötige Handwerkszeug, dabei durch Prof. Wahle die Verbindungsbrücken zur Vorgeschichtsforschung aufzeigend.

Das Werk bedeutet die Abkehr von der alten Anthropologie, die ihre Aufgabe durch die äußerliche Merkmalsbeschreibung erfüllt zu haben glaubte, Es stellt die Rassenforschung in den Zusammenhang mit den anderen Wissenschaften von den Lebens- äußerungen der Menschen und Volker, Die lebensgesetzliche_Zusammenhangsforschung der Rassenkunde mit Völkerkunde, Volkskunde, Geschichte und Wirtschaftslehre soll die Grundlage einer neuen Wissenschaft werden.

J. F. LEHMANNS VERLAG, MÜNCHEN SW 4

ARCHIV FÜR

RASSEN. ZE RE SCHAF ISBIOLOGIE

EINSCHLIESSLICH RASSEN- uGESEILSCHAF ISHYGIENE

Zeitschrift

für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft und ihres gegenseitigen Verhältnisses, für die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung und Enfwicklung,sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre.

Wissenschaftliches Organ der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene

| 25 1926 ke Herausgegeben von Dr. med. A. PLOETZ in Verbindung mit Prof. d. Hygiene Dr. M. von GRUBER, Prof. der Rassenhygiene Dr. F. LENZ, Dr. jur. AA NORDENHOLZA, Prof. der Zoologie Dr. L. PLATE, Prof. der Psychiatrie Dr. E. RÜDIN und Professor der Ethnologie Dr. R. THURNWALD.

Sehriltleitung ven: Dr. ALFRED PLOETZ und / Prof. Dr. FRITZ LENZ in Herrsching bei Mänchen.

DF LEHMANNS VERLAG/MUNCHEN

Ausgegeben im Dezember 1925.

J.F. Lehmanns Verlag - München - Paul Heyse-StraBe 26

Archiv fiir Rassen- und Gesellschafts-Biologie

as Archiv wendet sich an alle, die den Fragen der Bevölkerungslehre und der Volks- erneuerung Interesse entgegenbringen, vor allem an diejenigen, in deren Hande die Schicksale unseres Volkes gelegt sind, wie Arzte, Biologen, Lehrer, Politiker, Geistliche. Neben den Untersuchungen der allgemeinen Fragen der Rassenbiologie (Vererbung, Auslese, Anpassung usw.), der Gesellschafts- biologie (soziale Auslese, Aufstieg und Verfall der Völker und Kulturen, biologische Grundlagen sozial bedeutender Einzelerscheinungen [Talent und Genie, Verbrecher- problem]) sowie der Rassenhygiene (Erforschung der günstigsten biologischen Erhaltungs- und Entwicklungsbedingungen der Rasse usw.) hat sich das Archiv das Ziel gesteckt, den durch den Krieg hervorgerufenen Gefahren so- wohl des Bevölkerungsrückganges als auch der Herabminde- rung der Güte des Nachwuchses entgegenzuarbeiten.

Der laufende Band umfaßt ca. 480 Seiten und erscheint in 4 Heften. Preis eines jeden Heftes Goldmark 6.—. Auslandspreis $ 1.50 / Dän. Kron. 6.20 / sh. 6/6 / Holld. fl. 3.80 / Italien. Schweiz. Frk. 8.— / Jap. Yen 3.60 / Norw. Kron. 7.50 / Scheed, Kron. 5.50 / Schweiz. Frk. 8.— / Span. Peset. 10.50 / Originalbeitrage sowie Referate von Büchern, welche von der Schriftleitung geliefert werden, werden zur Zeit mit Gold- mark 80.—, andere Referate mit 120.—, Zeitschriftenschau mit 240.— für den 16 seiti- gen Druckbogen honoriert. Sonderabdrucke werden nur auf besonderen Wunsch geliefert (zum Selbstkostenpreise). Beiträge werden nur nach vorheriger Anfrage an Prof. Dr. Fritz Lenz, Herrsching bei München, erbeten. Besprechungsstücke bilten wir ebenfalls an die Schriftleitung zu senden.

INHALTSVERZEICHNIS:

Abhandlungen. Seite | Iltis, Dr. Hugo, Gregor Johann Mendel Seite

Roch, Dr. med. Gotthold (prakt. Arzt | (Dr. Agnes Blum, GroBlichterfelde) . . 326 in Grumbach b. Dresden), Die Ver- Siemens, H. W., Die Zwillingspatho- erbung der Kee angeborenen | logie, ihre Bedeutung, ihre Methodik,

Hüftverrenkung . . IA na Se ihre bisherigen Ergebnisse (Bluhm) . 331

Frets, G. P., Heredity of the Cephalic Index (Privat-Dozent Dr. W. RN Hamburg) . .

Frets, G. P., De heteckenis | von het geslacht voor de erflijkheid van den

Fetscher, Dr. med. R. " (Priv.-Dozent fiir Hygiene in Dresden), Erbbiolo- gische Studien an Sexualverbrechern 256 Lenz, Prof. Dr. Fritz (Miinchen), Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“

. 334

im Lichte der Rassenbiologie. . . . 289 hoofdindex (Bluhm) . 336 Sullivan, L. R. und Hellmann, M., Kleinere Mitteilungen. The Punin Calvarium (Scheidt) . 338

Paulsen, Dr. Jens (Kiel-Ellerbek), Der Untergang der Wikinger in Grönland 310 Bunak, Prof. V. V. (Moskau), Einige Daten über die Isohämagglutination bei verschiedenen asiatischen Stämmen . . 316 Weinberg, Dr.W. (Stuttgart), Weitere Fälle von Hämophilie in Württemberg 319 Gutmann, Dr. M. J. (München), Zur

Vererbung der Hämorrhoiden. . . . 321 Hansen, Sanitätsrat Dr. (Kiel), Zur Erb- lichkeit der Retinilis pigmentosa . . 322 Notizen. Eine Konferenz nordischer Rassenforscher Dr. W. W. Krauß (Uppsala) . . . . 323

Die sephardischen Juden (Gutmann) . 324 Fünfter Internationaler Kongreß für Ver- erbungswissemschaft . . . . . . . 325

Kritische Besprechungen und Referate.

Plate, Ludwig, Die Abstammungslehre (Dr. H. Duncker, Bremen) . . . . 325

Zavadovsky, M., Das Geschlecht und die Entwicklung seiner Merkmale (Dr. S. Weißenberg, Elisabethgrad) .

Zavadovsky, B., Das Problem des Alterns und der Verjüngung im Lichte der inneren Sekretion (Weißenberg) .

Handwörterbuch der Sexual- wissenschaft. Herausgegeben von Max Marcuse (Fetscher) .

Rohleder, Monographien iiber die Zeu- gung beim Menschen (Fetscher). . .

JeBner, S., Kérperliche und seelische Liebe (Fetscher) e

Vaerting, M., Wahrheit und Irrtum in der Geschlechterpsychologie (Fetscher) 344

v. Hauff, Sexualpsychologisches im Al- ten Testament (Fetscher) i SE

Die russische rassenhygieni- scheLiteratur 1921 bis 1925. Prof.

Dr. J. Philiptschenko, Leningrad . . 346

Aus der rassenhygienischen Bewegung . 349

Eingegangene Drucksebriften. . . . 351

4

. 340

342 . 344

Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung.

Von Gotthold Roch, Dr. med., prakt. Arzt in Grumbach b. Dresden.

Die meisten Hypothesen über die Ursache der angeborenen Hüftver- renkung, die von der hippokratischen Schriftensammlung an bis in die jüngste Zeit veröffentlicht wurden, machen einen einzigen Faktor für ihr Entstehen verantwortlich. Hierbei begegnet man außerdem häufig dem ‘Fehler, daß Ursache und Veranlassung und die Wirkung dieser beiden als ‚identische Begrifie behandelt werden. Ein skizzenhafter Ueberblick über die einschlägige Literatur zeigt dies deutlich. Ä

Der hippokratische Arzt führte die kongenitale Hüftverrenkung auf die Einwirkung eines Traumas der Mutter während der Schwangerschaft zurück. Valette!) und Lorenz?) zeigten, daß ein Trauma den Femur- ' kopf, sei es durch Drehung oder Zug, aus der normal angelegten Pfanne unmöglich luxieren kann; eher soll dabei Epiphysenlösung eintreten. Eine große Anhängerschaft hat jene Ansicht, welche die Luxation auf Wir- kungen von Steißlagen oder Druck der Uteruswand bei Fruchtwasser- mangel zurückführt. Das wiederholte Auftreten durch Generationen und das Vorkommen bei einem Zwilling oder gar bei beiden, wie es Crooks.- h and’), Norbury‘) und S&bileau®) beobachteten, bleiben damit noch unerklärt. Andere sahen die intrauterine Entstehung der Luxation als pa- ralytische (Réclus)*) oder spastische (Guérin)’) bedingt an. Seit Be-

1) A. T. Valette: Malformations; Nouv. diction. de méd. et de chir. pratique 1873, T. 17. |

7) Lorenz: Die sug. angeb. Hüftverrenkung. Stuttgart 1920.

3) u. $) F. Crookshand and E. Norbury: Cases of bilat. congenital hip in troins. Proceeding 1913.

6) Sébileau: Subuxation iliaque droite chez un nouv. né, Journ. de méd. de Bordeaux 1883, pug.- 430.

e) P. Réclus: Les luxations paralitiques du femur. Rev. mens. de med. et chir. 1878, pag. 176.

7) J. Guérin: Difformités du systeme osseux. Recherches sur les luxations 1841.

8) e Ammon: Die angeb. chirurg. Krankheiten des Menschen. Berlin 1842. -

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 3. i 16

242 Gotthold Roch:

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ginn des 18. Jahrhunderts verteidigen v. Ammon’), Verduc’), Schre- ger”), Grawitz“) und Vogel”) eine Hypothese des vitium primae formationis. v. Ammon nahm mit Verduc an, daß die Gelenkpartien sämtlich auf einer früheren fötalen Stufe stehen geblieben seien. Gra- witz (l. c.) nimmt ein Fötalleiden an, das den Embryo auch in den übrigen Gelenken zur Luxation disponiert. Solch eine Kombination von Luxationen stellte P erth es!) auf dem IV. Kongreß der deutschen Ge- sellschaft für orthopädische Chirurgie vor. Es handelte sich hier um drei Geschwister mit angeborener Luxation des Kniegelenks, die alle drei auch eine Hüftluxation zeigten; desgleichen konnte bei diesen auch an Gelenken der oberen Extremität eine ganz auffallende Schlaffheit und Nachgiebig- keit der Gelenkkapseln nachgewiesen werden. Schreger und Vogel (l. c.) nahmen als Ursache mangelhafte Urbildung an.

Diese kurze literarische Uebersicht weist schon darauf hin, daß die Ursache der angeborenen Hüftverrenkung gar nicht weit genug rück- wärts gesucht werden kann, nämlich in der Disposition. Diese wird als wichtiger Bestandteil der Konstitution dem Individuum mitvererbt. Die Konstitution jedoch ist das Endprodukt aus den Faktoren der Erbmassen der Vorfahren beider Eltern.

Damit wird der Forschung nach der Aetiologie der Luzatio coxae congenita ein klarer Weg vorgezeichnet, der dahin zielt, festzustellen, ob das Leiden überhaupt erblich ist; eine weitere Aufgabe ist es sodann, zu untersuchen, welcher Vererbungsmodus vorliegt.

Erblichkeit dieses Leidens haben frühere Forscher meist nie angenom- men; sie beschränken sich darauf, Kasuistiken aufzustellen, wobei sie auf das „familiäre Vorkommen“ der angeborenen Hüftverrenkung hinzuweisen pflegten. Von anderen sind mit anerkennenswertem Fleiße auch sog. „in- ‚teressante“ oder „schöne Fälle“ gesammelt worden, die eine Zusammen- stellung von Familien oder Stammbäumen zeigen, in denen die Anomalie bei auffallend vielen Mitgliedern vorgekommen ist. Der bekannteste Stammbaum dieser Art ist in Spanien von Maissiat entdeckt worden, und wird von Krönlein‘*) erwähnt; die Echtheit konnte allerdings nicht nachgeprüft werden.

9) J. P. Verduc: Pathologie de chirurgie. 2 edition. Paris 1701.

10) B. Schreger: Chirurg. Versuche. Nürnberg 1811—1818, Bd. 2, pag. 241.

11) P, Grawitz: Ueber die Ursachen der angeb. Hiiftverrenkung. Virch. Arch. f. path. Anat. u. Physiol. 1878, Bd. 74. Š

13) K. Vogel: Aetiol. u. Pathol. Anat. der Lux. coxae cong. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 15, 1905, pag. 132 sq.

13) G. Perthes: Zur Pathologie und Therapie der angeb. Lux. des Kniegelenks. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 14.

#4) Krönlein: Lehre von den Luxationen. Stuttgart 1882.

Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung. 243

Stammbaum einer Familie mit Luxatio coxae congenita

v. Maissiat (Spanien). oe e EN

CG as tg Co p Zär eer

š ge OH is Margarete Gardas)

e plus Z2gelunde Hinder

Für Erblichkeit eines Leidens jedoch ist das gehäufte Auftreten in dieser oder jener Familie an sich noch kein Beweis; ebensowenig um- gekehrt das einmalige Vorhandensein einer Anomalie in einer Sippschaft kein Beweis dafür sein kann, daß Vererbung in diesem Falle nicht in Frage komme. Erblichkeit eines Leidens ist anzunehmen, wenn nachweisbar ist, daß es unter den Geschwistern der Kranken mehr Merkmalsträger gibt, als es dem allgemeinen Durchschnitt entspricht.

Um diesen Beweis zu erbringen, wurden die Stammbäume der an an- geborener Hüftverrenkung Leidenden erforscht, welche an der chirurgi- schen Universitätsklinik in Tübingen und an der chirurgischen Universi- tätspoliklinik in Leipzig in den Jahren 1914 bis 1920 (einschl.) in klinisch- orthopädischer Behandlung gewesen sind. Den Herren Prof. Dr. Perthes und Prof. Dr. Heineke sei auch an dieser Stelle für ihre gütige Erlaub- nis und Unterstützung bestens gedankt.

Das Resultat dieser Sammlung der Ausgangsfälle aus den Hauptakten, Krankenblättern und sog. Gipsbüchern ergab eine relative Häufig- keit der Luxatio coxae congenita gegenüber allen anderen chirurgischen

Erkrankungen von 0,28 + (3 x 0,02).

Zahl aller Davon : angebo- we De chirurgischer | rene Hüftver- in %o Mittlere Fehler opacmung Erkrankungen renkungen mm

Tübingen 1910—1920 + 0,034X3

Leipzig 20. 20.X1.1914—1920° 1914—1920 028% |+ 0,0263 Zusammen: ; + 0,020*3

Von den 189 Fällen entfallen 29 = 15 % auf das männliche Geschlecht und 160 = 85% auf das weibliche; letzteres ist demnach 5,5 mal häufiger be- 16*

244 Gotthold Roch:

troffen als das männliche; anders: ausgedrückt: auf zwei behaftete männliche Kinder kommen elfbehaftete Kinder weib-

lichen Geschlechts. Die Häufigkeit des Vorkommens einer einseitigen oder doppelseitigen

Luxation ist in folgender Uebersicht mitgeteilt:

männlich

weiblich

Um einen Vergleichswert für das Befallensein der verschiedenen Sei- ten bei den einzelnen Geschlechtern zu erhalten, muß man das ganze Resultat auf ein Geschlecht beziehen. Da das weibliche Geschlecht etwa 5,5 mal häufiger betroffen wird, so sind die Zahlen der männlichen Fälle mit 5,5 zu multiplizieren. Demzufolge wird das männliche Geschlecht rela- tiv häufiger links (1,2 mal) und doppelseitig (1,1 mal) betroffen, das weib- liche hingegen relativ häufiger rechts (2,2 mal).

br: g ere | 4 i einseitig a eonacn- oppcl- Autor <3 g tungszeit o | ? | eilig EECH E NS E f | | links | rechts _.——— ZT u nm -—_ zm ze ae a ee ee tn en Drachmann | 77 |1865—88| 10 | e | 29 24 | 24 Pravaz jr. 107 1863—78 11 96 51 27 29 Krönlein 85 32 22 ` ‘New-York | on | Zr e Orthopäd. Hospital 20 l S e Boston 7 Childernhospital 24 l 22 14 88 39

205 | 149

in Prozenten: 100°/o | 36,04°%/o | 26,73°/o : eg | e DEEN ew mittlere Fehler: | + (3 > 1,42)°/o Echt ke, =

Um diese Zahlen zu vervollständigen, seien sie zu den Kasuistiken hinzugefügt, die Krönlein (l. c.) und H o f fa") veröffentlicht haben.

135) Hoffa: Orthopädische Chirurgie, 2. Aufl., 1914.

_ Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung. 245

Die bisher angeführten Tatsachen konnten ohne große Mühe aus den Hauptbüchern etc. der Kliniken gesammelt werden.) Die Aufgabe der weiteren Nachforschungen bestand darin, Erfahrungen zu sammeln über die Familien und Sippschaften der Patienten, über weitere somatische Ano- malien, über psychische Degenerationsstigmata (Trunksucht, Geisteskrank- heiten, Psychosen, Epilepsie usw.), über Lebensdauer und Todesursachen. Von den 189 Patienten füllten 115 den vorgelegten Fragebogen richtig aus, so daß diese für die weitere Untersuchung des Erbproblems verwertet wer- den konnten. Diese 115 Stammbäume sind, soweit sie bei Pfarr-, Schult- heißen- und Standesämtern auf ihre Richtigkeit nachgeprüft werden konn- ten, vollständig.

Zahl der Fälle |Summed.Kinder

115 390

Ce ?

13 | 217 n Prozenten; 100°io 44,36°/o | 55,64°/o | 13,29°%0 | 45,62°/o

un m nn [mm

In keiner Familie kamen zwei Probanden vor; die Probanden gehören also 115 Geschwisterreihen an.

Wenn man, um familiäre Häufung nachzuweisen, die Summe der kranken Geschwister einfach zu der Gesamtgeschwisterzahl in Verhältnis setzen würde, so ergäbe das notwendig eine zu hohe Zahl, in unserem Falle: 122:390, weil die meisten Kranken eben wegen ihres Leidens in ärzt- liche oder klinische Beobachtung gekommen sind.?”) Die Geschwister der kranken Ausgangspersonen (= Probanden; cf. Probandenmethode von W. Weinberg) dagegen sind dieser einseitigen Auslese nicht unterworfen. Unter ihnen kommt daher das wahre Verhältnis, krank zu gesund (ab- sesehen vom Fehler der kleinen Zahl) zum Vorschein. Bei der Feststel- lung der Zahlenverhältnisse müssen die Probanden also weggelassen

werden.

38) Vel. G. Roch: Ueber die Rolle der Erblichkeit in der Aetiologie der Luxatio coxae congenita. Dissertation, Tubingen 1920.

17) Ueber die Methoden der Erblichkeitsforschung vgl. Baur, Fischer, Lenz: Menschliche Erblichkeitslehre. 2. Aufl. Miinchen 1923.

8) W. Weinberg: Weitere Beiträge zur Theorie der Vererbung. Arch. f. Rass.- u. Gesellsch.-Biologie 1912. Derselbe: Einige Tatsachen der experimentellen Ver- erbungslehre. Kongreß f. Familienforschung, Vererbungs- u. Regenerationslehre; Gießeh 1913, Halle 1912. Derselbe: Ueber Vererbungsgesetze beim Menschen. Zeitschr, f. indukt. Abstammungs- u. Vererbungslehre 1, 1919. Derselbe: Ueber Methoden d. Vererbungsforschung beim Menschen. Berliner klin. Wochenschr. April 1912.

246 Gotthold Roch:

Da es sich bei der angeborenen Hüftverrenkung um ein Leiden han- delt, das beim weiblichen Geschlecht häufiger in die Erscheinung tritt als beim männlichen, so ist es zweckmäßig, den Erbgang nach Geschlech- tern getrennt zu untersuchen in der Erwartung, daß sich aus den verschie- denen Resultaten eventuell auch Schlüsse ziehen lassen, die eine hin- reichende Erklärung für die erhöhte Häufigkeit des Vorkommens beim weiblichen Geschlecht abgeben. Hierfür wurde das Stammbaummaterial zunächst zusammengestellt nach männlichen und weiblichen Probanden und Nicht-Probanden und deren Geschwistern.

Geschwister insgesamt 390 | 173 | 217

die mit Lux.cox. cgt. behafteten unterihnen

Probanden

Geschwister ohne Probanden

die mit Lux.cox. behafteten nach Abzug der Probanden

Wendet man die Probandenmethode auf die Schwestern der Patienten (Probanden) an, so erhält man:

rI—1 behaftete Schwestern 5 y (. ) ee =5°/, + (3 - 21) y (p—t) Gesamtzahl der Schwestern 91

Diese Zahl ist mit der Annahme eines einfach rezessiven Erbgangs ver- einbar, wenn man annimmt, daß die ererbte Anlage nicht in jedem Falle in die Erscheinung trete, während bei den anderen die Manifestation der Anlage durch Außenbedingungen oder evtl. auch durch andere Erbanlagen verhindert wird.

Für die Brüder der Patienten ergibt sich eine wesentlich kleinere Zahl (1%); der Grund hierfür liegt natürlich darin, daß das männliche Ge- schlecht überhaupt von der angeborenen Hüftverrenkung seltener betroffen wird. Unter den Geschwistern der Ausgangsfälle ist das männliche Ge- schlecht ziemlich genau in demselben Verhältnis seltener betroffen wie im Durchschnitt aller Fälle von angeborener Hüftverrenkung.

Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung. 247

rn engen ee EEE erg ee GE, ating, - M fiji EE

Hierbei ist beachtenswert, daß schon normalerweise beim weib- lichen Becken der Oberschenkelhalsschräger zur Bek- kenwand steht als beim männlichen, so daß der Gelenkkopf aus rein mechanischen Gründen leichter abgleiten kann. Diese andere Winkelstel- lung des Schenkelhalses zum Becken ist natürlich durch die geschlechts- bestimmenden Erbanlagen bedingt; es liegt hier also eine Art Poly- merie vor, d. h. außer der spezifischen Anlage zu Luxatio coxae congenita ‘wirkt noch die Geschlechtsanlage mit. Da nun bei Zunahme der Erbfak- toren die Wahrscheinlichkeit für ihr Zusammentreffen sehr rasch sinkt, so wären schon aus diesem Grunde bei der Hüftverrenkung die klassischen Verhältniszahlen der Mendelschen Vererbungslehre im männlichen Ge- schlecht nicht zu erwarten. Hierauf soll weiter unten noch näher ein- gegangen werden.

Ueber den Wert bzw. den Unwert der verschiedenen Berech- nungsmethoden gehen die Ansichten weit auseinander. So wird die Anwendung der Probandenmethode auf Geschwisterserien mit sog. „sekun- dären“ Probanden methodologisch für nicht korrekt gehalten’), obwohl sie von Weinberg (l. c.) selber dafür benutzt wurde. Denn sekundäre Pro- banden sind eigentlich gar keine Probanden, da sie keine Ausgangsperso- sen der Forschung sind. Daher sind sie auch nicht der einseitigen Aus- lese unterworfen. Auf derartige Geschwisterserien ist vielmehr die spe - ziellere Geschwistermethode anwendbar. Hierbei muß jeder Kranke nur aus der Erfahrung über seine Geschwister weggelassen werden, er wird aber als Geschwister in den Erfahrungen der anderen Kranken mit- gezählt. Ist die Erfassung einer Bevölkerung so vollständig, daß alle Kran- ken als Probanden erfaßt sind, so geht auf diese Weise ganz von selbst die Probandenmethode in die speziellere Geschwistermethode über.

Gemäß der Geschwistermethode setzt man die Zahl der Erfahrun- genüberdiebehaftetenGeschwisterin Verhältnis zu der Zahl derErfahrungen über alle Geschwister. Wertet man das Stammbaum- material nach diesen Gesichtspunkten aus, so ergibt sich bei den sekun- dären Geschwisterschaften das Verhältnis:

r(r—1) __Erfahrungen über krankeSchwestern ` 6 naeh | = r(p—1) Erfahrungen über alle Schwestern 36 16°/, + (3-7,4)

Diese Zahl kommt der bei einfach rezessivem Erbgang zu erwartenden (25%) nāher als die für die primären Geschwisterreihen gefundene von 5%. Wegen ihres großen Fehlers der kleinen Zahl widerspricht sie jener aber nicht. Für die Brüder allein ist diese Berechnungsmethode nicht ohne

19) Baur, Fischer, Lenz: le.

248 Gotthold Roch:

weiteres anwendbar; denn Voraussetzung ihrer Anwendbarkeit ist, daß es unter den sekundären Geschwisterschaften mindestens einige gibt, in denen zwei Brüder zugleich das Leiden aufweisen, was bei vorliegenden Stamm- bäumen nirgends der Fall war.

-Wendet man die speziellere, Gexehwistermethode auch auf die primären Geschwister, und zwar aus dem schon erwähnten Grunde wieder nur auf die Schwes tern an, so ergibt sich das Ver- un | |

: Erfahrungen über kranke Schwestern 12 ` 50 h

m ; Der Erfahrungen über alle SSES 7249 + (3 e 1,3)

Diese Zahl ist insofern von Interesse, als sie fast völlig mit dem Ei gebnis zusammenfällt, das mittels der Probandenmethode für das gleiche Material errechnet wurde, Wenn alle Fälle von angeborener Hüftver- renkung oder ein entsprechend zusammengesetzter Teil. da- von zur Behandlung in die chirurgische Klinik kamen, so würde die spe- zielle Geschwistermethode überhaupt die gegebene Methode sein. Viel- leicht- erklärt sich so das Zusammenfallen des EEN mit dem der Probandenmethode.

‘Mag man der einen oder anderen Methode den Vorzug geben, auf jeden Fall gelingt es doch nur dann, einigermaßen zuverlässige Zahlen zu errech- nen, wenn die Forschung einen möglichst großen Bevölkerungskreis um- faßt, Derart umfangreiche Forschungen durchzuführen, ist nur möglich, wenn öffentliche Institute Unterstützung gewähren, und wenn von privater Seite (Bürgermeister, Pastoren usw.) verständnisvolles Eingehen auf die gestellten Fragen sicher ist. Die errechneten mittleren Fehler [+(3X2,1) und +(3X7,4)] weisen genügend darauf hin, daß die 115 Ausgangsfalle, ein Material, das aus 67000 andern chirurgischen Erkrankungen gewon- nen wurde, noch lange nicht genügen, um damit ausreichend sichere Zah- len zu gewinnen.

~ Allerdings läßt sich die Möglichkeit, daß die Anlage der Luxatio coxae congenita dominant sei, durch das bisherige Resultat der Unter- suchung auch noch nicht sicher ausschließen. Unter den vorliegenden Stammbäumen sind einzelne vorhanden, bei denen eine Uebertragung des Merkmals von einem oder beiden Eltern auf die direkten Nachkommen nachweisbar ist. Bei einfacher Dominanz müßte jedoch in der Regel einer der Eltern kranker Individuen ebenfalls behaftet sein, was nicht der Fall ist. Es wäre aber immerhin möglich, daß es neben der rezessiven Erban- Jage’ noch. seltene dominante gabe.

Die Vererbungstheorie läßt auch eine ombination von rezessiven und dominanten Erbanlagen als möglich erscheinen. Solch ein Krankheitsmerk-

Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung. 249

ee a A - EH

mal (K) würde infolge eines Hemmungsfaktors (H) nicht in die Erschei- nung treten, wenn die Nachkommen eines Merkmalträgers die Erbforme! KkHh besäßen. Die Kranken dagegen hätten die Erbformel Kkhh oder KKhh. Wäre beispielsweise bei einem Teil der Bevölkerung der Hem- mungsfaktor weit verbreitet, so wäre die Unterscheidung von einfach rezes- ‚sivem Erbgang schwierig, weil ja bei den meisten Sippschaften eine Ueber- tragung des Merkmals von einem der Eltern auf einen oder mehrere Nach- kommen nicht die Regel wäre. Eine Entscheidung über diese Möglichkeit zu treffen, ‘ist leider an der Hand unseres Materials nicht se =

Die E ZE Si bereits einen Hinweis auf die Möglichkeit, daß die Anlage der Luzatio corae congenita möglicherweise polymer bedingt sein könnte. Es würden dann zwei oder mehr selb- ständige, voneinander unabhängige Erbfaktoren anzunehmen sein, denen eine verschiedene biologische Bedeutung zukäme. Bei doppelt rezessiver Bedingtheit würden die Kranken die Formel aa bb haben. Die Eltern sol- cher Kranken besäßen die Erbformel Aa Bb, und ihr Aeußeres verriete nichts von der in ihnen schlummernden Erbanlage. Durch Kreuzung zweier solcher Eltern würden Nachkommen entstehen von der Erbformel Aa bb oder aa Bb; auch diese erschienen äußerlich gesund. Nur ein kleiner Teil, im Grenzfall nur ein Sechzehntel der Nachkommen würde krank sein. Der Faktor A wäre in diesem Falle als Hemmungsfaktor für die krankhafte Anlaghe bb und umgekehrt B als Hemmungsfaktor für das Auftreten von aa wirksam. Die Auswertung der Stammbäume ergibt für die in Betracht

kommenden Sippschaften ein Verhältnis von 19 = 11% +(3 SA Das würde heißen, daß bei der Anlage zur Luxatio coxae congenita Dimerie möglicherweise tatsächlich eine Rolle spielen könnte.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die Anlagen zu angebore- ner Hüftverrenkung in den verschiedenen Familien möglicherweise idio- typisch verschieden sein könnten, wie ja auch das klinische Bild der Krankheit in manchen Fällen ein abweichendes ist. Hierfür würde i: gewissem Sinne die von Perthes (l. c.) beschriebene Familie ein Bei- spiel bilden, Ebenso wurden bei den eigenen persönlichen Nachforschun- gen nach den noch lebenden Verwandten der Ausgangspersonen wieder- helt Individuen angetroffen, welche willkürlich die unglaublichsten Luxa- tionen der verschiedensten Gelenke auszuführen vermochten. In. diesen Fällen handelt es sich offenbar nicht um eine spezifische Anlage zur Luxatio coxae congenita, sondern um die Erbanlage zu einer abnormen Schlaffheit oder Ausdehnungsmöglichkeit der bindegewebigen Gelenkkapseln und deren Bandapparate, wobei das Auftreten einer ee von SE ver anlassungen abhängig wäre.

250 Gotthold Roch:

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Die Erblichkeit ist nach diesem Forschungsergebnisse für die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung doch von größerer Bedeutung, als bisher angenommen wurde. Man ist geneigt, aus dieser Tatsache noch weiter- gehende Konsequenzen zu ziehen, da eine verbreitete Meinung dahin geht, angeborene Erkrankungen seien Zeichen degenerativen Verfalls. So er- gaben unsere Nachforschungen auch einige Tatsachen über das gehäufte Vorkommen geistiger und seelischer Defekte in den Sippschaften, in denen die angeborene Hüftverrenkung als somatisches Zeichen einer ge- wissen Degeneration aufgefaßt werden könnte. Der einfachen Ueber- sicht halber seien diese Erfahrungen in folgender Tabelle mitgeteilt.

davon:

Geistes-| Epile kranke Ekee

sämtlicher Geschwister einschl. Probanden

der mit Lux. cox. cgt. unter ihnen:

sämtlicher Eltern und deren Geschwister 603 287

der mit Lux. cox. cgt. unter ihnen: 2

sämtlicher Großeltern und 279 anderen Verwandten

der mit Lux. cox. cgt. unter ihnen:

sämtlicher Untersuchten 1272 ` von diesen haben Lux. cox. cgt.:

Es ist bemerkenswert, daß vor allem in der Eltern- und Großeltern- generation relativ viel Trinker, Geisteskranke und Epileptiker gefunden wurden; die Gegenprobe auf diese Beobachtungen, wie sie F ets ch er”) bei der Vererbung des Klumpfußes durchgeführt hat, indem er umgekehrt nachweisen konnte, daß unter den Sippschaften der Insassen von Irren- anstalten, psychiatrischen Kliniken, Zuchthäusern etc. Klumpfuß und an- dere somatische Anomalien gehäuft vorkommen, würde gewiß für die an- geborene Hüftverrenkung ein ähnliches Ergebnis bringen.

2) R. Fetscher: Ueber die Vererblichkeit des angeborenen Klumpfußes. Disser- tation, Tübingen 1920.

Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung. 251

Daß unter den 115 Stammbäumen zwei Vetternehen I. Grades auf- gefunden wurden, mag Zufall sein; es sei nur der Vollständigkeit wegen hier erwähnt. Nach Lenz”) wäre bei einem rezessiven Leiden ein um so höherer Prozentsatz der Belastung mit Verwandtenehen zu erwarten, je sel- tener das betreffende Leiden an sich vorkommt. Es ist jedoch nicht sicher, ja nicht einmal wahrscheinlich, daß in unserem Material wirklich alle Fälle von Verwandtenehen der Eltern bekannt geworden seien. Eine Entschei- dung auf Grund dieser Methode ist daher nicht zu treffen.

Zusammenfassung.

Ausgehend von 189 Fällen von sog. angeborener Hüftverrenkung, die an der Chirurgischen Universitätsklinik in Tübingen und an der Chirurgi- schen Universitäts-Poliklinik in Leipzig von 1910—1920 in Behandlung waren, konnten 115 Stammbäume aufgestellt werden.

1. Die relative Häufigkeit der Luxatio coxae congenita gegenüber ande-

ren chirurgischen Erkrankungen betrug 0,28% + (3 0, ol Die 115 Aus- gangspersonen haben 275 Geschwister (152 gt 123 ?), von denen 2 Brü- der und 5 Schwestern das gleiche Leiden haben.

2. Das weibliche Geschlecht wird 5,5mal häufiger betrofien als das nännliche, auf zwei männliche kommen elf weibliche Patienten.

3. Bei Anwendung der Probandenmethode W. Weinbergs ergibt sich für das weibliche Geschlecht ein Verhältnis von 5% + (3-2,1).

4. Bei Zugrundelegen der spezielleren Geschwistermethode W. Wein- bergs ergibt sich aus den sekundären Geschwisterreihen das Verhältnis

16% + (3: 7,4); beide Resultate weisen auf Rezessivität des Leidens hin.

5. Detaillierte Betrachtung der Stammbäume führt zu der Vermutung, daß es neben der rezessiven Erbanlage noch seltenere dominante gebe.

6. Bei der Anlage spielt möglicherweise auch Dimerie eine große Rolle.

7. Die angeborene Hüftverrenkung ist als somatisches Zeichen einer gewissen Degeneration aufzufassen. In den Eltern- und Großeltern- generationen kommen Trinker, Geisteskranke und Epileptiker häufiger vor, als dies in der Bevölkerung durchschnittlich der Fall ist.

4) F. Lenz: Die Bedeutung der statistisch ermittelten Belastung mit Blutsver- wandtschaft der Eltern. Münch. med. Wochenschr. 1919, Nr. 47.

252 zZ Gotthold. Roch:

` Stammbäume mit mehr als einem Fall von ie SE

S JO Q Kg 49xd SCH Qr dxo Ea SASSA The 9 ?

Fall 82.) X

1) Säufer. Bu a Geisteskrank @ (Prob)

+) gestorben

& go ` pi ? ? ES Sin (Fall 76.) (Fall 84.)

T d x Go 4) 4 Juberkulole, (hi Betreffenden hnd falt alle in Heil latten geltorden.)

Or Ok ge KORY

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d (Proband) 2 ‘Oe

(Fall 108.) Tx oh y ES Bo Kat Gel OB onc" Et G % Qd oxd' oxd |

3 4

Epilepsie Vagabund

Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung. 253 10 x Qe s dx Q dx Q dog Gisapni E | T dS dd i dap ? ` a (icc dex) 2 $ tent . (Prob) (Pall 55.) l (Pall 12.)

si e a E?

ge d doo d @

3 Q QF Ong @ (Peoband) f + | (Prot) | T D E (Fall 19.) = (Fall 47.)

dap Ox Ste Sx

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good Q Gs oxd 9 99 3 ich d gxd $ ® (Prot)

Fall 15.) Die männlichen und weiblichen Vorfahren erreichten (Fall 42.) . ein hohes Alter und starben an Alterskrankheiten.

(Prob)

9 HA 40x Ox (ehrjung Beide gett.) xd ISK PX | d ) +) + m Spe i e ; d? ? SoggsJIledkd Noo | eg ralverkum = ee 4 mung. cz ek. ot

. AFall 41.) (Fall 23.)

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Gotthold Roch:

6 d D, & ® noch weifere oake- ai An Bu gert. a Ka (verkommen) ? Die (Fall 26.) (Fall 16.) d e Q dx BEN KELTERE. S rot u 7) CeiReskrank in ox $ : Anftaltsbehandlung. Q ? 9 D Q d} tsbehandlung raya’ (Fall 29.) TEE Oxo st 9 Ox 9 LI _ d ei Cede Ta TTE oo p (Leeda) T Geen T 20999 Mecm) Poo) BG oda) —— Coe (Fall 118.) et x on do

Außerdem noch RO Hinder dog e do Sọ ‚fehlgeboren i.5:2 Monat.

gg A, d (Pall 67.)

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(Fall 54.) (Fall 114)

Die Vererbung der sogenannten angeborenen Hüftverrenkung. 255

IT $: Ge d'O | Ca $

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ox ox Q ern ? di | (Prod) Za en ? 1) Säufer aed (Pali 51.) (Pali 111.) (Pall 112.) 2) starb an Epilepsie

geb ëng dun

Yin ts ahr e Ges SSES (Fall 08.) (Fall 33.) e d'Sedädg xe? dën dxo: 1 Ch er 2 oO JO Ixo l Ev 90,0, Q TR 4, d N.ccder)® Q et Q e @ | 1 Geilteshrank. 2) Tuberkulose. (Prot) 4) Geilteskrank (Fall 70.) (Fall 56.) He, HE

$ ed ORO Mie d'O eo dig tg 3 9 (Krööpe) dd 9 arene tie deng

(Fall 96.) 1) Geisteskrank 2) Suicid 3) Saufer

= ' Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern.

Von Privatdozent Dr. med. R. Fetscher.

(Aus dem Hygienischen Institut der Technischen Hochschule Dresden; Direktor: Professor Dr. Philalethes Kuhn.)

Die Autoren, die sich mit der Frage der Sexualverbrecher beschäftig- ten, haben die Fälle fast alle vom forensisch-psychiatrischen Standpunkt aus betrachtet. Sie versuchen zu entscheiden, ob der Täter für seine Hand- lung verantwortlich zu machen sei. Im Rahmen dieser gutachtlichen Be- urteilung des Sexualverbrechers wird in der Regel auch seine familiäre Be- lastung gepüft, und es werden oft auch Geisteskranke in seiner Verwandt- schaft gefunden. Eine systematische erbbiologische Erforschung der Fa- milien ist indes nirgends erfolgt. Wir sind deshalb nicht imstande, etwas Zuverlässiges über die Familien der Sexualverbrecher auszusagen. Dennoch wäre es dringend erwünscht, da sich naturgemäß die Beurteilung des Ver- brechens durch den Richter unter Berücksichtigung der inneren und äuße- ren Gründe, die zu der Straftat geführt haben, vollziehen muß, weil ferner die ärztlichen Gutachter ihr Urteil schärfer zu fassen in der Lage wären, wenn die Frage der Erblichkeit sexueller Anomalien geklärt würde, und weil endlich die Strafentlassenenfürsorge und die vorbeugende Arbeit der Behörden neue Grundlagen fände.

Auch dann, wenn wir die bisherigen Einzelerfahrungen der verschie- densten Beobachter summieren wollten, kann erbbiologisch wenig gewon- nen werden, weil die hekannten Fälle nur solche sind, die psychiatrisch be- urteilt werden mußten, also eine Auslese darstellen. Es ist klar, daß dies zu einem falschen Bild führen muß, da es in der großen Mehrzahl Fälle sind, bei denen von vornherein bestimmte Anhaltspunkte Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der Täter rechtfertigen. Wir werden deshalb unter den Begutachteten eine besondere, erhöhte Häufigkeit Geisteskranker ver- muten dürfen. Daraus folgt, daß nur dann brauchbare Zahlenwerte über die Häufigkeit von geistigen Störungen in den Familien der Sexualver- brecher gewonnen werden können, wenn wir der geschilderten Fehlerquelle aus dem Wege gehen.

Kurella (44) hat in seiner Naturgeschichte des Verbrechens, ebenso Lom- broso (50) in seinen verschiedenen Werken nachdrücklich den Standpunkt vertreten, daß innere Ursachen auf die Bahn des Verbrechens führen. Von ihm stammt das Wort vom „geborenen Verbrecher“, den er körperlich und psychisch genau zu kennzeichnen bemüht war. Seiner Auffassung liegt zweifellos ein Kern der Berechtigung zugrunde, wenngleich auch jetzt, nachdem wir uns wieder ähnlichen Gedankengängen nähern, seine körperlichen Kennzeichen wie angewachsene Ohrlappchen usw. kaum anerkannt

Frbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 257

werden dürften. Es ist indes nicht zu leugnen, daß sie in mancher Hinsicht zum Bild des Status degenerativus Jul. Bauers (3) nahe Beziehungen haben, ebenso auch zu jenen Typen Kretschmers, die er als dysplastisch bezeichnet und der Schizophrenie zuordnet. Gemeinsam ist ihnen, daß es sich um Menschen handelt, die kleine Ab- weichungen von der Norm in körperlicher Hinsicht aufweisen. In neuen Zusammen- hängen gewinnen also Lombrosos Beobachtungen wieder an Bedeutung. Wichel (85, 86) teilt einige Fälle mit, aus denen die Zusammenhänge zwischen Geisteskrank- heit und Sittlichkeitsverbrechen hervorgehen. Ein wegen unsittlicher Handlungen an Kindern unter 14 Jahren Angeklagter war der Sohn eines Trinkers und einer Kupp- lerin. Von seinen beiden Schwestern war eine schwachsinnig, die andere Dirne. Der Angeklagte selbst litt an Epilepsie. In zwei weiteren Fällen litten die Angeklagten an seniler Demenz und hatten bezeichnenderweise in ihrer Verwandtschaft Geisteskranke. Besonders zahlreich sind die Arbeiten über den Fxhibitionismus, über den Seiffer (69) 86 Beobachtungen mitteilt, von denen sich 75 auf Männer, 11 auf Frauen be- ziehen. Nach ihm stellen Epileptiker die Hauptmasse der Exhibitionisten, in 7 Fällen lag Schwachsinn vor. Pfister (61) teilt eine Beobachtung mit, die wegen des Zu- sammentreffens mit körperlichen Erscheinungen, nämlich Bettnässen und Wiederkäuen, erwähnt sei. Leers (46) bestätigt gleichfalls die Häufigkeit von Exhibitionismus bei Epileptikern. In ausführlichen Darlegungen geht Wachholz (81, 82) auf die sexuel- len Delikte ein. Von 102 Notzuchtsfallen berichtet er, daß 78 Mädchen unter 14 Jahren betrafen, von denen 10 körperlich und psychisch krankhaft waren. Von 110 Notziichtern waren 12 Landstreicher und Bettler, 23 Taglöhner, 10 Hirten, 15 Bedienstete, 25 Hand- werker, 6 Händler, 6 Bauern, 3 Gymnasiasten, 6 Intellektuelle. Ledig waren 78, ver- heiratet 23, 2 davon geschieden, 5 verwitwet. Von 5 Blutschändern waren 2 geistes- krank. 13 Täter waren „geistig abnorm“, 10 imbezill, 2 litten an Altersblödsinn, 1 an Paralyse. 4 Täter hatten angeborene bzw. erworbene Mißbildungen der Geschlechts- organe, 2 waren infantil, 9 geschlechtskrank. In 6 Fällen von sexuellem Mord stellte Wachholz (82) einmal Entartung durch Alkoholismus, zweimal Blödsinn fest. Möller (56) vertritt die Auffassung, daß Exhibitionismus, aber auch Notzucht an Kindern häufig im epileptischen Dämmerzustand verübt würde. Hellwig (33) weist auch auf die Zusammenhänge zwischen Sittlichkeitsverbrechen und Aberglauben hin, auf den Glauben, daß Geschlechtskrankheiten durch Sodomie und Verkehr mit Kindern geheilt werden könnten. Die jüngere Vergangenheit machte die Entstehung des beson- deren Forschungszweiges der Sexualwissenschaften, die sich an die Namen Hirsch- feld, Löwenfeld, Rohleder, Moll, Marcuse, Krarft-Ebing, Placzek, und nicht zuletzt an die Psychoanalytiker Freud, Stekel, Adler und ihre Schule knüpft. Es kann nicht meine Aufgabe sein, die zahlreichen Arbeiten dieses Gebietes zu erwähnen und mich mit den widerstrebenden Ansichten der einzelnen Forscher aus- einanderzusetzen. Es möge die Feststellung genügen, daß die Sexualforscher bemüht sind, immer klarer sexuelle Konstitulionstypen zu kennzeichnen und sie in eindeutige Beziehung zu den Forschungen über innere Sekretion zu bringen. Es war ihnen auf diesem Wege auch mancher Erfolg beschieden, so namentlich für die Beurteilung der Homosexualität, für die Weil (83) ganz bestimmte körperliche Proportionen fand. Die psychoanalytische Schule steht zu dieser Auffassung im Gegensatz und will für die Homosexualität sowohl wie für alle übrigen sexuellen Anomalien die Umwelt in Form des „psychischen Traumas“ verantwortlich machen. Sie übersieht dabei aber, daß das gleiche Erlebnis durchaus nicht bei allen Menschen zu den gleichen Störungen führen muß, sondern daß die Folgeerscheinungen von der Erbanlage des Menschen abhängig sind. Wie weit die Psychoanalytiker in der Ueberschätzung der Umwelt gehen, ist dar- aus ersichtlich, daß Stekel (77) die psychoanalytische Behandlung der Verbrecher fordert, Smith (76) wenigstens psychoanalytische Untersuchung. Neue Aussichten für Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 3 17

258 R. Fetscher:

die Erforschung der Asozialen eröffnen die geistreichen Untersuchungen Kretschmers (39, 40, 41) und sein Versuch, die normalen Charaktere vom Krankhaften ausgehend zu verstehen. Wertvoll sind seine Beobachtungen über die Beziehung von Körperbau und Charakter, die von Beringer und Düser (6) sowie Henckel (29) bestätigt werden konnten. Hoffmanns (25) vielleicht in mancher Hinsicht noch vorzeitiger, aber dennoch wertvoller Versuch, „Vererbung und Seclenleben“ umfassender darzustellen, verdient besondere Erwähnung. Es wird später noch nötig werden, genauer auf Kretschmers Ausführungen einzugehen. Endlich seien noch die Untersuchungen über den Selbstmord von Gaupp (21) erwähnt, die gezeigt haben, daß in überwiegen- der, fast ausschließlicher Häufigkeit geistige Störungen zu Selbstmord führen, was für die Beurteilung von Suicidfällen in Stammbäumen sehr zu beachten ist, und endlich für den besonderen Stoff dieser Arbeit Marcuses Ausführungen über den Selbstmord, nach denen Pubertät, Onanie und Menstruation oft unerkannte sexuelle Ursachen sind. Dirksen (12) hat das, was wir über die Vererbung asozialer Anlagen wissen, vor kurzem in einem umfassenden Sammelbericht dargestellt, so daß es sich erübrigt, auf die bekannten großen Verbrecherstammbäume einzugehen. Es sei jedoch prinzipiell zu dieser Form erbbiologischer Forschung etwas bemerkt: wir sind nicht in der Lage, aus Stammbäumen wie dem der Jukes usw. etwas über die Art der Vererbung herauszu- lesen. Es handelt sich vielmehr stets um Fälle besonders großer Familienkreise mit besonders gehäufter Kriminalität, die nur deshalb zur Beobachtung kamen. Es wäre deshalb falsch, etwa über die Fortpflanzung Asozialer aus ihnen Rückschlüsse zu ziehen, ebenso natürlich etwas über die Häufigkeit von Verbrechen, Geisteskrankheit usw. in der Verwandtschaft bzw. Nachkommenschaft von Verbrechern. Wenn uns die großen Verbrecherstammbäume und alle bisherigen Beobachtungen etwas lehren können, so doch dies eine, daß es sich nicht um eine einheitliche erbliche Neigung, sagen wir viel- leicht zu Diebstahl, handelt, sondern um komplexe, psychische Anlagen, die zu asozialem Verhalten führen können. Wir würden deshalb auch richtiger von der Ver- erbung psychischer Anlagen, die zu asozialen Handlungen führen, sprechen als von der Vererbung asozialer Anlagen. In dieser Auffassung werden wir noch durch eine große Zahl von Mitteilungen bestärkt, die wir bei Aschaffenburg (1) unter einheitlichem Gesichtspunkte dargestellt finden. So fand Gruhle bei 34,3 %, Lund bei kriminellen Jugendlichen 35,9 % eines oder beide Eltern trunksüchtig. Noch höhere Zahlen gibt Rizor für Westfalen mit 43.2 %, Mönckemöller für Hannover mit 50,8 % an. Bei den Zwangszöglingen von Flehingen fand Gru hle 21,9 % mit psychischer Abnormi- tät eines oder der beiden Eltern belastet. Aschaffenburg (1) berechnet, daß 1,4 % der Zuchthausinsassen, 0,4 %, der männlichen Gefangenen in Gefängnissen Preußens geisteskrank sind. Näcke berechnet, daß 20—25 % der geisteskranken Frauen der Anstalt Hubertusburg bestraft wurden. Aschaffenburg fand unter 200 Sexualver- brechern, die als gesund in die Strafanstalt kamen, nur 45 psychisch Vollwertige. 44 hätten seiner Auffassung nach in die Heilanstalt gehört. Leppmann fand unter 90 Notziichtern und Kinderschandern nur 30 Normale. Knecht stellt im Zuchthaus Waldheim bei 7% psychische Defekte fest. Ergibt sich aus all diesen Untersuchungen mit aller Klarheit, daß geistige Störungen und Verbrechen in engem Zusammenhange stehen, so muß auch bei erbbiologischen Forschungen dem entsprechend Rechnung ge- tragen werden, d. h. man darf eben nur von einer Vererbung psychischer Anlagen sprechen, die zu asozialen Handlungen führen können. Bei dieser Form der Bezeichnung bleibt auch noch ein gewisser Spielraum für die Umweltwirkung. Es ist sicher, daß sie weitaus häufiger überschätzt wird als unterschätzt, daß unendlich viel vergebliche Mühe darauf verwandt wird, hoffnungslose Fälle durch Erziehung zu bessern, dennoch ist eine fatalistische Auffassung, die an ein erbmäßig bedingtes, unentrinnbares Schicksal glaubt. auch nicht berechtigt. Erbanlage und Umwelt zusammen bewirken erst die „asoziale

EE EE nn se nn en ee EE

Erbbiologische Studien an Scxualverbrechern. 259

Konstitution“. Die Erfahrungen der Nachkriegsjahre, die, abgesehen von politischen Verbrechen, ein gewaltiges Ansteigen der Kriminalität brachten, sprechen eindeutig in diesem Sinne. Die Zahl der Asozialen an sich kann nicht plötzlich so in die Höhe schnellen, da sich die Erbanlagen nicht in so kurzer Zeit völlig zu verschieben vermögen, auch bei schärfster Gegenauslese nicht; es kann deshalb nur das Zerbrechen der staat- lichen und wirtschaftlichen Ordnung für die Zunahme der Verbrechen angeschuldigt werden, das für viele auch die gewohnten pflichtmäßigen Bindungen zerstörte. Inwieweit Erbanlage oder Umwelt im Einzelfalle zum Verbrechen führte, wird sich schwer ent- scheiden lassen. Dem subjektiven Ermessen wird stets ein gewisser Spielraum bleiben. Reiß (66) weist darauf hin, daß man sich vielfach ein falsches Bild von dem Ausmaß der Belastung mache, wenn man nur nach den zur Begutachtung kommenden Fällen urteile, da diese, wie schon eingangs erwähnt, eine Auslese darstellen. Er hat deshalb im Ludwigsburger Zuchthaus 131 Schwerverbrecher untersucht und fand bei 88 von ihnen pathologische Züge. In ihren Familien fand er jedoch nur wenig Geisteskranke. Inwieweit dies an der Besonderheit seiner Faille oder an der Methodik der Nachforschung liegt, entzieht sich meiner Beurteilung. Die Untersuchungen sind vor allem von grund- satzlicher Bedeutung, weil sie erstmalig in klarer Erkenntnis jede Auslese zu vermeiden suchen.

Das Sächsische Justizministerium hat mir Einsicht in die Akten rechts- kräftig beendceter Strafsachen gewährt. Ich danke dem Justizministerium und namentlich auch Herrn Ministerialdirektor Wulffen für ihr Ent- gegenkommen und Anteilnahme an meiner Arbeit. Dank der Unterstützung namentlich durch Herrn Oberstaatsanwalt Selle und Herrn Staatsanwalt Pfützner war mir die Mühe der ersten Aktenarbeit wesentlich erleichtert. Ich suchte alle Fälle von Sexualverbrechen der letzten fünf Jahre aus den Registern und sammelte alle Notizen, die sich auf die Persönlichkeit des Täters und seiner Fainilie bezogen. Wichtige Anhaltspunkte boten in einer Reihe von Fällen psychiatrische Gutachten. Alles in allem waren aber die so gesammelten Daten noch recht spärlich und bedurften sorgfältiger Er- gänzung durch Nachforschung in den Familien selbst. Ich versuchte dabei mich möglichst nur auf amtliche Auskunft zu stützen, die fast überall bereitwilligst erteilt wurde. Die aus den Stammbäumen ersichtlichen Tat- sachen stützen sich fast ausnahmslos auf behördliche Feststellungen. Als Mangel empfand ich es, daß mir das Ministerium des Innern Einsicht in die Polizeiakten des Polizeipräsidiums Dresden verweigerte. Ich war da- durch auf andere Quellen angewiesen, die schwerer zugänglich waren und spärlicher flossen. Viel zu danken habe ich auch dem Verständnis des Sächsischen Wohlfahrtsministeriums, namentlich Herrn Geheimrat Thiele, wie allen Wohlfahrtsämtern und den Fürsorgerinnen, die meist vorzügliche Berichte über die Familien sandten.

Die Technik der Nachforschungen war folgende: Die ersten Notizen ergaben meist Anhaltspunkte über den Aufenthalt der Familie des Sexual- verbrechers. An die Ortsbehörden gingen Nachfragen über bestimmte liinzelpersonen, in der Regel auch über die Familie als solche. Zu den Erhebungen dienten Fragebogen folgender Art: '

ke

260 R. Fetscher:

Erbbiologischer Fragebogen Name des Ausgangsfalls (Mädchenname) Vater des Ausgangsfalls:

Geburtstag und -Ort: geb., Ort: Stand: l Stand: Beruf: Beruf: Krankenkasse: Datum der Eheschließung: Todestag und Ursache: Todestag und Ursache: Adresse: Adresse: Name des Gatten (Mādchenname) Geschwister des Vaters, deren Kinder und Geburtstag: Gatten, Geburtsdaten, Todestag und -Ur- Stand: sache, Datum der Eheschließung Beruf: Krankenkasse: Mutter des Ausgangsfalls: Datum der Eheschließung: geb., Ort: Todestag und Ursache: Stand: Beruf:

Scheidungstag und Ursache:

Adresse: Todestag und Ursache:

Kinder: Geschwister der Mutter, deren Kinder und | Gatten, Geburtsdaten, Todestag und -Ur-

Geschwister des Ausgangsfalles, deren __ sache, Datum der Eheschließung:

Kinder und Gatten, Adressen:

Väterliche Seite: | Großvater: Großmutter: (Mädchenname):

geb., Ort: geb., Ort:

Stand: | Stand:

Beruf: Beruf:

Datum der Eheschließung: Todestag und Ursaache:

Todestag und -Ursache:

Adresse:

Geschwister des Großvaters. Name, Geburts- Geschwister der Großmutter. Name,Geburts- datum, Todestag u. -Ursache, EheschlieB.: datum, Todestag u. -Ursache, Elıeschließ.:

Mütteriiche Seite:

Großvater: Großmutter (Mädchenname):

geb., Ort: geh.. Ort:

Stand: Stand:

Beruf: Beruf:

Datum der Eheschließung:

Todestag und -Ursache: Todestag und -Ursache:

Adresse:

Geschwister des GroBvaters..Name,Geburts- Geschwister der Großmutter. Name,Geburts- datum, Todestag u. -Ursache, Eheschließ.: datum, Todestag u. -Ursache, Eheschließ.

Bei jeder der eingetragenen Personen ist zu vermerken, ob sie an angeborenen MiBbildungen oder an Schwachsinn, Geisteskrankheiten, Nervenkrankheiten, Epilepsie, Trunksueht, Inneren Krankheiten (bes Zuckerkrankheit, Fettsucht usw.) leiden, vorbestraft sind (warum, wann, wie oft?), besondere Charakter- eigenschaften aufweisen. Bei Trunksucht ist zu vermerken: seit wann, weiche Art (z.B. Quartalaiufer usw.) welche Getränke. Ferner ist anzugeben, ob selbstverschuldete Verarmung vorliegt usw. Stets auch dureb- gemachte Krankheiten vermerken, bei Frauen Verlauf der Geburten, erstmaliger Eintritt der Regel, Begins der Rückbildung.

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 261

Stets war eine größere Reihe von Nachfragen nötig. Kleine Anhalts- punkte waren oft der Ausgang wichtiger Feststellungen. Auch behördliche Auskünfte mußten oft mit einer gewissen Vorsicht aufgenommen werden, wie am besten ein Fall beleuchten kann, in dem zunächst die Mutter des Probanden für gesund erklärt wurde, bis sich später herausstellte, daß es sich um die Stiefmutter handelte, während die richtige Mutter wegen Schizophrenie entmündigt worden war. Die ersten Auskünfte über eine Reihe von Familien ergaben keinerlei Anhaltspunkte über Störungen irgend- welcher Art. Erst im Laufe der Zeit kam ein Ergebnis zustande durch äußerst langwierige und wiederholte Anfragen an den verschiedensten Stellen. Es ist zu betonen, daß nur Geduld und Ausdauer gerade bei den Familien Asozialer zum Ziele führen kann, da die einzelnen Glieder oft zerstreut und ohne Verbindung untereinander leben, und weil nicht selten manches verschwiegen wird. Vielfach machte auch die Vernichtung alter Akten jeden Versuch, mehr zu erfahren, vergeblich. Es gelang deshalb in der Regel nicht, über höchstens drei Generationen hinauszukommen, wenig- stens waren sichere Auskünfte über ältere Vorfahren außer Geburts- und Todesursachen nicht zu erlangen. In vielen Fällen war selbst dies nicht möglich. Manchmal stockten die Auskünfte schon bei den Eltern, wenn die Probanden unehelich geboren waren. Mehrtägige Besuche in der Gefan- genenanstalt Bautzen und im Zuchthaus Waldheim brachten mir die be- sonders wertvolle persönliche Berührung mit den Sexualverbrechern, die auch bis auf wenige Ausnahmen willig über sich und über ihre Angehörigen Auskunft gaben. Stets wurden die Angaben der Sexualverbrecher durch weitere Nachfragen auf ihre Richtigkeit geprüft. Im allgemeinen waren sie bemüht, eher weniger als mehr zu sagen, namentlich im Zuchthaus Waldheim, wo sich das Gerücht verbreitet hatte, ich sei gekommen, um Fälle auszusuchen, die kastriert werden sollten. Ich werde später einige der bei diesen Aussprachen gewonnenen Eindrücke ausführlicher zu schil- dern haben. In einer Reihe von Fällen machten meine Helferinnen, zu nächst Frl. Hofimann und nach ihr Frau v. Eickstedt, denen an dieser Stelle für ihre treue Mitarbeit gedankt sei, Familienbesuche, um Einzel- heiten zu erkunden. Weiter bestellte ich einige Sexualverbrecher, die in Dresden wohnen, zu mir. Sie kamen in der Regel und gaben willig Auskunft.

Ueber 235 Familien von Sexualverbrechern bin ich in der Lage soweit Angaben zu machen, daß sie erbbiologisch zu verwerten sind. Ich hatte gewünscht, eine noch größere Zahl vorlegen zu können, doch habe ich mich entschlossen, das bisher Gefundene darzulegen, da es immerhin eine Reihe neuer Erfahrungen enthält und die grundsätzliche Gangbarkeit, ja sogar Notwendigkeit des von mir eingeschlagenen Weges beweist. Es wird nötig sein, das Begonnene weiter fortzusetzen.

262 R. Fetscher:

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Die Einzelbeschreibung der Familien wäre in vieler Hinsicht eine lockende Aufgabe, doch mögen einige Stammbaumzeichnungen mit kurzen Notizen als Beispiele genügen.

Ueber die Probanden, von denen bei der Frage der Mitwirkung der Umwelt an den Verbrechen noch wiederholt die Rede sein wird, seien einige Angaben schon hier gemacht. Das Alter der Ausgangsfälle zeigt nach- stehende Tabelle:

75—80 Jahre alt 2 40-—45 Jahre alt 30 70—75 ,„ » 2 35—40 ,, 24 65—70 , » 8 30—35 ,„ » 26 60—65 „, » l5 25—30 , si 25 55—60 ,, 13 20—25 , » 20 50—55 sat. 25 unter 20 ,, »„» 9 45—50 ,, 30

Als ausgesprochene Altersfälle wird man alle über 60 Jahre alten Probanden bezeichnen, wenn man von den natürlich nicht ganz seltenen Fällen vorzeitigen Alters absicht. Ich verfüge also augenblicklich nur über 27 solche Fälle, was natürlich eine gesonderte Betrachtung ausschließt. Mehr als einmal wegen Sexualverbrechens bestraft sind 77 der Proban- den. 106 sind außerdem noch wegen anderer Straftaten verurteilt wor- den. Die psychische Wertigkeit der Täter zeigt folgende Zusammen- stellung:

Von 235 Probanden waren: Psychopathen 21, Trinker 12, debil 12, 2 endeten durch Selbstmord, 3 waren Epileptiker, 1 erkrankte an Schizo- phrenie, 1 an manisch-depressivem Irresein. Zu bemerken ist, daß nur schwerste Psychopathie und schwerste Trunksucht gezählt ist. Minder- wertig waren von den Probanden insgesamt demnach 52, also rund 25 %. Bemerkenswert ist, daß von den Debilen 8 wegen Inzest bestraft wurden. aber nur 3 von den Psychopathen. Ich habe allgemein den Eindruck, als ob bei Inzest häufig leichte Schwachsinnsgrade mitspielten.

Die erbbiologische Auswertung der Stammbäume stößt auf eine Reihe von Schwierigkeiten. Die Trennung der Eltern in Merkmalsträger, also in Sexualverbrecher, und Nichtmerkmalsträger ist nicht ganz leicht durch- führbar, da man wohl Bestrafte als Probanden nehmen kann, im übrigen aber doch dahin streben wird, nach anderen als den rein äußerlichen Kennzeichen einer Verurteilung zu gruppieren. Es scheint mir deshalb vorerst besser, jede Unterteilung unter Berücksichtigung der Eltern zu vermeiden. Es wäre weiter zu erwägen, ob man die Fälle von Sexualver- brechen, die durch alle Personen begangen sind, aussondern solle. Ich halte mich auch dazu nicht für berechtigt, weil das Gesamtbild dadurch verändert werden könnte. Es scheint mir zudem zweifelhaft, ob in der atherosklerotischen Veränderung des Gehirns allein die Ursache der

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 263

Sexualverbrechen erblickt werden darf, ob nicht vielmehr die Voraus- setzung einer inneren Veranlagung vorhanden sein muß, wenn es zu den Straftaten kommen soll. Es scheint mir durchaus möglich zu sein, daß der Atherosklerose nur eine auslösende, nicht aber eine ursäch- liche Rolle zukommt. Ich werde in dieser Auffassung durch einige Be- obachtungen bestärkt. So sagte mir ein Strafgefangener, er begriffe nicht, wie er in seinem Alter zu der Verfehlung gekommen sei. An Kindern vergingen sich doch bloß junge Burschen. Auf weiteres Befragen gab er zu, im Alter von 16 Jahren mit Schulmädchen „dumme Sachen“ gemacht zu haben. In zwei weiteren Fällen konnte ich dasselbe feststellen. In noch zwei weiteren Fällen waren die Betreffenden wegen unsittlicher Handlungen an Kindern (Mädchen) unter 14 Jahren vorbestraft; ihr Alter hätte jedoch nur bei den letzten, nicht aber bei den vorhergegangenen Ver- fehlungen als Erklärung herangezogen werden können. Solche Erfahrungen sprechen mindestens nicht für die Notwendigkeit, die Altersfälle gesondert zu betrachten. Ich hoffe aber dennoch, später über so viele Familien zu ver- fügen, daß eine Trennung und Gegenüberstellung möglich sein wird, die vorerst auch aus statistischen Gründen mindestens nicht angezeigt wäre. Ich vermute, sie würde ergeben, daß keine Unterschiede zwischen diesen beiden Grupen bestehen. Bei Sexualdelikten des höheren Alters wird man an Spät-Schizophrenien zu denken haben. Eine Unterteilung wäre ferner noch nach der Art der Straftat möglich. Meine Probanden sind zum größten Teil wegen unsittlicher Handlungen an Kindern unter 14 Jahren ($ 176 St G.B.) verurteilt. Eine geringere Zahl von Fällen betrifft Inzest, die den Verfehlungen an Minderjährigen in vieler Hinsicht gleich- zusetzen sind. Eine Gruppe für sich bilden die Notzüchter, die später vielleicht ebenfalls getrennt zu behandeln wären, vorerst aber noch mit- gerechnet seien, da sonst die Zahlensummen erheblich vermindert wür- den. Die Notzüchter getrennt zu behandeln, verbietet vorerst ihre zu geringe Zahl. Endlich muß einer kleinen Gruppe homosexueller Kinderschänder gedacht werden, die nur wenige Fälle ausmachen. Bei den Stammbäumen finden sich überall die entsprechenden Anmerkungen.

Ueber die Geschwister der Probanden gibt umstehende Tabelle Auskunft:

Die Zahlen erscheinen auf den ersten Blick nicht sonderlich hoch. Es ist aber zu bedenken, daß der Ausbruch von Geisteskrankheiten bei einem Teil der Geschwister noch zu erwarten ist, ebenso, daß Selbstmord und Verbrechen wohl noch bei manchen vorkommen werden. Man darf auch nicht übersehen, daß nur dann in amtlichen Auskünften jemand als Trin- ker usw. bezeichnet wird, wenn er wegen dieser Tatsachen die Behörden schon beschäftigt hat. Wenn wir allgemeinere Schlüsse ziehen wollen, werden wir uns deshalb stets vor Augen halten müssen, daß Tabelle 1 aus den erwähnten Gründen Minimalzahlen angibt. Beziehen wir unsere

264 R. Fetscher:

Zahlen nur auf die über 25 Jahre alten Geschwister, so erhöht sich die Zahl der Schizophrenen auf 2%, die der Selbstmörder auf 1,5 %, die der Kriminellen (einschließlich der Sexualverbrecher) auf 6%, so daß die Summe dieser abnormen Vorkomnisse allein schon 9,5 % betriige. Die Gesamtzahl der Minderwertigen unter den Geschwistern der Sexualverbre- cher ist daher mindestens auf 15 % zu veranschlagen. Wahrscheinlich liegt sie sogar noch einigermaßen höher.

Tabelle 1.

in mittlerer IESSE

Zahl der Probanden 235

Zahl der Geschwister der Probanden

Männliche Geschwister | 366

Weibliche Geschwister 361 | Kriminelle Geschwister 26 (20 7,69) | 3,8 Sexualverbrecher unter d. Geschwistern | 9 (8¢7, 1%) | 1,2 Schizophrene Geschwister 10 (207, 89) 1,4 Epileptische Geschwister | 5 (3,22) 0,7

Selbstmord begingen 7 (207, 69) | 0,9

Schwachsinnige Geschwister 5 (5 a”) | 0,7 Schwere Psychopathie und Trunksucht | 13 (707, 62) | 1,9 'Erbliche körperliche Leiden 8380,59) | 1,1

Insgesamt minderwerlig 83 (50 9,339); 11,7

Auf 100 000 Lebende kommen in Sachsen jährlich 30 Selbstmorde; von den Gestorbenen endeten etwa 1,5% durch Selbstmord. Bezieht man die Zahl der Selbstmörder in den Familien der Sexualverbrecher auf die Todesfälle, die 84 Personen betreffen, so gelangt man zu der Feststellung, daß von ihnen etwas über 9% (7) durch Selbstmord zugrunde gingen. Trotz der noch kleinen Zahlen wird man von einer gewaltig erhöhten Selbstmordhäufigkeit sprechen dürfen.

Nach einer brieflichen Angabe, die ich Lenz verdanke, rechnet dieser, daß ca. 1,5 % aller Menschen in Geisteskrankheit verfallen. Wir hätten also unter den 727 Geschwistern der Sexualverbrecher etwa 11 Geisteskranke zu erwarten; tatsächlich finden wir 10, eine Zahl, die, wie oben schon angeführt wurde, sich im Laufe der Jahre noch erhöhen muß. Hervor- gehoben sei noch, daß die Geisteskranken durchwegs an Schizophrenie

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 265

leiden, während sich die Angabe von Lenz auf alle Geisteskrankheiten bezieht. Die Schizophrenie dürfte deshalb in den untersuchten Familien überdurchschnittlich häufig sein. In einem Falle war zunächst von der einen Anstalt die Diagnose Melancholie gestellt worden. Bei einer spfteren Aufnahme in einer anderen Anstalt lautete sie aber auf Dementia praecox. Rüdin (68) findet unter den Geschwistern seiner Schizophrenen bei ge- sunden Eltern nach entsprechender Alterskorektur 4,25% Merkmalsträ- ger. Bei den Geschwistern der Sexualverbrecher lautet, wie oben ab- geleitet wurde, der korrigierte Hundertsatz 2 %, eine Zahl, die um so über- raschender ist, als unter den Ursachen geschlechtlicher Vergehen meist die Epilepsie an erster Stelle genannt zu werden pflegt (vgl. Literaturübersicht Seite 279).

Auf 100000 Einwohner des Deutschen Reiches kommen etwa 6 Epi- leptiker. Unter den Geschwistern meiner Probanden leiden 5 an Epilepsie. Auch unter der Annahme, daß die Zahl 6 zu nieder ist, da vielleicht die Mehrzahl der Epileptiker zahlenmäßig nicht erfaßt werden dürfte, kann als sicher gelten, daß die Häufigkeit der Epilepsie in den Familien der Sexual- verbrecher erhöht ist.

Unter den Geschwistern meiner Probanden finden sich 35 Personen, die bestraft sind. Unzuchtsverbrechen kommen nach Aschaffenburg in 10 Jahren 13 auf 100000 Einwohner, im Laufe eines Lebensalters so- mit schätzungsweise 39, demnach wären unter den Geschwistern der Sexualverbrecher 0,3 zu erwarten, während 9 gefunden wurden. Wir kön- nen aus diesen Tatsachen schließen, daß bei ihnen allgemeine erhöhte Neigung zu Straftaten besteht, bei ausgesprochener Hinneigung zu sexuellen Delikten.

Die Zahl der Schwachsinnigen erscheint gering. Unter den Kindern der Sexualverbrecher ist sie ungleich höher. Die Ursache dieser Unstim- migkeit dürfte darin zu sehen sein, daß die Kinder zum größten Teil noch im schulpflichtigen Alter sind, und daß dank der Einrichtung der Hilfs- schulen jetzt auch leichte Schwachsinnsgrade zur Kenntnis kommen. Bei den Erwachsenen pflegt aber von Schwachsinn nur gesprochen zu wer- den, wenn er die Erwerbsfähigkeit sehr erheblich herabgemindert hat. Ich . möchte deshalb diesen Zahlen keine besondere Beweiskraft zuerkennen.

Tabelle 2 gibt Auskunft über die Eltern der Sexualverbrecher, Ta- belle 3 über die Geschwister der Eltern.

Zu den auf die Eltern und deren Geschwister bezüglichen Zahlen ist zu bemerken, daß vielfach außer den Namen nicht viel zu erfahren war. Dies gilt namentlich für die Straftaten von Eltern und Geschwistern, von denen wahrscheinlich die größere Mehrzahl nicht ermittelt werden konnte, da alle Gerichtsakten, die längere Zeit zurückliegen, ja vernichtet sind. Die Zahl

266 R. Fetscher:

von insgesamt 3,4 % Kriminellen ist deshalb sicher wesentlich geringer, als den wirklichen Verhältnissen entspricht. Wenn dennoch die Zahl der Sexualverbrechen statt etwa 0,6 10 beträgt, so zeigt dies das erhebliche Mat der familiären asozialen Veranlagung. Ebenso ist auch hier bemerkenswert, daß statt höchstens 6 Geisteskranken, die zu erwarten wären, 19 zu finden sind. Eine sehr erhebliche Rolle spielt bei den Eltern Trunksucht und Psy- chopathie. Die Zahlen bleiben allerdings hinter der Schätzung von Lenz, der annimmt, daß 10 % der gesamten Bevölkerung psychopathisch sind, be- deutend zurück, doch sind eben nur solche Personen als trunksüchtig und

Tabelle 2. Tabelle 3. | Zahl i. Yu o am|% Zahl | Do Zahl der Eltern WI Geschwister der I der Eltern m fes j ` 645 | (Mutter und Vater) i 470 “Kriminell De: on “Kriminèl wären | (ohne Sexualverbrecher) | 16 | 2.9 (ohne Sexualverbrecher) | 12 Serunlverhrecher I 3 | 05 ARES ree RT | Sexualverbrecher | Schizophrenie | 11 | 1,7 Schizophrenie RE 36 Epilepsie En ER 3 | 0,5 ee ee HEH | eee Geen? Selbstmord 9 SES 1.1 Schwachsinn : ne 3 es ie eae N : Psychopathie und | Selbstmord Trunksucht , 25 3,9 ~ Psychopathie und ` Schwachsinn | 4 0,6 any | | Körperl. Erbleiden es 2 > Summe 69 10,8

psychopathisch bezeichnet, bei denen ihre Artung schon den Bestand im bürgerlichen Leben gefährdet. Es handelt sich ausnahmslos um schwere Fälle, die die Behörden beschäftigt haben. Berücksichtigt man diesen Um- stand, so wird man die Zahl 5,6 % wohl als überdurchschnittlich hoch be- zeichnen müssen. Bezieht man die Zahl der Selbstmorde auf die Gestor- benen (214 Väter und Mütter, 112 Geschwister der Eltern), so zeigt sich, daß von 326 Gestorbenen 11 durch Selbstmord geendet haben, also rund 3%, eine Zahl, welche den Durchschnitt mindestens um das 2fache über- trifft. Als wichtige Tatsache möchte ich noch hervorheben, daß die Ge- samtzahl der Minderwertigen unter den Eltern der Sexualverbrecher rund doppelt so hoch als unter den Geschwistern der Eltern ist. Dieser Befund kann nicht als Zufall angesprochen werden, sondern scheint mir vor allem zu besagen, daß sehr häufig ungünstige Anlagen von beiden Eltern her zusammentreffen, vielleicht sogar zusammentreffen müssen,

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 267

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um das Bild zu erhalten, das die Probanden und ihre Geschwister bieten. Man wird damit auch geneigt sein, zu vermuten, daß rezessive Anlagen eine Rolle spielen. Das häufige Vorkommen der Schizophrenie spräche ja auch in diesem Sinne, ebenso die allerdings seltenere Belastung mit Epilep- sie, die ja wahrscheinlich gleichfalls rezessiv vererbt wird. Da die Zahl der Sexualverbrecher in der elterlichen Generation und auch unter den Ge- schwistern der Sexualverbrecher wesentlich über das durchschnittliche Mal} erhöht ist, wird man an erbliche Störungen des Geschlechtsempfindens zu denken haben. Eine Reihe von Stammbäumen sprechen ja auch unmittelbar dafür. Auffallend mag erscheinen, daß in keinem Falle Blutsverwandt- schaft der Eltern nachgewiesen werden konnte. Ich möchte jedoch daraui für die Beurteilung, ob es sich mehr um rezessive Anlagen handelt, nur geringen Wert legen, weil es nur schwer gelingt, so weit die Stammbäume zu verfolgen, daß sich eine Verwandtschaft der Eltern nachweisen ließe. Es ist dies in der Besonderheit der asozialen Familien begründet, die oft von der übrigen Verwandtschaft gänzlich abgetrennt leben, namentlich, wenn es sich um sonst geordnete Kreise handelt. In drei Fällen entstammen die Sexualverbrecher sehr angesehenen Familien, aus denen eine Reihe be- kannter Persönlichkeiten hervorging.

Ueber die Großeltern und deren Geschwister gibt Tabelle 4 Auskunft. Naturgemäß war bei den Großeltern die Erfassung schon mit schr großen Schwierigkeiten verknüpft, wie sich dies ja auch schon in der geringen Zahl der Personen, die bekannt wurden, ausdrückt. Auf besondere Deu- tungen möchte ich deshalb verzichten, sondern nur darauf hinweisen, wie sich die gleichen Lebensgeschicke auch in dieser dritten der bisher ge- schilderten Generationen finden.

Tabelle 4. Tabelle 5. (Von 121 Probanden.) | zahl | "e Zahl | % Großeltern und deren | Zahl der Kinder | 382 | _ Geschwister 1 | Kriminell TI 9 2,4 Kriminell (ohne Sexual- Schizophrenie E ~ 9 0,4 verbrecher) 4 2,3 | i Epilepsie i 8 0,6 Sexualverbrecher i 0,6 e ee ee erg ae Schwachsinn | 18 4,8 Schizophrenie i 8 4,5 E ; RE E er Selbstmord | 1 0,2 Epilepsie ; L j 06 Pe > re aie Psychopathie 12 3,2 Psychopathie | 22 = 12,2 bata E d

-— Körperliches Erbleiden

SE = 4 Insgesamt minderwertig | 47 Insgesamt minderwertig | 44 24.7

Ein in vieler Hinsicht wesentlich besser ausdeutbares Bild ergeben die Kinder der Sexualverbrecher, die in Tabelle 5 dargestellt sind. Es liegt in

268 R. Fetscher:

der Natur der Sache, daß diese jüngste Generation nicht zu schwer zu erfassen war und auch in ihrer psychischen Wertigkeit besser bekannt sein muß als die übrigen, schon allein deshalb, weil die Straftaten des Vaters fast stets der Fürsorge Anlaß zum Eingreifen geben. Das jugendliche Alter der Kinder, von denen die meisten noch im schulpflichtigen Alter stehen, ist dafür wieder für die Deutung ein Hemmnis, da Geisteskrankheiten, Selbstmord und Kriminalität erst jenseits der Pubertät häufiger zur Ent- wicklung kommen.

Berücksichtigt man das jugendliche Alter der Kinder, so kann man etwa schätzen, daß höchstens 4%—% der Geisteskrankheiten schon zum Aus- bruch gekommen ist. Man müßte also daher rund 1% % statt 0,4% er- warten. Nach Grotjah n -K a u p (24) sind von den Schulneulingen etwa 2% mehr oder minder schwachsinnig. Unter den Kindern der Sexualver- brecher finden wir mehr als das Doppelte dieser Zahl, nämlich 4,8 %. Be- sonders hoch erscheint die Kriminalität der Kinder. Etwas Abschließendes wird nach den bisherigen Angaben nicht zu behaupten sein, immerhin läßt sich sagen, daß psychische Störungen und asoziales Verhalten unter den Kindern der Sexualverbrecher wesentlich erhöht sind.

Auf einen verheirateten Probanden kommen etwa 3,2 Kinder. Die Zahl erscheint ziemlich hoch, wenn man berücksichtigt, daß die Mehrzahl der Probanden noch im fortpflanzungsfähigen Alter steht. Man wird deshalb vermuten, daß Sexualverbrecher überdurchschnittlich zahlreiche Nachkom- menschaft besitzen. Eine Reihe von ihnen bleibt allerdings auch unver- heiratet, nämlich vor allem jene, deren sexuelle Neigung nur auf Kinder oder ausschließlich auf ein sonstiges abnormes Sexualobjekt gerichtet ist. Man gewinnt den Eindruck, daß diese Fälle aber verhältnismäßig selten sind, so daß man kaum erwarten darf, daß sich die Sexualverbrecher in nennenswertem Maße selbst von der Fortpflanzung ausschalten. Außerdem wird die in Laienkreisen, aber auch von manchen Aerzten gehegte Erwar- tung, daß durch die Ehe sexuell abnorme Menschen „geheilt“ würden, nicht selten zum Anlaß einer Heirat. Es braucht nicht erst betont zu werden, daß nicht Heilung, sondern nur schwerste Enttäuschung die Folge zu sein pflegt. Ich verweise noch auf die eine der unten mitgeteilten Lebens- geschichten, die auch den bezeichnenden Verlauf der Ehe eines sexuell Abnormen darstellt.

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Die Schilderung der Familien läßt erkennen, daß in allen Generationen eine überdurchschnittliche Zahl von psychischen Störungen verschiedener Art zu finden ist. Man wird nicht darüber hinweggehen können, sondern zu dem Eindruck gelangen, daß hier ursächliche Beziehungen bestehen. Es kann keine Rede davon sein, nun etwa alle Sexualverbrecher entschuldigen

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 269

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zu wollen und generell zu behaupten, sie hätten nur unter dem Zwange einer krankhaften Erbanlage gehandelt, doch wird man wohl sagen dürfen, daß eine erbliche Minderwertigkeit bei ihnen im Spiele ist. Der körperliche Eindruck der Sexualverbrecher bestärkt mich in dieser Auffassung. Nach meinen Erfahrungen gehören diejenigen, die gegen $ 176 St.G.B. verstoßen, großenteils zu jenen Typen, die Kretschmer als Dysplastiker be- zeichnet, auch Infantile und Astheniker findet man nicht selten unter ihnen. Ein Wachtmeister des Zuchthauses Waldheim äußerte zu mir, er erkenne die Sittlichkeitsverbrecher stets schon an ihrem Körperbau. Wenn recht unscheinbare, schwächliche und unangenehme Menschen herein- kämen, dann seien es sicher Sittlichkeitsverbrecher. Diese Bemerkung als das Ergebnis jahrelanger Erfahrung führe ich an, da sie mir als recht bezeichnend erscheint. Unter den Notzüchtern fand ich häufig Menschen, die mit Kretschmer als Athletiker zu bezeichnen wären. Der pyk- nische Habitus ist dagegen selten unter den Sexualverbrechern. Ich hoffe, später noch genauere Angaben über den Körperbau der Verbrecher machen zu können und beschränke mich vorerst auf diese wenigen Angaben. Es fällt also auf, daß alle jene Typen, die Kretschmer mit der Schizo- phrenie in Beziehung setzt, unter den Sexualverbrechern häufig sind, andererseits ist auch die Häufigkeit der Schizophrenie in den Familien der Sexualverbrecher erhöht. Die Vermutung, daß schizoide Veranlagung manchmal auch mit sexuellen Anomalien auf psychischem wie funk- tionellem Gebiet verknüpft sei, gewinnt damit hohe Wahrscheinlichkeit. Da Sinnestäuschungen und Wahnbildungen sexuellen Inhalts der Schizo- phrenie durchaus eigen sind, wäre dies auch recht verständlich. Bei dieser Sachlage erscheint es aber wünschenswert, alle Sexualverbrecher a trisch begutachten zu lassen.

Daß der Umwelt nur eine geringe Rolle zufallen kann, ergibt sich schon aus dem bisher Gesagten. Ich kann mich auch nur in einem ein- zigen Fall entschließen, der Umwelt die vielleicht entscheidende Bedeutung zuzumessen.

In diesem teilte der Täter mit seiner Tochter, die sich in den Entwicklungsjahren befand, das Bett, da die Mutter lungenkrank war und auf ärztliche Anordnung allein schlafen mußte. Drei weitere Kinder schliefen zusammen in einem Kinderbett. Daß zwischen Wachen und Schlafen dabei der zur Enthaltsamkeit gezwungene Mann ın geschlechtliche Erregung geriet, wird nicht sonderlich in Verwunderung setzen. In der Mehrzahl der Fälle wird aber die Gelegenheit zu sexueller Berührung zielbewußt ge- sucht; alle möglichen Vorwände müssen dazu dienen, das Verbrechen ungestört zu ermöglichen, wenn auch nachträglich stets versucht wird, die soziale Lage in irgend- einer Form als Grund anzuführen. Dies gilt auch für den Alkoholismus. Die Mehr- zahl der Täter entschuldigt sich damit, in angetrunkenem Zustand gehandelt zu haben. In einer großen Zahl von Fällen stimmt dies auch, doch wäre es sicher ein Trugschluß, deshalb dem Alkohol alle Schuld zuschieben zu wollen. Alkoholismus und Minder- wertigkeit begründen einander gegenseitig. Primär dürfte fast immer eine angeborene

270 R. Fetscher:

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ererbte Minderwertigkeit sein, die zur Trunksucht führt, während diese wieder die angeborene Minderwertigkeit dadurch steigert, daß die letzten Hemmungen fallen. Die Duldsamkeit der Ehefrauen geht oft außerordentlich weit. So sagte die eine zur Ent- schuldigung ihres Mannes, er habe bei seiner Tochter nur Filzläuse entfernen wollen. Ich habe oft den Eindruck gehabt, als ob bei den Frauen eine masochistische Neigung eine Rolle spiele. Sehr deutlich trat sie in einem Falle hervor, in dem der Mann seine Frau erst in rohester Weise verprügelte, dann sich mit einer seiner Töchter in der Küche einschloß und ohne Rücksicht auf seine Frau, die die Vorgänge mit anhören mußte, das Kind mißbrauchte. Die Frau brachte es sogar noch fertig, dem Mann auf seine Bitten zu vergeben und ihn bei sich zu behalten, bis sich solche Szenen so weit häuften, daß ihre Duldsamkeit ein Ende fand.

Unter den Kinderschändern befindet sich eine ganze Reihe von Per- sonen, die so weit körperlich oder geistig minderwertig sind, daß ein nor- males Sexualobjekt für sie nur schwer erreichbar sein mußte. Dies gilt besonders von zwei Invaliden, die an den Fahrstuhl gefesselt sind, sowie für eine Reihe alter Leute. Bei diesen fällt allerdings der Zwiespalt zwi- schen Libido und Leistungsfähigkeit stark in die Augen, der wohl als Zeichen einer gewissen Abnormität anzusprechen ist. Vielfach hört man die Auffassung, die Tatsache, daß sich unter den Lehrern nicht selten Personen finden, die sich an Kindern vergehen, spreche dafür, daß die Gelegenheit zu den unsittlichen Handlungen verführe. Ich kann mich dieser Auffassung nicht vorbehaltlos anschließen. Es muß natürlich zugegeben werden, daß die Gelegenheit einen Anreiz bietet, doch glaube ich, daß wir es hier mit einem Beispiel der Berufsauslese in erster Linie zu tun haben. Die Neigung zu Kindern bildet eine Voraussetzung des Berufes, der aus dieser Vorliebe heraus wohl meist ohne bewuBte sexuelle Be- tonung gewählt wird. Dennoch schwingt manchmal eine sexuelle Kompo- nente mit. Wenn man von Sublimierung des Geschlechtstriebes reden darf, dann wohl bei jenen Lehrern, die eine pädophile Anlage in die Arbeit des Erziehers umsetzen. Von dem Grad der Neigung und der übrigen sexuellen und allgemeinen psvchischen Konstitution wird es abhängen, ob er die Gelegenheiten, mit Kindern zusammen zu sein, mißbraucht oder nicht.

Ein Lehrer, schwerer Psychopath, suchte seine Straftaten mir gegenüber dadurch zu begründen, daß er sagte, er habe die Gewohnheit, die Kinder festzuhalten, um bei Befragung ihre Aufmerksamkeit zu konzentrieren. Dabei sei es, ihm fast unbewußt, auch zu sexuellen Berührungen gekommen. Ich hatte durchaus den Eindruck, daß der Betreffende tatsächlich glaubte, daß die durch das Festhalten erzwungene körperliche Ruhe die Ablenkbarkeit des Kindes herabsetze. Er hat sich also ein Erziehungsprinzip zurechigelegt, das die Berührung der Kinder irgendwie begründet; es dürfte wohl teil- weise unbewußt geschehen sein. In kurzen Zügen sei die Lebensgeschichte eines anderen Lehrers mitgeteilt, die psychologisch sehr interessant ist. Er sei immer ein sehr furcht- sames Kind gewesen, das vom Vater überstreng behandelt, von der Mutter aber ver- zärtelt worden sei. Er könne sich kaum erinnern, seinen Vater lachen gesehen zu haben. Sein erstes sexuelles Erlebnis hatte er im Alter von 12 Jahren mit einer um zwei Jahre jüngeren Base. Es kam zu geschlechtlichen Berührungen, bei denen der Proband keine

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 271 `

Erektion hatte, aber seelisch außerordentlich erregt gewesen sei. Im Pubertätsalter kam er zur Onanie, die er auch als mutuelle Onanie, besonders mit einem Freunde betrieb. mit dem er sich jedoch später entzweite. Im Alter von 18 Jahren hatte er den ersten regelrechten Geschlechtsverkehr. Er beschreibt das Mädchen mit fast denselben Worten wie die obenerwähnte Base. Darauf aufmerksam gemacht, gab er zu, daß auch die Aehnlichkeit sehr groß gewesen sei. Jm Alter von 23 Jahren heiratete er ein anderes Abbild seiner Cousine. Am Geschlechtsverkehr habe er nie besondere Freude gehabt. Wechselseitige Berührungen in der Ehe seien ihm auch stets am liebsten gewesen. Er habe deshalb längere Enthaltsamkeit, die durch Erkrankung seiner Frau verursacht war, nicht als Entbehrung empfunden. Um sein Einkommen zu erhöhen, habe er Privat- stunden gegeben. Bei diesen sei es mit einem Mädchen, das 10 Jahre alt gewesen sci, zu Betastungen gekommen. Auch dieses Mädchen ist seiner Cousine auffallend ähnlich. Im weiteren Verlauf kam es auch noch mit anderen Kindern zu den gleichen Berüh- rungen; er fühlte sich dabei durchwegs nur von Kindern des einen Typus angezogen. Er gibt weiter an, daß er nie Erektionen oder Ejakulationen bei seinen Manipulationen gehabt habe, doch sei er seelisch aufs äußerste erregt gewesen. Schon die Anwesenheit eines Kindes des bestimmten Aussehens hätte alle seine Vorsatze, sich nun zu heherr- schen, umgeworfen. Er gab ferner an, auf der Straße manchmal stundenlang hinter Frauen und Madchen seines Typus herzugehen und mit ihnen in der Phantasie sexuell zu spielen. Bis zur Vorstellung eines Coitus ginge er dabei nie, sondern slets nur bis zur wechselseitigen Berührung. Nach Entdeckung sei er zunächst äußerst niedergeschla- gen gewesen und habe Selbstmord begehen wollen. Er sei auch eine Nacht lang be- tend im Walde gelegen und habe auf ein Zeichen gewartet, das ihm den rechten Weg zeigen sollte. Seiner Frau, die ihm alles verziehen hätte, danke er es, daß er noch lebe. Es fiel auf, daß der Proband sich äußerst sorgfältig gekleidet hatte und eine ausgesprochene Eitelkeit unverhüllt zur Schau trug, wie er auf seine musikalischen Leistungen zu sprechen kam. Der Gegensatz zwischen seiner ganzen Lage und seinem Aeuferen, der starke Umschlag, wie er von seinen Straftaten auf ein für ihn angeneh- meres Thema zu sprechen kam, war überraschend. Er wurde unter Zubilligung einer Bewährungsfrist verurteilt.

Ich habe diesen Fall genauer geschildert, weil er ein gutes Beispiel für die Wech- selwirkung zwischen Anlage und Umwelt darstellt. Auf seine psychopathische Veran- lagung mußte die unklare Erziehung ungünstig einwirken. Das erste sexuelle Erleb- nis wurde bestimmend für ihn. Daß dies möglich war, erklärt sich aus seiner erb- mäßigen psychischen Verfassung. Stammbaum 32 gibt weiteren Aufschluß.

Gegen die Auffassung, daß die Umwelt eine entscheidende Rolle spielt, spricht auch die Berufsgliederung der Probanden. Wohnungsenge und ähnliche Vorkommnisse wirken wohl kaum in den Kreisen der Besser- gestellten. Aus diesen stammen aber eine ganze Reihe der Sexualverbre- cher, jedenfalls mehr, als der Berufsgliederung der Bevölkerung entspricht.

Tabelle 6. Von den Probanden gehörten folgenden Berufen an: Kaufmännische Angestellte ee ee ee are Lehrer . «© «= % = 2 = = ‘a’ 6 Beamte, Selbständige, Akademiker, Künstler. . . . 16 Gelernte Arbeiter . . . . 102

Ungelernte Arbeiter in Industrie und Landwirtschaft . . 96

272 i R. Fetscher:

Ich lasse nun die Lebensgeschichte eines Falles folgen, die der Strafgefangene selbst geschrieben hat und die ich Herrn Medizinalrat Dobrick (Kottbus) verdanke. Sie ist soweit gekürzt, als es zweckmäßig erschien. Es möge zuvor noch betont sein, daß die Schilderung kaum den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, sondern wahr- scheinlich sexuelle Phantasien und Erlebnisse durcheinandermengt. Inwieweit der Schrei- ber seine Phantasien für wahr hält, kann nicht entschieden werden. Die Lebens- geschichte kennzeichnet aber eine bestimmte Sorte von Minderwertigen und sei deshalb mitgeteilt.

„vom 4. bis zum 10. Lebensjahre bin ich wiederholt mit minderjährigen Madchen in geschlechtliche Berührung gekommen. Zuerst, als ich 4 Jahre alt war, verführte mich meine eigene, damals 12—13 Jahre alte Schwester. Ich mußte ihr am Geschlechtsteil spielen. Im 4. und 5. Lebensjahre 'spielten wir Knaben mit gleichaltrigen und älteren Mädchen „Kuhmelken“. Wir Knaben wurden am Gliede gemolken. Im 6. bis 8. Jahre spielte wiederholt ein 15—16 Jahre alter Nachbarssohn an meinem Gliede. Als ich 10 Jahre alt war, besuchte ich wiederholt meine damals verheiratete Schwester. Sie hatte eine Stieftochter etwa in meinem Alter. Da es für die Nachtruhe an Betten mangelte, mußte ich mit der Stieftochter wiederholt in einem Bette schlafen. Dabei kam es regelmäßig zur geschlechtlichen Berührung des Mädchens durch mich. Im 11. Lebensjahre kam es zu meiner Verführung durch einen 15 jährigen Knaben an einem 10 jährigen Mädchen, wobei ich zum ersten Male Samenerguß hatte. Ich fand an diesem Gefühle Gefallen und trieb diesen Vorgang mit dem Mädchen etwa 2 Jahre lang, so oft sich nur Gelegenheit bot. Gleichzeitig stand ich auch mit der 5 jährigen Schwester dieses Mädchens wiederholt in geschlechtlichem Verkehr. ... Als 14 jähriger Knabe war ich körperlich bereits so schwach, daß sich diese Ermattung zunächst im erschwerten Gehen bemerkbar machte, dann aber vor allem in der Kraftlosigkeit beim Turnen zum Ausdruck kam. .... Auf intellektuellem Gebiete zeigten sich die ersten Folgen der geschlechtlichen Verirrung im 16. bis 17. Lebensjahre: Die Auffassungs- gabe schien geschwächt. Der Vorstellungsverlauf verlangsamte sich auffallend. Ich vermochte dem Unterrichte nur schwer zu folgen. Während ich bisher als leidlicher Schüler des Gymnasiums bis Untersekunda glatt mitkam, fiel ich in dieser Klasse vollständig ab und blieb sitzen. Ich hatte keine Ahnung davon, daß diese Schwäche auf intellektuellem Gebiete lediglich in der Onanie ihren Grund hatte. ... Ein halbes Jahr später bestand ich die Prüfung am Lehrerseminar in... . Eine wahre Qual sind für mich die drei Seminarjahre bis zum Eintritt ins Lehramt gewesen. Wenn die anderen Schüler in der Freizeit spazieren gingen, dann mußte ich im Zimmer bleiben und unverdrossen üben und wieder üben, um nur einigermaßen den an mich ge- stellten Anforderungen gerecht zu werden. Trotzdem konnte ich meine Lehrer nie von meinem Fleiß und der äußersten Anspannung aller mir zu Gebote stehenden Kräfte überzeugen. ... . Nach dreijährigem Seminarbesuch kam ich als Einund- zwanzigjähriger ins Amt... .. Erst 7 Jahre nach dem Abgang vom Seminar bestand ich die zweite Lehrerprüfung. Vorschriftsmäßig muß sie nach 5 Jahren abgelegt sein... .. Da ich meist nur auf der Unterstufe, bei den Kleinen, zu unterrichten hatte, gestaltete sich die Vorbereitung auf die Lehrstunde im allgemeinen noch verhält- nismäßig einfach. Aber was nützte mir die beste Vorbereitung ich mußte mich stets schriftlich präparieren —, wenn ich zufolge des verlangsamten Vorstellungsverlaufes doch nicht in der Lage war, den Stoff frei, ohne an die Ausarbeitung gebunden zu sein, an die Kinder heranzubringen. Ich mußte alles ablesen. Durch solche Unterrichts- methode war aber der Erfolg von vornherein in Frage gestellt. Es mangelte darum bald an der nötigen Aufmerksamkeit bei den Schülern. Was nun der Geist nicht ver- mochte, glaubte ich durch Stockschläge gutmachen zu müssen. So wurde ich zum

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 273

ausgesprochenen Prügelpädagogen, der niemals Liebe, sondern nur Haß in die Herzen der Kinder gesät und nichts als Verachtung geerntet hat. ..... 19.. war das Maß der Prügelpädagogik voll. Ich wurde von der Strafkammer wegen Ueberschreitung des _ Züchtigungsrechtes zu 30 M. Geldstrafe verurteilt. Von diesem Zeitpunkte ab die Regierung hatte mir in Aussicht gestellt, daß ich im Wiederholungsfalle auf dem Disziplinarwege ohne Gnade aus dem Amte entlassen würde lernte ich mich in die- ser Beziehung etwas beherrschen. Es war mir auch jahrelang die Ausübung des Züchti- gungsrechtes verboten worden. Als ich es wiederbekam, traten Verfehlungen nach dieser Richtung hin verhältnismäßig seltener auf. Immerhin ist diese Leidenschaft eine " recht gefährliche für mich geblieben, mit der ich bis zu meiner Versetzung in den Wartegeldzustand dauernd im Kriege gelegen habe. ... Etwa vom 15. bis zum 21. Lebensjahre trieb ich ausschließlich Onanie. Nur ausnahmsweise stand ich mit einer dem unsittlichen Verkehr sich hingebenden Frau bzw. mit einem Schenkmädchen in Verbindung. Nach meinem Amtsantritt verfiel ich wieder in den früheren Jugend- fehler: Ich vergriff mich an minderjährigen Mädchen. Ich glaube aber mit Recht und gutem Gewissen behaupten zu können, daß ich wohl schwerlich auf den Gedanken ge- kommen wäre, wenn ich nicht als Elfjähriger von einem noch jüngeren Schulmädchen verführt worden wäre. Den Anstoß zu der erneuten sittlichen Verfehlung im Amte gab... ., der mich gesprachsweise auf ein schon damals sittlich nicht einwandfreies Schulmädchen im Alter von 11 Jahren aufmerksam machte. Wohl über ein Jahr lang stand ich mit dem Mädchen in geschlechtlichem Verkehr. Ich habe es ferner fertig- gebracht, mit einem 13 jährigen Mädchen über ein halbes Jahr lang in der Wohnung der Eltern fast täglich wahre Orgien zu feiern. Das 13 jährige Mädchen hatte ich mir in allem Ernst zur Braut erkoren. Ich kargte nicht mit Geschenken, so zu seiner Kon- firmation, bei welcher Gelegenheit ich ihm einen Schmuck im Werte von 120 M. ver- ehrte. Ich schloß auch eine auf seinen Namen lautende Lebensversicherung in Höhe von 15000 M. ab, konnte indes die Prämie annähernd 400 M. pro Jahr nur ein- mal bezahlen. .... Auch später, ich war in letzterem Falle 33 Jahre alt und seit vier Jahren verheiratet waren zwei 13- und 14 jährige Schulmädchen meine Bräute. Mit der letzteren stand ich längere Zeit in regelrechtem Briefverkehr. In... . habe ich mich auch an anderen minderjährigen Mädchen wiederholt sittlich vergangen. An Warnungen fehlte es mir schon damals nicht. Meine Mutter, die mir die Wirtschaft kurze Zeit führte, hatte gesehen, wie ich einmal die Klavierschülerin geküßt und ein anderesmal das Aufwartemädchen unsittlich berührte. Unter Tränen machte sie mir, dem ungeratenen Sohn, berechtigte Vorhaltungen. .... Dem haltlosen Treiben wurde durch meine Versetzung nach... ein plötzliches Ende bereitet... . In... setzte ich das lasterhafte Leben fort. Ich verging mich auch hier wieder an minderjährigen Mädchen, und zwar nicht bloß während der Pause, sondern sogar im Verlaufe des Unterrichtes selbst. Ich konnte mich von dem alles beherrschenden unsittlichen Ge- danken- und Gefühlskreise trotz größter Anstrengung nicht losringen. Die verzehrende Glut in meinem Innern, durch jahrzehntelange Onanie aufs Höchste gesteigert, war zu gewaltig, als daß meine in nichts zusammengeschrumpfte Willenskraft mit bleibendem Erfolg dagegen hätte ankämpfen können. Eine günstige Beeinflussung glaubte ich durch das Eingehen einer Ehe herbeiführen zu können. Als Neunundzwanzigjähriger heiratete ich. Aber nur zu bald stellte sich heraus, daß keine wahre Liebe mich mit der Frau fürs Leben verbunden hatte. Wir haben uns vom ersten Tage an nicht ver- stehen können. .... Die endliche, unvermeidlich gewordene Scheidung erfolgte nach genau 25 jährigem, unglücklichem Zusammenleben. Ich habe mit meiner Frau, weil keine Liebe bestand, nur selten geschlechtlich verkehrt... Wenn es aber zum Ge- schlechtsverkehr kam, dann mußte ich mich kurz vor dem Höhepunkte des sinnlichen Genusses zurückziehen und auf dem Wege der Onanie das weitere vollenden. .... Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 3. 18

274 | R. Fetscher: Nebenbei stand ich in den ersten Jahren und zum Schluß der Ehe mit je einer ver- heirateten Frau im Geschlechtsverkehr. ... In längeren Ausführungen verbreitet sich der Proband über die dienstlichen Verhältnisse, eine Periode, in der er viel trank, und die Einleitung eines Entmündigungsverfahrens gegen ihn, das aber wieder eingestellt wurde. „Im Banne der Leidenschaft stehend, bekam ich es fertig, in einem Falle Mutter und minderjährige Tochter gleichzeitig unsittlich anzugreifen. In einem zweiten Falle die minderjährige Tochter in Gegenwart der nichtsahnenden, kurzsichti- gen Mutter unsittlich zu berühren, in einem dritten Falle die minderjährige Tochter, die krank im Bette lag, in Gegenwart der Mutter unsittlich zu berühren. Ich bekam es ferner fertig, mit den drei Töchtern meines Schwagers in unsittlichen Verkehr zu treten. Mit der ältesten, damals 14 jährigen Tochter, zum erstenmal an ihrer Mutter Be- gräbnistage und den darauffolgenden Tagen. Das zweitemal in meiner Wohnung in Gegenwart meines jüngsten, damals halbjährigen Söhnchens, das im Wagen schlief. Mit den beiden anderen Töchtern die jüngste damals 14-, die ältere 18 jährig in der Wohnung ihrer Eltern, als sie zusammen in einem Bette schliefen, ihr Vater daneben in einem anderen Bette. Ich brachte es fertig, mit... . unsittlich zu ver- kehren, während meine Frau schwer krank im Bette darnieder lag und sich vor Schmerzen kaum rühren konnte. . . . Ich habe der Staatsanwaltschaft bekanntgegeben, daß ich mich mindestens in 60—75 Fällen in meinem Leben an minderjährigen Mäd- chen vergangen habe. Um aber Irrtümer zu vermeiden, muß ich hier erklären, daß mit den angegebenen Zahlen nur die Mädchen selbst gemeint sind. Wenn ich die ein- zelnen Fälle, in denen ich mich an diesen Mädchen unsittlich vergangen habe, sum- mieren könnte, dann würden es, wenig gerechnet, mindestens 500—600 Einzelfälle werden. Ich könnte auch die umseitig geschilderten krassen Fälle mit Leichtigkeit um ein weiteres Dutzend vermehren, doch genug des Ekels! .. . . Jahrzehnte brauchte ich dazu, um erst einmal auf den Gedanken zu kommen, daß man nicht mit dem Feuer spielen darf (— das ständige Spielen mit der Hand am Gliede —) wie ich es leider stets getan... ... In der Hochflut der Leidenschaft wurde mir stets die Eichel naß, wenn ich einem weiblichen Wesen auch nur die Hand gab. Oft genug genügte schon der lebhafte Gedanke an die weiblichen Reize, um diesen Zustand hervor- zurufen. ... Oft genug trug ich mich in höchster Verzweiflung mit dem Gedanken herum, selbst Hand an mich zu legen. Daf es nie zur Tat wurde, verdanke ich dem Spiritismus bzw. Spiritualismus, der den Selbstmord als schwerste Sünde bezeichnet, die der Mensch begehen kann... . Eine heilsame Ablenkung in der sexuellen Leiden- schaft fand ich längere Zeit durch den Besuch der „Christlichen Gemeinschaft“. Ich lernte hier bereits die Macht des Gebetes in ganz bestimmter Richtung kennen... ..: Die Schwere der Untersuchungshaft brachte es fertig, die Umwandlung meines inwendi- gen Menschen in die Wege zu leiten. Ich lernte anhaltend, wahrhaft beten, inbrünstig bitten. Und der Erfolg blieb jetzt Gott sei Dank nicht mehr länger aus...... Ich bin gerettet an Leib und Seele durch Jesus ...... Der Proband wurde unter Zubilligung mildernder Umstände verurteilt. In der Lebensbeschreibung tritt vor allenı ein masochistischer Zug stark hervor, der sich in dem rückhaltlosen Geständnis der unglaublichsten Vorkommnisse gefällt und, wohl unbewußt, bei den verschiedenen Ver- fehlungen Situationen schuf, welche die Gefahr und den Reiz beschämender Entdeckung boten. Ganz eigenartig infantil mutet die „Verlobung“ mit Schulmädchen an. Sie be- weist, daß sich aus der pädophilen Anlage heraus auch eine besondere Form der Erotik entwickelt hat, die sich u. a. auch durch den Briefwechsel mit einem Schulmädchen zu erkennen gibt. Ein sadistischer Zug ist in der Prügelsucht unverkennbar und spielt wohl auch in jene Szenen hinein, in denen in Gegenwart wehrloser Personen die Straftaten begangen wurden. Die Erlösung in einer unklaren Frömmigkeit ergänzt das Bild in charakteristischer Weise.

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 275

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Leider verfüge ich über die Notzüchter nicht über so eingehende Be- schreibungen. Der ganze Typ ist an sich dafür viel weniger zugänglich. Immerhin möchte ich aus dem Gespräch mit zwei Notzüchtern einiges mitteilen.

Der eine ist wegen acht verübter und sechs versuchter Notzuchtsverbrechen ver- urteilt. Er schilderte seinen, überstarken Geschlechtstrieb und gestand, daß es ihm bei seinen Straftaten gar nicht darauf angekommen sei, ob das Mädchen jung oder alt, hübsch oder häßlich gewesen sei. Die Anwendung der Gewalt sei für ihn das Anziehende gewesen. Ihn habe deshalb auch seine Frau nicht befriedigen können. Das Zuchthaus werde seinen Sexualtrieb auch nicht vermindern; man möge ihm doch lieber ärztlich helfen, seine Geschlechtlichkeit zu vermindern. Der andere Fall ist eine eigenartige Mischung von sadistischen und masochistischen Trieben. Er veranlaßte einen Freund, die eigene Frau zu vergewaltigen, und als dieser auf heftigen Widerstand stieß, half er mit, ihn zu überwinden. Gegen mich behauptete er, er habe bloß die Tugend seiner Frau prüfen wollen. Er begriffe nicht, daß sich seine Frau von ihm scheiden lassen wolle. Er habe ihr alles verziehen und ihr dies auch schriftlich mitgeteilt. Einzelnen wäre sicher am besten durch dauernde Anstaltsverwahrung geholfen. Es gilt dies namentlich von leicht schwachsinnigen Tätern, die sich im Leben nur schwer zurecht- finden. Einer meiner Probanden hatte eine Straßendirne geheiratet, die ihn in scham- losester Weise betrog. Er entschädigte sich durch unsittliche Handlungen an minder- jährigen Mädchen. Nach einem Streit erwürgte er schließlich seine Frau und stellte sich selbst der Polizei. Er äußerte gegen mich, er habe sich noch nie im Leben so wohl gefühlt wie im Gefängnis, wo er sich um nichts zu kümmern habe. Für die Allgemein- heit wie für den Mann selbst wäre dauernde Anstaltsverwahrung eine Wohltat.

Leider verboten es Zeit und Mittel, die Sexualverbrecher in körperlicher Hinsicht genauer zu untersuchen. Ich vermag deshalb nur über einen Teil von ihnen Angaben zu machen, die teilweise den Gerichtsakten entnommen werden konnten. Die Haar- und Augenfarbe verteilt sich wie folgt:

blond - blau blond - grau blond - braun grau - blau braun - blau

braun - grau braun - braun grau - braun weiß - braun schwarz - grau

Die Körpergrößen betragen:

Größe incm 150 151 152 153 154 155 156 157 158 Zahl der Personen 3 1 0 5 2 1 7 3 5 Größe incm 159 160 161 162 163 164 165 166 167

Zahl der Personen 4 3 4 6 11 12 d 7 7

276 R. Fetscher:

Größe incm 168 169 170 171 172 173 174 175 176 Zahl der Personen 9 6 6 7 6 2 3 4 3

Größe incm 177 178 179 189 Zahl der Personen 1 1 1 1

Als Mittelwert berechnet sich aus diesen Zahlen 164,5 cm, was über dem sächsischen Durchschnitt liegt.

Die Schädelindizes verteilen sich wie folgt: Index 74 75 76 77 78 79 80 81 82

Zahl der Personen 1 2 4 3 ill 3 3 11 Index 83 84 85 86 87 88 89 90

Zahl der Personen 13 il 9 7 4 2 3 1 Als Durchschnittswert berechnet sich hier 82,7, also eine mittlere Kopfbreite.

Die mitgeteilten Zahlen sind noch zu gering, um aus ihnen Schlusse zu ziehen. Sie seien jedoch angeführt, um Anregung zu weiteren Messungen zu geben. Wahrscheinlich werden sich erhebliche Unterschiede nach Art des Verbrechens zeigen, wie die Verteilung der Kriminalität nach Ländern und Konfessionen vermuten läßt. Es wäre wertvoll, durch umfangreiche Untersuchungen einwandfreie Beiträge zur Rassenkriminalität zu schaffen.

Für unser praktisches Verhalten in rassen- und sozialhygienischer Hin- sicht ergeben sich einige Anhaltspunkte. Man wird zunächst betonen mūs- sen, daß die Fortpflanzung der Sexualverbrecher nicht wünschenswert ist, da unter ihren Nachkommen eine erheblich erhöhte Zahl Minderwertiger zu erwarten ist. Dennoch liegen die Zahlen nicht so, daß man sich wird entschließen können, mit Zwangsmitteln vorzugehen. Zur künstlichen Un- fruchtbarmachung kommen jene Fälle in Betracht, in denen Sexualver- brecher auch noch ausgesprochene degenerative Zeichen aufweisen. Dieser Maßstab scheint mir richtiger, als erst darauf zu warten, ob der Täter rück- fällig wird, wie es amerikanische Gesetze vorsehen. Das Sächsische Landes- gesundheitsamt hat vorgeschlagen, im St.G.B. hinter $ 224 folgenden $ 224a einzufügen:

„Eine strafbare Handlung liegt nicht vor, wenn durch einen Arzt zeu- gungsunfähig gemacht worden ist, wer an einer Geisteskrankheit, einer dieser gleich zu erachtenden anderen Geistesstörung oder an einer betätigten schweren verbrecherischen Veranlagung leidet oder gelitten hat, die nach dem Gutachten zweier hierfür amtlich anerkannter Aerzte mit großer Wahr- scheinlichkeit schwere Erbschädigungen seiner Nachkommen erwarten läßt.

Der Eingriff muß mit seiner Einwilligung oder bei Unmündigen mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und in beiden Fällen mit Zustim- mung des Vormundschaftsgerichtes vorgenommen worden sein. Als Gut- achter können nur gelten ein Psychiater und ein in Eugenik und Rassen- hygiene erfahrener Arzt.“

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 277

Es würde möglich sein, Sexualverbrecher auf Grund dieses $ 224a zu sterilisieren. Ich möchte indes noch etwas weitergehen und anregen, schwere konstitutionelle sexuelle Anomalien Geisteskrankheiten gleichzusetzen. Es gelänge so vielleicht, in manchen Fällen früher zu sterilisieren und die Fortpflanzung mancher Personen gänzlich zu verhindern, während wir bei der jetzigen Form des $ 224a sonst erst auf die „betätigte“ verbreche- rische Veranlagung zu warten hätten. Vielleicht könnte dem dadurch Rech- nung getragen werden, daß das Wort „betätigte“ gestrichen oder durch das Wort „einwandfrei festgestellte“ ersetzt würde.

Zu erwägen wäre, ob es nicht zu empfehlen wäre, bei solcher Sachlage schon jetzt die Gewährung einer Bewährungsfrist von dem Entschluß zu freiwilliger Sterilisation abhängig zu machen. Ob diese Bedingung zu stellen ist, muß natürlich in jedem Einzelfalle durch ärztliche Gutachter entschieden werden. In manchen Fällen muß sehr ernstlich an eine Ka- stration gedacht werden, die oft genug als einzig wirksames Mittel, über- starken Geschlechtstrieb einzudämmen, in Frage kommt. Der angestrebte Erfolg wird zwar in seltenen Fällen ausbleiben, aber man wird doch in der Mehrzahl der Fälle erreichen können, daß sich bisher asoziale Menschen in die Gesellschaftsordnung einzufügen vermögen. Besonders betont sei, daß es mir nicht einfällt, alle Sexualverbrecher kastrieren zu wollen, son- dern nur inmanchen Fällen glaube, daß eine medizinische, nicht eugenische Indikation zur Kastration gegeben ist. Oefters wird man ja wohl auch mit anderen Maßnahmen zum Ziel kommen. Notwendig scheint es mir aber, die Sexualverbrecher in vermehrtem Ausmaße ärztlich zu behandeln.

Die Fürsorge wird die Aufgabe haben, den Kindern der Sexualver- brecher erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden, da sie nicht nur durch die Umwelt, sondern, was schwerer zählt, auch erbmäßig gefährdet sind. Man muß sich bei ihnen leichter dazu entschließen, sie aus ihrer häuslichen Umgebung zu entfernen, sie in geschlossenen Anstalten unterzubringen, und wird darauf bedacht sein müssen, sie Berufen zuzuführen, in denen sittliche Gefährdung nicht zu erwarten ist. Besonders zu warnen wird vor allen Alkoholberufen sein. Ob es möglich ist, innerhalb der Familie viel zu bes- sern, scheint mir nicht sehr wahrscheinlich. Gewiß wird die Beseitigung der Wohnungsenge, die Gewährung von Betten usw. gelegentlich Straftaten vermeiden helfen, doch ist zu bedenken, daß die Sexualkonstitution der Familien dadurch nicht verändert wird. Solche kleine Hemmnisse werden zu leicht überwunden. Es scheint deshalb besser, mit anderen Mitteln vor- zugehen.

Der Bekämpfung des Alkoholismus kommt bei den Sexualverbrechern besondere Bedeutung zu. Die Strafentlassenenfürsorge wird bestrebt sein müssen, namentlich Sexualverbrecher zur Enthaltsamkeit zu erziehen. Für sie ist Alkohol nicht nur deshalb gefährlich, weil er Hemmungen beseitigt,

278 R. Fetscher:

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sondern auch, weil die Kneipe als solche zum Verführer werden kann. Aerztliche Ueberwachung der strafentlassenen Sexualverbrecher kann wohl manchmal auch zweckmäßig sein. Ich glaube, daß die Betreffenden selbst manchmal das Bedürfnis nach ärztlicher Hilfe haben, wie ‚ich daraus ent- nehme, daß mich einige freiwillig mit der Bitte um Rat aufgesucht haben.

Es wird nötig sein, die Erforschung der Asozialen weiter auszudehnen. Ich selbst bin im Begriff, im Dienste des Sächsischen Justizministeriums ein „Archiv der Asozialen Sachsens“ einzurichten, dessen Anlage so ge- plant ist, daß es möglichst bald auch praktischen Zwecken nutzbar wird. Als solche sind zu erwähnen: Auskunftserteilung im Strafverfahren und -vollzug zur Erleichterung individueller Beurteilung und Behandlung, Un- terstützung aller Fürsorgemaßnahmen, später Unterlagen bei der Frage der Sterilisierung zu bieten, sowie eine ganze Reihe anderer Aufgaben, deren Erörterung den Rahmen vorliegender Arbeit überschritte.

Zusammenfassung.

1. An 235 Familien von Sexualverbrechern wird gezeigt, daß unter den Geschwistern der Probanden die Zahl der Minderwertigen wesentlich er- höht ist. Unter ihnen sind namentlich die Kriminellen, besonders Sexual- verbrecher, Schizophrene, Selbstmörder stark vertreten. Das gleiche Bild zeigt sich bei den Eltern der Sexualverbrecher und deren Geschwisiern wie bei ihren Kindern.

2. Erbanlagen, die sich vermutlich rezessiv verhalten, bewirken eine gewisse Neigung zu Sexualverbrechen. Der Umwelt kommt nur eine ge- ringere Bedeutung zu, doch bewirkt Erbanlage und Umwelt zusammen die „sexuelle Konstitution“.

3. Es werden Zahlenangaben über die Verteilung der Haar- und Augen- farben, der Schädelindizes und der Größen bei Sexualverbrechern mitge- teilt, aus denen jedoch Folgerungen noch nicht gezogen werden.

4. Unter den Sexualverbrechern wurden rund 25 % Minderwertige ge- funden, wobei jedoch nur schwerere Defekte gezählt wurden. Psychopathie, Debilität und Trunksucht sind am häufigsten unter ihnen. Auch ihre allgemeine sonstige Kriminalität ist sehr hoch.

5. Es wird die Forderung aufgestellt, bei den Sexualverbrechern ihre Erbanlage zur Beurteilung der Straftaten heranzuziehen und die Art des Vorgehens danach zu richten.

6. Es wird die Notwendigkeit betont, die Erbanlagen der Asozialen in weiterem Umfange zu untersuchen, und es wird der Plan einer umfassen- den Sammlung asozialer Familien mitgeteilt.

Die Arbeit wurde mit Unterstützung durch die Rockefeller-Foundation und durch die Förderer und Freunde der Technischen Hochschule Dresden ermöglicht, wofür ihnen an dieser Stelle, namentlich Herrn Geheimrat Schmitt und Herrn Kommerzienrat Arnhold, bestens gedankt sei.

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. Weil: Die Körpermaße der Homosexuellen als Ausdrucksform ihrer spezifischen

Konstitution. Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. 49, 1921, H. 3/4.

. Westheide: Psychologie und Psychopathologie der Menstruation in gerichtlich-

medizinischer Hinsicht. D. Zeitschr. f. d. ges. ger. Med. 1922, H. 3.

. Wickel: Sittlichkeitsverbrechen und Geistesstörung. V. f. ger. Med. 1903, S. 67.

dto. Sittlichkeitsverbrechen und Geistesstörung. V. f. ger. Med. 1903, S. 281.

88. Wolf: Erblichkeitsuntersuchungen zum Problem der Homosexualität. Arch. f.

Psych. u. Nervenkrankh. 1925, H. 1.

. Wulffen: Der Sexualverbrecher. 9. Aufl. Langenscheidt, Berlin 1922. . Ziegler: Vererbungslehre. Fischer, Jena 1918.

R. Fetscher:

a menger nn a 1 Sr ee SS = En = a Se Se SS = =

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Stammbäume. | á

Q dy On d o dd d dy gud QAP ei

Ser E e En A

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1) Trinker, Schizophrenie.

2) Trinkerin.

3) 4) 5) Schizophrenie.

6) 7) Gesund.

8) Sehr weich, unterstützt die perversen Neigungen des Probanden.

9) Schizophrenie, taubstumm.

10) Homosexuell, wiederholt wegen homosexueller Vergehen an Jungen unter 14 Jahren bestraft, fast taub.

11) In der Jugend in der Irrenanstalt, Näheres unbekannt. Masochist; war erst dann zum Beischlaf fähig, wenn er mit Sporen blutig geschlagen wurde.

12) Gesund.

13) Sehr geizig; ließ die Familie hungern, obgleich gute Verhältnisse bestanden.

14) Homosexuell, in hoher Staatsstellung; mußte den Dienst wegen Homosexualität aufgeben.

15) Trinker, Weiberheld.

16) Verschwender, sonderbarer Charakter. Warf glühende Taler auf die Straße und- freute sich, wenn die Vorübergehenden sich an ihnen die Finger verbrannten.

73

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1) Proband, bestraft wegen Raub und Sittlichkeitsverbrechen. 2) Stark verwachsen, Trinker, wiederholt bestraft.

3) Schizophrenie.

4) Arbeitsscheu, unsittlich (war im Arbeitshaus).

5) Räuber.

6) Trinker, wiederholt bestraft wegen Trunksucht und Bettelei.

Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern. 283

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1) Wiederholt bestraft wegen Diebstahls, Unterschlagung, Hausfriedensbruchs, Sittlich- keitsverbrechens.

2) Vorbestraft, Näheres nicht zu ermitteln.

3) 4) Vorbestraft, Näheres nicht zu ermitteln.

5) 6) Wegen kleiner Vergehen (Roheitsdelikte) bestraft.

7) Trunksucht.

8) Schizophrenie.

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18. 1) Proband. 3) Selbstmord. 5) Säufer, Landstreicher. 2) Säufer, liederlich. 4) Selbstmord. 6) Säufer, Vagant.

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ei 1 25. 1) Proband, debil. 5) Schizophrenie, 2) Vorbestraft, Näheres unbekannt. 6) Säufer. 3) Vorbestraft, Näheres unbekannt. 7) Epilepsie. 4) Vorbestraft. 8) Diebin, Dirne.

1) Wiederholt wegen Diebstahls mit | Zuchthaus bestraft. "aw ei at g véi 2) Schizophrenie. 1) Q 3) Selbstmord. 4) Trinkerin. Ae Q On ds) 5) Selbstmord im „Verfolgungswahn“.

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R. Fetscher:

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27.

1) Proband, Landstreicher, wegen Diebstahls, Unterschlagung, Hausfriedensbruchs, Sitt- lichkeitsverbrechens wiederholt bestraft. Wegen Inzest mit 7) Zuchthaus.

2) Unterschlagung, Diebstahl, Hehlerei bestraft, Dirne.

3) Sachbeschädigung, Körperverletzung wiederholt bestraft. Sittlichkeitsver- brecher, arbeitsscheu.

4) Mordversuch am Vater, Betrug.

5) Sachbeschädigung, Beirug, arbeitsscheu.

6) Betrug.

7) Inzest mit dem Vater. i

8) Schwachsinnig.

9) Dirne.

10) Dirne.

11) Hansfriedensbruch: Bedrohung, sehr jahzornig und gewalttatig.

12) Sehr jähzornig.

13) Schizophrenie.

d o” d Q d d 7) 2 d Q 1) Trinkerin, durch Unfall umgekommen, a z I sehr fromm, hatte Halluzinationen. 2 2) Sehr nervös, zeitweilig depressiv. Q d ai / 2 g7 d Q d 5) Schwangerschaftspsychose. SR SE EE a 6) Sonderling, Pedant. wy 3 7) Sehr musikalisch. Q ët CH d © 4 2 J Q d 8) Proband, Psychopath, sehr musikalisch. T 9) Trinkerin, Eifersuchtswahn.

1) Wiederholt bestraft wegen Diebstahls, Bedrohung, Urkundenfälschung, Betrug, Be leidigung, Sittlichkeitsverbrechens.

2) Sittlichkeitsverbrechen.

3) Sittlichkeitsverbrechen.

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Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern.

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4.

1) Proband, wegen Diebstahls, Glücksspiels, Sittlichkeitsverbrechens bestraft.

2) Sittlichkeitsverbrechen.

3) Sittlichkeitsverbrechen.

4) Sittlichkeitsverbrechen.

5) Trinker, Zuhälter.

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6) Messerheld, wurde erstochen. 7) Trinker.

8) Trinker.

9) Trinker, geisteskrank.

10) Einbrecher.

1) Inzest mit 4). 2) Sittlichkeitsverbrechen. 3) Sittlichkeitsverbrechen.

1) Proband, Betrug, Körperverletzung, Sittlichkeitsverbrechen, Psychopath.

2) Betrug, Urkundenfälschung.

3) Schizophrenie.

4) Quartalsäufer.

5) Säufer, an Nierenleiden f.

6) Säufer.

7) Säufer, vollkommen verarmt.

8) Selbstmord.

9) Wegen Verschwendung entmündigt.

1) Proband, Diebstahl, Sittlich- keitsverbrechen, debil.

2) Debil, Psychopath.

3) Verschwender.

4) Schwachsinnig.

5) Schwachsinnig.

6) Schwachsinnig.

7) Leichtsinnig, zwei uneheliche Kinder.

286 R. Fetscher:

1) Proband. ei i, aan 2) Selbstmord, bestraft wegen schwerer 49 4S Sg Q Ki of Q Körperverletzung.

A Sa Ni 4 4) Bestraft wegen Landfriedensbruch. 6) Q Q Gei 9” d Q 5) Trinker. 6) Trinkerin. Q 7) Selbstmord. 8) Selbstmord. se. 4

TITER dy OU G 9 A PLIST SQ gTQoddeds

62. 1) Proband. 5) Trinker, ließ seine Familie im Stich. 2) Dirne. 6) Trinker, an Alkoholvergiftung ft. 3) Dirne. 7) Im Rausch tödlich verunglückt, Trinker.

4) Trinker, kriminell. 8) Schwachsinnig.

I Q 1) Proband, Beleidigung, Wider- stand, Notzucht, Unzucht. ER., 2) Epilepsie. dd o dd CC 3) Tinker, ? SEKEK A 9 4) Trinker (Delirium). 5) Trinker (Delirium). o "e 9% Q Q g 6) Körperverletzung, bestraft, bekannt als Raufbold. g 7) Angeblich drei Tage nach Q der Geburt erblindet.

73.

ee AC IEN een Sege 1) Proband, Diebstahl, ga SSSA dy oy Toon Na 2) Geisteskrank.

y 4) 3) Trinker. E? of 4) Einbruch.

114.

1) Proband, Psychopath, Blutschande mit 2). 3) Trinker. Q goë d dd dd dag 4) Trinker. nN 5) Brandstifter, Schizo- phrenie.

d d d Sr ei 6) Sittlichkeitsverbrechen.

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_ Erbbiologische Studien an Sexualverbrechern.

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117. 1) Proband, Betrug, Diebstahl, Unterschlagung, 4) Selbstmord. Sittlichkeitsverbrechen. Epilepsie? 5) Schwachsinn. 2) Diebstahl, bestraft, Psychopathin. 6) Schizophrenie.

3) Trinker

ry Q Q Q Q Giy d 1) Proband, Diebstahl, Sittlichkeitsverbrechen. N

== 2) Sittlichkeitsverbrechen. 3) Sittlichkeitsverbrechen.

si 4) Trinker.

Ia u) MM I d d Q Q97 | | 5) Proband, Bettel, Diebstahl,

Betrug, Inzest mit 1). .2 und 3) Dieb.

Deg d d d d; 4) Schizophrenie. ? ? 9 F 6) Sittlichkeitsverbrechen. 7) Suicid.

19 P 99

WS OSSSSO RAELE:

1) Proband, Sittlichkeitsverbrechen. 2) Trinker

1) Proband, Diebstahl, Sittlich-

Q dd dO ds keitsverbrechen. 2) Psychopath. ey) 3) Schizophrenie.

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d o » D d o of 7) Sittlichkeitsverbiechen. d 122,

d d e 4) Schwachsinnig. 5) Schwachsinnig. dd 6) Schwachsinnig, Psychopath.

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R. Fetscher:

1) Proband, § 176, Ptosis d Augenlider. 2) 3) 4) 5) 6) Ptosis d. Augenlider.

7) Trinker.

8) Epilepsie.

9) und 10) Speiseröhrenkrebs.

11) Trinker.

12) Magenkrebs.

1) Proband, Inzest mit 2). 3) Psychopath, Dieb.

4) Schwachsinnig.

5) Schwachsinnig.

6) Schwachsinnig.

1) Proband, Trinker, hyster. Anfälle. 2) Selbstmord.

3) Selbstmord.

4) Geisteskrank.

5) Schwachsinnig.

6) Trinker, mehrmals Delirium.

1) Proband, 176°.

2) Quartalsäufer.

3) Bestraft wegen Wechselfälschung.

4) Geisteskrank.

5) Trinker.

6) Selbstmord.

7) Entmündigt wegen Verschwendung. 8) Großindustrieller, schließlich verarmt. 9) Im Säuferwahn f.

1) Proband.

2) Schizophrenie.

3) Selbstmord.

4) Trinker, Sittlichkeits- verbrechen.

5) Selbstmord.

6) Selbstmord.

7) Selbstmord.

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie.

Von Prof. Dr. Fritz Lenz.

Wohl kein anderes Buch hat in den Jahren nach dem Kriege in Deutschland bei den „Gebildeten“ soviel Eindruck gemacht wie Speng- lers „Untergang des Abendlandes“. Das Buch ist in vielen Zehntausen- den von Exemplaren verbreitet, und es gehört geradezu zur „Bildung“, darüber mitzureden. Auch ganz abgesehen von der Frage seiner sach- lichen Bedeutung ist dieser Massenerfolg allein schon rassenbiologisch von Interesse. Dazu kommt noch, daß das Thema ‚Untergang des Abend- landes“ die Rassenbiologie natürlich ganz unmittelbar angeht; und wenn durch irgendeine Erscheinung die Aufmerksamkeit der öffentlichen Mei- nung in bisher nicht dagewesenem Maße auf den drohenden Untergang der abendländischen Kultur gelenkt wird, so rechtfertigt das eine aus- führliche Auseinandersetzung an dieser Stelle.

Beginnen wir mit der Entstehungsgeschichte des Buches, wie Speng- ler selbst sie in der Einleitung S. 65ff. darstellt. Spengler hatte seit dem Jahre 1911 die Absicht, „über einige politische Erscheinungen der Gegenwart und die aus ihnen möglichen Schlüsse für die Zukunft etwas aus einem weiteren Horizont zusammenzustellen“. Insbesondere handelte es sich darum, den Weltkrieg, den er nach seiner Angabe damals als unmittelbar bevorstehend erkannte, „aus dem Geiste der voraufgehenden Jahrhunderte zu begreifen“. Im Verlaufe der Arbeit drängte sich ihm dann die Ueberzeugung auf, „daß es völlig unmöglich sei, eine Unter- suchung dieser Art auf eine einzelne Zeit und deren politischen Tat- sachenkreis zu beschränken“, daß er vielmehr im Interesse der „tieferen Notwendigkeit der Resultate“ nicht auf „rein metaphysische, höchst trans- zendente Betrachtungen“ verzichten könne. „So erfuhr das ursprüngliche Thema eine ungeheure Erweiterung. Eine Unzahl überraschender, großen- teils ganz neuer Fragen und Zusammenhänge drängte sich auf. Endlich war es vollkommen klar, daß kein Fragment der Geschichte vollkommen durchleuchtet werden könne, bevor nicht das Geheimnis der Weltgeschichte überhaupt, genauer das der Geschichte des höheren Menschentums als einer organischen Einheit von regelmäßiger Struktur klargestellt war. Und eben das war bisher nicht entfernt geleistet worden.“

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 3. 19

290 Fritz Lenz:

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„Von diesem Augenblicke an traten in wachsender Fülle die oft ge- ahnten, zuweilen berührten, nie begriffenen Beziehungen hervor, welche die Formen der bildenden Künste mit denen des Krieges und der Staats- verwaltung verbinden, die tiefe Verwandtschaft zwischen politischen und mathematischen Gebilden derselben Kultur, zwischen religiösen und tech- nischen Anschauungen, zwischen Mathematik, Musik und Plastik, zwi- schen wirtschaftlichen und Erkenntnisformen. Die tiefinnerliche Abhän- gigkeit der modernsten physikalischen und chemischen Theorien von den mythologischen Vorstellungen unserer germanischen Ahnen, die vollkom- mene Kongruenz im Stil der Tragödie, der dynamischen Technik und des heutigen Geldverkehrs, die zuerst bizarre, dann selbstverständliche Tat- sache, daß die Perspektive der Oelmalerei, der Buchdruck, das Kredit- system, die Fernwaffe, die kontrapunktische Musik einerseits, die nackte Statue, die Polis, die von Griechen erfundene Geldmünze andererseits identische Ausdrücke eines und desselben seelischen Prinzips sind, wurde unzweifelhaft deutlich, und weit darüber hinaus rückte die Tatsache ins hellste Licht, daß diese mächtigen Gruppen morphologischer Verwandtschaften, von denen jede eine einzelne Art Mensch im Gesamtbilde der Weltgeschichte symbolisch darstellt, von streng sym- metrischem Aufbau sind.“ Man muß solche Auslassungen mehrfach lesen, ehe man die ganze Unsinnigkeit der darin behaupteten scheinbar tiefen, in Wahrheit höchst oberflächlichen Beziehungen begreift. Aehnliche Aus- | führungen finden sich an vielen anderen Stellen der beiden dicken Bände. „Ich habe noch keinen gefunden, der mit dem Studium dieser m or ph o- logischen Verwandtschaften Ernst gemacht hätte“ (S.8). Nur Spengler hat es getan; und vor seiner überlegenen Geisteskraft haben sich alle Rätsel gelöst.

Wenn man sich fragt, ob derartige hochgespannte, zugleich systemati- sierende und verworrene Auslassungen wohl als gesund anzusehen seien, so wird man an bekannte Bilder erinnert. Es wäre aber ein Irrtum, an- zunehmen, daß damit die Lehre Spenglers sachlich widerlegt wäre. Was in gewisser Hinsicht als nicht gesund erscheint, braucht darum nicht theoretisch falsch zu sein; und praktisch entfalten ja derartige Erzeugnisse vielfach gerade die größte historische Wirksamkeit, wie die Geschichte fast aller Religionen und Kulturen lehrt. Es ist daher nicht überflüssig, in eine sachliche Kritik der Spenglerschen Lehre einzutreten.

Im Mittelpunkt der Spenglerschen Lehre stehen die „Kul- turen“. „Im Phänomen der einzelnen, aufeinanderfolgenden, nebenein- ander aufwachsenden, sich berührenden, überschattenden, erdrückenden Kulturen erschöpft sich der Gehalt aller Historie.“ „Kulturen sind Orga- nismen“ nach Spengler. „Kulturen sind Pflanzen“ (S. 199). „Diese Kulturen, Lebewesen höchsten Ranges, wachsen in einer erhabenen Zweck-

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes‘“ im Lichte der Rassenbiologie 291

losigkeit auf, wie die Blumen auf dem Felde“ (S. 29). „Will man ihre Struktur kennen lernen, so hat die vergleichende Morphologie der Pflan- zen und Tiere längst die Methode dazu vorbereitet.“ „Es ist nicht die des zoologischen Pragmatismus der Darwinisten mit seiner Jagd nach Kau- salzusammenhängen, sondern die intuitive Goethes“ (S. 150). So wie das Leben der Organismen aus inneren Gründen sich gesetzmäßig gestaltet und in seiner Dauer begrenzt ist, so soll es nach Spengler auch bei den Kulturen sein. Daher könne man durch Analogieschluß nicht nur die schon abgelaufenen Kulturen in ein System bringen, sondern auch den Ab- lauf der gegenwärtigen vorausbestimmen. Er gibt zwei übrigens psy- chologisch sehr charakteristische „Tafeln zur vergleichenden Morpho- logie der Geschichte“. Man sieht daraus, daß er im ersten Bande haupt- sächlich 4 Kulturen ins Auge faßt, von je einem Jahrtausend Dauer, die indische seit 1500 v. Chr., die antike seit 1100 v. Chr., die „arabische“ seit dem Jahre 0 und die abendländische seit 900. Jede hat einen „Früh- ling“, „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“ von ungefähr gleicher Dauer. Die abendländische Kultur, welche nach Spengler im Jahre 900 begon- nen hat, muß also unmittelbar vor ihrem Ende stehen, da ihr Jahrtausend abgelaufen ist.

Hier zum ersten Male könne „eine Kultur voraussehen, welchen Weg das Schicksal für sie gewählt hat“ (S. 218). Das sei „die letzte große Auf- gabe des abendländischen Denkens“, und diese war nach seiner Meinung ofienbar eben ihm, dem Philosophen Spengler vorbehalten. „In diesem Buche wird zum ersten Male der Versuch gewagt, Geschichte vorauszu- bestimmen“ (S. 3). Das trifft natürlich nicht zu. In Otto Seecks „Un- tergang der antiken Welt“, heißt es weit treffender: „Es ist ein uralter Ge- meinplatz, daß die Völker Individuen seien und in ihrem Leben ganz diesel- ben Entwicklungsstufen durchmachen müßten wie das Einzelgeschöpf. Schon Varro versuchte, indem er Kindheit, Jugend, Mannesalter und Greisentum der Römer nach gleichen Zeiträumen abgrenzte, genau zu berechnen, wann sein Volk der Natur den unvermeidlichen Zoll werde bezahlen müssen, und durch einen wunderlichen Zufall ist seine Prophezeiung so ziem- lich eingetroffen. Bis auf den heutigen Tag ist dann die Phrase von dem allmählichen Altern und schließlichen Tode der Nationen unzähligemal nachgesprochen worden.“ Natürlich könnte auch Spenglers Prophe- zeiung eintreffen, ohne daß sie darum sachlich begründet wäre; aber sachlich begründet ist sie ohne Zweifel nicht. Genau wie die „Astro- logen“ lehrt Spengler, „daß die kosmischen Flutungen in Gestalt des menschlichen Lebens an der Oberfläche eines kleinen Gestirns nichts irgendwie für sich Bestehendes sind, sondern mit dem unendlichen Be- wegtsein des Alls in tiefem Einklang stehen“ (II. 488). Er beruft sich auf ein Buch von einem gewissen Mewes, in dem die Verwandtschaft von

19*

292 Fritz Lenz: Kriegsperioden mit Perioden der Witterung, der Sonnenflecken und ge- wisser Planetenkonstellationen „festgestellt“ sei, und in dem der Verias- ser einen großen Krieg für 1910—20 angesetzt habe. Jedenfalls ist es nicht zum erstenmal von Spengler versucht worden, „Geschichte vorauszu- bestimmen“, sondern schon von den Auguren und Sterndeutern aller Zeiten.

Spengler verwickelt sich schon mit seinen grundlegenden Behaup- tungen in unlösbare Widersprüche. Organismen haben doch nicht alle die gleiche, sondern eine ungeheuer verschiedene Lebensdauer; und die ein- zelnen Kulturen sollen nach Spengler ja wie artverschiedeneOrganismen von Grund aus verschieden sein: Also, sollte man meinen, könnte auch nicht die Lebensdauer der Kulturen immer annähernd die gleiche sein, wie Spengler behauptet. Andererseits vertritt er selber die Ansicht, „daß alles Lebende eine geheimnisvolle Ordnung, die mit Gesetz, Kausali- tat und Zahl nichts zu tun hat (?!), in sich trägt“ (S. 28). Wenn das der Fall wäre, so wäre aber nicht abzusehen, wie die Dauer von Kulturen, die ja Lebewesen sein sollen, nach der Zahl von Jahren bestimmt wer- den könnte. „Das Mittel, tote Formen zu begreifen, ist das mathematische Gesetz. Das Mittel, lebendige Formen zu verstehen, ist die Analogie“ (S. 4). In der Tat tötet Spengler die Geschichte dadurch, daß er sie in Zahlperioden von bestimmter Dauer zwängt. Andererseits aber reicht die Analogie nicht aus, um lebendige Formen zu verstehen. Ich erinnere nur daran, wie sehr uns die mathematische Formulierung des Erblich- keitsgesetzes im Verständnis der Lebewesen gefördert hat. Gesetze zu er- forschen ist Aufgabe der Naturwissenschaft, nicht aber der Geschichte, wie der Philosoph Rickert überzeugend dargelegt hat; und auch Speng- ler bringt das gelegentlich ganz richtig zum Ausdruck, z. B. S. 216: „Le- ben, Geschichte trägt das Merkmal des Einmalig-Tatsächlichen, Natur das des Ständig-Möglichen.“

Andererseits hat Spengler übersehen, daß für alle Geschichts- betrachtung die W erteinstellung entscheidend ist, wie er ebenfalls von Rickert hätte lernen können. Spengler aber fürchtet, sich und seinem absoluten Standpunkt etwas zu vergeben, wenn er sich eine innere Beteiligung an der Geschichte eingestande. Er will vielmehr auch die Gegenwart „wie etwas unendlich Fernes und Fremdes betrachten, als eine Epoche, die nicht schwerer wiegt als alle anderen, ohne den Maßstab irgendwelcher Ideale, ohne Bezug auf sich selbst, ohne Wunsch, Sorge und persönliche innere Beteiligung.“ „Es gibt für den, der hier die un- bedingte Freiheit des Blickes erworben hat, jenseits aller persönlichen In- teressen welcher Art auch immer, überhaupt keine Art von Abhängigkeit, keine Priorität, keine Ursache und Wirkung, keinen Unterschied des Wer- tes und der Wichtigkeit. Was den einzelnen Phänomenen ihren Rang gibt, ist lediglich die größere oder geringere Reinheit und Kraft ihrer

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie. 293

Formensprache, die Stärke ihrer Symbolik abseits von Gut und Böse, Hoch und Niedrig, Nutzen und Ideal.“ Was sich hinter diesen imponie- renden Worten verbirgt, ist etwas sehr Banales: Nicht große Gesichts- punkte sollen für die Geschichtsschreibung maßgebend sein, sondern der bloße Sinneseindruck. Damit wird die Weltgeschichte zum Kino. Auch im Kino beherrschen „Physiognomik und Symbolik“ Bild und Sinn. Jede Kultur ist so gewissermaßen ein neuer Film von bestimmter Länge, Ende vorherbestimmt. Und es sind auch ähnliche Leute, denen die Spenglersche Geschichtsbetrachtung und denen Kinodramen imponieren: solche, die sich gern ein bischen gruseln.

Es ist gewiß etwas Wahres daran, wenn Spengler über das „Pro- blem der Weltgeschichte“ schreibt: „Geschichte wissenschaftlich behan- deln wollen, ist im Grunde immer etwas Widerspruchvolles, und deshalb ist jede pragmatische Geschichtsschreibung, sie sei so groß, wie sie wolle, ein Kompromiß. Natur soll man wissenschaftlich traktieren, über Ge- schichte soll man dichten“ (S. 139). Er gibt damit indirekt zu, daß sein Buch eine Dichtung ist. Spengler ist überhaupt ein Dichter, und selbst Goethe hat in den ersten Jahren nicht solchen Erfolg gehabt wie er. Aber Goethe, den Spengler als einzige Autorität anerkennt, hat gesagt: „Das Beste, was wir von der Geschichte haben, ist die Begeiste- rung, welche sie erregt.“ Goethe verachtet es also nicht, einen Nutzen der Geschichte ins Auge zu fassen; er hat offenbar gesehen, daß die wer- tende Stellungnahme für die Geschichtsbetrachtung wesentlich ist. Eine Begeisterung, wie die Geschichte sie erregt, brauchte natürlich nicht un- bedingt eine hofinungsfrohe zu sein; sie könnte auch eine tragische sein; jedenfalls aber müßte sie zur Tat treiben. Die Spenglersche Ge- schichtsbetrachtung aber müßte, wenn sie konsequent wäre, zum resignier- ten Fatalismus führen daß sie nicht konsequent ist, werden wir noch sehen.

Spengler ist ein Dichter in der Maske des Philosophen; und das sind die schlimmsten Dichter. Leider dichtet Spengler nicht nur über Geschichte, sondern auch über die Natur, obwohl man doch nach seinen eige- nen Worten die Natur wissenschaftlich behandeln soll. Zumal die wissen- schaftliche Biologie liegt ihm offenbar gar nicht. Seine biologisierenden Aus- führungen verraten nur zu sehr den Mangel an solidem biologischen Wis- sen. Das konsequente biologische Denken ist ihm sichtlich unangenehm, und er sucht es daher als „Darwinismus“ herabzusetzen, wo er nur kann. Das zieht natürlich (heute weiß ja jeder „Gebildete“, daß der Darwinis- mus „überwunden“ ist). Goethes Entdeckung des Zwischenkiefers soll „allein alle Entdeckungen Darwins aufwiegen“ (S. 151). Der Darwinis- mus hat die großen Ansätze, welche die Biologie in Goethe erlebt hatte, „verdorben, nicht vertieft“ (S. 216). „Materialismus, Sozialismus, Darwi-

294 Fritz Lenz:

nismus sind nur künstlich und an der Oberfläche trennbar“ (S. 519). Hier dürfte er des Beifalls aller unklaren Köpfe sicher sein, ebenso, wenn er auf S. 219 „Derwische und Darwinisten“ zusammenstellt. Da Spengler in die- ser Weise von oben herab über die moderne Biologie redet, so muß er sich schon gefallen lassen, daß man seine vorlauten Behauptungen ein wenig unter die Lupe nimmt. Wie es um seine Kenntnis der Lehre Dar- wins bestellt ist, zeigt der Umstand, daß er ihren wesentlichen Kern ein- fach ins Gegenteil verdreht. Der Darwinismus soll nach Spengler nichts anderes als eine ungewöhnlich flache Fassung der Lehre vom „Weltwillen“ sein. „Wenn der Materialist oder Darwinist der Gegenwart von der Natur redet, die etwas zweckmäßig anordnet, die eine Auslese trifft, die etwas hervorbringt oder vernichtet, so hat er dem Deismus des 18. Jahrhunderts gegenüber nur ein Wort verändert und das Weltgefühl unverändert be- wahrt” (S. 424). „Wenn ein Darwinist oder Positivist, Nietzsche ein- begriffen, eine Ansicht über den Weltverlauf ausdrücken will, so redet er davon, daß die Natur dies so organisiert hat, jenes so will, irgend etwas bezweckt, zuläßt, schafft“ (S. 560). Ich darf bei den Lesern dieser Zeit- schrift wohl voraussetzen, daß sie wissen, daß die Sache genau umgekehrt liegt. Immerhin möchte ich einen Satz Darwin s anführen, der S pe ng- lers Behauptung besonders schlagend widerlegt: „Haeven defend me from Lamarck’s nonsense of a ‚tendency to progression‘, ‚adaptations from the slow willing of animals‘ etc.“ („Der Himmel bewahre mich vor dem Lamarckschen Unsinn einer ‚Richtung auf den Fortschritt‘, ‚Anpassungen aus dem dunklen Drange der Tiere heraus‘ usw.) Spengler sagt an einer Stelle allerdings: „Die innere Kraft eines Daseins äußert sich viel- leicht nirgends so deutlich wie in dieser Kunst des planmäßigen MiBver- stehens“ (II. S. 67); ich glaube aber trotzdem nicht, daß das planmäßige Mißverstehen des Darwinismus von „innerer Kraft“ beiSpengler zeugt; sie ist vielmehr ein Zeichen weitgehender Unwissenheit und des leicht- sinnigen Darauflosschreibens über Dinge, von denen er nichts versteht. Andererseits schreibt er selber im Hinblick auf die Entstehung der Arten: „Aber dafür zweckmäßige Ursachen anzunehmen, fehlt jeder wirkliche Anhalt.“ Da man diese Ablehnung zwecktatiger Ursachen der generellen Gestaltung der Organismen geradezu als Kern des „Darwinismus” ansehen kann, so wäre Spengler am Ende gar ein „Darwinist“? Vor dieser Folgerung werden wir glücklicherweise dadurch bewahrt, daß er uns versichert, „daß immer wieder tiefe und sehr plötzliche Aenderungen im Wesen des Tier- und Pflanzendaseins vor sich gehen, die von kos- mischer Art und niemals auf das Gebiet der Erdoberfläche beschränkt sind“ (11. S. 37). Auch finden sich bei Spengler starke Einschläge lamarcki- stischen Denkens, wie das ja bei einem Schriftsteller seines Schlages von vornherein zu erwarten ist, und wie ich weiterhin noch belegen werde.

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie. 295

Auch gegen Kant hat Spengler eine sichtliche Abneigung. Kant sei der Welt mit dem „Verstande eines ewigen Greises“ gegenübergetreten (S. 218). „Es gibt nichts sonnenärmeres als die Lehre Kants“ (11. S. 362). Es ist offenbar die Abneigung des Dichters gegen den wirklich kritischen Denker. Gerade von Kant aber hätte Spengler noch viel zu lernen. An einer Stelle sagt er: „Es gibt keine Wahrheiten; es gibt nur Tatsachen“ (II. S. 456). Dazu wäre zu bemerken, „daß alles Tatsächliche schon Theorie ist“, wie Kant uns gelehrt hat. Und auch der von Spengler zustim- mend zitierte Satz Goethes „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“ hätte vor einem solchen Ausspruch eigentlich bewahren sollen. Und sonnen- ärmer als die Lehre Kants ist jene Spenglers, denn sie ist nebel- haft. Im übrigen schwört Spengler unbedingt auf Goethe. „Die Philosophie dieses Buches verdanke ich der Philosophie Goethes, der unbekannten, und erst in viel geringerem Grade der Philosophie Nietz- sches. Die Stellung Goethes in der westeuropäischen Metaphysik ist noch gar nicht verstanden worden. Man nennt ihn nicht einmal, wenn von Philosophie die Rede ist“ (S. 69). Letzteres trifit übrigens durchaus nicht zu; ich habe in den Vorlesungen des Philosophen Rickert mehr über Goethe zu hören bekommen, als ich für berechtigt halte; denn Goethe war kein großer Philosoph, ebensowenig wie ein großer Biologe. Er war ein großer Dichter und er gab dem Glauben und der Sehnsucht der Gebildeten seiner Zeit Ausdruck. Schön ist was gefällt; darum war er ein großer Dichter, aber eben darum kein großer Denker, und konse- quentes Denken war ihm kaum weniger unbequem als Spenglern. Ich bin auch der Meinung, daß Spengler ein richtiges Gefühl hat, wenn er sich als wesensverwandt mit Goethe empfindet. Auch Goethe hat die Zeitgenossen durch die Fülle seiner Bildung überwältigt, und ein großer Teil seines Erfolges beruht unzweifelhaft ebenso wie bei Speng- ler auf der magischen Wirkung seiner dunklen Worte. Spengler, der ebenso wie Goethe in hohem Maße die Fähigkeit der Einfühlung in die Seele der Gebildeten besitzt, sagt an einer Stelle von der deutschen Romantik: „Man fand an Magie und Astrologie ebenso wie an der Schwär- merei für maurische Kunst und neuplatonische Visionen Gefallen, ohne von diesen entlegenen Dingen eben viel zu verstehen. Schelling und sein Kreis gefielen sich in unfruchtbaren Spekulationen in arabisch-jidi- schem Stil, die man mit deutlichem Behagen als dunkel, als tief emp- fand ...... , die man wohl zum Teil selbst nicht begriff und von denen man hoffte, daß sie auch vom Hörer nicht begriffen werden würden.“ Unzweifelhaft gilt Aehnliches auch von Goethe und von Spengler,

„Kultur ist das Urphänomen aller vergangenen und künftigen Weltgeschichte. Die tiefe und wenig gewürdigte Idee Goethes, die er in seiner lebendigen Natur fand und seinen morphologischen For-

296 Fritz Lenz:

schungen stets zugrunde gelegt hat, soll hier in ihrem genauesten Sinne auf all die vollkommen ausgereiften, in der Blüte erstor- benen, halbentwickelten, im Keim erstickten Bildungen der menschlichen Geschichte angewendet werden. Hier redet nicht der analysierende Ver- stand, sondern das unmittelbare Weltgefühl, das Anschauen“ (S. 151). „Es ist, den physiognomischen Takt vorausgesetzt, durchaus möglich, aus zerstreuten Details der Ornamentik, Bauweise, Schrift, aus vereinzelten Daten politischer, wirtschaftlicher, religiöser Natur die organischen Grund- züge des Geschichtsbildes ganzer Jahrhunderte wiederzufinden, aus Einzel- heiten der künstlerischen Formensprache etwa die gleichzeitige Staats- form, aus mathematischen Prinzipien den Charakter der entsprechenden wirtschaftlichen abzulesen, ein echt Goethesches, auf Goethes Idee vom Urphänomen zurückführendes Verfahren, das in beschränktem Umfange der vergleichenden Tier- und Pflanzenkunde geläufig ist, das ‘sich aber in einem nie geahnten Grade auf den gesamten Bereich der Historie ausdehnen läßt.“ Das ist Spenglers „Methode“. Und in der Tat, sie scheint mir der Goethes wesensverwandt; oder, wie es für uns Gegenwärtige deutlicher sein dürfte, die Methode Goethes war der Spenglers verwandt. Aber Goethe hat anderthalb Jahrhunderte vor Spengler gelebt; das muß man ihm zugute halten. Hätte er den Aufschwung der biologischen Wissenschaften im letzten Jahrhundert erlebt, so hätte er schwerlich noch so unverantwortliches Zeug darüber geschrieben wie Spengler.

Außer von Goethe ist Spengler vor allem von dem so ganz anders gearteten Nietzsche beeinflußt, zumal der Spengler des 2. Bandes. Geistesverwandt ist er andererseits mit Hegel, bei dem ebenso wie bei Spengler die Neigung zu „phänomenologischer“ Be- trachtungsweise und zu Konstruktion und Bestimmung der Geschichte bestand. „Wir nehmen die Geschichte der Philosophie als letztes ernsthaftes Thema der Philosophie an“ (S. 64). Dieser Satz Spenglers ist echt Hegel; überhaupt teilt er mit Hegel das müde Gefühl, am Ende einer großen Epoche zu stehen, und ebenso die daraus folgende Resignation. „Mit dem geformten Staat hat auch die hohe Ge- schichte sich schlafen gelegt.“ „Mitten im Lande liegen die alten Well- städte, leere Gehäuse einer erloschenen Seele, in die sich geschichtslose Menschheit langsam einnistet.“ „Es ist ein Schauspiel, das in seiner Zwecklosigkeit erhaben ist, zwecklos und erhaben wie der Gang der Ge- stirne, die Drehung der Erde, der Wechsel von Land und Meer, von Eis und Urwäldern auf ihr. Man mag es bewundern oder beweinen aber es ist da“ (II. S. 547).

Spengler bezeichnet seine Philosophie als „historisch-psychologi- schen Skeptizismus“ (S. 524). „Wir nehmen die Geschichte der

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie. 297 Philosophie als letztes ernsthaftes Thema der Philosophie an. Das ist Skepsis. Man verzichtet auf absolute Standpunkte, der Grieche, indem er über die Vergangenheit seines Denkens lächelt, wir, indem wir sie als Organismus begreifen“ (S. 64). Das ist für ihn „die letzte große Aufgabe des abendländischen Denkens“ und der faustischen Kultur. „Es steht keiner Kultur frei, den Weg und die Haltung ihrer Philosophie zu wäh- len; hier zum ersten Male aber kann eine Kultur voraussehen, welchen Weg das Schicksal für sie gewählt hat“ (S. 218). Diese Einstellung ist natürlich gar nicht „faustisch“, wie Spengler gelegentlich selber ge- sehen hat: „Der antike Geist mit seinen Orakeln und Vogelzeichen will die Zukunft nur wissen, der abendländische will sie schaffen“ (S. 509). Auch antik ist übrigens jene Einstellung Spenglers nicht; sie ist vielmehr orientalisch-magisch (daneben gibt es freilich auch noch einen Spengler II, der anders denkt und anders will, wie noch gezeigt werden soll). Der Verzicht auf absolute Standpunkte, den Spengler sich leistet, wenn er von oben herab über die Standpunkte anderer Leute redet, wird übrigens keineswegs von ihm durchgehalten: „Es ist jetzt endlich möglich, den entscheidenden Schritt zu tun und ein Bild der Geschichte zu entwerfen, das nicht mehr vom zufälligen Standort des Betrachters in irgendeiner seiner ‚Gegenwart‘ und von seiner Eigen- schaft als interessiertem Gliede einer einzelnen Kultur abhängig ist“ usw. (S. 136). „Die Weltgeschichte ist derselben Ablösung von einem zufäl- ligen Beobachtungsorte der jeweiligen ‚Neuzeit‘ fähig und bedürftig“ (S. 137). „Hier war noch einmal die Tat des Kopernikus zu vollbringen“ (S. 137) von ihm selber natürlich. Und diese Einstellung scheint mir in Anbetracht des ungeheuer hochgespannten Selbstgefühls Spenglers im Grunde aufrichtiger zu sein als der Verzicht auf absolute Standpunkte. Hinter der Maske des Skeptikers verbirgt sich in Spengler ein Erz- dogmatiker, und die Dogmatiker in der Maske des Skeptikers sind be- kanntlich die schlimmsten. Der „Skeptiker“ Spengler erklärt, daß die gegenwärtige Mechanik „eine die Struktur des westeuropäischen Geistes bezeichnende Illusion“ sei (S. 527). „Was wir heute ganz allgemein Physik nennen, ist in der Tat ein Barockphänomen“ (S. 588). Der Dogmatiker Spengler dagegen: „Wir wissen heute, daß die Summe aller Sonnen- systeme etwa 35 Millionen ein geschlossenes Sternensystem bildet, das nachweisbar endlich ist“ (S. 458).

Die Fülle der Spenglerschen Dogmen ist so groß, daß schon von vornherein zu erwarten ist, daß viele davon unhaltbar sein werden. Nicht wenige davon widersprechen sich gegenseitig; und bei manchen ist es auch nicht ganz deutlich, bis zu welchem Grade sie ernst gemeint sind. „Kulturen sind Organismen.“ „Kulturen sind Pflanzen.“ Wenn er ge- fragt würde, ob das wirklich sein Ernst sei, so würde er, in die Enge

298 Fritz Lenz:

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getrieben, wohl antworten: jawohl; aber ihm würde vermutlich nicht ganz wohl dabei sein. Aufstellen lassen sich solche Behauptungen eben leichter als durchhalten. Wir können in solchen Sätzen höchstens Gleich- nisse sehen und nicht einmal treffende. „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“ Das ist auch Spenglers Lehre.

Spengler schreibt auch mancherlei über den Zusammenhang von Kultur und Rasse; er würde aber die Ansicht, daß die Kultur durch die Rasse bedingt oder wesentlich mitbedingt sei, weit von sich weisen. Große Kulturen treten vielmehr „in einer mit formloser Menschheit (!) erfüll- ten Landschaft mit rätselhafter Vehemenz“ ins Dasein (S. 226), offenbar aus „kosmischen“ Gründen, beileibe nicht aus Gründen, die den „Dar- winisten“ faßlich sind. Die griechische Kultur war nach Spengler nicht das Werk der Hellenen; die Hellenen sind vielmehr das Werk der griechischen Kultur (II. 203). Die Angehörigen verschiedener Kulturen können sich daher auch nicht verstehen. Die höchsten Momente Beetho- _venscher Melodik und Harmonik .... sind für alle (!) fremden und kom- menden Kulturen ein törichtes Gekrächz“ (S. 299). Hierzu ist zu bemer- ken, daß Beethovensche Musik auch für Unmusikalische eine unverständ- liche Folge von Geräuschen ist, und Spengler wird nicht behaupten wollen, daß unmusikalische Menschen nicht zur abendländischen Kultur gehören. Gerade am Beispiel der Musik wird es besonders deutlich, daß die Erbanlage oder, was dasselbe ist, Rassenanlage viel wesenhafter ist, als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur, die im Vergleich zur Rasse immer etwas Aeußerliches bleibt.

Entsprechend seiner Lehre von der völligen Verschiedenheit des „Weltgefühls“ der verschiedenen Kulturen sucht Spengler auch einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen antiken und abendländischen An- schauungen aufzuzeigen. Er sagt von der Antike: „Es fehlt an müilter- licher Sorge der Stadt für die Nachkommen der Lebenden; es fehlt die Ehrfurcht vor dem Erblichen und somit der Sinn für Dynastien wie für die Familie als Kette von Generationen und nicht nur als Gruppe von Lebenden“ (S. 361). Nun, Lykurg, Theognis, Antisthenes, Platon, Aristo- teles, Chrysippos waren doch schließlich auch Angehörige der antiken Kul- tur. Lykurg ließ sich nach der Ueberlieferung von seinen Mitbürgern das eidliche Versprechen geben, daß sie an seinen rassenhygienischen Sat- zungen nichts ändern würden, bevor er zurückgekehrt sei, und dann suchte er den freiwilligen Tod in der Fremde. Wenn das auch vielleicht histo- risch nicht wahr sein mag, so beweist die Ueberlieferung doch den Sinn der Hellenen für die Zukunft. Auch braucht nur an die Rassenhygiene Platons und der übrigen eben genannten hellenischen Denker erinnert zu werden, um ihre „Ehrfurcht vor dem Erblichen“ offenbar zu machen. Die Namen der gleichen Denker, zumal der des Antisthenes, widerlegen auch

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie. 299

Spenglers Behauptung, daß das Lebensgefühl der Antike „streng pas- siv“ gewesen sei (S. 429). Und wenn er meint, daß einzig und allein die abendländische Moral die Form des Du sollst habe, so genügt es, an die zehn Gebote des Moses zu erinnern. „Daß alles Qualitative auf die Be- wegung unveränderlicher, gleichartiger Massenpunkte zurückführbar sei ist das nicht schon ein rein faustisches, kein allgemein menschliches Postulat?“ Nun, dieser Gedanke ist erstmalig nicht einem Abendländer, sondern dem Hellenen Leukippos gekommen, und er war später den Epikuräern geläufig. Mir scheint gerade die erstaunliche Aehnlichkeit der geistigen Grundstruktur der hellenischen Denker mit denen unserer Zeit zu beweisen, daß die Rasse das Verbindende zwischen ihnen und uns und nicht die Kultur das Trennende ist. Platons Staatslehre ist ein mo- dernes Buch, ja ein aktuelles. Wenn ein Abendländer keinen Schimmer von der antiken Kultur haben könnte, so könnte ja auch Spengler nichts über sie aussagen, und doch versteht er alle Kulturen und urteilt über ihre verborgensten Probleme!

Auch seine Lehre von der tausendjährigen Dauer der Kulturen bringt ihn in Widerspruch mit den Erfahrungen über den Rassencharak- ter. Er hat die „magische Kultur“, welche um das Jahr 0 beginnen soll, „entdeckt“ (II. 228 ff.). So muß sie also um das Jahr 1000 geendet haben. Das Judentum ist ihm daher „etwa seit Jehuda ben Halevi“ nur noch eine „Fellachenreligion“ (II. S. 388). „Fellachen“ nennt er nämlich Völ- ker nach Ablauf ihrer Kultur. Die modernen Juden sind überhaupt ein kulturloses Fellachenvolk (II. S. 214). Ein Spinoza, ein Einstein können nach Spengler also keine Kulturbedeutung haben! Oder haben sie vielleicht eine Bedeutung für die faustische, nur nicht für die „magische“ Kultur? Aber auch so will es Spengler nicht; er sagt vielmehr, daß Spinoza „als Jude“ seelisch noch der magischen Kultur zugehörig sei (S. 590), ebenso der Physiker Heinrich Hertz. Und trotzdem ist m. E. etwas Wahres an Spenglers Konzeption des „magischen“ Wesens; nur liegt es nicht in der Kultur, sondern in der Rasse. Was er als Aeußerungen „magischer Kultur“ ansieht, sind in Wahrheit Aeußerungen des Wesens der vorderasiatischen Rasse. Und diese AeuBerungen sind natürlich nicht auf eine Periode von 1000 Jahren beschränkt. Er emp- findet sehr richtig, daß „schon der große Poseidonios“ ein „echter Semit“ war. Die eigenartigen, gemeinsamen Wesenszüge der modernen Juden, Griechen und Parsen, von denen er in Bd. II S. 399 spricht, sind nicht ein Ausfluß erstarrter magischer Kultur, sondern der ihnen gemeinsamen vorderasiatischen Rasse. Er erinnert an Goethes Verdeutschung des Wor- tes „Im Anfang war das Wort“ in das andere: „Im Anfang war die Tat‘; und er nennt es eine Umdeutung „aus dem Magischen ins Nordische“. Noch treffender wäre: aus dem Vorderasiatischen ins Nordische, diese

Begriffe dabei rassenmäßig gefaßt. Allerdings entspricht dem Wesen Fausts, Goethes und Spenglers im Grunde mehr das „Wort“ als die „Tat“. Zumal bei Spengler steht das „Wort“ nicht nur im „Anfang“, sondern auch nichts anderes dahinter, und mindestens eine Seite an ihm ist „magisch“: seine Neigung zu großen Worten, zum Pathos, zur sug- gestiven Wirkung mittels geheimnisvoller Andeutungen, sein Glaube an kosmische Zusammenhänge des geschichtlichen Lebens, an zahlenmäßig bestimmte Perioden, sein Fatalismus. Es ist auch offenbar gerade die ma- gische Seite an Goethe, die ihn so anzieht; darin vor allem ist er mit Goethe verwandt. Der moralische Imperativ des „Du sollst“ ist ihm der „Ausfluß einer ungeheuren optischen Täuschung“ (S. 464). Da er zugleich aber meint: „Der moralische Imperativ als Form der Moral ist faustisch und nur faustisch“, so schließt er, der über Imperative erhaben zu sein glaubt, sich sogar selber vom faustischen und damit auch wohl vom nordischen Wesen aus. Glücklicherweise aber gibt es außer Spengler, dem Ma- gier, auch noch einen Spengler II, der Politiker ist, außer Spengler, dem Orientalen,*) auch noch Spengler, den Germanen, und von dem wird noch zu reden sein.

Stellenweise kommt Spengler selber der Bedeutung der Rasse für die Kultur nahe. So bemerkt er, daß das Faustische sich bereits in der „urmenschlichen Seele“ der Germanen, d. h. vor Beginn der faustischen Kultur regte. „Es war der Geist der Wikinger, der Hansa, der Geist jener Urvölker, welche die Hünengräber als die Male einsamer Seelen auf wei- ter Ebene aufschütteten, die ihre toten Könige auf brennendem Schiffe in die hohe See treiben ließen, ein erschütterndes Zeichen jener dunklen Sehnsucht nach dem Grenzenlosen“ etc. (S. 459). So wäre also die „fau- stische Kultur“ vielleicht doch nicht aus kosmischen Weiten gekommen und in einer Landschaft mit „formloser Menschheit” ins Leben getreten, sondern aus dem Geiste einer ganz bestimmten Rasse erwachsen? Ja, Spengler sagt sogar von der modernen Physik: „Sie ist nicht nur Sache der Intelligenz, sondern auch der Rasse“ (S. 531), wobei er allerdings nicht die Möglichkeit ins Auge gefaßt zu haben scheint, daß auch die Intelli- genz Sache der Rasse sein könne. Im zweiten Bande führt er den Begriff der Rasse durch die Bemerkung ein, „daß die leibliche Folge von Eltern und Kindern, der Zusammenhang des Blutes, natürliche Gruppen bildet, welche den deutlichen Hang verraten, in einer Landschaft Wurzel zu fas- sen“. „Dies nenne ich Rasse“ (II. 133). „Was ein Mensch von Rasse ist, wissen wir alle auf den ersten Blick“ (II. 146). Auf S. Il. 155 heißt es so- gar, daß „Rasse ebenso wie Zeit und Schicksal etwas ist, etwas für alle

*) Damit soll nichts über Spenglers Abstammung, sondern nur etwas über seine geistige Eigenart ausgesagt sein. Wie mir versichert wird, soll Spengler von germanischer Abstammung sein.

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie. 301

Lebensfragen ganz Entscheidendes, wovon jeder Mensch klar und deutlich weiß, solange er nicht den Versuch mächt, es durch verstandesmäßige und also entseelende Zergliederung und Ordnung begreifen zu wollen.“ Auch hier also die Abneigung gegen klare, begriffliche Fassung und die Zuflucht zum bloßen Sinneseindruck. Daß das Wesen der Rasse in der Erblichkeit liege, würde er vermutlich weit von sich weisen; auf S. II. 429 zählt er „die Vererbungstheorie‘“ sogar mit wegwerfender Geste zu den „Dogmen“. Im Grunde ist ihm die Rasse sogar ein direktes Produkt der Umwelt. Un- ter Berufung auf den jüdischen Anthropologen Boas behauptet er von den aus Europa gekommenen Amerikanern: „Sie werden von Generation zu Generation der ausgerotteten Bevölkerung ähnlicher.“ „Die Landschaft erhält eine geheime Gewalt über das Pflanzenhafte in ihnen, und endlich ist der Rasseausdruck von Grund aus verändert, der alte erloschen und ein neuer aufgetaucht“ (II. 140). Hier spricht offenbar Spengler I, der Orientale. Ja, wie viele Schriftsteller vorderasiatischer Abkunft vertritt Spengler sogar einen ganz ausgesprochenen Psycholamarckismus: „Ein starkes Seelentum züchtet den Leib wie ein Kunstwerk heran“ (II. 198). „Wo es ein Rasseideal gibt ....... , da bewirkt die Sehnsucht einer herrschen- ` den Klasse nach diesem Ideal, der Wille, so und nicht anders zu sein, ganz unabhängig von der Wahl der Frauen (1), daß dieses Ideal sich endlich verwirklicht“ (II. 150). „Man kann die Gestaltungskraft dieses lebendigen Taktes, dieses starken innerlichen Gefühls für die Vollkommenheit des . eigenen Typus gar nicht hoch genug anschlagen.” Selbstverständlich denkt er dabei nicht etwa an die Wirkung geschlechtlicher Auslese nach einem bestimmten Idealtypus; das wäre ja ttt „Darwinismus“. Er stellt sich hier vielmehr offensichtlich unmittelbar zweckmäßig gestaltende Kräfte vor, deren Annahme er im ersten Bande fälschlich den „Darwinisten“ zu- geschrieben und so schwer angekreidet hatte (I. 424, 560).

Weil für den Psycholamarckisten Spengler nur „die Gestaltungs- kraft des lebendigen Taktes“ und ihr physiognomischer Ausdruck aus- - schlaggebend ist, welche die Rasse einfach plastisch gestalten, so haben für ihn Skelettfunde keinerlei Bedeutung für die Geschichte der Rassen. „Das Entscheidende sind nicht die Knochen, sondern das Fleisch, der Blick, das Mienenspiel“ (II. 153). „Die „Rasse“ wanderte gewissermaßen als Fleisch über die feststehende Skelettform des Bodens hin“ (II. 154). „Deshalb beweisen die berühmten prähistorischen Knochenfunde vom Neandertalschädel bis zum homo Aurignacensis für die Rasse und die Rassewanderungen des primitiven Menschen nicht das geringste“ CII. 154). „Es können also gewaltige Rasseschicksale über ein Land dahin- gegangen sein, ohne daß der Forscher an den Skelettresten der Gräber das geringste davon bemerkt“ (II. 147). Spengler behauptet auch allen Ernstes, daß man „Buren- und Kaflernschädel“ nicht unterscheiden könne

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302 Fritz Lenz:

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(II. 153). „Man beobachte Menschen von den denkbar stärksten Rassen- unterschieden durch (sic!) einen Röntgenapparat und stelle sich dabei gei- stig auf die „Rasse“ ein. Es wird ein geradezu lächerlicher Eindruck sein, wie mit der Durchleuchtung die „Rasse“ plötzlich vollständig verschwin- det“ (II. 154). Im ersten Bande hatte er allerdings berichtet, daß die Pa- . läontologie „heute imstande ist, aus einem einzigen aufgefundenen Schä- delfragment weitgehende und sichere Angaben über das Skelett und die Zugehörigkeit des Exemplars zu einer bestimmten Art zu machen“ (S. 163); er hatte mit diesem Verfahren sogar seine „Methode“ verglichen. Auch die Angabe, daß Goethes Entdeckung des Zwischenkiefers „allein alle Entdeckungen Darwins aufwiege“ (S. 151), ist offenbar nicht gut mit der Ansicht vereinbar, daß es nicht auf die „Knochen“, sondern nur auf das „Fleisch“ ankomme.

Den „romantischen Begriff“ des „Volkes“, das eine Kultur schafte, will Spengler „zerstören“ (II. 132 ff.); und was er zur Kritik dieses Begriffes vorbringt, ist zum Teil nicht übel. Hier verachtet er es sogar nicht, „ver- standesmäßige und also entseelende Zergliederung“ zu betreiben. „Aber gerade, weil der Begriff ein hohes Pathos birgt, entzieht er sich gern der Kritik“ (II. 132). Die Kulturen sind nicht eigentlich von Völkern geschaf- fen worden, sondern haben Völker erst gestaltet. Dem kann man bis zu einem gewissen Grade zustimmen; der Begriff des Volkes wird im Unter- schied von dem der Rasse tatsächlich am besten wohl nicht biologisch, sondern kulturell gefaßt; und im Widerspruch mit Spenglers eigener Kritik des Volksbegriffes dürfte es stehen, wenn er später wieder sagt: „Die Völker als Staaten sind die eigentlichen Mächte alles menschlichen Geschehens“; denn dann müßten sie auch wohl die Schöpfer der Kulturen sein, was er vorher ausdrücklich abgelehnt hatte, da Kulturen ja etwas durchaus Spontanes, Kosmisches sein sollen. Es ist allerdings recht zwei- felhaft, ob Spenglers Definition des „Volkes“ besonders zweckmäßig sei: „Volk ist ein Verband von Männern, der sich als Ganzes fühlt“ (II. 190). (Frauen scheinen also nicht zum „Volke“ zu gehören.) „Für mich ist „Volk“ eine Einheit der Seele“ (Il. 197). „Einen andern Inhalt des Wortes Volk gibt („gibt!“) es nicht. Weder die Einheit der Sprache noch der leiblichen Abstammung ist entscheidend“ (II. 197). Dazu wäre doch zu sagen, daß es schließlich eine Sache der Definition und der Ueberein- kunft ist, was man unter „Volk“ verstehen will; und es ist nicht ersicht- lich, warum gerade das Dekret Spenglers allein Geltung beanspruchen dürfte. Nach seiner Definition („Verband von Männern, der sich als Gan- zes fühlt“, „Einheit der Seele“) würde es ein deutsches Volk in der Gegen- wart schwerlich geben; mindestens wäre es sehr zweifelhaft, ob es eins gäbe, und schon daraus dürfte folgen, daß seine Definition nicht zweck- mäßig ist, weil sie nicht im Einklang mit dem Sprachgebrauch steht. Man

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes‘“ im Lichte der Rassenbiologie. 303

tut m. E. gut, den Begriff des Volkes von dem gemeinsamen Besitz ge- wisser Kulturgüter, in erster Linie der Sprache, abhängig zu machen. Ge- rade dann kann man Spengler bis zu einem gewissen Grade zustim- men, wenn er bemerkt, daß ein Volk die Rasse wechseln und doch das- selbe Volk bleiben könne (II. 190, 197).

Auch über die Frage des Unterganges der Kulturen finden sich bei Spengler nicht nur unhaltbare Behauptungen, sondern gelegentlich auch ganz vernünftige Ansichten. Gemäß seinem Hauptdogma sterben Kul- turen dann, wenn ihre Zeit abgelaufen ist und ihre inneren Möglichkeiten erschöpft sind. Daß diese Ansicht nicht neu ist, wurde schon oben er- wähnt und auf den Römer Varro in diesem Zusammenhange hingewie- sen. Auch der Ethnologe Frobenius hat in seinem Buche über den „Ursprung der Kultur“ im Jahre 1898 gesagt: „Ich behaupte, jede Kultur entwickle sich wie die lebenden Organismen, erlebe also eine Geburt, ein Kindes-, ein Mannes-, ein Greisenalter und endlich ein Hinscheiden.“ Der zentrale Gedanke Spenglers stammt jedenfalls nicht von ihm selber; er hat aber das Verdienst, diesen falschen Gedanken zu Tode geritten zu haben. Andererseits finden sich bei Spengler auch Bemerkungen, welche zeigen, daß er sich der Bedeutung des Aussterbens der kultur- schaffenden und kulturtragenden Rassenelemente für den Untergang der Kulturen gelegentlich nicht entziehen kann. So schildert er das letzte Stadium aller Kulturen mit folgenden Worten: „Die ganze Pyramide des kulturfähigen Menschentums verschwindet. Sie wird von der Spitze herab abgebaut, zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich das Land, das durch die über alles Maß anwachsende Landflucht seiner besten Be- völkerung eine Zeitlang das Leerwerden der Städte verzögert. Nur das primitive Blut bleibt zuletzt übrig, aber seiner starken und zukunftreichen Elemente beraubt“. (II. 125). Von der Geschichte Roms heißt es: „Aus dem ursprünglichen Markt zur Kulturstadt und endlich zur Weltstadt heran- gewachsen, bringt sie das Blut und die Seele ihrer Schöpfer dieser groß- artigen Entwicklung und deren letzter Blüte dem Geist der Zivilisation zum Opfer und vernichtet damit zuletzt auch sich selber“ (II. 127). Spengler ist hier offenbar, sei es direkt oder indirekt, durch Otto Seecks Schilderung des Untergangs der antiken Welt beeinflußt, dessen Werk auch das Vorbild für den Titel von Spenglers Buch abgegeben hat, obwohl er es nirgends erwähnt. Nach dem Historiker Seeck steht als Ursache hinter dem Untergang der antiken Kultur „der eine beherr- schende Hauptgrund, die geistige und körperliche Verkommenheit der Rasse“. Spengler aber, dem alle biologischen Ursachen zuwider sind, erklärt: „Wenn irgend etwas, so beweist der allbekannte ‚Untergang der Antike‘, der sich lange vor dem Einbruch der germanischen Wander- völker vollendete, daß Kausalität mit Geschichte nichts zu tun hat“ (II. 125).

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„Wenn irgend etwas“ dies scheint also sein stärkstes Argument zu sein, und eben dieses beruht auf einem offensichtlichen Fehlschluß. Aber Spengler ist entschlossen, der kausalen Betrachtung und dem „Dar- winismus“ zu entgehen. Auch die „Unfruchtbarkeit des zivilisierten Men- schen“ wird daher metaphysisch gedeutet: „Es handelt sich hier nicht um etwas, das sich mit alltäglicher Kausalität, etwa physiologisch, begreifen ließe, wie es die moderne Wissenschaft selbstverständlich versucht hat. Hier liegt eine durchaus metaphysische Wendung zum Tode vor“ (II. 122). Das ist natürlich alles andere als rein „morphologische“ oder „phänomenologische“ Betrachtung, die Spengler nach seiner Ansicht stets betreibt. Wenn aber schon Ursachen, so zieht Spengler meta- physische und nicht die auf der Hand liegenden „alltäglichen“ heran; denn welchem Gebildeten könnten die wohl imponieren? Trotzdem erleidet auch Spengler gelegentlich immer wieder Rückfälle in Kausalität und „Dar- winismus“. Gegen den Schluß des 2. Bandes weist er die Ansicht ab, daß die Erschöpfung der Kohlenlager das Ende der modernen Zivilisation bringen werde. „Aber solange es technische Pfadfinder von Rang gibt, gibt es keine Gefahren dieser Art. Erst wenn der Nachwuchs dieser Armee ausbleibt, deren Gedankenarbeit mit der Arbeit der Maschine eine innere Einheit bildet, muß die Industrie trotz Unternehmertum und Arbeiterschaft erlöschen“ (II. 632). Und das werde eintreten, wenn die „Auslese des Geistes“ was für ein „darwinistischer“ Begriff! auf die Fortpflanzung verzichte. |

Neu oder original ist das natürlich ebensowenig wie die ganze Lehre vom „Untergang des Abendlandes“. Schon Gobineau hat diesen be- kanntlich vor mehr als einem halben Jahrhundert verkündet: „Die Völker, nein, die Menschenherden werden alsdann von dumpfer Trägheit be- herrscht, stumpfsinnig in ihrer Nichtigkeit dahinleben wie die wieder- käuenden Büffel in den stagnierenden Pfützen der pontinischen Sümpfe.“ Bescheidener als Spengler sagt er allerdings: „Wir können uns nicht anmaßen, genau die Zahl der Jahrhunderte zu berechnen, die uns von dem sicheren Ende noch trennen.“ Aber eine Aehnlichkeit der Grund- stimmung ist unverkennbar: „Die Entstehung, die Entwicklung und das Verschwinden einer Gesellschaft und ihrer Kultur bilden Erscheinungen, die den Beobachter weit über die Horizonte, welche die Historiker ihm gewöhnlich schauen lassen, hinausversetzen. Sie tragen in ihren Urgründen keine Spur der menschlichen Leidenschaften noch auch des bestimmenden Eingreifens der Völker Materiale, die zu vergänglich sind, um in einem Werke von solcher Dauer Platz zu finden.“ Im übrigen aber ist Gobineau schon damals entscheidend über Spengler hinausgekommen, wenn er fortfährt: „Einzig die den verschiedenen Rassen und ihren Verbindungen zugeteilten verschiedenen Formen ihres geistigen Wesens lassen sich darin

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie. 305

erkennen.“ Aber Gobineaus Erkenntnis war einseitig und unvollkom- men, da er die Unterschiede der Fortpflanzung, d. h. die Auslese, nicht gebührend gewürdigt hat. Die entscheidende Einsicht in die Ursachen des Untergangs des Abendlandes hat vielmehr zuerst Galton gewonnen, dessen grundlegendes Werk etwa 1% Jahrzehnte nach jenem Gobineaus erschienen ist: „Infolge dieser ve:schiedenen Ursachen wird die Frucht- barkeit der befähigteren Klassen alter Kulturvölker beständig eingeschränkt, während die Leichtsinnigen und Nichthochstrebenden den größten Teil der kommenden Generation erzeugen. So verschlechtert sich die Rasse all- mählich; mit jeder Generation wi:d sie für eine höhere Kultur weniger geeignet, obwohl sie deren äußeren Anschein beibehält, bis die Zeit kommt, wo der ganze politische und soziale Bau zusammenstürzt und ein größerer oder geringerer Rückfall in die Barbarei stattfindet.“ Auch Galton hat also jedenfalls den „Untergang des Abendlandes“ gelehrt. DaßSpengler einen soviel gıößeren Augenblickserfolg errungen hat, dürfte außer durch die magische Aufmachung, mit der er unsern Gebildeten zu imponieren verstand, auch wesentlich durch die Zeitumstände mitbedingt sein. Sein Buch erschien am Ende des unglücklichen Krieges und zu Anfang der deutschen Revolution. Dem gebildeten Bürgertum in Deutschland, das in seiner jüngeren Generation durch den Krieg seiner besten Glieder beraubt war und das ohne einen ernsthaften Versuch der Gegenwehr in fatalisti- scher Resignation die Revolution über sich ergehen ließ, diente Speng- lers Buch zur Beruhigung des Gewissens: „Wer nicht begreift, daß sich an diesem Ausgang nichts ändern läßt..... (1. 53). Man wollte von Politik nichts mehr sehen und hören und steckte den Kopf in den Spengler. Allmählich erwacht nun das deutsche Bürgertum aus seiner Erstarrung, eine neue Jugend wächst he:an, und die Spenglersche Resignation verschwindet nach und nach, zum Teil sogar bei Spengler selber, wie sich gegen das Ende seines 2, Bandes in bemerkenswerten Zeichen ankündigt.

Gobineau hatte seiner Vision des Untergangs des Abendlandes ein „Malgré tout!“ Trotz alledem! entgegengesetzt, und für Galton war sie zum Motiv seiner Rassenhygiene geworden. Spengler dagegen, wenigstens der orientalisch-fatalistische Spengler I, redet von der Rassenhygiene als von einer „Geschmacklosigkeit“, die „die Ehe zu einer sexuellen Institution im Hinblick auf ein physiologisches Ziel macht“ und die „Menschheit in ein Gestüt“ verwandelt (I. 520). „Die Entwürfe von Weltverbesserern haben mit der geschichtlichen Wirklichkeit nichts zu tun“ (II. 548). Er lobt den alten Epikur, daß er an die „Umgestaltung der Menschheit“ keinen Gedanken verschwendet habe, und behauptet, die „Interesselosigkeit am Lauf der Welt“ sei ganz allgemein das antike Lebensideal gewesen, wogegen nur an die Rassenhygiene des großen

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Platon erinnert zu werden braucht. Es ist nun ganz lustig zu verfolgen, wie trotz der Prinzipien des orientalisch-fatalistischen Spengler I der -germanisch-faustische Spengler II schließlich rassenhygienischen Ge- sichtspunkten immer näher kommt. Er hat ja auch zu oft verkündet, daß der faustische Mensch den Willen zur Tat, den Willen zur Dauer habe, als daß er ihn ganz bei sich verneinen könnte. Andernfalls müßte er sich selber ja völlig außerhalb der faustischen Kultur stellen. Es ergeht ihm wie schon so manchem fatalistischen System: der Stoa, dem Islam, dem Puritanismus, die eine große Wirkung im Widerspruch mit dem eigenen System entfaltet haben. „Wir haben nicht die Freiheit, dies oder jenes zu erreichen, aber die, das Notwendige zu tun oder nichts“ (II. 635). Genau so hatten schon die alten Stoiker gesagt; und wenn es auch ein Trugschluß ist, die Hauptsache ist, daß daraus die Tat folgt. „Wer an die Oberfläche, die öffentliche Meinung, die großen Worte und Ideale des Tages glaubt, ist ihren Ereignissen nicht gewachsen. Sie haben ihn, nicht er sie in der Gewalt. Nicht zurückblicken und den Maßstab aus der Vergangenheit holen!“ (II. 553). Genau in demselben Geiste hatte schon Nietzsche verlangt: „Vergeßt den Aberglauben, Epigonen zu sein!“

Spengler II ist voll Bewunderung für die moderne Technik. „Alle ihre großen Erfindungen sind in der Tiefe langsam gereift, durch vorweg- nehmende Geister verkündigt und versucht worden, um mit der Notwendig- keit eines Schicksals endlich hervorzubrechen“ (II. 627). Es ist nicht ab- zusehen, weshalb das nicht auch von der Technik der „Gestaltung der Menschheit“ gelten sollte, die von Platon, Galton und anderen „vor- wegnehmenden Geistern“ verkündigt worden ist. Und wer „das Notwendige tun will oder nichts“, muß der nicht zur Rassenhygiene kommen? „Das ‘ist etwas Großes und Einziges innerhalb der organisierten Welt. Es ist der einzige Punkt, wo der Mensch sich über die Mächte der Natur erhebt und selbst Schöpfer wird. Noch als Rasse ist er Schöpfung der Natur; da wird er gezüchtet; als Stand aber züchtet er sich selbst, ganz wie die edlen Tier- und Pflanzenrassen, mit denen er sich umgeben hat; und eben das ist im höchsten und letzten Sinne Kultur“ (II. 409). Jawohl, das sagt Spengler Il wirklich, nachdem noch Spengler I den Standpunkt vertreten hatte, daß mit einer solchen Züchtung der faustische Mensch sich selbst opfere. Spengler II stellt sogar Forderungen auf: Der Staats- mann von Rang soll „Erzieher in einem großen Sinne“ sein (II. 553), und die eigentlich politische Art der Erziehung sei „Zucht, nicht Bildung“ (II. 549). „Schöpferisch im Lebendigen, nicht bildend, sondern züchtend, den Typus ganzer Stände und Völker verwandelnd, wirkt nur die große Persönlichkeit, das ‚es‘, die Rasse in ihr, die in ihr gebundene kosmische Kraft“ (II. 554). „Damit wächst der Staatsmann zu etwas empor, das die Antike wohl als Gottheit bezeichnet hätte. Er wird zum Schöpfer eines

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neuen Lebens, zum geistigen Ahnherrn einer jungen Rasse. Er selbst als Wesen entschwindet nach wenigen Jahren aus diesem Strom. Aber eine von ihm ins Dasein gerufene Minderheit, ein anderes Wesen von seltsamster Art, tritt an seine Stelle, und zwar für unabsehbare Zeit“ (II. 555). „Für den Menschen von Rasse ist erst der Tod ohne Erben der wahre und furchtbare Tod, wie die isländischen Sagas so gut als der chine- sische Ahnenkult lehren. Wer in Söhnen und Enkeln fortlebt, stirbt nicht ganz“ (II. 416). Der Staatsmann wird mit dem Gärtner verglichen, der zwar aus einem Samen nicht jede beliebige Pflanze ziehen könne, der aber die Anlagen nach der Kunst des Möglichen ausnutzen und sie entweder zur Entfaltung bringen oder verkümmern lassen könne. „Der große Staats- mann ist der Gärtner eines Volkes“ (II. 556). Das ist zwar alles nicht neu. | Schon Antisthenes und Platon hatten den idealen Staatsmann mit dem züchtenden Hirten verglichen, und unter den Neueren ist offenbar Nietzsche die Quelle, aus der Spenglers Gedanken über Zucht und Züchtung nach Geist und Stil hauptsächlich stammen. Aber es ist schon sehr zu begrüßen, daß diese Gedanken unsern ‚Gebildeten‘ wieder ein- mal nahegebracht werden; die Klärung der Begriffe über Rasse und Züch- tung bei Spengler sind sie noch in hohem Grade unklar wird dann hoffentlich auch einmal kommen.

Eine hohe Einschätzung der Rasse spricht aus jenen letzten Seiten des zweiten Bandes, wo Spengler den Gegensatz des Händlers und des Erzeugers, der Börse und der Industrie, des Geldes und des Blutes schil- dert. Der Händler ist stets bestrebt, sich zum Herrn des Wirtschaftslebens zu machen (II. 606). „Es geht ein Verzweiflungskampf durch die Wirt- schaftsgeschichte jeder Kultur, den die im Boden wurzelnde Tradition einer Rasse, ihre Seele gegen den Geist des Geldes führt“ (608). „Es ist der Verzweiflungskampf des technischen Denkens um seine Freiheit gegen- über dem Denken in Geld“ (633). Und schließlich siegt das Schwert über das Geld oder in anderer Fassung: „Das Geld wird nur vom Blut über- wältigt und aufgehoben“ (634). Damit scheint uns zugleich Spengler, der Germane, den Sieg über Spengler, den Orientalen, davongetragen zu haben, der Politiker über den Magier. Und am Schluß ist das eigent- liche Thema der Geschichte nicht mehr die „Kultur“, sondern: „Es han- delt sich in der Geschichte um das Leben und immer nur um das Leben, die Rasse, den Triumph des Willens zur Macht und nicht um den Sieg von Wahrheiten, Erfindungen oder Geld“ (635). Das ist nun freilich noch nicht ganz eindeutig; insbesondere fällt der Wille zur Macht nicht not- wendig mit dem Willen zum Leben zusammen. In der Geschichte kann es nur ein letztes Wertprinzip geben, und es erscheint mir nicht aus- geschlossen, daß Spengler III es einmal eindeutig in der Rasse sehen wird, wie schon Gobineau es darin gesehen hat. Ansätze dazu finden

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308 Ä Fritz Lenz:

sich schon bei Spengler Il. Echte Geschichte, heißt es bei ihm, sei nicht „Kulturgeschichte, sondern ganz im Gegenteil Rassegeschichte, Kriegs- geschichte, diplomatische Geschichte, das Schicksal von Daseinsströmen in Gestalt von Mann und Weib, Geschlecht, Volk, Stand, Staat, die sich im Wellenschlag der großen Tatsachen verteidigen und gegenseitig überwäl- tigen wollen“ (419). „Man mag den Wunsch (sc. nach Frieden) einschätzen, wie man will, aber man sollte den Mut haben, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Das zeichnet den Menschen von Rasse aus, durch dessen Dasein allein es Geschichte gibt“ (S. 538).

Unsere kritische Betrachtung Spenglers ist notwendig und ab- sichtlich einseitig. Es kann hier nicht in Frage kommen, zu allen den Dingen, von denen er redet und es gibt nur wenige, von denen er zu schweigen weiß Stellung zu nehmen. Hier handelt es sich in erster Linie um das, was er über rassenbiologische Gegenstände, in zweiter um das, was er über biologische im allgemeinen vorbringt; und das ist im ganzen recht schwach. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß sein Ur- teil auf anderen Gebieten, auf denen ich weniger zu Hause bin, also z. B. dem der Philosophie, der Mathematik, der Kulturgeschichte, der Musik, der Kunstgeschichte, der Politik, origineller oder solider wäre. Das meiste, was er redet, ist freilich geistreich, in Einzelheiten hin und wieder auch wohl treffend. Von guter psychologischer Einführung scheint mir das zu zeugen, was er über die Entstehung des Christentums, überhaupt über die „magische Frühzeit“ sagt; dort ist er offenbar mit einem Teile seiner Seele zu Hause. Weniger gut, weil einseitig übertrieben, ist das über Mann und Weib Gesagte. Dem Weibe soll „das Kausalprinzip ewig fremd“ bleiben (II. 403); man hört Moebius durch und erinnert sich, daß auch Speng- lern das Kausalprinzip fremd ist (vgl. ok Des Weibes ewige Politik ist die Eroberung des Mannes (II. 404); hier hört man Nietzsche durch und schließlich auch Strindberg: „Es ist der geheime Urkrieg der Ge- schlechter, der ewig dauert, seit es Geschlechter gibt, verewigend, erbittert, ohne Versöhnung, ohne Gnade.“ So ist Spengler fast nirgends originell, eine typische Gestalt aus dem „Lande der Bildung“, in das „Zarathustra“ zurückkam und von dem er sagte: „Aber wie geschah mir? So angst mir auch war ich mußte lachen! Nie sah mein Auge etwas so Bunt- gesprenkeltes!“ Aber Spengler imponiert unsern Gebildeten durch seine und ihre Bildung; sie fühlen sich geschmeichelt, was er bei ihnen alles voraussetzt; so weist er im ersten Bande oft auf die „Kultur der Maya” hin, und es dürfte wenige Leser des ersten Bandes geben, welche ein- gestehen würden, daß sie nicht wüßten, wo die „Kultur der Maya” zu Hause war. Oft ist das, was er vorbringt, nur ein magischer Wortzauber: „Totem und Tabu bezeichnen den letzten Sinn von Dasein und Wachsein, Schicksal und Angst, Takt und Spannung, Politik und Religion“ (II. 137).

Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ im Lichte der Rassenbiologie. 309

Eines muß man Spenglern lassen: er hat ein feines Gefühl für das, was unsern „Gebildeten“ imponiert. Auf dem Gebiet der psychologi- schen Einfühlung und Suggestion liegt überhaupt seine Stärke. Aber es ist ein Armutszeugnis für die Bildung unserer Zeit, daß sie sich von Spenglern so tief imponieren ließ; und dieser Umstand scheint mir tatsächlich ein Zeichen vom Niedergang des Abendlandes zu sein. Aber dieser Niedergang braucht nicht unwiderruflich zu sein.

Spengler ist ein Symptom in der Krankheitsgeschichte der deut- schen Bildung; möchte es ein Symptom der Krise sein; denn dann be- stände die Hoffnung, daß diese Krankheit, die in Spengler ihren Höhe- punkt erreicht hat, nunmehr in Genesung übergehen könne. Man kann den Schriftsteller Spengler mit dem Schriftsteller Chamberlain vergleichen. Auch dieser hat dieselbe Vorliebe für Formen und Gestalten, dieselbe Abneigung gegen Ursachen, Gesetze und „Darwinismus‘“. Genau wie Spengler vergewaltigt er die Wirklichkeit durch subjektive Phan- tasien, die er mit derselben Selbstsicherheit vorträgt. Auch ihm ist die Ge- schichte Dichtung. Spenglers „Untergang“ ist Chamberlains „Grundlagen“ an die Seite zu stellen. Er handelt wie diese von Allem und Einigem, ist geistreich und unsolide wie diese und überwältigt durch die Fülle der daraus sprechenden Bildung. Auch Spenglers Bedeutung für die Rassenhygiene dürfte ähnlich wie die Chamberlains zu be- urteilen sein: Das Unzulängliche, hier ward es ein Ereignis, über das man sich freuen kann, Es hat die Geister in Bewegung gebracht und sei es auch nur die Geister der Gebildeten. Zum Schluß aber sei festgestellt:

Kulturen sind nicht Organismen, sondern das Organische in aller Geschichte ist die Rasse. Eine Kultur stirbt, wenn die sie tragende Rasse stirbt, und der Tod der Rasse ist kein unabänderliches Verhängnis. Alle Geschichtsbetrachtung setzt leitende Werte voraus, letztlich einen be- herrschenden Wert. Auch Spengler will „Geschichte schaffen“. Etwas zu „schaffen“, was ohnehin geschieht, hat keinen Sinn; und ein Schaffen von Geschichte ist nicht möglich ohne Kausalität in der Geschichte, Und so gilt es denn, durch die Tat die Kausalität der Geschichte zu beweisen, nicht die Kausalität des Fatums, sondern die Kausalität der Freiheit.

Kleinere Mitteilungen.

Der Untergang der Wikinger in Grönland. Von Dr. Jens Paulsen, Kiel-Ellerbek.

Als den letzten Abschnitt der Völkerwanderung kann man die Züge jener Nordgermanen ansehen, die man als Wikinger bezeichnet. Etwa zur Zeit Karls des Großen machten sie sich zuerst in Schottland, England und Irland, zugleich an den französischen und deutschen Küsten bemerkbar. Rasch folgten weitere Kriegsfahrten, so daß sie in den folgenden zwei Jahr- hunderten die Küsten aller europäischen Länder heimgesucht, Reiche ge- gründet haben und sogar durch Rußland hindurch, dem sie die ersten Herrscher gaben, bis an das Kaspische und Schwarze Meer vorgedrungen sind. In der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts waren sie auf dem Höhe- punkt ihrer Macht.

Nordschottland, die Inseln um Schottland herum sowie Irland stan- den unter ihrer Herrschaft. In der Normandie begründeten sie ihr Reich um das Jahr 1012. Sizilien kam 1061 unter ihre Macht; England rissen sie 1066 an sich. Rußland stand unter Herrschern, die von schwedischen Heer- führern abstammten. Der griechische Kaiser in Konstantinopel stützte seine Herrschaft auf eine Leibwache nordischer Söldner. Aber auch über den dem Altertum kaum bekannten Atlantischen Ozean sind sie gefahren und haben Island im Jahre 867, Grönland im Jahre 982 besiedelt; in das Eis- meer sind sie vorgedrungen und haben das Weiße Meer erreicht. Dieselbe Generation ist von Grönland weiter bis zum amerikanischen Festland ge- langt, hat in Winland gesiedelt und den Ozean von Amerika bis Irland überquert.

Ob Winland, wie bisher meistens angenommen wird, in der Gegend von Boston zu suchen ist oder, wie neuere Forscher glauben, am Lorenz- strom, abwärts von Montreal, kann in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben. Jedenfalls war die Besiedlung von Amerika nicht von Dauer und wurde trotz des günstigen Klimas nicht wieder versucht. Der Weg von Is- land über Grönland an der durch Eis abgeschlossenen Küste von Labrador entlang war zu weit und die Fahrt auch für diese seetüchtigste Nation, die die Welt bisher gesehen hatte, zu gefahrvoll und schwierig.

Dagegen führte die Besiedlung von Grönland zu einem Erfolg von längerer Dauer. Islander nahmen das völlig unbewohnte Land in Besitz. Man unterschied im Mittelalter eine westliche und eine östliche Siedlung; die erstere entspricht dem nördlichen Teil des Landes, wo sich bis in die

Kleinere Mitteilungen KI

Gegend von Upernivik unter dem 78. Breitengrade Runensteine gefunden haben. Die östliche Siedlung lag im südlichsten Teil des Landes nördlich von Kap Farvel. Die ganze Ostküste des Landes blieb unbesiedelt, weil sie schon damals vom Eis fast völlig verschlossen war. Sie ist wahrscheinlich erst nach der Ankunft der Isländer vom Norden her von Eskimos in spär- licher Zahl besiedelt worden, die höchstwahrscheinlich, wie neuere Unter- suchungen ergeben haben, von den Inseln nördlich von Nordamerika kom- mend, im Norden um Grönland herum nach der Ostküste gezogen sind.

Die Zahl der nordischen Ansiedler auf Grönland, der letzte Vorposten europäischer Gesittung, hat wohl niemals wenige Tausend überschritten; Island, das einer größeren Bevölkerung Raum bot, hat bis in das letzte Jahrhundert nur 70000 Menschen ernähren können.

Die Geschichte dieser mittelalterlichen Siedlung hat immer das In- teresse und die Phantasie der Geschichtsschreiber und Geographen erregt. So klar und deutlich die Gründungsgeschichte ist, so wenig verständlich und ungeklärt ist das Ende. Die erhaltenen Quellen genügten bisher nicht, um alles zu verstehen. Tatsache ist nur, daß die Ansiedlung ausstarb, daß bei der Neu-Entdeckung des Landes im 16. Jahrhundert keine Spuren der alten Wikinger mehr gefunden wurden, wohl aber ganz Grönland von Es- kimos besiedelt war.

Man hat eine Reihe von Gründen vorgebracht, die zum Aussterben der europäischen Bevölkerung führten: Verschlechterung des Klimas, die der Bevölkerung, die von Viehzucht, Jagd und Fischfang lebte, die Nahrungs- quellen versiegen machte; Angriffe der Eskimos, die für die nördliche Sied- lung bezeugt sind; Inzucht und Degeneration der spärlichen Bevölkerung, die völlig abgeschlossen auf Einzelhöfen lebte wie in Island und im gan- zen Gebiet, das von der nordischen Rasse bewohnt wird. Nur selten kamen in den späteren Jahren einzelne Schiffe von Island oder Norwegen; manch- mal vergingen mehrere Jahre ohne Besuch. 1410 fand der letzte Besuch - von drei Isländern in Grönland statt, von dem sich Kunde erhalten hat. Und wenn auch später noch hin und wieder ein Schiff dorthin gelangt ist oder, vom Sturm verschlagen, dort landen mußte, so nahm man doch bis- her an, daß die Ansiedlung schließlich von jedem Verkehr mit der Außen- welt völlig abgeschlossen wurde und im Verlauf des 15. Jahrhunderts dem Untergang verfiel.

Abgesehen vom rein menschlichen Interesse treten hier dem wissen- schaftlichen Forscher verschiedene Fragen von grundsätzlicher und all- gemeiner Wichtigkeit entgegen. Zunächst: hat wirklich eine Verschlechte- rung des Klimas, wenigstens in dieser Gegend, stattgefunden? Ist die An- siedlung den kriegerischen Angriffen der Eskimos erlegen? Das wäre ein Beispiel, daß ein von ganz besonders kriegstüchtigen, auf beträchtlicher Kulturhöhe stehenden Vorfahren abstammendes Volk einem Naturvolk im Kampf unterlegen wäre; sicherlich eine Erscheinung von kulturhistorischer Wichtigkeit. Oder ist kein Aussterben erfolgt, sondern sind die letzten Wikinger mit den Eskimos zu einer Mischbevölkerung verschmolzen? Diese Ansicht hat ein so guter Kenner wie Nansen ausgesprochen. Schließlich,

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lassen sich mit Sicherheit Inzucht und Degeneration, die aus wissenschaft- lichen Gründen angenommen sind, wirklich nachweisen? Ein solcher Nach- weis muß biologisch und rassenhygienisch von ganz allgemeiner Bedeu- tung sein.

Einer klaren Antwort auf alle diese Fragen sind wir nun sehr viel näher gekommen durch die Ausgrabungen, die die Dänen im Sommer 1921 etwas nördlich vom Kap Farvel vorgenommen haben. Wohnplätze waren schon an vielen Stellen nachgewiesen; ebenso einzelne kleine Funde und Grabungen gemacht, die über die Ausdehnung der Siedlungen eine gute Kenntnis gebracht haben! Aber alle diese Funde werden weit in den Schat- ten gestellt durch die systematische Aufdeckung einer Kirche in Herjolfsnes, einem alten Wikingerort. Daneben wurden noch die Reste eines größeren Baues, wahrscheinlich eines Versammlungs- und Fremdenhauses, Wohn- häuser und Ställe untersucht. Von besonderer Wichtigkeit ist der Fund von Resten von 25 Individuen mit Kleidern, die teils in Särgen, teils nur in ihren Kleidern innerhalb und außerhalb der Kirche begraben waren. Die Veröffentlichung findet sich in den „Meddelelser om Gronland“, Bd. LXVII, Kopenhagen 1924. Sie gliedert sich in drei Teile: I. Paul Nörlund, Bu- ried Norsemen at Herjolfnes. An aıcheaeological and historical study S. 1. IL Finnur Jonsson, Dr. phil., Professor of Norsc Philology. Interpreta- tion of the Runic Inscriptions from Herjolfsnes. S. 271. III. Fr. C. C. Hansen. Anthropologia medico-historica Groenlandiae antiquae. I. Her- jolisnes. Nörlund berichtet ausführlich über die Ausgrabungsergebnisse. Die Kirche hat Mauerreste aus Felsgestein hinterlassen im Ausmaß von 15:6 Meter Innenraum. Gerätschaften sind fast gar nicht gefunden; dies wird aber völlig ersetzt durch die große Zahl von gut erhaltenen Kleidern, die aus Schafwolle gewebt waren; außerdem wurden Reste von Seehundspelz gefunden. Die Kleidung entspricht bis ins einzelne der mittelalterlichen Tracht, wie man sie aus Bildern dieser Zeit kennt, von denen sich aber kaum etwas bis in unsere Zeit erhalten hat. Jetzt läßt sich aus den vor- gefundenen Kleidern von jedem Schneider ein wahrheitsgetreues, mittel- alterliches Kostüm herstellen: lange Gewänder mit Kapuze, die in einen langen Zipfel, der nach hinten herunterhängt, ausläuft. Dazu lange wol- lene, hosenähnliche Strümpfe und Hemden. Die Tracht der Männer war damals noch wenig von der Frauentracht verschieden. Die meisten Klei- der entsprachen der Mode der zweiten Hälfte des 14. Jah.hunderts; be- stimmte Trachten, die in Mittel- und Nordeuropa um 1400 Mode waren, müssen Giönland schon vor 1410 erreicht haben. Ein Teil eines Grabsteins, wie sie in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in großer Zahl vom Rhein nach Norddeutschland und den nordischen Staaten ausgeführt wurden, beweist neben den Trachten, daß noch bis in das 15. Jahrhundert hinein cin Verkehr mit Europa stattgefunden hat. Vermutlich sind hieran hansea- tische und englische Fischer beteiligt gewesen, die aber keine Nachrichten hinterlassen haben. So gewinnt schließlich der viel bezweifelte Bericht, daß ein dänisches Schiff etwa um das Jahr 1540 auf einer einsamen Felsen- klippe einen toten, unbeerdigten Wikinger in Kleidern gefunden hat, an

Kleinere Mitteilungen. 313

Glaubwürdigkeit. Vielleicht ist es der letzte seiner Rasse in Grönland gewesen.

Der Bericht von Jonsson ist in diesem Zusammenhang weniger be- langreich. Den Leichen waren vielfach Holzkreuze beigegeben mit Runen- inschriften. Sie enthalten lateinische und nordische, religiöse Formeln mit einzelnen Namen, sonst keine geschichtlichen oder andere Mitteilungen. Damit ist aber der Beweis erbracht, daß die Wikinger in ihren letzten Zei- ten nicht vom Christentum abgefallen waren, wie man wohl vermutet hat, sondern an den christlichen Gebräuchen und Formeln wenigstens noch festhielten.

Sind die Untersuchungen Nörlunds kulturgeschichtlich von größter Bedeutung, indem sie uns ein gutes Bild von der Lebensweise und Gesit- tung der Bewohner geben, so sind die Ergebnisse des Anatomen Hansen für die Anthropologie und für die Frage nach dem Aussterben der Bevölke- rung vielleicht noch wichtiger. Von 25 Skeletten wuiden Reste gefunden, die die Gewißheit ergeben, daß ein großer Teil der Menschen als hoch- gradige Kümmerformen zu bezeichnen sind.

Von den 25 Individuen waren die Mehrzahl Frauen; nur 5 konnten als kräftig bezeichnet werden. Von 9 Personen konnte die Körperlänge auf 140—162 cm bestimmt werden. Die Lebensdauer muß durchschnitt- lich kurz gewesen sein. Von 20 Personen über 18 Jahren waren 10 vor dem 30. Lebensjahre zugrunde gegangen. Daneben fällt auf, daß dieSchädel verhältnismäßig klein waren. Einzelne Gehirnteile waren reduziert, so die Stirn- und Occipitalregion, während die Parietal- und Temporal-Regionen eine vergleichsweise bessere Widerstandsfahigkeit zeigten. Hansen führt diese Verkümmerung auf ein nach Ausdehnung und Inhalt reduziertes Geistesleben zurück, und führt das deutsche Dichter- wort an: „Im engen Kreis verengert sich der Sinn.“ Jedenfalls ist das Er- gebnis von ungemeinem Interesse.

Daneben gingen noch andere Verkümmerungen und Miß- bildungen einher: Asymmetrie der Glieder, Schiefhals, Wirbelsäulen- verkrümmungen und Tuberkulose, Beckendeformitäten infolge Rhachitis, die so hochgradig waren, daß sie für Mutter und Kind in der Geburt Lebensgefahr brachten. Starke Abnutzung der Zähne, mehr als bei den Es- kimos, beweist minderwertige Nahrung. Bemerkenswerterweise wurde aber keine Zahnkaries gefunden.

Aus ihren Befunden kommen beide Autoren im wesentlichen zu den gleichen Schlüssen, und wir erhalten ein Bild von dem Niedergang und schließlichen Aussterben der einst so kräftigen und eifolgreichen nordi- schen Rasse in Grönland, das durch weitere Forschungen wohl noch er- gänzt werden kann, aber im wesentlichen vermutlich keine Aenderungen mehr zeigen wird. Der Verlauf ist danach folgender gewesen:

Die Ansiedler hatten sich in den Verzweigungen der vielen Fjorde Grönlands niedergelassen, wo für ihre Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen die günstigsten Weideplätze vorhanden waren. Schweine sind, wie vielfach im Norden, nicht gehalten worden. Sie betrieben daneben Jagd auf Land-

314 Kleinere Mitteilungen.

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und Seetiere, die damals noch sehr ergiebig gewesen sein muß, weil das Land unbewohnt war, daneben Fischfang. Sie lebten also fast ausschlieB- lich von tierischer Nahrung, da Brot und Grütze von Island, das selbst seinen eigenen Bedarf nicht befriedigen konnte, oder von Norwegen ein- geführt werden mußte. Diese Nahrung kam also nur für vereinzelte reiche Leute zeitweise in Betracht.

Die Lebensverhältnisse verschlechterten sich wesentlich: schon vom 13. Jahrhundert an. Die Jagd mußte weniger ergiebig werden; Bootsbau war nur möglich in beschränkter Weise aus Treibholz; für die großen Schiffe, auf denen die Vorfahren eingewandert waren, fehlte es an Geld zur Beschaffung von norwegischem Holz. Dazu kam eine Verschlechterung des Klimas, die es den Schiffen des Mutterlandes immer mehr erschwerte, regelmäßig die grönländischen Häfen anzulaufen. Alte Berichte melden, daß die Küste im Süden von Packeis blockiert wurde. Dieser Zustand ent- spricht durchaus den jetzigen Verhältnissen; bis spät in den Sommer hin- ein ist die Westküste Grönlands nördlich Kap Farvel durch Eis verschlos- sen, so daß sie schwer erreichbar ist, während in der Zeit der ersten Be- siedlung ein ungehemmter Verkehr nach Herjolfsnes stattfand.

Mit diesem Eise kamen die Seehunde an die Küste, mit ihnen ihre Jäger, die Eskimos. So erklärt sich ungezwungen das Auftauchen dieses früher nicht gesehenen Jäger- und Fischervolkes. Zusammenstöße mit den Ansiedlern konnten nicht ausbleiben, und so scheint die nördliche Sied- lung schon ziemlich früh von den Eskimos aufgerieben worden zu sein. Man hat geglaubt, daß bei dem heute so friedfertigen Charakter der Es- kimos eine Vermischung stattgefunden hat; aber Spuren davon sind weder an Eskimoskeletten noch an den bei den Ausgrabungen gefundenen Ske- letten nachgewiesen.

Außerdem werden die Eskimos so wenig wie irgendein anderes ge- sundes Naturvolk, das sich im Lebenskampf behaupten will, gegen Fremde „friedfertig” gewesen sein. Dafür spricht schon die Beobachtung, daß zu den Zeiten der ersten Besucher der amerikanischen Eskimos, Hearne und Mackenzie und noch Franklin und Richardson, die ihnen benachbarten Indianer großen Respekt vor dem kriegerischen Sinn der Eskimos hatten. Durch die 200 jährige Herrschaft der Dänen sind diese in Grönland natür- lich wesentlich beeinflußt worden.

Die Aenderung des Klimas verursachte nun allmählich Ab- und Aus- sterben des Viehs, das nach besonders harten Wintern aus dem Mutterland nicht ersetzt werden konnte. Die körperliche Verkümmerung durch häu- figen Nahrungsmangel, durch ungenügende Wohnung und Kleidung, damit in Verbindung Rachitis, vermutlich wie überall im Mittelalter Skorbut, läßt sich so verstehen. So wurde die Lebensaussicht für den einzelnen immer schlechter; bei der geringen Zahl der Bewohner und dem fehlenden Zuzug war die Wahl bei der Heirat beschränkt, so daß auch die schwachen Indi- viduen zur Fortpflanzung kamen. Mangel an jeder geistigen Anregung mußte ebenfalls ungünstig wirken. An Schäden durch Inzucht allein brau-

Kleinere Mitteilungen. 315 chen wir damit noch nicht zu denken; die äußeren Faktoren wirkten in zwei bis drei Jahrhunderten genügend, um alle Beobachtungen zu erklären.

So erfüllte sich das ergreifende Schicksal dieses äußersten Vorpostens nordischer und europäischer Kultur, das Hansen wie folgt zusammen- faßt: „Die kräftige nordische Rasse, die ursprünglich Grönland kolonisierte, degenerierte im Verlauf der Jahrhunderte unter dem Einfluß der harten und zuletzt dauernd sich verschlechternden Lebensbedingungen und an- deren ungünstigen Verhältnissen, insbesondere geistiger, materieller und rassenhygienischer Isolierung. Sie wurde eine Rasse eines kleinen Volkes, schwächlich, kränklich, mit mannigfachen Defekten und pathologischen Zuständen.“

Das war der Untergang eines Teiles der nordischen Rasse in langem, ungleichem Kampfe mit der Umwelt. Vielleicht hätte sich diese kleine Kolonie ähnlich wie Island halten können, wenn sie mit dem Mutterlande auch bei ungünstiger werdenden Verkehrsverhältnissen in Verbindung ge- blieben wäre. Aber dieses war bei der Gründung der Ansiedlung auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht in Europa. Im vierzehnten Jahrhun- dert aber und schon früher war diese an die Hansa übergegangen; damit war Norwegen und der ganze Norden auch wirtschaftlich zurückgegangen. So wirkte sich diese Veränderung der politischen Konstellation bis in die entlegenen Fjorde Grönlands aus. Vernachlässigung der Kolonie ist wieder- holt als Grund zum Niedergang angegeben worden. Doch hat es sich wohl nur um eine Teilerscheinung des allgemeinen politischen und damit auch wirtschaftlichen Rückganges des Nordens gehandelt. Eine „Umstellung“ auf die veränderten Lebensbedingungen war der allmählich verkümmerten Kulturrasse, die auf dem Boden der Viehzucht und des Ackerbaues groß geworden war, nicht möglich. Sie erlag daher im Kampf ums Dasein, wo das Naturvolk der Eskimos ausreichende Lebeusbedingungen fand.

So gewinnt die Geschichte der Kclonisierung Grönlands im Mittelalter auch für die heute Lebenden und gerade für uns Deutsche, die wir gewalt- sam auf zu engem Lebensraum eingepfercht sind, erhöhte Bedeutung.

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Einige Daten über die Isohämagglutination bei verschiedenen asiatischen Stämmen.

Von Professor V. V. Bunak.

(Anthropologisches Institut der Moskauer Universität.)

Von den vier Gruppen, die nach der Isohämagglutination unterschie- den werden, sind die erste und die vierte, welche durch die Fähigkeit des Blutserums, die Blutkörperchen aller Art zu agglutinieren, oder durch voll- ständige Abwesenheit dieser Fähigkeit gekennzeichnet sind, augenschein- lich funktional nicht gleichwertig. In der Mehrzahl der bis heute unter- suchten Gruppen der Menschheit ist die vierte Art am wenigsten, die erste dagegen am häufigsten vertreten. Was die Typen II und III der Isohä- magglutination anlangt, die Zwischen- und antagonistische Typen sind, so haben wir keinen Anlaß, ihre funktionale Ungleichwertigkeit zu vermuten, so weit sie nicht mit der Verschiedenheit der Immunität usw. korrelieren. Die Zugehörigkeit eines Individuums zur Gruppe II oder III ist vom prin- zipiellen Standpunkt aus ein gleichgültiges Meıkmal, ebenso wie viele andere morphologische Merkmale, die gut in der Anthropologie be- kannt sind.

L. u. P. Hirschfeld und Verzar nehmen an, daß wir es mil echten Rassenmerkmalen zu tun haben, und daß die relative Zahl der In- dividuen der Gruppen II und III in der gegebenen Population auf das Verhältnis der Rassenelemente, welche die Population gebildet haben, hin- weist. In diesem Falle entsteht die Frage, in welcher Beziehung die beiden Typen, die nach der Art der Isohämagglutininen unterschieden sind, zu den Typen, die nach morphologischen Eigenschaften unterschieden werden, stehen. Man kann darüber drei verschiedene Hypothesen aufstellen: 1. Die Eigenschaften A (Typus ID) und B (Typus III) sind je an einem besonderen Orte entstanden. Alle Rassen mit vorherrschendem Typus A gehören zusammen, ebenso alle Rassen des Typus B; 2. die Eigenschaften A und B treten unabhängig voneinander an verschiedenen Orten und bei verschiedenen Rassen auf. Sie sind für die Bestimmung der Verwandt- schaft der Haupttypen ungeeignet, aber können zur Aufklärung der ver- wandtschaftlichen Beziehungen der sich näherstehenden Rassen dienen. 3. Die Rassenunterschiede, die mit den Typen A und B in Verbindung standen, sind endgültig verschwunden und für die Rassendiagnose un- geeignet.

Die Angaben L. und P. Hirschfelds bestätigen weder die erste noch die zweite Hypothese, da der Index 0,8—1,3 die Vertreter beinahe aller Haupttypen umfaßt: Neger, Malaien, Juden. Die Eigenschaft A ist eine spezifische Eigenschaft der Westeuropäer, die ganz isoliert steht. Das Fehlen von Angaben über den Rassentypus und über die Herkunft ein- zelner nationalen Gruppen bei L. und P. Hirschfeld erlaubt es nicht, diese Daten im Sinne der zweiten Hypothese zu verwenden.

Kleinere Mitteilungen. 317

Um die Frage der Rassenbedeutung der Isohämagglutinin-Reaktion näher zu erörtern, will ich einige Daten, die sich bei der Untersuchung der asiatischen Stämme ergeben haben, hier wiedergeben. Die Untersuchten Studenten der Kommunistischen Schule des Ostens in Moskau sind er- wachsene junge Leute im Alter von 17 bis 30 Jahren, gesund und kräftig. Nachdem ich die nationalen Gruppen, über die man nur einzelne Daten be- sitzt, so wie auch die Individuen der gemischten und ungenauen Herkunft beiseite gelassen habe, habe ich 17 ethnische, mehr oder weniger homogene Gruppen erhalten, von denen eine jede als Ve.treterin eines bestimmten Rassentypus betrachtet werden kann. Die anthropologischen Daten bestati- gen dies; jede Gruppe umfaßt mindestens 20 Personen. Dieses Material (s. Tabelle) ist nicht allzu reich, es erlaubt uns aber einige wesentliche Sätze zu konstatieren. Die Hauptschlüsse, die sich aus den Daten der Ta- belle ergeben, sind folgende:

Typus der Agglutinin-Reaktion.

KS Absol. % "Da Ne z5 Wet (141 sel a | ujm jiv ı| u lam |av ch) (B) ~ en 1 Koreaner 281 9 11 | 2 [132.1 | 21.4|39.3| 7.1| 28.5 | 46.4 || 0.61 2 Chinesen 48 || 20 | 11 8 | 9 || 41.7 | 22.9 | 16.7 | 18.7 | 41.6 | 35.4 | 1.17 3 | Mongolen- Buriaten 62|| 21 | 12 | 25 | 4 133.9|193|40.3| 6.5 | 25.8 | 46.8 || 0.55 4 Kalmücken 21i 7 4 8 | 2 |33.3| 19.1 | 38,1| 9.5| 28.6 | 47.6 || 0.60 5 Kirghisen 41/13 | 13 | 13 | 2 [31.7 |31.7 |31.7| 4.9] 36.6 | 36.6 || 1.00 6 Baschkiren 20| 6 7 6 | 1 30.0; 35.0 | 30,0| 5.0| 40.0 | 35.0 || 1.14 7 Usbecken 58 | 22 | 16 | 14 | 6 137.9 | 27.6 | 24.1 | 10.4 | 38.0 | 34.5 || 1.10 5—7 | Kirghisen- Baschkiren- Usbecken 119 || 41 | 36 | 33 | 9 || 34.4 | 30.3 | 27.7 | 7.6 | 37.9 | 35.3 || 1.07 8 Türken 21 7 8 5 | 1 133.3 | 38.1 | 23.8| 4.8| 42.9 | 28.6 || 1.50 9 | Aserbeidjaner | 20| 6 | 8 | 4 | 2 ||30.0 | 40.0 | 20.0 | 10.0| 50.0 | 30.0 || 1.66 10 Turkmenen 31| 10 | 11 8 | 2 132.31 35.5 |25.8| 6.4| 41.9 | 32.2 || 1.30 11 Armenier 23 || 9 9 5 | 39.1 | 39.1 | 21.7| | 39.1 | 21.7 | 1.80 12 Tadjiken 25|| 6 | 10 6 | 3 124.0 | 40.0] 24.0 | 12.0| 52.0 | 36.0 || 1.44 13 Kasan-Tataren | 48 | 16 | 15 8 | 9 133.3 | 31.3} 16.7 | 18.71 50.0 | 35.4 | 1.41 14 Krim-Tataren 22) 6 | 10 4 | 2 127.3} 45.4 |18.2| 9.1| 54.5 | 27.3 || 2.00

15 Tscherkessen- Kabardiner 30 || 18 2 8 | 2 | 60.0| 26.6] 6.7| 6.7| 33.3 | 13.4 || 2.50

16 Osseten 26 || 14 8 2 | 2 153.8} 30.8| 7.7| 7.7| 38.5 | 15.4 || 2.56 15-16! Tscherkessen- Osseten 56 || 32 | 16 4 | 4 157.1) 28.6) 7.1! 7.1] 35.7 | 14.2 || 2.51

17 Tschetschenzen| 26 7112 5 | 2 |'26.9| 46.1}19.2! 7.7| 53.8 | 26.9 || 2.00 579

1. Unter den 12 ethnischen Gruppen Asiens, mongolischen und türki- schen, variiert der Hirschfeldsche Index in ziemlich engen Grenzen 0,55—1,80 und erlaubt es, alle diese Völker zu einer Gruppe zusammenzu-

318 Kleinere Mitteilungen.

fassen, was auch mit den morphologischen Daten in keinem Widerspruch steht.

' 2. Im Vergleich mit den europäischen ist für die asiatischen Gruppen der hohe Anteil der Eigenschaft B kennzeichnend.

3. Dieser Anteil ist am größten bei den eigentlich mongolischen Grup- pen, bei den Burjaten, Kalmücken, welche in dieser Hinsicht ebenso wie morphologisch einander sehr ähnlich sind.

A Die Chinesen (hauptsächlich die Nord-Chinesen) stehen von den typischen Mongolen weiter entfernt, was auch ihrer größeren Vermischung entspricht.

5. Die türkischen Gruppe die Kirgisen, die Baschkiren, die Us- beken —, die als Vertreter des mittelasiatischen anthropologischen Typus betrachtet werden können, legen eine beträchtliche Aehnlichkeit, was die Agglutination anbetrifft, an den Tag. Im Vergleich mit der mittelasiati- schen (mongolischen) Gruppe haben sie einen größeren Zusatz der Eigen- schaft A bzw. der Gruppe II.

6. Die Turkmenen und die Aserbejdschaner, die türkisch sprechen, aber Vertreter eines anderen anthropologischen Typus sind des mittel- ländischen (?) dolichoiden und dolichomorphen Typus —, unterscheiden sich in der Isohämagglutination von den Türken. Die Eigenschaft A ist bei ihnen stärker vertreten.

7. Noch stärker kommt diese Eigenschaft bei den Tadschiks und Ar- meniern zum Vorschein, die Vertreter eines anderen Typus des vorder- asiatischen sind.

8. Die Kasan- und Krimtataren unterscheiden sich stark nach dem Agglutinations-Index, was mit der Verschiedenheit ihrer Herkunft und ihres Typus im Einklang steht.

9. Drei Völker des nördlichen Kaukasus die Tscherkessen, die Ka- bardinier und die Osseten legen eine beträchtliche Aehnlichkeit in der Agglutination an den Tag. Bei diesen Völkern ist der Anteil der Eigen- schaft A bzw. der Gruppe II noch größer; sie unterscheiden sich aber sonderbarerweise in beträchtlichem Maße von dem tadschiks-armenischen Typus sowie auch von der aserbejdschaner-turkmenischen Gruppe.

Wenn wir diese Daten abwägen, so können wir sagen, daß sie ziem- lich gut mit den anthropologischen Vorstellungen im Einklang stehen.

Ich nehme an, daß dieses Material uns einige Anhaltspunkte für die positive Lösung der Frage der Rassenbedeutung der Agglutination gibt, sei es auch nur im Sinne der zweiten Hypothese: die relative Anzahl der Individuen der Typen A und B, ebenso wie der Kopfindex, kann als ein Hinweis auf die relative Verwandtschaft der Typen, zumindest deren, die mehr oder weniger gleichartig sind, dienen.

Das Verbreitungs-Zentrum der Eigenschaft A sind augenscheinlich die Steppen Zentralasiens; in der westlichen Richtung wird diese Eigenschaft weniger zahlreich. Es ist anzunehmen, daß noch andere Zentren der Ver- breitung dieses Typus existieren. Es ist höchst wünschenswert, dieses Pro- blem weiter eingehend zu untersuchen.

Kleinere Mitteilungen. 319

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Weitere Fälle von Haemophilie in Württemberg. Von Dr. W. Weinberg, Stuttgart.

Nur in aller Kürze sei hier auf zwei bisher unbekannte Bluterstämme hingewiesen, von denen der eine allerdings nicht autochthon, sondern von Baden und weiterher eingewandert und mir seit 1898 bekannt ist, der andere durch einen Kollegen gezeigt wurde. Ich habe, da ersterer nicht weit verfolgbar ist und bezüglich Vererbung nichts Auffallendes bietet, bisher die Veröffentlichung zurückgestellt. Immerhin kann sowohl dieser wie der zweite mit der exakteren Methode der Blutgerinnungsbestimmung weiter verfolgt werden.

Außerdem sind mir zwei angebliche weibliche Bluter bekannt, die ich nur zufällig erfuhr. Die eine es handelt sich um eine Postangestellte bei Baiersbronn im Oberamt Freudenstadt mag mit der dortigen großen Bluter- B irgendwie zusammenhängen; der andere kam im Jahre 1876 in einem Dorf im Oberamt Biberach zum tötlichen Ausgang durch Verblutung nach Zahnextraktion und ist mir von dem inzwischen verstorbenen Dr. Weige- lin mitgeteilt. Auch dieser Fall mag in den Biberacher Stamm gehören. Ich behalte mir vor, später auf diese beiden Fälle zurückzukommen.

. Der erste von mir festgestellte Fall betrifft die Familie eines Freundes, des Gym- nasialprofessors H. R. in Stuttgart, der vaterlicherseits von Marbach, miitterlicherseits aus einer Mannheimer Familie stammt und aus dessen Familie nichts bekannt ist. Sein Stuttgarter Familienregister ist Bd... Nr. .. Seine Frau, Mg. S., stammt ebenfalls aus Mannheim, deren Vater aus der Pfalz und weiterhin aus Böhmen, während die Mutter der Frau R. geb. S., eine geb. Kr. aus Sachsenhausen, Frankfurt a. M., stammte.

Aus der Ehe H R. X M. S. stammten 5 Söhne und eine früh an Darmkatarrh ver- storbene Tochter. Von den Söhnen sind der erste (Fritz) und dritte (Wilhelm) keine Bluter, während Nr. 2, 4, 5 (Karl, Hugo und Eberhard) sich als Bluter erwiesen.

Der eigentliche Proband ist der Jüngste, Eberhard, der jedesmal nach Zahnextrak- tionen mit schweren Blutungen aus der Zahnhöhle erkrankte. Ich mußte diese mehr- fach mit dem Thermokanter stillen. Solche Blutungen traten auch bei den beiden anderen Blutern auf, Karl erlitt ferner im Krieg durch eine Kontusion eine linksseitige Oberkieferverletzung mit langen Blutungen, Hugo litt an einer Hüftgelenkentzündung. Alle 5 Söhne waren während des Krieges bis zum Ende an der Front.

Bei Eberhard trat außerdem eine Stirnverletzung, später eine schwere Kontusion des Scheitelbeins mit subduraler Blutung und verlangsamtem Puls auf, weiterhin hatte er einmal Gelenkrheumatismus und Endokarditis schon vor dem Krieg und während des Krieges eine Nephritis nach Angina, an der ich ihn selbst im Reserve- lazarett VII Stuttgart behandelte. Er hatte stets eine blasse Farbe und ein leicht ge- dunsenes Aussehen; blaß war auch Karl, während Hugo eher wie sein Bruder Wilhelm stets ein gerötetes Gesicht hatte. Im März dieses Jahres erlitt Eberhard abermals eine schwere Kopfverletzung durch Sturz aus dem Schlitten mit Gehirnerschütterung und wiederholten Nachblutungen, die die Ueberfiihrung in die Tübinger Klinik und dort schließlich eine erfolgreiche Transfusion nötig machten.*)

*) Die Tübinger chirurgische Universitätsklinik schreibt mir unterm 17. Aug. 1925: „Herrn E. R. haben wir als richtigen Bluter angesehen. Die Blutgerinnung war gegen- über der Norm um das Doppelte verzögert, erster Beginn nach 10 Min. 40 Sek., Gerin- nungsbreite 7 Min. 50 Sek. Auch klinisch war die Blutung aus den Granulationen so abnorm, daß unbedingt das Bestehen einer Hämophilie angenommen werden muß.“

320 Kleinere Mitteilungen.

Ein Bruder der Mutter, in Heidelberg wohnend, ist ebenfalls als Bluter bezeichnet, ich kenne ihn nicht, während ein zweiter Bruder gesund war. Ein Onkel mütterlicherseits soll ebenfalls nach einem Eingriff an der Nase stark geblutet haben, dieser Fal. ist sber apokryph. Der erste Bruder der Mutter hatte einen Sohn, der im Felde fiel und kein Bluter war; die Tochter, die als Konduktor zu betrachten ist, ist noch ledig, ca. 28 Jahre alt.

Die drei Fälle sind dadurch kompliziert, daß der Vater die Blutungen zuerst immer selbst, und zwar mit Eisenchloridwatte behandelte, unter dieser Behandlung trat zwar stets ein gewisser Nachlaß der Blutungen ein, ebenso bei der Stirnwunde, aber es bil- deten sich häßliche Schorfe und Wucherungen, die ihrerseits zu täglich zunehmenden Blutungen führten. Dieser Vorgang gehört nicht unbedingt in das Krankheitsbild der Hämophilie, er trat aber bei Eberhard auch bei sachgemäßer Behandlung auf.

Die Diagnose Bluterkrankheit stützt sich daher in erster Linie auf das genealog. Bild.

Die Fälle sind vielleicht auch durch folgenden Tatbestand kompliziert: Die Mut- ter meiner drei Bluter hatte einen äußerst schweren Basedow mit wiederholten Myo- karditiden und Leukopenie, Unterbindung der beiden Arteriae thyreoideae superiores führte zu weitgehender Besserung; nur einmal trat eine leichte Myokarditis auf und der vorher starke Exophthalmus ging nicht zurück. Der eine der Nichtbluter, Wilhelm, hat ebenfalls Struma und wies vorübergehend basedowoide Zustände auf. Verschiedene Söhne wiesen auch einen exsudativen Habitus auf, Nr. 1, 3 und 4; auf Tuberkulose war nur Nr. 2 mit seiner Hüftgelenkentzündung verdächtig. Immerhin war das Gesamtbild wohl durch eine nicht normale Konstitution beeinträchtigt, und damit dürfte es zusamnıen- hängen, daß auch der Verlauf der Haemophilie bei den drei befallenen Brüdern sehr verschieden war.

7 AR, Kéi

Z ebe Ka Q Schwelter

| von! md gd d é os Proband. = S 5

gefallen.

Famillenregister der Bluterfamilie I (Stuttgart 87. 197).

Vater Mutter R. Hugo, Gymn.-Prof., * Stuttgart 13 6.61 Marie S., * Mannheim 20. 10. 66 verheiratet Mannheim 10. 4. 1889

Großeltern

R. Wilheim Eduard, Kaufmann S. Carl, Mannheim, Kaufmann H. Christiane Margarete K. Sophie aus Frankfurt-Sachsenhausen Pfarrerstochter Kinder

1. Friedrich, * 24.2 1890, Ulm, verh. 20. 18. 1919 mit Marie Margarete E. (bisher 1 Sohn) 2. Carl *11.4. 1891. Ulm

3. Wilhelm, * 20. 4. 1892, Besigheim (basedowoid)

4 Hugo, * 30. 9. 1893, Besigheim (vorübergehend r. Hüftgelenkentzündung)

5. Maria Anna Sophie, * 20. 12. 1894, Besigheim, + 3. 3. 1895

6. Eberhard. * 6,12, 1895 (Proband)

Die zweite Familie, D, wohnt in einem Vorort Stuttgarts. Es handelt sich um eine Familie mit 6 Kindern, 5 Knaben und 1 Mädchen, die ich persönlich sah. Vier der Knaben sind starke Bluter. Sie bekommen bei den geringsten Verletzungen schwerste

Kleinere Mitteilungen. 321

EE EE m A E EE nn nn nn nn nn nn a

Blutungen in die Haut, insbesondere in die Bauchhaut und in die Gelenke, insbesondere sind die Armgelenke mehrfach befallen gewesen, ihre Heilung dauerte oft Monate. Die lebenden Bluter sind jetzt 18 und 14 Jahre alt.*) Aus des Vaters Familie ist wiederum nichts bekannt. Die Mutter, eine geborene Sch., ist gesund und stammt aus einer Familie des Remstals, in die auch eine Mutter von 6 Zwillingen und einmal Drillingen gehört. Blu- terfälle aus dem Remstal sind bis jetzt nicht bekannt. Die genealogische Verfolgung dieser Familie ist noch Aufgabe der Zukunft. In dieser wird auch die Deszendenz der Fälle erforscht werden und möglicherweise interessante Ergebnisse liefern.

Ich bemerke, daß die Frage der Blutertöchter schon 1912 von mir mit positivem Erfolg behandelt wurde, der ohne Untersuchung auf Thrombo- kinase möglich war. Ich verweise auf die von mir 1912 aufgestellten Ta- bellen. Es ist kein Zweifel, daß die erhaltenen Zahlenbilder durchaus für die Erbschaft vom Vater her sprachen und nur die Seltenheit der Bluter- ehen ist dieser Erkenntnis im Wege gewesen. Die Untersuchungen der Blu- tertöchter durch Schloessmann auf Thrombokinase haben das betstä- tigt, was zu erwarten war. Immerhin muß hervorgehoben werden, daß weibliche Konduktoren durchaus nicht immer zu Blutungen geneigt sind. Die Gesamtkonstitution dürfte auf deren Auftreten wohl einen wesent- lichen Einfluß haben. In meinen beiden Fällen war rein klinisch nichts nachweisbar. Weitere Ermittlungen zu beiden Fällen sind im Gange.

Zur Vererbung der Haemorrhoiden.

Von Dr. M. J. Gutmann, München.

Die Haemorrhoiden, varicöse Erweiterungen der Mastdarmvenen, sind wesentlich häufiger, als gewöhnlich angenommen wird; sie machen nur oft keine Erscheinungen oder treten erst in späterem Alter als Folge allgemei- ner Stauungserscheinungen auf. Stehende oder sitzende Lebensweise sollen ihr Entstehen begünstigen. Männer werden wesentlich häufiger befallen als Frauen; insbesondere kommen sie in manchen Familien gehäuft vor.

Hier wird über einen Stammbaum einer jüdischen Familie Württem- bergs berichtet, in der das Haemorrhoidalleiden durch Generationen ver- folgt werden konnte. Von den 14 Geschwistern der Generation I konnte allerdings nur über vier nähere Auskunft erbracht werden, davon hatten drei das Leiden. In der Generation II hatten die vier Söhne Haemorrhoi-

*) Nachtrag zu Familie 2 während der Korrektur. Ich habe in- zwischen die Famile, deren Kenntnis ich Herrn Dr. Schmidbäumer verdanke, von neuem besucht und ınöchte zunächst folgendes nachtragen: Die Bluter sind Nr. 1—4 der Geschwisterschaft. Nr. 1 hatte gerade einen großen Erguß am rechten Ellbogen, Nr. 4 die Reste einer Schnittwunde am rechten Daumen. Nr. 1 hatte schon Blutungen in Bauchhaut und Bauchhöhle und jetzt noch Einengung der Beweglichkeit des rechten Kniegelenks; auch Nr. 4 hatte schon starke Ergüsse in die Gelenke, ebenso Nr. 2, ge- storben 30. Januar 1924 an Meningitis. Bei Nr. 3 (gestorben an Tuberkulose) betrafen die Blutungen den Bauch und die Fußgelenke. Die Mutter der Blutermutter hatte vier Schwestern, von denen drei nach Amerika zogen und nicht verfolgbar sind, die vierte war ledig; außerdem hatte sie vier Stiefgeschwister, deren Nachwuchs keine Bluter aufweist. Weiteres, insbesondere das Familienregister, werde ich gelegentlich nachtragen.

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 3. 91

322 Kleinere Mitteilungen.

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den. Im übrigen aber sind es gesunde, kräftige, stämmige Menschen (keine Astheniker), heute zwischen 50 und 60 Jahre alt, die nie einem seßhaften Beruf angehörten, im Gegenteil immer viel körperlich tätig waren (als Händler und in der Landwirtschaft). Bei ihnen trat das Leiden in jungen Jahren zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr mit sehr starken Blutungen auf, um allmählich gegen die vierziger sich ganz zu verlieren. Bei den

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ınit der Krankheit behafteten Gliedern der III. Generation trat die Krank- heit zwischen dem 15. und 25. Lebensjahre auf; zwei davon mußten sich wegen gefahrvoller Blutungen operieren lassen. Auch diese beiden Schwe- stern sind sonst sehr gesunde Menschen, insbesondere frei von Krampfadern.

Der Sohn in der IV. Generation ist jetzt 18 Jahre alt und leidet seit einigen Jahren unter Blutungen.

Von den 40 Mitgliedern dieser Familie sind also nachweislich 14 an Haemorrhoiden erkrankt, davon 8 Männer und 6 Frauen.

Zur Erblichkeit der Retinitis pigmentosa.

Von Sanitätsrat Dr. Hanssen, Kiel.

In der Kieler Medizinischen Gesell-

D d schaft vom 18. IV. behandelte Dr. ai VE ze > Beckershaus die seltene Verer-

dem dominanten Typus. Sonst ist die

zZ ® i d bung der Retinitis pigmentosa nach aA n rezessive Vererbung der Krankheit die

W d d d 2 d Regel. Vortr. zeigte drei Stammbäume , einer solchen Vererbung. Die so-

mp d o î genannte direkte Vererbung steht nicht l ı im Widerspruch zur Rezessivität. Das

y d l D Ä Auftreten einer dominanten Erbfolge ? ? wird mit einem Valenzwechsel des Erb-

De l faktors begründet, die anderen Erklā-

VI N rungen, wie die Theorie einer zweiten S Krankheit, eines neu aufgetretenen Erb-

O noch vor Manifeltation Rehend. faktors, die Lues-Aetiologie werden ab-

® vor ManifeRtation geltorben. gelehnt.

Notizen. Eine Konferenz nordischer Rassenforscher.

Auf Einladung des Direktors des Staatsinstituts für Rassenbiologie in Uppsala, Professors H. Lundborg, war Ende August in Uppsala und Stockholm eine Anzahl Rassenforscher aus den fünf nordeuropäischen Ländern (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden) zu ge- meinsamen Beratungen versammelt. Am 25. August eröffnete Professor Lundborg die Konferenz, zu deren Ehrenvorsitzenden Professor C. Fürst (Lund) und zu deren Vorsitzenden Sanitätsmajor Dr. H. Bryn (Drontheim) sowie Professor G. Hannesson (Reykjavik) gewählt wur- den. Die Versammelten gründeten einen „Nordischen Verein für Anthropologie“ (Nordisk Förening för Antropologi) und wählten Professor Lundborg zu dessen Generalsekretär. Die auf der Konferenz gehaltenen Vorträge behandelten teils die Rassenverhältnisse Nordeuropas, teils Fragen von allgemein anthropologischem Interesse.

Dr. R. Nordenstreng (Uppsala) unterzog unter dem Titel: „Was ist die nordische Rasse?“ diesen Begriff, sowie den Rassenbegriff überhaupt, einer kritischen Betrachtung. Dozent S. De Geer (Stockholm) sprach über das geschlossene Verbreitungsgebiet der nordischen Rasse, das er an der Hand verschiedenartiger Karten anschaulich zur Darstellung brachte. Sani- tatsmajor Dr. H. Br y n berichtete von den Ergebnissen seiner Untersuchungen über die Erblichkeit melierter Augen, zu denen er auch die grauen rech- nete. Außerdem hielt er einen Vortrag über die Rassenbeschaffenheit Süd- ostnorwegens („Det östenfjeldske Norge“), woselbst er ausgedehnte anthro- pologische Forschungen betrieben hat. Seine in norwegischer Sprache er- schienene Arbeit „Anthropologia Norwegica I. Det östenfjeldske Norges An- tropologi“, Oslo 1925, lag der Konferenz vor und wurde an die Teilnehmer ausgeteilt. Professor G. Hannesson forderte für die nordischen Länder eine Vereinheitlichung der anthropologischen Meßtechnik und Nomenkla- tur. In einem zweiten Vortrage schilderte er die anthropologischen Ver- hältnisse Islands, die er in seinem Buche „Körpermaße und Körperpropor- tionen der Islander (Reykjavik, 1925, in deutscher Sprache, mit engli- schem Resume) beschrieben hat. Das Werk enthält sowohl die statistische Bearbeitung der Maße an Rumpf, Extremitäten und Kopf als auch die der Aufzeichnungen über Haar- und Augenfarben. Hannesson zeigte, daß die heutigen Isländer zum weitaus größten Teile der nordischen Rasse an- gehören (durchschnittliche Körperhöhe der Islander 1735 mm; durchschn. L.-B.-Index des Kopfes 78,13; durchschn. morph. Gesichtsindex 92,69; Blau- augige 76,1 %, Braunäugige nur 9,5 %, Blondhaarige 55,6 %). Er hob hervor, daß die Isländer von der Haarfarbe abgesehen (auf Island gibt es etwa

SES

324 u E ~ Notizen.

10 % mehr Dunkelhaarige) den Norwegern der Provinz Drontheim sehr ähneln. *

Professor Lundborg gab eine zusammenfassende Darstellung der rassenbiologischen Verhältnisse der Lappen Schwedens. Er wies darauf hin, daß unter diesen mindestens drei Rassen vertreten sind: ein asiatisches Rassenelement, die ostbaltische Rasse und die nordische. Er berichtete, daß er unter den Lappen gewisse Krankheiten (Tuberkulose, Augenleiden, Geisteskrankheiten u. a.) auffallend häufig gefunden habe, und er betonte die Möglichkeit und Notwendigkeit, daselbst mit Zuhilfenahme der sehr sorgfältig geführten Pfarrbücher medizinische Vererbungsstudien zu be- treiben. Er besprach ferner die umfassenden anthropologisch-medizinisch- genealogischen Forschungen unter den Lappen und Lappenmischlingen, die das rassenbiologische Institut vor mehreren Jahren in Angriff genom- men hat; bisher sind ungefähr 3000 Individuen untersucht. Schließlich teilte Lundborg mit, daß vor kurzem vergleichende serologische Untersuchun- gen der in Schweden vertretenen Rassenelemente vom Institute begonnen worden sind.

Der Vizedirektor des Instituts, der Statistiker Dr. F. J. Linders, schilderte die statistische Bearbeitung des vom Institut durch Untersuchun- gen an rund 47000 schwedischen Wehrpflichtigen gewonnenen anthropo- metrischen Materials. Dabei kamen zum ersten Male in der Anthropo- logie die amerikanischen Hollerith-Maschinen zur Anwendung, welche die Tabellierung des Materials wesentlich erleichtern. Um deren Arbeits- weise zu studieren, begaben sich die Konferenzteilnehmer am 28. August nach Stockholm ins Statistische Zentralbureau, wo die betreffenden Ma- schinen demonstriert wurden.

Professor G. Backman (Stockholm) erörterte die allgemeinen Ge- setze, nach denen das Längenwachstum des Menschen vonstatten geht. Er wird in kurzer Zeit die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Studien in einem Aufsatze (in deutscher Sprache) veröffentlichen. Dr. V. Naeser (Kopen- hagen) sprach über: „Die Schulausbildung der Kulturvölker im Lichte der Rassenbiologie“. Dr. L. Ringbom (Abo) behandelte das Thema: „All- gemeine Betrachtungen über Rassenbiologie und Rassenhygiene als Kul- turströmungen“. Dr. D. Schött (Uppsala) erläuterte die Anwendung der Farbenphotographie für anthropologische und medizinische Zwecke und zeigte eine Reihe vorzüglicher Autochrombilder. Auf Einladung Professor K.E.Schreiners wurde bestimmt, daß die nächste Konferenz im Jahre 1927 zu Oslo stattfinden solle. Dr. W. W. Krauss (Uppsala).

Die sephardischen Juden. Nach einem Bericht der palästinensischen Zeitung „Haarez“ gibt das sephardische Komitee in Palästina die Zahl sämtlicher Sephardim in der Welt mit 1410000 an. Davon wohnen in Palästina 37 700, und zwar gegen 20 000 in Jerusalem, 6000 in Tel Awiw, 4500 in Tiberias, 3800 in Haifa, 270 in Hebron, 125 in Safed und gegen 3000 in den Kolonien. M. J. Gutmann (München).

dE en ee ei TE En ern EE

Auf eine Einladung der Deutschen Gesellschaft für Vererbungs- wissenschaft hat der Internationale Ausschuß zur Vorbereitung des näch- sten Vererbungs-Kongresses einstimmig beschlossen, daß der Kongreß in der zweiten Woche des September 1927 in Berlin sattfinden soll. Die Vor- bereitung für den Kongreß in Deutschland besorgt ein von der Deutschen Gesellschaft für Vererbungswissenschaft gewählter Ortsausschuß, be- stehend aus dem Vorsitzenden der Gesellschaft, Professor Dr. E. Baur, sowie den Herren Geheimrat Correns, Professor Goldschmidt, Pro- fessor Hartmann, Professor Kniep und Professor Nachtsheim. Die Geschäftsstelle des vorbereitenden Ausschusses befindet sich in Berlin- Dahlem, Schorlemer Allee, Institut für Vererbungsforschung. Der Kongreß ist der erste internationale Kongreß, der nach dem Kriege in Berlin ab- gehalten wird.

Kritische Besprechungen und Referate.

Plate, Ludwig, Die Abstammungslehre. Tatsachen, Theo- rien, Einwände und Folgerungen in kurzer Darstel- lung. 2. Aufl. des „Leitfaden der Deszendenztheorie“. 94 Abb., 172 S. G. Fischer, Jena 1925.

Plate ist einer der wenigen überzeugten Anhänger der Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften. Daß die bisher zu dieser Lehre bei- gebrachten experimentellen Ergebnisse entweder nicht einwandfrei an- gesetzt waren oder nicht eindeutige Resultate lieferten, gibt Verf. zu, for- dert aber trotzdem aus theoretischen Gründen die Möglichkeit der Ver- erbung erworbener Eigenschaften, weil ohne dieselbe die zahlreichen An- passungen im Tier- und Pflanzenreich unerklärbar seien. Richtungslose Idiovariationen und Selektion allein genügen nicht zur Erklärung der vor- liegenden Phänomene. Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe haben entschieden Einfluß auf die im Keimgut lokalisierten Determinanten dieser Organe, nicht nur Hitze und Kälte, für welche die Versuche von Stand- fuß, Fischer und Tower den Beweis erbracht haben. Das Problem liegt weniger in der Frage, ob Umwelteinflüsse überhaupt das Keimgut und das Soma im gleichen Sinne beeinflussen können (Parallelinduktion), was kein Biologe bestreiten wird, sondern ob eine somatische Reizleitung vor- stellbar sei, was von den Neodarwinisten geleugnet wird. Plate weist demgegenüber darauf hin, daß die Geschlechtsdrüsen im Aufbau und in der Ernährung genau so sehr ein Teil des Körpers sind wie irgend ein anderes Organ, und daß sie nur die eine Besonderheit haben, daß ihre Keimzellen während des Aufenthalts in der Gonade nicht gebraucht werden, daher auch nicht abgenutzt werden und aus diesem Grunde die nächste Gene-

326 Kritische Besprechungen und Referate.

ration aufbauen können. Er unterschätzt nicht die Bedeutung der Selektion. Folgende Tatsachen sprechen nach Plate aber für die Hypothese der Ver- erbung erworbener Eigenschaften:

a) Die rudimentären Organe erreichen bei ihrer allmählichen Ver- kleinerung bald den Grad, wo jeder Selektionswert aufhöre; eine weitere Abnahme bis zum völligen Verschwinden könne nur eine Folge des Nicht- gebrauchs sein. b) Sinnesorgane, Knochenleisten für Muskelansätze, Schwielen u. a. liegen immer an den Stellen, wo sie den Reizen ausgesetzt _ Sind. Bei der Annahme von Entstehung infolge richtungsloser Mutationen müßten zahlreiche Fälle bekannt sein, in denen solche Organe sich auch an anderen Stellen finden, wo sie zwar nichts nützen, aber auch nichts schaden. c) Bei starkem Wechsel in den Lebensbedingungen (Uebergang von Wasser auf Land) mußten zahlreiche Erbfaktoren Veränderungen er- leiden und dabei doch auf jeder Stufe harmonisch zueinander passen. Rich- tungslose Mutationen können diese Koaptation nicht leisten. d) Das Prin- zip der Vermehrung der erblichen Automatismen, das sind somatogen durch die Reize der Umwelt erworbene Eigenschaften, welche auf höherer Stufe automatisch durch den Vererbungsmechanismus hervorgerufen werden. Die Sohlenschwielen des Menschen, die hinfälligen Federn an der Schna- belwurzel der Saatkrähe u. a. e) Aktive Anpassungen können einen viel höheren Grad der Komplikation erreichen als passive, bei welchen nur die Selektion wirksam ist. Die Struktur eines Auges (aktive Anpassung) im Verhältnis zum Bestäubungsmechanismus einer Orchidee (passive Anpas- sung). f) Allein mit dem Würfelspiel der Erbfaktoren und ihren regellosen Veränderungen lasse sich der phyletische Anstieg von unten nach oben und die Wunderwelt der Anpassung nicht erklären.

Die Entscheidung der Frage, ob Gebrauch oder Nichtgebrauch der Or- gane für die Nachkommenschaft von Bedeutung sei oder nicht, hat eine ungeheure Wichtigkeit für die Rassenhygiene. Die Einstellung gegenüber der sportlichen Betätigung wird z. B. eine ganz verschiedene sein. Nicht nur die Reinerhaltung des Keimgutes von Keimgiften und richtige Gatten- wahl oder Beeinflussung des Selektionsprozesses zugunsten des wert- volleren Erbgutes, also indirekte Maßnahmen, wenn es sich um Verbesse- rung des Keimgutes eines Volkes handelt, sondern direkte Maßnahmen wären möglich, wenn sie sich auch erst nach Generationen bemerkbar machen könnten. Grund genug für beide Heerlager (Altdarwinisten und Neodarwinisten), ohne Ueberhebung und Voreingenommenheit an die Prü- fung der Tatsachen heranzutreten. In dieser Hinsicht kann man Plate nur beipflichten. Wir wünschen seinem Buche eine recht weite Ver- breitung. Dr. H. Duncker. Iltis, Dr. Hugo (Brünn), Gregor Johann Mendel. Leben, Werk

und Wirkung. Herausgegeben mit Unterstützung des Ministeriums für Schulwesen und Volkskultur in Prag. Mit 59 Textabbildungen und 12 Tafeln. Berlin 1924. Jul. Springer. Preis 16,80 M.

Das Buch ist, was man dem Verfasser gern glaubt, unter großen

Schwierigkeiten entstanden. Um so anerkennenswerter ist die Leistung,

Kritische Besprechungen und Referate. 327

die sich schon an sich durch einen hervorragenden Fleiß auszeichnet. Das Werk zerfällt in zwei Teile: „Gregor Mendels Leben" und „Der Mendelis- mus‘. Im ersten Teil interessieren den Rassenbiologen zunächst einige Be- merkungen über Mendels Abstammung, über die bekanntlich mehrfach gestritten worden ist. Gregor Mendel stammt aus dem schlesischen Teil des sog. „Kuhländel“. Er ist in Heinzendorf geboren, wohin ein Zweig der Familie im 17. Jahrh. von Wessiedl aus übersiedelte. Die Bevölkerung des Kuhländels ist rasslich stark gemischt. Da auch Juden dort ansässig sind und der Name „Mendel“ bei diesen bekanntlich nicht selten ist, so hat man an eine jüdische Abstammung gedacht. Verfasser lehnt eine solche entschieden ab. Die alte, in Kirchenbüchern aufgefundene Schreibweise des Familiennamens lautet: „Mendele“ oder „Mandele“, was auf schwäbischen oder mindestens süddeutschen Ursprung hindeutet. Mendels Neffe, Dr. A. Schindler, vermutet, daß der erste Kuhländler Mendel ein um 1514 aus Württemberg vertriebener Bundschuhbauer gewesen sei. Zweifellos hat aber auch darin dürfte Verfasser beizustimmen sein die Familie Men- del im Kuhländel im Laufe der Zeit einen nicht unbedeutenden slavischen Einschlag erhalten. Interessant ist ferner zu hören, daß nicht nur körper- liche Eigenschaften (u. a. der kleine Wuchs und die Neigung zur Fett- leibigkeit), sondern auch geistige Merkmale, die an Gregor Mendel auf- fallen, bei einer Reihe von Ahnen hervortraten. Dahin gehören die hohe Intelligenz und die Arbeitstüchtigkeit, die ihren Trägern wiederholt Ehren- ämter eintrugen; die besondere Vorliebe für Gärtnerei und Blumen, die auch Mendels Vater auszeichnete, aber auch die Zähigkeit in der Abwehr von vermeintlichen Rechtswidrigkeiten und obrigkeitlichen Uebergriffen, die für Mendel als Wissenschaftler verhängnisvoll wurde, insofern der sog. Religionsfondstreit seiner Forscherarbeit ein vorzeitiges Ende setzte.

Die sich uns heute immer wieder aufdrängende Frage: wie war es möglich, daß die hohe Bedeutung der Mendelschen Entdeckung von seinen Zeitgenossen so gar nicht begriffen wurde? beantwortet Verfasser mit dem schon von anderer Seite erfolgten Hinweis, daß die Zeit dafür noch nicht reif gewesen sei. C. v. Nägeli macht er allerdings nicht nur den direkten Vorwurf der Verständnislosigkeit, sondern auch den versteckten der geisti- gen Unterschlagung. Ersterer dürfte das gilt auch in gewissem Grade für den hervorragenden Botaniker A. Kerner von Marilaun nicht unbegründet sein; letzterer ist entschieden zurückzuweisen. Zu Nägelis Unterschätzung der Mendelschen Ergebnisse hat wohl sehr erheblich der Umstand beigetragen, daß sich die Korrespondenz der beiden Forscher hauptsächlich um die Habichtskräuter (Hieracium) drehte, für welche aus uns heute bekannten Gründen die Mendelschen Regeln nicht zutrefien können. |

Die gleiche frische, anschauliche Schreibweise, welche den Leser der Mendelbiographie von Anfang bis zu Ende fesselt, zeichnet auch und das besagt mehr den „Mendelismus“ aus. Dieser zweite Teil zerfällt in folgende Kapitel: Die Vorbereitung der Wiederentdeckung; Auferstehung; die Ausgestaltung des Mendelismus; die phaenotypischen Mendelregeln

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(Experimentalregeln); die genotypischen Mendelregeln (Theorie des Men- delismus); die Symbolik des Mendelismus; das Zusammenwirken der Erb- anlagen; der Chromosomenmechanismus der Mendelspaltung; die Ver- erbung des Geschlechts; Störungen und Grenzen der Mendelregeln; Fakto- renkoppelung und Faktorenaustausch (die Morganschen Prinzipien); das Wesen der Erbfaktoren und ihrer Wirkung; der Mendelismus und die Ent- wicklungstheorien; Pflanzenkultur und Tierzucht; die Vererbung beim Men- schen. Es geht schon aus dieser Aufzählung hervor, daß es sich nicht nur um eine Darstellung des Mendelismus im engeren.Sinne, sondern auch um eine Darlegung der sich aus diesem ergebenden, heute zum Teil noch in der Diskussion stehenden Probleme handelt. Wir können diesen zweiten Teil als gute allgemeinverständliche Einführung in die Vererbungswissenschaft empfehlen. Das besagt natürlich nicht, daß wir uns mit sämtlichen darin vertretenen Anschauungen einverstanden erklären. Es gilt diese Einschrän- kung namentlich für die späteren Kapitel. In dem 2. Kapitel „Auferstehung“ vermissen wir die Erwähnung der bereits im Dezember 1899, also drei Monate vor de Vries „Sur la loi de disjonction des hybrides“, erschienenen „vorläufigen Mitteilung“ von Correns: „Untersuchungen über die Xenien bei Zea Mays“. Im gleichen Kapitel wird zwar erwähnt, daß Correns bereits in seiner im Mai 1900 erschienenen Abhandlung: „G. Mendels Regel über das Verhalten der Nachkommenschaft der Rassenbastarde“ von „ge- koppelten Merkmalen“ spricht (also offenbar solche beobachtet hatte, Ref.); in einem späteren (S. 317) wird aber die Sache so dargestellt, als wenn die Koppelung eine Batesonsche Entdeckung sei. Bei der Schilderung der „Mor- ganschen Prinzipien“ wäre u. E. gelegentlich an Stelle der positiven die be- dingte Form besser am Platz; ein „müßte“ statt „muß“ und „könnte“ statt „kann“; doch soll gern zugegeben werden, daß in allgemein-verständlichen Darstellungen ab und zu manches als positive Tatsache erwähnt werden muß, was noch nicht als absolut gesichert gelten kann. An anderer Stelle ist Verfasser wiederum etwas zu vorsichtig. So, wenn er in dem Kapitel „Das Wesen der Erbfaktoren“ (S. 338) schreibt, „daß Gene wie Atome nur notwendig in sich widerspruchsvolle Fiktionen sind“. Die Atome kann man heute wohl nicht mehr als bloße Fiktionen bezeichnen. Direkten Wider- spruch löst stellenweise das folgende Kapitel „Der Mendelismus und die Entwicklungstheorien“ aus. Wenn auch ein gewisses Streben nach Objek- tivität nicht verkannt werden soll, so ist doch bei der Darstellung des La- marckismus die Kritik entschieden etwas zu kurz gekommen. Das gilt schon für die Definition. S. 348 sagt Verfasser, daß es heute nur noch wenige Lamarckisten im engeren Sinne gibt, und fährt dann S. 349 fort: „Der Lamarckismus in seiner weitesten Fassung dagegen, nämlich die Lehre von der Vererbbarkeit der durch das Milieu bewirkten Veränderungen des Keim- plasmas wobei der Weg, auf dem die Veränderungen zustandekommen, verschieden sein kann hat dagegen eine weit größere Anhängerschaft. Eine so weite Fassung des Begriffes Lamarckismus ist u. E. unzulässig. Auch die von Iltis weiter unten vorgeschlagene Fragestellung (an Stelle der zweifellos sehr mißverständlichen nach der „Vererbung erworbenen

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Eigenschaften“): „Können Anlagen auch erworben oder nur ererbt wer- den?“ erfaßt durchaus nicht das Wesen des Lamarckismus. Es ist selbstver- ständlich, daß jede Aenderung der Erbmasse einmal erworben sein muß, und der Begriff „Milieu“ ist ein sehr umfassender. Für die Erbmasse ist alles Milieu, was nicht Erbmasse ist; ja, man kann sagen, für jedes ein- zelne Gen ist jedes andere Gen Milieu, und jede Genänderung ist letzten Endes milieubedingt, da ihre Ursache nicht in dem betroffenen Gen ‘selbst, sondern außerhalb desselben liegen muß. Nach Iltis könnte es überhaupt nur Lamarckisten geben. Zum Begriff des Lamarckismus gehört aber u. E. notwendig die Vorstellung von einem ursächlichen Zusammen- hang (und dementsprechend einer Zeitfolge) zwischen Abänderungen des Körpers und solchen der Erbmasse. Nun erscheint es heute nicht mehr an- gängig, wie Verfasser dies tut, zum Beweise solcher Abhängigkeit die Ver- suche von Schröder, Standfuß, Fischer und vor allem diejenigen

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Kammerers aufzuführen, von welch letzteren er behauptet, daß die, Nachprüfungen durch verschiedene Forscher sie nicht widerlegt hätten. -

Herbsts Arbeit scheint ihm unbekannt geblieben zu sein, ebenso die Feststellung der Unzuverlässigkeit der Kammererschen Angaben.

Ganz bös fällt Verfasser in seinem Streben nach Objektivität aus der Rolle in seinem Ausfall gegen Lenz (Anm. S. 359), von welchem er be- hauptet, daß er in seinem Grundriß der Rassenhygiene den Lamarckismus durch die einfache Konstatierung der Tatsache „erledigt“, daß die Vertreter desselben zum allergrößten Teil, die Gegner dagegen nur zum sehr kleinen Teil jüdischer Abstammung seien. Er spricht dabei von. einer Lenzschen „Methode“. Nun findet sich die erwähnte Lenzsche Bemerkung in einem Abschnitt, der nicht, wie man nach Iltis Darstellung meinen sollte, von den Entwicklungstheorien, sondern von den „Seelischen Unterschieden der großen Rassen“ handelt. Man könnte also höchstens sagen, daß Lenz vorausgesetzt,erhättesonstnichtsübersiegesagt die Juden durch die Konstatierung der Tatsache „erledigt“ hätte, daß sie ein großes Kontingent zur Anhängerschaft des Lamarckismus stellen. Tat- -= sächlich widmet ihnen Lenz in dem betreffenden Kapitel eine eingehende Charakteristik, deren Objektivität im antisemitischen Lager sogar Anstoß erregt hat. lltis bringt sich durch seine „Methode“ der Unterstellung in den Verdacht, daß er im Gegensatz zu Lenz der die Intelligenz der Juden besonders hervorhebt, diese durchaus unterschätzt.

Wohl das schwächste Kapitel des Iltisschen Buches ist das uns am meisten interessierende Schlußkapitel „Die Vererbung beim Menschen”. Und das ist entschuldbar, da Verfasser, von Haus aus Botaniker, sich mit dem Stoffe nicht genügend vertraut machen konnte. Man merkt dem Ab- schnitt an, daß er „zusammengeschrieben“ ist. Schon die Definitionen sind gelegentlich irreführend. Die in einer Anmerkung S. 399/400 gegebene De- finition der ,,geschlechtsbegrenzten“ und „geschlechtsgebundenen” Ver- erbung, die sich dadurch unterscheiden sollen, daß bei letzterer die „Bin- dung keine völlige ist“, ist unhaltbar. Heute versteht man unter „ge- schlechtsgebundener“ Vererbung jenen Erbgang, bei welchem das betref-

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fende Merkmal durch Lokalisation im gleichen Chromosom an den ge- schlechtsdifferenzierenden Faktor gebunden ist und gemeinsam mit diesem übertragen wird, während bei der „geschlechtsbegrenzten“ Vererbung die Anlage unabhängig von der Geschlechtserbeinheit auf heide Geschlechter übertragen, aber bei dem einen an der Manifestation gehindert wird.

Recht schlecht vertraut ist Verfasser und hier wäre es ihm ein leich- tes gewesen, sich besser zu belehren mit der Entwicklung der Rassen- hygiene. Er schreibt darüber S. 402: „Man hat den Ausdruck Eugenik durch andere, volkstümlichere zu ersetzen gesucht. So spricht man von Bevölkerungspolitik oder mit Goldscheid von Menschen- ökonomie und gibt damit den Zielen der Eugenik den weitesten Spiel- raum. Der Begriff Rassehygiene, der heute*) modern geworden ist, scheint leider nicht frei von politischem Beigeschmack insofern, als unter diesem Schlagwort vielfach von den Chauvinisten aller Nationen die Hebung der eigenen Edelrasse ohne Rücksicht auf die anderen Menschen verstanden wird, während doch die Aufgabe der Eugenik die Hebung der körperlichen, intellektuellen und moralischen Tüchtigkeit der Gesamtbevöl- ` kerung sein muß.“ Daß „Eugenik“ und „Menschenökonomie“ Synonyma sein sollen, entbehrt für den Vererbungsforscher nicht ganz der Komik, be- sonders wenn es S. 401 heißt: „Heute gibt es in allen Kultursprachen euge- netische Lehrbücher“) und unter „?)“ als erstes Goldscheids „Höher- entwicklung und Menschenökonomie“ prangt. (Vergl. dieses Archiv Bd. 5, S. 767 u. f.) Es ändert an diesem Lapsus nichts, daß Verfasser denselben in einem Privatbrief an die Referentin einfach abstreitet. Das Ploetzsche Buch (Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältnis zu den humanen Idealen, besonders zum Sozialismus, Berlin 1895) in welchem, wenn man von Schallmayers leider unbeachtet gebliebener kleiner Schrift „Ueber die drohende Entartung der Kulturvölker usw.“ absieht, zum erstenmal in Deutschland rassenhygienische Gedanken folgerichtig entwickelt wurden, und das auch zum erstenmal den von Ploetz formulierten Begriff „Rassenhygiene“ enthält, wird von Iltis nicht erwähnt. Daß Galtons (Platon nachgebildete) „Eugenik“ erst im Zusammenhang mit der von Ploetz ins Leben gerufenen rassen- hygienischen Bewegung in Deutschland bekannt geworden, ist ihm an- scheinend unbekannt. Ebensowenig scheint er von dem dieses Archiv seinerzeit einleitenden Artikel „Die Begriffe Rasse und Gesellschaft usw.” Kenntnis genommen zu haben. Es würde ihm sonst der Ploetzsche Begriff der „biologischen Rasse“ (im Gegensatz zur ethnologischen) geläufig sein, und er könnte nicht den zurzeit lebenden „Rassehygienikern” in corpore Rassenfanatismus unterstellen. Eine Ausnahme macht er nur mit seinem politischen Parteigenossen J. A. Mjöen, dem Herausgeber der „Nordiske Race“. Er zitiert dessen „schönes Wort“: „Wir lieben die nordi- sche Rasse nicht aus der Erkenntnis heraus, daß sie besser ist wie andere

*) Im Original nicht kursiv gedruckt.

Kritische Besprechungen und Referate. 331

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wir lieben sie wie Vater und Mutter, weil sie unsere ist.“ Referent erinnert den Verfasser in diesem Zusammenhang an das Wort von Lenz (Grundriß d. menschl. Erblichkeitslehre etc. 1.Bd. S.298 2. Aufl. S.432): „Wenn wir unsere Rasse nicht um irgendeiner Kultur, einer Lehre oder Moral willen, sondern um ihrer selbst willen lieben, so verträgt sich diese Liebe nicht mit dër Gleichschätzung irgendeiner anderen Rasse, ohne daß wir darum unsere Rasse als höherwertig in einem objektiven Sinne ansähen.“ Wie wenig Iltis’ „Eugenik“ von dem der Rassenhygiene vorgeworfenen „politischen Beigeschmack“ frei ist, das geht u. a. auch daraus hervor, daß er allen denen, welchen der Geburtenrückgang Sorge macht, vorwirft, daß sie nur um „Menschenmaterial“ für den Kriegsfall besorgt seien. Es ist das im Munde eines Mendelforschers, der sich bewußt sein sollte, daß geniale Begabung nur sehr selten bei besonders günstiger Erbkombination, also praktisch nur bei Kinderreichtum beiderseits hochbeanlagter Eltern zustande kommen kann, eine recht auffallende, wenn sonst auch recht abgedroschene Un- ` terstellung.

Auch wir erstreben aus verschiedenen Gründen für unser ganzes Volk möglichst gesunde Lebensbedingungen. Aber wir bestreiten entschieden die Behauptung des Verfassers (S.402), daß man mit Personal- bzw. Sozial- hygiene die „Hemmung der schlechten Anlagen“ erreicht. Dazu ist ziel- bewußte Rassenhygiene nötig, und zwar nicht nur negative (Ausschaltung der Minderwertigen von der Fortpflanzung), sondern vor allem positive, d. h. Begünstigung der Fortpflanzung der körperlich, geistig und sittlich be- sonders gut Beanlagten, Ueberwucherung der Minderwertigen durch die Tüchtigen. | AgnesBluhm.

Siemens, H W.: Die Zwillingspathologie, ihre Bedeutung, ihre Methodik, ihre bisherigen Ergebnisse. 14 Abb. Berlin 1924. J. Springer. 103 S. | |

Das Buch zerfällt, um dies gleich vorwegzunehmen, in zwei Teile: eine allgemeine Zwillingspathologie, welche die Bedeutung, die Methodik und die allgemeinen Ergebnisse der Zwillingspathologie behandelt, und eine spezielle Zwillingspathologie, d. h. eine sehr dankenswerte Zusammen- stellung der in der Literatur niedergelegten und zahlreicher eigener Beob- achtungen pathologischer Erscheinungen bei Zwillingen, als da sind Krank- heiten der Haut- und Schleimhäute, der Augen und Ohren, der Nerven und des Geistes, der inneren Organe, des Stoffwechsels und des Blutes, der Knochen und Gelenke und der äußeren Körperform. Ein gutes Literatur- und Sachverzeichnis bildet den Schluß.

Bereits Francis Galton hat nicht nur auf die Bedeutung eineiiger Zwillinge für die Vererbungswissenschaft hingewiesen, sondern deren Studium auch schon praktisch für letztere verwendet. Andere Autoren sind ihm gefolgt. Bekannt ist Polls Arbeit über die Papillarzeichnung der Finger. Siemens hat nun unter Zugrundelegung der in der Literatur niedergelegten Kasuistik und zahlreicher eigener Beobachtungen die Be- ziehungen zwischen Zwillings- und Erblichkeitsforschung eingehend stu-

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2 Kritische Besprechungen und Referate.

diert und eine besondere zwillingspathologische Forschungsmethode aus- gearbeitet. Die Vererbungspathologie setzt sich nach ihm zusammen aus Rassenpathologie, Familienpathologie und Zwillingspathologie. Letztere ist den beiden ersteren nicht nur ebenbürtig, sondern als Forschungsmethode entschieden überlegen; denn in manchen Fällen, wo jene versagen, ist sie imstande, Aufschluß zu geben nicht nur über Erblichkeit oder Nichterblich- keit, sondern auch über den Erbgang eines Leidens.

Siemens schließt sich dabei der Anschauung Weismanns an, daß eineiige Zwillinge, da sie dem gleichen Spermium und Ei entspringen, völligidentische Erbanlagen besitzen, und folgert daraus, „daß alle Unterschiede, welche eineiige Zwillinge darbieten, paratypischer (nicht- erblicher, umweltbedingter) Natur sind. Ausnahmen sind nur denkbar erstens durch ungleiche Teilung, zweitens durch nachträgliche Aenderungen der Erbanlagen des einen Zwillings (Idiokinese)“. Beiden Vorgängen mißt er aber eine so geringe Bedeutung bei, daß sie praktisch vernachlässigt werden können und man die Regel aufstellen kann, „daß die Ver- schiedenheiten identischer Zwillinge auf die Wir- kung nichterblicher Faktoren zurückzuführen sind" (S. 5). Mit dieser Regel schießt der Verf. unseres Erachtens etwas über das Ziel hinaus und ihre allgemeine praktische Anwendung will uns nicht ganz unbedenklich erscheinen. Das gilt auch für die beiden Siemensschen Paradefälle, die Linkshändigkeit und die Muttermäler, Leiden, die bisher allgemein als erbliche betrachtet wurden, deren Nichterblichkeit er aber durch die zwillingspathologische Methode bewiesen haben will.

Eine nachträgliche Mutation durch Idiokinese dürfte in der Tat ein recht seltenes Ereignis sein. Dagegen ist der Gedanke an eine Störung der Kernteilung (nicht zu verwechseln mit der sog. erbungleichen Teilung) bei einem pathologischen Furchungsprozeß, dem ja die eineiigen Zwillinge ihre Entstehung verdanken, durchaus nicht so fernliegend. Daß eine solche bisher noch nicht beobachtet wurde, beweist nichts gegen ihre Existenz. Die Entwicklungsmechanik ist ja noch eine junge Wissenschaft. Da wir nicht mehr in der Lage sind, das Vererbungsmonopol des Kernes in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, muß man auch an eine gelegentliche ungleiche Plasmaverteilung bei abnormem Furchungsprozeß denken. Von besonderem Interesse für die in Rede stehende Frage sind die Untersuchungen Ne w- mans‘) an Eiern und Embryonen von Dasypus novemcinctatus (Gürtel- tier, Armadill), bei welchem normalerweise aus einem Ei stets gleich- geschlechtige Vierlinge entstehen. Diese Vierlinge zeigen nun Verschieden- heiten in der zweifellos erblich bedingten Beschaffenheit ihrer Panzer- schilder, und zwar bezüglich der Gesamtzahl der Schilder, bezüglich ihrer Zahl in einem Ring und bezüglich der Doppelbildungen in den Ringen. Nach Siemensscher Methode würde sich hieraus die „Nichterblichkeit“ der Panzerschildanlagen ergeben.

1) The Biology of Twins. The University of Chicago Science . Series, März 1917, Neudruck Oktober 1924.

Kritische Besprechungen und Referate. 333

Geet ist es auffallend, daß bei zehn mit Linkshändigkeit behafteten eineiigen Zwillingspaaren diese Anomalie nur einmal bei beiden und neun- mal nur bei einem der Partner sich fand. Der Siemenssche Schluß auf Nichterblichkeit des Leidens erscheint uns aber schon deshalb nicht be- rechtigt, weil es abgesehen von den zu kleinen absoluten Zahlen auffallend ist, daß von den % Individuen seiner 45 eineiigen Zwillings- paare 11, das sind 12,22%, mit Linkshändigkeit behaftet sind, während sich unter der Gesamtbevölkerung nur etwa 3—5 % Linkshänder befinden Eine solche Häufung bei Eineiigen spricht (auch nach Siemens) für Erblichkeit. Es kommt hinzu, daß Rechts- bzw. Linkshändigkeit hirn- bedingt sind, d. h. erstere hat ihren Grund in einer bestimmten Beschaffen- heit der linken Großhirnhemisphäre. Da man nun aus Beobachtungen und Experimenten weiß, daß Doppelbildungen bezüglich irgendwelcher Mißbildungen (ich erinnere an den auch von Siemens zitierten Duloroy- schen Fall von Gaumenspalte) gelegentlich spiegelbildliche Verhältnisse zeigen, was embryologisch leicht zu verstehen ist, so hat der Siemenssche Befund von Rechts- und Linkshändigkeit bei ein und demselben eineiigen Zwillingspaar nichts Ueberraschendes und ist u. E. sehr wohl mit Erb- lichkeit der Linkshändigkeit vereinbar.

Was die Muttermäler (Naevi) anbetrifit, so fand Verf. unter 45 ein- eiigen Zwillingspaaren mit 1783 glatten pigmentierten, erhabenen pigmen- tierten und erhabenen unpigmentierten Naevi bezüglich Zahl, Lokalitat und spezieller Form der Mäler in keinem einzigen Fall eine Ueberein- stimmung bei beiden Zwillingen. Er schließt hieraus, daß die Naevi, ent- gegen der herrschenden Ansicht, ein nichterbliches, umweltbeding- tes Leiden sind. Die „Leichtigkeit, mit der sie auf uns unbekannten äußeren Ursachen entstehen“, soll aber nach Siemens „bei erblich ver- schiedenen Menschen verschieden sein“. Diese Ueberlegung führt ihn zu’ _ der „erblichen Disposition nichterblicher Merkmale”, ` eine Frage, an welche nach seiner Ansicht bisher noch kein Autor heran- getreten ist. Nun ist es seit langem bekannt, daß es eine erbliche Disposi- tion für bestimmte Infektionskrankheiten (z. B. Tuberkulose), also für zweifellos umweltbedingte Krankheiten gibt. Man hat bisher nur nicht den etwas paradoxen Siemensschen Ausdruck dafür verwendet. Das dürfte _ damit zusammenhängen, daß ja überhaupt nicht das Merkmal als solches, sondern lediglich die Disposition dazu vererbt wird (nach Baur die „be- stimmte Art der Reaktion auf die Außenbedingung“)./ Demnach ist es folge- richtig, jedes Leiden, dessen Manifestierung eine bliche Disposition zur Voraussetzung hat, als erblich zu bezeichnen. U. E. darf man nur dort von einer „erblichen Disposition nichterblicher Merkmale“ sprechen, wo, wie z. B. bei der Tuberkulose, ein ganz bestimmtes äußeres Agens zur Bewirkung des Merkmales erforderlich ist. Von der Tuberkulose wissen wir außerdem, daß bei ihrer Entstehung auch eine nichterbliche, sondern erworbene Disposition eine große Rolle spielen kann. Wo die äußere Ursache noch in völliges Dunkel gehüllt ist, muß man sich eventuell auf die Vermutung beschränken. Aus der Buntheit der Naevi bei Eineiigen

334 Kritische Besprechungen und Referate.

auf deren Nichterblichkeit zu schließen, erscheint uns heute, wo wir ja erst ganz im Beginn der Erforschung der Zwillingsbiologie stehen, noch nicht erlaubt. Die völlige Erbidentität der Eineiigen muß dazu erst prak- tisch sichergestellt sein. Zur Zeit mehren sich die Fälle, die gegen eine solche sprechen. Immerhin erscheint uns Siemens’ Forderung, daß eine sehr große Uebereinstimmung in den Merkmalen, namentlich in den Farben von Haut, Haar und Augen, in der Lanugobehaarung und in der Gesichts- form praktisch zur Diagnose der Eineiigkeit genügen soll, nicht unbe- rechtigt zu sein.

Was die Siemenssche Interpretation des Nettleshipschen Falles von Farbenblindheit (Dichromasie) angeht, in welchem der eine der beiden eineiigen Zwillinge farbentüchtig war, so scheint mir dem Verf. ein lapsus calami untergelaufen zu sein. Siemens sagt (S. 17):

„Da die Farbenblindheitsanlage sich rezessiv (-geschlechtsgebunden) verhält, so kann man sich vorstellen, daß bei den Behafteten einfach die Erbanlage, die normales Farbensehen ermöglicht, fehlt, und man kann sich fragen, ob es möglich ist, daß ein Zwilling, dem die Anlage zu normalem Farbensehen fehlt, trotzdem einen normalen Farbensinn erreichen kann. Diese Möglichkeit läßt sich aber, so große Schwierigkeiten sie der Vorstellung macht, nicht prinzipiell bestreiten; kennen wir doch aus der ex- perimentellen Vererbungslehre sichere Fälle, in denen das Manifestwerden rezessiver Faktoren durch Außeneinflüsse gehindert werden kann!“

Es ist, ich möchte sagen, selbstredend eine Unmöglichkeit, daß das „Fehlen“ der Anlage zu normalem Farbensehen durch Außeneinflüsse an seiner „Manifestation“ gehindert werden kann. Man könnte sich höchstens vorstellen, daß die Unmöglichkeit normalen Farbensehens auf dem Vorhandensein eines Hemmungsfaktors beruht, und. daß dieser bei dem einen Zwilling durch Außeneinflüsse an seiner Ent- faltung gehindert worden ist. Offenbar hat Siemens mit dem „Fehlen“ keinen positiven Defekt, sondern nur irgendwelche „Behinderung“ nor- maler Funktion gemeint.

Trotz der obigen Bedenken, welche auszusprechen uns als Pflicht er- scheint, halten wir das Siemenssche Büchlein für sehr verdienstvoll. Denn wenn es auch nicht das letzte Wort in der Frage nach der Bedeutung der Zwillingspathologie für die menschliche Erblichkeitsforschung spricht, und wenn manche darin vertretene Ansicht sicherlich.im Laufe der Zeit eine Modifikation erfahren wird, so zeigt es doch sehr anschaulich, wie fruchtbringend der zielbewußte, systematische Ausbau einer Forschungs- methode werden kann. Es geht von dem Buch eine Fülle von Anregungen nicht nur für die Ausgestaltung der menschlichen Erblichkeitslehre aus, sondern auch für die Revision bzw. straflere Fassung grundlegender Be- griffe. Wir wünschen demselben weite Verbreitung über die Kreise der Mediziner hinaus. Agnes Bluhm.

Frets, G. P., 1924. Heredity of the Cephalic Index. 'sGraven- hage. 93 S.

Der Verfasser dieser medizinischen Doktordissertation ist bereits durch

cine Reihe von größeren Arbeiten über die gleiche Frage bekannt geworden.

Kritische Besprechungen und Referate. 335

Eine zusammenfassende Schrift aus dem Jahr 1921, welche die Grundlagen und damaligen Ergebnisse seiner umfangreichen Erhebungen enthält, wurde in Bd. 15, S. 62 dieses Archivs besprochen. Die vorliegende Arbeit zeigt, daß Fr. nicht nur sein Beobachtungsmaterial noch vergrößert hat (405 Familien mit zusammen 1650 Kindern), sondern daß er sich auch bemühte, seine Deutungen einer kritischen Revision zu unterziehen. Dar- über hinaus ist er aber auch bestrebt, das Beobachtungsmaterial noch weiter zu verwerten und zur Aufstellung eines Faktorenschemas zu gelangen, was im Hinblick auf die große Mühe, welche zu den Erhebungen notwendig war, wohl verständlich, im Hinblick auf die Natur des Problems aber min- destens gewagt erscheinen muß.

Frets betont einleitend noch einmal, daß seine Befunde mit der An- nahme einer polymeren Erbbedingtheit der einzelnen Kopfdurchmesser nicht vereinbar seien, daß vielmehr Anlagen für die Form, wie sie durch den Längenbreitenindex wiedergegeben wird, vorhanden sein müssen. Es ist bekannt, daß im großen ganzen so etwas wie Dominanz der Kurzköpfig- keit zu walten scheint, und man wird auch zugeben müssen, daß die Vor- stellung einer homomeren Bedingtheit der Hauptdurchmesser, so wie sie gemessen werden, die Dinge allzu schematisch vereinfacht. Die Ableitung des Schlusses aber von dem hypothetischen Fall einer Kreuzung zwischen „homogenetisch“ langschädeligen und kurzschädeligen Individuen nimmt jedoch die Erklärung von E. Fischer u. a. wohl zu wörtlich. Wenn Frets außerdem seine Behauptung dadurch stützt, daß er mitteilt, „Luxu- rieren“ komme nur beim Längenbreitenindex, nicht aber bei den absoluten Durchmessern vor, so stimmt das, soweit Ref. sieht, weder mit den anderen Erfahrungen noch auch mit F.s eigenen Tabellen (von 1921) überein; es muß sich da ein Irrtum eingeschlichen haben. Die Erbbedingtheit auch der Durchmesser nach ihrer absoluten Größe hat F. übrigens schon in den früheren Arbeiten dadurch belegt, daß er verschiedenes Verhalten von „Mikrodolichozephalen“ und „Makrodolichozephalen“, ebenso von kleinen und großen Rundköpfen feststellte bzw. wahrscheinlich machte. Verschie- dene Erklärungsversuche der früheren Arbeiten werden für Fr. jetzt da- durch überflüssig, daß er die Annahme einer wesentlich polymeren Be- dingtheit der Kopfform in den Vordergrund stellt. Er bemüht sich nun, Faktorenschemata zu finden, welche, auf die Fälle seiner Beobachtungen angewendet, passen könnten. Das eine dieser Schemata nimmt 4, das an- dere 3, das letzte 2 verschiedene Genpaare an, welche in verschiedener Häufigkeit den 19 (!) Genpaare umfassenden Anlagenkomplex der Kopf- form bilden und, soweit ein Gen öfter vorkommt, homomer sein sollen. Die Annahmen bezüglich der Wirkungsweise der Gene sind dabei noch ziemlich verwickelt. So soll z. B. ein Gen A den Index durch Vergrößerung der Kopfbreite erhöhen und dominant sein über a mit der gegenteiligen Wirkung, ein Gen B soll durch Vergrößerung der Kopflänge auf größere Dolichozephalie hinwirken usw. Eines der Schemata würde auch die Kopfhöhe berücksichtigen, die jedoch in dem zur Verfügung stehenden Beobachtungsmaterial nicht gemessen wurde. Ein Homomerieschema für

336 Kritische Besprechungen und Referate.

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die Kopfgröße (ausgedrückt durch die Summe aus Länge und Breite) ent- hält gleichfalls 19 homomere Gene. Die „Anwendung“ dieser Schemata auf beobachtete Fälle nimmt einen großen Teil der Arbeit ein. Weiter beschäftigt sich Fr. eingehend mit der Frage etwa geschlechtsgebundener oder geschlechtsbegrenzter Vererbung von Anlagen der Kopfform. Die Prüfung einiger solcher Fragen wird (zulänglicher) so versucht, daß nur Kreuzungen „makrodolichozephaler“, „mikrodolichozephaler“ usw. Indivi- duen unterschieden und die Nachkommen in der gleichen Unterscheidung nach dem Geschlecht getrennt ausgezählt werden. Leider sind (soweit Ref. nachgerechnet hat) die Unterschiede der jeweiligen Prozentzahlen dabei geringer als ihre mittleren Fehler, so daß eine Erörterung der Er- gebnisse wohl unterbleiben kann. Fr. faßt seine Resultate in folgende Feststellungen zusammen: Die Kopfform als solche ist erbbedingt. Mit der Annahme von Anlagen für die einzelnen Durchmesser wird man den ge- gebenen Befunden nicht gerecht. Die Anlagen für Kopfform sind unab- hängig von denjenigen für Kopfgröße. Es liegt Polymerie vor. Kurzköpfig- keit ist dominant, zuweilen auch rezessiv. Die gegebenen Faktorenschemata vermögen den Erbgang zu erklären. Die Dominanz der Kurzköpfigkeit ist ausgeprägter im weiblichen, die der Langköpfigkeit ausgeprägter im männ- lichen Geschlecht. Die vorkommenden patroklinen und matroklinen Fa- milien weisen auf Erscheinungen hin, welche durch „non-disjunction“ erklärt werden können. Diese Folgerungen, welche Frets aus seinem zweifellos sehr mühsamen Versuch gezogen hat, mögen zeigen, wie be- rechtigt die Warnung von F. Lenz (1923), H. Federley (192) u. a vor dergleichen Aufklärungsversuchen bei komplizierteren Polymerien ge- wesen ist. Immerhin kann vielleicht als positives Resultat gebucht werden, daß man es bei der Erbbedingtheit der Kopfform mit einer komplizierteren Polymerie (wenn auch nicht gerade mit einer solchen 19. Grades!) zu tun hat. Die im Schriftenverzeichnis angeführten Arbeiten anderer Autoren aus den letzten Jahren (es ist schon eine ganz stattliche Anzahl!) weisen jedenfalls in die gleiche Richtung. Scheidt.

Frets, G. P. (Maasoord-Poortugal), De beteekenis van het geslacht voor de erflijkheid van den hoofdindex. (Die Bedeutung des Geschlechtes für die Erblichkeit des Kopfindex.) Genetica Bd. 6, H. 6, S. 526—536, 1924 (Holländisch).

Es handelt sich um 405 Familien, bei denen die Kopfform (Brachy- und Dolichokephalie) von Eltern und Kindern verglichen wurde. Als Aus- druck der Kopfgröße ist die Summe von Länge und Breite (L + B) benutzt. Die Familien sind in drei Gruppen eingeteilt: I. Gruppe: Kopf bei beiden Eltern groß; II. Gruppe: Kopf bei beiden Eltern klein; III. Gruppe: Kopf bei einem Elternteil groß, beim anderen klein. Jede Gruppe zerfällt in vier Untergruppen: 1. 2 brachykephal X o dolichokephal; 2. 2 dolichokephal x

d brachykephal; 3. l brachykephal X d’brachykephal; 4. ? dolichokephal X d’dolichokephal.

Kritische Besprechungen und Referate. 337

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In einer Untergruppe (L + B bei der Mutter groß, beim Vater klein) überwiegt bei den Vätern die Dolichokephalie sehr erheblich. In den übrigen Gruppen ist der prozentuale Unterschied zwischen Brachykephalie und Dolichokephalie bei den Vätern verhältnismäßig gering. Bei den Müt- tern dagegen findet sich in sämtlichen Gruppen ein starkes Plus an Brachy- kephalen. Nach Verf. erklärt sich dies am einfachsten durch die Annahme einer Verschiedenheit in der Dominanz bei beiden Geschlechtern. Er nimmt auf Grund seines Materiales an, daß im allgemeinen Brachykephalie domi- nant ist über Dolichokephalie, daß aber zuweilen auch das Umgekehrte vorkomme. Die verschiedene Dominanz könnte mit der Kopigröße zu- sammenhängen. Es könnte bei großen Köpfen nach obigen Ergebnissen Brachykephalie und bei kleinen Köpfen Dolichokephalie dominant sein. Es könnte sich aber auch um zwei Paare von Allelomorphen (Aa und Bb) handeln. A könnte Brachykephalie bewirken vor allem durch Zunahme der Breite und a Dolichokephalie durch Abnahme der Breite; B Dolicho- kephalie durch Zunahme der Länge und b Brachykephalie durch Abnahme der Länge.

Verf. nimmt an, daß die Dominanz von Brachykephalie über Dolicho- kephalie, die er inden meisten Fällen fand, bei der Frau stärker ist als beim Mann, während umgekehrt beim Mann die Dominanz von Dolichokephalie, die bisweilen gefunden wurde, stärker ist als bei der Frau.

Den Gedanken, daß es sich um geschlechtsgebundene Erblichkeit han- deln könnte, weist Verf. zurück. Seine Beobachtungen stimmen nur mit den Zahlenverhältnissen überein, die sich aus den Formeln geschlechts- gebundener Vererbung für die verschiedenen Kreuzungen ergeben, sei es, daß man für Brachykephalie Dominanz oder Rezessivität annimmt.

In einigen Tabellen, wo die Kinder sowohl brachykephale als dolicho- kephale Indizes aufweisen und die Eltern brachykephal und dolichokephal sind, zeigte sich, daß die Söhne häufiger den Index des Vaters und die Töchter häufiger den Index der Mutter haben. Nach Verf. hat Bryn das gleiche beobachtet. Bei früheren Korrelationsberechnungen des Verf. war die Korrelation des Index bei Vater und Sohn geringer als bei Vater und Tochter (0,202 + 0,024 und 0,242 + 0,022). Verf. bringt diese geringere Kor- relation zwischen Vater und Sohn in Zusammenhang mit der größeren männlichen Variabilität. Letztere ist nach ihm auch dafür verantwortlich, daß in seinem Material die Indexkorrelation von Mutter und Tochter größer ist als von Mutter und Sohn (0,324 + 0,019 und 0,251 + 0,022).

Da Familien mit dominanter Brachykephalie in seinem Material viel häufiger sind als Familien mit dominanter Dolichokephalie, so bewirkt die verschiedene Dominanz der Brachykephalie bei beiden Geschlechtern, daß der durchschnittliche Index bei der Frau größer ist als beim Mann. (Im = 80,4 und Iw = 81,04 und bei Erwachsenen Im = 79,65 und Iw = 80,64 (1922).

Die Annahme von zwei Allelomorphenpaaren mit verschiedener Domi- nanz bei den beiden Geschlechtern erklärt noch eine andere Erscheinung. Der durchschnittliche Index zeigte Verschiedenheiten in den verschiedenen

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbivlogie. Bd. 17. Heft 3. 22

Kritische Besprechungen und Referate.

Längen- und Breitenklassen, was natürlich ist, wenn der Index auf ver- schiedene Weise (Verbreiterung bzw. Verkürzung und Verlängerung bzw. Verschmälerung) zustande kommt. In derselben Längen- bzw. Breitenklasse ist der durchschnittliche Index bei Mann und Frau verschieden. Verf. sieht den höheren durchschnittlichen Index der Frau in dem gesamten Material als sekundäres Geschlechtsmerkmal an. In der gleichen Längenklasse fand er früher den durchschnittlichen Index beim Mann größer als bei der Frau, während in derselben Breitenklasse die Frau einen größeren Index zeigte. In der ersteren Klassenart, wo der Kopf der Frau relativ schmal ist, sind beim Manne mehr „Verbreiterer“ und bei der Frau mehr „Verschmälerer“ in der Erbformel vorhanden; in der letzteren Klassenart bei der Frau mehr „Verkürzer“, beim Manne mehr „Verlängerer“. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist in der gleichen Breitenklasse größer als in der gleichen Längenklasse. (Genauere Daten siehe in der Inauguraldissertation des Verf. „Heredity of Cephalic Index“, Amsterdam 1924, Mart. Nijhofl. und in G. P. Frets „The Cephalic Index and its Heredity“, Mart. Nijhofl, den Haag 1924.) Agnes Bluhm.

Sullivan, L. R. und Hellman, M., 1925, ThePuninCalvarium. An- thropol. Pap. of the Amer. Mus. of Nat. Hist. Bd. 23, Teil 7, New York. Die Arbeit berichtet über einen Schädel, der bei Punin, südl. von Rio- bamba, in Ecuador gefunden wurde, und zwar in einer Gegend, in der schon früher Reste pleistocäner Säugetiere in größerer Zahl ans Tageslicht gekommen waren. Bei dem Schädel wurden weder solche Reste noch auch irgendwelche Beigaben gefunden; die Verf. glauben aber, daß dem Schädel das gleiche geologische Alter zugesprochen werden könnte wie den Tierresten. Der Schädel unterscheidet sich der Beschreibung nach nicht von rezenten Schädeln, paßt jedoch sehr wenig zu den in Südamerika vorkommenden Typen, sondern, nach Ansicht der Verf., viel eher zu australoiden Typen. Er wurde von erfahrenen Anthropologen, die seine Herkunft nicht kannten, ohne Bedenken als Australier- oder Tasmanier-Schädel angesprochen. Unter südamerikanischen Formen käme als ähnlichste Form allenfalls noch der sog. Lagoa-Santa-Typ in Frage. Der Schädel ist lang und schmal, mittel- hoch, zeigt starke Ueberaugenwülste, ein verhältnismäßig breites Oberge- sicht, breite Nase und ziemlich niedrige, breite, nach außen etwas abfal- lende Augenhöhlen. Die Maße des Schädels und mehrere Abbildungen sind der Arbeit beigefügt. Scheidt.

Zavadovsky, M., „Das Geschlecht und die Entwicklung sei- ner Merkmale“. Moskau, Staatsverlag, 1922, 255 S. mit 126 Textabb., 20 farb. Tafeln und einer deutschen Uebersicht.

Der Verfasser bringt eine zusammenfassende Darstellung seiner jahre- langen Untersuchungen an Vögeln und Säugetieren, die hauptsächlich ihre Formbildung im Zusammenhang mit den Geschlechtsdrüsen betreffen. Als Basis dienten Experimente an Hühnern. Die an ihnen gewonnenen Resul- tate lassen sich dahin zusammenfassen, daß der kastrierte Hahn wie die kastrierte Henne in ihrem Acußeren und Benehmen sich auffallend abn-

Kritische Besprechungen und Referate. 339

lich sind; und zwar tragen beide Kastrationsformen mehr die Charaktere des Hahnes. Reimplantation des Hodens fördert die Weiterentwicklung der hahnähnlichen geschlechtslosen Form zum Hahne, während Reimplantation des Eierstocks deren Weiterentwicklung hemmt und zur Henne führt. Es lassen sich somit vom morphogenetischen Gesichtspunkte aus drei Kate- gorien von Geschlechtsmalen unterscheiden: 1. Die asexuellen oder eigentlichen Gattungsmerkmale, die sich völlig unabhängig von den Geschlechtshormonen entwickeln. 2. Die pseudosexuellen oder unabhängigen Merkmale. Das sind solche, die sich zwar ohne Mit- wirkung der Keimdrüsenhormone ausbilden, von diesen jedoch modifiziert werden können, wie z. B. das Hahnengefieder und die Sporen, die der Eierstock zum Verschwinden bringt. 3. Die eigentlichen sexuellen oder ab- hängigen Geschlechtsmerkmale, deren Entwicklung einzig und allein von der normalen Funktion der jeweiligen Geschlechtsdrüse abhängt, und die somit in Wirklichkeit die wahren sekundären Geschlechtsmerkmale bilden.

Experimente an Fasanen und Enten führten zu ähnlichen Ergebnissen, indem die Kastration bei beiden Geschlechtern eine mehr männlich gebaute Zwischenform ergab. Das oft zu beobachtende Erscheinen von Hahnen- gefieder bei alternden Weibchen ist daher auf die Atrophie des Eierstocks zurückzuführen, wodurch die Unterdrückung der männlichen Grundform wegfällt.

Das Inkret des Hodens, Maskulinisin genannt, sowie jenes des Eier- stocks, Feminisin, sind somit qualitativ verschieden und beeinflussen des- halb die Formenbildung des Körpers in spezifisch verschiedener Weise. Dies äußert sich auch darin, daß Heterotransplantationen nach vorauf- gegangener Kastration zur Umformung des Körpers im Sinne des Trans- plantats führt: der männliche Vogel differenziert sich zum weiblichen, der weibliche zum männlichen. Und zwar war die Wirkung des implantierten Eierstocks bei einem Hahne so stark, daß sich im Bereiche seines Körpers Eier bildeten, während anderseits die den Hennen implantierten Hoden gut bewegliche Spermatozoen in großer Zahl produzierten.

Das Soma des Männchens und Weibchens ist somit in Beziehung auf die Geschlechtsdifferenzierung äquipotent, indem erst die betref- fenden Geschlechtsdrüsen die asexuelle Anlage sexuell gestalten, und zwar nicht nur morphologisch, sondern auch psychisch.

Lebrigens scheint das Feminisin stärker zu wirken als das Maskulini- sin, da der Hoden bei Vorhandensein eines Eierstocks seine formative Funktion kaum äußert. Als Beweis dafür dienen die Versuche zur Schaf- fung künstlicher Hermaphroditen, da Hennen mit angeheilten Hoden alle ihre weiblichen Merkmale beibehalten, während Hähne mit angcheilten Eierstöcken zu Hennen werden.

Haben aber die bei den Vögeln festgestellten Erscheinungen auch für die anderen Tierarten Geltung? Um dem nachzugehen, wurden Unter- suchungen an Antilopen, Rehen, Ochsen und Schafen angestellt und ge- funden, daß während bei den Vögeln die asexuelle Tracht der Tracht des Männchens gleicht, hier umgekehrt die asexuelle Tracht jener des Weib-

yor

340 ` Kritische Besprechungen und Referate.

chens ähnelt, was besonders bei starkem geschlechtlichen Dimorphismus auffallend ist. Zavadovsky bemerkt in dieser Beziehung, daß auch der kastrierte Mann dem weiblichen Typus sich nähert. Es ist deshalb anzunehmen, daß während bei den Vögeln das Weibchen die männlichen Merkmale potentiell enthält, bei den Säugetieren das männliche Tier diese Eigenschaft besitzt, wodurch bei ihm die Manifestierung der weiblichen Eigenschaften unterdrückt wird. S. Weißenberg (Elisabethgrad).

Zavadovsky, B. „Das Problem des Alterns und der Verjün- gung im Lichte der inneren Sekretion“. Moskau 192, 127 S. mit 40 Abb.

Es sei hier nur kurz auf die von Verf. festgestellte Korrelation in der Wirkung der Schild- und Geschlechtsdrüse hingewiesen. Es gelang ihm erstens durch Fütterung mit Schilddrüse nicht nur den mexikanischen Axolotl die Verwandlung in die vollentwickelte Amblystomaform durch- machen zu lassen, was einigen Forschern auch schon vorher geglückt ist, sondern er brachte sogar dadurch die Amblystomen zum Ablegen von Eiern, aus denen sich normale Axolotls entwickelten, was vielleicht zum erstenmal im Laboratorium gelungen ist. Zweitens stellte er fest, daß die Schilddrüse die Pigmentbildung beeinflußt, indem deren starke Dosen das schwarze und rote Gefieder der Hennen in weißes umwandelte. Und drittens fand er noch, daß vergiftende Schilddrüsendosen beim Hahne zur Atrophie der sekun- dären Merkmale führten, bei der Henne aber zur direkten Behinderung der geschlechtlichen Entwicklung. S. Weißenberg (Elisabethgrad).

Handwörterbuch der Sexualwissenschaft. Herausgegeben von Max Mar- cuse. Bonn 1923, A. Marcus und E. Webers Verlag.

Das Nachschlagewerk ist zweifellos recht verdienstlich. Es unterrichtet über die verschiedenen Gebiete in kurzen Uebersichten mit Angaben der wichtigsten Literatur. Es seien im folgenden die rassenhygienisch bemer- kenswerten Stichworte kurz besprochen. Siegel hat den Abschnitt Abort und Frühgeburt übernommen; in ihm interessiert besonders die An- gabe über die Häufigkeit des Aborts, die wohl zu niedrig sein dürfte, wenigstens für die letzten Jahre. Es fehlt auch der Hinweis darauf, daß wir über die Aborthäufigkeit nur sehr spärlieh unterrichtet sind. Boven- siepen tritt bei der Abtreibung für eine Milderung der gegenwärtigen Strafbestimmungen ein, hält jedoch eine Aufhebung des $ 218 nicht für an- gängig. Bemerkenswert ist, daß er eine soziale und eugenische Indikation anerkannt wissen möchte. Die Entscheidung über die Zulässigkeit eines solchen Eingriffes möchte er dem Amtsarzt überlassen. Da in Rußland eine ähnliche Regelung besteht, glaubt Ref., eine Entscheidung in dieser Frage würde am besten so lange hinausgeschoben, bis über die Erfahrungen in Rußland zuverlässige Angaben vorliegen. Fürs erste dürften solche Experimente noch etwas gewagt erscheinen. Das von Elster behandelte Stichwort „Alkohol“ umfaßt auch die Frage der Keimschädigung, die für möglich gehalten wird. Leider wird eine Auseinandersetzung darüber ver- mißt, inwieweit Trunksucht auf dem Boden ererbter Minderwertigkeit ent-

Kritische Besprechungen und Referate. 341

steht. Ueber den Eintluß des Alkoholismus auf die Geburtenhäufigkeit unterrichten wohl am besten die Angaben von Laitinen über finnische Familien; Ref. bedauert, daß sie nicht angeführt wurden. Die Untersuchun- gen Bunges über die Stillfähigkeit der Töchter von Trinkern können nicht als einwandfrei gelten und wären besser weggeblieben. Von erfreu- licher Klarheit ist die Darstellung der „Auslese“ von Siemens, ebenso des Stichwortes „Bastard“. Bei letzterem wäre allerdings eine ausführ- lichere Darstellung der Grundgesetze der Vererbung erwünscht, die auch einige Schemata enthalten sollte. Guradze hat „Bevölkerungsbewegung und Bevölkerungsstand“ behandelt. Wenn bei dem knappen Rahmen des Handwörterbuches eine Erweiterung möglich ist, würde Ref. es begrüßen, wenn noch eine Statistik der auf 1000 Männer kommenden Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter eingefügt würde. Die kurze Angabe im Text ist ein wenig zu knapp. Elster äußert sich über „Bevölkerungs- lehre und Bevölkerungspolitik“. Er definiert: „Bevölkerungslehre ist die Wissenschaft von dem Werden und Dahingehen des Menschen in einer nach völkischen oder anderen Gesichtspunkten zusammengefaßten Gruppe als einem sozialen Ganzen; Bevölkerungspolitik die praktische Folgerung aus der Bevölkerungslehre hinsichtlich der Maßnahmen, die zur Begünsti- gung des Werdens und zur Verlangsamung des Dahingehens von Einzel- wesen jener als soziales Ganzes zusammengefaßten Menschengruppe dien- lich erscheinen.“ Ref. hält diese Auffassung, welche auch alle Zweige der Individualhygiene umschlösse, für zu weit und möchte deshalb die Auf- gaben der Bevölkerungspolitik auf jene Maßnahmen beschränkt sehen, die sich auf ein Volk als Ganzes beziehen. Der wesentlichste Teil des Auf- satzes ist eine Auseinandersetzung mit dem Malthusianismus. In seiner Kritik kommt Elster zu dem Ergebnis, daß neben wirtschaftlichen natio- nale, ethische und kulturelle Gesichtspunkte die Kinderzahl beeinflussen. Wir dürfen dem unbedenklich zustimmen, da alle Theorien des Geburten- rückganges einzeln nur eine Teilerklärung darstellen und die äußerst kom- plizierte Erscheinung nicht zu deuten vermögen. Es sei mir noch ge- stattet, darauf hinzuweisen, daß unter dem Stichwort ,,Ehehindernisse“ die juristische Sachlage ausführlich geschildert wird, aber an keiner Stelle der biologischen Ehehindernisse gedacht wird. Agnes Bluhm hat den Ar- tikel „Eugenik“ übernommen und hat sich ihrer schwierigen Aufgabe mit viel Geschick entledigt. Hervorgehoben sei, daß sie mit vollem Recht das Hauptgewicht auf die positive Rassenhygiene verlegt wissen will, der gegenüber die negative nur geringere Bedeutung besitzt. Dies bei den ge- rade gegenwärtig so stark betonten und wohl auch überschätzten Möglich- keiten einer Ausschaltung Minderwertiger von der Fortpflanzung hervor- zuheben, dürfte besonders nötig sein. Ebenfalls von Bluhm bearbeitet ist das Stichwort „Frühehe, Spätehe“. Sie befürwortet die Ehe der Frau bald nach vollendetem 19., beim Manne vor dem 30. Lebensjahre. Wichtig ist besonders ihr Hinweis, daß Spätehen eine qualitativ ungünstigere Nach- kommenschaft erwarten lassen. Man wird allerdings auch betonen müssen, daß erst die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer Frühehe für die höhe-

nn

Kritische Besprechungen und Referate.

ren Stände geschaffen werden müssen. Vorzüglich ist die Darstellung von Siemens über geschlechtsabhängige Vererbung, ebenso die von Bluhm herrührende über Geschlechtsbestimmung. „Geschlechtsverhältnis“ ist eben- falls von Siemens bearbeitet. Ref. würde eine Erweiterung dahin emp- fehlen, daß die idiotypische Ursache der Uebersterblichkeit der Knaben den Ausführungen von Lenz entsprechend erörtert würde. Das Stichwort „In- zucht und Verwandtenehe“ ist von Marcuse behandelt. Er behandelt zunächst den Begriff des Ahnenverlustes, die Häufigkeit von Verwandten- ehen und schließlich ihre Gefahren, die er in der erhöhten Möglichkeit des Herausmendelns rezessiver krankhafter Erbanlagen erblickt. Durchaus folgerichtig schließt er daran die Vorzüge der Inzucht an. Kronfeld be- handelt die sexuelle Konstitution, wobei er mit Tandler Konstitution im Sinne von Idiotypus gebraucht. Trotz der anscheinend rettungslosen Ver- wirrung der Nomenklatur, welche die Verständigung außerordentlich er- schwert hat, schiene es dem Ref. zweckmäfßiger, Konstitution als das Er- gebnis des Zusammenwirkens von Erbanlage und Umwelt zu definieren. Schließlich seien noch die Ausführungen von A. Bluhm zu dem Stich- wort „Zölibat“ erwähnt, bei dem besonders die rassenhygienischen Wir- kungen der Ehebeschränkungen einzelner Berufsklassen erörtert werden. Es wäre vielleicht zu ergänzen, daß in häufigen Fällen wirtschaftlicher Druck, namentlich auch die gegenwärtige Wohnungsnot zu unfreiwilliger Ehelosigkeit führt. Daß gar nicht so selten Bestimmungen getroffen werden, die ein Zölibat zur Folge haben, kann mit einem Beispiel aus jüngster Zeit belegt werden, hat es doch die Prager Medizinische Fakultät fertig gebracht, zu beschließen, daß nur unverheiratete Assistenten eingestellt werden soll- ten. Inwieweit dieser Beschluß praktische Folgen hatte, entzieht sich aller- dings der Kenntnis des Ref. In der zweiten Hälfte ihrer Ausführungen behandelt Bluhm rassenhygienische Eheverbote. Sie hält Eheverbote für zweckmäßig, glaubt aber die Zeit für sie noch nicht gekommen. Dem Ref. scheint es zweckmäßig, wenn zwischen zeitlichem und dauerndem Ehe- verbot unterschieden worden wäre. Einem zeitlichen Eheverbot kommen die Bestimmungen über Geschlechtskrankheiten mindestens nahe, wenn sie wohl auch nur von geringer Wirksamkeit sind. Dauernde Eheverbote würden am zweckmäfßigsten mit Sterilisierung verbunden. Bluhm hält eine geheime Anzeigepflicht für Geschlechtskrankheiten für erforderlich, um wirksam Ehen Geschlechtskranker zu verhindern. Man wird diese Forderung nur wiederholen und betonen können, da sie vielleicht den wichtigsten rassen- und sozialhygienischen Fortschritt brächte, für den die Gegenwart reif zu sein scheint.

Alles in allem ist das Handwörterbuch der Sexualwissenschaft eine erfreuliche Bereicherung unserer medizinischen Literatur. Für den rassen- hygienisch Interessierten bringt es aus dem Nachbargebiete der Sexual-. wissenschaft eine große Zahl von Angaben, die wichtig sind, ohne daß es jedem möglich wäre, all diese Dinge dauernd in der Literatur zu ver- folgen. Diese Verbindung mit Grenzgebieten herzustellen, ist vielleicht seine hervorragendste Aufgabe. Fetscher (Dresden).

Kritische Besprechungen und Referate.

282

Rohleder, Monographien überdie Zeugung beim Menschen. 2. verbesserte Auflage. Leipzig 1924. Verlag von Georg Thieme.

Der bekannte Sexualarzt stellt in klaren Ausführungen die gesamte Physiologie der Zeugung und Fortpflanzung dar. Besonders anerkannt sei, daß er sich nicht einfach auf die Schilderung der Verhältnisse beim Men- schen beschränkt, sondern in entwicklungsgeschichtlichen Ueberblicken tieferes Verständnis zu erarbeiten sucht. Im ersten theoretischen Abschnitt setzt sich Rohleder besonders mit der Vererbung erworbener Eigen- schaften auseinander, ohne jedoch selbst dazu klare Stellung zu nehmen. Es wäre wünschenswert, daß die Gründe, die zu einer Ablehnung lamark- kistischer Gedankengänge geführt haben, ausführlich dargestellt würden. Der einfache Hinweis darauf, daß die moderne Vererbungswissenschaft der Annahme zuneige, daß erworbene Eigenschaften nicht vererbbar seien, ist ein wenig zu knapp gegenüber der ausführlichen Darstellung der Auffas- sung Haackes, Bouchards u. a. Der Mendelismus wird auf zwei Seiten besprochen. Es ist bedauerlich, daß nicht einmal die Grundgesetze verständlich dargestellt sind. Polymere Vererbung usw. wird natürlich nicht einmal erwähnt. Bei einer Neuauflage wäre es wünschenswert, daß diesem Mangel abgeholfen würde. Ueberraschend ist die Stellung Roh - leders zu dem „Problem der Imprägnation (Telegonie)“. Er übernimmt recht kritiklos die in Laienkreisen verbreitete Ansicht, daß die Kohabitation eines rassereinen Tieres mit einem nicht reinrassigen auch später rein- rassige Paarungen verderben könne. Rohleder zimmert eine recht phan- tastische Erklärung für diese angebliche Tatsache. Das „Versehen der Schwangeren“ will er als „psychische Imprägnation“ deuten!! Das fol- gende Kapitel über Geschlechtsbestimmung enthält ziemlich zu Beginn den erstaunlichen Satz: „Soviel kann man heute als sicher bezeichnen, daß die Vererbung bei der Geschlechtsbestimmung nur einen sehr geringen Fak- tor darstellt, durchaus keinen ausschlaggebenden oder gar den alleinigen.“ Im Widerspruch zu dieser Behauptung steht die wenige Seiten später ge- äußerte richtige Ansicht, daß das Geschlecht durch akzessorische Chromo- some bestimmt werde. Die übrigen Ausführungen kranken daran, daß Rohleder nicht klar auseinander hält, daß ein Unterschied besteht in der Sexualproportion unmittelbar nach der Befruchtung und nach der Ge- burt. Er übersieht, daß die nach dem Geschlecht des Kindes verschiedene Wahrscheinlichkeit des Austragens der Früchte sekundär die Knaben- Ziffer beeinflußt. Der zweite Teil behandelt die pathologische Zeugung - beim Menschen. An erster Stelle wird die Zeugung durch krankhaft ver- änderte Keimzellen besprochen, im Zusammenhang damit auch die Zwil- lingsgeburten gestreift, ohne daß dabei aber zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen unterschieden würde. Bei der Erörterung „pathologischer Zeu- gung auf Grund pathologischer Vererbung“ werden krankhafte Erbanlagen, angeborene Syphilis und Tuberkulose durcheinander gemengt. Es findet sich hier der erstaunliche Satz: „Ja, wie soll man die Erblichkeit eines Dia- _ betes, einer Hämophilie, Adipositas, Geisteskrankheit u. a., die nicht in- fektiös sind, erklären? Durch plazentare oder gar germinale Infektion doch

unmöglich und durch Krankheitsdisposition ebenfalls nicht.“ Weiter unten heißt es: „Ganz besonders aber halte ich die Vererbung der psychischen Krankheiten, des Charakters, für einen Beweis der kongenitalen Infek- tion .. . Ein Kapitel ist der Vererbung der Hämophilie gewidmet. Die neueren Arbeiten scheinen Rohleder entgangen zu sein, sonst käme er nicht zu den unmöglichen Hypothesen, die er hier auseinandersetzt. Der dritte Teil „künstliche Zeugung“ bewegt sich durchaus auf dem eigent- lichen Fachgebiete des Autors. Seine Ausführungen sind dementsprechend klar, kritisch und deshalb wertvoll. Band II „Zeugung unter Blutsver- wandten“ bringt zunächst allgemeine Betrachtungen über Inzucht. Auch dieser Abschnitt ist fast rein spekulativ ohne die unentbehrlichen erb- biologischen Grundlagen, sonst könnte mit dem Wort „Degeneration“ nicht solcher Mißbrauch getrieben werden, wie es geschieht: „Eine Familie, eine Rasse degeneriert durch Inzucht. Ein Volk regeneriert durch Inzucht.“ Un- verständlich ist auch, wie Rohleder zu folgender Behauptung kommt: „Rechnen wir beim Menschengeschlecht drei Generationen auf ein Jahr- hundert, so würden sich hier erst nach zwei Jahrhunderten bei strengster Blutsverwandtschaft Degenerationen zeigen. Wann da aber erst bei Volks- -inzucht?“ Auch der Satz „bei Abkömmlingen von Blutsverwandten finden sich einfache Seelenstörungen, Paralyse, Epilepsie nur ungefähr halb so oft, als bei den Abkömmlingen aus nicht blutsverwandten Ehen ... .“ zeigt, daß Rohleder Erbanlagen und exogen entstandene Krankheiten nicht auseinanderhält. Es hat deshalb keinen Sinn, sich in weitere Auseinander- setzungen einzulassen, da die Verhandlungsgrundlage fehlt. Es ist sehr be- dauerlich, daß Rohleder seine wertvollen Erfahrungen mit Betrachtun- gen vermengt, die nur als irrtümlich bezeichnet werden können. Für eine Neuauflage wünscht der Ref., der Autor möge doch vorher seine Kennt- nisse auf erbbiologischem Gebiete dem heutigen Stande unseres Wissens anpassen. Fetscher (Dresden).

Jeßner, S. Körperliche und seelische Liebe. Belehrende Vor- träge über das Geschlechtsleben. 445 S. Leipzig 1922. Curt Kabitzsch, 12M. Die ersten Abschnitte befassen sich mit Anatomie und Embryologie sowie der Biologie der Fortpflanzung. In dem Kapitel über innere Sekre- tion sollte doch wenigstens angedeutet sein, daß die „Pubertätsdrüse“ noch nicht allseitig anerkannt wird. Was Jeßner über die „atypischen Trieb- richtungen“ schreibt, ist besonders anzuerkennen. Wie er sich nicht ein- fach mit moralischer Verurteilung begnügt, ebensowenig wird er zu einem Verteidiger angeblicher „Rechte“ Pervertierter wie gewisse andere Autoren. Die folgenden Kapitel über Geschlechtskrankheiten halten gleichfalls eine kluge Mitte. Wertvoll ist, daß J. den Standpunkt vertritt, daß sexuelle Abstinenz bis zur „Ehereife“ als ideale Forderung aufzustellen sei. Seine Forderungen zur Ehe faßt er in folgende Worte zusammen: „Vereinigung von physischer und psychischer Liebe! Prüfung! Harmonie! Keine Sturz- ehe! Keine Zwangsehe! Möglichst keine reine Vernunftehe! Keine Ver- mittlungsehe! Keine reine Geldehe!“ Im Falle einer Neuauflage wäre

Kritische Besprechungen und Referate. 345

es wünschenswert, wenn die Abschnitte über Vererbung und Eugenik mehr im Mittelpunkt der ganzen Betrachtung ständen. So kommen sie etwas zu kurz. Eine Besprechung der wichtigsten Erbleiden wäre ent- schieden angezeigt. Bedauerlich ist S. 370, daß die in dieser Form nicht haltbaren Leitsätze über Sterilisierung Minderwertiger abgedruckt sind. Ebenso sind die Ausführungen über Bevölkerungspolitik erweiterungsbe- dürftig. Die Schlußkapitel über Sexualdiätetik, Sexualhygiene und Sexual- pädagogik verdienen dagegen wieder uneingeschränkte Anerkennung. Im ganzen wird man das Buch als guten, zuverlässigen Wegweiser für Ge- bildete empfehlen können, der sich durch ernstes, erfahrenes Urteil aus- zeichnet. Fetscher (Dresden).

Vaerting, M. Wahrheit und Irrtum in der Geschlechter- psychologie. 255 S. Karlsruhe i. B. 1923. G. Braun. 3 M.

Das Buch spricht im ganzen fesselnd über die Psychologie der Ge- schlechter und bringt manche hübsche Beobachtung. Eine gewisse Ten- denz läßt sich indes nicht verkennen. Es liefert vor allem auch einen Beitrag zur Psychologie seiner Verfasserin. Fetscher (Dresden).

v. Hauf. Sexualpsychologisches im Alten Testament. Arbeiten aus dem Sexualpsychologischen Seminar von Prof. W. Liep- mann, Berlin. Bd. I, H. 1.

Kindersegen galt als besondere Wohltat Gottes, Kinderlosigkeit als himmlische Strafe. Bei der Zeugung kommt der Hebräer unmittelbar mit Jahve in Berührung. Es entsteht ein besonderer heiliger Lebenskreis, der das auserwählte Volk Jahves umfaßt. Daher sind Verbindungen mit An- gehörigen anderer Völker verboten. Religiöse Ideen verbinden sich mit hygienischen Forderungen: während der Menstruation gilt die Frau sieben Tage als „unrein“. Wöchnerinnen galten nach der Geburt eines Knaben 40 Tage, nach der Geburt eines Mädchens 100 Tage als „unrein“. Grund- sätzlich galt der Mann als frei, woraus folgt, daß ein Mann nur eine fremde, die Frau nur die eigene Ehe brechen kann. Die Nachwirkung eines vorgeschichtlichen Matriarchats mildert aber die untergeordnete Stel- lung der Frau, obgleich in geschichtlicher Zeit vaterrechtliche Begrifie herrschen. Polygamie galt als erlaubt, wurde aber wohl nur von den Reichen ausgeübt und ging selten über die Bigamie hinaus. Die Jung- fräulichkeit wurde von keinem Volke des Altertums so hoch eingeschätzt wie von den Hebräern. Von ihnen stammt die teilweise im Orient noch jetzt gebräuchliche Sitte, das Bettuch des neuvermählten Mädchens mit den Zeichen der Virginität aufzubewahren. Die Prostitution war verboten; sie war von harten Strafen bedroht und hat wohl auch nur in Zeiten des Niedergangs eine erhebliche Rolle gespielt. Die Scheidung war sehr einfach. Der Mann stellte der Frau einen Scheidebrief aus; hat sich die Geschiedene wieder verheiratet, so durfte sie der erste Mann nicht wieder heiraten, wenn diese zweite Ehe gelöst wurde. Voraussetzung der Ehe war die Beschneidung. H. meint, hygienische Gründe seien der Anlaß zu ihrer

346 Kritische Besprechungen und Referate.

Einführung gewesen. Dem Ref. scheint es wahrscheinlicher, daß religiöse Gründe den Ausschlag gaben. Ein besonderer Abschnitt befaßt sich mit der Bedeutung Jahves als „Eheherr des Volkes“ sowie mit dem Gegensatz zu Baal. Mit dem späteren Eindringen des Dualismus tritt allmählich eine Umwandlung der sexuellen Anschauungen ein. Da alles Irdische, also auch das Sexuelle der Herrschaft des Satans verfallen ist, konnte es kommen, daß schließlich Ehelosigkeit als Gott wohlgefälliger Zustand gepriesen wurde. Fetscher (Dresden).

Die russische rassenhygienische Literatur 1921 - 1925

(Sammelreferat.)

Von Jur. Philiptschenko, Leningrad.

1 Russische Eugenische Zeitschrift unter der Redaktion von N. K. Koltzoff. Moskau. Bd. I. H. 1. 1922, H. 2. 1923, H. 3—4. 1924. Bd. II. H. 1. 1924, H. 2—3. 1925.

2. Bulletinsofthe Bureau of Eugenics. Leningrad. N. 1, 1922; N. 2, 1924; N. 3, 1925.

3. Philiptschenko J. A. Was ist Eugenik. 16°. S. 31. Petrograd. 1921.

4. Wie werden verschiedene Eigenschaften beim Menschen vererbt. 16°. S. 38. Petrograd. 1921.

5. Kondorsky J.K. Die Entartung, ihre Ursachen und die eugenische Bewegung. 8°. S. 51. Simferopol. 1922.

6. Krontovsky A. A. Ueber das Sammeln des Materials über patholo- gische Heredität beim Menschen. 8°. S. 9. Kiew. 1922.

7. Stein V. M. Die Professur von Odessa. Statistisch-eugenische Skizze. 16°. S. 63. Odessa. 1922.

8. Koltzoff N. K. Die Verbesserung des Menschengeschlechts. 16°. S. 6. Petrograd. 1923.

9. Slovzoff B. J. Die Verbesserung der Rasse (Eugenik). 16°. S. 62. Petrograd. 1923.

10. Wolotzkoy M. W. Die Hebung der Lebenskraft der Rasse. 8°. S. 96. Moskau. 1923.

11. Philiptschenko J. A. Die Wege der Verbesserung des Menschen- geschlechts. Eugenik. 16°. S. 190. Leningrad. 1924.

12. Judin T. J. Eugenik. 8°. S. 239. Moskau. 1925.

13. Krontovsky A. A. Vererbung und Konstitution. 8°. S. 189. Kiew. 1925.

Ueber die rassenhygienische Bewegung in Rußland sind kürzlich zwei Mitteilungen erschienen: „Eugenics in Russia“ in Eugenical News, May, 1925, wo speziell über die rassenhygienische Bewegung in Odessa und Kiew sich einige Angaben finden, und ein Artikel von Professor Koltzoff „Die rassenhygienische Bewegung in Rußland“ in Bd. 17, H. 1, von Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie.

Kritische Besprechungen und Referate.

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Leider besprechen die Verfasser dieser Mitteilungen hauptsächlich nur die Arbeit irgendeines bestiminten Instituts, während andere außer acht ge- lassen werden. Wie in der Mitteilung von Prof. Klodnitzky aus Kiew in Eugenical News, so ist auch im Artikel von Professor Koltzolff z. B. das Kiewer Bureau für Studium der Erblichkeit beim Menschen nicht erwähnt, welches schon im Jahre 1922 von Professor Krontovsky organisiert wurde.

Das ist auch leicht verständlich, da es schwer ist, über alle in Ruß- land existierenden Organisationen entsprechende Angaben zu sammeln. Viel leichter ist es, Material über die entsprechende Literatur zu erhalten. Und da sich die deutschen Leser wohl in erster Linie für die russische Literatur interessieren, die ihnen wegen der Sprache meist nicht zugäng- lich ist, möchte ich hier ein kurzes Sammelreferat über alle russischen Ver- öffentlichungen auf dem Gebiet der Rassenhygiene geben, welche in letz- ten fünf Jahren (1921—1925) erschienen sind.

Alle diese Publikationen können wir in zwei Gruppen teilen: erstens populäre Schriften und ausführlichere Darstellungen, zweitens Spezial- arbeiten, welche in rassenhygienischen Zeitschriften veröffentlicht wurden.

Was die populären Schriften betrifit, so sind am meisten allgemein- verständlich die Broschüren von Philiptschenko über das Wesen der Rassenhygiene (3) und über die Vererbung beim Menschen (4), welche im Jahre 1921 vom Petersburger Bureau für Eugenik ausgegeben sind, ferner die zwei Jahre später erschienenen kleinen Schriften von Kolt- zoff (8) und Slovzoff (9) über die Rassenhygiene als Mittel zur Ver- besserung des Menschengeschlechts. Mehr speziellen Charakter tragen: die Broschüre von Kondorsky über Entartung und rassenhygienische Be- wegung (5) und besonders eine Schrift von Krontovsky über das Sammeln des Materials über krankhafte Erbanlagen beim Menschen (6), welche im Jahre 1922 veröffentlicht sind. Endlich hat der Moskauer Ras- senhygieniker Wolotzkoy im Jahre 1923 ein spezielles Büchlein publi- ziert, welches auf die Verteidigung der Sterilisationsidee eingestellt ist (10); der Verfasser sieht in der Sterilisation einen Hauptweg zur Ge- sundung der Rasse.

Es gibt auch zwei Bücher, in welchen eine ausführlichere Darstellung der Rassenhygiene in Zusammenhang mit den Fragen der Vererbung und Auslese gegeben ist. Das eine von Philiptschenko ist im Jahre 1924 erschienen (11), das andere von Judin im Jahre 1925 (12); dabei enthält das letztere (von Judin) eine genaue und vollkommene Darstellung des Gegenstandes und ein gutes Verzeichnis der Literatur. Kürzlich ist das Buch von Krontovsky mit dem Titel „Vererbung und Konstitu- tion“ (13) erschienen; es ist ein gutes Lehrbuch für das Sammeln des Ma- terials und eine Kenntnis der pathologischen Heredität und Konstitution beim Menschen.

Wir haben also jetzt auch in der russischen Sprache verschiedene ori- ginelle Darstellungen des Wesens der Rassenhvgiene und mit ihr verbun-

348 Kritische Besprechungen und Referate.

dener Fragen von kurz gefaßten und sehr populären bis ausführlichen und streng wissenschaftlichen.

Da die Russische Eugenische Zeitschrift bereits in der Zeitschriften- schau dieses Archivs (Bd. 17, H. 2, S. 230—231) besprochen ist, erübrigt sich an dieser Stelle ein inhaltliches Eingehen darauf. Ihrem allgemeinen Charakter nach ähnelt sie der englischen Eugenics Review; sie ent- hält teils Artikel von allgemeinem Charakter, teils speziellere Arbeiten. Außerdem bringt sie kleinere Mitteilungen, Notizen, kritische Besprechun- gen und Referate.

Die Bulletins of the Bureau of Eugenics, welche vom Bureau für Eugenik bei der Russischen Akademie der Wissenschaften her- ausgegeben werden (2), unterscheiden sich von der Russischen Eugeni- schen Zeitschrift hauptsächlich dadurch, daß in ersteren nur solche Ar- beiten erscheinen, welche im Bureau für Eugenik ausgeführt werden, und alle diese Mitteilungen werden mit Resume in englischer oder deutscher Sprache versehen. Bis jetzt sind drei Nummern dieser Bulletins er- schienen; ihr Inhalt ist folgender (die Titel sind hier in der Sprache des Resumés gegeben).

No. 1. Philiptschenko. Some statistical results of on inquiry about heredity among Petrograd scientists. p. 5—21. Our eminent men of science. p. 22—38. Philiptschenko und Liepin. Zur Frage nach der Vererbung von Augen- und Haarfarbe beim Menschen. p. 39—63. Diakonow. On the methods of appreciating the correlation between the alternative signs. p. 64—71. Diakonovand Lus. On the distribution and inheritance of special capacities. p. 72—112.

No. 2. Philiptschenko. Results of investigating the Leningrad re- presentatives of art. p. 5—28. Some results of inquiring Leningrad stu- dents about inheritance. p. 29—48. Lus. On the question concerning in- heritance of stature and constitution. p. 49—59. Lie pin. Zur Frage nach der Vererbung der Kurzsichtigkeit. p. 60—66. Philiptschenko. Ueber den Einfluß der Kreuzung auf den Populationsbestand. p. 67—84.

No. 3. Liepin, Lus, Philiptschenko. Actual Members of the former Imperial, now Russian Academy of Sciences during the last 80 years. p. 3—82. Philiptschenko. The educated class and men of ta- lent. p. 83—96.

Fast alle diese Mitteilungen sind als Resultat einer Bearbeitung des Materials entstanden, welches von Mitgliedern des Bureaus unter Vertre- tern der Wissenschaft und Kunst sowie unter den Studenten in Leningrad gesammelt worden ist.

Eine ähnliche Arbeit für die Gelehrtenwelt von Odessa hat Stein ausgeführt und dieselbe in einer besonderen Broschüre veröffentlicht (7). Es sei erwähnt, daß seine Resultate den Resultaten, welche vom Lenin- grader Institut erhalten worden sind, schr ähnlich sind. Diese Forschun- gen über die russische Intelligenz sollen in einem speziellen Artikel im Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie besprochen werden.

Aus der rassenhygienischen Bewegung.

Ein „Deutscher Bund für Volksaufartung und Erbkunde“.

Mit dem Sitz in Berlin hat sich unter obigem Namen eine Vereinigung gebildet, deren Ziele in ihren Satzungen folgendermaßen angegeben wer- den: „Der Bund bezweckt, die deutsche Volksgesamtheit über die bestehen- den bedrohlichen Gefahren der menschlichen Entartung aufzuklären, sowie die Mittel und Wege nicht nur zur Vermeidung dieser Schäden, sondern auch zur Erhaltung und Mehrung des im deutschen Volke vorhandenen wertvollen körperlichen und geistigen Erbgutes in den weitesten Kreisen zu verbreiten. Im besonderen soll das Verantwortungsbewußtsein gegen- über den kommenden Geschlechtern geweckt und gefördert werden. Der Bund dient der Gesamtheit des deutschen Volkes ohne parteipolitische und konfessionelle Unterschiede. Der Bund will den Volksaufartungsgedanken durch Wort, Schrift und Bild verbreiten und seine Bestrebungen sowohl der Allgemeinheit als allen Faktoren des öffentlichen Lebens gegenüber vertreten, indem er entsprechende Anregungen sowohl den privaten Krei- sen als den Gesetzgebungs- und Verwaltungsorganen bei jeder sich dar- bietenden Gelegenheit gibt. Dazu gehört an hervorragender Stelle das Ein- treten für den Schutz und die Reinhaltung der Familie als der wahren Trägerin des Erbgutes.“

Die Organisation stützt sich auf den ca. 7000 Mitglieder umfassen- den „Reichsbund der Standesbeamten Deutschlands“, wie es in einem Flugblatt des Bundes heißt. Als ein Hauptmittel zur Erreichung der Ziele des Bundes soll eine „jedermann verständliche Monatsschrift“ dienen, die vom Januar 1926 ab erscheinen soll. Es wird versprochen: „Die namhafte- sten Rassenhygieniker werden ihre Mitarbeiter sein. Daran hat es bisher bei gleichgerichteten Bestrebungen gefehlt. Versammlungen, Vorträge, Flugblätter sind nicht über die Wirkung des Augenblicks und örtliche Grenzen hinausgedrungen (? der Ref.). Insofern bedeutet der neue Bund für Volksaufartung und Erbkunde eine Ergänzung der deutschen Gesell- schaft für Rassenhygiene.“ Nach Ansicht des Referenten wird die neue Vereinigung auf eine Konkurrenzbewegung gegenüber der Gesellschaft für Rassenhygiene hinauslaufen. Das braucht gewiß nicht unbedingt schäd- lich zu sein; denn die Gesellschaft für Rassenhygiene hat tatsächlich die auf sie gesetzten Hoffnungen nur zum kleinen Teil erfüllt. Ob das der neuen Gesellschaft gelingen wird, wird man abwarten dürfen. Abwarten wird man auch müssen, ob es der Gesellschaft gelingen wird, sich von Sonderinteressen freizuhalten, die mit dem Wesen der Rassenhygiene nichts zu tun haben. In dem erwähnten Flugblatt heißt es, das Wort „Volks- aufartung“ sei statt des „vielfach nicht verstandenen Ausdrucks Rassen- hygiene“ gewählt worden, um der Absicht, der Gesamtheit des deutschen Volkes ohne parteipolitische und konfessionelle Unterschiede zu dienen, „auch nach außen hin Nachdruck zu verleihen“. Wir sind der Ansicht,

350 Aus der rassenhygienischen Bewegung.

nn

geführte Wort „Erbkunde“ halten wir nicht für glücklich. Die Erfahrung hat gezeigt, daß es viel öfter als das Wort „Rassenhygiene“ mißverstanden wird, und zwar mißverstanden im eigentlichsten Sinne, nämlich als „Erd- kunde“.

Der Vorstand des neuen Bundes setzt sich folgendermaßen zusammen: 1. Vorsitzender: Dr. jur. Dr. med. h. c. v. Behr-Pinnow, Kabinetts- rat a. D.; 2. Vorsitzender: Dr. Ostermann, Oberregierungs- und Ober- medizinalrat im preußischen Ministerium für Volkswohlfahrt; 1. Schrift- führer: Krutina, Bundesdirektor des Reichsbundes der Standesbeamten Deutschlands; 2. Schriftführer: Wander, Vorstand der Standesämter I, II, VI in Berlin. Als die eigentliche treibende Kraft des Bundes wird man Herrn Krutina ansehen dürfen. Die Anschrift ist: Berlin-Lichterfelde, Hortensienstr. 63. Der Mitgliedsbeitrag beträgt jährlich mindestens 4 M. Die Mitglieder erhalten die Zeitschrift des Bundes unentgeltlich.

Der Bund hat folgende 10 Grundsätze aufgestellt:

1. Ein Volk ist reich, wenn es aus körperlich und geistig gesunden Menschen besteht.

. Ein Mensch ist reich, wenn er körperlich und geistig gesund ist.

. Der körperliche und geistige Wert hängt von den Erbanlagen ab.

. Das Erbgut der Eltern bestimmt den Wert der Kinder.

. Menschen mit guten Erbanlagen haben Gewähr auf eine tüchtige Nachkommenschaft.

6. Körperlich und geistig Minderwertige sind von der Fortpflanzung

auszuschließen.

7. Durch Auslese vererbungstüchtiger Eltern kann das Erbgut des ge-

samten Volkes verbessert werden. 8. Eltern mit guter Erbverfassung müssen in der Aufzucht einer grö- Beren Kinderzahl gefördert werden.

9. Wer wertvolles Erbgut durch Verzicht auf Nachkommenschaft unter- schlägt, macht das Volk ärmer.

10. Geschlechtskrankheiten und Rauschgifte sind die äußeren Feinde der Vererbung.

Wir finden zwar nicht alle von diesen Sätzen glücklich formuliert; so dürfte die einseitige Definition des Begriffes „reich“ nicht besonders überzeugend sein; die Sätze 3 und 4 werden voraussichtlich zu Angriffen Anlaß geben, da sie den Wert des Menschen zu einseitig von den Erb- anlagen abhängig erscheinen lassen; und wenn in Satz 10 Geschlechts- krankheiten und Rauschgifte als die äußeren Feinde der Vererbung be- zeichnet werden, so ist das auch nicht gerade klar ausgedrückt. Sehr zu begrüßen ist es aber, daß als entscheidendes Mittel einer Verbesserung des Erbguts der Bevölkerung die Auslese herausgestellt ist. Darauf kommt schließlich alles an. Wenn der Bund mit dieser Einstellung durch- hält, und wenn es ihm gelingt, sie zur Ueberzeugung der Bevölkerung zu machen, dann wird sein Wirken von großem Segen für die Zukunft unseres Volkes sein. Lenz.

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Eingegangene Druckschriften.

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434 S. 3. Aufl. Cambridge 1925. Har- vard University Press.

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Lattes, L. Die Individualität des Blutes. Nach der umgearbeiteten ital. Auflage übersetzt und ergänzt durch einen An- hang: Die forensisch-medizinische Ver- wertbarkeit der Blutgruppendiagnosenach deutschem Recht von Dr. Fritz Schüf. Mit 48 Abb. 226 S. Berlin 1925. Jul. Springer. 9.60 M.

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Meltzer, Ew. Das Problem der Abkürzung „lebensunwerten“ Lebens. 128 S. Halle 1925. Carl Marhold. 5 M.

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Schulz, Walter. Die germanische Familie in der Vorzeit. Mit 26 Abb. 37 S. Leip- zig 1925. Curt Kabitzsch.

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Weinert, H. Der Schädel des eiszeitlichen Menschen von Le Moustier in neuer Zu- sammensetzung. Mit 38 Abb. 54 S. Ber- lin 1925. Jul. Springer. 6.60 M.

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RASSENRUNDE |

In Vereinigung mit Dr. Richard Thurnwald, a o, Professor für Ethnologie an der Uni-

versität Berlin, Dr. Ernst Wahle, ao Prof. für Vorgeschichte an der Universität Heidel-

berg, Dr.Gero von Merhart, Privatdozent für Vorgeschichte an der Universität Innsbruck, „und anderen Fachgenossen

Herausgegeben von Dr. Walter Scheidt, Privatdozent für Anthropologie an der Universität Hamburg

Band I: Allgemeine Rassenkunde als Einführung in das Studium der Menschenrassen

Von Dr. WALTER SCHEIDT

Mit einem Anhang: Die Arbeitsweise der Rassenforschung von Prof. Dr. Wahle und Priv.-Doz. Dr. Scheidt

87 Seiten mit 144 Textabbildungen, 15 schwarzen und 6 farbigen Tafeln 1925. Preis geh. M. 30.—, in Lwd. geb. M. 33.—

Aus dem Inhalt: Der Begriff der Rasse in der Anthropologie und die Einteilung der Menschenrassen (Geschichtlicher Überblick) Die Erblichkeit beim Menschen Die Mannigtaltigkeit meuschlicher Merkmale und Eigenschaften Die Auslese und Siebung beim Menschen Die Rasse beim Menschen Menschliche Eıbeigenschafien und Rassenmerkmale Die Arbeitsweise der Rassenforschung.

Der Verfasser hat bis zum Sommer 1924 an der Münchener Universität Vorlesungen über allgemeine Rassenkunde gehalten, seit dieser Zeit vertritt er auf Grund eines Lehr- uuftrags das Fach der Anthropologie an der Hamburger Universität. Als Abteilungs- vorstand des Museums für Völkerkunde ist er mit dem Ausbau von dessen rassen- kundlicher Abteilung betraut, Mehrere anthropologische Monographien und familien- biologische Arbeiten haben ihm rasch einen bekannten Namen verschafft.

In seinem neuen Werk, der ersten allgemeinen Rassenkunde, stelit er die Grundlagen der Lehre von den Menschenrassen unter Berücksichtigung der neuesten biologischen Forschungsergebnisse dar. Er zeigt dabei, daß die von Galton und seinen Nachfolge: n eingeschlagene und von den heutigen Rassenhygienikern festgehaltene Richtung, die die Vererbung und Auslese in den Kreis ihrer Beobachtung zieht, auch der Anthropologie fruchtbarere Arbeit ermöglicht. Die überkommenen, vielfach zweideutigen und veralteten Begrilfe der Anthropologie werden dabei nicht einfach übernommen, sondern begrifflich und sprachlich geklärt und damit anch due so wünschenswerte Abgrenzung der Rassen- kunde gegeben. Ganz besonders ergiebig für die Klarstellung der Begriffe und überaus anregend in der Darstellung ist dabei die einleitende Ideengeschichte der Rassenkunde, die Gelegenheit bietet, die anthropologischen Fragen im Zusammenhang mit und in ihrer Abhängigkeit von den Zeitströmungen der Aufklärung, des Idealismus, der Romantik, des Materialismus und der Entwicklungslehre zu betrachten. Auf dieser klaren begrifflichen Grundlage baut sich der oben skizzierte Inhalt des Werkes auf. Scheidt beschränkt sich hier nicht auf die sonst übliche gestaltliche Beschreibung und die Messung der körperlichen Merkmale, sondern er bringt gerade das, was die bisherigen Anthıopologien vermissen ließen, die Vorginge der Rassenbildung und Rassenumbildung, der Rassen- mischung und die Lebenserscheinungen der ;Rassenmischlinge. Aber auch die Einzel- ergebnisse sind in einem Abschnitt über die Rassenmerkmale und die erbbedingten Merkmale beim Menschen zusammengefaßt, wie denn überhaupt das Buch nirgends bei der Tueorie stehen bleibt, sondern sie überall dem Leben nutzbar zu machen sucht. Das riesige Schrifttum des In- und Auslandes beherrscht Scheidt vollständig, so ist er in der Lage, in einem melırere Bogen umfassenden Schriftenverzeichnis alle Belege für seine Darlegungen nachzuweisen.

Der Anhang gibt jedem, der auf dem noch unerforschten Gebiet der Antlıropologie forschend mitarbeiten will, das nötige Handwerkszeug, dabei durch Prof. Wahle die Verbindungsbrücken zur Vorgeschichtsforschung aufzeigend.

Das Werk bedeutet die Abkehr von der alten Anthropologie, die ihre Aufgabe durch die äußerliche Merkmalsbeschreibung erfüllt zu haben glaubte. Es stellt die Rassenforschung in den Zusammenhang mit den anderen Wissenschaften von den Lebens- äußerungen der Menschen und Völker, Die lebensgesetzliche Zusammenhangsforschung der Rassenkunde mit Völkerkunde, Volkskunde, Geschichte und Wirtschaftslehre soll die Srne einer neuen Wissenschaft werden.

J. F. LEHMANNS VERLAG, MÜNCHEN SW 4

Münchener Druck- und Verlagshaus, G. m.b. H., München, Paul Heysestr. 9-13.

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7 ARCHIV FÜR `

? ASSEN u GESELL- SCHAF IS BIOLOGIE

- EINSCHLIESSLICH RASSEN- _uGESELLSCHAF ISHYGIENE

| Zeitschrift m. für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft Band und ihres gegenseitigen Verhältnisses,r die biologischen

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Bedingungen ihrer Erhaltung und Entwicklung, sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungslehre.

Wissenschaftliches Organ der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene

Herausgegeben von

Dr. med. A. PLOETZ in Verbindung mit Prof. d. Hygiene Dr. M. von GRUBER, _ Prof. der Rassenhygiene Dr. F. LENZ, Dr. jur. A. NORDENHOLZ, Professor der Zoologie Dr. L. PLATE und Professor der Psychiatrie Dr. E. RÜDIN.

Schriftieitung: Dr. ALFRED PLOETZ und Prof. Dr. FRITZ LENZ in Herrsching bei Miinchen.

STF. LEHMANNSVERLAG/MUNCHEN

Ausgegeben im Februar 1926.

J.F.Lehmanns Verlag - München - Paul Heyse-StraBe 26

Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie

as Archiv wendet sich an alle, die den Fragen der Bevölkerungslehre und der Volks- erneuerung Interesse entgegenbringen, vor allem an diejenigen, in deren Hände die Schicksale unseres Volkes gelegt sind, wie Ärzte, Biologen, Lehrer, Politiker, Geistliche. Neben den Untersuchungen derallgemeinenFragender Rassenbiologie (Vererbung, Auslese, Anpassung usw.), der Gesellschafts- biologie (soziale Auslese, Aufstieg und Verfall der Völker und Kulturen, biologische Grundlagen sozial bedeutender Einzelerscheinungen [Talent und Genie, Verbrecher- problem]) sowie der Rassenhygiene (Erforschung der günstigsten biologischen Erhaltungs- und Entwicklungsbedingungen der Rasse usw.) hat sich das Archiv das

Ziel gesteckt, den durch den Krieg hervorgerufenen Gefahren so- wohl des Bevölkerungsrückganges als auch der Herabminde- rung der Güte des Nachwuchses entgegenzuarbeiten.

Der laufende Band umfaßt ca. 480 Seiten und erscheint in 4 Heften.

Preis eines jeden Heftes Goldmark 6.—. Auslandspreis $ 1.50 / Dan. Kron. 6.20 / sh. 6/6 / Holld. fl. 3.80 / Italien. Schweiz. Frk. 8.— / Jap. Yen 3.60 / Norw. Kron. 7.50 / Scheed. Kron. 5.50 / Schweiz. Frk. 8.— f Span. Peset. 10.60 / Originalbeiträge sowie Referate von Büchern, welche von der Schriftleitung geliefert werden, werden zurzeit mit Gold- mark 80.—, andere Referate mit 120.—, Zeitschriftenschau mit 240.— für den 16 seiti- gen Druckbogen honoriert. Sonderabdrucke werden nur auf besonderen Wunsch geliefert (zum Selbstkostenpreise). Beiträge werden nur nach vorheriger Anfrage an

Prof. Dr. Fritz Lenz, Herrsching bei München, erbeten. Besprechungsstücke bitten wir

ebenfalls an die Schriftleitung zu senden.

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INHALTSVERZEICHNIS: Abhandlungen. eem sung der Asymmetrie von Variations- °°" Fürst, Dr. Th., Oberstabsarzt a. D., und. reihen . . .. 2.43 Lenz, Prof. Dr. Fr. (München). Ein ‘| Lenz, Prof. Dr. Fr. Bemerkungen zu Beitrag zur Frage der Fortpflanzung Dunckers Polemik . ..... . . 426 verschieden begabter Familien . . . 353 i Prokein, Franz, Medizinalpraktikant tbe (München). Ueber die Eltern der Correns, Carl. Gesammelte Abhand-

i z nn lungen zur Vererbungswissenschaft aus hwachsinn Hilfsschulkinder Mün- 8 8 chens und ihre Fortpflanzung . . . . 360 | Periodischen Schriften, 1899—1924

Klein, W., u. Osthoff, H. Haemag- (Lenz) 2%». ee kk Ke A

Paudler, Dr. Fritz. Die hellfarbigen t D R = d th ] h 9 er Gr eng be dech = j 371 Rassen und ihre Sprachstämme, Kul-

Kirchner, E., Studienrat (Langen. turen und Urheimaten (Lenz). . . . 428

é 8 e Hemmes, Gerrit Diederik. Over heredi- 'salza). N hes Leh Lichte d EE EE URL PE Ser tairen Nystagmus (Priv.-Doz. Dr. H. W.

Rassenhväiene. & x » & & 0:0. or OTD Siemens. München). wer Kleinere Mitteilungen. v. Behr-Pinnow, Dr. jur, Dr. med. Lenz, Prof. Dr. Fr. Erhalten die begab- h. c. Die Zukunft der menschlichen ten Familien Kaliforniens ihren Be- Rasse (Lenz) . . . 433 stand? . . . 397 Eleutheropulos, Prof. Dr. A. So- Lenz, Prof. Dr. Fr. Die Ergebuisse der ziologie (Lenz) . . . ot ow “e.g ee Intelligenzpriifungen im amerikanischen Noti B od a ee e ee Oe a BY ia Seer Wölfflin, Prof. E. (Basel). Ueber Die Gesamtzahl der Juden auf der Erde einen Stammbaum von Syndaktylie . 412 (Dr. M. J. Gutmann, München). . . . 441 Meirowsk y, Prof. (Köln a. Rh.). Klei- TORT e dëng in Kanada, 1871 bis gef ans . : utmann š ; nere Mitteilungen zur Erblichkeitslehre 414 Von der ehig Water Weg or Diskussionen und Erklürungen. Rassenfrage und Sozialismus (Lenz) . . 444 Duncker, Georg (Hamburg). Die Mes- Ein zeitweiliges Alkoholverbot sung der Asymmetrie von Variations- (L. Gschwendtner, Linz). . . > 447 reihen . . . 418 | Aus der Gesellschaft für Rassenbyetene . 448 Scheidt, Dr. Walter, Priv. Dion, (Ham- Zeitschriftenschau gy . 448 burg). Bemerkungen zu der vorstehen- Namenregister ........ . . 468

den Arbeit von G. Duncker: Die Mes- Rativedish® <i wee eww sx © 2 a

. Aus dem hygienischen Institut der Universität München (Vorstand: Geh. Rat Prof. Dr. K. Kißkalt). Abteilung für Rassenhygiene (Prof. Dr. F. Lenz).

Ein Beitrag zur Frage der Fortpflanzung verschieden begabter Familien.

Von Oberstabsarzt a D Dr. Th. Fürst und Prof. Dr. Fr. Lenz, München.

Die Erforschung der Zusammenhänge zwischen der Begabung der verschiedenen Bevölkerungselemente und ihrer Fortpflanzung, die rassen- hygienisch von grundlegender Bedeutung ist, begegnet in der praktischen Ausführung großen Schwierigkeiten. Die ideale Methode wäre die, in einer Bevölkerung die Ehepaare nach ihrer geistigen Begabung in Gruppen zu sondern und dann die Kinderzahl der verschiedenen Gruppen festzustellen. Theoretisch würde die Charakterisierung der Begabung der verschiedenen Ehepaare durch psychologische Testprüfungen wohl mit ausreichender Sicherheit möglich sein; praktisch aber dürfte es äußerst schwierig sein, alle Ehepaare einer Bevölkerung oder einen ausreichend großen repräsen- tativen Stichprobenausschnitt davon zu derartigen Untersuchungen zu be- kommen. Jedenfalls ist das bisher noch niemals gelungen. Man ist daher einstweilen auf indirekte Methoden angewiesen, bei denen nicht die Be- gabung als solche, sondern gewisse andere Eigenschaften der Eltern erfaßt werden, die mit der Begabung in Korrelation stehen, z. B. die soziale Stel- lung, der Beruf u. a. Wir sind bei unserer Untersuchung von der Begabung der Kinder ausgegangen. Da die Quelle der Begabung in der Erbmasse der Familie liegt, so kann man aus der verschiedenen Kinderzahl der Eltern begabter Kinder einerseits, unbegabter andererseits auf die ver- schieden starke Fortpflanzung verschieden begabter Familien: ‚schließen. Man kann zwar nicht die ganzen Unterschiede auf diese Weise erfassen; aber auch die Feststellung einer Mindestgröße dieser Unterschiede ist für die rassenbiologische Beurteilung der Fortpflanzungsverhältnisse unserer Bevölkerung von großem Wert. `

Wir haben unseren Untersuchungen Erhebungen an 809 Münchener Fortbildungsschülern zugrunde gelegt. Als Maßstab der Begabung wurde die in der Fortbildungsschule erreichte Durchschnittsnote angenommen.

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 4. 23

354 Dr. Th. Fürst und Dr Fr. Lenz:

Obgleich die Schulleistungen nicht ausschließlich Ausdruck der Begabung sind, so sind sie durch diese doch in erster Linie bedingt; und psycho- logische Testprüfungen haben ja auch eine sehr hohe Korrelation zwischen Schulleistungen und Begabung ergeben. Wenn die Schulleistungen außer durch die intellektuelle Begabung auch noch durch Anlagen des Charak- ters (Gewissenhaftigkeit, Fleiß usw.) bedingt sind, so bedeutet das für unsere Untersuchung keine Störung, da es ja darauf ankommt zu wissen, wie durch sozial wertvolle Anlagen im allgemeinen (nicht nur solche des

Verstandes) Unterschiede der Fortpflanzung bedingt werden. Allerdings

wird durch gute Schulleistungen noch nicht die Bewährung im späteren Leben verbürgt, ebensowenig wie schlechte Schulleistungen sie ausschließen. Aber das sind doch immerhin nur Ausnahmen von der Regel, die sich zum Teil durch zeitliche Unterschiede im Tempo der geistigen Entwick- lung, zum andern Teil aus dem leidigen Umstand erklären, daß die Arbeit mancher Schulgattungen zu wenig auf das wirkliche Leben eingestellt ist. Bei den Münchener Fortbildungsschulen, die auf dem Kerschensteinerschen Werkschulgedanken aufgebaut sind, dürfte dieser zweite Umstand indessen keine wesentliche Rolle spielen. Tatsächlich hört man in den Fabriken allgemein, daß sie sich bei Einstellung von Arbeitern ziemlich sicher auf die Beurteilung durch die Fortbildungsschule verlassen können.

Bei der Durchführung der Untersuchung fand eine Arbeitsteilung in der Weise statt, daß der eine von uns, Fürst, der als Schularzt in Fort- bildungsschulen tätig ist, das Material gesammelt und charakterisiert, auch nach seiner konstitutionellen Tüchtigkeit beurteilt hat, während der andere, Lenz, für die Methode der Untersuchung, die Durchführung der statisti- schen Berechnungen und die daraus gezogenen Schlüsse verantwortlich ist.

Das Material gliedert sich in eine Gruppe A von 500 und in eine Gruppe B von 309 Fortbildungsschülern. Gruppe A umfaßt 500 16- bis i7jahrige junge Leute, die in der Vorbereitung auf einen gelernten Beruf stehen, also Lehrlinge, und zwar handelt es sich um Angehörige der mechanischen Werkstältenberufe, also in der Hauptsache Maschinenbauer, Mechaniker, Feinmechaniker, Gürtler, Gießer und Buchdrucker. Die Eltern dieser Gruppe sind zum allergrößten Teil ebenfalls gelernte Arbeiter, zum kleinen Teil auch kaufmännische Angestellte und untere ‚Beamte. Ange- hörige des eigentlichen Mittelstandes sind unter den Eltern nicht vertreten, obwohl es sonst gelegentlich vorkommt, daß Söhne von solchen sich auf einen gelernten Handarbeiterberuf vorbereiten. Bei Gruppe B handelt es sich um 309 junge Leute, die sich keinem gelernten Berufe zuwenden wollen, sondern Gelegenheilsarbeiter oder höchstens angelernte Arbeiter werden wollen. In den allermeisten Fällen sind auch die Väter dieser Gruppe ungelernte Arbeiter. Es besteht also eine nicht geringe soziale

t

Stabilität. Zwar wird seitens des Berufsberatungsamtes alles mögliche getan, um geeignete junge Leute aus dieser Schicht doch noch zur Vor- bereitung auf einen gelernten Beruf zu veranlassen. Diese Bemühungen sind aber nur ausnahmsweise von Erfolg begleitet. Gelegentlich besuchen auch Söhne kleiner Geschäftsleute, die später das Geschäft ihres Vaters fortsetzen wollen, die Fortbildungsschule für Ungelernte, weil es in diesen Fällen nicht für lohnend angesehen wird, daß der Sohn die kaufmännische Fortbildungsschule, die ein Jahr länger als die für Ungelernte (drei statt zwei Jahre) dauert, besucht. Durch diese Händlerssöhne. wird der Durch- schnitt der Gruppe B in konstitutioneller und sozialer Beziehung ein wenig gehoben. Im übrigen aber zeigt schon der Augenschein, daß die Zusam- mensetzung der Gruppe B in konstitutioneller und sozialer Hinsicht im ‚Durchschnitt beträchtlich ungünstiger ist als die der Gruppe A. Wenn die "Beurteilung der Konstitution..nach den drei üblichen Graden (I = gut, _II = mittel, III = schlecht) gleichwohl keinen entsprechenden Unterschied ergab (in Gruppe A 1,91, in Gruppe B 1,95), so liegt das daran, daß die Beurteilung eben relativ zu der jeweiligen Gruppe erfolgt. Konstitutions- noten, die nur auf Schätzung, nicht auf zahlenmäßigen Abweichungen von bestimmten, als Grenzzahlen dienenden Durchschnittswerten be- ruhen, können also nur zu Vergleichen innerhalb der Gruppen verwandt werden; und Entsprechendes gilt bis. zu einem gewissen Grade auch von der Verteilung der Schulnoten, deren Mittel in Gruppe A 3,16, in Gruppe B 3,39 war.

Die Verteilung der Kinderzahl in den Familien der Gruppe A ist aus der Korrelationstabelle 1 ersichtlich. Die Fortbildungsschüler mit der Note II stammen aus Familien mit im Durchschnitt 3,35 Kindern; bei Note III beträgt die Kindetrzahl 3,91, bei Note IV 4,41, bei Note V 6,93. Note I kam als Gesamtzensur nicht vor. Da es sich um 16- bis 17jährige junge Leute beim Austritt aus der Fortbildungsschule handelt, ist die Fortpflanzung in den Familien als abgeschlossen zu betrachten. Im Durchschnitt kamen auf eine Familie dieser Gruppe 4,04 Kinder. Die Regression der Kinder- -zahl gegen die Schulnote ist also sehr ausgesprochen. Weniger deutlich ist die Regression der Schulnote gegen die Kinderzahl, welche aus der letzten Reihe der Tabelle 1 zu ersehen ist. Der Bravais-Pearsonsche Korrelations- koeffizient zwischen Schulnote und Kinderzahl ist + 0,23 + 0,04. Da die höhere Notenzifler die geringere Leistung bzw. die geringere Begabung anzeigt, so besteht also eine ausgesprochene negative Korrelation zwi- schen Begabung und Kinderzahl. Die ursächliche Grundlage dieser Kor- relation ist offenbar die, daß die einsichtigeren Eltern ihre Kinderzahl beschränken, während die weniger einsichtigen zum Teil große Kinder- zahlen haben. Könnte man die Begabung der Eltern direkt erfassen und nicht nur indirekt aus der Begabung der Kinder erschließen, so würde sich

23*

356 Dr. Th. Fürst und Dr. Fr. Lenz:

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unzweifelhaft noch eine viel stärkere negative Korrelation zwischen Be- gabung und Kinderzahl ergeben. Wir haben das Ausmaß der Korrelation auch mit Hilfe des von Lenz eingeführten Korrelationsindex zu bestimmen gesucht; dieser ergibt sich auf + 0,19 + 0,04. Auch danach kann jedenfalls an einer ausgesprochenen negativen Korrelation zwischen Begabung und Kinderzahl kein Zweifel sein.”

Gruppe A. Tabelle 1.

r; Zahl |5: Kinderzahl der Eltern (y-Klassen) der II Dis A =

|} 2} 3] 4 5 6 7 8 | 9 | 10 | 11 | -12 |Indiv.)Z= 68 | 3,35 1 || 301 Ge us | 4.1

6 3 1! 15 | 6.93 87 | 84 | | 2 || 500

3,05 | 3,02 | 3,25 | 3,10 | 3,43 | 3,29 | 3,15 | 3,57 | 3,80 | 3,80| 4,00 |

Schulnote (x-Klassen)

Mx 3,16 Or = 0,68 er 0,51 r—-+ 0,23 + 0,04 My -— 4,04 Gy == 2,26 ey = 1,76 k -+0,19 + 0,04

Ausdrücklich sei bemerkt, daß die gefuħdene negative Korrelation nicht ` etwa in dem Sinne gedeutet werden darf, daß die Einschränkung der Kinderzahl der Begabung zugute komme. Nach allem, .was wir über die Wurzeln der Begabung wissen, kann davon gar keine Rede sein. Auch die Schulleistungen könnten durch Notlage infolge übermäßiger Kinderzahl höchstens ganz geringfügig beeinträchtigt werden. Für den Fall, daß von neumalthusianischer Seite etwa der Versuch gemacht werden sollte, unsere “Arbeit dahin auszuschlachten, daß Einschränkung der Kinderzahl die Be- gabung fördere, sei hierinit ausdrücklich festgestellt, daß das eine Ver- drehung der Ergebnisse sein würde. Bemerkenswert ist auch, daß in unserem Material bis zu einer Kinderzahl von fünf eine deutliche Abnahme der Schulleistungen nicht zu erkennen ist. Erst die wirklich kinderreichen Familien haben im Durchschnitt schlechtere Schulleistungen aufzu weisen.

Es ist zu beachten, daß die gefundenen Kinderzahlen nur für die Familien gelten, welche in unser Material eingegangen sind, nicht aber für die Gesamtheit der Arbeiterfamilien von entsprechenden Begabungs- graden. Die Familien unseres Materials stellen nämlich eine Auslese nach Kinderreichtum dar, indem erstens kinderlose Familien gar nicht erfaßt wurden, und zweitens eine Familie um so größere Aussicht hatte, in. das Material hineinzukommen, je mehr Kinder sie hat. Das mathematische Prinzip der scheinbaren Ueberfruchtbarkeit von- Familien, die von den

Ein Beitrag zur Frage der E verschieden begabter Familien. 307

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Kindern her erfaßt sind, hat ja besonders Weinberg*) auseinander- gesetzt. Um die Fruchtbarkeit der Arbeiterfamilien der verschiedenen Begabungsgrade mit der der Gesamtbevölkerung vergleichen und um be- urteilen zu können, ob das Erhaltungsminimum der Fortpflanzung erreicht oder überschritten ist, ist daher eine Reduktionsrechnung nötig. In jeder Begabungsgruppe müssen die Zahlen der Familien von bestimmter Kinder- zahl durch die Kinderzahl dividiert werden, und dann muß die durch- schnittliche Kinderzahl der derart reduzierten Gruppe berechnet werden. Bei Note IJ erhält man auf diese Weise für alle fruchtbaren Familien z. B. statt einer Kinderzahl von 3,35 nur 2,39 und wenn man annimmt, daß 15 % aller Ehen kinderlos bleiben, auf eine Ehe nur 2,03 Kinder. Die reduzierten Zahlen für Grupe A sind in der nachstehenden Tabelle 2 zusammengestellt.

Tabelle 2. Kinderzahl

pro Ehe überhaupt

| pro roh | fruchtbare Ehe

Note II 3,35 2,39

Note III 3,91 2,70

Note IV 4,41 3,15

‘| Note V 6,93 6,51 Durchschnitt der

Gruppe A 4,04 | 2,78

Man ersieht daraus, daß die Gesamtheit der Familien gelernter Arbeiter mit 2,36 Kindern pro Ehe kaum noch ihren Bestand erhält. Da die Lehr- linge unseres Materials zumeist in den Jahren 1907 und 1908 geboren sind ` und seitdem ein starker Geburtenrückgang stattgefunden hat, stimmt dieses Ergebnis mit der sonstigen Erfahrung überein, daß die Familien der gelern- ten Arbeiter ihren Bestand nicht mehr voll erhalten. Die Familien mit Note IV hatten mit 2,68 Kindern im Durchschnitt wohl noch eine schwache Vermehrung; die mit Note V und 5,53 Kindern dagegen vermehrten sich stark. Ihre Kinderzahl ist mehr als doppelt so groß wie die der Gesamtheit der gelernten Arbeiterfamilien.

Die Ergebnisse in der Gruppe der ungelernten Arbeiter B besagen im wesentlichen dasselbe. Die Verteilung der Familiengröße in dieser Gruppe ist aus Tabelle 3 zu ersehen. Die Schüler mit Note II stammen aus Familien mit im Durchschnitt 4,10 Kindern, die mit Note III aus Familien mit 4,88 Kindern, Note IV mit 6,29, Note V mit 7,87 Kindern. Der Korrelations- koeffizient ergibt sich auf + 0,17 + 0,06, der Korrelationsindex auf + 0,27 + 0,06. os

*) Weinberg, W.: Das mathematische Prinzip der scheinbaren Ueberfruchtbar- keit der Eltern ausgelesener Kinder. Zeitschrift fiir soziale Medizin 1909.

|

338 Dr. Th. Fürst und Dr. Fr. Lenz:

Gleicht man die eine schein- bare Ueberfruchtbarkeit bedin- gende Auslese nach der Kinder- zahl durch die erwähnte Reduk- tionsrechnung aus, so erhält man Tabelle 4 auf Seite 359.

Auch in dieser Gruppe findet eine Vermehrung, die wesentlich über das Erhaltungsminimum hin- ausgeht, nur bei den beiden schlechtesten Noten, bei Note IV mit 3,48 Kindern und besonders bei Note V mit 5,18 Kindern pro Ehe statt. Welche Folgen das in rassenbiologischer Hinsicht hat, ist zu klar, als daß es an dieser Stelle näher ausgeführt zu werden brauchte. Noch einmal sei darauf hingewiesen, daß die Korrelation zwischen der Begabung der Eltern, wenn es gelänge, diese direkt zu erfassen, und ihrer Fortpflanzung unzweifelhaft noch viel stärker negativ sein wurde.

Während die Korrelation zwi- schen geistiger Tüchtigkeit und Fortpflanzung eindeutig negativ ist, ist die zwischen körperlicher Tüch- tigkeit und Fortpflanzung zweifel- haft. Vermutlich wirken hier ver- schiedene Ursachen zusammen und zum Teil gegeneinander. Unter sonst gleichen Bedingungen wirkt körperliche Untüchtigkeit sicher in der Richtung einer Verminderung des Nachwuchses. Schwache oder kranke Individuen sterben nicht selten vor Abschluß ihrer Fort- pflanzungsperiode. Auch kann Fort- pflanzungsunfähigkeit die Folge körperliche Untüchtigkeit sein. Es gibt also sicher eine positive

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Partialkorrelation zwischen körperlicher Tüchtigkeit und Fortpflanzung. Andererseits aber hat körperliche Untüchtigkeit oft sozialen und wirt- schaftlichen Abstieg zur Folge, zumal im Handarbeiterstande; die unteren Schichten aber haben im allgemeinen mehr Kinder. Diese Ursachen- verknüpfung wirkt also im Sinne einer negativen Partialkorrelation zwi- schen körperlicher Tüchtigkeit und Fortpflanzung. Ob die positive oder negative überwiegt, läßt sich von vornherein nicht sicher sagen. Unser Material spricht dafür, daß beide entgegengesetzt gerichtete Wirkungen sich annähernd aufheben.

Tabelle 4. Kinderzahl

pro Ehe überhaupt

ro fruchtbare Ehe

Note Il Note III Note IV Note V

Durchschnitt der Gruppe B

-

In Gruppe A ergab sich eine zweifelhafte positive Korrelation zwischen ärztlicher Konstitutionsnote und Kinderzahl der Eltern. Der Korrelations- koeffizient ist r= + 0,01 + 0,05, der Korrelationsindex k = + 0,03 + 0,05. In Gruppe B ergab sich eine ebenso zweifelhafte negative Korrelation. Hier ist r =—0,01 + 0,06 und k=—0,04 + 0,06. Eine Wiedergabe der Korrela- tionstabellen lohnt sich in diesem Falle nicht, weil sie kein deutliches Bild ergeben. Wir können also nur sagen: Eine Korrelation zwischen körper- licher Tüchtigkeit und Kinderzahl der Eltern ließ sich in unserem Ma- terial nicht nachweisen; die zwischen geistiger Tüchtigkeit und Kinderzahl der Eltern dagegen ist ausgesprochen negativ; und das ist natürlich von verhängnisvoller bedeutung für die Zukunft der Rasse.

Aus dem hygienischen Institut der Universität München (Vorstand: Geh. Rat Prof. Dr. K. Kißkalt). Abteilung für Rassenhygiene (Prof. Dr. F. Lenz).

Ueber die Eltern der schwachsinnigen Hilfsschulkinder Münchens und ihre Fortpflanzung.

Von Franz Prokein, z. Z. Medizinalpraktikant in München.

I.

Jede Bevölkerung besteht aus erblich recht verschieden veranlagten Familienstämmen. Wenn alle Familien sich gleich stark fortpflanzen, so wird die durchschnittliche Veranlagung der Bevölkerung nicht geändert. Pflanzen sich dagegen die Familien von verschiedener erblicher Veran- lagung verschieden stark fort, so ist eine Veränderung der durchschnitt- lichen erblichen Veranlagung der Bevölkerung die notwendige Folge. Eine Verschlechterung der Rassentüchtigkeit (Entartung) ergibt sich dann, wenn die mindertüchtigen Bevölkerungselemente sich stärker fortpflanzen als die von überdurchschnittlicher Tüchtigkeit. Um ein Bild zu gewinnen, in wel- chem Ausmaß eine derartige Gegenauslese etwa in der Münchener Be- völkerung stattfinde, habe ich auf Anregung von Herrn Prof. Lenz die Fortpflanzungsverhältnisse jener Familien, aus denen die Münchener Hilfs- schulkinder stammen, festzustellen gesucht.

An den 91 verschiedenen Konfessions- und Simultan-Volksschulen Münchens sind insgesamt 8 Hilfsschulen ınit 49 Klassen eingerichtet. Die Zahl der Hilfsschulkinder beträgt gegenwärtig 764. Das ist bezogen auf eine Schulkinderzahl der Volksschulen Münchens von 48 427 aus dem Schuljahr 1925/26 1,6%. In den Hilfsschulen sind geistig und körperlich zurückge- bliebene oder geschädigte Kinder, die in den Volksschulen nicht mitkamen, zu einem gesonderten, ihrem geistigen Niveau angepafiten Unterrichte ver- einigt. Vor allem handelt es sich dabei um Schwachsinnige, während kör- perliche Leiden und Schwächezustände eine verhältnismäßig geringe Rolle spielen. Die genaue Untersuchung ergab: Von den 764 Kindern sind 725, also 94,9% wegen Schwachsinns und 39 Kinder, also 5,1 % wegen anderer Mängel, z. B. Sprechstörungen, hochgradiger Nervosität und Schwerhörig-

t SE d. SH d. schw vachsinnigen Hilfsschulkinder Münchens u. ihre Fortpfl: inzung. ` 361

keit in den Hilfsschulen (siehe Tab. 1 und 2). Dabei wurden alle vorkom- menden Grade der geistigen Schwäche als Schwachsinn zusammengefaßt. Leider war es aus technischen und materiellen Gründen nicht mopheh, der Aetiologie genauer nachzugehen.

So weit nicht die Schulbögen zur Feststellung der uns interessierenden Daten ausreichten, wurden die Daten durch Rücksprache mit den Lehrern ergänzt. Für das verständnisvolle Entgegenkommen und die große Bereit- willigkeit bin ich der Stadtschulbehörde München und den einzelnen Herren sehr zu Dank verpflichtet. Soweit es in einzelnen Fällen noch nötig war, wurden die Kinder und deren Eltern oder Angehörige befragt. Uns interessierten in erster Linie die schwachsinnigen Kinder, da Zusammenhänge zwischen geistiger Begabung und Fruchtbarkeit den Hauptgegenstand unserer Untersuchung bildeten. Es wurden daher jene Hilfsschüler, die nicht als schwachsinnig angegeben waren, ausgesondert.

Die in Frage kommenden 725 schwachsinnigen Kinder gehören 650 Familien und 33 unverehelichten Müttern an. Die Geburtsjahre bewegen sich zwischen den Jahren 1909 und 1919. In überwiegender Mehrzahl sind dabei die 11-, 12- und 13 jährigen vertreten (siehe Tab. 1). Die Zahl der lebend geborenen Geschwister beträgt 2798, von denen wieder 981, also 27,8% aller lebend Geborenen im Laufe der Zeit gestorben sind (siehe Tab. 3). Durch Division der Zahl der lebend geborenen Kinder durch die Zahl der Mütter erhalten wir die durchschnittlich auf eine Mutter kom- mende Kinderzahl. Und durch Division der Zahl der ehelichen Kinder durch die Zahl der ehelichen Mütter annähernd die Zahl der Kinder pro Ehe. Die mittlere Kinderzahl pro Mutter beträgt in unserem Falle 5,16 und pro Familie 5,24, berechnet für die Jahre 1909 bis 1919. Diese Zahlen sind als Mindestzahlen aufzufassen, da die ältesten von den Hilfsschulkindern erst 13- und 14 jährig sind und daher in vielen Familien noch weiterer Nach- wuchs zu erwarten ist.

Um nun beurteilen zu können, ob diese Zahlen höher oder niedriger als die sonst in der Münchener Bevölkerung vorkommenden sind, haben wir zunächst die Gesamtzahl der lebend geborenen Kinder in München in den Jahren 1909 bis 1919 durch die Zahl der Eheschließungen in den glei- chen Jahren dividiert. Da in jenen Jahren ein ziemlich starker Geburten- rückgang stattfand, so ist die derart erhaltene Zahl etwas zu hoch. Es müßte eigentlich die Zahl der Geburten eines Zeitraumes zu der der Eheschlie- Bungen eines um einige Jahre zurückliegenden Zeitraumes in Beziehung gesetzt werden, da die Mitte der Fortpflanzungsperiode in jeder Ehe erst einige Jahre nach der Eheschließung fällt. In der Tabelle 4 sind die durch- schnittlichen Kinderzahlen in der Weise annähernd berechnet worden, daß 1. festgestellt wurde, wie oft die Zahl der Eheschließungen eines Jahres in der der Geburten des gleichen Jahres, 2. in der des ersten darauffolgen-

D D 002 Franz Prokein:

den Jahres und 3. in der des vierten darauffolgenden Jahres enthalten ist. Am nächsten der Wirklichkeit dürften die Zahlen unter 3 kommen.

Danach wäre die mittlere Kinderzahl jener Familien, aus denen die Hilfsschulkinder stammen, über dreimal so groß als die mittlere Kinderzahl der Münchener Familien. Und dennoch gibt das ein falsches Bild, denn die Familien, aus denen die Hilfsschüler stammen, stellen eine Auslese nach größerer Kinderzahl dar. Das Prinzip dieser Auslese ist z. B. von Wein- berg (4) und Cattell (2) auseinandergesetzt worden. In der Tabelle des statistischen Amtes der Stadt München sind unter Eheschließungen auch jene Ehen enthalten, die kinderlos blieben, während wir es bei unserer Aufnahme der Hilfsschulkinder nur mit Familien mit Kindern zu tun haben. Dazu kommt noch ein weiterer Umstand. Eine Familie hat um so größere Wahrscheinlichkeit, in ein derartiges Material hineinzukommen, je größer die Zahl ihrer Kinder ist. Nehmen wir z. B. an, eine Bevölkerung bestehe zur Hälfte aus Zweikinderehen und zur Hälfte aus Vierkinderehen; dann würde die mittlere Kinderzahl drei sein. Die Zahl der Kinder aus den Vierkinderehen ist doppelt so groß als die Zahl der Kinder aus den Zwei- kinderehen. Folglich besteht eine doppelt so große Wahrscheinlichkeit, daß ein Schulkind aus einer Vierkinderehe stammt, obwohl in der Gesamt. bevölkerung Vierkinderehen und Zweikinderehen gleich häufig waren. Es würden also unter den Eltern der Schulkinder die mit vier Kindern doppelt so häufig vertreten sein. Wir müssen daher diese Fehlerquelle berück- sichtigen. Die Wahrscheinlichkeit einer Familie, in ein statistisches Ma- terial hineinzukommen, ist proportional ihrer Kinderzahl. Man muß daher die Anzahl der Familien durch die Zahl der Kinder dividieren, um die entsprechende Zusammensetzung des Materials in der Gesamtheit aller fruchtbaren Ehen der betreffenden Gruppe zu bekommen (siehe Spalte 3 der nachfolgenden Tabelle). Dividiert man die Summe der Familien durch die Summe von Spalte 3, so erhält man die durchschnittliche Kinderzahl jener Ehen gleicher Art, die überhaupt Kinder haben.

l = 3

Kinderzahl Zahl der Familien 2:1 1 51 51,0 2 76 38,0 3 90 30,0 4 106 26,5 5 73 14,6 6 56 9,33 7 S 9,71 8 29 3,63

Ueber d. Eltern d. schwachsinnigen Hilfsschulkinder Münchens u. ihre Fortpflanzung. 363

1 2 3 Kinderzahl Zahl der Familien 2:1 Uebertrag: 330 182,77 9 29 3,22 10 18 1,8 11 24 2,18 12 12 1,0 13 13 1,0 14 8 0,57 15 4 0,27 16 2 0,13 18 3 0,17 20 2 0,1 650 191,21

650 :191,2 = 3,40.

Als mittlere Kinderzahl erhalten wir pro Familie 3,40.

Darin sind natürlich nur jene Familien einbegriffen, die überhaupt Kinder haben, während bei unserer Vergleichsrechnung für die Münchener Gesamtbevölkerung auch kinderlose Ehen eingeschlossen sind. Leider ist eine genaue Feststellung des Prozentsatzes der kinderlosen Ehen in jener Gruppe von Familien, welche die Hilfsschüler stellen, nicht möglich. Immerhin darf man schätzen, daß der Prozentsatz höher als 10% und niedriger als 20% ist. Nimmt man 15% als wahrscheinlichen Wert an, so erhält man 2,89 Kinder pro Ehe überhaupt, während auf eine frucht- bare Ehe 3,40 Kinder treffen. Würde man 10% unfruchtbare Ehen als wahrscheinlichen Wert annehmen, so würde man 3,06 Kinder pro Ehe erhalten. Zwischen diesen Werten 2,89 und 3,06 dürfte wohl sicher der wahre Wert liegen.

Reiter und Osthoff (6) haben bei ihren Untersuchungen an 234 Familien von Hilfsschülern eine durchschnittliche Kinderzahl von 6,4 pro Mutter gefunden. Eine Reduktionsrechnung zur Ausschaltung der Auslese haben sie nicht gemacht. Wenn wir annehmen, daß durch eine entspre- chende Reduktionsrechnung die Zahl sich im gleichen Verhältnis ver- mindern würde wie in unserem Münchener Material, so erhält man 3,3. Daß diese Zahl höher ist als die entsprechende Zahl für München (2,89), ist nicht auffallend, da in dem viel kleineren Rostock die Kinderzahlen auch im Durchschnitt höher sind als in der Großstadt München.

Um feststellen zu können, mit der Kinderzahl welchen Jahres in der Gesamtbevölkerung die von uns für München errechnete Zahl am rich-

364 Franz Prokein:

tigsten zu vergleichen ist, haben wir das mittlere Geburtsjahr der 725 schwachsinnigen Hilfsschüler festgestellt und 1913,7 gefunden. Wir würden also am besten mit jener Kinderzahl der Gesamtheit vergleichen die dem Geburtsjahre 1913,7 bzw. dem Eheschließungsjahr 1909,7 entspricht. Wenn wir nur die ehelichen Kinder berücksichtigen würden, so würden wir für diese Zeit 1,58 Kinder pro Ehe erhalten. Diese Zahl ist aber noch nicht ganz vergleichbar mit der für die Familien der Hilfsschüler erhaltenen. Während unter den Hilfsschülern 15% uneheliche Kinder waren, sind unter den Geborenen jener Jahre fast 30 % uneheliche. Der Unterschied zwischen beiden Zahlen erklärt sich in der Hauptsache daraus, daß fast die Hälfte der unehelich geborenen Kinder später legitimiert werden, zum kleineren Teil auch aus der größeren Sterblichkeit der unehelichen. Nehmen wir an, daß ein Drittel der unehelich geborenen Kinder später legitimiert werden, so erhalten wir für 1909 1,90 Kinder pro Ehe, für 1910 1,79 und für die dazwischen liegende Zeit 1909,7 den Wert 1,87. Mit dieser Kinderzahl der Gesamtheit ist also die Kinderzahl in den Familien der schwachsinnigen Hilfsschüler zu vergleichen, die wir oben als zwischen den Werten 2,89 und ‘3,06 liegend gefunden haben, d. h. die Kinderzahl in den Familien, aus denen die Hilfsschüler stammen, übertrifft die des Durchschnitts der Münchener Bevölkerung um mindestens 55—60 %. Der Anteil dieser Familien an der gesamten Erbmasse der Bevölkerung nimmt also in einer einzigen Generation auf reichlich das 1*/:fache zu, und im Laufe von zwei Generationen auf fast das 2'/,fache.

Die Ursache dieser überdurchschnittlichen Vermehrung liegt natürlich darin, daß die im Durchschnitt minderbegabten Eltern der Hilfsschulkinder sich ziemlich ungehemmt fortpflanzen, während die einsichtigeren Familien ihre Kinderzahl beschränken. Wenn es möglich’ wäre, direkt die Minder- begabung der Eltern zu erfassen (d. h. nicht nur auf dem Umwege über die minderbegabten Kinder), so würde die Ueberfruchtbarkeit der minder- begabten Bevölkerungselemente unzweifelhaft in noch stärkerem Ausmaß zutage treten.

Il.

Man weiß schon lange, daß Hilfsschüler meist aus den unteren Be- völkerungsschichten stammen. Auch wir haben uns bemüht, festzustellen, welchen sozialen Schichten die Eltern der Hilfsschulkinder angehören. Von den 683 Fällen der schwachsinnigen Kinder haben in 634 Fällen die Väter einen Beruf, in 45 Fällen, wo die Väter fehlen, bekleiden die Mütter einen Beruf, in vier Fällen konnte der Beruf nicht festgestellt werden. Zur Ueber- sicht haben wir die von Terman in seiner Untersuchung über die Her- kunft der begabten Kinder verwandte T a u Big sche Klasseneinteilung ge-

Ueber d. Eltern d. schwachsinnigen Hilfsschulkinder Münchens u. ihre Fortpflanzung. 365

wählt und die einzelnen Berufe unter Berücksichtigung der Angaben des städtischen Arbeitsamtes München darin eingereiht (siehe Tab. 5 und 6). Diese Verteilung ergab:

a) Berufe der Väter:

abs.Z. % 1) Akademiker, Offiziere, höhere Beamte, Verleger etc. 2 0,3 2) Geschäftsleute 138 20,6 2a) Unternehmer, Großkaufleute etc. 30 = 05% 2b) Kleinere Kaufleute und Geschäftsleute, untere Beamte etc. 135,0 = 20,1 % 3) Gelernte Arbeiter 288 42,7 4) Halbgelernte und angelernte Arbeiter 120 17,8 5) Ungelernte Arbeiter 120 17,8 Dazu kommt noch die Gruppe der Bauern 5 0,8

Die Berufe der Mütter einzeln in Prozenten auszurechnen hat wenig Sinn. Es handelt sich meist um angelernte und ungelernte Arbeiterinnen. Zu einer Prozentberechnung ist ihre Zahl zu klein.

Daraus ergibt sich, daß die Hilfsschulkinder Münchens in der über- wiegenden Mehrzahl aus den unteren Schichten stammen. Um einen Ver- gleichsmaßstab zu gewinnen, wäre es sehr erwünscht gewesen, das Zahlen- verhältnis der einzelnen Berufsgruppen der Bevölkerung zu kennen. Leider sind die Zahlen weder in der Berufszählung von 1907 noch in jener von 1925 festgestellt worden. (Die Berufszählung von 1925 ist überdies noch nicht abgeschlossen.) Immerhin sind in der Berufszählung von 1907 die gelernten und ungelernten Arbeiter der Landwirtschaft, der Industrie und des Handels besonders angeführt. Die zweite und dritte dieser Gruppen gaben in München (1907) 80 729 Arbeiter. Davon kommen auf:

Gelernte Arbeiter 62 037 d. i. 76,8 % Ungelernte Arbeiter 18 692 d. i. 23,2 %

Unter den Eltern der Hilfsschulkinder sind also die geistigen Berufe ganz wenig vertreten, der Beruf der Unternehmer und Großkaufleute eben- falls sehr wenig. Dieser Umstand braucht nicht unbedingt durch geringere Häufigkeit Schwachsinniger in den oberen Schichten bedingt zu sein; bei günstiger wirtschaftlicher Lage der Eltern werden minderbegabte Kinder oft nicht in die Hilfsschule geschickt, sondern privat unterrichtet. Für die Unterschiede zwischen den Gruppen der kleineren Gewerbetreibenden, der gelernten Arbeiter und der ungelernten Arbeiter kommt diese Erklärung

366 Franz Prokein:

ee ee nn r er Die u ee = ne Ge a eiert ne =

aber nicht in Betracht. Kleinere Geschäftsleute, untere Beamte etc. be- teiligen sich mit 20,1 %, während gelernte Arbeiter mit 42,7 %, halbgelernte und ungelernte mit je 17,8% sich beteiligen. Während die ungelernten Arbeiter von der Gesamtheit der Arbeiter nur 23,2% ausmachen, stellen sie doch 45,4% jener schwachsinnigen Kinder, die aus dem Arbeiterstande stammen, d. h. also ziemlich genau doppelt so viel, als ihrem Anteil an der Gesamtheit der Arbeiterschaft entspricht.

Unsere Ergebnisse sind in gewisser Weise umgekehrt analog denen von Prof. L. M. Terman (3). Während Terman etwa die 0,5 % be- gabtesten Kinder erfaßt, haben wir die 1,6% unbegabtesten Kinder erfaßt. Terman stellte hinsichtlich der Herkunft dieser begabten Kinder fest, daß sie ganz überwiegend aus den höheren Gesellschaftsschichten stammen, während die Begabung der Kinder aus den niederen sozialen Schichten, je weiter hinab, um so mehr abnimmt. Wir schließen hier die Tabelle nach Terman bei:

%

1) Akademiker, Offiziere, höhere Beamte, Verleger etc. 31,4 2) Geschäftsleute 50,0

2a) Unternehmer, Großkaufleute etc. 31,2%

2)) Kleinere Kauf- und Geschäftleute, untere Beamte etc. 18,8% 3) Gelernte Arbeiter 11,8 4) Halbgelernte und angelernte Arbeiter 6,6 5) Ungelernte Arbeiter 0,13

Ein Vergleich dieser Tabelle mit unserer Tabelle oben zeigt schlagend die Unterschiede in der sozialen Verteilung der Väter besonders begabter Kinder einerscits, schwachsinniger Kinder andererseits.

Literatur.

1) Baur, Fischer, Lenz: Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassen- hygiene, 2. Aufl. 1923.

2) J. McK. Cattell: Families of American men of Science 3. Vital Statistics and the composition of Families. Science Monthly Vol. 5, 1917.

3) L. M. Terman: Genetic Studies of Genius. Vol. I. Mental and Physical Traits of a Thousand Gifted Children. Stanford University Press 1925.

4) W. Weinberg: Das mathematische Prinzip der scheinbaren Ueberfruchtbarkeit der Eltern ausgelesener Kinder. Zeitschr. f. soziale Medizin 1909.

5) Derselbe: Die rassenhygienische Bedeutung der Fruchtbarkeit. Arch. f. Rassen- u. Gesellschaftsbiologie Bd. VII, 1910.

6) H. Reiter und H. Osthoff: Die Bedeutung endogener und exogener Faktoren bei Kindern der Hilfsschule. Zeitschr. f. Hygiene 1921.

Tabelle 1. Verzeichnis der Hilfs-Schulen Münchens mit Alterstabelle dergeistesschwachenHilfschulkinder.

geistesschw

Hilfsschule | Geboren im Jahre Zahl der 1909 | 1910 | 1911 | 1912 | 1913 | 1914 | 1915 | 1916 | 1917 | 1918 | 1919 | Kinder

1. Bergmannschule | 2 7 12 2 61

2. Gotzingerschule } ,, 15| 16| 19 1 79 Implerschule f

3. Kirchenschule 23 100

4. Klenzeschule

5. Pfarrhofschule

6. Schwindschule

7. Simmernschule

8. Winthirschule | 1

Summe ; 57 | 136 | 154 | 136 | 55 | u 1|

*) Gotzinger- und Implerschule sind zu einer Hilfsschule vereinigt.

Tabelle 2. Erkrankungen, Beschwerden und Leiden. Art des ||Schwach-| Sprech- Hochgr. | verwahr-| Schwer- | Körperl. ee Chorea

; : A Nervosi- b oul zurück- rank- . Leidens sinn storung tat losung | horigkeit geblieben| heit minor

Tabelle 3.

Verzeichnisder,Lebend geborencn’,der gestorbenen Kinder. der Totgeburten etc,

Tot- en: e he legitim

1 Bergmannschule 3 2 Gotzinger-Implerschule 2 3 Kirchenschule 8 4 Klenzeschule 8 5 Pfarrhofschule | 4 6 Schwindschule 6 7 Simmernschule 6 8 Winthirschule 5

Summe:

*) Inklusive der in der Hilfs-Schule befindlichen Kinder. *®) Davon 4 Aborte bei illegitimen Müttern.

368

Franz Prokein:

Tabelle 4.

Statistik der Eheschließungen und Geburten von München.

a) u . GE

az | u e Q = CHE Sowl er ENTE om RIES ane letz iS E EN sl LÉI

Apotheker / Dipl.-Ingenie

"|

FriichtegroBhandler

Eheschließungen

4,772 1906 4,827 1907 5,122 1908 5,247 1909 5,447 1910 5,500 1911 5,698 1912 5,892 1913 5,375 1914 6,280 1915 4,232 1916 4,873 1917 5,653 1918 6,035 1919 10,125 1920 10,193 1921 7,818 1922 7,477 1923 6,547 1924 5,091

Geschäftsleute

Kleinere Kaufleute, Geschäftsleute, untere Beamte etc.

Autovermieter Baumeister Bademeister

| Bahnschaffner

| Bautechniker

| Brieftrager Buchhalter

| Buchhändler Friedhofschaffner Garagebesitzer

Geborene

davon ehelich geboren

geboren

16,162 | 11,809 15,817 | 11,592 15,018 | 10,853 | 15,097 | 10,727 | 14,334 | 10,193 | 13,835 9,730 | 13,497 9,368 13,458 9,244 13,169 8,978 12,436 8,528 | 10,162 7,186 | 8,354 5,986 8,394 6,046 9,122 6,644 11,427 8,565 13,114 9,962 11,791 8,936 | 10,613 7,881 | 9,298 | 6,816 | 9,307 6,764 |

Tabelle 5. Einordnung der einzelnen männlichen Berufe unter Berück- sichtigung der Angaben des Städt. Arbeitsamtes München.

|

Gelernte Arbeiter |

Bäcker Beleuchtungsgürtler Brauer | | Buchdrucker Bürstenmacher Chauffeur Dachdecker Dreher Eisenformer Fliesenleger Fräser | Friseur

| Mittlere Kinderzahl pro Ehe,

bezogen auf die ehelichen Geburten

U D

e e on Foe E Sxe | Shp Et: SZ Ko. T MNE L's Ar osm kk EE aac > sag | Sas

5 Ki

Mi pe DÉI

2,40 2,12 2,04 1,87 1,76 1,64 1,57 1,67 1,36 1,70 1,23 1,07 1,10 0,85 0,98 1,14 1,05 1,04 1,33

Halbgelernte und Ungelernte angelernte Arbeiter Arbeiter

= —— TI Cr a = = Asphaltarbeiter Bauarbeiter Aufseher Fabrikarbeit. Aufzugsdiener | Hilfsarbeiter Ausgeher Holzarbeiter Bahnarbeiter Kofferträger Betonarbeiter Bierführer Diener | Expedient | Feuerwehrmann Fleischführer Gasarbeiter |

Ueber d. Eltern d. schwachsinnigen Hilfsschulkinder Münchens u. ihre Fortpflanzung. 369

Fortsetzung der Tabelle 5.

e Geschäftsleute Ch m FHE un. C Halbgelernte und Ungelernte E 3 S as ur te, Gelernte Arbeiter angelernte Arbeiter Adbeiter © gs ca untere Beamte etc. ao” {£2 sg 1920. = | Gastwirt Galvanoplastiker Gasmesserwart | Handler Gartner Geriistbauer | | | Ingenieur?) Gerber Hallenreiniger Kaufmann Gießer Hausmeister | Kaufm. Angestellter! Gipsformer : Kassenbote Kellermeister Glaser Kernmacher | Magistratsbeamter | Graveur Kochgehilfe | | Milchgeschäftsinh. | Gürtler Krankenwärter | Montageinspektor | Hafner Kutscher | Musiklehrer Heizer Lagerarbeiter Oberpostschaffner | Installateur Laternenwärter | Oberwachtmeister | Instrumenten- Maschinenhausgeh. | Postinspektor ' macher | Packer | Registrator i Juwelier ı Postarbeiter Rennmeister Kellner Städt. Arbeiter | | Schauspieler | Koch ' StraBenbahnbedien-. Schreiber Konditor steter | Schutzmann Korbmacher Telegraphenwärter ; Sekretär Kupferschmied | Telephonist Stickereiinhaber Kuttler Weichenwärter Straßenbahnführer | Lackierer Straßenbahn- Lokomotivführer ` ` schaffner Lokomotivheizer ` ` ! Tennisplatzmeister | Maler | | Versicherungs- | Maschinenschlosser | i beamter Maurer | | Werkführer Mechaniker | | Werkmeister Metzger Monteur | | . Bäckermeister Müller i , Gärtnermeister ; Optiker | | Malermeister | Polier | | | Mechanikermeister ' Portefeuillemacher | Metzgermeister | Sattler | Portefeuillemeister ' Schäffler | Sattlermeister Schlosser ‘Schneidermeister ; Schmelzer Schreinermeister , Schmied | Schuhmachermeist. | Schneider | | Tapezierermeister | Schreiner | Webermeister . Schriftsetzer | Zimmermeister - Schuhmacher | Spengler : Steindrucker | Ä | Steinmetz | Tapezierer ! Uhrmacher | | | Vergolder l | ' Vorschleifer ! | : ; Wagner | Weber | Zimmermann | Ziseleur |

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 4.

370 Franz Prokein: Ueber die Eltern der schwachsinnigen Hilfschulkinder usw.

Tabelle 6.

Einordnung der einzelnen weiblichen Berufe unter Berück- - sichtigung der Angaben des Städt. Arbeitsamtes München.

Geschäftsleute

Halbgelernte und Kleinere Kaufleute, Gelernte angelernte Ungelernte „Geschäftsleute, Arbeiterinnen SUE Arbeiterinnen etc.

[z] © E = ba © = E © =) e ag <

höhere Beamtinnen etc Unternehmer Großkaufleute

Kassierin Büglerin Metallarbeiterin | Dienstmädchen Kontoristin Köchin Packerin Fabrikarbeiter.

Verkäuferin Näherin Heimarbeiterin Küchenfrau

Zugeherin

Aus dem Stadtgesundheitsamt Herne (Stadtmedizinalrat Dr. Klein).

Haemagglutinine, Rasse- und anthropologische Merkmale. Von W. Klein und H. Osthoff.

Die bisher veröffentlichten Untersuchungen über das Vorkommen von Isohaemagglutininen im menschlichen Blute sind inzwischen so zahlreich _ geworden, daß sich bereits ganz bestimmte Schlüsse aus ihnen ziehen ‘lassen. So dürfte es heute feststehen, daß die Blutgruppen weder von irgendwelchen Krankheiten noch von der Ernährung oder klimatischen Einflüssen, d. h. also von Umweltfaktoren abhängig sind. Ferner haben die Untersuchungen ergeben, daß das Verhältnis der einzelnen Blutgruppen zueinander ein ganz verschiedenes ist. Besonders das Verhältnis aller A zu allen B, der sogenannte, biochemische Rassenindex, ist bei den ver- schiedenen Völkern starken Schwankungen unterworfen. Schon L. und H. Hirschfeld machten auf die eigenartige Tatsache aufmerksam, daß der Index von Westen nach Osten ständig abnimmt (Englander I = 4,5, Inder I = 0,6). Es lag also nahe, hier an Unterschiede der Rassen zu denken. So nehmen denn in der Tat auch Hirschfeld und nach ihm andere, besonders Steffan, zwei verschiedene Rassen an: eine mit der Eigenschaft A im Westen und Norden, eine mit der Eigenschaft B im Osten und Süden der alten Welt. Es gibt aber Untersuchungsergebnisse, die gegen diese Annahme sprechen. 1. Fanden verschiedene Untersucher bei denselben Völkern sehr verschiedene Indices. Am deutlichsten zeigt sich dieser Unterschied bei den Engländern, bei denen Hirschfeld I=45 und Buchanan und Higley I =2,5 fanden, und bei den Ita- lienern nach Rizzatti 1=5,4 und nach Romanese I!=2,. 2. Fand man bei sicher verschiedenen Rassen nur wenig voneinander abweichende Indices, z. B. Schiff und Ziegler bei Berlinern I= 2,1, bei Juden I=2,7. Da die meisten Untersucher weiteres großes Material zur Klärung dieser Frage fordern, so unternahmen wir es, 1229 (652 Knaben und 577 Mädchen) Kinder der evangelischen und katholischen Volksschulen der Stadt Herne zu untersuchen, und. ermittelten zugleich die Augen- und Haarfarbe, den Schädelindex und den Geburtsort der Eltern und ver- suchten, diese Ermittelungen mit den Blutgruppen in Beziehung zu setzen.

24*

372 W. Klein und H. Osthoff:

7 Zn a ees, ale: ae: De es Op AS eee

Bevor wir an die Besprechung der Ergebnisse gehen, einige kurze Bemerkungen über die Technik unserer Blutgruppenbestimmung. Das Serum der Gruppen II und III wurde uns teilweise durch Herrn Marineoberstabsarzt Dr. Steffan - Kiel freundlichst zur Verfiigung gestellt, zum Teil benutzten wir selbstgewonnenes Serum. Die Probe selbs! stellten wir derart an, daß aus dem Ohrläppchen jedes Kindes je 2 Tropfen Blut auf einen Objektträger gebracht und mit je einem Tropfen der Seren innig vermischt wurden, und zwar zuerst mit einem für jedes Serum besonderen Glasstab und dann durch Hin- und Herbewegen des Objektträgers. Das Ablesen geschah mit unbewaffnetem Auge nach ungefähr 2—3 Minuten. Als Agglutination wurde nur eine vollständige Zusammenbal- lung mit klarer Flüssigkeit zwischen den Blutkörperchenballen angesehen. Wie einige andere Untersucher, so machten auch wir die Erfahrung, daß nicht alle Sera den gleichen Gehalt an Agglutininen besitzen; infolgedessen verwandten wir nur Sera mit hohem Agglutiningehalt. Auf diese Weise erhielten wir bei einfachster Methodik nur eindeutige Ergebnisse. Da wir stets eine gewisse Menge von Seren vorrätig hatten, so konnten wir immer Seren benutzen, die schon einige Tage aufbewahrt waren, eine Forderung, die Lattes für das Arbeiten mit unverdünnten Seren aufstellt, um Isolvse und Pseudoagglutination zu vermeiden.

Tafel I zeigt ganz allgemein die Blutgruppenverteilung bei den unter- suchten Kindern.

Tabelle 1.

Insge-

absoluteZahlen | 478 | 527 | 167 | 57 | | 1229 Prozentzahlen || 38.9 | 42.9 | 13.6 | 46 | 2.6 | 100

Der biochemische Rassenindex für die hiesige Bevölkerung ist also I = 2,6, er stimmt mit dem bisher für Deutsche festgestellten Durchschnitts- index gut überein (nach der Zusammenstellung bei Lattes beträgt der Index für Deutsche I= 2,8). Trotz dieser guten Uebereinstimmung be- friedigte uns das Ergebnis keineswegs.

Wie alle schnell aufgeblühten Industriestädte des Ruhrkohlenbeckens haben wir in Herne nur mehr eine geringe eingesessene Bevölkerung, da- gegen einen starken Zuzug von außen. Die zugezogene Bevölkerung be- steht zu einem Teil aus Westfalen, Rheinländern und Hannoveranern, kurz gesagt aus Gebieten links der Elbe, und der andere aus Ostpreußen, Westpreußen, Schlesiern und aus Personen, die der früheren Provinz Posen entstammen, also aus Gebieten rechts der Elbe. Süddeutsche sind nur in geringer Menge eingewandert, desgleichen wohnen heute nur noch wenige Angehörige fremder Nationen wie Italiener, Holländer, Franzosen usw. in der Stadt, so daß sie außer Betracht gelassen werden können. Der Zuzug fremden Blutes nach Herne beginnt in der Hauptsache in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und hält bis 1914 an. Eine Mischung dieser verschiedenartigen Elemente fand in der ersten Zeit nur in geringem, später in immer steigenderem Maße statt. Wenn aber, wie angenommen

Haemagglutinine, Rasse- und anthropologische Merkmale. 373

Nr gran nn a ` zo

wird, die Verschiedenheit der Blutgruppen nach Rassen verschieden ist, so müßten die Kinder östlicher Herkunft einen anderen biochemischen Rassenindex zeigen als die Kinder westlicher Herkunft. Um das zu be- weisen, war eine Aufspaltung unseres Materials nach diesem Gesichts- punkt notwendig. Das Ergebnis ist in Tafel II dargestellt.

Tabelle 2.

Insge- SNE 3 Sn (Vater und Mutter absolute Zahl 118 321 Ostelbien sind östlich der Elbe geboren) Prozentzahl || 33.6 | 36.8 | 23.4 | 6.2 | 100 | 1.5

(Vater und Mutter absolute Zahl|| 162 | 209 | 65 | 20 | 456 Mischlinge stammen aus verschie- 35.5 | 45.8 | 14.3 | 44 | 100 | 2.7

denen Gegenden)

(Vater und Mutter absolute Zahl | 167 176 30 10 383 Westelbien sind westlich der Elbe

geboren) 43.6 | 46.0 7.8 2.6 100 4.7

Prozentzahl

Prozentzahl

Das Ergebnis ist bemerkenswert. Die aus dem Osten stammende Bevölkerung mit einem Maximum slawischen Blutes weist einen Index von J =1,5 auf, während die aus dem Westen stammende unvermischte deutsche Bevölkerung einen solchen von I = 4,7 hat. Die Mischlinge zeigen, wie nicht anders zu erwarten ist, einen dazwischen liegenden Index. Die aus dem Osten stammende Bevölkerung, die bei unserem Material zumeist aus Polen besteht, besitzt einen Index, der auch sonst bei Slawen gefunden worden ist (Durchschnittsindex bei Slawen nach den Zusammenstellungen bei Lattes I=1,5). Dagegen hat die aus dem Westen stammende Be- völkerung einen wesentlich höheren Index als der bisher für Deutsche gefundene I = 2,8.

Wir sehen, daß es nötig ist, andere Wege als die bisher beschrittenen einzuschlagen, wenn wir zu klareren Werten kommen wollen. Am besten scheint der von Steffan in einer bisher unveröffentlichten*) Arbeit an- gegebene Weg zu sein, den als einzige nur Schütz und Wöhlisch gegangen sind, nämlich möglichst einheitlich zusammengesetztes Material zu verarbeiten. Ist dieser Weg aber nicht gangbar, weil solch einheitliches Material nicht vorhanden ist, so bleibt nichts anderes übrig, als das zur Verfügung stehende Material, wie wir es getan haben, nach Möglichkeit aufzuspalten. Auch Schütz und Wöhlisch kamen bei ihren Unter- suchungen an unvermischter deutscher Bevölkerung, ähnlich wie wir, zu einem anderen Index als man ihn bisher für deutsche Bevölkerung ge- funden hat. Sie fanden bei reiner ländlicher Bevölkerung aus Angeln einen Index von I= 5,3.

*) Anmerkung beider Durchsicht: Die Steffan sche Arbeit ist unter- dessen teilweise im Archiv für Schiffs- und Tropenkrankheiten, Bd. 29, erschienen.

374 W. Klein und H. Osthoff:

-` Bevor wir eine Klärung versuchen, woher es kommen kann, daß die älteren Untersuchungen über die Verteilung der Blutgruppen bei der deut- schen Bevölkerung einen wesentlich niedrigeren Index ergaben als die Untersuchungen von Schütz und Wöhlisch und uns, müssen wir einige kurze Bemerkungen über die verschieden starke Vermischung der deutschen Stämme mit fremdem, besonders slawischem Blute voraus- schicken. Als besonders rein dürfen wir die Stämme ansehen, die links der Elbe und nördlich des Maines wohnen. Hier hat, abgesehen vom hannoverschen Wendlande und einigen östlichen Bezirken von Schleswig- Holstein, eine Vermischung in größerem Ausmaße nur mit Wallonen stattgefunden. Karl der Große deportierte eine größere Anzahl von Sachsen nach Belgien und Nordfrankreich und setzte dafür Wallonen an ihre Stelle. Ihre Zahl dürfen wir uns nicht zu klein vorstellen, wenn Karl der Große seinen Zweck, die Sachsen in Schach zu halten, damit erreichen wollte, aber auch nicht zu groß. Ueber den Verbleib dieser Wallonen wissen wir nicht viel. Wahrscheinlich sind sie hauptsächlich im Paderborner und Osnabrücker Lande angesiedelt worden und vollkommen in der dort woh- nenden sächsischen Bevölkerung aufgegangen. Später hat eine erheblichere Vermischung mit fremdem Blute nicht mehr stattgefunden, doch können wir annehmen, daß die südlichen Teile dieses Gebietes hinter dem nörd- lichen an Reinheit zurückstehen werden, und zwar durch das langsame Vordringen fremden Blutes vom Rhein her. Die Gebiete rechts der Elbe sind hauptsächlich von Niedersachsen besiedelt und zeigen mehr oder weniger starke Vermischung mit eingesessenem, slawischem Blute. Die süddeutschen Verhältnisse interessieren uns hier nicht, da unser Material darüber keinen Aufschluß geben kann. Daß größere Städte eine wesentlich stärkere Vermischung zeigen als das flache Land, ist selbstverständlich.

Die bisherigen Untersuchungsergebnisse an Deutschen stützen sich auf Material aus durchweg stark gemischter Bevölkerung. Bei v. Decastello und Sturli, Schiff und Ziegler, Verzar und Weszeczky, Steffan, Manuila und Sucker ist die von ihnen untersuchte Be- völkerung sicherlich erheblich mit slawischem und uraltteiischem Blute gemischt. Sucker hat allerdings versucht, fremdes Blut möglichst aus- zuscheiden, er mußte aber an der Tatsache scheitern, daß die in der Um- gebung von Leipzig sitzende Bevölkerung schon stark mit Slawen ver- mischt ist. Unsere Anschauungen über den Index bei Deutschen unver- mischter Herkunft bedürfen also dringend einer Revision. Die Unter- suchungen von Schütz und Wöhlisch und ebenso unsere Unter- suchungen zeigen, daß der biochemische Rassenindex der reinen, unver- mischten norddeutschen Bevölkerung etwa 5 betragen wird, er liegt also bedeutend höher, als bisher angenommen wurde. Die bisher gefundenen Ergebnisse stellen durchweg nur einen Mischungsindex dar. Es ist drin-

Haemagglutinine, Rasse- und anthropologische Merkmale. 375

gend erwünscht, dieses Ergebnis an zahlreichen Untersuchungen in länd- lichen Bezirken Niedersachsens nachzuprüfen. Es zeigt uns nämlich den Weg, wie weit man schon heute die Blutgruppenbestimmung zur Klärung von Rassenfragen heranziehen könnte. Wenn nämlich die biochemischen Rassenindices weit auseinanderliegen, aber wohl auch nur in diesem Falle, so würde die Möglichkeit bestehen, Enklaven der einen Rasse im Sied- lungsgebiet der anderen festzustellen, oder, wenn beide Rassen sich stark gemischt haben, den ungefähren Anteil beider an der Mischung zu er- mitteln. Verzar und Weszeczky haben diesen Weg in Ungarn be- reits mit Erfolg beschritten. Für Deutschland würde er wahrscheinlich besonders wichtige Ergebnisse im deutsch-slawischen Siedlungsgebiet zei- tigen, vor allem in Mecklenburg und Pommern, wo wir nur wenig über den Anteil slawischen Blutes an der Zusammensetzung der heutigen Be- völkerung wissen. Es müßte zu diesen Untersuchungen allerdings seßhafte Bevölkerung genommen werden, also vor allen Dingen ländliche. Größere Städte eignen sich wegen der erheblichen Fluktuation der Bevölkerung hierzu nicht. Desgleichen ist das für Wassermannuntersuchungen ein- gesandte Blut nur mit besonderer Vorsicht zur Klärung dieser Frage zu verwenden, da meist eine genügende Trennung nach Herkunft nicht mög- lich sein wird. Dagegen wird die Blutgruppenbestimmung uns über Ras- senfragen keine Auskunft geben können, wenn verschiedene Rassen mit ähnlichem Index sich gemischt haben. Desgleichen werden wir die Blut- gruppenbestimmung nicht zur Klärung von Rassenfragen verwenden kön- nen, wenn sich mehr als zwei Rassen intensiv gemischt haben. Deshalb sind auch z. B. die Untersuchungen von Schiff und Ziegler an Ber- linern und Juden für Rassenfragen nicht zu verwenden, weil beide Teile m Berlin sowohl starken Mischungen unter sich als auch mit anderen Rassen unterworfen gewesen sind, und darum dürfen auch Schütz und Wöhlisch die eben erwähnte Arbeit nicht zum Vergleich mit ihrem Material heranziehen, wie sie es getan haben, um dann zu dem Schluß zu kommen, daß sich die Rassen bei der Bestimmung der Blutgruppen- zugehörigkeit vielleicht überhaupt nicht als Faktor von ausschlaggebender Bedeutung erweisen werden, sondern Umwelteinflüsse. Gerade ihre Arbeit zeigt den richtigen Weg, wie die Blutgruppenbestimmung für Rassenfragen nutzbringend zu verwenden ist, und nicht die Arbeit von Schiff und Ziegler. Sollte es sich bei der von Schütz und Wöhlisch unter- suchten Inselbevölkerung, die ein überwiegendes Vorkommen der Gruppe III aufweist, nicht um eine slawische Enklave handeln? Jedenfalls erscheint uns diese Annahme wesentlich berechtigter, als Umwelteinflüsse zur Klä- rung heranzuziehen.

Zur Nachprüfung der von uns gefundenen Blutgruppenindices bei rein deutscher und rein slawischer Bevölkerung versuchten wir noch folgenden

376 W. Klein und H. Osthoff:

un M o oH EE E E ana EE e E = gen e M M

auf und berücksichtigten dabei nur die Kinder, bei denen Vater und Mutter slawischen oder deutschen Namen hatten. Das Ergebnis ist in Tafel III wiedergegeben.

Tabelle 3.

Gesamtzahl 63 85 35 7 190 Slawisch

Prozentzahl || 33.2 | 44.7 | 18.4 | 3.7 | 100 | 22

Gesamtzahl | 232 | 260 | 58 | 21 | 571 | Deutsch

Prozentzahl | 40.6 | 45.5 | 10.2 3.7 100 3.5

Auch in dieser Tafel ist der Unterschied noch deutlich, doch nicht so erheblich wie in Tafel II, sondern zeigt eine Verschiebung nach dem Mittel hin, was auch verständlich ist, wenn man bedenkt, daß eine große Zahl der Väter und Mütter, die deutschen Namen tragen, aus dem Osten stam- men und sicher in früheren Generationen sich mit slawischem Blute ge- mischt haben. Desgleichen haben die Väter und Mütter mit slawischem Namen einen gewissen Teil deutschen Blutes aufgenommen. In der letzten Zeit haben viele Familien ihren polnischen Namen in einen deutschen umgeändert; wir haben das natürlich berücksichtigt, indem wir den ur- sprünglichen Namen registrierten. Wir sehen, daß an einer Bevölkerung. die sich in erheblichem Maße erst in neuerer Zeit gemischt hat, die Tren- nung nach Hausnamen noch gewisse Ergebnisse zeitigen kann, die sich mit der nötigen Vorsicht vielleicht verwerten lassen. Bei einer Bevölkerung, die längere Zeit bereits in Mischung lebt, wird dieser Weg nicht mehr zum Ziele führen. Sucker, der diesen Weg einschlug, konnte deshalb nicht zu einem bemerkenswerten Ergebnisse gelangen und glaubte deshalb, die Blutgruppenbestimmung zur Klärung von Rassenfragen ablehnen zu müssen. Ob der hohe Blutgruppenindex (J = 5,0) nur der nordischen Rasse zukommt, wagen wir, da zahlreichere Untersuchungen noch nicht vorliegen, zunächst nicht zu entscheiden.

Eine zweite noch zu klärende Frage ist die, ob die Blutgruppen zu anthropologischen Merkmalen in Beziehung stehen. Von sämtlichen For- schern, die hierauf untersucht haben, wird die Frage verneint, und doch müßte eine Abhängigkeit vorhanden sein, da ja die Blutgruppen ein Rasse- merkmal sein sollen. Die hierüber vorliegenden Untersuchungen sind nicht gerade sehr zahlreich. Wir suchten daher auch zur Klärung dieser Frage beizutragen, indem wir die Blutgruppen zu dem nach E. Fischer wich-

———

_ Haemagglutinine, Rasse- und anthropologische Merkmale,

377

tigsten anthropologischen Merkmal, nämlich der Augen- und Haarfarbe, und weiterhin zu dem Schādelindex in Beziehung setzten.

Bei der Ermittelung der Augen- und Haarfarbe hielten wir uns an die von Virchow angegebene Einteilung der großen Gruppen: Blond, Mit- tel, Brünett mit der Untergruppe der Rothaarigen. Danach rechneten die Kinder mit blauen Augen und blondem Haar zum blonden Typ, diejenigen mit braunen Augen und braunem bis braun-schwarzem Haar zum brü- netten Typ. Echtes (blau-) schwarzes Haar wurde in keinem Falle fest- gestellt. Alle übrigen mit Ausnahme der Rothaarigen fielen unter den mitt- leren Typ. Bei dieser Einteilung ergab die Auszählung

& g Blond 243 218 461 37,5 % Mittel 339 287 626 50,9 % Brünett 52 58 110 = 8,9 % Rot 18 14 32 2,5 % 652 577 = 1229 9,8%

Die Aufspaltung der blonden, mittleren und brünetten Typen nach Blutgruppen ist in Tafel 4 dargestellt. Die Rothaarigen wurden wegen ihrer geringen Zahl nicht verwertet.

Blond

= absolute Zahl Mittel

Brünett

Tabelle 4.

SEH

absolute Zahl lute Zahl | 187 | 204 54

40.6 | 44.2 | 11.7 | 3.5 233 | 268 | 90 | 35 Prozentzahl || 37.2 | 42.8 | 14.4 | 5.6

absolute Zahl | 46 40 20 4

Prozentzahl | 41.8 | 36.4 | 18.2 3.6

Prozentzahl

461 100 | 3.1 626

100 2.4

Bei der Feststellung der Längen-Breitenindices hielten wir uns an die gebräuchliche, auch von Martin benutzte Einteilung.

Dolichokephal X—75,9 Mesokephal 76—80,9 Brachykephal 81—X

Die Beziehungen der Längen-Breitenindices zu den Blutgruppen gibt

Tafel 5.

378 W. Klein und H. Osthoff: Haemagglutinine, Rasse- u. anthrop. Merkmale.

-nn en ee mn EE

Tabelle 5.

Gesamt- E Co

absolute Zahl

Dolichokephal

Prozentzahl | 34.8 | 52.2 | 9.8 3.3 100 4.2

absolute Zahl

Mesokephal

42.8 | 11.7 | 4.5 100 2.9 203

42.5

41.0 182 38.1

Prozentzahl absolute Zahl Prozentzahl

Brachykephal

15.9 | 3.5 100 2.4

Tafel 4 und 5 zeigen, daß bei unserem Material bestimmte Zusammen- hänge zwischen Blutgruppen und anthropologischen Merkmalen bestehen, und zwar in dem Sinne, daß die Gruppe B bei den Blonden erheblich weniger vorkommt als bei den Brünetten und weniger bei den Dolicho- als bei den Brachykephalen. Es scheint also, daß nach diesen Zusammen- hängen zwischen Blutgruppen und anthropologischen Merkmalen die Hirschfeldsche und Steffansche Theorie von den Wiegen der Menschheit mit den Gruppen A und B eine gewisse Stütze erfährt. Wir sind uns bewußt, daß dieses Ergebnis wegen der teilweisen kleinen Zahlen noch nicht als voll beweisend angesehen werden kann. Wir haben trotzdem von einer Veröffentlichung nicht absehen wollen, da unsere Ergebnisse immerhin dazu anspornen können, die noch sehr wenig geprüften Ver- hältnisse zwischen Blutgruppen und anthropologischen Merkmalen weiter eingehend zu untersuchen.

Schriftenverzeichnis.

1. Baur, Fischer, Lenz: Mensch) Erblichkeitslehre. 2. Aufl. Lehmann, München 1923. Bd. I.

Buchanan und Higley: Brit. Journ. of exp. Pathol. Bd. 2, 1921.

v. Decastello und Sturli: cit. nach Lattes.

L. und H. Hirschfeld: Lancet 2 vom 18. 10. 1919.

Hirschfeld: Klin. Wochenschr. Nr. 26, 1924.

Lattes: Die Individualität des Blutes. Springer, Berlin 1925.

Manuila: cit. nach Lattes.

Martin: Lehrbuch der Anthropologie, 1. Aufl. 1914, Fischer, Jena.

. Rizzatti: cit. nach Lattes.

10. Romanese: cit. nach Lattes.

11. Schiff und Ziegler: Klin. Wochenschr. Nr. 24, 1924.

12. Schütz und Wöhlisch: Klin. Wochenschr. Nr. 36, 1924.

13. Steffan: Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie Bd. 15, Heft 2, 1923. 14. Sucker: Zeitschr. f. Hyg. und Inf.-Krankh. Bd. 102, Heft 3/4.

15. Verzar-Weszeczki: Biochem. Zeitschr. Bd. 126, 1921/22.

16. Virchow: Arch. f. Anthrop. Bd. 16, 1886.

EEGEN

Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene.

Von Studienrat E. Kirchner, Langensalza.

Die Bildung einer neuen, höheren Menschheit war das erhabene Ziel der Kulturphilosophie Friedrich Nietzsches. Die Wege zur Erlan- gung dieses Zieles, die er gewiesen hat, sind Ueberwindung des kleinen, häßlichen Menschentums und Züchtung des Uebermenschen. Ausgangs- punkt dieser Forderungen ist die Ueberzeugung, daß sich besonders die Menschenrasse Europas im Stadium der Entartung befindet, und daß nur die Aenderung des Typus Mensch und eine bewußte Auslese den Nieder- gang aufhalten kann. Das sind aber auch Grundgedanken der modernen Rassenhygiene. Da Nietzsche die Lehre Darwins durch die Schrift von Rolph „Biologische Probleme“ kennen gelernt hat und sie nach den Zeugnissen seines Nachlasses eine Zeitlang sehr hoch schätzte, da er auch seiner neuen Moral eine physiologisch-biologische Grundlage gibt), ist es reizvoll, seine Grundanschauungen vom Gesichtspunkt der Biologie und insbesondere der Rassenhygiene aus zu betrachten und zu prüfen.

Es sei vorweg bemerkt, daß Nietzsche den Grundbegrifien der Rassenhygiene skeptisch gegenüberstand. Im „Willen zur Macht", Abschn. N. 645 sagt er: „Daß „Vererbung“ als etwas ganz Unerklärtes nicht zur Erklärung benutzt werden kann, sondern nur zur Bezeichnung, Fixierung eines Problems. Eben das gilt vom Anpassungs-Vermögen. Tatsächlich ist durch die morphologische Darstellung, gesetzt, sie wäre vollendet, nichts erklärt, aber ein ungeheurer Tatbestand beschrieben.“ Und gegen den Dar- winismus wendet er ebenda Abschn. 647—650 ein, daß der Nutzen eines Organs nicht seine Entstehung erklärt, und daß wichtiger als die Erhaltung der Art ihre Entfaltung ist. N. ist auch insofern kein Rassenhygieniker, als er zwar viel von Zucht und Züchtung redet, aber jede Rationalisierung der Instinkte ablehnt. Aber in der Kritik des Menschentums seines Zeit- alters gelangt er zu denselben Ergebnissen wie die moderne Rassenhygiene. Diese erkennt als Hauptgrund der Entartung die überwiegende Vermehrung der Mindertüchtigen; die Folge davon ist, daß die Bevölkerung von Ge- schlecht zu Geschlecht leistungsunfähiger wird. Nietzsche sieht in den

4) Er versteht unter Moral „ein System von Wertschätzungen, welches mit den Lebensbedingungen eines Wesens sich berührt“ (Wille zur Macht 256).

380 E. Kirchner:

vielen, allzu vielen, schlecht weggekommenen Menschen, die nicht fähig sind, eine große Persönlichkeit hervorzubringen, die Decadence. Ihre Quelle entdeckt er in der verweichlichenden, verkleinernden Moral des Christen- tums’), während die Rassenhygiene die zu geringe Fruchtbarkeit der Tüch- tigen, d. h. die Gegenauslese als Ursachen des Verfalls beklagt. Sie lehrt uns, daß unsere Kultur infolge des allmählichen Aussterbens aller höher gearte- ten Familien von einer furchtbaren Proletarisierung unseres Nachwuch- ses bedroht ist. Nietzsches Feindschaft gegen das Proletariat, gegen die Masse der vielen Schwachbegabten, Armen, Unbedeutenden, seine aristokra- tische Weltanschauung ist daher eine notwendige, gesunde Reaktion gegen diesen Prozeß der Proletarisierung, der überdies durch die Politik der Sozialdemokratie beschleunigt wird. Man kann ebenso wie Nietzsche für den einzelnen wirtschaftlich und sozial unglücklich gestellten Proleta- rier ein warmes Herz haben, ohne sich doch der Einsicht zu verschließen, daß die Vermehrung der traditionslosen Proletarier zur Degeneration un- serer Rasse führt. |

Man lese die bittere Klage über das allmähliche Aussterben der stär- keren Naturen im „Willen zur Macht“ N. 887: „Das Zugrundegehen und Entarten der solitären Spezies ist viel größer und furchtbarer: sie haben die Instinkte der Herde, die Tradition der Werte gegen sich und ihre Werk- zeuge zur Verteidigung, ihre Schutz-Instinkte sind von vornherein nicht stark, nicht sicher genug es gehört viel Gunst des Zufalls dazu, daß sie gedeihen —, sie gedeihen in den niedrigsten und gesellschaftlich preis- gegebensten Elementen am häufigsten; wenn man nach Person sucht, dort findet man sie, um wieviel sicherer als in den mittleren Klassen!).“ Wer die erschütternde Statistik der ungeheuren Fruchtbarkeit der ungelern- ten Proletarier und der stetig, ja, leider sogar systematisch abnehmenden Kinderzahlen der geistig führenden Schichten gelesen hat, findet Nietz- sches Wort „dieses Zeitalter ist des Pöbels‘ mit Furcht und Grauen be- statigt.

Es ist nicht richtig, wenn Nietzsche die Masse der Allzuvielen. Ueberfliissigen als Umweg und Vorstufe zu einigen höchsten Menschen- exemplaren ansieht. Denn die Masse droht das Genie zu ersticken; und es ist auch nicht einzusehen, warum erst aus einer Menge mißglückter Men- schenversuche heraus der große Wurf eines Kraftgenies der Natur gelingen soll. Nietzsche widerspricht sich auch: an anderer Stelle bezeichnet er eine Reihe guter Ahnen als Vorbedingung des Genies. Die überdurchschniit- liche Fruchtbarkeit gerade der Höherbegabten allein kann den Untergang unserer Kultur aufhalten. Die sozial tiefer stehenden Schichten sind nicht die unversiegbare Quelle, aus der dem alternden Volkskörper immer wie- der frisches Blut zugeführt werden könnte. „Unser Europa von heute ist

l 2) Vgl. unten S. 541.

Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene. | 381

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der Schauplatz eines unsinnigen, plötzlichen Versuches von radikaler Stande- und folglich Rassenmischung (Stände drücken immer auch Ab- kunfts- und Rassen-Differenzen aus). Durch diese Rassenmischung ent- _ stehe eine tolle Halbbarbarei. Aus den Kreuzungen lang abgetrennter Ras- sen entstehe Nervenschwäche und Kränklichkeit. „In dem neuen Geschlecht, das gleichsam verschiedene Maße und Werte ins Blut vererbt bekommt, ist alles Unruhe, Störung, Zweifel, Versuch.“ („Jenseits von Gut und Böse.“) „Der moderne Mensch stellt biologisch einen Widerspruch der Werte dar... Wir sind, physiologisch betrachtet, falsch.“ („Der Fall Wagner.) Mit diesem abfälligen Urteil über Rassenmischung erkennt aber Nietzsche auch die segensreichen Wirkungen der Kreuzung.

Aber die grundlegende, Völkerschicksale entscheidende Frage der Ras- senhygiene: „Wer erzeugt das kommende Geschlecht?“ hat er scharf und richtig erkannt, wenn er sagt: „Die Erziehung vermag nicht viel mehr, als über die Erbanlagen zu täuschen.“ Er wußte also scheinbar, daß die Er- ziehung an dem Idiotypus nichts zu ändern vermag. Andererseits huldigt er dem naiven Glauben des Lamarckismus, wenn er sagt: „In zwei, drei Generationen ist alles verinnerlicht.“ Viele wähnen noch immer, daß sich durch erzieherische, hygienische und soziale Maßnahmen und durch Kör- perkultur der Zustand der Rasse verbessern lasse, während doch all diese Mittel nur auf das Einzelweisen während seines Lebens einwirken und für die Beschaffenheit der nächsten Generation belanglos sind. Nicht paratypische (durch Einflüsse der Umwelt bedingte), sondern idiotypische Verbesserung bedeutet dauernde Verbesserung der Rasse. Nietzsche hat diese Ver- erbungslehre irrtümlicherweise erweitert zum Glauben an die Sicherheit der Vererbung auch der erworbenen Eigenschaften und darauf seine Idee von der Züchtung des Uebermenschen aufgebaut. Sie krankt auch noch an anderen Irrtümern. Selbst wenn man die Uebersteigerung des Typus Mensch zur Ueberart nach Analogie der Entwicklung des Menschen aus einer prä- historischen Affenart für möglich hält, so sehen wir doch in der bisherigen Entwicklung keinen Ausgangspunkt für eine biologische Höherbildung des Typus Mensch. Wenn er an anderer Stelle den Philosophen „den cäsari- schen Zücher der Kultur“ nennt, so deutet er vielmehr darauf hin, daß sein Ziel nur das Werk des zwecksetzenden Willens sein kann. (Vgl. auch das Zarathustra-Wort: „Euer Wille sage: der Uebermensch sei der Sinn der Erde!) In seinem Wahn, selbst „Inkarnation des Willens zur Mensch- heitserhöhung zu sein“, hat er sich mit dem Genius der Kultur verwech- selt. Wie könnte ferner innerhalb des normalen Verlaufes der Menschheits- entwicklung der Uebermensch erscheinen, da nach Nietzsche nur in der Wildnis des gewalttätigen Lebens ab und zu der Genius des großen Menschen aufleuchtet! Endlich aber ist die Idee des Uebermenschen des- halb ein grandioser Irrtum, weil ein Genie überhaupt nicht gezüchtet wer-

382 E. Kirchner:

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den kann. Nach Nietzsche’) ist das Genie eine ungeheure, überströ- mende Kraft, die sich schonungslos verbraucht, so daß Erschöpfung und Sterilität ihr folgen, und ihre Voraussetzung ist die Aufspeicherung von Kräften für Generationen. Das ist aber keine bewußte Züchtung. Treffend bemerkt Lenz’): „Eine direkte Züchtung von Menschen wird für die Rassenhygiene niemals in Betracht kommen... Praktisch wird eine direkte biologische Förderung hervorragender Menschen in absehbarer Zeit nur in sehr beschränktem Maße möglich sein und auf jeden Fall nur im Rahmen der gesetzlichen Ehe.“ Eine Züchtung des Genies ist geradezu ausgeschlossen, wenn man bedenkt, welche besonderen Gaben sein Wesen darstellen. Man unterscheidet’) geniale Anlage, geniale Geistesart und das eigentliche Genie. Geniale Anlage ist entwicklungs- und steigerungs- fähig, gezüchtet werden kann auch sie schwerlich: Wille, Gefühl, Intellekt müssen in vollendeter Kombination ausgebildet sein, damit es nicht bei der Anlage bleibt. Geniale Geistesart schafft noch keine Leistung. Im Genie vereinigen sich geniale Persönlichkeit und höchste Leistungsfähigkeit. Jene setzt eine gewisse Selbsterziehung aber nicht die Züchtung durch Vor- fahren! voraus, diese beruht auf Uebung und Ausdauer. Zum Genie gehören intuitive und produktive Phantasie, ein genialer Blick für die großen Zusammenhänge der Dinge, großzügige, mühelose Kombinations- gabe, tiefe Empfänglichkeit und Eindrucksfähigkeit von Jugend auf, ge- nialer Trieb, der den großen Erfolg der klassischen Leistung ahnt, und von dem Bilde des glücklich vollendeten beflügelt wird, endlich die Hin- gabe der ganzen Seele und das Erfülltsein von einer heroischen Aufgabe. Das Genie schafft unbewußt und spontan. Solche Gaben aber sind schlech- terdings nicht zu vererben oder anzuerziehen, es sind Glücksgüter einer segnenden Natur, die sie nur wenigen Lieblingen vergönnt. Der Ueber- mensch Nietzsches, des Anti-Intellektualisten, wie ihn Vaihinger treffend nennt, soll allerdings hauptsächlich ungeheure Willenskraft, be- sonders den Willen zur Macht in höchster Potenz besitzen. Diese Willens- präponderanz wäre für die Aufwärtsentwicklung unseres Geschlechtes eher verhängnisvoll. Denn mit Recht betonen Lenz wie Meumann*®), daß intellektuelle Eigenschaften für das Genie und für die Höherzüchtung der Rasse in erster Linie wichtig sind.

3) Götzendämmerung, Streifzüge eines Unzeitgemäßen. N. 44, Wille zur Macht, IV. Bd., N. 969. Auch praktische Diätregeln für die Hygiene des Genies gibt Nietzsche in den „Streifzügen eines Unzeitgemäßen“ (Götzendämmerung), Abschn. 31: „Die Mittel, mit denen Julius Cäsar sich gegen Kränklichkeit und Kopfschmerz verteidigte, ungeheure Märsche, einfachste Lebensweise, ununterbrochener Aufenthalt im Freien, beständige Strapazen das sind, ins Große gerechnet, die Erhaltungs- und Schutzmaßregeln über- haupt gegen die extreme Verletzlichkeit jener subtilen und unter höchstem Druck arbei- tenden Maschine, welche Genie heißt.“

4) Menschliche Auslese und Rassenhygiene S. 199.

5) Vgl. zum folgenden Meumann: Intelligenz und Wille S. 196 f. 6) Intelligenz und Wille S. 336f.

Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene. 383

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Wenn also eine Züchtung des Genies äußerst fragwürdig ist, so bleibt nur die Möglichkeit, im Bereich der wirklichen Menschheit nach Ansätzen zu genialer Wesensart zu suchen. Lenz kommt Nietzsche entgegen, indem er sagt’): „Rein biologisch dürfte der Uebermensch möglich sein. Ja, in Anbetracht der gewaltigen Unterschiede der Begabung innerhalb der heutigen Menschheit würde es in gewisser Weise schon die Errei- chung der Stufe des Uebermenschen bedeuten, wenn die Menschheit im ganzen auf die Stufe der gegenwärtig höchstbegabten Individuen gehoben würde.“ Nietzsche selbst hat ja später die Idee des Uebermenschen vertauscht mit dem Begriff eines neuen Adels des Geistes und des Cha- rakters, der herrschen soll, die Höherzüchtung der Menschheit in die Hand nimmt und die schonungslose Vernichtung alles Entartenden und Para- sitischen verantwortet. Rücksichtslos muß eine ideale Aristokratie sein; denn ihr Wohl und das Wohl der meisten vertragen sich nicht miteinander („Genealogie der Moral“).

„Etwas, das ersichtlich Wert hätte, in Hinsicht auf möglichste Dauerfähigkeit einer Rasse, hätte durchaus nicht den gleichen Wert, wenn es sich darum handelte, einen stärkeren Typus herauszubil- den.“ Die führenden Kreise sind allerdings hinsichtlich ihrer Erhaltung in größter Gefahr und müssen sich in hartem Kampfe durchsetzen. Nietzsche geht so weit, daß er der herrschenden Klasse das Recht zu- spricht, die niederen Menschen als Sklaven auszubeuten. In seinen Fuß- tapfen wandelnd, hat Franz Haiser die Sklaverei biologisch zu begrün- den und sittlich zu rechtfertigen gesucht (Fr. Haiser, Die Sklaverei. 1923). Nietzsche, der „Fürsprecher des Lebens“, befürwortet auch die willkürliche, bewuBte Ausmerzung der schwächlichen Elemente und ver- klärt den Freitod. „Die Erde ist voll von solchen, welchen der Tod ge- predigt werden muß.“ (Also spr. Zarathustra, Von den Predigern des Todes.) „Manchem mißrät das Leben: ein Giftwurm frißt sich ihm ans Herz. So möge er zusehen, daß ihm das Sterben um so mehr gerate... . Möchten Prediger kommen des schnellen Todes! Das wären mir die rech- ten Stürme und Schüttler an Lebensbäumen!“ (Also spr. Z, Vom freien Tode.) Damit löst er radikal und lakonisch ein Problem, das Binding und Hoche in ihrer gemeinsamen Schrift „Die Freigabe der Vernich- tung lebensunwerten Lebens“ sehr besonnen und gewissenhaft nach der juristischen und medizinischen Seite hin abwägen. Sie wollen die Ver- nichtung lebensunwerten Lebens auf ganz sichere Fälle von Idiotie und Unheilbarkeit beschränkt wissen. In dem „Moral für Aerzte“ überschrie- benen 36. Abschnitte der „Götzendämmerung“ findet sich eine ausführ- liche rassenhygienische Begründung des Selbstmordes; dort heißt es: „Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft... Das Fort-

7 7) Menschliche Auslese und Rassenhygiene S. 200f.

384 E. Kirchner:

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vegetieren in feiger Abhängigkeit von Aerzten und Praktikern, nachdem der Sinn vom Leben, das Recht zum Leben, verloren gegangen ist, sollte bei der Gesellschaft eine tiefe Verachtung nach sich ziehen. Die Aerzte wiederum hätten die Vermittler dieser Verachtung zu sein... . Eine neue Verantwortlichkeit schaffen, die des Arztes, für alle Fälle, wo das höchste Interesse des Lebens, des aufsteigenden Lebens, das rücksichtsloseste Nieder- und Beiseite-Drängen des entartenden Le- bens verlangt zum Beispiel für das Recht auf Zeugung, für das Recht, geboren zu werden, für das Recht zu leben der Tod, aus freien Stücken gewählt, der Tod zur rechten Zeit, mit Helle und Freudigkeit, inmitten von Kindern und Zeugen vollzogen: so daß ein wirkliches Abschiednehmen noch möglich ist, wo der noch da ist, der sich verabschiedet. . . . eine Summierungdes Lebens. Hier gilt es, allen Feigheiten des Vor- urteils zum Trotz, vor allem die richtige, d. h. physiologische Würdigung des sogenannten natürlichen Todes herzustellen: der zuletzt auch nur ein „unnatürlicher“, ein Selbstmord ist. Man geht nie durch jemand anders zugrunde, als durch sich selbst... . Der Pessimismus, anbei gesagt, so ansteckend er ist, vermehrt trotzdem nicht die Krankhaftigkeit einer Zeit, eines Geschlechts im ganzen: er ist deren Ausdruck. . . Der Pessimismus selbst macht keinen einzigen Decadenten mehr, ich erinnere an das Ergebnis der Statistik, daß die Jahre, in denen die Cholera wütet, sich in der Ge- samtziffer der Sterbefälle nicht von anderen Jahrgängen unterschieden.“ Mit Rücksicht auf die Unsummen an Menschenkraft, Geld und Zeit, welche die Erhaltung sogen. „Menschheitshülsen“ verschlingt, hat neulich ein Liegnitzer Stadtrat den Vorschlag gemacht, ein Kollegium aus Vertretern der höchsten juristischen und medizinischen Intelligenz zu bilden, das über die Vernichtung solcher Lebewesen beschließt. Erfrischend und befreiend von jedem Humanitätsdusel klingen die ganz im Geiste der Rassenhygiene gedachten Sätze im „Willen zur Macht“ (N. 734): „Es gibt Fälle, wo ein Kind ein Verbrechen sein würde: bei chronisch Kranken und Neurastheni- kern dritten Grades. Was hat man da zu tun? Solche zur Keuschheit ermutigen, etwa mit Hilfe von Parsifal-Musik, mag immerhin versucht wer- den. ... Der Uebelstand ist, daß eine gewisse Unfähigkeit, sich zu „be- herrschen“ (auf Reize, auf noch so kleine Geschlechstreize nicht zu reagie- ren) gerade zu den regelmäßigsten Folgen der Gesamt-Erschöpfung ge- hört. . . Der Priester, der Moralist spielen da ein verlorenes Spiel; besser tut man noch, in die Apotheke zu schicken. Zuletzt hat hier die Gesellschaft eine Pflicht zu erfüllen: es gibt wenige dergestalt dringliche und grund- sätzliche Forderungen an sie. Die Gesellschaft als Großmandatar des Le- bens, hat jedes verfehlte Leben vor dem Leben selber zu verantworten, sie hat es auch zu büßen: folglich soll sie es verhindern. Die Gesellschaft soll in zahlreichen Fällen der Zeugung vorbeugen: sie darf hierzu, ohne Rücksicht auf Herkunft, Rang und Geist, die härtesten Zwangsmaß-

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Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene. 385

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regeln, Freiheitsentziehungen, unter Umständen Kastrationen in Be- reitschaft halten. Das Bibelverbot „Du sollst nicht töten!“ ist eine Naivi- tät im Vergleich zum Ernst des Lebensverbots an die Decadence „ihr sollt nicht zeugen“. Hier, besonders deutlich aber im Abschn. 740 des „Willens zur Macht“, wird die schon von Schopenhauer befürwortete, neuerdings in Amerika an Verbrechern mit deren Einwilligung vollzogene Sterilisierung (durch Vasektomie) kühn vorweggenommen. An jener Stelle heißt es: „Man soll dem Verbrecher die Möglichkeit nicht abschließen, seinen Frieden mit der Gesellschaft zu machen: gesetzt, daß er nicht zur Rasse des Verbrecher- tums gehört. Im letzteren Falle soll man ihm den Krieg machen, noch be- vor er etwas Feindseliges getan hat (erste Operation, so bald man ihn in der Gewalt hat: ihnkastrieren).“ Während Nietzsche hier eine Art soziologischer Strafrechtstheorie entwickelt, die in dem Verbrechen einen „Aufstand wider die gesellschaftliche Ordnung“ sieht, betrachtet er in dem Kapitel „Vom bleichen Verbrecher“ im Zarathustra den Verbrecher als eine pathologische Natur: „Kranker“ sollt ihr sagen, aber nicht „Schuft“. „Was ist dieser Mensch? Ein Haufen von Krankheiten, welche durch den Geist in die Welt hinausgreifen.“ Erriet er auch die katastrophale Macht der Vererbung minderwertiger Anlagen? (Vgl. Lenz, Die biologischen Grundlagen der Erziehung, S. 16 f.). Der große Wert der Familientradition und die weitreichende Bedeutung der Vererbung kommt auch in folgendem Abschnitt (N. 995) des „Willens zur Macht“ klar und schön zum Ausdruck: „Wie kommen Menschen zu einer großen Kraft und zu einer großen Auf- gabe? Alle Tugend und Tüchtigkeit am Leib und an der Seele ist mühsam und im kleinen erworben worden, durch viel Fleiß, Selbstbezwingung, Be- schränkung auf Weniges, durch viel zähe, treue Wiederholung der glei- chen Arbeiten, der gleichen Entsagungen: aber es gibt Menschen, welche die Erben und Herren dieses langsam erworbenen, vielfachen Reichtums an Tugenden und Tüchtigkeit sind weil, auf Grund glücklicher und ver- nünftiger Ehen und auch glücklicher Zufälle, die erworbenen?) und gehäuf- ten Kräfte vieler Geschlechter nicht verschleudert und versplittert, sondern durch einen festen Ring und Willen zusammengebunden sind. Am Ende nämlich erscheint ein Mensch, ein Ungeheuer von Kraft, welches nach einem Ungeheuer von Aufgabe verlangt.“ Ergänzend, aber auch etwas widerspruchsvoll heißt es im folgenden Abschnitt (996): „Der sublime Mensch hat den höchsten Wert, auch wenn er ganz zart und zerbrechlich ist, weil eine Fülle von ganz schweren und seltenen Dingen durch viele Geschlechter gezüchtet und beisammen erhalten worden ist.“ Denn an anderen Stellen heißt es, daß der wohlgeratene Mensch derbgesund und äußerst widerstandsfähig sein muß. , Das Gesetz der Auslese, des dritten wichtigen Faktors der Rassen- hygiene, finden wir bei Nietzsche wieder in folgenden Sätzen über den

E 8) Hier findet sich allerdings wieder der naive Lamarckismus. Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 4. 25

386 E. Kirchner:

Ahnenstelz (I. A. Bd. 3, S. 337): „Auf eine ununterbrochene Reihe guter Ahnen bis zum Vater herauf darf man mit Recht stolz sein nicht aber auf die Reihe; denn diese hat jeder. Die Herkunft von guten Ahnen macht den echten Geburtsadel aus; eine einzige Unterbrechung in jener Kette, ein Vorfahr also, hebt den Geburtsadel auf.“ Ebenso bedarf es nach Nietzsche einer langen Geschlechterfolge, um Laster, Erbübel zu überwinden.

Der Genius des Dichterphilosophen hat sich nicht nur verflogen in die azurblaue Höhe des unerreichten Ideals des Uebermenschen, er hat auch praktische Forderungen gestellt, die fir den Durchschnitt im Bereich der Möglichkeit liegen. Die Höherbildung der Menschheit gelingt, wie Alois Riehl’) bemerkt, nur durch die Hebung des Gesamtniveaus. Den elemen- taren rassehygienischen Grundsatz, den Rudolf Virchow in die Worte gekleidet hat: „Die körperliche Wohlfahrt ist die Grundlage aller Bildung und Freiheit“, betont Nietzsche ganz energisch: „Der höhere Geist, an einen schwächlichen, nervösen Charakter gebunden, . . . ist zu beseitigen. Ziel: Höherbildung des ganzen Leibes, nicht nur des Gehirns!“ (Z.-A. Bd. 7, S. 491.) „Die körperliche Stärke soll auf Seite des größten Gedankens sein.“ „Ueber dich sollst du hinausbauen. Aber erst mußt du mir selber ge- baut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.“ (Also spr. Z., Von Kind und Ehe.) Die „große Gesundheit“ ist Vorbedingung und Merkmal des Ueber- menschen. Sie darf nicht durch Wollust und geschlechtliche Ausschwei- fung untergraben werden. Die Verkümmerung des Leibes durch einseitige geistige Ueberanstrengung bekämpft er als Verfallserscheinung. „Unsere Psychologen, deren Blick unwillkürlich nur an den Symptomen der Deca- dence hängen bleibt, lenken immer wieder unser Mißtrauen wider den Geist. Man sieht immer nur die schwächenden, verzärtelnden, verkränkeln- den Wirkungen des Geistes; aber es kommen

nur die Zyniker neue die Versucher Barbaren | die Eroberer

Vereinigung der geistigen Ueberlegenheit mit Wohlbefinden und Ueberschuß an Kraften?°).

Wir verstehen diese Ablehnung des Aesthetentums, jener von des Gedan- kens Blässe angekränkelten und überbildeten Schwächlinge, die sich auch in der langen Friedenszeit vor 1914 in Deutschland breitmachten. Zum Wesen eines urgesunden Geistes gehört ein starker, sicherer Instinkt. „Der starke Mensch, mächtig in den Instinkten einer starken Gesundheit, verdaut seine Taten ganz ebenso, wie er die Mahlzeiten verdaut; er wird mit schwerer Kost selbst fertig: in der Hauptsache aber führt ihn ein un- versehrter und strenger Instinkt,daßernichtstut, wasihm

°) Friedrich Nietzsche, der Künstler und Denker, S. 165. 10) Wille zur Macht, Abschn. 899.

Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene. 387

widersteht, so wenig, als er etwas tut, das ihm nicht schmeckt.“*) Besonders in dem letzten Satze steckt eine feine Klugheit. Unsere Kultur mit dem ungeheuren Ballast historischer Tradition und ihrer Ueberfremdung durch Allerweltseinflüsse verbildet den einzelnen so sehr, daß es geradezu ein sicheres Kennzeichen einer starken, originellen Individualität ist, wenn sie instinktsicher und unbeirrt ihren Bildungsgang wählt. Jede Berufs- beratung sollte an die Instinkte des jungen Menschen anknüpfen, statt nur auf die Konjunktur hinzuweisen. Die vielen Irrungen unserer Jugend in der Berufswahl beweisen, daß ihr der sicherste Wegweiser im Labyrinth des Lebens fehlt, der untrügliche Instinkt. Wieviel wertvolles Lebens- potential wird nutzlos verbraucht dadurch, daß der Mensch nicht instinktiv alles abstößt und von sich fernhält, was seine Entwicklung hemmt! Auch unserer Erziehung wird damit der richtige Weg gewiesen: sie soll nicht Muster der Dressur großziehen, sondern starke Individualitäten, die so viel natürliche Triebkraft und Lebensnähe bewahrt haben, daß sie fremder Führung ohne Schaden entraten können. Rasse und Instinkt sind etwas Unzertrennliches. Edelrassig und kerngesund ist nur derjenige, der sich mit feiner Witterung den jeweiligen Lebensverhältnissen anpaßt und sich und seine Eigenart durch rücksichtslose Abstoßung alles Heterogenen durchsetzt. Zum starken Leben taugt nichts, was von der Reflexion zehrt oder auf Theorie aufbaut. Selbst Erfahrung vermag dem Menschen nicht das zu geben, was ein glücklicher Instinkt ihm inspiriert. Nietzsche, dem großen Anti-Intellektualisten und dem Gegner des Historismus, sei Dank für die Entfesselung der Instinkte! Wohl geht er manchmal zu weit, wenn er die unsozialen Raubtierinstinkte des Herrenmenschen verherr- licht. Er fordert doch auch als Kennzeichen der Vornehmheit strenge Selbstzucht und Beherrschung der niederen Triebe. Und die Grundforde- rungen der Sexualhygiene können nicht kürzer und treffender zum Aus- druck gebracht werden, als mit den Worten des Abschn. 947 im „Willen zur Macht“: „Was ist Keuschheit am Manne? Daß sein Geschlechts- geschmack vornehm geblieben ist; daß er in eroticis weder das Brutale noch das Krankhafte noch das Kluge mag.“ Nietzsche verabscheut daher die Städte als Wohnstätten der Brünstigen.

Das Kapitel „Von Kind und Ehe“ im Zarathustra enthält eine aus- gezeichnete sexuelle Moral und manche rassenhygienisch beachtenswerte Bemerkung. „Ich will, daß dein Sieg“ (nämlich über deine tierischen Triebe) „und deine Freiheit“ (von niederer Sinnlichkeit) sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und dei- ner Befreiung. Die nervöse geschlechtliche Zügellosigkeit unserer jugend- lichen Halbwelt und die raflinierte Geburtenverhinderung unserer gegen-

11) Auch den Instinkt für den Rang und den Instinkt der Ehrfurcht charakterisiert

er ausgezeichnet. SS A

388 E. Kirchner:

wärtigen Gesellschaft ist damit treffend verurteilt. Die Sünden der Väter rächen und verewigen sich an den Söhnen und Enkeln. „Welches Kind hätte nicht Grund, über seine Eltern zu weinen?“ „Ehe: so heiße ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen.“ Lenz‘) bemerkt dazu trefiend, daß die Betreuung des Einen bedenk- lich ist. Das gilt auch von dem folgenden Satz: „Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe!“ Rich- tiger wäre von rassenhygienischem Standpunkt aus das Umgekehrte; sonst kommt die Fortpflanzung zu kurz. Auch hier blickt die utopische Verbes- serung der Kindesanlagen in lamarckistischem Sinne durch. Wertvoll bleibt aber die Forderung des Willens zum Kinde. Und sehr vernünftig ist die an anderen Stellen sich findende Bekämpfung der asketischen Richtung und der Geringschätzung der geschlechtlichen Instinkte in der katholi- schen Kirche, die zum priesterlichen Cölibat und damit zum Brachliegen wertvoller Kräfte der Fortpflanzung geführt hat.

Es ist vielleicht das Größte und Schönste, was Nietzsche, der Viel- geschmähte, unserem zuchtlosen Geschlecht ans Herz gelegt hat: die un- geheure rassenhygienische Verantwortung des einzelnen gegenüber seinem Volke. Man denkt unwillkürlich an das schöne Wort eines kongenialen Freundes, des Philosophen Heinrich von Stein: „Hüte dich, gedenke des Sohnes, den du zeugst!“ Wenn es doch alle Ehegatten recht ernst nehmen wollten mit der Pflicht der Selbstprüfung und Selbstzucht, die ihnen Nietzsche einschärft mit den Worten: „Bist du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen darf? ... Ueber dich sollst du hinausbauen. Aber erst mußt du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.“ Wieviel Kinderelend wäre unserem Volke erspart geblie- ben, wenn man diese Mahnung beherzigt hätte! Die meisten müßten sich eigentlich erst einmal belehren lassen über den Zweck der Ehe. Nietz- sche sagt darüber (Wille zur Macht, Abschn. 732): „Bei der Ehe im adeligen, altadeligen Sinne des Wortes handelte es sich um Züchtung einer Rasse, also um Aufrechterhaltung eines festen, bestimmten Typus herrschender Menschen: diesem Gesichtspunkt wurde Mann und Weib geopfert. Das Interesse eines Geschlechtes zunächst entschied, und über ihm der Stand. "an Die Wertschätzung des altadeligen Eheideals halt ihn aber nicht ab, ein sehr zeitgemäßes Programm „Zur Zukunft der Ehe“) aufzustellen: Eine Steuer-Me hrbelastung (bei Erb- schaften), auch Kriegsdienst-Mehrbelastung der Junggesellen von einem bestimmten Alter an und anwachsend (innerhalb der Gemeinde); Vorteile aller Art für Väter, welche reichlich Knaben in die Welt setzen: unter Umständen eine Mehrheit von Stimmen (beim Wahlrecht);

42) a. a. O. S. 307f. 18) Wille zur Macht, Abschn. 732. 14) Wille zur Macht, Abschn. 738.

Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene. 389

ergänzend füge ich hier folgende Stelle ein, Taschen-Ausg. Bd. 3, S. 336: „Wenn der Mensch keine Söhne hat, so hat er kein volles Recht, über die Bedürfnisse eines einzelnen Staatswesens mitzureden. Man muß selber mit den Andern sein Liebstes daran gewagt haben: das erst bindet an den Staat fest; man muß das Glück seiner Nachkommen ins Auge fassen, also vor allem Nachkommen haben, um an allen Institutionen und deren Veränderung rechten natürlichen Anteil zu nehmen.“) Ein ärztliches Protokoll, jeder Ehe vorangehend und von den Gemeindevorständen unterzeichnet: worin mehrere bestimmte Fragen seitens der Verlobten und der Aerzte beantwortet sein müssen („Familiengeschichte“); als Gegenmittel gegen die Prostitution (oder als deren Verede- lung): Ehen auf Frist, legalisiert (auf Jahre, auf Monate), mit Garantie für Kinder.“

Wenn diese Vorschläge zum Teil auch von zweifelhaftem Werte sein dürften, so ist ihre Absicht doch jedenfalls eine rassenhygienische. Man vergleiche damit folgende Leitsätze der Deutschen Gesell- schaft für Rassenhygiene: Regelung des Erbrechts im Sinne der Schaffung kinderreicher Familien; wirtschaftliche Förderung genügend kinderreicher Familien durch Gewährung von wesentlichen Erziehungs- beiträgen; obligatorischer Austausch von Gesundheitszeugnissen vor der Eheschließung. Man denke an die bereits eingeführte Steuerermäßigung für Kinderreiche, an die hauptsächlich in Amerika eingeführten eugeni- schen Gesetze gegen die Heirat mit ansteckend Kranken, Geisteskranken und Fürsorgebedürftigen. Auch die Probeehe, die Nietzsche im Zara- thustra, „Von alten und neuen Tafeln“, empfiehlt, ist wieder befürwortet worden (z. B. von der Enkeltochter des Dichters Longfellow, Frl. Delia Dana). Nietzsche gebührt jedenfalls das Verdienst, daß er mit aller Schärfe die biologische und hygienische Seite der Ehe in den Vordergrund gerückt hat, mag auch die geistig-sittliche darüber etwas zu kurz gekommen sein.

Wir knüpfen hieran die Betrachtung einzelner rassenhygienisch be- deutsamer Ideen und Anschauungen Nietzsches, die sich, dem aphori- stischen Gepräge seiner Philosophie gemäß, nicht in einen systematischen Zusammenhang bringen lassen. Ich stelle eine physiognomische Beobach- tung Nietzsches voran, die von der heutigen Rassenhygiene wiederholt, wenn auch nicht sicher bestätigt worden ist, die Korrelation (der Zu- sammenhang) zwischen Häßlichkeitundgeistigem Tiefstand einerseits und Schönheit und Intelligenz andererseits. In Sokrates sah Nietzsche") wegen seiner abstoßenden Häßlichkeit (Atopie) eine pöbelhafte Erscheinung des Niedergangs, während er" in der Schönheit

u 15) Vgl. Götzendämmerung, Kapitel „Das Problem des Sokrates“, Abschn. 3. 16) Götzendämmerung, Kapitel „Streifzüge eines UnzeilgemaBen", Abschn. 47.

390 E. Kirchner:

einer Rasse oder Familie, ihrer Anmut und Güte in allen Gebärden das glück- liche Ergebnis einer langen, mühseligen Leibeszucht erblickt. Sieht man von zwei Fehlern ab, an denen diese Ansicht krankt, nämlich von der unge- rechten Geringschätzung des Nietzsche verhaßten „Rationalisten“ So- krates, der nach dem Zeugnis seiner Zeitgenossen einen unbeschreiblichen Zauber auch in seinem äußeren Wesen hatte, und von dem naiven Glauben an die Vererbung erworbener Schönheit, so bleibt als richtiger Kern die zutrefiende Beobachtung, daß hohe geistige Veranlagung sich meist in einem gefälligen harmonischen Aeußern, besonders im Gesicht widerspiegelt. Schädelform, Ausdruck des Auges, Symmetrie der Glieder, Wuchs und Ge- stalt sind mit bedingt durch den geistigen Habitus des Menschen. „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“ Besonders den Typus des vornehmen Menschen hat Nietzsche mit seinem Scharfblick im Verkehr mit vielen Adelsmenschen studiert: „Das vornehme Aussehen entsteht dadurch, daß der Körper, mehrere Geschlechter hindurch, Muße hatte, um allen An- forderungen des Stolzes gemäß sich zu bewegen, nicht also durch die Be- wegungen des Handwerks oder, um gemeinen Gesellen zu befehlen, ge- zwungen oder gewöhnt wurde, gemeine und erniedrigende Gesten oder Töne hervorzubringen: gemein, d. h. nicht unserm Individuum und seinem Stolze angemessen.“

Auch die Behauptung, daß im Reichtumder Ursprungeines Geburtsadels liegt, findet seine Bestätigung durch rassenbiolo- gisches Beobachtungsmaterial. Nietzsche erklärt: „Der Reichtum er- zeugt notwendig eine Aristokratie der Rasse, denn er gestattet die schönsten Weiber zu wählen, die besten Lehrer zu besolden, er gönnt dem Menschen Reinlichkeit, Zeit zu körperlichen Uebungen, und vor allem Abwendung von verdumpfender, körperlicher Arbeit. Somit verschafft er alle Bedingungen, um in einigen Generationen die Menschen vornehm und schön sich be- wegen, ja selbst handeln zu machen: Die größere Freiheit des Gemüts, die Abwesenheit des Erbärmlich-Kleinen, die Erniedrigung vor Brotgebern, der Pfennig-Sparsamkeit. Gerade diese negativen Eigenschaften sind das reichste Angebinde des Glücks für einen jungen Menschen, ein ganz Armer richtet sich gewöhnlich durch Vornehmheit der Gesinnung zugrunde, er kommt nicht vorwärts und erwirbt nichts, seine Rasse ist nicht lebens- fähig.“

Vorbedingung der Stärkung und Vervollkommnung des Menschen- geschlechts, die Nietzsche ersehnte, sind starke und gesunde Mütter. Diese lassen sich aber nicht auf dem Wege der Frauenemanzipation, ins- besondere des Frauensiudiums heranbilden. Nietzsche ver- urteiltdiesesganzentschieden''): „Um alles in der Welt nicht noch unsre Gymnasialbildung auf die Mädchen übertragen! Sie, die häufig

17) Vgl. Elisabeth Förster-Nietzsche: Der einsame Nietzsche, S. 403 ff.

Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene. 391

aus geistreichen, wißbegierigen, feurigen Jungen Abbilder ihrer Lehrer macht! .... Genau weil ich eine höhere und tiefere, auch wissenschaft- lichere Auffassung des Weibes habe als die Emanzipatoren und Emanzi- patricen desselben, wehre ich mich gegen die Emanzipation: ich weiß besser, wo ihre Stärke ist, und sage von ihnen: „sie wissen nicht, was sie tun.“ Sielösenihrelnstinkte auf mit ihren jetzigen Bestrebungen.“ Er befürchtet infolge des Eindringens des Feminismus in Kunst, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft eine schlimme Gefahr für unsere Kultur, Wir können diese Stellungnahme Nietzsches gegen das Mädchenstudium vom rassenhygienischen Standpunkt aus nur billigen und verweisen auf die gleichgerichteten Ausführungen in dem vorzüglichen Vortrag von M. von Gruber!) Madchenerziehung und Rassenhygiene (bes. S. 13f. 23). Leider verhallen die Warnungen dieses berufenen Führers im: Winde. Seit der letzten Universitatsstatistik bereiteten sich 1027 Frauen allein auf den Beruf der Studienratin vor, abgesehen von 677 mit unbe- stimmtem Berufsziel. Wieviel Nervenkraft opfern diese femmes savantes schon vor Erlangung einer Berufsstellung, die immer aussichtsloser wird! Das Gefühl für das Glück der Mutterschaft geht auf diese Weise verloren. Die volkserzieherische Bedeutung der künstlerischen Verklärung des Mutteridealshat Nietzsche auch schon in einer feinen Be- merkung über die Sixtina gewürdigt, indem er sagt: „Hier wollte Raffael einmal eine Vision malen; aber eine solche, wie sie edle junge Männer ohne „Glauben“ auch haben dürfen und haben werden, die Vision der zukünftigen Gattin, eines klugen, seelisch vornehmen, schweigsamen und sehr schönen Weibes, das ihren Erstgeborenen im Arme trägt... wir Jüngeren wollen es mit dem schönen Mädchen zur Rechten halten, welche mit ihrem auffordernden, durchaus nicht devoten Blicke den Betrachtern des Bildes sagte: „Nicht wahr? Diese Mutter und ihr Kind das ist ein angenehmer, einladender Anblick?“

In dm Kampf gegen den Alkoholismus ist Nietzsche seiner Zeit vorausgeeilt. Noch im „Willen zur Macht“ (Abschn. 49) geißelt er unter den Arten erworbener Erschöpfung den Alkoholismus und das deutsche Erholungsbedürfnis, das aus der widrigen Reizung und Ueber- reizung durch Alkoholika kommt.

Bisher haben wir den Anschauungen Nietzsches, soweit sie in rassenhygienisches Gebiet einschlagen, meist zustimmen können. Es finden. sich aber auch in seinen Schriften. Gedankengänge, auf denen wir ihm nicht folgen können. Zu diesen gehört eine wichtige Prinzipienfrage, seine Theorie über das Wesen der Decadence (Entartung). Ich muß sie hier ausführlich mit seinen eigenen Worten entwickeln, die sich in den Abschnitten 38—54 des „Willens zur Macht" finden: „Die Rasse

18) Vgl. auch Sellheim: Das Geheimnis vom Ewigweiblichen, S. 44 ff.

392 E. Kirchner:

E E eS e

ist verdorben nicht durch ihre Laster, sondern ihre Ignoranz: sie ist verdorben, weil sie Erschöpfung nicht als Erschöpfung verstand: die physiologischen Verwechslungen sind die Ursachen alles Uebels (54).“ „Die nihilistische Bewegung ist nur der Ausdruck einer physiologischen Decadence (38).“ ,Décadence ist die Gesamt- Abirrungder Menschheitvonihren Grundinstinkten (39). Sie ist „eine notwendige Konsequenz des Lebens, des Wachstums im Leben“ (40), ein natürlicher Verfallsprozeß. Zu be- kämpfen an ihr ist nur „die Einschleppung des Contagiums in die ge- sunden Teile des Organismus (41). „Was man bisher als Ursachen der Degeneration ansah, sind deren Folgen... die Krankheit Krankhaftigkeit; das Cölibat die Sterilität; der Hysterismus die Willensschwäche; der Alkoholismus.“ (42). „Die Krankheiten, vor allem die Nerven- und Kopfkrankheiten, sind Anzeichen, daß die Defensiv-Kraft der starken Natur fehlt“ (43). „Was sich vererbt, das ist nicht die Krankheit, sondern die Krankhaftigkeit: die Urkraft im Widerstande gegen die Gefahr schädlicher Einwanderungen ... Gesundheit und Krankheit sind nichts wesentlich Verschiedenes, wie es die alten Mediziner und heute noch einige Praktiker glauben ... Tat- sächlich gibt es zwischen diesen beiden Arten des Daseins nur Gradunter- schiede. Die... Nichtharmonie der normativen Phänomene konstituiert den krankhaften Zustand (Claude Bernard).“ (47). „Erworbene, nicht ererbte Erschöpfung: 1.) unzureichende Ernährung, oft aus Unwissenheit über Ernährung, z. B. bei Gelehrten; 2.) die erotische Präcocität: der Fluch vornehmlich der französischen Jugend, der Pariser voran, welche aus dem Heim bereits verhunzt und beschmutzt in die Welt tritt und nicht wieder von der Kette verächtlicher Neigungen loskommt, gegen sich selbst ironich und schnöde Galeerensklaven, mit aller Ver- feinerung (übrigens in den häufigsten Fällen bereits Symptome der Rassen- und Familien-Decadence wie alle Hyper-Reizbarkeit; insgleichen als Con- tagium des Milieus: auch bestimmbar zu sein durch die Umgebung, gehört zur Decadence); der Alkoholismus, nicht der Instinkt, sondern die Ge- wöhnung, die stupide Nachahmung, die feige oder eitle Anpassung an ein herrschendes Regime.“ (49.) „Nicht die Natur ist unmoralisch, wenn sie ohne Mitleid für die Degenerierten ist: das Wachstum der physio- logischen und moralischen Uebel im menschlichen Geschlecht istumgekehrtdie Folgeeiner krankhaften und unnatürlichen Moral. Die Sensibilität der Mehrzahl der Menschen ist krankhaft und unnatürlich. Woran hängt es, daß die Mensch- heit korrupt ist in moralischer und physiologischer Beziehung? Der Leib geht zugrunde, wenn ein Organ alteriert ist ... Es gibt keine Soli- darität in einer Gesellschaft, wo es unfruchtbare, unproduktive und zer- störerische Elemente gibt, die übrigens noch entartetere Nachkommen

Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene. 393

haben werden, als sie selbst sind.“ (52.) In diesen Sätzen steckt manches Richtige: daß auch in einem blühenden Geschlecht allzeit degenerative Tendenzen am Werke sind, daß die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit fließend ist, daß manche Krankheiten Symptome der Degene- ration sind, daß Anfälligkeit und gebrochene Leiblichkeit auf ein schlei- chendes Erbübel schließen lassen. Sehr anfechtbar aber ist die Grund- anschauung, daß die Entartung die direkte Folge einer krankhaften Moral sei, und daß die vermeintlichen Ursachen der Decadence in Wahrheit deren Folgen seien. Hier spürt man wieder die Theorie des Willens zur Macht, die durch Systemzwang die Tatsachen in ihrem Sinne deutet. Die De- generation hat immer biologische Ursachen. Die Auslese, das Aus- sterben der Besten, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die eigentlich erbändernden (idiokinetischen) Einflüsse sind noch viel zu wenig bekannt, um ein sicheres Urteil über die Tragweite zu fällen. Nietzsche als Lamarckist stellt offenbar im stillen auch die para- kinetischen Einflüsse der Zivilisation mit in Rechnung, die doch bloß den einzelnen betrefien, aber für die Vererbung belanglos sind. Endlich ist die Analogie zwischen den Verfallserscheinungen des Einzelwesens und denen eines Volkes fehlerhaft. Ein Volk ist ein gemischter Bestand, dessen Zu- sammensetzung durch Auslese geändert werden kann und das sich als Ganzes eine generative Unsterblichkeit sichern kann, während das Indi- viduum dem sicheren Tode verfällt.

Anfechtbar ist ferner das von Nietzsche aufgestellte Ideal des gebildeten Europäers, der über der Rasse steht: „Wozu soll der Mensch‘ als Ganzes und nicht mehr ein Volk, eine Rasse ge- zogen und gezüchtet werden?“ fragt er" Damit über den Schranken der Nationen stehende, die Jahrhunderte überragende zukünftige Herren der Erde entstehen, Verkörperungen des höchsten Typus Mensch. An einer Stelle des „Antichrist“ (Nr.19) ahnt Nietzsche das Richtige, wenn er schreibt: „daß die starken Rassen des nördlichen Europa den christlichen Gott nicht abgestoßen haben, macht ihrer religiösen Begabung wahrlich keine Ehre. Mit einer solchen krankhaften und altersschwachen Ausgeburt der Decadence hätten sie fertig werden müssen.“ Das Ideal des Herren- menschentums birgt noch andere Gefahren in sich. Nietzsche sieht in den „Vielen, Allzuvielen“ eine überflüssige, mißratene Masse und den Um- weg, auf dem die Natur zu einzelnen wenigen höchsten Exemplaren ge- langt. Gewiß ist die Masse des niederen Proletariats eine furchtbare Gefahr für unsere Kultur, und Nietzsche unterschätzt sogar die Gefahr des Unterliegens einer dünneren Oberschicht, und er verkennt die Sinnlosigkeit der Herrschaft weniger, die zum Aussterben verurteilt sind. Der Rassenhygieniker ist gegen dieses Trugideal gefeit

19) Wille zur Macht IV, Abschn. 937.

394 os E. Kirchner:

durch die furchtbare Tatsache des Untergangs der Antike. Der Philologe Nietzsche hat übersehen oder noch nicht gewußt, daß die Hellenen, be - sonders die Spartaner, sowie die Römer durch die Geburtenverhütung in den besten Familien untergegangen sind. Die Rasse der Edlen muß auch zahlenmäßig stark sein, um sich durchzusetzen. Nietzsche räumt den Uebermenschen das brutale Recht des Stärkeren ein. Die Rassenhygiene sieht gerade in den sozial veranlagten, vordenklichen Menschen die wertvollsten Exemplare, die zur Höherbildung der Gesell. schaft beitragen. Der Starke schont sich in dem unvermeidlichen Kampfe um die Herrschaft am wenigsten und verfällt so der verhängnisvollen Gegenauslese. Prüfen wir endlich die Motive und Quellen der rassenhygienisch wertvollen Ideen Nietzsches. Er hatte von Haus aus ein feinfühliges Verständnis für die Macht der Vererbung, und dieser Sinn wurde bestärkt durch die Familien- tradition im Hause Nietzsche. Seine Schwester beginnt seine Biographie?) mit den Worten: „Da mein Bruder auf gute Herkunft so großen Wert legte und behauptet hat, daß alle Tugend und Tüchtigkeit an Leib und Seele durch Generationen hindurch mühsam und im kleinen durch viel Fleiß, Selbstbezwingung, Beschränkung auf Weniges, durch viel zähe, treue Wiederholung der gleichen Arbeiten erworben sei, so kann man sich denken, mit welcher Dankbarkeit und Verehrung er auf unsere Vor- fahren und ihren Reichtum in Tugenden zurückblickte und wie er sich in allem Tüchtigen demütig nur als deren Erben empfand.“ Seine musikalische Begabung ist ein Erbstück seines hochbegabten Vaters. Ueberraschend ist an ihm, dem Sproß eines Theologengeschlechtes, der fanatische Haß gegen das Christentum, und doch spürt man die Pietät gegen die Ahnen auch in dieser Hinsicht noch aus manchen Worten im Zarathustra und im „Willen zur Macht“. Jedenfalls ist Nietzsche aus ureigenem Erleben heraus, im Vollbesitz eines herrlichen Geisteserbes, zu der Erkenntnis der Be- deutung der Vererbung gelangt. Zu dem Sinn für Familientradition ge- sellte sich in ihm ein aristokratischer Zug, der sich zum Haf gegen das pöbelhafte Zeitalter und die Demokratie steigerte. Aus diesem Zug entsprang sein Gedanke der Züchtung einer Edelrasse und sein rück- sichtsloser Kampf gegen alles Kleinliche, Schwächliche und Gemeine, gegen das wuchernde Unkraut auf dem Acker der Menschheit.

Auch das Studium der Alten lehrte ihn den Wert der Rasse schätzen. In dem Abschnitt der „Götzendämmerung‘“, „Was ich den Alten verdanke", bekennt er sich zu dem vorsokratischen Griechentum, dessen prachtvoll geschmeidige Leiblichkeit, agonale Instinkte und unbändigen Willen zur Macht er rühmt. Unter dem Dionysischen, einem seiner Lieb- lingsgedanken, versteht er den höchsten Instinkt des Lebens, der zur Ewig-

20) Der junge Nietzsche, S. 3.

Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene.

keit des Lebens drängt, durch: die (symbolisch dargestellte) Zeugung. Rein physiologisch ist diese Auffassung sehr problematisch, aber sie be- fruchtete seine aufrüttelnde Verkündigung von der Macht und dem Wert aller lebensbejahenden Instinkte. Von Plato, dem ungerecht von ihm Be- fehdeten, hat er den Ausdruck „rechtwinklig an Leib und Seele“ (körperlich und geistig harmonisch entwickelt) entlehnt. In den großen Helden des Altertums, Alexander und Cäsar, sah er die Prototypen seines Ueber- menschen.

Die Kehrseite seiner Bewunderung des klassischen Altertums ist sein Haß gegen das Christentum. In seiner wütendsten Streitschrift Segen dasselbe heißt es (Antichrist, Abschn. 51): „Das Christentum hat die Krankheit nötig, ungefähr wie das Griechentum den Ueberschuß von Ge- sundheit nötig hat, krank machen ist die eigentliche Hinterabsicht des ganzen Heilsprozeduren-Systems der Kirche“. Der religiöse Mensch, wie ihn die Kirche will, ist ein typischer Decadent; der Zeitpunkt, wo eine religiöse Krisis über ein Volk Herr wird, ist jedesmal durch Nerven-Epidemie gekennzeichnet; die „innere Welt“ des religiösen Men- schen sieht der „inneren Welt“ der Ueberreizten und Erschöpften zum Verwechseln ähnlich. Die „höchsten“ Zustände, welche das Christentum als Wert aller Werte über der Menschheit aufgehängt hat, sind epileptoide Formen. Wir, die wir den Mut zur Gesundheit und auch zur Verach- tung haben, wie dürfen wir eine Religion verachten, die den Leib miß- verstehen lehrte! . . . Die aus der unzureichenden Ernährung ein Verdienst macht! Die in der Gesundheit eine Art Feind, Teufel, Verführung be- kämpft! Die sich einredete, man könne eine „vollkommene Seele“ in einem Cadaver von Leib herumtragen, und dazu nötig hatte, einen neuen Begriff der „Vollkommenheit“ sich zurecht zu machen, ein bleiches, krankhaftes, idiotisch „schwärmerisches Wesen, die sogenannte „Heiligkeit“, Heilig- keit, selbst bloß eine Symptomen-Reihe des verarmten, entnervten, unheil- bar verdorbenen Leibes! Die christliche Bewegung drückt nicht den Nie- dergang einer Rasse aus, sie ist eine Aggregatbildung sich zusammen- drängender und sich suchender Décadence-Formen von Ueberall ... In der Zeit, wo die kranken, verdorbenen Tschandala-Schichten im ganzen Imperium sich christianisierten, war gerade der Gegentypus, die Vornehm- heit, in ihrer schönsten und reifsten Gestalt vorhanden. Die große Zahl wurde Herr; der Demokratismus der christlichen Instinkte siegte... Das Christentum war nicht „national“, nicht rassebedingt, es wendete sich an jede Art von Enterbten des Lebens, es hatte seine Ver- bündeten überall. Das Christentum hat die Ranküne der Kranken auf dem Grunde, den Instinkt gegen die Gesunden, gegen die Gesundheit ge- richtet.“ In dem verwandten Abschnitt 21 heißt es über das Christentum: „Hier wird der Leib verachtet, die Hygiene als Sinnlichkeit abgelehnt, die

396 E. Kirchner: Nietzsches Lehren im Lichte der Rassenhygiene.

Kirche wehrt sich selbst gegen die Reinlichkeit (die erste christliche Maß- regel nach Vertreibung der Mauren war die Schließung der öffentlichen Bäder, von denen Cordova allein 270 besaß). Die höchstbegehrten, mit den höchsten Namen bezeichneten Zustände sind Epilepsoiden; die Diät wird so gewählt, daß sie morbide Erscheinungen begünstigt und die Nerven überreizt.“

Oder man vergleiche folgende Stellen: Antichrist 69: „Der deutsche Adel fehlt beinahe in der Geschichte der höheren Kultur: man errät den Grund Christentum, Alkohol.“ Wille zur Macht 246: „Das Christen- tum ist das Gegenprinzip gegen die Selektion.“

Kurz, Nietzsche sieht im Christentum eine lebensfeindliche, rassc- verderbende, weltvergiftende Macht. Er hatte im wesentlichen das Ur- christentum und den asketischen Katholizismus des Mittelalters im Auge. Tatsächlich war die mönchisch-asketische Lebensweise gesundheitsschäd- lich, und einer ihrer Anhänger, Blaise Pascal, hat den ominösen Aus- spruch getan: „Des Christen rechter Zustand ist die Krankheit.“ Obwohl Nietzsches Einstellung gegen das Christentum in mannigfacher Hin- sicht ungerecht ist, hat sie doch dazu beigetragen, in ihm den Sinn für das Ideal des gesunden starken Lebens zu wecken. Den geistig überanstreng- ten, nervenkranken Nietzsche zog der natürliche Gegensatz des Ungesunden, Unverbildeten, Derbrobusten an. Die schmerzliche Tragik des eigenen Krankheitszustandes ließ ihn den Wert der Gesundheit und alles dessen, was ihrer Erhaltung dient, doppelt hoch schätzen.

Aber wenn Nietzsche auch in einzelnen biologischen Fragen irrte, Grundgedanke und Zweck seiner Philosophie berühren sich innig mit den Prinzipien der Rassenhygiene. Das Hauptthema seiner Lehre ist das Leben, ja das ewige Leben in der phantastischen Formel der ewigen Wiederkunft. Und sein Ziel ist die Schaffung einer Edelrasse, eines neuen, höchsten, starken Menschentums. Ein Zukunftstraum ist seine höchste Weisheit: „So liebe ich allein noch meiner Kinder Land, das unentdeckte, im fernsten Meere, nach ihm heiße ich meine Segel suchen und suchen. An meinen Kindern will ich es gut machen, daß ich meiner Väter Kind bin: und an aller Zukunft diese Gegenwart!” Dienst am Geschlecht der Zukunft ist auch die Arbeit der Rassenhygiene. Der Philosoph soll nicht ein theore- tischer Lehrer der Menschheit, sondern ein Gesetzgeber, ein Schöpfer neuer Werte sein.

Kleinere Mitteilungen.

Erhalten die begabten Familien Kaliforniens ihren Bestand ?

Von Prof. Dr. Fritz Lenz.

In seinem hervorragenden Werk „Genetic Studies of Genius“*) gibt Pro- fessor L. M. Terman von der Stanford-Universität dankenswerterweise auch Zahlen über die Kinderzahl jener Familien, aus denen die von ihm unter- suchten, besonders begabten Kinder stammen. In 91 Familien, deren Fortpflan- zung als abgeschlossen betrachtet werden konnte, verteilten sich die Kinder- zahlen folgendermaßen:

a Kinderzahl: 123 4 5 6 7 8 9 10 11 Zahl der Familien: 9 22 16 11 7 7 3 2 2 2

Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Kinderzahl von 3,40 in diesen Fa- milien. Da die Kinder schon alle über das Säuglingsalter hinaus sind, reicht die Fortpflanzung dieser Familien gerade ungefähr zur Erhaltung der Zahl aus. Es wäre aber ein verhängnisvoller Trugschluß, wenn man daraufhin annehmen würde, daß die begabten Familien in Kalifornien im Durchschnitt ihren Bestand erhielten. Die von Terman erfaßten Familien stellen nämlich eine Auslese nach überdurchschnittlicher Kinderzahl dar.

Zunächst ist ohne weiteres klar, daß kinderlose Ehen auf diesem Wege über- haupt nicht erfaßt werden konnten; denn aus einer kinderlosen Ehe können begabte Kinder natürlich nicht stammen. Nach einer Aufstellung von Cattell‘) scheinen in Amerika etwa 17% aller Ehen kinderlos zu bleiben, also ein recht beträchtlicher Prozentsatz, Aber auch wenn man von den kinderlosen Ehen ab- sieht, erhält man, ausgehend von den Kindern, eine Auslese von Familien, die von dem Durchschnitt in der Richtung auf eine größere Kinderzahl abweicht. Ein gedachtes Beispiel wird das leicht klarmachen. Angenommen, eine Bevölkerung bestehe zu gleichen Teilen aus Ehen mit zwei und Ehen mit vier Kindern. Dann ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Ehe 3. Aus den Ehen mit vier Kindern stammen im ganzen aber doppelt so viele Kinder als aus denen mit zwei Kindern. Wenn man von irgendwelchen Kindern aus ein Stichprobenmaterial zusammen- trägt, so werden darin also doppelt so viele Familien mit vier Kindern als mit zwei Kindern sein, obwohl der Annahme gemäß in der Bevölkerung beide Sor-

*) Vgl. die Mitteilung in Nr. 2, S. 180 ff. 1) J. McK. Cattell: Families of American men of science. 3. Vital Statistics and composition of families. Science Monthly. Vol. 5 (1917).

398 Kleinere Mitteilungen.

ten von Familien gleich häufig vertreten sind. Aus dem Stichprobenmaterial erhält man nun eine durchschnittliche Kinderzahl von 3,33, obwohl der wahre Durchschnitt der Kinderzahl 3,0 beträgt.

Gesamtbevölkerung ` ` Stichprobenmaterial

150 Familien mit je 2 Kindern 10 Familien mit je 2 Kindern haben zusammen . . 300 Kinder haben zusammen . . . 20 Kinder

150 Familien mit je 4 Kindern 20 Familien mit je 4 Kindern . haben zusammen . . 600 Kinder haben zusammen . . .80Kinder

Summe der Kinder 900 Kinder Summe der Kinder 100 Kinder Kinderzahl pro Ehe 900: 300 3,00 Kinderzahl pro Ehe 100:30 = 3,33

Eine aus ähnlichem Stichprobenmaterial berechnete Kinderzahl bedarf also einer ‘Korrektur, wie Weinberg?) in Deutschland und Cattell in den Ver- einigten Staaten gezeigt haben. Wenn man aus dem Stichprobenmaterial Ter- mans auf die durchschnittliche Kinderzahl der begabten Familien in Kalifor- nien schließen will, so ist also eine Umrechnung nötig. Da die Wahrscheinlich- keit für jede Familie, in das Stichprobenmaterial hineinzukommen, proportional der Kinderzahl ist, muß man die Anzahl der Familien durch die Zahl der Kin- der dividieren, um eine entsprechende Zusammensetzung des Materials wie in der Gesamtheit aller fruchtbaren Ehen zu bekommen. Das ist in Spalte 3 der folgen- den Tabelle ausgeführt. Die Summe dieser Zahlen ist 41,73. Wenn man die Zahl der Familien (91) durch diese Summe der Zahlen von Spalte 3 dividiert, so er- hält man, wie sich leicht zeigen läßt, die durchschnittliche Kinderzahl jener Ehen gleicher Art, die überhaupt Kinder haben; in unserem Falle ergibt sich 2,18.

o

Kinderzahl Zahl der Familien 2:1 l

1 19 19,00 2 22 11,00 3 16 5,33 4 11 2,75 5 7 1,40 6 7 1,17 7 3 0,43 8 2 0,25 9 2 0,22 10 0 0,00 11 2 0,18 Summen: 91 41,73

91: 41,73 = 2,18. Zur Begründung der Berechnung sei noch folgendes bemerkt: Die Sum- manden der Spalte 3 geben die Verteilung der Familien von verschiedener Kinder-

2) W. Weinberg: Das mathematische Prinzip der scheinbaren Ueberfrucht- barkeit der Eltern ausgelesener Kinder. Zeitschr. für soziale Medizin, 1909. W. Weinberg: Die rassenhygienische Bedeutung der Fruchtbarkeit. Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Bd. 7, 1910.

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_ Kleinere Mitteilungen. 399

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zahl auf eine Gesamtzahl von 41,73 Familien an. Um die entsprechende Ver- teilung auf 91 Familien zu berechnen, könnte man so vorgehen, daß man alle Summanden mit 2,18 multiplizieren würde; die Summe der Produkte würde dann natürlich 91 ergeben. Um die durchschnittliche Kinderzahl der Ehen zu berech- nen, hätte man dann jedes Produkt mit der zugehörigen Kinderzahl zu multi- plizieren und die Summe der erhaltenen Zahlen durch 91 zu dividieren. Da man zuerst, um Spalte 3 zu erhalten, durch die jeweilige Kinderzahl dividiert hat und später wieder damit zu multiplizieren hätte, was sich gegenseitig aufhebt, kann man sich diese Multiplikation ersparen. Weiter kann man sich auch die Multi- plikation der Produkte mit 2,18 ersparen, da auch diese Multiplikation durch die nachfolgende Division wieder aufgehoben wird. Das heißt aber: die Summe der Zahlen von Spalte 2 (Gesamtzahl der Familien) dividiert durch die Summe der Zahlen von Spalte 3 (reduzierte Zahl der Familien) ergibt ohne weiteres die ge- suchte durchschnittliche Kinderzahl. Damit haben wir eine außerordentlich ein- fache Methode gewonnen, um von der Kinderzahl einer von den Kindern aus aus- gelesenen Gruppe von Familien auf die Kinderzahl der Gesamtheit der Familien der gleichen Schicht zu schließen.

Die Zahl 2,18 ist zwar bedeutend geringer als die dur: hschnittliche Kinder- zahl der ausgelesenen Familien; sie gibt (aber immer noch) ein zu ginstiges Bild von der Fortpflanzung der begabten Familien, da sie die durchschnittliche Kinder- zahl nur jener Familien angibt, die überhaupt Kinder haben. Es müssen noch ‚jene Ehen berücksichtigt werden, die kinderlos bleiben. Nehmen wir dafür gemäß Cattells Aufstellung 17% an, so würden die 91 fruchtbaren Ehen auf eine Gesamtzahl von 110 Ehen zu beziehen sein, von denen 19 —17% unfruchtbar wären. Die durchschnittliche Kinderzahl der Gesamtheit der Ehen ist dann

91 x 2,18: 110 = 1,80.

Daß mit einer durchschnittlichen Kinderzahl von 1,80 pro Ehe eine Bevölke- rungsgruppe ihren Bestand nicht mehr erhalten kann, liegt auf der Hand. Und doch gibt auch diese Zahl noch nicht ein zutreffendes Bild von der ungenügenden Fortpflanzung der begabten Familien. Es sind ja noch die dauernd ehelos blei- benden Individuen nicht berücksichtigt. Schätzt man diese auf 20 %, was für die begabten Familien Kaliforniens mit ihrem hohen Prozentsatz akademisch gebil- deter Frauen sicher nicht zu hoch gegriffen ist, so erhält man auf einen Mann bzw. auf eine Frau aus den begabten Familien Kaliforniens eine Kinderzahl von 1,44.

198,38 : 138 1,44.

Da zur Fortpflanzung zwei Individuen gehören (ein Mann und eine Frau), so erzeugen zwei Menschen in jener Schicht also im Durchschnitt nur 1,44 Kinder bzw. ein Individuum (ohne Rücksicht auf sein Geschlecht) nur 0,72. Das heißt aber: die begabten Familien Kaliforniens sind in raschem Aussterben begriffen.

Ich habe die entsprechenden Berechnungen auch für die Familien der Eltern der begabten Kinder ausgeführt, und zwar für die Familien der Väter und der Mütter getrennt.

Auch hier wurden wieder 17 % dauernd unfruchtbare Ehen angenommen, was für die Familien der Väter 17 auf 102 und für die Mütter 18 auf 106 macht. Den Prozentsatz der dauernd Ehelosen glaubte ich in der elterlichen Generation da-

4

400 Kleinere Mitteilungen.

Familien der Väter Familien der Mütter Kinderzahl Zahl: der Familien | 2:1 Kinderzahl | Zahl der Familien | 2:1 1,00 4,00 4,00 3,00 2,20 2,33 1,71 0,62 0,56 0,10 0,45 0,17

7 7,00 | 4,00 4,00

4,00 2,00 1,50 1,43 0,86 0,33 0,30 0,08 0,14 Ss 0,05

Summen: | 24,69

onan mr WN = on CD i, GA Mi Fa

Kinderzahl der Ehen mit Kindern 3,44

Kinderzahl einschl. SEN kinder- loser Ehen . . . » . . 2,87

Kinderzahl einschl. 10% Lediger 2,59

gegen nur auf 10% annehmen zu sollen, weil damals das Frauenstudium und die selbständige Ausübung geistiger Berufe durch Frauen noch weniger verbreitet war. Es ist vielleicht kein Zufall, daß die Familien der Mütter kinderreicher waren als die der Väter (4,37 gegen 3,44). Das könnte mit dem Umstande zu- sammenhängen, daß die Mädchen in den oberen Ständen in höherem Prozent- satz ehelos bleiben und daß die Ehefrauen daher häufiger aus einem weniger hohen und dafür kinderreicheren Stande stammen. Ob diese Erklärung notwen- dig ist, wird man erst beurteilen können, wenn mehr Material zum Vergleich der Kinderzahl in den Familien der Väter und denen der Mütter vorliegt.

Die Fruchtbarkeit der Ehen, welche in der elterlichen Generation noch 3,25 Kinder im Durchschnitt betrug, ist in einer einzigen Generation also auf 1,80, d. h. um 45 % heruntergegangen; und wenn man den erhöhten Prozentsatz dauernd eheloser Individuen in Rechnung stellt, so ist die Fruchtbarkeit der begabten Familien Kaliforniens sogar von 2,92 auf 1,44, d. h. um 51 % zurückgegangen. Selbstverständlich geht das Aussterben der begabten Familien in den übrigen Staaten der nordamerikanischen Union nicht weniger schnell; und auch bei uns in Europa steht es nicht besser.

Zum Schluß gebe ich noch eine übersichtliche Ausanumenstellung der be- rechneten Zahlen:

Familien der Familien der Familien der

Kinder Väter Mütter Kinderzahl der ausgelesenen Ehen 3,40 5,33 5,66 Kinderzahl aller fruchtbaren Ehen 2,18 3,44 4,37 Kinderzahl aller Ehen 1,80 2,87 3,63 Kinderzahl pro Frau 1,44 2,59 3,20

Kinderzahl pro Individuum 0,72 1,28 1.63

Kleinere Mitteilungen. 401

Die Ergebnisse der Intelligenzprüfungen im amerikanischen Heer.

Von Prof. Dr. F. Lenz.

In Anbetracht der großen Bedeutung der Intelligenzprifungen, welche die Amerikaner während des Weltkrieges an ihren Soldaten vorgenommen haben, möchten wir unseren Lesern einen etwas eingehenderen Bericht darüber geben. Wir stützen uns dabei auf die eingehende Darstellung des Psychologen Yerkes, der die Oberleitung der Untersuchungen hatte, im 15. Bande der Veröffentlichun- gen der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften. Die Verspätung unseres Berichtes erklärt sich daraus, daß uns das umfangreiche Werk von 890 Quart- seiten erst seit kurzer Zeit im Original zugänglich ist. Es trägt den Titel Psy- chological Examining in the United States Army, Edited by Robert M. Yerkes, und ist erschienen als Volume XV der Memoirs of the National Academy of Sciences in Washington 1921, Government Printing Office.

Zunächst einige Vorbemerkungen über die psychologischen Testprüfungen. Der Ausdruck „Test“ bezeichnete ursprünglich eine Probe zur Erkennung von Edelmetallen. Systematische Intelligenzprüfungen wurden zuerst von dem fran- zösischen Psychologen Binet vorgenommen, der zusammen mit seinem Mit- arbeiter Simon eine Methode dafür ausarbeitete und im Jahre 1908 eine auf empirischer Grundlage geeichte Skala zur Messung der Intelligenz verdffent- lichte. Diese Methode wurde später besonders von dem amerikanischen Psycho- logen Terman an der Hand großen empirischen Materials nachgeprüft und verbessert. Die derart verbesserte Methode wird gegenwärtig nach dem Wir- kungsorte Termans, der Stanford-Universität in Kalifornien, als Stanford- Binet-Methode bezeichnet. Für Kinder und junge Leute jeden Alters ist eine bestimmte Leistungshöhe auf Grund großen Erfahrungsmaterials als normal festgesetzt worden, und im Vergleich mit dieser Skala kann man nun für ein bestimmtes Individuum das „geistige Alter“ feststellen. Durch Division des geisti- gen Alters durch das Geburtsalter erhält man den sogenannten Intelligenzquotien- ten. Es hat sich gezeigt, daß die Intelligenz im allgemeinen nur bis zum 16. Le- bensjahr zunimmt, jedenfalls nicht über das 20. hinaus. Wenn die geistige Leistungsfähigkeit noch über dieses Alter hinaus zunimmt, so ist das auf Hin- zukommen von Wissen und Lebenserfahrung zurückzuführen. Die Intelligenztests dagegen sind auf die Erfassung der anlagenmäfßigen Intelligenz eingestellt, und der Einfluß des Wissens und der Bildung ist nach Möglichkeit ausgeschaltet.

Die Amerikaner haben im Kriege etwa 1700000 Soldaten, meist Rekruten, der Intelligenzprüfung unterzogen, um einerseits die wegen geistiger Schwäche Dienstuntauglichen auszusondern, andererseits möglichst jeden Soldaten an den ihm seiner Begabung nach zukommenden Platz stellen zu können, speziell auch, um geeignete Führer für verantwortungsvolle Stellen herauszufinden. In einem Bericht von Yoakum und Yerkes heißt es: „Alles das mußte so schnell wie möglich geschehen. Nie zuvor war die Geisteskraft im Gegensatz zur Muskel-

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 4. 26

402 Kleinere Mitteilungen.

kraft in der Kulturgeschichte von so hoher Bedeutung; nie zuvor war die richtige Anlage und Nutzbarmachung von Geisteskraft für den Erfolg so wesentlich.“

Von etwa 94000 weißen Rekruten wurden so genaue Aufzeichnungen ge- macht, daß diese als Unterlagen für die Feststellung allgemeiner Ergebnisse die- nen konnten. 13200 von diesen Rekruten waren außerhalb der Vereinigten Staa- ten geboren. Dazu kamen noch etwa 19 000 Farbige (Neger und Negermischlinge). Soldaten, welche die englische Sprache beherrschten, bekamen die sogenannten Alpha-Tests als Aufgaben, die übrigen die sogenannten Beta-Tests, welche keine Sprachkenntnis voraussetzen. Je nach der Zahl der richtigen Lösungen konnte ein mittels der Alphatests Untersuchter bis zu 212 Punkten erreichen, ein mit- tels der Betatests Untersuchter bis zu 118 Punkten. Auf Grund der Erfahrun- gen wurde festgestellt, welche Punktzahlen der beiden Testreihen jeweils dem gleichen Intelligenzgrade entsprachen. In der Tabelle 1 sind die verschiedenen Skalen nebeneinander gestellt. Außerdem wurde noch eine Einteilung in Intelli- genzklassen, die mit großen Buchstaben bezeichnet wurden, getroffen.

Tabelle 1.

Intelligenz- Alphatest Betatest Intelligenz- klasse alter

135 212 18,0 19,5 105 134 16,5 17,9

75 104 15,0 16,4 45 74 13,0 14,9 25 44 11,0 12,9 15 24 9,5 10,9 0—14 0,0 9,4

Die Klasse C bedeutet mittleren Durchschnitt, C+ guten Durchschnitt, C minderen Durchschnitt, B gute Begabung, A sehr gute Begabung, D schlechte und D sehr schlechte Begabung. Außerdem wurde noch eine Klasse E unter- schieden, welche die wegen geistiger Schwāche Dienstuntauglichen umfaßte. Die Verteilung der verschiedenen Intelligenzgrade über die weiße Bevölkerung der Vereinigten Staaten geht aus Tabelle 2 hervor:

Tabelle 2.

93973 Weiße | ail 8,0] 15,0| 25,0| 23,8 17,1| 7,0

18891 Neger (einschl. Mischlinge)

Eine gute bis sehr gute Begabung hätten danach 12 % der weißen Rekruten, eine schlechte bis sehr schlechte 24 %; oder anders ausgedrückt, nur 12 % der er- wachsenen Weißen würden ein „geistiges Alter“ von mehr als 16,5 Jahren haben, 24% dagegen ein solches von unter 9,5. Das durchschnittliche „geistige Alter“ der erwachsenen Weißen würde nur etwa 14 Jahre betragen. Dabei handelt es

Kleinere Mitteilungen. 403

sich ganz überwiegend um geborene Amerikaner, die, wie sich bei den Unter- suchungen ergeben hat, noch etwas über dem Durchschnitt der Eingewanderten stehen. Das heißt also, die Stanford-Binet-Norm ist nicht einfach nach dem Durch- schnitt aufgestellt, sondern es ist eine etwas höhere Begabung als „normal“ an- genommen, und dagegen ist meines Erachtens auch nichts zu sagen.

Man sieht aus Tabelle 2 zugleich, daß die Neger sehr viel schlechter ab- schneiden als die Weißen. Mehr als drei Viertel von ihnen wiesen schlechte oder sehr schlechte Begabung auf. Die besseren Begabungen würden unter ihnen offen- bar noch weniger vertreten sein, als die Tabelle zeigt, wenn nicht auch viele Mischlinge zu den Negern gerechnet wären. Zum größten Teil ist dieser weiße Bluteinschlag natürlich erst in Amerika in die Negerbevölkerung hineingekom- men; aber auch die Vorfahren der amerikanischen Neger haben vermutlich schon aus ihrer afrikanischen Heimat Einschläge orientalischen und mediterra- nen Blutes mitgebracht. Die Besetzung der höheren Intelligenzstufen unter den weißen Rekruten ist übrigens ziemlich sicher eine unterdurchschnittliche, da gegen 7% aller Gestellungspflichtigen als unabkömmlich: anerkannt und nicht eingezogen wurden; diese aber stellten unzweifelhaft eine positive Auslese nach geistiger Begabung dar.

Die Verteilung der Begabungsklassen unter den in Europa Geborenen zeigt Tabelle 3.

Tabelle 3.

Polen Schottland Schweden

Türkei

Rußland

Dänemark Deutschland England Griechenland Holland Irland Italien

1,2] 02 29| 0,6 8,4] 2,3

29,0 | 24,4

18,6| 9,1

26,2 | 40,0

DEI 54| 06] 3,3 13,2 | 23,4 Zahid.) 199| 325| 299| 411| 572| 140] 658 | 4007 2340| 146 | 691

Länder, aus denen weniger als 100 der Untersuchten stammten, sind nicht aufgenommen. Daher ist z. B. Frankreich nicht vertreten. Oesterreich ist in seinem Vorkriegsumfang gemeint. Allerdings kann die Verteilung der Begabung in den Heimatländern eine nicht unbeträchtlich andere sein als unter den Ein- wanderern; auch kann der Fehler der kleinen Zahl eine erhebliche Rolle spie- len. Das auffallend schlechte Abschneiden der Italiener und „Russen“ kann aber so nicht erklärt werden. Das schlechte Ergebnis bei den „Russen“ und „Polen“ ist um so auffallender, als es sich zum großen, vermutlich sogar zum größten Teil in Wirklichkeit um Juden handelt. Bei der Gelegenheit sei übrigens bemerkt, daß unter den Psychologen, welche die Untersuchung ausgeführt haben, fol-

26*

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404 Kleinere Mitteilungen.

gende Namen vertreten sind: Augenblick, Cohen, Goldberger, Katz, Kornhauser, Neifeld, Oppenheimer. Jedenfalls waren die Juden unter den Psychologen viel stärker vertreten als im Durchschnitt der amerikanischen Bevölkerung.

Nach dem Anteil an guten Begabungen einerseits und schlechten andercr- seits ergibt sich folgende Reihenfolge der Herkunftsländer:

Tabelle 4. Au. Bin % D, D— u. Ein % England 19,7 England 8,7 Schottland 13,0 Holland 9,2 Holland 10,7 Danemark 13,4 Deutschland 8,3 Schottland 13,6 Danemark 5,4 Deutschland 15,0 Schweden 43 Schweden 19,4 Norwegen 41 Belgien 24,0 Irland 4,1 Norwegen 25,6 Oesterreich 3,4 Oesterreich 37,5 Tirkei 3,4 Irland 39,4 Rußland 2,7 Türkei 42,0 Griechenland 2,1 Griechenland 43,6 Italien 0,8 Rußland 60,4 Belgien 0,8 Italien 63,4 Polen 0,5 Polen 69,9

Yerkes bemerkt dazu: „Im ganzen stehen die englisch sprechenden und die skandinavischen Länder hoch in der Rangordnung, während die slawischen und lateinischen Länder niedrig stehen.“ Deutschland hat er anscheinend infolge Nach- wirkung der Kriegsmentalität (1921) zu erwähnen vergessen, obwohl es in der Liste zwischen England und Skandinavien steht. Im ganzen kann man das Ergeb- nis wohl dahin deuten, daß die Begabung in der nordwestlichen Hälfte Europas größer ist als in Süd- und Osteuropa; und das dürfte daher kommen, daß im Nordwesten das Hauptverbreitungsgebiet der nordischen Rasse liegt. Die skandi- navischen Länder nehmen in der Liste wohl nicht ganz den ihnen gebührenden Platz ein. Vielleicht hat ungenügende Kenntnis der englischen Sprache doch dabei mitgewirkt. Außer den Einwanderern aus den englisch sprechenden Ländern wählten nur die aus Deutschland und Holland überwiegend die Alphatests, welche die Kenntnis der englischen Sprache voraussetzen. Die skandinavischen Länder kommen besser zu ihrem Recht bei Berechnung des durchschnittlichen Intelli- genzalters, wie Tabelle 5 zeigt:

Tabelle 5. England, Irland, Schottland 13,00 Dänemark, Norwegen, Schweden 12,95 Deutschland, ‚Oesterreich 12,85 Griechenland 11,86 Rußland 11,28

Italien 11,19

Kleinere Mitteilungen. 405

Das hervorragend gute Abschneiden der Einwanderer aus England und Schottland dürfte zum guten Teil auf eine besondere Auslese dieser Einwanderer zurückzuführen sein. Die Ausübung höherer Berufe setzt in Amerika im all- gemeinen die Beherrschung der englischen Sprache voraus. Daher finden An- gehörige der höheren Stände im allgemeinen nur dann standesgemäße Berufs- möglichkeiten in Amerika, wenn sie aus einem englisch sprechenden Lande stammen. Und da die höheren Berufe zugleich eine Auslese nach höherer In- telligenz darstellen, erklärt sich der große Anteil höherer Begabungen unter den Einwanderern aus England und Schottland. Einwanderer aus anderen Ländern dagegen können in Amerika meist nur als Handarbeiter oder in anderer ab- hängiger Stellung einen Lebensunterhalt finden, nur zum Teil noch als bäuer- liche Siedler. Darauf dürfte das verhältnismäßig ungünstige Abschneiden der Einwanderer aus Skandinavien zurückzuführen sein. In Anbetracht dieser Um- stände sind die Ergebnisse der Intelligenzprüfung der Einwanderer aus Irland, die doch meist gut englisch sprechen, auffallend schlecht zu nennen; sie spre- chen dafür, daß die Irländer im Durchschnitt erheblich schlechter als die Skan- dinavier begabt sind. Die einwandernden Juden ernähren sich in Amerika zu- nächst meist als Schneider oder sonstige kleine Handwerker, auch als Klein- händler. Das bedingt eine ungünstige geistige Auslese der Einwanderer. Dazu kommt noch, daß die auf anschauliche Begabung zugeschnittenen Betatests gerade der abstrakten Begabung der Juden sehr wenig entsprechen.

In einer Anzahl von Tabellen ist auch die Verteilung der Testergebnisse für die verschiedenen Staaten der Union angegeben; Durchschnittszahlen und Prozent- verhältnisse sind daraus aber nicht berechnet, vermutlich, um keine unliebsamen Vergleiche nahe zu legen. Man könnte aus den Tabellen übrigens die durchschnitt- lichen Prüfungsergebnisse für die einzelnen Staaten selber berechnen. Anhalts- punkte bieten die verschiedenen Ergebnisse in den verschiedenen Lagern im Ver- ein mit der Uebersichtskarte auf S. 556. Die höchste durchschnittliche Intelligenz wurde im Lager Lewis gefunden, das im äußersten Nordwesten der Union im Staate Washington liegt. Dann kommen drei Lager im mittleren Westen, nämlich Funston (in Kansas), Grant (in Illinois) und Dodge (im Jowa); die geringste durch- schnittliche Intelligenz wurde in den drei Lagern Lee (in Virginia), Meade (in Maryland) und Dix (in New Jersey) gefunden. Auch diese Unterschiede stimmen mit der Verteilung der nordischen Rasse, die im Westen stärker vertreten ist, nicht schlecht überein.

Die Neger der Nordstaaten schnitten nicht unbetrachtlich besser ab als die der Südstaaten. In den fünf nördlichen Staaten Illinois, Indiana, New Jersey, New York und Pennsylvania waren sie an den Klassen A und B mit 3,4 %, an den Klas- sen D und D mit 45,6 % vertreten, in den vier südlichen Staaten Alabama, Geor- gia, Louisiana und Mississippi dagegen an A und B mit 0,3%, an D und D mit 86,2 %. Dieser Unterschied dürfte zum größten Teil auf Wanderungsauslese zu- rückzuführen sein; in den letzten Jahrzehnten sind viele intelligente und unter- nehmungslustige Neger aus den Farmen des Südens in die Industriegebiete des Nordens gewandert. Sicher enthalten die Abgewanderten auch einen stärkeren Einschlag nordischen Blutes; die reinen Neger fühlen sich in den Nordstaaten sicher weniger wohl.

406 Kleinere Mitteilungen. |

Im Lager Lee wurden die Neger in Gruppen nach der Hautfarbe gesondert. „In Alpha erlangten die helleren Neger ein durchschnittliches Ergebnis von 50, die dunkleren von 30. In Beta erreichten die helleren Neger ein durchschnitt- liches Ergebnis von 36, die dunkleren von 29.“ Die helleren Mischlinge erwiesen sich also auch geistig als die helleren.

Bemerkenswert ist auch das Urteil der Offiziere über die Neger: „Alle Offi- ziere stimmen ohne Ausnahme darin überein, daß es dem Neger an Initiative fehlt, daß er wenig oder gar kein Führertalent entfaltet und daß er keine Ver- antwortlichkeit tragen kann. Einige weisen darauf hin, daß diese Mängel bei den südlichen Negern größer sind. Alle Offiziere scheinen ferner darin übereinzu- stimmen, daß der Neger ein fröhlicher, williger, von Natur unterwürfiger Soldat ist. Diese Eigenschaften bedingen unmittelbaren Gehorsam, aber nicht notwendig eine gute Disziplin, da Diebstähle und Geschlechtskrankheiten häufiger als unter weißen Truppen sind.“

Die Unterschiede zwischen Weißen und Negern kommen auch sehr deutlich in folgender Tabelle zum Ausdruck, welche die bei den Alphatests im Durch- schnitt erreichte Punktzahl angibt:

Tabelle 6. Zahl der Fälle 12586 51 620 4 162 2 850 1 709 = WeiBe WeiBe Neger Neger Gruppe SEN in Amerika geb. auswärts geb. a.d. Nordst. a.d. Siidst. Alphapunkte 139,2 58,9 46,7 38,6 12,4

Das entsprechende Ergebnis bei den Betatests war folgendes (hier kamen Offi- ziere natürlich nicht in Frage, da diese das Englische beherrschen mußten):

Tabelle 7. Zahl der Fälle 11 879 5 803 1 737 3 438 EE Weiße Weiße Neger Neger PP in Amerika geb. auswarts geb. a. d. Nordst. a. d. Stidst. Betapunkte 43,4 40,9 32,5 19,8

Wenn man die Zahlen dieser Tabellen mit den weiter oben gegebenen vergleichen will, muß man die in Tabelle 1 dargestellten Beziehungen zwischen den verschiedenen Intelligenzmaßen beachten. Die Neger aus den Nordstaaten hätten danach im Durchschnitt nur ein geistiges Alter von 12 bzw. 10 Jahren gehabt die Betagruppe stellt eine Minusauslese dar —, die Neger aus den Südstaaten von 9 bis 9% Jahren. Zu beachten ist dabei, daß auch die weißen Mannschaften im Durchschnitt nur ein „geistiges Alter“ von 13 bis 14 Jahren, die der Betagruppe sogar nur von knapp 11 Jahren hatten. Allein die Offiziere, welche fast ausschließlich Weiße waren, hatten ein „geistiges Alter“ von 18 Jahren.

Gegenüber diesen Gruppenbildungen liegt der Einwand nahe, daß die ver- schiedenen Prüfungsergebnisse in der Hauptsache durch verschiedene Schul- bildung bedingt sein könnten. Daher sind auch Gruppen von verschiedener

Kleinere Mitteilungen. 407

Abstammung, aber möglichst von gleicher Schulbildung miteinander verglichen worden. Zur Erläuterung sei bemerkt, daß in Amerika alle Kinder vom 6. Lebens- jahr ab zunächst eine acht Klassen umfassende Elementarschule zu durchlaufen haben; dabei ist aber für besonders Befähigte ein Ueberspringen von Klassen möglich. Erst nach Abschluß der Elementarschule kann die Jugend in die höhere Schule (High School) eintreten, die vier Klassen umfaßt und die eine weitgehende Freiheit in der Wahl der Fächer bietet. Nach Abschluß der höheren Schule können die jungen Leute das College beziehen, auf dem sie nach vierjährigem Studium den ersten akademischen Grad, den „Bachelor of Arts“ (B. A.) erwerben können. Dann kommt für viele akademische Berufe erst das eigentliche Fach- studium auf den akademischen Fachschulen, z. B. den medizinischen Akademien. Colleges und adakemische Fachschulen zusammen entsprechen also ungefähr unseren Universitäten. Vom rassenhygienischen Standpunkt aus ist das höhere Bildungswesen in Amerika also nicht weniger lebensfeindlich als das deutsche, da es eine allzu lange Hinausschiebung des Heiratsalters zur Folge hat. Besonders die achtklassige Elementarschule dauert für die Begabten zu lange; sie ist aus dem Gleichheitsidol geboren, das lange Zeit die öffentliche Meinung des „demo- kratischen“ Amerika beherrschte. Bis zu einem gewissen Grade könnten die Schäden zwar durch das Ueberspringen von Klassen seitens begabter Kinder ein- geschränkt werden; in Wirklichkeit wird von dem Ueberspringenlassen aber nur in geringem Grade Gebrauch gemacht, indem auch sehr begabte Kinder meist nicht mehr als ein Jahr dadurch einsparen. Ganz verheerend wirkt die große Ausdehnung des Frauenstudiums auf den Besitz der amerikanischen Nation an geistigem Erbgut, indem ein sehr großer Teil der begabten Mädchen dadurch der Ehe und Mutterschaft entzogen wird.

Die Prüfungsergebnisse an Rekruten, die die ersten vier Klassen der Ele- mentarschule durchgemacht haben, sind in Tabelle 8 angegeben:

Tabelle 8.

Weiße Weiße Neger Neger in Amerika geb. auswärts geb. a.d.Nordst. | a.d.Südst.

Alphafälle 356

Alphapunkte 8,4 Betafälle 431 Betapunkte 28,8

Also auch bei gleich langer Grundschulbildung schneiden die Neger deutlich, die südlichen Neger sogar sehr beträchtlich schlechter ab als die Weißen. „Das außerordentlich schlechte Ergebnis der südlichen Neger fällt um so mehr ins Gewicht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese Gruppe mehr Schulbildung als der Durchschnitt der südlichen Neger hat.“ Andererseits stellen die Weißen, die nicht über die vierte Volksschulklasse hinausgekommen sind, eine starke Minusauslese dar. Darauf ist es auch zurückzuführen, daß die geborenen Ameri- kaner in dieser Bildungsgruppe noch etwas schlechter als die Eingewanderten abschneiden. „Eingeborene Kinder, die auf dieser Stufe ausfallen, tun das ver- mutlich infolge geringer Intelligenz, während die fremdgebürtigen Kinder oft aus anderen Gründen abgehen.“

408 Kleinere Mitteilungen.

Die Prüfungsergebnisse an Soldaten, die alle acht Klassen der Elementar- schule durchgemacht haben, zeigt Tabelle 9.

Tabelle 9.

Weiße NEREE in Er geb. auswärts geb. a.d.Nordst. | a. z Sidst.

Alphafälle 555 Alphapunkte e 50,0 Betafälle 45 Betapunkte 35,6

Die Soldaten mit vierjähriger höherer Schulbildung (High School) erreichten folgende Ergebnisse bei der Alphaprüfung:

Tabelle 10. Offiziere Weiße Weiße Neger aus in Amerika geb. auswärts geb. d. Nordstaat. Zahl der Fälle 1275 2437 125 104 Punkte 137,1 110,7 82,9 75,0

Neger aus den Südstaaten von dieser Vorbildung gab es nicht in genügender Zahl. Die Betaprüfung kam bei dieser Vorbildung natürlich nicht in Betracht.

Die Ergebnisse an Gruppen mit vierjähriger Hochschulbildung (College) sind folgende:

Tabelle 11.

Offiziere Weiße Rekruten

in Amerika geb. Zahl der Fälle 3954 708 Alphapunkte 145,4 141,8

Hier verschwindet der Unterschied zwischen Offizieren und Rekruten (Draft) fast völlig, da eben auch die Rekruten mit Hochschulbildung eine scharfe Aus- lese nach Intelligenz darstellen.

Sehr lehrreich ist folgende Gegenüberstellung von Offizieren, die nur acht Klassen der Elementarschule durchgemacht haben, mit Mannschaften, die ihre Bildung auf höheren Schulen und Hochschulen erhalten haben:

Tabelle 12. Offiziere Weiße in Amerika geb. Zahl der Fälle 660 13 943

Alphapunkte 107,3 97,4

Kleinere Mitteilungen. 409

Obwohl jeder Rekrut aus dieser Gruppe eine höhere Schulbildung als irgend- einer der Offiziere der damit verglichenen Gruppe durchgemacht hat, schneiden gleichwohl auch die Offiziere dieser Gruppe bei der Intelligenzprüfung besser ab als die Mannschaften. Daraus geht hervor, daß das Ergebnis der Intelligenz- prüfung durch das Ausmaß der genossenen Schulbildung nicht wesentlich ge- fördert wird. Oder anders ausgedrückt: die soziale Auslese, welche die Offiziere darstellen, ist eine schärfere als die der Mannschaften mit höherer Bildung.

Sehr bemerkenswert ist auch die Gruppierung nach Berufen, welche für einige Lager durchgeführt ist. Aus der Aufstellung von Camp Devens seien die medianen Ergebnisse für eine Reihe von Berufen hier wiedergegeben.*)

Tabelle 13.

Lehrer 262 Mechaniker 147 Chemiker 253 Bäcker 146 Stenographen 253 Zugführer 141 Ingenieure (akad.) 250 Polizisten 139 Studenten 246 Maschinisten 136 Buchhändler 244 Schaffner 132 Buchhalter u. Rech- Gelernte Arbeiter 130

nungsführer 223 Zimmerleute 127 Zahnärzte 195 Chauffeure 120 Handlungsgehilfen Schuster 115

(Clerks) 186 Matrosen 109 Drogisten 174 Textilarbeiter 103 Werkmeister 173 Landwirte (Farmer) 97 Geschäftsleute 173 Köche 93 Kleiderhändler 172 Friseure 87 Musiker 169 Schmiede 87 Drucker 162 Ungelernte Arbeiter 87 Elektromonteure 162 Schneider 85 Schauspieler 151 Fischer 79

Die Ergebnisse in Camp Wadsworth stimmen weitgehend mit denen in Camp Devens überein (Korr.-Koeff. + 0,90). Natürlich sind die Zahlen nur als Nähe- rungswerte zu verstehen. In Camp Wadsworth standen z. B. die Ingenieure an der Spitze, an zweiter Stelle die Juristen und Lehrer, an dritter die Studenten, an letzter die ungelernten Arbeiter. Yerkes bemerkt dazu: „Man wird be- merken, daß die Berufsgruppe der ungelernten Arbeiter das niedrigste Prüfungs- ergebnis aufweist. Dann kommt die Gruppe der angelernten Arbeiter. Die nächst-

*) Hier wurden offenbar erweiterte Tests angewandt, da sonst Ergebnisse über 212 nicht hätten vorkommen können.

410 Kleinere Mitteilungen.

höheren Stufen sind die der gelernten Gewerbe. Dann kommen die technischen Berufe, während die Akademiker die höchsten Resultate von allen aufzuweisen haben.“ Er macht auf gewisse Fehlerquellen aufmerksam, die in dem Umstande liegen, daß eine Anzahl Personen sich zu einem Berufe rechnen, dem sie ihrer wirklichen Beschäftigung nach eigentlich gar nicht angehören; so enthält die Gruppe der „Drucker“ sicher auch eine Minderheit von Druckereiangestellten, die dort irgendwelche andere Arbeit verrichten. Um diese Fehlerquelle möglichst aus- zuschalten, würde es nach Yerkes zweckmäßig sein, von jeder Berufsgruppe nur die bessere Hälfte der Prüfungsergebnisse zum Vergleich zu benutzen. Eine weitere Fehlerquelle liegt darin, daß von manchen Berufen gerade die tüchtigsten und fähigsten Leute als „unabkömmlich‘“ anerkannt und nicht zum Kriegsdienst herangezogen wurden. Darauf dürfte es z. B. zurückzuführen sein, daß die Land- wirte bei der Intelligenzprüfung so schlecht abschnitten; nach Yerkes handelte es sich bei diesen höchstwahrscheinlich in der Hauptsache um ungelernte, ledige Landarbeiter. Die Gruppe der Stenotypisten schnitt vermutlich deshalb so gut ab, weil viele Studenten sich als solche bezeichneten, um in den Schreibstuben beschäftigt zu werden. Es sei kein Zweifel, daß sonst die Mehrzahl der Studenten den Stenotypisten an Intelligenz überlegen sei.

Im ganzen wurden mehr als sieben Zehntel der Gestellungspflichtigen vom Kriegsdienst befreit; und wenn auch 540000 7,75% der Stellungspflichtigen wegen körperlicher oder geistiger Mängel nicht genommen wurden, so wurden doch andererseits auch 474 000 6,8% als unabkömmlich anerkannt. Die Kriegs- verluste der Amerikaner haben daher lange nicht so verheerend auf die Rassen- tüchtigkeit gewirkt wie die der europäischen Nationen.

Sehr lehrreich ist auch eine Zusammenstellung der Intelligenzprüfungen nach Berufsgruppen, die von der Heeressanitätsverwaltung (Surgeon General’s Office) angestellt wurden. Dabei ergab sich eine Sonderung der Berufe in vier Gruppen. Die erste Gruppe ist die der akademischen Berufe, wobei noch eine höhere Unter- gruppe, deren Intelligenzdurchschnitt in die Klasse A fällt, und eine niedere, die in die Klasse B fällt, unterschieden werden können. Die zweite Gruppe umfaßt technische und sonstige geistige Berufe, sowie solche gelernten Arbeiter, die wegen ihrer Tüchtigkeit Werkmeister geworden sind; das geistige Niveau dieser Gruppe entspricht etwa der Klasse C +. Die dritte Gruppe umfaßt eine große Zahl handwerklicher Berufe sowie die der gelernten Arbeiter; diese Gruppe hat im Mittel die Intelligenzklasse C. Die vierte und letzte Gruppe umfaßt im wesent- lichen ungelernte Arbeiter, aber auch die Bergleute, Knechte und Friseure; ihre Intelligenzklasse ist C —.

Ein besonders gutes Prüfungsergebnis hatten die Offiziere der technischen Truppen (Engineer Oflicers); sie gehörten zu 79,6 % in die Klasse A, die Sanitäts- olliziere dagegen nur zu 40,7 %.

»oelbstverstandlich besteht auch eine hohe Korrelation zwischen dem mili- tärischen Rang und dem Ergebnis der Intelligenzprüfung; die Gruppe der Offi- ziere schneidet viel besser ab. als die der Mannschaften. Der Anteil der Intelli- genzgrade an den Rangstufen ist aus folgender Aufstellung ersichtlich.

Kleinere Mitteilungen. 411

a | ie a [LT a - - nn

Tabelle 14.

Höh. Stabs- ofliziere

| ; Unter- |Sergeanten Ober- ` Zahl. Rekruten offiziere u. Feldw. Leutnants Steeg? Hauptleute | Majore 3 023 517

| 92004 | 1482 | 1863 | 5590 | 5908

A 4,1 16,1 24,0 59,4 51,7 53,4 B 8,0 26,2 26,5 27,1 29,7 29,0 C+] 15,2 27,7 25,4 10,9 13,8 14,4

C | 25,0 19,3 16,8 2,4 3,7 3,8 c—| 23,8 8,7 5,8 0,2 0,5 0,4 Di 170 1,8 1,5 = = 0,1 D—|| 71 0,6 0,5 = = =

Bei der Beurteilung der Prüfungsresultate der Majore und höheren Stabs- offiziere muß man noch bedenken, daß darunter sicher eine erhebliche Zahl älterer Leute waren, die nicht mehr auf dem Gipfel ihrer geistigen Höhe waren.

Die Sanitätsoffiziere schneiden im Durchschnitt nicht ganz so gut ab wie die übrigen Offiziere; Tabelle 15 zeigt die Anteile an der Begabungsklasse A.

Tabelle 15.

Sanitatsoffiziere Unterärzte Oberärzte Stabsärzte Oberstabsärzte ` Höhere Sanitätsofliziere

Zahl 217 2389 1148 174 27 > A. 30,0 40,1 44,1 63,9 70,5

Andere Ofliziere Leutnants Oberleutnants | Hauptleute Majore e nn Zahl 5383 3371 1874 342 131 °fo A. 60,4 60,8 58,5 64,9 61,8

Diese Unterschiede erklären sich vermutlich aus dem Umstande, daß die Sa- nitätsofliziere ihre Stellung in erster Linie ihrer Vorbildung verdanken, die an- deren Offiziere aber mehr ihrer Begabung. Die Auslese der Sanitätsofliziere ist im ganzen also eine weniger scharfe. Dies gilt aber nicht für die leitenden Stel- len im Heeressanitätsdienst. Vom Oberstabsarzt ab schneiden die Sanitätsofliziere bei der Intelligenzprüfung daher nicht mehr schlechter ab als die entsprechenden Rangstufen der sonstigen Offiziere.

Das Werk von Yerkes ist eine wahre Fundgrube für den Rassen- und Ge- sellschaftsbiologen. In den beiden ersten Teilen, welche zusammen 546 Seiten um- fassen, ist die Geschichte und die Organisation sowie vor allem die Methodik der psychologischen Untersuchungen ausführlich beschrieben; zahlreiche Bilder er- läutern die einzelnen Proben. Ich bin darauf in meinem Bericht nicht eingegan- gen, weil die psychologische Technik für die Rassenbiologie nicht direkt von In- teresse ist. Ich habe mich vielmehr hauptsächlich an den dritten Teil gehalten: „Measurements of Intelligence in the United States Army“.

412 Kleinere Mitteilungen.

Ueber einen Stammbaum von Syndaktylie. Von Prof. E. Wölfflin, Basel.

Vor einigen Wochen hatte ich Gelegenheit, einen Fall von Syndaktylie bei einem 6jahrigen Knaben einer deutschen Familie zu untersuchen. Es handelte sich dabei um ein beidseitiges Verwachsensein der Haut der Grundphalange zwi- schen der zweiten und dritten Zehe. Man fühlte bei Betastung deutlich, daß der Knochen nicht an der Verwachsung beteiligt war: es handelte sich also nur um eine sogenannte Art von „Schwimmhautbildung“ zwischen den beiden genannten Zehen. Die Mutter des Knaben gab bestimmt an, daß diese Verwachsung nicht direkt bei der Geburt schon bestanden habe, sondern daß damals nur eine leichte Anlage zur Verwachsung vorgebildet war, die sich dann erst im Laufe derersten Lebensmonate zum definitiven Bilde entwickelt habe.

Was den Typus der Vererbung betrifit, so ließ sich bei meinem Fall ein ausgesprochen dominanter nachweisen, wie dies bisher meistens bei ähnlichen Fällen gefunden wurde. Der nebenstehende Stammbaum, der sich durch vier Generationen verfolgen ließ, gibt am besten die entsprechenden Verhältnisse wieder. Erwähnt sei noch, daß bei der mit Anomalie behafteten Mutter der 3. Generation genau wie bei ihrem Knaben die Haut derselben Zehen (2. und 3) beidseits miteinander verwachsen war. Dieser Befund soll laut persönlicher Mit- teilung auch bei den beiden Großvätern und deren Mutter in vollkommen glei- cher Weise bestanden haben.

Es sind bisher ca. ein Dutzend Stammbäume von Syndaktylie veröffentlicht worden, von denen die von Castle und Schofield wohl am meisten inter- essieren. Im letzteren Falle handelt es sich um einen sehr genau beschriebenen Stammbaum des Autors selbst, wobei die Anomalie von dem erkrankten Ur- großvater auf beide Großväter und von da auf sämtliche Söhne und Enkel überging, während das weibliche Geschlecht vollkommen verschont blieb. Man könnte hier zur Erklärung eine geschlechtsgebundene Vererbung im Y-Chromo-

Kleinere Mitteilungen. 413

nn nn m nn nn E m Le e

som annehmen. Ganz anders stellt sich der Stammbaum von Castle dar, bei dem die Anomalie in drei aufeinanderfolgenden Generationen nur bei den weib- lichen Mitgliedern auftrat, und zwar nur bei einem Teil derselben.

Mein Stammbaum, der sozusagen zwischen den beiden ebengenannten steht, in dem die Anomalie jeweilen von einem Geschlecht auf das andere überspringt, läßt sich ungezwungen wohl nur durch die Lokalisation des fraglichen Gens in einem Autochromosom erklären. Eine geschlechtsgebundene Vererbung kann für meinen Fall nicht in Betracht kommen.

Ein dem meinigen sehr ähnlicher Fall ist von F. Wolff veröffentlicht worden, indem bei drei aufeinanderfolgenden Generationen sich die Anomalie bei den männlichen und weiblichen Nachkommen vererbte, wobei die betrof- fenen Zehen bis zum Nagel miteinander verwachsen waren.

Soweit ich die bisher erschienene Literatur übersehe, lassen sich zurzeit drei verschiedene Vererbungsmodi bei der Syndaktylie feststellen. Es ist dies insofern nichts Auffallendes, als wir ja bei gewissen Augenerkrankungen, wie z. B. der Retinıtis pigmentosa bereits drei verschiedene Formen der Vererbung kennen, indem neben einer rezessiven Form eine rezessiv geschlechtsgebundene und fernerhin eme dominante angetroffen wurde. Da diese Mißbildung uns bisher wohl nur in heterozygotischer Form bekannt ist, so wäre es interessant, Fälle zu untersuchen, bei denen ausnahmsweise ein homozygotisches Vorkommen an- zutrefien wäre und nachzuforschen, ob diese dann durch einen stärkeren Grad der Mißbildung sich auszeichnen, indem gleichzeitig auch eine Knochenverwach- sung sich nachweisen ließe oder die Hautverwachsung einen stärkeren Grad annehmen würde. Bei der relativen Seltenheit solcher Mißbildungen dürfte es wohl längere Zeit dauern, bis man solche Fälle zur Beobachtung bekommt. An- hangsweise sei die Bemerkung beigefügt, daß anderweitige körperliche oder geistige Anomalien sich bei den fraglichen 5 Personen nicht nachweisen ließen. Ebenso lagen keine Verwandtenehen in der betreffenden Familie vor.

Literatar-Uebersicht.

F. Wolff, Archiv f. Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Band 13, 1921. W. E. Castle, Journal of Heredity, Band 14, 1923. R. Schofield, ibidem. Nov. 1921.

414 Kleinere Mitteilungen.

Kleinere Mitteilungen zur Erblichkeitslehre. Von Prof. Meirowsky, Köln a. Rhein."

2. Die Vererbung des Epikanthus.

Das als Epikanthus bekannte Merkmal, welches in der Ueberbrückung des inneren Augenwinkels durch eine Hautfalte besteht und äußerlich eine gewisse Aehnlichkeit mit der Mongolenfalte hat, ist schon öfter als erblich angesprochen worden. Da jedoch nach Eug. Fischer (Baur- Fischer-Lenz, Bd. 1, S. 97) systematische Untersuchungen fehlen, ist es wohl berechtigt, einen Stammbaum zu veröffentlichen, in dem der Epi- kanthus bereits in 5 Generationen als erbliches Merkmal nachgewiesen wer- den kann (Abb. 1). Er tritt zuerst bei der Urgroßmutter der jüngsten Mit- glieder der Familie O. auf. Die war zweimal verheiratet. Aus ihrer ersten

dxe xd = D ee ae egoedo¢éed S ET é bees es Ernyani Q "| O, hp b gy 2 Prise

Ehe mit O. entsammen ein Sohn und eine Tochter, die beide das Merkmal aufwiesen. Peter O. hatte 9 Kinder. Sechs zeigten wieder die Faltenbildung, drei nicht. Alle befallenen Familienmitglieder vererbten, so weit sie sich verheirateten, die Faltenbildung auf einen Teil ihrer Nachkommen weiter, während die Nachkommen der nicht mit dem Merkmal versehenen Kinder ` auch wieder Kinder ohne Faltenbildung hatten. Ebenso liegen die Ver- hältnisse bei den Nachkommen aus der zweiten Ehe der Ururgroßmutter, der jetzt lebenden jüngsten Generation der Familie W. Von drei Kindern hatten zwei den Epikanthus und haben ihn in zwei weiteren Generationen weitervererbt. Von 87 Nachkommen der Ausgangsperson ist die Falten- bildung bei 31 Mitgliedern nachweisbar. Es scheint also, daß das Merkmal einfache dominante -Vererbung zeigt. Fast sämtliche noch lebenden Mit- glieder der Familie sind von meinem Assistenten Dr. Spickernagel untersucht worden, der auch bei der Erhebung dieses Merkmals bei ein-

Kleinere Mitteilungen. 415

und zweieiigen Zwillingen mitgeholfen hat. Wir untersuchten 150 eineiige Zwillinge und fanden das Merkmal sicher deutlich bei 11 Paaren. Jedes- mal zeigten beide Zwillinge den Epikanthus. Bei 150 zweieiigenZwillingenfandenwiresviermalbeibeiden Zwillingenunddreimalnurbeieinemvonbeiden Zwil- lingen. Auch dieser Befund spricht für idiotypische Bedingtheit des Epikanthus. Würden paratypische Einflüsse entscheidend sein, so wäre der Unterschied zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen unverständlich. E s handeltsichalsobeidemEpikanthusoffenbar umein einfach dominantvererbbares Merkmal.

Ty 3. Beiträge zur idiotypischen Bedingtheit der Kinn- und ee sowie der Nasenfurche und des Tremas.

In Heft 4, Bd. 16, dieses Archivs habe ich mehrere Stammbäume mit- geteilt, aus denen hervorgeht, daß Kinn- und Wangengrübchen idiotypisch bedingt sind. Inzwischen habe ich neues Material zu dieser Frage gesam- melt, besonders in bezug auf das Verhalten dieser Merkmale bei Zwil- lingen. Stammbäume wie der folgende sind wiederholt von mir und meinem Assistenten Dr. Spickernagel aufgestellt worden:

exd @ Ainn-v.Wangengribchen

CS OE cinciige Zwillinge.

Abb. 2.

Bei Zwillingen wurden folgende Zahlen gefunden: Von 150 eineiigen Zwillingspaaren zeigten beide Zwillinge 27 malKinngrübchen; nur bei 2 Paaren wies einer von beiden Partnern das Merk- malauf,deranderenicht. Bei zweieiigen Zwillingen dagegen wur- den Kinngrübchen in übereinstimmender Form bei 15 Paaren gefunden, während 17mal nur einer von beiden Zwillingen ein Kinngrübchen zeigte. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den Wangen- grübchen.

Bei 150 eineiigen Zwillingspaaren wurden Wangengrübchen bei 15 Paaren in übereinstimmender Form und Stärke festgestellt; 3 Paare wiesen außerdem nur einseitige (rechtsseitige) Grübchenbildung auf. Bei 5 ein- eiigen Zwillingspaaren dagegen wurde Grübchenbildung nur bei einem von beiden Zwillingen angetroffen. Von 150 zweieiigen Zwillingspaaren zeigten beide Zwillinge 15 mal Wangengrübchen. Bei 8 Paaren wies nur einer von beiden Zwillingen das Merkmal auf. Wir sehen also auch hier, daß Wangen- und Kinngrübchen bei eineiigen Zwillingen regelmäßiger

416 | Kleinere Mitteilungen.

übereinstimmen als bei zweieiigen und müssen auch aus diesen Beobach- tungen schließen, daß die Grübchenbildung idiotypisch bedingt ist.

Schon in meiner ersten Mitteilung in diesem Archiv wies ich darauf hin, daß auch die Nasenfurche ein erbliches Merkmal des Menschen ist. Es wurde bei beiden eineiigen Zwillingspaaren 5 mal, jedesmal in über- einstimmender Stärke beibeiden Zwillingen, angetroffen; bei der gleichen Anzahl zweieiiger Zwillinge wurde es 6mal gefunden. Dreimal zeigten beide Zwillingspaare, 3mal nur einer von beiden Zwillingen die Erschei- nung der Nasenfurche. Auch hier ist also gleichartiges Auftreten bei ein- eiigen Zwillingen festzustellen, was ebenfalls auf idiotypische Bedingtheit schließen läßt. Dafür spricht auch, daß gleichzeitiges Vorkommen von Nasenfurche und Kinngrübchen bei eineiigen Zwillingen 6 mal, bei zwei- eligen nur einmal festgestellt wurde. Schließlich hat mir Frl. Dr. med. Lobbenberg eine Familie namhaft gemacht, in der Großmutter, Mutter und eine Tochter das Merkmal der Nasenfurche aufweisen.

Unter Trema versteht man bekanntlich eine Lücke zwischen den mittleren oberen Schneidezähnen. Siemens fand bei seinen Untersuchun- gen, daß das Trema nicht ohne weiteres idiotypisch bedingt, sondern daß es wenigstens in seinem geringeren Ausbildungsgrade auch wesentlich von Außenfaktoren abhängig sei. Der einzige Fall, in dem ein ausgespro- chenes Trema vorlag, zeigte beide Zwillinge in gleicher Weise befallen, was nach ihm erbliche Bedingtheit sehr wahrscheinlich macht. In unserem Falle wurde unter 150 identischen Zwillingen Trema 20malin deut- licher Weise bei beiden Zwillingen gefunden; nur 6 mal wies einer von beiden Zwillingen diese Erscheinung auf. Bei zweieiigen Zwillingen wurde Trema 32 mal festgestellt, 13 mal bei beiden Zwillingen und 19mal nur beieinemvonbeiden Zwillingen. Diese Zahlen lassen erbliche Bedingtheit als ausschlaggebenden Faktor erscheinen. Es gibt auch ein Trema zwischen erstem und zweitem Schneidezahn. Auch dieses Trema tritt bei eineiigen Zwillingen häufiger gemeinschaftlich auf als bei Zwei- eiigen (bei Eineiigen 4 mal bei beiden, 2 mal bei einem Zwilling; bei Zwei- eiern 6 mal bei beiden, 8 mal bei einem von beiden Zwillingen).

Schließlich möchte ich darauf aufmerksam machen, daß Grübchenbil- dung an der Wange und Kinn bei demselben Individuum oft miteinander, oft auch mit Trema und Nasenfurche zusammen vorkommen. Bei identi- schen Zwillingen wurde beobachtet: Kinngrübchen und Wangengrübchen bei 9 Paaren, Kinngrübchen und Trema bei einem Paar, Wangengrüb- chen und Trema bei 3 Paaren, Kinngrübchen und Wangengrübchen und Trema bei 4 Paaren. Nasenfurche und Wangengrübchen bei einem, mit Kinngrübchen bei 3 Paaren, mit Wangen- und Kinngrübchen bei 2, mit Trema bei 1, mit Kinngrübchen und Trema bei einem Paar. Bei einem nicht identischen Zwilling wurde einmal gleichzeitiges Vorkommen von Nasenfurche und Kinngrübchen und Trema und Wangengrübchen be- obachtet. Es besteht also zweifellos eine Korrelation zwischen Grübchen und Nasenfurche und Trema, die vielleicht ihre Ursache in der Neigung der Medianlinie zur Spaltbildung hat.

Kleinere Mitteilungen.

4. Ein Stammbaum zur Erblichkeit des krausen Haares.

O Hondes.glatteshaanweißehlauf. Europäer cy Gd Creolin @ Araures Wolt- Baar dhl-brauner Teint £uls mil, teils ohne wulltige Lippen.

© leicht gekrauleites Haar. 6);

+0

75999999 d éé d rm rts de 9 od > 9, ge Abb. 4. Abb. 7.

Q KU Oxo" . 2 Os, Os éé ds Ga / 29239 de o dee 0 CG ` A 1901 1903 100% " o" Abb. A. Abb. 9.

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 4. 27

zi a Er

Diskussionen und Erklärungen.

Die Messung der Asymmetrie von Variationsreihen. Von Georg Duncker, Hamburg.

1. In Band XVI Heft 4 dieser Zeitschrift beschäftigen sich Aufsätze von Scheidt (p.414- 420) und Lenz (p.420-428) mit der Asymmetrie von Variationsreihen, die von Scheidt zu Spekulationen über Vererbungs- vorgange verwendet wird. Scheidts Rechnungen sind unrichtig und zeugen von Unkenntnis der einschlägigen Methoden. Sein fingiertes Bei- spiel am Schluß der p.415 ergibt A =3.754, s=1.289 und nach Pearson den Schiefheitsindex x = 0.00372 statt Scheidts Resultaten A = 3.75, s=1.395, x= 0.1792. Das ebenfalls fingierte Beispiel in der Mitte der p. 416 ergibt A = 3.262, s = 1.274, x = 0.11171 statt A=3.26, s=1.28, x = 0.203.

Pearsons Schiefheitsindex ist der Quotient

%x=(A—T7):s, eine unbenannte Zahl, in der das arithmetische Mittel A und die Haupt- abweichung S durch unmittelbare Rechnung aus den Beobachtungen, der typische (dichteste) Wert 7 dagegen auf Grund gewisser Voraussetzungen mit Hilfe jener Werte sowie des dritten und des vierten Momentquotienten (8, und f,) gefunden werden. Nach Pearson nämlich ist ya inl Ps BEA S 2 5ß,—6ß}— 9’ ER SÉ, Pi +3 Ban EI SCT AC Bestimmt man jedoch Z nach Fechner interpolatorisch, so ist SS u fu—fe—ı dE 2/u (fu—1 t fu +1)

wo u die Varianteneinheit, fv die Frequenz einer Variante Vv und Hu die Variante maximaler Frequenz bedeuten.

Scheidt und Lenz aber benutzen bei ihren Berechnungen des Schiefheitsindex weder Pearsons noch Fechners T, sondern an deren Stelle einfach den Nominalwert der häufigsten Variante, wodurch sie zu fehlerhaften Resultaten gelangen mußten.

mithin

Diskussionen und Erklärungen. 419

2. Die Asymmetrie einer Variationsreihe äußert sich in verschiedenen Eigenschaften der letzteren; man ist daher zu ihrem Nachweis nicht aus- schließlich an die Beziehung A— T gebunden, in welcher 7 entweder eine hypothetische (Pearson) oder eine unscharf berechnete Größe (Fechner) darstellt. Jede numerische Variationsreihe ist einwandfrei durch ein System von einander unabhängiger Mittelwerte zu charakterisieren, von denen sich im praktischen Gebrauch die folgenden als die geeignetsten erwiesen haben:

das arithmetische Mittel A SE (V),

die Hauptabweichung s= | =x V—-A),

_2(V— A) ons

wo V die beobachteten Varianten, n die Gesamtzahl der Beobachtungen bedeuten. Die praktische Berechnung dieser Werte im Anschluß an die Hilfsverfahren von Pearson und Lipps ist selbst für sehr ausgedehnte Variationsreihen höchst einfach und erst kürzlich von mir!) eingehend dargestellt.

A und s sind in der Varianteneinheit benannte, die einzelnen Moment- quotienten fy absolute Werte, von denen #,, f, und D, Konstante, nämlich b= 8, =1, Dh = 0, sind, während von den höheren Momentquotienten diejenigen ungerader Ordnung unabhängig voneinander positiv, negativ oder Null sein können, diejenigen gerader Ordnung aber stets positiv sind und in der allgemeinen Beziehung

Bu < B(v—1) Palv +1)

die Momentquotienten fy

9

zu einander stehen.

Insbesondere ist J}, wie alle übrigen Momentquotienten ungerader Ordnung, bei symmetrischen Verteilungen stets gleich Null, bei asym- metrischen eine positive oder negative Größe. Mit seiner Hilfe ist ein Wert feststellbar, der ohne alle Voraussetzungen über die Natur der Variations- reihe streng berechnet werden kann, und den wir als H, bezeichnen wollen.

Eine der beiden wichtigsten Eigenschaften?) des arithmetischen Mittels ist, daß die Summe der Abweichungen der einzelnen Varianten von ihm konstant Null ergibt. /7, aber ist durch die Eigenschaft ausgezeichnet,

1) Wissensch. Meeresunters., N. F. (Helgoland), Bd. XV, 1922, H. 1 Nr. 4 (Die Korrelation zwischen Länge und Gewicht bei Fischen) p. 34—39.

2) Die zweite dieser Eigenschaften besteht darin, daß die Summe der quadrierten Abweichungen von ihm ein Minimum, d. h. kleiner ist, als die Summe der quadrierten Abweichungen von jedem beliebigen anderen Zahlenwert der Reihe. Weil aber die Hauptabweichung jeder Variationsreihe ein Minimum ist, so ist sie ohne weiteres mit derjenigen jeder anderen Reihe gleicher Variantenbenennung vergleichbar (im Gegen- salz zur sogen. durchschnittlichen Abweichung).

SC?

420 Diskussionen und Erklärungen.

daß die Summe der dritten Potenzen der Abweichungen der einzelnen Varianten von ihm konstant Null ergibt. Mithin ist

& (V—A)=0

& (V—H.)® = 0.

Nur in symmetrischen Variationsreihen ist A = H. in asymmetrischen dagegen, sofern f, positiv, A < /;, sofern J, negativ, A> H,. Wie üblich, bezeichnen wir die Asymmetrie einer Variationsreihe nach dem Vorzeichen ihres dritten Momentquotienten. Dann hält sich bei positiver Asymmetrie die Mehrzahl der Beobachtungen unterhalb des Mittels und das obere Extrem der Reihe ist weiter von diesem entfernt, als das untere; bei nega- tiver Asymmetrie liegen die Verhältnisse umgekehrt. Auf Grund der Ver- teilungsdichte ist ferner in monotypischen (unimaximalen) Variationsreihen bei positiver Asymmetrie T<C<A<A,,

T>C>A>A,,

wie schon Fechner (mit Ausnahme von Ħ,) in seinem „Lagegesetz“ festgestellt hat. Dies Lagegesetz trifft jedoch für 7, und C bei sehr schwacher Asymmetrie nicht immer zu, was auf der unsicheren Berech- nung dieser Werte beruht, denn auch der Zentralwert C ist nur interpola- torisch zu ermitteln. Z. B. ergeben Scheidts oben erwähnte fingierte Variationsreihen | | Ps K T; C A H, p. 415: 0.00539 0.00372 3.794 3.767 3.754 3.756 p. 416: 0.14772 0.11171 3.206 3.233 3.262 3.324;

nur die zweite von ihnen folgt dem Lagegesetz.

bei negativer

Setzt man nun H, = A + d, = A + s ò,

so ist, wie leicht zu beweisen, |

ep Te ton 2 2

Dann ergibt sich beispielsweise aus

f; = +4 +14 436 +76

ô, = 0 + 1 T, 2 + 3 ,+ 4 5. Die Vorzeichen von £, und ô, sind identisch und der letztere Wert wird die Grenzen + 1 nur ausnahmsweise überschreiten; in symmetrischen Variationsreihen ist J, = 6, = 0. Die Werte von 0, habe ich für die um 0.05 steigenden Werte von f, = 0 bis J; = 5 tabelliert (s. Anhang).

Oft werden ganzzahlig-positive Binomialentwicklungen als Beispiele

für die Frequenzverteilungen von Variationsreihen benutzt. Lautet eine solche Entwicklung

Diskussionen und Erklärungen. 42

+

(P+ qy = pty pr—'g+ AP +e ee tly) pyr to

so sei PTT _9.(_yed<e41 P+q a | Dann ergiebt die Entwicklung von 1+9 1— Sai ke

die relative Frequenzverteilung der Reihe, und es ist für diese

KEE H Let

20 h=; y 8) _ 2 (1 30°) By, v (1 Ca

wo B den Wert der niedrigsten beobachteten Variante (das untere Extrem der Reihe) bedeutet. Bei alternativer Variation ist v = 1. Daher ist für binomiale Verteilungen allgemein 3 Eeer 3 EE ee ee end Vo+ Vv —#) + & + VO— Vo #) +

D DI

vv (1 9) und bei alternativer Variation ST I HE a

ð = Y Va Pips In letzterem Fall nähert sich ô, den Werten + œ% um so mehr, je näher 0 den Grenzwerten + 1 kommt, beträgt jedoch für 9 = + 0.99, d.h. für eine alternative Verteilung von 995 gegenüber 5°/,,, erst + 2.0005 (8, = + 14.036).

3. Da sich der Bedarf eines Maßes der Asymmetrie zwischen den Grenzwerten + 1 herausgestellt hat, sei ein solches hier entwickelt. Wie oben erwähnt, ist die Hauptabweichung, d.h. die Wurzel aus dem Mittel der Quadrate aller Variantenabweichungen vom arithmetischen Mittel der Variationsreihe, ein Minimum, mithin kleiner als die Wurzel aus dem

Mittel der Quadrate aller Variantenabweichungen von irgend einem anderen Wert, z. B. von Fl,, der Variationsreihe. Daher ist der Quotient

H: = (V— A) å 1S(V—H, Vs +d, 1

Vite

422 Diskussionen und Erklärungen.

nur bei strenger Symmetrie der Variationsreihe gleich Eins und nähert sich mit zunehmender Asymmetrie dem Wert Null. Umgekehrt wird der Komplementwert dieses Quotienten, der Asymmetrieindex

1 a= | ——. META zz Os x (UE

bei strenger Symmetrie zu Null, für den denkbar extremen Fall ô, = + > zu + 1 und stimmt hinsichtlich seines Vorzeichens mit 6, bzw. J, über- ein. @ ist also ein logisch begründetes Maß der Asymmetrie von Varia- tionsreihen zwischen den Grenzwerten + 1.

Handelte es sich nur um die Bequemlichkeit der Berechnung eines Asymmetrieindex, ohne Rücksicht auf seine Bedeutung, so würde bereits der folgende | a’ Ps

die Bedingung erfüllen, zwischen den Grenzen 0 und + 1 zu bleiben. Nachstehende Tabelle soll einen Vergleich von a und o ermöglichen:

0.0000 0.1630

0.3067 0.4226 0.5119 0.5804

a besitzt, abgesehen von der Anschaulichkeit seiner Bedeutung, vor a' den Vorzug eines allmählicheren und gleichmäßigeren Ansteigens. 4. Lenz’ (l. c. p. 427) empirische Messungsformel der Asymmetric 4 (Mı 7,): A ergibt nur unter besonderen Bedingungen die Werte der darunter ab- gedruckten Texttabelle. Bei alternativer Variation ist, wie oben gezeigt, vd spri y 2 oder, da Lenz (p. 426) B = 0 und u = 1 annimmt, für seine Formel 1—v A= 2 Unter der „gewöhnlichen durchschnittlichen Abweichung e Lenz offenbar den Wert

1 m= ZU A|),

VW

versteht

d.h. den Durchschnitt der sämtlich als positiv betrachteten Abweichungen vom Mittel. Dieser ist bei alternativer Variation

Diskussionen und Erklärungen. 423

1 d

m = ul. o 2

Die relativen Frequenzen einer alternativen Variationsreihe sind 1+9 1—9

= und = >.

In Lenz’ Formel ist daher, da sämtliche Abweichungen als positiv ge- rechnet werden sollen,

1), = p, (m A) + p, (1 A + m)

rt = (1 1 ù Ges ~ 2 20 E - 7977773 a. Kc | 2 ija = P, (m + A) + Pe (1 A m) er 1— d gd 1— 9 LO 2 ü Fr 2 2 1 = d 5 (1 + ù) und folglich | 1m Zw _49u+9 A Dieser Ausdruck aber wird zu Null für ? = 0 und 9 = 1, bleibt positiv,

so lange 1 < Ŷ < 0, wird negativ, wenn 9 > 0 oder 0 < 1 und ergibt 1 fir )=— 0.5

| fir 0 =|/ 1 + = o 2071

2 3 für d = 0.5 8 für v=: 1. Die von Lenz berechneten Werte gelten also nur für solche Fälle, in denen 1 <d< 0 und zugleich B = 0. Daß die Formel für 0 =— 0.5 ein Maximum ergibt, betrachte ich im Gegensatz zu Lenz als einen Nach- teil derselben, da nicht der mindeste Grund dafür besteht, eine Ver- teilung von 25 gegenüber 75°/, für stärker asymmetrisch als etwa eine von 20 gegenüber 80°/, anzusprechen. Die Grenzfälle asymmetrisch-alter- nativer Verteilung, von 0 gegenüber 100°/, und umgekehrt, stellen Kon- stanz im Gegensatz zu Variation des Merkmals dar (0 = + 1). SchlieBlich sei davor gewarnt, in der Asymmetrie von Variations- reihen stets etwas „Abnormes“ zu sehen, das besonders „erklärt“ werden müsse. Erfahrungsgemäß ist eine mäßige Asymmetrie derselben viel häufiger, als strenge Symmetrie, und es besteht kein zwingender Grund für die Annahme, daß positive und negative Variationsursachen stets in gleicher Intensität wirksam sein müßten. Zunächst ist es wichtiger,

424 Diskussionen und Erklärungen.

mme

das tatsächliche Verhalten der Variationsreihen mittelst der bewährten Methoden zu studieren, als „Erklärungen“ zu versuchen, ehe man die zu erklärenden Tatsachen kennt.

Von den „mathematisch-maßtechnisch bedingten“ Asymmetrien in Lenz’ Sinne glaube ich hier absehen zu dürfen, da solche nicht als Beobachtungen gegeben sind, sondern Funktionen der letzteren dar- stellen, wie die Logarithmen von Längenvarianten oder wie die Gewichts- varianten als Funktionen der Länge. Nebenbei bemerkt, dürfte der von Lenz angeführten „Kaupschen Regel“, die das Gewicht zum Quadrat der Länge in Beziehung setzt, wenig Vertrauen entgegenzubringen sein.

HERE a LAT '

0.3222 0.5961 0.8177 1.0000 167 150 122

- 05 | 0.0167 0.3372 0.6083 166 149 121

- 10 | 0.0333 0.3521 0.6204 0.8375 167 148 120 98

- 15 | 0.0500 0.3669 0.6324 0.8473 166 146 118 96

- 20 | 0.0666 0.3815 0.6442 0.8569 165 145 117 96

- 25 | 0.0831 0.3960 0.6559 0.8665 166 143 116 95

- 30 | 0.0997 0.4103 0.6675 0.8760 165 142 115 94

- 35 | 0.1162 0.4245 0.6790 0.8854 164 EA 113 92

- 40 | 0.1326 0.4386 0.6903 0.8946 163 139 113 93

- 45 | 0.1489 0.4525 0.7016 0.9039 163 137 111 9

- 50 | 0.1652 0.4662 0.7127 0.9130 162 136 110 90

- 55 | 0.1814 0.4798 0.7237 0.9220 160 135 109 90

- 60 | 0.1974 0.4933 0.7346 0.9310 160 133 107 89

- 65 | 0.2134 0.5066 0.7453 0.9399

La

0.8277 1.0083

1.0165 1.0247 1.0328 1.0408 1.0488 1.0567 1.0645 1.0723 1.0800 1.0877 1.0953 1.1029 - 70 | 0.2293 0,5198 0.7560 0.9487 1.1104 - 75 | 0.2451 0.5329 0.7665 0.9574 1.1178 - 80 | 0.2608 0.5458 0.7770 0.9661 1.1252 > 85 | 0.2763 0.5586 0.7873 0.9747 1.1325 - 90 | 0.2917 0.5712 0.7976 0.9832 1.1398 153 125 101 84 - 95 | 0.3070 0.5837 0.8077 0.9916 1.1470

152 124 100 84 | 1.1542

Diskussionen und Erklärungen. 425

Bemerkungen zu der vorstehenden Arbeit von G. Duncker: Die Messung der Asymmetrie von Variationsreihen.

Von Dr. Walter Scheidt, Privatdozent an der Universität Hamburg.

Herr Duncker kommt, mittels der von ihm verwendeten komplizierteren rechnerischen Aufmachung der erdachten Variationsreihen aus meiner Arbeit in Bd. XVI, S. 414, zu anderen Zahlen wie ich, weil ich in der genannten Arbeit die Mittelwerte nicht auf 3, sondern nur auf 2 Dezimalen berechnete und die Nomi- nalwerte der häufigsten Varianten als dichteste Werte gelten ließ. Er erhebt den Anspruch, daß seine Zahlen richtig, die meinigen hingegen „unrichtig“ seien, was rechnerisch gerne gelten mag, wenn man den Mittelwert von 3.754 für „richtig“ und den von 3.75 für falsch halten will. (Vielleicht findet sich unter den Lesern jemand, der den „noch“ richtigeren Mittelwert mit 4 Dezimalen ausrechnet!) Herr Duncker glaubt aber offenbar auch, daß seine kompliziertere rechne- rische Aufmachung zu einer biologisch brauchbareren Erkenntnis von dem „tat- sächlichen Verhalten der Variationsreihen“ führe. Diese Meinung kann ich nicht teilen und ich habe deshalb absichtlich davon abgesehen, meiner „Unkenntnis der einschlägigen Methoden“ dadurch abzuhelfen, daß ich mir, wie Herr Duncker, etwa die kompliziertere Pearsonsche Aufmachung angeeignet hätte. Die Ueberlegung, die ich in meiner Arbeit an den beiden erdachten Bei- spielen klarmachte, wäre m. E auch durch die fünfstelligen Schiefheitsziffern, welche Herr Duncker jetzt berechnet hat, nicht deutlicher geworden, noch wird sie dadurch etwa hinfällig. Da ich weiter die Absicht hatte, diese Ueber- legung auf biologische Beobachtungen, nämlich auf Körpergrößenkurven, anzu- wenden, hätte ich in der komplizierteren Aufmachung erst recht die irreführende Vortäuschung einer biometrisch gar nicht erreichbaren Genauigkeit gesehen: denn es hat doch wohl keinen begreiflichen Sinn, Mittelwerte auf 3 Dezimalen zu berechnen und darüber zu streiten, ob der Unterschied zwischen M und D 0.26 oder nur 0.1423185 beträgt, wenn die unvermeidlichen technischen Meßfehler bei der Körpergröße schon + 2 cm im Durchschnitt betragen, und wenn bei der Aufstellung von Körpergrößenzählungen halbe und oft auch ganze Zentimeter von vornherein vernachlässigt werden. Messen in der Biologie und Messen in der Physik sind eben verschiedene Dinge und umständliche (sogen. exaktere) Be- rechnungen sind für uns in der Biologie m. E. um so entbehrlicher, als sie uns vielfach durch rechnerische Scheinprobleme nur die Deutung erschweren. Von den Deutungen („Spekulationen“) ist aber m. E. das biologische Ergebnis in schr viel höherem Maße abhängig als von der aufgewendeten Rechenarbeit. Auch das „tatsächliche Verhalten der Variationsreihen“ kann m. E. nicht durch Rechnen erkannt werden. Wenn aber die „Tatsächlichkeit“ einer umständlich errechneten Zahl um nichts sicherer ist als diejenige einer einfachen, so ver- dient m. E. die letztere den Vorzug und die wichtigere Aufgabe besteht darin,

426 Diskussionen und Erklärungen.

alle Möglichkeiten der Deutung zu erwägen und durch weitere Ucberlegungen (die nicht unbedingt Rechnungen sein müssen, in der Biologie auch nur selten Rechnungen sein können) die passendste (wahrscheinlichste) Deutung auszu- wählen. Die von mir in der angeführten Arbeit dargelegte Deutungsmöglich- keit war m. W. vorher noch nicht aufgezeigt worden; deshalb (also um eben der „Spekulationen“ willen) habe ich die Arbeit geschrieben; die Frage, ob das die „passendste“ Erklärung sei, habe ich ausdrücklich offen gelassen. Wenn Herr Duncker schließlich solche Erklärungsversuche nur dann zu erlauben geneigt ist, wenn etwas „Abnormes“, Seltenes vorliegt, so kann ich ihm auch darin nicht beipflichten. Ich habe asymmetrische Variationskurven der Körper- größe nie für etwas „Abnormes“ gehalten und glaube trotzdem, daß wir uns um die Erklärung ihres Zustandekommens bemühen sollen und dürfen.

Bemerkungen zu Dunckers Polemik.

Von Prof. Dr. F. Lenz, München.

Ich habe den Bemerkungen von Scheidt nicht viel hinzuzufügen.

Wenn Duncker meine Messungsformel der Asymmcetrie als „empirisch“ be- zeichnet, so ist das nicht treffend. Sie ist nicht aus der bloßen Erfahrung ge- wonnen, sondern mit Rücksicht auf die allgemeinen Ursachen der Variabilität und Schiefheit aufgestellt. Daß sie nur unter besonderen Bedingungen die von mir errechneten Werte ergebe, stimmt auch nicht. In Anbetracht der von mir an anderer Stelle hervorgehobenen Problematik aller Maßgrundlagen biologischer Unterschiede bedeutet es keineswegs eine besondere „Bedingung“, daß ich mit Johannsen u. a. bei alternativer Variabilität das Maß der einen Variante gleich 0, das der anderen gleich 1 gesetzt habe.

Wenn Duncker meint, daß nicht der mindeste Grund dafür bestehe, eine Verteilung von 25:75 % für stärker asvmmetrisch als etwa eine von 20:80 % zu halten, so hat er meine Darlegungen nicht verstanden. Ich habe in meiner von Duncker angcgriffenen Arbeit gezeigt, warum aus den Gründen des Zu- standekommens der Asymmetrien folgt, daß gerade die Verteilung 25:75 % als die maximale anzusehen ist.

Dunckers Methode halte ich für zu kompliziert. Seine große biometrische Arbeit über die Korrelation zwischen Länge und Gewicht bei Seezungen und Kaulbarschen zeugt gewiß von seltener Ausdauer und nicht geringem formalen Scharfsinn. Daß aber das Ergebnis die aufgewandte Mühe rechtfertige, kann ich nicht finden. Mir fiel dabei ein Wort des Statistikers R. A. Fisher ein, das er in seinen „Statistical Methods for Research Workers“ (Edinburgh und London, 1925) im Ilinblick auf eine zu komplizierte Biometrie sagt: „Not only does it take a cannon to shoot a sparrow, but it misses the sparrow!“ (Sie nimmt cine Kanone, um einen Spatzen zu schießen und fehlt den Spatzen noch dazu!).

Kritische Besprechungen und Referate.

Correns, Car, Gesammelte Abhandlungen zur Vererbungs- wissenschaftaus periodischen Schriften 1899—1924. 1299 S. Berlin 1924. Springer. Geb. 105 M.

Inhalt und Zweck dieses Bandes werden am besten durch einige Sätze aus dem Vorwort, das Fritz von Wettstein geschrieben hat, gekennzeichnet:

„Der 60. Geburtstag des Führers auf dem Gebiete der Vererbungswissenschaft hat in allen Kreisen der Vererbungsforscher das Bedürfnis wachgerufen, ihm bei diesem Anlaß einen Beweis ihrer Verchrung zu geben. Sie haben dazu den Weg gewählt, seine bisherigen Arbeiten auf dem Gebiete der Vererbungsfor- schung als Zeugen seiner vielseitigen und unermüdlichen Tätigkeit, zu einem Sammelbande vereinigt, herauszugeben. Sie glauben damit im Sinne des Meisters zu handeln, da dadurch ein Werk geschaffen wird, zum Wohle der Wissenschaft, der er sein Leben geweiht. Ihn selbst möge ein Rückblick auf seine wissenschaftliche Arbeit mit gerechtem Stolz und aufrichtiger Freude erfüllen; uns wird ein Einblick in diese vieljährige, erfolgreiche Forscher- tätigkeit ein Ansporn zur weiteren Arbeit in seinem Geiste sein.

Die Ilerausgabe der Arbeiten von C. Correns in einem Sammelbande wird auch einem lebhaft empfundenen Bedürfnisse der weitesten wissenschaft- lichen Kreise entsprechen, da einerseits diese Arbeiten, in verschiedenen Fach- zeitschriften zerstreut, den einzelnen oft nicht leicht zugänglich sind, anderer- seits gerade der Zusammenhang, in dem alle diese Arbeiten stehen, durch diese Vereinigung deutlich hervortritt.

Die Wiedergabe der Arbeiten crfolgte in der zeitlichen Reihenfolge des Er- scheinens. Es sind sämtliche genetische Arbeiten vereinigt mit Ausnahme der bei- den selbständigen Werke „Die neuen Vererbungsgesetze“, Berlin 1912, Gebr. Born- träger, und „Experimentelle Untersuchungen über Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes“, Berlin 1913, Gebr. Bornträger (mit einem Vortrag von Gold- schmidt in einem Band unter dem Titel „Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes“ vereinigt). Als Anhang wurden die von C. Correns herausgegebe- nen Briefe Mendels an Nägeli aufgenommen, da die Zusätze des Ileraus- gebers so viel wichtige Angaben enthalten, daß sie in den ,,Gesammelten Abhand- lungen“ nicht fehlen durften.“

Besonderes Interesse wird natürlich die erste Mitteilung (1900) von Correns über seine Wiederentdeckung des Mendclschen Gesetzes er sprach damals von „G. Mendels Regel“ finden. Correns formulierte diese damals folgender- maßen: „Der Bastard bildet Sexualkerne, die in allen möglichen Kombinationen die Anlagen für die einzelnen Merkmale vereinigen, nur die desselben Merk- malspaares nicht. Jede Kombination kommt annähernd gleich oft vor.”

428 Kritische Besprechungen und Referate.

Bei dieser Gelegenheit darf auch darauf hingewiesen werden, daß eine der denkwürdigen Arbeiten von Correns, die den Titel trägt „Experimentelle Unter- suchungen über die Entstehung der Arten auf botanischem Gebiet“, im Jahre 1904 im Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie erschienen ist.

Der Band ist vorn mit einem Bildnis von Correns nach einer Radierung von Hans Meid geschmückt. Es ist allerdings nicht ganz so lebendig und charak-

teristisch wie jenes, das das Archiv für Rassenbiologie in Heft 1 des 16. Bandes zum 60. Geburtstag des Forschers am 19. September 1924 gebracht hat. Lenz.

Paudler, Dr. Fritz, Die hellfarbigen Rassen und ihre Sprachstämme, Kulturen und Urheimaten. 271 S. Heidelberg 1924. C. Winter. Geb. 9 M.

Es handelt sich um ein originelles und bemerkenswertes Buch. Paudler, der Privatdozent an der deutschen Universität in Prag ist, vertritt mit viel Ge- schick die Ansicht, daß die Cro-Magnonrasse sich in großen Bevölkerungsteilen Europas erhalten hat. Außer durch gröbere Formen soll die helle Cro-Magnon- rasse sich von der nordischen auch in den Farben unterscheiden; ihre Augenfarbe soll grau, ihre Haarfarbe gelbblond sein, die der schlankeren nordischen Rasse dagegen blau bzw. aschblond. Da die helle Cro-Magnonrasse sich relativ rein in der Bevölkerung der schwedischen Provinz Dalarna erhalten haben soll, be- zeichnet er sie auch als „Dal-Rasse oder dalische Rasse“. Sie soll in Frankreich oder auf der Pyrenäenhalbinsel während der letzten Eiszeit entstanden sein, und zwar aus einer dunklen Rasse von denselben Formen, die als dunkle Cro-Magnon- rasse bezeichnet wird.

Paudler lehnt die verbreitete Ansicht, daß die Cro-Magnonrasse sich in die nordische umgewandelt habe, ab; vielmehr kommen nach ihm diese beiden Rassen in der nordwestlichen Hälfte Europas nebeneinander und vielfach ver- mischt vor. Als die Heimat der nordischen Rasse sieht er nicht Nordeuropa, sondern die Länder im Nordwesten des Schwarzen Meeres an. Dort nimmt er auch mit dem Indogermanisten Schrader die Urheimat des indogermanischen Sprachstammes an, dessen Zusammengehörigkeit mit der nordischen Rasse sich aus der ganzen Geschichte sonnenklar ergebe. Als die ursprüngliche Kultur der nordischen Rasse bzw. des indogermanischen Sprachstammes sei die bandkera- mische, speziell ihr Kern, die Tripolje-Kultur in Südwestrußland anzusehen. Die „nordische Kultur“, d. h. die steinzeitliche Kultur Skandinaviens dagegen läßt er von der dalischen Rasse getragen sein; sie gehöre in den Zusammenhang der Megalith- kultur, die die eigentliche Kulturschöpfung der dalischen Cro-Magnonrasse sei. In Nord- und Nordwesteuropa finde sich in den Megalithgräbern bis zum Ende der älteren Bronzezeit ausschließlich der Cro-Magnontypus. Die dann aufkom- mende Feuerbestattung, welche in den nächsten beiden Jahrtausenden alle Skelett- reste zerstört habe, sei vermutlich von nordischen Eroberern aus den nördlichen Küstenländern des Schwarzen Meeres mitgebracht worden.

Die ursprüngliche Sprache der Cro-Magnonrasse sei nicht indogermanisch; sie sei vermutlich das Hamitische gewesen, wozu auch die Sprache der großen und hellen Guanchen auf den Canaren gehört habe. Heute sei von der Sprache der Cro-Magnonrasse in Europa nur noch das Baskische übrig, bis ins Mittelalter das Piktische in Schottland und Irland. Die vorgermanische Sprache der Cro-

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Magnonleute habe die indogermanische Sprache der nordischen Eroberer so beeinflußt, daß daraus das Germanische geworden sei. Die aus dem Indogermani- schen nicht erklärbaren Bestandteile des Wortschatzes des Germanischen, ver- mutlich auch die germanische Lautverschiebung seien auf jene vorgermanische Sprache zurückzuführen.

Die blonde nordische Rasse läßt Paudler aus einer formähnlichen dunklen Rasse, offenbar einem Teil der mediterranen, entstanden sein. Außerdem erkennt er als ursprüngliche Rassen noch die vorderasiatische und die innerasiatische an. Elemente innerasiatischer Rasse sind nach Paudler in dunkler Vorzeit bis nach Westeuropa, ja bis auf die britischen Inseln und auf die Pyrenäenhalbinsel vorgedrungen; auch vorderasiatische Elemente seien bis auf die britischen In- seln gekommen. Außer diesen Rassenelementen noch eine besondere „alpine Rasse“ aufzustellen, hält Paudler für unnötig. „Was man nicht definieren kann, das sieht man als Alpinus an.“ „Es besteht vielfach eine gewisse Scheu davor, den untersetzten Körperstil in Europa auf diese beiden asiatischen Rassen zurück- zuführen und das Kind beim rechten Namen zu nennen, und man pflegt von einer alpinen Rasse zu sprechen oder einfach von „den“ Brachykephalen, aber dieses bewußte oder unbewußte Bestreben, mit einer brachykephalen Rasse oder doch ohne asiatischen Ursprung auszukommen, ist ein Versagen von hand- greiflichen Tatsachen und unausweichlichen Folgerungen“ (S. 166). „Aber was fehlt denn einem europäischen, untermittelgroßen, dunklen und untersetzten Brachykephalen noch zu einem Vorder- oder Innerasiaten? Hauptsächlich natür- lich die Hautfarbe und das „Aussehen“, die „jüdische“ oder „chinesische“ Ge- sichtsbildung. Paudler weist sehr treffend darauf hin, daß diese Dinge beson- ders stark der geschlechtlichen Zuchtwahl auf Grund des in einer Bevölkerung herrschenden Schonheitsideals unterliegen. Die Aehnlichkeit in der Gesichtsbil- dung täusche daher oft eine viel größere Abstammungsverwandtschaft vor, als wirklich bestehe, und umgekehrt könne sie über starke rassische Verschieden- heiten hinwegtäuschen. Jedenfalls ist es durchaus einleuchtend, daß extrem mon- golische oder vorderasiatische Züge, die in die europäische Bevölkerung ein- gegangen wären, durch geschlechtliche Zuchtwahl wieder ausgemerzt worden sind. Das ist auch meine Ansicht, die ich mir unabhängig von Paudler ge- bildet hatte. Im übrigen möchte ich die vorderasiatische Rasse freilich nicht als Tochterrasse der innerasiatischen ansehen, sondern als Tochterrasse der medi- terranen, wobei freilich auch einige innerasiatische Erbanlagen in die vorder- asiatische Rasse, die ja in dem Grenzgebiet zwischen der mediterranen und der innerasiatischen entstanden ist, eingegangen sein mögen,

Die vorderasiatische Rasse hat nach Paudler den alarodischen Sprach- stamm geschaffen, die innerasiatische den ural-altaischen, die mediterrane den semitischen. Die Glockenbecherkultur möchte er auf den Cro-Magnontypus zu- rückführen, die Brachykephalie der Glockenbecherschädel auf künstliche Defor- mierung. Darin kann ich ihm nun freilich nicht folgen. Ich möchte vielmehr den Glockenbechertypus doch mit dem vorderasiatischen in Zusammenhang bringen, denn daß die Glockenbecherleute ursprünglich aus Westeuropa stammen sollten, wird man doch nicht so sicher behaupten können. Aehnlich wie die nordische Rasse nach Paudler am Schwarzen Mcer aus von Westen herübergewehtem

430 Kritische Besprechungen und Referate.

Samen entstanden ist, könnte der Stamm der Glockenbecherleute im Westen aus Samen vom Osten sich entwickelt haben.

Die "Aufstellung einer besonderen „dinarischen“ Rasse macht Paudler nicht mit, wie ich glaube, mit Recht; er faßt diesen Typus vielmehr als einen Mischtypus zwischen der vorderasiatischen und der nordischen oder der dali- schen Rasse auf. Das Finnentum sieht Paudler als „ein uraltes Mischgebilde der innerasiatisch-uralaltaischen und der nordisch-indogermanischen Welt“ an. Auch das entspricht durchaus meiner Meinung. Die Urheimat der Finnen habe vermutlich im Nordosten Europas gelegen, etwa zwischen dem oberen Don und der mittleren Wolga. Heute könne man den finnischen Typus, wenn auch nicht hinsichtlich der Aszendenz, so doch hinsichtlich der Deszendenz als eigene Rasse ansehen.

Gewisse Schwierigkeiten, die Paudler hinsichtlich der Entstehung einer relativ einheitlichen Mischrasse wie der finnischen zu schen glaubt, lassen sich meines Erachtens durchaus lösen. Das fast völlige Ueberwiegen der hellen Far- ben unter den Finnen setzt keineswegs eine Dominanz der hellen Farben bei der Kreuzung nordischer und innerasiatischer Rassen voraus. Vielmehr sind auch bei Rezessivität der hellen Farben helle F,-Typen zu erwarten, die bei entspre- chender Auslese leicht rein gezüchtet werden können. In ähnlicher Weise braucht die Schlankheit der westeuropäischen Bevölkerungen nicht auf „Dominanz- bestimmtheit der meisten Bestandteile des schlanken Formensystems“ zu beruhen. Paudler ist offenbar mit der Erblichkeitslehre nicht ganz vertraut; er würde sonst auch kaum behaupten, daß es auch Fälle gebe, „die überhaupt keinem Spaltungsgesetz unterliegen“.

Während ich im ganzen den Ansichten Paudlers weitgehend zustimmen kann, scheinen mir manche Einzelheiten doch nicht so sicher fundiert zu sein, wie Paudler zu glauben scheint. Er sieht gar zu leicht ein „lückenloses Ring- werk von Beweisen“, wo es sich vorerst nur um Hypothesen handelt. Bei ihm paßt „alles aufs schönste zusammen“, während der kritische Beurteiler den Ein- druck hat, daß manche Bestandteile seines Hypothesengebäudes erst weitgehend zurechtgebogen werden mufiten, bis sie paßten. „Die Erklärung der großen Masse der Brachykephalen der jüngeren Steinzeit als Kümmerformen“ hält keineswegs die Probe aus. Warum Verkümmerung gerade zu Brachykephalie führen solle, ist nicht abzusehen. Den Typus der Tschuwaschen und Tscheremissen mit der Cro-Magnonrasse in Verbindung zu bringen, scheint mir nicht wohl möglich zu sein.

An der Grundthese Paudlers aber scheint mir viel Wahres zu sein. Daß die Cro-Magnonrasse nach der letzten Eiszeit in Nordwesteuropa allgemein verbreitet war, wird wohl von niemand bestrilten, und dieses Gebiet ist noch keine zehntausend Jahre eisfrei. Hellfarbig wird diese Rasse ja auch wohl gewesen sein; denn es ist sehr unwahrscheinlich, daß es erst ihre Nachkommen seitdem geworden sein sollten. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß die Cro- Magnonrasse der Megalithkultur seitdem durchgehend die schlanken nordischen Formen angenommen haben sollte, zumal, da ja diese Formen auch heute in jenen Gebieten keineswegs allgemein sind. Was ist also natürlicher, als daß die

Kritische Besprechungen und Referate. 431

Cro-Magnonrasse in großen Blutströmen überlebt, aber nicht abgeändert als nordische Rasse, sondern innig untermischt mit dieser?

Auch daß die Heimat der eigentlichen nordischen Rasse und des indogermani- schen Sprachstammes im Nordwesten des Schwarzen Meeres zu suchen sei, scheint mir durchaus einleuchtend zu sein. Nord- und Mitteleuropa war ja bis vor ca. 10 000 Jahren vergletschert; in Deutschland stießen die Gletscher des Nor- dens mit denen der Alpen ja beinahe zusammen; der dazwischen liegende Land- strich war schwerlich bewohnbar. Eisfrei aber waren große Teile Frankreichs einerseits, Südrußland andererseits. So sind also wohl die gemeinsamen Vor- fahren der nordischen und der Cro-Magnonrasse durch die letzte Eiszeit ge- trennt worden; und es ist leicht verständlich, daß sie einerseits nordöstlich der Karpathen, andererseits nordöstlich der Pyrenäen sich während der letzten Eiszeit zur nordischen bzw. zur dalischen Rasse entwickelt haben, die sich dann nach dem Rückgang der Eiszeit in Nordwesteuropa wieder ver- einigt haben. Aber ich glaube nicht, daß heute eine Trennung dieser beiden Rassenelemente so weit durchführbar ist, wie Paudler meint. Dazu sind sie sich viel zu ähnlich. Daß sie „von Grund auf verschieden“ seien, stimmt doch sicher nicht. Praktisch kann man daher meines Erachtens das Gemisch aus

nordischer und dalischer Rasse ruhig auch weiterhin als nordische Rasse zu-

sammenfassen. Lenz.

Hemmes, Gerrit Diederik. Over hereditairen Nystagmus. Doktor- Proefschrift, Utrecht 1924. 106 S. Mit 5 Stammbaumtafeln.

Die umfangreiche und gründliche Studie über den erblichen Nystag- mus bringt nach einer Einleitung eine Uebersicht über alle vom Verf. in der Literatur aufgefundenen einschlägigen Fälle nebst eingehender Beschreibung sechs selbstbeobachteter Nystagmus-Familien. Auf die klinischen Befunde des Verf. ein- zugehen, ist hier nicht am Platz. Von großem Interesse ist dagegen für die Erb- lichkeitsforschung das Kapitel, in dem Verf. die in der Literatur von ihm auf-

gefundenen und die selbst beobachteten Stammbäume vererbungsstatistisch ver- arbeitet.

Diese Erblichkeitsuntersuchungen stützen sich auf 37 Familien. Die Stamm- baume sind in zwei Gruppen eingeteilt; die erste Gruppe enthält die Familien, in denen das Leiden auf männliche und weibliche Personen mehr oder weniger gleichmäßig verteilt ist (unregelmäßig dominante Vererbung), die zweite Gruppe faßt die Fälle zusammen, in denen fast ausschließlich Männer befallen sind (rezessiv-geschlechtsgebundene Vererbung). Nettleship hatte angegeben, daß der Nystagmus in den Familien der ersten Gruppe besonders häufig mit Kopfwackeln einherginge. Ob das für den Durchschnitt der Fälle zutrifft, läßt sich zurzeit nicht entscheiden, da es bei vielen in der Literatur beschriebenen Fällen schwer ist, Kopfwackeln auszuschließen. Bestimmt kann man aber sagen, daß die Nettleshipsche Regel nicht ausnahmslos Geltung hat; so fand Verf. in einer seiner Familien bei vielen Behafteten den Nystagmus mit Kopfwackeln gepaart, trotzdem das Leiden hier rezessiv-geschlechtsgebunden war. Auch das Zusammengehen des Nystagmus mit partiellem Albinismus des Auges, das

432 Kritische Besprechungen und Referate.

oft in den Familien der zweiten Gruppe vorkommt, ist nicht für diese unbedingt pathognomonisch, da die mit Nystagmus Behafteten in der erwähnten Familie normale Pigmentverhältnisse darboten. Auf der anderen Seite zeigte eine andere vom Verf. beobachtete Familie, in der das Leiden keine Geschlechtsbindung auf- wies, eine Vergesellschaftung des Nystagmus mit Augenalbinismus.

Indenunregelmäßig-dominantenStammbäumen fällt auf, daB recht häufig eine oder mehrere Generationen von dem Leiden übersprungen wer- den. 5imal fand Verf. gesunde Eltern, die kranke Kinder hatten; davon war 45mal die Mutter, 6mal der Vater der Konduktor. Diesen Beobachtungen entsprechend waren überhaupt Frauen relativ seltener behaftet als Männer. In.den diesbezüg- lichen 22 Familıen zählte nämlich Verf. 130 kranke: 127 gesunde Männer, da- gegen 100 kranke : 165 gesunde Weiber, also 1%mal soviel kranke Männer als kranke Weiber. Die 45 gesunden Mütter mit kranken Kindern hatten 106 Söhne, von denen 55 % krank waren, und 119 Töchter, von denen 26 % Nystagmus zeigten. Ganz merkwürdig ist es, daß die 28 behafteten Väter 88 Töchter hatten, von denen 61 % krank waren, und 50 Söhne, von denen 18 % Nystagmus hatten. Die behafteten Väter hatten also nicht nur viel mehr Töchter als Söhne, sondern unter ihren Töchtern waren auch relativ sehr viel mehr kranke, was im scharfen Gegensatz zu den Verhältnissen beim Gesamtmaterial steht, das ja weniger kranke Weiber zeigt. Noch sonderbarer werden die Dinge, wenn man die Kinder behafteter Mütter betrachtet: die 28 behafteten Mütter hatten unter ihren 70 Söhnen 64 % kranke, unter ihren bloß 34 Töchtern 35 % kranke. Der Verf. fand also, daß bei direkter Vererbung der Nystagmus vorwiegend auf die Kin- der des anderen Geschlechts übergeht, und daß eigentüm- licherweise dieses andere Geschlechtunterden Kinderndes kranken Elters überhaupt vorherrscht. Verf. versucht, diese Tat- sachen durch die Hypothese einer selektiven Befruchtung zu erklären. Man muß aber wohl auch an die Möglichkeit kasuistischer Auslese und an die Wirkung idiotypisch heterogenen Materials denken, zumal die gefundenen Verhältnisse in manchen Punkten sich so verhalten, wie man erwarten müßte, wenn unregel- mäßig-dominante mit rezessiv-geschlechtsgebundenen Fällen gemischt wären.

Die Untersuchungen des Verf. über die rezessiv-geschlechtsgebun- dene Vererbung des Nystagmus beziehen sich auf 11 Familien. Auch hier findet Verf. eine ganz auffallende Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses, indem aus Ehen zwischen einem Konduktorweib mit einem gesunden Mann 136 Söhne und 90 Töchter hervorgegangen sind; von den 136 Söhnen waren 96 krank, 40 ge- sund. Ref. möchte allerdings meinen, daß es in diesem Falle möglich ist, die auf- fallende Zahlenverschiebung durch unbewußte Auslese positiver Fälle zu erklären; schon durch Anwendung der Weinbergschen Probandenmethode würde sich ja hier die hohe Ziffer für kranke Söhne und damit die Ziffer für Söhne überhaupt vermindern.

Von Einzelbefunden ist interessant, daß zwei Stammbäume des Verf., von denen der eine unregelmäßig-dominant, der andere rezessiv-geschlechtsgebun- den ist, auf zwei behaftete Männer zurückgehen, die Brüder sind. Verf. möchte daraus auf gleiche Aetiologie von Leiden mit verschiedenem Erbgang schließen. Ref. meint jedoch, daß man mit diesem Schluß sehr zurückhaltend sein muß,

=

Kritische Besprechungen und Referate.

solange die experimentellen Tatsachen dagegen sprechen. Das gilt für den vorliegenden Fall um so mehr, als auch in dem angeblich dominanten Familien- zweig mehr Männer als Weiber behaftet sind und die Uebertragung der Anlage von Mann auf Mann nicht beobachtet und als in dem anderen Familienzweig auch ein Weib behaftet ist. Die Dominanz in dem ersten Familienzweig wird aber noch besonders fraglich durch den Umstand, daß dieser Teil der Familie in Indien lebt, und die Stammtafel folglich nur nach den Aussagen eines Familienmitglieds zu- sammengestellt werden konnte.

Noch interessanter ist der Stammbaum des Verf., in dem der Nystagmus sich rezessiv-geschlechtsgebunden verhält und trotzdem auch die Tochter einer Kon- duktorfrau und eines normalen Mannes befällt (vgl. nebenstehenden Stammbaum). Hier scheint also der rezessiv-geschlechtsgebundene Nystagmus auch bei einer heterozygoten Frau manifest zu werden. Ref. hat vor kurzem einen ana- logen Fall von Manifestationsstérung bei rezessiv-geschlechtsgebundener Far- benblindheit beschrieben.

Q a ee ee hee GE IT LITE SC

Verf. untersucht schließlich noch die Frage, ob die Stellung in der Geburtenfolge einen Einfluß auf die Entstehung des Nystagmus hat. Er kommt zu einem negativen Resultat.

Von allen Nystagmuskranken sind noch nichtdie Halfteerblich be- lastet. Die allgemeine Häufigkeit des erblichen Nystagmus bei Män- nern berechnet Verf. auf 1:5032, bei Frauen auf 1:10596. Die Anzahl erblich Ny- stagmuskranker in Holland schatzt er auf 1100, so daB also je einer von 6500 Hol- landern mit der Anomalie behaftet ist.

Die Abhandlung bietet, wie aus dem Referat zu ersehen, ein so reichliches Material mit so gründlicher Durcharbeitung, daß man beschämt an die Mehrzahl der deutschen Doktordissertationen denken muß. Siemens (München).

v. Behr-Pinnow, Dr. jur., Dr. med. h. c, Die Zukunft der mensch- lichen Rasse. 200 S. Berlin 1925. F. Fontane u. Ko.

Das Buch will eine volkstümliche Darstellung der Erblichkeitslehre und Rassenhygiene sein; und wenn man von Einzelheiten absieht, so kann man sagen, daß es diese Aufgabe im ganzen auch in zweckmäßiger Weise erfüllt. Ein Vorzug

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 4. 28

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des Buches besteht darin, daß es die Beziehungen der Gesetzgebung zur Rassen- hygiene besonders genau berücksichtigt. Der juristisch vorgebildete Verf. war zur Bearbeitung gerade dieses Gebietes in erster Linie berufen. Die praktische Rassen- hygiene Behr-Pinnows ist im wesentlichen auf Auslese eingestellt, ebenso wie die des Baur-Fischer-Lenz, an dem das Buch vielfach orientiert ist. Bemerkt sei, daß Behr-Pinnow sich den Gedanken der „bäuerlichen Lehen“ so weitgehend zu eigen gemacht hat, wie vielleicht kaum ein anderer Autor. Er sagt: „In dem Lenzschen Plane steckt der beste und vollkommenste Siedlungs- gedanke, weil er eugenisch ist. Er gilt nicht dem tüchtigen Einzelnen, dessen Vererbung noch ungewiß ist, sondern dem Paare, von dem wir gute Vererbung erwarten dürfen, der Erhaltung und stärkeren Vermehrung überdurchschnittlicher Familien, der so notwendigen richtigen Auslese.“

Behr-Pinno w zieht auch die Unterschiede der großen Rassen, der mensch- lichen Unterarten, in den Kreis seiner Betrachtung. Von der nordischen, der mediterranen, der alpinen und der dinarischen Rasse werden je zwei Bilder aus Günthers „Rassenkunde“ gegeben. Ein besonderes Kapitel ist der seelischen Eigen- art der nordischen Rasse gewidmet. Die hohe Kulturbegabung der nordischen Rasse wird stark betont, ohne daß indessen gewisse Schwächen des nordischen Charakters verschwiegen oder andere Rassen, wie z. B. die sog. alpine, ungerecht beurteilt würden. Ueber die Bedeutung der Eigenart der Juden erfährt man aus dem Buche allerdings kein Wort!

Man darf den Ansichten Behr-Pinnows auch wohl insofern eine beson- dere Bedeutung beimessen, als er der Vorsitzende des kürzlich begründeten „Bundes für Volksaufartung und Erbkunde“ ist, der die rassenhygienischen Gedanken in weiteste Kreise zu tragen beabsichtigt. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann man die Ausführungen Behr-Pinnows im ganzen nur begrüßen.

Sehr anerkennenswert ist es, daß Behr-Pinnow in mancher Hinsicht auch vor Forderungen, die herrschenden Vorurteilen widersprechen, nicht zurück- schreckt, so z. B. wenn er das Vorgehen des sächsischen Bezirksarztes Boeters in der Sterilisierungsfrage billigt: „Es ist ein unbestreitbares Verdienst von Boe- ters, der eugenischen Sterilisation eine Einfallspforte in Deutschland geschafen zu haben. Die Beurteilung der Indikation und des Umfanges muß der medizini- schen Wissenschaft überlassen bleiben. Vor allen Dingen aber dringt durch solches Vorgehen die Kenntnis von der Unfruchtbarkeit und ihrem Wert in weitere Kreise, was um so mehr zu wünschen ist, als fast die gesamte Bevölkerung diesem Ver- fahren noch verständnislos gegenübersteht. Es wäre auch für diese Propaganda erfreulich, wenn sich noch mehr Aerzte an verschiedenen Stellen Deutschlands dem Boetersschen Vorgehen anschließen wollten.“ Ich kann mich diesem Wunsche nur anschließen; ja, ich halte die Beschränkung der Sterilisierung auf die medi- zinische Indikation sogar für zu eng; sie sollte vielmehr in allen Fällen zulässig sein, wo eine unterwertige Nachkommenschaft zu erwarten wäre. Es dürfte von Interesse sein, daß Boeters im Zusammenhang mit seinem Vorgehen in der Sterilisierungsfrage seines Amtes als Bezirksarzt enthoben worden ist, was bei Behr-Pinnow nicht erwähnt ist. In der Tat scheint sein Verhalten nicht in

Kritische Besprechungen und Referate. 435

jeder Beziehung glücklich gewesen zu sein; doch wird sein Verdienst als bahn- brechender Kämpfer für eine gute Sache dadurch nicht beeinträchtigt.

Wenn es auf Seite 106 heißt, daß die Rationalisierung der Kindererzeugung der Anfang vom Ende sein müsse, so ist das wohl mißverständlich. Auch die Rassenhygiene läuft ja auf eine Rationalisierung der Fortpflanzung hinaus; und eine zu weitgehende Beschränkung der Kinderzahl ist ja keineswegs rationell, d. h. vernünftig. Behr-Pinnow sagt auch selber: „Käme es so weit, daß der Ge- burtenrückgang alle Schichten der Bevölkerung gleichmäßig durchdränge, so wäre das gegenüber dem heutigen Zustande jedenfalls ein qualitativer, eugenischer Gewinn.“ Seine Bevölkerungspolitik ist auch keineswegs einseitig quantitativ ein- gestellt. Er sagt z. B.: „Jedenfalls muß eine Grenzsperre schon aus Gründen der Uebervölkerung eingeführt, Ausweisungen unerwünschter Elemente müssen nach aller Möglichkeit durchgesetzt werden.“

Eine eugenische Indikation zur Unterbrechung der Schwangerschaft will Behr-Pinnow zwar nicht grundsätzlich ablehnen; aber er hat das Bedenken dagegen, daß es heute noch nicht „mit einer an Sicherheit grenzenden Wahr- scheinlichkeit™ möglich sei, festzustellen, ob es sich um das Vorhandensein eines lebensunwerten Wesens handle. „Die Genkombinationen können auch im Falle schwerer Belastung der Eltern einmal günstig ausfallen.“ Glücklicherweise wendet er dieses meines Erachtens nicht durchschlagende Argument nicht auf die Frage der Sterilisierung an. Hinsichtlich der Abtreibung aber möchte er die bisherigen barbarischen Strafandrohungen aufrechterhalten sehen. Darin scheint mir doch eine Verkennung der furchtbaren sozialen und wirtschaftlichen Notstände zu liegen, die in den meisten Fällen den Anlaß zur Abtreibung geben. Ich bin zwar nicht der Meinung, daß man die Abtreibung einfach freigeben sollte; aber die milderen Strafen, welche der Gesetzentwurf von 1925 vorsieht, scheinen mir durch- aus genügend zu sein. Man kann die Rassenhygiene nicht auf erzwungene Fort- pflanzung wider Willen gründen; und von den Tausenden von Frauen, die jährlich infolge von Wundinfektion bei der Abtreibung sterben, ist ein großer Teil als Opfer der allzu drakonischen Gesetze anzusehen.

In einem gewissen Gegensatz zu der Verteidigung härtester Gesetze gegen die Abtreibung steht die Auffassung Behr-Pinnows in der Alkoholfrage, daß eine Trockenlegung durch Gesetze und Strafen nicht zu erreichen sei. Hier führt er den Satz an: „Für das, was das Volk haben will, findet es immer einen Weg, es zu erhalten.“ Mir scheinen aber die Motive, welche zum Alkoholmißbrauch trei- ben, durchaus nicht so schwer überwindbar zu sein als die, welche zur Unter- brechung der Schwangerschaft treiben. Die Schilderung der angeblichen Schäden der Trockenlegung in Amerika und anderen Verbotsstaaten scheinen mir auch zu sehr unter dem Einfluß von Berichten zu stehen, die von Alkoholinteressenten bei uns verbreitet werden. Ich verweise in dieser Beziehung auf den Aufsatz von Popenoe in Bd. 15 Nr. 2 dieser Zeitschrift, aus dem ebenso wie aus anderen unparteiischen Berichten hervorgeht, daß das Verbot in den Vereinigten Staaten durchaus erfolgreich ist, während Behr-Pinnow sagt, daß von einer ernst- lichen Durchführung keine Rede sei.

Die Einehe wird von Behr-Pinnow als ausschließlich sittlich berechtigte Form der Sexualordnung verteidigt, wie mir scheint, nicht mit durchschlagenden

28*

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Gründen. Die phantastischen Forderungen gewisser Befürworter polygyner Ein- richtungen haben leider zu der Vorstellung geführt, als komme entweder nur „der Unfug solcher Menschenzüchterei“ oder die gegenwärtige gesetzliche Form der Ehe in Betracht. Jedenfalls sind dadurch in der gegenwärtigen Zeit nach dem Kriege mehr als eine Million Frauen zur unfreiwilligen Ehelosigkeit verurteilt. Allerdings ist die Frage der zweckmäßigsten Eheform mehr eine soziale -Frage und eine Frage des Glücks oder Unglücks der Individuen als eine eigentlich rassenhygienische. Wenn Behr-Pinnow die Untersuchung auf Geschlechts- krankheiten bei der Beurteilung der Ehetauglichkeit auf das männliche Geschlecht beschränkt wissen will, so kann ich ihm darin nicht folgen. Wenn es in dieser Beziehung um das weibliche Geschlecht noch so stände wie vor Jahrzehnten, könnte man ihm allenfalls zustimmen, so wie die Dinge tatsächlich liegen, aber nicht. Im übrigen bin ich mit ihm einig, daß die entscheidende Maßnahme auf diesem Gebiet in der Einführung einer verschwiegenen Meldepflicht für Ge- schlechtskrankheiten seitens des Arztes liegt.

Daß „die Erblichkeitswissenschaft jetzt zu den Prüfungsfächern im medizini- schen Staatsexamen“ gehöre, ist leider nur ein Irrtum Behr-Pinnows. Nicht einmal Vorlesungen darüber sind vorgeschrieben. Es wird auch voraussichtlich noch manches Jahr vergehen und viel unwiederbringliche Zeit verloren gehen, ehe die maßgebenden Autoritäten sich von der Notwendigkeit einer solchen Reform überzeugen werden. Die Mitteilung, daß in Berlin seit zwei Jahren eine ordentliche Professur für menschliche Erblichkeitslehre bestehe, wäre dahin zu ergänzen, daß die betreffende übrigens nur außerordentliche Professur nach dem Weggange Polls nicht wieder besetzt worden ist, weil man keinen in Berlin genehmen Nachfolger, der zugleich wissenschaftlich qualifiziert gewesen wäre, fand.

In der Beurteilung der Säuglingssterblichkeit macht Behr-Pinnow sich leider die Ansichten der unzulänglichen Publikation von Langstein und Putzig zu eigen, welche eine Auslesewirkung der Säuglingssterblichkeit be- streitet. Unter diesen Umständen würde das Kapitel über Säuglingssterblichkeit eigentlich überhaupt nicht in den Abschnitt über „kontraselektorische Wirkun- gen“ gehören. Da Behr-Pinnow auch in den Kapiteln über Alkohol und Geschlechtskrankheiten nicht ausführt, inwiefern hier kontraselektorische Wir- kungen in Betracht kommen, ist auch in dieser Hinsicht die Ueberschrift des Abschnitts problematisch. Behr-Pinnow teilt die irrige Ansicht von Lang- stein und Putzig, daß es eine „richtungslose“ Auslese gebe, die eine Popu- lation in ihrer Zusammensetzung nicht ändere (S. 43). Ein derartiger Vorgang ist aber das Gegenteil von Auslese; er wird daher als wahllose Ausschaltung oder nonselektorische Elimination (Ploetz) bezeichnet.

Auch sonst ist das Buch in manchen Einzelheiten biologisch nicht einwand- frei. Die „weißen Indianer“ in Mittelamerika haben sicher nichts mit der nordi- schen Rasse zu tun. Die Auffindung weißer Eskimos in Grönland beweist nicht, daß nordische Menschen vor den Wikingern nach Amerika gekommen seien. Daß die nordische Rasse „schizoid“ sei, kann man gewiß nicht sagen, da schi- zoid eine Form der Psychopathie bezeichnet; gemeint ist offenbar, daß die nor-

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dische Rasse von schizothymer Veranlagung sei. Im Vorwort wird Rassen- mischung irrtümlicherweise mit „Spalterbigkeit“ gleichgesetzt und einseitig als nachteilig bezeichnet. Daß Rasse und Staat nichts miteinander zu tun hätten, stimmt doch auch nicht.

Daß das Wort „Rassenhygiene“ nur in der Richtung einer qualitativen Ras- senpflege ging, während die angelsächsische „Eugenik“ auch die quantitative Seite berücksichtigt hätte, wie es auf S. 11 und noch einmal auf S. 104 dargestellt wird, ist. nicht zutreffend. Tatsächlich lag die Sache so ziemlich umgekehrt. Die auch von Behr-Pinnow gegen das Wort Rassenhygiene erhobenen Bedenken sind in dieser Zeitschrift schon so oft kritisiert worden, daß ich es nicht noch einmal tun möchte.

Die Häufigkeit von Mutationen wird von Baur neuerdings auf ca. 10 % an- gegeben, nicht auf 1°/,,, also auf das 100 fache. Der Satz „Schwachsinn vererbt sich rezessiv“ ist zu schematisch. Die Ableitung der menschlichen Unterarten von drei verschiedenen Anthropoiden (S. 57) kann nicht im Ernst aufrechterhalten wer- den. Warum das Genie „natürlich nicht vererbbar“ und nicht züchtbar sein solle, ist nicht abzusehen; alle biologischen Tatsachen scheinen mir vielmehr für diese Möglichkeit zu sprechen. Da dem Worte „Psychoanalyse“ der sexuelle Bei- geschmack der Freudschen Schule anhaftet, kann es nicht gut für psychologische Forschung im allgemeinen gebraucht werden. Daß Schiller sich durch den „Genul“ fauler Aepfel zum Schaffen anregen ließ, möchte ich auch bezweifeln; wenn ich nicht irre, handelt es sich nur um den Geruch von Aepfeln. Bei der An- führung von Autornamen ist der Verfasser etwas sorglos vorgegangen. Auf S. 17 wird mir fälschlich der von Siemens eingeführte Begriff des „Paratypus“ zu- geschrieben, auf S. 58 die Autorschaft für Dominanzverhältnisse der Nasenform. Auf S. 78, 79, 80 und 81 werden E. Fischer Angaben zugeschrieben, die er nicht gemacht hat; auf S. 137 Schallmayer. Der Name Schallmayer wird lei- der durchgehend mit ey geschrieben.

Die populäre Aufklärung wird durch die genannten kleinen Mängel natür- lich nicht wesentlich beeinträchtigt. In „Grundlagen der Vererbungslehre“, wie das Buch im Untertitel heißt, sollten sie dagegen nicht vorkommen und daher in einer zweiten Auflage verbessert werden. Ein empfindlicher Mangel des Buches ist, daß es weder Namen- noch Sachregister hat. Lenz.

Eleutheropulos, Prof. Dr. A, Soziologie. A Aufl., 238 S., Jena, 1923.

Die erste Auflage dieses Buches ist im Jahre 1904 erschienen, die zweite im Jahre 1908. Die dritte Auflage ist fast ein neues Buch, da der Verfasser nach seiner Angabe gut die Hälfte des alten Buches weggestrichen, Selbstverständliches nur andeutungsweise beibehalten und die Kritik fremder Ansichten auf das Haupt- sächliche beschränkt hat. Der Umfang des Buches ist in der dritten Auflage etwa derselbe geblieben.

Man darf nach Eleutheropulos nicht glauben, daß die Soziologie als Wissenschaft von dem organisierten Zusammensein von Menschen eine willkürlich aufgestellte, unberechtigte Wissenschaft sei. Sie sei nicht etwa mit einer Philo- sophie der Geschichte identisch, ja überhaupt nicht eine philosophische Disziplin,

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sondern eine Einzelwissenschaft. Auch mit der Biologie habe sie „nichts Beson- deres zu tun“. Nach der Aufgabe, die ihr zufalle, sei sie ein „völker- (richtiger: rassen-) psych(olog)ische Wissenschaft“, d. h. bei einer Klassifikation der Wissen- schaften sei ihr Platz „neben der Geschichte und Nationalökonomie als den Er- forschungen der Erscheinungen der Völkerpsyche“, Das scheint mir für den „Grundriß einer exakt wissenschaftlichen Soziologie“ freilich eine nicht besonders klare Umgrenzung des Gegenstandes zu sein.

Inhaltlich handelt der erste Teil vom „Ursprung des sozialen Lebens“, der zweite von der „Entwicklung des sozialen Lebens“, der dritte vom „Wesen und Wesensnotwendigkeiten des sozialen Lebens“. Es kann sich an dieser Stelle nur darum handeln, auf solche Ausführungen des Verfassers einzugehen, die zur Ras- senbiologie nähere Beziehungen haben, und das sind ziemlich viele trotz seiner Ansicht, daß die Soziologie mit der Biologie nichts Besonderes zu tun habe. Er wendet sich gegen den „Zoologismus“, worunter er die Bestrebungen versteht, aus biologischen Tatsachen Einsicht in die soziologischen Verhältnisse des Menschen zu gewinnen. So tadelt er Darwin, weil er die Ansicht vertreten hat, ursprüng- lich lebte „jeder Mann mit einer Frau, oder, wenn er die Macht hatte, mit mehre- ren, welche er eifersüchtig gegen alle anderen Männer verteidigte; oder es mag sein, daß er kein geselliges Wesen war und mit mehreren Frauen für sich allein lebte, wie man es beim Gorilla beobachtet hat.“ Eleutheropulos wendet sich dagegen mit folgenden Worten: „Daß Darwin hier im ersten möglichen Falle so- gar eine Unmöglichkeit aussprach, da ein mächtiger Mann schließlich durch seine Frauengier die Geselligkeit mit anderen Männern verunmöglicht, will ich hier nicht einmal erwähnt haben“ (?). Im übrigen verwendet er selber mehrfach „zoo- logistische“ Argumente, z. B. wenn er auf S. 40 meint, die Lehre von der Mono- gamie als ursprünglicher Form der Geschlechtsbeziehungen des Menschen werde u. a. durch das Verhalten der Affenweibchen widerlegt, die sich zu jedem je- weils stärkeren Männchen hingezogen fühlten, und ebenso durch das der Männ- chen, die auch ein anderes Weibchen nicht geringschätzten. Auf S. 56 heißt es sogar: „Es gibt nämlich keinen Grund, dem Menschen etwas abzusprechen, was bei Hunden und Allen schon vorkommt.“ Wenn ein solcher „Zoologismus“ auch zu weit gehen mag, so ist doch jedenfalls an und für sich gar nichts gegen die Methode der Analogieschlüsse aus dem Verhalten der Tiere einzuwenden, wenn dabei stets die besonderen Verhältnisse beim Menschen berücksichtigt werden.

Inhaltlich dürfte E. wohl recht haben, daß die ursprüngliche Form der Ge- schlechtsbeziehungen der Menschen weder die Monogamie noch die Promiskuität gewesen sei. „Möglich ist nur die Lehre von der Ursprünglichkeit der Poly- gamie (Polygynie)“, wie sie auch von Darwin mutmaßlich ausgesprochen (im Text steht „ausgebrochen“) worden sci. Aller Wahrscheinlichkeit nach habe das Geschlechtsleben der ersten Menschen die Form der „vorübergehenden Paarung“ gehabt, und zwar seien Mann und Weib bis zu einer Zeit nach der Geburt des Kindes beisammen geblieben. Ich (Ref.) möchte glauben, daß dieses Zusammen- leben sich auf recht lange Dauer erstreckt habe; dafür scheint mir vor allem die viele Jahre dauernde Unselbständigkeit des menschlichen Kindes zu sprechen. Es gab also in der Urzeit des Menschen wohl sicher schon einen wirklichen Fami- lienzusammenhalt. Aber nichts spricht dafür, daß die ursprüngliche Familie mono-

Kritische Besprechungen und Referate.

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gam gewesen sei, darin stimme ich dem Verfasser durchaus bei. Die Instinkte des Mannes sprechen ziemlich eindeutig für Polygynie; und diese Instinkte dürften mindestens in der Vergangenheit auch am besten der Erhaltung der Rasse ge- dient haben.

Eleutheropulos betont die große Bedeutung der Rassenveranlagung für die Kulturentwicklung. „Es gibt Rassen, die überhaupt unfähig sind, es zu etwas zu bringen, und es gibt wiederum Rassen bzw. Nationen, die nur mit Hilfe und durch Anregung durch andere es zu etwas bringen, und es gibt endlich die Rassen bzw. die Nationen, die absolut und selbständig jene Entwicklung hervorbringen“ (S. 79). „Kurzum: es muß eine besondere Geistesbeschaffenheit für jede Rasse bzw. jede Nation als Ursache von geistigen Produkten in der geistigen Atmo- sphäre des sozialen Lebens angenommen (postuliert) werden“ (S. 110). Auch die Bedeutung der Wesensunterschiede der Menschen für die soziale Gliederung er- kennt E. „Die Entstehung der Klassen- bzw. Ständeunterschiede entspricht also ursprünglich, prinzipiell gesprochen, zweien freilich viel nuancierten Menschen- typen, einem geistig und körperlich starken und einem geistig und körperlich schwachen Typus. Aus dem ersteren Menschenschlag entstanden ursprünglich die höheren, aus dem zweiten die unteren Stände, und diese Unterschiede haben sich sofort auch als Vermögensunterschiede, als Klassen, gezeigt“ (S. 104). Nicht zuzu- stimmen vermag ich allerdings folgendem Satze: „Die Klassen bildende Ungleich- - heit der Individuen hat mit einer Rassenungleichheit nichts zu tun; sie ist prin- zipiell nur die allgemein-menschliche Ungleichheit.“ E. ist sich offenbar nicht dar- über klar geworden, daß es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Erb- anlagen der Individuen und Rassenanlagen gibt und daß Rassenmischung in einer Bevölkerung zu sehr mannigfachen erblichen Unterschieden der Individuen führen muß. Offenbar nur, weil er das nicht durchschaut, polemisiert er auf S. 112 gegen meine Auffassung, daß sich die ursprüngliche Rasse auch noch innerhalb gemisch- ter Bevölkerungen geltend mache. E. sieht überhaupt die einzelnen Nationen (also nicht die Rassen) als die Elemente (er sagt „Atome“) der Weltgeschichte und der Menschheitsgemeinschaft an (S. 148). Sogenannte Menschheitszwecke leugnet er. „Es gibt tatsächlich nur Nationenzwecke.“ Hier scheint er mir landläufige Wer- tungen verabsolutiert zu haben; tatsächlich „gibt“ es überhaupt keine Zwecke. E, selber sagt an anderer Stelle: „Die Entwicklung der Sozialität und die Welt- geschichte sind notwendig und ziel- und zwecklos“ (S. 171).

Was die treibenden Kräfte der Geschichte betrifft, so lehnt E. sowohl den sog. Materialismus als auch den sog. Idealismus ab und meines Erachtens mit Recht. Sein eigenes „System der Entwicklungsursachen“ ist allerdings ziemlich unklar und widerspruchsvoll. So wird die auf der geistigen Ungleichheit der Men- schen beruhende Verschiedenheit der Bedürfnisse zu den „materiellen“ Ursachen der Entwicklung gerechnet, die allgemeine Anlage aller Menschen dagegen zu den „geistigen“ (S. 159). Hier hätten die aus der erblichen Veranlagung der Men- schen und die aus der Umwelt stammenden Entwicklungsursachen unterschieden werden müssen. Offenbar aber fehlt es dem Verfasser an der nötigen Klarheit über die biologischen Grundlagen. Das ergibt sich z. B. aus seinem Urteil über die Vererbung: „Objektiv wird uns die Vererbung als ein Gesetz durch gerade so viele

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Fälle bestätigt, wie so viele andere von dem Gesetze der Variabilität Zeugnis ab- legen, und die Wahrheit ist sogar, daß die Variabilität größeren Wirkungskreis beherrscht als die Vererbung“ (S. 166). Eine solche Gegenüberstellung von Ver- erbung und Variabilität scheint mir in diesem Zusammenhang ganz verfehlt zu sein. Seiner ganzen geistigen Struktur nach neigt Eleutheropulos natürlich zum Lamarckismus, wenn er sich auch nur verklausuliert für eine „Vererbung erworbener Eigenschaften“ ausspricht: „Das ist meiner Meinung nach, obschon nicht im gewöhnlichen Sinne, als Möglichkeit das einzig Selbstverständliche“ (S. 208).

Widerspruchsvoll ist auch seine Stellung zur Frage der sozialen Auslese. Wohl werden die Klassenunterschiede von ihm auf die Unterschiede der psychi- schen und physischen Stärke zurückgeführt. „Daß nun aber wirklich die heutigen unteren Klassen (selbst als Nachkommenschaft von früheren als durch das natür- liche Prinzip gebildeten Klassen gedacht) durchschnittlich dimmer als die höheren sind, dürfte schwerlich zu beweisen sein“ (S. 209). Die mannigfachen Erfahrungs- belege, welche diesen Beweis liefern, scheint E. nicht zu kennen. Außerdem wäre nach seinen eigenen Voraussetzungen eine geringere geistige Stärke der unteren Klassen logisch unbedingt zu erwarten. Aber er kommt auch in dieser Hinsicht von landläufigen Vorurteilen eben nicht los. Er behauptet sogar, es sei Tatsache, „daß in einer Schulklasse der Durchschnittsgeist und die Talente bei den armen Kindern zum mindesten ebenso oft und zahlreich sind, wie bei den besser situier-. ten“ (S. 213). Diese Ansicht wird indessen durch die neueren Ergebnisse von Hartnacke, Duff, Thomson, Terman u. a. eindeutig widerlegt.

Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß E. auch kein Ver- ständnis für das zentrale Problem der Rassenhygiene hat. Zwar ist ihm bekannt, daß die Personen, denen es infolge guter Begabung gelingt, in eine höhere soziale Klasse aufzusteigen, sich unzulänglich fortpflanzen und daß die tieferstehenden Schichten nicht eine unversiegbare Quelle der Kulturbegabung sein können. „Aber wie das einmal endet, ist gleichgültig (!), Tatsache ist auf alle Fälle, daß zunächst der Strom des Bevölkerungsumlaufes von unten nach oben geht“ (S. 227). Dieser Satz ist für die Auffassung E.s bezeichnend und leider nicht nur für ihn, sondern für nur zu viele unserer Zeitgenossen: was aus der Rasse wird, ist gleichgültig; wenn nur der „soziale Aufstieg“ gewährleistet ist.

Eleutheropulos beschränkt seine Soziologie nicht auf die Feststellung von Tatbeständen und Gesetzen, sondern er gibt auch „Maßstäbe“ zur Beurteilung der bestehenden sozialen Zustände und zur „Kritik aller Reformvorschläge“. Aller- dings laufen auch diese Maßstäbe auf eine bloße Uebernahme landläufiger Wer- tungen hinaus. Die „öffentliche Meinung“ mit ihrem Verlangen nach allgemeiner Gleichheit ist nach E. „eben ethisch berechtigt; denn (?) ihre Grundlage ist die empirisch objektive Entwicklungstatsache des menschlichen (ideal wertenden) Geistes (der Mensch soll als Mensch gelten!)“ (S. 145). „Aber aus den Untersuchun- gen vorliegender Soziologie hat sich doch ein ideeller Maßstab ergeben (??); es gibt eine geistige Entwicklung der Menschheit in der Richtung: der Mensch soll als Mensch gelten! In Anbetracht dieser einzigen Tatsache will ich von einem anderen ethischen Maßstabe auch nichts wissen“ (S.225). E. ist also offenbar der

Kritische Besprechungen und Referate. Notizen. 441 Meinung, daß seine „Soziologie“ die wissenschaftliche Grundlegung der Ethik bzw. Werttheorie bedeute. Das ist nun unzweifelhaft eine Illusion. Man muß dem- gegenüber an seinen eigenen Satz erinnern, daß die Weltgeschichte (und damit auch die „Entwicklung der Menschheit“) an sich ziel- und zwecklos ist. Folglich kann sie auch keinen Wertmaßstab geben. Und selbst wenn die Formel, der Mensch solle als Mensch gelten, aus der „Entwicklung der Menschheit“ abgeleitet werden könnte, so würde das immer noch nichts Greifbares besagen. E. hat damit offenbar den „Persönlichkeitswert des Individuums“ (S. 225) im Auge; d. h. er wurzelt in der Moral des absoluten Individualismus, die jedenfalls nur eine Moral unter vielen möglichen ist und die gegenüber den Forderungen der Gegenwart und Zukunft versagt, weil es ihr gleichgültig ist, „wie das einmal endet“. Das Wesen der Sittlichkeit ist nach E. „die Stillung der Sucht des Subjektes nach Glück“ (S. 203). In diesem Satz kommt seine individualistisch-eudämonistische Anschau- ung jedenfalls mit erfreulicher Deutlichkeit zum Ausdruck.

Im bestehenden sozialen Leben „und in der Weltgeschichte“ sind nach E. hauptsächlich folgende Verhältnisse reformbedirftig. Erstens bestehen nach seiner Ansicht die gegenwärtigen sozialen Klassen, welche sich auf die Einrich- tung des erblichen Vermögens gründen, nicht zu Recht. Zweitens seien die be- stehenden sozialen Verhältnisse verantwortlich dafür, daß so viele Menschen zu Verbrechern würden. Drittens sei die Ehe, wie sie bestehe, „weder wirklich eine ethische Institution noch eugenisch bedingt und geregelt“. Schließlich sei auch der Krieg „ein Mißstand im sozialen Leben, der noch dazu durch den Kapitalis- mus entfesselt“ werde. Ich will gewiß nicht bestreiten, daß auf den genannten Gebieten wirklich vieles nicht so ist, wie es sein sollte; aber die Kritik E.s und ebenso seine Reformvorschläge bleiben im wesentlichen doch an der Oberfläche. Daß die gegenwärtige Ehe nicht eugenisch sei, wird nur so beiläufig erwähnt; es ist die einzige Stelle, aus der man zu schließen geneigt sein könnte, daß E. für die Rassenhygiene Verständnis habe.

So bleibt die „Soziologie“ von Eleutheropulos im ganzen unbefriedigend. Sie ist ein Mosaik aus recht verschiedenen Bestandteilen, biologischen, historischen, volkswirtschaftlichen und moralisierenden. Ihre Berechtigung als besondere „Wis- senschaft“ bleibt fragwürdig. Lenz.

Notizen.

Die Gesamtzahl der Juden auf der Erde ist nach J. Lestschinsky (Blätter für Demographie etc. der Juden, 3. Jg. Nr. 5, 1925) nicht genau anzugeben, weil einzelne Länder keine Volkszählungen haben. Immerhin haben wir genaue An- gaben über ungefähr zwei Drittel aller Juden, die in folgender Tabelle gekürzt wiedergegeben sind.

442 Notizen.

Jüd. Bevölkerung Jüd. Bevölkerung Land Jahr 0f der Land Jahr %,der absolut |Ges.-B. absolut |Ges.-B.

I. Europa | |92832576) 2,1 | IL Asien ` | 596622| 0,1 Polen 1921 | 2 829 456 | 10,4 || Asiat. Rußland 1920; 170%13; 0,5 Europ. RuBland 1920 | 2 626 667 | 2,8 || Sibirien 1920 32 731) 0,4 Ukraine 1920 | 1 772479 | 6,9 || Mesopotamien 1920| 87488| 3,1 Uebriges Rußland |19%0| 854188| 1,2 || Palästina 1922 83 794 | 11,1 Rumänien 1919| 834344 | 4,8 || Persien 1922 55 000 | 0,7 Deutschland 1919| 575000| 1,0 || Syrien u. Libanon | 1922 35 000 | 1,0 Ungarn 1920| 473310| 5,9 || Arabien 1920 25000 | 0,5 Tschechoslowakei |1921| 354342 | 2,6 || Indien 1921 21 778| 0,0 England und Irland | 1921 | 286000 | 0,7 || China und Japan 1920 6000| 0,0 Oesterreich 1923| 300000! 4,6 | HI. Afrika 426 258 1,0 Litauen ` 1923| 155126) 7,6 || Britisch Süd-Afrika | 1921 | 62103] 0,8 Frankreich 1921| 150000| 0,4 || Transvaal 1921 33515| 1,6 Niederlande 1920| 115229| 1,7 || Franz. Marokko 1919 84 302| 1,6 Griechenland 1920| 110000| 2,2 || Span. Marokko 1922 18 000 | 3,0 Lettland 1920 79644 | 5,0 || Algerien 1921 73 967| LA Europ. Türkei 1922 85000; 4,5 || Aegypten 1917 59581 | 0,5 Jugoslawien 1921 64 221| 0,5 || Tunis 1921 47640 | 2,3 Belgien 1920 50009 | 0,7 || Tripolis 1918 18660 | 2,4 Bulgarien 1920 45600 | 0,9 || Tanger 1922 12 000 | 24,0 Italien 1921 45000; 0,1 || IV. Amerika 18814089 | 2,1 Schweiz |1920 20 955] 0,5 || Vereinigte Staaten |1920 | 3600000; 3,0 Schweden 1920 6474| 0,1 || Kanada 1921! 126196 1,4 Dänemark 1921 5924| 0,2 || Argentinien 1921| 100000: 1,4 Spanien 1919 4000; 0,02] Mexiko 1921 20 000 | 0,1 Portugal 1920 2000; 0,03 || Brasilien 1920 27000; 0,1 Finnland 1920 1618| 0,05] V. Australien 294 002) 0,4 Norwegen 1920 1457| OO Neu-Süd-Wales 1921| 10160; 0,5 Luxemburg 1922 1270| 0,5 || Viktoria 1921 "pri 05 Im ganzen | 114 163 542| 1,0

Die ungeheuren Veränderungen in der räumlichen Gliederung gibt fol- gende Tabelle:

in absoluten Zahlen

1897 1925

Erdteil

Europa 8 652 000 Amerika 986 000 Asien 406 000 Afrika 282 000 Australien 16 000

insgesamt | 10 342 000 14 830 832 100,0

L. gibt dann noch genaue Angaben über die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in den verschiedenen Ländern. Gutmann (München).

Notizen. 443

I ae Tun re

Die Zahl der Juden in Kanada. 1871—1921.

1871 1115 = 0,03°/o der Ges.-Bev. 1901 16 401 = 0,31°/o der Ges.-Bev. 1881 2396—0,06°o » » 1911 74 564 = 1,03,/0 » » » 1891 6414—0,13% n n»n 1921 125 197 = 1,42" jo » n»n »

Die Zahl der Gesamtbevölkerung stieg in dieser Zeit von 3% auf 8,8 Millionen. Gutmann (München).

Von der richtigen Gattenwahl. Der bekannte philosophische Schriftsteller Hermann Graf Keyserling, der in Darmstadt eine „Schule der Weisheit“ eingerichtet hat, hat im Verlage Kampmann, Celle, ein Sammelwerk unter dem Namen „Das Ehe-Buch“ herausgegeben, zu dem zwei Dutzend Schrift- steller recht verschiedener Art je einen Beitrag geliefert haben. Eines dieser Kapitel, das vom Herausgeber selbst verfaßt ist, trägt die Ueberschrift „Von der richtigen Gattenwahl“, Darin sind auch die rassenhygienischen Voraussetzungen einer richtigen Gattenwahl berücksichtigt. „Des Blutes Schicksal ist zugleich das Schicksal des Geistes; denn nur durch Blut hindurch kann sich dieser auf Erden manifestieren. Daher denn die ungeheure Verantwortung der Elternschaft.“ „Von hier aus betrachtet, kann das Problem der richtigen Gattenwahl überhaupt nicht mehr als individuelles gelten. An der Art seiner Lösung hängt das gesamte Menschheitsschicksal.“ Hier liege die wichtigste Aufgabe „gerade vom Standpunkt der Geistes- und Seelenentwicklung“. Bei der Eheschließung müßten gewisse Gebote beachtet werden, die sich „als Konsequenzen unseres modernen Wissens um die Vererbungsgesetze ergeben“. „Es läßt sich im allgemeinen voraussagen, ob die Nachkommen gut oder schlecht geraten werden. Bei der modernen Be- wußtheit müsse es direkt als verbrecherisch gelten, Kinder in die Welt zu setzen, die aller Voraussicht nach verderben müssen.“ Wo Gefahr für die Nachkommen- schaft drohe, sei Geburtenverhütung geboten; und wo deren Uebung nicht gewähr- leistet erscheine, sollte Sterilisierung von Staats wegen vorgenommen werden. „Man mag dies grausam finden: solange Kriege als möglich gelten, ist gegen diese Rücksichtslosigkeit gegenüber dem einzelnen zum Besten der Gesamtheit überhaupt nichts einzuwenden. Und heute ist ein sozial-chirurgischer Eingriff solcher Art, soweit ich sehen kann, überhaupt nicht zu umgehen, wenn es mit der Menschheit besser werden soll. Nachdem aus Humanitätsgründen seit einem Jahrhundert alles dafür geschah, das Minderwertige zu erhalten, bedeutet eine insofern antihumanitäre Periode wie sie ja schon im Entstehen ist —, eine Periode furchtlosesten Denkens und radikalsten Tuns, die einzige Rettung.“ „Un- zweifelhaft haben sich die Menschenrassen überhaupt im Laufe der Geschichte nicht verbessert, sondern verschlechtert. Ueberall sind die geistig und moralisch begabtesten Schichten unaufhaltsam weil sie sich mehr Gefahren aussetzen oder sich sonst verbrauchen ausgestorben, von der Selbstvernichtung der altgriechi- schen Kulturschichten im Städtekrieg bis zur Zermürbung der Begabten unserer Zeit im technischen Betriebe.“ „Dazu kommt, daß sich in alten Zeiten vor allem die Herrenschichten, zumal die Könige, fortpflanzten, so daß oft ganze Stämme von wenigen Helden abstammten, während die Unterschichten sich infolge allzu ungünstiger Lebensbedingungen kaum vermehrten. Heute gilt das genaue Gegen- teil. Die ungeheure Volksvermehrung in Deutschland zum Beispiel im Lauf der

444 Notizen.

letzten 700 Jahre hat hauptsächlich geringwertiges Blut vervielfältigt, so sehr, daß es den Deutschen alter großer Zeiten seltener schon gibt als den Indianer in Nordamerika.“ „Unter diesen furchtbar ernsten Umständen kann tatsächlich nur rigorose Zuchtwahl die Menschheit vor nie wieder gutzumachender Wert- verminderung retten.“ „Nun, wenn dem also ist, wenn die Menschenrassen gegen- über früheren Zeiten in unerhörtem Maße geschwächt oder verringert erscheinen, zumal seit der geradezu teuflisch negativen Zuchtwahl des Weltkrieges, dann kommt allerdings alles darauf an, das noch vorhandene Erbe voll auszunützen und weise zu vermehren. Deswegen schlägt heute auf Erden die historische Stunde der Eugenik.“

Da Graf Keyserling eine nicht geringe Zahl von Anhängern hat, darf dieses Bekenntnis als ein bedeutungsvolles Zeichen der Ausbreitung des rassen- hygienischen Gedankens gebucht werden. Graf Keyserling hat sich damit als ein echter Philosoph bewährt, als ein Mann, der nicht nur „Liebe zur Weis- heit“ im landläufigen Sinne, sondern der den Mut zur Wahrheit hat, den Mut, die wirklich entscheidenden Probleme anzupacken. Lenz.

Rassenfrage und Sozialismus. In der Nummer des „Gewerkschafts- Archivs“ vom November 1925 finden sich aus der Feder von Dr. Karl Valentin Müller, eines Gewerkschaftsbeamten und Sozialisten, der sich eingehend mit dem Studium rassenbiologischer Fragen befaßt hat, sehr be- merkenswerte Ausführungen. Es heißt dort: „Wenn ich hier schon wiederholt auf die Bedeutsamkeit der Vererbungs- und Rassenfrage auch für die Theorie und Praxis unserer Arbeiterbewegung aufmerksam gemacht habe, so geschah das aus der Erkenntnis heraus, wie unendlich vieles bisher schon versäumt wurde. Mit Schmerz muß man erkennen, wie gerade in den Kreisen, die hier züchterisch aufbauend mitzuwirken berufen wären, die Rassenbiologie als etwas für uns recht Gleichgültiges, wo nicht gar ‚Gefährliches‘ angesehen wird, als die Marotte ‚nationalistischer und antisemitischer Professoren‘, wie es neulich noch in einer angesehenen naturwissenschaftlichen Zeitschrift zu desen stand. Da wird, falls man wirklich den gesunden Drang nach biologischer Erkenntnis bei unseren jungen Kollegen nicht mehr zügeln kann, ein Aufguß der im ganzen überwun- denen, nur noch von ein paar Außenseitern vertretenen lamarckistischen Auf- fassung von der Vererbung erworbener Eigenschaften vorgesetzt*). Und von den so lebensvollen, für den einzelnen, die Familie und die Klasse so unendlich wich- tigen Erkenntnissen der modernen Vererbungs- und Rassenlehre erfährt der Wissensdurstige nichts.“ „Die Frage der Rasse und Rassentüchtigkeit einer Be- völkerung ist von höchster Wichtigkeit für ihren sozialen Erfolg und ihre soziale Gestaltung.“ K. V. Müller billigt im ganzen sogar die praktischen Forderungen, welche im Baur-Fischer-Lenz vertreten werden, wenn er auch der Meinung ist, daß eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft und Wirtschaft erst die Voraussetzungen für ein gesundes, rassenhygienisches Wirken schaflen müsse. „Es wird bei der Lektüre manchen überraschen, wie tief die Rassen-

**) Gemeint ist offenbar die „Urania“, eine sehr verbreitete Zeitschrift, in der der bekannte jüdisch-lamarckistische Schriftsteller Kammerer für Aufklärung der sozia- listischen Arbeiter in seinem Sinne sorgt.

Notizen. 445

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hygiene mit ihren Forderungen in unser wirtschaftliches Leben eingreifen muß und wie weit sich ein konsequenter Rassenhygieniker (wie z. B. Lenz) den sozialistischen Forderungen nähern muß.“

K. V. Müller kommt auch auf das Buch von Madison Grant zu spre- chen, und er meint, es scheine zu den wenigen Büchern zu gehören, die wirklich Geschichte im großen gestalten helfen. „In dem kernigsten Teile der Neuen Welt ist eine weltanschaulich begründete Bewegung am Werk, die zu gesetzlichen Maßnahmen von echt amerikanischer nach der Lektüre Grants wird man vielleicht sagen: echt nordischer Kühnheit und Schroflheit geführt hat und noch lange nicht abgeschlossen ist. Das ist es vor allem, weswegen Grants Buch uns so lesenswert ist: zu erschauen und zu erfühlen, wie in ihm und mit seiner Hilfe dieser neuartige Geist des nordischen Rassebewußtseins, der Ueberzeugung von dem ausschlaggebenden Wert rassenhaften Erbguts, ersteht, der ein gut Teil der heutigen und noch mehr der künftigen Politik der Ver- einigten Staaten bestimmen wird.“ „Der Amerikaner von heute und auch der Arbeiter, nicht zu vergessen, dieser ganz besonders! kennt ja nicht nur eine Ostjudenfrage wie wir, sondern eine Neger-, eine Mulatten-, eine Chinesenfrage, die ihn in sehr lebensunmittelbarer Weise.angeht.“ „Das ist aber nicht nur in Boston oder Chicago so, sondern in Australien war es bekanntlich gerade die erste Arbeiterregierung, die sich noch viel schärfer und wenn man so will brutaler gegen mongolische Einwanderung wandte; aus Südafrika wird neuer- dings eine ähnliche Einstellung berichtet. Dort überall lehrt das Leben selbst auf die rassenbiologisch bedingten Unterschiede in Kulturleistung und Kultur- bedürfnis achten; lehrt ferner erkennen, daß Streben nach absoluter Gleichberech- tigung und Gleichlöhnung aller Rassen mit kulturellem Harakiri unsererseits gleichkommt.“ „Mit einem solchen beschämenden Maße lähmender spießbürger- licher Bedenken, cliquenhaften Totschweigens und rassenbiologischer Uninter- essiertheit wie bei uns hat man in der Neuen Welt zweifellos nicht zu rechnen. Man weiß drüben zu genau, oder ahnt doch wenigstens die Bedeutung der Tat- sache, daß die unerhörten Erfolge der nördlichen Hälfte der Neuen Welt (in deutlichem Gegensatz zu Mittel- und Südamerika) zum großen Teil der ursprüng- lichen Einwanderung der ‚great race‘, tüchligster nordischer Blutstämme, zu danken ist.“ „Unser ganzes Abendland samt seinen Kolonien und kulturlichen Vorläufern, samt seinen vollendenden Tendenzen im Ideal des Sozialismus und der Humanität ist doch im tiefsten Grunde ein Produkt vorwiegend nordischer Geistesart so hoch man auch den fördernden, fermentativen Einfluß der anderen europäischen Rassenelemente und des Judentums veranschlagen will.“

Auch in Amerika mache sich freilich schon die Hefe der modernen Kultur- völker in beängstigendem Umfang bemerkbar, die erblich belastete Minderwertig- keit, das geborene Vagabunden- und Verbrechertum, die psychisch defekten Ele- mente aller Rassen. „Dieses sozialbiologische Uebel zu bekämpfen, ist bekanntlich mit sozialen Reformen, mit Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse allein ohne Besserung der Erbmasse der Bevölkerung nicht möglich. Prinzipiell hat man da nur das Mittel, das auch die Natur gegenüber den ,Minderwertigen‘ aller Tier- und Pflanzenrassen anwendet: das Ausmerzen, das Aussterben, d. h. man muß verhindern, daß diese erblich belasteten Elemente ihre unerwünschte, sozial

446 Notizen.

gefährliche Erbmasse durch Fortpflanzung verewigen.“ „Und eine Bewegung, die nur konsequente Folgerungen aus fortschreitenden Erkenntnissen der Wissenschaft zieht, soll ein Sozialist niemals aufhalten wollen, auch wenn sie mit manchem liebgewordenen Vorurteil bricht, sondern die soll er zukunftsfroh und kühn, wie es nordischer Gesinnung entspricht, die auch bei uns wohl noch führend ist, mitbauen, mitfördern, mitgestalten helfen, um möglichst dem einmal unumgäng- lichen Neuen den Stempel seines sittlichen Wollens aufzuprägen.“

Viele Leser werden sich bei diesen Sätzen vermutlich mit steigender Ver- wunderung gefragt haben, ob das denn wirklich ein Sozialist sei, der das ge- schrieben habe, ja ob nicht K. V. Müller eben dadurch, daß er ein solches Bekenntnis ablege, aufhöre, ein Sozialist zu sein. Ich glaube nicht. Was mit den rassenbiologischen Erkenntnissen unvereinbar ist, ist nur die marxistische Lehre des historischen Materialismus und die damit zusammenhängende Gleichheits- lehre, nicht aber der Sozialismus als solcher, d. h. die Lehre von der Vergesell- schaftung der Produktionsmittel. Wir haben freilich seit Ludwig Woltmann keinen Sozialisten geseben, der die Bedeutung der Rasse für das soziale Leben und für die Kultur so tief erfaßt hätte wie K. V. Müller. Woltmann scheint freilich schließlich zu der Ansicht gekommen zu sein, daß der Sozialismus mit der rassenbiologischen Erkenntnis nicht vereinbar sei; und so hat er seine Partei verlassen und bald darauf auch diese Welt voll Spießbürger und Banausen, sehr zum Schaden des Sozialismus und auch der Rassenbiologie. K. V. Müller, von dem wir hoffen möchten, daß er das vollenden möge, was einst Woltmann begann, ist wohl gesünder und widerstandsfähiger als Woltmann veranlagt. Und wenn man ibm einmal von seiten der orthodoxen Gläubigen des Marxismus den Ketzerprozeß machen sollte, so wollen wir hoffen, daß es nicht gelingen wird, ihn mundtot zu machen. Er hat den deutschen Sozialisten gewiß noch viel zu sagen, aber auch vielen Leuten außerhalb der sozialistischen Partei. Der geborene Gegner der Rassenhygiene ist nicht der Sozialist, sondern der Spießbürger; und da wirkt es sehr erfrischend, wie K. V. Müller den Spießern unter den Sozia- listen wie unter den Bürgerlichen die Wahrheit sagt, aber auch jenen Demagogen, welche die Instinkte der Spießer gegen den Rassengedanken aufzuputschen suchen.

í Lenz.

Ein zeitweiliges Alkoholverbot wurde im September 1925 in Steyr, dem größ- ten Industriezentrum Oberösterreichs, erlassen. Am 30. September wurden die Arbeiter der Steyrwerke wegen Demonstrationen, Gehaltsforderungen etc. aus- gesperrt. Bei der ersten Versammlung der Arbeiterschaft wurde vom Betriebs- rat vorgeschlagen, ein Alkoholverbot einzuführen. Der Vorschlag wurde von den versammelten 4000 Arbeitern mit großem Beifall aufgenommen und noch am selben Tage trat das vollständige Alkoholverbot für die Stadt Steyr in Kraft. Große Maueranschläge kündeten das Verbot an, das folgenden Wortlaut hatte:

Zl. 13. 141 / Pol. Steyr, 30. 9. 1925. Kundmachung betreffend Erlassung eines Alkoholverbotes.

Mit Rücksicht auf die derzeitige Lage wird im politischen Bezirke Steyr-Stadt der Ausschank und der Verkauf von alkoholischen Getränken jeder Art verboten.

Notizen. 447

EEE EA ee ee U e ee e IELI m E EE

Uebertretungen dieses Verbotes werden auf Grund der $$ 7 und 11 der Verord- nung vom 11. April 1854, R.G.Bl. Nr. 96, bzw. gemäß des Gesetzes vom 13. 3. 1923 B.G.Bl. Nr. 213 mit Geldstrafen bis zu 120 S oder mit Arrest bis zu 14 Tagen ge- ahndet. Diese Verordnung tritt sofort in Kraft. Magistrat Steyr.

Abteilung III. Der Bürgermeister: Wokral.

Auf Wunsch der Arbeiterschaft wurde das Alkoholverbot von der Bezirks- hauptmannschaft auf die Ortschaften Dietach, Gleink, Sierning, Garsten und St. Ulrich ausgedehnt. Mit Ausnahme der Wirte wurde das Alkoholverbot „wegen der ernsten Lage“ so heißt es im Bericht*) allgemein für richtig befunden und auch eingehalten. Allerdings dauerte das vollständige Verbot nur bis Sonn- tag, den 4. Oktober, 11 Uhr vorm., da es den Wirten gelungen war, bei der 0.6. Landesregierung eine „Milderung“ zu erwirken, die darin bestand, daß für die Zeit von 11—1 Uhr mittags und von %6—8 Uhr abends der Ausschank geistiger Getränke (mit Ausnahme von Schnaps) für die Umgebung von Steyr gestattet wurde. Nach diesem bedauerlichen Umfall der Landesregierung gab auch der Magistrat der Stadt Steyr dem Drängen der Gastwirte nach. Auf weiteres Drän- gen der Gastwirte mußte man sich am 13. Oktober zur Aufhebung auch des Schnapsverbotes entschließen, so daß von diesem Tage an der Geldstrom wieder uneingeschränkt den Weg durchs Wirtshaus machen kann.

Inzwischen hat ein weiterer Fall, und zwar in Linz, bewiesen, daß in Ober- österreich der Verbotsgedanke sehr weit vorgeschritten ist. Am 8. Oktober hat ein sozialdemokratischer Abgeordneter in einer Vertrauensmännerversammlung den Antrag gestellt, die Linzer Parteiangehörigen sollen am 17., 18. und 19. Ok- tober keinen Alkohol trinken und das dadurch ersparte Geld den Streikenden und Ausgesperrten in Donawitz und Steyr geben. Der Antrag wurde angenom- men und tatsächlich wiesen die Gastlokalitäten an den genannten Tagen einen schwächeren Besuch auf. Plakate wurden in der Stadt herumgetragen, die zur gewissenhaften Einhaltung der durch Parteibeschluß übernommenen Verpflich- tung aufforderten.

Es ist zu hoffen, daß diese Ereignisse als ein Wetterleuchten anzusehen sind, das einmal ein reinigendes Gewitter bringen möge. Bezeichnend ist es, daß der Vorstoß von der Arbeiterschaft ausgegangen ist und dort begeistert aufgenommen wurde.

Während die sozialdemokratische und nationalsozialistische Tagespresse die erwähnten Ereignisse als begrüßenswerten Fortschritt auf dem Wege zur Be- freiung von dem Volksgift Alkohol feierten, ging die übrige (bürgerliche) Tages- presse mit kurzer Schilderung und einigem Spott darüber rasch hinweg.

L. Gschwendtner (Linz).

*) Es scheint, als ob neben Rücksichten auf die öffentliche Sicherheit und Ruhe auch volkswirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Erlassung des Verbotes eine wenn auch untergeordnete Rolle spielten. Auf diese Weise sollten die Streikenden gezwungen sein, ihre nun aus der Streikkasse oder aus dem Fonds der Arbeitslosenunterstützung bezogenen, natürlicherweise spärlichen Geldmittel nur für den unumgänglichen Lebens- bedarf zu verwenden.

448 Aus der Gesellschaft für Rassenhygiene. Zeitschriftenschau.

Aus der Gesellschaft für Rassenhygiene.

Die oherösterreichische Gesellschaft für Rassenhygiene hat dem o. ö. Landes- schulrat die Schrift von Prof. Dr. F. Lenz „Ueber die biologischen Grundlagen der Erziehung“ (J. F. Lehmanns Verlag 1925) mit dem Ersuchen vorgelegt, die Schrift den Mittelschulen unseres Landes zur Anschaffung für ihre Lehrerbiblio- theken anzuempfehlen. Der Landesschulrat ist dem Ansuchen der Gesellschaft nachgekommen und hat mit Erlaß vom 17. Oktober, Zl. 2407/1, in dem er die Schrift einer eingehenden Würdigung unterzog, die Anschaffung der Arbeit den Mittelschuldirektionen nahegelegt.

Gelegentlich einer Konferenz teilte der 0.6. Lehrerverein den Vertretern unserer Gesellschaft mit, daß auf die Ankündigung des in Linz stattfindenden Kur- ses über Vererbung und Rassenhygiene von allen Teilen unseres Landes An- suchen eingetroffen sind, derartige Vorträge gelegentlich von Bezirkslehrerkon- ferenzen in ihren eigenen Bezirken veranstalten zu wollen. Vorläufig liegen Ge- suche vor aus Gmunden, Ried i. J., Schärding, Steyr und Vöcklabruck. Bisher haben sich vier Vortragende bereit erklärt, in einzelnen Bezirken Vorträge zu halten. L.Gschwendtner.

Zeitschriftenschau.

Archiv für Dermatologie und Syphilis. Band 144, 1923. Fulde: Studien über Vererbung von Hautkrankheiten. IV. Porokeratosis Mibelli. Durch Bearbeitung des Literaturmaterials konnte Verfasser unregelmäßig-dominante Vererbung feststellen mit nach dem bisherigen Material relativer Begrenzung auf das männliche Geschlecht, da sich unter den Behafteten 72 + 12% Männer be- fanden. Systematisierung wurde bisher noch nicht familiär angetroffen. S. 169. Lippert: Kritischer Beitrag zu Levens Arbeit: Naevus linearis atrophicuset depigmentosus. Verfasser beobachtete in 10 Fällen die von Leven beschriebenen anetodermatischen Streifen im Kreuz, die Leven wegen ihres familiären Vorkommens als Naevi auffassen wollte. Auf Grund seiner klinischen, histologischen und ätiologischen Untersuchungen sieht sich Verfasser gezwungen, die Affektion mit den Striae distensae zu identifizieren. Er hält sie für idiodispositionell, keinesfalls aber für streng idiotypisch bedingt. Folglich möchte er diese Striae nicht als Naevus bezeichnen, da er meint, daß „man im klassischen Naevus das Beispiel einer idiotypisch bedingten Hauterkrankung zu sehen gewöhnt ist.“ S. 175. Siemens: Studien über Vererbung von Hautkrankheiten. V. Atherom zugleich ein Beitrag zur Klinik der Epidermoide und der Fol- likularzysten. Unter dem Namen Atherom werden zwei sehr verschiedene Ge- bilde, nämlich Epidermoide und Follikularzysten zusammenfaßt. Untersuchungen an 114 Atheromfällen ergaben, daß die ersteren unregelmäßig-dominant erblich, die Ietz- teren im wesentlichen nichterblich bedingt sind. Zwischen beiden Atheromformen be- stehen aber außer diesen ätiologischen auch wesentliche klinische Unterschiede. S. 277. Langer und Gumpert: Zur Kenntnis der Recklinghausenschen

Zeitschriftenschau. 449

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Krankheit. (Abortive Fälle mit Schleimhautlokalisation.) Mit- teilung von 4 genau untersuchten Fällen. S. 295. Sklarz: Ueber Kerato- dermia maculosa disseminata symmetrica palmaris et plan- taris (Buschke-Fischer). Mitteilung eines Falles. Familie ohne Befund. S. 440. Rothman: Untersuchungen über Xeroderma pigmentosum. Die Lichtempfindlichkeit beim Xeroderma ist nicht im Gesamtstoffwechsel, sondern allein in der Organkonstitution der Haut begründet. Es besteht keine Steigerung der Lichtreaktion, sondern nur eine Verzögerung in der Rückbildung der Licht- entzündung, auf deren Höhepunkt außerdem Teleangiektasien auftreten. Die Ab- normität beruht auf einer verminderten Widerstandskraft der Hautgefäßwände; sie besteht nur gegen ultraviolettes Licht. Band 145, 1924, S. 207. Siemens: Unter- suchungen über die Aetiologie der Naevi. Nachweis der weitgehenden - nichterblichen Bedingtheit des einzelnen Muttermals durch systematische Unter- suchungen an Zwillingen. Feststellung der polyiden Bedingtheit der Sommersprossen. (Demonstration zahlreicher Zwillingspaare mit Muttermälern.) S. 210. Siemens: Ueber Epidermoide und Follikularzysten. Anamnestische Erhebungen bei 114 Fällen von Atheromen (Grützbeutel), von denen es zwei verschiedene Formen gibt. Die eine ist unregelmäßig dominant, die andere nichterblich bedingt. Sie sind auch klinisch voneinander zu unterscheiden. S. 285. Hunold: Zwillingspatho- logische Untersuchungen der Mundhöhle. Gemeinsam mit Siemens durchgeführte Untersuchungen der Mundhöhle bei 140 Zwillingen. Vererbungsbiolo- gische Schlußfolgerungen bezüglich Fehlens und Auseinanderstehens von Zähnen, sym- metrischen Grübchen im Gaumen usw. Demonstration von fünf Zwillingspaaren. S. 301. Ehrmann: Neurofibromatosis und Sarkom. Mitteilung von Fäl- len. S. 303. Brünauer: Zur Frage der Darierschen Krankheit. Mit- teilung eines familiären Falles. S. 321. Sklarz: Zur Kenntnis der Kerato- dermia maculosa disseminata symmetrica (Buschke-Fischer). Mitteilung eines nichtfamiliären Falles. S. 321. Arztund Fuhs: Zur Kenntnisder herdweisen Keratosenan Händen und Füßen. Verfasser teilen die von ihnen als Genodermatosen bezeichneten Krankheitsbilder in drei Gruppen: 1. an- nähernd diffuse, scharf begrenzte Keratosen, 2. insel- und streifenförmige Keratosen, 3. mutiple kleinherdförmige Keratosen. Bd. 146, 1924, S. 303. Fünfack: Zur Frage der Aetiologie der Hydroa vacciniforme. Mitteilung von Be- strahlungsversuchen an drei Fällen. Im dritten Fall, einem 9 jähr. Mädchen, hatte auch die Mutter in jüngeren Jahren einen gleichen Ausschlag gehabt, der auch in letzter Zeit wieder aufgetreten ist. S. 337. Leven: Bemerkungen zu Lipperts Arbeit in Band 144, Heft 1 dieses Archivs. Leven hat in einem Fall das Vor- kommen von Striae an identischen Körperstellen bei drei unter neun Geschwistern beobachtet und deshalb solche Fälle als idiotypische Erkrankung von den gewöhn- lichen idiodispositionellen Striae trennen wollen. Mit dieser Auffassung ließe sich auch die Auffassung von Lippert, der das nichterbliche Moment bei der Entstehung der Striae mehr betont, vereinigen. Uebrigens meint Verfasser, daß man wegen des Auf- tretens der Striae bei Geschwistern gesunder Eltern doch wohl an rezessive Ver- erbung denken müßte. S. 342. Vollmer: Beitrag zur Konstitution der Morbus-Darier-Kranken. Mitteilung von zwei nichtfamiliären Fällen mit ge- nauer somatisch-anthropologischer und hämatologischer Untersuchung. In beiden Fäl- len lag eine generelle Hypoplasie vor mit schwacher Vita sexualis und wenig ent- wickelter Intelligenz. S. 474. Spitzer: Ueber familiären Lichen ruber. Mitteilung von vier Fällen. 1. Patientin und Mutter, 2. Patient und Tochter, 3. Bru- der und Schwester, 4. Mutter und zwei Söhne. Insgesamt betrifft der familiäre Lichen ruber bis jetzt 39 mal Blutsverwandte und 7 mal Elternpaare. Sein familiäres Vor- Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 4. 29

4% Zeitschriftenschau.

kommen spricht für die Auffassung, daß es sich bei diesem Leiden um eine In- fektionskrankheit handelt. Bd. 147, 1924, S. 1. Siemens: UeberdieBedeutung der Erbanlagen für die Entstehung der Muttermäler. Nachweis der vorwiegend nichterblichen Bedingtheit des einzelnen Muttermals in den beobachteten Fällen durch systematische zwillingspathologische Untersuchungen. Erörterung der Schlußfolgerungen, die sich hieraus für die allgemeine und spezielle Nacvuslehre er- geben. Von den Einzelergebnissen seien nur erwähnt: die polyide Erbbedingtheit der Wangen-Teleangiektasien und der Sommersprossen, die Widerlegung der Unna- schen Drucktheorie für die Entstehung bestimmter Naevi flammei, die Erbbedingtheit der Cutis marmorata und der Acne vulgaris, die Erblichkeitsbeziehungen von Cloasma und Striae atrophicae, der Nachweis der Erbbedingtheit der Lentigozahlen, die mit dem Nachweis einer idiotypischen Disposition für den einzelnen lentiginösen Naevus identisch ist; Versuch, den Naevusbegriff so zu fassen, daß alle erblichen naevus- ähnlichen Bildungen ausgeschlossen werden, Kritik und Ablehnung der „keim- plasmatischen Naevustheorie‘ Meirowskys, Begründung von Zweifeln an der kongenitalen Natur aller Naevi, Erörterung über die Unterschiede von Scheckung und sonstiger Systemtisation, Abtrennung des lokalen Albinismus von den depigmentierten Naevi, Erörterung über die Auffassung der Muttermäler als Atavismen. S. 1%. Heuck: Studien über Vererbung von Hautkrankheiten, VII. Mo- niletrichosis. Bearbeitung des gesamten erreichbaren Literaturmaterials. Die Perlschnurhaare verhalten sich unregelmäßig dominant; das Verhältnis der Kranken zu den Gesunden beträgt 47:46; fünfmal wurden Konduktoren beobachtet; Männer und Weiber sind gleich häufig behaftet. Sicher sind nicht alle Fälle unregelmäßig dominant; denn von 44 Fällen sind 16 familiär, 28 solitär. In 15 Fällen waren die Eltern der Behafteten sicher gesund. Die solitären Fälle zeigen in dem bisherigen Material relativ häufiger als die familiären klinische Atypien. S. 210. Siemens: Zur Kenntnis der Epheliden, mit Bemerkungen über Haarblei- chung und Haarfarbenbestimmung. Es bestehen Beziehungen zwischen den Sommersprossen einerseits, Augenfarbe, Rotgehalt des Haares und Hautfarbe andererseits. Zwischen Sommersprossen und dem gewöhnlichen (rotfreien) Haar- pigment ließ sich keine Korrelation feststellen. Die Untersuchungen wurden an 2500 Münchener Schulkindern durchgeführt. Bei der Bestimmung der Haarfarbe mit Hilfe der Fischerschen Haarfarbentafel ergaben sich methodologisch interessante Schwierigkeiten dadurch, daß die Haarenden häufig Rot enthalten, wenn am Haar- grund eine rotfreie Farbe gefunden wird. Die graue und die rothaltige Farben- reihe sind also wohl doch nicht so prinzipiell zu trennen, wie es die Anthro- pologen wollen, zum mindesten nicht in praxi. S. 353. Obermiller: Beiträge zum Morbus Darier. Mitteilung von drei Fällen; in dem zweiten Fall sollen auch Vater, zwei Brüder und ein Kind der Patientin behaftet, die Eltern des Vaters gesund sein. S. 389. Komaya: Symmetrische Pigmentanomalie der Extremitäten. Beschreibung von zwölf Fällen bei Japanesen mit fleckiger Pig- mentierung an den Gliedmaßen. Die zwölf Fälle stammen aus zehn Familien; dar- unter finden sich vier Familien, in denen die Krankheit in zwei Generationen auftrat, bei vier Familien wurde die Erkrankung von Geschwistern beobachtet. Fünf Fälle stammen aus blutsverwandten Ehen. Die Lokalisation der Anomalie ist hauptsächlich das Gesicht sowie Hand- und Fußrücken. S. 409. Siemens und Hunold: Zwil- lingspathologische Untersuchungen der Mundhöhle. Ergebnisse der - Untersuchungen der Mundhöhle bei 56 eineiigen und 35 zweieiigen Zwillings- paaren. Die Ergebnisse betreffen Anomalien der Größe und Form (Riesenwuchs, Tuberculum Carabelli, Hyperplasie des Tuberculum incisivum, Embolus), Anomalien der Struktur (Schmelzhypoplasien, Hutchinsonsche Zähne), Anomalien der Zahl, Ano-

Zeitschriftenschau. 451

malien der Stellung (Drehung, Verlagerung, Bißanomalien), Mißbildungen im Bereiche der Mundhöhle (Diastema, Lingua plicata, Foramina palatina) und Caries. S. 499. Martenstein: Experimentelle Untersuchungen über Strahlenemp- findlichkeit bei Xeroderma pigmentosum. Untersuchungen mit ver- schiedenen Strahlenarten und chemischen Reizen bei einer 26jährigen Patientin, die eine jüngere, gleichfalls behaftete Schwester besitzt. Siemens (München).

Archiv für Ophthalmologie. 1925, Bd. 115, S. 655. Blum: Vergleichende Messungen der Augenanlage und Linse von normalen und kolo- bomatösen Kaninchenembryonen sowie über die sich daraus ergebenden gegenseitigen korrelativen Beziehungen und ihre Bedeutung für die Kolobompgenese. Das Wachstum normaler Augen und normaler Linsen einerseits sowie der Augen und Linsen von Tieren mit Spaltbildung der Augenblase, deren Erblichkeitsverhältnisse feststehen, andererseits, ist jeweils kor- relativ aufeinander abgestimmt; die Korrelation ist gestört beim Vergleich normaler Augenblasen mit Linsen kolobomatöser Tiere und umgekehrt. Da Augenblase und Linse vom Ektoderm abstammen, so ist die gefundene Korrelation ein weiterer Be- weis für die von v. Szily angenommene primäre Rolle des Ektoderms bei der Genese der Spaltbildungen. Scheerer (Tübingen).

American Journal of Physical Anthropology. 1925, Bd. 8, S. 293. Wulsin: F. R., Non-Chinese Inhabitants ofthe Province of Kansu, China. Die in der Nordwestecke von China gelegene Provinz hat infolge vieler Wanderungen, Fremdansiedelungen und Kriege eine Bevölkerung verschiedenster Herkunft: neben den Chinesen Alaska-Mongolen, Araber, Türken, Tataren, Tibetaner usw. Zahlreiche Beispiele wie z. B. das einer Alaska-Fürstenfamilie, in welcher der Vater durchaus chinesisches Aussehen, aber eine auffällige Adlernase hatte, während der Sohn ganz hellhäutig und blond war, oder das Vorkommen von ,,Tibetanern“ mit schwarzem Kraushaar weisen darauf hin, daß die mannigfaltigsten Rassenmischungen in der Be- völkerung verwirklicht sein dürften. Scheidt.

Blätter für Demographie, Statistik und Wirtschaftskunde der Juden. 3. Jg. Nr. 5, 1925. Lestschinsky, J.: Die Gesamtzahl der Juden auf der Erde. S. 1—7 (vgl. Referatenteil). Becker, R, Das jüdische Rassenproblem. S. 8—13. (I. Teil: Die Rassenzeichen). Brutzkus, B.: Die jüdische Landwirtschaft in Europa. S. 13—16. (Behandelt Weißrußland und Bessarabien.) Frenk, E. N.: Zur Geschichte der jüdischen Kolonisationin Polen. S. 17—27. Coralnik, J: Die jüdischen Studenten in Europa in der Nach- kriegszeit. S. 28-48. Berichtet ausführlich über die Studentenschaft in Ungarn, Polen, Tschechoslowakei, Deutschland und Lettland. Von den ausführlichen Tabellen geben wir die folgende wieder, die den Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung und an der höheren Bildung wiedergibt. e

Prozentsatz der Juden

unter der unter der allgemeinen | städtischen Bevölkerung | Bevölkerung

unter den Studenten

29*

452 Zeitschriftenschan.

Lestsehinsky, J.: Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung der Stadt Kiew seit 1897. S. 49—67. Gutmann, M. J.: Die Krankheiten der Juden. S. 68—72. (Ueberblick.) Wischnitzer, M.: Die Statuten der jüdischen Handwerkerzunftin Keidan. S. 72—77. Weissenberg, S.: Eheschließungen bei der jüdischen Bevölkerung in Elisabeth- grad. S. 78—80. Pro 1000 der Bevölkerung trafen Eheschließungen: 1921 bei den Juden 12, bei den Russen 20; 1922 bei den Juden 7, bei den Russen 15; 1923 bei den Juden 8, bei den Russen 17; 1924 bei den Juden 9, bei den Russen 17. Bei den Scheidungen war das Verhältnis ähnlich. Die Mischehen betrugen in den Jahren 1921/24 durchschnittlich 10% der rein jüdischen Ehen. Lestschinsky, J.: Wirt- schaftlicher Verfall des osteuropäischen Judentums. S. 81—163. Grünbaum, J: Das jüdische Schulproblem in Polen. S. 104—110. Minzin, J.: Jüdische Handels- und Industriebevölkerung Li- tauens. S. 110—115. Statistische Chronik: Zahl der Juden in Polen 1921: 2 829 456 = 10,5 % der Gesamtbevölkerung, die Zahl der Juden in Kanada 1871—1921 (siehe Referat), in Estland 1922: 4566 0,4 % der Gesamtbevölkerung, in Wien 1923: 201513 10,8% der Gesamtbevölkerung, in Amsterdam 1920: 67249 10,3% der Gesamtbevölkerung, sie betrug 1796 11,7 % der Gesamtbevölkerung, in Czernowitz 1919: 43555 47,4 % der Gesamtbevölkerung, in den marokkanischen Städten 1921: in Casablanca z. B. 13010 Juden unter 191 690 der Gesamtbevölkerung, in den andern Städten wesentlich weniger, in Danzig 1924: 9239 Juden 2,4 % der Gesamtbevölke- rung. Jüdische Millionäre in U. S. Amerikas. Von den verstorbenen Millionären mit über 100 Millionen Dollar Besitz waren: 150 Englander = 71,8%, 29 Deutsche = 13,9 %. 14 Franzosen = 6,7%, 9 Juden = 4,3%, 7 andere = 3,3 %, von den jetzt (1925) lebenden: 113 Engländer 57,9%, 30 Deutsche = 15,4 %, 12 Franzosen = 6,1 %, 30 Juden 15,4% und 10 andere = 5,2 %- Gutmann (München).

Dermatologische Wochenschrift, 1923, Bd. 75, S. 709. Leven: Krankheit und Vererbung. Vortrag, der besonders in die vererbungspathologischen Grundbegriffe und Fachausdrücke einführt, unter entschiedenem Eintreten für die Termini und Be- griffsabgrenzungen von Siemens und Lenz. S. 1036. Behdjet: Betrachtungen über einen Fall von Recklinghausenscher Krankheit. Türkischer Soldat mit einer ungewöhnlich umfangreichen, den Eindruck eines hypertrophischen Naevus pig- mentosus pilosus machenden sog. Lappenelefantiasis am linken Arm. 1923, Bd. 76, S. 626. v. Notthafft: Alkohol und Geschlechtskrankheiten. Die Frage, in welchem Umfang der Alkohol die geschlechtlichen Verbindungen und damit die Gefahr geschlechtlicher Ansteckung fördert, ist oft in sehr übertriebener Weise be- antwortet worden. Für das Zustandekommen des ersten Geschlechtsverkehrs ist er nach den Untersuchungen des Verfassers absolut bedeutungslos. 1923, Bd. 77, S. 873. Leven: Zur Frage von der Entstehung der menschlichen Muttermäler. Ver- teidigung der „keimplasmatischen Naevustheorie* von Meirowsky und Leven gegen Argumente von Pinkus und Krieg. S. 1167. Hodara: Ein zweiter Fall von Porokeratosis Mibelli. Beschreibung eines Falles; von der Familie nichts erwähnt. S. 1168. Hodara und Behdjet, Histologische Untersuchung eines Falles von Porokeratosis Mibelli. Mitteilung eines Falles; Familie nicht erwähnt. S. 1288. Hodara und Behdjet: Histologische Untersuchung der blasigen und atro- phischen Partien eines Falles von Epidermolysis bullosa (Koebner). Mitteilung eines Falles, jedoch nicht der K oeb n er schen Epidermolysis, sondern der Epidermolysis bullosa dystrophica. Wie bei diesem Leiden meist, so ist auch hier die Familie ohne Befund. 1924. Bd. 78, S. 9. Schneider: Morbus Darier in zwei Generationen. Vater und Sohn, typische Fälle, kombiniert mit intellektueller Minder- wertigkeit. S. 65 und 104. Nordmann: Neurotrope Spirochäten und Dis-

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position. Bericht über Syphilis des Zentralnervensystems bei Erkrankung aus gleicher Infektionsquelle, über konjugale Tabes und Paralyse, über Tabes und Paralyse auf dem Boden einer konnatalen Lues und über tertiäre Hautsyphilide bei Syphilis des Zentralnervensystems. Verfasser kommt zu dem Schluß, daß die Art der syphi- litischen Erkrankung im einzelnen Falle zum Teil zwar vom Terrain, zum an- deren Teil aber von Variationen der Spirochäten abhängig sei. S. 449. Boekholt: Ucber einen Fall von Erythrodermie ichthyosiforme congénitale (Brocq). Sechzehnjähriger Bergmann, bei Geburt nur Schwie- len an den Handflächen, die eigentliche Hauterkrankung angeblich erst mit 9 Jahren entstanden. Mutter und eine Schwester haben keratotische Handflächen, zwei Geschwister sind als Säuglinge an Dermatitis exfoliativa Ritter gestorben. Beim Patienten Kombination mit ekzematös-neurodermitischen Veränderungen. S. 469. Ponofsky und Staemmler: Zur pathologischen Anatomie des Quinckeschen Oedems. Familiärer Fall: Urgroßmutter behaftet, Mutter an Glottisödem gestorben, Sohn einer Mutterschwester gleichfalls behaftet. S. 555. Leven: Ueber die Erb- anlagen der Eineier auf Grund von Untersuchungen des Papillarlinien- systems der Finger. Polemik gegen Siemens auf Grund von daktyloskopi- schen Untersuchungen 15 eineiiger und 8 zweieiiger Zwillingspaare. 1924, Bd. 79, S. 844. Lewith: Lichtdermatose bei Geschwistern. Rötung mit Sommersprossen, Gefäßerweiterungen und Schuppung bei zwei Schwestern seit dem 2. bzw. 3. Lebens- jahr. Verfasser vermutet eine Abortivform des Xeroderma pigmentosum. S. 973. Meirowsky: Zwillingspathologie und Aetiologie der Muttermäler. Pole- mik gegen Siemens. S. 1245. Nobl und Giaßberg: Zur Frage der Hyperkera- tosen. Verhornungsanomalie an Hand- und Fußflächen eines 57jährigen Zeichners, für die als ursächliche Momente angenommen werden: 1. kongenitale Veranlagung (von der Familie nichts erwähnt) 2. Mechanischer Reiz, 3. Hyperidrosis. S. 1613. Löwenfeld und Gilaßberg: Beitrag zur Pathogenese der Hyperkeratosen. Bei dem einen der mitgeteilten Fälle handelt es sich um eine familiäre Keratosis palmaris et plantaris. S. 1660. Loewy: Kongenitale Hautdefekte und Keloide bei ein- eiigen Zwillingen. Lokalisation in der Mittellinie, am Wirbel des Hinterkopfes. Beide über- einstimmende Cutis marmorata und starke Venenzeichnung unterhalb beider Schlüssel- beine. 1925, Bd. 80, S. 249. Melrowsky: Neue Untersuchungen über die Aetiologie und Pathologie der erblichen Mißbildungen der Haut (der sog. Genoder- matosen). I. Einleitung. Der Anteil der Erbmasse an der Entstehung der Mutter- mäler. Erneute Polemik gegen Siemens. S. 252. Siemens: Ueber die Erb- bedingtheit der Muttermäler. Entgegnung auf die älteren Polemiken Meirows- kys (Bd. 78, S. 255) und Levens (Bd. 79, S. 973). S. 541. Leven: Kombination von Friedreichscher Ataxie und Haaranomalie. Zwei ataktische Schwes- tern mit negerartig krausem, auffallend dünnem, blondem Haar. S. 613. Heckscher: Einanthropologischer Beitrag zur Naevusfrage, besonders zur Frage des Vorkommens von Pigmentmälern, Lentigines und Epheliden bei Mischung ver- schiedener Rassetypen. Verfasser schließt aus dem Umstand, daß von 300 unter- suchten Patienten 10 % angeblich keinerlei Pigmentanomalie haben, daß die genannten Pigmentanomalien durch die Mischung eines helleren Rassetypus mit einem dunk- leren entstanden seien. Eine logische Begründung dieses, dem Referenten unverständ- lichen Schlusses wird nicht gegeben. S.711. Schoch: Familiärer Typus der Syphi- lis. Lupoide Lues bei Mutter und Sohn in gleicher Lokalisation, beim Sohn in Kombination mit Kankroid auf lupoider Syphilis.

Dermatologische Zeitschrift. 1925, Bd. 42, S. 6. Brünauer: Zur Symptomatologie und Histologie der kongenitalen Dyskeratosen. Mitteilung von 3 Fällen komplizierter Verhornungsanomalien, zum Teil sogar unter Mitbeteiligung der Augen

454 Zeitschriftenschau.

in Form von Keratose der Hornhaut. S. 65. Siemens: Zur Kenntnis des systemati- siertten Naevus epigmentosus mit Bemerkungen über die formale Genese der Naevi. Mitteilung eines Falles mit dem Versuch, aus den Theorien Meirows- k y s ein formalgenetisches Prinzip, die „Autonomietheorie der Naevussystematisation‘“, herauszuschalen. S. 143. Fischer: Beitrag zur Recklinghausenschen Krankheit (Mißbildungen am Auge, besonders die markhaltigen Nervenfasern der Netzhaut). Verfasser hat 12 Fälle von Recklinghausenscher Krankheit untersucht, von denen 9 einen abnormen Augenbefund aufwiesen (4 mal markhaltige Nervenfasern, 2 mal Konus, 1 mal Arteria hyaloidea persistens, 2 mal sehr stark pigmentierter Hintergrund). Siemens (München).

Deutsche Monatsschrift für Öffentliche Gesundheltspflege. 1925, H. 1/2. Dirksen: Asoziale Familien. Umfangreiches Sammelreferat, dessen Einzelheiten nicht wiedergegeben werden können. Fetscher (Dresden).

Internationale Zeitschrift gegen den Alkoholismus. 1924, Nr. 5, S. 241. Hereod: Present situation ofour movementinthe Northern Countries. Das inNorwegen 1916 eingeführte Einfahrverbot von Branntwein und Wein mußte unter dem Druck Spaniens, Portugals und Frankreichs aufgehoben werden. Der Schmuggel erschwert die Durchführung des Verbots, für dessen strenge Handhabung die Regierung eintritt. Schweden hat ein scharfes Gesetz gegen den Schmuggel erlassen. Die Alkoholfrage wird in den Schulen vorbildlich behandelt. Auch Finn- land leidet unter dem Alkoholschmuggel, der nur durch internationale Verein- barungen zu beseitigen ist. In Estland gewinnt die Abstinenzbewegung an Boden. Dänemark hat ab 1. 1. 1925 ein Gemeindebestimmungsrecht. Island mußte das ginzliche Alkoholverbot unter dem Druck Spaniens fallen lassen. S. 251. Thiele: Vom Alkoholinder Gewerbehygiene. Nitroglyzerin, Anilin und Pressluft können die Wirkung auch mäßiger Alkoholgaben zu schweren Erregungszuständen steigern. Daher in entsprechenden Betrieben Alkoholverbot! S. 261. Goesch: La lutte contre l’alcoolisme en Allemagne. (Der Stand der Antialkohol- bewegung in Deutschland.) Der Alkoholverbrauch ist geringer als vor dem Kriege, steigt: jedoch an. Die Abstinentenverbände sind nahezu vollzählig im Reich zu- sammengeschlossen. Das deutsche Gährungsgewerbe entfaltet eine lebhafte Propa- ganda. Die Kirche beginnt sich an dem Kampf gegen den Alkoholismus zu beteiligen, auch das Reich zeigt erhöhtes Interesse. Nr. 6, S. 305. Koller: Die Ergebnisse der amerikanischen Mortalitätsstatistik und das Alkohol- verbot. Es werden hauptsächlich die Erfahrungen New Yorks erörtert. Die Sterb- lichkeit ist allgemein gesunken; neben anderen Ursachen wird hierbei dem Alkohol- verbot mit eine gewisse Bedeutung zukommen. Nachdem 1920 die Todesfälle durch akute Alkoholvergiftung ihren tiefsten Stand erreicht haben, ist ihre Zahl von Jahr zu Jahr angestiegen. Der Schmuggel minderwertigen Branntweins ist wohl daran schuld. Die Leberschrumpfung ist eine stets seltenere Todesursache. S. 326. Kostitsch: Contribution a l’&tude des facteurs déterminant la rupture des follicules de De Graaf chez les animaux à ovu lation non spontanée. Bei Kaninchen, Mecrschweinchen und kleinen Nage- tierchen erfolgt die Ovulation im Augenblick der Paarung, wohl durch die mit dem Geschlechtsakt hervorgerufene Hyperaemie der Organe. K. konnte durch regelmäßige Alkoholgaben künstlich Hyperamie der Ovarien bei Kaninchen erzeugen und damit Follikelsprung hervorrufen, der sich unabhängig von der Paarung vollzog. S. 341. Rundschau, Schweden. Nachdem 1920 mit 6,0 l 50proz. Branntwein und 0,70 1 Wein auf den Kopf der Bevölkerung der Höchstverbrauch seit 1914 erreicht war, sank er

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1923 auf 3,9 1 50proz. Branntwein und 0,47 1 Wein. Das individuelle Kontrollsystem wurde 1922 wesentlich verschärft. Die Getrankeumsatzsteuer betrug 1920: 25 Prozent, 1921: 50 Prozent, 1922: 65 Prozent, 1923: 50 Prozent. Von 2159 Strafgefangenen waren 1923 821 Gewohnheitstrinker.

1925, Nr. 1, S. 1. A. Newsholme: The Social Aspects of the Alcohol Problem. (Die soziale Seite der Alkoholfrage.) Großbritannien gab 1923 für alko- holische Getränke auf den Kopf der Bevölkerung 7% 2 s. aus, d. i. mehr als die ge- samte Zinsenlast für die öffentliche Schuld. Rund 44 Prozent der Ausgaben für alko- holische Getränke fallen als Alkoholsteuern an die Staatskasse. S. 9. F. Rudolf: Vom Wohnen und vom Trinken. Die günstigen Wohnungsverhältnisse großer Teile der U.S.A. entfremdete die Einwohner den Schankstätten. Dies war eine wichtige Voraussetzung des Alkoholverbotes. Verbotsfeindlich sind die übervölkerten Groß- städte. Nr. 2 S. 68. Scharffenberg: The Difficulties of Prohibition Enforcement. (Die Schwierigkeit der Durchführung des Alkoholverbotes.) Die Durchführung des Verbotes ist wesentlich schwieriger als seine Einführung. An Hand der Erfahrungen der nordischen Länder untersucht Sch. eingehend die Frage und kommt zu dem Ergebnis, daß ein Verbot nie ein Ueberrumpelungserfolg sein dürfe, sondern von einer starken Majorität gestützt sein müsse. Die größte Schwierigkeit ist der Alkoholschmuggel, nicht die geheimen Brennereien. S. 91. Gahn: Die Alkoholgesetzgebung in Schweden. Historischer Ueberblick. Darstellung des jetzigen Standes der Gesetzgebung. Auch hier ist der Erfolg der Gesetzgebung durch den Schmuggel beeinträchtigt. S. 116. Rundschau: Vereinigte Staaten. Wertvolle Zahlen über die Kriminalität im Zusammenhang mit Trunksucht.

Fetscher (Dresden).

The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Jreland. 1925, Bd. 40, S. 15. Seligmann: C. G., Some Little-Known Tribes of the Southern Sudan. Die Arbeit enthält neben einigen ethnographischen Ergebnissen auch die Messungen an 200 Negern, die verschiedenen weniger bekannten Stämmen am weißen Nil, südl. des Dinka-Neger-Gebietes angehören. Die Ergebnisse lassen Schlüsse zu auf die mutmaßliche frühere Verschiebung des Wohnsitzes dieser Stämme. Die beigegebenen 32 Bildnisse sind leider sehr unscharf und mangelhaft wiedergegeben. S. 58. Peate: J. C, The Dyfi Basin: A Study in Physical Anthropo- logy and Dialect Distribution. Verf. beschäftigt sich mit der Bevölkerung des Dyfi-Beckens, einer abgelegenen und volkstumskundlich eigenartigen Gegend im Gebirge von Mittel-Wales (Montgomeryshire, Merionethshire und Cardiganshire). Der Verfasser kommt auf Grund von Untersuchungen an 180 Männern und 66 Frauen zu dem Schluß, daß im Süden des Gebietes mehr Langköpfe und mehr Großgewachsene vorkommen als im Norden des Gebietes. Außerdem findet er in einzelnen Distrikten des nördlichen Teiles noch Unterschiede in der Häufigkeit der Breitköpfe, welche mit Unterschieden in der Zugänglichkeit der Distrikte zusammenfallen. Er sieht in allen diesen Dingen wohl mit Recht Erscheinungen einer natürlichen, örtlichen Siebung und Folgen des verschieden starken Abschlusses von der Umgebung, die sich in gleicher Weise in den Mundarten zeigen. Erwähnenswert ist die große Häufigkeit von absolut langköpfigen Männern; von insgesamt 180 haben (nach den Tabellen) 66 eine Kopf- länge von 200 mm und mehr. S. 179, Pyeraft: W.P, Onthe Calvaria Found at Boskop, Transvaal, in 1913, and its Relationship to Cromag- nard and Negroid Skulls. Verf. vergleicht eine Rekonstruktion des Boskop- Schädels (aus dem Schädelbruch und einem Schläfenbein) mit dem „Alten von Cro- Magnon“ und mit einigen Buschmannschädeln. Er glaubt den Boskopschädel den Vorfahren der Cromagnon-Rasse zuschreiben zu sollen, welche mit den Vorläufern der

456 Zeitschriftenschau.

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Neger, Negrito und Buschmanner aus einer gemeinsamen Wurzel hervorgegangen sein sollen. Merkwürdigerweise sind ‘in dem beigefügten Stammbaum auch die sogen Alpinen von den Cro-Magnons abgeleitet. Scheidt.

Jüdische Familienforschung. Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Familien- forschung, Berlin. Jg. I Nr. 1, Dezember 1924. Czellitzer, A: Zum Geleit. S. 1—. Der Vorsitzende und Begründer der Gesellschaft gibt einen Ueberblick über Sinn und Aufgaben jüdischer Familienforschung. Stern, M.: Die Ephraims in der Berliner Liste der im Jahre 1812 angenommenen Familien- namen. S. 6—10. Schmidt, G: Familienforschung vom Standpunkt der Weltanschauung. S. 10—11. Porta, L. S.: Die erste Nobilitie- rung eines deutschen Juden meines Vorfahren Jakob Bassevi v. Treuen- berg. S. 12—15. Wurde 1622 von Kaiser Ferdinand II., auf Betreiben Wallensteins, in den erblichen Adelsstand erhoben und ferner wurde ihm ein Wappen verliehen. Klibansky, E.: Frankfurter Judenstättigkeitsliste vom Jahre 1802. Bach, H: Lebendige Geschichte. Suchblatt. Nr. 2. Mai 1925. Jacobson J. (Hermsdorf), S. 26—31: Zur Annahme fester Familiennamen durch die Juden in Württemberg. Gesetze von 1808 bzw. 1828. 1827 Ver- pflichtung auf Führen von Geburts-, Ehe- und Totenregistern durch die jüdischen Gemeindevorsteher, der Familienregister durch den Pfarrer der an einem Ort maB-

gebenden Konfession. Die Berliner Familie Ephraim-Ebers und ihre gräflichen Nachfahren. S. 31—32. Wolbe, E.: Praktische Familienforschung.

S. 32—34. Der Verfasser, Lehrer, Jude, ist das Kind einer jüdischen Mutter (geb. Mendelson aus Pommern) mit einem christlichen Vater, der wiederum der Ehe eines germanisch-slavischen Mischlings (Kandidat der Theologie) und einer gallisch-kelti- schen Mutter (geb. Henrion aus einer Refugiefamilie) entstammt. Der Urgroßvater war Schneider in Schweidniz. Verfasser meint, daß er Eigenschaften, die nachweis- lich seinem Großvater eigen waren: in Anwesenheit seiner Angehörigen nicht öffent- lich reden zu können, Vorliebe für das Geistliche, Freude für die Jugenderziehung, überkommen habe. (Dieser Fall stellt eines der seltenen Ereignisse dar, wo die Kinder einer jüdisch-christlichen Mischehe, und zwar bei einem christlichen Mann, dem Judentum zugeführt wurden. Ref.) Klibansky E.: Frankfurter Juden- stättigkeitsliste vom Jahre 1802 (Fortsetzung). S.34—37. Czellitzer, A.: Methoden der jüdischen Familienforschung. S. 38—41. Erörtert das methodische Vorgehen bei Aufnahme von Material aus jüdischen Familien. Begriff der Ahnen- und Deszendenztafel, Angabe der notwendigen anthropologischen und charakterologischen Eigenschaften. DreifuB, E.: Jüdische Namenforschung. S. 41—42. Angabe der in Betracht kommenden Quellenwerke. Mitgliederliste. Suchblatt, Arbeitsplan. Nr. 3. September 1925. Léwenthal, A.: Die Quellen der jüdischen Familienforschung. S. 50—52. Mündliche Erzählungen und schriftliche Aufzeichnungen. Dazu gehören die Verlobungs- und Trauungs- urkunden, das Mohelimbuch (in dem der Mohel die Namen der Kinder einträgt, die durch ihn beschnitten worden sind), das Gebetbuch, auf dessen Titelseite Sterbe- und Jahrestage registriert werden, die Wimpel (eine breite Leinenbinde zum Umwickeln der Thorarolle, auf welcher der Name des Kindes und seines Vaters angeführt sind, evtl. noch mit auf die Familie bezogenen Handmalercien), die Grabsteine, Vorreden des Bücherverfassers, in denen dieser seinen Stammbaum anzugeben pflegte, und die Literatur der Testamente. Schließlich das Buch „Memoiren der Glückel von Hameln“, das viel Aufschluß über jüdische Familien vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg bringt. Kauschansky, D. M.: Die Rechtsstellung des natürlichen Kindes nach jüdischem und orientalischem Rechte. S. 52—54 (s. Referaten- teil). Moses, L. (Wien): Jüdische Familiennamen. S.54—58. Harits, L.:

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Familiennamen aus Westpreußen. S. 58—61. Simon, C.: Aus der

Geschichte der Familie Dinkelspiel in Mannheim. S. 61-64.

Flesch, H.: Die Familie Blochin Neu-Raußwitz. S. 64—70. Suchblatt. i Gutmann (München).

Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 1925, Bd. 74, S. 340—355. Meyer- Riemsloh: Ucberhereditäre Sehnervenatrophie (LeberscheKrank- heit). Analyse eines neuen, schr vollständigen Stammbaums, der in 5 Generationen 113 Personen (51 M., 62 W.) umfaßt. Erkrankt waren 25 Personen (22 M., 3 W.), davon selbst untersucht 9 M. und 3 W. Ergebnisse: im wesentlich rezessiv-geschlechts- gebundener Erbgang mit gewissen Abweichungen von der Regel. Auffallende Haufung der Konduktoren, die mit der Erbregel vorerst nicht vereinbar ist. Sicheres Vorkommen heterozygot kranker Frauen. Direkte Uebertragung durch eine kranke Frau ist nur scheinbare Dominanz. Vererbung durch einen kranken Mann noch nicht erwiesen. S. 355—356. Meyer-Riemsloh: Markhaltige Nervenfasern als erbliche Anomalie. Die Anomalie trat bei Mutter und Tochter auf (Dominanz?); letztere litt außerdem an genuiner Epilepsie und hereditärer Sehnervenatrophie (siehe die vor- hergehende Arbeit); also beim selben Individuum Kombination dreier Anomalien, die den drei Hauptvererbungstypen folgen. S. 360—364. Colden: Blaue Sklera mit eigenartigem ophtalmoskopischem Befund. Die Patientin zeigte neben der Trias Blaue Skleren-Knochenbrüchtigkeit-Otosklerose noch schwere Ader- hautveränderungen mit Sklerose der Aderhautgefäße. Da ein junger Neffe der Patientin neben weniger blauer Sklera ebenfalls Anomalien der Aderhaut aufweist, so glaubt C. an einen inneren Zusammenhang all dieser Erscheinungen im Sinne eines Anlage- fehlers des ganzen Mesenchyms. S. 364—373. Sommer: Ueber zwei sel- tene MiBbildungen des Augenhintergrundes (im Zusammen- hang einer Augenuntersuchung bei taubstummen Kindern). Be- richt über die zahlreichen, bei Insassen einer Taubstummenanstalt gefundenen Augen- störungen. S.374—375. Baer: Notizen über die Ausbreitung des Horn- hautastigmatismus. B. fand im Laufe von 20 Jahren in einem Weltkurort eine auffallende Häufung des hyperopischen Astigmatismus bei den englischen und amerikanischen Besuchern. Soweit das Material einen Schluß zuläßt, scheint der Astig- matismus in Europa von Norden nach Süden abzunehmen. Italiener litten sehr selten an Astigmatismus, oft dagegen an hoher Kurzsichtigkeit. S. 377 bis 388. Levin- sohn: Myopic, Senium und Vererbung. Auseinandersetzung mit den Hype- thesen von Steiger und Vogt zugunsten der eigenen Hypothesen paratypischer Entstehung der Kurzsichtigkeit, die sich auf Experimente an Affen stützt. S. 404. Hirsch: Zur Myopiegenese. Verweist auf seine „Berufskrankheiten des Auges“, wo nachgewiesen wird, daß zahlreiche Berufe, in denen feinste Naharbeit geleistet wird (Schriftsetzer, Lithographen, Präzisionsmechaniker usw.), auffallend viele Kurz- sichtige aufweisen, die ihre Myopie erst nach dem 21. Lebensjahr bemerkten, und schließt daraus, daß das Jugendalter keine unbedingte Voraussetzung der Dehnungs- myopie sci. S. 404—411. Kyrieleiss Zur Vererbung der myotonischen Dystrophie mit Katarakt. Analyse eines Stammbaumes mit Auftreten des Leidens in drei aufeinander folgenden Generationen. Es fand sich Beziehung zu innersekretorischen Störungen, Antezipation, Ehe- und Kinderlosigkeit bzw. erhöhte Kindersterblichkeit, Dominanz, Vererbung auf über 60 Prozent der Kinder und bisher fast 50 Prozent der Enkel. Bei einer Frau trat das Leiden erst im Klimakterium auf; sie erreichte das ungewöhnliche Alter von 70 Jahren. S. 505—508. Berneaud: Blaue Sklera und Knochenbrüchigkeit. Interessante Stammbäume dreier Fa- milien, in denen z. T. auch mangelnde zweite Zahnbildung eine Rolle spielte. S. 512—513. Scheffels: Ueber myotonische Katarakt. In einem der beiden

458 Zeitschriftenschau. Fälle lag ausgesprochene Heredität vor, im andern nicht. S. 710—716. Felix: Kon- genitale familiäre Cornea plana. Es handelt sich um zwei Brüder im Alter von 12 und 9 Jahren, bei denen die außerordentlich flachen Hornhäute (Radius ca. 12 und 15 mm gegenüber ca. 8 mm der Norm) schon bald nach der Geburt auf- fielen und sicher als familiär und angeboren aufzufassen sind.

Scheerer (Tübingen).

Kultur und Leben, Monaisschrift für kulturgeschichtliche und biologische Familien- kunde, 2. Jahrgang, S. 41. Lamparter, E.: Die Bedeutung der Rasse für die Zukunft unseres Volkes. Verfasser hält scharfe Abrechnung mit dem Anti- semitismus, vor allem mit dem großen ‚Dilettanten“ H. St. Chamberlain. Er wendet sich gegen die Ansicht, daß die Semiten minderwertig seien. Nach Verfasser gehören die Semiten dem mittelländischen Zweig der weißen Rasse an, zu dem auch die Spanier, Griechen und Italiener zu rechnen seien (sic!). Geistige oder körperliche Mängel der Juden sind dem Verfasser nicht bekannt. S. 34, 69. Bernhard, K.: Um die kinderreiche Familie. Verfasser schildert die Not der Kinderreichen und zeigt die Gefahr, die unserer Kultur droht, wenn der Staat weiterhin seinen wertvollsten Gliedern die Haltung einer großen Familie nicht ermöglicht. Den Weg zur Beseitigung dieser Gefahren sieht er in der Erfüllung der Forderungen des Reichs- bundes der Kinderreichen: hinreichende Bezahlung, besondere Berücksichtigung in der Steuergesetzgebung (Erbschaftssteuer), menschenwürdige Wohnungen. S. 117. Muckermann, H.: Persönliches Bemühen um die Behütung des Ahnenerbes. Die persönliche Rassenhygiene hat eine doppelte Aufgabe: 1. Fern- halten aller entartenden Einflüsse, 2. eine im Sinne der Nachkommenschaft liegende Ehewahl. S. 126. Mareuse, M.: Verwandtenehen. Die Abneigung gegen Ver- wandtenehen ist bei den meisten Menschen im Unbewußten seit alten Zeiten vor- handen, beruht aber auch auf den ungünstigen Erfahrungen, die in den die Ver- wandtenehen bevorzugenden Schichten (Adel, Juden, abgeschlossene Landbevölkerung) gemacht wurden. Gegen die Schädlichkeit der Verwandtenehen als solcher soll nach M. die Tatsache sprechen, daß wir alle aus Verbindungen zwischen mehr oder minder nahen Verwandten stammen. (Grad der Verwandtschaft! Ref.) Der Zeugungswert oder Unwert der Ehen zwischen Verwandten wird lediglich durch die Erbkonstitution der Familie bestimmt. S. 121. Lundborg, H.: Das schwedische Staats- institut für Rassenbiologie.—S. 136. Méschier: Zur Biologie Herrn- hutischer Exulantengeschlechter. Von 120 aus Mähren, Böhmen und Schlesien im 18. Jahrh. nach Herrnhut eingewanderten Geschlechtern blühen heute nur noch 12. (Ref.: Nichtbekanntsein der Nachkommenschaft?) Die aus dem Bauern- und Handwerkerstand stammenden Exulanten und ihre Nachkommen erzielten hoch- wertige Leistungen als Gelehrte und Künstler. Als Missionaren kam ihnen ein auf- fallendes Sprachentalent zustatten. G. Wulz (München).

Zeitschrift für Augenheilkunde. 1925, Bd. 55, S. 144—160. Grimminger: Die Aplasie bzw. HypoplasiederFoveacentralisundihreklinische Bedeutung. Unter 102 Augen wurde Unterentwicklung der zentralen Netzhaut- grube 6 mal als wahrscheinlich selbständige Mißbildung anatomisch nachgewiesen; es handelte sich fast ausnahmslos um übersichtige (kleine) Augen. Dieselbe Mißbildung findet sich außerdem zusammen mit zahlreichen anderen Mißbildungen des Auges; sie ist oft klinisch nachweisbar und bedeutet in der Regel mehr oder weniger schwere Herab- setzung des Sehvermögens. S. 161—163. Guggenheim: Ektopie der Pupille, partielles superfizielles Iriskolobom und Ectropium uveae congenitum nebst eiuigen Bemerkungen zur Vererbung dieser

Zeitschriftenschau. 459

Anomalien. Die Mißbildung betraf beide Augen; die Eltern des Mannes waren

Geschwisterkinder; ein Onkel mütterlicherseits zeigte links Andeutung des Irisdefekts.

Im Keimplasma begründeter Defekt mit rezessivem Erbgang wird angenommen. Scheerer (Tübingen).

Ztschr. f. Hygiene und Infektionskrh. 1925, Bd. 104, H. 1/2, S. 1. Friedel und Hans Haustein: Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Däne- mark. Nach einem geschichtlichen Ueberblick wird das Gesetz von 1906 besprochen Das Gesetz umfaßt die „Behandlungspflicht“, Das „Recht auf freie, ärztliche Behand- lung“ und die Strafandrohung gegen Personen, die wissentlich andere anstecken. Aus den Zahlenangaben ergibt sich, daß rund "hh sich vorzeitig der Behandlung entzieht und nicht aufgefunden wird. Recht gering ist auch die Zahl der wegen Verbreitung der Geschlechtskrankheiten verurleilten Personen; 1922 ware es z. B. 10 Männer und 32 Frauen. Besonders wichtig sind die Bestimmungen im Gesetz über Eingehen und Auflösung der Ehe vom 30. 6. 1922. Der § 11 besagt: „Derjenige, der an einer Ge- schlechtskrankheit leidet, die Gefahr bietet entweder für eine Ansteckung oder aber für eine Uebertragung auf die Nachkommenschatf, oder der an Epilepsie leidet, soll keine Ehe eingehen, außer wenn der andere Partner von der Erkrankung in Kenntnis gesetzt worden ist und beide Partner von einem Arzt mündliche Aufklärung über die bevorstehenden Gefahren erhalten haben.“ § 21, Abs. 5: „Die Brautleute sollen, jeder für seinen Teil, eine schriftliche Erklärung auf Treu und Glauben darüber abgeben, daß kein Hinderungsgrund für die Ehe derart, wie ihn § 11 erwähnt, vorliegt. Der- jenige, der an einer Geschlechtskrankheit leidet oder gelitten hat, darf eine derartige Erklärung nur abgeben, wenn zugleich ein innerhalb der letzten 14 Tage ausgestelltes, schriftliches Arztzeugnis vorliegt, daß die Gefahr einer Ansteckung oder einer Ueber- tragung auf die Nachkommenschaft höchst unwahrscheinlich ist und der andere Teil bekannt ist mit der Erkrankung und beide Partner von einem Arzte mündlich über die bestehenden Gefahren aufgeklärt sind.“ Wertvoll sind ferner Angaben über die Häufigkeit der Geschlechtskrankheiten in Dänemark, namentlich soweit die Frage er- örtert wird, ob sie seit 1906 abgenommen haben. Comholt kommt zu der Schät- zung, daß die Syphilis etwa um ein Drittel abgenommen habe, sicher eine sehr be- merkenswerte Zahl, wenn sie nicht zu optimistisch geschätzt wurde. S. 176, Giiter- hock: Die Grundlagen einer planmäßigen Tuberkulosebekämp- fung im Deutschen Reich. Nach einer Kritik der bestehenden Verhältnisse kommt G. zu folgenden Forderungen: Die Tuberkulose-Verhütung ist ein Teil der Seuchenbekämpfung und im ganzen Reich einheitlich zu gestalten. Die Errichtung von Isolierstationen, am besten von Tbc.-Krankenhäusern ist nachdrücklich zu fördern. Die Heilstätten sollen nur leichte Fälle behandeln. Mittlere und schwere Fälle ge- hören in Isolierstationen. Zusammenlegung der Verwaltung von Heilstatten und Für- sorgestellen. Erlaß eines Reichs-Tbc.-Gesetzes, das sich teilweise an den Entwurf des Schweizer Tbc.-Gesetzes anlehnt. Fetscher (Dresden).

Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre. 1924, Bd. 32, S. 1 bis 36. Sperlich, A.: Weitere Untersuchungen über die phyletische Potenz an reinen Linien und Freilandmaterial von Alectoro- lophus hirsutus All. Unter phyletischer Potenz versteht Verfasser die unter- schiedliche Fahigkeit der Samen ein und desselben Fruchtstandes, bei fortgesetzter Selbstbefruchtung sich in reinen Linien fortzupflanzen. Beim Klappertopf haben nur die unteren Kapseln der Fruchtstandsmitte Samen, welche als Ausgangspunkt ständig fortzüchtbarer reiner Linien dienen können. Samen aus andern Blütenstandsteilen führen zu raschem Aussterben. Frühzeitiges Mähen der Wiesen in einem einzigen Jahre, bevor die Samen mit hochwertiger phyl. Pot. zur Reife gelangt sind, kann den

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Klappertopf aus der Wiese nahezu völlig entfernen. Inzucht ist nicht Ursache der Abschwächung der phyl. Pot. Die Abschwächung besteht darin, daß der Embryo seia Endosperm nicht auszunutzen vermag. Die vor Aussterben der reinen Linien mit ge- schwächter phyl. Pot. auftretenden Anomalien sind keine Mutationen, sondern Modi- fikationen. Der Begriff der phyl. Pot. dürfte für unsere Vorstellung vom Selektions- vorgang nicht ohne Bedeutung sein. S. 37—60. Terho, T.: Zur Vererbung einiger Wollcharaktere beim Mele-Schaf. Das Mele-Schaf ist aus einer Kreuzung des Merino- und Leicesterschafes hervorgegangen. Zuchtziel war die Schaffung eines Woll-Fleisch-Schafes. Es war fraglich, ob auf diesem Wege die Er- zeugung einer intermediär-konstant vererbenden Wolle, wenn auch nur in Grenzen, die die Zucht wirtschaftlich erscheinen läßt, möglich ist. Verfasser hat für die mittlere Haardicke der Schulterwolle mindestens 5—6 polymere Erbanlagen festgestellt. Feine Kräuselung dominiert über grobe Kräuselung. Das gesteckte Zuchtziel dürfte daher praktisch zu erreichen sein, da bei der höhen Zahl der polymeren Erbfaktoren das Herausspalten der Stammtypen selten vorkommen wird. Wirkliche konstant-inter- mediäre Vererbung liegt natürlich nicht vor. S. 61—69. Sabnis, T. S. Inheri- tance of Variegation. Die Panaschierung der Blätter von Hydrangia hortensis wird anatomisch untersucht. Ueber Vererbung dieses Phänomens er- fährt man nichts. Die Ueberschrift ist demnach irreführend. S. 70—73. Haecker, V.: Weitere phaenogenetische Untersuchungen an Farbenrassen. 2. Mitteilung. Nach einigen Bemerkungen über albinoide und gescheckte Axolot! und Hinweis auf den polyphänen (-pleiotrop nach Plate) Charakter des den Albinismus bedingenden Erbfaktors berichtet Verfasser über die Untersuchungsergebnisse seines Schülers K.Görnitz über die Wirkung klimatischer Faktoren auf die Pigmentfarben der Vogelfedern (Journal für Ornithologie 1923, Heft 4). Die Phaeomelanine oder braunen bzw. rostfarbenen Pigmente stellen gegenüber den Eumelaninen oder schwar- zen bzw. schwarzbraunen Farbstoffen eine höhere Oxydationsstufe dar. Boreales Klima unterdrückt zunächst die Phacomelanine, dann auch die Eumelanine, Steppen- und Wüstenklima bildet wohl vor allem infolge der geringen relativen Luftfeuchtigkeit die Eumelanine in Phaeomelanine um. Das eigentliche tropische Klima ist für die Ausbildung beider Melaninsorten von günstigster Wirkung. Die Umwandlungsprozesse schreiten sprungweise ınutativ vor und sind irreversibel. S. 74—81. Haecker, V.: Vererbungsgeschichtliche Einzelfragen V. Zur Frage der Le- talfaktoren. Verfasser macht den Versuch, die Vererbung des Dichactafaktors bei Drosophila im Gegensatz zu Winge ohne Annahme eines Crossing-over lediglich durch Gametenbeeinflussung zu erklären. Inzwischen hat aber W. neue Kon- trollversuche angestellt, welche die Unhaltbarkeit der Haeckerschen Hypothese dem Ref. zu erweisen scheinen. S. 97—107. Bonnier, G.: On alleged seasonal variations of the sex-ratio in Man. Heape hat 1908 auf Grund von Ma- terial aus Cuba behauptet, daß in Monaten größter Geburtenzahl der Knabenüberschub am kleinsten und umgekehrt sei, ferner bei Weißen größer als bei Schwarzen. Er folgert daraus einen geschlechtsbestimmenden Einfluß des unbefruchteten Eies, sowie der Umweltseinflüsse (Temperatur, Feuchtigkeit etc.).. Verfasser wendet sich gegen diese Folgerungen und zeigt an schwedischem Material, welches 2 316 321 Geburten, die sich auf die Jahre 1901—1917 verteilen, umfaßt, daß in Schweden im März stets die höchste Geburtenzahl, im November die niedrigste zu verzeichnen ist, daß aber keinerlei Korrelation zwischen Geburtenzahl und Geschlechterverhältnis besteht. Ein» erneute Diskussion des Heapeschen Materials scheint Verfasser zu zeigen, daß auch für Cuba keine Korrelation zwischen Geburtenzahl und Geschlechterverhältnis besteht. Das unverhältnismäßig starke Anschwellen der Mädchengeburten bei Schwarzen (Ge- schlechterverhältnis 101,12 : 100) im Gegensatz zu Weißen (108,42 : 100) führt Verfasser

Zeitschriftenschau. 461

auf die größere Zahl von Totgeburten unter den Farbigen (5,37 Prozent gegenüber den Weißen (3,08 Prozent) zurück. Dasselbe gilt für die unehelich Geborenen (100, 4 Knaben : 100 Mädchen) gegenüber den ehelich Geborenen (107,67 : 100). Bei ersteren betragen die Totgeburten 5,09 Prozent, bei letzteren 2,97 Prozent. Einen geschlechts- bestimmenden Einfluß des Eies lehnt Verfasser ab. S. 108—232. Mohr, O.: Agene- tic and cytological analysis of a section deficiency involving fourunits ofthe X —chromosome in Drosophila melanogaster. 1917 hatte Bridges die Entdeckung gemacht, daß infolge Auftretens einer domi- nanten Mutante in der Umgebung dieses mutierten Gens ein Teil eines Chromosoms in- aktiv werden kann. Er nannte diese Erscheinung „deficiency“. Verfasser teilt einen neuen Fall mit, welcher sich phaenotypisch durch ausgekerbte Flügelränder und dickere Flügeladern (Notch 8) kenntlich macht. Die inaktiv gewordene Stelle liegt an dem linken Ende des Geschlechtschromosoms und reicht von 1,5, dem Ort für weiß „und seinen 9 Allelomorphen bis hart links von „echinus“. Es umfaßt abgesehen von Notch 8 selbst 2 rezessive Gene („white“, facet’) und das partiell dominante Gen „Ab- normal“. Bridges hatte bereits die Letalwirkung des inaktivierten Chromosomen- abschnitts erkannt. Sämtliche behaftete Männchen und homozygote Weibchen sterben ab. Notch 8 wirkt ebenso, kommt daher nur im weiblichen Geschlecht vor und ist stets heterozygot. 2 wichtige, weitere Wirkungen .von „Deficiency“ teilt Verfasser mit. Bei Zusammentreffen von einem Notch 8-chromosom, welches im übrigen die Gene der Wildform enthält, mit einem Chromosom, welches verschiedene rezessive, mutierte Gene enthält, treten die rezessiven Gene phaenotypisch in Erscheinung, welche inner- halb des inaktivierten Stückes liegen, die außerhalb desselben befindlichen dagegen nicht. Ferner zeigen die in die Erscheinung tretenden rezessiven Gene eine verstärkte Wirkung („Exaggeration“). Die inaktivierte Stelle des Chromosoms zeigt kein Cros- ` sing-over, gerade als vb ein Stück des Chromosoms ausgefallen wäre. Die cytologische Untersuchung gab für diese Anschauung aber keinen Anhalt. Im ganzen können die Versuchsergebnisse des Verfassers als eine Bestätigung der Theorie Morgans von der linearen Anordnung der Gene im Chromosom aufgefaßt werden. Die Ergebnisse zeigen aber ferner, daß die einzelnen Gene sich in einem Gleichgewichtszustand be- finden, dessen Störung nicht nur morphologische, sondern auch physiologische Aus- wirkungen des verschiedensten Grades nach sich ziehen. Von letzteren ist die wich- tigste Wirkung die, daß eine Gleichgewichtsstörung in einem Chromosom, welche nicht durch das allelomorphe Chromosom ausgeglichen wird, zum Tode führt. S. 233—298. Christie, W. und Wriedt, Chr.: Die Vererbung von Zeichnun- gen, Farben und anderen Charakteren bei Tauben. Untersucht wurde Einfarbigkeit, Schildzeichnung und Elsterzeichnung. Einfarbigkeit dominiert sowohl über Schild- als auch Elsterzeichnung. Schild- und Elsterzeichnung kom- binieren sich in F 1. Daneben spalten bei Rückkreuzung Weißköpfe und Weißschwänze heraus. Die diesbezüglich versuchte Erklärung befriedigt noch nicht. 8 Farbenfak- toren werden besprochen, von denen zwei (dominantes Rot und Verdünnungsfaktor) im Geschlechtschromosom liegen. Die Resultate über Schnabellänge befriedigen noch nicht. Im Gegensatz zu Verfassern, welche für den kurzen Schnabel einen rezessiven Faktor verantwortlich machen, demgegenüber der mittlere Schnabel unvollkommen dominant ist, glaubt Referent aus den mitgeteilten Zahlen das Anzeichen für Poly- merie erkennen zu können. Es fehlen die Parallelversuche für langschnäbelige For- men. Rundkappe wird durch rezessiven Faktor hervorgerufen. Die Zahlen stimmen gut überein. Die Krause der Mövchen, welche ebenfalls durch einen rezessiven Faktor erklärt wird, will sich jedoch in den Versuchszahlen der Theorie nicht ganz fügen. Betreffs der Irisfarbe sind nur Zahlen angegeben, ohne daß sie zu einer theoretischen Auswertung geführt hätten. S. 299—304. Meyer, P.: Crossing-over und Chro-

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mosomen. Ein Versuch, den reellen Austausch von Chromosomenabschnitten als nur virtuellen umzudeuten. S. 304—311. Weldenreich, Fr.: Die Zygodactylie und ihre Vererbung. Verfasser versteht unter Zygodactylie die Verwachsung der 2. und 3. Zehe bzw. des 3. und 4. Fingers. Er sieht darin einen Atavismus, wel- cher auf kletternde Ahnenformen des Menschen zurückgeht. Der mitgeteilte Stamm- baum scheint dominante Vererbung zu erweisen. Daß keine Mendelzahlen sich er- geben, kann bei der Kleinheit des Materials nicht verwundern. S. 322—353. Gabrit- schevsky, E.: Farbenpolymorphismus und Vererbung mimetischer Varietäten der Fliege Volucella bombylans und anderer „hum- melähnlicher“ Zweiflügler. Verfasser versucht auf der Grundlage der Mendelforschung zu einem Verständnis der Mimikry zu kommen. Das Material ist aus Beobachtungen gewonnen. Zuchtversuche wurden nicht angestellt. Das männ- liche Geschlecht scheint heterogametisch, das weibliche homogametisch zu sein. Am Anfang einer Entwicklungsreihe stehen monomorphe Formen, aus ihnen entwickeln sich unisexuell polymorphe und daraus bisexuell polymorphe Formen, welche bei Iso- lierung zu Variationen werden können. Die bisexuellen polymorphen Formen bilden das Selektions-Material für die mimetischen Varietäten. S. 354—362. Boedijn, K.: Die systematische Gruppierung der Arten von Oenothera. Ver- fasser gibt eine systematische Neueinteilung einiger Nachtkerzenarten. Als Merkmal benutzt er die Beschaffenheit des Pollens. Diagnose von 4 neuen Arten (Oe. germa- nica, Bauri, furca, disjuncta). S. 363—376. Duncker, H.: Einige Beobach- tungen über die Vererbung der weißen Farbe bei Kanarien- vögeln. Die weiße Farbe bei schneeweißen Kanarienvögeln mit schwarzen Augen wird durch einen Weißfaktor hervorgerufen. Alle weißen Vögel sind heterozygotisch. Die Versuche ergaben: Weiß mit weiß: 2 weiß: 1 gelb, weiß mit gelb: 1 weiß: 1 gelb. Der Weißfaktor ist ein letalwirkender Faktor, alle homozygoten weißen Vögel sterben ab. Der Weißfaktor ist bereits der zweite bei Kanarienvögeln gefundene Letalfaktor. S. 377—383. Hemleben, H.: Ueber Differenzierungsvorgängein pflanz- lichen Geweben. Sammelreferat. 1924. Bd. 33, S. 1—236. Wettstein, F. v: Morphologie und Physiologie des Formenwechsels der Moose auf genetischer Grundlage. I. Die theoretische Grundlage der modernen Vererbungslehre ist der Mendelismus, d. h. die Anschauung, daß alle äußerlich sichtbaren Eigenschaften eines Organismus zum mindesten in einer Kom- ponente von paarweise allelomorphen Erbanlagen abhängig sind, welche bei der Reduktionsteilung in ihre Paarlinge gespalten, bei der Befruchtung wieder neukombi- niert werden. Wir beobachten aber stets nur die Neukombinationen, das heißt die Wir- kungsweise eines Anlagepaares, niemals die des einzelnen Genes, weil bei Tieren durch- weg und bei den höheren Pflanzen nahezu sich die haploide Phase nur auf die Gameten beschränkt, an denen naturgemäß die Genwirkung nicht beobachtet werden kann. Dieser Umstand legt es nahe, die Kryptogamen mit ausgesprochenem Generationswechsel in den Kreis der Vererbungsforschung zu ziehen. Verfasser hat seine Untersuchungen auf die Moosgattungen Amblystegium, Funaria, Physcomitrella, Physcomitrium, Bryum und Leptobryum ausgedehnt. Die Haplophase bei Moosen umfaßt Protonema und Moosstämmchen, die Diplophase Scta und Sporenkapsel, unmittelbar vor der Sporen- bildung erfolgt die Reduktionsteilung. Verfasser zeigt, daß bei Moosen die erste der die Tetraden bildenden Teilungen die Reduktionsteilung ist. Da die Eigenschaften des haploiden Gametophyten und des diploiden Sporophyten aber naturgemäß nicht zu vergleichen sind, greift Verfasser zu dem von den Marchals entdeckten Kunst- griff, aus Teilen der Sporophyten durch Heteromorphose (Regeneration aus gewebe- fremdem Material) diploide Protonemata regenerieren zu lassen, aus denen diploide Moosstämmchen hervorwachsen. Ein Vergleich der diploiden Moosstämmchen mit den

Zeitschriftenschau. 463.

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entsprechenden haploiden ergab wertvolle Ergebnisse über die Wirkungsweise der Genome in einfacher und doppelter Quantität. Die Kernplasmarelation Hertwigs fand in gewissen Grenzen, die durch Umweltseinflüsse und Konstitution des Organis- mus selbst gezogen werden, ihre Bestätigung. Die Fertilität der diploiden (bivalenten) Gametophyten erwies sich als stark herabgesetzt. Dennoch gelang es, tetraploide Sporo- phyten zu erzielen, welche wiederum mit den diploiden Sporophyten verglichen wur- den. Durch Befruchtung diploider Archegonien mit haploiden Spermatozoiden (um- gekehrt versagte die Technik) gelang es, triploide Sporophyten zu erzeugen, welche im großen und ganzen die Mitte zwischen diploiden und tetraploiden Sporophyten hielten. Die Reduktionsteilung in den tetraploiden Sporogonen verläuft nach Verfasser unregel- mäßig (Gegensatz zu den Marchals). Während es noch gelingt, aus den Sporo- phyten tetraploide Protonemata und Moosstämmchen zu ziehen, kommt es dabei nie zu Sporogonbildung. Beim Studium der vierfachen Genwirkung ist man also nur auf den Gametophyten angewiesen. Von besonderm Interesse sind nun die Kreuzungen. Untersucht wurden zwei Sippen von Funaria hygrometica: Sporengröße (G), Zell- teilungsgeschwindigkeit im Protonema (V), Breite der Perichaetialblätter (B), Form der Paraphysenzellen (P), Lange der Seta und Größe der Sporenkapsel (S), Kapsel- farbe (C) und Deckelform (D). B, S, D ergaben sich als vom gleichen pleiotropen Gen verursacht, ebenso G und V. Die erzielten Fl-Sporophyten waren GgBbPpCc. Es ge- lang Verfasser durch Einspritzmethode (0,01 Prozent Chloralhydrat in die Sporen- kapsel in bestimmtem Reifezustand), die zu einer Tetrade gehörigen Zellen zum Ver- kleben zu bringen. Dadurch war unmittelbarer Vergleich der '/«-Tetraden möglich. Beim Auskeimen erwiesen sich stets 2 Vierteltetraden als gleich. Die ungleichen Vierteltetraden unterschieden sich stets in der ganzen Serie der untersuchten Gene. Die Untersuchung erstreckte sich auf 35 Tetraden, davon spalteten:

22 Tetraden in GBPC und gbpc 6 = » GBPc gbpC NB.! Die Aufspaltung der 35. Tetrade

2 = » GBpc gbPC in GBpC und gbPC wird in der 2 = » GbPc , gBpC Arbeit nicht weiter diskutiert. 2 m » GbpC gBPc

In diesem Ergebnis sieht Verfasser den ersten klaren Beweis dafiir, daB die Auf- spaltung der Erbfaktoren tatsächlich bei der Reduktionsteilung erfolgt, wie es die Ver- erbungstheorie längst als Axiom angenommen hat.

Die reichhaltige und tiefschürfende Arbeit enthält noch eine Reihe weiterer Fest- stellungen über Entstehung von Gigas-Rassen, Artenreihen mit polyploiden Chromo- somenreihen, Parthenogese, Apogamie und Chromosomenmassenvermehrung, Genquan- tität und Generationswechsel, Quantitätswirkung bei Kreuzung, Quantität der Anlagen- substanz und ihre Rolle bei Vererbung und Artbildung, auf die ich hier aus Raum- mangel nicht näher eingehen kann. Die Versuche sind inzwischen weiter gegangen und sollen in der Bibliotheca genetica veröffentlicht werden. S. 237—367. Bericht iberdiedritte Jahresversammlungder Deutschen Gesellschaft für Vererbungswissenschaft in München. Winkler, H.: Ueber die Rolle von Kern und Protoplasma beider Vererbung. Das „Dogma“ des Kernmonopols wird kritisch beleuchtet. Es sei durch keinen direkten Beweis ge- stützt. Der bei allen Bastardellern gleiche „Grundstock“ von Eigenschaften könne ebensogut durch das Plasma des miitterlichen Eies übertragen sein. Die Chroma- tophoren werden rein mütterlich übertragen (Spirogyra Teraos Versuche an Soja- bohnen). Fiir die Betciligung des Cytoplasmas an der Vererbung spricht, daB die Mendelvererbung bisher nur für untergeordnete Merkmale (Farbungen, Hautbildungen,

464 Zeitschriftenschau.

Anomalien usw.) nachgewiesen ist. Die systematisch wichtigeren Merkmale der höheren Gruppen (Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen) können als zum „Grundstock“ gehörig aufgefaBt werden. Die Artmerkmale mögen durch karyotische Gene hervor- gerufen werden. Die Grenzen sind schwer zu ziehen. Für die praktischen Ziele der Rassenhygiene haben die W’schen Anregungen keine umwälzende Bedeutung. Für Schärfung der kritischen Beurteilung der Versuchsresultate sind sie von großem Wert. F. v. Wettstein: Gattungskreuzungen bei Moosen. Die Kreuzung von Physcomitrium pyriforme mit Funaria hygrometrica zeigte neben hoher Sterilitat der Sporen und unregelmäßiger Reduktionsteilung 117 keimfähige Sporen, von denen 31 früher oder später als Gametophyten abstarben, ohne gefruchtet zu haben, 66 hap- loide und 20 diploide fruchtende Gametophyten erzeugten. Von den haploiden Game- tophyten zeigten 57 sämtliche 11 zur Untersuchung stehenden miitterlichen Physcomi- trium-Eigenschaften, 9 hatten 1,2 bzw. 3 Funaria-Eigenschaften (väterlich) gegenüber 10,9 bzw. 8 Physcomitriumeigenschaften (mütterlich). Mehr als 3 väterliche Eigen- schaften hatte kein Gametophyt. Die diploiden Gametophyten brachten es bis auf 7 väterliche Eigenschaften. Vortragender erklärt diese Erscheinung damit, daß das väterliche Genom im mütterlichen Plasma allein nicht lebensfähig ist, sondern nur, wenn ausreichende Teile des gattungsgleichen Genoms mit anwesend sind. Dann können sich auch väterliche Eigenschaften als dominant erweisen. Die Versuche beweisen, daß sich Genom und Plasma in einem Gleichgewichtszustand befinden, welcher durch Bastardierung gestört wird. Der Grad der Störung bedingt die größere oder geringere Sterilität (und Letalität. Ref.). Brunswik, H.: Experimentelle Untersuch- ungen über die Sexualität der Basidiomycetengattung Copri- nus. Betrifft Spezialfragen aus der Genetik und Abstammungslehre der Pilze Löhner, L.: Zur Klärung desInzuchtproblems. Bei zuweit gehender, elter- licher Uebereinstimmung in der biochemischen Individualspezifität fehlt ein für Wachs- tum und Entwicklung des Nachkommen wichtiger, wenn auch nicht ausschlaggebender biochemischer Reiz bzw. ist derselbe nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Lehmann, E.: Neuere Vererbungsversuche mit Epilobien und ihr Verhältnis senden Oenotherenproblemen. Betrifft Ergebnisse aus dem Studium eines Epilobium montanum parviflorum-Bastardes und dessen Nachkommen- schaft bis F,. Auftreten einer Gigasmutante. Analogien zum Oenotherenproblem. Oehikers, F.: Ueber Oenotherenkreuzungen. V. behandelt die Erblichkeits- verhältnisse des sulfurea-Merkmals und eines Faktors für Pollensterilitat. Lal- bach, F.: Frucht- und Samenbildung bei heterostylen Linum- Arten. Geprüft wurde der Fruchtansatz bei legitimer und illegitimer Befruchtung. Selbstfertilität ist dominant über Selbststerilitat. Langgriffel sind homo-, Kurzgriffel heterozygotisch. Bei Artkreuzungen ist anzunehmen, daf die starke Entwicklungs- hemmung des Embryos auf Störungen der Ernährungs- und entwicklungsphysiolo- gischen Wechselbezichungen zwischen Bastardembryo und Teilen der Mutterpflanze beruht. Ankel, W. E.: Der Spermatozoendimorphismus bei Bythi- nia tentaculata. Die Ausbildung atypischer Spermatozoen wird beschrieben und ihre Zurückführung auf einen inneren Störungsfaktor versucht. Spemann, H.: VererbungundEntwicklungsmechanik. So wie Mendelismus und Cyto- logie bereits längst sich zu gemeinsamer Arbeit zusammengetan haben, ist ein Gleiches für analylische Vererbungswissenschaft und Entwicklungsmechanik oder besser Ent- wicklungsphysiologie anzustreben. Der Vortragende behandelte die Probleme der Lokalisation der Erbmasse, der Natur der Gene und der Aktivierung der Erbfaktoren. Boveris berühmter Merogonieversuch hat sich als eine Täuschung herausgestellt; die Eifragmente waren nicht kernlos. Die Entkernungsversuche der Hertwigs mit Hilfe von Radiumbestrahlung beeinträchtigen die Vitalität der Embryonen zu stark,

Zeitschriftenschau. 465

als daß weitergehende Resultate zu erwarten sind. Mehr Erfolg versprechen die Durch- schnürungsversuche an Tritoneiern des Vortragenden und Baltzers. Bezüglich der Natur der Gene wird eingehend die Goldschmidtsche Enzym-Hormontheorie dis- kutiert und auf einige Schwierigkeiten bei der Annahme der Enzymnatur der Gene (Substanzvermehrung der Enzyme) und Hormonenwirkung (Wirkungslosigkeit in ge- ringerer Menge vorhandener, männlicher Hormone bei gleichzeitiger Anwesenheit von weiblichen in größerer Quantität) hingewiesen. Bezüglich der Aktivierung der Erb- masse weist Vortr. auf seine Durchführungs- und Transplantationsversuche hin, welche beweisen, daß die Anschauung Weismanns von der erbungleichen Teilung des Eies nicht haltbar ist. Die Aktivierung der Erbmasse erfolgt nicht durch auto- nomen Zerfall in die Erbfaktoren, sondern unter weitgehender Mitwirkung der Teile aufeinander, also epigenetischh Goetseh, W.: Fortpflanzungserschei- nungenan tierischen Chimären. Die Versuche beziehen sich auf Verwach- sungserscheinungen von Pelmatohydra (P) und Hydra (H). Es glückte nur Verwach- sung von P-Fuß und H-Kopf. Die P-Zellen haben eine orale Wachstumtendenz, wan- dern daher stets vom H-Fuß fort, was zur Trennung führt. Vortragender wendet sich gegen die Auffassung Issajews, welcher in den Hydrachimären und ihrer Knos- pungsnachkommenschaft etwas der Mendelspaltung Aehnliches sieht. Es handelt sich niemals um Zell-Verschmelzung, sondern stets um Zell-Vermischungen. Jede Zellart behält ihre ihr eigentümliche Wachstumstendenz. Durch deren Kombination werden Mendelspaltungen vorgetäuscht. Woltereck, R.: UeberReaktionskonstanten und Artänderung. Die von der Mendelforschung untersuchten Eigenschaften sind nur akzessorischer Natur und mögen wirklich von Sondersubstanzen abhängen, welche im Chromidialapparat ihren Sitz haben; die für die Art wesentlichen Eigen- schaften aber, die konstitutionellen Merkmale, hängen von Material- und Reaktions- konstanten ab, welche für jedes Artplasma spezifisch sind, wie Gefrierpunkt, Leitfähig- keit, Dichte für das Wassermolekiil. Die Konstantensumme ist die Reaktions- norm. Gruber, K.: Vererbungserscheinungen bei Cladoceren- rassen. Untersuchungen an Scapholeberis mucronata. Stirnhorn und Mucronen- ausbildung der einzelnen Lokalrassen stehen in Beziehung zu der Größe des Wohnsees. Die Formen mit langen Fortsätzen sind die primären. Kleine Tümpel jüngeren Ur- sprungs haben Lokalrassen mit längeren Fortsätzen als gleichgroße Tümpel älteren Datums. Zeitfaktor. Nachtsheim, H.: Vererbungsversuche an Schwei- nen: Die Vererbung der Zitzenzahl. Mitteilungen über Vererbung von normalen Zitzen, überzähligen Zitzen und Afterzitzen. Das mitgeteilte Zahlenmaterial läßt noch keine eindeutige Erklärung zu. Die höhere Zahl normaler Zitzen (7 Paare) bei unserm Hausschwein gegenüber 5 Paaren beim europäischen Wildschwein rührt wahrscheinlich von Einkreuzung ostasiatischer Schweine her. F. Lenz: 1. Bemer- kungen zur Variationsstatistik. Vortr. macht darauf aufmerksam, daß biologische Varianten in der statistischen Behandlung anders zu bewerten seien, als die Fehler astronomischer und physikalischer Messungen. Er schlägt vor, an Stelle der „Standardabweichung“ die schon von Fechner benutzte „durchschnittliche Ab- weichung“ zu verwenden und statt der „Bravais-Pearsonschen Formel des sog. Korre- lationskoeffizienten‘ einen „Korrelationsindex“ zu verwenden. Darin fallen die Ab- weichungen nicht quadratisch, sondern linear ins Gewicht. Der Vortragende will da- durch die höhere Bewertung der extremen Abweichungen vermeiden. Lenz, F.: 2. Die Uebersterblichkeit der Knaben im Lichte der Erblich- keitslehre. Die statistischen Tatsachen stimmen sehr gut mit der Hypothese über- ein, daß die Uebersterblichkeit der Knaben im wesentlichen durch Auswirkung ge- schlechtsgebundener-rezessiver Erbanlagen zustandekommt. Weinberg: 1. Ver- erbung und Außenfaktorenbeimenschlichen Zwillingen. 2. Zur Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Bd. 17. Heft 4. 30

466 Zeitschriftenschau.

Theorie und Methodik der Vererbungsstatistik. Im 1. Vortrag wen- det sich W. gegen einige Folgerungen Davenports aus seinem nach des Vortr. Meinung zu geringem Material, im 2. Vortrag beschäftigt er sich mit Prioritatsfragen und nimmt Stellung zur Frage der Polymerie und Monomerie sowie der Beteiligung der Außenfaktoren. Renner, O.: Vererbung bei Artbastarden. Art- bastarde sind in großer Zahl bekannt. Gleichheit der Chromosomenzahlen ist für Er- folg der Kreuzung nicht notwendig. Das Luxurieren geht auf Stimulation, die erste Phase der Giftwirkung, zurück. Die Cytoplasmen verschiedener Arten sind oft als verschieden erkannt. Die unterschiedlichen Farbtöne des Laubes gehen häufig auf Differenzen der Plastiden, nicht der Gene zurück. Für die Keimzellbildung der Art- bastarde ist die Struktur der beteiligten Genome von größter Wichtigkeit. Homologe Gene brauchen nicht allelomorph zu sein, allelomorphe nicht homolog. Ein Genom kann das andere völlig unterdrücken. Andererseits können Artbastarde wie Rassen- bastarde mendeln (S. caprea und viminalis). Entstehung neuer Arten auf dem Wege homozygot gewordener Artbastarde kann wahrscheinlich vorkommen. Die Unfrucht- barkeit der Artbastarde kann sehr verschiedene Ursachen haben: Ungeeignete Zusam- mensctzung gewisser Gonenklassen. Wenn Samenanlagen befruchtungsfähig, Pollen jedoch taub, kann es an der schwierigeren Ernährungsweise der Pollenkörner in den Antheren liegen. Das heterogametische Geschlecht ıst häufiger steril als das homo- gametische. Verwandte Arten können gleiche oder verschiedene Chromosomenzahl haben. Im ersteren Fall können ganze Chromosomen identisch sein (Oenothera, Salix), eine Anzahl Gene übereinstimmen, die Unähnlichkeit der Chromosoma zu Störungen bei der Reduktionsteilung führen oder die Aehnlichkeit so gering sein, daß die Chro- mosomen-Paarung unterbleibt. Im zweiten Fall binden sich in der Regel die von ver- schiedenen Eltern stammenden Chromosomen bis zur Absättigung des kleineren Satzes. Die univalenten Chromosome verteilen sich beliebig auf die Tochterzellen. Zahlreiche Ausahmen von dieser Regel sind bekannt. Zum Schluß geht Vortragender auf die Be- deutung der Fälle ein, in denen verschiedene Arten der gleichen Gattung Chromo- somenzahlen aufweisen, welche sich in arithmetische Reihen anordnen lassen, und solche, bei denen die Chromosomenzahlen ganz unregelmäßig erscheinen. Neben anderen Ursachen haben hierbei die Artkreuzungen eine wichtige Rolle gespielt. Zu einer klaren Scheidung der Begriffe Art und Varietät ist auch auf genetischer Grund- lage nicht zu kommen. Fischer, E: Schädelform und Vererbung. Durch Vitaminmangel bleiben die Schädel von Ratten nicht nur klein, sondern werden auch viel brachycephaler. Längenbreitenindex statt 38,8—46,7 34,9—38,0. Siemens, H. W.: Die Leistungsfähigkeit der zwillingspathologischen Ar- beitsmethode. Sie ermöglicht Nachweis von Nichterblichkeit (Linkshändigkeit, Muttermäler), Nachweis polymerer Erblichkeit (Sommersprossen), Nachweis erblicher Disposition von umweltbedingten Merkmalen (endemischer Kropf, Muttermäler), Nach- weis von Manifestationsunregelmäßigkeiten. Kaup, J: Statistisch-bio- metrische Vererbungsgesetze und Polymeriehypothese nach Variabilitätsstudien am Menschen. Für die Angehörigen einer und der- selben Rasse besteht ein Gegensatz zwischen Formgleicheit und Funktionsgleichheit. Die Variabilität der einzelnen Merkmale (Hauptkörpermaße, lebenswichtige Innen- organe) ist nicht gleich. Die Variabilität des Gehirns, der Leber, der Nieren und der Milz wird von der Variabilität der Körperlänge und auch des Körpergewichts nur in sehr geringem Maße oder gar nicht beeinflußt. Gleichheit der funktionalen Leistungskraft normal bewirkter Rassenindividuen steht über der Gleichheit der Formgestaltung. Das Galtonsche Rückschlagsgesetz hat für die Habitusmaße beim Menschen volle Berechtigung. S. 356 ff. Satzungen der Deutschen Ge- sellschaft für Vererbungswissenschaft. Verzeichnis der Mitglieder. S. 368—384. Referate. Dr. H. Duncker (Bremen).

Zeitschriftenschau. 467

Ztschr. f. Medizinalbeamle. 1924, Nr. 10, S. 304. F. Gumprecht: Bedeutet die gegenwartigniedrige Sterblichkeitsziffer Deutschlandseinen Hochstand der Volksgesundheit? Die niedere Sterbeziffer ist Folge des veränderten Altersaufbaus der Bevölkerung (Abnahme der Säuglinge und Kleinkinder).

Fetscher (Dresden).

Ztschr. für Schulgesundbeitspflege und soziale Hygiene. 1924, Jg. 37, Nr. 10, S. 269. Hanauer: Sozialhygienische Untersuchungen an Förder- klassenschülern. Die Frankfurter Förderklassenschüler zeigen geringere Größe, kleineres Gewicht und schlechtere Konstitution als die Kinder normaler Klassen. Rachitis, Tuberkulose und adenoide Wucherungen sind in den Förderklassen häufiger. Debilität auf intellektucllem und oft auch auf moralischen Gebiet, welche die Kinder der Förderklassen kennzeichnet, ist in erster Linie erbmäßig bedingt. S. 313, Prin- zing: Die Korrelation zwischen Säuglings- und Kleinkinder- sterblichkeit. Ein Zusammenhang zwischen Säuglings- und Kleinkindersterb- lichkeit läßt sich nicht nachweisen. Die Kleinkindersterblichkeit ist wesentlich stärker als die der Säuglinge durch die Umwelt beeinflußt. Fetscher (Dresden).

Zentralblatt für Bakterfologie, Parasitenkrankheiten und Infektionskrankheiten. Abt. I, Bd. 98, H. 1/4 (Beiheft), S. 170 und 180. Kruse: Rasse und Blutzu- sammensetzung. Die Haemagglutination verspricht am meisten Erfolg bei der Erforschung der anthropologischen Gruppierung auf serologischem Wege. Die bisher vorliegenden Daten sind noch zu spärlich. Statt des Index A:B sollte man besser von den Haemagglutininen des Serums ausgehen und den Index a:b benützen. Zu den Untersuchungen soll die bodenständige Bauernbevölkerung, nicht die der Groß- städte herangezogen werden. Wichtig ist die Wahl der Testsera. S. 172. E Schiff und L. Adelsberger: Ueber blutgruppenspezifische Antikörper und Antigene. Die Autoren konnten neben den Isohaemagglutininen und Isolysinen komplementbindende Isoantikörper feststellen, die erblich sein sollen. Es ist zu hoffen, daß die wichtige Frage bald eingehend bearbeitet werde. S. 22. Jollos V.: Variabilität und Vererbung der Protisten. Die Entscheidung, ob Mu- tation oder Modifikation vorliegt, ist bei Bakterien unmöglich, da keine Befruchtung stattfindet. Bei Infusorien ist die Entscheidung möglich, da geschlechtliche Vorgänge eine Rolle spielen. Die meisten Umstimmungen (Arsen- und Serumfestigkeit) sind nur Modifikationen. Andere bestehen Monatc hindurch und über Hunderte von Teilungen und verschwinden nach der Konjugation. Auch bei Bakterien klingen Veränderungen wieder ab oder verschwinden plötzlich bei rascher Aenderung der äußeren Bedingun- gen. Also handelt es sich auch bei ihnen um Modifikation bzw. Dauermodifikation.

Fetscher (Dresden).

Berichtigung.

In der Mitteilung „Die große Begabtenforschung Termans“ in Heft 2 dieses Jahr- gangs sind zwei kleine Irrtümer zu berichtigen.

Zu S. 183 Z. 22. In Berkeley befindet sich die staatliche „University of California“. Die „Stanford University“ ist dagegen eine private Gründung eines Industriellen namens Stanford: sie liegt bei San Franeisco.

Zu S. 180 Z. 8 v. u. Hier muß es heißen: „Thomas Welton Stanford Fund“. Es handelt sich um eine Stiftung, die nach ihrem Begründer genannt ist.

Die Mitteilungen, welche diese Richtigstellung ermöglichten, verdanke ich Herrn Paul Popenoe in Coachella, Galifornia. Lenz.

30*

A.

` Abels 232. Adams 190. Addis 46. Adelsberger 467. Adie 215.

Adler 218, 257. Aguilo 211, 231. Amelung 216.

v. Ammon 242. Andler 31. Andreae 351. Ankel 464. Anker 351. Antisthenes 298, 307. Aristoteles 298. Arnhold 278.

v. Arnswaldt 217. Arzt 449.

Ascenzi 1, 45. Aschaffenburg 258, 265, 279. Aschner 107. Auburtin 103.

B. Bach 98, 456. Backmann 324. Baer 457. Bais 239. Baltzer 465. Banse 239. Barnes 215. Barr 184. Barras de Aragon 231, 232. Barré 230. Barthélemy 212. Basler 239. Bastian 201. Batista 215. Batten 46. Bauer 107, 149, 190, 220, 221, 223, 224, 257, 279. Baur 126, 325, 333. Becker 451. Beckershaus 322. Behdjet 452. v. Behr-Pinnow 350, 433, 434, 435, 436, 437. Beringer 258, 279. Berl 218. Bernard 392.

Namenregister.

Berneaud 457. Bernhard 458. Bertuch 204. Bezold 46, 82. Binding 383. Binet 180, 401. Bing 43, 44, 45. Binswanger 112. Bircher 44, 110. Birnbaum 279.

Blaschko 194, 195, 197, 198.

Blatt 212. Bleuler 207, 279. Bluhm 107, 331, 334, 338, 341, 342, 451. Boas 209, 233, 301. Bockholt 453. Boedijn 462. Boeters 227, 236, 434. Bonhöffer 220. Bonnier 460. Bossomaier 81. Bouchard 343. Boverin 464. Bovensiepen 340. Bramwell 46. Brandt 351. Brasch 29, 45. Brenner 172, 174. Bridges 461. Broca 215. Brock 279. Brokmann 221. Brown 211. Brügger 225.

Brugsch 108, 109, 110, 111.

Briinauer 449, 453. Brunswik 464. Brutzkus 451. Bryn 208, 323, 337. Buchanan 371, 378. Bumke 220.

Bunak 97, 98, 99, 231, 316.

Bunge 341. Bünger 238. Buxton 223.

C. Cabeza 232. Cameron 209. de Candolle 183, 189.

Carmichael 215.

Carrière 228.

Castle 189, 351, 412, 413.

Cattell 183, 185, 186, 189, 362, 366, 397, 398.

Cavara 214.

Chamberlain 309. 458.

Chiari 239.

Christie 461.

Chrysippos 298.

Clarke 183.

Cohen 221.

Cohn 218, 221.

Colden 457.

Comholt 459.

Coralnik 451.

Correns 239, 325, 328, 427.

Couteaud 190.

Crew 351.

Crookshand 241.

Curschmann 46, 236.

Czellitzer 456.

D. Danielson 279. Darwin 84, 115, 294, 438. Davenport 279, 466. v. Decastello 374, 378. Diakonow. 348. Dietrich 186. Dirksen 258, 279, 454. Dobrick 272. Donner 235. Drachmann 244. Dreifuß 456. Dreyer 227. Dudden 214. Duff 440. Dugdale 279. Duken 226.

' Duloroy 333.

Duncker 326, 418, 425, 426, 462, 466.

Dungern 240.

Düser 258, 279.

East 279.

Ebstein 204, 223.

v. Economo 224.

Ehrmann 449.

Einstein 299.

Ellis 183, 189, 210.

Eleutheropulos 437, 438, 439, 440, 441.

Elster 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 340, 351.

Engelmann 82.

Erb 1, 46.

Ertl 174, 239.

Estabrook 279.

F.

Fechner 418, 419, 420, 465.

Feder 119.

Federley 336.

Feer 63, 81.

Felix 458.

Fetscher 210, 222, 250, 256, 342, 344, 345, 351, 455, 459, 467.

Finckh 234.

Findlay 78, 81.

Finlayson 279.

Fischer, Alf. 240.

Fischer, E. 3, 45, 126, 159, 164, 227, 234, 329, 335, 376, 414, 454, 466.

Fischl 64, 81.

Fisher 426. .

Fleischer 41, 44, 46.

Flesch 457.

FlieB 118.

Florinsky 96, 231.

Focher 279.

Forel 279.

Foster 3, 45.

Frank 219.

Franke 218.

Fränkel 221.

Frenk 451.

Frets 240, 334, 335, 336.

Freud 257.

Freudenberg 191, 193, 195, 196, 197, 198.

Frey 1, 37, 42, 44, 45.

Friedberg 94.

Friedel 459.

Frobenius 303.

Froelicher 230.

Fromme 81.

Fuchs 1, 45.

Fueter 212.

Fulde 448.

Full 3, 45.

Fünfack 449.

Fuß 449.

Fürst 208, 233, 323, 353, 354.

138, 325, 437,

Namenregister.

G.

Gabritschevsky 462.

Gahn 455.

Galacian 231.

Galant 279.

Gäli 214.

Gall 204.

Galton 55, 115, 116, 149, 183, 189, 305, 306, 330, 331. -

Gans 225.

Gaupp 223, 258, 279.

De Geer 323.

Geigenmüller 102, 103.

Geitlin 234.

Gerhardt 351.

Gesell 119.

Gibb 46.

Gierke 209.

Girtanner 81.

Gloßberg 453.

Glenn 218.

Glisson 63, 81.

Gobineau 304, 305, 307.

Goesch 454.

Goethe 293, 295, 296, 300.

Goetsch 465.

Goldbladt 213.

Goldscheid 330.

Goldschmidt 107, 325, 427, 465.

Gorbunoff 230.

Görnitz 460.

Goroncy 279.

Göthlin 211.

Grant 351, 445.

Grawitz 242.

Greenfield 1, 3, 45.

Gregor 351.

Grimminger 458.

Groethuysen 49.

Grotjahn 191, 193, 268, 351.

Gruber, Fr. 239.

Gruber, K. 465.

v. Gruber 82, 391.

Gruhle 258.

Grünbaum 452. |

Grund 29, 46.

Gschwendtner 170, 239, 447, 448.

Guérin 241.

Guggenheim 458.

Guillain 230.

ree en

Gumpert 448.

Gumprecht 467.

Giinther, Adolf 115. Günther, Hans F. K. 123, 173. Guradze 341.

469

Güterbock 459.

Gutmann 190, 218, 321, 324, 442, 443, 452, 457.

Guyer 96.

H. Haacke 343. Haberlandt 229. Haddon 223. Haecker 351, 460. Hahn 94. Haiser 383. Hallervorden 216. Hamann 113, 174. Hamdi 138. Hammerschlag 82. Hanauer 467. Hannesson 323. Hansemann 78, 81. Hansen 312, 313, 315. Haritz 456. Hanssen 239, 322. Harrison 106. Hartmann 82, 279, 325. Hartnacke 440. v. Hauff 345. Hauptmann 2, 29, 31, 45, 46. Hauser 173, 351. Haustein 197, 198, 199, 459. Heckscher 453. Hegel 296. Heidenhain 3, 46. Heineke 243. Heiner 94. Heinonen 211. Heller 218, 240. Hellmann 338. Hellwig 257, 280. Hemleben 462. Hemmes 431. Henckel 235, 258, 279. Henkel 221. Hentig 279. Herbst 329.

: Hercod 454.

Hering 224. Hertwig 463, 464. Hertz 299, 361. Hertzberger 281. Hesch 128. HeBberg 232. Heuck 450. Higier 234, 236. Higley 371, 378. Hildebrandt 351. Hink 204, 237. Hintze 351.

470

Hirszfeld 221.

Hirsch 457.

Hirschberg 234.

Hirschfeld 1, 45, 46, 257, 279, 316, 371, 378.

Hoche 383.

Hock 234.

Hodara 452.

van der Hoeve 232.

Hoffa 244.

Hoffmann 31, 45, 206, 220, 221, 226, 279, 280.

Hoffstädt 221.

v. Holbeck 351.

Horstmann 280.

Hübner 280.

Hueppe 225.

Hunold 449, 450.

Hunt 173.

Hüssy 44.

I. Iltis 326, 328, 329, 331. v. Isenburg 217. Issajew 465.

J. Jablonski 212, 217, 219, 229. Jacobson 456. Jaensch 224, 234. Jansky 97. Jarotzky 229. Jaschke 227. Jaspers 280. Jenness 209. Jeß 219. JeBner 344. Johannes 351. Johannsen 115. Jollos 221, 467. Jones 351. Jonsson 312, 313. Jörger 112, 280. Judin 99, 230, 231, 346, 347. Just 351.

K. Kach 81. Kahn 206, 220. - Kammerer 122, 351, 444. Kammerer 224. Kanowitz 213. Kant 295. Kassowitz 63, 75, 81. Kastan 280. Kaup 122, 123, 221, 225, 268, 424, 466. Kauschansky 456.

Namenregister.

Kaznelson 218.

Kehrer 205, 206, 237, 280.

Keith 218.

Kekule v. Stradonitz 94.

Kemenetzki 219.

Kennedy 1, 3, 45, 46.

Kerner von Marilaun 327.

KeBler 115.

Keyserling 443, 444.

Kirchner 379.

Kieret 234.

Kirn 280.

Kisch 118.

Kißkalt 353, 360.

Klainguti 32.

Klein 371.

Kleist 220.

Klibansky 456.

Klodnitzky 347.

Knecht 258.

Kniep 325.

Kochs 228.

Koehler 57.

Kohn 218.

Koller 454.

Koltzoff 96, 99, 230, 231, 346, 347.

Komaya 450.

Kondorsky 346, 347.

Körber 128.

| Kossinna 204, 240.

Kostitsch 454. Kooimann 351. Kraepelin 205, 206. Krafft-Ebing 257, 280. Kraft 227.

Kraitschek 173. Kraus 229.

Krause 217.

KrauB 324.

Kretschmer 111, 205, 206,

H i t

|

207, 213, 220, 223, 237,

257, 258, 269, 280. Kronacher 203, 236. Kronfeld 342. Krönlein 242, 244. Krontovsky 346, 347. Kruse 467.

Krutina 350. Kuhn 256. Kurella 256, 280. Kutzinski 218. Kyrieleis 457.

L. Laibach 464. Laignel 230.

Laitinen 341.

Lamarck 119.

Laméris 47, 48.

Lamparter 458.

Landwehr 114.

Lange 61, 280.

Langer 448.

Langstein 436.

Lannois 45.

Lasnitzki 121.

Lattes 351, 372. 373, 378.

Lavastine 230.

Lee 186.

Leers 257, 280.

Lehmann 464.

Lenz, Fr. 53, 61, 65, 66, 67, 69, 82, 84, 94, 102, 111, 112, 113, 114, 115, 126, 127, 128, 139, 150, 151. 154, 162, 164, 190, 191, 193, 194, 207, 214, 223, 251, 264, 265, 266, 289, 329, 331, 336, 342, 350, 351, 353, 354, 356, 360, 382, 383, 385, 388, 397, 401, 418, 422, 423, 425, 426, 428, 431, 437, 441, 444, 445, 446, 448, 452,

Leppmann 258, 280.

Leri 230.

Lestschinsky 441, 451, 452.

Leukippos 299.

Leunbach 240.

Leven 221, 227, 228. 448, 449, 452, 453.

Levinsohn 457.

Levith 453.

Levy 78, 81.

Lichtenstern 281.

Liepin 348.

Lignae 216.

Linders 324.

Lindner 240.

Lippert 448.

Lipps 419.

Lipschütz 217.

Lobbenberg 416.

Locker 218.

Loew 218.

Lohlein 46.

Lohner 464.

Lombroso 256, 257, 280.

Lorenz 241.

Lotsy 351.

Löwenfeld 257, 280, 453.

Löwenthal 456. Lund 258. | Lundborg 37, 41, 45, 323,

324, 458. | Lus 348. | v. Luschan 200. |

Lykurg 298.

M.

Maier 280. |

Maissiat 242.

Mallwitz 351. |

Malthus 114. |

Mankowsky 231.

Manuila 374, 378.

Marchal 462.

Markuse 257, 258, 280, 340,

342, 458.

Marshall 217.

Martenstein 451.

Martin 142, 213, 215, 216,

224, 351, 378.

Mathes 223, 224, 225.

Mattauschek 194.

Maurer 68.

Mayer 218, 225, 229.

Mayer-Groß 224.

Mayet 84, 94. |

Meggendorfer 205. | | |

Meinicke 222.

Meirowsky 197, 228, 229, 450, 453.

Meltzer 352.

Mendel 64, 115, 327, 427.

Mendes da Costa 47.

Merzbacher 56, 237.

Meumann 382.

Mewes 291.

Meyer 216.

Meyer, P. 461.

Meyer-Riemsloh 457.

Michaelis 170.

Michel 213, 218.

Migeod 222.

Minzin 452.

Mjöen 330.

Moebius 308.

Mohr 461.

Moll 257, 280.

Möllenhoff 213.

Möller 257, 280.

Mollweide 220.

Mönckemöller 258, 280.

Morgan 107, 124.

Möschler 458.

Moser 228.

Moses 299, 456.

Much 352.

Namenregister.

Muckermann 458.

v. Miiller 222, 232.

Müller, A. 112, 113.

Müller, K. V. 444, 445, 446.

Mulligan 208.

Mulzer 225.

Münter 232.

N.

Nachtsheim 325, 465.

Näcke 258.

Naegeli 3, 44, 45. 46, 121, 327, 427.

Naeser 324.

Nansen 311.

Nettleship 56, 431.

Newman 150, 332.

Newsholme 455.

Nickau 34, 45.

Nietzsche 294, 296, 306, 307, 309, 379, 380, 381, 382, 383, 385, 386, 387, 388, 389, 390, 391, 393, 394, 396.

NiBle 240.

Nissen 280.

Nobl 453.

Nogues 45.

Nonne 280.

Nonnenbruch 224.

Norbury 241.

Nordenstreng 323.

Nordmann 452.

Norlund 312, 313.

Normand 102, 103.

v. Notthafft 452.

O. Obermiller 450. Obermüller 174. Oberndorf 1, 45. Odin 183. Oehlkers 464. Oetteking 232. Ohly 226, Ostermann 350. Osthoff 363, 366. 371. Ostroumoff 229.

P. Pagenstecher 219. Parrisius 229. Pascal 396. Passarge 200, 203. Paterson 215. Paudler 428, 429, Paulsen 165, 237, 310.

' Pauly 239.

430, 431.

Pawlow 96, 97.

Pearl 106, 230.

Pearson 186, 209, 418, 419, 425.

Peate 455.

Peiper 66, 81.

Pelargus 63, 81.

Pende 280.

Perthes 242, 243, 249.

Peter 213.

ats 352. . Pfaundler 65. 66, 77, 81, "296,

Pfister 257, 280,

Pfützner 259.

Philiptschenko 97, 99, 231, 346, 347, 348.

Pick 56.

Pictet 105, 106.

Pilcz 194, 205.

Pinkus 197.

Pitt-Rivers 222.

Placzek 257.

| Plate 104, 105, 240, 326, 326,

460. Platon 298, 306, 307, 395. Plaut 225. Plischke 217. Ploetz 330, 436. Pöch 223. Poll 111, 149, 164, 165, 331, 350. Pollizer 232. Ponopky 453. _ Popenoe 435. Porta 456. Porteus 186. Poseidonios 299. Pott 280. Pötzl 234. Pravaz jr. 244. Preuß 218. Priesner 239. Prinz 238. Prinzing 280, 467. Prokein 360. Pussep 234. Putzig 436. Pycraft 455.

R. Raecke 213, 280. Rautmann 226. Reche 128. Réclus 241. Reid 208. Reichardt 235. Reiche 221, 222.

472

Reichel 128.

Reichmann 238.

Reiß 259, 280.

Reiter 363, 366.

Reitsch 219.

Renner 466.

Reptau 352.

Retzius 208.

Reutlinger 83, 94.

Reys 230.

Rickert 116, 202, 295.

Rieger 220.

Riehl 386.

Ringbom 324.

Ritter von Rittershain 68, 69, 81.

Rivers 240.

Rizor 258.

Rizzatti 371, 378.

Roch 241, 246.

Roesle 198, 229.

Rohleder 257, 281, 343, 344.

Rohrer 2, 3, 29, 31, 34, 45.

Rolph 379.

Romanese 371, 378.

Rossiter 99.

Rossolimo 1, 45.

v. Röth 212.

Rothmann 449.

Rüdin 107, 235, 265, 281.

Rudolf 455.

S.

Sabnis 460.

Sacharoff 99.

Sahli 46.

Sand 217.

Sarasin 212.

Schallmayer 281, 330, 437.

Scharffenberg 455.

Scharnke 3, 45.

Scheerer 211, 212, 213, 215, 220, 233, 451, 458, 459.

Scheffels 457.

Scheidt 103, 129, 203, 209, 210, 211, 212, 216, 218, 222, 223, 230, 232, 336, 338, 418, 425, 426, 451, 456.

Schelling 295.

Schenk 228.

Schiff 222, 371, 378, 467.

Schindler 327.

Schläpfer 190.

Schleich 122.

374, 375,

|

i 4 |

i

Namenregister.

SchloeBmann 54, 56, 57,| Sokrates 390.

321.

Schmid 83.

Schmidbaumer 321.

Schmidt 456.

Schmitt 207.

Schneider 149, 164, 206, 228, 281, 452.

Schoch 453.

Schofield 412, 413.

Scholz 234.

Schopenhauer 117, 118, 385.

Schott 324.

Schrader 428.

Schreger 242.

Schreiner 324.

Schrijver 281.

Schréder 329.

Schroeder 240.

Schulte 237.

Schultz 214, 235.

Schulz 352.

Schulze 240.

Schumann 218.

Schuster 216.

Schiitz 373, 374, 375, 378.

Schwarz 281.

Schwiening 199.

Sébileau 241.

Seeck 291, 303.

Seiffer 257, 281.

Seitz 61, 226.

Selewer 281.

Seligmann 22, 455.

Selle 259.

Sellheim 240.

Serebrowsky 230.

Seuteman 199.

Shimidzu 211

Shrubsall 223.

Siedermair 227.

Siegel 340.

Siegert 64, 65, 66, 81.

Siemens 47, 56, 61, 142, 143, 144, 149, 157, 164, 169, 205, 221, 222, 224, 225, 228, 229, 331, 332, 334, 341, 342, 416, 437, 448, 449, 450, 452, 453, 454, 466.

Simon 180, 401, 457.

Sinclair 218.

Sirol 45.

Sklarz 449.

Slovzoff 346, 347.

Smith 96, 257, 281.

Soboleva 98.

Sommer 174, 457.

Spemann 464.

Spengler 118, 125, 289, 290, 291, 292, 293, 204, 296, 296, 297, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 307, 308, 309.

Sperlich 459.

Spickernagel 414, 415.

Spielmeyer 237.

Spindler 88, 89, 94.

Spinoza 299.

Spitzer 449.

Standfuß 325, 329.

Staemmler 453.

Stannus 222.

Starlinger 239.

Steffan 371, 372, 373, 374, 378.

Steiger 457.

von Stein 388.

Stein 346, 348.

Steinach 217, 281.

Steinert 3, 29, 45.

Stekel 257, 281.

Stern 456.

Sternberg 216.

Stern-Piper 207, 281.

Stier 237.

Stécker 205.

Stoeltzner 77.

Stoll 233.

Storch 63, 81.

Straus 352.

StrauB 218.

Strecker 352.

Strindberg 308.

Striimpell 1, 45.

Stürli 374, 378.

Sucker 374, 376, 378.

Sullivan 338.

Sysin 9.

v. Szily 2, 451.

T.

Tandler 107, 223, 342. Tartakower 218. Taussig 183, 364.

Tel Awiw 218.

Terao 463.

Terho 460.

Terman 180, 182, 183, 185, 186, 188, 189, 364, 366,

397, 401, 440.

Terroine 212. Telzner 29, 45.

Namenregister. Sachregister. Timerding 352. Volta 203. Theognis 298. Voß 217. Thiele 259, 454. de Vries 328. Thomalla 352. W. Thomsen 240. Waardenburg 56, 57. Thomson 440.

Thorndike 182. Thurnwald 202, 352. Többen 281.

Tönnies 238.

Tower 325.

Troitzky 81. Trömmer 281. Trumpp 226. Tschulkoff 231.

V.

Vaerting 345.

Vaihinger 382.

Valette 241. |

van der Valk 47.

Varro 291, 303.

Velhagen 225.

Veraguth 230.

Verduc 242.

Verhoef 239.

Verneau 217.

Vernon 150.

v. Verschuer 149, 208, 214, 216.

Verzar 316, 374, 375, 378.

Virchow 233, 377, 378, 386.

Vogel 225, 242.

Vogt 1, 2, 28, 44, 45.

Vollmer 449.

Volmer 218. |

A. Abort 227, 233. Abstammungslehre 104, 326. Abtreibung 227, 435.

Abweichung, prozentuale 150.

adenoide Konstitution 187. adenoide Wucherung 132. Adenome 234.

Aegypter 232.

Ahnenstolz 386. Ahnensumme 93. Ahnenverlust 92.

Akne 166.

Albinismus 222, 223, 460.

' Weigl 225.

Wachholz 257, 281. Wachtel 228. | Wagner 234. Walcher 159, 164. Waldheim 258. Ä Wallon 281.

Wander 350.

Watson 217.

Weber 213, 236.

Wecken 352.

Wederwang 240. Weidenreich 462.

Weil 257, 281. |

Weinberg 107, 194, 224, 225, 227, 245, 247, 251, 319, 356, 362, 366, 398, 465. -

Weinert 352.

WeiB 118, 122.

Weismann 55, 119, 150, 332, 465.

Weißenberg 340, 341, 452.

Weitz 149, 164, 216.

Welde 352.

Werner 232,

Westheide 281. |

Weszeczky 374, 375, 378.

v. Wettstein 427, 462, 464.

Wetzel 224.

Wickel 257, 281.

Sachregister.

473

v. Wiese 216.

Wieting 138.

Winge 460.

Winkler 463.

Wischnitzer 452.

Wiskott 226.

Wöhlisch 373, 374, 375, 378.

Wolbe 456.

Wolf 281.

Wolff 413.

Wölfflin 412.

Wollny 214, 215, 216, 232, 230, 236, 237.

Wolotzkoy 99, 231, 346, 347.

Wood 217.

' Woltereck 465.

Woltmann 446.

Wriedt 461.

Wulffen 259, 281. Wulsin 461.

Wulz 82, 217, 234, 458.

Yerkes 401, 404, 409, 410, 411.

Yeung 182.

Yoakum 401.

2. Zavadorsky 338, 340. Zeitschel 214. Ziegler 105, 281, 371, 374, 375, 378. Ziesch 61. Zimmermann 94. v. Zumbusch 47, 224. Zurukzoglu 352.

Albinismus des Auges 431. Alkoholfrage 435, 454. AlkoholgenuB 230. | Alkoholgesetzgebung 455. Alkohol und Geschlechtskrankheiten 452.

Alkoholismus 213, 391. Alkoholikernachkommen 105, 237. Alkoholverbot 223, 228, 446, 454, 455.

alpine Rasse 132, 429.

Altern 340.

amaurotische Idiotie 215.

Amerika 310. Aniridie 225.

Anisometropie 212.

474 Sachregister.

Ankylosen der Fingergelenke 225, 226. Anpassung 326.

Anthropogeographie 200. Anthropologie 224.

Anthropologia Norwegica 323. Anthropologie Schottlands 208. Anthropometrie 224.

antike Kultur 303.

Antisemitismus 458.

Arbeiter, gelernte 354.

Arbeiter, ungelernte 354.

Armenier 233.

Artbastarde 466.

Arteriosklerose 236.

Artmerkmale 464.

Asoziale 278.

Asoziale Familien 454.

Asthenie 110, 167, 224, 226. asthenischer Habitus 134.

Asthma 224.

Astigmatismus 457.

Asymmetrie 134.

Asymmetrie vén Variationsreihen 418. Atherom 448.

Atrophia nervi optici 56.

Aufartung 120, 122.

Aufspaltung der Erbfaktoren 463. Auge, Achsenlänge 219.

Augenfarbe 377.

Augenleiden 458.

Augenlider 133.

Auslese 202, 305, 350, 385, 393, 434, 436. Aussterben der begabten Familien 400. Avitaminose 227.

Axakoff 230.

B.

bäuerliche Lehen 434.

Becken, enges 73.

Begabung 187.

Begabung, ihre Erblichkeit 184.

Begabung und Fortpflanzung 353, 397.

Begabung, hervorragende 189.

Begabung und Rasse 182.

Begabung und soziale Herkunft 183, 365.

Begabte Familien, ihr Aussterben 400.

Begabtenforschung 180.

Beratungsstelle für biologische Familien- forschung 129.

Beruf und Begabung 184.

Beruf und Intelligenz 409.

Berufe, soziale Gliederung 369.

Berufswahl 140.

Bevölkerungsbewegung in München 368.

Bevölkerungsbewegung in den Vereinigten Staaten 99.

Bevölkerungspolitik 330, 341, 435. Bevölkerungswissenschaft 115. Bildung 308, 309.

Bismarck 112.

Bleichsucht 167. Blinddarmentzündung 167. Bluterfamilien 319.

Blutgerinnung 98.

Blutgruppen 97, 221, 316, 371, 467. Blutsverwandtschaft 83. Boskopschädel 455. Brachyphalangie 131.

C.

Charakteranlagen 188. Chimären 465.

China 461.

Chinesen 210. Christentum 395. Chromosomentheorie 461. Cladocerenrassen 465. Coloboma 225. Corneavergrößerung 213. Cro-Magnonrasse 231, 428, 430. Crossing-over 461. Cystinurie 216.

. Cytoplasma 463.

D.

Dal-Rasse 428.

Dariersche Krankheit 449, 450, 452.

Darwin 230.

Darwinismus 293, 294, 304. 379.

Dauermodifikation 467.

Décadence 391, 392, 393.

Deficiency 461.

Degeneratio corneae 59.

Degeneration 392, 393.

Dementia infantilis 234.

Dementia praecox 220, 234, 265.

Deutscher Bund fiir Volksaufartung und Erbkunde 349.

Deutsche Gesellschaft f. Rassenhygiene 128.

deutsche Vorgeschichte 204.

Diabeles 170, 228.

Diathese 66, 227.

Dichter und Denker 113.

Diphtherie 221.

direkte Bewirkung 121.

Disposition 205, 221, 224.

Domestikation 78.

dominant-geschlechtsgebundene Ver- erbung 47.

Drosophila 460, 461.

durchschnittliche Abweichung 465.

Dyskeratosen 453.

. Dystrophie. myotonische 1.

Wenn ere

Sachregister.

E. Ehe 176, 210, 388, 389, 443. Eheform 436. Ehelosigkeit 342. Eherecht 83. Ehewahl 177, 178. Eidetiker 224. eidetische Anlage 234. Einwanderungsgesetz 101. Eiszeit 431. Ektopie der Pupille 458. Engbrüstigkeit 109. Englische Krankheit 64. Entartung 121, 231, 391. Entwicklungsgesetz 124. Entwicklungsmechanik 464. Entwicklungsphysiologie 464. Enzymnatur der Gene 465. Epheliden 450. Epidermoide 448. Epidermolysis bullosa 452. F Epikanthus 133, 414, 415. Epilepsie 206, 234, 235, 265. Epilobium 464. Erbänderungen 120. Erbbiologischer Fragebogen 260. Erbkunde 349, 350. Erblichkeit der Begabung 185. Erbmasse und Umwelt 124. Ergrauen 168. Erstgeborene 186. Erziehung 126. Erythrodermie 453. Eosinophilie 224. Eskimo 209, 311, 314. Ethik 117. Eugenik 116, 330, 437, 444. eugenische Indikation 435. Europäer 393. Euthenik 116. exsudatives Ekzem 165. Extremitäten 156.

F.

Fachausdrücke der Vererbungslehre 224. Fachausdrücke der Konstitutionslehre 225. Familie Hornschuch 234. | Familie Markus 112. Familienerhebungen 129. Familienforschung 233, 456. Familiengröße 176.

Familienrecht Sowjet-RuBlands 234. Farbenblindheit 211, 334. Farbenfaktoren 461. Farbenpolymorphismus 462.

faustische Kultur 300.

Fingerlinien 111.

mn ne RN ee er

Finnen 430.

Follikularzysten 448.

Förderklassenschüler 467.

Forstleute 141.

Fortbildungsschulen 354.

Fortpflanzung verschieden begabter Fami- lien 353. :

Frankreich 103, 229.

Französische Sorgen 102.

Frauenstudium 390.

Friedreichsche Ataxie 453.

Fruchtbarkeit der begabten Familien 185.

frühreife Kinder 188.

Fuß 145.

G.

Gall 204. Galton 230. Gattenwahl 443. Gattungskreuzungen bei Moosen 464. Gebärmutterkrebs 229. Geburtenrückgang in Frankreich. 102. Geburteniiberschu8 in Amerika 102. Geburtenverhütung 384, 394. Geburtenziffer 229. Geburtenziffern in Amerika 102. Geburtsadel 386. Geburtsgewicht 161. Geisteswissenschaft 116. geistiges Alter 401. geistige Begabung 180. geistige Fahigkeiten 168. Gemeindebestimmungsrecht 454. Genie 382. Genitaltumoren 229. Geographie des Menschen 200. Germanen 300. Germanen, Tracht der 209. Geschlecht und Begabung 181, 188. Geschlecht und Charakter 188. Geschlechterpsychologie 345. Geschlechtsbestimmung 343. Geschlechtscharaktere 338. Geschlechtsdisposition 222. geschlechtsgebundener Erbgang 47. geschlechtsgebundene rezessive Erbanlagen

465. Geschlechtskrankheiten 191, 194, 199, 224,

436. . Geschlechtskrankheiten in Dänemark 459. Geschlechtsmerkmale 339.

Geschlechtsverhältnis 220, 222, 460.

Geschichte 292, 293, 296, 297, 307. Geschwistermethode 224, 247. Geselligkeit 141.

Gesellschaft für Rassenhygiene 448. Gesellschaftshygiene 115.

476

Sachregister.

Gesicht 148, 157. Gesichtsform 131, 132. Gesundheit 392. Glaukom 219. Griechentum 394, 395. Grimaldirasse 217. Grönland 310. Guanchen 232.

H. Haarfarbe 377. Haarfarbenbestimmung 450. Haarwirbel 166. Habichtskräuter 327. Haemagglutinine 371, 467. Haemophilie 319. Haemorrhoiden 321. Hammerzehe 190. Hand 145. Handlinien 223. Handfertigkeit 139. Händler 307. Hautfarbe 135, 138, 214, 406. Hautkrankheiten 448, 450. Hautkrankheiten und Diathese 227. Hebbel 216. Hebräer 346. Heiratsunlust 176. Hellenen 298. Heredodegeneration 216. Heterostylie 464. Hieracium 327. Hilfsschüler, ihre soziale Herkunft 365. Hilfsschulkinder 360. Historischer Materialismus 446. Hochschule für Körperkultur 96. hormonale Sterilisierung 229. Hüftverrenkung 241. Hydroa vacciniforme 449. Hyperkeratosen 453. Hyperopie 134. Hypsikephalie 157. hysterischer Charakter 205.

I. Ikterus 224. Impragnation 343. Indikation zur Schwangerschaftsunterbre- chung 232. Indianer 101. indogermanischer Sprachstamm 428. innere Sekretion 120, 124. Instinkt 386, 387. Intelligenz und Beruf 409. Intelligenzgrade 402. Intelligenzprüfungen im amerikanischen Heer 401. Intelligenzquotient 401.

EE EE lm nr cre a a -

Inzucht 238.

Inzuchtproblem 464.

Iriskolobom 458.

Irismangel 220, 233.

Irismißbildung 219.

Irländer 405.

Isohaemagglutinine 97, 316, 371, 467. Island 323.

J. Japaner 210. Javaner 225. Juden 324, 329, 345, 403, 405, 441, 443, 451, 452, 456, 458. Juden in der bildenden Kunst 218. Judentum 218, 299.

K.

Kampf ums Dasein 202. Kanarienvõgel 462. Kant 216, Kastration 236, 277, 385. Katalase 98. Katarakt 2, 3, 28, 211, 457. Katatonie 237. Keimschädigung 207, 232. Keimverderbnis 222. Keloide 453. Keratodermia 449. Keratokonus 232. Keratosis follicularis spinulosa decalvans

47, 48, 52. Kern und Protoplasma 463. Kieler Gesellschaft fiir Rassenhygiene 237. Kinderreiche 458. Kinderzahl und Begabung 186. Kinderzahl der Begabten 185. Kinderzahl und Bildung 186. Kinderzahl in München 361. Kinngrübchen 415, 416. Klappertopf 459. Klassenunterschiede 440. Kleinkindersterblichkeit 467. Klopstock 217. Klumpfuß 165, 228. Knochenbriichigkeit 218, 457. Knochendefekte 221. Kolbendaumen 220, 221. Kolobom 451. Konstanz der Rassen 123. Konstitution 108, 111, 205, 222, 223, 224. Konstitutionsanomalie 65. Konstitutionslehre 221, 231. Konstitutionsnoten 355.

' Konstitutionsproblem 228.

Konstitutionstypen 224. Konstitutionstypus und Rassentypus 207.

Konstitutions- und Vererbungslehre 107.

Kopfform 186. Kopfindex 334. Kopfmaße 145, 156, 158. Kopfwackeln 431. Kopten 232. Körperbaulehre 224.

Körperbau und Charakter 213, 231.

Körperbau und Geistesstörung 207. Körperbau und Psychose 213. Körperbau und Rasse 207. Körperbaustudien 235. Körpergewicht 156. Körpergröße 131, 145, 156. Körperkultur 96. Körperlänge 110. Körperproportionen 145. Körper und Seele 116. Korrelationsindex 356, 465. Krankheit 65, 229, 392, 452. krauses Haar 417.

Krebs 228, 229. Kretinismus 110, 229. Krieg 231. Kropf 229.

Kropffrage 226. Kropfprophylaxe 226. Kropf und Tuberkulose 226. Kultur 306.

Kultur und Auslese 231. Kulturen 290, 297, 303. Kulturentwicklung 201. Kulturgeschichte 308. Kultur und Landschaft 201. Kultur und Rasse 298, 303, 439. Kultur und Volk 302. Kurzsichtigkeit 187, 219. Kyphose 72. Kypho-Skoliose 71, 73.

L.

Lamarckismus 96, 301, 328, 329, 381.

Landschaft und Kultur 201. Längenbreitenindex 186. Lappen 324.

Lassalle 128. Leibesübungen 172. lenticulare Degeneration 215. leptosom 207. Leseschwäche 237. Letalfaktoren 460, 462. Lichen pilaris 59.

Lichen ruber 449.

Liebe 344. -

Liebe und Ehe 210. Linkshändigkeit 333.

Linse 451.

Sachregister. 477

ee ee

Linsenektopie 212. Linsenkern 215. Linsentrübung 219. Linumarten 464.

Literatur 141. Lungenentzündung 133, 167. Lungenschwindsucht 221, 222. Lungentuberkulose 214. Luxatio coxae congenita 242. lymphathischer Habitus 131.

M. Macula lutea 215. Mädchenerziehung 391. Magengeschwür 226. Magenkrebs 226. Magenleiden 134. Mandeln 167. Manifestationsschwankungen 55. Marxismus 446. Mathematik 166. Megalithkultur 430. Mehrlingsgeburten 168. Melanismus 138. Mendel 326, 327. Mendelismus 327, 462. Menschenökonomie 330. Meßfehler 144. Methoden der Erblichkeitsforschung 231. Migräne 223. Mikrozephalie 213. Mimikry 462. Mischrasse 430. Mißbildungen der Haut 453. Mittelohrentzündung 166. mittlere prozentuale Abweichung 150, 151. mittlerer Fehler 154. Modifikation 487. Mongolenfalte 414. mongolide Merkmale 132. mongolide Typen 222. Moniletrichosis 450. Moose 462. Moral 379, 392, 393. Morgansche Theorie 461. Mörike 112, 113. multiple Sklerose 230. München, Bevölkerungsbewegung 368. Münchener Familien, Kinderzahl 361. Mundarten 455. Mundhöhle 449, 450. musikalische Begabung 166. Muskelatrophie 216. Mutation 120, 437, 467. Mutterideal 391. Muttermäler 228, 229, 333, 449, 450, 452. Myom 229.

478

Myopie 457.

Myotonia atrophica 1, 215. Myotonie 28.

myotonische Dystrophie 457.

N.

Nachkommenschaft der Luetiker 231.

Nachtkerzenarten 462.

Naevi 333, 448, 449.

Nagel 131.

Nanosomia infantilis 227.

Nase 132, 233.

Nasenfurche 415, 416.

Natur und Geist 116.

Naturwissenschaft 116, 117.

Naturwissenschaftler 140.

Neandertalrasse 212, 217.

Neger 402, 403, 405, 406, 407.

Neger in den Vereinigten Staaten 101.

Netzhaut 215.

Netzhautleiden 220.

Neurasthenie 113.

Neurofibromatosis 230, 449. |

Nietzsche 112, 113, 379, 394.

Nordamerika 210.

nordische Rasse 100, 315, 323, 330, 404, 405, 434, 445.

Nordischer Verein fiir Anthropologie 323. |

Nordwesteuropäer 100.

Norm 109, 221, 226.

Normaltypus 123.

Normannen 310.

Normotypus 109.

Nystagmus 431, 432.

O. O-Beine 72, 73, 74. Oberlid 219. oberösterreichische Gesellschaft für Ras-

senhygiene 448.

Oenothera 462. Oenotherenkreuzungen 464. Offiziere 408. Organisationstalent 140. Ostasiaten 210. Otosklerose 218.

ey ee

P. Pacific-Küste 210. Palästina 218. Papillarlinien 135, 221. Paralyse 225. Paralysehiufigkeil 191, 193. Paralytiker 235. Paranoia 206, 224. paroxysmale Lähmung 231. Pelizacus-Merzbachersche Krankheit 237.

m uaaa nn EE Ee,

Sachregister.

phyletische Potenz 459. Physiognomiegedächtnis 141. Pigmentanomalien 450. Pigmentfarben 460. Pigmentierung 214. Pigmentierungsanomalie 138. Pilze 464.

Plasma 463.

Polygynie 438.

Porokeratosis 448, 452. Prognostik, allgemeine 168. Prohibition in Amerika 435. Proletariertum 234. Proletarisierung 380.

Protisten 467.

Psychiatrische Familiengeschichten 112. psychische Erkrankungen 237. psychische Fahigkeiten 231. Psycholamarckismus 119, 120, 301. Psychopathie 262.

Psychosen 205.

Pupillen 219.

Q. Querulantenwahn 206. Quinckesche Oedem 453.

R.

Rachitis 61.

Rachitis, ihre Haufigkcit 68.

Rachitis und Sonne 78.

Rachitis und Stillen 76.

Rachitis und Wohnung 78.

Radiumbestrahlung 208.

Rasse, alpine 132, 429.

Rasse, nordische 315.

Rasse, vorderasiatische 299.

Rasse und Begabung 182.

Rasse und Blutzusammensetzung 467.

Rasse, dalische 428.

Rasse und Intelligenz 403.

Rasse und Konstitution 207.

Rasse und Kultur 300, 303, 439.

Rassenanlage 298.

Rassenfrage und Sozialismus 444.

Rassengeschichte 308.

Rassen, hellfarbige 428.

Rassenhygiene 115, 125, 128, 173, 178, 305, 306, 330, 349, 379, 433, 437.

rassenhygienische Bewegung in Rußland 96, 346.

Rassenindex, biochemischer 372, 374.

Rassenlehre 201.

Rassen des Menschen 200.

Rassenmischung 381.

Rassen der Mittelmeerländer 238.

nn E o

Rassenpsychiatrie 225.

Rassenzukunft 433.

rassische Weltanschauung 203.

Rationalisierung der Fortpflanzung 435.

Reaktionskonstanten 465.

Recklinghausensche Krankheit 448, 452, 454.

Reduktionsteilung 462, 463.

Refraktion 211.

Refraktionszustände 219.

Regeneration 120.

reine Linien 459.

Retinitis pigmentosa 322.

rezessiv-geschlechtsgebundene Vererbung 432.

Rheumatismus 168.

Röntgenstrahlen 207, 232.

Rotgrünblindheit 57, 211.

Rothaarigkeit 130.

Rumpflänge 156.

Russische Eugenetische Gesellschaft 99, 230.

Russische Eugenetische Zeitschrift 99, 348.

russische rassenhygienische Bewegung 346.

Rußland 96.

S.

Säuglingsernährung 75. Säuglingssterblichkeit 436, 467. Sarkom 449.

Schädelform 159, 227, 334, 466. Schädelindex 377. Schadelkapazital 186.

Schaf 460.

Scheffel 112.

Scheitelbeine 221.

schielen 166.

Schiller 437.

Schizoid 220.

Schizoide Psychopathen 206. Schizophrenie 206, 207, 220, 235, 265. Schlaganfälle 236.

Schönheit 389, 390.

Schottland 208.

Schulbegabung 167, 181, 187. Schulleistung 354. Schwachsichligkeit 134. schwachsinnige Hilfsschulkinder 360. Schweine 465. Schwimmhautbildung 412. Seele und Leib 116.

seelische Störungen 237. Sehnervenatrophie 57, 457. Selbstmord 134, 238, 264, 383, 384. Selbststerilitat 464.

Selektion 231.

Selektionisten 96, 121, 122. selektive Rassenhvgiene 125.

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Sachregister. 479

Sephardim 324.

Sexualpsychologisches 345.

Sexualverbrecher 256.

Sexualwissenschaft 257, 340.

Sinnesorgane der Tiere 104.

Sittlichkeitsverbrecher 269. `

Skeptizismus 296.

Sklera, blaue 218, 457.

Sklerose, multiple 230.

Skoliose 71, 72, 74.

Sommersprossen 130, 167, 450.

Sonne und Rachitis 78.

Sozialbiologie 115.

sozialer Aufstieg 440.

soziale Auslese 126, 183, 408, 409, 440.

soziale Herkunft der Begabten 189, 366.

Sozialismus 218, 444, 445, 446.

Sozialpolitik 115.

Sozialwissenschaft 116, 117.

Soziologie 437.

Soziologie der Neurosen 235.

Spanien 232.

spastische Paralyse 236.

Spermatozoendimorphismus 464.

Spirochätenstämme 225.

Sport 170.

Sportsleute 229.

Sportvereine 172.

Standardabweichung 154, 465.

Stände 439.

Standesbeamte 349.

Stanford-Binet-Methode 401.

Star 2, 219.

Status marmoratus 234.

Sterilisierung 229, 231, 233, 236, 276, 277, 385, 434, 443.

Stilldauer 187.

Stillen 75, 179.

Stillen und Rachilis 76.

Stillersche Konstitutionsanomalie 224.

Strabismus 134.

Striatumsklerose 235.

Syndaktylie 412.

synton 207.

Syphilis 453.

Syphilishäufigkeit 191, 193.

Syphilitikernachkommen 231.

Syringomyelie 216, 230.

T. Tauben 461. Telegonie 343. Testprüfung 180, 401. Thoraxform 109, 110. Tierzucht 203, 236. Tod, freiwilliger 384. Tolstot 231.

480 Sachregister.

Trema 415, 416. Volk 302.

Trinkerfamilien 237. Volksaufartung 349. Trockenlegung 435. vorderasiatische Rasse 299. Trophoneurose 216. Tuberkulose 110, 214. Tuberkulosebekämpfung 459. tuberkulöse Belastung 221. Turmschädel 157. Turnvereine 172, 175.

U.

W.

Wanderungsauslese 405. Wangengrübchen 415, 416. Weltgeschichte 290.

Werte 117.

Werttheorie 117.

Wiener Gesellschaft für Rassenhygiene 128. Wikinger 310.

Wilsonsche Krankheit 236. Winland 310.

Wohnung und Rachitis 78. Wollcharakter 460.

Ueberfütterung 77.

Uebermensch 381, 383. Uebersichtigkeit 134, 219. Uebersterblichkeit der Knaben 465. Uebervölkerung 114.

Ulcus ventriculi 226.

Umwelt 149, 201, 202, 269, 301. Umwelteinflüsse 121, 150.

Umwelt und Erbmasse 124. Unfruchtbarmachung 220, 227, 276. Untergang des Abendlandes 289. Untergang der Antike 303. Unzuchtverbrechen 265. Uterusmyom 229.

X. X-Beine 72. Xeroderma pigmentosum 449, 451.

Z. Zähne 166, 167, 449, 450. Zeugung 343. Zielstrebige Entwicklung 124. Zitzenzahl 465.

Áe nn a eg er A e =

v. Zölibat 342.

Variabilität 160. Zoologie, allgemeine 104. Variationsstatistik 465. Zoologismus 438. Verbrecher 256. Züchtung von Menschen 382. Vererbung 394. Züchtungsbiologie 236. Vererbung und Artbildung 463. Zuchtwahl 444. Vererbung erworbener Eigenschaften 96, Zwangskrankheiten 205.

119, 325, 326, 328. Zwergwuchs 227. Vererbungsstatistik 466. | Zwillinge 142, 165, 203, 211, 332, 415, 416, Vererbungswissenschaft 325. 449, 453, 465. Vereinigte Staaten 99. Zwillingsforschung 220, 227, 231. Vereinigte Staaten, Einwanderer 100. Zwillingsgeburten 417. Verjüngung 340. Zwillingspathologie 55, 221, 331, 453, 466. Verwandtenehen 82, 458. Zwillingsuntersuchungen 143, 149.

Vetternehen 83. Zygodactylie 462.

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Illustrierte Vierteljahrsschriit | für deutsches Volkstum

Schriftleiter der Vierteljahrsschrift: Dr. Walter Scheidt, Privatdozent an der Universität Hamburg.

Schriftleiter der Beilage für Schrifttum und Kunst „Volk im Wort“: Börries, Freiherr von Münchhausen (Windischleuba Sa.-A.).

Aus dem Inhalt des ersten Heftes:

Privatdozent Dr. W.Scheidt: Volk und Rasse; Professor Dr. Lehmann: Die Bevölkerung Nordfrieslands; Privatdozent Dr. W. La Baume: Die Wikinger Nordostdeutschlands; Direktor Dr. Peßler: Grundbegriffe Volkstumskundlicher Landkarten; Kleine Mitteilungen und Anregungen; E. Wittich: Jenische Leute; Preisausschreiben; Werkbund für deutsche Volkstums- und Rassenforschung; Bücherschau.

„Volk im Worte:

Börries, Frhr. von Münchhau sen: Volk im Wort; Professor Dr. W.Fehse: Die Heimat als Schicksal in Wilhelm Raabes Leben und Werk, Professor Pauls: Der richtige Berliner Anno 1848; Gertrud v. d. Brinken: Gedichte.

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J.F. LEHMANNS VERLAG/MÜNCHENSWA4

ARCHIVFÜR RASSEN- UND GESELESCHAFTSBIOLOGIE Band I Heft 1u. 4, Band II Heft 1, Band III Heft 6, Band VI Heft 2 Band VIII Heft 3, Band XI Heft 5u. 6, Band XII Heft 1, 5,6, Band XIII Heft 1, 5,6 zum Preise von Mk. 1.50 für ein Heft zurüidis Gut erhaltene Exemplare der aufgeführten Hefte bitten wir uns einzusenden

J. F. Lehmanns Verlag, Münden, Paul-Heyse-Sirafie 26

Der Untergang der großen Rasse Die Rassen als Grundlage der Geschichte Europas. Von Madison Grant, New York.

Einzige berechtigte Übersetzung von Prof. Dr. Polland, Graz.

Ausdem Inhalt: Rasse und Demokratie / Die physische Grundlage der Rasse /

Rasse und Wohnsitz / Der Kampf der Rassen / Rasse, Sprache und Nation / Die

europäischen Rassen in den Kolonien / Der Mensch der Steinzeit / Die alpine (ostische) | Rasse / Die Mittelmeerrasse / Die nordische Rasse / Das teutonische Europa / Die

Ausbreitung des Nordischen / Das nordische Vaterland / Die nordische Rasse außer- |

halb Europas / Rassenfähigkeiten / Der Ursprung der arischen Sprachen.

Dieses Buch, von dem in Amerika in wenigen Jahren vier Auflagen erschienen, zeigt in erschütternder Weise die Gefahren, die den Trägern unserer heutigen europä- ischen Kultur drohen. Ungenügende Vermehrung und dadurch Überwucherung durch minder wertvolle Rassen ist das sichere Ende der nordischen Rasse und damit ihrer

schöpferischen Kultur, wenn die nordrassige Menschheit nicht noch rechtzeitig die | Gefahren erkennt und bekämpft, wie dies die Vereinigten Staaten z. B. durch ihre Beschränkung unerwünschter Einwanderung in Angriff genommen haben. Es weist

die Wege, dem Untergang des Abendlandes zu begegnen.

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Die Auflehnuns gegen die Kultur Die Drohung des Untermenschen. Von Lothrop Stoddard, A. M., Ph.D. (Harel

Einzige berechtigte Ubersetzung von Dr. Wilhelm Heise. Inhaltsverzeichnis: Vorwort des Ubersetzers / Vorwort / Die Biirde der Kultur / Das eiserne Gesetz der Ungleichheit / Das durch die Minderwertigen dro- hende Unheil / Die Lockung des Irrtümlichen / Der Nährboden der Auflehnung /

Die Empörung des Untermenschen / Der Kampf gegen den Wirrwarr / Neu-Adel /

Schlagwörterverzeichnis. Stoddard untersucht die biologischen Ursachen der wunerträglichen Unruhe, die nicht nur Mittel- und Osteuropa, sondern die ganze Welt ergriffen hat. Es handelt | sich um einen Vorgang artlicher Erschöpfung, der, wie er die großen Kulturen der | Vergangenheit vernichtete, nun auch unsere eigene zu zertrümmern droht. Unter | solchen biologischen Gesichtspunkten betrachtet der Verfasser sowohl die bolsche- | wistische Auflehnung der primitiven Menschen gegen die Kultur wie die Uberschwem- | mung seiner amerikanischen Heimat durch einwandernde Scharen minderrassiger | Fremder. Stoddards Buch wird es hoffentlich gelingen, auch das deutsche Volk vor | den Gefahren rassischen Niedergangs zu warnen.

Ueber die blologishen Grundlagen der Erziehung

Von Dr. Fritz Lenz, Prof. der Rassenhygiene in München, Preis Mk. 1.50. |

Die Schrift ist entsanden aus einem Vortrag, den der Verfasser im Januar 1925 im Auftrag des

Sächsischen Unterrichtsministeriums in Dresden gehalten hat, Wie sein bekanntes, gemeinsam mit

den Prof. Baur und Fischer herausgegebenes Werk „Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“ sind auch |

diese „Grundlagen“ nicht für den Fachmann allein, in diesem Fall unsere Lehrerschaft, bestimmt. |

Nein, jeder, der aus allgemeinem Interesse an den grundlegenden Fragen der Erziehung teilnimmt, wird diese Schrift nicht ohne große Anregung lesen.

J. E LEHMANNS VERLAG, MÜNCHEN SW 4

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Renewed books are subject to immediate recall.

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